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Full text of "Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung"

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MITTHEILUNGEN  DES  INSTITUTS 


FÜR 


OESTERREICHISCHE 


GESCHICHTSFORSCHUNG. 


UNTER  MITWIRKUNG   VON 


OSW.  REDLICH,  F.  WICKHOPF  und  H.  R.  v.  ZELSSBERG 


BEDIGIRT  VON 


E.  MÜHLBACHER. 


XV.  BAND. 


INNSBRUCK 

VERLAG  DER  WAGNER'SCHEN  UNIVERSITÄTS-BUCHIIÄNDLUNG. 
1894. 


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DRUCK  DER  WAGNER'SCHEN  UNIV.-BUCHDRUCKEREI  IN  INNSBRUCK. 


Inhalt  des  XV.  Bandes. 

Seite 

Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.     Von   Reinhold   Röhricht  1 

Zur  Vorgeschichte  der  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg.  Von  Harry  Bresslau  59 
Die  Entstehung  der  ptälzisch-österreichischen  Convention  vom  3.  Jan.  1778. 

Von   AdolfUnzer 68 

Der  Herzog  von  Reichstadt.  Von  Hanns  Schütter  ....  114 
Alfonso  Ceccarelli   und   seine   Fälschungen  von  Kaiserurkunden.     Von  A. 

Riegl 193 

Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  Von  Adolf  Beer  .  237 
Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  für  das  Königreich  Sicilien 

und  besonders  über  seine  Augustalen.  Von  E.  Winkelmann.         .  401 

K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  Von  JaroslawGoll  .  .  .  441 
Beiträge  zur  Historiographie    in    den  Kreuzfahrerstaaten,    vornehmlich    für 

die  Geschichte  Kaiser  Friedrichs  II.  Von  Paul  Richter  .  .  .  561 
Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard  von  San  Germano.  Von 

A.  Winkel  mann 600 

Zur    Gründungsgeschichte   der    österreichischen    Kriegsmarine.      Von    Karl 

Lechner 614 

Kleine  Mittheilungen: 

Zur  Biographie   des  Erzbischofs  Tagino   von  Magdeburg  (1004—1012). 

Von  K.  Uhlirz 121 

Rückdatirung  in  Papsturkunden.     Von  M.  Tan  gl         .         .         .         .       128 
Eine  neue  Urkunde  K.  Arnolfs   und  die  Schlacht   an   der  Dyle.     Von 

A.   Dop  seh 367 

Geheimschrift.     Von  Th.  R.  v.    Sickel 372 

Hatten  die  Franken  ein  Ordal  des  Flammengi-iffs ?  Von  0.  Opet  .  479 
Zur  Chronologie  der  Päpste.  Von  L.  M.  Hartmann  .  .  .  482 
Ein  Siegelstempel  Kaiser  Friedrichs  II.  Von  E.  Winkelmann  .  485 
Die  Stellung  der  Lausitz  als  brandenburgisches  Nebenland  zu  den  Be- 
stimmungen der  Goldenen  Bulle.  Von  Woldemar  Lippert  .  657 
Das  Itinerarium  Martins  V.  von  Constanz   bis  Rom  (16.  Mai  1418  bis 

28.  September  142C.)  Von  F.  Miltenb  erger      .         .         .        .       661 
Zur  Belagerung  Wiens    durch   den  Grafen  Thurn  (2.— 14.  Juni    1619). 

Von  A.  Hub  er  und  J.  Hirn 664 

Anonymes  Schreiben  aus  dem  Nachlasse  des  Herzogs  von  Reichstadt. 

Von  Hanns  Schütter  672 

Literatur : 

Diplomi  imperiali  e  reali  delle  cancellarie  d'  Italia.     Pubblicati  a  fac- 


IV 


siinile    della   R.  Societä  Romana   di    Storia  patria.     1.  Lieferung. 

(E.  Mühlbacher) 131 

Müller  Mor.,    Die    Kanzlei  Zwentibolds,    Königs    von  Lothringen.     (A. 

Dopsch) 133 

Osnabrücker  Geschichtsquellen,  herausgegeben  vom  historischen  Verein 
zu  Osnabrück.    Band  I :   Die  Chroniken  des  Mittelalters,  bearbeitet 
v.  Dr.  F.  Philippi   u.  Dr.  H.  Forst.     (E.  v.  Ottenthai)    .        .        .136 
Bretholz  Berthold,  Geschichte  Mährens,  I.  Band,   1.  Abth.    (A.  Huber)       138 
Die  Knechtschaft  in  Böhmen.     Von    Julius  Lippert   und   Joh.  Peisker 

(W.  Milkovic) 138 

Ueber  die  Chronik  Cosmas'  von  Prag.     Von  W.  Regel.     (W.  Milkovic)       142 
Finke  Heinrich,     Ungedruckte  Dominikaner  Briefe.     (R.  Thommen)      .       146 
The  Absolution  Formula  of  the  Templars,  von  H.  Ch.  Lea.  (L.  Gnielin)       148 
Franz  Kummer,  Die  Bischofswahlen  in  Deutschland  zur  Zeit  des  grossen 
Schismas  1378 — 1418  vornehmlich  in  den  Erzdiöcesen  Köln,  Trier 

Mainz.     (M.  Tangl)         .  150 

Otto  Hüttebräuker,    Der  Minoritenorden    zur   Zeit    des   Schismas.     (0. 

Holzer.) 151 

P.  Albert,  Matthias  Dörring,  ein  deutscher  Minorit  des  15.  Jahrhunderts. 

(0.  Holzer) .       152 

Beschreibung    des  Oberamts  Ehingen  und   des    Oberamts   Reutlingen. 

Herausgegeben  vom  k.  statistischen  Landesamt.     (Th.  Schön)       .       153 
Herbert,  Der  Haushalt  Hermannstadts   zur  Zeit  Karls  VI.     (K.  Schalk)       157 
Jahrbuch  der  kunsthistorischen  Sammlungen  des  Allerhöchsten  Kaiser- 
hauses.    Vierzehnter  Band.     (S.  Laschitzer) 159 

H.  R.  v.  Jirecek,  Unser  Reich  vor  zweitausend  Jahren.  Eine  Studie  zum 

historischen  Atlas  der  österr.-ungar.  Monachie.    (J.  Jung)      .         .       374 
Georges  Blondel,  Etüde  sur  la  politique  de  1'  empereur  Frederic  II.  en 
Allemagne  et  sur  les  transformations  de  la  Constitution  Allemande 
dans  la  premiere  moitie  du  XIIIe  siecle.     (H.  Siegel)     .        .        .       377 
Niederösterreichisches  Urkundenbuch.     1.  Bd.  Urkundenbuch  des  auf- 
gehobenen  Chorherrnstiftes    St.   Polten.      1.  Theil.      976—1367. 

(0.  Redlich) 380 

Die  historischen  Programme  der  österreichischen  Mittelschulen  für  1893. 

(S.  M.  Prem) 385 

Zur  Feststellung  des  Datums  der  Ueberreichung  der  ,  Sturmpetition«  der 
protestantischen  Stände  Oesterreichs  an  Ferdinand  H.  (1619).  That- 
sächliche  Berichtigung  in  Betreff  des  11.  Juni  1619.    (Onno  Klopp)       394 

tteplik.     (A.  Huber) 396 

Entgegnung  von  Dr.  Jean  Lulves  ........       398 

Replik.     (W.  Milkovic) 399 

Neuere  Literatur  über  deutsches  Städtewesen:  1.  G.  v.  Below,  Zur  Ent- 
stehung der  deutschen  Stadtverfassung  I.  Th.  2.  Dasselbe,  II.  Th. 
3.  Derselbe,  Die  Entstehung  der  deutschen  Stadtgemeinde.  4.  K. 
Koebne,  Der  Ursprung  der  Stadtverfassung  in  Worms,  Speier  und 
Mainz.  5.  Schulte  A.,  Ueber  Reichenauer  Städtegründungen.  6.  Sohm 
R,  Die  Entstehung  des  deutschen  Städtewesens.  7.  J.  E.  Kuntze, 
Die  deutschen  Stadtgründungen  oder  Röraerstädte  und  deutsche 
Städte  im  Mittelalter.  8.  G.  Kaufmann,  Zur  Entstehung  des  Städte- 


wesens.  9.  K.  Lamprecht,  Der  Ursprung  des  Bürgerthums  und  des 
städtischen  Lebeiis  in  Deutschland.  10.  W.  Varges,  Stadtrecht  und 
Marktrecht.  11.  G.  v.  Below,  Der  Ursprung  der  deutschen  Stadt- 
verfassung. 12.  W.  Varges,  Die  Entstehung  der  deutschen  Städte 
(K.  Uhlirz) 488 

H.  J.  Bidermann,    Geschichte   der   österreichischen  Gesammtstaatsidee 

1526—1804.     (Th.  Fellner) 517 

Gross  K.,  Lehrbuch  des  katholischen  Kirchenrechts.     (W.  v.  Hörmann)       531 

Ortvay  Th.,  Geschichte  der  Stadt  Pressburg  I.  Bd.     (F.  v.  Krones)       .       533 

Leutrum  G.,    Geschichte   des  Reichsfreih.    und  Gräfl.  Hauses  Leutrum 

von  Ertingen.     (Th.  Schön) 536 

Ungarns  Geschichtsliteratur  in  den  Jahren  1890  —  1893.    II.  Zeitschriften. 

(A.  Aldäsy) 538 

Neuere  Literatur  über  deutsches  Städtewesen :  13.  Richard  Schröder, 
Weichbild.  14.  R.  Beringuier,  Die  Rolande  Deutschlands.  Darin: 
Die  Stellung  der  Rolandsäulen  in  der  Rechtsgeschichte.  Von  R. 
Schröder.     15.  Sello,  Die  deutschen  Rolande  (K.  Uhlirz)        .        .       676 

Friedrich  v.  Wyss,    Abhandlungen   zur  Geschichte  des  schweizerischen 

öffentlichen  Rechts  (J.  Dierauer) 682 

H.  Fitting,    Summa   des  Irnerius.     Quaestiones    de   juris  subtilitatibus 

des  Irnerius  (Luschin  v.  Ebengreuth) 684 

R.  Döbner,  Urkundenbueh  der  Stadt  Hildesheim  (D.  Schäfer)       .         .       687 

K.  Schrauf,  Regestrum  Bursae  Hungarorum  Cracoviensis.  Das  Inwohner- 
Verzeichnis  der  ungar.  Studentenburse  zu  Krakau  (F.  Eichler)      .       688 

M.  Büdinger,  Don  Carlos'  Haft  und  Tod  insbesondere  nach  den  Auf- 
fassungen seiner  Familie  (Hirn) 689 

Spamers  illustrirte  Weltgeschichte.  3.  Aufl.  Fünfter  und  sechter  Band. 

Bearbeitet  von  0.  Kaemmel  (Krones) 691 

A.  Gindely,   Geschichte   der  Gegenreformation   in  Böhmen  (A.  Huber)      693 

Jahrbuch  der  kunsthistorischen  Sammlungen  des  Allerhöchsten  Kai- 
serhauses (S.  Laschitzer) 695 

R.  Luginbühl,  Aus  Philipp  Albert  Stapfers  Briefwechsel  (R.  Thommen)      702 

Notizen  (Siehe  S.  VI)      .         .        . 167 

Zwölfte  Plenarsitzung  der  badischen  historischen  Commission      .         .         .  189 

Jahresbericht  über  die  Herausgabe  der  Monumenta  Germaniae  historica    .  553 
Bericht  über   die  wissenschaftlichen  Unternehmungen    der  Gesellschaft   für 

Rheinische  Geschichtskunde 556 

Bericht  der  Commission  für  die  Denkmälerstatistik  der  Rheinprovinz          .  559 

Historische  Landes-Commission  für  Steiermark.     II.  Bericht  1893|94  .         .  559 
Fünfunddreissigste   Plenarversarnmlung    der    historischen   Kommission    bei 

der  kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften        ....  703 

Zur  Literatur  über  deutsches  Städtewesen  (G.  v.  Below)       ....  707 

Personalien 191 


VI 


Notizen  über:  Hübner,  Gerichtsurkunden  der  fränk.  Zeit  S.  167.  —  Oefele, 
Unedirte  Karolinger  Diplome  167.  —  Oefele,  Vermisste  Kaiser-  und  Königsurk. 
v.  Eicbstätt  168.  —  Indices  chronol.  ad  Antiquit.  Italiae  168.  —  Parisot,  Deux 
diploraes  inedits  168.  —  Hartmann,  Urk.  einer  römischen  Gärtnergenossenschaft 
169.  —  Leist,  Urkundenlehre  169.  —  Engelbrecht,  Titelwesen  b.  d.  spätlatein. 
Epistolograpben  169.  —  Cipolla,  Di  im  diploma  perduto  di  Carlo  III.  169.  — 
Cipolla,  °Sull'  itinerario  di  Corrado  IL  nel  1026.  170.  —  Erben,  Anfänge  d.  Klosters 
Selz  170.  —  Hidber,  Untersuchung  d.  Berner  Handfeste  170.  —  Zeerleder,  Berner 
Handfeste  170.  —  Simonsfeld,  Fragmente  von  Formelbüchern  171.  —  Pischek,  Z. 
Frage  n.  d.  mhd.  Schriftsprache  i.  ausg.  13.  Jahrh.  171.  —  Eubel,  Registerband 
d.  Cardinalgrosspönitentiars  Bentevenga  171.  —  Novacek,  Gründungsurk.  d.  Prager 
Universität  172.  —  König,  Die  päpstl.  Kammer  unter  Clemens  V.  und  Johann  XXII. 
172.  _  Lewinski,  Die  Brandenburg.  Kanzlei  1411—70.  173.  —  Brandstetter,  Luzerner 
Kanzleisprache  173.  —  Scheel,  Jaspar  v.  Gennepp  173.  —  Wiesner,  Baumbast- 
papiere 173.  —  Rockinger,  Geheimschriftenschlüssel  174.  —  Grotefend,  Zeitrech- 
nuno- 174.  —  Bilfinger,  Die  mittelalt.  Hören  174.  —  Hartmann,  Ein  »Consulat4 
in  Urk.  von  921.  174.  —  Baumann,  Ewiger  Abend  174.  —  Roserot,  Notice  sur 
les  sceaux  carolingiens  174.  —  Schlosser,  Typare  und  Bullen  175.  —  Helfert, 
Staatl.  Archivwesen  175.  —  Mitth.  d.  Archivsection  2.  Bd.  175.  —  Verzeichnis 
der  Werke  J.  Fickers  176.  —  Brunner,  Forschungen  z.  Gesch.  d.  deutsch,  u. 
franz.  Rechtes  176.  —  Mittheil,  der  Gesellsch.  f.  deutsche  Erziehungs-  und  Schul- 
geschichte 1.  u.  2.  Bd.  176.  —  Mittheilungen  aus  d.  Stadtarchiv  von  Köln  H.  20 
bis  23.  177.  —  Jahrbuch  d.  Gesellsch.  f.  lothringische  Gesch.  u.  Alterthumskunde 
Bd.  2—4.  178.  —  Mittheilungen  d.  histor.  Vereins  von  St.  Gallen  Bd.  24.  179.  — 
Brandstetter,  Repertor.  über  Schweizergesch.  180.  —  Herre,  Ilseburger  Annahm 
181.  —  Kugler,  Neue  Handschr.  Alberts  v.  Aachen  181.  —  Menzel,  Deutsches 
Gesandtschaftswesen  181.  —  Lindner,  Fabel  von  der  Bestattung  Karls  d.  Gr.  182. 

—  Jan,  Elsass  z.  Karolingerzeit  182.  —  Finke,  Konzilienstudien  183.  —  Novacek, 
Aufenthalt  Karls  IV.  in  Avignon  1365.  183.  —  Novacek,  Vemeschriften  aus  d. 
Egerer  Archiv  183.  —  Caro,  Studien  z.  Gesch.  von  Genua  184.  —  Carreri,  Del 
buono  governo  Spilimbergese  184.  —  Degani,  II  Comune  di  Portogruaro  184.  — 
Joppi,  Di  Cividale  del  Friuli  185.  —  Baltzer,  Danziger  Kriegswesen  185.  — 
Schulte,  Gilg  Tschudi,  Glarus  und  Saeckingen  185.  —  Stern,  Israelit.  Bevölkerung 
d.  deutschen  Städte  186.  —  Stern,  Quellenkunde  z.  Gesch.  d.  deutschen  Juden 
186.  —  Stern,  Stellung  der  Päpste  zu  d.  Juden  186.  —  Quellen  und  Forschungen 
z.  Geschichte,  Literatur  und  Sprache  Oesterreichs  186.  —  Sartori  -  Montecroce, 
Thal-  und  Gerichtsgemeinde  Fleims  186.  —  Schaller,  Ulrich  II.  Putsch,  Bischof 
von  Brixen  187.  —  Hofmann  -  Wellenhof,  Johannes  Hinderbach  187.  —  Kufstein 
(Festschrift)  187.  —  A.  Zingerle ,  Humanismus  in  Tirol  unter  Erzherzog  Sig- 
mund 187.  —  Dopsch,  Oesterr.  Landrecht    188.  —   Luschin,  Herbersteiniana  188. 

—  Hartl  und  Schrauf,  Nachträge  zu  Aschbach  Gesch.  d.  Wiener  Universität  188. 

—  Schuster,  Zappert's  ältester  Plan  von  Wien  188.  —  Trubrig,  Heinr.  Wuest 
Waldmeister  zu  Hall  189.  —  Revue  de  1'  Orient  latin  189.  —  Kiem,  Gesch. 
von  Muri-Gries  189. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem1). 

Von 

Reinhold    Röhricht. 

Die  Geschichte  des  Königreichs  Jerusalem  seit  der  Kückeroberung 
der  heiligen  Stadt  durch  die  Muslimen  (1239)  ist  ein  langsames  Sterben, 
ein  völliger  Auflösungsprocess,  und  dass  diese  Erkenntniss  auch  den 
sonst  ziemlich  leicht  dahinlebenden  Bewohnern  des  christlichen  Litorals, 
durch  die  Macht  der  Ereignisse  aufgedrängt,  immer  klarer  wurde,  ist 
nicht  schwer  zu  beweisen.  Die  Klagen  über  Niederlagen  und  Ver- 
luste werden  seitdem  lauter  und  häufiger 2),  die  Ahnung  einer  bevor- 
stehenden Katastrophe  findet  in  Urkunden  bereits  offen  ihren  Aus- 
druck und  wird  die  Grundlage  für  die  Bestimmung  eventuell  wegfal- 
lender oder  trotzdem  fortdauernder  Kechte  und  Pflichten3).  Grosse 
und  kleine  Herren  beeilen  sich,  an  die  Johanniter 4)  und  Deutsch- 
herren 5),  die  mit  den  Templern  6)  noch  das  meiste  Geld  und  die  ver- 


*)  Diese  Studie  schliesst  an  des  Verfassers :  Etudes  sur  les  derniers  temps 
du  royaume  de  Jerusalem  I  (a.  La  croisade  du  prince  Edouard  d'  Angleterre ; 
1270—1274;  b.  Les  battailles  de  Hirns;  1281  et  1289)  und  II  (Les  combats  du 
sultan  Bibars  contre  les  chretiens;  1261  —  1277)  in  Archives  de  l'Orient  latin  I, 
617—652;  II  A,  365—409  und:  Die  Eroberung  Accons  durch  die  Muslimen  1291 
in  Forschungen  zur  deutschen  Geschichte  XX,  93—126  (worüber  auch  Wilken  VII, 
719—774,  De  Mas  Latrie,  Hist.  de  1'  ile  de  Chypre  I,  484—494  und  Weil,  Gesch. 
der  Chalifen  IV,  179—191  gehandelt  haben).  Die  Regesta  regni  Hierosolymitani 
des  Verfassers  (Innsbruck  1893)  werden  im  Folgenden  der  Kürze  halber  mit  RH. 
citirt. 

*)  RH.  No.  1221,  1251,  1288,  1290,  1299,  1325,  1383,  1387,  1404,  1405, 
1410,  1432,  1446,   1470. 

s)  RH.  No.  1066,  1164,  1285,  1307,  1346. 

4)  Verkäufe  Julians  von  Sidon  (RH.  No.  1210,  1217),  des  Johannes  von 
Arsüf  (RH.  Nr.  1241,  1302,  1313,  1370,  1371),  des  Herren  von  Caesarea  (RH. 
No.  1233,  1234). 

6)  Verkäufe  des  Johannes  von  Beirut  (RH.  No.  1250,  1252—1257,  1265, 
1267,  1300,   1301,  1307,  1308,   1310). 

6)  Julian  v.  Sidon  verkauft  ihnen  Sidon  und  Beifort  (RH.  No.  1319). 

Mittheüungen  XV.  1 


Röhricht. 


hältnissmässig  sicherste  Macht  besassen,  Dörfer,  Städte,  ja  ausgedehnte 
Gebiete  zu  verkaufen,  viele  Kirchen  x)  übergeben  Hechte,  bedrohte  oder 
fast  verlorene  Besitzungen  dem  Schutze  der  Ritterorden,  retten  wie 
diese  ihre  Urkunden  schätze  im  Original 2)  oder  in  Vidimirungen  3)  nach 
dem  Abendlande.  Ja  im  Jahre  1286  sollte  sogar  eine  unsichtbare 
Hand  auf  dem  Altare  einer  Klosterkirche  zu  Tripolis  die  Prophezeiung 
niedergeschrieben  haben  4),  welche  für  die  nächste  Zeit  den  Fall  dieser 
Stadt  und  Accons  voraussagte,  aber  auch  für  das  Jahr  1301  den  Unter- 
gang des  Islams5),  die  Rückeroberung  des  heiligen  Landes  und  das 
Kommen  des  Antichrists  6)  verhiess. 


')  Besitzungen  der  Kirche  von  Nazareth  (RH.  No.  1280,  1282,  1314 ;  vgl.  No. 
1239,1373),  der  Abtei  vom  Thaborberge  (RH.  No.  1230,  1244,  1249,  1255,  1316; 
vgl.  Nr.  1237)  und  S.  Lazarus  von  Bethanien  (RH.  No.  1244,  1275-1277)  kom- 
men an  die  Johanniter. 

2)  Ihre  Urkunden  retteten  die  Templer  (vielleicht?)  nach  Cypern,  Rom, 
Spanien  oder  Portugal,  die  Deutschherren  nach  Venedig,  die  Lazaristen  nach 
Italien,  die  Kirchen  von  Bethlehem  nach  Clamecy,  von  Nazareth  nach  Barletta 
oder  Trani,  die  Abteien:  vom  heil.  Grabe  (vielleicht?)  nach  Perugia  oder  Miechow, 
vom  Zionsberge  nach  Orleans,  vom  Thale  Josaphat  und  St.  Maria  Latina  nach 
Sicilien,  vielleicht  ebendahin  auch  die  Abtei  des  Templum  Domini  (Comte  Riant 
in  Archives  I,  705—710). 

s)  Comte  Riant  im  Bulletin  d.  antiquaires  de  France  1877,  61—69.  Auch 
sonst  sind  aus  unserer  Zeit  zahlreiche  Vidimirungen  zu  erwähnen  (RH.  No.  39, 
51,  69,  100,  233,  342,  378,  649,  757,  1156-1162,  1172—1173,  1414—1420).  Dass  der 
Johanniterorden  1291  sein  Statutenbuch  verlor,  wissen  wir  aus  der  Bulle  bei 
Potthast  No.  24,938;  vgl.  Prutz,  Culturgesch.  602  ff. 

4)  Eberhard.  Ratispon.  in  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  606;  Weichard  de  Pol- 
heim  ibid.  IX,  811;  Menco  ibid.  XXHl,  567—568;  Aegidius  li  Muisis,  Chronica 
ed.  de  Smet  im  Corp.  chron.  Flandr.  II,  151,  auch  handschriftlich  in  Paris  (Bibl. 
nation.  fonds  franc.  No.  902,  fol.  96:  Vision  des  Cisterciens  de  Tripoli  1347  und 
St.  Genevieve  L.  f.  13,  4°  fol.  12a :  Visio  Tripolitana  1367)  u.  Chartres  (Catal.  d. 
biblioth.  de  France  1889,  XI,  156).  Unser  Text  ist  nur  eine  zeitgemässe  Auf- 
frischung der  unter  dem  Jahre  1239  in  Matthaeus  Paris  III,  538  und  Annal.  de 
Dunstaplia  151  (ohne  Erwähnung  vom  Untergange  der  oben  genannten  Städte) 
angeführten  Prophezeiung,  über  die  auch  Hist.  litt,  de  France  XXI,  69,  837  han- 
delt. Dass  die  Katastrophe  von  Tripolis  und  Accon  durch  wunderbare  Erschei- 
nungen an  den  heiligen  Bildern  jener  Städte  vorherbedeutet  worden  sei,  meldet 
Georg.  Pachymeres,  Bonnae  1835,  II,  86—87. 

s)  Andere  Weissagungen  vgl.  bei  Röhricht,  Sagenhaftes  und  Mythisches 
in  Zeitschr.  für  deutsche  Philologie  XXIII,  412—413,  SS.  quinti  belli  sacri 
XLI— XLV1I,  205—228,  Studien  zur  Gesch.  d.  fünften  Kreuzzuges  4,  12—13;  RH. 
No.  1421  (in  einem  Briefe  Eduards  an  den  Mongolenchan) ,  auch  v.  Bezold, 
Astrolog.  Geschichtsconstruction  im  Mittelalter  in  Quiddes  Zeitschr.  1892,  II,  39  ff. 
und  für  das  Jahr  1290  und  1295  Tourtoulon  in  Revue  d.  langues  Romanes,  Mont- 
pellier 1872,  IU,  175—179,   350—353. 

")  Erich  Olaus  in  SS.  rerum  Suecic.  II,  71  berichtet,  dass  schon  1291  nach 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  3 

Die  schlimmste  Zeit  war  für  die  Christen  hereingebrochen,  als 
Sultan  Bibars,  „ohne  Zweifel  eine  welthistorische  Figur"  %  den  Thron 
von  Aegypten  bestieg  und  in  unaufhörlichem  Siegeslaufe  die  sichersten 
und  stolzesten  Städte  und  Burgen  der  Christen  eroberte.  Als  er  daher 
am  4.  Juli  1277  2)  starb,  athmeten  diese  wie  von  einem  schweren 
Drucke  erlöst  auf,  da  die  Muslimen  durch  die  Mongolen  in  Nord- 
Syrien  unaufhörlich  beunruhigt  wurden,  und  in  Aegypten  selbst  Auf- 
stände ausbrachen.  Dem  Sultan  Bibars  war  nämlich  sein  neunjähriger 
Sohn  Mälik  as-Said  gefolgt,  aber  durch  eine  Verschwörung  der  Emire 
unter  Leitung  des  Kelawün  wieder  gestürzt  und  durch  den  dritten 
Sohn  des  Bibars  Mälik  al-Adil  Bedr  ed-din  Selamieh  ersetzt  worden. 
Auch  dieser  wurde  (27.  Nov.  1277)  verdrängt,  und  nun  bestieg  Kelawün 
unter  dem  Titel  Mälik  al-Mausür  selbst  den  Thron.  Er  konnte  sich 
anfangs  nur  mit  Mühe  behaupten ;  denn  der  Emir  Sonkor  al-Aschkar 
Hess  sich  sogar  (April  1280)  als  Sultan  in  Damascus  huldigen,  schlug 
ein  ägyptisches  Heer  bei  Gaza,  verlor  aber  die  Schlacht  bei  Dschezürah, 
nicht  weit  von  Damascus  (17.  Juni  1280).  Trotzdem  ward  ihm  in 
einem  Frieden  (24.  Juni  1281)  Apamea  3),  Kafar-täb  4),  Antiochien  mit 
dem  Hafen,  Bakäs  5)  mit  dem  gegenüber  liegenden  esch-Schughr  sowie 
Darküsch6)  zugesprochen  und  der  Besitz  der  ihm  bereits  gehörigen 
Burgen  Sahjün 7) ,  Balatunus  s) ,  Burzieh 9)  und  der  Stadt  Laodicea 
garantirt,  weil  die  Mongolen,  welche  im  October  1280  Syrien  fürchter- 
lich verwüstet  hatten,  im  Frühjahr  1281  ihre  Einfälle  wiederholten, 
und  der  Sultan  ihr  Bündniss  mit  seinem  Gegner  fürchtete.  Aus  dem- 
selben Grunde  zeigte  jener  sich  auch  den  Templern  und  Johannitern10), 
wie  dem  früheren  Fürsten  Bohemund  VII  von  Antiochien  und  Grafen 
von  Tripolis ?  x)  sehr   entgegenkommend    und   bewilligte    ihnen    einen 

dem  Falle    von   Tripolis   und   Accon    die    Erscheinung   des   Antichrists    erwartet 
wurde. 

»)  L.  v.  Ranke,  Weltgeschichte  VIII,  443. 

2)  Ueher  dieses  Datum  vgl.  Weil  IV,  98. 

3)  Nw.  von  Hamah. 

4)  Zwischen  Schaisar  (Caesarea  ad  Grontem)  und  Ma'arrat  an-n(  umän. 
6)  Von  esch-Schughr  durch  den  Oi-ontes  getrennt. 

8)  Nö.  von  Laodicea.  7)  Nö.  von  Laodicea. 

8)  Jetzt  Kalcat  muhelbeh  nach  Hartmann  in  ZDPV.  XIV,  180,  söö.  von 
Laodicea.  °)  Nw.  von  Apamea. 

I0)  Der  Frieden  begann  mit  dem  12  (nicht  22)  Muharram  680  also  dem 
3.  Mai  1281  (RH.  No.  1447;  Weil  IV,  124).  Nach  Makrizi,  Hist.  d.  Sultans  Maml. 
ed.  Quatremere  II  A,  29  soll  der  Sultan  durch  Briefe  aus  Accon  erfahren  haben, 
dass  Sonkor  diesen  Frieden  zu  stören  beabsichtige  und  ein  Complott  gegen  den 
Sultan  plane. 

")  Der  Frieden  begann  mit  dem  27  Rabi  I,  680  (16.  Juli  1281).   Bei  dieser 

1* 


4  Röhricht. 

Frieden  von  10  Jahren,  10  Monaten,  10  Wochen  und  10  Tagen.  So 
im  Rücken  gedeckt,  trat  er  den  Mongolen  entgegen  und  schlug  sie 
(30.  October  1281)  bei  Hirns  in  entscheidender  Schlacht,  worauf  die 
Templer  von  Tortosa  l)  wie  die  Einwohner  von  Accon  2)  sich  beeilten, 
auch  ihrerseits  einen  Frieden  von  gleicher  Dauer  nachzusuchen,  der 
ihnen  auch  unter  allerdings  sehr  demüthigenden  Bedingungen  bewilligt 
ward  und  für  die  ersteren  mit  dem  15.  April  1282,  für  die  letztern 
mit  dem  3.  Juni  1283  beginnen  sollte  3). 

Wie  wenig  sich  trotzdem  der  Sultan  durch  diese  Abmachungen 
gebunden  fühlte,  beweist  er  durch  den  plötzlichen  Ueberfall  der  Jo- 
hanniterburg  Margat4)  (deren  Eroberung  Saladin  wie  Bibars  für  unmöglich 
gehalten  hatten),  trotzdem  sie  den  Besitzern  ausdrücklich  garautirt  war  5). 
Er  erschien  am  17.  April  1285,  da  die  Vorbereitungen  zur  Belage- 
rung mit  der  grössten  Heimlichkeit  betrieben  worden  waren,  ganz 
unerwartet  vor  der  nicht  genügend  verproviautirten  und  ausgerüsteten 
Festung,  wies  am  21.  April  die  Johanniter,  welche  wegen  einer  Ueber- 
gabe  verhandelten,  ab  und  verwandelte  den  Hauptthurm  6)  vier  Wochen 
später   in    einen    Trümmerhaufen,   worauf  die  Belagerten    von  neuem 


Gelegenheit  schon  soll  der  Sultan  dem  Grafen  eröffnet  haben,  dass  er  demnächst 
Tripolis  erobern  werde. 
')  RH.  No.  1447. 

2)  RH.  No.  1450.  Diesen  Frieden  soll  der  König  von  Cypern,  weil  er  ohne 
seine  Autorität  geschlossen  war,  nicht  acceptirt  haben. 

3)  In  diese  Zeit  setzt  Makrizi  II  A,  63  ein  Gefecht,  welches  der  König  von 
Cypern  (Hugo !)  den  Muslimen  bei  Beirut  geliefert  habe ;  ein  Handstreich  des 
ersteren  auf  Accon  (!)  soll  durch  die  Muslimen  von  Charrüba  glücklich  vereitelt 
worden  seir,  worauf  der  König  in  Cypern  gestorben  sei  (Weil  IV,  156).  Eben- 
sowenig historisch  ist,  was  Makrizi  II  A,  62—63  über  den  Bischof  von  Tripolis 
erzählt. 

4)  Heut  Kal'at  al-markab,  s.  von  Dschebele ;  ein  Reconstructionsbild  der 
grossartigen  Festung  siehe  bei  E.  G.  Rey,  LT  avchitecture  militaire  des  croises) 
Paris  1871,  planche  2,  3  (vgl.  19—38),  woraus  B.  v.  Kugler,  Gesch.  d.  Kreuzz. 
2.  Aufl.,  406 ;  vgl.  auch  Ritter,  Asien  XVII,  883  und  Rey,  Les  colonies  franques, 
Paris  1883,  121.  Eine  poetische  Beschreibung  der  Festung  giebt  der  Brief  des 
Ibn  cAbd  ar-rahim  bei  Reinaud,  Extraits  550—551. 

5)  RH.  No.  1447,  1457.  Als  Grund  der  Belagerung  mag  wohl  gelten,  weil 
die  Johanniter  1279  Turkomanen  und  1280  ein  7000  Mann  starkes  Corps  unter 
Saif  ad-din  Belbän,  dem  Gouverneur  des  Kurdenschlosses,  besiegt  hatten  (Makrizi 
II  A,  27;  Abulfaradsch  627;  Gestes  des  Chyprois  208—210). 

8)  Gestes  217— 218:  tour  de  1' Esperon;  Sanutus229:  Josperon  ;  Amadi216: 
Torre  del  Speron  genannt.  Nach  Makrizi  II  A,  86  (Weil  IV,  158  Note)  fiel  der 
Thurro  am  16  Rabi  I  (22.  Mai),  nach  dem  Biographen  Kelawüns  (Michaud,  Bibl.  H, 
694 — 695)  erst  am  17  Rabi  I;  er  stand  ,ä  1' angle  de  la  Baschouret«  und  ward, 
wie  der  Autor   weiter  berichtet,    nur   mit  Hilfe   der  vier  Erzengel   und    anderer 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  5 

unterhandelten  und  die  gewünschte  Capitulation  bewilligt  erhielten, 
da  der  Sultan  die  sonst  so  starke  und  ihm  werthvolle  Festung  nicht 
weiter  zerstören  wollte.  Am  25.  Mai l)  ward  sie  dem  Emir  Fachr 
ed-din  übergeben,  und  die  Capitulanten,  welche  von  ihrer  Habe  im 
Ganzen  2500  Goldstücke  und  25  bepackte  Maulthiere  mit  sich  nehmen 
durften,  zogen  nach  Tripolis  und  Tortosa  ab.  Nachdem  er  1000  Mann 
Besatzung,  400  Pioniere  und  1500  Mameluken  als  Garnison  zurück- 
gelassen und  die  Verwaltung  des  neu  gewonnenen  Bezirks  geordnet 
hatte,  wandte  er  sich  gegen  die  ebenso  für  unbezwinglich  geltende  Burg, 
welche  am  Meere,  zwei  Bogenschuss weiten  von  der  Stadt  Maraclea2), 
lag  und  durch  Bartholomäus  von  Giblet  mit  Unterstützung  des  Grafen 
von  Tripolis  und  der  Johanniter  von  Markab  erbaut  worden  war.  Sie 
bestand  aus  einem  mächtigen,  sieben  Stockwerke  hohen,  viereckigen 
Thurme  von  fünfundzwanzig  und  einer  halben  Elle  Höhe,  die 
Mauern  waren  sieben  Ellen  dick,  die  einzelnen  Lagen  durch  einge- 
gossenes Blei  verbunden  und  die  Mauern  des  Aussenwerkes  durch  ei- 
serne Klammern  innerlich  befestigt;  an  diesen  Hauptthurm  war  ein 
Berchfried  angebaut,  auf  dem  drei  Maschinen  standen.  Obgleich  die 
Besatzung  nur  hundert  Mann  betrug,  so  galt  dem  Sultan  die  Burg, 
da  er  von  der  Seeseite  her  nicht  heranzukommen  vermochte,  für  un- 
einnehmbar, und  er  griff  daher  zu  einem  anderen  Mittel.  Er  forderte 
den  Grafen  von  Tripolis  auf,  den  Bartholomäus  zur  Schleifung  der 
Burg  zu  bestimmen,  widrigenfalls  er  ihm  sein  ganzes  Land  nehmen 
oder  verwüsten  werde,  und  dieser  Drohung  nachgebend  bewirkte  Bohe- 
mund  die  Uebergabe,  ja  er  soll  den  fränkischen  Gefangenen  und  mus- 
limischen Maurern  selbst  die  Werkzeuge  zur  Zerstörung  hergegeben 
haben,  worauf  die  stolze  Feste  in  Trümmer  verwandelt  wurde3).  In 
Folge  dieser  siegreichen  Fortschritte  des  Sultans  beeilte  sich  der  König 
Leo  III  von  Armenien  und  die  Herrin  von  Tyrus  Margarethe,  von  ihm 
einen  Frieden  zu  erlangen,  den  er  auch  unter  den  drückendsten  Be- 
dingungen auf  10  Jahre  gewährte  4).  Als  er  endlich  von  seinem  Sieges- 
zuge nach  Cairo  zurückkehrte,  hatte  er  die  Genugthuung,  von  christ- 
lichen Gesandten,  denen  des  Königs  Rudolf  L,  des  Kaisers   von  Con- 


himmli8cher  Heerscharen,  wie  sie  sonst  auch  die  Christen  behaupteten  gesehen 
zu  haben,  erobert. 

')  Geste s  217:  27.  Mai;  der  Biograph  Kelawüns  (bei  Reinaud  549  und 
Michaud  II,  696):  19  Rabi  I  (Freitag  den  25.  Mai). 

-)  Heute  Marakia,  s,  von  Kalc  at  al-markab,  an  der  Mündung  des  gleich- 
namigen Flusses;  vgl.  Rey  161  —  162  und  Ritter  XVII,  885. 

3)  Weil  IV,  158. 

4)  RH.  No.   1457,  1458;  vgl.  No.  1460, 


6  Röhricht. 

stantinopel  und  der  genuesischen  Commune  begrüsst  und  mit  reichen 
Geschenken  geehrt  zu  werden  (6.  November)  x). 

Inzwischen  war  König  Johann  I.  von  Cypern  (10.  Mai) 2)  ge- 
storben und  sein  Bruder  Heinrich  II  ihm  auf  dem  Throne  gefolgt. 
Er  versuchte,  da  die  Truppen  des  Königs  Karl  I.  von  Sicilien  unter 
Heude  Petechien  das  Schloss  von  Accon  besetzt  hielten 3),  sich  des 
mächtigen  Beistandes  der  Templer  zu  versichern,  um  seine  Rechte  zur 
Geltung  zu  bringen,  und  schickte  Julian  den  jüngeren  ab;  leider 
kennen  wir  jedoch  den  gen  auereu  Inhalt  dieser  Abmachungen  nicht4). 
Am  24.  Juni  1286  landete  König  Heinrich  II.  mit  Balduin  von  Ibelin, 
dem  Connetable  von  Cypern,  und  einem  ansehnlichen  Herre  in  Accon, 
und  es  gelang  ihm  unter  Vermittlung  der  drei  Ordensmeister  nach 
viertägigen  Unterhandlungen,  den  Heude  Pelechien  zur  Bäumung  des 
Schlosses  zu  bewegen  (27.  Juni) 5).  Hierauf  regelte  er  nach  Tyrus, 
empfing  dort  am  15.  August  iu  der  Cathedrale  aus  den  Händen  des 
Erzbischofs  Bonacursus  die  Krone  des  Königreichs  Jerusalem  und  kehrte 
nach  Accon  zurück,  wo  das  Krönungsfest  unter  allerlei  prächtigen 
Schaustellungen  und  Belustigungen  in  dem  Ordenshause  der  Johanniter 


l)  7  Ramadhän  684.  Makrizi  II  A,  81  meldet  nach  seiner  Quelle  (No- 
wairi) :  ,Les  presents  de  1' empereur  formoient  lacharge  de  trente  deux  hommes ; 
quatorze  portaient  des  fourrures  de  petit-gris  et  de  zibeline  (Biberfelle  schickte 
Ottokar  II.  von  Böhmen  an  den  Sultan;  RH.  No.  1407),  cinq  de  robes  ecarlates, 
treize  de  vetements  d'  atlas  et  de  bondoki  (feine  Leinwand  aus  Venedig).  Les 
presents  des  Genois  comprenaient  deux  charges  de  sarsinä  (Gewebe  nach  orien- 
talischem Muster),  six  sonkors  (Gerfalken),  un  chien  blanc,  qui  etait,  dit-on,  plus 
grand  qu' un  Hon;  les  presents  de  Lascaride  (Andronicus  II)  consistaient  en  une 
Charge  d'  atlas  et  quatre  de  tapis«;  vgl.  Weil  IV,  153.  Genau  dieselben  Angaben 
wiederholt  der  später  Compilator  Ibn  el-Furat  (Karabacek  in  Oesterr.  Monats- 
schrift für  d.  Orient  1879,  4).  Als  Begleiter  jener  Gesandtschaft  Rudolfs  I.  von 
Deutschland  (Aman,  Vespro  Siciliano  1886,  II,  132  will  unter  dem  »enberür«  mit 
Unrecht  den  König  von  Aragonien  verstehen)  kennen  wir  den  berühmtesten  Palaes- 
tinographen  des  XIII.  Jahrhunderts  Burchardus  de  Monte  Sion  (Bibl.  geogr.  Palaest. 
No.  143),  und  dies  geht  unwiderleglich  hervor  aus  dem  Anfange  des  Lindauer 
(Historia  mundi  P.  I,  1,  No.  6;  vgl.  Karabacek  7)  Burcharduscodex :  .quem  misit 
gloriosus  Rudolfus,  rex  Romanorum,  ad  soldanum  Babylonis  pro  quodam  negotio, 
a  quo  benigne  receptus  fuit.'  Neumann  (ZDPV.  IV,  233)  möchte  eine  Reminis- 
cenz  an  diese  Gesandtschaft  in  der  Notiz  des  Prager  Burchardus-Codex  (ünivers. 
bibl.  XIV.  C.  16,  s.  XV)  finden:  »Libellus  sequens  de  descriptione  terre  sancte 
per  Soldanum,  Regem  Babilonie,  fuit  missus  Karolo  quarto,  Romanorum  Impera- 
tori,  ad  immensissimas  preces  Cesaris,  imperii  ipsius  anno  quarto.* 

2)  Amadi  216:  20.  Mai;  vgl.  Gestes  218. 

3)  Ueber  die  Erwerbung  der  Thronansprüche  Karls  I.  auf  Jerusalem  durch 
Vertrag  mit  der  »domicella  Hierosolymitana«  vgl.  RH.  No.  1411,  1486. 

*)  Gestes  218.  »)  Gestes  2l7;  RH.  No.  1456,  1466. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  7 

15  Tage  lang  gefeiert  ward1);  von  da  kehrte  er,  nachdem  er  seinen 
Onkel  Balduin  von  Ibelin  als  Connetable  von  Jerusalem  zurückgelassen 
hatte,  wieder  nach  Cypern  zurück. 

Während  bald  darauf  (1286—1287)  ein  furchtbarer  Krieg  zwi- 
schen den  Genuesen  und  Pisanern  wüthete,  aus  dem  die  ersteren,  durch 
die  Freundschaft  des  Sultans  unterstützt,  als  Sieger  hervorgingen 2), 
rüstete  dieser  sich,  seine  Herrschaft  im  nördlichen  Syrien  weiter  zu 
befestigen.  Er  soll  plötzlich  gegen  Bohemund  VII.,  Fürsten  von  Auti- 
ochien  und  Grafen  von  Tripolis,  die  Beschwerde  erhoben  haben  3),  dass 
er  den  nach  dem  Fall  von  Markab  neu  eingegangenen  Vertrag,  wo- 
nach er  weder  muslimische  Gefangene  halten,  noch  muslimische  Kauf- 
leute belästigen  dürfe,  nicht  ehrlich  gehalten  habe,  und  Hess  durch 
den  Emir  Torontai  Laodicea  belagern,  welches  auch  am  20.  April 
1287  fiel*). 

Am    18.    Juni  1287  5)    landete  Alice,  Gräfin  von  Blois,  in  Accon 
und   verwandte    ihre   reichen   Mittel 6)    zum  Bau   einer  Capelle,   eines 


»)  Interessant  sind  die  Details  in  Gestes  220:  ,et  fu  la  feste  la  plus  belle 
pue  1'  on  sache  c  ans  a  d'  envissures  et  de  behors  et  contrefirent  la  table  reonde 
et  la  raine  de  Femenie,  c'  est  asaver  Chevaliers  vestus  comme  dames  et  josteent 
ensemble ;  puis  firent  nounaines  quy  estoient  ave  moines  et  bendoient  les  uns 
as  autres ;  et  contrefirent  Lanselot  et  Tristan  et  Pilamedes  et  mout  d'  autres  jeus 
biaus  et  delitables  et  plaissans«. 

2)  Gestes  220—230;  vgl.  Heyd,  Hist.  du  commerce  I,  355,  474:  RH.  No.  1476. 

9)  Makrizi  II  A,  101  ;  Reinaud  561. 

4)  So  nach  dem  Biographen  Kelawüns  bei  Michaud  II,  705 :  Sonntag  5  Rabi  I 
(20  April),  nach  Sanutus  229 :  17.  April.  Die  Stadt  gehörte,  wie  wir  wissen,  dem 
Sonkor  al-Aschkar,  ist  auch  im  Friedensinstrumente  (15.  April  1282)  als  muslimische 
Stadt  genannt  (RH.  No.  1447) ;  dann  wäre  die  Eroberung  ein  Schlag  gegen  Sonkor, 
dem  der  Sultan  kurz  vorher  durch  Verrath  Balatunus  abgenommen  hatte  (Weil 
IV,  159—160),  gewesen.  Die  Eroberung  gelang  dadurch,  dass  die  Stadt  kurz 
vorher  (Sonnabend  den  22.  März)  durch  ein  Erdbeben  eines  grossen  Theiles  ihrer 
riesigen  Befestigungen  (ein  Thurm  im  Meere,  der  .Taubenthurm*  und  auch  ein 
Leuchtthurm)  beraubt  worden  war  (Reinaud  561);  die  gewaltigen  Belagerungs- 
maschinen, »deren  Zungen  den  Erfolg  verkünden,  deren  Finger  den  Sieg  heran- 
winken", vollendeten  die  Zerstörung. 

5)  Dies  Datum  nur  in  den  Annales  de  Terre  Sainte  (ed.  Röhricht  in  Archi- 
ves  II)  459,  460,  während  Gestes  245,  Sanutus  225  und  Liber  de  passagiis,  ed 
Thomas,  Venetiis  1879,  fol.  15  der  Sache  nur  ganz  oberflächlich  Erwähnung  thun ; 
vgl.  sonst  Ritter,  Asien  XVII,  925. 

6)  Duchesne,  Hist.  de  la  maison  de  Chätillon,  Paris  1621,  119  und  preuves 
68  erwähnt  einen  Beschluss  des  Parlaments  (Sept.  1284),  wodurch  die  Testa- 
mentsexecutoren des  Grafen  Johannes  angehalten  weiden,  der  Gräfin  Alice  3000  Livres 
zu  zahlen,  um  davon  eine  Anzahl  Ritter  nach  dem  heil.  Lande  zu  schicken,  und 
eine  Urkunde  (1287),    worin  Florentius    von  Hainaut   der  Gräfin    verspricht,    mit 


g  Röhricht. 

Thurmes  an  der  Barbacane  beim  S.  Nicolausthore  und  zwischen  dem 
S.  Thoinasthore  und  dem  „verfluchten  Thurme"  1).  Am  19.  October 
starb  Bohemund  VII.,  Fürst  von  Antiochien  und  Graf  von  Tripolis, 
ohne  Kinder  zu  hinterlassen;  die  Erbin  war  seine  Schwester  Lucia, 
welche  den  Admiral  des  Königs  Karl  II.  von  Sicilien  Narjot  de  Toucy  2) 
zum  Gemahl  hatte. 

Die  Einwohner  von  Tripolis  waren  jedoch  sehr  wenig  damit  zu- 
frieden, dass  Lucia  Herrin  der  Stadt  werden  sollte,  und  baten  Sibylle, 
die  Mutter  Bohemund  VII.,  die  Verwaltung  in  die  Hände  eines  an- 
deren zu  legen,  als  sie  aber  zu  diesem  Zwecke  den  Bischof  (Bartho- 
lomäus ?)  von  Tortosa  berief,  der  am  allermeisten  verhasst  war,  so 
organisirten  die  Bürger  ihren  offenen  Widerstand  durch  Wahl  des 
Bartholomäus  von  Giblet  zum  Capitano  und  Hessen  durch  den  Notar 
Petrus  von  Bergamo  3)  in  Genua  den  dritten  Theil  der  Stadt  als  Besitz 
versprechen,  den  die  Genuesen  vertragsmässig  früher  besessen,  aber 
wieder  verloren  hatten.  In  Folge  dessen  segelte  Benedetto  Zaccaria 
am  10.  Juni  1288  mit  zwei  Schiffen  von  Genua  ab,  verstärkte,  als  er 
unterwegs  erfahren  hatte,  dass  Lucia  mit  fünf  Galeen  aus  Foggia  nach 
Tripolis  vorausgesegelt  sei,  sein  kleines  Geschwader  auf  fünf  Schiffe 
und  landete   in  Tripolis,    wo  Lucia  bereits  angekommen  war   und  bei 


vier  anderen  Rittern  für  2500  Livres  jährlich  im  heil.  Lande  zu  dienen;  vgl. 
Wauters,  Table  chronol.  VI,  253. 

*)  Nach  Dupre-Bergevin,  Hist.  de  Blois,  Blois  1846,  I,  45,  starb  sie  auf  der 
Rückreise  von  ihrer  Pilgerfahrt ;  ihr  Leib  wurde  neben  dem  ihres  Gemahls  in  der 
Abtei  la  Guiche,  ihr  Herz  in  der  Schlosscapelle  von  Montils  beigesetzt :  vgl.  auch 
Morice,  Hist.  de  Bretagne  IV,  190.  Sie  starb  nicht  am  4.  Aug.  1287  (Annal.  de 
Terre  Sainte)  im  heil.  Lande,  sondern  am  29.  Jan.  1292  in  Frankreich  (Rec.  armen. 
II,  809),  wenn  sie  nicht  die  Witwe  des  1280  verstorbenen  Grafen  Johannes  v.  Blois, 
sondern  (seit  1272)  Gemahlin  des  Grafen  Peter  von  Alencon  ist,  des  Sohnes  Louis'  IX. 

2)  Er  wird  18.  April  1274  als  »capitaneus  in  partibus  Albaniae*  erwähnt 
(Del  Giudice,  La  famiglia  di  re  Manfredi,  Napoli  1880,  append.  XCIII,  No.  18). 
Wir  besitzen  2  Cabinetsordres  Karls  I.  von  Sicilien  an  Roger  de  San  Severino  (1278), 
worin  dieser  aufgefordert  wird,  vier  Galeen  auszurüsten,  um  Margarethe,  die 
Tochter  des  Vicomte  Louis  de  Beaumont,  Sohnes  des  früheren  Königs  Jobannes 
von  Jerusalem,  in  Tripolis  abzuholen  und  für  die  Rückkehr  des  Nicolaus  von  S.  Omer 
und  Narjot  de  Toucy  Sorge  zu  tragen  (Riccio.  Nuovi  studii,  Napoli  1876,  6), 
ferner  (1288)  Karls  IL,  welcher  seinen  Admiral  Narjot  de  Toucy  aufiordert,  Lebens- 
mittel in  das  Gebiet  des  Fürsten  Bohemund  VII.  zu  bringen,  dessen  Tochter  Lucia 
nun  Erbin  der  Grafschaft  Tripolis  geworden  sei  (Riccio,  Studii  storici,  Napoli 
1863,  58;  vgl.  Durrieu,  Archives  de  Naples  II,  390;  Heyd  I,  356—359,  392—393). 
Ein  Siegel  Narjots  de  Toucy  siehe  bei  Douet  d' Arcq  No.  11837  und  im  Musee 
archeologique  H,  323—324,  No.  20. 

8)  Gestes  231 :  Aubergamo ;  Jacobus  Auriae  in  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  322. 
Vgl.  die  Aeusserungen  des  Textes  hinten  in  unserer  Beilage. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  9 

den  Meistern  der  Templer  und  Johanniter,  denen  ja  durch  den  Papst 
die  Unterstützung  der  Lucia  anbefohlen  war x) ,  den  Venetianern 
und  Pisanern  sowie  Johannes  von  Graüly  Hülfe  gefunden  hatte. 
Benedetto  Zaccaria  rüstete  sich  zum  Kampfe  und  befahl ,  von  den 
Tripolitanern  freundlich  aufgenommen,  der  Lucia,  welche  inzwischen 
nach  der  festen  Johanniterburg  Nephin  (Eufeh)  sich  zurückge- 
zogen hatte,  ihre  Freunde  und  Helfer  zu  entlassen,  worauf  sie  mit 
diesen  nach  Accon  abfuhr 2).  Der  Admiral  schloss  nun  mit  Bartho- 
lomäus von  Giblet  3)  einen  Vertrag,  der  aber  lange  nicht  so  günstig 
war  als  der  in  Genua  angebotene,  segelte  dann  nach  Cypern  und 
brachte  mit  König  Heinrich  II.  ebenfalls  einen  Vertrag  (21.  Sept.  1288) 
zu  Stande,  welcher  in  Genua  nicht  angenommen  und  am  17.  Mai  1292 
aufgehoben  wurde4).  Hierauf  nach  Tripolis  zurückgekehrt  knüpfte 
er,  da  ihm  bald  klar  wurde,  dass  die  Tripolitaner  ihn  betrügen  wollten, 
mit  Lucia  an,  lud  sie  nach  Tyrus  und  schloss  mit  ihr  unter  Vermitt- 
lung des  Grosspraeceptors  der  Johanniter  Bonifacius  von  Calamandrane 
ab.  Da  ihr  in  Tripolis  desshalb  abermals  die  Aufnahme  verweigert 
wurde,  so  musste  sie  wieder  die  Gastfreundschaft  der  Johanniter  in 
Nephin  annehmen  5),  während  Benedetto  Zaccaria  nach  Armenien  ab- 
segelte 6). 

Diese  Verwirrung  der  Verhältnisse,  nach  anderen  Berichten  die 
Besorgniss,  dass  Tripolis  in  der  Hand  der  Genuesen  dem  Handel  von 
Alexandrien  gefährlich  werden  könne  7),  oder,  wie  arabische  Autoren 
melden,  weil  die  Hoffnung  auf  eine  leichte  Eroberung  durch  Verrath 
fehlgeschlagen  wäre8),  glaubte  der  Sultan  benützen  zu  können,  um 
die  Stadt  zu  gewinnen.  Ein  Emir  des  Sultans  setzte  in  einem  geheimen 
Schreiben  den  Templermeister  von  dem  Vorhaben  seines  Herrn  in 
Kenntniss,  und  in  Folge  dessen  wurden  auch  die  Tripolitaner  gewarnt, 
aber  sie  schenkten  dieser  Mittheilung  keine  Beachtung  und  meinten, 
dass  die  Küstungen  des  Sultans  wohl  Nephin  gelten  9)  sollten ;  zudem 


*)  RH.  No.  1478. 

2)  Gestes  233;  Jacobus  Auriae  322.  Johann  war  1288  nach  Palästina  ge- 
kommen (Annales  de  Terre  Sainte  460). 

8)  Nach  arabischen  Autoren  hätte  er  mit  Hülfe  des  Sultans  Tripolis  ge- 
winnen wollen,  als  Capitano  der  Stadt  aber  jede  Beziehung  mit  ihm  abgebrochen 
(Weil  IV,  161);  er  wäre  Vasall  des  Bartholomäus  von  Maraclea  gewesen  (welcher 
seinen  einzigen  Sohn  niedergestossen  habe,  weil  er  Maraclea  an  die  Muslimen 
hätte  verrathen  wollen);  vgl.  Reinaud  561. 

4)  Heyd  II,  5.  5)  Gestes  234;  Jacobus  Auriae  323. 

6)  Ueber  seinen  mit  Leo  III.  von  Armenien  (23.  Dec.  1288)  abgeschlossenen 
Vertrag  vgl.  RH.  No.  1482.  7)  Gestes  234.  8)  Vgl.  oben  Note  3. 

8)  Ueber  dessen  starke  Verproviantirung  genaueres  Sanutus  229  meldet. 


10 


Röhricht. 


verliessen  sie  sich  auf  die  Stärke  ihrer  Mauern  l)  und  deii  Hafen,  den  zu 
sperren  der  Sultan  nicht  im  Stande  war.  Als  nun  das  Heer  der  Feinde2) 
bereits  im  Anmärsche  war,  schickte  der  Templermeister  den  Ordens- 
bruder Reddecuer  aus  Spanien  mit  einem  neuen  Warnungsschreiben 
ab,  jedoch  als  er  auf  der  Kückkehr  nach  Accon  kam,  war  die  Stadt 
bereits  von  Feinden  auf  der  Landseite  eingeschlossen.  Nun  eilten  von 
Accon  aas  der  Bruder  des  Königs  Heinrichs  von  Lusignan,  Conne- 
table  des  Königreichs,  mit  ansehnlicher  Macht,  der  Templermarschall 
Geoffroy  de  Vendac,  der  Templercomthur  von  Accon  Pierre  de  Mon- 
cade  mit  Reddecuer,  sehr  viele  Johanniter,  Kitter  und  Serjanten  der 
vom  französischen  König  gesandten  Hülfstruppen 3),  vier  genuesische 
und  zwei  venetianische  Galeen  wie  auch  Pisaner  der  Stadt  zu  Hülfe  4) 
Die  Belagerung  begann  am  17.  März5)  1289  mit  19  Maschinen 6)  und 
1500  Sappeuren7).  Bald  war  der  „Thurm  des  Bischofs"  und  der  neue 
„Thurm  der  Hospitaliter"  in  Trümmer  gesunken.  Die  Yenetianer  flohen 
zuerst,  dann  folgten  mit  vielen  Bürgern  auch  die  Genuesen,  und  so 
fiel  die  Stadt  Dienstag  den  26.  April 8).  Es  entkamen  die  Wittwe  des 
Fürsten  Bohemund  VII.  und  des  Johannes  von  Montfort  mit  Lucia, 
Amalrich,  der  Connetable  des  Königreichs  Jerusalem,  der  Marschall  der 
Templer,  der  Comthur  der  Johanniter  Matthäus  von  Clermont,  Johannes 
von  Grailly,    Befehlshaber    der   französischen   Hilfstruppen    und  Sene- 


»)  Sie  waren  so  breit,  dass  drei  Ritter  sehr  bequem  darauf  neben  einander 
reiten  konnten ;  ausserdem  war  die  Stadt  sehr  bevölkert  und  hauptsächlich  durch 
die  Seidenweberei  reich,  die  nicht  weniger  als  4000  Personen  betrieben  (Makrizi 
II  A.  102). 

2)  Gestes  235.  Die  Stärke  des  feindlichen  Heeres  wird  auf  40.000  Reiter 
und  200.000  Mann  Fussvolk  (offenbar  ühertrieben)  angegeben  (Annales  de  Terre 
Sainte  460). 

3)  Diese  werden  mit  ihrem  Führer  Johann  von  Grailly  schon  in  einem  Briefe 
vom  30.  September  1288  erwähnt,  worin  Nicolaus  IV.  den  drei  Ordensmeistern 
und  Johannes  von  Grailly  auf  ein  Schreiben  antwortet,  welches  sie  durch  den  Prior 
von  S.  Aegidien,  Wilhelm  von  Villaret,  die  Predigermönche  Rudolf  und  Wichard 
sowie  den  Bruder  Bertrand  aus  St,  Maurice  (Diöcese  Agen)  an  den  Papst  gesandt 
hatten  (RH.  No.  1480). 

4)  Gestes  235  ;  Jacobus  Auriae  323. 

5)  Gestes  236;  Sanutus  230;  nach  Jacobus  Auriae  323:  10.  März;  Abulfeda 
162 :  25.  März ;  nach  Ostern  (Flores  temp.  pontif.  in  Mon.  Germ.  SS.  XXPV,  242)- 

8J  A  nach  Annales  de  Terre  Sainte  460.  7)  Makrizi  II  A,  162. 

8)  So  richtig  Gestes  237;  Sanutus  230;  Annales  de  Terre  Sainte  460  (Va- 
riante: 30.  April);  falsch  Jacobus  Auriae  323:  27.  April;  Makrizi  IIA,  102  (wo 
statt  4  Rabi  I:  4  Rabi  II  zu  corrigiren  ist;  vgl.  Weil  IV,  162—163),  Bernard 
Guidonis  709 ,  Li  livre  de  reis  306  :  25.  April ;  Dandolo  (Muratori  SS.  XII)  402 
Brunetto  Latini  230 ,  Paolino  di  Piero  43 :  Mai :  Bartholomaeus  Cotton  172 ; 
24.  Aug.;  Annal.  Waverleiens.  408:  Sept. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  1  \ 

schall  von  Jerusalem  *),  ebenso  Heinrich  von  Giblet.  Ein  Theil  der 
Flüchtigen  rettete  sich  nach  der  vor  dem  Hafen  liegenden  S.  Nicolaus- 
Insel'2)  und  zwar  in  die  dort  liegende  S.  Thomas-Kirche,  aber  die 
Sieger  setzten  nach  und  erschlugen  sie  alle.  Unter  den  Gefallenen  3) 
werden  besonders  genannt :  Bartholomäus  von  Giblet,  der  Templer- 
comthur  Pierre  de  Moncade,  der  Templerbruder  Guillerme  de  Cordone, 
der  frühere  Guardian  der  Franziskaner  von  Oxford,  welcher  nur  mit 
einem  Kreuze  bewaffnet  den  Feinden  kühn  entgegenging4),  und  Lu- 
ceta, die  Aebtissiu  eines  Nonnenklosters,  die,  bereits  als  Sclavin  einem 
Emir  zugetheilt,  durch  eine  List  den  Tod  suchte  und  fand  5),  während 
ihre  Ordensschwestern    wie  die  Templer  Eeddecuer    und   Hugo,    Sohn 


•)  Ueber  ihn  vgl.  weiter  unten  S.  30. 

2)  Dschesirat  al-nakleh ;  vgl.  Makrizi  102;  Annales  de  Terre  Sainte  460; 
Reinaud,  Extr.  560,  563,  569;  Bibl.  d.  croisades  II,  79.  Abulfeda  162  sah  selbst 
die  Haufen  der  erschlagenen  Christen.  Nach  dem  Text  in  unserer  Beilage  sei 
das  Meer  zwischen  dem  Hafen  und  der  Stadt  so  seicht  gewesen,  dass  es  dem  Vor- 
dringen der  Feinde  keine  Schwierigkeiten  bot. 

3)  Als  Gesammtzahl  wird  angegeben:  11.000  Christen  (dagegen  24.000  Mus- 
limen) nach  Bartholomaeus  Cotton  172 :  20.000  (Brunetto  Latini  bei  Hartwig, 
Quellen  II,  230),  gegen  50.000  (Excidium  759),  70.000  (Sanutus  230);  getödtet 
und  gefangen  wurden  nach  den  Annales  de  Terre  Sainte  460 :  40.000.  Der  Johan- 
nitermei8ter  Johann  de  Villiers  meldet  am  22.  Aug.  1289  (RH.  No.  1493),  dass 
vierzig  Ordensbrüder  fielen,  an  Streitrossen  und  Waffen  ein  grosser  Schaden 
und  ein  Verlust  von  über  1500  Mann  zu  beklagen  war,  wesshalb  alle  Convente 
im  August  1290  Waffen  und  Pferde  nach  Accon  schicken  sollten. 

4)  Chron.  Lanercost  (Bannatyne  Club  LXV1H),  128—129.  Nach  dem  Cod. 
Assisi  No.  341,  aus  welchem  im  N.  Archiv  X,  1885,  237  interessante  Auszüge 
gegeben  sind  (auch  Ehrle  in  Miscell.  Francesc.  1887,  II,  22  wies  auf  ihn  hin), 
wir  uns  aber  vergeblich  bemüht  haben,  weitere  Mittheilungen  zu  erlangen,  ward 
(238)  der  Abt  des  grösseren  Klosters  mit  7  Minoriten  erschlagen ;  unter  den  zer- 
störten Kirchen  werden  S.  Benedict  (offenbar  Belmont  bei  Tripolis),  S.  Clara, 
S.  Maria  de  Turre  und  S.  Marcus  erwähnt  (vgl.  Röhricht  in  ZDPV.  X,  317). 

5)  Sie  soll  ihm  erklärt  haben,  dass  sie  ein  Mittel  besitze,  sich  unverwund- 
bar zu  machen,  und  als  der  Emir  auf  ihre  Aufforderung  hin  dies  mit  dem  Schwerte 
erprobte,  unter  seinem  Hiebe  zusammengebrochen  sein  (Chron.  Lanercost  129  —  131, 
wonach  dieser  Bericht  aus  dem  Munde  des  zwei  Jahre  in  England  ansässig  ge- 
wesenen Bischofs  Hugo  von  Byblus  stammt).  Eine  ähnliche  Geschichte ,  dass 
nämlich,  um  der  sicheren  Schande  und  Entweihung  zu  entgehen,  die  Clarissinnen 
sich  durch  Abschneiden  der  Nasen  unansehnlich  gemacht  hätten,  wird  (1187) 
von  der  Eroberung  Jerusalems  durch  Saladin  (Thietmar  ed.  Laurent  30 ;  Felix 
Fabri,  Evagatorium  ed.  Hassler  II,  132),  von  der  Eroberung  Antiochiens  (1268) 
durch  Bibars  (Bzovius  1268  §  12),  von  der  Eroberuug  von  Tripolis  (Bzovius  1289 
§  2;  Wadding,  Annales  Minor.  II,  585—586)  und  von  Accon  (Antonius  Floren- 
tinus,  Chronicon  III  C.  tit.  XXIV,  cap.  IX  §  11;  Martyrolog.  Franciscan.,  Paris 
1553,  214;  Annales  ordin.  Minorum,  supplem.  ed.  Maria  de  Turre,  Angustae  Tatra». 
1710,  115— 116J  erzählt.     Ganz  kurz  ohne  Details  wird  der  Märtyrertod  derClaris-. 


\2  Röhricht. 

des  Grafen  von  Dampierre,  in  die  Gefangenschaft  fielen  1).  Die  Kirchen 
und  Heiligthümer  der  Stadt  wurden  geschändet,  Heiligenbilder,  Statuen 
und  Crucifixe  an  Eosschweifen  durch  die  Strassen  geschleift  und  zer- 
schlagen 2),  dann  die  Häuser  und  Mauern  zerstört  und  sofort  landein- 
wärts auf  dem  „  Pilgerberge "  die  Anlage  einer  neuen  Stadt  begonnen3), 
deren  Gouverneur  der  Emir  des  Kurdenschlosses  Saif  ed-din  Belbän 
wurde4).  Wenige  Tage  darauf  fiel  auch  die  Johanniterburg  Nephin 
und  Batrün 5) ;  nur  der  Herr  von  Dschubail    soll   gegen   einen  Tribut 


sinnen  von  Accon  auch  erwähnt  bei  Johannes  Vitoduranus  37  und  Nicolaus  Glas- 
berger  in  Analecta  Franciscana  II,  106;  vgl.  Röhricht  in  Archives  II,  392,  Note  111. 

*)  Gestes  237.  Makrizi  102  berichtet,  es  seien  allein  1200  Gefangene  im 
Arsenal  des  Sultans  eingesperrt  worden. 

2)  Stefan  Orbelian,  Histoire  de  Siounie,  ed.  Brosset,  St.  Petersbourg  1864, 
245 ;  Petermann,  Beiträge  zur  Gesch.  d.  Kreuzzüge  aus  armen.  Quellen,  Berlin 
1860,  172  (wonach  Tripolis  nur  durch  Verrath  gefallen  sein  soll;  vgl.  Excidium 
759);  Flores  histor.  III,  69 — 70;  Annales  Hiberniae  in  Chartul.  of  S.  Mary's  abbey 
ed.  Gilbert,  Dublin  1884,  II,  320—321  (der  Codex  von  Assisi  238  hat  die  un- 
verständliche Anklage:  »proditor  autem  princeps  cum  suis  sequacibus  muneribus 
ditatus  a  soldano  in  Babilonie  collocatus  est  et  frater  ejus  princeps  Numidicus11). 
Ganz  dieselben  Schändungen  berichten  nach  dem  Falle  Accons  Stefan  Orbelian  172  ; 
Annal.  Waverleiens.  410,  und  Augenzeuge  war  Riccoldo  de  Monte  Croce  (Archives  de 
1'  Orient  latin  II,  262)  nach  dem  Falle  von  Tripolis  in  Siwäs.  Ein  Trauerlied 
auf  den  Fall  der  Stadt  und  die  Zerstörung  ihrer  Kirchen  (mit  interessanten 
Details)  veröffentlichte  im  syrischen  Urtext  (von  Gabriel  Bar  Kalai,  Bischof  von 
Nicosia,  welcher  um  1550  starb)  Giudi  in  Rom  1883  (vgl.  Zeitschr.  der  Deutsch. 
Morgenl.  Gesellsch.  1884,  XXXVIII,  VII,  No.  4676)  und  mit  Röhricht  französisch 
in  Archives  II  B,  462—467;  sonst  vgl.  auch  Hartzheim,  Concil.  Germ.  IV.  2—3. 

s)  Gestes  238 ;  vgl.  Ritter,  Asien  XVII,  608—609.  Wenn  Jacobus  ab  Aquis 
in  Mon.  hist.  patr.  SS.  III,  1604  berichtet,  dass  der  Sultan  nicht  weit  vom  alten 
Accon  eine  Neustadt  anlegen  Hess,  so  ist  dies  eine  Verwechslung  mit  Tripolis, 
wie  Gaufridus  de  Courlon,  Chron.  ed.  Julliot,  Sens  1876,  568  Accon  wieder  mit 
Damiette  verwechselt,  wenn  er  erzählt,  dass  er  den  ersteren  Hafen  durch  Ver- 
senkung von  Steinmassen  unbrauchbar  machen  Hess,  während  dies  nur  von  Da- 
miette nach  Louis'  IX.  Kreuzzug  feststeht  (Röhricht  in  Archives  II  A,  369,  Note  18). 

4)  Makrizi  IIA,  104;  lbn  Ferät  in  Bibl.  d.  croisades  II,  806;  Reinaud  563. 
Die  ebenda  gebotene  Nachricht,  dass  jetzt  Guido  von  Giblet,  dessen  Vater  einst 
die  Eroberung  von  Tripolis  mit  den  Templern  erstrebt  hatte  (RH.  No.  1444),  zum 
Sultan  gekommen  und  von  ihm  sehr  geehrt  worden  sei,  ist  wohl  keine  blosse 
Erfindung. 

s)  Küstenstadt  zwischen  Tripolis  und  Beirut.  Makrizi  II  A,  103;  Nuweiri 
bei  Weil  IV,  163.  In  diese  Zeit  ist  wohl  auch  die  Eroberung  und  Zerstörung 
der  Abteien  Beaumont  (Belmend)  bei  Tripolis  und  Beaulieu  am  Libanon  zu  setzen 
(Guillelmus  de  Sandwich  [über  ihn  Bibl.  Carmelitana,  Aurelianis  1752,  I,  608 
bis  613;  Duftus  Hardy,  Descript.  catalogue  III,  231;  Hist.  litt,  de  France  XXI, 
229—231],  Chron.  de  multiplicatione  relig.  Christ,  in  Act.  SS.  Maj.  III,  LXI1I). 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  13 

wie  die  Gräfin  Lucia  zwei  Ortschaften  in  der  Nähe  von  Tripolis  be- 
halten haben,  so  dass  den  Christen  im  Ganzen  nur  noch  Accon,  Ath- 
lith,  Sidon,  Tyrus  und  Beirut  verblieben. 

Während  der  genuesische  Admiral  Benedetto  Zaccaria  ,  dessen 
eiliger  Abfahrt  aus  Tripolis  viele  Flüchtigen  allein  ihre  Kettung 
nach  Cypern  und  Tyrus  verdankten,  nach  Armenien  gekommen  war  v), 
hatte  der  genuesische  Consul  Paulinus  Auriae  von  CafFa  aus  mit  drei 
Galeen  sich  aufgemacht,  hörte  aber  bereits  unterwegs  von  dem  Fall 
von  Tripolis  und  der  Abfahrt  Benedettos  nach  Armenien,  segelte  dess- 
halb  ihm  nach  und  caperte  bei  Candelor  ein  ägyptisches  Schiff.  In 
Folge  dessen  liess  der  Sultan  alle  genuesischen  Kaufleute  in  Aegypten 
verhaften    und    gab   ihnen    erst    die  Freiheit  wieder,  als  im  Dezember 

1289  die  gefangenen  muslimischen  Kaufleute  losgelassen  und  die  weg- 
genommenen Waaren  ihnen  zurückerstattet  worden  waren;  am   13.  Mai 

1290  erlangten  die  Genuesen  sogar  vom  Sultan  einen  neuen  Handels- 
vertrag 2). 

Inzwischen  war  unter  Franceschi  Suppa  ein  Geschwader  von  drei 
Galeen  aus  Genua  abgesegelt,  um  den  neuen  Podestä  Caccinimico  da 
Volta  nach  Tripolis  zu  bringen,  allein  auf  die  Nachricht  vom  Falle 
der  Stadt  mussten  die  Schiffe  umkehren  und  wurden  als  Kreuzer  gegen 
die  Pisaner  verwandt  3). 

Da  zu  der  Vertheidigung  von  Tripolis  nicht  nur  die  Ordensmeister 
aus  Accon,  sondern  auch  der  König  Heinrich  II.  von  Cypern  herbeige- 
eilt waren,  so  beschwerte  sich  der  Sultan  gegen  den  letzteren,  aber 
dieser  erklärte,  dass  von  einer  Verletzung  der  bestehenden  Verträge 
nicht  die  Kede  sein  könne ,  da  Tripolis  in  das  darin  genannte 
Ländergebiet  nicht  falle4).  Trotzdem  hielt  er  es  für  gerathen,  von 
dem  Sultan  einen  neuen  Vertrag  zu  erbitten  5),  den  dieser  auf  10  Jahre, 
10  Monate,  10  Wochen  und  10  Tagen  bewilligte 6).  Dann  segelte 
Heinrich,  nachdem  er  seinen  Bruder  Amalrich  in  Accon  zurückgelassen 
hatte,  am  26.  September  7)  heim  nach  Cypern. 


«)  Jacobus  Auriae  323—324;  Heyd  II,  84. 

*)  RH.  No.  1503.  3)  Jacobus  Auriae  326. 

*)  Nur  bei  Amadi  218. 

6)  Amadi  218;  Chron.  Danduli  402  (vgl.  Tafel-Thomas,  Urkunden  III,  357, 
No.  382) ;  nach  dem  Excidium  759 :  2  Jahre,  2  Monate  und  2  Wochen.  Derselbe 
Bericht  meldet,  der  Sultan  habe  damals  schon  die  Belagerung  Accons  als  bevor- 
stenend  angekündigt. 

B)  Nach  Amadi  218  erfolgte  der  Abschluss  schon  am  24.  April  (offenbar 
falsch),  nach  den  Gestes  238:  3  Tage  nach  dem  Fall    von  Tripolis. 

')  Gestes  238;  Sanutus  230. 


14  Röhricht. 

Die  Nachricht  von  dem  Falle  der  Stadt,  welche  Johannes  von 
Grailly,  die  Predigermönche  Hugo  und  Johannes,  der  Johanniter  Peter 
von  Hezquam  und  der  Templer  Hertand  nach  Rom  überbracht  hatten  *), 
meldete  Nicolaus  IV.  am  1.  September  1289  dem  Bischof  Bernhard 
von  Tripolis  und  übertrug  ihm  die  Kreuzpredigt  in  Slavonien  und 
der  Mark  Treviso,  in  der  Romagna  und  den  Gebieten  von  Venedig, 
Ferrara  und  Ancona2),  sowie  mit  Johannes  von  Grailly  (13.  Sept.)  die 
Ausrüstung  der  zwanzig  Galeen  für  das  heil.  Land  3),  welche  die  Vene- 
tianer  durch  Nicolas  Quirinus  uud  Marcus  Bembus,  ihren  Gesandten 
am  päpstlichen  Hofe,  ausser  den  fünf  von  ihnen  besonders  noch  zu 
stellenden  Schiffen  angeboten  hatten  4).  Ausserdem  überwies  er  (9.  Sept.) 
dem  Patriarchen  Nicolaus  in  Accon  viertausend  Turoneser  Pfund  zur 
Verstärkung  der  Festungsmauern,  für  den  Bau  von  Maschinen  und 
Loskauf  christlicher  Gefangenen  5),  (17.  Sept.)  einen  grossen  Theil  der 
gesammelten  Kreuzzugsgelder,  die  vom  Papst  Hadrian  testamentarisch 
dem  heil.  Lande  vermachten  zwölftausend  Turoneser  Pfund 6)  und 
(7.  Oct.)  zweitausend  Goldfloren  7). 

Seit  dem  Mai  1290  begannen  nun  in  Italien8)  starke  Pilgerschaaren 
sich  zu  rüsten,  um  auf  den  in  Venedig  bereit  stehenden  Galeen  abzu- 
fahren,   so  besonders  in  der  Lombardei,  in  Tuscien,    den  Marken  von 


')  Potthast  No.  23040 :  Langlois  No.  7509.  Sie  wurden  mit  der  Hiobspost 
selbst  (13.  Aug.  1289)  an  König  Eduard  I.  von  England  weiter  geschickt. 

2)  Potthast  No.  23064;  RH.  No.  1494;  Dandulus  402;  Gestes  238."  Am 
5.  September  befahl  er  ihm,  zwischen  dem  Patriarchen  von  Aquileja  und  dem 
Dogen  von  Venedig  Frieden  zu  vermitteln.  Der  Aufruf  zum  Kreuzzuge  an  alle 
Gläubigen  erfolgte  am  5.  Jan.  1290  (Potthast  No.  23.153;  Langlois  No. '2268), 
unter  demselben  Datum  auch  die  Berufung  von  Franziskanern  und  Augustinern 
zu  Kreuzpredigern  in  Italien  (Potthast  No.  23.151  f.);  der  Aufruf  ward  erneuert 
29.  März  1291  (Potthast  No.  23.633;  Langlois  No.  7595). 

3)  Potthast  No.  23.078;  RH.  No.  1496. 

*)  Dandulus  402;  Raynaldi  Annales  1289,  §  54—55. 

5)  RH.  No.  1495 ;  Langlois,  Reg.  de  Nicol.  IV.  No.  1357.  Einen  Brief  des 
Patriarchen  Nicolaus  um  Unterstützungen  für  den  Mauerbau  in  Accon  siehe  in 
RH.  No.  1500. 

6)  Langlois  No.  2259;  vgl.  Prou,  Reg.  d'Honorius  IV,  No.  183:  11.  Oc- 
tober  1285. 

7)  Langlois  No.  4390 ;  vgl.  4388.  Merkwürdig  ist  der  Befehl  an  den  völlig 
machtlosen  Patriarchen  Nicolaus  (21.  Februar  1290),  die  Inquisition  einzuführen 
und  kräftig  zu  handhaben  (Potthast  No.  23.188;  über  die  Strafen  der  Inquisition 
in  Palästina  und  Frankreich  vgl.  Bibl.  de  1'  ecole  d.  chartes  1880,  XL1,  593—600). 

8j  Fragmenta  Fulginat.  hist.  in  Muratori  SS.  IV,  141;  Chron.  Regiense 
ibid.  XV,  13.  Aus  Camarina  rüsteten  sich  400  Pilger  zur  Abfahrt,  wie  wir  aus 
dem  Briefe  Nicolaus'  IV.  vom  5.  Juli  1290  (Langlois  No.  7255)  erfahren. 


.Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  15 

Ancona  und  Treviso  *),  in  den  Städten  Parma 2),  Modena 3)  uud  be- 
sonders Bologna4),  und  im  Sommer  fuhren  jene  zwanzig  Galeen  unter 
Nicolo  Teupulo,  dem  Sohne  des  Dogen  von  Venedig  5),  Roux  de  Sully  G), 
und  Johannes  de  Grailly  7)  ab,  von  denen  jeder  noch  1000  Unzen  Gold 
mit  sich  führte;  Johannes  landete  auf  Sicilien  und  erhielt  vom  König 
Jacob  noch  fünf  Schiffe8).  Als  jedoch  das  christliche  Geschwader 
Accon  erreicht  hatte 9),  stellte  es  sich  heraus,  dass  die  Ausrüstung 
durchaus  ungenügend  war,  da  es  besonders  an  Waffen  und  zwar  am 
meisten  an  Armbrüsten  fehlte;  sie  hätte  knapp  für  dreizehn  Schiffe 
genügt,  aber  nicht  für  zwanzig. 


»)  Chron.  Estense  ibid.  XV,  541.  Am  23.  Axig.  1290  aber  verbot  Nicolaus  IV. 
die  Abfahrt  weiterer  Pilgerschaaren  aus  Fabriano  (Potthast  No.  28.365 ;  Langlois 
No.  3078),  ohne  den  Grund  anzugeben. 

2)  Am  30.  Juli  gingen  500  Parmesanen,  durch  den  Rath  mit  tausend  Parme- 
saner Pfund  unterstützt  unter  Führung  des  Baratus  Rubeus  ab  und  bald  darauf 
wieder  einige  hundert  Mann  (Chron.  abbat.  Parmens.  in  Mon.  Pavm.  336;  Annal. 
Parm.  major,  in  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  708).  Bei  der  Eroberung  Accons  fanden 
auch  viele  Parmesanen  ihren  Tod  (Ann.  Parm.  maj.  709 ;  Aflb,  Storia  di  Parma  IV, 
81—82;  vgl.  Chron.  Estense  541). 

8)  Chron.  Mutin.  in  Muratori  SS.  XV,  567 ;  vgl.  Tiraboschi,  Mem  Moden. 
II,  129. 

4)  Aus  Bologna  zogen  600  Mann  (Chron.  di  Bologna  bei  Muratori  SS.  X"V1II 
296)  unter  10.000  italienischen  Pilgern  insgesammt.  Ghirardacci,  Storia  di  Bo- 
logna, Bologna  1605,  I,  294—295  (und  daraus  Muzzi,  Annali  della  citta  di  Bo- 
logna 1840,  II,  215)  nennt  folgende  Bologneser  Kreuzfahrer:  Tiresio  Ghisilieri, 
Tomaso  Romponi,  Tiberio  Sabbadini,  Rolando  Zambrasi,  Niecola  Ariosti,  Fran- 
cesco Albergati,  Pietro  Prendiparti,  Bargellino  Bargellini,  Trencivalle  Uccelletti, 
Filippo  Scappi,  Bartolo  d'  Isnardo  Paleotti,  Cristano  Guidozagni,  Pietro  di  Gran- 
done  de'  Rossi,  Savio  de1  Buoi,  Buonfante  Piatesi,  Giliolo  de  Bualello  Orsi,  Gui- 
dalotto Mezzovillani,  Giulio  Rodaldi,  Bempiglio  Malpigli,  Bartolommeo  de'  Toschi, 
Lamberto  di  Lorenzo,  Magnani,  Gerarda  Cerniti,  Bonacossa  de'  Fabri,  Buongio- 
vanni  Beccadelli,  Errighetto  de' Ubaldino  Albergati,  Filippo  Mantici,  Rizzardo 
Dainesi,  Guiglielmo  di  Giacomo  Marsili,  Romeo  Scannabecchi,  Cingolo  di  Buona- 
ventura  delle  Arme,  Balduino  di  Provenzale  Fascarari,  Rolando  Visconti,  Alberg- 
hetto Carrari,  Pietro  Tettalasina. 

5)  Dandulus  402. 

")  Russus  de  Solliaco  sonst  genannt  und  als  »capitaneus  in  partibus  Ro- 
maniae'  urkundlich  erwähnt  (Riccio,  Archivio  storico  italiano  1879,  IV,  3;  Giudice,  La 
famiglia  di  re  Manfredi  .Napoli  1880,  append.  CHI,  No.  125:  CVr  -CVI1I,  No.  128) 
Nach  Durrieu  II,  383  heisst  er  eigentlich  Hugo  Russus  (Roux)  de  Sulliaco  (Sully). 

7)  Ihm  war  neben  Bernhard,  Bischof  von  Tripolis,  17.  Jan.  1290  die  Aus- 
rüstung der  Galeen  übertragen  worden  (Langlois  No.  2269). 

8)  Sanutus  229. 

9)  Nach  einem  vergeblichen  Handstreich  gegen  Candelor,  den  Sanutus 
230  vor,  die  Gestes  261   (offenbar  richtig)  nach  dem  Falle  Accons  ansetzen. 


16 


R  ö  h  r  i  c  h  t. 


Als  der  gefürchtete  Ueberfall  Accons  durch  den  Sultan  im  Hoch* 
sommer  1290  nicht  erfolgte,  so  kehrte  Roux  de  Sully  nach  wenig 
Monaten  mit  zwei  Galeen  nach  Italien  zurück,  um  den  Papst  zu  bitten, 
für  die  in  Accon  zurückbleibenden  Pilger  Geld  anzuweisen.  Nicolaus  IV. 
erfüllte  diese  Bitte,  und  Eoux  de  Sully  brachte  die  nicht  unbeträchtliche 
Summe  selbst  nach  Accon,  begnügte  sich  aber,  als  er  erfuhr,  dass  eine 
grosse  Menge  von  Pilgern  wegen  Geldmangels  bereits  heimgekehrt  sei, 
das  Geld  dem  Patriachen  abzuliefern,  und  segelte,  ohne  auf  seine  Bitte 
zu  hören,  wieder  zurück  nach  Italien2).  Inzwischen  aber  hatten  die 
in  Accon  zurückgebliebenen  Pilger 3),  da  sie  nicht  wussten,  was  sie 
machen  sollten,  sich  einem  wüsten  Leben  hingegeben  und  Gewalt- 
tätigkeiten gegen  die  Einwohner  der  Stadt  wie  die  muslimischen 
Schutzbefohlenen  und  Bauern  der  Umgebung  begangen,  ihre  Ländereien 
und  Anpflanzungen  geplündert  und  verwüstet4);  ja  als  eines  Tages 
muslimische  Landleute5)  in  gewohnter  Weise  nach  der  Stadt  herein- 
kamen, um  ihre  Producte  zu  verkaufen,  so  wurden  sie  von  jenen  Pil- 
gern überfallen  und  getödtet.  Einige  Ordensritter 6)  kamen  zufällig 
noch  zur  rechten  Zeit  an  den  Ort  der  That 7),  um  den  kleinen  Kest 
der  Angegriffenen  dem  wüthenden  Haufen  zu  entreissen  und  sicher 
nach  der  Burg  zu  retten8). 

Der  Sultan,  dem  diese  Brutalität  äusserst  gelegen  kam,  nahm  die 
Entschuldigung,  dass  die  Friedensbrecher  keine  Bürger  der  Stadt  seien, 


i)  Potthast  No.  23.439;  Langlois  No.  4389:  20.  Oct.  1290. 

2)  Sanutus  229^230,  dessen  Angaben  hier  durch  das  ihn  sonst  ausschrei- 
bende Chron.  S.  Bertini  770  zu  corrigieren  sind. 

8)  Die  Zahl  der  Pilger  wird  verschieden  angegeben:  Oesterr.  Reimchronik 
Vers  45.015:  c  100,  Guillelmus  de  Nangiaco  574:  1500,  Excidium  760:  1600, 
Bustron:  3500,  Amadi  218:  3540,  Ludolf  v.  Sudheim  42  (und  daraus  Corner): 
12.000,  Walter  von  Hemmingburgh  II,  23:  15.000,  Villani  337  (und  daraus  Bondone, 
Siena,  Bibl.  publ.  A.  III,  23  chart.  s.  XVI):  18.000,  Annales  Colmar.  maj.  in 
Mon.  Germ.  SS.  XVII,  217:  60.000  (die  von  Brindisi  her  gekommen  waren). 

*)  Excidium  759—760;  Bartholomaeus  Cotton  432;  Walter  von  Hemming- 
burgh II,  23;  Johannes  Vitoduranus  35 ;  Chron.  Sampetrin.  126;  Villani  337;  Bar- 
tholomaeus de  Neocastro  1182;  Peter  de  Dusburg  in  SS.  rerum  Pruss.  I,  208. 

6)  Gestes  238,  nach  Amadi  219  gegen  30,  nach  Bustron  30;  nach  Makrizi  II, 
109  waren  es  Kaufleute  und  zwar  nach  Sanutus  230:  19. 

e)  Dies  nur  bei  Amadi  und  Bustron. 

7)  Nach  Sanutus  230:  »in  loco  vocato  la  funda  juxta  cambium«. 

s)  Das  Datum :  Schaban  689  (9.  August  bis  7.  Sept.  1290)  nur  bei  Makrizi 
II  A,  109.  Der  Biograph  des  Sultans  hingegen  meldet,  dass  bei  einem  von  den 
aus  dem  Abendlande  eben  eingetroffenen  Pilgern  mit  Muslimen  veranstalteten 
Gelage  ein  christlicher  Bürger  seine  Frau  mit  einem  Muslimen  überrascht  und 
in  Folge  dessen  ihn  wie  seine  Glaubensgenossen,  welche  ihm  in  den  Weg  kamen, 
erdolcht  habe  (Reinaud  567). 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  \  7 

nicht  an,  obgleich  die  Emire  der  fortwährenden,  aufreibenden  Kriegs- 
züge müde  waren  und  den  Ausbruch  eines  neuen  Kampfes  befürchteten, 
sondern  befahl  eine  sorgfältige  Prüfung  des  1282  mit  der  Signorie 
von  Accon  abgeschlossenen  Vertrages,  um  eine  Handhabe  für  seine 
Kriegserklärimg  zu  finden;  „denn  er  war  von  Anfang  an  entschlossen, 
den  geringsten  Vorwand  zu  benutzen,  um  die  Waifen  wieder  aufzu- 
nehmen und  den  Untergang  der  christlichen  Colonien  zu  vollenden." 
Die  Meinung  der  Meisten,  welche  der  Berathung  beiwohnten,  unter 
andern  auch  Fath  ed-dins,  der  den  Vertrag  selbst  aufgesetzt  hatte, 
war,  dass  in  keinem  der  Paragraphen  der  vorliegende  Fall  vorgesehen 
sei,  aber  da  der  Sultan  durchaus  den  Krieg  wollte,  so  fand  sich  auch 
ein  Emir,  der  den  Artikel  anzog,  dass,  „wenn  nach  Accon  Christen 
aus  dem  Abendlande  kämen,  welche  schlimme  Pläne  gegen  die  Mus- 
limen schmiedeten,  die  Obrigkeit  und  die  Befehlshaber  der  Stadt  diese 
zu  verhindern  hätten"  x) ;  die  Obrigkeit  hätte  dem  Morde  vorbeugen, 
oder  ihn  empfindlich  bestrafen  müssen.  „  Nach  diesen  Worten  konnte 
der  Sultan  seine  Freude  nicht  zurückhalten"  und  begann  die  Rüs- 
tungen, indem  er  sofort  befahl,  in  der  Gegend  von  Baalbek  sowie 
zwischen  Caesarea  und  Athlith  Holz  zu  fällen  und  mit  dem  Bau  von 
Belagerungsmaschinen  zu  beginnen  2). 

Ein  Emir  3)  theilte  alsbald  dem  ihm  befreundeten  Templermeistei 
die  Pläne  des  Sultans  mit,  freilich  ohne  anfangs  Glauben  zu  finden, 
aber  als  die  Nachrichten  von  den  Rüstungen  immer  häufiger  wurden, 
riethen  die  Meister  der  Templer,  Johanniter  und  Deutschherren  ener- 
gisch dazu,  dem  Sultan  Genugthuung  zu  gewähren4).  Sie  ver- 
langten die  Auslieferung  der  Friedensbrecher,  aber  die  Menge  wollte 
nichts  davon  wissen,  da  die  christlichen  Pilgerschaaren  die  von  ein- 
zelnen Städten  geschlosseneu  Verträge  nicht  zu  respectiren  brauchten, 
und  die  Behörden  Accons  über  sie  keine  richterliche  Gewalt  hätten 5). 

Ende  des  Jahres  1290  oder  in  den  ersten  Wochen  des  folgenden 
Jahres    erklärte    der    neue  Sultan  Mälik-al-Aschraf  in  einem  ausführ- 


')  Der  Paragraph  4  des  Vertrages  von  1282  (Quatrernere  II  A,  228—22!»; 
Reinaud  546;,  der  hier  angezogen  wird,  besagt  aber  nur,  dass,  wenn  Christen  in 
Accon  landen,  urn  den  Sultan  zu  bekriegen,  die  Signorie  verpflichtet  ist,  dies 
wenigstens  zwei  Monate  vorher  ihm  anzuzeigen. 

2)  Gestes  240;  Makrizi  II  A,  109,  wo  auch  gemeldet  wird,  dass  der  Bau 
durch  Reitergeschwader  der  Christen  und  im  Winter  durch  Schneewetter  sehr 
gestört  "wurde. 

3)  Salah  (Gestes  240),  arab.  Silah ,  Vorsteher  des  Arsenals «,  welche  Würde 
damals  Bedr  ed-din  Bektasch  el-Fachri  bekleidete  (Rec.  arm.  II,  806). 

4)  Excidium  701 ;  Walter  von  Hemmingburgh  II,  24;  Ludolf  von  Suchern  43. 
s)  Excidium  761;  Gestes  2:J>!t. 

MittUeilungeu,  XV.  2 


18  Röhricht. 

liehen  Schreiben,  dass  er  den  Friedensbruch  durch  die  Eroberung  der 
Stadt  rächen  werde  l) ;  es  sei  unnütz,  etwa  durch  eine  Gesandtschaft 
dies  Schicksal  von  Accon  abwenden  zu  wollen.  Als  nun  gleichwohl 
Philipp  Mainebeuf,  welcher  des  Arabischen  mächtig  war,  der  Templer 
Bartholomäus  Pisan  aus  Cypern,  ein  Johanniter  und  ein  Schreiber 
Namens  Georg  an  den  Hof  des  Sultans  abgingen,  um  die  Vertreibung 
der  Friedensbrecher  aus  dem  heiligen  Lande,  die  lebenslängliche  Ge- 
fangenschaft der  Eädelsführer  als  Genugthuung  anzubieten,  so  wurden 
sie  ohne  weiteres  in's  Gefängniss  geworfen,  wo  sie  starben  2). 

Da  also  die  Gesandten  nicht  mehr  heimkehrten,  sammelten  sich 
eines  Tages  die  Angesehensten  der  Stadt,  der  Patriarch  Nicolaus,  die 
Ordensgebietiger,  Johannes  von  Grailly  und  Otto  von  Granson 3)  in 
der  Cathedrale  zum  heiligen  Kreuz4)  und  beriethen,  was  zu  thun  sei. 
Der  Patriarch  hob  den  Muth  durch  eine  kräftige  Kede  und  lobte  die 
Eintracht  der  Bürger  5).  Inzwischen  waren  nach  allen  Kichtun gen  des 
Abendlandes,  an  den  König  von  Cypern,  den  päpstlichen  Stuhl G)  und 
die  verschiedenen  Ordenshäuser  7)  Hilferufe  ergangen,  und  die  Bürger 
waren  unaufhörlich  bemüht,  durch  Heranschaffung  von  Lebensmitteln, 
Verstärkung  der  Wälle  und  Thürme  sich  zu  rüsten;  im  Ganzen  wird 
die  Bevölkerung  ungefähr  25.000  Köpfe  betragen  haben,  während  die 


')  In  Gestes  242  ist  nur  der  Eingang  des  Schreibens  erhalten ;  vgl.  RH. 
No.  1508.  Der  Verfasser  des  Abschnittes  der  Gestes  las  den  Brief  des  Sultans 
dem  Patriarchen,  dem  Meister  der  Johanniter,  dem  Comthur  der  Deutschherren 
(ihr  Meister  war  ohne  Willen  des  Convents  nach  Apulien  gegangen),  auch  dem 
Consul  der  Pisaner  und  Baillif  der  Venetianer  übersetzt  vor  (Gestes  242 — 243). 
Die  Boten  kamen  nach  Makrizi  II  A,  120  im  Muharram  690  (4.  Jan.  —  3.  Febr. 
1291)  zum  Sultan  Mälik  al-Aschraf. 

2)  Excidium  762  ;  Gestes  241.  Nach  Gestes  239  hätte  anfangs  der  Templer- 
meister vorgeschlagen,  die  schwersten  Verbrecher  aus  den  Gefängnissen  Accons 
als  die  Attentäter  zu  declariren  und  hinzurichten,  ja  der  Biograph  des  Kelawün 
(bei  Reinaud,  Extr.  568)  meldet  sogar,  die  Christen  hätten,  um  eine  Schein-Ge- 
nugthuung  zu  geben,  als  Sclaven  verkleidete  Muslimen  aufgehängt. 

3)  Er  veiiiess  London  am  10.  Juli  1290  (Annales  Londiniens.  ed.  Stubbs 
in  Chronicles  of  Edw.  I.  und  II,  London  1885,  I,  99)  und  ging  über  Rom  (Bar- 
tholomaeus  de  Neocastro  in  Muratori  SS.  XIII,  1167)  nach  Palästina. 

4)  Ludolf  von  Suchern  43. 

5)  Excidium  765:  »Est  enim,  ut  videtur,  in  vobis  cor  unum  et  anima  una 
(Actor.  IV,  32) ;  reddidistis  enim  vos  commendabiles  apud  Dominum  et  totum 
mundum«.  Von  einem  begangenen  Unrecht,  das  zu  sühnen  gewesen  wäre,  spricht 
der  Patriarch  nicht.  6)  RH.  No.  1505. 

7)  In  Folge  dessen  sollen  die  Templer  und  Johanniter  je  2000,  die  Deutsch- 
herren 700  (Reimchronik,  Vers  48.219,  48.225,  48.242)  Mann  oder,  wie  die  jüngere 
Hochmeisterchronik  (SS.  rerum  Pruss.  V,  103)  meldet,  die  ersteren  über  3000  resp. 
2000,  die  letzeren  über  3000  Ritter  nach  Palästina  gesandt  haben. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  ig 

waffenfähige  Mannschaft  bei  Beginn  der  Belagerung  auf  c.  800  Ritter 
und  13.000  Fusssoldaten  geschätzt  wird x).  Dass  diese  verhältniss- 
mässig  geringe  Zahl  von  Kämpfern  einem  so  gewaltigen  Heere,  wie 
das  feindliche  war,  über  40  Tage  lang  erfolgreichen  Widerstand  leistete, 
ist  der  Tapferkeit  der  Vertheidiger  zuzuschreiben,  welche  mit  dem 
Muthe  der  Verzweiflung  fochten,  ebenso  aber  auch  den  ausgezeichneten 
Befestigungswerken,  welche  die  Stadt  in  doppelter  Linie  umgaben  2) 
und  sie  zum  Hauptwaffenplatz  der  Christenheit  in  Syrien  machten. 

„Jene  berühmte  Stadt  Accon",  meldet  ein  deutscher  Reisender3),  wel- 
cher die  Stadt  in  Trümmern  sah,  aber  die  Mittheilungen  von  Augenzeugen 
ihrer  früheren  Blüthe  benutzen  konnte,  „liegt  am  Meere  und  ist  aus 
ausserordentlich  mächtigen  Steinquadern  erbaut  und  mit  hohen  und 
sehr  starken  Thürmen,  welche  kaum  auf  Steinwurfsweite  von  einander 
entfernt  sind,  umgeben ;  ein  jedes  Stadtthor  lag  zwischen  zwei  Thürmen, 
und  die  Mauern  waren,  wie  auch  jetzt  noch,  so  breit,  dass  ein  Wagen 
einem  anderen,  der  ihm  auf  der  Mauer  begegnete,  bequem  ausweichen 
konnte.  Und  nach  der  anderen  Seite,  landeinwärts,  war  die  Stadt 
wieder  durch  besondere  Mauern  und  sehr  tiefe  Gräben  befestigt,  mit 
mannigfaltigen  Bastionen  uud  Vertheidigungswerken  auf  verschiedene 
Weise  ausgerüstet.  Die  freien  Plätze  aber  innerhalb  der  Stadt  waren 
sehr  sauber,  alle  Wände  der  Häuser  an  Höhe  einander  gleich  und  ohne 
Unterschied  aus  behauenen  Steinen  erbaut,  mit  Glasfenstern  und  Ma- 
lereien wunderbar  geziert,  auch  waren  alle  Paläste  und  Häuser  der 
Stadt  nicht  für  irgend  welche  nothwendigen  Bedürfnisse  erbaut,  son- 
dern für  den  menschlichen  Luxus  und  zum  Genuss  durch  Glas,  Ge- 
mälde, Zelte  und  anderes  Zierwerk,  wie  ein  Jeder  konnte,  sorgfältig 
und  ausgezeichnet  im  Innern  eingerichtet  und  von  aussen  geschmückt. 


')  Ludolf  von  Suchern  ed.  Dej'cks  39—42 ;  über  das  Werk  dieses  Autors 
vgl.  Biblioth.  geogr.  Palaest.  No.  195.  Der  die  Belagerung  Accons  betreffende 
Abschnitt  ist  aus  einer  Darmstädter  altdeutschen  Handschrift  in  ZDMG.  1888, 
422—424  von  Roth  herausgegeben ;  wir  benutzten  nur  die  oben  citirte  lateinische 
Ausgabe. 

2)  De  Mas  Latrie,  Hist.  I,  488;  andere  Zahlen:  nach  Gestes  241:  7—800 
Ritter  (Amadi:  700,  Bustron  600)  und  13000  Fusssoldaten  (ebenso  Amadi  und 
Bustron);  Excidium  766:  900  Ritter  und  18.000  Mann  Fussvolk;  Jacobus  Auriae 
337:  40.000  Weiber  und  Kinder,  30.000  Pilger,  1200  Ritter;  Cont.  Florian,  in  Mon. 
Germ.  SS.  IX.  74! » :  70.000  Christen;  Reimchronik.  Vers  48.274:   100.000  Christen. 

3)  Pläne  und  Ansichten  der  Stadt  sind  von  der  ältesten  bis  auf  die  neueste 
Zeit  nachgewiesen  in  Biblioth.  geogr.  Palaestinae  s.  v. ;  sonst  vgl.  Röhricht  in 
ZDPV.  X,  300—308;  RH.  s.  v.  Ueber  die  handelsgeschichtliche  Stellung  der  Stadt 
vgl.  Heyd,  Hist.  I,  317—319  und  359;  II,  405  und  die  Auszüge  aus  Ihn  Djubair 
in  Görgens,  Quellenbeitr.  1,  276—278. 

2* 


20  Röhricht. 

Die  freien  Plätze  der  Stadt  waren  mit  seidenen  Tüchern  oder  anderen 
prächtigen  Stoffen  zur  Beschattung  überdeckt;  in  jeder  einzelnen  Ecke 
eines  Platzes  i-tand  ein  sehr  starker  Thurm  mit  einer  eisernen  Thür 
und  eisernen  Ketten  befestigt.  Alle  Vornehmen  wohnten  im  inneren 
Umkreise  der  Stadt  in  sehr  starken  Burgen  und  Palästen.  Im  Mittel- 
punkte der  Stadt  wohnten  die  Handwerker  und  Kaufleute,  ein  jeder 
nach  seinem  Gewerbe  au  einem  bestimmten  Platze,  und  alle  Einwohner 
der  Stadt  hielten  sich  wie  einst  die  Kömer  und  trugen  sich  als  Vor- 
nehme und  Herren,  wie  sie  es  ja  auch  waren.  Zuerst  wohnten  in  ihr : 
der  König  von  Jerusalem  und  seine  Brüder  und  noch  viele  andere 
Vornehme  seines  Geschlechts,  die  Fürsten  von  Galiläa,  und  Antiochien 
sowie  der  Feldhauptmann  des  Königs  von  Frankreich  *),  der  Herzog 
von  Caesarea  2),  die  Herren  von  Tyrus,  Tiberias  und  Sidon,  die  Grafen 
von  Tripolis  und  Jaffa,  die  Herren  von  Beirut  und  Ibelin,  die  Herren 
von  Pysan 3),  Arsuf  und  Vaus 4),  sowie  die  Edlen  von  Blanchegarde. 
Die  Fürsten,  Herzöge,  Grafen,  Edle  und  Barone  gingen  mit  ihren 
goldenen  Kronen  auf  dem  Haupte  nach  königlicher  Weise  auf  den 
Plätzen  einher  (!),  und  jeder  Einzelne  paradirte  wie  ein  König  mit 
Mannen,  Schutzbefohlenen,  Söldnern  und  Trabanten,  durch  Kleidung 
und  Streitrosse,  die  mit  Gold  und  Silber  wunderbar  geschmückt  waren, 
vor  dem  andern  ganz  besonders  und  schön  mit  einem  nur  erdenk- 
lichen Eifer  und  hielt  an  jedem  Tage  (!)  Spiele,  Turniere,  Waffenkünste 
und  verschiedene  Schaustellungen,  Jagden  und  allerlei  Arten  von  Auf- 
führungen, welche  auf  den  Kriegsdienst  sich  beziehen,  ab,  und  jeder 
hatte  für  sich  ausser  seinem  Palaste  oder  Schlosse  noch  vollständige 
Freiheit  oder  vielmehr  Steuerfreiheit.  Ebenso  wohnten  in  ihr  die  Feinde 
der  Saracenen  und  Kämpfer  für  den  katholischen  Glauben:  der  Meister 
und  die  Brüder  des  Templerordens,  die  streitbaren,  der  Meister  und 
die  Brüder  des  Ordens  vom  heil.  Johannes  von  Jerusalem,    die  streit- 


T)  Gemeint  ist  Johannes  de  Grailly ;  vgl.  Anmerk.  3  Seite  10. 

8)  Herzöge  dieser  Stadt  gab  es  nicht. 

°J  Es  ist  unerfindlich,  warum  der  Autor  diesen  Namen,  den  gar  kein  be- 
ll ühmtes  Geschlecht  trägt,  erwähnt,  die  wichtigeren  aber  auslässt. 

')  Ein  Geschlecht  genau  dieses  Namens  können  wir  aus  Chroniken  und 
Urkunden  nicht  nachweisen.  Ein  Godefridns  de  Waus  geht  im  Auftrage  des  Chan 
Abagha  1271  an  den  Hof  des  Königs  Eduard  I.  von  England  (RH.  No.  1380). 
Fürsten  unseres  Namens  werden  nur  noch  in  der  Legende  von  den  hl.  drei  Königen 
des  Johannes  von  Hildesheim  erwähnt  (ed.  Köpke,  Brandenburg  1878,  Programm 
der  Ritteracademie  10,  11,  21),  den  wir  in  Baux,  dem  Namen  eines  im  Orient 
damals  ansässigen  französischen  Geschlechts  wiederzufinden  glaubten  (Röhricht 
und  Meisner,  Ein  niederrhein.  Bericht  über  den  Orient  in  d.  Zeitschr.  für  deutsche 
Philologie  1886,  XIX,  6—8;  vgl.  RH.  s.  v.  Balcis). 


Der  Untergang  des  Königreich«  Jerusalem.  21 

baren,  ebenso  der  Meister  und  die  Brüder  des  deutschen  Hauses,  die 
streitbaren,  ebenso  der  Meister  und  die  Brüder  von  St.  Thomas  *),  die 
streitbaren,  und  der  Meister  und  die  Brüder  von  St.  Lazarus,  die  streit- 
baren 2).  Diese  alle  lebten  in  Accon  und  hatten  ihren  Ordenssitz  dort 
und  kämpften  Tag  und  Nacht  mit  ihren  Cameraden  gegen  die  Sara- 
cenen.  Auch  wohnten  in  Accon  die  reichsten  Kaufleute  unter  dem 
Himmel,  die  aus  allen  Nationen  dort  zusammengekommen  waren ;  dort 
wohnten  die  Pisaner,  Genuesen,  Lombarden,  wegen  deren  verfluchten 
Zwietracht  die  Stadt  zerstört  wurde ;  denn  sie  geberdeten  sich  eben- 
falls wie  die  Herren.  Auch  wohnten  in  ihr  die  reichsten  Kaufleute 
und  verschiedensten  Nationen;  denn  vom  Aufgange  bis  zum  Nieder- 
gange der  Sonne  schaffte  man  alle  Waaren  dorthin;  denn  alles  Wun- 
derbare und  Seltene,  was  auf  der  Welt  sich  finden  liess,  wurde  wegen 
der  Vornehmen  und  Fürsten,  die  daselbst  wohnten,  dorthin  gebracht. " 
Während  so  die  Stadt  Keichthum  und  Behaglichkeit  athmete, 
waren  die  inneren  zusammenhaltenden  Kräfte  durch  die  Verschieden- 
heit 3)  der  Nationalität,  der  Bekenntnisse  und  der  Interessen,  welche 
die  Eingeborenen  und  Lateiner,  die  Kitter  der  Hauptorden4)  und  die 
talienischen  Kaufleute  5)  unter  und  gegen  einander  zu  Hass  und  Neid, 
ja  oft  zu  blutigen,  aufreibenden  Kämpfen  antrieb,  gelähmt  und  er- 
schlafft, besonders  aber  durch  die  allgemeine  moralische  Fäulniss6),  die 
allerdings  in  allen  Städten  des  Königreichs  Jerusalem,  wie  in  der 
Hauptstadt  selbst,  das  gesellschaftliche  und  das  Familien-Leben  durch- 
setzte 7),  hier  aber  wie  in  allen  grossen  Handelscentren,    wo  der  rohe 


l)  Ueber  diesen  Orden,  dessen  Existenz  der  Herausgeber  der  jüngeren 
Hochmeisterchron.  in  SS.  verum  Pruss.  V,  33 — 34  mit  Unrecht  bestreitet,  vgl. 
RH.  s.  v.  und  Stubbs,  The  mediev.  kingdomes  of  Cyprus  and  Avmenia,  Oxford 
1878,  28  ff. 

9)  Vgl.  RH.  s.  v.  Auffallend  ist,  dass  der  Berichterstatter  den  Patriarchen 
von  Jerusalem  nicht  erwähnt,  der  auch  die  Bischofswürde  von  Bethlehem  und 
Accon  besass,  ebensowenig  alle  die  Kirchen  und  Klöster,  deren  Erzbischöfe, 
Bischöfe,  Aebte  und  Prioren  durch  die  fortgehenden  Eroberungen  ihre  Sitze  ver- 
loren hatten  und  nach  Accon  übergesiedelt  waren. 

•s)  Die  Vielheit  dev  Signorien  bezeichnet  Franc.  Pipinus  734  als  Grund  des 
Unterganges,  und  zwar  werden  6—7  (Ptolom.  Luccens.,  Histor.  eccles.  XI,  1196 
[dort  auch  1196  -1197  die  Reichsmatrikel  mit  sehr  verstümmelten  Namen]),  8 
(Roncioni  650),  ja  17  (Chron.  di  Bondone  und  daraus  Villani ;  vgl.  Assises  I, 
524,  Not.  6)  genannt. 

4)  Ueber  sie  vgl.  Bartholomaeus  de  Neocastro  1 183  und  Annales  de  Dunsta- 
plia  366,  wo  besonders  die  Feindschaft  der  Johanniter  und  Templer  getadelt  wird- 

5)  Ludolf  von  Suchern  42;  Thaddaeus  37—38,  50—51. 
8J  Vgl.  Prutz,  Culturgesch.  108  ff. 

7)  Die  Zahl  der  Huren  giebt  Jacobus    ab  Aquis    in   Mon.    Hist.    patr.   III, 


22  Röhricht. 

und  feine  Genüss  als  der  beste  Preis  und  der  höchste  Lohn  für  eine 
angestrengte  Geschäftstätigkeit  zu  gelten  pflegt  und  hauptsächlich, 
wo  verschiedene  Culturkreise  sich  berühren,  in  wahrhaft  erschrecken- 
der Weise  zu  Tage  trat.  Dies  bezeugt  besonders  der  deutsche  Dichter, 
welcher  den  Kaiser  Friedrich  IL  auf  seinem  Kreuzznge  nach  Accon 
begleitete  x),  der  Bischof  Jacob  von  Accon,  welcher  kurz  vor  dem  fünften 
Kreuzzuge  sein  Amt  antrat 2),  und  der  päpstliche  Legat  Odo,  welcher 
mit  Louis  IX.  nach  Accon  ging  und  (1254)  wie  ein  Prophet  zu  Join- 
ville,  dem  Seneschall  des  Königs  Louis  IX.,  die  Worte  sprach:  r Nie- 
mand hat  Kenntniss  von  so  viel  entsetzlichen  Sünden,  die  man  in 
Accon  begeht,  als  ich  selbst.  Auch  muss  wohl  Gott  dieselben  in  der 
Weise  strafen,  dass  die  Stadt  Accon  mit  dem  Blute  ihrer  Bewohner 
gewaschen  wird  und  sofort  ein  anderes  Volk  komme,  um  darin  zu 
wohnen. " 3)  Und  dieses  entsetzliche  Strafgericht  ist  auch  wirklich 
gekommen! 

Der  Sultan  brach  am  4.  November  1290  von  Cairo  auf,  erkrankte 
aber  plötzlich  und  starb  schon  am  10.  November  iu  der  Nähe  der 
Stadt1),  wie  man  allgemein  glaubte,  an  Gift5).     Sein  Sohn  Mälik  al- 


1604  auf  10.000,  Walter  von  Hemmingburgh  II,  24  auf  14.000  an,  der  Codex  von 
Assisi  in  Miscellan.  Francisc.  1887,  II,  22  auf  6000;  als  ein  Lasterpfuhl  wird 
Accon  (ibid.  II,  22—23;  Gesta  Boemundi  in  Mon.  Germ.  SS.  XXIV,  474—475; 
Peter  de  Dusburg  in  SS.  rerum  Pruss.  I,  208)  allgemein  geschildert. 

»)  Sandvoss,  Fridank,  Berlin  1877,  CLVI  und  CLX. 

2)  Brief  II  ed.  Röhricht  in  Zeitsch.  für  Kirchgesch.  XIV,  1893,  106—118;  er 
zählt  7  verschiedene  Nationalitäten  und  christliche  Bekenntnisse  auf,  dann  aber 
(111)  fährt  er  fort:  »Fiebant  autem  singulis  fere  diebus  et  noctibus  homicidia 
tarn  manifesta  quam  occulta.  Mulieres  ex  antiqua  consuetudine  venenis  et  potionibus 
maritos  suos,  ut  aliis  nuberent,  perimebant.  Erant  in  civitate  homines  venenum 
et  toxicum  vendentes;  vix  aliquis  alii  se  credebat  et  inimici  hominis  domestici 
ejus.  —  Erat  autem  prostibulis  passim  repleta  civitas.  Nam  quia  meretrices 
carius  hospicia  quam  alii  conducebant,  non  solum  laici  sed  persone  ecclesiastice 
et  quidam  regula,res  in  publicis  scortis  hospitia  sua  per  totam  civitatem  locabant*. 

s)  Joinville  §  613.  Der  Berichterstatter  setzt  ebenda  hinzu:  „Die  Weis- 
sagung des  Biedermannes  ist  zum  Theil  erfüllt;  denn  die  Stadt  ist  wohl  ge- 
waschen worden  in  dem  Blute  ihrer  Bewohner,  doch  sind  wohl  noch  nicht  hin- 
gekommen die,  welche  da  wohnen  sollen,  aber  Gott  wird  sie  schicken,  um  seinen 
Willen  zu  thun«.  Hingegen  rühmte  Iunocenz  IV.  (17.  Juli  1247)  die  Einwohner 
von  Accon:  »Vos  equidem  estis  celestis  plantatio,  que  terram  incolit!«  (Mon. 
Germ.,  Epp.  II,  299—300,  No.  412). 

*)  Bei  Meschhid  at-tibn  (Makrizi  II  A,  109;  Abulfeda  163;  vgl.  Recueil 
arabe  I,  769),  nach  Bartholomaeus  Cotton  432  :  ,in  planis  Dokke«,  also  bei  Accod  ; 
Amadi  nennt  den  Ort:  Sacachia.     Ueber  das  Datum  vgl.  Weil  IV,  165. 

5)  Abulfeda  163 ;  Haithon  in  Louis  de  Backer,  L'  extreme  Orient  229 ;  Jacobus 


Der  Untergang  des  Königreichr  Jerusalem.  23 

Aschraf  setzte  die  Eüstungen  fort  und  schickte  im  Februar  1291  den 
Emir  Izz  ad-din  Aibek  Afram  nach  Syrien,  um  den  Bau  der  Be- 
lageruugsmaschinen  zu  überwachen;  am  4.  März  ging  die  erste  Sen- 
dung fertiger  Theile  ab,  die  am  15.  März  unter  dem  Befehle  des  Emirs 
Aläm  ad-din  Sandschar  zusammengesetzt  wurden.  Am  23.  März  ver- 
liess  der  Näib  von  Syrien  Hussäm  ad-din  Ladschin  Damascus  mit 
seinem  Heere,  während  Saif  ad-din  Tughril  von  Cairo  abging,  um 
die  Contingente  Syriens  zu  sammeln.  Am  25.  März  traf  Mälik  al- 
Muzaffar,  Fürst  von  Hamah  und  Vater  des  berühmten  Geschichts- 
schreibers Abulfeda,  in  Damascus  ein,  am  26.  März  der  Gouverneur 
des  Curdenschlosses  Saif  ad-din  Belbän ;  Abulfeda,  welcher  als  Augen- 
zeuge über  die  Belagerung  uns  berichtet  hat,  leitete  den  Transport 
einer  riesigen  Belagerungsmaschine,  al-mansurija  *),  „  die  siegreiche "  ge- 
nannt, deren  einzelne  Theile  zum  Transport  hundert  Ochsenkarren  er- 
forderten. 

Während  dessen  hatte  der  Sultan  in  der  Nacht  des  24.  Februar 
1291  am  Grabe  seines  Vaters  in  der  Kubbet-mansurija  alle  Ange- 
sehenen, Kadis  und  Vorleser  Kairos  zu  einem  grossen  Feste  um  sich 
versammelt,  mit  Geld  und  kostbaren  Gewändern  reich  beschenkt  und 
war  am  6.  März  nach  Damascus  abgereist,  um  von  da  Anfang  April 
bei  der  Belagerungsarmee  einzutreffen.  Als  er  aufbrach2),  soll  der 
Scheich  Scheref  ad-din  Busiri  im  Traum  einen  Unbekannten  gesehen 
haben,  der  die  Verse  citirte:  „Schon  haben  die  Muslimen  Accon  ge- 
nommen und  den  Ungläubigen  die  Köpfe  herunter  gehauen!  Unser 
Sultan  hat  gegen  die  Feinde  Bosse  geführt,  welche  ganze  Berge  in 
Staub  zerstampfen  werden;  die  Türken  haben,  seitdem  sie  auf  dem 
Marsche  sind,  geschworen,  den  Franken  keinen  Besitz  zu  lassen". 
Ebenso    rief   ihm    der  Kadi  Muhi  ad-din  cAbd  ad-dahir  die  Verse  zu: 


Auriae  331;  Chron.  Sampetrinum  126.  Nach  Gestes  240  und  Bartholomaeus  Cotton 
hätte  der  sterbende  Sultan  seinen  Sohn  schwören  lassen,  die  Belagerung  Accons 
um  keinen  Preis  aufzugeben. 

')  Abulfeda  163.  Sie  stand  (derselbe  Name  wird  auch  genannt)  den  Pisanern 
gegenüber  (Gestes  243);  eine  andere  (»haveben«,  wofür  nach  d.  Rec.  arm.  II,  808: 
ghadban  »furieux«  zu  lesen  sein  wird)  stand  den  Templern,  eine  dritte  den 
Hospitalitern,  eine  vierte  dem  »verfluchten  Thurme«  gegenüber  (ibid.).  Eine  mit 
der  Hand  zu  spannende  Art  von  türkischen  Maschinen  wird  im  Briefe  des  Jo- 
hannitermeisters  (Hiat.  litt,  de  France  XX,  94) :  carabonares,  in  Gestes  244 :  cara- 
bouhas,  bei  Sanutus  230 :  carabogar,  bei  Wilh.  Godel  (Bouquet  XXI,  761) :  cyro- 
gabar,  bei  Amadi:  charabacani  genannt;  vgl.  Du  Cange,  Glossar,  s.  voce  cara- 
bolatum;  Raschid  ad-din  ed.  Quatremere  I,  132—137;  Marco  Polo  ed.  Yule  1875. 
II,   151—154  und  Weil  IV,  179,  Note  1. 

*)  Makrizi  II  A,  121—124,  127-128. 


24  K.  8  h  r  i  c  h  t. 

,0  ihr  Söhne  des  Blonden  (Christen),  bald  wird  die  Rache  Gottes  sich 
über  Euch  ausgiessen,  deren  Ausführung  nichts  aufhalten  wird;  schon 
fst  Aschraf  an  Euren  Gestaden  angelangt ;  macht  Euch  bereit,  aus  seiner 
Hand  unaufhörlich  Hiebe  zu  empfangen ! " 

Seit  dem  Beginne  des  März  waren  die  Christen  in  fortwährender 
Unruhe.  Sie  theilten  ihre  Streitkräfte  im  Ganzen  in  vier  Abtheilungen, 
von  denen  die  erste  unter  dem  Befehl  des  Johannes  von  Grailly  und 
Otto  von  Granson,  die  zweite  unter  dem  Hauptmanne  der  cyprischen 
Ritterschaft  und  dem  Stellvertreter  :)  des  Deutschmeisters  stand ;  die 
dritte  befehligten  die  Meister  der  Johanniter  und  des  S.  Thomasordens, 
die  vierte  die  Meister  des  Templer-  und  des  St.  Lazarus-Ordens.  Von 
diesen  Schaaren,  deren  Befehlshaber  sich  abwechseln  sollten,  hatte  die 
eine  Hälfte  von  6  Uhr  Morgens  im  Ganzen  acht  Stunden  auf  der 
Mauer,  die  andere  an  den  Thoren  Wache  zu  halten.  2) 

Nachdem  Ende  März  die  ersten  Truppen  des  Sultans  in  der  Ebene 
vor  Accon  erschienen  waren  und  die  Umgegend  furchtbar  verwüstet 
hatten,  war  am  5.  April3)  das  ganze  Belagerungsheer 4)  vereinigt;  die 

J)  Heinrich  von  Bolanden  (RH.  No.  1492  und  1501,  wo  auch  über  den 
Urdensmeister  Burchard  von  Schwanden  gehandelt  wird).  Er  fiel  mit  Walter 
Broyken  und  allen  Brüdern  des  Ordens  am  18.  Mai  (Perlbach  in  Forschungen 
zur  deutsch.  Gesch.  1877,  XVII,  360;  vgl.  SS.  rerum  Pruss.  V,  33). 

2)  Excidium  765—766. 

3)  Dieser  Tag  wird  als  Beginn  der  Belagerung  angegeben  bei  Thaddaeus  5, 
Jacobus  Auriae  337.  Gestes  243,  Marinus  Sanutus  230,  Joh.  de  Villers  94, 
Makrizi  125  ;  hingegen  Bartholornaeus  de  Neocastro  1183  :  25.  März  ;  Andr.  Dandolo 
403  und  Epist,  Joh.  de  Villiers  93:  1.  April;  Annal.  Mogunt.  3:  3.  April;  Cont. 
Godel  761,  Chron.  Sampetrin.  126.  Excid.  770:  4.  April;  AbuT-Mehäsin  570: 
6.  April;  Aegidius  li  Muisis  151  :  7.  April;  Brunetto  Latini  232:  20.  April;  Annal. 
de  Oseneia  332 :  9.  Juni.  Die  Beschiessung  begann  nach  Amadi  schon  den  9.  April. 
Als  Dauer  der  ganzen  Belagerung  werden  40  (Eberh.  Ratispon.  594;  Cont.  Godel 
761  ;  Walter  von  Hemmingburgh  II,  25),  42  (Joh.  Vitoduranus  36),  43  (Joh.  de 
Oxenedes  284),  44  (Jacobus  Auriae  337;  Annal.  Island.  196;  Briefe  Nicolaus  IV. 
vom  1.  und  23.  August  1291),  45  (Cont.  Florian.  749),  46  (Robertus  de  Boston  123) 
und  48  Tage  (Dandulus  403)  angegeben. 

4)  Ludolf  von  Suchern  43:  600.000  Mann;  Robertus  de  Boston  123:  500.000; 
Annales  de  Terre  Sainte  460:  400.000  Mann  Fussvolk  und  80.000  Reiter;  Excid. 
767:  400.000  unter  7  Emiren  (nach  Excid.  768:  10  Emire  mit  je  4000  Reitern; 
nach  Annal.  Mediolan.  in  Muratori  XVI,  682:  12  Emire);  Chron.  de  Lanercost 
139  und  Laurentius  Bonincontrius  63  :  300.000  Mann ;  Thaddaeus  30 :  260.000  Reiter : 
Dandulus  403:  200.000  Reiter  und  300.000  Fussvolk;  Chron.  Sampetrin.  128: 
200.000  Reiter  ohne  das  Fussvolk;  Marinus  Sanutus  230:  160.000  Fussvolk  und 
60.000  Reiter;  Gestes  241  und  Amadi:  150.000  Fussvolk  und  70.000  Reiter; 
Brunetto  Latini  231  und  Roncioni  650:  150.000  Reiter;  Epitome  bell.  sacr.  439: 
140.000  Fussvolk ;  Bartholornaeus  Cotton  431:  130.000  Reiter ;  Chron.  Estense  542 : 
100.000  Mann:  Chron.  S.  Bertini  770:  60.000  Reiter  und  ebensoviel  Fussvolk. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  25 

Belagerungsniaschinen  J)  wurden  in  kurzer  Zeit  zusammen-  und  aufge- 
stellt, so  dass  am  12.  April a)  schon  die  Beschiessung  der  Stadt  be- 
sann. Täglich  rückten  die  Muslimen  wie  ein  schreitender  Lanzen- 
wald  gegen  die  Mauern,  indem  sie  die  Wucht  ihres  Angriffes  durch 
tobende  Musik  und  bestialisches  Geschrei  unterstützten  3). 

In  der  mondhellen  Nacht  des  15.  April 4)  unternahmen  die  Be- 
lagerten einen  Ausfall  aus  dem  St.  Lazarusthore  5)  gegen  die  auf  dem 
äussersten  rechten  Flügel  der  Belagerungslinie  am  Meere  aufgestellten 
Truppen  des  Fürsten  Muzaffar  ad-din  von  Hamah,  und  zwar  berichtet 
dessen  Sohn  Abulfeda  als  Augenzeuge  folgendes  darüber 6) :  „Kleine 
Fahrzeuge  mit  Bohlen  und  (zum  Schutz  gegen  das  griechische  Feuer) 
Büffelhäuten  belegt,  uäherten  sich  uns,  und  die  Schiesszeuge  schleu- 
derten uns  Pfeile  und  Bolzen  zu.  So  hatte  unsere  Front  die  Au  griffe 
von  der  Stadt  her  zu  bestehen  und  unser  rechter  Flügel  von  der  See- 
seite. Der  Feind  liess  ein  Fahrzeug  sich  uns  nähern,  auf  welchem 
sich  eine  Wurfmaschine  befand,  welche  Steine  gegen  uns  und  unsere 
Zelte  schleuderte.  Dies  Fahrzeug  war  uns  recht  unbequem,  aber  eines 
Nachts  erhob  sich  ein  sehr  starker  Wind,  und  das  Schiff  ward  von 
den  Wellen  so  hin  und  her  geworfen,  dass  die  Maschine  in  Unord- 
nung gerieth  und  unbrauchbar  wurde.  Eines  Nachts  während  der 
Belagerung  machten  die  Franken  einen  Ausfall  und  überraschten  unser 
Heer.  Unsere  Vorposten  vor  sich  hertreibend  7)  griffen  sie  das  Lager 
an,  wo  sie  sich  aber  in  den  Stricken,  welche  die  Zelte  hielten,  ver- 
fingen 8).  Einer  von  den  Rittern  fiel  in  die  Abtrittgrube  einer  Emir- 
Abtheilung  und    wurde    dort    getödtet.     Da   sie  sahen,    dass  die  mus- 


»)  666  (als  Zahl  des  Antichrist*)  bei  Excid.  769 ;  300  (Abulfaradsch,  Chron. 
Syr.  627  [daneben  1000  Mineure]  und  Joh.  Victoriens.  327);  92  (Makrizi  125); 
60  (Ludolf  von  Suchem  43;  Chron.  Estense  542);  44  (Jacobus  Auriae  337);  40 
(Chron.  di  Bologna  296);  14  (Annales  de  Terre  Sainte  460;  Epitome  bellor. 
sacror.  439).  ?)  Gestes  243. 

s)  Excidium  767 — 768.  Die  ebenda  (und  bei  Bartholomaeus  de  Neocastro 
1183)  gebotene  Nachricht,  dass  die  Christen  trotz  der  furchtbaren  Gefahr  in 
Schenken  und  Bordellen  sich  herumgetrieben  haben  sollen,  ist  wohl  billig  zu 
bezweifeln. 

4)  Das  Datum  nur  im  Chron.  de  Lanercost  139. 

s)  Gestes  245,  während  fälschlich  Amadi  und  Bustron  das  S.  Nicolausthor 
nennen.  Auffallend  ist  die  bei  Abulfeda  164  und  Ludolf  von  Suchern  43  erhal- 
tene Nachricht,  dass  die  Christen  Tag  und  Nacht  die  Thore  der  Stadt  hätten 
offen  stehen  lassen.  *)  Abulfeda  164. 

7)  Gestes  245.  Die  Christen  wollten  Feuer  in  das  Reisig  und  Holzwerk  der 
Feinde  werfen,  aber  der  Hafenvicomte  that  mit  seiner  Maschine  einen  zu  kurzen 
Wurf  und  beschädigte  nur  die  Bedeckungsmannschaft   der  feindlichen  Waschine. 

s)  Gestes  245  bestätigt  dies. 


26 


Röhricht. 


limischen  Kämpfer  ihnen  an  Zahl  überlegen  waren  *),  so  flohen  sie 
in  die  Stadt,  und  die  Schaaren  von  Haniah  tödteten  von  ihnen  mehrere2). 
Als  der  Tag  anbrach,  Hess  Mälik  al-Muzaffar,  Fürst  von  Hainah,  mehrere 
Führer  der  Franken  am  Halse  der  Pferde,  die  man  ihnen  abgenommen 
hatte,  anbinden  und  schickte  sie  alle  dem  Sultan  zu". 

Diese  Unglücksfälle  und  schweren  Verluste,  welche  die  Christen 
in  den  Kämpfen  gegen  die  vielfalch  überlegenen  Feinde  erlitten,  ohne 
selbst  Nachschub  zu  erhalten,  die  entsetzlichen  Strapazen  des  unaufhör- 
lichen Wachtdienstes  und  der  unter  den  riesigen  Wurfsteinen  und 
Minen  der  Feinde  bereits  beginnende  Verfall  einzelner  Thürme  und 
Mauerstrecken  Hessen  die  Spannkraft  der  Christen  bald  erlahmen,  be- 
sonders seit  dem  4.  Mai,  wo  furchtbare  Salven  griechischen  Feuers  und 
gewaltige  Steinschauer  unaufhörlich  über  die  Stadt  sich  ergossen  3). 

Allerdings  kam  König  Heinrich  IL  von  Cypern  an  demselben 
Tao-e  mit  einem  Heere  4)  und  dem  Erzbischof  Johann  von  Nicosia,  von 
den  Belagerten  mit  Freudenfeuern  begrüsst 5),  aber  sein  Heer  war  doch 
zu  schwach  und  sein  Einfluss  auf  die  Verhältnisse  ebenso  gering  wie 
der  seines  in  Accon  zurückgebliebenen  Bruders  Amalrich 6).  Es  ge- 
lang ihm  weder,  die  immer  wieder  auftauchenden  Zwistigkeiten  der 
Ordensritter  unter  einander  und  mit  den  italienischen  Kaufleuten  zu 
beseitigen,  noch  die  heimliche  Flucht  vieler  Angesehenen  aus  der  Stadt 
zu  hindern.  Er  sandte  sofort  nach  seiner  Ankunft  den  Templer  Guil- 
laume  de  Cafran    und  Ritter  Guillaume    de  Villiers  an    den  Sultan  7), 


»)  2000  Feinde  gegen  200  Christen  (Gestes  245) ;  nach  C'hron.  de  Lanercost 
L39:  15.000  Christen  gegen  10.000  Muslimen. 

2)  Die  Christen  verloren  nach  Gestes  245  im  Ganzen  18  Ritter  (Amadi 
221 :  8).  die  Feinde  nach  Bustron  3000  Mann.  Bonincontrius  63  läset  2000  Christen 
und  7000  Feinde  fallen,  Chron.  de  Lanercost  139  sogar  5000  Muslimen  gefangen 
werden.  Ein  anderer  Ausfall  aus  dem  St,  Antoniusthore  ist  unmittelbar  darauf 
gefolgt,  welcher,  da  die  Feinde  die  finstere  Nacht  durch  Feuer  erhellten,  erfolg- 
los ablief.  Bei  dieser  Gelegenheit  sollen  2000  Muslimen  und  2000  Christen  gefallen  sein 
(Abulfaradsch  627  j   Oesterr.  Reimchronik  Vers  50.223.  50.229 ;  vgl.  50.443.  50.458). 

s)  Excid.  770;  Thaddaeus  5. 

4)  Sanutus  231:  100  (Amadi  221:  100:  Bustron:  600)  Ritter  und  500  Mann 
Fussvolk  (Amadi  221:  200;  Bustron:  2000)  mit  42  (Amadi  221)  Schiffen. 

5)  Abu'l  Mehasin  57o. 

r-)  Der  von  einigen  Quellen  gegen  ihn  erhobene  Vorwurf  der  Feigheit  ist 
jedoch  ungerecht  (Bartholomaeus  de  Xeocastro  1183;  Marinus  Sanutus  230; 
Reinaud  570). 

')  Gestes  246. 

7)  Gestes  243,  246,  wonach  das  Zelt  bei  der  »Semmerie«  des  Tempels  lag. 
welche  sonst  urkundlich  als  »Somelaria  Templi«  vorkommt  (Röhricht  in  Zeitschr. 
d.  Deutsch.  Palästina-Vereines  X,  251). 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  27 

welcher  sein  grünes  Zelt  auf  einem  Hügel  dicht  bei  einem  Templer- 
fchurme  hatte  x),  um  Erklärung  wegen  des  plötzlichen  Angriffes  gegen 
die  Stadt  zu  erbitten,  aber  der  Sultan  stellte  nur  an  sie  die  Frage,  ob 
sie  die  Schlüssel  der  Stadt  brächten,  und  als  sie  dies  verneinten,  aber 
um  Gnade  für  das  Volk  baten,  antwortete  er,  dass  er  nur  die  Stach 
haben  wolle,  alles  andere  sei  ihm  gleichgültig.  Hierauf  erklärten  die 
Gesandten,  dass  sie  nicht  ohne  eigene  Lebensgefahr  den  Ihrigen  die 
Uebergabe  anrathen  könnten.  Während  dieser  ganzen  Unterhandlung 
flog  von  der  gegenüber  auf  dem  Thurme  des  Legaten  stehenden  Ma- 
schine, die  eben  probirt  wurde,  unglücklicher  Weise  ein  Stein  so  dicht 
an  das  Zelt,  dass  der  Sultan  sein  Schwert  zog,  um  die  Christen  nieder- 
zustossen,  aber  der  Emir  Schuga'i  bat  ihn,  „sein  Schwert  nicht  mit 
dem  Blute  der  Schweine  zu  röthen. " 

Indessen  machten  die  Belagerer  immer  mehr  Fortschritte.  Der 
Emir  Schuga'i  hatte  einen  neuen  Thurm,  der  in  der  ersten  Mauer  vor 
dem  „verfluchten  Thurme"  stand  und  „Thurm  des  Königs"  hiess, 
unterminirt,  die  Barbacane  des  Königs  Hugo  wie  den  Thurm  der  Gräfin 
von  Blois  in  Trümmer  verwandelt  (8.  Mai);  am  15.  Mai  ward  der 
Thurm  des  Königs  Eduard 2)  völlig  in  den  Graben  geworfen,  und  die 
Belagerer  füllten  mit  Sandsäcken  und  Reisig  die  Lücken  der  Trümmer 
aus,  so  dass  eine  Art  Strasse  nach  der  Stadt  entstand.  Am  Morgen 
des  16.  Mai  rückte  das  feindliche  Heer,  dem  die  Christen  nur  noch 
7000  Mann  entgegenstellen  konnten,  zum  Sturme  heran ;  bald  war  der 
Graben  am  S.  Antoniusthore  auf  hundert  Klaftern  Länge  mit  allerlei 
Material  ausgefüllt b)  und  die  Vormauer  erstiegen,  in  welche  die  Feinde 
eine  Bresche  von  sechzig  Klaftern  legten 4).  Die  ermatteten  Verthei- 
diger  wichen  auf  Bogenschussweite  zurück,  bis  die  Templer  herbei- 
eilten. Der  Marschall  der  Johanniter  Matthäus  von  Clermont 5)  stellte 
sich  an  die  Spitze  der  Christen,  durchbohrte  einen  feindlichen  Emir, 
hieb  dann  rechts  und  links  um  sich  mit  furchtbarem  Erfolge,  so  dass 
die  Christen  wieder  Muth  gewannen  und  die  Feinde  nach  der  Bresche 
zurückdrängten,  aber  dort  behaupteten  diese  sich  und  zogen  die  Fahne 
des    Sultans    auf6).     Die    Christen    stellten    vor    die    Bresche    zwanzig 


')  Gestes  247.  Auch  Ludolf  von  Suchern  42  und  Walther  von  Hemming- 
burgh  [I,  24  wissen  von  den  Unterhandlungen  des  Sultans,  allerdings  nichts 
Genaueres. 

-)  Ueber  ihn  vgl.  Röhricht  in  Archives  I,  629,  Not.  81. 

s)  Oesterr.  Reimchronik  Vers  48.744-  48.745  (wonach  30.000  Lastthiere  das 
Material  herangeschleppt  hätten);  Chron.  Sampetrin.   128. 

*)  Excid.  770.  *)  Excid.  773;  Thaddaeus  22-23. 

fi)  Gestes  247. 


28  T{  ö  h  r  i  c  h  t. 

grosse  und  fünfzig  kleine  Maschinen,  während  ein  Theil  der  Stadt- 
obersten im  Johanniterhause  zusammentrat,  andere  im  Hafen  Schiffe 
bereit  machten,  um  die  Weiber  und  Kinder  zu  retten  x) ;  der  Patriarch 
stärkte,  nachdem  er  die  Messe  celebrirt,  Beichte  und  Abendmahl  ge- 
halten hatte,  die  Anwesenden  durch  eine  begeisternde  Kede,  worauf 
sie  sich  unter  Thränen  gelobten  auszuharren ,  aber  die  Kettung  der 
Weiber  und  Kinder  wurde  unmöglich,  da  die  See  so  hoch  ging,  dass 
diese  schon  am  folgenden  Tage  (17.  Mai)  wieder  in  Accon  landen 
mussten  2). 

Kaum  war  der  trübe  und  nebelige  Morgen  3)  des  18.  Mai4)  an- 
gebrochen, als  das  feindliche  Heer  unter  furchtbarem  Getöse  zum 
Sturme  heranrückte  5) ;  dreihundert  Kameele  trugen  Trommelschläger 
und  Trompetenbläser,  welche  einen  Höllenlärm  machten6),  während  an  der 
Spitze  der  Colonnen  Keuegaten,  Derwische  und  Fakire  voll  fanatischen 
Eifers  vorauseilten 7).  Das  ganze  Heer  soll  in  150  Schaaren  getheilt 
gewesen  sein,  jede  zu  200  Mann,  die  wieder  eine  starke  Keserve  von 
160  anderen  Schaaren  im  Kücken  gehabt8).  Die  ersten  hatteu  grosse 
Tartschen,  die  vier  dahinter  folgenden  Feuerkessel,  Oel  und  Peckfackeln, 
die  drei  folgenden  Ledertartschen  und  kurze  Säbel 9).  Die  Christen 
wehrten    sich    gegen  den  Strom  der  Augreifer,    so  lange   ihr  Schiess- 


')  Excid.  774. 

2)  Gestes  248.  Dass  König  Heinrich  von  Cypern  am  16.  Mai  schon  Accon 
verliess,  wie  das  Excidium  770  behauptet,  ist  ein  Irrthum. 

3)  Ludolf  von  Suchern  44. 

4)  Das  richtige  Datuni  für  den  Tag  der  Eroberung  geben  Ep.  Johannis  de 
Vill.  93;  Thomas  de  Burton  241;  Cont.  Vindob.  717;  Aegidius  li  Muisis  151; 
Chron.  Sampetrin.  127;  Bartholomaeus  de  Neocastro  1183;  Jacobus  Auriae  337; 
Annal.  Mutin.  73;  Dand.  403;  Simon  della  Tosa  154;  Chron.  Sanese  41;  Gestes 
248 ;  Annales  de  Terre  Sainte  460 ;  Makrizi  125 ;  Abul  Mehäsin  570 ;  Corner  944. 
Falsch:  20.  April  (Cont.  Florian.  749),  12.  Mai  (Chron.  abbat.  Parm.  336;  Ludolf 
von  Suchern  44),  14.  Mai  (Cronache  di  Termo  3),  16.  Mai  (Annal.  Mogunt.  3), 
17.  Mai  (Jul.  Cividat.  1200),  19.  Mai  (Cont.  Godel  761;  Chron.  S.  Martialis  810; 
Bernard  Guidonis  709;  Necrolog.  ordin.  Teuton.  361),  20.  Mai  (Calend.  Teuton. 
469  not.),  7.  Juni  (Walter  von  Hemmingburgh  II,  25),  17.  Juni  (Jon.  de  Oxendes 
283,  wo  statt  XV  cal.  Jim. :  XV.  Cal.  Julii  steht;  Abulfeda  164  [vgl.  Weil  IV. 
180]  auf  Grund  einer  theologischen  Construction,  weil  Accon  durch  die  Muslimen 
am  17  Djumada  [I  gerade  100  Jahre  vorher  an  die  Christen  verloren  ging,  musste 
es  an  demselben  Monats-Datum  zurückgewonnen  werden !). 

8)  Im  Umkreise  von  6000  Schritten  die  Stadt  einschliessend  (Franc.  Pipinus 
bei  Muratori  IX.  732),  12  Meilen  sich  ausbreitend  (Chron.  di  Bondone  in  Siena, 
Bibl.  publ.  A.  III,  23).  B)  Makrizi  II  A,  125. 

7)  Excid.  779;  Bartholomaeus  de  Neocastro  1184;  Joh.  Vitoduran.  36—37. 

R)  EKcid.  779.  fl)  Gestes  248—249. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  20 

bedarf  ausreichte,  heldenmüthig,  setzten  dann  den  Kampf  mit  Sicheln, 
Steinen,  Kuitteln  und  anderem  zufällig  sich  bietenden  Vertheidigungs- 
material  fort,  bis  Matthäus  von  Clermont,  der  Johannitern! arschall,  die 
eben  durch  das  S.  Antoniusthor  einströmenden  Feinde  wieder  hinaus- 
drängte !).  Aber  inzwischen  waren  andere  Schaaren  derselben  über 
die  Trümmer  des  Thurmes  Hugos  in  die  Stadt  eingebrochen  -) ,  be- 
setzten sofort  die  Barbacane  zwischen  der  ersten  und  zweiten  Mauer, 
theilten  sich  hier  und  gingen  theils  durch  das  Thor  des  „ verfluchten 
Thurmes"  auf  die  S.  Romanuskirche  zu,  wo  die  Pisauer  ihre  Maschinen 
hatten,  theils  nach  dem  S.  Antoniusthore.  Der  Templermeister  Guil- 
laume  de  Beaujeu  sowie  der  Meister  der  Johanniter  Jean  de  Villiers 
eilten  mit  10 — 12  Ordensbrüdern  nach  dem  letzteren  Thore,  fauden 
hier  die  cyprischen  und  syrischen  Ritter  im  Weichen  begriffen  und 
wurden  von  einem  furchtbaren  Pfeilhagel  empfangen  3).  Der  Templer- 
meister erhielt  einen  Schuss  in  die  rechte  Achselhöhle,  wo  die 
Platten  des  Panzers  nicht  fest  genug  schlössen4),  uud  musste  vom 
Kampfplatze  getragen  werden;  im  Templerhause  ist  er  bald  darauf 
gestorben 5).  Ebenso  ward  der  Johannitermeister  Jean  de  Villiers 
schwer  verwundet,  aber  auf  ein  Schiff  gerettet 6).    Matthäus  von  Cler- 


•)  Excid.  777—779. 

2)  Excid.  779 — 781;  Ep.  Johann,  de  Villiers  94;  Ludolf  von  Suchern  44; 
Bartholomaeus  Cotton  432;  nach  der  letzteren  Quelle  drangen  die  Feinde  (31.000 
Mann)  ein  »bei  einem  Mandelbaurugarten  durch  eine  Mine'.  Sonst  wird  gewöhn- 
lich als  die  Einbruchstelle  der  Punkt  erwähnt,  wo  König  Heinrich  von  Cypern  die 
Vertheidigung  zu  leiten  hatte  (Cont.  Vindob.  in  Mon.  Germ.  SS.  IX,  717;  Ludolf 
von  Suchern  44;  Godel  bei  Bouquet  XXI,  761 ;  Oesterr.  Reimchronik,  Vers  50.121, 
50.602—50.604),    oder  bei  dem  »verfluchten  Thurrne«  (Godel  761:    »halechitibi"). 

?)  Gestes  249. 

4)  Gestes  249:  Thaddaeus  18—19;  Villani  338;  vgl.  Godel  761. 

5)  Gestes  250—251.  Er  stammte  nicht  aus  Brabant,  wie  Brunetto  Latini 
232  meldet  (Guichenou,  Histoire  de  Dombes  I,  210;  Lacarelle,  Hist.  de  Beaujolais  I, 
93;  Galeries  de  Versailles  I,  454;  II,  460),  ist  auch  kein  Verräther  der  Christen 
gewesen,  wie  die  Chrou.  riinee  bei  Bouquet  XXII,  85,  das  Chron.  Estense  bei 
Muratori  XV,  542,  Stefan  Orbelian,  Hist.  de  Siounie  ed.  Brosset,  St.  Petersbourg 
1864,  245 — 246  und  die  Acten  des  französischen  Templerprocesses  (ed.  Michelet, 
Paris  1841  ff.  1,  187;  II,  209,  215;  vgl.  RH.  No.  1413)  melden,  während  die  des 
cyprischen  (Schottmüller,  Untergang  der  Tempelherren  II,  155  —  156)  ihn  völlig 
lreisprechen  und  zwar  auf  Grund  des  Zeugnisses  von  Mitkämpfern  wie  des  Ritters 
Johannes  de  Plany. 

r')  Epistola  Johannis  de  Villiers  94.  Von  den  Templern  sollen  nur  10,  von 
den  Johannitern  nur  7  (Excid.  782 ;  wenige  nach  d.  Epist.  Joh.  95),  von  den 
Deutschherren  kein  einziger  entkommen  sein  (Ludolf  von  Suchern 44;  Thaddaeus  24), 
aber  dem  widersprechen  die  Angaben  des  cyprischen  Processes  (Schottmüller  11, 
395),  wonach    in  Cairo  Templer  als  Renegaten    weiter  gelebt  hätten,  und  Ludolf 


30 


R  ö  h  r  i  c  h  t. 


mont,  der  Johannitermarschall,  der  den  ganzen  Strom  der  eindringen- 
den Feinde  bis  an  das  St.  Antoniusthor  uud  wieder  zurück  unter 
Wundern  der  Tapferkeit  durchraunt  hatte,  fiel  auch  und  zwar  bei  der 
Strasse  der  Genuesen  l). 

Inzwischen  hatten  andere  feindliche  Abtheilungen  bei  dem  S.  rio- 
manusthore  die  Pisaner  zurückgedrängt,  ihre  Maschinen  verbrannt, 
nach  kurzem  siegreichen  Gefecht  die  Strasse  der  Deutschen  hinunter- 
stürmend bei  der  St.  Leonhardskirche  2)  die  Ritter  des  Thomasordens 
überwältigt,  während  wieder  andere  am  St.  Nicolausthore  und  am 
Thurme  des  Legaten  eingedrungen  waren,  nachdem  sie  Johannes  von 
Grailly3)  und  Otto  von  Granson  4).  welche  auf  dieser  Seite  die  Ver- 
theidigung  geleitet,  zur  Flucht  gezwungen  hatten;  beide  entkamen. 

Jetzt  war  natürlich  Alles  verloren;  die  tausend  Christen,  welche 
im  Ganzen  noch  widerstandsfähig  waren,  wurden  mit  Leichtigkeit  zu- 


von  Suchern  54  meldet,  dass  er  in  Matharia  bei  Cario  aus  der  Zahl  der  bei  Accon 
Gefangenen  Christen  vier  Deutsche,  darunter  einen  Mann  aus  Schwarzburg  in 
Thüringen,  ferner  (89)  zwei  Templer  aus  Burgund  und  Toulouse  als  Holzhauer 
am  todten  Meere  getroffen  habe,  denen  später  der  Sultan  die  Freiheit  geschenkt. 
Dass  viele  christlichen  Ritter  .bis  jetzt  mit  ihren  Nachkommen  ihnen  (den  Mus- 
limen) Sclavendienste  thun  müssen,  aber  wie  man  sagt,  von  ihnen  in  Achtung 
o-ehalten  werden«,  sagt  Job.  Vitodur.  37.  Auch  der  Ueberbringer  des  bei  Dandulus 
(MuratoriSS.XH,  513— 514)  erhaltenen  Briefes  von  1300  war  ein  bei  Accon  gefan- 
gener | deutschen  Ritter.  Ebenso  empfiehlt  der  Patriarch  N.  von  Jerusalem  in 
einem  höchst  wahrscheinlich  fingirten  Schreiben  (es  folgt  nämlich  p.  444.  wie  in 
den  Annal.  Wigoru.  548  ein  Brieffragment  des  .Königs  von  Tarsis«  an  Bonifaz  VIEL) 
dem  Papste  den  Ritter  Gaufridus  de  Semeray.  welcher,  während  sein  Bruder 
Johannes  Capellanus  fiel,  bei  der  Eroberung  Accons  gefangen  und  jetzt  nach 
9  Jahren  befreit  wurde  (Wilh.  Rishanger.  Annales  regni  Eduardi  primi  ed.  Riley, 
London  1865.  442—444).  nämlich  durch  die  Mongolen,  die  Cairo  erobert  hätten! 
Dieselbe  erdichtete  Siegesnachricht  findet  sich  oft  (Röhricht  in  Ärchives  I,  649). 
i)  Excid.  781—782;  Thaddaeus  22—23;  Ep.  Joh.  de  Villiers  94;  Gestes  255; 
vgl.  Hist.  litt,  de  France  XX.  87. 

2)  Bustron  und  Amadi :  St.  Raynalduskirche. 

3)  Er  entkam  verwundet  (Gestes  252),  nach  Excid.  781  »mit  unverletzter 
Rüstung«.  Ueber  ihn  vgl.  E.  de  Rostaing,  Jean  de  Grailly  (Gex)  ä  la  septieme 
croisade  in  Revue  de  1'  Ain  1879.  Mai-Juin;  eine  Bulle  für  seine  Gemahlin  Beatrix 
(6.  Jan.  1290),  worin  er  als  zurückgekehrt  erwähnt  wird,  vgl.  bei  Langlois  No.  1941. 
Der  Vorwurf,  dass  er  schon  bei  der  Vertheidigung  von  Tripolis  sich  feige  ge- 
zeigt (Thaddaeus  25—26).  ist  nach  Gestes  237  nicht  gerechtfertigt. 

4)  Gestes  252.  Er  wird  vielfach  in  Bullen  der  Päpste  erwähnt  wie  Hono- 
rius'  IV.  (Prou.  37].  No.  535)  und  Nioolaus'  IV.:  26.  Aug.  1289,  13.  Dez.  1280. 
15.  October  1290  (Langlois  No.  1351-1352;  2162  2163;  4391-4394);  vgl.  Mem. 
de  la  Franche  Comte  IV.  361—362;  Anzeiger  für  Schweiz.  Gesch.  1876,  No.  3; 
1878  Nr.  2.  In  Pariser  Templerprocessacten  (ed.  Michelet  II,  224)  wird  erwähnt, 
dass  er  die  Wahl  Hugos  de  Peraudo  zum  Meister  besonders  gern  gesehen  hätte. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  31 

rückgedrängt  oder  niedergemacht;  wer  konnte,  rettete  sich,  aber  im 
Ganzen  standen  nur  sechs  Schiffe  bereit,  zwei  päpstliche,  zwei  cyprische 
und  zwei  genuesische  unter  Andreotus  Pellotus  *).  Mit  Mühe  riss  man 
den  ehrwürdigen  Patriarchen  Nicolaus,  der  seine  unglückliche,  zerstreute 
Heerde  nicht  verlassen  wollte,  fort  nach  einem  Schiffe ;  er  fiel  in's  Meer 
und  ertrank,  entweder  weil  der  Matrose,  der  ihm  die  rettende  Hand 
reichte,  nicht  fest  genug  hielt,  oder  der  Patriarch  nicht  kräftig  genug 
zugriff2);  auch  zwei  Schiffe  schlugen,  weil  das  Meer  zu  stürmisch  war, 
um  und  begruben  alle  Flüchtigen  im  Meeresgrunde  3),  so  dass  im  Ganzen 
uur  wenige  Armenien  und  Cypern  erreichten4),  wo  sie  sich  dauernd 
niederliessen  5),  oder  nur  kurze  Zeit  rasteten,  um  nach  Italien  zurück- 
zukehren 6). 

Der   bei    Weitem    grössere  Theil    der    früheren  Bevölkerung    war 
während  der  Belagerung  gefallen,  oder  erlag  schonungslos  dem  Schwerte 


')  Gestes  254 ;  Jacobus  Auriae  337,  desssen  Bericht  Giustiani,  Annali  di 
Genova  lib.  CX.  L— Gm;  üb.  CXI1.  G— H.  ausschreibt. 

2)  Gestes  254;  vgl.  Sanutus  231;  Thaddaeus  10  — 18;  Epist.  Riccoldi  in 
Archives  de  V  Orient  latin.  II  B,  269,  289—291  (über  ihn  genaueres  in  Hist.  litt, 
de  France  XX,  51—78  und  Röhricht,  Syria  sacra  in  ZDPV.  X.  10—11).  Nach 
dem  Excid.  781 — 782  wollte  Nicolaus  in  dem  Schiffe,  welches  schon  (nach  Bru- 
netto  Latino  232  durch  22—2300  Flüchtlinge)  zu  stark  überlastet  war,  noch  mehr 
einnehmen,  wesshalb  das  Schilt'  umschlug ;  nur  sein  Diener  soll  sich  gerettet  haben. 

3)  Gestes  254;  Sanutus  231  ;  Ludolf  von  Suchern  44.  Es  kamen  durch  die 
Eroberung  Accons  um  :  über  100.000  (Cont.  Zwetl.  658),  70.000  (Brunetto  Latini  231 ; 
Gesta  Florent,  290).  über  50.000  (Piero  bei  Tartinius  II.  40),  über  40.000  (Nau- 
gerius  bei  Muratori  SS.  XXI II.  1005-  1007).  über  30.000  (Ptolom.  Lucc.  Annales  in 
Documenti  VI,  96;  Chron.  Anon.  170),  30.000  (Franc.  Pipinus  773).  20.000  (Ro- 
bertus  de  Boston  ed.  Sparke  123).  Gefangen  und  getödtet  wurden:  106.000  (Lu- 
dolf von  Suchern  46,  darnach  Corner  940:  105.000).  100.000  (Piero  46),  80.000  (von 
den  Feinden  30.000  ;  vgl.  Oesterr.  Reimchron..  Vers  52.335  und  52.340).  über  70.000 
(Istoria  di  Chiusi  bei  Tartinius  I.  932).  70.000  (Job.  Vitoduran.  37),  G0.000  (Yillani 
378  und  daraus  Chron.  di  Bondone),  über  40.000  (Anon.  Florent.  bei  Baluze,  Mis- 
cell.  IV.  105),  über  30.000  (Epist.  Riccoldi  202 ;  Ptolom.  Lucc.  Hist.  eccles.  in 
Muratori  SS.  XI,  1196),  30.000  (Guill.  de  Sandwich  in  Act,  SS.  Maj.  III,  LXIV); 
10.000  wurden  gefangen  (Makrizi  II,  126). 

4)  Epist.  Haithonis  bei  Bartholom.  Cotton  221. 

5)  Solche  werden  vielfach  im  cyprischen  Processe  als  Zeugen  erwähnt. 

6)  Besonders  Parmesanen  (Annal.  Parmens.  709).  Aus  dem  Munde  solcher 
Flüchtlinge  und  frei  gewordener  Gefangenen  schöpfte  Thaddäus  (31,  39)  Nach- 
richten für  seine  Historia  de  desolacione  et  conculcacione  civitatis  Acconensis  ed. 
Com.  Riant,  Genevae  1873,  für  deren  Textkritik  ein  bisher  unbekannter  Codex 
in  Madrid,  Bibl.  nacion.  H.  188  (Neues  Archiv  1881,  315)  unbenutzt  geblieben  ist. 
Hingegen  fiel  der  pisanische  Grosskaufmann  Pannocchia  Sasetta  degli  Orlandi 
(Roncioni,  Istorie  Pisane  im  Archiv,  stör.  ital.  1844.  VI  A.  651),  und  die  Floren- 
tiner Firma  Peruzzi  erlitt  grosse  materielle  Verlust''  (Brunetto  Latini  232). 


32  R  Ö  h  r  i  c  h  t. 

der  Sieger,  so  viele  Mönche  und  Geistliche  *),  während  Kinder,  Jung- 
frauen und  Nonnen  in  die  Gefangenschaft  abgeführt  wurden2),  oder 
brutale  Gewalt  erleiden  mussten  3),  die  Kirchen  und  Klöster  demoliert, 
heilige  Gelasse  und  Geräthe,  Bilder  uud  Statuen,  Crucifixe  und  Glocken 
aufs  gemeinste  entweiht  und  zerschlagen  wurden4). 

Da  sich  ein  Theil  der  Christen  5)  mit  dem  Marschall  der  Templer 
Pierre  de  Sevry  6)  in  die  feste  Templerburg  7)  geworfen  hatte,  während 
andere  sich  im  Palast  des  Meisters  und  in  den  festen  Ordenshäusern 
der  Deutschherren  und  Johanniter  verschanzten,  so  fanden  die  Sieger 
am  19.  Mai  neuen  verzweifelten  Widerstand,  so  dass  der  Kampf  sich 
über  zehn  Tage  8)  hinzog.  Der  Sultan  Hess  den  Christen  in  der  Templer- 
burg freien  Abzug  ohne  Waffen  und  mit  einem  Kleide  anbieten  und 
schickte,    als    sie    darauf   eingingen,    eine   weisse  Fahne    zum  Schutze, 


»)  Epist.  Riccoldi  262—263;  Jacobus  de  Aquis  in  Mon.  bist.  patr.  III,  1604. 
Nach  dem  Chron.  Sampet.  127  kamen  alle  Dominikaner  um  bis  auf  7  (,de  con- 
ventu  Aquensi*),  alle  Franziskaner  bis  auf  5  (nacb  Wadding,  Annal.  Minor.  III, 
585:  der  Custos  von  Syrien  Jacob  und  sein  Gefäbrte  Jeremias;  vgl.  Brewer, 
Monum.  Francisc.  528),  während  nach  Thaddäus  (14—16)  2—300  Mönche  und 
Geistliche  den  Tod  im  offenen  Gefechte  suchten  und  fanden. 

2)  Makrizi  II  A,  125;  Joh.  Vitoduran.  37.  In  seinem  Briefe  an  den  König 
Haithon  von  Armenien  meldet  der  Sultan,  dass  so  viel  Jungfrauen  gefangen 
wurden ,  dass  man  in  jede  einzelne  um  eine  Drachme  verkaufte  (Epist,  Bar- 
tholom.  Cotton  217).  Nach  d.  Oesterr.  Reimchronik  (Vers  51.990  ff.)  wurden  die 
Gefangenen  in  drei  Schaaren  getheilt:  Kinder,  die  geschont  wurden,  Geistliche, 
Weiber  und  Männer,  die  den  Glauben  nicht  verleugnen  wollten  und  dafür  erschlagen 
wurden,  und  Schwangere,  denen  man  den  Leib  aufschlitzte.  Dass  viele  Gefangene 
getödtet  wurden,  bezeugen  Sanutus  231,  Bartholom.  Cotton  432.  Abulfeda  164. 
Abu'l  Mehäsin  571,    Epist.  Soldani  218. 

3)  Thaddäus  9-10  (vgl.  oben  Seite  11  Note  5);  Epist,  Riccoldi  263.  Nach 
Ludolf  von  Suchern  45  wurden  fünfhundert  vornehme  Damen  durch  einen  plötz- 
lich auftauchenden  Schiffer  nach  Cypern  gerettet,  wo  er,  ohne  ihren  Dank  abzu- 
warten, ebenso  unerkannt  plötzlich  wieder  verschwand  (der  Gralritter?). 

*)  Thaddäus  35  36;  vgl.  oben  Seite  12  Note  2.  In  einer  der  Kirchen 
Accons  wollten  die  Muslimen  eine  Bleitafel  gefunden  haben,  welche  die  weitere 
Ausbreitung  des  Islams  in  Syrien  für  das  Jahr  der  Flucht  700  (1300—1301)  pro 
phezeite  (Makrizi  II  A,  126) ;  vgl.  oben  Seite  2  eine  auf  dasselbe  Jahr  sich  be- 
ziehende Weissagung. 

5)  Nach  Thaddäus  13  und  Sanutus  231  nur  wenige,  nach  Amadi  400,  nach 
dem  Excidium  780:  c.  1000,  nach  AbuT  Mehäsin  571:  über  4000,  nach  Chron- 
Sampetr.  127:  7000,  nach  Gestes  252,  Brunetto  Latini  232,  Makrizi  II A,  126:  10.000.. 

6)  Gestes  256. 

7)  Die  genauere  Beschreibung  derselben  vgl.  in  Gestes  253—254. 

8)  Gestes  256:  10  Tage,  Bartholomaeus  Cotton  432 :  11  Tage,  Chron.  Sam- 
petr.  127:  12  Tage,  Ludolf  von  Suchern  45:  2  Monate.  Nach  Sanutus  231  unter- 
handelte der  Sultan  schon  am  19.  Mai  wegen  Uebergabe. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  35 

sowie  einige  hundert  Mann  x)  unter  einem  Emir  ab,  welche  die  pünkt- 
liche Ausführung  der  Capitulationsbedingimgen  überwachen  sollten 2). 
Da  diese  aber  den  Mädchen  und  Knaben  Gewalt  anthaten  und  die 
Capelle  schändeten,  so  warfen  sich  die  Christen  auf  die  Feinde3),  tödte- 
ten  sie  alle  und  schleuderten  mit  der  weissen  Fahne  ihre  Leichname 
vor  das  Thor  4).  Sofort  begab  sich  der  Marschall  mit  einigen  Templern 
zum  Sultan  und  bat  ihn,  nachdem  er  die  Brutalität  der  Muslimen  ge- 
schildert, die  Capitulation  doch  aufrecht  zu  erhalten,  allein  dieser  liess 
sie  sofort  hinrichten.  Dann  befahl  er  die  regelrechte  Belagerung  des 
Ordenshauses.  Bald  waren  die  Mauern  unterminirt,  und  nun  stürmten 
die  Angreifer  durch  die  nächste  offene  Bresche,  aber  in  demselben 
Augenblicke  stürzte  das  gewaltige  Gebäude  in  sich  zusammen  und  be- 
grub Christen  und  Muslimen  (28.  Mai) 5).  So  fiel  das  letzte  Bollwerk 
der  Christen,  und  ihm  folgten  bald  die  wenigen  festen  Punkte  innerhalb 
der  Stadt  wie  die  Burgen  der  Deutschherren  und  Johanniter 6),  dann 
ward  die  Zerstörung  gründlich  fortgesetzt  und  was  Menschenhand 
nicht  schnell  zerstören  konnte,  dem  Feuer  preisgegeben.  Ein  arabischer 
Dichter7)  sang  damals  die  Verse:  „Ich  ging  an  der  Stadt  Accon  vor- 
über   nach    der  Zerstörung  der  Mauern,    als  eine  feindliche  Hand  das 


')  Excid.  782;  Sanutus  231:  300;  Gestes  256:  400;  Bartholoniaeus  Cotton 
432:  700;  Amadi :  1200;  Walter  von  Hemmingburgh  II,  25:  5000  Mann. 
-)  Abu'l  Mehäsin  571. 

3)  Nach  dem  Excid.  782  soll  Meister  der  Templer  Gaudinus  gewesen  sein, 
der  aber  Nachts  darauf  nach  Cypern  glücklich  entkommen  sei  (die  Oesterr.  Reiui- 
chron.,  Vers  50.246  ff.,  50.379  nennt  ihn  Perchtrand).  Schottmüller,  Untergang  587 
kennt  Theobald  Gaudin  nur  als  Praeceptor  des  heil.  Landes  und  (588—589)  be- 
streitet die  Nachricht,  welche  die  sonst  so  zuverlässigen  Gestes  256,  257  bieten, 
dass  er  sofort  Nachfolger  Guillaumes  von  Beaujeu  geworden  sei. 

4)  Excid.  782;  Sanutus  231  ;  Abulphar.  628.  Nach  Abu'l  Mehäsin  571  hätten 
die  Christen  die  in  der  Burg  befindlichen  Zugthiere  durch  Zerbauung  der  Sehnen 
unbrauchbar  gemacht,  und  desshalb  habe  er  durch  trügerische  Versprechungen  sie 
(20.  Mai)  herausgelockt  und  niederhauen  lassen;  vgl.  Abulfeda  164.  Nach  dem  un- 
gedruckten Berichte  eines  arabischen  Augenzeugen  hätten  die  Muslimen  einzelne 
Christen  im  Castell  getödtet,  aber  nur  wenige  hätten  sich  durch  einen  Sprung  von 
der  Mauer  nach  der  Seeseite  vor  der  Wuth  der  Christen  gerettet  (Weil  IV,  181). 

5)  Gestes  256:  2000;  Amadi  234 :  3000;  Walter  von  Hemmingburgh  II,  25: 
5000;  Bustron:  7000.  Nach  Amadi  234  waren  von  den  Christen  nur  noch  113 
übrig. 

r>)  Deren  Ruinen  der  bekannte  Emir  Fachr  ed-din  später  zu  einem  Palast 
ausbauen  liess  (Ritter.  Asien  XVI,  733) ;  ebenda  (735—  736)  werden  auch  als  noch 
erkennbar  die  Ruinen  anderer  Bauten  der  Johanniter,  eines  Nonnen-  und  des 
St.  Andreaskloster  erwähnt. 

7)  Der  Kanzleisecretär  des  Sultans  Scbehäb  ad-din  Mahmüdi  aus  Aleppo 
(Makrizi  II  A,   126). 

Mittheilungen  XV.  3 


34  Röhricht. 

Feuer  in  der  Mitte  seiner  Einfassungsmauer  angezündet  hatte.  Ich  sah, 
dass  dieser  Platz,  nachdem  er  christlich  gewesen,  der  Magierreligiou 
zugefallen  war,  da  die  Thürme  vor  dem  Feuer  sich  neigten",  und  ein 
anderer1):  „0  ihr  Bilder,  die  ihr  die  Kirchen  schmücktet,  wenn  die 
Hand  der  Zeit  mit  Euch  gespielt  hat,  wenn  Euer  Loos  sich  geändert 
hat,  lange  Zeit  hat  man  vor  Euch  ehrgeizige  Kitter,  ruhmvolle  Heer- 
führer sich  neigen  sehen !  Dies  muss  über  jenen  Gegensatz  trösten ; 
in  der  That  ein  Tag  folgt  dem  andern,  und  der  Krieg  hat  seine 
Wechselfälle !  Der  Eine  macht  Platz  dem  Andern,  und  unsere  Zeit 
hat  die  Natur  nicht  geändert:  denn  jede  Epoche  hat  verschiedene  Ab- 
schnitte, verschiedene  Menschen ! " 2). 

Sofort  auf  die  Nachricht  von  dem  Falle  Accons  verliessen  die 
reichsten  Bürger  mit  dem  königlichen  Baillif  Adam  de  Cafran  Tyrus 
mit  Hinterlassung  der  Armen,  Weiber  und  Kinder,  worauf  die  Mus- 
limen unter  Izz  ad-din  Benä  ohne  Widerstand  die  Stadt  besetzten  3). 
In  Sidon,  das  den  Templern  durch  Kauf  gehörte 4),  rüstete  man  sich 
in  der  Hoffnung  auf  die  durch  Thibaut  Gaudin  von  Cypern  her  ver- 
heissene  Hülfe  anfangs  zur  Gegenwehr ,  die  auch  bei  der  grossen 
Festigkeit  des  durch  Louis  IX.  besonders  verstärkten  Inselcastells 5) 
nicht  aussichtslos  erscheinen  musste,  aber  als  der  Emir  Aläm  ad-din 
Sandscliar  die  preisgegebene  Stadt  besetzte  und  sich  zur  Belagerung 
des  Castells  anschickte,  flohen  die  Templer  theils  nach  Tortosa,  theils 
nach  Cypern G),  worauf  dieses  mit  der  Stadt  völlig  zerstört  wurde 
(13.  Juli) 7).  Nicht  lange  nachher  erschien  der  glückliche  Eroberer 
auch  vor  Beirut,  lockte  durch  die  trügerische  Verheissung  von  Schutz 
und  Sicherheit  die  Einwohner  heraus  und  liess  sie  theils  niederhauen, 
theils    in    die   Gefangenschaft   nach    Damascus    abführen    (21.  Juli)8). 

')  Ibn  Damen  Aldaha  (Makrizi  II  A,  128—129).  Nach  Makrizi  II  A,  230 
ward  ein  Kirchenthor  aus  Accon  durch  den  mit  dem  Zerstörungswerk  beauftragten 
Emir  Alam  ad-din  nach  Cairo  gebracht  und  das  Thor   des  Collegiums  Nasserija. 

-)  Ludolf  von  Suchern  46  meldet,  dass  die  Zerstörung  keine  vollständige 
gewesen  sei ;  eine  Restauration  des  alten  Accon  biete  keine  grossen  Schwierigkeiten. 

3j  Gestes  254 ;  nach  Makrizi  II  A,  127  am  19.  Mai,  nach  der  Epist.  Soldani 
in  Bartholom.  Cotton  218  schon  am  18.  Mai,  an  demselben  Tage,  an  welchem 
Accon  fiel.  4)  RH.  No.  1319;  Gestes  257. 

5)  Eine  Ansicht  bei  E.  G.  Rey,  L'architecturedes  croises,  plancheXVI;  vgl. 
153—159  und  Ritter,  Asien  XVII,  393—394. 

n)  Gestes  257.  Daraus,  dass  der  Berichterstatter,  den  das  Chronic.  Sam- 
petrinum  128  ausschreibt,  Sidon  und  Athlith  noch  in  den  Händen  der  Christen 
weiss,  ist  zu  erkennen,  dass  der  Bericht  selbst  sofort  nach  dem  Falle  Accons  ab* 
gefasst  sein  muss.  r)  15  Radschab  690  (Weil  IV,   181). 

s)  23  Radschab  690,  wie  arabische  Chronisten  melden ,  durch  Verrath 
(Weil  IV,  181);  vgl.  Gestes  258. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  35 

Wenige  Tage  später  fielen  auch  Chaifa  (30.  Juli)  l)  am  Fusse  des 
Carmel 2),  dessen  Kloster  völlig  zerstört  ward,  am  3.  August  Tor- 
tosa3)  und  am  14.  August4)  die  starke  Templerburg  Athlith ;  die  letzte 
Spur  christlicher  Herrschaft  war  verschwunden. 

Der  Sultan  hielt  nach  dem  verlustreichen  5),  aber  vernichtenden 
Siege  über  die  Christen  schon  am  12.  Juni  in  Damascus  seinen  glän- 
zenden Eiuzug;  die  christlichen  Banner  wurden,  mit  der  Spitze  nach 
unten,  die  Köpfe  erschlagener  Christen  hoch  auf  Lanzen  vorausge- 
tragen, die  Gefangenen  gefesselt  auf  Pferden  nachgeführt6).  Nach- 
dem er  einen  grossen  Theil  der  Beute  für  fromme  Stiftungen  und 
zum  Bau  kostbarer  Grabdenkmäler  angewiesen  hatte,  kehrte  er  nach 
Cairo  zurück,  wo  er  Mitte  Juli  einen  pomphaften  Einzug  hielt.  In 
zwei  hochmüthigen  Schreiben  7)  meldete  er  dem  König  Haython  von 
Armenien,  welche  ungeheure  Beute  er  in  Accon  gemacht  habe,  und 
drohte  ihm,  wenn  er  nicht  bald  den  schuldigen  Tribut s)  wieder  zahlen 
werde,  sein  Land  zu  verheeren  und  seine  Hauptstadt  Massissa  zu  zer- 
stören. 

Als    die  Nachricht  von    dem  Falle  Accons  und   dem  Verluste  des 
heiligen    Landes    durch  Flüchtlinge 9),    Privatbriefe10)    und    päpstliche 

')  1  Schaban  690  (Weil). 

2)  Die  Brüder  sollen,  während  sie  das  ,  Salve  Regina1  sangen,  niederge- 
macht worden  sein  (Guill.  de  Sandwich  in  Acta  SS.  Maj.  III,  LXIY ;  Joh  de  Ma- 
linis,  Specul.  historiale,  Venetiis  1507  s.  v. ;  Werner  Rolevinck,  Fascicul.  temp., 
Norimbergae  1483,  83). 

s;  5  Schaban  690.     Um    dieselbe    Zeit  muss    auch  Dschubail  gefallen  sein. 

«)  16  Schaban  690;  Ansichten  und  Pläne  der  Festung  weist  die  Biblioth. 
geogr.  Palaest.  s.  v.  nach;  vgl.  auch  Ritter,  Asien  XVI,  616—617. 

5)  Er  soll  60.000  Mann  (Simone  della  Tosa,  Annali  in :  Manni,  Chronichette 
antiche,  Firenze  1733,  154),  nach  Thaddaeus  30:  26.000  Reiter  und  über  100  Emire 
(31),  für  die  grosse  Leichenfeierlichkeiten  veranstaltet  worden  seien  (vgl.  Weil 
IV,  XII ,  wonach  in  einer  Münchener  arabischen  Handschrift  die  Namen  der 
Emire  aufgezählt  werden),  verloren  haben,  nach  Ludolf  von  Suchern  46:  über 
300.000  Mann.  6)  Makrizi  II  A,  129;  Abu'l  Mehäsin  571. 

')  Bartholomaeus  Cotton  215-217  und  218-219  (RH.  No.  1511  und  1512); 
beide  schickte  Haython  an  König  Eduard  I.  Im  ersteren  schreibt  der  Sultan  : 
,  nichts  nutzte  den  Franken  ihre  Tapferkeit,  die  Stärke  ihrer  Mauern,  ebensowenig 
die  custodia  Salachadyn  (unverständlich!),  als  er  die  Stadt  eroberte1. 

8)  Vgl.  das  Instrument  in  RH.  Xo.  1457. 

9)  Vergl.  Anmerk.  6  Seite  31.  Dass  auch  nach  Venedig  viele  Familien 
wie  die  Alberti,  Bondomir,  Barisani,  Benedetti,  Molin  dal  molin  d'  oro,  Foscol, 
Lion,  Mormora,  Suriani  1291  (und  wie  Dandulus  409  meldet  auch  1299)  aus  der 
Levante  zurückkehrten,  bezeugt  Andreas  Naugerius,  Storia  Veneziana  in  Muratori 
SS.  XXIII,  1007;  vgl.  Laurentius  de  Monacis,  Chron.  de  rebus  Venetis  ed.  Cor- 
nelius, Venetiis  1758,  265. 

,0)  Solch  ein  Schreiben  wird  erwähnt  (aber  nicht  ausgezogen)  als  1291  nach 

3* 


36  R  ö  h  r  i  c  h  t. 

Schreiben  l)  im  Westen  sich  verbreitete,  war  nur  Eine  Stimme,  dass 
Gottes  Gericht  über  Accon  gerecht  gewesen  sei 2).  Aber  man  suchte 
doch  auch  wieder  nach  greifbareren  Gründen,  aus  denen  der  völlige 
Verlust  des  heiligen  Landes  zu  erklären  sei,  und  klagte  in  Folge  dessen 
bald  den  Papst  an,  der  über  der  » sicilischen  Frage  ■  die  für  die  ganze 
Christenheit  viel  wichtigeren  Interessen  des  heiligen  Landes  vergessen 
und  vernachlässigt  habe  3),  bald  die  Fürsten  und  weltlichen  Herren  der 
Christenheit,  die  nur  Keichthümern  und  Genüssen  nachjagten  4),  bald 
die  egoistische  Politik  der  italienischen  Kaufleute 5),  aber  allgemein 
war  die  Klage  über  den  Verlust  eines  so  heiligen  und  theuren  Besitzes6). 
Herzbewegend  sind  die  Worte,  in  denen  Thaddaeus  von  Neapel 7)  seinem 
Schmerze  Ausdruck  giebt,  aber  Trost  aus  dem  Propheten  Jesaias s) 
findet,  welcher  den  nahen  Zusammenbruch  der  Macht  Babels  und 
Aegyptens  weisssagt,  um  endlich  mit  einem  kräftigen  Appell  an  den 
Papst,  die  Könige  und  Völker  der  Christenheit  zu  schliessen  9).  Keiner 
hat  aber  in  ergreifenderen  und  herzbewegenderen  Betrachtungen  uud 
Klagen  seinem  Herzen  Luft  gemacht  als  der  Predigermönch  Biccoldo 
de  Monte  Croce 10)  in  seinen  Briefen  an  Gott,  die  Jungfrau  Maria, 
die  berühmtesten  Heiligen  und  den  bei  der  Belagerung  Accons  um- 
gekommenen Patriarchen  Nicolaus.  Inmitten  einer  feindlichen  Welt 
als  Sendbote  und  Verkündiger  des  Evangeliums  hört  er  von  dem  Falle 
Accons,  dazu  die  blasphe mischen  Hohnreden  der  Muslimen,  Juden  und 
Mongolen,  welche  die  Ohnmacht  des  Heilandes  verspotten11),  er  sieht 


Siena  überbracht  in  Chromehe  Sanese  (Masconi,  Kaccolta  di  documenti  storici, 
Livorno  1876,  I  B,  cap.  80) ;  andere  sind  von  den  Chronisten  ohne  genaue  An- 
gabe des  Schreibers  ausgezogen. 

0  Vgl.  Potthast  No.  23.772,  23773  und  die  unten  zum  1.,  13..  16.,  18.  Aug. 
zu  nennenden  Schreiben. 

-)  Vgl.  Anmerk.  2—3  Seite  22. 

3j  Xach  Bartholomaeus  de  Neocastro  1182  hätte  dies  der  Templerbruder 
Guido  als  Bote  der  orientalischen  Christen  in  freisten  Worten  ausgesprochen  (vgl. 
auch  Excid.  783-784).  Dante,  Inferno  XXVII,  88—90  spricht  von  Bonifaz :  »Che 
eiaseun  suo  nimico  era  Cristiano ;  E  nessuno  era  stato  a  vincer  Acri,  Xe  merca- 
tante  in  terra  del  Soldano«.  4)  Excid.  783. 

s)  Ludolf  von  Suchern  (oben  S.  21);  Thaddaeus  37—38,  50 — öl. 

6)  Klagegedichte  in  Gestes  263—273  (ed.  Rec.  armen.  II.  822—826);  Paul 
Meyer,  Recueil  d' anciens  textes  bas  latins  95 — 96;  Theoder  de  Kiem,  Privilegia 
et  jura  imperii,  ed.  Schardius,  Basileae  1566,  852. 

7)  48-60.  8)  XIII,  3-22,  und  XIX,   1—22  (61-64).  n)  64-66. 
,0)  Lettres  de  Riccoldo  de  Monte  Croce  ed.  Röhricht  in  Archives  de  1'  Orient 

latin  II  B,  258-296;   vgl.    auch    dazu  den  interessanten  Artikel  von  Mandonnet 
in  Revue  biblique,  Paris  1893,  44—61  und  dessen  Fortsetzungen. 
")  Vgl.  Röhricht.  Deutsche  Pilgerreisen  (1889)  1. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  37 

die  Feinde  des  Kreuzes  im  Besitze  des  mit  Strömen  von  Christenblut 
erkauften  Lau  des  der  Verheissung  triumphiren,  die  heiligen  Stätten, 
an  denen  Tausende  und  aber  Tausende  Gnade  und  Vergebung  gefun- 
deu,  in  Trümmer,  in  Tempel  des  falschen  Propheten  oder  Stätten  des 
Unflats  umgewandelt,  endlich  die  langen  Züge  von  Gefangenen, 
darunter  Nonnen,  welche  in  den  Harems  der  Emire  und  des  Chalifen 
Dienerinnen  der  Lust  werden  sollen,  und  fragt  mit  bebenden  Herzen: 
Wie  ist  es  möglich,  dass  Gott  die  Muslimen  fortwährend  siegen,  das 
Thier  der  Offenbarung  nun  schon  siebenhundert  Jahre  *)  herrschen 
ässt?  Er  hält  Gott  sein  unermessliches  Erbarmen,  seine  unzähligen 
Verheissungen  vor  und  fragt,  ob  denn  nicht  wenigstens  zehn  Gerichte 
in  Accon  gewesen  seien,  um  deren  willen  er  einst  Sodom  und  Go- 
morrha  hätte  verzeihen  wollen  2),  er  dringt  in  die  Mutter  Gottes,  die 
Apostel  und  Heiligen  und  fragt,  ob  sie  denn  wirklich  Freunde  des 
falschen  Propheten  geworden  seien,  er  beschwört  die  Märtyrer  Accons, 
besonders  die  Ordensbrüder  und  Ordensschwestern  mit  dem  Patriarchen 
Nicolaus,  am  Throne  Gottes  ihre  Stimme  zu  erheben ,  dass  er  sich 
endlich  wieder  der  unglücklichen  Christen  erbarme  und  seinen  Arm 
watfne,  um  das  vergossene  Blut  seiner  Treuen  zu  rächen.  Aus  der 
Beute  Accons  erwirbt  er  heilige  Gewänder  und  ein  Brevier,  welches 
einen  Lanzenstich  und  einen  Blutfleck  zeigte,  endlich  die  Moralia  des 
heiligen  Gregor,  und  aus  ihnen,  aus  der  Erklärung  einer  Stelle  des 
Buches  Hiob  findet  er  wenigstens  vorläufig  3)  Trost  und  fügt  sich  mit 
stiller  Ergebung  in  die  unergründliche  Weisheit  seines  Gottes. 

Die  Schreckensbotschaft  von  dem  schmählichen  Zusammenbruch 
der  christlichen  Herrschaft  in  Palästina  ward  für  die  Curie  das  Signal 
für  eine  ganz  ausserordentliche  Thätigkeit.  Papst  Nicolaus  IV.  theilte 
am  1.  August  der  ganzen  Christenheit  die  Trauerkunde  mit,  befahl 
das  Kreuz    von  Neuem    zu  predigen 4),    damit    der    zum  Johannisfeste 


')  Man  rechnete  die  Dauer  seiner  Herrschaft  nur  auf  66b"  Jahre  (Thad- 
daeus  45 ;  Röhricht  in  Archives  II  B,  260,  Studien  zur  Gesch.  des  fünften  Kreuz- 
zuges 12-13). 

2)  Dieselbe  Frage  in  der  Oesterr.  Reimchronik.  Vers  52.356  ff. ;  der  Verfasser 
weiss  nur  darauf  dieselbe  Auskunft,  die  bekanntlich  Augustin  seiner  Prädestina- 
tionslehre zu  Grunde  legte  und  Johannes  de  Casa  S.  Mariae  nach  dem  unglück- 
lichen zweiten  Kreuzzuge  gab,  dass  Gott  die  durch  den  Fall  der  Tausende  von 
Engeln  einst  entstandenen  Lücken  habe  ausfüllen  wollen  (Vers  52.403  —  52.452; 
vgl.  Enenckel,  Weltchronik  ed.  Strauch  V.  327). 

3)  »Pro  responsione  denique  theoretia  gratias  ago,  pr ac t icam  nihilo- 
minus  affectuose  atque  indesinanter  exspecto*  (Epist.  Riccoldi  296). 

4)  Potthast  Nr.  23.756-  23.763  (vgl.  23.608) ;  Langlois  Nr.  7377—7378.  Als 
Kreuzprediger  werden  genannt:  die  Erzbischöfe  Conrad  von  Salzburg   und  Jacob 


gg  Röhricht. 

1293  von  König  Eduard  zu  unternehmende  Kreuzzug  guten  Fortgang 
habe,  den  Grafen  Guido  von  Flandern x)  zur  endlichen  Ausführung 
seines  Kreuzgelübdes  zu  veranlassen  2),  und  richtete  (13. — 23.  August) 
eine  Keihe  von  Bittschreiben  an  mongolische  Fürsten  3),  den  griechi- 
schen Kaiser  und  andere  geistliche  und  weltliche  Herren  des  Morgen- 
landes, um  die  längst  gewünschte  und  versprochene  Hülfe  dem  hei- 
ligen Lande  in  dieser  Noth  zuzuwenden.  Ausserdem  forderte  er  den 
König  von  Frankreich  und  eine  Reihe  von  Prälaten  (16.  und  18.  Aug.) 
auf4),  Provinzialsynoden  abzuhalten,  über  die  zum  Nutzen  des  hei- 
ligen Landes  zu  ergreifenden  Massregeln,  besonders  die  schon  auf  dem 
Concil  von  Lyon  1274  ventilirte  Frage  der  Vereinigung  der  Haupt- 
Ritterorden,  zu  berathen  und  bis  Februar  1292  eingehend  zu  berichten. 
In  Folge  dessen  wurden  auch  Provinzialconcile  wirklich  ab- 
gehalten, und  zwar  am  30.  November  1291  unter  dem  Vorsitz 
des    Erzbischofs    Otto    zu    Mailand5),    am    20.    Jan.    1292    zu    Com- 

von  Gnesen,  der  Dominikaner-Provincial  Israel  für  Dänemark,  der  Dominikaner- 
prior  der  Lombardei  mit  40  Brüdern,  der  Franziskanerminister  in  der  Provinz 
des  S.  Franciscus  mit  7  Brüdern  und  der  Prior  der  Augustiner.  Allen  Zuhörern 
der  Kreuzpredigt  wurden  100  Tage  Ablass  verheissen. 

')  Zur  Geschichte  seines  Kreuzgelübdes  vgl.  die  Bullen:  4.  Dec.  1276, 
14.  Dec.  1278,  11.  Mai  1286,  22.  Juni  1288,  24.  Febr.  1289  (Kaltenbrunner  I, 
No.  100,  142,  143,  143,  299—302,  320,  329),  ferner  die  Urkunden  in  St.  Genois, 
Inventaire  analytique  d.  chartes  d.  conites  de  Flandre,  Gand  1843—1846,  No.  550 
bis  555,  651  u.  Wauters,  Table  chrono].  VI,  399.  lieber  die  Sammlung  des  Zehnten 
in  Flandern  (und  dessen  Collectoren)  für  den  König  Philipp  von  Frankreich  vgl. 
St.  Genois  No.  594,  601,  604-605. 

2)  Er  sollte  am  nächsten  Michaelisfeste  unter  den  bereits  bekannten  Be- 
dingungen die  Hälfte  der  ihm  bewilligten  Kreuzzugsgelder  erhalten  (Potthast 
No.  23.763).  Am  5.  August  ward  der  Bischof  Nicolaus  von  Tournay  mit  wei- 
teren Anweisungen  in  Bezug  auf  diese  Zahlung  versehen  (Langlois  No.  5765) 
ebenso  der  Bischof  von  Carcbray  am  5.  October  (Potthast  No.  23.850). 

3)  RH.  No.  1515—1517.  Zur  Geschichte  der  Beziehungen  der  Päpste  und 
christlichen  Könige  zu  den  Mongolenchanen  überhaupt  vgl.  auch  dort  No.  1134, 
1147,  1150,  1155,  1166,  1167,  1211,  1215,  1295,  1354,  1379,  1401,  1409,  1421, 
1423,  1456,  1477,  1485,  1489,  1491;  Bustron  129—130;  Dandulus  bei  Muratori  XII, 
514;  Archives  d.  miss.  scient.  1851,  11,  345  ff.;  über  Päpste  und  Sultane  vgl.  RH. 
No.  544,  626,  852,  864,   1053,   1061,   1134,   1138,  1139,   1142-1145,  1213. 

4)  Die  Erzbischöfe  von  Spalato,  Narbonne,  Tours,  Canterbury  und  Cagliari, 
auch  den  Hospitaliterprior  in  Venedig,  (Potthast  No.  27,  23.781,  23.783,  23.784. 
23.786,  23.787.  23.793,   23.794.  23.803;  Langlois  6791-6799,  7381). 

-)  t'orio,  Histor.  Mediolan.  1646,  300-301,  daraus  Mansi  XXIV,  1070  bis 
1082;  Giulini,  Memorie  VIII,  441-442;  Calchi,  Historia  patiia  in  Graevius,  Antiq. 
et  bist,  Italiae,  Lugduni  Batavorum  1704,  II,  385-387;  vgl.  Hefele-Knöpfler  VI, 
263.     Hier  ward  für  die  Führung  des  Kreuzheeres  der  König  von  Frankreich  ge- 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  39 

piegne  x),  am  28.  Jan.  unter  Erzbischof  Conrad  in  Salzburg 2),  am 
13. — 24.  Februar  unter  dem  Erzbischof  Johannes  von  Canterbury 
zu  London3);  hier  forderte  man  Austreibung  der  Juden,  regelmässige 
Sonntagsgebete  für  das  heilige  Land,  wie  sie  Gregor  VIII.  und  Inno- 
cenz  III.  eingeführt  hatte,  Herstellung  eines  allgemeinen  Friedens  unter 
den  christlichen  Fürsten,  sofortige  Wahl  eines  neuen  Kaisers  4)  als  des 
Führers  der  Kreuzheere,  Ueberweisung  des  ganzen  englischen  Zehnten 
an  König  Eduard  und  Vereinigung  der  drei  Haupt-Kitterorden.  Ebenso 
berieth  man  in  York  5),  am  20.  April  1292  unter  Erzbischof  Gonsalvo 
von  Corduba  in  Valladolid  6)  und  in  Arles  7).  Die  französischen  Prä- 
laten 8)  verlangten  im  Wesentlichen  dasselbe,  wie  die  englischen,  aber 
für  die  französischen  Kreuzfahrer  die  Ernennung  des  Königs  oder 
eines  anderen  grossen  Herren  zum  Führer,  schleunige  Wahl  eines 
deutschen  Königs  und  Erhebung  zum  römischen  Kaiser,  ausnahmslose 
Heranziehung  aller  Geistlichen  zur  Zahlung  des  Zehnten,  aber  Mil- 
derung desselben,  da  der  Ausgaben  schon  zu  viele  auf  den  Kirchen 
lasteten. 


wünscht,  das  Verbot  jedes  Handels  mit  der  Levante,  die  Vereinigung  der  drei 
Haupt-Ritterorden  und  allgemeine  Pacificirung  der  Städte  Italiens  gefordert. 

')  Annales  Blandin.  in  Mon.  Germ.  SS.  V,  34 ;  vgl.  Finke,  Konzilienstudien, 
München  1891,  105. 

2)  Am  20.  Nov.  1291  ladet  Conrad  den  Bischof  Ernicho  von  Freising  ein  (v.  Lang. 
Keg.  IV.  502;  Pez.  Cod.  diplom.  II,  164).  Sonst  vgl.  Mansi  XXIV.  107?— 1088; 
Dalham.  Concil.  Salisburg.,  Augustae  Vindelicorum  1788.  136—139;  Eberhard. 
Katispon.  in  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  594,  600—605;  Cont.  Zwetlens.  in  Mon.  Germ. 
SS.  IX.  658;  Hefele-Knöpfler  VI,  263. 

s)  Bartholom.  Cotton  206—210.  433;  ebenda  199—205  Einladungsschreiben. 
Kurze  Erwähnungen  in:  Gervasius  Cantuar.  Opera  I,  299;  Joh.  de  Oxened.  285; 
Ännal.  de  Dunstaplia  367;  Annal.  Wigorn.  507;  Chron.  de  Lanercost  143 
bis  144 ;  Walter  von  Hemmingburgh  II,  25  ;  Annal.  Blandin.  33—34 ;  vgl.  Willems. 
Concil.  Magnae  Britann.  II,  180;  Mansi  XXIV,  1079-1080;  Finke  104. 

4)  Bartholom.  Cotton  207. 

5)  Chron.  de  Lanercost  143-144;  vgl.  Raine  93—97;  die  Briefe  des  Erz- 
bischofs  bei  Wilkins  II,   174  und  Finke  104. 

fi)  Tejada  y  Ramiro,  Colleccion  de  canones  y  de  todos  los  concilios  de  la 
iglesia  de  Espaüa,  Madrid  1859,  VI,  58—59;  vgl.  Finke  104. 

')  Bartholom.  Cotton  215.  Ein:  Consilium  magistri  Templi  datuin  Cle- 
menti  V  super  negotio  Terrae  Sanctae  et  super  unione  Templariorum  et  Hospitala- 
riorum  siehe  in  Baluze,    Hist.  paparum  Avenionens.  II,  176-178,  No  32  (1311?). 

8)  Bartholom.  Cotton  210—214.  Nicolaus  IV.  forderte  am  25.  Sept.  1291 
den  Erzbischof  Johannes  von  Upsala  auch  auf.  ein  Provincialconcil  vor  Ankunft 
des  Bischofs  Bernhard  von  Tripolis  zu  halten  (Potthast  No.  23.828),  welches  höchst 
wahrscheinlich  auch  wird  abgehalten  worden  sein  (Diplom.  Suec.  No.  1052;  Riant, 
Expeditions  sacrees  371).  Sonst  vgl.  zur  Geschichte  der  Zehntensammlung  in 
Seandinavien  Diplom.  Suec.  II,  No.  1034,  1039,  1041,   1043,  1053,   1081,  1737,   1731.» . 


40  R.  öhri  e  h  t. 

Wichtiger  als  diese  Beschlüsse  waren  für  die  Interesseu  des  hei- 
ligen  Landes  die  Unterhandlungen ,  welche  die  Curie  mit  König 
Eduard  1.  von  England  pflog.  Dieser  hatte  nämlich  schon  als 
Prinz  einen  Kreuzzug  unternommen l) ,  auf  seiner  Rückkehr  durch 
Italien  (Febr. — April  1274)  mit  Gregor  X.  wegen  eines  neuen  Kreuz- 
zuges unterhandelt 2),  ihm  1276  durch  Abt  R.  von  Westminster  und 
Heinrich  von  Newark  auch  versprechen  lassen  3),  aber  durch  Johannes 
von  Darlington  und  die  Magister  Heinrich  und  Wilhelm  um  Ueber- 
lassung  des  auf  dem  Concil  von  Lyon  ausgeschriebenen  Kirchenzehnten 
seiner  Reiche  gebeten 4).  Die  Nachricht  von  diesen  Rüstungen  er- 
zeugte im  heiligen  Lande  neue  Hoffnungen  5),  aber  erst  1282  giengen 
die  Verhandlungen  weiter,  welche  im  Namen  des  Königs  Hugo  von 
Eveshara,  der  Decan  Robert  von  York  und  Johannes  Clarel,  im  Auf- 
trage des  Papstes  Garner  und  Rainer  von  Florenz  führten  6).  Eduard 
reizte  diesen  zwar  dadurch,  dass  er  die  Ausführung  der  Kreuzzugs- 
zehnten aus  seinem  Reiche  verbot  und  sie  in  eigene  Verwaltung  nahm  6), 


M  Röhricht,  La  croisacle  du  prince  Edouard  d'  Angleterre  (Avchives  I,  617 
bis  632;  II  A,  407—409).  Wir  tragen  hier  nach  aus  Palgrave,  Kalend.  and  in- 
vent.  of  the  exchequer,  London  1836,  I,  101  §  69  den  Brief  Karls  I.  von  Sicilien, 
worin  er  Eduard  gestattet,  auf  seiner  Reise  durch  die  Länder  Karls  und  im  hei- 
ligen Lande  alle  Vergehen  seiner  Leute  selbst  bestrafen  zu  dürfen,  ferner  den 
Geleitsbrief  Karls  für  Eduard.  Ueber  die  während  des  Kreuzzuges  ausgestellten 
Schuldscheine  des  Roger  Clifford  vgl.  ebenda  80,  §  38  und  45;  dort  auch  ähn- 
liche Verschreibungen  des  Hämo  Extraneus  über  375  Mark  (§  39),  des  Paganus  de 
Cadurcis  über  850  Turoneser  Pfund  (§  40).  des  Johannes  de  Grilly  über  2000  Turon. 
Pfund  (§  41),  des  Johannes  de  Vescy  und  Otto  von  Granson  über  2500  Turoneser 
Pfund  (§  42),  Edmunds,  des  Bruders  von  Eduard,  über  1000  Mark  (§  43),  des  Jo- 
hannes von  der  Bretagne  über  500  Talente  Sarrasins  (§  44).  Sonst  vgl.  auch  über- 
haupt Rymer  I  B,  514  und  Bond,  Archaeologia  Britann.  XXVIII,  207  ff. ;  den  Brief  des 
Pierre  de  Conde  (21.  Aug.  1278)  aus  Carthago  über  Eduards  Pilgerfahrt  siehe  in 
Delisle,  Litterature  latine  et  hist.  du  moyen  äye,  Paris  1890,  72—73. 

2)  Archives  I,  627.  Die  bisher  unbekannten  Constitutionen  Gregor  X.  be- 
treffend die  Erhebung  des  Zehnten  (18.  Mai  1274)  hat  Finke,  Concilienstudien 
113 — 117  herausgegeben.  Ueber  die  Erhebung  desselben  handelt  sehr  genau  Gott- 
lob, Die  päpstlichen  Kreuzzugs-Steuern  94  ff. ;  für  die  Constanzer  Diöcese  vgl. 
Freiburger  Diöcesan-Archiv  1865,  I,  16— 299,  für  Salzburg  vgl.  Hauthaler,  Libellus 
decimationis  in  der  Beilage  zum  Progamm  des  Privat-Untergymnasiums  Borro- 
maeum,  Salzburg  1887;  Steinherz  in  Mittheil,  des  österr.  Instit.  1893,  XIV,  1—86; 
für  Holland  vgl.  de  Sloet  Ookondenb.  von  Gehe  II,  941—947. 

3)  Rymer  I  B,  537.  4)  Rymer  I  B,  560;    Potthast  No.  21.378,  21.392. 
s)  Rymer  I  B,  586;  RH.  No.   1436. 

fi)  Rymer  I  B,  606-607,  610;  Potthast  No.  21.967. 

•)  Rymer  I  B,  608;  Potthast  No.  22047;  vgl.  Gottlob,  Die  pästlichen  Kreuz- 
zugs-Steuern 139-142, 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  41 

beruhigte  ihn  aber  wieder  durch  das  Versprechen  des  Kreuzgelübdes, 
welches  er  durch  den  Canonicus  Walter  von  York,  und  Elias  von 
Hanville  officiell  abgeben  Hess  1).  In  Folge  dessen  ward  ihm,  wenn 
er  bis  Weihnachten  sein  Versprechen  erfülle,  auf  drei  Jahre  der  Zehnte 
aller  seiner  Länder,  mit  Ausnahme  der  Gascogne,  deren  Zehnten  der 
Papst  bereits  dem  König  Philipp  von  Frankreich  zugesichert  batte, 
versprochen  und  für  die  Betreibung  der  Zurüstungen  eine  Frist  von 
füuf  Jahren  bewilligt2).  Am  20.  April  1285  wiederholte  Martin  IV. 
den  Gesandten  Eduards  Walter  von  Wells  und  Elias  von  Hanville 
diese  Zusage,  bewilligte  vom  10.  October  ab  auf  fünf  Jahre  den  ge- 
wünschten Ausstand  3),  und  Honorius  IV.  verlängerte  am  25.  Juli  1285 
den  Termin  für  die  Annahme  des  Kreuzes  von  Weihnachten  auf  Pfing- 
sten 1286  4),  am  1.  April  1286  auf  den  1.  Juli  1286 5)  und  lobte 
Eduards  Eifer H).  Dieser  unterhandelte  durch  Otto  von  Granson  über 
die  Bewilligung  des  Zehnten  weiter  und  erhielt  am  17.  Juni  1285  ihn 
auf  sechs  Jahre  zugebilligt;  die  Zahlung  solle  Pfingsten  1287  beginnen, 
sobald  er  das  Kreuz  wirklich  genommen  haben  werde  7).  Die  Unter- 
handlungen wurden  durch  Eduards  Gesandte  Richard  de  Punisei  und 
Magister  Johann  de  Gereberd  8),  Anfang  Mai  1288  durch  Gislebert  de 
Brigdesala 9),  weiter  fortgesetzt,  aber  besonders  lebhaft  mit  dem  Be- 
ginn des  Jahres  1289.  Am  3.  Februar  1289  versprach  der  König  die 
ihm  durch  den  Dominikaner  Wilhelm  de  Hothum  übersandten  Forde- 
rungen erfüllen  zu  wollen  und  zum  Johannisfest  1293  seinen  Kreuz- 
zug anzutreten ;  er  wünsche  den  auf  sechs  Jahre  bewilligten  Kirchen- 
zehnten zum  Johannisfeste  1289  und  1290  in  zwei  Raten  ausgezahlt 
zu  erhalten  und  deren  Erhebung  durch  seine  eigenen  Leute  besorgt 
zu  sehen;  für  den  Fall,  dass  er  durch  eigene  Schuld  den  Kreuzzugs- 
termin nicht  innehalte,  verspricht  er  die  empfangenen  Summen, 
auch  wenn  sie  zum  Theil  durch  Rüstungen  aufgebracht  seien,  voll 
herauszuzahlen,  sollten  jedoch  unüberwindliche  Hindernisse  eintreten, 
so  habe  er  das  Recht,  die  entstandenen  Ausgaben  von  dem  empfangenen 
Zehnten  abzuziehen.  Zum  Schluss  verpfändete  Eduard  als  Garantie 
alle  seine  Güter  und  Einkünfte,  verpflichtete  auch  seine  Nachfolger 
zur  Erfüllung  der  gegebenen  Versprechungen  10).    Der  Fall  von  Tripolis 


')  Potthast  No.  22142.  2)  Potthast   No.  22143. 

3)  Potthast  No.  22230.  4)  Potthast  22274.  s)  Kyrner  I  B,  663. 

«)  Potthast  No.  22.427.  7)  Potthast  No.  22.486. 

8)  Potthast  22.952.  9)  Potthast  No.  22.698;  Langlois  No.  7029. 

I0)  Kymer  I  B,  705,  706,  714,  746;  vgl.  auch  das  Schreiben  Eduards 
(4.  Nov.  1290)  an  den  Erzbischof  Johann  von  York  (Wilkins,  Concil.  Magna e 
Britanniae  II,  174). 


42  R  ö  h  r  i  c  h  t. 

gab  dein  Papste  Veranlassung,  dem  Könige  die  Notwendigkeit  eines 
Kreuzzuges  wieder  vor  Augen  zu  stellen1);  am  7.  Nov.  1289  bestätigte 
er  die  durch  den  Dominicaner  Wilhelm  von  Hothum  und  Otto  von 
Granson  -)  vorgelegten  Paragraphen,  welche  im  Wesentlichen  den  In- 
halt der  Briefe  Eduards  vom  3.  Februar  wiederholen,  setzte  aber  den 
Termin  des  Kreuzzuges  wegen  der  dem  heiligen  Lande  drohenden  Ge- 
iahren, auf  den  23.  Juni  1292  fest3).  Am  10-  Jannar  1290  gab  Nico- 
laus IV.  Anordnungen  über  die  Abschätzung  des  Zehnten4)  und  be- 
stimmte, dass  nicht,  wie  der  König  gewollt,  dessen  Erhebung  durch 
königliche,  sondern  päpstliche  Bevollmächtigte  erfolgen  solle 5),  dann 
rief  er  ihm  (14.  Mai  1290)  die  durch  das  Concil  von  Lyon  aufge- 
stellten Bestimmungen  betreffend  die  Erhebung  des  Zehnten  wieder  in's 
Gedächtniss 6)  und  wiederholte  (16.  Mai  1290)  die  bereits  in  Bezug 
auf  Antritt  der  Kreuzfahrt  und  die  Bewilligung  des  Zehnten  gegebenen 
Anordnungen  7),  worauf  Eduard  (14.  October  1290)  im  Beisein  vieler 
Grossen,  auch  des  Bischofs  von  Grosseteste  als  päpstlichen  Gesandten 
den  Yorker  Canonicus  Wilhelm  von  Grenefeld  für  sich  schwören  Hess, 
dass  er  an  dem  festgesetzten  Termine  die  Kreuzfahrt  antreten  und  die 


')  vgl.  Anmerk.  1  Seite  14  und  Potthast  No.  23.633. 

2)  Ein  Empfehlungsschreiben  (8.  Mai  1289)  für  sie  nach  Rom  hei  Rymer 
L  B,  708  und  Stevenson,  Docum.  illustrat.  of  the  history  of  Scotland  1870,  I, 
p.  90—93:  sie  werden  auch  am  4.  und  10.  Nov.  1289  als  Gesandte  des  Königs 
erwähnt  (Potthast  No.  23.102,  23.112).  Ueher  die  Ausgaben  dieser  Reise  vgl. 
Stevenson  134—138  In  einem  Schreiben  Nicolaus  IV.  (10.  Nov.  1289)  wird  statt 
Otto  von  Granson  der  bekannte  Johann  de  Grailly  genannt  (Potthast  No.  23.110; 
Langlois  No.  8260). 

3)  Rymer  I  B,  714—715;  Potthast  No.  23.099;  Langlois  No.  1585. 

4)  Potthast  No.  23.157;  Langlois  No.  1906. 

5)  Potthast  No.  23.158;  Langlois  No.  1934. 

6)  Rymer  I  B,  732—733;  Potthast  No.  23.274.  Von  der  Zahlung  des  Zehnten 
waren  frei  die  Cistercienser  (Potthast  No.  20.905,  21.012),  die  Hospitaliter  (ibid. 
21.021),  Templer  (ibid.  20.942),  Deutschherren  (ibid.  20.946),  20.953),  Augustiner- 
nonnen (ibid.  20.948),  Fratres  de  Mercede  (ibid.  21.169).  die  Humiliaten  (ibid. 
22.476).  Der  Zehnte  sollte  vom  Johannisfeste  1275  an  6  Jahre  lang  gesammelt 
weiden  (ibid.  20.925),  über  dessen  Erhebung  genaue  Instructionen  gegeben 
wurden  (ibid.  20.947,  21.219,  22.332);  einzelnen  Kreuzfahrern  wie  Eduard  wurde 
ein  Theil  des  Zehnten  (ibid.  21.086),  auch  Erhard  von  Valery  (ibid.  21.079)  über- 
lassen; König  Karl  von  Sicilien  empfing  sogar  wie  Eduard  den  ganzen  Zehnten 
seines  Reiches  auf  6  Jahre  (ibid.  21.082,  21.873). 

7)  Potthast  No.  23  280 ;  dem  Briefe  ist  der  Tenor  zweier  Urkunden  einge- 
fügt, deren  Unterschrift  gefordert  und  am  24.  October  1290  auch  ausgefertigt 
worden  ist.  Die  Gesandten  des  Königs,  denen  diese  Antwort  mitgegeben  wurde, 
sind  Gaufried  de  Genville,  Mag.  Wilhelm  de  Grenofend  und  Thomasius  de  Lag- 
gore (Rymer  I  B,  746;  vgl.  726). 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  43 

Befehle  des  päpstlichen  Stuhles  befolgen  wolle  *) ;  dasselbe  wiederholte 
er  (24.  October  1290)  von  neuem  unter  ausdrücklicher  Beziehung  auf 
die  bereits  3.  Febr.  1289  seinerseits  gegebenen  Versprechungen  a)  und 
schickte  die  Urkunde  durch  Magister  Wilhelm  von  Montfort,  Decan 
der  St.  Pauluskirche  in  London,  den  Dominikaner  Kobert  de  Novo 
Mercato  und  den  Minoriten  Johann  von  Beckingham  an  den  Papst 3). 
Dieser  resumirt  (18.  März)  noch  einmal  den  wesentlichen  Inhalt  der 
getroffenen  Bestimmungen4),  lobt  den  Eifer  Eduards,  der  zuerst  aus 
der  Hand  des  Erzbischofs  von  Rieux  5),  dann  von  Canterbury  das  Kreuz 
genommen  habe,  und  beantwortet  seine  Frage,  ob  er  desshalb,  weil 
diese  Prälaten  officiell  noch  nicht  Kreuzprediger  gewesen  seien,  einen 
Fehler  begangen  habe,  dahin,  dass  das  von  ihm  und  seinen  Begleitern 
vor  jenen  Prälaten  abgelegte  Gelübde  legal  und  verbindlich  sei.  Zu- 
gleich (18.  März)6)  bewilligte  er  die  Bitte  des  Königs,  den  Kirchen- 
zehnten, statt  in  zwei  Raten,  lieber  ganz  und  zwar  23.  Juni  1291 
zu  empfangen,  zwar  nicht,  wohl  aber  die  Hälfte  des  ausserhalb  Eng- 
lands gesammelten  Geldes  und  schickte  ihm  100.000  Mark  Sterling 
durch  Kaufleute  aus  Lucca  7),  indem  er  zugleich  die  päpstlichen  8)  und 


i)  Rymer  I  B,  741. 

2)  Rymer  I  B,  746—747.  Zur  Erläuterung  des  in  diesen  Zusammenhang 
nicht  gehörigen  Schreibens  (Rymer  I  B,  745;  Potthast  23.583)  vom  28.  Febr.  vgl. 
Chronic,  di  Milano  in  Miscellan.  della  storia  Italiana,  Torino  1869,  VIII,  7!)  80; 
Chron.  abb.  Parmens.  336;  Schiavinna,  Annales  Alexandrini  ed.  Ponzilionus  f, 
538,  542. 

3)  Dies  geht  hervor  aus  dem  Schreiben  Nicolaus  IV.  vom  "16.  März  121)1 
(Rymer  I  B,  746—747;  Potthast  No.  23.604;  Langlois  No.  6664—6665, 

•»)  Rymer  I  B,  748;  Potthast  No.  23.607;  Langlois  No.  6667. 

5)  Nach  Trivetus  314  und  Walsingham,  Ypodigma  Neust riae  178  nahm 
Eduard  1288  das  Kreuz  zu  Blanquefort  bei  Bordeaux,  nach  den  Annal.  de  Waver- 
leia  404  schon  1287  in  Bordeaux  in  Folge  eines  in  schwerer  Krankheit  abge- 
legten Gelübdes  (»legato  curiae  Romanae  ad  hoc  specialiter  a  latere  domini  papae 
destinato«).  Ueber  den  Bruder  Eduards  Edmund  und  sein  Kreuzgelübde  vgl.  Pott- 
hast No.  21.967,  23.122  (Langlois  No.  1710),  und  Rymer  I  B.  537. 

fi)  Rymer  l  B,  750;  Palgrave,  Kalend.  and  invent.,  London  1836  1,  98, 
§  lil  ;  Potthast  No.  23.610;  Langlois  No.  6668—6669. 

7)  ,De  societate  Riccardi«:  Labrus  Vulpelli,  Riccardus  Guidicionis,  Rkcardus 
Gottoli,  Tliomasius  Guidicionis. 

*)  Wilhelm  von  Montfort,  Radulf  von  Baudak  und  Gaufried  de  Vedano.  Letz- 
terer, seit  1274  (Jolleetor  nach  dem  Tode  seines  Vorgängers  Bayamund,  wird  durch 
Eduard  16.  Sept.  1291  den  Bischöfen  von  S.  Andrew  und  Glasgow  empfohlen 
(Rotuli  Scotiae  I,  8;  vgl.  sonst  über  dessen  Taxationen:  Goncilia  Scotiae,  Edin- 
burgh 1866,  LXV  LXXl).  Andere  Briefe  des  Königs  betreffend  die  Erhebung  des 
Zehnten  siehe  in  Rot.  Scotiae,  London  1814,  I,  3,  4  (12.  und  13.  Aug.  1290),  7.  8 
(6.  und   16.  Juni   1291). 


44  Röhricht. 

bischöflichen  Collectoren  *)  davon  benachrichtigte.  In  dem  letzten 
Schreiben,  welches  Nicolaus  IV.  (12.  Febr.  1292)  an  Eduard  nach  dem 
Falle  Accons  richtete  2),  erklärt  er,  dass,  so  viel  angehe,  er  ihm  den 
Zehnten  derjenigen  Länder  bewilligen  wolle,  deren  Herren  nicht  das 
Kreuz  genommen  hätten,  doch  sei  weder  aus  Frankreich  noch  aus 
Castilien,  deren  Könige  selbst  den  Zehnten  ihrer  Länder  bereits  zu- 
gewilligt erhalten  hätten,  etwas,  aus  Deutschland  und  den  nördlichen 
Reichen  Europas  nur  wenig  eingegangen,  ausserdem  habe  er  selbst 
auf  die  Ausrüstung  von  Galeeren  und  Mannschaften  grosse  Summen  ver- 
wendet. Die  Bitte  wegen  Auszahlung  des  restirenden  Zehnten  am 
23.  Juni  1292  erfüllt  er,  hingegen  nicht  die  wegen  Ueberlassung  der  auf 
100.000  Turoneser  Pfund  taxirten  Zehnten  der  Cistercienser.  Zum 
Schluss  erklärt  er,  dass  er  vor  einer  neuen  Aufforderung  zu  der  Kreuz- 
fahrt, erst  Ort  und  Zeit  wissen  müsse,  wo  und  wann  die  Pilger  sich 
sammeln  sollten ,  nimmt  ihn  und  alle  Mitglieder  in  seinen  Schutz- 
droht ihm  aber,  dass,  wenn  er -seine  Versprechungen  nicht  pünktlich 
erfüllen  werde ,  die  Kirche  ihu  nicht  schonen ,  sondern"  sehr 
streng  gegen  ihn' vorgehen  wolle.  Wie  wir  wissen,  sind  diese  Ver, 
Handlungen  Jahre  lang  weiter  gegangen  und  völlig  nutzlos  geblie- 
ben,r  ohne  dass  der  Bann  den  König  getroffen  hätte 3).  Allge- 
mein aber  ist  in  den  englischen  Geschichtsquellen  jener  Zeit  die 
Klage,    dass  niemals  eine  schwerere  Besteuerung 4)  das  Land  getroffen 


')  Potthast  No.  23.611-23.615;  Langloiß  No.  6670-6679,  6693—6695. 
Aehnliche  Anordnungen  (29.  März)  siehe  hei  Potthast  No.  23.631  —  23.633;  Lang- 
lois  No.  6684—6692,  auch  vom  1.  und  22.  April  bei  Potthast  No.  23.635:  Lang- 
lois  6696-6701. 

2)  Rvmer  I  B.  743-744;  Potthast  No.  23.921;  23.922:  Langlois  No.  6858 
bis  6859.  Als  königliche  Gesandte  werden  genannt  Johannes  de  S.  Johanne  und 
Roger  Lestrange. 

3)  Interessant  (aber  aus  ungarischen  Quellen  nicht  zu  bestätigen)  ist  die 
Antwort  Eduards  I.  (23.  Juni  1292)  auf  ein  Schreiben  des  Königs  Andreas  III. 
von  Ungarn,  (welcher  diesen  durch  Paganellus  de  Vicopisano  ihn  aufgefordert  hatte, 
seinen  Weg  durch  Ungarn  zu  nehmen),  dass  er  seiner  freundlichen  Aufforderun. 
nicht  folgen  könne,  aber  die  angebotene  Hilfe  von  1000  Rittern  und  Bogenschützen 
auf  ein  Jahr  für  seinen  Kreuzzug  gern  annehme  (Rymer  I  B,  760). 

4)  Annales  Waverleienses  410 ;  Joh.  de  Oxenedes  284;  Annales  de  Dunstapg 
lia  367;  Chronic,  de  Lanercost  144;  Annal.  de  Oseneia  331—333;  Annal.  Londin- 
I,  99;  Annal.  Wigorn.  506—509;  Walter  von  Hemmingburgh  II,  25;  Thomas  de 
Bnrton240;  Bartholomaeus  Cotton  183,  198—199.  Sehr  gründlichen  Bericht  über 
die  damaligen  Erhebungen  enthält :  Taxatio  ecclesiastica  Walliae  auctore  Nicolai  IV. 
papa  a.  1292,  London  1802.  fol. ;  vgl.  Dugdale,  Monas!  Anglic.  III,  476—477: 
The  priory  of  Coldingham  (Surtee  Society)  1841,  CvTI— CXVII;  Archaeologia 
Cambrensis  1889,    106  —  108,    357—358    (The  taxation  Norwich)   und    viele  Briefe 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  45 

habe,  zumal  die  Collectoreu  mit  rücksichtsloser  Strenge  aufgetreten 
seien  1). 

Diesen  Unterhandlungen  mit  der  Curie  gingen  die  mit  den  mongo- 
lischen Fürsten  parallel2),  ebenso  der  Briefwechsel  mit  König  Haython  von 
Armenien 3),  dessen  Boten  auch  zum  König  Philipp  IV.  von  Frank- 
reich 4)  gingen,  um  ihn  zu  einer  schleunigen  und  persönlichen  Unter- 
stützung der  Interessen  des  heiligen  Landes  zu  bewegen. 

König  Philipp  III.  hatte  bekanntlich  am  Kreuzzuge  Louis'  IX. 
gegen  Tunis  Theil  genommen  und  am  25.  November  1270  gleich  nach 
der  Landung  in  Trapani  und  vor  Antritt  seines  Heimweges  mit  König- 
Karl  von  Sicilien  die  Ausführung  eines  zweiten  Kreuzzuges  auf  drei 
Jahre    verschoben5).     Seit    1272    war    zu  dessen  Betreibung   der  Erz- 


in James  Raine,    Historical   papers    and  lettres  froni  the  northern   registie,  Lon- 
don 1873. 

')  Als  Collectoreu  werden  besonders  genannt :  Bischof  Bernhard  von  Tripolis 
(Potthast  No.  23.812;  Bartholom.  Cotton  225  —  226);  die  Bischöfe  Johannes  von 
Winchester  und  Oliver  von  Lincoln  (Annal.  de  Dunstaplia  367 ;  Johannes  de 
Schalby,  Yitae  episcop.  Lincoln  in  Giraldus.  Opera  VI,  app.  E,  209j,  ferner  der 
Abt  Roger  von  Oseny  (Annal.  de  Dunstaplia  372  ;  Annal  de  Oseneia  332)  und 
Prior  von  St.  Catharina  in  Lincoln  (Annal.  de  Oseneia  332—333). 

2)  RH.  No.  1380,  1401,  1409,  1421,  1497.  1506,  1515,  1516.  Eduard  hatte 
am  26.  Jan.  1275  auf  eine  Gesandtschaft  Abaghas  über  den  Termin  seiner  Kreuz- 
fahrt unbestimmt  geantwortet  (Rymer  I  B,  520),  dann  wahrscheinlich  mit  Alfonso 
von  Castilien  (1278)  weiter  verhandelt  (ibid.  564),  und  hatte  (5.  Octob.  1280) 
Nachricht  bekommen,  dass  mongolische  Gesandte  in  Accon  gewesen  seien  und 
Hilfe  versprochen  hätten  (ibid.  587);  vgl.  Röhricht  in  Archives  I,  623,  638,  650 
bis  651,  in  Mittheil.  d.  österr.  Instituts  XI,  373.  Sehr  wichtig  ist  die  Syrische- 
Histoire  de  Mar  Jab  Allaha  et  de  Raban  Sauma.  Paris  18S8;  vgl.  Nöldeke  im 
Lit.  Centralblatt  1889,  843.  Im  Allgemeinen  handeln  über  die  Beziehungen 
christlicher  Fürsten  zu  den  Mongolen  auch  Recueil  de  voyages,  Paris  1840,  IV, 
457  ff. ;  Abel  Remusat  in  Mein,  de  1'  acad.  d.  insccript.  VII.  und  VIII. ;  Druruann, 
Bonifaz  VIII,  1,  231  252;  Gieseler.  Kirchengesch.  II,  660—663;  Zarncke,  Der  Pres- 
byter Johannes  07  ff.  Ueber  den  Unterschied  zwischen  muslimischer  und  mon- 
golischer Herrschaft  vgl.  Ibn.  Ferat  bei  Reinaud  412.  Bündnisse  mit  den  Mon- 
golen galten  als  durch  Jesaias  40,  1—6,  empohlen  (Chron.  Sicul.  bei  Breholles, 
Hist.  diplom.  I,  902—903);  eine  Weissagung  auf  christliche  Siege  mit  Hülfe  der 
Mongolen  notirt  Rubruik  ed.  Paris.  386. 

3)  RH.  No.  1514  (vgl.  1511,  1512);  Briefe  der  Johanniter  an  Eduard  ibid. 
No.  1442,  1445,  1446,  1448,  1470.  der  S.  Thomas-Ritter  No.  1432,  des  Bischofs 
von  Hebron  No.  1436;  vgl.  No.  1497,  1506,  1510. 

«)  RH.  No.  1519.  Unter  demselben  Datum  (23.  Jan.  1292)  ruit  Nicolaus  IV. 
auch  alle  Christen  (Potthast  No.  23.899;  Langlois  No.  6850—6851)  und  die  Meister 
der  beiden  Hauptorden   zum  Schutze  Armeniens  auf  (Lnnglois   No.  6854  —  6856), 

5)  Röhricht  in  Archives  I,  621. 


46  Röhricht. 

bischof  von  Corinth  als  Legat  thätig  *),  doch  bat  Gregor  X.  den  König 
vorläufig  die  Erfüllung  seines  Kreuzzgelübdes  zu  verschieben,  bis  die 
Eüstungen  wirklich  vollendet  seien  l) ;  um  jedoch  seinen  Eifer  zu  zeigen, 
schickte  Philipp  einige  Schaaren  französischer  Hilfstruppen  nach  Accon2) 
und  streckte  25-000  Mark  zur  Ausrüstung  von  Schiffen  vor 3).  Die 
Kreuzpredigt  dauerte  fort,  ebenso  die  Unterhandlungen,  welche  im 
Xamen  Gregors  X.  Magister  Gregor  und  Guillaume  de  Matiscon  lei- 
teten4). Am  31.  Juli  1274  bewilligte  er  dem  König  den  Zehnten 
seines  Landes,  auch  deutscher  Diöcesen  für  den  Kreuzzug  5),  für  dessen 
Zustandekommen  der  päpstliche  Legat  Cardinal  Simon  mit  Erfolg  thätig 
war 6),  zumal  Philipp  das  Kreuz,  welches  er  bereits  abgelegt  hatte, 
von  Neuem  genommen  hatte  7).  Der  nun  folgende  Krieg  zwischen  ihm 
und  Castilien  ward  (1278)  durch  die  Bemühungen  der  päpstlichen  Le- 
o-aten  den  Cardinal  Gerhard  und  den  erwählten  Patriarchen  Johannes 
von  Jerusalem8),  nicht  verhütet,  der  Krieg  gegen  Aragonien,  um  die 
sicilianische  Vesper  zu  rächen,  war  unglücklich,  und  Philipp  111.  starb 
am  5.  October  1285.  Um  den  Krieg  gegen  Aragonien  nachdrück- 
lich führen  zu  können,  bewilligte  Nicolaus  IV.  (31.  Mai  1289)  seinem 
Nachfolger  Philipp  IV.  den  ganzen  Kreuzzugszehnten  seines  Keiches 
auf   drei  Jahre9),    aber  dadurch   wurde   die   wirksame  Betreibung  des 


1 )  Potthast  No.  20.654 ;  als  Gesandter  Philipps  wird  der  sonst  aus  RH.  Xo  1388 
bekannte  Johannes  butticularius  de  Accon  genannt.  Ueber  die  frühere  Samm- 
lung von  Kreuzzugsgeldern  in  Frankreich  vgl.  Lippert  in  Mittheil.  d.  österr. 
Instituts  X,  663  ff'.,  in  Deutschland  ibid.  580—582. 

-j  Raynaldi  Annales  1273  §  18;  vgl.  Gottlob  109—111. 

3)  Posse,  Analecta  62,  Xo.  776  ivgl.  66,  No.  821).  Diese  Summe  ward  dem 
Erhard  von  Yalery,  Imbert  von  Beaujeu,  Connetable  von  Frankreich.  Theobald 
von  Chasteignier  und  Gerhard  von  Morbay  übergeben  (Potthast  Xo  20.978 ;  ibid. 
21.079  wird  bestätigt,  dass  der  genannte  Erhard  2000  Mark  Sterling  vom  Zehnten 
Navarras  erhielt). 

->i  Potthast  Xo.  20.754  f. 

5)  Potthast  Xo.  20.875.  Die  deutschen  Prälaten  beschwerten  sich  darüber 
umsonst,  und  die  Briefe  Nicolaua  III.  (23.  Jan.  1278)  und  Xicolaus  IT.  (31.  Mai 
1289,  vgl.  Kaltenbrunner  I,  Xo.  107,  349;  Langlois  Xo.  991—1003)  nahmen  keine 
Rücksicht  darauf;  vgl.  auch  die  Bullen  13.  Juni  1290  (Langlois  Xo.  2741  2742). 
3.  Juli  1290  (Xo.  4312),  22.  Xov.  1290  (Xo.  3863,  3866). 

6)  Potthast  Xo.  20.884,  20.940;  vgl.  Posse  65,  Xo.  808—812.  Xach  Ab- 
gange Simons  bewilligten  Xicolaus  III.  (31.  März  1280)  und  Martin  IV.  (19.  Mai 
1282)  den  weiteren  Genuss  des  Zehnten,  ebenso  5.  Mai  1284  (Kaltenbrunner 
Xo.  225,  238,  262 ;  vgl.  Taxatio  seu  valor  decimae  triennii  pro  Aragonia  in 
Bouquet  XXL.  546 j  Heller,  Deutschland  und  Frankreich  134—139), 

'•)  Potthast  Xo.  20.883. 

B)  Posse  75,  Xo.  914;  76,  Xo.  916:  Potthast  Xo.  21.389,  21.490;  vgl.  21.683. 

■->)  Potthast  Xo.  22.971;    Langlois  Xo.  3261—3264;    vgl.  22.996.     tu  Bezug 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  47 

Kreuzzuges  nach  Syrien  wieder  unmöglich,  zu  dem  ihn  eben  ein 
Schreiben  des  Mongolenchan  Argon  (c.  Mai  1289)  aufforderte *).  In 
der  dringendsten  Weise  bat  Nicolaus  den  König  (5.  Dec.  1290)  um 
Hülfe,  indem  er  seine  Besorgniss  bekämpfte,  als  ob  er  durch  die  Ver- 
pflichtung der  Unterstützung  nicht  nur  die  Gefahren,  sondern  eventuell 
die  Schuld  eines  Verlustes  des  heiligen  Landes  mitübernehme  2),  drohte 
ihm  aber  auch  (9.  und  16.  Dec.  1290),  dass,  wenn  er  den  Schutz  des 
heiligen  Landes  nicht  übernehmen  wolle,  er  auch  die  schon  seinem 
Vater  bewilligten  Zehntengelder  an  die  päpstlichen  Bevollmächtigte^ 
den  Bischof  Gerhard  von  Sabina  und  Cardinaldiacon  Benedicct  von 
St.  Nicolaus  in  carcere  Tulliano,  herauszuzahlen  haben  werde  3).  Nach 
dem  Falle  Accons  wiederholte  Nicolaus  IV.  (23.  Aug.  1291)  seine  Bitte 
um  schleunige  Hülfe  4)  und  forderte  ihn  zur  Unterstützung  des  Königs 
Karl  II  gegen  die  Aragonesen  auf,  da  dieser  als  Herr  von  Sicilien  dem 
heiligen  Lande  die  leichteste  Hülfe  zu  bringen  vermöge  5),  doch  schlug 
er  ihm  die  Bewilligung  des  Zehnten  (13.  Dez.  1291)  gegen  König 
Jacob  auf  6  Jahre  glatt  ab  6),  da  auf  diese  Weise  die  Wiedereroberung 
des  heiligen  Landes  unmöglich  werde. 

Noch  hoffnungsloser  für  einen  Kreuzzug  lagen  die  Verhältnisse 
in  Deutschland.  Hier  war  zwar  durch  die  Wahl  des  Grafen  Rudolf 
von  Habsburg  „die  kaiserlose,  die  schreckliche  Zeitu  vorüber,  aber 
die  Gegnerschaft  des  Königs  Ottokar  IL  von  Böhmen  liess  ihn  in  den 
den  ersten  Jahren  seiner  Regierung  nicht  zur  Ruhe  kommen.  Um  die 
Freundschaft  des  Papstes  Gregor  X.,  welcher  die  Zustände  des  heiligen 
Landes  aus  eigener  Erfahrung  kannte  und  für  dessen  Befreiung  eifrig 
bemüht  war,    zu  gewinnen,    liess  Rudolf   schon   Ende  December  1273 

auf  die  vergeblichen  Verhandlungen  zwischen  den  Königen  von  Sicilien  und  Ara- 
gonien  vgl.  Potthast  No.  23.226;  Amari,  Storia.  del  Vespro  Siciliano  1,  422  f. 

')  RH.  No.  1485;  auch  d.  armen.  Historiker  Tschamtschean  (Petennann, 
Beitr.  173)  erwähnt  dieses  Schreiben. 

-')  Potthast  No.  23.484;  Langlois  No.  4409—4410. 

3j  Potthast  No.  23.499  f. ;  Langlois  No.  4411—4414;  dasselbe  hatte  übrigens 
Nicolaus  IV.  schon  (24.  April  12110)  dem  Könige  in  Aussicht  gestellt  (Potthast 
No.  23.246;  Langlois  No.  4300—4302).  Ein  Schreiben  Philipps  (30.  Juli  J2H0I 
an  die  Collectoren  der  Diöcese  Rheims,  worin  er  bittet,  von  den  Zehnten  5000 
Pfund  an  die  Erben  des  verstorbenen  Bischofs  Raynald  von  Beauvais  zu  zahlen, 
siehe  bei  Martene,  Thesaus.  I,  1232—1233;  vgl,  1174-1175;  Bist.  litt,  de  France 
XIX,  814;  Delettre,  Hist,  du  diocese  de  Beauvais  1843,  II,  349     350. 

*)  Potthast  No.  23.794;  Langlois  No.  0771»  f. 

e)  Potthast  No.  23.842,  23.845;  Langlois  No.  0837. 

")  Potthast  No.  23.874;  vgl.  Gottlob,  IM)'  — 133.  Dass  Philipp  niemals  ernste 
Neigung  zu  einem  Kreuzznge  hatte,  beweist  C.  Wenck,  Clemens  V  und  Heinrich  VII. 
51—58. 


48  R  ö'h  rieh  t. 

durch  den  Propst  Otto  von  Speier  seine  Absicht  eines  Kreuzzuges  aus- 
sprechen und  am  24.  Februar  1274  durch  den  Franziskaner  Conrad 
zum  zweiten  Male  kundgeben  l);  am  6.  Juni  1274  musste  sein  Gesandter 
in  Lyon  ausser  der  Bestätigung  mehrerer  vom  Papste  gewünschter 
Privilegien  die  feierliche  Zusage  eines  Kreuzzuges  in  seinem  Namen 
geben,  worauf  am  26.  September  1274  die  päpstliche  Anerkennung 
.Rudolfs  erfolgte  2),  nachdem  der  König  Alfons  von  Castilien  bewogen 
worden  war,  auf  den  deutschen  Thron  zu  verzichten  3).  Endlich  nahm 
Kudolf  am  18.  October  1275  aus  den  Händen  des  Papstes  mit  vielen 
Edlen  Deutschlads  zu  Lausanne  das  Kreuz 4). 

Inzwischen    hatte    auch  Ottokar    sich   um    die  Gunst  des  Papstes 
bemüht  und  Mitte  1274  erklären  lassen,  dass  er  nach  vier  Jahren,  die 


>)  Vgl.  Kopp,  Gesch.  d,  eidgenöss.  Bünde  I,  67—130,  205  ff.;  Plischke, 
Das  Rechtsverfahren  Rudolfs  von  Habsburg  gegen  Ottokar  von  Böhmen,  Bonn 
1885  (Inaug.  Diss.),  besonders  aber  Wertsch,  Die  Beziehungen  Rudolfs  von  Habs- 
burg zur  röm.  Curie,  Bochum  1880  (Göttinger  Inaug.  Dissert.),  Zisterer,  Gregor  X. 
und  Rudolf  v.  Habsburg,  Freiburg  1891,  Redlich  in  Mitth.  d.  österr.  Inst.  X. 
341 — 418  und  von  Zeissberg  im  Arch.  für  österr.  Geschichtsq.  LXIX,  1 — 51. 

2)  Potthast  No.  20.929,  20.930 ;  vgl.  20.809,  2057 ;  0.  Lorenz.  Deutsche  Ge- 
schichte II,  45. 

3)  Potthast  No.  20.846;  Kaltenbrunner,  Actenstücke  I,  No.  48  und  49.  Am 
28.  Juli  1275  concedirte  Gregor  dem  König  den  Zehnten  seines  Reiches  auf  sechs 
Jahre  zum  Kampfe  gegen  die  Mauren;  vgl.  Potthast  No.  21083.  Dieselbe  Con- 
cession  für  König  Karl  von  Sicilien  als  Kreuzfahrer  (13.  October  1275)  ibid. 
No.  21.982. 

4)  Job.  Victoriens.  in  Böhmer,  Fontes  I,  307 :  Chron.  Sampetrin.  108 ;  Chron. 
Salimbene  267 ;  Thomas  Tuscus  in  Mon.  Germ.  SS.  XXII.  529 ;  Mart.  Chron.  ibid. 
XX,  442;  Annal.  Basil.  ibid.  XVII,  198;  Dandulus  385;  Ptolom.  Lucc,  Histor. 
eccles.  XXIII,  c.  3;  Raynaldi  Annales  1275  §9;  Marinus  Sanutus,  Gesta  Dei  225. 
»Seinem  Beispiele  folgten  die  Königin  Anna  und  gegen  fünfhundert  Geistliche 
und  Edle;  zu  den  letzteren  gehören  sicher  wohl  die  Zeugen  der  grossen  Urkunde 
(Mon  Germ.  Leg.  II,  403—40*)  vom  20.  October:  Der  Landgraf  Ludwig  IL  vom 
Rhein  (Riezler,  Bayr.  Gesch.  II,  143),  die  Herzöge  Friedrich  (vgl.  Potthast  No.  20.857, 
21.104)  und  Conrad  von  Lothringen  und  Teck,  der  Burggraf  Friedrich  von  Nürn- 
berg, die  Grafen  Albert  und  Burchard  von  Hochberg,  Emicho  und  Friedrich  von 
Leinigen,  Eberhard  von  Katzenellenbogen,  Siegbert  von  Werd,  Theobald  von 
Pürt,  Heinrich  von  Freiberg,  Ludwig  von  Homberg,  Eberhard  von  Habsburg, 
Mangold  von  Neuenbürg  und  Hermann  von  Sulz  (vgl.  Kopp  I,  120) :  nach  den 
Annal.  Rudb.  in  Mon.  Germ.  SS.  IX,  803  waren  1278  im  Heere  Rudolfs  I.  wem'g 
Ritter,  die  nicht  das  Kreuz  tragen;  vgl.  auch  Lorenz  II,  58—60).  Der  Papst 
(»qui  cum  eisdem  [den  Königen  von  Deutschland,  Frankreich  und  England]  Terrain 
Sanctam  intendebat  visitare  et  ibi  vitam  fniire«  nach  Raynaldi  Annal.  1275,  §  42 ; 
1275,  §  1),  bestimmte  als  Termin  für  den  Antritt  der  Fahrt  2  (Monate  oder  Jahre  ?) 
nach  künftiger  Lichtmess  (Annal.  Colmar.  in  Mon.  Germ.  SS.  XVII,  198 ;  Kopp  1, 
126  will  für  das  ausgefallene  Wort:  Monate  lesen).  Sonst  vgl.  über  die  Ab- 
machungen in  Lausanne  ibid.  I,   126  ff.,  und  Potthast  Reg.:    6—19.  Octob.  1275. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  49 

er  zu  Rüstungen  nöthig  habe,  persönlich  einen  Kreuzzug  unternehmen 
wolle,  und  gebeten,  ihm  die  Zehntengelder  seines  Reiches  für  diesen 
Zweck  zu  gewähren,  über  seinen  Streit  mit  Rudolf  aber  erst  nach 
seiner  Rückkehr  aus  dem  heiligen  Lande  zu  entscheiden  l).  Gregor  X. 
lobte  natürlich  den  Eifer  des  Königs  (26.  Septembter  1274),  lehnte  aber 
indirect  die  gewünschte  Entscheidung  ab,  indem  er  sie  dem  Bischof 
Bruno  von  Olniütz  übertrug,  dessem  Spruche  Rudolf  sich  aber  nicht 
unterwarf2).  In  Folge  der  Beschlüsse  des  Nürnberger  Reichstages 
(19.  Nov.  1274)  oppouirte  Ottokar,  klagte,  dass  Rudolf  ihn  trotz  des 
auf  dem  Concil  zu  Lyon  geforderten  Friedens  aller  christlichen  Herr- 
scher bekriegen  und  damit  die  Ausführung  seines  Kreuzgelübdes  un- 
möglich machen  wolle  (9.  März  1275)  3).  Der  Papst  antwortete  (2.  Mai 
1275),  dass  er  als  Kreuzfahrer  die  Zehntengelder  seines  Reiches  er- 
halten, aber  zur  Beilegung  seines  Streites  mit  Rudolf  Boten  senden 
solle4).  Da  nun  der  Bruch  entschieden  war,  so  verbot  Ottokar  die 
Ausführung  der  erhobenen  Zehntengelder5);  am  24.  Juni  1276  ward 
über  ihn  die  Reichsacht  ausgesprochen  und  am  26.  August  1278  fiel 
er  bei  Dürnkrut  auf  dem  Marchfelde.  So  war  Rudolf  unbestrittener 
Herrscher  von  Deutschland,  aber  sein  Kreuzgelübde  hat  er  nicht  ein- 
zulösen vermocht 6) ;  er  ist  auch  nicht  dazu  getrieben  worden. 

Die  Christen,  welche  aus  den  Litoralstädteu  Syriens,  nach  Cypern 


')  Emier  No.  892 ;  Raynaldi  Annal.  1273  §  37,  Biermann,  Ottokar  II.  Stel- 
lung zur  röm.  Curie,  Teschen  1857  (Progr.);  Wertsch  11;  v.  Zeissberg  23—24: 
Ulanowski  in  Mitth.  d.  österr.  Inst.  VI,  421—440. 

2)  v.  Zeissberg  26. 

s)  Emier  No.  946,  947;  v.  Zeissberg  36—39.  In  diese  Zeit  wird  wohl  die 
Gesandtschaft  Ottokars  an  den  Sultan  Bibars  zu  setzen  sein  (RH.  No.  1407). 

4)  Emier  No.  958 ;  v.  Zeissberg  39. 

6)  Raynaldi  Annal.  1247  §  7 ;  dasselbe  thaten  später  König  Erich  II.  v.  Nor- 
wegen und  König  Philipp  von  Frankreich  (ibid.  1286  §  34  und  Drumann,  Bonifaz  I, 
173  f.).  Florentiner  Kaufleute,  welche  den  Zehnten  aus  Scandinavien  holen  sollten, 
wurden  in  Flandern  auf  der  Rückreise  geplündert  und  getödtet  (Potthast  No.  22.255, 
22.311—22.316,  22.321,  23.352);  sonst  vgl.  Riant,  Expedit,  sacrees  391—392  über 
die  Sammlungen  in  Scandinavien. 

6)  Am  18.  März  1277  versprach  Rudolf  dem  Dogen  von  Venedig,  bald 
seinen  Zug  antreten  zu  wollen  (Zeitschr.  für  Gesch.  d.  Oberrheins  1854,  V,  15 — 16; 
Mon.  Germ.  Leges  II,  412—413).  Ein  Bittgesuch  des  Patriarchen  Thomas  (c.  1276) 
siehe  in  RH.  No.  1410,  von  Johann  XXI.  (3.  Febr.  1277)  bei  Potthast  No.  21.221. 
Ueber  die  Sendung  des  Burchardus  de  Monte  Sion  nach  Cairo  vgl.  oben  Note  1 
Seite  6  und  im  Allgemeinen  Lorenz  II,  315—316.  Eine  Bulle  Gregor  X,  worin 
wie  am  18.  Mai  1274  (Rymer  I  B,  139)  dem  König  Eduard,  hier  Rudolf  das  Ver- 
bot der  Turniere  einschärft  wegen  des  bevorstehenden  Kreuzzuges,  siehe  bei 
Kaltenbrunner  I,  No.  97, 

Mittheilungeu  XV.  4 


5Q  Röhricht. 

geflohen  waren  und  durch  eine  Theurung,  welche  die  Insel  heimsuchte, 
schwer  litten1),  verbrachten  die  letzten  Monate  des  Jahres  1291  und 
die  ersten  des  folgenden  in  Angst;  denn  im  Mai  1292,  so  glaubte  man 
allgemein,  sollte  der  Sultan  auch  Cypern  zu  erobern  beabsichtigen  2),  aber 
sein  nächstes  Ziel  war  die  armenische  Hauptfestung  Hromgla  am  oberen 
Euphrat,  die  er  am  28.  Juni  1292  eroberte3).  Er  konnte  jedoch  die 
Früchte  seiner  vielen  Siege  nicht  lange  geniessen;  am  12.  December 
1293  ward  er  auf  der  Jagd  ermordet4). 

Inzwischen  hatte  Nicolaus  IV.  in  Ancona  zehn  Schiffe  ausrüsten 
und  nach  Cypern  abgehen  lassen,  denen  von  Genua  zehn  nachfolgten 
und  König  Heinrich  IL  fünfzehn  andere  hinzufügte.  Diese  Flottille 
unternahm  einen  Streifzug  gegen  Candelor  (Alaja),  musste  sich  aber 
mit  der  Zerstörung  eines  Thurmes  begnügen  und,  ohne  die  Stadt  er- 
obert zu  haben,  zurückkehren 5).  Unter  Cölestin  V.  (1294)  wurden 
Flottenrüstungen  vorgenommen  6),  Bonifaz  VIII.  meldete  am  26.  October 
1298  dem  Könige  von  Armenien,  dass  die  Könige  von  England  und 
Frankreich  bald  ihre  Kreuzfahrt  antreten  würden  7),  und  Eduard  (1300), 
dass  die  Mongolen,  Georgier  und  Armenier  auf  seine  Ankunft  bereits 
warteten,  um  mit  ihm  gegen  die  Muslimen  zu  kriegen 8).  König 
Karl  II.  von  Sicilien  9),  wie  der  Herzog  Johannes  von  der  Bretagne  l0), 
hatten  das  Kreuz  genommen,  ebenso  in  Genua  viele  vornehme  Frauen 
(1301),  die  mit  Benedetto  Zaccaria,  Lanfranc  Tartarus,  Jacobus  Pome- 


i)  Gestes  259  (ibid.  259—260  die  Matrikel  des  Königreichs  Jerusalem; 
vgl.  ßiblioth.  geogr.  Palaest.  No.  67).  Im  Jahre  1295  (18.  Febr.)  urkundet  König 
Karl  II.  von  Sicilien  für  die  auf  Cypern  nothleidenden  Templer  (Riccio,  Saggio 
di  codice  diplom.,  suppl.  88—89,  No.  83). 

2)  Gestes  259;  Thaddaeus  43;  Bartholomaeus  de  Neocastro  1184. 

3)  St.  Martin,  Mein,  sur  1' Armenie  I,  398;  Rec-  armen.  I,  542—543,  654 
bis  655;  Carriere,  Melanges  Orient.  1883,  167—213;  Weil  IV,  183.  Auszüge  aus 
dem  Schreiben  des  Sultans,  worin  er  die  Eroberung  meldete,  giebt  aus  einem 
Münchner  arabischen  Codex  Weil  184. 

4)  Weil  TV,  188. 

5)  Gestes  261 ;  Sanutus  232  ;  Jacobus  Auriae  in  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  342 ; 
vgl.  Heyd  II,  28—29. 

e)  Potthast  No.  23.997. 

7)  Potthast  No.  24.745;  vgl.  Annal.  Wigorn.  518—519;  Walter  von  Hemming- 
burgh  II,  217  und  die  Nachweise  bei  Röhricht  in  Archives  I,  651,  Note.  Briefe 
Eduards  II,  (1307)  an  den  König  von  Armenien  und  Georgien  vgl.  in  Purchas, 
Pilgrim.  II,  1273. 

8)  Potthast  No.  24.937 ;  vgl.  24.976  f.  König  Philipp  ward  zugleich  an  die 
Erfüllung  seines  Kreuzgelübdes  gemahnt  (Potthast  No.  24.469,  25.097 ;  vgl.  Guill. 
de  Nangiaco,  Cont.  605). 

e)  Potthast  Nr.  24.992.         10)  Potthast  No.  24.975. 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  51 

lius  und  Johannes  Blancus  absegeln  wollten  *),  aber  alle  diese  Ver- 
sprechungen und  Küstungen  waren  vergeblich;  eine  Landung,  welche 
die  Templer  auf  Wunsch  des  Mongolenchans  Gazan  auf  der  Tortosa 
vorliegenden  Insel  (1302)  unteruahnien,  endigte  mit  der  Gefangenschaft 
oder  dem  Untergange  der  Christen  2).  Neue  Hoffnungen  auf  den  Unter- 
gang des  Islams3),  auf  die  Hülfe  christlicher  Herrscher4)  und  Mon- 
golen 5)  wurden  zu  Schanden.  Im  Jahre  1309,  wo  König  Heinrich  VII. 
von  Deutschland  das  Kreuz  genommen  hatte,  um  1312  abzuziehen 6), 
liefen  gegen  40.000  Männer  und  Weiber  ohne  Kreuzpredigt  in  Eng- 
land, Holland,  Belgien,  in  der  Picardie  und  in  Schlesien  zusammen, 
erschlugen  auf  ihren  Wegen  nach  Avignon  überall  die  Juden  7),  wur- 
den aber  durch  den  Papst  aufgefordert,  sich  wieder  su  zerstreuen8). 
Im  Jahre  1313    schienen    die  Könige    von    England,    Frankreich    und 


»)  Potthast  No.  25.057  —  25.063  (trotzdem  Genuas  Handelsvertrag  mit 
Aegypten  (RH.  No.  1503)  noch  nicht  abgelaufen  war).  Nicolaus  IV.  hatte  23.  Aug. 
1291  das  alte  Handelsverbot  mit  Aegypten  erneuert  (doch  vgl.  Langlois  No.  4403, 
wo  indessen  nicht  1291,  sondern  1290  (21.  October)  zu  lesen  ist,  da  der  Patriarch 
längst  todt  war;  vgl.  Langlois  No.  6784—6788),  und  dasselbe  geschah  immer 
wieder  (Potthast  No.  24.814,  24.922,  25.233),  aber  ohne  Erfolg. 

2)  Röhricht  in  Archives  I,  648;  Gestes  305.  Ueber  die  Tapferkeit  und  den 
Glaubensmuth  der  hier  gefangenen  Templer  vgl.  Schottmüller  I,  607,  642;  II, 
160—161. 

3)  Der  1305  erfolgen  sollte  (Döllinger  in  v.  Raumer,  Hist.  Taschenbuch 
1871,  344). 

4)  Verhandlungen  mit  Eduard  von  England  wurden  1306  nach  dem  Concil 
von  Portiers  (Raynaldi  Annal.  1306  §  3,  11  ;  Chron.  Triveti  409)  gepflogen. 

5)  Raynaldi  Annales  1307  §  3—4.  Dem  Kreuzzugszwecke  sollte  besonders 
das  Buch  des  Haithon,  Historia  orientalis  dienen  (darüber  Biblioth.  geogr.  Palaest 
No.  178;  vgl.  Ernoul  561— 562),  welches  eben  im  Rec.  armen.  II,  113— 253  (franz.) 
253—363  (lateinisch)  neu  herausgegeben  ist. 

6)  Pöhlmann,  Der  Römerzug  Heinrich  VII.,  7—8;  Heidemann  in  Forsch, 
zur  deutsch.  Gesch.  XI,  50—59,  75—78.  In  demselben  Jahre  (wo  ein  Johanniter 
das  Geld  aus  dem  Opferstocke  der  Osnabrücker  Diöcese  vergiebt;  vgl.  Ennen 
u.  Eckertz.  Quellen  IV,  13)  erfolgten  Zehntenerhebungen  durch  den  Erzbischof 
von  Mainz  in  Deutschland  (Sudendorf,  Reg.  I,  126—132;  III.  67,  dann  in  Norwegen 
(Annal.  Islandici  198,  202 ;  vgl.  Riant,  Expedit,  sacrees  392—394),  1313  in  den 
Diöcesen  Mainz  und  Strassburg  (Urkundenb.  d.  Abtei  Eberbach  III  B,  612). 

')  Viele  Juden  waren,  weil  der  Messias  erschienen  sein  sollte,  1297  nach 
Palaestina  gezogen  (Annal.  Caesenat.  in  Muratori  SS.  XIV,  1115). 

8)  Cont.  Florian,  in  Mon.  Germ.  SS.  IX,  752;  Chron.  Elwac.  und  Gesta. 
abb.  Trudon.  cont.  III,  ibid.  X,  39,  412;  Annal.  Lub.  und  Gand.  ibid.  XVI,  421, 
596;  Annal.  T.  Prussiae  und  Colbaz.  ibid.  XIX,  692,  717;  Annal.  Tielens.,  Martini 
cont.  Brabant.  und  Annal.  S.  Blasii  Brunsvic.  ibid.  XXIV,  26,  262,  825;  Henne, 
Klingenberger  Chronik  60—61;  Aegidius  li  Muisis  ed.  deSmetl75;  Mecklenburg. 
Urkundenb.    No.    3279;    Stenzel,   Breve   chron.  Silesiae  (SS.   rerum  Siles.  I)   35; 

4' 


52  Röhricht. 

Navarra  Ernst  mit  ihrem  Kreuzgelübde  machen  zu  wollen  x),  und  (1316) 
in  Frankreich  predigte  der  Patriarch  von  Jerusalem  das  Kreuz 2),  so 
dass  Karl  der  Schöne  sich  zu  einer  Kreuzfahrt  rüstete  3),  während  zu- 
gleich Concilien  weiterberiethen 4) ,  christliche  Missionäre  5)  zu  den 
Muselmänner  gingen  und  Gutachten  in  Fülle  ausgearbeitet  wurden, 
wie  das  heilige  Land  wiedergewonnen  werden  könne 6).  Das  ganze 
vierzehnte  Jahrhundert 7)  bis  in  die  erste  Hälfte  des  folgenden,  wo  die 


Chron.  Guillelmi  Monachi  (in  Matthaeus,  Analecta  II)  577 ;  Bernard  Guidonis  ad 
1309;  Ptol.  Lucc.  (Baluze  I)  34.  Nach  St.  Genois,  Invent.  de  chartes  de  Flandre 
338,  No.  1186  waren  1308  aus  der  Umgegend  von  Brügge  3000  Menschen  zu  einer 
Pilgerfahrt  verurtheilt  worden  (vgl.  Vinchant,  Annales  de  Hainaut  III,  79—80). 
Solche  Pilgerzusammenläufe  erfolgten  auch  1320  (Chron.  Cadom.  bei  Bouquet, 
XXII,  26). 

•)  Raynaldi  Annal.  1312  §  22  ff. ;  1313  §  2;  Baluze,  Hist.  pap.  Avenion. 
II,  79,  176,  186;  Gnill.  de  Nangiaco  cont.  ad  1313. 

2)  d'Achery,  Spicil.  VIII,  276—277;  über  ihn  vgl.  Guill.  de  Nangiaco  593,  815. 

3)  Biblioth.  de  1' ecole  des  chartes  1859,  563  ff.;  1875,  588—600;  Soeiete 
de  T  histoire  de  France  1872,  Ann.  bullet  230—236,  246—255  und  (separat)  Boi- 
lisle,  Projet  de  croisade  du  premier  duc  de  Bourbon,  Paris  1873 ;  vgl.  Bullet,  de 
l'acad.  de  Bruxelles  1861  B,  123  ff.  Hieher  gehört  auch:  Vayssiere,  Fragment 
d'  un  compte  d1  Etienne  de  la  Baume  dit  le  Galois  relatif  ä  certaines  depenses 
faites  par  1'  ordre  du  roi  pour  la  preparation  d'  une  croisade  1335  (Comite  d.  tra- 
vaux  histor.,  section  d' hist.  et  de  pbilos.  Bulletin  1884,  No.  3,  4. 

«)  Vgl.  Hefele-Knöpfler  VI,  408,  528,  704,  709.  Ueber  die  Bemühungen 
der  Päpste,  die  Cultusstätten  in  Palaestina,  besonders  in  Jerusalem  zu  sichern,  vgl. 
die  Nachweise  bei  Röhricht.  Bibliotheca  geogr.  239,  No  948. 

s)  1308  Raymundus  Lullus  (Hist.  litt,  de  France  XXIX,  1—386;  Raynaldi 
Annales  1308  §  30  ff. ;  1309  §  22  f.),  Jordanus  de  Severaco  1330  (Rec.  de  voyages 
1839,  IV,  37—68),  1334  Johannes  de  Marignola  (Biblioth.  geogr.  Palaest.  No.  207 ; 
vielleicht  gehören  auch  die  ibid.  No.  199,  227  citirten  Schriften  hierher). 

6)  Pierre  Dubois,  De  recuperatione  Terrae  Sanctae  ed.  Ch.  V.  Langlois, 
Paris  1891  (Collect,  de  textes  pour  servir  ä  V  etude  et  ä  1'  enseignement  de  1'  hist. 
IX),  XXIV  und  144  pp.  8°  (1305—1307  geschrieben);  ein  Tractat  des  Benedetto 
Zaccaria  (1311)  ist  erwähnt  in  De  Mas  Latrie,  Hist.  de  1*  Sie  de  Cypre  II,  128 
bis  129  (vgl.  118—125);  sonst  siehe  auch  Bongars,  Gesta  II,  316—361  und  die 
unter  dem  Namen  Marinus  Sanutus  (1321)  und  Brocardus  (eben  neu  her- 
ausgegeben im  Rec.  armen.  II,  365—517;  ibid.  519 — 555  Guillelmus  Adam ;  über 
den  auch  Bibl.  de  1'  ecole  d.  chartes  1892 :  L'  officium  Robaire)  in  Bibl.  geogr. 
Palaest.  No.  179  und  183  nachgewiesenen  Schriften  (vgl.  für  das  XVI.  Jahrhundert 
auch  Michaud,  Hist.  d.  crois.  ed.  Breholles,  Paris  1862,  IV,  345—400). 

7)  Im  Jahre  1340  will  Eduard  von  England  absegeln  (Walter  von  Hemming- 
burgh  II,  339),  in  den  Jahren  1340,  1348,  1351,  1355,  1356,  1359,  1361,  1362 
(Raynaldi  Annal.  ad  ann. ;  Chron.  Danduli  ad  ann.  ;  Heinrich  von  Diessenhofen 
18,  46,  103 ;  Ibn  Khaldoun,  Hist.  des  Berberes  III,  52 ;  Amari,  I  diplomi  arabi  VII ; 
Langlois,  Documents,  Paris  1859  ad  ann.)  erfolgen  Rüstungen,  1365  erobert  der 
König  Peter  von  Cypern  vorübergehend  Alexandrien  (Paul  Herzsohn,  Der  Ueber- 
fall  Alexandriens  durch  Peter  I,  Bonn  1886  (Dissert.)  I ;  darin  die  ganze  Literatur ; 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  53 

Eroberung  Constautinopels  die  Türkennoth  den  abendländischen  Christen 
fühlbar  macht,  dauern  diese  Bestrebungen  weiter,  die  dann  an  dem 
Wendepunkte  der  neuen  Zeit  durch  Maximilian  I,  Christoph  Columbus, 
Karl  V.  und  Iguatius  von  Loyola  wieder  aufgenommen  werden  *),  um 
dann  für  immer  aus  der  Geschichte  der  europäischen  Politik  zu  ver- 
schwinden. 

Die  Christen,  denen  eine  Fahrt  nach  dem  heiligen  Lande  Herzens- 
bedürfniss  war,  haben  zuerst  für  das  verlorene  heiligste  Pilgerziel  in 
mannigfacher  Weise  Ersatz  zu  finden  sich  bemüht 2),  dann  aber  immer 


vgl.  Hefele-Knöpfler  VI,  709),  1366  geht  Amadeo  VI.  von  Savoyen  nach  Palaestina 
(P.  Datta.  Spedizione  in  Oriente  di  A.,  Torino  1826  und  G.  Canale,  Della  Spediz.  di  A., 
Genova  1887 ;  über  Humbert  II.  (1345)  von  Savoyen  im  heil.  Lande;  vgl.  Archives  I, 
537—538).  Bald  darauf  ermahnt  Catharina  von  Siena  Gregor  XL  zum  Kreuzzuge  (Acta 
SS.  April.  III,  924),  der  Otto  von  Braunschweig  mit  der  Königin  Maria  von  Armenien 
zu  vermählen  gedachte  (Rec.  armen.  I,  718).  Kreuzzugspläne  tauchen  wieder  auf 
1386  (Mem.  de  la  Franche  Comte  IV,  386),  1390,  1403,  1409  (Döllinger  in  von 
Raumers  Hist.  Taschenb.  1871,  350—351;  Remusat  in  Mem.  de  T  Institut  1822, 
VI,  470  ff.),  1443  (Iireöek,  Gesch.  der  Bulgaren  364;  vgl.  v.  Sybel,  Histor.  Zeitschr. 
XI,  Heft  2,  257  ff.).  König  Heinrich  V.  von  England  schickt  1422  Gillebert 
von  Lannoy  (Biblioth.  geogr.  Palaest,  No.  276),  wie  Herzog  Philipp  der  Gute  von 
Burgund,  der  1452  zum  Kreuzzuge  aufgefordert  (Vinchant  VI,  206),  sich  zu  dessen 
Antritt  rüstete  (1454—1456;  vgl.  Mem.  de  la  Franche  Comte  IV,  386);  Paul 
Fredericq,  Essai  sur  la  röle  politiqne  et  sociale  d.  ducs  de  Bourgogne,  Gand  1875, 
42—43,  57;  Chronique  de  1'  abbaye  de  Floreffe  [Mon.  de  Namur  VIII],  168—169; 
Chron.  relat.  ä  1'  hist  de  la  Belgique  1876,  79—94 ;  Vinchant  VI,  206  ;  Bibl.  de 
1'  ecole  d.  chartes  1876,  502 ;  Voigt,  Pius  IL  Bd.  II,  89  ff. ;  III,  17  ff,  105  ff., 
685-724)  den  Bertrandon  de  la  Brocquiere  (Bibl.  geogr.  Pal.  No.  299 ;  ed.  Schefer  1892), 
vielleicht  auch  den  Martin  Vilain  (St.  Genois,  Les  voyageurs  Beiges  I,  23;  vgl. 
30—32)  als  Späher  vorausgeschickt  hatte.  Philipp  ging  nicht  nach  dem  heiligen 
Lande,  ehrte  es  aber  durch  viele  Stiftungen  und  Bauten  (Tobler,  Jerusalem  II, 
120,  816,  Bethlehem  112,  Golgatha  136,  152).  Ueber  Kreuzzugspläne  vgl.  be- 
sonders Ludwig  Pastor  I,  460—464,  514—521,  536—544,  553-562;  II,  170—172, 
217—234,  240—245,  260—261,  318—319,  419—422,  462—465,  497— 505  und  über 
Kreuzzugsvorschläge  zum  Jahre  1477  Mones  Anzeiger  VII,  290,  302,  460  ;  sonst  vgl. 
auch  Finot,  Projet  d'  exp<§dition  contre  les  Turcs,  Jan.  1457  (Mem.  de  la  societe 
d.  sciences  de  Lille),  Lille  1890,  51  pp.  8°. 

»)  Vgl.  Leibnitius,  De  expeditione  Aegyptiaca  ed.  Onno  Klopp,  praef.  VII  ff. 
In  Spanien  ward  die  Kreuzzugssteuer  (la  cruzada),  trotzdem  kein  Kreuzzug  unter- 
nommen wurde,  weiter  erhoben  als  Einnahmequelle  der  Krone  (v.  Sybel,  Hist. 
Zeitschr.  1878,  XXXIX,  Heft  2,  281  ff.;  vgl.  H.  Charles  Lea,  Indulgences  in 
Spain  1890,  8°. 

*)  In  der  Wallfahrt  nach  Cypern  (Revue  nobil.  1870,  54—55),  in  Geissler- 
zügen (Annal.  Forajul.  in  Mon.  Germ.  SS.  XIX,  205),  Passionsspielen  (ibid.  298; 
vgl.  Wackernagel,  Geschichte  der  deutschen  Literatur  300)  und  »chemins  de  Je- 
rusalem« (Röhricht,  Deutsche  Pilgerreisen,  1889,  34,  Note  1);  auch  die  »geist- 
lichen Pilgerfahrten«  werden  hierher  zu  rechnen  sein  (Bibl.  geogr.  Palaest.  s.  voce). 


54  Röhricht. 

wieder  nach  dem  Vaterhause  ihres  Glaubens  sich  znrückgesehnt  und 
unbekümmert  darum,  dass  wie  in  den  ältesten  Zeiten  des  Christen- 
thums  fremde  Herren  dort  regierten,  die  Stätten  zu  schauen  gewünscht 
„wo  seine  Füsse  gestanden  haben" ;  denn  der  Name  Jerusalem  ist  „so 
weit  christliche  Gemeinden  wohnen,  ein  gefeierter  Name,  an  den 
immer  Erinnerungen,  Gefühle,  Gedanken,  Ueberzeugungen  von  der 
grössten  und  höchsten  Wichtigkeit  für  das  menschliche  Herz  geknüpft 
sind.  Ja  so  weit  heidnische  Völker  über  den  Erdball  verbreitet 
sind,  so  weit  dringt  er  auch  heute  schon  vor,  wird  dort  immer  hei- 
mischer werden  und  die  Augen  aller  Menschen  dereinst  auf  jenes 
wunderbare  Land  der  höchsten  Offenbarung  hinweisen  *)". 

i)  Karl  Ritter,  Asien  XV,  4. 


Anhang. 
I.  Kritische  Bemerkungen. 

Die  Zahl  der  Quellen,  welche  unser  Thema,  besonders  die  Eroberung 
Accons,  behandeln,  ist  sehr  gross,  so  dass  ihre  Vorführung  viel  Raum  be- 
anspruchen würde.  Wir  haben  die  bedeutendsten  und  wichtigsten  unserer 
Darstellung  zu  Grunde  gelegt,  und  es  genügt  wohl,  wenn  wir  hier  nur 
den  Zusammenhang  der  seeundären  Quellen  mit  ihren  Vorlagen  aufzeigen. 
Der  Verfasser  hatte  für  die  Societe  de  1' Orient  latin  das  ganze  Material 
der  Scriptores  de  amissione  Terrae  Sanctae  bereits  im  Jahre  1886  druck- 
fertig ausgearbeitet,  aber  nach  dem  Tode  seines  hochherzigen  Freundes  des 
Grafen  Riant  (1888)  war  von  dem  Manuscript  im  Nachlass  nicht  ein  Blatt 
wiederzufinden.  Statt  der  Materialiensammlung  bieten  wir  nun  eine  fer- 
tige Studie  und  möchten  die  in  den  Anmerkungen  zum  Theil  schon  ge- 
gebenen kritischen  Bemerkungen  nur  noch  durch  einen  Nachtrag  ergänzen. 

Von  occidentalischen  Berichten  ist  zunächst  eine  Hauptgruppe 
hervorzuheben,  zu  der  zu  rechnen  sind:  die  Estoire  d' Eracles  ( — 1277), 
die  Chronique  de  Templier  de  Tyr  (1242 — 1309)  in  den  Gestes  des  Chy- 
prois  (139 — 335),  die  Annales  de  Terre  Sainte  (in  Archives  de  1' Orient 
latin  II  B,  429 — 462,  ed.  Röhricht),  Liber  de  passagiis  ed.  G.  M.  Thomas, 
Venetiis  1879,  fol.  max.,  die  Chroniken  des  Amadi  (ed.  Comte  de  Mas 
Latrie  in  Collect,  de  documents  inedits,  Paris  189l)  und  Bustron  (ed. 
Comte  de  Mas  Latrie  ebenda  1886),  endlich  die  Secreta  fidelium  crucis 
von  Marinus  Sanutus  (über  dessen  verschiedene  Redactionen  Simonsfeld  im 
N.  Archiv  VII,  42  —  72  und  Codices  Röhricht  in  Bibl.  geogr.  Pal.  No.  179 
handeln).  Nachdem  P.  Richter  in  den.  Mittheil.  d.  österr.  Instit.  XIII, 
255 — 310  durch  seine  ., Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrer- 
staaten" einen  Theil  der  Aufgabe  gelöst  hat,    mag  es  wünschenswerth  er- 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  55 

scheinen,  einmal  alle  die  oben  genannten  Berichte  für  die  ganze  Zeit 
der  Kreuzfahrergeschichte  kritisch  zu  behandeln.  Dem  Berichte  des  Marinus 
Sanutus  folgen:  Johannes  Longus  im  Chronicon  St.  Bertini  (Martene,  The- 
saurus III,  769—77  3;  vgl.  Mon.  Germ.  SS.  XXV,  865),  d.  Epitome  bello- 
sacrorum  (Basnage-Canisius,  Thesaur.  IV,  439)  und  Marcus  Antonius  Sa- 
bellicus  (Histor.  rerum  Venetarum,  Basileae  1670,  180 — 181),  dem  letz- 
teren und  dem  Villani  folgt  Marinus  Sanutus  jun.,  Vite  de  duchi  di  Venezia 
(Muratori,   SS.  XXII,   576). 

Villani,  Histor.  univ.  (Muratori  SS.  XIII,  324)  folgt  den  Gesta  Flo- 
rentinorum  und  d.  Chronicon  de  Bordone  und  wird  selbst  wieder  ausge- 
schrieben von  Benevenuto  de  Imola  (Muratori,  Antiquitt.  [fol.]  I,  1 1 1 1  — 1113; 
[4°]  III,  439 — 444),  Antonius  Florentinus,  Chronicon  III  C,  tit.  XX,  cap. 
VI,  §  9,  fol.  77,  Felix  Fabri,  Evagator.  ed.  Hassler  (Stuttgarter  Literar. 
Verein  XLIII),  II,  316 — 317  (wo  nur  die  Notiz  über  den  Tod  des  Do- 
minicaners Jordanus  [1237]  hinzugefügt  ist;  vgl.  Chron  min.  in  Mon.'Germ. 
SS.  XXIV,  198,  212)  und  Henrico  Giblet,  Historie  de'  re'  Lusignani,  Bo- 
logna 1647,  182 — 201,  der  daneben  auch  den  Bustron  und  Dandulus 
benutzt. 

Der  Brief  des  Hospitalitermeisters  Jean  de  Villiers  an  seinen  Bruder 
Guillaume  de  V.,  Prior  von  St.  Gilles  in  der  Languedoc  (ed.  Leclerc  in 
Hist.  litt,  de  France  XX,  93 — 94)  ist  die  Grundlage  für  den  Bericht: 
Anonymus  de  excidio  Acconis  (Martene,  Ampi.  Coli.  V,  757 — 784)  ge- 
worden, welcher  in  Hist.  litt.  XX,  79 — 92  sorgfältig,  von  Michaud,  Hist. 
d.  crois.  ed.  H.  Breholles  1862,  III,  496 — 502  kürzer  ausgezogen  (vgl. 
Ernoul  557  —  558)  und  von  La  Curne  de  Sainte  Palaye  im  Eapport  (von 
Paul  Lecroix),  Sur  les  manuscrits  relatifs  ä  1'  histoire  de  France  conservees 
dans  les  bibliotheques  d'  Italie,  Paris  1 839  französisch  übersetzt  ist.  Eine 
sorgfältige  Ausgabe  nach  den  Codd. :  Rom,  Eegina  Christ.  737  (unvoll- 
ständig), Paris,  Bibl.  nation.  fonds  lat,  14.359,  14.379,  fonds  franc.  2825 
und  Bibl.  Mazarine  7 1 1  (letztere  saec.  XIV)  wäre  erwünscht.  Dieses  Ex- 
cidium  ist  ausgeschrieben  vom  Chronic.  Zantfliet  (Martene,  Coli.  V,  124 
bis  130).  Thomas  Walsingham  I,  33  Annal.  Merliolan.  (Muratori,  SS.  XVI, 
682),  Nicolaus  Trivetus  (ed.  Hog  314—315,  317 — 319,  323;  daraus 
Wilhelm  Eishanger,  Chron.  mon.  S.  Albani  ed.  Eiley  1865,  116,  121,  122, 
130)  und  besonders  Guillaume  de  Nangis  (Bouquet  XX,  572  —  574),  dem 
d.  Chroniques  de  St.  Denys  (Bouquet  XX,  656 — 657),  Girardus  de  Fracheto 
(Bouquet  XXI,  9 — 11)  und  Aegidius  de  Eoya  (Sweert,  Eerum  Belgic. 
Annales,  Francofurti   1620,  43 — 44)  folgen. 

Bernard  Guidonis  (Flores  chronic,  bei  Bouquet  XXI,  709)  schreibt 
fast  wörtlich  den  Franciscus  Pipinus  aus  und  wird  ausgeschrieben  vom 
Magnum  chronic.  Belgicum  (Pistorius-Struve,  Eerum  German.  SS.  III,  295), 
Petrus  de  Dusburg,  (Chron.  T.  Sanctae  in  SS.  rerum  Pruss.  I,  205,  206, 
208,  dem  wieder  die  Annales  exped.  Pruss.  ibid.  III,  9  und  Historia  brevis 
magistrorum  ibid.  IV,  271  [daneben  auch  dem  Nicol.  v.  Jeroschin]  folgen), 
d.  Contin.  Vindobonensis  (Mon.  Germ.  SS.  IX,  757),  Eberhardi  archidiaconi 
Eatisponensis  Annales  (Mon.  Germ.  SS.  XVII,  594),  Theodericus  de  Niem 
(Vitae  pontific.  in  Eccard,  Corpus  I,  1463),  Jean  der  Preiz  d' Oltremeuse 
(Ly  mireur  d.  hist.  ed.  Borgnet,  Bruxelles  1876.  V,  479 — 480;  letzterer 
folgt  auch   dem  Guill.  de  Nangis). 


56  R  ö  h  r  i  c  ht. 

Die  Gesta  Florentinorum  (Hartwig,  Quellen  II,  288,  290)  ebenso  d. 
Anonymus  Florentinus  (Baluze,  Miscell.  ed.  Mansi  IV,  105;  er  benutzt  aber 
auch  die  Annales  d.  Ptolom.  Luccensis)  schreiben  das  Cbronicon  des  Paolini 
di  Piero,  Bartholomaeus  Ferrariensis  (Muratori,  SS.  XXIV,  701)  das  Chroni- 
con  Estense,  das  Chronicon  abbatum  Parmensium  (Mon.  •  historiae  patr. 
Parmens.  et  Piacent,  pertinentia,  Parmae  1858,  I,  336)  kurz  die  Annales 
Parmens.  maj.  aus.  Der  Bericht  des  Antoninus  Florentinus  und  Werner 
Kolewinck  ist  die  Grundlage  für  d.  Delucidario  y  demonstracion  de  la 
chronicas  .  .  .  .  del  sacro  ordine  del  Monte  Carmelo  von  Diego  de  Coria, 
Cordoba  1598,  469a  wie  Guillelmus  de  Sandwich  für  Johannes  Palaeonydor, 
Histor.  Carmelitana,  Magontini   1495,  III,  c.   10. 

Florius  Blondus,  Decades  historiarum,  Venetiis  1483,  330 — 331  lässt 
keinen  bestimmten  Bericht  als  leitenden  erkennen,  wird  selbst  aber  vielfach 
wörtlich  abgeschrieben,  so  von  Sebastian  Brandt  (De  origine  et  conver- 
satione,  Basileae  1495,  P3 — PJ,  Paulus  Aemilius  (De  rebus  gestis  Fran- 
corum,  Parisiis  1555,  304 — 306),  Bonincontrius  (Hist.  Sicula  in  Lami, 
Deliciae  erudit.,  Florentiae  1740,  VIII,  59 — 64),  Roncioni  (Istorie  Pisane 
im  Archivio  storico  italiano,  Firenze  1844,  VI  A,  650 — 651),  Ubertus 
Folietus  (Genuensium  hist.  in :  Graevius,  Thesaur.  antiquitatis  et  histor. 
Italiae,  Lugdani  Batav.  I,  396,  399 — 400),  Hartmann  Schedel  (Lib.  chronic. 
Norimbergae  1496,  147),  Johannes  Nauclerus  (Chronic.  Coloniae  1579,, 
975 — 976),  Jacobus  Wimpheling  (Epitome  in  Schardius  redivivus  ed. 
Thomae,  Gissae  1673,  I,  186),  Joachim  de  Watt  (Chron.  d.  Aebte  des 
Klosters  St.  Gallen,  ed.  Götzinger,  St.  Gallen   1875,  I,   378—379). 

Die  Annales  Eberhard!  Ratisponensis  werden  ausgeschrieben  von  der 
Contin.  Weichardi  de  Polhaim  (Mon.  Germ.  SS.  IX,  813).  Aus  der  Oesterr. 
Reimchronick  fiiesst  der  Bericht  des  Thomas  Ebendorfer  v.  Haselbach 
(Pez  II,  778 — 781)  und  des  Joh.  von  Victring  (Böhmer,  Fontes  I,  327 
bis  329),  aus  Ludolf  von  Suchern  die  Chronica  novella  des  Hermann  Corner 
(Eccard.  Corp.  II,  946 — 947;  das  dort  gegebene  Quellencitat  »secundum 
Egghardum  *  ist  ein  fingirtes ;  vgl.  Lappenberg  im  Archiv  für  ältere  deutsche 
Geschichtswerke  VI,  615  und  Waitz  791  ff.)  und  die  jüngere  Hochmeister- 
chronik (SS.  rerum  Pruss.  V,  102 — 109;  daneben  wird  auch  d.  Livländ. 
Reimchronik  benutzt),  aus  dem  Chron.  Sampetrin.  die  Düring.  Chronik  des 
Johannes  Rothe  (Thüring.  Geschichtsq.,  Jena  1859,  III,  469 — 47 1),  aus 
den  Annal.  Waverleienses  die  Chronica  des  Matthaeus  v.  Westminster  (Franco- 
furti   1601,   412). 

Der  späteste  aller  Berichte:  Johannes  Herold,  Continuatio  belli  sacri, 
Basileae  1549.  160  — 167  folgt  den  Annal.  Januenses ,  Villani,  Antonius 
Sabellicus  und  Aemilius  Paulus,  wird  selbst  wieder  ausgeschrieben  von 
Bosio,  Dell'historia  della  Sacra  religione  et  illustr.  militia  di  S.  Giovanni 
Gierosol.,  Roma  1621,  825 — 845  und  Jauna,  Hist.  generale  du  ro'iaume 
de  Chypre  et  de  Jerusalem,  Leide  1747,  I,  704 — 726;  letzterer  kennt 
auch  die  Berichte  des  Marinus  Sanutus,  Amadi  und  Villani.  Beide  be- 
rufen (840  resp.  726)  sich  auf  eine  handschriftliche  Quelle,  welche  durch 
Thomas  Bosio,  Bischof  von  Malta,  nach  Rom  mitgebracht  wurde,  als  der 
Ordensmeister  Philippe  de  Villiers  nach  der  Eroberung  von  Rhodus  dorthin 
kam  (ein  Fragment  der  Histor.  Hierosolym.  des  Melchior  Bandini),  ausser- 
dem die  Schrift    eines  Ritters  Foxan     (Jauna:  Toxan).    Ehrle  in:    Historia 


Der  Untergang  des  Königreichs  Jerusalem.  57 

bibliothecae  Roman,  pontif.  1890  (in  Bibl.  della  accad.  storico  giuridica  VII) 
erwähnt  539,  No.  1330  als  in  der  Bibliothek  Gregors  XI  zu  Avignon 
befindlich:  »Historia  de  perdicione  Accon»,  über  die  wir  leider  sonst  nichts 
wissen. 

Von  den  orientalischen  Quellen  ist  neben  Abulfeda,  Novairi  und 
dem  Biographen  des  Sultans  Kelawün  der  bei  weitem  wichtigste  Bericht 
eines  Augenzeugen,  welcher  in  einer  arabischen  Handschrift  zu  München 
(v.  Aumer,  Die  arab.  Handschriften  der  königl.  Hof-  und  Staats-Bibliothek 
in  München,  1866  No.  406)  erhalten,  von  Weil,  Gesch.  d.  Chalifen  IV, 
XI — XIV  (vgl.  181  Note  l)  beschrieben  und  auch  für  seine  Darstellung 
benutzt  worden  ist;  er  enthält  eine  ausserordentlich  genaue  Geschichte  der 
Eroberung  des  christlichen  Litorals,  auch  einen  Brief  des  Sultans  an  den 
König  von  Armenien  über  den  Fall  Accons  und  über  die  Eroberung  der 
armenischen  Festung  Hrongla  am  Euphrat  1293;  über  diese  letztere  han- 
deln auch  104  armenische  Verse  auf  dem  Reliquiarium,  welches  Promis 
in  Mem.  dell' Accad.  di  Torino  1884  XXXV,  125  bis  130  bespricht. 
Leider  haben  wir  uns  völlig  vergeblich  bemüht,  eine  Uebersetzung  dieses 
Textes  zu  erlangen  und  müssen  uns  mit  diesem  Hinweise  begnügen;  wir 
wünschen  nur  dringend,  das3  einmal  ein  tüchtiger  Arabist  die  Arbeit 
übeimehmen  möge,  welche,  nachdem  das  ganze  sonst  vorhandene  Ma- 
terial nachgewiesen  und  verarbeitet  ist,  verhältnismässig  geringe  Schwie- 
rigkeiten machen,  aber  der  Wissenschaft  ausserordentlichen  Nutzen  brin- 
gen würde. 


2.  Beilage.  l) 

Erat  enim  juvenis  quidam  nobilis  progenie  judiciis  magnus  et  potens 
in  civitatibus,  qui  Antiochie  comitatum  et  principatum  Tripoli  gubernabat 

erat    enim    omnium    istorum dominator.     Habebat    tarnen 

juvenis  iste  matrem  suam  quandam,  que  valde  invidiosa  erat;  dolebat 
enim ,  quod  amiserat  comitatus  et  principatus  nomen,  quod  filius  suus 
et  filii  sui  uxor  plenarie  obtinebant.  Ipsa  enim  cum  ista  uxore  filii  sui 
predicti    continui  maligne  et  malivole  vexabatur;    fecit  enim  tarnen  istius 

principis  mater  cum  verbis  et ,    quod  princeps    predictus    ex 

uxore  sua  numquam  potuit  habere  prolem.  Cogitavit  enim,  quod  filius 
suus  princeps  ex  uxore  filios  non  haberet  neque  uxorem  diligeret,  quod 
ipsa  cum  filio  suo  princeps  esset  principatus  et  tocius  patrie  gubernatrix. 
Accidit  tarnen,  quod  ex  voluntate  Dei  princeps  iste  istius  domine  filius 
de  hoc  seculo  transmigravit,  ita  quod  uxor  sua  desolata  ad  regionem,  unde 
ipsa  venerat,  remeavit;  erat  enim  ista  domina  principis  uxor  regis  Fran- 
corum  neptis.  Remansit  ergo  vetula  maledicta  et  obtinuit,  quod  volebat. 
Ipsa  tarnen    capta    erat    amore  illicito    de  quodam  homine  pulcerimo,    qui 

erat  episcopus  de  Tortosa et  ipsa  oblita  erat  de  morte 

principis  antedicti.     Volebat  enim  illum   episcopum  esse  comitem  et  prin- 


')  Der  Text  stammt  aus  dem  Londoner  Codex  addit.  27.695  fol.  5b,  col. 
1—2,  welcher  mir  durch  die  Güte  des  Herrn  Dr.  Charles  Köhler  aus  dem  Nach- 
lasse des  Crafen  Riant  (Revue  de  1' Orient  latin  1893,  T.  13)  gütigst  überlassen 
und  durch  Herrn  Dr.  Jeayes,  Bibliothekar  des  Britischen  Museums,  nachcolla- 
tionirt  wurde. 


58  Röhricht. 

cipem  tocius  terre  predicti  nati  sui  et  ordinavit  pro  posse  suo,  quod  tarn  milites 
quam  populäres  jurarent  et  tenerent  precepta  episcopi  antedicti,  ac  si  esset 
princeps  vel  dominus  tocius  principatus.  Fuerunt  tarnen  ex  militibus 
externis,  qui  nullo  modo  episcopo  predicto  se  subjicere  voluerunt,  con- 
tenti  tarnen  erant  aliqualiter  de  principissa,  et  sie  in  terra  illa  orte  fuerunt 
partes    et    discordia    magna.     Que  soldanus  sciens    et  audiens  cum  magno 

exercitu  prineipatum  invasit  et  cepit  terram,  interfecit ,  destruxit 

habitacula  et  ab  illo  tempore  citra  nullus  illam  terram  postea  habitavit. 
Fuit  enim  propter  invidiam  facta  destruetio  ista  divino  Dei  emergente  ju- 

dicio per    nonnullos.     Et    sie    se  habuit    veritas  predictorum, 

quod    hominum    civitatis  Tripoli,     quando    predieta    civitas  fuit  capta  ad- 

cisit ,    quod  mare    arruit  delictando  per    totum  usque  in 

insulam  civitatis  taliter,  quod  Sarraceni  cum  toto  ex  forcis  accesserunt 
super   eam    per   terram    et  ipsam  violenter  ceperunt  et  oeeiderunt    omnes 

homines  et  feminas  induetos  .  .  et  ceteros  induetos  in dicte 

civitatis  tarn  mares  quam  mulieres  plenarie  evaserunt,  et  sie  propter  in- 
vidiam fuit  principatus  iste  totaliter  anullatus,  sicut  regna  et  multe  alie 
civitates  propter  invidiam  sunt  destruete.  Istud  enim  vicium  contagiosum 
existit  velud  lepra  quae  infecit  ad  invicem  conversantes,  quare  quod  de 
prineipatu  propter  invidiam  aeeidit,  idem  vel  pejus  aeeidit  de  civitate  qua- 
dam  vicina  illius  principatus,  quae  Achon  civitas    est  vocata,  propter  idem 

scelus.     Erat  enim  civitas    illa    in  regione  Surie regnum  et 

illud,  quod  de  ipsa  propter  invidiam  aeeidit,  verbis  plenissime  ennarrabo. 
(Davon  ist  im  Folgenden  aber  keine  Rede). 


Nachschrift. 

Die  oben  Seite  48 — 49  nur  gestreiften  Beziehungen  Rudolfs  von  Habs- 
burg zu  Gregor  X.  werden  viel  Licht  empfangen  durch  die  von  Redlich 
in  diesen  Mitth.  XIV.,  653  ff.  als  demnächst  erscheinend  angezeigten  Briefe 
und  Acten  stücke. 


Zur  Vorgeschichte  der  Wahl  Kudolfs  von  Habsburg. 

Von 

Harry   Bresslau. 

Durch  Urkunde  vom  13.  Oktober  1272  ertheilten  die  Capitane 
der  Commune  Genua  drei  Bürgern  ihrer  Stadt,  dem  Juristen  Marchi- 
sinus  de  Cassino,  dem  Obertus  Cigala  und  dem  Johannes  de  Kovegno 
Vollmacht,  bei  der  römischen  Curie  und  unter  deren  Vermittlung 
mit  dort  befindlichen  venetianischen  Bevollmächtigten  Friedensverhand- 
lungen zu  führen  *).  Am  13.  Jan.  1273  erhielten  dieselben  Gesandten 
eine  zweite,  ihre  früheren  Aufträge  ergänzende  Vollmacht2).  Am 
7.  Februar  1273  erstatteten  die  Gesandten  ihrer  Stadtbehörde  von 
Monte  Fiascone  aus  einen  eingehenden,  uns  im  Original  erhaltenen 
Bericht  über  ihre  Verhandlungen  mit  den  Venetianern  3).  Diese  hatten 
am  1.  Februar  in  Orvieto,  wo  sich  damals  der  Papst  Gregor  X.  auf- 
hielt, begonnen,  waren  aber  nicht  zum  Ziele  gelaugt,  so  dass  die 
Genuesen  am  6.  Februar  Orvieto  verliessen  und  sich  nach  Monte  Fias- 
cone begaben.  Von  dort  beabsichtigten  sie  an  den  Hof  König  Karls 
von  Sicilien  zu  gehen ,  zunächst  aber  ein  sicheres  Geleit  desselben 
abzuwarten ;  sie  erbaten  sich  gleichzeitig  nach  Rieti  weitere  Instruc- 
tionen aus  ihrer  Heimath. 

Der  Abdruck  des  ganzen  umfangreichen  Berichtes,  der  ein  Papier- 
heft von  fünf  in  der  Mitte  gebrochenen  Doppel  -  Blättern  bis    auf  die 


')  Genua.  Archivio  di  stato.  Materie  politiche,  mazzo  5.  —  Ich  verdanke 
die  Kenntnis  der  in  diesem  Aufsatz  angeführten  genuesischen  Urkunden  meinem 
jungen  Freunde,  Dr.  6.  Caro.  der  dieselben  abgeschrieben  und,  da  er  mit  an- 
deren Studien  beschäftigt  ist,  mir  die  Veröffentlichung  des  für  die  deutsche  Ge- 
schichte wichtigen  Theiles  freundlichst  überlassen  hat.  Ein  .Stück  des  Berichtes 
ist  schon  benntzt.  nach  Excerpten  Wüstenfelds,  bei  Caro,  Die  Verfassung  Genuas 
zur  Zeit  des  Podestats  S.  148.  -')  Ebenda  mazzo  6.  s)  Ebenda  mazzo  5. 


60  Bresslau. 

letzten  drei  Seiten  füllt,  ist  an  dieser  Stelle  nicht  angebracht,  obwohl 
er  mancherlei  interessantes  enthält 1).  Von  allerhöchstem  Interesse  aber 
ist  ein  am  Schluss  des  eigentlichen  Berichtes  hinzugefügter  Abschnitt, 
in  welchem  die  Gesandten  allerhand  politische  Neuigkeiten,  die  sie  an 
der  Curie  erfahren  haben,  in  die  Heimath  melden.  Ich  lasse  diesen 
Abschnitt  hier  folgen: 

„Dominus  Oddoardus  est  Rome 2).  Dominus  rex  Karolus  venit 
cum  eo  usque  ad  locum  qui  dicitur  Insula  prope  Ceparanam.  Dominus 
cardinalis  et  d.  Precivalis  3)  frater  eius  fuerunt  in  colloquio  cum  rege 
Karulo  apud  Insulam 4),  ut  ürmiter  scivimus.  Ambaxatores  Pisarum 
sunt  in  curia  Romana  pro  factis  excommunicationis  eorum  nee  aliquid 
faciunt  in  curia,  nisi  pareant  ecclesie  de  factis  Sardinee.  Ambaxatores 
ßononienses  fuerunt  diu  in  curia  pro  factis  Venetorum  et  nichil 
fecerunt  et  recesserunt  discordes  a  Venetis.  Quidam  amicus  co- 
munis,  qui  est  de  maioribus  curie  post  papam,  dum  interrogaremus 
eum  certifficari  de  factis  regis  Boemie,  dixit  nobis:  „Securiter  rescri- 
batis  capitaneis  vestris,  quod  dominus  papa  et  ecclesia  Romana  volunt, 
quod  imperator  eligatur  et  fiat,  verumtamen  non  vult,  quod  Fredericus 
de  Stuffa  vel  exeomunicatus  aliquis  sit  imperator''.  Unde  intellegite, 
de  quo  sentit  ecclesia.  Nuncii  regis  Boemie  recesserunt  de  curia  ala- 
criter,  inter  quos  est  Iacobus  de  Roba  de  Cremona 5),  qui  nobis  dixit, 
quod  non  displicebat  ecclesie,  quod  rex  Boemie  per  prineipes  Alemanie 
eligeretur  in  regem  Romanorum.     Predictus  thesaurarius  regis6)  nobis 

')  So  eine  Aeusserung  des  Papstes,  als  die  Gesandten  bei  ihm  über  die 
Unzuverlässigkeit  des  Königs  Karl  Beschwerde  führen :  Ego  fui  in  partibus  Sarra- 
cenorum  et  bene  scio  quod  Sarraceni  melius  servant  promissa  et  paces  quam 
christiani.  Et  si  rex  Karolus  fecit  alique  inconveniencia  comuni  Ianue,  dolemus 
inde  et  ei  scribemus. 

2J  Eduard  I.  von  England,  der  nach  Pauli  IV,  5  am  14.  Febr.  in  Orvieto 
beim  Papst  eintraf. 

s)  So!  —  Gemeint  sind  der  Cardinal  Ottobuono  Fieschi,  später  Hadrian  V., 
und  sein  Bruder  Percival,  päpstlicher  Caplan. 

4)  Am  31.  Jan.  1273  urkundet  Karl  zu  Isola  del  Ponte  Solerato  nach  Mi- 
nieri-Riccio,  Arch.  stör,  italiano  Ser.  3a,  Bd.  XXII,  S.  6. 

5)  Es  fügt  sich  glücklich,  dass  wir  diesen  Mann  anderweit  nachweisen 
können.  ,Jacobus  Robba«  wird  im  J.  1269  als  »bandezatus  communis  Cremonae* 
erwähnt,  Muratori  SS.  VII,  649.  Wie  Heinrich  von  Isernia  hat  also  auch  er  nach 
seiner  Verbannung  aus  der  Heimath  sein  Glück  in  Böhmen  gesucht  und  gefun- 
den. Dort  eine  Spur  von  ihm  aufzufinden,  ist  mir  leider  bisher  nicht  gelungen. 
Auch  Herrn  Prof.  Emier  in  Prag,  den  ich  desshalb  befragt  habe,  ist  sein  Name 
bisher  nicht  begegnet,  wie  derselbe  mir  mitzutheilen  die  Güte  hatte. 

6)  Nicolaus  Bozello,  Schatzmeister  König  Karls  von  Sicilien,  dem  die  Ge- 
sandten am  6.  Febr.  zwischen  Orvieto  und  Monte  Fiascone  begegnet  waren. 


Zur  Vorgeschichte  der  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg.  61 

dixit,  quod  tractabatur  coratn  d.  rege  et  quasi  erat  firmatum,  quod 
Iauuenses  et  res  eorum  arrestate  in  regno  deberent  relaxari.  Illud  iddem 
dixit  nobis  Petrus  de  Stella  in  curia  Romana,  verumtaruen  de  hoc 
aliud  pro  certo  nescimus"  *). 

Von  welcher  Bedeutung  die  hier  mitgetheilten  Nachrichten  für 
die  Vorgeschichte  der  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg  sind,  erhellt  sofort: 
sie  zuerst  gewähren  uns  einen  sicheren  Anhaltspunkt  für  die  Beant- 
wortung der  Frage,  welche  Haltung  König  Ottokar  von  Böhmen  in 
den  kritischen  Monaten,  welche  der  Wahl  vorangiengen,  eingenom- 
men hat. 

Bekanntlich  erzählt  eine  böhmische  Quelle,  die  nicht  eben  sehr 
zuverlässig  ist 2),  im  August  1272  habe  sich  der  Erzbischof  von  Köln 
im  Auftrage,  wie  man  annehmen  muss,  der  übrigen  Kurfürsten  und 
in  Begleitung  mehrerer  Edlen  nach  Böhmen  begeben,  um  Ottokar  die 
deutsche  Krone  anzubieten,  dieser  aber  habe,  nachdem  er  mit  seinen 
Grossen  Raths  gepflogen,  das  Anerbieten  abgelehnt  und  auf  seinem 
Widerstände  auch  beharrt,  als  der  Antrag  wiederholt  erneuert  worden 
sei.  Nachdem  in  neuerer  Zeit,  nach  dem  Vorgang  J.  F.  Böhmers, 
diese  Nachricht,  wenigstens  insoweit  sie  das  Anerbieten  der  Krone 
und  ihre  Ablehnung  durch  Ottokar  berichtet,  ziemlich  allgemein  als 
unglaubwürdig  verworfen  worden  ist,  ist  zuletzt  Theodor  Lindner 3}, 
wenn  auch  mit  gewissem  Vorbehalt ,  für  dieselbe  eingetreten.  Er 
glaubt  zwar  nicht,  dass  Engelbert  von  seinen  Mitwählern  zu  einem 
derartigen  Schritte  ermächtigt  worden  ist,  aber  er  hält  es  keineswegs 
für  unmöglich,  dass  der  Erzbischof  den  Wegen  gefolgt  sei,  die  sein 
Vorgänger  Konrad  im  Jahre  1254  betreten  hatte.  Und  wie  das  An- 
erbieten, so  hält  er  auch  die  Ablehnung  desselben  durch  den  Böhmen 
für  glaubhaft.  Die  Gefahr  des  Verlustes,  wenn  Ottokar  auf  den  An- 
trag einging,  meint  Lindner,  sei  grösser  gewesen  als  die  Aussicht  auf 
Gewinn ;  mit  stolzer  Ruhe  habe  der  Böhme  einem  etwaigen  Kampfe  mit 
dem  zu  wählenden  deutschen  König  entgegensehen  können;  so  habe 
er  einfach  abgewartet,  was  die  Zeit  bringen  würde. 

Nach  der  Entdeckung  unseres  genuesischen  Berichtes  wird  diese 
Ansicht  nicht  aufrecht  erhalten  werden  können :  verhandelte  der  König 


4)  Es  folgt  das  Datum  (die  Mortis,  VII.  Febr.  apud  Montem  Fiasconum) 
und  eine  Nachschrift,  die  sich  auf  die  Ankunft  eines  nach  Siegelung  des  Briefes 
eingetroffenen  Boten  aus  Genua  bezieht  mit  Briefen  an  den  Papst  und  den  Vice- 
kanzler;  in  Folge  dessen  haben  die  Gesandten,  beschlossen  am  folgenden  Tage 
an  die  Curie  zurückzukehren. 

2)  Ann.  Otak.  SS.  IX,  189,  irrig  zu  1271. 

8)  Deutsche  Geschichte  unter  den  Habsburgern  und  Luxemburgern  I,  18. 


ß2  B  r  e  s  8  1  a  u. 

im  Anfang  des  Jahres  1273  mit  der  Curie  über  seine  Wahl,  so  kann 
er  selbstverständlich  nicht  im  Sommer  1272  ein  Anerbieten  abgelehnt 
haben,  das,  wenn  es  überhaupt  gestellt  worden  wäre,  ihm  vielmehr 
im  höchsten  Masse  für  seine  Pläne  hätte  willkommen  sein  müssen. 
Und  wenn  es  bisher  befremdete,  dass  man  vom  August  1272  an,  da 
Ottokar  wissen  musste,  dass  man  im  Reich  eine  Neuwahl  plane, 
durchaus  nichts  mehr  von  seinen  Bestrebungen  auf  dieselbe  ein- 
zuwirken hörte  x),  so  ist  diese  befremdliche  Lücke  in  unserem  Wissen 
jetzt  aufs  erwünschteste  ausgefüllt.  Ja,  wir  dürfen  sogar  noch  einen 
Schritt  weiter  gehen;  Ottokar  hat  sich  nicht  darauf  beschränkt  am 
päpstlichen  Hof  Verhandlungen  anzuknüpfen,  die  auf  seine  Wahl  zum 
deutschen  König  abzielten;  er  ist  fast  um  dieselbe  Zeit  auch  mit  dem 
Herrscher  in  diplomatische  Beziehungen  getreten,  dessen  günstige  oder  un- 
günstige Gesinnung  für  das  Gelingen  seiner  Pläne,  namentlich  insoweit 
dabei  die  Curie  in  Betracht  kam,  von  grösster  Bedeutung  sein  musste. 
Am  26.  März  1273  befiehlt  Karl  von  Anjou 2)  vom  Lager  bei 
Monteforte  aus  seinen  Unterthanen,  den  an  ihn  abgesandten  Fridericus 
Spigri 3)  ,,nuncius  illustris  regis  Boemie"  auf  dem  Wege  zu  und  auf  der 
Rückkehr  von  seinem  Hoflager  frei  im  Reiche  verkehren  zu  lassen. 
Es  wird  wohl  nicht  bezweifelt  werden  können,  dass  diese  Gesandtschaft 
aji  den  König  von  Sicilien  und  diejenige,  welche  im  Februar  vom 
päpstlichen  Hofe  zurückkehrte,  im  Zusammenhang  stehen;  wenn  es  auch 
schwerlich  dieselben  Boten  sind,  von  denen  wir  im  Februar  am  päpst- 
lichen Hoflager  und  im  März  bei  Karl  von  Anjou  hören4).    Eher  wäre 


')  Vgl.  die  Bemerkungen  Redlichs,  Mittheil,  des  Instituts  f.  österr.  Ge- 
schichtsforschung X.  344. 

2)  Minieri-Riccio,  Saggio  di  cod.  diplomatico  (Napoli  1878)  I,  103  n.  116; 
vgl.  Arch.  storico  Italiano  Serie  3a,  Bd.  XXII,  S.  12. 

3)  Auch  über  Fridericus  Spigri  habe  weder  ich  selbst  etwas  weiteres  er- 
mitteln können,  noch  kennt  Herr  Prof.  Emier  denselben. 

•»)  Dass  das  eine  Mal  Jacobus  de  Roba,  das  andere  Mal  Fridericus  Spigri 
o-enannt  wird,  würde  der  Annahme,  dass  es  sich  um  dieselbe  Gesandtschaft  handle, 
nicht  im  Wege  stehen.  War  Fridericus  Spigri  das  Haupt  der  Gesandtschaft,  wie 
man  nach  dem  Erlass  vom  26.  März  annehmen  muss.  so  könnte  der  Cremonese 
sein  Begleiter  gewesen  und  aus  irgend  welchen  Gründen  nicht  mit  an  den  Hof 
Karl*  gegangen  sein.  Aber  die  Zeitverhältnisse  stehen  einer  solchen  Annahme  im 
Weo-e.  Boten,  die  vor  dem  7.  Febr.  die  Curie  verliessen  um  sich  zu  Karl  zu  be- 
geben, würden  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  vor  dem  26.  März  bei  diesem  ein- 
getroffen sein.  Allerdings  könnte  man  vermuthen,  dass  der  Erlass  vom  26.  März 
sich  auf  die  Rückreise  des  Gesandten  vom  Hofe  bezöge,  wie  der  verwandte  für  die 
böhmischen  Gesandten  von  1276,  Minieri-Riccio,  Cod.  dipl.  I,  1J7  n.  139;  aber  in 
dem  unsrigen  heisst  es :  nos  F.  Sp.  nuncio  ill.  regis  Boemie  veniendi,  morandi  et  re- 
deundi  directe  ad  nostram  presentiam  una  cum  Raynono  de  Santorono  familiari 


Zur  Vorgeschichte  der  Wahl  Rudolfs  von  Habshurg.  ß3 

allenfalls  denkbar,  dass  nach  der  Kückkehr  der  Boten,  die  an  die  Curie 
gesandt  waren,  Ottokar  den  Fridericus  Spigri  zu  Karl  geschickt  hätte, 
aber  wahrscheinlich  ist  auch  dies  nicht;  selbst  wenn  wir  annehmen, 
dass  die  ersteren  bereits  einige  Tage  vor  Absendung  des  Berichts  der 
Genuesen  den  päpstlichen  Hof  verlassen  hätten,  was  der  Wortlaut  des 
Berichts  nicht  ausschliesst,  würde  eine  solche  Combination  kaum  noch 
möglich  sein.  Doch  wie  dem  auch  sein  mag:  das  wird  man  jeden- 
falls annehmen  dürfen,  dass  Ottokar  im  Interesse  derselben  politischen 
Pläne,  die  ihn  veranlassten  sich  über  die  Stellung  der  Curie  zu  seiner 
Königswahl  zu  vergewissern,  auch  mit  dem  Herrscher  von  Neapel  in 
diplomatische  Beziehungen  getreten  ist. 

Welchen  Erfolg  hat  nun  diese  Action  Ottokars  im  Anfang  des 
Jahres  1273  gehabt? 

Dass  man  in  Italien  von  der  Bewerbung  Ottokars  um  die  Krone 
auch  in  weiteren  Kreisen  unterrichtet  war,  darf  aus  unserem  genuesi- 
schen Bericht  mit  grosser  Bestimmtheit  gefolgert  werden.  Bezeichnend 
dafür  sind  die  Frage  der  Gesandten  und  die  Antwort,  welche  sie  er- 
halten. Die  Genuesen  wenden  sich  an  einen  der  einflussreichsten 
Männer  bei  der  Curie,  dessen  Namen  sie  leider  verschweigen,  und 
bitten  „über  die  Angelegenheiten  des, Königs  von  Böhmen  unterrichtet 
zu  werden1'.  Darauf  wird  ihnen  geantwortet :  „Ihr  könnt  Euren  Ca- 
pitanen  melden,  dass  der  Herr  Papst  und  die  römische  Kirche  wollen, 
dass  ein  Kaiser  gewählt  werde  *) ;  aber  er  will  nicht,  dass  Friedrich 
von  Staufen  (nur  der  Wettiner  Friedrich  der  Freidige,  der  Enkel 
Friedrichs  IL,  der  Sohn  von  dessen  Tochter  Margaretha  aus  ihrer  Ehe 
mit  Landgraf  Albrecht  dem  Entarteten,  kann  hier  gemeint  sein2)  oder 
irgend  ein  Gebannter  Kaiser  werde".    Man  sieht,  die  Gesandten  denken 


nostro  latore  presentiurn  liberam  concedimus  facultatem.  Also  ist  hier  doch  zu- 
nächst die  Reise  der  Gesandten  an  den  Hof  ins  Auge  gefasst. 

l)  »Securiter  rescribatis  capitaneis  vestris,  quod  dominus  papa  et  ecclesia 
Romana  volunt,  quod  imperator  eligatur  et  fiat '.  Man  könnte  zunächst  geneigt 
sein  zu  übersetzen :  Papst  und  Kirche  wollen,  dass  er,  nämlich  der  im  vorigen 
Satz  genannte  Böhmenkönig,  nach  dessen  Angelegenheiten  sich  die  Gesandten 
erkundigen,  gewählt  werde.  Aber,  abgesehen  von  sachlichen  Erwägungen,  wäre 
dann  der  Nachsatz,  ,er  will  nicht,  dass  Friedrich  von  Staufen  oder  ein  Gebannter 
zum  Kaiser  gewählt  werde1  überflüssig;  und  gewiss  könnte  er  nicht  durch  die 
starke  Adversativpartikel  »verumtamen*  mit  dem  Vordersatz  verbunden  sein. 

-)  Und  so  erhalten  die  letzten  Ausführungen  H.  Grauerts  im  Hist.  Jahrb. 
XIII,  110  ff.  200  ff.,  denen  zufolge  der  Wettiner  Friedrich  als  Candidat  der  stau- 
fischen Partei  auch  für  die  Kaiserwürde  vielfach  betrachtet  wurde,  durch  unseren 
Gesandtschaftsbericht  eine  überraschende  Bestätigung. 


(34  ß  r  e  s  s  1  a  u. 

bei  ihrer  Frage  an  Ottokars  Aussichten  auf  die  deutsche  Königswahl ; 
aber  der  Kardinal  oder  wer  sonst  ihr  Gewährsmann  war,  umgeht  eine 
bestimmte  Antwort  und  gibt  ihnen  einen  ausweichenden  Bescheid,  aus 
dem  zu  erkennen  „de  quo  sentit  ecclesia",  ihren  heimischen  Behörden 
doch  nicht  so  ganz  leicht  werden  mochte. 

Etwas  bestimmter  drücken  sich  die  Boten  Ottokars  aus,  mit  denen, 
ehe  sie  von  der  Curie  zurückkehren,  unsere  Genuesen  noch  zusammen- 
treffen. „Fröhlich"  reisen  sie  vom  päpstlichen  Hofe  ab,  und  einer  von 
ihnen  berichtet  seinen  italienischen  Landsleuten,  es  missfalle  der  Kirche 
mcht,  dass  Ottokar  von  den  deutschen  Fürsten  zum  römischen  König 
gewählt  werde.  „Es  missfalle  der  Kirche  nicht" ;  sollte  hier  die  Form 
der  Litotes  gewählt  sein,  um  ein  starkes  Interesse  des  Papstes  an  der 
Wahl  des  Böhmen  auszudrücken?  oder  waren  die  Gesandten  schon  „fröh- 
lich", wenn  der  Papst  derselben  nur  nicht  widerstrebte?  Man  möchte 
geneigt  sein,  das  letztere  anzunehmen,  wenn  man  diese  Worte  mit  den- 
jenigen zusammenhält,  welche  die  Genuesen  von  dem  angesehenen 
Curialen  hörteu,  den  sie  befragt  hatten :  die  Meinung  des  Papstes  wäre 
dann  dahin  gegangen,  dass  er  ohne  Rücksicht  auf  die  noch  bestehenden 
castilischen  Ansprüche  eine  Königswahl  wollte,  dass  er  zwar  Ottokar 
als  einen  ihm  genehmen  Candidaten  bezeichnet  hätte,  dass  er  aber  im 
übrigen  den  Kurfürsten  freie  Hand  bei  der  Wahl  zu  lassen  entschlossen 
war,  sofern  dieselbe  nicht  auf  den  Sprössling  aus  dem  verhassten 
Staufengeschlecht  oder  einen  offenen  Feind  der  Kirche  fiel. 

Im  Zusammenhang  dieser  Erwägungen  dürften  nun  aber  auch 
zwei  schon  oft  besprochene  Briefe  aus  der  Formularsammlung  des 
Heinrich  von  Isernia  l)  erhöhte  Beachtung  erfordern,  in  denen  ein 
Cardinal  Simon  2)  sjch  bei  Ottokar  und  bei  einem  Bischof,  wahrschein- 
lich Bruno  von  Olmütz,  für  die  Ernennung  eben  jenes  Heinrich  zum 
böhmischen  Notar  verwendet.  „Wir  hoffen,  ja  wir  erwarten  mit  heissen 
Wünschen,  dass  Ihr  zum  Glanz  kaiserlicher  Hoheit  gelangen  möget", 
heisst  es  in  dem  einen;  „wenn  Ottokar  zum  Gipfel  kaiserlicher  Würde 


')  Dolliner.  Cod.  epistolaris  Primislai  Ottocari  II.  S.  10.  12 ;  Emier,  Reg- 
Bohem.  et  Morav.  II,  349  n.  848;  1140  n.  2612. 

2)  Dass  so  der  Fürbitter  heisst.  hat  Dolliner  aus  einem  anderen  Brief  (bei 
ihm  S.  13;  Emier  IL  1147  n.  2623)  mit  Recht  geschlossen  und  schon  bemerkt- 
dass  damals  zwei  Cardinal e  dieses  Namens  existiren,  der  vom  Titel  der  h.  Caecilia, 
der  spätere  Papst  Martin  IV.,  und  der  vom  Titel  des  h.  Martin.  Grauert,  Hist. 
Jahrb.  XIII,  202  und  Andere  vor  ihm  haben  bei  unseren  Briefen  nur  an  den 
ersteren  gedacht;  aber  es  ist  keineswegs  selbstverständlich,  dass  gerade  er,  der 
als  einer  der  Führer  der  französisch-angiovinischen  Partei  an  der  Curie  bekannt 
ist,  der  Gönner  des  Ghibellinen  Heinrich  von  Isernia  gewesen  sei. 


Zur  Vorgeschichte  der  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg.  65 

erhoben  werden  wird,    was   wir  glauben  und  wünschen",   heisst  es  in 
dem  anderen. 

Beide  Briefe  gehören  in  das  Jahr  1273;  bisher  hat  man  sie,  einer 
Berechnung  Dolliners  folgend,  in  den  September  dieses  Jahres  gesetzt; 
doch  ist  diese  Ansicht  nicht  sicher  begründet *),  und  unser  genuesischer 
Bericht  kann  um  so  mehr  den  Gedanken  nahe  legen,  dass  sie  in  eine 
etwas  frühere  Zeit  gehören.  Sind  sie  echt,  so  würden  sie  ein  Zeichen 
dafür  sein,  dass  auch  innerhalb  des  Cardinalkollegiums  die  Hoffnungen 
getheilt  worden  sind,  mit  denen  die  böhmischen  Gesandten  die  Curie 
verlassen  hatten,  und  von  denen  unsere  genuesischen  Machtboten  ihrer 
Heimathsbehörde  Kunde  gaben.  Ob  sie  aber  echt  sind,  erscheint  mir 
keineswegs  so  sicher,  wie  man  bisher  immer  angenommen  hat.  Zwar 
bezweifle  auch  ich  die  Thatsache  nicht,  dass  ein  Cardinal  Simon  Hein- 
rich von  Isernia  nach  Böhmen  hin  empfohlen  hat ;  aber  es  fragt  sich, 
ob  dies  durch  uusere  Briefe  geschehen  ist,  oder  ob  vielmehr  diese,  der 
Thatsache  entsprechend,  erfunden  worden  sind.  Durch  eine  stilistische 
Untersuchung,  deren  Verlauf  ich  hier  nicht  wiederhole,  die  aber  jeder- 
mann leicht  nachprüfen  kann,  habe  ich  die  feste  Ueberzeugung  ge- 
wonnen, dass  beide  Schriftstücke  von  Heinrich  von  Isernia  selbst  ver- 
fässt  sind.  Ist  dies  richtig,  und  ich  halte  es  für  ganz  sicher,  so 
müssen  sie  entweder  als  blosse  Musterdictamina  angesehen  werden,  die 
Heinrich  bei  Anlage  seines  Formularbuches  unter  Anlehnung  an  wirk- 
lich geschehene  Dinge  frei  componirt  hat,  oder  sie  stellen  von  ihm 
entworfene  Concepte  dar,  welche  er  dem  Cardinal  vorgelegt  hat,  und 
welche  dann  von  diesem  wirklich  ausgefertigt  uud  abgesandt  sein 
können.  In  ersterem  Falle  würden  die  Briefe  nicht  für  die  Stimmung 
bei  der  Curie,  sondern  nur  dafür  Zeugnis  ablegen,  dass  Heinrich  von 
Isernia,  der  Notar  Ottokars,  an  gute  Aussichten  seines  Herrn  bei  der 
Bewerbung  um  die  deutsche  Krone  geglaubt  hat,  was  sich  auch  sonst 
erweisen  lässt2).  Ich  verzichte  darauf  an  dieser  Stelle  auf  die  Frage, 
welche  dieser  beiden  Alternativen  anzunehmen  ist,   näher   einzugehen, 


*)  Die  Beweisführung  Dolliners  rechnet  noch  nicht  mit  den  uns  jetzt  be- 
kannten Thatsachen,  1.  dass  der  Papst  erst  zwischen  dem  21.  und  2b".  Sept.  Bo- 
logna passirt  hat  (vgl.  Kaltenbrunner,  Mittheil,  aus  d.  Vatikan.  Archiv  I,  S.  45.47) 
und  2.  dass  Heinrich  schon  am  3.  October  als  Notar  Ottokars  in  dessen  Lager 
vor  Oedenburg  nachweisbar  ist  (Emier,  Reg.  Bohemiae  II,  339  n.  837  ;  vgl.  Ab- 
handlungen  der  böhm.  Gesellschaft  der  Wissenschaften   6.  Folge  IX,   S.  27.  3.6.) 

2)  Vgl.  in  seinem  Aufsatz  bei  Emier  Reg.  II,  1136  n.  2605  die  Worte :  ,in  quo 
neinpe  non  falleris,  rex  regum  eximie,  qui  habenas  Boemie  moderaris,  quem 
rolum  imperii  solium  prestolatur  et  fortüna  cesarea  suis  desiderat  fascibus  deco- 
sare«.     Vgl.  dazu  auch  die  Stücke  Emier  H,  1148  n.  2625.  2626. 

Mittheilungen  XV.  5 


6ß  B  r  e  s  8  1  a  u. 

indem  ich  mich  begnüge,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  die  sehr 
wichtigen  Formularbücher,  die  unter  dem  Namen  des  Heinrich  von 
Isernia  und  des  Heiuricus  Italicus  gehen  l),  dringend  einer  genaueren 
Untersuchung  auf  ihre  Entstehung  und  Glaubwürdigkeit  hin  bedürfen, 
einer  Untersuchung,  welche  sich  auf  den  ganzen  Inhalt  derselben  und 
auf  alle  Handschriften,  namentlich  auch  auf  die  neuerdings  von  Ulanowski 
aufgefundene  der  Krakauer  Universitätsbibliothek  beziehen  muss.  Die 
isolirte  Behandlung  einzelner  Stücke  daraus,  wie  sie  mehrfach  versucht 
worden  ist,  wird  nur  in  besonders  günstig  gelegenen  Fällen  zu  sicheren 
Ergebnissen  führen  können. 

Bei  solcher  Untersuchung  wird  sich  dann  vielleicht  auch  über  ein 
anderes  Stück  aus  der  Formularsammlung  des  Iserniers  ein  festeres 
Urtheil  gewinnen  lassen,  das  mit  den  hier  besprochenen  Verhand- 
lungen Ottokars  mit  Gregor  X.  und  Karl  von  Anjou  gleichfalls  zu- 
sammenhängen könnte.  Es  gibt  sich  als  einen  aus  Bologna  nach 
Böhmen  erstatteten  Bericht  über  Vorgänge  an  der  römischen  Curie, 
der  etwa  in  den  Sommer  1273  gehören  kann  -).  Der  Berichterstatter 
(Heinrich  selbst)  meldet,  dass  Karl  von  Anjou  ,,eleccionem  de  impera- 
tore  prece  viribus  pretio"  zu  verhindern  suche.  Dann  fährt  er  fort: 
„cuius  (Karoli)  nuper  filio  nata  domini  regis  Boemie  suadente  papa 
tradi  debet  uxorios  in  amplexus,  matrimonio,  quod  cum  filio  lantgravii 
contraxerat,  in  irritum  auctoritate  apostolica  revocato".  Dass  eine 
Verbindung  zwischen  einer  Tochter  Ottokars  und  dem  Sohn  des  Land- 
grafen Albrecht  von  Thüringen,  Friedrich  dem  Freidigen,  verabredet  ge- 
wesen sein  muss,  ist  sicher  3),  und  so  könnte  man  vermuthen,  dass  auch 


1)  Vgl.  darüber  Emier,  Abhandl.  der  böhm.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
a.  a.  0.  S.  54  ff.;  Ulanowski,  Mittheil,  des  Instituts  VI,  421  ff.;  Zeitschr.  f. 
Gesch.  und  Alterth.  Schlesiens  XVI,  251  f.  XXI,  394  ff.  Die  in  dem  letzteren 
Aufsatz  erwähnte  polnisch  geschriebene  Publication  Ulanowskis  ist  mir  nicht 
zugänglich  gewesen,  ebensowenig  die  czechisch  geschriebenen  Untersuchungen 
Tadras  über  böhmische  Formularbücher  (vgl.  Mittheil.  XIV,  515),  von  denen  ich 
nicht  weiss,  ob  sie  sich  auch  auf  die  oben  erwähnten  Schriften  beziehen. 

2)  Dolliner  S.  11;  Emier,  Reg.  II,  1139  n.  2609. 

3)  Vgl.  zuletzt  Grauert  im  Hist,  Jahrb.  XIII,  119.  122.  Da  Friedrich  1269 
den  Böhmenkönig  seinen  Schwiegervater  nennt,  muss  die  Verbindung  damals  be- 
reits bestanden  haben.  Mit  ihr  hat  Wegele,  Friedrich  der  Freidige  S.  64  N.  2 
eine  in  dem  Formularbuch  des  Heinricus  Italicus  überlieferte  Urkunde  in  Be- 
ziehung gesetzt  (Voigt,  Archiv  f.  Kunde  österr.  Geschichtsquellen  XXIX,  167 
n.  181),  welche  sich  als  ein  Ehevertrag  Ottokars  für  seine  Tochter  und  eines 
Landgrafen  von  Thüringen  für  seinen  Sohn  H.  darstellt.  Wegele  hat  mit  un- 
zweifelhaftem Recht  —  ea  lassen  sich  noch  andere  durchschlagende  Gründe  da- 
für anführen  —  die  Meinung  Voigts  zurückgewiesen,  dass  hier  Ottokar  I.  gemeint 
sei,  dessen  Tochter  Agnes  die  zweite  Gemahlin  Heinrich  des  Erlauchten  war.    Aber 


Zur  Vorgeschichte  der  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg.  67 

das,  was  hier  über  eine  Lösung  dieser  Verbindung  durch  den  Papst 
und  über  eine  von  ihm  geplante  Ehe  zwischen  Ottokars  Tochter  und 
Karls  Sohn  gesagt  wird,  nicht  ganz  aus  der  Luft  gegriffen  sei.  Gerade 
nach  dem,  was  wir  oben  über  die  Verhandlungen  Ottokars  mit  Gregor 
und  Karl  ausgeführt  haben,  ist  es  an  sich  nicht  unwahrscheinlich, 
dass  man  am  päpstlichen  Hofe  in  einem  gegebenen  Moment  auf  den 
—  bekauntlich  nicht  ausgeführten  —  Plan  gekommen  ist,  zwischen  den 
Königen  von  Böhmen  und  Sicilien,  deren  Stellung  zu  der  deutschen 
Wahlfrage  eine  so  verschiedene  war,  durch  eine  dynastische  Ver- 
bindung einen  Ausgleich  herbeizuführen. 

Ich  beschränke  mich  darauf,  diese  Erwägungen,  die  sich  an  un- 
seren Bericht  knüpfen  lassen,  zu  weiterer  Prüfung  und  Erörterung 
denen  vorzulegen,  welche  sich  näher  mit  der  Geschichte  jener  Zeit 
beschäftigen.  Ganz  abgesehen  davon  aber  bleibt  das  bestehen, 
dass  uns  durch  jenen  Bericht  eine  wichtige  Aufklärung  sicher  und  end- 
giltig  gegeben  worden  ist :  dass  Ottokar  die  deutsche  Königskrone  nicht 
verschmäht,  sondern  zu  Aufang  des  Jahres  1278  eifrig  danach  ge- 
strebt hat,  steht  fortan  ausser  Zweifel,  und  schon  durch  diese  Auf- 
klärung ist  uns  von  einer  Stelle,  wo  man  nicht  danach  suchen 
konnte,  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Vorgeschichte  der  Wahl  Kudolfs 
von  Habsburg  gekommen. 


auch  auf  Ottokar  II.  passt  dieses  Stück  nicht.  Denn  1269  war  dessen  älteste 
Tochter  Kunigunde  (geb.  1265)  vier  Jahre  alt;  in  unserer  Urkunde  aber  lässt  man 
Ottokar  sagen,  dass  das  heiratsfähige  Alter  seiner  Tochter  seinem  Vaterherzen 
bereits  schlaflose  Sorgen  bereitet  habe,  bis,  nachdem  er  alle  Lande  wegen  eines 
würdigen  Gatten  für  sie  durchforscht  habe,  seine  Wahl  auf  den  Sohn  des  Land- 
grafen von  Thüringen  gefallen  sei  (dum  nubilis  etas  .  .  filie  nostre  sollicitudinis 
paterne  stimulo  insompnes  urgeret  pectoris  nostris  curas,  et  omnes  provincias  dig- 
num,  quem  suis  iugaremus  thalamis,  exquirens  curiosius  percurreret,  in  filio 
tandem  . .  domini  Thuringeusis  lancravii  residens  conquievit).  Uebrigens  steht 
der  erste  Theil  desselben  Stückes  auch  in  der  Kolmarer  Hs.  (Cod.  dipl.  Moraviae 
VII,  979),  nur  wird  hier  statt  des  Landgrafen  von  Thüringen  der  Herzog  Albrecht 
von  Braunschweig  genannt,  und  diesen  Namen  bietet  wiederum  in  der  Königs- 
berger Hs.  ein  ganz  anders  lautender  Heirathsvertrag  (Voigt  a.  a.  o.  S.  167 
n.  182 ;  noch  andere  Fassung  bei  Palacky,  Formelbücher  S.  302).  Ohne  die  oben 
S.  66  erforderte  Gesammtuntersuchung  lässt  sich  auch  über  diese  Stücke  ein  end- 
giltiges  Urtheil  nicht  gewinnen. 


5* 


Die  Entstehung  der  pfälzisch  -österreichischen 
Convention  vom  3.  Januar  1778. 

Von 

Adolf  Unzer. 

Das  Herzogtum  Bayern,  das  Flussgebiet  des  Inns  und  der  Isar 
bis  zum  Lech  hin  zu  erwerben  war  lange  das  Ziel  österreichischer 
Staatskunst. 

Um  die  Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts  eröffnete  sich  dem 
Wiener  Hof  eine  neue  Aussicht  dies  Ziel  zu  erreichen.  Der  Kurfürst 
von  Bayern  Maximilian  Joseph  war  kinderlos;  auch  sein  Oheim,  Herzog 
Clemens  (f  1770)  hatte  keine  erbberechtigten  Nachkommen.  Mit  ihm 
erlosch  die  bayerische  oder  wilhelminische  Linie  des  Hauses  Witteisbach ; 
als  der  natürliche  Erbe  galt  Karl  Theodor,  Herzog  von  Sulzbach, 
seit  1742  Kurfürst  von  der  Pfalz  und  Chef  der  pfälzischen  oder 
rudolphinischen  Linie. 

Frühzeitig  hatte  der  österreichische  Staatskanzler  Fürst  Kaunitz 
seinen  Blick  der  bayerischen  Successionsfrage  zugewandt;  im  zehnten 
Band  der  Geschichte  Maria  Theresias  hat  Arneth,  die  Mitteilungen  Beers 
in  Sybels  historischer  Zeitschrift  *)  ergänzend,  die  frühesten  Phasen 
dieser  wichtigen  Staatsaction  mitgeteilt. 

Im  Dezember  1772  fanden  in  Wien  geheime  Beratungen  über  die 
bei  Maximilian  Josephs  Tod  zu  ergreifenden  Massregeln  statt,  an  denen 
der  österreichische  Directorialgesandte  bei  dem  Reichstag  zu  Kegensburg, 
Freiherr  von  Borie,  der  Reichsvizekanzler  Fürst  Colloredo,  der  Geheime 
Referendarius  in  der  Beichskanzlei  Freiherr  von  Leykam  und  als  Ver- 
treter der  Staatskanzlei  der  Freiherr  von  Binder  theilnahmen ;  der 
Kaiser  selbst  hatte  auf  eine  Anregung  Bories  hin  die  Beratungen  an- 


')  Bd.  35  S.  88  ff. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  69 

geordnet.  Es  wurde  beschlossen,  dass  bei  dem  Ableben  des  bayerischen 
Kurfürsten  sofort  die  Besitzergreifung  von  Ober-  und  Niederbayern, 
sowie  der  Landgrafschaft  Leuchtenberg  als  erledigter  Reichslehen  im 
Namen  von  Kaiser  und  Eeich  erfolgen  solle ;  Borie  am  Reichstag,  Graf 
Hartig  in  München  erhielten  die  nötigen  Vollmachten  und  Anweisungen. 

Nur  ungern  hatte  Kaunitz  diesen  Beschlüssen  von  unberechen- 
barer Tragweite  zugestimmt;  weit  lieber  wäre  es  ihm  gewesen,  wenn 
man  die  Angelegenheit  noch  in  dem  bisherigen  Ruhezustand  belassen 
hätte.  Es  war  nicht  anzunehmen,  dass  von  anderer  Seite  jetzt  schon 
diese  offenbar  noch  lange  nicht  spruchreife  Frage  ernsthaft  angeregt 
werde;  der  König  von  Preussen  hatte  sie  zwar  im  September  1772 
dem  auf  Urlaub  gehenden  kaiserlichen  Gesandten  gegenüber  berührt, 
als  aber  van  Swieten  im  Februar  1773  mit  eingehenden  Weisungen 
versehen  nach  Berlin  zurückkehrte,  schien  Friedrich  sie  bald  wieder 
aus  den  Augen  zu  verlieren;  näher  liegende  Verhältnisse  nahmen  seine 
Aufmerksamkeit  in  Anspruch.  Die  von  Kaunitz  dringend  anempfohlene 
Geheimhaltung  und  Vorsicht  bei  Ausführung  der  gefassten  Conferenz- 
beschlüsse  wurde  indes  gewissenhaft  beobachtet.  Der  Wiener  Hof  ver^ 
mied  es  sorgfältig,  die  bayerische  Erbfolge  zu  erwähnen;  es  kam  ihm 
besonders  darauf  an,  den  Verdacht  zu  beseitigen,  als  ob  die  von 
preussischer  Seite  ihm  zugeschriebene  Vergrösserungsbegierde  wirklich 
vorhanden  sei. 

Weniger  vorsichtig  in  der  Geltendmachung  von  Ansprüchen  auf 
Teile  der  einstigen  Verlassenschaft  Maximilian  Josephs  war  Kursachsen. 
Die  verwitwete  Kurfürstin  Maria  Antonia  von  Sachsen,  die  Mutter  des 
seit  Dezember  1763  regierenden  Kurfürsten  Friedrich  August  III,  war 
eine  Schwester  Maximilian  Josephs;  sie  und  die  zweite  Schwester,  die 
Markgräfin  von  Baden,  konnten  berechtigte  Ansprüche  auf  das  bayerische 
Allodium  erheben.  Schon  frühzeitig  wurde  zwischen  Dresden  und  Mann- 
heim darüber  verhandelt;  im  November  1774  überreichte  der  sächsische 
Gesandte  am  Hofe  Karl  Theodors,  Graf  Riaucour,  eine  Denkschrift; 
doch,  wie  es  scheint,  erst  seit  Anfang  1776  wurde  diese  Angelegenheit 
etwas  lebhafter  betrieben,  ohne  dass  sie  indes  auch  nur  einen  Schritt 
vorwärts  kam,  da  man  in  Mannheim  hoffte,  durch  ein  Uebereinkommen 
mit  Oesterreich  die  sächsischen  Ansprüche  gänzlich  beseitigen  oder 
doch  stark  einschränken  zu  könnnen.  Nur  insofern  trat  eine  Aende- 
rung  ein,  als  die  Kurfürstin- Mutter  am  1.  Mai  1776  in  Zweibrücken 
eine  Cessionsacte  l)  unterzeichnete,  worin  sie  ihre  Ansprüche  auf  die 
bayerische  Allodialerbschaft  an  ihren  Sohn,  den  regierenden  Kurfürsten 


Datirt  vom  20.  April. 


70 


U  n  z  e  r. 


abtrat.  Die  von  den  pfälzischen  Staatsmännern  wiederholt  als  Vorwand 
zur  Verzögerung  der  Unterhandlungen  benützte  angebliche  Meinungs- 
verschiedenheit zwischen  Mutter  und  Sohn  über  die  Lösung  der  Allo- 
dialfrage  konnte  nun  nicht  mehr  ins  Treffen  geführt  werden.  Als  un- 
mittelbar danach,  am  7.  Mai  1776,  die  Markgräfin  von  Baden  in 
München  starb,  war  Maria  Antonia  bezw.  ihr  Sohn  der  einzige  Allo- 
dialerbe.  —  Der  Grund,  weshalb  Sachsen  die  Verhandlungen  lebhafter 
in  Angriff  nahm,  erhellt  aus  der  Correspondenz  des  Grafen  Riaucour 
mit  dem  Minister  Grafen  Sacken  in  Dresden.  Man  hatte  vernommen, 
dass  von  pfälzischer  Seite  eine  Vereinbarung  mit  dem  Wiener  Hof 
gesucht  werde,  dass  der  pfälzische  Minister  der  Auswärtigen  Angelegen- 
heiten, der  hochbetagte  Freiherr  von  Beckers  die  Hauptrolle  dabei 
spiele;  es  hiess  sogar,  er  habe  es  auf  sich  genommen,  sich  öffentlich 
desavouiren  zu  lassen,  wenn  die  Verhandlungen  bekannt  würden.  Doch 
erfuhr  man  wieder  nicht  lange  danach  durch  einen  Bericht  des  kur- 
pfälzischen Gesandten  in  Wien,  Freiherrn  von  Eitter,  vom  26.  Sep- 
tember 1775,  den  Riaucour  sich  zu  verschaffen  wusste,  dass  wenigstens 
zu  jener  Zeit  die  beiden  Höfe  von  einer  Verständigung  sehr  weit  ent- 
fernt gewesen  waren  ;  ja,  Ritter  hatte  sogar  die  Besorgnis  ausgesprochen, 
dass  Oesterreich  mit  anderen  Staaten  entweder  bereits  einig  sei  oder 
nahe  vor  einer  Verständigung  stehe  über  die  Teilung  der  bayerischen 
Erbschaft.  —  Ritter  hat  hier  offenbar  eine  Gefahr  zu  sehen  geglaubt, 
die  in  Wirklichkeit  nicht  vorhanden  war;  wenn  er  aber  berichtet: 
„Kaunitz  und  Colloredo  erschöpfen  die  ohndurchdringlichste  politique; 
Wörter  und  Sylben  werden  gleichsam  abgewogen  und  über  die  ohn- 
zähligemal  angegebenen  und  stathaft  bestrittene  Hindernisse  immer 
neue  Verzögerungen  erfunden,"  —  so  entspricht  dies  Verhalten  voll- 
kommen dem  System,  das  Kaunitz  anempfohlen  hatte,  nämlich  grösste 
Zurückhaltung  zu  bewahren. 

Da  ich  im  Bayerischen  Geheimen  Staats-Archiv  zu  München  Berichte 
Ritters  aus  der  Zeit  vor  Dezember  1777  nicht  gefunden  habe,  möge 
es  mir  gestattet  sein,  an  dieser  Stelle  einige  Angaben  über  den  Inhalt 
der  anderen  von  Riaucour  erlangten  und  nach  Dresden  gesandten 
Depeschen  Ritters  zu  machen. 

Mit  unsäglicher  Mühe  war  es  danach  Anfang  October  1775  dem 
kurpfälzischen  Gesandten  gelungen,  durch  Vermittlung  des  Freiherrn 
von  Hochstetten,  eines  Beamten  der  Geheimen  Staatskanzlei,  eine  lange 
Liste  zu  erhalten  mit  einem  Verzeichnis  aller  derjenigen  Ortschaften, 
die  in  Folge  eines  angeblich  zwischen  Oesterreich  und  Preussen  ge- 
schlossenen Vertrags  an  den  Wiener  Hof  fallen  sollten.  Nach  dieser 
Aufzählung  wäre  allerdings  von  der  Oberpfalz    und  Niederbayern  nur 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-östevv.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  71 

wenig,  von  Oberbayern  nicht  viel  der  österreichischen  Begehrlichkeit 
vorenthalten  geblieben.  Es  scheint  indes,  dass  Kitter  mit  dieser  Liste 
von  dem  Sekretär  des  Fürsten  Kaunitz,  der  sie  ihm  überbrachte,  ge- 
täuscht worden  ist;  vielleicht  enthielt  sie  nur  das  Verzeichnis  aller 
derjenigen  Ortschaften,  auf  die  der  Wiener  Hof  aus  irgend  einem 
Grunde  einen  Anspruch  erheben  zu  können  glaubte.  Sacken  wenig- 
stens meinte,  als  ihm  Eiaucour  die  Liste  einschickte,  sie  sähe  aus  wie 
der  Index  eines  Werkes,  in  dem  die  österreichischen  und  die  kaiser- 
lichen Ansprüche  erst  begründet  werdeu  sollten;  vielleicht  gehöre  sie 
zu  der  vom  Kaiser  angeordneten  Ausarbeitung  einer  umfassenden  Denk- 
schrift über  die  aus  der  bayrischen  Hinterlassenschaft  zu  erwerbenden 
Gebiete. 

Von  einer  kritischen  Beurteilung  des  ihm  zugestellten  Verzeich- 
nisses war  aber  Kitt  er  weit  entfernt.  Er  klagt  entsetzt  über  die 
wienerische  Verstellungskunst,  über  die  Ungeheuerlichkeit  der  öster- 
reichischen Entwürfe,  die  über  die  schlimmsten  bisherigen  Vermutungen 
noch  weit  hinausgingen.  Alle  seither  gepflogenen  Unterhandlungen 
seien  also  nichts  als  Blendwerk  gewesen;  aber  auch  jeden  weiteren 
Schritt  sieht  er  als  nutzlos  und  verloren  an,  solange  Kaunitz  und 
Colloredo  am  Ruder  sind  und  das  Uebergewicht  über  die  Gegenpartei 
behaupten ;  nur  von  der  Zukunft  oder  dem  Spiele  des  Zufalls  lasse  sich 
eine  Aenderung  der  Sachlage  erhoffen.  —  Gerade  diese  Stimmung  aber 
wird  es  wohl  gewesen  sein,  die  Kaunitz  mit  der  Mitteilung  jener  Liste 
an  Ritter  herbeizuführen  beabsichtigte:  er  wollte  Ruhe  haben  vor  den 
Anwürfen  der  ruhelosen  Politik  des  Freiherrn  von  Beckers.  Ein  weiterer, 
als  geheim  bezeichneter  Bericht  Ritters  an  Beckers  vom  27.  Februar  1776 
lässt  vermuten,  dass  der  Minister  in  Mannheim  die  übermittelten  Allarm- 
nachrichten mit  kritischerem  Auge  betrachtete  als  der  Gesandte,  dass 
er  bessere,  zuverlässigere  Mitteilungen  verlangte ;  aber  vergeblich  setzte 
Ritter  alle  seine  Vertrauensmänner  in  Bewegung:  nichts  erfuhr  er  als 
„ zweideutige,  elende  und  längst  bekannte  Sachen".  Dagegen  ver- 
sicherte ihm  Hochstetten,  auf  dessen  Angaben  er  sich  verlassen  zu 
dürfen  glaubte,  von  Neuem,  die  ganze  bayerische  Erbschaft  sei  schon 
im  vorigen  Jahre  zwischen  dem  kaiserlichen  und  dem  preussischen  Hof 
durch  einen  Partagetractat  völlig  geordnet  worden. 

Wie  schon  angedeutet,  glaubte  Riaucour  das,  was  er  von  einem  Öster- 
reich! sch-preussischen  Einverständnis  in  der  bayerischen  Angelegenheit 
vernahm ;  er  behauptete  sogar,  dass  dabei  Sachsen  die  Grafschaft  Cham 
und  eine  hübsche  Geldsumme  zugewiesen  sei.  Aber  gleichzeitig  kam 
ihm  doch  auch  wieder  mancherlei  zu  Ohren,  was  damit  nicht  überein- 
stimmte:   er  hörte,  Beckers    habe    dem  Wiener  Hof   den   jenseits    des 


72  Unze  r. 

Inns  zwischen  dem  Erzherzogtum  Oesterreieh  und  dem  Erzbistum 
Salzburg  gelegenen  Teil  von  Bayern  angeboten  und  erwarte  die  Ant- 
wort darauf.  Dem  König  von  Preussen  sollten  Jülich-Berg  zufallen 
gegen  Abtretung  der  Markgrafschaften  Ansbach  und  Baireuth  an  Kur- 
bayern. Eine  gewisse  Bestätigung  dieser  ihm  von  dem  Obersthofmeister 
der  Kurfürstin  von  der  Pfalz,  dem  Fürsten  Galean  gemachten  Mit- 
teilungen sah  Eiaucour  in  den  häufigen  Besprechungen  des  zu  vor- 
übergehendem Aufenthalt  in  Mannheim  eingetroffenen  kaiserlichen 
Gesandten,  des  Landkomthurs  Freiherrn  von  Lehrbach,  mit  dem  Kur- 
fürsten und  Beckers.  Bald  hiess  es,  der  Kaiserhof  habe  dem  pfälzi- 
schen seine  Unterstützung  in  der  bayerischen  Suecessionsfrage  in  sichere 
Aussicht  gestellt  und  verlange  nur  die  Theilnahme  des  Kurfürsten 
Maximilian  Joseph ;  zugleich  aber  tauchte  das  Gerücht  auf,  dass  Frank- 
reich Ansprüche  an  die  bayerische  Hinterlassenschaft  zu  erheben  gedenke. 
Der  französische  Gesandte  in  Mannheim,  Odunne  stellte  Letzteres  be- 
stimmt in  Abrede,  deutete  aber  Riaucour  an,  dass  sein  Hof  zwar  die 
Beseitigung  der  obwaltenden  Differenzen  sehnlich  wünsche,  um  dadurch 
einem  sonst  unvermeidlichen  Kriege  vorzubeugen,  dass  er  indes  auch 
die  Ausführung  allzuweit  gehender  Pläne  des  Wiener  Hofes  verhindern 
werde.  Es  wurde  ferner  erzählt,  Beckers  habe  den  Herzog  Karl  von 
Zweibrücken  als  den  präsumtiven  Nachfolger  Karl  Theodors  zu  gewinnen 
gesucht  für  das  Zusammengehen  mit  Oesterreieh  durch  das  Versprechen 
des  goldenen  Vliesses  sowie  eines  hohen  Banges  in  der  k.  k.  Armee,  der 
Herzog  habe  aber  kühl  ablehnend  geantwortet. 

Beckers,  dem  das  Bekanntwerden  der  Unterhandlungen  überaus 
unangenehm  war,  suchte  sie  vergebens  als  einen  grossen  Betrug  dar- 
zustellen, den  seine  Gegner  ins  Werk  gesetzt  hätten.  Auch  Karl 
Theodor  leugnete,  als  die  Kurfürstin- Witwe  von  Sachsen  bei  einem 
kurzen  Aufenthalt  in  Mannheim  (11.  bis  13.  April  1776)  ihn  über  die 
angebliche  geheime  Unterhandlung  in  der  bayerischen  Erbfolgesache 
befragte,  diese  rundweg  ab. 

Es  ist  mit  dem  mir  vorliegenden  Aktenmaterial  nicht  möglich 
festzustellen,  was  den  Anlass  gegeben  hat,  dass  Anfang  Mai  1776  von 
pfälzischer  Seite  die  Regelung  der  Jülich-Bergischen  Erbfolge-Garantie 
gleichzeitig  mit  einer  Verständigung  über  die  künftige  bayerische  Suc- 
cession  angeregt  wurde.  Auf  diese  Anregung  hin  beantragte  der 
Staatskanzler  Fürst  Kaunitz  in  einem  Vortrag  vor  der  Kaiserin-Königin 
am  9.  Mai  1776,  dass  man  angesichts  der  Bewegungen  anderer  Höfe 
und  besonders  des  kursächsischen  Hofes  nicht  länger  unthätig  bleibe ; 
doch  empfahl  er  zuerst  an  die  Jülich-Berg'sche  Angelegenheit  heran- 


Die  Entstehung  der  piälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  73 

zutreten  und  dabei  unter  der  Hand  zu  erkunden,  wie  Kurpfalz  über 
die  bayerische  Erbfolge  denke. 

Denn  mindestens  ebenso  sehr  wie  die  vielleicht  noch  ferner  Zu- 
kunft vorbehaltene  bayerische  Frage  beschäftigte  die  pfälzischen  Staats- 
männer die  Sicherung  der  Herzogthümer  Jülich  und  Berg  für  das 
Haus  Sulzbach. 

In  dem  Allianzvertrag  zwischen  Preussen  und  Frankreich  vom 
5.  Juni  174!  hatte  König  Friedrich  sich  verpflichtet  für  sich  und  seine 
Nachfolger  in  aller  Form  seinen  Ansprüchen  auf  die  Erbfolge  in  den 
Herzogtümern  Jülich  und  Berg  zu  entsagen  zu  Gunsten  des  Hauses 
Sulzbach;  dagegen  hatte  ihm  Frankreich  den  Besitz  Niederschlesiens 
mit  Breslau  garantirt.  Der  Vertrag  mit  Kurpfalz,  in  dem  jener  Ver- 
zicht thatsächlich  erfolgte,  wurde  am  24.  Dezember  1741  abgeschlossen, 
im  Januar  1742  ratifizirt;  Kurpfalz  übernahm  darin  ebenfalls  die 
Garantie  für  Niederschlesien.  Am  31.  Dezember  1742  kam  die  Sulz- 
bach'sche  Linie  nach  Karl  Philipps  Tod  und  dem  Erlöschen  der  Neu- 
burger Linie  mit  Karl  Theodor  in  den  Besitz  der  Kur  und  der  Pfalz 
am  Khein;  auch  die  Gemahlin,  die  Karl  Theodor  sich  wählte,  war 
eine  sulzbach'sche  Prinzessin.  Nun  nahm  aber  Kurpfalz  im  sieben- 
jährigen Krieg  gegen  Preussen  Partei,  freilich  erst  nachdem  von  Seiten 
des  Wiener  Hofs  ihm  die  Erbfolge  in  Jülich-Berg  gewährleistet  worden 
war  und  Frankreich  die  Verpflichtung  übernommen  hatte,  im  künftigen 
Friedensschluss  Preussen  zur  Erneuerung  des  Verzichts  zu  veranlassen. 
In  der  That  bestimmte  denn  auch  Artikel  18  des  Hubertsburger 
Friedensvertrags:  Der  König  von  Preussen  wird  die  1741  mit  dem 
Kurfürsten  von  der  Pfalz  über  die  Nachfolge  in  Jülich-Berg  geschlossene 
Convention  erneuern  unter  denselben  Bedingungen,  unter  denen  sie 
abgeschlossen  worden  ist  »  Von  preussischer  Seite  war  bisher  aber 
noch  kein  Schritt  zur  Erfüllung  dieses  Versprechens  gethan  worden; 
und  auch  Karl  Theodor  wagte  nicht,  nachdem  im  Herbst  1763  Beckers 
als  pfälzischer  Gesandter  in  Berlin  vergeblich  versucht  hatte  mit  Um- 
gehung Frankreichs  die  Erneuerung  des  Verzichts  zu  erhalten,  aber- 
mals bei  Preussen  die  Frage  anzuregen,  da  er  durch  die  dagegen  zu 
gewährende  Garantie  Niederschlesiens  in  Wien  Anstoss  zu  erregen 
fürchtete;  noch  weniger  wollte  er  um  die  französische  Befürwor- 
tung seines  Wunsches   bitten,    die  Friedrich   zur    Bedingung   gemacht 

hatte. 

Diese  Angelegenheit  also  gedachte  Kaunitz  in  den  Vordergrund 
zu  stellen;  es  entsprach  das  seinem  Grundsatz,  die  bayerische  Frage 
möglichst  lang  in  undurchdringliches  Geheimnis  gehüllt  zu  lassen.  Da 
aber  doch  allerlei  in  die  Oeffentlichkeit  gedrungen  war  von  dem  An- 


74  Unze  x. 

suchen  des  pfälzischen  Hofes  in  Wien,  machte  Lehrbach  dem  Grafen 
Kiaucour  Anfang  Juni  1776  Mitteilung  davon;  er  erzählte  auch,  dass 
Graf  Colloredo  auf  der  Durchreise  in  Mannheim  sich  bereit  erklärt 
habe,  seinen  Vater,  den  Eeichsvizekanzler  für  die  pfälzischen  Wünsche 
günstig  zu  stimmen;  dass  Graf  Pappenheini  sich  schon  grosse  Hoff- 
nung gemacht  habe,  mit  den  Verhandlungen  in  Wien  betraut  zu 
werden ;  die  Aussichten  zum  Ziel  zu  kommen  seien  nicht  schlecht 
gewesen,  aber  das  Geheimnis  sei  nicht  gewahrt  worden,  die  Grafen 
Sickingen,  der  eine  pfälzischer  Gesandter  in  Paris,  z.  Z.  auf  Urlaub  in 
Mannheim,  der  andere  leitender  Minister  in  Mainz  hätten  eigene  Politik 
getrieben  und  hinter  Lehrbachs  Kücken  Vorschläge  nach  Wien  ge- 
schickt; der  Kurfürst  von  Mainz  habe  sich  eingemischt  und  beschwert, 
dass  man  ihm  von  den  ersten  Eröffnungen  keine  Kenntnis  gegeben 
habe;  das  Ergebnis  von  diesem  Allen  sei  dann  aber  gewesen,  dass 
man  in  Wien  anderer  Meinung  wurde;  jetzt  würden  schwerlich  der 
Kaiser  und  die  Kaiserin-Königin  sich  auf  Unterhandlungen  über  die 
bayerische  Erbfolge  einlassen  1). 

Diese  Eröffnung  hatte  die  gewünschte  Wirkung:  Kiaucour  glaubte, 
dass  die  Verhandlungen  in  Wien  wirklich  abgebrochen  seien,  aber  er 
war  überzeugt,  dass  Beckers  bei  nächster  Gelegenheit  eine  neue  An- 
knüpfung suchen  werde.  Gegen  Ende  Juni  teilte  ihm  Odunne  mit. 
Beckers  beabsichtige  sich  im  Lauf  des  Juli  nach  Wien  zu  begeben; 
die  Unterbringung  seines  Sohnes  im  Theresianum  und  seiner  Tochter 
in  einem  Kloster  gebe  den  äusseren  Anlass  zur  Reise,  der  Hauptzweck 
aber  sei  zweifellos  die  Stimmung  am  Kaiserhof  in  Sachen  der  bayeri- 
schen Erbfolge  zu  erkunden 2).  Vierzehn  Tage  später  wusste  man 
freilich,  dass  Beckers  Reise  doch  nicht  stattfinden  werde ;  ihr  Unter- 
bleiben in  Verbindung  mit  einem  ungewohnten  Eifer  des  pfälzischen 
Ministeriums  wegen  Eröffnung  der  Unterhandlung  mit  Kursachsen 
schien  die  Mitteilungen  Lehrbachs  zu  bestätigen.  Man  erfuhr,  dass 
der  Kurfürst  selber  Mitte  Juli  sich  dem  Marquis  d'Antici  gegenüber 
geäussert  habe,  der  Faden  der  Unterhandlung  mit  Wien  sei  gänzlich 
abgerissen ;  und  Lehrbach  antwortete,  wie  der  vielwissende  Odunne  dem 
Grafen  Riaucour  erzählte,  auf  Beckers  Versuch  seine  Vermittlung  am 
Wiener  Hof  in  der  bayerischen  Erbfolgefrage  in  Anspruch  zu  nehmen, 
ablehnend:  er  habe  keine  Weisung  sich  in  diese  Angelegenheit  einzu- 
mischen 3).  Von  Lehrbach  konnte  Riaucour  allerdings  über  die  bayeri- 


')  Riaucour  an  Sacken.  Schwetzingen  8.  Juni  1776.  Orig.  Dresdener  Archiv. 
2)  Riaucour  an  Sacken.  Schwetzingen  25.  Juni  1776.  Orig.  Dresdener  Archiv. 
8)  Riaucour  an  Sacken.  Schwetzingen  9.,   13,  Juli;   10.  September.  Orig. — 
Sacken  an  Riaucour.  Dresden  15.  September.  Concept.  Dresdener  Archiv. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  75 

sehe  Erbfolge  nichts  erfahren;  war  Kaunitz  auch  entschlossen,  dieser 
Frage  jetzt  näher  zu  treten,  so  beschränkte  er  doch  die  Zahl  der  Mit- 
wisser des  Geheimnisses  so  viel  als  nur  irgend  angängig.  Da  tauchte 
abermals  der  Plan  einer  Reise  Beckers  nach  Wien  auf;  als  der  französi- 
sche Gesandte  am  22.  September  dem  Kurfürsten  seine  bevorstehende 
Abreise  nach  dem  königlichen  Hoflager  zu  Fontainebleau  ankündigte, 
teilte  ihm  Karl  Theodor  die  Absicht  seines  Ministers  mit  und  fügte 
hinzu,  er  habe  dem  greisen  Staatsmann  die  schon  lange  erbetene  Er- 
laubnis nicht  versagen  können,  indes  werde  Beckers  keine  politischen 
Aufträge  erhalten.  Trotz  dieser  bestimmt  gegebenen  Versicherung 
konnte  Odunne  seine  Missbilligung  des  ganzen  Reiseplanes  nicht  un- 
terdrücken, denn  er  kannte  den  ränkevollen  Leiter  der  pfälzischen 
Politik  viel  zu  gut,  um  nicht  zu  wissen,  dass  er  selbst  ein  ausdrück- 
liches Verbot  von  Geschäften  zu  sprechen  entweder  unbeachtet  lassen 
oder  zu  umgehen  wissen  werde.  Der  Gesandte  stellte  dem  Kurfürsten 
vor,  wie  unzeitgemäss  diese  Reise  sei,  sie  werde  in  Dresden,  Berlin 
und  München  Argwohn  erregen  und  den  schon  seit  längerer  Zeit  um- 
laufenden Gerüchten  neue  Nahrung  geben ;  Karl  Theodor  jedoch  meinte, 
diese  Gerüchte  würden  verstummen,  sobald  man  sehe,  dass  Beckers 
sich  nur  mit  seinen  Familienangelegenheiten  beschäftige. 

Zwei  Tage  darauf  hatte  sich  die  Lage  vollkommen  geändert.  Als 
Riaucour  am  24.  September  wie  jeden  Abend  in  der  Hofgesellschaft 
erschien,  sagte  ihm  der  Minister,  er  habe  sich  nach  eingehender  Er- 
wägung des  Aufsehens,  das  sein  Vorhaben  hervorgerufen,  und  des 
Verdachts,  den  man  in  Dresden  und  an  anderen  Höfen  unter  den 
gegenwärtigen  Verhältnissen  schöpfen  könne,  entschlossen,  seine  Reise 
auf  das  nächste  Frühjahr  zu  verschieben.  Die  Besorgnis  vor  Intriguen 
seiner  Feinde  bei  Hofe,  die  seine  Abwesenheit  benützen  könnten,  um 
ihm  Unannehmlichkeiten  zu  bereiten,  habe  gleichfalls  zu  diesem  Ent- 
schluss  beigetragen  1). 

Es  lag  natürlich  im  Interesse  Beckers  sowohl  als  der  pfälzischen 
Politik,  das  Unterbleiben  der  Reise,  das  übrigens  der  Minister  selbst 
von  vorneherein  mit  Rücksicht  auf  sein  Alter  und  seinen  Gesundheits- 
zustand als  nicht  ausgeschlossen  bezeichnet  hatte,  darzustellen  als 
hervorgegangen  aus  Beckers  eigener  Entschliessung.  Gewiss  hat  diese 
keinen  geringen  Anteil  an  der  Verschiebung  gehabt.  Lehrbach,  der 
nach  Riaucours  Bericht  die  Mitteilung  von  der  bevorstehenden  Reise 
bei    einem    kurzen    Aufenthalt   in    Schwetzingen    scheinbar    kühl    und 

')  Riaucour  an  Sacken.  Schwetzingen  24.  September  1776.  Orig.  Dresdener 
Archiv. 


7ß  U.n  2  e  r. 

gleichgiltig  aufnahm,  hatte  wohl  auch  schon  im  Juni  von  dem  Reise- 
plan Kunde  erhalten  und  darauf  bei  Kaunitz  angefragt,  wie  er  sich 
dazu  stellen  solle.  Die  Antwort  lautete  vermutlich,  er  müsse  suchen, 
die  Ausführung  des  Vorhabens  zu  hintertreiben.  Jetzt,  da  die  Absicht 
wirklich  ausgeführt  werden  sollte,  stellte  Lehrbach  dem  pfälzischen 
Minister  die  Unannehmlichkeiten  vor,  denen  er  sich  aussetzen  werde : 
die  Gefahr  liege  nahe,  dass  seine  Gegner  ihn  durch  immer  neue  In- 
structionen recht  lange  von  Mannheim  fernzuhalten  und  ihn  allmäh- 
lich aus  dem  Ministerium  des  Auswärtigen  zu  verdrängen  suchen 
würden.  Dass  gerade  der  Freiherr  von  Hompesch  mit  seiner  Vertre- 
tung beauftragt  sei,  müsse  ihm  doch  die  Augen  öffnen,  denn  dieser, 
mit  dem  Finanzdepartement  längst  nicht  mehr  zufrieden,  werde  sicher- 
lich, mit  allen  Mitteln  die  vorübergehend  eingenommene  Stellung  zu 
behaupten  suchen.  —  Die  Vorstellungen  machten  den  gewünschten 
Eindruck;  Beckers  erkannte  die  Berechtigung  der  geäusserten  Besorg- 
nisse an  und  gab  die  Reise  auf;  doch  versprach  er,  da  ihm  Zerstreuung 
not  thue,  den  kaiserlichen  Gesandten  in  Frankfurt  zu  besuchen l). 
So  berichtet  Lehrbach.  Dagegen  meldet  Riaucour,  indem  er  Odunne 
als  Gewährsmann  anführt,  der  Kurfürst  habe  von  Beckers  bestimmt 
die  Verschiebung  der  Reise  gefordert 2).  —  Ganz  klar  sehen  wir  hier 
nicht,  denn  Lehrbach  sowohl  wie  Odunne  sind  bei  ihren  Berichten  in- 
teressirt;  ersterer  hatte  den  Minister  durch  Schilderung  persönlicher 
Nachtheile,  letzterer  den  Kurfürsten  durch  Darstellung  der  politischen 
Unzuträgliehkeiten  zum  Aufgeben  des  Planes  zu  bestimmen  gesucht; 
jeder  will  sich  den  Erfolg  zuschreiben. 

Bei  seinem  Ausflug  nach  Frankfurt  traf  Beckers  bei  Lehrbach  den 
Geheimen  Reichsreferendarius  Baron  Leykam,  der  von  seinen  Gütern 
im  Westpfalischen  nach  Wien  zurückreisend  im  Hause  des  Gesandten 
abgestiegen  war.  Während  des  Zusammenseins  vom  25.  bis  28.  Sep- 
tember brachte  der  pfälzische  Staatsmann  die  bayerische  und  die 
Jülich-Berg'sche  Erbfolge  zur  Sprache,  doch  wich  Leykam  vorsichtig 
jeder  Erörterung  aus  und  vermied  es,  sich  in  Abwesenheit  Lehrbachs 
auf  politische  Gespräche  einzulassen.  Es  liegt  kein  Grund  vor,  an  der 
Richtigkeit  dieser  Darstellung,  wie  sie  Lehrbach  in  einem  Berieht  an 
Kaunitz  vom  3.  Oktober  1776  gibt,  zu  zweifeln;  umso  weniger,  als 
auch  Beckers  in  Mannheim  zugibt,  er  habe  keine  Gelegenheit  gehabt 
mit  Leykam  sich  zu  besprechen. 


')  Lehrbach  an  Kaunitz.  Frankfurt  a  M.  3.  Oktober  1776.  Orig.  H.  H.  u. 
St.  A.  Staatskanzlei.  Berichte  aus  dem  Reich  183. 

2)  Riaucour  an  Sacken.  Schwetzingen  28.  September  1776.  Orig.  Dresdener 
Archiv. 


Die  Entstellung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  77 

Dennoch  rief  dieser  Ausflug,  der  intime  Verkehr  mit  Lehrbach, 
die  gleichzeitige  Anwesenheit  des  Reichsreferendarius  grosses  Aufsehen 
hervor:  sogar  der  sonst  so  besonnene  Sacken  war  fest  überzeugt,  dass 
man  in  Frankfurt  sich  über  wichtige  Dinge  unterhalten  und  einen 
bösen  Plan  geschmiedet  habe  l).  Weniger  Bedeutung  legten  Beckers 
Collegen  im  Ministerium  dem  Besuch  bei;  sie  billigten  ihn  auch 
keineswegs,  da  er  nur  neuen  Anlass  zu  Verdacht  und  Argwohn  gab, 
ohne  irgend  welchen  Nutzen  zu  bringen;  denn  wenn  Leykam  der 
kurfürstlichen  Regierung  Eröffnungen  zu  machen  gehabt  hätte,  wäre 
er  zweifellos  nach  Mannheim  gekommen.  Dieser  Ansicht  neigte  schliess- 
lich auch  Riaucour  zu ;  schon  die  Uneinigkeit  innerhalb  des  pfälzischen 
Ministeriums  machte  einen  Erfolg  der  Becker'schen  Intriguen  wenig 
wahrscheinlich.  Trotzdem  Hess  er  nicht  nach  in  seiner  Wachsamkeit; 
die  wiederholten  Beratungen  Beckers  mit  dem  kaiserlichen  Gesandten, 
so  oft  dieser  am  pfälzischen  Hofe  erschien,  entgingen  ihm  nicht;  er 
wandte  sich  an  Freiherrn  von  Oberndorff,  kurfürstlichen  Minister  des 
Innern,  um,  wenn  möglich,  über  den  Inhalt  der  Unterredungen  etwas 
zu  erfahren ;  indes  Oberndorff  legte  ihnen  kein  Gewicht  bei,  nach  seiner 
Meinung  verhandelte  der  Wiener  Hof  nur  zum  Schein;  in  Wahrheit 
beabsichtige  er  die  Dinge  in  dem  bisherigen  Zustand  der  Ungewiss- 
heit  zu  lassen,  um  bei  Eröffnung  der  bayerischen  Erbfolge  im  Trüben 
fischen  zu  können  2) 

Wie  es  nun  auch  um  die  Verhandlungen  stehen  mochte,  so  viel 
stand  überall  fest,  dass  Beckers  in  Wien  als  ein  brauchbares  und 
williges  Werkzeug  der  österreichischen  Politik  angesehen  wurde;  der 
Kaiserhof  selbst  gab  dies  deutlich  zu  erkennen  dadurch,  dass  bei  Ge- 
legenheit des  Aufschubes  der  Reise  der  Minister  im  Namen  und  Auf- 
trag der  Kaiserin-Königin  aufgefordert  wurde,  seinen  Sohn  nach  Wien 
zu  schicken,  Ihre  Majestät  werde  für  ihn  sorgen  und  auch  sich  der 
Tochter  annehmen;  es  hiess  ferner,  dass  dem  Schwager  Beckers,  dem 
Geheimen  Rat  von  Huber  eine  Reichshofratsstelle  in  Aussicht  gestellt 
worden  sei,  dass  aber  Beckers  auf  eine  noch  vorteilhaftere  Anstellung 
für  ihn  im  Reichsdienst  rechne.  Da  Lehrbach  persönlich  von  dem 
Kurfürsten  die  Erlaubnis  erbitten  musste,  dass  der  junge  Beckers  nach 
Wien  gehen  dürfe,  erregte  diese  Angelegenheit  nicht  geringes  Aufsehen ; 
die  nicht  der  österreichischen  Partei  angehörigen  Mitglieder  der  Re- 
gierung wunderten    sich,    dass  Karl  Theodor   die  Augen    noch   immer 


»)  Sacken  an  Riaucour.  Dresden  8.  Oktober  1778.  Concept.  Dresdener  Archiv. 
2)  Riaucour  an  Sacken.  Schwetzingen  8.,  Mannheim  22.  Oktober  1776.  Orig. 
Dresdener  Archiv. 


7$  U  n  z  e  r. 

nicht  aufgehen  wollten  über  die  vollkommene  Abhängigkeit  seines 
leitenden  Staatsmannes  vom  Wiener  Hof  1). 

In  Mannheim  hatte  man  in  der  That  Grund  zu  glauben,  dass  der 
Kaiserhof  auf  eine  Vereinbarung  über  die  bayerische  Erbfolge  keinen 
grossen  Wert  lege.  Lehrbach  vermied  auf  diese  Frage  einzugehen, 
während  er  im  Geheimen  freilich  scharf  beobachtete,  wie  man  am 
pfälzischen  Hofe  darüber  dachte.  Er  konnte  berichten,  dass  der  Kur- 
fürst grössere  Ergebenheit  als  je  für  die  Kaiserin-Königin  zeige  und 
des  Allerhöchsten  Schutzes  sich  würdig  zu  machen  beflissen  sei;  eine 
Denkschrift,  die  Ritter  in  der  Jülich-Berg'schen  Successionsangelegen- 
heit  überreichen  solle,  werde  dieser  Gesinnung  Ausdruck  geben. 
Gleichzeitig  mit  dieser  Ankündigung  äusserte  Karl  Theodor  von  Neuem 
den  Wunsch,  dass  auch  die  bayerische  Erbfolge  bald  geregelt  werde, 
da  der  Gesundheit  Maximilian  Josephs  nicht  mehr  zu  trauen  sei.  Wäh- 
rend aber  Lehrbach  dort  den  Kurfürsten  in  seiner  günstigen  Stimmung 
zu  bestärken  suchte,  wurde  er  hier  schweigsam  und  wich  näheren 
Erörterungen  aus  2) 

Im  Laufe  des  November  übergab  Ritter  die  in  Aussicht  gestellte 
Erklärung  der  Staatskanzlei;  sie  wurde  gut  aufgenommen,  doch  ver- 
langte man,  dass  entweder  seitens  der  regierenden  Kurfürstin  von  der 
Pfalz,  die  eine  Prinzessin  von  Sulzbach  und  als  solche  unmittelbar  an 
der  Jülich-Berg'schen  Erbfolge  beteiligt  war,  wie  von  dem  Herzog  von 
Zweibrücken  als  Sohn  einer  sulzbach'schen  Prinzessin,  gleichlautende 
Schriftstücke  eingesandt  würden,  oder  dass  diese  Fürstlichkeiten  in 
besonderen  Schreiben  an  die  kaiserlichen  Majestäten  unter  Bezugnahme 
auf  die  Erklärung  des  Kurfürsten  die  Allerhöchste  Verwendung  in  der 
fraglichen  Angelegenheit  nachsuchten.  Offenbar  hatte  dies  Verlangen 
wieder  nur  den  Zweck  Zeit  zu  gewinnen ;  Kaunitz  wollte  wahrschein- 
lich erst  die  Ansicht  des  französischen  Hofes  vernehmen,  bevor  er  mit 
Kurpfalz  sich  auf  die  eine  und  die  andere  Frage  einliess.  Es  ist  beach- 
tenswert, dass  trotz  der  ersten  Anregung  Ritters  im  Frühjahr  1776 
bisher  noch  keine  Schritte  von  Seiten  der  Wiener  Staatskanzlei  ge- 
schehen zu  sein  scheinen,  um  die  Stimmung  an  anderen  Höfen  zu 
erkunden. 

Beckers  geriet  durch  die  Forderung  des  Wiener  Hofes  in  Ver- 
legenheit; am  4.  Dezember  schrieb  er  an  den  in  Mainz  weilenden 
Lehrbach,  er  wisse  nicht,  wie  er  sie,  soweit  sie  den  Herzog  von  Zwei- 


')  Riaucour  an  Sacken.  Mannheim  9.  November  1776.  Orig.  Dresdener  Archiv. 
2)  Lehrbach  an  Kaunitz.  Frankfurt  a/M.  27.  und  30.  Oktober  1776.     Orig. 
H.  H.  u.  St.  A. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.    1778.  79 

brücken  betreffe,  erfüllen  solle,  denn  die  Umgebung  dieses  Fürsten, 
vielleicht  sogar  er  selbst,  seien  nicht  so  gesinnt,  dass  auf  die  not- 
wendige Geheimhaltung  gerechnet  werden  könne.  Er  bat,  der  Gesandte 
möge  nötigenfalls  seinen  Einfluss  bei  dem  Herzog  geltend  machen,  um 
das  Bekanntwerden  des  Geheimnisses  zu  verhüten;  auch  wünschte  er 
sich  mit  ihm  zu  besprechen.  Lehrbach  versprach  in  seiner  Antwort,  er 
werde  sein  Möglichstes  thim,  um  die  Sache  zu  einem  guten  Ende  zu 
führen,  doch  könne  er  erst  nach  Neujahr  wieder  nach  Mannheim 
kommen;  er  verzögerte  absichtlich  sein  Erscheinen,  um  vorher  neue 
Instructionen  aus  Wien  einholen  zu  können.  Nicht  lange  danach  er- 
hielt er  ein  weiteres  Schreiben  von  Beckers  (vom  13.  Dezember)  mit 
dem  Vorschlag,  dem  Herzog  von  Zweibrücken  solle  einstweilen  keine 
Mitteilung  gemacht  werden,  man  wolle  ihn  vielmehr  erst  nach  erfolgter 
Verständigung  zwischen  Mannheim  und  Wien  zum  Beitritt  auffordern. 
Schwierigkeiten  erwartete  man  von  dieser  Seite  nicht,  denn  der  Herzog 
hatte  erklärt,  er  werde  sich  in  allen  das  pfälzische  Haus  betreffenden 
Angelegenheiten  dem  Willen  des  Kurfürsten  fügen  1). 

An  den  europäischen  Höfen,  die  nicht  unmittelbar  bei  der  baye- 
rischen Erbfolge  beteiligt  waren,  war,  wie  gesagt,  von  Seiten  des 
Wiener  Hofes  noch  ebenso  wenig  eine  Anregung  zur  Erörterung  jener 
Frage  erfolgt,  wie  bei  den  Nächstbeteiligten  Bayern,  Pfalz  und  Sachsen ; 
denn  die  bisher  gepflogenen  Verhandlungen  waren  von  Kurpfalz  aus- 
gegangen. Jetzt  hielt  indes  Kaunitz  den  Zeitpunkt  für  gekommen, 
die  Stimmung  der  französischen  Kegierung  zu  erforschen;  die  Reise 
Kaiser  Josephs  nach  Paris,  die  in  den  ersten  Tagen  des  Jahres  1777 
angetreten  werden  sollte,  bot  eine  günstige  Gelegenheit.  Er  verfasste 
mit  gewohnter  Gründlichkeit  eine  Denkschrift2),  welche  dem  Kaiser 
als  Instruction  dienen  sollte,  vorausgesetzt,  dass  er  Neigung  habe  bei 
seinem  Aufenthalt  in  Versailles  sich  auf  politische  Gespräche  oder  gar 
diplomatische  Verabredungen  einzulassen.  Dies  Aktenstück  ist  durch- 
aus vertraulicher  Natur,  sein  Inhalt  daher  von  um  so  grösserer  Be- 
deutung. Es  ist  keineswegs  allein  die  bayerische  Erbfolgefrage,  die 
darin  behandelt  wird,  sie  nimmt  auch  nicht  den  grössten  Raum  ein; 
doch  kommt  das,  was  auf  sie  Bezug  hat,  allein  für  diese  Untersuchung 
in  Betracht. 


»)  Lehrbach  an  Kaunitz.  Mainz  10.  u.  13.  Dezember.  Orig.  H.  H.  u.  St.  A. 
—  Lehrbach  an  Beckers  s.  d.  et  1.,  Extract,  von  Riaucour  nach  Dresden  geschickt, 
Mannheim  21.  Dezember  1776.  Dresdener  Archiv.  Loa  2628  —  des  Geh.  Rats 
Grafen  von  Riaucour  Abschickung  vol.  XXX. 

2)  Sie  ist  datirt  vom  22.  Dezember  1776;  veröffentlicht  von  A.  Beer  im 
Archiv  für  Osten-.  Gesch.  Bd.  48.  1872. 


80 


U  n  z  e  r. 


Von  vornherein  lässt  Kaunitz  keinen  Zweifel  darüber,  dass  die 
von  dem  Wiener  Hof  geltend  zu  machenden  Ansprüche  auf  bayerische 
Gebietsteile,  obwohl  an  sich  gewichtig  und  einleuchtend,  doch  noch 
keineswegs  als  unanfechtbar  bezeichnet  werden  könnten,  denn  man 
wisse  ja  nicht,  ob  nicht  Pfalz  etwa  stichhaltige  Einwendungen  und 
begründete  Gegenansprüche  vorzubringen  vermöge.  Andererseits  habe 
aber  auch  kein  einziger  Staat  ein  Interesse  daran,  dass  Österreich  sich 
durch  einen  Zuwachs  an  bayerischem  Gebiet  vergrössere;  im  Gegen- 
teil sieht  er  es  als  sicher  an,  dass  verschiedene  Höfe  die  äussersten 
Mittel  anwenden  werden,  um  diese  Machterweiterung  zu  verhindern. 
Ein  schwerer  und  höchst  gefährlicher  Krieg  gilt  ihm  als  nahezu  un- 
vermeidlich, falls  Oesterreich  den  Besitz  Bayerns  behaupten  wolle; 
eine  Verständigung  mit  Preussen  und  Russland  könne  zwar  zu  dem- 
selben Ziele  führen,  aber  man  werde  dann  dem  verhassten  preussi- 
schen  Nachbar   einen   gleichwertigen  Gebietszuwachs    gönnen  müssen. 

Die  Ansprüche  des  Erzhauses,  so  legt  die  Denkschrift  dar,  er- 
strecken sich  nicht  auf  ganz  Bayern,  sondern  nur  auf  Niederbayern. 
Oberbayern  kann  dagegen  als  verfallenes  Lehen  in  Sequester  genommen 
und  dann  auf  Grund  der  Reichsgesetze  für  den  Unterhalt  des  jeweili- 
gen Kaisers  bestimmt  werden.  Hierzu  sind  Verhandlungen  mit  dem 
Reich,  sowie  mit  verschiedenen  deutschen  und  fremden  Höfen  erfor- 
derlich; da  diese  aber  unabsehbare  Weiteruugen  herbeiführen  können, 
so  wird  es  am  zweckmässigsten  sein  jetzt,  da  die  Erbfolge  bereits  viel- 
fach erörtert  wird  und  man  gar  nicht  mehr  in  der  Lage  ist  die  In- 
teressenten an  Verabredungen  untereinander  zu  hindern,  aus  der  bis- 
herigen Unthätigkeit  herauszutreten  und  die  ganze  Frage  durch  eine 
Vereinbarung  mit  Kurpfalz  aus  der  Welt  zu  schaffen.  Zweck  dieser 
Vereinbarung  soll  sein,  die  beiderseitigen  Ansprüche  festzustellen  und 
anzuerkennen,  dann  aber  sogleich  dem  Erzhaus  ein  Aequivalent  zu 
bestimmen  für  Niederbayern,  auf  das  es  begründete  Ansprüche  macht ; 
auch  will  der  Kaiser  alsdann  auf  die  Einziehuug  der  heimgefallenen 
Reichslehen  verzichten.  Zu  dem  auf  dieser  Basis  zu  schliessenden  Ver- 
trag wird  die  Zustimmung  Frankreichs  und  anderer  unparteiisch  den- 
kender Höfe  leicht  zu  erhalten  sein,  während  der  König  von  Preussen 
ganz  aus  dem  Spiel  gehalten  wird.  Am  meisten  erwünscht  wären  nun 
für  Oesterreich  als  Aequivalent  die  zwischen  Inn  und  Donau  gelegenen 
bayerischen  Besitzungen,  sowie  die  Oberpfalz  mit  Neuburg  und  Sulz- 
bach; für  die  letztgenannten  beiden  Herzogtümer  könnte  vielleicht 
ein  Teil  der  österreichischen  Vorlande  abgetreten  oder  die  Zahlung 
einer  massigen  Geldsumme  an  Sachsen  wegen  seiner  Allodialansprüche 
übernommen  werden. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  8| 

Diese  Abrundung  des  österreichischen  Länderbesitzes  verschafft  dem 
Erzhaus  zugleich  eine  Vermehrung  seiner  Einkünfte,  besonders  wichtig 
aber  ist,  dass  die  Zustimmung  des  Reichs  und  der  fremden  Höfe  kaum 
bezweifelt  werden  kann.  In  jeder  Beziehung  ist  also  dieser  Plan  vor- 
teilhaft und  auch  einem  etwaigen  Austausch  des  ganzen  Herzogtums 
Bayern  gegen  die  Niederlande  vorzuziehen.  —  Soweit  die  Denkschrift. 

Unter  den  fremden  Mächten,  deren  Zustimmung  für  das  Gelingen 
des  Kaunitz'schen  Planes  wichtig  war,  stand  Frankreich  obenan.  Als 
Garant  des  Westpfälischen  Friedens  hatte  der  Nachfolger  Ludwig  XIV. 
die  Möglichkeit  sich  bei  jeder  Gelegenheit  in  die  Angelegenheiten  des 
Deutschen  Keichs  einzumischen ;  aber  auch  als  Verbündeter  Oesterreichs 
konnte  er  verlangen,  dass  ihm  von  so  weittragenden  Plänen  frühzeitig 
Mitteilung  gemacht  werde.  Mit  dieser  Mitteilung  nun  gedachte  Kaunitz 
den  Kaiser  zu  beauftragen,  zugleich  sollte  er  die  Verhandlungen  über 
Frankreichs  Einwilligung  in  Gang  bringen. 

Gewiss  bedauerte  es  der  Staatskanzler  aufs  Tiefste,  als  der  Kaiser 
seine  Keise  bis  zum  Frühjahr  hinausschob;  eine  Gelegenheit  zur  An- 
knüpfung, wie  sie  günstiger  kaum  gedacht  werden  konnte,  ging  dadurch 
verloren;  denn  die  Eröffnungen  an  den  Versailler  Hof  abermals  um 
ein  Vierteljahr  zu  verzögern,  den  Kurfürsten  von  der  Pfalz  noch  länger 
hinzuhalten  schien  bedenklich;  so  musste  der  regelmässige  diplomati- 
sche Weg  betreten  werden,  um  die  Unterhandlung  einzuleiten. 

Der  Vertreter  des  Kaiserhofes  in  Frankreich  war  ein  langjähriger 
Vertrauter  der  Kaiserin-Königin,  Graf  Mercy-Argenteau,  dem  auch  der 
Staatskanzler  unbedingtes  Vertrauen  schenkte.  An  ihn  erging  bald  nach 
dem  Aufschub  der  Keise  des  Kaisers  der  Befehl,  bei  der  ersten  günsti- 
gen Gelegenheit  die  bayerische  Erbfolge  zur  Sprache  zu  bringen.  Ein 
Gespräch  mit  dem  Minister  des  Auswärtigen,  Grafen  Vergennes  über 
die  Erbfolge  in  Jülich-Berg  bot  bald  den  gesuchten  Anknüpfungs- 
punkt; Mercy  sprach  den  Wunsch  aus,  dass  gleichzeitig  mit  jener 
Frage  ein  Uebereinkommen  wegen  der  bayerischen  Succession  getroffen 
werde;  der  König  von  Preussen  habe  dieserhalb  dem  Wiener  Hof 
bereits  böse  Absichten  angedichtet  und  auch  andere  Staaten  entfalteten 
schon  eine  emsige  Thätigkeit,  während  man  in  Wien  bisher  den  Fall 
als  noch  zu  fern  liegend  angesehen  habe,  um  Vorkehrungen  zu  treffen. 
Indes  scheine  es  jetzt  an  der  Zeit  zu  sein,  mit  der  Sprache  herauszu- 
rücken und  zugleich  dem  Verbündeten  Mitteilung  zu  machen. 

Längst  schon  hatte  das  Versailler  Cabinet  den  über  den  Rhein 
herüber  dringenden  Gerüchten  von  Verhandlungen  zwischen  den  an 
der  bayerischen  Erbschaft  Beteiligten  Aufmerksamkeit  geschenkt;  der 
französische    Gesandte    in  Mannheim,  Odunne    war  durch  vortreffliche 

Mittheilungeu  XV.  Ö 


g2  U  n  z  e  r. 

Verbindungen  im  Stande,  manche  wertvolle  Nachricht  nach  Versailles 
gelangen  zu  lassen  und  seine  Haltung  beweist,  dass  das  französische 
Ministerium,  bevor  es  officiell  durch  Mercy  von  dem  Stand  der  Dinge 
Kenntnis  erhielt,  seine  Ansicht  sich  bereits  gebildet  hatte.  Doch  hielt 
es  Vergennes  nicht  für  zweckmässig,  Mercy  seine  eingehende  Bekannt- 
schaft mit  der  Frage  zu  verraten:  er  schützte  mangelhafte  Kenntnis 
der  deutschen  Reichsverfassung  vor,  um  die  sofortige  Beantwortung  zu 
umgehen.  Der  Botschafter  legte  ihm  nun  dar,  dass  die  Frage  mit 
Hilfe  des  Keichslehenrechts,  der  Bestimmungen  des  Westpfälischen 
Friedens  und  der  kaiserlichen  Wahlkapitulation  leicht  und  einfach  zu 
lösen  sei;  danach  habe  Kurpfalz  nur  Anspruch  auf  die  fünfte  Kur- 
würde und  auf  die  Oberpfalz ;  alles  Uebrige  sei  Lehen  und  zwar  Reichs- 
lehen, das  mit  Zustimmung  des  Reichs  entweder  neu  vergeben  oder 
als  ein  beständiges  Domanium  für  den  jeweiligen  Kaiser  verwendet 
werden  müsse,  —  oder  aber  Lehen  der  Krone  Böhmen  und  anderer 
Staaten.  Ganz  so  einfach  schien  der  Sachverhalt  dem  französischen 
Minister  indes  doch  nicht  zu  sein;  er  entgegnete,  seiner  Ansicht  nach 
träten  beim  Erlöschen  einer  Linie  die  Agnaten  aus  der  andern  Linie 
sofort  als  Erben  ein;  auch  müsse  man  auf  die  Hausverträge  Rücksicht 
nehmen.  Mercy  versetzte  schlagfertig,  der  Eintritt  der  Agnaten  sei 
nur  möglich,  wenn  sie  die  Mitbelehnung  empfangen  hätten;  was  aber 
die  Hausverträge  betreffe,  so  seien  sie  nur  gültig,  soweit  sie  die  Rechte 
Dritter  nicht  schädigten  —  vorausgesetzt,  dass  sie  in  Folge  der 
Bestätigung  durch  Kaiser  und  Reich  überhaupt  reichsrechtliche  Giltig- 
keit  besässen. 

So  bestimmt  Mercy  auch  die  Einwände  des  Ministers  zurückwies, 
so  wenig  vermochte  er  ihn  zu  überzeugen;  er  hielt  es  schliesslich  bei 
der  sichtlichen  Verstimmtheit  Vergennes  für  ratsam,  zunächst  sich  mit 
den  gemachten  Andeutungen  zu  begnügen  „  und  das  hiesige  Ministerium 
nicht  auf  einmal  allzu  schüchtern  machen  zu  sollen,  massen  es  solcher- 
gestalten  den  ganzen  Umfang  unserer  Ansprüche  nicht  einsiehet  und 
uns  gleichwohl  keiner  Verschlossenheit  beschuldigen  kann." 

Entsprach  schon  die  Aufnahme  dieser  einleitenden  Eröffnungen 
den  Wünschen  des  Wiener  Hofes  durchaus  nicht,  so  zeigten  die  Aeusse- 
rungen  des  französischen  Botschafters  in  Wien,  der  sich  damals  gerade 
in  Baris  auf  Urlaub  befand,  dass  Oesterreich  mit  seinen  bayerischen 
Plänen  bei  Frankreich  auf  starken  Widerstand  stossen  werde.  Baron 
Breteuil  machte  gegen  Mercys  Vorbringen  dieselben  Einwendungen  wie 
Vergennes,  und  als  der  Vertreter  Maria  Theresias  die  Agnatenerbfolge 
und  die  Gültigkeit  der  Hausverträge  auch  ihm  gegenüber  nur  bedingt 
zugeben  wollte,  erklärte  er,  mit  solchen  Grundsätzen    werde  man  das 


Die  Entstellung  der  pfälzisch*österr.  Convention  v.  3.  Jan.   1778.  g$ 

ganze  deutsche  Reichssystem  umstürzen.  In  seinem  Bericht  an  Kaunitz 
bemerkte  Mercy,  es  gebe  nur  zwei  Arten  der  Erklärung  für  die  Hal- 
tung der  französischen  Staasmänner:  entweder  sei  die  bayerische  Erb- 
folgefrage schon  von  andrer  Seite  in  Oesterreichfeindlichem  Sinne 
augeregt  worden  oder  die  leitenden  Grundsätze  seien  in  Paris  durch- 
aus verschieden  von  denjenigen,  die  man  in  Wien  befolge  1). 

Aber  noch  eine  andere  Erfahrung  machte  Mercy,  die  ihm  eben- 
falls peinlich  war:  immer  deutlicher  zeigte  sich  das  Bestreben  Ver- 
gennes  alle  wichtigeren  diplomatischen  Verhandlungen  von  Versailles 
weg  an  die  fremden  Höfe  zu  verlegen,  wo  sie  von  den  französischen 
Gesandten  geführt  werden  sollten.  Als  der  pfälzische  Gesandte  Graf 
Sickingen  mit  dem  Minister  über  die  Jülich -Berg'sche  Trage  sprechen 
wollte,  erhielt  er  den  Bescheid,  Breteuil,  der  bald  nach  Wien  zurück- 
kehre, sei  mit  den  nötigen  Weisungen  versehen;  fast  ängstlich  wich 
Vergennes  jedem  Zusammentreffen  mit  dem  kaiserlichen  Botschafter 
aus,  das  zu  eingehenden  Auseinandersetzungen  Gelegenheit  geboten 
hätte. 

Am  24.  März  trat  Breteuil  die  Rückreise  nach  Wien  an;  seine 
Instruction  legt  Zeugnis  ab  von  der  in  den  französischen  Regierungs- 
kreisen herrschenden  Verstimmung  gegen  den  Kaiserhof  *).  Das  gemein- 
same Vorgehen  Mercys  und  Sickingens  in  der  Jülich-Berg'schen  An- 
gelegenheit hatte  nämlich  in  Paris  den  Verdacht  erweckt,  als  ob  bereits 
seit  längerer  Zeit  Verhandlungen  zwischen  Mannheim  und  Wieu  im 
Gange  seien,  die  man  vor  dem  Alliirten  geheimgehalten  habe.  Ja, 
man  glaubte  sich  zu  dem  Vorwurf  berechtigt,  Oesterreich  habe  bisher 
stets  nur  seine  eigenen  Interessen  verfolgt,  selbst  wenn  sie  zu  denen 
des  Bundesgenossen  im  Gegensatz  standen;  es  habe  sogar  nach  alter 
Gewohnheit  bei  den  meisten  Unterhandlungen  Frankreichs  im  Aus- 
land, zumal  an  den  deutschen  Höfen,  dessen  Absichten  bald  offen, 
bald  insgeheim  bekämpft.  Doch  gestand  die  Instruction  auch  wieder 
zu,  dass  seit  dem  bedrohlichen  Vorgehen  der  Russen  auf  der  Krim 
darin  eine  bedeutsame  Veränderung  zum  Besseren  eingetreten  sei  und 
zwar  wesentlich  durch  die  freimütige  Eröffnung  des  österreichischen 
Ministeriums  über  alle  wichtigeren  Fragen  der  internationalen  Politik, 
die  dann  den  Anstoss  zu  einem  Meinungsaustausch  und  zu  lebhafterem 
diplomatischen  Verkehr  gegeben  habe.  Die  Frage  nun,  welche  zur 
Zeit  der  Reise  Breteuils  im  Vordergrund  des  Interesses  stand,  war  die 


')  Mercy  an  Kaunitz.  Paris  19.  Februar  1777.  Orig.  H.  H.  u.  St.  A.  Frank- 
reich. Correspondenz  208. 

-)  Instruction  für  Breteuil  vom  2.  März  1777.  Recucil  des  Instructions  t.  I. 
Autriche  p.  501  ft'. 

6* 


g4  Unze  r. 

orientalische ;  an  ihrer  Lösung  war  Oesterreich  als  Nachbar  Russlands 
und  der  Türkei  nahe  beteiligt.  Das  Verhältnis  zu  Preussen  trat  für 
die  Wiener  Staatsmänner  hinter  jene  brennende  Frage  kaum  für  einen 
Augenblick  zurück.  Erst  in  dritter  Linie  kam  das  Interesse  Oesterreichs 
an  der  Succession  in  Jülich-Berg  und  an  der  bayerischen  Erbfolge. 
Ueber  diese  Punkte  hatte  der  Wiener  Hof  dem  Grafen  Vergennes  durch 
Mercy  seine  Ansicht  aussprechen  lassen ;  Breteuil  sollte  die  Antwort 
darauf  überbringen. 

Die  für  uns  vorwiegend  in  Betracht  kommende  bayerische  Erb- 
folgefrage erfährt  in  dieser  Antwort  eine  sehr  kurze  Abfertigung,  sie 
wird  bezeichnet  als  eine  noch  im  Stadium  theoretischer  Erörterungen 
befindliche  Angelegenheit,  über  die  das  französische  Ministerium  weitere 
Aufklärungen  erwarte,  bevor  es  eingehender  dem  König  berichten  und 
dem  Botschafter  Weisung  geben  könne.  Vergleicht  man  diese  knappe 
Erwähnung  mit  der  ausführlichen  Besprechung  der  Jülich-Berg'schen 
Succession  in  Breteuils  Instruction,  so  ergibt  sich,  dass  Vergennes  nicht 
o-ewillt  war  sich  mit  den  dürftigen  Andeutungen  Mercy s  vom  Februar 
zu  begnügen,  dass  er  aber  auch  keineswegs  die  Kegelung  der  bayeri- 
schen Erbfolge  für  besonders  dringlich  hielt.  Offenbar  war  ihm  das 
Aufwerfen  dieser  Frage  in  dem  gegenwärtigen  Augenblick,  da  die  Auf- 
merksamkeit Frankreichs  ebenso  sehr  von  den  Vorgängen  in  der  Krim 
wie  in  den  amerikanischen  Colonien  in  Anspruch  genommen  wurde, 
recht  unbequem.  Im  Ganzen  genommen  war  man  aber  doch  zufrieden, 
dass  der  Kaiserhof  sich  endlich  einmal  offen  und  vertrauensvoll  an 
seinen  Alliirten  gewendet  hatte;  deshalb  wurde  Breteuil  angewiesen, 
durch  freimütige  Aussprache,  wenn  möglich,  die  Anknüpfung  einer 
vertraulichen  Corresponuenz  herbeizuführen  und  so  allen  bisher  recht 
zahlreichen  Missverständnissen  vorzubeugen. 

So  also  lagen  die  Dinge,  als  Kaiser  Josef  in  den  letzten  Tagen 
des  März  1777  die  Reise  nach  Frankreich  antrat.  Schon  in  ruhigen 
Zeitläuften  hätte  dieses  Ereignis  die  Blicke  von  ganz  Europa  auf  sich 
gelenkt;  um  wie  viel  mehr  musste  dies  der  Fall  sein  in  einem  Augen- 
blick, da  im  Osten  und  im  Westen  des  Weltteils  schwere  Gewitter- 
wolken am  politischen  Himmel  den  Ausbruch  blutiger  Kriege  anzu- 
kündigen schienen,  da  im  Innern  des  deutschen  Reichs  in  Folge  des 
Scheiterns  der  Kammergerichtsvisitation  die  Spannung  zwischen 
Katholiken  und  Protestanten  einen  bedenklich  hohen  Grad  erreicht 
hatte ! 

Es  scheint  fast,  als  habe  man  in  Versailles  Kenntnis  gehabt  von 
der  Kaunitz'schen  Denkschrift  vom  Dezember  des  Vorjahrs  und  von 
dem  Zweck,  den   sie  verfolgte.     Schon    hatte  Joseph    die  französische 


Die  Entstehung  der  plälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  177S.  85 

Grenze  überschritten,  da  verfasste  auch  Vergennes  eine  Instruction  für 
seinen  jungen,  noch  unerfahrenen  Monarchen,  um  ihn  zu  warnen  vor 
den  Fallstricken  seines  hohen  Gastes.  Da  man  Joseph  die  Absicht  zu- 
schrieb den  Einfluss  seiner  Schwester,  der  Königin  Maria  Antoinette 
zu  vero-rössern  und  durch  sie  den  Herzog  von  Choiseul  und  den  Baron 
Breteuil  ins  Ministerium  zu  bringen,  war  der  Ton  der  Denkschrift 
ziemlich  gereizt.  Auch  in  ihr  missbilligt  der  Minister  aufs  Schärfste 
die  Art,  wie  die  Allianz  von  Oesterreich  bisher  missbraucht  worden 
sei.  wie  der  Wiener  Hof  das  Vertrauen  der  deutschen  Fürsten  auf 
Frankreichs  Beistand  bei  der  Verteidigung  ihrer  Eechte  zu  unter- 
graben gesucht  habe.  Er  legt  die  Ungleichheit  der  Vorteile  dar,  welche 
die  Allianz  ihren  Theilnehmern  biete  und  warnt  davor,  neue  Ver- 
pflichtungen zu  übernehmen,  etwa  des  Inhalts,  dass  Frankreich  im 
Notfall  Oesterreich  mit  allen  seinen  Mitteln  unterstütze.  Das  Ziel  des 
Wiener  Hofes  könne  bei  solchen  Forderungen  immer  nur  die  Ver- 
nichtung Preussens  sein;  gerade  dieser  Staat  sei  aber  das  letzte  Boll- 
werk gegen  den  österreichischen  Ehrgeiz,  das  Frankreich  in  seinem 
eigenen  Interesse  aufrecht  erhalten  müsse.  Eben  dieses  Interesse  Frank- 
reichs verbiete  auch  eine  Vergrösserung  der  österreichischen  Macht,  die 
selbst  bei  der  Hingabe  der  Niederlande  oder  Vorderösterreichs  als 
Aequivalent  zu  unermesslichem  Schaden  Frankreichs  ausschlagen  werde. 
Die  Bewahrung  des  bestehenden  Zustandes  in  Mitteleuropa,  die  Erhal- 
tung des  Gleichgewichts  der  Mächte  wird  von  Vergennes  als  der  lei- 
tende Gedanke  der  französischen  Politik  hingestellt. 

Doch  die  Besorgnisse  des  Ministers  vor  gefährlichen  Plänen  Josephs 
erwiesen  sich  als  unbegründet;  der  Kaiser  kam  nach  Frankreich,  um 
seine  Schwester  wieder  zu  sehen,  seinen  Schwager  und  den  französi- 
schen Hof  kennen  zu  lernen;  die  Absicht  Politik  zu  treiben  lag  ihm 
fern.  Und  so  ist  auch  wahrscheinlich  die  bayerische  Erbfolgefrage  bei 
seinem  Aufenthalt  in  Versailles  gar  nicht  einmal  ausführlich  erörtert 
worden  x). 

Während  der  Abwesenheit  Josephs  von  Wien  wurden  in  der 
Staatskanzlei  alle  Vorbereitungen  getroffen,  um  nach  der  Rückkehr 
des  Monarchen  die  Entscheidung  über  die  weitere  Behandlung  sowohl 
der  Jülich-Berg'schen  als  der  bayerischen  Erbfolge  herbeizufühen.  Ein 
lebhafter  Meinungsaustausch    mit    dem   pfälzischen  Hofe   hatte  bereits 


')  Vergleiche  Riaucours  Schreiben  an  Stutterheim.  Mannheim  7.  Juni  1777. 
ürig. ;  on  pretend  au  reste  qu'  il  sera  tres-difficile  d'  approf'ondir  si  1'  Ernpereur 
a  parle  d'  affaire  en  France  et  que  tout  ce  qu'on  avance  lä-dessus  rt'est  fonde 
que  aur  des  conjectures  incertaines.     Dresdener  Archiv. 


<^q  Unze  r. 

wesentlich  zur  Klarstellung  der  beiderseitigen  Ansprüche  beigetragen. 
Die  Antwort  des  Wiener  Ministeriums  auf  die  pfälzische  Anregung  in 
der  Jülich-Berg'scheu  Angelegenheit  vom  November  1776  hatte,  wie 
erwähnt,  entgegenkommend  gelautet;  Kurfürst  Karl  Theodor  hatte 
daraus  Anlass  genommen  in  seinem  Dankschreiben  den  Wunsch  aus- 
zusprechen, „dass  Sie  ebenmässige  gewübrigste  Neigung  zu  der  Ihro 
nicht  weniger  am  Herzen  liegenden  friedlichen  Berichtigung  über  die 
eventuale  bayerische  Erbfolge  Sich  zu  getrösten  haben  niögten".  Als 
auch  hierauf  eine  günstige  Antwort  erfolgte,  erklärte  Karl  Theodor, 
dass  er  in  beiden  Angelegenheiten  sein  ganzes  Vertrauen  auf  den 
Wiener  Hof  setze  (am  14.  Februar  1777)  und  wies  seinen  Gesandten 
Freiherrn  von  Eitter  an  sich  in  diesem  Sinne  zu  äussern  *) ;  einen 
unzweideutigen  Beweis  dieser  Gesinnung  gab  dann  Beckers,  indem  er 
dem  Freiherrn  von  Lehrbach  einen  Auszug  aus  der  sehr  umfangreichen 
Denkschrift  des  pfälzischen  Staatsrats  von  Cuntzmann  übermitteln  liess, 
worin  die  Ansprüche  des  Kurfürsten  auf  die  bayerische  Erbschaft  dar- 
gelegt und  rechtlich  begründet  wurden,  die  zugleich  aber  auch  die 
Mittel  und  Wege  angab,  wie  Kurpfalz  in  den  Besitz  des  Erbes  gelan- 
gen könne.  Das  alleinige  Heil  sieht  der  Verfasser  jetzt,  nachdem  er 
früher  anderer  Ansicht  gewesen  war,  in  rückhaltlosem  Anschluss  an 
den  Kaiser;  schon  die  Klugheit  gebiete  dies  Verhalten,  denn  die 
kaiserlichen  Ansprüche  auf  die  unmittelbaren  Reichslehen  seien  be- 
gründet und  ihre  Geltendmachung  werde  zu  den  grössten  Unbequem- 
lichkeiten für  Kurpfalz  führen ;  auch  könne  der  Wiener  Hof  sehr  zum 
Nachteil  von  Pfalz  die  kursächsischen  Ansprüche  auf  das  Allodium 
unterstützen.  Die  Denkschrift  empfiehlt  einen  Gebietsaustausch:  Karl 
Theodor  erhält  die  Reichslehen,  die  im  Besitz  der  bayerischen  Linie 
gewesen  sind,  und  gibt  dafür  das  Land  jenseits  des  Inns  ganz  oder 
zum  Teil  an  0  esterreich  ab.  Der  Wiener  Hof  soll  auch  versprechen, 
sich  in  Berlin  für  die  Erneuerung  der  preussischen  Garantie  wegen  der 
sulzbach'schen  Nachfolge  in  Jülich-Berg  zu  verwenden.  —  Es  war  das 
Programm,  der  Operationsplan  des  kurpfälzischen  Hofes,  den  Beckers 
dem  kaiserlichen  Gesandten  überlieferte  2). 


')  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  das  Dankschreiben  Karl  Theodors  mit 
dem  Schreiben  vom  14.  Februar,  die  erwähnte  günstige  Antwort  mit  der  auf  die 
Anregung  vom  November  1776  erfolgten  identisch  ist ;  die  Akten,  denen  ich  hier 
folge,  drücken  sich  nicht  deutlich  aus.  Uebrigens  scheint  mir  die  Frage,  ob  ein 
oder  zwei  Schreiben  ergangen  sind,  von  nur  geringer  Bedeutung  zu  sein. 

2)  Lehrbach  an  Kaunitz,  Mainz  4.  März  1777,  sendet  den  ihm  zugesandten 
Auszug,  der  »von  einer  vertrauten  Person  in  grosser  Eile  ohne  Jemandes  Vor- 
wissen angefertigt  worden*  sei.     H.  H.  u.  St.  A. 


Die  Entstehung  der  pfälzisck-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  §7 

Da  an  der  Aufrichtigkeit  Karl  Theodors  und  seines  leitenden 
Staatsmannes  nach  einer  so  weitgehenden  Eröffnung  nicht  mehr  zu 
zweifeln  war,  beantragte  Kaunitz  am  15.  März  in  einem  der  Kaiserin- 
Königin  gehaltenen  Vortrage,  dem  Kurfürsten  nun  auch  diejenigen 
Ansprüche  mitzuteilen,  welche  das  Erzhaus  Oesterreich  an  die  bayeri- 
sche Erbschaft  zu  haben  glaube ;  dadurch  erwidere  man  das  Vertrauen 
und  beuge  zugleich  nachteiligen  Uebertreibungen  vor,  an  denen  es 
die  Gegner  schwerlich  fehlen  lassen  würden.  Mit  dieser  Aufgabe  wurde 
Binder,  der  treue  Gehülfe  des  Staatskanzlers,  betraut;  er  übergab 
Kitter  zwei  Denkschriften,  deren  eine  den  Nachweis  führte,  dass  die 
bayerischen  Lande  nach  dem  Erlöschen  des  wilhelminischen  Mannes- 
stammes als  eröffnete  Reichslehen  zu  betrachten  seien,  während  die 
andern  die  österreichischen  Ansprüche  auf  einige  Teile  Bayerns 
darlegte1).  Mündlich  machte  Binder  dazu  die  Bemerkung:  „dass  nur 
das  vertrauliche  kurfürstliche  Benehmen  das  kaiserliche  Ministerium 
bewogen  hätte  über  einen  Gegenstand  so  offenmütig  zu  Werke  zu 
gehen,  welchen  man  ansonsten  bis  auf  den  sich  ergebenden  Fall 
beruhen  und  dem  diesseitigen  Gerechtsamen  günstig  glaubenden  Schick- 
sale zu  überlassen  gemeinet  gewesen  wäre " -). 

Die  pfälzische  Antwort  auf  diese  Eröffnung  liess  lange  auf  sich 
warten ;  erst  Anfang  Juli  übergab  Ritter  eine  Widerlegung  der  beiden 
Aufsätze.  Die  Behauptung,  dass  das  Fehlen  der  gleichzeitigen  Investi- 
tur der  rudolphmischen  Linie  den  Rückfall  der  bayerischen  Lande  an 
das  Reich  nach  sich  ziehe,  liess  man  in  Mannheim  nicht  gelten ;  man 
suchte  zu  beweisen,  dass  allein  das  Recht  der  gemeinsamen  Abstam- 
mung entscheide  und  dass  demnach  das  Herzogtum  Bayern  an  Kur- 
pfalz fallen  müsse.  Nicht  so  bestimmt  sprach  man  sich  über  die  An- 
sprüche von  Kaiser  und  Reich  auf  die  Neoacquisita  und  über  die 
österreichischen  Ansprüche  aus3).  Gegen  die  hier  vorgebrachten  Ein- 
wendungen richtete  sich  eine  Erwiderung  der  Staatskanzlei;  dem  wei- 
teren  Notenwechsel  gingen  mündliche  Besprechungen  mit  Ritter  zur 
Seite ;  dabei  machte  der  Gesandte  auch  einmal  den  Vorschlag,  Oester- 
reich möge  die  ganze  bayerische  Erbschaft  einschliesslich  der  Öberpfalz, 
sowie  die  Herzogtümer  Neuburg  und  Sulzbach  nehmen  und  dafür  ein 
angemessenes  Aequivalent  geben,  doch  zog  er  sich  durch  seinen  Ueber- 


')  Vergl.  Beer    in    der    hist.  Ztschrft,  Band  35  S.  96    und    Arneth,    Maria 
Theresia  Bd.  10,  S.  296. 

2)  Denkschrift    Ritters.  Wien  14.   Januar  1778.     ürig.  Bayer.  Geh.  St.  A. 
K.  schw.  329/32. 

3)  Kaunitz  Vortrag  vor  Maria  Theresia  vom  23.  August  1777.  Orig.  H.  H. 
u.  St.  A.  Vorträge  176. 


88 


Unze  r. 


eifer  einen  scharfen  Verweis  seines  Vorgesetzten  zu.  da  von  einer 
Abtretung  der  Überpfalz.  Xeuburgs  und  Sulzbachs  niemals  die  Bede 
sein  könne,  sondern  nur  von    der  Hingabe  Ober-    und  Niederbayerns. 

-  weit  -waren  die  Verhandlungen  gediehen,  als  Kauuitz  der  Kaiserin - 
Könioön  den  entscheidenden  Vortrag  vom  23-  August  hielt. 

Obwohl  man  in  Wien  und  Mannheim  über  alle  Verhandlungen, 
die  auf  die  bayerische  Erbschaft  Bezug  hatten,  das  grösste  Geheimnis 
walten  Hess,  drangen  doch  mancherlei  Gerüchte  in  die  Oeffentlichkeit. 
Gegen  Ende  Mai  erfuhr  Biaucour.  dass  die  Differenzen  Kursachsens 
mit  dem  böhmischen  Lehenshof  wegen  der  Grafschaft  Schoenburg 
Beckers  Anlass  gegeben  hätten  ein  Abkommen  über  die  bayerische 
Erbschaft  in  Wien  anzuregen  —  übrigens  ein  Lieblingsplan  dieses 
Ministers  —  und  dass  man  österreichiseherseit?  jetzt  nicht  mehr  die 
frühere  Abneigung  gegen  diese  Begehung  zu  zeigen  scheine:  bald 
wurde  ihm  Niederbayern  oder  das  Land  östlich  des  Inns  als  dasjenige 
Gebiet  bezeichnet,  welches  auf  Grund  eines  kürzlich  getroffeuen  Ab- 
kommens an  Oesterreich  fallen  sollte  l).  Gar  manche  Anzeichen  sprachen 
für  die  Richtigkeit  dieser  Angaben ;  Lehrbach  wurde  am  kurfürstlichen 
Hoflager  zu  Schwetzingen  zuvorkommender  als  je  empfangen  und  auch 
an  den  üblichen  vertraulichen  Besprechungen  mit  Beckers  fehlte  es 
nicht,  als  er  vom  21.  bis  26.  Mai  sich  in  Mannheim  aufhielt.  Auch 
die  Beise.  die  er  fast  unmittelbar  danach  zu  dem  Herzog  Karl  von 
Zweibrücken  unternahm  (31.  Mai  bis  3.  Juni),  um  sein  Beglaubigungs- 
schreiben zu  überreichen,  konnte  so  gedeutet  werden,  als  ob  er  die 
Zustimmung  des  nach  Karl  Theodor  nächsten  Erbberechtigten  zu  einer 
Vereinbarung  einholen  wolle.  Aber  der  Schein  trog:  Lehrbach  spielte 
in  dieser  Angelegenheit  nur  eine  untergeordnete  Bolle,  die  Verkand- 
hingen  über  die  Begehung  der  baverischen  Erbfolge  wurden  in  Wien 
geführt.  In  Mannheim  war  davon  höchstens  ganz  im  Allgemeinen  die 
Bede,  in  Jaegersburg.  dem  herzoglichen  Jagdschloss,  vielleicht  über- 
haupt  nicht.  Trotzdem  ist  Lehrbachs  Besuch  durchaus  nicht  ohne 
Bedeutung,  insofern  nämlich  als  der  Gesandte  die  VermittleiTolle 
übernommen  hatte  zwischen  den  augenblicklich  auf  gespanntem  Fuss 
mit  einander  stehenden  Höfen  von  Mannheim  und  Zweibrücken;  es 
gelang  ihm  durch  offene  Aussprache  mit  dem  Herzog  eine  Wieder- 
annäherung zu  erwirken,  die  bald  nachher  zu  vollständiger  Aussöhnung 
fohlte  - ').     Da    der  Herzog    bisher    eine    starke  Hinneignng  zu  Erank- 


J)  Riaucour  an  Stutterheim.  Mannheim  27.  u.  31.  Mai  1777.  Orig.  Xr.  43 
u.  44.     Dresdener  Archiv. 

-  Lehrbach  an  Kaunitz.  Mainz  7.  Juni,  Mannheim  17.  Juli  1777.  Orig. 
H.  H.  u.  St.  A. 


Die  Entstehung  der  plillzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.   1778.  39 

reich  o-ezeigt  hatte,  von  wo  er  beträchtliche  und  bei  seiner  leicht- 
sinnigen Finanzwirtb schaft  kaum  zu  entbehrende  Hilfsgelder  erhielt, 
das  französische  Ministerium  aber  den  österreichischen  Ansprüchen  auf 
Bayern  nicht  günstig  gesinnt  war,  konnte  die  Versöhnung  mit  Kur- 
pfalz, das  sich  dem  Wiener  Hofe  in  die  Arme  geworfen  hatte,  zugleich 
als  eine  Annäherung  an  diesen  gelten,  und  die  Gefahr,  dass  Frank- 
reich sich  des  Herzogs  zur  Durchkreuzung  der  österreichischen  Pläne 
bedienen  werde,  war  dadurch  verringert.  —  Noch  mehrmals  tauchten 
im  Laufe  des  Sommers  1777  Gerüchte  von  Verabredungen  zwischen 
Pfalz  und  Oesterreich  in  Mannheim  auf,  indes  stellte  sich  jedesmal 
bald  heraus,  dass  sie  wenig  Wahrscheinlichkeit  besassen. 

Am  1.  August,  dem  Tage,  da  Joseph  von  seiner  Reise  wieder  in 
die  österreichische  Hauptstadt  zurückkehrte,  hatte  Kaunitz  bereits  bei 
der  Kaiserin-Königin  in  Anregung  gebracht,  dass  der  pfälzische  Ge- 
sandte Freiherr  von  Bitter  bei  seinem  Hofe  um  die  Erlaubnis  nach- 
suche, sich  zu  persönlicher  Berichterstattung  und  Empfangnahme  von 
Weisungen  nach  Mannheim  begeben  zu  dürfen;  er  begründete  seinen 
Antrag  damit,  dass  die  Vorbereitungen  und  Ausarbeitungen  weit  genug 
vorgeschritten  seien,  um  demnächst  der  Allerhöchsten  Beurteilung 
und  Entscheidung  vorgelegt  zu  werden  *).  Maria  Theresia  gab  ihre 
Einwilligung,  Ritter  fragte  in  Mannheim  an  und  erhielt  umgehend  die 
erbeteue  Erlaubnis. 

Auf  Grund  der  inzwischen  beendeten  Vorarbeiten  trug  nun  der 
Staatskanzler  am  23.  August  die  bayerische  Erbfolgefrage  in  ihrer 
geschichtlichen  Entwicklung  seiner  Monarchin  vor,  er  legte  die  augen- 
blickliche Sachlage  dar  und  knüpfte  daran  eine  Reihe  von  Fragen, 
deren  Beantwortung  für  das  weitere  Verhalten  des  Wiener  Hofes  ent- 
scheidend werden  musste;  er  verfehlte  indes  nicht  jedes  Mal  gleich 
diejenige  Antwort  hinzuzufügen,  welche  seiner  Ansicht  nach  die  einzig- 
richtige  war.  Den  wesentlichen  Inhalt  hat  Arneth  in  seiner  Geschichte 
Maria  Theresias  mitgetheilt 2) ;  ich  begnüge  mich  die  von  Kaunitz 
gefundenen  Ergebnisse  aus  den  vielseitigen  Ueberlegungen  kurz  zu- 
sammen zu  fassen.  Der  Staatskanzler  rät  nichb  den  Tod  Maximilian 
Josephs  abzuwarten,  um  Oesterreichs  und  des  Kaisers  Rechte  geltend 
zu  machen,  sondern  vorher  und  zwar  möglichst  bald  eine  Convention  mit 
dem  pfälzischen  Hofe  abzuschliessen.  Darin  soll  Karl  Theodor  die 
Ansprüche  des  Erzhauses  auf  Niederbayeru  und  Mindelheim  aner- 
kennen,   wogegen    Oesterreich    die    pfälzische    Besitzergreifung    Ober- 


')  Vortrag  Kaunitz'  vom  1.  August  1777.     H.  H.  u.  St.  A. 
2)  Band  10.  Seite  297—301. 


90  Unze  r. 

bayerns,  allenfalls  auch  der  Neoaquisita  zuzulassen  verspricht.  Dem- 
nach werde  der  Vertrag  nichts  anderes  enthalten  als  eine  wechselseitige 
Anerkennung  der  beiderseits  herabgeminderten  und  in  Uebereinstim- 
mnng  gebrachten  Kechtsansprüche  auf  die  bayerische  Erbschaft;  trete 
Karl  Theodor  dann  mehr  Gebiet  ab,  als  er  durch  die  Convention  ver- 
pflichtet sei.  so  werde  er  —  aber  nur  dafür  —  ein  Aequivalent  er- 
halten ;  doch  müsse  dies  späterer  Vereinbarung  vorbehalten  bleiben. 
Diese  Regelung  auf  Grund  der  beiderseits  anerkannten  Ansprüche  zieht 
Kaunitz  als  die  einfachste  jeder  anderen  Lösung  der  Frage  vor,  weil 
dabei  kein  Aequivalent  erforderlich  ist.  Die  Schwierigkeiten,  die  sich 
der  Beschaffung  eines  passenden  Ausgleichsobjectes  bei  der  Abtretung 
von  Oberbayern,  Oberpfalz,  Sulzbach  und  Neuburg  oder  auch  nur  bei 
der  Ueberlassung  des  Herzogtums  Oberbayern  an  Oesterreich  entgegen 
stellen,  hält  er  für  so  gross,  dass  er  von  diesen  Plänen  abzusehen 
empfiehlt  3).  Auf  Grund  dieser  Darlegung  erbat  und  erhielt  Kaunitz 
die  Erlaubnis  der  Kaiserin,  die  auf  den  Abschluss  einer  Convention 
abzielenden  Verhandlungen  mit  Kurpfalz  fortzusetzen ;  auch  der  Kaiser 
gab  seine  Zustimmung. 

Alle  rechtlichen  und  politischen  Bedenken,  welche  gegen  die  An- 
sprüche des  Hauses  Oesterreich  auf  die  bayerische  Hinterlassenschaft 
etwa  vorgebracht  werden  konnten,  fasste  der  Staatskanzler  in  einem 
weiteren  Vortrag  (vom  24.  August)  zusammen;  bei  der  schriftlichen 
Ausarbeitung  findet  sich  die  Bemerkung :  „  Auf  hohen  Befehl  Niemandem 
zu  communiziren *  2).  Offenbar  wollte  er  seinen  Antrag  rechtfertigen. 
in  einem  Vergleich  einen  Theil  der  Ansprüche  aufzugeben,  anstatt  auf 
dem  Eecht  in  vollem  Umfang  zu  bestehen.  Auf  seinen  Wunsch  wurde 
nun  auch  die  Reichskauzlei  von  der  bevorstehenden  Unterhandlung  in 
Kenntnis  gesetzt  und  zwar  geschah  dies  durch  ein  kaiserliches  Schreiben 
an  den  Fürsten  Colloredo,  worin  Joseph  unter  Einschärfnng  strengster 
Verschwiegenheit  befiehlt  sich  mit  der  Staatskanzlei  in  Verbindung  zu 
setzen  3). 

Nachdem  Maria  Theresia  die  von  Kaunitz  vorgeschlagenen  Grund- 
sätze genehmigt  und  ihm  die  Fortführung  der  Verhandlung  mit  Ritter 
völlig  überlassen  hatte,  waren  noch  weitere  wichtige  Entscheidungen 
zu  treffen,  nämlich  ob  man  Frankreich  von  der  Unterhandlung  Kennt- 
nis geben,  wann  und  in  welchem  Umfange  dies  geschehen  solle.  Eine 
vorläufige  Mitteilung  allgemeiner  Art  war  ja  schon  im  Februar  durch 


')  Vortrag  Kaunitz'  vom  23.  August  1777.  H.  H.  u.  St.  A. 

-')  Vergl.  Beer,  hist.  Ztschr.  Bd.  35  S.  99/100. 

s)  Der  Kaiser  an  Colloredo  2.  September  1777.  Beer,  hist,  Ztschr.Bd.  35  S.  100. 


Die  Entstehung  der  piälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.   1778.  91 

Mercy  gemacht  worden ;  Vergennes  hatte  aber  damals ,  wie  er- 
wähnt, die  Besprechung  der  bayerischen  Frage  zu  vermeiden  ge- 
sucht und  den  Wiener  Hof  an  ßreteuil  gewiesen.  Bald  nach  der 
Rückkehr  des  Botschafters  nach  Wien,  die  am  9.  April  erfolgte, 
hatte  dann  Kauuitz  mit  ihm  eine  Besprechung  über  die  bayerische 
Erbfolge  gehabt  und  darin  ausgeführt,  Oesterreich  böten  sich  zwei 
Wes-e  zum  Ziel:  entweder  warte  es  den  Tod  des  Kurfürsten 
Maximilian  Joseph  ab  oder  es  regle  vor  dem  Eintritt  dieses  Ereignisses 
die  ganze  Angelegenheit  durch  eine  Vereinbarung  mit  Kurpfalz.  Die 
Ende  Mai  erteilte  offizielle  Autwort  des  Botschafters  hatte  sich  darauf 
für  den  Weg  des  Vergleichs  ausgesprochen  und  die  Mitwirkung  Frank- 
reichs zur  Herbeiführung  eines  Arrangements  angeboten.  Mit  Dank 
waren  die  Anzeichen  einer  entgegenkommenderen  Stimmung  in  Wien 
begrüsst  worden  und  Mercy  hatte  Weisung  erhalten,  im  Namen  der 
Kaiserin  diesem  Dank  für  die  freundschaftlichen  Eröffnungen  Breteuils 
Ausdruck  zu  geben  und  die  Zusicherung  zu  erteilen,  dass  der  Wiener 
Hof  sich  mit  dem  französischen  Ministerium  über  alle  ferneren  Mass- 
nahmen in  vertrauliches  Einvernehmen  setzen  werde  1).  Nachdem  in- 
zwischen die  Vorverhandlungen  mit  Ritter  stattgefunden  hatten,  während 
deren  keine  weitere  Eröffnung  in  Versailles  erfolgt  war,  beantragte 
jetzt  der  Staatskanzler,  die  französische  Regierung  sogleich  rückhalt- 
los von  der  geplanten  Unterhandlung  zu  benachrichtigen  und  die 
wegen  der  Jülich-Berg'schen  Garantieerneuerung  doch  notwendige 
Ministerialäusserung  an  Kurpfalz  als  Anlass  und  Anknüpfungspunkt  zu 
bezeichnen,  wie  dies  Vergennes  selbst  als  zweckmässig  empfohlen 
habe.  Für  ihn  war  die  Annahme  massgebend,  dass  Karl  Theodor  sich 
ohne  Einwilligung  des  französischen  Ministeriums  überhaupt  wohl 
kaum  auf  Vereinbarungen  von  solcher  Tragweite  wie  die  geplanten, 
einlassen  werde;  er  hoffte  aber  auch,  dass  Kurpfalz  die  österreichi- 
schen Vorschläge  eher  annehme,  wenn  sie  vorher  in  Versailles  ge- 
billigt worden  seien.  Zugleich  konnte  er  dann,  Frankreichs  Zustim- 
mung sicher,  etwaigem  Widerspruch  von  andrer  Seite  zuversichtlicher 
entgegen  sehen.  Indes  wollte  er  den  französischen  Hof  doch  nicht 
mehr  als  das  Nötigste  erfahren  lassen;  Mercy  sollte  nur  darlegen, 
welche  Ansprüche  Oesterreich  auf  Niederbayern,  Mindelheim  und  die 
böhmischen  Lehen  geltend  mache  und  wie  es  gegen  deren  Anerkennung 
auf  pfälzischer  Seite  das  Recht  der  gemeinsauien  Abstammung  und  die 
daraus  zu  ziehenden  Folgerungen  zulassen  wolle. 


')  Mercy  an  Kaunitz.  Paris  —  das  Datum  fehlt,  da  von  der  Depesche  nur 
der  erste  Bogen  vorhanden  ist  —  wohl  22.  Juni  1777;  präsentirt  Wien  29.  Juni. 
Orig.  H.  H.  u..  St.  A.  Frankreich  208. 


92  Unze  r. 

Am  21-  September  erhielt  Eitter  die  Antwort  der  Staatskanzlei 
auf  sein  Memoire  vom  22.  Mai  wegen  der  Erneuerung  der  preussisch- 
pfälzischen  Convention  von  1741  über  die  Jülich-Berg'sche  Erbfolge  l), 
kurz  darauf  verliess  er  Wien  und  begab  sich  nach  Mannheim;  etwa 
Mitte  November  gedachte  er  auf  seineu  Posten  zurückzukehren.  Er 
durfte  dem  Kurfürsten  mitteilen,  der  Kaiserhof  werde,  sobald  Kurpfalz 
die  Grundzüge  der  Vereinbarung  augenommen  und  die  österreichischen 
Ansprüche  auf  Niederbayern  uad  Mindelheim  anerkannt  habe,  nicht 
abgeneigt  sein  „in  ein  der  beiderseitigen  Convenienz  angemessenes 
Arrangement  oder  Austausch  dieser  Forderung  nach  ihrem  Wert  ein- 
zugehen. "  Auch  mit  anderen  Versprechungen  waren  Kaunitz  und  Collo- 
redo  nicht  sparsam  gewesen,  als  Ritter  sich  bei  ihuen  verabschiedet 
hatte ;  besonders  erwünscht  musste  Kurpfalz  das  Versprechen  der  beiden 
Staatsmänner  sein  hinwirken  zu  wollen  auf  die  „vorteilhafteste  Be- 
handlung", d.  h.  natürlich  auf  die  möglichste  Einschränkung  der 
sächsischen  Allodialforderungen,  und  auch  die  zur  Schau  getragene 
Neigung,  die  böhmischen  Lehen  an  Kurpfalz  zu  vergeben,  war  nicht 
gering  anzuschlagen12). 

Während  der  Anwesenheit  Ritters  in  Mannheim  trat  dort  ein 
Ereignis  ein,  welches  für  das  Schicksal  der  Unterhandlung  in  gewissem 
Sinne  verhängnisvoll  wurde:  am  31.  Oktober  starb  plötzlich  der  pfälzi- 
sche Minister  Freiherr  von  Beckers,  die  Seele  der  Oesterreich-freund- 
lichen  Politik  und  eigentlich  auch  deren  einziger  Vertreter  innerhalb 
des  Ministeriums.  Da  er  die  Verhandlungen  mit  dem  Wiener  Hof  ohne 
Zuziehung  der  übrigen  Minister  und  nur  mit  Hülfe  seines  Schwagers, 
des  Geheimen  Rates  von  Huber  geführt  hatte,  war  ausser  dem  Kur- 
fürsten Niemand  in  den  Stand  der  Dinge  eingeweiht.  Auf  die  Wahl 
eines  gewandten  Nachfolgers,  der  zugleich  den  Beifall  des  Kaiserhofes 
hatte,  kam  daher  viel  an,  und  doch  gestatteten  die  Verhältnisse  keine 
lange  Erwägung;  rasche  Besetzung  des  erledigten  Ministerpostens  war 
notwendig,  wenn  nicht  die  Ränke  der  Sickingen'schen  Partei  einen 
ungünstigen  Einfluss  ausüben  sollten.  Schon  am  2.  November  betraute 
Karl  Theodor  seinen  Oberst-Stallmeister,  den  Staats-  und  Conferenz- 
minister  Freiherrn  von  Vieregg  mit  der  einstweiligen  Leitung  der 
auswärtigen  Angelegenheiten.  Wenngleich  Vieregg  nichts  von  Ge- 
schäften verstand  und  deshalb  den  Auftrag  nur  ungern  annahm,  war 
seine  Wahl  keine  schlechte;  die  Persönlichkeit  des  Neuernannten  war 


')  Kaunitz  an  Ritter.  Wien.  21.  September  1777.  Copia.  Beilage  zur 
Weisung  des  Staatskanzlers  für  Mercy  v.  5.  Januar  1778.  H.  H.  u.  St.  A.  Frank- 
reich. Correspondenz  211. 

2)  Ritters  Denkschrift  vom  14.  Januar  1778.  Bayer.  Geh.  St.  A. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  93 

bisher  nur  wenig  hervorgetreten  und  hatte  an  dem  fortwährenden 
Ränkespiel  innerhalb  des  Ministeriums  keinen,  wenigstens  keinen 
nachweisbaren  Anteil;  er  besass  das  Vertrauen  des  Kurfürsten  und 
erfreute  sich  der  Gunst  des  Wiener  Hofes.  Als  ein  glücklicher  Zufall 
ist  es  zu  betrachten,  dass  der  geschäftskundige  Ritter  gerade  zur  Hand 
war;  von  einer  kurzen  Reise  an  den  zweibrück'schen  Hof  zurück- 
kehrend erhielt  er  den  Auftrag,  gemeinsam  mit  Vieregg  die  hinter- 
lassenen  Papiere  Beckers  durchzusehen.  Der  kaiserliche  Gesandte 
Freiherr  von  Lehrbach  benützte  jede  Gelegenheit,  Karl  Theodor  auf 
Ritter  aufmerksam  zu  machen;  man  hatte  in  Wien  schon  längst  den 
Plan  gehabt,  bei  dem  Abgang  des  mehr  denn  achtzigjährigen  Beckers 
diesem  Diplomaten  die  Leitung  der  auswärtigen  Angelegenheiten  zu 
verschaffen.  Solange  freilich  die  bayerische  Erbfolgefrage  ungelöst,  der 
Gegenstand  geheimer  Unterband lungen  der  beiden  Höfe  war,  musste 
Ritter  seinen  Posten  in  Wien  behalten ;  sobald  aber  die  geplante  Ver- 
einbarung zu  beiderseitiger  Zufriedenheit  getroffen  war,  stand  Ritters 
Berufung  an  die  Spitze  der  Geschäfte  nichts  mehr  im  Wege. 

Unmittelbar  nach  seiner  Ernennung  zeigte  Vieregg  durch  einen 
Secretär  den  in  Mannheim  residirenden  Vertretern  der  fremden  Mächte 
an,  dass  er  bis  auf  Weiteres  die  Leitung  der  auswärtigen  Angelegen- 
heiten übernommen  habe ;  Lehrbach,  der  abwesend  war,  benachrich- 
tigte er  schriftlich.  Ueberall  zeigte  er  grossen  Eifer,  aber  der  völlige 
Mangel  an  Geschäftskenntnis  Hess  sich  nur  langsam  überwinden; 
längere  Zeit  besorgte  Ritter  die  Geschäfte  und  Vieregg  gab  nur  den 
Namen  her.  Unter  diesen  Umständen  stand  es  von  vornherein  fest, 
dass  der  Nachfolger  Beckers  keine  Aenderung  in  der  pfälzischen  Politik 
herbeiführen  werde.;  sobald  die  ersten  und  grössten  Schwierigkeiten 
überwunden  waren,  erhielt  Ritter  von  dem  Kurfürsten  den  Auftrag 
in  einem  Schreiben  nach  Wien  die  dort  durch  Beckers  Tod  etwa  wach- 
gerufenen Besorgnisse  zu  zerstreuen  und  zu  erklären,  dass  die  baye- 
rische Angelegenheit  in  gutem  Gange  sei. 

Gegen  Ende  des  Monats  November  war  Vieregg  soweit  eingear- 
beitet, dass  Ritter  an  die  Rückkehr  auf  seinen  Posten  denken  konnte; 
am  29.  unterzeichnete  Karl  Theodor  die  Vollmacht  für  ihn  zu  Ver- 
handlungen mit  den  Beauftragten  des  Kaisers  und  der  Kaiserin-Königin, 
sowie  zum  Abschluss  einer  Convention  oder  auch  mehrerer  Conven- 
tionen  x).     Nach  kurzem  Aufenthalt  in  München  traf  Ritter,    der,  wie 


•)  Gedruckt   in    der    »Vollständigen    Sammlung    von    Staatsschriften   zum 
Behuf  der  bayerischen  Geschichte  etc.«  Bd.  3.  S.  5  bis  7. 


94  U  n  z  e  r. 

hier  bemerkt  werden  mag,  seit  einem  Jahre  auch  Bayern  am  Kaiser- 
hof vertrat,  am  13.  Dezember  iu  Wien  ein. 

Inzwischen  war  Lehrbach  in  das  Geheimnis  eingeweiht  worden. 
Kaunitz  hatte  es  für  sehr  wünschenswert  gehalten,  dass  nach  Ritters 
Abreise  eine  zuverlässige  Persönlichkeit  in  Mannheim  sei,  die  den  Kur- 
türsten  in  seiner  guten  Gesinnung  befestige  und  Intriguen  der  pfälzi- 
schen Partei  vorbeuge;  sein  Antrag  Lehrbach  mit  dieser  Aufgabe  zu 
betrauen  hatte  den  Beifall  Maria  Theresias  gefunden  und  am  23.  No- 
vember war  aus  der  Staatskanzlei  eine  ausführliche  Weisung  an  den 
Gesandten  ergangen  1).  Er  erhielt  dadurch  Kenntnis  von  der  Rechts- 
frage, von  den  bisherigen  Massnahmen  und  von  dem  augenblicklichen 
Stand  der  Dinge,  sowie  von  den  fernerhin  noch  erforderlichen  Vor- 
kehrungen. Zwei  kurze  Abhandlungen  über  die  Rechte  von  Kaiser 
und  Reich  und  über  die  Ansprüche  des  Erzhauses  dienten  zur  Ergän- 
zung der  Instruction;  vermutlich  waren  es  dieselben,  die  Binder  im 
März  dem  Freiherrn  von  Ritter  übergeben  hatte.  Dieses  inbaltreiche 
Schreiben  war  gerade  noch  so  zeitig  in  Mannheim  angekommen,  dass 
Lehrbach  wenigstens  noch  eine  längere  Unterredung  mit  Ritter  haben 
konnte,  bevor  dieser  sich  auf  den  Weg  machte. 

Von  dem  Augenblick  an,  da  Ritter  wieder  in  Wien  anlangt,  er- 
öffnet sich  in  den  Berichten  dieses  Diplomaten  eine  Quelle  von  höchstem 
Wert  für  die  Geschichte  des  bayerischen  Erbfolgestreites;  während  bis 
dahin  die  für  die  Vorgeschichte  der  pfälzisch- österreichischen  Conven- 
tion zweifellos  hochwichtigen  Depeschen  des  Gesandten  von  Wien  nach 
Mannheim  im  Geheimen  Staatsarchiv  zu  München  nicht  vorhanden  zu 
sein  scheinen,  liegen  sie  von  Mitte  Dezember  1777  an  ausnahmslos 
im  Original  vor;  und  überdies  sind  auch  die  Reskripte  des  Kurfürsten, 
sowie  die  Weisungen  Viereggs  an  Ritter  von  da  ab  nahezu  vollzählig 
erhalten. 

Am  14.  Dezember  meldete  Kaunitz  der  Kaiserin  die  erfolgte  An- 
kunft des  pfälzischen  Gesandten  und  suchte  eine  Audienz  für  ihn  nach ; 
er  fügte  hinzu,  nach  Ritters  Aeusserungen  scheine  der  Mannheimer 
Hof  zu  einer  Verständigung  über  die  beiderseitigen  Ansprüche  bereit 
zu  sein,  doch  dürften  sich  über  die  Art  und  den  Inhalt  derselben  noch 
wichtige  Anstände  ergeben  -).  Huldvoll  wurde  Ritter  am  IG.  von 
Maria  Theresia,  danach  von  dem  Kaiser  empfangen.  In  diesen  Audienzen, 
sowie  in  den  Besprechungen  mit  Kaunitz  und  Colloredo  gewann  er  den 


lj  Kaunitz  an  Lehrbach.  Wien  23.  November  1777.  Conzept.  H.  H.  u.  St.  A., 
Staatskanzlei,  Weisungen  ins  Reich  29. 

-)  Vortrag  Kaunitz  vom  14.  Dezember  1777.  H.  H.  u.  St.  A. 


Die  Entstehimg  der  pfälzisch- österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  95 

Eindruck,  dass  man  mit  etwas  Nachgiebigkeit  hüben  und  drüben  wohl 
zu  einem  beide  Teile  befriedigenden  Ergebnis  gelangen  werde  1). 

Da  traf  am  19.  die  Nachricht  ein,  dass  Kurfürst  Maximilian  Joseph 
von  Bayern  erkrankt  sei  und  dass  die  Krankheit  wohl  als  Kinder- 
pocken sich  entwickeln  werde.  Die  Möglichkeit,  ja  Wahrscheinlichkeit 
einer  unmittelbar  bevorstehenden  Eröffnung  der  bayerischen  Erbschaft 
musste  ins  Auge  gefasst  werden.  Ueberzeugt,  dass  die  geplante  Ver- 
einbarung das  beste  Mittel  sei,  einfach  und  rasch  die  Frage  zu  lösen, 
forderte  der  Staatskanzler  nach  eingeholter  Erlaubnis  den  pfälzischen 
Gesandten  auf,  sogleich  von  seinem  Hofe  sich  die  Ermächtigung  zur 
Abtretung  von  Niederbayern  und  Mindelheim  zu  erbitten.  War  erst 
diese  Cession  vertragsmässig  festgestellt,  so  konnte  Kurpfalz  bei  ein- 
tretendem Todesfall  in  München  von  seinem  Anteil  Besitz  ergreifen, 
während  dies  sonst  der  Kaiser  zu  thun  hatte.  Gleichzeitig  erging  an 
den  kaiserlichen  Gesandten  in  München,  Grafen  Hartig  uud  an  Borie 
in  Regensburg  der  Befehl,  von  den  geheimen  Vollmachten  zur  Besitz- 
ergreifung Bayerns    eintretenden  Falls  keinen  Gebrauch  zu  machen  -). 

Ritter  war  beim  Eintreffen  der  Münchner  Nachrichten  zunächst 
nicht  .ohne  Sorge  gewesen,  der  Kaiser  möge,  vor  die  Entscheidung- 
gestellt,  doch  den  zwar  gefahrvollen,  aber  im  Falle  des  Erfolges  lohnen- 
den Weg  der  Einziehung  Bayerns  einschlagen.  Auf  seine  Anfrage 
hatte  er  jedoch  die  beruhigende  Versicherung  erhalten,  dass  die  kaiser- 
lichen Majestäten  nach  wie  vor  zu  einer  freundschaftlichen  Verein- 
barung bereit  seien,  doch  dürften  pfälzischerseits  keine  den  bisherigen 
mündlichen  Verabredungen  zuwiderlaufende  Massregeln  ergriffen  werden. 
Einen  Beweis  für  die  Aufrichtigkeit  dieser  Versicherung  erhielt  er  als- 
bald in  Gestalt  jener  Aufforderung,  sich  eiligst  die  Ermächtigung  zur 
Abtretung  von  Niederbayern  und  Mindelheim  zu  verschaffen;  die  Ant- 
wort, die  er  am  20.  überreichte,  enthielt  die  Bedingungen,  unter  denen 
Karl  Theodor  abschliesseu  wollte  3).  Der  Kurfürst  erkannte  den  An- 
spruch Oesterreichs  auf  Niederbayern  nur  für  den  sog.  Straubingischen 
Teil  des  Herzogtums  an,  der  1426  nach  dem  Tod  des  Herzogs  Johann, 
Grafen  von  Holland,  von  Kaiser  Sigismund  an  Herzog  Albrecht  von 
Oesterreich  verliehen,  1429  aber  an  die  anderen  niederbayerischen 
Herzöge  gegeben  worden  war;  er  sprach  die  Erwartung  aus,  dass  man 
ihm  nichts  Unbilliges  zumuten  werde.     Wie    nun    somit    in  der  Con- 


')  Ritter  an  Vieregg.    Wien,  17.  Dezember  1777.   Orig.    Bayr.    Geh.  St.  A. 

2)  Vortrag  Kaunitz'  vor  Maria  Theresia.   19.  Dezember  1777.  H.  H.  u.  St.  A. 

3)  Prornernoria  Ritters.  Wien  19.  Dezember  1777.  Copia.   Bayr.  Geh.  St.  A. 
K.  schw.  329/32. 


96  Unze  r. 

vention  der  Anteil  des  Erzhauses  an  der  bayerischen  Erbschaft  bestimmt 
angegeben  wird,  so  verlangt  Karl  Theodor  die  Aufzählung  aller  Kur- 
pfalz zustehenden  Rechte  und  zufallenden  Teile,  und  zwar  entweder 
in  der  Convention  selbst  oder  in  bündigen  Nebenerklärungen.  Vor 
Allem  will  er  das  Erbrecht  des  pfälzischen  Hauses  auf  Grund  der  Ab- 
stammung von  dem  ersten  Erwerber  ausdrücklich  au  erkannt  wissen; 
dauach  sollen  einzeln  als  dem  kurpfälzischen  Erbteil  zugehörig  auf- 
geführt werden:  Ganz  Oberbayern;  das  nicht-Straubingische  Nieder- 
bayern; die  Neoaquisita  und  zwar  sowohl  Reichslehen  als  Allo- 
dialgüter ;  die  böhmischen  Lehen  in  der  Oberpfalz  sammt  den  dortigen 
Neuerwerbungen  Leuchtenberg,  Sulzburg  und  Pyrbaum.  Der  Wiener 
Hof  muss  sich  ferner  verpflichten  an  einer  billigen  Regelung  der 
Allodialansprüche  Dritter  mit  zu  wirken;  Kaiser  und  Reich  haben 
allen  weiteren  Ansprüchen  an  Bayern  zu  entsagen.  —  Da  alle  diese 
Punkte  bereits  in  der  ersten  Convention  entschieden  werden  sollten, 
drängte  Ritter  auf  schleunige  Herbeiführung  eines  Einverständnisses 
darüber.  Für  die  zweite  Convention  stellte  er  die  Bereitwilligkeit  des 
Kurfürsten  in  Aussicht,  entweder  einzelne  Bezirke  oder  auch  den 
ganzen  Complex  der  ihm  zufallenden  bayerischen  Erbschaft,  nötigen- 
falls sogar  einschliesslich  der  „  in  dortigen  Gegenden  liegenden  Herzog- 
tümer und  Güter"  auszutauschen  „gegen  andere  annehmliche  eigens 
zusammenhängende  Territoria  und  Lande",  die  den  Wert  der  abzu- 
tretenden Gebiete  erreichen;  er  sprach  den  Wunsch  aus,  dass  der 
Wiener  Hof  mit  einem  billigen  Austauschvorschlag  hervortrete.  Ge- 
wissermassen einen  Protest  gegen  das  Verlangen,  des  Staatskauzlers, 
dass  keine  den  mündlichen  Verabredungen  zuwiderlaufenden  Schritte 
geschähen,  enthält  der  Schluss  der  Denkschrift,  welcher  die  Unver- 
bindlichkeit  aller  dieser  vorläufigen  Verhandlungen,  so  lange  nicht 
ein  bindender  Abschluss  erfolgt  sei,  für  beide  Höfe  ausdrücklich  zur 
Bedingung  macht. 

Ritter  selbst  war  vollkommen  davon  überzeugt,  dass  nur  durch 
eine  uneingeschränkte  Vollmacht  zu  sofortigem  Abschluss  unermess- 
lichem  Schaden  vorgebeugt  werden  könne;  ohne  zu  erwähnen,  dass 
Kaunitz  diesen  Wunsch  kundgegeben  habe,  bat  er  in  seinem  Bericht 
an  Vieregg  *),  man  möge  ihn  von  der  in  seiner  Instruction  enthaltenen 
Verpflichtung,  den  Conventionsentwurf  vor  der  Unterzeichnung  nach 
Mannheim  einzusenden,  für  den  Notfall  befreien ;  auch  möge  der  Kur- 
fürst im  Voraus   die  Genehmigung    des    von   seinem  Gesandten  abge- 


')  Ritter  an  Vieregg.  Wien.  20.  Dezember  1777.  Orig.  Bayr.  Geh.  St.  A. 


Die  Entstehung  der  pfalzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.  97 

schlossenen  Vertrags,  wie  dieser  auch  lauten  werde,  zusichern.  Er 
begründete  dieses  allerdings  ganz  ungewöhnliche  Verlangen  mit  der 
ausserordentlichen  Gefahr,  welche  durch  eine  Verzögerung  herbeige- 
führt werden  könne,  wenn  plötzlich  der  Kurfürst  von  Bayern  sterbe 
oder  wenn  etwa  unvorhergesehene  Ereignisse  am  Wiener  Hofe  ein- 
träten, bevor  der  Vertrag  unterzeichnet  sei.  —  Zu  diesen  gefürchteten 
Ereignissen,  deren  Zeitpunkt  sich  nicht  vorausbestimmen  Hess,  gehör- 
ten, wie  Kitter  später  einmal  sagte,  der  Tod  der  Kaiserin,  Colloredos 
oder  Kaunitz'.  —  Nur  der  sofortige  Abschluss  könne,  falls  Maximilian 
Joseph  jetzt  sein  Leben  beschliesse,  Kurpfalz  davor  bewahren,  dass 
die  Ansprüche  von  Kaiser  und  Reich  und  die  des  Erzhauses  gemein- 
sam zur  Geltung  gebracht  würden;  nur  so  werde  man  die  Interven- 
tion des  Kaisers  vermeiden  und  erreichen  könuen,  dass  beide  vertrag- 
sehliessende  Teile  die  ihnen  zufallenden  Gebiete  ungehindert  besetzen. 
Der  Gesandte  fügte  noch  die  Mahnung  hinzu,  Karl  Theodor  möge  sich 
auch  nach  dem  Eintreffen  der  Todesnachricht  aus  München  ruhig  halten 
und  keinen  Schritt  zur  Besitzergreifung  thun,  bis  die  Convention  ab- 
geschlossen vorliege.  Dafür  glaubte  er  aber  auch  bei  genauer  Befol- 
gung seiner  Ratschläge  den  günstigsten  Erfolg  der  Verhandlungen 
prophezeien  zu  dürfen:  ganz  Europa  werde  überrascht  und  erstaunt 
sein,  wenn  eine  Frage,  die  einen  allgemeinen  Brand  zu  entzünden 
gedroht  habe,  in  grösster  Ruhe  gelöst  sei;  unsterblichen  Ruhm  aber 
würden  der  Kurfürst  und  sein  Minister  davontragen. 

Mit  der  Beantwortung  der  Ritterschen  Note  beeilte  sich  Kaunitz 
trotz  des  gegebenen  Versprechens  nicht  allzu  sehr;  wahrscheinlich  hat 
er  inzwischen  den  pfälzischen  Einwand  gegen  die  Ansprüche  auf  ganz 
Niederbayern  einer  Prüfung  unterziehen  lassen ;  erst  am  26.  Dezember 
hielt  er  der  Kaiserin  Vortrag  darüber.  Es  war  für  den  Fortgang  der 
Verhandlungen  von  grosser  Wichtigkeit,  dass  der  Staatskanzler,  seine 
bisherige  Forderung  einschränkend,  sich  nunmehr  mit  dem  Straubin- 
gischen Anteil  des  Herzogtums  Niederbayern  begnügen  wollte;  damit 
war  der  bedeutendste  Differenzpunkt  beseitigt.  Dagegen  riet  er  der 
Kaiserin,  die  Neoaquisita  nicht  hinzugeben,  sondern  einstweilen  ihre 
Verwendung  für  deren  Neuverleihung  bei  Kaiser  und  Reich  zu  ver- 
sprechen; die  Frage  der  böhmischen  Kronlehen,  die  dem  pfälzischen 
Hause  nur  ex  nova  gratia  verliehen  werden  könnten,  sollte  überhaupt 
erst  bei  der  zweiten  Convention  erörtert  werden,  ebenso  wie  die  Be- 
richtigung der  Allodialansprüche ;  über  diese  zweite  Convention  wollte 
er  sich  aber  erst  äusseru,  wenn  die  erste  ins  Reine  gebracht  sei. 

Maria  Theresia  gab  den  Vorschlägen  des  bewährten  Beraters  ihre 
Zustimmung;    es    dauerte    aber    wieder   drei  Tage,    bis  Ritter    in    den 

Mittheiluugen  XV.  7 


gg  U  n  z  e  r. 

Besitz  der  österreichischen  Antwort  kam  1).  Denn  Kaunitz  suchte 
ängstlich  den  Schein  zu  vermeiden,  als  ob  sein  Hof  ein  übergrosses 
Verlangen  nach  dem  Abschluss  trage.  Freilich  lauteten  auch  die 
Nachrichten'.über  das  Befinden  des  bayerischen  Kurfürsten  günstig 
und  mit  der  Besorgnis  schwand  der  Anlass  zur  Eile.  Die  Antwort, 
ebenfalls  als  Promemoria  bezeichnet,  datirt  vom  29.  Dezember;  sie 
bildet  die  Grundlage  der  Convention  vom  3.  Januar  1778. 

Eitter,  hocherfreut,  dass  die  Beschränkung  auf  das  Straubingische 
Gebiet  zugestanden  war,  gab  der  Hoffnung  Raum,  dass  einige  Be- 
sprechungen mit  den  österreichischen  Staatsmännern  genügen  würden, 
um  auch  die  andern  Punkte  zur  Zufriedenheit  seines  Herrn  zu  ordnen 
und  völliges  Einverständnis  zu  erreichen.  Die  Verzögerung  durch  das 
Neujahrsfest  mit  seinen  Feierlichkeiten  machte  ihm  keine  Sorge;  der 
Kurfürst  von  Bayern  war,  wie  man  allerwärts  glaubte,  wieder  ausser 
Lebensgefahr  2). 

Aber  die  Dinge  kamen  anders,  als  man  gedacht  hatte.  Am  Neu- 
jahrstag um  5  Uhr  Nachmittags  traf  in  Wien  die  Nachricht  ein,  dass 
Kurfürst  Maximilian  Joseph  am  30.  Dezember  gestorben  sei.  Eitter, 
von  Colloredo  sogleich  in  Kenntnis  gesetzt,  geriet  in  die  grösste  Ver- 
legenheit, denn  in  einer  wenige  Stunden  vorher  eingelaufenen  Depesche 
Viereggs  war  ihm  die  erbetene  Ermächtiguug  zum  sofortigen  Abschluss 
der  Convention  verweigert  worden.  Die  günstigen  Nachrichten  aus 
München  hatten  wohl  auch  in  Mannheim  einen  beruhigenden  Einfluss 
ausgeübt,  man  hielt  dort  die  Lage  nicht  mehr  für  kritisch,  und  der 
Minister  wagte  es  nicht,  dem  Widerstreben  des  Kurfürsten  gegen  die 
Bevollmächtigung  Ritters  entgegenzutreten.  Selbst  für  den  schlimmsten 
Fall  rechnete  Karl  Theodor  auf  die  Loyalität  der  Kaiserin-Königin  und 
des  Kaisers,  die  gewiss  vor  dem  Eintreffen  der  pfälzischen  Antwort 
auf  den  von  dem  Gesandten  einzuschickenden  Conventionsentwurf 
keine  gewaltsamen  Massregeln  ergreifen  würden3).  Ritter  eilte  nach 
erhaltener  Mitteilung  sofort  zu  Colloredo  und  Kaunitz;  er  gab  ihnen 
die  Versicherung,  dass  sein  Hof  sich  durch  den  Eintritt  des  gefürchteten 


»)  Promemoria  an  den  Freiherrn  von  Ritter.  Wien.  29.  Dezember  1777. 
Copia.  —  Bayr.  Geh.  St.  A. 

-')  Ritters  Postskript  zu  Depesche  Nr.  7  vom  1.  Januar  1778,  geschrieben 
am  31.  Dezember  1777,  wie  aus  den  Worten:  ,le  grand  gala  de  demain  .  .  .« 
hervorgeht. 

3j  Vieregg  an  Ritter.  Mannheim.  27.  Dezember  1777.  Concept.  Bayr.  Ges. 
St.  A.  —  K.  schw.  329/32. 


l)ie  Entstehung  der  pfä]zisch>österi\  Convention  v.  3.  Jan.    1778.  C|<) 

Ereignisses  nicht  in  seinen  seitherigen  Absichten  irre  machen  lasseni 
dass  er  auch  sonst  keinen  Schritt  thun  werde,  der  nur  im  Entferntesten 
den  Verdacht  eines  Gesinnungswechsels  gestatte.  Schwer  genug  mag 
ihm  die  von  Vieregg  anbefohlene  Eröffnung  geworden  sein,  dass  Karl 
Theodor  sich  sofort  nach  Eintritt  des  Todesfalles  nach  Bayern  begeben 
werde,  allerdings  nicht  um  förmlich  von  dem  Herzogtum  Besitz  zu 
ergreifen,  sondern  um  die  Ordnung  aufrechtzuerhalten  und  den  Intriguen 
der  in  München  erwarteten  Kurfürstin-Witwe  Maria  Antouia  von 
Sachsen  entgegenzutreten.  Indes  nahmen  die  Minister  seine  Mitteilun- 
gen freundlicher  auf  als  er  erwartet  haben  mochte ;  sie  gaben  ihm  ver- 
traulich zu  verstehen,  es  liege  nur  an  ihm,  durch  unverzüglichen  Ab- 
schluss  der  Vereinbarung  die  Folgen  des  vertragslosen  Zustandes  zu 
vermeiden.  Jetzt  erst  erfuhr  der  Gesandte,  welches  Schicksal  über 
Bayern  gekommen  wäre,  wenn  nicht  der  pfälzische  Hof  sich  so  ent- 
o-eo-enkommend  gezeigt  hätte;  man  erzählte  ihm  nicht  ohne  Absicht, 
dass  nur  durch  seine  Denkschrift  vom  19.  Dezember  die  einstweilige 
Suspendirung  der  dem  kaiserlichen  Gesandten  in  München  und  dem 
österreichischen  Vertreter  in  Regensburg  früher  gegebenen  Vollmach- 
ten zur  Besitzergreifung  des  ganzen  Herzogtums  bewirkt  worden  sei; 
dagegen  werde  die  Besitzergreifung  des  Straubingischen  Gebietes  für 
das  Erzhaus  ungesäumt  erfolgen.  Er  sah  sich  vor  die  Alternative  ge- 
stellt: Annahme  oder  Ablehnung  der  Convention;  nahm  er  au,  so  konnte 
sein  Herr  alles  nicht- Straubingische  Gebiet,  dazu  die  Lehen,  Allodial- 
güter  und  Neoaquisita  in  Besitz  nehmen,  ohne,  zunächst  wenigstens, 
Widerspruch  bei  Kaiser  und  Reich  oder  bei  der  Kaiserin-Königin  zu 
finden;  —  lehnte  er  ab,  dann  nahm  der  Wiener  Hof  den  ursprüng- 
lichen Plan  wieder  auf,  österreichische  Truppen  besetzten  sofort  im 
Namen  des  Kaisers  die  bayerischen  Lande ;  Karl  Theodor  musste  sich 
mit  der  Oberpfalz  begnügen,  die  nach  den  Bestimmungen  des  West- 
pfälischen  Friedens  an  Kurpfalz  zu  fallen  hatte.  Wenn  Ritter  noch 
schwankte,  welche  Wahl  er  treffen  sollte,  so  wurden  auch  seine  letzten 
Bedenken  verscheucht  durch  die  Erklärung  der  kaiserlichen  Minister, 
dass  man,  wenn  Karl  Theodor  die  Convention  abschliesse,  nicht  nur 
nichts  gegen  seine  Reise  einzuwenden  habe,  sondern  seinen  Aufent- 
halt in  München  sogar  gern  sehe ;  Maria  Theresia  werde  ihn  dann  bei 
der  Besitzergreifung  unterstützen  und  Fürsprache  beim  Kaiser  ein- 
legen, dass  er  dasselbe  thue;  —  denn  gerade  die  Nichtbefolgung  des 
Rats,  keine  eigenmächtigen  Schritte  zu  thun,  hatte  in  ihm  die  grösste 
Besorgnis  wachgerufen.  So  entschloss  er  sich  denn  auf  eigene  Ver- 
antwortung zu  handeln  und,  dem  Drängen  des  Wiener  Hofes  nach- 
gebend, die  Convention  abzuschliessen ;   nur   bedang  er  sich  aus,  dass 

7* 


100  U  n  z  e  r. 

zu  ihrer  Gültigkeit    die    Katification    des  Kurfürsten    erforderlich  sein 
solle  i). 

In  diesem  Entschluss  konnte  ihn  die  Aufregung  nur  bestärken, 
die  sich  der  Wiener  Hof  kreise  beim  Eintreffen  der  Nachricht  bemäch- 
tigte, der  Kurfürst  von  der  Pfalz  habe  sogleich  nach  dem  Tode  Maxi- 
milian Josephs  durch  ein  Patent  Besitz  von  ganz  Bayern  ergriffen. 
Mau  kannte  den  Zusammenhang  der  Dinge  nicht,  man  wusste  nicht, 
dass  das  Patent  ohne  Auftrag  Karl  Theodors  von  der  bayerischen 
Landesregierung  auf  Grund  des  pfälzisch-bayerischen  Faniilienvertrags 
von  1774  erlassen  worden  war:  man  beschuldigte  begreiflicherweise 
den  pfälzischen  Hof  der  Hinterhältigkeit,  ja  fast  des  Wortbruchs.  Die 
Verstimmung  machte  sich  auch  in  den  Verhandlungen  bemerkbar :  als 
Kitter  an  dem  von  Kaunitz  ihm  vorgelegten  Conventionsentwurf  einige 
Abänderungen  vorgenommen  wissen  wollte,  erklärte  man  ihm,  das  sei 
nicht  mehr  zulässig,  nach  den  Vorgängen  in  München  müsse  der  Ver- 
trag wie  er  sei  auf  der  Stelle  unterzeichnet  werden  2). 

So  blieb  denn  kein  Ausweg  übrig:  am  3.  Januar  1778  setzte 
Kitter  seinen  Namen  unter  die  Conventionsurkunde ;  ein  Courier  machte 
sich  sofort  auf  den  Weg,  um  die  Genehmigung  des  Kurfürsten  einzu- 
holen. Man  zweifelte  in  Wien  gar  nicht  an  der  alsbaldigen  Ratifi- 
cation und  Kaunitz  sprach  dem  pfälzischen  Gesandten  sofort  nach  der 
Unterzeichnung  im  Auftrag  des  Kaisers  die  Erwartung  aus,  dass  der 
Kurfürst  den  bayerischen  Behörden  das  bescheidenste  und  entgegen- 
kommendste Betragen  gegen  die  einrückenden  österreichischen  Truppen 
zur  Pflicht  mache  und  von  dieser  Verfügung  den  Befehlshaber  des 
Occupationskorps,  Feldmarschall-Lieutenant  Baron  von  Langlois  in 
Linz  in  Kenntnis  setze. 

Die  zwischen  Kaunitz  und  Ritter  vereinbarte  Convention  vom 
3.  Januar  1778  beraubte  Karl  Theodor  eines  wohlhabenden  und  stark 
bevölkerten  Gebietes,  sicherte  ihm  dagegen  den  ungeschmälerten  Besitz 
des  grösseren  Restes  von  Bayern  für  die  Zukunft  dadurch,  dass  das 
Erzhaus  allen  weiteren  Ansprüchen  ausdrücklich  entsagte  und  das 
pfälzische  Erbrecht  anerkannte.  Auch  die  Herrschaft  Mindelheim  fiel 
an  Oesterreich,  das  darauf  eine  alte  Anwartschaft  geltend  machen 
konnte.  Die  Neuverleihung  der  beträchtlichen  böhmischen  Kronlehen 
in  der  Oberpfälz  wurde  Karl  Theodor  in  Aussicht  gestellt,  ja  sogar 
ihm  Hoffnung  auf  Ueberlassung  des  Oberhoheitsrechtes  gemacht,  da- 
gegen unterblieb  die  Erwähnung   der    von    der  wilhelminischen  Linie 


*)  Ritter  an  Vieregg.  Wien.  1.  Januar  1778.  Orig.  Bayr.  tieh.  St.  A. 
8)  Bitters  Denkschrift  vorn  14.  Januar  1778. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.         1()1 

in  Bayern  neuerworbenen  Reichslehen.  Damit  jedoch  über  diesen 
letzten  Punkt  keine  Missverständnisse  einträten,  gab  Colloredo  im 
Namen  des  Kaisers  den  Rat,  der  Kurfürst  möge  keine  eigenmächtigen 
Schritte  thun  und  die  nach  geschehener  Ratification  erfolgende  Willens- 
äusserung  des  Kaisers  abwarten  1). 

Waren  diese  Bestimmungen,  die  Hoffnungen  erweckten  ohne  Ge- 
währ für  ihre  Erfüllung  zu  bieten,  schon  geeignet  Anlass  zu  Missver- 
ständnissen zu  geben,  so  galt  dies  noch  viel  mehr  von  der  Bestim- 
mung, dass  über  die  genaue  Abgrenzung  des  ehemals  straubingischen 
Gebietes  die  von  pfälzischer  Seite  aus  den  bayerischen  Archiven 
vorzulegenden  urkundlichen  Beweise  entscheiden  sollten.  Ritter  mag 
wohl  geglaubt  haben,  es  solle  dadurch  die  Beeinträchtigung  eines  Teils 
durch  den  andern  verhütet  werden,  —  wo  sollten  die  erforderlichen 
Beweisurkunden  anders  sein  als  in  den  bayerischen  Archiven  ?  —  auf 
österreichischer  Seite  hat  aber  bei  dieser  Forderung  doch  wohl,  wie 
der  Verlauf  der  Occupation  zeigt,  das  Bestreben  mitgewirkt  von  dem 
preisgegebenen  Teil  Niederbayerns  das  eine  oder  andere  Rentamt  mit 
einzuziehen  in  der  richtigen  Voraussetzung,  dass  der  verlangte  Beweis 
für  die  Zugehörigkeit  zum  nicht-Straubingischen  Gebiet  schwer  zu 
führen  sein  werde.  Je  mehr  Bezirke  aber  der  Wiener  Hof  besetzen 
Hess,  um  so  mehr  Tauschobjecte  bekam  er  in  die  Hand  für  die  zweite 
Convention. 

Die  weitere  Entwicklung  der  Dinge  hing  nun  davon  ab,  ob  Karl 
Theodor  den  Vertrag  annahm  oder  verwarf.  Bis  zur  Entscheidung 
hierüber,  die  innerhalb  vierzehn  Tagen  nach  erfolgter  Unterzeichnung 
der  Convention  fallen  musste,  verschob  Maria  Theresia  auch  den  Ein- 
marsch ihrer  Truppen  in  das  ihr  zufallende  Gebiet;  sie  that  dies  aus 
Rücksicht  auf  des  Kurfürsten  bekannte  Empfindlichkeit  in  allen  Dingen, 
die  seine  wirkliche  oder  vermeintliche  Würde  berührten.  Selbst  der 
optimistische  Ritter  hielt  es  für  ratsamer,  eine  vielleicht  überflüssige 
Note  zu  übergeben,  als  auch  nur  die  kleinste  Vorsicht  ausser  Acht  zu 
lassen:  am  4.  Januar  legte  er  in  einem  Promemoria  dar,  dass  sich  die 
österreichische  Anerkennung  des  pfälzischen  Besitzstandes  selbstver- 
ständlich auch  auf  die  dem  Sulzbach'schen  Hause  bereits  gehörigen 
Gebiete  erstrecke,  und  bat  mit  Rücksicht  auf  die  zerstreute  Lage  dieser 
Besitzungen  um  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  seitens  des  kaiserlich- 
königlichen Kommissars  und  der  ihn  begleitenden  Truppen  -). 


J)  Ritter  an  den  Kurfürsten.  Wien.  4.  Januar  1778,  Orig.  Bayr.  Geh.  St.  A. 
K.  schw.  329/32. 

-)  Orig.  H.  H.  u.  St.  A.  —  St.  K.  Bayern  49. 


102  li  n  z  e  r. 

Am  6.  Januar  traf  der  Courier  mit  Ritters  Depeschen  und  der 
Convention  in  München  ein.  Karl  Theodor  war  auf  die  Todesnach- 
richt hin  noch  in  der  Neujahrsnacht,  begleitet  von  Vieregg,  von 
Mannheim  abgereist  und  am  2.  Januar  Vormittags  in  der  bayerischen 
Hauptstadt  angelangt 1).  Die  Mitteilung,  mit  welcher  der  pfälzische 
Legationssekretär  von  Hammerer  ihn  hier  empfieng,  überraschte  ihn 
peinlich;  er  mochte  sich  aber  doch  wohl  erinnern,  dass  er  gelegent- 
lich der  Beratungen  über  den  bayerisch -pfälzischen  Familienvertrag  im 
Jahre  1774  ein  Patent  eigenhändig  unterschrieben  hatte,  welches  bei 
Maximilian  Josephs  Tod  sofort  veröffentlicht  werden  sollte,  um  zu 
verhindern,  dass  eine  dritte  Partei  sich  in  den  Besitz  der  Erbschaft 
setze.  Jetzt  freilich  konnte  diese  Voreiligkeit,  wie  Karl  Theodor  das 
völlig  korrekte  Verfahren  des  bayerischen  Ministeriums  nannte,  die 
bedenklichsten  Folgen  nach  sich  ziehen.  Deshalb  beauftragte  er  Vier- 
egg, dem  Gesandten  in  Wien  ausdrücklich  die  Versicherung  zu  geben, 
dass  der  Entschluss  zu  einer  Vereinbarung  mit  dem  Kaiserhof  uner- 
schütterlich feststehe ;  man  möge  den  Vorgängen  in  München,  an  denen 
er  keinen  Teil  habe,  keine  Bedeutung  beilegen.  Bemerkt  zu  werden 
verdient  hierbei,  dass  Vieregg  um  diese  Zeit  von  dem  wirklichen  Zu- 
sammenhang der  Besitzergreifung  noch  nicht  unterrichtet  war:  er 
glaubte,  sie  sei  auf  Grund  einer  alten  Vollmacht  für  Hammerer  er- 
folgt, die  man  um  Aufsehen  zu  vermeiden  und  das  Geheimnis  der 
Unterhandlung  zu  wahren,  nicht  widerrufen  habe 2).  Karl  Theodor 
hatte  also  noch  keine  Zeit  —  oder  vielleicht  nicht  den  Mut?  —  ge- 
funden, seinen  leitenden  Staatsmann  in  das  Geheimnis  der  Abmachun- 
gen von  1774  einzuweihen. 

Ein  grosser  Trost  war  für  den  Kurfürsten  die  Ankunft  des  Frei- 
herrn von  Lehrbach ;  der  kaiserliche  Gesandte,  der  auf  seiner  Deutsch- 
Ordens-Kommende  Ellingen  den  ihm  bewilligten  Urlaub  verbrachte, 
hatte  sich  auf  die  Kunde  von  Maximilian  Josephs  Tod  sofort  nach 
München  auf  den  Weg  gemacht;  er  wurde  am  3-  Januar  in  Audienz 
empfangen.  Als  er  dabei  auf  das  Besitzergreifungspatent  und  die 
darin  angeführten  Hausverträge  von  1766,  1771  und  74,  deren  Existenz 
seinem  Hofe  gänzlich  unbekannt  sei,  zu  sprechen  kam,  geriet  Karl 
Theodor  in  grosse  Verlegenheit  und  sprach  sein  Bedauern  aus,  dass 
seine  eilige  Herreise  die  Publication  des  Patentes  nicht   habe    verhin- 


*)  Der  Direktor  der  Slaatskanzlei  Geh.  Rat  von  Stengel  und  der  greise 
Freiherr  von  Zedtwitz  folgten  unmittelbar  danach.  Unger,  kursächs.  Resident, 
an  Stutterheim.  München  4.  Januar  1778.  Conzept.  Dresdener  Archiv.  Loc.  3463 
Depeches  ecrites  en  cour  1778. 

2)  Vieregg  an  Ritter.  München.  3.  Januar  1778.  Conzept.  Bayr.  Geh.  St.  A 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.         JQo 

dern  können.  Das  Vorhandensein  der  Hausverträge  suchte  er  mit  den 
sächsischen  Ansprüchen  an  das  bayerische  Allodium  zu  rechtfertigen ; 
sie  hätten  dem  Kaiser  zur  Bestätigung  vorgelegt  werden  sollen. 
Schliesslich  beteuerte  er,  dass  keine  Gesinnungsänderung  stattgefunden 
habe  noch  auch  stattfinden  werde,  und  ersuchte  den  Gesandten,  da- 
rüber an  seinen  Hof  zu  berichten. 

Wenige  Stunden  nach  Eingang  der  Wiener  Depeschen  begab  sich 
Lehrbach  —  am  6.  Januar  —  zu  dem  Kurfürsten.  Dieser  hatte  bereits 
mit  dem  bisherigen  Leiter  der  bayerischen  Politik,  dem  Obersthof- 
meister Grafen  Seinsheim  und  dem  bayerischen  Geheimen  Kanzler 
Freiherrn  von  Kreittmayr  das  Vertragsinstrument  einer  Durchsicht 
unterzogen,  da  der  hierzu  seiner  Stellung  nach  berufene  Freiherr  von 
Vieregg  mit  den  speciell  bayerischen  Verhältnissen  gar  nicht  bekannt 
war.  Er  verhehlte  Lehrbach  nicht,  dass  der  Inhalt  der  Convention  ihn 
in  arge  Verlegenheit  setze ;  das  abzutrennende  Gebiet  erstrecke  sich 
vielfach  weit  in  sein  Land  hinein;  statt  dass  man  allen  Anlass  zu 
Streitigkeiten  für  die  Zukunft  beseitige,  schaffe  man  so  eine  Fülle 
neuer  Streitpunkte.  Auch  könne  er  den  Vertrag  nicht  sofort,  wie  man 
es  von  ihm  verlange,  unterzeichnen,  da  dies  auf  die  gerade  versammel- 
ten Landstände  des  Herzogtums  den  ungünstigsten  Eindruck  machen 
werde.  Indes  versprach  er  sich  die  Frage  reiflieh  zu  überlegen,  die 
einschlägigen  Akten  beibringen  zu  lassen  und  dann  seine  Antwort  zu 
erteilen.  Am  Abend  des  6.  fand  eine  lange  Beratung  über  die  durch 
den  Abschluss  geschaffene  politische  Lage  statt,  an  der  ausser  dem  Kur- 
fürsten, Vieregg  und  den  beiden  bereits  eingeweihten  bayerischen 
Ministern  auf  Lehrbachs  Empfehlung  der  Geheime  Archivarius  Graf 
Zech  theilnahm.  Es  wurde,  einem  Vorschlag  Kreittmayrs  folgend, 
beschlossen,  dem  Kaiserhof  die  Oberpfalz,  Neuburg  und  die  bayerischen 
Ansprüche  auf  einige  in  nürnbergischem  Besitz  befindliche  Aeinter  an- 
zubieten, um  durch  diese  Abtretungen  das  Herzogtum  Bayern  ungeteilt 
zu  erhalten.  Als  Lehrbach  am  folgenden  Vormittag  bei  Seinsheim,  der 
ihn  um  eine  Unterredung  gebeten  hatte,  erschien,  erhielt  er  den  Be- 
scheid, der  Kurfürst  wolle  vorläufig  abwarten,  ob  der  Wiener  Hof  sich 
nicht  zur  Annahme  eines  anderen,  für  ihn  günstiger  gelegenen  Land- 
strichs und  zum  baldigen  definitiven  Abschluss  mit  Verzicht  auf 
spätere  Austauschungen  bereit  finden  lasse.  Seinsheim  und  der  gleich- 
falls anwesende  Kreittmayr  betonten  die  notwendige  Rücksicht  auf  die 
Landstände  und  baten  den  Gesandten,  er  möge  auf  eine  Herabminde- 
rung der  Ansprüche  seines  Hofes  hinwirken  1). 

')  Lehrbach  an  Kaunitz.    München.    9.  Januar  1778.   Orig.  H.  H.  u.  St.  A. 
St.  K.  Bayern  49. 


104  u  n  z  e  r- 

Eine  Depesche  Viereggs  setzte  Eitter  von  den  Conferenzbeschlüssen 
in  Kenntnis;  ein  Eeskript  des  Kurfürsten  befahl  dem  Gesandten  darauf 
zu  dringen,  dass  man  nicht  mit  bewaffneter  Hand  an  so  schwierige 
Fragen  herantrete,  sondern  sich  vielmehr  zur  Annahme  eines  passen- 
den Aequivalentes  verstehe  *).  Beide  Schreiben  gingen  jedoch,  da  Lehr- 
bach   die  Absendung   des  Couriers   verzögerte,    erst  am  9.  Januar  ab. 

Kitter  sah  inzwischen  ungeduldig  der  Antwort  aus  München  ent- 
gegen. Die  am  5.  einlaufende  Depesche  Viereggs  gab  ihm  neuen  Mut, 
sie  erklärte  ihm  das  bis  dahin  gänzlich  unbegreifliche  Besitzergreifungs- 
patent wenigstens  einigermassen,  wenngleich  er  peinlich  berührt  wurde 
durch  die  Bemerkung,  dass  die  bayerische  Landesregierung  es  nicht 
für  notwendig  gehalten  hatte,  ihn  in  seiner  Eigenschaft  als  bayeri- 
scher Gesandter  von  einem  so  bedeutungsvollen  Schritt  in  Kenntnis 
zu  setzen.  Die  bereits  eingetretenen  Folgen  der  Nachricht  waren  frei- 
lich nicht  mehr  rückgängig  zu  machen,  doch  liessen  sich  wenigstens 
weitere  nachteilige  Massregeln  durch  schleunige  Klarstellung  des  Sach- 
verhalts verhindern.  Am  2.  Januar  schon  hatte  der  Kaiser  sieben 
Bataillone  und  das  Dragoner-ßegiment  Prinz  Coburg  zum  Einmarsch 
in  Bayern  bestimmt,  dem  F.-M.-L.  Baron  von  Langlois  die  Leitung  des 
Unternehmens  übertragen  und  Tags  darauf  ihm  eine  Instruction  sowie 
den  Befehl  erteilt,  das  bayerische  Gebiet  bis  zur  Linie  Haag- Wald- 
münchen zu  besetzen,  das  Hauptquartier  nach  Straubing  zu  legen 2). 
Die  Nachricht  von  der  thatsächlichen  Besitzergreifung  ganz  Bayerns 
durch  das  Patent  vom  30.  Dezember  hatte  alsdann  Anlass  zu  einer 
beträchtlichen  Verstärkung  des  Occupationskorps  gegeben;  man  hatte 
ausserdem  dem  Gesandten  erklärt,  wenn  die  Katification  verweigert 
werde,  werde  der  Kaiser  sofort  ganz  Bayern  einziehen  und  den  Kur- 
fürsten wegjagen.  Noch  am  Abend  des  5.  begab  sich  Kitter  zu  den 
kaiserlichen  Ministern  und  teilte  ihnen  den  Zusammenhang  der  pfälzi- 
schen Besitzergreifung  mit;  am  folgenden  Tage  hatte  er  Gelegenheit, 
bei  der  Notifikation  des  Regierungsantritts  Karl  Theodors  dem  Kaiser 
gegenüber  das  unerschütterliche  Festhalten  seines  Hofes  an  der  bis- 
herigen Politik  zu  beteuern 3).  Seine  Versicherungen  blieben  nicht 
ohne  Wirkung,  aber  bald  begann  man  sich  zu  wundern,  dass  noch 
immer  keine  Antwort  aus  München  anlangte,  während  sich  allerlei 
Gerüchte  verbreiteten,    die    auf   die  Absicht  bewaffneten  Widerstandes 


1)  Vieregg  an  Ritter.  München.  8.  Januar.  Conzept.  Bajr.  Geh.  St.  A.  — 
Karl  Theodor  an  Ritter,  von  demselben  Datum,  gedr.  Arnetb,  Maria  Theresia. 
Bd.  10.  S.  797/8. 

2)  K.  K.  Kriegs-Archiv.  1778.  Cab.-A. 

3)  Ritter  an  Vieregg.  Wien.  10.  und  11,  Januar  1778.  Orig.  Bayr.  Geh.  St.  A. 


Die  Entstehung  der  pfälzisck-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.         105 

der  pfälzischen  bezw.  bayerischen  Kegierung  schliessen  Hessen.  In  der 
Audienz,  die  Kitt  er  am  11.  Januar  bei  der  Kaiserin  zur  Uebergabe  des 
Notificationsschreibens  hatte,  gab  Maria  Theresia  ihr  Missvergnügen 
offen  kund  und  drohte  mit  folgenschweren  Repressalien,  wenn  jene 
Gerüchte  sich  bewahrheiteten  und  die  Convention  verworfen  würde; 
dagegen  stellte  sie  die  freundschaftlichste  Unterstützung  des  Kurfürsten 
in  Aussicht  für  den  nach  Ratification  des  ersten  zu  schliessenden 
zweiten  Vertrag.  Diese  Austauschconvention  in  Angriff  zu  nehmen 
erklärten  sich  jetzt  auch  die  Minister  bereit,  die  bisher  nur  geringen 
Eifer  dafür  gezeigt  hatten.  Aber  auch  sie  konnten  dem  Gesandten 
ihre  Ungeduld,  ihre  Besorgnis  nicht  verhehlen,  denn  von  Lehrbach 
fehlte  ebenfalls  jede  Nachricht  über  die  Aufnahme  des  Vertrags  vom 
3.  Januar.  Der  Gedanke  lag  nahe,  dass  die  bayerische  Partei,  in 
deren  Mitte  der  schwache  Kurfürst  mit  seinem  unerfahrenen  pfälzi- 
schen Ratgeber  sich  befand,  sich  sei  es  aus  böser  Absicht,  sei  es  um 
ihres  Sondervorteiles  willen  der  Vereinbarung  widersetzte,  und  man  traf 
ja  mit  dieser  Vermutung  ziemlich  das  Richtige.  Auch  Ritter  dachte 
wohl,  dass  die  bayerischen  Minister  ihre  Hand  im  Spiel  hätten;  nicht 
ohne  Grund  hatte  er  vor  ihnen  gewarnt,  aber  er  musste  sich  fragen, 
auf  wessen  Hülfe  man  rechnete,  wie  man  überhaupt  in  München  sich 
die  weitere  Entwicklung  der  Dinge  vorstellen  mochte.  Von  Frankreich 
war  doch  nichts  zu  erwarten,  Breteuil,  durch  Kaunitz  von  den  Inhalt 
der  Convention  in  Kenntnis  gesetzt,  meinte,  Kurpfalz  habe  gar  nichts 
Besseres  zur  Erhaltung  der  Ruhe  in  Deutschland  thun  können.  Aber  selbst 
wenn  der  Versailler  Hof  anders  dachte,  so  würde  Bayern  gewiss  seinen 
Beistand  teuer  bezahlen  müssen:  die  wieder  ins  Leben  gerufenen  An- 
sprüche des  Hauses  Orleans  würden  dann  zu  denjenigen  Oesterreichs 
und  Sachsens  noch  hinzutreten.  Eher  konnte  man  auf  Preussens  König 
zählen ;  aber  welchen  Preis  hätte  man  diesem  durch  seinen  politischen 
Egoismus  bekannten  Fürsten  erst  zahlen  müssen ! 

Alle  diese  Erwägungen  der  Kaiserin  und  der  Minister  sowie  die 
Ergebnisse  seines  eigenen  Nachdenkens  legte  Ritter  nieder  in  einer 
Depesche  an  Vieregg  vom  11.  Januar.  Noch  aber  war  der  Courier 
nicht  abgegangen,  als  das  kurfürstliche  Reskript  und  des  Ministers 
Weisungen  vom  8.  und  9.  in  Wien  eintrafen.  Auf  der  Stelle  fügte 
er  der  Depesche  eine  Nachschrift  bei.  Gegenüber  der  Klage,  dass  die 
Convention  eine  Zerreissung  Bayerns  bedeute,  stellt  er  die  Behauptung 
auf,  die  österreichische  Besitzergreifung  des  straubingischen  Anteils  sei 
vorübergehend,  reine  Förmlichkeit  und  habe  nur  den  Zweck  dem 
Publikum  Sand  in  die  Augen  zu  streuen;  die  Regelung  des  Besitz- 
standes sei  überhaupt  der  zweiten  Convention  vorbehalten.     Dringend 


106  Unzer. 

mahnt  er,  dass  der  Kurfürst  an  Stelle  des  bayerischen  Ministeriums 
seinen  eigenen  Kuhm  und  seine  Würde  zu  Rate  ziehe  und  entschlossen 
Partei  ergreife,  —  sonst  sei  Alles  verloren;  auch  so  schon  werde  die 
Einbusse  an  Vertrauen  kaum  mehr  wieder  gut  zu  machen  sein.  Wenig- 
stens  hätte  man  ihm,  meint  er,  die  Ratification  zuschicken  sollen  für 
den  Vertrag,  wie  ihn  der  Kurfürst  vorschlage,  wenngleich  man  sich 
mit  diesen  Vorschlägen  ganz  von  dem  bisher  verfolgten  Weg  der 
Unterhandlung  entferne;  da  hätte  der  Wiener  Hof  wenigstens  nicht 
an  der  Absicht  einer  Verständigung  zweifeln  können,  wie  er  es  jetzt, 
nicht  mit  Unrecht,  thue. 

Man  erkennt  beim  Lesen  dieser  Behauptungen  den  Diplomaten 
nicht  wieder,  der  sich  selbst  einer  dreissigj ährigen  Erfahrung  rühmt. 
Unmöglich  kann  Ritter  geglaubt  haben,  Oesterreich  werde  das  rechte 
Innufer  wieder  fahren  lassen :  seit  Jahren  wusste  Jedermann,  dass  der 
Wiener  Hof  den  Besitz  dieses  wichtigen  Stromlaufs  anstrebe.  Und  weiter,  war 
es  denkbar,  dass  man  in  Wien  in  der  bestimmten  Weigerung  bayeri- 
sches Gebiet  abzutreten  etwas  anders  als  eine  verblümte  Verwerfung 
des  Vertrags  gesehen  hätte  ?  Das  Bedenklichste  aber  war,  dass  seine 
Aeusserungen  in  München  eine  ganz  falsche  Auffassung  wachrufen 
mussten,  die  der  Sache  des  pfälzischen  Hofes  schwerlich  von  Nutzen 
sein  konnte. 

Am  folgenden  Tag,  den  12.  Januar,  übergab  Ritter  den  kaiser- 
lichen Ministern  das  Reskript  des  Kurfürsten  in  Abschrift  —  auch 
Lehrbach  hatte  in  München  eine  Abschrift  erhalten;  —  in  einer  Begleit- 
note empfahl  er  dessen  Inhalt  den  Majestäten  zur  Beherzigung  l).  In 
höchster  Ungeduld,  schwankend  zwischen  Furcht  und  Hoffnung  suchte 
er  zu  erkunden,  wie  wohl  die  Antwort  lauten  möge;  doch  die  ver- 
traulichen Mitteilungen,  die  man  ihm  machte,  gaben  keine  Hoffnung, 
und  der  mündliche  Bescheid,  den  Kaunitz  ihm  Abends  erteilte,  recht- 
fertigte selbst  die  schlimmsten  Befürchtungen.  In  Allerhöchstem  Auf- 
trag erklärte  ihm  der  Staatskanzler,  dass  der  Kaiser  und  die  Kaiserin 
entrüstet  seien  über  die  Verzögerung  der  Ratification  und  über  die 
neuen  Vorschläge ;  auch  er  persönlich  in  seiner  Eigenschaft  als  Minister, 
der  jederzeit  aufrichtig  und  vertrauensvoll  die  Unterhandlung  geführt, 
habe  Grund  sich  gekränkt  zu  fühlen.  Er  Hess  durchblicken,  dass  er 
in  den  neuen  Vorschlägen  nur  ein  Mittel  sehe  Zeit  zu  gewinnen, 
damit  das  pfälzische  Regiment  in  dem  besetzten  Gebiet  festen  Fuss 
fassen  und  zugleich  erfahren  könne,    wie    die    fremden  Höfe  über  die 


<)  Promemoria  Ritters.  Wien  12.  Januar  1778.  Orig.  H.  H.  u.  St.  A.  St.  K. 
Bayern  49. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.   1778.        |Q7 

Frage  dächten,  —  wenn  nicht  sogar  die  Absicht  vorliege,  mit  diesen 
zum  Nachteil  Oesterreichs  Verabredungen  zu  treffen.  Aber  der  Kaiser- 
hof wolle  sich  nicht  vor  ganz  Europa  lächerlich  machen  lassen ;  Lehr- 
bach werde  sofort  angewiesen,  den  Kurfürsten  vor  die  Alternative  zu 
stellen:  Annahme  der  Convention  wie  sie  ist  —  oder  Ablehnung.  Er 
fügte  noch  hinzu,  die  Verwerfung  sei  unter  den  gegenwärtigen  Um- 
ständen für  Oesterreich  vorteilhafter  als  die  Annahme,  denn  Alles  stehe 
zu  sofortiger  Besitzergreifung  bereit,  die  Patente  seien  gedruckt,  die 
Truppen  an  der  Grenze  marschfertig;  und  komme  es  nun  wirklich 
zum  Einmarsch,  so  werde  man  auch  vor  den  Thoren  Münchens  nicht 
Halt  machen. 

Ritter  sah  sein  Werk,  die  Convention  vom  3.  Januar,  auf  deren 
Abschluss  er  bisher  mit  stolzer  Befriedigung  geblickt  hatte,  aufs  Ernst- 
lichste gefährdet,  und  doch  konnte  er  kaum  etwas  zu  ihrer  Erhaltung 
thun.  Es  galt  zunächst  nur  Zeit  zu  gewinnen,  denn  der  Kurfürst 
hatte  ja  ausdrücklich  erklärt  die  Convention  annehmen  zu  wollen,  wenn 
es  unbedingt  nötig  sei.  Deshalb  beantragte  Ritter,  die  Kaiserin- 
Königin  möge  den  Einmarsch  noch  einige  Tage  aufschieben ;  man  er- 
widerte ihm  aber,  das  sei  nicht  mehr  möglich;  nur  soviel  wurde  zu- 
gestanden, dass  die  einrückenden  Truppen  noch  nicht  als  Reichstruppen 
auftreten  sollten.  Die  Veröffentlichung  der  Manifeste  versprach  Kaunitz 
noch  sechs  bis  sieben  Tage  aufzuschieben,  damit  ein  Courier  von 
Ritter  nach  München  abgehen  und  von  dort  mit  der  Entscheidung 
wieder  zurückkehren  könne.  Aber  die  Vorlage  eines  anderen  Ver- 
tragsentwurfs, über  den  man  sich  verständigen  könne,  schlug  er  ab 
mit  der  Bemerkung,  sein  Hof  habe  weitere  Vorschläge  nicht  zu  machen. 

Tief  erschüttert  berichtete  Ritter  dies  Alles  an  Vieregg,  er  mahnte, 
keinen  Augenblick  zu  verlieren,  da  die  gewährte  Frist  zweifellos  nicht 
verlängert  werde.  Aber  er  zog  auch  für  seine  Person  die  Consequen- 
zen  aus  der  ihm  unbegreiflichen  Haltung  seines  Herrn,  der  den  par- 
teiischen Münchener  Ratgebern  mehr  Vertrauen  zu  schenken  schien, 
als  dem  langjährigen  erprobten  Vertreter  am  Kaiserhof:  er  bat,  man 
möge  die  kurfürstliche  Entschliessung  durch  eine  mit  annehmbaren 
Vorschlägen  und  mit  Vollmachten  zur  Unterhandlung  und  zum  Ab- 
schluss  versehene  Vertrauensperson  nach  Wien  senden;  er  selbst  sei 
zu  mutlos  und  eingeschüchtert,  um  die  Verantwortung  noch  länger  auf 
sich  zu  nehmen  l). 

Kaunitz  hatte  kaum,  wie  man  etwa  glauben  könnte,  übertrieben, 
als    er  Ritter    sagte,    auch    die  Besitzergreifungspatente    für  das  ganze 


')  Ritter   an   Vieregg.  Wien.    12.    Januar   1778.     Orig.     Bayr.   Geh.  St.  A. 


108  Inzer. 

bayerische  Land  seien  schon  in  Bereitschaft;  am  12.  Januar,  da  der 
Staatskanzler  jene  Mitteilung  machte,  befahl  Kaiser  Joseph  dem  Reichs- 
vizekanzler  *),  alle  Instructionen  und  Patente  anzufertigen,  die  zur 
Besitzergreifung  Bayerns  im  Namen  des  Reichs  bis  zur  Ausgleichung 
aller  strittigen  Ansprüche  auf  die  Succession  erforderlich  seien;  am  14. 
sollten  sie  durch  einen  Courier  befördert  werden. 

In  München  hoffte  man  wirklich,  dass  der  Wiener  Hof  die  neuen 
Vorschläge  annehmen  und  sich  mit  den  angebotenen  oberpfälzischen 
Gebietsteilen  begnügen  werde.  In  dieser  Stimmung  traf  Karl  Theodor 
die  Meldung  des  Rentamts  Straubing,  der  Einmarsch  der  kaiserlichen 
Truppen  stehe  unmittelbar  bevor ;  sie  erregte  die  grösste  Bestürzung ; 
der  Kurfürst  liess  Lehrbach  rufen  und  bat  ihn  um  seine  Vermittlung, 
damit  der  Kaiser  diesen  Schritt  doch  wenigstens  noch  kurze  Zeit  auf- 
schiebe ;  das  Land  werde  sonst  in  die  grösste  Notlage  geraten,  er  selbst 
aber,  der  Kurfürst,  werde  die  von  den  Landständen  geforderten  Geld- 
bewilligungen nicht  erhalten  2).  An  Ritter  erging  eine  eilige  Weisung, 
von  dem  Kaiserhof  noch  die  Erfüllung  dieses  kleinen  Wunsches  zu 
verlangen  und  dabei  immer  wieder  die  reinen  Absichten  der  pfälzi- 
schen Regierung  hervorzuheben 3).  Als  einen  neuen  Grund  für  den 
Aufschub  der  geplanten  Besetzung  sollte  er  die  Besorgnis  anfuhren, 
der  König  von  Preussen  werde  in  ihr  einen  Gewaltakt  erblicken  und 
die  Gelegenheit  wahrnehmen,  um  Kurpfalz  in  Jülich-Berg  einen  Streich 
zu  spielen,  überzeugt,  dass  der  Wiener  Hof  nichts  dagegen  sagen 
werde. 

Die  Depeschen  Ritters  vom  10.,  11.  und  12.  Januar  zerstörten 
nun  aber  rasch  alle  Illusionen,  denen  man  sich  hingegehen  hatte. 
Karl  Theodor  war  schmerzlich  betroffen,  dass  alle  seine  Vorstellungen 
gegen  den  Truppeneinmarsch  vergeblich  gewesen  waren,  besonders  aber 
durch  die  Bemerkung,  dass  man  ihn  allen  Ernstes  im  Verdacht  feind- 
seliger Gesinnung  und  schlimmer  Absichten  gegen  die  kaiserlichen 
Majestäten  gehabt  habe.  Man  darf  es  dem  schwachen  Fürsten  wohl 
glauben,  dass  er  nicht  im  Entferntesten  an  Widerstand  gegen  Oester- 
reich  oder  an  die  Einmischung  einer  fremden  Macht  gedacht  hat.  Zum 
Beweis  seiner  stets  gleich  gebliebenen  Gesinnung  hinsichtlich  der 
bayerischen  Erbfolge  that  er  den  entscheidenden  Schritt :  am  14.  Januar 
setzte  er  seinen  Namen  unter  die  von  Ritter  geschlossene  Convention. 


')  Joseph    au    Colloredo.    Wien.    12.    Januar    1778.    Orig.    H.  H.  u.  St.  A. 
Bavarica  49. 

2)  Lehrbach  an  Kaunitz.  München.   12.  Januar  1778.  Orig.       H.  H.  u.  St.  A. 

3)  Vieregg  an  Ritter.  München.  12.  Januar  1778.  Conzept.  Bayr.  Geh.  St.  A. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1777.        109 

Es  ist  Karl  Theodor  gewiss  nicht  leicht  gewesen,  den  schönsten 
und  fruchtbarsten  Teil  des  ihm  nach  Maximilian  Josephs  Tod  zuge- 
gefallenen  Herzogtums  abzutreten;  er  selbst  sagt  in  dem  Rescript  an 
Ritter,  dass  er  um  der  Ruhe  Deutschlands  und  Europas  willen  den 
Vertrag  mit  gänzlicher  Aufopferung  seines  Interesses  ratificirt  habe. 
Dafür  hegte  er  aber  auch  die  Hoffnung,  dass  der  Kaiser  und  die 
Kaiserin-Königin  nun  ihre  Versprechungen  erfüllen  und  sich  bei  der 
zweiten  Convention  für  die  gebrachten  Opfer  erkenntlich  erweisen 
würden  1). 

Der  Kurfürst  und  sein  Minister  erwarteten,  dass  die  Annahme 
der  Convention  genügen  werde,  den  in  Wien  entstaudenen  Argwohn 
gänzlich  zu  zerstören,  sie  glaubten  nunmehr  Alles  gethan  zu  haben, 
um  die  Reinheit  ihrer  Absichten  darzuthun;  in  ihren  eigenen  Herzen 
aber  lebte  noch  lange  eine  gewisse  Bitterkeit  fort,  wie  sie  die  Ent- 
rüstung über  einen  so  ungerechten  Verdacht  wachgerufen  hatte.  Be- 
sonders Vieregg  gab  diesem  Gefühl  sowohl  Lehrbach  als  Ritter  gegen- 
über ungescheut  Ausdruck.  Wenn  seinen  in  der  Erregung  niederge- 
schriebenen Zeilen  Glauben  geschenkt  werden  darf,  so  war  er  bereits 
seines  Amtes  überdrüssig,  da  er  bemerken  musste,  wie  seine  Politik 
der  Ehrlichkeit  und  Aufrichtigkeit  eine  Wirkung  hatte,  die  der  im  In- 
teresse seines  Herrn  gewünschten  gerade  entgegengesetzt  war.  Bei 
alledem  war  man  aber  ängstlich  besorgt,  dem  Kaiserhof  keinen  An- 
lass  zu  begründeten  Klageu  zu  geben.  Da  die  Anerkennung  Karl 
Theodors  als  Inhaber  des  Herzogtums  Bayern  auf  dem  Reichstag 
noch  nicht  erfolgt  war  —  sie  hieng  ja,  wenigstens  nach  österreichischer 
Auffassung,  von  der  Annahme  der  Convention  ab  —  unterliess  man 
die  Beisetzung  jeglichen  Titels  in  der  Ratin cationsforrnel.  Man  beeilte  sich 
Aufklärung  zu  geben  über  die  so  sehr  beargwöhnte  Sendung  von  Cou- 
rieren  nach  Paris  und  Berlin:  sie  hatten  die  Notification  von  Karl 
Theodors  Regierungsantritt  dorthin  getragen;  man  suchte  Ritter  und 
durch  ihn  den  Staatskanzler  zu  beruhigen  über  den  Anteil  einzelner 
dem  Wiener  Hofe  nicht  völlig  genehmer  Personen  an  den  politischen 
Geschäften. 

Während  Vieregg  für  seine  Person  Ueberdruss  an  der  Leitung 
der  Geschäfte  kundgibt,  mahnt  er  mit  eindringlichen  Worten  Ritter 
zu  tapferem  Ausharren  auf  seinem  schwierigen  Posten.  Er  versichert 
ihn  des  uneingeschränkt  fortdauernden  Vertrauens  seines  Herrn,  er 
spricht  ihm  in  dessen  Namen  sein  Bedauern  aus  über  die  Unannehm- 


»)  Karl  Theodor  an  Ritter.     München.    14.  Januar    1778.     Conzept.     Bayr, 
Geh.  St.  A. 


\\0  U  n  z  e  r. 

lichkeiten,  denen  er  unter  den  herrschenden  Verhältnissen  ausgesetzt 
sei,  und  sucht  seinen  Mut  wieder  aufzurichten  durch  die  Aussicht, 
dass  auch  der  Wiener  Hof  ihm  in  kürzester  Frist  das  alte  Vertrauen 
bezeigen  werde. 

Mit  der  ratificirten  Conventionsurkunde,  die  in  Wien  gegen  das 
von  Maria  Theresia  unterzeichnete  zweite  Exemplar  ausgetauscht  wer- 
den sollte,  mit  den  Weisungen  für  Ritter  und  mit  zwei  kurfürstlichen 
Schreiben  an  die  Kaiserin  und  an  den  Kaiser  versehen,  verliess  noch 
am  14.  Januar  der  Courier  die  bayerische  Hauptstadt.  Wenn  er  seine 
Reise  auch  noch  so  sehr  beschleunigte :  vor  dem  16.  Nachmittags,  also 
vor  Ablauf  von  zweimal  vierundzwanzig  Stunden  konnte  er  nicht  in 
Wien  eintreffen.  Mit  bleierner  Langsamkeit  schlichen  diese  Stunden 
für  Ritter  dahin.  Offenbar  suchte  er  durch  Schreiben  seiner  inneren 
Unruhe  Herr  zu  werden.  Vom  14.  Januar  ist  datirt  die  , gründliche 
Geschichtserzehlung  und  daraus  erhellende  Rechtfertigung  des  Be- 
tragens des  Freyherrn  von  Ritter,  in  der  Behandlung  über  die  Baye- 
rische Erbfolge  mit  dem  K.  K.  Hofe",  die  er  an  Vieregg  sandte.  An 
diesem  Tage  erhielt  er  die  Weisung  vom  12.  wegen  des  bevorstehen- 
den Eimnarschs  kaiserlicher  Truppen  in  Bayern;  er  machte  die  anbe- 
fohlenen Vorstellungen,  doch  ohne  Erfolg.  Dabei  musste  er  wieder 
die  schlimmsten  Anschuldigungen  seines  Hofes  anhöreu,  ohne  ihuen 
mit  voller  Ueberzeugung  entgegentreten  zu  können,  glaubte  er  doch 
selbst  bereits,  dass  Karl  Theodor  ein  anderes  politisches  System  ange- 
nommen habe.  Die  Verweigerung  der  Ratification  im  kritischsten  Augen- 
blick erschien  ihm  als  ein  untrügliches  Zeichen  dafür,  dass  die  bis- 
herige Politik  der  Verständigung  mit  dem  Kaiserhof  aufgegeben  sei. 
Nur  die  bayerischen  Staatsmänner  konnten  diesen  Umschwung  be- 
wirkt haben,  sie,  die  von  all  dem  Vorhergegangenen  nichts  wussten; 
zu  ihrer  Belehrung  hatte  er  die  Denkschrift  vom  14.  Januar  bestimmt, 
vorausgesetzt,  dass  sie  sich  überhaupt  belehren  lassen  wollten.  Denn 
er  mochte  wohl  selbst  einigen  Zweifel  an  dem  Erfolg  hegeu,  nachdem 
Kaunitz  ihm  seinen  Verdacht  mitgeteilt  hatte,  dass  eine  förmliche 
Verschwörung  zwichen  dem  jüngst  verstorbenen  Beckers  und  dem  Baron 
Zedtwitz  auf  pfälzischer,  dem  Ministerium  in  München  auf  bayerischer 
Seite  bestanden  habe  bezw.  noch  bestehe ,  von  der  wahrscheinlich 
Vieregg  gar  nichts  wisse,  die  möglicher  Weise    sogar  dem  Kurfürsten 

ÖD     Ö  O  o 

unbekannt  geblieben  sei.  Zugleich  aber  wollte  er  durch  die  „Gründ- 
liche Geschichtserzehlung-  sein  Verhalten  in  der  bayerischen  Succes- 
sionsverhandlung  klarstellen  und  rechtfertigen  gegenüber  den  Männern 
des  neuen  Systems,  denen  er  zu  weichen  entschlossen  war.  Er  erbat 
sich    als  Nachfolger    auf  seinem  augenblicklich    so    wichtigen    Posten 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  3.  Jan.  1778.         \  \  \ 

einen  Mann,  der  vollständig  eingeweiht  sei  in  die  Grundsätze  der  nun- 
mehr zu  befolgenden  Staatsweisheit,  für  sich  selbst  einen  ehrenvollen 
Ruhestand  1). 

Endlich  am  16.  Januar  schlug  ihm  die  Erlösungsstunde.  In  aller 
Frühe  hatte  er  noch  einem  Bericht  au  Vieregg  verfasst  über  den  stets 
wachsenden  Verdacht  gegen  Karl  Theodor,  der  durch  das  zweideutige 
Auftreten  des  Geheimen  Staatsrats  von  Cimtzmaun  in  Mannheim  bis  zu 
einem  gewissen  Grad  gerechtfertigt  werde,  da  erhielt  er  aus  der  Staats- 
kanzlei die  Nachricht,  ein  Courier  Lehrbachs  habe  das  bevorstehende 
Eintreffen  der  Ratification  gemeldet;  zugleich  liess  ihm  Kaunitz  sagen, 
er  sei  überzeugt,  dass  die  kaiserlichen  Majestäten  sehr  zufrieden  mit 
dieser  Wendung  der  Dinge  sein  würden.  Der  kaiserliche  Gesandte  in 
München  berichtete  nämlich,  der  Kurfürst  habe  ihn  am  14.  in  der 
Frühe  rufen  lassen  und  nach  einer  langen  Unterredung  die  Rati- 
ficirung  des  Vertrages  versprochen.  Ritter  nahm  die  Gelegenheit  wahr 
hervorzuheben,  wie  die  augekündigten  Schreiben  Karl  Theodors  an  die 
Majestäten  uuzweideutige  Beweise  der  Aufrichtigkeit  und  Staudhaftig- 
keit  der  Gesinnung  seien,  und  forderte  dagegen  die  Rückkehr  des  alten 
Vertrauens  von    österreichischer  Seite,    damit    das    begonnene    grosse 

7  ~  o 

Werk  zu  einem  erspriesslichen  Abschluss  geführt  werden  könue  -). 

Endlich  um  7  Uhr  Abends  traf  der  Courier  mit  der  ratificirten 
Convention  ein.  Ritter  teilte  der  Staatskanzlei  sogleich  den  Inhalt 
des  kurfürstlichen  Rescripts  und  der  Weisungen  Viereggs  mit;  Tags 
darauf,  am  17.,  überreichte  er  den  Majestäten  die  Schreiben  seines 
Herrn  und  empfieng  die  Versicherung  freundschaftlichster  Gesinnung 
und  erneuten  vollständigen  Vertrauens.  Der  Kaiser  sowohl  wie  die 
Kaiserin  sprachen  überdies  den  lebhaften  Wunsch  nach  baldigem  Ab- 
schluss der  zweiten  Convention  aus,  damit  alsdann  nichts  mehr  die 
innige  Freundschaft  der  beiden  Höfe  trüben  könne.  Wegen  des  unbe- 
gründeten Verdachts,  über  den  sich  Karl  Theodor  in  seinem  Schreiben 
beklagte,  entschuldigte  sich  Maria  Theresia;  sie  äusserte  zu  dem  Ge- 
sandten: „Wir  müssen  nun  auf  das  Engste  zusammenhalten  und  ins- 
künftige  für  einen  Mann  stehen."  Jetzt  vollzog  sie  auch  die  Rati- 
fication und  noch  an  demselben  Tage  wurden  die  Vertragsurkunden 
ausgetauscht. 

Man  teilte  Ritter  nun  die  drei  Patente  mit,  welche  inzwischen 
erlassen  worden  waren :  am  12.  Januar  hatte  Maria  Theresia  die  Ein- 
ziehung von  Mindelheim,    am  15.  diejenige   der  böhmischen  Lehen  in 


')  Ritter  von  Vieregg.     Wien.     14.  Januar  1778.     Orig.   Bayr.  Geh.  St.-A. 
*)  Ritter  an  Vieregg.  Wien.  1*J.  Januar  1778.  Orig.  Nr.  14,  Bayr.  Geh.  St.-A. 


112  Unzer. 

der  Oberpfalz  sowie  des  ehemals  straubingischen  Teiles  von  Nieder- 
bayern angeordnet.  Colloredo  sprach  dem  Gesandten  sein  Bedauern 
aus,  dass  in  Folge  der  Eatificationsverzögerung  an  den  Grafen  Hartig 
in  München  bereits  ein  Manifest  abgegangen  sei  wegen  der  Besitz- 
ergreifung der  erledigten  Reichslehen,  das  nicht  mehr  widerrufen  wer- 
den könne.  Dies  war  in  der  That  am  14.  geschehen ;  man  sandte  an 
diesem  Tage  an  F.M.L.  Baron  Langlois  zwei  Packete;  das  eine  sollte 
er  an  Hartig  abschicken,  sobald  ihm  die  Gewährung  der  Ratification 
aus  München  gemeldet  werde;  traf  aber  die  Nachricht  ein,  dass  die 
Convention  verworfen  sei,  so  ging  das  andere  Packet  an  Hartig  ab. 
In  dem  letzeren  befanden  sich  Instruction  und  Vollmacht  für  Hartig 
zur  Besitzergreifung  des  ganzen  Herzogtums  Bayern  und  andrer 
reich slehenbarer  Lande,  Güter  und  Gerechtsame,  sowie  das  gedruckte 
Manifest,  welches  diese  Massregel  den  Landesbewohnern  ankündigte. 
Das  erste  Packet,  das  abgesendet  wurde,  enthielt  die  Instruction  für 
den  k.  k.  Commissär  bei  der  Einziehung  der  erledigten  Reichslehen 
mit  Ausnahme  des  Herzogtums  Bayern,  die  erforderliche  Vollmacht, 
ferner  Bemerkungen  über  einzelne  Lehen  und  das  gedruckte  Patent. 
Obwohl  die  Aktenstücke  am  14.  von  Wien  abgingen,  trugen  sie  sämmt- 
lich  das  Datum  des  16.  Januar  l). 

War  nun  auch  die  Einziehung  der  erledigten  Reichslehen  nicht 
mehr  zu  hindern  oder  rückgängig  zu  machen,  so  liess  der  Kaiser  doch 
dem  Kurfürsten  auch  jetzt  wieder  die  Neuverleihung  derselben  in  Aus- 
sicht stellen,  wenn  sie  als  eine  Belehnung  ex  nova  gratia,  also  nicht 
mit  Berufung  auf  den  bisherigen  bayerischen  Besitz,  schriftlich  erbeten 
und  von  der  Kaiserin -Königin  befürwortet  werde. 

Das  Aufrücken  des  pfälzischen  Hauses  in  die  fünfte  Kurwürde 
beim  Erlöschen  der  bayerischen  Linie  war  bereits  durch  den  West- 
fälischen Frieden  bestimmt  worden.  Colloredo  liess  jetzt  Karl  Theodor 
auffordern,  die  dazu  nötigen  Schritte  beim  Kaiser  zu  thun,  dagegen 
wurden  noch  keine  Bestimmungen  getroffen  über  die  Führung  der 
herzoglichen  Stimmen  Bayerns ;  dies  sollte  erst  geschehen,  wenn  die  Ver- 
ständigung zwischen  beiden  Höfen  vollständig  sei ,  also  vermutlich 
erst  nach  Abschluss  der  zweiten  Convention,  die  ja  möglicher  Weise 
das  ganze  Herzogtum  mitsammt  der  herzoglichen  Stimme  dem  Erz- 
hause  überlieferte. 

Die  Stimmung  am  Wiener  Hof  war,  seitdem  die  Annahme  der 
Convention  durch  Karl  Theodor  feststand,  wie  umgewandelt.  Ritter 
berichtet  2),  dass  die  bisher  ungünstige  Meinung  über  eine  ganze  Reihe 

J)  H.  H.  u.  St.-A.     Bavarica  49.  Successionssachen  1778. 

2)  Ritter   an  Vieregg.     Wien.     17.  Januar   1778.      Orig.    Bajr.  Geh.  St.-A. 


Die  Entstehung  der  pfälzisch-österr.  Convention  v.  8.  Jaii.  lit8.         \]$ 

von  Personen  einer  gerechten,  ja  geradezu  optimistischen  Beurteilung 
gewichen  sei;  man  äusserte  sich  höchst  anerkennend  über  Vieregg; 
man  schenkte  Lehrbach  wieder  das  alte  Vertrauen ;  man  erklärte,  dass 
Graf  Seinsheim  stets  in  hoher  Achtung  gestanden  habe  und  auch  hin- 
fort sich  derselben  erfreuen  werde.  Hatte  man  bisher  mit  Begünstigung  der 
sächsischen  Allodialansprüche  gedroht,  so  versprach  man  jetzt,  sich  zu 
verwenden,  dass  Sachsen  eine  mehr  entgegenkommende  Haltung  be- 
obachte, man  riet  Karl  Theodor  freundschaftlich  in  dieser  Frage  nichts 
zu  übereilen.  Es  war  die  Ansicht  Maria  Theresias  und  weiter  Kreise 
der  österreichischen  Hauptstadt,  dass  nun  die  bayerische  Erbschafts- 
angelegenheit so  gut  wie  geregelt  sei. 


Mittheilunsren  XV, 


Der  Herzog  von  Keiclistadi 

Ein   Beitrag   zu   seiner   Geschichte. 

Von 

Hanns  Schütter. 

Als  der  Stern  Napoleons  noch  im  vollen  Glanz  erstrahlte,  als  der 
Sohn  der  Kevolution,  welcher  sich  zum  Imperator  aufgeschwungen 
hatte,  noch  die  Geschicke  Europas  nach  seinem  eigenen  Ermessen 
lenkte,  da  glaubte  er,  sich  als  das  einzige  Werkzeug  zur  Aufrechterhal- 
tung der  von  ihm  geschaffenen  Ordnung  betrachten  zu  müssen,  und 
unmöglich  schien  es  ihm,  dass  die  Welt  ohne  ihn  bestehen  könnte. 
„Ich  werde  vielleicht  zu  Grunde  gehen",  sagte  er  im  Jahre  1813  zu 
dem  Fürsten  Metternich,  „aber  meinem  Falle  folgt  der  Untergang  der 
Throne  und  der  ganzen  Welt  f)". 

Der  Ausgang  des  Feldzuges  von  1814,  in  welchem  Napoleon  bei 
verhältnissmässig  beschränkten  Mitteln  die  grösste  militärische  Begabung 
an  den  Tag  gelegt  hatte,  offenbarte  so  recht  den  Hauptfehler,  an 
welchem  die  Pläne  des  Gewaltigen  kraukten:  dass  er  stets  zu  ver- 
gessen pflegte,  dass  es  denn  doch  eine  Grenze  gebe,  über  welche  hin- 
aus die  menschlichen  Kräfte  nicht  reichten.  Napoleon  hat  es  nie 
verstanden,  mit  natürlichem  Masse  zu  rechnen  und  so  kam  es,  dass 
die  Menschenmaschineu,  welche  er  bis  zur  Ueberanstrengung  in  Be- 
wegung gesetzt,  endlich  den  Dienst  versagten.  Die  Gewohnheit,  Fähig- 
keiten und  Mittel  seiner  Gegner  zu  unterschätzen  und  zu  verachten,  trug 
auch  nicht  wenig  dazu  bei,  seinen  Fall  zu  beschleunigen.  So  hatte  er  bei 
Gelegenheit  der  Allianz  von  1813  nicht  so  recht  daran  glauben  wollen, 
dass  unter  Verbündeten  der  Geist  der  Einheit  walten  könnte,  und  sie 


l)  Aus  Metternich s  nachgelassenen  Papieren  II.  287, 


JÖer  Herzog  von  Reichstadt.  H5 

selbst  zur  Erreichung  eines  gleichen  Zieles  einträchtig  zu  wirken  ver- 
möchten. 

Das  Glück,  der  Grundstein  seiner  Macht,  begann  zu  wanken  und 
das  Staatengebilde,  welches  er  sich  nach  einem  verzerrten  und  über- 
triebenen Ideale  des  Reiches  Karl  des  Grossen  zu  erschaffen  gedachte, 
fiel  bereits  während  des  Entstehens  dem  einheitlichen  Zusammenwirken 
der  Verbündeten  zum  Opfer.  „Das  weitläufige  Gebäude,  welches  er 
errichtet  hatte,  —  scbrieb  Metternich  im  Jahre  1820,  — war  ausschliess- 
lich das  Werk  seiner  Hände  und  er  selbst  der  Schlüssel  zu  diesem. 
Aber  so  riesenhaft  es  auch  war,  so  entbehrte  es  doch  einer  wesent- 
lichen Grundlage,  und  das  Material,  aus  welchem  er  es  gebildet,  bestand 
nur  aus  Besten  anderer  Gebäude ;  vieles  war  faul,  anderes  ohne  Halt.  Der 
Schlüssel  zu  dem  Gewölbe  wurde  weggenommen  und  das  Gebäude  stürzte 
zusammen.  Das  ist  in  wenigen  Worten  die  Geschichte  des  fran- 
zösischen Kaiserreiches  —  von  Napoleon  erdacht,  entworfen  und  ge- 
schaffen existirte  es  einzig  und  allein  in  ihm,  —  mit  ihm  muste  es 
auch  zu  Grunde  gehen  1)u. 

Scheinbar  ergeben  in  sein  Schicksal  beschäftigte  Napoleon  sich 
mit  der  Ausarbeitung  der  Abdankungsurkunde,  welche  er  am  6.  April 
1814  seinen  Generalen  vorlas.  Sie  hatte  folgenden  Wortlaut:  „Nach- 
dem die  verbündeten  Mächte  proklamirt  haben,  dass  Kaiser  Napoleon 
das  einzige  Hindernis  für  die  Wiederherstellung  des  Friedens  in 
Europa  sei,  erklärt  jener,  seinen  Eiden  getreu,  dass  er  für  sich  und 
seine  Erben  auf  die  Throne  von  Frankreich  und  Italien  verzichte, 
weil  es  kein  persönliches  Opfer,  selbst  das  seines  Lebens  nicht  aus- 
geschlossen, gibt,  welches  er  dem  Interesse  Frankreichs  nicht  zu 
bringen  bereit  ist2)".  Der  Minister  des  Auswärtigen,  Caulaincourt 
und  die  Marschälle  Ney  und  Macdonald  überbrachten  dieses  Schrift- 
stück den  Verbündeten.  Es  hatte  den  Vertrag  von  Fontainebleau 
zur  unmittelbaren  Folge,  welcher  Napoleon  den  Kaisertitel  und  die 
Souverainetät  der  Insel  Elba  zusicherte.  Der  fünfte  Artikel  dieses 
Vertrages  bestimmte  das  Schicksal  Marie  Louisens  und  des  jungen 
Prinzen;  er  lautet  wie  folgt:  „Die  Herzogthümer  Parma,  Piacenza 
und  Guastalla  kommen  als  volles  Eigenthum  und  souverainen  Besitz 
an  J.  M.  die  Kaiserin  Marie  Louise;  sie  werden  an  ihren  Sohn  und 
dessen  Nachkommen  in  direkter  Linie  erblich  übergehen.  Der  Prinz, 
ihr  Sohn  führt  fortan  den  Titel:  Prinz  von  Parma,  Piacenza  und 
Guastalla  3)". 

')  Aus  Metternichs  nachgelassenen  Papieren  I,  290,  291. 
-')  Martens,    Supplement    au    recueil    des    principaux    traites.      (Göttingue 
1817)  V,  696.  s)  Martens  V,  697. 

8* 


\\Q  Schütter. 

Bevor  noch  Napoleon  daran  gegangen  war,  die  Urkunde  auszu- 
fertigen, welche  seine  Abdankung  enthielt,  beschäftigte  er  sich  auf 
das  lebhafteste  mit  dem  bevorstehenden  Schicksal  seiner  Gemalin  und 
seines  Sohnes.  „Man  gewähre  meiner  Familie  die  Mittel  des  Unter- 
haltes, rief  er  aus,  das  ist  Alles,  was  ich  verlange.  Was  meinen  Sohn 
betrifft,  so  wird  er  Erzherzog  sein,  was  für  ihn  vielleicht  besser  ist 
als  der  Thron  Frankreichs ;  denn  —  falls  er  ihn  bestiege,  wäre  er  auch  fähig, 
diesen  sich  zu  erhalten?  Für  ihn  wie  für  seine  Mutter  würde  ich  Tos- 
kana wünschen  l)".  Als  Caulaincourt  darauf  erwiderte,  dass  im  besten 
Falle  die  verbündeten  Souveraine  sich  dazu  entschliessen  würden,  dem 
jungen  Prinzen  Parma  zuzusprechen,  rief  Napoleon  aus:  „Wie!  zum 
Tausch    gegen    das  Kaiserthum  Frankreich    nicht    einmal  Toskana ! 2)" 

Aber  nicht  einmal  Parma  erhielt  der  König  von  Kom  als  Ersatz 
für  die  verlorene  Kaiserkrone. 

Auf  dem  Wiener  Congresse  wurde  der  fünfte  Artikel  des  Vertrages  von 
Fontainebleau  zum  Gegenstand  eines  erbitterten  Streites,  als  die  vormalige 
Königin  von  Etrurien  in  entschiedener  Weise  für  die  Erbrechte  ihres  Sohnes 
auf  Parma  eintrat.  Napoleons  Flucht  von  Elba,  durch  welche  er  als 
eidbrüchig  sich  aller  Rechte  begeben  hatte,  veranlasste  den  Congress 
jenen  Vertrag  für  null  und  nichtig  zu  erklären,  so  dass  man  auf  diesen  sich 
nicht  mehr  berufen  konnte,  um  die  Forderungen  Spaniens  abzulehnen 
Da  es  auch  die  italienischen  Fürsten  mit  banger  Sorge  für  die  Sicher- 
heit ihrer  Staaten  erfüllt  hätte,  wenn  der  früheren  Vereinbarung  ge- 
mäss, der  Sohn  Napoleons  dereinst  in  Parma  zur  Regierung  gelangt 
wäre,  so  wurde  französischer  Seits  vorgeschlagen,  dieses  Herzogthum 
seinem  vormaligen  Herrn  zurückzuerstatten,  Marie  Louisen  hingegen  mit 
den  Einkünften  der  pfalzbayerischen  Güter  in  Böhmen,  nebst  dem 
Fürstenthume  Lucca,  welches  nach  ihrem  Tode  an  Toskana  fallen  sollte, 
schadlos  zu  halten. 

Am  9.  Juni  eröffnete  jedoch  der  Congress  dem  spanischen  Bevoll- 
mächtigten, dass  er  sich  nur  bereit  erkläre,  dem  Infanten  Karl  Ludwig 
statt  der  Herzogthümer  Parma,  Piacenza  und  Guastalla  das  Fürs- 
tentum Lucca  abzutreten  und  500.000  Francs  jährlicher  Rente  zu 
gewähren;  aber  in  ihrer  Eigenschaft  als  Vormünderin  ihres  Sohnes 
verweigerte  die  Exkönigin  von  Etrurien  die  Annahme  eines  solchen 
Ausgleiches,  was  zur  Folge  hatte,  dass  Marie  Louise  die  Herzogthümer 
erhielt,  ohne  sie  auf  ihren  Sohn  vererben  zu  können. 

Diese  Beschlüsse,  welche  Graf  Neipperg  ihr  überbrachte,  betrübten 


l)  Thiers,  Histoire  du  Consulat  et  de  1'  Empire  XVII,  754. 
'-')  Thiers  ibidem. 


Der  Herzog  von  Reichstadt.  117 

die  Erzherzogin  auf  das  tiefste.  Noch  hatte  sie  sich  der  Hoffnung 
hingegeben,  dass  die  Mächte  sich  dazu  verstehen  könnten,  ihrem  Sohnei 
eingedenk  der  Opfer,  welche  sie  Beide  für  die  Ruhe  Europas  gebracht, 
einigen  Ersatz  für  das  Verlorene  zu  bieten.  „An  mir  liegt  mir  gar 
nichts,  "schrieb  sie  am  20.  Oktober  1816  ihrem  Vater,  aber  an  der 
Zukunft  meines  Sohnes !  l)M  Aufgefordert  ihre  Willensäusserung  be- 
kannt zu  geben,  richtete  sie  am  24.  November  folgenden  Brief  au 
Kaiser  Franz :  „Ich  verhehle  es  Ihnen,  mein  teuester  Vater,  keines- 
wegs, dass  ich  nur  mit  schwerem  Herzen  jenen  Anordnungen  mich 
füge,  welche  die  Zukunft  meines  Sohnes  betreffen.  Nach  den  unge- 
heueren  Opfern,  welche  ich  in  dieser  Hinsicht  dem  Frieden  Europas 
bereits  gebracht,  war  ich  nicht  auf  ein  weiteres  gefasst.  Um  Ihnen 
jedoch  eine  neue  Bürgschaft  meiner  kindlichen  Liebe  zu  liefern  und 
um  zu  beweisen,  wie  sehr  ich  meine  eigenen  Interessen  dem  allge- 
meinen Wole  unterordne,  willige  ich  unter  bestimmten  Bedin- 
gungen ein,  jene  Vorschläge  anzunehmen,  welche  dahin  lauten,  meinem 
Sohne,  wenn  er  auf  die  Erbfolge  in  den  Parmesanischen  Staaten  ver- 
zichte, die  passendste  und  vortheilhafteste  Stellung  unter  öster- 
reichischer Regierung   zu  bieten. 

Indem  ich  alle  meine  Wolfahrt  in  Ihre  Hände,  mein  erlauchter 
Vater,  lege  und  vollständig  überzeugt  bin,  dass  die  Zärtlichkeit  für 
Ihre  Tochter  und  die  heiligen  Pflichten,  welche  ihr  und  Ihnen,  als 
dem  Vormund  ihres  Sohnes,  in  gleicher  Weise  auferlegt  sind,  Sie  ver- 
mögen werden,  für  diesen  alles  das  zu  erstreben,  was  am  schicklichsten 
und  ehrenvollsten  erscheint,  willige  ich  ein  und  genehmige,  dass  man 
nach  folgenden  Grundsätzen  die  Verhandlungen  mit  den  dabei  be- 
theiligten Mächten  eröffne: 

1.  Die  Erbfolge  in  Parma  kann  nach  meinem  Tode  auf  die  früher 
dort  regierende  Linie  der  Bourbons  übergehen. 

2.  Mein  Sohn,  der  Prinz  Franz  Karl  wird,  sobald  die  Ver- 
handlungen, welche  die  Erbfolge  betreffen,  geschlossen 
sind,  ohne  Verzug  in  den  Besitz  der  in  Böhmen  gelegenen,  gegen- 
wärtig dem  Grossherzog  von  Toskana  gehörigen  Herrschaften  treten, 
welche  als  die  Pfalz-Bayerischen  bekannt  sind  und  diese  werden  meiner 
Privatdomaine  einverleibt. 

3.  Nur  die  Abtretung  eines  gleichwertigen  Besitztums 
in  irgend  einem  andern  Teile  der  österr  eichischen  Mon- 
archie  u.  zw.  unter  denselben  Bedingungen  könnte  mich  zu 
der  oben  erw ahnten  Verzichtleistung  bewegen,  da  ich  fest  entschlossen 


')  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  Wien. 


1 1  g  Schütter. 

bin,  mich  von  Niemandem  in  Form  einer  gleichwertigen  Pension  ab- 
fertigen zu  lassen.  Es  ist  meine  Mutterpflicht  und  mein  ernster  Wille, 
noch  zu  meinen  Lebzeiten  zu  erfahren,  nicht  nur  d  a  s  s,  sondern  auch 
in  welcher  Art  und  Weise  die  Zukunft  meines  Sohnes  ge- 
sichert ist. 

4.  Um  meinen  Oheim,  den  Grossherzog  von  Toskana,  für  das 
Opfer,  welches  er  mir  durch  die  Verzichtleistung  auf  die  böhmischen 
Güter  bringt,  zu  entschädigen,  willige  ich  ein,  ihm  nach  meiner  Be- 
sitzergreifung, Zeit  meines  Lebens  die  Hälfte  der  Kevenuen  rein  zu 
überlassen. 

5.  Mein  Sohn,  der  Prinz  Franz  Karl,  wird  so  lange  als  möglich 
den  Titel  eines  Herzogs  von  Parma  führen,  denn  eine  Aenderung  wäre, 
in  Ansehung  der  Bande,  welche  meine  Unterthanen  an  meine  Person 
knüpfen,  von  verderblichem  Einfluss.  Im  Falle,  als  er  dennoch  seinen 
Titel  ändern  müsste,  wird  man  für  ihn  den  schicklichsten  wählen  1)u. 

Kaiser  Franz  setzte  sich  mit  Wärme  dafür  ein,  dass  die  Ange- 
legenheit seiner  Tochter  in  zufriedenstellender  Weise  geregelt  werde. 
Als  nun  Fürst  Metternich  in  der  Lage  war,  Marie  Louisen  zu  berichten, 
dass  die  Pariser  Unterhandlungen  einen  günstigen  Verlauf  nehmen, 
da  kannte  die  Dankbarkeit  der  glücklichen  Mutter  keine  Grenzen.  In 
einem  Briefe  vom  13.  August  1817  schrieb  die  Erzherzogin  folgendes 
an  den  Kaiser:  „Sie  haben  mein  Herz  für  vielen  erlittenen  Kummer 
reichlich  belohnt  und  es  wird  Ihnen  ewig  dafür  dankbar  bleiben.  Ich 
bitte  Sie  nun  noch  Ihr  gutes  Werk  und  Ihre  guten  gnädigen  Absichten 
für  mein  Kind  zu  vollenden.  Geben  Sie  ihm  bester  Papa  einen  Namen 
und  ein  Wappen,  die  ihn  in  den  Eang  eines  nachgeborenen  Prinzen 
unseres  Hauses  versetzen  und  seine  Lage  für  die  Zukunft  vollkommen 
gründen.  Gott  wird  Sie  ewig  dafür  lohnen  und  mein  und  meines 
Sohnes  Gebet  für  Sie  gegen  den  Himmel  gerichtet  werden.  Er  wird 
sich  durch  seine  Bildung  Ihrer  Gnade  gewiss  würdig  machen"  2). 

Aber  zu  ihrer  höchsten  Verwunderung  und  mit  grossem  Leidwesen 
musste  sie  erfahren,  dass  der  Pariser  Vertrag  vom  10.  Juni  1817 
zwar  den  Bourbons  Parma  zugesichert  hatte,  dass  aber  darin  mit  kei- 
nem Worte  ihres  Sohnes  gedacht  ward.  Dieser,  welcher  bis  dahin 
Herzog  von  Parma  geheissen  hatte,  war  nunmehr  ohne  Namen,  ohne 
Titel  und  ohne  Gut.  Nochmals  wendete  sich  Marie  Louise  an  Kaiser 
Franz  und  empfahl  ihren  Sohn  seiner  so  oft  erprobten  väterlichen 
Gnade.     „Auch    der  Namen    und    die  Titel   meines  Kindes  liegen  mir 


')  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  Wien. 
'-)  Haus-.  Hof-  und  Staatsavehiv  Wien. 


Der  Herzog  von  Reichstadt.  119 

sehr  am  Herzen,  schloss  sie  ihren  Brief,  und  ich  hoffe  Sie  werden 
unter  den  alten  Hanstiteln  gewählt  werden,  da  ein  neuer  meine  Hoff- 
nung nicht  erfüllen  würde". 

In    den    edlen  Gesinnungen    des  Kaisers  lag  es  ja  selbst,    seinem 
Enkel  Eang,  Titel  und  Besitz  zu  geben   und  ihn  für  den  Verlust  der 
Staaten    zu    entschädigen,    welche   ihm    durch    den  Vertrag  von  Fon- 
tainebleau  zugesichert  worden  waren.     Als  Marie  Louise  von  den  Be- 
mühungen   ihres  Vaters    erfuhr,    richtete    sie    am  5.  März  1818    aus 
Parma  folgendes  Schreiben  an  ihn:    „Nur  noch  wenige  Zeilen,  liebster 
Papa,  durch  die  heutige  Post,  um  Ihnen  die  Gefühle  meiner  Erkennt- 
lichkeit auszudrücken  für  alles,  was  Sie  die  Gnade  hatten  für  meinen 
Sohn  zn  thun,    und  welches  ich  soeben   durch  einen  Brief  von  Fürst 
Metternich  ersehen.     Ich    bitte    Sie    überzeugt   zu  sein,  dass  ich  alles 
was  Sie  für  uns  machen  wollen,    tief  fühle  und  dass    mir  nur  Worte 
fehlen,  Ihnen  meine  kindliche  Dankbarkeit  dafür   auszudrücken.     Aber 
an    eine  Undankbare    verschwenden    Sie    Ihre  Gnade  nicht    und  mein 
immerwährendes    Bestreben    wird    es    sein,    sowohl    in    der  Nähe    als 
auch   von   ferne    in    das  junge  Herz   meines  Sohnes    diese    nämlichen 
Gefühle  einzuprägen,  und  ihm  in  ihnen  immer  den  besten  aller  Gross- 
väter und  seinen  Woltäter  zu  zeigen.     Wie  gerne  hätte  ich  nicht  für 
ihn  den  Titel   eines   Herzogs   von  Mödling  genommen,  welcher 
die  schönsten  Erinnerungen  der  Geschichte   der  alten  österreichischen 
Herzoge  zurückruft;  was  mich  davon  abhielt,    war  das  Unglück,    dass 
diese  Herrschaft  im  Besitz    des  Fürsten  Liechtenstein,    und    dieses    so 
merkwürdige"!  alte   Ritterschloss    gerade   einen    Teil    seines    englischen 
Gartens  ausmacht   —  denn   wäre  es    in    Ihren    Besitzungen   ge- 
legen,   so    wäre    mir   dieser  Titel    viel    lieber    als  alle  anderen  .... 
Nach    diesem    bleibt    mir  nichts    mehr  übrig    zu   wünschen,    als   dass' 
mein  Sohn    mit   der  Zukunft    ein    guter    und    geistreicher  Mann    und 
Ihnen  ein  treuer  Diener  möge  werden  1)". 

Da  Franz  I.  seiner  Tochter  die  Wahl  Hess,  den  passendsten 
Titel  zw  bestimmen,  entschloss  sie  sich  für  einen,  welcher  aus  den 
böhmischen  Herrschaften  genommen  werden  sollte.  Als  der  Kaiser 
dies  erfahren,  benachrichtigte  er  sofort  die  Erzherzogin,  dass  er  ge- 
sonnen sei,  ihrem  Sohne  den  Titel  eines  Herzogs  von  Keichstadt  zu 
verleihen  und  ferner  zu  gestatten,  dass  er  seinen  Kang  unmittelbar  nach 
den  Erzherzogen,  den  Prinzen  des  kaiserlichen  Hauses  zu  nehmen  habe. 
In  einem  Schreiben  fvom  7.  April  1818  dankte  Marie  Louise  ihrem 
kaiserlichen  Vater    in  innigen  Worten    für  diesen  neuerlichen  Beweis 


')  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  Wien. 


120  Schütter. 

seiner  Liebe.  „Nichts  konnte  mir  in  der  Welt,  versicherte  sie  ihm, 
angenehmeres  geschehen,  da  ich  nun  für  die  Zukunft  meines  Kindes 
ganz  beruhigt  bin,  und  besonders  da  ich  das  Ziel  aller  meiner  Wünsche 
einzig  und  allein  dem  besten  aller  Väter,  und  nicht  den  übrigen 
Monarchen  von  Europa  verdanke,  die  sehr  geschwind  alle  Opfer  ver- 
gessen haben,  die  ich  dem  allgemeinen  Besten  gebracht.  Mir 
war  nie  darum  zu  thun,  dass  mein  Sohn  regieren  sollte,  allein  sein 
Schicksal  einmal  unverbrüchlich  festgesetzt  zu  sehen,  war  die  heiligste 
meiner  Mutterpflichten,  und  Sie,  liebster  Papa,  haben  mir  endlich  die 
so  lange  verlorene  Kühe  wieder  geschenkt,  so  dass  ich  mit  meinem 
Loos  vollkommen  zufrieden  bin  .  .  . 1)". 

Am  22.  Juli  desselben  Jahres  erliess  Kaiser  Franz  das  Patent, 
welches  die  Stellung  des  Sohnes  Napoleons  für  die  Zukunft  regelte. 
Durch  besondere  Bestimmungen  wurdem  diesem  die  pfalz-bayerischen 
Güter  in  Böhmen  zum  Eigenthume  für  sich  und  seine  männlichen 
Erben  gegeben,  doch  sollten  sie,  im  Falle  des  Aussterbens,  an  Oester- 
reich  zurückfallen  2). 


')  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  Wien. 

2)  Montbel,  Le  duc  de  Reichstadt  (Paris  1832),  129,  130. 


Kleine  Mittheilungen. 

Zur  Biographie  des  ErzMsckofs  Tagiuo  von  3Iagdeburg 
(1004  Februar  2  —  1012  Juni  9).  Die  Bearbeitung  der  Lebens- 
beschreibung des  Genannten  für  die  Allg.  Deutsche  Biographie  gibt 
mir  Anlass,  meine  in  einzelnen  Punkten  von  den  Ergebnissen  früherer 
Forschung  abweichende  Meinung  an  dieser  Stelle  ausführlicher  zu 
begründen.  Hirsch  Jahrb.  Heinrichs  IL  1,  172  hält  den  Erz- 
bischof für  einen  jüngeren  Sohn  aus  adeligem  Haus  im  Bereich  der  Frei- 
singer Diöcese,  der  zuerst  zu  Pfründen  an  der  Freisinger  Domkirche 
bestimmt  gewesen  sei.  Er  beruft  sich  auf  eine  bei  Meichelbeck  Hist. 
Frising.  la,  201  abgedruckte  Urkunde,  in  welcher  der  presbyter  etecclesie 
Frisingensis  aedituus  Katolt  seinen  Besitz  in  dem  bei  Freising  gelegenen 
Zolling  zu  dem  S.  Benedicti- Altar  widmet,  mit  der  Bestimmung,  dass 
nach  seinem  Ableben  der  Priester  Andricus1),  der  den  Altardienst  besorgt, 
auf  Lebenszeit  den  Nutzgenuss  des  Stiftungsgutes  haben  soll  und  dass 
nach  dessen  Tod  die  Verwandten  des  Stifters,  Jakob  und  Tagini,  in 
Nutzung  und  Dienst  eintreten  sollen.  Den  Vorrang  hat  der  näher 
verwandte  Jakob,  erst  nach  dessen  Tod  oder  im  Falle  als  er  die  For- 
derungen des  Stifters  nicht  erfüllen  sollte,  kommt  Tagiui  an  die  Reihe. 
Für  beide  sind  als  nothwendig  einzuhaltende  Bedingungen  vorge- 
schrieben :  die  Erlangung  der  priesterlichen  Würde,  der  Eintritt  in  das 
Kanonikat  des  Freisinger  Domstiftes  und  die  persönliche  Besorgung 
des  Altardienstes.     Unter    den  Zeugen    der  Urkunde    steht    nach    dem 


')  Wohl  eine  Person  mit  dem  als  magister  scholae  unter  Bischof  Gott- 
schalk erwähnten  Antricus  vgl.  Spect  Gesch.  des  Unterrichtswesens  p.  362.  Altar 
s.  Benedicti  will  Roth  Oertlichkeiten  306  auf  Zolling  beziehen,  wie  ich  glaube 
mit  Unrecht,  vgl.  Rettberg  Kirchengesch.  2,  261  über  das  Kathedralkloster  S. 
Benedict  zu  Freisinn. 


\22  Kleine  Mittheilung-en. 

Grafen  Uodalscalh  ein  Tagini,  wohl  der  Vater  des  im  Texte  Genannten. 
Des  weiteren  nimmt  dann  Hirsch  im  Anschlüsse  an  Meichelbeck  Hist. 
Frising.  la,  202  und  Chron.  Benedictoburanmn  p.  32  an,  dass  dieser 
Eatolt  eine  Person  sei  mit  dem  gleichnamigen  Vorsteher  des  Klosters 
Benedictbeuern,  als  dessen  Nachfolger  in  dem  Chronicon  Benedicto- 
buranum  (Mon.  Germ.  SS.  9,  219)  ein  Tagino  erwähnt  wird:  et  ipse 
nobilis  et  non  plus  rexit  nunc  locum  quam  dimidium  annum.  Mo- 
guntiacensis  archiepiscopus  est  constitutus.  Berichtigt  man  den  Irr- 
thum  des  Chronisten,  wie  das  schon  Meichelbeck  Chron.  Benedictobur. 
33  vorgeschlagen  hat,  indem  man  statt  Moguntiacensis  richtig  Magde- 
burgensis  schreibt,  so  ergibt  sich  die  Identität  des  in  Katolts  Urkunde 
und  im  Chron.  Benedictoburanum  genannten  Tagino  mit  dem  gleich- 
namigen Erzbischof  von  Magdeburg.  Hirsch  setzt  dann  2,  231  ßatolts 
Tod  auf  den  31.  August  1003  an,  so  dass  also  Tagino  unmittelbar 
vor  seiner  Erhebung  zum  Erzbischof  die  Propstei  von  Benedictbeuern 
innehatte,  die  für  ihn  allerdings  nichts  anderes  war,  als  eine  von 
Regensburg  aus  verwaltete  Pfründe.  Taginos  Bild  hat  sich  in  Bene- 
dictbeuern so  wenig  eingeprägt,  das  die  Chronik  ihn  sogar  Erzbischof 
von  Mainz  werden  lässt. 

Das  Ergebnis  zu  dem  Hirsch  durch  diese  ganz  einleuchtende  Be- 
weisführung gelangte,  ist  von  Kiezler  Gesch.  Baierns  1,  411  und  auch 
von  Janner  Gesch.  der  Bischöfe  von  Kegensburg  1,  420  angenommen 
worden.  Janner  weiss  uns  in  Fortbildung  dieser  Ansicht  zu  berichten, 
dass  Tagino  Ratolts  „Neffe"  war  und  dass  dieser  seinen  Neffen  für  die 
Mutterdiöcese  zu  gewinnen  suchte.  Trotz  der  verlockenden  Aussicht 
auf  die  Freisinger  Altarpfründe  wurde  aber  Tagino  in  die  Schule 
Wolfgangs  nach  Regensburg  geschickt.  Janner  verkehrt  auch  das 
zeitliche  Verhältnis,  indem  er  den  Ratolt  ..unserem  Tagino"  in  der 
Vorsteherschaft  zu  Benedictbeuern  nachfolgen  lässt  und  damit  den 
chronologischen  Schwierigkeiten  zu  denen  die  Aufstellung  seines  Ge- 
währsmannes führt,  aus  dem  Wege  geht. 

Erscheint  nämlich  die  von  Hirsch  beliebte  Verknüpfung  und  Anord- 
nung der  einzelnen  Nachrichten  bei  der  Gleichheit  der  Namen  für 
den  ersten  Blick  durchaus  annehmbar,  so  stellen  sich  doch  bei  ein- 
dringender Untersuchung  mehrfache  Bedenken  ein.  Das  schwer- 
wiegendste darunter  ist  wohl  die  Wahrnehmung,  dass  die  von  Hirsch 
gebotene  Darstellung  sich  weder  mit  dem  zeitlichen  Ansatz  der  Ur- 
kunde Ratolts  noch  auch  mit  andern  Angaben  über  Taginos  Leben 
verträgt.  Der  von  Meichelbeck  aufgestellte  Satz:  Certe  Tagino  illi  ac 
nostro  (sc.  Magdeburg,  et  Benedictoburano)  uti  nomen  ita  etiam  tem- 
pus  exacte  respondent,  steht  mit  den  Quellen  nicht  im  Einklang.    Man 


Zur  Biographie  des  Erzbischofs  Tagino  von  Magdeburg  (1004 —1012).      123 

hat  nämlich  übersehen,  dass  die  Urkunde,  welche  den  Ausgangspunkt 
der  Untersuchung  bildet x),  zur  Zeit  und  auf  Kath  des  Bischofs  Gott- 
schalk von  Freising  ausgestellt  worden  ist.  Dessen  Vorgänger  Abraham 
ist  nun  am  7.  Juni  994  gestorben  und  Ratolts  Verfügung  kann  also 
erst  nach  diesem  Tage  stattgefunden  haben.  Damals  war  aber  der 
spätere  Magdeburger  Erzbischof  schon  vicedominus  in  Regensburg  und 
vertrauter  Gefährte  des  h.  Wolfgang,  der  ihn  zu  seinem  Nachfolger 
ausersehen  hatte.  Dass  ein  Mann  in  so  hoher  kirchlicher  Würde,  ge- 
ehrt durch  das  Vertrauen  seines  Bischofs  und  die  Freundschaft  des 
zur  Nachfolge  im  bairischen  Herzogthum  berechtigten  Prinzen,  nicht 
für  die  persönliche  Ableistung  eines  Altardienstes  in  Freising  und  zwar 
erst  an  dritter  Stelle  und  unter  der  Bedingung  des  Eintrittes  in  das 
Freisinger  Kanonikat  vorgemerkt  werden  konnte,  ist  wohl  klar  und 
genügt  an  und  für  sich,  die  Identität  des  Freisinger  Tagino  und  des 
Regensburger  Vicedoms  auszuschliessen,  ganz  abgesehen  davon,  dass 
im  andern  Falle  ja  gewiss  die  kirchliche  Würde  Taginos  erwähnt 
worden  wäre,  und  dass  der  in  der  Urkunde  Ratolts  erwähnte  Tagini 
nicht  einmal  die  priesterlichen  Weihen  gehabt  zu  haben  scheint. 

Mit  dieser  Urkunde  fällt  aber  auch  der  Beweis  für  des  Magde- 
burger Erzbischofs  südbairische  oder  Freisinger  Abstammung.  Wir 
vermögen  ihr  zudem  einen  guten  Beleg  für  seine  Regensburger  Her- 
kunft entgegenzustellen  in  einer  wenig  beachteten  Urkunde,  die  uns 
in  dem  unter  Abt  Ramuold  angelegten  2)  Theile  des  Liber  trad.  s.  Em- 
merami  f.  37'  (alt  33')  überliefert  und  darnach  bei  Pez  Thes.  lc,  109 
n°  53  abgedruckt  ist.  Es  wird  uns  in  derselben  berichtet:  qualiter 
quidam  nobilis  Tagini  dictus  offerens  filium  suum  Tagininura  ad.  s. 
Emmerami  servitium,  tradens  pro  ipso  hobas  duas  ad  Tollunhovun  cum 
duobus  mancipiis,  eiusdem  loci  fratribus  regularibus  serviendum,  eo 
tenore  ut  quarndiu  praedictus  eius  filius  sub  regulari  stipendio  inibi 
necessaria  habuerit,  locum  non  mutet,  sin  autem  sustentationi  demitur 
plenariae,  praedictum  praedium  in  jus  haereditarium  retrahatur.  Be- 
richtet uns  nun  Thietmar  5  c.  42  auf  Grund  persönlicher  Mittheilungen 
Taginos,  dass  Bischof  Wolfgang  von  Regensburg  „in vice  filii  a  puero 
nutriens  eundem  iam  adultum  bonis  suimet  omnibus  prefecissef,  so 
wird  an  der  Identität  dieses  dem  Kloster  S.  Erameram  übergebenen 
Knaben  mit  dem  spätem  Erzbischof  nicht  zu  zweifeln  sein.  Dass  der 
Vater  zum  Regensburgischen  Adel   gehörte,    beweist  sein  Vorkommen 


')  Sie  ist  nach  Meichelbeck  noch  abgedruckt  worden  von  Karl  Roth,  Oert- 
lichkeiten  des  Bisthums  Freising  305  n°  710  und  vom  Grafen  Hundt  im  Oberbayr. 
Archiv  34,  300  n°  145. 

2)  Vgl.  Bretholz  in  Mittheil.  XII,  16. 


124  Kleine  Mittheilungen. 

als  Zeuge  in  mehreren  Urkunden  vornehmer  Leute  für  S.  Emmeram. 
So  fand  ich  ihn  in  einer  Urkunde  der  Herzogin  Judit  (Bret- 
holz  in  Mitth.  XII,  43  und  einer  andern  ebenda  p.  45) ,  ferner 
in  der  des  Grafen  Udalrich  (Pez  Thes.  1,  99  n°  28),  der  des  nobilis 
Timo  (ib.  105  n°  45),  endlich  in  den  Urkunden,  in  welchen  Hadmar 
von  Laichliug  und  unus  nobilium  heroum  Lieoparto  nomine  Familien- 
angehörige unter  Widmung  eines  Gutes  an  S.  Emmeram  übergeben 
(ib.  103  n°  41  und  105  n°  45).  Auch  unter  den  Nachfolgern  Ra- 
muolds  finden  wir  den  Namen  Tagiui  in  Urkunden,  so  in  Pez  Thes. 
1,  114  n°  65;  128  n°  104.  Von  diesem  Kegensburger  Edeln  scheide 
ich  nun  den  Freisinger,  der,  gleichfalls  vornehmen  Standes,  in  Ur- 
kunden aus  der  Zeit  der  Bischöfe  Abraham  und  Gottschalk  vorkommt, 
Meichelbeck  Hist.  Frising.  1*  n°  1138,  1139,  1153.  Hundt  a.  a.  0.  283 
n°  80,  303  n°  151,  152.  Die  Gleichheit  des  Namens  ist  ohne  Be- 
lang, wir  kennen  auch  sonst  gleiche  Namen  hervorragender  aber  deut- 
lich zu  scheidender  Personen  in  beiden  Sprengein  und  andererseits  ist 
der  Name  Tagini  im  bairischen  Lande  überhaupt l)  und  auch  im  Frei- 
singer Gebiete  üblich  gewesen,  ja  wir  finden  unter  B.  Abraham  sogar 
einmal  ein  mancipium  Tagini  angeführt  (Hundt  a.  a.  0.  270  n°  34). 
Ich  erwähne  noch,  dass  der  Abt  Peringer  von  Tegernsee  (nach  1003) 
Grund  hatte,  sich  über  einen  Tagininus  zu  beklagen,  der  dem  Kloster 
einen  Zehnten  zu  Ezinhusun  entzog  (Pez  Thes.  6,  142  n°  3)  und  dass 
der  Bruder  des  Bischofs  Gerold  von  Freising  (1220 — 1230)  Tagino 
hiess  (Meichelbeck  Hist.  Frising.  la,  398). 

Lösen  sich  somit  durch  die  Trennung  der  beiden  Tagini  die 
Schwierigkeiten,  welche  Meichelbecks  und  Hirsch'  Darstellungen  her- 
vorrufen,  so  bleibt  noch  die  zweite  Frage  zu  erledigen,  ob  der 
Regensburger  oder  der  Freisinger  oder  etwa  gar  ein  dritter  Tagini 
des  Rectors  Ratolt  Nachfolger  in  Benedictbeuern  war.  Eine  befriedi- 
gende Antwort  wird  uns  dadurch  erschwert,  dass  die  Chronologie  der 
Vorsteher  dieses  Klosters  im  10.  und  zu  Anfang  des  11.  Jahrhunderts 
ganz  unsicher  ist  (vgl.  Hirsch  a.  a.  0.  2,231),  da  uns  im  Chronicon 
Benedictoburanum  nur  die  Tage,  nicht  aber  die  Jahre  ihres  Ablebens 
überliefert  sind.  Spätere  Klostertradition,  auf  die  aber  schon  Meichel- 
beck nicht  viel  gegeben  hat,  setzt  den  Tod  Ratolts  in  das  Jahr  1009, 
den  seines  Vorgängers  in  das  Jahr  997.  Aus  der  Erzählung  des  Chroni- 
con erfahren  wir  nur,  dass  Ratolt  zur  Zeit  Bischofs  Gottschalk  das 
Vorsteheramt  bekleidete.    Hirsch  hat  sich  denn  auch  an  diese  Ansätze 


')  Auch  der  bekannte  Passauer  Dekan  Tagino  unter  Bischof  Diepold  (1172 
bis  1190)  gehört  hieher.  Förstemann  Personennamen  col.  326  weist  auf  den 
Zusammenhang  mit  Thegan  hin. 


Zur  Biographie  des  Erzbischofs  Tagino  von  Magdeburg  (1004— 1012).      125 

nicht  gehalten  uud  verlegte,  da  er  der  Ueberzeugung  war,  der  Regen- 
burger  Tagino  sei  auf  Katolt  gefolgt,  des  letzeren  Tod  in  das  Jahr 
1003.  Starb  dieser  am  31.  August,  so  blieben  eben  noch  fünf  Monate 
bis  zur  Erhebung  Taginos  auf  den  erzbischöflichen  Stuhl.  Lassen  wir 
aber  den  Regensburger  ganz  aus  dem  Spiele,  dann  bleibt  Ratolts 
Todesjahr  ganz  im  Unsichern,  beziehungsweise  würde  auch  gegeD  die 
Annahme  von   1009  kein  Bedenken  obwalten. 

Wir  haben  nun  für  Taginos  Vorsteherschaft  kein  anderes  Zeugnis 
als  die  vorhin  angeführte  Stelle  aus  dem  Chronicon.  Wäre  es  denn 
nicht  möolich,  dass  der  Gleichlaut  des  Namens  schon  die  alten  Mönche 
von  Benedictbeuern  zu  einer  ähnlichen  Combination  verführte,  wie  sie 
sieben  Jahrhunderte  später  der  gelehrte  Archivar  des  Klosters  vorschlug? 
Der  Mönch  der  diesen  Abschnitt  des  Chronicon  in  dem  ersten  Lustrum 
der  Sechziger  Jahre  des  11.  Jahrh.  schrieb,  wusste  wohl,  dass  es  ein- 
mal einen  Erzbischof  Tagino  gegeben  hatte,  aber  gar  fest  war  seine 
Kenntnis  deutscher  Kirchengeschichte  doch  nicht,  da  er  ihn  nach  Mainz 
versetzte.  Ich  lege  dieser  Stelle  umso  weniger  Gewicht  bei,  als  der 
wirthschaftliche  Zustand  des  Klosters  zu  jener  Zeit  nicht  derart  war, 
dass  der  von  Haus  aus  begüterte  Vertraute  des  Königs  Heinrich  in 
der  Vorsteherschaft  eine  begehren swerthe  Pfründe  hätte  erblicken  können. 
War  doch  Tagino  erst  im  J.  1002  zum  Abt  oder  Propst  des  bei  der 
alten  Kapelle  auf  dem  Königshofe  zu  Regensburg  von  Heinrich  II. 
und  Kunigunde  errichteten  Kollegiatstiftes  bestellt  worden!  Und  die 
seltsame  Art  in  der  das  Rectorat  von  Benedictbeuern  aus  verwandt- 
schaftlichen Rücksichten  vergeben  wurde,  liesse  es  viel  wahrscheinlicher 
erscheinen,  dass  Ratolt  seinem  Verwandten,  dem  Freisinger  Tagino, 
die  Nachfolge  zuwendete.  Konnten  wir  also  schon  der  ersten  An- 
nahme Meichelbecks  und  Hirsch'  nicht  beipflichten,  so  werden  wir 
auch  berechtigt  sein,  die  weitere  Folgerung,  Erzbischof  Tagino  sei  im 
J.  1003  Rector  von  Benedictbeuern  gewesen,  abzulehnen. 

Ich  möchte  übrigens  gleich  bei  diesem  Anlasse  darauf  hinweisen, 
dass  mir  die  Identität  des  Freisinger  aedituus  und  des  Rectors  Ratolt 
nicht  so  sicher  verbürgt  zu  sein  scheint,  als  man  gemeinhin  annimmt. 
Mit  vollem  Recht  können  die  Vertheidiger  dieser  Ansicht  auf  die  auf- 
fallende Uebereinstimmung  der  allerdings  oft  gebrauchten  Namen  Ratolt 
und  Tagino  hinweisen,  sie  können  anführen,  dass  der  Rector  im  Chronicon 
Benedictobur.  als  ex  castello  Frisingensi  nobilis  vir,  der  aedituus  in  den 
Urkunden  als  nobilis  clericus  bezeichnet  wird,  dass  das  von  dem  Rector 
Ratolt  an  das  Kloster  geschenkte  Gut  Wacreinna  nach  Meichelbecks 
Deutung  im  engern  Freisinger  Bezirke  lag,  wo  auch  der  aedituus  be- 
gütert war,  aber  all  dies  dürfte   zu    einer   sichern  Entscheidung  nicht 


126  Kleine  Mittheilungen. 

genügen,  wenn  wir  unser  Augenmerk  nochmals  der  schon  -wiederhotl 
herangezogenen  Urkunde  zuwenden. 

Sie  entbehrt  der  Datierung  und  gewährt  uns  auch  sonst  keinen 
Anhaltspunkt,  um  ihren  zeitlichen  Ansatz  innerhalb  'der  Regierungs- 
zeit Gottschalks  (994  bis  6.  Mai  1005)  mit  Hilfe  des  zugänglichen 
Materiales  genauer  zu  bestimmen,  da  sie  nicht  in  einer  Reihe  von 
Traditionen  überliefert,  sondern  mit  zwei  andern  Urkunden .  Ratolts 
auf  den  dem  Cozroh-Codex  zum  Schlüsse  angefügten  Pergamentblättern 
eingetragen  ist l).  Doch  werden  wir  sie  mit  Recht  an  den  Anfang  der 
Regierung  Gotschalks  setzen  dürfen,  wie  ja  auch  Andricus  nicht  als  ma- 
gister  scholae  bezeichnet  wird.  Vollends  muss  man  früherem  Ansatz  bei- 
pflichten, wenn  man  Identität  des  aedituus  und  des  Rectors  annimmt. 
Liest  man  nun  die  Urkunde  ganz  unbefangen,  so  gibt  sie  sich  als 
Willensäusserung  eines  Mannes  der  Ursache  hatte,  an  seinen  Tod  zu 
denken  und  für  diesen  Fall  eine  Stiftung,  die  ihm  am  Herzen  lag,  zu 
begründen.  Wäre  ihm  noch  eine  längere  Lebensdauer  in  sicherer 
Aussicht  gestanden,  so  würde  er  wohl  dem  Andricus  sofort  irgend  eine 
Zuwendung  gemacht  haben,  wie  er  ja  in  jungen  Jahren  für  das  sacrarium 
Sorge  getragen  hat.  In  der  That  muss  Ratolt  zur  Zeit  der  Ausstel- 
lung der  Urkunde  schon  in  höherem  Alter  gestanden  haben.  Er  war 
ein  Sohn  des  ehemaligen  bischöflichen  Vogtes  Ratolt  -)  und  schloss 
als  diaconus  bereits  mit  dem  Bischof  Lantbert  (Aug.  937  bis  19.  Sept.  957) 
ein  Tauschgeschäft  ab  3),  unter  B.  Abraham  bekleidete  er  schon  das 
Amt  des  custos  ecclesie  oder  aedituus.  Rücken  wir  auch  die  erste  und 
die  letzte  Urkunde  so  nahe  als  möglich  zusammen,  so  liegen  doch 
zwischen  beiden  37  Jahre,  er  muss  also  im  Anfange  Gottschalks  zum 
mindesten  sechzig  Jahre  alt  gewesen  sein.  Ob  nun  der  auf  seinen 
Tod  bedachte  Mann  in  solchem  Alter  geneigt  war,  seine  bequeme 
Stellung  mit  der  Leitung  eines  entlegenen,  aus  gänzlichem  Verfall 
emporzuhebenden,  mit  Weltpriestern  besetzten  Klosters  zu  vertauschen, 
ob  ihm  die  körperliche  Kraft  gegönnt  war,  als  Rector  noch  von  schwerer 
Krankheit  zu  genesen  und  den  Gebrauch  der  gelähmten  Füsse  wieder 
zu  erlangen,  wie  uns  erzählt  wird4),  das  sind  Fragen,    die   allerdings 


')  Fol.  398,  399  vgl.  Roth  Oertlichkeiten  301  nü  707,  302  n°  708,  305 
n°  710,  Roth  bemerkt,  dass  unsere  Urkunde  n°  710  von  anderer  Hand  und  mit 
anderer  Tinte  geschrieben  ist,  als  die  beiden  anderen  Urkunden. 

2)  Hundt  in  Abh.  de  hist.  Cl.  der  k.  bair.  Akademie  14b,  22.  Sein  Bruder 
und  Vogt  hie8s  Dietricus.  3)  Meichelbeck  Hist,  Frising.  1*>  n°  1084. 

4)  Chron.  Benedictobur.  SS.  9,  219  praedium  suum  in  Wacreinna  dedit  ad 
altare  s.  Beuedicti,  postquam  in  ecclesia  s.  Benedicü  ante  altare  illius  ambulare 
gressum  recipiebat. 


Zur  Biographie  des  Erzbischofs  Tagino  von  Magdeburg  (1004—1012)        127 

nicht  den  Ausschlag  geben,  aber  doch  nicht  schlankweg  von  der 
Schwelle  gewiesen  werden  können  und  die  immerhin  zu  vorsichtiger 
Erwägung  mahnen. 

Ich  wende  mich  nach  dieser  Abschweifung  zu  einer  andern  Frage, 
die  für  die  Lebensgeschichte  des  Erzbischofs  Tagino  von  Belang  ist. 
In  der  Vorrede  zur  neuen  Schulausgabe  Thietmars  v.  Merseburg  (1889) 
hat  der  Herausgeber  F.  Kurze  die  Behauptung  aufgestellt,  Eb.  Tagino 
habe  eine  Chronik  verfasst,  die  von  den  Anfängen  der  Stadt  Magdeburg 
bis  zum  J.  1004  reichte  und  Thietmars  Quelle  war.  Kurze  hat  dann 
diese  Behauptung  in  Mittheil.  Ergänzungsband  3,  397  ff.  ausführlicher 
begründet  und  da  auch  den  Wortlaut  dieser  Chronik  aus  Thietmars 
Werk  herauszuschälen  versucht.  Auf  die  quellenkritische  Frage  brauche 
ich  mich  hier  nach  den  gegen  Kurze  gerichteten  Bemerkungen  Watten- 
bachs in  der  sechsten  Auflage  der  Geschichtsquellen  I,  352  um  so  weniger 
einzulassen,  als  im  Neuen  Archiv  17,  631  ein  derselben  gewidmeter  Auf- 
satz F.  Simsons  angekündigt  wird.  Ich  begnüge  mich  an  dieser  Stelle  nur 
auf  Taginos  persönliche  Thätigkeit  einzugehen.  Die  Hauptstelle  auf 
welche  Kurze  seine  Beweisführung  stützt,  ist  Thietmar  Chr.  5,  c.  44. 
Dieser  berichtet  da  über  Taginos  Ordination  zum  Erzbischof  und  fährt 
dann  fort:  Et  quia  is  (sc.  Tagino)  ut  scriptura  eius  testatur,  ab  solo 
ordinandus  apostolico,  huc  (sc.  Komam)  venire  propter  instantem  ne- 
cessitatem  non  potuit,  ibidem  (sc.  Merseburg)  sacri  crismatis  delibucione 
tercium  implevit  numerum  x).  Eben  diese  scriptura  eius  soll  die  Chronik 
Taginos  sein.  Dieser  Auslegung  hat  schon  Wattenbach2)  widersprochen 
und  auch  ich  kann  derselben  nicht  beipflichten.  Kurze  hat  vor  allem 
den  Beweis  nicht  erbracht,  dass  Thietmar  scriptura  in  der  viel  all- 
gemeinern ,  dem  MA.  aber  nicht  geläufigen  Bedeutung  unseres 
„Schrift"  gebraucht.  Es  wäre  dann  auch  auffallend,  dass  Thietmar 
nur  an  dieser  Stelle  die  Chronik  erwähnt,  sonst  aber  sich  auf  die 
mündliche  Erzählung  Taginos  beruft.  Ferner  würde  Thietmar,  wenn 
er  eine  von  Tagino  verfasste  „  Schrift "  hätte  erwähnen  wollen,  sein 
geliebtes  suimet  verwendet  haben,  wie  er  das  z.  B.  auch  6  c.  60  thut: 
eo  quod  in  epistola  suimet  hunc  iniuste  apud  papam  incusaret.  End- 
lich ist  uns  ja  der  Inhalt  der  scriptura  angegeben  in  den  Worten  ab 
solo  ordinandus  apostolico.  So  sehe  ich  denn  mit  Wattenbach  in  der 
scriptura  nichts  anderes  als  eine  päpstliche  Verbriefung  über  ein  Ehren- 
vorrecht   der   Magdeburger   Erzbischöfe,    das    auch    im    J.    1027    vom 


')  Vgl.  dazu  Uhlirz  Geschichte  des  Erzbist.  Magdeburg  p.  114. 
2)  Neuausg.  der  Uebersetzung  Thietmars   p.    IX   in  (xeschichtschreiber   der 
deutschen  Vorzeit. 


128  Kleine  Mittheilungen. 

Papste  Johann  XIX.  beurkundet,  aber  nur  in  seltenen  Fällen  wirk- 
lieb geübt  worden  ist j).  Dass  diese  Verbriefung  nicht  erst  Tagino, 
sondern  schon  seinem  Vorgänger  erteilt  worden  war,  ist  selbstverständlich. 
Das  Wort  eius  besagt  weiter  nichts,  als  dass  die  Urkunde  sich  im 
Besitze  des  Erzbischofs  befand  und  von  ihm  vorgewiesen  wurde. 

Wenn  dann  Kurze  weiter  von  den  sächsischen  Annalen-  und 
Chronikenschreibern,  welche  eine  notitia  über  die  Translation  der  Re- 
liquien des  h.  Mauritius  wörtlich  oder  gekürzt  aufgenommen  haben,  ver- 
langt, dass  sie  in  derselben  die  Erwähnung  Regensburgs  hätten  streichen 
sollen,  da  doch  für  sie  nur  die  Ankunft  der  Reliquien  in  Magdeburg 
Interesse  haben  konnte,  so  ist  das  eine  so  absonderliche  kritische 
Forderuüg,  dass  sie  ihre  Widerlegung  in  sich  selbst  findet.  Wir 
brauchen  uns  daher  auch  auf  die  aus  der  Nichterfüllung  gezogene 
Folgerung,  dass  derjenige,  der  diese  notitia  zuerst  seinem  Werke  ein- 
verleibte, ein  Interesse  an  Regen  sburg  sowohl  als  an  Magdeburg  gehabt 
haben  muss,  dass  das  aber  nur  bei  Tagino  zutrifft,  nicht  weiter  ein- 
zulassen und  können  nach  dem  Gesagten  auch  an  der  a.  a.  0.  S.  405 
gegebenen  Schilderung  des  schriftstellerischen  Verfahrens  Taginos  vor- 
übergehen. 

Wien.  K  ühlirz. 


Rückdatirung  in  Papsturkunden.  In  den  Papierregistern  des 
Gegenpapstes  Clemens  VII.  begegnet  eine  Neuerung,  die  sich  in  den 
Registern  der  früheren  Avignonesischen  Päpste  nicht  findet  und  auch 
bei  den  späteren  römischen  Päpsten  nicht  wiederkehrt.  Der  Datirung 
der  Bullen  ist  vielfach  das  Datum  der  Expedition  und  dann  von  neuer 
Hand  das  der  Aushändigung  an  die  Partei  beigefügt.  Dass  dies  nicht 
etwa  lediglich  der  Laune  eines  Registrators  entsprang,  sondern  einen 
tieferen  Grund  hat,  beweist  der  meist  bedeutende  Zeitabstand  zwischen 
Datirung  und  Expedition.  Im  ersten  Band  an.  I.  pars  1  fehlen  Ex- 
peditionsvermerke bis  f.  607.  Auf  f.  607'  erscheint  zum  erstenmale: 
Dat.  Fundis  VI.  kal.  dec.  anno  I.  P.  Bosquerii  und  darauf:  Expedita  IX. 
kal.   mai.    anno  nono.  Po.  de  Curte.  Tradita  IL    kal.  mai.  anno  nono- 


3)  Jaffe-Löwenfeld  Reg.  pont.  n°  4084.  Sagittarius  in  Boysen  Allg. 
Mag.  I,  288 :  interdieimus  ut  nullus  tuus  successor  ab  alio  aliquo  consecretur,  nisi 
a  Romano  pontifice  vel  a  suo  misso,  seu  cui  ipse  praeeeperit.  Grosfeld,  De 
archiepiscopatus  Magdeb.  orig.  p.  56  hat  allerdings  Thietmars  Bericht  angezwei- 
felt und  Usinger  in  Hirsch  Jahrb.  I,  278  diese  Bedenken  getheilt.  doch  glaube 
ich  dasB  die  oben  gegebene  Darstellung  zu  Recht  besteht.  Vgl.  Uhlirz  Gesch. 
des  Erzbistums  Magdeburg  58  Anm.  3. 


Rückdatirung  in  Papsturkunden.  129 

Ja.  de  Firmitate.  Die  Eintragungen  schreiten  nun  bis  f.  638  genau 
chronologisch  nach  den  Expeditionsvermerken  fort,  wobei  diese  vom 
9.  bis  zum  15.  Pontificatsjabr  steigen,  während  die  Briefe  durchaus 
aus  dem  1.  Pontificatsjabr  datiren.  Dieselbe  Erscheinung  wiederholt 
sich  beim  nächsten  Band  an.  I.  p.  2:  bis  f.  604  keine  Aushändigungs- 
vermerke, von  da  an  steigend  vom  9.  bis  zum  15.  Pontificatsjahr.  Bei 
den  folgenden  Bänden  3 — 5  vermisste  ich  ähnliche  Vermerke,  dagegen 
tauchen  sie  an.  I.  p.  6  bereits  von  f.  234'  an  auf;  der  späteste  ist 
f.  526 :  Dat.  Fundis  VI.  kal.  dec.  anno  primo.  Expedita  III.  id.  augusti 
anno  sexto  decimo  K.  de  Valle.  Tradita  XVII II.  kal.  septembr.  anno 
sexto  decimo.  Siffredus.  Die  Erklärung  liegt  wohl  nicht  darin,  dass 
die  betreifenden  Briefe  8 — 15  Jahre  in  der  päpstlichen  Kanzlei  liegen 
geblieben  sind,  sondern  in  ganz  anderen  Ursachen.  Das  Streben,  sich 
auf  möglichst  frühe  Provisionsbullen  berufen  zu  können,  führte  bei  den 
Parteien  dazu,  in  den  Suppliken  nicht  nur  um  die  Gunst  selbst,  sondern 
auch  um  Ausfertigung  unter  einem  fingirten  früheren  Datum  zu  bitten  1), 
während  die  Lage  des  Papstthums  nach  1378  in  Rom  so  gut  wie  in 
Avignon  zu  weitestgehenden  Zugeständnissen  drängte,  um  das  Obödienz- 
gebiet  zu  erhalten  und  zu  mehren.  Begreiflicherweise  war  der  Rang 
vom  ersten  Pontificatsjahr  der  allbegehrte,  und  dies  prägt  sich  bei 
Clemens  VII.  deutlich  genug  darin  aus,  dass  die  Papierregister  aus 
dem  ersten  Pontificatsjahr  16  Bände  umfassen,  während  die  der  fol- 
genden Jahre  2 — 15  ganz  ständig  3 — 4  Bände  zählen.  Wenn  Ex- 
peditionsvermerke erst  mit  dem  9.  Pontificatsjahr  auftauchen,  so  ist 
dies  wohl  nicht  so  zu  deuten,  dass  der  Unfug  erst  damals  angieng, 
sondern  dass  man  von  da  an  an  der  Curie  das  wahre  Zeitverhältnis 
in  den  Geschäftsbüchern  in  Evidenz  hielt 2).  So  werden  denn  die 
massenhaften  Rückdatirungen  seit  Clemens  VII.  anderen  schlimmen 
Wirkungen  des  Schismas  beizuzählen  sein,  und  es  ist  wohl  mehr  als 
blosser  Zufall,    dass    nunmehr    auch    in   Rom   unter    Bonifaz  IX.    und 


')  Vergl.  Bresslau  UL.  1,  872. 

2)  Ottentkai,  Regulae  Cancellariae,  Clemens  VII.  No.  131  :  Sanctissimus  .  . 
dominus  noster  Clemens  .  .  papa  VII.  kal.  martii  pontificatus  sui  anno  IX.  or- 
dinavit,  quod  si  de  cetero  super  quibuscunque  gratiis  beneficialibus  vel  aliis  con- 
tingat  in  cancellaria  sue  sanctitatis  aliquas  litteras  sub  bulla  expediri,  .  .  .  primo 
in  bulla  per  unum  es  lectoribus  scribatur  in  plica  littere  post  taxam  dies  mensis 
per  kal.  non.  vel  idus  et  deinde  in  registro  scribatur  dies  mensis 
et  annus  modoconsimili  ethuiusmodi  littere  de  dicto  regest r o 
tradantur  parti.  Der  Expeditionsvermerk  ist,  wie  wir  daraus  ersehen,  nur  in 
den  Registern  vollständig;  in  den  Originalen  fehlt  wohlweislich  die  Jahresangabe, 
durch  deren  Beifügung  die  Täuschung  sofort  offenkundig  geworden  wäre.  Die 
Verfügung  ist  von  Benedict  XIII.  Reg.  Canc.  No.  83  wiederholt. 

Mittheiluugen,  XV.  9 


i  on  Kleine  Mittheilungen. 

Johann  XXIII.  in  den  Kanzleiregeln  eigene  Verfügungen  für  den  Fall  ge- 
ti  offen  werden,  dass  die  Partei  eine  „data  anterior"  wünscht1).  Die  Sache 
ist  für  die  Frage  der  Bedeutung  und  Verwertung  der  Papstbriefe,  mag 
man  nun  den  Originalen  oder  der  Registerüberlieferung  nachgehen, 
von  Wichtigkeit.  Man  wird  von  etwa  1378  an  besonders  den  aus  den 
jeweiligen  ersten  Pontificatsjahren  datirten  Expectanzbriefen  mit  Miss- 
trauen begegnen  und  sich  hüten  müssen,  aus  ihnen  vorschnelle  Schlüsse 
für  die  Chronologie  der  in  ihnen  genannten  Personen  zu  ziehen,  um- 
somehr  als  die  Beifügung  des  Aushändigungsvermerkes,  der  uns  rasch 
darüber  belehrt,  dass  der  Petent  nicht  1378  in  Fondi  sondern  erst  1393 
in  Avignon  an  der  Curie  weilte,  in  der  Folgezeit  wieder  unterblieben  ist. 

Der  Misbrauch  scheint  erst  seit  dem  Schisma  grössere  Dimensionen 
angenommen  zu  haben;  ob  er  aber  in  bescheidenerem  Mass  und  ver- 
einzelten Fällen  nicht  viel  weiter  zurückreicht,  dürfte  noch  sehr  zu 
beachten  sein.  Die  Kanzleiregeln  schweigen  darüber  und  Registerver- 
merke fehlen;  es  mangelt  also  vorderhand    an  festen  Anhaltspunkten. 

Bedenklich  scheint  immerhin,  dass  etwa  seit  Clemens  VI.  der 
Registerbestand  an  Gratialbriefen  aus  dem  ersten  Pontificatsjahr  den 
Umfang  der  übrigen  im  Durchschnitt  um  die  Hälfte  überragt,  ein 
Misverhältnis,  das  durch  den  naturgemäss  gesteigerten  Geschäftsgang 
zu  Beginn  des  Pontificats  nicht  immer  und  nicht  ausreichend  erklärt 
werden  dürfte. 

Wien.  M.  Tangl. 


i)  Reg.  Canc.  Bonif.  IX.  No.  18,    Jon.  XXIII.    No.  36.     Martin  V.  Reg.  29 
untersagte  die  Expedition  sub  data  anteiiore. 


Literatur. 

Diplomi  imperiali  e  reali  delle  cancellarie  d'Italia 
Pubblicati  a  facsimile  della  R.  Societa  Romana  di  Storia  patria.  1.  Liefe- 
rung: 15  Facsiniiles  mit  Text  (Notizie  e  trascrizioni ,  8°,  32  p. 
Roma  1893. 

Jeder,  der  sich  mit  der  diplomatischen  Seite  der  deutschen  Kaiser- 
urkunde zu  befassen  hat,  wird  nach  den  von  H.  v.  Sybel  und  Th.  v.  Sickel 
herausgegebenen  »Kaiserurkunden  in  Abbildungen«  langen  müssen.  Sie  sind 
ein  gnindlegendes  Werk,  das  eine  Menge  neuer  Gesichtspunkte  eröffnet 
und  eine  Fülle  von  Anregungen  bietet.  Wie  kaum  anders  möglich,  sind 
allerdings  nicht  alle  Mitarbeiter  ihrer  Aufgabe  vollauf  gerecht  geworden 
und  die  Bearbeitung  der  einzelnen  Partieen  ist  nicht  immer  eine  gleich- 
massige.  Aber  das  gebotene  Material  ist  fast  durchwegs  ein  ausserordent- 
lich wertvolles ,  es  ist  eine  Illustration  der  Entwicklungsgeschichte  der 
deutsehen  Kaiserurkunde  bis  zum  Schluss  des  Mittelalters.  Ein  Mangel, 
der  in  den  gegebenen  Verhältnissen  seine  Erklärung  und  Entschuldigung 
findet,  macht  sich  wol  fühlbar.  Es  ist  nur  Material  aus  den  deutschen 
und  österreichischen  Archiven  und  Bibliotheken  gegeben  und  auch  das 
nicht  gleichmässig  für  alle  Perioden.  Vereinzelte  Stücke  nur  —  aus 
Italien  8,  aus  der  Schweiz  3  —  sind  von  auswärts  dazugekommen. 

Um  so  willkommener  ist  die  vorliegende  Publication.  Soll  sie  auch 
nur  bis  zu  den  Hohenstaufen  reichen,  so  wird  sie  doch  Gelegenheit  haben, 
nicht  nur  manche  Beisteuer  zur  Lehre  von  der  deutschen  Kaiserurkunde, 
sondern  auch  —  etwa  für  Friedrich  II.  —  manche  notwendige  Ergänzung 
zu  liefern.  Und  was  mehr  ist,  sie  wird  auch  für  die  Zeit,  da  Italien  ein 
selbständiges  Keich  bildete,  eine  Lücke  auszufüllen  haben. 

Wie  Th.  v.  Sickel  der  geistige  Urheber  und  wissenschaftliche  Leiter 
der  »Kaisenirkunden  in  Abbildungen«  war,  so  sind  auch  die  Diplomi 
imperiali  e  reali  seiner  Anregung  und  energischen  Mitarbeit  zu  danken. 
Gerade  für  Italien  war  eine  derartige  Sammlung  ein  dringendes  Bedürfnis. 
Besitzt  nunmehr  Deutschland  seine  »Kaiserurkunden  in  Abbildungen«,  so 
war,  wenn  man  von  England  mit  seinen  auch  auf  diesem  Gebiet  gross- 
artigen Facsimilesammlungen  absieht,    in  Frankreich  durch  die  Eeproduc- 

9" 


132  Literatur. 

tionen  französischer  Königsurkunden  seit  den  Karolingern  in  den  Facskniles 
de  1'  Ecole  des  ckartes,  im  Musee  des  archives  depart.  und  Album  paleo- 
graphique  ziemlich  ausreichende,  wenn  auch  nicht  systematische  Vorsorge 
getroffen.  In  Italien  besass  man,  wie  auch  die  Facsimilesammlungen  für 
paläographische  Zwecke  (Collezione  fiorentina,  Archivio  paleografico  italiano) 
erst  denen  der  anderen  Länder  nachfolgten,  für  Königsurkunden  kaum  die 
eine  und  andere  Reproduktion,  wie  im  Codex  Langobardiae,  einige  mehr 
für  Privaturkunden,  wie  im  Codex  dipl.  Cavensis,  in  moderner  Gestalt  und 
mit  den  Mitteln  der  modernen  Technik ,  welche  wissenschaftlichen  An- 
forderungen allein  noch  Genüge  leisten.  Der  R.  Societä  di  Storia  patria 
in  Rom,  die  auch  durch  andere  Publicationen  —  das  Registrum  Farfense, 
die  Monumenti  paleografici  di  Roma  —  einen  hervorragenden  Platz  sich 
errungen  hat,  gebührt  das  Verdienst,  durch  die  Uebernahme  auch  dieser 
Publication  Italien  jetzt  eine  Facsimilesammlung  zu  geben,  welche  seiner 
archivalischen  Schätze  würdig  zu  werden  verspricht.  Dem  Unternehmen 
hat  auch  der  kürzlich  verstorbene  Secretär  der  Gesellschaft,  Guido  Levi, 
seinen  Eifer  gewidmet.  Ermöglicht  wurde  dasselbe  noch  durch  die  För- 
derung M.  Amaris,  dessen  einflussreicher  Vermittlung  es  gelang,  die  Schwie- 
rigkeiten zu  beheben,  welche  sich  durch  die  Archivreglements  einer  Ver- 
sendung der  Urkunden  entgegenstellten,  und  die  Genehmigung  zur  Ueber- 
schickung  nach  Rom  zu  erwirken. 

So  konnte  aus  den  italienischen  Staatsarchiven  ein  reichhaltiges  Ma- 
terial zur  Auswahl  der  Musterstücke  nach  Rom  geschafft  werden.  Auch 
das  Archivio  comunale  in  Verona  stellte  seine  Urkunden  zur  Verfügung 
und  diesem  Beispiel  dürften  wol  auch  andere  comunale  Anstalten,  die 
im  Besitz  wertvoller  Archivalien  sind,  wie  die  Bibl.  Quiriniana  in  Brescia, 
folgen.  Aber  auch  dann  ist  es  nur  ein  Theil,  wenn  auch  ein  ganz  an- 
sehnlicher Theil  der  archivalischen  Schätze  Italiens,  der  zur  Auswahl  und 
Verwertung  herangezogen  werden  konnte.  Während  in  Deutschland  und 
mehr  noch  in  Frankreich  auch  die  Archive  der  bischöflichen  Kirchen  an 
den  Staat  übergingen,  blieben  diese  in  Italien  bestehen ;  in  den  bischöf- 
lichen und  Capitelarchiven  —  ich  erinnere  nur  an  jene  von  Piacenza, 
Parma,  Reggio,  Modena,  Lucca  —  sind  besonders  für  die  ältere  Zeit  archi- 
valische  Schätze  aufgespeichert,  die  gewiss  manches  interessante  Stück 
hätten  beisteuern  können,  wenn  ihre  Benützung  für  diesen  Zweck  zulässig 
gewesen  wäre. 

Die  erste  Lieferung  enthält  1 1  Karolinger  Diplome,  bearbeitet  von 
Th.  v.  Sickel,  je  ein  Stück  von  Heinrich  III.,  Heinrich  V.  und  Friedrich  1., 
bearbeitet  von  Carlo  Cipolla,  und  zum  Schluss  eine  derzeit  im  Privatbesitz 
befindliche  Urkunde  Berengars  I.  Schon  hier  bieten  sich  genug  Belege 
für  die  Bedeutung,  welche  die  italienische  Sammlung  neben  der  deutschen 
für  sich  beanspruchen  darf.  Von  Karl  dem  Grossen  ist  das  einzige  Diplom 
mit  der  Recognition  des  Blado  gegeben.  Von  Lothar  I.  zwei  Diplome  aus 
dessen  italienischer  Zeit,  die  zeigen,  dass  das  Urkundenwesen  auch  in  der 
äusseren  Form  ganz  identisch  ist  mit  dem  der  kaiserlichen  Kanzlei,  dass 
seine  Kanzlei  auch  von  dieser  eingerichtet  wurde.  Von  den  nach  mancher 
Richtung  hin  beachtenswerten  Urkunden  Kaiser  Ludwig  IL  werden  hier 
die  ersten  Facsimiles  veröffentlicht.  Von  Heinrich  V.  ist  eine  Gerichts- 
urkunde beigestellt.     Mit    dem    Diplom     Berengars  I.    tritt    die  Sammlung 


Literatur.  133 

in  ein  noch  brachliegendes  Gebiet,  die  Zeit  des  nationalen  Königtums, 
wenn  man  die  sechs  Jahrzehnte  der  Unabhängigheit  von  dem  fränkischen 
und  deutschen  Reich  untentlicher  eig  nicht  nationalen  Königen  so  be- 
zeichnen darf.  Hier  ist  noch  so  gut  wie  alles  zu  thun  und  hier  wird 
die  wissenschaftliche  Beai'beitung,  falls  sie  nicht  in  altbewährter  Hand 
liegt,  ihre  Probe  zu  bestehen  haben. 

Den  Facsimiles  ist  auch  hier  ein  erläuternder  Text  beigegeben.  Für 
ihn  konnte  der  Text  der  » Kaiserurkunden  in  Abbildungen«  Muster  sein. 
Er  bestrebt  sich  noch  durchaus  der  Kürze  und  wird  sich  wol  auch  von 
der  ermüdenden  Weitschweifigkeit  und  Herbeischlepp ung  nebensächlicher 
Dinge  fernhalten,  in  die  manche  der  Erläuterungen  in  den  späteren  Liefe- 
rangen der  »Kaiserurkunden«  —  ich  verweise  nur  auf  jene  von  Schum 
—  versinken.  Als  Fortschritt  betrachte  ich  es  auch,  dass  in  der  ita- 
lienischen Sammlung  der  ganze  Urkundentext  abgedruckt  ist.  Es  ist  un- 
nötig zu  bemerken,  dass  die  Erläuterungen,  welche  Th.  v.  Sickel  den  Karo- 
linger Diplomen  beifügt,  den  diplomatischen  Meister  dieser  Epoche  bekunden. 

Die  Reproduction  der  Facsimiles  (Lichtdruck  von  Martelli  in  Rom) 
ist  im  ganzen  recht  gelungen,  reicht  aber  doch  nicht  an  die  Vollendung 
der  Technik  und  die  Reinheit  der  Ausführung  heran,  welche,  der  eng- 
lischen Lichtdrucke  zu  geschweigen,  die  »Kaiserurkunden  in  Abbildungen« 
oder  die  Heliogravüren  von  Duj ardin  in  Paris  auszeichnen. 

Wien.  E.  Mühlbacher. 


Müller  Moritz,  Die  Kanzlei  Zwentibolds,  Königs  von 
Lothringen.  (895 — 900).  Inaug.  -  Dissertation.  Bonn,  P.  Haupt- 
mann, 1892.  8°,  98  S. 

Von  Zwentibold  sind  uns  28  Diplome,  davon  7  im  Or.  erhalten, 
bekannt  (Mühlbacher  1904 — 1931).  Was  aus  diesen  mit  Sicherheit  für  die 
Kanzleiverhältnisse  unter  diesem  König  zu  gewinnen  war,  hat  die  bisherige 
Forschung,  insbesondere  Sickel  und  Mühlbacher,  zur  Genüge  festgestellt. 
Gleichwohl  hat  es  der  Verf.  der  vorliegenden  Schrift  unternommen,  sie  zum 
Gegenstand  einer  monographischen  Behandlung  zu  machen. 

Vorerst  wird  ein  Abhub  der  einschlägigen  Partien  aus  Dümmlers 
Gesch.  des  ostfränk.  Reiches  mit  stellenweiser  wörtlicher  Entlehnung  des 
dort  Gesagten,  unnötiger  Weise  mit  Quellencitaten  aufgeputzt,  als  »  geschicht- 
licher ueberblick«  geboten. 

Auf  S.  24  kommt  der  Verf.,  nachdem  er  dankenswei'te  Textverbesse- 
rungen gegeben,  endlich  zur  eigentlichen  Sache.  In  der  Anordnung  des 
Stoffes  weicht  er  von  dem  hergebrachten  Schema  derartiger  diplomatischer 
Untersuchungen  ab,  nicht  zum  Vortheil  der  klaren  Uebersicht  über  das 
Ganze. 

Was  zunächst  die  Dictatuntersuchungen  betrifft,  so  wird  man  gewiss 
dem  Verf.  gerne  zustimmen,  wenn  er  sagt  (S.  29),  »dass  bei  den  DD. 
Zwentibolds  an  eine  einheitliche  fassung  im  strengsten  sinne  des  wortes 
nicht  zu  denken  sei*  und  dementsprechend  »mathematische  genauigkeit* 
in  der  Beweisführuug  nicht  erwartet  werden  könne.  Allein  eben  der  Um- 
stand, dass  unter  Zwentibold  »eine  bunte  mannigfaltigkeit  des  ausdrucks«, 


134 


Literatur. 


eine  sehr  freie  Behandlung  des  Formulars  mehr  als  früher  zu  Tage  tritt, 
worauf  schon  Sichel  aufmerksam  gemacht  hat,  hätte  den  Verf.  davon  ab- 
halten sollen,  allzusehr  in's  Detail  zu  gehen,  und  vielmehr  eine  Beschrän- 
kung auf  das  Wesentliche  rathsam  erscheinen  lassen.  Indem  der  Verf.  des 
Weiten  und  Breiten  auf  30  S.  all'  die  verschiedenen  Varianten  in  den 
einzelnen  Formeln  wiedergibt,  kommt  es  dazu,  dass  man  den  Wald  vor 
lauter  Bäumen  nicht  sieht  und  auch  ihm  der  Blick  für  die  wirklich 
sicheren  Unterscheidungsmerkmale  im  Dictat  verloren  geht. 

Mit  Sicherheit  lässt  sich  jedenfalls  nur  das  Dictat  der  beiden  meist 
genannten  Notare  Egilbert  und  Waldger  feststellen.  Hätte  nun  der  Verf. 
kurz  die  diesen  beiden  eigenen  Dictamina  in  ihren  wirklich  charakteristi- 
schen und  zugleich  unterscheidenden  Merkmalen  vorgeführt  *),  so  wäre  der 
Sache  damit  jedenfalls  mehr  gedient  gewesen,  als  mit  den  vielredenden 
und  doch  nichts  besagenden  Ausführungen  über  Arengen,  Motive  (!)  S.  40, 
die  verschiedenen  Arten  der  Petitio  S.  42,  oder  die  im  Contexte  auftreten- 
den »Beiwörter«  S.  46.  Kaum  gerechtfertigt  ist  es  auch,  dass  der  ein- 
zigen von  Albericus  unterfertigten  Urkunde  (M.  191l)  zwei  ganze  Druck- 
seiten gewidmet  werden. 

Dagegen  hätte  es  sich  vielleicht  empfohlen,  die  als  Vorlage  dienenden 
Formeln,  welche  jetzt  in  der  Zeumer'schen  Ausgabe  so  bequem  zu  benützen 
sind,  nicht  ganz  unberücksichtigt  zu  lassen. 

Richtig,  wenn  auch  nicht  neu  ist  es,  dass  der  Verf.  sich  gegen  die 
Annahme  zweier  verschiedene  Kanzleien  (trierische  und  kölnische)  ent- 
scheidet. 

Nicht  glücklich  ist  die  vielverheissende  Ueberschrift  zu  §  5  gewählt: 
»die  amtsthätigkeit  der  notare«.  Der  Verf.  sucht  hier  nach  dürftigen 
Bemerkungen  über  die  chronologischen  Merkmale  der  Urkunden  die  neben 
jenen  beiden  früher  erwähnten  Notaren  des  weiteren  nur  vereinzelt  auf- 
tretenden Namen  Gozbertus,  Hunger,  Franco  als  »  corruptelen  «  zu  erweisen. 
Die  Gleichsetzung  von  Franco  und  Waldger  an  (S.  64)  entbehrt  jeder  wissen- 
schaftlichen Begründung. 

Was  der  Verf.  auf  Grund  von  7  Or.  auf  8  S.  über  »die  Schreiber« 
sagt,  ist  im  wesentlichen  kaum  mehr  als  das  vonSickel  bereits  Gefundene.«2) 
Ob  es  nothwendig  war,  für  diese  wenigen  Stücke  einen  Waldgerus  A,  B,  C, 
ja  auch  noch  einen  Egilbertus  A  zu  construiren,  ist  mehr  als  zweifelhaft. 
Dem  Verf.  hat  augenscheinlieh  das  bekannte  Chiffrensystem  zu  gut  gefallen ; 
wenigstens  fühlt  er  das  Bedürfniss,  diese  nunmehr  doch  allbekannte  Sache 
in  einer  längeren,  aus  Bresslau  UL.  abgedruckte  Note  des  näheren  zu  er- 
klären (S.   73). 


J)  Als  solche  betrachte  ich  insbesondere:  die  Einleitung  der  Arenga  (rela- 
tivisch  bei  Egilbert,  hypothetisch  bei  Waldger),  den  Uebergang  zum  Context  (dort 
durch  quia,  hier  durch  qualiter),  die  apprecatio  (bei  Waldger  in  der  erweiterten 
Form  »in  dei  nomine  feliciter  amen«  gegenüber  dem  einfachen  »feliciter  amen« 
des  Egilbert) ;  ferner,  was  der  Verf.  nicht  hervorhebt,  die  verschiedene  Einleitung 
des  Beurkundungsbefehls  (einfach  verbal  bei  Egilbert,  mit  einem  Causaladverb 
seitens  Waldger),  endlich  aber  das  »propria«  in  der  corroboratio,  welches  Wakiger 
gebraucht,  das  bei  Egilbert  aber  fehlt. 

-')  Text  zu  KU.  in  Abbild.     S.  200. 


Literatur  135 

Auf  den  letzten  10  S.  hören  wir  endlich  unter  dem  Titel  »Erz- 
kanzler und  erzcapellan*  etwas  von  dem,  was  die  Ueberschrift  der  Ab- 
handlung ankündigt,  den  Kanzleiverhältnissen.  Von  den  28  DD.  Zwenti- 
bolds  sind  20  advicern  Ratpodi  archicancellarii  u.  6  adv.  Herimanni  archi- 
capellani  recognoscirt ;  eines  entbehrt  der  Recognition  überhaupt,  in  einem 
andern  wird  nur  der  Notar  genannt. 

Sickel  hatte  sich  diese  Sachlage  ursprünglich  so  zurecht  gelegt,  dass 
er  annahm,  es  sei  bei  der  Einsetzung  Zwentibolds  zum  König  von  Lothringen 
die  Kanzlei  desselben  derart  eingerichtet  worden,  dass  Hermann  von  Köln 
als  Erzkapellan  an  deren  Spitze  trat,  »unter  ihm  aber  der  Trierer  Erzbischof 
Radbod  mit  dem  Titel  archicancellarius  stand«.  Bresslau  ist  entgegen  dieser 
Auffassung,  für  die  Gleichberechtigung  beider  eingetreten,  da  »Ratpod  nie 
einfach  cancellarius,  sondern  nur  archicancellarius  oder  summus  cancel- 
larius  genannt  wird,  und  niemals  die  Recognition  Ratpodus  advicern 
Herimanni  vorkommt«.  Eine  Erklärung  für  die  abweichende  Recognition 
adv.  Herimanni  archicap.  hat  sodann  Mühlbacher  geboten ,  indem  er  im 
Anschlüsse  an  die  Urkunde  über  Oeren  (M.  1907)  auf  einen  Zwist  zwischen 
Zwentibold  und  Ratbod  schloss,  in  Folge  dessen  Ratbod  für  kurze  Zeit 
(M.  1916 — 1920)  seines  Erzkanzleramtes  enthoben  worden  und  an  seine 
Stelle  der  Kölner  getreten  sei. 

Mit  Recht  erklärt  sich  der  Verfasser  für  die  Bresslau'sche 
Auffassung  im  Sinne  einer  Gleichberechtigung  beider  Erzbischöfe.  Wenn 
er  aber  auf  Grund  einer  längeren  Polemik  gegen  die  Richtigkeit  der 
Mühlbacher'schen  Theorie  von  dem  Zwiste  zwischen  Zwentibold  und  Ratbod, 
für  welchen  ein  sicherer  Beweis  nicht  erbracht  werden  könne,  eine  Er- 
klärung jener  Recognition  (adv.  Herimani  archicap.)  in  der  Weise  versucht, 
dass  dieselbe  »lediglich,  sei  es  durch  ein  missverständniss,  sei  es  durch 
die  willkür  des  dictators  Egilbertus  eingeführt  worden  sei*,  so  kann  man 
dazu  nichts  anderes  sagen,  als  dass  sich  in  dieser  unmöglichen  Erklärung1) 
wiederum  die  harmlose  Auffassung  des  Verf.  über  Kanzleigebarung  in 
bedenklicher  Weise  bethätigt. 

Wie  immer  man  über  die  Richtigkeit  jener  Annahme  eines  Zwistes 
oder  einer  Verstimmung 2)  zwischen  Zwentibold  und  Ratbod  auch  denken 
mag,  die  Thatsache,  dass  in  einer  geschlossenen  Reihe  von  5  DD.  nicht 
wie  sonst  adv.  Ratpodi  archicanc,  sondern  adv.  Herimanni  archicap.  re- 
cognoscirt wird,  zwingt  uns  zu  dem  Schlüsse,  Ratbod  müsse  aus  irgend 
einem  Grunde  während  dieser  Zeit   von    der  Leitung    der  Kanzlei    zurück- 


')  Etwas  anderes  bringt  der  Verfasser  auf  S.  67  zu  Wege.  Aus 
den  letzten  Jahren  Zwentibolds  (899  und  900)  ist  nur  je  eine  Urkunde  erhalten. 
Die  letzte  (M.  1931)  weist  er  nun  auch  in  das  erstgenannte  Jahr  so  zwar,  dass 
nach  seiner  Ansicht  vom  Beginn  899  kein  Diplom  Z.  mehr  nachzuweisen  wäre. 
Wie  erklärt  er  nun  dies?  Es  lässt  sich  vermuthen,  dass  899  bei  der  zweiten 
Belagerung  von  Durfos  die  von  den  Ann.  Fuld.  berichtete  körperliche  Misshand- 
lung Ratbolds  durch  Zwentibold  erfolgt  sei.  „So  leuchtet  von  selbst  ein*,  heisst  es 
nun,  »weshalb  der  erzkanzler  nicht  länger  seines  amtes  warten  wollte  und  da- 
her regelrecht  ausgestellte  Urkunden  vom  beginn  899  ab  nicht  mehr  vorkommen«. 

2)  Von  einer  solchen  spricht  doch  auch  Sickel  in  seiner  letzten  diesbe- 
züglichen Aeusserung  KU  i.  A.  S.  200. 


136  Literatur. 

getreten  sein.  Und  noch  ein  anderes  Moment,  das  der  Verf.  in  diesem 
Zusammenhange  allerdings  nicht  berücksichtigt  hat,  fällt  hiebei  schwer  ins 
Gewicht.  Der  Umstand,  dass  Egilbert,  den  wir  von  früher  her  (M.  1905) 
nur  als  Notar  kennen,  nun  in  den  DD.  dieser  Reihe,  welche  er  unterfer- 
tigte, —  es  sind  deren  4  —  plötzlich  als  cancellarius  auftritt,  kann  nicht 
zufällig  sein,  wir  ersehen  daraus,  dass  man,  da  der  Erzkapellan  Hermann 
die  officielle  Leitung  der  Kanzlei  übernahm,  nun  einen  der  Notare  als 
Kanzler  mit  der  thatsächlichen  Führung  des  Kanzleigeschäftes  betraute. 

Die  Ausführungen  des  Verf.  über  die  Urk.  für  Trier  (M.  1907  be- 
treffs Oeren)  S.  78 — 88  wären  wol  besser  in  einen  Excurs  zu  verweisen 
gewesen.  Er  sucht  darin  diese  Urk.  entgegen  der  bisherigen  Auffassung 
als  Fälschung  zu  stempeln.  Ref.  vermag,  ohne  hier  darauf  des  näheren 
eingehen  zu  können,  sich  weder  in  diesem  Punkte,  noch  auch  hinsichtlich 
der  bei  zwei  weiteren  DD  (M.  1911  u.  1931)  versuchten  anderen  Datirung 
der  Ansicht  des  Verf.  anzuschliessen.  Die  Neuausgabe  der  Karolinger  DD. 
in  den  Mon.  Germ,  wird  hinreichend  Gelegenheit  bieten,  auf  diese  Ein- 
zelheiten zurückzukommen. 

Konnten  wir  uns  also  im  allgemeinen  mit  derArbeitsweise  und  den 
Ergebnissen  des  Verf.  nicht  befreunden,  so  mögerj  diese  Mängel  darin  eine 
Entschuldigung  finden,  dass  es  eine  Erstlingsarbeit  ist,  die  als  Disser- 
tation noch  dem  Druckzwange  unterlag.  Anderseits  ist  das  Interesse,  das 
der  Verf.  dem  Gegenstande  als  solchem  entgegenbringt,  sowie  der  Fleiss, 
mit  dem  er  sich  in  all'  die  Einzelheiten  vertieft  hat,  rühmend  hervor- 
zuheben. 

»Die  einrichtung  der  kanzlei  Zwentibolds  darzulegen«,  was  nach  des 
Verf.  eigenen  Worten  »die  aufgäbe  der  vorliegenden  arbeit«  war,  konnte, 
wie  bereits  bemerkt,  von  vornherein,  da  diese  Verhältnisse  ziemlich  plan 
liegen,  kaum  einen  Erfolg  verheissenden  Vorwurf  für  eine  diplomatische 
Specialuntersuchung  bilden.  Aber  es  hätten  sich  doch  auch  noch  neue 
Gesichtspunkte  finden  lassen.  Mit  Rücksicht  auf  die  Eigenart  der  behan- 
delten Zeit  wäre  es  für  die  diplomatische  Forschung  vielleicht  nutzbrin- 
gender gewesen,  wenn  der  Verf.  den  Einfluss  einerseits  des  westfränki- 
schen Kanzleigebrauches,  andererseits  der  chartae  pagenses  auf  das  Urkun- 
denwesen unter  Zwentibold  näher  verfolgt  und  festgestellt  hätte,  wofür 
eben  Sickel  seinerzeit  doch  schon  einen  deutlichen  Fingerzeig  gegeben  hat x). 
Mit  diplomatischer  Kleinigkeitskrämerei  ist  an  sich  nichts  geholfen,  sie  ist 
nicht  danach  angethan,  das  Ansehen  der  Wissenschaft  zu  heben  und  birgt 
mindestens  die  Gefahr  in  sich,  den  Wert  solcher  Untersuchungen  in  den 
Augen  Fernerstehender  als  einen  sehr  problematischen  erscheinen  zu  lassen. 

Wien.  A.  Dop  seh. 


Osnabrücker  Geschichtsquellen,  herausgegeben  vom  histo- 
rischen Verein  zu  Osnabrück.  Band  I:  Die  Chroniken  des  Mitte  1- 


i)  ßeitr.  z.  Dipl.  VI,    Sß.    d.  Wiener  Akad.    85,  378    und  Text  zu  KU.  in 
Abbild.  S.  201. 


Literatur.  137 

alters  bearbeitet  von  Dr.  F.  Philip pi  und  Dr.  H.  Forst.  Osna- 
brück in  Comru.  der  Rauclihorst'sclien  Buchhandlung  1891.  8°,  LIV  und 
208  S.  und  2  Tafeln. 

Der  historische  Verein  von  Osnabrück  hat  den  dankenswerten  Be- 
schluss  gefasst,  die  historischen  Quellen  seines  Bezirkes  neu  herauszugeben. 

Der  vorliegende  erste  Band  enthält  die  Chroniken  des  Mittelalters 
und  zwar:  1.  Osnabrücker  Annalen  von  772 — 1110,  welche  Philippi  aus 
Notizen  Ertmans  zusammengestellt  hat;  sie  dürften  einer  alten  Ostertafel 
entstammen  und  bilden  fast  nur  einen  Osnabrücker  Bischofskatalog. 
2.  Geschichtliche  Aufzeichnungen  aus  dem  S.  Johannisstift  zu  Osnabrück, 
Notizen  von  lokaler  Bedeutung  für  das  13. — 16.  Jahrhundert  aus  einem 
verlornen  Todtenbuch  dieses  Stiftes.  3.  ßeimchronik  der  Bischöfe  von 
Osnabrück  bis  1454  reichend,  der  erste  Versuch  einer  zusammenfassenden 
Geschichte  dieses  Hochstiftes,  verfasst  vor  1480;  für  die  ältere  Zeit  auf 
einem  alten  Bischofsverzeichniss  fussend,  von  selbständigem  Wert  erst  seit 
Ende  des  14.  Jahrh.  4.  Ertwini  Ertmanni  Cronica  sive  catalogus  ep.  Osna- 
burgensium,  eine  bereits  von  Meibom  im  2.  Bd.  seiner  SS.  herausgegebene 
Chronik.  5.  Die  Bruchstücke  der  sogenannten  Ann.  Iburgenses,  Wieder- 
abdruck der  beiden  im  Besitz  des  Vereins  für  Geschichte  und  Alterthümer 
Westfalens  befindlichen  Pergamentblätter  s.  XII.  (M.  G.  SS.  16,  234—238), 
welche  die  Jahre  816 — 841  und  1072 — 1085  umfassen,  dazu  einige 
Notizen  Ertmans  welche  gleicher  Provenienz  sein  mögen. 

Jedem  Stück  ist  eine  zweckentsprechende  Einleitung  vorausgeschickt. 
Am  ausführlichsten  ist  naturgemäss  das  umfänglichste  und  wichtigste  Stück, 
die  Chronik  Ertmans  (gleich  n°  3  und  5  von  Forst  bearbeitet)  behandelt. 
Wir  ei-halten  hier  dankenswerte  Aufschlüsse  zur  Biographie  des  etwa  1430 
gebornen.  150  5  verstorbenen  langjährigen  Bürgermeisters  von  Osnabrück, 
Erwin  Ertman,  welchen  sein  reger  historischer  Sinn  zum  eigentlichen  Be- 
gründer der  historischen  Literatur  an  diesem  Bischofsitze  machte.  Mit 
mehr  Spüreifer  als  historischer  Kritik  sammelte  und  verwertete  er,  was  er 
an  altern  geschichtlichen  Aufzeichnungen  in  seiner  Vaterstadt  fand,  was 
ihm  an  westfälischen  und  andern  Chroniken  unter  die  Hände  kam,  was 
ihm  seine  amtliche  Stellung  aus  dem  bischöflichen  und  dem  städtischen 
Archiv  zugänglich  machte.  Seine  Chronik  fand  daher  auch  grosse  Ver- 
breitung und  eine  Fortsetzung,  sie  ist  in  mindestens  zwei  Recensionen  und 
mehreren  Handschriften  erhalten,  deren  Verhältnis?  Forst  mit  grossem 
Scharfsinn  darzulegen  versucht  hat. 

Die  Fragmente  der  Ann.  Iburg.  hat  Scheffer-Boichorst  als  Ableitung 
der  verlornen  Paderborner  Annalen  in  Anspruch  genommen.  Forst  erhebt 
dagegen  Widerspruch,  der  in  manchen  Punkten  Beachtung  verdient,  ohne 
dass  mir  aber  die  Annahme  des  jüngsten  Herausgebers  plausibel  erschiene, 
dass  nämlich  die  Ann.  Patherbrunn.  ihren  Wortlaut  den  Ann.  Iburg.,  Hal- 
tung und  Auffassung  dagegen  der  im  entgegengesetzten  Lager  stehenden 
Kölner  Quelle  entnommen  hätten. 

Die  Ausgabe  macht  günstigen  Eindruck,  wenn  man  auch  Anwendung 
des  Petitdruckes  nach  dem  Muster  der  Mon.  Germ,  und  einen  vollständi- 
geren Nachweis  wünschen  möchte,  ob  und  wo  die  zahlreichen  von  Ertman 


138  Literatur. 

benutzten  Documente  gedruckt  seien.  Die  Reproduction  der  Ann.  Iburg, 
in  Lichtdruck  ist  sehr  gelungen;  das  Kegister  jedoch  ist  nach  einzelnen 
Stichproben  welche  ich  gemacht,  nicht  ganz  vollständig. 

Innsbruck.  E.  v.  Ottenthai. 


Bretholz  Berthold,  Geschichte  Mährens.  I.  Band.  1.  Abth. 
(Bis  906).  Brunn  1893.  Winiker.  XII,   120  S.  8. 

Die  Geschichte  Mährens,  welche  einst  im  Auftrage  des  mährischen 
Landes-Ausschusses  B.  Dudik  begonnen  hatte,  musste  von  Anfang  an  als 
ein  verunglücktes  Unternehmen  betrachtet  werden.  Denn  bei  dem  Ein- 
gehen in  das  kleinste  Detail,  welches  der  gelehrte  Verfasser  für  gut  hielt, 
musste  man  sich  darüber  klar  sein,  dass  wohl  nur  der  geringste  Theil  des 
Werkes  vollendet  werden  würde.  In  der  That  hat  Dudik  bis  zu  seinem 
im  Jahre  1890  erfolgten  Tode  dasselbe  nur  bis  zum  Jahre  1350  fort- 
geführt, obwohl  dasselbe  einen  Umfang  von  12  (!)  Bänden  erreicht  hat. 
Der  Landes-Ausschnss  Mährens  hat  jetzt  die  Aufgabe,  eine  Geschichte  dieses 
Landes  zu  schreiben,  einer  jungen  tüchtig  geschulten  Kraft  übertragen, 
welche  dieselbe  nach  ganz  anderen  Grundsätzen  ausführen  will  und  die 
Geschichte  der  Markgraf  schaff  bis  zum  Ausgange  des  Mittelalters  in  einem 
Bande,  die  der  Neuzeit  in  zwei  weiteren  Bänden  behandeln  will. 

Bis  jetzt  liegt  nur  die  1.  Abtheilung  vor,  welche  die  älteste  Ge- 
schichte Mährens  bis  zur  Katastrophe  von  906  umfasste.  Niemand  wird 
erwarten,  dass  der  Verf.  in  einer  Periode,  wo  das  Quellenmaterial  dürftig 
und  lückenhaft  und  deren  wichtigste  Partie,  die  Zeit  Rastislaws  und  Swa- 
topluks  und  der  Christi anisirung  des  Landes,  vielfach  und  eingehend  er- 
forscht worden  ist,  wesentlich  Neues  werde  bieten  können.  Aber  man  muss 
anerkennen,  dass  derselbe  das  Wichtige  vom  Unwesentlichen  richtig  zu 
scheiden  und  klar  und  geschmackvoll  zu  schreiben  versteht,  so  dass  der 
vorliegende  Abschnitt  als  eine  im  besten  Sinne  populäre  Arbeit  bezeichnet 
werden  kann.  Wir  wünschen  daher,  dass  diese  rüstig  vorwärts  schreite 
und  dass  wir  endlich  eine  auch  wissenschaftliche  Anforderungen  befriedi- 
gende Geschichte  eines  Landes  erhalten,  welches  bisher  mehr  als  eine 
andere  österreichische  Provinz  einer  solchen  entbehrt. 

Wien.  A.  Huber. 


Die  Knechtschaft  in  Böhmen.  Von  Julius  Lippert, 
(Bohemia,  Jänner  und  Februar  1890).  Joh.  Peisker,  Die  Knecht- 
schaft in  Böhmen.  Prag,  1890.  82  Seiten  8°. 

Der  bekannte  Kulturhistoriker  J.  Lippert  trat  mit  einer  Studie  über 
die  Soci algeschichte  in  Böhmen  in  einer  Reihe  von  Artikeln  auf,  welche 
als  Vorläufer  eines  grösseren  Werkes  anzusehen  sind.  Er  beschäftigte  sich 
mit  df*  Frage,  in  welchem  Umfang  man  eine  Klasse  der  Unfreien  in 
Böhmen  annehmen  kann.  Das  Resultat  seiner  Forschung  war,  dass  es  in 
Böhmen  eigentlich  keine  freien  Leute  gab,  sondern  das  ganze  Volk  eine 
Masse  von  Knechten  bildete,  welche  der  Landesfürst  sammt  und  sonders 
verschenken  oder  verkaufen  konnte.     Diese  Behauptung   war  wirklich  neu 


Literatur.  139 

und  befremdend  zugleich,  denn  vor  kaum  vierzig  Jahren  hatte  Palacky 
gerade  das  Gegentheil  behauptet,  nämlich,  dass  das  böhmische  Volk  keine 
Knechtschaft  gekannt  hatte.  Um  die  Ehre  des  böhmischen  Historiographen 
und  zugleich  die  dadurch  angeblich  angegriffene  Ehre  des  böhmischen 
Stammes  zu  retten,  trat  Peisker  mit  einem  kleinen  Büchlein  auf,  welches 
als  Antwort  auf  die  Artikel  Lipperts  zwei  Monate  hernach  erschienen  ist. 
Peisker  eilte  mit  der  Antwort  aus  dem  Grunde,  um  dadurch,  wie  er  sich 
(S.  81)  selbst  ausdrückt,  rechtzeitig  zu  verhindern,  dass  die  Lehre  Lipperts 
in  die  deutsche  Sociologie  eindringe,  denn  dann  könnte,  meint  er,  die 
Kulturgeschichtsforschung  auf  Irrwege  geleitet  und  in  ihrem  Fortschritte 
auf  viele  Jahre  gehemmt  werden.  »Man  bedenke  nur,  ruft  er  aus,  was 
es  für  die  Sociologie  bedeutet,  unter  der  arischen  Völkerfamilie  ein  einziges, 
uranfängliches  Knechtevolk  entdeckt  und  sogar  urkundlich  nachgewiesen  zu 
sehen.  Auf  dem  ganzen  Erdenrund  gab  und  gibt  es  kein  Volk,  von 
welchem  das  Gesagte  in  einer  so  allgemeinen  Ausdehnung  je  gegolten  hätte« 
(S.  56).  ünermüdet,  fast  athemlos  eilt  er  seinem  Ziele  entgegen,  um  nur 
schneller  seinen  Gegner  hinzustrecken. 

Wir  hätten  uns  an  Peiskers  Stelle  die  grosse  Mühe  erspart  und  Peisker 
selbst  hätte  sich  vielleicht  auch  etwas  beruhigt,  wenn  er  nicht  so  rasch 
mit  der  Antwort  geeilt  hätte.  Denn  wahrlich,  wie  kann  man  von  einer 
so  radicalen  Knechtschaft  sprechen.  Wozu  möchte  dann  der  Fürst  sich 
die  Mühe  geben  und  Urkunden  ausstellen  lassen,  dieselben  auch  eigenhändig 
zu  bekräftigen,  wenn  er  ein  Gut  Jemandem  schenkt.  Aber  er  schenkt  es  ja 
zum  ewigen  Eigen  und  das  noch  dazu  in  Anwesenheit  der  Barone  und 
sogar  mit  deren  Zustimmung.  Wozu  sässe  er  denn  zu  Gerichte  um  die 
Grundstreitigkeiten  zu  entscheiden,  wenn  es  keinen  eigentlichen  Ei  gen  - 
thümer  gegeben  hätte?  Wie  wäre  es  denn  möglich,  dass  dieser  Unterthan, 
selbst  dem  Landesfürsten  ein  Grundstück  streitig  machen  und  bei  Gericht 
sein  Recht  suchen  könnte.  Solche  Rechtszustände  sind  bei  keinem  Volke 
zu  finden  und  Böhmen  bildet,  wie  Peisker  richtig  bemerkt,  keine  »Oase«, 
keine  Ausnahme!  Die  Theorie  Ls.  ist  zu  wunderlich,  als  dass  sie  für  die 
deutsche  Sociologie  gefährlich  sein  und  selbe  auf  Irrwege  leiten  könnte. 
Der  Alarm  Peiskers  ist  also  überflüssig  gewesen. 

Es  ist  nur  zu  bedauern,  dass  von  Männern  eimster  Arbeit  solche 
Wundertheorien  heutzutage  dem  gelehrten  Publicum  aufgetischt  werden. 
Aber  die  Thatsache  steht  nicht  vereinzelt  da.  So  trat  z.  B.  ein  pol- 
nischer Gelehrter  (Professor  Sza^nocha)  1858  mit  einer  Theorie  auf, 
welche  besagte,  dass  der  ganze  polnische  Adel  skandinavischer  Herkunft 
sei  und  die  autochthone  Bevölkerung  geknechtet  habe.  Diesen  Ge- 
danken spinnt  noch  weiter  ein  zweiter  polnischer  Gelehrter,  der  hochver- 
diente und  gründliche  Herausgeber  vieler  polnischer  Quellen,  Prof.  der 
Krakauer  Universität  Piekosinski  und  hat  sie  in  seinem  Buche  »Die  Ver- 
teidigung der  Befehdungstheorie «  zu  begründen  gesucht.  Der  polnische 
Adel  ist  nach  ihm  aus  den  fremden  Eroberern  entstanden,  welche  das 
Volk  geknechtet  hatten.  Szajnocha's  und  Piekosinski's  Theorie  ist  natürlich 
nicht  durchgedrungen,  dem  Prof.  Szajnocha  autwortete  damals  der  böhmische 
Gelehrte  Zap  ziemlich  scharf.  Er  sagte,  die  polnischen  Etymologen  wirken 
wahre  Wunder  ...  es  scheine  dies  schon  in  der  polnischen  Luft  zu  liegen. 
Wir  würden    auch    die    apologetische    Abhandlung    von    Peisker    an  dieser 


•^40  Literatur. 

Stelle  nicht  besprechen,  wenn  er  dabei  nicht  andere  wichtige  Fragen  berührt 
hätte,  welche  sein  Buch  wertvoll  machen.  Gestützt  auf  die  Arbeiten  von 
Lamprecht  über  die  Wirtschaftsgeschichte  Deutschlands  beweist  er,  dass 
der  Landesfürst  nur  das  Rodeland  (terra)  nicht  aber  den  erblichen  Boden 
(hereditas)  verschenken  konnte,  dass  wenn  der  Fürst  Bauernfamilien  ver- 
schenkte, er  nicht  ihre  Personen  sondern  ihre  Zinsen  verschenkte,  was  zum 
richtigen  Verständnis  der  Urkunden  von  Bedeutung  ist.  Er  beweist,  dass 
es  bei  den  Slaven  keine  absolute  Feldgemeinschaft  wie  z.  B.  die  russische 
Mir-communion  gab,  (die  russische  Mir- Verfassung  ist  neueren  Datums),  dass 
der  Boden  der  Familie  als  einer  Einheit  gehörte,  innerhalb  welcher  ein 
einzelnes  Familienmitglied  kein  freies  Verfügungsrecht  besass,  dass  aber 
der  Landesfürst  ein  höheres  Verfügungsrecht  über  den  Gesammtboden  des 
Landes  hatte.  Also  Zustände,  wie  sie  auch  heute  in  ähnlicher  Form  be- 
stehen. Besonders  aber  gewinnt  seine  Abhandlung  an  Werth  dadurch, 
dass  er  nach  Meitzens  Vorbild  sich  dem  Kartenstudium  zuwendet.  Und  da 
kommt  er  auch  zu  dem  Resultate,  dass  Böhmen  einst  in  unabhängige 
Stainmfürstenthümer  zerfiel.  Der  Gedanke  ist  zwar  nicht  neu.  Den  An- 
gaben der  böhmischen  Chronisten  Cosmas  und  Dalimil  folgend  haben 
mehrere  Gelehrte  jene  ursprüngliche  Theilung  Böhmens  zu  ergründen 
gesucht.  Die  Grenzen  des  Gebietes  von  Slavnik,  dem  Vater  des  hl.  Adalbert, 
giebt  Cosmas  selbst  an.  Nun  versucht  Peisker  darzulegen,  wie  im  Süd- 
westen von  dem  Slavnik'schen  Gebiete  ein  neues  Gebiet  mit  Polletitz  als 
Mittelpunkt,  welches  er  Zachlum  nennt,  dem  böhmischen  Kernlande  all- 
mählich einverleibt  wurde,  wie  sich  also  durch  Ausrodung  der  Wälder  die 
böhmische  Grenze  und  mit  ihr  die  Landespforte  immer  weiter  nach  Süden 
verschoben  hatte.  Er  erklärt  auch  richtig  die  Namen  einiger  Ortschaften 
und  wenn  wir  auch  an  jeden  concreten,  von  ihm  angeführten  Fall  nicht 
unbedingt,  glauben  möchten  (z.  B.  bei  dem  Namen  Preseka  muss  man  nicht 
immer  an  eine  Landespforte  denken,  denn  auch  in  einer  einzelnen  Schlacht 
konnte  der  Weg  schon  mitten  im  Lande  schnell  durch  einen  Verhau  ge- 
schützt werden),  so  ist  doch  die  Idee  richtig  und  im  grossen  und  ganzen 
scharfsinnig  durchgeführt  und  derAutor  zeigte  darin  ein  unleugbares  Talent. 
Dies  ist  umsomehr  anzuerkennen,  als  manche  von  den  böhmischen  Gelehrten, 
welchen  solche  Abgrenzung  der  Gebiete  politisch  gefährlich  schien,  dies 
rundweg  leugneten. 

Wenn  wir  aber  die  Details  seiner  Abhandlung  rühmend  hervorheben 
mussten,  dürfen  wir  auch  nicht  das  Hauptergebnis  seiner  Untersuchung 
ungeprüft  lassen.  Er  kam  natürlich  zu  demselben  Schluss  wie  Palacky, 
dessen  Apologie  er  eigentlich  schrieb,  nur  betont  er  es  schärfer.  Auf  S.  32 
sagt  er:  die  Auffassung,  dass  die  alten  Böhmen  eine  geknechtete  Be- 
völkerungsklasse  nicht  kannten,  ist  unanfechtbar.  In  denselben 
Fehler  nun,  welchen  P.  seinem  Gegner  vorhielt,  dass  dieser  nämlich  an 
einen  Ausnahmsfall  glaubt,  verfiel  auch  Peisker  selbst,  trotzdem  er 
anfangs  selbst  bekennt,  dass  die  vergleichende  Kulturgeschichtsforschung 
es  bereits  zur  Gewissheit  erhoben,  dasss  alle  Kulturvölker  eine  ganze 
Reihe  ähnlicher  Entwicklungsstufen  haben  durchlaufen  müssen.  Nach  ihm 
ist  also  Böhmen  doch  ein  sonderbares  Land,  in  welchem  es  keine  Knecht- 
schaft gab. 

Im  Laufe  seiner  Polemik  erklärt  er  eine  Stelle,  in  welcher  von  einer 


Literatur.  ]^ 

Verschenkung  einer  Familie  durch  den  Herzog  die  Rede  ist  und  sagt  (S.  60): 
»Der  Fürst  schenkt  also  darin  keinen  Originarier  sondern  eine  Familie, 
bestehend  aus  einer  Anzahl  unfreier  Ministerialen'1.  Es  also  gab  doch 
Unfreie.  Peisker  möchte  an  Stelle  des  Wortes  Familie  das  Wort  snrrdones 
oder  andere  ähnliche  sehen,  um  sich  von  dem  Vorhandensein  der  Knecht- 
schaft überzeugt  zu  kalten,  denn  die  Ausdrücke  familia,  servus  etc.  be- 
deuten bei  ihm  eine  höhere  Klasse,  wahrscheinlich  Halbi'reie.  Aber  wir 
müssen  noch  bemerken,  dass  er  das  Wort  Ministerialen  bei  der  Ueber- 
setzung  des  Ausdruckes  familia  eigenmächtig  hinzusetzt,  es  ist  blos 
darunter  eine  Familie  der  Unfreien,  also  Knechte  gemeint,  die  der  Herzog 
zu  Dienstleistungen  an  die  Kirche  schenkt.  Wenn  in  den  böhmischen  Ur- 
kunden der  Ausdruck  smrdo  und  andere  zur  Bezeichnung  der  Knechtschaft 
dienende  Worte  nicht  vorkommen,  sondern  durch  servus,  mancipia,  ser- 
vitus  wiedergegeben  werden,  so  hätte  sich  Palacky,  besonders  aber  Peisker 
dadurch  nicht  bestimmen  lassen  sollen  zu  sagen :  in  Böhmen  gab  es  keine 
Knechtschaft!  Eine  geknechtete  Bevölkerungsklasse  gab  es  doch  bei  an- 
deren slavischen  Stämmen,  wie  wir  jetzt  genauer  wissen,  warum  sollte  es 
diese  bei  den  Böhmen  nicht  gegeben  haben.  Die  Ausdrücke  smrdo,  rab  finden 
sich  in  den  slavischen  alten  Sprachdenkmälern.  Dass  aber  die  ältesten 
böhmischen  Quellen  nur  den  Ausdruck  servus,  servitus  etc.  kennen,  das 
möchten  wir  anders  erklären  und  zwar,  dass  die  böhmische  Kanzlei  deutsche 
oder  slavische  Elemente  nicht  so  bald  aufkommen  Hess  und  sich,  wie  es 
auch  durch  andere  Beispiele  erhärtet  werden  könnte,  nur  der  lateinischen 
Ausdrücke  bediente.  Dies  gilt  auch  von  den  böhmischen  Chronisten.  Als 
König  Bfelislav  I.  seinem  Volke  ein  neues  Gesetz  in  Gnesen  verkündete, 
sagte  er  nach  der  Erzählung  Cosmas  II  4 :  nolo  ut  violator  huius  rei  se- 
cundum  ritum  nostrae  terrae  in  servitutem  redigatur  sed  potius  .  .  . 
redigatur  in  Ungariam.  Wir  wissen  nicht,  wie  diese  Stelle  Peisker  erklären 
würde,  aber  wie  immer  auch  Palacky  und  Andere  die  böhmische  servitus 
erklären  mögen,  so  bedeuten  die  oben  angeführten  Worte  doch  nichts 
anderes  als  den  Verlust  aller  persönlichen  Rechte,  was  als  ritus  terrae 
galt.  Palacky  und  Peisker  halten  sich  jedoch  an  die  Urkunden  und  Rechts- 
denkmäler. Palacky  erklärt,  dass  die  Leibeigenschaft,  wie  wir  sie  in 
Deutschland  finden,  in  Böhmen  nicht  vorkam,  dass  ferner  zwischen  den 
böhmischen  Leibeigenen  und  den  böhmischen  Zinsbauern  nur  der  Unter- 
schied bestand,  dass  es  dem  Leibeigenen  nicht  freistand  seinen  Herrn  zu 
verlassen.  Sonst  wäre  also  der  Leibeigene  dem  Zinsbauer  gleichgestellt, 
durfte  also  nicht  als  eine  Sache  behandelt,  nicht  verkauft  werden.  Aber 
daran  wird  doch  Peisker  selbst  nicht  glauben.  Zeugnisse  dafür  haben  wir 
genug!  Also  der  rechtliche  Abstand  zwischen  dem  Leibeigenen  und  dem 
Zinsbauer  muss  doch  grösser  gewesen  sein.  Hierzulande,  behauptet  ferner 
Palacky,  finden  wir  keine  Spur  von  Verträgen,  wem  die  Kinder  von  Leib- 
eigenen zufallen  sollten,  wenn  Vater  und  Mutter  verschiedenen  Herren 
gehörten,  wie  solche  in  Deutschland  ziemlich  zahlreich  erhalten  sind.  Des- 
gleichen gibt  es,  fährt  Palacky  fort,  in  Böhmens  und  Mährens  Vorzeit  kein 
Beispiel  von  dem  Wergeide,  wodurch  ja  besonders  die  Ständeunterschiede 
bezeichnet  wurden.  Ganz  richtig,  Vertrüge  und  Spuren  des  Wergeides  sind 
uns  nicht  erhalten,  aber  das  beweist  doch  nicht,  dass  es  keine  echte  Leib- 
eigenschaft hier  gab.     In  Polen  sind  uns    auch    keine  derartigen  Verträge 


|42  Literatm'. 

bekannt;  nichtsdestoweniger  bestand  dort  die  Leibeigenschaft  und  dies 
beweisen  unter  Anderem  auch  einige  wenn  nur  wenige  polnische  Urkun- 
den, welche  den  Loskauf  der  Leibeigenen  betreffen  (manumissio).  Spuren 
davon  finden  wir  aber  auch  in  Böhmen  und  zwar  um  nicht  weit  zu  suchen 
in  derselben  Kede,  welche  Cosmas  dem  Herzoge  Bfetislav  in  den  Mund  legt. 
Der  Herzog  sagt  weiter:  et  nequaquam  liceat  ut  pretio  se  redimat. 
Diesen  Worten  liegt  zu  Grunde  die  Idee  von  der  redemptio  de  Servitute.  Und 
wenn  es  in  Polen  eine  regelrechte  Leibeigenschaft  gab,  warum  sollte  die- 
selbe nicht  auch  in  Böhmen  zu  Hause  gewesen  sein.  Somit  können  wir 
unsererseits  an  die  exceptionelle  Stellung  Böhmens  in  Bezug  auf  das  Nicht- 
vorkommen  der  Leibeigenschaft  nicht  glauben.  Wir  befürchten  auch  nicht, 
dass  die  Theorie  verheerend  auf  die  s lavische  Sociologie  einwirken 
könnte.  Eigentlich  behauptet  Peisker  nicht  dasselbe  wie  Palacky.  Er  hat 
sich  von  seinem  Meister  zu  weit  entfernt  und  vorausgewagt,  denn  er 
leugnet  rundweg  jede  Knechtschaft.  Wie  in  vielen  anderen  wichtigen  Fragen 
ist  auch  in  dieser  der  grosse  böhmische  Historiograph  der  Wahrheit  näher 
getreten.  An  der  oben  angeführten  Stelle  sagt  er:  »Die  Leibeigenschaft 
konnte  in  Böhmen  nicht  Wurzel  fassen,  sie  schwand  immer  mehr. «  Besser 
könnten  wir  auch  heute  diese  Frage  nicht  formuliren.  Weder  sein  Patriotis- 
mus noch  seine  Gelehrsamkeit  diktirten  ihm  diese  Worte,  sondern  sein 
historischer  Instinkt.  Er  gerieth  dadurch  in  Widersprach  mit  seiner  offen 
aufgestellten  Theorie,  aber  die  Wahrheit  liegt  latent  in  jenen  Worten.  Die 
Aufgabe  Peiskers  wäre  gewesen  den  Ursachen  dieser  Erscheinung  nachzu- 
gehen und  nachzuweisen,  warum  die  Knechtschaft  in  Böhmen  sich  nicht 
so  stark  entwickelte  wie  in  Deutschland.  Dies  bezieht  sich  auch  auf  Polen. 

Lemberg.  W.  Milkowic. 

Ueber  die  Chronik  Cosmas'  von  Prag.  Von  W.  Regel. 
(Sonderabdruck  aus  dem  Journal  des  russ.  Ministeriums  für  Volksauf- 
klärung in  Petersburg.     1890). 

Die  politischen  und  kirchlichen  Verhältnisse  des  böhmisch-mährischen 
Reiches  der  älteren  Zeit  waren  Gegenstand  oftmaliger  literarischer  Kämpfe 
vornehmlich  zwischen  böhmischen  und  deutschen  Gelehrten.  Auf  böhmischer 
Seite  haben  seit  Dobner  alle  bedeutenden  Historiker  diese  Verhältnisse  mit 
Vorliebe  behandelt,  wie  Palacky,  Hanus,  Dudik,  Komarek,  Kalousek,  Tomek 
u.  a.  Aber  erst  die  „deutsche  Attaque"  rief  eine  für  die  Wissenschaft 
fruchtbare  Thätigkeit  hervor.  Männer  wie  Dümmler,  Wattenbach,  Giese- 
brecht,  Büdinger,  Zeissberg,  und  in  der  allerneuesten  Zeit  Loserth  be- 
schäftigten sich  mit  dem  Gegenstande  in  erschöpfenden  und  scharfsinnigen 
Untersuchungen.  Es  ist  nur  natürlich,  wenn  die  Kritik  immer  mehr  gegen 
den  Vater  der  böhmischen  Geschichte  (Cosmas)  und  dessen  Chronik  ihre 
Angriffe  richtete,  Loserth  namentlich  hat  die  grosse  Abhängigkeit  dieser 
Chronik  von  ihren  Quellen  nachzuweisen  gesucht.  Aber  bei  allen  die  äl- 
tere böhmische  Geschichte  betreffenden  Fragen  handelt  es  sich  nicht  allein 
um  die  richtige  Werthschätzung  dieser  Chronik,  sondern  in  fast  gleichem 
Masse  um  die  Kritik  der  Annalen  und  Privilegien,  besonders  um  die  Echt- 
heit des  für  das  Prager  Bisthum  sehr  wichtigen  Privilegs  v.  J.  1086.  Die 
eine  Partei    suchte  nun  die  Bedeutung    der  Cosmas'schen  Chronik   auf  das 


Literatur.  143 

richtige  Niveau  zurückzuführen  und  verwarf  das  Privileg  von  1086  als 
ein  Spurium.  Die  anderen  vertheidigten  die  Chronik  und  die  Echtheit 
des  genannten  Privilegs.  An  diesem  literarischen  Streit  waren  aber  auch 
andere  Länder  interessirt,  zunächst  Polen.  Wir  übergehen  die  polnischen 
Schriftsteller  der  älteren  Zeit  wie  Bandtkie  und  andere,  welche  gelegent- 
lich auch  diese  Frage  berührten  und  erwähnen  nur  die  einzige  kleine  Ab- 
handlung von  A.  Lewicki  ,,Wratyslaw  IL  Krölem  czeskim"  im  Gymn.  Pro- 
gramm Przemysl  1876,  wenn  sie  auch,  was  ihren  wissenschaftlichen  Werth 
in  unserer  Frage  betrifft ,  kaum  erwähnt  zu  werden  verdient  (vgl. 
auch  die  Kritik  von  Swiezawski  in  Bibl.  Warszawska  1877).  Der  Autor 
stellt  sich  auf  die  Seite  derer,  die  das  Privileg  von   1086   verwerfen. 

Nun  wird  jeder  Eingeweihte  auch  eine  Stimme  aus  dem  russischen 
Lager  gerne  vernehmen,  die  wir  auch  registriren  wollen  (obgleich  sie 
nicht  die  erste  ist)  l),    um  auch    unsere  Bemerkungen    daran  zu    knüpfen. 

Der  Aufsatz  umfasst  83  Seiten  Octav;  es  ist  daher  begreiflich,  dass 
die  Menge  all'  dieser  Fragen,  deren  jede  einen  besonderen  Aufsatz  er- 
heischt, hier  nur  oberflächlich  gestreift  werden  konnte.  Der  Autor  be- 
rührt sie  auch  nacheinander  und  die  übersichtliche  kurze  Zusammenfas- 
sung des  einschlägigen  Materials  sammt  den  reichlichen  Citaten  macht 
diesen  Aufsatz  zu  einem  bequemen  Repertorium.  Zuerst  bespricht  er  den 
mythologischen  Theil  der  in  Cosmas  Chronik  enthaltenen  böhmischen  Ge- 
schichte. Der  Autor  bringt  nichts  Neues,  wiederholt  nur  kurz  das  schon 
Gesagte  und  leider  auch  die  von  Anderen  schon  begangenen  Fehler.  Wir 
sind  nämlich  zunächst  der  Meinung,  dass  man  erstens  versäumt  hat  die 
Vergleichung  aller  Mythen  der  benachbarten  Völker  durchzuführen  und  dass 
ferner  dabei  die  Philologie  vielleicht  das  erste  Wort  zu  sprechen  hätte. 
So  wie  wir  dem  Namen  des  von  Cosmas  genannten  Berges  Rip  keine 
weitere  Bedeutung  beilegen  möchten  als  die  eines  Berges  überhaupt  (hrib 
bedeutet  ja  noch  heute  bei  einigen  westlichen  slavischen  Stämmen  den 
Berg,  wie  es  schon  von  einigen  Gelehrten  hervorgehoben  worden  ist),  so 
möchten  wir  auch  die  Sage  von  Krok  nur  im  Zusammenhange  mit  dem 
ähnlichen  polnischen,  richtiger  kroatischen  Sagenkreise  erklärt  wissen.  Der 
Autor  wie  andere  vor  ihm  waren  bemüht  den  Angaben  des  Cosmas  folgend 
die  genannten  Ortschaften  ausfindig  zu  machen  und  wie  schwer  es  auch 
war,  so  war  man  doch  unermüdlich  in  der  Aufstellung  immer  neuer  Hypo- 
thesen. Wir  für  unseren  Theil  möchten  zuerst  fragen,  ob  die  Angaben 
von  Cosmas  der  Wahrheit  entsprechen  und  nicht  auch  sie  vollständig  in 
das  Fabelreich  gehören.  Zur  Begründung  dessen,  dass  die  bisherige  Rich- 
tung der  Kritik  der  Cosmas-Forscher  in  Bezug  auf  den  mythologischen 
Theil  auf  falscher  Fährte  war,  wollen  wir  ein  Beispiel  anführen  und  zwar 
ein  solches,  welches  augenscheinlich  nicht  verdächtig  sein  kann.  Cosmas 
erzählt  unter  anderm  von  dem  angeblichen  Grabhügel  der  Tochter  Kroks 
Kazi  und  fügt  hinzu:  eius  usque  ho  die  cernitur  tumulus  oder  wenn  er 
von  der  Fussbekleidung  des  Fürsten  Przemysl  spricht,  äussert  er  sich :  et 
servantur  (coturni)  Wissegrad  in  camera  ducis  usque  hodie  et  in 
sempiternum.     Noch    eine  dritte  ähnliche  Stelle    wollen  wir  anführen. 


')  Der  Autor  selbst  hat  darüber  schon  früher  geschrieben. 


^44  Literatur. 

Zu  der  Erzählung  von  dem  Grabhügel  des  Tyr  fügt  er  hinzu :  unde  et  h o  d  i e 
noruinatur  militis  acermni  bustum  Tyr.  (Anklänge  an  Aeneide  Virgils  1.  XII) 
In  allen  diesen  Angaben  erblickt  man  den  historischen  Kern  der  Sage 
und  ruft  topographische  Kenntnisse  zu  Hilfe,  um  diesen  Angaben  Platz  einzu- 
räumen. Und  doch  hat  man  die  fabelnde  Manier  der  mittelalterlichen  Chronisten 
nicht  gehörig  gewürdigt.  Zur  Erklärung  dieser  Stellen  könnten  wir  belehrende 
Beispiele  aus  den  deutschen  Chroniken  anführen,  beschränken  uns  aber  auf 
das  polnische  Gebiet  als  mit  böhmischer  Geschichte  zusammenhängend. 
Eine  ähnliche  Rolle  wie  in  Böhmen  die  Cosmas'schen  Grabhügel  und 
Przernysl'  Fussbedekung  spielten  in  Polen  jene  Insignien,  welche  Otto  III. 
dem  polnischen  Könige  Boleslaw  I.  bei  dessen  Krönung  schenkte,  wie 
die  Vita  s.  Adalberti  und  die  Chronik  des  sogen.  Gallus  erzählen  (ab- 
weichend davon  Dlugosz).  Das  Schwert  des  h.  Mauricius  sollte  nach  der 
Angabe  des  Letzteren  in  der  Kathedrale  zu  Posen  aufbewahrt  gelegen  sein, 
andere  Quellen  berichten  aber :  diese  Insignien  iacent  in  armario  ecclesie 
Cracoviensis  usque  in  hodiernum  diem  ad  memoriam  posterorum  recondita. 
Mon.  Pol.  hist.  IV  365. 

Solche  bestimmte  Angaben  der  Chronisten  geben  gewöhnlich  Ver- 
anlassung zu  Nachforschungen  und  besonderen  Abhandlungen.  Auch  hier 
war  es  der  Fall  (vgl.  Jcibczynski  Wiadamoso  histor.  o  mieczu  przechowanym 
w  archikatedrze  Poznanskiej  w  Roczniku  tow.  n.  pozn.  l).  Ebenso  rief 
auch  die  Geschichte  von  dem  Schwerte  Boleslaw  I.,  szczerbiec  genannt, 
eine  Reihe  von  Aufsätzen  hervor.  Auch  bei  diesen  Angaben  gebrauchen 
die  Quellen  die  Ausdrücke  hodie  servantur,  hodie  monstran- 
tur  etc.,  sie  finden  sich  aber  nur  in  den  jüngeren  Quellen.  Bei  diesen 
Beispielen  möchten  wir  nicht  unbedingt  die  Thatsache  der  Schen- 
kung selbst  bezweifeln,  sondern  das  spätere  Vorhandensein  dieser  In- 
signien und  die  Angabe  des  Aufbewahrungsortes  in  Frage  stellen.  Dass 
die  mit  aller  Bestimmtheit  angeführte  Angabe :  hodie  servatur,  monstratur 
uns  nicht  irreführen  darf,  beweist  zur  Genüge  eine  ähnliche  Stelle  der 
grosspolnischen  Chronik.  In  dem  Capitel ,  worin  die  aus  Deutschland 
nach  Polen  verpflanzte  Waltersage  erzählt  wird,  heisst  es:  huius  itaque 
Helgundae  sepulcrum  in  Castro  Wysliciensi  omnibus  cer- 
nere  cupientibus  in  petra  excisum  usque  ad  praesens  de- 
monstratur  (Mon.  Pol.  h.  II  513).  Könnten  wir  nun  auf  Grund  des 
Gesagten  die  Angaben  Cosmas,  die  man  geschichtlich  verwerthen  wollte, 
ernst  nehmen?  So  spüren  wir  auch,  wenn  wir  die  oben  angefühlten 
Stellen  von  Cosmas  lesen,  nichts  als  den  Hauch  der  Fabel!  Wenn  das 
Alles  wahr  sein  sollte,  was  Cosmas  angibt,  so  fragen  wir,  warum  haben 
denn  die  Cosmas-Forscher  noch  eine  Stelle  seiner  Chronik  nicht  mit  der- 
selben Pietät  untersucht.  Wir  meinen  die  Stelle  lib.  I.  zum  J.  1021,  wo 
von  der  Brautentführung  die  Rede  ist.  Aus  einem  Kloster  entführt  Bfe- 
tislav  gewaltsam  seine  Braut.  Das  Klosterthor  war  mit  einer  Kette  ver- 
sperrt, die  er  nun  mit  seinem  Schwert  durchhaut  haben  soll  und  zwar 
mit  einem  Schlage.  Mox  exempto  gladio,  sagt  er  nun,  ut  festucam  prae- 
cidit  acuto,  quae  usque  hodie  cernitur  Sectio  fortissimi  ictus 
pro  testimonio.  Wir  wissen  zwar  nicht,  ob  Jemand  auch  über  diese 
Stelle  „Untersuchungen"  angestellt  hat,  jedenfalls  aber  verdient  sie  neben 
den  anderen  ähnlichen  auf  gleiche  Linie  gestellt  zu  werden. 


Literatur.  145 

Sogar  die  Stelle  bei  Cosmas:  quae  usque  hodie  in  Pragensi 
ecclesia  honorifice  habentur  et  dicunturparamentas.  Adal- 
b  e  r  t  i,  auf  welche  unser  Autor  besonderes  Gewicht  legen  zu  müssen  glaubt, 
möchten  wir  nicht  so  unbedingt  gelten  lassen.  Es  ist  bekannt,  dass  man 
in  allen  grösseren  Städten  Europas  im  Mittelalter  verschiedene  Reliquien 
zu  zeigen  pflegte,  wie  z.  B.  in  Deutschland  in  Andernach,  Aachen,  Trier, 
Köln  u.  s.  w.,  um  durch  solche  visibilia  signa  das  Volk  beim  Glauben 
fester  zu  halten  und  auch  den  Euhm  der  Metropolen  zu  erhöhen.  Dürfte 
hier  nicht  ein  ähnlicher  Fall  sein? 

Darum  halten  wir  uns  für  berechtigt  zu  sagen,  dass  der  mytho- 
logische Theil  der  Cosmas  Chronik  von  der  Forschung  überhaupt  und  auch 
von  unserem  Autor  nicht  erklärt  worden  ist. 

Hierauf  bespricht  der  Verf.  die  beglaubigte  Geschichte  Böhmens,  die 
er  von  Borivoj  begonnen  wissen  will,  vornehmlich  die  kirchlichen  Verhält- 
nisse in  Böhmen  und  Mähren.  Hier  untersucht  er  besonders  die  Quellen , 
aus  denen  Cosmas  schöpfte.  Ausser  Annales  Fuldenses,  Eegino,  Vita  s. 
Adalberti  führt  er  als  solche  an:  necrologium  bohemicum,  welches  er  für 
einen  Auszug  aus  einem  alten  Necrolog  der  S.  Veit -Kathedrale  hält,  Ca- 
talogi  episcoporum,  die  man  bei  der  Kathedrale  geführt  haben  muss,  und 
Annales.  Unter  diesen  letzteren  nennt  er  Annales  Pragenses,  Ann.  Mo- 
guntini und  polnische  Annalen.  Da  die  Prager  Annalen  eine  Compilation 
aus  dem  13.  Jahrh.  sind,  so  sucht  er  die  alten  Prager  Annalen  zu  re- 
construiren.  Er  stellt  sie  zusammen  aus  den  Ann.  Bohemici,  Mellicenses 
und  aus  den  polnischen  Annalen.  Ferner  reconstruirt  er  die  Mainzer  Com- 
pilationen  nach  Vorgang  von  Waitz,  wobei  der  Autor  nicht  klar  genug 
bei  seiner  Untersuchung  vorgeht.  Denn  wenn  er  glaubt,  dass  z.  B.  die 
Notiz  zum  J.  968  Polonia  cepit  habere  episcopum  oder  zum  J.  1001: 
Poloni  ceperunt  Pragam  .  .  .  und  andere  in  Krakau  entstanden  sind,  so 
möchten  wir  das  entschieden  bezweifeln.  Ebenso  irrt  er,  wenn  er  z.  B. 
die  Notiz  zum  J.  894:  Bofivoy,  dux  bohemorum  baptizatur  a  Methudio 
episcopo  Moraviae  und  andere  als  den  Kern  der  alten  Prager  Annalen  an- 
sieht. In  der  Heimat  pflegt  man  die  Namen  der  Landesfürsten  und  an- 
derer berühmten  Persönlichkeiten  gewöhnlich  ohne  Prädicat  zu  setzen. 
Man  schreibt  daher  in  Polen:  obiit  Dubravka,  obiit  Boleslaus  rex  mag- 
nus  etc.  und  im  Auslande  setzt  man  das  Prädicat  hinzu  z.  B. :  obiit  Bo- 
leslaus dux  Boemorum.  Daher  möchten  wir  solche  Nachrichten  lieber  als 
fremde  betrachten.  Ganz  ähnlicher  Natur  sind  ja  die  Eintragungen  der 
Necrologe.  Nur  von  den  Brüdern  fremder  Häuser  sagt  man  z.  B. :  obiit 
Bi  monachus  domus  s.  Trinitatis,  die  Namen  der  eigenen  Conventualen 
aber  werden  nur  einfach  notirt :  obiit  B.  abbas  oder  o.  M.  monachus,  höch- 
stens setzt  man  hinzu:  domus  huius.  Wir  berühren  diese  Frage,  weil 
auch  andere,  die  sich  mit  der  Untersuchung  der  böhmischen  und  polnischen 
Annalen  befassten,  nicht  vorsichtig  genug  dabei  waren.  Bei  der  Ver- 
gleichung  der  Cosmas-Chronik  mit  jener  Eeginos  führt  er  noch  einige 
Stellen  als  verwandte  an,  welche  Loserth  entgangen  sind,  verwirft  aber  die 
zu  weit  gehende  Skepsis  des  letzteren  besonders  in  Bezug  auf  Stellen, 
welche  über  Boleslav  IL  und  Emma  handeln  und  von  Loserth  als  ganz  der 
Chronik  Eeginos  entnommen  bezeichnet  wurden. 

Sodann  bespricht   unser  Autor   die  kirchlichen  Verhältnisse  Böhmen- 

iüttheilungen  XV.  10 


146 


Literatur. 


Mährens,  die  ursprüngliche  Zugehörigkeit  Böhmens  zu  dem  mährischen 
Bisthum,  die  Gründung  des  Prager  Bisthums,  welche  er  in  das  J.  974 
setzt  und  vertheidigt  die  Echtheit  des  Privilegs  für  das  Prager  Bisthum 
vom  J.  1086.  Ueber  die  Gründungs-Privilegien  der  Prager  Kirche  hat 
der  Autor  früher  schon  eine  Abhandlung  geschrieben ;  als  Vorlage  des  ge- 
nannten Privilegs  bezeichnet  er  das  Privilegium  ecclesiae  Moraviensis  vom 
J.  880  und  lässt  es  983  entstehen.  In  der  Untersuchung  aller  dieser 
Fragen  ist  unser  Autor  wenig  selbstständig;  es  scheint  jedoch,  dass  ihn 
nur  Rücksicht  auf  den  ihm  zu  Gebote  stehenden  Eaum  von  eingehenderer 
Erörterung  zurückhielt.  Darum  sind  auch  seine  Behauptungen  nicht  recht 
motivirt  und  wenig  überzeugend. 

Lemberg.  W.    Milkovic. 


Finke,  Heinrich.  Ungedrnckte  Doniinikanerbriefe. 
Paderborn,  F.  Schöningh,  1891;  8°,  IV  und  176  S. 

Das  Buch  hat  zunächst  wol  als  Quellenpublikation  zu  gelten,  obgleich 
F.  bei  der  blossen  Veröffentlichung  der  Quelle  nicht  stehen  geblieben  ist, 
sondern  in  der  anziehend  geschriebenen  Einleitung  selbst  praktisch  ver- 
deutlicht hat,  wie  reich  die  Ausbeute  ist,  die  sie  zu  gewähren  vermag. 
Gegen  dieses  Verfahren,  das  zwar  von  der  Regel  abweicht,  wird  in  diesem 
Falle  um  so  weniger  etwas  einzuwenden  sein,  als  F.  sich  nicht  darauf  be- 
schränkt hat,  eine  deutsche  Paraphrase  der  oft  recht  widerhaarigen  lateini- 
schen Briefe  zu  bieten,  sondern  sich  bemühte,  durch  Heranziehung  anderer 
Quellen  eine  möglichst  gerundete  Darstellung  der  von  ihm  gewählten  Ver- 
hältnisse und  Personen  zu  geben.  Dies  ist  dem  Verf.  auch  sehr  wol  ge- 
lungen und  ich  finde  an  seinen  Auseinandersetzungen  nichts  zu  berichtigen. 

Ebenso  ist  die  Ausgabe  der  Briefe  selbst  mit  sehr  anerkennens- 
werter Sorgfalt  gemacht  worden.  Namentlich  scheint  mir  die  oft  recht 
schwierige  Frage  der  chronologischen  Bestimmung  der  zahlreichen  undatier- 
ten Briefe  überall  wol  erwogen  und  zutreffend  gelöst.  Deshalb  wird  man 
dem  Verf.  auch  an  jenen  Stellen  Vertrauen  schenken  dürfen,  wo  die 
Gründe  für  einen  von  ihm  gewählten  Ansatz  nicht  angegeben  und  nicht 
leicht  erkennbar  sind  wie  z.  B.  bei  n°  86. 

Mit  den  Verbesserungen  kommt  man  über  Einzelheiten,  und  auch 
deren  sind  es  nur  wenige,  nicht  hinaus.  Unter  dem  Provinzial  in  n°  40 
und  42  kann  nur  Wolfram  verstanden  sein,  den  F.  ohnehin  S.  18  Anm.  2 
als  Vorgänger  Ulrichs  (1272  —  77)  namhaft  macht  und  der  auch  durch 
eine  Urkunde  von  1271  Juli  11  sicher  bezeugt  ist1).  Diese  Urkunde 
konnte  freilich  dem  Verf.  so  wenig  bekannt  sein  wie  die  andern  Urkunden, 
die  aus  dem  erst  im  Druck  befindlichen  zweiten  Band  des  Basler  ÜB.  an- 
geführt werden.  In  n°  84  ist  ziemlich  zweifellos  Heinrich  der  Name  des 
Provinzials,   da  Ulrich  1277  vom  Generalkapitel  nach  Paris  geschickt  wurde, 


')  LB.  Basel  2,  41  n°  73:  iidera  fratres  (Predicatores)  de  voluntate  et  iussu 
fratvis  Wolframmi,  tunc  provincialis  Theutonie,  qui  presens  tunc  temporis  existe- 
bat,  quatuor  librarum  uBualis  monete  redditus  emerunt. 


Berichte.  147 

um  dort  Vorlesungen  zu  halten1),  und  Heinrich  zu  1286  Juni  6  und  18 
als  Provinzial  sicher  nachweisbar  ist  2).  Mit  Rücksicht  auf  den  Stil  möchte 
ich  ihm  auch  noch  den  Brief  n°  85  zuteilen,  während  für  n°  86  Hermann 
wol  richtig  angenommen  sein  dürfte,  dessen  Wahl  durch  die  eben  ange- 
führten Urkunden  von  1286  Juni  auf  die  zweite  Hälfte  dieses  Jahres  ein- 
gegränzt  wird  3). 

Aehnliches  gilt  von  der  Zeitangabe  des  Todes  des  Priors  Ulrich  (F. 
S.  22)  mit  Beziehung  auf  die  Urkunde  von  1277  April  10,  die  ihn  noch 
handelnd  einführt  4). 

In  n°  30  muss  es  mit  Beziehung  auf  den  vorhergehenden  Brief  statt 
Konstanz  richtiger  heissen  Lausanne,  in  Folge  dessen  auch  der  zweite  Teil 
der  Anmerkung  eine  andere  Fassung  erhalten  müsste.  Immerhin  kann 
man  an  dem  von  F.  gewählten  Adressaten  festhalten,  da  er  sich  als  Ordens- 
angehöriger, dessen  Interesse  bei  dem  in  jenen  Briefen  behandelten  Ge- 
genstande leicht  ins  Spiel  kommen  konnte,  von  selbst  empfiehlt. 

In  n°  70  hätte  der  Ausdruck  terminieren,  der  nicht  jedem  Leser 
gleich  verständlich  ist,  billig  durch  »Spenden  sammeln  ersetzt*  werden 
können.  In  n°  25  hiesse  es  statt  »Elekt«  besser  »Erwählter*  und  in 
n°  5  verzichtete  man  gern  auf  das  Wort  »Gleichförmigmachung«.  Unwill- 
kürlich wird  man  dabei  an  Wustmanns  Elegie  auf  die  deutsche  Sprache 
erinnert.  In  n°  24  ist  baldekinus  nicht  bloss  mit  Tuch  zu  übersetzen,  son- 
dern genauer  mit  Altardecke.  In  n°  33  ist  loica  wol  nur  Druckfehler 
für  laico.  Unrichtig  ist  die  Auflösung  des  handschriftlichen  JHS  mit 
Jhesus,  wie  in  n°  105  und  n°  128,  statt  mit  Jesus.  In  n°  102  ist  die 
bloss  urkundliche  Form  Ottenbach  durch  die  moderne  Form  Oetenbach  zu 
ersetzen  5).  Der  in  n°  98  genannte  und  auch  auf  S.  35  angeführte  Kuno 
von  Ygesdorf  ist  wenigstens  an  letzterer  Stelle  jedenfalls  in  einen  Kuno 
von  Jegenstorf 6)  zu  verwandeln  und  der  ebendort  vorkommende  M.  de 
Yfetal  (Yfetai  ist  Druckfehler)  sollte  wenigsiens  im  Register  als  M[arcb- 
wardus]  de  Ifental 7)  erscheinen.  Dieses  Register  ist  überhaupt  sehr 
verunglückt  und  der  Vorwurf  der  Nachlässigkeit  bei  dessen  Herstellung 
kann  dem  Verf.  nicht  erspart  werden.  Statt  einzelne  Korrekturen  anzu- 
bringen halte  ich  es  für  zweckmässiger,  dasselbe  vollständig  u.  zw.  in  der 
vom  Verf.  gewählten  Form  zu  ergänzen  s). 


•)  S.  d.  Anm.  zu  n°  81  S.   104. 

-)  ÜB.  Basel  301  n°  528  und  n°  530:    ego  frater  Henricus  fratrum  onlinis 
Predicatorum  per  Theuthoniam  prior  provincialis  etc. 
s)  Vgl.  Finke  8.  28  Anm.  2. 

4)  ÜB.  Basel  2,  128  n°  223  :  frater  Vlricus  prior  et  servus  fratrum  ordinis 
Predicatorum  per  Theutoniain. 

5)  Vgl.  Eegister  im  ÜB.  Zürich  2  s.  v.  Oetenbach. 

fi)  Vgl.  Register  in  ÜB.  Zürich  2,  und  Fontes  rerum  Bernensium  1  s.  v. 
Jegisdorf  =  Jegenstorf  w.  Burgdorf. 

7)  Ifental  ehemalige  Burg  nw.  Soloturn.  Siehe  ÜB.  Basel  und  Zürich  unter 
Ifental.  Markwart  von  I.  ist  nachweisbar  zu  1279  und  1294  Font.  rer.  Bern. 
3,  270  n°  288  und  3,  583  n°  591. 

s)  Agnes,  Ericis  filia  19.  —  Alemannia  59  A.  159.  —  Alexander  IV. 
36  A.  —  Andreas,  St.  basilica  61  A.  —Argentina  106,  106  A.  149  A.  cives  122; 
conventus  45,  161  A.  prior,  subprior  et  lector  123  A.  s.  auch  Erbo,  Johannes; 
St.  Marx  109  und  nicht  St.  Maria,  das  ganz  zu  entfallen  hat.  —  Augustensis,  Augs- 

10* 


^48  Literatur. 

Dieser  bedauerliche  Mangel  kann  jedoch  den  guten  Eindruck,  den  das 
Buch  im  allgemeinen  macht,  nicht  verwischen,  sondern  man  wird  trotz- 
dem dasselbe  zu  den  erfreulichsten  Erscheinungen  der  historischen  Literatur 
der  zwei  letzten  Jahre  rechnen  dürfen. 

Basel.  R-  Thommen. 


The  Absolution  Formula  of  the  Templars,  von  H.  Ch. 
Lea,  Sonderabdruck  aus  Papers  of  American  Church  Ristory  Society 
Bd.  V,  22  S.  (p.  37—58). 

Eine  Studie  des  bekannten  amerikanischen  Kirchenhistorikers,  des 
Geschichtsschreibers  der  Inquisition,  die  an  einem  einzelnen  Punkt,  in 
Bezug  auf  die  Beicht-  und  Absolutionspraxis  und  -Formel  der  Templer, 
die  Berechtigung  der  gegenüber  dem  Templerorden  vorgebrachten,  in  der 
Bulle  „Faciens  misericordiam«  zusammengestellten  Anklagepunkte  prüft 
(vgl.  Art.  24 — 29  und  wieder  107 — 1 1 1).  Dieser  Punkt,  obgleich  schein- 
bar untergeordneten  Charakters,  ohne  unmittelbaren  Zusammenhang  mit 
dem  Hauptvorwurf  wegen  Ketzerei  und  so  auch  in  das  ursprüngliche  Ver- 
zeichnis der  Anklagepunkte,  das  der  Verhörinstruktion  für  die  Inquisitoren 
zu  Grande  gelegt  wurde,  vom  Sept.  1307  noch  nicht  aufgenommen,  son- 
dern erst  hinterdrein  beigefügt  (warum?  darüber  vgl.  meine  Analyse  der 
Anklageakte  in  »Schuld  oder  Unschuld  des  Templerordens«,  S.  343  ff), 
ist  darum  von  besonderer  Wichtigkeit,  weil  er  das  Verhältniss  des 
Templerordens  zu  der  Entwicklung  d  er  katholischen  Lehre 


bürg  114,  118.  —  Bamberg  s.  Heinricus.  —  Basilea  60,  104;  lector  106.  —  Bela, 
rex  üngariae  18.  —  Bern  28  A.  29,  31,  107;  fratres  31.  —  Bisnntina  provin- 
cia  (Besan9on)  149.  —  Bordeaux.  Generalkapitel  81  A.  —  Brema  s.  Gerhard, 
Hildebold.  —  Chur  30.  —  Clemens  IV.  8  A.  —  Clingental  60  st.  66.  —  Columbaria 
94  A.  100,  106  A.  149,  157;  prior  111.  —  Korinth  41.  —  Cremesa  (Krems)  157. 
Florenzia  4  A.  —  Freiburgensis  lector  ]57  s.  Dietrich.  —  Frisonicuui  lac  137 
st.  127.  —  Gamundia  (Gmünd)  113.  —  Gerhardus,  eps.  Bremensis  62.  —  Gis- 
lingen  =  Geislingen.  —  Hagenowe  (Hagenau )  108  —  110.  —  Hannibaldus  8. 
Annibaldus.  —  Heinricus,  eps.  Bauibergensis  72  A.  —  Herbipolis,  concilium 
92  f.  —  Hermaimus  de  Minda  87—119,  121—128,  157.  —  Hildeboldus,  eps. 
Bremensis  62.  —  Humbertus  149.  —  Jegenstorf  Kuno  von  —  98.  —  Ifental 
M.  de  —  98.  —  Jerusalem  35  A.  —  Iring  25.  —  Johannes  fr.  122  A. ;  de  Alba 
122;  de  Argentina  122  A;  eps.  Lausannensis  28  A.  30;  eps.  Tusculanus  159.  —  Jutta 
19.  —  Lucerna  94.  —  Ludewicus,  rex  Francorum  11  A.  36  A.  —  Ludewicus. 
filius  eiu3  36  A.  —  Martin  IV.  123  A.  —  Mediolnnum,  capitulnm  9,  20  n<>  2  A. 
41.  —  Moguntina  (Mainz)  provincia  123  A.  —  Munio  122  A.  148  A.  —  Nurero- 
berch  s.  Winkler.  —  Otto  14  st.  4.  —  Ottobonus  38  st.  58.  —  Paris  59.  —  Pa- 
taviensis  Klostergründung  40  st.  30.  —  Predicatores  4,  72,  91;  magister  ord.  59; 
prior  provincialis  Teutoniae  94  A.  126,  159;  sorores  4.  —  Prenzlavia  16  A.  — 
Ratispona  117;  cives  142;  begine  et  begarde  142;  sorores  s.  crucis  147.  —  Renus 
156.  —  Roma  103,  148—149  A.  154  A.  Lateran  4;  s.  Clemens,  Martin,  Sixti  60- 
rores.  —  Rostock  71.  —  Scoti  72.  -  Sletstat  161  s.  Hermann  st.  Johannes.  —  Teu- 
tonia  77,  88,  128,  140,  145,  149,  155,  159.  —  Teutonici  fratres  136.  — 
Thidericus  de  Friburg  155  A.  —  Thuricensis  100.  —  Traiecti  s.  H.  —  Viterbo  6.  — 
Ygesdorf.  s.  Jegenstorf.  —  Winkler  Ott  von  Nürnberg  72  A.  —  Wormacia  97. 
—  Zofingen  94,  98,  103.  f.;  prior  106;  plebanus  132.  —  Zülpich  27. 


Literatur.  •  14<) 

in  der  seinem  Sturz  vorausgehenden  Periode,  im  13.  Jahrh.,  besonders 
deutlich  illustrirt.  Es  geschieht  dies,  indem  einerseits  die  Entwicklung 
der  katholischen  Lehre  in  Bezug  auf  Beicht  und  Absolution  im  12.  und 
13.  Jahrhundert,  andererseits  die  templerische  Praxis  auf  Grund  der  ver- 
schiedenen Schichten  ihrer  Regel  wie  der  Zeugenaussagen  aus  dem  Prozesse 
näher  untersucht  und  miteinander  verglichen  wird. 

Das  Ergebnis  ist,  dass  die  Templer,  wenn  sie  auch  keineswegs  bei  der 
Bestimmung  ihrer  ursprünglichen  Kegel  strenge  stehen  geblieben  sind, 
sondern  vor  allem  die  Ausbildung  der  Absolutionstheorie  auch  bei  ihnen 
die  Absolution  im  Capitel  durch  dessen  Vorsitzenden  zu  Gunsten  der 
Privatabsolution  durch  den  Priester  in  den  Hintergrund  gedrängt  hat  u.  zw., 
was  zu  beachten  ist,  auch  hier  sehr  zum  Schaden  der  strengeren  Ordens- 
zucht, daher  von  älteren  Ordensangehörigen  wie  dem  Visitator  von  Frank- 
reich (um  1300)  Geraut  de  Villiers  einmal  bitter  gerügt  (vgl.  die  Aus- 
sage von  Robert  le  Brioys  Mich.  I,  448),  —  doch  dem  Orden  im  all- 
gemeinen nicht,  wie  vielfach  geschehen  ist,  eine  Neigung,  geistig  seiner 
Zeit  vorauszueilen,  sondern  vielmehr  eine  gewisse  Unfähigkeit,  mit  der 
geistig-kirchlichen  Entwicklung  der  Zeit  Schritt  zu  halten,  somit  ein  über- 
triebener Conservatismus  Schuld  zu  geben  ist.  Dies  ist  nichts,  was  einen 
verwundern  könnte,  da,  wie  auch  Lea  bemerkt  (p.  46),  »die  Templer  offen- 
kundig Krieger  und  nicht  Theologen  oder  Kanonisten  waren*,  oder,  wie 
wir  sagen  möchten,  die  Entwicklung  des  Ordens  mit  den  Anforderungen, 
welche  die  Lage  des  hl.  Landes  an  ihn  stellte,  frühzeitig  das  mönchische 
Element  zu  Gunsten  des  militärischen  völlig  in  den  Hintergrund  drängte. 
Hieran  änderte  auch  die  Einführung  eines  eigenen  Ordensklerikats  durch 
die  Bulle  »Omne  datum  Optimum«  nichts,  da  dieser  Ordensklerikat,  wie 
auch  in  dieser  Studie  Leas  wieder  hervorgehoben  wird,  Dank  der  aus- 
drücklichen Vorsorge  des  Ordens  auf  das  innere  Leben  desselben,  die 
Ausbildung  seiner  Verfassung,  so  gut  wie  ohne  Einfluss  und  auch  der  Zahl 
nach  jederzeit  sehr  gering  blieb,  so  z.  B.  weit  hinter  dem  Verhältnis,  das 
im  Hospitaliterorden  bestand,  zurückblieb. 

Das  Ganze  ist  durchaus  im  Einklang  mit  der  Auffassung  von  dem 
Orden  und  seiner  Entwicklung,  die  ich  schon  in  der  in  dieser  Zeitschrift 
erschienenen  Studie  über  die  »Templerregel*  wie  in  meiner  eben  heraus- 
gekommenen »Schuld  oder  Unschuld  des  Templerordens*  zum  Ausdruck 
gebracht  habe  (vgl.  dort  neben  der  Analyse  der  Anklage-Artikel  insbe- 
sondere die  Anmerkung  3  zu  p.  460).  Wie  dort  gesagt  ist,  so  wird  die 
ganze  Rolle,  welche  diesem  Punkt  in  der  Anklageliste  zukommt  und  seine 
Behandlung  in  den  Verhören  (zumal  der  englische  Prozess  dreht  sich  ja 
grossentheils,  in  seiner  zweiten  Phase,  fast  um  nichts  als  um  diese  schein- 
bar minutiöse  Frage)*  verständlich  nur  für  den,  der  daran  denkt,  wie  eben 
während  der  dem  Prozess  vorausgegangenen  Periode  die  Lehre  von  der 
Absolution  des  Priesters,  im  Zusammenhang  mit  der  Transsubstantiations- 
lehre,  ausgebildet  worden  war  und  welche  Rolle  sie  in  den  kirchlichen  und 
politischen  Parteikämpfen  der  jüngsten  Vergangenheit,  zumal  gegenüber 
dem  Kaisertum  gespielt  hatte*.  Die  Kehrseite  davon  ist,  dass,  womit  Lea 
seine  Studie  schliesst  »die  Einfügung  dieser  Anklage  in  die  Bulle  ,Faciens 
misericordiam'  durch  die  Schärfe,  mit  der  dieser  auf  theologische  Subtili- 
täten  aufgebaute  Punkt,    über    den    die    Scholastik    in    ihrer  Debatte  noch 


-[  50  Literatur. 

keineswegs  im  reinen  war,  vorgebracht  und  behandelt  wurde,  das  B  e- 
wusstsein  von  der  Unstichhaltigkeit  der  weiter  gehenden 
Anklagen  verrät«.  L.  Gmelin. 


Franz  Kummer,  Die  Bischofswahlen  in  Deutschland 
zur  Zeit  des  grossen  Schismas  1378 — 1418  vornehmlieh  in 
den  Erzdiözesen  Köln,  Trier  und  Mainz.  Leipzig,  Verlag  v. 
Gustav  Fock,  1892.  8°,  183  S. 

Das  Buch  stellt  sich  die  Aufgabe  zu  untersuchen,  ob  und  in  wel- 
chem Masse  in  Deutschland  der  Niedergang  der  päpstlichen  Macht  während 
des  Schismas  von  den  Kapiteln  einerseits  und  der  weltlichen  Macht  an- 
dererseits benützt  wurde,  um  einen  Theil  des  verlorenen  Einflusses  auf 
die  Besetzung  der  Bischofsstühle  zurückzugewinnen.  Der  Verf.  gelangt  zu 
dem  Ergebnis,  dass  dies  in  einzelnen  Fällen  thatsächlich  glückte,  dass  man 
aber  von  keiner  Seite  zielbewusst  vorgieng,  dass  man  sich  mit  dem  fak- 
tischen Erfolg  in  concreten  Fällen  begnügte,  ohne  eine  Eevision  der 
durch  die  Päpste  des  13.  Jahrh.  und  Johann  XXII.  verrückten  Eechts- 
grundlage  auch  nur  anzustreben,  dass  auch  das  Konstanzer  Concil  dies- 
bezüglich mit  sehr  bescheidenen  Erfolgen  sich  zufrieden  gab. 

K.  gibt  in  einem  einleitenden  Kapitel  eine  gedrängte  Uebersicht  über 
die  Entwicklung  der  Bischofswahlen  vom  Wormser  Concordat  bis  1378, 
(S.  1 — 15),  untersucht  dann  für  die  Zeit  von  1378 — 1418  jede  einzelne 
Wahl  in  jedem  der  drei  rheinischen  Erzbisthümer  und  innerhalb  derselben 
in  jedem  Suffraganbisthum  (S.  16 — 145)  und  fasst  zum  Schluss  die  Er- 
gebnisse in  einer  allgemeinen  Darstellung  (S.  146 — 157)  und  einer  Tabelle 
(S.   160 — 183)  zusammen. 

Die  mit  grossem  Fleiss  durchgeführte  Arbeit  berichtigt  vielfach  die 
Daten  bei  G-ams,  sie  bringt  interessante  Aufschlüsse  über  das  wechselnde 
Obödienzgebiet  der  römischen  und  avignonesischen  Päpste  und  beleuchtet 
das  Interesse  der  päpstlichen  Kammer  an  der  Besetzung  der  Bischofs- 
stühle. 

Minder  gut  ist  die  Darstellung  gerathen;  sie  entbehrt  der  Klarheit. 
Die  leitenden  Gesichtspunkte  verlieren  sich  vielfach  in  unwesentlichem 
Detail,  von  dem  sich  auch  die  zusammenfassende  Darstellung  am  Schluss 
nicht  frei  zu  machen  vermag. 

Ein  Thema  wie  das  von  K.  behandelte,  bietet  nicht  nur  historisches, 
sondern  mindestens  ebensoviel  canonistisches  Interesse.  Der  letztere  Stand- 
punkt ist  nun  bei  K.  entschieden  zu  kurz  gekommen 1),  ohne  dass  ich 
dem  Verf.  daraus    einen    zu    harten  Vorwurf   machen    möchte.     Auch  der 


!)  Hieher  rechne  ich,  um  nur  eine  Einzelheit  zu  erwähnen,  wenn  K.  S.  99 
von  dem  »Cardinalcollegiuui,  in  dessen  Kreise  im  Beisein  des  Papstes  über  die 
Biathumsbesetzungen  berathen  zu  werden  pflegte1,  spricht.  Es  ist  dies  das  Con- 
sistorium,  der  Staatsrath  der  Päpste,  in  dessen  ausschliesslichen  Wirkungskreis 
die  Bisthumsprovisionen    damals   längst    fielen.     Wenn    man  auf  dem  Gebiet  ar- 


Literatur.  151 

zünftige  Canonist  wird  die  Frage  nach  dem  Rückdämmen  des  päpstlichen 
Einflusses  bei  den  Bischofswahlen  nicht  befriedigend  lösen  können,  so  lange 
nicht  die  nothwendige  Vorfrage  nach  der  allmäligen  Ausbildung  des  päpst- 
lichen Provision  srechts  gründlich  beantwortet  ist.  Das  ist  nun  aber  keines- 
wegs der  Fall;  denn  die  Zusammenstellung  bei  Hinschius  (Kirchenrecht 
3,  125  ff.),  auf  die  sich  auch  K.  im  einleitenden  Kapitel  stützt,  gibt 
wohl  allgemeine  Gesichtspunkte,  ist  aber  keineswegs  abschliessend.  Es 
wäre  hoch  an  der  Zeit,  auf  dem  von  Schwemer  (Innocenz  III.  und  die 
deutsche  Kirche  während  des  Thronstreits  von  1198 — 1208,  Strassburg 
1882)  glücklich  und  mit  Geschick  betretenen  Wege  fortzuschi'eiten ;  nur 
dürfte  man  sich  dabei  nicht  mit  den  aus  der  politischen  Geschichte  ge- 
wonnenen Gesichtspunkten  begnügen ;  man  müsste  sich  vielmehr  auch  mit 
der  Fassung  der  päpstlichen  Provisionsbullen  etwas  näher  befreunden  und 
der  allgemeinen  Abforderung  des  Obödienzeides,  sowie  dem  Aufkommen 
des  Zwangs  zur  »visitatio  liminum  apostolorum«  nachgehen.  Das  waren 
ja  doch  die  Mittel,  durch  welche  die  Kurie  den  Episcopat  immer  stärker 
an  sich  fesselte. 

Ist  diese  Frage  einmal  erledigt,  dann  wird  für  das  Weitere  das  Buch 
K.'s  stets  eine  willkommene  Vorarbeit  bilden. 

Wien.  M.  Tangl. 


Otto  Hüttebräuker,  Der  Minoritenorden  zur  Zeit 
des  grossen  Schismas.     Berlin,  Speyer  &  Peters,  1893.  8°,  93  S. 

Die  Schrift  behandelt  die  Entstehung  der  sog.  Observanz  innerhalb 
des  Franciscanerordens.  Johann  de  Valle  gründete  i.  J.  1334  das  erste 
Kloster  dieser  Richtung.  Auf  diese  Gründung  hatte  Angelo  Clarino,  ein 
Führer  der  Spiritualen,  Einfluss  gehabt;  sie  wurde  aber  bald  zerstört. 
1368  nahm  Paolo  de  Trinci  den  Gedanken  wieder  auf.  Von  manchen  Seiten 
wurde  diese  Richtung  begünstigt.  Ein  Gegensatz  zu  der  Mehrheit  des 
Ordens,  der  Communität,  stellte  sich  erst  gegen  das  Ende  des  Jahrhun- 
derts heraus,  nachdem  die  Observanten  schon  viele  Klöster  besassen.  Seit 
1431  hielten  sie  eigene  Generalcapitel  ab,  aber  erst  seit  1461  fanden  auch 
keine  gemeinsamen  Capitel  mehr  statt.  Dies  ist  die  Entwicklung  der  Reform  in 
Italien.  In  Frankreich  entwickelte  sich  dieselbe  ganz  selbständig  und  wurde 
vom  Constanzer  Concile  geschützt.  Auch  in  Spanien  und  Portugal  fand 
diese  Richtung  viele  Anhänger,  während  sie  in  Deutschland  und  England 
sehr  gering  vertreten  war.  Der  Grundsatz  der  Observanten  war  stricte 
Befolgung  der  Regel,  während  die  Spiritualen  hauptsächlich  das  Armuths- 
ideal  hervorgekehrt  hatten.  Auch  waren  die  Observanten  überhaupt  ge- 
mässigter und  hielten  sich  von  joachimitischen  Ideen  fern.  Unter  Sixtus  V. 
trat  die  vollständige  Trennung  ein. 

Im  Anfang  gibt  der  Verf.  eine  Uebersicht  über  die  Verfassung  des 
Ordens  am  Ausgange  des   14.  Jahrh. ;  am  Schlüsse  behandelt  er  die  Stel- 


beitet,  dann  darf  man  einen  derartigen  Begriff  nicht  unischreiben,   sondern  muss 
das  Kind  beim  rechten  Namen  nennen. 


152  Literatur. 

lung  des  Ordens  zu  den  Zeitströmungen.  Das  Ergebnis  ist,  »dass  der 
Orden  durch  seine  innere  Reform  und  die  Verschiebung  seiner  Beziehungen 
zum  Papstthum  einen  gewaltigen  Aufschwung  erfuhr«  (9l)  und  dass  »das 
religiöse  Leben  des  15.  Jahrh.  in  erheblicher  Weise  unter  dem  Eindrucke 
jener  Reform  stand«  (92).  Seite  71  findet  sich  ein  Irrthum  über  Ma- 
thias Döring;  derselbe  war  zur  Zeit  des  Basler  Concils  schon  Provincial 
und  nicht  mehr  Professor  in  Erfurt. 

Melk.  0.  Holzer. 


P.  Albert,  Matthias  Döring,  ein  deutscher  Minorit 
des  15.  Jahrhunderts.  Stuttgart,  Ochs,  1892.    8°,  VIII  und  194  S. 

Eine  gute  Schrift  über  einen  interessanten  Mann. 

Matthias  Döring  wurde  am  Ausgange  des  14.  Jahrh.  zu  Kyritz  in 
der  Mark  Brandenburg  geboren;  frühzeitig  trat  er  in  das  Franziskaner- 
kloster seiner  Vaterstadt.  Im  Jahre  1422  kam  er  an  die  Universität  Er- 
furt; zwei  Jahre  nachher  wurde  er  daselbst  Doctor  und  Professor  der 
Theologie.  Unter  seinen  theologischen  Werken  fand  die  Vertheidigung  der 
Postille  seines  Ordensgenossen  Nicolaus  von  Lyra  die  grösste  Verbreitung. 
1427  wurde  Döring  zum  Provincial  der  sächsischen  Ordensprovinz  ge- 
wählt und  gab  in  Folge  dessen  die  Professur  auf.  1432  wurde  er  als 
Vertreter  seiner  Ordensprovinz  Mitglied  des  Concils  zu  Basel ;  dieses  be- 
traute ihn  im  folgenden  Jahre  mit  einer  Mission  an  den  König  Erich  von 
Dänemark.  Beim  Ausbruch  des  Schismas  schloss  er  sich  an  den  Gegen- 
papst Felix  V.  an  und  wurde  1443  von  der  Partei  seines  Ordens,  die 
Felix  anerkannte,  zum  General  gewählt.  Sechs  Jahre  hindurch  suchte  er 
diese  Würde  zu  behaupten  und  leistete  erst  darauf  Verzicht,  als  Felix  V. 
zurücktrat.  (1449)  1455  nahm  er  theil  an  dem  Generalcapitel  seines 
Ordens  in  Assissi.  1461  wurde  er  auf  sein  dringendes  Verlangen  seines 
Amtes  enthoben;  er  zog  sich  nach  Kyritz  zurück,  wo  er  im  J.  1469  starb. 

Die  vorliegende  Schrift  zerfällt  in  vier  Abschnitte.  Die  beiden  ersten 
enthalten  die  Biographie  Dörings,  der  dritte  behandelt  Döring  als  den 
Fortsetzer  der  Chronik  des  Dietrich  Engelhus,  der  vierte  endlich  ist  der 
Schrift  Confutatio  primatus  papae  gewidmet.  Der  Verfasser  sucht  nämlich 
nachzuweisen,  dass  diese  um  das  Jahr  1443  entstandene  Streitschrift, 
welche  auf  dem  Defensor  pacis  des  Marsilius  von  Padua  beruht,  ein  Werk 
Dörings  sei ;  in  der  That  wird  man  sich  den  Gründen,  die  Albert  anführt, 
nicht  verschliessen  können. 

Das  meiste  Interesse  hat  für  uns  das  Geschichtswerk  Dörings ;  eigent- 
lich sind  es  Memoiren  von  1420 — 1464  reichend.  In  denselben  zeigt 
sich  der  Verfasser  als  heftiger  und  rücksichtsloser  Parteimann.  Wie  er 
in  den  allgemeinen  Angelegenheiten  der  Kirche  unentwegt  zum  Basler 
Concil  und  den  Grundsätzen  desselben  hielt,  so  war  er  innerhalb  seines 
Ordens  ein  standhafter  Vertreter  der  laxeren  Richtung  gegen  die  strenge 
Observanz.  Von  diesem  Standpunkt  ist  das  abfällige  Urtheil  aufzufassen, 
das  er  über  hervorragende  Männer  seiner  Zeit  wie  Julian  Cesarini,  Nicolaus 
v.  Cusa,  Johann  v.  Capistran  fällt.    Ueber  kirchliche  Zustände  äussert  sich 


Literatur.  153 

Döring  mit  grossem  Freimuth,  so  z.  B.  über  das  Ablasswesen  (S.  100), 
mit  welchem,  wie  Albert  hervorhebt  (S.  110),  in  jener  Zeit  allerdings 
mancher  Misbrauch  getrieben  wurde.  Mit  Recht  jedoch  nimmt  der  Verf. 
Döring  in  Schutz  gegen  den  Vorwurf,  den  Woker  erhoben  hat,  dass  der- 
selbe nämlich  von  der  katholischen  Lehre  abgewichen  sei  l) ;  dafür  lässt 
sich  kein  Beweis  erbringen  (S.  lll).  »Matthias  Döring  ist  uns  ein  lehr- 
reiches Beispiel  von  der  Stärke  der  innerhalb  der  Kirche  sich  bewegenden 
oppositionellen  Strömung,  wie  sie  in  Deutschland  noch  vor  der  Mitte  des 
15.  Jahrh.  Platz  gegriffen«  (S.  193).  Insoferne  diese  oppositionelle  Strö- 
mung von  Bedeutung  ist  für  die  Erklärung  der  Reformation,  ist  diese 
Schrift  auch  ein  dankenswerther  Beitrag  zur  Vorgeschichte  derselben. 

Die  einschlägige  Literatur    hat  der  Verfasser    sehr  ausgiebig  benützt. 

Die  Behauptung,  dass  Georg  v.  Podiebrad  eigentlich  Girzick  geheissen 
habe  und  von  geringen  Eltern  gewesen  sei  (S.  101,  Anm.  l),  ist  unrichtig. 
Georg  entstammte  dem  Geschlechte    der    Boczek    (Palacky  Gesch.  Böhmens 

IV,  I,   118  Anm.). 

Melk.  0.    Holzer. 


Beschreibung  des  Oberamts  Ehingen  und  des  Ober- 
amtes Keutlingen.  Herausgegeben  vom  k.  statistischen  Landes- 
amt.    Stuttgart  1893. 

In  den  während  der  Jahre  1824 — 1885  erschienenen  Beschreibungen 
sämmtlicher  württembergischer  Oberämtor  findet  der  Historiker  ein  reiches 
Material  zur  Geschichte  der  einzelnen  Orte  und  Adelsgeschlechter  des 
Königreichs,  sowie  zur  Kulturgeschichte  des  ganzen  Landes.  Die  Fort- 
schritte auf  dem  Gebiete  der  Geschichtswissenschaft,  die  Durchforschung 
des  geh.  Haus-  und  Staatsarchivs  in  Stuttgart,  sowie  der  meisten  Stadt- 
archive bewirkten  es,  dass  die  älteren  dieser  Oberamtsbeschreibungen  ver- 
alteten und  eine  neue  Bearbeitung  derselben  der  Wunsch  aller  Geschichts- 
freunde wurde  Das  kgl.  Statistische  Landesamt  ist  nunmehr  diesem 
Wunsche  entgegengekommen  und  hat  die  1826  und  1824  erschienenen 
Beschreibungen  der  Oberämter  Ehingen  und  Reutlingen  in  zweiter  Folge 
zur  Ausgabe  gebracht. 

Es  sind  zwei  gar  verschiedene  Arbeiten,  welche  in  diesen  neuen 
Oberamtsbeschreibungen  den  Freunden  vaterländischer  Geschichte  geboten 
wurden.  Während  die  Beschreibung  des  Oberamts  Ehingen  für  ihren 
historischen  Theil  in  Julius  Hartmann  einen  trefflichen  Bearbeiter  fand, 
haben  am  historischen  Theil  der  Oberamtsbeschreibung  Reutlingen  nicht 
weniger  als  2 1  Mitarbeiter  mitgewirkt.  Die  natürliche  Folge  hiervon  war, 
dass,  während  die  Oberamtsbeschreibung  Ehingen  ein  gediegenes  Werk  aus 
einem  Guss  ist,  die  Oberamtsbeschreihung  Reutlingen  neben  einigen  treff- 
lichen Arbeiten  auch  recht  mittelmässige  Leistungen  enthält  und  es  allein 
den  Bemühungen  Paul  v.  Stalins,  des  Referenten  für  den  geschichtlichen 
Theil,  zu  danken  ist,  dass  der  Eindruck,  den  der  Leser  von  dieser  Ober- 
amtsbeschreibung  erhält,  nicht  ein  ganz  unbefriedigender  ist. 

')  Pastor  Gesch.  der  Päpste  1,  361  Anm.  1  eignet  sich  das  Urtheil  Wokers  an. 


154  Literatur. 

Es  sei  gestattet,  das  bisher  Gesagte  weiter  auszuführen.  Am  meisten 
Interesse  erweckt  natürlich  die  Geschichte  Reutlingens,  der  alten  Reichs- 
stadt; um  so  mehr  ist  es  zu  bedauern,  dass  das,  was  die  neue  Oberamts- 
beschreibung hierüber  bietet,  im  Grossen  und  Ganzen  ein  Auszug  aus 
Gayler's  1840  erschienenen  Denkwürdigkeiten  der  ehemaligen  freien  Reichs- 
stadt Reutlingen  ist,  indem  der  Bearbeiter  es  verschmäht  hat,  die  reichen 
Schätze  des  Stuttgarter  Staatsarchivs  und  der  drei  Reutlinger  Archive  (des 
Stadtarchivs,  Kirchenpflege-  und  Armenpflegearchivs)  einer  gründlichen  Durch- 
forschung zu  unterziehen.  Hätte  er  die>  gethan,  so  wären  von  ihm  nicht 
wichtige  Punkte  in  Reutlingens  Geschichte  übersehen  worden.  So  weiss 
er  z.  B.  nichts  von  den  im  Jahre  1748  und  1749  vorgefallenen  Unruhen. 
1 1  Zunftmeister  wurden  damals  von  ihren  Zünften  gewaltsam  abgesetzt, 
desgleichen  am  »Bürgermeistertag*  sieben  Rathsherren,  denen  man  zu 
grosse  Nachgiebigkeit  gegen  gewisse  Forderungen  der  benachbarten,  würt- 
tembergischen Orte  vorwarf.  Erst  das  Einrücken  von  330  Mann  schwäbi- 
scher Kreismiliz  stellte  die  Ruhe  wieder  her.  Ferner  kennt  derselbe  nicht 
Reutlingens  Fehde  mit  dem  aus  dem  Armagnakenkrieg  her  bekaunten 
Hans  von  Rechberg  von  Hohen-Rechberg.  Im  Jahre  1454  raubte  derselbe 
dem  Reutlinger  Spital  etliches  Vieh  und  um  dieselbe  Zeit  verwüstete  er 
das  dem  Reutlinger  Bürgermeister  Becht  gehörige  Dorf  Mähringen.  Des- 
halb klagten  dann  Reutlingen  und  die  mit  ihm  verbündeten  Städte  beim 
Kaiser.  Grund  der  Fehde  war  übrigens,  dass  Hans  einen  Widersacher  der 
Städte,  Heinrich  von  Isanburg  in  sein  Schloss  aufgenommen  hatte.  Hier 
sei  auch  noch  bemerkt,  dass  die  O.-A.-Beschreibung  S.  2011  die  irrige 
Angabe  1499  als  Todesjahr  des  Hans  von  Rechberg  (statt  13.  Nov.  1464), 
welche  sich  im  grossen  Rittersaal  des  Schlosses  Lichtenstein  findet,  wieder- 
giebt,  ohne  auf  deren  Unrichtigknit  hinzuweisen,  (der  1499  t  Hans  von 
Rechberg  zu  Ravenstein  ist  nicht  der  gefeierte  Kriegsheld).  Uebrigens 
rufen  auch  manche  neue  Aufstellungen  in  dieser  Geschichte  Reutlingens 
grosse  Bedenken  hervor.  Schwerlich  gieng  die  Gründung  der  Stadt  von 
den  Grafen  von  Achalm  aus,  welche  erst  seit  1024/1039  in  den  Besitz  der 
Burg,  nach  der  sie  sich  nannten,  gelangten.  Ein  um  1030  gegründetes 
Dorf  wird  nicht  leicht  schon  um  1210,  d.  h.  nach  180  Jahren  städtische 
Freiheiten  erlangt  haben.  Ein  so  rapides  Wachsthum  von  Ortschaften 
kennt  das  Mittelalter  nicht,  sondern  erst  die  Neuzeit,  namentlich  in  Amerika. 
Reutlingen  wird  vielmehr,  begünstigt  durch  seine  Lage,  schon  frühzeitig 
als  Dorf  bestanden  haben.  Ebenso  beweist  eine  Registraturbemerkung, 
welche  von  einer  Mariencapelle,  gelegen  im  Marchthaler  Hof,  redet,  nichts 
gegen  G.  Bosserts  scharfsinnige  Annahme,  dass  die  Mariencapelle,  welche 
von  dem  Kloster  Marchthal  erbaut  wurde  und  demselben  reiche  Einkünfte 
verschaffe,  die  spätere  Marienkirche  sei.  Dem  Registratur  waren  eben 
einfach  Marchthals  Beziehungen  zur  Marienkirche  unbekannt.  Für  das 
Vorhandensein  solcher  Beziehungen  spricht  u.  a.,  dass  1339  Pfaff  Albrecht 
der  Munche  (d.  h.  offenbar  ein  Marchthaler  Mönch)  Pfleger  »unser  Frawen 
Kelhun«  war,  sowie  die  Analogie  von  Schwäbisch  Hall,  wo  das  Stift  Kom- 
burg  das  Patronat  hatte. 

Am  meisten  hat  unter  der  fehlenden,  gründlichen,  urkundlichen 
Forschung  die  Geschichte  Reutlingens  im  14.  Jahrh.  gelitten.  Der  Verf. 
hat  es  verschmäht,  die  gleichzeitige  Geschichte  anderer  schwäbischer  Reichs- 


Literatur.  155 

städte  gründlich  zu  durchforschen,  aus  derselben  Analogien  für  Reutlingen 
abzuleiten  und  für  letztere  an  einzelnen  urkundlichen  Angaben  Stützpunkte 
zu  gewinnen.  Die  Thatsache,  dass  unter  König  Adolf  von  Nassau  der 
königliche  Vogt  von  Reutlingen  nicht  mehr  genannt  wird,  das  Schult- 
heissenamt  nicht,  wie  bisher  mit  Gliedern  patrizischer  Familien,  sondern 
1294  mit  Freiherr  Rumpold  von  Greiffenstein  besetzt  und  zum  ersten  Male 
1294  ein  Bürgermeister  namens  B  echt  genannt  wird,  deutet  entschieden  auf 
eine  Aenderung  der  städtischen  Verfassung  und  zwar  zu  Gunsten  der  Zünfte 
hin,  welche,  wie  auch  anderswo,  lieber  zum  Schultheissen  einen  Landadligen  als 
einen  Patrizier  wollten.  Wenn  dann  unter  König  Adolfs  energischerem  Nach- 
folger Albrecht  I.  als  Schultheiss  wieder  ein  Patrizier  Rüdiger  Bondorfer 
1302  erscheint,  auch  der  1297  genannten  8  Zunftmeister  nicht  mehr  Er- 
wähnung geschieht,  so  ist  man  doch  wohl  berechtigt,  eine  Wiederherstel- 
lung der  patricischen  Verfassung  anzunehmen.  Diese  wird  sich  bestimmt 
so  lange  behauptet  haben,  als  Reutlingen  zu  den  Anhängern  Friedrichs 
des  Schönen,  dem  die  ritterbürtigen  Patricier  besonders  zugeneigt  waren, 
zählte.  Zwischen  April  und  November  1330  trat  dann  die  Stadt  zu  Lud- 
wig den  Bayern  über,  welcher  vielfach  die  durch  die  Zünfte  ins  Leben 
gerufene  Ordnung  begünstigte.  Auch  in  Reutlingen  scheint  das  patricische 
Regiment  zum  zweiten  Male  beseitigt  worden  zu  sein,  übrigens  blieb  dem 
patricischen  Element  wohl  in  Folge  eines  Compromisses  zwischen  beiden 
Parteien  in  der  am  12.  December  1342  vom  Kaiser  bestätigten  Verfassung 
ein  erheblicher  Einfiuss  eingeräumt.  Ueber  alle  diese  Verfassungskämpfe 
geht  der  Verfasser  der  Geschichte  Reutlingens  einfach  stillschweigend  hinweg. 
Noch  manches  andere  könnte  man  zur  Geschichte  Reutlingens  nach- 
tragen, was  dem  Verfasser  bei  ernstlichem  Willen,  auch  die  urkundlichen 
Schätze  hervorzuziehen,  sicher  nicht  entgangen  wäre.  So  sei  noch  bemerkt, 
dass  auf  die  Reutlinger  Reichssteuer  1323  Johann  von  Bernhausen  und  Herr- 
mann von  Haldenberg  1360  Graf  Rudolf  von  Hohenberg  angewiesen  wurden. 
Ist  somit  die  Geschichte  Reutlingens  ein  nach  manchen  Seiten  hin  misslun- 
gener  Theil  der  Oberamtsbeschreibung,  so  zählt  dagegen  die  geschichtliche 
Entwicklung  des  Gewerbes  im  Bezirk  zu  den  besten  Parthien  des  Werks, 
an  der  wenig  auszusetzen  ist,  höchstens  nachzutragen,  dass  1509  Abt  Georg 
von  Zwifalten  dem  Papierer  Jacob  Hirter  gestattete,  eines  der  drei  Räder 
der  dem  Kloster  gehörigen  Schleifmühle  in  eine  Papiermühle  umzuwandeln. 
Auch  kommt  schon  1367  ein  Grautucher- Zunftmeister  vor,  uud  irrt  daher 
die  Oberamtsheschreibung  I,  278,  die  die  Tucherzunft  erst  nach  der  Re- 
formation erscheinen  lässt.  Ebenso  ist  der  Abschnitt:  »hervorragende 
Männer  aus  dem  Bezirk«  eine  fleissige,  gründliche  Arbeit.  Nur  ver- 
misst  man  Johannes  Ruperti ,  geboren  in  Pfullingen ,  welcher  nach 
Sulger  II,  6,  im  Jahre  1393  Abt  von  Zwiefalten  wurde  und  am  10.  Okt. 
1398  starb,  und  Nikolaus  Schradin  (t  um  1531),  welcher  nach  E.  v.  Mü- 
linen  Prodomus  einer  schweizerischen  Historiographie  S.  124,  aus  Reut- 
lingen stammte.  Auch  fehlt  bei  Jakob  Noa  Epp  (l.  496)  das  Geburts- 
datum (geb.  22.  Mai  1808)  und  Todesdatum  (t  8.  Nov.  1884  in  Stutt- 
gart), und  hätte  citirt  werden  müssen  »der  Muselmann  aus  Schwaben, 
Reutlingen  bei  B.  G.  Kurz,  1831*.  Hans  Staygmayer  ist  nicht,  wie  I,  483 
angenommmen  wird,  eine  fingirte  Persönlichkeit,  sondern  erscheint  urkund- 
lich  1486  als  Hennslin  Staygmayer  der  Beck. 


156  Literatur. 

Von  den  Ortsbeschreibungen  nehmen  diejenigen  von  Pfullingen,  Go- 
maringen,  Betzingen,  Ohmenhausen,  Wannweil,  Genkingen,  Gross-  und 
Kleinengstingen,  Holzelfingen,  Undingen  und  Willmandingen,  welche  alle 
auf  gründlichen  archivalischen  Forschungen  beruhen,  eine  hervorragende 
Stelle  ein  und  bleibt  nur  weniges  zu  denselben  zu  bemerken.  Die  älteren 
Herren  von  Pfullingen  sind  gewiss  nicht,  wie  1.  472  behauptet  wird, 
eines  Stammes  mit  dem  Geschlecht  von  Pfullingen,  das  einen  Skorpion 
(oder  Krebs)  im  Wappen  führte.  Vielmehr  beweist  der  Umstand,  dass 
Walter  von  Pfullingen,  der  zu  den  älteren  Herren  von  Pfullingen  gehörte, 
das  gleiche  Wappen  mit  den  Remp  von  Pfullingen  führte,  dass  die  älteren 
Herren  von  Pfullingen  und  die  Rempen  eines  Stammes  sind,  wofür  auch 
die  gemeinsamen  Vornamen  (Burkhard  und  Walter)  sprechen.  Zur  Orts- 
beschreibung von  Ohmenhausen  ist  nachzutragen,  dass  1385  Mäcz  die 
Umenhuserin  Bürgerin  in  Bottenburg  am  Neckar  war  und  dass  ein  Ge- 
schlecht Ohmenhäuser  noch  heute  in  Weil  im  Schönbuch  fortblüht,  wohl 
die  Nachkommen  des  1415  zu  Breitenstein  (O.-A.  Böblingen)  genannten 
Benz  Umenhuser.  Bei  Gross-  und  Kleinengstingen  ist  noch  zu  bemerken, 
dass  am  29.  August  1312  ein  Heinrich  Engstinger  als  Bürger  in  Tübin- 
gen genannt  wird.  Gross-Engstigen  gelangte  wohl  erst  durch  Bertold  an 
Neuffen  Grafen  von  Achalm,  der  noch  daselbst  richterliche  Gewalt  aus- 
übte, zwischen  1198 — 1219  an  den  Bischof  von  Chur.  Auch  war  Kloster 
Weissenau  in  Gross-,  nicht  Klein-Engstingeu  begütert.  Aus  Holzelfingen 
stammte  auch  einer  der  Pioniere  des  Deutschtums  in  Kamerun,  der  Lehrer 
Friedrich  Flad,  geb.  26.  Aug.  1866,  gestorben  Januar  1891  (vgl.  Württ. 
Generalanzeiger,   12.  Februar   1891,  Nr.  35   S.   1  —  2). 

Nicht  weniger,  als  jene  10  resp.  11  Ortsbeschreibungen,  sind  gelun- 
gen die  Geschichten  der  Herren  von  Lichtenstein  und  von  Greiffenstein. 
Nur  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  nicht  nur  die  Herren  von  Höllstein, 
sondern  auch  die  Herren  von  Meldungen  eines  Stammes  mit  den  Herren 
von  Lichtenstein  waren ,  und  dass  Freiherr  Ludwig  von  Greiffenstein 
11.  Mai  1495   starb. 

Weniger  befriedigt  wird  der  geschichtskundige  Leser  sein  von  der  Be- 
schreibung und  Geschichte  der  übrigen  Orte  des  Oberamts,  unter  welchen  die 
von  Ober-  und  Unterhausen  entschieden  die  beste  ist ,  wenngleich 
Verwechslungen  mit  dem  Zollernschen  Hausen  sehr  nahe  liegen.  Wenn 
trotz  der  geringen  Beachtung,  welche  die  Bearbeiter  dieser  Ortsbeschreibun- 
gen, mit  Ausnahme  dessen  von  Ober-  und  Unterhausen,  dem  urkundlichen,  in 
den  Archiven  aufgespeicherten  Material  geschenkt  haben,  der  Leser  dennoch 
gar  manches  neues  findet,  so  ist  dies  ohne  Zweifel  das  Verdienst  Paul 
v.  Stalins,  dessen  kundige  Hand  ergänzte,  wo  irgend  zu  ergänzen  ihm 
möglich  war. 

Wie  ganz  anders  tritt  die  Oberamtsbeschreibuug  Ehingen  dem  Leser 
entgegen!  Nicht  nur  wurden  benutzt  das  Stuttgarter  Archiv  und  manche 
Privatarchive,  auch  die  einschlägige  Literatur  wurde  fleissig  herangezogen. 
Dabei  zeichnet  sich  die  Arbeit  durch  Uebersichtlichkeit  und  Klarheit  aus 
und  hat  der  Verfasser  es  verstanden,  gegenüber  den  confessionellen  Con- 
flicten,  unter  denen  dieser  Bezirk  so  schwer  gelitten  hat,  strengste  Ob- 
jectivität  zu  bewahren.  Nur  Weniges  ist  nachzutragen.  Bei  der  Erwäh- 
nung der  Harscher  von  Allmendingen  hätte  auch  das  hervorragendste  Glied 


Literatur.  157 

dieser  Familie  genannt  werden  können.  Es  war  dies  der  um  den  24.  Juni 
1475  gestorbene  Hans  Harscher,  Kath  des  württ.  Hofes,  dessen  Grabdenk- 
mal in  Urach  stand  und  dem  man  nachrühmte :  » ein  hartnäckiger,  gestrenger 
Herr,  wankte  er  niemals  in  seinen  Beschlüssen  aus  Furcht,  oder  irgend 
einer  andern,  weniger  gerechten  Ursache.  Nie  ergriff  ihn  Verzagtheit.  *  Doch 
mag  eben  die  knappe,  concise  Form,  deren  Julius  Hartmann  sich  bei  der 
Oberamtsbeschreibung  befleissigte,  Grund  gewesen  sein,  dass  er » dieses 
Mannes  Namen  nicht  erwähnte.  Unter  den  aus  Ehingen  stammenden  geist- 
lichen Würdenträgern  sei  noch  nachzutragen  Walter  von  Ehingen,  Guardian 
der  Barfüsser  in  Reutlingen  (1277). 

Trotz  dieser  —  übrigens  ganz  unbedeutenden  —  Ausstellungen,  bleibt 
die  neue  Oberamtsbeschreibung  Ehingen  eine  schöne  Bereicherung  der  ge- 
schichtlichen Literatur.  Falls  man  auch  die  andern  Oberamtsbescheibungen 
in  gleich  trefflicher  Weise  einer  Umarbeitung  unterzieht  und  man  nicht 
in  den  bei  der  Oberamtsbeschreibung  Eeutlingen  gemachten  Fehler  ver- 
fällt, zu  viele  Mitarbeiter  heranzuziehen,  sondern,  wie  bei  Ehingen,  die 
Arbeit  einer  einzigen,  tüchtigen  Hand  anvertraut,  wird  das  Erscheinen 
eines  jeden  neuen  Bandes  mit  Freuden  begrüsst  werden  und  dem  Würt- 
temberger Lande  der  Ruhm  erhalten  bleiben,  in  seinen  Oberamtsbeschrei- 
bungen etwas  zu  besitzen,  um  was  das  Ausland  es  beneidet. 

Stuttgart.  Th.  Schön. 


Herbert,  Der  Haushalt  Hermannstadts  zur  Zeit 
Karls  VI.,  im  Archiv  des  Vereines  für  siebenbürgische  Landeskunde. 
Neue  Folge.     Band  24  (Jhrg.  1892)  Seite  83—229  und  438—518. 

Selten  dürfte  heutzutage  Jemand,  der  den  Beruf  zu  einer  historischen 
Publication  fühlt,  so  unvorbereitet  und  ungeschickt  an  die  Arbeit  gehen, 
als  der  Verfasser  vorliegender  Abhandlung.  Nicht  schulmässig  erlernte 
Kritik  ist  es,  die  man  an  dem  Verfasser  allein  vermisst,  sondern  das 
nothwendigste  Verständnis.  Wenn  es  heute  als  pädagogisch  feststehend  an- 
zunehmen ist,  dass  man  bei  Betrachtung  von  Zuständen  und  Einrichtun- 
gen der  Vergangenheit  von  der  Gegenwart,  über  die  man  sich  doch  volle 
Klarheit  verschaffen  kann,  ausgeht,  ein  Grundsatz  der  beispielsweise  beim 
geographischen  Unterrichte  —  wo  es  sich  zwar  nicht  um  Vergangenes  und 
Gegenwärtiges  sondern  um  Ferner-  und  Näherliegendes  handelt  —  damit 
befolgt  wird,  dass  man  nicht  wie  einst  mit  den  fremden  Weltteilen,  sondern 
mit  der  Karte  des  Ortes,  wo  sich  die  Schule  befindet,  beginnt;  so  kann 
man  wol  erwarten,  dass  der  Verfasser,  als  er  daran  gieng  den  Stadthaus- 
halt Hermannstadts  im  18.  Jahrhundert  zu  erforschen,  sich  zur  Orien- 
tierung zunächst  mit  dem  des  vergangenen  Jahres  beschäftigt  hätte,  wo- 
bei er  vor  allem  den  Gesichtspunkt  gewonnen  hätte ,  dass  es  sich 
bei  Feststellung  eines  Gemeindehaushalts  doch  zunächst  und  in  erster 
Linie  um  die  ordentlichen,  gewöhnlichen  mit  dem  Wesen  eines 
städtischen  Gemeindewesens  in  organischem  Zusammenhange  stehenden 
Bedürfnisse  und  deren  Befriedigung  und  die  Thätigkeit  der  mit 
der  Durchführung  der  aus  denselben  sich  ergebenden  Einnahmen  und 
Ausgaben  betrauten  Gemeinde-Fachorgane    und  nicht  um  das    ausser- 


158  Literatur. 

ordentliche,  nur  durch  bestimmte  zufällige  Verhältnisse  veranlasste 
handelt. 

Um  auf  den  vorliegenden  Fall  zu  kommen  hätte  in  einer  Einleitung 
die  staatsrechtliche  Stellung  Hermannstadts  im  Rahmen  der  politischen 
Verhältnisse  kurz  erörtert,  die  Organisation  der  Stadtverwaltung  nament- 
lich mit  Rücksicht  auf  die  Finanzverwaltung  erläutert  und  in  Folge  dessen 
die  Stellung  des  »  Stadthannen«,  des  obersten  Wirtschaftsbeamten  in  den  Vor- 
dergrund gestellt  werden  müssen.  Wie  zu  erwarten,  nahmen  in  der  That  auch 
die  Stadthannen-Rechnungen,  die  schon  um  das  Jahr  1350  beginnen,  den  ersten 
Platz  unter  den  im  städtischen  Archive  befindlichen  Rechnungen  ein 
(Zimmermann,  Das  Archiv  der  Stadt  Hermannstadt,  6  7  ff).  Die  staats- 
rechtliche Grundlage  für  das  gesammte  politische  Leben  in  Siebenbürgen 
für  die  Zeit,  die  Gegenstand  der  Betrachtung  ist,  ist  das  Leopoldinische 
Diplom  vom  4.  Dezember  1691,  der  Staatsgrundvertrag  zwischen  Sieben- 
bürgen und  Oesterreich,  der  von  den  nachfolgenden  Fürsten  dieses  Hauses 
bei  dem  Antritt  ihrer  Regierung  vor  der  Huldigung  der  Stände  immer 
feierlich  beschworen  wurde  (Hauptinhalt  dieses  Diploms  in  Teutsch,  Ge- 
schichte der  Siebenbürger  Sachsen  1.  Auflage  1858,  627).  An  der  Spitze 
der  Stadtverwaltung  in  Hermannstadt  stand  der  Bürgermeister,  die  beiden 
wichtigsten  Aemter  neben  demselben  waren  das  des  Stuhlrichters  und  das 
des  Stadthannen  (Villicat);  die  Besetzung  dieser  Aemter  erfolgte  durch 
Wahl  der  Communität  aus  den  Mitgliedern  des  Senats  auf  dem  Rathause. 
(Den  Vorgang  bei  den  Wahlen  am  4.  Januar  1721  schildert  Herbert  im 
Archiv  N.  F.  17,  354).  Die  Communität  oder  Hundertschaft,  nicht  auf  die 
Zahl  von  100  beschränkt,  war  ein  äusserer  Rath,  der  bei  Abgängen  durch 
den  1 2gliedrigen  inneren  Rath  (senatus  oder  magistratus)  aus  der  Bür- 
gerschaft ergänzt  wurde.  Der  innere  Rath  ergänzte  sich  durch  Cooptirung. 
Statt  solcher  wenigstens  in  den  allgemeinsten  Grundzügen  orientirender 
Angaben  beginnt  die  vorliegende  Abhandlung  mit  den  Bürgermeister- 
Rechnungen  *),  welche,  wie  ich  aus  dem  Verzeichnisse  der  Archivalien 
ersehe  und  wie  zu  erwarten  ist  gar  nicht  existieren,  sondern  aus  den 
Rathsprotokollen  construirt  sind,  und  zwar  beginnend  mit  den  Ausgaben, 
die  ohne  Motivirung  eines  Einteilungsgrundes  willkürlich  in  12  Gruppen 
zusammen gefasst  sind.  Nach  11  Zeilen  »dieser«  Einleitung  beginnt  der 
Gegenstand  mit  Titel  »I.  Die  landesfürstlichen  Steuern«  also  einer 
Ausgabe,  die  nicht  aus  den  zunächst  liegenden  inneren  Bedürfnissen  des 
Gemeinwesens,  sondern  aus  dessen  staatsrechtlicher  Stellung  zur  Provinz 
und  zum  Reiche  entspringt,  wogegen  die  Hauptsache,  die  Rechnungen 
des  Stadthannen  erst  auf  Seite  438  als  eine  Art  Annex  folgen. 

Nachdem  ich  auf  das  völlig  Verkehrte  der  Disposition,  wie  ich  glaube, 
hinlänglich  hingewiesen,  bleibe  kurz  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass 
die  Behandlung  des  Einzelnen  ganz  auf  der  Tiefe  der  Grund  einteil  ung 
steht.  Statt  das  Material  in  Tabellen  zusammenzufassen,  die  erläutert 
werden,  reihen  sich  Rechnungs-Excerpte  endlos  in  erzählender  Form.  Stücke 


l)  Der  Bürgermeister  als  Finanzorgan !  etwa  sowie  der  Minister-Präsident, 
insoferne  er  das  oberste  Organ  der  ganzen  Verwaltung  ist,  was  ja  auf  alle  Ressorts 
ausgedehnt  werden  kann  und  man  dann  nur  mehr  von  der  Thätigkeit  eines  Ein- 
zigen sprechen  müsste. 


Literatur.  159 

aus  lateinischen  Acten  bilden  die  Nachsätze  deutscher  Vordersätze.  Unter 
»Ertrag  des  Stadtbräuhauses*  gehen  die  Acten  gleich  selbst  in  den  Text 
über  (Seite  219  bis   233)  und  so  fort. 

Hätte  diese  Publication  nur  localhistorisches  Interesse  für  Vereins- 
mitglieder eines  hist.  Vereins,  brauchte  man  sich  über  den  Geschmack  der- 
selben den  Kopf  nicht  zu  zerbrechen ;  die  Arbeit,  natürlich  in  anderer  Art 
durchgeführt,  könnte  aber  ein  wertvoller  Baustein  für  vergleichende  Finanz- 
geschichte sein  und  von  diesem  Standpunkt  ist  zu  bedauern,  wenn  der 
Autor  seinen  Excerpierfleiss  nicht  einer  besseren  Einsicht  unterordnet  und 
nur  mit  grösster  Mühe  Brauchbares  mit  riesiger  Papierverschwendung  zu 
Tage  schafft.  K.  Schalk. 


Jahrbuch  der  kunsthistorischen  Sammlungen  des 
Allerhöchsten  Kaiserhauses,  herausgegeben  unter  Leitung  des 
Oberstkämmerers  Sr.  k.  u.  k.  apost.  Majestät  Ferdinand  Grafen  zu 
Trauttmansdorff- Weinsberg  vom  Oberstkämmerer- Amte.  (Redacteur: 
Dr.  Heinrich  Zimerrnan).  Vierzehnter  Band.  Mit  41  Tafeln  und 
174  Textillustrationen.  Prag,  Wien,  Leipzig.  F.  Tempsky  und  G.  Freytag 
1893.  392  und  CCLXII  S.  4°. 

Seit  die  Mittheilungen  des  Institutes  im  9.  Bande  S.  153 — 157  eine 
Besprechung  der  Bände  V — VIII  des  Jahrbuches  von  Fr.  Wickhoff  gebracht 
haben,  sind  weitere  fünf  Bände  (IX — XIV)  dieser  einzig  dastehenden  vor- 
nehmen Publikation  erschienen.  Indem  Eef.  heute  nur  den  für  das  Jahr  1893 
herausgegebenen  XIV.  Band  zur  Anzeige  bringt,  behält  er  sich  vor;  in 
einem  der  nächsten  Hefte  auch  auf  den  Inhalt  der  früheren  Bände  in  Kürze 
zurückzukommen. 

Der  Löwenantheil  am  1.  Theile  dieses  Jahrganges  fällt  der  Malerei  zu, 
da  vier  Abhandlungen  ausschliesslich  und  eine  noch  zum  Theile  mit  Kunst- 
werken der  Malerei  sich  beschäftigen,  während  zwei  weitere  Abhandlungen 
kunstindustriellen  Erzeugnissen  gewidmet  sind  und  ein  Aufsatz  ganz  und 
ein  anderer  zum  Theile  mit  Gegenständen  der  kleinen  Plastik  sich  befassen. 

Chronologisch  vorgehend,  müssen  wir  zuerst  der  Arbeit  von  Franz 
Wickhoff  über  »Die  Ornamente  eines  altchristlichen  Codex 
der  Hofbibliothek«  (S.  196 — 213)  gedenken.  Sie  handelt  über  den 
Codex  847,  welcher  zwei  verschiedene  Handschriften  enthält:  das  Frag- 
ment eines  griechischen  Evangeliariums  und  die  lateinische  Abhandlung 
des  Eufinus  über  die  Segnungen  der  Patriarchen.  Beide  gehören  jedoch 
einer  Zeit  und  einer  Kunstschule  an,  was  die  Schrift  und  dasselbe  System 
von  Ornamenten  beweisen.  Der  eigentlichen  Besprechung  des  Codex  schickt 
der  Verf.  eine  Einleitung  voraus,  worin  er  einen  Typus  geschmückter  Co- 
dices als  Kinder-  respective  Schulbücher  reicher  vornehmer  Leute  und 
einen  andern  Typus  als  Prunkbücher  vornehmer  Damen  in,  wie  mir  scheint, 
ganz  zutreffender  Weise  nachzuweisen  sucht.  In  diesen  ältesten  künstlerisch 
ausgeschmückten  Büchern  gehen  nun  Schrift  und  Bild  vollständig  getrennt 
nebeneinander  her,  nicht  wie  später  in  den  Miniaturcodices  der  irischen 
und  karolingischen  Periode  und  des  späteren  Mittelalters,  in  denen  Schrift 
und  künstlerischer  Schmuck  insbesondere  durch  die  Initialornamentik  enge 


1(3()  Literatur. 

mit  einander  verbunden  sind.  Es  können  sich  also  diese  nicht  aus  den 
ersteren  herausgebildet  und  entwickelt  haben.  Für  sie  muss  es  andere 
Uebergangsglieder  gegeben  haben.  Ein  solches  Binde-  und  Uebergangs- 
glied,  wenn  auch  nicht  aus  dem  Beginne  der  Entwicklung  dieses  Stiles  der 
Buchausstattung,  so  doch  das  älteste  bekannte  Beispiel  dieser  Bichtung, 
das  sich  uns  erhalten  hat,  geschmückt  mit  den  einfachsten  Ornamenten 
der  altchristlichen  Kunst,  bietet  der  genannte  Wiener  Codex  aus  dem  6. 
oder  aus  dem  Beginne  des  7.  Jahrb.,  von  dem  der  Verf.  eine  genaue  Be- 
schreibung, besonders  des  ornamentalen  Schmuckes  desselben,  der  haupt- 
sächlich in  der  Ausschmückung  der  Canonestafeln  des  Eusebius  besteht, 
gibt.  Er  geht  dann  auf  die  Entwicklung  dieser  Ausschmückung  näher 
ein  und  weist  die  darin  verwendeten  Motive  nach.  Er  erläutert  endlich 
die  Ornamente  der  Zier-  oder  Titelblätter  der  Handschriften  und  erörtert 
die  einzelnen  dafür  aus  älteren  Kunsterzeugnissen  entlehnten  Vorbilder. 
Das  lineare  Flachornament  erscheint  bereits  durchaus  durchgeführt,  aber 
bei  aller  Durchbildung  gehört  der  Codex  doch  noch  den  Zeiten  der  Ver- 
suche an,  denn  noch  ist  das  Ornament  nicht  in  die  Schriftseite  selbst 
eingedrungen,  noch  hat  es  sich  mit  der  Schrift  nicht  verbunden  und 
sie  beeinflusst,  wie  eben  später  die  Initialornamentik.  So  wurde  einem 
wichtigen  Denkmale  altchristlicher  Buchausschmückung  durch  den  Verf. 
der  ihm  in  der  Entwicklung  dieser  Kunstgattung  zustehende  Platz  in  prä- 
ciser  Weise  zugewiesen. 

Gleichfalls  mit  Denkmälern  der  Buchmalerei,  doch  einer  viel  späteren 
Zeit,  beschäftigt  sich  die  Abhandlung  von  Julius  v.  Schlosser:  »Die 
Bilderhandschriften  Königs  Wenzel  I«.  (S.  214 — 317).  Nach 
einer  kurzen  orientirenden  Einleitung,  die  sich  insbesondere  über  die  von 
König  Wenzel  angelegte  Bibliothek  verbreitet,  gibt  der  Verf.  als  ersten 
Theil  seiner  Arbeit  eine  »Beschreibung  der  Miniaturen  in  den  (neun) 
Handschriften  König  Wenzels*,  worunter  die  sogenannte  Wenzelsbibel  der 
Wiener  Hofbibliothek  den  ersten  Platz  einnimmt.  Aber  es  ist  unrichtig, 
wenn  der  Verf.  in  der  Ueberschrift  von  einer  Beschreibung  der  Miniaturen 
spricht,  denn  die  Miniaturen  der  Wenzelsbibel  weiden  eben  nicht  beschrie- 
ben, sondern  in  knappen  Schlagworten  einfach  nur  aufgezählt.  Wo  Minia- 
turen fehlen,  werden  die  vorhandenen  Vorschriften  für  den  Maler  wörtlich 
mitgetheilt.  Etwas  eingehender  beschrieben  erscheinen  nur  die  Miniaturen 
einiger  anderer  Codices,  dafür  aber  fehlt  wieder  bei  anderen,  wie  bei 
Willehalm  von  Oranse,  sogar  eine  vollständige  Aufzählung  derselben.  Dieser 
Theil  hat  also  eine  ziemlich  ungleichmässige  Behandlung  erfahren  und  ist 
keineswegs  abschliessend.  Im  zweiten  Theile  behandelt  der  Verfasser  die 
»Randverzierungen«  (Drolerien)  dieser  Handschriften.  Er  erklärt  sie 
für  den  wichtigsten  Gegenstand  der  Untersuchung  und  in  der  That  sind 
sie  in  mehrfacher  Richtung  höchst  merkwürdig  und  interessant  und  bieten 
der  Forschung  schwierige  Probleme  zur  Lösung.  Zunächst  werden  fünf 
Gruppen  von  Emblemen  ausgeschieden  und  jede  einzelne  für  sich  betrachtet. 
Es  sind  dies:  1.  Das  Bademädchen,  2.  die  männliche  Figur  (König  Wenzel 
selbst),  im  Bade  bedient  oder  am  häufigsten  als  Gefangener  vorgeführt, 
3.  die  Schärpe  der  Bademagd,  4.  der  Eisvogel  und  5.  der  wilde  Mann. 
Ausserdem  kommen  in  den  Drolerien  noch  allerlei  wirkliche  Thiergestalten, 
dann    aber    auch    phantastische    Thier-    und    Menschengebilde    vor.     Den 


Literatur.  161 

Grundaccord  der  Darstellungen  aber  bilden  immer  die  beiden  Buchstaben 
W  und  E,  theils  allein  vorkommend,  tbeils  in  den  verschiedensten  Varia- 
tionen untereinander  oder  mit  den  übrigen  Darstellungen  verbunden.  Ausser 
den  Emblemen  finden  sich  dann  in  den  Darstellungen  noch  Devisen  auf 
Spruchbändern  vor,  welche  einzeln  beschrieben  und  erklärt  werden.  Der 
Verf.  weist  dann  das  Vorkommen  dieser  Allegorien  und  Symbole  der 
Handschriften  auch  an  anderen  gleichzeitigen  Denkmälern  nach,  wodurch 
der  Eisvogel  in  der  Schleife  geradezu  als  ein  Symbol  König  Wenzels  sich 
ergibt.  Aus  diesen  Figuren  und  Symbolen  in  den  Handschriften  geht  nun 
hervor,  dass  es  sich  in  diesen  Darstellungen  um  eine  erotische  Allegorie, 
um  ein  Liebesverhältnis  zwischen  König  Wenzel  und  der  Bademagd,  auf 
welche  die  Initiale  E  bezogen  werden  muss,  handelt.  Dieses  Liebesver- 
hältnis wird  unter  dem  Bilde  der  Fesselung  und  des  Kerkers  dargestellt, 
was  auch  in  der  mittelalterlichen  Dichtung,  wofür  der  Verfasser  eine  An- 
zahl Belegstellen  erbringt,  sehr  häufig  zum  Ausdruck  kommt.  Auch  der 
Eisvogel  und  die  wilden  Männer  fügen  sich  in  diese  Allegorie  sehr  wohl 
ein,  ebenso  entspricht  es  ganz  dem  Brauche  der  höfischen  Poesie  des 
Mittelalters,  dass  die  Geliebte  nur  mit  dem  Anfangsbuchstaben  bezeichnet 
erscheint,  desgleichen  werden  für  die  übrigen  Darstellungen  in  den  Dro- 
lerien  Parallelen  erbracht.  Hierauf  geht  der  Verf.  auf  die  Darstellung  des 
Liebesverhältnisses  König  Wenzels  mit  der  Bademagd  Susanna,  wie  sie  in 
der  späteren  böhmischen  Literatur  vorkommt ,  über  und  gedenkt  kurz 
der  Beurtheilung,  die  diese  Erzählung  in  der  kritischen  Geschichtslitera- 
tur gefunden  hat.  Er  erklärt  die  Erzählung  Häjeks  nicht  einfach  als 
Fälschung,  sondern  als  die  Aufzeichnung  einer  in  der  Volksphantasie  ent- 
standenen und  allgemein  bekannten  Sage  und  erörtert,  daran  anschliessend, 
das  damit  im  Zusammenhange  stehende  Privileg  Wenzels  für  die  Prager 
Baderzunft  und  das  Prager  Badewappen.  Er  zeigt  dann,  dass  die  Wenzels- 
bibel nur  für  König  Wenzel  und  seine  zweite  Gemahlin  Sophie  von  Baiern 
geschrieben  sein  kann,  denn  aus  allem  dem,  was  dargelegt  wurde,  geht 
zur  Evidenz  hervor,  dass  die  männliche  Figur  eben  König  Wenzel  selbst 
ist,  dass  ferner  die  vorkommende  weibliche  Figur,  meistens  als  Bademagd 
dargestellt,  eben  auch  niemand  anders  ist  als  Wenzels  Gemahlin,  und  dass 
endlich  die  Initiale  E  nichts  anderes  als  den  Anfangsbuchstaben  ihres 
Nebennamens  Euphemia,  dessen  allein  sie  sich  sogar  in  Urkunden  bedient, 
vorstellt.  Weiters  sucht  er  nun  die  Frage  zu  beantworten,  was  Wenzel 
wohl  bewogen  haben  mag,  seine  Königin  in  der  ungewöhnlichen  Weise 
einer  Bademagd  darstellen  zu  lassen  und  versucht  es  wahrscheinlich  zu 
machen,  dass  auch  das  Bademädchen  nur  eine  Allegorie  sei,  hinter  welchem 
sich  vielleicht  die  mittelalterliche  Sirene  verbergen  könnte.  Zugleich  spricht 
er  eine  Vermuthung  aus,  wie  König  Wenzel  zu  dieser  Allegorie  gekommen 
sein  mag  und  sucht  diese  durch  Parallelen  glaubhaft  zu  machen.  Damit 
aber  scheint  mir  der  Verf.  über  das  Ziel  hinausgeschossen  zu  haben,  denn 
meines  Erachtens  ist  es  überflüssig,  in  der  Gestalt  der  Bademagd  noch 
eine  Allegorie  zu  suchen.  Mit  der  Erbringung  des  Beweises,  dass  es  nach 
den  Anschauungen  der  Zeit  und  des  Bestellers  nicht  für  anstössig  galt, 
seine  Geliebte  oder  Frau  nackt  darzustellen,  ist  auch  schon  die  unge- 
zwungene Lösung  dieser  Darstellungen  gegeben.  Freilich  bleibt  es  dabei 
immerhin  noch  unaufgeklärt,  warum    gerade    Badescenen    in    so     wechsel- 

Mittheilungen  XV.  11 


X62  Literatur. 

voller  Weise  gewählt  wurden.  Vielleicht  hat  ein  besonderes  Ereignis 
zwischen  ihnen,  das  mit  dem  Badeleben  im  Zusammenhange  stand,  das 
sich  aber  unserer  Kenntnis  bis  nun  entzieht,  zu  diesen  Darstellungen  Ver- 
anlassung gegeben.  Im  dritten  Theile  der  Abhandlung  werden  »Die  Maler 
König  Wenzels  und  ihre  Kunst«  besprochen.  An  der  Ausschmückung  der 
Codices  haben  sich  mehrere  Maler  betheiligt.  Nur  zwei,  Frana  und 
N.  Kuthner,  nennen  sich  in  der  Wenzelsbibel  selbst  mit  ihren  Namen,  die 
übrigen  bleiben  unbekannt.  Ihre  Leistungen  sind  sehr  verschieden.  Allein 
eine  Scheidung  und  Auftheilung  der  Miniaturen  auf  die  einzelnen  Maler 
hat  der  Verf.  nicht  versucht,  nur  im  Allgemeinen  charakterisirt  er  ihre  Ar- 
beiten, bespricht  die  Vorschriften  für  die  Maler  und  das  Verhältnis  der 
ausgeführten  Bilder  zu  diesen,  erörtert  gleichfalls  nur  ganz  allgemein  das 
Verhältnis  der  Bilder  zum  Text  und  zu  älteren  typischen  Darstellungen, 
weist  den  französischen  Einfluss,  der  in  ihnen  sich  zeigt,  nach  und  schliesst 
mit  der  Charakterisirung  der  Ornamentation.  Als  Anhang  ist  das  »Orakel 
aus  der  Wiener  Handschrift  der  alfonsinischen  Tafeln«  beigegeben  und  ein 
»Verzeichnis  der  Abbildungen  im  Texte«  bildet  den  Schluss  dieser  sehr 
reichhaltig  und  für  das  Verständnis  des  Dargelegten  entsprechend  illustrir- 
ten  Abhandlung,  die,  abgesehen  von  einigen  Ungleichmässigkeiten  und  Un- 
vollkommenkeiten, mit  zu  den  besten  dieses  Jahrganges  zählt. 

Gleichfalls  über  Miniaturgemälde  doch  wieder  einer  etwas  späteren 
Zeit  handelt  Eduard  Chmelarz  in  seinem  Aufsatze:  »Eine  französi- 
sche Bilde  rhandschrift  von  Boccaccio 's  Theseide«  (S.  318  bis 
328.)  Der  Verf.  gibt  zuerst  eine  gedrängte  Inhaltsangabe  des  langathmi- 
gen  Gedichtes,  bespricht  dann  das  Liebesverhältnis  Boccaccio's  zu  Maria, 
der  natürlichen  Tochter  des  Königs  Robert  von  Neapel,  das  zur  Abfassung 
des  Gedichtes  die  Veranlassung  gegeben  hat,  und  gedenkt  kurz  der  Urtheile 
über  den  literarischen  Werth  des  Gedichtes.  Hierauf  beschreibt  er  die  in 
der  Wiener  Hofbibliothek  befindliche  Handschrift  der  französischen  Ueber- 
setzung  (Cod.  Nr.  2617)  und  sucht  den  Uebersetzer  zu  ermitteln,  ohne  zu 
einem  Resultate  zu  gelangen.  Auch  die  vornehme  französische  Dame, 
welcher  das  Buch  gewidmet  ist,  bleibt  unbekannt,  denn  die  ausgesprochene 
Vermuthung,  dass  es  Jeanne  de  France,  die  Tochter  Karl  VII.,  sei,  er- 
scheint durch  gar  nichts  gestützt.  Nicht  besser  ist  es  mit  der  Eruirung 
der  Namen  der  Maler  bestellt,  welche  die  14  Miniaturen  in  unserer  Hand- 
schrift hergestellt  haben.  Auch  sie  entziehen  sich  unserer  Kennt- 
nis. Der  Verf.  theilt  die  um  1470  entstandenen  Bilder  zweien  französi- 
schen Miniatoi-en  zu,  von  denen  der  eine  ein  ganz  ausgezeichneter  Künstler 
Foucquet' scher  Richtung  war ,  der  in  seinen  sieben  Miniaturen  eine 
grosse  Aehnlichkeit  mit  jenen  im  Roman:  »Cuer  d'amours  espris«  von 
König  Rene  dem  Guten  zeigt.  Von  geringerem  Werthe  sind  die  sieben 
Bilder  des  zweiten  Künstlers.  Sämmtliche  Miniaturen  sind  durch  gute 
Heliogravüren  wiedergegeben. 

Mit  Erzeugnissen  der  Tafelmalerei  beschäftigt  sich  die  umfangreiche 
Arbeit  von  Fr.  Kenner:  »Die  Port rätsammlung  des  Erzherzogs 
Ferdinand  von  Tirol«  (S.  37 — 186).  Der  Verf.  leitet  die  Abhand- 
lung mit  einer  Uebersicht  über  die  Bestandtheile  der  Sammlung,  aus  denen 
sie  sich  zusammensetzt,  ein.  Er  charakterisirt  dann  den  Erzherzog  Fer- 
dinand als  Sammler  insbesondere  von   Bildnissen    und    erzählt,    wie  dieser 


Literatur.  Iß3 

zum  Entschlüsse  kam,  eine  einheitliche,  nach  bestimmten  Gesichtspunkten 
angelegte  Portriitsammlung  zu  schallen,  und  wie  er  diesen  Entschluss  in 
den  Jahren  1578 — 159  0  durchführte,  nachdem  er  einen  früher  in  Angriff 
genommenen  Plan  mit  einem  etwas  grösseren  Formate  fallen  gelassen  hatte. 
Hierauf  schildert  er  durchaus  auf  Grund  authentischer  Quellen,  von  wo- 
her und  durch  welche  Vermittlung  der  Erzherzog  eben  in  der  genannten 
Zeit  von  157  8  bis  1590  sich  die  Bildnisse  nach  und  nach  verschaffte, 
und  wie  unterdes  auch  in  Innsbruck  oder  Ambras  an  der  Herstellung  der 
Sammlung  gearbeitet  wurde.  Dass  die  über  900  Bildnisse  umfassende 
Sammlung  nicht  über  die  aus  den  erzählenden  Quellen  gewonnene  Zeit 
von  1578  bis  1590  hinausgeführt  worden  war,  wird  auch  auf  Grund 
einiger  biographischer  Daten  der  in  der  Porträtsammlung  vertretenen  Per- 
sönlichkeiten gezeigt.  Weiters  werden  kurz  die  Umstände  erwähnt,  die  es 
uns  erklärlich  erscheinen  lassen,  dass  der  Erzherzog  in  verhältnissmässig 
kurzer  Zeit  eine  so  zahlreiche  und  ansehnliche  Sammlung  zusammenbringen 
und  herstellen  lassen  konnte.  In  einem  besonderen  Kapitel  werden  die 
Quellen  untersucht,  welche  für  die  Herstellung  der  Bildnisse,  falls  solche 
eben  nicht  von  Zeitgenossen  herrühren  und  nach  dem  Leben  gemalt  sind, 
als  Grundlage  dienten.  Ueber  drei  Viertel  (7  00  Stücke)  der  Sammlung 
können  als  authentische  Porträte  angesehen  werden,  und  nur  nicht  ganz 
ein  Viertel  (200  Stücke)  sind  theils  Phantasiebildnisse,  theils  zweifelhaft. 
Der  wissenschaftliche  Werth  der  Sammlung  ist  darum  kein  geringer.  Mit 
wenigen  Worten  wird  dann  der  Kunstwerth  der  Sammlung  gestreift. 
der  Auswahl  der  Persönlichkeiten,  deren  Bildnisse  in  die  Sammlung  Auf- 
nahme gefunden  haben,  gedacht  und  die  alte  Anordnung  der  Sammlung 
erörtert,  worauf  noch  die  Schicksale  der  Sammlung  nach  dem  Tode  des 
Erzherzogs  erzählt  werden.  Mit  Angaben  über  ältere  Publikationen  der 
Sammlung  und  mit  einigen  Bemerkungen  über  ihre  dermalige  Aufstellung 
schliesst  der  Verf.  diese  allgemeine  Einleitung,  die  vieles  Neue  bietet  und 
über  den  Gegenstand  eine  recht  gute  Uebersicht  gewährt. 

Von  der  gesammten,  gegenwärtig  1080  Stücke  zählenden  Sammlung 
sind  941  Stücke  in  die  dermalige  Aufstellung  in  der  11.  Abtheilung  der 
kunsthistorischen  Sammlungen  aufgenommen  und  139  Stücke  wurden  ins 
Depot  hinterlegt.  Davon  werden  in  diesem  Bande  des  Jahrbuches  die 
2  21  habsburgischen  Bildnisse  und  19  Porträte  von  Fürsten  jener  Häuser 
und  Länder,  welche  mit  dem  Erzhause  theils  durch  verwandtschaftliche, 
theils  durch  territoriale  Beziehungen  in  nächster  Verbindung  standen  — 
und  das  sind  Burgund  und  Lothringen,  Böhmen,  Ungarn  und  Siebenbür- 
gen —  eingehend  beschrieben  und  ausführlich  besprochen.  Sie  sind  sämmt- 
lich  im  Saale  XVI  auf  Tafel  C  vereinigt.  Dazu  kommen  die  mit  Einschalt- 
nummern bezeichneten  Porträte  späterer  Erwerbung  und  der  im  Depot 
befindlichen  Bilder.  Der  ins  Einzelne  gehenden  Beschreibung  und  Be- 
sprechung dieser  Bildnisse  schickt  der  Verf.  eine  eigene,  auf  sie  bezüg- 
liche Einleitung  voraus.  Er  weist  darin  zuerst  den  Maler  nach,  der  die 
ältesten  142  österreichischen  Bildnisse  geschaffen.  Es  war  dies  der  erz- 
herzogliche Hofmaler  Anton  Waiss,  auch  Anton  Boys  genannt,  der  sie  in 
der  Zeit  von  1584  bis  1587  gemalt  hatte,  nachdem  er  schon  früher 
(1579 — 1584)  mit  einer  ähnlichen  Arbeit,  nämlich  mit  der  Herstellung 
des  jüngeren  Stammbaumes    von  Ambras,    beschäftigt    gewesen    war.     Die 

LI" 


164  Literatur. 

Bildchen  wurden  von  ihm  nach  einem  älteren,  jetzt  verschollenen  Stamm- 
baum, von  dem  sich  noch  zwei  Copien,  eine  im  Schlosse  Tratzberg,  die 
andere  im  kunsthistorischen  Hofmuseum  (ehemals  in  Ambras)  erhalten 
haben,  copiert.  Der  Verf.  bespricht  hierauf  im  Allgemeinen  das  Verhältnis, 
in  dem  die  erhaltenen  Stammbäume,  insbesondere  der  von  Tratzberg  und 
der  jüngere  Ambrasser,  zu  einander  stehen  und  geht  dann  auf  die  Frage 
nach  dem  ikonologischen  Werth  der  beiden  letzteren  Stammbäume  und 
unserer  kleinen  Bildnisse  näher  ein  und  hebt  jene  Merkmale  hervor,  welche 
die  Benützung  alter  authentischer  Vorlagen  durchscheinen  lassen  oder  auch 
die  Spuren  solcher  zu  verwischen  geeignet  sind.  Dabei  wird  besonders 
auf  die  Haltung  der  Personen,  welche  oft  der  Gruppierung  in  den  Stamm- 
bäumen nicht  entspricht,  auf  die  Behandlung  der  Barte,  auf  das  Costüm 
und  endlich  auf  das  Physiognomische  hingewiesen,  um  ältere  wirkliche 
Porträte  als  Vorlagen  und  somit  die  Originalität  vieler  Bildnisse  glaubhaft 
zu  machen.  Eine  Verminderung  ihres  ikonologischen  Werthes  haben  diese 
Bildnisse  schon  durch  den  Maler  des  Originalstammbaumes  erfahren,  der 
seine  Vorlagen  im  Sinne  des  15.  Jahrh.  modernisirt  und  egalisirt  hat. 
Ebenso  erfolgte  dann  durch  die  Malweise  und  den  Geschmack  des  Copisten 
Anton  Waiss  eine  noch  weitere  Entfernung  der  Bildnisse  von  ihrer  ur- 
sprünglichen Vorlage,  so  dass  dieser  Theil  im  Ganzen  nur  einen  geringen 
ikonologischen  Werth  besitzt.  Anders  steht  es  mit  den  55  Bildnissen  der 
nachmaximilianischen  Zeit,  die  durchaus  auf  authentische  Vorlagen,  welche 
theilweise  noch  nachgewiesen  werden  können,  zurückgehen.  Auch  diese 
Einleitung  ist  wissenschaftlich  werthvoll  und  entspricht  ganz  wohl  ihrem 
Zwecke. 

Was  endlich  die  Beschreibungen  der  Bildnisse  selbst  und  die  ihnen 
beigegebenen  Nachweise  anbelangt,  so  sind  die  ersteren  entsprechend  und 
genau  und  die  letzteren  meist  werthvoll.  Doch  hätten  die  biographischen 
Daten,  die  bei  den  historisch  hervorragenden  und  bekannteren  Persönlich- 
keiten meistens  nichts  als  ein  Compendium  der  allerwichtigsten  und  darum 
auch  allgemein  bekannten  historischen  Daten  geben,  füglich  weggelassen 
werden  können.  Die  Angaben  über  den  genealogischen  Zusammenhang  der 
Personen  nebst  den  Geburts-  und  Todesdaten  hätten  vollständig  genügt. 
Uebrigens  schadet  ein  Zuviel  in  dieser  Richtung  nichts.  Dn  Ganzen  kann 
man  die  Publikation  dieser  Bildnisse  nur  willkommen  heissen  und  sich 
auch  mit  der  Art  derselben  —  abgesehen  eben  von  der  etwas  grossen 
Weitschweifigkeit  durch  die  Beigabe  der  biographischen  Daten  —  einver- 
standen erklären.  Dem  Verf.  aber  gebührt  unser  Dank  für  seine  mühe- 
volle und  saubere  Arbeit. 

Die  Abhandlung:  »Gian  Marco  Cavalli  im  Dienste  Maxi- 
milians des  Ersten«  (S.  184 — 195)  von  Robert  von  Schneider  fällt 
zum  Theil  ins  Gebiet  der  Malerei,  zum  Theil  in  jenes  der  kleinen  Plastik. 
Der  Verf.  weist  in  vollständig  zutreffender  Weise  nach,  dass  die  Präge- 
stöcke für  »einen  Teston,  ausgeprägt  in  Gold  und  Silber,  der  auf  der 
vorderen  Seite  die  nach  rechts  gewandten  Köpfe  Maximilians  und  der 
Bianca  Maria  zeigt,  auf  der  Kehrseite  die  heilige  Jungfrau,  auf  Wolken 
thronend,  wie  sie  dem  Jesuskinde  die  Brust  reicht,  umgeben  von  sieben 
geflügelten  Engelsköpfen  «  von  dem  Mantuaner  Goldschmiede  Gian  Marco 
Cavalli  i.  J.   1506  zu  Hall  in  Tirol  hergestellt  wurden,  und  dass  die  erste 


Literatur.  165 

Skizze  hiezu  die  Akademie  der  schönen  Künste  in  Venedig  in  einem  mit 
dem  Namen  des  Leonardo  da  Vinci  versehenen  und  von  Ivan  Lermolieff 
dem  Ambrogio  de  Predis  zugesprochenen  Blättchen  besitzt,  auf  dem  das 
Christkind  und  zwei  Porträtköpfe,  ein  männlicher  und  ein  weiblicher,  ge- 
zeichnet sind. 

Ganz  den  Erzeugnissen  der  Medailleurkunst  ist  die  Arbeit  von  Karl 
Domanig:  »Aelteste  Medailleure  in  Oesterreich«  (S.  11 — 36) 
gewidmet.  Die  Meister,  deren  Leben  Domanig  skizzirt  und  deren  Arbeiten 
er  beschreibt,  waren  fast  sämmtlich  an  der  Münze  zu  Hall  in  Tirol  thätig. 
Dem  Bernhard  Beham,  dem  Aelteren,  (1435  oder  1436  —  1507)  weist  der 
Verf.  eine  Medaille  mit  dem  Bildnisse  des  Erzherzogs  Sigismund,  dem 
Benedict  Burkart  aber  zwei  im  Jahre  1507  entstandene  Medaillen  auf 
Herzog  Albrecht  IV.  von  Baiern  und  seine  Gemahlin  Kunigunde,  der 
Schwester  des  Kaisers  Maximilian  I.,  zu.  Den  Versuch,  dem  Ulrich  Ursen- 
thaler (gest.  1561),  über  dessen  Thätigkeit  ziemlich  ausführliche  Nach- 
richten vorliegen,  einzelne  Arbeiten  seiner  Hand  zuzutheilen,  macht  der 
Verf.  nicht.  Hingegen  werden  2  Medaillen  des  Hans  Beham  (gest.  1535) 
und  4  Medaillen  des  Thomas  Beham  (gest.  1551)  näher  beschrieben.  Aber 
die  Zutheilung  der  einzelnen  Stücke  an  all'  diese  Meister  ist  noch  durch- 
aus eine  unsichere  und  meist  nur  rein  vermuthungsweise.  Ziemlich  aus- 
führlich sind  die  Nachrichten  über  das  etwas  bewegte  Leben  Bernhard 
Behams  des  Jüngeren  (gest.  1547)  und  auch  die  ihm  zugewiesenen  Arbeiten 
sind  theilweise  durch  urkundliche  Nachrichten  begründet.  Er  war  zuerst 
in  Hall  und  dann  in  Ungarn  thätig.  Durch  seine  Beziehungen  zum 
Mantuaner  Medailleur  Gian  Marco  Cavalli  während  des  Aufenthaltes  des- 
selben in  Hall  wurde  er  direkt  von  der  italienischen  Kunstweise  beeinflusst. 
Von  ihm  werden  zwei  Stücke  beschrieben.  Im  Anschlüsse  daran  werden 
drei  Medaillen  mitgetheilt,  die  der  Verf.  nur  ganz  allgemein  der  Haller 
Schule  zuspricht,  ohne  sie  einem  der  genannten,  dort  thätig  gewesenen 
Meister  namentlich  zuzutheilen.  Von  den  Medaillen  des  Goldschmiedes 
Ludwig  Neufarer,  der  zwischen  den  Jahren  1545  und  1562  für  den  könig- 
lichen Hof  in  Wien  und  Prag  gearbeitet  hat,  werden  10  im  kunsthistori- 
schen Hofmuseum  befindliche  Stücke  näher  beschrieben.  Die  datirten 
Medaillen  dieses  Meisters  fallen  in  die  Zeit  von  1532  bis  1547.  Dem 
Nürnberger  Hans  Krug  (gest.  1528),  der  Münzmeister  zu  Kremnitz  war, 
konnte  der  Verf.  bestimmte  Werke  nicht  zuweisen.  Anders  verhält  es  sich 
wieder  mit  einem  späteren  Nürnberger  Meister:  Joachim  Deschler  (geb. 
um  1500,  gest.  um  157l),  der  auch  in  Oesterreich  eine  ausgebreitete 
Thätigkeit  entfaltete.  Er  war  ein  fruchtbarer  und  vielseitiger  aber  zu- 
gleich auch  ein  hervorragender  Künstler,  der  Schule  gemacht  hat.  Seine 
Arbeiten  müssen  den  bedeutendsten  Erzeugnissen  der  Medailleur-Kunst 
beigezählt  werden.  Von  ihm  beschreibt  der  Verf.  45  Stücke,  die  sich 
sämmtlich  im  Besitze  des  kunsthistorischen  Hofmuseums  befinden. 

Eine  ganz  besondere  Art  kunstindustrieller  Erzeugnisse  behandelt 
Th.  Frimmel  in  seinem  Aufsatze:  »Die  Ceremonienringe  in  den 
Kunstsammlungen  des  Allerhöchsten  Kaiserhauses«  (S.  l 
bis  10).  Von  den  beschriebenen  6  bischöflichen  Amtsringen  werden  4 
mit  mehr  oder  weniger  sicheren  Gründen  auf  die  Päpste  Nikolaus  V., 
Pius  II.,  Paul  IL  und  Sixtus  IV.  zurückgeführt,  einer  steht  mit  Ferdinand  I. 


16(3  Literatur. 

von  Neapel  in  Beziehung,  während  für  2  sichere  historische  Anhaltspunkte 
für  ihre  Entstehung  nicht  ermittelt  werden  konnten.  Ein  hervorragend 
kunsthistorischer  Werth  kommt  den  beschriebenen  Ringen,  die  sämmtlich 
durch  entsprechende  saubere  Abbilduigen  veranschaulicht  werden,  nicht  zu. 

Nur  erwähnt  seien  schliesslich  die  »Nachträge«  zur  Arbeit  über 
die  »Augsburger  Waffenschmiede,  ihre  Werke  und  ihre  Be- 
ziehungen zum  kaiserlichen  und  anderen  Höfen«  (S.  329 
bis  345)  von  Wendelin  Boeheim  und  der  Nekrolog  über  den  hervor- 
ragenden Aegyptologen  der  Wiener  Hofsammlungen,  »Ernst  R.  v.  Berg- 
mann«  von  Alexander  Dedekind  (S.   346  —  350). 

Der  zweite  Theil  des  Jahrbuches,  der  der  Veröffentlichung  von  kunst- 
historischem Quell enmateriale  gewidmet  ist,  bringt  den  Beginn  der  Pub- 
likation der  »Inventare  aus  dem  Archivo  del  Palacio  zu 
Madrid«,  hg.  von  Rud.  Beer  (S.  I — LXX.  Nr.  9705),  und  zwar  enthält 
dieser  Band  einen  Theil  des  in  den  Jahren  1598 — 1607  angelegten  »In- 
ventars der  Schatzkammer  Königs  Philipp  II.«  im  Auszuge,  in- 
dem alle  jene  Rubriken  des  Inventars  abgedruckt  werden,  die  sich  auf 
Kunst-  und  kunstgewerbliche  Gegenstände  beziehen  und  demnach  in  das 
Programm  der  Quellenpublikationen  des  Jahrbuches  fallen.  In  dem  dies- 
falls abgedruckten  Theile  erscheinen  1066  Kunstobjekte  angeführt,  ja  sie 
werden  sogar  meistens  ziemlich  eingehend  und  ausführlich  beschrieben. 
Die  Veröffentlichung  dieser  Inventare,  über  deren  Entstehung  und  Anlage 
uns  eine  kurze  Einleitung  des  Herausgebers  entsprechend  orientirt,  ver- 
spricht für  die  Kunst-  und  Kulturgeschichte  überhaupt,  insbesonders  aber 
für  die  Kulturgeschichte  Spaniens  und  für  die  Geschichte  einzelner  Kunst- 
objekte von  grosser  Bedeutung  zu  werden.  Man  denke  nur  daran,  welch' 
ausserordentliche  Menge  von  Kunstschätzen  aller  Art  und  darunter  viele 
ersten  Ranges  unter  den  ersten  kunstsinnigen  spanischen  Habsburgern  aus 
fast  ganz  Europa  nach  Spanien  gebracht  worden  waren.  Die  Kunstfor- 
schung kann  dieses  Unternehmen  um  so  freudiger  begrüssen,  als  es  sonst 
wohl  noch  sehr  lange  Zeit  gedauert  hätte,  bis  diese  Inventare  durch  eine 
entsprechende  Publikation  allgemein  bekannt  und  zugänglich  geworden 
wären. 

An  diese  Inventar- Ausgabe  schliesst  sich  die  Fortsetzung  der  von 
David  von  Schönherr  herausgegebenen  »Urkunden  und  Regesten 
aus  dem  k.  k.  Statth  alterei-  Archive  in  Innsbruck«  (S.  LXXI — 
CCXIII,  Nr.  9706 — 1 1207).  Sie  umfassen  die  Jahre  1565 — 1587,  stammen 
also  aus  der  Zeit  der  Regierung  des  Erzherzogs  Ferdinand,  dieses  ausser- 
ordentlich kunstsinnigen  Sammlers  und  eifrigen  Förderers  der  Kunst  an 
seinem  Hofe.  Die  Publikation  bringt  daher  vieles,  sowohl  für  die  all- 
gemeine wie  auch  insbesondere  für  die  tirolische  Kunstgeschichte  wichtige 
Quellen-Material.  Besonders  reichhaltig  sind  die  Nachrichten  über  die  in 
Tirol  und  am  Hofe  des  Erzherzogs  beschäftigten  Kunsthandwerker,  aber 
auch  zur  Biographie  und  Geschichte  der  Arbeiten  von  hervorragenden  und 
allgemein  geschätzten  Künstlern  enthalten  die  Regesten  viele  wichtige 
Nachrichten.  Namentlich  seien  hervorgehoben  die  Nachrichten  über  den 
Bildhauer  Alexander  Colin  und  über  die  verschiedenen  Hofmaler  des  Erz- 
herzogs Ferdinand,  unter  welchen  Joh.  Bapt.  Fontana,  Francesco  de  Tertiis 
(Terzio),  Heinrich  Teufl  u.  A.  hervortreten.. 


Notizen.  167 

Bndlich  bringt  dieser  Jahrgang  noch  »Urkunden  und  Regesten 
aus  dem  Stadt- Archive  zu  Wiener-Neustadt«  aus  den  Jahren 
1338  bis  1478,  hg.  von  Josef  Mayer  (S.  CCXIV— CCXL,  Nr.  11209 
bis  11495),  welche  hauptsächlich  Nachrichten  von  lokalgeschichtlichem  In- 
teresse enthalten  und  namentlich  für  die  Handwerksgeschichte  von  Wiener- 
Neustadt  von  Bedeutung  sind. 

Eine  ausserordentliche  Erleichterung  für  den  wissenschaftlichen  Ge- 
brauch des  Jahrbuchs  bilden  die  für  jeden  Theil  besonders  gearbeiteten 
genauen  Register. 

Klagenfurt.  S.  Laschitzer. 


Notizen. 

Als  Vorarbeit  zur  geplanten  Ausgabe  der  Placita  in  den  Monumenta 
Germaniae  veröffentlichte  R.  Hübner  ein  Regestenwerk:  Gerichts  Ur- 
kunden der  fränkischen  Zeit  (1.  Abth.  Weimar  1 8 9 1 ;  8°,  118  S.; 
2.  Abth.  W.  1 893 ;  8°,  258  S. ;  Sonderabdr.  aus  der  Zeitschrift  der  Savigny-Stif- 
tung.  Bd.  12,  14,  germanist.  Abth.).  Es  ist  eine  Arbeit  ungewöhnlichen  und  mit 
Anspruchslosigkeit  gepaarten  Fleisses  und  tüchtigster  Sachkenntnis.  Sie 
wird  dem  Rechtshistoriker  dieselben  Dienste  leisten,  wie  dem  Historiker 
die  Regesten  Böhmers,  erst  durch  sie  ist  ein  Ueberblick  über  das  process- 
rechtliche  Material  gewonnen  und  dessen  allseitige  Verwertung,  wenn  nicht 
ermöglicht,  doch  mindestens  ausserordentlich  erleichtert.  Bei  den  engen 
Beziehungen  zwischen  Rechtsgeschichte  und  Diplomatik  wird  auch  der 
Diplomatiker  sich  der  Arbeit  zu  Dank  verpflichtet  fühlen.  Die  erste,  die 
Gerichtsurkunden  aus  Deutschland  und  Frankreich  bis  zum  Jahre  1000 
umfassende  Abtheilung  enthält  (ohne  Nachträge)  614  Nr.,  die  2.  Abthei- 
lung, Gerichtsurkunden  aus  Italien  bis  1150,  1063  Nr.  Dem  rechtsgeschicht- 
lichen Zweck  entsprechend  weicht  die  Formulirung  des  Regests  von  der 
gewöhnlichen  ab.  Präcis  und  klar,  bei  dem  oft  verwickelten  Rechtsgang 
und  dem  verschiedenartigen  Inhalt  der  Gericktsurkunden  ein  bedeutender 
Vorzug,  lässt  sie  die  rechtlich  wesentlichen  Momente  bestimmt  hervortreten, 
die  Terminologie  und  die  Behandlung  des  Stoffes  zeigt  den  sattelfesten 
Fachmann.  Nicht  unberechtigt  auch  dem  Rechtshistoriker  gegenüber  dürfte 
der  Wunsch  sein,  dass  bei  den  Drucken  auch  ihre  handschriftliche  Quelle 
angegeben  und  die  Filiation  der  Drucke  beachtet  worden  wäre.  Einzelne 
Versehen  sind  bei  einer  so  umfassenden  Arbeit  unvermeidlich,  sie  schmälern 
ihren  Wert  nicht.  Die  aufgewandte  Sorgfalt  bezeugen  auch  die  Berich- 
tigungen und  Nachträge.  Zu  diesen  wird  wol  noch  das  eine  und  andere 
kommen,  wie  die  Urkunde  Berengars  und  Adalberts  für  Casauria  960 
Mai  27,  B.  1439.  Beiden  Abtheilungen  sind  orientirende  Uebersichten 
und  ein  Quellenverzeichnis  beigegeben.  E.  M. 

Ganz  unerwartete  und  wertvolle  Funde  von  Kaiserurkunden  machte 
E.  Freiherr  v.  Oefele  in  einem  Fascikel,  der  Krkundenabschriften  aus  Eich- 
stätt    aus    den  Beginn    des    vorigen  Jahrb.  enthielt,    und  in  einem  wenig 


Iß3  Notizen. 

späteren  Archivrepertorium.  Leider  sind  nur  zwei  derselben  im  vollen 
Wortlaut  erhalten.  Sie  wurden  vom  Finder  unter  dem  Titel  Unedirte 
Karolinger  Diplome  in  den  Sitzungsber.  der  phil.  hist.  Commission 
der  Münchener  Akademie  1892  S.  121 — 136  veröffentlicht.  Das  eine 
Diplom  Ludwigs  des  Deutschen  von  831  Jänner  8,  ein  Seitenstück  zur 
fast  gleichzeitigen  Besitzbestätigung  für  Niederaltaich  (Reg.  d.  Karol. 
n°  1302),  bietet  für  die  Besiedlung  der  Ostmark  nach  der  Niederwerfung 
der  Avaren  neue  Daten.  Ludwig  bestätigt  dem  Kloster  Herrieden  (sw. 
Ansbach)  das  mit  Genehmigung  Karls  des  Grossen  in  Besitz  genommene, 
aber  nicht  urkundlich  verbriefte  Land  und  die  dort  erbauten  Orte  Bielaa 
Medilica  und  Grunanita  —  also  Bielach  und  Melk,  die  hier  zum  ersten 
Mal  genannt  werden  (vgl.  Kämmel,  Die  Anfänge  deutschen  Lebens  in 
Oesterreich  247);  Grunanita  hängt  wol  mit  dem  Grunzwitigau  an  der 
Traisen  (Kämmel  252)  zusammen.  Die  2.  Urkunde  von  Arnolf  899 
März  1 1 ,  Restitution  des  eingezogenen  Eigenguts  an  Poppo,  hat  geschicht- 
liches Interesse ;  es  kann  nur  der  Markgraf  Poppo  von  der  Sorbenmark 
aus  dem  Geschlecht  der  Babenberger  sein,  der  892  infolge  der  von  ihm 
veranlassten  unglücklichen  Heerfahrt  gegen  Böhmen  abgesetzt  und  durch 
Einziehung  der  Lehen  bestraft  worden  war  (Reg.  d.  Karol.  n°  1824a,  b). 
Die  Texte  beider  Urkunden  sind  stark  verderbt.  Eine  grössere  Anzahl  von 
jetzt  verlorenen  Diplomen  —  12  Karolinger,  2  von  Otto  I,  je  1  von 
Konrad  II.  und  Heinrich  III.  —  verzeichnet  das  Archivrepertorium.  Es 
gibt  nur  Regesten,  aber  dazu  das  vollständige  Eschatokoll.  Sie  sind  von 
Frh.  v.  Oefele  in  dem  Aufsatz  Vermisste  Kaiser-  und  Königs- 
urkunden des  Hochstiftes  Eichstätt  (Münchener  Sitzungsber.  1893 
S.  288 — 30 1)  publicirt.  Auch  hier  ist  das  eine  und  andere  Stück  von 
weiterem  Interesse;  so  eine  Schenkung  Ludwigs  d.  D.  an  den  Slovenen- 
fürsten  Priwina  und  2  Schenkungen  Ludwigs  d.  K.  von  907  an  seine 
Mutter  Ota,  die  darauf  hinweisen,  dass  die  Reichsregierung  doch  das  Be- 
dürfnis fühlte,  die  schmählich  behandelte  Königin-Mutter  für  andere  ent- 
zogene Güter  zu  entschädigen.  Beide  Publicationen  sind  mit  sorgfältigen 
Erläuterungen  versehen.  E.  M. 

Pascikel  II  der  Indices  chronologici  ad  Antiquitates  Ita- 
liae  M.  Ae.  et  ad  opera  minor a  0  A.  Muratorii  (vgl.  Mittheil. 
11,  50l)  umfasst  in  Nr.  1222 — 2458  die  von  Muratori  publicirten  Ur- 
kunden aus  der  Zeit  von  900 — 1295  und  gewinnt  dadurch  an  Bedeutung, 
dass  er  auch  die  neueren  Drucke  nach  Muratori  einbezieht. 


R.  Parisot,  Deux  diplomesinedits  pour  la  collegiale  Ste 
Marie-Madeleine  de  Verdun  (Extr.  des  Annales  de  1' Est,  7e  annee 
1893;  8°,  11  p.,)  veröffentlicht  eine  Urkunde  Heinrichs  III.  von  1056 
Jänner  23  und  Heinrichs  IV.  von  1062  Okt.  14  nach  den  Originalen  im 
Municipalarchiv  zu  Reims  (Collection  Turbe),  von  denen  die  erste  nur 
durch  ein  von  Wolfram  (Jahrb.  der  Gesellschaft  für  lothring.  Gesch.  l,  156) 
publicirtes  französisches  Regest,  die  zweite  nur  durch  ein  Bruchstück  bei 
Clouet  (Hist.  de  Verdun,  darnach  Stumpf  n°  261  la)  bekannt  war,  mit  Bei- 
gabe diplomatischer  Erörterungen  und  der  topographischen  Daten. 


Notizen.  169 

Als  Festgabe  zum  Rossi  -  Jubiläum  veröffentlichte  Ludo  Moritz 
Hartmann  eine  Urkunde  einer  römischen  Gärtnergenossen- 
schaft vom  Jahre  1030  (Freiburg  i.  B.  1892;  4°,  19  S.)  Die  aus 
dem  Archiv  von  S.  Maria  in  Via  lata  stammende  Urkunde  bietet  zwar 
manches  Interesse,  doch  an  diesen  vereinzelten  Fall  knüpft  der  Herausgeber, 
ohne  das  bekannte  Quellenmaterial  zu  erschöpfen,  weitgehende  Folgerungen 
über  eine  ausgebildete,  sich  mit  der  alten  deckende  Zunftorganisation  zu 
Anfang  des  11.  Jahrb.  in  Rom,  deren  Unhaltbarkeit  bereits  anderweitig 
(Götting.  Gel.  Anz.    1892   S.   723  f.)  nachgewiesen  wurde. 

Von  Leist's  Urkundenlehre  ist  eine  zweite  Auflage  erschienen 
(Leipzig,  Weber  1893).  Der  Verf.  sagt  in  der  Vorrede,  er  habe  eine  Reihe 
von  Aenderungen  und  Verbesserungen  vorgenommen,  »allerdings  aber,  um 
es  gleich  hier  zu  sagen,  ohne  allzugrosse  Engherzigkeit,  da  Aenderungen 
und  Verbesserungen  mit  dem  Fortschreiten  der  Wissenschaft  von  Zeit  zu 
Zeit  immer  wieder  werden  eintreten  müssen«.  In  der  That,  es  wurden 
eine  Reihe  von  Werken  und  Ergebnissen  der  Forschung,  die  seit  1882  zu 
verzeichnen  sind,  verwertet  —  aber  das  Buch  selbst  in  seiner  ganzen  An- 
lage, in  dem  unverhältnismässigen  Ueberwiegen  von  Palaeographie  und 
Chronologie,  mit  dem  Charakter  des  vielfach  zufällig  Zusammengestellten, 
mit  der  oft  mangelnden  Scheidung  und  Darstellung  des  Wesentlichen  und 
seiner  Entwicklung  —  das  Buch  ist  das  alte  geblieben  und  was  Uhlirz 
in  den  Mittheil,  des  Instituts  4,  122  ff.  in  dieser  Hinsicht  über  die  erste 
Auflage  gesagt  hat,  gilt  auch  jetzt  noch  für  die  zweite.  0.  R. 

In  der  Festgabe  »Aus  dem  Theresianum«  zur  42.  Philologenversamm- 
lung in  Wien  (1893)  handelt  August  Engelbrecht  über  Das  Titel- 
wesen bei  den  spätlateinischen  Epistolographen  und  dehnt 
seine  früheren  derartigen  Studien  an  den  Briefen  des  Ruricius  (Patristische 
Analecten,  Wien  1892)  auf  Symmachus,  Ambrosius,  Hieronymus,  Au- 
gustinus u.  s.  w.  und  besonders  auch  auf  die  Papstbriefe  aus;  er  erörtert 
eingehend  das  Aufkommen  ceremonieller  Titulaturen  im  Briefstyl  des 
4.  Jahrh.  und  ihre  Ausbildung  im  5.  Jahrh.  und  gibt  zum  Schlüsse  eine 
lehrreiche  Uebersicht  der  gefundenen  Titel  und  Epitheta  ornantia.     0.  R. 

Der  26.  Band  der  Atti  della  R.  accademia  delle  scienze  di 
Torino  enthält  drei  kurze  aber  wertvolle  Abhandlungen  von  Cipolla. 
Die  erste  betrifft  eine  in  dem  Cod.  n°  1 5  der  Capitelbibliothek  zu  Vercelli 
erhaltene  Aufzeichnung  über  die  Schenkungen  Karl  III.  an  die  Kirche  von 
Vercelli.  Wenn  auch  diese  Notiz  nicht  unbekannt  war,  wie  C.  anzunehmen 
scheint  und  auch  im  N.  Archiv  17,  451  zu  lesen  ist  —  sie  ist  in  den 
Wiener  Sitzungsber.  92,  400  von  Mühlbacher  gedruckt  worden  —  so  hat 
doch  erst  C.  wahrscheinlich  gemacht,  dass  hier  der  Auszug  eines  verlorenen 
D.  Karl  III.  vorliege,  welches  mit  dem  im  J.  999  der  Kanzlei  Otto  III. 
vorgelegten  und  in  D.  323  erwähnten  Präcept  Karls  identisch  sein  dürfte. 
Bei  der  schlechten  Ueberlieferung  der  Diplome  für  Vercelli  wird  volle 
Sicherheit  freilich  weder  hierüber  zu  gewinnen  sein,  noch  über  die  Glaub- 
würdigkeit der  Urkunde  Karls.  C.  tritt  für  die  Echtheit  derselben  ein,  ohne 
auf  Löwenfelds  Annahme,    dass    die  Urkunde    eine    Interpolation    erfahren 


1 70  Notizen. 

haben  könnte  (Leo  von  Vercelli  11),  einzugehen.  Entscheidend  wäre  das 
Alter  jener  Aufzeichnung,  über  welches  sich  C.  nicht  bestimmt  äussert; 
stammt  dieselbe  aus  dem  9.  Jahrb.,  wie  nach  Fickers  Urtheil  Mühlbacher 
angibt,  dann  erscheint  die  Echtheit  des  D.  Kai-ls  gesichert.  —  Zwei  wei- 
tere Aufsätze  behandeln  das  Itinerar  Konrad  II.  im  J.  1026.  Von 
Stumpf  1943  für  Fruttuaria  hat  C.  eine  Copie  gefunden,  welche  die  bis- 
her unbekannte  Datirung  bietet  und  aus  welcher  hervorgeht,  dass  Konrad 
am  20.  Dez.  1026  mit  der  Belagerung  von  Ivrea  beschäftigt  war.  Die 
Annahme  Bresslaus,  der  König  wäre  im  Sommer  1026  von  Ravenna  der 
Küste  entlang  bis  nach  Pescara  vorgedrungen,  scheint  mir  durch  C's.  sorg- 
fältige Erörterung  der  DD.  Stumpf  1910 — 1912  stark  erschüttert;  zwei 
derselben  datiren  von  Peschiera  am  Gardasee,  die  dritte  St.  1911,  in  wel- 
cher von  einem  früheren  Aufenthalt  des  Königs  in  Bei-gamo  gesprochen 
wird,  ist  ohne  Grund  mit  jenen  beiden  verknüpft  worden,  ihr  actum  lautet: 
in  Episcoparico,  wie  schon  Lupus  im  C.  D.  Bergom.  gedruckt  hat.  C. 
verzichtet  auf  Erklärung  dieses  Namens;  in  einem  Original  würde  seine 
Erklärung  allerdings  Schwierigkeiten  machen,  da  aber  das  in  der  Stadt- 
bibliothek zu  Bergamo  befindliche  Schriftstück  nach  Bresslaus  Urtheil  nur 
als  Copie  gelten  kann,  so  ist  doch  eine  Verderbung  des  Namens  nicht 
ausgeschlossen,  etwa  so,  dass  Episcoparico  durch  irrthümliche  Annahme 
und  Auflösung  einer  Kürzung  aus  Eparico  entstanden,  und  dass  hiemit 
Ivrea  gemeint  sein  könnte.  Ich  spreche  diese  Vermuthung  mit  um  so 
grösserer  Zurückhaltung  aus,  als  sich  Bresslau  (N.  Archiv  IS,  703)  vor- 
behalten hat,  auf  das  auch  im  Ar  eh.  stör.  Lombardo  (18,  157;  19,  5  und 
37 7)  von  Cipolla  und  Pagani  erörterte  Itinerar  des  Jahres  1026  im  Zu- 
sammenhang zurückzukommen.  W.  Erben. 

In  der  Abhandlung  Die  Anfänge  des  Klosters  Selz  (Zeitschr. 
f.  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  7,  l)  sichtet  W.  Erben  nach  einleitenden 
Abschnitten  über  die  Erwerbungen  Adelheids,  der  zweiten  Gemalin  K.  Otto  I., 
und  ihrer  burgundischen  Brüder  im  Elsass  und  über  die  mit  einem  grossen 
Theil  dieser  Güter  zu  Ende  991  von  Adelheid  durchgeführte  Gründung 
und  Ausstattung  des  Klosters  Selz  in  scharfsinniger  Weise  das  weitere  ur- 
kundliche Material:  die  drei  Ausfertigungen  von  DO  III.  159,  eine  Bulle 
Papst  Johanns  XV.  von  995  Apr.  4,  deren  Echtheit  durch  Vergleich  mit 
Bullen  desselben  Papstes  für  St.  Maurice  in  Wallis  und  Hinweis  auf  Ein- 
wirkungen von  Seite  der  Reichskanzlei  mit  Erfolg  erwiesen  wird,  endlich 
angebliche  Urkunden  K.  Heinrichs  III.  (Stumpf  2401),  eine  interpolirte 
Copie  von  DO  III.  88  und  das  gefälschte  DO  III.  430,  welche  alle  zu  Ende 
des  1 2.  Jahrb..  in  Selz  fabricirt  wurden,  um  als  Waffe  gegen  die  Zehent- 
ansprüche  benachbarter  Klöster  zu  dienen.  0.  R. 

Die  Diplomatisch-kritische  Untersuchung  der  Berner 
Handfeste  von  Prof.  Dr.  B.  Hidber  in  der  »Festschrift  zur  VII.  Saecu- 
larfeier  der  Gründung  Berns  1191  — 1891«  tritt  wie  die  ebendort  befind- 
liche Abhandlung  A.  Zeerleder's  »Die  Bern  er  Handfeste«  für  die 
Echtheit  dieser  Urkunde  K.  Friedrichs  IL  vom  15.  April  1218  in  der 
überlieferten  Fassung  ein  und  H.  vermuthet,  die  jetzt  allein  noch  vor- 
handene Copie  sei  1365  angefertigt  worden,  um  dem  Kaiser  Karl  IV.  zur 
Bestätigung  vorgelegt  zu  werden.     H.  berücksichtigte  nicht  die  gegen  die 


Notizen.  171 

Echtheit  der  Urkunde  vorgebrachten  Gründe  Fickers  in  Eeg.  imp.  V  n.  935 
und  F.  Philippi's,  Zur  Gesch.  der  Eeichskanzlei  unter  den  letzten  Staufen  74. 
Wir  können  auf  die  Bemerkungen  G.  Meyers  von  Knonau  in  der  Histor. 
Zeitschrift  70,   268  f.  verweisen.  0.  K. 

In  den  Sitzungsber.  der  Münchener  Akademie  histor.  Classe  1892, 
3,  Heft  (S.  443 — 536)  hat  H.  Simonsfeld  über  Fragmente  von 
Formelbüchern  auf  der  Müncbener  Hof-  und  Staatsbiblio- 
thek dankenswerthe  Mittheilungen  gemacht.  Diese  elf  Bruchstücke  bilden 
jetzt  den  Cod.  lat.  29095,  sie  entstammen  den  verschiedensten  Werken: 
der  Ars  dictandi  des  Guido  Faba,  einer  aus  Orleans  stammenden,  doch 
nicht  mit  der  Ars  dictandi  Aureliacensis,  die  Rockinger  edirte,  identischen 
Sammlung,  der  Summa  notariae  des  Johannes  von  Bologna,  dann  (n.  4 
und  6)  einer  österreichisch-bairischen  Briefsammlung,  die  mit  der  von  Pez 
Thesaurus  Anecd.  6b  edirten  im  Zusammenhang  steht,  der  aus  päpstlichen 
Archivalien  schöpfenden  Formelsammlung  des  Riccardus  de  Pofis,  Formel- 
büchern aus  der  Zeit  und  Kanzlei  Rudolfs  von  Habsburg  (n.  8,  9),  end- 
lich dem  Formelbuch  aus  Böhmen,  von  dem  aus  andern  Fragmenten  zu- 
erst Wattenbach  in  Forschungen  15  Mittheilung  gemacht  hatte.  In  den 
Beilagen  edirt  S.  eine  Reihe  von  Stücken,  unter  denen  hervorzuheben 
wären:  ein  Schreiben  über  das  Ende  der  Bedrängnisse  der  Salzburger 
Kirche  (S.  50 1),  das  S.  vermutungsweise  zu  1275  setzt  und  auf  Ottokar 
von  Böhmen  bezieht,  das  aber  wol  eher  zu  dem  Streit  Herzog  Albrechts 
von  Oesterreich  mit  Erzbischof  Konrad,  vielleicht  zu  Anfang  1287  gehört; 
S.  509  Verleihung  einer  päpstlichen  Scriptorstelle  (aus  Richard  de  Pofis); 
S.  509  ff.  Schreiben  Urbans  IV.  und  Clemens  IV.  an  K.  Ludwig  von 
Frankreich,  an  Karl  von  Anjou  über  die  Gefangennahme  des  Patriarchen 
von  Aquileia  durch  den  Grafen  Albert  von  Görz  (1267)  x)  u.  a. ;  Schreiben 
K.  Rudolfs  über  seine  Berufung  zur  Kaiserkrone  (fällt  nach  1275  Febr.  15, 
der  Schlussatz  sehr  bemerkenswert:  Con firmatos  namque  in  regno 
Romano  a  sanctissimo  patre  nostro  vocatos  nos  sciat(is)  veraciter 
ad  recipiendum  .  .  imperii  dyadema);  endlich  S.  528  ff.  Schreiben  von 
und  über  Wok  von  Rosenberg,  Hauptmann  in  Steiermark  (1260 — 1262) 
und  mehrere  Schreiben  von  und  an  König  Ottokar  von  Böhmen.  Die 
Arbeit  mahnt  übrigens  wieder  recht  daran,  wie  viel  noch  in  Bezug  auf 
Bearbeitung  und  Verwertung  der  Formelbücher  der  zweiten  Hälfte  des 
13.  und  ersten  des    14.  Jahrhunderts  zu  thun  ist.  0.  R. 

Eine  kleine  Abhandlung  von  Dr.  Hans  Pischek,  Zur  Frage  nach 
der  Existenz  einer  mittelhochdeutschen  Schriftsprache 
im  ausgehenden  13.  Jahrhundert  (Jahresber.  d.  Staats-Realschule 
in  Teschen  1892)  schlägt  den  Weg  ein  zur  Lösung  dieser  Frage  die 
deutschen  Urkunden  König  Rudolfs  v.  Habsbur?  heranzuziehen. 


')  Darauf  bezieht  sich  auch  ein  Schreiben  in  dem  von  P.  Konrad  Eubel 
veröffentlichten  Register  band  des  Cardinalgrosspönitentiars 
Bentevenga,  eine  auf  das  kirchliche  Busswesen  bezügliche  Sammlung  von 
Urkunden  aus  der  Zeit  von  127!»  bis  1289  (Mainz  1890),  die  aber  auch  eine  Reibe 
für  politische  und  Culturgeschichte  beachtenswerter  Documente  enthält,  interes- 
sant auch  als  Registerband  eines  Cardinais. 


\12  Notizen. 

Das  bemerkensweite  Ergebnis  ist,  dass  in  Rudolfs  deutschen  Urkunden 
keine  einheitliche,  allen  gemeinsame  Sprache,  sondern  nur  Dialecte  herrschen 
und  dass  diese  Dialecte  abhängig  erscheinen  vom  Empfänger  der  Urkunde. 
Der  Schluss  aber,  den  P.  aus  diesen  Thatsachen  zieht,  dass  »nahezu  alle 
(deutschen)  Originale  vom  Empfänger  verfasst  und  nicht  aus  der  Kanzlei 
hervorgegangen  sind«  darf  zunächst  nur  in  der  Beschränkung  angenommen 
werden,  dass  die  Textirung  ein  Werk  der  Empfänger  war,  allein  es  ist 
eine  ganz  andere  Frage,  welche  durch  die  sehr  summarischen  Bemerkungen 
des  Verf.  keineswegs  erledigt  ist,  ob  auch  die  Ausfertigung  dieser  Urkun- 
den —  bis  auf  das  Siegel  —  vom  Empfänger  herrührt.  Dass  dies  wirk- 
lich nicht  selten  und  nicht  etwa  bloss  bei  deutschen  Urkunden  vorge- 
kommen, hat  schon  Herzberg-Fränkel  in  Kaiserurk.  in  Abbild.  Text  2 1 2 
gesagt,  zur  Entscheidung  im  einzelnen  Falle  bedarf  es  aber  der  Unter- 
suchung der  gesammten  Merkmale  an  Originalen  und  besonders  auch  des 
Vergleiches  von  Stücken  derselben  Provenienz.  0.  R. 

Von  der  Gründungsurkunde  der  Prager  Universität 
handelt  V.  J.  Noväcek  in  der  Zeitschrift  des  böhm.  Museums  (Pra- 
meny  zakläd.  listiny  univ.  prazske.  Separatabdruck  S.  1 — 14).  Angeregt 
durch  eine  Bemerkung  von  Denifle  (Die  Universitäten  d.  Mittelalters  bis 
1400  S.  587)  hat  er  alle  bis  zum  J.  1348  ausgestellten  ähnlichen  Grün- 
dungsurk.  verglichen  und  ist  zu  dem  Resultate  gekommen,  dass  auch  diese 
U.  kein  selbständiges  Dictat  der  kaiserlichen  Kanzlei  ist;  schöne  und  red- 
nerische Wendungen  haben  auch  hier,  wie  die  ganze  Gelehrsamkeit  der 
mittelalterlichen  Notare ,  ihre  Quelle  in  dem  Formelbuche.  Die  U. 
wurde  aus  drei  Formeln  der  Sammlung  des  Petrus  de  Vinea  (Ausgabe  des 
Germ.  Philaletes  Amberg  1609  lib.  III.  Nr.  10 — 12)  compilirt.  Auch 
diese  drei  Formeln  handeln  über  Gründungen  von  Universitäten  (und  zw. 
der  in  Neapel  und  Salerno  nach  Huillard-Breholles  und  Böhmer-Ficker).  Im 
Texte  sind  alle  vier  Urkunden  nebeneinander  abgedruckt,  die  U.  Karls  IV. 
nach  dem   Original  der  deutschen  Prager  Universität.  V.  Kr. 

Die  vielfach  neuen  Aufschlüsse,  welche  die  nun  vollendete  Ausgabe 
des  Registrura  Clementis  V.  für  die  Finanzverwaltung  der  Curie  brachte, 
werden  von  Dr.  Leo  König  in  dem  Buch  »Die  päpstliche  Kammer 
unter  Clemens  V.  und  Johann  XXII«.  (Wien,  1894,  87  S.)  in 
sorgfältiger  und  verdienstvoller  Weise  verwertet.  Dagegen  wäre  der  Name 
Johanns  XXII.  vom  Titel  des  Buches  besser  fortgeblieben ;  denn  für  diesen 
ungleich  bedeutenderen  Papst  wird  nicht  einmal  das  im  Verhältnis  zu 
Clemens  V.  ohnedies  spärliche  gedruckte  Material  vollständig  herangezogen. 
Mit  wenigen  zusammenhanglosen  Notizen  lässt  sich  die  Geschichte  der 
päpstlichen  Kammer  unter  Johann  XXII.  nicht  abthun,  und  man  wird 
daher  auch  die  Entscheidung  über  die  von  K.  aufgeworfene  Frage,  ob 
und  inwieweit  die  Finanzverwaltung  unter  Clemens  V.  einen  Fortschritt 
gegen  die  frühere  und  eine  wesentliche  Vorstufe  für  die  spätere  Zeit  bildet, 
bis  zu  dem  Zeitpunkt  vertagen,  da  man  über  das  Früher  und  Später  selbst 
besser  unterrichtet  sein  wird,  als  dies  bisher  und  auch  bei  K.  der  Fall  ist. 
Im  ersten  Abschnitt  (Introitus  Camerae)  stören  mehrfache  Unklarheiten 
und  Unrichtigkeiten.     Von  grossem  Intex-esse  ist  der  dritte  Abschnitt  (Ver- 


Notizen.  173 

gleich  der  Einnahmen  und  Ausgaben).  Man  ersieht  daraus,  dass  unter 
Clemens  V.  das  Einnahmenbudget  jenes  der  Ausgaben  durchschnittlich  andert- 
halb- bis  zweimal  überragte.  Die  Grundlage  für  diese  glänzenden  finan- 
ziellen Erfolge,  das  Provisions-  und  Reservationswesen  der  Curie,  findet  in 
K.  einen  warmen  Vertheidiger.  Anders  dachte  jener  Curiale,  der  dem  von 
Kirsch  (Hist.  Jahrb.  9,  301  ff.)  besprochenen  Consistorialtaxbuch  den 
Schreiberspruch  anfügte:     »We  illi,  per  quem  scandalum  venit«.  T. 

Die  Arbeit  von  Ludwig  Lewinski,  Die  Brandenburgische 
Kanzlei  und  das  Urkundenwesen  während  der  Regierung 
der  beiden  erstenHohenzoller 'sehen  Markgrafen  1411  — 1470 
(Strassburg,  Heitz  1893)  gibt  eine  eingehende  Darstellung  aller  in  Frage 
kommenden  Einrichtungen  und  Verhältnisse  und  bietet  so  einen  erwünsch- 
ten Beitrag  zu  der  noch  ergiebiger  Bearbeitung  harrenden  Diplomatik  des 
späteren  Mittelalters.  —  Von  Formulatur  der  Urkunden,  statt  von  Formular 
zu  sprechen  (S.   68  ff),  ist  wol  ein  wenig  glücklicher  Ausdruck.     0.  R. 

Nachdem  Dr.  Renward  Brandstetter  sich  schon  in  zwei  früheren 
Abhandlungen  mit  Mundart  und  Schriftsprache  in  Stadt  und  Landschaft 
Luzern  beschäftigt  (vgl.  Geschichtsfreund  der  V  Orte  45.  und  46.  Bd.), 
folgte  im  47.  Bande  des  Geschichtsfreundes  (l 892)  eine  weitere  über  Die 
Luzerner  Kanzleisprache  von  1250 — 1600.  B.  versteht  darunter 
das  in  den  Schriftdenkmälern  Luzerns  geschriebene  Idiom,  unterscheidet 
drei  Perioden  der  Entwicklung,  bis  seit  dem  17.  Jahrhundert  das  Neu- 
hochdeutsche eindringt  und  schildert  eingehend  die  ganze  Entwickelung. 
B.  fusst  durchaus  auf  dem  originalen  archivalischen  Material,  denn  nur 
ein  sehr  kleiner  Theil  der  Drucke  ist  auch  für  den  Sprachforscher  ver- 
wendbar. Gerade  dies  ist  ein  Punkt,  um  dessentwillen  die  Beachtung 
derartiger  Arbeiten  x)  für  jeden  Herausgeber  dringend  geboten  ist.  Denn 
wenn  wir  Historiker  Urkunden  u.  s.  w.  herausgeben,  soll  es  doch  so  ge- 
schehen, dass  auch  dem  Sprachforscher  damit  gedient  ist  —  oder  soll 
denn  alles  doppelt  gedruckt  werden?  Eine  Verständigung  der  Historiker 
vor  allem  mit  den  Germanisten  muss  in  dieser  Beziehung  einmal  gefunden 
werden,  denn  die  Weizsäcker'schen  Editionsgrundsätze  haben  gerade  von 
germanistischer  Seite  Widerspruch  erfahren  (vgl.  z.  B.  Wackernell  in  Zeit- 
schr.  f.  deutsche  Philologie   15,  369   ff)  0.  R. 

Wie  das  Baumwollenpapier,  ist  nun  das  Baumbastpapier,  das  auch 
lange  genug  in  der  Lehre  vom  Schriftwesen  spuckte,  endgiltig  abgethan. 
In  den  Studien  über  angebliche  Baumbas tpapiere  (Sitzungsber. 
der  phil.  hist.  Classe  der  Wiener  Akademie  Bd.  126)  theilt  Julius 
Wiesner  das  Ergebnis  seiner  mikroskopischen  Untersuchung  der  »unan- 
gezweifelt  baumbastpapierenen «  Handschrift  der  Wiener  Hofbibliothek  mit, 
welche    deren    Material     als    zweischichtigen    Papyrus    erweist,     und  führt 


')  Vgl.  z.  B.  die  Abhandlung  von  Willy  Scheel,  Jaspar  von  Gennep 
und  die  Entwicklung  der  neuhochdeutschen  Schriftsprache  in 
Köln,  Westdeutsche  Zeitschrift  Ergänzungsheft  8  (Trier  1893). 


174  Notizen. 

den  naturwissenschaftlichen  Nachweis,  dass  ein  eigentliches  Baumbastpapier 
technisch  unmöglich  ist  und  daher  nie  existirt  haben  konnte. 

Einen  interessanten  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Geheimschriften  liefert 
der  Vortrag  von  L.  v.  Bockinge r,  Ueber  Geheimschriften- 
schlüssel der  bayerischen  Kanzlei  im  ]ß.  Jahrhundert 
(München  1891,  8°,  68  S.  mit  30  S.  lithographirter  Beilagen).  Es  sind 
hier  so  ziemlich  alle  Systeme  vertreten ,  Yertauschung  der  Buchstaben, 
Ziffern,  das  Kreuzalphabet,  eigentliche  Chiffera.  Im  ganzen  sind  es  etwa 
100  eigene  Geheimschriften,  welche  die  baierischen  Kanzleipapiere  aus 
dem    Iß.  Jahrh.  bieten. 

Von  H.  Grotefend's  trefflichem  Handbuch  der  Zeitrechnung 
des  deutschen  Mittelalters  und  der  Neuzeit  ist  nun  der  erste 
Theil  des  2.  Bandes  erschienen,  der  die  Kalender  der  Diöcesen  Deutsch- 
lands, der  Schweiz  und  Scandinaviens  enthält.  Mit  vollem  Becht  sieht 
G.  in  der  Veröffentlichung  der  vollständigen  Kalender  den  sicheren  Unter- 
grund für  Arbeiten  oder  Forichungsbedürfnisse  auf  engeren  Gebieten  und 
für  vergleichende  Zusammenstellungen.  Der  zweite  Theil  des  Bandes  soll 
den  Schluss  der  Kalender  (romanische  Diöcesen),  das  alphabetische  Heiligen- 
verzeichniss  und  einen  Anhang  von  Tafeln  bringen.  0.  B. 

Gustav  Bilfinger,  der  Verfasser  des  Werkes  über  den  »Bürgerlichen 
Tag«  und  mehrerer  die  altorientalische  und  antike  Zeitmessung  behandeln- 
der Arbeiten,  veröffentlichte  nunmehr  ein  Buch  über  Die  mittelalter- 
lichen Hören  und  die  modernen  Stunden.  Ein  Beitrag  zur 
Kulturgeschichte  (Stuttgart.  Kohlhammer  1892).  Ein  verdienstliches  Werk 
über  eine  lange  vernachlässigte  Materie.  Der  Verf.  bespricht  die  populäre 
Tageseintheilung  im  Ausgang  des  Mittelalters  in  Italien,  Frankreich,  Eng- 
land und  Deutschlands,  die  Verschiebung  der  Hören,  die  Essenszeit  im 
Mittelalter,  dann  in  einem  zweiten  Theile  die  Einführung  der  modernen 
Stunden,  die  Entwicklung  der  Uhren,  die  italienisch-böhmische,  türkische 
Stundenrechnung,  die  »halbe  Uhr*,  die  Nürnberger  und  Basler  Uhr  und 
ihre  eigenthümlichkeiten.  Eine  Eeihe  landläufiger ,  aber  irrthümlicher 
Ansichten  und  Angaben  erfahren  hier  ihre  Eichtigstellung.  0.  K. 

Im  Eranos  Vindobonensis  (Wien  1893)  theilt  S.  93  ff  L.  M.  Hart- 
mann eine  in  Nepi  nördl.  Born  ausgestellte  Notariatsurkunde  (Verpach- 
tung) vom  December  92]  mit,  welche  neben  ihrer  barbarischen  Latinität 
auch  deshalb  bemerkenswerth  ist,  weil  sie  eine  Datierung  mit  imperatore, 
consolu  aufweist  und  so  das  nunmehr  späteste  Beispiel  der  Datirungs- 
weise  nach  dem  Consulat  bietet.  0.  K. 

In  der  Zeitschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  8,  706  bemerkt 
Bau  mann,  dass  man  die  Bezeichnung  Ewiger  Abend  für  den  31.  De- 
zember im  Allgäu  noch  im    Iß.  Jahrhundert  gekannt  hat.  0.  B. 

In  der  Notice  sur  les  sceaux  Carolin giens  des  archives 
de    la    Haute    Marne    (Joinville    1892;    8°,   20  p.)    bietet    Alphonse 


Notizen.  175 

Roserot  in  Chaumont  einen  dankenswerten  Beitrag  zur  Kunde  der  Karo- 
linger Siegel.  Von  Interesse  ist  der  nähere  Nachweis  des  zweiten  Siegels 
Ludwigs  des  Frommen  seit  834,  das  dem  ersten  nachgeschnitten  ist,  aber 
eine  Variante  in  der  Umschrift  enthält;  es  ist  auch  bereits  von  Sickel 
(Acta  Kar.  1,352)  besprochen  und  darnach  in  den  Regesten  der  Karolinger 
(S.  LXXXII)  erwähnt.  Ausser  diesem  wird  noch  ein  bisher  unbekanntes  Siegel 
Karls  III.  nachgewiesen  (n°  4  der  Abbildungen).  Zu  S.  20  darf  ich  wol 
bemerken,  dass  n°  3  das  von  mir  (Reg.  der  Karol.  LXXXII1)  verzeichnete 
2.  Siegel  Karls  III.  ist.  Ein  anderer  Typus  desselben  Siegels  (n°  2)  ist 
zu  schlecht  erhalten,  um  ihn  bestimmt  classificiren  zu  können.  Dazu 
kommen  noch  2  Siegel  westfränkischer  Karolinger  (Karlmanns  u.  Lothars) 
von  denen  das  letztere  schon  mehrfach  beachtet  wurde.  Die  kleine  Schrift 
zeigt  scharfe  Beobachtung  und  volle  Vertrautheit  mit  dem  Stoff  und  selbst 
der  deutschen  Literatur.  Beigegeben  ist  eine  Tafel  mit  photographischer 
Abbildung  der  Gypsabgüsse.  E.   M. 

In  weiterer  Ausführung  der  in  dieser  Zeitschi'ift  12,  257  f.  gegebenen 
Mittheilungen  gibt  J.  v.  Schlosser  in  der  Abhandlung  Typare  und 
Bullen  in  der  Münz-  Medaillen-  und  Antikensammlung  des 
a.  h.  Kaiserhauses  (Jahrbuch  der  Kunstsammlungen  des  a.  h.  Kaiser- 
hauses Bd.  13)  eine  eingehende  Darstellung  mit  zahlreichen  Abbildungen 
der  sphragistisch  wertvollsten  Stücke  jener  Sammlung,  des  Typars 
Rudolfs  I.  von  Habsburg,  des,  wenn  echt,  ältesten  uns  erhaltenen  Original- 
typars eines  deutschen  Königs,  des  Bullenstempels  Clemens  III  und  anderer 
mittelalterlicher  Siegelstempel,  sowie  einer  Anzahl  von  Bullen  von  (Karl  IV., 
des  Concils  von  Basel,  von  Maxmilian  I.  u.  s.  w. 

Im  Zusammenhang  mit  seinem  verdienstlichen,  im  österreichischen 
Herrenhaus  eingebrachten  Antrag  zur  Einleitung  einer  Organisation  des 
österreichischen,  staatlichen  Archivwesens  hat  Freiherr  v.  Helfert  auch 
eine  Schrift  über  »Staatliches  Archiv  wesen*  verfasst ,  die  auf 
Grund  gedruckten  und  zahlreichen  dem  Verf.  zur  Verfügung  gestellten 
amtlichen  Materials  in  allgemeiner  Uebersicht  das  Archivwesen  der  euro- 
päischen Staaten  bespricht.  In  gedrängter  Kürze  wird  über  allgemeine 
Organisation,  Archivbestände,  Aufbewahrung,  Sicherheit,  Archivbeamte, 
Archivtechnik,  Zusammenhang  und  inneren  Verband  der  Archive,  Archiv- 
dienst, wissenschaftliche  Forschung  und  Einsichtnahme  für  andere  Zwecke, 
Veröffentlichungen,  und  Scartirung  (Auscheidung  von  Acten)  Bericht  er- 
stattet. Das  österreichische  Archivwesen  ist  hiebei  mit  Absicht  ausser 
Betracht  gelassen  —  aber  die  Zusammenstellungen  der  Schrift  bilden 
einen  wirksamen  Hintergrund,  um  daran  abzunehmen,  was  die  Organi- 
sirung  unseres  Archivwesens  noch  zu  wünschen  übrig  lässt.  —  Frh. 
v.  Helferts  Arbeit  steht  an  der  Spitze  des  soeben  erschienenen  2.  Bandes 
der  Mittheilungen  der  dritten  (Archiv-)  Section  (Wien  1893), 
die  von  der  k.  k.  Centralcommission  f.  Kunst-  und  histor.  Denkmale  her- 
ausgegeben werden  und  deren  l.Bd.  die  Archivberichte  aus  Tirol  1.  Theil 
enthält.  In  diesem  2.  Bd.  findet  sich  ausserdem:  Bericht  über  die  An- 
legung eines  historischen  Gerichts-Archivs  für  Deutsch- Tirol 
im  neuen  Gerichtsgebäude  in  Innsbruck  von    Alois    Frhr.    v.    Mages ;    Be- 


176  Notizen. 

rieht  über  das  in  den  Archiven  der  Stadt  Brunn  befindliche  kunst- 
historische Quelleninaterial  von  Dr.  Wilh.  Schräm;  Auszug  aus  einem 
vom  Eeg.  Rath  Wussin  erstatteten  Berichte  über  die  Archive  von 
Garsten  und  Gleink;  Eigenhändige  Lebensnachrichten  des  mährischen 
Malers  J.  Chr.  Handke  von  Dr.   Wilh.  Schräm.  0.  R. 

Der  akad.  Historiker-Club  in  Innsbruck  hat  »zur  Erinnerung  an  die 
vor  vierzig  Jahren  begonnene  Lehrthätigkeit  Fickers«  eine  kleine  Fest- 
schrift (Innsbruck,  Selbstverlag  des  Vereines  1893)  hei-ausgegeben,  die 
eine  Würdigung  Fickers  als  Lehrer  und  ein  vollständiges  Verzeichnis 
der  Schriften   und  Werke  desselben  enthält.  0.  R. 

Heinrich  Brunner  hat  sich  den  Dank  weiter  Kreise  erworben, 
indem  er  eine  Sammlung  seiner  rechtsgeschichtlichen  Abhandlungen  her- 
ausgab, unter  dem  Titel  Forschungen  zur  Geschichte  des  deut- 
schen und  französichen  Rechtes  (Stuttgart,  Cotta  1894).  Der 
Band  gliedert  sich  in  die  Abschnitte :  1 .  Zur  Geschichte  des  Lehnwesens 
(Die  Landschenkungen  der  Merowinger  und  Agilolfinger,  Der  Reiterdienst 
und  die  Anfänge  des  Lehnwesens,  Zur  Gesch.  des  Gefolgswesens) ;  2.  Zur 
Geschichte  des  Processrechtes  (Zeugen-  und  Inquisitionsbeweis,  Herkunft 
der  Schöffen,  Wort  und  Form  im  altfranzös.  Process,  Zulässigkeit  der  An- 
waltschaft im  französischen,  normannischen  und  englischen  Recht) ;  3.  Zur 
Geschichte  des  Strafrechtes  (Abspaltungen  der  Friedlosigkeit,  Duodecimal- 
system  und  Decimalsystem  in  den  Busszahlen,  Ueber  absichtslose  Misse- 
that);  4.  Zur  Geschichte  des  Privatrechtes  (Die  fränkisch-romanische  Ur- 
kunde als  Wertpapier,  Zur  Gesch.  des  Inhaberpapiers,  Die  Erbpacht  der 
Formelsammlungen  von  Angers  und  Tours,  Ueber  den  german.  Ursprung 
des  droit  de  retour,  Zur  holländischen  Rechtsgeschichte).  Die  Aufsätze  in 
den  Festgaben  für  Heffter,  Mommsen,  Beseler,  Waitz  und  Gneist  mussten 
—  leider  —  ausgeschlossen  bleiben.  0.  R. 

Die  Gesellschaft  für  deutsche  Erziehung s-  und  Schul- 
geschichte gibt  seit  1891  Mittheilungen  (Berlin,  Hoffmann  &  Comp.) 
heraus,  die  von  dem  Schriftführer  Dr.  K.  Kehr  bach,  dem  hochverdienten 
Begründer  der  Monumenta  Germaniae  Paedagogica,  redigirt  werden  und 
den  Zweck  haben,  eben  dieses  grosse  Unternehmen  und  sein  Weiter- 
schreiten, sowie  deutsche  Erziehungs-  und  Schulgeschichte  überhaupt  zu 
fördern.  Wie  die  Gesellschaft  und  ihre  Ziele,  besonders  die  Begründung 
eines  Archivs  und  einer  Bibliothek  von  allen  erreichbaren  handschrift- 
lichen und  gedruckten  Materialien  zur  deutschen  Schulgeschichte,  auf  das 
lebhafteste  zu  begrüssen  und  zu  unterstützen  sind,  so  verdienen  auch  diese 
Mittheilungen  der  Gesellschaft  allseitige  Förderung.  Sie  sollen  zu  einem 
Mittelpunkte  für  die  deutsche  Unterrichtsgeschichte  werden  und  es  wäre 
sehr  zu  wünschen,  dass  möglichst  viele  derartige  Arbeiten  und  Veröffent- 
lichung von  Materialien  eben  in  diesen  » Mittheilungen «  untergebracht 
würden,  anstatt  in  Local-  und  Provincialblättern  oder  Zeitschriften  zerstreut 
und  dann  vergessen  und  übersehen  zu  werden.  Von  Wichtigkeit  und  Be- 
deutung kann  ja  —  wie  überhaupt  in  der  Historie  —  auch  das  kleinste 
werden,    wenn    es    in  den  rechten  Zusammenhang   gebracht  wird.     So  sei 


Notizen.  177 

denn  ausdrücklich  auf  jene  Quellen  hingewiesen,  deren  Sammlung  §  2  der 
Gesellschaftssatzungen  erstrebt  und  deren  Bekanntmachung  und  Erforschung 
die  »  Mittheilungen  «  dienen:  Schulordnungen  jeder  Art,  Bestallungsurkunden, 
Eidesformeln,  Stundenpläne,  Visitationsprotokolle,  Eechnungen,  Quittungen, 
Schulacten  aller  Art;  Schulbücher;  Biographien,  Tagebücher  u.  s.  w.  von 
pädagogischem  Werte,  bildliche  Darstellungen,  Schulkomödien,  -Reden, 
pädagogische  Gutachten,  Tischzuchten  u.  s.  w.  Ueberdies  findet  sich  ja 
in  allen  möglichen  sonstigen  Quellen  Material  zur  Unterrichts-  und  Er- 
ziehungsgeschichte. Die  zwei  ersten  Jahrgänge  der  »Mittheilungen«  (1891, 
1892)  bringen  eine  Fülle  verschiedenartigster  Beiträge,  deren  mannig- 
faltiger Inhalt  durch  die  jedem  Bande  beigegebenen  sehr  verdienstlichen 
Namen-  und  Sachregister  in  übersichtliche  Ordnung  gebracht  und  so  jedem 
Benutzer  leicht  zugänglich  gemacht  ist.  Auf  einzelne  Aufsätze  sei  noch 
eigens  hingewiesen,  so  Voigt  Das  erste  Lesebuch  des  Triviums  in  den 
Kloster-  und  Stiftsschulen  des  Mittelalters  (Bd.  2,  42),  Schrauf  Eine  Schul- 
ordnung K.  Rudolfs  II.  für  Wien  (Bd.  1,  215),  Hannak  Ein  Beitrag  zur 
Erziehungsgesch.  K.  Maximilians  I.  von  1466  (Bd.  2,  145),  Loesche  Die 
Bibliothek  der  Lateinschule  in  Joachimsthal  (Bd.  2,  207),  Sattler  Zur  Er- 
ziehung des  Königs  Maximilian  IL  von  Bayern  (Bd.   2,  143).  0.  R. 

Die  Mittheilungen  aus  dem  Stadtarchiv  von  Köln  er- 
scheinen seit  1892  unter  Leitung  Joseph  Hansens,  des  Nachfolgers 
Höhlbaums  am  Kölner  Stadtarchiv,  und  sollen  im  alten  Geiste  und  in  der- 
selben trefflichen  Weise  fortgesetzt  werden.  Die  unter  der  neuen  Leitung 
erschienenen  Hefte  20 — 23  schliessen  sich  den  früheren  ebenbürtig  an. 
In  Heft  20  bespricht  H.  Keussen  »Die  Rotuli  der  Kölner  Universität« 
—  es  sind  von  diesen  für  die  Geschichte  der  Universitäten  besonders  wich- 
tigen Aktenstücken  6  aus  der  Zeit  von  1389  — 1431  —  und  gibt  einen 
vollständigen  Abdruck  des  Zweitältesten  Rotulus  mit  143  Nummern  und 
den  Nachweisen  der  Bittsteller  aus  den  Matrikeln;  J.  Hansen  publicirt 
im  Anschluss  an  seine  auf  dem  vatikanischen  Material  beruhende  Arbeit 
über  den  Erzbischof  Gebhard  Truchsess  von  Köln  (Publik,  des  k.  preuss. 
hist.  Instituts  im  Rom  1.  Bd.)  aus  einer  Kopie  im  Kölner  Stadtarchiv  den 
» Informationsprocess  de  vita  et  moribus  des  Kölner  Erzbischof  Gebhard 
Truchsess«  (1579);  der  Aufsatz  »Chroniken  und  verwandte  Darstellungen 
im  Stadtarchiv «  von  K  e  us  s  e  n  und  Hansen  verzeichnet  den  Bestand  des 
Archivs  an  derartigen  handschriftlichen  Aufzeichnungen,  Korth  die  Kölner 
Archivalien  im  Nachlass  von  A.  Fahne  (auf  der  Fahnenburg  in  Düssel- 
dorf), 105  Stücke  von  1219—1748  nebst  verschiedenen  Schreinssachen. 
Die  folgenden  Hefte  beginnen  die  Aufgabe  »neben  der  Fortsetzung  und 
dem  Abschluss  der  Uebersichten,  deren  Veröffentlichung  begonnen  ist,  eine 
andere  grosse  Abtheilung  des  Archivs,  die  Aktenmassen  der  städtischen 
Verwaltung,  in  erster  Linie  der  finanziellen,  neu  zu  erschliessen 1).  .In 
Heft  2 1   gibt  L.  Schwörbel  eine  Uebersicht  über  » die  Rechnungsbücher 


4)  Seitdem  hat  bereits  die  selbständige  Veröffentlichung  von  Acten  zur 
Geschichte  der  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt  Köln 
im  14.  und  15.  Jahrh.  begonnen  und  es  ist  1893  ein  1.  Bd.  bearb.  von  Walther 
Stein  erschienen. 

Mittheilnngen,  XV.  12 


{78  Notizen. 

der  Stadt  Köln  von  1351—1798«  und  in  Heft  23  (1893)  R.  Knipping 
eine  genaue  Stückbeschreibung  dieser,  wie  er  mit  Recht  betont,  ungemein 
wichtigen  Stadtrechnungen.  —  In  Heft  21  publicirt  K.  Höhlbaum  in- 
teressante »Aussagen  und  Urtheile  über  den  Kölner  Aufruhr  von  1525  * ; 
Keussen  und  Knipping  geben  Nachricht  über  den  für  das  Kölner 
Stadtarchiv  erworbenen  Theil  des  Nachlasses  Kessel  (hauptsächlich  Archi- 
valien der  alten  Abtei  St.  Martin  und  der  Pfarrkirche  St.  Brigitta  in  Köln ; 
darunter  eine  unbekannte  Urk.  K.  Adolfs  von  1292  Aug.  5  und  eine  Bulle 
P.  Johann  XXII.  von  1316  Nov.  29).  —  Heft  22  ist  angefüllt  mit  den 
von  Keussen  bearbeiteten  Auszügen  aus  den  stadtkölnischen  Kopien- 
büchern von  144J  — 1444  und  dem  Brief-Einlauf  des  14.  und  15-  Jahr- 
hunderts (zunächst  1320 — 1400),  ein  ungemein  reichhaltiges  Material.  — 
Heft  23  bringt  Ergänzungen  aus  dem  Urkunden- Archiv  der  Stadt  Köln, 
von  1018 — 1400  reichend  und  besonders  von  Bedeutung,  weil  in  sie  die 
aus  der  früheren  Abtheilung  »Köln  und  das  Reich«  (Papierurkunden  des 
14.  Jahrh.)  stammenden  Stücke  aufgenommen  wurden.  —  An  kleineren 
Mittheilungen  enthält  Heft  21  »Entwurf  einer  niederrheinisch-westfälischen 
Kriegsverfassung  vom  J.  1591«  (mitgeth.  von  Höhlbaum),  »Kreutters  topo- 
graphische Sammlung«  (von  Keussen);  Heft  22  »Der  literarische  Nachlass 
des  kölnischen  Historiographen  Stephan  Broelmann«  (von  Knipping); 
Heft  23  »Zur  ältesten  Geschichte  des  Jesuitenordens  in  Deutschland  (von 
Hansen). 

Jahrgang  1- — 4  (1890- — 1892)  des  Jahrbuches  der  Gesellschaft 
für  lothringische  Geschichte  und  Alterthumskunde  (Metz, 
G.  Scriba)  reihen  sich  dem  ].  Bande  des  unter  glücklichen  Auspicien  be- 
gonnenen Unternehmens  (vgl.  Mittheil.  11,  510)  würdig  an  nnd  bieten, 
vielfach  neues  Material  verwertend,  für  die  Geschichte  Lothringens  und 
über  dieses  hinaus  eingehende  und  vielseitige  Specialforschungen.  Der 
Römerzeit  gehören  zwei  Aufsätze  im  Bd.  2  an,  der  von  A.  Eberhard, 
Les  voies  romaines  de  Metz  ä  Treves,  die  archäologische  Untersuchung  von 
0.  A.  Ho f f m a n n ,  » Antonia,  die  Gemahlin  des  Drusus  und  die  Büste  der 
Clytia«,  welche  die  Annahme  vertritt,  dass  die  berühmte  Büste  der  Clytia 
im  britischen  Museum  eine  Porträtbüste  der  Antonia  ist,  sowie  der  an- 
ziehende Vortrag  von  Wichmann  über  Decempagi-Tarquinpol  (Bd.  4b). 
G.  Wolfram  gibt  (Bd.  2)  die  Fortsetzung  der  Regesten  der  in  den  Metzer 
Archiven  beruhenden  Kaisei--  und  Königsurkunden  von  948 — 1399  (mit 
zahlreichen  Emendationen  der  älteren  Drucke  und  dem  Abdrucke  von  drei 
unedirten  Kaiserurk.  von  Friedrich  IL  1215  und  2  von  Karl  IV.  1356), 
sowie  einen  Nachtrag  zu  den  Regesten  der  Papsturkunden  (1130 — 1328) 
und  in  Bd.  4a  Nachricht  über  die  höchst  wertvolle  Erwerbung  der  Archi- 
valien der  alten  Metzer  Familie  de  Heu  für  das  Metzer  Bezirksarchiv  (u. 
a.  5856  Urkunden  vom  1145  an).  Ausser  einer  ausführlichen  Biographie 
des  Bischofs  Adalbero  von  Metz  (929 — 962)  liefert  Wichmann  noch 
eine  diplomatische  Untersuchung  über  Adalberos  Schenkungsurkunde  für 
das  Arnulfskloster  und  ihre  Fälschung  (mit  Facsim.)  mit  dem  Nachweis, 
dass  von  derselben  noch  das  unzweifelhafte  Original  vorliegt,  die  bisher 
bekannte  und  erweiterte  Fassung  aber  Fälschung  des  12.  Jahrh.  ist.  In 
den  »Neuen  Untersuchungen    über   das  Alter  der  Reiterstatuette  Karls  des 


Notizen.  179 

Grossen*  vervollständigt  Wolfram  seine  frühere  Beweisführung  (vgl.  Mit- 
theil. 11,  343),  dass  die  Statuette  ein  Werk  der  Renaissance  sei,  gegen 
die  von  Clemen  erhobenen  und  keineswegs  geschickten  Einwände.  Mehr 
oder  minder  auf  ungedrucktem  Material  beruht  eine  sorgfältige  Abhand- 
lung von  Günther  Voigt  über  Bischof  Bertram  von  Metz  (1180 — 1212) 
in  Bd.  4b  (erster  Theil  über  die  äussere  Thätigkeit  des  Bischofs),  sodann 
die  von  W.  Wieg  and  bearbeiteten  vatikanischen  Regesten  zur  Geschichte 
der  Metzer  Kirche  in  Bd.  4  (zunächst  von  Honorius  III.  bis  Alexander  IV.), 
weiter  die  Aufsätze  von  P  o  i  r  i  e  r  über  die  alte  Pfarre  St.  Simplice  in  Metz 
(Bd.  4b),  von  V.  Chatellain,  Histoire  du  comte  de  Crehange  (so.  Metz, 
bis  zum  Frieden  von  Luneville  eine  Enclave  des  deutschen  Reichs  (Bd.  3 
und  4b)  von  N.  van  Werveke,  Les  relations  entre  Metz  sous  la  regne 
de  Wencezlas,  roi  du  Romains  et  duc  de  Luxembourg  (1383 — 1419  Bd.  3) 
von  0.  Winckelmann,  Beiträge  zur  Geschichte  der  staatsrechtlichen  Be- 
ziehungen Lothringens  zum  Reich  im  16.  Jahrh.,  mit  einem  Nachtrag  von 
Wolfram,  Die  lothringische  Frage  auf  dem  Reichstage  von  Nürnberg 
und  dem  Tage  von  Speier  (Bd.  2),  die  ausführliche  Darstellung  der  Ver- 
hältnisse und  Kämpfe  Lothringens  gegen  Karl  von  Burgund  von  Heinrich 
Witte  (Bd.  2,  3,  4a)  und  Beiträge  zur  Geschichte  der  Herrschaft  Bitsch 
1506 — 1606  (Bd.  4a).  Dazu  kommt  u.  a.  die  Publication  des  Stadtrechtes 
von  St.  Avold  (aus  dem  Ende  des  16.  Jahrh.),  hrg.  von  H.  v.  Hammer- 
stein (Bd.  3)  und  zweier  Privilegien  für  die  Juden  im  Bistum  Metz 
(1422,  1603)  von  N.  Richard  (Bd.  2).  —  Für  die  Geschichte  der  Kunst 
ist,  neben  Aufsätzen  über  die  ehemalige  Deutschordenskapelle  in  Hund- 
lingen  von  H.  Lempfried  (Bd.  2),  über  die  Kreuzkapelle  in  Forbach 
von  M.  Besler  (Bd.  3)  und  über  die  Kleinalterthümer  des  römisch- 
mittelalterlichen Museums  in  Metz  von  0.  A.  Hoffmann  die  Abhandlung 
von  C.  Wahn,  Die  ehemalige  Pfarrkirche  St.  Georg  in  Metz  (mit  Grund- 
riss  und  Abbildungen  Bd.  3)  und  besonders  die  von  Wolfram  über  die 
älteste  Kathedralkrrche  zu  Metz  (um  581  vollendet)  von  Interesse.  —  Be- 
sondere Aufmerksamkeit  ist  auch  wieder  der  Sprachkunde  von  Lothringen 
zugewandt.  In  dem  Aufsatz  Zur  Geschichte  des  Deutschthums  in  Loth- 
ringen (mit  einer  Karte  der  Sprachgrenzen  Bd.  2)  bespricht  Hans  Witte 
die  deutsche  Sprache  in  der  bischöflich  metzischen  Kanzlei,  die  Urkunden- 
sprache in  den  der  Sprachgrenze  nahe  gelegenen  Ortschaften,  die  Stellung 
der  Metzer  Bischöfe  zum  Deutschthum,  die  deutsch  -  französiche  Sprach- 
grenze im  ausgehenden  Mittelalter  bis  zur  Wende  des  16.  Jahrh.  J.  Graf 
weist  (Bd.  2)  die  germanischen  Bestandteile  des  Patois-messin  nach,  in 
Bd.  4b  sind  ältere  Lieder  im  Patois-lorrain-messin  mitgetheilt.  N.  Hou- 
pert  gibt  (Bd.  2)  als  Anhang  zu  seinem  Vortrag  über  das  deutsche  Volks- 
lied in  Lothringen  verschiedene  Proben  des  in  seiner  Urwüchsigkeit  und 
Frische  erhaltenen  deutschen  Volksliedes. 

Es  gibt  unstreitig  wenige  local-historische  Gesellschaften,  denen  eine 
geschichtliche  Ueberlieferung  von  solcher  Mannigfaltigkeit  und  solcher  über 
den  Ursprungsort  weit  hinausreichenden  Bedeutung  zu  Gebote  steht,  wie 
dies  bei  dem  historischen  Verein  von  St.  Gallen  der  Fall  ist. 
Auch  wird  man  bereitwillig  zugeben,  dass  der  Verein  diesen  Umstand 
von   Anfang  an  zu  würdigen  gewusst,  und  es  daher  vorgezogen  hat  seine 

12* 


180  Notizen. 

„Mitteilungen  zur  vaterländischen  Geschichte"  viel  mehr  für  die  Veröffent- 
lichung von  alten  und  ältesten  wertvollen  historischen  Denkmälern  als 
von  Abhandlungen  oft  zweifelhaften  Wertes  zu  benützen.  Bedauerlich  bleibt 
dabei  nur,  dass  mit  diesem  Editionseifer  auch  eine  gewisse  Systemlosigkeit 
gleichen  Schritt  hält,  ein  Uebel,  mit  dem  freilich  die  meisten,  auch  grösseren 
historischen  Gesellschaften  behaftet  sind.  Das  letzte  Heft  der  „Mitteilungen" 
(Band  24  oder  3.  Folge  4.  Bd.  l.  Hafte  —  sehr  bequem  zu  citiren!)  ver- 
einigt wieder  zwei  ganz  verschiedene  Quellen,  nämlich  die  Vita  beati  Galli 
in  der  Bearbeitung  von  Walahfrid  Strabo  hrg.  von  E.  T  h  u  1  i  und  einen 
ersten  Theil  der  Vadianischen  Briefsammlung  hrg.  von  E.  Arbenz.  Der 
Abdruck  der  Vita  wird  mit  dem  Hinweis  auf  eine  bezügliche  Anregung 
Dümmlers  gerechtfertigt.  Ich  muss  es  dahin  gestellt  sein  lassen,  ob  er 
auch  von  der  Ausgabe  selbst  befriedigt  wäre.  Damit  soll  jedoch  kein 
Zweifel  in  die  Genauigkeit  des  hergestellten  Textes  der  Vita  ausgesprochen 
sein.  Beigegeben  ist  ein  hübsch  ausgeführtes  Facsimile  der  St.  Galler 
Handschrift  der  Vita  (9.  Jht.).  Warum  aber  nur  in  halber  Grösse  des 
Originales?  —  Höheres  Interesse  beansprucht  die  zweite  Publikation.  Dass 
man  den  Entschluss  gefasst  hat,  den  Briefwechsel  Vadians  trotz  seiner  etwas 
beklemmenden  Stofffülle  ganz  zu  veröffentlichen,  wird  bei  allen  Forschern 
auf  dem  Gebiete  des  Humanismus  unbedingte  Anerkennung  finden.  Auch 
den  für  die  Ausgabe  angenommenen  Grundsätzen  wird  man  beipflichten 
dürfen.  Offenbar  will  man  zunächst  alle  an  Vadian  gerichteten  Briefe 
bekannt  machen.  Ich  schliesse  das,  da  es  in  der  Vorrede  nicht  gesagt 
ist,  daraus,  dass  die  mitgetheilte  Serie  keinen  einzigen  von  Vadian  ge- 
schriebenen Brief  enthält.  Auf  alle  Fälle  wäre  die  Anwendung  dieses 
Princips  nur  zu  billigen.  Erst  wenn  dieser  Teil  der  Correspondenz  voll- 
ständig vorliegt,  lässt  sich  der  Umfang  derselben  ganz  überblicken  und 
sind  die  nöthigen  Anhaltspunkte  für  die  Nachforschung  nach  den  jeden- 
falls sehr  zerstreuten  Briefen  Vadians  selbst  gegeben.  Auch  die  spätere 
Benützung  würde  durch  diese  Theilung  unzweifelhaft  erleichtert.  Mit  den 
sonstigen  vom  Hrsg.  beliebten  Einzelheiten  —  Anbringung  von  Begesten 
und  erläuternden  Anmerkungen,  —  wird  man  sich  ebenfalls  einverstanden 
erklären  können.  Dem  Unternehmen,  das  in  guten  Händen  liegt,  ist  also 
nur  rascher  Fortgang  und  allseitige  Förderung  zu  wünschen.        R.  Th. 

Ein  höchst  dankenswertes  Werk  ist  das  im  Auftrage  der  allgem.  ge- 
schichtsforschenden  Gesellschaft  der  Schweiz  von  J.  L.  Brandstetter 
bearbeitete  Repertorium  über  die  in  Zeit-  und  Sammelschriften 
der  Jahre  1812  — 1890  enthaltenen  Aufsätze  und  Mitteilungen 
schweizergeschichtlichen  Inhalts  (Basel  1892).  Ein  l.  Theil 
bietet  das  Verzeichnis  der  Zeit-  und  Sammelschriften,  der  2.  Theil  das 
systematische  Verzeichnis  der  Abhandlungen  und  Mittheilungen.  Dies  letz- 
tere theilt  sich  in  vorrömische  Zeit,  römische  Zeit,  Mittelalter  und  Neu- 
zeit. Diese  dritte  grösste  Gruppe  ist  wieder  geschieden  in :  1 .  Geschichte, 
2.  Personengeschichte,  3.  Ortsgeschichte,  4.  Kirchengeschichte,  5.  Quellen 
zur  Geschichte,  6.  Hilfswissenschaften  zur  Geschichte,  7.  Verfassungs-  und 
Rechtsgeschichte,  8.  Kunst  und  Altertum,  9.  Wissenschaft  und  Unterricht, 
10.  Sprachgeschichte,  11.  Literaturgeschichte,  Theater  und  Musik,  ^.Kultur- 
geschichte,   13.  Kritik  historischer  Werke,    14.  Reisen,    15.  Naturchronik, 


Notizen.  181 

Lebensmittelpreise,  16.  Feuersbrünste,  17.  Chronik  der  Gegenwart,  18.  Re- 
gister, Totenschau,  19.  Biographieen  und  Necrologe.  Ein  3.  Theil  enthält 
das  Verfasserregister.  Wird  man  auch  mit  der  Eintheilung  nicht  überall 
einverstanden  sein  können  und  wirkt  bei  den  alphabethischen  Namen- 
registern das  Vorausstellen  der  Vornamen  wenig  übersichtlich,  da  man  ja 
doch  nach  dem  Geschlechtsnamen  sucht,  so  sind  das  kleine  Mängel  gegen- 
über dem  grossen  und  offenbaren  Nutzen  eines  solchen  Werkes  und  der 
überaus  sorgsamen  Bearbeitung.  0.  R. 

Erwünschte  Beleuchtung  der  verschlungenen,  noch  vielfach  dunklen 
Frage  nach  den  Quellen  der  Pöhlder  Chronik  und  der  mit  ihr  verwandten 
ostsächsischen  Quellen,  des  Annalista  Saxo,  der  Magdeburger  Geschichts- 
werke u.  s.  w.  bildet  die  tüchtige,  scharfsinnige  und  besonnene  Unter- 
suchung von  H.  Herre:  Ilseburger  Annalen  als  Quelle  der 
Pöhlder  Chronik  (Leipzig  in  Comm.  der  Hinrichs'schen  Buchhandlung, 
1890).  Theils  anknüpfend,  noch  mehr  aber  im  Gegensatz  zu  den  An- 
sichten von  Waitz,  Scheffer-Boichorst,  Bernheim,  Heinemann  und  anderen 
verficht  Herre  mit  guten  Gründen  die  Behauptung,  dass  die  bisher  etwas 
überschätzten  (verlorenen)  Rosenfelder  Annalen  keine  Quelle  der  Annales 
Palidenses  waren.  Auf  Grund  einer  Vergleichung  der  übereinstimmenden 
Nachrichten  des  ganzen  Quellenkreises  wird  vielmehr  dargelegt,  dass  die 
Pöhlder  Jahrzeitbücher  für  die  Jahre  1138 — 1164  vornehmlich  auf  einer 
einzigen  und  einheitlichen  Quelle  beruhen,  welche  in  staufischer  Gesinnung 
und  von  sächsischem  Standpunkt  aus  geschrieben  war.  Als  die  Heimat 
dieser  1125 — 1164  gleichzeitig  (?)  geführten  Annalen  wird  das  Kl.  Ilsen- 
burg angenommen,  dessen  Geschichte  daher  eingehend  erzählt  wird.  Herre 
bezeichnet  seine  Untersuchungen  als  Theil  einer  grösseren  Arbeit  über  die 
Pöhlder  Chronik;  nach  der  gegebenen  Probe  wird  dieselbe  ein  wichtiger 
Beitrag  zur  sächsichen  Historiographie  werden,  wenn  sich  auch  nicht  alle 
Aufstellungen  Herre's,  oder  doch  nicht  in  vollem  Umfange  aufrecht  erhalten 
lassen  sollten.  E.  v.  0. 

B.  Kugler  berichtet  im  Verzeichnis  der  1892 — 93  von  der  philos. 
Facultät  Tübingen  ernannten  Doctoren  über  Eine  neue  Handschrift 
der  Chronik  Alberts    von    Aachen  und  gibt  deren  Varianten. 

Ein  dankbares  und  wichtiges  Gebiet  behandelt  die  noch  von  Weiz- 
säcker angeregte  Arbeit  von  Victor  Menzel,  Deutsches  Gesandt- 
schaftswesen im  Mittelalter  (Hannover,  Hahn  1892).  In  klarer 
Gliederung  des  Stoffes  bespricht  M.  nach  einer  Einleitung  über  Ursprung, 
Klassen  und  Acten  der  Gesandten  die  Acten  deutscher  Gesandtschaften 
im  Mittelalter,  diplomatisches  Verfahren  und  Ceremoniell,  Personal,  Dauer, 
Beförderung,  Gesandtschafts-Kosten  und  Gesandtschaftsrecht.  Die  ersten 
beiden  Abschnitte  scheinen  uns  die  wertvollsten  uud  fruchtbarsten  des 
Buches  zu  sein;  die  Erörterungen  über  die  Negociationspapiere  und  -belege 
und  über  Hilfspapiere  der  Gesandten  wird  sich  auch  die  Urkundenlehre 
zu  Nutzen  machen  müssen.  Dass  bei  einer  Arbeit  auf  so  weitem  Gebiete 
gar  manches  Material  unbenutzt  geblieben,  ist  ja  natürlich,  aber  doch 
manchmal    bedauerlich;    die    verhältnismässig    reichen    Quellen  z.  B.  über 


\%2  Notizen. 

die  vielen  Gesandtschaften  Rudolfs  von  Habsburg  hätten  dem  Verf.  in  gar 
vielen  Puncten  seiner  Darstellung  willkommene  und  bessere  Belege  bieten 
können.  Unmittelbar  den  Gegenstand  berührende  Vorarbeiten  jedoch  hätte 
der  Verf.  nicht  übersehen  sollen,  so  die  Geschichte  des  Institutes  der 
missi  dominici  von  V.  Krause  (Mittheilungen  der  Instituts  11,  193  ff.), 
die  ihn  vor  der  Auffassung  der  Köni^sboten  als  Gesandten  bewahrt  hätte, 
und  den  Aufsatz  von  Schaube  Zur  Entstehungsgeschichte  der  ständigen 
Gesandtschaften  (Mitth.  d.  Inst.   10,   501   ff).  0.  ß. 

In  der  Schrift  Die  Fabel  von  der  Bestattung  Karls  des 
Grossen  (Aachen  1893;  8°,  82  S.)  begründet  Theodor  Lindner 
nochmal  im  einzelnen  und  allseitig  den  schon  früher  von  ihm  erbrachten 
und,  wenn  auch  hie  und  da  aus  Anhänglichkeit  an  die  poetische  Tra- 
dition mit  einigem  Widerstreben,  so  doch  jetzt  ziemlich  allgemein  aner- 
kannten Nachweis,  dass  Karl  der  Grosse  nicht,  wie  die  bekannten  Berichte 
über  die  Eröffnung  des  Grabes  durch  Otto  III.  besagen,  auf  dem  Thron 
im  vollen  Ornat  sitzend,  sondern  in  einem  Sarge  bestattet  worden  ist. 
Ausser  einer  eingehenden  und  scharfsinnigen  Kritik  des  gesammten  Quellen- 
materials, deren  wesentliche  Ergebnisse  zur  Genüge  gesichert  sind,  bringt 
die  Schrift  auch  ein  Gutachten  des  Professors  der  Anatomie  in  Halle  a.  S., 
H.  Welcher,  über  »Das  Verhalten  der  frischen  Leiche«  (S.  40),  welches 
die  Beisetzung  der  Leiche  Karls  —  er  starb  am  28.  Jänner  um  9  Uhr 
vormittags  und  wurde  noch  am  selben  Tage,  bei  der  kurzen  Tagesdauer 
also  wenige  Stunden  später,  des  Seelengottesdienstes  wegen  vielleicht  schon 
vormittags,  bestattet  —  in  sitzender  Stellung  als  ausgeschlossen  erscheinen 
lässt.  Die  Argumentation  bezieht  auch  den  Gebrauch  der  Beerdigungen 
im  früheren  Mittelalter  und  die  sehr  wenigen  Fälle  ein,  welche  sich  für 
Beisetzung  auf  einem  Thron  anführen  Hessen,  und  gibt  hier  dem  an  sich 
späteren  Bericht  Thietmars  über  die  Bestattung  des  Bischofs  Sigmund  I.  von 
Halberstadt  eine  allerdings  kühne,  aber  immerhin  noch  die  annehmbarere 
Deutung.  Die  Frage  darf  jetzt  wohl  als  endgiltig  gelöst  betrachtet  werden. 
Der  Einwand,  den  Grauert  in  einer  Besprechung  der  Schrift  Lindners 
(Hist.  Jahrbuch  14,  302  f.)  erhebt,  dass,  wofür  er  auch  nur  eine  sehr 
späte  Nachricht  anführt,  griechische  Geistliche  auf  einem  Sessel  sitzend 
bestattet  wurden  wie  auch  in  neuester  Zeit  ein  Patriarch  von  Konstan- 
tinopel, wird  kaum  einen  Belang  für  sich  beanspruchen,  abgesehen  davon, 
dass  für  eine  derartige  Bestattung  der  griechischen  Kaiser  sich  kein  be- 
stimmter Beleg  findet.  Wie  sollte  man  in  jener  Zeit  und  bei  den  häufig 
sich  reibenden  Gegensätzen  zwischen  lateinischer  und  griechischer  Kirche 
in  Aachen  dazu  gekommen  sein,  entgegen  dem  abendländischen  Beerdigungs- 
brauch die  Bestattungsweise  griechischer  Geistlicher  oder  überhaupt  eine 
griechische  oder  orientalische  Ausnahmsart  bei  der  Beisetzung  des 
grossen  Kaisers  zum  Muster  zu  nehmen?  E.  M. 

Eine  Arbeit,  die  vor  allem  den  Wunsch  anregt,  dass  sie  anderweitig 
Nachahmung  finde,  ist  die  von  Hermann  Ludwig  von  Jan,  Das 
Elsass  zur  Karolingerzeit  (Freiburg  i.  B.  1892;  8  °,  56  S.,  Sonder- 
abdruck aus  der  Zeitschr.  f.  die  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  Bd.  7).  Auf 
gründlichen  Quellenstudien  und  genauester  Ortskenntnis  fussend  bietet  sie 


Notizen.  183 

in  übersichtlichster  Form  ein  alphabetisches  Verzeichnis  aller  in  der  Ka- 
rolingerzeit genannten  Ortschaften  des  Elsasses  mit  den  Quellenbelegen, 
eine  Zusammenstellung  der  alten  Namensformen  und  der  begüterten 
Kirchen  sammt  einer  Karte.  Fraglich  mag  nur  die  Berechtigung  zur  Ver- 
wertung der  Fälschungen  eben  für  die  Karolingerzeit  selbst  erscheinen, 
da  es  sich  in  vielen  Fällen  doch  auch  um  späteren  Besitz  bandelt.  E.  M. 

Heinrich  Finke,  Konzilienstudien  zur  Geschichte  des 
1  3.  Jahrhunderts:  Ergänzungen  und  Berichtigungen  zu  Hefele-Knöpfier 
» Conciliengeschichte *  Band  V  und  VI.  (Münster  Begensberg  1891).  Die 
Concilienstudien  enthalten  zwei  Abhandlungen:  »Neue  Aktenstücke  zur 
Geschichte  des  Lyoner  Konzils  von  1274*  und  »Das  Mainzer  Provinzial- 
konzil  von  1261*.  Die  erstere  stützt  sich  auf  eine  Handschrift  des  Osna- 
brücker Bathsgymnasiums ;  die  Actenstücke  hat  F.  am  Schlüsse  der  Schrift 
edirt.  Die  zweite  Abhandlung  untersucht  die  Statuten  des  Mainzer  Concils 
von  1261  und  kommt  zu  dem  Besultat,  dass  dieselben  zum  grössten  Theile 
aus  den  Statuten  der  Synode  von  Fritzlar  (1244)  entnommen  sind.  Die 
»Ergänzungen  und  Berichtigungen*  erstrecken  sich  auf  die  Concilien- 
geschichte des  13.  Jahrhunderts  und  enthalten  manche  wichtige  Nummern 
so  z.  B.  1,  43,  58.  66.  (im  Ganzen  78  N.)  Anderes  hätte  der  Verf. 
vielleicht  weglassen  können;  von  Bedeutung  sind  im  Allgemeinen  doch 
nur  jene  Concilien,  deren  Statuten  uns  bekannt  sind.  0.  H. 

In  der  Zeitschr.  des  böhm.  Museums  beschäftigt  sich  Noväcek  mit  dem 
Aufenthalte  Karls  IV.  an  dem  päpstl.  Hofe  zu  Avignon  im 
J.  1365.  (Karla  IV.  pobyt  pfi  dvofe  dvofe  papezskem  r.  1365.  Sep.-Abdr. 
S.  1 — 20.)  Der  Verf.  schildert  eingehend  die  Eeise  des  Kaisers  und  den 
Aufenthalt  desselben  in  Avignon  und  stellt  das  Itinerar  Karls  vom  1 0.  April 
bis  9.  Juni  1365  fest.  Ueber  den  Inhalt  der  Verhandlungen  mit  dem 
Papste  (welche  das  Uebersiedeln  desselben  nach  Born  bezweckten),  bietet 
auch  diese  Abhandlung  keinen  endgiltigen  Aufschluss.  Dafür  enthält  sie 
eine  Menge  neuer  und  interessanter  Details  über  das  Leben  an  dem  päpst- 
lichen Hofe  während  eines  so  ausserordentlichen  Besuches.  Als  Quelle 
der  Schilderung  dienten  Nachrichten  des  Chronisten  Neplach  (Böhm. 
Geschichtsquellen  III.  S.  482  ff.),  der  über  die  avignonesischen  Begebenheiten 
von  einem  Augenzeugen  unterrichtet  wurde,  und  die  Libri  introitus 
et  exitus  des  Vatican.  Archivs  (No.  310.  ann.  pontif.  Urb.  V.  III.). 
Excerpte  aus  diesen  (No.  1 — 24)  sind  als  Beilage  abgedruckt.  Von  der 
Krönung  mit  der  Arelatischen  Krone  meint  der  Verf.,  es  sei  keine  leere 
Ceremonie  ohne  Bedeutung  gewesen,  sondern  ein  vorbedachter  Akt,  welcher 
in  Verbindung  mit  einigen  eben  damals  angeführten  Beformen,  einen 
engeren  Anschluss  des  genannten  Königreiches  an  das  röm.  Beich  und  das 
Verhindern  einer  allmähligen  Verschmelzung  mit  Frankreich  anstrebte.  V.  Kr. 

Ad.  Novacek  theilt  in  den  Sitzungsber.  der  k.  böhm.  Gesellsch.  d. 
W.  1893  eine  Keihe  von  Vemeschriften  aus  dem  Egerer  Archiv 
mit,  welche  die  Ausdehnung  der  Vemegerichtsbarkeit  auch  auf  das  nord- 
westliche Böhmen  im    15.  Jahrhundert  erweisen.  0.  B. 


184  Notizen. 

Die  Verfassung  Genuas  in  seiner  mittlem  Epoche,  d.  h.  während  der 
Zeit,  in  welcher  die  Compagna  (Stadtgenossenschaft)  nicht  mehr  Consuln 
aus  ihrer  Mitte  zur  Geschäftsleitung  berief,  sondern  um  die  innere  Euhe 
nicht  zu  gefährden,  einen  auswärtigen  Edeln  als  Podestä  erwählte,  be- 
handelt eingehend  Georg  Caro,  Studien  zur  Geschichte  von 
Genua  1.  Die  Verfassung  Genuas  zur  Zeit  des  Podestats 
(1190 — 1257).  Strassburg  Heitz  1891,  169  S.  Mit  Eecht  betont  der 
Verfasser,  dass  gerade  aus  dieser  Zeit  relativer  Euhe,  in  welcher  historische 
Quellen  aller  Art  so  reichlich  fliessen  (ausser  gedruckten  konnte  er  noch 
die  reichen  handschriftlichen  Sammlungen  Wüstenfelds  benutzen),  am  besten 
geeignet  sei  das  Dunkel  der  altern  Zeit  zu  erhellen  und  die  Ursachen 
bioszulegen,  welche  zum  Umsturz  von  1257  und  zu  den  langdauernden 
Kämpfen  zwischen  den  Nobili  und  Populani  führten.  Zu  rügen  ist  die 
Ausstattung  wegen  des  augenverderbenden  kleinen  Druckes.       E.  v.  0. 

F.  C.  Carreri,  der  sich  schon  vielfach  mit  der  Geschichte  des  merk- 
würdigen friaulischen  Burgortes  Spilimbergo  beschäftigt  hat,  beabsichtigt 
gemeinsam  mit  Vincenzo  Joppi  einen  »Codice  diplomatico  Spilimbergese « 
herauszugeben,  welcher  für  die  Geschichte  Friauls  gewiss  recht  wichtig 
werden  wird  und  viele  Beiträge  zur  eigenthümlichen  Entwicklung  des  Adels 
und  Feudalwesens  in  dieser  Grenzgegend  erwarten  lässt.  Aus  den  Vorbe- 
reitungen Carreris  zu  diesem  Unternehmen  entstand  der  Aufsatz:  Del  buono 
governo  spilimbergese  (Arch.  Veneto  37,  parte  II,  und  separat,  47  S.) 
—  so  betitelt,  da  der  Verfasser  ein  unbedingter  Verehrer  mittelalterlicher 
Zustände  ist.  Carreri  theilt  in  diesen  »note  storiche«  allerlei  Interessantes 
aus  seinem  reichen  Schatz  friaulischer  Documente  mit,  z.  B.  ein  Verzeichnis 
des  Silberschatzes  einiger  H.  v.  Spilimbergo  von  1367;  mit  Eecht  merkt  er 
p.  26  an,  dass  es  ein  eclatanter  Beweis  für  die  Erhaltung  der  deutschen 
Tradition  im  Haus  der  Spilimbergo  sei,  wenn  1401  Eudolf  v.  Walsee 
dem  Wenzel  v.  Sp.  die  österreichischen  Güter  in  Pordenone  durch  eine 
deutsche  Urkunde  in  Pacht  gibt.  Um  all'  diese  Mittheilungen  in  frucht- 
baren Zusammenhang  zu  bringen,  fehlt  es  dem  Verfasser  freilich  an  der 
Kenntnis  und  Erkenntnis  der  mittelalterlichen  Verfassungsgeschichte.  E.  v.  0. 

Die  Eestauration  des  Stadthauses  von  Portogruaro  gab  E.  Degani, 
dem  eifrigen  Localhistoriker  des  westl.  Friaul  den  Anlass,  in  anziehender 
Form  die  Geschichte  jener  Stadt  bis  zur  Occupation  durch  die  Venetianer 
zu  erzählen  (II  Comune  di  Portogruaro,  sua  origine  sue  vicende 
1140 — 1420).  Portogruaro  war  der  bedeutendste  Ort  des  vielleicht  un- 
bedeutendsten Suffragans  des  Patriarchen  vonAquileja;  die  Stadt  ist  trotz 
allerlei  Streitigkeiten  stets  in  bestimmtester  Abhängigkeit  von  diesem 
Herren  geblieben.  Danach  kann  man  ihre  Wichtigkeit  bemessen.  Nie 
hat  sie  bedeutende  Ereignisse  erfahren.  Und  doch  ist  ihre  Geschichte 
nicht  uninteressant,  weil  wir  ihre  Gründung  verfolgen  können.  Sie  ver- 
dankt ihr  Leben  dem  deutsch-venetianischen  Handel,  der  soweit  als  mög- 
lich die  Flussläufe  benutzte.  Indem  Bischof  Gervinus  im  J.  1140  die 
Portulani  von  allen  Abgaben  ausser  der  Maut  und  dem  Grundzins  für 
die  Häuser  befreite,  machte  er  die  unmittelbare  Umgebung  seines  bisch. 
Schlosses  zum  Stapelplatz  für  die  Schiffahrt  auf  dem  Lemene.     Nach  einer 


Notizen.  185 

interessanten  fiscalischen  Stadtbeschreibung  von  1339  zählte  Portogruaro 
damals  314  Häuser  (p.  131).  Wie  so  vielfach  in  Friaul  scheint  auch 
hier  Analogie  mit  deutschen  Verhältnissen  obzuwalten ;  dass  das  alte 
Stadtarchiv  längst  schon  in  Flammen  aufgegangen  (p.  109),  las  st  leider 
den  Uebergang  zu  italienischen  Bräuchen  auch  in  der  Stadtverwaltung 
nicht  deutlich  verfolgen.  E.  v.  0. 

Vincenzo  Joppi  Di  Cividale  delFriuli  e  dei  suoi  ordi- 
namenti  amministrativi,  giudiziari  e  militari  (Udine  1892) 
bespricht  nach  einer  Uebersicht  über  die  Geschichte  Cividales  die  1891 
von  Emilio  Volpe  edirten,  1307 — 1309  aufgezeichneten  Ordinamenta  seu 
Statuta  Civitatis  Austrie  und  die  daran  sich  schliess enden  weiteren  Sta- 
tuten, sowie  eine  Reihe  älterer  und  jüngerer  Documente,  die  für  straf- 
und  civilrechtliche  Verhältnisse  Cividales  von  Wichtigkeit  sind  und  die  er 
im  Anhange  abdruckt.  Die  Urkunden  reichen  von  1205  bis  1416,  es  be- 
finden sich  darunter  auch  vier  der  Patriarchen  Raimund  und  Ottobonus 
von  Aquileja  von   1280,    1281,   1296  und   1313.  0.  R. 

Von  M.  Baltzer  ist  zur  Säcularfeier  der  Vereinigung  Danzigs  mit 
der  preussischen  Monarchie  (7.  Mai  1893)  ein  wertvoller  Beitrag  er- 
schienen: Zur  Geschichte  des  Danziger  Kriegswesens  im  14. 
und  1  5.  Jahrhundert  (Programm  des  Gymnasiums  zu  D.  Ostern  1893). 
Das  Danziger  Stadtarchiv  bot  hiezu  in  den  Berichten  der  Feldhauptleute 
ein  besonders  anziehendes  Material,  die  Bedeutung  der  Stadt  verleiht  der 
Studie  mehr  als  localgeschichtlichen  Wert.  B.  bespricht  in  knapper,  aber 
stets  reich  belegter  Darstellung  die  Wehrpflicht  der  Bürger,  Stellver- 
tretung, Theilnahme  der  Schiffer  und  Zünfte  am  Krieg,  Dauer  des  Dienstes 
und  Controlle,  Soldtruppen  der  Stadt,  Dienst  zu  Ross  und  zu  Fuss,  Schutz- 
waffen, Angriffswaffen,  Belagerungsgerät,  Feuerwaffen,  Rüstkammer  und 
Marstall,  Verwaltung  und  Disciplin,  Lagerung,  Wachen  und  Spielleute, 
Banner,  Kampfes  Vorbereitungen  und  Angriff,  Verwundete  und  Gefangene. 
Am  Schlüsse  gibt  der  Verf.  ein  Register  der  vorkommenden  technischen 
Ausdrücke.  0.  R. 

Im  Jahrbuch  für  Schweizer  Geschichte  1893  Bd.  15  veröffentlichte 
Aloys  Schulte  eine  Abhandlung  Gilg  Tschudi,  Glarus  und 
Saeckingen,  die  nicht  verfehlt  hat,  in  Glarus  eine  gewisse  Aufregung 
hervorzurufen.  Sie  tritt  nämlich  den  Nachweis  an,  dass  eine  Reihe  von 
Urkunden,  die  für  die  ältere  Geschichte  von  Glarus  von  grundlegender 
Bedeutung  sind,  durch  Aegydius  Tschudi,  den  bekannten  schweizerischen 
Geschichtschreiber  des  16.  Jahrh.  zum  Theil  ganz  erfunden,  zum  Theil 
verfälscht  wurden,  um  sein  Geschlecht  und  andere  als  edle  und  freie  im 
Lande  Glarus  schon  seit  den  ältesten  Zeiten  hinzustellen  und  seiner 
Familie  auf  Grund  dieser  Documente  im  Jahre  1559  von  K.  Ferdinand  I. 
den  Adel  bestätigen  zu  lassen.  Mit  dem  Gelingen  dieses  Nachweises 
muss  auch  die  bisherige  Ansicht  fallen,  der  Canton  Glarus  habe  eine 
wesentlich  aristokratische,  von  den  benachbarten  Thalgemeinden  z.  B.  Uri 
verschiedene  Ständeverfassung  besessen.  Dieser  negative  Theil  der  Beweis- 
führung erhält,    wie    wir  glauben,    überzeugende  Kraft  durch  den  zweiten 


|g6  Notizen. 

positiven  Abschnitt,  der  auf  Grund  bisher  unbenutzter  Archivalien  des 
Klosters  Saeckingen  zeigt,  dass  das  ganze  Glarner  Land  Grundeigentum 
des  Frauenstiftes  Saeckingen  war,  dass  dementsprechend  die  Bevölkerung 
aus  sehr  wenigen  Ministerialengeschlechtern,  ihrer  Masse  nach  aber  aus 
bäuerlichen  Unfreien  bestand,  an  deren  Spitze  die  Meier  des  Klosters  stand. 
Weitere  Ausführungen  beschäftigen  sich  in  mannigfach  anregender  Weise 
mit  dem  Meieramt  in  Glarus,  mit  der  Vogtei  über  Saeckingen  und  Glarus 
und  den  Habsburgern,  mit  dem  Kelleramt  und  den  Klostereinkünften  in 
Glarus.  In  zwei  Excursen  endlich  handelt  Seh.  über  die  Anfänge  des 
Klosters  Saeckingen  (hl.  Fridolin  und  hl.  Hilarius)  und  über  die  Be- 
sitzungen dieses  Klosters.  —  Fällt  so  auf  Gilg  Tschudi  ein  tiefer  Schatten, 
so  betont  Seh.  ausdrücklich  und  mit  Recht,  dass  ihm  noch  genug  des 
verdienten  Ruhmes  übrig  bleibt.  0.  R. 

Moritz  Stern  veröffentlichte  in  den  letzten  Jahren  eine  Reihe  von 
Schriften  zur  Geschichte  der  Juden:  Die  israelitische  Bevölkerung 
der  deutschen  Städte  I.  Ueberlingen  am  Bodensee  (l890),  wo  seit 
dem  Beginn  des  13-  Jahrhundert  Juden  nachweisbar  sind,  II.  Kiel  (1892) 
seit  Ende  des  17.  Jahrhunderts.  Die  Quellenkunde  zur  Geschichte  der 
deutschen  Juden  (Kiel  1892)  gibt  in  diesem  1.  Theil  eine  dankens- 
werte Zusammenstellung  der  Zeitschriftenliteratur.  Die  letzte  Publication 
bilden  Urkundliche  Beiträge  über  die  Stellung  der  Päpste 
zu  den  Juden  (Kiel  1893,  1.  Heft),  aus  zahlreichen  Archiven,  besonders 
dem  vaticanischen,  zusammengetragen.  Das  älteste  Stück  ist  eine  Bulle 
Papst  Gregors  X.  von  1272  Oct.  7  (in  der  Cardinalliste  hätte  das  rich- 
tige Ancherus  der  Copie  nicht  in  Antonius  geändert  werden  sollen);  das 
nächste  ein  umfangreiches  Document  Graf  Eduards  von  Savoyen  von  1329, 
die  Mehrzahl  der  Stücke  entstammt  dem   15.  und   16.  Jahrhundert.    0.  R. 

Die  österr.  Leo-Gesellschaft  beabsichtigt  ein  Unternehmen  Quellen 
und  Forschungen  zur  Geschichte,  Literatur  und  Sprache 
Oesterreichs  und  seiner  Kronländer  unter  der  Leitung  der  Pro- 
fessoren J.  Hirn  und  J.  E.  Wackernell  in  Innsbruck  herauszugeben. 
»Sie  sollen  Abhandlungen  und  Ausgaben  enthalten,  Biographien  einzelner 
Persönlichkeiten  und  zusammenfassende  Darstellungen  kleinerer  Perioden 
oder  grösserer  Zeiträume.«  Als  erste  Publicationen  werden  erscheinen 
eine  Ausgabe  der  altdeutschen  Passionsspiele  aus  Tirol  von  J.  E.  Wacker- 
nell (bereits  im  Druck)  und  Briefe  der  Grossherzogin  Magdalena  von 
Florenz  an  ihren  Bruder  Erzh.  Leopold  von  Tirol  (1618  — 1632)  von  J.  Hirn. 

Die  Zeitschrift  des  Ferdinandeums  für  Tirol  und  Vorarlberg  bringt  in 
ihren  zwei  letzten  Jahrgängen  (36.  und  37.  Bd.,  1892,  1893)  einige  sehr 
bemerkenswerte  Arbeiten.  T.  v.  Sartori-  Montecroce  bietet  eine  ein- 
gehend, sorgsam  und  gut  gearbeitete  Abhandlung  über  Die  Thal-  und 
Gerichtsgemeinde  Fleims  und  ihr  Statutarrecht  (Bd.  36).  Das 
Thal  Fleims,  bis  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  eine  politische  Gemeinde 
und  heute  noch  eine  Wirtschaftsgemeinde,  auf  italienischem  Gebiet,  war 
ein  ganz  besonders  interessanter  Gegenstand  rechtshistorischer  Bearbeitung. 
Im  Anhang  veröffentlicht  der  Verf.  das  bisher  noch  nie  edirte  Statut  von 


Notizen.  187 

Fleims  in  der  allein  erhaltenen  italienischen  Fassung  von  1533/34  und 
gibt  eine  sehr  verdienstliche  Bibliographie  der  italienisch -tirolischen  Sta- 
tuten überhaupt  —  ein  Verzeichnis,  das  zu  einer  Sammlung  und  Heraus- 
gabe dieser  Statuten  gleich  den  deutschen  Weisthümern  geradezu  heraus- 
fordert. —  Zwei  andere  Arbeiten  sind  dankenswerthe  Beiträge  zur  Historio- 
graphie des  15.  Jahrhunderts.  V.  Schaller  (leider  1892  allzufrüh  ge- 
storben), Ulrich  II.  Putsch,  Bischof  von  Brixen  und  sein 
Tagebuch  (1427—1436)  (Bd.  36  S.  225  ff.,  Nachtrag  S.  568).  Nach 
einer  sorgfältig  gearbeiteten  Biographie  des  politisch,  literarisch  und  für 
Kunst  sehr  thätigen  Bischofs  Ulrich  II.  von  Brixen  veröffentlicht  Seh.  dessen 
im  Innsbrucker  Statth.  Archive  in  Autograph  vorhandenes  Tagebuch,  eine 
eigenartige,  unmittelbar  anmutende,  und  für  die  tirolische  Geschichte  jener 
Zeit  hervorragende  Quelle;  bisher  war  sie  nur  in  Auszügen  Sinnachers 
bekannt,  aber  zu  wenig  beachtet  gewesen.  —  Leben  und  Schriften 
des  Doctor  Johannes  Hinderbach,  Bischofs  von  Trient 
(1465  —  i486)  behandelt  Victor  v.  Hofmann  -  Wellenhof  (Bd.  37 
S.  203  ff.).  In  sorgsamer  Weise  sind  alle  Nachrichten  über  das  Leben 
des  aus  Hessen  stammenden,  am  Hofe  K.  Friedrichs  III.  emporgekommenen 
Humanisten  und  —  freilich  wenig  glücklichen  —  Diplomaten  gesammelt. 
Hinderbach  zählt  zu  den  nicht  zahlreichen  Männern,  die  schon  um  die 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  Deutschland  die  humanistische  Eichtung 
mit  Erfolg  vertraten  und  pflegten ;  auch  als  Bischof  von  Trient  förderte 
er  wissenschaftliche  und  künstlerische  Bestrebungen  *).  Seine  Fortsetzung 
der  von  Aeneas  Sylvius  verfassten  Geschichte  K.  Friedrichs  III.  bespricht 
der  Verfasser  eingehend  und  würdigt  dann  Hinderbachs  Thätigkeit  als 
Glossator,  in  der  sich  seine  grosse  Belesenheit  und  Geschichtskenntnis  so 
recht  kundgibt.  Im  Anhang  ist  Hinderbachs  von  der  Universität  Padua 
i.  J.    1452   ausgestelltes  Doctordiplom  mitgetheilt.  0.  E. 

In  dem  von  S.  M.  Prem  trotz  der  Kürze  der  Zeit,  die  zur  Ver- 
fügung stand,  trefflich  redigirten  Buche :  Kufstein,  Festschrift  zur  Feier 
der  vor  500  Jahren  erfolgten  Erhebung  des  Ortes  zur  Stadt  (Kufstein 
1893,  jetzt  im  im  Verlag  von  C.  Gerolds  Sohn,  Wien)  finden  wir  im 
ersten  geschichtlichen  Theile  einige  bemerkenswerte  Arbeiten.  Michael 
Mayr  behandelt  Die  Freiheiten  der  Stadt  Kufstein  auf  Grund 
des  im  Innsbrucker  Statth. -Archiv  vorhandenen  Materials  und  druckt  im 
Anhang  die  ältesten  der  Stadt  verliehenen ,  bisher  unedirten  Freiheiten 
von  Kaiser  Ludwig  d.  B.  1339  Juni  30  und  Herzog  Stephan  III.  von 
Baiern  1393  Jan.  7  ab.  —  K.  Th.  Heigel  handelt  Ueber  Namen 
und  Wappen  der  Stadt  Kufstein  (im  Indiculus  Arnonis  Caofstein, 
wahrscheinlich  mit  ahd.  choph  =  Kopf,  Bergkuppe  zusammenhängend). 
—  Eine  Studie  von  E.  S i n w e  1  über  Hans  von  Pinzenau,  den  be- 
kannten Vertheidiger  Kufsteins  im  Jahre  1504,  unterzieht  dessen  Haltung 
und  Tod  einer  sorgsam  abwägenden  Beurtheilung.  —  G.  Frh.  v.  Maretich 


')  Vergl.  auch  die  zum  Theil  auf  handschriftlichem  Material  beruhende 
Studie  von  Anton  Zingerle,  Der  Humanismus  in  Tirol  unter  Erzh. 
Sigismund  d.  Münzreichen,  Festgruss  aus  Innsbruck  an  die  42.  Philologen- 
Versammlung,  Inusbruck  1893. 


188  Notizen. 

schildert  eingehend  Die  Veste  Kufstein  zur  Zeit  des  zweiten 
schmalkaldischen  Krieges  (1552)  1).  —  Nach  weiteren  Beiträgen 
über  das  moderne  Kufstein  und  moderne  Kufsfceiner  schliesst  ein  inter- 
esianter  Aufsatz  von  F.  v.  Wieser,  Die  Hechtseekarte  des  Peter 
Anich  den  ersten  Theil  der  hübsch  ausgestatteten  Festschrift.  Den 
zweiten  Theil  bildet  ein  » Dichter kränzcken«.  0.  K. 

Auf  die  wichtige  Arbeit  von  Alfons  Dopsch,  Entstehung  und 
Charakter  des  österreichischen  Landrechtes,  deren  Ergebnis, 
dass  das  Landrecht  unter  König  Ottokar  in  den  ersten  Monaten  des 
Jahres  1266  entstanden  sei,  schon  vielfache  Zustimmung  gefunden  hat, 
werden  wir  an  anderer  Stelle  zurückkommen. 

Aus  einer  bisher  unbeachtet  gebliebenen  Handschrift  des  gräfl.  Her- 
bersteinischen  Archives  in  Graz  hat  Arnold  Luschin  v.  Ebengreuth 
unter  dem  Titel  Herbersteiniana  im  24.  Bd.  der  Beitr.  z.  Kunde 
steierm.  Geschichtsquellen  (1892)  beachtenswerte  Ergänzungen  der  von 
Karajan  in  Fontes  rer.  Austr.  SS.  1  herausgegebenen  Selbstbiographie  Sig- 
munds v.  Herberstein  ans  Licht  gebracht.  Die  Grazer  Hs.  ist  nach 
1562  entstanden  und  war,  wie  eine  Beihe  anderer  handschriftlicher  und 
gedruckter  Werke  des  berühmten  Freiherrn  dazu  bestimmt  gegenüber  den 
zahlreichen  Verlan  mdungen  der  Neider  und  Feinde  den  eigentlichen  Grund 
von  Einfiuss  und  Ansehen  der  Herberstein  darzuthun.  Die  Hs.  umfasst 
die  Jahre  1508 — 1562,  die  bedeutendste  Ergänzung  bietet  sie  über  die 
Sendung  Herbersteins  an  König  Christian  von  Dänemark  im  Jahre  1516 
wegen  Entfernung  der  Düveke.  0.  R. 

Die  erste  Abtheilung  der  Nachträge  zum  3.  Bande  von  J.  R. 
v.  Aschbachs  Geschichte  der  Wiener  Universität  von  Wenzel 
Hartl  und  Dr.  Karl  Sehr  auf  (Wien  1893)  enthält  auf  Grund  sorgsamer 
Durchforschung  besonders  des  Wiener  Universitätsarchivs  und  der  Hof- 
bibliothek eingehende  Nachrichten  über  eine  Reihe  der  Universität  Wien 
in  der  Zeit  von  1520  bis  1569  angehöriger  Lehrer;  es  werden  behandelt : 
Johann  Aicholz  aus  Wien,  Mediciner;  Lambert  Auer  aus  Rattenberg  in 
Tirol,  Jesuit  und  Theolog;  Xathanael  Balsman  aus  Torgau,  Professor  der 
Poesie ;  Johann  Alexander  Brassicanus,  bekannter  Humanist,  und  seine 
Brüder  Johann  Ludwig,  Philolog  und  Jurist,  und  Sebastian;  endlich  der 
berühmte  Jesuit  Peter  Canisius  in  seiner  Wirksamkeit  als  akademischer 
Lehrer  in  Wien.  0.  R. 

Die  Liste  der  von  Wattenbach  (Geschichtsquellen  5.  A.  2,  470)  ver- 
zeichneten Fälschungen  ist  durch  ein  neues  Stück  bereichert  worden,  durch 
den  von  Zappert  1857  im  21.  Band  der  Sitzungsberichte  der  Wiener  Aka- 
demie veröffentlichten  »ältesten  Plan«  der  Stadt  Wien,  der  nach  1043 
und  von  1147  entstanden  sein  sollte.  Den  palaeographischen  Nachweis  für 
die  Fälschung    führt     in    erschöpfender    und  scharfsinniger  Weise  die  Ab- 


')  Von    demselben  Verf.    andre  Arbeiten   zur  Geschichte  Kufsteins    in    der 
Zeitschr.  des  Ferdinandeums  1892  und  1893. 


Notizen.  189 

handlung  von  R.  Schuster,  Zapperts  »Aeltester  Plan  von  Wien« 
(Sitzungsber.  der  Wiener  Akademie  Bd.  127).  Zappert  ist  auch  der  Fälscher 
des  althochdeutschen  »Schlummerliedes«,  dessen  Unechtheit  Jaffe  längst  dar- 
aethan  hat.  Das  angebliche  Original  des  ältesten  Plans  von  Wien  galt  als 
verschollen  und  wurde  erst  im  vorigen  Jahre  in  der  Wiener  Hofbibliothek 
wieder  ausgeforscht.  Hier  wie  beim  » Schlummerlied «  scheint  der  Beweg- 
errund literarische  Eitelkeit  gewesen  zu  sein:  durch  dieses  wollte  er  die 
Funde  von  Waitz  und  Karajan,  durch  jenen  Camesina  übertrumpfen,  der 
ein  Jahr  früher  die  älteste  Ansicht  Wiens  von  1483  herausgegeben  und  da- 
zu einen  Stadtplan  reconstruirt  hatte.  Trotz  der  verdächtigenden  Schwierig- 
keiten, die  Zapperts  ältester  Stadtplan  nach  vielen  Seiten  bot,  wagte  man 
doch  nicht,  ihn  als  Falsificat  zu  verwerfen.  Er  ist  jetzt  definitiv  beseitigt. 
Der  Abhandlung  ist  ein  Facsimile  der  beiden  Zappert'schen  Fälschungen, 
des  ältesten  Stadtplans  und  des  Schlummerliedes  bei  gegeben.        E.  M. 

In  der  Oesterreich.  Vierteljahresschrift  für  das  Forstwesen  1893 
Heft  1  veröffentlicht  Dr.  Tr übrig  eine  Studie  über  Heinrich  Wuest 
gemeiner  Waldmeister  zu  Hall  in  Tirol  1511  — 1520,  die  ein 
weiteres  Interesse  beanspruchen  darf,  weil  in  ihr  auf  Grund  archivalischen 
Materials  die  tirolische  Forstverwaltung  zur  Zeit  Maximilians  I.  in  Kürze 
skizzirt  wird  und  weil  der  Verf.  zeigt,  dass  diese  Forstverwaltung  ihrer 
Zeit  weit  vorausgeeilt  war,  dass  die  Errichtung  von  Waldordnungen  in 
Tirol  ihre  Heimat  hat  und  die  ältesten  Waldordnungen  aus  Tirol  stammen. 

0.  R. 

Die  Archives  de  1'  Orient  latin,  welche  nach  dem  Tode  ihres  Leiters 
und  Mäcens,  des  Grafen  Paul  Riant,  eingegangen  waren,  erscheinen  jetzt 
unter  dem  Titel:  Revue  de  l'Orient  latin,  Paris  1893  (Leroux)  von 
Neuem.  Wir  heben  vorläufig  die  saubere  Studie  von  Delaville  le  Roulx, 
dem  gründlichen  Palaeographen  und  verdienten  Forscher  auf  dem  Gebiete 
der  Johannitergeschichte ,  über  den  Orden  von  Montjoye  hervor,  welcher 
bisher  so  gut  wie  unbekannt  war  und  nun  aus  spanischen  Archiven,  be- 
sonders durch  Confirmationsbullen  Alexander  III.,  Urban  III.  und  Innocenz  III. 
uns  näher  bekannt  wird.  R-  Röhricht. 

Von  der  in  Mitth.  des  Instituts  11,  507  angezeigten  Geschichte 
der  Benedictiner  Abtei  Muri-Gries  von  P.  Martin  K i e m  ist  der 
2.  Bd.  (Stans  1891)  erschienen,  der  die  Geschichte  von  1596  bis  in  die 
Neuzeit  führt.  Die  am  1 .  Bande  gerühmte  Sorgfalt  und  Liebe  der  Behand- 
lung ist  vom  Verf.  auch  diesem  Schlüsse  des  Werkes  gewimet.       0.  R. 


Zwölfte   Plenarsitzung    der    badischen    historischen 

Commission. 

Karlsruhe  im  Oktober  1893.  Die  zwölfte  Plenarsitzung  der  badi- 
schen historischen  Commission  wurde  am  23.  und  24.  Oktober  in  Karls- 
ruhe abgehalten.  Auch  in  diesem  Jahre  führte  wegen  Verhinderung  des 
Vorstandes  Geh.  Hofraths  Prof.  Winkelmann  durch  Krankheit,  der  Secretär 
Archivdirektor  Dr.  v.  Weech  den  Vorsitz. 


J90  Berichte. 

Seit  der  letzten  Plenarsitzung  ist  der  Kominission  ein  hochgeschätztes 
ausserordentliches  Mitglied,  Prof.  Karl  Hartfelder  durch  den  Tod  entrissen 
worden.  Der  Vorsitzende  widmete  dem  Dahingeschiedenen  Worte  ehrenden 
Andenkens. 

An  der  XII.  Plenarsitzung  nahmen  ausser  dem  Vorsitzenden  theil  die 
ordentlichen  Mitglieder:  die  Geh.  Hofräthe  Prof.  Schröder  und  Erdmanns- 
dörffer  aus  Heidelberg,  die  Prof.  v.  Simson  und  Schulte  aus  Freiburg,  Geh. 
Rath  Wagner  und  Archivrath  Obser  aus  Karlsruhe,  Archivrath  Baumann  aus 
Donaueschingen  und  Archivdirektor  Prof.  Wiegand  aus  Strassburg,  sowie 
die  ausserordentlichen  Mitglieder  Prof.  Köder  aus  Kastatt,  Prof.  Maurer 
aus  Mannheim  und  Universitätsbibliothekar  Prof.  Wille  aus  Heidelberg. 
Die  ausserordentlichen  Mitglieder  Geh.  Kath  Prof.  Knies  aus  Heidelberg, 
Geistl.  Kath  Prof.  König  und  Geh.  Hofrath  Prof.  Kraus  aus  Freiburg  und 
Prof.  Bücher  aus  Leipzig  hatten  ihr  Ausbleiben  entschuldigt. 

Seit  der  letzten  Plenarsitzung  ist  erschienen: 

Obser  K.  Politische  Korrespondenz  Karl  Friedrichs  von  Baden. 
III.  Band  (1797—1801). 

Fester  R.  Kegesten  der  Markgrafen  von  Baden  und  Hachberg.  2.  u. 
3.  Lieferung. 

Brandi  K.  Quellen  und  Forschungen  zur  Geschichte  der  Abtei 
ßeichenau  IL  Band.     Die  Chronik  des  Gallus  Öhm. 

Krieger  A.  Topographisches  Wörterbuch  des  Grossherzogtums  Baden. 
Erste  Abtheilung. 

Badische  Neujahrsblätter.  Drittes  Blatt  1893.  Erdmannsdörffer  B. 
Das  badische  Oberland  im  Jahre  17  85.  Keisebericht  eines  österreichischen 
Kameralisten. 

Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins.  Neue  Folge.  VIII.  Band, 
nebst  den  Mittheilungen    der  Badischen  Historischen  Kommission  No.   15. 

Mittelalterliche  Quellen-,  insbesondere  Regestenwerke. 
Von  den  Regesten  der  Pfalzgrafen  am  Rhein,  bearbeitet  von  A.  Koch  und  J.  Wille, 
wird  noch  im  Laufe  dieses  Jahres  die  Schlusslieferung  des  1.  Bandes  (bis 
1400  mit  Register  nebst  Nachträgen  und  Einleitung)  ausgegeben  werden. 
Den  2.  Band  wird  Dr.  Wille  allein  bearbeiten.  —  Das  Manuskript  zu  der 
von  Dr.  Müller  bearbeiteten  Schlusslieferg  des  1.  Bandes  der  Regesten  zur 
Geschichte  der  Bischöfe  von  Konstanz,  und  der  Lieferung  des  2.  Bandes, 
bearbeitet  von  Dr.  Cartellieri  in  Karlsruhe,  sowie  zur  4.  und  5.  Lieferung 
der  Regesten  der  Markgrafen  von  Baden  und  Hachberg,  bearbeitet  von 
Dr.  Fester  in  München,  sind  längst  druckfertig,  doch  stellten  sich  der 
Drucklegung  durch  anderweitige  Inanspruchnahme  der  Wagner'schen  Uni- 
versitätsbuchdruckerei zu  Innsbruck  Hindernisse  entgegen.  Für  1894  ist 
ihr  Erscheinen  gesichert.  Dr.  Fester  hat  im  Herbst  1893  die  Archive  zu 
Würzburg,  Coblenz  und  Frankfurt  besucht.  —  In  der  Bearbeitung  der 
Quellen  und  Forschungen  zur  Geschichte  der  Abtei  Reichenau,  von  denen 
noch  ein  dritter,  die  Lehenbücher  behandelnder  Band  in  Aussicht  genommen 
ist,  wird  eine  längere  Unterbrechung  eintreten  müssen,  weil  der  Bearbeiter, 
Dr.  Brandi  in  München,  durch  andere  Arbeiten  im  Auftrage  der  bayerischen 
Historischen  Kommission  für  die  nächste  Zeit  ausschliesslich  in  Anspruch 
genommen  ist.  —  Von  dem  Codex  diplomaticus  Salemitanus,  dessen  Her- 
ausgabe die  Kommission  unterstützt,  wird  die  3.  Lieferung  des   3.  Bandes 


Berichte.  191 

(bis  zum  Schlüsse  des  15.  Jahrb.)  in  den  nächsten  Wochen  ausgegeben 
werden.  Diese  Lieferung  ist  unter  Mitwirkung  des  Archivdirektors  v.  Weech 
durch  Dr.  Peter  Albert  in  Karlsruhe  bearbeitet  worden.  —  Die  Veröffent- 
lichung der  Stadtrechte  und  Weistümer  des  Oberrheins  wird  im  nächsten 
Jahre  durch  die  Bearbeitung  der  Stadtrechte  von  Ueberlingen  ihren  An- 
fang nehmen.  —  Für  das  nächste  Jahr  beabsichtigt  Prof.  Schulte  die  in- 
folge seiner  Berufung  an  die  Universität  Freiburg  im  Jahre  1893  nicht 
möglich  gewesene  archivalische  Reise  zur  Sammlung  der  Urkunden  und 
Akten  zur  Geschichte  des  Handelsverkehrs  der  oberitalienischen  Städte  mit 
den  Städten  des  Oberrheins  im  Mittelalter  auzutreten. 

Quellenpublikationen  zur  neueren  Geschichte.  —  Von  der 
Politischen  Korrespondenz  Karl  Friedrichs  von  Baden  ist  der  4.  Band  (bis  Ende 
1803  oder  Anfang  1804)  in  der  Bearbeitung  begriffen;  der  Druck  kann  im 
Laufe  von  1894  beginnen.  —  Ein  abermaliger  mehrmonatlicher  Aufenthalt  in 
Korn  hat  auch  im  Jahre  1893  den  Archivdirektor  v.  Weech  abgehalten,  die 
Sammlung  der  Korrespondenz  des  Fürstabtes  Martin  Gerbert  von  St.  Blasien 
in  erheblicherem  Masse  zu  fördern.  Er  hat  aber  die  Absicht,  sich  im 
Laufe  des  Jahres  1894  nach  dem  Stift  St.  Paul  in  Kärnten  zu  begeben, 
um  die    dort    aufbewahrte  Korrespondenz    des  Fürstabtes  durchzuarbeiten. 

Bearbeitungen.  Von  dem  Topographischen  Wörterbuche  des  Gx-oss- 
herzogtums  Baden,  bearbeitet  von  Archivrath  Krieger,  ist  die  2.  Liefernng 
nahezu  druckfertig,  eine  3.  wird  1894  vollendet  werden.  —  Prof.  Gothein 
in  Bonn  hofft,  dass  der  Druck  des  2.  Bandes  der  Wirtschaftsgeschichte 
des  Schwarzwaldes  und  der  angrenzenden  Gaue  in  der  zweiten  Hälfte  1894 
beginnen  kann.  —  An  der  Sammlung  für  Herausgabe  der  Siegel  und 
Wappen  der  badischen  Gemeinden  und  der  Wappen  der  Territorien,  aus 
denen  das  heutige  Grossherzogtum  Baden  zusammengesetzt  ist,  wird  unaus- 
gesetzt fortgearbeitet.  —  Von  dem  Obei'badischen  Geschlechterbuch,  dessen 
Bearbeitung  der  Königl.  preuss.  Major  a.  D.  Kindler  v.  Knoblach  über- 
nommen hat,  liegt  das  Manuskript  für  die  1.  Lieferung  druckfertig  vor. 
—  Die  dem  Dr.  A.  Rössger  in  Stuttgart  übertragene  Studie  über  die 
Herkunft  der  romanischen  Einwanderung  in  Baden  in  den  Jahren  1685  ff. 
wird  in  unserer  Zeitschrift  veröffentlicht  werden. 

Periodische  Publikationen.  Von  der  Zeitschrift  für  die  Ge- 
schichte des  Oberrheins,  Neue  Folge,  befindet  sich  das  1.  Heft  des  9.  Bandes 
unter  der  Presse.  Die  Mittheilungen  der  badischen  historischen  Kommission 
werden  auch  fernerhin  die  Verzeichnisse  der  Archive  und  Registraturen  der 
Standes-  und  Grundherren,  Gemeinden  und  Pfarreien  u.  s.  f.,  von  denen 
nur  noch  verhältnismässig  wenige  der  Durchforschung  hai-ren,  veröffent- 
lichen. —  Im  Neujahrsblatt  für  1894  behandelt  Archivrath  Dr.  Baumann 
die  Territorien  des  Seekreises  im  Jahre   1800. 


Personalien. 


Ernannt  wurden:  J.  Loserth  zum  ordentl.  Professor  für  allgemeine 
Geschichte  an  der  Universität  Graz,  E.  v.  Ottenthai  zum  ordentl.  Pro- 
fessor für  allgemeine  Geschichte  an  der  Universität  Innsbruck,  S.  Herz- 
berg-Fränkel    zum    a.    o.  Professor    für    allgemeine  Geschichte  an  der 


192  Personalien. 

Universität  Czernowitz,  Osw.  Redlich  zum  a.  o.  Professor  für  histor.  Hilfs- 
wissenschaften und  Geschichte  des  Mittelalters  an  der  Universität  Wien, 
0.  Weber  zum  a.  o.  Professor  für  neuere  Geschichte  an  der  deutschen 
Universität  in  Prag;  A.  v.  Kärolyi  zum  Sectionsrath  und  zweiten  Vice- 
director,  K.  Sehr  auf  zum  Sectionsrath,  J.  Paukert  zum  wirkl.  Staats- 
archivar, A.  v.  Györy  zum  Concipisten  1.  Classe  und  V.  Kratochwil 
zum  Concipisten  2.  Classe  am  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  in 
Wien ;  F.  v.  P  a  p  e  e  zum  Custos  an  der  Universitätsbibliothek  in  Lemberg ; 
K.  Eieger  zum  Landesschulinspector  für  Jsiederösterreich ;  A.  Starzer 
zum  Official  des  Statthalterei- Archivs  in  Wien;  M.  Mayr  zum  Cor- 
respondenten  der  k.  k.  Central-Commission  f.  Kunst-  u.  histor.  Denkmale. 

Es  habilitirten  sich  an  der  Universität  Wien  A.  D  o  p  s  c  h  und  an  der 
Universität  Czernowitz  R.  F.  Kaindl  für  österreichische  Geschichte. 

M.  Vancsa  trat  als  Conceptspractikant  bei  dem  Archiv  des  k.  k. 
Finanzministeriums,  J.  Mantuani  als  Volontär  an  der  Hofbibliothek  in 
Wien  ein. 

Den  XIX.  Curs  des  Instituts  (1891  — 1893)  absolvirten  als  ordent- 
liche Mitglieder: 

Ambros  Wilhelm  R.  v. 

Klicman  Ladislav. 

Mantuani  Josef. 

Teige  Josef,  Dr.  iur. 

Vancsa  Max,  Dr.  phil. 

als  ausserordentliche  Mitglieder: 

Äldäsy  Anton,  Dr.  phil.  (1891 — 92). 

Criste  Oskar,  k.  u.  k.  Oberlieutenant. 

Gernet  Alexis  v.,  Dr.  phil.  (1891  —  92). 

Hammerl  Benedict  Johann  0.  S.  B.  (1892 — 93). 

Kaindl  Raimund  Ferdinand,  Dr.  phil.  (1892 — 93). 

Kienast  Andreas,  k.  u.  k.  Oberheutenant. 

Müller  Alfons  Maria  0.  Pr.   (1892—93). 

Rollmann  Manes  0.  Pr.  Provincial  der  österr.  Dominikanerprovinz 
(1891—92). 

Wagner  Friedrich. 
Als  Thema  der  Hausarbeiten  wählten: 

Ambros :  Das  Zollwesen  im  fränkiseken  Staate. 

Klicman:  Studien  über  die  Vorläufer  des  Husitentums. 

Mantuani :  Ueber  die  Malerei  der  Ottonenzeit. 

Teige:  Ueber  die  Anfänge  der  Landtafel  in  den  böhmischen  Ländern. 

Vancsa:  Das  Auftreten  der  deutschen  Sprache  in  der  Königsurkunde 
(1240—1313). 

Criste:  Der  Beitritt  Oesterreichs  zur  Coalition  im  Jahre   1815- 

Kienast:  K.  Friedrich  IL  von  Preussen  und  Ungarn  bis  zum  Hubertus- 
burger Frieden  1762. 

Neu  aufgenommen  wurden:  5  ordentliche  und  8  ausserordentliche 
Mitglieder. 


Alfonso  Ceccarelli 

und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden. 

Von 

A.    Riegl. 

Im  16.  Jahrhundert  herrschte  unter  den  vornehmen  Familien  Italiens 
eine  krankhafte  Sucht,  ihre  Anlange  in  möglichst  frühe  Zeit  hinauf- 
zuschieben. Am  liebsten  wollte  man  den  Zusammenhang  mit  irgend 
einer  der  altrömischenFamilien  herstellen ;  wo  dies  nicht  angieng,  Hess 
man  den  Ahnherrn  im  Gefolge  Karls  des  Grossen  oder  Otto's  I.  aus 
Frankreich  oder  Deutschland  eingewandert  sein.  Dieser  geistigen 
Modekrankheit  hat  die  historische  Forschuug  zweifellos  manches  Wert- 
volle zu  verdanken :  es  lässt  sich  ja  denken,  welch  mächtiger  Ansporn 
damit  gegeben  war,  um  die  verborgensten  Archive  zu  durchspähen 
und  bislang  unbekannt  gebliebenes  Material  an  das  Licht  der  Oeffent- 
lichkeit  zu  zieheu.  Anderseits  liegt  es  auf  der  Hand,  dass  selbst  die 
eifrigste  Suche  dasjenige,  was  man  wünschte,  kaum  in  höchst  vereinzelten 
Fällen  zu  Tage  fördern  konnte.  Die  Versuchung  lag  somit  nahe,  die 
Beweise,  die  sich  aus  den  alten  Schriftquellen  nicht  beibringen  Hessen, 
auf  dem  Wege  der  Fälschung  zu  beschaffen.  Findige  Köpfe  und  ge- 
wandte Hände  fanden  sich  wie  zu  allen  Zeiten,  so  auch  damals,  um 
eine  Schwäche  der  zeitgenössischen  Gesellschaft  auszubeuten.  Der  be- 
rüchtigste  aber  unter  den  genealogischen  Fälschern,  welche  das  16.  Jahr- 
hundert in  Italien  hervorgebracht  hat,  war  der  römische  Arzt  Alfonso 
Ceccarelli *)  aus  Bevagna. 

Ceccarelli's  Fälscherthätigkeit  fällt  in  die  Siebziger-  und  die  ersten 
Achtziger-Jahre  des  16.  Jahrhunderts.     Erst   unter  Gregors  XIII.  Re- 


')  Er  selbst  sclmeb  sich  auch  Ciccarelli. 

Mittheilungen  XV.  13 


194  R  i  e  g  1. 

gierung  wurde  ihm  das  Handwerk  gelegt.  Den  Anstoss  zu  seiner  In- 
haftnahme und  dem  Prozesse,  der  mit  seiner  Hinrichtung  endigen  sollte, 
gab  zwar  nicht  eine  seiner  genealogischen  Fälschungen,  die  ja  bloss 
der  Eitelkeit  Einzelner  schmeichelten,  aber  Niemandem  materiellen 
Schaden  bringen  konnten.  Er  hatte  sich  vielmehr  von  diesem  harm- 
loseren Gebiete,  auf  dem  er  hauptsächlich  nur  für  die  Geschichts- 
forschung schädlich  werden  konnte,  schliesslich  auf  das  weit  gefähr- 
lichere der  Fälschung  von  Besitzurkunden  gewagt.  Die  Fälschung 
eines  Fideicoinmisses  war  es,  um  derentwillen  man  ihm  den  Prozess 
machte ;  dadurch  wurden  aber  naturgemäss  auch  diejenigen  unter  seinen 
Klienten  aufgescheucht,  denen  er  zu  uralten  Ahnen  verholfen  hatte. 
So  wurde  gerade  einer  von  diesen,  Alberico  Cibo  Fürst  von  Massa,  der 
allerdings  aufgeklärt  genug  gewesen  war,  den  Schwindler  noch  recht- 
zeitig zu  durchschauen,  zum  Hauptbelastungszeugen  wider  Ceccarelli. 
Auf  solche  Weise  kamen  auch  viele  von  den  historischen  Fälschungen 
Ceccarelli's  an's  Licht,  und  bei  dem  Aufsehen,  das  der  Verlauf  des 
Prozesses  in  den  gelehrten  Kreisen  Koms  hervorgerufen  haben  mochte, 
stünde  zu  erwarten,  dass  man  gegenüber  den  in  Umlauf  gesetzten 
Fälschungen  vorsichtiger  geworden  wäre.  Aber  die  verhältnissmässig 
geschickte  Art,  in  welcher  diese  an  verschiedenen  Orten  aufbewahrten 
und  erst  allmählig  und  in  weitabliegenden  Werken  veröffentlichten 
Urkunden  unter  Benützung  echter  Documente  fabricirt  waren,  sowie 
der  Umstand,  dass  Ceccarelli  zugleich  ganze  Autoren  fälschte,  durch 
deren  Angaben  er  den  Inhalt  und  somit  die  Echtheit  der  von  ihm 
gefälschten  Urkunden  zu  stützen  suchte,  bewirkten,  dass  die  Machwerke 
dieses  Mannes  eine  Zeitlang  eine  förmliche  Verwirrung  in  der  Ge- 
schichtschreibung angerichtet  haben. 

Noch  zu  Lebzeiten  Ceccarelli's  Hessen  sich  durch  seine  Fälschungen 
täuschen :  Francesco  Sansovino  x)  und  Giovanni  Batt.  Lorenzo  2).  Im 
Jahre  1642  zählt  Leo  Allacci  in  einer  Schrift,  mit  der  wir  uns  noch  des 
Näheren  beschäftigen  werden,  folgende  Opfer  auf:  Petrus  Riguardatus  sive 
Recordatus  in  Historia  mouastica;  Monaldus  Monaldeschus  de  Cervaria  in 
Commentariis  historicis 3) ;  Ferdinandus  Marra,  Chronologia  familiarum, 
Neapoli  1641  apud  Octavium  Bertranum ;  Joannes  Petrus  Crescentius  Ro- 


1)  Faraiglie  illustri  <T  Italia,  Venedig  1609,  (zuerst  erschienen  1582). 

2)  Storia  della  famiglia  degli  übaldini,  Florenz  1580.  Nach  Gamurrini  IV,  1. 

3)  Monaldo  Monaldeschi,  Corninentari  bist,  della  cittä  d'  Orvieto,  Venedig 
1584.  _  Dieser  Fall  erscheint  dadurch  besonders  bezeichnend,  dass  M.  selbst 
gefälschte  Urkunden  von  Ceccarelli  erworben  hatte  und  sein  Buch  zu  einer  Zeit 
erschienen  ist,  da  der  Fälscher  bereits  entlarvt  war. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.  195 

manus,  in  Corona  Nobilitatisltaliae,  Bononiae  1G39,  in  4°  x) ;  Hieronymus 
Marafiotus  in  Chronicis  et  antiquitatibus  Calabriae,  Patavii  1601  in  4° 2). 
In  welche  Verlegenheit  Ceccarelli's  weitverbreitete  Fälschungen  einen 
gewissenhaften  Forscher  bringen  konnten,  erhellt  in  drastischer  Weise 
aus  einem  Histörchen,  das  derselbe  Allacci  zum  Besten  gibt.  Giugurta 
Tommasi,  der  im  J.  1625  den  ersten  Band  seiner  Geschichte  von 
Siena  vollendet  hatte,  war  bei  seinen  bezüglichen  Untersuchungen 
mehrfach  auf  gewisse  problematische  Autoren  gestossen,  und  wandte 
sich  diesbezüglich  um  Autklärung  an  Adriano  Politi,  der  damals  in 
Rom  lebte.  Dieser  gab  sich  nun  alle  erdenkliche  Mühe,  um  über  die 
fraglichen  Schriften  Authentisches  zu  ermitteln.  Er  durchsuchte  alle 
Bibliotheken :  „  Vaticanam,  Culumnensem,  Jesuitarum,  Mureti  et  Car- 
dinalis Montis  Regalis  libris  recens  auctam",  —  ja  er  verschaffte  sich 
sogar  zu  den  Bibliotheken  des  Serafino  und  Cesare  Valentini  „tum 
novis  tum  veteribus  libris,  iisque  iunumeris  et  admodum  curiosis  prae- 
divites"  Zutritt,  ferner  zog  er  Fulvio  Orsini  und  Petrus  Ciacconius 
„rerum  harura  peritissimos  viros",  überhaupt  alle  pädagogisch  und 
literarisch  gebildeten  Leute  zu  Rathe:  Alles  fruchtlos.  Politi  begriff 
nicht,  dass  in  Rom  —  in  hac  urbe,  in  quam  locis  ex  omnibus  viri 
praestantes  ingeniis  et  doctrinarum  omni  genere  exeulti,  tum  Greci  cum 
Latini  turmatim  conveniunt  —  irgend  welche  authentische  Autoren  un- 
bekannt sein  könnten.  Erwäge  man  hiezu  die  barbarische  und  unele- 
gante Sprache,  in  der  die  zur  Prüfung  übersandten  angeblichen  Ge- 
schichtsquellen abgefasst  wären,  ferner  den  Umstand,  dass  darin  be- 
glaubigten Autoren  wie  Apollodor,  Plinius,  Athenäus,  Eusebius  v.  Cä- 
sarea,  ganz  unbekannte  Werke  zugeschrieben  würden,  so  müsse  man 
zu  dem  Schlüsse  gelangen,  dass  es  sich  hiebei  nur  um  eine  Fälschung 
handeln  könne.  Politi's  diesbezügliche  Vermuthung  richtet  sich  auch 
direkt  auf  Ceccarelli:  medici  illius  qui  ob  similes  inventiones  laqueo 
vitam  finiit,  fraudem  esse  et  commenta. 

Um  dieser  Verwirrung  und  Unsicherheit  ein  Ende  zu  bereiten, 
entschloss  sich,  etwa  50  —  60  Jahre  nach  Ceccarelli's  Tode,  Leo 
Allacci3),  Charakter  und  Umfang    der  Fälschungen  Ceccarelli's  fest- 


')  Crescenzi,  Corona  della  nobilta  d' Italia,  Bologna  1639—1642. 

2)  Ferner  finden  sich  Urkundenfälschungen  Ceccarelli's  als  echt  aufgenommen 
bei  Clementini,  Raccolto  istorico  di  Rimino  (Rimini  1617);  Salvetti,  Trattato  overo 
raccolto  ist.  di  casa  Pepoli  ms.  saec.  XVII.  in  Cod.  Magliaheccli.  XXVI.  29  zu 
Florenz. 

3)  Leo  Allacci  stammte  aus  einer  griechischen  Familie,  und  war  im  J.  1586 
auf  Scios  geboren.  Im  J.  1600  trat  er  in  das  Collegio  dei  Greci  in  Rom  ein, 
war  dann  eine  Zeitlang  bischöflicher  Generalvicar  auf  Scios,    kehrte  aber  wieder 

13* 


196  R  i  e  g  1. 

zustellen.  Das  Material  hiezu  lieferte  ihm  Felix  Contelorius,  der 
Präfekt  des  vatikanischen  Archivs  *),  der  ihm  die  auf  dem  Vatikan  in 
Verwahrung  gebliebenen  Akten  des  Fälschungsprocesses  zur  Verfügung 
stellte.  Allacci  scheint  übrigens  nicht  Ceccarelli  allein,  sondern  auch 
anderen  Fälschern  nachgespürt  zu  haben.  Wenigstens  ergibt  sich 
aus  verschiedenen  Andeutungen ,  uud  namentlich  aus  dem  Titel 
der  auf  Ceccarelli  bezüglichen  Druckschrift,  dass  Allacci  ein  Buch 
über  Apokryphen  im  Manuscript  fertiggebracht  hat.  In  Druck  ist 
dasselbe  wenigstens  zur  Gänze  niemals  erschienen,  doch  dürfen  wir 
annehmen,  dass  aus  demselben  nicht  blos  die  Broschüre  die  sich  mit 
Ceccarelli  befasst  und  von  der  es  ausdrücklich  gesagt  ist,  sondern  auch 
die  fast  20  Jahre  später  erschienene  Schrift:  Johannes  Henricus  Hot- 
tingerus  fraudis  et  imposturae  convictus  circum  Grecorum  dogmata, 
Romae  1661,  entnommen  wurde.  Der  Bericht  über  Ceccarelli's  Process 
erscheint  beigebunden  zu  dem  Buche:  Leonis  Allatii  in  antiquitatum 
Etruscarum  fragnienta  ab  Inghiramio  edita  animadversiones.  Additur 
eiusdem  animadversio  in  libros  Alphonsi  Ciccarelli  et 
auctores  ab  eo  confictos.  Romae  apud  Mascardum  MDCXLII. 
Sumptibus  Joannis  Antonii  Bertani 2).  In  12°.  Die  Schlussparthie  des 
Buches  S.  255 — 360  ist  dem  Prozesse  Ceccarelli's  besonders  gewidmet 
und  trägt  einen  eigenen  Titel:  Leouis  Allatii  de  Alphonso  Ciccarello. 
Ex  opere  eiusdem  Leonis  non  edito  de   libris  apocryphis. 

Aus  dieser  Schrift  erfuhr  nun  die  gelehrte  Welt  Italiens  die  Namen 
derjenigen  Autoren,  deren  Fälschung  unzweifelhaft  ein  Werk  Cecca- 
relli's war.  Ughelli  wies  in  der  Geschichte  der  Bischöfe  von  Perugia3) 
ausdrücklich  auf  die  zur  Zeit  der  1.  Auflage    eben  im  Erscheinen  be- 


nach  Rom  zurück,  wo  er  Medicin  studirte  und  am  Collegio  dei  Greci  Griechisch 
lehrte.  Im  J.  1622  wurde  ihm  die  Ueberf'ührung  der  Heidelberger  Palatina  nach 
Rom  anvertraut.  Im  J.  1632  ward  Allacci  Bibliothekar  des  Cardinais  Francesco 
Barberini,  1661  unter  Alexander  VII.  Gustos  der  Vaticana  als  Nachfolger  des 
Lucas  Holstenius,  als  welcher  er  im  J.  1669  im  Alter  von  83  Jahren  verstarb.  — 
Kurze  Notiz  über  sein  Leben  und  Katalog  seiner  Werke  in  der  Raccolta  d'  opus- 
coli  scientifici  e  filologici,  Venedig  1744  p.  267. 

*)  Von  der  Hand  Contelori's  finden  sich  auf  Manu  Scripten  Ceccarelli's  in 
der  Vaticana  häufig  Randbemerkungen,  die  diese  Schriften  als  Fälschungen  bezeich- 
nen. Im  Besonderen  hat  er  —  nach  Allacci's  Bericht  —  die  Schrift  Ceccarelli's 
»de  familiis  Bononiensibus«  als  eitle  Erfindung  entlarvt  und  gebrandmarkt. 

*)  So  lautet  der  Titel  des  auf  der  Bibl.  Casanatensis  zu  Rom  verwahrten 
Exemplars,  das  bei  diesen  Untersuchungen  benützt  worden  ist.  Der  Katalog  der 
Werke  Allacci's  in  der  obcitirten  Raccolta  verzeichnet  das  Buch  als  erschienen 
»Pars.  1640«. 

•'•)  Italia  sacra  ed  II.  1,  1160. 


Alfonso  Ceccarelli  und  Beine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.  J<J7 

griffene  Schrift  Allacci's  hiü.  Auch  Gamurrini  i),  der  kurz  nachher 
seine  genealogischen  Untersuchungen  veröffentlichte,  war  dadurch  ge- 
nöthigt  und  in  die  Lage  versetzt  den  Fälschungen  Ceccarelli's  vor- 
sichtig aus  dem  Wege  zu  gehen.  Gleichwohl  Hess  er  sich  doch  ge- 
legentlich verleiten  einen  echten  Kern  als  zu  Grunde  liegend  zu  ver- 
muthen  und  noch  weniger  darf  es  uns  verwundern,  dass  er  einmal 
(I.  863)  eine  von  Ceccarelli  gefälschte  Urkunde  Lothar's  III  für  die 
Buoncompagni  (Stumpf  Reg.  3281)  für  echt  gehalten  hat.  Immerhin  ist 
ihm  das  Verdienst  zuzuerkennen,  dass  er  als  erster  eine  Urkunde  (Kon- 
rads IL  für  die  Monaldeschi)  ausdrücklich  als  Fälschung  Ceccarelli's 
erklärt  und  zu  dem  Zwecke  vollständig  abgedruckt  hat 2),  damit  man  an 
dem  Beispiele  andere  von  demselben  Fälscher  fabricirte  Urkunden  leichter 
erkennen  könne.  Trotzdem  fanden  sich  noch  im  18.  Jahrhundert  Ver- 
theidiger  dieser  Fälschungen.  So  hat  Soldani  in  seiner  Historia  monasterii 
S.  Michaelis  de  Passiniano  (S.  63  ff.)  eine  Anzahl  Urkunden  für  die 
Markgrafen  von  Monte  Santa  Maria  für  echt  erklärt,  die  schon  Ga- 
murrini 3)  verworfen  hatte ;  und  Gamberto  4)  soll  nach  Soldani 5)  sogar 
für  die  Echtheit  des  berüchtigtsten  Hauptautors  Ceccarelli's,  des  noch  öfter 
zu  erwähnenden  Fanusius  Campanus,  eingetreten  sein.  Die  aufklärende 
Schrift  Allacci's  hat  offenbar  bei  ihrem  Erscheinen  nicht  jene  allge- 
meine Verbreitung  in  Italien  gefunden,  um  eine  Fortsetzung  der  Täu- 
schungen für  immer  unmöglich  zu  machen.  Dies  ist  erst  geschehen 
seitdem  Tiraboschi  in  seinem  allverbreiteten  Werke 6)  die  Resultate 
von  Allacci's  Schrift  zur  allgemeinen  Kenntniss  gebracht  hat. 

Noch  leichter  als  bei  den  Autoren  konnte  man  bei  Urkunden 
Ceccarelli'scher  Mache  einer  Täuschung  anheimfallen.  Allacci  machte 
zwar  die  Namen  der  gefälschten  Autoren  bekannt,  nannte  auch  eine 
Anzahl  von  Familien,  für  welche  Ceccarelli  Urkunden  gefälscht  hat, 
aber  der  volle  Umfang  dieser  Fälschungen  lässt  sich  aus  Allacci  allein 


J)  Tstoria  genealogica  delle  famiglie  nobili  Toscane  I— V  (Florenz  1668 
bis  1685). 

-')  A.  a.  0.  I.  233. 

3)  A.  a.  o.  T.  160. 

4)  Specchio  della  veriiä,  Venedig  1719.  —  Ueber  weitere  Verwirrungen,  die 
durch  Ceccarelli's  Fälschaugen  angestiftet  wurden,  vgl.  auch  Beltrani's  Biographie 
des  Feiice  Contelori,    im  Archivio    della  Societä    Romana   di    storia  patria  3,  37. 

5)  A.  a.  0.  74. 

fi)  Storia  della  letteratura  XII.  1507;  vgl.  V.  317,  VI.  662,  X.  122.  Ueber 
Ceccarelli  handelt  Tiraboschi  auch  in  den  Riflessioni  sugli  Scrittori  genealogici, 
Padua  1789.  Bezeichnend  für  die  geringe  Verbreitung  von  Allacci's  Schrift  ist 
der  Umstand,  dass  Tiraboschi  dieselbe  nirgends  aufzutreiben  vermochte,  bis  man 
endlich  von  Rom  aus  eine  Abschrift  derselben  besorgte. 


198  R  i  e  g  1. 

noch  nicht  ersehen.  Aus  den  von  Allacci  publicirten  Prozessakten  x) 
ergibt  sich  nur  das  in  ganz  allgemeinen  Ausdrücken  abgefasste  Ein- 
geständnis des  Angeklagten,  Privilegien  laugst  verstorbener  Kaiser  ge- 
fälscht zu  haben ;  eine  einzige  solche  Fälschung  wurde  von  ihm  im 
Einzelnen  zugestanden,  nämlich  diejenige  der  Constantinischen  Schenk- 
ung durch  Kaiser  Theodosius 2).  So  blieb  man  mangels  bestimmter 
Angaben  im  Dunkeln,  welche  die  von  ihm  fäbricirten  und  in  die 
Familienarchive  von  halb  Italien  eingeschmuggelten  Fälschungen  seien. 
Wie  schon  erwähnt  wurde,  ist  selbst  der  vorsichtige  Gamurrini  in 
einem  solchen  Falle  der  Täuschung  unterlegen.  Kein  Wunder  daher, 
dass  man  auf  der  kaiserlichen  Kanzlei  in  Wien  ebenfalls  in  die  Falle 
gieng  und  z.  B.  im  J.  1699  von  Leopold  I.  fünf  von  Ceccarelli  ge- 
fälschte Kaiserurkunden  für  die  Markgrafen  von  Monte  Santa  Maria 
bestätigt  wurden.  Auch  Urkunden  für  die  Lottieri,  Carpegna,  und 
Savelli,  nicht  minder  Fälschungen  Ceccarelli's,  sind  aus  ähnlichen  An- 
lässen in  das  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  gelangt.  Ander- 
seits hat  noch  in  unserem  Jahrhundert  Acquacotta  3)  eine  Urkunde  als 
Fabrikat  Ceccarelli's  bezeichnet. 

Als  man  nun  in  der  Diplomata- Abtheilung  der  MG.  bei  der  Bear- 
beitung der  Spuria  Otto's  I.  angelangt  war,  stiess  man  auf  eine 
ganze  Anzahl  von  Fälschungen,  die  auf  Ceccarelli  zurückzugehen 
schienen.  Das  nur  wenig  variirte,  sehr  charakteristische,  für  das  10.  Jahr- 
hundert aber  vollständig  unmögliche  Formular  der  als  unzweifelhafte 
Fälschungen  Ceccarellis  erwiesenen  Urkunden  kehrt  nämlich  oft  wört- 
lich wieder  in  einer  ganzen  Anzahl  anderweitiger  Fälschungen,  die 
noch  nicht  mit  Ceccarelli  in  Verbindung  gebracht  worden  waren.  Es 
schien  daher  wünschenswerte  sich  aus  dem  etwa  auf  dem  Vatican  noch 
vorhandenen  Processmaterial  und  vor  Allem  aus  der  (in  Wien  nicht 
vorfindlichen)  Schrift  Allacci's  einen  möglichst  weiten  Ueberblick  über 
die  Fälschungen  Ceccarelli's  auf  urkundlichem  Gebiete  zu  verschaffen. 
In  diesem  Zusammenhang  wurde  mir,  als  ich  mich  im  Anfange  des 
Jahres  1884  an  das  Instituto  austriaco  di  studi  storici  nach  Kom  be- 
gab, u.  a.  auch  der  Auftrag  zu  theil,  Nachforschungen  über  den  Um- 
fang von  Ceccarelli's  Fälscherthätigkeit  anzustellen.  Ich  entledigte 
mich  desselben,  in  dem  ich  einestheils  einen  ausführlichen  Auszug  aus 


1)  Das  Verhörsprotokoll  mit  den  Eingeständnissen  Ceccarelli's  im  Einzelnen 
scheint  Allacci  nicht  zu  Gesicht  bekommen  zu  haben,  sondern  nur  die  Verthei- 
digungsschrift  des  Fälschers,  worin  dieser  das  Eingestandene  zu  beschönigen  sucht. 

2)  Von  Grauert  veröffentlicht  im  Jabrb.  der  Görres-Gesellschal't  IV,  611. 

3)  Mernorie  di  Matelica ;  lapidi  e  documenti,  Ancona  1839,  19  n°  8. 


Alfonso  Ceccarelh  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.  199 

Allacci's  Buche  anfertigte,  anderseits  das  auf  der  vatikanischen  Bib- 
liothek verwahrte  Processmaterial,  insbesondere  die  behufs  Schuldbe- 
weises saisirten  Manuscripte  Ceccarelli's,  durchsah  und  soweit  darin 
Urkundliches  erwähnt  erscheint,  excerpirte.  Beides  wurde  in  Form 
eines  einheitlichen  Berichtes  gebracht  und  der  Leitung  des  Istituto 
in  Wien  eingesandt.  Dr.  Adolf  Fanta,  der  damalige  Bearbeiter  der 
Spuria  Otto's  L,  unternahm  es  sodann  auf  Grund  seiner  eigenen 
diplomatischen  Ermittlungen  und  des  aus  Korn  beschafften  Ma- 
terials, das  er  in  einigen  Punkten  auch  nach  der  literarhistorischen 
Seite  ergänzt  hatte,  eine  Abhandlung  über  Alfonso  Ceccarelli  und 
seine  Urkundenfälschungen  für  diese  Zeitschrift  abzufassen,  wurde 
aber  leider  an  dem  Abschlüsse  derselben  durch  seinen  vorzeitigen  Tod 
verhindert.  Nun  ergieng  seitens  der  Redaction  die  Aufforderung  an 
mich,  den  Aufsatz  druckfertig  zu  stellen.  Dieser  Aufforderung  glaubte 
ich  trotz  des  verhältnismässig  langen,  seit  meinen  bezüglichen  Unter- 
suchungen verflossenen  Zeitraumes,  während  dessen  ich  mich  sehr 
fernabliegenden  Arbeitsgebieten  widmete,  gleichwohl  nachkommen  zu 
sollen,  zumal  Prof.  v.  Ottenthai  in  freundlicher  Weise  die  Revision 
beziehungsweise  Ergänzung  der  diplomatischen  Erörterungen  Fantas, 
welche  ich  an  ihrer  Stelle  wörtlich  einschalte,  übernommen  hat. 

Das  Meiste,  was  man  bisher  über  Ceccarelli's  verbrecherisches  Trei- 
ben wusste,  verdankt  man  der  Vermittlung  Leo  Allacci's.  Beim  Process 
spielten  die  bei  Ceccarelli  beschlagnahmten  Manuscripte  eine  Haupt- 
rolle, und  darunter  insbesondere  sein  Briefwechsel  mit  Alberico  Cibo, 
Fürsten  von  Massa.  Man  fand  nämlich  bei  Ceccarelli  einerseits  die 
Briefe  Cibo's,  anderseits  die  Concepte  der  Briefe  Ceccarelli's,  die  heute 
mit  andern  Stücken  im  Cod.  Ottobon.  3053  zusammengebunden  sind; 
übrigens  scheint  Cibo  die  Originalbriefe  Ceccarelli's  selbst  dem  Richter 
zur  Verfügung  gestellt  zu  haben.  Dieser  Briefwechsel,  sowie  die 
Vertheidigungschrift  (Liber  Supplex)  Ceccarelli's  au  die  Richter 
sind  die  Hauptquellen,  aus  denen  Allacci  seinen  Bericht  geschöpft 
hat.  Ueber  Ceccarelli's  Privatleben  erfahren  wir  aber  von  Allacci 
äusserst  wenig;  hier  tritt  namentlich  ein  die  Jahre  1578  — 1580 
umfassendes  kurzes  Notizbuch  Ceccarelli's  ergänzend  ein,  das  im  Cod. 
Vatic.  6158  fol.  115 — 125  erhalten  ist.  Dieses  scheint  Contelori  dem 
Allacci  nicht  zur  Verfügung  gestellt  zu  haben,  denn  sonst  würde  letz- 
terer wohl  Gebrauch  davon  gemacht  haben.  Auch  die  Briefsamm- 
lung im  obcitirten  Cod.  Ottob.  3053  ist  von  Allacci  nicht  benützt 
worden. 

„Claudii  et  Trapeiae  (sie)  filius,    Ceccarellus   sive  Ciccarellus " :    in 


200  R  i  e  g  1. 

diesen  Worten  erschöpft  sich  alles,  was  Allacci  über  des  Fälschers  Her- 
kunft zu  sagen  weiss ;  ausserdem  nennt  er  Bevagna  als  seinen  Geburts- 
ort. Von  seinen  Familienverhältnissen  erfahren  wir  blos,  dass  er  eine 
Frau  Namens  Imperia  Ciccola  besessen  habe,  der  er  einmal  eine  scherz- 
hafte Grabinschrift l)  weihte,  was  Allacci  zum  Beweise  des  witzigen 
und  launigen  Geistes  des  Mannes  anführt.  Endlich  weiss  Allacci, 
dass  Ceccarelli's  ursprünglicher  Beruf  der  ärztliche  gewesen  sei.  Einiges 
Licht  über  die  Verhältnisse  in  Ceccarelli's  Elternhause  verbreitet  da- 
gegen einmal  ein  Originalbrief  des  Vaters  Claudio  an  seinen  Sohn 
Alfonso,  datirt  aus  Bevagna  zum  8.  Nov.  1581,  und  erhalten  im  Cod. 
Ottob.  3053  f.  116,  mitten  unter  Stücken  aus  dem  Briefwechsel  mit 
Cibo.  Aus  diesem  Briefe  geht  hervor,  dass  der  Vater  ein  Ehrenmann 
gewesen  sein  muss ,  dem  die  traurigen  Familienverhältnisse  genug 
Kummer  und  Sorge  machten.  In  minder  günstigem  Lichte  erscheint 
die  Mutter,  der  die  Schuld  an  dem  Missrathen  eines  anderen  Sohnes 
zugeschrieben  wird.  Aber  auch  mit  Alfonso's  Treiben,  das  er  also 
gekannt  zu  haben  scheint,  war  der  Vater  durchaus  nicht  zufrieden; 
nachdem  er  ihn  wegen  etlicher  älterer  Schulden  an  fremde  Leute  ge- 
mahnt hat,  sagt  er  des  weiteren:  ,,et  dirö  quel  che  assai  volte  ho 
detto,  che  le  vostre  vigilie,  fatighe  e  stenti  si  risolveranno  in  fumo 
et  in  niente,  ma  voi  volete  cosi  et  cosi  habbiate. " 

Ganz  wesentliche  Aufschlüsse  über  Ceccarelli's  Privatverhältnisse 
gewinnen  wir  ferner  aus  seinen  oberwähnten  Memoiren.  Dieselben 
umfassen  die  Jahre  1578,  1579  und  1580,  die  er  zugleich  das  46o 
47.  und  48.  seines  Lebens  nennt.  Da  er  überdies  hiebei  das  Jahr  in 
der  2.  Hälfte  des  Februar  umsetzt,  so  gewinnt  es  Wahrscheinlichkeit, 
dass  er  in  der  zweiten  Hälfte  des  Februar  1532  geboren  wurde.  Jedem 
Jahre  sind  astrologische  Betrachtungen  vorausgeschickt,  was  bei  einem 
Arzte  und  dem  damaligen  Stande  der  Heilkunde  nicht  verwundern 
darf.  Angaben  über  sein  körperliches  Wolbefinden,  über  etwaige  Er- 
krankungen, ihre  Dauer  und  die  Mittel,  mit  denen  er  sich  geheilt  hat, 
folgen  darauf.  Von  seinem  Vater  ist  mehrfach  die  Kede,  von  dessen 
Erkrankung  und  einem  für  Alfonso  offenbar  ungünstigen  Testamente, 
das  der  erstere  im  J.  1580  gemacht  hat.  Wir  erfahren  ferner  von 
Verwandten,  von  einer  im  J.  1578  verstorbenen  Tochter  Felicitas,  und 
einem  ungehorsamen  Sohne  Pannonius,  dem  er  im  J.  1579  das  Haus 
verbieten  musste.     Von  seiner  Frau  geschieht  keine  Erwähnung,  umso- 


l)  Alphonsus  Ciccarellus  Mevanas,  civis  Romanus  ac  multarum  civitatum 
Italiae  Patricius  beneineritus,  Eques  et  comes  Palatinus  Imperiae  Ciccolae  conjugi 
incomparabili  etc. 


Altbnso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.  201 

mehr  dagegen  von  Liebschaften,  die  ihn  mehr  als  einmal  in  finanzielle  Be- 
drängnisse brachten.  Die  Genauigkeit  im  Einzelnen,  in  welcher  die  bezüg- 
lichen Aufzeichnungen  geführt  sind,  wird  nur  übertroffen  von  derjenigen, 
mit  der  er  seine  „literarischen"  Honorare  eingetragen  hat.  Im  Jahre  1579 
betrugen  diese  letzteren  ein  ganz  stattliches  Sümmchen;  daneben  muss 
er  aber  auch  ärztliche  Praxis  ausgeübt  haben.  Im  J.  1580  hatte  er 
einen  vornehmen  Patienten  im  Bischof  von  Savona,  den  er  auch  nach 
Grottaferrata  begleitete.  Ueberdies  scheint  er  im  Hause  einer  römischen 
Dame  ständiger  Leibarzt  gewesen  zu  sein,  denn  als  er  im  August  1580 
erkrankte:  si  ammalö  tutta  la  casa  della  signora.  Diese  Herrin, 
zu  der  er  doch  nur  als  Arzt  in  Diensten  stehen  konnte,  war  nach 
einem  von  Bulifon  überlieferten,  weiter  unten  noch  zu  erwähnenden 
Briefe  vom  14-  April  1581  eine  Signora  Ersilia,  a  Pasquino. 

Die  vornehmste  Wichtigkeit  besitzen  diese  Memoiren  für  uns  da- 
durch, dass  er  darin  eine  Reihe  von  Adeligen  anführt,  von  denen  er 
Honorare  bekommen  hat.  Wofür,  können  wir  uns  denken;  es  wird 
aber  gelegentlich  auch  ausdrücklich  gesagt,  und  zum  Ueberflusse  ge- 
steht er  gleich  im  ersten  Jahre  (1578)  die  Nachmachung  älterer  Schrift- 
stücke direkt  ein.  So  mochte  Ceccarelli  mit  diesen  Memoiren  dem 
Richter  selbst  ein  vernichtendes  Beweismaterial  an  die  Hand  gegeben 
haben.  Aber  auch  die  übrigen  Notizen  geben  in  ihrer  Gesammtheit 
ein  so  deutliches  Bild  von  Charakter  und  Lebensführung  des  Mannes: 
von  seinen  Passionen,  seinen  Geldnöthen,  die  ihn  gelegentlich  sogar 
in  das  Schuldgefängnis  brachten,  und  der  daraus  entsprungenen  Nö- 
thigung  Geld  zu  verdienen,  —  dass  ich  dieselben  unter  blosser  Hin- 
weglassung  der  astrologischen  Bemerkungen  in  extenso  wiedergeben 
zu  sollen  glaube. 

Ciccarellis  Memoiren,  Cod.  Vat.  6158,  f.  115 — 125. 

Liber  Revolutionum  mei  Alphonsi  ineipiendo  ab  Anno  domini  1578  et  anno 
aetatis  meae  46. 

Revolutio  anni  46  aetatis  meae  (1578).         v 

Iste  annus  fuit  mihi  in  lucro  medioeris,  immo  feci  multas  expensas  inutiles 
et  multa  expendidi  in  meretrice  quadam  juvene  captus  amore  eius  in  ultima  quarta 
anni,  et  eam  ingravidavi  a  die  8.  Xbris  usque  ad   16.  eiusdem  mensis  anni  1578. 

Fuit  annus  totus  sanus  per  gratiam  dei,  et  semper  commedi  cum  appetitu 
et  medioeriter  usus  sum  coitu  et  in  prineipio  anni  habui  malum  in^oculis  et  brevi 
fui  curatus. 

Multa  scripsi  manu  propria,  quod  habita  sunt  et  tenen- 
tur  pro  a  n  t  i  q  u  i  s.  Ex  quibus  plura  lucratus  sum  et  c  o  m  p  i  1  a  v  i 
plura  opuscula,  quae  hueusque  lucratus  sum  de  scriptis ,  per  rae  sunt 
seudi  25  '),  seudi  19. 

')  Wol  von  den  Herren  de  Matelica,  von  denen  Ciccarelli  im  Briefe  an  Cibo 
vom  21.  Jan.  1579  25  Aureos  erhalten  zu  haben  behauptet. 


202  R  i  e  g  1. 

In  mense  augusti  etiam  ingravidavi  mulierem  Margharitam,  cum  qua  pluries 
usus  sum  coitu. 

In  mense  octobris  mortua  est  sora  Veronica,  quae  est  soror  carnalis  inei  patris. 

In  mense  7bris  Claudius  pater  meus  ex  casu  ab  alto  multa  passus  est,  et 
stetit  in  fine  mortis,  tarnen  evasit  per  gratiarn  dei. 

In  fine  anni  die  15  februarii  mortua  est  Felicita(s)  filia  mea,  cuius  animam 
deus  reponat  in  sinu  suo  propter  eius  misericordiam. 

In  mense  Xbria  mortuus  est  patruus  meus  carnalis  d.  Franciscus  spetiosus 
v.  z.  D. 

Revolutio  anni  aetatis  mee  47  (1579).  De  mense  martii  illa  mulier  gra- 
vida  fecit  abortum. 

In  mense  februarii  Pannonius  filius  meus  incepit  esse  mihi  contrarius  et 
inobediens  adeo  quod  coactus  fui  expellere  eum  et  relinquere  ut  domum  rediret. 

In  die  S.  Andree  1579  recevei  in  dono  dall'abbate  di  S.  Gre- 
gor io  d.  50.  perche  gli  feci  l'historia  di  casa  Conti  e  de  piu  del 
mese  di  gennaro  1 580  scudi  X.  et  piü  del  mese  di  febraio 
scudi  20.  Item  dal  Sr  Livio  Lotthiero  per  certa  scrittura  do- 
natali    midonö  scudi    12  nel  mese  di  gennaro  1580. 

Nel  mese  di  novembre  1579  mi  furono  donati  scudi  20  dal  ves- 
covo  della  Ripa  (einem  Buoncompagni). 

Nel  mese  di  febraio  die  15,  1580  mi  furono  donati  scudi  25  dal 
Sr.  Berardino  Savelli  con  promissione  di  darmene  piü  assai  delle  altre 
volte. 

In  questo  anno  sono  stato  sano  tutto  di  corpo  senza  havere  havuto  mai 
male  alcuno  per  gratia  di  dio. 

Revolutio  anni  aetatis  mee  48  (1580). 

Nel  mese  di  marzo  il  Sr  Berardino  Savello  mi  donö  scudi  12 
d  i  p  a  o  1  i. 

Nel  medesimo  mese  il  vescovo  di  Savona  mi  donö  25  scudi  di  paoli  per 
la  cura  della  sua  infirmitä;  nel  mese  di  aprile  mi  donö  scudi  15  di  paoli.  Alli 
25  di  marzo  andai  col  sopradetto  vescovo  di  Savona  a  Grottaferrata  et  ci  stetti 
17  giorni  et  me  ne  partei  per  ritornare  a  casa  per  vedere  mio  padre  ammalato 
et  mi  partei  di  Roma  alli  15  di  aprile. 

Ritornai  da  casa  qui  in  Roma  alli  20  di  maggio.  Ma  mentre  stttti  a  casa 
patei  molto  per  conto  del  testamento  fatto  da  mio  padre  et  di  altri  fastidii, 
non  dimeno  fui  ben  visto  et  accarezzato  da  ognuno.  Ritornato  a  Roma  da  li  ad 
un  di  stetti  male  per  il  male  delle  renelle  tre  giorni  et  guari  colla  gratia  di  dio 
pigliando  una  medicinetta  et  facendo  cbristieri ;  poi  stetti  assai  bene  per  1'  estate 
et  alli  4  di  agosto  mi  ammalai  del  male  del  castrone,  mi  sanguinai,  pigliai  si- 
roppi  et  presi  medicina  et  in  sei  giorni  mi  curai.  Et  con  me  si  ammalö  tutta 
la  casa  della  signora. 

Ristorato  e  vivendo  innanzi  et  dopo  ho  fatto  molte  fatiche  et  da  nessuno 
sono   stato   rimunerato  et  d'  ogni  cosa  ho  visto  il  contrario. 

Per  la  securtä  fatta  a  pirro  ci  fui  prigione  un  mezzo  giomo  alli  t!  di  ottobre. 
Et  pigliando  il  termine  di  pagamento  quella  donna  la  pagai  capo  di  un  mese 
che  furono  A.  19  sensa  le  spese.  Alli  25  di  ottobre  Pieragostino  di  Roscio  per 
la   securtä   fattali    per   76    scudi    mi    lassö    suo    berede   et   subbito  morse    delli 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserkunden.  203 

quali  robbe  ne  pato  molti  fastidii.      Si  come  faccio  ancora    per  la  pigionc  della 
poetina. 

Unter  dem  Personale  des  Vatikans  scheint  Ceccarelli  auch  einen 
Verwandten  besessen  zu  haben;  wenigstens  gab  er  einem  Tomus  VI 
variarum  lectionum  (Cod.  Vat.  6215),  der  sich  unter  seinen  saisirten 
Manuskripten  befand,  die  Aufschrift:  ex  originali  extante  apud  D. 
Odoardum  Ceccarellum  capellae  pontificiae  musicum.  Es  ist  dieser 
Umstand  vielleicht  nicht  unwichtig,  weil  Ceccarelli  sich  dieses  Ver- 
wandten zur  Einschmuggelung  von  gefälschten  Autoren  in  den  Vatikan 
bedient  haben  konnte. 

Zur  allgemeinen  Charakteristik  des  Mannes  möge  auch  eine  Anek- 
dote beitragen,  die  uns  Allacci  von  ihm  überliefert  hat.  Dass  Cecca- 
relli den  Aberglauben  seiner  Zeit  durch  astrologische  Charlatanerien 
ausgenützt  hat,  mössten  wir  annehmen,  selbst  wenn  es  Allacci  nicht 
ausdrücklich  berichten  würde.  Um  mit  einer  seiner  Weissagungen 
für  alle  Fälle  sicher  zu  gehen,  verfiel  er  einmal  auf  folgenden  Schwindel. 
Bei  einer  Papstwahl  (bei  welcher,  wird  nicht  gesagt),  richtete  er  an 
jeden  älteren  Cardinal,  der  als  Papabile  galt,  ein  anonymes  Schreiben 
worin  er  ihm  zuverlässig  die  Wahl  prophezeite ;  doch  knüpfte  er  daran 
die  strenge  Mahnung,  ja  Niemandem  davon  Mittheilung  zu  machen 
bis  ihm  nach  vollzogener  Wahl  Jemand  ein  Erkennungszeichen  brächte 
von  der  gleichen  Beschaffenheit,  wie  ein  dem  Schreiben  beigelegtes. 
So  hoffte  er  auf  jeden  Fall  von  dem  künftigen  Papste  etwas  heraus- 
zuschlagen. 

Höchst  charakteristisch  für  die  Art  und  Weise,  wie  sich  der  Fälscher 
mit  seinen  Angeboten  an  die  ihm  geeignet  scheinenden  Vornehmen 
herandrängte,  ist  ein  Brief  von  ihm  an  einen  Francesco  Mercanti, 
datirt  aus  Rom  vom  14.  April  1581,  und  abgedruckt  in  Bulifons  Brief- 
sammlung *).  Mercanti  hatte  ihn  —  was  für  den  weitverbreiteten 
Ruf  des  vermeintlichen  Chronikenbesitzers  und  Dokumentensammlers 
bezeichnend  ist  —  im  Namen  der  Herren  Cavalcanti  um  eine 
Chronik  gebeten,  in  welcher  vom  Ursprünge  dieses  Hauses  die  Rede 
wäre.  Ceccarelli  gibt  in  dem  citirten  Briefe  vor,  er  hätte  die  Chronik 
dem  Signor  Monaldo  geliehen,  es  stünde  übrigens  nichts  ■Wesentliches 
von  den  Cavalcanti  darinnen.  Er  besitze  aber  unter  vielem  Anderen 
eine  handschriftliche  Chronik,  worin  nach  der  im  J.  1103  verfassten 
Geschichte  des  Piero  Canigiano  viel  von  den  fiorentinischen  Geschlech- 


0  Lettere  memorabili,  istoriche  politiche  ed  erudite,  raccolte  da  Antonio 
Bulifon  I.  Pozzuoli  1693,  S.  129.  Es  ist  dies  derselbe  Brief,  in  welchem  er  seine 
oben  gedachte  Adresse  (a  Pasquino)  angibt. 


204  R  i  e  g  1. 

terii  die  Rede  wäre.  Der  Ahnherr  der  Medici  habe  hienach  im  J.  806 
eine  Dame  aus  dem  Hause  Cavalcanti  heimgeführt.  Hierauf  fährt  er 
fort:  e  son  certissimo,  che  se  Sua  Altezza  sapesse  1'  origine  di  Casa 
de' Medici,  pagherebbe  un  buon  beveraggio,  perche  in  mano  mia  si 
ritrovano  gran  cose.  Si  che  V.  S.  puö  farmi  favore  in  varii  modi  e 
mi  puö  ajutare  e  balzarmi  innanzi,  che  io  le  prometto,  che  ho  cose 
alle  mani,  che  ognuno  ne  resterä  stupito.  Aspetterö  1'  aviso  suo  quanto 
prima,  perche  sono  ricercato  da  molti  altri,  se  voglio  dar  questa  cronica, 
ma  porgendomisi  questa  occasione  ne  o  voluto  scrivere  a.  V.  S.  per 
intentar  meglior  fortuna  u.  s.  w.  —  Dass  die  Medici  in  die  Falle  ge- 
gangen wären,  ist  kaum  anzunehmen ;  für  das  Vorgehen  des  Fälschers 
ist  aber  die  Geschichte  gewiss  charakteristisch. 

Am  besten  unterrichtet  sind  wir  über  die  Negociationen,  die  Cecca- 
relli  mit  Alberico  Cibo,  Fürsten  von  Massa  geführt  hat  und  die 
sich  durch  einen  Zeitraum  von  7 — 8  Jahren  hinzogen.  Beim  Prozesse 
hat  der  bezügliche  Briefwechsel,  allem  Anscheine  nach,  eine  sehr  wich- 
tige Bolle  gespielt,  und  da  darin  mehrfach  die  von  Ceccarelli  fabricirten 
Autoren  ausdrücklich  erwähnt  sind,  hat  Allacci  darüber  so  viel  mit- 
getheilt,  als  er  nur  aus  den  Akten  erfahren  konnte.  Wir  befinden  uns 
in  noch  glücklicherer  Lage,  da  uns  überdies  der  Cod.  Ottob.  3053  zur 
Verfügung  steht,  den  Allacci  aus  irgend  eiuem  Grunde  nicht  einsehen 
konnte.  Dieser  Sammelband  enthält  nämlich  nicht  blos  Concepte  von 
Ceccarelli's  Briefen  an  Cibo,  wogegen  Allacci  die  wahrscheiulich  von 
Cibo  zur  Verfügung  gestellten  Originalbriefe  benutzt  hat,  sondern  auch 
eine  Anzahl  von  Briefen  Cibo's  von  deren  Inhalt  Allacci  nichts  be- 
kannt ist.  Ich  glaube  mir  diesen  Umstand  so  erklären  zu  sollen,  dass 
aus  den  bei  Ceccarelli  saisirten  Briefen  Cibo's  die  für  die  Rechtssache 
wichtiger  scheinenden  ausgesucht  und  den  Prozessakten  beigelegt  wor- 
den sind:  diese  Briefe  kennt  daher  auch  Allacci.  Dagegen  wurden 
die  minder  wichtigen  zusammen  mit  den  Briefconcepten  Ceccarelli's  und 
einigen  anderen  Schriften  desselben  in  ein  Convolut  gebracht,  das  Allacci 
von  Contelori,  gleichgiltig  aus  welchem  Grunde,  nicht  vorgelegt  worden 
ist.  Aus  einem  dieser  Briefe  Cibo's  (Fol.  96)  ersehen  wir,  wann  der 
Verkehr  zwischen  beiden  Männern  anhob  und  was  die  erste  Veran- 
lassung dazu  gegeben  hat.  Vom  13.  Juni  1574  ist  dieser  früheste 
Brief  Cibo's  datirt,  in  welchem  er  sich  bei  Ceccarelli  wegen  einer 
Stelle  im  Procopius  anfragt,  die  angeblich  von  den  Ahnen  Cibo's  han- 
deln solle.  Zu  dieser  Zeit  müssen  also  Ceccarelli's  genealogische  Ent- 
deckungen bereits  Aufsehen  erregt  haben,  da  selbst  ein  so  aufgeklärter 
Mann  wie  Cibo  sich  an  ihn  wendete.  Auf  Fol.  98  folgt  das  undatirte 
Concept  eines  Briefes  Ceccarelli's,  womit  er  dem  Fürsten    eine  Schrift 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         205 

„Simulacro  di  casa  Cibo"  *)  überreicht.  Der  Schreiber  unterzeichnet 
sich  hiebei  bombastisch :  Alfonsus  Ciccarellus  de  Bevagua  Filosofo  eccmo 
trovatore  delle  grandezze  del  mondo  et  tribuno  delle  Delitie  dell'  alma 
natura.  Cibo  war  aber  nicht  so  leichtgläubig  wie  Andere,  und  ant- 
wortete in  einem  Brief,  den  Allacci  einsehen  konnte,  er  habe  keine 
Spur  von  den  bei  Ceccarelli  citirten  Autoren  linden  können,  und  auch 
der  Cardinal  Sirletti  habe  diesen  Umstand  für  höchst  bedenklich  ge- 
funden.  Scipio  Ammirato,  den  er  ebenfalls  darum  befragte,  habe  bei 
der  Nennung  der  Autoren  allein  schon  lachen  müssen.  Schliesslich 
forderte  der  Fürst  Ceccarelli  auf  anzugeben,  wo  sich  die  von  ihm  ci- 
tirten Autoren  aufbewahrt  fänden  ;  bevor  er  dieselben  nicht  selbst  zu 
Gesicht  bekäme,  vermöchte  er  Ceccarelli's  Ausführungen  keinen  Glauben 
zu  schenken. 

Ceccarelli  erwiderte  hierauf  am  24.  März  1576  (das  Concept  hie- 
zu  auf  f.  118)  in  einem  ausführlichen  Schreiben,  das  für  die  Kon- 
statirung  der  von  ihm  gefälschten  Autoren  von  grosser  Wichtigkeit 
ist  und  daher  auch  von  Allacci  ausführlich  mitgetheilt  wurde.  Gegen 
Sirletti's  Kaisonnement  wendet  er  vor  allem  ein,  dass  man  demzufolge 
auch  den  Plinius  und  den  Plutarch  und  viele  heilige  Schriften  des 
Alten  Testaments  als  unecht  verdammen  müsste,  weil  die  Autoren,  aus 
denen  dieselben  schöpften,  seither  verloren  gegangen  sind.  Gleich- 
wohl stünde  es  mit  seinen  Autoren  und  zwar  mit  dem  Fanusius  Cam- 
panus und   dem  Corellus 2)    diesbezüglich  sogar    besser,    als  mit  jenen 


')  Im  später  noch  zu  erwähnenden  Index  der  Schriften  Ceccarelli's  führt  Allacci 
auch  das  Simulacro  an;  oh  er  die  Schrift  gesehen,  lässt  sich  nicht  entscheiden; 
heute  scheint  sie  auf  der  Vaticana  nicht  vorhanden  zu  sein.  Noch  eine  zweite 
Schrift,  betitelt  »dejubilaeo*  hat  Ceccarelli  dem  Fürsten  bald,  nachdem  die  Beziehun- 
gen zwischen  ihnen  begonnen  hatten,  übersandt,  und  zwar  angeblich  um  dadurch 
ihre  Drucklegung  herbeizuführen.  Der  Fürst  zeigte  die  Schritt  mehreren  in  diesen 
Dingen  erfahrenen  Männern,  und  besonders  dem  Jesuiten  Ramirez,  der  manches 
darüber  zu  bemerken  hatte.  Ceccarelli  äusserte  sich  darauf  zum  Fürsten,  er  wolle 
dem  Ramirez  nichts  erwidern,  da  er  sich  sonst  in  die  Notwendigkeit  versetzt 
sähe,  wiederum  einen  ganzen  Traktat  zu  schreiben;  er  könnte  sich  dessen  uinso- 
mehr  enthalten,  als  die  Schrift  in  allem  und  jedem  von  der  hl.  Inquisition  appro- 
birt  worden  sei.  Auch  habe  ihm  der  Cardinal  Sirleti  nahegelegt,  er  möge  das 
ihm  gewidmete  Exemplar  das  mit  zierlichen  Buchstaben  geschrieben  war,  zum 
ewigen  Gedächtnisse  in  der  vatikanischen  Bibliothek  hinterlegen.  —  Allacci  er- 
zählt die  Geschichte  an  der  Stelle,  wo  er  in  seinem  Verzeichnisse  von  Ceccarelli's 
hinterlassenen  Schriften  den  Traktat  ,  de  jubilaeo«  erwähnt;  geschöpft  hat  er  sie 
aus  einem  Briefe  Ceccarelli's  an  Cibo  vom  20.  Sept.  1575,  wozu  sich  das  Concept 
im  Cod.  Ottob.  3053  Fol.  108  erhalten  hat. 

')  Jacobus  Corellus  de  Colonia,  Historia  de  cardinalatu,  ist  ein  von  Ceccarelli 


206  B  i  e  g  1. 

unbezweifelten  Schriften,  denn  sie  existirten  noch  in  „Mundi  Biblio- 
theca". Damit  bewegte  sich  Ceccarelli  allerdings  in  einem  Cirkel, 
denn  diese  Mundi  Bibliotheca,  die  er  in  einer  Geschichte  des  Hauses 
von  Santa  Croce  (siehe  weiter  unten)  einem  Henricus  Barcellius  de 
Agrigento  zuschreibt,  ist  selbst  nichts  anderes  gewesen,  als  eine  Fälschung 
Ceccarelli's.  In  der  Vertheidigung  seiner  Autoren  fährt  er  aber  fort: 
die  gelehrtesten  Männer  von  Rom  hätten  sich  zu  ihren  Gunsten  er- 
klärt. „Sed  quod  magis  est,  se  certiorem  esse  redditum  ab  episcopo 
Lutevano  in  Gallia,  in  Diegi  Mendozae  bibliotheca  et  in  bibliotheca 
D.  Gulielmi  a  Choul  in  montibus  Delfinatus  Praefecti"'  —  risum  teneatis 
amici ,  bemerkt  dazu  Allacci  —  „multos  ex  illis  quos  ipse  allegat, 
reperiri'*.  Von  Aufbewahrungsorten  seiner  Autoren  nennt  er:  für 
den  Fanusius  Campanus  und  den  Corellus  die  Bibliothek  des  Giacomo 
Baoncampagni  1).  Der  Liber  de  notabilibus  et  memorabilibus  mundi 
von  Johannes  Selinus  befände  sich  in  Archivio  arcis  capitolinae.  Die 
übrigen  angezweifelten  Autoren  verwahre  er  in  eigenem  Besitze. 

Seine  erdichtete  Geschichte  des  Hauses  Cibo  scheint  Ceccarelli  von 
Anbeginn  mit  gefälschten  Urkunden  gestützt  zu  haben.  In  einem  un- 
datirten  Briefconcept  (f.  91)  heisst  es  nämlich:  de  piü  gli  dico  che  io 
ho  un  libro  antico  dove  sono  molti  privilegii  de  papi  et  de  imperatori2), 
libro  notabilissimo  et  ce  sono  alcuni  privilegii  in  favore  di  casa  Cibo, 
et  questo  basti  per  hora.  Zwischen  den  Zeilen  hat  er  dann  hinzu- 
gefügt: di  Carlo  magno  et  di  Ottone  impp.  Ob  er  diesen  Brief  wirk- 
lich abgeschickt  hat,  ist  mir  zweifelhaft.  Wahrscheinlich  hat  er,  durch 
die  Zweifelsucht  des  Fürsten  angesichts  des  „Simulacro"  bewogen,  der 
Urkunde,  mit  der  er  den  Fürsten  zu  beschwindeln  gedachte,  von  vorn- 
herein einen  vertrauenerweckenden  Geleitbrief  mitgeben  wollen.  Zu 
dem  Zwecke  fingirte  er  die  Geschichte  eines  im  Hause  des  Stadtcaplans 
zu  Tosella  bei  Todi  erfolgten  Urkundenfundes  3),  die  einigermassen  an 
ein  ähnliches,  in  unserem  Jahrhunderte  vorgefallenes  Geschehnis  er- 
innert. Das  Concept  dieses  Briefes  (f.  92)  ist  datirt  vom  5.  Sept.  1578; 
Allacci  gibt   einen    ausführlichen  Auszug    aus   dem   ihm  vorgelegeneu 


oft  citirter  Autor  aus  seiuer  eigenen  Fabrik.  Weitere  von  Ceccarelli  gefälschte  oder 
wenigstens  von  ihm  erdichtete  Autoren  sind :  Johannes  de  Virgilio,  Timocrates 
Arsenius,  Hermes  trimegistos  (de  orbium  proportione),  Filarius  Epidaurus,  Pietro 
Baccarino  (Chronik  von  Italien). 

•)  Für  diese  Familie  hat  Ceccarelli  nachweislich  getälscht. 

-)  Von  diesem  »liber  privilegiorum*  wird  noch  die  Rede  sein. 

s)  Vielleicht  hat  er  die  Auffindung  in  der  That  mit  Einverständnis  des  Stadt- 
caplans in  Szene  gesetzt. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         207 

Origiualbriefe,  der  zum  5.  üecember  1578  datirt  ist.     Es  heisst  darin 
unter  Anderem: 

Diebus  elapsis l)  in  oppido  quodani  Tuderti,  Thoscella  dicto,  in  Eusebii 
dicti  oppidi  Capellani  aede  in  capsa  antiqua  niulti  vetusti  libri,  contractus,  scrip- 
turae  et  privilegia  in  charta  pergamena  reperta  sunt:  ipse  a  Francisco  Ciotto 
Mevanate,  mihi  amicissimo,  certior  factus  illuc  me  subito  contuli  et  multa  ibi 
comperi  imperatorum  et  summorum  pontificum  privilegia2),  inter 
ea  erat  unum  Ottonis  primi  Imperatoris  Guidoni  Cibo  scriptum 
cuius  tibi  exemplar  transmitto ;  et  aliud  Honorii  papae  II.  familiae  Montimarti, 
quae  nun  Corbaria  dicitur,  in  quo  subscribitur :  Ego  Uldaricus  Cibo  Genuensis, 
presbyter  cardinalis  ss.  Joannis  et  Pauli.  Et  haec  omnia  privilegia  ab  eodem 
Eusebio,  cum  ipsi  maria  et  montes  promisissem,  extorta  penes  me  habeo  et  licet 
mihi  magna  nonnulli  pollicerentur,  non  ea  tarnen  a  me  sibi  impetrarunt.  Si 
quid  ex  his  tuo  usui  esse  poterit,  tantum  mihi  indicato. 

Nun  glaubte  sich  Ceccarelli  genügend  gesichert,  um  das  Privileg 
selbst  dem  Fürsten  überreichen  zu  können.  Die  Antwort  des  Fürsten 
auf  das  Geschenk  mag  dem  geldbedürftigen  Fälscher  zu  lange  ausge- 
blieben sein,  deun  um  Weihnachten  desselben  Jahres  hat  er  einen 
Brief  an  Cibo  concipirt,  der  auf  f.  123  vorliegt  und  die  Befürchtung 
ausdrückt,  dem  Fürsten  könnten  Bedenken  gegen  die  Echtheit  des 
Diploms  aufgestiegen  sein:  gli  dico  che  non  dubiti  che  non  sia  antico 
quel  privilegio,  perche  e  stato  trovato  fra  molti  altri  che  ho  et  da 
molti  sono  stati  pigliati  per  degna  memoria  della  loro  nobiltä,  et  solo 
vostro  e  col  sigillo  il  quäle  ha  avuto  il  Sr.  Fulvio  Orsino.  Zum 
Schlüsse  sagt  er  mit  gewohnter  Ungenirtheit :  Et  poiche  e  il  natale, 
colla  risposta  aspetto  la  mancia.  In  der  That  hatte  der  Fürst  in- 
zwischen bei  Sachverständigen  Umfrage  gehalten,  ob  der  Echtheit  der 
Urkunde  zu  trauen  sei.  Ein  Bischof  Anatolius  erklärte  es  für  viel 
jünger,  als  die  Zeit,  aus  der  es  stammen  sollte.  Noch  eine  ganze  Keine 
anderer  gravirender  Einwürfe  —  ad  fastidium  usque  scribentis,  sagt 
Allacci  —  machte  Cibo  in  seiner  Antwort  Ceccarelli  gegenüber  geltend, 
und  hierauf  erfolgte  ein  ausführliches  Vertheidigungsschreiben  des 
Fälschers,  das  uns  gleichfalls  doppelt,  im  Original  bei  Allacci  und  im 
Cod.  Ottob.  3053  f.  93  erhalten  ist.  Das  frische  nichtalterthümliche 
Aussehen  der  Urkunden  —  offenbar  einer  der  Gründe  für  Anatolius' 
Diagnose  —  erklärt  er  durch  die  sorgfältige  Art  der  Aufbewahrung; 
es  wäre  nichts  Verwunderliches  dabei:  cum  in  sacri  palatii  bibliotheca 
scripturae  et  libri  alii  manuscripti  repositi  sint  ante  nongentos  et  mille 


J)  Im  Concept    heisst    es:    nel  principio    del  mese    passato,    mehrmals  um- 
gebessert. 

-)  Im  Concept  nennt  er  12. 


208  R  i  e  g  1. 

annos  descripti  qui  nunc  temporis  exarati  videntur.  Dass  die  Cibo'schen 
Privilegien  gerade  in  Todi  gefunden  seien,  brauche  auch  nicht  zu  ver- 
wundern; ursprünglich  wären  sie  im  Archiv  von  Orvieto  aufbewahrt 
gewesen  und  erst  nach  Niederbrennung  dieser  letzteren  Stadt  nach 
Todi  gerettet  worden.  Auch  die  Privilegien  vieler  anderer  Familien, 
z.  B.  der  Rangona,  wären  auf  diese  Weise  nach  Todi  gekommen. 
Uebrigens  habe  sich  daselbst  auch  Bonifaz  IX.  aus  dem  Hause  der 
Cibo  zeitweilig  aufgehalten.  In  Rom  habe  man  die  Privilegien  unbe- 
denklich für  alt  gehalten,  die  Ottoni  von  Matelica  hätten  eine  darunter 
befindliche  Bulle,  die  von  der  Schenkung  von  Matelica  handelt,  sogar 
in  ihrem  Rechtsstreite  vor  Gericht  vorgelegt;  für  eine  Copie  dieser 
Bulle  hätten  ihm  die  Ottoni *)  25  Golddukaten  gezahlt 2).  Es  möge  da- 
her auch  Cibo  das  ihm  von  Ceccarelli  übersandte  Privileg  mit  nota- 
rieller Beglaubigung  versehen  lassen  und  im  Familienarchiv  seines 
Hauses  reponiren.  ,,Annon  jam  tenes  subdolas  Ciccarelli  technas?  ruft 
er  pathetisch  aus. 

Der  Fürst  war  aber  weder  von  der  Echtheit  der  Urkunden,  noch 
von  derjenigen  der  im  Simulacro  genannten  Autoren  zu  überzeugen; 
auch  nicht  durch  einen  eigenen  Geschichtsschreiber  Namens  Filippo 
Scaglia,  den  Ceccarelli  nachträglich  für  ihn  gefälscht  zu  haben  scheint: 
wenigstens  nennt  Ceccarelli  denselben  in  der  Einleitung  zu  seiner 
Historia  di  casa  Monaldesca,  die  im  J.  1580  in  Druck  erschienen  ist, 
als  im  Archiv  des  Alberico  Cibo  befindlich.  Wann  der  endgiltige  Bruch 
eingetreten  ist,  bleibt  ungewiss.  Ein  Briefconcept  Ceccarellis  vom 
4.  März  1581  oder  1580 3),  (f.  105)  lässt  noch  ein  leidliches  Verhält- 
nis erkennen.  Da  aber  vom  Fürsten  schlechterdings  nichts  heraus- 
zuschlagen war  4),  entschloss  sich  der  Fälscher  endlich  zu  einem  Ab- 
sagebriefe an  denselben.  Zwei  Concepte  liegen  hiefür  vor.  Das  erste 
(f.  111)  ist  in  sehr  scharfen  Ausdrücken  abgefasst,  die  das  herbe  Maass 
der  Enttäuschung  des  Fälschers  deutlich  erkennen  lassen:  er  droht 
dem  Fürsten  für  dessen   rinocerotica  opinione    mit  nichts  Geringerem 


')  Denen  allerdings  die  Bulle  von  grösstem  Werthe  war,  da  sie  eben  damals 
die  Herrschaft  über  Matelica  einbüssten. 

2)  Eine  Entlohnung  von  50  Ducaten  führt  mit  Berufung  auf  Actenstücke 
Acquacotta  in  den  Mem.  di  Matelica  p.  55  an. 

3)  Die  ohnehin  schwer  leserliche  Schrift  ist  durch  das  zum  Schutze  über- 
geklebte Papier  —  wie  es  auf  der  Vaticana  bei  brüchig  gewordenen  Handschriften 
Brauch  ist  —  nahezu  unleserlich  geworden. 

4)  »E  Ciccarelli  nugamentis  antiquissimain  suam  stirpem  inquinari  magis 
quam  illustrari*  äusserte  sich  der  Fürst  schliesslich  in  einem  Briefe,  wie  Allacci 
mittheilt. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  .Kaiserurkunden.         209 

als  mit  der  gänzlichen  Todtschweigung  seines  Hauses.  Doch  besann 
er  sich  später  eines  Besseren  —  wusste  man  doch  nicht,  wozu  es  gut 
sein  konnte  —  und  entwarf  ein  zweites  Concept  (f.  120),  das  in  mas- 
sigeren Ausdrücken  abgefasst  war. 

Der  Handel  mit  Cibo  schloss  also  für  Ceccarelli  mit  einem  ent- 
schiedenen Verlustsaldo:  ho  fatto  molte  fatiche  e  da  nessuno  sono 
stato  rimunerato  et  d'  ogni  cosa  ho  visto  il  contrario,  sagt  er  in  seinem 
Eesume  über  das  Jahr  1580,  und  mag  dabei  ganz  besonders  die  an 
Cibo's  Ahnenglorifizirung  verschwendete  Liebesmühe  im  Auge  gehabt 
haben.  Ausser  Cibo  weiss  Allacci  —  wohl  auf  Grund  der  bei  Cecca- 
relli vorgefundenen  Briefe  —  nur  noch  Einen  zu  nennen,  der  dem 
Fälscher  durch  seine  Neugierde  hinsichtlich  der  Autoren  unbequem 
geworden  ist.  Es  war  dies  der  damalige  Bischof  von  Novara,  der 
einen  von  Ceccarelli  gefälschten  Katalog  der  Bischöfe  von  Novara  be- 
sass  und  in  den  mailändischen  Bibliotheken  keine  Spur  von  den  in 
jenem  Kataloge  citirten  Autoren  finden  konnte.  Ceccarelli  zieht  zu- 
erst die  Antwort  hinaus,  äussert  sich  dann  ausweichend  und  wider- 
spruchsvoll, sagt  bald,  er  hätte  den  Autor  in  eigener  Verwahrung,  bald 
er  würde  ihn  nur  gegen  Deponirung  einer  Geldsumme  zu  Händen  be- 
kommen, bald  wollten  ihn  die  Fürsten,  denen  er  ihn  geliehen,  nicht 
mehr  herausgeben ;  endlich  beruft  er  sich  auch  auf  unbestimmte  Aus- 
sagen Anderer. 

Weit  zahlreicher  aber  waren  diejenigen  unter  Ceccarelli's  Kund- 
schaften, die  seine  Machwerke  in  Treu  und  Glauben  als  echt  entgegen- 
nahmen und  den  vermeintlich  kundigen  Vermittler  belohnten. 

Inwieferne  dies  seitens  der  Familie  Santa  Croce  der  Fall  war, 
lässt  sich  zwar  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen.  In  einer  Handschrift  der 
Barberina  (XXXII.  Q2)  findet  sich  an  eine  echte  Selbstbiographie  des  Cardi- 
nais Prosper  von  Santa  Croce  angefügt :  Alphonsi  Ciccarelli  de  origine  anti- 
quitate  nobilitate  illustrissimae  domus  Sanctacruciae.  Beides  hat  G.  B. 
Adriaui  edirt  in  den  Miscell.  di  storia  italiana,  Torino  1868  Vol.  V,  465 
bis  476.  Die  Vorfahren  der  Familie  lässt  Ceccarelli  unter  dem  Namen  „Des- 
creutetii"  (Des  Creutes  =Kreuz  =  Crux)  aus  Deutschland  eingewandert  sein. 
Weiters  weiss  er  eine  Menge  Namen  des  9.  und  10.  Jahrh.  zu  nennen, 
und  citirt  hiefür  als  Gewährsmänner  den  Fanusius  Campanus,  Johannes 
de  Virgilio,  Jacobus  Corellus,  Heinricus  Barcellius  und  sogar  einen 
Hermes  Trimegistos.  Zum  Schlüsse  sagt  er:  accipe  cardinalis  amplissime 
geniales  honores  et  tuae  illustrissimae  domus  honores,  quae  mihi 
hucusque  nota  sunt.  Dies  lässt  darauf  schliessen,  dass  Ceccarelli 
bereit  war  noch  weitere  Nachrichten  zu  finden.     Der  Cardinal  scheint 

Mittrheilungon   XV.  14 


210  Riegl. 

aber  keinen  Werth  darauf  gelegt  zu  haben,  denn  wir  begegnen  keinem 
Diplom  das  für  die  Santa  Croce  gefälscht  wäre.  Erwägt  man  näm- 
lich, dass  Ceccarelli  für  alle  die  leichtgläubigeren  Adeligen,  deren  eine 
ganze  Anzahl  wir  schon  aus  seinen  Memoiren  (S.  201  f.)  kennen, 
zugleich  Diplome  gefälscht  hat,  so  drängt  sich  der  Schluss  auf,  dass 
er  bei  den  Santa  Croce  mit  seinen  Anerbietungen  keinen  Erfolg  ge- 
habt hat.  In  der  Liste  von  Cardinälen  dieses  Hauses  nennt  er  u.  a. 
einen  Alexander  Santacrucius  romanus,  lebend  zur  Zeit  Heinrich's  I. ; 
vielleicht  hat  er  ihn  einmal  in  einem  gefälschten  Diplom  dieses  Königs 
als  Zeugen  verwendet. 

Sehr  reiche  Früchte  trug  dem  Fälscher  seine  Thätigkeit  für  die 
Familie  der  Conti.  Im  J.  1579/80  erhielt  er  nach  den  Memoiren 
von  dem  Abt  von  S.  Gregorio  in  mehreren  Raten  zusammen  80  Scudi. 
Es  war  dies  das  Honorar  für  eine  von  Ceccarelli  verfasste  Historia 
della  nobilissima  et  antica  casa  Conti  Romana,  die  uns  im  Codex  Ottob. 
2611  erhalten  ist1).  Ceccarelli  hat  hier  zwei  falsche  Urkunden  auf- 
genommen: eine  Ludwig's  II.  für  sieben  Söhne  des  Faustus  de  Coini- 
tibus  (Rom  871  Juni  28)  und  eine  Friedrich's  II.  für  Benedikt  Conti 
(Monte  Malo  1220  November  24),  deren  Originale  sich  nach  seiner 
Angabe  bei  dem  Abte  Hieronymus  Conti  von  S.  Gregorio  befanden. 
Doch  will  ich  gleich  hier  bemerken,  dass  sich  für  die  Conti  noch  drei 
andere  Urkunden  in  hinterlassenen  Schriften  Ceccarelli's  vorgefunden 
haben,  und  zwar  Otto's  I.  für  Johann  und  Ludwig  Conti  (Viterbo  902 
November  10),  Friedrichs  I.  für  Alexander  Conti  (Mailand  1162  April  10) 
und  Heinrich's  VI.  für  Petrus,  Ubertus  und  Guido  Conti,  (Bari  1196 
September  20).  Offenbar  erschien  der  Abt  von  S.  Gregorio  dem  Fäl- 
scher als  so  geeignetes  Ausbeutungsobjekt,  dass  er  ihm  nach  Abliefe- 
rung der  ,, Historia"  seines  Hauses  noch  drei  weitere  Urkunden  ange- 
hängt hat. 

In  demselben  Jahre  1579/80  bekam  Ceccarelli  auch  von  dem  Herrn 
Livio  von  Castell  Lothieri  12  scudi  per  certa  scrittura  donatali. 
Diese  „scrittura"  liegt  uns  noch  vor;  es  ist  die  Urkunde  Otto's  I.  für 
Rainerius  Lothieri  (Viterbo  962  August  19).  Von  dieser  Urkunde  be- 
finden sich  zwei  Abschriften  im  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  zu  Wien. 
Die  eine  ist  eine  gleichzeitige  kalligraphische  Ausfertigung  eiues  am 
20.  December  1580  auf  Verlangen  des  Herrn  Attilius  Lothieri  ange- 
fertigten   notariellen  Transsumptes,  welche  Meiller 2)    benützt  hat,  die 


')  Für  die  Urkunden-Citate  im  Einzelnen  verweise  ich  ein  für  allemal  aut 
das  am  Schlüsse  dieser  Abhandlung  befindliche  Gesammtverzeichnis  der  von  Cec- 
carelli gefälschten  Diplome.  '-')  Oesterr.  Notizbl.  11.  373. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.  2il 

zweite  eine  notariell  beglaubigte  Abschrift  vom  9.  Mai  1699.  Fran- 
cesco Maria  Lothieri  bewarb  sich  nämlich  im  Jahre  1699  um  die  Be- 
stätigung dieser  Urkunden  und  auf  diese  Weise  kamen  die  Abschriften 
nach  Wien.  Die  Bittschrift,  welche  damals  eingereicht  wurde,  besagt, 
dass  auch  andere  Herrscher  das  Privileg  Otto  1.  bestätigt  hätten.  Die 
Namen  der  Herrscher  nennt  die  Bittschrift  nicht.  Im  vierten  Buche 
des  Fanusius  Campanus  wird  aber  wirklich  eine  Urkunde  Konrads  II. 
für  die  Lothieri  erwähnt  und  eine  zweite  Friedrichs  I.  für  Sinolph 
Lothieri  (Mailand  1162  März  23)  befindet  sich  vollständig  eingerückt 
in  dem  Cod.  Ottob.  3053.  In  letzterer  Urkunde  werden  neben  der 
Urkunde  Otto  I.  auch  solche  Otto  IL,  Otto  III.  und  Heinrich  IL  er- 
wähnt uud  wir  müssen  uns  daher  die  Möglichkeit  offen  halten,  dass 
diese  Fälschungen  von  Ceccarelli  auch  wirklich  ins  Werk  gesetzt 
wurden. 

Am  15.  Februar  1580  bekam  Ceccarelli  von  Bernardino  Savelli 
25  scudi  „con  promissione  di  darmene  piü  assai  delle  altre  volte", 
und  wirklich  erhielt  er  noch  12  scudi  im  März.  Wofür  er  diese 
Summe  bekommen,  sagt  Ceccarelli  nicht.  Aber  es  ist  uns  eine  Ur- 
kunde Otto  I.  für  Virginius  Sabellus  (Aachen  964,  August  10,  BO.Keg.  361) 
erhalten,  die  sich  den  Urkunden  Otto  I.  für  die  Conti  und  Lothieri 
ganz  zur  Seite  stellt.  Die  Urkunde,  welche  jetzt  im  Haus-,  Hof-  und 
Staatsarchiv  zu  Wien  bewahrt  wird,  ist  uns  noch  in  der  Gestalt  er- 
halten, wie  sie  aus  der  Fabrik  Ceccarelli's  hervorgieng.  Sie  will  als 
Original  erscheinen  und  ist  mit  Ausnahme  der  scheinbar  von  anderer 
Hand  herrührenden  Kanzlerunterschrift  mit  rother  Tinte  auf  grobem 
Pergament  geschrieben.  An  der  Plicatura  hängen  noch  die  aus  rother 
Seide  und  Silberfäden  geflochtenen  Siegelschnüre.  Ein  Siegel  aber  fehlt 
jetzt.  Diese  Urkunde  erwähnt  Ceccarelli  wirklich  in  seinem  dreibän- 
digen Werke  über  den  römischen  Adel  1).  Er  beschreibt  sie  als  ein 
privilegio  di  Ottone  primo  imperatore  quäle  e  scritto  a  lettere  rosse 
e  si  trova  in  mano  dell  ill1110  Cardinale  Savello.  Aber  für  die  Savelli 
fälschte  er  auch  noch  andere  Urkunden :  so  eine  Heinrich's  VI.  und 
und  eine  Friedrich'«  IL  (Rom  1221  Januar  18),  welche  er  in  dem- 
selben Werke  erwähnt.  Von  letzterer  Urkunde  hat  sich  auch  das 
Fabrikat  Ceccarellis  im  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  zu  Wien  erhalten. 
Es  ist  mit  gewöhnlicher  Tinte  unverkennbar  von  derselben  Hand  ge- 
schrieben wie  das  oben  erwähnte  Exemplar  der  Urkunde  Otto's  I;  ein 
Siegel  ist  nicht  mehr  vorhanden.  Die  verlängerte  Schrift  beider  Ur- 
kunden lässt  auf  Vorlagen  von  Urkunden  Otto's  IV.  und  Friedrich's  II., 


')  La  serenissima  nobilta  dell1  ahua  citta  di  Koma,    Cod.  Vat.    4909—4911. 

14" 


212  Riegl. 

von  denen  Ceccarelli  gewiss,  wie  wir  noch  sehen  werden,  einige  ge- 
sehen haben  muss,  schliessen.  Die  Contextschrift  dagegen  ist  rein  ge- 
künstelt;  es  ist  dies  eine  Fantasieschrift,  die  sich  Ceccarelli  selbst  zu- 
recht gelegt  und  die  nie  bestanden  hat.  Im  grossen  und  ganzen 
herrscht  der  maiuskle  Charakter  vor,  darunter  stark  verschlungene 
Minuskelbuchstaben.  Am  ehesten  lässt  sie  sich  noch  mit  der  unter 
Hadrian  VI.  an  der  römischen  Curie  aufgekommenen  sogenannten  scrit- 
tura  Liegese  vergleichen. 

In  seinem  obenerwähnten  Werke  über  die  römischen  Adelsfamilien 
erwähnt  Ceccarelli  ausser  den  bereits  angeführten  Urkunden  auch  die 
Otto's  I.  und  Otto's  IV.  für  die  Carpegna,  die  Konrad's  II.  für  Tancred 
Monaldo,  Otto's  I.  für  die  Familie  Ottoni  (Ludwig  und  Peter  de  Ponte) 
und  endlich  die  Karls  des  Grossen  für  die  Markgrafen  von  Monte 
Sta  Maria.  Er  selbst  bemerkt  einmal x) :  Tutti  questi  privileggi  stanno 
in  mano  delli  sopradetti  et  io  gli  ho  visti  in  mano  loro  con  sigilli  et 
autentichi  in  ogni  modo. 

Otto  I.  für  die  Carpegna  lehnt  "sich  ganz  an  die  schon  ange- 
führten Urkunden  desselben  Herrschers  für  die  Conti,  Lothieri  und 
Savelli  an.  Clementini,  welcher  das  Archiv  der  Carpegna  zu  Scavolino  (an 
der  Marechia)  benützen  konnte,  geht  auf  das  Fabricat  Ceccarellis  selbst 
zurück.  Uns  liegt  sie  in  einem  Transsumpt  vom  Jahre  1692  vor,  in 
dem  sich  auch  die  bisher  nur  im  Extrakt  bekannte  Urkunde  Otto's  IV. 
befindet  (im  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  zu  Wien).  Der  Transsumpt 
beschreibt  die  Urkunde  Otto's  I.  folgender  Massen :  in  prisca  membrana 
et  integra  pergamena  seu  membrana  descripti  ac  aureo  sigillo  cordulis 
sericis  ac  rubris  decore  muniti  dependentis.  Diese  Abschrift  scheint 
erst  1749  nach  Wien  gekommen  zu  sein,  als  es  sich  um  die  Erbnach- 
folge in  den  Besitzungen  der  Carpegna  handelte  und  es  ist  damals  in 
den  Akten  vermerkt,  dass  nur  jene  zwei  Kaiserurkunden  für  die  Car- 
pegna existirten.  Trotzdem  muss  aber  eine  dritte  vorhanden  gewesen 
sein  und  zwar  eine  Heinrich's  II;  denn  Ceccarelli  führt  einmal  einen 
Namen  aus  der  Zeugenreihe  derselben  an.  Eine  Urkunde  Otto  I.  für 
das  Geschlecht  der  wie  die  Carpegna  zu  ßimini  gehörigen  Grafen 
Guidi  di  Bagno  erwähnt  Clementini  mit  wenigen  Worten,  die  aber 
genügen,  um  auch  hier  mit  ziemlicher  Sicherheit  eine  Fälschung  Cec- 
carelli's  zu  erkennen. 

Ausgebreiteter  scheint  seine  Thätigkeit  für  die  Monaldeschi 
gewesen  zu  sein.  In  seinem  Nachlasse  befand  sich  eine  Geschichte 
von  Orvieto,    in    welcher    er    die  Monaldeschi   oft  zu  erwähnen    hatte. 


')  La  serenissima  nobilta  dell'  alma  cittä  di  Roma,    Cod.  Vat.  4M08  S.  29fi. 


Alfoiiso  Ceecarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         21o 

Auch  eine  Geschichte  dieses  Hauses  hat  er  verfasst l) ,  doch  finden 
wir  in  seinem  Tagebuche  nicht  verzeichnet,  was  er  dafür  bekommen. 
Dieses  Werk  enthält  zwei  Urkunden:  Die  eine  Friedriche  II.  (Böhmer- 
Ficker  Reg.  450)  ist  echt,  aber  die  zweite  Otto's  IL  für  Ludwig  Mo- 
naldeschi  (Stumpf  Reg.  463)  eine  Fälschung,  welche  auch  im  Fanusius 
Campanus  erwähnt  wird.  Doch  schon  bei  der  Geschichte  des  Hauses 
Conti  haben  wir  gesehen,  dass  er  noch  nachträglich  Urkunden  für 
dieses  Haus  gefälscht  hat,  die  in  der  „Geschichte"  natürlich  noch 
nicht  enthalten  sein  konnten.  Ebenso  lassen  sich  auch  für  die  Monal- 
deschi  noch  andere  Urkunden  ausser  den  genannten  nachweisen:  so 
eine  Otto's  III  (Stumpf  Reg.  1170a)  und  die  bereits  erwähnte  Kon- 
rad's  IL,  die  Gamurrini  als  Muster  zur  Kennzeichnung  der  andern 
Fälschungen  Ceccarelli's  abgedruckt  hat. 

Ceecarelli  hat  aber  auch  an  manche  Adelige  angebliche  Privilegien 
ausgehändigt,  die  gar  nicht  für  das  Haus  derselben  ausgestellt  waren. 
So  erfahren  wir  aus  Gamurrini,  dass  er  das  Privileg  Konrads  II.  für 
die  Monaldeschi  für  die  Genealogie  der  Ubertini  (Grafen  von  Chatig- 
nano)  verwerthete  und  da  genügte  es  in  die  Zeugenreihe  einen  Albertus 
Ubertinus  comes  Florentii  pincerna  hineinzubringen.  Das  Privileg 
scheint  sich  auch  wirklich  im  Besitze  der  Ubertini  befunden  zu 
haben.  Sicher  können  wir  ein  solches  Verfahren  des  Fälschers  gegen- 
über den  Orsini  nachweisen.  Fälschungen  Ceccarelli's  für  diese  Fa- 
milie seheinen  nicht  vorhanden  zu  sein.  Aber  er  erwähnt  selbst  ein 
privilegio  di  Federico  primo  imperatore  fatto  a  casa  Malatesta  d'  Ari- 
mini  il  quäle  si  trova  in  mano  dell'  illmo  Arrigo  Orsino  marchese  di 
Stimigliana;  fra  gli  altri  testimoni  ce  si  legge  questo  di  casa  Orsino, 
il  quäle  era  marescalco  dell'  imperio :  Julius  Ursinus  marescalcus  imperii 
nel  fine  di  detto  privileggio  che  questo  fü  1'  anno  della  salute  1186. 
Eine  Urkunde  Otto's  III.  für  die  Malatesta  wird  im  Fanusius  Cam- 
panus erwähnt;  ob  Ceecarelli  diese  Fälschung  wirklich  ins  Werk  ge- 
setzt hat,  bleibt  freilich  unentschieden.  Wahrscheinlich  konnte  er  die 
beiden  Fälschungen  bei  dem  Hause,  für  welches  sie  bestimmt  waren 
nicht  anbringen  und  desshalb  hat  er  wenigstens  die  eine  bei  den  Or- 
sini, für  welche  sie  ja  auch  einen  Werth  hatte,  verwerthet.  Daraus 
erklärt  sich  auch,  dass  Clementini,  der  Lokalgeschichtsschreiber  von 
Rimini,  von  diesen  Urkunden  keine  Kenntnis  hatte. 

Fünf  Urkunden  fälschte  Ceecarelli  endlich  für  die  Markgrafen 
von  Sta  Maria  del  Monte.  An  der  Spitze  steht  die  Karls  des 
Grossen  für  Arimbert,  priueeps  der  Baronie  Burbonia  (Böhmer-Mühl- 


')  Dell'  historia  di  Casa  Monaldesca,  Ascoli  1580. 


214  Riegl. 

bacher  Keg.  371);  es  folgt  die  Ludwig's  II.  für  den  Markgrafen  Karl 
von  Thuscien,  die  sich  mit  der  Fälschung  Ludwig's  IL  für  die  Conti 
nahe  berührt  ,  die  Berengars  IL  für  Uguccio  de  Colle  von  917, 
Friedrichs  I.  für  Uguccio  de  Colle,  Sohn  des  Philipp  und  endlich  Hein- 
richs VII.  für  die  Markgrafen  Kigoue  und  Ghino  von  1312  December  12; 
alle  die  Urkunden  werden  bei  Fanusius  erwähnt.  Soldani,  der  die 
Echtheit  dieser  Urkunden  vertheidigt x),  bemerkt,  dass  die  Originale 
derselben  nach  dem  Tode  des  Markgrafen  Cerbone  an  die  Herrn 
Del  Nero  gekommen  seien;  er  selbst  war  auf  Copien  angewiesen.  Alle 
diese  Urkunden  wurden  im  Jahre  1699  von  Leopold  I.  bestätigt2). 

Dies  sind  die  Namen  der  vornehmsten  Familien,  für  welche  Cec- 
carelli  in  besonders  intensiver  Weise  als  Urkundenfälscher  thätig  war. 
Natürlich  ist  damit  die  Zahl  seiner  Kundschaften  überhaupt  weitaus 
nicht  erschöpft;  aus  der  am  Schlüsse  dieser  Abhandlung  beigefügten 
Gesammtliste  der  von  Ceccarelli  gefälschten  Diplome  —  soweit  wir 
sie  bis  jetzt  zu  übersehen  vermögen  —  ergibt  sich  noch  eine  reiche 
Anzahl  weiterer  Namen.  Insbesonders  für  Bologneser  Familien  muss 
er  sehr  stark  beschäftigt  gewesen  sein,  da  er  denselben  ein  besonderes 
Buch  gewidmet  hat,  wie  wir  an  der  Hand  Allacci's  noch  erfahren 
werden. 

Den  Aulass  zur  endlichen  Verhaftung  Ceccarelli's  bot,  wie  schon 
erwähnt  wurde,  eine  von  ihm  begangene  Fälschimg  von  Besitzurkunden. 
Freilich  wurden  daun  sofort  auch  seine  genealogischen  Fälschungen 
in  die  gerichtliche  Untersuchung  einbezogen,  da  er  durch  dieselben 
allein  schon  der  professionsmässigen  Urkundenfälschung  überwiesen 
erschien.  Ceccarelli  hat  sich  im  Laufe  des  Prozesses  zu  theilweisen 
Geständnissen  herbeigelassen,  nicht  ohne  das  Eingestandene  mit  Ent- 
schuldigungsgründen zu  beschönigen.  Zu  diesem  Zwecke  verfasste  er 
eine  Selbstvertheidigungsschrift,  die  Allacci  Liber  supplex  nennt, 
und  in  die  ihm  von  Contelori  Einblick  gewährt  wurde.  Die  Einge- 
ständnisse selbst  waren  in  den  Verhörsprotokollen  enthalten,  auf  die 
sich  Ceccarelli  im  Liber  supplex  beruft:  in  actis  pleraque  continentur 
quae  ipse  confessus  sum.  Ob  Allacci  diese  Protokolle  selbst  eingesehen 
hat  ist  zweifelhaft;  ich  konnte  sie  ebensowenig  wie  den  Liber  supplex 
selbst  auf  der  Vaticana  zu  Stande  bringen.  Die  Eingeständnisse  sind 
im  Liber  supplex  mit  einer  einzigen  das  Theodosianum  3)  betreffenden 


')  Soldani  a.  a.  0.  72. 

2)  Soldani  a.  a.  0.  105  Anm. 

3)  Diese  Fälschung  will  Ceccarelli  nur  im  Interesse  der  Wahrheit  begangen 
haben. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         215 

Ausnahme  von  der  schon  auf  S.  198  die  Rede  gewesen  ist,  bloss  in 
allgemeinen  Ausdrücken  gehalten.  So  gestand  er  ein,  Privilegien 
längstverstorbener  Kaiser  gefälscht  zu  haben;  mit  Eücksicht  auf  die 
Wichtigkeit  dieses  Eingeständnisses  bringe  ich  dasselbe  hier  vollständig 
zum  Abdruck. 

Allacci  S.  281: 

Confessus  praeterea  sum  nonnulla  meiinperatoruin  demortuoruni 
privilegia  composuisse:  id  vero  molitus  sum  ad  decorem  familiarum, 
namque  cum  inter  legendum  reperissem  praedictas  familias  multis  a  dictis  im- 
peratoribus  gratiis  fuisse  cohonestatas ,  ea  ad  aliorum  exemplar  con- 
scripsi,  quemadmodum  multi  alii  historici  fecerunt,  quippe  familiis  nobilibus 
atque  iUustribus  pertractantes  multa  composuerunt  privilegia:  qualis  est  Fran- 
ciscus  Rosieres  in  stenimatibus  Lotharingie,  Wolfgangus  Lazius  in  Lib.  de  trans- 
migratione  gentium,  Franciscus  Sansovinus  in  suis  Historiis,  Scipio  Ammiratus, 
Lucas  Contilis,  et  alii  scriptores  et  historici,  ideoque  neque  ipse  reprehensionem 
mereor,  neque  notam  falsitatis  subeo,  quoniam  non  id  peregi  contra  veritatem, 
sed  pro  veritate  in  favorem  nobilium  et  illustrium  familiarum  neque  in  praeju- 
dicium  imperii. 

An  anderer  Stelle  (S.  283)  gesteht  er  die  Fälschung  von  Trans- 
sumpten  ein. 

Confessus  sum  nonnullas  genealogias  ad  modum  transsump- 
torum  confecisse:  eas  ex  autorum  approbatorum  libris  aliisque  scripturis 
erui ;  idque  ideo  feci,  quod  in  aliis  etiam  me  vidisse  recordor,  mente  non  mala;  sta- 
bilire  enim  fulcireque  veritatem  cum  veritate  non  est  alienum  a  iure,  quoniam  non 
fit  contra  veritatem  neque  in  praejudicium  alienum,  sed  in  honorem  familiarum 
illustrium. 

Endlich  hat  er  die  Fälschung  der  Geschichte  vieler  Adelsfamilien 
und  italienischer  Städte  unumwunden  zugegeben,  leider  ohne  Nen- 
nimg von  Namen  im  Einzelnen. 

Den  im  Liber  supplex  geltend  gemachten  Entschuldigungsgründen 
scheinen  die  Richter  keine  Giltigkeit  zuerkannt  zu  haben,  da  sie  den 
Fälscher  dem  Schaffet  überantwortet  haben.  Ein  urkundliches  Datum 
hiefür  ist  aber  nicht  überliefert.  Da  sich  von  Ceccarelli's  Thätigkeit 
über  das  Jahr  1581  keine  sicheren  Spuren  mehr  finden,  und  der  Pro- 
zess  nach  Allacci's  Mittheilung  in  die  Zeit  Gregor' s  XIII.  gefallen  ist, 
so  mag  die  Hinrichtung  in  der  That,  wie  einige  spätere  Autoren  be- 
richten im  J.  1583  stattgefunden  haben  l).  Auch  über  die  Art  des 
Todes  war  zu  Allacci's  Zeit  nichts  Bestimmtes  mehr  zu  erfahren.  Nach 
einer  Version,  für  die  sich  Allacci  auf  Adriano  Politi  als  Gewährsmann 
beruft,    wurde  er,    nachdem  ihm  die  Hand  abgeschlagen   worden,    am 


')  Dieses  Jahr  nennt  Fumagalli  Istit.  dipl.  IL  405  ausdrücklich  als  das  Jahr 
der  Hinrichtung;  über  die  Todesart  ist  daselbst  nichts  gesagt;  auch  Soldani  a. 
a.  0.  73  lässt  im  J.  1583  das  Todesurtheil  über  Ceccarelli  gefällt  sein,  woraus 
er  sogar  eine  Stelle  zu  citiren  weiss. 


216  R  i  e  g  1. 

Pfahle  erdrosselt  und  sodann  verbrannt.  Aber  auch  eine  zweite  Ver- 
sion, nach  welcher  der  Fälscher  enthauptet  worden  wäre,  wird  von 
Allacci  erwähnt  und  als  Gewährsmänner  hiefür  Jacobus  Grimaldus, 
opusculura  de  sacrosancto  Veronicae  sudario  et  lancea,  und  Ughelli's 
Italia  sacra  l)  citirt. 

Da  Allacci  sich  bei  dieser  seiner  Arbeit  zum  Hauptzwecke  gesetzt 
hatte,  die  Autorenfälschungen  Ceccarelli's  ihrem  vollem  Umfange  nach 
festzustellen,  hat  er  es  sich  zu  diesem  Behufe  besonders  angelegen  sein 
lassen,  ein  möglichst  vollständiges  Verzeichnis  der  Ceccarelli'schen 
Schriften  zusammenzubringen.  Dasselbe  liegt  uns  vor  in  drei  Indices,  die 
Allacci  am  Schlüsse  seines  Berichtes  abgedruckt  hat.  Ich  gebe  im 
Nachstehenden  den  Inhalt  dieser  Indices,  soweit  mir  derselbe  bei  der 
Durchsicht  in  Kom  für  den  mir  gestellten  Zweck  kopirenswerth  er- 
schien. Alle  daiin  genannten  Schriften,  die  mir  in  Rom  zugänglich 
gewesen  sind,  wurden  von  mir  eingesehen  und  das  auf  Urkunden  be- 
zügliche Material  hieraus  excerpirt.  Die  darin  vorgefundenen  Citate,  Ee- 
gesten,  Abschriften  einzelner  Kaiser-Urkunden  sind  in  dem  am  Schlüsse 
dieser  Abhandlung  beigefügten  Gesammtverzeichnisse  der  dem  Cecca- 
relli  bisher  nachgewiesenen  Fälschungen  von  Kaiserurkunden  auge- 
führt. In  der  Aufzählung  der  Schrifteu  folge  ich  der  Anordnung 
Allacci's,  und  füge  zur  besseren  Orientierung  laufende  Nummern  bei. 
Allacci's  Bemerkungen  gebe  ich  im  lateinischen  Text,  um  dieselben 
von  meinen  eigenen  Zusätzen  in  einer  jeden  Zweifel  ausschliessenden 
Weise  zu  trennen. 

Index  primus  scriptorum  ipsius  Ceccarelli,  sive  typis  editoruin  sive 
manuscriptorum ;  adduntur  etiam  ea,  quonim  apud  eundem  Ciccarellum  vel  alios 
raentio  aliqua  extat. 

1.  De  Clitumno  flumine  celeberrimo,  editum  cum  opusculo  *  de 
tuberibus1  1564.  —  Das  Exemplar  auf  der  Bibl.  Casanatensis  (Alpkonso  Cicca- 
rello  a  Maevania  physico  auctore)  enthält  keine  Urkunden,  wohl  aber  Citate  aus 
einigen  der  von  ihm  gefälschten  Autoren,  wodurch  bewiesen  erscheint,  dass  die 
bezügliche  Thätigkeit  des  Mannes  bis  in  die  Sechszigerjahre  zurückreicht.  Viel- 
leicht darf  man  auch  die  Vermuthung  ableiten,  dass  Ceccarelli  zuerst  mit  der 
Fälschung  von  Autoren,  und  erst  später  mit  derjenigen  von  Urkunden  be- 
gonnen hat. 

2.  Dell' his  toria  di  Casa  Monaldesca,  libri  cinque.  In  Ascoli 
appresso  Gioseppe  degli  Angeli  1580.  Addidit  dell"  origine  d'  Orvieto  (vgl.  S.  212  f.). 
Diese  Druckschrift  scheint  allein  weitere  Verbreitung  gefunden  zu  haben,  da  sich 
ein  Exemplar  derselben  auch  auf  der  Wiener  Universitätsbibliothek  vorfindet. 

3.  Relatum  est  mihi    eundem  typis    edidisse    Originem    et    historiam 
familiae  Boncompagnae.    Ipse  eam  nondum  vidi.  —  Auch  ich  nicht;  dass 

')  A.  a.  0.  I,  llb'O. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälscliungen  von  Kaiserurkunden.  217 

der  Fälscher  iür  die  Boncompagni  thätig  war,    ist  schon    durch    seine  Memoiren 
bezeugt. 

Et  haec  quidem  ipsius  edita  sunt ;  non  edita  vero  : 

4.  La  serenissima  nobilitä  del  Talma  cittä  di  Roma,  tomi  tre. 
Conservantur  in  Bibliotheca  Vaticana  num.  4909,  4910,  4911.  —  Existiren  daselbst 
noch  unter  den  gleichen  Nummern,  und  bilden  nächst  dem  Fanusius  Campanus 
die  reichste  Fundgrube  für  die  Constatirung  von  Ceccarelli's  Urkundenfälschungen. 

5.  De  historicorum  ordine  et  collectione  secundum  tempora 
quibus  floruerunt,  seu  Bibliotheca  Historiarum.  Sunt  praecipue  nomina  auctorum 
classicorum,  inter  quos  miscet  auctores  a  se  compositos.  In  eadem  bibliotheca 
num.  5312.  —  Erhalten  daselbst  unter  der  gleichen  Nummer.  Enthält  keine  Ur- 
kunden im  Einzelnen,  aber  in  einer  eingeschobenen  Liste  »Historici,  chronicae 
et  libri  manuscripti  qui  sunt  in  mea  bibliotheca*  nennt  er  auf  S.  24 a  einen 
»Liber  privilegiorum  pontificum  imperatorum  et  regum  pertinentium  ecclesiae 
cathol.  Rom.  et  variis  civitatibus.  familiis  et  particularibus1,  worüber  noch  weiter 
unten  die  Rede  sein  wird. 

6.  Scala  et  ordine  dell'historie  d'Orvieto,  in  eadem  biblioth. 
num.  5311.  —  Daselbst  erhalten  unter  der  gleichen  Nummer.  Handelt  vornehm- 
lich von  den  Familien  der  Filippeschi  und  Monaldeschi.  Zu  dem  Kapitel  über 
einschlägige  Kaiserdiplome,  das  ausdrücklich  in  Aussicht  genommen  war,  ist  er 
nicht  mehr  gekommen,  da  dem  Fälscher  zur  Vollendung  dieses  Werkes  nicht 
mehr  Zeit  gelassen  wurde. 

7.  Historia  ecclesiastica  ecclesiae  Mediolanensis,  in  eadem 
biblioth.  n°  5310.  —  Erhalten  daselbst  unter  der  gleichen  Nummer;  enthält  einen 
Bischofskatalog  mit  kurzen  historischen  Notizen  '). 

8.  Variarum  lectionum  volumen,  ex  eiusdem  autographo  descrip- 
tum  in  eadem  biblioth.  num.  6215.  —  Diese  Abschrift  daselbst  unter  der  gleichen 
Nummer  erhalten,  enthält  nichts  Urkundliches. 

9.  De  origine  civitatis  Tipherni  tractatus,  quem  scripserat  anno 
1573,  mense  Junii.  Apud  abbatem  Ferdinandum  Ughellum.  In  der  That  heisst 
es  in  Ughellis  Italia  sacra  I.  1517:  De  origine  civitatis  Tipherni  tractatum  scripsit, 
mendaciis  innumeris  refertum,  Alphonsus  Ciccarellus,  quod  M.  S.  extat  apud  me« 
—  Daher  auch  auf  der  Vaticana  nicht  vorfindlich. 

10.  Geniturae  diversorum  plurimae,  in  unum  iäscem  redactae, 
in  archivo  Vaticano,  quas  antea  in  volumen  redegerat  Alphonsus  ipse,  in  plerisque 
addito  discursu  sub  hoc  titulo  : 

11.  Nativitates  seu  geniturae  plurium  magno  rum  et  illust- 
rium  virorum,  dominorum  cardinalium  etc.  Apposuit  suam,  uxoris  et  filiorum, 
in  vatic.  num.  6156,  quemadmodum  et 

12.  num.  6158  continentur  eiusdem  nativitates  heroum  mundi.  - 
Von  diesen  von  Allacci  im  engeren  Zusammenhange  aufgezählten  Handschriften 
ist  die  erste  (Nr.  10)  unauffindbar.  Im  vatikanischen  Archiv  wurde  mir  die  Aus- 
kunft, dass  alles  auf  Ceccarelli's  Prozess  Bezügliche  seinerzeit  an  die  Bibliothek 
abgeliefert  worden  wäre ;  auf  dieser  letzteren  ist  aber  Nr.  10  nicht  vorhanden. 
Aehnlich  steht  es  mit  Nr.  11,  denn  Cod.  Vat.  6156  enthält  bloss  Pergament- 
handschriften   des  13.  und  14.  Jahrh.,  was  umso  bedauerlicher  ist,    als  die  »Na- 


l)  Ist  hierin  der  S.  209  erwähnte  von  Allacci  hier  nicht  registrirte  Katalog  der 
Bischöfe  von  Novara  enthalten  ?  0. 


218  Riegl. 

tivitates«  nähere  Nachrichten  über  Ceccarelli's  Familienverhältnisse  enthalten  zu 
haben  scheinen.  Dagegen  ist  Nr.  12  noch  unter  der  gleichen  Nummer  auf  der 
Vaticana  vorhanden  und  enthält  auf  f.  115-  125  die  auf  S.  201  f.  abgedruckten 
Memoiren. 

13.  Scripturae  variae  et  privilegia,  ab  eodem  composita,  ibid. 
num.  6253.  —  Diese  Handschrift  enthält  nur  einen  alten  Computus  und  astro- 
logische Bemerkungen  Ceccarelli's;  da  auch  Allacci  diese  letztern  als  dem  ur- 
kundlichen Theile  vorangehend  verzeichnet  hat,  so  gewinnt  es  den  Anschein, 
dass  die  Scripturae  et  privilegia  —  für  uns  bedauerlicher  Weise  —  seither  los- 
getrennt und  vernichtet  worden  sind. 

14.  Historia  di  Casa  Farnese,  meminit  ipse  in  historia  Monaldesca  l). 

—  Also  von  Allacci  nicht  gesehen,  ebensowenig  von  mir. 

15.  Simulacro    della    casa    Cibo.  —  Mir  unbekannt  geblieben. 

Ego  vero  ipsius  vidi,  praeter  ea  quae  diximus  supra,  conservari  in  bibliotheca 
Vaticana  et  Archivo  : 

16.  Yitam  Gregorii  Nazianzeni,  ad  Gregorium  XIIL  divisam  in 
partes  4.  —  Mir  unbekannt  geblieben. 

17.  De  origine,  benedictione  etc.  agnorumDei,  Sirletti  gewidmet, 

—  habeturque  in  bibliothecis  Altempiana,  Aniciana  et  Gabrielis  Naudaei. 

18.  Historia  della  nobilissima  e  antica  casa  Conti  Romana, 
erhalten  im  Cod.  Ottob.  2611.  vergl.  S.  210. 

19.  De  Pisa  Etruriae  civitate  eteius  o r i g i n e.  —  Mir  unbekannt 
geblieben. 

20.  De  familiis  Bono  ni  ens  ib  us.  Item:  Accarambona,  Alteria,  Aqua- 
viva,  Benvenuta,  Benzonia,  Boccamazza,  Caesarina,  de  Centelles  Hispana,  Caesia, 
Cincia,  Corbaria,  Crescentia,  Monte  Martia,  Mottina  Genuensi,  Mutia  Passara 
Sabella.  Sanctacrucia,  Sumbura,  Ubertina  Florentiae.  Discursus  de  his  familiis  a 
Ciccarelli  inulto  abhinc  tempore  vidit  et  examinavit  acerrimi  vir  ingenii,  Felix 
Contelorius  archivo  apostolico  praefectus,  et  veluti  ex  apochryphorum  auctorum 
pena  depromptos,  nulloque  firmo  nixos  fundamento  reiecerat  et  damnaverat.  — 
Diese  Schrift  scheint  wichtig,  weil  sich  in  der  That  für  mehrere  der  oben  ge- 
nannten Familien  gefälschte  Diplome  nachweisen  lassen,  und  daher  auch  auf  die 
übrigen  der  gleiche  Rückschluss  verstattet  ist.  Mir  ist  dieselbe  unbekannt  ge- 
blieben. 

21.  Quamplurimas  item  de  variis  familiis  illustribus  ipsius  nota- 
tionis  autographas  in  eodem  archivo  Vaticano  conservatas  et  virorum  in  illis  in- 
signium  series,  ex  auctoribus  potissimum  ab  eo  confictis  concinnatas,  quibus  ut 
ingenue  fatear,  vera  etiam  quae  de  ilhs  familiis  apud  probatos  auctores  reperiun, 
tur,  in  controversiam  vocat.  —  Mir  unbekannt  geblieben. 

22.  Sumiuarium  operis  d e  Regno    catholico  S.  Romanae  Ecclesiae- 

—  in  7  Theilen,  handelte  zumeist  von  der  Constantinischen  Schenkung  und  ent- 
hielt im  6.  Theil  einen  Abschnitt:  de  aliis  donationibus  factis  ecclesiae  et  pon- 
titicibus  ante  et  post  donationem  Constantini.  —  Mir  unbekannt  geblieben. 

23.  Meminit  etiam  Ciccarellus  quae  tarnen  ipse  non  vidi:  de  historia 
familiarum  illustrium  totius  orbis.  —  Mir  ebenso  unbekannt  geblieben 
wie  Allacci. 


»)  Im  Index  der  angeblich  von  ihm  benützten  Autoren  nennt  Ceccarelli  da- 
selbst in  der  That  eine  »Historia  di  casa  Farnese  di  Alfonso  Ceccarelli«. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         219 

24.  De  jubilaeo.  —  Ueber  diese  Schrift  vgl.  das  auf  S.  205  Anm.  1  Ge- 
sagte.    Mir  ist  dieselbe  unbekannt  geblieben. 

25.  Syntagmata  etiam  de  Etruria  meditabatur.  —  Näheres  weiss  Allacci 
ebensowenig  wie  ich  zu  sagen. 

Dann  folgt  Index  secundus  continens  libros  manuscriptos  Ciccarelli  quos 
ipse  dicit  conservari  in  sua  bibliotheca. 

Eine  lange  Liste,  welche  hier  abzudrucken  .Raumverschwendung 
wäre.  Uns  interessirt  daraus  nächst  dem  famosen  Fanusius  Campanus 
bloss  der  Liber  privilegiorum  pontificum  imperatorum  et 
reg  um  pertinentium  ecclesiae  romanae  variis  civitatibus  familiis  et 
particularibus,  den  wir  schon  in  Index  I.  n°  5  citirt  fanden.  Wenn 
dieses  Buch  sich  erhalten  hätte,  wäre  es  für  uns  natürlich  von  grösster 
Wichtigkeit.  Auf  dem  Vatikan  war  es  aber  nicht  zu  finden,  und  es 
muss  sogar  angenommen  werden,  dass  es  auch  Allacci  nicht  zu  Gesicht 
bekommen  hat,  da  laut  Ueberschrift  im  Index  II.  nur  solche  Schriften 
Platz  fanden,  die  sich  nach  Aussage  Ceccarelli' s  in  seiner  Bib- 
liothek befanden.  Es  ist  daher  nicht  einmal  zu  entscheiden,  ob  Cecca- 
relli sich  in  der  That  ein  solches  Urkundenbuch  angelegt  oder  das- 
selbe bloss  fingirt  und  zu  besitzen  vorgegeben  hat x). 

Der  Fanusius  Campanus  ist  jener  Autor,  den  Ceccarelli  zur 
Beglaubigung  der  von  ihm  erdichteten  genealogischen  Geschichten  in 
der  Regel  als  Hauptquelle  citirt  hat.  Gelebt  haben  soll  er  um  das 
Jahr  1443.  Das  Exemplar,  das  gemäss  Index  IL  Ceccarelli  im  eigenen 
Besitze  behalten  hat,  ist  auf  die  vatikanische  Bibliothek  gekommen; 
es  ist  dies  der  Cod.  Vat.  8251,  dessen  erste  88  Folien  die  fünf  Bücher 
des  Fanusius  enthalten.  Die  Schrift  ist  eine  absichtlich  entstellte  und 
scheinbar  verblasste,  offenbar  um  den  Schein  der  Alterthümlichkeit  zu 
erwecken  2).  Da  man  auf  der  vatikanischen  Bibliothek  diesen  Fanusius 
ebenso  wie  alle  anderen  Manuskripte,  deren  Blätter  von  der  Tinte  an- 

')  Diesen  Liber  privilegiorum  meint  wohl  Ceccarelli,  wo  er  in  einem  Brief- 
concept  an  Cibo  (S.  206)  von  einem  Libro  antico  spricht ;  das  Buch  sollte  also 
ähnlich  wie  der  Fanusius  Campanus   als    aus  früheren  Zeiten  stammend,    gelten. 

-)  Dieses  Fanusius- Exemplar  scheint  Allacci  im  Auge  gehabt  zu  haben  bei 
der  Beschreibung  die  er  in  dem  1.  Theile  seines  Buches,  der  dem  auf  Ceccarelli 
bezüglichen  Theile  vorausgeht,  auf  S.  Ü0 — 92  von  einem  Autographurn  des  Cecca- 
relli gibt.  Allacci,  der  sich  in  jenen  erstem  Theile  vielfach  über  paläographische 
und  diplomatische  Dinge :  Buchstabenformen,  Schreibstoffe,  Siegel  u.  dgl.  ver- 
breitet, berichtet  a.  a.  0.  auch  über  eine  Unterredung  die  er  einmal  mit  Flora- 
vante  Martinelli  gehabt  haben  soll.  Letzterer  setzte  ihm  hiebei  des  Weiteren 
auseinander,  wie  arg  es  damals  die  Fälscher  in  der  Nachmachung  von  Schriftzügen 
trieben,  und  zum  Beweise  dessen  wird  eben  ein  Manuscript  von  CeccarelH's  Hand 
mit  folgenden  Worten  beschi-ieben :  Liber  is,  ut  videtur,  atramento  jam 
evanescente  et  marcescentibns  ac  in  extremo  juncturis  etiam  quibus  colli- 
gantur,  laceris  paginis,  quod  eadem  fraude  factum  est,  satis  antiquus.     Literarum 


220  R  i  e  g  1. 

gegriffen  erscheinen  mit  durchsichtigem  Papier  überklebt  hat,  so  ist 
das  Lesen  desselben  dermalen  zum  Theil  ausserordentlich  erschwert; 
es  ist  daher  leicht  möglich,  dass  mir  bei  meiner  Durchsicht  der  88  Folien 
manche  auf  Urkundliches  bezügliche  Stelle  entgangen  ist  und  daher  in  das 
Gesammtverzeichniss  der  Ceccarelli'schen  Kaiserdiplomfälschuugen  am 
Schlüsse  dieser  Abhandlung  nicht  aufgenommen  werden  konnte.  In 
den  Büchern  I.  IL  und  V.  scheinen  überhaupt  keine  Kaiserurkunden 
erwähnt  zu  sein.  Dagegen  konnte  ich  zahlreiche  bezügliche  Erwäh- 
nungen in  den  Büchern  III.  und  IV.  registriren;  es  sind  durchwegs 
nur  einfache  Citate  von  Kaiser  und  Empfänger,  aber  keine  einzige 
Urkunde  in  extenso  wiedergegeben,  sondern  mit  Bezug  auf  den  Wort- 
laut auf  den  oben  erwähnten  Liber  und  das  (sofort  zu  erwähnende) 
Compendium  privilegiorum  verwiesen. 

Ausser  dem  aus  Ceccarelli's  Eigenbesitz  in  die  Vaticana  gelangten 
Exemplar  des  Fanusius  scheinen  vom  Fälscher  noch  mehrere  andere 
in  Umlauf  gesetzt  worden  zu  sein.  Sicher  befand  sich  ein  Exemplar 
im  Besitze  der  Boncompagni:  es  wird  uns  dies  von  Ceccarelli  selbst 
an  nicht  weniger  als  drei  Stellen  gesagt  L). 

Ein  anderer  Codex  des  Fanusius  befand  sich  im  Besitze  von  Petrus 
Ciacconius,  der  ihn  angeblich  von  Ceccarelli  selbst  erhalten  hatte  und 
dem  Sansovino  zur  Benützung  weiter  gab.  Nach  diesem  ebenfalls 
mit  gekünstelten  Buchstaben  geschriebenen  Codex  sollte  der  Fanusius 
am  Anf.  des  17.  Jahrh.  gedruckt  werden,  wie  wir  aus  einem  Briefe 
des  Marcus  Welser  an  Pignoria  von  1606  erfahren;  doch  ist  es  dazu 
nicht  gekommen  2).  Im  J.  1609  befand  sich  derselbe  Codex  nach  einem 
Briefe  des  Lorenzo  Pignoria  bei  Alessandro  Tassoni  in  Modena.  Auf 
der  Ambrosiana  hat  Fumagalli 3)  ein  Exemplar  gekannt,  und  das  gleiche 


t'ormae  variae  nee  ab  eodem  calarno  nisi  introspiciantur,  legentiuui  oculis  obji- 
ciuntur ;  plures  in  eo  exscribendo  operam  impendisse,  ipso  primo  aspectu  dices : 
ast  ubi  censoria  virgula  oculum  fixeris,  fraus  in  propatulo  fit.  Und  nachdem  er 
noch  berichtet,  von  welchem  Erfolge  die  mannigfaltigen  Fälschungen  Ceccarelli's 
begleitet  waren,  sagt  er:  et  dum  illius  auctoris  ut  supra  diximus  volumina  tarn- 
quam  oracula  apud  vulgum  lectitantur,  divina  Providentia  factum  est,  ut  auto- 
graphum  hoc  tandem  aliquando  in  bibliothecam  Vaticanam  conservandum  de- 
portaretur. 

«)  Im  Briefe  an  Cibo  vom  24.  März  1576  (vgl.  S.  205) :  in  bibliotheca  Bon- 
compagni ;  in  der  Einleitung  zur  Historia  della  casa  Monaldesca :  nella  libreria 
e  archivio  dell'  ecc.  signor  Giacomo  Boncompagno  Generale  di  S.  Chiesa ;  endlich 
nach  einer  Aussage  des  Ceccarelli  bei  Allacci  im  Index :  in  bibliotheca  Jacobi 
Boncompagni,  Sorani  JDucis. 

2)  So  bemerkte  Fanta  aus  mir  unbekannter  Quelle. 

3)  Istituzioni  diplom.  II.  406 ;  auch  die  Schrift  dieses  Codex  war  auf  den 
Schein  der  Alterthümlichkeit  berechnet. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         221 

bestätigt  Soldani  *),  der  ausser  diesem  und  dem  bei  den  ßoncampagni 
verwahrt  gewesenen,  noch  ein  weiteres  Exemplar  im  Besitze  der  Mark- 
grafen Del  Monte  (wie  die  Boncampagni  eine  ehemalige  Kundschaft 
Ceccarellis)  erwähnt2).  Und  letzteres  wird  nach  Gamurrini 3)  wiederum 
bestätigt  von  Giovanni  de  Barbiano,  Istoria  di  alcune  famiglie  illustri 
d'  Italia,  der  daraus  eine  Stelle  citirt  hat. 

Index  tertius  continens  catalogum  scriptorum  quos  Ciccarellus 
suis  in  operibus  ad  corroboranda  quae  dixit  adducit,  non  quidem  om- 
nium,  sed  eorum  qui  numquam  fuerunt,  vel  quorum  potissimum  opera 
jam  non  extant,  vel  suspectam  esse  fidem  in  operibus  quae  laudantur 
existimant  viri  probi.  Hier  erscheint  u.  a.  verzeichnet  ein  Compen- 
dium  privilegiorum  ducum  principum  comitum  et  mar- 
chionum  Italia e.  Dasselbe  ist  mit  dem  früher  erwähnten  Liber 
privilegiorum  nicht  zu  verwechseln. 

Befand  sich  dieser  angeblich  im  Besitz  Ceccarelli's  selber,  so  jenes 
in  der  vat.  Bibliothek.  Bei  Fanusius  Campanus,  wo  das  Compendium 
öfter  citirt  wird,  heisst  es  (III.  5)  bei  Erwähnung  eines  Kaiserdiploms  für 
die  Monaldeschi:  Otho  secundus  imp.  concessit  Privilegium  .  .  .  .  ut 
continetur  in  compendio  privilegiorum  ducum  principum  comitum  et 
marchionum  Italiae  quod  est  in  bibliotheca  Vaticana.  Ferner 
heisst  es  ebenda  am  Anfange  des  6.  Capitels:  Dominus  Eleutherius 4) 
hinc  inde  in  suis  eferaeridibus  facit  mentionem  de  istis  familiis  privi- 
legiatis  et  allegat  dictum  compendium  privilegiorum. 

Wie  es  mit  der  Existenz  dieses  Compendiums  beschaffen  war,  ist 
ebensowenig  auszumachen,  wie  es  hinsichtlich  des  Liber  privilegiorum 
möglich  war.  Allacci  sagt  davon :  dicunt  asservari  in  bibliotheca  Yati- 
cana.  Gesehen  hat  er  also  das  Compendium  nicht;  es  fragt  sich  nun, 
ob  er  das  Gerücht  von  seiner  Existenz  in  der  Vaticana  von  Zeitgenossen, 
etwa  von  Beamten  der  vatikanischen  Bibliothek  oder  anderweitigen 
damit  vertrauten  Personen  gehört  hat.  oder  ob  er  es  auf  Grund  von 
Ceccarelli's  eigenen  obcitirten  Angaben  aus  Fanusius  mitgetheilt  hat. 
Mir  scheint  letzteres  das  Wahrscheinlichere,  und  neige  ich  zur  Ansicht, 
dass  das  Compendium  gar  nicht  existirt  hat  und  Ceccarelli  bloss  zur 
Beglaubigung  seiner  Erd  ichtun  gen  auf  eine  angeblich  im  Vatikau  ver- 


i)  A.  a,  0.  74. 
2)  A.  a.  0.  (53. 
s)  A.  a.  0.  I.    IGO. 

4)  Eleutherius    Mirabellius,    Ephemerides  totius  Ytaliae,    einer  der  fingirten 
oder  gefälschten   Autoren  Ceccardllite. 


222  R  i  e  g  1. 

wahrte  Quelle  hingewiesen  hat.  War  dasselbe  aber  in  der  That  vor- 
handen, dann  muss  es  Ceccarelli  auf  irgend  eine  Weise  x)  in  die  vati- 
canische  Bibliothek  eingeschmuggelt  haben. 

Haben  wir  somit  aus  Allacci's  Bericht,  Ceccarelli's  Memoiren, 
Briefen  und  gefälschten  Autoren  eine  Fülle  von  Anhaltspunkten  ge- 
wonnen, die  uns  zahlreiche  auf  unsere  Tage  überkommene  Kaiser- 
diplome  als  unzweifelhafte  Fälschungen  Ceccarelli's  erscheinen  lassen, 
so  sind  wiederum  aus  diesen  letzteren  innere  Kriterien  zu  gewinnen, 
mittels  welcher  sich  selbst  solche  Urkunden,  die  wir  mit  Hilfe  jener 
schriftlichen  Nachrichten  nicht  mit  aller  Bestimmtheit  mit  dem  ge- 
nannten Fälscher  in  Verbindung  zu  bringen  vermögen,  dennoch  als 
Machwerke  von  seiner  Hand  erweisen  lassen.  Die  diplomatische  Un- 
tersuchung der  von  Ceccarelli  gefälschten  Kaiserurkunden  hat  Dr.  Adolf 
Fanta  ganz  selbständig  durchgeführt  und  auch  das  Ergebnis  derselben 
endgiltig  redigirt;  ich  kann  daher  nichts  Besseres  thun,  als  dasselbe 
im  Nachstehenden  wortwörtlich  zum  Abdruck  bringen. 

„Ich  will  hier  —  sagt  Fanta  —  vorerst  die  Urkunden  Ottos  I. 
besprechen  und  habe  vorderhand  nur  die  im  Auge,  welche  bisher  voll- 
ständig bekannt  sind ;  es  sind  das  die  Urkunden  für  Udalrich  Carpegna, 
Kainer  Lothieri,  Ludwig  und  Peter  de  Ponte  (Ottoni),  Guido  Cybo. 
Virginius  Savelli  und  eine  bisher  ungedruckte  für  Johannes  und  Ludwig 
Conti.  Alle  diese  Urkunden  werden  bei  Ceccarelli  erwähnt  und  dass 
sie  aus  dieser  Fabrik  hervorgegangen  sind,  zeigt  wohl  am  besten  der 
Umstand,  dass  sie  bis  auf  kleine,  unwesentliche  Differenzen  und  den 
natürlich  verschiedenen  Namen  der  Personen  und  Besitzungen  gleich- 
lautend sind.  Selbst  die  Zeugenreihe  ist  überall  dieselbe.  Wir  finden 
einen  Egenulfus  Magdeburgensis  princeps,  der  nur  in  der  Urkunde  für 
die  Savelli  durch  einen  HildebertusMaguntinus  archiepiscopus  ersetzt  wird, 
dann  die  Namen  Guillelmus  Misnie  pall.,  Johannes  alme  Urbis  prefectus, 
marchio  Edegarus  Uüom.,  wobei  die  wohl  für  pallatinus  und  Uuor- 
maciensis  gebrauchten  Abkürzungen,  wenn  man  von  einzelnen  falschen 
Deutungen  der  Copisten  absieht,  überall  wieder  erscheinen;  der  comes 
Eucherius  fehlt  nur  in  der  Urkunde  für  die  Savelli  und  der  Cesar 
Fliscus  Lavanie  comes  et  dapifer  nur  in  den  Urkunden  für  Lothieri 
und  Cybo,  während  er  in  der  Urkunde  für  die  Conti  durch  Marcus 
Alterius  Komanus  dapifer  ersetzt  wird.  Die  Urkunde  für  die  Savelli 
nennt  im  übrigen  noch  einige  andere  Zeugen.  Kleine  charakteristische 
Eigenthümlichkeiten  des  Dictats,    so    das  oft    erscheinende   presens   et 


8)  Vielleicht  durch  jenen  Üdoardo  Ceccarelli  (S.  203). 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunclen. 


223 


successura  posteritas  (statt  presens  etas  et  succ.  post.),  will  ich,  nach- 
dem die  wörtliche  Uebei-einstinimung  constatiert  ist,  nicht  weiter  be- 
rühren, aber  auf  den  Umstand  möchte  ich  noch  hinweisen,  dass  alle 
diese  Urkunden  mit  Ausnahme  der  für  die  Savelli  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahres  962  in  Viterbo  ausgestellt  sein  sollen.  Können  wir 
nun  annehmen,  dass  Ceccarelli  zufällig  eine  Menge  gleichlautender 
Urkundenfälschungen,  die  von  andern  herrühren,  zu  Gesicht  bekommen 
habe?  So  weit  die  von  ihm  ei'wähnten  Urkunden  Otto  I.  erhalten 
sind,  zeigen  sie  die  unverkennbaren  Merkmale  einer  gemeinsamen  Ab- 
stammung und  der  Fälscher  kann  somit  nur  Ceccarelli  sein.  Nun  aber 
finden  sich  auch  zwei  andere  Urkunden  die  er  nicht  erwähnt,  die  aber 
zweifellos  aus  derselben  Fabrik  hervorgegangen  sind:  die  Otto  I.  für 
die  Gonzaga  (Böhmer- Ottenthai  Reg.  333),  über  welche  wir,  da  ihre 
wörtliche  Uebereinstimmuug  mit  den  anderen  Urkunden  gleich  auf- 
fällt, nichts  weiter  bemerken  wollen,  und  das  noch  uugedruckte  Frag- 
ment einer  Urkunde  für  Johann  Pepoli  (BO.  Reg.  338).  Der  knappe 
Auszug,  deu  Salvetti  (siehe  S.  195  Aum.  2)  giebt,  genügt  hier,  um 
mit  Sicherheit  eine  Fälschung  Ceccarelli's  zu  erkennen. 


BO.  Reg.  338. 

Otho  primus  divina  favente  de- 
mentia imperator  augustus  generoso 
viro  Johanni  Pepulo  Bononiensi.  At- 
tendentes  grata  servitia  ipsius 
damus  et  instituimus  in  rectum 
feudum  et  legale  dominium  pro 
se  et  pro  suis  heredibus  in  perpe- 
tuum  castrum  Britenoris  cum  Om- 
nibus curtis  suis  omnique  di- 
strictu  et  lionore  et  decla- 
ramus  illum  comitem. 


BO.  Reg.  325. 

. . .  Otto  primus  divina  favente  de- 
mentia Romanorum  imperator  et  sem- 
per  augustus  .  .  .  considerantes  quo- 
que  idonea  et  grata  servitia  ip- 
sius .  .  .  donamus  et  .  .  .  concedimus 
in  rectum  et  legale  feudum 
sibi  et  suis  successoribus  cum  omni 
eorum  districtu    et    lionoribus 


vgl.  BO.  Reg.  335 
grata    servitia    considerantes 
norem  declaramus  et  .  . 


ho- 


lst aber  die  Urkunde  Otto  I.  für  Johanu  Pepoli  eine  Fälschung 
Ceccarelli's,  so  muss  dies  auch  von  den  mit  ihr  theilweise  wörtlich 
übereinstimmenden  Urkunden  Otto's  II.  und  Friedrich's  I.  (Stumpf 
Reg.  G47  und  3857)  für  dasselbe  Haus  gelten,  wie  sich  das  übrigens 
auch  daraus  ergiebt  dass  diese  beiden  Urkunden  grösstentheils  wörtlich 
mit  den  auch  sonst  bekannten  Fälschungen  Ceccarelli's,  die  auf  den 
Namen  Otto's  IL  und  Friedrich's  I.  lauten,  übereinstimmen. 

Offenbar  hat  sich  Ceccarelli  mit  Hilfe  der  Urkunden  Ottos  IV 
einen  Schimmel  aufgesetzt,  welchen  er  für  alle  die  Fälschungen,  die  er 
Otto  I.  beilegte,  verwendete.  Ebenso  hatte  er  für  alle  auf  den  Namen 
Ottos  II.  lautenden  Urkunden  ein  eigeues  Formular,  das  zwar  ein  an- 


224 


R  i  e  g  1. 


deres  ist,  als  das  für  Otto  I.,  aber  doch  vielfach  daran  anklingt  und 
ganze  Sätze  desselben  wiederholt.  Dasselbe  gilt  von  den  Urkunden 
Friedrichs  I.  Die  Fälschungen  Ceccarelli's  sind  deshalb  immer  leicht 
zu  erkennen.  In  diesen  Formularen  herrscht  im  wesentlichen  der 
Kanzleistil  der  spätstaufischen  Periode,  speciell  der  Ottos  IV.,  vor.  Bei 
dem  für  die  Urkunden  Ottos  I.  verwendeten  Schimmel  können  wir 
sogar  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  die  Quelle  nachweisen.  Abgesehen 
davon,  dass  die  im  übrigen  ganz  frei  erfundene  Zeugenreihe  vielfach 
an  die  Urkunden  Ottos  IV.  anklingt,  stimmt  auch  das  ganze  Protocoll 
und  Eschatocoll  mit  dem  der  Urkunden  dieses  Herrschers  überein.  Von 
einer  eingehenden  Vergleichung  der  Urkunden  Ottos  I.  mit  denen 
Ottos  IV.  will  ich  hier  absehen;  ich  will  nur  darauf  verweisen,  dass 
beispielsweise  die  bei  Böhmer-Ficker  Reg.  423,  435,  441,  449,  46i» 
verzeichneten  Urkunden  mit  unserm  Formular  vielfach  übereinstimmen. 
Die  Urkunde,  welche,  wie  ich  glaube,  von  Ceccarelli  für  sein  Formular 
benützt  wurde,  ist  die  Ottos  IV.  für  Monaldo  Monaldeschi  (BF.  Reg. 
450).  Zur  Vergleichung  drucke  ich  hier  beide  neben  einander  ab, 
wobei  ich  bemerke,  dass  ich  für  das  Formular  Ottos  I.  die  Urkunde 
für  die  Carpegna  zu  Grunde  lege. 


Formular  Otto  I. 

In  nomine  sancte  et  indi- 
vidue  trinitatis.  Otto  primus 
divina  favente  dementia  imperator 
augustus.  Quoniam  pio  semper 
assensu  imperialis  benign i- 
tas  desideriis  benemerentium 
occurrere  consuevit  etdignis 
honoribus  a  maiestate  munificen- 
tie  nostre  proficiscentibus  eos  lo- 
cupletare,  ut  eorum  fidelitas  a d 
serviendum  imperio  semper  pa- 
rata  sit  et  plerique  ad  huiusmodi 
obsequia  exhibenda  animentur:  in- 
specta  hac  consideratione  ad 
universorum  imperii  fidelium 
presentis  (e t a t i s)  et  p o s t e r i t a- 
tis  successure  notitiam  duxi- 
mus  proferendum  quod  nos 
considerantes  circumspectam  f  i  d  e  m 
(quod  nos  propter  singularem 
fidem)  ac  sinceram  dilectionem  (de- 
votionem)  ...  (quas  erga  nostrarn 
g  e  r  i  t  maiestatem)  . . .  (considerantes 
quoque  idonea)   et    grata   ser- 


Böhmer-Ficker  Eeg.   450. 

In  nomine  sanctae  et  in- 
dividuae  trinitatis.  Otho  quar- 
tus  dei  gratia  Koni,  imperator  et 
semper  augustus.  Desideriis 
benemerentium  pio  semper 
assensu  imperialis  benig  ni- 
tas  consuevit  occurrere  et 
dignis  eos  munificentiae  sue 
beneficiis  locupletare;  quotiens 
enim  devotis  premia  impendimus  in 
sua  corroboramus  fidelitate  et  pleros- 
que  ad  serviendum  imperio  ac 
nobis  invitamus.  Qua  saue  consi- 
deratione habita  ad  universo- 
rum imperii  fidelium  prae- 
sentis  aetatis  et  posteri- 
tatis  successurae  notitiam 
duximus  proferendum,  quod 
nos  propter  multam  fidem  ac 
devotionem  quam  erga  nostram 
gerit  celsitudinem  dilectus  fidelis 
noster  Neapoleon  Rainaldi  de  comite 
Munaldo  adtendentes  quoque  ido- 
nea et  grata  s e r v i t i a  ipsius  quae 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden. 


225 


vitia),  que  imperio  in  profligandis 
.  .  .  Saracenis .  . .  laudabiliter  exhibuit 
ac  in  posterum  deo  adiuvante 
nobis  et  imperio  poterit  ex- 
hibere...  ex  innata  nobis  de- 
mentia eidem  et  omnibus  eius 
successoribus  (heredibus)  c  o  n  f  i  r  m  a- 
mus  (in  rectum  et  legale  feu- 
dum)  ...cum  omnibus  districti- 
bus  etbonoribus  (districtu  et 
bonore)  .  .  .  tarn  intra  quam 
extra  et  cum  universis  iusti- 
ciis  et  rationibus  eorum  im- 
perio attinentibus  statuen- 
t  e  s  etc. 


iam  pridem  in  partibus  Apuliae  nobis 
laudabiliter  exhibuit  ac  deinceps  do- 
mino  adiuvante  nobis  et  im- 
perio poterit  exhibere  ex  in- 
nata nobis  dementia  eidein 
Napoleoni  et  suis  heredibus  dona- 
mus  et  in  perpetuum  concedimus 
et  confirmamus  in  rectum  et 
legale  feudum...  omnique 
districtu  et  honore  suo  tarn 
intra  quam  extra  et  cum  uni- 
versis iusticiis  etrationibus 
suis  imperio  attinentibus  .  .  . 
statuentes  etc. 


Den  Schluss  der  Urkunde  will  ich  gar  nicht  hieher  setzen ;  dt- nn 
die  weitere  Uebereinstimmung  ist  eine  womöglich  noch  grössere.  Der 
Schluss  also,  dass  Ceccarelli  für  sein  Formular  die  eben  angeführte 
Urkunde  für  die  Monaldeschi  benützt  hat,  ergibt  sich  von  selbst  uud 
die  Sache  wird  nur  um  so  wahrscheinlicher,  als  Ceccarelli  die  Ur- 
kunde Ottos  IV.  in  seinem  Werke  über  die  Geschichte  der  Monal- 
deschi x)  abgedruckt  hat. 

Ein  anderes  Formular  benützte  Ceccarelli  für  die  Urkunde  Ottos  IL, 
wie  man  aus  den  auf  den  Namen  dieses  Herrschers  lautenden  Fäl- 
schungen für  die  Monaldeschi,  Pepoli  und  Monmarto  ersehen  kann. 
Denn  sowohl  dieses,  als  auch  dasjenige,  welches  er  für  die  Urkunden 
Friedrichs  I.  benützte,  berührt  sich  in  vielen  Punkten  mit  dem  For- 
mular für  die  Otto  I.  beigelegten  Urkunden.  Dass  aber  Ceccarelli 
auch  für  die  Urkunden  Friedrichs  I.  eiu  besonderes  Formular  benützte, 
zeigt  der  im  Wesentlichen  übereinstimmende  Wortlaut  der  Urkunden 
für  die  Conti,  Lothieri  und  Marioni  mit  der  für  Uguccio  de  Colle.  Mit 
diesen  Urkunden  stimmen  aber  auch  die  in  Stumpf  Reg.  3932  und 
3966  verzeichneten  Urkunden,  welche  Ceccarelli,  soweit  wir  constatieren 
konnten,  nirgends  erwähnt.  Müssen  wir  also  auch  diese  Urkunden 
als  seine  Fälschungen  erklären,  so  kann  uns  in  dieser  Behauptung 
auch  nicht  der  Umstand  irre  machen,  dass  Soldani  beide  Urkunden 
angeblich  nach  einem  Transsumt  von  1223  abdruckt.  Schon  Ficker 
hat  mit  Recht  geltend  gemacht,  dass  der  Transsumpt  selbst  gefälscht 
sein  müsse.  Der  hier  konstatirte  Zusammenhang  der  Urkunden  mit 
Ceccarelli  lässt  an  dieser  Thatsache  keinen  Zweifel  aufkommen.    Cec- 


')  Dell'  historia  di  casa  Monaklesca  S.   13. 
Mittheilungen,  XV. 


15 


226  R  i  e  g  1. 

carelli  selbst  hat  das  Geständniss  (S.  215)  abgelegt,  mehrere  Trans- 
sumte  von  Kaiser  Urkunden  gefälscht  zu  haben. 

So  können  wir  also  sechs  Urkunden  Friedrichs  I.  als  Fälschungen 
Ceccarellis  erklären.  Damit  ist  aber  die  Zahl  seiner  Fälschungen  auf 
den  Namen  dieses  Herrschers  noch  lange  nicht  erschöpft.  Alle  diese 
Urkunden  sollen  nämlich  im  März  oder  April  1162  bei  der  Belagerung 
von  Mailand  ausgestellt  sein.  Ceccarelli  gebrauchte  also  auch  hier, 
sowie  bei  den  Urkunden  Ottos  I.  mit  Vorliebe  ein  bestimmtes  Datum 
für  alle  seine  Fälschungen.  Ich  möchte  daher  auch  nicht  daran  zwei- 
feln, dass  die  bei  Sansovino  (a.  a.  0.  Fol.  381)  erwähnte,  angeblich 
bei  der  Belagerung  von  Mailand  ausgestellte  falsche  Urkunde  für  Jo- 
hannes Pallavicini  ein  Fabrikat  Ceccarelli's  sei.  Ist  dies  aber  richtig, 
so  werden  wir  auch  die  weiteren,  von  Sansovino  ebenda  erwähnten 
Urkunden  für  die  Pallavicini  und  zwar  die  Ottos  II.  für  Adalbert 
Pallavicini  und  die  Friedrichs  I.  für  Otto  und  Friedrich,  Söhne  des 
Berthold  von  Borgo  S.  Donnino  von  1175  für  Fälschungen  Ceccarellis 
erklären  müssen.  Andererseits  berechtigt  uns  der  Umstand,  dass  die 
Urkunde  Friedrichs  I.  für  die  Marioni  in  Gubbio  sicher  auf  Cecca- 
relli zurückgeht,  dazu  die  von  Sansovino  zu  den  Jahren  801  und  962 
citirten  Urkunden  für  dasselbe  Geschlecht  demselben  Fälscher  zuzu- 
schieben, umsomehr,  als  auch  das  Datum  962  ganz  gut  zu  den  Fäl- 
schungen Ottos  I.  stimmt  und  die  einzige  uns  vollständig  vorliegende 
Urkunde  Karl  des  Grossen  auch  vom  Jahre  801  4a^r^  ist- 

Zum  Schlüsse  will  ich  noch  die  Urkunden  Ottos  IV.  und  Fried- 
richs II.  erwähnen.  Auch  diesen  liegt  ein  gemeinsames  Formular  zu 
Grunde,  wie  ich  aus  der  Vergleichung  der  mir  in  vollständigen  Abschriften 
vorliegenden  Urkunden  Ottos  IV.  für  die  Carpegna  und  Friedrichs  II. 
für  die  Conti  und  Savelli  ersehen  kann.  Bei  den  Urkunden  früherer 
Herrscher  ist  die  Fälschung  immer  leicht  zu  erkennen,  nicht  so  bei 
den  Urkunden  Ottos  IV.  und  Friedrichs  II.;  ist  doch  das  Formular 
derselben  unzweifelhaft  echten  Urkunden  dieser  Zeit  entlehnt,  sie  fügen 
sich  daher  bisweilen  ganz  gut  in  das  ltinerar  ein.  Doch  werden  in 
diesen  Urkunden  gewöhnlich  die  früheren  Fälschungen  citivt,  und 
schon  dadurch  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  aus  welcher  Fabrik  sie 
hervorgegangen  sind.  Von  den  Fälschungen  auf  den  Namen  anderer 
Herrscher  liegen  mir  nur  einzelne  Urkunden  in  vollständigen  Drucken 
oder  Abschriften  vor;  doch  nehme  ich  an,  dass  Ceccarelli  auch  für 
diese  sein  besonderes  Formular  hatte.  Ich  will  hier  nur  eine  Urkunde 
Lothars  III.  (für  die  Boncompagni  Stumpf  Beg.  3281)  näher  er- 
wähnen, die  Gamurrini  (I.  363)  für  echt  gehalten  hat.  Doch  will  ich 
nicht    diese  Behauptung  Gamurrini's    widerlegen,    denn    es    kann  gar 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         227 

nicht  zweifelhaft  sein,  dass  wir  es  auch  hier  mit  einer  Fälschung  zu 
thun  haben.  Gamurrini  aber  sagt,  dass  die  Urkunde  auch  in  einer 
sehr  alten  Chronik  erwähnt  werde.  Welche  Chronik  hier  gemeiut  ist, 
kann  ich  nicht  sagen;  die  Angabe  Gamurrinis  muss  aber  auf  einem 
Irrthum  beruhen.  Denn  hier  getraue  ich  mich  aus  dem  Dictat  allein 
auf  Ceccarelli  zu  schliesseu.  Mir  stehen  zwar  keine  andern  Ur- 
kunden des  Fälschers  auf  den  Namen  Lothars  III.  zu  Gebote;  aber 
die  Berührungspunkte  des  Dictates  mit  dem  in  andern  Fälschungen 
dieses  Mannes  sind  ganz  auffallend;  ich  erwähne  nur  die  sincera  fides 
et  grata  obsequia  que  imperio  et  nobis  exhibuit  et  in  posterum  ex- 
hibiturus  sit,  die  Verbindung  von  locupletare  et  decorare,  die  Phrase 
nobilis  civitas,  die  dictrictus  et  honores  tarn  intra  quam  extra  im- 
perio attinentes,  das  gleiche  Protokoll  und  Eschatocoll.  Endlich  kommt 
dazu,  dass  der  (von  Ceccarelli  erfundene)  Fanusius  die  Boncampagni  und 
diese  Urkunde  selbst  erwähnt,  dass  sich  ein  Manuscript  des  Fanusius 
nachweislich  in  der  Bibliothek  der  Boncampagni  befand  und  Cecca- 
relli sogar  eine  Geschichte  dieses  Hauses  geschrieben  haben  soll." 

Zum  Schlüsse  lasse  ich  ein  Verzeichniss  derjenigen  Kaiserdiplome 
folgen,  die  sich  auf  Grund  der  im  Vorstehenden  beigebrachten,  theils 
äusseren,  theils  inneren  Kriterien,  als  Fälschungen  Ceccarelli's  erweisen 
lassen.  Das  Verzeichniss  ist  in  allem  Wesentlichen  ebenfalls  schon 
von  Adolf  Fanta  zusammengestellt  worden. 

1.  Kaiser  Theodosius  bestätigt  die  Konstantinische  Schenkungs- 
urkunde (vgl.  S.   198). 

2.  Karl  der  Grosse  für  Arimbert  princeps  der  Baronie  Burbonia, 
Rom  801  December  21.  —  Böhmer-Mühlbacher  Reg.  371.  —  Er- 
wähnt als  im  Besitze  des  Mons.  del  Monte  befindlich  bei  Ceccarelli 
La  sereniss.  nobiltä  im  Cod.  Vat.  4910,  p.  242,  erwähnt  bei  Fanu- 
sius III,   23. 

3.  Karl  der  Grosse  für  die  Marioni  in  Gubbio,  Sansovino  342'  cit. 
zum  J.   801. 

4.  Karl  der  Grosse  für  die  Cjbo,  erwähnt  Ceccarelli  in  einem  Briefe 
an  Alberico  Cybo  als  im  libro  antico  befindlich  (Cod.  Ottob.  3053 
f.  9l).  Mit  diesem  Privileg  scheint  aber  Ceccarelli  nicht  herausge- 
rückt zu  sein. 

5.  Karl    der    Grosse    für  die  Este,  erwähnt  Fanusius  III,   15. 

6.  Karl  der  Grosse  für  die  Mailänder  Patrizier  Licinius  Lignanus, 
Johannes  Stampa,  Farulfus  Siconi,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

7.  Karl  der  Grosse  für  die  Rudolfini  in  Narnia,  erwähnt  Fanusius 
lib.  IV. 

8.  Karl  der  Grosse  für  die  Ubaldini,  soll  sich  nach  Gamurrini  4,  1 
in  Giovanni  Battista  di  Lorenzo,  Storia  della  famiglia  degli  Ubaldini 
(Florenz   1588)  befinden. 

15. 


228  ft  i  e  g  1 

9.  Ludwig  II.  erhebt  Julius,  Evander,  Cesar,  Nicolaus,  Johannes  und 
Stephan  die  Söhne  des  Faustus  de  Comitibus  Romanis  zu  Grafen  und 
schenkt  ihnen  die  Städte  Tusculum,  Fondi,  Segni,  Frosinone,  Supino, 
Anagni  und  Ceccano.  Eom  871,  Juni  28.  Copien  in  Ceccarelli 
Histor.  della  casa  Conti  im  Cod.  Ottob.  2611  f.  51  und  Varia  scripta 
Alfonsi  Ceccarelli  im  Cod.  Ottob.  3053  f.  121.  Abschrift  von  Riegl 
im  Apparat  der  Diplomata-Abtheilung. 

10.  Ludwig  IL  für  Markgraf  Karl  von  Tuscien  (Del  Monte  Sta  Maria). 
Rom  873,  BM.  Reg.    1225;  erwähnt  im  Fanusius  III,  23. 

11.  Be rengar  I.  für  Uguccio  de  Colle  (Del  Monte  Sta  Maria).  Rom 
917,  Juni  27.  Soldani,  Storia  di  S.  Michele  di  Passiniano  77  aus 
neuerer  Copie;  erwähnt  Fanusius  III,   23. 

12.  Otto  I.  für  Johann  Pepoli  zum  J.  950.     Böhmer-Ottenthal  Reg.  338- 

13.  Otto  I.  für  Udahich  Carpegna.  Viterbo  962  Aug.  17.  BO.  Reg.  324. 
Cit.  bei  Ceccarelli  La  serenissima  nobiltä    Cod.  Vat.   4909  p.   294. 

14.  Otto  I.  für  Rainer  Lothieri.  Viterbo  962,  August  19.  BO.  Reg.  325. 
Cit.  bei    Ceccarelli  La  serenissima  nobiltä  Cod.  Vat.  4909  f.   294. 

15.  Otto  I.  für  Johannes  und  Ludwig  Conti.  Viterbo  962  November  Kl. 
BO.  Reg.  332.  Copie  in  Ceccarelli's  La  serenissima  nobiltä  im  Cod. 
Vat.   4911   p.    130;  erwähnt  ebenda  Cod.  Vat.  4909  p.   294. 

16.  Otto  I.  für  Walter  Gonzaga.  Viterbo  962,  November  13.  BO. 
Reg.   333. 

17.  Otto  I.  für  Guido  Cybo.  Viterbo  962,  December  7.  BO.  Reg.  335. 
Cit.  in  Ceccarelli,   La  serenissima  nobiltä,  Cod.  Vat.   4909   p.   294. 

18.  Otto  I.  für  Ludwig  und  Peter  de  Ponte  (Ottoni).  Viterbo  962, 
Dec.  10.  BO.  Reg.  336.  Cit.  in  Ceccarelli,  La  serenissima  nobiltä 
Cod.  Vat.   4909  p.   294. 

19.  Otto  I.  für  Ubaldinus  Ubaldini,  2.  Febr.  962  —  1.  Febr.  963.  BO. 
Reg.   337. 

20.  Otto  I.  für  die  Marioni  in  Gubbio.     Sansovino  342   cit.  zum  J.  962. 

21.  Otto  I.  für  Virginius  Sabellus.  Aachen  964,  Aug.  10,  BO.  Reg.  361. 
Regest    bei  Ceccarelli,  La  serenissima  nobiltä  Cod.  Vat.   4911   p.   27. 

22.  Otto  I.  belehnt  den  Guido  Tedesco  mit  der  Grafschaft  Modigliana  in 
der  Romagna.  Clementini  Raccolto  ist.  di  Rimino  1,  251.  Guido 
Tedesco  ist  der  sagenhalte  Stammvater  der  Grafen  Guidi  di  Bagno, 
der  späteren  Herren  von  Casentino. 

23.  Otto  I.  für  die  Este,  erwähnt  Fanusius  III,   15. 

24.  Otto  I.  für  die  Gregorii  in  Interamna.  Cit.  bei  Ceccarelli,  La  serenis- 
sima nobiltä  Cod.  Vat.   4909,  p.   294. 

25.  Otto    I.  für  die  Malaspina,  erwähnt  Fanusius  III,   7. 

26.  Otto  I.  für  die  Sala  zu  Ferrara,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

27.  Otto    I.  für  Orvieto,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

28.  Otto  IL  für  Ludwig  Monaldeschi.  Orvieto  975  Februar  23.  Stumpf 
Reg.  643;  erwähnt  Fanusius  III,   5. 

29.  Otto  IL  für  die  Ubaldini.    Orvieto  975,  Febr.  23.   Stumpf  Reg.  643a. 

30.  Otto  IL  für  Udo  Pepoli.  Montefiascone  975,  April  6.  Stumpf 
Reg.   647. 

31.  Otto    IL  belehnt  Adalbert  Pallavicini    mit    Castel    Pelegrino,    Gusa- 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         220 

lechio,    Val    di  Mugella    und  Fortiliera    und  ernennt    ihn  zum  Mark- 
grafen.    Keg.  bei  Sansovino   3S0;  zum  Jahre  981. 

32.  Otto  IL  für  Pharulphus-Monmartus.  Kom  983  April  17.  Stumpf 
Reg.  835a. 

33.  Otto  II.  für  die  Calcagnini  in  Ferrara,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

34.  Otto  II.  für  die  Este,  erwähnt  Fanusius  III,    15. 

35.  Otto    IT.  für  die  Lothieri,  erwähnt  in  n°   77. 

36.  Otto    II.  für  die  Malaspina,   erwähnt  Fanusius  III,   7. 

37.  Otto    II.  für  die  Scaligeri,  erwähnt  Fanusius  III,   22. 

38.  Otto    II.  für  Orvieto,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

39.  Otto  III.  für  Robert  Raugone.  Sansovino  86  cit.  zum  J.  989  nach 
dem  von  Ceccarelli  gefälschten  Johannes  Virgilius,  Historia  del  regno 
cattolico.  Nach  Crescenzi  Corona  della  nobiltä  II  p.  504,  der  sich 
auf  Virgilius  und  Johannes  Selinus  beruft,  scheint  die  Urkunde  die 
Ernennung  zum  capitaneus  enthalten  zu  haben. 

40.  Otto    III.  für  die  Monaldeschi  998.     Stumpf  Reg.    117()a. 

41.  Otto  III.  für  die  Lothieri,  erwähnt  in  n°   77. 

42.  Otto  III.  für  die  Malatesta,  erwähnt  im  Fanusius  1.  III  c.    14. 

43.  Heinrich  IL  für  die  Camaldoli;  inter  festes  alios  nominantur  etiam 
isti:  M.  Valore  di  M.  Nicola  de  Colonensis  de  Roma,  M.  Giovanni  di 
M.  Jacopo  degli  Mutoli  de  Roma,  Pagelo  di  M.  Orsino  degli  Orsini 
da  Roma;  cit.  von  Ceccarelli,  La  serenissima  nobiltä  Cod.  Vat.  4909 
p.    294. 

44.  Heinrich  IL  erhebt  den  Friscus  de  Frischi  (Fiesco)  zum  Grafen 
von  Lavagna  und  zum  Statthalter  vcn  Ligurien  und  dessen  Bruder 
Obizo  zum  Statthalter  in  Toscana.     Sansovino  318  Reg.  zum  J.  1007. 

45.  Heinrich  IL  für  die  Carpegna;  inter  alios  festes  nominantur:  Anti- 
mus  Mutius  Rom.  dapifer.  Cit.  in  Ceccarelli,  La  serenissima  nobiltä 
Cod.  Vat.  4911   p.   91. 

46.  Heinrich  IL  für  die  Farnese,  erwähnt  Fanusius  III,  6;  ist  wahr- 
scheinlich bei  Gelegenheit  der  Verfassung  der  Historia  di  casa  Farnese 
von  Ceccarelli  fabricirt  worden. 

47-  Heinrich  IL  für  Lothieri,  erwähnt  in  n°   77. 

48.  Heinrich  IL  für  die  Montemarti,  erwähnt  Fanusius  III,   6. 

49.  Heinrich  IL  für  die  Mugnari,  erwähnt  Fanusius  III,   6. 

50.  Heinrich  IL  für  die  Nigromontorii,   erwähnt  Fanusius  III,  6. 

51.  Konrad  IL  für  Tancred  Monaldo.  Rom  1027  April  24.  Stumpf 
Reg.  1937.  Cit.  Ceccarelli  la  serenissima  nobiltä.  Cod.  Vat.  4909 
p.   294  und   4911   p.   91. 

52.  Konrad  IL  für  die  Ardiccioni,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

53.  Konrad  IL  für  die  Carenii,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

54.  Kon r ad  IL  für  die  Farnese,    erwähnt  Fanusius  III,   6;    vgl.  n°  40. 

55.  Konrad  IL  für  die  Lodicieri,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

56.  Konrad  IL  für  die  Lothieri,   erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

57.  Konrad  IL  für  die  Montismarti,   erwähnt  Fanusius  III,  6. 

58.  Konrad  IL  für  die  Nigromontorii,  erwähnt  Fanusius  III,  6. 

59.  Konrad  IL  für  die  Mugnari,  erwähnt  Fanusius  III,  6. 

60.  Konrad  IL  für  die  Pineti,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

61.  Konrad  IL  für  die  Simoncelli,   erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 


230  Riegl. 

62.  Heinrich  III.  für  die  Campiliae,  erwähnt  Fanusius  III.  6. 

63.  Heinrich  III.  für  die  Marsciani,   erwähnt  Fanusius  III,  6. 

64.  Heinrich  III.  für  die  Montismarti,  erwähnt  Fanusius  III,  6. 

65.  Heinrich  III.  für  die  Roccaviani,  erwähnt  Fanusius  III,  6. 

66.  Heinrich  IV.  für  Can  Grande,  erwähnt  Fanusius  III,  13. 

67.  Heinrich  V.  für  die  Saregha,  Sansovino,  334  cit.,  wahrscheinlich 
Fälschung  Ceccarelli's. 

68.  Lothar  in.  für  Rudolf  de  Draconibus  (Bonconrpagni).  1133.  Stumpf 
Reg.   3281.  Nach  Gamurrini  I.  363  auch  von  Fanusius  erwähnt. 

69.  Lothar  III.  für  die  Cianchiani,  erwähnt  Fanusius  III,  6. 

70.  Lothar  HI.  für  die  Montismarti,    erwähnt  Fanusius  III,  6,   pag.    66. 

71.  Lothar  III.  für  die  Roccaviani,  erwähnt  Fanusius  III,  6. 

72.  Lothar  III.  für  Soane,  erwähnt  Fanusius  III,  6. 

73.  Lothar  IH.  für  die  Grafen  von  Titignano,  erwähnt  Fanusius  III.  6. 

74.  Friedrich  I.  für  Pepoli,  Lodi   1159  Mai  23.   Stumpf  Reg.  3857. 

75.  Friedrich  I.  für  Porcarius  filius  Rolandi  de  Rubeo  seu  de  Platis 
(Familie  Piatoni)  4.  April  1159  Lodi,  Crescenzi  Corona  etc.  II,  94 
unvollst. 

76.  Friedrich  I.  für  Uguccio  de  Colle  (Del  Monte  Sta  Maria).  Vor  Mai- 
land  1162  März    13.   Stumpf  Reg.   3932. 

77.  Friedrich  I.  bestätigt  dem  Sinolf  Lothieri  die  Verleihungen  der 
drei  Ottonen  und  Heinrichs  IL  Vor  Mailand  1162  März  23.  Copie 
in  den  Manuscripten  Ceccarelli's  im  Cod.  Ottob.  3053  f.  227,  er- 
wähnt in  La  seren.  nobilitä  Cod.  Vat.  4909  S.  294  f.  Abschrift  von 
Riegl  im  Apparat  der  Diplomata-Abtheilung. 

78.  Friedrich  I.  für  Julius  de  Marionibus.  Vor  Mailand  1162  April  7. 
Stumpf  Reg.   3939a. 

79.  Friedrich  I.  bestätigt  dem  Alexander  de  Comitibus  die  Urkunde 
Otto  I.  (vgl.  n°  15).  Vor  Mailand  1162  April  10.  Copie  bei  Cecca- 
relli  La  serenissima  nobiltä  Cod.  Vat.  4911  p.  132.  —  Abschrift 
von  Riegl  im  Apparat  der  Diplom. -Abth. 

80.  Friedrich  I.  für  Ludwig  Balio,  Herzog  von  Schwaben.  Cagli  1162 
Sept.   7.  Stumpf  Reg.   3966. 

81.  Friedrich  I.  bestätigt  dem  Johannes  Pallavicini  die  Verleihungen 
Ottos  IL  (vgl.  n°  31)  und  fügt  neue  hinzu.  Sansovino  f.  381  Reg. 
zum  Jahre   1162   quando  prese  Milano. 

82.  Friedrich  I.  bestätigt  den  Brüdern  Otto  und  Friedrich,  Söhnen 
des  Berthold  von  Borgo  S.  Donino  (Pallavicini)  die  Verleihungen 
Otto  II.  und  belehnt  sie  mit  andern  Besitzungen.  Sansovino  381 
Reg.  zu   1175. 

83.  Friedrich  I.  für  die  Malatesta,  als  Urkunde  im  Besitze  des  Herren 
Arrigo  Orsino  marchese  di  Stimigliana  cit.  von  Ceccarelli  La  sere- 
nissima nobiltä  Cod.  Vat.  4909  p.  287  mit  dem  Zeugen  Julius  Ur- 
sinus  marescalcus  imperii  zum  Jahre  1185;  wiederholt  S.  294  f.  In 
der  Historia  ecclesie  Mediol.  Cod.  Vat.  5310  f.  27  und  41  erwähnt 
Ceccarelli  noch  Bernardus  Oldradus  de  Mediolano  camerarius  als  Zeu- 
gen, und  setzt  die  Urkunde  zum  Jahre   1181. 

84.  Friedrich  I.  bestätigt  den  Ottoni  die  Urkunde  Otto  I.  (vgl.  n°  18). 
Sansovino  f.   35   Reg.  zum  J.   1185. 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.         231 

85.  Friedrich  I.  erhebt  die  Aligeri  zu  Rieti  in  den  Ritterstand.  Reg. 
bei  Fanusius  lib.  IV. 

86.  Friedrich  I.  für  die  Giramonti  in  Ferrara  Fanusius  lib.  IV. 

87.  Heinrich  VI.  bestätigt  dem  Petrus,  Ubertus  und  Guido  de  Comi- 
tibus  eine  Anzahl  von  Städten  und  Schlössern.  Bari  1196  Sept.  20. 
Copie  in  Ceccarelli,  La  serenissima  nobiltä  Cod.  Vat.  4911  p.  133. 
—  Abschrift  von  Riegl  im  Apparat  de  Dipl.-Abth. 

88-  Heinrich  VI.    für    Savelli.     Ceccarelli    La    serenissima   nobiltä    Cod. 

Vat.   4909    S.   294    nennt  daraus     den  Zeugen  Johannes  almae  urbis 

prefectus. 
8  9.  Heinrich  VI  für  Ricardus  de  Camino  erwähnt  Fansius  III,  13. 

90.  Otto  IV.  für  die  Ottoni  bestätigt  die  Verleihung  Otto  I.  (vgl.  n°  IS, 
84).  Sansovino  35  Reg.  zum  J.  1209,  der  sie  wohl  nicht  mit  Böhmer- 
Ficker  Reg.  306  verwechselt  hat,  da  in  letzterer  Urkunde  die  Ottoni 
nicht  erwähnt  werden. 

91.  Otto  IV.  für  Vernelius  Carpegna.  Der  Transsumpt  von  1699  im 
Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  nennt  unter  den  Zeugen  Dyopicidus 
dux  Spoleti,  Federicus  marchio  de  Baden,  comes  de  Faraponte  und 
fügt  hiezu :  La  data  del  sudetto  privileggio  e  fatta  in  S.  Ginese 
l'anno  15  del  suo  imperio.  Vgl.  BF.  Reg.  455  und  Clementini  Rac- 
colto  istorico  di  Rimino  1,357,  der  wohl  das  Fabrikat  Ceccarelli's 
selbst  gesehen  und  daraus  das  Incarnationsjahr  1211  angiebt.  In 
La  serenissima  nobiltä  Cod.  Vat.  4909  S.  294  sagt  Ceccarelli:  in 
privilegio  Ottonis  IV.  imp.  pro  familia  de  Carpinea  inter  testes  no- 
minatur  Albertus  Capisucchus  de  Roma  camerarius,  den  der  Trans- 
sumpt nicht  verzeichnet. 

92.  Friedrich  II.  bestätigt  dem  Benedict  de  Conti  die  Schenkungen 
Friedrichs  I.  (vgl.  n°  79)  und  Heinrich's  VI  (vgl.  n°  87).  Bei  Rom 
am  Monte  Malo  1220  November  24.  Copien  in  Ceccarelli  La  serenis- 
sima nobiltä  Cod.  Vat.  4911  p.  135  (erwähnt  auch  Cod.  4909,  294  f.) 
und  Historia  di  casa  Conti  Cod.  Ottob.  2611  p.  48.  —  Abschrift  von 
Riegl  im  Apparat  der  Diplom. -Abth. 

93- Friedrich  IL  bestätigt  dem  Giacomo  Savelli  die  Schenkungen  seiner 
Vorgänger.  Rom  1221  Januar  18.  BF.  Reg.  1272.  Fabrikat  Cecca- 
relli's im  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  zu  Wien.  Erwähnt  in  La 
serenissima    nobiltä    Cod.  Vat.  4911    S.   27. 

94.  Friedrich  II.  Brief  an  Odoardus  Saxonicus  1206  Juni  28  mit  Aufzählung 
vieler  Edlen,  die  er  angeblich  bei  der  Belagerung  von  Spoleto  gefangen 
genommen.  Copie  von  Ceccarelli  Cod.  Ottob.  3053  233.  Nach  RiegFs 
Berichte  vom  J.  1884  »von  so  handgreiflicher  innerer  Unwahrschein- 
lichkeit,  dass  ich  mich  der  Mühe  des   Copierens  überhoben    glaubte«. 

95.  Friedrich  IL  für  die  Benati  in  Monfalcone,  erwähnt  Fanusius  lib.  IV. 

96.  Adolf  (Athaulfus)  für  Matheo  Visconti.  1260  (!)  erwähnt  Fanusius 
III,  13. 

97.  Albrecht  I.  imperator  für  Matheo  Visconti.  1294,  erwähnt  Fanusius 
III,  13. 

98.  Heinrich  VIT.  für  die  Familie  Del  Monte  St;l  Maria.  1312  Decem- 
ber   12.   Soldani  S.   87,  erwähnt  Fanusius  III,  2  3. 


232  R  i  e  g  1. 

99.  Ludwig  der  Baier  für  die  Sala  in  Ferrara.  Erwähnt  Fanusius  IV. 

100.  Wenzel  für  die  Catanei.  Erwähnt  im  Fanusius  IV. 

101.  Sigismund  für  die  Gonzaga.  Erwähnt  im  Fanusius  III,  21. 

102.  Friedrich  III.  verleiht  dem  römischen  Geschlechte  der  Cesarini  das 
Recht,  den  kaiserlichen  Adler  im  Wappen  zu  führen.  Wiener-Neu- 
stadt 20.  Mai  1405.  In  Ceccarelli's  La  serenissima  nobiltä  Cod.  Vat. 
4910  S.  168;  Abschrift  von  Riegl  im  Apparat  der  Dipl.-Abth.  — 
Ceccarelli  beschreibt  a.  a.  0.  das  angebliche  Original:  et  detto  pri- 
vilegio  e  scritto  in  carta  pergamena  con  un  arme  miniato  d'  oro  in 
mezzo  coli'  aggiunta  dell'  aquila  sopra  all'  arme  cesarino  et  con  un 
sigillo  grand  di  cera  zaura  et  in  mezzo  rossa  et  nel  sigillo  ci  e 
1'  aquila  con  due  teste  et  attorno  lettere  et  quattro  armi  picciole :  et 
questo  si  ritrova  presso  S.  S.  Illma. 

103.  Friedrich  III.  erhebt  die  Brüder  Pamphili  von  Gubbio  in  den 
erblichen  Grafenstand,  womit  gewisse  Befugnisse  in  der  Besetzung 
von  Kanzleistellen  verbunden  erscheinen.  Wien  15.  Sept.  1461.  An- 
geblicher Transsumpt  vom  27.  Okt.  1501,  in  Ceccarelli's  Varia  scripta, 
im  Cod.  Ottob.  3053  f.  232.  Abschrift  von  Riegl  im  Apparat  der 
Dipl.-Abth. 

Damit  ist  die  Liste  der  von  Ceccarelli  gefälschten  Kaiserdiplome 
gewiss  nicht  erschöpft.  Auch  finden  sich  in  seinen  hinterlassenen 
Manuscripten  mehrfach  Stellen,  die  eine  bezügliche  Urkundenfälschung, 
zwar  möglich  aber  nicht  zwingend  nothwendig  erscheinen  lassen.  So 
z.  B.  im  Fanusius  IV.  wo  wir  u.  a.  lesen :  Carl  d.  Grosse  adelte  einmal 
in  Florenz  gleichzeitig  sieben  Familien:  die  Siguranni,  Fighineldi, 
Sisanti,  Uberti,  Lamberti,  Ormanni  und  Area;  ferner  wurden  die 
Familie  de  Nerlis,  die  Grafen  Gandolandi  und  Sandonati,  und  die 
Edlen  von  Bessa  mit  Privilegien  ausgestattet  „vom  Grafen  Ugo  von 
Luxemburg,  Statthalter  von  Etrurien  im  Namen  Kaiser  Ottos".  In 
La  serenissima  nobiltä  dell' alma  cittä  di  Roma,  Cod.  Vat.  4911 
S.  167 — 169  gibt  er  ferner  aus  einem  seiner  fingirten  Autoren, 
Johannes  Petrus  Scriniarius,  eine  Serie  von  au  geblichen  Zeugen  aus 
Diplomen  von  Karl  dem  Grossen  angefangen  bis  auf  Otto  IV.,  be- 
schränkt sich  aber  dabei  auf  die  Nennung  der  Namen  des  Kaisers 
und  der  Zeugen.  Am  Schlüsse  sagt  er  daselbst:  ista  privilegia  cum 
suis  sigillis  partim  aureis  et  partim  cereis  conservantur  in  archivio 
capitolino  cum  multis  aliis  scripturis. 

Von  Königsdiplomen,  die  Ceccarelli  in  seinen  Schriften  erwähnt 
und  daher  vermuthlich  gefälscht  hat,  finde  ich  in  meinen  Auszügen 
erwähnt  folgende  zwei  unteritalischen:  ein  Privileg  Roger's  I.  für 
das  Haus  Pierleonis  in  La  serenissima  nobilitä  Cod.  Vat.  4911 
S.  3  und  eines  Ferdinande  von  Sizilien  und  Neapel  vom  J.  1469, 
ebenda    S.  14.     Endlich    geht    aus    zahlreichen    Citaten     hervor,    dass 


Alf'onso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaisennkunden.         233 

Ceccarelli  auch  Papstbullen  und Privaturkunden  gefälscht  hat;  daraufhin 
bleibt  das  auf  der  Vaticana  befindliche  Material  erst  noch  zu  unter- 
suchen, da  meine  Nachforschungen  im  J.  1884,  die  das  Substrat  da- 
vorstehenden Abhandlung  geliefert  haben,  bloss  den  Zweck  verfolgten, 
den  Umfang  der  Ceccarelli'schen  Eingriffe  in  das  Gebiet  der  Kaiser- 
urkunden nach  Möglichkeit  festzustellen.  Was  aber  diesen  letzteren 
Zweck  betrifft,  so  glauben  wir  ihn,  trotzdem  das  vorstehende  Ver- 
zeichnis von  103  Fälschungen  nicht  als  absolut  vollständiges  gelten 
kann,  dennoch  insofeme  erreicht  zu  haben,  als  wir  der  inneren  und 
äusseren  Anhaltspunkte  genug  vorgelegt  haben,  um  etwa  neu  auf- 
tauchende Kaiserdiplome  von  Ceccarelli's  Mache  als  solche  auch  so- 
fort zu  erkennen. 


Nachwort.  Der  Beweis  für  den  Zusammenhang  dieser  vielen 
Fälschungen  und  für  die  Ausdehnung  der  dunklen  Thätigkeit  Cecca- 
relli's ist  durch  die  Arbeiten  von  Kiegl  und  Fanta  vollständig  erbracht. 
Dass  die  Fälschungen  auf  den  Namen  Otto's  I.  für  die  Pepoli,  Car- 
pegna,  Lottieri,  Cibo,  Gonzaga,  Ottoni,  Savelli,  Conti  auf  eine  Quelle 
zurückgehen,  hatte  ich  bereits  erkannt,  als  ich  zu  Anfang  der  80  ger  Jahre 
die  italienischen  Kaiserurkunden  Otto's  I.  als  Mitarbeiter  der  Diplomata- 
abtheilung untersuchte.  Gerade  aus  Mangel  genügender  Nachrichten  über 
Ceccarelli  musste  ich  damals  diese  Forschungen  unabgeschlossen  meinem 
Nachfolger,  dem  verewigten  Fanta  zurücklassen ;  später  für  die  Kaiser- 
regesten habe  ich  meine  Wahrnehmung  theils  selbständig,  theils  in 
Kenntnis  des  Kiegl-Fanta'schen  Materiales  weitergeführt.  Ich  glaube 
das  hier  anführen  zu  sollen,  weil  das  wesentlich  übereinstimmende 
Ergebnis,  zu  dem  wir  in  getrennter  Arbeit  und  von  verschiedenen 
Ausgangspunkten  beginnend,  gekommen  sind,  dadurch  noch  gesicherter 
erscheinen  dürfte. 

Meine  Untersuchungen  hatten  sich  naturgemäss  auf  die'^Zeit  der 
sächs.  Kaiser  und  speciell  auf  jene  Otto's  I.  beschränkt;  ähnliches  war 
auch  bei  Fanta  der  Fall.  Für  die  folgenden  Epochen  mangelten  uns 
beiden  die  volle  Kenntnis  des  zerstreuten  und  noch  ungedruckten 
Materials.  Daher  wird  die  vorausgeschickte  Liste  der  Ceccarelli-Fäl- 
schungen  für  die  späteren  Zeiten  noch  vielfacher  Ergänzungen  fähig 
sein,  soweit  nicht  Kiegl's  Bericht  die  solide  Grundlage  bildet.  Auch 
die  Aufzählung  der  Ceccarelliana  aus  der  Ottonenzeit  war  bei  Fanta 
nicht  ganz  vollständig :  die  Urkunden  für  die  Ubaldini  (n°  19  und  29) 
schob  Riegl  erst  auf  Grund  meiner  Kaiserregesten  ein.    An  der  Sach- 


234  R  i  e  g  1. 

läge  kann  kein  Zweifel  sein.  Vollständiger  Text  ist  nur  von  n°  29  be- 
kannt. Zur  Charakterisirung  dieser  Urkunde  wird  es  genügen  anzu- 
führen, dase  sie  das  gleiche  Datuni  und  viele  derselben  abenteuerlichen 
Zeugen  mit  St.  643  für  die  Monaldeschi  gemein  hat,  welch  letztere 
Urkunde  Fanta  mit  Kecht  als  Ceccarelli-Fälschung  betrachtet.  Die 
angebliche  Verleihung  Otto's  1.  ist  nur  aus  St.  643  bekannt.  Da 
dieses  Citat  sehr  ausführlich  und  präcis  ist,  habe  ich  es  im  Gegensatz 
zu  den  mehr  vagen  Erwähnungen  der  sub  n°  20.  22. 23-27  des  Ceccarelli- 
Index  gegebenen  Regesten  unter  die  Urkunden  Otto's  eingereiht,  obwol 
ich  überzeugt  bin,  dass  Ceccarelli  niemals  die  entsprechende  voll- 
ständige Urkunde  auf  den  Namen  Otto's  I.  fabricirt  habe,  sondern 
wie  z.  B.  bei  den  Lottieri  (n°  77)  versuchte  er  auch  hier  die  „mancia" 
für  das  Diplom  dadurch  hinaufzuschrauben,  dass  durch  solche  Hin- 
weise auf  frühere  Privilegien  das  Alter  und  Ansehen  des  Hauses 
noch  höher ,  seine  Rechte  und  Besitzungen  noch  begründeter  er- 
scheinen mussten. 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  überhaupt  einem  Missverständ- 
niss  entgegentreten,  das  aus  der  beigegebenen  Liste  der  Ceccarelli- 
Fälschungen  entstehen  könnte.  Etwa  die  Hälfte  dieser  Nummern  sind 
nur  aus  kurzen  und  meist  undatirten  Erwähnungen  in  Ceccarelli's 
Schriften  oder  Werken,  welche  erweislich  aus  Ceccarelli  geschöpft  haben, 
bekannt.  Im  Grosstheil  dieser  Fälle  wird  es  auch  beim  einfachen 
Citat  geblieben  sein,  für  welches  die  vollständige  Urkunde  hinzu  zu 
fälschen  Ceccarelli  sich  vorbehalten  haben  wird,  falls  die  betreffende  Familie 
zahlungsbereit  war  oder  ihn  durch  ihre  Zweifelsucht  in  die  Enge  trieb; 
vgl.  was  oben  S.  210  und  213  von  den  Fälschungen  für  die  S.  Croce 
und  Malatesta  gesagt  ist.  Die  Anzahl  der  citirten  Urkunden  ist  also 
jedenfalls  viel  grösser  als  jene  der  ausgeführten  Fälschungen. 

Zu  den  Verdiensten  Fanta's  gehört  besonders  der  Nachweis,  dass 
das  echte  Diplom  Otto's  IV.  für  die  Monaldeschi  BF.  Reg.  450  die 
Vorlage  für  die  Fälschungen  auf  Otto  I.  abgab.  Fanta  selbst  bemerkt, 
dass  dann  für  die  Fälschungen  auf  den  Namen  anderer  Herrscher  wieder 
verschiedene  andere  Muster  benutzt  wurden.  Ich  glaube  weitergehen 
und  auch  für  die  Fälschungen  auf  Otto  I.  Kenntnis  noch  anderer 
echter  Königsurkunden  annehmen  zu  sollen. 

Während  in  diesem  Fälschungscomplex  Titulatur,  Arenga  und  der 
folgende  Context  bis  zur  abschliessenden  Poen-  und  Corroborations- 
formel,  endlich  die  Datirungsformel  sich  engstens  an  BF.  450  an- 
schliessen,  finden  sich  in  zwei  Punkten  Abweichungen  vom  Kanzlei- 
gebrauche  Otto's   IV.    überhaupt.     In   Reg.   332.    333.   335.  336.  361 


Alfonso  Ceccarelli  und  seine  Fälschungen  von  Kaiserurkunden.  235 

ist  das  Monogramm  angebracht:  es  ist  das  richtige  Namens- 
monogramm  Otto's  L,  am  besten  gezeichnet  im  „Or. *  n°  361  und 
in  der  Copie  ersten  Grades  n°  336.  Das  kann  weder  aus  dem  Titel-M, 
Otto's  IV.  abgeleitet,  noch  frei  erfunden  sein.  Ferner  haben  Keg.  324 
und  361  die  übereinstimmende  Recognition:  Ego  canc.  Witfridus  ar- 
chieps.  Colon,  et  totius  Italiae  archicanc.  recognovi  cum  (con)  signo 
meo,  worauf  im  Or.  n°  361  ein  Recognitionszeichen  folgt.  BF.  450 
hat  überhaupt  keine  Recognition  (und  wohl  deshalb  auch  die  andern 
Fälschungen  auf  Otto  I.  nicht),  aber  die  obige  Formel  entspricht  der 
Zeit  Otto's  IV.  überhaupt  nicht;  auf  seinem  ital.  Zug  ist  regelmässig 
der  Hofkanzler  Bischof  Konrad  von  Speier  in  Stellvertretung  des 
Erzbischofs  von  Köln  als  des  Erzkanzlers  für  Italien  genannt;  oder 
ausnahmsweise,  wie  BF.  333  nur  Konrad  allein,  aber  dann  natürlich 
nur  mit  dem  Kanzlertitel.  Das  Recognitionszeichen  war  damals 
längst  vergessen. 

Nun  entspricht  diese  Formel  freilich  der  Zeit  Otto's  I.  ebenso- 
wenig: der  Erzkanzler  bediente  sich  damals  nicht  des  erzbischöflichen 
Titels,  und  seit  Apr.  962  bestand  ein  eigener  italienischer  Erzkanzler; 
am  allerwenigsten  nannte  sich  je  ein  Kanzleibeamter  Kanzler  und  Erz- 
kanzler zugleich.  Das  deutet  entschieden  auf  ein  Missverständniss. 
Dagegen  gab  es  wirklich  einen  cancellarius  Wigfridus  auf  Otto's  erstem 
Zug  nach  Italien  951 — 952.  Sollte  Ceccarelli  die  Recognition:  Wig- 
fridus canc.  adv.  Brunonis  archicanc.  recognovi  vor  sich  gehabt,  gleich 
andern  italienischen  Copisten  „Brunonis"  niissverstanden  und  durch  die 
die  geläufige  Phrase  archieps.  Colon,  et  totius  Italiae  archicanc.  er- 
setzt haben? 

Beweisen  kann  ich  das  allerdings  nicht,  aber  Haltpunkte  finden 
sich  für  eine  solche  Vermuthung.  Das  in  der  Kanzlei  Otto's  I.  ge- 
bräuchliche Recognitionszeichen  ist  von  Wigfrid  allerdings  nur  aus 
den  für  Deutschland  bestimmten  Reg.  n°  201.  207  bekannt  und  in 
n"  361  jedenfalls  sehr  verständnisslos  übernommen.  Das  Monogramm 
in  diesem  Or.  dagegen  stimmt  vollständig  mit  dem  speciell  von  Wigfrid 
gebrauchten  (mit  rautenförmigen  0,  vgl.  die  Abbildungen  M.  graph.  III, 
2  und  Kaiserurk.  in  Abbild.  III,  20).  Ich  erwähne  dann  noch  die 
Datirung.  In  Reg.  324.  325.  332.  333.  335.  336  aus  August— Dec.  962 
ist  überall  a.  ine.  962,  a.  regni  et  imperii  26  angegeben,  also  Zählung 
nach  Königsjahren,  während  die  italienische  Kanzlei  Otto's  I.  damals  nach 
Jahren  der  kaiserlichen  Regierung  unter  Beseitigung  der  königlichen 
datirt.  Die  von  Wigfrid  in  den  letzten  Monaten  des  ersten  italienischen 
Aufenthaltes  Otto's  (Jan.  und  Febr.  952)  gesohriebnen  Urkunden  tragen 
dagegen  die  Daten :  a.  ine.  952,  a.  r.   16.     Ceccarelli  wollte  Urkunden 


230  R  i  e  g  1. 

nach  dem  ihm  wohl  bekannten  Zeitpunkt  der  Kaiserkrönung  geben. 
Zählte  er  von  einem  solchen  Muster  um  10  Jahre  weiter,  damit  er 
diesen  Termin  erreichte,  so  kam  er  auf  a.  regni  26,  der  zwar  in  Wirk- 
lichkeit für  die  von  ihm  gegebenen  Tage  des  J.  962  nicht  mehr 
stimmt,  da  a.  r.  Ottonis  mit  August  8  umsetzt,  sich  aber  unter  dieser 
Voraussetzung  gut  erklärt. 

Damit  hoffe  ich  die  zu  Keg.  n°  324  gemachten  Aeusserungen  ein- 
gehender begründet  zu  haben.  E.  v.  Ottenthai. 


Die  Finanzverwaltimg  Oesterreichs  1749  —  1816. 

Von 

Adolf   Beer. 

Die  Finanzverwaltung  des  österreichischen  Staates  seit  dem  Re- 
gierungsantritte Maria  Theresia's  hat  bisher  eine  auf  archivalischen 
Studien  fussende  Darstellung  nicht  gefunden.  Das  bekannte  Buch  von 
Adam  Wolf  (Oesterreich  unter  Maria  Theresia.  Wien,  1855),  worin  die 
reformatorische  Thätigkeit  der  Eegierung  Maria  Theresias  in  vielen 
Zweigen  der  Verwaltung  geschildert  wird,  beruht  zumeist  aufgedruckten 
Quellen.  Zur  Zeit  seines  Erscheinens  eine  höchst  anerkennenswerthe 
Leistung,  entspricht  es  gegenwärtig  den  Anforderungen  nicht  mehr 
Das  Werk  von  Hock  (Der  österreichische  Staatsrath,  eine  geschicht- 
liche Studie.  Wien,  1877  ff.)  enthält  eine  Bereicherung  unserer  Kennt- 
nisse, erweist  sich  aber  bei  kritischer  Prüfung  namentlich  über  die 
theresianische  Zeit  als  unzureichend  und  vielfach  ungenau.  Arneth 
hat  in  seinem  Werke  über  Maria  Theresia  auch  die  Verwaltung  in  den 
Kreis  seiner  Darstellung  gezogen,  ohne  jedoch  in  allen  Punkten  einen 
Einblick  in  die  bedeutsamen  Gründe  jener  Veränderungen  zu  ge- 
währen, welche  sich  unter  der  grossen  Herrscherin  vollzogen  haben. 
Die  ungemein  fleissigen  Arbeiten  von  d'  Elvert  (Zur  österreichischen 
Verwaltungsgeschichte  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  böhmischen 
Länder.  Brunn ,  1880,  und  Zur  österreichischen  Finanzgeschichte. 
Brimn,  1881),  lassen  manches  zu  wünschen  übrig.  Nur  über  die  Justiz- 
verwaltung besitzen  wir  ein  Buch,  (Geschichte  der  obersten  Justizstelle 
in  Wien  1749 — 1848  von  Fried,  v.  Maasburg  2.  Aufl.)  durchweg  auf 
handschriftlichem  Material  ruhend  und  den  Anforderungen  entsprechend. 

Bei  meinen  Studien  über  die  Staats-  uud  Volkswirtschaft  Oester- 
reichs seit  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  wurde  mir  die  Lückenhaftigf- 


238  ß  e  e  Jf. 

keit  unserer  bisherigen  Kenntnisse  über  die  Entwicklung  der  öster- 
reichischen Verwaltung  klar.  Diese  auszufüllen  setzt  sich  die  gegen- 
wärtige Arbeit  über  die  Central-Finanzverwaltung  zur  Aufgabe,  wobei 
in  erster  Keihe  die  reichen  Schätze  des  Hofkamraer-Archivs,  sodann 
aber  auch  das  Hof-  und  Staatsarchiv,  sowie  das  Archiv  des  Ministeriums 
des  Innern  benutzt  wurden.  Bei  der  innigen  Verbindung  der  Finanzen 
mit  der  politischen  Verwaltung  inusste  auch  letztere  an  geeignetem 
Orte  berücksichtigt  werden.  Leider  konnte  trotz  aller  Bemühungen 
Vollständigkeit  nicht  erzielt  werden.  Mehr  als  100  Fascikel  wurden 
durchforscht,  ohne  über  manche  wichtige  Massregel  lückenlose  Beleh- 
rung zu  bieten,  ohne  mit  den  Gründen  voll  bekannt  zu  machen,  die 
bei  den  oftmaligen  Aenderungen  des  Wirkungskreises  der  Behörden 
massgebend  waren.  In  vielen  Fällen  war  es  zweifellos  das  persönliche 
Eingreifen  der  Betheiligten,  welches  ausschlaggebend  war,  um  kaum 
eingeführte  Einrichtungen  wieder  über  Bord  zu  werfen,  ohne  abzu- 
warten, ob  dieselben  sich  bewährt  haben.  Die  österreichische  Finanz- 
verwaltung kam  in  diesem  Zeiträume  nicht  zur  Buhe,  nicht  allein  durch 
fortwährende  Organisationen  und  Keorganisationen,  sondern  auch  durch 
den  oftmaligen  Wechsel  des  Beamtenpersonals.  Erst  mit  der  Ernen- 
nung Stadion's  zum  Finanzminister,  dem  organisatorische  Talente,  wie 
Pillersdorf  und  Kübek,  zur  Seite  standen,  erhielt  die  Finanzverwaltung 
jene  Einrichtung,  welche  bis  zum  Jahre  1848  im  Wesentlichen  auf- 
recht geblieben  ist. 

Doch  muss  bemerkt  werden,  dass  ich  die  in  den  Ländern  vorge- 
nommenen Veränderungen  der  Verwaltungen  zurückstellen  musste,  um 
die  Arbeit  nicht  zu  umfangreich  werden  zu  lassen.  Bei  der  Auswahl 
am  Schlüsse  aus  der  amtlichen  Correspondenz  der  Monarchen  aufge- 
nommener Stücke  musste  ich  mir  ebenfalls  Beschränkungen  auferlegen. 

I. 

Maria  Theresia  fand  bei  ihrem  Kegierungsantritte  eine  Central- 
behörde  für  die  Finanzen  in  der  Finanzconferenz  vor,  welcher  die  Hof- 
kammer und  die  Ministerialdeputation  insoferne  untergeordet  waren, 
als  alle  wichtigen  Angelegenheiten  von  der  Conferenz  berathen  und 
die  etwaigen  Anträge  dem  Kaiser  zur  Beschlussfassung  unterbreitet 
wurden.  Eine  der  ersten  Massnahmen  der  neuen  Herrscherin  war  die 
Aufhebuug  dieser  Conferenz  und  die  Uebertragung  der  gesammten 
Leitung  der  Finanzen  an  den  Grafen  Starhemberg,  der  gleichzeitig 
auch  Ministerial-Deputationspräsident  war.  Nach  dem  Tode  Starhem- 
berg's    wurde    Graf  Philipp  Kinsky    zum  Präsidenten    der  Ministerial- 


hie  Finanzverwaltnug  Oesterreichs  1749—1816.  239 

bancodeputation  ernannt  und  diese  am  18.  September  1746  zu  einem 
Hofmittel  erklärt,  oder  mit  einem  andern  Worte,  dieselbe  wurde  nun- 
mehr eine  unabhängige  Centralstelle,  die  Vorträge  an  die  Monaich eu 
erstatten  konnte. 

Eine  durchgreifende  Veränderung  in  dem  gesammten  Verwaltungs- 
organismus trat  1749  ein,  einmal  durch  die  Trennung  der  Justiz  von 
der  Verwaltung,  sodann  aber  auch  durch  die  Schaffung  einer  Central- 
behörde  für  die  politischen  und  finanziellen  Angelegenheiten,  welche 
den  Titel  „Directorium  in  publicis  et  cameralibus"  erhielt.  Graf  Fried- 
rich Wilhelm  Haugwitz  wurde  zum  Präsidenten  ernannt,  da  dessen  in 
den  letzten  Jahren  gemachten  Vorschläge  für  das  Heer  und  die  Ver- 
zinsung der  Schulden  durch  eine  mit  den  Ständen  auf  10  Jahre  zu 
treffende  Vereinbarung  die  Billigung  der  Kaiserin  und  durch  seine 
Bemühungen  auch  Annahme  in  den  verschiedenen  Ländern  gefunden 
hatten.  Der  Gedanke  war  wol  nicht  neu,  und  das  Verdienst  des  Grafen 
Haugwitz  bestand  vornehmlich  darin,  dass  er  sich  einer  schwierigen 
Arbeit  unterzogen  hatte,  indem,  als  er  Hand  ans  Werk  legte,  weder 
die  Höhe  der  Schulden  noch  die  anderen  erforderlichen  Ausgaben, 
ebenso  wenig  aber  auch  die  zur  Verfügung  stehenden  Einnahmen  be- 
kannt waren,  und  das  gesammte  Materiale,  worauf  mit  Sicherheit  ein 
Finanzplan  entworfen  werden  konnte ,  erst  mühselig  herbeigeschafft 
werden  musste. 

Die  Trennung  der  Justiz  von  der  Verwaltung  war  unstreitig  eine 
grosse  That,  welche  die  Rechtspflege  in  günstiger  Weise  beeinflusst 
hat.  Dagegen  hat  sich  die  Vereinigung  der  politischen  und  finanziellen 
Angelegenheiten  nicht  als  förderlich  erwiesen.  Wol  bestand  die  Hof- 
kaminer  mit  einem  beschränkten  Wirkungskreise  fort,  der  in  den  näch- 
sten Jahren  noch  weiter  eingeengt  wurde.  Auch  die  Ministerialdepu- 
tation  behielt  die  Leitung  des  Bancoinstituts  und  die  Verwaltung  jener 
Gefälle,  welche  derselben  zur  Sicherstellung  überwiesen  waren:  die 
neu  geschaffene  Centralstelle  wurde  dennoch  durch  die  Ueberfülle  der 
ihr  anvertrauten  Geschäfte  erdrückt.  Durch  Schaffung  von  Kommis- 
sionen mit  einem  selbstständigen,  bestimmt  umschriebenen  Wirkungs- 
kreise, denen  die  Befugnis  eingeräumt  wurde,  unmittelbar  der  Kaiserin 
Vorträge  zu  erstatten,  suchte  man  der  Ueberbürdung  abzuhelfen.  Der 
Staatshaushalt  gerieth  in  dem  nächsten  Jahrzehnt  vollständig  in  Un- 
ordnung. Ueber  die  Höhe  der  Einnahmen  und  Ausgaben  herrschte 
volle  Unklarheit,  und  während  des  dritten  schlesischen  Krieges  trat 
die  Unbeholfenheit  des  Directoriums  als  Finanzbehörde  in  auffälligster 
Weise  hervor. 

Für   die    oberste  Leitung    der    ungarischen  Finauzverwaltung  be- 


240  B  e  e  i*. 

stand  die  köuigl.  ungarische  Kammer,  seit  1749  Hofkammer  genannt 
früher  der  allgemeinen  österreichischen  untergeordnet,  später  mit  einem 
gewissen  selbständigen  Wirkungskreise.  In  prinzipiellen  Fragen  wurde 
das  Gutachten  der  österreichischen  Hofkammer  oder  des  Directoriums  in 
publicis  et  cameralibus  während  dessen  Bestandes  abgefordert.  Der 
ungarischen  Hofkammer  unterstanden  die  von  Maria  Theresia  zu  Ofeu, 
Szegedin,  Arad  und  in  der  Zips  errichteten  Kammerämter.  Die  Ver- 
waltung der  ungarischen  Krön-  und  Kammergüter,  das  Salz-  und 
Bergregale,  die  Judentaxen,  die  Post,  das  Dreissigstgefälle  gehörten 
zum  Wirkungskreise  der  österreichischen  Centralstelle.  Für  Sieben- 
bürgen bestand  in  Wien  eine  mit  der  polititschen  Verwaltung  betraute 
Kanzlei;  im  Lande  war  die  oberste  Verwaltungsbehörde  des  Landes- 
gubernium  ferner  zugleich  die  oberste  Gerichtsbehörde.  Die  Finanz - 
angelegenheiten  besorgte  das  siebenbürgische  Thesauriat. 

Nach  Errichtung  des  Directoriums  war  eine  einheitliche  Verwal- 
tung des  Finanzwesens  nicht  vorhanden.  Es  gab  hiefür  1761  drei 
Centralstellen :  dem  Directorium  in  publicis  et  cameralibus  waren  die 
Contributionen,  und  die  anderen  direkten  Steuern,  sowie  das  „deutsche 
Cainerale"  zur  Verwaltung  anvertraut;  das  Münz-  und  Bergwesen, 
sowie  das  ungarische  Camerale  unterstand  der  Hofkammer,  endlich 
hatte  der  Wiener  Stadt-Banco  eine  selbstständige  Verwaltung  unter 
einem  eigenen  Präsidenten.  Selbst  gleichartige  Gegenstände  wurden 
von  verschiedenen  Centralstellen  verwaltet.  So  unterschied  man  zwischen 
verpfändeten  und  rückverpfändeten  Gefällen,  diese  unterstanden  dem 
Directorium,  jene  der  Bancodepufation.  Jede  Centralstelle  hatte  nicht 
blos  die  Verwaltung  der  zu  ihrem  Wirkungskreise  gehörigen  Ange- 
legenheiten zu  besorgen,  sondern  auch  alle  etwaigen  Ausgaben  zu  be- 
streiten und  darüber  Rechnung  zu  legen.  Alle  diese  Stellen  waren 
von  einander  unabhängig  und  erschwerten  natürlich  eine  zweckmässige, 
von  gleichartigen  Gesichtspunkten  ausgehende  Verwaltung.  Bei  Fragen 
verwickelter  Natur  traten  wol  Commissionen  zusammen,  welche  zu 
berathen  und  Vorschläge  zu  erstatten  hatten,  allein  die  verschiedenen 
von  einander  oft  abweichenden  Gesichtspunkte  der  Mitglieder,  welche 
blos  die  einseitigen  Interessen  ihres  Ressorts  zur  Geltung  zu  bringen 
suchten,  machten  es  der  Monarchin  nicht  gerade  leicht,  eine  Entschei- 
dung zu  treffen. 

Längst  hatte  sich  das  Bedürfnis  einer  einschneidenden  Aende- 
rung  fühlbar  gemacht.  Die  Schwerfälligkeit  der  Finanzverwaltung 
trat  während  des  Krieges  augenfällig  zu  Tage.  Wie  Bartenstein  in 
einer  Denkschrift  tief  klagend  bemerkte,  kannte  mau  weder  die  Höhe 
der  Einnahmen  noch   der  Ausgaben    genau;    seiner  Schilderung    nach 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  241 

herrschte  grosse  Unordnung.  Unmittelbar  nach  Schaffung  des  Staats- 
rates wurde  deshalb  auch  die  Reform  der  Finanzverwaltung  in  Er- 
wägung gezogen.  Ueber  die  Notwendigkeit  einer  Trennung  der 
politischen  Verwaltung  von  jener  der  Finanzen  waren  die  meisten 
Mitglieder  des  Staatsrathes  einig.  Nur  Graf  Haugwitz  verfocht  die 
Beibehaltung  des  Wirkungskreises  des  Directoriums  in  dem  von  ihm 
geschaffenen  Umfange.  Das  wesentlichste  Verdienst  um  Klärung  der 
Ansichten  erwarb  sich  Kaunitz,  der  in  einer  meisterhaften  Denkschrift, 
die  sich  auf  alle  Fragen  der  Verwaltung  erstreckte,  in  erster  Linie 
aber  jene  der  Finanzen  beleuchtete,  auf  die  bisherigen  vielen  Gebre- 
chen aufmerksam  machte.  Die  Erblande ,  legte  er  dar ,  seien  noch 
niemals  in  einer  vollkommenen  Verbindung  unter  sich  gestanden,  sie 
hatten  ihre  besondere  Regierung  und  Verfassung.  Eine  nicht  ganz  zu 
missbilligende  Eifersucht  war  bei  den  Ständen  und  Stellen  der  „  Antrieb 
sich  abgesondert  und  ihre  Privilegien  aufrecht  zu  halten".  Der  Sou- 
verän wurde  in  diesem  Vorurtheile  erzogen  und  „von  seinen  Bedienten 
unterhalten".  Das  Unternehmen  einer  Vereinigung  schien  theils  zu 
gefährlich,  theils  zu  hart,  der  Nutzen  wurde  nicht  eingesehen  bis  die 
Kaiserin  die  so  heilsame  als  herzhafte  Entschliessung  gefasst  habe, 
eine  Verbesserung  des  bisherigen  Staatssy  stein  s  zu  unternehmen  und 
die  Theile  mit  dem  Ganzen  zu  verbinden.  Kaunitz  hatte  hiebei  die 
Reformen  im  Jahre  1749  im  Auge;  allein  man  sei,  wie  er  bemerkt, 
von  der  reinen  Verfassung  wieder  abgegangen.  Man  habe  mit  einan- 
der verknüpft,  was  nicht  zu  verbinden  gewesen  wäre.  Seine  Forderung 
geht  auf  Trennung  der  Finanzverwaltung  und  zwar  der  Einnahmen 
von  den  Ausgaben  und  dieser  wieder  von  der  Rechnungslegung.  Mit 
vollem  Rechte  wies  er  darauf  hin,  dass  z.  B.  „der  Banco  die  Ver- 
Avaltung  der  grössten  und  schönsten  Cameralgefälle  in  Händen  habe 
ohne  Oberaufsicht,  ohne  Controlle".  Es  waren  dies  die  sogenannten 
an  die  Bank  verpfändeten  Gefälle,  welche  ihr  zur  Sicherstellung  der 
von  ihr  aufgenommenen  Anlehen  übergeben  wurden,  während  die 
anderen  Gefälle,  die  un verpfändeten,  der  Hofkammer  unterstanden. 
Die  Schaffung  eines  Directoriums  in  publicis  et  cameralibus  hatte  sich 
durchaus  nicht  als  vortheilhaft  erwiesen.  Der  Wirkungskreis  desselben 
war  von  jenem  der  Hofkammer  nicht  scharf  abgegrenzt.  Für  eine 
grosse  Anzahl  staatlicher  Belange  wurden  Commissionen  ins  Leben 
gerufen,  deren  Vorstände  unmittelbar  an  die  Kaiserin  Vorträge  er- 
statten konnten.  Niemand,  bemerkt  Kaunitz  treffend,  habe  sich  in 
der  Monarchie  befunden,  der  mit  der  Sorgfalt  für  die  Totalität  und 
die  allgemeine  Wohlfahrt  des  Staates  beladen  gewesen  wäre;  vor  Allem 
sei  aber  auf  das  „Universale"  das  Augenmerk  zu  richten,  dann  erst 
Mittheilungen  XV.  IG 


242  B  e  e  r. 

auf  das  „Partikulare",  indem  dieses,  wenu  es  auch  an  sich  namhaft 
und  beträchtlich  wäre,  niemals  für  erspriesslich  gehalten  werden  kann, 
wenn  dasselbe  dem  Ganzen  zum  Nachtheil  gereiche.  Kaunitz  weist 
darauf  hin,  dass  es  an  guten  Gezetzen  und  Verordnungen  nicht  fehle, 
die  aber  nicht  gehalten  werden,  „das  Wiener  Gebot  sei  schon  längst  zum 
Sprichworte  geworden"  und  es  wäre  weit  besser,  keine  Verordnungen  zu 
erlassen  als  solche,  die  nicht  befolgt  werden.  Es  gebe  überflüssige 
Bedienungen,  Pensionen  und  Besoldungen;  die  Ehrentitel  und  Stellen 
haben  sich  vom  geheimen  Rath  bis  auf  den  letzen  Bedienten  so  sehr 
gemehrt,  dass  dadurch  ihr  Ansehen  vermindert  worden  sei  und  junge 
Cavaliere  damit  anzufangen  suchen,  womit  sie  endigen  sollen :  mit  der 
geheimen  Rathswürde. 

Die  Arbeit  ist  überhaupt  ein  glänzendes  Zeugnis  wahrhaft  grosser 
staatsmännischer  Auffassung.  Lassen  sich  auch  mancherlei  Einwen- 
dungen im  Einzelnen  erheben,  in  allen  wesentlichen  Punkten  befür- 
wortet Kaunitz  Einrichtungen,  die  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts  in  diesem  Umfange  in  dem  staatlichen  Leben  sich 
durchgerungen  haben.  In  vielen  Fragen  eilt  er  seiner  Zeit  voraus.  So 
betont  er  es,  dass  die  Staatswirthschaft  den  wichtigsten  Gegenstand  des  neu 
zu  errichtenden  Systems  abzugeben  habe  und  dieselbe  nicht  in  allen 
Stücken  nach  der  Privatwirtschaft  beurtheilt  werden  dürfe,  da  bei 
dieser  die  Regel  stattfinde,  dass  die  Ausgaben  nach  den  Einnahmen 
abzumessen  seien,  hingegen  bei  einer  gut  eingerichteten  Staatswirth- 
schaft die  Einkünfte  nach  den  nöthigen  und  nützlichen  Ausgaben  be- 
stimmt werden  müssen.  Mit  Entschiedenheit  wendet  er  sich  gegen 
die  Geheimnisthuerei  des  Banco-Instituts,  weil  vermeintlich  das  edelste 
Kleinod  des  Credits  keiner  Gefahr  auszusetzen  sei,  eine  Ansicht,  die 
bei  den  Berathungen  von  dem  Staatsrathe  Stupan  energisch  vertreten 
wurde.  Seine  Bemerkungen  über  die  zu  ergreifenden  Massnahmen  zur 
Hebung  von  Handel  und  Industrie  sind  gegen  die  engen  Gesichts- 
punkte gerichtet,  die  in  dem  damaligen  Commerzdirectorium  ihre  Ver- 
treter hatten,  und  zeigen  einen  mit  den  wirthschaftlichen  Verhält- 
nissen  vertrauten  Mann,  sei  es ,  wenn  er  auf  die  Notwendig- 
keit statistischer  Tabellen  hinweist,  oder  wenn  er  eine  Centralbe- 
hörde  befürwortet  und  überhaupt  für  die  Erleichterung  des  Verkehres 
eintritt x). 

Das  Ergebnis  der  eingehenden  Berathungen  war  die  Schaffung  von 


!)  Votum  des  Staatakanzlers  vom  20.  Nov.  17G1,  Nachtragsvotum  vom  De- 
zember 1761. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  243 

drei  Finanzpräsidenten 1).  Das  Directoriuru  in  publicis  et  cameralibus  wurde 
in  eine  politische  Verwaltungsbehörde  umgestaltet  und  der  bisherige 
Bancodeputationspräsident,  seit  1759  zugleich  Hofkammerpräsident, 
Graf  Kudolf  Choteck,  der  bisher  auch  mit  dem  Commerzoberdirectorium 
betraut  gewesen  war,  wurde  zum  obersten  Kanzler  der  böhmisch-öster- 
reichischen Hofkanzlei,  welchen  Namen  von  nun  an  die  Centralstelle 
führen  sollte,  ernannt2).  Ausschlaggebend  fürdie  Ernennung  desselben  war 
wahrscheinlich  der  Umstand,  dass  man  sich  zur  Schaffung  einer  selbst- 
ständigen Behörde  für  Handelsangelegenheiten  entschied  und  die  Selbst- 
ständigkeit der  Bancodeputation  wesentlich  einschränkte.  Zum  Präsi- 
denten der  Hofkammer,  mit  welcher  bereits  seit  1759  das  Münz-  und 
Bergwesen  vereinigt  war,  wurde  Graf  Johann  Seyfried  Herberstein 
ernannt,  bisher  an  der  Spitze  der  Landesbehörde  in  Krain.  Die  allge- 
meine Hofkammer    hatte    auch    das    ungarische    Camerale,    sowie    die 


')  In  dem  Handschreiben  vom  23.  Dec.  1761  an  die  drei  Finanzpräsidenten 
wird  gesagt,  dass  das  ganze  Finanzwesen  einer  dreifachen  Verwaltung  unterstehen 
soll :  Hof kammer,  Caisse  generale  und  Rechenkammer.  Arneth  VII  S.  26  bezeichnet 
die  deutsch-erbländische  Creditsdeputation  als  eine  selbstständige  Centralbehörde, 
der  die  Stadtbank  untergeordnet  wurde,  was  unrichtig  ist.  Hatzfeld  führte  anfangs 
den  Titel :  Teutsch-erbländischer-Credits-Deputations-  und  Stadt  wienerscher  Banco- 
präsident.  Handschreiben  an  Hatzfeld,  23.  December  1761 ;  in  demselben  wird 
auch  bemerkt:  Die  Kaiserin  erkenne  wol,  dass  die  Vereinigung  aller  Einkünfte 
in  eine  C'assa  ein  grosses  und  wichtiges  Werk  sei,  allein  dies  lasse  sich  nicht  auf 
einmal  noch  ohne  nothwendige  Vorbereitung  zur  Vollkommenheit  bringen;  man 
müsse  mit  aller  Sorgfalt  vorgehen,  besonders  aber  fürdenken,  dass  dem  Credit 
kein  Abbruch  geschehe.  Der  Stadtbanco  sei  daher  bei  seiner  Verfassung  zu  be- 
lassen, jedoch  für  denselben,  sowie  über  die  deutsch. -erb! ändische  Creditsdepu- 
tation nur  ein  Präsident  gesetzt,  damit  durch  Vereinigung  des  doppelten  Prae- 
sidii  unter  ein  Capo  das  Fundament  gelegt  werde,  worauf  eine  vollkommene 
Union  zu  begründen  sei  und  wohin  alle  übrigen  Credit-Cameral-  und  Contri- 
butionalfonde  sobald  als  möglich  nach  und  nach  einzuleiten  seien.  —  Die  An- 
sicht des  Staatskanzlers  hatte  nicht  den  Sieg  davon  getragen,  jene  Stupan's,  wie 
es  scheint,  Eindruck  gemacht.  Stnpan  hatte  beantragt,  dass  die  k.  k.  Hofkam- 
mer auf  dem  alten  Fuss  hergestellt,  bei  derselben  die  Haupt-,  Militär-  und 
Cameralcassa  aufgerichtet,  in  diese  aber  alle  Einkünfte  des  Staates  einfliessen 
und  von  ihr  alle  Hof-,  Militär-  und  Civilerfordernisse  bestritten  werden  sollen. 
Die  Hof  kammer  hätte  für  die  Einkünfte,  die  Contröle  generale  aber  als  Central- 
finanzdirection  für  die  Ausgaben  zu  sorgen,  das  Universal-Militär-  und  Cammeral- 
zahlamt  wäre  zu  instruiren,  keine  Zahlungen  zu  leisten,  die  nicht  durch  die 
Contröle  generale  angewiesen  seien;  Bancocassa  und  Schuldencassa  seien  nicht 
mit  den  übrigen  Staatseinkünften  zu  vermischen,  da  sonst  eine  Schwächung  des 
Credits  zu  befürchten  wäre  (16.  Febr.  1761).  Kaunitz  dagegen  sprach  sich  für 
eine  Einbeziehung  des  Banco,  sowie  für  eine  Vereinigung  aller  Fonds  aus.  (Vo- 
tum 27.  November  1761). 

-)  Da  Ihrer  Majestät  Augenmerk  bei  Hofstellen  sei  dasjenige,  was  seiner  Natur 

16" 


244  Beer. 

bisher  vom  Directoriurn  in  publicis  et  cameralibus  übertragenen  deut- 
schen Cameralangelenheiten  zu  besorgen.  Graf  Carl  Friedrich  Hatzfeld, 
der  als  Beisitzer  der  Kepräsentation  und  Kammer  in  Prag  Gelegenheit 
o-ehabt  hatte,  sich  mit  den  wirthschaftlichen  und  finanziellen  Verhält- 
nissen  des  Landes  bekannt  zu  machen  und  später  eine  Zeit  lang  als 
böhmischer  Appellationspräsident  thätig  war,  wurde  zum  Präsidenten 
der  Ministerialbancodeputation  und  bald  darauf  der  Generalcassen- 
direction  ernannt.  Zum  Präsidenten  der  Rechnungskammer  wurde 
Graf  Zinzendorf,  ein  Günstling  des  Grafen  Kaunitz,  bestimmt 1).  Die 
Finanzpräsidenten  erhielten  12000  fl.  Gehalt  8). 

Die  im  Jahre  1761  beschlossene  Neuordnung  beruhte  auf  einer 
Dreitheilung:  Verwaltung,  Geld  und  Rechnung.  Der  Hofkammer  wurde 
die  Oberaufsicht,  Direction  und  Verbesserung  aller  sowol  „freien,  als 
verschuldeten  Cameral-  und  Contributionsgefälle"  übertragen.  S.e  hatte 
daher  für  die  Herbeischaffung  der  Staatseinnahmen  zu  sorgen  und  die 
Ausgaben  anzuordnen,  welche  für  den  öffentlichen  Staatsauf  wand  sich 
als  notwendig  erwiesen.  Die  gesammten  Einnahmen  des  Staates  sollten 
der  allgemeinen  Cassa  zufliessen,  welche  von  nun  an  alle  Zahlungen 
zu  leisten  hatte,  ohne  jedoch  ausser  der  ihr  anvertrauten  Besorgung 
der  gesammten  öffentlichen  Credite  in  die  Verwaltung  einzugreifen. 
Endlich  wurde  die  Rechenkammer  errichtet,  welche  mit  der  Prüfung 
der  empfangenen  und  ausgegebenen  Gelder  betraut  wurde,  demnach 
die  allgemeine  Controle  über  die  beiden  anderen  Centralstelleu  zu 
führen  hatte  3). 

Wie  sehr  die  Kaiserin  die  grosse  Tragweite  der  Neuorganisation 
erfasst  hatte,  geht  aus  vielen  Handschreiben  jener  Tage  hervor.  Die 
Grundsätze,  worauf  die  Reform  beruhte,  erschienen  ihr  als  die  rich- 
tigen und  in  der  ersten  Zeit  war  sie  jeder  auch  der  geringfügigsten 
Aenderung  abhold  und  fortwährend  bemüht,  die  Schwierigkeiten,  welche 


nach  nicht  unter  die  Oberverwaltung  gehört,  von  einander  zu  trennen  und  dasjenige, 
was  von  gleicher  Eigenschaft  ist  und  beisammen  bleiben  kann,  untereinander  zu 
verbinden,  so  sollen  die  Politica  von  der  obersten  Justiz  abgesondert  bleiben 
und  die  oberste  politische  Stelle  nicht  mehr  mit  Cameral-  und  commissariatlichen 
Geschäften  vereinigt  sein.     V^iener  Zeitung  11.  Januar  1762. 

1)  Für  das  bisher  dem  Directoriurn  in  pub.  et  cameralibus  anvertraute  Militär- 
Oeconomiewesen  wurde  eine  eigene  unmittelbare  Commissariat-  und  Proviant- 
Hofcommisbion  unter  dem  geh.  Rath  Joh.  von  Chotek  gebildet. 

2)  Handschreiben  vom  25.  Febr.  1762.  Die  100/0  betragende  Arrha  wurde 
ihm  vergütet. 

3)  Die  kaiserl.  Resolution  vom  23.  Dezember  1761  abgedruckt  Ludwig  und 
Karl  Zinzendorf  s  Selbstbiographie,  herausgegeben  von  Pettenegg,  Wien  1879,  S.  86. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  174!»  —  1816.  245 

der  Durchführung  entgegenstanden,  zu  beseitigen.  Die  Befugnisse  der 
neugeschaffenen  Centralstellen  mussten  erst  genau  abgegrenzt  werden, 
was  nicht  ohne  Beibungen  erfolgt  zu  sein  scheint,  denn  die  Kaiserin 
sieht  sich  genöthigt,  Ziel  und  Aufgabe  der  einschneidenden  Umge- 
staltung darzulegen  und  den  Wirkungskreis  der  Behörden  zu  um- 
schreiben l).  Trotzdem  erfolgte  die  vollständige  Vereinigung  der  Finanz- 
verwaltung bei  der  Hofkammer  nicht.  Das  Contributionale  blieb  bei 
der  böhmisch-österreichischen  Hofkanzlei,  der  Banco  behielt  die  Ad- 
ministration der  verpfändeten  Gefälle  und  die  Hofkammer  blieb  daher 
auf  das  Bergwesen  und  auf  die  unverpfändeten  deutschen  und  unga- 
rischen Cameral-  Einnahmen  beschränkt.  Die  Militärkassen  wurden 
durch  eine  kaiserliche  Entschliessuug  den  allgemeinen  Cassen  entzogen, 
das  Schuldenwesen  wieder  unter  Oberdirection  des  Kaisers  verwaltet2.) 
Die  Bestrebungen   des  Grafen  Herberstein  die  in    der  Verwaltung  der 


')  Vergl.  das  am  8.  März  1762  präsentirte  Handschreiben  der  Kaiserin.  Wie 
sehr  die  Kaiserin  auf  der  strikten  Durchführung  beharrte,  geht  auch  daraus  her- 
vor, dass  Graf  Seyfried  Herberstein  in  einem  Vortrage  vom  12.  Februar  1762  bat, 
den  gegenwärtigen  Zustand  noch  ein  Jahr  lang  zu  belassen  und  die  Kassen  so- 
wie die  Buchhaltung  des  Münz-  und  Bergwesens  nicht  alsogleich  den  neuen  Be- 
hörden überweisen  zu  müssen,  da  er  allzu  kurz  im  Amte  sei  und  daher  noch 
nicht  in  der  Lage  sei,  sich  mit  den  Verhältnissen  des  Münz-  und  Bergwesens 
bekannt  zu  machen.  Die  Kaiserin  gieng  jedoch  nicht  darauf  ein.  Ich  habe 
bereits  Meine,  nach  reifer  Ueberlegung  gefassten  Beschlüsse,  lautet  die  Ent- 
schliessung,  ganz  deutlich  bekannt  gemacht  und  beharre  unabänderlich,  dass 
Meine  Kammer  sich  künftig  blos  und  allein  mit  der  Oberaufsicht  und  Admini- 
stration aller  Meiner  Gefällen  beschäftigen  und  das  Kassa-  und  Rechnungswesen 
abgesondert  bleiben  solle. 

■)  Durch  Handschreiben  vom  24.  September  1763  wurde  Graf  Hatzfeld  von 
der  Kaiserin  verständigt,  dass  ,Ihro  Maj.  der  Kaiser  die  Administration  der  neuen 
Schuldencassa  zu  übernehmen  belieben  wollen« ;  sdie  von  denen  administrirenden 
Stellen  einzubringenden  Gelder  und  Fonds  d"  araortissement,  so  der  erwähnten 
neuen  Schuldencassa  gewidmet  sind,  die  Finanzoperationen  so  damit  zu  machen, 
die  Art  diese  Gelder  so  damit  zu  verwenden,  und  er  selbsten  wird,  insoweit  es 
diese  Cassa  betrifft,  der  Disposition  und  Anordnung  Ihro  Majestät  des  Kaisers 
gänzlich  untergeben  sein«.  Die  Aufsicht  über  die  Staatsschulden  führte  bis  zu 
seinem  Tode  Kaiser  Franz,  der  sich  überhaupt  um  die  Ordnung  des  Staatshaus- 
haltes, namentlich  aber  um  das  Münzwesen  die  grössten  Verdienste  erworben  hat. 
Die  einflussreiche  und  vom  Erfolge  gekrönte  Wirksamkeit  dieses  Mannes  ist  bis- 
her noch  nicht  gehörig  gewürdigt  worden.  Eine  grosse  Anzahl  von  Schriftstücken, 
eigenhändig  in  französischer  Sprache  geschrieben,  gewährt  einigen  Aufschluss 
über  die  unter  seiner  Mitwirkung  durchgeführten  Reformen  namentlich  auf  dem 
Gebiete  des  Münzwesens.  Auch  widmete  er  in  Zeiten  der  Noth  nicht  unbedeu- 
tende Summen  für  Staatszwecke.  Nach  seinem  Tode  erhielt  Hatzfeld  das  ganze 
Staatsschuldenwesen.     (Handschreiben  an  Hatzfeld  21.  Oct.  1765.) 


24(3  Beer. 

Bancodeputation    stehenden    Gefälle    der   Hofkamrner    zu    überweisen, 
blieben  ohne  Erfolg  1). 

Der  Präsident  der  Bancodeputation  war  angewiesen,  die  Sitzungs- 
protokolle ausnahmslos  dem  Kammerpräsidenten  zu  übersenden,  damit 
dieser  entweder  zustimme  oder  etwaige  Erinnerungen  mache.  In  letz- 
terem Falle  sollte  eine  Zusammentretung  der  beiden  Präsidenten  statt- 
finden, und  wenn  eine  Einigung  stattfand,  wurde  blos  das  Protokoll 
zur  Approbation  der  Kaiserin  überreicht,  kam  aber  ein  Beschluss  nicht 
zu  Stande,  musste  ein  gemeinschaftlicher  Vortrag  erstattet  und  die 
verschiedenen  Ansichten  dargelegt  werden.  Die  Bancodeputation  war 
nicht  berechtigt,  in  der  Administration  eines  Gefälles  ohne  Einver- 
nehmung der  Hofkammer  eine  Veränderung  vorzunehmen.  Viertel- 
jährlich mussten  die  Ausweise  über  die  Einnahmen  der  Hofkammer 
vorgelegt  und  am  Jahresschlüsse  der  Kechnungskammer  ordentliche 
Rechnung  gelegt  werden  2). 

Differenzen  zwischen  den  Finanzstellen  und  der  böhmisch-österrei- 
chischen Kanzlei  über  die  Frage,  welche  Behörde  in  reinen  Cameral- 
sachen  Verordnungen  an  die  Gubernien  zu  erlassen  habe,  machten 
sich  bemerkbar.  Die  Hofkanzlei  hatte  bereits  in  einem  Vortrage  vom 
5.  October  1762  auf  die  Verwirrung  aufmerksam  gemacht,  wenn 
an  die  der  Hofkanzlei  allein  unterstehenden  Landesgubernien  und 
Stände  kaiserliche  Befehle  oder  gar  Normalien  ohne  ihr  Vorwissen 
gelangen,  und  gleichzeitig  die  Bitte  gestellt,  dass  die  Finanzstellen 
mit  der  Hofkanzlei  diesbezüglich  concertiren  sollen.  Dem  entsprechend 
erfolgte  auch  eine  kaiserliche  Entschliessung  am  19.  October  1762. 
Allein  damit  war  die  Angelegenheit  nicht  abgethan,  und  die  Hof- 
kanzlei wendete  sich  abermals  in  derselben  Angelegenheit  an  die  Mo- 
narchin. In  einem  Vortrage  vom  24.  November  1764,  worin  sie  be- 
merkte, „sie  wolle  ganz  gerne  geschehen  lassen,  dass  in  puris  Carne- 
ralibus  die  Finanzstellen  auch  unmittelbar  an  die  Länder-Dicasterien, 
allein  doch  niemals  an  die  Stände  expediren  mögen",  wurde  in 
Anspruch  genommen,  dass  bei  Erlässen,  welche  die  Publica  politica 
betreffen,  die  Unterschrift  des  Hofkanzlers  notwendig  sei.  Durch  Hand- 
schreiben vom  14.  März  1764  an  den  Grafen  Herberstein  verfügte  die 
Kaiserin:  „Nachdem  bey  den  Landes-Gubernien  zeithero  ein  so  an- 
deres Missverständniss  aus  Veranlassung  der  abgelofenen  Resripten 
und  Verordnungen  sichergeben",  so  habe  sie  zu  künftiger  Hindan  haltung 


1)  Vergl.  Handschreiben  vom  31.  März  1762. 

2)  Handschreiben    an     den    Grafen    Heiberstein     ohne    Datum ,    praes.    den 
20.  Februar  1762. 


Die  Fiuanzvenvaltung  Österreichs  1749—1816.  247 

derlei  Anstössigkeiten  zu  resolviren  befunden,  „dass  von  den  Finanz- 
Stellen  weitershin  zwar  an  die  unterhabende  Aemter  in  den  Ländern 
die  Befehle  und  Verordnungen  wie  zeithero  ausgefertiget,  dahingegen 
von  nun  an  keine  Resripten  oder  Anordnungen  an  die  Landes-Gu- 
bernien  ohnuiittelbar  von  ihnen  erlassen,  sondern  alles,  was  von  ihnen 
au  solche  zu  ergehen  hat,  durch  die  Böhmisch-Oesterreichische  Cauzley 
auf  dem  Fuss,  wie  solches  unter  dem  vormaligen  Directorio  geschehen 
und  von  dem  Commercien-Rath  auch  noch  gegenwärtig  beobachtet 
wird,  jedesmal  expedirt,  sofort  die  Expeditionen  nebst  dem  obersten 
Canzler  zugleich  von  dem  Präsidenten  der  betreffenden  Finanzstelle 
mit  unterfertigt  werden  sollen.  Wornach  also  von  der  Cammer  der 
Verhalt  zu  nehmen  ist,  allermassen  die  Rechen-Cammer  und  Cassen- 
Direction  in  der  nämlichen  Gleichförmigkeit  untereinstens  anweise'1  1). 
Aehnlich  ein  Handschreiben  an  Hatzfeld  vom  selben  Tage. 

Graf  Hatzfeld  wurde  in  seinen  Bestrebungen  nach  Schaffung  einer 
einheitlichen  Finanzverwaltung  von  dem  Präsidenten  der  Hofrechen- 
karnmer,  Grafen  Ludwig  Zinzendorf,  unterstützt.  In  einem  gemein- 
schaftlichen Elaborate  befürworteten  sie  die  strikte  Durchführung  der 
einmal  angenommenen  Grundsätze   und  bekämpften   den    Einfluss   der 


l)  Eine  ähnliche  EntSchliessung  der  Kaiserin  war  auf  einen  von  Hat-feld 
am  21.  Mai  1764  erstatteten  Vortrag  erfolgt,  dahin  gehend:  »um  die  Anstössig- 
keiten  bei  der  Correspondenz  mit  den  Länderstellen  zu  beheben,  haben  die  Stellen 
zur  genauen  Richtschnur  zu  nehmen,  dass  sie  die  Schranken  der  ihnen  einge- 
räumten Activität  nicht  überschreiten  und  jene  Geschäfte,  welche  in  mehrere 
Departements  einschlagen,  gemeinschaftlich  concertiren,  und  gleichförmig  expe- 
diren,  auch  wenn  von  den  Länder-Stellen  die  Berichte  unrecht  dirigirt  werden, 
solche  ohne  mindesten  Aufenthalt  der  betreffenden  Stelle  brevi  manu  zu  schicken, 
und  ein  gleiches  auch  in  dem  Fall  beobachten  sollen,  wenn  von  Mir  ein  Vortrag, 
oder  eine  Auskunft  von  einem  Präsidenten,  oder  Stelle  anverlanget  würde,  das 
Geschäft  aber  gänzlich ,  oder  zum  Theil  in  ein  anderes  Departement  ein- 
schlagte. 

So  viel  die  Rescripta  selbst,  und  die  Verordnungen  an  die  Länder- Gubernia 
anbetrift,  da  hat  zwar  de  Regula  die  Canzley  allein  die  Expeditiones  zu  erlassen, 
weilen  aber  auch  verschiedene  Anordnungen  von  den  Finanz-Stellen  dahin  ge- 
machet werden  müssen,  so  will  Ich  hiebey  künftig  beobachtet  wissen,  dass  solche 
jedesmal  der  Canzley  zur  vorläufigen  Einsicht  hinüber  gegeben,  und  hernach  erst 
mit  der  vorhin  angeordneten  Mitunterschrift  des  Obristen  Canzlers,  und  respective 
Vice-Kanzlers  expediret  werden  sollen,  wohingegen  jene  Finanz- Expeditionen, 
welche  allein  die  Bergbau-  und  münzämtliche  Manipulation,  das  Buchhalterey- 
oder  Cassa-Weesen  betrefen,  folglich  mit  dem  Publico-politico  oder  Provinziali, 
keinen  Zusammenhang  haben,  von  den  Finanz-Stellen  temers  an  die  Gubernia  zu 
erlassen  sind,  nur  die  Montanistica  in  Kärnten,  und  Crain  ausgenommen,  wo  die 
Anordnungen  gerade  an  die  Aemter  abgehen  mögen«.  Gleichlautend  ein  Hand- 
schreiben an  Herberstein  27.  Mai  1764. 


248  B  e  e  r- 

Hofkanzlei  iu  Finanzangelegenheiten.  Da  sich  die  gesainniten  Con- 
tributionen  bei  dieser  Centralstelle  bestanden  und  auch  die  übrigen 
Auflagen  in  einem  grösseren  oder  geringeren  Zusammenhange  mit  den 
ständischen  Angelegenheiten  waren,  so  konnte  von  den  Finanzstellen 
ohne  Zuthun  der  Kanzlei  strenge  genommen  keine  Verfügung  ge- 
troffen werden.  Langsamkeit  und  Verzögerung  der  Geschäfte,  unnö- 
thige  Schreibereien  waren  die  Folge.  In  dem  Vortrage  wurde  der 
Kaiserin  dargelegt,  dass  die  böhmisch-östen  eichische  Hofkanzlei  ihrer 
Natur  nach  nichts  als  eine  politische  Stelle  sei,  welche  sich  von  jeher 
in  dem  Besitze  des  ständischen  Vertrauens  zu  erhalten  gesucht  und  die 
Klagen  der  Stände  Allerhöchstenorts  geltend  gemacht  und  unterstützt 
habe.  Von  ihrer  Mitwirkung  hingen  alle  wichtigen  Finanzangelegen- 
heiten ab.  Für  das  Contributionale,  die  Erbsteuer,  die  Schulden-  und 
Interessensteuer  sei  sie  die  eigentlich  administrirende  Stelle  und  daher 
erklärlich,  dass  aus  einer  solchen  Einrichtung  kein  Vortheil  für  die 
Finanzen  erwachsen  könne.  Wol  finden  zwischen  den  verschiedenen 
Centralstellen  Zusammentretungen  statt,  allein  der  Vollzug  der  zu 
treffenden  Massnahmen  werde  dadurch  gehemmt.  So  z.  ß.  sei  die 
Publication  des  Fleischkreuzerpatentes  bereits  vor  einem  Jahre  von 
der  Kaiserin  genehmigt  worden,  aber  in  Oesterreich  ob  der  Enns  bis 
vor  wenigen  Wochen  die  Veröffentlichung  verweigert,  in  Kärnthen  bis 
zur  Stunde  hintertrieben  worden.  Ein  Fehler  der  Organisation  be- 
stünde auch  darin,  dass  bei  Absonderung  der  Cameral-  nnd  Bancal- 
gefälle  Einkünfte  einerlei  Gattung  sich  unter  einer  verschiedenen  Ver- 
waltung befinden.  Die  ungarischen  Mauthgefälle  werden  ungemein 
schlecht  administrirt.  Die  Vereinigung  derselben  mit  der  Hofkammer 
wäre  ebenfalls  notwendig  und  für  die  Wohlfahrt  der  deutschen  Erb- 
lande von  Wichtigkeit.  Nur  durch  Vereinfachung  der  Verwaltung 
könnte  eine  Besserung  erzielt  werden.  „Alle  in  verschiedenen  Händen 
befindlichen  Gegenstände  einer  Art  sollen  so  viel  möglich  in  einer 
Hand  vereinigt,  die  Administration  sämmtlicher  Gefälle  müsse  von 
einer  Centralbehörde  besorgt  werden",  die  Cassadirection  sowie  die 
Bancodeputation  und  die  Hofkammer  sollen  wol  in  ihrer  bisherigen 
Verfassung  verbleiben,  oder  einem  Präsidenten  untergeben  werden.  Die 
Eechenkammer  sei  aufrecht  zu  erhalten,  jedoch  dahin  zu  beschränken, 
dass  sie  auf  die  Vollziehung  der  Geschäfte  nicht  hemmend  einwirke, 
Während  durch  die  Ende  Dezember  1761  getroffene  Organisation  drei 
Finanzpräsidenten  geschaffen  wurden,  sollten  daher  künftig  nur  zwei 
die  gesammte  Finanzverwaltung  besorgen:  ein  Hofkammerpräsident, 
dem  die  Administration  des  Contributionale  und  sämmtliche  Cameral- 
gefälle,    die  Direction  des  Banco    und  der  Generalcasse    zu  übergeben 


Die  Vinauzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816'.  949 

seien,  und  der  Präsident  der  Kechenkaminer.  Die  Au  tragsteiler  griffen 
zur  Begründung  dieses  Antrages  auf  die  Einrichtung  vor  1703  zurück, 
darauf  hinweisend,  dass  bis  dahin  das  gesammte  Finanzwesen  unter 
Einem  Präsidenten  gestanden  habe.  Die  bei  den  Berathungen  bekämpfte 
Vereinigung  der  Bancodeputation  mit  der  Hofkammer  unter  einem 
Präsidenten,  indem  dadurch  der  Kredit  des  Banco  geschädigt  werden 
dürfte,  wurde  mit  dem  Hinweise  widerlegt,  dass  Graf  Rudolf  Chotek 
diese  beiden  Präsidien  vereinigt  hatte.  Es  fragte  sich  nur,  ob  eine 
Kraft  im  Stande  sei,  die  grosse  Last  zu  bewältigen.  Hatzfeld  und 
Zinzendorf  beriefen  sich  auf  die  Hofkammer-Instruction  vom  Jahre 
1717,  worin  angeordnet  war,  dass  die  weniger  wichtigen  Agenden 
ohne  Mitwirkung  des  Präsidenten  in  verschiedenen  Kommissionen  be- 
sorgt werden  sollen;  nur  sollte  der  Hofkammerpräsident  allwöchent- 
lich in  eiuer  Plenarversammlung  die  wichtigen  Dinge  berathen  lassen. 
Jeder  Kommission  —  es  wurden  deren  vier  in  Vorschlag  gebracht  — 
sollte  ein  Vicepräsident  vorstehen,  der  Plenarversammlung  die  Be- 
schlussfassung vorbehalten  bleiben  über  alle  Angelegenheiten,  worüber 
zwischen  zwei  Stellen  ein  Widerspruch  bestehe,  ferner  über  jene,  die 
in  das  Ressort  mehrerer  Ceutralstellen  gehören,  endlich  über  alle  wich- 
tigen Angelegenheiten,  die  bei  den  gewöhnlichen  Rathssitzungen  in 
Abwesenheit  des  Präsidenten  nicht  zum  Abschluss  gebracht  werden 
können. 

Die  Kontribution  sei,  insolange  die  Bewilligung  der  Stände  nicht 
erfolgt  sei,  ein  Gegenstand  der  politischen  Stelle,  die  Eintreibung 
und  Erhebuug  jedoch  stehen  einzig  und  allein  dem  Finanzminister 
zu.  Die  Postulirung  und  Bewilligung  der  Contribution  hätte  die 
Kammer  im  Einverständnisse  mit  der  Rechenkammer  bekannt  zu 
geben  und  das  gemeinschaftliche  Protokoll  zur  Allerhöchsten  Ent- 
Schliessung vorzulegen,  die  Kanzlei  hätte  dieselbe  den  Ständen  zu 
übermitteln  und  die  Bewilligung  einzuholen,  etwaige  Anstände  der- 
selben wären  durch  gemeinsame  Berathung  zu  beheben  und  abermals 
eine  EntSchliessung  zu  erbitten,  die  Eintreibung  der  bewilligten  Kon- 
tribution bliebe  ausschliesslich  der  Kammer  überlassen  und  durch  die 
Gubernien  zu  besorgen.  Dasselbe  gelte  von  der  Erbsteuer,  von  der 
Interessen-  und  Schuldensteuer,  von  sämmtlichen  ständischen  Admini- 
cularfonds  und  Supererogaten :  das  ständische  Kreditwesen,  wofür  das 
Aerar  zu  haften  habe,  solle  den  Finanzstellen  zugewiesen  werden  und 
die  Kanzlei  damit  nichts  zu  thun  haben,  nur  sei  ihr  zu  gestatten, 
Anzeige  bei  der  Kaiserin  zu  machen,  wenn  sie  erführe,  dass  dem 
ständischen  Kredit  zu  nahe  getreten  werde.  Das  ständische  Domestical- 
Schuldenwesen  habe  der  Kanzlei  zu  verbleiben,  die  Finanzstellen  seien 


250  Beer. 

jedoch  von  dem  Stande  desselben  zu  unterrichten.  Keinem  Lande 
wäre  die  Vermehrung  der  Domestical  -  Schulden  ohne  Einverneh- 
mung der  Finanzstelle  zu  gestatten.  Verwaltung,  Berechnung  und 
Revision  der  ständischen  Kassen  seien  ein  gemeinschaftlicher  Gegenstand 
der  Kanzlei  und  der  Finanzstellen  und  es  sei  noth wendig,  sämmtliche 
ständischen  Buchhaltereien  der  Rechenkammer  zu  subordiniren.  Ueber 
die  Proportion  der  Länderkontribution  nebst  dem  Exaequatorio  und 
Rectificatorio  müsse  die  Kanzlei  bei  ihrer  Kenntnis  der  verschiedenen 
Länder,  sowie  über  die  Proportion  derselben  gegen  einander,  von  dem 
Erträgnis  der  Herrschaften,  Güter  und  Gründe,  worauf  diese  Abgaben 
gebaut  sind,  am  verlässlichsten  unterrichtet  sein,  es  wäre  folglich 
nützlich,  dies  der  Kanzlei  zu  überlassen;  da  jedoch  unendlich  daran 
gelegen  sei,  dass  kein  Land  beschwert  werde,  so  solle  ein  Hofrath  der 
Rechenkammer  beigezogen  werden.  Ständische  Gravamina  verblieben 
der  Kanzlei,  die  Untersuchung  derselben  sei  jedoch  eine  gemeinschaft- 
liche Angelegenheit  der  Stellen.  Die  ständischen  Privilegien,  insolange 
sie  das  Aerar  nicht  direkt  oder  indirekt  betreffen,  unterstünden  der 
Kanzlei,  im  letzteren  Falle  aber  sind  die  Finanzstellen  einzuvernehmen x). 

Die  in  dem  Vortrage  vom  11.  September  1764  gemachten  Vor- 
schläge über  die  Einrichtung  der  Fiuanzstellen  erregten  bei  der  Kai- 
serin einige  Bedenken  und  sie  beauftragte  ihren  geheimen  Cabinets- 
sekretär  Neny,  dieselben  dem  Grafen,  Hatzfeld  zur  Kenntnis  zu 
bringen.  Drei  Punkte  waren  es  namentlich,  die  sie  nicht  befriedigten: 
die  Beibehaltung  der  Generalcassadirection,  die  nicht  genügsame  Ein- 
schränkung der  Controlle  der  Rechenkammer,  endlich  dass  der  böhmi- 
schen Kanzlei  allzu  viel  Einfluss  auf  die  ständischen  Angelegenheiten 
belassen  worden  sei.  Die  Beibehaltung  der  Cassadirection  sei  unnöthig 
und  die  Geschäfte  könnten  von  der  Hofkammer  besorgt  werden,  die 
Controlle  der  Rechenkammer  verursache  viele  Weitläufigkeiten,  endlich 
gebe  der  Einfluss  der  böhmischen  Kanzlei  auf  die  ständischen  Ange- 
legenheiten zu  vielen  Verzögerungen  Anlass. 

In  seiner  im  November  übersehenen  Erläuterung  bemerkte  Hatz- 
feld,  die  Aufhebung  der  Cassadirection  sei  nicht  angerathen  worden, 
weil  man  sich  „zum  Endzweck  gesetzt",  diese  Abänderung  auf  eine 
solche  Art  einzuleiten,  dass  sie  bei  dem  in-  und  ausländischen  Pub- 
likum kein  allzugrosses  Aufsehen  erwecke,   mittlerweile  sei  jedoch  der 


l)  Allerunterthänigste  Vorschläge  über  die  Einrichtung  des  Finanzwesens 
und  Verbesserung  des  gegenwärtigen  Finanzsystems  vom  11.  September  1764 
unterzeichnet  Graf  v.  Hatzfeld  und  Graf  v.  Zinzendorf.  Die  Arbeit  ist  das  Werk 
Zinzendorfs.     Vergl.  die  Note  im  Anhange. 


Die  Finanzvorwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  251 

Antrag  auf  Aufhebung  der  Generalcassadirection  gestellt  worden  durch 
Vereinigung  derselben  mit  der  Hofkammer  unter  einem  Präsidenten. 
Wenn  diese  erfolgt  sei,  können  die  sämmtlichen  Centralstellen  durch 
ein  Handschreiben  angewiesen  werden,  alle  Cassenangelegenheiten  an 
die  Hofkammer  zu  leiten,  wodurch  sich  stillschweigend  diese  Aufhebung 
ergeben  würde.  Eine  Einschränkung  der  Rechenkammer  konnte  damals 
von  Hatzfeld  aus  dem  Grunde  nicht  beantragt  werden,  da  er  gemein-  ■ 
schaftlich  mit  dem  Präsidenten  den  Vortrag  an  die  Kaiserin  erstattet 
hatte,  aber  er  beschwichtigte  die  Herrin,  dass  eine  Einschränkung 
insoferne  erfolgt  sei,  indem  die  Mitwirkung  der  Rechenkammer  nur 
auf  ganz  wichtige  Dinge  und  Pensionsertheilungen  sich  erstrecke.  Die 
administrirende  Stelle  hätte  sich  künftig  an  die  Rechenkammer  zu 
wenden,  so  oft  sie  von  der  Buchhalterei  ein  Gutachten  über  „  zukünftige 
Dinge "  abzufordern  nöthig  haben  werde.  Die  Mitwirkung  der  Kanzlei 
bei  den  ständischen,  die  Finanzen  betreffenden  Angelegenheiten  ziehe 
allerdings  eine  gewisse  Langsamkeit  nach  sich,  „allein  ein  so  grosses 
Werk  und  die  Einrichtung  einer  aus  so  vielen  und  mit  verschiedenen 
Privilegien  versehenen  Staaten  zusamuiengesetzten  Monarchie  könne 
unmöglich  zu  letzter  Vollkommenheit  gebracht  werden",  und  man  könnte 
nur  dadurch  Abhilfe  schaffen,  wenn  man  der  Hofkammer  das  ständische 
Finanzwesen  „privative"  überweisen  würde,  aber  eine  derartige  Ver- 
einigung würde  den  Ländern  oder  den  Finanzen  gefährlich  sein.  Denn 
denke  der  Minister  allzu  sehr  auf  Vermehrung  der  Einkünfte,  so  sind 
die  Länder  einer  nicht  geringen  Bedrückung  ausgesetzt,  sei  hingegen 
dieser  Minister  von  den  Privilegien  der  Stände  übermässig  einge- 
nommen, so  erleiden  die  Finanzen  Abbruch,  wogegen,  wenn  die  Kanzlei 
und  die  Kammer  die  ständischen  Angelegenheiten  gemeinschaftlich 
besorgen,  so  werde  die  Kanzlei  alles  beibringen,  was  das  Wohlsein 
der  Länder  erheische  und  die  Kammer  werde  auf  „Erhebung  der 
Finanzen*  bedacht  sein.  Dem  Staatsrathe  werde  es  dann  nicht  schwer 
fallen,  ohne  Vorurtheil  das  Wohl  der  Länder  mit  jenem  der  Finanzen 
zu  vereinbaren  und  dem  beiderseitigen  Eifer  dieser  Stellen  durch  eine 
Allerhöchste  Entscheidung  Schranken  zu  setzen ;  die  Vollstreckung  der 
Allerh.  Entscheidung  müsse  jedoch  der  Kammer  überlassen  bleiben. 
Hatzfeld  befürchtete  nämlich,  wenn  eine  gemeinschaftliche  Berathung 
mit  der  Kanzlei  nicht  eintreten  würde,  „  Beschwernisse  ■  bei  der  Durch- 
führung der  von  der  Kammer  angeordneten  und  selbst  Allerhöchsten 
Orts  gebilligten  Massnahmen,  denn  die  Stände  sehen  die  Kanzlei  als 
eine  sie  vertretende  Stelle  an,  diese  würde  dem  Ansuchen  der  Stände, 
eine  beschlossene  Massregel  zu  hintertreiben,  wenn  sie  an  der  Ent- 
scheidung keinen  Antheil  hätte,  Folge   geben.     Sollte  jedoch  der  Be- 


252  B  e  e  r- 

schluss  gefasst  werden,  die  Kanzlei  von  der  Mitberathung  über  das 
ständische  Finanzwesen  auszuschliessen,  dann  schlug  Hatzfeld  vor,  die 
betreffenden  Agenden  theils  der  Hofkammer,  theils  der  obersten  Justiz- 
stelle zu  übergeben  und  zwar  die  Wegreparationssachen,  die  ökonomi- 
schen Angelegenheiten  der  Städte,  das  Commerciale,  die  Publica  und 
Politica  der  obersten  Justizstelle  zu  überweisen  x). 

Die  in  dem  Vortrage  Zinzendorf's  und  Hatzfeld's  in  Anregung 
gebrachten  Fragen  wurden  in  einer  ausserordentlichen  Commission 
unter  dem  Vorsitze  von  Kaunitz  berathen.  Die  vorgebrachten  Be- 
denken, namentlich  aber  der  Einwand,  class  die  Ueberweisung  so  vieler 
Geschäfte  an  eine  Person  eine  Ueberbürdung  zur  Folge  haben  dürfte, 
wurden  von  Hatzfeld  widerlegt ;  „  es  handle  sich  in  der  Hauptsache 
darum,  einen  gleichen  Esprit  einzuführen,  und  er  berufe  sich  diesfalls 
auf  den  Staatsrath,  welcher  derzeit  oftmals  in  einem  und  demselben 
Geschäfte  von  den  Stellen  zwei  verschiedene  Vorschläge  erhalte,  wo- 
durch die  Beurtheilung,  wie  die  Sachen  in  der  That  beschaffen  seien, 
nur  erschwert  werde,  so  dass  man  zuletzt  nicht  wisse,  worauf  eigent- 
lich eingerathen  werden  solle;  er  gedenke  daher  einen  solchen  Geist 
einzuführen,  damit  die  Cameralia  und  Bancalia  so,  als  wenn  sie  von 
einer  und  derselben  Stelle  verhandelt  würden,  tractirt  werden ".  lieber 
die  Beibehaltung  der  bisher  bestehenden  Commissionen  als  Schulden-, 
Interessen-,  Steuer-,  Tabak-  und  Stempelcommission  konnte  sich  Hatz- 
feld nicht  aussprechen,  bevor  er  von  den  näheren  Geschäften  Einsicht 
genommen  haben  werde.  Kaunitz  war  der  Ansicht,  dass  keine  Com- 
mission ihre  Protokolle  und  Anträge  an  die  Kaiserin  unmittelbar  ge- 
langen lassen  solle,  sondern  dieselben  an  die  Hofkammer  abzugeben 
habe,  welche  sodann  ihr  Gutachten  darüber  zu  erstatten  hätte  2). 

Graf  Hatzfeld  erreichte  das  Ziel  seiner  Wünsche.  Die  Kaiserin, 
lautete  eine  Zuschrift  vom  15.  Mai  an  ihn  und  an  den  Grafen  Herber- 
stein, habe  den  Entschluss  gefasst,  „die  Hofkammer  mit  dem  Banco 
unter  einem  Präsidenten  zu  vereinigen  derart,  dass  der  Banco  in  seinen 


')  Erläuterung  des  Bancodeputations-  und  Generalcassa-Directionspräsidenten 
über  die  demselben  im  Namen  Ihro  Majestät  durch  den  geheimen  Cabinets- 
secretär  von  Neny  eröffnete  Zweifel  über  den  gemeinschaftlichen  Vortrag  vom 
11.  September  1764,  die  Errichtung  der  Finanzstellen  betreffend,  übergeben,  circa 
im  Monate  November  1764. 

*)  Protokoll  der  ausserordentlichen  Commission  unter  Vorsitz  des  Fürsten 
Kaunitz  1.  Mai  1765:  Hatzfeld  bemerkte,  dass  die  weitschichtige  Correspondenz 
mit  den  Stellen  Verzögerung  und  Arbeit  erheische ;  ein  beträchtlicher  Theil  der 
Geschäfte  entfalle  ohnehin  durch  Verpachtung  der  hierländiscben  Mauten  und 
des  Handgrafenamtes,  wenngleich  die  Hungarica  und  die  übrigen  Cameralanlicgen- 
heiten  zuwachsen. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  253 

Verrichtungen  abgesondert  bleibe  und  in  Zukunft  Graf  Hatzfeld  beiden 
Centralstellen  vorzustehen  habe".  Die  Generalcassadirection  werde  mit  der 
Hofkammer  ebenfalls  vereinigt,  jedoch  sei  dieselbe  von  einem  Rath  „son- 
derheitlich" zu  besorgen.  Die  Verwaltung  der  Staatsschulden  verbleibe 
abgesondert  und  sei  wie  bisher  fortzuführen.  Die  Vereinigung  der 
gesammten  Finanzverwaltung  werde  von  nun  an  der  Hofkammer 
derart  übertragen,  dass  nicht  nur  das  Contributionale  uud  die  übrio-en 
die  Länder  betreffenden  Angaben,  sondern  auch  alle  Ländergeschäfte, 
welche  in  das  Finanzwesen  einschlagen,  von  der  Hofkammer  allein 
besorgt  und  zur  Execution  gebracht  werden,  der  vereinigten  könio-1. 
böhmischen  und  österreichischen  Hofkanzlei  aber  werde  unbenommen 
sein,  wenn  sie  zum  Besten  der  Länder  etwas  zu  erinnern  finde,  ihr 
diensam  erachtende  Vorstellungen  vorzulegen,  ohne  dass  dies  in  der 
Execution  einen  Verzug  zu  veranlassen  habe. 

In  der  am  18.  Mai  1765  unter  dem  Vorsitze  von  Kaunitz  ab- 
gehaltenen Commissionssitzung  trat  Graf  Hatzfeld  mit  Entschieden- 
heit für  die  Uebertragung  der  Contributionen  von  der  Hofkanzlei  an 
die  Hofkammer  ein,  da  sich  die  erstere  allzu  gefügig  den  Ständen 
gegenüber  erweise.  Hatzfeld  erstrebte  überhaupt  eine  Concentration 
der  Finanzverwaltung  und  beantragte  daher,  alle  damit  im  Zusammen- 
hang stehenden  Angelegenheiten  der  Kammer  zu  überweisen,  so  z.  B. 
auch  den  Bau  der  Strassen.  Die  politische  Stelle  sollte  nur  beurtheilen 
dürfen,  wo  neue  Strassen  zu  bauen  räthlich  sei,  die  Verwenduno-  des 
Wegegefälles  und  der  Fonde  sei  jedoch  Sache  der  Hofkammer,  „da 
diese  wenigstens  die  Präsumption  für  sich  hätte,  von  der  diesfälligen 
Oekonomie  mehr  Einsicht  als  die  politische  Stelle  zu  besitzen."  *).  Hatz- 
feld wies  auch  darauf  hin,  dass  in  In u erÖsterreich,  wo  das  Strassen- 
wesen  zur  Ingerenz  des  Banco  gehörte,  besser  als  sonst  irgendwo  ge- 
führt werde.  Von  andern  Mitgliedern  wurde  mit  Schärfe  hervorgehoben, 
dass  keine  Anordnung  die  Besorgung  des  Contributionswesens  von 
Seite    der  Kanzlei  verfügt  habe. 

Graf  Rudolf  Chotek  erklärte  sich  entschieden  gegen  die  Ueber- 
tragung der  auf  die  Contribution  bezüglichen  Angelegenheiten  an  die 
Holkammer.  Alle  „Neuigkeiten"  der  Regierungsform,  setzte  er  in 
einem  Vortrage  vom  14.  Juni  1765  auseinander,  besonders  wenn  da- 
durch das  Alte  völlig  umgekehrt  werde,  seien  verhasst  und  es  sollte 
niemals  dazu  geschritten  werden,  als  wenn  ein  offenbarer  Nutzen  oder 


l)  Commissionsprotokoll  vom  18.  Mai  1765  unter  dem  Vorsitz  von  Kaunitz. 
Anwesend  waren :  Haugwitz,  Blumegen,  Hatzfeld,  Zinzendorf,  Borie,  Binder,  Stu- 
pan  und  König. 


254  ^er. 

eine  absolute  Notwendigkeit  solches  einrathen.  Von  der  neuen  Ein- 
richtung des  Contributionswesens  sei  kein  Nutzen  zu  erwarten,  es  wäre 
daher  besser  gewesen,  die  Sache  beim  Alten  zu  belassen.  Er  erblickte 
auch    in  den    neuen    Massnahmen   eine    Aenderung    der  Verfassung l). 

Die  Berathungen  kamen  erst  im  September  zum  Abschlüsse.  Hatz- 
feld  drang  jedoch  mit  seinen  Anträgen  durch.  Nur  die  Verhandlung 
der  Postulate  mit  den  Ständen  blieb  auch  künftighin  der  böhmisch- 
österreichischen Kanzlei  überlassen,  sie  sollte  sich  jedoch  in  die  Kam- 
merpostulate  nicht  mischen  und  die  einlaufenden  Berichte  der  königl. 
Commissäre  jedesmal  an  die  Kammer  senden.  Die  das  Contributions- 
wesen  betreffendes  Angelegenheiten  sollten  von  nun  an  durch  Com- 
niissäre  an  die  Stände  übermittelt,  alle  übrigen  Anforderungen  —  „An- 
sinnen" heisst  es  in  der  k.  Erschliessung  —  aber  durch  Iiescripte  an  die 
Länderstellen  erlassen  werden,  um  den  Vollzug  zu  bewirken,  eine  Verfü- 
gung, die  bereits  früher  getroffen  und  nun  erneuert  wurde,  wodurch  der 
Wirkungskreis  der  Stände  eine  wesentliche  Beschränkung  erfuhr 2). 
Seit  1765  bestanden  daher  zwei  Finanzpräsidenten,  der  eine  hatte 
die  gesammte  Verwaltung,  der  andere  die  Controle  zu  besorgen.  Graf 
Hatzfeld  hatte  das  ersehnte  Ziel  erreicht;  ihm  waren  Hofkammer, 
Bancodeputation  und  Generalkassedirektion  anvertraut  und  nach  dem 
Tode  des  Kaisers  Franz  wurde  ihm  durch  Handschreiben  vom  21.  Ok- 
tober 170:")  auch  das  Schuldenwesen  übergeben.  Bezüglich  der  Ge- 
schäitsbehandlung  wurde  verfügt,  dass  für  die  Verwaltung  der  un- 
vcrpfäudeten  Kammer-Gefälle  und  der  verpfändeten  Gefälle,  welch' 
letztere  bisher  von  dem  Banco  besorgt  wurden,  je  eine  selbständige  Com- 
mission  bestellt  werden  sollte.  Die  Uebelstände  waren  damit  jedoch 
nicht  ganz  beseitigt;  es  ergaben  sich  oft  vielfache  Schwierigkeiten, 
die  Verwaltung  nach  gleichen  Normen  einzurichten.  In  Folge  dessen 
wurde  die  Verfügung  getroffen,  alle  Gefälle  nach  ihren  Gattungen 
ohne  Kücksicht  darauf,  ob  ihre  Verwaltung  bisher  der  Hofkammer 
oder  dem  Banco  anheimgestellt  war,  unter  die  Hauptdirektion  des  Hof- 
kammer- und  Bancopräsidenten  zu  vereinigen. 

Für  sämmtliche  Geschäfte  wurden  cominissionelle  Verhandlungen 


'I  Ich  kann  hiebei,  heisst  es  in  dem  oben  erwähnten  Vortrage,  mit  Still- 
schweigen nicht  übergeben,  wie  schmerzlich  es  den  treu  gehorsamsten  Ständen 
gesamniter  Erblanden  nach  so  vielen  überstandenen  Drangsalen  und  so  standhaft 
erwiesenen  allerunterthänigsten  Treu  und  Devotion  zu  Gemüth  dringen  müsse, 
wenn  sie  nunmehr  erfahren  sollen,  dass  sie  in  dem  wesentlichen  Theil  ihrer  Ver- 
fassung eine  Veränderung  leiden  und  in  ihren  treu  devotesten  Bewilligungen 
cameraliter  dirigirt  werden  sollen. 

-)  Kaiser!.  Kntschl.  auf  Protokoll  1.  und  20.  Mai  und  9.  und  14.  Sep- 
tember 1"(!5. 


Die  Finanzverwaltung  Oosterroichs  1740—1816.  Qgg 

veriiigt.  Nur  das  Credit-  und  Cassawesen,  soweit  es  wichtige  Ange- 
legenheiten betraf,  blieb  ausschliesslich  der  Entscheidung  dv*  Finanz- 
rainisters  —  denn  diesen  Titel  führte  nunmehr  der  Präsident  —  vor- 
behalten, aber  die  Mitwissenschaft  eines  Vicepräsidenten  forderte  die 
Kaiserin,  weil  dieser  in  Abwesenheit  des  Chefs  die  Geschäfte  zu  führen 
hatte.  Jeder  Comtnission  stand  ein  Director  vor.  Die  Geschäfte  sollten 
in  Sitzungen  zur  Verhandlung  kommen.  Dem  Vorsitzenden  wurde 
ausdrücklich  das  Recht  zuerkannt,  seine  Meinung  zu  äussern,  sowie 
er  für  alle  den  Commissionen  zugewiesenen  Angelegenheiten  die  Verant- 
wortung zu  tragen  hatte.  Auf  den  Protokollen  sollten  die  Namen 
der  anwesenden  Käthe,  sowie  die  Referenten  augegeben  werden.  Die 
Kaiserin  rügte  es,  dass  auch  jene  Käthe  namhaft  gemacht  werden,  die 
abwesend  seien,  dieser  wider  die  Ordnung  laufende  Fehler  sei  zu  ver- 
meiden -).  Die  Protokolle  mussten  nach  Unterfertigung  durch  den  Di- 
rektor dem  Finanzminister  zur  Approbation  vorgelegt  werden.  Bei 
den  Hauptsessionen  oder  Gesammtsitzungen  hatte  der  Finanzminister 
den  Vorsitz  zu  führen.  Dieselbe  fanden  zweimal  wöchentlich  am  Mon- 
tag und  Freitag  statt.  Bei  denselben  hatten  die  Directoren  und  die 
vortragenden  Käthe,  über  deren  Agenden  Beschlüsse  gefasst  werden 
sollten,  zu  erscheinen.  Die  Protokolle  mussten  von  14  zu  14  Tagen 
,,nach  Hof"  gesendet  werden.  Dem  Referenten  blieb  es  freigestellt, 
seine  etwa  abweichende  Ansicht  beizufügen.  Bei  Angelegenheiten,  wo 
Gefahr  im  Verzuge  war,  konnte  der  Direktor  oder  der  betreffende 
Hofrath  dem  Minister  Vortrag  halten,  um  seine  Zustimmung  einzu- 
holen, aber  in  der  nächsten  Plenarsitzung  musste  hievon  Melduno-  ov- 
macht  und  die  verfügten  Massnahmen  zu  Protokoll  gegeben  werden. 
Kamen  Fragen  zur  Verhandlung,  die  andere  Centralstellen  berührten, 
so  musste  von  Seite  derselben  ein  Correferent  bestellt  werden. 

So  wohl  erwogen  auch  die  Normen  waren,  welche  für  die  Ver- 
waltung nach  eingehender  Berathung  beschlossen  wurden,  befriedigt 
waren  die  massgebenden  Kreise  nicht.  Mit  Josef  war  ein  treibendes 
Element  zum  Einflüsse  gelangt,  und  auch  die  Kaiserin  besass  nicht 
die  erforderliche  Ruhe  und  klagte  fortwährend  über  die  Langsamkeit 
der  Verwaltung,  über  die  Vielschreibereien  der  Behörden.  Mit  Un- 
geduld erwartete  sie  von  jeder  Massregel  sogleich  Abhilfe,  welche  erst 
die  Zeit  und  andauernde  Arbeit  bringen  konnten.  Die  Anzahl  der  zu 
erledigenden  Schriftstücke  aus  den  verschiedeneu  Zweigen  der  Ver- 
waltung   nahm    ihre  Kraft    stark    in    Anspruch,    zum  Theil    durch    sie 


')  Protokoll  einer  gemeinsamen  Zusammentretung  vom   14.  September   I7IJ5. 
")  Kais.   Entschl.  auf  Protokoll  vom   IS.  Juni    1766. 


256  B  e  e  r. 

veranlasst.  Ihre  Anforderungen  an  die  Behörden  waren  nämlich  nicht 
selten  schwer  zu  erfüllen.  Sie  klagte  über  die  Behelligung  mit  unbe- 
deutenden Dingen  und  heischte  dennoch  übe*  Kleinigkeiten  Auskunft. 
Die  Sitzungsprotokolle  selbst  über  die  unscheinbarsten  Verwaltungs- 
angelegenheiten wurden  ihr  vorgelegt.  Sie  setzte  ihre  Erschliessung 
bei  und  war  unbefriedigt,  wenn  eine  Centralstelle  im  eigenen  Wir- 
kungskreise über  geringfügige  Dinge  Entscheidungen  traf,  ohne  ihre 
Willeüsmeinung  .eingeholt  zu  haben.  Die  Verwaltung  gelangte  nie 
zur  Kühe  und  die  Erprobung  einer  zweckmässigen  Weisung  wurde 
nicht  abgewartet,  wenn  von  berufener  oder  unberufener  Seite  irgend 
ein  Tadel  ausgesprochen  wurde. 

Seit  1761  hatte  man  sich  unaufhörlich  mit  der  Organisation  der 
Centralstellen  beschäftigt,  deren  Wirkungskreis  wiederholt  geregelt l). 
Anfangs  1768  wurden  neue  Gutachten  gefordert,  wie  die  Vielschreiberei 
gehindert,  die  Langsamkeit  bei  Erledigung  der  Geschäfte  behoben  wer- 
den könne,  in  welch'  zweckmässiger  Weise  die  Vertheilung  der  Agen- 
den erfolgen,  eine  Erweiterung  der  Geschäfte  der  Länderstellen  zur 
Entlastung  der  Centralstellen  stattfinden  könne  2).  Neue  Untersuchungen 
und  Erhebungen  fanden  statt.  Treffend  bemerkte  Graf  Rudolf  Chotek 
in  einem  Vortrage  vom  22.  November  1768,  „er  vermöge  nicht  zu 
verhalten,  dass  die  so  oftmaligen  Neuerungen  und  ansinnende  Ver- 
besserung der  Dicasterial-Einrichtungen  eben  nicht  die  beste  Wirkung 
nach  sich  ziehen."  Der  oberste  Kanzler  kam  jedoch  den  Weisungen 
der  Herrin  nach,  erstattete  Vorschläge  „über  die  bessere  Auseinander- 
setzung der  zAvischen  der  obersten  Justizstelle  und  der  Kanzlei  vor- 
fallender agendorum"  und  machte  die  richtige  Bemerkung,  dass  der 
Kaiserin  „alle  neuen  Gesetze  und  Generalien  und  über  sonatige  wich- 
tigere und  ausserordentliche  Zufälle  die  zu  schöpfen  kommende  Reso- 
lutionen vorläufig  in  Uuterthänigkeit  vorzutragen,  die  daraus  fliessen- 
den Verfügungen  aber  von  den  Stellen  ohne  weiters  zu  veranlassen 
wären."  Der  Staatsrath  beschäftigte  sich  mit  den  von  den  Central- 
stellen abgegebenen  Gutachten  iu  der  Sitzung  vom  6.  Dezember  1768 
unter  dem  Vorsitze  des  Fürsten  Starhemberg ;  die  anderen  Theil- 
nehmer  waren:  Staatsminister  Blümegen,  die  Staatsräthe  Borie,  Binder, 
Stupan,  Gebier.  Der  Staatsrath  sprach  sich  in  allen  wesentlichen 
Punkten  für    die  Anträge  Chotek's  aus.     Eine   wesentliche  Aenderung 


')  Vergl.  das  Handschreiben  vom  26.  August  1765  und  die  Vertheilung  der 
Agenden  im  Anhange. 

2J  Vergl.  die  Handschreiben  vom  28.  Februar  1768,  März  und  28.  October 
1768  im  Anhange. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreiclis  1749 — 1816  257 

in  dem  Wirkungskreise  der  Hofstelle  trat  nur  durch  die  Schaffung 
einer  Wirtschaftsdeputation  ein,  wovon  noch  die  Rede  sein  soll,  ferner 
wurden  hinsichtlich  der  Abgrenzimg  der  Geschäfte  der  Justizstelle  und 
der  Hofkanzlei  einige  Aenderungen  getroffen.  Auch  die  Finanzverwal- 
timg und  die  Hofrechenkammer  behielten  den  ihnen  eingeräumten 
Wirkungskreis,  und  für  die  Geschäftsbehandlung  wurden  durch  kaiser- 
liche Handschreiben  einige  belangreiche  Weisungen  erlassen  J). 

Eine  Beschränkung  der  Eiuflussuahme  der  Finanzstelle  fand  durch 
Handschreiben  vom  28.  October  1768  statt,  indem  das  Montanisticum 
und  die  Agenden  des  Banates  der  unmittelbaren  Leitung  des  Finanz- 
ministers entzogen  wurden,  und  zwar,  wie  es  in  dem  Handschreiben 
heisst,  weil  derselbe  mit  andern  Geschäften  überhäuft  sei,  sodann  aber, 
weil  für  die  Verwaltung  dieser  Angelegenheiten  besondere  Eigen- 
schaften und  Kenntnisse  nothwendig  seien.  Zur  Besorgung  derselben 
wurden  zwei  Commissionen  eingesetzt  und  dem  Finanzminister  bloss 
die  Oberleitung  eingeräumt.  Die  Commissionen  mit  einem  Vicepräsi- 
denten  an  der  Spitze  hatten  demselben  alljährlich  einen  Operations- 
und Erfordernisaufsatz  zur  Einsicht  zu  überreichen,  wobei  es  ihm  frei- 
stand, etwaige  Bemerkungen  zu  machen.  Ebenso  sollten  auch  die  an 
die  Kaiserin  zu  erstattenden  Vorträge  durch  seine  Vermittlung  weiter 
befördert  werden,  damit  er  den  Stand  der  Dinge  daraus  entnehmen 
und  in  seinem  Einbegleitungsvortrage  eventuell  seine  Erinnerungen 
machen  könne  2).  Die  Verwendung  der  Ueberschüsse  blieb  den  Hof- 
kammerpräsidenten überlassen. 

Die  getroffenen  Massnahmen  über  die  Abgrenzung  der  Wirkungs- 
kreise der  Centralbehörden  kamen  nach  einigen  Jahren  in  Gefahr  über 
den  Haufen  geworfen  zu  werden. 

Die  Veranlassung  gab  eine  Bemerkung  der  Kaiserin,  dass  sie  mit 
Missfallen  beobachtet  habe,  wie  ungeachtet  aller  bereits  zur  Beschleu- 
nigung der  Geschäfte  gemachten  Anordnungen  bei  der  Erledigung  der- 
selben eine  solche  Langsamkeit  obwalte,  dass  selbst  in  minder  wich- 
tigen Dingen  nicht  jene  Behendigkeit  platzgreife,  welche  das  wahre 
Wohl  des  Staates  erfordert.  Bei  genauerer  Ueberlegung  habe  sie  ge- 
funden, dass  hauptsächlich  drei  Umstände  die  Ursache  wären:  einmal 
die  Absonderung  der  politischen  und  Commercialstellen  von  den  Fi- 
nanzen, sodann  die  allzu  gehäuften  Berichterstattungen  der  Länder  an 
die  Hofstellen  nebst  der  vielfältigen  Begutachtung  der  letzteren  an  die 


')  Vergl.  die  Handschreiben  vom  24.  December  1765,    sowie   die   kais.  Ent- 
Schliessung auf  den  Vortrag  vom  27.  März  1769. 

2)  Kais.  Entschliessung  auf  Vortrag  vom  22.  November  1768. 
Hittheihiugeu,  XV.  17 


258  B  e  e  r- 

Kaiserin  und  endlich  die  Vertheilung  der  böhmischen  und  österreichi- 
schen Erblau  de  unter  zu  zahlreiche  Gubernien.  Hatzfeld  erhielt  zu- 
gleich den  Auftrag,  im  Geheim  gutachtlich  „an  Handeu  zu  lassen", 
wie  die  politischen  und  Finanziellen  unter  einer  Directiou  zusammen- 
gezogen werden  könnten,  wie  die  Hof-  und  Läuderstellen,  ohne  sie 
in  eine  allzu  grosse  Unabhängigkeit  zu  versetzen,  von  der  allzu  häu- 
figen Erstattung  von  Vorträgen  und  Berichten  entledigt  werdeu  könnten, 
und  endlich,  auf  welche  Art  die  Ländergubernien  einiger  Provinzen 
unter  Ein  Gubernium  zu  ziehen  wären. 

Hatzfeld  kam  am  5.  Februar  1771  der  Aufforderung  der  Kaiserin 
nach.  Er  verwies  darauf,  dass  im  J.  1765  Hofkammer,  Ministerial- 
bancodeputation  und  Generalcassadirection  einer  Person  anvertraut 
wurden,  indem  man  den  Bancopräsidenten  zum  Hofkammerpräsidenten 
ernannte,  und  dieser  sodann  sämmtliche  Angelegenheiten  der  drei 
Stellen  besorgte,  ohne  dass  in  dem  Zuge  der  Geschäfte  sich  die  ge- 
ringste Abänderung  ergeben  habe;  man  begnügte  sich  lediglich,  ohne 
eine  Kundmachung  zu  erlassen,  die  Weisungen  der  Cassadirection  unter 
dem  Namen  der  Hofkammer  hinauszugeben  und  die  Gubernialpräsi- 
denten  durch  ein  Privatschreiben  zu  belehren,  dass  sie  künftighin  alle 
über  Geldsachen,  sowie  über  das  gesammte  Finanzwesen  zu  erstatten- 
dem Berichte,  an  die  Kammer  einzuseuden  hätten.  In  gleicher  Weise 
meinte  der  Hofkammerpräsident,  könnte  auch  jetzt  vorgegangen  wer- 
den. Sobald  es  der  Kaiserin  gefällig  sein  werde,  die  Geschäfte  eines 
Obersten  Kanzlers,  Hofkammer-  und  Bancopräsidenten  Einer  Person 
zu  übertragen,  so  sei  diese  Vereinigung  vollbracht;  es  bedürfe  keiner 
Kundmachung  an  die  Länder.  Nur  einige  wenige  Agenden,  welche 
bisher  die  Hofkanzlei  zu  besorgen  hatte,  sollten  seiner  Meinung  nach 
der  obersten  Justizstelle  übergeben  werden,  unter  diesen  auch  die  Uni- 
versitäts-  und  Studiensachen.  Im  Verlaufe  seines  weiteren  Vorschlages 
beantragte  er,  dass  die  Geschäfte  dieser  vereinigten  Centralstelle  in  Zu- 
kunft in  zwei  Hauptdepartements  ihre  Erledigung  finden  könnten,  wäh- 
rend gegenwärtig  dieselben  von  sechs  Stellen  besorgt  würden  und  zwar 
von  der  Kanzlei,  dem  Commerzienrathe,  der  Hof  kammer,  der  Hof  kaminer 
in  Montanisticis,  der  Hofkammer  in  Banaticis  und  Domänenwesen, 
endlich  von  dem  Banco.  Endlich  beantragte  Hatzfeld  auch  die  Auf- 
hebung der  Rechenkainnier.  Ferner  machte  er  den  Vorschlag,  dass 
der  Finanzminister  dem  Staatsrathe  beiwohne  und  seine  Meinung  bei- 
füge ;  er  werde  hiedurch  auch  in  Kenntnis  von  den  ungarischen,  sieben- 
bürgischen  und  illyrischen  Geschäften  gesetzt,  wodurch  er  bei  Besor- 
gung der  deutschen  Erblande  eine  grosse  Erleichterung  habe ;  er  werde 
das  Militärwirtschaf tswesen,    welches    mit    den   Finanzen    einen    nicht 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749 — 1816.  259 

geringen  Zusammenhang  hat,  kennen  lernen  und  werde  in  der  Lage 
sein,  jene  Anstäude,  welche  bei  der  Beurtheilung  seiner  Vorträge  im 
Staatsrathe  sich  äussern,  zu  erörtern,  wodurch  alle  Erläuterungsvorträge 
erspart,  mithin  eine  schleunige  Erledigung  erzielt  werde.  „Die  Kai- 
serin erhalte  die  gründliche  Kenntnis  seines  Fleisses,  seiner  Geschick- 
lichkeit, da  er  gleichsam  über  Alles  und  Jedes  ex  arena  werde  Rede 
und  Antwort  geben  müssen  -.  Die  Beiziehung  zum  Staatsrathe  sei 
auch  das  einzige  Mittel,  wodurch  er  die  untergebenen  Vicecapi  (Vice- 
präsidenten)  in  jener  Subordination  erhalten  könne,  ohne  welche  die 
Besorgung  vieler  Geschäfte  unmöglich  falle;  die  Weitschichtigkeit  der- 
selben sei  so  gross,  dass  er  deren  Erledigung  unmittelbar  selbst  nicht 
bestreiten  könne;  die  ihm  untergeordneten  Personen  werden  auch 
dadurch  verhindert,  sich  gegen  den  Finanz  minister  aufzulehnen,  und 
wenn  es  ja  geschehen  sollte,  würde  es  ihm  leicht  fallen,  ihre  Schein- 
gründe mündlich  zu  vernichten.  Die  Beiziehung  zum  Staatsrathe  sei 
so  nothwendig,  dass  die  Ausführung  des  Vorschlages  unmöglich  werde, 
wenn  dieses  nicht  geschehe,  und  sich  wohl  schwerlich  jemand  finden 
dürfte,  der  sich  der  Aufgabe  zu  unterziehen  das  Herz  hätte. 

Die  kaiserliche  Entschliessung  auf  diesen  Vortrag  Hatzfeld's  vom 
5.  Februar  1771  lautete:  „Die  angetragene  Vereinigung  habe  nicht 
stattzufinden,  sondern  Hatzfeld  werde  die  Oberaufsicht  über  das  Poli- 
ticum  und  Camerale  anvertraut,  jedoch  2  abgesonderte  Dicasterien  und 
die  Geschäfte  seien  durch  eiuen  vorzulegenden  Plan  wohl  abzutheilen ". 
Es  erfolgte  sodann  die  Ernennung  Hatzfeld's  zum  Obrist  -  Kanzler, 
Keopold  Kolowrat's  zum  Kanzler;  Graf  Wrbna  wurde  Vicepräsident 
und  mit  der  Leitung  der  Bancodeputation  und  des  Commercienrathes 
betraut. 

Was  die  Vereinigung  der  damaligen  Ländergubernien  anbetrifft, 
so  konnte  Hatzfeld  eigentlich  nur  die  Vereinigung  von  Mähren  mit 
Schlesien,  ferner  von  Krain,  Görz  und  Gradiska  in  Antrag  brin- 
gen, während  er  bei  den  übrigen  Landesstellen  die  Beibehaltung 
derselben  befürwortete.  Bezüglich  Böhmens  machte  er  allerdings  die 
Bemerkung  —  die  sich  schon  in  einem  Vortrage  Rudolf  Chotek's  vom 
Jahre  1764  findet  —  dass  das  Gubernium  eine  grosse  Strecke  Landes  zu 
besorgen  habe  und  zu  wünschen  wäre,  dass,  sowie  der  König  von 
Preussen  bei  der  Eroberung  des  Herzogthums  Schlesien  anstatt  eines 
drei  Landesgubernia  gebildet  habe,  das  Königreich  Böhmen  wenigstens 
in  zwei  Theile  könnte  abgetheilt  werden,  allein  dies  könnte  wohl  ohne 
sonderbare  Zerrüttung  des  ganzen  Landes  nicht  geschehen,  und  er 
glaube  daher,  dass  es  bei  der  dermaligen  Verfassung  zu  verbleiben 
habe. 

17' 


260  Beer. 

Hatzfeld  erörterte  auch  die  Frage,  ob  das  Münz-  und  Bergwesen 
in  den  einzelnen  Ländern,  sowie  die  Bancaladministration  den  politi- 
schen Länderstellen  unterzuordnen  wäre,  allein  er  sprach  sich  dahin 
aus,  dass  er  nicht  glaube,  dass  dies  mit  dem  wahren  Nutzen  der  Kai- 
serin vereinbarlich  sei.  Denn  was  das  Bergwesen  anbelangt,  so  sei 
sicher,  dass  von  den  früheren  Landesfürsten  demselben  „ausnehmende 
Vorzüge"  eingestanden  worden  seien,  andererseits  die  Grundherren 
verhalten  werden,  dem  Bergwesen  auf  ihren  eigenen  Gründen  viele 
Freiheiten  und  Vorzüge  zu  gestatten,  wodurch  dasselbe  in  allen  Län- 
dern, besonders  aber  von  den  Obrigkeiten  mit  schelen  Augen  ange- 
sehen werde,  welchem  Beispiele  die  meisten  Gubernia  zu  folgen  pflegen 
aus  dem  Irrwahne,  dass  die  Freiheiten,  besonders  jene,  welche  sie  auf 
den  Gründen  der  Obrigkeiten  auszuüben  berechtigt  sind,  den  Landes- 
einwohnern schädlich  fallen,  und  daher  diejenige  Unterstützung  dem 
Bergwesen  verweigern,  die  ihm  gebühre.  Die  Streitigkeiten,  welche 
zwischen  der  Bergbehörde  und  der  politischen  Stelle  sich  ergeben,  zu 
begleichen,  würde  in  Wien  leichter  sein  als  bei  den  Gubernien,  welche 
sehr  oft  dem  Bergwesen  abhold  seien.  Auch  könnte  er  nicht  einrathen, 
dass  die  Gefälle  des  Banco  der  Obsorge  der  politischen  Stelle  anver- 
traut werden  sollten;  ihre  Regie  sei  von  einem  ausserordentlichen 
Detail,  welches  die  Gubernia  nicht  bestreiten  könnten;  sie  erfordere 
Kenntnisse,  welche  die  Glieder  der  politischen  Landesstellen  nicht  be- 
sitzen. Man  müsse  bedacht  sein,  „diese  Gefälle  in  den  genauesten 
Bezug  zu  setzen",  wogegen  jedoch  die  meisten  Gubernien  als  einen  ge- 
meinen Grundsatz  aunehmen,  dass  der  genaue  Bezug  der  Cameral- 
gelälle  mehr  vermieden  als  gesucht  werden  müsse.  Die  Verminderung 
des  Ertrages  würde  die  Folge  sein,  wenn  die  Bu,ncalämter  den  Guber- 
nien unterstellt  würden.  Die  Erfahrung  lehre,  dass  alle  Gefälle,  welche 
von  den  politischen  Stellen  verwaltet  werden,  nicht  in  dem  Erträgnis 
wachsen,  sondern  von  Jahr  zu  Jahr  herabgehen.  Aus  diesem  Grunde 
habe  man  ja  verschiedene  Gefälle,  welche  als  ständische  gewissermassen 
durch  die  politischen  Stellen  administrirt  worden  sind,  dem  Banco  in 
Eegie  gegeben,  und  der  grössere  Ertrag  habe  erwieseü,  dass  diese 
Massregel  vortheilhaft  gewesen  sei. 

Da  Graf  Hatzfeld  zum  Obersten  Kanzler  der  böhmischen  und 
österreischen  Hofkanzlei  ernannt  und  ihm  zugleich  das  Präsidium  der 
Bancodeputation  und  Hofkammer  belassen  worden  war,  erhielt  er  eine 
ähnliche  Stellung,  wie  Graf  Haugwitz,  ja  in  gewisser  Hinsicht  eine 
noch  umfassendere,  da  neben  Haugwitz  noch  ein  Bancodeputations- 
präsident  bestand,  der  zugleich  Commerzdirector  war,  während  Hatzfeld 
alle  diese  Aemter  vereinigen  sollte.     Graf  Hatzfeld  fühlte  jedoch  nach 


Die  Finanz  Verwaltung  üesterreichs  1749  —  1816.  261 

kurzer  Zeit,  dass  seine  Kraft  zur  Bewältigung  dieses  umfassenden 
Wirkungskreises  nicht  ausreiche,  und  beantragte  daher  eiue  ganz  neue 
Geschäftseintheilung.  Einerseits  sollten  einige  Agenden  der  Justiz- 
behörde überwiesen  werden,  z.  B.  Unterrichtsangelegenheiten  und 
Cultussachen,  anderseits  an  die  Spitze  der  verschiedenen  Departements 
Vizepräsidenten  mit  einer  ziemlich  ausgedehnten  Befugnis  zur  Er- 
ledigung der  Geschäfte  gestellt  und  ihm  persönlich  bloss  in  den  wich- 
tigsten Fragen  die  Entscheidung  vorbehalten  werden.  Im  Staatsrathe 
wurde  über  die  Vorschläge  des  Grafen  Hatzfeld  eingehend  verbandelt. 
Nur  zwei  Gutachten  verdienen  Erwähnung,  da  in  den  anderen  bloss 
die  Einzelheiten  der  Anträge  bemängelt  und  modificirt  wurden.  Er 
habe,  legte  Binder  dar,  von  einem  so  erfahrenen  Minister  wie  Hatzfeld 
etwas  ganz  Anderes  und  Vollkommeneres  als  die  gegenwärtige  Aus- 
arbeitung erwartet.  Bei  der  Errichtung  des  gegenwärtigen  Systems 
habe  man  sich  vor  Allem  an  den  Grundsatz  gehalten,  dass  eine  syste- 
matische Ordnung  die  Seele  der  Geschäfte  sei,  daher  nur  eine  solche 
Hintheilung  und  Besorgung  derselben  den  allgemeinen  Beifall  verdiene, 
welche  dasjenige,  was  seiner  Natur  und  Eigenschalt  nach  zusammen- 
gehört, mit  einander  zu  verbinden  sucht,  hingegen  dasjenige,  wobei 
sich  ein  wesentlicher  Unterschied  ergibt,  von  einander  trennt  und  ab- 
sondert. Aus  diesem  Grunde  wurden  die  Publica  und  Politica  aller 
deutschen  Erblande  von  dem  Justiz-  und  Finanzwesen  abgesondert 
und  letzteres  in  drei  Departements :  Administration,  Cassa  und  Schulden, 
dann  Rechnungswesen  abgetheilt.  Zur  Erzielung  einer  noch  grösseren 
Einfachheit  wurden  später  Administration,  Cassa  und  Schulden  in 
Einem  Departement  vereinigt.  Man  habe  das  unter  dem  Directorium 
der  Hofkammer  und  dem  Banco  zerstückelte  Tabak-,  Mauth-  und  Salz- 
gefälle unter  einer  Administration  vereinigt  und  ohne  dem  Bank- 
institute zuwiderzuhandeln  die  Gefälle  derselben  und  jene  der  Kammer 
von  denselben  Räthen  besorgen  lassen.  Die  nunmehrigen  Anträge 
Hatzfeld's  laufen  auf  das  Gegentheil  hinaus,  da  er  die  Publica,  Politica 
und  Cameralagenden  ohne  allen  Nutzen  zusammenziehen  wolle.  Es 
sei  kein  Grund,  warum  die  mit  so  vieler  Mühe  vereinigten  Finauz- 
gefälle  und  Agenden  der  Kammer  und  des  Banco  wieder  getrennt 
werden  sollen.  Dieser  Vorschlag  übersteige  seine  Begriffe.  Mit  Ent- 
schiedenheit sprach  sich  Binder  jedoch  gegen  die  Forderung  Hatzfeld's, 
in  den  Staatsrath  aufgenommen  zu  werden,  aus,  da  dessen  Wesenheit 
in  der  Grundregel  bestehe,  „  dass  kein  membrum  zugleich  judicem  und 
partem  vorstelle,  noch  ein  solches  Uebergewicht  bekommen  solle,  so 
der  nöthigen  Freimüthigkeit  der  Stimmen  nachtheilig  sein  könnte". 
Auch  gegen    den    die  Rechenkammer   betreffenden  Vorschlag    erklärte 


262  Beer. 

sich  Binder.  Graf  Hatzfeld,  meinte  er,  wolle  sich  allein  die  Direction 
aller  inländischen  Geschäfte  zueignen  und  dadurch  die  Gewalt  eines 
solchen  Premierministers  überkommen,  der  von  allen  Controllen  befreit 
sich  nur  die  Oberdirection  der  Verwaltung  sichert.  Die  Aufrechter- 
haltung der  Kechenkammer  bei  dem  S3rsteni  des  Grafen  Hatzfeld  sei 
um  so  noth-w  endiger  *).  , 

Mit  Binder  in  voller  Uebereinstimmung  befand  sich  Kaunitz.  Das 
nach  so  vielen  Berathungen  angenommene  S}'stem.  so  lautet  das  Gut- 
achten des  Staatskanzlers,  sei  so  wohl  bestellt  und  derart  beschaffen, 
dass  dasjenige,  was  zu  seiner  Vollkommenheit  noch  erwimschlich  sein 
dürfte,  durch  Verbesserungen  in  einigen  Theilen  leicht  bewirkt  werden 
könnte,  ohne  dass  es  nöthig  wäre,  das  ganze  selbst  anzugreifen  und 
umzukehren.  Die  Kaiserin  habe  jedoch  ihr  besonderes  Vertrauen  auf  Graf 
Hatzfeld  gesetzt,  ihn  mit  Belassung  seiner  bisherigen  Hofkammer-  und 
Bancodeputationspräsidentenstelle  zum  Obersten  Kanzler  und  Commerz- 
präsidenten ernannt,  folglich  in  den  wesentlichsten  Punkten  die  nun- 
mehr in  Vorschlag  gebrachten  neuen  Einrichtungen  im  Vorhinein  zu 
entscheiden  geruht,  man  möge  daher  die  Vorschläge  Hatzfeld's  geneh- 
migen,  zwei  ausgenommen:  seine  Beiziehung  zum  Staatsrath,  sodann 
die  proponirte  Modification  der  ßechenkammer.  Man  möge  lieber  den 
Staatsrath  ganz  aufheben  als  den  Wünschen  des  Grafen  Hatzfeld 
Rechnung  tragen.  Die  Aufrechterhaltung  der  ßechenkammer  mit  ihrer 
Censur,  Revision,  Buchführung,  Controlle  und  Verfassung  als  einer 
independenten  unmittelbaren  Hofstelle  sei  nothwendig  und  es  sei  Alles 
anzuwenden  und  vorzukehren,  was  zur  Erreichung  ihrer  endlichen 
Vollkommenheit  dienlich  sein  würde,  denn  das  Institut  der  hiesigen 
ßechenkammer  lasse  sich  in  keinem  Stücke  mit  jenem  der  nieder- 
ländischen vergleichen. 

Die  Kaiserin  vertagte  die  Entscheidung.  Mit  dem  Plane  Hatzfeld's 
war  sie  eigentlich  einverstanden,  da  sie  in  der  Zusammenziehung  aller 
Theile  unter  einer  Aufsicht  das  einzige  ßettungsmittel  erblickte;  ihrem 
Befehle  Folge  leistend,  hatte  er  sein  neues  System  entwickelt,  aber 
das  Hindernis  für  die  Genehmigung  der  Anträge  lag  in  der  Forderung, 
in  den  Staatsrath  berufen  zu  werden,  wogegen  sich  die  einflussreichsten 
Mitglieder  desselben  ausgesprochen   haben  *).     Erst  nach  Monaten  er- 


1)  Das  Votum  vom  20.  August  1771. 

2)  Durch  Erschliessung  vom  1.  September  1771  forderte  die  Kaiserin  von 
Hatzfeld  »über  die  Frage,  wie  die  Recbenkammer  künftig  gestellt  sein  sollte, 
das  besonders  verbeissene  Gutachten«,  bis  dahin  bleibe  ihr  Entschluss  ausgesetzt: 
die  »Anmerkungen*  der  Staatsräthe  wurden  ihm  mitgetheilt,  ,um  nach  reifer 
Erwägung    seine    weitere    Erläuterung    abzufassen« ;     sie    gedenke    das    ganze 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  263 

folgte  die  Entscheidung.  Graf  Hatzfeld  weigerte  sieh  sein  neues  Amt 
als  Oberstkanzler  anzutreten,  wenn  die  Rechenkammer  nicht  vorher 
aufgehoben  sei J).  Josef  hatte  schon  seit  Monaten  einige  Aenderungen 
iu  dem  Geschäftsgange  des  Staatsratlies  gefordert,  nach  seiner  Rück- 
kehr aus  Böhmen  legte  er  der  Kaiserin  seine  Vorschläge  vor.  Graf 
Hatzfeld  sollte  als  Nachfolger  Starhemberg's  in  den  Staatsrath  be- 
rufen werden,  Binder  und  Blümegen  aufhören,  Mitglieder  desselben 
zu  sein,  letzterer  zum  Obersten  Kanzler  ernannt  werden.  Binder 
konute  neben  dem  Grafen  Hatzfeld  nicht  in  dem  Staatsrathe  belassen 
werden,  da  er  in  dem  Kampfe  zwischen  Hatzfeld  und  Zinzendorf  für 
die  Anträge  des  letzteren  mit  Ueberzeugung  und  Entschiedenheit  ein- 
getreten war  2), 

Am  15.  December  wurde  die  Erschliessung  der  Kaiserin  ver- 
kündigt. Graf  Carl  Friedrich  von  Hatzfeld  und  Gleichen  wurde  zum 
diria'irenden  Minister  in  inländischen  Geschäften  ernannt  und  seine 
bisherigen  Stellen  wurden  folgendermassen  vertheilt:  Erster  Kanzler 
wurde  Heinrich  Cajetan  von  Blümegen,  Präsident  der  Hofkammer  und 
Ministerialbancodeputation,  sowie  des  Commercienrathes  Graf  Leopold 
von  Kolowrat ;  als  Vicepräsidenten  wurden  demselben  Graf  Wrbna  bei 
der  Hofkammer  und  Bancodeputation,  Freiherr  von  Reischach  beim 
Commercieurath  beigegeben,  Binder  wurde  als  wirklicher  und  geheimer 
und  erster  Rath  an  die  Hof-  und  Staatskanzlei  versetzt,  endlich  die 
Freiherren  Franz  Carl  von  Kresse],  von  Qualtenberg  und  Johann 
Friedrich  von  Löhr  als  wirkliche  Staatsrathe  in  inländischeu  Sachen 
berufen.  Mit  geringen  Modifikationen  waren  daher  die  Anträge  Josefs 
durchgedrungen  3). 

Gleichzeitig  erfolgte  eine  Einschränkung  des  Wirkungskreises  der 
Hofkammer. 

Das  Contributionale  nebst  der  Erbschafts-  und  Schuldensteuer,  sowie 
der  geistliche  Fortificationsbeitrag  wurde  von  der  Hofkammer  wieder 
abgetrennt  und  der  HofKanzlei  überwiesen,  desgleichen  die  Verwaltung 
des  Banats.    Die  Staatswirtschaftdeputation  4),  sowie  die  Cominission  für 


Geschüft     im    Staatsrathe    einverständlich     mit    ihm    in    nochmalige   Erwägung 
zu  ziehen. 

')  Promemoria  Zinzendorfs  20.  Oct.  1771. 

2)  Vergl.  Handschreiben  vom  30.  November  1771  an  Hatzfeld,    welches    nur 
erklärlich  ist,  wenn  diese  Verhältnisse  berücksichtigt  werden,  bei  Arneth,  IX.,  304* 

3)  Vergl.  Josefan  Maria  Theresia,  27.  Nov.  1771  bei  Arneth,  M.Theresia  uud 
Josef  I,  353.     Die  Notifikation  erfolgte  durch  Handschreiben  vom  17.  Dec.  1771. 

4)  Handschreiben  an  Blümegen  17.  December  1771 ;  an  Leop.  Kollowrat  vom 
selben  Tage. 


264  'Beer 

Proviantirungsangelegenheiten  sollten  unter  Vorsitz  des  Obersten 
Kanzlers  bleiben  1).  Eine  Erweiterung  ihres  Wirkungskreises  erhielt 
dagegen  die  Finanzstelle  durch  die  Aufhebung  der  galizischen  Hof- 
kanzlei, welche  nach  der  Erwerbung  der  polnischen  Gebiete  für  die 
gesammte  Verwaltung  ins  Leben  gerufen  worden  war.  Die  Besorgung 
der  Geschäfte  der  „recuperirten"  Königreiche  Galizien  und  Lodomerien, 
„als  welche  zu  dem  Complex  der  deutschen  Erblande  gezählt  werden, 
wurde  den  Hofstellen  der  übrigen  Erblande  unterstellt".  Die  politi- 
schen und  commerziellen  Angelegenheiten  wurden  daher  der  böhmisch- 
österreichischen  Hofkanzlei  übertragen,  ebenso  auch  die  directen 
Steuern;  das  Salz-,  Münz-,  Mauth-  und  Domänenwesen  erhielt  die 
Hofkammer  zugewiesen  2). 

Für  die  Angelegenheiten  der  illyrischen  Nation  wurde  eine  be- 
sondere Commission,  die  illyrische  Deputation,  eingesetzt  und  mit  dem 
Präsidium  der  jüngere  Bartenstein  betraut.  Die  übrigen  Centralstellen 
hatten  Mitglieder  in  die  Sitzungen  zu  entsenden.  Von  der  Hof- 
kammer wurden  zwei  Mitglieder  von  Maria  Theresia  dazu  ausdrücklich 
bestimmt3).  Im  J.  1777  wurde  die  illyrische  Deputation  aufgehoben 
und  die  Agenden  derselben  den  Hofstellen  der  betreffenden  Länder, 
dem  Hofkriegsrathe.  der  ungarischen  Hofkanzlei  und  jenen  Hofstellen, 
welchen  die  banatischen  Angelegenheiten   unterstanden,    übestragen i). 

Obgleich  zu  wiederholten  Malen  Normen  über  den  Wirkungskreis 
der  verschiedenen  Hofstellen  erlassen  wurden,  fehlte  es  an  Keibungen 
zwischen  denselben  nicht.  Die  Hofkammer  beklagte  sich  darüber,  dass 
von  Seite  der  Hofkanzlei  Erledigungen  in  Huldsachen  ausgehen,  und 
ersuchte  die  Kaiserin,  derselben  den  Befehl  zukommen  zu  lassen,  dass 
in    allen   Geldangelegenheiten    hierüber    ein    Einvernehmen    mit    der 


1)  Durch  Handschreiben  vom  6.  Juni  1772  wurde  verfügt,  dass  die  den 
Banat  betreffenden  Angelegenheiten  zu  theilen  seien ;  die  publica  politica  und 
Contributionalia  sammt  Fundis,  endlich  die  Inpopulationsgeschäfte  seien  von  der 
böhm.-österr.  Hofkanzlei  zu  besorgen,  das  Montanisticum,  Salz-,  Maut-  und  Cassa- 
wesen  von  der  Hofkammer. 

2)  Handschreiben  an  Kolowrat  vom  27.  April  1776  und  eine  Zuschrift  an 
denselben  vom  30.  April  1776,  mit  der  Aufforderung  über  die  Vertheilung  der 
Referate  unter  die  Räthe  die  Appropation  der  Kaiserin  einzuholen.  Von  den  Mit- 
gliedern der  galizischen  Hof  kanzlei  sei  von  der  Kammer  Koczian,  zu  übernehmen, 
die  anderen  der  öaterr.  Kanzlei  zuzuweisen. 

3)  Handschreiben  an  Hatzfeld  13.  December  1765.  Die  Beiordnung  zweier 
Mitglieder  der  Hofkammer  aus  dem  Grunde  ,da  das  Camerale  mit  den  illyrischen 
Angelegenheiten  einigen  Nexum  habe*.  Fekete  und  Feshtics  wurden  dazu  ernannt. 

4)  Amtsdecret  des  Obersthofmeisteramtes  an  den  Hofkammerpräsidenten 
Grafen  Kolowrat,  2.  December  1777. 


Die  Finanz  Verwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  265 

Kammer  zu  pflegen  sei.  Eine  hierauf  bezügliche  Weisung  war  bereits 
früher  ergangen,  die  Kaiserin  Hess  sich  aber  bestimmen,  ihre  frühere 
Entschliessung  einzuengen  und  anzuordnen,  dass  die  von  der  Kanzlei 
erstatteten  Vorträge  im  Original  dem  Kammerpräsidenten  vorzulegen 
sind  i). 

II. 

Der  Wirkungskreis  der  Rechenkammer  wurde  durch  eine  kaiser- 
liche Erschliessung  festgestellt.  Die  Kaiserin  hatte  durch  Hand- 
schreiben vom  8.  März  1762  einen  gemeinschaftlichen  Vortrag  über  die 
Abgrenzung  der  neu  geschaffenen  Finanzstellen  gefordert,  nach  ein- 
gehenden Beratungen  erstatteten  die  Präsidenten  am  10.  April  ihre 
Anträge.  Die  Rechenkammer,  verfügte  die  Kaiserin,  hat  iu  die  Ver- 
waltung nicht  einzugreifen,  noch  auch  deren  Manipulation  zu  erschweren, 
oder  den  schleunigen  Vollzug  zu  hemmen,  sondern  müsse  sich  an  der 
Beobachtung  der  Controlle  und  zwar  der  Einnahmen  und  Ausgaben, 
dann  der  Rechnungsrevision  begnügen  „  allermassen,  wenn  die  Rechen- 
Kammer  gleich  anfänglich  in  das  Individuale  und  in  die  Manipulation 
der  administrirenden  Stellen  eingehen  wollte,  sie  die  Universal-Cogni- 
tion  haben  und  mit  so  vielen  von  allen  Bestreitungen  gründlich  in- 
formirten  Räthen  besetzet  werden  müsste,  auch  andurch  in  der  Haupt- 
sache die  unmittelbare  Directum  in  dem  gesammten  Finanzwesen 
erlangen,  hieraus  aber  die  Hauptabsicht  unterbrochen  werden  würde, 
dass  die  Rechenkammer  die  Controle  general  und  alle  Rechnungen 
aufnehmen,  censuriren  und  justificiren  solle,  welche  Controle  general 
nicht  mehr  statt  hätte,  da  ferne  die  eröffnete  Rechenkammer  zum 
voraus  mit  operirete  und  Alles  individualiter  berichtigte,  weilen  sie 
alsdann  ihre  eigenen  Facta  in  der  Rechnung  nicht  mehr  censuriren 
könnte".  Auf  die  Ablieferung  der  Rechnungen  in  der  vorgeschriebenen 
Zeit,  die  Prüfung  derselben  durch  die  Buchhaltern  hatte  sie  ihre  Auf- 
merksamkeit zu  richten,  doch  war  ihre  Thätigkeit  keine  bloss  rech- 
nungsmässige,  denn  ausdrücklich  war  verfügt,  „dass  die  Buchhaltern 
sich  nicht  mit  der  Calculation  zu  begnügen  oder  bloss  unnöthige  For- 
malitätsausstelluugen  zu   machen    habe,    sondern    auf   die    wesentliche 


')  Vortrag  am  18.  Januar  1777.  Das  eigenhändige  Marginal  lautet:  , einige 
resolutions  waren  schonn  eher  ergangen  andere  aber  allein  von  der  Cantzley  er- 
kenntnuss  dependirn  sonsten  höreten  alda  alle  gratialia  auff.  was  nicht  meine 
intention  ist,  habe  also  resolvirt  das  es  wie  jetzo  wegen  deren  Vorträge  zu  bleiben 
hat,  nicht  aber  eher  zu  expediren  als  in  dem  wöchentlichen  sessionstage  ihme 
Cammerpräsident  das  original  vorgelegt  hat*. 


266  B  e  e  r- 

Beschaffenheit  der  Gefälle  und  ihrer  Bestreitung  das  Absehen  nehme, 
sowie  ob  das  angestellte  Personale  nicht  übermässig  oder  allenfalls  gering 
sei,  ob  jeder  seine  Schuldigkeit  verrichte"  u.  dgl.  m.  Sie  sollte  die 
Ursachen  der  Zunahme  oder  Abnahme  der  Gefälle  ins  Auge  fassen,  so 
z.  B.  ob  der  Consum  des  Salzes  oder  die  andern  Aufschläge  in  Stadt 
und  Land  proportionirt  seien,  welche  Gefälle  bessere  Erträgnisse  brin- 
gen und  welchen  Einnuss  darauf  die  Verwaltung  habe,  überhaupt  die 
Vermehrung  der  Einnahmen  sowie  die  Verminderung  der  Ausgaben  zum 
Gegenstande  ihrer  Studien  machen.  Ausdrücklich  waren  die  Gegenstände 
bezeichnet,  über  welche  die  Wolmeinuug  der  Rechenkammer  von  den  an- 
dern Centralbehörden  abgefordert  werden  musste,  so  bei  Aenderungen 
in  dem  Mauth-  und  Tarifwesen,  bei  Errichtung  neuer  Salzsud-  und  Berg- 
werke, bei  allen  die  Verwendung  der  Gefälle  betreffenden  Fragen,  bei  Er- 
richtung neuer  Gebäude,  Schaffung  neuer  Dienstellen,  Erhöhung  der  Be- 
soldungen, Verleihung  von  Pensionen  und  Gnadengaben,  endlich  bei 
Ausgaben,  die  in  dem  von  der  Monarchie  genehmigten  Generaletat 
nicht  enthalten  waren  oder  für  welche  kein  bestimmter  Verlagsfond 
vorhanden  wäre.  Die  Bemerkungen  mussten  allerhöchstenorts  vorge- 
legt werden.  Auch  auf  die  Prüfung  der  Voranschläge  für  das  Heer 
sollte  sich  der  Einnuss  der  Rechenkaminer  erstrecken.  Vor  der  Ra- 
tification der  von  dem  Militärcommissariat  abgeschlossenen  Contrakte 
hatte  die  Rechenkammer  „ihre  Erinnerungen"  zu  machen.  Bei  den 
auf  bestimmte  Zeit  gewährten  Pensionen  oder  Gnadengaben  hatte  sie 
Erkundigungen  einzuziehen,  ob  die  betreffenden  Personen  noch  leben 
und  sich  in  dürftigen  Umständen  befinden  l). 

Die  das  Rechnungswesen  betreffenden  Angelegenheiten  umfassten 
die  Rechnungscensur,  die  Buchführung  und  die  Vorschreibung  der 
Rechnuno-smethode.  Die  Buchhaltereien  wurden  daher  den  verwal- 
tenden  Stellen  entzogen  und  einer  unabhängigen,  mit  keiner  Ver- 
waltung sich  befassenden  Stelle,  der  Hofrechenkammer,  zugewiesen, 
allein  trotzdem  mussten  die  Buchhaltereien  nach  wie  vor  den  admi- 
nistrirenden  Stellen  alle  Arbeiten,  welche  diese  forderten,  liefern  Der 
Präsident  Graf  Zinzendorf  wendete  seine  volle  Sorgfalt  der  Rechnungs- 
methode zu,  welche  in  der  That  einer  gänzlichen  Umformung  bedurfte. 
Bei  keiner  Buchhalterei  befand  sich  ein  ordentliches  Hauptbuch,  bei 
den  ständisch- ärarischen  Creditcassen  gab  es  nicht  einmal  Oeditbücher. 
Ueber  die  Empfänge  und  Ausgabeu  der  Staatshauptcassen  wurden  von 
den  Cassenämtern  ungleichförmige,  aus  unordentlichen  Strazzen  ebenso 


l)  Erschliessung  auf  einen  gemeinschaftlichen  Vortrag  der  Grafen  Hatzfeld, 
Heiberstein  und  L.  Zinzendorf  vom.  22.  Mai  1762. 


Die  Finanzverwaltung  Oesfeerreichs  1749  —  181»)'.  267 

unordentlich  verfasste  Rechnungen  gelegt,  die  oft  erst  3  oder  4  Jahre 
nach  Ablauf  des  Rechnungsjahres  zu  Stande  kamen.  Bei  dem  Banco 
führte  man  zahlreiche  Bücher  in  doppelten  Posten,  die  gar  nicht  ab- 
geschlossen werden  konnten.  Bei  den  Gefällen  war  die  alte  Rech- 
nungsart  im  Gauge,  nach  welcher  Empfang  und  Ausgabe  in  Rechnung- 
gestellt  werden  musste,  wenn  auch  weder  eines  noch  das  andere  wirk- 
lich berichtigt  worden  war  und  erst  am  Ende  der  Rechnung  wurde 
mittelst  eines  sogenannten  Liquidationsausweises  dargelegt,  was  bei 
der  Einnahme  oder  Ausgabe  ausständig  gebliebeu  war,  eine  Methode, 
die  zur  Deckung  mannigfaltiger  Malversationen  den  Mantel  hergab. 
Von  einer  „auf  ein  gemeinschaftliches  Centrum  gerichteten  Buch- 
führung" ,  um  die  Uebersicht  des  Finanzstaudes  zu  gewähren, 
war  keine  Spur,  ja  sogar  bei  der  Ungleichheit  und  Unvollstän- 
digkeit  der  Rechnungsformen  nicht  einmal  die  Möglichkeit  dazu  vor- 
handen. Um  jenen  vielfältigen  und  wesentlichen  Gebrechen  abzuhelfen, 
die  Verrechnung  des  Brutto  und  Netto  der  Finanzen  richtig  abzuson- 
dern, eine  Gleichförmigkeit  allenthalben  einzuführen  und  in  eine  solche 
Form  zu  bringen,  dass  es  möglich  würde,  eine  Centralhauptrechnung 
über  die  ganze  Finanzverwaltung  von  Jahr  zu  Jahr  zu  verfassen  und 
ebenso  auch  einen  Centralvorschlag  der  in  dem  folgenden  Jahre  zu 
erwartenden  Staatseinnahmen  und  zu  bestreitenden  Ausgaben  zu  liefern, 
war  eine  Reihe  von  Vorkehrungen  nöthig  l). 

Durch  die  der  Rechenkammer  zugewiesene  Generalcontrole  ab 
ante  erhielt  dieselbe  den  Charakter  einer  Finanzstelle  und  musste 
daher  von  allen  Unternehmungen  der  verwaltenden  Stellen  in  Kenntnis 
gesetzt  werden  und  in  allen  wichtigen  Angelegenheiten  zu  Rathe  ge- 
zogen werden.  War  sie  mit  den  zu  ergreifenden  Massnahmen  der 
administrirenden  Behörde  nicht  einverstanden,  so  hatte  ihr  Widerspruch 
einen  vorläufigen  Aufschub  zur  Folge,  bis  die  kaiserl.  Genehmigung 
erfolgte.  Der  Präsident  der  Rechenkammer  suchte  auch  in  den  näch- 
sten Jahren  den  ihm  zugewiesenen  ausgedehnten  Wirkungskreis  voll- 
ständig zu  erhalten,  obgleich  manigfache  Versuche  gemacht  wurden 
den  Wirkungskreis  einzuengen.  Nur  wurde  durch  ein  Handbillet  vom 
26.  Juni  1762  verfügt,  dass  die  Rechenkammer  nicht  befugt  sei,  von 
den  manipulirenden  Aemtern  unmittelbare  Berichte  abzufordern. 

In  dem  Vortrage  vom  11.  September  1764,  welchen  Hatzfeld  und 
Zinzendorf  über  die  Vereinigung  der  Finauzstellen   erstatteten,   wurde 


')  Diese  Darstellung  ist  zum  Theil  wörtlich  einem  ausgezeichneten  Schrift- 
stücke entnommen,  welches  im  J.  1805  über  Auftrag  des  Kaisers  von  dem  da- 
maligen Hofrath  und  Director  des  Staatsreehnungscontrolle,  Augustin  Veit  v,  Schitt- 
lersberg  ausgearbeitet  wurde. 


268  Beer. 

die  Erweiterung  des  Wirkungskreises  der  Rechenkammer  vorgeschlagen. 
Derselben  sollten  auch  alle  ständischen  Buchhaltereien,  desgleichen  auch 
die  Buchhalter  des  Stadt  wienerschen  Oberkammeramtes  untergeben 
werden.  Die  Notwendigkeit,  lauteten  die  Darlegungen,  von  den 
ständischen  Domesticalausgaben,  von  der  Verwaltung  ihrer  Admini- 
culargefälle,  von  der  Manipulation  ihres  Domesticalcredites  eine  ge- 
nauere Kenntnis  zu  erlangen,  erweise  sich  theils  aus  der  Beträchtlich- 
keit dieser  in  den  verschiedenen  Ländern  einige  Millionen  jährlich  be- 
tragenden Gegenstände,  theils  aus  der  unrichtigen  und  unvollständigen 
Wissenschaft,  welche  man  bisher  davon  gehabt,  der  Unordnung  end- 
lich, worin  sich  das  ständische  Kechnungswesen  bisher  befunden,  und 
zum  Beleg  dafür  dienen  die  in  den  gesammten  österreichischen  Län- 
dern sich  ergebenden  so  häufigen  Bankerotte  der  ständischen  Cassa- 
beamten.  Durch  die  Unterordnung  aller  dieser  Buchhaltereien  unter 
die  Rechenkammer  würde  die  Wurzel  aller  Missbräuche  auf  einmal  ab- 
geschnitten. Da  die  Kaiserin  aus  landesfürstlicher  Macht,  den 
Unterthan,  welcher  jederzeit  die  Last  der  ständischen  Ausschreibungen 
zu  tragen  habe,  gegen  die  aus  den  übermässigen  ständischen  Domesti- 
calausgaben auf  ihn  fallende  Bürde  zu  schützen,  ferner  die  Ausgaben  zu 
reguliren  allerdings  berechtigt  sei,  so  könne  eine  solche  Verfügung 
keineswegs  als  ein  Eingriff  in  die  ständischen  Privilegien  angesehen 
werden  und  um  so  weniger  zu  Klagen  Anlass  geben.  Bei  diesem  Vor- 
schlage werden  die  Stände  nur  als  eine  admiuistrirende  Stelle  ange- 
sehen, deren  Administration  die  Kaiserin  der  Beurtheilung  einer  dritten 
unabhängigen  Stelle  zu  unterwerfen  geruhe.  Die  neue  verbesserte  Rech- 
nungsmethode solle  überall  im  Einverständnisse  mit  den  administriren- 
den  Stellen  eingeführt  werden.  Der  Rechenkammer  wäre  die  Besetz- 
ung der  sämmtlichen  Buchhaltereien  in  den  Ländern  anzuvertrauen; 
in  Siebenbürgen  und  in  den  Vorlanden  sei  dies  bereits  der  Fall.  So 
lange  die  Rechenkammer  die  Berechtigung  zur  Besetzung  aller  Stellen 
nicht  habe,  werde  eine  bessere  Ordnung  schwerlich  eingeführt  werden 
können.  Nur  von  Seiten  dei  ungarischen  Hofkammer  könne  ein 
Widerspruch  besorgt  werden,  aber  daselbst  befinde  sich  das  Rechnung- 
wesen in  der  grössten  Unvollkommenheit  und  sei  die  Durchführung 
des  Vorschlages  am  allernoth wendigsten.  Auch  bei  den  Aemtern  in 
Ungarn  und  Siebenbürgen  wäre  es  nothwendig,  das  Rechnungswesen 
in  eine  bessere  Ordnung  zu  bringen,  um  durch  die  Einsicht  in  die  in- 
dividuelle Reparation  der  Contribution,  desgleichen  in  die  Provinzial- 
und  Domesticaleinkünfte,  sowie  in  die  Ausgaben  der  Comitate  und  Di- 
strikte von  den  inneren  Kräften  dieses  weitläufigen  Königreiches  und 
Fürstentums  eine  genaue  und  hinlängliche  Kenntnis  zu  erlangen. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  26Ö 

Am  20.  Mai  1765  beschäftigte  sich  die  bereits  erwähnte  ausser- 
ordentliche Commission  unter  dem  Vorsitze  des  Staatskanzlers  mit  der 
Erörterung  der  Frage,  ob  die  neu  eingeführten  Kechnungsmo dalitäten 
beizubehalten  seien.  Graf  Hatzfeld,  damals  im  vollsten  Einverständ- 
nisse mit  dem  Grafen  Zinzendorf,  ergriff  zuerst  das  Wort  und  sprach 
sich  entschieden  dafür  aus.  Das  neue  Rechnungsformulare  könne  und 
müsse  um  so  gewisser  beibehalten  werden,  da  es  „den  Rechnungs- 
beamten  alle  Erleichterung,  dem  Allerh.  Aerar  aber  alle  nur  menschen- 
mögliche Sicherheit  verschaffe,  Ordnung  und  Accuratesse  zur  Grund- 
lage habe,  alle  früheren  Fehler  aus  der  Wurzel  behoben  werden".  Dort, 
wo  dasselbe  noch  nicht  eingeführt  sei,  möge  „staffelweise"  vorgegangen 
werden,  und  zunächst  sei  bei  den  Bancalcassen  die  Einleitung  zu  treffen 
sodann  bei  den  Münz-  und  ßergwerkscassen.  Einstimmig  sprach  sich 
die  Commission  für  die  Einführung  der  neuen  Rechnungsmethode  bei 
allen  staatlichen  Aemtern  aus,  wo  dieselbe  bisher  aus  Mangel  an  ge- 
eigneten  Persönlichkeiten  noch  nicht  Eingang  gefunden  hatte.  Nur 
über  die  Frage,  ob  es  räthlich  und  erspriesslich  sei,  die  sämmtlichen 
ständischen  und  städtischen  Buchh altereien  der  ßechenkamuier  zu 
unterstellen,  giengen  die  Ansichten  auseinander.  Das  Recht  des  Landes- 
fürsten, in  die  städtischen  Einnahmen  und  Ausgaben  Einsicht  zu 
nehmen,  sei  zweifellos,  die  Notwendigkeit  für  Kriegszeiten  begründet, 
denn  „Alles  sei  alsdann  an  dem  Einfluss  des  Geldes  und  daran  gelegen, 
dass  man  wisse,  wie  viel  von  den  ausgesprochenen  Prästationen  von 
Woche  zu  Woche  eingeflossen  wäre.  Erst  durch  diese  Massregel  würde 
die  Berechnung  des  Vorspann-  und  Schlafkreuzers,  der  Rekrutirungen, 
überhaupt  aller  ständischen  Supererogaten  mitten  im  Kriege  von  Monat 
zu  Monat  möglich,  während  man  dermalen  erst  lange  darnach  auf 
veraltete,  verfälschte  und  unrichtige  Atteste  liquidiren  müsse".  Be- 
sonderen Nachdruck  legte  Zinzendorf  in  seiner  lichtvollen  Darstel- 
lung auf  die  Unterstellung  der  ungarischen  Locumtenential-  und 
Cameralbuchhaltereien  unter  die  Rechenkammer,  welche  das  einzig 
wahre  Mittel  sei,  zur  Kenntnis  der  inneren  Kräfte  des  Königreiches 
und  der  Missbräuche,  die  sich  bei  den  Comitaten  eingeschlichen,  zu 
gelangen.  Allein  diese  Ansicht  fand  getheilte  Aufnahme.  Selbst  Kaunitz 
bezweifelte  die  Berechtigung  des  Landesfürsten,  über  das  Eigenthum 
der  Stände  Rechnungsführer  zu  bestellen,  die  von  den  Ständen  bezahlt 
weiden  sollen.  Die  Stände  würden  auf  diese  Weise  unter  Curatel  ge- 
stellt, was  ihnen  doch  nicht  zugemuthet  werden  könne.  Freiwillig 
würden  sich  die  Stände  nicht  fügen,  besonders  jene  nicht,  die  keiner 
üblen  Gebahrung  beschuldigt  werden  können,  da  sie  Einsicht  zu  neh- 
men nicht  verweigern.     Wenn  man  aber  par  droit  des  canons  durch- 


270  Beer. 

setzen  wolle,  so  scheine  ihm  Alles  überflüssig,  sobald  man  kein  Be- 
denken trage,  die  hergebrachten  Verfassungen  und  Privilegien  über 
den  Haufen  zu  werfen.  Blümegen  bemerkte,  die  Visitationen  können 
ungehindert  vorgeuommen  werden ,  jedoch  durch  den  ordentlichen 
Canal,  nämlich  durch  Deputirte  des  stäudischen  Ausschusses  oder  durch 
den  Landeshauptmann,  welcher  zugleich  laudesfürstlicher  Repräsentant, 
mithin  homo  principis  et  honio  statuum  ist.  Er  sehe  nicht  ein,  warum 
man  mehr  Zutrauen  auf  die  ßuchhaltereibeamten  als  auf  den  Landes- 
hauptmann selbst  setzen  wolle.  GrafHaugwitz  hob  hervor,  dass  in  Schle- 
sien die  ständische  Buchhalterei  mit  der  königlichen  vereint  sei.  Er 
habe  als  Präsident  des  Landes  seinerzeit  diese  Union  auf  gütlichem 
Wege  mit  den  schlesischen  Fürsten  und  Ständen,  die  von  allen  erb- 
ländischen  die  stärksten  Privilegen  haben,  erwirkt,  da  er  ihnen  die 
unnöthigen  Kosten  einer  doppelten  Buchhalterei  begreiflich  gemacht 
hätte. 

Dem  gewichtigen  Einflüsse  des  Fürsten  Kaunitz  ist  es  wahr- 
scheinlich zuzuschreiben,  dass  die  Anträge  der  Commission  durch- 
drangen l).  Die  kais.  Entschliessung  verfügte,  die  neue  Rechnungsform 
bei  allen  Cassen  und  Administrationen  ehebaldigst  zu  Stande  zu  brin- 
gen; die  Untergebung  der  ständischen  und  städtischen  Buchhaltereien 
an  die  Rechenkammer  könne  noch  ausgesetzt  bleiben;  vor  allen  Dingen 
sei  an  baldige  Einführung  der  neuen  Rechnungsform  bei  den  ständi- 
schen Buchhaltereien  zu  arbeiten  und  ,,aus  der  Erfahrung  wahrzu- 
nehmen ob  dadurch  der  Endzweck  erreicht  und  die  Untergebung 
an  die  Rechenkammer  nämlich  vermieden  werden  möge".  Den  Ständen 
sei  zu  erkennen  zu  geben,  wenn  bei  Einführung  der  neuen  Rechnungs- 
form Anstände  erregt  werden  wollten,  sich  die  Kaiserin  alsdann  ver- 
anlasst sehen  dürfte,  die  ständischen  Buchhaltereien  der  Rechenkammer 
zu  subordiniren. 

Die  Verwaltungsbehörden  eifersüchtig  auf  ihren  Wirkungskreis  setz- 
ten in  der  nächsten  Zeit  ihre  Bemühungen  fort  die  Einflussnahme  der 
Rechenkammer  zu  beschränken.   In  der  That  gelang  es,  die  Kaiserin  zu 


')  Eine  Rechenkammer,  heisst  es  in  einem  Vortrage  des  Fürsten  Kaunitz 
vom  10.  Oct.  1765,  war  etwas  Neues,  und  die  Perspective  einer  controle  generale 
führte  natürlicher  Weise  die  Abneigung  aller  Hof-  und  Länderstellen  mit  sich. 
Hiemit  vereinigte  sich  noch  die  zum  Theil  schon  eingeführte  neue  Rechnungs- 
methode, welche  den  allgemeinen  Aufstand,  den  Hass  und  das  Missvergnügen  der 
Rechnungsofficialen  um  so  mehr  erweckte,  da  deren  Eigenliebe  nothwendig  be- 
schädigt werden  musste,  dass  sie  nach  langjährigen  Dienstjahren  erst  was  Neues 
erlernen  und  unter  einer  strengeren  Aufsicht  stehen  sollten.  Kaunitz  wies  auf 
die  Unzulänglichkeit  des  Personals  hin  und  bezeichnete  die  Vermehrung  desselben 
als  nothwendig. 


Die  Finanzverwaltung-  Oesterreichs  1749  —  1816.  271 

bestimmen,  einige  Abänderungen  bei  der  Eeelienkammer  anzuordnen 
Durch  Handschreiben  vom  15.  März  1768  wurde  verfügt,  dass  bei  der 
Abfassung  der  Instructionen  für  die  den  administrirenden  Stellen 
unterstehenden  Aemter  die  Rechenkammer  nur  insolerne  mitzuwirken 
hätte,  als  dieselben  in  die  Kechnungsmethode  einschlagen.  Von  nun  an 
sollte  sie  auch  in  der  Regel  nur  in  folgenden  Fällen  von  den  Verwaltungs- 
tellen  zuRathe  gezogen  werden:  Bei  Abänderungen  in  der  Rechnungsart, 
bei  allen  neuen  Einrichtungen  oder  wichtigen  Abänderungen  der  be- 
stehenden oder  bei  Verpachtungen  wichtiger  Gefälle,  deren  Ertrag 
6000  fl.  erreicht,  sowie  bei  Aufhebung  solcher  Pachtungen,  bei  Käufen 
und  Verkäufen  der  Realitäten,  deren  Werth  sich  auf  6000  fl.  belief', 
bei  Abänderungen  der  Tarife,  bei  Verfassung  des  jährlichen  Finanz- 
systems, Liquidirung  alter  Forderungen,  überhaupt  bei  allen  Credit- 
operationen,  bei  Rückzahlung  der  Schulden  und  Aufnahme  neuer  Dar- 
lehen, endlich  bei  Uebertragung  der  Schulden  von  einem  Creditfonde 
auf  den  andern.  Ein  besseres  Verhältnis  zwischen  den  Verwaltung- 
stellen  und  der  Hofrechenkammer  war  durch  diese  Entsehliessuno-  der 

o 

Kaiserin  nicht  herbeigeführt  und  im  J.  1771  war  es  namentlich  Graf 
Hatzfeld,  der  den  Vorschlag  machte,  die  Hofrechenkammer  in  eine 
von  den  administrirenden  Stellen  abhängige  Behörde  nach  Art  der 
Rechenkammer  in  Brüssel  umzugestalten  1). 

Es  ist  schon  erwähnt  worden,  dass  Hatzfeld  in  seinem  Elaborate  vom 
5.  Februar  1771  sogar  die  Beseitigung  der  Rechenkammer  beantragte. 
Durch  die  Errichtung  der  Rechenkammer,  legte  er  dar,  seien  alle  Buch- 
haltereien  von  den  administrirenden  Stellen  abgezogen  worden,  was 
das  Uebel  mit  sich  brachte,  dass  alle  Auskünfte  eine  Verzögerung  der 
Geschäfte  herbeiführten,  indem  man  gleichsam  nur  bittweise  dieselben 
durch  die  Buchhaltern  erhalten  habe  und  besonders  in  wichtigen 
Dingen  Monate  verstrichen  seien,  ehe  die  administrirende  Stelle  in 
den  Stand  gesetzt  wurde,  entweder  die  Angelegenheit  zu  berichtigen 
oder  ihren  Vorschlag  zu  erstatten.  Die  Verschiedenheit  der  Denkungs- 
art  der  Hofkammer  von  jener  der  Rechenkammer  verursache  über- 
dies noch  andere  Verzögerung.  Die  Einrichtung  des  Schulden wesens 
könne  zum  Beweise  der  Wahrheit  dienen.  Dieses  wichtige  Werk  sei 
5  Jahre  lang  herumgetrieben  worden,  bis  es  endlich  vor  wenigen 
Monaten  seine  Entscheidung  erhalten  habe.  Die  Einführung  der  neuen 
Rechnungsart  war  der  Hauptgegenstand  der  Rechenkammer  und  die 
Censur  der  Rechnungen  wurde  nur  als  ein  Nebenwerk  angesehen.  Das 
Bucbhalterei-Personale   hatte  von  dieser   neuen  Rechnungsart    keinen, 


')  Vorträge  vom  5.  Februar,  b.  Mai  und  17.  September  1771. 


272  Beer. 

wenigstens  keinen  hinlänglichen  Begriff.  Man  sah  sich  daher  ge- 
zwungen, eine  Menge  junger  Leute  aus  den  Piaristenschulen  zu  nehmen 
und  diesem  Werke  zu  widmen.  Diese  hatten  von  jenen  Gegenständen, 
bei  welchen  diese  Rechnungsart  eingeführt  werden  sollte,  keine  Kennt- 
nis, mithin  wurde  der  Vollzug  unendlich  erschwert,  weil  überhaupt 
die  Begriffe  von  der  Contalibität  und  denjenigen  Gefällen,  bei  welchen 
man  sie  in  Vollzug  setzen  wollte,  sehr  selten  in  einer  Person  sich 
vereinbart  fanden.  Es  wurden  daher  diese  jungen  Leute  mit  nicht 
geringen  Unkosten  verschickt,  um  die  Wesenheit  der  Gefälle  kennen 
zu  lernen,  was  aber  in  kurzer  Zeit  nicht  bewirkt  werden  konnte.  Es 
sei  daher  nich  zu  verwundern,  dass  unrichtige  Abschlüsse  und  Aus- 
züge erfolgt  sind,  wie  z.  B.  bei  der  Stadt  Wien,  dem  Handgrafenamte 
u.  s.  w.  Wenn  also  die  neue,  mit  der  Kanzlei  vereinbarte  Einanz- 
stelle  in  Stand  gesetzt  werden  sollte,  gründlich  und  mit  jener  Schleu- 
nigkeit zu  wirken,  wie  es  das  Beste  des  Staates  erfordert,  so  sei 
die  Aufhebung  der  Rechenkamnier  unbedingt  nothwendig.  Man 
werde  ohne  dieselbe  die  in  dem  Rechnungswesen  etwa  noch  vorfin- 
denden Gebrechen  verbessern  und  bei  den  übrigen  Buchhaltereien  jene 
Normen  einführen  können,  welche  mit  Zufriedenheit  der  Kaiserin  bei 
der  Directorialbuchhalterei  zur  Zeit  des  Directoriums  beobachtet  wor- 
den; die  Rechnungscensur  werde  in  ordentlichen  Gang  gebracht 
werden,  ohne  dass  man  dazu  den  kostbaren  Schwall  von  Leuten, 
welcher  sich  bei  der  Rechenkammer  und  den  Buchhaltereien  befindet, 
nöthig  haben  werde.  Auch  Ersparnisse  könnten  dadurch  herbeigeführt 
werden.  Nur  der  einzige  Einwand  könnte  gemacht  werden,  dass  da- 
durch die  Controle  gegenüber  der  administrirenden  Stelle  gänzlich 
beseitigt  würde.  Wenn  man  aber  betrachte,  dass  diese  Controle  von 
keinem  Nutzen  war,  so  falle  dieser  Einwurf  hinweg. 

Der  Vorschlag  Hatzfeld's  wurde  nicht  blos  von  dem  Grafen  Zin- 
zendorf  auf  das  entschiedenste  bekämpft,  sondern  auch  der  Staatsrath 
sprach  sich  dagegen  aus  *).  Auch  Graf  L.  Kolowrat  trat  nach  seiner 
Ernennung  zum  Hofkammerpräsidenten  für  eine  Einschränkung  der 
Befugnisse  der  Rechenkammer  ein,  bemängelte  namentlich  die  1768 
für  bestimmte  Fälle  eingeräumte  Controle  ab  ante ,  wornach  die 
administrirenden  Stellen  das  vorläufige  Einvernehmen  mit  der  Rechen- 
kammer zu  pflegen  angewiesen  waren.  Dem  Antrage  Kolowrats  ent- 
sprach die  Monarchin  durch  das  Handschreiben  vom  2.  März  1772 
an  den  Hofkammerpräsidenten.  „Damit  künftig",  heisst  es  daselbst, 
„die    administrirenden    Stellen    durch   diese   Vernehmungen    in    ihren 


')  Vorträge  vom  6.  Aug.  und  18.  October  1771  von  Ziuzendorf. 


DieFinanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  273 

Amts-Handlungen  keiner  dingen  aufgehalten  werden,  und  damit  auch 
die  Rechen-Kaimner  selbst  um  so  füglicher  erkleken  können  mit  den 
unter  habenden  Buchhaltereien  die  obliegende  Rechnungs-Censur  und 
anderweite  Ausarbeitungen  zu  bestreiten: 

„  So  habe  beschlossen,  dass  künftig  auch  in  diesen  noch  vorbe- 
haltenen Fällen,  denjenigen  allein  ausgenommen,  wo  es  um  eine  neue 
Einrichtung,  oder  Abänderung  der  Rechnungsart  zu  thun  ist,  diese 
Controle  ab  ante  gänzlich  aufgehoben,  folglich  von  den  administriren- 
den  Stellen  hirunter  ohne  vorläufige  Vernehmung  der  Rechen-Kammer 
in  ihren  Amts-Handlungen  fürgegangen  werden  solle". 

„Es  wird  jedoch  wie  die  Anordnung  allschon  bestehet,  fortan  ge- 
nauest darob  zu  halten  seyn,  damit  von  jeglicher  der  administriren- 
den  Stellen  die  jeweilige  zur  Vormerkung  gehörige  Veranlassungen 
der  Rechen-Kammer  unnachbleiblich  mitgetheilet  werden,  weilen  sie 
allein  dadurch  im  Stand  gesetzt  wird,  sowohl  die  Rechnungs-Censur 
als  auch  die  Haupt-Controle  im  Finanzwesen  der  Ordnung  nach  zu 
vollbringen". 

„Zu  gleicher  Zeit  habe  auch  der  Rechnung-Kammer  nochmals  ein- 
gebunden, die  verlässliche  Verfügung  zu  treffen,  damit  von  den  sämt- 
lich unterhabenden  Buchhaltereien,  und  Beamten  den  administrirenden 
Stellen,  wie  auch  deren  Hofräthen  die  anverlangende  Auskünfte,  und 
Behelfe  ohne  Anfrage  unweigerlich  jedesmal  ertheilt,  auch  sonsten  in  den 
vorkomenden  Ausarbeitungen,  wo  die  Buchhaltereien  zu  intervenireu 
haben  all  benöthigter  Bey stand  auf  Verlangen  geleistet  werden  solle." 

Der  Rechenkammerpräsident  versuchte  es  nun  in  dem  nächsten 
Jahre  die  ihm  entzogene  Generalcontrole  wieder  zu  erhalten,  die  Folge 
jedoch  war,  dass  die  Kaiserin  endlich  den  Rathschlägen  der  Verwal- 
tungsstellen nachgab  und  die  Hofrechenkammer  durch  Handbillet  vom 
20.  Januar  1773  aufhob  l).  Seitdem  befanden  sich  die  Buchhaltereien 
und  das  Rechnungswesen  von  der  Verwaltung  in  vollständiger  Ab- 
hängigkeit, obgleich  der  neue  Chef  der  Hofrechenkammer  die  Stel- 
lung eines  Präsidenten  beibehielt.  Unter  dem  Präsidium  des  Grafen 
Khevenhüller  wurden  die  Buchhaltereien  später  wieder  von  den  ad- 
ministrirenden Stellen  grösstentheils  unabhängig  gemacht  und  eine 
Hofrechenkammer  als  unmittelbare  Hofstelle  wieder  hergestellt. 

III. 

Für  die  Handelsangelegenheiten  bestand  seit  1746  ein  Commerz- 
directorium,  zuerst  unter  dem  Fürsten  Kiusky  und  nach  dessen  Tode 
seit  1749    unter    dem  Grafen  Rudolf  Chotek,    der    gleichzeitig  Banco- 

')  Vergl.  den  Vortrag  des  Hof  kammerpräsidenten  Kolowrat  v.  12.  Januar  1773. 
Mittheihuigen  XV.  18 


274  ßee  r. 

deputationspräsident  war.  Am  17.  December  1 753  wurde  Chotek  durch 
Uhlfeld  verständigt,  dass  das  Commerzdirectorium  zu  einer  mit  dem 
directorio  in  publicis  et  cameralibus  vereinigten  unmittelbaren  Hof- 
stelle erklärt  worden  sei.  Durch  Schaffung  des  Commerzdirectoriums 
wurde  der  Versuch  gemacht,  die  Handelsfragen  der  gesammten  öster- 
reichischen Länder  nach  einheitlichen  Gesichtspunkten  zu  entscheiden, 
weshalb  auch  den  Sitzungen  Mitglieder  der  ungarischen  Behörde  bei- 
gezogen wurden ;  bei  Gegenständen,  welche  die  italienischen  und  nieder- 
ländischen Gebiete  betrafen,  war  die  Mitwirkung  des  niederländischen 
und  italienischen  Käthes  erforderlich.  Nachdem  diese  beiden  Hofstellen 
aufgehoben  und  mit  der  Geheimen  Hof-  nnd  Staatskanzlei  im  Jahre 
1757  vereinigt  worden  waren,  fielen  die  Gutachten  der  Staatskanzlei 
auch  in  commerziellen  Fragen  ins  Gewicht.  Die  Eegulirung  der  Mauten 
und  Zölle  gehörte  bis  1749  zum  Wirkungskreise  der  politischen  Stelle, 
nur  mussten  Mitglieder  der  Bancodeputation  und  der  Hofkammer  den 
Berathungen  zugezogen  werden,  seitdem  wurden  die  darauf  bezüglichen 
Angelegenheiten  dem  Commerzdirectorium  übertragen  im  Einvernehmen 
mit  den  anderen  Centralstellen  1).  Die  Wiener  Commercial-  und  Manu- 
facturgeschäfte  wurden  durch  Verordnung  vom  4.  Januar  1754  dem 
Commercien  -  Directorium  unterstellt  und  zwar  jene  Fabriken,  welche 
Flachs,  Wolle,  Seide,  Leder  und  Mineralien  verarbeiten.  Zur  Besorg- 
gung  dieser  Angelegenheiten  wurde  dann  eine  selbstständige  soge- 
nannte „Delegirten-Commission"  eingesetzt.  Die  von  den  Kreishaupt- 
leuten und  Obrigkeiten  erstatteten  Berichte  sollten  von  nun  an  un- 
mittelbar an  das  Directorium  eingesendet  werden  2) 

Bei  den  Beratungen  über  die  neue  Verwaltungsorganisation  hatte 
Kaunitz  Schaffung  einer  selbstständigen  Centralstelle  für  die  wirtschaft- 
lichen Fragen  angeregt. 

Durch  Handschreiben  an  Bartenstein  vom  27.  Januar  1762  theilte 
die  Kaiserin  ihren  „höchsten  Entschluss"  mit,  dass  der  Commerzienrath 
künftig  „von  allen  anderen  Hofstellen  abgesondert  und  mit  einem 
eigenen  Präsidenten  und  bei  keinen  anderen  Stellen  angestellten 
Käthen  besetzt  werden  solle".  Er,  Bartenstein,  werde  ad  interim 
das  Präsidium  übernehmen,  nachdem  die  Kaiserin  in  seine  diesfallsige 
Kenntnis  und  die  ihm  beiwohnende,  ihr  wohlbekannte  Geschicklich- 
keit das  gnädigste  Zutrauen  setze.  Gleichzeitig  wurden  ihm  auch  die 
Mitglieder  bekannt  gegeben  3).  Bartenstein  machte  die  Kaiserin  in  einem 


J)  Ueber  Chotek  vergl.    meine  Abhandlung   in  den  Mittheilungen  Bd.  XIV. 

2)  Cod.  aust.  V.  829. 

3)  Graf  Philipp  Sinzendorf,  Baron  Toussaint,    Baron  Reischach,    Graf  Palfy, 
von  Mygind ;  Secretäre  i  Gebier,  Schell,  Degelmann. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  275 

Vortrage  vom  1.  Februar  1762  darauf  aufmerksam,  dass  mit  dem  ihm 
zugewiesenen  Personale  die  Geschäfte  nicht  erledigt  werden  könnten, 
worauf  die  kais.  Erschliessung  erfolgte,  dass  es  sich  blos  um  die  Be- 
sorgung des  Commerzwesens  ad  interim  handle,  sie  werde  sich  näch- 
stens bezüglich  der  vollständigen  Bestellung  eines  Commerzienrathes 
entscheiden  l).  Bereits  am  16.  März  1762  erfolgte  die  Anzeige,  dass 
die  Kaiserin  ihres  Dienstes  befunden  habe,  „dero  Commerzien-Haupt- 
stelle  in  der  selber  bisher  allermildest  eingeräumten  Activität  zu  be- 
lassen und  im  Verfolg  dessen  unter  dem  Namen  eines  Commercien- 
rathes  als  eine  unmittelbare  Hofstelle  zu  bestätigen  und  zu  erklären1*. 
Die  demselben  zugewiesene  Aufgabe  sollte  darin  bestehen:  „wie  das 
Wachsthum  der  inländischen  Cultur,  die  Erhebung  der  Manufacturen,  die 
Emporbringung  des  Commercii  mithin  die  wesentliche  Wohlfart  dero 
getreuesten  Erblande  und  Unterthanen  zu  befördern  sei".  Zum  Prä- 
sidenten wurde  der  Repräsentation-  und  Kammerpräsident,  wie  auch 
Landeshauptmann  ob  der  Enns,  Graf  von  Andlern- Witten  ernannt2). 
Die  Mautämter  blieben  der  Banco-Deputation  unterstellt  und  der  Com- 
mercienrath  hatte  auf  die  Verwaltung  Anfangs  gar  keinen  Einfluss. 
Ja,  die  Mautämter  weigerten  sich,  ihm  Auskünfte  zu  ertheilen.  Man 
getraue  sich  nicht  eine  Aenderung  zu  beantragen,  heisst  es  in  einem 
Protokolle  vom  1.  März  1765,  „und  den  Bauco  zu  schmälern1',  da  der 
„in  das  Grosse  gehende  Nutzen  der  Handlung  noch  keine  Gewissheit 
habe".  Das  einzige  Ergebnis  der  Berathung,  wie  dem  Uebelstande  ab- 
zuhelfen sei,  war  eine  Erschliessung  der  Kaiserin,  die  Mautämter  an- 
zuweisen, der  Commerzstelle  und  der  Intendenza  zu  Triest  Auskünfte 
zu  ertheilen.  Eine  Erweiterung  erhielt  später  der  Wirkungskreis  des 
Commerzienrathes  durch  die  Uebertragung  der  Verwaltung  der  Staats- 
fabriken, welche  bisher  von  der  Bancodeputation  verwaltet  worden 
waren.  Nach  der  Aktivirung  des  Commerzienrathes  hatte  die  Kaiserin 
ein    hierauf  bezügliches  Gutachten    gefordert 3),    aber  erst   einige  Zeit 


')  Nur  wurde  ihm  gestattet  Doblhof  ,pro  nunc  auf  das  Comnierciale  anzu- 
weisen« und  Nefi'zer,  der  Jahre  lang  in  Zollangelegenheiten  eine  gewichtige  Rolle 
hatte,  zu  verwenden. 

-)  Graf  Andlern  erhielt  8000  fl.  Gehalt,  mit  dem  Zusätze  der  Kaiserin  ,exi- 
gire  keinen  Staat  oder  sonstigen  Aufwand«-  Wirkliche  Käthe  cum  voto  :  Baron 
Reischach,  von  Doblhof  junior,  v.  Degelmann,  v.  Mygind  ;  »die  Ernennung  zweier 
Handelsleute  will  vorbehalten,  von  der  ungarischen  und  der  siebenbürgischen 
Hofkanzlei  sind  nur  in  jenen  Fällen  zwei  Hofräthe  zuzuziehen,  wenn  Angelegen- 
heit derselben  vorkommen«. 

s)  An  den  Grafen  Herberstein    den  6.  Mai  1762.     Auch  sollte  in  Erwägung 

18* 


276  Beer. 

später,  als  mau  einen  genauen  Einblick  in  die  ungenügende  Verwal- 
tung der  Bancodeputation  gewonnen  hatte,  wurde  die  Zuweisung  au 
die  Handelsbehörde  beschlossen,  die  jedoch  der  Aufgabe  sich  ebenso- 
wenig gewachsen  zeigte. 

Am  4.  Mai  1765  verständigte  die  Kaiserin  den  Grafen  Andlern,  dass 
sie  den  Beschluss  gefasst  habe,  das  „Commercialeu  mit  der  böhmisch- 
österreich.  Hofkanzlei  zu  vereinigen.  Auf  Vortrag  vom  27.  Mai  verfugte 
sie,  dass  der  Commercienrath  als  abgesonderte  Stelle,  jedoch  unter 
der  Oberdirection  des  jeweiligen  Obersten  Kanzlers  zu  stehen  habe 
und  den  Länderstellen  bekannt  zu  machen  sei.  dass  die  Aenderung 
deshalb  beliebt  worden  sei,  um  den  Commercialangelegenheiten,  welche 
in  das  „Provinciale"  einschlagen,  eine  desto  geschwindere  und  ergie- 
bigere Beförderung  und  Unterstützung  zu  verschaffen1).  Graf  Rudolf 
Chotek,  damals  Oberster  Kanzler,  machte  jedoch  Vorstellungen  und 
sprach  sich  mit  dem  Hinweise  auf  Ungarn  entschieden  dagegen  aus, 
welches,  wenn  der  Kanzlei  die  commerciellen  Angelegenheiten  über- 
wiesen würden,  auch  eine  selbstständige  Entscheidung  in  Handels- 
sachen in  Anspruch  nehmen  würde.  Der  Hofcommercienrath  habe  die 
Fragen,  welche  ,,das  Universale  betreffen",  in  Betracht  zu  ziehen.    Die 


gezogen  werden,  ,  ob  es  niebt  Einträglicher  für  Mein  Aerarium  und  den  Staat 
wäre,  diese  Fabriken  an  privatos  zu  überlassen1. 

')  Meine  Willensmeinung  ist,  dass  zwar  die  böbraiscb-österreich.  Kanzlei  und 
der  Commercienrath  abgesonderte  Stellen  verbleiben,  jedoch  beide  unter  der  Ober- 
direction und  dem  Praesidio  eines  zeitlichen  Obrist-Kanzlers  stehen,  mithin  auf 
die  nämliche  Art,  wie  es  dermalen  mit  der  Hofkammer  und  dem  Banco  geschieht, 
nur  in  Ansehung  der  Oberdirection  vereinigt  werden  sollen;  woraus  dann  von 
selbst  folget,  dass 

ad  Ium  weilen  keine  vollkommene  Union  der  zweyen  Stellen  bewürket  wird, 
ferners  besondere  Sessionen  gehalten  werden,  der  Oberdirection  aber  unbenohmen 
seyn  solle,  nach  Beschaffenheit  der  Umstände  die  Räthe  und  Referenten  einer 
Stelle  in  die  andere  zu  ziehen  ; 

ad  Ildum  hat  der  Commercienrath  seinen  eigenen  Präsidenten,  der  jedoch 
unter  der  Oberdirection  eines  jeweiligen  Obrist-Kanzlers  stehen  soll,  beizubehalten, 
wornach  es  dann  von  der  Benennung  des  Andlern  zum  Kanzler  zugleich  abkommt ; 
gleichwie  hingegen  der  Commerienrath  nur  als  eine  dem  Praesidio  des  Obrist- 
Kanzlers,  nicht  aber  der  Kanzley  und  deren  Vicepraesidio  untergebene  Stelle  an- 
zusehen, so  wird  auch  der  Vicekanzler  einigem  praesidio  bey  dem  Commercio 
sich  nicht  zu  unterziehen,  sondern  in  Abwesenheit  des  Obrist-Kanzler  und  des 
Praesidenten  der  erste  Rath  vom  Commercienrath  solches  zu  vertreten  haben; 

ad  Illtium  sin(j  hienach  auch  die  agenda  und  das  Personale  der  beiden  Hof- 
stellen abgesondert  zu  lassen,  und  auf  gleiche  Art  hat 

ad  IVtum  der  Commercienrath  seine  dermalige  Benennung  annoch  beizu- 
behalten ; 

ad  Vtum  Ist  den  Hof-  und  Länderstellen  nur  so  vieles  bekannt  zu  machen, 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—  1817.  277 

Kaiserin  änderte  nun  ihre  EntSchliessung  insoferne,  als  sie  verfügte, 
dass  Pässe,  Flaggenpatente  u.  dergl.  Urkunden  unter  dem  Namen  des 
Commercienrathes  ausgestellt,  von  dem  Obersten  Kanzler  jedoch  unter- 
fertigt werden  sollen,  ohne  „diese  Qualität"  beizusetzen  i). 

Eine  von  Maria  Theresia  dem  Grafen  Chotek  übergebene  Denk- 
schrift über  die  Aufgaben  eines  Hofcommercienrathes,  deren  Verfasser 
nicht  genannt  war  und  die  wahrscheinlich  von  Josef  herrührte2),  gab 
den  Austoss  zur  Schaffung  einer  neuen  Körperschaft.  In  einem  Hand- 
schreiben vom  28.  October  1768  an  Chotek  bezeichnete  die  Kaiserin  die 
Mängel,  die  nach  ihrer  Ansicht  bei  der  bisherigen  Behandlung  der  Ge- 
schäfte von  Seite  des  Hof-Commercienraths  sich  herausgestellt  hatten. 
In  einer  Denkschrift,    allerunterthänigste  Erinnerungen  betitelt,    weist 


dass  Ich,  um  den  Commercial-Angelegenheiten,  welche  in  das  Provinciale  ein- 
schlagen, eine  desto  geschwindere  und  ergiebigere  Beförderung  und  Unterstütz- 
ung zu  verschaffen,  für  gut  befunden  habe,  den  Commercienrath  der  Oberdirection 
uud  dem  Praesidio  eines  zeitlichen  Obrist-Kanzlers  zu  übergeben,  im  Uebrigen 
aber  annoch  bei  seiner  bisherigen  Verfassung  zu  belassen. 

Hiernach  wird  also  in  die  Ausübung  der  Oberdirection  ohne  weiteren  An- 
stand von  nun  an  angetreten  werden  können.  (Vortrag  der  böhmischen  und 
Österreich.  Kanzlei,  unterzeichnet  Rudolf  Graf  v.  Chotek,  27.  Mai,  rep.  14.  Juni  1765. 

')  Vortrag,  5.  Juni  1765  nnd  kais.  EntSchliessung.  Das  Handschreiben  der 
Kaiserin  an  Rudolf  Choteck,  14.  Juni  1765.  Ein  Handschreiben  vom  14.  Juni 
verfügte,  dass  nach  , Jubilation*  des  Andlern  vorläufig  Lichnowsky  als  erster  Rath 
des  Herrenstandes  das  Geschält  zu  führen  habe. 

-)  Die  Anmerkungen  lauten;  Unter  allen  Theilen  der  Regieruug  erfordert 
jene  des  Commercienwesens  die  meiste  Beförderung  und  Behendigkeit  sowohl  in 
Ansehung  der  Entschliesungen  als  in  dem  Vollzuge  selbst. 

Bis  auf  einige  Generalsätze,  die  unveränderlich  bleiben  müssen,  ist  alles 
Uebrige  in  dem  Commercienwesen  plötzlichen  Veränderungen  unterworfen.  Durch 
längere  Ueberlegungen  eines  Commercienrathes  können  zum  öfteren  die  günstig- 
sten Gelegenheiten    aus  Händen   gelassen    werden    und  für  stets   verloren  gehen. 

Das  politische  Commercium  erfordert  ausserdem  : 

Imo  Die  wichtigste  Combinirung  aller  Theile  der  Bedürfnisse  sowohl  als  des 
Ueberflusses,  eine  genaue  Nachforschung,  wie  erstere  mit  den  geringsten  Kosten 
und  das  Entbehrliche  am  vortheilhaftesten  an  Mann  gebracht  werden  möge. 

IIdo  Eine  gründliche  Kenntniss  des  Wechsels  und  wie  solcher  mit  den  besten 
Nutzen  des  Staates  einzuleiten. 

IIluo  Eine  Kenntniss  der  Transporten,  wie  allenthalben  die  Versendungen 
zu  veranstalten ,  was  für  Schwierigkeiten  oder  Erleichterung  bei  selben  zu 
Wasser  und  Land  sich  vorfinden,  was  in  Ansehung  der  Assecurationen  zu  be- 
trachten u.  s.  w. 

lVt0  Eine  nicht  geringere  Kenntniss  aller  inländischen  Erzeugungen,  ihrer 
Verarbeitung,  wie  solche  hier  und  bey  dem  Ausländer  zu  geschehen  pflegt,  der 
Gattungen,    an    welchen    es    dem  Staate  anuoch  gebricht,    und  wie  der  Abgang 


278  Beer. 

Chotek  darauf  hin,  dass  es  bisher  an  dem  nöthigen  Personale  fehlte. 
An  den  Berathungen  nahmen  nämlich  auch  Mitglieder  der  böhmisch- 
österreichische u  Hofkanzlei  theil,  wenn  es  sich  um  Angelegenheiten 
handelte,  welche  auch  das  Politische  betrafen.  Eine  Scheidung  der 
Agenden  sei  nothwendig  und  jeder  Stelle  sollten  nur  „jene  eigen  ver- 
bleiben ,  die  ohne  besorgliche  Vermischung  keinen  Zusammenhang 
leiden":  „die  publico-politischen  sollen  der  Kanzlei,  die  eigentlichen 
Commercialia  dem  Handelsdepartement  verbleiben1'.  Zu  den  letz- 
teren wurden  gerechnet:  Die  Besorgung  des  Manufacturstandes  aller 
deutschen  Erblande,  insoweit  nicht  allgemeine  Anordnungen  erforder- 
lich seien,  „die  in  das  politicum  mit  einschlagen",  der  Privathandel 
mit  demselben  Vorbehalt,  die  Correspondenz  mit  den  Consessen,  die 
Ertheilung  von  Pässen  für  die  Einfuhr  verbotener  Waaren,  Cassa- 
angelegenheiten  der  Commerialfonde,  die  Verwaltung  der  Küste  sowohl 
in  politischer  als  ökonomischer  Hinsicht,  das  Seewesen  und  die  Schiff- 
fahrt, die  Ertheilung  der  Flaggeupatente,  Anstellungen  von  Consulen 
u.  dgl.,  die  Aufsicht  über  die  zur  Beförderung  des  Handels  bestimmten 
Unternehmungen,  die  Schiffbarmachung  der  Flüsse,  Herstellung  von 
Kanälen,  Austrocknung  von  Sümpfen  u.  dgl. ;  allein  auch  bei  diesen 
dem  Handelsdepartement  zugewiesenen  Angelegenheiten,  meinte  Chotek, 
können  sich  Fälle  ereignen,  die  zu  einer  allgemeinen  Veranstaltung 
den  Anlass  geben,  wo  daher  ein  innigerer  Zusammenhang  mit  der 
Kauzlei  hergestellt  werden  müsse,  insoweit  diese  die  ganze  Staatswirt- 
schaft besorge;  mit  andern  Worten,  Chotek  forderte,  dass  allgemeine 
Normen  und  Verfügungen  nicht  selbstständig  von  der  Commerzabthei- 
lung  erlassen    werden   sollen,    sondern   dieser   blos   die   Durchführung 


zu  ersetzen  und  wie  die  rohe  ausser  Land  begebende  Materialien  im  Lande  selbst 
zu  verarbeiten. 

Vt0  Eine  genaue  Lokalkenntniss  der  Gegenden  und  Ortschaften,  was  für 
Vortheile  besonders  in  Beziehung  aut  eine  so  andere  Fabrik  oder  Manufactur 
daselbst  anzutreffen. 

Vlt0  Eine  Kenntniss  der  fremden  Waaren  und  welche  sonderheitlich  con- 
venireten,  um  gegen  solche  das  Enthehrliche  hintanzugeben,  wovon  sodann  diese 
mit  dem  besten  Nutzen  weiters  wiederum  zum  Verschleiss  zu  bringen.     Eudlich 

VI!11'0  Die  Kenntniss  fremder  Staaten  und  Nationen,  mit  welchen  vortheil- 
hafte  Commercien-Tractaten  zu  schliessen,  was  für  Waaren  denselben  besonders 
conveniren  und  von  dorther  wiederum  bezogen  werden  könnten  ? 

Wenn  man  den  Umfang  dieser  Kenntnisse  betrachtet,  wird  man  anerkennen, 
dass  keiner  Bingen  das  Geschäft  eines  Commercienrathes  ausmachen,  welcher 
wöchentlich  ein-  oder  zweymal  sich  versammelt  und  dem  in  den  Sessionen  kaum 
die  Zeit  erklecket,  die  Vorträge  anzuhören  und  die  vorkommende  viele  Angelegen- 
heiten zu  Erledigung  zu  bringen. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  279 

oder  die  eigentliche  Verwaltung  zu  überlassen  sei;  eine  Vereinigung 
unter  eiuem  Chef  sei  herzustellen;  damit  aber  die  ,,Obrist-Kanzley" 
nicht  mit  allzu  vielen,  öfters  nur  mechanischen  Verrichtungen  beschäf- 
tigt werde,  sei  das  Präsidium  einem  Vicepräsidenten  zu  übertragen, 
und  der  Kanzler  hätte  sich  nur  jene  Angelegenheiten  vorzubehalten, 
die  eine  kaiserliche  Entschliessung  erheischen.  Ferner  sollten  die  Be- 
rathungen  in  selbstständigen  Sitzungen  der  Hof  kanzlei  in  allen  den 
Handel  und  die  Staatswirtschaft  betreffenden  Angelegenheiten  statt- 
finden. Die  Staatswirtschaft,  heisst  es  in  dem  Vortrage  Choteks,  und 
das  Commercium  in  den  dentschen  Erblanden,  wenn  auch  die  Ober- 
aufsicht über  beide  für  eine  wesentliche  Beschäftigung  der  Kanzlei 
angesehen  wird,  ist  mit  dem  Camerali  und  dessen  Stelle  in  mehreren 
Stücken,  sonderlich  aber  in  dem  die  Zölle  und  Mauten  vertretenden 
Bancali  so  sehr  verflochten,  dass  ohne  übereinstimmenden  Vorgang 
sowohl  in  Ansehung  der  Grundsätze  als  der  Befolgungsart  schwerlich 
etwas  Erspriessliches  zu  hoffen  sei.  Eine  gleiche  Beschaffenheit  habe 
es  mit  den  ungarischen  Erblanden,  dem  Grossfürstenthum  Siebenbürgen, 
dem  Temesvarer  Banat  und  den  dem  Militär  in  Politicis  übergebenen 
Landesbezirken.  Sei  zwischen  diesen  und  den  deutschen  Erblanden 
bezüglich  der  erwähnten  Gegenstände  kein  systematischer  Zusammen- 
hang, sehe  sich  jedes  Land  und  die  ihm  vorgesetzte  Stelle  für  einen 
eigenen  Staatskörper  an,  der  seinen  Diensteifer  nur  darin  setzt,  dem 
anderen  einen  Vorzug  zu  benehmen  und  sich  beizulegen,  mit  einem 
Wort  immer  nur  der  wirkende  und  niemals  der  leidende  Theil  sein 
zu  wollen,  so  werde  sich  das  Gleichgewicht  niemals  festsetzen  lassen. 
Aus  diesem  Grunde  schlage  er  vor,  dass  die  Kanzlei  in  Commerz-  und 
Staatswirtschaftssachen  als  eine  Deputation  anzusehen  wäre,  wie  eine 
dergleichen  schon  in  Sanitätssachen  bestehe ,  bei  welcher  die  Vor- 
fallenheiten  aller  Länder  dergestalt  wenigstens  quo  ad  normalia  et 
generalia  zu  verhandeln  wären;  dass  daselbst  ein  Rath  von  jeder  Stelle, 
nämlich  von  der  Hofkammer,  der  Ministerialbancodeputation,  der  Re- 
chenkammer, der  ungarischen  und  siebenbürgischen  Hof  kanzlei,  nöthigen- 
falls  auch  von  dem  Hofkriegsrathe  allemal  zu  erscheinen,  den  erfor- 
derlichen Vortrag  zu  machen  und  die  Expedition  zu  veranlassen  hätte. 
Sei  dieser  Rath  mit  den  Ansichten  der  Deputation  einverstanden,  so 
wäre  nicht  zu  gestatten,  Allerhöchstenorts  dagegen  eine  Vorstellung 
zu  machen  und  damit  den  Vollzug  aufzuhalten;  wenn  aber  der  Bei- 
sitzende oder  die  nach  Wichtigkeit  der  Sache  besonders  abgeordneten 
Räthe  verschiedener  Meinung  wären,  so  müsste  die  Allerhöchste  Ent- 
scheidung erbeten  werden. 

Bezüglich    der   Erhebung    der   Population,    des   Verhältnisses   des 


280  B  e  e  r- 

Nahrungstriebes  in  den  verschiedenen  Gewerben  oder  der  Manufactur- 
tabellen,  der  verschiedenen  und  hauptsächlichsten  Erzeugnisse  der 
Bodeucultur,  welche  ihren  Einfluss  theils  auf  die  gemeine  Lebensnoth- 
durft,  theils  auf  den  Urstoff  zu  Manufactur  und  Handlung  haben, 
endlich  bezüglich  der  Commercialtabellen,  welche  die  Bilanz  zwischen 
dem  Activ-  und  Passivhandel  angeben  sollen,  sprach  sich  Chotek  da- 
hin aus,  dass  niemand  die  Nutzbarkeit  dieser  Tabellen  misskenne, 
allein  es  werde  zu  überlegen  sein,  ob  die  Fassionen  zur  Erhaltung  des 
Bevölkerungsstandes  mit  jenem  wegen  der  Schuldensteuer  zu  verein- 
baren, ob  es  thunlich,  nebst  dem  Gewerbetriebe  auch  den  Manufactur- 
stand  mit  Verlässlichkeit  zu  erheben  oder  ob  die  mühsame  und  un- 
verlässliche  Verfertigung  besonderer  Tabellen  über  den  letzteren  er- 
spart werden  könne,  wem  die  Besorgung  der  Beschreibung  obliegen, 
durch  welche  anreizende  Mittel  die  genaue  Vollstreckung  erzielt  wer- 
den solle,  damit  wegen  des  täglichen  Verbrauches  der  Produkte  nicht 
eine  überflüssige  und  daher  unnütze  Arbeit  geschehe,  und  da  das  Journal 
für  die  Commerztabellen  nichts  anderes  sei,  als  die  Einführung  einer 
verlässlichen  Verrechnungsart  bei  den  Mautämtern,  so  müsste  zu  über- 
legen sein,  ob  diese  Rechnungsart  einzuführen  oder  den  Beamten 
eine  üoppelrechnung  zu  halten  zuzumuthen  sei.  Die  vorgeschla- 
genen Tabellen  haben  nur  dann  einen  Nutzen,  wenn  sie  sich  auf 
die  ganze  Monarchie  erstrecken,  die  Verfassung  der  Länder  sei  aber 
so  verschieden,  dass  darauf  Rücksicht  zu  nehmen  sei;  die  Erörterung 
aller  dieser  Umstände  werde  daher  das  Geschäft  der  vorgeschlagenen 
Deputation  sein  und  könne  durch  eine  vorläufige  Aeusserung  nicht  er- 
schöpft werden. 

Die  kaiserliche  Genehmigung  dieser  Vorschläge  erfolgte.  Der 
neuen  Körperschaft,  Deputation  in  Staats-  und  Wirtschaftssachen  ge- 
nannt, fiel  die  Aufgabe  zu,  alle  das  Commercialwesen  überhaupt  die 
Verbesserung  der  innerlichen  Staatswirtschaft  betreffenden  Angelegen- 
heiten der  gesammten  deutschen  und  ungarischen  Erblande  wenigstens 
in  Bezug  auf  die  Normalien  und  Generalien  in  gehörigem  Zusammen- 
hang zu  behandeln  *)  Graf  Rudolf  Chotek  wurde  zum  Vorsitzenden 
der  Wirtschaftsdeputation  bestimmt.  Die  verschiedenen  Hofstellen 
hatten  an  den  Sitzungstagen,  wofür  der  Donnerstag  festgesetzt  wurde, 
so  oft  es  sich  um  Angelegenheiten  handelt,  die  mit  ihrem  Ressort  in 
einem  Zusammenhang  stehen ,  sich  durch  ein  Mitglied  vertreten  zu 
lassen  und  eventuell  Vorträge  zu  erstatten.  Ausdrücklich  wurde  ge- 
fordert,   dass,    im  Falle    die  Präsidenten,   die  nach  Thunlichkeit  selbst 


')  Resolution  der  Kaiserin  de  accepto  31.  Dec.  17(38. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1806".  281 

den  Sitzungen  beizuwohnen  haben,  am  Erscheinen  verhindert  werden, 
ein  Hofrath  zu  entsenden  sei,  und  zwar  müsste  er  mit  einer  Instruc- 
tion versehen  werden,  um  seiue  Stimme  abzugeben;  eine  Entschuldi- 
gung, als  wäre  er  dazu  nicht  ermächtigt,  würde  nicht  angenommen 
werden;  wenn  eine  Stelle  gegen  das  abgegebene  Votum  des  abgesen- 
deten Käthes  oder  gegen  einen  Beschluss  der  Deputation  Erinnerungen 
anzubringen  hätte,  so  sei  diese  der  Kaiserin  binnen  drei  Tagen  zu 
eröffnen.  Die  Protokolle  mussten  der  Kaiserin  von  acht  zu  acht 
Tagen,  am  Schlüsse  des  Jahres  ein  Ausweis  über  die  gesammte  Gestion 
vorgelegt  werden,  „allermaassen  das  Verdienst  derjenigen,  die  sich  auf 
eine  ausnehmende  Art  vor  andern  verwenden",  besonders  belohnt  wer- 
den solle. 

Der  Commercienrath  wurde  nunmehr  auf  die  eigentliche  Verwal- 
tung der  Manufacturen  und  des  Privathandels  beschränkt ;  ferner  wurde 
ihm  die  Verwaltung  des  Litorales,  des  Seewesens  und  der  Schifffahrt 
die  Ertheilung  der  Flaggenpatente,  die  Anstellung  der  Consulen,  die 
Schiffbarmachung  der  Flüsse,  die  Herstellung  der  Canäle,  Austrocknung 
u.  dffl.  m.  übertragen.  Der  Commercienratli  blieb  dem  Obersten  Kanzler 
unterstellt,  ihm  zur  Seite  stand  für  die  „mechanischen  Verrichtungen" 
ein  Vicepräsident.  Alle  jene  Angelegenheiten,  welche  die  Allerhöchste 
Entschliessung  erheischten,  blieben  ausdrücklich  dem  Obersten  Kanzler 
vorbehalten. 

Im  Jahre  1771  wurde  das  „Commerciale"  der  Hofkammer  über- 
wiesen und  der  Leitung  eines  Vicepräsidenten  unterstellt l),  1776  aber- 
mals mit  der  Hof  kanzlei  vereinigt.  Der  damalige  Vicepräsident  Baron 
Beischach    wurde    gleichzeitig  Kanzler 2).      Die  Commerciencasse  sollte 


')  Handschreiben  an  Kolowrat  17.  Dec.  1771. 

2)  Handschreiben  an  ßlümegen,  2.  Januar  1776;  an  den  Hofkammerpräsi- 
denten vom  gleichen  Tage  mit  der  Bemerkung,  dass  »gewiss  nicht  Misstrauen 
auf  seine  Person  den  Anlass  gegeben  habe,  da  er  bis  jetzo  selben  (den  Com- 
mercienrath) zu  Meiner  vollkommen  Zufriedenheit  geführet  hat«.  Die  Kaiserin 
erwarte  seine  Vorschläge,  heisst  es  in  dem  Handschreiben  an  Blümegen,  diese 
sind  einstweilen  die  Sätze,  die  Ich  festgestellt  habe:  alle  nur  möglichen  Frei- 
heiten im  Handel  und  in  der  Erzeugung  in  allen  Ländern,  Aufhebung  der  Inten- 
denza  in  Triest,  Untergebung  aller  Polizei  und  Iudizialges chatte  an  die  Landes- 
hauptniannschaft  in  Görz;  Fiume,  Buccari,  Buccarizza  und  Portore  an  Ungarn. 
Zengg  und  Carlopago  an  das  Militär.  Interessant  sind  die  Bemerkungen  über 
die  Fiume  betreffende  Entscheidung  in  einem  Protokolle  vom  17.  Jänner:  Diese 
Stadt  habe  immer  zur  krainischen  Landesstelle  gehört  und  einen  zu  dem  Herzog- 
thum  gehörigen  »Gezirk«  avisgemacht;  es  dürfte  also  die  Abreissung  desselben  als 
eines  Theils  einer  zum  römischen  Reiche  gehörigen  deutschen  Provinz  wie  Krain 
sei,  und  die  Einverleibung   zur   Krone  Ungarns    bedenklich  sein,    und  zu  Weite- 


282  B  e  e  r- 

überall  von  dem  Commereiali  geführt  werden,  nur  die  jährlieh  von 
der  Kaiserin  bewilligten  Anweisungen  seien  auszubezahlen,  während 
bisher  ein  bestimmter  Fond  hiefür  festgesetzt  war.  Die  ungarischen 
Angelegenheiten  wurden  den  ungarischen  politischen  und  Cammeral- 
behörden  übertragen.  Zwei  Jahre  später  wurde  auch  die  Aufsicht 
über  die  Navigationsarbeiten  als  „ein  Publikum1'  der  böhmisch-öster- 
reichischen Hof  kanzlei  übergeben,  welche  die  Notwendigkeit  und  den 
Nutzen  dieser  Arbeiten  zu  ermessen  und  hiernach  die  jeweiligen  An- 
träge zu  machen  hätte  x). 

Um  das  Handelswesen  in  den  einzelnen  Königreichen  und  Län- 
dern in  einen  besseren  Stand  zu  setzen,  wurde  bereits  1700  in  Nieder- 
österreich und  im  Lande  ob  der  Enns  eine  Hofkommission  angeordnet, 
später  wurde  in  Böhmen  eine  Commerzdeputation  ins  Leben  gerufen ;  die 
Mitglieder  waren  Anfangs  unbesoldet  und  ihnen  die  Aufgabe  zugewiesen 
auf  die  „Emporbringung  der  Commereien"  bedacht  zu  nehmen.  Seit 
1749,  nachdem  einige  Jahre  zuvor  das  Commercien-Oberdirectorium 
für  die  gesammten  österreichischen  Länder  geschaffen  worden  war, 
wurden  in  den  einzelnen  Ländern  Commerzconsesse  oder  Commerz- 
commissionen gebildet 2). 

Im  Jahre  1753  wurde  ein  Manufacturscollegium  in  Prag  errichtet, 
welches  1757  mit  dem  Commerzconsesse  vereinigt  wurde  und  den 
Namen  Consessus  in  commerciaiibus  et  manufacturisticis  führte.  Zum 
Präsidenten  wurde  der  ßepräsentations-  und  Kammerrath,  zugleich 
oberster  Münz-  und  Bergmeister  in  Böhmen,  Graf  Franz  Josef  v.  Pachta 
ernannt.  Ausser  11  Assessoren,  die  ernannt  wurden,  sollten  auch 
2  Kaufleute    den    Sitzungen    beigezogen    werden,    für    die   besonderen 


rungen  mit  gedachtem  römischem  Reiche,  welches  diese  Abtrennung  für  ein  Avul- 
sum  lmperii  ansehen  dürfte,  unfehlbar  führen.  Fiume  sei  an  Görz,  sowie  Triest^ 
zu  übertragen.  Die  kaiserl.  Entschliessung  wiederholte  die  Weisung,  fügte  nur 
hinzu,  dass  die  Linzer  Fabrik,  welche  bisher  von  dem  Commercienrath  verwaltet 
worden  war,  von  der  Hof  kammer  noch  zwei  Jahre  zu  besorgen,  sodann  an  Kauf- 
leute zu  überlassen  sei. 

!)  Kaiserl.  Entschliessung  vom  October  1778. 

?)  Rescript  vom  10.  März  1749.  Da  nun  die  Deputationen  die  nöthige  Zeit 
zur  Vorbereitung  und  Ausarbeitung  der  auf  das  Commercielle  bezüglichen  Agen- 
den in  ihren  Deputations-Consessen  nicht  leicht  finden  dürften,  so  sollen  sie  nach 
kaiserlichem  Befehl  zwei  oder  höchstens  drei  Personen,  welche  in  Commerzange- 
legenheiten  besonders  bewandert  und  durch  andere  Geschäfte  nicht  allzusehr  ab- 
gezogen sind,  zu  einem  Particular-Consess  zu  dem  Ende  zusammensetzen,  damit 
diese  den  Commercialdingen  obliegen  und  ihre  ausgearbeiten  Vorschläge  zur  wei- 
teren Berathung  an  die  Deputationen  abgeben  sollen.  Ausführliche  Instruction 
am   15.  März  1749  von  Chotek  erlassen. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  283 

Comniercial-  und  Manufactursgeschäfte  der  Prager  Städte  war  die 
Mitwirkung  von  3  königl.  Richtern  dieser  Städte  bei  den  Sitzungen 
erforderlich  l).  Nach  Errichtung  des  Commercienrathes  wurde  auch 
an  die  Organisation  der  Consesse  in  den  übrigen  Ländern  geschritten. 
Denselben  sollten  drei  Mitglieder  aus  dem  Kaufmannsstande  beige- 
zogen werden 2).  In  Mähren  wurde  das  bisherige  „Manufacturamt" 
aufgehoben  und  dem  Concesse  die  Besorgung  der  darauf  bezüglichen 
Angelegenheiten  übertragen 3).  In  Niederösterreich  wurde  Graf 
Philipp  Sinzendorf  zum  Präsidenten  ernannt 4).  Die  Länderstellen  wur- 
den zur  jährlichen  Berichterstattung  „in  Corurnercialibus"  aufgefordert 
und  angewiesen,  von  den  Consessen  einen  Ausweis  zu  fordern,  über 
die  in  dem  betreffenden  Jahre  getroffenen  Veranstaltungen  und  Vor- 
kehrungen, ferner  darüber  zu  berichten,  welche  Fabrication  in  dem  Lande 
zu  vermehren,  welche  Gattungen  fremder  Waareu  zu  verbieten,  welche 
inländischen  Erzeugnisse  zum  Verschleiss  neu  einzuleiten  seien  u.  dgl.  m. 
(3.  November  1763).  Die  Consesse  waren  verpflichtet,  alljährlich  Ta- 
bellen über  die  im  Lande  befindlichen  Manufacturen  einzusenden, 
einerseits,  um  hierauf  gestützt  sodann  die  nothwendigen  Weisungen 
über  die  Förderung  des  einen  oder  des  anderen  Industriezweiges  zu 
erlassen,  vornehmlich  aber,  weil  man  in  Wien  selbst  das  Bedürfnis 
empfand,  sich  zu  unterrichten,  obgleich  nicht  selten  selbst  die  Länder- 
consesse  von  dem  Stande  der  Industrie  in  dem  eigenen  Lande  keine 
Kenntnisse  besassen.     Die  Handelsleute,  lautet  eine  Zuschrift  an  sämmt- 


')  An  die  Repräsentation  und  Kammer,  20.  October  1757. 

2)  Kaiserl.  Entschliessung  auf  Vortrag  des  C.  R.,  12.  Juli  1763. 

3)  An  das  Landesgubernium  in  Mähren  14.  Nov.  1763.  In  Mähren  be- 
standen eigentlich  drei  Stellen,  die  sich  mit  Handelsangelegenheiten  zu  be- 
schäftigen hatten:  das  Manufacturamt,  die  Lehenbank  und  der  Consess.  Ueber 
das  Manufacturamt.  heisst  es  in  einem  Bericht  des  mährischen  Concesses  vom 
14.  Mai  1763,  es  sei  leider  mit  solchen  Subjekten  versehen ,  welche  weder 
die  wahren  Commercialgrundsätze  noch  die  erforderliche  Uebung  und  Erfahrung 
besitzen,  was  sehr  viele  Unordnungen  und  die  Abneigung  des  ganzen  Landes 
nach  sich  ziehe.  Am  14.  Nov.  1763  erfloss  die  Weisung  an  das  Landesguber- 
nium, dass  dem  Graf  Schlick  das  Präsidium  des  Commercialconsesses  anvertraut 
sei.     Auch  sollen  erfahrene  Handelsleute  beigezogen  werden. 

4)  Die  andern  Mitglieder  waren  :  Graf  Carl  Zinzendorf,  Friese,  Graf  Lam- 
berg,  Schmerling,  Pillowitz,  Motter,  Laube,  Martini,  Kessler.  Als  Grund,  wess- 
halb  bei  Besetzung  der  Posten  bei  den  Commercialconsessen  keine  reiche  Aus- 
wahl vorhanden  sei,  wird  angegeben :  da  das  Vorurtheil  noch  zu  frisch,  dass  die 
Commercialwissenschaft  ausser  dem  Handelsstande  die  Hauptbeschäftigung  eines 
Menschen  und  dessen  Fortkommen  schwerlich  ausmachen  könne.  Vortrag  von 
Andlern- Witten  2.  Oct,  1764. 


284  B  e  e  r. 

liehe  Commercialconsesse ,  verlangen  für  diesen  oder  jenen  Artikel 
Pässe  unter  dem  Vorwande,  dass  solche  in  den  Erblanden  nicht  er- 
zeugt werden;  die  Commercialconsesse,  auch  wenn  sie  darüber  ver- 
nommen werden,  vermögen  keine  verlässliche  Auskunft  zu  ertheilen, 
inwieweit  dem  Gesuche  zu  willfahren  sei,  weil  ihnen  die  Gewerb- 
schaften der  übrigen  Kronländer  und  deren  Erzeugnisse  nicht  einmal 
dem  Namen  nach  bekannt  seien  *).  Die  in  einzelnen  Ländern  be- 
stehenden „Zunftcommissionen''  wurden  aufgehoben  und  die  Agenden 
den  Consessen  übertragen a).  Die  Consesse  wurden  angewiesen,  ihr 
Augenmerk  darauf  zu  richten,  dass  nur  nützliche  und  im  Lande  nicht 
vorhandene  Manufacturen  eingeführt  werden  und  zwar  solche,  zu  wel- 
chen das  Kohprodukt  im  Lande  vorhanden  sei,  damit  das  bare  Geld 
in  den  Erblanden  erhalten  bleibe  und  nicht  für  solche  Waaren,  die 
darin  bequem  verfertigt  werden  könnten,  ausfliesse.  In  manchen  Er- 
lässen begnügte  man  sich  nicht  mit  diesen  allgemeinen  Andeutungen, 
sondern  bezeichnete  auch  jene  Industrien,  deren  Förderung  angezeigt  sei3). 
Auch  in  den  Ländern  jenseits  der  Leitha  wurden  Commercialconsesse 
errichtet,  so  in  dem  Banate  1759  durch  Dekret  vom  10.  Sept.  erst 
1770  aktivirt,  in  Siebenbürgen  durch  Handschreiben  vom  6.  Januar 
1769  „um  daselbst  die  Handelschaft  und  Manufacturen  sammt  der 
Agricultur  besser  einzurichten"4).  Seit  1772  wurden  die  Consesse 
beseitigt,  zunächst  in  Böhmen,  um  daselbst  mit  dem  dortigen  Guber- 
nium  vereinigt  zu  werden  (18.  Mai  1772),  einige  Monate  später  in 
Görz  und  Kärnten,  in  Krain,  Oberösterreich,  Tirol  und  Vorderöster- 
reich (10.  Sept.  1772.) 5) 


1)  An  sämmtliche  Concesse,  23.  Juli  1767. 

2)  17.  April  1769  an  d.  Consess  in  Böhmen. 

s)  Circulare  für  Böhmen,  26.  Juni  1769;  28.  August  1769  für  Mähren. 

4)  Durch  Handschreiben  vom  13.  Juli  1769  an  R.  Chotek  verfugte  die  Kai- 
serin :  da  die  von  der  siebenbürgi sehen  Commission  erstatteten  Commercialpro- 
tokolle  nicht  in  behöriger  Art  verfasst  sind,  so  hat  er  ein  Formular  von  einem 
hiesigen  Protokolle  des  Commercien-Consessus  zugleich  aber  ein  Formulare  von 
denen  über  wichtige  Punkten  zu  erstattenden  Berichten  an  die  siebenbürgische 
Commission  zu  übergeben,  damit  sich  hiernach  auch  in  Siebenbürgen  gerichtet 
werden  möge. 

5)  Der  Antrag  bezüglich  Böhmens  wurde  durch  Protokoll  vom  13.  Febr.  1772, 
bezüglich  der  anderen  Länder  einige  Monate  später  gestellt.  Die  Sitzung  fand 
unter  dem  Vorsitze  des  Grafen  Leop.  Kolowrat  statt  und  wurde  da  Protokoll  am 
14.  Juli  der  Kaiserin  vorgelegt. 

,Ich  begnehmige  überhaupt  das  Einrathen  der  Commission  ,  dass  näm- 
lich der  böhmische  Commercialconsess  mit  dem  Gubernio  vereinbart,  dessen 
Agenda  sohin  gedachtem  Gubernio  übertragen  und  künftighin  allda  in  einer 
besondern    Commission,    wie    es    mit    der    Polizei    und    Sicherheit    gehalten 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—  1816.  285 

Auf  Vorschlag  des  Grafen  Josef  Kinsky  wurden  in  den  Com- 
mercialkreisen  Böhmens,  wie  man  die  an  Sachsen  grenzenden  Be- 
zirke nannte,  Manufactursinspectoren  bestellt.  Die  denselben  ertheilte 
Instruction,  nach  dem  Vorbilde  der  von  Friedrich  II.  für  Glatz  erlas- 
senen entworfen,  gieng  dahin,  Reisen  in  den  ihrer  Obsorge  unter- 
stellten Bezirke  vorzunehmen,  die  daselbst  befindlichen  Fabriken  und 
Manulactnren  zu  untersuchen,  die  Anzahl  der  Fabrikanten,  Commercial- 
haudwerke,  Meisterschaften  und  Künstler  anzuzeigen,  die  Menge  der 
jährlich  erzeugten  Fabrikate ,  sowie  die  Verleger  und  Handelsleute, 
auch  wohin  der  Verschleiss  gehe,  namhaft  zu  machen.  Vornehmlich 
sollten  sie  sich  angelegen  sein  lassen,  die  Natur-  und  Industrieerzeug- 
uisse  anzugeben,  ob  und  wie  die  Cultur  derselben  vermehrt  und  ver- 
bessert worden  sei,  ob  in  den  Bezirken  die  Woll-  und  Flachsspinnerei 
genügend  belegt,  wie  dieselbe  eventuell  einzuleiten  und  zu  vermehren,  ob 
die  Gespinnste  durch  die  eigenen  oder  durch  die  benachbarten  Weber- 
schaften verarbeitet  werden,  wo  sich  die  Woll-  und  Garnmärkte  befinden, 
n.  dgl.  m.  Bei  den  Bleichen  hatten  sie  zu  erheben,  ob  auf  sächsische 
oder  schlesische  Art  gebleicht  werde,  mit  welchem  Materiale  dies  ge- 
schehe, ob  nicht  etwa  schädliche  Mittel  gebraucht  werden  und  welche 
Verbesserungen  vorgenommen  werden  könnten,  in  welcher  Weise  die 
Erzeugung  feiner,  dann  gezogener  und  gefärbter  Leinwände  und  Tisch- 

wii*d,  unter  dem  Vorsitz  des  bisheiügen  Commerien-Praesidis  Grafen  Kinsky  und 
Bevziehung  der  in  dem  Protokoll  angetragenen  Räthe  tractiret,  sofort  auch  nach 
dem  Einrathen  das  Commercial-Personale  unter  jenes  des  Gubernii  eingetheilt 
werden  soll,  nur  allein  ist  nöthig,  dass  ein  eigener  Rath,  welcher  annoch  zu  be- 
nennen sein  wird,  der  dieser  Commission  nicht  beysitzt,  derselben  Berichte  und 
Protokolle  bey  dem  Gubernio  referire.  Wegen  der  Correspondenz-Einleitung  mit 
dem  Commercienrath,  sowie  wegen  Vereinigung  der  Commercienconsessen  in  den 
übrigen  Ländern  mit  den  Länderstellen  gewärtige  das  versprochene  Gutachten 
Die  Aufhebung  des  Webergroschen  kann  nach  dem  Einrathen  der  Commission 
sogleich  veranlasst  werden.  (Protocollum  commissionis  extraordinariae  13.  Febr., 
rep.  14.  Mai  1772,  betreffend  die  Vereinigung  des  böhm.  Commei-zconsesses  mit 
dem  dortigen  Landes-Gubernio.) 

Die  zweite  Resolution  der  Kaiserin  lautet :  Die  Vereinigung  der  Commercien- 
Consesse  mit  den  Länderstellen  hat  auf  dem  Fuss  und  in  der  nämlichen  Art, 
wie  solche  in  Böhmen  schon  eingeführet  worden,  auch  in  den  übrigen  Ländern 
ohne  Unterschied  zu  geschehen.  Bey  Mähren  hingegen  wird  mir  über  die  Eigen- 
schaft, Einhebungsart  und  Erträgniss  des  Gewerbsbeytrages  der  besondere  Vor- 
trag von  dem  Commercien-Rath  abzustatten  und  zugleich  anzuzeigen  sein,  wan, 
warum  und  auf  was  Art  dieser  Beytrag  eingeführt  werden.  Das  Protokoll  vom 
30.  Juni  1772  (unter  dem  Vorsitz  von  Leopold  v.  Kolowrat,  gegenwärtig:  Reischach, 
Mannagetta,  Doblhoff-Dier,  v.  Egger,  Hofsecretär  Paradis)  beschäftigt  sich  mit 
der  Frage  über  die  Vereinigung  der  übrigen  Commercien-Concesse  mit  den  Landes- 
stellen nach  dem  Muster  von  Böhmen. 


286  B  e  e  r- 

zeuge,  so  wie  auch  die  Spitzen-,  Schnüren-  oder  Bandfabrikation  ge- 
hoben und  emporgebracht  werden  könnte  1).  Sie  hatten  genaue  Nach- 
richt von  dem  Flachsbaue  und  von  den  Garnpreisen  zu  geben,  in  Er- 
wägung zu  ziehen,  ob  und  wo  die  Wollen-,  Zeug  und  auch  Cotton- 
fabrikation  eingeleitet  und  erhoben  werden  könnte,  genaue  Unter- 
suchungen über  die  Tuchmacherei  und  Walkerei  anzustellen,  ob  mit 
Füllerde  oder  Seife  gewalkt  werde,  ob  die  Tuchmacher  das  Fett  aus 
der  Wolle  und  dem  Loden  bringen,  ob  sie  der  Woll-  und  Farbmischuug 
kundig  seien,  ob  die  genügende  Anzahl  der  Wollsortirer  und  Färbereien 
vorhanden  sei  und  wo  neue  anzulegen  wären,  wohin  die  böhmischen 
Tücher  Absatz  finden,  welche  Tuchmeisterschaften  sich  auf  die  feineren 
Gattungen  mit  spanischer  Wolle  verlegen  wollen,  überhaupt  sollten 
sie  von  allen  in  ihren  Bezirken  befindlichen  Commercialfabrikaten  Cal- 
culationen  entwerfen  und  bemerken,  ob  dieselben  im  Preise  den  Frem- 
den gleichstehen  und  ob  nicht  etwa  bessere  verschafft  werden  könnten. 
Sie  hatten  anzuzeigen,  woher  die  Ungleichheit  rühre  und  wie  dieselbe 
etwa  abzustellen,  ob  der  Spinn-,  Weber-  und  Appretirungslohn  im  ge- 
hörigen Verhältnisse  stehe.  Sie  sollten  Beobachtungen  über  den  Handel 
in  ihren  Bezirken  anstellen  und  hervorheben,  ob  der  Activ-  und  Passiv- 
handel dem  Lande  vortheilhaft  oder  schädlich  sei,  jene  Kaufleute  nam- 
haft machen,  welche  sich  den  Verschleiss  der  Landesmanufacturen 
angelegen  sein  lassen;  ob  die  Fabrikanten  den  Vertrieb  ihrer  Erzeug- 
nisse selbst  besorgen;  und  sich  auch  darüber  gutachtlich  äussern,  ob 
und  wie  der  Handel  überhaupt,  besonders  nach  Aussen  für  das  inlän- 
dische Manufacturwesen  vorteilhafter  gemacht  werden  könnte.  Sie 
hatten  ihr  Augenmerk  hauptsächlich  auf  die  benachbarten  fremden 
Lande  zu  richten,  dieselben  zu  bereisen,  den  Vortheil,  welchen  dieselben 
»egen  die  heimischen  Gebiete  in  der  Erzeugung  sowohl  als  im  Handel 
und  Wandel  haben,  anzeigen,  die  Schleichwege  bemerken,  auf  welchen 
verbotene  Waaren  ein-  und  ausgeführt  werden,  in  welchem  Stande 
sich  die  Commercialstrassen  befinden,  wo  dieselben  herzustellen  nütz- 
lich sei,  ob  aus  der  mautämtlichen  Manipulation  dem  Handel  und 
Wandel  Beschwerde  erwachse,  sich  die  Verbreitung  der  Spinnerei  so- 
wol  auf  dem  Lande  als  auch  in  den  Städten  besonders  angelegen 
sein  lassen,  die  Dominien  dazu  aneifern,  den  erforderlichen  Unterricht 
durch  geschickte  Lehrmeister  ertheilen  lassen,  denselben  die  nöthigen 
Hilfsmittel    als   z.    B.  Spinnräder,    verschaffen    und  dafür  sorgen,   dass 


l)  Die  Hinzufügung  der  »feinen  Leinwände  und  Tischzeuge,  der  gefärbten 
Leinwände,  der  leinenen  Schnüre  oder  Barchet«  hatte  die  Kaiserin  in  ihrer  Ent- 
schliessung  auf  den  Vortrag  ausdrücklich  gefordert. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  287 

die  Gespinnste  entweder  den  Verschleiss  erhalten  oder  von  einer 
Fabrik  verlegt  werden,  diese  letztere  aber  die  Gespinnste  in  der  ge- 
hörigen Qualität  und  Feine  überkomme.  Alle  Jahre  sollte  Bericht 
erstattet  werden,  in  welchen  Orten  die  Spinnerei  sich  vermehrt  oder 
vermindert  habe,  nicht  minder  hatten  sie  auf  die  Vermehrung  der 
Kunst-  und  Feinweberei,  sowie  der  Wollen-,  Zeug-  und  Cotonfabri- 
kation  an  den  entsprechenden  Orten  Bedacht  zu  nehmen  und  dahin 
zu  streben,  sowol  geschickte  Fabrikanten  und  Appreteure  aus  den  be- 
nachbarten Landen  unter  den  ausgemessenen  oder  vorzuschlagenden 
Begünstigungen  herüberzuziehen,  denselben  das  nöthige  Unterkommen, 
und  die  Anstellung  bei  einer  Landesfabrik  zu  verschaffen,  damit  die 
eigenen  Unterthanen  von  denselben  die  bessere  Manipulation  nach  und 
nach  erlernen  *).  Denselben  sollte  alljährlich  zur  Bestreitung  der  Un- 
kosten ein  Beitrag  aus  dem  Commercialfonde  angewiesen  werden,  den 
neu  einzuführenden  Manufacturen  das  erforderliche  fremde  Materiale 
aus  der  ersten  Hand  und  zum  wolfeilsten  Preise  verschafft  werden,  das 
heimische  Rohprodukt  durch  nützliche  Proben  verbessert,  das  mangelnde 
z.  B.  Erdfarben  und  Farbwurzeln  im  Laude  erzeugt  und  zubereitet, 
folglich  die  ganze  Circulation  des  Geldes  so  viel  möglich  erhalten 
werden  2). 

In  Böhmen  waren  1770  fünf  Landesinspectoren  thätig,  der  tüch- 
tigste war  wol  Josef  Schreyer,  der  sich  auch  literarisch  einen  Namen 
gemacht  hat  und  der  von  dem  Grafen  Josef  Kinsky  wegen  seiner 
schutzzöllnerischen  Richtung  geschätzt  und  vielfach  verwendet  wurde. 
Auch  Lieblein  erwarb  sich  Verdienste.  Die  Inspectoren  wurden  ange- 
wiesen ihren  Wohnsitz  nicht  in  Prag,  sondern  in  ihren  Kreisen  zu 
nehmen  3).  Auch  in  den  andern  Ländern  wurden  Inspectoren  bestellt. 
Im  Jahre  1772  wurden  die  Commercialgeschäfte  den  Kreishauptleuten 
übertragen    und    denselben  die  Weisung   ertheilt,  sich  die  Emporbrin- 


')  In  dem  der  Kaiserin  unterbreiteten  Protokolle  vom  4.  Juni  1762,  worin 
der  Vorschlag  gemacht  wurde,  derartige  Landesmanufacturs-Inspectoren  zu  ernennen, 
heisst  es,  dass  es  hauptsächlich  darauf  ankomme,  die  Vortheile  den  Nachbarn 
abzugewinnen,  geschickte  Fabrikanten  anzulocken.  Hierauf  wurde  daher  bei  der 
Anstellung  ein  besonderes  Gewicht  gelegt. 

*)  Protokoll  vom  4.  Juni  1772.  Instructions-Puncta  für  die  k.  k.  Land- 
inspectoren  in  commercialibus  in  dem  Königreiche  Böhmen,  der  Kaiserin  durch 
den  Vortrag  vom  21.  Juli  1762,  rep.  am  26.  Aug.  1762  überreicht.  Die  Anzahl 
der  Landesinspectoren  in  commercialibus  wurde  später  vermehrt.  Jeder  derselben 
erhielt  1200  fl.,  sie  hatten  aber  in  Folge  der  kaiserl.  Erschliessung  die  Reise- 
und  Zehrungskosten  bei  ihren  Visitationen  zu  bestreiten.  Auch  verlangte  Maria 
Theresia,  dass  sie  sich  die  besten  Bücher  und  »Commercialjournale«    anschaffen. 

8)  28.  Januar  1773. 


288  Bee  r. 

gimg  des  Commercialis  und  dessen  nützliche  Einleitung  besonders 
pflichtgemäss  angelegen  sein  zu  lassen.  Die  bisherigen  Commercial- 
Inspectoren  und  Manufactur-Commissarien  wurden  den  Kreishaupt- 
leuten zur  Aushilf  beigegeben  und  führten  nunmehr  den  Titel  Kreis- 
commissäre;  neue  Inspectoien  sollten  künftig  nicht  ernannt  werden1). 
Denn  die  Kreisämter,  welche  in  dem  Handschreiben  Maria  The- 
resia's  an  Rudolf  Chotek  vom  28.  October  1768  als  die  wichtigsten 
Bedienstuugen  des  Staates  bezeichnet  werden,  sollten  zur  Besorgung 
der  Staatswirtschaft  herangezogen  werden 2).  Jeder  Kreishauptmann 
sollte  alljährlich  seinen  Kreis  bereisen  und  über  die  vorgefundenen 
Gebrechen  berichten,  die  das  Polizeiwesen  und  den  Nahrungsstand 
betreffenden  Anordnungen  als  Richtschnur  dienen.  Die  Kaiserin  hatte 
von  Chotek  über  die  Art  und  Weise  der  Besetzung  der  Kreishaupt- 
leute ein  Gutachten  gefordert.  Chotek  setzte  in  seinem  Vortrage  aus- 
einander, dass  es  allerdings  diensam  sein  werde,  den  Kreisämtern  die 
Aufsicht  und  Unterstützung  der  Landescultur  und  der  Polizeiangelegen- 
heiten aufzutragen  und  ihnen  eine  besondere  Instruction  zu  geben, 
allein  er  fügte  hinzu,  dass  zunächst  die  Gebrechen  bei  der  Personal- 
bestellung der  Kreishauptleute  behoben  werden  müssten.  Früher  habe 
man  hiezu  in  dem  Kreise  possessionirte  Persönlichkeiten  ausgewählt, 
weil  sie  die  Schwäche  und  Stärke  ihres  Bezirkes  am  besten  kennen 
und  auch  mit  ihrem  geringen  Gehalte  auskommen  können,  das  Wol 
des  Kreises  besser  als  auswärtige  berücksichtigen  werden,  allein  später 
sei  ein  Verbot  erlassen  worden  possessionirte  Kreishauptleute  in  dem- 
selben Kreise,  wo  sie  angesessen,  anzustellen.  Ein  weiteres  Gebrechen 
bestehe  in  der  geringen  Rücksicht,  welche  auf  die  Kreishauptleute  so- 
wohl in  honorifico  als  utili  genommen  werde,  den  Verdienteren  möge 


»)  An  das  Gubernium  in  Böhmen  18.  Mai  1772. 

2)  In  Böhmen  (seit  1627)  und  Mähren  bestanden  die  Kreishauptleute  bereits 
vor  dem  Regierungsantritt  Maria  Theresias;  in  Krain  wurden  erst  1748  drei  Kreis- 
ämter ins  Leben  gerufen,  und  zwar  in  Laibach  für  Oberkrain,  in  Adelsberg  für 
Innerkrain  und  in  Rudolfswerth  für  Unterkrain ;  Oberösterreich  erhielt  vier  Kreis- 
hauptleute. Sie  wurden  dem  Herren-  und  Ritterstande  entnommen  und  mussten 
in  den  zwei  ersten  Jahrzehnten  in  dem  Kreise  begütert  sein.  (Instruction  vom 
26.  Juli  1748;  Verordnung  vom  6.  Oct.  1753  in  der  Sammlung  österr.  Gesetze 
V.  806).  Die  Kreisämter  waren  eine  landesfürstliche  Behörde,  dem  ständischen 
Einflüsse  entzogen,  von  ihnen  sollte  >  überhaupt  Alles  was  zur  Beibehaltung  guter 
Polizey  erforderlich  fürgekehrt,  nicht  minder  auch  jenes,  was  sonst  in  das  Pub- 
licum zuschlägt,  durch  selbe  besorgt  werden«.  Die  städtischen  Behörden  und 
zum  Theil  auch  die  herrschaftlichen  Aemter  waren  ihnen  untergeordnet.  Ueber 
die  Kreisümter  vergl.  den  schönen  aber  allzu  idealisirenden  Aufsatz  von  Kern : 
Geschichtliche  Vorträge  und  Aufsätze.     Tübingen  1875  S.  176  fg. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749 —  1816.  289 

daher  der  Geheimrathscharakter  wie  dem  Obergespan  in  Ungarn 
beigelegt  und  bei  erledigten  höheren  Stellen  auf  die  Tüchtigen  Rück- 
sicht genommen  werden. 

Die  Commercial-Kreisinspectoren  hatten  sich  jedoch  nicht  überall 
der  Unterstützung  der  Kreishauptleute  zu  erfreuen.  Die  Verordnungen 
wurden  entweder  gar  nicht  oder  erst  nach  Verlauf  von  mehreren 
Monaten  publicirt.  Zum  Theil  lag  allerdings  auch  der  Fehler  an  den 
Stadträthen  und  obrigkeitlichen  Administratoren,  und  die  Unterthanen 
wurden  öfters  zu  Strafen  verurtheilt,  ohne  das  Gesetz  gekannt  zu 
haben,  zum  Theil  geriethen  aber  auch  die  Verordnungen  in  Vergessen- 
heit und  wurden  nicht  ausgeführt,  oder  die  Kreishauptleute  und  Landes- 
ältesten kümmerten  sich  um  den  Vollzug  nicht  und  begnügten  sich  ledig- 
lich damit,  die  ihnen  übermittelten  Decrete  abschriftlich  im  Kreise  ver- 
theileu  zu  lassen.  Auch  kam  es  nicht  selten  vor,  dass  man  den 
Inhalt  der  Patente  und  Decrete  nicht  erfasste.  Wenn  sich  die  Kreis- 
inspectoren  beschwerten,  so  zogen  sie  sich  den  Hass  und  die  Feindschaft 
der  Kreishauptleute  zu  und  diese  wiesen  die  Bittschreiben  der  Kreis- 
inspectoren  um  Assistenz  ab.  Die  Kreishauptleute  sahen  auf  die  In- 
spectoren,  wie  berichtet  wird,  mit  Verachtung  herab,  betrachteten  die 
Einrichtung  als  „ein  Unding  und  unbeständiges  Wesen'1,  zogen  dieselben 
zu  den  Verhandlungen  nicht  hinzu.  Der  Iglauer ,  Hradischer  und 
Olmützer  Kreisin spector  beschwerten  sich,  dass  das  Commerciale  nie 
aufkommen  könne,  weil  einzelne  Kreishauptleute  sich  darüber  äusserten, 
diese  Einrichtung  könne  nicht  lange  dauern,  das  Teufelswerk  werde 
bald  abgethan  sein  i).  Derartige  Aeusserungen  machten  bei  dem  Pub- 
likum Eindruck  und  veranlassten  Aufstände  und  Widersetzlichkeiten 
gegen  die  Kreisinspectoren. 


IV. 

In  allen  Zweigen  der  Verwaltung  tritt  das  Streben  zu  Tage,  Ord- 
nung zu  schaffen  und  die  bureaukratischen  Formen  strenger  und 
straffer  herauszubilden.  Nicht  selten  wurden  der  Kaiserin  Vorträge 
erstattet  ohne  irgend  eine  Zeitangabe.  Sie  findet,  dass  daraus  Irrungen 
entstehen  können,  da  man  nicht  wissen  könne,  welche  Entschliessungen 
die  früheren  oder  späteren  seien ;  kein  Vortrag  sollte  daher  früher  als 

')  Unter  den  Kreishauptleuten,    welche   in   dieser  Beziehung   sich  am  ener- 
gischesten gegen  die  Inspectoren  aussprachen,  werden  der  Iglauer  Kreishanptmann 
Baron  Werner  und  dtr  Prerauer  v.  Beer  besonders  genannt.  Der  Iglauer  Kreishaupt- 
mann wird  als  der  gefährlichste  Verhetzer  gegen  das  Commerzwesen  geschildert, 
Mittheilungen  XV.  19 


290  Bee  r. 

an  dein  Tage  der  Abgabe  an  das  kaiserliche  Cabinet  datirt  werden  1). 
Wie  sehr  der  Gegenstand  die  Monarchin  beschäftigte,  geht  daraus  her- 
vor, dass  sie  bereits  einige  Tage  später  anordnete,  es  sei  auch  ersicht- 
lich zu  macheu,  waun  die  in  einem  Vortrage  behandelteu  Gegenstände 
im  Rathe  vorgekommen  seien,  auch  habe  der  Präsident  zu  bemerken, 
an  welchem  Tage  er  die  kaiserl.  Entschliessung,  welche  nicht,  wie  es 
gegenwärtig  der  Fall  ist,  datirt  war,  empfangen  2).  Auf  den  Vorträgen 
und  den  der  Kaiserin  überreichten  Protokollen  sollten  die  anwesenden 
Räthe  und  anderen  Theilnehmer  der  Sitzungen  augegeben  werden 3). 
Die  Referenten  hatten  ihren  Namen  beizusetzen4).  Seit  1765  wurdeu 
alle  Normalresolutionen  der  Kaiserin  in  ein  Buch  in  chronologischer 
Ordnuug  eingetragen  uud  der  Beschluss  gefasst,  eine  Sammlung  der 
allerhöchsten  Entschliessungen  in  den  Jahren  1748 — 1764  zu  ver- 
öffentlichen 5).  Die  Finanzstellen  hatten  alljährlich  über  ihre  Thätig- 
keit  einen  Bericht  zu  erstatten.  Um  aber  über  die  einzelnen  Länder 
einen  Einblick  zu  gewinnen,  wurde  seit  1769  auch  noch  vorgeschrieben, 
dass  von  jeder  Bancogefällsadministration,  von  den  Hauptbergwerks-, 
Münz-  und  Salzämtern  eine  „historische  Nachricht"  über  das  abge- 
laufene Jahr  verfasst  und  in  den  ersten  acht  Tagen  des  Monats  Januar 
vorgelegt  werden  soll 6).  Dieselbe  sollte  alles  enthalten  „was  Er- 
spriessliches  durch  den  Verlauf  des  Jahres  eingeleitet  worden".  Schrift- 
stücke aus  der  Registratur  an  Hofräthe  und  Secretäre  auszugeben, 
sollte  nur  gegen  Empfangsschein  gestattet  sein7),  eine  Weisung,  die 
später  oft  wiederholt  wurde,  aber  den  beabsichtigten  Erfolg  nicht  hatte. 
Denn  die  Entlehner  bescheinigten  wohl,  die  betreffenden  Acten  erhalten 
zu  haben,  stellten  sie  aber  oft  nie  zurück  und  manchmal  gelangten 
die  Registraturen  Jahrzehnte  nach  dem  Tode  des  Empfängers  durch 
Zufall  in  den  Besitz  der  Schriften.  Ungemein  werthvolle  Actenstücke 
sind  rettungslos  verschwunden  und  nur  die  Empfangsscheine    der  Ent 


J)  An  den  Grafen  Herberstein,  27.  März  1762. 
2)  An  den  Grafen  Herberstein,  11.  April  1762. 
s)  Kaiserl.  Entschliessung  auf  den  Vortrag  vom  21.  Februar  1769. 

4)  An  den  Grafen  Herberstein,  6.  Dezember  1762,  an  Hatzfeld  vom  selben 
Tage.  Ich  habe  wahrgenommen,  dass  die  Referenten  denen  Vortragen,  welche  sie 
zu  verfassen  haben,  ihre  Namen  beyzusetzen  öfters  unterlassen.  Ich  verordne 
dahero,  dass  von  denen  die  Referaten  zu  verfassen  habenden  Räthen  jedesmalen 
a  tergo,  wie  sonsten  gewöhnlich  wäre,  der  Name  beygesetzet  werde. 

Maria  Theresia. 

5)  Beschluss  der  Finanzstellen  vom  14.  Sept.  1765. 

6)  Handschreiben  an  den  Grafen  Hatzfeld,  31.  October  1769. 

7)  17.  Februar  1769. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1740  —  1816.  291 

lehner  machen  den  Forscher  auf  die  vorhandene  Lücke  aufmerksam. 
Auch  das  Kanzleipersonale  nahm  dienstliche  Arbeiten  nach  Hause, 
was  mancherlei  Missbräuche  zur  Folge  hatte,  zu  wiederholten  Malen 
zwar  abgestellt  wurde,  jedoch,  wie  es  scheint,  nicht  mit  besonderem 
Erfolge.  Die  Verfertigung  von  Abschriften  zum  eigenen  Gebrauch  von 
Seiten  der  E-äthe  wurde  gerügt,  und,  wenn  nicht  die  Erlaubnis  des 
Präsidenten  eingeholt  worden  war,  mit  Dienstentlassung  bedroht 1).  Die 
Annahme  von  Geschenken  wurde  den  Beamten  verboten.  Wieder- 
holt erflossen  Weisungen,  diesen  Misbrauch  zu  beseitigen 2).  Gegen 
Malversationen  sollte  unnachsichtlich  vorgegangen  werden 3).  Der 
Verkehr  mit  den  auswärtigen  Ministern,  d.  h.  mit  den  Gesandten  der 
Höfe  wurde  der  Staatskanzlei  übertragen,  und  seit  Kaunitz  die  Ge- 
schäfte übernommen  hatte,  den  Verwaltungsbehörden  wiederholt  ein- 
geschärft, dass  keine  der  Stellen  sich  unmittelbar  mit  den  auswär- 
tigen Ministern  einlasse 4).  Die  Betheiligung  an  Handels-  und 
Industrieunternehmungen  war  untersagt.  Als  die  Kaiserin  Kennt- 
nis erlangte,  dass  der  Landeshauptmann  in  Krain  Graf  Auersperg  und 
Graf  Brigido  in  Triest  Actien  der  Temesvarer  Compagnie  besitzen, 
forderte  sie ,  dieselben  anzuweisen ,  sich  derselben  zu  entledigen 5). 
Beamte,  die  Schulden  hatten,  sollten  mit  Arrest  bestraft  werden,  und 
wenn  sie  binnen  14  Tagen  die  Mittel  zur  Bezahlung  derselben  sich 
nicht  verschaffen,  aus  dem  Dienste  entlassen  werden G). 

Das  Vorrecht  des  Adels  für  die  höheren  Bedienstungen  erhielt 
sich  während  der  Regierung  Maria  Theresias.  Graf  L.  Zinzendorf 
sprach  sich  über  die  Eignung  derselben  wegwerfend  aus.  Eine  Klasse 
der  Räthe,  heisst  es  in  einem  Votum,  bestehe  aus  Cavalieren,  die  ge- 


')  Handschreiben  an  die  Hofkaramer  vom  11.  November  1774. 

2)  Handschreiben  an  Bartenstein,  1.  Mai  1766,  an  die  Hofkammer  11.  No- 
vember 1774. 

3j  Handschreiben  vom  11.  Februar  1774.  Eine  kaiserl.  Entschliessung  auf 
den  Vortrag  vom  25.  Juli  1768  an  den  Grafen  Zinzendorf  lautet:  es  sei  nöthig, 
dass  über  die  in  diesem  Vortrage  entdeckte  unordentliche  Gebahrung  beim  Cassen- 
wesen  ungesäumt  zwischen  Rechenkammer  und  Bancodeputation  eine  Zusammen- 
tretung stattfinde,  bei  welcher  von  Seite  der  Rechenkammer  jene  Vorsichten  an 
die  Hand  gegeben  werden  sollen,  die  derselben  zur  Bestellung  und  steten  Bei- 
behaltung einer  guten  Ordnung  in  dem  Cassawesen  nöthig  erscheinen.  Wo  Ueber- 
einstimniung  zwischen  den  Stellen  vorhanden  sei,  haben  die  betreffenden  Normen 
augenblicklich  ins  Leben  zu  treten,  wo  jedoch  differirende  Meinungen  vorliegen, 
zur  Entscheidung  binnen  10  Tagen  zu  bringen. 

4)  Handschreiben,  28.  August  1762. 

6)  Vortrag,  4.  Juli  1767. 

8)  Weisung  vom  11.  December  1764. 

19" 


292  Beer. 

meiniglich  nicht  von  hier  sich  entfernen  und  weder  von  der  Theorie 
noch  von  der  Praxis  Kenntnis  haben.  Auch  Josef  äusserte  sich  wieder- 
holt in  ähnlicher  Weise.  Für  die  Neuorganisation  der  Behörden  wurde 
der  Nachweis  juridischer  und  später  cameralistischer  Studien  gefordert. 
Nach  Errichtung  des  Lehrstuhls  für  die  Cameral-  und  Polizeisachen 
an  der  Wiener  Universität  (1763)  bestimmte  das  Rescript  vom  31.  Oct. 
1763,  dass  jene,  welche  die  Vorlesungen  mit  gutem  Fortgange  besucht 
haben,  vor  andern  Bewerbern  zu  landesfürstlichen  Diensten  zugelassen 
werden  sollen.  Kenntnis  der  Polizei  Wissenschaft  wurde  durch  Hof- 
decret  vom  11.  Juni  1766  zu  kreisamtlichen  Stellen,  später  zu  allen 
politischen,  landesfürstlichen,  ständischen  und  städtischen  Diensten  ge- 
fordert 1).  Bei  Besetzung  der  Concipisteu stellen,  lautet  eine  im  No- 
vember erlassene  Weisung  an  die  Länderstellen,  seien  nur  jene  in  An- 
trag zu  bringen,  die  nebst  dem  juridischen  Studium  zugleich  auch  in 
den  Polizei-  und  Cameral  wissen  schaffen  hinlängliche  Kenntnis  er- 
worben haben. 

Bezüglich  der  Personalien  drang  Maria  Theresia  darauf,  dass  die 
ihr  erstatteten  Vorschläge  ein  klares  Bild  über  die  betreffenden  Per- 
sönlichkeiten liefern  sollen.  Ausdrücklich  forderte  sie,  dass  nicht  blos 
Religion  und  Geburtsort,  sondern  auch  die  etwa  geleisteten  Dienste 
in  Tabellen  ersichtlich  gemacht  werden,  wol  der  Anfang  der  späteren 
Conduitenlisten,  welche  über  die  Beamten  geführt  wurden '-).  Sie  ver- 
langt, dass  ihr  die  Finanzstelle  eine  derartig  ausgefüllte  Tabelle  über 
das  bereits  dienende  Personal  übergebe,  was  auch  geschah.  „Ich  habe 
beschlossen",  lautet  eine  Entschliessung  vom  2.  Oct.  1767,  „dass  von 
nun  an,  bei  Ersetzung  deren  bey  meinen  Hofstellen  in  Erledigung 
kommenden  Bedienungen  nicht  allein  die  Religion  und  der  Geburts- 
orth,  deren  vorgeschlagen  werdenden  Persohnen,  sondern  auch,  wo 
selbe  lezters  gedienet  haben,  angezeiget  werden  solle.  Er  hat  sich  also 
die  Erfüllung  dieser  Meiner  Gesinnung  sowol  bey  sich  ereignenden 
Fällen  gewärtig  zu  halten,  als  auch  die  Ausfüllung  der  anliegenden 
Tabelle  respectu  des  dermahl  unter  ihm  dienenden  Personalis  zu  be- 
wirken, und  Mir  dann  Ehestens  vorzulegen".  Auf  den  Vortrag  vom 
4.  November  1767  schrieb  sie  eigenhändig:  „So  offt  ein  neuer  aufge- 
nohmen  wird  es  beyzusezen  und  wo  er  ehender  gedienet'1.  Eine  spätere 
Weisung  verfügte,  Niemanden  anzustellen,  der  nicht  der  katholischen 
Religion  zugethan  war,  nichtkatholische  Beamte  mit  oder  ohne  Ge- 
halt   zu  entlassen.      Der    Präsident    der   Hofkammer    für    Münz-    und 


*)  Hofdekrete  vorn  3.  November  und  7.  December  1770, 
2)  Kaiserl.  Entschliesbung  vom  2.  October  1767. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  293 

Bergwesen  wies  in  einem  Vortrage  darauf  hin,  dass  mehrere  der  be- 
reits angestellten  Beamten  der  reformirten  oder  lutherischen  Keligion 
angehören  und  mit  Genehmigung  der  Kaiserin  in  kaiserl.  Dienste  ge- 
treten seien;  künftig  werde  er  trachten,  dem  Wunsche  der  Kaiserin 
nachzukommen  l).  Die  Besoldung  der  Beamten  war  reichlich  bemessen, 
mit  Gewährung  von  Personalzulagen  an  verdiente  Personen  kargte  die 
Kaiserin  nicht,  in  derartigen  Fällen  fügte  sie  nicht  selten  eigenhändig 
eine  schmeichelhafte  Bemerkung  bei.  Bis  1772  wurde  für  jede  Er- 
höhung der  Gehälter  eine  kaiserl.  Entschliessung  gefordert,  seitdem  er- 
hielt der  Hofkammerpräsident  die  Befugnis  alle  Erhöhungen  die  150  fl. 
nicht  übersteigen  zu  bewilligen  und  nur  alle  drei  Monate  ein  Ver- 
zeichnis vorzulegen  und  die  Gründe  anzugeben  2).  In  den  letzten  Jahr- 
zehnt ihrer  Eegierung  drang  sie  darauf  die  Beamtenzahl  nicht  zu  ver- 
mehren; wegen  der  „so  hoch  gestiegenen  ßeköstung  der  Salarialsta- 
tuum"  sollte  auf  Zulagen  und  Vermehrung  der  Beamten  „nicht  leicht- 
lieh" angerathen,  bei  ausserordentlichen  und  besondern  Umständen 
halbjährig  besondere  Vorträge  erstattet  werden  3).  Von  Jahr  zu  Jahr 
sollte  ein  Ausweis  vorgelegt  werden,  „um  was  für  ein  Quantum  die 
allseitigen  Besoldungen  gegen  den  Statum  des  vorhergegangenen  Jahres 
vermehret  worden 4)".  Den  in  öffentlichen  Aemtern  und  im  k.  k. 
Dienste  stehenden  Räthen  und  Beamten  wurde  verboten,  an  privaten 
und  öffentlichen  Pachtungen,  Handlungscompagnien,  Geschäften  oder 
Fabriken  theilzunehmen  5).  Gegen  lässige  Beamte  wurde  unnachsicht- 
liche  Bestrafung  und  Entfernung  aus  dem  Amte  eingeschärft.  Unbe- 
begründete  Angebereien  wurden  nicht  selten  gerügt,  bisweilen  auch 
bestraft.  So  z.  B.  verfügte  die  Kaiserin  in  einem  Handschreiben,  dass 
„Prie  wegen  seiner  gegen  die  beiden  Triestiner  Intendanzräthe  Lopresti 
und  Schell  vorgebrachten  unbegründeten  Beschuldigungen  zu  einer 
Geldstrafe  von  500  fl.  in  Gold  condemniret  sei." 

Ausdrücklich  wird  von  der  Kaiserin  gefordert,  den  Kanzlisten  den 


')  Der  Vortrag  unterzeichnet  L.  Kolowrat  und  Franz  Graf  Kolowrat.  Die 
Kaiserin  schrieb  auf  diesen  Vortrag  eigenhändig:  bin  in  allem  verstanden  das 
vor  jetzo  nichts  zu  ändern  doch  beständig  das  haupt  augenmerk  zu  richten,  keine 
andere  als  katholische  in  diensten  besonders  die  Decret  und  jurament  ablegen 
anzustellen  wären.     Vortrag  5.  Mai  reprod.   10.  Mai  1780. 

2)  Akt  der  Hofkammer  vom  20.  Feb.  1772. 

3)  Handschreiben  vom  9.  Juli  1773,  nochmals  eingeschärft  12.  August  1774 
an  den  Grafen  Kolowrat,  letzteres  mit  dem  eigenhändigen  Zusätze:  »solle  noch 
weniger  Schulden  zu  zahlen  oder  Vorschuss  zu  geben  einrathen.* 

4)  Obiges  Handschreiben  vom  9.  Juli  1773. 
6)  Circular  vom  28.  März  1776. 


294  Beet. 

Besuch  des  Gottesdienstes  zu  ermöglichen.  An  Sonntagen  und  an  den 
nicht  dispensirten  Feiertagen  sollten  sich  daher  bei  den  Centralstellen, 
sowie  bei  den  Behörden  in  den  Ländern  nur  ein  oder  zwei  Kanzlisten 
abwechseld  einfinden,  die  jedoch  „dienstgebührend"  dem  Gottesdienste 
beigewohnt  haben  müssen;  die  übrigen  sollten  von  dem  Dienste  ganz 
befreit  bleiben.  „Die  Capi  haben  darauf  die  geflissentliche  Absicht  zu 
tragen,  damit  in  derley  Tagen  die  Beamten  dem  Gottesdienste  beizu- 
zuwohnen  und  das  heilige  Wort  Gottes  anzuhören  nicht  verabsäumen". 
An  den  dispensirten  Feiertagen  hatten  sich  die  Kanzlisten  erst  um 
10  Uhr  einzufinden,  ,, damit  sie  keinen  Anlass  nehmen  mögen,  hier- 
wegen  von  Besuchung  des  Gottesdienstes  sich  zu  eutschlagen  *)*'. 

Die  der  Kaiserin  in  den  sonntäglichen  Audienzen  überreichten 
Bittgesuche  wurden  Tags  darauf  den  betreffenden  Centralstellen  zuge- 
sendet. Noch  in  derselben  Woche  sollte  ein  Vortrag  oder  eine  Aus- 
kunft  erfolgen,  mindestens  die  Ursache  etwaiger  Verzögerung  ange- 
geben werden 2).  Später  bürgerte  sich  der  Unterschied  zwischen  sig- 
nirten  und  ohne  kaiserliche  Unterschrift  übermittelten  Schriftstücken 
ein.  Auch  erbat  sich  Maria  Theresia  nicht  selten  ein  Gutachten,  in- 
dem sie  auf  einem  Zettel  ihre  Präsidenten  aufforderte,  eine  Angelegen- 
heit, die  ihr  am  Herzen  lag,  zu  untersuchen  und  zu  begutachten.  Nach 
dem  Tode  ihres  Gatten  suchte  sie  sich  des  Schreibgeschäftes  zu  ent- 
schlagen; sie  war  älter  und  bequemer  geworden,  vergass  auch  manch- 
mal ihren  Namen  den  Bittgesuchen  beizusetzen,  aber  sie  forderte,  dass 
ihre  Behörde  sich  mit  der  Prüfung  des  Anliegens  beschäftigte,  und 
ihr  Unmuth  loderte  auf,  wenn  aus  dem  Grunde,  weil  sie  ein  Gesuch 
nicht  gezeichnet  hatte,  die  betreffende  Behörde  einen  Vortrag  zu  er- 
statten verweigerte  und  die  Bittsteller  damit  abfertigte,  dass  die  kaiser- 
liche Signatur  fehle.  Ein  Handschreiben  an  den  Grafen  Schlick  ist 
so  charakteristisch,  dass  eine  wortgetreue  Wiedergabe  nicht  fehlen  soll : 
„Unmöglich  kann  allzeit  Zetul  schreiben,  auch  nicht  allzeit  die  Memo- 
rials signiren,  weil  selbe  nicht  aufhalten  will.  Wenn  aber  was  Im- 
portantes,  oder  was  einen  Dritten  interessiren  kunte,  vorkommt,  so 
sind    alle  Präsidenten  und  ßäthe    nach   ihren  Pflichten  schuldig  ohne 


*)  Handschreiben  an  den  Grafen  Hatzfeld,  16.  Dezember  1766. 

2)  An  den  Grafen  Herberstein,  15.  November  1762,  an  Lichnowski  11.  Sep- 
tember 1766.  Unter  Haugwitz  wurde  monatlich  ein  Ausweis  der  Kaiserin  vor- 
gelegt. Auf  einen  Vortrag  vom  30.  Januar  1756  schrieb  Maria  Theresia  eigen- 
händig: Placet  und  solle  nur  gantz  eigenhändig  gantz  succinct  alle  Monath  ein 
protocoll  eingeben,  von  allen  memorialien  die  dis  Monath  zu  ihm  gekommen  und 
was  vor  Bescheyd  darauf  gegeben  worden  und  a  parte  von  denen  auf  welchen 
noch  keine  Antwort  gegeben. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—  1816.  295 

ermahnt  zu  werden,  den  Vortrag  zu  machen  und  nicht  denen  Parteyen 
zu  antworten,  dass,  wan  ihre  memorials  nicht  signirt  sind,  verbotten 
ist  ein  Vortrag:  dises  wird  nirgends  wo  gefunden  werden,  und  wenn 
auch  eine  solche  Resolution  wäre,  so  versteht  sich  eine  solche  auf 
Betlereyen,  Dienstanstellungen,  nicht  aber  wo  einem  Dritten  ein  Scha- 
den geschehete.  Diese  Entschuldigungen  seynd  wider  die  Befehle 
und  wider  die  Pflichten,  da  allen  Parteyen,  wie  Mir  solle  gedient 
werden"  ]). 

Ueber  die  Art  und  Weise,  wie  Maria  Theresia  die  Geschäfte  er- 
ledigte, hat  Helfert  eine  eingehende  Darstellung  gegeben,  die  nur  in 
einigen  wenigen  Punkten  der  Ergänzung  bedarf.  Man  muss  zwei 
Perioden  unterscheiden:  jene  vor  Einsetzung  des  Staatsraths  und  die 
Zeit  seit  1762.  In  der  ersteren  hatte  der  jeweilige  Vertrauensmann 
der  Monarchin  auf  die  Abfassung  der  kaiserlichen  Entschliessung 
Einfluss,  namentlich  wenn  es  sich  um  eine  Entscheidung  hochwichtiger 
Massregeln  handelte;  oft  wurden  auch  die  Ansichten  mehrerer  Personen 
eingeholt,  ehe  die  Kaiserin  eine  Entschliessung  fällte.  Später  war  es 
der  Staatsrath,  bei  dem  die  Geschäftsstücke  zusammenliefen  und  dessen 
Anträge  in  der  Regel  genehmigt  wurden.  Nicht  selten  forderte  die 
Kaiserin  nochmals  ein  Gutachten  der  betreffenden  Centralstelle  oder 
ordnete  eine  specielle  Berathung  an.  Die  kaiserlichen  Entschliessungeu 
erfolgten  entweder  auf  den  Vortrag  oder  auf  das  vorgelegte  Protokoll 
der  commissionellen  Berathung  oder  durch  Handschreiben  an  die 
Minister.  Die  der  Kaiserin  übermittelten  Schriftstücke  trugen  in 
einzelnen  Fällen  die  einfache  Ueberschrift  „Nota"  oder  „allerunter- 
thänigste  Nota",  wenn  die  Kaiserin  über  eine  Verhandlung  eine  noch- 
malige Auskunft  verlangte,  oder  „Promemoria" ;  bei  Protokollen,  welche 
über  mehrere  Angelegenheiten  handelten,  wurde  sodann  am  Schlüsse 
die  kaiserliche  Entschliessung  entweder  durch  die  Formel:  ich  geneh- 
mige diese  Anträge,  zusammengefasst  oder  sie  erfolgte  über  jeden  ein- 
zelnen Punkt,  wenu  z.  B.  verschiedene  Ansichten  in  den  Protokollen 
dargelegt  wurden  und  eine  Einigung  nicht  zu  Stande  gekommen  war.  In 
früheren  Jahren,  als  das  Schreiben  der  Monarchin  nicht  so  beschwer- 
lich fiel,  schrieb  sie  am  Rande  eines  jeden  Punktes  der  nicht  selten 
umfangreichen  Protokolle  ihre  Ansicht,  sei  es  durch  einfaches  „placet", 
„verstanden",  „placet  in  totum"  oder  auch  grössere  Entscheidungen, 
namentlich  dann,  wenn  sie  bereits  eine  Weisung  ertheilt  hatte,  auf 
deren  Durchführung  sie  beharrte,  indem  sie  in  mehr  oder  minder 
ausführlicher    Weise  die  Gründe,    welche  sie   dazu  bestimmten,  hinzu- 


')  Handschreiben  an  den  Grafen  Schlick,  25.  Juni  1766. 


296  Bee  r. 

fügte.  Mit  welcher  Aufmerksamkeit  sie  die  ihr  vom  Staatsrathe  vor- 
gelegten Eesolutionen  las  und  erwog,  geht  aus  den  beigefügten  hand- 
schriftlichen Zusätzen  hervor.  Bis  zum  Jahre  1768  wurden  die  Ver- 
träge unmittelbar  an  die  Kaiserin  gerichtet  und  trugen  dem  ent- 
sprechende Ueberschriften.  Durch  Handschreiben  an  den  Grafen 
Hatzfeld  vom  14.  Dezember  1768  verfügte  die  Kaiserin,  dass  künftig 
die  „Kesolutiones  über  die  erstatteten  Vorträge  auch  von  dem  Kaiser 
ergehen  werden,  so  sollen  die  Vorträge  generaliter  gestellt  und  im 
Kopfe  blos  die  Worte  „Eure  Majestät''  vorangesetzt  und  also  im  Con- 
textu  fortgefahren  werden".  Die  kaiserl.  Entschliessungen  und  Ver- 
fügungen wurden  bis  1762  allen  Stellen,  welche  durch  dieselben  be- 
rührt wurden,  durch  Handschreiben  mitgetheilt,  jene  Centralbehörde, 
ausgenommen,  welche  den  Antrag  gestellt  und  den  Vortrag  oder  das 
Protokoll  sammt  der  darauf  erfolgten  Entscheidung  zurückerhielt. 
Später  wurde  die  Anordnung  getroffen,  dass  die  Kaiserin  nur  der- 
jenigen Stelle  ihre  Willensmeinung  zu  erkennen  geben  wird,  die  den 
Vortrag  erstattet  habe  und  die  sodann  verpflichtet  sei,  das  Schrift- 
stück, Vortrag  sammt  Entschliessung,  allen  übrigen  Hofstellen,  welche 
der  Gegenstand  betreffen  konnte,  mitzuth  eilen  1). 

Einige  Entschliessungen  der  Kaiserin  in  Person alangelegenheiten 
sind  charakterisctisch  und  verdienen  mitgetheilt  zu  werden.  In  einem 
Vortrage  vom  20.  October  1765  beantragte  Graf  von  Hatzfeld,  dem 
Freiherrn  v.  Neffzern  das  Keferat  „in  contributionali"'  zu  belassen  und 
Grünwalder  zum  Hofrath  zu  ernennen.  Die  Kaiserin  schrieb  eigen- 
händig: „placet  wan  es  zur  mehreren  ruh  dieses  gutten  diener  ge- 
reichen thut".  Graf  Hatzfeld  beklagte  sich  in  einem  Vortrage  vom 
2.  Dezember  1766  über  einen  Beamten  Namens  Meyer,  der  die  Wei- 
sungen überschritten  hätte,  und  ersuchte  die  Kaiserin,  ihn  in  seine 
Schranken  zu  verweisen,  Maria  Theresia  schrieb  eigenhändig  auf  den 
Vortrag:  „ich  bin  daran  schuld  weillen  mich  gegen  meyer  nicht  ex- 
plicirt  und  selbst  confundirt  was  schone  ehender  befohlen  und  erst 
letzthin  resolvirt  worden  ein  so  verdienter  mann  als  meyer  müsste 
billig  schmertzen  eine  solche  anthuung  die  nicht  ihme  zu  machen  er- 
laube zu  empfangen".  Als  der  verdienstvolle  bei  der  Intendenza  in 
Triest  angestellte  Kath  Eaab  nach  Wien  mit  einem  Gehalt  von  5000  fl. 
und  die  Zusicherung  eines  Hofquartiers  versetzt  werden  sollte,  erhob 
derselbe  Vorstellungen,  dass  er  in  Triest  mit  3000  fl.  bei  7  Kindern 
leichter  leben  könne,  als  mit  5000  fl.  in  Wien,  und  er  erbat  sich  da- 
her einen  Gehalt  von  5500  fl.  und  Uebersiedlungskosten.    Die  Kaiserin 


{)  Handschreiben  an  den  Grafen  Herberstein,  31.  Juli  1762. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  297 

schrieb  auf  den  Vortrag  vom  19.  Dezember  1769  eigenhändig:  „wir 
schneiden  tieff  in  das  Tuch,  nehmen  die  besten  leut  in  ländern  weeg 
machen  sie  dardurch  unglücklich  und  den  unsrigen  beutel  lehr  so  wohl 
raab  als  krössl  wären  besser  und  lieber  in  ihren  platzen  wegen  modesti 
aber  accordire  keines  weeg  3000  fl.  nur  2000  fl.  ist  dis  grad  genug 
vor  ein  avocat  die  niemahls  gern  in  stellen  sehe  approbire  wan  es 
sein  muss  die  5000  fl.  und  wenn  ein  quartier  wird  vacant  sein  auch 
die  400  fl."  Durch  Note  vom  21.  Mai  1769  wurde  der  Antrag  ge- 
stellt Lopresti  von  seinen  Dienstleistungen  zu  entheben  und  ihm  den 
Hofrathscharakter  zu  verleihen.  Die  Kaiserin  schrieb  auf  das  am 
23.  Mai  herabgelangte  Schriftstück  eigenhändig:  der  jetzige  Charakter 
ist  vor  ihm  Gnad  genug,  also  pure  zu  entlassen.  Auf  ein  Protokoll 
vom  1.  Juni  1773,  worin  über  die  Pension  der  Familie  des  schwer 
erkrankten  Lauben  angefragt  wurde,  schrieb  Maria  Theresia:  „wann 
Gott  mit  ihm  disponirte  ihr  und  ihrer  Tochter  zusam  600  fl.,  jeder 
300  ist  eine  grosse  Gnad  die  wenig  andere  versichert  seyn'\ 


Seit  Herstellung  des  Friedens  war  die  Regierung  bestrebt  Ord- 
nung in  den  verworrenen  Staatshaushalt  zu  bringen.  Das  Staats- 
erfordernis sollte  alljährlich  von  den  Finanzpräsidenten  mit  Zuziehung 
der  Aemter  geprüft  und  nach  erfolgter  kaiserlicher  Genehmigung  der 
Caisse  general  zur  Richtschnur  und  Bedeckung  mitgetheilt  werden. 
Keine  Ausgabe  dürfe  gemacht  werden,  die  nicht  genehmigt  worden 
sei l).  Die  grössten  Verdienste ,  die  Voranschläge  übersichtlich  zu 
machen  und  dadurch  einen  klareren  Einblick  in  die  dem  Staate  zur 
Verfügung  stehenden  Beträge  zu  gewähren,  erwarb  sich  Graf  L.  Zinzen- 
dorf,  dessen  Thätigkeit  geradezu  Staunen  erregt.  Im  März  1762  er- 
folgte eine  kaiserliche  Weisung  ein  „Staatsinventarium"  anzufertigen, 
da  sonst  weder  in  dem  Credit,  noch  in  dem  übrigen  Finanz-  und  Ad- 
ministrationswesens etwas  Grosses  und  Vollkommenes  zu  Stande  ge- 
bracht  noch  eine  richtige  Bilance  zwischen  den  Einnahmen  und  Aus- 
gaben gezogen  werden  könnte.  Kaunitz  bestärkte  die  Monarchin  in 
dieser  Ansicht;  die  Einnahmen  und  Ausgaben  befinden  sich  in  grosser 
Dunkelheit,  lautet  ein  Votum  vom  18.  Juli  1762,  bis  zur  Stunde  wisse 
Niemand  worin  diese  bestehen2). 


')  Weisungen  an  Hatzfeld  und  L.  Zinzendorf,  später  an  Kolowrat. 

-)  In  einem  Handschreiben  vom  4.  Aug.  1766  fordert  sie  unter  anderem  die 


298  Bee  r. 

In  den  nächsten  Jahren  richtete  die  Kaiserin  zu  wiederholten 
Malen  Anfragen  an  die  Finanzbehörde,  wie  es  mit  dem  Staats-Inven- 
tarium  stehe,  und  sie  begrüsste  es  mit  Freude,  als  ihr  der  erste  um- 
fassendere Staatsvoranschlag  vorgelegt  wurde.  Auch  wurde  grössere 
Ordnung  dadurch  in  die  Finanzverwaltung  gebracht,  dass  auch  die 
Militärverwaltung  in  strengerer  Weise  als  bisher  an  ihren  „Bedürf- 
nisaufsatz" gebunden  wurde.  Die  Voranschläge  des  Kriegscommissari- 
ats  wurden  von  dem  Präsidenten  der  Hofrechenkammer  geprüft.  Die 
Grundsätze,  wornach  bei  Abfassung  des  Staatsvoranschlages  vorge- 
gangen werden  sollte,  wurden  durch  kaiserl.  Entschliessungen  bestimmt. 
Bei  den  Staatseinnahmen  sollte  eher  „eine  geringere  als  eine  allzu 
hohe,  doch  minder  verlässliche  Summe"  angesetzt  werden.  Die  Frage, 
ob  der  Amortisationsfond  als  ordentliche  oder  als  ausserordentliche 
Ausgabe  anzusehen  sei,  wurde  dahin  entschieden,  dass  der  ganze  Be- 
trag im  Ordinariuni  zu  erscheinen  habe,  die  ausserordentlichen  Aus- 
gaben jedoch  nicht  zum  „Current-Erfordernis"  gehören  und  durch  An- 
lehen  bestritten  werden  können.  Aus  der  Staatsbilanz  sollte  eine  ge- 
naue Uebersicht  gewonnen  werden  können,  ob  das  Erfordernis  durch 
die  anzuhoffenden  Einnahmen  bedeckt  sei.  Längstens  in  den  ersten  drei 
Monaten  eines  jeden  Jahres  sollte  die  Staatsbilanz  fertig  sein,  spä- 
testens Anfangs  Februar  vorgelegt  werden  1). 

Die  Finanzstellen  hatten,  wie  bereits  erwähnt,  alljährlich  einen 
Ausweis  ., ihrer  Gestion  vorzulegen". 


Finanzpräsidenten  auf  »den  Stand,  wie  die  sämnitlicken  Einkünfte  des  Staats 
sich  gegen  die  allseitigen  Bedürfnisse  verhalten,  ins  Klare  zu  setzen«,  und  die 
Ausarbeitung  ihr  zu  überreichen. 

2)  Kaiserliche  Erschliessung  auf  einen  Vortrag,  womit  das  Staatsinven- 
tarium  für  1769  vorgelegt  wurde: 

Die  Hauptabsicht,  wegen  welcher  Ich  die  alljährliche  Vorlegung  der  sog. 
Staatsbilanz  angeordnet  habe,  besteht  darin,  damit  Ich  gleich  bey  dem  Anfang 
des  Jahres  die  verlässlichste  Kenntniss  erhalte,  inwieweit  die  Erforderniss  durch 
die  sicher  anzuhoffende  Einnahme  bedecket  sei,  auf  dass  in  dem  Falle,  da  sich 
ein  Deficient  äusserte,  noch  zu  rechter  Zeit  auf  die  Mittel  fürgedacht  werden 
möge,  wie  entweder  die  Ausgabe  für  das  eintreffende  Jahr  in  einigen  Rubriken 
vermindert  oder  die  Einnahmen  um  soviel  es  nöthig  vermehrt  werden  könne. 

Zu  Erreichung  dieses  heilsamen  Endzweckes  hat  demnach  die  Rechenkammer 
gedachte  Staatsbilanz  längstens  in  den  ersten  drei  Monaten  eines  jeden  Jahres 
zu  Stande  zu  bringen  und  Mir  solche  folglich  auf  das  späteste  mit  Anfang  des 
Monates  Februarii  vorzulegen,  wobei  jedoch  künftighin  der  speculative  Theil, 
dessen  dermalige  mühsame  und  auf  den  wahren  Nutzen  der  Finanzen  abzielende 
Ausarbeitung  zu  meinem  ausnehmenden  Vergnügen  gereicht,  dem  Staats-Inven- 
tario    nicht    einzuverleiben,    sondern  zu  Verfassung  dessen    sich  mehrere  Zeit  zu 


Die  Finanzverwaltung  Österreichs  1749 — 1816.  299 

Die  Kaiserin  und  Josef  legten  auf  die  „Historischen  Nachrichten", 
welche  die  Bergwerks-,  Münz-  und  Salzämter  alljährlich  zu  erstatten 
hatten,  grossen  Werth  und  forderten  wiederholt  grössere  Ausführlich- 
keit. Damit  die  "Aemter  um  so  sicherer  den  Anforderungen  entsprechen, 
hatten  die  Finanzstellen  ein  Formulare  zur  Darnachachtung  zu  ent- 
werfen. Welche  Wichtigkeit  derartigen  Arbeiten  beigelegt  wurde,  geht 
auch  daraus  hervor,  dass  dieselben  auch  dem  Grossherzog  von  Toscaua 
Leopold  übermittelt  wurden,  damit  er  eine  vollkommene  Einsicht  in 
den  Zustand  des  gesammten  Finanzwesens  gewinne. 

Mit  grosser  Aufmerksamkeit  studierte  die  Kaiserin  die  ihr  vorge- 
legten Rechnungsabschlüsse,  welche  in  der  That  alljährlich  eine  grössere 
Vollkommenheit  erhielten.  „  Zu  Meinem  grössten  Wohlgefallen  gereichet 
es",  schrieb  sie  auf  einen  Vortrag  vom  16.  Dezember  1777,  ,, womit  ihr 
der  Rechnungsabschluss  für  das  vorige  Jahr  vorgelegt  wurde,  wenn 
man  mit  diesem  Ausweis  des  Staatsvermögens  durch  die  geflossene 
Bearbeitung  der  Finanzstellen  von  Jahr  zu  Jahr  zu  einer  mehreren 
Vollkommenheit  gelanget.  Ich  versehe  Mich  auch  gnädigst,  dass  künftig 
annoch  die  Stücke,  die  gegenwärtig  ermangeln,  benanntlich  der  Ab- 
schluss  über  die  galizische  Einkünfte  und  Ausgaben,  der  Ausweis  der 
Bruttoerträgnisse  aller  Cameralgefälle,  die  unter  der  Cameralregie  stehen, 
der  Abschluss  des  Montanistici,  der  Ausweis  über  das  Betten-  und 
Militärverpflegswesen,  das  ökonomische  Monturwesen,  das  Fortificatorium, 
das  Zeugswesen,  der  Abschluss  der  Ständecassen  von  Breisgau,  Ungarn 
und  Siebenbürgen,  der  Abschluss  über  die  Wegeassen  und  endlich  jener 
über  das  Jesuitenvermögen  versprochener  Massen  bey  den  Haupt- 
abschlüssen zugleich  erscheinen  mögen*'. 

Es  dauerte  Jahre  ehe  die  Rechnungsabschlüsse  annähernd  dem 
Voranschlage  entsprachen.  Die  Erklärung  liegt  wohl  zumeist  darin, 
dass  die  Einnahmen  der  wichtigsten  Steuern  geringe  Steigerung  auf- 
wiesen, um  den  oft  unvorgesehenen  Aufwand  bedecken  zu  können. 
Denn  jährlich  traten  Anforderungen  an  die  Finanzstelle  heran,  wofür 
Vorsorge  zu  treffen  durch  die  laufenden  ordentlichen  Einnahmen  schwer 
ja  unmöglich  war.  Die  Königskrönung  Josefs,  die  zweite  Vermählung 
desselben,  die  Verheirathung  der  Prinzessinnen  heischten  grosse  Be- 
träge, die  schliesslich  nur  durch  Credit  beschafft  werden  konnten. 
Auch  die  allzu  grosse  Freigebigkeit  Maria  Theresias  brachten  Verlegen- 
heiten;    nicht    selten    drang    sie    auf    minutiöse    Sparsamkeit,    wäh- 


lassen  und  wenn  er  auch  erst  einige  Monate  nach  Einreichung  des  Staats-Inven- 
tarii  zu  Stand  gebracht  werden  könnte,  solcher  alsdann  unter  blosser  Beziehung 
auf  gedachtes  Staats-Inventariura  Mir  in  separato  einzureichen  und  sogleich  auch 
der  administrirenden  Stelle  mitzutheilen  seyn  wird. 


300  Beer. 

rend  sie  grosse  Summen  für  Pensionen  einzelner  Personen  anwies. 
Mit  vollen  Händen  spendete  sie,  wenn  die  Noth  in  einzelnen  Ländern 
dringend  Lindernng  heischte,  und  ihr  Unmuth  loderte  auf,  wenn  ihren 
Weisungen  nicht  allsogleich  Folge  gegeben  wurden.  Der  Finanzminister 
hatte  nicht  selten  seine  liebe  Noth  mit  seiner  Herrin. 


VI. 

Bereits  als  Mitgregent  hatte  Josef  einer  Centralisation  der  Behör- 
den das  Wort  geredet  und  nach  dem  Tode  seiner  Mutter  nahm  er 
diesen  Plan  wieder  auf.  Seine  Absicht  war  ursprünglich  nicht  blos 
auf  eine  Vereinigung  der  politischen  und  finanziellen  Geschäfte  ge- 
richtet, sondern  auch  die  Justizgeschäfte  sollten  der  Hof  kanzlei  über- 
geben werden  und  die  Appellationsgerichte  von  den  Landesstellen  in 
den  verschiedenen  Ländern  besorgt  werden.  Dem  Staatsrathe  gelang 
es,  die  Unabhängigkeit  der  Justiz  zu  vertheidigen  *),  und  Josef  be- 
gnügte sich,  die  gesammte  politische  Verwaltung,  Handel  und  Finanzen 
einer  Centralstelle  zu  überweisen,  welche  den  Titel  „Vereinigte  böh- 
misch-österreichische Hofkanzlei,  Hofkammer  und  Ministerial-Banco- 
deputation"  führte.  Für  die  Verwaltung  des  Zollgefälles  wurde  für  die 
deutschen  und  ungarischen  Länder  die  Zollregie  geschaffen,  seit  1786 
Bancalgefällendirection  genannt,  nachdem  ihr  die  Verwaltung  der 
meisten  indirecten  Steuern  zugewiesen  wurde.  Die  Cameralgegen- 
stände,  sowie  das  Münz-  und  Bergwesen  in  Ungarn,  Siebenbürgen 
und  dem  Banat  wurden  der  ungarischen  Hof  kanzlei  übertragen  (24.  Mai 
1782),  die  siebenbürgische  Hof  kanzlei  mit  der  ungaris  chen  als  ungarisch- 
siebenbürgische  Hof  kanzlei  vereinigt 2). 

Ein  leidenschaftlicher  Gegner  der  Vielschreiberei  hatte  er  bereits 
in  einer  seiner  Mutter  überreichten  Denkschrift  Vorschläge  zur  Ver- 
einfachung des  Geschäftsganges  gemacht.  Graf  Kudolf  Chotek,  dem 
Maria  Theresia  die  Arbeit  Josefs,  ohne  den  Verfasser  zu  nennen,  über- 
mittelt hatte,  sprach  sich  über  dieselbe  nicht  gerade  günstig  aus. 
Einige  Monate  nach  seinem  Regierungsantritte  kam  er  jedoch  auf 
seinen  vor  Jahren  ausgesprochenen  Gedanken  zurück.  Mit  der  Aus- 
arbeitung über  die  Abkürzung  der  Geschäftsaufsätze  wurde  Sonnen- 
fels durch  ein  Handschreiben  des  Kaisers  vom  1.  März  1781  betraut. 
Eine    umfangreiche  Arbeit    desselben    bildete  bereits   am  7.  Mai  1781 


')  Hock  a.  a.  0.  S.  112. 

2)  11.  August  1782;  Justizgesetzsammlung  No.  50  und  67. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  301 

den  Gegenstand  der  Berathung  unter  dem  Vorsitz  des  obersten  Kanzler's 
Grafen  v.  Blümegen.  Die  hierauf  bezügliche  Verordnung  wurde  am 
2.  Januar  1782  erlassen  *). 

Die  schon  von  Maria  Theresia  erlassenen  Normen  über  die  Con- 
duitelisten  wurden  von  Josef  erneuert  und  verschärft.  In  einem  Hand- 
schreiben vom  28.  December  1780  machte  er  die  Behörden  darauf 
aufmerksam,  dass  die  schon  vormals  üblich  gewesene  Einrichtung  der 
Eingabe  jährlicher  Conduitenlisten  für  den  Dienst  von  wesentlichem 
Nutzen  sein  könne.  „  Die  Vorgesetzten  werden  auf  diese  Weise  stufen- 
weise die  genauere  Kenntnis  von  dem  unterstehenden  Personale  er- 
halten, wenn  nach  dem  Befund  der  schuldigen  Wahrheit  für  das  Beste 
des  Staates  dergleichen  Nachrichten  von  den  unteren  Aemtern  an  die 
Behörden  in  den  Ländern  und  von  diesen  wieder  an  die  Hofstellen, 
sodann  dieselben  auf  Verlangen  zu  meinen  Händen  selbst  gelangen 
werden".  Er  übermittelte  gleichzeitig  Formulare  der  beim  Hofkriegs- 
rathe  für  die  Civil-  und  Kanzleiparteien  eingeführten  Conduitelisten, 
mit  der  Aufforderung,  dieselben  zu  adaptiren  und  ein  entsprechendes 
Formulare  zu  entwerfen.  Zahlreiche  Weisungen  an  die  Behörden 
zeigen,  dass  sich  der  Kaiser  auch  in  den  nächsten  Jahren  fortwährend 
damit  beschäftigte.  Bei  den  Gerichten  wurden  am  5.  Januar  1781 
Conduitetabellen  angeordnet,  eiuige  Wochen  später  auch  den  Beamten 
der  Verwaltungsbehörden  eingeschärft.  Strengere  Normen  wurden  in 
den  nächsten  Jahren  erlassen.  Keine  persönliche  Rücksicht  sei  zu 
nehmen;  die  Aussteller  seien  dafür  verantwortlich  zumachen;  alljähr- 
lich bis  Ende  October  sollen  die  Conduitelisten  aus  den  Ländern  bei 
der  vereinigten  Hof  kanzlei  einlangen ;  dieselben  seien  geheim  und  unter 
eigener  Sperre  des  Präsidenten  aufzubewahren.  Zur  Verminderung 
von  Schreibereien  wurden  gedruckte  Formulare  mit  15  Rubriken  über- 
geben 2).  Am  8.  März  1787  erfolgte  eine  Weisung,  es  sei  auch  in 
den  Conduitenlisten  eine  gewissenhafte  Beschreibung  der  Leibes-  und 
Geistesuntauglichkeit  zur  normalmässigen  Behandlung  oder  wegen  Un- 
fleisses,  Unverträglichkeit,  übler  Aufführung  etwa  zur  Entlassung  ge- 
eigneter Individuen  anzuzeigen,  jedoch  dürfe  mit  der  Entlassung  solcher 


')  Gegenwärtig  waren  bei  der  Berathung  der  Hof  kanzler  Heinrich  v.  Auers- 
perg,  der  Vicekanzler  Graf  Josef  v.  Auersperg,  der  General  der  Cavallerie  Graf 
v.  Carameli,  von  Seite  der  Hof  kanzlei  Hofrath  Frh.  v.  Stupan,  von  Seite  des  Hof- 
kriegsrathes  von  Türkheim,  ferner  ein  Mitglied  der  Obersten  Justizstelle  und  der 
Hofkammer;  Sonnenfels  fungirte  als  Referent. 

2)  An  sämmtliche  Länderstellen,  17.  November  1785.  Die  Angabe  bei  Hock 
Staatsrath  S.  131,  dass  die  Berichte  erst  am  4.  Febr.  1786  als  strengstes  Präsi- 
dialgeheimnis erklärt  worden  seien,  ist  unrichtig. 


302  B  e  e  r- 

Beamten,  die  über  eine,  höchstens  zweimalige  Ermahnung,  sieh  nicht 
bessern,  nicht  etwa  bis  zu  Ende  des  Jahres,  d.  h.  bis  zur  Wiederein- 
sendung der  Conduitenlisten  zugewartet  werden,  sondern  es  sei  allso- 
tjleich  zu  deren  Entlassung  zu  schreiten  und  der  Hofstelle  Bericht 
darüber  zu  erstatten. 

Leopold  kehrte  zu  den  Einrichtungen  seiner  Mutter  zurück.  Die 
auf  den  Handel,  sowie  auf  die  Finanzen  bezüglichen  Angelegenheiten, 
die  Contributionen  ausgenommen,  wurden  von  der  politischen  Hof- 
stelle losgelöst  und  die  Hofkammer,  mit  der  Bancodeputation  ver- 
einigt, wiederhergestellt,  zum  Präsidenten  Graf  Johann  Chotek  mit 
Rücksicht  auf  seine  „geprüften  Kenntnisse"  ernannt1).  Das  Münz-  und 
Bergwesen  wurde  einer  selbständigen  Behörde  übergeben  und  Graf 
Kolowrat  zum  Präsidenten  derselben  ernannt,  das  ungarische  Münz- 
und  Bergwesen  wie  unter  Maria  Theresia  der  allgemeinen  Hofkammer 
zugewiesen  -),  ebenso  auch  die  siebenbürgischen  Cameralia  und  Mon- 
tauistica 3) ;  Nur  die  ungarischen  Commercialia  verblieben  der  un- 
garischen Hofkanzlei.  Ueber  jene  Gegenstände  jedoch,  die  mit  den 
deutschen  Erblanden  in  einer  innigen  Verbindung  stehen,  sollte  jeder- 
zeit mit  der  allgemeinen  Hofkammer  Einvernehmen  gepflogen  wer- 
den i).  Die  von  dem  Kaiser  geforderte  Trennung  der  Cameralagenden 
von  den  politischen  in  Ungarn  und  Siebenbürgen  stiess  jedoch  auf 
Schwierigkeiten  und  Leopold  sah  sich  genöthigt,  einen  bestimmten 
Zeitpunkt  für  die  Durchführung  festzusetzen  5).  Der  Hofkammer  wurde 
auch  die  oberste  Leitung  aller  Staatskassen  dergestalt  unterstellt,  dass 
der  Präsident  bei  allen  Verwendungen  und  Anschaffungen  niemals 
einseitig,  sondern  immer  mit  Vorwissen  der  Stelle  oder  in  Fällen,  wo 
strenges  Geheimnis  erfordert  wird  oder  Gefahr  im  Verzuge  haftet, 
wenigstens  nicht  ohne  Mitwissen  des  Vicepräsidenten  und  des  Re- 
ferenten vorzugehen  hätte,    mithin    hätten    ihrer   drei  für  jede  Hand- 


')  Der  Antrag  der  Hofkammer,  dieselbe  oberste  Finanz-  und  Commerzstelle 
zu  nennen,  lebnte  der  Kaiser  in  seiner  Entschliessung  auf  den  Vortrag  vom 
20.  Februar  1791  ab:  , die  von  ibm  vorgeschlagene  Denomination  gründe  sich  zu- 
gleich auf  die  Gesetze  des  römischen  Reiches1.  Die  Ernennung  Kolowrat's  erfolgte 
am  30.  Januar  1791 ;  die  Ernennung  Chotek's  war  schon  am  25.  Januar  erfolgt. 

2)  Handschreiben  an  Pälfl'y,  22.  April  1791. 

3)  Zwei  Handschreiben  aus  Florenz,  23.  April  1791  an  Chotel  und  Teleky 
zugleich  mit  der  Weisung,  dass  »die  Trennung  des  Cameraiis  im  Lande  von  dem 
Gubernium  sowie  die  Organisation  des  Thesauriats  so  bald  möglich  erfolge*. 

4)  Entschliessung  auf  die  Note  der  Hofkammer  vom  31.  März  1791. 

s)  Handschreiben  Prag  30.  September  1791  an  Chotek  und  nochmalige 
Weisung  vom  14.  October  1791,  worin  der  1.  Nov.  1791  als  Zeitpunkt  festge- 
stellt wurde.     Weitere  Vorstellungen   werde  er  nicht  annehmen,    fügte  er  hinzu. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  303 

lung  zu  haften.  Die  Finanzstelle  sollte  von  den  Chefs  der  übrigen 
Hofstellen,  wenn  es  sich  um  Schaffung  eines  neuen  Amtes,  um  Ge- 
währung einer  Besoldung  oder  Pension  handelt,  unterrichtet  werden. 
Der  Antrag  des  Hofkammerpräsidenten,  dass  die  Chefs  der  übrigen 
Hofstellen  ohne  Beistimmung  der  Finanzstelle  keine  Anträge  an  den 
Kaiser  zu  stellen  hätten,  wurde  von  ihm  abgelehnt,  da,  wie  er  sich 
ausdrückte,  ihre  Activität  mit  Anstand  nicht  so  weit  eingeschränkt 
werden  könne.  Das  Contributionale ,  dessen  Perception,  Aenderung 
oder  Modificirung  gehörte  in  den  Wirkungskreis  der  Kanzlei,  jedoch 
mit  der  Finanzstelle  sollte  ein  Einvernehmen  erfolgen  x). 

Die  unter  Maria  Theresia  erlassenen  Verfügungen  über  die  Formen 
der  Geschäftsbehandlung  lebten  wieder  auf.  Bereits  am  2.  März  1791 
hatte  der  Kaiser  in  einem  Handschreiben  die  Weisungen  gegeben,  dass 
bei  jenen  Geschäften,  die  sowohl  auf  die  politische  als  auf  die  Finanz- 
stelle einen  wechselseitigen  Einfluss  nehmen,  ,,alle  weitschichtige  und 
die  Erledigung  nur  verzügernde  Correspondenzen  zu  vermeiden  seien 
und  die  vorhin  mit  gutem  Erfolg  unter  der  Regierung  seiner  Höchst- 
seligen Frau  Mutter  bestandene  und  wöchentliche  Concertationen 
zwischen  der  politischen  und  der  Finanzstelle  wieder  eingeführt  werden 
sollen".  Wöchentlich  habe  eine  gemeinschaftliche  Berathung  stattzufin- 
den und  die  darauf  bezüglichen  Gegenstände  sollten  durch  Protokolle 
oder  durch  gemeinschaftliche  Vorträge  zur  Entschliessung  des  Kaisers 
vorgelegt  werden.  Am  1.  August  1792  wiederholte  er  diesen  Auf- 
trag. „Nun  sind  bereits  5  Monate  verstrichen'1,  heisst  es  in  dem  Hand- 
schreiben an  Chotek,  „ohne  dass  Ich  von  dieser  Meiner  Anordnung  den 
mindesten  Erfolg  sehe.  Ich  gewärtige  demnach,  dass  derselben  ohne 
weitere  Verzögerung  Folge  geleistet  und  sogleich  das  Erforderliche 
zur  schleunigsten  Vollziehung  meiner  Gesinnung  zwischen  dem  Hof- 
kammerpräsidenten und  dem  Obersten  Kanzler  fürgekehrt  werde". 

Nur  Currentien  durften,  ohne  in  einer  Kathssitzung  vorgetragen 
zu  werden,  selbständig  erledigt  werden.  Als  solche  wurden,  von  dem 
Monarchen  ausdrücklich  bezeichnet :  „  solche  Exhibita,  die  lediglich  ad 
acta  gehen,  oder  die  ohne  Erinnerung  wieder  remittirt  werden  oder 
an  eine  untere  Behörde  um  Bericht  geschickt  werden".  Alle  übrigen 
Stücke  mussten  ausnahmslos  in  der  Rathssitzung  vorgetragen  werden. 
Jeder  Beisitzer  hatte  jedoch  die  Pflicht,  im  Falle  er  mit  dem  Antrage 
des  Referenten  nicht  einverstanden  war,  auch  seine  Meinung  zu  äussern 


')  Vortrag  vom  4.  Januar  1791,  die  Organisirung  der  neuen  Finanzstelle 
und  Commerzhofstelle  betreffend,  ferner  eine  französische  Note  vom  27.  Januar 
1791  an  den  Grafen  Chotek. 


304  B  e  e  '• 

und  die  Aufnahme  derselben  ins  Protokoll  zu  fordern.  Bei  eigener 
Haftung  hatte  er  nachzufragen,  ob  dem  Folge  gegeben  worden  sei, 
und  eventuell  an  den  Kaiser  die  Anzeige  zu  erstatten  1).  Auch  den 
Länderstellen  wurde  ein  ähnlicher  Vorgang  vorgeschrieben. 

Die  kaiserlichen  Entschliessungen  mussten  in  ein  Resolutionsbuch 
eingetragen  werden,  welches  während  der  Sitzung  auf  dem  Rathstische 
liegen  sollte  und  sodann  dem  Referenten,  in  dessen  Departement  sie  ein- 
schlagen, zur  Darnach  ach  tung  oder  etwaiger  Erledigung  zugewiesen 
werden.  Dieser  hatte  sodann  die  Pflicht,  an  dem  nächsten  Sitzungs- 
tage die  herabgelangte  Anordnung  öffentlich  vorzutragen,  in  das  Re- 
solutionsbuch eigenhändig  den  Tag,  wann  der  Vortrag  erfolgt  sei,  ein- 
zuschreiben und  eine  gleiche  Vormerkung  auf  dein  Stück  des  Originals 
zu  bewerkstelligen  2). 

Ueber  die  von  dem  Kaiser  signirten  Bittschriften  musste  dem- 
selben Vortrag  erstattet  werden,  ebenso  auch  über  jene  welche  nicht 
signirt  an  die  Hofkammer  gelangten,  „wenn  die  Bitte  billig  und  be- 
gründet und  entweder  nicht  schon  abgeschlagen  war  oder  den  be- 
stehenden Normalien  zuwiderlief".  Die  anderen  Bittschriften  sollten 
von  der  Hofstelle  erledigt  und  den  betreffenden  Parteien  der  Bescheid 
ertheilt  werden,  um  dieselben  über  die  getroffene  Verfügung  oder  die 
Unthunlichkeit  des  Gesuches  zu  belehren  „und  von  öfterer  Hofbehel- 
ligung und  unnützen  Zudringlichkeiten    abzuhalten1'.     Ueber   die   Er- 


*)  Handschreiben  an  Chotek,   11.  Januar  1792. 

2)  Handschreiben  vom  13.  Januar  1792  an  Chotek.  Da  alle  Geschäfte,  heisst 
es  sodann  weiter,  bey  der  Stelle  in  gewisse  Branchen  eingetheilt,  und  zu  dieser 
oder  jener  Branchs  eigene  Referenten  bestellet  sind,  so  müssen  auch  alle  Ge- 
schäfte, die  bey  ihrer  Hofstelle  vorkommen,  von  den  betreffenden  Referenten 
behandelt  und  in  dem  gewöhnlichen  Rathsprotokolle  aufgeführt  werden,  mithin 
hört  die  Führung  der  sonst  etwa  üblichen  Nebenprotokolle  von  selbst  auf,  nur 
für  jene  Gegenstände  allein,  die  ihre  Beziehung  privative  auf  den  Chef  haben, 
oder  wo  die  Wichtigkeit  der  Sache  die  vorläufige  geheimste  Verhandlung  erfor- 
dert, kann,  sowie  Ich  es  bereits  in  Meiner  Verordnung  vom  1.  Jänner  puncto  1 
erklärt  habe,  die  Führung  eigener  Mir  von  Monat  zu  Monat  vorzulegenden  Pro- 
tokolls noch  statt  haben  und  ebenso  müssen  aus  der  nämlichen  Ursache  die 
Finanzgegenstände,  sowie  bisher,  auch  fernerhin  insbesondere  verhandelt  und  der 
Gang  dieser  Geschäfte  Mir  in  den  vorgeschriebenen  Creditsprotokollen  insbeson- 
dere vorgelegt  werden ;  auch  will  Ich  gestatten,  dass,  wenn  wider  Vermuthen, 
das  Hofstellen-Capo  eine  Ahndung  gegen  seine  Person  erhielte,  solche  in  dem 
Rath  nicht  dürfe  vorgetragen  werden,  endlich  aber 

um  die  Aufsuchung  und  Ausfindigmachung  der  Acte  desto  mehr  zu  er- 
leichtern, so  rauss  die  Fürkehrung  getroffen  werden,  dass  alle  Meine  Original- 
resolutionen oder  Handbillete,  sobald  als  sie  vorgetragen  und  darüber  expedirt 
worden  ist,  in  die  betreffende  Registratur  zu  Aufbewahrung  sogleich  abgegeben 
werden. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—  1816.  305 

ledigung  der  Bittschriften  hatte  sich  die  Hofkammer  in  den  Kaths- 
protokollen  auszuweisen  l).  Bei  günstigen  Entscheidungen  sollten  die 
Parteien  verständigt  werden,  dass  dieselben  auf  Befehl  des  Kaisers  oder 
mit  seiner  Bewilligung  erfolgt  sind  2).  Bei  abweisenden  EntSchlies- 
sungen des  Kaisers  in  Parteiangelegenheiten  sollten  die  unteren  Be- 
hörden auch  mit  den  Beweggründen  bekannt  gemacht  werden  3). 

Unter  Franz  I.  war  die  Finanzverwaltung  stetem  Wechsel  unter- 
worfen und  erhielt  erst  seit  1824  jene  Einrichtung,  die  sich  bis  zum 
Kevolutionsjahre  1848  erhielt.  Die  von  seinem  Vater  verfügte  Organi- 
sation wurde  beseitigt  und  die  Josefinische  Einrichtung  wieder  her- 
gestellt. Die  Geschäfte  der  Hofkanzlei,  Hofkammer  und  Ministerial- 
bancodeputation  und  Commerzstelle  wurden  einem  Directorium  über- 
wieseu  4).  Durch  Handschreiben  vom  2.  September  1797  wurde  dieser 
Stelle  abermals  die  Leitung  der  Finanzen  entzogen  und  eine  selbständige 
Behörde  geschaffen  unter  dem  Grafen  Saurau,  dem  auch  die  Handels- 
angelegenheiten der  sämmtlichen  deutschen  uud  ungarischen  Erbstaaten 
zugewiesen  wurden 5).  Die  gegenwärtigen  Staatsverhältnisse,  heisst 
es  in  dem  Handschreiben  vom  2.  Sept.  1797  an  Lazansky,  machen 
die  Finanzverwaltung  zu  einem  so  wesentlichen  Gegenstande  meiner 
Sorgfalt,  dass  ich  es  für  meinen  Dienst  nöthig  finde,  die  Finanz- 
geschäfte von  den  politischen  zu  trennen.  Bereits  am  14.  October 
1797  wurde  Graf  Saurau,  der  bisher  bloss  mit  der  provisorischen 
Führung  betraut  war,  zum  wirklichen  Finanzminister  und  Hofkammer- 


')  Handschreiben  an  (Jhotek,  25.  October  1791. 

J)  Handschreiben  an  Chotek,  11.  Januar  1792. 

8)  Handschreiben  an  Chotek,  27.  Januar  1792. 

4)  Durch  Handschreiben  vom  13.  November  1792  wurde  verfugt  die 
österreichische  Hof  kanzlei  mit  der  das  ungarisch  -  siebenbürgische  Camerale 
besorgenden  Hotkammer  in  die  engste  Verbindung  zu  setzen;  der  Vicepräsi- 
dent  und  die  Hofräthe  der  ungarischen  Nation,  denen  die  Besorgung  der 
ungar.-siebenb.  Camerale  anvertraut  ist,  haben  bei  Verhandlung  der  deutsch-erb- 
lündischen  Publicorum  mitzustimmen.  Die  Benennung  Kanzlei  habe  aufzuhören 
und  diese  Stelle  den  Titel  zu  führen :  Directorium  in  Cameralibus  der  hungariseh- 
siebenbürgischen  und  deutschen  Erblande,  wie  auch  in  publico-politicis  dieser 
letzeren.  Eine  einige  Tage  später  erfolgte  kais.  Entschliessung  besagte,  dass  die 
Benennung  »Directorium«  zu  verbleiben  habe,  jedoch  könne  der  Vorsteher  den 
Titel  „Obristkanzler*  beirücken.  Zum  »Vorsteher'  wurde  als  Oberstministerial- 
Director  Graf  Kolowrat  ernannt,  Directorialhofkanzler  für  die  publica  -  politica 
Oberstburggraf  Rottenhann,  2  Kameralviceprüsidenten  :  für  die  ung.-sieb.  Geschäfte 
Majlath,  für  die  deutsch  -  österreichischen  Degelmann.  Die  Geschäfte  sollen  in 
sechs  Provin^ialdepartements,  jedes  aus  zwei  Senaten  bestehend,  erledigt  werden. 
Rescript  vom  17.  November  1792. 

•r')  Rescript  vom  7.  September.  1797. 
Mittheilungeu,  XV.  20 


806  B  e  e  r. 

Präsidenten  ernannt.  Nur  die  Erbschaftssteuer  verblieb  der  politischen 
Behörde,  weil  die  Eingänge  als  ein  Fond  den  Ständen  zur  Schulden- 
tilgung zugewiesen  waren,  doch  sollte  die  Finanzstelle  Einsicht  in  die 
Protokolle  erhalten  x).  Eine  Einschränkung  der  Finanzstelle  erfolgte 
durch  Handschreiben  vom  10.  Mai  1800,  indem  die  wichtigen  Credits- 
angelegenheiten  und  das  Schulden  wesen  überhaupt  einer  geheimen 
Hofcommission  überwiesen  wurden.  Graf  Saurau  behielt  bloss  das 
Bancale,  Camerale  und  Commerciale.  Mit  der  Leitung  der  neuen 
Commission  wurde  der  erste  dirigirende  Minister  Graf  Kolowrat  be- 
traut. Im  April  1801  erfolgte  abermals  eine  Vereinigung  der  Hof- 
kammer Banco-,  und  Commerzstelle  mit  der  böhmisch-österreichischen 
Hofkanzlei  unter  dem  Obersten  Kanzler  Grafen  Lazansky.  Der  bis- 
herige Finanzminister  Graf  Saurau  wurde  zum  Botschafter  in  St.  Peters- 
bürg  ernannt 2).  Die  Bancalgeschäfte  sollten  von  einer  eigenen,  dem 
Obersten  Kanzler  untergeordneten  Deputation  besorgt,  die  Finanz- 
und  Creditgegenstände.  welche  bisher  von  einer  Finanzhofcommission 
behandelt  worden  waren,  von  der  neuen  vereinigten  Hofstelle  abge- 
sondert und  hiefür  eine  besondere  geheime  Creditcommission  unter 
der  Leitung  des  dirigirenden  Staatsministers  Grafen  v.  Kolowrat  er- 
richtet werden.  Bereits  nach  kurzer  Zeit,  im  Jahre  1802  erfolgte  die 
Trennung  der  Hof  kammer  vou  der  Hofkanzlei 3).  Graf  Carl  Zichy 
wurde  zum  Präsidenten  der  Hofkammer,  Ministerialbancodeputation, 
Finanz-  und  Commerzhofstelle  ernannt,  demselben  auch  die  monta- 
nistischen Angelegenheiten  zugewiesen,  eine  Organisation,  welche  bis 
zum  Jahre  1814  Bestand  hatte.  Eine  Erweiterung  erhielt  der  Wirkungs- 
kreis der  Hof  kammer  durch  die  Zuweisung  der  Finanz-  und  Cameral- 
gegenstände    der   venezianischen    Staaten,    sowie   Dalmatiens   und  AI- 


•)  Protokoll  vom  6.  September  1797. 

2)  Die  Verständigung  an  die  Behörden  erfolgte  am  30.  April. 

s)  Am  2.  März  1802  richtete  der  Kaiser  Franz  an  Lerbach  folgendes  Hand- 
schreiben :  Sie  werden  Ihre  freimüthige  Aeusserung  über  nachfolgenden  für  das 
Beste  des  Staates  höchst  wichtigen  Gegenstand,  wenigstens  über  diejenigen  Punkte 
desselben,  wovon  Sie  Kenntnis  zu  haben  glauben,  unmittelbar  an  mich  gelangen 
lassen  und  hiebei  ohne  Rücksicht  auf  wen  immer  einzig  und  allein  nur  Ihr  Ge- 
wissen und  Pflicht  vor  Augen  haben,  auch  hierüber  das  strengste  Stillschweigen 
beobachten.  Beiliegend  eine  Abschrift  der  1801  erlassenen  Handschreiben,  betref- 
fend die  Errichtung  eines  Conferenzministeriums.  Lehrbach  schlug  nun  vor:  eine 
politische  Hofstelle  und  ihr  alle  politischen  und  geistlichen  Gegenstände  der  ge- 
sammten  Monarchie,  Italien  inbegriffen,  zu  übertragen,  Ungarn  und  Siebenbürgen 
eingeschlossen,  und  dieser  Stelle  wie  früher  alle  Geschäfte  der  Ministerialbanco- 
deputation, der  Hofkammer,  im  Münz-  und  Bergwesen  sowie  im  Commerzwesen 
zu  überhagen,  ferner  eine  oberste  Justizstelle,  Ungarn  und  Siebenbürgern  jedoch 
ausgenommen,  endlich  eine  Polizeihofstelle.     (Vortrag  vom  12.  März  1802). 


Die  Finanzverwaltung  Österreichs  1749 — 1816.  307 

baniens,  welche  bisher  von  der  italienischen  Hofkanzlei  besorgt  wurden. 
Nur  bei  Angelegenheiten,  die  zugleich  auch  in  den  Wirkungskreis 
anderer  Hofstellen  einschlugen,  wurde  das  Einvernehmen  mit  den- 
selben zur  Vorschrift  gemacht.  Der  Kaiser  behielt  sich  in  diesen 
Gebieten  auch  die  Besetzung  der  „mindesten  Dienstplätze "  —  die  in 
den  andern  Ländern  den  Behörden  überlassen  war,  —  vor.  Die  Nach- 
folger des  Grafen  Zichy  waren  Josef  Graf  Odonell  1808 — 1810, 
Graf  Wallis  1810—1813.  Nach  dem  Rücktritte  von  Wallis  wurde 
das  Finanzdepartement  provisorisch  mit  Cabinetsschreiben  vom  17.  April 
1813  an  Ugarte,  damals  Obersten  Kanzler,  und  nach  einigen  Monaten 
an  Stadion  übertragen.  Nach  zweijähriger  provisorischer  Verwaltung 
wurde  Stadion  mit  Handschreiben  aus  Belluno  vom  16.  April  1816  zum 
Finanzminister  ernannt 2).  Der  Finanzminister  musste  sich  seinen 
Wirkungskreis  förmlich  erst  erobern.  Um  die  Einrichtung  der  mit 
der  Monarchie  wieder  vereinigten  Provinzen  zu  beschleunigen,  war 
mit  Handschreiben  vom  31.  Juli  1814  eine  Centralbehörde  unter  dem 
Namen  Organisirungshofcommission  gebildet  und  derselben  mit  Aus- 
nahme der  höheren  Finanz-,  Credits-  und  Cassengegenstände,  dann 
der  Justizgeschäfte  alle  Angelegenheiten  dieser  Provinzen  übertragen 
worden  3).  Die  Abgrenzung  der  Wirksamkeit  der  neuen  Behörde  und 
der  Finanzhofstelle  sollte  erst  nachträglich  erfolgen.  Zwischen  der 
Creditcommission  und  der  Organisirungscommission  wurde  bald  eine 
Verständigung  erzielt,  allein  diese  erstreckte  sich  natürlich  nur  auf 
einen  Theil  der  finanziellen  Angelegenheiten,  und  Stadion  hielt  es  für 
notwendig,  alle  mit  den  Finanzen  in  Zusammenhang  stehenden  An- 
gelegenheiten für  das  Finanzministerium  in  Anspruch  zu  nehmen 4). 
Die  kaiserliche  Entschliessung  trug  den  Anforderungen  des  Finanz- 
ministers Rechnung.  Die  Organisirung  und  Verwaltung  aller  indirecten 
Abgaben  und  Gefälle,  so  lautet  ein  Cabinetsschreiben  an  den  Grafen 
Lazanzky  vom  14.  December  1814,  in  den  neu  acquirirten  Provinzen 
sei  an  die  Hofkammer  und  Bancodeputation  zu  übertragen  und  dieser 


')  Handschreiben  vom  22.  Mai  1803;  Protokoll  vom  5.  Febr.  1803. 

2)  Stadion  erhielt  24.000  fl.  Gehalt,  18.000  fl.  Tafelgeld,  Wohnung  im  Münz- 
hause, Fortbezug  einer  Personalzulage  von  6000  fl.  bei  der  Staatskanzlei. 

3)  Der  Wirkungskreis  erstreckte  sich  über  die  illyrischen  Provinzen,  den 
villacher  Kreis,  Gürz  und  Krain  ausgenommen,  welche  am  1.  Aug.  1814  dem 
innerösterreichischen  Guberniuum  zugewiesen  wurden,  ferner  über  die  venetianischen 
Provinzen,  die  Lombardei,  Tirol  und  Vorarlberg  und  über  die  eventuell  mit  der 
Monarchie  zu  vereinigenden  Länder.  Baldacci  war  mit  Handschreiben  vom 
23.  Juli  1814  von  der  Besorgung  der  Tiroler  und  Vorarlberger  Geschäfte  enthoben 
worden.  Das  Präsidium  der  Centralorganisirungskommission  erhielt  Graf  Lazansky. 

4)  Vergl.  den  Vortrag  Stadion's  vom  16.  November  1814  im  Anhange. 

20* 


308  Bee  r. 

Hofbtelle  auch  in  den  neuen  Provinzen  der  nämliche  Wirkungskreis 
einzuräumen,  der  ihr  in  den  übrigen  Provinzen  zusteht.  Lazanzky 
überging  aber  in  seiner  Zuschrift  das  Commerzwesen  gänzlich.  Stadion 
sah  sich  noch  einmal  genöthigt,  einen  Vortrag  an  den  Kaiser  zu  er- 
statten und  die  Ansicht  zu  begründen,  dass  das  Commerzwesen  von 
dem  Wirkungskreise  der  Bancodeputation  nicht  zu  trennen  sei. 

Erst  im  Jahre  1816  erhielt  die  Finanz  Verwaltung  eine  Organi- 
sation, welche  sie  bis  zu  dem  im  Jahre  1824  erfolgten  Tode  Stadions 
beibehielt.  Dem  Finanzminister  wurde  die  Finanzgesetzgebung  und 
die  gesammte  Leitung  der  höheren  Creditsoperationen  übertragen, 
während  die  Hofkammer  bloss  mit  der  Verwaltung  betraut  wurde, 
und  zwar  gehörten  zu  den  unmittelbaren  Geschäftsgegenständen  des 
Finanzministeriums:  alle  auf  die  zur  Herstellung  der  Geldcirculation 
sich  beziehenden  Geschäfte,  alle  Creditoperationen,  die  Leitung  der 
Creditinstitute,  insoferne  es  sich  nicht  um  die  blosse  Vollziehung  und 
Ausführung  der  schon  festgesetzten  Grundsätze  handelt,  die  Dispo- 
sition über  die  Hauptreservekasse,  über  die  ausserordentlichen  Fonde, 
über  die  Militärdotation,  insolange  das  Präliminar  nicht  festgesetzt 
war,  die  Bearbeitung  der  Staatsvoranschläge,  die  Verhandlungen  über 
die  Grundsätze  und  die  Bestimmungen  der  Grund-,  Erwerb-,  Personal- 
und  Classensteuer.  Das  Ministerium  konnte  jedoch  auch  eine  Einsicht 
in  die  von  der  Hofkammer  angefertigten  und  durch  das  Ministerium 
an  den  Kaiser  erstatteten  Vorträge  nehmen.  Die  Hofkammer  selbst 
war  in  drei  Senate  eingetheilt:  den  Gefällssenat,  den  Cameralsenat 
und  den  montanistischen  Senat 1).  Die  verschiedenen  selbständigen 
Abtheilungen  der  Hofkammer,  nämlich  die  geheime  Creditshofcommission 
und  Ministerialbancodeputation,  die  Commerzhofstelle,  die  Hofkammer 
für  Münz-  und  Bergwesen  wurden  der  unmittelbaren  Leitung  des 
Hofkammerpräsidenten  und  der  obersten  Aufsicht  des  Finanzministers 
unterstellt.  • 

Im  Jahre  1816  wurde  neuerdings  ein  Hofcommercienrath  ins 
Leben  gerufen  2).     Stadion  war  es,  der  in  einem  Vortrage  vom  28.  Juni 


')  Aus  einem  Umlaufschreiben  des  Präsidenten  der  Hofkammer  Chorinsky 
an  die  Vicepräsidenten  und  Referenten.  Die  Allerh.  Entschliessung  ist  durch 
Handschreiben  aus  Triest  vom  I.  .Mai  1816  erfolgt.  Die  Centralorganisirungs- 
Commission  wurde  durch  Cabinetsschreiben  vom  20.  Dec.  1818  mit  der  Hof- 
kanzlei vereinigt,  und  diese  sollte  nunmehr  ,  Vereinigte  Hofkanzlei1  benannt 
werden. 

2)  Bereits  im  Jahre  1805  lag  ein  Vorschlag  Herberts  vor,  Commercium  und 
Montanisticum  zu  einer  Hofstelle  zu  erheben  (Vortrag  vom  22.  Juli).  Das  Schrift- 
stück kam  1808  unerledigt  zurück. 


Die  Finanzverwaltimg  Oesterreichs  1749—1816.  309 

1816  den  Antrag  stellte,  eine  Hofcommission  zur  Regelung  der 
Commerzangelegenheiten  der  gesammten  Monarchie  ins  Leben  zu  rufen. 
Der  Zuwachs  der  Provinzen,  setzte  er  dem  Monarchen  auseinander, 
durch  welchen  die  Grenzen  der  Erbstaaten  sich  weit  ausgedehnt  und 
die  Küste  des  Meeres  erreicht  haben,  hätte  in  den  commerciellen 
Verhältnissen  der  Monarchie  wesentliche  Veränderungen  hervorgerufen 
und  in  dem  Handelsinteresse  der  einzelnen  Provinzen  eine  Verschieden- 
heit erzeugt,  welche  sich  in  den  Ansichten  und  Meinungen  der  Indi- 
viduen und  Körperschaften  in  den  mannigfachsten  Formen  ausspreche. 
Daher  rühren  die  Bitten,  Klagen  und  Beschwerden,  welche  von  vielen 
Seiten  an  den  Monarchen  herantreten.  In  Staaten,  wo  das  Prohibitiv- 
system angenommen  sei,  könne  die  Einwirkung  der  Staatsverwaltung 
auf  die  commerciellen  Verhältnisse  nicht  aufgegeben  werden,  allein 
diese  Einwirkung  müsse  auf  richtigen  Grundsätzen  der  National  - 
Oekonomie  fussen  und  mit  beständiger  zusammenhängender  Rücksicht 
auf  das  wahre  Interesse  des  Handels  und  der  Industrie  geleitet  werden. 
Besonders  in  den  österreichischen  Staaten  sei  die  umfassendste  und 
tiefste  Einsicht  mit  der  angestrengtesten  Aufmerksamkeit  nothwendig, 
weil  vielleicht  in  keinem  Staate  von  Europa  die  Interessen  der  ein- 
zelnen Bestandtheile  bezüglich  der  Richtung  des  Handels  und  der 
Industrie  so  entgegengesetzt  und  verschieden  seien  und  ihre  Vereinigung 
für  den  Zweck  des  ganzen  Staatskörpers  so  grossen  Schwierigkeiten 
unterliege.  Eine  sichere  Grundlage  der  Commerzleitung  werde  nur 
dann  gewonnen  werden,  wenn  die  Principien  der  Handelspolitik  in 
eine  concentrirte  Behandlung  genommen  und  mit  Rücksicht  auf  die 
Neugestaltung  der  Dinge  festgesetzt  werden. 

Nach  dem  Vorschlage  Stadions  sollte  diese  Hofcommission  ge- 
trennt von  der  currenten  Leitung  der  Gewerbe-,  Fabriks-  und  Handels- 
gegenstände sich  vornehmlich  damit  beschäftigen,  die  Verhältnisse 
des  Haudels  und  der  Industrie  in  ihren  Beziehungen  gegen  einander 
und  gegen  fremde  Staaten  zu  erforschen,  um  sich  eine  klare,  voll- 
ständige Kenntnis  und  Uebersicht  zu  verschaffen.  Sodann  hätte  sie 
die  Vorschläge  zu  erstatten ,  wie  die  verschiedenen  commerciellen 
Interessen  der  einzelnen  Theile  der  Monarchie  zu  vereinigen  und  welche 
Grundsätze  das  Handelssystem  des  gesammten  Staatskörpers  be- 
folgen solle,  ferner  die  Regulirung  des  Mauthsystems  im  Allgemeinen, 
sowie  die  Zolltarife  in  Antrag  zu  bringen.  Die  Commission  sollte  be- 
rechtigt sein,  Handelsleute  und  Fabrikanten  von  den  bedeutenderen 
Handelsplätzen  und  Fabriksplätzen  der  Monarchie  zu  berufen,  um  ihre 
Ansichten,  Wünsche  und  Vorschläge  über  Verbesserungen  in  den  An- 
stalten zur  Belebung   des    Handels   und   der  Industrie    zu  vernehmen. 


310  Beer. 

Zum  Präsidenten  wurde  Stahl  ernannt,    der   diese  Stelle  bis  zur  Auf- 
hebung der  Hofcommerzcommission  bekleidete  x). 

VII. 

Unter  Josef  IL  wurde  der  Wirkungskreis  der  Hofrechenkamnier 
erweitert.  Die  Buchhaltereien  in  den  einzelnen  Ländern  wurden  der- 
selben unterstellt,  von  ihr  sollten  bei  Erledigung  von  Stellen  die  Vor- 
schläge erstattet  werden 2).  Auch  die  ständischen  und  städtischen 
Buchhaltereien  wurden  ihr  untergeben,  ebenso  auch  die  beiden  Rechen- 
kammern  in  den  Niederlanden  und  der  Lombardei,  wo  das  in  den 
deutschen  Erbländern  bestehende  verbesserte  Rechnungssystem  einge- 
führt werden  sollte.  Auch  die  Leitung  und  Aufsicht  der  Buch- 
haltereien in  Ungarn  und  Siebenbürgen  wurden  ihr  übertragen.  Zum 
Präsidenten  der  Ho  frech  enkammer  wurde  der  bisherige  Gouverneur 
von  Triest  ernannt,  der  am  12.  April  1782  um  12  Uhr  Mittags  den 
Eid  ablegte.  Graf  Carl  Zinzendorf,  dessen  Thätigkeit  schon  in  seinen 
früheren  Stellen  bewunderungswürdig  war,  hat  sich  auch  auf  dem 
neuen  Posten  grosse  Verdienste  erworben.  Die  unter  seiner  Leitung 
gelieferten  Arbeiten  zeichnen  sich  durch  Reichhaltigkeit  und  Sorgfalt 
in  den  Details  aus.  Jetzt  erst  gewann  man  ein  klares  Bild  über  die 
dem  Staate  zur  Verfügung  stehenden  Hilfsquellen.  Das  Ziffernmaterial 
ist  übersichtlich  geordnet.  Carl  Zinzendorf  hat  das  von  seinem  Bruder, 
dem  Grafen  Ludwig  Zinzendorf,  begründete  Werk  vielfach  ergänzt. 
Das  Rechnungswesen  der  gesammten,  dem  Habsburger  Scepter  unter- 
stehenden Länder  befand  sich  daher  nunmehr  unter  einer  einzigen 
gemeinschaftlichen  Leitung,  allein  schon  unter  Leopold  IL  wurden  in 
dieser  Richtung  abermals  Aenderungen  vorgenommen.  Die  Brüsseler 
und  Mailänder  Rechenkammer,  die  Hof-  und  Staatskanzlei,  das  unga- 
rische und  siebenbürgische  Camerale  und  andeie  Buchhaltereien  wurden 
dem  Wirkungskreise  der  Rechenkammer  entzogen.  Unter  Franz  II. 
wurde  sie  im  Jahre  1792  zum  zweiten  Male  aufgehoben,  und  an  ihre 
Stelle  trat  nun  eine  dem  Directorium  in  Publicis,  politicis  et  came- 
ralibus  subordinirte  Staats-Hauptbuchhaltung  3),  die  eigentliche  Controle 
wurde  dem  Staatsrathe  übertragen ;  indess  rang  sich  die  Meinung  wieder 
durch,  dass  die  zur  Controle  der  Verwaltung  bestimmten  Buchhaltereien 
unter  einer  unabhängigen  Hofstelle  stehen  müssten.     Graf  Strasoldo's 


1)  Vergl.  meine  Handelspolitik  im  19.  Jahrhundert  erstes  Capitel. 

2)  An  die  Buchhaltereien,  30.  Januar  1782. 
s)  Cabinetsbefehl  vom  23.  November  1792. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  311 

Entwürfe  drangen  zwar  nicht  durch,  die  Controle  von  den  Admini- 
strativbehörden vollständig  unabhängig  zu  machen,  aber  sie  hatten 
doch  die  Schaffung  einer  selbständigen  Behörde,  der  obersten  Staats- 
controle,  zur  Folge.  Prokop  Graf  Lazansky  wurde  zum  Präsidenten 
der  obersten  Staatscontrole  ernannt.  Unglücklicher  Weise,  heisst  es 
in  einer  vorliegenden  Arbeit,  hatte  die  neue  Hofstelle,  in  ihrem  eigenen 
Chef  den  thätigsten  Gregner,  und  eben  jene  Hand,  welche  ihr  eine 
vollkommene  Ausbildung  hätte  geben  sollen,  arbeitete  an  ihrer  Zer- 
störung. Im  Sommer  1796  legte  er  einen  Organisirungsplan  vor,  dem 
der  Kaiser  jedoch  nicht  ganz  zuneigte,  sondern  erst  die  Begutachtung 
von    Seite    der   Beamten    verlangte l).       Als    Lazanzky   zum    obersten 


')  Kais.  Resolution  auf  den  Vortrag  ddo.  17.  August  1796,  das  Staatsrech- 
nungswesen betreffend.  Da  das  Staatsrechnungswesen  für  Meinen  Dienst  sowohl, 
als  für  das  Wohl  vieler  Tausende  in  Verrechnung  stehender  Beamten  von  der 
grössten  Wichtigkeit  ist,  so  finde  ich  für  nöthig  zu  verordnen,  dass  Sie  den  mir 
vorgelegten  Entwurf,  so  wie  er  ist,  den  sämtl.  Hofbuchhaltern  (mit  Ausnahme 
des  Hof  kriegsbuchhalters)  den  Kammeral-  und  Finanz-Referenten  bei  dem  Direc- 
torio  und  dem  1.  Vice-Präsidenten  B  Degelmann  um  ihre  freymüthige  schrift- 
liche Aeusserungen  durch  den  Weg  der  Circulation  zustellen  und  Mir  diese  mit 
ihrer  Wohlmeinung  spätestens  in  3  Monaten  vorlegen,  worüber  Ich  sodann  mit 
ihrer  Zuziehung,  und  mit  dem  hiezu  nöthig  findenden  Personen  eine  Conferenz 
abhalten  werde,  So  viel  es  aber  insbesondere  die  Hof  kriegsbuchhaltung  betrifft, 
ist  hieran    bei  den  gegenwärtigen  Umständen    eine  Abänderung   nicht  thunlich. 

Die  von  Lazansky  überreichten  Grundsätze  zur  Organisirung  der  Buchhal- 
tereyen und  der  Staatskontrole  enthalten  im  Wesentlichen  folgende  Anträge  : 

^tens  Dass  die  Provinzialbuchhaltereyen  mit  den  administrirenden  Länder- 
stellen, und  die  Hofbuchhalterey  mit  der  Hofstelle  vereinigt,  und  die  kontro- 
lirende  Hofstelle  als  selbständig  ganz  behoben  werden  sollte. 

2tens  £)ass  jeder  administrirenden  Stelle  ein  im  Rechnungswesen  erfahrenes 
Buchhalterey-Individuum  als  Rath  beyzugeben  wäre,  welcher  nebst  einem  zu  be- 
sorgen habenden  Beferat  auch  über  die  Ordnung  und  Fleiss  des  Buchhalterey- 
Personals  zu  wachen  hätte,  in  Ansehung  dieser  Geschäfte  ganz  von  einem  Staats- 
minister abhängig  zu  machen  wäre,  und  die  Befugniss  haben  müsste  in  allen 
Fällen,  wo  ungeachtet  seiner  Erinnerung  der  Chef  der  Stelle  etwas  gegen  die 
Vorschriften  unternehme,  dem  Minister  davon  die   schriftliche  Anzeige  zu  machen. 

3tens  Dass  die  Zentralbuchhalterey  dem  Staatsrath  untergeordnet,  und  deren 
Leitung  einem  Staatsminister  anvertraut  werden  sollte. 

4tens  Dass  die  Buchhaltereyen  künftig  keine  Rechnungskonfizienten  mehr 
seyn,  sondern  detailirte  Rechnungen  zur  Zensur  erhalten  sollten. 

5tens  Dass  die  Zensur  aller  solcher  Rechnungen  von  den  Landesbuchhal- 
tereyen  zu  besorgen,  und  daraus?  nur  summarische  Eingaben  an  die  Hofbuch- 
halterey einzusenden  wären. 

ßtens  Dass  die  Hofbuchhalterey  aus  solchen  Eingaben  die  Handlungen  der 
Provinzialbuchhaltereyen  zu  übersehen  und  zu  beurtheilen  hätte,  ob  diese  die 
Control  gegen  den  Rechnungsführer  nach  ihrer  Pflicht  beobachten,  ob  sie  die 
nemliche  Control  gegen  die  Landesstelle  ausüben,  dass  sie  die  notbwendigen  Er- 


312  Beer. 

Directorialminister  befördert  wurde  (21.  August  171)7),  sucht  er  den 
Wirkungskreis  derselben  so  viel  als  möglich  einzuschränken.  Die 
gegen  seine  Reformanträge  von  sachkundigster  Seite  vorgebrachten 
Bemerkungen  drangen  nicht  durch.  Zur  Organisirung  der  Buchhalte- 
reien  wurde  eine  Commission  unter  dem  Vorsitze  des  Hofrathes  von 
Schotten,  der  interimistisch  das  Präsidium  der  obersten  Staatscontrole 
leitete,  mit  Beiziehung  des  Hofrathes  Eder  und  des  Gubernialrathes 
Grafen  von  Herberstein  zusammengesetzt.  Dieselbe  überreichte  in  den 
nächsten  Jahren  ihre  auf  die  Verbesserung  des  Rechnungswesens,  so- 
wie auf  die  Regulirung  der  obersten  Staatscontrole  und  der  Buch- 
halterei  abzielenden  Vorschläge,  welche  zum  Theil  genehmigt,  zum 
Theil  einer  weiteren  Prüfung  unterzogen  wurden,  zum  Theil  auch 
unausgeführt  blieben.  Die  mit  den  Organisirungsarbeiten  betraute 
Commission  wurde  durch  kaiserliche  Erschliessung  vom  26.  August 
1801  aufgelöst,  und  auf  Grund  eines  Vortrages  des  Erzherzogs  Carl 
über  die  Reform  der  Staatscontrole  wurde  die  Errichtung  einer  contro- 


innerungen  mache ,  wenn  Anweisungen  vorkommen ,  welche  gegen  die  Vor- 
schriften lauten.  Dass  endlich  die  Hofbuchhalterey  bey  dem  geringsten  bey 
einer  Rubrik  vorkommenden  Verdacht  das  Detail  darüber  von  der  Provinzial- 
buchhalterey  abfordern  und  solches  prüfen  sollte. 

7tens  Das8  auch  die  Centralbuchhalterey  so  verfasste  summarische  Eingaben 
von  der  Hofbuchhalterey  erhalten  sollte,  aus  welchen  erstere  die  Verwaltung 
eines  jeden  Gefälls  durch  Vergleichung  mit  den  leztern  Jahren  oder  mit  Durch- 
schnittssummen zu  prüfen  im  Stande  wäre.  Die  Zentralbuchhalterey  müsste 
nicht  allein  die  Einsicht  des  Nettoertrages,  sondern  auch  den  Bruttoertrag  von 
jedem  Gefäll  haben,  und  diesen  nicht  nur  zu  einer  gewissen  Zeit  des  Jahrs,  son- 
dern immer  fortwährend  bekommen,  weil  der  hauptleitenden  Zentralstelle  daran 
gelegen  wäre  zu  wissen,  ob  ein  Gefäll  steige  oder  falle,  und  in  welcher  Provinz, 
und  aus  welchen  Ursachen  sich  solches  ergebe. 

8tens  Dass  dieser  Geschäftsgang  im  Rechnuugsfache  keinen  Zweifel  unter- 
liegen könne,  weil  der  Gang  der  Administrazion  der  politischen  Geschäfte  ganz 
der  nemliche  sey. 

9tens  Da  dieser  Rechnungsgang  nun  durch  ein  Jahr  bey  sehr  komplizirten 
Rechnungen  einer  Oekonomie  zu  bewerkstelligen  möglich  gewesen  wäre,  so  werde 
es  auch  von  jeder  andern  Verrechnung  möglich  seyn. 

10tens  Bey  zweckmässiger  Verwendung  der  Buchhaltereyen  zur  Zensur  und 
Kontrol  sollen  sie  der  administrirenden  Stelle  zu  jeder  Stunde  in  der  möglichst 
kürzesten  Zeit  alle  Auskünfte  ertheilen,  und  selbe  in  so  weit  kontroliren,  dass 
sie  über  alle  Geldanweisungen,  welche  ihr  ante  expeditionem  per  videat  zu- 
kommen, die  nöthigen  Erinnerungen  machen,  wenn  bey  solchen  etwas  gegen 
die  Vorschriften  vorkömmt*. 

Das  Gutachten  des  Hof  buchhalters  Meyner,  eines  tüchtigen  Beamten,  im 
Auszuge  bei  Lichtnagel,  Geschichte  des  österr.  Rechnungs-  und  Controlwesens. 
Graz  1872.     S.  156  fg. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1759—1816.  313 

lirendeu  Hofstelle  abermals  zur  Sprache  gebracht.  Mehrere  Com- 
missionen  wurden  unter  dem  Vorsitze  des  Erzherzogs  abgehalten, 
und  sodann  die  Allerh.  Entschliessung  erlassen ,  dass  vom  Mili- 
tärjahre 1802  angefangen  alle  Buchhaltereien  an  die  Chefs  der 
Hofstellen  angewiesen  werden,  das  Centraldepartement  dem  dirigiren- 
den  Staatsminister  Grafen  von  Kolowrat,  die  Länder  und  Gefälls- 
buchhaltereien  aber  den  Läuderstellen  unterzuordnen  seien,  damit  eine 
Vereinfachung  des  Rechnungswesens  auf  diese  Weise  zu  Stande  ge- 
bracht werde.  Der  seit  1761  festgehaltene  Gesichtspunkt  einer  Tren- 
nung der  Verwaltungsbehörde  von  der  Rechnungslegung  wurde  über 
Bord  geworfen.  Nach  drei  Jahren  trat  abermals  eine  Aenderung  ein. 
Hofrath  Augustin  Veit  von  Schittlersberg  wurde  aufgefordert  einen 
Vorschlag  auszuarbeiten,  „wie  eine  unabhängige  und  bündige  Staats- 
controle  oder  ein  Rechnungsdirectorium  herzustellen  wäre,  welches 
—  ohne  die  Aktivität  der  Hof-  und  Länderstellen  zu  lähmen  oder 
zu  hemmen  —  alle  Branchen  der  Comptabilität  nach  einheitlichen 
Principien  zu  leiten  und  zu  überwachen  hätte,  damit  der  Zweck  einer 
richtigen  Staats-Haushaltung  möglichst  vollkommen  und  mit  thun- 
lichster  Schonung  des  Aerars  erreicht  werden  könnte  1)tf.  Die  von 
ihm  entworfenen  Grundsätze  erhielten  die  kaiserliche  Genehmigmnff 
und  blieben  in  dem  Zeiträume  von  1805 — 1866  mit  unwesentlichen 
Aenderungen,  bis  zur  Schaffung  eines  obersten  Rechnungshofes  im 
Jahre  1866  in  Kraft*). 


Grössere  Anmerkungen. 

I.  (Zu  S.   237   fg.) 

J.  G.  Megerle  von  Mühlfeld  hat  die  Eeihenfolge  der  Hofkammerprä- 
sidenten  von  dem  Zeitpunkte  der  Errichtung  der  k.  k.  Hofkammer  zu 
Innsbruck  1498  bis  1828  zusammengestellt.  (Abgedruckt  üst.  Archiv  1830.) 

Einige  Irrthümer  mögen  Berichtigung  finden.  Paul  Freiherr  von 
Krausenegg  war  schon  1610  Präsident,  nicht  erst  1611.  Auf  den  „Hof- 
kammerdirector"  Gundacker  von  Polhaim,  der  seit  1615  in  dieser  Eigen- 
schaft der  Hofkammer  vorstand,  folgt  der  in  dem  Verzeichnisse  von  Me- 
gerle  übergegangene  „Hofkammerdirector"  Vincenz  Muschinger  im  Jahre 
1622,  der  jedoch  nur  kurze  Zeit  diese  Stelle  bekleidete;  1623  erscheint 
Anton  —  nicht  Johann,  wie  Megerle  angibt  —  Abt  zu  Kremsmünster 
als  Hofkanimerpräsident  bis   1680. 

Als  Maria  Theresia  zur  Regierung  kam,  war  Franz  Gottfried  Graf 
von  Dietrichstein  Hofkammerpräsident  seit  1719.    Auf  Vortrag  vom  2.  Sep- 


')  Das  Handschreiben  an  den  Grafen  Zichy  7.  Februar  1807. 
2)  Hierüber  sehr  ausführlich  Lichtnage]  a.  a.  0. 


314  B  e  e  r. 

teinber  1743  wurde  verfügt,  dass  die  Hofkanzlei  in  allen  das  Aerar  be- 
treffenden Angelegenheiten  mit  der  Hofkammer  das  Einvernehmen  zu  pfle- 
gen und  gemeinschaftlich  Vortrag  zu  erstatten  habe.  Im  Jahre  1745 
wurde  das  Bancalität-Collegium  aufgehoben.  Die  beiden  Generalcassen, 
nämlich  die  Cameral-  und  die  Militärcasse  sollten  durch  zwei  Oberdirec- 
toren  besorgt  werden  und  durch  die  Hofkammer  ihre  beiderseitigen  Legi- 
timationen empfangen,  an  dieselbe  wöchentlich  die  Cassa-Extracte  über- 
geben. Der  Director  der  Bancalität,  Peter  Anton  Freiherr  v.  Prandau, 
wurde  wegen  seiner  „der  Kaiserin  und  ihren  Vorfahren  Leopold,  Josef 
und  Carl  sowohl  bei  der  Hofkammer,  als  bei  der  Bancalität  geleisteten 
langen  und  erspriesslichen  Dienste"  zum  Vicepräsidenten  der  Hofkammer 
ernannt,  In  einem  Acte  vom  14.  September  17  45  ist  von  einer  Restau- 
rirung  des  Hofkammerwesens  die  Rede,  worin  diese  jedoch  bestand,  ist 
nicht  ersichtlich. 


Beiliegend    ein    Status 
Der  von  Uns  Bestättigt-  und  Neu-Bestelten  Hof-Cammer. 


Besol- 
dung 


Prsesident 


Vice-Prsesident  .  .  . 
Räthe  desHerrnstandes 


Räthe  desRitterstandes 


Graf  v.  Dietrichstein 

Und    ex    speciali    für  seine  Person  allein, 

Beynebst 

Baron  v.  Prandau 

Graf  Carraffa 

Graf  Cavriani 

Graf  Gaisruckh 

Baron  Schmidlin,  zu  dem  Bergwerks-Con- 

silio 

Baron  Wisenhütten 

Graf  Esterhasy 

Zuanna,  zu  dem  Bergwerkhs-Consilio  . 

Saffran 

Koch 

Pistrich 

Sumerau 

Grieblpauer 

Kempf  zu  dem  Bergwerkhs-Collegio     . 

Nagy •     •     • 

Luchsenfeid,    so  beynebst    expediren  solle 


14000 

6000 
8000 
4000 
4000 
4000 

4000 
3000 
4000 
5000 
5000 
5000 
5000 
4000 
4000 
4000 
5000 
4000 


Ueber  die  Berathungen,  welche  zur  Schaffung  des  Directoriums,  d.  h. 
zur  Vereinigung  der  gesammten  politischen  und  cameralistischen  Agenden 
bei  einer  Centralstelle  führten,  sind  wir  bisher  nicht  genau  unterrichtet. 
Im  Jahre  1748  wurde  verfügt,  dass  die  wichtigsten  Politica  und  Publica 
unter  der  Direction  der  kaiserlichen  Majestäten  besorgt  werden  sollen. 
Dieser  Berathungskörper  führte  den  Namen  »  Conferenz  in  Internis  oder  Hof- 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749 — 1816.  315 

deputation«.  Die  auf  die  Verhandlungen  mit  den  Ständen  bezüglichen  An- 
gelegenheiten, welche  zur  Abschliessung  der  Decennal-Eecesse  führten, 
kamen  hier  zur  Berathung ,  und  in  dem  am  2.  Mai  1749  erlassenen 
Handschreiben  wird  speciell  hervorgehoben,  dass  „die  unter  des  Kaisers  Maje- 
stät und  Liebden  und  meiner  Direction  angefangene  Besorgung  deren  wich- 
tigsten Landes-Politicorum  ihre  gute  Wirkung  gehabt,  die  bisher  ver- 
driesslichen  Collisiones  der  Stellen  vermieden,  alles  schleunig  expediert  und 
sowohl  das  Militare  und  Contributionale,  als  auch  das  Camerale  in  eine 
solche  Ordnung  gebracht  worden,  worin  es  in  vorigen  Zeiten  noch  nie 
gewesen."  Diese  Äusserung  bezieht  sich  auf  die  finanzielle  Neuerung  oder 
wie  die  Bezeichnung  lautet,  auf  „das  Militär  und  Cameral  Hauptfinanz- 
Systema",  woran,  wie  es  scheint,  seit  1747  gearbeitet  wurde  und  wobei 
Haugwitz  der  tonangebendste  Rathgeber  war.  Die  Tendenz  war  dahin  ge- 
richtet, „das  Militare  von  dem  Camerali  und  beide  wiederumb  von  dem 
Cameralschuldwesen  gänzlich  zu  separiren,  mithin  jedem  Theil  wie  seine 
Einkünfte ,  also  auch  Ausgaben  besonders  anzuweisen".  Das  von  den 
Ständen  bewilligte  Quantum  militare  war  an  das  Generalkriegscommissariat 
monatlich  abzuliefern.  Die  für  das  Cameralschuldwesen  bestimmten  Be- 
träge flössen  der  Cameralschuldcassa  zu.  Die  Cameralrechnungen  wurden 
bisher  nach  dem  Solarjahre  abgeschlossen:  künftighin  sollte  der  Abschluss 
wie  beim  Militare  vom  1.  November  bis  31.  October  erfolgen.  (Weisung 
nach  Böhmen  und  Mähren  vom  23.  August  1748).  Die  bisherigen  Dar- 
stellungen über  diese  wichtige  Angelegenheit  sind  unvollständig  und  ein- 
seitig. Namentlich  der  Gegensatz  zwischen  Harrach  und  Haugwitz  wurde 
ungebührlich  betont.  Harrach  hat,  soweit  ich  bisher  aus  den  Acten  ent- 
nehme, während  der  Jahre  1747  und  1748  in  entscheidender  Weise  mit- 
gewirkt und  viele  auf  die  Verhandlung  mit  den  Ständen  bezügliche  Vor- 
träge sind  von  ihm  erstattet  und  von  der  Kaiserin  mit  zahlreichen  Rand- 
bemerkungen versehen  worden.  Bei  welcher  Gelegenheit  jene  scharfe  Aeus- 
serung  Maria  Theresia's  über  Harrach  fiel,  von  der  Arneth,  IV.  S.  22 
berichtet,  ist  nicht  ersichtlich.  Das  Handschreiben  vom  2.  Mai  1749, 
worin  die  Trennung  der  Justiz  von  der  Verwaltung  ausgesprochen  wird, 
ist  an  Harrach  gerichtet,  wornach  es  bei  der  Besorgung  der  Publicorum 
und  Politicorum  bei  der  Conferenz  in  Internis  unter  dem  Vorsitze  der 
kaiserlichen  Majestäten  zu  verbleiben  habe.  Nur  sollen  die  Vorarbeiten 
in  einem  Consessu  unter  Haugwitz  als  » Präsidentens  praesidio  des  direc- 
torii  in  publicis  et  cameralibus  geschehen  und  wöchentlich  vorgetragen 
werden*.  In  einem  Anhang  (abgedruckt  bei  Maschek  von  Maasburg  S.  303) 
sind  die  Agenden  der  Conferenz  in  Internis  aufgezählt.  Von  einer  Auf- 
hebung der  Kanzleien  ist  da  keine  Rede,  wohl  aber  in  einem  Handschreiben 
an  Ulfeid  vom  3.  Mai  1749,  welches  sonst  mit  jenen  an  Seilern  und 
Harrach  gleichlautend  ist.  Die  Mitglieder  des  Consessus  waren:  v.  Saffran, 
v.  Doblhoffen,  v.  Kannegieser,  v.  Cetto,  v.  Stupan,  von  Kranischstätten 
und  Freih.  v.  Neumayer.  Sie  erhielten  den  Titel  geheime  Referendare  und 
Hofräthe,  jeder  hatte  ein  Land  zum  Referat  zugewiesen  (Vortrag  von  Haug- 
witz 4.  Mai  1749).  Am  20.  Mai  wurde  die  Neuordnung  den  anderen  Hof- 
stellen mitgetheilt.  Die  Oberleitung  der  Hofdeputation  scheint  Graf 
Harrach  behalten  zu  haben.  In  einer  Specification  des  Besoldungsstatus 
des    Directoriums    in    Publicis    et    Cameralibus    ist    der    Gehalt   von    Har- 


316  Beer. 

räch  mit  30.000  fl.,  jener  von  Haugwitz  mit  8000  fl.  angegeben.  Am 
4.  Juni  1749  starb  Harrach  und  nun  wurde  Haugwitz  die  leitende  Per- 
sönlichkeit in  allen  politischen  und  finanziellen  Fragen.  Von  einer  Hof- 
deputation oder  Conferenz  in  internis  findet  sich  in  den  Acten  seitdem 
keine  Erwähnung.  Aus  Acten  des  Jahres  17  54  ist  zu  entnehmen,  dass 
Haugwitz  24.000  fl.  bezog,  der  Kanzler  Johann  Carl  Chotek  16.000  fl., 
der  Vicekanzler  Bartenstein  8880  fl. 

Noch  vor  Schaffung  des  Directoriums  in  publicis  et  cameralibus,  nach- 
dem die  Recesse  mit  den  Ländern  bereits  grösstentheils  abgeschlossen 
waren,  wurde  der  Wirkungskreis  der  Hofkammer  eingeschränkt.  Die  neue 
Organisation  bestand  darin,  dass  den  directe  von  der  Kaiserin  dependi- 
renden  Deputationen  in  den  einzelnen  Ländern  das  festgesetzte  Universal- 
Systema  in  Vollzug  zu  bringen,  übertragen  wurde.  Das  Schuldenwesen 
wurde  von  nun  an  lediglich  der  Schuldencassa-Direction  unterstellt,  die 
Hofkammer  hatte  keinen  Einfluss  darauf.  Ueber  jene  Angelegenheiten, 
die  das  Militare  mixtum  und  das  Camerale  betrafen,  waren  die  Berichte 
und  Anträge  unmittelbar  an  die  Kaiserin  zu  senden,  die  sich  vorbehielt, 
nach  Befund  sich  von  der  Hofkammer  Vortrag  erstatten  zu  lassen  und 
derselben  ihre  Entschliessung  mitzutheilen.  Die  Hofkammer  hatte  die  Auf- 
gabe, die  Deputationen  zu  überwachen,  dass  sie  den  ihnen  ertheilten  In- 
structionen in  allem  genau  nachleben,  das  Cameralwesen  bestens  befördern, 
besonders  aber,  dass  die  in  dem  Cameral-Systema  festgesetzten  Ausgaben 
niemals  überschr-itten,  Weisungen  und  Verordnungen  an  die  Deputationen 
nur  im  Namen  der  Kaiserin  ausgefertigt  werden,  mit  dem  Unterschiede, 
„dass  Expeditiones,  so  Resolutiva  et  Decisiva  enthalten,  der  eigenhändigen 
Unterschrift  der  Kaiserin  bedürfen,  Informativa  und  Praeparatoria  von  dem 
Hofkammerpräsidenten  zu  unterschreiben  sind«.  Ferner  bestimmte  die  Kai- 
serin, dass,  da  der  geheime  Rath,  Kämmerer  und  Präses  des  königlichen 
Amts  im  österreichischen  Antheil  von  Schlesien,  Friedrich  Wilhelm  Graf 
von  Haugwitz  von  dem  Universal-System  und  den  davon  abhängenden 
Cain er al- Systeme  der  Länder  die  beste  Kenntniss  habe,  demselben  die 
Expeditionsconcepte  für  die  in  den  Ländern  bestellten  Deputationen  vor 
deren  Ausfertigung  mitgetheilt  werden  sollen.  An  die  Hofkammer,  den 
9.  September   1748- 

Am  19.  Sept.  1748  einging  eine  Instruction  an  die  Cassadirection  fol- 
genden Inhalts : 

Das  General-Schuldenwesen  wurde  in  Betracht  gezogen  und  ,,umbso 
viele  Treuhertzige  Credits-Partheyen  in  aufrechten  Stand  zu  erhalten,  als 
den  so  sehr  darniederliegenden  Credit  wieder  empor  zu  bringen,  und  in 
seine  gemessene  Ordnung  auch  Richtigkeit  zu  setzen,  als  hiemit  die  Justitz 
befördert  und  ein  Gott  höchst  wohlgefälliges  Werk  verrichtet  wird,  und 
von  dem  Wohlstand  und  Befestigung  des  Credits  aber  das  allgemeine  Wee- 
sen  so  vielen  Nutzen  schöpffet,  und  die  Monarchie  Selbsten  am  besten  er- 
halten, und  unterstützet  werden  kann';  werde  eine  Direction  unter  allei- 
niger Aufsicht  und  Dependenz  der  Kaiserin  errichtet,  zu  Mitgliedern  der- 
selben ernannt:  v.  Prandau  und  v.  Koch.  Für  die  Schuldenscasse  sind 
Fonds  bestimmt.  Sollte  die  monatliche  oder  vierteljährige  Bezahlung 
stocken,    so    ist    dies    sogleich    der  Kaiserin    anzuzeigen.     Die  Gelder  sind 


Die  Finauzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  317 

unverweilt  monatlich  oder  vierteljährig  anherzuziehen,  damit  die  Casse 
im  rechten  Stande  sei  und  das  Publicum  Zutrauen  gewinne.  Keine  Be- 
zahlung an  Capital  oder  Interesse  darf  ohne  General-  und  Specialverord- 
nung der  Kaiserin  geleistet  werden.  In  die  Bitte  der  Markgrafschaft 
Mähren,  dass  die  Capitalszahlungen  nicht  jährlich,  sondern  monatlich  ab- 
gestossen  werden  mögen,  wurde  eingewilligt.  Monatlich  ist  ein  verläss- 
licher  Extract  zu  überreichen.  Von  der  Casse  sind  die  Kechnungen  mit 
den  Belegen  vierteljährig  an  die  Direction  abzugeben ,  um  dieselben  zu 
prüfen  und  der  Kaiserin  Bericht  zu  erstatten. 

In  Folge  der  am  2.  Mai  1749  erlassenen  Handschreiben  wurde  den 
Deputationen,  die  Anfangs  Juni  zur  Durchführung  des  „Hauptfinanzsystems" 
bestimmt  wurden,  der  Character  »  einer  königl.  Eepräsentation  und  Kammer" 
beigelegt  und  die  gesammte  Verwaltung  an  dieselben  übertragen.  Die 
Statthalterei  in  Prag  wurde  aufgehoben,  die  in  der  uralten  Landesverfas- 
tung  gegründete  Obrist-Land-Ofhziere  in  ihrer  Activität  beibehalten ;  sie 
sollten  unter  der  Direction  die  Oberstburggrafen  jene  mixta  besorgen, 
welche  in  Wien  der  Obristen-Iustizstelle  übertragen  waren,  sowie  jene  An- 
gelegenheiten, welche  die  Landesordnung  der  Statthalterei  überwies.  Diese 
„Mixta"  wurden  in  Mähren  von  dem  königl.  Tribunal,  in  Schlesien  von 
dem  königl.  Amte,  in  N.-Oesterreich,  Steiermark  und  Tirol  von  den  Re- 
gierungen, in  O.-Oesterreich  von  der  Landeshauptmann schaft  besorgt. 

Leider  lassen  uns  die  vorhandenen  Schriftstücke  im  Stiche,  um  die 
seit  1749  bis  1761  in  der  Finanzverwaltung  vorgenommenen  Aenderungen 
genau  kennen  zu  lernen.  Das  Directorium  hat  nur  allmälig  sämmtliche 
Cameralangelegenheiten  an  sich  gezogen,  der  Wirkungskreis  der  Hof  kammer 
schrumpfte  immer  mehr  zusammen,  so  dass  ihr  nur  die  auf  den  Hofstaat  und 
die  ungarische  Camerale  bezüglichen  Angelegenheiten  verblieben.  Das  Universal- 
Cameral-Zahlamt  wurde  dem  Directorium  1751  übergeben  (Rescript  an  die 
Stellen  vom  29.  Januar  1 75 1).  Zwei  Jahre  später  wurde  demselben  auch 
eine  Einflussnahme  auf  die  Handelsangelegenheiten  eingeräumt,  indem  das 
Commerzdirectorium  als  eine  mit  dem  Directorio  in  publicis  et  cameralibus 
vereinigte  unmittelbare  Hofstelle  erklärt  wurde.  (An  Haugwitz,  17.  De- 
zember 1753,  unterzeichnet  Uhlfeld).  Auch  das  Münzwesen,  wofür  im  Jahre 
1745  eine  Hofkammer  unter  Ferdinand  Graf  Königsegg-Erps  errichtet  wor- 
den war,  wurde  dem  Directorium  unterstellt.  Graf  Königsegg-Erps  wurde 
am  13.  März  1755  zum  Hofkammerpräsidenten  ernannt.  Im  Jahre  1758 
verständigte  die  Kaiserin  durch  Handschreiben  vom  4.  August  den  ge- 
nannten Hofkammerpräsidenten,  sie  habe  in  wohlbedächtiger  Erwägung, 
dass  das  Directorium  in  publicis  et  cameralibus  mit  so  wichtigen  neu  zu- 
getretenen als  häufigen  anderweiten  Geschäften  überbürdet  sei,  den  Ent- 
schluss  gefasst,  das  Münzwesen  dem  Präsidenten  der  Ministerial-Banco- 
deputation  und  des  Commerzdirectoriums  Grafen  Rudolf  Chotek  zu  über- 
weisen, die  Cameralia  Transsilvaniae,  die  Banatica  Publica  und  die  Ca- 
meralia  verbleiben  dem  Directorium  in  publicis  et  cameralibus.  Graf 
Rudolf  Chotek,  seit  1749  Bancodeputationspräsident,  wurde  Ende  December 
1759  gleichzeitig  zum  Hofkammerpräsidenten  ernannt  (Handschreiben  an 
Chotek  vom  27.  Dec.  1759  bei  Wolf:  Aus  dem  Hofleben  Maria  Theresias 
S.  70;  an  Brandau  vom  29.  Dec.  17  59)  und  gleichzeitig  die  Verfügung 
getroffen,    dass  Commercialsachen  des  Banats  unter  der  Aufsicht  der  Hof- 


318  Beer. 

kammer  zu  stehen  haben.  Die  Vereinigung  der  Präsidentschaft  der  Mini- 
sterial-Bancodeputation  und  der  Hofkammer  unter  Chotek  war  nur  eine 
äusserliche ;  das  Stadtbanco  blieb  auch  künftig  unter  einer  besondern  Ver- 
waltung. Ein  Jahr  darauf  wurde  zur  Verfassung  eines  Haupt-Finanz- 
Systematis  und  Besorgung  der  gesammten  kais.  königl.  Schulden  eine  Hof- 
Comrnission  eingesetzt.  Eine  kais.  Entschliessung  vom  14.  Dec.  1760 
lautet:  »Die  Commission  hat  mit  genauer  Untersuchung  deren  Einnahmen 
und  Ausgaben  durch  alle  Eubriquen  fleissig  fortzufahren,  um  in  allen 
Branchen  klar  zu  sehen,  somit  hieraus  abnehmen  zu  können,  in  wie  weit 
der  Bilan  auslange,  wie  die  Einnahmen  bestehen,  und  wie  die  Ausgaben 
die  Einnahmen  übersteigen. 

»Weiters  hat  diese  haubtsachlich  was  bey  dem  Empfang  zu  verbessern, 
und  was  bey  denen  Ausgaben  zu  erspahren  seye  ?  zum  Augenmerck  zu 
nehmen,  diesfalls  in  die  Specifica,  oder  durch  alle  Eubriquen  einzugehen, 
und  dahero  die  Ersparungs-Entwürffe  respectu  deren  Besoldungen,  Pen- 
sionen, und  anderweiten  überflüssig  befindenden  Ausgaben  umständlich  zu 
verfassen,  und  successive  herauf  zu  geben. 

»Zum  Unterhalt  des  Militär- Staats  solle  ein  quantum  von  14  Mil- 
lionen pro  fundamentum  genohmen  werden;  das  Militär  Würthschaffts- 
Weesen  werde  besonders  überlegen,  und  ausarbeiten  lassen; 

»In  Ansehung  deren  Einnahmen,  derenselben  Meliorirungen,  und  wegen 
deren  Erspahrungen,  oder  Verminderung  derer  Auslagen,  wird  dasjenige, 
was  die  Commission  selbsten  nicht  wissen  kann,  sowohl  bey  denen  Capi 
deren  über  die  fonds  bestellten  Administrationen  als  bey  denen  Capi  deren 
Stellen,  und  Aemteren  zu  erhohlen  und  ausfindig  zu  machen  seyn;  übri- 
gens aber  stehet  der  Commission  frey,  alle  Käthe  und  Beamte  von  Stellen, 
so  Sie  zu  eruirung  dieses  wichtigen  Geschäffts  nöthig  findet,  auszuwählen, 
und  von  denen  Stellen  zu  verlangen;  Die  Ausarbeitungen  sind  Mir  her- 
auf zu  geben.  Ueber  den  weiteren  Inhalt  des  Protocolls  aber  halte  Mir 
bevor  Meine  Entschliessung  seiner  Zeit  zu  ertheilen«.  Die  Mitglieder  dieser 
Commission  waren:  Bartenstein,  Prandau,  Toussaint,  die  Hofräthe  Saffran, 
Stupan,  Neny.  Die  grösste  Thätigkeit  entfaltete  Bartenstein,  dessen  Ar- 
beiten umfassend  waren. 

II.    (Zu  S.   241). 

Ueber  die  Gründung  des  Staatsrats:  Hock,  der  österreichische  Staats- 
rat^ Wien   1868.  S.   1   fg.  und  Arneth  Maria  Theresia  VII  S.   1   fg. 

Die  Mitglieder  des  durch  Patent  vom  17.  Dec.  1760  (Cod.  A.  V  115) 
gegründeten  Staatsraths  waren:  Kaunitz,  Haugwitz,  Daun,  mit  dem  Titel 
eines  Staatsministers,  ferner  drei  Staatsräthe:  Heinrich  Cajetan  Graf  von 
Blümegen,  bisher  Landeshauptmann  in  Mähren  mit  dem  Titel  Minister, 
der  bisherige  Reichshofrath  Freiherr  von  Borie,  Stupan  von  Ehrenstein. 
Als  Referendar  wurde  der  bisherige  Staatssecretär  der  Kaiserin,  König  von 
Kronburg,  ernannt.  Durch  Handschreiben  3.  Juni  1762  wurde  verordnet, 
dass  die  Staatsräthe  den  Hofräthen  vorzugehen  haben.  Bios  Staatsrath, 
nicht  Hof-   und  Staatsrath  sollen  sie  betitelt  werden. 

Im  Jahre  1766  wurden  Starhemberg,  Binder  und  Pergen  zu  Mit- 
gliedern des  Staatsrathes  ernannt.  Die  beiden  erstgenannten  Männer  ent- 
falteten in  den  nächsten  Jahren  eine  rege  Thätigkeit;  ihre  Gutachten  sind 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  ;}!<) 

zum  grossen  Theil  ausgezeichnete  Arbeiten.  Starhemberg  bekundete  in 
Finanzfragen  einen  klaren  Blick  und  in  dem  Streite  zwischen  Hatzfeld  und 
Zinzendorf  nahm  er  für  den  letzteren  Partei ;  er  wurde  auch  von  der  Kai- 
serin zu  wiederholten  Malen  zum  Leiter  von  Commissionen ,  die  über 
wichtige  Angelegenheiten  zu  berathen  hatten,  gewählt.  Binder  bekundete 
eine  geradezu  staunenswerthe  Vertrautheit  mit  allen  bedeutsamen  Fragen, 
einen  von  Voreingenommenheit  ungetrübten  Blick  und  staatsmännische 
Begabung  in  der  Beurtheilung  schwieriger ,  die  innere  Organisation  be- 
treffender Probleme  x). 

Wenn  der  Staatsrath  jene  Erwartungen  nicht  erfüllte,  die  bei  seiner 
Gründung  vorschwebten,  so  liegt  die  Erklärung  in  der  Form  der  Geschäfts- 
behandlung. Anstatt  ihn  auf  principielle  Fragen  zu  beschränken,  wurden 
ihm  die  meisten  Vorträge  der  Centralstellen  zur  Begutachtung  überwiesen, 
über  welche  die  Kaiserin  ein  Gutachten  forderte,  ehe  sie  eine  Entschei- 
dung fällte.  Eine  collegiale  Behandlnng  fand  in  der  Eegel  nicht  statt, 
sondern  die  betreffenden  Stücke  wurden  bei  den  Mitgliedern  im  Umlauf 
gesetzt,  die  sodann  ihre  Meinung  beifügten.  Die  in  Antrag  gebrachte 
kaiserliche  Entschliessung  wurde  sodann  beigefügt.  Bis  1765  ist  König 
der  Verfasser,  später  Blümegen,  seit  1771  Hatzfeld.  Gesammtsitzungen 
des  Staatsrathes  fanden  bei  divergirenden  Gutachten  der  Staatsrathsm.it- 
gliedar  unter  dem  Vorsitze  der  Majestäten  statt,  worüber  sodann  kurze 
Protocolle  abgefasst  wurden,  die  nicht  immer  einen  genügenden  Einblick 
in  die  bestimmenden  Gründe  der  endgiltigen  Entscheidung  gewähren  und 
den  Eindruck  erwecken,  dass  bereits  vor  dem  Sitzungstage  der  Versuch 
gemacht  wurde,  die  differirenden  Meinungen  zu  begleichen. 

Mannigfache  Vorschläge  zur  Abänderung  des  Geschäftsganges  des 
Staatsrathes  wurden  seit  1762  gemacht.  Stupan  hat  bereits  Anfangs  Ja- 
nuar 1762  in  einer  Denkschrift  auf  die  Mängel  der  Geschäftsbehandlung 
aufmerksam  gemacht.  Eine  Aenderung  trat  nicht  ein.  Bald  darauf  for- 
derte die  Kaiserin  einen  Vorschlag,  wie  der  Ueberhäufung  mit  Geschäften 
gesteuert  werden  könnte  2).  Hatzfeld  und  Zinzendorf  wiesen  in  ihrem  Vor- 
trage vom  11.  September  1764  auf  die  Notwendigkeit  hin,  den  Staats- 
rath zu  entlasten  In  diesen  Vortrage  heisst  es :  die  zu  grosse  Ueberhäu- 
fung des  Staatsrathes  mit  Geschäften  sei  ebenfalls  als  ein  Gebrechen  der 
gegenwärtigen  Verfassung  anzusehen.  Der  Staatsrath  stelle  den  allge- 
meinen Mittelpunkt  vor,  bei  welchem  alle  wichtigen  Angelegenheiten  zu- 
sammenfüessen ;  derselbe  habe  zugleich  alle  Hofstellen  zu  übersehen,  die 
verschiedenen  Meinungen  derselben  zu  vereinbaren  und  Alles  zum  allge- 
meinen Besten  der  Monarchie  einzuleiten.  Um  aber  diesen  so  wichtigen 
Endzweck  erfüllen  zu  können,  seien  vornehmlich  zwei  Dinge  erforderlich, 
einmal,  dass  der  Staatsrath  von  allen  wichtigen  Geschäften  die  nöthige 
Wissenschaft  erlange,  sodann  aber  zweitens,  dass  derselbe  mit  Kleinig- 
keiten nicht  zu  sehr  überladen  werde,  weil  demselben  die  Möglichkeit, 
sich  mit  wichtigen  Gegenständen  zu  beschäftigen,  genommen  werde.    Josef 


»)  Dem  Urtheile  Ameth's  IX.  294:  »Durch  die  erwähnten  Ernennungen  war 
dem  Staatsrathe  kaum  irgend  welche  Verstärkung  zu  Theil  geworden  %  kann  ich 
auf  Grund  meiner  Studien  in  staatsrechtlichen  Acten  nicht  bestimmen. 

2)  Vgl.  Hock,  Staatsrath  S.  19. 


320  B  e  e  n. 

und  Kaunitz  vertraten  später  dieselbe  Ansicht.  Die  Geschäftsführung  des 
Staatsraths  wurde  mit  der  Zeit  sogar  eine  noch  verwickeitere,  da  die  Gut- 
achten desselben  den  Leitern  der  Centralstellen  übermittelt  wurden,  um 
ihre  Gegenbemerkungen  anzubringen,  die  sodann  wieder  die  Runde  bei  den 
Mitgliedern  des  Staatsrathes  machten  und  manchmal  auch  wieder  neue, 
abermalige  Gutachten  zur  Folge  hatten.  Die  Anträge  der  einen  Central- 
stelle  wurden  der  anderen  mitgetheilt,  mit  deren  Ressort  sie  in  einem 
gewissen  Zusammenhange  standen  und  jede  suchte  für  ihre  Auffassung  die 
gewichtigsten  Gründe  ins  Feld  zu  führen.  Sodann  wurden  auch  ausser- 
ordentliche Commissionen  aus  Mitgliedern  des  Staatsrathes  und  der  Cen- 
tralstellen mit  der  Berathung  wichtiger  Angelegenheiten  betraut.  Hierin 
liegt  die  Erklärung  für  die  namentlich  seit  der  Mitte  der  Sechziger-Jahre 
sich  verzögernde  Entschlussfassung  der  Monarchin,  der  die  Energie  und 
Entschlussfreudigkeit  früherer  Jahre  abhanden  gekommen  war;  hierin  auch 
der  sich  immer  mehr  vertiefende  Gegensatz  zwischen  ihr  und  ihrem  Sohne 
und  Mitregenten,  dessen  rasche  Auffassungsgabe  sich  mit  den  Zögerungen 
der  Mutter  nicht  befreunden  konnte  und  dessen  Unmuth  aufloderte,  wenn 
seine  Rathschläge  nicht  schnell  genug  Gehör  fanden.  Josef  hat  in  einer 
Denkschrift  ausführlich  die  staatsräthliche  Organisation  besprochen,  welche 
die  Kaiserin  an  Kaunitz  überwies,  der  seine  Schöpfung  vertheidigte  1). 
Josef  schlug  einen  Rath  mit  den  Präsidenten  sämmtlicher  Centralstellen 
vor,  dessen  Sitzungen  unter  dem  Vorsitze  der  Monarchen  stattfinden  sollten. 
Erst  nach  zwei  Jahren  fanden  umfassende  Berathungen  statt.  Die  »Capi« 
der  Centralstellen  sowie  Fürst  Starhemberg  wurden  aufgefordert,  Gutachten 
über  eine  entsprechendere  Gestaltung  der  Verwaltungsgeschäfte  abzugeben. 
Auf  die  Behandlung  der  staatsräthlichen  Agenden  hatten  dieselben  geringen 
Einfiuss:  nur  war  der  Beschluss  von  Wichtigkeit,  dass  die  „wichtigsten 
Geschäfte«  künftig  unter  dem  Vorsitze  der  Majestäten  berathen  werden 
sollen,  allein  der  Staatsrath  wurde  fortwährend  mit  vielen  unbedeutenden 
Angelegenheiten  behelligt2).  Ein  neues  Statut  wurde  am  12.  Mai  1774 
erlassen. 

III.    (Zu  S.  262.) 

Am  22.  Nov.  1771  wurde  an  die  Länderstellen  eine  Weisung  er- 
lassen, die  einen  Einblick  gewährt,  wie  Hatzfeld  die  Geschäfte  behandelt 
wissen  wollte. 

Ihro  Kaiser-Königl :  Apostol:  Majt:  haben  dero  Dienstes  zu  seyn  be- 
funden, zu  mehrerer  Beschleunigung  der  Geschäften  Dero  politische  und 
Finanzstellen  unter  eine  Direction  zusammen  zu  ziehen,  und  zu  vereinbaren, 
und  anmit,  theils  durch  Vorschrift  einer  kürzeren,  und  bündigeren  Mani- 
pulation, theils  durch  Entledigung  der  Hof-  und  Länder-Stellen  von  denen 
bisherigen  allzuhäufigen  Berichts-  und  Vortrags-Erstattungen  denen  all- 
seitigen Agendis  einen  geschwinderen  Trieb  zu  verschaffen. 

Gleichwie  nun  zu  dieser  Vereinigung  durch  die  Ernennung  Dero  Hof- 


')  Die  Denkschrift  Josefs  bei  Arneth  :  Maria  Theresia  und  Josef  IL  Band  III. 
jene  von  Kaunitz  vom  18.  Febr.  1766  im  Archiv  für  österreichische  Geschichte 
Band  58  S.  98. 

2)  Josef  an  Leopold,  29.  Oct,  1772  bei  Arneth  I  S.  383. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749 — 1816.  321 

kammer-  und  Ministerial  -  Banco-Deputations  Präsidentens  zum  Obersten 
Kanzler,  und  Kommerzien  Präsidenten  mit  Beylassung  ersterer  bishero 
begleiteten  Präsidien  der  erste  Schrit  bereits  geschehen;  Also  ist  auch 
weiters  zu  vollständiger  Erreichung  dieser  Allerhöchsten  Absicht  aller- 
gnädigst  resolviret,  und  anbefohlen  worden,  dass  von  nun  an,  ohne  jedoch 
eine  Publication  in  die  Länder  zu  verlassen,  alle  Agenda,  welche  bishero 
von  der  Hof-Kanzley,  der  Hofkammer,  dem  Kommerzien  -  Eath,  und  der 
Ministerial-Bco-Deputation  separatim  besorget  worden,  hinfüro  unter  einem 
in  der  Person  Dero  Obersten  Kanzlers  Hofkammer,  Ministerial  Bco  Depu- 
tation und  Kommerzien-Präsidentens,  als  dirigirenden  Ministers  vereinigten 
Praesidio  in  zwey  haupt-Departements  abgetheilet,  und  in  das  Erste  alle 
diejenige  Gegenstände,  welche  mit  der  Kanzley,  und  der  Kammer  einen 
Zusammenhang  haben,  gleichwie  jene,  welche  zwischen  dem  Kommerzien- 
Rath,  und  dem  Mautwesen  in  Verbindung  stehen,  nebst  dem  bishero  ca- 
meraliter  besorgten  Hungarischen,  Siebenbürgischen,  Banatischen,  Tyro- 
lischen,  und  V:  Oeu  Maut-  und  Salzweesen,  in  das  zweite  Departement  zu- 
sammengefasset,  und  somit  einer  Seits  die  Hofkanzley  mit  der  Hofkammer, 
wie  dagegen  der  Kommerzien-Rath  mit  der  Ministerial-Banco-Deputation 
in  ein  Departements,  und  zwar  deren  jedes  unter  einem  bey  solchen  be- 
sonders den  Vorsitz  führenden  nachgeordneten  Capo  vereiniget,  dabey  jedoch 
nach  ausdrücklicher  Massgebung  der  Allerhöchsten  Resolution  der  der- 
malige modus  expediendi  gänzlich  beybehalten,  und  solchergestalten  die 
publica  politica  &  contributionalia  in  Namen  der  Kanzley,  die  Cameralia  in 
Namen  der  Kammer,  die  Bancalia  in  Namen  der  Banco-Deputation,  und 
die  Commercialia  in  Namen  des  Kommerzien  -  Raths  fernershin  ausgefer- 
tiget  werden  sollen;  Gleichwie  dann  auch  die  Berichte  aus  denen  Ländern, 
und  die  Anbringen  der  Partheyen  ihren  bisherigen  Zug  an  die  betrefende 
Hofstellen  nach  Verschiedenheit  der  für  deren  jede  ausgemessene  Agen- 
dorum,  zu  behalten  haben. 

Es  wird  zu  schleunigerer,  und  bündigerer  Besorgnuss  der  verschie- 
denen agendorum  hinführo  alle  vorkommende  Geschäfte  nach  ihrer  Eigen- 
schaft auf  viererley  Art  abzuthun  seyn,  als  die  einen  durch  das  Current- 
Protocoll,  die  zweyten  durch  das  Consilium,  bey  welchen  der  Vorgesetzte 
Minister  gegenwärtig  zu  seyn  nicht  verbunden  ist,  die  dritten,  bey  wel- 
chen die  Gegenwart  des  Minister  erfordert  wird ,  und  endlich  die  vierten, 
welche  in  pleno,  mithin  in  Gegenwart  aller  nachgeordneten  Capi,  und  ver- 
schiedenen Räthen    von  beyden  Departements    vorzunehmen    seyn    werden. 

In  das  Current-Protocoll  der  Hof-Kanzley  so,  wie  in  jenes  der  Hof- 
kammer gehören  die  in  denen  Beylagen  sub  B :  et  C :  specificirte  mindere 
blos  durchlaufende  Geschäfte,  oder  sogenannte  currentia,  als  z:  B:,  welche 
die  weitere  Vernehmung  der  Länder-  oder  anderen  Hofstellen  erforderen, 
oder  blosse  Anzeigen  ad  Statum  notitiae,  Befolgung  des  angeordneten,  oder 
lediglich  restitutionem  communicati  enthalten,  oder  sonst  durch  die  aller- 
höchste Resolutiones,  oder  vorhergegangene  Conclusa  Consilii,  oder  auch 
nach  ihrem  ordentlichen  Lauf  schon  ihre  ausgewiesene  Bestimmung  haben, 
oder  auch  als  ein  ordinarium  anzusehen  sind. 

Was  die  Art  des  Current-Protocolls  zu  führen  anlanget,  ist  ferner 
auf  dem  nemlichen  Fuss  fortzufahren,  wie  es  anjetzo  beobachtet  wird.  Die 
Mittheilungen  XV.  21 


322- 


Beer. 


zweyte  Art,    die  Geschäfte    zu  erledigen,    hat  im  Rath    zu  geschehen,    bey 
welchem  der  dirigirende  Minister  beständig  beyzusitzen  nicht  verbunden  ist. 

In  diesem  wird  alles  zu  erledigen  seyn,  was  die  Executionen  der 
schon  bestehenden,  oder  noch  weiters  fest  zu  sezenden  Anordnungen  be- 
tritt, keinen  allerhöchsten  Ort  zu  erstattenden  Antrag  bedarf,  und  wie 
gleich  folget,  nicht  besonders  für  die  Gegenwart  des  dirigirenden  Mini- 
sters vorbehalten  ist. 

Dahingegen  wird  in  Gegenwart  des  dirigirenden  Ministers  vorzu- 
nehmen seyn. 

lm0:  All  dasjenige,  was  durch  einen  Vortrag  an  lhro  Majestätt  zu 
gelangen  hat. 

2io:  alle  allerhöchste  Resolutionen. 

;itin:  alle  Regulativa,  welche  entweder  dem  Publico,  oder  denen  Be- 
amten zur  Richtschnur  zu  dienen  haben. 

Als  da  sind  Abänderungen  in  der  Manipulations-Art,  oder  in  denen 
politischen,  Cameral-  oder  Commercial-Einrichtungen ,  Vermehrung  oder 
Verminderung  der  Giebigkeiten,  Commercial-Verbothe,  und  deren  Auf- 
hebung. 

4t0:  All  dasjenige,  was  seiner  Wichtigheit  halber  die  Gegenwart  des 
dirigirenden  Ministers  erfordert,  als  Errichtung  beträchtlicher  Gebäude, 
Verpachtung  der  ganze  Länder  betreuenden  Gefällen,  die  Errichtung  neuer 
Strassen,  Veräusserung,  oder  Ankauf  beträchtlicher  Realitäten,  und  der- 
gleichen. 

5to:  Strittigkeiten  mit   anderen  Hofstellen. 

6to:  jene  Handlungen,  welche  fremde  der  hiesigen  Bothmässigkeit 
nicht  unterworfene  Staaten  betreffen. 

Ad  plenum  aber  gehören  lediglich  jene  Geschäfte,  welche  die  gemein- 
schaftliche Ueberlegung  beyder  Haupt  -  Departements,  oder  eines  derselben 
mit  dem  Münz-  und  Bergweesen  Departement  erfordern,  als  die  Verrufung, 
Erhöhung,  oder  Abwürdigung  der  Münzen,  die  Lossprechung  der  Berg- 
arbeiter von  allgemeinen  Anlagen,  die  Auflegung  der  Kopfsteuer  auf  die 
7bürgisch:  Salz- Arbeitern,  und  Schifknechte  und  dergleichen. 

Zu  Erledigung  aller  dieser  Geschäften  werden  bey  dem  einen,  wie 
bey  dem  anderen  Haupt-Departement  alle  Wochen,  um  denen  Referenten 
mehrere  Zeit  zur  Arbeit  übrig  lassen,  nur  zwey  Raths-Sessiones,  nemlich 
Montag,  und  Donnerstag,  und  zwar  in  der  Behausung  des  dirigirenden 
Ministers,  damit  derselbe  sich  von  einer  Session  in  die  andere,  zu  Be- 
handlung der  wichtigen  Materien  begeben  möge,  zu  halten,  welche  Don- 
nerstag nicht  zur  Erledigung  haben  gebracht  werden  können,  folgenden 
Freitag  volkommen  zu  beendigen  seyn. 

IV.    (Zu  S.   280.) 

Die  kais.  Entschliessung  auf  den  den  Vortrag  Chotek's,  worin  der 
Antrag  auf  Schaffung  einer  Wirthschaftsdeputation  gestellt  wurde,  lautet: 
Der  von  ihme  sehr  wohl  überdachte  Vorschlag,  wie  die  Besorgung  der 
Staats-Wirthschaft  mit  dem  Commerciali  zu  vereinbaren,  ist  Meiner  Ge- 
sinnung vollkommen  gemäss  und  verdient,  dass  ich  ihme  Meine  besondere 
Zufriedenheit  hiemit  zu  erkennen  gebe.     Nach  dieser  entworfeneu  Grund- 


Die  finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  323 

läge  wird  nunmehr  auch  das  nähere  Detail,  wie  dieses  Departement  von 
nun  an  in  die  wirkliche  Activität  zu  setzen  und  seine  Operationen  anzu- 
fangen hat,  demnächstens  zu  fassen  und  zu  Meiner  weiteren  Begnehmi- 
gung  zu  überreichen  seyn,  wobey  denn  insonderheit  auch  die  nachstehende 
Punkten  zur  Nachahmung  zu  nehmen; 

Imo  dass  nebst  andern  vorzüglich  die  Protocolla  der  Agricultur-Ge- 
sellschaften  in  denen  Ländern,  dann  alle  Normalien  in  Maut -Sachen  oder 
wo  es  dabey  auf  eine  Abänderung  in  der  Manipulation  ankommt,  bey 
dieser  Deputation  voi'genommen, 

Ildo  dass  die  Räthe,  welche  von  Seiten  anderer  Stellen  den  Zusammen- 
tretungen beywohnen,  hierwegen  mit  der  gehörigen  Instruction  versehen 
und  keine  Entschuldigung,  als  wären  sie  zur  Abgebung  ihrer  Stimme  nicht 
begwaltet,  angenohmen, 

IIItl0  dass  zu  denen  Sessionen  der  Deputation  der  Donnerstag  jeder 
Woche  Vormittag  von  10  Uhren  bestimmt  und  solches  der  dabey  zu  in- 
tei-veniren  habenden  Stellen  behörig  angedeutet, 

IVto  dass,  wenn  gleichwohl  eine  Stelle  gegen  das  abgegebene  Votum 
ihres  Raths  oder  sonsten  gegen  den  ihr  mitgetheilten  Schluss  der  Depu- 
tation noch  einige  erhebliche  Erinnerungen  anzubringen  hätte,  solche  läng- 
stens binnen  drey  Tagen  der  Deputation  und  von  dieser  Mir  zu  Meiner 
Entscheidung  eröffnet  werden  sollen,  um  den  Vollzug  des  beschlossenen 
allenfalls  nicht  länger  auszusetzen, 

Vto  dass  die  Expeditionen  bey  den  betreffenden  Stellen  dem  ausge- 
fallenen Schluss  gemäss  ausgeführt  und  die  Abschrift  jedesmal  der  Depu- 
tation zur  Einsicht  abgegeben,  endlich 

VIto  dass  anfänglich  von  diesem  Departement  die  Protocolla  von  8 
zu  8  Tagen  zu  Meinen  Händen  vorgeleget  und  sodann  mit  Ende  des  Jahres 
über  die  geführte  Gestion  der  ganze  Ausweis  Meiner  Einsicht  unterzogen 
werden  solle ,  allermassen  ich  die  Verdienste  derjenigen,  die  sich  auf  eine 
ausnehmende  Art  bey  diesem  Departement  vor  andern  verwenden,  auch 
besonders  zu  belohnen  bedacht  seyn  werde. 

Die  Ausarbeitung,  was  den  kreisämtlichen  Instructionen  wegen  der 
Aufsicht  auf  die  Landescultur  und  das  Commercienwesen  beyzufügen  wäre, 
wird  von  der  neu  bestellten  Deputation  am  ersten  vorzunehmen  seyn. 

An  den  Grafen  Hatzfeld  erliess  die  Kaiserin  am  7.  Januar  1769  fol- 
gendes Handschreiben : 

Ich  habe  unter  dem  Praesidio  Meines  böhmisch-österreichischen  ob- 
risten  Kanzlers  und  Commerz-Präsidenten  Grafen  Rudolph  Chotek  ein  be- 
sonderes Departement  mit  der  Benennung  einer  Deputation  in  Staats- 
Wirthschalts-Sachen  zu  bestellen  befunden,  wo  unter  der  Vereinigung  mit 
dem  Commerciali  alle  das  Commerzien- Wesen  und  überhaupt  die  Verbes- 
serung der  innerlichen  Staats-Wirthschaft  betreffenden  Anliegenheiten  re- 
spectu  Meiner  gesammten  teutschen  und  hungarischen  Erblande  wenigst 
quoad  normalia  et  generalia  vorgenommen  und  in  dem  behörigen  Zusam- 
menhang verhandelt  werden  sollten.  Gleichwie  nun  hiebei  nach  Mass,  als 
es  um  ein  so  andere  Vorkehrungen  in  den  verschiedenen  Ländern  und 
Administrations-Zweigen  zu  thun  ist,  die  betreffende  allseitige  Stellen  unum- 
gänglich zu  interveniren  haben;  als  geht  auch  Meine  Willensmeinung  da- 
hin,   dass    bey    den    wöchentlich    am    Donnerstag    Vormittags    abhaltenden 

21* 


324  See  r. 

Sessionen  der  ersagten  Deputation,  so  oft  es  erforderlich  und  von  dem 
Praeside  der  Deputation  solches  verlanget  werden  wird,  ein  TJath  von 
diesen  betreffenden  Stellen,  benanntlich  von  dem  Hofkriegsrath  der  hun- 
gari sehen  und  siebenbürgischen  Kanzley,  dem  Banco,  der  Kammer,  dann 
der  Rechen-Kammer  erscheinen,  in  den  ihm  zukommenden  Materien  den 
Vortrag  machen,  und  sodann  auch  nach  den  in  den  betreffenden  Punkten 
ihm  mittheilenden  Protocolls-Extracten  die  Expedition  bey  seiner  Stelle 
zu  veranlassen  haben  soll. 

Die  nähere  Eintheilung  wird  ihm  von  Seiten  des  Chotek  ohnehin  noch 
bekannt  gemacht  werden,  indessen  will  ihm  hievon  vorläufig  zu  dem  Ende 
die  Nachricht  geben,  um  nach  der  bey  der  Kammer  und  dem  Banco  der- 
malen bestehenden  Eintheilung  dahin  die  Veranlassung  zu  treffen,  damit 
jedesmal  die  Praesides  der  Commission  selbst,  somit  die  vorkommenden 
Materien  und  ihr  Departement  einschlagen,  nach  Thunlichkeit  den  Zu- 
sammentretungen der  Deputation  beywohnen,  oder  allenfalls,  soweit  solches 
nicht  thunlich  fallen  sollte,  einen  Rath  und  zwar  allezeit  von  einem  jeden 
Departement  den  nämlichen  dazu  benennen  und  abschicken  sollen. 

Wobei  dann  noch  zum  Verhalt  zu  nehmen  ist: 

Imo  dass  allenthalben  diese  Käthe  behörig  instruirt  zu  erscheinen 
haben,  allermassen  keine  Entschuldigung,  als  wären  sie  zu  Abgebung  ihrer 
Stimme  nicht  begwaltet,  angenommen   werden  würde. 

IIdo  dass,  wenn  gleichwohlen  eine  Stelle  gegen  das  abgegebene  Vo- 
tum ihres  Kaths,  oder  sonst  gegen  den  ihr  mitgetheilten  Schluss  der  De- 
putation noch  einige  erhebliche  Erinnerungen  anzubringen  hätte,  solche 
längstens  binnen  drey  Tagen  der  Deputation  und  von  dieser  Mir  zur 
Kenntnis  gebracht  werden  sollen. 

Die  Concurrenz  der  Kammer  bey  denen  Sitzungen  der  Kreisämter  will 
nach  seinem  Einrathen  hiemit  aufgeben,  dagegen  wird  die  in  denen  Böh- 
mischen Landen  eingeführte  Beobachtung  der  Creis-Amts-Eenovationen,  da 
hierdurch  die  Creishauptleute  umsomehr  aufmerksamer  in  ihrer  Dienst- 
Obliegenheit  erhalten  werden,  auch  ferners  nicht  ausser  Acht  zu  setzen, 
sondern  von  drey  zu  drey  Jahren  diese  nämliche  Renovation,  doch  ohne 
einige  weitere  Taxentrichtung  vorzunehmen  und  bey  dieser  Gelegenheit 
über  das  Verhalten  eines  Jeden  der  Creis-Hauptleute  die  gewisse  Infor- 
mation von  den  Länderstellen  einzusenden  seien,  mit  Bemerkung  derjeni- 
gen, bey  denen  allenfalls  die  Stellen  zu  Amotion  eine  gegründete  Ursache 
voll  obhanden  zu  'seyn  finden.  Die  Kanzley  hat  anbey  noch  in  Ueber- 
legung  zu  nehmen,  und  Mir  ihre  Gutmeinung  zu  eröffnen,  wie  eine  gleich- 
förmige Beobachtung  auch  in  den  österreichischen  Landen,  soweit  sie  allda 
noch  nicht  bestehet,  künftig  einzuführen  wäre. 

Gegen  das  Handschreiben  vom  7.  Januar  1769,  worin  die  Bildung 
der  Wirthsebaftsdeputation  mitgetheilt  wurde,  erhob  Graf  Hatzfeld  einige 
Bedenken  mit  dem  Hinweise  auf  das  unter  dem  24.  December  1768  sta- 
tuirte  Normale,  wonach  die  nunmehr  in  besondere  Commissionen  einge- 
theilten  Cameral-  und  Bancal-Deputationen  dreimal  in  der  Woche,  nämlich 
am  Dienstag,  Donnerstag  und  Samstag  jede  insbesondere  zusammentreten 
und  ihre  Agenda  behandeln  müssen,  es  daher  gänzlich  unthunlich  sei,  dass 
ein  Commissions-Director  oder  Rath  den  am  Donnerstag  haltenden  Staats- 
Wirth3chafts-Deputations-Sessionen    beiwohne;    da   jeglicher    Commissions- 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  325 

Director  oder  Rath  nur  von  jenen  Geschäften  die  wahre  Kenntniss  und 
Unterricht  hat,  welche  in  seiner  Commission  behandelt  werden,  so  sei  er 
ausser  Stand,  das  Referat  bei  der  Wirthschafts-Deputation  im  Namen  des 
Banco  oder  der  Kammer  überhaupt  zu  führen.  Es  gebe  dermalen  noch 
einige  Räthe,  welche  von  den  meisten  Gefällen  eine  Kenntniss  haben,  weil 
vordem  die  Geschäfte  bei  der  Kammer  sowohl  als  bei  dem  Banco  in  einer 
Session  behandelt  worden,  und  die  Referenten  nach  den  Ländern  bestellt 
waren,  daher  ein  jeder  Referent  mehrere  Gefälle  zugleich  zu  respiciren 
hatte;  für  das  künftige  könnte  er  jedoch  nicht  Bürge  sein,  da  nach  der 
dermaligen  Eintheilung  jeder  Referent  nur  Ein  Gefälle  zu  besorgen  hätte, 
folglich  von  den  übrigen  eine  Kenntniss  nicht  erlange.  Um  dem  Allerh. 
Befehl  nachzukommen,  wäre  nur  das  einzige  Mittel,  wenn  mit  der  der- 
maligen Verfassung  des  Finanzwesens  zu  vereinbaren  wäre,  dass  bei  jeder 
Commission  und  zugleich  bei  den  Departements  in  Montanisticis  und  Ban- 
naticis  ein  Referent  bestellt,  zugleich  aber  auch  gestattet  würde,  dass  an- 
statt der  allwöchentlich  dreimal  am  Dienstag,  Donnerstag  und  Samstag  zu 
haltenden  Sessionen  nur  zweimal  am  Mittwoch  und  Samstag  zusammen- 
getreten würde. 

Diekais.  Entschliessung  auf  diesen  Vortrag  vom  10.  Januar  1769  lautet: 
Meine  Willensmeinung  in  dem  an  ihn  erlassenen  Billet  ist  dahin 
gegangen,  dass,  so  oft  bey  der  Staats- Wirthschafts-Deputation  eine  Materie 
vorkommen  würde,  die  mit  der  Besorgniss  der  ihm  unterstehenden  ver- 
schiedenen Departements  einen  Zusammenhang  hat,  er  auf  die  hievon  durch 
den  Grafen  Chotek  erhaltene  Anzeige  den  Praesidem  oder  einen  Rath  eines 
jeden  derjenigen  Departements,  in  deren  Agenda  das  objectum  delibera- 
tionis  einschlagt,  zu  der  Deputations-Session  abzuschicken  habe.  Da  nun 
dieser  Fall  ein  jedes  Departement  nicht  allwöchentlich  und  die  sämmt- 
liche  Departements  sehr  selten  an  einem  Tage  betreffen  werde,  so  ist  nicht 
abzusehen,  wie  sich  die  nur  zuweilen  ereignen  könnende  Abwesenheit  eines 
oder  andern  Praesidis  oder  Raths  die  Abhaltung  des  Pleni  bey  der  Kammer 
oder  der  besonderen  Sessionen  bey  denen  ihr  unterstehenden  Deputationen 
so  leicht  verhindern  können.  Sollte  jedoch  er  Kammer-Präsident,  für  gut 
erachten,  dass  statt  der  wöchentlich  drei  Commissions-Sessionen  nur  zwey 
oder  statt  der  zwey  Zusammentretungen  in  Pleno  nur  eine  gehalten  würde, 
so  wäre  allerdings  geneigt,  diesen  Antrag  zu  begnehmigen,  da  es  ohnehin 
erwünschlich  wäre,  dass  die  Praesides  und  Räthe  der  verschiedenen  Depu- 
tationen zu  so  viel  Rathssitzungen  nicht  über  die  Notwendigkeit  ange- 
halten würden,  und  ihnen  mehrere  Zeit  zur  Vorbereit-  und  Ausarbeitung 
derjenigen  Geschäfte,  die  bey  den  Sessionen  behandelt  werden,  überlassen 
werden  möge. 

Da  am  19.  Januar  1769  heisst  es  in  einem  Vortrage  von  Hatzfeld 
vom  13.  Januar  1769  die  erste  Zusammentretung  der  neuen  Staats- 
Wirthschafts-Deputation  stattfinden  wird,  in  welche  viele  Gegenstände  der 
Hofkammer  und  Ministerial-Banco-Deputation  einschlagen,  so  erbittet  sich 
Graf  Hatzfeld  von  der  Kaiserin  die  Erlaubnis,  jener  selbst  mit  Beiziehung 
des  Hofraths  Baron  v.  Neffzer  beiwohnen  zu  dürfen. 

Darauf   antwortet    die  Kaiserin   in    einer    eigenhändigen  Marginalnote : 
»Dises  stehet  ihme    alzeit  frey  zu    selben  zukommen    oder  nicht  und 
werde  alzeit  vill  ruhiger  meine  resolutionen  geben  wo  er  dabey  ist.* 


326  Beer. 


V.    (Zu  S.   30 J.) 

Die  Aufgabe  der  obersten  Finanzverwaltung  soll  darin  bestehen,  dass 
sie  die  Staatsbedürfnisse  ausmittelt,  und  ihre  Sicherstellung  bewirkt,  in- 
dem sie  verhältnismässige  Beiträge  von  den  Mitgliedern  der  bürgerlichen 
Gesellschaft  in  Anspruch  nimmt,  und  sowohl  für  ihre  Aufbringung,  als 
für  die  gehörige  Verwendung    zu    den    abgesehenen  Zwecken  Sorge    trägt. 

Diese  verschiedenen  Verrichtungen  stehen  in  dem  engsten  und  un- 
mittelbarsten Zusammenhange.  Sie  lassen  sich  weder  von  einander  trennen, 
noch  zwischen  zwey  oder  mehreren  Behörden  theilen,  ohne  dass  zugleich 
das  erste  Princip  einer  zweckmässigen  Finanzverwaltung,  welches  aus  der 
genauesten  Uebereinstimmung  der  Bedürfnisse  mit  den  Bedeckungsmitteln, 
auf  der  vollständigsten  Einheit  und  Gleichförmigkeit  in  den  Disposizionen, 
und  auf  einer  klaren  und  leichten  Uibersicht  beruhet,  verlegt  würde. 
Sollte  die  Finanzverwaltung  blos  die  öffentlichen  Bedürfnisse  mit  den  von 
einer  andern  Behörde  gewählten  und  aufgebotenen  Mitteln  der  Bedeckung 
vergleichen  und  zusammenstellen,  so  würde  sie  zu  einem  buchhalterischen 
Departemente  herabgewürdiget.  Hätte  sie  dagegen  nur  über  die  vorhan- 
dene Baarschaft  nach  dem  ihr  mitgetheilten  Bedarfe  zu  disponiren,  ohne 
auf  die  Sammlung  der  erforderlichen  Baarschaft  selbst  Einfluss  zu  nehmen, 
so  würden  sich  ihre  Funkzionen  auf  eine  blosse  Kassemanipulation  be- 
schränken, zu  der  es  wohl  keines  eigenen  Verwaltungszweiges  bedarf. 
Wenn  sie  endlich  das  Geschäft  der  Aufbringung  oder  Verwendung  der 
Bedeckungsmittel  mit  einer  zweiten  Bekörde  theilen  sollte:  so  würde  keine 
von  beiden  mehr  die  Verantwortlichkeit  für  die  Sicherstellung  der  Staats- 
bedürfnisse auf  sich  nehmen  können;  es  würden  Reibungen  und  Lähmun- 
gen unvermeidlich  seyn,  weil  es  unmöglich  ist,  beiden  einen  nach  festen 
Grundsätzen  streng  geschiedenen  Wirkungskreis  zuzuweisen;  es  würden 
kreuzende  Disposizionen  und  widersprechende  Entscheidungen  erfolgen, 
weil  nicht  zu  erwarten  ist,  dass  zwey  Behörden  in  allen  Fällen  nach  einem 
Geiste,  und  nach  gleichen  Grundsätzen  vorgehen;  es  würde  endlich  alle 
Evidenz  aufhören,  und  die  in  den  Disposizionen  über  die  Geldmittel  des 
Staats  so  nothwendige  Schnelligkeit  und  Bestimmtheit  gestöret  werden  — . 
Ich  würde  eher  wünschen,  dass  Euere  Majestät  der  Central-Cominission 
die  Leitung  aller  finanziellen  Angelegenheiten  in  den  neuerworbenen  Pro- 
vinzen, die  Sicherstellung  des  dort  vorfallenden  Staatsaufwandes  mit  be- 
griffen, ohne  allen  Vorbehalt  übertragen,  und  es  würden  gewiss  daraus 
geringere  Nachtheile  entspringen,  als  aus  einer  getheilten  Leitung.  Allein 
abgesehen  davon,  dass  dann  doch  zwey  Finanzbehörden  in  der  Monarchie 
bestehen  würden,  während  in  einem  wohlgeordneten  Staate  nur  ein  Mittel- 
punkt für  die  Angelegenheiten  der  Staatshaushaltung  existiren  soll,  halte 
ich  auch  jede  Vereinigung  nnd  Vermengung  der  finanziellen  Verwaltung 
mit  der  politischen  für  absolut  schädlich,  und  der  Bestimmung  beyder 
Verwaltungszweige  zuwiderlaufend.  Die  politische  und  die  finanzielle  Ver- 
waltung sind  ihrer  Natur,  und  ihren  Zwecken  nach  so  wesentlich  von 
einander  verschieden,  dass  nur  bey  einer  sorgfältigen  Trennung  ihrer 
Funkzionen  beide  Behörden  auf  eine  Art  wirksam  seyn  können,  welche 
für  den  Staatsverein  wohlthätig  wird.     Während  die  politische  Verwaltung 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  327 

die  moralische  und  intellektuelle  Veredlung  der  Nazion,  die  festere  Ver- 
schlingung der  Bande  des  bürgerlichen  Vereines,  die  Begründung  innerer 
Ruhe  und  Ordnung,  und  die  Bewahrung  und  Vermehrung  des  Privat- 
wohlstandes zum  Zwecke  hat,  hat  es  die  Finanz  Verwaltung  dagegen  nur 
mit  den  öffentlichen  Bedürfnissen  des  Staates  und  mit  den  Mitteln  ihrer 
Bedeckung  zu  thun.  Die  politische  Verwaltung  ist  insofern  berufen,  die 
Kontrole  der  Finanzadministration  zu  bilden,  als  sie  darüber  zu  wachen 
hat,  dass  durch  die  letztere  nicht  das  Privatvermögen  auf  eine  Art  in 
Anspruch  genommen  werde,  wodurch  es  erschöpft  werden  könnte.  Allein 
sie  soll  weder  in  die  Funkzionen  der  Finanzverwaltung  lähmend  eingreifen, 
noch  selbst  daran  Theil  nehmen.  Im  ersten  Falle  würde  sie  Kläger  und 
Richter  zugleich  werden,  und  im  letzteren  nicht  mehr  das  Amt  einer  un- 
befangenen Controlle  ausüben  können. 

Nach  dieser  Andeutung  der  Gesichtspunkte,  von  welchen  ich  ausge- 
gangen bin,  erlaube  ich  mir,  zur  Entwickelung  der  Grundsätze  zu  schreiten, 
nach  welchen  die  Bezeichnung  der  Grenzlinien  für  die  Wirksamkeit  der 
Organisirungs-Commission  und  der  Finanzhofstelle  zu  geschehen  hätte. 

Da  die  Finanzverwaltung  für  die  Sicherstellung  der  gesammten  Staats- 
bedürfnisse durchaus  auf  allen  Punkten,  nach  welchen  ihre  Bedeckung 
nothwendig  wird,  zu  sorgen  hat,  so  wird  es  unerlässlich,  dass  auch  alle 
Ei'trägnisszweige  und  Einnahmsquellen  in  den  mit  der  Monarchie  ver- 
einigten Provinzen  unter  ihren  unmittelbaren  Einfluss  gesetzt  werden. 
Euere  Majestset  dürften  daher  festsetzen,  dass  an  den  daselbst  bestehenden 
Erträgnissen,  sie  mögen  aus  was  immer  für  einer  Quelle  entspringen,  ohne 
Zuratheziehung  und  Beistimmung  der  Finanzhofstelle  keine  Aenderung  er- 
folge, und  dass  den  Finanzen  für  den  daraas  fliessenden  Entgang  in  jedem 
Falle  in  anderen  Wegen  der  Ersatz  verschafft  werde.  Es  könnte  der 
Central-Commission  dabey  unbenommen  bleiben,  wenn  sie  einzelne  Ein- 
nahmszweige für  die  Kontribuenten  drückend  oder  für  den  Nazionalwohl- 
stand  nachtheilig  findet,  nach  vorläufiger  Rücksprache  mit  der  Finanz- 
verwaltung auf  ihre  Umstaltung  oder  auf  die  Milderung  harter  Bestimmungen 
anzutragen. 

Es  ist  jedoch  nicht  genug,  dass  die  Zuflüsse  zur  Bestreitung  des 
öffentlichen  Aufwandes  im  Verhältnisse  zu  den  Staatsbedürfnissen  sistemi- 
sirt  seyen,  sondern  es  ist  eben  so  nothwendig,  dass  auch  für  die  Auf- 
bringung und  Einhebung  dieser  Zuflüsse  gehörig  gesorgt  werde.  Da  keine 
Behörde  ein  näheres  Interesse  haben  kann,  dass  die  sistemisirten  Beiträge 
richtig  eingehen,  und  da  ihr  nur  bey  dem  richtigen  Einfliessen  dieser 
Beiträge,  für  die  Sicherstellung  des  Staatsbedarfes  die  Haftung  auferlegt 
werden  kann:  so  muss  ich  ehrerbietigst  darauf  antragen,  dass  ihr  auch 
die  eigentliche  Verwaltung  aller  Erträgnisse,  die  Sorge  für  ihre  Einhebung 
und  Evidenzhaltung  ausschliessend  übertragen  werde.  Die  Landesbehörden 
hätten  sich  daher  künftig  hierin  blos  nach  ihren  Weisungen  zu  benehmen, 
und  alle  periodischen  Uebersichten  über  den  Ertrag  der  einzelnen  Ein- 
nahmszweige, sowie  alle  Anträge  zu  Nachsichten  oder  Befreiungen  an  sie 
zu  leiten.  Sollte  die  Central-Commission,  zumal  bey  den  direkten  Ab- 
gaben, aus  politischen  Rücksichten  zu  Gunsten  einzelner  Bezirke  oder 
Steuerpflichtigen  auf  Nachsichten  einzuschreiten  sich  bewogen  finden,  so 
könnte  sie  dem  unbeschadet,  Euerer  Majesta-t  ihre  Anträge  vorlegen» 


328  B  e  e  r- 

So  wenig  die  Finanzverwaltung  im  Stande  ist,  die  Bedürfnisse  des 
Staates  sicher  zu  stellen,  wenn  ihr  nicht  die  Sistemisirung  und  Ver- 
waltung aller  Erträgniszweige  überlassen  ist,  ebensowenig  vermag  sie  für 
die  gehörige  Bedeckung  zu  sorgen,  wenn  die  in  den  öffentlichen  Cassen 
vorhandene  Baarschaft  nicht  ausschliessend  unter  ihre  Disposition  gesetzt 
wird.  Es  müssen  nothwendig  Kreuzungen  und  Verlegenheiten  daraus  ent- 
stehen, wenn  zwey  Behörden  gleichzeitig  über  Kassemittel  disponiren,  und 
die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  sie  wirklich  entstanden  sind.  Während 
ich  auf  die  vorhandenen  Kassevorräthe  in  den  venezianischen  Provinzen 
rechnete,  und  der  italienischen  Armee-  davon  zum  Theile  ihre  Bedeckung 
zudachte,  erhielt  ich  von  dem  Fürsten  Reuss  kürzlich  die  Anzeige,  dass 
diese  Verräthe  durch  andere  Dispositionen,  die  mir  unbekannt  blieben, 
erschöpft  worden  seyen.  Ich  sah  mich  auf  solche  Art  einer  Hilfe  beraubt, 
welche  ich  mit  Recht  in  dem  Anschlag  der  Bedeckungsmittel  einbezogen 
hatte,  und  das  Militär,  welches  ich  auf  diese  Bedeckungsquelle  verwies, 
ohne  meiner  Schuld  einer  Verlegenheit  preisgegeben. 

Damit  aber,  wenn  die  öffentlichen  Kassen  ausschliessend  der  Dispo- 
sizion  der  Finanzverwaltung  vorbehalten  bleiben,  die  öffentlichen  politischen 
Anstalten  nicht  aus  Mangel  an  den  nöthigen  Zahlungsmitteln  aufliegen 
können,  hätte  die  Central-Commission  als  oberste  politische  Behörde  einen 
Voranschlag  der  Summen  zu  entwerfen,  welche  zur  Bestreitung  der  Aus- 
lagen bey  dem  Gottesdienste,  bey  dem  öffentlichen  Unterrichtswesen,  und 
zum  Behufe  anderer  politischer  Anstalten  nothwendig  sind.  Dieser  Vor- 
anschlag wäre  nach  vorläufiger  Rücksprache  mit  der  Finanzhofstelle  Euerer 
Majestaet  zur  Sankzionirung  vorzulegen,  wonach  bey  den  Landeskassen  auf 
die  nach  dem  Voranschlage  nöthigen  Summen  der  Kredit  eröffnet,  und 
die  ratenweise  Erfolgung  derselben  angeordnet  werden  würde. 

Um  Ordnung,  Evidenz  und  strenge  Oekonomie  in  die  Verwendung 
der  Landeserträgnisse  zu  bringen,  wird  es  übrigens  vor  allem  unverschieb- 
lich die  Willkühr  der  Landesbehörden  in  der  Bestreitung  von  Ausgaben 
zu  beschränken.  Ich  überzeuge  mich  aus  den  Kasseständen,  welche  zu 
meiner  Einsicht  gelangen,  dass  in  einigen  der  neuerworbenen  Provinzen 
bedeutende  Summen  einfliessen.  Allein  sie  werden  immer  wieder  eben  so 
sehneil  durch  beträchtliche  Local-Auslagen  erschöpft. 

Es  kann  den  neu  gebildeten  Landesbehörden  leider  dermal  noch  nicht 
das  Vertrauen  geschenkt  werden,  dass  sie  dabey  richtigen  Grundsätzen 
folgen,  und  mit  kluger  Sparsamkeit  vorgehen. 

Ich  sehe  mich  daher  zu  dem  Antrage  gezwungen,  dass  den  Länder- 
stellen daselbst  die  Befugniss  genommen  werde,  ausser  sistemisirten  Be- 
soldungen, Pensionen  und  Provisionen  andere  Zahlungen  selbst  anzuweisen, 
und  dass  sie  verhalten  werden,  über  alle  im  Verlaufe  eines  Monats  vor- 
fallenden Zahlungen  vor  dem  Eintritte  desselben,  Voranschläge  an  die 
Finanzstelle  einzusenden,  vor  deren  Genehmigung  keine  Zahlung  zu  er- 
folgen hätte. 

Diese  Einleitungen  scheinen  nun  um  so  nothwendiger,  als  diese  Pro- 
vinzen die  einzigen  Quellen  zur  Bedeckung  des  sehr  bedeutenden  Bedarfes 
an  klingender  Münze  sind ;  diese  Einleitungen  sind  überhaupt  unerlässlich, 
wenn  die  Finanzverwaltung  die  Haftung  dafür  übernehmen  soll,  dass  sich 
in  der  Bedeckung  des  öffentlichen  Aufwandes  in  den  neuen  Bestandtheilen 


Die  Finanz  Verwaltung  Oesterreich*  1749  —  1819.  329 

der  Monarchie  keine  Lücke  ergebe,  und  wenn  man  überhaupt  von  dem 
Wunsche  ausgeht,  Einheit,  Evidenz  und  Ordnung  in  die  Leitung  der 
finanziellen  Angelegenheiten  daselbst  zu  bringen.  Ich  darf  mich  wohl 
einer  näheren  Erörterung  darüber  enthalten,  wie  wünschenswert]!  die  Er- 
reichung dieser  Zwecke  für  die  Finanzverwaltung  unter  allen  Umständen 
seyn  muss,  und  wie  sehr  sie  zumal  gegenwärtig  zum  dringenden  Be- 
dürfniss  wird,  wo  durch  eine  so  auffallende  Verschiedenheit  in  den  Geld- 
und  Münzverhältnissen  zwischen  diesen  Provinzen  und  den  älteren  Be- 
standteilen der  Monarchie  eine  Scheidewand  gezogen  ist,  welche  jede 
Unterstützung  der  ersteren  aus  dem  Mittelpunkte  der  Finanzen  für  die 
Dauer  unmöglich  macht:  wo  nur  die  angestrengtesten,  mit  harmonischer 
Übereinstimmung  und  mit  dem  ununterbrochenen  Ueberblicke  aller  Hilfs- 
mittel geleiteten  Bemühungen  hinreichen  können,  die  ausgebreiteten  Be- 
dürfnisse des  Staats  zu  befriedigen. 

Wenn  auf  solche  Art  alles  —  was  auf  die  Einnahmen  und  Ausgaben 
des  Staates  —  mit  Ausnahme  derjenigen,  welche  zum  Behufe  politischer 
Anstalten  gemacht  werden  —  alles  was  auf  das  öffentliche  Schuldwesen, 
auf  die  Kassegebahrung,  auf  das  Münzwesen  Bezug  hat,  als  zur  Wirksam- 
keit der  Finanzverwaltung  gehörig  angesehen,  dagegen  alle  nicht  unter 
diesen  Abtheilungen  begriffenen  Angelegenheiten  ausser  ihren  Einfluss 
gesezt  werden;  so  wird  zugleich  jeder  Anlass  zu  Verwickelungen,  und  zu 
Eingriffen  in  den  gegenseitigen  Wirkungskreis  gehoben.  Es  bleibt  mir 
dann  nur  noch  der  Wunsch  übrig,  dass  bei  jeder  Landesstelle  in  den 
neuen  Provinzen  für  alle  diese  Gegenstände,  welche  das  finanzielle  Inter- 
esse berühren,  ein  Vereinigungspunkt  gebildet,  und  dass  sie  einer,  oder 
nach  Erforderniss  zwey  Geschäftsabtheilungen  ausschliessend  zugewiesen 
werden.     (Aus  dem  Vortrage  Stadions  vom   16.  November   1814). 

Aeusserung  des  Staats-  und  Konferenz-Ministers  Grafen  von  Stadion 
zu  dem  Konferenzprotokoll  vom  3.  Dezember  1814  wegen  der  zu  be- 
stimmenden Gränzlinie  der  Wirksamkeit  zwischen  der  Central- Organi- 
sirungs-Hofkommission  und  der  geheimen  Kreditshof  kommisäion ,  dann 
wegen  der  Leitung  der  finanziellen  Angelegenheiten  in  den  neuen  Provinzen 
überhaupt.     Wien,  den   12.  Dezember   1814. 

Ich  habe  mir  vorbehalten,  meine  schriftlichen  Erläuterungen  zu  dem 
Konferenzprotokolle  nachzutragen,  falls  die  Konferenz  bei  meinen  Anträgen 
Bedenken  finden  sollte,  weil  es  mir  von  der  grössten  Wichtigkeit  zu  seyn 
scheint,  dass  dieser  Gegenstand  in  ein  vollständiges  Licht  gesetzt  werde, 
ehe  er  zur  höchsten  Entscheidung  Euerer  Majestät  gelangt.  Ich  muss 
mir  vor  Allem  erlauben,  die  Definizion  zu  bestreiten,  welche  von  den 
minderen  Stimmen  über  die  Funkzionen  des  Finanzministeriums  aufgestellt 
worden  ist.  Nicht  die  blosse  Nachweisung  der  Staatsbedürfnisse  und  die 
Anweisung  der  disponiblen  Geldmittel  zur  Bedeckung  derselben,  wie  hier 
angeführt  wird,  sondern  die  konzentrische  Uebersicht  und  Oberleitung  aller 
Erträgnisszweige  und  Bedeckungsmittel  zur  ununterbrochenen  und  voll- 
ständigen Sicherstellung  des  nöthigen  Staatsaufwandes  bilden  den  Inbegriff 
der  Verrichtungen  des  Finanzministeriums.  Weder  die  Bankodeputazion 
noch  die  Hofkammer  im  engeren  Sinne,  und  nicht  die  Kreditskommission 
machen  das  eigentliche  Centrum  der  Finanzverwaltung,  sie  sind  durchaus 
blosse  Abtheilungen,    welche  über  einen  mehr  oder  minder  ausgebreiteten 


330  B  e  e  r- 

Zweig  des  Finanzwesens  die  unmittelbare  Leitung  besorgen.  Sie  müssen 
jedoch  insgesammt  von  den  Finanzministerium  den  Impuls  erhalten,  denn 
nur  von  diesem  können  die  Disposizionen  im  Grossen,  insofern  sie  das 
Staatshaushaltungswesen  berühren,  ausgehen,  sowie  sie  auch  nur  dort 
wieder  in  ihren  letzten  Eesultaten  zusammentreffen.  Schon  hieraus  ergiebt 
sich,  dass  eine  Trennung  dieser  Branchen  oder  einzelner  Bestandteile 
ihrer  Wirksamkeit  von  den  Funkzionen  des  Finanzministeriums  nicht  denk- 
bar ist,  ohne  dieses  in  der  Erreichung  seiner  Bestimmung  zu  paralysiren. 
Es  ist  wahr,  dass  —  wie  Staatsrath  Hauer  anführt  —  in  verschiedenen 
Staaten  die  Verwaltung  einzelner  Gefälle  besonderen  Direkzionen  über- 
tragen ist.  Allein  weit  entfernt,  diese  Direkzionen  ausser  den  Einfluss 
des  Finanzministeriums  zu  setzen,  sind  sie  vielmehr  in  solchen  Staaten 
unter  die  unmittelbare  und  ausschliessende  Leitung  desselben  gesetzt. 
Diese  Verfassung  lässt  sich  daher  nicht  als  ein  Argument  für  den  Antrag 
anwenden,  nach  welchem  ein  Theil  der  Staatsgefälle  unter  die  Leitung 
einer  selbstständigen,  von  dem  Finanzministerium  gänzlich  getrennten  Hof- 
stelle gebracht  werden  soll.  —  Es  ist  mir  keineswegs  entgangen,  dass 
auch  in  den  deutschen  Provinzen  die  direkten  Steuern  von  den  poli- 
tischen Behörden  verwaltet  werden :  allein  abgesehen  davon,  dass  erst 
nachgewiesen  werden  müsste,  ob  diese  Einrichcung  sich  auch  als  nützlich 
bewährt,  scheint  mir  gerade  in  dem  als  Motiv  dieser  Errichtung  ange- 
führten Umstände  der  ständischen  Verfassungen  und  des  ständischen  Ein- 
flusses auf  die  Einhebung  der  direkten  Steuern,  ein  triftiger  Beleg  zu 
liegen,  dass  in  den  neu  erworbenen  Provinzen,  in  welchen  keine  Stände 
vorhanden  sind,  eine  ähnliche  Einrichtung  überflüssig  und  unbegründet 
seyn  würde.  Ueberdiess  werden  Euere  Majestät  Sich  gnädigst  erinnern, 
dass,  als  man  im  Jahre  1811  den  Grund  zu  einer  neuen  Ordnung  in  den 
Finanzen  legen  wollte,  mein  damahliger  Vorgänger  im  Finanzministerium 
es  nothwendig  fand,  auch  die  Einhebung  der  direkten  Steuern  unter 
seinen  unmittelbaren  Einfluss  zu  setzen,  wesshalb  dieser  Gegenstand  mit 
Uebergehung  der  politischen  Hofstelle  bei  der  unter  seine  Leitung  ge- 
stellten Central-Finanzhofkommission  verhandelt  wurde.  Unter  den  der- 
mahligen  Verhältnissen  durfte  eine  ähnliche  Massregel  kein  geringeres 
Bedürfniss  und  nicht  minder  begründet  seyn.  Unstreitig  sind  aber  die 
Nachtheile,  welche  aus  einer  getrennten  Oberleitung  der  indirekten 
Abgaben  oder  Gefälle  entspringen,  noch  weit  auffallender  und  bedenk- 
licher. Sie  sind  grösstentheils  von  der  Stimmenmehrheit  der  Konferenz 
mit  solcher  Sachkenntniss  dargestellt  worden,  dass  ich  mich  jeder  näheren 
Erörterung  darüber  enthalten  kann.  Ich  werde  bloss  bei  den  Anträgen 
verweilen,  mit  welchen  die  minderen  Stimmen  diesen  Nachtheilen  zu  be- 
gegnen glaubten. 

Graf  Lazanzky  meint  nämlich,  das  Geschäft  der  Organisirung  der  Ge- 
fälle könne  füglich  von  der  kurrenten  Finanzverwaltung  getrennt  werden, 
und  stehe  mit  dem  politischen  Eiurichtungsgeschäfte  in  so  engem  Zu- 
sammenhange, dass  es  gleichzeitig  und  bei  einer  und  derselben  Behörde 
behandelt  werden  soll.  —  Allein  was  ist  wohl  die  Organisierung  von 
Gefällen  anderes,  als  die  Sistemisirung  der  Zuflüsse,  welche  der  Staats- 
schatz im  Wege  der  Gefälle  erhalten  soll,  und  wer  kann  diese  Sistemi- 
sirunsr    und     das    Verhältniss    dieser    Zuflüsse    zu    den    Bedürfnissen    der 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreiehs  1749 — 1816.  33  J 

Finanzen  richtiger  beurtheilen  und  angeben  als  das  Centrutn  der  Finanz- 
verwaltung? Euere  Majestät  haben  in  dem  beiliegenden  Konferenzvorakte  x) 
aus  eigenem  Antriebe  befohlen,  dass  die  neuerworbenen  Provinzen  »nach 
ihren  Kräften  und  im  Verhältnisse  zu  den  Lasten  der  deutschen  Provinzen 
zu  den  Bedürfnissen  der  Monarchie  beitragen  sollen.«  Schon  aus  dieser 
Erklärung,  und  aus  der  wiederholt  ausgesprochenen  Willensmeinung  Euerer 
Majestät,  dass  diese  Länder  nach  einem  gleichen  Massstabe  wie  die  älteren 
Bestandteile  der  Monarchie  belegt  werden  sollen,  geht  hervor,  dass  ihre 
Beiträge  nur  im  Zusammenhange  mit  den  Bedürfnissen  des  ganzen  Staats 
und  mit  dem,  was  die  übrigen  Provinzen  leisten,  bemessen  werden  können. 
Alle  diese  Behelfe  befinden  sich  aber  ausschliessend  im  Besitze  der  Finanz- 
verwaltung. In  Beziehung  auf  den  zweiten  Theil  der  Behauptung  des 
Gr.  Lazanzky  über  den  Zusammenhang  zwischen  den  politischen  und  finan- 
ziellen Einrichtungen  muss  ich  übrigens  auf  die  Bemerkung  zurückkommen, 
dass  beide  Verwaltungen  ein  ganz  verschiedenes  Objekt  für  ihre  Wirk- 
samkeit haben,  indem  die  erstere  die  Rechte  und  das  Wohl  der  Privaten 
gegenüber  dem  Staate  beschützt,  die  letztere  aber  den  Staatsschatz  in  seinen 
Rechten  und  in  seinem  Interesse  vertritt.  Es  ist  wahr,  dass  sie  sich  zu- 
weilen in  ihren  Funkzionen  berühren  müssen,  allein  eben  so  berühren 
sich  auch  die  Funkzionen  des  auswärtigen  Ministeriums  und  jene  des 
Kriegsdepartements,  ferner  das  letztere  und  die  politische  Verwaltung. 
Der  Vereinigungspunkt  für  die  verschiedenen  Funkzionen  der  Staatsgewalt 
kann  sich  aber  in  jedem  Staate  nur  in  der  Person  des  Souveräns,  oder 
in  der  als  sein  Organ  konstituirten  obersten  Centralbehörde  finden.  Wenn 
ferner  Or.  Wallis  und  Gr.  Lazanzky  glauben,  der  gestörte  Verband  zwischen 
dem  Finanzministerium  und  der  von  ihm  losgerissenen  Gefällsleitung  werde 
durch  die  Gefällsreferenten,  welche  auch  bei  der  Centralkommission  diese 
Angelegenheiten  leiten,  wieder  hergestellt,  und  könne  durch  die  Zuweisung 
des  Vizepräs.  Gr.  Herberstein  zur  Organisirungskommission  noch  mehr  be- 
festiget werden:  so  scheint  mir  in  dieser  Ansicht  ein  grosser  Irrthum 
zu  liegen.  So  sehr  ich  es  für  nothwendig  halte,  das  Geschäft  der  höheren 
Finanzleitung  nicht  mit  der  Leitung  der  Gefälle  und  mit  der  ausführen- 
den Finanz  Verwaltung  zu  vermengen,  und  nur  das  erstere  den  unmittel- 
baren Einwirkungen  des  Finanzministeriums  vorzubehalten,  so  muss  doch 
nach  meiner  innigsten  Ueberzeugung  zwischen  beiden  stäts  ein  ununter- 
brochener Zusammenhang  und  das  Verhältniss  von  Unterordnung  bestehen. 
So  wie  die  Gesichtspunkte  für  die  Benützung  der  Erträgnisszweige  des 
Staats  und  für  die  Aufbringung  seiner  Bedürfnisse  nur  unmittelbar  von 
dem  Finanzministerium  ausgehen  können,  so  kann  auch  weder  der  einzelne 
Referent,  noch  ein  Vizepräsident  oder  Stellvertreter  des  Hofkammer- 
prräsidiums,  insofern  er  als  Mitglied  einer  dem  Minister  fremden  Hofstelle 
abstimmt,  als  das  Organ  des  Finanzministeriums  angesehen  werden.  Könnte 
ich  auch  zugeben,  dass  dieser  Abgang  durch  häufigen  Schriftenwechsel 
zwischen  der  Finanzverwaltung  und  der  Behörde,  welche  einen  Theil  ihrer 
Funkzionen  an  sich  gezogen  hat,  ersetzt  werden  könne,  so  würde  es  doch 
in  die  Augen  springen,  dass  ein  schlapper  Geschäftsgang  und  schädliche 
Stockungen  in  dem  Einrichtungsgeschäfte  selbst  die  unvermeidliche  Folge 

')  Kaiserl.  Erschliessung  vom  31.  Juli   1814. 


332  B  e  e  r- 

davon  seyn  würden.  Ich  habe  mich,  seitdem  Euere  Majestät  mich*  zur 
Oberleitung  der  Finanzen  zu  berufen  die  Gnade  hatten,  bereits  damit  be- 
schäftiget, eine  feste  Grenzlinie  zwischen  den  Geschäften,  auf  welche  das 
Finanzministerium  unmittelbaren  Einfiuss  zu  nehmen  hätte,  und  zwischen 
denjenigen,  die  zwar  ohne  unmittelbares  Einschreiten  des  Finanzministeriums 
jedoch  nach  seinem  Impulse  und  in  stätem  Zusammenhange  mit  seinen 
Operazionen  zu  behandeln  wären,  zu  entwerfen.  Ich  würde  Euerer  Majestät 
meine  Ansichten  hierüber  bereits  unterzogen  haben,  wenn  nicht  meine 
eingetretene  Krankheit  mich  daran  verhindert  hätte.  Euere  Majestät 
werden  Sich  aus  denselben  überzeugen,  dass  *ich  das  Finanzministerium 
von  allen  jenen  Gegenständen  zu  entledigen  wünsche,  welche  meine  Auf- 
merksamkeit von  dem  höheren  Interesse  der  Finanzen  ablenken  und  die- 
selbe hindern  die  wichtigsten  Resultate  finanzieller  Erscheinungen  ununter- 
brochen im  Auge  zu  behalten.  Diess  darf  mich  jedoch  nicht  abhalten, 
alle  jene  Angelegenheiten  für  die  Finanzverwaltung  zu  vindiciren,  ohne 
welchen  eine  konzentrische  Leitung,  Einheit  in  den  Operationen  und  Er- 
zielung von  Evidenz  nicht  denkbar  ist.  Die  Nachtheile,  welche  daraus 
entspringen,  wenn  zwei  verschiedene  Behörden  über  eine  und  dieselbe 
Kasse  disponiren,  haben  sich  bereits  durch  die  Erfahrung  so  sehr  bewährt, 
dass  ich  mich  jedes  Beweises  darüber  enthoben  glaube.  —  Je  grösser  die 
Bedürfnisse  des  Staats  sind,  je  schwerer  die  Aufgabe  der  Finanzverwaltung, 
und  je  dringender  es  ist,  zu  einem  Zustande  fester  Ordnung  in  dem 
Finanzwesen  zurückzukehren,  um  so  nachdrücklicher  muss  ich  Euere 
Majestät  auch  bitten,  der  Behörde,  welcher  die  Lösung  dieser  Aufgabe 
obliegt,  und  welche  Euere  Majestät  dafür  verantwortlich  machen,  kein 
Hilfsmittel  zu  versagen,  auf  welches  sie  einen  so  hohen  Werth  legt,  und 
welches  ihr  nach  dem  Ausspruche  der,  aus  Männern  von  langjähriger  Er- 
fahrung im  Fache  der  Finanzen  bestehenden  Stimmenmehrheit  der  Kon- 
ferenz unentbehrlich  ist.  Ich  muss  daher  bei  dem  dringenden  Wunsche, 
dass  Euere  Majestät  meine  Anträge  ohne  Vorbehalt  gnädigst  zu  genehmigen 
geruhen,  ehrfurchtsvoll  beharren.  Ich  erlaube  mir  nur  noch  beizufügen, 
dass  sowie  bereits  Gr.  Herberstein  selbst  erklärt  hat,  dass  er  das  ihm 
nach  dem  Antrage  des  Gr.  Wallis  zugedachte  Vizepräsidium  bei  der 
Organisirungskommission  ohne  Abbruch  der  ihm  gegenwärtig  obliegenden 
Geschäfte  nichts  übernehmen  konnte,  ich  gleichfalls  überzeugt  bin,  dass, 
da  er  dermal  nach  der  höchsten  Intention  Euerer  Majestät  die  Leitung 
der  verschiedenen  Sekzionen  der  Finanzhof  stelle,  den  Vorsitz  bei  den  Be- 
rathungen  und  die  Geschäfte  der  Eevision  besorgt,  eine  dem  Dienst  höchst 
nachtheilige  Stockung  in  dem  Geschäftsgange  bei  dieser  Stelle  unvermeidlich 
seyn  würde,  wenn  er  seine  Zeit  künftig  zwischen  diesen  Geschäften  und 
jenen  der  Organisirungskommission  theilen  sollte. 

Aus  der  amtlichen  Correspondenz. 

I. 

Wien,   31.  October   1745. 
Lieber  Graf  Dietrichstein! 

Es  ist  Euch    ohnedeme    bewusst,    dass    Ich  zu  desto   genauerer    und 
besserer  Besorgung  deren  Berg- Werks  und  dess  Münz- Wesens  aller  Meiner 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  333 

Erb-Landen  unter  dem  Praesidio  und  der  Direction  des  Grafen  von 
Königsegg-Erps  eine  Hof-Commission  als  ein  Eigenes  und  Independentes 
Collegium  resolviret  habe.  Aus  beyliegender  Abschrift  meines  gnädigsten 
Hand-billets  an  ob-gedachten  Grafen  werdet  Ihr  das  mehreren  ersehen, 
inwieweit  eines  Theillss  dieses  Collegium  alss  ein  pars  camerae  zu  con- 
sideriren  und  auf  was  Weys  und  Art  selbiges  andern  Theillss  eine  eigene 
und  independente  operirende  Hof-Commission  seye.  Auch  von  Münz-Wesen 
nichts  und  kein  Land,  von  denen  Berg- Werken  aber  keine  andern,  als  die 
böhmischen  allein,  excipiret  und  demnach  die  banatisch-,  mährisch-  und 
schlesische  so  wohl  alss  alle  andere  ohne  Ausnahme  deren  Eisen-Berg- 
Werke  zu  dieser  Commissien  gehörig  seyen,  und  nachdeme  Mein  Dienst 
erfordert,  dass  selbige  ungesäumt  in  Activität  komme,  so  sollet  Ihr  ohne 
Zeitverlust  alle  nöthige  Befehle  expediren  lassen  und  selbe  nach  Erfor- 
dernuss  unter  Meiner  Unterschrift  oder  Hof-kammer-Räthl.  Fertigung  be- 
förderen, dessenhalben  denen  Land-Kammern,  Administrationen,  Kassen, 
Buchhaltereien,  Kanzleyen,  Ober-  und  anderen  Beamten  das  Nöthige  zu 
intimiren  und  alle  und  jede  Berg- Werks  und  Münz- Beamte  an  ihme,  Grafen 
v.  Königsegg-Erps  und  die  unter  seinem  Praesidio  errichteten  Hof-Com- 
mission anzuweisen. 

Uebrigens  erwarte  Ich  von  Eurem  und  gesammter  Hof-Kammer  Dienst- 
Eifer  dass  Eueres  Orts  dieser  neuen  Hof-Commission  all-möglicher  Beystand 
und  Vorschub  werde  gegeben,  ihr  keine  Informationes  entsaget,  weder 
Schwürigkeit  gemachet,  und  in  denen  Fällen,  wo  Concertirungen  und  ge- 
meinschaftliche Referata  erforderlich,  mit  der  zu  Meinem  Dienst  nöthigen 
gutten,  Einverständnuss  werde  zu  Werke  gegangen,  in  der  Hof-Kammer 
Kanzley  aber  die  von  dieser  Commission  dahin  kommende  von  dem  Grafen 
v.  Königsegg-Erps  und  dem  Secretario  unterschriebene  Concepten  ohne 
Verspättung  und  schieinigst  geschriben  und  expediret  werden,  damit  sie 
bey  Zeitten  so  wohl  (wan  es  erforderlich)  zu  Meiner  alss  stätts  zur  Com- 
missions-Unterschrift  und  zu  der  Post  befördert  werden.  Und  wegen  der 
starken  Correspondenz  welche  ihme  dies  zuziehet,  werdet  Ihr  auch  die 
Befehle  an  das  Post-Amt  besorgen,  damit  er  Graf  Königsegg  von  dem 
Brief-Porto  frey  gehalten  werde. 

Verbleibe  Euch  mit  k.  und  k.  Gnaden  wohl  beygethan 

Maria  Theresia. 

Eigenhändig  hinzugefügt : 

Wie  stehet  es  mit  dem  haubtbuch  vicedomb  und  rechnung  einrichtung 
dis  alles  wird  indessen  wohl  ausgemachet  seyn. 

IL 
Lieber  Graf  Kinsky! 
Nachdeme  die  Erfahrung  bishero  gezeiget,  wie  nöthig  es  sey,  dass  zu 
Einführ-  und  Fest-Stellung  eines  Universal-Commercii  in  Meinen  gesammten 
Erblanden  eine  stäte  unerlässliche  und  fördersahme  Obsorg  sowohl  in 
deliberando  als  expediendo  getragen  seye,  folglich  zu  solchen  End  ein 
ganz  besonderes  von  Mir  unmittelbahr  dependirendes  Directorium  stabi- 
liret  werde,  welches  gleichwie  bishero  die  das  Commercium  respicirende 
Materien  sparsim  bey  allen  Hof-  und  Land -Mitteln  sehr  different  trac- 
tiret  worden    und  dahero  niemahlen    der  rechte  Endzweck    ein  Universal- 


334  ßee  v. 

Commercium  einzuführen  erreichet  noch  ein  dahin  abzielendes  einförmiges 
Systema  gefasset  werden  möge,  fürohin  universaliter  alle  in  diese  Sphaeram 
einlaufende  Materien  conjunctim  und  allein  tractiren  solle,  als  habe  Ich 
diessfall  in  Euch  Mein  Vertrauen  gnädigst  gesezet  und  bin  dahero  ge- 
wollet, dass  unter  Euerem  Praesidio  das  Universal-Commercial-Directorium 
constituiret  und  darzu  die  Assessores  aus  Meinen  Hof-Stellen  und  zwar 
von  der  hungarischen  Kanzley  der  Fekete,  von  der  böhmischen  der  Kanne- 
giesser,  von  der  österreichischen  der  Doblhoffen  und  von  der  unter  Euerem 
Praesidio  ohnehin  stehenden  Ministerial-Banco-Deputation  der  Schwandner 
zugezogen,  Euch  aber  dabey  frey  stehen  solle,  allen  insgesammt  oder  auch 
nur  einen  oder  den  andern  zu  dieser  oder  jener  Session  pro  re  nata  an- 
sagen zu  lassen. 

Die  vorhin  in  den  Ländern  angestellten  Commercien-Collegia  und 
Commissiones  werden  dadurch  nicht  aufgehoben,  sondern  vielmehr  in  ihrer 
Activität  bestätiget  und  behalten  vor  wie  nach  ihre  Relation  und  Dependenz 
zu  denen  Hof-Kanzleyen;  alle  von  diesen  Commercien-Collegiis  oder  auch 
sonsten  von  anderwärts  her  bey  denen  Hof-Stellen  in  re  commerciali  ein- 
laufende Relaliones  Bericht  und  Anbringen  aber  sollen  sodann  wegen  des 
Zusammenhangs  gesammter  Länder  und  einzuführen  intendirenden  Uni- 
versal-Coinmercien  von  denen  Hofräthen  in  das  unter  Euch  angestellte 
Direktorium  Mitgebrachte  daselbst  vorgetragen,  darüber  delibiriret  pro  re 
nata  entweder  ein  Schluss  gefasset  oder  aber  die  Sach  Mir  referiret  und 
Meine  Resolution  erwartet  werden.  Die  Expeditiones  können  darüber  so- 
dann gleichwie  von  Euch  an  die  Zoll-  und  Mauth-Aemter  also  von  denen 
Hof-Kanzleyen  an  die  Dicasteria  deren  Länder  und  Commercien-Collegia 
erlassen,  von  gedachten  Hof-Stellen  aber  wegen  des  allgemeinen  Zusam- 
menhangs in  Manufactur-  und  andern  Commerz-Sachen  nichts  vorgenohmeu 
noch  expediret  werden,  welches  nicht  vorhero  in  denen  General- Commer- 
cien-Directorien  berathschlaget  und  resolviret  worden,  wie  denn  auch  die 
in  Commerciali  über  die  von  Euch  gefassten  Resoluta  von  denen  Kanz- 
leyen  abfassende  Expeditionen  Euch  vorläufig  ad  revidendum  vorgezeiget 
werden  sollen  und  gleichwie  vorhin  besagter  Maassen  alle  das  Commer- 
cium respicirende  Materien  künftighin  bey  Euch  vorgenohmen  und  berath- 
schlaget werden  sollen,   also  habt  Ihr  auch  insonderheit  und 

Imo  an  die  bessere  Einrichtung  deren  Mäuthen  und  Aufschlägen  wo- 
durch dem  Handel  und  Wandel  so  vieler  Schaden  besonders  in  Oesterreich 
und  in  Mähren  respectu  des  hungarischen  Commercii  zugezogen  worden, 
alsobald  die  Hand  anzulegen; 

IId0  eine  beständige  Obsorg  auf  die  Producta  und  Manufacta  deren 
Länder  und  den  damit  nutzlich  einzuleiten  kommende  Barato  zu  tragen; 
und  gleichwie 

HItio  die  Navigable-Machung  deren  häufigen  Flüssen  womit  die  Natur 
die  Erblanden  gesegnet  und  deren  selben  Conjunction  auch  die  Erhaltung 
und  Reparation  deren  Commercial-Strassen  dem  Handel  und  Wandel  den 
grössten  Vorschub  geben  werden  kann,  also  wird  auch  darauf  ein  be- 
sonderen Bedacht  zu  legen  seyen. 

jyto  Verdienet  das  Commereium  zu  und  aus  dem  Littorali  austriaco 
eine  Haupt- Consideration,  worüber  und  was  alldorten  sich  vor  Mängel  be- 
finden und  was  etwa  nuzlich  einzurichten  seye?    Vorhin  ganze  Deductiones 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  335 

vorhanden  seyend  und  gleichwie  viele  dieser  Mängeln  jedoch  nur,  insoweit 
selbe  in  das  Justiz-  und  Polizei-Weesen  einschlagen,  durch  die  österrei- 
chische Hof-Kanzley  und  Commercien-Direction  alsogleich  abgestellet  werden 
können ;  als  wird  hingegen  über  all  dasjenige  was  allda  und  Innerösterreich 
zu  dem  Commerciali  gehöret,  allein  bey  dem  Euch  anvertrauten  Haupt- 
Directorio  zu  deliberirn  und  zu  Schlüssen  seyen,  allerrnaassen  dann  die 
dortige  Intendanza,  wie  solches  hiemit  geschiechet  mit  ihrer  Dedendenz 
lediglich  an  Euch  angewiesen,  mithin  allein  und  unmittelbar  ihre  Rela- 
tiones  an  Euch  zu  erstatten  und  von  Euch  ihr  Verhaltungs-Befehl  zu  ge- 
warten haben  wird. 

Vto  Ist  auch  für  die  Einrichtung  ordentlicher  Commercial-Strassen 
umb  denen  häufigen  Zoll-Defraudationibus  vorzubeugen,  sobald  nur  immer 
thunlich,  vorzudenken,  überhaupt  aber  und 

VIto  wird  bey  dem  General-Commercien-Directorio  über  den  Zusam- 
menhang des  erbländischen  Commercii  mit  frembdem  Nationen  und  die 
dabey  sich  ereignende  Anstände  oder  Vortheile  zu  berathschlagen  seyn, 
zu  welchem  End  Wir  dann  die  Ministros  Fremder  Puissancen ,  welche 
des  Commerciums  halber  hierorts  was  anzubringen  haben  oder  einen 
Commerzial-Tractat  anstossen  wollen,  an  Euch  anweisen  lassen  werden, 
um  es  nachgehends  und  conferencialiter  vortragen  zu  lassen  und  zu  resol- 
viren.  —  Deine  Ihr  also  in  Allen  wie  nachzukommen  schon  wissen  werdet 
und  Wir  verbleiben  etc. 

Wien,  den  6.  April   1746. 

III. 
Lieber  Baron  Bartenstein! 

Bey  Einrichtung  deren  SteUen  habe  Ich  den  höchsten  Entscbluss 
gefasst,  dass  Mein  Commercien-Rath  künftighin  von  allen  andern  Hofstellen 
abgesondert,  und  mit  einem  eigenen  Praesidenten,  so  wie  mit  eigenen 
bey  keinem  anderen  Stellen  angestellten  Räthen  besetzet  werden  solle ; 

Ich  gesinne  dahero  hinmit  an  Euch  gnädigst,  womit  Ihi  über  die 
Commercialgeschäfte,  welche  bishero  unter  dem  Grafen  Rudolph  Chotek 
dirigiret  worden  sind,  bis  dahin,  als  Ich  den  künftigen  Commerc'.enrath 
reguliren  werde,  ad  interim  das  Praesidium,  nach  dem  in  euere  diesfällige 
Känntniss,  in  der  Euch  beywohnenden,  Mir  wohl  bekannten  Geschicklichkeit, 
setzenden  gnädigsten  Zutrauen  übernehmen,  und  führen,  auch  deren  in  dem 
anschlüssigen  Schemate  begriffenen  Räthen  und  Secretären  provisorie  zu 
diesem  Commercial-Departement  Euch  gebiauchen  sollt.  Mit  kaiser-.  königl-, 
und  Erz-Herzoglichen  Gnaden  Euch  wohlgewogen  verbleibend.  Wien  den 
27.  Jennei    1762. 

Maria  Theresia. 

IV. 
Handschreiben   an  Herberstein  praes.   8.  März   1762. 

Ich  habe  verschiedentlich  wahr  genohmen,  dass  Meine  nun  angestellte 
Vinanzpräsiedenten  über  die  Execution  des  von  Mir  vestgesetzten  neuen 
Finanzsystematis  sich  nicht  wohl  vereinigen  können;  da  nun  die  Ursache 
dieser  Umständen  in  dem  bestehen  dürfte,  dass  ein  so  andere)  derenselben 
sich  noch   keinen    vollkommenen  Begrif  von  denen  Gränzen  seinen  Amts- 


336  B  e  e  r- 

Verrichtung  gemacht  haben  müsse,  und  vielleicht  auf  die  alte  Einrichtung 
zu  viel  zurück  gesehen  werden  wolle.  So  finde  erforderlich  Meines  Dienstes 
zu  seyn.  zu  Behebung  dieser  difficultäl  en  denen  dreien  Finanz-Praesidenten 
die  hier  anschlüssige  das  gefaste  System  erläuternde  Punkten  zu  dem  End 
mitzutheilen ,  auf  dass  Sie  hierüber  sogleich  zusammentreffen,  die  Gegen- 
stände sammt  und  sonders  genau  erwegen,  und  Mir  sodann  ohnverschieb- 
lich  ihr  gemeinschaftliches  Gutachten  erstatten  solkn. 

Allein  bevor  seze  Ich  voraus,  dass  das  vor  Mir  entschlossene  System, 
von  welchem,  als  einer  in  der  Natur  deren  Sachen,  und  in  der  besten 
Ordnung  gewidmeten  Einrichtung,  die  sich  in  alle  Theile  der  Finanz-  und 
C  r  e  d  i  t  -Wesens  erstreckt,  Ich  keineswegs  abzugehen  gemeinet  bin,  nicht 
wohl  möglich  bestehen  könne,  wenn  die  für  solches  wohlgestelte  Ilaupt- 
Principia  nicht  genauest  beobachtet  und  auf  solche  nicht  in  allen  herfür 
berechnenden  Fällen  sogleich  zurückgesehen  werden  will,  daher  gegen, 
wenn  zu  solchen  recurriret  wird,  sich  jeder  noch  so  anstössig  rechnender 
Casus  entwickeln  muss. 

Kraft  dieser  Grundsätzen  ist  die  Verwaltung  deren  Gefällen,  die  Geld- 
einnahme, und  Ausgabe,  dann  die  Verrechnung,  so  ehedeme  mit  einander 
vereiniget  waren,  und  unter  einer  Direction  stunden,  abzusondern,  von 
Mir  beschlossen  wordeu,  wodurch  also  das  gesammte  Finanzwesen  ein 
andere  Gestalt  erhält,  und  was  die  Cammer  vor  diesem  allein  war,  sich 
nunmehro  in  die  drey  Finanzstellen  eingetheilt  befindet,  dergestalten,  dass 
diese  drey  von  nun  an  die  vorherige  Agenden  der  Cammer  abgesonderter 
zu  verrichten  habe;  woraus  sich  von  selbsten  folgert,  dass  die  Cammer 
sich  in  ihren  Amts-Handlungen  alleine  mit  der  Administrirung  aller  Meiner 
Gefällen  zu  beschäftigen,  somit  diese  zu  vermehren,  und  die  auf  das  Höchste 
gebrachte  bey  Kräften  zu  erhalten  habe;  dass  ferner  alle  Einkünften  der 
Monarchie  in  die  Caisse  generale  einfliessen,  und  hinwiederumen  alle  Aus- 
gaben derselben  durch  solche  bestritten  werden  müssen,  und  dass  end- 
lichen von  der  Eechenkammer,  als  der  Controlle  generale  ohne  Ausnahme 
in  all  dasjenige  frey  und  independent  zu  besorgen  seye,  was  von  deren 
gesammten  bishero  von  denen  Stellen  abhängig  gewesenen  Buchhaltereyen 
bewirket  worden. 

Weiters  hat  die  bereits  aufgetragene  Verfertigung  des  so  genannten 
Staatsinventarii  eine  deren  vorzüglichsten  Bsechäftigungen  der  dreyen 
Finanz  -  Praesidenten  zu  sein,  da  ohne  solchen  weder  in  Credit,  noch  in 
dem  übrigen  Finanz-  und  Administrationswesen  etwas  Grosses  als  Voll- 
kommenes zu  Stande  gebracht,  weder  eine  richtige  Balance  zwischen  den 
Staatseinnahmen  und  Ausgaben  gezogen  werden  kann.  Ich  sehe  solchem- 
nach  als  die  dringlichste  Notwendigkeit  an,  womit  dieses  so  wichtige,  als 
weitläufige  Werk  zu  seiner  baldigen  Richtigkeit  und  Endschaft  gebracht 
werde,  und  übertrage  dahero  hiemit  die  zu  Erreichung  dieses  Endzweckes 
bishero  unter  dem  Praesidio  des  Rudolph  Chotek  niedergesetzt  gewesene 
Finanz-Commission  an  die  drey  Finanz-Praesidenten,  welche  eine  vollstän- 
dige Nachricht,  wie  weit  die^e  gekommen,  einzuziehen,  mit  dieser  Arbeit 
in  öfteren  Zusammentretungen  fortzufahren  und  sich  hiebey  nach  denen 
an  die  ernannte  Commission  ergangenen  abschriftlich  beischliessenden  Ver- 
ordnungen zu  richten  haben. 
Maria  Theresia. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  337 


An  den  Grafen  Herberstein  praes.   31.  März   1762. 

Mir  liegt  einestheils  nichts  mehreres  als  die  Aufrechterhaltung  des 
Banco-Credits  am  Herzen,  anderseits  aber  vermag  Ich  in  Zurücktretung 
auf  das  erste  Banco-Institutum  des  Mir  und  Meiner  Camer  wegen  Meiner 
dem  Banco  verpfändeten  Cameral- Gefälle  zukommenden  Compossessrechts 
in  der  Administrirung  derenselben  Mich  keineswegs  zu  begeben ;  Ich  habe 
dahero  nach  reifer  Erwägung,  wie  theils  ein  und  das  andere  in  seine 
Kraft  und  Wirkung  gesetzt  werden  könne,  zum  Theil  hingegen  jene  Be- 
schwerlichkeiten ,  welche  sich  bey  der  Auf-  und  Einsicht  der  Banco- 
Gefällen- Administration  jetzt,  oder  künftig  ergeben  dürften,  gehoben  wer- 
den mögen,  kein  ausländlicheres  Mittel  vorgefunden,  als  dass  der  Camer- 
Präsident  qua  compossessor  allen  in  Banco-Gefälls-Administrations-Sachen 
gehalten  werdenden  Banco-Eaths-Sessionen  ordentlich  mit  etwelchen  seinen 
Hof-Camer-Käthen  beywohne,  was  Er  bey  denen  allda  verhandlet  werden- 
den Gefälls  -  Anliegenheiten  Meines  dienstes  zu  seyn  findet,  erinnere,  und 
so  oft  die  Meinungen  des  Camer-Präsidentens  mit  jenen  des  Banco-Präsi- 
dents  nicht  conform  wären,  ein  so  andere  Mir  zu  Meiner  Entscheidung 
vorgeleget,  weiters  jede  Expedition  von  dem  Camer  -  Präsidenten  ehevor 
vidirt  und  alsdann  von  dem  Banco-Präsidenten  expedirt  werden  solle. 

Nachdem  in  Ihn  sowohl  als  den  Hatzfeld  setzenden  Vertrauen  versehe 
Mich  zum  Voraus,  dass  sich  beide  zur  Beförderung  Meines  Dienstes,  und 
zu  Erreichung  obigen  Endzweckes  vollkommen  gemeinschaftlich  eingehen 
werden;  Er  hat  demnach  mit  Hatzfeld  sogleich  zusammenzutreten,  und 
verstatte  Ich  Ihm,  dass  Er  Mir,  wenn  Er  etwas  gegründetes  hierwegen 
einzuwenden  hat,  bis  Morgen  Abends  seine  Gutmeinung  schriftlichen  er- 
öffnen möge.  Maria  Theresia. 

VI. 

Nachdem  an  der  Emporbringung  des  Commercii  Alles  gelegen  und 
ein  jeder  Staat  darauf  als  auf  einen  seiner  vornehmsten  und  wichtigsten 
Gegenstände  den  sorgfälligsten  Bedacht  zu  nehmen  hat,  und  Ich  auf  dieses 
so  beträchtliche  Object  Mein  vorzüglichstes  Augenmerk  richte,  so  hat  der 
Commercienrath  nun  allem  bevor  jene  unverbesserliche  dem  dermaligen 
Systemati  ganz  gemässe  Grundsätze,  welche  im  J.  1749  zu  Erhebung 
Meines  teutsch-erbländischen  Commercii  und  deren  Manufacturen  ange- 
nohmen  und  dem  Publico  verkündigt,  worden,  zu  seiner  Kichtmass  zu 
nehmen  und  Mir  vorzuschlagen,  auf  was  Art  und  Weise  und  mit  was 
für  einleuchtenden  Begünstigungen  derselbe  nach  diesem  Fuss  das  Com- 
mercium einzurichten,  eine  prompte  Justiz  einzuführen,  dann  was  er  zur 
Beförderung  Handels  und  Wandels  in  Ansehung  deren  Mäuthen,  dann 
wegen  deren  bishero  arbitrarie  ausgelegt  —  und  exequirten  Tarifen  für 
Ziel  und  Mass  nehmen  wolle,  allermassen  wenn  nach  diesen  wirklichen 
Grundsätzen,  davon  der  Commercienrath  die  sammetliche  Acta  vorhanden 
hat,  gearbeitet  und  diese  allenthalben  in  den  Vollzug  gesetzt  werden,  deren 
gedeihliche  Wirkungen  sich  von  selbsten  ergeben  und  in  dessen  Folge 
die  Inländeer  ihre  Industrie  vermehren,  die  fremde  Negocianten  ihre  Comp- 
Mittheilungen  XV.  22 


338 


Beer. 


toirs  in  Meine  Landen  selbsten  einlegen  und  dadurch  die  Manufacturen 
und  Commercien  in  wenig  Jahren  allgemein  werden  müssen.  Es  kommet 
also  alles  darauf  an,  dass  diese  allschon  bestehende  heilsame  Anordnungen 
allenthalben  in  ihren  Vollzug  gesetzet  werden,  welches  jetzo  leichter  als 
vormalen  geschehen  mag,  nachdem  die  Sachen  allenthalben  schon  vor- 
bereitet und  zu  endlicher  Execution  reif  sind.  Die  Manufacturen  sind 
bereits  in  grosser  Menge  und  fast  in  allen  Gattungen  eingeführt,  das  Volk 
gewöhnet  sich  zur  Industrie,  der  Willen  zu  denen  Commercien  erhebt  sich 
und  die  Fremden  richten  schon  ihre  Aufmerksamkeit  auf  diese  veränderte 
Gestalt  der  Sachen;  Was  also  im  J.  1749  nur  zu  wünscheu  und  schwer 
zu  erreichen  gewesen,  dieses  kann  nunmehro  verlässig  gehoffet  und  leicht 
erlanget  werden.  Die  schwere  Last  deren  Mauthen  ist  der  alleinige  Ge- 
genstand, welcher  annoch  zu  überwinden  ist;  die  Notwendigkeit  dessen 
ist  schon  1749  erkennet  worden,  damahlen  aber  wäre  die  Ausführung 
schwerer  als  jetzo,  denn  zu  selbiger  Zeit  hätte  eine  gewisse  Erträg- 
niss  für  eine  künftige  Hoffnung  hintangelassen  werden  müssen,  der- 
mahlen  aber  zeigt  sich  die  Eückgabe  dessen,  was  auf  der  einen  Seite  nach- 
gelassen wird,  sogleich  wiederum  auf  der  andern  und  die  Hoffnung  ist 
bestens  begründet,  dass  diese  Rückgabe  sich  noch  vervielfältigen  wird, 
nachdeme  die  in  mittelst  errichteten  Manufacturen  und  das  daraus  ent- 
springende Commercium  nur  auf  diese  Erleichterung  warten,  um  sodann 
sich  allenthalben  zu  verbreiten.  Deme  kommet  hinzu,  dass  die  beglückte 
Lage  der  Sachen  sich  in  meinen  teutschen  Erblanden  eben  in  der  Zeit 
darstellet,  da  in  den  meisten  übrigen  Landen  die  Manufacturen  und  Com- 
mercien gehemmet  sind  und  durch  die  mehrj ährige  Hemmung  von  selbsten 
einen  anderweitigen  Zug  suchen,  sofort  sich  dahin  wenden,  wo  sie  eine 
Begünstigung  finden.  Der  Commercienrath  hat  demnach  zu  allenthalbiger 
Execution  des  ernannten  anno  1749  erwählten  Grundsätze  ohnversichtlich 
fürzuschreiten,  und  wenn  auch  was  dazu  nöthig,  mit  der  Kanzley,  Kammer 
und  Bancodeputation  zu  berichtigen,  insonderheit  aber  wegen  des  Mauth- 
wesens  und  deren  Tarifen  sich  mit  denen  obbemeldeten  Stellen  angelegen 
zu  halten,  damit  dieses  allenthalben  in  eine  solche  Ordnung  gebracht 
werden  möge,  dass  dabey  all  denen  Manufacturen  und  dem  Commercio 
schädliche  Beschwerungen  und  Unannehmlichkeit  behoben  werden,  wo  so- 
dann und  wenn  ein  so  anderes  in  das  rechte  Geleis  eingeleitet  seyn  wird, 
zu  der  so  nöthigen  als  ersprieslichen  Verbindung  deren  Commercien 
Meiner  Niederlanden  mit  denen  teutschen  zu  Werk  gegangen  werden  kann. 
Im  Uibrigen  theile  Ich  ihme  den  beiliegenden  Antrag  wegen  Erzeu- 
gung des  Abbatuchs  in  Meinen  Landen  mit  und  erwarte  darüber  seine 
Gutmeinung,  wornächst  Altem  bevor  getrachtet  werden  muss,  dass  der 
das  Anerbieten  machende  Kaufmann  behandelt  werde,  diese  Tuchsorten- 
fabrik in  Kärnthen  oder  einer  andern  Meiner  teutschen  Provinz  anzulegen. 

VII. 

An  den  Grafen  Andlern,  präs.   2.  April   1762. 
Es  ist  zwar  vorhin    mit    allem    Eifer   behauptet   worden,    dass   beim 
Transito  und  übrigen  Mauthwesen  Alles  in  der  Eegel  sei,    dermalen  aber 
zeigt  sich  das  gerade  Gegentheil.      Das  im  Jahre   1749    allhier   publicirte 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  339 

Avertissement  enthält  allerdings  die  richtigsten  Grundsätze,  es  ist  aber 
denen  selben  schnurgerade  zuwider  gehandelt  worden.  Um  also  bei  ein 
und  dem  anderen  denen  Gebrechen  abzuhelfen,  und  den  rechten  Weg  ein- 
zuschlagen, so  ist  zwischen  denen  dreien  Finanzstellen  und  dem  Com- 
merzienrath  nicht  nur  über  das  Mauthwesen,  sondern  auch  über  die  Art 
der  weiteren  Ausarbeitung  eine  Concertation  zu  pflegen,  und  dabei  die 
wichtige  Frage  in  Erwägung  zu  ziehen,  ob  und  wieweit  gleichförmige 
Tarifen  für  alle  meine  Länder,  Hungarn  cum  annexis  provinciis,  dann 
Tyrol  und  die  Vorlande  ausgenommen,  allwo  ganz  andere  Massregeln  ge- 
braucht werden  müssen,  entwarfen  und  ob  alle  inländicche  Mauthen  ab- 
geschafft, somit  auf  die  äusserste  Grenzen  transferiret,  auch  wie  alle  Ge- 
brechen bei  der  Manipulation  und  Eegie  des  ganzen  Mauthwesens  abge- 
stellet  und  vollkommenere  Einrichtungen  zu  Stande  gebracht  werden 
könnten,  massen  nichts  gewisseres  ist  als  dass  eine  gute  Regie  oder 
Fenne  mixte  oder  andere  Wege  sehr  namhafte  Summen  profitiret  werden  1). 

Maria  Theresia. 

VIII. 
An  den  Grafen  Herberstein  praes.  am   17.  Juni   1762. 

Ich  habe  den  hiesigen  Regierungs-Canzler,  welcher  die  Fortsetzung 
des  Codicisa  austriaci  unternimmt,  durch  eine  Behörde  anweisen  lassen, 
mit  jeder  Hof-Stelle  über  jene  Generalien,  so  sie  betreffen,  u.  welche 
publici  juris  gemacht  werden  können,  die  vorläufige  Ueberlegung  zu  pflegen, 
welches  also  in  Ansehen  jener  Stücken,  so  das  Camerale  betreffen,  zu 
beobachten  ist. 

IX. 

Eigenhändiges  Handbillet  an  den  Grafen  Choteck. 

Empfangen  am  18.  Dezember  1762. 
Ich  will,  dass  alle  Mittwoch  die  verordnete  Zusammentretung  mit 
den  drey  Finanz-  oder  anderen  Stellen  solle  gehalten  werden,  und  zwar 
um  9  Uhr  früh,  die  Präsenzen  allezeit  beyzusetzen,  und  das  Protokoll 
Mir  allezeit  davon  abzugeben,  hoffend,  dass,  nachdem  der  Tag  benennet 
ist,  alle  präparirt  seyn  werden  und  die  Sachen  endlich  allda  sollen  aus- 
gemachet  werden,  denn  unmöglich  die  Sachen  so  lange  gehen  können 
künfftig  ä). 

X. 

An  Grafen  Hatzfeld  den  20.  Junii   1765. 

Wehrend  der  Zeit  Meiner  Abwesenheit  sind  die  an  Mich  erstattende 
Vorträge  alhier  zu  Händen  des  geheimen  Secretarii  Hölzel  verschlossener 
abzugeben,  so,   dass  solche  täglich  bis  abends  dahin  gelangen,  allermassen 


')  An  den  Grafen  Herberstein  5.  April  1762. 

2)  Diese  Verordnung  hatte  zu  circuhren   bey    den  Grafen  Breuner,    Johann 
Chotek,  Herberstein,  Hatzfeld,  Zinzendorf,  Andlern. 


22 


340  Beer- 

derselbe  bereits  angewiesen  ist,  dasjenige,  was  an  Mich  zu  befördern 
kommet,  von  Tag  zu  Tag  bis  Abends  um  8  Uhren  abzuschicken.  Die 
Aufschrift  bei  diesen  verschlossenen  Vorträgen  ist  von  aussen  gewöhn- 
lichermassen  an  Mich  zu  stellen,  doch  werden  diejenigen,  wo  etwa  zu 
Meiner  besonderen  und  unmittelbaren  Wissenschaft  etwas  anzuzeigen,  oder 
vorzustellen  befunden  wird,  besonders  einzumachen,  und  wird  von  aussen 
noch  die  Anmerkung  zu  Meinen  Händen  beyzusetzen  seyn.  Wo  übrigens 
Meiner  schon  ergangenen  Anordnung  gemäss  ist,  dass  in  den  Vorfällen, 
bey  welchen  Periculum  in  mora  obwaltete,  und  wo  die  Stellen  für  sich 
fürzugehen  sich  nicht  getraueten,    an    den  Breüner    sich  gewendet  werden 

solle. 

Maria  Theresia  accepi   21.  Junii    1763. 

XI. 

Meine  Willens  Meinung  gehet  zwar  dahinne,  doch  während  meines 
bevorstehenden  Aufenthalts  in  Tyrol  die  hiesigen  Stellen,  so  wie  bishero, 
operiren  sollen.  Da  sich  aber  solche  Vorfälle  ereignen  könnten,  bei  welchen 
periculum  in  mora  obwaltete,  und  wo  die  Stellen  für  sich  fürzugehen  sich 
nicht  getrauten ;  so  habe  in  solchen  Fällen  Meinem  Obersten  Justiz-Praesi- 
denten  die  Besorgung  hierüber  aufgetragen,  als  welcher  sodann  die- 
jenigen Eäthe,  welche  er  hierzu  nöthig  findet,  vorzuruffen,  das  erforder- 
liche zu  verfügen,  und  was  geschehen,  Mir  schleunigst  zu  berichten  haben 
wird.  Und  falls  sich  etwann  während  meiner  Abwesenheit  solche  Zufälle 
ereignen  sollten,  in  welchen  der  gedachte  Breüner  einer  schleunigen  Geld- 
hülfe benöthiget  wäre;  so  ist  demselben  das  erforderliche  auf  seine  An- 
weisung ohne  Vorschub  zu  verabfolgen. 

Maria  Theresia. 

XII. 

Zu  mehrerer  Beförderung  der  Expeditionen,  sind  in  der  Zeit  meiner 
Abwesenheit,  die  Kescripte  oder  Befehle  in  jenen  Geschäften,  die  Meine 
Unterschrift  erfordern,  ad  mundum  geschriebener,  den  mir  einschickenden 
Vorträgen  beyzulegen,  damit  Ich  solche,  nebst  der  ertheilenden  Reso- 
lution  auf  den  Vortrag,  unterschriebener  zurück  schicken  möge. 

Grätz  d.  8.  Juliy   1765.  Maria  Theresia. 

XIII. 

An  Graf  Hatzfeld,  den  26.  August   1765. 

Aus  dem  nebenfindigen  Anschluss  erseht  er  des  Mehreren,  wie  Ich 
die  Eintheilung  der  agendorum  zwischen  der  Kanzley  und  den  Finanz- 
stellen nach  dem  getroffenen  gemeinschaftlichen  Einverständniss  zu  be- 
gnehmigen  befunden.  Hiernach  wird  also  von  Seiten  der  Finanzstellen 
das  gehörige  Eichtmass  zu  nehmen  und  das  weiters  Nöthige  annoch  zu 
verfügen  seyn,  damit  dieses  System  mit  dem  Eintritt  des  nächstkünftigen 
Militärjahres  anzufangen  zur  allseitigen  Beobachtung  gebracht  und  forthin 
auf  das  genaueste  eingehalten  werden  möge.  Zugleich  will  zur  künftigen 
Nachachtung  noch  festgesetzt  haben,  dass 


Die  Finaiizverwaltung  Uesterreichs  1749  —  1816.  341 

I.mo  die  Benennung  der  Länder-Capi  und  die  Bestellung  der  Güber- 
nien  wie  auch  der  Kreishauptleuten  mittelst  eines  gemeinschaftlichen 
Vortrages  der  Kanzley  und  der  Kammer  künftig  zu  geschehen  habe, 
dann  dass 

II.db  besondere  Senatus  bey  jedem  Landesgubernio  unter  dem  Vorsitz 
des  Landes-Capi  mit  2  oder  3  Käthen  anzustellen,  welche  das  Contribu- 
tionale  und  das  Finanzwesen  jeden  Landes  unter  dem  Namen  des  ganzen 
Gubernii  zu  besorgen  haben  sollen.  Im  Uebrigen  kann  circa  modum  und 
concertationem  dann  circa  delectum  personarum  die  nähere  Einverständniss 
zwischen  denen  Capi  derer  Stellen  annoch  gepflogen  und  ein  so  anders 
nach  geineinschaftl.  Befund  berichtigt  werden. 

Maria  Theresia. 

Dem  Handschreiben  vom   26.  August   1765   beiliegend. 

Jene  Agenden,  welche  die  böhmish-österreich.  Hofkanzley  mit  der 
Hofkammer  zu  concertiren  hat,  sind  die  folgenden:  Die  Postulirung  und 
Bewilligung  der  Contribution,  die  Festsetzung  neuer  Kectificationsprincipien 
oder  anderweitiger  Bestimmungen  der  Länderproportion,  wobey  die  Rechen- 
kammer bezüglich  der  Berechnung  mitzuconcurriren  hat,  desgleichen  die 
Rectificationsbeschwerden,  wenn  die  Hofkanzley  auf  einen  Nachlass,  mithin 
Abfall  von  dem  Contributionsquantum  anträgt,  die  Postulirung  und  Be- 
willigung der  geistlichen  Quinquennalcollecte  sollte  auf  dem  Fuss  wie  es 
mit  den  ständischen  Postulaten  gehalten  wird,  bleiben;  die  Ausmessung 
des  ständischen  Status  domestici,  die  Festsetzung  der  Anzahl  der  Personen 
und  der  Gehalte,  die  Fälle  einer  sich  äussernden  Hungersnoth  oder  anderer 
Landplagen  insoferne  es  auf  ärarische  Vorschüsse  ankommet,  die  Repara- 
tions-  und  Strassenangelegenheiten,  wenn  die  Kammer  einen  Beitrag  zu 
leisten  hat,  die  Lehensangelegenheiten  nach  der  Instruction  der  Hofkanzley, 
die  Fiscalitäten,  Abfahrtsgelder,  wenn  es  sich  um  Vermehrung  oder  Ver- 
minderung der  landesfürstl.  Einkünfte  oder  um  den  Nutzen  und  Schaden 
derselben  handelt,  das  Postregale,  insoweit  es  als  ein  Erbamt  oder  Lehen 
anzusehen  kommt,  wurde  der  Kanzley  zugewiesen;  die  Obsorge,  damit  das 
Publikum  mit  einer  guten  Münze  versehen  und  der  Münzfuss  aufrecht 
erhalten  werde,  das  Einvernehmen  mit  benachbarten  Staaten,  die  Publi- 
cation  der  von  der  Kammer  mit  der  Kanzlei  vereinbarten  Patente  wurde 
der  Kanzlei  übertragen;  städtische  und  ständische  Anticipationen,  welche 
der  Hof  fordert,  sollten  auf  die  nämliche  Weise,  wie  die  Postulatsange- 
legenheiten behandelt  werden. 

Folgende  Agenda  der  Hofkammer  hat  dieselbe  mit  der  böhmisch- 
österreich.  Hofkanzlei  gemeinschaftlich  zu  concertiren:  die  Entwerfung  der 
Postulate,  die  Festsetzung  der  Executionsordnung  zur  Eintreibung  der 
Contribution,  wogegen  die  Kammer  die  Art  an  die  Hand  zu  geben  hatte, 
und  solche  nach  dem  mit  der  Hofkanzlei  darüber  gepflegten  Einver- 
ständniss den  Länderstellen  vorzuschreiben  hatte;  die  in  Cameralsachen  zu 
erlassenden  oder  abzuändernden  Patente,  welche  die  Kammer  zu  entwerfen  und 
der  Hofkanzlei  zur  Einsicht  mitzutheilen  hatte,  falls  dieselbe  einen  Anstand 
fand,  durch  eine  gemeinschaftl.  Zusammentretung  behoben  werden  oder  wenn 
die  Meinungen  sich  nicht  vereinigen  konnten,  das  Protokoll  zur  allerhöchsten 
Schlussfassung  vorgelegt  werden ;  die  Ausübung  von  Gerichtsbarkeiten,  die 


342  B  e  e  r- 

Versetzung  oder  Veräusserung  von  landesfürstl.  Gefällen  an  auswärtige 
Fürsten  und  Partikularen,  das  Postwesen,  wenn  es  sich  um  Errichtung 
eines  neuen  Postcurses  oder  Postwagens,  um  Abänderungen  der  Stationen, 
um  Erhöhung  oder  Verminderung  des  Postportos  und  Postgeldes  zu  thun 
handelt.  Alle  übrigen  Angelegenheiten  in  dieser  Richtung  das  Postwesen 
betreffend  hatte  die  Kammer  allein  zu  besorgen. 

Folgende  Angelegenheiten  werden  ausschliesslich  der  Kammer  über- 
wiesen: alle  Contributionsbegebungs-  und  Eintreibungsangelegenheiten, 
insbesondere  das  jüdische  Contributionswesen,  die  Eintreibung  des  Relui- 
tionsquantums,  wenn  die  ausgeschriebene  Recrutirung  von  den  Ländern 
mit  Geld  reluirt  werden  könne,  die  Kriegs-,  Feuer,  Wetterschäden,  Boni- 
ficationsfälle ;  wenn  es  auf  einen  Nachlass  an  dem  Contributionale  oder 
Beitrage  vom  Aerar  ankommt,  sowol  in  Ansehung  der  gesammten  Länder 
als  auch  einzelner  Unterthanen;  die  Hofkanzlei  konnte  jedoch  in  dieser 
Richtung  billige  Vorstellungen  machen ;  die  alten  Kammerschulden- 
angelegenheiten in  Böhmen,  die  Besorgung  des  Proviantmaterials  für  das 
Fuhrwesen  und  die  Landesvorspann,  sollte  es  sich  jedoch  hierbei  um  ein 
vorläufiges  Ansinnen  an  die  Stelle  handeln,  so  hat  solches  durch  die  Hof- 
kanzlei sowie  alle  übrigen  Postulate  an  die  Stände  zu  gelangen;  Einsicht 
in  die  Regie  aller  den  Ständen  und  der  Stadt  Wien  eingeräumten  Fonde 
sowie  in  die  ständische  Cassa- Verwaltung,  der  Hofkanzlei  waren  jedoch 
die  Extracte  oder  Bilanzen  einzuschicken,  damit  dieselbe  von  dem  Activ- 
und  Passivstande  eines  jeden  Landes  sowie  der  Stadt  Wien  jederzeit  in- 
formirt  sein  möge  und  etwaige  Vorstellungen  machen  könne;  die  Besorgung 
aller  zur  Universalschuldencassa  gehörigen  Fonde,  alle  ständischen  und 
städtischen  Anticipationen,  welchen  Namen  sie  haben,  geistliche  und  welt- 
liche Subsidien,  das  ständische  Creditwesen,  die  Interessezahlungen  u.  s.  f., 
alle  diese  Angelegenheiten  waren  jedoch  der  Hofkanzlei  nach  der  Aus- 
fertigung der  betreffenden  Erlässe  mitzutheilen ;  die  Bonifiationen  für  ge- 
leistete Artillerie-  und  Munitionsremonten,  Recrutenproviant  u.  dgl.  m., 
die  Ausweisung  an  Ausmessung,  Eintheilung  und  Rückzahlung  der  Super- 
erogate, wobei  es  jedoch  den  Ständen  frei  stand,  wenn  sie  sich  von  der 
Kammer  beschwert  glaubten,  in  allen  Fällen  bei  der  Hofkanzlei  Hilfe  zu 
suchen ;  alle  Angelegenheiten,  welche  die  Erbsteuer,  Pferdesteuer,  Schulden- 
steuer, Interessesteuer  betrafen. 

Die  böhm.- Österreich.  Hofkanzlei  hat  mit  der  Rechenkammer  folgende 
Agenden  zu  concertiren:  die  Pensionen  und  die  Rectificirung  des  Be- 
soldungsstatus, die  Adjustirung  der  Reise-  und  Liefergelderparticularien, 
die  Bestellung  geringerer  von  der  Hofkanzlei  abhängender  Bedienstungen, 
solange  noch  Pensionisten  vorhanden,  die  nach  der  a.  h.  Vorschrift,  wenn 
sie  die  gehörige  Tauglichkeit  besitzen,  vorzüglich  anzustellen  sind,  die 
Einsicht  in  die  Rechnungen  über  die  Administration  des  Religionsfondes 
und  der  dahin  gehörigen  Intercalare. 

Selbstständig  konnte  die  Rechenkammer  vorgehen  in  Landesange- 
legenheiten, Respizirung  des  ständischen  Rechnungswesens,  Censurirung 
und  Adjustirung  der  ständischen  Präliminarien,  wovon  jedoch  die  Hof- 
kanzlei ebenfalls  Einsicht  zu  nehmen  hatte,  Einrichtung  der  ständischen 
Creditbücher  sowie  jener  bei  dem  stadtwienerischen  Oberkammeramte,  die 
Instruction   bezüglich    der   landwirthschaftl.  Cassarechnungen  und  sämmtl. 


Die  Finanzverwaltung  Uesterreicha  1749  —  1816.  343 

ständischen  Buchhaltereien ,  das  Kechnungswesen  des  stadtwienerischen 
Oberkammeramtes,  die  Besetzung  der  sämmtlichen  Gubernialbuchhaltereien 
in  den  Ländern  und  aller  bei  denselben  erledigten  Stellen,  die  Eevision 
der  Eechnungen  der  landesfürstl.  Städte  und  Märkte  sowie  das  stadt- 
wienerischen Oberkammeramtes,  ebenso  auch  der  milden  Stiftungs-  und 
Fundationsrechnungen. 

XIV. 
An  den  Grafen  R.  Chotek   1.  Januar   1766. 

Ich  habe  den  Entschluss  gefasst,  einen  Commissarium  eigens  in  die 
Länder  abzuschicken,  und  durch  selben  von  Land  zu  Land  den  Befund 
localiter  einheben  zu  lassen,  wie  die  in  commerciali  und  Manufacturswesen 
oder  sonsten  zum  Behuf  des  Nahrungsstandes  und  der  Population  be- 
stehenden Anordnungen  allenthalben  in  Erfüllung  gesetzet,  nicht  minder 
in  den  politischen  Anliegenheiten  und  überhaupt  in  Publicis  die  vor- 
schriftmässige  Ordnung  eingehalten  werde ,  wobey  auch  der  nämliche 
Commissarius  auf  sämmtliche  Cameral-Gegenstände  und  dasjenige,  was  die 
Rechenkammer  in  den  Ländern  erheben  zu  lassen  diensam  erachten  würde, 
die  Rücksicht  zu  wenden  und  nach  Anhandlassung  dieser  beyden  Stellen 
die  Nachforschung  zu  halten  haben  wird. 

Gleichwie  es  nun  anvorderst  auf  eine  diesem  Commissario  vorzu- 
schreibende bündige  Instruction  ankommt,  nach  welcher  er  seine  Operation 
in  jedem  Land  einzurichten  hat,  also  wird  die  Kanzlei  mit  dem  Com- 
mercien-Rath,  dann  den  beyden  Finanzpräsidenten  hierüber  die  gemein- 
schaftliche Ueberlegung  anstellen,  den  ausführlichen  Instructionsentwurf 
fassen  und  Mir  zu  Meiner  Begnehmigung  vorlegen,  was  sowohl  quoad 
commercialia  et  politica,  als  auch  ex  parte  camerali  und  von  Seiten  der 
Rechenkammer  diesem  Commissario  mitzugeben  sein  wird. 

Maria  Theresia. 

Hauptbeschäftigung  desselben,  heisst  es  in  der  Instuction,  werde  sein,  das 
Verhältniss  der  dermaligen  Population  mit  der  Agricultur  und  den  möglichen 
Industrial-  oder  Manufactursnahrungstrieb  zu  erheben,  und  in  welchem  Mass 
einem  oder  dem  Andern  der  Vorzug  zu  geben  sei.  Er  soll  die  Popu- 
lation in  einem  und  dem  andern  District  specifice  erheben,  solche  gegen 
den  Acker-  und  Feldbau,  diesen  gegen  die  Viehzucht  und  beide  gegen 
den  möglichen  Industrial-Nahrungstrieb  halten  und  also  mittelst  eines 
politischen  calculi  die  Ungleichheit  sowohl  als  die  künftighin  zutreffende 
Proportion  und  die  Mittel,  wie  zu  solcher  zu  gelangen,  anzeigen,  ohne  zu 
vergessen,  dass  es  bei  einem  diesfälligen  System  nicht  auf  eine  durchaus 
gleiche  arithmetische  Proportion  ankomme;  ob  und  was  für  Nutzen  aus 
den  bestehenden  Ein-  und  Ausfuhrverboten  erwachset  oder  für  die  Er- 
weiterung der  Manufacturen  und  der  allgemeinen  Nahrungsverdienste  an- 
zusehen sei,  wie  sich  dieser  Nutzen  gegen  die  ansonsten  mögliche  Be- 
völkerung, den  Ackerbau  und  die  übrige  Cultur  verhalte,  und  ob  also  zum 
Nachtheil  der  letzteren  die  Manufacturen  nicht  allzu  sehr  begünstigt  und 
das  Volk  aus  der  gehörigen  Proportion  zu  einer  minder  standhaften  und 
erträglichen  Nahrung  geleitet  werden  solle,  ob  die  Verbote  den  Verschleiss 


344  B  e  e  r- 

der  Productonim  ad  extra  dergestalt  hindern,  dass  solche  im  Land  nicht 
zu  gleichmässigem  Nutzen  gebracht  werden  können,  für  welche  der  be- 
nachbarten Länder  in  dem  commercio  mutuo  der  Vortheil  stehe,  woher 
der  merkliche  Unterschied  in  der  Qualität  und  in  den  Preisen  der  fremden 
und  der  Landesfabrikate  entspringe,  welche  Manufactursgattung  für  jedes 
Land  besonders  geeignet  sei,  wie  das  Commercium  mutuum  zwischen  den 
Erbländern  erleichtert  werden  könne,  ob  nicht  einige  Verbotsgesetze  vor- 
handen, mit  welchen  die  Absicht  schon  erreichet  worden,  und  die  also, 
da  derselben  ratio  aufgehöret  hat,  zu  beheben  sei,  ob  und  in  welchen 
Gattungen  die  überwiegende  Concurrenz  der  fremden  Waaren,  folglich  die 
Verminderung  der  innerlichen  Circulationsmasse  besser  durch  Mauth-  als 
durch  Verbotsgesetze  oder  durch  andere  Mittel  abzuhalten  sei. 

Eine  gleiche  Erwägung  verdiene  die  Frage,  wie  in  den  Ländern  die 
Stände  in  bessere  Begriffe  über  die  gemeine  Wohlfahrt  und  das  Verhältniss 
ihres  gegenwärtigen  Dominicals  mit  dem  allgemeinen  Nutzen  zu  setzen 
seien.  Bei  einigen  der  Hauptfabriken  in  jedem  Lande  solle  untersucht 
werden,  woher  das  Material  genommen,  wie  die  Manipulation  beschaffen 
sei,  wohin  der  Verschleiss  gehe  u.  dgl.  m. 

XV. 

An  d.  Grf.  Hatzfeld   16.  Xbrs   1766. 

Mir  ist  beigebracht  worden,  dass  die  Kanzlisten  bey  meinen  Stellen 
an  den  Sonntagen,  und  den  nicht  dispensirten  Feuertägen  forthin  die 
Kanzley  zu  besuchen  angehalten  würden,  dergestalten  zwar,  dass  sie  da- 
durch auch  zum  öftern  verhindert  wären,  den  Heilligen  Gottes  Dienst 
beyzuwohnen,  und  ihrer  Andacht  abzuwarten.  Wie  nun  meine  Gesinnung 
ist  womit  die  Beamte  von  Erfüllung  ihrer  Eeligionspflicht  keinen  Dingen 
abgezohen  werden:  also  ergehet  hiermit  Meine  Verordnung,  dass  von  nun 
an  bey  allen  Meinen  Stellen  hier,  und  in  den  Ländern  die  Einleitung  zu 
treffen,  womit  an  den  Sontägen,  und  den  nicht  dispensirten  Feuertägen 
nur  jedesmal  ein  oder  zwey  von  denen  Kanzlisten,  die  jedoch  vorhero  dem 
Gottesdienst  dienstgebührend  beygewohnt  haben  müssen,  wechselweis  sich 
einfinden,  um  die  etwa  vorfallen  mögende  mehr  dringende  Verrichtungen 
besorgen  zu  können;  die  übrige  sind  an  derley  Tagen  von  Besuchung  der 
Kanzley  gänzlich  frey  zu  lassen,  und  haben  vielmehr  die  Capi  darauf  die 
geflissenste  Obsicht  zuwenden,  damit  an  derley  Tagen  die  Beamte  dem 
Gottesdienst  beyzuwohnen,  und  das  Heülige  Wort  Gottes  anzuhören  nicht 
verabsäumen. 

An  denen  dispensirten  Feuertägen  werden  die  Kanzley-Beamten  sich 
zwar  in  denen  Kanzleyen  ferners  einzufinden,  doch  aber  Vormittags  jedes- 
mal erst  um  10  Uhr  daselbst  zu  erscheinen  haben,  damit  sie  keinen  An- 
stoss  nehmen  mögen,  hierwegen  von  Besuchung  des  Gottesdienstes  sich 
zu  entschlagen. 

Maria  Theresia. 

XVI. 

Des  Kaisers  Maj.  und  Liebden  haben  mit  Mir  den  vesten  Entschluss 
gefasst,  nichts  unversucht  zu  lassen,    damit    die    allzu    sehr   überhand  ge- 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749 — 1816.  345 

nommene  Vielschreiberey,  Langsamkeit  bei  dem  Lauf  der  innländi sehen 
Geschäfte,  und  nicht-Befolgung  der  ergangenen  Befehlen  aus  dem  Grund 
gehoben,  dass  eine  vollkommene  Kenntniss,  von  der  eigentlichen  Be- 
schaffenheit, Bevölkerung,  Wohnungsstand,  Wirtschaft  und  Staats -Bilance 
unserer  Erbländer  verschaffet,  und  zugleich  in  Ansehung  aller  Unserer 
Cameral- Gefälle  eine  solche  Einrichtung  getrofen  werde,  dass  man  von 
ihrem  Steigen  und  Fallen,  und  der  eigentlichen  Ursache  zu  jederzeit  eine 
hinlängliche  Auskunft  erhalten,  und  an  deren  Verbesserung  ausgiebig  ar- 
beiten können. 

Es  hat  also  der  Graf  über  die  beykommende  Fragen  Mir  sein  Dafür- 
halten baldmöglichst  zu  eröfnen,  und  Ich  zweifle  keineswegs,  dass  Er 
Meine  erwehnte  Absichten  zu  befördern  bestens  beflissen  seyn  werde. 

Maria  Theresia. 

An  Grafen  R.  Chotek  den   11.  Feb.   1768. 

Imo  Wie  die  bisherigen  Vielschreibereien  und  langsame  Operationen 
der  Stellen  abzustellen  seyen. 

jjdo  wie  der  Inexecution  der  ertheilten  Verordnungen  abzuhelfen,  und 
Ihro  Maj.  eine  bessere  und  sicherere  Känntniss  zu  verschaffen  sey,  ob  aller- 
höchst Dero  Befehle  besonders  in  den  Ländern  vollzogen,   oder  nicht? 

IIItio  Was  für  Mittel  annoch  an  Hand  zu  geben  seyen,  die  Gefälle 
überhaupt  zu  verbessern,  und  einträglicher  zu  machen. 

iyto  ob,  und  wie  eine  wirtschaftlichere  und  bessere  Einrichtung  in 
der  pereeption  der  Gefälle  zu  machen  und  die  Unterthanen  andurch  zu 
erleichtern  seyen? 

Vto  Ob,  und  was  für  Ersparungen  bei  den  Besoldungen,  Pensionen 
und  andern  Rubriken  zu  machen  seyen? 

yjto  wie  (jas  dermalige  Finanzsystema  zu  verbessern  seye. 

XVII. 
Handschreiben  an  Grafen  Hatzfeld,  den  28-  Febr.   1768- 

Ihme  habe  Ich  letzhin  Meine  Gesinnung  schon  eroefnet,  das3  Ich 
nichts  unversucht  zu  lassen  entschlossen,  damit  die  allzusehr  über  Hand 
genommene  Vielschreiberey,  Langsamkeit  bey  dem  Lauf  der  innländischen 
Geschäfte,  und  nicht  Befolgung  der  ergangenen  Befehle  aus  dem  Grund 
gehoben  werden  möge. 

Da  nun,  um  diese  Absicht  zu  erreichen,  anforderst  auch  die  ganze 
Manipulations-Art  einzusehen  seyn  will,  wie  dermalen  bey  der  Cammer 
in  allen  ihren  Abtheilungen  nach  der  bestehenden  Eintheilung  der  Agen- 
dorum  die  vorkommende  sämmtliche  Geschäfte  und  zwar  von  der  Zeit, 
wo  die  Exhibita  einlangen,  bis  zu  ihrer  Expedition  verhandelt  zu  werden 
pflegen,  auch  in  was  Art  der  Vollzug  der  ergehenden  Anordnungen  be- 
sorget, und  damit  solcher  nicht  unterbleiben  möge,  invigiliret  werde? 

So  wird  er  Mir  darüber  die  gründliche  Auskunft  demenächstens  vor- 
zulegen, auch  wenn  respectu  ein  oder  anderer  Agendorum  ein  verschie- 
dener Modus  manipulandi  beobachtet  würde,  solchen  Unterschied  zugleich 
gehörig  zu  bemerken  haben  haben. 

Maria  Theresia. 


346  B  e  e  r- 

Dasselbe  Handschreiben  am  selben  Tage  auch  an  Chotek  nur  anstatt 
Kammer:  Kanzley  sowohl  als  dem  Commercienrath. 

XVIIT. 

Handschreiben  der  Kaiserin  vom  28.  October   17  68  an  den  Grafen  Chotek. 

Ihme  ist  Meine  Entschliessung  ohnedies  schon  bekannt  gemacht  wor- 
den, dass  Ich,  um  die  Vielschreiberry  bey  den  Stellen  zu  verkürzen  und 
die  daraus  entspringende  Langsamkeit  in  der  Operation  zu  beheben,  all 
thunliche  Mittel  angewendet  wissen  will. 

In  dessen  Verfolg  theile  ihm  hiernebenfindig  diejenigen  Vorschläge 
mit,  die  sowohl  von  den  Stellen  selbst,  als  auch  anderweit  zur  Erreichung 
dieses  Endzweckes  an  Hand  gegeben  worden ;  Er  wird  darinn  die  behörige 
Einsicht  zu  nehmen,  und  inwieweit  ein-  und  das  andere  hievon  sowohl 
hier,  als  in  den  Ländern  mit  einer  guten  Wirkung  adaptiret  und  einge- 
führet  werden  könnte,  nach  Vernehmung  der  Behörde  reiflich  zu  über- 
legen, sofort  darüber,  auch  was  Erspiessliches  nach  Pflichten  annoch  an- 
zugeben weiss,  seine  Gutmeinung  weiters  zu  eröffnen  haben.  Sonder- 
heitlich wird  er  nach  Beschafenheit  deren  der  Kanzley  zugetheilten  Agen- 
dorum  einen  wohl  eingerichteten  Entwurf  verfassen  und  Mir  vorlegen, 
wie  die  Activität  der  Länderstellen  zu  erweitern  und  was  für  Anliegen- 
heiten  namentlich  ihrer  Besorgung  ohne  Rückfrage  zu  überlassen,  auch 
was  für  Agenda  wiederum  der  Hofstelle  in  der  Art  zu  übertragen  wären, 
um  für  sich  ohne  Einholung  Meiner  Entschliessung  fürgehen  zu  mögen. 
Im  übrigen  haben  Überhaupts  die  Stellen  sich  gegenwärtig  zu  halten, 
damit  die  erstattende  Vorträge  mit  Hinweglassung  der  überflüssigen  Weit- 
schichtigkeit,  die  zeithero  zum  öftern  dabey  bemerket  worden,  in  der  be- 
hörigen   auf  das  Wesentliche    eingerichteten  Schreibart  abgefasset  werden. 

Maria  Theresia. 

XIX. 

Handbillet  vom  28.  October  1768  an  R.  Chotek. 

Mir  ist  über  die  allseitige  Meinungen,  so  die  Capi  der  Stellen  über 
die  letztmals  vorgelegte ,  das  inländische  Regierungssystem  betreffende 
sechs  Fragen  abgegeben,  der  geziehmende  Vortrag  erstattet  worden,  und 
so  viel  es  die  seinem  Praesidio  unterstehende  böheimisch-österreichische 
Canzley,  dann  den  Commercienrath  belanget,  habe  Ich  hierüber  Meine 
Entschliessung  folgendermassen  abzuschöpfen  befunden. 

Imo  Kann  es  zwar  überhaupt  bey  der  Verhandlungsart,  die  bei  der 
Canzley  dermalen  eingeleitet  ist,  und  nach  welcher  die  Geschäfte  allda 
ihren  guten  Fortgang  gewinnen,  allerdings  sein  verbleiben  haben,  und 
nach  solcher  fortan  fürgeschritten  werden.  Gleichwie  er  jedoch  in  seiner 
Beantwortung  selbst  hat  einfliessen  lassen,  dass  einige  Agenda,  in  welchen 
derzeit  die  Canzley  nicht  anders  als  concertanter  mit  der  obristen  Justiz- 
stelle fürzugehen  hat,  annoch  eine  nähere  Auseinandersetzung  erforderten; 
also  wird  er  Mir  über  diesen  Gegenstand  den  besonderen  gutachtlichen 
Vorschlag  annoch  eröffnen,  wie  zur  Vermeidung  alles  überflüssigen  Aufent- 
halts nach  seinem  Befund  künftig  diese  Ausmessung  zu   fassen  wäre,  und 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  347 

ob  nicht  zum  Theil  derley  Agenda,  als  die  renovationes  magistratuum,  die 
concessiones  vemiae  aetatis,  die  interpretationes  privilegiorum,  die  Fidei- 
commiss-Anliegenheiten,  wo  es  um  deren  Errichtung  zu  thun  ist,  an  die 
Kanzley  gänzlich  übertragen  werden  könnten? 

IIdo  Ist  die  Besorgung  der  allgemeinen  Staatswirthschaft  unstreitig 
als  der  wichtigste  Gegenstand  der  politischen  Stelle  anzusehen  und  solle 
vor  andern  das  angelegenste  Geschäft  derselben  ausmachen;  Es  ge- 
höret hierzu  eine  so  viel  möglich  verlässliche  Einsicht  der  inländischen 
Population,  der  Landescultur,  der  Viehzucht,  der  wirklichen  Erzeugung  in 
allen  Gattungen  des  Manufacturwesens  und  sämmtlicher  Fabriquen,  der 
eigenen  Bedürfnisse,  und  Consumtion  in  ein  und  dem  andern,  dann  der 
Commerzial-  und  Mauthtabeilen,  aus  welch  Allem  der  wahre  Stand  der 
Staatswirthschaft  in  ein  so  anderen  behoben,  das  Passiv-  und  Activ-Com- 
mercium,  soweit  der  eigentliche  Bilanz  beurtheilt  werden  muss,  um  nach 
dem  Bestand  ein  und  des  andern  zu  weiteren  nützlichen  Verbesserungen 
die  Entwürfe  fassen,  sonderheitlich  aber,  wo  man  in  dem  Bilanz  annoch 
zurücksteht,  auf  die  Abhülfe  fürdenken  und  solchergestalten  zu  Vermehrung 
der  innerlichen  Kräften  von  Zeit  zu  Zeit  das  Diensame  anhandlassen  zu 
können. 

Obwohlen  bishero  zu  Verbesserung  dieser  innerlichen  Staatswirthschaft 
viel  Nützliches  allschon  bewirket  worden;  so  hat  jedoch  die  politische 
Stelle  der  Besorgung  dieses  höchst  wichtigen  Gegenstandes  in  derjenigen 
Mass  sich  nicht  unterzohen,  dass  daraus  ein  besonderes  Geschäft  sich  ge- 
macht, und  dieses  in  den  behörigen  Zusammenhang  behandelt  worden  wäre. 

Die  verschiedene  Tabellen  sind  allbereits  vorgeschrieben,  die  zu  den 
berührten  Kenntnissen  führen,  und  allenfalls,  soweit  es  erforderlich  zur 
mehrerer  Verlässlichkeit  annoch  gebracht  werden  können;  nur  hat  es  daran 
noch  gemangelt,  dass  aus  solchen  von  der  politischen  Stelle  das  ganze 
zusammengezohen,  und  mit  den  Betrachtungen,  die  sich  aus  dieser  Combi- 
nation  des  Ganzen  ergeben,  zngleich  die  nützlichen  Verbesserungsvorschläge 
von  Zeit  zu  Zeit  anhandgelassen  worden  wären. 

Da  Bäthe,  die  mit  den  anderweiten  Politicis  beschäftigt  sind,  ohn- 
möglich  diese  Besorgung  zugleich  auf  sich  nehmen  können,  worzu  mehr- 
fältig  besondere  und  genaue  Nachforschungen  erfordert  werden,  so  dürfte, 
um  dieser  Obliegenheit  das  volle  Genügen  zu  leisten,  allerdings  nöthig 
seyn: 

Erstens,  dass  diese  Besorgung  von  den  übrigen  Politicis  in  gewisser 
Mass  abgesondert,  und  hierzu  einige  dem  Werk  gewachsene  Subjecta  be- 
sonders verwendet,  dass  hingegen 

Zweitens  mit  dieser  Abtheilung  zugleich  das  Commerciale  verbunden, 
und  nach  seinem  Zusammenhang  unter  Einer  Besorgung  vereinbaret  werde, 
da  ohnehin  das  Commerzien-Weesen  als  ein  Haupt-Branche  der  Staats- 
wirthschaft zu  betrachten  kommet ,  und  durch  dieses  Departement  die 
Anstalten  zu  den  Verbesserungen  wenigst  in  den  mehrsten  Theilen  geleitet, 
und  zur  Ausführung  gebracht  werden  müssen. 

Er  hat  Mir  also  seinen  ausführlichen  Vorschlag  hierüber  demnächstens 
annoch  zu  eröffnen,  wie  er,  um  die  besagte  Absicht  zu  erreichen  dieses 
Commercial-Departement  unter  seinem  Praesidio  zu  bestellen,  und  in  die 
behörige  Activität  zu  setzen  glaubte,    wie    sonderheitlich  die  Eäthe  einzu- 


348  B  e  e  r- 

theilen,  dann,  ob  und  was  für  Subjecta  hierzu  annoch  erforderlich  und  zu 
benennen  wären? 

Da  übrigens  auch  sebr  erhebliche  Befrachtungen  in  deme  sich  er- 
geben, dass  dieses  Commercialdepartement  nicht  wohl  in  der  Form  eines 
ordentlichen  Dicasterii  bestehen  möge,  wie  in  den  nebenfindigen  Anmer- 
kungen die  Ursachen  hievon  mit  mehreren  enthalten  sind ;  so  wird  er  bey 
Abstattung  seines  Vorschlags  auch  hierauf  gleichfalls  seinen  Bedacht  zu 
nehmen  und  darüber  seine  Gedanken  zu  eröffnen  bedacht  seyn. 

Iljtio  "Win  ihme  zu  gleicher  Zeit  die  von  der  Eechenkammer  ver- 
fasste  Entwürfe,  die  obbemeldte  Populations-,  Cultur-  und  Commerzial- 
Tabellen  zu  dem  Ende  andurch  vorläufig  mittheilen,  auf  dass  solche  von 
der  Kanzley  und  dem  Commercienrath  anforderst  näher  eingesehen,  und 
ob  sie  in  ein  und  dem  andern  die  diensame  Kenntnisse  zu  verschaffen 
hinlänglich  sind,  erwogen,  sofort  der  Befund  mit  den  etwa  weiters  zu 
machenden  Verbesserungsvorschlägen  gutachtlich  angezeiget  werde. 

IVto  Nachdem  die  Kreis-Amter  allerdings  unter  die  wichtigste  Be- 
dienstungen  im  Staate  zu  zählen  kommen,  da  denselben  das  Executivum 
aller  Anordnungen  in  den  ihnen  anvertrauten  Creysen  oblieget,  auch  durch 
sie  in  allen  Vorfällen  die  Facta  erhoben,  die  Auskünfte  an  die  Stellen 
gegeben,  auch,  wo  es  nöthig,  in  dringenden  Angelegenheiten  auf  der  Stelle 
Rath  geschafft  werden  muss;  so  ist  zu  überlegen,  ob  nicht  nützlich  wäre, 
dass  künftig  keine  anderen  zu  wirklichen  Creyshauptleuten  angestellt 
würden,  als  welche  vorhero  bey  dem  Landes-Gubernio  durch  einige  Jahre 
als  wirkliche  Käthe  gedient  und  in  den  Geschäften  daselbst  die  erforder- 
liche Kenntniss  sich  erworben  haben,  auch  dass  hiernächst  jedes  Creys- 
Amt  mit  zwey  tüchtigen  Adjuncten  versehen  würde,  welche  erst  von 
dortaus  bey  dem  Gubernio  als  Räthe  einzutreten  hätten,  und  sodann  nach 
erworbener  Fähigkeit  zu  den  Kreisämtern  zu  befördern  wären. 

Er  wird  mir  darüber  gleichfalls  seine  Gutmeinung  abzustatten,  anbey 
auch  untereinstens  in  Erwägung  zu  nehmen  und  sich  zu  äussern  haben, 
was  überhaupts,  nachdeme  wegen  der  wichtigen  Besorgung  der  Staats- 
wirthschaft  in  den  Creis-Amts-Instructionen  noch  keine  besondere  Vor- 
sehung enthalten,  hierwegen  in  diesen  Instructionen  weiters  annoch  anzu- 
ordnen und  zum  Verhalt  der  Creisämter  worzuschreiben  wäre?  wobey  von 
nun  an  festzusetzen  gedenke ,  dass  von  jedem  Creishauptmann 
alljährlich  einmal  der  ganze  Kreis  ohnnachblei  blich  vi- 
sitiret,  und  über  den  vorgefundenen  Stand,  oder  die  entdeckte  Ge- 
brechen die  Relation  an  die  vorgesetzte  Stelle  erstattet  werden  solle. 
Im  übrigen  sehe  für  höchst  nöthig  an,  dass  von  nun  an  von  allen  und 
jeden  dermalen  wirklich  bestehenden  das  Polizeiwesen  und  den  Nahrungs- 
stand betreffenden  Anordnungen,  insoweit  sie  zur  Richtschnur  zu  dienen 
haben,  in  dem  behörigen  Zusammenhang  für  jedes  Land  ein  besonderer 
Auszug  gefasset  und  den  Creishauptleuten  zugefertiget  werde,  weshalben 
er  also  in  dem  behörigen  Weg  das  erforderliche  ebenfalls  zu  veranlassen 
wissen  wird. 

Maria  Thei'esia. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  349 


XX. 

An  Graf  Hatzfeld,  den  29.  Dezember   1768. 

Bey  den  Vernehmungen  mit  andern  Stellen  wird  künftig  die  bey  der 
Rechenkammer  eingeführte  Indossirungsart  als  der  kürzeste  Modus  corre- 
spondendi  zu  beobachten  seyn,  dergestalten  jedoch,  dass  wo  es  auf  ein 
Agendum  der  Kammer  ankommt,  diese  jedesmal  ihre  Meinung  der  andern 
Stelle  zum  voraus  eröffnet,  folglich  in  derley  Fällen  allein  der  bishero 
üblichen  Protokolls-Extracten  oder  Insinuatorum  auch  ferner  sich  gebrauchen 
solle,  welches  also  von  nun  zur  Nachachtung  zu  nehmen  ist,  allermassen 
hiernach  auch  die  übrigen  Stellen  angewiesen  worden. 

Maria  Theresia. 

XXI. 

Handschreiben  an  Grafen  Hatzfeld,   31.  October   1769. 

Von  Seite  der  Rechenkammer  ist  sich  gegenwärtig  zu  halten,  dass 
bey  der  sich  ergebenden  ersten  Erledigung  einer  Ratksstelle  bey  der 
hungarischen  Kammer,  hierzu  vorzüglich  ein  tüchtiges  teutsches  Subjectum 
wiederum  auszuwählen  und  Mir  vorzuschlagen  sey. 

Maria  Theresia. 

XXII. 
Handbillet  an  den  Grafen  Hatzfeld  ddo.   4.  Dec.    1769. 

Der  Kammer  habe  bereits  unterm  24.  Augusti  abhin  mitgetheilet, 
was  von  Seiten  der  Obersten  Justiz-Stelle  zur  künftigen  Beobachtung  in 
Ansehung  der  Rechnungs-Processen  vorgeschlagen  worden. 

Da  nun,  wie  seit  deme  vorgekommen  vermöge  Meiner  Resolution  vom 
11.  Juny  1763  hierunter  die  Norma  allschon  bestehet,  womit  die  Rech- 
nungs-Führer, wenn  sie  bey  der  ersten  und  zweyten  Rechnungs-Behörde 
zum  Ersatz  condemniret  worden,  vor  Ergreifung  der  Revision  das  be- 
tretende Quantum  zu  erlegen  schuldig  seyn  sollen,  und  ein  gleiches  auch 
in  Gefälls-Sachen,  wenn  es  um  einen  Ersatz,  oder  Commissum  zu  thun  ist, 
sich  ebenfalls  allschon  vestgesetzet  findet,  folglich  jenes,  worauf  die  Oberste 
Justiz-Stelle  zur  Sicherheit  meines  serarii  angetragen,  in  der  That  schon 
erreichet  wird.  So  habe  es  bey  dieser  bisherigen  Norma  fortan  zu  be- 
lassen entschlossen,  und  will  dessen  die  Kammer,  da  auch  an  die  Rechen- 
Kammer-  und  Oberste  Justiz-Stelle  das  gleiche  ergehet,  zu  ihrer  Direction 
andurch  verständigen. 

Maria  Theresia. 

XXIII. 
An  den  Grafen  Hatzfeld   den   10.  May   1770. 

Da  dermalen  die  allgemeine  Seelen-Beschreibung  gemeinschaftlich  von 
dem  Militari,  und  politico  vorzunehmen  kommet,  so  wird  in  diese  Con- 
scription     auch     das    sämmtliche    Berg  -  Volk    gleich    andern    mit    einge- 


350  B  e  e  r- 

zohen  werden.  Damit  solches  nicht  etwa  ein  ungleiches  Aufsehen  erwecken, 
und  allenfalls  zur  Sorge  den  Anlass  geben  dürfte,  dass  einige  aus  dem 
Bergvolk  künftig  zu  Militär-Diensten  genommen  werden  mögten: 

So  ist  von  Seiten  des  Montanistici  den  sämmtlichen  Aemtern  in 
Meinen  teutschen  Erblanden  ohne  ein  ordentliche  Publication  hierwegen, 
zu  veranlassen,  lediglich  bekannt  zu  machen,  dass  bei  dieser  Gelegenheit 
das  sämmtliche  Bergvolk  zwar  beschrieben  werden,  doch  aber  von  aller 
Recrutirung  fortan  befreyet  bleiben  würde. 

Maria  Theresia. 

XXIV. 
An  den  Grafen  Kolowrat,  den   12.  August   1774. 

Bey  den  allenthalben  so  hoch  gestiegenen  Besoldungen  und  Personal- 
Statibus  will  den  Stellen  mehrmalen  zu  ihrer  Direction  die  Weisung  ge- 
geben haben,  dass  von  nun  an  vor  Verlauf  eines  Jahres  weder  auf  einige 
Zulage  und  ausserordentliche  Besoldungsvermehrung  eingerathen  noch 
irgendwo  auf  die  Creirung  neuer  Stellen  oder  einige  Vermehrung  des  Per- 
sonalis einiger  Antrag  gestellet  werden  soll. 

Solle  noch  weniger  Schulden  zu  zahlen  oder  Vor schuss 
zugeben    einzurathen1). 

XXV. 
An  die  Hofkammer  vom  8.  August  1776. 

Da  unter  denen  noch  in  grösserer  Anzahl  quiescirenden  Beamten  ver- 
schiedene wohl  brauchbare  Subjecta  anzutrefen  sind,  so  gehet  Meine  Ge- 
sinnung dahin,  dass  diese  Leute,  in  soweit  sie  die  erforderliche  Fähigkeiten 
besitzen,  und  die  Dienst  -  Erledigungen  von  Zeit  zu  Zeit  sich  ergeben, 
allerdings  wiederum  untergebracht  werden  sollen,  damit  sie  nicht  ihren 
Gehalt  ohne  einiger  Dienstleistung  fortan  gemessen,  und  dadurch  dem 
Staat  und  dem  serario  für  beständig  zu  Last  fallen.  Um  also  diese 
Absicht  zu  erreichen,  und  zugleich  denen  bey  der  Stelle  schon  dienenden 
Beamten  durch  die  Wieder anstellung  dieser  Leute  die  Vorrückung  nicht 
ganz  zu  benehmen,  ist  von  Seiten  der  Hof-Kammer  diessfalls  fürohin  nachfol- 
gende Vorschrift  unfehlbar  zu  beobachten,  dass  nemlich  von  nun  an  bey  der 
ersten  bey  der  Hof-Kammer  oder  Banco-Deputation  sich  ergebenden  Apertur 
eines  aus  denen  quiescirenden  zu  dem  erledigten  Dienst  tauglichen  sub- 
jectis  angestellet,  die  zweyte  erledigte  Stelle  aber  durch  die  gewöhnliche 
Vorrückung  an  ein  Subjectum  des  schon  angestellten  Personalis  verliehen, 
und  in  dieser  Art  alternative  so  lang  fortgefahren  werden  müsse,  als  brauch- 
bahre Subjecta  unter  den  quiescirenden  Beamten  vorhanden  seyn  werden. 

XXVI. 

Handbillet  d.  et  acc.  25.  April   1781. 
Nachdem  die  Ministres  nicht  mehr  allwöchentlich,  wie  es  bisher  üb- 
lich gewesen,    am  Dienstag  die  Vorträge  selbst   überreichen,    sondern  nur 
mit  den  gewöhnlichen  Consignationen    solche  zu  Meinen  Händen  gelangen 

')  Die  durchschossenen  Worte    eigenhändig  von    der  Kaiserin   hinzugefügt. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  351 

lassen,  so  würde  es  ein  Zeitverlust  seyn,  wenn  weiters  alle  auch  ehender 
zu  Stand  geschriebene  Vorträge  jedesmal  bis  zum  Dienstag  zurückbleiben 
sollten,  um  auf  einmal  an  diesem  Tage  vorgelegt  zu  werden. 

Sie  können  also  hiernach  Ihr  Eichtmass  nehmen,  dass  künftig  diese 
Vorträge  allsogleich  so,  wie  sie  in  fertigen  Stand  gelangen,  an  allen  Tagen 
der  Woche  Mir  ohne  weiterm  heraufgegeben  werden  mögen. 

Joseph. 

XXVII. 

An  die  Hofkammer,  den  24.  December  1781. 

Da  in  all  denjenigen  Anliegenheiten,  worüber  nicht  besondere  Vor- 
träge zu  Meinen  Händen  gelangen,  der  Inhalt  der  Rathsprotokollen  allein 
die  Einsicht  vei'schaffet,  wie  Meine  jeweilige  Anordnungen  zum  Vollzug 
geleitet,  wie  die  untere  Stellen  über  die  vorkommende  Gegenstände  be- 
lehret", und  wie  Überhaupts  die  Behandlung  der  Geschäfte  geführet  werde; 

So  erfordert  mein  Dienst,  diese  Protokollen  auf  das  bündigste,  und 
so  viel  es  immer  deren  Kürze  zulässt,  auf  das  deutlichste  einrichten  zu 
lassen.  Zu  diesem  Ende  will  der  Kammer  zu  ihrem  künftigen  Eichtmass 
hierunter  Folgendes  mitgeben. 

Primo.  Müssen  die  den  Conclusis  vorausgehende  Extracten  zwar  kurz, 
aber  dennoch  immer  mit  Anführung  des  Wesentlichen  von  den  Petitis ; 
oder  den  vorkommenden  Anträgen  gefasset  werden,  auch  die  vorzüglichsten 
Beweggründe  des  Einrathens  angeführet,  in  den  Conclusis  aber  alle  Essen- 
tialia ganz  gleich  lautend  mit  den  erlassenden  Resolutionen  bemerket 
werden. 

Secundo.  Solle  jedem  Eeferenten  frey  stehen,  wenn  Er  es  verlanget, 
und  Er  mit  dem  Concluso  nicht  verstanden  ist,  sein  separirtes  Votum  zur 
Inserirung  ad  Protocollum  abzugeben,  und  solches  beylegen  oder  einschalten 
zu  lassen,  welches  jedoch,  wie  Mich  dessen  zu  jeden  versehe,  niemals  ohne 
erhebliche  Beweggründe  verlanget  werden  wird. 

Tertio.  Ist  allzeit  auch  auch  das  praesentatum  eines  jeden  Exhibiti 
bey  jedem  Numero  in  dem  Protocollo  richtig  zu  bemerken,  welches  eben 
so  mit  den  Suplicaten,  als  mit  den  Berichten  der  untergeordneten  Behör- 
den und  Beamten  in  gleicher  Art  beobachtet  werden  muss. 

Quarto.  Sind  auch  alle  Eesolutionen,  und  von  Mir  ergehende  Be- 
fehle, sie  mögen  über  Vorträge,  oder  wie  sonsten  immer  an  die  Hofstelle 
oder  den  Chef  erlassen  werden,  den  Protokollen  richtig  einzuverleiben; 
Bey  jedem  Eescripto  ist  jedesmal  das  Datum  bey  zusetzen,  auch  überall 
in  dem  Concluso  dasjenige  in  Kürze,  aber  richtig  und  quoad  Essentialia 
vollständig  anzuführen,  was,  und  wie  über  derley  Eesolutionen  und  Be- 
fehle expediret  worden. 

Besonders  geheime  Aufträge,  die  zuweilen  an  den  Chef  der  Stelle 
gelangen,  haben  wie  bisher  aus  den  Protokollen  wegzubleiben. 

Quinto.  Exhibita,  die  lediglich  ad  instruendum  an  die  untergeordnete 
Behörden  gehen,  können  zwar  ferners,  ohne  Eintragung  in  die  ordentliche 
Eathsprotokollen  expediret  werden;  Sobald  aber  ein  Instructivum  eine 
besondere  Anordnung,  oder  ein  wie  immer  eine  speciele  Verfügung  von 
einiger  Erheblichkeit  enthaltender  Befehl    zugleich   in    der  Expedition  mit 


352  B  e  e  r- 

einzufliessen  hat,  solle  solcher  jederzeit  gleichförmig    mit    der    erlassenden 
Fxpedition  dem  Rathsprotocollo  eingetragen  werden. 

Sexto.  In  den  Fällen,  wo  von  dem  Praesidio  bey  Revidirung  oder 
überhaupt  vor  Ablassung  der  Expedition  ein  Beysatz  oder  eine  Abände- 
rung in  wesentlichen  Stücken  nothwendig  befunden  würde,  muss  solches 
jedesmal  auch  in  den  Protokollis  gleich  lautend  abgeändert  oder  bemerket 
werden. 

Septimo.  Ist  fortan  auch  zuverlässlich  darauf  zu  sehen,  damit  das 
Datum  Protocolli,  wenn  eine  Sache  referiret  wird,  mit  dem  Dato  des  dar- 
über etwa  zu  erstattenden  Vortrags  richtig  übereinstimmend  befunden 
werde. 

Octavo.  Haben  die  Praesidia  sowohl,  als  auch  jeder  Referent  sorg- 
sam darauf  den  Bedacht  zu  nehmen,  damit  beständig  die  Conclusa  in  den 
Protocollen,  so  wie  es  die  gute  Ordnung  und  bestehende  Vorschrift,  auch 
die  verlässliche  Genauigkeit  erfordert,  richtig  eingetragen  werden;  Sie 
haben  zu  dem  Ende  nach  aufhabender  Obliegenheit  über  eine  jede  beob- 
achtende Irrung  oder  Unrichtigkeit  die  Protokollsverfasser  sogleich  zurecht 
zu  weisen,  bey  erweisslicher  Unterlassung  aber  selbst  dafür  zu  haften. 

Nono.  Wird  ingleichen  auch  den  Praesidiis  der  Hofstellen  obliegen, 
zu  Führung  einer  bündigen  Controle,  die  von  den  Länderstellen  einzu- 
sendende Protocolla  so  einrichten  und  abfassen  zu  lassen,  damit  die  Ab- 
sicht ihrer  Einsendung  auf  das  verlässlichste  erfüllet  werden  möge.  Ein 
jeder  Referent  soll  sein  Referat  separirter  in  einer  Ternion  führen,  und 
die  Rathsprotokollen  von  einer  Session  nicht  zusammen  gebunden  werden. 

Nach  dieser  Vorschrift  ist  demnach  von  nun  an  die  genaueste  Ach- 
tung zu  halten,  und  allen,  die  es  betrifft,  hiernach  die  gemässe  Weisung 
zu  geben. 

Joseph. 

XXVIII. 

Lieber  Graf  Choteck! 

Da  es  sowohl  für  den  Staat  im  Ganzen  als  für  das  Wohl  eines  jeden 
insbesondere  von  der  grössten  Wichtigkeit  ist,  dass  die  Geschäfte,  welche 
Meinen  Hof-  und  Landesstellen  zur  Besorgung  anvertraut  sind,  mit  aller 
möglichen  Verlässlichkeit  und  Genauigkeit  behandelt,  auch  solche  nach 
Möglichkeit  befördert  werden,  so  finde  Ich  unumgänglich  nöthig,  um  dieses 
desto  sicherer  zu  erzielen,  nachstehende  Massregeln  festzusetzen  und  deren 
pflichtmässige  Beobachtung  der  Hofstelle  auf  das  nachdrücklichste  einzu- 
binden. 

Imo  Muss  sowohl  bey  den  Hof-  und  Länderstellen  ausser  der  Current- 
Geschäfte,  über  deren  Behandlung  Ich  nächstens  der  Hofstelle  Meine  weitere 
Gesinnung  eröffnen  werde,  nichts  verfügt  werden,  was  nicht  vorher  im 
Rath  selbst  vorgetragen  und  behandelt  worden  ist.  Es  hat  also  von  nun 
an  die  Erstattung  der  Präsidialvorträge  oder  Noten,  ohne  dass  die  Gegen- 
stände im  Rath  selbst  durch  den  betreffenden  Referenten  vorgetragen 
werden,  gänzlich  aufzuhören,  den  einzigen  Fall  ausgenommen,  wo  Ich  über 
ein  oder  andern  Gegenstand  nur  die  Meinung  des  Chefs  allein  hören  will 
und  solches  ausdrücklich  anordne,    oder    wo  ein  Fall    eintritt,    der   wegen 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749—1816.  353 

der  Wichtigkeit  der  Sache  die  geheimste  Verhandlung,  wie  z.  B.  ein  Cassa- 
Abgang  oder  Gefälls-Defraudation,  fordert,  wo  sodann  der  Präsident  für 
sich  und  auf  seine  Verantwortung  zwar  auch  allein  gegen  dem  solcher- 
gestalt fürgehen  kann,  dass  er  hierüber  mit  umständlicher  Anführung  der 
Sachen  und  mit  Anmerkung  des  Tages  der  erlassenen  Verfügungen  ein 
ordentliches  Protokoll  führe  und  Mir  solches  von  Monat  zu  Monat 
vorlege. 

IIdo  Müssen  die  an  mich  zu  erstattenden  Vorträge  oder  Noten  alle- 
mal in  dem  versammelten  Rath  wörtlich  abgelesen,  an  der  Meinung  des 
Referenten  nichts  geändert,  die  dafür,  und  dagegen  angebrachten  Gründe 
mit  Namhaftmachung  der  Räthe,  so  dieser  oder  jener  Meinung  beyge- 
pflichtet  haben,  specifisch  aufgeführt  werden,  dem  Praesidio  aber  bleibt 
immer  frey,  seine  eigene,  oder  besondere  Meinung  dem  Vortrag  beyzurücken. 

IIItio  Alle  Resolutionen,  oder  Handbilleten,  worin  nicht  ausdrücklich 
gesagt  wird,  dass  sie  lediglich  dem  Chef  zum  Nachverhalt  dienen,  sind  an 
dem  nämlichen  Tage,  wo  sie  an  die  Hofstelle  gelangen,  in  das  sogenannte 
Resolutionsbuch  einzutragen,  und  bei  selben  auch  der  Tag,  wo  sie  herab- 
gelangt sind,   ausdrücklich  anzumerken. 

IVto  Sowie  der  Chef  einen  Elenchum  über  alle  jene  Gegenstände,  die 
in  einem  Rathstag  vorgenommen  werden,  erhält,  ebenso  muss  auch  ein 
jeder  Rath  über  jene  Gegenstände,  die  er  im  Rath  vorträgt,  mit  einem 
Elencho  versehen  seyn,  welcher  ihm  von  dem  Kanzleipersonale  zu  ver- 
fassen, von  ihm  aber  selbst  der  Richtigkeit  wegen  zu  unterfertigen  seyn 
wird.  Bey  diesem  Elencho  muss  auf  der  Nebenseite  von  Stück  zu  Stück 
ganz  kurz  bemerkt  werden,  was  in  dem  Rath  auf  jeden  Gegenstand  ver- 
fügt worden,  insbesondere  aber  muss  bey  allen  jenen  Stücken,  die  an 
eine  Landesstelle  oder  sonstige  untere  Behörde  um  Bericht  und  Gutachten 
gehen,  in  dem  Rath  selbst  gleich  eine  dem  Geschäft  verhältnissmässige 
Frist  ausgemessen  und  bestimmt  werden,  und  eben  diese  festgesetzte  Frist 
wird  sodann  auch  in  dem  Elencho  bey  dem  betreffenden  Stück  mit  wenigen 
Worten  anzumerken  seyn,  insofern  es  aber  um  die  Mittheilung  eines 
Gegenstandes  von  der  Hofstelle  an  eine  andere  Hofstelle  zur  Aeusserung, 
oder  aber  zur  Amtshandlung  zu  thun  ist,  so  wird  sodann  auf  der  be- 
treffenden Seite  des  Elenchi  das  Datum,  wann  die  Mittheilung  beschlossen 
worden  ist,  aufzuführen,  und  nach  Thunlichkeit  der  Sache  auch  selbst  der 
Tag,  wann  die  Expedition  wirklich  erfolgt  ist,  dem  Elencho  beyzurücken 
seyn.     Auf  eben  diese  Art  ist  sich 

Vto  zu  benehmen,  wenn  der  Landes-  oder  andern  Behörde  ein  Befehl, 
Erlass  oder  eine  Resolution  mitgetheilt  wird,  wo  also  ebenfalls  das  Datum 
des  Rathsschlusses  sowie  der  Expedition  in  margine  des  Elenchi  angezeigt 
werden  muss.      Ueberhaupt  wird  aber 

VIto  auch  selbst  der  Referent  dafür  besorgt  seyn,  damit  die  Expe- 
dition zur  gehörigen  Zeit  an  Ort  und  Stelle  gelange,  da  ihm  vorzüglich 
an  dem  richtigen  und  schleunigen  Vollzug  des  Geschäftes  selbst  gelegen 
seyn  muss,  auch  er  als  Mitglied  der  dirigirenden  Hofstelle  für  die  gute 
Verhandlung  und  möglichste  Beförderung  des  Dienstes  mitzuhaften  hat. 

VIImo  Um  jedoch  die  Hofstelle  von  der  eigentlichen  Art,  wie  diese 
Elenchi  verfasst  werden  sollen,  noch  näher  und  praktischer  zu  unterrichten, 

Mittheilungen  XV.  23 


354  Beer. 

so  will  Ich  derselben  in  der  Anlage    ein  darnach  eingerichtetes  Formular 
zur  Einsicht  und  Anordnung  mittheilen. 

VIIIyo  Wenn  nun  die  Elenchi  nach  dieser  Meiner  Willensmeinung 
von  Referat  zu  Eeferat  verfasst  worden,  so  sind  sie  Mir  jederzeit  zwei 
Tage  nach  dem  Rathstag  mit  der  Aufschrift  von  aussen  Elenchi  zu 
überreichen,  damit  Ich  sodann  das  weiters  Erforderliche  in  Absicht  auf 
die  allenfalls  nöthige  Nachsicht  über  den  Gang  der  Geschäfte,  sowie  es 
die  Umstände  erheischen,  veranlassen  möge. 

IXno  Auf  eben  die  Art,  wie  Ich  hieroben  die  Geschäftsbehandlung 
für  die  Hofstelle  ausgezeichnet  habe,  wird  auch  die  nämliche  Vorschrift 
von  ihr  Hofstelle  an  die  untergeordnete  Landesstelle  zu  ihrer  Nachachtung 
zu  erlassen  seyn,  und  ebenso  den  Räthen  der  Landesstelle  die  Verfassung 
eines  Elenchi  über  alle  an  jedem  Rathstag  von  dem  Referenten  vortragende 
Gegenstände  aufzutragen  seyn,  welche  die  Landesstelle  nach  abgehaltenem 
Rath,  von  dem  Referenten  unterfertigt,  längstens  in  zwey  Tagen  an  die 
Hofstelle  einzusenden  und  diese  Mir,  wenn  sie  davon  die  Einsicht  ge- 
nommen, zu  Meinem  Gebrauch  zu  übergeben  hat. 

Xmo  Da  durch  die  Einsendung  dieser  Elenchen  die  Hofstelle  von  den 
Handlungen  der  Landesstelle  fast  von  Tag  zu  Tag  informiret  ist,  und 
jenes,  was  sie  zur  Beförderung  des  Dienstes  dienlich  findet,  immer  zur 
rechten  Zeit  erinnern,  betreiben,  oder  sonst  veranlassen  kann,  so  wird  die 
Hofstelle  ihre  weitere  Aufmerksamkeit  auch  besonders  dahin  erstrecken, 
womit  von  jener  Behörde,  von  der  sie  über  einen  Gegenstand  Bericht  oder 
Gutachten  abgefordert,  in  dem  festgesetzten  Termin  dieser  Bericht  er- 
stattet, oder  aber  bey  dessen  Verstreichung  die  im  Rückstand  haftende 
Behörde  von  ihr  Hofstelle  selbst  zur  Abgebung  des  Berichtes  unter  An- 
weisung der  Verzögerungsursachen  mit  Anberaumung  eines  kurzen  Termins 
und  mit  der  Bedrohung  der  Suspension  betrieben  werde,  sollte  auch  diese 
zweite  Betreibungsfrist  fruchtlos  verstreichen,  so  wird  sodann  gegen  den 
Saumseligen  immediate  mit  der  wirklichen  Suspension  ab  officio  et  salario 
fürzugehen  seyn,  und  werden  diejenigen,  welche  wegen  dieser  ihrer  Saum- 
seligkeit in  Erfüllung  ihrer  Amtspflichten  zum  dritten  Mal  werden  be- 
treten werden,  immediate  als  untauglich  zu  weiteren  Staatsdiensten  von 
ihren  Diensten  entlassen  werden. 

Ich  versehe  Mich  also,  dass  nach  dieser  Meiner  Anordnung  sich  in 
der  Geschäftsbehandlung  von  der  Hofstelle  genau  benommen  und  auch 
von  ihr  ein  obachtsames  Auge  darauf  werde  getragen  werden,  womit  solche 
von  Seite  der  ihr  untergeordneten  Landesbehörde  ebenfalls  genau  voll- 
zogen werde. 

Wien,   den    1.  Jänner   1792. 

Leopold. 

XXIX. 

Lieber  Graf  Chotek! 

Ich  habe  von  den  inbenannten  Länderstellen  die  anliegenden  Ver- 
zeichnisse über  jene  Gegenstände  empfangen,  die  schon  vor  längerer  Zeit 
an  die  Hofstelle  eingesendet,  die  aber  bis  nun  zu  ihre  Erledigung  nicht 
erhalten  haben  sollen. 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  355 

Die  Hofkammer  wird  Mir  daher  von  Land  zu  Land  mit  Reprodu- 
cirung  der  betreffenden  Consignation  des  ehesten  Punkt  für  Punkt  an- 
zeigen und  sich  ausweisen,  welche  dieser  Gegenstände  inzwischen  wirk- 
lich und  unter  was  für  einem  Dato  die  Erledigung  erhalten  haben,  dann, 
was  bey  jenen  Gegenständen,  die  bis  nun  zu  ihrer  Erledigung  noch  nicht 
zugeführt  worden,  für  Ursachen  zu  dieser  Verzögerung  unterwalten?  wo 
Ich  übrigens  allen  Länderchefs  unter  einem  auftrage,  dass  sie  in  Hinkunft 
alle  Monate  alle  die  bey  der  Hofstelle  ausständigen  Berichte  in  ein  Ver- 
zeichniss  bringen  und  Mir  unmittelbar  zusenden  sollen. 

Wien,   den   1.  Jänner   1792. 

Leopold. 

XXX. 

Lieber  Graf  Chotek! 

Da  die  von  Mir  zur  Nachsicht  der  Geschäfte  aufgestellten  control- 
lirenden  Regierungsräthe  auch  öfters  die  Einsicht  der  an  den  Chef  er- 
lassenen Handbilleten  oder  andere  Resolutionen  nöthig  haben,  so  werden 
Sie  das  gehörige  einleiten,  damit  diesen  beeden  Beamten  nebst  jenen 
Acten,  die  sie  einzusehen  nöthig  finden,  auch  alle  jene  Resolutionen  oder 
Handbillete,  die  sie  verlangen,  sie  mögen  im  Rath  schon  vorgetragen  und 
expediret  worden,  oder  aber  beym  Praesidio  etwa  selbst  noch  in  Händen 
seyn,  in  originali  mit  allen  dahin  Beziehung  habenden  oder  sonst  nebst 
der  gewöhnlichen  vorhin  abgebenden  Specification  nüthigen  anderweiten 
Acten  zu  ihrer  Einsicht  und  Gebrauch  so  oft  und  vielmahl,  als  sie  der- 
selben bedürfen,  unweigerlich  mitgetheilt  werden. 

Wien,   den    10.  Jänner   1792. 

Leopold. 

XXXI. 

Lieber  Graf  Chotek! 

Die  Hofstelle  wird  sich  für  die  Zukunft  zur  Regel  nehmen,  dass,  so 
oft  Parteien  über  erstattete  Vorträge  günstige  Resolutionen  erhalten,  in 
der  an  dieselben  erfolgenden  Verbescheidung  jederzeit  beyzurücken  sey, 
dass  solches  auf  Meinen  Befehl  oder  Bewilligung  geschehe. 

Wien,   den    11.  Jänner   1792. 

Leopold. 

XXXII. 

Lieber  Graf  Chotek! 

Da  Mir  zu  vernehmen  gekommen,  dass  bey  derjenigen  Verordnung, 
die  Ich  wegen  Motivirung  der  abweislichen  Bescheide  in  Parteisachen  habe 
ergehen  lassen,  die  Hofkammer  bey  der  Intimation  an  die  unteren  Be- 
hörden die  Ursachen,  warum  Ich  diese  Anordnung  festzusetzen  für  nöthig 
befunden  habe,  hinweggelassen  hat,  es  aber  auch  für  die  unteren  Behör- 
den zu  Beförderung  Meines  Dienstes  höchst  nothwendig  ist,  dass  auch 
diese  sich  in  den  Geist  Meiner  Anordnungen  setzen  und  hineindenken,   so 

23* 


356  ß  e  e  r. 

wird  die  Hofkammer    sogleich  die  Fürkehrung  treffen,    damit  durch  einen 
Nachtrag  die  untern  Behörden  von  den  eigentlichen  Beweggründen  dieser 
Meiner  obgedachten  Anordnung  unterrichtet  werden. 
Wien,  den  27.  Jänner   1792. 

Leopold. 

XXXIII. 

Lieber  Graf  Chotek ! 

Da  Ich  das  Wohl  des  Staates  mit  dem  Wohl  der  einzelnen  Glieder 
desselben  zu  verbinden,  Mir  als  die  theuerste  Pflicht  auferlegt  habe,  und 
die  geheimen  anonymischen  Anzeigen  die  Kühe  und  das  Wohl  eines  jeden 
Bürgers  untergraben,  so  will  Ich,  dass  künftig  von  einer  bloss  anonymi- 
schen Anzeige  kein  Gebrauch  zu  machen,  sondern  dieselbe  nur  als  eine 
Skarteke  zu  betrachten  sey,  sollte  es  sich  aber  ereignen,  dass  Jemand  für 
wichtig  genug  hielte,  zum  Wohl  des  Staates  verdächtige  Handlungen  und 
deren  "Urheber  anzuzeigen,  so  ist  so  eine  Anzeige,  wenn  selbe  durch  Bey- 
setzung  des  Namens  und  Standes  des  Anzeigers  bekräftiget  ist,  auf  das 
strengste  zu  untersuchen,  und  —  wenn  sie  wahr  befunden  wird,  auf  den 
Anzeiger  bei  sich  ergebender  Gelegenheit  besondere  Bedacht  zu  nehmen ; 
denn  so  sehr  der  Verleumder  zu  verabscheuen  ist,  ebenso  sehr  ist  der- 
jenige zu  schätzen,  welcher  durch  zeitige  Aufdeckung  der  Gefahr  dem  Uebel 
vorbeugt,  welches  dem  Staate  durch  übelgesinnte  Menschen  oder  untaug- 
liche und  nachlässige  Beamte  zuwächst.  Wornach  sich  die  Hofstelle  zu 
benehmen,  und  die  gleiche  Richtschnur  auch  den  ihr  untergeordneten 
Landesbehörden  zur  Nachachtung  vorschreiben  wird. 

Wien,  den   9.  März   1792. 

Franz. 

XXXIV. 

Lieber  Graf  Chotek! 

Um  die  Geschäfte,  die  bey  den  Länderstellen  haften,  und  besonders 
jene,  die, diesen  von  der  Hofstelle  zum  Vollzug  oder  zur  Berichtserstattung 
aufgetragen  worden,  in  schleunigeren  Umtrieb  zu  setzen,  wird  die  Hofstelle 
die  Verfügung  treffen,  dass  jeder  bei  ihr  angestellte  Referent  den  vorge- 
schriebenen Scontro  über  die  aus  seinem  Departement  bei  den  Länder- 
stellen rückständige  Belichte  nicht  nur  allein  auf  das  genaueste  fortführen, 
sondern  dass  sich  dieser  auch  unter  schwerer  Verantwortung  bei  jeder 
Rathssession  äussere,  ob  die  Landesstelle  mit  einigen  und  mit  welchen 
der  abgeforderten  Berichte  über  die  zur  Berichtigung  des  Geschäftes  be- 
stimmte erforderliche  Zeit  zurückbleibe  oder  nicht?  Wenn  der  Referent 
nichts  ausständig  zu  seyn  bemerket,  so  muss  diese  seine  Aeusserung  dem 
Rathsprotokoll  mit  dem  Beisatz,  dass  er  es  versichert  habe  nichts 
auständig  zu  seyn,  eingeschaltet  werden;  findet  der  Referent  aber,  dass 
ein  oder  mehrere  Berichte  von  der  Landesstelle  länger  ausständig  sind, 
als  es  die  Wesenheit  der  Sache  erfordert ,  so  hat  er  solches  dem 
Rath  vorzutragen  und  zugleich  die  Art  der  Betreibung  an  Händen  zu 
lassen,  welch  ein  so  andres  sodann  dem  Protokoll  am  Ende  des  betreffen- 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  357 

den  Beferatsheftes  einzuverleiben  und  dabey  umständlich  a)  das  Geschäft, 
über  welches  der  Bericht  ahgeftn*dert  worden,  b)  das  Datum  Conclusi, 
c)  der  Tag,  wo  die  Verordnung  abgegangen  und  d)  wie  oft  der  Bericht 
betrieben  worden,  e)  wie  die  Landestelle  das  Ausbleiben  des  Berichtes 
entschuldigt,  und  endlich  f)  wie  und  auf  was  Art  die  Sache  weiters  zu 
betreiben  sey,  aufzuzühren  seyn  wird. 
Wien,  den   11.  Mai   1792. 

Franz. 

XXXV. 

Lieber  Graf  von  Choteck ! 

Um  aber  über  ein  Geschäft  eine  gründliche  Entscheidung  fassen  zu 
können,  ist  es  nöthig,  dass  solches  jederzeit  mit  allen  für  und  dagegen 
streitenden  Gründen,  folglich  mit  vollkommener  Sachkenntniss  Mir  vorge- 
legt werde.  Aus  diesem  Grunde  fliesset  von  selbst,  dass  wenn  ein  Ge- 
schäft auch  in  jenes  einer  anderen  Hofstelle  einschlägt  oder  Bezug  hat, 
die  Hofstelle,  so  den  Vortrag  zu  erstatten  hat,  jederzeit  vorher  sich  mit 
der  betreffenden  Hofstelle  einvernehmen  und  entweder  mit  dieser  den  Vor- 
trag gemeinschaftlich  erstatten  oder  aber  dem  erstattenden  Vortrag  die 
Aeusserung  und  nach  Inhalt  der  Umstände  auch  die  Gegenäusserung  der 
anderweiten  Hofstelle  in  originali  beylegen  soll,  damit  man  nicht  nach  der 
Hand  mit  Zeit-  und  Schreibereiverlust  derlei  Einvernehmungen  zu  veran- 
lassen gezwungen  wird;  wornach  sich  also  die  Hofkammer  in  Zukunft 
zn  achten  und  besonders  die  Kammer  mit  der  Kanzlei  die  vorgeschriebenen 
wöchentlichen  Concertationen  genauer  als  es  bishero  geschehen,  einzuleiten 
beflissen  seyn  wird. 

Ofen,  den  4.   Juni   1792.  Franz. 

XXXVI. 

An  den  ersten  dirigirenden  Minister  Grafen  Kolowrat  vom   lo.  Mai   1800. 

In  der  Nebenlage  überschicke  ich  Ihnen  eine  Abschrift  des  Protokolls 
von  der  unter  dem  8.  ds.  abgehaltenen  geheimen  Conferenz.  Nach  dem, 
was  dabei  verhandelt  wurde,  werden  Sie  von  selbst  einsehen,  von  welcher 
besonderen  Erheblichkeit  und  grossen  Dringlichkeit  die  gegenwärtig  vor- 
fallenden Finanzgegenstände  sind  und  wie  wenig  räthlich  es  sei,  dieselben 
noch  ferners  auf  die  bisherige  Art  verhandeln  zu  lassen.  Ebenso  unräth- 
lich  ist  es  auch,  der  dermaligen  Finanzcommission  nur  die  minder  wich- 
tigen Finanzgegenstände  zur  Bearbeitung  zuzutheilen,  diejenigen  aber, 
welche  von  einer  grösseren  Bedeutung  sind,  einer  anderen  Hofcommission 
anzuvertrauen.  Ein  solche  Abtheilung  und  Zerstückelung  der  nämlichen 
Geschäfte  würde  nur  zu  vielen  Kreuzungen  in  der  Sache  Anlass  geben 
und  dem  Dienste  höchst  nachtheilig  werden. 

Es  bleibt  also  nichts  anderes  übrig,  als  das  Graf  Saurau  und  das 
ihm  untergeordnete  Personale  künftig  bloss  die  Cameralia,  Bancalia  und 
Commercialia  zu  verhandeln  habe,  die  Finanzgegenstände  aber  insgesammt 
von  dort  ganz  weggezogen  und  einer  anderen  geheimen  Hofcommission  zur 
Leitung  und  Berichtigung  übertragen  werden. 


358  B  e  e  r. 

Da  Mir  nun  bekannt  ist,  dass  Sie  sieh  durch  eine  vieljährige  Erfah- 
rung gründliche  Kenntnisse  in  diesem  Fache  beigelegt  haben  und  nebst- 
dem  von  jeher  Beweis  von  Ihrer  Rechtschaffenheit  und  unermüdetem  Eifer 
für  das  allgemeine  Beste  zu  geben  nicht  unterlassen  haben,  so  weiss  Ich 
die  Leitung  der  gesammten  Finanzgeschäfte  in  keine  besseren  Hände  als 
in  die  Ihrigen  zu  legen. 

Ich  erwarte  daher,  dass  Sie  diese  Leitung  nebst  der  ferneren  Besor- 
gung der  staatsräthlichen  Geschäften  auf  sich  nehmen,  um  Ihnen  aber  die 
Besorgung  der  staatsräthlichen  sowohl  als  der  Finanzgegenstände  so  viel 
möglich  zu  erleichtern,  so  gestatte  Ich,  dass  Sie  in  Ansehung  der  staats- 
räthlichen in  minder  wichtigen  Gegenständen  dem  Baron  Reischach  die 
Unterschrift  übertragen  und  sich  des  Weiteren  enthalten,  zur  Verhand- 
lung der  Finanzgeschäfte  aber  überlasse  ich  Ihnen,  Mir  einige  Individuen, 
welche  die  erforderlichen  Kenntnisse  in  diesem  Fache  und  die  vollkom- 
menste Rechtschaffenheit  und  Verschwiegenheit  besitzen,  zu  dieser  Arbeit 
als  Gehilfen  für  Sie  vorzuschlagen,  sowie  auch  sich  zu  äussern,  wie  Sie 
diese  Gegenstände  zu  behandeln  und  das  hiezu  erforderliche  Personale  zu 
bestellen  gedenken. 

XXXVII. 

Instruction  für  die  vereinigte  Hofstelle. 

Es  ist  der  vereinigten  Hofstelle  bereits  aus  dem  Circular-Erlasse  des 
Obersthofmeisteramtes  an  sämmtliche  Hofstellen  bekannt,  dass  Ich  für  das 
Beste  der  Monarchie  nothwenclig  gefunden  habe,  alle  Zweige  der  Staats- 
verwaltung mehr  als  bisher  in  Verbindung  zu  setzen  und  zur  Erhaltung 
dieses  Zweckes  einen  Vereinigungspunkt  zu  bestimmen,  in  welchem  alle 
wichtigen  Gegenstände  der  Monarchie  zusammenlaufen,  allda  stets  vor 
Augen  gehalten,  gründlich  übersehen,  dann  aus  welchem  allen  vorhandenen 
oder  sich  ergebenden  Mängeln  auf  dem  sichersten  und  kürzesten  Wege 
abgeholfen  werden  kann,  dass  Ich  zu  diesem  Ende  statt  des  vorhin  bloss 
für  inländische  Angelegenheiten  bestandenen,  nunmehr  aber  aufgehobenen 
Staatsraths  ein  Staats-  und  Conferenzministerium  errichtet  habe,  bey  welchem 
unter  Meinem  unmittelbaren  Vorsitz  die  Geschäfte  aller  Departements  in 
dem  letzten  und  obersten  Centralpunkte  zusammentreffen  und  geleitet 
werden  sollen. 

In  dieser  Rücksicht  sowohl,  als  auch  in  Hinsicht  der  Grundsätze, 
wornach  Ich  den  Geschäftsgang  organisirt  wissen  will,  treten  nun  manche 
theils  veränderte,  theils  ganz  neue  Verhältnisse,  Modalitäten  und  Vor- 
kehrungen ein,  welche  andere  Vorschriften  und  Weisungen  nothwendig 
machen. 

Zu  diesem  Ende  werden  der  Vereinigten  Hofstelle  durch  die  gegen- 
wärtige General-Instruction  Meine  Gesinnungen  und  Befehle  näher  zer- 
gliedert und  alle  Verhältnisse  und  Modalitäten  im  Allgemeinen  bestimmt, 
wornach  in  Zukunft  vorgegangen  werden  muss. 

Bey  der  Errichtung  des  Staats-  und  Conferenzministeriums  ist  Mein 
Zweck  darauf  gerichtet,  den  Geschäftsgang  in  der  ganzen  Monarchie  auf 
jenen  Grad  der  natürlichen  Ordnung  zurückzuführen,  wo  Alles  auf  seinem 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreuhs  1749  —  181   .  35*. • 

Platze  steht,  wo  durch  ein  auf  gehörige  Grundsätze  gestütztes  System  der 
Responsabilisät  der  Oberen  für  die  Untergebenen  auch  bey  der  vereinigten 
Hofstelle  in  der  Uebersicht  der  ihr  untergebenen  Länderstellen,  Directionen, 
Administrationen,  Cassen  und  übrigen  Behörden  jene  Gewissheit  gewähret 
wird,  dass  Meine  Befehle  überall  genau  und  auf  das  schleunigste  zum 
Vollzug  kommen,  dass  Ich  in  Stand  gesetzt  werde,  die  Stimme  der  sämmt- 
lichen  Geschäfte  mit  einem  Blick  übersehen  zu  können,  wo  die  bisher 
häufigen  Anfragen  und  Vorträge  über  die  geringfügigsten  Sachen  und 
currenten  Geschäfte  durch  allgemeine  Bestimmungen,  die  als  Regulativ  zu 
betrachten  sind,  von  selbst  aufhören,  wo  durch  zweckmässige  erschöpfende 
Administrationsberichte  der  Stand  der  Geschäfte  der  ganzen  Monarchie 
immer  in  einer  klaren  Uebersicht  erhalten,  wo  mit  einem  Wort  Alles  so 
eingerichtet  wird,  dass  die  ganze  Staatsverwaltung  von  selbst  als  ein 
wohl  eingerichtetes  Uhrwerk ,  wenn  sie  einmal  in  Gang  gesetzt  ist, 
fortläuft  und  ihren  Endzwecken  entspricht.  Um  diesen  grossen  Endzweck 
zu  erreichen,  wird  der  vereinigten  Hofstelle  hiemit  zur  genauesten  Be- 
folgung mitgegeben : 

jmo  Die  Beförderung  des  allgemeinen  Wohles  des  Staates  als  die 
Handhabung  der  Religion,  der  Sitten,  der  allgemeinen  Ruhe,  die  Voll- 
ziehung der  Gesetze  und  Anordnungen;  die  Aufnahme  der  Bevölkerung, 
der  Erwerbszweige  und  des  Handels;  die  Schützung  jedes  Standes  und 
einzelner  Unterthanen;  die  richtige  Einhebung  aller  Steuern  und  Abgaben, 
die  genaueste  Wirtschaft  in  allen  Zweigen  der  Staatsökonomie  und  die 
beste  Verwaltung  der  verschiedenen  Staatsfonde  sich  als  eigene  Sache  an- 
gelegen seyn  zu  lassen. 

IIdo  Alle  Verordnungen  und  Vorschriften,  welche  Ich  ertheilen  werde, 
stets  ohne  allen  Verschub  an  die  Behörden,  welche  sie  betreffen,  zu  be- 
fördern, sie  nicht  nur  dem  Zwecke  und  der  Bestimmung  nach  vereinzeln 
und  den  untergeordneten  Stellen  zu  ihrer  praktischen  Anwendung  zu  er- 
läutern und  vertheilen,  sondern  auch  alle  zur  geschwinden  und  voll- 
ständigen Befolgung  derselben  abzweckende  Verfügungen  treffen,  die  hierüber 
gemachten  Anfragen  jedesmal  ausführlich  beantworten,  die  entstehenden 
Zweifel  lösen,  die  anscheinenden  Widersprüche  heben,  jede  falsche  oder 
übertriebene  Anwendung  der  aufgestellten  Grundsätze  hindern,  mit  einem 
Worte,  die  Hofstelle  hat  unter  eigener  Verantwortung  alle  ihre  Bemühungen 
dahin  zu  richten,  dass  der  im  Geiste  Meiner  Anordnungen  liegende  Zweck 
vollständig  erreichet  werde.  Insbesondere  ist  jeder  Referent  dafür  ver- 
antwortlich, wenn  durch  einen  Fehler  in  der  Vereinzelung  der  Verord- 
nungen, Mangel  an  Bestimmtheit  oder  Vollständigkeit  im  Ausdruck  der 
Zweck  der  Verordnung  vereitelt  wird.  Diese  Verantwortlichkeit  erhält 
einen  noch  grösseren  Grad  von  sträflicher  Imputation  für  den  Referenten, 
wenn  der  eingeschlichene  Fehler  nicht  auf  der  Stelle  durch  zweckmässige 
Belehrung  und  bestimmte  Erklärung  verbessert  wird  und  zum  zweiten 
Mal  stattfinden  soll. 

IXltio  jn  allen  Fällen,  welche  durch  bestehende  Verordnungen  nicht 
bestimmt  sind,  oder  auf  welche  sich  keine  natürliche,  ungezwungene  An- 
wendung der  angenommenen  Grundsätze  machen  lässt,  kann  die  vereinigte 
Hofstelle  für  sich  nie  entscheiden,  sondern  sie  hat  den  angegebenen  Fall 
mit  ihrem  Gutachten  Mir  zur  Entscheidung    vorzulegen    und    diese,    wenn 


360  B  e  e  r- 

sie  bloss  individuell  ist,  zu  vollziehen,  wenn  sie  aber  eine  allgemeine 
Vorschrift,  sie  zu  generalisiren,  den  übrigen  Hofstellen  mitzutheilen,  dann 
darnach  die  betreffenden  Unterbehörden  anzuweisen. 

jyto  yon  den  dei-  Hofstelle  theils  durch  allgemeine,  theils  durch  be- 
sondere Verordnungen  zugewiesenen  Geschäften  ist  all  dasjenige  mittelst 
Vorträge  zu  Meiner  Kenntniss  oder  Entscheidung  zu  bringen,  was  auf  das 
Allgemeine  einen  Bezug  oder  Einfluss  hat,  und  was  der  Hofstelle  zu 
entscheiden  nach  den  bestehenden  Vorschriften  nicht  zusteht,  oder  was  nach 
vorgekommenen  einzelnen  Fällen  eine  Abweichung  von  den  angenommenen 
Grundsätzen  oder  eine  Aenderung  der  bestehenden  Gesetze  nothwendig  macht. 

Um  jedoch  die  ohne  Noth  vermehrte  Geschäfte  und  Schreibereien 
zu  vermindern  und  mehr  Zeit  zum  Nachdenken  und  Beurtheilen  wichtiger 
Gegenstände  zu  gewinnen,  will  Ich  der  Hofstelle  nebst  den  mittelst  Meines 
Handschreibens  vom  27.  Jänner  1800,  dann  vermittelst  Meiner  Ent- 
schliessungen  über  die  Note  vom  4.  März  und  über  den  Vortrag  der 
vorigen  Hofstelle  vom  6.  Mai  1800  zur  Entscheidung  ohne  Erstattung 
der  Vorträge  zugewiesenen  Gegenständen  auch  noch  folgende  überlassen. 

A)  Die  Besetzung  des  Eait-Offiziers  und  übrigen  Niedrigen  bey  den 
Hofbuchhaltereien,  dann  der  Raitrathsstellen  bei  den  Landesbuchhaltereien, 
wobey  jedoch  vorzüglich  darauf  gesehen  werden  muss,  ob  diese  Ersetzungen 
nach  dem  neuen  Organisationsplan  für  die  Buchhaltereien  nothwendig 
seyn  werden,  und  in  dem  Falle,  dass  sie  es  seyn  werden,  ob  sie  durch 
einen  anderwärts  entbehrlichen  Buchhaltereibeamten  oder  Quiescenten 
stattfinden  können. 

B)  Die  Ernennung  aller  Kreiscommissäre,  wenn  die  Hofstelle  den 
Vorschlag  der  Länderstellen  den  Vorschriften  gemäss  und  zur  Genehm- 
haltung geeignet  findet,  im  entgegengesetzten  Falle  aber,  nämlich,  wenn 
sie  von  dem  Vorschlag  der  Länderstellen  gegründete  Ursache  hätte  abzu- 
gehen, müsste  Mir  ein  eigener  Vortrag  erstattet  werden. 

C)  In  Ehedispenssachen  die  Bewilligung  des  Recurses  nach  Rom, 
wenn  das  Ordinariat  darauf  anträgt,  jedoch  immer  nur  gegen  dem,  dass 
die  Dispens  unentgeltlich  erfolge. 

D)  Die  Anweisung  der  normalmässigen  Pensionen  und  Provisionen, 
ohne  dass  selbe,  wie  jetzt,  Mir  in  eigenen  Verzeichnissen  zur  Wissenschaft 
angezeigt  werden  müsste. 

E)  Für  geistliche  Laibrüder,  Frauen  und  Laischwestern  der  aufge- 
hobenen Klöster,  welche  wegen  Krankheiten,  Alter  oder  Unbehülflichkeit 
mit  ihren  aus  dem  Religions-  oder  Studienfond  beziehenden  Pensionen 
nicht  auslangen  können  oder  einer  zeitlichen  Unterstützung  unumgänglich 
bedürfen,  die  Bewilligung  der  Pensionszulage  bis  auf  den  Betrag  von 
50  fl.,  dann  Aushülfen  ein  für  alle  Mal  auf  100  fl.,  ohne  dass  diese  Be- 
willigung Mir  in  einem  Verzeichnisse  angezeigt  werden  dürfte,  doch  muss 
bei  diesen  Anweisungen  stets  auf  die  Kräfte  des  Fondes  Rücksicht  ge- 
nommen werden. 

Vto  Soviel  es  nun  das  Verhältniss  der  Hofstelle  gegen  ihre  unter- 
geordneten Behörden  betrifft,  so  folgt  aus  der  Bestimmung  dieser  Be- 
hörden die  Nothwendigkeit,  ihnen  jenen  Grad  von  Macht  und  Befugniss 
einzuräumen,   ohne  welche    eine    leitende    und  vollziehende  Gewalt  in  den 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749 — 1816.  3(31 

Provinzen  nicht  bestehen  oder  wenigstens  ihrem  Bereiche  nie  vollkommen 
Genüge  leisten  kann. 

Ich  verordne  daher,  dass  der  Wirkungskreis  der  untergeordneten  Be- 
hörden nicht  nur  nicht  beschränket,  sondern  nach  Meinen  im  Eingang  des 
vierten  Absatzes  angeführten  Entschliessungen  erweitert  und  vorzüglich 
denselben  die  Entscheidung  solcher  Gegenstände  überlassen  werden  soll, 
für  welche  die  Normen  und  Vorschriften  schon  eine  klare  Bestimmung 
geben  und  welche  nur  nach  der  Localität  und  Individualität  der  Verhält- 
nisse entschieden  werden  können. 

VIto  Um  vielfältige  Anfragen  über  Gegenstände  zu  vermindern  und 
möglichst  zu  vermeiden,  die  entweder  in  den  Normen  nicht  genau  ent- 
schieden sind,  oder  worauf  bey  deren  Entwerfung  gar  kein  Bedacht  ge- 
nommen wurde,  oder  welche  einer  Ausnahme  würdig  zu  seyn  scheinen, 
hat  die  Hofstelle  derley  Anfragen  genau  zu  beobachten,  kritisch  zu  sondern 
und  zu  classificiren,  jede  Classe  auf  allgemeine  Grundsätze  zurückzuführen, 
nach  diesen  Grundsätzen  allgemeine  Bestimmungen  zu  entwerfen,  und 
wenn  diese  ausser  Macht  der  Hofstelle  liegen,  Mir  zur  Bestätigung  vor- 
zulegen. 

Vllmo  j)a  die  nothwendige  Ordnung  der  Geschäftsführung  auf  der 
Manipulation  beruht,  so  hat  das  Präsidium  vorzüglich  darauf  zu  sehen, 
um  die  etwa  nöthigen  Verbesserungen  anzubringen,  damit  die  Manipulation 
einfach,  nicht  mit  unnöthigen  Schreibereien  oder  Aufenthalt  verbunden, 
jedoch  bündig  und  verlässlich  sey  und  zum  schnellen  Betrieb  der  Ge- 
schäfte das  ihrige  beitragen. 

Ich  verordne  hiermit: 

A)  Dass  alle  Exhibita ,  welche  einlangen ,  und  alle  Meine  Ent- 
Schliessungen (ausschliesslich  derjenigen,  welche  ihrem  Inhalte  nach  die 
strengste  Geheimhaltung  erfordern)  immer  unverzüglich  in  das  Protokoll 
abgegeben,  den  Referenten  zugetheilt  und  von  denselben  in  der  nächsten 
Rathssitzung  vorgetragen  werden  sollen.  Dieses  verstehe  Ich  auch  von 
den  Dienstbesetzungsvorschlägen,  welche  seit  einiger  Zeit  ein  Gegenstand 
der  Präsidialverhandlung  waren  und  nun  bey  den  Hof-  und  Länderstellen 
wieder  im  vollen  Rath,  d.  i.  im  Beyseyn  aller  Räthe  vorgetragen  werden 
müssten. 

B)  Da  die  Eidespflicht  eines  jeden  Rathsgliedes  mit  sich  bringt,  ehr- 
lich, unparteiisch,  unbestechlich  und  verschwiegen  zu  seyn,  so  muss  auch 
in  der  Eröffnung  der  Meinung  eine  anständige  Freiheit  herrschen  und 
jedem  Stimmführer  überlassen  werden,  seine  Meinung,  wenn  sie  auch  nicht 
ein  Beschluss  des  Raths-Collegii  würde,  in  das  Protokoll  einschalten  zu 
lassen. 

C)  Die  Referats-Gegenstände  sind  wie  bisher  in  Currens  und  Relatum 
zu  theilen.  Ueber  die  ersteren  Mir  eigene  Protokolle  vorzulegen,  davon 
will  Ich  die  Hofstelle  lossprechen,  was  hingegen  die  Relata  betrifft,  unter 
welche  auch  Meine  Entschliessungen  und  Anordnungen  begriffen  werden 
müssen,  diese  sind  Mir  statt  der  bisher  in  Abschrift  vorgelegten  Proto- 
kolle künftig  in  Urschrift  besonders  nach  den  Departements  in  eigene 
Umschläge    eingetheilt,     worauf    die    Zahlen    der    inliegenden    Stücke    ge- 


362  B  e  e  r- 

schrieben  werden  müssen,  und  zwar  nach  jeder  Sitzung  längstens  binnen 
8  Tagen  unter  sonst  zu  erfolgender  nachdrücklicher  Ahndung  gegen  die 
saumseligen  Referenten  vorzulegen.  Diese  werden,  wenn  darüber  nichts 
zu  erinnern  vorfällt,  mit  dem  Vidi  Meines  Staats-  und  Conferenzministers 
Grafen  Kolowrat  der  Hofstelle  unverzüglich  zurückgesendet  werden,  die- 
jenigen Gegenstände,  worüber  eigene  Vorträge  erstattet  werden  wollen, 
sind  von  Sitzung  zur  Sitzung  in  einem  Verzeichniss  ganz  kurz  aufzu- 
führen und  dieses  ist  Mir  für  Meinen  Gebrauch  zugleich  mit  den  Relatis 
zu  überreichen. 

Diese  Gegenstände  im  Protokoll  über  die  Relata  weitläufig  aufzu- 
führen, ist  also  nicht  nothwendig. 

D)  Für  die  Richtigkeit  der  Extracte  aus  den  Exhibiten  hat  jeder 
Referent  zu  haften  und  ist  überhaupt  darauf  zu  sehen,  dass  in  denselben 
in  den  Expeditionen  und  in  den  an  Mich  erstatteten  Vorträgen  alle  un- 
nöthige  ermüdende  Weitschweifigkeit  vermieden,  dagegen  eine  bündige, 
kraftvolle,  Jedermann  verständige,  Alles  erschöpfende,  bestimmte  und  rich- 
tige Sprache  geführt  und  viele,  oft  ganz  unlesbare  Correcturen,  welche 
nur  Schleuderhaftigkeit  zeigen,  beseitigt  werden. 

E)  Ueber  die  von  Mir  bezeichneten  Bittschriften  sind  Mir  alle  Wochen 
eigene  Auskunftsbögen  vorzulegen,  worin  aber  nicht  die,  welche  noch  in 
der  Verhandlung  sind,  sondern  bloss  jene,  worüber  bereits  die  Nachrichten 
eingeholt  oder  der  Stand  der  Sache  untersucht  und  erhoben  wurde  und 
worüber  die  Entscheidung  geschöpft  werden  kann,  aufzuführen  sind. 

VIIIV0  Da  Ich  nicht  selbst  Alles  prüfen,  bis  in  das  kleinste  Detail 
einsehen  und  untersuchen  kann,  sondern  in  die  Stellen  das  Zutrauen  setzen 
muss,  dass  ihre  Eingaben,  Ausweise  wahr  und  richtig  und  ihre  Hand- 
lungen dem  vorgeschriebenen  Zwecke  gemäss  sind,  so  folgt  von  selbst, 
dass  die  Stellen  auch  in  Rücksicht  dieses  notwendigen  Zutrauens  die  Ver- 
bindlichkeit und  Verpflichtung  haben  müssen,  für  all  dasjenige  zu  stehen 
und  zu  haften,  worin  Ich  Mich  auf  selbe  verlassen  muss. 

Diese  Verbindlichkeit  ist  jene  Art  von  Responsabilität,  welche  schon 
nach  allgemeinen  Begriffen  eines  wohl  organisirten  Departements  auch  ohne 
alle  positive  Vorschrift  jedem  Staatsdiener  obliegt,  und  welche  Ich  der 
Hofstelle  hiermit   nachdrücklichst    einbinden    will   und  demnach  festsetze; 

A.)  Dass  das  Präsidium  für  alle  Handlungen  der  Hofstelle,  sowie  auch 
für  die  eigenen,  dann  für  den  unverzüglichen  richtigen  Vollzug  Meiner 
Befehle  und  Anordnungen  haften  muss. 

B)  Dass  dagegen  jeder  Departement-Referent  nicht  nur  für  die  Wahr- 
heit und  Echtheit  seiner  Vorträge  bis  in  das  kleinste  Detail  dem  Praesidio 
zu  haften  hat,  sondern  auch  für  alle  Folgen,  die  dem  Aerario  sowohl,  als 
dem  Dienste  aus  falschen  Massregeln,  die  durch  seine  Vorträge  allenfalls 
veranlasst  worden,  sich  ergeben,  stehen  muss. 

C)  Dass  alle  Votanten  in  solidum  dieselbe  Obliegenheit  behalten,  in- 
sofern die  falschen  Massregeln  Missgriffe  des  Raisonnements  sind  und  nicht 
aus  solchen  praktischen  Datis  sich  ergeben,  welche  bloss  die  Sachen  des 
Referenten  sind. 

D)  Dass    ebenso   jede    Nachlässigkeit    des    untergeordneten    Beamten 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  18  lb'.  3(33 

oder  der  untergeordneten  Stelle,  jedes  Versehen,  jeder  Missgriff,  den  diese 
begehen,  und  der  unmittelbar  Vorgesetzte,  sobald  er  ihn  immer  nur  wissen 
konnte,  nicht  gerügt,  selbst  verbessert  oder  dem  Praesidio  nicht  angezeigt 
hat,  als  selbst  eigene  Handlung  zugerechnet  werden  soll,  dass  also  jeder 
Vorgesetzte,  Individuum  oder  Stelle,  für  jede  Handlung  seines  Unter- 
geordneten verantwox*tlich  ist. 

E)  Dass,  sowie  Ich  Mich  an  das  Präsidium  der  Hofstelle  und  dieses 
an  ihre  Referenten  halten  werde,  die  Hofstelle  sich  an  die  Landesstelle, 
die  Directionen  und  Administrationen  u.  s.  w.  und  diese  wieder  an  ihre 
untergeordneten  Behörden  halten  und  sie  auf  gleiche  Art  für  alle  ihre 
Handlungen,  Eingaben,  Berichte,  Ausweise  u.  s.  w.  verantwortlich  zu 
machen  haben. 

F)  Dass  die  Hofstelle  diese  Dienstverantlichkeit,  wobey  keine  Ent- 
schuldigung, keine  Straflosigkeit  stattfindet,  ihren  untergeordneten  Stellen 
nachdrücklich  einzuschärfen  und  sich  selbst  zuzuschreiben  hat,  wenn  aus 
ihrem  Versehen  für  sie  oder  ein  Individuum  derselben  nachtheilige  Folgen 
entstehen  sollten. 

G)  Die  vorgeschriebenen  Ausweise  und  Bilanzen  über  den  Ertrag 
der  Gefälle,  über  den  Stand  des  Fondes,  über  Pensionan  u.  s.  w.,  die 
Voranschläge  und  andere  periodische  Eingaben  sind  Mir  immer  in  der 
festgesetzten  Zeit  vorzulegen  und  im  Falle,  dass  die  unteren  Behörden 
mit  ihren  Eingaben  zurückbleiben,  wider  diese  die  wirksamsten  und  ein- 
greifendsten Mittel  anzuwenden. 

IXmo  Um  eine  mehr  genaue,  zweckmässigere  und  leichtere  Uebersicht 
des  Zusammenhanges  der  Geschäfte,  des  Gedeihens  oder  Rückgehens  zu 
erhalten,  als  nicht  einzelne  Eingaben  liefern  können,  will  Ich  viertel- 
jährige Administrations-Berichte  einführen. 

Ihr  Zweck  ist,  dass  in  einer  zusammenhängenden  Uebersicht  mit 
Wahrheit,  Deutlichkeit  und  Präcision  aus  dem  ganzen  Detail  der  während 
dieses  Zeitraums  vorgekommenen  Geschäfte  allgemeine  Resultate  gezogen 
werden;  dass  der  wirkliche  Zustand  des  Departements  dargestellt  und  die 
Uebersicht  verschafft  werde,  ob  die  erlassenen  Verordnungen  gehörig  be- 
folgt sind?  ob  und  welche  Schwierigkeiten  sich  der  Ausführung  in  den 
Weg  stellen?  und  inwiefern  vorgeschriebene  Modalitäten  als  Mittel  zum 
Zweck  hinreichend  sind  und  inwiefern  die  Finalabsichten  erreicht  werden 
oder  erreicht  werden  können?  Dass  die  Hauptpunkte,  auf  welche  eigent- 
lick  Alles  ankörnt,  mit  kritischer  Unterscheidungsgabe  ausgehoben,  über 
alles  unnütze  Detail,  welches  als  Folge  allgemeiner  Grundsätze  sich  von 
selbst  versteht,  mit  Stillschweigen  hinweggegangen,  mit  einem  Wort,  dass 
die  allgemeine  Uebersicht  gewährt  wird,  welche  ohne  die  Achtsamkeit  zu 
ermüden,  ohne  langweilig  und  schwankend  zu  seyn,  auf  sichere  Resultate 
fährt. 

Diese  Administrations-Berichte  hat  die  Hofstelle  von  ihren  unter- 
geordneten Behörden  von  dem  Militärjahre  1802  angefangen  nach  Aus- 
gang eines  jeden  Vierteljahres  längstens  binnen  drei  Wochen  zu  ver- 
schaffen, diese  dann  den  betreffenden  Referenten  mitzutheilen,  welche  sich 
unverzüglich  in  die  Kenntniss    desjenigen,    was    in    ihr    Departement    ein- 


364  B  e  e  r- 

schlägt,  zu  setzen,  hiernach  ihre  Ausarbeitung  zu  machen  und  diese  dem 
Kanzlei- Director  zu  liefern  haben.  Des  Kanzlei-Directors  Pflicht  wird  seyn, 
Alles,  jedoch  nach  den  besonderen  Abtheilungen  der  Verwaltung,  in  Zu- 
sammenhang zu  bringen  und  dem  Präsidium  zur  Bestätigung  vorzulegen. 
Diesem  trage  Ich  insbesonders  auf,  unter  eigener  Verantwortung  dafür 
zu  sorgen,  dass  die  Hofstelle  binnen  drei  Wochen  ihre  Ausarbeitung 
liefern,  dass  alle  sechs  Wochen  nach  Ausgang  eines  jeden  Militärjahres 
Mir  der  Hauptadministrationsbericht    von    der  Hofstelle   überreicht  werde. 

Xmo  Die  Hofstelle  hat  diese  Instruction  sogleich  unter  ihren  Mit- 
gliedern in  Umlauf  zu  setzen,  genau  zu  befolgen  und  ihren  untergeord- 
neten Behörden  hiernach  die  nöthigen  Weisungen  zu  geben. 

Uebrigens  empfehle  Ich  derselben  nachdrücklichst  die  schleunigste 
Beförderung  der  Geschäfte,  die  Hintanhaltung  und  Verminderung  der  un- 
nöthigen  Schreibereien  und  die  Sorge,  dass  die  Beamten  alle  ihre  Fähig- 
keiten und  Kenntnisse  zum  Besten  des  Dienstes  verwenden,  mit  aller  An- 
strengung arbeiten,  sich  immer  mehr  auszubilden  und  dem  Dienste  nütz- 
licher zu  werden  bestreben;  sich  untadelhaft  als  redliche,  gut  gesittete 
Bürger  betragen,  gegen  Parteien,  mit  welchen  sie  von  Amtswegen  zu 
thun  haben,  sich  wohl  anständig,  nicht  ungesellig,  hochmüthig  oder  un- 
freundlich benehmen,  die  strengste  Geheimhaltung  beobachten,  und  in 
Erfüllung  der  bürgerlichen  Gesetze,  sowie  aller  Meiner  Anordnungen  Meinen 
Unterthanen  mit  gutem  Beispiele  vorangehen. 

Franz  *). 

XXXVIII. 

Lieber  Graf  Zichy! 

Nach  den  vielfältigen  Drangsalen,  welche  einen  grossen  Theil  Meiner 
Erbländer  betroffen  haben,  und  nach  der  langwierigen  fast  gänzlichen 
Unterbrechung  der  gewöhnlichen  Verwaltungsangelegenheiten  wird  es  nun 
doppelt  nothwendig,  alle  Kräfte  aufzubieten,  damit,  sobald  es  nur  immer 
geschehen  kann,  Ordnung  hergestellt,  der  Geschäftsbetrieb  in  Gang  ge- 
bracht, das  Wohl  der  Länder  befördert  und  den  Uebeln,  welche  die  Kriegs- 
ereignisse herbeiführten,  abgeholfen  werde. 

Ich  habe  zwar  noch  selbst  zur  Zeit  des  Krieges  und  während  den 
Friedensunterhandlungen  nichts  zu  verfügen  oder  vorzubereiten  verab- 
säumt, was  Mir  diesem  Zwecke  angemessen  schien,  allein  erst  izt,  wo  Ich 
Meine  Stellen  wieder  um  Mich  versammeln  kann,  ist  der  Zeitpunkt  ein- 
getreten, in  welchem  es  möglich  wird,  alles  dasjenige  mit  reifer  Erwägung, 
Thätigkeit,  Nachdruck  und  in  gehörigem  Zusammenhange  anzuordnen  und 
auszuführen,  was  dem  Wohle  Meines  Volkes  entspricht. 

Bey  Meinem  festen  Entschluss,  dieses  wichtige  Ziel  unausgesetzt  zu 
verfolgen,  versehe  Ich  Mich  zu  der  kräftigsten  Mitwirkung  derjenigen, 
welche  den  wichtigen  Beruf  haben,  ihrem  Vaterlande  als  Beamte  zu  dienen. 
Vorzüglich  müssen  sich  die  Hofstellen    durch  eine  schleunige,    ordentliche 


')  Wurde   im   Mai  1801    sämmtlichen  Behörden   und    Länderstellen   uiitge- 
theilt 


Die  Finanzverwaltung  Oesterreichs  1749  —  1816.  365 

und  gründliche  Geschäftsbehandlung  auszeichnen,  sie  müssen  den 
Länderstellen  und  andern  verwaltenden  Behörden  zum  Muster  dienen, 
sie  müssen  Mir  getreue  und  erschöpfende  Aufschlüsse  über  die  ihrer 
Leitung  anvertrauten  Zweige  der  öffentlichen  Verwaltung  geben ;  sie  müssen 
über  die  genaue  Vollziehung  der  Gesetze  und  Anordnungen  ununterbrochen 
wachen;  sie  müssen  gegen  pflichtvergessene  oder  ihrem  Posten  nicht  ge- 
wachsene Untergebene  keiner  Schonung  Platz  geben,  sondern  dem  allge- 
meinen Besten  jede  andere  Bücksicht  aufopfern ;  sie  müssen  endlich  mit 
vereinten  Einsichten  und  ganz  nur  von  ihrem  Pflichtgefühl  geleitet,  ihre 
Aufmerksamkeit  auf  Alles  verbreiten,  was  Nutzen  schaffen  oder  Schaden 
abwenden  kann. 

Ich  behalte  Mir  vor  hierüber  in  der  Folge  Meine  Gesinnungen  ausführ- 
licher zu  entwickeln  und  finde  Ihnen  für  den  gegenwärtigen  Augenblick 
nur  noch  folgendes  zu  bedeuten. 

Der  geänderte  Umfang  der  Monarchie  macht  bei  der  Hofstelle  einige 
Departements  ganz  entbehrlich,  und  es  werden  auch  in  den  Ländern  Be- 
amte überzählig,  die  nicht  alle  in  dem  Fürstenthum  Salzburg  werden 
untergebracht  werden  könnnen.  Durch  die  Verwendung  dieser  überzählig 
werdenden  Beamten  und  des  brauchbaren  Theiles  der  schon  früher  vor- 
handen gewesenen  Quiescenten  lässt  sich  den  wirklich  überladenen  De- 
partements der  Hofstelle,  sowie  jenen  Unterbehörden,  die  nicht  auszu- 
langen vermögen,  ohne  einer  stabilen  Personalsvermehrung  jene  Hülfe 
unverzüglich  verschaffen,  welche  erforderlich  ist,  um  die  vorhandenen  Bück- 
stände in  Baldem  aufzuarbeiten  und  die  neu  einlangenden  Geschäfte  in 
currentem  Gange  zu  erhalten.  Ich  erwarte  also  zuversichtlich,  dass  dieses 
geschehe,  dass  jeder  Eeferent  in  der  Begel  von  Sitzung  zu  Sitzung  seine 
Agenda  vollständig  aufarbeite,  und  wenn  ja  doch  wegen  eines  stärkern 
Zusammenflusses  oder  wegen  Wichtigkeit  oder  Weitschweifigkeit  der  Gegen- 
stände unvermeidlich  werden  sollte,  mit  einigen  zurückzubleiben,  darum 
die  Abschliessung  des  Baths-Protokolles  nie  aufhalten,  sondern  dasselbe 
in  solch  einem  Zeitpunkte  abgeben  wird,  dass  mir  selbe  jedesmal  schleunigst 
und  zwar  längstens  binnen  zwei  oder  drei  Wochen  vom  Tage  der  abge- 
haltenen Sitzung  vorgelegt  werden  können. 

In  diesen  Eaths -Protokollen  haben  von  nun  an  alle  bey  der  Hofstelle 
vorgekommenen  Gegenstände,  sie  mögen  current  oder  meritorisch  behandelt 
worden  seyn,  in  fortlaufender  chronologischer  Ordnung  zu  erscheinen,  und 
muss  bey  jenen,  die  nicht  in  Vortrag  gebracht,  sondern  asservirt  worden 
sind,  solches  auf  dem  Umschlagbogen  nebst  kurzer  Berührung  der  Ursache 
der  Aufbewahrung  angemerkt,  die  Beproducenten  aber  müssen  jedesmal 
am  Ende  des  Protokolls  aufgeführt  werden. 

Bey  jedem  Extracte  hat  der  Name  des  Extrahenten  und  bey  der 
Erledigung  die  Fertigung  des  Beferenten  zu  erscheinen.  Nebst  dem  ist 
auch  noch  das  Datum,  unter  welchem  das  Stück  expediret  worden  ist, 
und  der  Name  des  Expedienten  bey  zunicken. 

Für  die  richtige  Anordnung  mache  Ich  Sie  strenge  verantwortlich 
und  erkläre  Ihnen  bestimmt,  dass,  wenn  wider  besseres  Vermuthen  ein- 
zelne Beferenten  fortfahren  sollten,  mit  Vorlegung  ihrer  Eaths-Protokollen 
Monate  und    Quartale    zurückzubleiben,    Ich    diese    wesentliche    Verletzung 


366  B  e  e  r. 

der  Geschäftsordnung  und  sträfliche  Ausserachtlassung  Meiner  präcisen 
Befehle  auf  das  nachdrücklichste  ahnden  werde.  Was  Ich  hier  in  An- 
sehung der  Geschäftsbehandlung  und  insbesondere  der  Raths-Protokollen 
anordne,  hat  die  Hofstelle  mit  den  den  Umständen  angemessenen  Modifi- 
cationen  auch  auf  ihre  untergeordneten  Behörden  anzuwenden  und  mit 
Beobachtung  der  hier  aufgestellten  Grundsätze  das  Nöthige  einzuleiten, 
damit  allenthalben  Ordnung  und  Thätigkeit    in  den  Geschäften  herrschen. 

Wien,  den   20.  Jänner   1806. 

Franz. 


i€7 


Kleine  Mittheilungen. 

Eine  neue  Urkunde  K.  Arnolfs  und  die  Schlacht  an  der 
Dyle  1).  Bei  den  Arbeiten,  welche  ich  gegenwärtig  hier  im  Auftrage 
der  Mon.  Germ.  Hist.  für  die  Herausgabe  der  Karolingerdiplome  auszu- 
führen habe,  fand  ich  unter  andern  eine  Urkunde  König  Arnolfs,  die, 
bisher  unbekannt,  auch  sonst  ein  weiteres  Interesse  für  sich  in  Arj- 
spruch  nehmen  darf. 

Dieselbe  ist  in  einem  Sammelbande  (Cod.  lat.  ms.  17197)  der 
Pariser  Nationalbibliothek  erhalten  und  gehört  dem  Fonds  Toul  an 
Die  Kopie  rührt  von  einer  Hand  saec.  XVII  her,  welche  uns  eine 
ganze  Reihe  von  Diplomen  desselben  Fonds  abschriftlich  überliefert 
hat  (f.  155 — 160'  der  genannten  Hs.)  Auf  der  ersten  Seite,  da  wo 
diese  Hand  einsetzt,  findet  sich  von  derselben  die  Bemerkung:  Tiltre 
tire  de  1'  archive  de  la  cathedrale  de  Toul.  Dies  so  wie  der  Umstand, 
dass  das  Monogramm  stets  und  zwar  richtig  nachgezeichnet  ist,  ferner 
aber  Signum-,  Eecognitions-  und  Datirungszeile  regelmässig  gegeben 
werden,  lässt  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  darauf  schliessen,  dass 
diese  Abschriften  nach  dem  Original  angefertigt  wurden.  Sie  weisen 
zwar    einzelne  Lücken    im  Texte    auf,   jedoch    ergibt  sich  bei  näherer 


')  Wie  schon  früher  (vgl.  Mittheilungen  2,  444)  die  Centraldirektion  der 
Monumenta  Germaniae  die  Veröffentlichung  der  unedirten  Diplome  des  alten 
Apparates,  so  hat  dieselbe  jetzt  die  Publication  der  neuen  Funde  in  unserer  Zeit- 
schrift in  zuvorkommendster  Weise  genehmigt,  um  sie  rascher  wissenschaftlicher 
Verwerthung  zugänglich  zu  machen.  Aus  der  unerwartet  reichen  Ausbeute  an 
unbekannten  Karolinger  Diplomen,  welche  die  grossen  handschriftlichen  Samm- 
lungen der  Bibliotheque  nationale  in  Paris  lieferten,  ist  hier  vorläufig  nur  eines 
der  geschichtlich  interessanteren  Stücke  geboten.  Die  anderen  unedirten  Diplome 
werden  nach  Abschluss  der  französischen  Reise  des  Herrn  Dr.  Dopsch  veröffent- 
licht werden.  E.  M. 


368  Kleine  Mittheilungen. 

Betrachtung,  dass  dieselben  keineswegs  etwa  auf  Leseschwierigkeiten 
beruhen,  sondern  auf  die  bewusste  Absicht  des  Schreibers  zurückzu- 
führen sind,  den  Text  durch  Auslassung  rein  formelhafter  Theile  der 
Urkunde  (Eingangs-  und  Schlusssätze)  zu  kürzen.  Das  Original  wurde 
allem  Anscheine  nach  durchaus  zuverlässig  kopirt,  wie  denn  bei  dem 
vorliegenden  Stücke,  ausser  geringfügigen  Verbesserungen  der  Ortho- 
graphie, nirgends  eine  Emendation  des  Textes  erforderlich  schien. 

Obwohl  der  Inhalt  der  vorliegenden  Urkunde  —  einer  Schenkung 
—  an  sich  wenig  bedeutsam  ist,  so  gewinnt  dieselbe  doch  durch  ihr 
Datum  und  Actum  ein  erhebliches  historisches  Interesse.  Die  genaue 
Uebereinstimmung  sämmtlicher  drei  Jahresangaben  bürgt  dafür,  dass 
sie  in  das  Jahr  891  zu  setzen  ist.  Eben  in  dieses  Jahr  fällt,  wie  be- 
kannt, der  Feldzug  Arnolfs  gegen  die  Normannen ,  die  siegreiche 
Schlacht  an  der  Dyle,  durch  welche  die  schmähliche  Niederlage  am 
Geulenbach  wett  gemacht  und  die  Ehre  der  deutschen  Waffen  wieder 
hergestellt  wurde. 

Ueber  die  Chronologie  dieser  Vorgänge  sind  wir  ebenso  mangel- 
haft unterrichtet,  wie  über  das  Itinerar  des  Königs  während  der  zweiten 
Hälfte  des  genannten  Jahres. 

Die  Fuldaer  Annalen,  unsere  wichtigste  Quelle,  berichten  uns, 
dass  König  Arnolf,  um  die  Niederlage  des  ostfränkischen  Heerbanns 
am  Geulenbach  (am  25.  Juni)  zu  rächen,  mit  einem  Heer  gegen  die 
Normannen,  welche  sich  in  Löwen  an  der  Dyle  verschanzten,  gezogen 
sei,  dass  er  sie  unvermuthet  (ex  inproviso)  angegriffen  und  vollständig 
geschlagen  habe,  dass  „eodem  loco  die  .  .  .  kal.  ..."  —  vor  und 
nach  kal.  ist  in  der  Handschrift  eine  Lücke  gelassen  —  eine  Dank- 
procession  abgehalten  worden  sei  und  dass  der  König,  durch  Franken 
nach  Alamannien  zurückgekehrt,  das  Weihnachtsfest  in  Ulm  gefeiert 
habe  *).  Regino  am  Prüm  erzählt,  Arnolf  habe  die  Kunde  von  jenem 
unglücklichen  Gefecht  von  Geulenbach  erhalten,  als  er  an  der  äussersten 
Grenze  Baierns  weilte,  von  Zorn  entflammt  habe  er  ein  Heer  ge- 
sammelt und  bald  nach  dem  Uebergang  über  den  Rhein  an  der  Maas 
ein  Lager  bezogen  2) ;  er  sei,  da  die  Normannen  nach  einiger  Frist 
(interiectis  diebus)  ihre  Beutezüge  wieder  aufnahmen,  gegen  sie  vor- 
gerückt und  habe  sie  an  der  Dyle  vollständig  geschlagen ;  nach  diesem 
glücklichen  Erfolg  sei  er  wieder  nach  Baiern  zurückgekehrt.  Ausser 
diesen  beiden  Quellen  liefern  nur  noch  die  Jahrbücher  von  St.  Vaast 


')  M.  G.  Schulausg.  von  Fr.  Kurze  (1801)  p.  119. 

2)  Congregato  ex    orientalibus  segnis  exercitu    mox  Rheno  transuaisso  circa 
litora  Mosae  castra  statuit.     M.  G.  Schulausg.  v.  Fr.  Kurze  (1890)  p.  137. 


Eine  neue  Urkunde  K.  Arnolfs  und  die  Schlacht  an  der  Dyle.  3ß9 

eine  diese  Ereignisse  berührende  Zeitangabe:  die  Normannen,  welche  in 
Noyon  überwintert  hatten,  seien  im  November  nach  Löwen  aufge- 
brochen x)  und  dort  von  Arnolf  geschlagen  worden. 

Stellen  wir  zu  diesen  chronologisch  dürftigen  Quellennachrichten 
die  wenigen  Daten,  welche  das  urkundliche  Itinerar  bisher  bot.  Am 
21.  Juli  891  urkundet  Arnolf  zu  Mattighofen  in  Oberösterreich,  am 
1.  Oktober  in  Maastricht,  am  9.  Oktober  an  der  Maas  (iuxta  Mosam 
fluvium) ;  eine  weitere  Urkunde  vom  30.  Oktober  ist  ohne  Angabe  des 
Beurkundungsortes  überliefert,  die  nächstfolgende  Urkunde  datirt  vom 
.21.  Januar  892    aus   Zusmarshausen    zwischen   Ulm   und  Augsburg 2). 

Vor  dem  Erscheinen  der  neuen  Ausgabe  der  Fuldaer  Annalen 
war  die  Lösung  der  Frage,  an  welchem  Zeitpunkte  der  Sieg  an  der 
Dyle  erfochten  wurde,  von  vorneherein  auf  eine  falsche  Fährte  ge- 
wiesen. Die  alten  Ausgaben,  wie  auch  die  von  Pertz  besorgte  3),  er- 
wähnten nicht,  dass  in  der  massgebenden  Handschrift  bei  der  Zeit- 
angabe jener  Dankesprocession  auch  vor  kal.  eine  Lücke  sich  finde, 
ihr  Text:  „Eodem  in  loco  die  kal.  .  .  .  letanias  rex  celebrare  prae- 
cepit"  Hess  nur  die  Deutung  zu,  dass  die  Procession  und,  wie  man 
annimmt,  auch  die  Schlacht  an  dem  ersten  Tag  eines  Monats  statt- 
gefunden habe.  Es  konnte,  da  Arnolf  am  1.  Oktober  in  Maastricht 
urkundet,  nur  der  1.  September  oder  der  1.  November  in  Frage 
kommen.  Gegenüber  der  früheren  Annahme,  welche  den  1.  September 
vertrat 4),  begründete  E.  Dümmler 5)  den  1.  November  als  Tag  der 
Schlacht  und  dieser  Tag  galt  seit  drei  Jahrzehnten  als  gesichert.  Auf 
Grundlage  des  handschriftlichen  Bestandes,  der  nicht  mehr  den  ersten 
Tag  eines  Monats  aufdrängte,  sondern  dem  Tag  den  Spielraum  der 
ganzen  zweiten  Hälfte  eines  Monats  frei  liess,  hat  der  neueste  Heraus- 
geber der  Fuldaer  Annalen,  Fr.  Kurze,  unter  Berufung  auf  die  Jahr- 
bücher von  St.  Vaast  sich  für  den  November  entschieden,  so  dass  der 
Monatsname  December  zu  ergänzen  wäre  (die  .  .  .  kal.  dec.) ;  er  meint, 


')  Nortnianni  vero,  qui  Novionio  hiemaverant,  decreverunt  Lovanio  sibi  se- 
deui  firmare  ad  hiemauduru  illucque  mense  novernbris  petunt  iter.  Ann.  Vedast. 
M.  G.  ÖS.  1,  527. 

2)  Mühlbacher  Reg.  n°  1812,  1814—1817. 

»)  M.  G.  SS.  1,  408. 

4)  Pertz  berief  sich  dafür  auch  auf  Aventin  Annal.  Boiorum,  in  diesem  Punkte 
einen  unzuverlässigen  Gewährsmann.  Einen  anderen  -Grund  führte  Iust.  Lipsius 
(1037)  an,  dass  nämlich  am  1.  Sept.  in  Löwen  bis  auf  seine  Zeit  öffentliche 
Freuden-  und  Dankesfeste  begangen  wurden. 

')  Gesch.  des  ostfränkischen  Reichs  2,  348  N.  13,  2.  Aufl.  3,  349  N.  2; 
darnach  auch  Mühlbacher  Reg.  n°  1816a. 

Mittbeilungon,  XV.  24 


370  Kleine  Mittheilungen. 

dass  die  Schlacht  bald  nach  den  Iden,  also  Mitte  November  geschlagen 
wurde  1). 

Diesen  bisherigen  Annahmen  und  Erklärungen  tritt  in  bestimmter 
Weise  die  neugefundene  Urkunde  Arnolfs  entgegen.  Ihre  volle  Echt- 
heit steht  ausser  Frage,  gegen  die  Genauigkeit  der  Datiruug  kann 
kein  Bedenken  erhoben  werden.  Nach  ihr  urkundet  Arnolf  am  1.  No- 
vember in  Nymwegen.  Der  1.  November  als  Schlachttag  ist  somit 
ausgeschlossen.  Aber  auch  der  November  überhaupt.  Ein  Blick  auf 
die  Karte  genügt,  um  die  Sachlage  klar  zu  stellen.  Noch  am  9.  October 
steht  Arnolf  an  der  Maas,  wohl  noch  in  der  Nähe  von  Maastricht, 
in  gerader  Linie  (Luftlinie  etwa  70  km.)  östlich  Löwen  gegenüber. 
Zweifelsohne  vor  der  Schlacht:  er  blieb,  wie  nicht  nur  aus  den  Ur- 
kunden, soudeim  aus  dem  Bericht  Eeginos  erhellt,  zögernd  mehrere 
Tage  an  der  Maas  stehen,  bis  die  frischen  Beutezüge  der  Normannen 
ihn  bestimmten  rasch  vorzugehen.  Sie  wurden  von  dem  Angriff  über- 
rascht, er  kam  „unverinuthet-.  Am  1.  November  ist  Arnolf  in  Nym- 
wegen am  Rhein,  in  ganz  anderer  Richtung  (nordöstlich  von  Löwen) 
und  fast  in  der  doppelten  Entfernung,  als  er  an  der  Maas  den  Nor- 
mannen gegenüber  gestanden  war.  Es  kann  dies  nur  nach  der 
Schlacht  gewesen  sein.  Der  Bericht  der  Fuldaer  Annalen  gibt  Raum 
vom  16.  October  (XVII.  kal.  nov.)  an.  Zieht  man  in  Betracht,  dass 
Arnolf  bereits  —  vielleicht  mit  Rücksicht  auf  die  ortslose  Urkunde 
vom  30-  Okt.  spätestens  —  am  1.  November  in  Nymwegen  war,  so 
ist  die  Annahme  gerechtfertigt ,  dass  die  Schlacht  an  den  ersten 
Kaiendentagen  des  Novembers,  also  gegen  den  20.  October,  stattge- 
funden hat. 

Die  frühere  Annahme  des  1.  September  bedarf  kaum  noch  einer 
Widerlegung.  Da  Arnolf  noch  am  21.  Juli  jenseits  des  Inns  war, 
wäre  es  an  sich  mehr  als  unwahrscheinlich,  dass  während  des  August 
das  Heer  aus  Franken  und  Alamannien  aufgebracht  wurde ,  dass  es 
au  die  Maas  rückte,  hier  noch  stehen  blieb  und  schon  am  1.  September 
den  Sieg  erfocht.  Die  Angabe  der  Jahrbücher  von  St.  Vaast,  dass  die 
Normannen  erst  im  November  nach  Löwen  gezogen  seien,  wird  durch 
die  anderen  Berichte  und  die  Urkunden  als  irrige  gekennzeichnet 
und  fällt  umso  weniger  ins  Gewicht,  als  dieselben  Jahrbücher  sich 
im  Bericht  von  891  noch  eines  anderen  und  schwereren  Irrthums 
schuldig  machen,  indem  sie  Arnolf  schon  früher,  während  er  in  Baiern, 
meist  in  Regensburg  weilte,    einen  ersten  Zug  gegen  die  Normannen 

')  L.  c.  121  N.  l. 


Eine  neue  Urkunde  K.  Arnolfs  und  die  Schlacht  an  der  Dyle.  37  \ 

unternehmen    und    über    die    Scheide    bis    gegen    Arras    vordringen 
lassen  1). 

Hier  die  Urkunde. 
König  Amolf  schenkt  dem  Priester  Egwolf  zwei  Mausen  zu  Pontus  (Po)it 
s.   Vincent).  Nymwegen  891  Nov.   1. 

K.  s,  XVII  in  cod.  lat.  17197  f.  100  (A)  Paris  bibl.  mit. 

In  nomine  sanctae  et  individuae  trinitatis.  Arnolfus  divina  fa- 
vente  dementia  rex.  Oportet  igitur  regiam  dignitatem  erga  [omnes 
suam  misericordiam  quaerentes  existere]a)  beniguam,  maxime  tarnen 
circa  illos,  qui  prae  ceteris  se  illius  non  differunt  adhibere  servicio. 
Quapropter  omnium  sanctae  dei  ecclesiae  nostrorumque  praesentium 
scilicet  et  futurorum  coguoscat  industria  fidelium ,  qualiter  nos  pro 
aeternae  mercedis  augmento  et  per  interventum  Eugilperonis  capellani 
et  notarii  nostri  necnon  Alberici  vasallib)  nostri  cuidam  presbitero  et 
dilecto  oratori  nostro  Egwolf  nominato  in  pago  Tullensi0)  in  comitatu 
Hugonis  in  loco  qui  dicitur  Pontus  super  fluvium  Mozellam  constituto 
mansos  duos  ex  utraque  parte  eiusdem  fluminis  iacentes  qui  ad  fiscum 
nostrum  Tundoluesdorf  nuncupatum  prius  pertinebant,  cum  consensu 
Otuncharii  qui  inde  beneficiatus  est,  ad  proprium  concessimus  cum 
curtilibusd)  et  aedificiis  et  ancilla  Weseldis  nomine  liberisque  suis, 
campis  agris  pratis  pascuis  silvis  aquis  aquarumque  decursibus  mo- 
lendinis  piscationibus  viis  et  inviis  exitibus  ac  reditibus  quaesitis  et  in- 
quirendis  cultis  et  incultis  mobilibus  et  immobilibus  et  cum  universis 
ad  praefatos  mansos  rite  aspicientibus.  Jussimus  quoque  hoc  praesens 
muniminise)  nostri  praeceptum  inde  conscribi  firmissime  imperantes, 
ut  iam  fatus  presbiter  uostris  futurisque  temporibus  liberam  secu- 
ramque  de  his  omnibus  habeat  potestatem  tenendi  donandi  vendendi 
commutandi  et  quicquid  exinde  voluerit  faciendi  absque  ullius  im- 
pedimento.  Et[ut]  haec  concessionis  nostrae  [auctoritas  firmior  habeatur 
et  per  futura  tempora  a  fidelibus  nostris  verius  credatur  ac  diligentius 
observetur] f,  manu  nostra  subtus  eam  roborantes  s)  anulo  nostro  iussi- 
mus  insigniri. 


')  Dazu  kommt  hier  die  offenbare  Verwirrung  der  Zeitangaben:  circa  au- 
tumni  vero  tempora  relicto  Noviomo  maritima  petiere  loca  ibique  toto  aestivo 
tempore  inorati  sunt.     Vgl.  Mühlbacher  Reg.  1810A 

a)  Ergänzt  nach  der  Arenga  der  Urk.  Arnolfs  Mühlbacher  n°  1790,  deren 
Wortlaut  sich  noch  am  meisten  nähert;  der  hier  fehlende  Nachsatz  ,, maxime 
tarnen  .  .«  auch  in  Arenga  ganz  ähnlicher  Fassung,  Mühlbacher  n°  1977,  1997. 
b)  vassali  A.  c)  Tullense  A.  <*)  curialibus  A;    das  ganz  ungewöhnliche 

und  ungehörige  Wort  offenbar  Lesefehler.  e)  manuminis  A.  f)  Ergänzt 

nach  einer  der  nächstliegenden  von  Engilpero  recognoscirten  Urkunden,  Mühl- 
bacher n°  1820.    .       ?)  roboratas  A. 

24* 


372  Kleine  Mittheilungen. 

Signum  domni  Aruolfi  (M.)  serenissimi  regis. 

Engil[pero]  notariusa)  [advicem  Theotmari  archijcapellani  recog- 
novi. 

Datab)  kal.  nov.  anno  dorninicae  incarnationis  DCCCXCI,  in- 
dictione  Villi,  anno  Christo  propicio  regni  domni  Arnolfi  regis  IIIIC), 
actum  Novioniaco;  in  dei  nomine  amen. 

Paris.  A.  Dopsch. 


Greheiinschrift.  In  einem  Bündel  des  vatikanischen  Archivs, 
welches  Anweisungen  zum  Chiffriren,  Chiffrirtabellen  und  dergl.  aus 
dem  17.  und  18.  Jahrhundert  enthält,  fand  ich  auch  zwei  ältere  Stücke 
gleicher  Art:  das  eine  auf  einem  Pergamentblatte  in  gross  8°,  das  an- 
dere auf  einem  viermal  so  grossem  Pergament,  beide  zu  Anfang  des 
15.  Jahrh.  beschrieben  und  dieselbe  Geheimschrift  bietend.  Zu  der 
auf  dem  kleinen  Blatte  befindlichen  Anleitung,  welche  ich  unten  folgen 
lasse,  habe  ich  nur  wenig  zu  bemerken.  In  Florenz,  Mailand,  Venedig 
war  die  eigentliche  Chiffreschrift  um  1450  schon  eingebürgert,  wes- 
halb man  wohl  annehmen  darf,  dass  sie  auch  an  der  Curie  bereits 
in  Gebrauch  war.  Die  früher  gebräuchliche  Geheimschrift,  welche  auf 
der  Vertauschung  der  Buchstaben  beruhte,  scheint  nie  besonders  ent- 
wickelt worden  zu  sein.  Dafür  spricht  auch  die  Einfachheit  dieses 
Schlüssels,  an  dessen  Verwendung  in  Kom  wohl  um  so  weniger  zu 
zweifeln  ist,  als  auf  dem  grössern  Pergamentblatt  auch  ein  nach  der- 
selben Kegel  angelegter  Nomen clator  geboten  ist,  und  zwar  sind  hier 
erst  in  Geheim-  und  dann  in  Klarschrift  gerade  diejenigen  Länder- 
uud  Städtenamen,  Würdenträger  und  Titulaturen  verzeichnet  worden, 
welche  in  der  Correspondenz  der  Curie  mit  ihren  Agenten  am  häu- 
figsten vorkommen.  Auch  einzelne  dieser  Namen  weisen  gleich  der 
Schrift  auf  die  Anfänge  des  15.  Jahrhunderts  hin. 

Nota  quod  iste  quinque  littere  vocales  a.  e.  i.  o.  u.  transferantur, 
videlicet  ultima  pro  prima  et  penultima  pro  secunda  et  econverso,  pro 
media  vero  que  est  i  latinum  ponatur  y  grecum  sicut  hie: 

u.     o.     y.     e.     a. 

a.    e.    i.    o.    u. 

Alie  autem  littere,  cassatis  tribus  ultimis  videlicet  c.  2.  9.,  scri- 
bantur  ultima  pro  prima,  et  econverso  et  sie  de  singulis,  et  quia  nu- 


a)  notarii  A.  b)  Datum  A.  c)  nostri  regni  IUI  A. 


Geheimschrift.  373 

merus  ipsaruin  aliarum    litterarum    est  dispar,    loco  meclie  littere   que 
est  m.,  ponatur  9,  sicut  hie. 

z.     x.     t.     s.     r.     q.     p.     11.     9.     1.     k.     h.     g.     f.     d.     c.     b. 

b.    c.   d.   f.   g.    h.    k.    1.    ni.   11.    p.    q.    r.  s.     t.    x.    z. 

ßeatissime      pater     ego     rex         Sicilie       ure      uotifico  u  sanetitati 
zoudy£Fyc)0    kudog     ore     goc       fyxynyo       ago    ledysyxe  l  fulxdydudy 
Kom.  S  i  c  k  e  1. 


Literatur. 

Herroenegild  R.  v.  Jirecek,  Unser  Reich  vor  zwei- 
tausend Jahren.  Eine  Studie  zum  historischen  Atlas  der  öster- 
reichisch-ungarischen Monarchie.  Mit  einer  Karte.  Wien  1893.  Com- 
raissionsverlag  von  Ed.  Hölzel. 

Der  Verf.  ist  der  Ansicht,  dass  die  Herstellung  eines  »historischen 
Atlas  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie«  für  die  Schulen  eine  drin- 
gende Notwendigkeit  sei.  Mit  dieser  Studie  will  er  ein  Paradigma  geben 
sowol  für  die  zu  Grunde  zu  legende  Kartenpartie,  wie  für  die  Erläuterung 
derselben.  Dabei  ist  das  älteste  bekannte  Zeitalter  zur  Darstellung  ge- 
bracht, für  das,  wie  der  beigegebene  Prospekt  angibt,  als  Hauptquelle  die 
Geschichtsbücher  Herodot's  dienten. 

Vor  2000  Jahren,  d.  i.  im  J.  106  v.  Chr.,  würden  wir  uns  aller- 
dings nicht  im  Zeitalter  des  Herodot,  sondern  in  dem  der  Cimbern-  und 
Teutonenkriege  befinden  und  würde  also  eher  die  Behandlung  dieser  Zeit, 
wie  sie  Müllenhoff  im  2.  Bande  der  »Deutschen  Alterthumskunde*  ge- 
geben hat,  zu  Grunde  zu  legen  sein;  auch  H.  Kiepert's  diesem  Bande  ein- 
verleibte Karte:  »Kelten  und  Germanen  im  IV. — I.  Jahrhundert  v.  Chr.« 
durfte  nicht  unberücksichtigt  bleiben.  Für  die  untere  Donau  verfügte 
man  damals  bereits  über  die  Erfahrungen,  welche  Alexander  d.  Gr.  und 
von  seinen  Nachfolgern  namentlich  Lysimachus  von  Thrakien,  sowie  An- 
tigonos  Gonatas  von  Makedonien  im  Kampfe  gegen  Triballer,  Geten,  Kelten 
gemacht  hatten.  Andererseits  gieng  der  Handelszug  von  Dyrrhachium  und 
Apollonia  am  adriatischen  Meer  quer  durch  die  Balcanhalbinsel  nach  dem 
heutigen  Siebenbürgen,  wie  die  dort  gefundenen  Münzen  deutlich  erweisen. 
Hiebei  bemerke  ich,  dass  der  Verf.  Bosnien  und  die  Herzegowina  in  seine 
Darstellung  nicht  aufgenommen  hat,  trotzdem  die  Durchforschung  dieser 
Provinzen  namentlich  auch  in  Bezug  auf  die  alten  Verkehrsverhältnisse 
neuerdings  unter  der  Aegide  des  Hrn.  Reichsfinanzministers  v.  Kallay  die 
erfreulichsten  Fortschritte  gemacht  hat,  also  an  Vorarbeiten  *)  kein  Mangel 


')  Ich  verzeichne  dieselben :  1.  »Wissenschaftliche  Mittheilungen  aus  Bosnien 
und  derHerzegov:na\  Herausgegeben  vom  bosnisch-herzegovinischenLandesniuseum 


Literatur.  375 

ist.  —  Die  Donaumündungen  und  die  Pontusküste  waren  durch  die 
hellenische  Colonisation  schon  früher  gut  bekannt  geworden,  und  dafür 
mag  man  immerhin  Herodot's  Schilderung  zu  Grunde  legen ;  für  das  Binnen- 
land erscheint  er  schon  nicht  so  gut  unterrichtet,  wie  er  denn  den  von 
den  Agathyrsen  kommenden  Maris  (die  Marosch)  direkt  in  die  Donau  mün- 
den lässt  u.  dgl.  m.  Dann  kommen  allerdings  auch  die  Nachrichten  in 
Betracht,  welche  in  die  Ueberlieferung  der  Sagenzeit,  wie  sie  saec.  III/II 
a.  Ch.  bei  Apollonios  Rhodios  vorliegt,  eingefügt  sind.  So  z.  B.  in  die 
Argonautensage:  darin  wird  der  damaligen  Tendenz  entsprechend,  die 
geographischen  Kenntnisse  in  dieser  Weise  einzukleiden,  die  Fahrt  der 
Argonauten  den  Istros  hinauf  beschrieben.  Am  Punkt,  wo  der  Istros 
(d.  i.  die  Donau)  den  Savefiuss  aufnimmt,  verliessen  sie  den  Donaulauf 
und  ruderten  die  Save  hinauf,  bis  sie  die  Gegend  des  heutigen  Laibach 
erreichten.  Hier  verliessen  sie  den  Fluss,  welchen  sie  für  den  Istros 
hielten  und  gelangten  übers  Karstgebirge  ans  Gestade  und  die  Inseln  des 
heutigen  Quarnero,  wo  Jason  die  kolchischen  Begleiter  des  umgebrachten 
Absyrtos  tödtete:  daher  der  Name  der  Insel  Absyrtis.  Diese  quasigeo- 
graphische Darstellung  spukt  noch  bei  Plinius  nach ;  wie  auch  die  Ansicht, 
dass  der  Istros  sich  nach  zwei  Richtungen  hin  gable,  einerseits  nach  dem 
Pontus,  anderseits  nach  der  Adria,  sich  lange  erhalten  hat.  Von  Bedeu- 
tung ist  die  Schilderung  des  Apollonios  von  Rhodus  für  die  Erkenntnis 
eines  alten  Handelsweges,  den  auch  Strabo  beschreibt:  von  Aquileia  nach 
Nauportus  (bei  Oberlaibach)  auf  der  Achse,  von  da  zu  Schiff  nach  Siscia 
und  weiter  in  die  Donau.  (Vgl.  Corp.  inscript.  Lat.  III  p.  483).  Die 
Savemündung  und  die  während  der  neuesten  Regulierungsarbeiten  (1893) 
wieder  eingehender  untersuchten  Stromschnellen  der  Donau  (» scrophulae * 
in  römischer  Zeit)  waren  Punkte,  die  sich  Beachtung  erzwangen. 

Also  Ueberlieferungen  jener  Art  haben  ihren  Werth.  Aber  der  Verf. 
geht  doch  zu  weit,  wenn  er  die  »Sagen  der  hellenischen  Vorzeit'  so  aus- 
führlich behandelt:  1.  Die  Kadmossage  (weil  Apollonios  Rhodios  die  Grab- 
stätte des  Kadmos  in  die  Rhizonische  Bucht,  beim  heutigen  Cattaro,  ver- 
legt). 2.  Die  Heraclessage  (»der  Sage  folgend,  war  die  Richtung  des 
Weges,  welchen  Heracles  gegangen  ist,  durch  Illyrien  um  das  Adriameer 
oder  über  dasselbe  zum  Poflusse  hinüber*).  3.  Die  Hyllossage  (»das  an 
der  dalmatinischen  Küste  der  Adria,  in  der  Gegend  des  heutigen  Zara 
ansässige  Volk  der  Hylleer  leitete  seine  Abkunft  von  Hyllos  her*).  4.  Die 
Argonautensage.  5.  Die  Antenorsage  (nach  Sophocles  bei  Strabo  XIII 
C.  608  und  nach  Livius  B.  1  gründete  Antenor  bei  den  Henetern  ein 
neues  Troia,  vgl.  Berger,  Geschichte  d.  wissenschaftl.  Erdkunde  der  Griechen 
I.   23  f.;  was  eigentlich  die  Oesterreicher  nichts  mehr  angeht,   aber  Herodot 


in  Serajevo.  Redigirt  von  M.  Hoernes.  Erster  Band.  Mit  30  Tafeln  und  760  Ab- 
bildungen im  Texte.  Wien  1893  (bei  Gerolds  Sohn).  2.  »Römische  Strassen  in 
Bosnien  und  der  Herzegovina«  von  Philipp  Balliff,  bos.-herzegov.  Baurath.  Her- 
ausgegeben vom  bosnisch-herzegovinischen  Landesmuseum.  I.  Theil.  Mit  24  Ab- 
bildungen auf  12  Tatein  und  1  Karte.  Nebst  einem  Anhang  über  die  Inschriften 
von  K.  Patsch.  Wien  1893  (bei  Karl  Gerold's  Sohn).  Beide  Publicationen  wur- 
den der  Wiener  Philologenversammlung  voriges  Jahr  (1893)  vorgelegt. g  Auch  W. 
Tomaschek  hat  in  mehreren  neueren  Arbeiten  Bosnien  und  die  Herzegovina  be- 
handelt. Vgl.  »Mittheilungen  d.  geograph.  Gesellschaft  in  Wien"  1880  S.  497 
bis  528,  und  545—567;  dann  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akademie   1881. 


376  Literatur. 

nennt  Heneter  auch  in  Illyrien,  und  diese  konnten,  meint  der  Verf.  S.  56, 
von  den  Schaaren  Antenor's  zurückgeblieben  sein.  6.  Die  Diomedessage 
(Diomedes'  Name  spukt  an  der  ganzen  adriatischen  Küste  herum,  auch  an 
einem  Zipfel  gegenwäi'tig  österreichischen  Gebietes :  der  Schlund  des 
Timaus  wui-de  nach  Strabo's  Zeugnis  »Heiligthum  des  Diomedes«  genannt). 
7.  Die  Tyrrhenossage  (wegen  der  Raeter). 

Dann  wird  die  alte  Geographie  vorgeführt:  Pontos  und  Adrias;  der 
Istros  (Müllenhoffs  ausgezeichnete  Studie  über  »die  Donau«,  jetzt  dem 
2.  Bande  der  »Deutschen  Alterthumskunde  «  S.  362  ff.  einverleibt,  scheint 
dem  Verf.  nicht  bekannt  zu  sein);  die  bei  Herodot  angeführten  übrigen 
Flüsse.  Die  Gebirgszüge :  der  Haemus ;  das  herkynische  Waldgebirge ;  die 
Alpen.  Hier  vermisst  man  die  Berücksichtigung  der  Bergwerksverhält- 
nisse, die  doch  von  entscheidender  Bedeutung  waren:  die  Goldgruben  für 
Dacien,  Eisen-  und  Gold  für  Noricum,  Silber  und  Gold  für  Dalmatien 
(d.  h.  die  heutigen  Provinzen  Bosnien  und  Herzegovina) ;  Salz  in  Noricum, 
in  Dacien  u.  s.  w.  Nennt  doch  schon  Herodot  die  »goldtragenden« 
Agathyrsen,  wie  denn  auch  nach  den  Untersuchungen  von  G.  Tegläs  der 
siebenbürgische  Goldbau  in  jene  Zeiten  zurückreichen  wird ;  Polybius  erwähnt 
das  Gold  von  Noricum;  die  in  Bosnien  gelegenen  Bergwerke  von  Srbenica 
(in  römischer  Zeit  Domavia)  sind  neuerdings  geradezu  auf  dem  Wege  der 
historischen  Forschung  wieder  in  Aufnahme  gekommen  (vgl.  Radimsky 
in  der  oben  erwähnten  Publication  von  M.  Hoernes  S.  219  ff.)  Nach  dem 
Namen  von  Hallstadt  hat  man  sich  gewöhnt  eine  ganze  Periode  zu  be- 
nennen. Warum  sollen  alle  diese  Punkte  auf  einer  so  wesentlich  »prae- 
historischen «  Karte  nicht  verzeichnet  werden?  Der  Verf.  behandelt  die 
Völkerschaften  Herodots:  1.  Die  Thrako-lllyrer  (W.  Tomaschek's  Arbeiten, 
worin  Thraker  und  Illyrer  strenge  geschieden  werden,  scheinen  dem  Verf. 
gleichfalls  nicht  geläufig  zu  sein).  2.  Die  Skoloten  oder  Skythen.  3.  An- 
dere Völkerschaften:  die  Neurer,  die  Agathyrsen;  die  Sigynner;  die  Raeter 
(darunter  »die  Bechuni,  die  Ptolemaeischen  Bewohner  der  westlich  von 
den  Venetern  gelegenen  Gegend  mit  den  Städten  Vannia,  Carraca,  Bretena 
(Brixen)  und  Anaunium  (Nons)«.  Eine  etwas  verwegene  Geographie,  die 
zu  der  commentirten  Ausgabe  des  Ptolemaeus  von  Ch.  Müller  I  (1883) 
p.  340  nicht  stimmt;  vgl.  auch  W.  Tomaschek  in  der  österr.  Gymnasial- 
zeitschrift 1885  S.  596,  woraus  zu  ersehen,  dass  besagte  Stelle  unseren 
besten  Geographen  Schwierigkeiten  macht,  deren  sich  der  Verf.  nicht  be- 
wusst  ist) ;  die  Heneter ;  die  Kelten.  Zuletzt  werden  die  Verkehrswege, 
keineswegs  zureichend,  besprochen,  und  in  einem  Anhang  »Eridanos  und 
Bernstein«. 

Die  beigegebene  Karte  verzeichnet  die  genannten  Völkerschaften, 
Flüsse,  Berge;  Orte  nur  an  der  Küste,  so  dass  man  nach  dieser  Karte 
die  physische  Geographie  der  dargestellten  Landschaften  studiren  könnte, 
ehe  durch  politische  Veränderungen  im  grossen  Stil  historisch  wichtige 
Punkte,  wie  sie  jenen  Veränderungen  entsprachen,  geschaffen  wurden. 

Der  Verf.  stellt  in  seiner  Einleitung  eine  Reihe  von  weiteren  Einzel- 
karten in  Aussicht :  das  augustische  Zeitalter ;  zweites  Jahrhundert  n.  Chr. ; 
die  Zeit  der  grössten  Ausdehnung  des  römischen  Reiches  (Nebenkarte: 
Vindobona).  Dabei  darf  man  fragen:  warum  können  mindestens  die  zwei 
letzteren  Karten   nicht   zusammengeworfen    werden?     Die  grösste  Ausdeh- 


Literatur.  377 

nung  hatte  das  römische  Eeich  für  unsere  Gegenden  von  Traian  bis  Au- 
relian.  Auch  halte  ich  es  für  historisch  irreführend,  Vindobona  in  den 
Vordergrund  zu  stellen,  da  doch  Carnuntum  während  jener  Zeit  der  wich- 
tigste Punkt  an  der  mittleren  Donau  war.  Für  eine  solche  Nebenkarte 
bietet  der  von  J.  W.  Kubitschek  und  S.  Frankfurter  herausgegebene 
»Führer  durch  Carnuntum«  (2.  Aufl.  Wien  1891,  Lechner's  Hof-  und 
Univ.-Buchhandlung)  eine  vortreffliche  Vorarbeit.  Will  man  Vindobona 
miteinbeziehen,  so  wäre  auf  Kubitschek' s  Studie  »Vindobona*  in  den  Xenia 
Austriaca  (Festschrift  der  österr.  Mittelschulen  zur  42.  Versammlung  deut- 
scher Philologen  und  Schulmänner)  I.  Abth. :  Classische  Philologie  und 
Archaeologie  S.  1  ff.  Rücksicht  zu  nehmen.  Weiter  sollen  zur  Darstellung 
gelangen:  das  Zeitalter  der  Völkerbewegungen;  das  VII.  und  VIII.  Jahr- 
hundert; das  Zeitalter  Karl's  des  Grossen  (Nebenkarte:  der  Oriens.  Was 
damit  gemeint  ist,  konnte  ich  mir  aus  der  Mühlbacher's  » Karolingern  * 
Lief.  7  beigegebenen  Karte  nicht  klar  machen).  Zehntes  Jahrhundert 
(Nebenkarte :  die  Ostmark) :  kirchlicher  Zustand  bei  Abschluss  der  Christiani- 
sirung  und  Vertheilung  der  Völker  am  Schlüsse  des  X.  Jahrhunderts.  — 
Unser  Urtheil  lässt  sich  dahin  zusammenfassen:  das  Unternehmen  eines 
»historischen  Atlas«  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie  ist  wohl  zu 
billigen;  für  die  einzelnen  Karten  müsste  sich  der  Verf.  jedenfalls  des 
Beistandes  tüchtiger  Fachmänner  versichern,  um  nicht  gelegentlich  auch 
in  wichtigen  Dingen  fehl  zu  greifen. 

Prag.  J.    Jung. 


Georges  Blondel,  docteur  en  droit  et  docteur  a  lettres,  pro- 
fesseur  agrege  ä  la  faculte  de  droit  de  Lyon,  Etüde  sur  la  poli- 
tique  de  l'empereur  Frederic  IL  en  Allernagne  et  sur  les 
transformations  de  la  Constitution  Allernande  dans  la 
premiere  moitie  du  XIIIe  siecle.  Paris,  Alphonse  Picard  et 
Juli,  editeurs,  1892.  XLVI,  440  SS. 

Die  Verfassungsgeschichte  des  fränkischen  Reiches,  aus  welchem  sich 
in  der  Folge  die  nationalen  Reiche  abgesondert  haben,  bildet  von  jeher 
das  gemeinsame  Arbeitsfeld  für  Franzosen  und  deutsche  Forscher.  In 
dem  vorliegenden  Werke  hat  ein  jüngerer  französischer  Gelehrter,  durch 
Lavine  veranlasst,  sich  mit  Deutschland,  seiner  geschichtlichen  Entwicklung 
und  seiner  gegenwärtigen  Gestaltung  vertraut  zu  machen,  es  unternommen, 
ein  Stück  deutscher  Vergangenheit,  die  Zeit,  da  die  Landeshoheit  in  den 
einzelnen  Theilen  des  Reiches  entstanden  ist,  vor  Augen  zu  führen.  Auf  Grund 
umfassender  Quellenstudien  und  mit  Benutzung  der  ansehnlichen,  zumeist 
deutschen  Litteratur  hat  Herr  Blondel,  von  welchem  bereits  1891  eine 
Studie  über  die  ländliche  Bevölkerung  in  Deutschland  am  Ende  des  Mittel- 
alters erschienen,  die  Politik  Kaiser  Friedrichs  IL  in  den  deutschen  Landen 
und  die  Veränderungen,  die  das  öffentliche  Recht  des  Reiches  in  Folge 
derselben  in  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  erfuhr,  zum  Gegen- 
stand einer  eingehenden  Darstellung  gemacht. 


378  Literatur. 

Bei  dem  Zweck  dieser  Anzeige,  die  Aufmerksamkeit  unserer  Forscher 
auf  das  Werk  zu  lenken,  werden  wir,  dem  Gange  der  lichtvollen  Dar- 
stellung folgend,  den  von  dem  Verfasser  behandelten;  reichen  Stoff  zu  ver- 
anschaulichen suchen. 

Um  den  Weg  zu  bahnen  für  ein  richtiges  Verständnis  der  Politik 
Friedrichs,  giebt  das  erste  Kapitel  zunächst  einen  kurzen  Bericht  über  die 
seit  den  Zeiten  Heinrichs  I.  bis  zum  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  statt- 
gehabte Entwicklung  der  Eeichsverfassung,  während  hierauf  die  Jugend, 
die  Erziehung,  der  Charakter  und  in  grossen  Zügen  auch  die  Regierung 
des  von  den  Geschichtsschreibern  so  verschieden  beurtheilten  Kaisers  ge- 
schildert wird. 

Das  zweite  Kapitel  betrachtet  vom  rechtlichen  Standpunkte  aus  das 
deutsche  Königthum  zu  Beginn  des  12.  Jahrhunderts,  wobei  auf  die 
Königsmacht,  den  kaiserlichen  Namen  und  die  kaiserliche  Würde,  auf  das 
Verhältnis  zur  Christenheit  und  Kirche,  weiter  auf  die  Hof-  und  Erz- 
ämter, sowie  auf  die  Reichstage  —  die  wichtigsten  der  unter  Friedrich  II. 
abgehaltenen  sind  S.  46,  47  verzeichnet  —  eingegangen  wird.  Die  ge- 
setzgebende Gewalt  äussert  sich  in  leges  oder  constitutiones  und  in  den 
sententiae,  unter  welchen  der  Verfasser  die  Rechtssprüche  des  Königs  und 
die  Weisthümer  des  Hofgerichtes  unterscheidet.  Der  König  ist  der  oberste 
Richter  und  als  solcher  wird  er  selbst  beziehungsweise  ein  ernannter 
Stellvertreter  allein  (s.  dagegen  jedoch  Ficker,  Forschungen  zur  Reichs- 
und Rechtsgeschichte  Italiens  I  Nr.  163,  III  Nr.  602  und  Wiener 
Sitzungsberichte  128  Nr.  2.  S.  10  Note  2)  oder  mit  dem  Rath  und  Urtheil 
von  Grossen  des  Reiches  wirksam.  Das  Hofgericht  entwickelt  sich  im  12. 
Jahrhundert  allmählig  und  erhält  seine  Regelung  im  Jahre  1235.  Der 
König  war  auch  oberster  Schutzherr  des  Reiches  und  als  solcher  mochte 
er  Burgen  bauen  und  Befestigungen  anlegen;  einen  Krieg  aber  konnte  er 
nur  mit  Zustimmung  des  Reichstages  beschliessen  und  auf  Grund  eines 
solchen  Beschlusses  mittelst  der  Fürsten  und  Grafen  des  Reiches  das  Heer 
sammeln,  um  es  anzuführen.  Das  Recht  des  selbständigen,  unmittelbaren 
Aufgebotes  stand  ihm  bloss  zu  gegenüber  den  —  unverliehenen  —  Reichs- 
dienstmannen,  den  eigenen  Lehnsleuten  und  den  freien  oder  des  Reiches 
Städten.  Die  Hilfsquellen  des  Königthums  bildeten  die  Reichsgüter,  zu 
welchen  der  Verfasser  S.  68  auch  die  Besitzungen  der  Abteien  im  Gegen- 
satz zu  jenen  der  Stiftskirchen  rechnet,  dann  die  Hausgüter,  welche  das 
Geschlecht  der  Staufen  namentlich  in  Schwaben  besass,  soweit  dieselben 
nicht  verpfändet  waren  ,  ferner  die  Einkünfte,  welche  die  Ausübung  der 
Regalien  brachte,  daneben  die  freiwilligen  Geschenke  der  Fürsten  und 
Hen-en,  die  Abgaben  der  Städte,  die  Tribute  slavischer  Völkerschaften 
und  die  Judenschutzgelder. 

Bei  der  nun  folgenden  Darlegung  der  Politik  Friedrichs  IL  in  Deutsch- 
land, dessen  Boden  der  Kaiser  im  Jahre  1212  zum  erstenmale  betrat, 
glaubte  der  Verfasser  das  Verhalten  gegenüber  den  weltlichen  Lehnsträgern 
abgesondert  von  dem  gegenüber  der  Geistlichkeit  und  getrennt  endlich 
das  Vorgehen  gegenüber  den  Städten  erörtern  zu  sollen,  ohne  indess  den 
Zusammenhang  zu  verkennen,  der  zwischen  der  Politik  nach  den  unter- 
schiedenen Riehtungen  besteht. 

Dem  entwickelten  Programme  gemäss  beschäftigt  sich  das   dritte  Ca- 


Literatur.  379 

pitel  mit  der  Politik  im  Verhältniss  zu  den  Lehnsträgern  des  Laienstandes, 
und  nachdem  von  diesen  selbst  eine  Vorstellung  gegeben  worden,  ferner 
die  wichtigsten  Urkunden,  in  welchen  die  kaiserliche  Politik  zum  charakte- 
ristischen Ausdruck  kam,  nämlich  die  confoederatio  cum  principibus  eccle- 
siasticis  von  1220,  das  statutum  in  favorem  principum  von  1231,  der 
Mainzer  Landfriede  von  1235  neben  den  Urkunden  von  1212,  1216  und 
1218  ihre  Besprechung  gefunden  haben,  wird  namentlich  an  der  Hand 
des  statutum  im  Einzelnen  der  Nachweis  geführt,  welche  Schranken  durch 
den  Kaiser  der  Wirksamkeit  der  königlichen  Gewalt  zumal  in  Betreff  des 
Marktverleihungsrechtes,  wobei  jedoch  die  dem  §  4  gegebene  Auslegung: 
il  enleve  au  souverain  le  droit  de  determiner  les  voies  commerciales  et 
de  regier  la  circulation  dans  1'  empire  bedenklich  erscheint,  der  Zollrechte, 
des  Münzrechtes,  des  Berg-  und  Salzrechtes,  sowie  des  Geleitsrechtes  für 
die  Zukunft  gesetzt  wurden.  Im  Verhältniss  zu  den  in  diesen  Beziehungen 
gemachten  Zugeständnissen  kann  von  solchen  in  Ansehung  der  Gerichts- 
barkeit (§  6 — 9  scheinen  nur  bestehendes  Recht  zu  bestätigen)  und  in 
Sachen  des  Heerbannes  (§  1  gedenkt  bloss  der  Anlage  von  nova  castra) 
kaum  die  Rede  sein,  während  allerdings  der  in  dem  statutum  nicht  er- 
wähnte Wegfall  der  königlichen  Bannleihe  von  grosser  Bedeutung  ge- 
worden ist.  Den  Schluss  dieser  Erörterungen  bilden  die  Fortschritte, 
welche  in  Folge  der  Politik  Friedrichs  IL  die  Ausbildung  der  Landes- 
hoheit in  einzelnen  Territorien  erkennen  lässt,  unter  Hervorhebung  der 
seit  der  zweiten  Hälfte  des  1 3.  Jahrhunderts  in  den  Fürstenthümern 
aufgekommenen  Theilungen,  welche  als  ein  deutliches  Zeichen  aufgefasst 
werden,  dass  die  Lehnsträger  nunmehr  als  eigenberechtigte  Herren  sich 
betrachteten. 

Das  vierte  Capitel  ist  dem  Verhältniss  Friedrichs  IL  zu  der  Geistlich- 
keit gewidmet.  Nachdem  deren  Stellung  im  Anfang  des  1 3.  Jahrhunderts 
besprochen  worden,  bildet  die  confoederatio,  welche  als  eine  dem  Kaiser 
für  die  Wahl  seines  Sohnes  zum  König  abgewonnene  Capitulation  sich 
darstellt,  den  Kern,  an  welchen  sich  die  Ausführungen  über  die  Stellung 
des  Kaisers  zum  Papste  oder  die  Zwei-Schwerter-Theorie,  über  die  Bischofs- 
wahlen, das  Regalien-  und  Spolienrecht,  sowie  über  das  freie  Verfügungs- 
recht der  Bischöfe  auf  den  Todesfall,  über  die  Vogteien,  über  das  Ledig- 
werden des  Gerichtes,  der  Zölle  und  der  Münze  in  den  bischöflichen 
Städten  zur  Zeit  eines  ächten  Hoftages  und  Anderes  anschliessen.  Eine 
besondere  Erörterung  wurde  zum  Schlüsse  den  reichsunmittelbaren  Abteien 
zugedacht. 

Neben  den  beiden,  zuletzt  besprochenen  Capiteln  ist  von  besonderer 
Wichtigkeit,  ferner  das  fünfte  Capitel,  in  welchem  das  Verhalten  des 
Kaisers  gegenüber  den  Städten  auseinander  gesetzt  wird.  Auch  hier  leitet 
ein  kurzer  Ueberblick  über  die  Entstehung  der  Städte,  ihre  Bewohner,  die 
besonderen  Merkmale  einer  Stadt  und  die  Arten  der  Städte  die  aus  den 
drei  allgemeinen  Gesetzen  wie  auch  aus  den  für  einzelne  Städte  getroffenen 
Verfügungen  erkennbare  Politik  des  Kaisers  ein.  Gegen  die  königlichen 
Städte  anfänglich  wohlwollend,  später  schwankend,  hat  sich  dieselbe  in 
der  Absicht,  die  Unterstützung  der  geistlichen  Fürsten  zu  gewinnen,  stets 
feindselig  gegenüber  den  bischöflichen  Studien  bethätigt.  Wegen  der 
Einzelheiten  verweise  ich  auf  S.   301  — 3G4. 


380  Literatur. 

Um  der  Vollständligkeit  willen  wurde  in  einem  sechsten  Capitel  auch 
die  rechtliche  Lage  der  ländlichen  Bevölkerung  zu  Anfang  des  13.  Jahr- 
hunderts nebst  der  Verfassung  der  grossen  Grundherrschaften  in  den 
Bereich  der  Darstellung  gezogen:  mais  il  est  difficile  de  dire  quelle  a 
ete  la  politique  de  ce  souverain  ä  l'egard  des  classes  rurales  de  l'Alle- 
magne;  on  ne  peut  meme  affirmer  qu'  il  en  ait  eu  une,  S.   373. 

Ein  letztes,  das  siebente  Capitel  beschäftigt  sich  vor  Allem  mit  den 
Hauptgedanken,  von  welchen  sich  Friedrich  II.  in  seiner  gegenüber  Deutsch- 
land befolgten,  keineswegs  selbständigen  und  schöpferischen  Politik  hat 
leiten  lassen.  Der  grosse  Traum  seines  Lebens  war,  Deutschland,  dem 
er  durch  seine  Geburt  unter  einem  andern  Himmel  fremd  gewesen  und 
stets  fremd  geblieben  ist,  mit  Italien  zu  verbinden  zu  einem  Eeiche,  dessen 
Sitz  das  durch  ihn  nach  römisch-normannischem  Zuschnitt  einheitlich  ge- 
staltete und  verwaltete  Sicilien  hätte  sein  sollen.  So  wenig  jedoch  dieses 
Hirngespinnst  zu  verwirklichen  war,  so  gefährlich  wurde  ihm  andererseits 
sein  Sinnen  gegenüber  der  Kirche,  deren  Vogt  er  gewesen,  während  er 
ihr  Meister  sein  wollte. 

Den  Schluss  des  Ganzen  bildet  die  Betrachtung,  dass  nach  der  Re- 
gierung Friedrichs  II.  und  dem  Untergang  seines  Hauses  die  einheitliche 
Gewalt  in  der  Hand  des  Königs  gebrochen  und  eine  Vielheit  der  Gewalten 
im  Besitze  der  Landesherren  und  Städte  entstanden  war.  Dadurch  wurde 
eine  Entwicklung  der  individuellen  Kräfte  möglich,  aber  eine  Sammlung 
derselben  unmöglich  und  in  Folge  dessen  blieb  für  geraume  Zeit  dem 
Lande  die  Rolle  vorenthalten,  welche  es  bei  seiner  Lage,  den  Eigenschaften 
seiner  Bevölkerung  und  den  grossen  Erinnerungen  zu  spielen  berufen  war. 

Angefügt  sind  dem  Werke  drei  Beilagen,  wovon  die  erste  die  Texte 
der  wichtigsten  Verfassungsgesetze  enthält,  die  zweite  den  Zweifel  Philippis 
an  der  Aechtheit  der  confoederatio  cum  principibus  ecclesiasticis  zurück- 
weist und  die  dritte  an  der  neuerlich  vielbesprochenen  Frage  über  den 
Ursprung  und  die  Entwicklung  der  Städteverfassung  sich  betheiligt. 

Indem  wir  dem  Verfasser  für  das  uns  gebotene  Werk  den  wohlver- 
dienten Dank  und  die  Anerkennung  ausdrücken,  sehen  wir  mit  Spannung 
seinen  weiteren  Publicationen  entgegen.  Er  verspricht  uns  demnächst 
eine  Studie  über  die  Regalienrechte  im  Mittelalter.  Ferner  gedenkt  er 
später  nachzuweisen,  wie  die  Zeit  nach  Friedrich  IL  Licht  verbreitet  über 
die  partikulären  Bestrebungen,  welche  ein  besonderes  Merkmal  deutschen 
Wesens  bilden.  Und  hoffentlich  wird  auch  das  schöne  Project  zur  Aus- 
führung gelangen,  dessen  er  an  einer  Stelle  Erwähnung  thut,  eine  Ver- 
gleichung  zwischen  der  Entwicklung  der  politischen  Verfassung  in  Frank- 
reich und  Deutschland. 

Wien.  Siegel. 


Niederosterreicliiscb.es  Urkundenbuch,  herausg.  vom 
Vereine  für  Landeskunde  von  Niederösterreieh.  1.  Bd.  Urkunden- 
buch    des      aufgehobenen     Chorherrnstiftes    St.    Polten- 


Literatur.  381 

1.  Theil.     976—1367.     Vorbereitet   von   Ä.  V.  Feigel,   bearbeitet  von 
Dr.  Josef  La mpel.    Wien,  Seidel  u.  Sohn  1891,  LXXXV  und  845  S.  8°. 

Der  Verein  für  Landeskunde  von  Niederösterreich  hat  sich  durch  eine 
Reihe  von  Werken  und  Unternehmungen,  die  auf  seine  Anregung  ent- 
standen, bereits  manche  Verdienste  um  das  Stammland  unserer  Monarchie 
erworben.  Mit  dem  vorliegenden  1.  Band  eines  niederösterreichischen  Ur- 
kundenbuches  hat  er  auch  jene  Aufgabe  ergriffen,  die  als  eine  der  vor- 
dersten für  Provinzialvereine  bezeichnet  werden  muss.  Schon  seit  dem 
Jahre  1876  brachten  die  Blätter  des  Vereines  für  Landeskunde  »urkund- 
liche Beilagen«,  welche  seit  dem  im  Jahre  1885  gefassten  Beschluss  des 
Vereines,  die  Herausgabe  des  St.  Pöltener  ÜB.  in  seine  Hand  zu  nehmen, 
ein  bestimmteres  Ziel  verfolgten.  Inzwischen  hatte  der  Gedanke  eines 
einheitlich  angelegten  ÜB.  von  Niederösterreich  in  und  ausser  dem  Vereine 
Wurzel  gefasst.  Der  Verein  war  zwar  zunächst  durch  das  St.  Pöltener 
UB.  in  Anspruch  genominen,  aber  nebenher  sollte  doch  ein  alle  Urkunden 
des  Landes  zusammenfassender,  rein  chronologisch  geordneter  Codex  diplo- 
maticus  in  Angriff  genommen  werden,  den  man  sich  in  dieser  Gestalt 
wenigstens  bis  1246  geführt  dachte;  ein  Werk,  dessen  Notwendigkeit 
und  Werth  von  allen  Seiten  anerkannt  werden  musste.  So  lauteten  die 
EntSchliessungen  eines  im  Verein  für  Landeskunde  im  Jahre  1888  eigens 
für  die  Herausgabe  eines  niederösterreichischen  ÜB.  eingesetzten  Comites 
(vgl.  Vereinsnachrichten   1888  S.  XV,   1889   S.  VI). 

Diese  Absicht  durfte  mit  Freuden  begrüsst  werden.  Das  Land  unter 
der  Enns  besitzt  zwar  Urkundenbücher  von  einer  Eeihe  seiner  alten,  be- 
rühmten Stifter,  die  in  den  verschiedenen  Bänden  der  Fontes  rerum  Austria- 
caruin  edirt  sind,  es  besitzt  für  einzelne  Klöster  und  Städte  ältere  Ge- 
schichtswerke mit  urkundlichen  Beilagen,  für  Wien  den  Beginn  einer 
neueren  Urkundensammlung.  Aber  viele  dieser  Werke  sind  veraltet  und 
ungenügend,  sie  erschöpfen  alle  zusammen  keineswegs  auch  nur  das  Material 
bis  zum  Ende  des  13.  Jahrhunderts,  sie  erschweren  durch  die  Zersplitte- 
rung des  Stoffes  gar  sehr  jede  Forschung,  jedes  Zusammenfassen.  Was  für 
die  Nachbarländer  Oberösterreich  und  Steiermark  durch  einheitliche  Samm- 
lung des  älteren  urkundlichen  Materials  geschaffen  ist,  das  entbehrt  noch 
Niederösterreich.  Mit  den  Traditionsbüchern  (von  Klosterneuburg,  Götweih 
u.  a.),  die  ja  nicht  unter  die  übrigen  Urkunden  aufgelöst  werden  dürfen, 
liesse  sich,  so  kann  man  sich's  vorstellen,  ein  Band  füllen.  Zwei  weitere 
Bände  könnten  die  eigentlichen  Urkunden  bis  1246  enthalten  und  so 
endlich  einmal  die  Acta  der  Babenberger  im  Zusammenhang  vorführen, 
ein  dringender  Wunsch,  dessen  Erfüllung  durch  die  ausgezeichneten  Regesten 
Meillers  wesentlich  erleichtert  würde.  Dem  könnte  sich  dann  ein  fernerer 
Band  mit  den  Urkunden  etwa  bis  1282  anschliessen.  Damit  wäre  die 
Grenze  erreicht,  wo  der  vollständigen  Veröffentlichung  des  Urkundenstoffes 
durch  dessen  wachsende  Masse  und  verminderte  Wichtigkeit  allgemach  ein 
Halt  geboten  wird,  wo  zu  gutem  Theil  eine  auszugsweise  Mittheilung  des- 
selben genügt,  ja  zur  Uebersicht  und  Ausscheidung  des  Unwichtigeren  von 
grösstem  Nutzen  ist.  Da  könnte  dann  jene  Art  der  Bearbeitung  eintreten, 
für  die  wir  die  letzten  Bände  des  Fürstenbergischen  Urkundenbuches  als 
Vorbild    hinstellen    möchten.     Tritt    irgend    ein    Object,    ein    bestimmtes 


382  Literatur. 

Verhältniss,  ein  Zustand  zum  erstenmale  urkundlich  auf,  so  werden  an 
diese  erste  Urkunde  in  kleinem  Drucke  und  in  Auszug  alle  jene  Urkunden 
der  Folgezeit  angeschlossen,  die  sich  auf  den  gleichen  Gegenstand,  das 
gleiche  Verhältniss  beziehen.  Damit  wird  sehr  viel  Raum  gewonnen  und 
ist  zugleich  die  Unmasse  spätmittelalterlichen  Urkundenmaterials  schon 
übersichtlich  und  gruppenweise  geordnet. 

Solche  oder  ähnliche  Gedanken  mögen  jenem  Ausschusse  vom  Jahre 
1888  vorgeschwebt  haben.  Leider  sind  nun  nicht  immer  die  Mittel  den 
Wünschen  entsprechend.  So  wurde  nun  einmal  das  ÜB.  von  St.  Polten 
als  erster  Band  von  Acta  Austriae  inferioris  ausgegeben,  und  weiterhin 
dachte  man,  wenigstens  zeitweilig,  auf  Grund  gerade  vorhandener  Vorarbeiten 
auf  die  Herausgabe  eines  ÜB.  von  Wiener  Neustadt,  des  St.  Nikolaus- 
klosters in  Wien,  einer  Sammlung  der  auf  Niederösterreich  bezüglichen 
Salzburger  Urkunden,  der  Traditionsbücher  von  Klosterneuburg  (vgl.  Ver- 
einsnachrichten 1892  S.  VI.)  So  verdienstlich  nun  alle  diese  in  Aussicht 
genommenen  Urkundenwerke  sein  würden,  so  möchten  wir  uns  doch  die 
Ansicht  auszusprechen  erlauben,  dass  auf  diese  Weise  das  Werk  eines 
niederösterreichischen  ÜB.  Gefahr  läuft,  ins  ziellose  und  zufällige  hinein 
zu  gerathen,  dass  minder  Wichtiges  in  Angriff  genommen  wird,  weil  zu- 
fällig jemand  sich  damit  beschäftigt  hat,  während  die  wichtigsten  Bestände 
und  Zeiten  nach  wie  vor  unbearbeitet  liegen  bleiben  müssten.  Es  scheinen 
uns  doch  die  von  jenem  Ausschusse  angedeuteten  Gesichtspunkte  den 
einzig  richtigen  Weg  zu  weisen.  Und  wir  hegen  die  feste  Ueberzeugung, 
dass  es  auch  jetzt  noch  keineswegs  zu  spät  sei,  diesen  Weg  zu  betreten. 
Würde  es  ermöglicht,  auf  einige  Jahre  eine  entsprechende  Summe  zu  ver- 
wenden, so  könnte,  da  ja  so  mancherlei  Vorarbeiten  vorliegen,  in  ver- 
hältnissmässig  kurzer  Zeit  die  Hauptarbeit  gethan  werden. 

Diese  im  reinen  Interesse  für  die  Sache  gemachten  Bemerkungen 
können  uns  natürlich  nicht  abhalten,  das  ÜB.  von  St.  Polten  mit  aller 
Anerkennung  zu  begrüssen.  Nachdem  seinerzeit  Sectionsrath  A.  Felgel 
noch  auf  Anregung  Meillers  sich  zuerst  mit  dem  Stoffe  beschäftigt  hatte, 
übernahm  Dr.  Josef  Lampel  die  Fortsetzung  und  Vollendung.  Kein  ge- 
wissenhafterer und  gründlicherer  Bearbeiter  hätte  sich  finden  lassen.  Liebe 
zum  Lande  und  zur  Sache,  Sachkenntniss  und  Beherrschung  des  Stoffes 
vereinigten  sich,  um  in  diesem  1.  Band  des  ÜB.  von  St.  Polten  eine  treff- 
liche und  dankenswerthe  Leistung  zu  liefern. 

St.  Polten  ist  das  erste  Kloster,  das  nach  der  bösen  Ungarnzeit  in 
der  Ostmark  wieder  auftaucht,  im  Jahre  976  wird  es  als  dem  Hochstift 
Passau  zugehörig  von  K.  Otto  II.  bestätigt.  Mit  Passau  blieben  des  Stiftes 
und  der  Stadt  St.  Polten  Geschicke  in  den  folgenden  Jahrhunderten  eng 
verbunden  1).  Im  Jahre  1058  wurde  durch  königliche  Schenkung  der  Markt 
zu  St.  Polten  an  das  Stift  gegeben  und  zur  selben  Zeit  durch  die  Bischöfe 
von  Passau  die  Klosterstiftung  vollendet,  Bischof  Altmann  führte  dann  die 
regulirten  Chorherren  ein.  Passau  hatte  die  Klostervogtei,  übte  sie  von 
1150    an  selbst  aus  und  verlieh   sie  im   13.  Jahrhundert    an  den  Herzog. 


J)  Vgl  die  schöne  und  lehrreiche  Darstellung  der  städtischen  Entwicklung 
St.  Pöltens  von  G.  Winter  in  den  Blättern  des  Vereins  f.  Landeskunde  (1883j 
17,  417  ff. 


Literatur  3^3 

Passau  blieb  der  bedeutendste  Grundherr  im  Ort,  der  zu  einer  bischöf- 
lichen Stadt  heranwuchs;  im  Jahre  1367  trat  das  Stift  auch  den  Markt 
zu  St.  Polten  und  sonstigen  Besitz  daselbst  an  das  Hochstift  ab  (n.  573), 
die  grund herrliche  Gewalt  des  Stiftes  war  damit  so  gut  wie  beseitigt.  So 
war  die  Bedeutung  des  Klosters  mehrfach  eingeschränkt,  es  wurde  von 
jüngeren  Gründungen,  wie  Melk,  Götweih,  Klosterneuburg  u.  s.  w.  über- 
flügelt. Das  ÜB.  des  Stiftes  gibt  über  diese  Entwickelung  reichliche  Auf- 
schlüsse. Eine  Reihe  bisher  ungedruckter  Stücke,  die  mit  c.  1179  (n.  12) 
beginnen,  lässt  das  Wachsen  des  Klosterbesitzes  genauer  verfolgen,  die 
Päpste  bestätigen  ihn  (neue  Bullen  Alexander  III.,  Innocenz  III.,  Inno- 
cenz  IV.  u.  s.  w.),  die  Landesfürsten  erweisen  ihre  Fürsorge  und  Gunst 
(neue  Urkunden  der  letzten  Babenberger,  Ottokars  von  Böhmen,  dann  zahl- 
reiche der  österreichischen  Habsburger),  dem  Herzog  Rudolf  IV.  verdankt 
das  Kloster  nach  einer  verheerenden  Feuersbrunst  seine  Wiederherstellung, 
von  ihm  sind  eine  grosse  Menge  Urkunden  in  dem  Bande  enthalten,  da- 
runter (n.  441)  eine  »Nothfälschung«,  wie  sie  Lampel  nennt,  die  viel- 
leicht mit  Hilfe  eines  herzoglichen  Kanzleibeamten  hergestellt  wurde,  un- 
echt, aber  inhaltlich  den  Thatsachen  entsprechend  ist l).  Natürlich  sind 
besonders  die  Bischöfe  von  Passau  mit  zahlreichen  Stücken  vertreten,  von 
denen  ein  grosser  Theil  hier  zum  ersten  Mal  edirt  wird;  das  älteste 
davon,  eine  Urkunde  Bischof  Diepolds  von  c.  1179,  betrifft  die  Kirche  zu 
Brück  a.  d.  Leitha,  welche  überhaupt  für  das  Stift  St.  Polten  von  grosser 
Wichtigkeit  ward.  Auch  für  Wien  enthält  der  Band  einige  interessante 
Sachen.  Ein  belehrendes  Stück  über  Geltung  und  Beweiskraft  von  Ur- 
baren ist  n.  260  von  1332.  Wie  viel  an  Material  für  Topographie  und 
Ortsgeschichte  von  St,  Polten  und  Umgebung,  für  die  Kenntniss  der  Ent- 
wickelung materieller  Kultur  in  diesen  Gegenden,  für  die  Geschichte  nieder- 
österreichischer Adelsgeschlechter  in  dem  Bande  steckt,  braucht  kaum 
eigens  hervorgehoben  zu  werden. 

Die  Ueberlieferung  des  St.  Pöltener  Urkundenmaterials  behandelt 
Lampel  in  einer  sehr  gründlichen  Einleitung.  Originalurkunden  beginnen 
erst  mit  Ende  des  13.  Jahrhunderts,  von  den  mehr  als  300  Stücken  bis 
1500,  die  nachweislich  noch  1725  vorhanden  waren,  ist  heute  nur  mehr 
ein  Siebentel  erhalten.  Wie  L.  es  höchst  wahrscheinlich  macht  (vgl.  Einl. 
XIX.  ff.),  trägt  der  Chorherr  und  Geschichtsfreund  Raimund  Duellius  die 
Schuld  an  dem  Verluste,  indem  er  die  Urkunden  an  sich  nahm  und  sie 
in  das  Archiv  zurückzustellen  unterlassen  hat.  Der  Mangel  an  Originalen 
wird  durch  vier  Copialbücher  ersetzt.  In  einer,  wie  uns  bedünkt,  allzu 
minutiösen  und  allzu  breit  geführten  Untersuchung  bespricht  nun  L.  das 
älteste  dieser  Cartulare  (Cod.  1077  des  Wiener  Staatsarchivs,  gegen  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  begonnen.  Bei  gedrängterer  Zusammenfassung  wären 
auch  einige  ganz  interessante  Erörterungen  mehr  hervorgetreten,  so  über 
die  Betheiligung  eines  ungarischen  Schreibers  am  ältesten  Bestände  der 
Handschrift  (S.  LVII  ff.),  über  den  von  Bischof  Otto  von  Passau  (1254 
bis  1265)  geplanten  Codex  monasteriorum  seiner  Diöcese  (S.  LIX  ff.),  über 
die  Thätigkeit  des  Propstes  Ulrich  Feiertager  von  St,  Polten  (1359 — 1369, 


')  Eingehend  handelt  darüber  Lampel  in  den  Blättern  des  Vereins  f.  Landes- 
kunde (1889)  23,  263  ff. 


384  Literatur. 

S.  LXXVI  f.).  Und  diese  ganze  Einleitung  beschäftigt  sich  nur  mit  dem 
einzigen  Codex  A,  während  von  den  drei  andern  Copialbüchern,  die  schon 
durch  diesen  ganzen  ersten  Band  des  ÜB.  hindurch  benützt  wurden,  in 
denen  eine  Menge  von  Urkunden  allein  erhalten  blieb,  gar  keine  Rede  ist. 
Allerdings  soll  darüber  in  der  Einleitung  zum  2.  Band  gehandelt  werden 
(vgl.  S.  LXXXV),  aber  es  wäre  doch  wünschenswerth  gewesen,  wenn 
dies  an  der  richtigen  Stelle  gleich  zu  Anfang  des  Werkes  geschehen  wäre. 

Die  Edition  selbst  ist  mit  grosser  Sorgfalt  und  Gewissenhaftigkeit 
durchgeführt.  Vielfache  sachkundige,  erläuternde  Bemerkungen  begleiten 
in  erwünschter  Weise  den  Text ;  sie  verrathen  überall  den  Kenner  der 
Landesgeschichte.  In  Bezug  auf  die  Edition  selbst  hätten  wohl  einzelne 
etwas  ungewohnte  Eigenthümlichkeiten  besser  dem  allgemeinen  Brauche 
angepasst  werden  können.  So  die  Kennzeichnung  von  Emendationen  durch 
cursive  Buchstaben,  was  ja  wohl  überflüssig  ist,  da  doch  in  der  Anmerk- 
ung die  Leseart  der  Handschrift  angegeben  wird.  Mit  cursiven  Lettern 
werden  dann  auch  die  Ergänzungen  von  Siglen  und  von  fehlenden  Worten 
bezeichnet.  Also  Anwendung  gleicher  Bezeichnung  für  verschiedene  Dinge. 
In  n.  94  ist  dann  wieder,  um  die  verschiedenen  benützten  Texte  zu  schei- 
den, das  eine  ergänzte  Wort  in  eckigen  Klammern,  das  andere  in  Cursiv- 
druck  gegeben.  Allzu  viel  des  Guten!  Ebenso  ist  die  Angabe  von 
Varianten  der  Copien,  wenn  das  Original  noch  vorhanden,  in  den  aller- 
meisten Fällen  überflüssig.  In  den  deutschen  Stücken  (das  älteste  n.  123 
von  1286  April  25)  ist  mit  vollem  Recht  die  Orthographie  der  Ueber- 
lieferung  genau  gewahrt  worden.  Nur  an  einer  Gruppe  von  Original- 
urkunden (n.  286,  309,  311,  315,  316)  hat  L.  es  vorgezogen,  die  von 
dem  Schreiber  angewandten  ü  und  1  mit  ü  und  i'  wiederzugeben;  er  druckt 
also  Rudolf,  sün,  ürchund,  töd,  was  vom  Benutzer  gewiss  als  Umlaut  auf- 
gefasst  wird,  während  der  Schreiber  mit  seinem  Zeichen  sicherlich  theils 
die  Dehnung,  theils  den  Diphthong    ue  ausdrücken  wollte,    z.  B.  Ruedolf. 

Fleissiges  Augenmerk  hat  L.  den  Vorurkunden  geschenkt  und  ihre 
Benützung  durch  Kleindruck  gekennzeichnet.  Hie  und  da  erhebt  sich  frei- 
lich die  Frage,  ob  denn  nicht  zu  weit  gegangen  ist.  N.  136 — 138  sind 
Leibgedingreverse  vom  3.  Febr.  1291,  die,  wie  es  natürlich,  nach  der 
gleichen  Formel  abgefasst  sind;  man  darf  da  doch  nicht  einen  derselben 
nach  der  zufälligen  Ordnung  im  Codex  als  Vorurkunde  für  die  andern  be- 
trachten, sie  gehen  eben  alle  drei  auf  eine  Vorlage,  ein  Concept,  wie  L. 
selber  sagt,  zurück.  Ganz  dasselbe  ist  der  Fall  bei  n.  376  und  377,  bei 
n.  414  und  415.  Bei  n.  260  und  285  ist  die  Uebereinstimmung  doch 
nur  durch  denselben  Gegenstand  begründet. 

Aehnliche  nicht  ganz  zutreffende  Auffassung  wäre  bei  n.  221  und 
172  zu  constatiren.  Letzteres  ist  eine  Urkunde  Leutolds  von  Kuenring  von 
1303,  in  n.  221  erneuern  im  Jahre  1332  die  Söhne  Leutolds  dessen  Ver- 
fügung. Gewiss  ist  n.  172  Vorurkunde  für  n.  221,  aber  gerade  deshalb 
ist  es  unrichtig,  dieses  letztere  als  Neuausfertigung  der  Urkunde  Leutolds 
zu  bezeichnen  —  es  ist  eine  ganz  neue,  andere  Urkunde  anderer  Aus- 
steller. Unzutreffend  ist  es,  wenn  L.  in  der  Einleitung  S.  LXV  von  »um- 
zweifelhaften  Urkunden  und  nicht  blos  Notitiae«  spricht  und  ebenda  S.  LIV 
von  n.  4  und  5  sagt,  sie  haben  keineswegs  als  Urkunden  zu  gelten,  son- 
dern tragen  lediglich  die  Form  der  Notitia.    Notitia  und  Urkunde  schliessen 


Literatur.  385 

sich  ja  doch  nicht  aus.  Die  erwähnten  Stücke  sind  eben  Notitiae  in 
Actform.  Chartae  paganae  statt  pagenses  Einl.  XXVII,  Kanzell  statt  Kanzlei 
Einl.  XXXVIII,  Zirkel  statt  Kota  bei  n.  46  sind  wohl  nicht  ganz  glück- 
liche Wendungen. 

Das  Kegister  ist,  wie  die  ganze  Edition,  mit  grüsster  Sorgfalt  gear- 
beitet. Auch  hier  könnte  man  eher  sagen,  es  ist  manchmal  des  Guten 
zu  viel.  Die  Anführung  von  Seiten  und  Nummern  der  Urkunden  ist  ja 
recht  schön,  aber  gewiss  würde  sich  jedermann  mit  der  Nummer  allein 
zufrieden  geben  und  es  würde  dadurch  viel  Platz  erspart.  Auch  die  An- 
führung aller  der  unzähligen  Stellen,  an  denen  St.  Polten  als  Stadt  und 
in  denen  das  Stift  genannt  wird,  ist  doch  wohl  zu  weitgehend ;  ähnlich 
bei  den  Worten  Oesterreich,  Wiener  Münze.  Die  alphabetische  Reihenfolge 
ist,  kaum  zum  Vortheil  der  Uebersicht,  bei  der  Aufzählung  der  Bischöfe 
und  Domherren  von  Passau,  der  Pröpste,  Chorherren  u.  s.  w.  von  St.  Polten 
und  andern  Klöstern  und  auch  sonst  mehrfach  verlassen.  Ein  Wort-  und 
Sachregister  fehlt  leider ;  wenn  einzelne  Worte  wie  villicus ,  institor, 
nachrichter  u.  s.  w.  in  das  Namenregister  aufgenommen  sind,  so  ist  das 
kein  Ersatz,  hier  sucht  sie  niemand.  Dagegen  ist  ein  für  Ortsnamen- 
forschung verdienstliches  Register  der  Zusammensetzungen  und  Ausgänge 
mit  Ach,  Au,  Bach  u.  s.  w.  am  Schlüsse  beigegeben. 

Dem  Bande  sind  vier  Tafeln  in  Lichtdruck  (Max  Jaffe,  Wien)  zuge- 
fügt, die  in  trefflicher  Reproduction  die  Schriften  des  ältesten  St.  Pöltener 
Copialbuches  vom  13.  bis  Ende  des  14.  Jahrh.  lehrreich  vorführen.  Druck 
und  Ausstattung  des  ganzen  Werkes  sind  vorzüglich. 

Von  den  579  Stücken  dieses  Bandes  gehören  420  dem  14.  Jahr- 
hundert an,  darunter  wieder  beinahe  300  dem  Vierteljahrhundert  von  1340 
bis  1367.  Dieser  massenhafte  spätere  Stoff,  der  sich  nach  1367  gewiss 
nicht  mindert,  ist  fast  durchaus  von  localer  Bedeutung.  Es  hat  sich  dem 
Herausgeber  vielleicht  selbst  schon  die  Frage  aufgedrängt,  ob  man  in 
vollständigem  Abdruck  solchen  Materials  auch  weiterhin  fortfahren  solle. 
Wir  können  diese  Frage  mit  dem  früher  gebrachten  Hinweis  auf  das 
Fürstenbergische  ÜB.  beantworten.  Die  nothwendige  Voraussetzung  zu 
einem  solchen  »abgekürzten  Verfahren«,  die  vollständige  Vertrautheit  mit 
dem  gesammten  Stoffe  ist  bei  niemandem  mehr  vorhanden  als  eben  gerade 
bei  Lampel. 

Wien.  Oswald    Redlich. 


Die  historischen  Programme  der  österreichischen 
Mittelschulen  für  1893. 

Wir  fassen  unter  diesem  gewohnten  Titel  die  Programmaufsätze  ge- 
schichtlichen, geographischen  und  verwandten  Inhalts  zusammen  und  stellen 
jene  deutschen  Abhandlungen  voraus,  die  auf  bisher  ungedrucktem  Ma- 
teriale  beruhen:  Anton  Wolfradt,  Fürstbischof  von  Wien 
und  Abt  des  Benedictinerstiftes  Kremsmünster,  Geheimer 
Rath    und    Minister    Kaiser  Ferdinands    II.      Zumeist   nach    ar- 

Mittheilungen,  XV.  25 


386  Literatur. 

chivalischen  Quellen  bearbeitet  von  Alexander  Hopf.  II.  Abtb.  2. 
(Schluss,  Oberrealscbule  irn  6.  Bez.  in  Wien).  Die  Darstellung  der  Thätig- 
keit  Wolfradts  vom  Mergentheimer  Tage  bis  zum  Tode  Waldsteins,  welcbe 
hier  geboten  wird,  bildet  den  wichtigsten  Theil  der  ganzen  Arbeit  des 
Verfassers.  Für  den  Eeichstag  zu  Kegensburg  (1630)  bemühte  sich  Abt 
Anton  um  die  Aufbringung  des  Geldes  zur  Eeise  des  Kaisers  und  zum 
Aufenthalte  des  Hofes  dortselbst  und  suchte  in  München  den  bair.  Kur- 
fürsten von  den  Absichten  des  Kaisers  (Wahl  seines  Sohnes  zum  röm. 
König)  zu  »instruiren«.  Die  Furcht,  Waldstein  möchte  den  Eeichstag 
wegen  der  Misstimmung  der  Stände  gegen  ihn  verhindern,  war  gross, 
wie  das  S.  6 — 7  aus  dem  Staatsarchiv  in  Wien  abgedruckte  Schreiben 
Antons  an  den  Kaiser  vom  27.  April  1630  bezeugt.  Waldstein  zog  auch 
nach  Memmingen.  Wolfradt  trat  für  ihn  beim  Kurfürstencollegium 
ein,  welches  die  Entlassung  des  Feldherrn  verlangte.  Hier  berichtigt  der 
Verf.  die  Ansichten  Gindely's  in  mehreren  Punkten.  Wolfradt  wurde  Ende 
1630  der  Nachfolger  des  Cardinais  Kiesel  als  Bischof  von  Wien,  durfte 
seine  Abtei  beibehalten  und  erhielt  vom  Kaiser  noch  den  Eeichsfürsten- 
stand.  1632  übernahm  Waldstein  in  Znaim  wieder  das  Commando  auf 
drei  Monate.  Um  eine  Verlängerung  desselben  zu  erzielen,  wurde  der 
Abt  an  Waldstein  geschickt.  Das  Empfehlungsschreiben  des  Kaisers  und 
ein  eigenhändiges  Billet  des  Königs  Ferdinand  (beide  vom  25.  März  1632) 
sind  in  den  Anmerkungen  abgedruckt.  Die  abschliessende  Verhandlung 
mit  Wald  stein  führte  dann  Eggenberg  in  Göllersdorf,  wozu  Abt  Anton 
dem  Friedländer  ein  Glückwunschschreiben  sandte.  Die  beiden  standen 
auch  später  noch  im  Verkehre;  am  17.  Mai  1632  schrieb  der  Abt  um 
Schutz  für  das  bedrohte  . Baiern  an  Waldstein,  am  22.  und  25.  Mai  1632 
in  Werbsachen,  am  29.  Mai  1632  wegen  der  Einnahme  von  Prag,  am 
26.  Dec.  1632  in  Privatangelegenheiten.  Wolfradt  verhandelte  dann  in 
Leitmeritz  mit  dem  Landgrafen  Georg  von  Darmstadt,  der  am  22.  März 
1633  dort  ankam,  wie  Hopf  gegen  Hurter  und  Krones  festsetzt  (S.  22), 
die  Verhandlungen  betreffs  des  Friedens  blieben  jedoch  erfolglos.  Im 
Jahre  1633  führte  Waldstein  den  Krieg  mehr  als  Diplomat  denn  als  Feld- 
herr. Für  diese  Zeit  druckt  H.  ein  Schreiben  Wolfradts  an  Waldstein 
(22.  Aug.  1633)  und  dessen  Antwort  (12.  Oct.  1633)  aus  dem  Staats- 
archiv ab,  die  bei  Hallwich  fehlen,  dann  Briefe  Antons  vom  19.  Oct.  und 
24.  Dec.  1633;  der  letzte  Brief  Waldsteins  an  Wolfradt  ist  aus  Pilsen 
vom  13.  Febr.  1634  datirt.  Wolfradt  war  dann  an  dem  Zustande- 
kommen des  Prager  Friedens  betheiligt,  erhielt  vom  Kaiser  das  Gut  Möck- 
mühl  und  wohnte  1636  der  Krönung  Ferdinands  III.  bei,  dem  er  noch 
seine  letzten  Dienste  widmete.  —  Zur  Geschichte  der  Schulver- 
hältnisse St.  Pöltens  von  der  Mitte  des  16.  bis  gegen  Ende 
des  18.  Jahrh.  von  A.  Herrmann  (Gymnasium  in  St.  Polten).  Auf 
Grund  der  Eathsprotokolle  wird  der  Bestand  einer  deutschen  (Stadt-)  und 
einer  lateinischen  (Kloster-)  Schule  in  St.  Polten  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrh.  erwiesen.  1562  —  82  bestand  alda  auch  eine  protestantische 
humanistische  Schule,  die  dann  während  der  Gegenreformation  verschwand. 
Erst  im  18.  Jahrh.  erstand  wieder  eine  höhere  lateinische  Schule  der 
Piaristen,  doch  wurde  die  Anstalt  1777  nach  Krems  verlegt.  Dafür  kam 
das  Stiftsgymnasium  von  Melk  hieher,    das    1791    mit  weltlichen  Lehrern 


Literatur.  3  g  7 

besetzt  und  1804  nach  Melk  zurück  verlegt  wurde.  H.  benützte  hier  eine 
handschriftl.  Geschichte  des  Melker  Gymnasiums.  Die  Abhandlung  ist 
auch  für  die  Zeitgeschichte  von  Wert.  —  Ein  salzburgisches  Re- 
gister buch  des  14.  Jahrh.  von  W.  Hauthaler  (Gymnasium  Bor- 
romaeum  in  Salzburg;  auch  in  den  Xen.  Austriaca  IV,  1 — 52).  Von  Re- 
gistern am  Hofe  der  Erzbischöfe  von  Salzburg  war  bisher  nichts  bekannt; 
ausser  dem  wichtigen  Registrum  Eberhardi  (1403 — 1428)  entdeckte  H. 
im  Stiftsarchive  zu  St.  Peter  eine  Handschrift  aus  der  2.  Hälfte  des 
14.  Jahrb.,  später  überschrieben:  Varia  rescripta  et  literae  Pilgrimi  archi- 
episcopi.  Die  Eintragungen  umfassen  die  Zeit  von  1364 — 1379  und 
bieten  wichtige  Rechts-  und  Vertragshandlungen  aus  oder  für  die  erz- 
bischöfliche Kanzlei,  davon  19  politischer  Natur  und  theilweise  gänzlich 
unbekannt.  Dadurch  wird  besonders  die  Geschichte  des  Erzbischofs  Pil- 
grim  IL  von  Puchheim  bereichert  (S.  9 — 23).  Den  zweiten  Theil  der 
wertvollen  Abhandlung  bilden  Auszüge  aus  dem  genannten  Registerbuche 
(163  Nummern).  —  Der  Ci  liier  Erbstreit  von  A.  Gubö  (I.  Staats- 
gymnasium in  Graz;  auch  in  den  Xenia  Austriaca  IV,  55 — 100).  Verzeichnet 
den  Besitz  der  Grafen  von  Cilli  beim  Tode  Ulrichs  IL  und  erörtert  dann 
den  Erbstreit  zwischen  der  Witwe  Ulrichs  und  Kaiser  Friedrich  III.,  Sig- 
mund von  Tirol,  Albrecht  VI.,  Ladislaus  Posthumus  u.  a.,  der  die  Auf- 
lösung des  grossen  Besitzes  der  Grafen  herbeiführte.  In  dem  Streite  hatte  die 
Stadt  Cilli  schwer  zu  leiden,  doch  bewies  sich  Friedrich  III.  als  Schützer 
und  Förderer  derselben  durch  Verleihung  von  (4)  Privilegien;  8  Ur- 
kunden darüber  (1458—1493)  sind  S.  34  fg.  aus  dem  steiermärkischen 
Landesarchiv  zum  erstenmal  vollständig  abgedruckt.  G.  benutzte  zu  seiner 
tüchtigen  Abhandlung  auch  das  Richterbuch  der  Stadt  Cilli  (1457 — 1514) 
in  dem  L.-Arch.  zu  Graz.  —  Einige  Actenstücke  zur  Geschichte 
Vorarlbergs  im  Zeitalter  des  deutschen  Bauernkriegs  von 
H.  Sander  (Oberrealschule  in  Innsbruck).  Bringt  als  actenmässige  Er- 
gänzung zu  seiner  Abhandlung  im  4.  Ergbd.  der  Mitth.  des  Instituts 
297  fg.  die  Stücke:  Schreiben  des  K.  Max  I.  an  den  Abt  in  der  Au  bei 
Bregenz  über  das  Recht  des  Todfalls  (ll.  Aug.  1518)  aus  dem  Bezauer- 
archive;  die  (mittlere  der  drei)  Beschwerdeschriften  der  Unterthanen  im 
Bregenzerwalde  (1525),  Abschiede  für  Bludenz  und  Montafon,  für  Sonnen- 
berg, für  Rankweil,  Sulz,  Jagdberg  und  Neuburg  (sämmtliche  vom  2.  Juli 
1525);  die  Entschuldigung  der  Bludenzer,  Montafoner  und  Sonnenberger 
wegen  Rückführung  der  allgäuischen  Gefangenen;  Bittschrift  der  Stadt 
Bregenz,  der  Hofsteiger  und  Alberschwender  vom  Febr.  1526  aus 
dem  Statth.-Arch.  zu  Innsbruck.  —  Weitere  Notizen  zur  Geschichte 
der  königl.  Stadt  Mährisch-Neustadt  im  17.  und  18.  Jahrh. 
von  Karl  Klement  (Gymnasium  in  Mähr.-Neustadt).  Bringt  auf  Grund 
der  Acten  der  dortigen  Magistrats-Registratur  Ergänzungen  zu  seiner 
Programmarbeit  von  1890  über  Ausdehnung  und  Entwicklung  der  Stadt, 
bietet  auch  längere  Auszüge  aus  dem  interessanten  Magistratsberichte  vom 
5.  Aug.   1701   wegen  der  » Kamin-Steuer *. 

Abhandlungen  zur  Geschichte  und  Cultur  des  Alterthums  und  zur  Alter- 
thumskunde :  Der  Todtencultus  bei  denaltenVölkern (Fortsetzung) 
von  M.  Stadler  v.  Wolf  fersgrün  (Staatsgymnasium  in  Feldkirch). 
Behandelt  den  Todtendienst  und  die  Bestattungsceremonien  bei  den  Baby- 

25* 


3g3  Literatur. 

loniern  und  Assyriern,  bespricht  die  religiösen  Anschauungen  über  das 
Leben  nach  dem  Tode,  die  babylonischen  Grabmäler  und  ihre  Formen  und 
endlich  die  ass.-babyl.  Gräberfunde  (Fortsetzung  folgt).  —  Schliemanns 
Ausgrabungen  und  die  homerische  Cultur  von  A.  Ludewig 
(Privatgymnasiuni  der  Jesuiten  in  Feldkirch),  mit  Abbildung  der  Oberburg 
von  Tiryns  nach  der  Ausgrabung  im  Jahre  1885,  aufgenommen  von  W. 
Dörpfeld  (Plan).  —  Zur  Geschichte  des  griechischen  Mimus 
von  E.  Hauler  (Gymnasium  im  2.  Bez.  Wiens)  mit  Biographien  des 
Epicharm,    Phormis,    Dinolochus    als  Mimographen  der  dorischen  Komödie. 

—  Die  Schlacht  bei  Marathon  von  Heinrich  Schaner  (Gym- 
nasium in  Mäbr.-Weisskirchen)  mit  Plan.  Prüft  den  Bericht  Herodots 
und  findet  in  Uebereinstimmung  mit  neueren  Forschern,  dass  er  im  all- 
gemeinen verlässlich,  im  besondern  aber  etwas  übertrieben  und  traditionell 
gefärbt  ist.  —  Per  quel  vallico  alpino  scese  Annibale  in 
Italia.  Studio  geografico  di  G.  Constantini  (it.  Communal-Gym- 
nasium  in  Triest),  sucht  zu  erweisen,  dass  Hannibal  längs  der  Isere  und 
des  Are  über  den  Mont  Cenis  nach  Italien  zog.  —  Ein  griechischer 
Heirathscontract  vom  Jahre  136  n.  Chr.  von  K.  Wessely  (Gym- 
nasium im  3.  Bez.  Wierjs)  aus  einem  PapjTus,  dessen  Text  S.  2  fg.  (sammt 
Uebersetzung)  mitgetheilt  wird.  —  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der 
griechischen  Sepulcralalterthümer  von  J.  Dorsch  (Gymnasium 
zu  Kaaden  in  Böhmen)  theilt  fi  Sepulcralepigrarnme  zur  Charakteristik  des  Ge- 
genstandes mit.  —  Proben  römischer  Solinhandschriften  von  J.  M. 
Stowasse  r  (Privatrealschule  Eainer  im  3.  Bez.  Wiens).  —  Die  Dictatur 
desM.'Valerius  im  Jahre  253  von  G.  Schön  (Gymnasium  in  Eied), 
4  Seiten.  —  C.  Jul.  Caesar is  commentariorum  supplementa 
quomodo  inter  se  cohaerent  I.  von  A.  Daumann  (Gymnasium  zu 
Braunau  in  Böhmen).  —  Cäsars  Bürgerkrieg,  das  bellum  Alex. 
und  bell.  Africum  und  der  Cod.  Vindobonnensis  95  von  A. 
Polaschek  (Gymnasium  in  Czernowitz).  —  Studien  zu  denAnnalen 
des  Tacitus  von  F.    Zöchbauer    (Gymnasium  Theresianum  in  Wien). 

—  Unter  den  erhaltenen  Handschriften  der  Germania  des 
Tacitus  ist  die  Stuttgarter  Handschrift  die  beste  von  J.  Ho- 
lub  (Gymnasium  zu  Weidenau  in  Schlesien).  —  Prodigien,  Wunder 
und  Orakel  beim  Historiker  Zosimus  von  H.  Piristi  (Gym- 
nasium Yincentinum  in  Brixen).  —  Vindobona  von  W.  Kubitschek 
(Gymnasium  im  8.  Bez.  Wiens).  In  dieser  tüchtigen  Arbeit  wird  die  Lage 
der  celtischen  Gründung  Vindobona,  des  Eömercastells  auf  dem  heutigen 
hohen  Markte  und  der  »Bürgerstadt«  (an  der  Stelle  beim  heutigen  Aspang- 
bahnhof) auf  Grund  des  Fundnetzes  eingehend  erörtert,  eine  Kritik  der 
geschichtlichen  Quellen  angestellt  und  die  Geschichte  der  Forschung  ge- 
geben; den  Anhang  bilden  übersichtliche  Fundtabellen  und  ein  Ver- 
zeichniss  der  in  Wien  und  in  der  nächsten  Umgebung  gefundenen  In- 
schriftsteine (58  S.).  —  Fundkarte  von  Aquileja  von  Heinrich 
Maionica  (Gymnasium  in  Görz),  58  S.  mit  hübscher,  von  G.  Levi  ge- 
zeichneter Karte  »Forma  Aquileiae  romanae«.  Der  sorgfältig  gearbeitete 
Text  zerfällt  in  2  Theile:  1.  Einleitung,  welche  die  Ergebnisse  der  bis- 
herigen Erforschung  Aquileja s  bietet,  2.  die  Fundkarte,  nach  welcher  die 
Stadtmauern,  die  öffentlichen  und  privaten  Bauten  Aquilejas  und  die  Strassen- 


Literatur.  38<J 

züge  behandelt  werden.  —  Jenseits  der  Khipäen:  A.  Die  Fahrten 
des  Pytheas  in  der  Ostsee.  Mit  einer  Karte  (von  E.  Pliwa).  Ein 
Beitrag  zur  Geschichte  des  Bernsteinhandels  von  G.  Mair  (Gymnasium 
in  Villach).  Will  der  Behauptung  Müllenhoffs  gegenüber,  dass  der  kühne 
Massaliote  über  die  Inseln  im  Mündungsgebiete  der  Eider  nicht  hinaus- 
gekommen, beweisen,  dass  Pytheas  in  der  Ostsee  war  und  im  Samlande 
den  Bernstein  suchte  und  fand.  Die  Auslegung  der  in  Frage  kommenden 
Berichte  und  die  von  M.  angestellten  Messungen  haben  viel  für  sich,  doch 
erscheinen  manche  etymolog.  Deutungen  als  gewagt.  Es  wird  noch  einer 
erneuten  Prüfung  der  Frage  bedürfen,  wozu  diese  interessante  und  hübsch 
geschriebene  Abhandlung  die  Anregung  bietet. 

Mittelalter  und  neuere  Zeit,  Cultur-  und  Kunstgeschichte:  Kaiserin 
Adelheid,  Gemahlin  Ottos  I.  des  Grossen,  von  Fr.  Steffa- 
nides  (Oberrealschule  in  Böhm.-Leipa),  eine  hübsche  Darstellung  des 
Lebens  Adelheids  auf  Grund  der  gedruckten  Quellen  für  Schüler  der  Ober- 
classen  (90  Seiten).  —  Rudolf  von  Habsburg  im  Spiegel  deut- 
scher Dichtung  von  E.  Söffe  (D.  Oberrealschule  in  Brunn).  —  Jo- 
hannes Hus  und  das  Cons tanzer  Concil  von  K.  Steiger  (nü. 
Lehrerseminar  zu  Wiener-Neustadt),  legt  einleitend  das  Leben  und  Ge- 
bahren  des  Hus  vor  dem  Concile  dar.  Dann  werden  die  Gründe  der 
Verhaftung  mit  Rücksicht  auf  den  Geleitsbrief  eingehend  untersucht.  Die 
Verhaftung  stehe  mit  dem  Geleitsbriefe  nicht  im  Widerspruche,  da  ihn 
derselbe  bloss  vor  thatsächlicher  Gewalt,  aber  nicht  vor  dem  rechtlichen 
Verfahren  des  Concils  schützte;  Sigmund  konnte  auch  nicht  mehr  ver- 
sprechen als  sicheres  Geleite  auf  der  Hin-  und  (eventuellen!)  Herreise 
und  war  Hus  durchaus  nicht  von  vornherein  abgeneigt.  Vergl.  darüber 
auch  Hallische  Beiträge  zur  Geschichtsforschung  Heft  5.  —  Rudolf  II. 
als  Dürer-Sammler  von  J.  Neuwirt h  (d.  Staatsgymnasium  in  Prag- 
Neustadt).  Kaiser  Rudolf  II.  war  ein  fieissiger  Kunstsammler  und  hatte 
schon  um  1600  etwa  460  wertvolle  Gemälde  italienischer,  niederländischer 
und  deutscher  Meister  beisammen,  besonders  aber  Werke  Albrecht  Dürers. 
Leider  existirt  davon  kein  Verzeichniss ;  N.  zählt  nun  nach  den  Angaben 
des  Malers  Carel  van  Mander  die  wichtigeren  »Dürer«  auf  und  bespricht  sie. 
—  Teplitzer  Leben  im  16.  Jahrhundert  von  R.  Knott  (Gym- 
nasium in  Teplitz).  —  Der  Egerländer  Bauernhof  in  seiner 
Einrichtung  von  J.  Neubauer  (Realschule  in  Elbogen),  16  S.,  Schluss 
folgt.  —  »Der  Stock  im  Eisen«  der  Stadt  Wien  von  Alfr. 
Burgerstein  (Real-Obergymnasium  im  2.  Bez.  Wiens)  mit  Abbildung, 
34  S.  —  Die  gothische  Kirchenbaukunst  in  Kärnten  von  Fr. 
G.  Hann  (Gymnasium  in  Klagenfurt).  —  Zur  Geschichte  einiger 
Reichsstädte  in  den  letzten  Zeiten  des  Reiches  von  Eugen 
Guglia  (Realschule  im  18.  Bez.  Wiens)  liefert  einzelne  Beiträge  zum 
inneren  Leben  und  zur  äusseren  Stellung  einiger  deutscher  Reichsstädte 
auf  Grund  der  zeitgenössischen  Litteratur  und  der  Acten  des  eh.  Reichs- 
hofrathes  in  Wien.  Nach  der  Eintheilung  von  Maurer  bespricht  G. 
1.  Städte  mit  vorherrschend  aristokratischem  Regiment:  Frankfurt  a.  M. 
(darüber  W.  Stricker  im  261.  Heft  der  Virchow-Holtzendorff'schen  Samm- 
lung!), Nürnberg  und  Ulm.  2.  Städte  mit  vorherrschend  demokratischem 
Regiment:    Worms,    Nordhausen    und    Reutlingen.      3.  Städte  mit  bürger- 


390  Literatur. 

lichera ,  aber  nicht  zünftigem  Regiment  in  einer  allg.  Uebersicht  und 
kommt  zum  Schlüsse,  dass  die  Verhältnisse  nicht  so  elend  waren,  wie  sie 
die  Historiker  (Ranke  ausgenommen!)  zu  schildern  pflegen.  —  Politische 
Meinungen  und  Stimmungen  in  Wien  in  den  Jahren  1793 
und  1794  von  Adalb.  Fäulhamraer  (Gymnasium  zu  Salzburg). 
Diese  gediegene  und  schön  geschriebene  Abhandlung  ergänzt  die  archi- 
valischen  Berichte  durch  litterarische  Publicationen  jener  Zeit,  in  denen 
zuerst  Schreyvogel-West  hervortritt,  und  verfolgt  auf  Grund  derselhen  die 
Wirkung  der  französischen  Revolution  auf  die  Gebildeten  und  die  Masse 
des  Volkes.  Im  Anhange  ist  ein  Brief  Schreyvogels  aus  Jena  (30.  Oct. 
1794)  abgedruckt.  —  Cipro  nella  storia  medioevale  del  com- 
mercio  Levantino  (Forts,  folgt)  von  B.  Mitrovic  (städt.  Oberreal- 
schule in  Triest).  —  Lussingrande,  Cenni  storici  del  M.  Budinich 
(naut.  Schule  zu  Lussinpiccolo).  Behandelt  1.  die  griechische  Zeit,  2.  den  Ur- 
sprung von  Lussingrande  (In  einem  Document  von  1384  kommt  zuerst 
der  Name  Lossino  vor)  und  die  Uskoken,  3.  Die  Zeit  von  1614 — 1797, 
4.  Von  1797 — 1815.  Der  Verf.  benützte  eine  handschriftl.  Chronik  des 
Notars  Botterini  und  einzelne  Documente  aus  öffentl.  und  privaten  Samm- 
lungen. —  Einiges  über  das  Ornament  von  J.  Jonasch  (Real- 
schule in  Marburg  a.  Drau),    14  Seiten  mit  histor.  Uebersicht. 

Zur  Geschichte  der  Heimesage  von  P.  Passler  (Gymnasium 
in  Hörn).  Der  Verfasser  sichtet  und  prüft,  von  der  tirolischen  Haimon- 
und  Thyrsussage  ausgehend,  das  wissensch.  Material  mit  grosser  Gewandt- 
heit und  Umsichtlichkeit,  gibt  dann  eine  durchaus  entsprechende  Dar- 
stellung der  histor.  Entwicklung  der  Sage  und  kommt  zum  Schlüsse:  Ein 
herber  Mythus  (von  Heime,  dem  brudertödtenden  Riesen,  dem  eine  Thier- 
gestalt  zugrunde  liegt)  bildet  den  Ausgangspunkt  dieser  Sage,  die  mit 
einer  erbaulichen  (mönchischen)  Legende  vom  klosterstiftenden  Helden  ab- 
schliesst.  P.  benützte  von  ungedrucktem  Materiale  das  Mortuarium  Wil- 
thinense,  Tschavellers  Chronik  von  Wüten  und  eine  mündliche  Sage  aus 
Leiten  bei  Zirl. —  Der  falsche  Demetrius  in  der  Dichtung  von 
A.  Popek  (Gymnasium  in  Linz),  Fortsetzung  folgt. 

Biographisches  und  Verschiedenes:  Monge  (geb.  1746  zu  Beaune), 
der  Begründer  der  darstellenden  Geometrie  als  Wissen- 
schaft von  F.  J.  Obenrauch  (d.  Landesrealschule  in  Brunn).  — Aus 
Goldonis  Denkwürdigkeiten  zur  Geschichte  seines  Lebens 
und  seiner  Bühnenwerke  von  H.  Noe  (II.  Gymnasium  in  Graz).  — 
Adalbert  Stifter.  Beitrag  zu  seiner  Biographie  von  Fr.  Neumann 
(d.  Oberrealschule  in  Pilsen)  mit  Briefen.  — MartinusBohemus.  Zur 
Geschichte  des  altern  deutschen  Dramas  von  Fr.  Spengler.  (Gymnasium 
in  Znaim).  —  Der  gestirnte  Himmel.  Versuch  einer  Ueber- 
setzung  der  Phaenomena  Aratea  des  Rufus  Festus  Avienus 
von  Gr.  Fischer  und  Fr.  Köppner  (Gymnasium  zu  Komotau).  — Das 
Titelwesen  bei  spätlateinischen  Epistolographen  von  A. 
Engelbrecht  (Gymnasium  Theresianum  in  Wien).  —  Aufgaben  eines 
zukünftigen  griechischen  Staatsrechtes  von  V.  Thumser 
(Gymnasium  im  9.  Bez.  Wiens).  —  Geschichtliche  Skizze  über 
die  alten  und  neuen  österr.  -ungar.  Münzeinheiten  von  F. 
Villicus  (Gremial-Handelsfachschule  in  Wien).  —  Zur  Orientierung 


Literatur.  391 

über  die  Valutaregulierung  in  Oesterreich-Ungarn  von  J. 
Spindler  (d.  Handelsacademie  in  Prag),  40  Seiten. —  Giuseppe  Tar- 
isini  (Geb.  1692  zu  Pirano,  berühmter  Musiker)  von  Georg  Benedetti 
(Gymnasium  in  Pola),  benützte  einzelnes  Ungedruckte  aus  dem  bischöf- 
lichen Archive  in  Triest.  —  Notizie  storiche  intorno  ai  pittori 
Lampi  von  L.  Eosati    (Gymnasium  in  Trient). 

Pädagogik  und  Schulgeschichte:  Geschichtliche  Analogien 
von  J.  Bass  (Realschule  im  16.  Bez.  Wiens)  für  Schulzwecke,  32  S.  — 
Von  Delphi  nach  C  h  a  e  r  o  n  e  i  a.  Eine  Reiseerinnerung,  der  Gymnasial- 
jugend  gewidmet  von  J.  Simon  (Gymnasium  in  Cilli).  —  Charakte- 
ristik des  Pädagogen  in  der  Sophokleischen  Elektra  von 
L.  Hayder  (Gymnasium  zu  Sanok  in  Galizien).  —  Münzensammlungen 
als  Anschauungsmittel  beim  Unterrichte  (mit  einer  Uebersicht 
der  Münzensammlung  der  Anstalt)  von  A.  Plundrich  (Gymnasium  in 
Stockerau. —  D.  G.  Morhof  und  sein  Polyhistor.  Ein  Beitrag  zur 
Lehre  vom  Bildungswesen  von  W.  Eymer  (d.  Gymnasium  in  Budweis). 
Daniel  Georg  Morhof,  geb.  1639  zu  Wismar,  gest.  1691  zu  Lübeck,  suchte 
im  Sinne  der  polymathischen  Bestrebungen  seiner  Zeit  das  Bildungswesen 
besonders  in  seinem  Werke  Polyhistor  (1688)  universell  zu  behandeln.  — 
Charakter,  Charakterbildung  und  der  charakterbildende 
Geschichtsunterricht  von  Rudolf  Sinwel  (städt.  höhere  Handels- 
schule in  Aussig  a.  Elbe),  besonders  beachtenswert  die  Ausführungen 
S.  42 — 7  5.  —  Der  Geschichtsunterricht  in  seiner  erzieh- 
lichen Bedeutung  von  Andreas  Simeon er  (Gymnasium  zu  Ungar.- 
Hradisch  in  Mähren).  —  Zur  Einführung  in  den  Geschichts- 
unterricht auf  der  Unterstufe  der  Mittelschule  von  V. 
Grund  (Realschule  in  Elbogen).  —  Grundzüge  der  Organisation 
der  k.  k.  Theresianischen  Academie  von  H.  Rak  (Gymnasium 
Theresianum  in  Wien).  —  Geschichte  des  Gymnasiums  in  Frei- 
stadt in  den  ersten  25  Jahren  seines  Bestandes  (1867  bis 
1892),  1.  Tbl.  (Geschichtliches)  von  H.  Hackel  (Gymnasium  zu 
Freistadt).  —  Die  Feier  des  40  jähr  igen  Bestandes  der 
Landesunterrealschule  in  Waidhofen  a.  d.  Ybbs  (Realschule 
zu  Waidhofen  a.  d.  Y.).  —  Zur  Erinnerung  an  die  Feier  des 
50jährigen  Bestandes  des  k.  k.  Staats-Obergymnasiums  in 
Triest.  Festrede  des  Prof  P.  Tomas  in  (d.  Gymnasium  in  Triest)  mit 
Abb.  der  Anstalt.  —  Chronolog.  Rückblick  auf  das  erste  De- 
cennium  des  Bestandes  der  Lehranstalt  und  die  Feier  der  Ein- 
weihung des  neuen  Staats-Gymnasialgebäudes  von  J.  de  M.  Wastl;  Be- 
schreibung des  Gymnasialgebäudes  (mit  Bild)  von  H.  Holze- 
land (Gymnasium  im  12.  Bez.  Wiens).  —  Zur  Geschichte  des 
deutschen  Communal-Untergymnasiums  zu  Gaya  (in  Mähren) 
von  L.  Tertsch  (Gymnasium  zu  Gaya).  —  Die  Geschichte  der 
Entstehung  der  Anstalt  von  Fr.  Grund  (Gymnasium  in  Karlsbad). 
—  Uebersicht  über  die  geschichtliche  Entwicklung  und 
die  Organisation  der  landwirths  c ha ftl.  Landesmittelschule 

zu  Neutitschein  von  K.  G.  Kolb  (landw.  Mittelschule  in  Keutitschein), 

1.  Geschichtliche  Skizze  (41/2   S.). 

Geographie    und    verwandte    Wissensgebiete:     Rätoromanisches 


ß92  Literatur. 

aus  Tirol  von  A.  Unter  forcher  (Gymnasium  in  Eger),  Fortsetzung 
der  Namenerklärungen  (Nasus — Pratutium,  23  S.);  zu  »Pescol«  im  Abtey- 
thal  kommt  Pescoller  auch  als  Familienname  vor.  —  Die  Hofnamen 
des  Burggrafenamtes  in  Tirol  von  J.  Tarneller  (Gymnasium  in 
Meran),  Fortsetzung  des  Hofnamenverzeichnisses:  Algund  (Degnei  Ober- 
plars)  - Schennan.  —  Zum  Umrisse  Asiens  von  W.  Schmidt  (Gym- 
nasium im  4.  Bez.  Wiens).  Der  hübsche  Aufsatz,  geschöpft  aus  dem 
Unterrichte  der  2.  Gymnasialclasse,  gibt  das  wieder,  was  in  der  Schule 
vorgebracht  wird,  um  das  Kartenverständniss  der  Schüler  zu  fördern.  — 
Ueber  das  Orinoccosystem  und  dessen  Erschliessung  von 
J.  Kluibenschedl  (Realschule  in  Bozen).  —  Ueber  Klima,  Pflanzen 
und  Thiergeographie  Nordamerikas  von  B.  Löffler  (Gym- 
nasium in  Brüx).  —  Eishöhlen  und  Windröhren  (Schluss)  von 
Eb.  Fugger  (Realschule  in  Salzburg).  Der  3.  Theil  dieser  interessanten 
Abhandlung  bringt  (mit  zahlreichen  Abbildungen)  eine  Theorie  der  Wind- 
höhlen und  Eishöhlen,  prüft  die  bisherigen  Ansichten  und  sichtet  die  vor- 
handene Literatur.  Am  Schlüsse  finden  wir  ein  Bild  der  Veränderung  in 
der  Physiognomie  der  Windröhren  und  Eishöhlen  am  Untersberg  während 
eines  Jahres.  —  Der  geologische  Aufbau  der  Gegend  um  Saaz 
von  G.  Bruder  (Gymnasium  in  Saaz)  Schluss.  —  Die  Basaltberge 
bei  Schlan  und  Winafic  von  AI.  Sigmund  (d.  Untergymnasium  in 
Smichow  bei  Prag)  mit  Abb.  —  Die  meteorologischen  Verhält- 
nisse von  Eger  im  Jahre  1892  von  0.  v.  Steinhaussen  (Gym- 
nasium in  Eger).  —  Die  meteorolog.  Verhältnisse  von  Weidenau 
und  Umgebung  i.  J.  1892  von  J.  Reidinger  (Gymnasium  in 
Weidenau). 

Aus  slavischen  Schulprogrammen:  Die  Rede  des  Demosthenes 
gegen  Aristokrates  von  M.  Kusionowicz  (Mowa  Demostenesa 
przeciw  Arystokratesowi  (Gymnasium  in  Bochnia).  —  Ueber  Erziehung 
und  Unterricht  bei  den  Griechen  und  Römern  von  M.  S. 
Milkovic  (Ob  uzgoju  i  nastavi  kod  starih  Grka  i  Rimeljana,  Gymnasium 
zu  Spalato).  —  Kaiser  Tiberius  im  Lichte  neuerer  Forschung 
von  M.  Litynski  (Cesarz  Tyberyusz  w  swietle  nowoczesnych  badan,  p. 
Oberrealschule  in  Lemberg).  —  Ueber  Geschichte  der  Romani- 
sierung  der  röm.  Provinzen  von  B.  Dolejsek  (Dejini  a  zpüsob 
pofimaneni  provincii  fimskych,  b.  Gymnasium  in  Ungarisch-Hradisch).  — 
Die  ehemalige  Collegiatkirche  Allerheiligen  zu  Jaroslau 
von  Jg.  Rychlik  (Kosciöl  Kollegiaty  Wszystkich  Swi^tych  w  Jaroslawiu, 
Gymnasium  in  Jaroslau).  —  Eine  Urkunde  des  Klosters  Königs- 
saal aus  dem  Jahre  1418  von  V.  Piskäcek  (Listina  klästera 
Zbraslavskeho  z  r.  1418,  Gymnasium  in  Raudnitz).  —  Tabor  als  Fest- 
ung in  der  Vergangenheit  von  K.  Thir  (Hradiste  Hory  Tabor  jako 
pevnost'  v  minulosti  L,  b.  Gymnasium  in  Tabor),  1.  Theil  mit  1  Plan.  — 
Ueber  den  Einfluss  des  Johann  Vitefc  von  Zredno  und  des 
Georg  von  Podiebrad  auf  die  Wahl  des  Mathias  Corvinus 
zum  ungarischen  König.  Nach  archivalischen  Quellen  von  G.  Hes 
(0  püsobeni  Jana  Viteze  ze  Zredna  a  Jifiho  z  Podebrad  ve  volbu  Matyäse 
Korvina  za  kräle  Uherskeho.  Na  zaklade  archivalnim,  b.  Gymnasium  in 
Neuhaus).     Benützte    mehrere    böhm.    Archive    und    die    Staatsarchive    zu 


Literatur.  393 

Dresden  und  Mailand  und  druckt  ein  Schreiben  des  Mathias  vom  23.  Jan. 
1458  und  des  Georg  von  Podiebrad  vom  2.  März  1458  über  die  ungar. 
Königswahl  ab.  Der  Verweser  des  Königreichs  Böhmen  verspricht  in 
einem  andern  Schreiben  Freundschaft  und  Bruderschaft  und  dem  Mathias 
seine  Tochter  (S.  22  fg.  abgedruckt,  datiert  fer.  V.  post  festum  S.  Doro- 
thee  1458).  Als  Schriftprobe  werden  die  beiden  lat.  Schreiben  der  Könige 
und  die  letzte  Seite  des  Chron.  Hungarorum  (1473)  abgebildet.  —  Die 
Adels-  und  Erbfamilien  in  der  Stadt  Jungbunzlau  in  den 
Jahren  1471  —  1620  von  F.  Bares  (Siechticke  a  erbovni  rodiny  v 
meste  Boleslava  Mladeho  v  letech  1471  — 1620,  b.  Gymnasium  zu  Jung- 
bunzlau). Stützt  sich  auf  das  Jungbunzlauer  Archiv,  die  Landtafel-  und 
Kammergerichtsbücher,  auf  Auszüge  aus  dem  Statth.-Archiv  zu  Prag  und 
auf  Druckschriften  des  16.  und  17.  Jahrh.,  bringt  genealogische  Tafeln 
(auch  Lobkowitz)  und  Grabinschriften.  —  Zur  Geschichte  der  Hand- 
werke in  Schlesien  von  W.  Prasek  (K  dejinäm  femesel  ve  Slezsku, 
b.  Privatgymnasium  in  Troppau).  —  Franz  Martin  Pelcl  von  J. 
Vycp  älek  (Frantisek  M.  Pelcl  etc.,  Gymnasium  in  Reichenau).  —  Das 
Leben  des  Kaspar  Melchior  Miaskowski  (poln.  Dichters  aus  dem 
16.  Jahrh.)  von  J.  Wierzbicki  (Zywot  K.  M.  Leliwity  Miaskowskiego, 
p.  Gymnasium  in  Wadowice).  —  Die  Franzosen  inPiseki.  J.  1741 
bis  1742  von  J.  Matzner  (Francouzove  v  Pisku  r.  1741 — 1742,  b. 
Realschule  in  Pisek).  —  Diplomatische  Verhandlungen  zwischen 
dem  Wiener-  und  dem  russischen  Hofe  am  Beginne  des 
siebenjährigen  Krieges  i.  J.  1757  von  Franz  Zdrähal  (Diplo- 
maticke  vyjednäväni  mezi  dvorem  videnskym  a  ruskym  na  poöatku  valky 
sedmilete  v  r.  1757,  b.  Gymnasium  auf  der  Neustadt  in  Prag),  11  S. 
auf  Grund  des  Gedruckten.  —  Die  Bedeutung  des  gesetzgeben- 
den Körpers  in  der  Geschichte  der  französischen  Revolu- 
tion (Fortsetzung  und  Schluss)  von  J.  Krystüfek  (Vyznam  sboru 
zäkonodarneho  v  dejinäch  revoluce  francouske,  b.  Gymnasium  in  Bud- 
weis).  —  Die  Geographie  in  den  oberen  Classen  der  Mittel- 
schule von  Franz  Werner  (Zemepis  ve  vyssich  tfidach  skol  stfed- 
nich,  Gymnasium  in  Prerau),  Schluss.  —  Zum  60jährigen  Bestand 
der  Anstalt  von  J.  Topka  (K  sedesätilete  rocnici  trväni  üstavu,  b. 
Realschule  zu  Rakonitz).  —  Die  ersten  30  Jahre  des  Bestandes 
unserer  Anstalt.  Ein  monographischer  Versuch  über  das  k.  k.  Real- 
und  Obergymnasium  zu  Chrudim  von  Th.  Rehof  (Prvnich  tficet  trväni 
naseho  üstava.  Pokus  monografie  c.  k.  realn.  a  vyss.  gymnasia  v  Chru- 
dimi,  b.  Gymnasium  in  Chrudim)  mit  Abb.  der  Lehranstalt.  —  Ge- 
schichte der  Schulen  von  Wittingau  von  A.  Decker  (Dejini 
skol  Tfebonskych,  b.  Gymnasium  in  Wittingau)  mit  einer  stat.  Uebersicht. 
—  Uebersicht  der  ersten  25  Jahre  des  Bestandes  des  böhm. 
Staatsgymnasiums  zu  Brunn  von  Vlad,  St'astnf  (Rozhled  po 
prvnich  pet  a  dväciti  letech  1867 — 92  trväni  c.  k.  v.  gymnasia  eeskeho 
v  Brne,  b.  Gymnasium  zu  Brunn).  —  Theophil  Lenartowicz.  Ein 
Nachruf  von  J.  Szafran  (Teofil  L.  Wspomnienie  posmiertne,  Gymnasium 
in  Rzeszow). 

Die    Gletscher    von    R.    Knaus    (0    ledovcich,    b.  Realschule    in 
Prag  -  Karolinenthal).    —    Die    Krim,    ihre  Naturschönheiten  und  Natur- 


394  Literatur. 

merkwürdigkeiten,  nach  eigener  Anschauung  und  nach  den  neuesten 
Quellen  dargestellt  von  Em.  Fait  (Krym,  jeho  pfirodni  kräsy  a  pamät- 
nosti.  Die  vlastniho  näzoru  a  nejnovejsich  pramenü  lici,  b.  Oberrealschule 
in  Eakonitz).  —  Teschen  und  das  Teschener  Gebiet  in  geogr.- 
statist.  Hinsicht  von  G.  Harwot  (Cieszyn  i  ziemia  cieszynska  pod 
wzgladem  geograficzno-statystycznym,  Gymnasium  in  Przemysl).  —  Der 
Granit-Syenit  im  südwestl.  Mähren  von  J.  Vyrazil  (Zulovy" 
syenit  na  jihozäpadni  Morave,  b.  Oberrealschule  in  Brunn),  2  V3  Seiten.  — 
Der  Palati n.  Eine  topographische  Studie  von  L.  Brtnicky  (Palatin. 
Pojednäni  topograficke,  b.  Gymnasium  in  Königgrätz),  34  S.  mit  1  Tafel, 
Forts,  folgt.  —  Geographisches  Zeichnen  von  A.  Vuöetic  (Geogra- 
fsko  crtane,  Gymnasium  zu  Ragusa).  —  Meteorologische  Beobach- 
tungen zu  Reichenau  im  Jahre  1892  von  J.  Sallac  (Vysledky 
meteorolog.  pozoroväni  r.  1892  v  Rychnove  n.  K.,  b.  Gymnasium  in 
Reichenau).  —  Meteorologische  Beobachtungen  in  Leitomischl 
von  E.  Barta  (Vysledky  meteorologickeho  pozoroväni  v  Litomysli,  b. 
Gymnasium  zu  Leitomischl). 

Bielitz.  S.  M.  Prem. 


Zur  Feststellung  des  Datums  der  Überreichung  der  „Sturmpetition"  der  protestantischen 
Stände  Oesterreichs  an  Ferdinand  II.  (1619). 

Thatsächliche  Berichtigung  in  Betreff  des  11.  Juni  1619. 

In  Bd.  XIV.  H.  2  S.  379  u.  f.  dieser  Mittheilungen  findet  sich  eine 
Besprechung,  unterz.  A.  Huber,  des  Werkes  des  Unterzeichneten  über  den 
dreissigjährigen  Krieg  (Bd.  I),  in  welcher  unter  anderen  gesagt  wird, 
H.  Gindely  habe  dargethan,  dass  die  stürmische  Audienz  bei  dem  dam. 
Könige  Ferdinand  IL  am  5.  Juni  1619  stattgefunden  habe.  Die  frühere 
Ansicht  vom  11.  Juni  dagegen,  die  Herr  v.  Hurter  und  ich  vertreten, 
sei  irrig. 

Es  handelt  sich  dabei  nicht  bloss  um  die  Frage  des  Datums.  Die 
Frage  desselben  schliesst  eine  ungleich  wichtigere  ein,  nämlich  die,  ob 
die  Bedrohung  des  dam.  Königs  Ferdinand  IL  in  der  Hofburg  durch  die 
Sturmpetition  der  nicht-katholischen  Landstände  von  N.-Oe.  stattfand, 
bevor  oder  während  der  Graf  Thurn  mit  dem  Böhmenheere  im  Ange- 
sichte der  Stadt  Wien  stand,  vom   6.  bis  zum   12.  Juni. 

Die  erste  ausführliche  Darstellung  des  ganzen  Verlaufs  hat  das 
Theatrum  Europaeum  im  Jahre  1635  gegeben,  Bd.  I,  139  u.  f.  Es  druckt 
fast  die  ganze  Sturmpetiüon  ab  mit  Hinzufügung  des  Datums  des  elften 
Juni  1619.  —  Londorp,  Acta  publica  I,  619  fügt  nicht  ausdrücklich 
das  Datum  hinzu.  Aber  der  dort  ganz  wortgetreue  Abdruck  beginnt: 
»Was  Ew.  K.  Majestät  uns  den  9.  Juni  auf  unsere  den  8  ejd.  übergebene 
schriftliche  Communication  schriftlich  geantwortet«  u.  s.  w.  —  Die  Ueber- 
einstimmung  der  zwei  von  einander  unabhängigen  Quellenwerke  in  Betreff 
des  Datums  liegt  also  seit  250  Jahren  vor  Augen. 

In  unserer  Zeit  erforschte  zuerst  wieder  Herr  F.  v.  Hurter  das  Archiv 
der  n.-ö.  Landstände.  Auf  Grund  des  Ergebnisses  berichtet  er  (Bd.  VII, 
554):  »Am  11.  Juni  (iß  1 9)  erschienen  sechzehn  unkatholische  Landleute 
N.-Oe.s  stürmisch  in  des  Königs  Vorzimmer«  u.  s.  w. 


Literatur.  395 

Dann  kam  H.  Gindely.  Er  befragte  nicht  die  angeführten  gedruckten 
Quellenwerke  aus  jener  Zeit  selbst.  Er  untersuchte  auch  nicht  das  in 
dieser  Angelegenheit  wichtigste  Archiv  der  n.-ö.  Landstände  in  Wien.  Er 
ging  nach  Simancas  in  Spanien.  Dort  fand  er  einen  Bericht  des  spani- 
schen Gesandten  in  Wien,  der  die  Tage  vom  5.  bis  12.  Juni  1619  kurz 
zusammenfasst.  Hauptsächlich  auf  Grund  dieses  Berichtes  stellte  H. 
Gindely  die  Ansicht  auf:  die  stürmische  Audienz  habe  am  5.  Juni  statt- 
gefunden, also  vor  dem  Erscheinen  Thurns  vor  Wien  am  6.  Juni.  Damit 
würde  das  wesentliche  Moment  der  Gefahr  für  den  K.  Ferdinand  II,  das 
in  der  Anwesenheit  Thurns  mit  etwa  10,000  Mann  im  jetzigen  Bezirke 
Landstrasse  vor  Wien  lag,  entfallen. 

Es  ist  also  die  Frage,  ob  der  Bericht  des  spanischen  Gesandten  in 
unvereinbarem  Widerspruche  mit  den  Acten  und  Protokollen  steht,  auf 
die  H.  F.  v.  Hurter  seine  Erzählung  gründet.  Herr  Gindely  selber  hat 
(Bd.  II,  79  seines  Werkes)  die  betr.  Stelle  jenes  Berichtes  spanisch  ab- 
gedruckt. Sie  umfasst  die  Tage  vom  5.  bis  12.  Juni  summarisch,  so 
kurz,  dass  sie  kaum  eine  halbe  Druckseite  füllt.  Sie  lautet  deutsch: 
»Die  Lutherischen  (Landstände)  traten  am  5.  Juni  in  die  Versammlung 
der  Katholischen  und  erklärten,  dass  nunmehr,  wo  man  nicht  habe  überein 
kommen  können,  sie  die  gemeinsame  Casse  und  Verwaltung  scheiden  und 
fortan  nach  eigenem  Ermessen  handeln  würden.  Von  da  begaben  sie  sich 
zum  Könige,  um  ihm  eben  dasselbe  zu  sagen,  und  gemäss  dem,  was  ich 
über  Thurn  vernommen,  wird  allgemein  geglaubt,  dass  die  Lutherischen 
oder  einige  Personen  ihn  herbeigerufen  haben,  mit  der  Absicht  ihn  in 
die  Stadt  einzulassen,  und  den  König  zu  zwingen,  Frieden  zu  machen 
auf  Grund  der  Bedingungen,  die  sie  ihm  setzen  wollen.  Aber  Gott  sei 
es  gedankt,  dass  zur  selben  Zeit,  wo  die  Lutheraner  vor  dem  Könige 
redend  standen,  auf  dem  Burghofe  400  Reiter  ankamen,  und  an  die  Stadt 
eben  so  viele  Infanterie,  welche  (Truppen)  aus  den  benachbarten  Be- 
satzungen herbeigerufen  waren.  Darüber  geriethen  sie  (die  Deputation 
der  nicht-katholischen  Landstände)  in  Verwirrung  und  redeten  bescheidener. <L 

Aus  diesem  summarischen  Berichte,  der,  wie  H.  Gindely  selber  an- 
gibt, die  Tage  vom  5.  bis  12.  umfasst,  also  erst  am  12.  niedergeschrieben 
sein  kann,  folgt  nicht  eine  Meinung  des  Gesandten,  dass  die  stürmische 
Audienz  am  5.  Juni  stattgefunden  habe.  Der  Bericht  trennt  nur,  eben 
weil   er  summarisch  ist,  nicht  die  Vorgänge  der  einzelnen  Tage. 

Eben  darum  hat  der  Unterzeichnete  die  Acten  und  Protokolle  des 
Archives  der  n.-ö.  Landstände  vom  Juni  1619  durchgesehen,  um  genau 
zu  wissen,  was  von  einem  Tage  zum  anderen  geschehen  ist.  Es  ist  ganz 
richtig,  dass,  wie  der  Gesandte  meldet,  am  5.  Juni  die  nicht-katholischen 
Landstände  den  katholischen  die  Trennung  ansagten.  Es  ist  auch  richtig, 
dass  sie  dann  zur  Audienz  gingen.  Dann  jedoch  erfolgt  in  dem  summa- 
rischen Berichte  des  Gesandten  ein  Sprung  vom  5.  auf  den  11.  Er  er- 
wähnt nicht,  was  die  eigentliche  Sturmpetition  vom  1 1 .  ausdrücklich  sagt, 
dass  die  Petenten  am  8.  wieder  zur  Audienz  gekommen  sind,  und  am 
9.  eine  schriftliche  Antwort  erhalten  haben. 

Ueberhaupt  ist  jeder  einzelne  Tag  vom  5.  bis  zum  12.  bedeutungs- 
voll, und  es  ist  dem  Unterzeichneten  eine  besondere  Freude  gewesen,  auf 
Grund  der  Acten  und  Protokolle  zu  verzeichnen,   was  an  jedem  einzelnen 


396  Literatur. 

Tage  geschehen  ist,  und  hinzufügen  zu  können  (S.  350):  »Die  charakter- 
feste Haltung  der  katholischen  Landstände  von  Niederösterreich  ist  ein 
Moment,  das  in  den  geschichtlichen  Darstellungen  jener  schweren  Tage 
selten  nach  Gebühr  gewürdigt  worden.  Wie  sie,  ungeachtet  der  grossen 
Worte,  zügelnd  auf  die  nicht-katholischen  Landstände  wirken  musste,  so 
ermuthigend  auf  den  König  Ferdinand.« 

Die  schwerste  Probe,  welche  der  König  zu  bestehen  hatte,  fand  statt 
am  11.  Juni  1619.  Denn  dieses  Datum  —  es  ist  zu  wiederholen  — 
trägt  im  Archive  der  n.-ö.  Landstände  die  Sturmpetition,  mit  welcher  die 
Deputation  der  nicht-katholischen  Landstände ,  sechzehn  Mitglieder  des 
Herren-  und  Ritterstandes,  in  der  Hofburg  vor  ihn  traten.  Während 
Thurn  mit  dem  Rebellenheere  im  Bezirke  Landstrasse  stand,  harrend,  dass 
ihm  ein  Thor  aufgethan  werde,  wie  nach  seinem  Berichte  nach  Prag  es 
ihm  versprochen  war,  forderte  die  Petition  schriftlich  und  deren  Träger 
mündlich  stundenlang  von  dem  Könige  Ferdinand  die  Einwilligung  in 
die  Confoederation  der  nicht-katholischen  Landstände  von  Niederösterreich  mit 
den  böhmischen  Rebellen,  d.  h.  die  Selbstvernichtung  des  Herrscherhauses, 
den  Zerfall  der  Länder  desselben  in  eben  so  viele  Adelsrepubliken.  Der 
Widerstand  des  Königs  war  die  Rettung.  Der  11.  Juni  1619  ist  ein 
Tag  des  Sieges,  errungen  durch  den  König  Ferdinand  IL  persönlich  und 
allein,  gleichwiegend  mit  jedem  anderen  schwersten  Schicks  aistage  der 
Monarchie. 

Penzing,  im  März   1894.  Onno  Klopp. 


Replik. 

Wir  glauben  zwar  nicht,  dass  der  Ruhm  K.  Ferdinands  II.  dadurch 
geringer  wird,  wenn  er  die  »Sturmpetition«  der  protestantischen  Stände 
Oesterreichs  nicht  am  11.  Juni,  wo  Thurn  mit  seinem  Heere  vor  Wien 
stand,  sondern  schon  am  5.,  wo  derselbe  der  Stadt  sich  näherte,  zurück- 
gewiesen hat.  Aber  die  Lösung  der  Streitfrage  ist  immerhin  für  den 
Geschichtsforscher  von  Interesse  und  es  wird  daher  wohl  gerechtfertigt 
erscheinen,  wenn  ich  möglichst  kurz  und,  ohne  viele  überflüssige  Redens- 
arten zu  bringen,  darauf  eingehe. 

Gindely  (Geschichte  des  dreissigj ährigen  Krieges  2,  78  N.)  hat  gegen 
die  frühern  Historiker  (auch  noch  Hurt  er  7,  554),  welche  die  Sendung 
einer  Deputation  der  protestantischen  Stände  an  den  König  und  die  An- 
kunft der  von  Krems  herabgeschickten  Reiter  unter  Saint-Hilaire  auf  den 
1 1 .  Juni  1619  verlegten,  geltend  gemacht,  dass  dieser  Vorfall  nach  den 
Berichten  des  sächsischen  Gesandten  vom  10.  und  11.  und  des  spanischen 
vom  12.  Juni  sich  schon  am  5.  Juni  zugetragen  haben  müsse.  0.  Klopp 
hat  in  seinem  Werke  »Der  dreissigj  ährige  Krieg«  1,  347  N.  die  frühere 
Ansicht  aufrechterhalten  und  thut  dies  mit  Berufung  auf  die  »Acten  und 
Protokolle  des  Archives  der  n.-ö.  Landstände«  auch  jetzt  noch,  wobei  er 
den  widersprechenden  Bericht  des  spanischen  Gesandten  dadurch  beseitigen 
zu  können  glaubt,  dass  er  sagt,  derselbe  sei  nur  summarisch  und  trenne 
nicht  die  Vorgänge  der  einzelnen  Tage.  Den  Bericht  des  sächsischen  Ge- 
sandten aus  Wien  ignorirt    er  ganz,    ebenso    den    des  venetianischen  vom 


Literatur.  397 

8.  Juni,  auf  den  ich  in  meiner  Recension  ausdrücklich  aufmerksam  gemacht 
habe  und  worin  gemeldet  wird,  dass,  während  die  Protestanten  beim 
Kaiser  waren,  »sopragionte  nell' istesso  tempo  sopra  la  Piazza  del  Palazzo 
quattro  Cornette  die  Cavalleria  di  quelle  chiamate  da  Crems«. 

Obwohl  nun  kein  unbefangener  Forscher  daran  zweifeln  kann,  dass 
der  venetianische  Gesandte  Dinge,  die  uich  erst  am  11.  Juni  zutrugen, 
nicht  schon  am  8.  seiner  Regierung  berichten  konnte,  liess  ich  mir  die 
Mühe  nicht  verdriessen,  auch  meinerseits  die  Acten  des  Archivs  der  n.-ö. 
Stände  einzusehen,  wobei  mir  Herr  Archivdirector  König  in  der  liebens- 
würdigsten Weise  entgegengekommen  ist.  In  diesem  befindet  sich  ein 
umfangreicher  Band  »Excerpte  aus  den  n.-ö.  Landtagsverhandlungen  von 
1600 — 1711  T.  IL«,  worin  die  Vorgänge  vom  5.  bis  zum  11.  Juni  1619 
in  (im  Ganzen  recht  verlässlichen)  Auszügen  mitgetheilt  sind.  Zum  5.  Juni 
findet  sich  die  »mündliche  Erklärung«  der  drei  der  Augsburgischen  Con- 
fession  zugethanen  Stände  unter  und  ob  der  Enns  an  die  vier  katholischen 
Stände.  Jene  erklären,  da  die  Katholischen  (auf  ihre  Forderung  der  Bei- 
stimmung zur  Conföderation  mit  Böhmen)  nur  eine  ausweichende  Antwort 
gegeben,  deren  Erledigung  etliche  Monate  brauchen  würde,  so  wollten  sie 
sich  fortan  in  eine  gemeinsame  Berathung  mit  denselben  nicht  mehr  ein- 
lassen, was  sie  ihnen  in  offener  Landstube  andeuten,  »wie  sie  sich  denn 
gleich  jetzo  zu  Ihrer  kgl.  Maj.  hinein  gegen  Hof  verfügen«  und  dieser  zu 
Gemüthe  führen  wollen,  wie  nahe  die  Böhmen  mit  dem  Kriegsvolk  kommen 
und  in  welcher  Gefahr  Ihre  kgl.  Majestät  und  das  Land  stehen.  Sie  ver- 
wahrten sich  zugleich,  dass  sie  an  allem  hieraus  entspringenden  Unheil 
keine  Schuld  haben  wollen,  und  erklärten  nochmals,  dass  sie  sich  von 
den  katholischen  Ständen  trennen  und  alle  Landes-  und  andere  Sachen, 
das  Verordnetenamt,  die  Kasse  u.  s.  w.  für  sich  allein  vornehmen  würden. 

Zum  8.  Juni  ist  wieder  eine  Petition  der  evangelischen  Stände 
an  den  König  Ferdinand  verzeichnet,  die  sie  ihm  am  9.  durch  ihren  Aus- 
schuss  persönlich  überreichten,  worin  sie  um  Abstellung  der  Tyrannei  des 
königlichen  Kriegsvolkes  in  Böhmen  bitten  und  sich  wegen  ihrer  Wer- 
bungen rechtfertigen,  welche  nicht  gegen  den  König  und  zur  Unterdrückung 
der  katholischen  Religion,  sondern  nur  zu  ihrem  Schutze  vorgenommen 
würden.  Die  vom  Könige  am  9.  mündlich  und  dann  auch  schriftlich 
ertheilte  Antwort  ist  nicht  vorhanden.  Aber  aus  der  Antwort,  der  Stände 
vom  1 1 .  ergibt  sich,  dass  derselbe  bemerkte,  er  sei  zur  Werbung  des 
Kriegsvolks  von  den  Böhmen  gezwungen  worden  und  die  österreichischen 
Stände  hätten  keine  Ursache,  zu  ihrer  Sicherheit  einige  Defensive  in  die 
Hand  zu  nehmen. 

Diese  mehrfach  gedruckte  Antwort  der  Stände  vom  11.  Juni  ist  nun 
in  den  erwähnten  » Excerpten «  ausdrücklich  als  »Sturmpetition«  bezeichnet 
und  dadurch  konnten  die  älteren  Forscher,  welchen  die  Berichte  des  spa- 
nischen und  venetianischen  Gesandten  noch  nicht  vorlagen,  um  so  leichter 
irregeführt  werden,  als  zum  25.  Juni  bemerkt  ist,  die  »Verordneten«, 
welche  dem  Könige  geschrieben,  die  evangelischen  Stände  könnten  zu  dem 
von  ihm  berufenen  Landtage  nicht  erscheinen,  hätten  »auf  das  plötzliche 
Erscheinen  der  Bucquoischen  Reiter  in  der  kaiserlichen  Burg  am  1 1 .  Juni 
hingewiesen«.  Aber  diese  Excerpte  sind,  wie  ihre  Schrift  zeigt,  neuen 
Ursprungs    und    die  Concepte,    aus    welchen  sie  zusammengestellt  worden 


398  Literatur. 

sind,  enthalten  weder  bei  der  Antwort  der  Protestanten  vom  11.  Juni  den 
Ausdruck  Sturmpetition  noch  bei  der  Eingabe  vom  25.  Juni  das  Datum 
»11.  Juni«.  Im  Gegentheile  heisst  es  hier:  »Dann  erstlich  befinden  wir, 
das  Sy  Evangl.  Stände,  da  Sy  bei  Euerer  Mt.  vor  wenig  Wochen 
in  zimblicher  Anzall  gnedigste  Audienz  gehabt,  durch  den  mit  etlich  Com- 
pagnien  Keutter,  welche  in  wehrunder  Audienz  in  völligem  Spornstraich 
mit  aufgezogenen  Eöhren  und  zum  Angriff  gehörigen  armis  auf  den  Burg- 
platz geritten  und  daselbst  so  lange,  als  die  Evangel.  Stände  darinnen 
zu  Hof,  das  ist  bis  gegen  Abend  verblieben,  gehalten,  fürgegangenen 
ungewöhnlichen  zuvor  nie  erhörten  actum  in  solches  Misstrauen  gerathen, 
das  Sy  bald  drauf  allhin  nach  einander  verreist  und  von  hinnen  wegbe- 
geben haben.« 

Der  Ausdruck  »vor  wenig  Wochen«  passt  jedenfalls  eher,  wenn  am 
25.  Juni  nicht  erst  14,  sondern  20  Tage  verflossen  waren.  Da  nun  fest- 
steht, dass  die  protestantischen  Stände  sich  am  5.  Juni  unmittelbar  nach 
ihrem  Bruche  mit  den  Katholiken  »zu  ihrer  kgl.  Maj.  hinein  gegen  Hof 
verfügt«  haben,  während  bei  der  Antwort  vom  11.  Juni  nicht  bemerkt 
ist,  dass  sie  dem  Könige  durch  eine  Deputation  überbracht  worden  sei, 
so  stimmen  auch  die  ständischen  »Acten«,  auf  die  sich  0.  Klopp  stützt, 
mit  den  Berichten  der  in  Wien  weilenden  Gesandten  überein  und  der 
5.  Juni  als  Tag  der  »Sturmpetition«  ist  sicher  gestellt. 

Wien  21.  März   1894.  A.  Huber. 


Entgegnung  von  Dr.  Jean  Lulves. 

Eine  in  den  Mittheilungen  des  Instituts  f.  österr.  Geschichtsforschung 
Bd.  XIV,  Heft  3,  Seite  516,  von  Wl.  Milkovic  veröffentlichte  Anzeige 
meiner  Schrift  über  »Die  Summa  cancellariae  des  Johann  von  Neumarkt« 
behauptet  von  ihr,  dass  sie  vollständig  auf  einigen  Arbeiten  F.  Tadras 
fusse,  in  denen  dieser  eine  genauere  Untersuchung  über  das  genannte 
Formelbuch  durchgeführt  habe,  sogar  auf  den  (sie !)  in  böhmischer  Sprache 
geschriebenen,  was  deshalb  hervorzuheben  sei,  »weil  der  Verfasser  in  der 
Note  S.  5,  ich  weiss  nicht  aus  welchem  Grunde,  diese  Zumuthung  von 
sich  fern  zu  halten  bemüht  ist,  indem  er  ausdrücklich  sagt,  dass  diese  Arbeit 
Tadras,  weil  in  böhmischer  Sprache  geschrieben,  unberücksichtigt  bleiben 
musste.  * 

Auf  diese  Behauptungen,  die  auffallender  Weise  des  nothwendigen 
Beleges  entbehren,  habe  ich  zu  erwiedern  : 

Von  den,  mir  wenigstens,  bekannten  beiden  »Untersuchungen«  Tadras 
bot  die  eine,  nämlich  der  Abdruck  der  zweiten  Hälfte  der  späteren  und 
nach  einer  —  von  mir  in  Leipzig  nachgewiesenen  —  Vorlage  entstan- 
denen Klagenfurter  Handschrift,  betitelt:  Cancellaria  Johannis  Noviforensis 
episcopi  Olomucensis  (1364 — 1380)  im  Archiv  für  österr.  Geschichte 
Bd.  68,  S.  1  — 158,  für  meine  Handschriftenvergleichung  und  Eedactionen- 
feststellung  so  gut  wie  nichts,  weder  im  Text  noch  in  Tadras  Einleitung 
und  Anmerkuugen.  Die  Ausgabe  ist  von  mir  eingehend  besprochen  wor- 
den (S.  28 — 30,  106  nnd  109),  einzelne  Angaben  der  dort  publicirten 
Briefe,  welche  ich  in  meinem  einleitenden  biograpischen  Kapitel  als  Quellen- 


Literatur.  399 

stellen  für  die  sechs  letzten  Jahre  des  Kanzlers  verwerthen  konnte,  sind 
natürlich  nach  diesem  Drucke,  statt  nach  der  älteren  Handschrift  citiert. 
Die  andere  Arbeit:  Jan  ze  Stredy  im  Casopis  Musea  Kralovstvi  Ces- 
keho  60,  habe  ich  hingegen  wegen  meiner  gänzlichen  Unkenntnis  des 
Czechischen  überhaupt  nicht  benutzen  können,  musste  sie  aber  lediglich 
des  Handschriftenverzeichnisses  wegen,  da  mich  Tadra  selbst  privatim  auf 
dasselbe  aufmerksam  gemacht  hatte,  einmal,  wie  es  das  ausdrückliche  Citat 
S.  20,  Anm.  1  lehrt,  heranziehen;  besagtes  Verzeichnis  war  mir  nur 
durch  die  lateinische  Wiedergabe  der  Handschriftenmarken  entzifferbar,  bot 
mir  aber  ausser  einem  Codex  in  Raigern  nur  bereits  aus  Katalogen  etc. 
bekannte  Stücke.  Dieses  Citat  steht  ausserhalb  der  von  mir  gegebenen 
Biographie  Johanns  von  Neumarkt  (Kap.  II),  auf  die  allein  sich 
jene  Bemerkung  bezieht,  welche  ich  bei  der  Aufzählung  der  dorthin  ge- 
hörigen Litteratur  gemacht  habe:  »Unberücksichtigt  musste  dagegen  bleiben: 
F.  Tadra,  Jan  ze  Stredy «  etc. ;  wohl  verstanden  fehlt  bei  mir  der  Zusatz 
im  obigen  Citat,  »weil  in  böhmischer  Sprache  geschrieben«.  —  Schon 
allein  die  Erwähnung  von  fünf  nicht  hergehörigen  Handschriften  in  dem 
genannten  Verzeichnisse  Tadras  beweist,  dass  er  auch  nicht  in  dem  mir 
im  Uebrigen  gänzlich  unbekannt  gebliebenen,  czechischen  Aufsatze  die  von 
mir  durchgeführte,  unmittelbare  Vergleichung  der  bis  dahin  zumeist  nicht 
einmal  durchgezählten  und  foliirten  Handschriften  vorgenommen  hat. 


Replik. 

Für  jemand,  der  in  die  Sache  eingeweiht  ist,  würde  schon  die  obige 
Entgegnung  allein  genügen,  um  sich  zu  überzeugen,  dass  der  Vorwurf,  den 
ich  dem  Verfasser  gemacht,  thatsächlich  ein  berechtigter  sein  muss.  Hat 
er  ihn  etwa  gründlich  widerlegt?  Ich  glaube,  dass  mit  der  blossen  Be- 
tonung des  Umstandes,  dass  Herr  L.  der  böhmischen  Sprache  nicht  mächtig 
ist,  der  von  mir  erhobene  Vorwurf  nicht  widerlegt  werden  kann,  und  dass 
er  die  böhmisch  geschriebene  Abhandlung  Tadras  wenigstens  in  einer  Be- 
ziehung benützt  hat,  das  gesteht  er  selbst.  Da  meine  Anzeige  des  Schrift- 
chens, einer  Dissertation,  sich  kurz  fassen  musste,  will  ich  nun  das  Ge- 
sagte im  einzelnen  ei'härten. 

Der  Erste,  welcher  mit  der  Summa  Cancellariae  Johannis  Novif.  ein- 
gehender sich  befasst  hat,  ist  F.  Tadra.  Von  Tadra  zunächst  konnte  Herr 
L.  sich  darüber  Orientiren,  welche  und  wie  viel  Handschriften  der  Summa 
Johannis  es  gibt  und  wo  sich  dieselben  befinden.  Diese  Nachrichten  fan- 
den sich  in  der  böhmischen  Abhandlung  x)  Tadras  vor.  Dieselbe  musste 
also  für  ihn  den  Ausgangspunkt  bilden.  Ob  nun  Herr  L.  diese  Nach- 
richten aus  der  Abhandlung  selbst  geschöpft  oder  dieselben  privatim,  wie 
er  jetzt  erst  andeutet,  von  Tadra  in  Erfahrung  brachte,  ist  nebensächlich. 
Der  Recensent  konnte  nur  die  Verwandtschaft  beider  Abhandlungen  con- 
statiren.  Ich  habe  auch  meine  Worte,  dass  seine  Abhandlung  auf  den 
Arbeiten  Tadras  fusse,   so  verstanden,    dass  dieselben  ihm  zum  Ausgangs- 


')  »Sogar  auf  den"  —  statt  der  —  »in  böhmischer  Sprache  geschriebenen« 
in  der  Recension  ist,  wie  das  dabei  stehende  Citat  beweist,  ein  einfacher  Druck- 
fehler. 


400  Literatur. 

punkt  dienten.  Dass  Herr  L.  etwas  Neues  gebracht  uud  fleissig  gear- 
beitet hat,  das  habe  ich  ja  gesagt.  Jetzt  aber  verhält  sich  die  Sache 
anders.  Weniger  die  wenn  auch  versteckte  Benützung  der  böhmischen  Ab- 
handlung Tadras,  sondern  die  Antwort  des  Autors  zeugt  gegen  ihn.  Wes- 
halb? Die  deutsche  Abhandlung  Tadras,  »bot«  ihm,  wie  er  sich  äusserte, 
»so  gut  wie  nichts«,  die  böhmische  nur  so  viel,  dass  er  »durch  die  la- 
teinische Wiedergabe  der  Handschriftenmarken«  das  Verzeichnis  der  Hand- 
schriften entziffern  konnte.  Herr  L.  will  also  Tadra  fast  gar  kein  Ver- 
dienst zugestehen  und  seine  Abhandlung  als  eine  ganz  selbstständige  Ar- 
beit hinstellen.  Wer  sich  je  mit  Handschriften  beschäftigt  hat,  weiss,  wie 
viel  Mühe  es  kostet,  dieselben  zu  finden  und  zusammenzustellen.  Wenn 
schon  für  nichts  anderes,  so  sollte  sich  Herr  L.  auch  nur  für  die  blosse 
Zusammenstellung  und  den  Nachweis  der  Handschriften  Tadra  zu  Dank 
verpflichtet  fühlen.  Aber  es  geht  noch  um  etwas  anderes.  Aus  der  deut- 
schen Abhandlung  Tadras,  die  ihm  angeblich  » so  gut  wie  nichts «  geboten 
hatte,  hat  Herr  L.  —  er  wird  es  hoffentlich  nicht  bestreiten  wollen  — 
einiges  auch  über  die  Biographie  Johanns  von  Neumarkt  und  über  die 
Klagenfurter  Handschrift  erfahren.  Sei  es,  dass  es  so  gut  wie  nichts  ist, 
aber  wie  steht  es  mit  dieser  »lateinischen  Wiedergabe  der  Handschriften- 
marken«? Wir  lesen  z.  B.  bei  Tadra  auf  S.  289:  Eukopis  kapitalniho 
archivu  v  Praze  oder  Rukopisy  vefejne  knihovny  pra^ske  oder  auf  S.  292: 
Rukopis  c.  k.  dvorni  knihovny  videnske  etc.  Kann  Jemand,  dem  das 
Böhmische  gänzlich  fremd  ist,  »entziffern«,  was  hier  citirt  wird?  Ich  über- 
setze diese  Stellen  absichtlich  nicht,  damit  jeder  der  böhmischen  Sprache 
Unkundige  an  sich  selbst  erproben  kann,  ob  ihm  eine  ähnliche  Entziffe- 
rung gelingt,  wie  selbe  Herrn  L.  gelungen  ist.  Aber  Herr  L.  ist  auch 
sonst  ein  Meister  in  der  Entzifferung.  Auf  S.  12  und  14  citirt  er  Jelinek, 
Geschichte  der  Stadt  Leitomischl.  Es  ist  das  nur  in  böhmischer  Sprache 
geschriebene  Werk  »Historie  mesta  Litomysle«,  von  dem  keine  deutsche 
Uebersetzung  existirt.  Was  soll  man  dazu  sagen  ?  Versteht  Herr  L.  nicht 
böhmisch,  so  sind  seine  Citate  blos  fingirte,  weil  er  das  Buch  nicht  gelesen 
haben  kann.  Oder  er  hat  diese  Citate  irgendwo  abgeschrieben  und  bringt 
sie  mit  dem,  was  sie  belegen,  als  eigene  Waare  zu  Markte. 

Das  ist  aber  noch  nicht  alles.  Der  Gedankengang  des  zweiten  Ka- 
pitels erinnert  an  die  Abhandlung  Tadras.  Dieser  z.  B.  tritt  gegen  die 
Ansicht  auf,  als  ob  Johann  von  Neumarkt  Praemonstratenserabt  gewesen 
sei  und  dasselbe  thut  auch  Herr  L.  und  er  führt  dieselben  Belege  an. 
Oder  wenn  Tadra  z.  B.  auf  S.  89  sagt:  „Jan  ze  Stfedy  dostav  se  takto 
kn  dvoru  kralovskemu,  mel  cestu  k  dalsimu  postoupeni  otevfenou«,  so 
»entziffert«  es  Herr  L.  auf  S.  8  ganz  richtig:  »Einmal  in  die  Kanzlei 
aufgenommen,  durfte  er  die  Erreichung  höherer  geistlicher  Würden  und 
Aemter  erhoffen«.  Gegen  diese  Entzifferung  habe  ich  nichts  einzuwenden, 
sie  ist  in  der  That  staunenswerth.  Doch  genug.  Der  Beweis  dürfte 
erbracht  sein,  dass  mein  Vorwurf  nicht  unbegründet  war  und  dass  das 
Verdienst  Tadras  doch  etwas  mehr  zu  betonen  gewesen  wäre,  als  es  Herr 
L.  auch  noch  in  seiner  Antwort  zu  thun  für  gut  befunden  hat. 

Lemberg,  am   10.  März   1894.  Wl.    Milkovic. 


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GOLDMÜNZEN  FRIEDRICHS  E. 


Heliogravüre  v  M  Frankenstein  ,Wie 


Mittheilungen  des  Instituts  15.  Bd.  Zu  Winkelmann  Ueber  die  Goldprägungen  K.  Friedrichs  II. 


HO/ 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  für 
das  Königreich  Sicilien  und  besonders  über  seine 

Augustalen. 

Von 

E.   Winkelmann. 

Einleitung.—  1.  Die  Einführung  der  Augustalen.  —  2.  Beschreibung  derselben.  Das 
Bild  des  Kaisers.  —  3.  Die  Stempel  der  Augustalen.  —  4.  Ihr  Gewicht.  —  5.  Ihr 
Goldgehalt.  —  6.  Die  halben  Augustalen.  —  7.  Ausprägungen  nach  1231.  —  8.  Der 
Tarenus  auri;  Vorgeschichte.  —  9.  Die  Tari  Friedrichs  II.  —  10.  Gewicht  und  Gehalt 
der  Tari.  —  11.  Die  Regales  Karls  von  Anjou.  —  12.  Bisherige  Werthbestimmuno-en 
der  Fridericianisehen  Goldmünzen.  —  13.  Heutiger  Metallwerth  der  uncia  auri.— 
14.  Metallwerth  des  Tari  und  der  uncia  tarenorum.  —  15.  Verkehrswerth  des 
Tari.  —  16.  Metallwerth  und  Verkehrswerth  des  Augustalis.  —  17.  Verhältniss 
der  uncia  tarenorum  und  der  uncia  augustalium,  —  18.  Prüfung  und  Bestätio-uno- 
der  bisherigen  Ergebnisse.  —   19.  Schlussbetrachtungen  und  Tabellen. 


Mancherlei  ist  schon  über  die  Augustalen  Kaiser  Friedrichs  II  o-e- 
schrieben  worden,  jene  von  ihm  für  sein  Königreich  Sicilien  geschla- 
genen Goldmünzen,  die  sich  vor  gleichzeitigen  anderer  Länder  durch 
ihre  verhältnissmässig  hohe  künstlerische  Ausstattung  und  ihre  erfolg- 
reiche Nachahmung  der  Antike  auszeichnen.  Aber  abgesehen  von  einem 
Aufsatze  von  L.  Blancard  in  Marseille  l)  ist  das  Meiste  —  und  ich 
nehme  davon  nicht  aus,  was  ich  selbst  vor  30  Jahren  in  meiner  Ge- 
schichte Kaiser  Friedrichs  IL  und  seiner  Reiche  1, 382  aus  diesem  An- 


')  L.  Blancard,  Des  monnaies  frappees  en  Sicile  au  XIII.  siegle  par  les  su- 
zerains  de  Provence,  in  der  Revue  numismatique.  Nouv.  serie.  T.  IX  (1864),  212  ff. 
294  ff.  Aber  Bl.  spricht  hier  von  den  Augustalen  nur  insofern,  als  er  ihrer  als 
Unterlage  für  seine  Ausführungen  über  die  Münzthätigkeit  Karls  von  Anjou 
bedarf. 

Mittbeilungen  XV.  26 


402  Winkelmann. 

lasse  bemerkte  —  ziemlich  unbefriedigend  l)  und  man  wird  nicht  be- 
haupten können,  dass  schon  ein  wirklicher  Einblick  in  das  Wesen,  sei 
es  dieser  Prägung,  sei  es  überhaupt  der  sicilischen  Goldwährung  unter 
jenem  Herrscher  genommen  worden  sei.  Die  Schuld  davon  mag  ja 
zum  Theil  daran  liegen,  dass  die  Ueberlieferung  selbst  nur  weniges 
bietet;  denn  wir  haben  an  chronikalischen  Hilfsmitteln  im  Grunde 
nichts  als  eine  allerdings  gleichzeitige,  aber  kurze  Nachricht  über  die 
Einführung  der  Augustalen  bei  Eichard  von  S.  Germano  und  von  ur- 
kundlichen Quellen  auch  nur  fünf  Stücke,  nämlich 

1)  eine  wohl  noch  der  staufischen  Zeit  angehörige  Zusammen- 
stellung der  in  den  Münzstätten  von  Brindisi  und  Messina  beobach- 
teten Geschäftspraktiken,  von  der  der  erste,  hier  fast  allein  in  Be- 
tracht kommende  Theil  bei  Blancard  a.  a.  0.  p.  225,  das  Ganze  aber 
bei  Winkelmann,  Acta  imperii  I,  766  gedruckt  ist  —  im  Folgenden 
als  Münzerordnung  citirt 2) ;  und  vier  Münzverordnungen  Karls  I.  von 
Anjou; 

2)  von  1266  Nov.  5   bei  Del  Giudice,  Codice   diplomatico  I,  197; 

3)  von  1271  Jan.  24  bei  Minieri  Riccio,  II  regno  di  Carlo  I  di 
Angiö  negli  anni  1271  e  1272,  p.  8, 

4)  von  1271  Mai  7,  daselbst  p.  17,  endlich  eine 

5)  von  1273  Jan.  21  im  Arch.  stör.  Ital.  Ser.  3  T.  XXII,  10. 
Unter    diesen  Umständen    kann    man    nur  dann  hoffen  weiter  zu 

kommen,  wenn  es  möglich  wird,  die  Untersuchung  auf  recht  zahl- 
reiche Exemplare  der  Augustalen  selbst  zu  stützen,  die  allerdings  trotz 
ihrer  Einziehung  durch  König  Karl  I.  nicht  allzu  selten  sind,  aber 
doch  an  keinem  Orte  sich  in  solcher  Zahl  finden,  dass  mit  ihnen  allein 
sich  ein  gewisser  Abschluss  erreichen  Hesse  3).  Ich  wäre  desshalb  auch 
gar  nicht  im  Stande  gewesen,   an   diese  Untersuchung   heranzutreten, 


1)  Bianchini,  Della  storia  delle  finanze  del  regno  di  Napoli.  Ed.  IL  (Palermo 
1839),  führt  öfters  irre.  Die  Schrift  von  Valeriani,  Ricerche  critiche  sull'Ago- 
staro  di  Federigo  II.  (Bologna  1819)  war  mir  auch  jetzt  nicht  zugänglich. 

2)  In  meiner  Ausgabe  hatte  ich  für  sie  angiovinischen  Ursprung  vermuthet, 
wegen  mancher  Uebereinstimmung  mit  einer  Verordnung  Karls  I.  von  1273.  Aber 
diese  Uebereinstimmung  beweist  nichts,  da  Karl  damals  noch  sein  Münzsystem 
ganz  dem  Friedrichs  II.  angeschlossen  hatte,  so  dass  nichts  hindert,  entweder  für 
jene  Ordnung  geradezu  staufischen  Ursprung  anzunehmen  oder  sie,  auch  wenn 
sie  angiovinisch,  d.  h.  aus  der  Zeit  vor  der  wirklichen  Einführung  der  Regalen, 
sein  sollte,  trotzdem  unbedenklich  für  die  Verhältnisse  der  staufischen  Zeit  zu 
verwerthen. 

3)  Die  meisten  scheint  Neapel  zu  haben :  nämlich  7  ganze  und  4  halbe  Au- 
gustalen, s.  Catalogo  del  Museo  nazionale  di  Napoli.  Medagliere  III,  1  nr.  1127 
bis  1137. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  403 

wenn  nicht  meiner  Bitte  um  Mitteilung  von  Abdrücken  und  genauen 
Gewichtsangaben  von  ganzen  und  halben  Augustalen  und  den  eben- 
falls unter  Friedrich  IL  wie  seinen  Vorgängern  und  Nachfolgern  üb- 
lichen Goldtareni  überall  mit  der  grössten  Bereitwilligkeit  entsprochen 
worden  wäre,  ausser  von  Petersburg,  von  wo  ich  trotz  weitgehender 
Verheissungen  in  Betreff  des  dort  vorhandenen  anscheinend  sehr  reichen 
Materials  schliesslich  doch  nichts  erhielt.  Es  ist  daher  nur  eine  ein- 
fache Pflicht  der  Dankbarkeit,  wenn  ich  derjenigen  gedenke,  die  sich 
mir  in  jener  Beziehung  hilfreich  erwiesen:  der  Herren  Beamten  des 
k.  Münzkabinets  zu  Berlin,  Dr.  Toeche  ebendort,  Archivrath  Dr.  Bau- 
mann in  Donaueschingen  (fürstlich  Fürstenbergische  Sammlungen), 
Dr.  Davidsohn  in  Florenz  (betr.  das  Museo  archeologico  daselbst),  Di- 
rektor Dr.  Pertsch  in  Gotha  (Frieclenstein'sche  Sammlungen),  H.Grueber 
in  London  (Brit.  Museum),  Dr.  Kiggauer  in  München  (k.  Münzkabinet), 
Museumsdirektor  Comm.  de  Petra  in  Neapel  (Musei  di  antichitä),  Di- 
rektor Dr.  Essenwein  in  Nürnberg  (Germ.  Museum),  Museumsdirektor 
Comm.  Salinas  in  Palermo  (Museo  nationale),  H.  Prou  in  Paris  (Bibl. 
nation.),  Senator  Baron  Carutti  di  Cantogno  in  Turin  (R.  Medagliere)  *) 
und  Dr.  v.  Schlosser  in  Wien  (k.  k.  kunsthist.  Sammlungen).  Auch  meinen 
Kollegen,  den  Herren  Geheimrath  Dr.  Knies  und  Professor  Dr.  Leser, 
bin  ich  für  mancherlei  Auskunft  über  mir  ferner  liegende  Verhältnisse 
verpflichtet  und  ebenso  meinen  Kollegen  H.  Professor  Dr.  v.  Duhn, 
der  ausserdem  wiederholt  seine  wirksame  Vermittlung  an  auswärtigen 
Stellen  eintreten  liess.  Herr  Dr.  Fester,  Docent  in  München ,  hatte 
die  Freundlichkeit,  mich  öfters  durch  Nachschlagen  in  der  dortigen 
Bibliothek  zu  unterstützen. 

So  konnte  ich  denn,  abgesehen  von  einem  Augustalis  im  Origi- 
nale, der  als  Gabe  eines  Freundes  zur  Förderung  dieser  Untersuchung 
in  meinen  Besitz  gekommen  ist,  über  Abdrücke  und  Gewichtsangaben 
von  36  ganzen,  15  halben  Augustalen  und  11  Goldtarenen  verfügen, 
wohl  über  mehr,  als  irgend  jemand  vorher  beisammen  gehabt  hat.  Dazu 
kamen  die  Abbildungen  von  Augustalen  bei  Huillard-Breholles ,  Re- 
cherches  sur  les  monuments  des  Normands  etc.  dans  l'Italie  meridio- 
nale  pl.  XXXI,  dann  auf  dem  Titelblatte  von  desselben  Historia  diplo- 
matica  Friderici  IL  T.  I  und  bei  Salazzaro,  Monumenti  T.  II.  tav.  4 2). 


')  Das  königliche  Münzkabinet  daselbst  hat  jedoch  von  Friedrich  II.  nur 
eine  Silbermünze.  Auch  der  Sammlung  in  Florenz  fehlen  Augustalen  und  ebenso 
soll  es  bei  der  des  Vaticans  sein. 

2)  Hier  etwas  zu  gross  gerathen.  Die  Abbildung  in  Ambrosoli's  Numisma- 
tica  (Milano  1891)  p.   140  ist  ganz  undeutlich. 

26" 


4Q4  Winkelmann. 

Das  waren  die  Hifsmittel,  die  mir  für  die  folgende  Untersuchung 
über  Friedrichs  II.  Goldprägungen  in  Sicilien  zu  Gebote  standen.  Es 
sind  von  ihr  nur  die  Münzen  mit  kufischen  Inschriften  !)  aus  nahe- 
liegenden Gründen  ausgeschlossen  worden. 


1.  Durch  die  Einführung  der  Augustalen  erlitt  das  von  den 
Normanen  und  zum  Theil  noch  aus  viel  früherer  Zeit  überkommene 
Münzsystem  des  Königreichs  Sicilien  eine  wesentliche  Veränderung. 
Aber  sie  wird  allein  von  dem  gleichzeitigen  Annalisten  Kyccardus  de 
S.  Germano,  Mon.  Germ.  Script.  XVIII,  365  berichtet,  bei  dem  es  zum 
December  1231  heisst:  Nummi  aurei,  qui  augustales  vocantur,  de  man- 
dato  imperatoris  in  utraque  sycla  Brundusii  et  Messane  cuduntur.  Er 
erzählt  dann  p.  368  zum  Juni  1232  weiter,  dass  damals  die  nova  mo- 
neta  auri,  que  augustatis  dicitur,  durch  einen  kaiserlichen  Boten  in 
S.  Germano  zur  Ausgabe  gelangte  und  zwar  auf  Grund  eines  kaiser- 
lichen Erlasses,  der  sub  pena  personarum  et  rerum  vorschrieb,  ut  qui- 
libet  nummus  aureus  recipiatur  et  expendatur  pro  quarta  uncie.  Figura 
augustalis  erat  habens  ab  uno  latere  caput  hominis  cum  media  facie 
et  ab  alio  aquilam. 

Die  „distributio"  selbst  dürfte  kaum  mehr  in  derselben  Weise  ge- 
schehen sein,  wie  die  der  ersten  von  Friedrich  II.  nach  seiner  Rückkehr 
ins  Königreich  1222  geprägten  Silberdenare.  Damals  hatte  er  es  noch  in 
das  Belieben  der  Unterthanen  gestellt,  sich  die  neue  Münze  einzu- 
tauschen2), und  dem  nur  durch  das  Gebot  nachgeholfen,  dass  eine 
andere  ferner  nicht  gebraucht  werden  dürfe  3).  Jetzt  aber  wurde  ein 
anderer,  unmittelbarer  zum  Ziele  führender  Weg  eingeschlagen,  wenn 
wir  nämlich  den  Bericht  Ryccards  aus  der  Verordnung  Karls  I.  vom 
7.  Mai  1271  ergänzen  dürfen,  die  sich  ausdrücklich  auf  den  Gebrauch 
seiner  Vorgänger  beruft4).  Ein  besonderer  Beauftragter  des  Kaisers 
brachte  darnach,  ausgerüstet  mit  einem  Mandate  desselben,  in  jeden 
Stadt-  und  Landbezirk  einen  verhältnissmässigen  Betrag  der  neuen 
Münze,  der  dort  zu  dem  bestimmten  Preise  zu  übernehmen  war.    In- 


*)  Vgl.  über  diese:  II  medagliere  Arabo-Siculo,  illustrato  dal  Marchese  V. 
Mortillaro  (Palermo  1863)  und  Arnari,  Storia  dei  Muselmani  III,  810  ff. 

2)  Winkelmann,  Acta  imp.  I,  763:  d.  Imperator  faciebat  distribuere  mone- 
tam  ipsam  per  regnum  iuxta  voluntatem  bominum. 

3)  Rycc.  de  S.  Germ.  Cbronica  priora  ed.  Gandenzi  p.  108. 

4)  Im  Auszuge  bei  Minieri,  II  regno  p.  18:  es  sollen  so  viele  Münzen  ge- 
schlagen werden,  quanta  posse  essere  sufficiente  per  distribuivsene  in  tutte  le 
cittä  e  terre  del  reame,  come  fu  praticato  da'  loro  predecessori. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  405 

nerhalb  der  Gemeinde  wird  dann  der  Gesarnmtbetrag  in  ähnlicher 
Weise  auf  die  Einzelnen  umgelegt  worden  sein,  wie  es  mit  der  Reichs- 
steuer,  der  collecta,  zu  geschehen  pflegte. 

Mehr  weiss  man  über  die  Einführung  der  Augustalen  nicht  und 
es  bleibt  dunkel,  ob  sie  glatt  oder  mit  Schwierigkeiten  vor  sich  ging. 
Dass  solche  befürchtet  wurden,  scheint  die  Drohung  mit  der  pena  per- 
sonarum  et  rerum  anzudeuten. 

2.  Die  ßeschreibnng,  die  Kycc.  de  S.  Germ,  von  der  neuen 
Münze  gibt,  ist  zwar  sehr  summarisch,  aber  an  sich  nicht  unrichtig. 
Die  Augustalen  im  Durchmesser  von  2  Centimetern  zeigen,  und  von 
den  halben  Augustalen,  deren  Rycc.  gar  nicht  gedenkt,  gilt  das  Gleiche, 
auf  der  einen  Seite  einen  natürlichen  Adler  mit  geöffneten  Flügelu, 
dessen  Kopf  nach  rechts  (vom  Beschauer)  gewendet  ist,  und  mit  der 
von  einem  Perlkranze  umfassten  uud  durch  die  Füsse  des  Adlers  ge- 
theilten  Umschrift  +  FRIDE  |  RICVS.  Auf  der  anderen  Seite  findet 
sich  die  ebenfalls  nach  rechts  gekehrte  Büste  des  Münzherrn,  der  mit 
einem  auf  der  rechten  Schulter  durch  einen  Ring  zusammengehaltenen 
Pallium  so  bekleidet  ist,  dass  der  Hals  und  der  mit  Reifen  ge- 
schmückte rechte  Arm  frei  bleiben ;  der  Kopf  trägt  einen  Blätterkranz, 
den  im  Nacken  eine  flatternde  Schleife  schliesst;  die  Umschrift,  eben- 
falls getheilt  und  ebenfalls  von  einem  geperlten  Kreise  umfasst,  lautet 
hier  IMPROM  |  C6SARAV6  *). 

In  diesen  Bestandteilen  der  Darstellung  stimmen  alle  mir  zu- 
gänglich gewesenen  Stücke  üherein,  bis  auf  eins  in  Wien,  das  auch 
darin  eigenartig  ist,  dass  es  nur  einen  Durchmesser  von  1,  75  Centi- 
metern hat,  also,  da  sein  Gewicht  dem  Durchschnittsgewichte  der 
übrigen  ziemlich  gleich  ist,  wohl  etwas  dicker  als  diese  geprägt  wor- 
den ist.  Nur  auf  diesem  einen  Exemplare  ist  der  Kopf  des  Adlers  nach 
links  (vom  Beschauer)  gekehrt,  auch  in  Fridericus  das  unciale  £  ver- 
wendet und  der  übrigens  ziemlich  kräftig  gearbeitete  Kopf  des  Kaisers, 
statt  mit  einem  Kranze,  mit  einem  Zackendiadem  geschmückt. 

Es  kann  beiläufig  zweifelhaft  sein,  welche  Seite  als  Haupt-  oder 
Vorderseite  zu  gelten  hat.  Wenn  von  der  Zeit  des  Rycc.  an,  wie  es 
scheint,  stets  die  Kopfseite  als  die  vordere  angesehen  wurde,  so  möchte 
dem  doch  entgegenstehen,  dass  erst  die  Adlerseite  den  Namen  des 
Münzherrn  bringt.  Kopf  und  Namen,  sonst  auf  einer  Seite  vereinigt, 
sind  hier  in  ganz  ungewöhnlicher  Weise  auf  beide  Seiten  vertheilt 
worden.  Dass  die  Zeitgenossen  dies  als  etwas  ungehöriges  empfanden, 
ist  daraus  zu  schliessen,  dass  Karl  von  Anjou,    als   er  die  Augustalen 


')  Man  beachte  den  Wechsel  von  E  und  £  in  beiden  Umschriften. 


4()ß  Winkelniann. 

durch  seine  Regalen  ersetzte,  wieder  in  die  hergebrachte  Weise  ein- 
lenkte. Weil  aber  der  Namen  des  Münzherrn  erst  die  eigentliche  Ge- 
währ für  den  Ursprung  der  Münze  gibt  und  weil  das  dem  Namen 
vorangesetzte  Kreuz  anzeigt,  dass  die  Umschrift  mit  dein  Namen  be- 
ginnt, behandle  ich  im  Folgendeu  die  Adlerseite  als  Vorderseite  der 
Augustalen,  obwohl  es  im  Grunde  gleichgiltig  ist,  wie  man  sich  ent- 
scheidet. 

Die  Augustalen  sind  anziehend  durch  das  in  der  Darstellung  des 
Adlers  und  des  Kopfs  des  Kaisers  sich  aussprechende  Streben  nach 
Natur  Wahrheit  und  durch  die  damit  zusammenhängende,  ebenso  un- 
verkennbare Anlehnung  an  die  Antike.  Woher  aber  die  letztere?  Mir 
scheint  die  neue  Prägung  in  engster  Verbindung  mit  der  ihr  unmittel- 
bar vorangegangenen  Gesetzgebung  Friedrichs  II.,  den  berühmten  Con- 
stitutionen von  Melfi,  zu  stehen,  die  im  August  1231  veröffentlicht 
und  selbst  auch  Augustales  genannt1)  wurden.  Wie  sich  in  diesen  Con- 
stitutionen das  sehr  bestimmte  Bewusstsein  des  Kaisers  ausspricht,  als 
solcher  der  Nachfolger  der  Cäsaren  und  die  Quelle  des  Rechts  zu  sein, 
obwohl  das  Gesetzbuch  nur  für  das  Königreich  Sicilien  Giltigkeit  hatte, 
so  erscheint  er  auch  auf  den  Münzen,  die  ebenfalls  nur  auf  das  Kö- 
nigreich berechnet  waren  und  ausserhalb  desselben  im  Imperium  keinen 
Kurs  haben  sollten  und,  soviel  mir  bekannt  ist,  auch  nicht  gehabt 
haben,  nicht  etwa  als  Kaiser  und  König  von  Sicilien,  sondern 
schlechtweg  nur  als  Imperator  Romanorum  Cesar  Augustus,  so  wenig 
das  auch  zu  den  zwischen  ihm  und  dem  Papstthume  bestehenden  Ab- 
machungen über  das  Verhältniss  des  Königreichs  zum  Kaiserreiche 
stimmen  mochte.  Die  Sprache  der  Constitutionen,  die  Ausstattung  der 
Augustalen  und  die  Benennung  beider,  sind  aus  einer  und  derselben 
Wurzel  entsprungen,  eben  aus  der  von  Friedrich  II.  aufs  Lebhafteste 
erfassten  Idee  des  Kaiserthums.  Die  Stempel  Schneider  der  letzteren 
haben  sich  demgemäss,  und  sicherlich  nicht  ohne  Wissen  und  Willen 
des  Kaisers2),  um  ihn  darzustellen,  Münzen  der  römischen  Kaiserzeit 
zum  Vorbilde  genommen,  wenn  ich  auch  in  der  Münzkunde  dieser 
Zeit  zu  unbewandert  bin,  um  mit  Bestimmtheit  sagen  zu  können,  ge- 
rade welche.  Wenn  aber  für  die  Gestaltung  der  Kopfseite  der  Augu- 
stalen vielleicht  Kaisermünzen  des  ausgehenden  dritten  Jahrhunderts, 
insbesondere    des  Probus   oder   des  Diocletian 3) ,    als  Vorlage    gedient 


»)  Rycc.  d.  S.  Germ,  zu  1232  Febr. 

2)  Der  Kaiser  schreibt  1238,  als  neue  Denare  geschlagen  werden  sollten: 
Sub  quibus  imaginibus  hec  nova  pecunia  cudi  debeat,  Henricus  de  Morra,  magne 
curie  noster  magister  iusticiarius,  plene  per  curiam  nostram  venit  instructus. 

8)  Vgl.  Collection  de  M.  le  Vicomte  de  Ponton  d'  Amecourt  nr.  580  ff.  6 14  fi. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  IL  407 

haben  möchten,  rücksichtlich  des  Adlers  weiss  ich  eine  solche  anch 
nicht  einmal  zu  vermuthen. 

Denn  auf  römischen  Münzen  erscheint  der  Adler  nicht,  wohl 
aber,  worauf  mich  mein  Kollege  v.  Duhn  verwies,  sehr  häufig  auf 
denen  der  Ptolemaeer ,  und  da  diese  sich  nach  seiner  Mittheilung 
zahlreich  in  Unteritalien  und  Sicilien  finden,  wäre  an  sich  die  Möglichkeit 
uicht  abzustreiten,  dass  sie  die  Aufnahme  des  Adlers  in  den  Stempel 
der  Augustalen  veranlasst  haben  könnten,  um  so  mehr,  als  der  Adler 
sich  zugleich  als  Symbol  der  von  Friedrich  IL  stark  betonten  kaiser- 
lichen Würde  empfahl. 

Trotzdem  kann  ich  mich  nicht  für  jene  Herleitung  des  Adlers  aus 
den  Münzen  der  Ptolemaeer  erklären.  Sie  würde  nur  dann  als  zweifel- 
los gelten  können,  wenn  der  Adler  der  Augustalen  auch  nur  annä- 
hernd dem  der  Ptolemaeer  ähnlich  wäre.  Das  ist  aber  durchaus  nicht 
der  Fall :  er  ist  nicht  blos  überhaupt  anders  stilisirt  als  dieser  *),  son- 
dern er  ist  auch  stets  von  Vorne,  nicht  wie  dieser  von  der  Seite  dar- 
gestellt. So  müssen  wir  denn  wohl  vorläufig  dabei  bleiben,  dass 
der  Adler  seine  Aufnahme  in  die  Augustalen  nicht  der  direkten  Nach- 
ahmung einer  bestimmten  Münze,  sondern  einem  besonderen  Befehle 
des  Kaisers  und  seine  vortreffliche  Gestaltung  der  Beobachtungsgabe 
der  kaiserlichen  Stempelschneider  verdankt,  die  dadurch  ihrer  Befä- 
higung ein  rühmliches  Zeugniss  ausgestellt  haben.  —  Uebrigens  kommt 
der  Adler  mit  geöffneten  Flügeln  auch  schon  auf  einigen  sicilischen 
Silber-  und  Kupfermünzen  Friedrichs  vor,  die  vor  seiner  Kaiserkrö- 
nung, zwischen  1209  und  1220  geschlagen  sind 2),  und  ebenso  auf 
vielen  Goldmünzen  von  ihm  mit  kufischen  Inschriften,  unter  diesen 
sogar  paar  Mal  zweiköpfig  3). 

Besondere  Aufmerksamkeit  wird  sich  aber  natürlich  stets  auf  den 
Kopf  des  Kaisers  richten  und  die  Frage  wird  aufgeworfen  werden 
müssen,  ob  wir  denn  hier  wirklich  die  Züge  des  grossen  Fürsten  vor 
uns  haben  oder  ob  wenigstens  eine  annähernde  Aehnlichkeit  von  den 
Stempelschneidern  erreicht  ist.  Böhmer  meinte  in  der  Einleitung  zu 
seinen  Regesta  imperii  1198 — 1254  p.  XXXV:  „Das  Brustbild,  welches 
sich  auf  seinen  goldenen  Augustalen  findet,  ist  allerdings  gleichzeitig, 


')  Man  sehe  die  schönen  Abbildungen  zu  dem  Catalogue  of  Greek  coins  in 
the  British  Museum.  (VI:)  The  Ptolemies. 

2)  Catalogo  del  Museo  Nazionale  di  Napoli.  Medagliere  III.  Parte  I  Nr.  1 1 23 
bis  1126. 

3)  Ibid.  Nr.  1078.  1079.  Ich  finde  nicht,  dass  diese  merkwürdige  Erschei- 
nung bei  den  bisherigen  Erörterungen  über  den  Ursprung  des  zweiköpfigen  Adlers 
beachtet  worden  ist. 


4o>  Winkelmann. 

aber  der  Autike  nachgebildet,  und  in  eiuer  Zeit,  welche  das  Portrait 
noch  wenig  oder  gar  nicht  kaunte.  ohnedies  von  zweifelhaftem  Werth". 
Vielleicht  niüsste  man  noch  weiter  gehen  und  jene  Frage  ohne  Wei- 
teres verneinen;  ich  selbst  habe  sie  auch  früher  verneint,  und  zwar 
vor  Allem  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  Eyccard  de  S.  Germano, 
der  nicht  bloss  im  Dienste  des  Kaisers  stand,  sondern  bei  dessen 
öfterem  Aufenthalte  in  S.  Germano  ihn  auch  häufig  genug  gesehen 
haben  inuss,  unmöglich  von  dem  Bilde  auf  den  Augustalen  den  be- 
fremdenden Ausdruck  ,  caput  hominis  ■  gebraucht  haben  könnte,  wenn 
er  in  demselben  die  Züge  seines  Herrn  wiedererkannt  hätte.  Dazu 
kommt  ein  Zweites.  Der  arabische  Geschichtsschreiber  Yafei  sagt  nach 
dem  Berichte  eiues  Schaff ners  der  Moschee  Omars,  der  den  Kaiser 
1229  in  Jerusalem  begleitet  hatte,  dass  dieser  kahl  gewesen  sei  l): 
auf  den  Augustalen  aber  erscheint  er  zwar  bartlos,  jedoch  mit  reichem 
Haupthaar,  so  dass  wenigstens  in  dieser  Beziehung  hier,  wenn  auch 
Dicht  eine  Idealisirung,  so  doch  eine  gewisse  Verschönerung  stattge- 
funden hätte,  wie  solche  in  gleichem  Falle  wohl  auch  in  neuerer  Zeit 
für  zulässig  gehalten  wird,  die  aber  immerhin  die  Aelmlichkeit  zu  be- 
einträchtigen geeignet  ist.  Indessen  ist  es  fraglich,  inwiefern  jene  An- 
gabe des  Mohammedaners  überhaupt  Glauben  verdient,  der,  indem  er 
(und  ebenso  Hassan  ibn  Ibrahim 2)  den  Kaiser  auch  noch  roth  und 
kurzsichtig  nennt,  ihn  offenbar  als  einen  äusserlich  unbedeutenden 
Menschen  hinstellen  will.  Nun  ist  das  zwar  auch  die  Ansicht  des 
Kicobaldus  Ferrariensis  :i) :  Fuit  Fr.  non  procerus,  obeso  corpore,  sub- 
rufus,  und  wohl  nach  ihm  auch  die  des  Benvenutus  von  Imola,  bei 
dem  es  von  Friedrich  heisst:  fuit  stature  communis,  facie  letus,  co- 
lore  subrufus,  habens  membra  quadra.  Aber  Ricobald  schrieb  erst  am 
Ende  des  Jahrhunderts  und  Benvenutus  ist  durch  hundert  Jahre  von 
Friedrich  getrennt,  beide  können  also  nicht  gegen  den  Minoriten  Sa- 
limbene  aufkommen,  der  den  Kaiser  1238  sah  und  mit  folgenden 
Worten  schildert:  Pulcher  homo  et  bene  formatus,  sed  medie  stature 
fuit.  So  bleibt  am  Ende  von  jenen  ungünstigen  Urtheilen  über  seine 
äussere  Erscheinung  nichts  übrig,  als  dass  er  nur  von  mittlerem 
Wüchse,  vielleicht  auch  roth  (blond)  war,  worauf  es  aber  hier  nicht 
weiter  ankommt.  Die  Kahlköpfigkeit,  wenn  sie  vorhanden  war,  müsste 
Salimbene  aufgefallen  sein. 

Während  der  Ausdruck  des  Annalisten  von  S.  Germano   dazu  zu 


•)  Böhmer  p.  XX VIII. 
•)  Michand  VII,  810. 
|  Muratori,  Script.  IX,  132. 


Ueber  die  GoldprSgoBgen  Kaiser  Friedrichs  11.  [mm 

nöthigen  scheint,  jede  Aehnlichkeit  des  Bildes  der  Augustalen  mit  dem 
wirklichen  Aussehen  des  Kaisers  zu  läugnen.  gibt  es  doch  auch  einige 
Anhaltspunkte  zur  Behauptung  des  Gegentheils  l). 

Den  ersten  Anhaltspunkt  bietet  der  Umstand,  dass  alle  für  die 
Augustalen  gebrauchten  Stempel  unverkennbar  dieselben  Züge  zeigen, 
nur  mit  den  Abweichungen,  die  sich  aus  der  subjektiven  Auffassung 
und  dem  verschiedenen  Grade  der  Befähigung  der  einzelnen  Stempel- 
schneider ergeben,  so  dass  sie  z.  B.  bald  jugendlicher  und  gerundeter, 
bald  schärfer  und  magerer  erscheinen. 

Zweitens  kommt  eine  einst  im  Besitze  Danieles,  dann  in  dem  Fr. 
von  Baumers  2)  befindliche  Gemme  in  Betracht,  die  in  Baumers  Hohen- 
staufen  Bd.  III  am  Schlüsse  des  sechsten  Buchs  und  anscheiuend  ge- 
treuer auf  dem  Titelblatte  von  Huillards  Hist.  dipl.  T.  I,  und  darnach  oben 
auf  Seite  4«»1  abgebildet  ist.  Daniele  hatte  sie  im  vorigen  Jahrhun- 
dert nach  dem  damals  noch  vorhandenen  Kopfe  jener  Bildsäule  des  Kaisers 
herstellen  lassen,  die  dieser  an  dem  von  ihm  1234  nach  seinen  eigenen 
Plänen  begonnenen  Brückenthore  von  Capua  nebst  den  Bildsäulen  des  Pe- 
trus de  Vinea  und  des  Thaddeus  de  Suessa  augebracht  hatte  8j.  Je  länger 
ich  nun  die  Abbildung  dieser  vielleicht  etwas  idealisirenden  Gemme  mit 
dem  Kopfe  des  bei  Huillard  daneben  gestellten  Augustalis  vergleiche,  um 
so  mehr  drängt  sich  mir  jetzt  die  Verwandtschaft  zwischen  ihnen  auf 
und  ich  denke,  es  wird  auch  anderen  so  gehen.  Von  untergeordneter, 
aber  doch  nicht  ganz  zu  unterschätzender  Bedeutung  ist  es,  dass  der 
Kaiser  auch  auf  der  Gemme  das  Zackendiadem  trägt,  das  ihm  der 
Stempelschneider  des  Wiener  Augustalis  gegeben  hat. 

Drittens  sind  auch  die  Siegel  Friedrichs  heranzuziehen.  Zwar  hat 
die  Vergleichung  eines  Profilbildes,  wie  Münzen  es  zeigen,  mit  der  auf 
den  Sigeln  allein  vorkommenden  Vorderansicht  immer  etwas  misslicli--. 
und  ich  bin  deshalb  weit  davon  entfernt,  darauf  Gewicht  zu  legen, 
dass  mir  persönlich  die  Züge  des  Siegelbilds  mit  denen  des  Münzbild> 
übereinzustimmen  scheinen.  Grösseres  Gewicht  lege  ich  dagegen  darauf, 

')  Das  Medaillon  an  der  Faeade  der  Kirche  von  Andria,  das  Huillard  ange- 
zogen hat  (vergl.  die  Abbildung  Huillard.  Recherches  pl.  XXVIII.  XXIX).  kann 
gar  nicht  in  Betracht  kommen.  Denn  es  ist  ganz  ungewiss,  wen  es  darstellen 
soll,  und  die  Faeade  selbst  rührt  erst  aus  der  Renaissance  her.  H.  W.  Schulz, 
Denkmäler  der  Kunst  Unteritaliens  I,   150. 

2)  Vgl.  Raumer,  Hohenstaufen  (1.  Ausg.)  Bd.  IU.  Vorrede  S.  YIII.  Wo  sie 
jetzt  ist,  weiss  ich  nicht. 

sj  Rycc.  de  S.  Germ.  p.  372  a.  1234  (c.  April)  vgl.  B.-F.  nr.  2041».  Den 
Kopf  der  Statue  sollen  erst  die  Soldaten  Murats  abgeschlagen  haben.  Vergl. 
Schulz,  Denkmäler  II,  167.  Salazzaro,  Monum.  I,  55.  Huillard-Breholles,  Hist. 
dipl.,  Introduct.  p.  549  not. 


410  Winkelmann. 

dass  überall,  auf  den  Augustalen,  auf  der  Gemme  und  auf  den  Sie- 
geln, der  Kaiser  völlig  bartlos  ist :  es  kann  kein  Zweifel  sein,  dass 
man  sich  wenigstens  in  dieser  Beziehung  an  die  Wirklichkeit  ge- 
halten hat. 

Ist  es  nun  denkbar,  dass  die  Verfertiger  der  verschiedenen  Stempel 
zu  den  Münzen  nicht  blos  sammt  und  sonders  zufällig  auf  dieselben 
Züge  verfielen,  sondern  sich  ebenso  zufällig  darin  auch  mit  dem,  doch 
wahrscheinlich  nicht  in  ihrer  Mitte  zu  suchenden  Urheber  der  Bild- 
säule von  Capua  begegneten?  Da  liegt  es  doch  näher,  dass  sie  alle 
einem  und  demselben  Vorbilde  folgten.  Und  wenn  dem  so  ist,  kann 
dieses  Vorbild  ein  anderes  gewesen  sein  als  die  wirkliche  Persönlich- 
keit des  Kaisers?  Man  mag  bereitwillig  einräumen,  dass  einige  ihr 
nicht  ganz  gerecht  geworden  seien  —  auf  manchen  Stempeln  ist  der 
Kopf  von  einer  gewissen  Härte  — ,  oder  dass  andere  sie  mehr  oder 
minder  idealisirt  haben,  aber  so  weit  möchte  ich  darum  doch  nicht 
gehen,  dem  Produkte  ihrer  künstlerischen  Thätigkeit  alle  und  jede 
Naturwahrheit  abzustreiten.  Vielmehr  scheint  mir  daran  festgehalten 
werden  zu  müssen,  dass  bei  den  Augustalen  Portraitähnlichkeit  beab- 
sichtigt und  von  den  im  Durchschnitte  befähigten  Stempelschneidern 
auch  einiger  Massen  erreicht  worden  ist.  Allerdings  muss  ich  aber 
auch  bekennen,  dass  es  mir  bei  dieser  Auffassung  ein  psychologisches 
Räthsel  bleibt,  wie  Rycc.  de  S.  Germ,  auf  seinen  in  jedem  Falle  son- 
derbaren Ausdruck  „caput  hominis"  gekommen  sein  mag. 

3.  Dass  nicht  nur  ein  Stempel  sondern  mehrere,  unter  Fest- 
haltung des  allgemeinen  Typus,  für  die  Ausprägung  der  Augustalen 
zur  Verwendung  kamen,  ist  natürlich  und  wird  durch  eine  genauere 
Betrachtung  der  einzelnen  Prägestücke  bestätigt,  die  vielfach  kleine 
Abweichungen  von  einander  aufweisen :  in  der  Gestaltung  des  Adlers 
und  besonders  seiner  Flügel,  in  den  Linien  des  Kaiserbildes,  in  der 
Grösse  und  Sperrung  der  Buchstaben  und  in  der  Verwendung  von 
Punkten  und  Punktkreisen  in  den  Umschriften.  Nach  diesen  Merk- 
malen und  namentlich  nach  den  Interpunktionen,  die  leichter  fassbar 
sind  als  die  anderen,  habe  ich  die  für  die  Augustalen  gebrauchten 
Stempel  zu  sondern  versucht  und  im  Folgenden  aufgezählt.  Es  er- 
giebt  sich  dabei  u.  a.,  dass  häufig  bei  den  Prägungen  Vorder-  und 
Rückseite  mit  Stempeln  geschlagen  wurden,  die  ursprünglich  nicht  zu- 
sammengehörten, so  dass  dadurch  eine  grosse  Mannigfaltigkeit  in  der 
äusseren  Erscheinung  der  Münze  zu  Stande  kam.  Das  aber  ist  selbst- 
verständlich, dass  mit  dieser  Aufzählung  die  Zahl  der  wirklich  ge- 
brauchten Stempel  schwerlich  erschöpft  sein  dürfte,  und  andrerseits 
bin  ich  selbst  keinerwegs  davon  überzeugt,  dass  in  der  Zutheilung  der 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  It.  411 

einzelnen  Augustalen  an  diesen  oder  jenen  Stempel  nicht  hie  und  da 
auch  ein  Versehen  untergelaufen  ist.  Indessen  man  wird  in  dieser  Be- 
ziehung, wenn  es  wirklich  der  Fall  sein  sollte,  wohl  Nachsicht  walteu 
lassen,  in  der  Erwägung,  dass  jene  Scheidung  nicht  das  Ergebniss  un- 
mittelbarer Vergleichung  der  Originalmünzen  ist  und  sein  konnte, 
sondern  sich  nur  auf  Abdrücke  stützt,  die  nicht  immer  deutlich  waren 
und  auch  sonst  oft  viel  zu  wünschen  übrig  Hessen  oder  beschädigt  an 
mich  gelangten  l).  Wo  mir  aus  einem  Kabinette  mit  den  Abdrücken 
auch  die  Nummern  der  Stücke  mitgetheilt  wurden,  habe  ich  diese  ange- 
führt, wo  das  aber  nicht  geschah,  und  das  war  bei  der  Mehrzahl  der  Fall, 
die  einzelnen  Stücke  zur  Unterscheidung  selbst  nummerirt,  bei  jedem 
aber  auch  in  Klammern  gleich  sein  Gewicht  angemerkt 2).  Da  diese 
Angaben  jedoch  durchaus  nicht  auf  eigenen  Wägungen  fussen,  muss 
ich  die  Verantwortung  für  dieselben  ablehnen,  habe  aber  allerdings 
keinen  Grund,  ihre  Genauigkeit  zu  bezweifeln. 

Ich  glaube  also,  bei  den  mir  bekannt  gewordenen  Augustalen 
folgende  Stempel  unterscheiden  zu  können,  indem  ich  nur  noch  darauf 
hinweise,  dass,  wenn  rücksichtlich  einzelner  Elemente  der  Darstellung 
nichts  bemerkt  ist,  von  diesen  das  oben  von  den  Augustalen  über- 
haupt Gesagte  Geltung  hat: 

I.    Vorderseite:  Adler,    nach    rechts    vom    Beschauer    gekehrt.     Um- 
schrift: -f  FRIDE  |  RICVS  (ohne  Punkt). 
Rückseite:    Büste    des  Kaisers    mit  Blätterkranz,    rechts  gekehrt. 

Umschrift:  -IMPROM-  |  -CeSARAVG- 
München  3  (5,30),  Paris  Nr.  999  (5,28),  Wien  4  (5.25). 
IL    V:  wie  in  I,  aber  das  schliessende  S  etwas  geneigt. 
R.:  AV6  gesperrt. 
Gotha  (5,26),  Wien  1  (5,25).  —  Nach  letzterem  Nr.  1  der  Tafel. 


')  Das  trifft  leider  besonders  die  aus  dem  Museum  zu  Neapel,  von  dessen 
7  Augustalen  (die  meisten,  die  eine  Sammlung  zu  haben  scheint)  überdies  mir 
nur  sechs  in  Abdrücken  zur  Verfügung  standen. 

*)  Letzteres  konnte  bei  den  Augustalen  in  Neapel  nicht  geschehen,  weil 
mir  von  dort  her  zwar  sehr  genaue  Gewichtsangaben  sämmtlicher  Stücke  mit- 
getheilt wurden,  aber  nicht,  auf  welchen  Abdruck  sich  die  einzelne  Angabe  be- 
zog. Jene  mögen  deshalb  nach  den  Museumsnummern  hier  besonders  aufgeführt 
werden. 

Nr.   1127     .     .     Gr.  5,263                   Nr.  1130  .  .  Gr.  5,188 

Nr.   1128     .     .     Gr.  5,263                   Nr.   1131  .  .  Gr.  5,263 

Nr.   1129     .     .     Gr.  5,260                   Nr.  1132  .  .  Gr.  5.288 

Nr.  1133  Gramm  5,288. 


412  Winkelmann. 

III.  V.:  wie  II. 

R. :  wie  1. 

London  1    (5,796?),    München  2  (5,30),    Neapel   zwei  Exemplare,    Palermo 
1  (5,30). 

IV.  V.:  wie  II,    dazu    aber  rechts   und   links  vom  Kopfe  des  Adlers 

über  jedem  Flügel  ein  starker  Punkt. 
R.:  wie  I.  In  AVG  ist  das  A  heruntergezogen. 
London  2  (5,  248),    Nürnberg  (5,29) ,    München  1  (5,32) ,    Palermo  2  (5,30), 
Palermo  3  (5,27).  —  Nach  letztem  Nr.  2  der  Tafel. 
V.    V.:  wie  I. 
R,:  wie  IV. 
Berlin  3  (5,29). 
VI.    V.:  wie  IL 

R.:  oIMPBOM  (ohne  Punkt  dahinter)  |  -C6SARAU6  (ohne  Punkt)- 

In  Cesar  ist  AR  gesperrt. 
Berlin  4  (4,28),  Donaueschingen  1  (5,28),  Donaueschingen  2  (5,25),    Neapel 
vier  Exemplare,    Paris    Nr.  1000    (5,24),    Toeche   in    Berlin    (4,936), 
Winkelmann  (5,265).  —  Vgl.  Nr.  3  der  Tafel  nach  Berlin  4  und  Nr.  4 
nach  Donaueschingen  2. 
VII.    V.:  wie  II. 

R.:  wie  VI,  doch  mit  Punkt  hinter  ROM- 
München  4  (5,30). 
VIII.    V.:  wie  I. 

R,:    oIMPROM  (ohne  Punkte)  |   oCGSARAVG  (ohne  Punkt). 
Berlin  2  (5,28). 
IX.    V.:  wie  IV. 

R.:  -IMPROM  (ohne  Punkt)  |  -CGSARAÜG    (ohne  Punkt).     SAR 

etwas  gesperrt. 
Berlin  1  (5,30),  Wien  2  (5,25).  —  Abbildungen  bei  Huillard-Breholles  und 
Salazzoro,  bei  letzterem  zu  gross,  s.  o.  S.  403. 

X.    V.:  sonst  wie  I,  doch  ist  das  C  unverhältnissmässig  gross.  Ueber 
dem  rechten  Flügel  des  Adlers  ein  schwacher  Punkt. 
R.:  wie  IV. 
Wien  3  (5,25). 
XI.    V.:  ein  I,  doch  C  grösser. 

R.:    oIMPROM-  |  -C6SARAU6-  —  G  zusammengedrückt. 
Wien  5  (5,25) 
XII.    V.:  wie  II. 

R.:  -IMPROM   (ohne  Punkt  |  -CGSARAVG-     Das  S   geneigt  und 

heruntergezogen;  AVG  gesperrt,  C  sehr  klein. 
Wien  6  (5,25). 
XIII.   V.:  wie  IL 

R.:  wie  XI;  aber  CGSAR  sehr  gesperrt. 
London  3  (5.504),  4  (5,504). 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  413 

XIV.  Ganz  eigenartig;  hat  nur  1,75  Centimeter  Durchmesser,  während 
die  übrigen  2  Centimeter  haben. 
F.:  Der  Adler  kehrt  den  Kopf  nach  links  (vom  Beschauer)  und 
hat  weiter  geöffnete  Flügel  als  sonst.  Zwischen  dem  Kopfe 
und  dem  linken  Flügel  des  Adlers  ein  starker  Punkt.  Um- 
schrift kleiner  als  sonst: 

-f  FRID6  |  RICVS- 
Der  Schlusspunkt  und  das  unciale  6  an  dieser  Stelle  kom- 
men nur  bei  diesem  Stempel  vor. 
B.:  Der   wie  gewöhnlich  nach  rechts   (vom  Beschauer)  gekehrte 
Kopf  des  Kaisers  ist  höher  herausgearbeitet  als  sonst  und 
trägt  ein  Zackendiadem,    daher   keine  Schleife   im  Nacken. 
Die  Büste  reicht  nur  bis  wenig  unter  der  Schulter.  Die  Um- 
schrift ist  in  ihrem  zweiten  Theile  sehr  klein  und  undeutlich : 
•IMPROM  (ohne  Punkt)  |  (ohne  Punkt)  C6SARAV6' 
Wien  8  (5,22).  —  Darnach  Nr.  5  der  Tafel. 

Irre  ich  nun  nicht,  so  sind  bei  den  36  Exemplaren  von  Augu- 
stalen,  deren  Beschreibung  ich  zu  geben  vermochte,  also  6  Stempel 
für  die  Vorder-  oder  Adlerseite  und  1 1  für  die  Rück-  oder  Kopfseite 
in  Anwendung  gekommen  und  es  ist  vorauszusetzen,  dass  in  Wirklich- 
keit die  Zahl  der  überhaupt  gebrauchten  Stempel  eine  noch  grössere  ge- 
wesen sein  wird,  wie  sich  wohl  bei  Vergleichungen  mit  noch  anderen 
Exemplaren  herausstellen  dürfte. 

4.  Während  den  Kunsthistoriker  vorzugsweise  das  Gepräge  der 
fridericianischen  Goldmünzen  interessiren  wird,  kehrt  sich  das  Interesse 
des  Historikers  und  des  Volkswirthschaftlers  mehr  den  Fragen  nach 
ihrem  Gewichte,  ihrem  Goldgehalte  und  ihrem  aus  beiden  sich  er- 
gebenden Werthe  zu. 

Zum  Verständnisse  der  folgenden  Erörterungen  ist  vorauszu- 
schicken, dass  in  Unteritalien  und  Sicilien  wenigstens  schon  unter  den 
Normannen,  dann  aber  auch  unter  ihren  Nachfolgern  überhaupt,  auf 
dem  Festlande  bis  1818,  auf  der  Insel  sogar  bis  1864,  folgendes  Gewichts- 
system bestand: 

1  Pfund  (libra)  =  12  Unzen 

1  Unze  =  30  Tari  (tareni) 

1  Tari  =  20  Gran, 
und  dass  das  Münzsystem  sich  nicht  nur  in  den  Namen,  sondern  auch 
in  Wirklichkeit  dem  anschloss.     Die    vor    der  Einführung;    der  Augu- 
stalen    und    halben    Augustalen    allein    ausgeprägte    Goldmünze,    der 
Tarenus  auri,    war   also  in  der  That   V30  Unze  *),    während    die  Unze 

')  Vgl.  Faraglia,    Storia   dei   prezzi   in  Napoli  p.  24:    L'oncia   ad    pondus, 


414  Winkelmann. 

selbst  niemals  zur  Ausprägung  gelangte,  sondern  von  Alters  nur  eine 
Kechnungsmünze  war  und  solche  auch  in  der  staufischen  Zeit  und  weiter- 
hin blieb,  ebeuso  wie  der  Gran,  der  schon  seiner  Kleinheit  wegen  gar 
nicht  in  Gold  gemünzt  werden  konnte. 

Der  Augustalis  sollte  nun  nach  dem  kaiserlichen  Einführungs- 
edikte,  von  dem  Rycc.  de  S.  Germ,  leider  nur  einen  dürftigen  Auszug 
giebt,  ein  Viertel  ünze  (=  7  l/2  Tari)  gelten  und  dafür  von  Jedermann 
sub  pena  personarum  et  rerum  angenommen  werden.  Diese  Andro- 
hung hatte  ihren  guten  Grund,  da  sich  befürchten  liess,  dass  die  Pri- 
vaten sich  wenigstens  aufänglich  gegen  die  Aufnahme  der  neuen 
Münze  sträuben  würden  l) ,  deren  wirkliches  Gewicht  —  abweichend 
von  dem  gewohnten  Goldtari  —  weit  hinter  dem  angenommenen  zu- 
rückblieb. Es  betrug  nämlich  nicht  7 1/2,  sondern  nur  6  Tari,  wie  wir 
aus  der  Verordnung  Karls  vom  5.  Nov.  1266  erfahren,  durch  die  er 
für  den  Augustalis,  aber  mit  Beibehaltung  aller  Verhältnisse  desselben, 
seinen  Regalis  einführte.  Dem  entsprechend  wog  der  halbe  Augustalis 
nicht  3  Tari  15  Gran,  sondern  nur  3  Tari2). 

Wurde  nun  diese  gesetzliche  Feststellung  des  Gewichts  auf 
sechs  Tari,  die  höchst  wahrscheinlich  auch  schon  in  dem  kaiserlichen 
Einführungsedikte  von  1232  gestanden  hat,  bei  der  Ausprägung  der 
Augustalen  wirklich  innegehalten?  Um  darauf  antworten  zu  können, 
muss  zunächst  ermittelt  werden,  wie  viel  ein  Tari  selbst  nach  heuti- 
gem Systeme  wog.  Wir  sind  nicht  berechtigt,  dem  heute  noch  in  Si- 
cilien  bei  Goldschmieden  u.  a.  üblichen  Pfunde  vou  317,37  Gramm 
und  der  Uuze  von  26,45  Gramm  3),  wonach  ein  Tari  —  0,88  Gr.  sein 
würde,  ohne  Weiteres  auch  für  das  dreizehnte  Jahrhundert  Giltigkeit 
beizulegen. 

Die    36    Augustalen,    von     denen    ich    Gewichtsangaben    habe4), 


come  si  e  detto,  corrispondeva  esattamente  all'  oncia  moneta  (solche  gab  es  nicht) 
percio  il  tari  era  la  trentesima  sua  parte,    come  peso  e   come  valore  di  moneta. 

')  Dass  kein  wirklicher  Grund  zur  Beunruhigung  vorlag,  werden  wir  später 
sehen.  Doch  mag  schon  vorgreifend  hier  bemerkt  werden,  dass  der  Augustalis 
genau  so  viel  Feingold  enthielt  als  7'/2  Goldtari. 

'J)  Del  Giudice,  Cod.  dipl.  del  regno  di  Carlo  etc.  I,  197:  quilibet  regalis 
sit  in  pondere  tarenorum  sex  et  medius  regalis  tarenorum  trium  .  .  .  . ,  prout 
augustales  et  medii  augustales  olim  erant  dicte  tenute  et  ponderis. 

3)  Mittheilung  des  H.  Comm.  Ant.  Salinas.  —  Nach  Bleibtreu,  Münz-,  Mass- 
und Gewichtskunde  S.  305  hatte  das  alte  neapolitanische  Pfund  —  320,76  Gr., 
das  sicilische  Handelspfund  nach  S.  560  dagegen  nur  317,552  Gr. 

4)  Das  Exemplar  des  H.  Dr.  Toeche  mit  seinen  4,93  Gr.  ist  bei  diesen  Be- 
rechnungen deshalb  ausgelassen,  weil  es  ersichtlich  in  ganz  ungewöhnlichem  Grade 
minderwert  big  geworden  ist. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  4^5 

schwanken  in  ihrem  Gewichte  zwischen  5,796  und  5,188  Gr.,  also 
um  mehr  als  V2  Gr.  oder  ein  Zehntel,  während  die  Schwankungen 
im  Gewichte  der  deutschen  Doppelkronen  2%  Tausendstel  nicht  über- 
steigen dürfen.  Als  mittleres  Gewicht  ergab  sich  für  sie  5,297  Gr.  *). 
Ist  es  in  einigen  Stücken  erheblich  überschritten,  so  bleibt  doch  die 
Mehrzahl  hinter  demselben  zurück  und  man  kann  wohl  annehmen, 
dass  das  Plus  bei  jenen  nur  auf  Zufälligkeiten  zurückzuführen  ist. 

Aber  jenes  Durchschnittsgewicht  ist  in  der  That  nicht  als  das  ur- 
sprüngliche zu  betrachten,  mit  dem  der  Augustalis  in  der  Regel  aus  der 
Münzstätte  hervorging.  Um  dies  zu  erhalten,  muss  jenem  noch  etwas 
zugesetzt  werden  als  Ersatz  dessen,  was  der  Münze  durch  Abnützuuo- 
u.  s.  w.  verloren  gegaugen  ist.  Wenn  es  zutreffend  ist,  dass,  wie 
Blancard  will,  etwa  ein  Procent  von  dem  heutigen  Gewichte  auf  jenen 
Abgang  zu  rechnen  ist 2) ,  würde  sich  das  Durchschnittsgewicht  der 
Augustalen  um  0,053  Gr.,  also  auf  5,350  Gr.  erhöhen  und  diese  den 
6  Tari  entsprechen,  die  sie  bei  ihrer  Ausgabe  wiegen  sollteu. 
Hieraus  müssten  folgende  Gleichsetzungen  gefolgert  werden : 
der  Tarenus  5,350  =       0,891  Gr. 

6 
die  Unze      0,891  X  30  =    26,730    „ 
das  Pfund  26,730  X  12  =  320,760    „ 
Dieses  Ergebniss  kaun  jedoch  auch  noch  nicht  als  unbedingt  richtio- 
gelten  und  auch  so  dürfen  wir  noch  nicht  hoffen,  das  ursprüngliche  o-e- 
setzliche  Gewicht  des  Augustalis  vollständig  genau  gewonnen  zu  haben, 
da  einerseits  jener  Zuschlag  mehr  oder  minder  willkürlich  ist  und  an- 
drerseits die  Berechnung  zwar   auf  verhältnissmässig  zahlreichen  Wä- 
gungen, aber  doch  eben  nur  auf  solchen  der  zufällig  zu  meiner  Kennt- 
niss  gekommenen  Exemplare  beruht.     Wenn    wir    aber    diese    bei  der 
Rechnung  gar  nicht  zu  vermeidenden  Fehler  mit  in  Anschlag  bringen, 
werden  wir  kaum  daran  zweifeln   können,    dass   zur  Zeit   der  Staufer 
die  im  Königreiche  Sicilien  übliche  libra  etwas  grösser  war  als  die,  deren 


')  Cherrier  nimmt  nach  den  Wägungen  der  beiden  Pariser  Exemplare  5,2G 
Gramm  an  ;  Huillard,  Recherches  166  lässt  die  Unze  21,20,  den  Augustalis  5,30  Gr. 
wiegen  und  Blancard  p.  218  gibt  als  mittleres  Gewicht  des  letzteren  ohne  nähere 
Begründung  5,22  Gr.  an.  Wenn  er  ferner  als  Durchschnitt  des  dem  Augustalis 
nachgebildeten  angiovinischen  Regalis  5,27  Gr.  (die  Unze  solcher  Regalen  also 
mit  21,08)  ansetzen  zu  dürfen  glaubt,  so  ist  auch  das  bedenklich,  weil  sich  die 
Berechnung  auf  zu  wenige  Exemplare  der  Regalen,  nämlich  nur  auf  drei,  stützt. 

2)  Bei  den  Goldmünzen  des  deutschen  Reichs  ist  die  Grenze  der  Abnützung, 
bei  welcher  sie  noch  als  vollwichtige  zu  behandeln  sind,  auf  5  Tausendstel  des 
Normalgewichts  festgesetzt. 


416  Winkel  mann. 

man  sich  noch  jetzt  dort  gelegentlich  bedient.  Ich  halte  es  in  hohem 
Grade  für  wahrscheinlich,  dass  sie  nichts  anderes  als  noch  das  alt- 
römische Pfund  von  325,44  Gr.  war,  aus  dem  sich  dann  weiter  nach 
unten  als  gesetzliches  Gewicht  ergeben  würden 

für  die  Unze  325,44  =  27,12  Gr. 

12 
für  den  Tari    27,12  =    0,904  „ 
30 

Ist  dies  freilich  nur  eine  Hypothese,  so  wird  sie  doch  dadurch 
unterstützt,  dass,  wie  schon  hier  bemerkt  werden  mag,  der  Goldtari 
Friedrichs  IL  wirklich  diesem  für  ihn  ermittelten  gesetzlichen  Gewichte 
entspricht,  d.  h.  dass  er  wirklich  1|30  Unze  wog,  insoweit  Genauigkeit 
bei  so  kleinen  Mengen  mit  den  damaligen  mangelhaften  technischen 
Hilfsmitteln  überhaupt  zu  erreichen  war.  Aber  dasselbe  gilt  —  immer 
unter  der  Voraussetzung,  dass  die  normännisch-staufische  libra  nichts 
anderes  als  das  römische  Pfund  war  —  auch  von  dem  Augustalis. 
Wir  dürfen  auch  bei  ihm  wohl  von  Uebereinstimmung  zwischen  seinem 
gesetzlichen  Gewichte  von  6  Tari  (6  X  0,904)  =  5,424  Gr.  und  seinem 
wirklichen  mittleren  Gewichte  von  5,350  Gr.  reden,  indem  letzteres 
nur  um  0,074  Gr.  hinter  jenem  zurückbleibt.  Der  Unterschied  i&t 
jedenfalls  zu  klein,  als  dass  eine  absichtliche  Gewichtsminderung  an- 
zunehmen wäre,  und  die  Mangelhaftigkeit  der  Wagen  reicht  vollständig 
zu  seiner  Erklärung  aus. 

In  dieser  Beziehung  wenigstens  erwuchs  also  den  Unterthanen 
des  Kaisers  aus  der  erzwungenen  Aufnahme  der  neuen  Münze  kein 
Schaden,  da  der  Augustalis  wirklich  6  Tari  wog,  und,  wenn  er  für 
V4  Unze  Gold  oder  7V2  der  ausgemünzten  Tari  angenommen  werden 
musste,  es  sich  noch  fragen  wird,  ob  nicht  sein  Goldgehalt  diese  an- 
scheinende Verkürzung  der  Unterthanen  an  seinem  Gewichte  ausglich. 

5.  Der  sicherste  Weg  zur  Ermittlung  des  Goldgehalts  der  Au- 
gustalen  wäre  ja  der,  dass  Jemand  von  den  beati  possidentes  ein  Exem- 
plar der  wissenschaftlichen  Analyse  opfere.  Da  dies  aber  schwerlich 
geschehen  dürfte,  bleibt  nichts  übrig  als  der  Versuch,  mit  Hilfe  der 
geschichtlichen  Ueberlieferung  zum  Ziele  zu  gelangen,  und  diese  ist 
glücklicher  Weise,  was  diesen  Punkt  betrifft,  beredter  als  in  Bezug 
auf  die  Einführung  der  neuen  Münze. 

In  der  oben  (S.  402)  erwähnten,  ihrem  Inhalte  nach  jedenfalls 
auch  für  die  staufische  Zeit  giltigen  Münzerordnung  heisst  es  l) : 


!)  Winkelniann,  Acta  imp.  I,  766.     Uebrigens  scheint  schon  Garanipi  dieses 
Stück  gekannt  und  benützt  zu  haben,   wie   ich  aus  den  von  Faraglia.  Storia  dei 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  417 

Augustales  auri,  qui  laborantur  in  predictis  siclis  (non  Brindisi 
und  Messiua),  fiunt  de  caratis  viginti  et  medio,  ita  quod  quelibet  libra 
auri  in  pondere  tenet  de  puro  et  fino  auro  uncias  x.  tarenos  vii  y2 ; 
reliqua  vero  uncia  una  et  tareni  viginti  duo  et  medius  sunt  in  quarta 
parte  de  ere  et  in  tribus  partibus  de  argento  fino,  sicut  in  tarenis. 

Man  verwendete  also  für  die  Augustalen  20V2karätiges  Gold  d.  h. 
eine  Legirung,  die  unter  24  Theilen  aus  20  %  Theilen  Feingold  und 
3Y2  Theilen  anderer  Metalle  bestand1),  oder  was  dasselbe  besagt,  eine 
Mischung,  in  der  auf  das  Pfund  von  12  Unzen  10  Unzen  7%  Tari 
Feingold  und  t  Unze  22  Va  Tari  zwölf löthigen  Silbers  (d.  h.  solchen 
Silbers,  das  zu  einem  Viertel  mit  Kupfer  versetzt  war)  kamen. 

Diese  Legirung  war  besser  als  die  bei  den  Goldtari  gebrauchte  (s. 
u.),  aber  die  Thatsache,  dass  sie  von  der  herkömmlichen  abwich,  wird 
neben  dem  Mindergewichte  der  Augustalen  wesentlich  dazu  beigetragen 
haben,  dass  sich  anscheinend  der  Verkehr  nie  recht  mit  dem  neuen 
Zahlungsmittel  befreundet  hat  und  dass  man  fortfuhr,  in  der  herge- 
brachten Weise  nach  Goldunzen  und  Goldtari  zu  rechnen.  Die  kai- 
serliche Regierung  selbst  verfuhr  nicht  anders.  Die  Schuldverschrei- 
bungen, die  Friedrich  II.  in  den  Jahren  des  Kampfes  und  der  Finanz- 
noth  seit  1239  für  auswärtige  Bankiers  machte2),  sind  samnit  uud 
sonders  auf  Goldunzen  und  Goldtari  ausgestellt  und  die  Steuern,  die 
er  im  Königreiche  ausschrieb,  sind  ebenfalls  stets  in  Goldunzen  an- 
gesetzt 3).  Und  ebenso  ging  es  unter  seinen  Nachkommen :  eine  ausser- 
ordentliche Steuer,  die  anfangs  1266  für  Sicilien  ausgeschrieben  wurde, 
wurde  in  Goldunzen,  Tari  und  Gran  erhoben 4). 

Uebrigens  lassen  sich  jene  Angaben  des  dreizehnten  Jahrhunderts 
über  den  Goldgehalt    des  Augustalis    mit   leichter  Mühe   in  Grammen 
umsetzen.  Jeder  Augustalis,  der  mit  dem  normalen  mittleren  Gewichte 
von  5,350  Gr.  die  Münze  verliess,  enthielt  zunächst 
5,350  X  20  V2  =  4,57  Gr.  Feingold, 
24 
während    der    verbleibende    Best   von    3Va    Karat  =  0,78  Gr.    zu    drei 
Vierteln  =  0,585  Gr.  aus  Feinsilber  und  zu  einem  Viertel  =  0,195  Gr. 


prezzi  (Napoli  1878)  p.  25  nach  Fusco,  Intorno  ad  alcune  monete  Aragonesi  (Nap. 
1846)  p.  18  citirten  Stellen  über  das  Metall  der  Augustalen  und  Tari  schliesse. 

')  Es  ist  also  zwar  beinahe,    aber    doch  nicht  ganz  genau,    wenn  Blancard 
p.  217  sagt,  dass  die  Augustalen  */-  Feingold  enthielten. 

2)  Winkelmann,  De  regni  Siculi  adrainistratione  p.  31. 

3)  Vgl.  Winkelmann,  Acta  inip.  I,  630  (1238).  6Gf!  (1241  ?).  712  (1248V). 
«)  BFW.  nr.   14277. 

Mittheilungen  XV.  27 


418  Winkelmaim. 

aus  Kupfer  bestand  l).  Da  nun  vier  Augustalen  eine  uncia  augustalium 
ausmachen  sollten,  erhielt  man  in  ihr  18,28  Gr.  Feingold. 

6.  Neben  den  Augustalen  sind  auch  halbe  Augustalen  in 
Umlauf  gebracht  worden,  wie  die  auf  uns  gekommenen  Exemplare  be- 
zeugen. Bei  Kycc.  de  S.  Germ,  da,  wo  er  die  Einführung  jener  er- 
zählt, ist  allerdings  von  ihnen  ebenso  wenig  die  Rede,  als  in  der  stau- 
fischen Münzerordnung;  aber  sie  werden  sowohl  in  staufischen  als  an- 
giovinischeu  Mandaten  gelegentlich  erwähnt.  Dafür  jedoch,  dass  sie 
gleichzeitigen  Ursprungs  mit  den  ganzen  Augustalen  sind,  spricht  alle 
Wahrscheinlichkeit,  vor  Allem  die  völlig  gleiche  äussere  Ausstattung, 
obwohl  natürlich  in  kleinerem  Massstabe  (Durchmesser  1,60  Centi- 
meter).  Sie  zeigen  also  auch  auf  der  Seite,  die  ich  für  die  Vorderseite 
ansehe,  den  Adler  mit  der  durch  seine  Fänge  getheilten  Umschrift 
t  FK1DE  ||  KICVS  und  auf  der  Rückseite  die  gleich  gestaltete  Büste  des 
Kaisers  mit  der  ebenfalls  getrennten  Umschrift  IMPROM  l|  CeSARAVG. 
Ihre  Bedeutung  für  den  Verkehr  mag  noch  geringer  gewesen  sein 
als  die  der  Augustalen  und  namentlich  die  Konkurrenz  der  von  Alters 
her  üblichen  Goldtari  wird  sie  nicht  recht  haben  aufkommen  lassen, 
um  so  weniger  als  ihr  Werthverhältniss  zu  dieser  allein  wirklich  ver- 
breiteten Goldmünze  (3  Tari  15  Gran)  ein  möglichst  unbequemes  war. 
Daher  kommt  es  denn  wohl  auch,  dass,  wenn  die  Zahl  der  uns  erhal- 
tenen Augustalen  nicht  gerade  eine  sonderlich  grosse  zu  nennen  ist, 
die  der  halben  noch  viel  kleiner  ist,  wenigstens  der  mir  bisher  zu- 
gänglich gewordenen.  Denn  ich  kenne  deren  nur  fünfzehn  und  zwar 
aus  Berlin  2,  Donaueschingen  1,  Gotha  1,  London  2,  München  1, 
Neapel  4,  Nürnberg  1,  Palermo  2  und  Paris  1.  Diese  schwanken  in 
ihrem  Gewichte,  das  unten  den  einzelnen  Exemplaren  beigesetzt  ist, 
zwischen  2,60  und  2,70  Gr.,  also  erheblich  weniger  als  die  ganzen 
Augustalen,  und  vertheilen  sich  auch  nur  auf  zwei  Stempel,  bei  deren 
Beschreibung  ich  mich  kurz  fassen  kann,  da  die  halben  Augustalen, 
wie  gesagt,  nur  verkleinerte  Kopien  der  ganzen  sind  und  für  sie  alles 
zutrifft,  was  von  diesen  im  Allgemeinen  zu  sagen  war. 

I.    V.:  Adler,  nach  rechts  vom  Beschauer  gekehrt.    Umschrift  ohne 
alle  Punkte:  -f  FRIDE  |  R1CVS 
R:  Büste  des  Kaisers,    rechts  gekehrt.  Umschrift:    -IMPROM-  | 

CGSARAU6- 
Berlin  1  (2,66)  Berlin  2  (2,64),  Donaueschingen  3  (2,67),  London  1  (2,656), 
London  2  (2,656),  Neapel  Nr.  1134  (2,613),  Nr.  1135  (2,613),  Nr.  1136 
(2,633),  Nr.   1137  (2,638),    Nürnberg  (2,63),    Palermo  1  (2,65),  Paris 
Nr.  1001  (2,60).  —  Vgl.  Nr.  6  der  Tafel  nach  Palermo  1. 
J)  Zur  Vergleichung   mag   angeführt  werden ,    dass   ein    deutsches  Zwanzig- 
markstück 7,168  Gr.  Feingold  auf  7,695  Gr.  enthält. 


Üeber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  419 

iL  V.:  sonst  wie  I,  aber  rechts  und  links  vom  Kopfe  des  Adlers 
sind  Punkte  angebracht  und  RICVS  ist  sehr  gesperrt. 

R. :  sonst  wie  I ;  doch  ist  die  Schrift  kleiner,  SAR  auseinander 
gezogen  und  6  so  eingeengt,  dass  kein  Raum  für  einen 
Schlusspunkt  bleibt. 

Gotha  (2,60),  München  (2,70),  Palermo  2  (2,60).—  Nach  letzterem  Nr.  7  der  Tafel. 

Als  jetziges  Durchschnittsgewicht  des  halben  Augustalis  ergiebt 
sich  aus  diesen  Stücken  2,654  Gr.  und  als  sein  ursprüngliches  Gewicht 
wenn  wir  auch  hier  etwa  ein  Procent  auf  die  Abnützung  rechnen, 
2,680  Gr.,  mithin  sogar  eine  Kleinigkeit  mehr,  als  die  Münze  sowohl 
als  Hälfte  des  Augustalis  eigentlich  haben  musste,  nämlich  '■'  ''  — 
2,675  Gr.,  als  auch  wegen  ihrer  Gleichstellung  im  Gewichte  mit  3  Tari, 
die  König  Karl  bezeugt.  Denn  wenn  wir  von  dem  aus  dem  Münz- 
gewichte des  ganzen  Augustalis  gefolgerten  Gewichte  des  Tari  mit 
0,891  Gr.  ausgehen,  hätte  der  halbe  Augustalis  auch  nur  2,673  Gr. 
zu  wiegen  gebraucht.  Freilich  stellt  sich  das  Verhältniss  etwas  anders, 
wenn  wir  der  Vergleichung  den  aus  dem  römischen  Pfunde  abgelei- 
teten Tari  mit  seinen  0,904  Gr.  zu  Grunde  legen,  indem  darnach  das 
normale  Gewicht  des  halben  Augustalis  2,712  Gr.  hätte  sein  müssen, 
also  etwas  mehr,  als  er  anscheinend  bei  seinem  Ausgange  aus  der 
Münzstätte  durchschnittlich  zu  haben  pflegte.  Aber  auch  in  diesem 
Falle  ist  der  Unterschied  (0,032  Gr.)  viel  zu  klein,  als  dass  an  eine 
absichtliche,  von  fiscalischen  Erwägungen  eingegebene  Gewichtsmin- 
derung zu  denken  wäre,  und  alles  in  allem,  wir  haben  ein  Recht  zu 
der  Behauptung,  dass  auch  der  halbe  Augustalis  vollwichtig  die  Münze 
verliess. 

Wie  die  Ausstattung,  so  war  auch  der  Goldgehalt  des  halben  Au- 
gustalis dem  des  ganzen  vollkommen  gleich.  Wir  müssen  das  schon 
deshalb  annehmen,  weil  die  Münzerordnung  über  denselben  gar  nichts 
zu  bemerken  hat  und  weil  auch  Karl  I.  in  seinen  Verordnungen  in  Betreff 
der  ganzen  und  halben  Regalen,  die  den  ganzeu  und  halben  Augustalen 
entsprechen  sollten,  zwischen  ihnen  rücksichtlich  des  zu  verwendenden  Gol- 
des keinen  Unterschied  macht1).  Beide  sollten  in  Gehalt  und  Gewicht  sein, 
wie  die  Augustalen  uud  halben  Augustalen  zur  Zeit  des  verstorbenen 
Kaisers  2). 

7.  Hat  der  Kaiser  nach  1231  noch  öfters  Ausprägungen  seiner 
neuen  Goldmünzen  vorgenommen  ?  Ich  möchte  diese  Frage  weder  be- 


')  Del  Giudice,  Cod.  I,  197  von  126G:  videlicet  quod  quelibet  libra  regalium 
et  mediorum  regalium  contineat  de  auro  puro  in  pondere  uncias  aun  10  et  ta- 
renos  7  et  medium. 

2)  So  noch  1273  ian.  21  Arch.  stör.  Ltal.  Ber.  3  T.   XXII,   10. 

27* 


42(1  Winkelmann. 

jähen  noch  verneinen.  Die  Ueberlieferung  lässt  uns  in  dieser  Beziehung 
vollständig  im  Stich  und  die  Thatsache,  dass  verschiedene  Stempel  für 
jene  Münze  gebraucht  worden  sind,  verträgt  sich  sowohl  mit  der  An- 
nahme, dass  sie  alle  gleichzeitig  für  die  Prägung  des  Jahres  1231  ge- 
braucht wurden,  als  auch  mit  der  entgegengesetzten,  dass  sie  zu  Prä- 
gungen verschiedener  Jahre  dienten.  Wollte  man  aber  diejenigen  Au- 
gustalen,  deren  Stempel  künstlerisch  vollendeter  sind,  früheren  Jahren, 
uud  die,  welche  in  dieser  Hinsicht  zurückstehen,  den  späteren  Jahren 
des  Kaisers  zuweisen,  etwa  als  ob  nun  in  Folge  der  politischen  Be- 
drängniss,  wie  das  sonst  wohl  vorkommt,  auf  das  Aussehen  der  Münzen 
weniger  Gewicht  gelegt  worden  wäre,  so  lässt  sich  mit  gleichem  Rechte 
auch  das  umgekehrte  Verhältniss  behaupten  und  mit  der  Erwägung 
begründen,  dass  Geschicklichkeit  und  Fertigkeit  der  Stempelschneider 
doch  mit  den  Jahren  gewachsen  sein  muss.  Am  ersten  würde  auf  wie- 
derholte amtliche  Prägungen  geschlossen  werden  können,  wenn  die 
mittleren  Gewichte  der  einzelnen  Gruppen  sich  in  einer  absteigenden 
Liuie  bewegten ;  denn  dann  Hesse  sich  wohl  annehmen,  dass  die  durch- 
schnittlich gewichtigeren  Stücke  aus  früheren  und  die  leichteren  aus 
späteren  Prägungen  hervorgegangen  seien,  das  heisst,  dass  die  Finanz- 
noth  zur  Verringerung  des  Gewichts  geführt  habe.  Aber  die  Unter- 
schiede jener  Durchschnittsgewichte  sind  nicht  gross  genug,  um  aus 
ihnen  eine  solche  Folgerung  zu  ziehen,  und  sie  wird  zu  Gunsten  der 
anderen  Annahme,  dass  die  Gewichtsunterschiede  nur  auf  mangelhafter 
Technik  bei  der  Ausbringung  der  einzelnen  Stücke  beruhen,  vollends 
fällen  gelassen  werden  müssen,  wenn  wir  berücksichtigen,  dass  der 
Nachfolger  der  Staufen  im  Königreiche  gar  nichts  davon  weiss,  dass 
es  schwerere  und  leichtere  Augustalen  oder  solche  von  besserem  und 
schlechterem  Goldgehalte  gab.  Er  kennt  nur  Augustalen  und  halbe 
Augustaleu  von  einem  gesetzlichen  Gewichte  und  Gehalte. 

Meines  Wissens  kann  für  die  Annahme  mehrfacher  Ausprägungen 
nur  eins  angeführt  werden,  nämlich  dass  es  in  der  Münzerordnung 
heisst:  Augustales  auri,  qui  laborantur  in  predictis  siclis,  fiuntu.  s.  w. 
Hier  weist  das  Praesens  allerdings  auf  eine  noch  fortdauernde  An- 
wendung der  angegebenen  Vorschriften  hin  und  diese  selbst  würden 
ohnedem  keinen  rechten  Sinn  haben. 

Aber  wenn  auch  der  Kaiser  selbst  auf  die  weitere  Ausprägung 
von  Augustalen  und  Halbaugustalen  verzichtet  haben  sollte,  so  ist  da- 
mit noch  nicht  erwiesen,  dass  überhaupt  keine  mehr  stattgefunden 
haben  könnte.  Denn  aus  der  Münzerordnung  erfahren  wir  die  inter- 
essante Thatsache,  dass  auch  Privaten  die  Möglichkeit  eingeräumt  war, 
in  den  Münzstätten  von  Brindisi  und  Messina  Gold  auf  ihre  Rechnung 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  421 

prägen  zu  lassen  und  zwar  unter  der  Bedingung,  dass  sie  für  die 
Unze  ausser  den  auf  4V2  Gran  berechneten  Herstellungskosten  noch 
15  Va  Gran  an  den  Fiscus  entrichteten,  offenbar  als  Ersatz  des  Ge- 
winnes, den  er  bei  eigener  Prägung  gemacht  haben  würde.  Beide  Ab- 
gaben zusammen  betrugen  also  20  Gran,  oder  1  Tari  d.  h.  ungefähr 
3  V3  Procent ').  In  wie  weit  von  dieser  Erlaubniss  Gebrauch  gemacht 
wurde,  wissen  wir  nicht;  es  dürfte  jedoch  nicht  ganz  selten  geschehen 
sein,  da  der  Kaiser  in  einem  Erlasse  vom  19.  Juli  1238  bei  der  Be- 
stellung von  Aufsehern  über  die  Münzstätten  darauf  gesehen  haben 
will,  dass  es  Leute  seien,  qui  nulluni  partecipium  cum  mercatoribus 
habeant  -).  Betrügerische  Manipulationen  konnten  namentlich  dann 
stattfinden,  wenn  die  Privaten ,  wie  es  nach  der  Münzerordnung  ge- 
stattet war,  selbst  das  zur  Prägung  Nöthige  lieferten,  statt  es  zu  be- 
zahlen. 

8.  Eine  äusserst  merkwürdige  Erscheinung  ist  es,  dass  die  alte  sici- 
lische  Goldmünze,  der  tarenus  auri  (Tari)  nicht  nur  bei  der  Einfüh- 
rung der  neuen  fridericianischen  Goldmünzen  im  Umlaufe  als  gesetz- 
liches Zahlungsmittel  belassen  wurde  und  sich  erhielt,  sondern  sogar 
seinerseits,  wie  aus  den  viel  häufigeren  Erwähnungen  der  Goldtari  zu 
schliessen  ist,  ihre  Einbürgerung  hinderte.  Das  Werthverhältniss  des 
Goldtari  zum  Augustalen  war  äusserst  unbequem  (1 : 7  V2)  un&  das  zum 
halben  Augustalis  (1 :33/4)  noch  mehr;  das  für  die  Tari  verwendete  Gold 
war,  wie  wir  sehen  werden,  schlechter  als  das  der  Augustalen,  aber 
die  Macht  der  Gewohnheit  wirkte  stärker  als  alle  Vortheile,  die  die 
Neuerung  mit  sich  brachte,  so  dass  eben  nichts  anderes  übrig  blieb, 
als  das  Bedürfniss  des  Verkehrs  durch  fortgesetzte  Ausprägungen  der 
bis  1231  allein  in  Gebrauch  gewesenen  Goldmünze  zu  befriedigen,  und 
das  geschah  nicht  nur  unter  Friedrich,  sondern  auch  noch  unter  Karl  I. 

Der  Namen  des  tarenus  stammt  von  dem  im  neunten  Jahrhun- 
derte durch  die  Mauren  eingeführten  dirhem  oder  trihm  (Plur.  trahi), 
der  den  Werth  eines  Drittels  des  byzantinischen  Solidus  hatte  3),  und 


')  Winkelmann,  Acta  imp.  1, 766 :  Consuevit  curia  recipere  pro  qualibet 
uncia  tarn  tarenoruin  quam  augustalium,  que  laboratur  in  predictis  siclis,  grana 
1 5  V2 •  Verumtamen  mercator,  qui  facit  laborari  aurum  suum  in  siclis  ipsis,  preter 
grana  lö'/o  debet  solvere  alia  grana  4 '/a  pro  qualibet  uncia,  quam  laborari  facit 
in  siclis,  pro  expensis,  que  fiunt  in  labore  uncie  cuiuslibet  etc.  Wenn,  wie  wir 
weiterhin  sehen  werden,  vor  Grana  15'/2  wahrscheinlich  ,tarenum  unum  et'  aus. 
gefallen  sein  sollte,  würden  die  Privaten  im  Ganzen  nicht  1  Tari,  sondern  2  Tari 
d.  h.  c.  62/3  Procent  zu  zahlen  gehabt  haben.  2)  Das.  1, 687. 

s)  Amari,  Storia  dei  Musulmani  11,458.  Vgl.  Faraglia  Storia  dei  prezzi  in 
Napoli  p.  23  mit  Berufung  auf  das  mir  nicht  zugängliche  Buch  von  Schiavo, 
11  tari  d'oro. 


422  Winkel  mann. 

die  uorrnanuischen  Herrscher  Siciliens  übernahmen  die  Münze  von  ihren 
Vorgängern.  Nun  ist  meines  Wissens  über  den  Goldgehalt  dieser  Tari 
bisher  nichts  bekannt  geworden,  das  Gewicht  jedoch  war  schon  da- 
mals yso  Unze  1).  Indessen  das  thatsächliche  Gewicht  der  von  den 
Normannen  in  Sicilien,  aber  auch  in  Salerno  geschlagenen  Goldtari 
stellt  in  der  Tabelle  bei  Engel,  Numismatique  et  sigillographie  des 
Normands  de  Sicile  p.  62  eine  so  ununterbrochene  Abstufung  von 
2.42  bis  0,28  Gr.  dar,  dass  die  Scheidung  derselben  in  viertel,  halbe» 
einfache  und  mehrfache  Tari  eine  Unmöglichkeit  sein  dürfte  und  die 
Annahme  unabweislich  ist,  diese  Münzen  seien  für  gewöhnlich  nicht 
gezählt,  sondern  zugewogen  worden2).  Indessen  die  in  Salerno  geschla- 
genen Tari  schwanken  allein  zwischen  0,83  und  0,90  Gr.,  so  dass  dies 
als  das  ungefähre  Normalgewicht  des  Goldtari  für  jene  Zeit  anzusehen 
sein  wird 

Wie  stand  es  nun  mit  Gewicht  und  Gehalt  der  unter  Friedrich  II. 
geprägten  Goldtari?  Die  Beantwortung  dieser  Frage  wird  wiederum 
durch  den  Umstand  erleichtert,  dass  Karl  I.  beides,  ja  sogar  das  Ge- 
präge des  fridericianischen  Tarenus  beibehielt  und  sich  darüber  wie- 
derholt in  seinen  Verordnungen  geäussert  hat 3). 

9.  Von  tareni  Friedrichs  II.  d.  h.  solchen,  die  ihm  unzwei- 
felhaft angehören  oder  auf  seinen  Namen  geheu,  sind  mir  allerdings 
nur  wenige  bekannt  geworden.  Doch  wird  daraus  nicht  auf  ihre  Sel- 
tenheit geschlossen  werden  können,  denn  ich  muss  bekennen,  dass  ich 
mich  nach  ihnen  erst  umsah,  als  sich  meine  ursprünglich  auf  die  Au- 
gustalen  beschränkte  Untersuchung  weiter  ausdehnte.  Immerhin  ist 
es  auffällig,  dass  jedes  jener  Stücke  einen  besonderen  Stempel  vertritt, 
wenn  auch  die  Darstellung  auf  der  Rückseite  ihnen  im  Allgemeinen 
gemeinsam  ist,  nämlich  ein  Kreuz  aus  einem  langen  Fussbalken  und 
einem  gegen  das  obere  Ende  desselben  angebrachten  kurzen  Quer- 
balken mit  der  rechts  und  links  davon  vertheilten  Beischrift : 


•)  Faraglia  a.  a.  0.  Wenn  er  aber  p.  24  sagt,  sie  seien  »d'oro  sottilissimo* 
gewesen,  so  ist  das  von  Vorne  herein  wenig  wahrscheinlich. 

'■>)  Engel  p.  64  betrachtet  das  von  Wilhelm  IL  mit  Knechtschaft  und  Güter  - 
einziehung  bedrohte  .rädere*  der  Münzen  als  Hauptgrund  für  das  Schwanken 
im  Gewichte  der  normannischen  Tari,  muss  aber  zugeben,  dass  er  nur  selten 
Spuren  davon  an  den  Münzen  selbst  habe  bemerken  können. 

3)  1271  Jan.  24  Minieri,  11  regno  p.  8  in  einem  ungenauen  und  leicht  irre- 
führenden Auszuge;  1271  Mai  7  das.  18;  1273  Jan.  21  Arch.  stör.  Ital.  Ser.  3 
T.  XXII,  10:  Tareni  ....  (sint)  in  ea  tenuta  et  modo,  in  quibus  consueverunt 
fieri  temporibus  retroactis  (vorher  imperatoris)  in  forma  et  cuneo  consueto.  De 
auro  vero,  quod  in  sicla  laborabitur,  quelibet  libra  de  puro  auro  contineat  un- 
cias  8  et  tarenos  5,  sicut  consuevit  hactenus  contineri. 


Lieber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  423 


IC 

NI 


xc 

KA 


Die  Hauptunterschiede  dieser  Seite  liegeu  in  der  Gestaltung  des 
Kreuzes,  der  Grösse  der  Buchstaben  und  der  Form  des  Abkürzungs- 
zeichens, ob  —  oder  — « — .  Die  Darstellung  der  Vorderseite  ist  nian- 
uichfaltiger.  Auch  das  ist  bemerkenswert!!,  dass  die  Mehrzahl  jener 
Stücke  nicht  nur  stark  durch  den  Umlauf  gelitten  hat,  sondern  auch 
schon  von  Vorneherein  verprägt  ist  d.  h.  der  Stempel  ist  nicht  genau 
in  der  Mitte  des  zur  Prägung  bestimmten  Goldklümpchens  aufgesetzt 
worden,  das  Münzbild  daher  nur  unvollständig  zum  Ausdrucke  ge- 
langt. Die  grosse  Verschiedenheit  des  Gewichts  endlich  macht  es  un- 
zweifelhaft, dass  die  vorliegenden  Stücke  nicht  die  gleiche  Werthein- 
heit  darstellen  können,  dass  sie  vielmehr  theils  einfache,  theils  mehr- 
fache Tari  sein  sollen.  Ich  führe  sie  deshalb  hier  nach  der  Abstufung 
ihres  Gewichts  auf: 

I.    V.:  In  der  Mitte  ganz   klein  Fr.     Doppelte  Umschrift   zwischen 
drei  Kreisen ;  von  der  inneren  glaube  ich  SGL  zu  erkennen ; 
die  äussere  ist  verprägt  uud  unleserlich. 
R.:  Kreuz   mit   der    üblichen  Beischrift.     Abkürzungszeichen  — . 

Umschrift  theilweise  erhalten,  aber  unleserlich. 
Donaueschingen  4  (Durchmesser  1,35  C.  —  Gewicht  3,74  Gr.) 
IL    V. :  In  der  Mitte  FR  gross.  Umschrift  zwischen  zwei  Kreisen  ver- 
prägt; zu  erkennen  AV6  .  .  .  M(P). 
R.:  Kreuz   mit   grosser  Beischrift.    Abkürzung  durch  — .     Keine 

Umschrift. 
Donaueschingen    5  (Dm     1,20    C.    —    Gew.  3.28  Gr.)  —    Vgl.    Nr.    12    der 
Tafel.  Da   das  Stück   trotz  seines  Gewichts  klein  ist ,    wird    es   ver- 
hältnissmässig  dick  sein. 

III.  V.:  Adler,  winzig  klein.  Umschrift  unleserlich. 

R,:  Kreuz  mit  Beischrift.  Abkürzung  durch  — .  Keine  Umschrift. 
Gotha  (Dm.   1  C.  —  Gew.  1,86  Gr.)  —  schlecht  erhalten. 

IV.  V.:  Adler,    gekrönt,    links  (vom  Beschauer)    gekehrt,    gaDz    roh. 

Umschrift  verprägt:  .  .  .  ICVS  .  .  . 

R. :  Kreuz  mit  Beischrift.  Abkürzuug  durch  -«— .  Keine  Umschrift. 

Donaueschingen  6  (Dm.   1  C.  —  Gew.   1,66  Gr.) 
V.    V.:  Adler,  anders  als  vorher,    links  gekehrt,    gekrönt,  ganz  roh. 
Ein  Punkt  über  jedem  Flügel.  Umschrift  verprägt : ERIC. 

R  :  Kreuz   mit  Beischrift.    Abkürzung   durch  — « — .     Umschrift 
verprägt. 

Donaueschingen  7  (Dm.   1   C.  —  Gew.  1,43  Gr.). 
VI.    V.:  Adler  innerhalb   eines  Kreises,    rechts    (vom  Beschauer)   ge- 
kehrt, ungekrönt.  Zu  den  Seiten  des  Halses  -S-  (?)  und  0. 


424  Winkelmann. 

R, :  Kreuz  mit  Beischrift.     Abkürzungszeichen  — . 
Wien  2  (Dm.  1  C.  —  Gew.  1,37  Gr.)    —    vergoldetes    Kupfer,    also    Fäl- 
schung,   aber   doch   wohl  nach    achtem  Vorbilde.  —  Vgl.  Nr.  11 
der  Tafel. 
VII.    IT:  Adler    innerhalb    eines  Kreises,    links   gekehrt.      Ueber  dem 
Kopfe  ein  Punkt.  Zu  den  Seiten  des  Halses  0  und  Y. 
R. :  Kreuz,  an  dessen  Fussende  rechts  und  links  ein  dicker  Punkt 
mit  Beischrift.  Der  oberste  Theil  der  Darstellung  ist  abge- 
schliffen. 
Wien  1  (Dm.  0,95  C.  —  Gew.   1.35  Gr.).  —  Vgl.  Nr.  10  der  Tafel. 
VIII.    V.:   Adler   innerhalb    eines  Kreises,    rechts    gekehrt.     Umschrift 

verprägt : HO  111 . 

R. :  Kreuz,  an  dessen  Fussende  rechts  und  links  ein  Punkt,  mit 
Beischrift,  ohne  Einschliessungsring.    Abkürzung  durch  — . 
Wien  3  (Dm.  1  C.  —  Gew.  1,32  Gr.). 
IX.    V.:  Adler,    ganz    klein    und    äusserst    roh.      Doppelte   Umschrift 
zwischen  Kreisen,  verprägt  und  verschliffen. 
R. :  Kreuz  mit  Beischrift  innerh.  eiues  Kreises.  Abkürzung  durch  — . 
Donaueschingen  8  (Dm.   1  C.  —  Gew.   1,32  Gr.). 
X.    F.:  In  der  Mitte  •*;!     Umlaufend  zwischen  zwei  Kreisen  undeut- 
liche Zeichen.    Verprägt. 
R. :  Kreuz    mit  Beischrift    innerhalb    eines    Kreises.     Abkürzung 

durch  — . 
Donaueschingen  9  (Dm.  1  C.  —  Gew.  1,25  Gr.).  —  Vgl.  Nr.  9  der  Tafel. 
XL   V.\  Adler,  nach  rechts  gekehrt,  gekrönt,  gauz  roh.  Ueber  jedem 
Flügel  ein  Punkt.  Umschrift  verprägt:  ....  ICVS. 
R. :  Kreuz  mit  Beischrift,  innerhalb  eines  Kreises.   In  der  Mitte 

des  Schafts  noch  ein  Knauf.  Abkürzung  durch  — « — . 
Donaueschingen  10  (Dm.  1  C.  —  Gew.  0,93  Gr.).  —  Vgl.  Nr.  8  der  Tafel. 
Wenn  einst  die  Taristücke  Friedrich  II.  mehr  beachtet  werden 
sollten,  die  bisher  wegen  ihrer  groben  Arbeit  und  über  die  Augustalen 
einiger  Massen  übersehen  worden  sind,  werden  sich  ohne  Zweifel  noch 
viel  mehr  für  sie  verwendete  Stempel  herausstellen  und  bei  den  grossen 
Abweichungen,  die  schon  die  hier  aufgeführten  vorweisen,  wird  ange- 
nommen werden  können,  dass  der  Zahl  der  Stempel  auch  die  Zahl 
der  Prägungen  entspricht.  Aber  davon  sind  wir  weit  entfernt,  ja  es 
wird  wohl  überhaupt  nie  gelingen,  die  einzelnen  Prägungen  zeitlich 
bestimmen  zu  können.  Nachweisbar  ist  nur  eine,  die  vom  September 
1221,    die    zu  Amalfi   stattfand1).     Die  Stücke  nun,    auf   denen  KOM 

l)  Rycc  •  de  S.  Germ.  p.  342 :  tareni  novi  cuduntur  Amalfitani.  Im  folgen- 
den Jahre  wurden  sie  zu  Gunsten  von  in  Brindisi  geschlagenen  (Silber-)Denaren 
eingezogen,  mit  denen  dann  mehrfach  gewechselt  wurde. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrich  II.  425 

oder  AV6  erkennbar  ist,  sind  dadurch  schon  der  Zeit  nach  1220  zu- 
gewiesen. Jedoch  rücksichtlich  der  übrigen  mag  höchstens  vermuthet 
werden,  dass  der  Stempel  I  mit  FR  auf  der  Vorderseite,  bei  dem  nichts 
bestimmt  auf  das  Kaiserthum  weist,  den  früheren  Jahren  Friedrichs, 
vielleicht  sogar  noch  der  Zeit  vor  seiner  Berufung  nach  Deutschland 
(1212)  angehört,  die  mit  dem  Adler  aber,  und  das  sind  die  meisten, 
wahrscheinlich  aus  den  Jahren  nach  seiner  Kaiserkrönung,  vielleicht 
sogar  erst  nach  1231  stammen,  das  heisst  aus  denselban  Jahrzehnten, 
in  welchen  der  Adler  auch  auf  den  Augustalen  Platz  fand.  In  welche 
Periode  der  Stempel  X  mit  der  Rosette  zu  setzen  sein  möchte,  bleibt  völlig 
ungewiss ;  ich  vermuthe  aber,  in  Friedrichs  Jugendjahre,  da  die  Rosette 
auch  schon  auf  Münzen  seiner  normannischen  Vorgänger  vorkommt  *). 

Schliesslich  ist  nicht  einmal  sicher,  ob  alle  Taristücke,  die  Fried- 
rich beigelegt  werden,  und  selbst  die,  deren  Gepräge  auf  ihn  hinweist, 
wirklich  von  ihm  herrühren.  Denn  Karl  von  Anjou  ging  in  seinem 
Anschlüsse  an  das  fridericianische  System  soweit,  dass  er  für  die  Tari 
nicht  nur,  wie  schon  bemerkt  ist,  bei  dem  Gewichte  und  dem  Gehalte, 
das  die  Tari  innerhalb  desselben  hatten,  blieb,  sondern  sich  auch  nicht 
bedachte,  seinen  Tari  dasselbe  Gepräge  zu  geben,  und  das  sogar  noch 
im  Jahre  1273  2). 

10.  Welche  von  den  oben  angeführten  Münzen  wird  nun  der 
einfache  tarenus  auri  Friedrichs  IL  sein?  Dass  auch  unter 
Friedrich  wie  unter  den  Normannen,  unter  denen  es  sogar  so  kleine 
Goldstüke  wie  1/4  oder  l/3  Tari  gegeben  zu  haben  scheint,  Theile  des 
Tari  oder,  was  dasselbe  heissen  würde,  gewisse  Summen  von  Granen 
zur  Ausprägung  gelangten,  lässt  sich  nicht  erweisen  3).  Jene  Münzen 
können  also  nur  entweder  einfache  Tari  oder  mehrfache  sein.  Aber  wo 
ist  die  Grenze  zwischen  ihnen  ?  Die  Entscheidung  scheint  deshalb  sehr 
misslich,  weil  die  meisten  Stücke  schlecht  erhalten,  stark  abgenützt 
oder  auch  beschnitten  sind  und  weil  andererseits  aus  der  Rohheit  der  Ar- 
beit, die  sehr  von  der  der  Augustalen  absticht,  zu  schliessen  ist,  dass 
die  Münzer  auch  auf  die  Genauigkeit  des  Gewichts  keine  allzu  grosse 
Sorgfalt  verschwendet  haben  werden. 

Letzteres  aber  ist  thatsächlich  wenigstens  bei  dem  einfachen  Taro 
nicht  der  Fall  gewesen.     Denn  ob  wir  davon  ausgehen,  dass  der  Au- 

1)  Engel,  Numismatique  Tab.  VI  nr.   16.19. 

2)  in  forma  et  cuneo  consueto,  s.  o.  S.  422  Anm.  3.  Abbildungen  von  Tari 
Karls  auf  Taf.  III  der  Ann.  de  la  Soc.  franc.  de  nuniism.  T.  XV. 

3)  Wenn  einmal  1241  (Winkelmann,  Acta  I.  534  Z.  9)  von  tareni  auri  200 
minus  quarto  die  Rede  ist,  so  ist  damit  nicht  gesagt,  dass  das  Viertel  ausge- 
prägt war;  es  kann  auch  nur  ein  bequemerer  Ausdruck  für  5  Gran  sein. 


426  Winkel  mann. 

gustalis  6  Tari  wiegen  sollte,  und  aus  seinem  Gewichte  als  Gewicht- 
tari  '^°  =0,891  Gr.  folgern,  oder  ob  wir  die  Unze  als  ein  Zwölftel 
des  altrömisch-sicilischen  Pfunds  mit  ihren  27,12  Gr.  zum  Ausgangs- 
punkte nehmen  und  darnach  den  Gewichtstari  als  ihren  dreissigsten 
Theil  auf  0,904  Gr.  bestimmen,  so  oder  so  ist  wohl  kaum  ein  Zweifel 
daran  möglich,  dass  das  fridericianische  Goldstück  von  0,93  Gr.  (Stempel 
XI)  ein  zufällig  gut  gemessener  tarenus  auri  sein  sollte.  Wird  diese  Ent- 
scheidung durch  jene  salernitaner  Stücke  der  normannischen  Zeit  im  Ge- 
wichte von  0,83 — 0,90  Gr.  unterstützt,  so  darf  ich  andrerseits  für  sie 
auch  auf  die  Zustimmung  Blancards  hoffen,  der  in  seiner  schätzens- 
werthen  Abhandlung  S.  224  eine  kleine  Goldmünze  Karl  I.  von 
0,86  Gr.  im  Marseiller  Cabinete  ebenfalls  für  den  eigentlichen  Tari 
hält x).  Karl  aber  hat  sich,  wie  erwähnt,  auch  im  Gewichte  der  Tari 
ganz  der  Praxis  Friedrichs  II.  angeschlossen,  so  dass  die  Deutungen 
jenes  Goldstückes  des  Kaisers  und  dieses  von  Karl  sich  gegenseitig 
stützen.  Mit  anderen  Worten:  der  fridericianische  Goldtari  war  voll- 
wichtig; er  war  im  Gegensatze  zu  den  Augustalen,  die  nur  6  Tari 
wogen,  aber  für  7V2  ausgegeben  wurden,  auf  das  volle  Gewicht  aus- 
gebracht, welches  ihm  nach  seinem  Namen  und  nach  der  Stellung 
des  Tari  im  herrschenden  Gewichtssysteme  zukam;  er  wog  wirklich 
einen  Tari. 

Man  könnte  einwenden,  dass  in  diesem  Falle  ja  der  Kaiser  von 
der  Prägung  der  Tari  nicht  nur  keinen  Vortheil,  sondern  unmittel- 
baren SchadeD  gehabt  haben  müsste,  insofern  die  Unkosten  der  Prä- 
gung ungedeckt  blieben.  In  der  That  ist  das  aber,  wie  sich  in  an- 
derem Zusammenhange  zeigen  wird,  nicht  der  Fall  gewesen  und  es 
wurde  nicht  nur  jener  Aufwand  gedeckt,  sondern  obendrein  ein  nicht 
ganz  unbeträchtlicher  Gewinn  erzielt  und  zwar,  was  vorgreifend  gleich 
hier  bemerkt  sein  mag,  vermöge  des  für  die  Tari  verwendeten  Goldes, 
das  freilich  nicht  Feingold  sein  konnte,  aber  noch  stärker  legirt  war 
als  das  der  Augustalen. 

Während  nach  Obigem  über  den  einfachen  Tari  wohl  kaum  noch 
Streit  entstehen  wird,  ist  rücksichtlich  der  anderen  ganz  in  der  Weise 
der  Tareni  gestalteten,  aber  schwererem  Goldmünzen  Friedrichs  II. 
nicht  so  leicht  eine  Entscheidung  darüber  zu  treffen,  was  sie  darstellen 
sollen.  Blancard  hat,  entsprechend  seiner,  wie  ich  glaube,  begründeten 
Auffassung  von  jenem  kleinen  Goldstücke  Karls,  unter  zwei  anderen 
desselben,  ebenfalls  in  Marseille,  das  eine  mit  1,70  Gr.  als  Doppeltari, 


')  Huillard-Breholles,  Recherches   p.  166   nimmt   für  den  Tari   nur  ein  Ge- 
wicht von  0,706  Gr.  an. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  427 

das  andere  mit  4,10  Gr.,  das  jedoch  stark  abgenützt  ist  und  deshalb 
von  ihm  in  seinem  ursprünglichen  Bestände  auf  4,30  geschätzt  wird, 
als  5  Tari  bezeichnet.  Das  leuchtet  ein.  Aber  bei  den  jedenfalls  ein 
Mehrfaches  des  Tari  darstellenden  Münzen  Friedrichs  ist,  ebenso 
wie  bei  den  der  Normannen,  die  Abstufung  des  Gewichts  eine  so  unregel- 
mässige, dass  man  an  einer  reinlichen  Scheidung  derselben  wohl  ver- 
zweifeln möchte.  Unter  Berücksichtigung  sowohl  der  unzureichenden 
Werkzeuge  und  einer  gewissen  Liederlichkeit  der  Müuzraeister  als  auch 
der  Abnutzung  und  der  Beschneidung  kann  man  vielleicht  das  Stück 
mit  3,74  Gr.  auch  noch  als  5  Tari  gelten  lassen,  aber  kaum  mehr 
das  von  3,28  Gr.:  höchstens  könnten  es  4  Tari  sein.  Wenn  ferner 
das  von  1,66  Gr.  allenfalls  als  Doppel  hingehen  mag,  ist  solche  Wer- 
thung  bei  denen  von  1,52 — 1,43  Gr.  schon  bedenklicher  und  bei  denen 
mit  1,35 — 1,25  wohl  geradezu  unmöglich.  Oder  sollten  etwa  auch 
1  V2  Taristücke  geschlagen  worden  sein  ?  Die  einfachste  Erklärung  aller 
dieser  Unregelmässigkeiten  wird  doch  die  schon  oben  angedeutete  sein,  dass 
man  auf  Genauigkeit  des  Gewichts  bei  den  Mehrfachen  des  Tari  auch  zur 
Zeit  Friedrichs  keinen  sonderlichen  Werth  legte,  weil  sie,  wie  zur  Nor- 
mannenzeit, gewogen  worden  sein  werden :  nicht  darauf  kam  es  bei 
den  eineinen  Stücken  so  sehr  an,  ob  sie  wirklich  2,  3  oder  5  Tari 
waren,  als  vielmehr  darauf,  einen  wievielsten  Theil  sie  nach  ihrem 
Gewichte  von  der  uncia  tarenorum  auri  ausmachten.  Die  einfachen 
Tari  dagegen  mochten  trotzdem  auf  Treu  und  Glauben  von  Hand  zu 
Hand  gehen,  eben  weil  sie  verhältnissmässig  genau  adjustirt  waren. 
War  das  bei  den  Mehrfachen  des  Tari  nicht  der  Fall,  so  wird  darum 
doch  nicht  anzunehmen  sein,  dass  bei  ihnen  eine  absichtliche  Verrin- 
gerung des  Gewichts  stattgefunden  habe,  weil  dies  allem  widersprechen 
würde,  was  sich  aus  unserer  Betrachtung  der  Goldprägung  Friedrichs  über- 
haupt ergibt.  Man  mag  einräumen,  dass  gerade  hier  bei  den  Tari  zu 
einer  solchen  Verringerung,  wenn  einmal  aus  dem  fiscalischen  Münz- 
rechte Kapital  gemacht  werden  sollte,  eine  starke  Verlockung  gegeben 
war,  eine  um  so  stärkere,  je  grösser  wahrscheinlich  die  Masse  gerade 
der  Goldtari  war,  die  entweder  die  Regierung  selbst  schlagen  musste, 
oder  Private,  wie  es  ihnen  gestattet  war,  für  ihre  besonderen  Bedürf- 
nisse schlagen  Hessen.  Aber  eben  das  lässt  sich  nicht  erweisen,  dass 
eine  derartige  Ausnützung  der  Goldprägung  im  Allgemeinen  und 
der  Tari  im  Besonderen  beabsichtigt  war  oder  versucht  wurde.  Dass 
sie  ihre  Kosten  einbringen  musste,  war  selbstverständlich,  und  dass 
sie  auch  noch  auf  einen  gewissen  Gewinn  berechnet  war,  ist  begreif- 
lich;   aber  es  wird  sich   zeigen,    dass    dieser  in  so  zu  sagen  durchaus 


428 


W  i  n  k  e  1  m  a  n  n. 


legaler  Weise  erzielt   wurde,    überdies    wahrscheinlich    der   herkömm- 
liche war. 

Was  endlich  das  unter  Friedrich,  vielleicht  auch  schon  unter  den 
Normannen,  für  die  Tari  verwendete  Gold  betrifft,  so  ist  schon  be- 
merkt worden,  dass  es  schlechter  war  als  das  der  Augustalen.  Denn 
es  war,  wie  wiederum  die  Münzerordnung  berichtet l.  nicht ,  wie  bei 
diesen,  20  l/2karätig,  sondern  es  hatte  nur  16V3  Karat,  das  heisst,  ein 
Pfund  =  12  Unzen  des  zu  den  Tari  verwendeten  Münzgoldes  enthielt 
nur  8  Unzen  5  Tari  Feingold,  dagegen  3  Unzen  25  Tari  zwölflöthigen 
Silbers  oder  solchen  Silbers,  das  wie  bei  den  Augustalen  zu  drei  Vier- 
teln aus  Feinsilber  und  zu  einem  Viertel  aus  Kupfer  gemischt  war. 
Karl  I.  gab  dann  den  von  ihm  geschlagenen  Tari  denselben  Gold- 
gehalt 2). 

Daraus  lässt  sich  denn  auch  der  Gehalt  des  einzelnen  Tari  er- 
mitteln. Unter  der  Voraussetzung,  dass  sein  Durchschnittsgewicht 
(V30  Unze)  für  die  Zeit  Friedrichs  —  und  für  die  Karls  gilt  dasselbe  — 
0,90  Gr.  war,  enthält  er  an  Feingold  Ä  X  16  %  =  0,6125  Gr., 
während  der  Kest  von  0,29  Gr.  sich  zu  3  Vierteln  aus  Feinsilber  = 
0,22  Gr.  und  zu  einem  Viertel  aus  Kupfer  =  0,07  Gr.  zusammensetzt. 
Der  Goldgehalt  des  einzelnen  Tari  aber  gibt  uns  ohne  Weiteres  auch 
den  der  so  überaus  häufig  erwähnten,  nur  gewogenen,  nie  gemünzten 
uncia  tarenorum  auri  als  30X0,6125  =  18,37  Gr.  —  ein  Betrag,  der 
dem  der  uncia  augustalium  mit  18,28  Gr.  Feingold  so  nahe  kommt, 
dass  man  schwerlich  irre  gehen  wird,  wenn  man  annimmt,  dass  zwi- 
schen ihnen  gerade  in  Bezug  auf  den  Gehalt  an  Feingold  völlige 
Gleichheit  beabsichtigt  war.  Anders  konnte  es  ja  auch  nicht  sein,  da 
der  Augustalis  den  Werth  von  1%  Tari,  die  aus  4  Augustaleu  be- 
stehende uncia  augustalium  also  denselben  Werth  wie  30  Tari  oder 
eine  uncia  tarenorum  haben  sollte.  Und  wir  dürfen  wohl  sagen,  jene 
Gleichheit  ward  nicht  blos  beabsichtigt,  sondern  auch  in  Wirklichkeit 
erreicht,  insofern  der  in  der  Berechnung  hervortretende  kleine  Unter- 
schied sich  zur  Genüge  aus  der  Mangelhaftigkeit  der  Berechnung  selbst 
erklärt  und  namentlich  daraus,  dass  für  die  Gewichtsbestimmimg  des 
Tari  zu  wenig  Material  vorlag,  diese  selbst  also  nur  als  annähernd  genau 


')  Acta,  imperii  1,766:  Aurum  tarenorum,  quod  laboratur  tarn  in  sicla 
Brundusii  quam  in  sicla  Messane,  est  caratis  16  et  tercia,  ita  quod  quelibet  libra 
auri  unciarum  12  tenet  de  puro  et  fino  auro  uncias  8  tarenos  5;  relique  vero 
uncie  auri  3  et  tareni  25  sunt  in  quarta  parte  de  ere  et  in  tribus  partibus  de 
argento  novo. 

2)  S.  o.  S.  422  Anm.  3. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  429 

gelten  kann,  wenn  auch  vorläufig  schwerlich  eine  genauere  zu  er- 
zielen sein  möchte. 

Augustalen,  Halbaugustalen  und  Goldtari  von  dem  in  den  obigen 
Ausführungen  festgestellten  Gewichte  und  Gehalte  waren  also  im  Kö- 
nigreiche Sicilien  neben  einander  während  der  letzten  zwanzig  Jahre 
Friedrichs  II.  und  unter  seinen  Nachfolgern  im  Königreiche  Konrad  I, 
(IV,  1251—1254),  Konrad  II.  (Konradin,  1254—1258)  und  Manfred 
(1258 — 1266)  l)  die  gesetzlichen  Zahlungsmittel  in  Gold,  während 
allerdings  sowohl  die  Kegierung  als  auch  der  Privatmann  bei  grösseren 
Beträgen  nach  wie  vor  mit  Vorliebe  nach  der  ungemünzten  Gold- 
unze rechnete,  kleinere  aber  für  gewöhnlich  nicht  in  Augustalen,  son- 
dern in  Goldtari  und  noch  kleinere  in  den  ebenfalls  nicht  gemünzten 
Gran  auszudrücken  pflegte.  Das  war  also  auch  das  System  der  Gold- 
rechnung, das  Karl  von  Anjou  bei  der  Eroberimg  des  Königreichs  im 
Jahre  1266  vorfand  und  das  er  sich,  wie  schon  öfters  zu  bemerken 
Gelegenheit  war,  zusammen  mit  der  ganzen  Verwaltungsordnung  Fried- 
richs vorläufig  so  vollständig  aneignete,  dass  er  nur  die  Augustalen 
in  Regalen  umtaufte. 

11.  Die  Einführung  der  Regal  es  und  halben  Regales  geschah 
durch  die  schon  öfters  angezogene  Verordnung  Karls  vom  5.  November 
1266  2),  in  der,  nachdem  Gewicht,  Gehalt  und  Umlaufswerth  derselben 
im  Einzelnen  festgesetzt  ist  und  zwar  so,  dass  sich  in  diesen  Bezie- 
hungen vollständige  Gleichheit  mit  den  zur  Einziehung  bestimmten 
Augustalen  und  halben  Augustalen  ergibt,  am  Schlüsse  zusammenfas- 
send nochmals  betont  wird,  prout  augustales  et  medii  augustales  olim 
erant  dicte  teuute  et  ponderis  et  expendebantur  hactenus  per  quanti- 
tatem  predictam  3).  Insofern  wäre  also  über  diese  angiovinische  Neue- 
rung nichts  weiter  zu  bemerken. 

Aeusserlich  aber  sind  die  Regalen  von  ihrem  Vorbilde  sehr  ver- 
schieden, weil  dessen  imperialistische  Gestaltung  von  einem  Könige  selbst- 


')  Auf  den  Namen  der  beiden  ersten  scheint,  wenn  wir  uns  an  die  reiche 
Sammlung  des  Museo  nationale  zu  Neapel  (s.  Catalogo  III,  1, 11)  halten,  überhaupt 
kein  Gold  geschlagen  zu  sein.  Von  Manfred  ist  nur  eine  Goldmünze  da,  nach 
ihrer  Beschreibung  zu  urtheilen,  ein  Tari  oder  ein  Mehrfaches  desselben. 

-)  Del  Giudice,  Cod.  I,  197.  Vgl.  über  die  Neuerung  ausser  Blancard  auch 
Sambon  in  Ann.  de  la  Soc.  franc.  de  numism.  XV,  221  ff.  mit  Tab.  III  und  Fa- 
raglia  Storia,  dei  prezzi  p.  26,  der  aber  den  Goldgehalt  mit  dem  Gewichte  der  Rega- 
len verwechselt  zu  haben  scheint.  Es  hatte  übrigens  auch  schon  unter  den  Norman- 
nen Goldmünzen  gegeben,  die  Regales  hiessen,  s.  Huill.  Breh.,  Hist.  dipl.  II,  520. 

3)  Aehnlich  in  der  Verordnung  von  1273,  Arch.  stör.  Ital.  Ser.  3  T.  XXII, 
10:  in  tenuta  et  pondere,  in  quibus  facti  fuerunt  augustales  et  medii  augustales 
tempore  quondam  imperatoris. 


430  Winkelmann. 

verständlich  ebenso  wenig  beibehalten  werden  konnte  wie  der  Name  *•).  Ihre 
Vorderseite  (ich  folge  einem  mir  aus  Gotha  mitgetheilten  Exemplare  von 
5,3  Gr.  Gewicht)  ~)  zeigt  die  rechts  gerichtete  Büste  des  Herrschers  mit 
dem  von  einer  Agraffe  auf  der  Schulter  zusammengehaltenen  Königs- 
mantel und  mit  einer  mittelalterlichen  Krone,  unter  der  eine  Art  Haube 
bis  in  den  Nacken  reicht;  dazu  die  durch  die  Büste  getheilte  von 
einem  Perlenrande  umgebene  Umschrift 

•  +  KAROL  ||  D6I :  6RA  • 

Die  Rückseite  trägt  nicht  den  kaiserlichen  Adler,  sondern  einen 
mit  Lilien  besteckten  Schild,  dessen  drei  Ecken  in  die  in  der  Mitte 
des  oberen  Schildrandes  beginnende  Umschrift  hineinragend  sie  in  drei 
Stücke  zerlegen: 

+  R||EX:SI|j  CILI||  G  • 

Der  sofortigen  Ausprägung  der  Regalen  scheinen  Hindernisse  in 
den  Weg  getreten  zu  sein,  unter  denen  wohl  die  chronische  Geldnoth 
des  Königs,  die  durch  den  folgenden  Angriff  Konradins  noch  erhöht 
wurde,  obenan  stehen  mochte.  Noch  im  Februar  1269  wurde  der  Sold 
für  Aufgebotene  in  Augustalen  angesetzt 3).  Die  wirkliche  Prägung  der 
Regalen  begann  erst  1271  4),  bis  zu  Ende  des  Jahres  war  sie  vollendet. 

Die  Umgestaltung  der  sicilischen  Goldwährung  durch  die  gegen 
1278  erfolgte  Einführung  von  ganzen  und  halben  Goldcarolinen 5)  zu 
erörtern,  das  liegt  ausserhalb  der  Aufgabe,  die  ich  mir  gestellt  hatte 
Nur  das  Eine  mag  noch  bemerkt  werden,  dass  die  Augustalen  keines- 
wegs rasch  durch  die  Regalen  verdrängt  wurden.  Wir  haben  eine 
Verordnung  Karls  von  1278,  in  der  er  die  Ausfuhr  rohen  oder  bear- 
beiteten Edelmetalls  verbietet  und  nur  die  der  Carolenses  aurei  et  ar- 
gentei  et  medaliae  (d.  h.  halbe  Carolinen)  ipsorum  et  Augustales  ge- 
stattet G),  so  dass  von  letzteren  damals  noch  ziemlich  viele  im  Umlauf 
gewesen  sein  müssen.  In  demselben  Jahre  wird  amtlich  eine  Zahlung 
von  300  Goldunzen   in  Augustalen    angewiesen7);    sogar    noch    1283 


')  Anders  bei  den  Tari,  s.  o.  S.  425. 

2)  Blancard  p.  218  nimmt,  wie  oberwähnt,  5,27  Gr.  als  Durchschnitt  an; 
er  stützt  sich  unter  Einrechnung  der  Abnützung  auf  drei  Exemplare :  in  Wien 
von  5,15  —  in  Paris  von  5,20  und  in  Marseille  von  5,22  Gr.  Das  erste  soll  sehr 
schlecht,  das  letzte  gut  erhalten  sein. 

s)  BFW.  14435. 

4)  Verordnung  1271  Mai  7.  Minieri,  11  regno  p.  18. 

s)  Blancard  in  Revue  numism.  Nouv.  Ser.  IX,  221.  Schon  1271  waren  Silbei-- 
carolinen  (Carolenses  argenti)  eingeführt  worden,  von  denen  60  den  Werth  einer 
Goldunze  haben  sollten,  das  Stück  also  gleich  %  Goldtari.  Das.  p.  229. 

e)  Das.  p.  227. 

7)  Syllabus  monum.  1, 170. 


Üeber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  431 

zahlte  die  königliche  Kammer  unterschiedslos  Carolenses  und  Augu- 
stalen  aus  x)  und  1284  schärfte  der  König  neuerdings  ein,  dass  der 
Augustalis  für  7V2  Tari  angenommen  werden  müsse2).  Doch  mag 
es  wohl  sein,  dass,  wie  Blancard  vermuthet,  für  die  Regalen  selbst 
noch  gelegentlich  die  uiissbräuchliche  Bezeichnung  Augustalen  weiter 
gebraucht  wurde,  und  das  dürfte  nicht  auffällig  sein,  da  beide  dem 
Wesen  nach  durchaus  dasselbe  bedeuteten. 

12.  Wenn  ich  nun  den  Versuch  mache,  auf  dessen  Erfolg  ich  bei 
dieser  Untersuchung  eigentlich  das  Hauptgewicht  lege,  nämlich  den 
Werth  der  fridericianischen  Goldmünzen  und  zwar  sowohl  ihren 
Metallwerth  als  ihren  Umlaufswerth  zu  bestimmen,  so  geschieht 
dies  hauptsächlich  zu  dem  Zwecke ,  um  auf  diesem  Wege  endlich 
einmal  einen  festen  Anhalt  zur  Beurtheilung  der  wichtigsten  Ein- 
zelheiten in  Friedrichs  Steuer-  und  Finanzwesen,  der  Besoldungsver- 
hältnisse seiner  Beamten  und  seiner  viel  bewunderten  und  viel  ge- 
schmähten Verwaltung  überhaupt,  endlich  auch  des  Handels  und  Ver- 
kehrs Unteritaliens  für  diese  Zeit  zu  erlangen.  Denn  alle  die  zahl- 
reichen Nachrichten,  die  wir  über  diese  Dinge  besitzen,  schweben 
vollständig  in  der  Luft,  so  lange  ein  fester  Massstab  zur  Vergleichung 
des  damaligen  Münzwerths  fehlt.  Wie  weit  aber  gehen  die  Schätzungen 
jener  Münzen  und  vor  Allem  auch  der  Unze,  auf  der  alles  beruht,  bis 
jetzt  auseinander! 

Huillard-Breholles,  Recherches  sur  les  monuments,  Append.  II, 
giebt  dem  Goldtari  einen  inneren  Werth  von  2,55  Fr.  und  für  seine 
Zeit  einen  solchen  von  3,70  Fr.,  mithin  der  Unze  als  dem  dreissigfachen 
den  Werth  von  76Va  bez.  111  Fr.  —  Cherrier,  Histoire  de  la  lutte  (2  ed.) 
IT,  32  dagegen,  der  das  aus  den  zwei  Augustalen  in  Paris  abgeleitete 
mittlere  Gewicht  derselben  mit  5,26  Gr.  zu  Grunde  legt,  schätzt  die 
Unze  als  das  Vierfache  des  Augustalis,  den  Gramm  zu  3  Fr.  berech- 
nend, nur  auf  63,12  Fr.  und  Andere  kommen  ihm  ziemlich  nahe.  So 
Amari,  La  guerra  II,  402  mit  dem  Ansätze  von  61,50  Fr.  und  Blan- 
card in  seinem  oft  angezogenen  Aufsatze  S.  223  mit  dem  von  62,76  Fr. 
und  es  verlohnt  sich  zu  sehen,  wie  gerade  dieser  Forscher  dazu  ge- 
langt ist,  da  er  allein  von  allen  Genannten  richtig  erkannt  hat,  dass 
vor  Allem  auch  der  Goldgehalt  berücksichtigt  werden  muss. 

Indem  nach  seiner  Berechnung  die  Unze  Regalen  —  und  für  die 
Augustalen  müsste  nach  Obigem  ganz  dasselbe  gelten  —  21,08  Gr. 
wog  (s.  o.  S.  415  Anm.),  setzt  er  die  nach  seiner  nicht  ganz  genauen 
Annahme  darin  enthaltenen 


*)  Faraglia,  Storia  dei  prezzi  p.  27  n.  3. 
2)  Das.  n.    I. 


432  Winkelmann. 

18  Gr.  Feingold .     .     .  =  62,—     Fr. 

2,31  Gr.  Silber =     0,51      , 

0,77  Gr.  Kupfer =     0,004    „ 

Zuschlag  für  den  höheren  Silberwerth  .  .  =  0,25  * 
insgesammt  also  die  Unze  Regalen  [■'..  =  62,76  Fr. 
Indessen  wir  können  Blancards  Ergebniss  nicht  als  überzeugend 
betrachten,  weil  das  von  ihm  angenommene  Durchschnittsgewicht  des 
Regalis  (Augustalis),  die  Grundlage  der  ganzen  Rechnung,  nicht  mit 
dem  von  uns  aus  viel  zahlreicheren  Wägungen  ermittelten  und,  wie 
wir  deshalb  bis  auf  Weiteres  glauben  müssen,  richtigeren  überein- 
stimmt, der  Unterschied  aber  immerhin  ziemlich  beträchtlich  ist.  Dazu 
kommt  noch,  dass  er  auch  der  Augustalenunze  ein  Gewicht  von  30  Tari 
gibt,  was  ein  Irrthum  ist.  Denn  der  Augustalis  sollte  wohl  den  Werth 
von  74  Unze  haben,  aber  nur  das  Gewicht  von  6  Tari  oder  */fi  Unze, 
und  das  ist  auch  von  den  Anderen,  die  sich  in  dieser  Beziehung  ge- 
äussert haben,  übersehen  worden. 

13.  Es  ist  von  Vorneherein  zu  erwarten,  obwohl  es  bisher  nicht 
beachtet  wurde,  dass  der  Werth  derUnze,  die  aber  immer  nur  eine 
Rechnungsmünze  war,  möglicher  Weise  doch  sehr  verschieden  gewesen 
sein  kann,  je  nachdem  man  eine  uncia  auri  (puri,  fini)  oder  eine  uncia 
augustalium  oder  eine  uncia  tarenorum  meinte.  Während  unter  der 
ersten  Reingold  verstanden  wurde,  bezogen  sich  die  beiden  anderen 
auf  eine  Legirung,  und  zwar  war  diese  bei  ihnen  nicht  eine  gleich 
starke.  Dieser  Unterschied  wird  also  überall,  wo  von  der  Unze  als 
Geldwerth  die  Rede  ist,  wohl  zu  berücksichtigen  sein,  wenn  man  nicht 
in  Irrthümer  verfallen  will,  die  unter  Umständen  eine  ziemliche  Trag- 
weite haben  können. 

Den  heutigen  Metallwerth  der  sicilischen  uncia  auri  zu  bestimmen, 
macht  keine  Schwierigkeit,  nachdem  das  Gewicht  einer  Unze  über- 
haupt auf  27,12  Gr.  festgestellt  werden  konnte.  Da  nach  dem  Satze 
von  1392  Mark  für  das  Pfund  (500  Gr.)  Feingold,  zu  welchem  die 
deutsche  Reichsbank  solches  zu  kaufen  verpflichtet  ist,  ein  Gramm 
heute  den  Preis  von  2,78  M.  hat,  ist  der  heutige  Metallwerth  dieser 
Unze  75,19  M. 

Die  Werthe  der  beiden  anderen  Unzen  zu  berechnen,  ist  zwar 
etwas  umständlicher ,  aber  ebenfalls  nicht  schwierig,  weil  die  dazu 
nöthigen  Elemente,  das  Gewicht  und  der  Gehalt  der  Tari  und  der 
Augustalen,  schon  oben  gegeben  werden  konnten.  Es  muss  aber  hier 
gleich  nochmals  darauf  hingewiesen  werden,  dass  der  Gehalt  an  Fein- 
gold bei  der  30  Tari  wiegenden  uncia  tarenorum  sich  dem  Gehalte 
an  Feingold    bei   der    nur    24  Tari    wiegenden   uncia    augustalium   so 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  IL  433 

nahe  kommend  erwiesen  hat,  dass  wir  wohl  Grund  haben,  von  Ueber- 
einstimmung  zwischen  ihnen  zu  reden  1). 

14.  Beginnen  wir  mit  der  Feststellung  des  Metallwerths  des 
Tari,  als  der  älteren  Münze,  und  der  uncia  tarenorum. 

Rechnen  wir  nun  das  Pfund  Feingold  wieder  zu  1392  M.  und 
das  Pfund  Feinsilber  zu  dem  augenblicklichen  (24.  Nov.  1893),  aller- 
dings sehr  unsicheren  Marktpreise  von  48  M.  und  gestatten  wir  uns 
den  Werth  des  bischen  Kupfers  im  Tari  (0,07  Gr.)  ganz  ausser  Be- 
tracht zu  lassen,    so  würde  sich  für  den  Tari  ergeben 

0,6125  Gr.  Gold  im  Werthe  von    1,70  M. 

0,22         ,     Silber  „  .  „       0,02  M. 

und  als  heutiger  Metallwerth  =  1.72  M. 2) 

Die  aus  30  solcher  Stücke  gebildete  uncia  tarenorum  die  30  ■  0,61  =5 

18.37  Gr.  Feingold  enthielt,    hätte  darnach  einen  inneren  Werth  von 

51,60  M.  2)  gehabt.     Aber    das  kann  nicht  die  Geltung  gewesen  sein, 

zu  der  die  Regierung  sie,  und  entsprechend  den  einzelnen  Tari.  in  den 

Verkehr  brachte,  da  sie  sonst  nicht  auf  ihre  Kosten  gekommen  wäre, 

geschweige  denn  aus  der  Prägung  irgend  einen  Gewinn  gezogen  hätte. 

15.  Ein  günstiger  Zufall  verhilft  uns  auch  zu  den  für  die  Be- 
rechnung des  Verkehr swerths  der  Tari  nöthigen  Faktoren. 

Wir  besitzen  eine  äusserst  interessante  Zusammenstelluno-  der 
Vortheile,  die  Friedrich  II.  aus  jeder  Silberprägung  seiuer  letzten  Jahr- 
zehnte gezogen  hat 3).  Eine  solche  in  Betreff  seiner  Goldprägungen 
fehlt  allerdings  meines  Wissens,  aber  es  liegt  in  der  uns  schon  so  oft 
förderlich  gewordenen  Ordnung  für  die  Münzstätten  von  Brindisi  und 


»)  S.  oben  S.  428. 

a)  Huillard  p.  166    schrieb    dem  Tari    ein    Gewicht    von    nur   0,706  Gr.    zu, 
setzte   aber   seinen   inneren  Werth    auf  2,55  Fr.  an  —  viel    zu    hoch,    indem    er 
wahrscheinlich  nicht  berücksichtigte,    dass    das  Gold  eben  nicht  Feingold  ist.  - 
Blancard  p.  223,    der   für    die    uncia   tarenorum    ein  Gewicht    von  25,85  Gr.  an- 
nimmt, berechnet  ihren  Werth  in  folgender  Weise : 

17,60  Gr.  Feingold      ....     60,62  Fr. 
6,20  Gr.  Feinsilber    ....       1,37  Fr. 

2,05  Gr.  Kupfer 0,01  Fr. 

Höherer  Silberwerth      .     .  0,68  Fr. 

Zusammen     .     62,68  Fr. 
Nach  Blancard  ist  also  die  uncia  tarenorum  der  uncia  regalium  gleichwertig, 
die  er  auf  62,76  Fr.  berechnet  hatte.     Der  angiovinisehe  Tari  aber,  und  für  den 
staufischen   gilt  ganz    dasselbe,    würde  nach  ihm  einen  Werth  von  2.0.9  Fr.  dar- 
stellen —  ein  Ergebniss,  mit  dem  sich  das  meine  nahezu  deckt. 

3)  Herausgegeben  von  Blancard  in  Revue  numism.  Nouv.  Ser.  IX,  305  und 
mit  Besserung  einiger  Lesarten  Winkelmann  Acta  1,763. 

Mittheilungen  XV.  28 


434  Winkelmann. 

Messina  wenigstens  die  kurze  Angabe  vor  J),  dass  der  Regierung  selbst 
eine  uncia  tarenorum  auf  28  Tari  2/3  Gran,  eine  uncia  augustalium  auf 
27  Tari  18  Gran  zu  stehen  kam  (valet),  worunter  doch  wohl  eben 
uichts  anderes  als  der  Preis  des  Metalls  selbst  zu  verstehen  sein  wild. 
Der  ihr  aus  der  Münzung  einer  uncia  tarenorum  —  auf  die  Augustalen 
wird  später  zurückzukommen  sein  —  erwachsende  Vortheil  betrug 
darnach  1  Tari  19  V3  Gran  oder,  du  die  Unze  600  Gran  hatte,  circa 
6-/3  Procent,  oder,  wenn  wir  dafür  den  zunächst  allein  bekannten 
Metallwerth  des  Taro  einsetzen:  3.38  Mark.  Es  ist  nun  sehr  auffällig, 
dass  nach  derselben  Münzerordnung  der  Fiscus  sich  bei  Ausprägungen 
sowohl  von  Augustalen  als  von  Tari  für  Rechnung  der  Privaten  (s.  0.  S.  421) 
den  ihm  entgehenden  Gewinn  augeblich  nur  mit  15  V2  Gran  vergüten 
Hess,  also  bei  den  Tari  mit  weniger  als  der  Hälfte  dessen,  was  er  aus 
eigener  Münzung  gezogen  haben  würde.  Ich  vermuthe  deshalb,  dass 
an  der  betreffenden  Stelle:  „tarenuni  unum  grana  15 Va"  zu  lesen  ist. 
Das  würde  nach  dem  Metallwerthe  3  M.,  nach  dem  Verkehrswerthe 
3,20  M.  ausmachen,  so  dass  der  mittelbare  Verlust  des  Fiscus  in 
diesem  Falle  unbedeutend  gewesen  sein  würde. 

Was  die  Unkosten  betrifft,  so  weiss  man  wieder  aus  der  Münzerord- 
nung, dass  sich  der  Fiscus,  wenn  er  für  Rechnung  der  Privaten  münzte, 
dieselben  mit  4V2  Gran  auf  die  Unze  ersetzen  Hess  (s.  0.  S.  421).  Man 
kann  annehmen,  dass  er  bei  Prägung  für  sich  selbst  schwerlich  mehr 
aufgewendet  haben  wird.  Jene  4V2  Gran  des  für  die  Tari  verwendeten 
Golds  hatten  einen  Werth  von  38,7  oder  sagen  wir  der  Einfachheit 
halber  39  Pfennigen. 

Nun  lässt  sich  auch  angeben,  welches  der  mindeste  Preis  war,  zu 
dem  die  uncia  tarenorum  von  der  Regierung  für  den  Verkehr  be- 
rechnet worden  sein  wird.     Denn  es  betrug 

ihr  Metallwerth     .         .         .         51,60  M. 

der  Gewinn  an  ihr        .         .  3,38  M. 

die  Unkosten         .         .         .  0,39  M. 

mithin  ihr  Verkehrswerth      .         55,37  M. 
und    der    des    einzelnen    Tari    als   des   dreissigsten  Theils   dieser  Unze 
darnach  -^- =  1,84  V2  M.,    endlich    der   des   nicht   gemünzten  Gran, 
nach  dem  aber  häufig  genug  gerechnet  wurde,    wieder   als   des  zwau- 
zigsten  Theils  des  Tari,  ungefähr  9  Pfennige. 

16.  In  ähnlicher  Weise  werden  sich  auch  die  W'erthe  der  Au- 
gustalen, nämlich  ihr  Metallwerth  und  der  ihnen  amtlich  beigelegte 
Werth,  ermitteln  lassen. 


')  Winkehnann  1,767  Z.  3f). 


Lieber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  435 

Lassen  wir  nun  wieder  als  Preis  für  das  Pfund  Feingold  1392  M., 
für  das  Pfund  Feinsilber  48  M.  gelten,  während  die  sehr  kleine  im 
Augustalis  enthaltene  Menge  Kupfers  auch  hier  wieder  füglich  ver- 
nachlässigt werden  kann,  so  wird  sich  sein  Metallwerth  aus  folgenden 
Posten  zusammensetzen  : 

4,57     Gr.  Feingold       .     =  12,72  M. 

0,585    „     Feinsilber    .     =    0,50    „ 

0,195    „      Kupfer         .     =    0,00    „ 

5,350  Gr.  zusammen  =  13,22  M.  i) 
Da  ein  Augustalis  6  Tari  wog,  hätte  ein  Tari  vom  Golde  des- 
selben den  Werth  von  2,20  M.,  ein  Gran  den  von  10  Pf.  gehabt. 
Solche  wurden  jedoch  nicht  ausgemÜDzt  und  können  deshalb  hier 
ausser  Betracht  bleiben.  Das  aber  stellt  sich  schon  hier  mit  Bestimmt- 
heit heraus,  dass  das  Publicum  dadurch,  dass  der  Augustalis  uur  6  Tari 
wog,  während  er  7  V2  Goldtari  (s.  u.)  gelten  sollte,  jedenfalls  nicht  ge- 
schädigt wurde.  Denn  der  Werth  seines  Goldes  kam  dem  der  7 1/2  Gold- 
tari durchaus  gleich,  die  auch  0,61  X  7  V2  =4,57  Feingold  enthielten. 
Der  Augustalis  wurde  allerdings  nicht  zu  jenem  Werthe  ausge- 
geben, konnte  es  auch  nicht,  sondern,  wie  es  bei  Kycc.  de  S.  Germ, 
vielleicht  im  Anschlüsse  an  den  Wortlaut  der  kaiserlichen  Einführungs- 
verordnung von  1232  heisst,  pro  quarta  uncie.  Daraus  ist  zwar 
nicht  ersichtlich,  welche  Art  von  Unze  gemeint  war,  ob  ein  Viertel 
der  Unze  Feingold  =  18,80  M.,  was  ganz  ungeheuerlich  gewesen  wäre, 
oder  einer  vollwichtigen  Unze  von  dem  für  die  Augustalen  verwendeten 
Münzgolde  —  in  welchem  Falle  der  Augustalis  für  16,52  M.  ausge- 
geben sein  würde  —  oder  endlich  einer  Unze  der  Tari.  Letztere  kann 
aber  in  der  That  allein  gemeint  sein,  denn  erstens  gab  es  ja  keine 
andere  Goldmünze,  die  mit  den  Augustalen  in  Gleichung  hätte  gestellt 
werden  können,  und  zweitens  sagt  Karl  I.  in  seiner  Verordnung  von 
1266  unter  ausdrücklichem  Hinweise  auf  das  unter  seinen  staufischen 
Vorgängern  Uebliche :  quilibet  (regalis)  pro  tarenis  septem  et  medio  ex- 
pendatur.  Nun  konnte  der  Augustalis  aber  natürlich  nicht  zu  dem  Werthe 
umlaufen,  den  das  Gold  der  l1/2  Tari  hatte,  sondern  zu  dem,  den  sie 
im  Verkehre  hatten  oder  zu  dem  sie  von  der  Regierung  ausgegeben 
wurden,  und  es  ergibt  sich  mithin,  da  der  Verkehrswerth  des  ein- 
zelnen Tari  1,84 1/2  M-  betrug,  dass  dem  Augustalis  amtlich  ein  Um- 
laufswerth  von  13,84  M.  (bei  13,22  M.  Metallwerth)  beigelegt  war. 
Die  uncia  augustalium,  die  durch  4  solcher  Goldstücke  gebildet  wurde, 


')  Es  ist  also  viel  zu  hoch  gegritt'en,  wenn  Huillard,  Recherches  p.  16*6  den 
inneren  Werth  des  Augustalis  auf  19  Fr.  schätzt. 

28* 


436  Winkelmanil. 

sollte  demnach  55,36  M.  gelten  *),  während  ihr  innerer  Werth  sieh  nur 
auf  4  X  13,22  =  52,88  M.  belief. 

17.  Zwei  Umstände  fordern  bei  diesem  Ergebnisse  zu  besonderer 
Betrachtung  auf.  Der  eine  ist  die  vollständige  Uebereinstimmung  des 
der  uncia  augustalium  und  der  uncia  tarenorum.  gegebenen  Verkehrs- 
werths  (55,36  M.)  welche  der  schon  vorher  betonten  Gleichheit  ihres 
Gehaltes  an  Feingold  (18,28  und  18,37  Gr.)  trotz  ihrer  verschiedenen  Le- 
o-iruno-  entspricht ;  der  andere  ist  der  nicht  unbeträchtliche  Unterschied 
zwischen  Metallwerth  und  Verkehrswerth  bei  beiden. 

Was  jene  Uebereinstimmung  des  Goldwerths  betrifft,  so  konnte 
sie  natürlich  dem  Verkehre  nur  förderlich  sein.  Aber  bei  der  Ver- 
schiedenheit in  der  Güte  des  für  beide  Münzsorten  verwendeten  Golds 
hat  sie  nur  auf  künstliche,  um  nicht  zu  sagen,  auf  gewaltsame  Weise 
erreicht  werden  können,  nämlich  eben  dadurch,  dass  die  uncia  augustalium 
um  ein  Fünftel  leichter  angesetzt  wurde  als  die  uncia  tarenorum.  Sie 
woo-  eben  nicht  30  wie  diese,  sondern  nur  24  Tari  und  es  war  nur 
eine  von  dem  amtlich  dem  Augustalis  zuerkannten  Werthe  hergeholte 
Fiktion,  wenn  sie  trotzdem  als  uncia  bezeichnet  wurde.  Im  anderen 
Falle,  wenn  man  der  Augustalenunze  das  Gewicht  von  30  Tari  gleich 
der  o-ewöhnlichen  Unze  gegeben  hätte  oder,  was  dasselbe  bedeutet, 
wenn  nicht  vier,  sondern  füuf  Augustalen  auf  sie  gerechnet  worden 
wären,  wäre  die  Ungeheuerlichkeit  herausgekommen,  dass  ihr  Metall- 
werth grösser  gewesen  wäre,  als  ihr  Verkaufswerth,  der  seinerseits  da- 
durch festgelegt  war,  dass  der  Augustalis  eben  ein  Viertel  der  Tari-Unze 
gelten  sollte.  Eine  Unze  von  30  Tari  des  Augustalengolds  (5  X  13,22) 
hätte  den  Werth  von  66,10  M.  gehabt,  während  eine  Unze  von  vier 
gemünzten  Augustalen  im  Verkehre  nur  55,36  M.  galt. 

Die  zweite  Wahrnehmung  ist  vielleicht  noch  auffälliger.  Während 
der  Unterschied  zwischen  Metallwerth  und  Verkehrswerth  sich  bei  der 
uncia  tarenorum  auf  3,77  M.  belief,  betrug  er  bei  der  uncia  augusta- 
lium nur  2,48  M.  Die  kaiserliche  Regierung  begnügte  sich  bei  ihr  mit 
einem  viel  kleineren  Gewinne.  Das  ist  bei  der  auf  anderen  Verwal- 
tungsgebieten deutlich  genug  hervortretenden  Fiscalität  derselben  so 
überraschend,  dass  vielleicht  nicht  Jeder  von  der  nächstliegenden  Er- 
klärung befriedigt  sein  wird,  nämlich  dass  ohne  solche  Einschränkung 
eben  die  höchst  wünschenswerthe  Gleichheit  im  Verkehrs  werthe  der 
beiden  Unzenarten  nicht  hätte  erzielt  werden  können. 


•)  Von  Allen,  die  sich  mit  der  Schätzung  des  Augustalis  befasst  haben,  hat 
Huillard  a.  a.  0.  sich  also  am  Weitesten  vergriffen,  indem  der  Umlaufswerth  der 
Augustalenunze  nach  ihm  (s.  o.  S.  431)  sich  auf  111   Fr.  gestellt  hätte. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  437 

18.  Mit  nicht  geringer  Freude  ist  es  deshalb  zu  begrüssen,  dass 
sich  hier  die  Möglichkeit  einer  Prüfung  der  bisherigen  Ergeb- 
nisse auf  ihre  Richtigkeit  bietet.  Noch  erwünschter  wird  es  freilich 
sein,  wenn  die  Probe  schliesslich  stimmen  sollte. 

Diese  Gegenrechnung  wird  durch  die  beiden  Angaben  der  Münzer- 
ordnung ermöglicht,  dass  der  Regierung  das  Metall  jeder  Unze  der 
Augustalen  auf  27  Tari  18  Gran  zu  stehen  kam  J),  also  ihr  2  Tari 
2  Gran  abwarf  —  das  wäre  etwas  mehr  als  bei  den  Goldtari,  näm- 
lich 7  Pro  cent  — ,  und  dass  sie  sich  bei  Privatprägungen  4V2  Gran 
für  ihre  Unkosten  auf  die  Unze  ersetzen  Hess.  Aber  die  auf  diese 
Angaben  sich  stützende  Rechnung  scheint  zunächst  keineswegs  zu  einer 
Bestätigung  unsers  früheren  Ergebnisses  zu  führen.  Es  betrügen  näm- 
lich darnach  im  Tarigelde: 

das  Metall  zur  Unze  Augustalen      .     52,88  M. 
41/2  Gran  Unkosten  .         .         .       0,39     „ 

2  Tari  2  Gran  Gewinn    .         .  3,88    „ 

so  dass  "        57,15  M. 
und  nicht  55,36  M.  der  geringste  Werth  gewesen  wäre,    zu    dem   die 
Regierung  die  uncia  augustalium  in  den  Verkehr  hätte  bringen  können. 

Dieser  Widerspruch  lehrt,  dass  irgendwo  ein  Fehler  in  unseren 
Voraussetzungen  steckt ;  es  fragt  sich  nur,  an  welcher  Stelle :  ob  in 
dem  vorher  aus  dem  Metallgehalte  berechneten  Umlaufswerthe  der 
Augustalen  oder  in  jenen  Angaben  der  Münzerordnung  in  betreff  von 
Gewinn  und  Unkosten  bei  ihrer  Ausprägung,  auf  welchen  diese  zweite 
Berechnung  beruht.  Da  nun  ersteres  durch  die  völlige  Uebereinstim- 
mung  des  Goldgehalts  und  Umlaufwerths  der  uncia  augustalium  mit 
dem  der  uncia  tarenorum  ausgeschlossen  zu  sein  scheint,  die  schwerlich 
eine  zufällige  sein  wird,  sondern  vielmehr  sachlich  geboten  war,  kann 
ich  mir  deshalb  jene  Abweichung  der  beiden  Rechnungsergebnisse  nur 
durch  die  Annahme  erklären,  dass  sich  in  die  Zahlenangaben  der 
Münzerordnung  selbst  irgend  ein  Fehler  eingeschlichen  hat,  sei  es 
durch  Schuld  des  Abschreibers,  sei  es  schon  durch  ein  Versehen  des- 
jenigen, von  dem  sie  herrühren.  Die  Differenz  würde  z.  B.  gänzlich 
schwinden,  wenn  wir  annehmen  dürften,  dass  in  der  Angabe  der 
Summe,  auf  welche  der  Regierung  die  uncia  augustalium  zu  stehen 
kam,  statt  27  (XXVII)  28  (XXVIII)  Tari  18  Gran  zu  lesen  wäre. 
Dann  würde  dem  entprechend  ihr  Gewinn  nicht  2  Tari  2  Gran, 
sondern  nur  1  Tari  2  Gran  betragen  und  wir  gelangen  zu  folgender 
Aufstellung : 

')  S.  0.  S.  434. 


438                                        Win 

k( 

slmann. 

Metall 

52,88  M. 

Unkosten    . 

0,39    „ 

Gewinn 

2,03    „ 

und  die  Gesamnitsumme  von    . 

55,30  M.   i 

den  55,36  M.  zusammen,  die  sich  uns  auf  anderem  Wege  als  der  von 
Amtswegen  der  uncia  augustalium  beigelegte  Kurswerth  ergeben  hat. 
Ja  noch  mehr:  nun  deckt  sich  auch  die  durch  die  erste  Methode  er- 
mittelte Differenz  von  2,48  M.  zwischen  dem  Metallwerth  und  dem 
Kurswerth  der  Unze  Augustalen  mit  den  2,42  M.,  die  nach  der  Kor- 
rektur der  Münzerordnung  als  Summe  von  Gewinn  und  Unkosten  bei 
einer  solchen  Unze  in  Ansatz  zu  bringen  sind.  Es  scheint  mir  des- 
halb keinem  Zweifel  zu  unterliegen,  dass  die  Lesart  der  Münzerordnung 
in  der  That  einer  Besserung  in  jenem  Sinne  bedarf  *),  mit  deren  Voll- 
zug dann  alles  in  die  beste  Ordnung  kommt. 

19.  Wie  sehr  die  kaiserliche  Kegierung  bestrebt  war,  die  Ver- 
breitung der  Augustalen  und  ihre  bereitwillige  Aufnahme  bei  den 
Unterthanen  zu  befördern,  sie  diesen  gewissermassen  zu  empfehlen, 
lässt  sich  schon  aus  der  Thatsache  erkennen,  dass  sie  für  sich  bei 
dieser  Münzsorte  einen  kleineren  Gewinn  beanspruchte  als  bei  den  Tari 
und  dass  sie  der  uncia  augustalium,  wie  wir  sahen,  nur  denselben  ge- 
setzlichen Werth  im  Verkehre  beilegte  wie  der  alten  uncia  tarenorum, 
obwohl  ihr  Metallwerth  um  1,28  M.  höher  war  als  der  der  letzteren. 
Und  nicht  oft  genug  kann  betont  werden,  dass  wenn  der  einzelne 
Augustalis  im  Gewichte  nur  6  Goldtari  gleichkam,  aber  für  71/2  ge- 
nommen werden  musste,  die  Unterthanen  auch  dadurch  nicht  zu  Scha- 
den kamen,  indem  sein  Mindergewicht  durch  die  bessere  Beschaffenheit 
seines  Goldes  vollständig  ausgeglichen  wurde.  Denn  mit  bemerkens- 
werther  Geschicklichkeit  hat  man  es,  wie  gesagt,  einzurichten  gewusst,  dass 
der  Augustalis  genau  so  viel  Feingold  enthielt  als  die  7  %  Tari,  denen 
er  gleich  gewerthet  war  (0,61  X  7  V«  =  4,57)  und  ebenso  die  uncia 
augustalium  von  24  Tari  Gewicht  genau  so  viel  als  die  uncia  tareno- 
rum, die  doch  30  Tari    wog  2).     Aber  die  Macht  mehrhundertjähriger 


')  Dass  noch  an  einer  anderen  Stelle,  rücksichtlich  dessen,  was  sich  die 
Regierung  bei  Privatprägungen  für  den  ihr  entgehenden  Gewinn  zahlen  Hess,  an 
der  Münzerordnung  eine  Korrektur  wahrscheinlich  nothwendig  ist,  ist  S.  434 
bemerkt  worden.  Aber  selbst  dann,  wenn  für  die  Unze  Augustalen  nicht  15J/2  Gran, 
sondern  1  Tai-i  ]5'|2  Gran  zu  zahlen  waren,  wie  wir  das  für  die  Unze  Tari  ver- 
mutheten,  in  unserm  Gelde  =  3,20  M.,  hätte  die  Regierung  allerdings  mehr  er- 
halten, als  ihr  aus  eigener  Prägung  erwachsen  wäre. 

2)  Nach  unserer  Berechnung  enthielt  der  Augustalis  für  12,72  M.  Feingold, 
und  die  7l\2  Goldtari  für  12,75,    also  gleich  viel.  Wegen  der  Unzen  s.  0.  S.  435. 


Ueber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  IL  439 

Eingewöhnung  in  ein  Münzsystem  ist  eine  gewaltige  und  eben  des- 
halb wird  Kaiser  Friedrich  IL,  als  er  neben  die  altgewohnte  Münze 
eine  neue  zu  seiner  besonderen  Verherrlichung  bestimmte  setzen  wollte, 
trotz  jenen  Ausgleichungen  im  Jahre  1232  die  strengen  Strafan- 
drohungen für  nöthig  erachtet  haben,  um  ihre  Annahme  bei  seinen 
Unterthanen  zu  erzwingen. 

Der  Versuch,  die  Augustalen  im  Königreiche  sozusagen  heimisch 
zu  machen,  hätte  gelingen  können,  wenn  gleichzeitig  die  Goldtari  aus 
dem  Verkehre  gezogen  worden  wären,  musste  aber  nothwendig  schei- 
tern, wenn  jene  mit  diesen  in  Konkurrenz  gebracht  wurden.  Zwei 
gesetzliche  Zahlungsmittel  neben  einander,  deren  Einheiten  im  Werth- 
verhältnisse  von  1 : 7  %  standen,  das  war  an  sich  ein  Unding !  Dazu 
kam  dann  noch  die  verwirrende  Ueberlülle  der  Münzsorten.  Man  ver- 
setze sich  nur  in  eine  Lage,  in  der,  ganz  abgesehen  von  den  gewiss 
noch  in  grossen  Massen  vorhandenen  Theilstücken  des  Tari  aus  der 
normannischen  Zeit,  der  Tari  selbst  zu  1,84  M.  und  seine  Mehrfachen 
zu  etwa  3,68.7,36  und  vielleicht  auch  zu  9,20  M.  neben  den  halben 
Augustalen  zu  6,92  M,  und  den  ganzen  zu  13,84  herliefen.  In  diesem 
Wettbewerb  aber  zog  die  neue  Münze  den  Kürzern.  Trotzdem  dass  sie 
manches  für  sich  hatte,  namentlich  auch,  dass  sie  nicht  erst  gewogen 
zu  werden  brauchte,  und  obwohl  die  staatliche  Autorität  ihr  mit  voller 
Wucht  zu  Hilfe  kam,  hat  sie  sich  doch  nie  recht  einzubürgern  ver- 
mocht und  sie  ist  schon  ein  Vierteljahrhundert  nach  dem  Tode  Fried- 
richs, nachdem  auch  noch  Karl  von  Anjou  mit  ihr  einen  Versuch  ge- 
macht hatte,  wieder  aus  dem  Verkehre  verschwunden,  ohne  eine  an- 
dere Spur  zu  hinterlassen  als  die  Exemplare,  die  sich  aus  der  Ein- 
ziehung durch  diesen  König  gerettet  haben.  Innerhalb  ihrer  Gültig- 
keitsdauer aber  kann  sie  kaum  eine  andere  Wirkung  gehabt  haben, 
als  dass  auch  die  Goldwährung  des  Königreichs  in  Verwirrung  1)  ge- 


')  Neben  den  drei  Arten  von  Unzen,  nach  denen  für  gewöhnlich  bei  Gold 
gerechnet  wurde,  der  uncia  auri,  der  uncia  tarenorum  und  der  uncia  augustalium, 
kommen  noch  andere  Bezeichnungen  für  die  Goldunze  vor,  von  denen  es  mir 
zweifelhaft  ist,  inwiefern  sie  sich  mit  jenen  decken.  Ich  entnehme  die  Beleg- 
stellen dem  ersten  Bande  meiner  Acta  imperii.  Die  uncia  auri  ad  pondus  ge- 
nerale, die  1241  (p.  669,7)  oder  ponderis  generalis,  die  noch  unter  Karl  1274 
(p.  595,2)  bei  Besoldungen  von  Beamten  in  Anwendung  kam,  dürfte  die  gewöhn- 
liche im  Gewichte  von  27,12  Gr.  gewesen  sein.  Aber  es  werden  auch  leichtere 
und  schwerere  Unzen  Gold  gegenübergestellt,  wie  z.  B.  wenn  1241  oder  1242 
gegen  einen  Beamten  Untersuchung  verfügt  wird  ,  ob  er  inaiori  pondere  aurum 
reeepit  ef  minori  postea  curie  solvit  (p.  670, 25).  Es  scheint  fast ,  als  ob  die 
leichtere  in  Anwendung  kam,  wenn  die  Regierung  Zahlungen  zu  machen,  die 
schwerere  aber,  wenn  sie  solche  zu  empfangen  hatte.     Wenn    eine  Pacht  an   sie 


440 


W  i  n  k  e  1  rn  a  n  n 


stürzt  wurde,  die  allerdings  etwas  anderer  Art  war  als  die,  der  die 
sicilische  Silberinünze  durch  ihre  heillose  Verschlechterung  unter  Kaiser 
Friedrich  II.  überliefert  wurde. 

Zum  Schlüsse  mögen  hier  um  der  bequemeren  Uebersieht  willen 
die  hauptsächlichsten  Rechnungsergebnisse  der  Untersuchung  tabella- 
risch zusammengefasst  werden.  Von  allgemeinerer  Bedeutung  aber  und 
im  Besonderen  für  die  Beurtheilung  der  Verwaltung  Friedrichs  II.  ist 
die  Erkenntniss  nicht  ohne  Werth,  dass  er  bei  der  Einführung  der 
Augustalen  keine  flscalischen  Nebenzwecke  verfolgt  und  dass  er  selbst 
in  den  Zeiten  grösster  Bedrängniss  die  Goldwährung  ceines  König- 
reiches unangetastet  gelassen  hat. 

I.  Die  Gold  münzen: 

Tarenus 
Mittleres  Gewicht  bei  der  Prägung     .         .     0,90  Gr. 
davon  Feingold  ......     0,61     „ 

Metallwerth  überhaupt         ....     1,72  M. 

Verkehrswerth     ......     1,84    „ 


Augustalis 
5,35  Gr. 
4,57    „ 

13,22  M. 

13,84   „ 


II.  Die  Rechnungsmünze: 
Ilncia  auri  (puri)  tarenornm  augustalium 

Gewicht    .     30  Tari=  27,12Gr.  30Tari=  27,12 Gr.  24 Tari  =  2 1 ,69 Gr. 
davon  Feingold  „  18,37  Gr.  18,28  Gr. 

Metallwerth  75,19  M.  51,60    M.  52,88   M. 

Verkehrswerth  ,,  55,37    „  55,36    „ 


(p.  669,43)  ad  maius  pondus  zu  entrichten  ist,  dürfte  dies  mit  der  uncia  auri  ad 
pondus  curie  gleich  bedeutend  sein,  nach  der  1242  (p.  676,12)  der  mit  Beschlag 
belegte  Kirchenschatz  von  Girgenti  abgeschätzt  wurde.  Endlich,  wenn  1218  (p.  123) 
eine  Schenkung  gemacht  wird  in  uncie  auri  bonorum  tarenorum  Sicilie  ad  pon- 
dus Baroli,  kann  daraus  doch  nur  geschlossen  werden,  dass  es  ausser  den  voll- 
wichtigen Tari  auch  noch  schlechtere  gab  und  dass  die  ersteren  damals  in  Bar- 
letta  geprägt  wurden.  —  Uebrigens  wenn  es  uns  befremdet,  dass  die  uncia  au- 
gustalium  um  ein  Fünftel  leichter  war  als  die  uncia  tarenorum  und  statt  30  nur 
24  Tari  wog,  so  ist  daran  zu  erinnern,  dass  nach  der  Münzerordnung  (p.  766,43), 
die  Unze  Silber  ihrerseits  um  ein  Zehntel  schwerer  war,  als  die  Unze  Gold,  also 
33  Tari  wog. 


Verzeichniss  der  Münzabbildungen: 

1.  Augustalis, 

Stempel 

IL 

7.  Halber  Augustalis, 

Stempel     II. 

2. 

s 

IV. 

8.  Tarenus  auri, 

XI. 

3. 
4. 

» 

VI. 

9.  l'|2  Tari? 
10.  Doppeltari  ? 

X. 

VII 

5.             s 

» 

XIV. 

11. 

VI. 

6.  Halber 

Augustalis, 

» 

I. 

12.  Viertari? 

II- 

K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436. 


Von 

Jaroslaw  Goll. 


I.  Die  Kandidatur  Wladislaws    1420—1421. 

Die  Wechselbeziehungen  Polens  und  Böhmens  zur  Hussitenzeit, 
während  der  Kegierung  Wladislaws  und  Witolds,  sind  kein  neues 
Thema.  In  grösserem  Zusammenhang  haben  es  behandelt  Palaeky, 
Caro  und  Tomek.  Tomeks  Geschichte  von  Prag  (Dejepis  Mesta 
Prahy),  das  Hauptwerk  der  böhmischen  historischen  Literatur  nach 
Palaeky,  ist  eigentlich  eine  Geschichte  von  Böhmen,  die,  indem  sie 
die  Hussitenzeit  erreicht,  an  Breite  und  Tiefe  zunimmt.  Hier  ist  oft 
eine  an  Einzelnheiten  reichere  Erzählung  als  bei  Palaeky  zu  finden 
und  nicht  selten  auch  eine  schärfere  Kritik.  Tomek  verfügte  über  eine 
grössere  Menge  von  Quellen;  zum  Theil  sind  es  die  von  Palaeky  selbst 
gesammelten  Urkundlichen  Beiträge  (2  Bände,  1872  und  1873).  Der 
vierte  Band  der  Geschichte  Prags  (1420 — 1434),  wohl  der  bedeutendste 
des  jetzt  bis  zu  Ende  des  Mittelalters  reichenden  Werkes,  ist  im  Jahre 
1879  erschienen.  Auch  C.  Grünhagens  Hussitenkämpfe  der  Schlesier 
1420—1435  (Breslau  1872)  sind  hier  zu  nennen. 

Von  den  polnischen  Autoren  hat  A.  Prochaska  seine  Thätig- 
keit  fast  ausschliesslich  diesem  Gegenstande  gewidmet.  Seiner  ersten 
Arbeit,  welche  die  Beziehungen  Böhmens  und  Polens  bis  zum  Jahre 
1423  (Abhandlungen  der  Krakauer  Akademie  VII,  VIII,  1877  u.  1878) 
behandelt,  folgten  kleinere  Aufsätze  (theil weise  gesammelt  in  den 
Szkice  Historyczne  1884)  und  auch  eine  Monographie  über  Witolds 
letzte  Jahre  (Warschau  1882).  Denselben  Gegenstand,  die  ersten  Jahre 
der  Hussitenkriege  (1420—1423),  hat  mit  A.  Prochaska  fast  gleich- 
zeitig StanislawSmolkain  dem  Warschauer  Ateneum  1878  in  An- 
griff genommen;  eine  zweite  Ausgabe  seiner  Abhandlung  hat  später 
der  Verfasser  in  den  zweiten  Band  seiner  „Szkice"  (Warschau  1883) 
aufgenommen. 


442  Jaro  slaw  Goll. 

Dazu  kommen  die  Quellenausgaben  der  letzten  Jahre,  vor  allem 
der  von  A.  Prochaska  als  VI.  Band  der  von  der  Krakauer  Akademie 
herausgegebenen  Monum.  Medii  Aevi  Hist.  publicirte  Codex  Epi st o- 
laris  Witoldi  (1882).  In  derselben  Sammlung  finden  wir  auch  einen 
Codex  epistolaris  seculi  XV.  (3  Bde.  1876,  1891  und  1894);  von 
dem  Herausgeber  des  zweiten  und  dritten  Bandes  A.  Lewicki  besitzen 
wir  ausserdem  ein  wichtiges  Hilfsbuch,  einen  IndexActorum  sec.  XV. 
(Mon.  XI,  1888)  und  eine  Monographie  über  die  letzten  Jahre  Witolds 
und  Wladislaws  unter  den  Titel:  Der  Aufstand  Swidrygellos  (Powstanic 
Swidrygielly  Abh.  der  Akad.  XXX,  1892),  wohl  eines  der  besten  Werke 
der  neuesten  polnischen  historischen  Literatur. 

Wie  diese  Uebersicht  zeigt,  sind  die  erzählenden  Arbeiten  der 
Quellen publikation  theilweise  vorangegangen,  ein  Umstand,  der  eine 
neue  Behandlung  des  Gegenstandes  rechtfertigen  und  vielleicht  ver- 
langen könnte.  Aber  nicht  dies  allein.  Wie  so  oft  in  der  historischeu 
Literatur,  so  sind  auch  hier  mehr  Fragen  aufgeworfen  worden,  als  es 
dann  möglich  war  befriedigend  zu  beantworten ;  wir  möchten  nicht 
nur  viel,  sondern  alles  wissen,  mehr  als  vielleicht  die  Menge  und  Be- 
schaffenheit der  Quellen ,  die  wir  besitzen,  gestattet.  Dabei  ergaben 
sich  mannigfache  Differenzen  der  polnischen  Autoren  untereinander 
(z.  B.  zwischen  Prochaska  und  Smolka)  oder  auch  Caro  gegenüber, 
die  weniger  die  Thatsachen  als  ihre  Erklärung  und  Auffassung  betrafen. 
Was  waren  die  Motive  der  handelnden  Personen,  der  Fürsten  und 
ihrer  Kathgeber,  was  die  Ziele  ihrer  Politik,  welche  Parteien  standen 
einander  gegenüber?  Und  weiter:  welchen  Antheil  hatten  an  all  dem 
die  Strömungen  der  Zeit,  welchen  die  hussitischen  Ideen  und  ihre  Pro- 
paganda ausserhalb  der  böhmischen  Länder,  namentlich  in  Polen? 
Man  sprach  von  Panslavismus,  von  kirchlichen  Unionsgedanken  .  .  . 
Warum  haben  die  hussitischen  Böhmen  Wladislaw  und  Witold  die 
Krone  angeboten,  und  haben  diese  —  wie  soll  man  nur  sagen  —  mit 
dieser  Frage  gespielt  oder  es  ernst  genommen  ?  Lauter  Fragen ,  die 
berechtigt  sind  und  beantwortet  werden  wollen  .  .  .  Indes  die  folgen- 
den Untersuchungen  verfolgen  keine  so  hohen  Ziele. 

Die  Feststellung  der  Thatsachen  in  ihrer  Abfolge  ist  gewiss 
nicht  das  letzte  und  höchste  Ziel  historischer  Arbeit,  aber  feststehende 
Thatsachen  bilden  doch  die  Grundlage  für  alles  übrige,  was  dann 
noch  folgen  mag  ...  Ist  diese  Grundlage  hier  überall  fest  genug  ge- 
wesen und  sollte  das  neue  Quellenmaterial  nicht  vor  allem  zu  dieser  be- 
scheidenen, aber  doch  nothwendigen  Aufgabe  verwendet  werden?  Ihr 
sollen  diese  Untersuchungen  vor  allem  gelten,  ohne  gerade  jenen  höhern 
Fragen  überall  ängstlich  auszuweichen. 


K.  Sigmund  und  Polen  1420— 1436".  443 

Es  hat  einmal  einen  Wissenden  gegeben,  wenigstens  wusste  er 
viel  zu  erzählen.  Dieser  Wissende  ist  Johannes  Dl ugosz  gewesen. 
Ist  aber  sein  Wissen  auch  verlässlich?  Wird  das  reichere  urkundliche 
Material,  das  in  den  letzten  Jahren  hinzugekommen  ist,  seine  Erzäh- 
lung bestätigen,  ergänzen  oder  —  wenigstens  theilweise  —  aufheben? 
Was  auch  die  literaturgeschichtliche  Bedeutung  des  Dlugosz  sein  mag 
(sie  ist  nicht  gering),  für  uns  bildet  seine  Polnische  Geschichte,  da 
wo  sie  seine  eigene  Zeit  erreicht  und  schon  etwas  früher,  eine  Quelle, 
aus  der  vor  allem  Thatsachen  geschöpft  werden  sollen.  Für  viele  ist 
sie  die  Hauptquelle  gewesen,  auch  für  diejenigen,  welche  dann  die 
Thatsachen  in  ihrer  eigenen  Erzählung  in  einem  andern  Lichte  er- 
scheinen Hessen. 

Unter  den  Neueren  besitzt  Dlugosz  einen  Feind.  Es  ist  Caro.  Ist 
diese  Feindschaft  gerechtfertigt  oder  gebührt  jenem  eine  Geuugthuung  ? 
Es  ist  Zeit,  die  Frage  nach  der  Glaubwürdigkeit  des  Dlugosz  wieder 
aufzunehmen.  Die  Resultate  der  bisherigen  Untersuchungen  über  ältere 
Theile  des  Werkes,  die  vor  seiner  Zeit  liegen,  sind  nicht  allzu  günstig  *). 
Dlugosz  hielt  vieles  für  erlaubt,  was  den  bekannten  Vorschriften  des 
Cicero  nicht  selten  widerstreitet.  Unparteiisch  ist  ja  die  Geschichts- 
schreibung jenen  Vorschriften  zum  Trotz  so  oft  nicht  gewesen !  Aber 
auch  hier  muss  die  erste  Frage  lauten :  sind  die  Thatsachen ,  die  wir 
von  ihm  erfahren,  glaubwürdig,  auch  da,  wo  wir  keine  Mittel  zur 
Kontrolle  besitzen  ?  Das  allgemeine  Urtheil,  ob  wir  einem  Schriftsteller 
Glauben  schenken  oder  versagen  sollen,  kann  sich  nur  als  Resultat 
einer  Induktion  einstellen.  Zu  ihr  mag  das  Folgende  Beiträge  bringen. 

Wie  die  Böhmen  an  Stelle  Sigmunds  dem  König  von  Polen  die 
Krone  angeboten  haben  und  was  da  alles  geschah,  das  erzählt  Dlugosz 
sehr  umständlich;  durch  nahezu  anderthalb  Jahre  verfolgt  er  jene 
Unterhandlungen,  bis  sie  erfolglos  verlaufen.  Hier  haben  wir  eine 
Reihe  von  Thatsachen:  wie  viel  können  wir  davon  behalten,  wie  viel 
sollen  wir  verwerfen? 

Magister  Johannes  Hus  war  ein  loyaler  d.  h.  seinem  König  und 
der  Dynastie  ergebener  Bürger,  ein  guter  Böhme  und  dabei  ein  Freund 
der  Polen.  Er  hat  es  schmerzlich  empfunden,  als  K.  Sigmund,  in  dem 
er  seinen  künftigen  Herrn,  den  Erben  der  Krone  nach  K.  Wenzel, 
erblickte,    mit  K.  Wladislaw    in  Feindschaft  gerieth.     Im  Jahre  1410 


')  Das  neueste  Werk  (M.  Bobrzyiiski  und  St.  Sraolka:  Jan  Dlugosz.  Krakau 
1893)  kann  ich  nur  nachträglich  berücksichtigen.  Hier  findet  sich  ein  für  den 
»polnischen  Livius«  geradezu  vernichtendes  Urtheil  (S.  167):  wir  hätten  keine 
Sicherheit,  ob  er  auch  da,  wo  er  als  Zeitgenosse  sehr  gut  informirt  war,  nicht 
absichtlich  Falsches  berichte;  allerdings  nur  selten  und  ausnahmsweise. 


444  Jaroslaw   Goll. 

hat  Sigmund  Poleu  zu  Guusten  des  Deutschen  Ordens  den  Krieg  er- 
klärt, ohne  diesen  dadurch  vor  der  „grossen"  l)  Niederlage  von  Tan- 
nenberg zu  bewahren,  aber  doch  nicht  ganz  ohne  Erfolg.  Die  Kriegs- 
erklärung hat  dazu  beigetragen,  dass  sich  die  Sieger,  Wladislaw  und 
Witold,  zum  Abschlüsse  eines  Waffenstillstandes  (Dez.  1410)  und  bald 
darauf  des  Friedens  von  Thorn  (Febr.  1411)  bewegen  Hessen.  Die 
Versöhnung  mit  Sigmund  liess  aber  bis  1412  auf  sich  warten.  Hus 
hat  sie  mit  Freuden  begrüsst  und  diesem  Gefühl  in  einem  an  den 
König  von  Polen  gerichteten  Schreiben  Ausdruck  gegeben.  Bis  un- 
längst haben  wir  nur  dies  eine  Schreiben  gekannt2);  im  Jahre  1891 
ist  ein  zweites  bekannt  geworden3).  Schon  zu  Ende  des  Jahres  1410 
oder  zu  Anfang  des  folgenden  hatte  Mag.  Hus  jene  Versöhnung  her- 
beigewünscht und  dabei  dem  König  Wladislaw  zu  dem  Siege  zwar 
gratulirt,  aber  ihn  auch  für  den  Abschluss  des  Waffenstillstandes  be- 
lobt .  .  .  Hus  gab  sich  der  Hoffnung  hin,  von  beiden  Herrschern  in 
seinen  reformatorischen  Bestrebungen  gefördert  zu  werden. 

Wie  so  oft,  vordem  und  später,  hat  sich  die  Opposition  gegen 
die  Kirche  an  den  Staat  und  seine  Kegenten  angelehnt,  auch  wenn 
sie,  wie  Sigmund,  dem  Bilde  eines  christlichen  Herrschers  nicht  voll- 
ständig entsprachen.  Neben  dem  Glauben  an  die  eigene  Sache  war 
es  doch  auch  das  Vertrauen  zu  dem  König,  das  wenige  Jahre  später 
Johannes  Hus  nach  Konstanz  führen  sollte,  um  dort  alsbald  dem  bit- 
tersten Gefühl  der  Enttäuschung  zu  weichen.  Den  „  polnischen  Herren  * 
dagegen,  deu  Gesandten  K.  Wladislaws,  —  die  polnischen  Prälaten 
haben  wie  die  anderen  Hus  als  Ketzer  verurtheilt  —  hat  dieser  noch 
vor  seinem  Lebensende  Worte  des  Dankes  gewidmet  dafür,  dass  sie 
sich  seiner  im  Verein  mit  den  böhmischen  Herren  angenommen  hatten. 
Dass  sie  es  im  Auftrage  ihres  Königs  gethan,  ist  in  unsern  Ouellen 
nicht  bezeugt. 

Im  Hussitismus  sind  zwei  Elemente  zu  unterscheiden,  das  religiöse 
und  das  national-politische.  In  der  älteren  Literatur  wird  das  erste 
oft  einseitig  berücksichtigt,  in  der  neueren  dagegen  das  zweite  nicht 
selten  noch  einseitiger  hervorgehoben.  Zum  Wesen  des  Hussitismus 
gehört  jedenfalls  das  Religiöse;  national  gesinnt  waren  auch  die  Ka- 
tholiken.    Die  Erstarkung   des   nationalen  Selbstbewusstseins  ist  älter 


1)  Die  Quellen  sprechen  überall  von  der  „grossen  Schlacht1,  die  neueren 
[Schriftsteller  von  dem  »grossen  Kriege«. 

2)  Palacky  Documenta  Mag.  J.  Hus  pag.  3.0. 

3)  W.  Nedoma  hat  dieses  Schreiben  aus  einer  Handschrift,  die,  schon  Do- 
browsky  bekannt,  später  unbenutzt  blieb,  in  den  SB.  der  k.  böhm.  Gesell- 
schaft der  Wiss.  1891  veröffentlicht.   Vgl.  auch  Cod.  Ep.  sec.  XV.,  III. 


K.  Sigmund  und  Polen  H20— 1436.  445 

als  der  Hussitismus ;  es  steigert  sich  das  14.  Jahrhundert  hindurch 
Der  Böhme  fühlte  sich  als  Böhme  dem  Deutschen  gegenüber  und  da- 
bei auch  als  Slave.  Neuere  Geschichtschreiber  (mit  Vorliebe  auch 
Palacky)  sprechen  oft  von  dem  Panslavismus  der  Hussitenzeit ;  eigent- 
lich bestand  derselbe  —  und  anders  konnte  es  auch  nicht  sein  —  in 
Sympathien  zu  den  Poleu,  dem  einzigen  slavischen  Volke,  mit  den 
das  böhmische  seit  jeher  im  Wechselverkehr  stand.  Auch  an  die  Eib- 
slaven und  das  Schicksal,  das  ihnen  die  Deutschen  bereitet,  haben  sich 
die  Verfasser  hussitischer  Manifeste  erinnert,  ohne  zu  wissen,  wie  oft 
in  den  gegen  sie  geführten  Kriegen  die  Böhmen  mitgeholfen  hatten  *) 
Die  Freundschaft  der  Böhmen  und  Polen  ist  —  ich  wiederhole 
es  nach  anderen  —  von  der  Prager  Universität  ausgegangen,  um  sich 
alsbald  in  weiteren  Kreisen  zu  verbreiten.  Der  Deutsche  Orden  hat 
in  seinen  Kriegszügen  gegen  die  heidnischen  Lithauer  neben  Gästen, 
die  „um  Gottes  willen"  kamen  (K.  Johann  von  Böhmen  hat  sich  drei- 
mal an  ihre  Spitze  gestellt),  auch  gezahlte  Söldner  verwendet.  Und 
so  blieb  es  noch,  als  im  15.  Jahrhunderte  die  Kriege  gegen  das  mit 
dem  nicht  mehr  heidnischen  Lithauen  verbundene  Polen  begannen.  Im 
Jahre  1410  haben  Böhmen  auf  beiden  Seiten  gekämpft,  obgleich  K. 
Wenzel  sich  damals  für  den  Orden  erklärt  hatte.  Bei  denjenigen,  die 
nach  Polen  zogen,  haben  gewiss  ihre  nationalen  Sympathien  mitge- 
wirkt; ältere  Traditionen,  die  bis  auf  die  Zeiten  Pfemysl  Ottokars2) 
zurückreichten,  und  die  besseren  Finanzen  des  Ordens  hätten  sie  viel 
eher  diesem  zuführen  sollen.  Aber  so  mächtig  war  der  neue  Zug, 
dass  der  König  einschreiten  musste,  da  sein  Hof  zu  veröden  drohte  3). 
Als  dann  im  Jahre  1414  Wenzel  seine  Gunst  den  Orden  entzog  und 
ein  Verbot  für  alle  seine  Länder  erliess,  ihm  zu  Hilfe  zu  ziehen,  übri- 


')  Dabei  werden  die  alten  Preussen  zu  den  Slaven  gerechnet. 

2)  Ueber  seinen  zweiten  Kreuzzug  s.  meinen  Aufsatz  in  Casopis  Matice 
Moravske  XV  (1891),  in  dem  gezeigt  wird,  dass  die  Meinung,  der  König  habe 
damals  Olmütz  zu  einem  Erzbisthum  für  die  böhmischen  oder  sogar  für  die 
böhmischen  und  österreichischen  Länder  erheben  wollen,  auf  unrichtiger  Inter- 
pretation der  Quellen  beruhe.  Ottokar  hat  sich  damals  mit  anderen  Plänen  ge- 
tragen. Das  ursprüngliche  Ziel  seines  zweiten  Kreuzzuges  (1267 — 1268)  war  Li- 
thauen. Dort  sollte  »der  Thron  Mindowes  wiedererrichtet  werden*  und  Olmütz 
seine  ßisthümer  erhalten.     Die  Kurie  ist  auf  diese  Pläne  nicht  eingegangen. 

3)  C.  David  bringt  in  seiner  Preuss.  Chronik  VIII,  202  die  Inhaltsan- 
gabe eines  gleichzeitigen  Schreibens  (Juni  1410)  von  Prag:  »Dazu  ...  in  einem 
andern  Tage  und  Briefe  schreibt  derselbe  Commendator  (von  Thorn),  dass  aus 
Böhmen  so  viele  Hofleute  in  Polen  verriten  wären,  dass  auch  des  Römischen 
Königs  Hof  merklicher  dadurch  abgenommen  und  verringert  worden,  welches 
den  der  König  .  .  .  endlich  verbieten  lassen ,  sonst  wäre  noch  mehr  Volk  in 
Polen  verreiset.* 


446  Jaroslaw  Goll. 

gens  ohne  überall  Gehorsam  zu  finden,  kamen  Gäste  und  Söldner  noch 
zahlreicher  als  im  Jahre  1410  nach  Polen.  Von  dem  mährischen  Lan- 
deshauptmann Lacek  von  Krawaf  hat  der  Hochmeister  damals  einen 
besonderen  Absagebrief  erhalten. 

Zwischen  polnischen  und  ungarischen  Magnaten  bestanden  bereits 
seit  längerer  Zeit  Freundschaftsbeziehungen,  die  auch  auf  das  Ver- 
hältniss  der  beiden  Nachbar  reiche,  Polens  und  Ungarns,  zu  einander 
einwirkten ;  neben  ihren  Königen  unterhielten  die  polnischen  und  un- 
garischen Herren  ziemlich  selbstständige  diplomatische  Beziehungen. 
An  den  Kriegszügen  gegen  die  Türken  pflegten  auch  unter  Sigmund 
Polen  theilzunehmen ;  von  nun  an  sollten  sich  auf  den  preussischen 
Schlachtfeldern  Polen  und  Böhmen  begegnen.  Herr  Zawisch  von 
Garbo w,  der  als  Typus  vieler  seiner  Standesgenossen  gelten  darf l),  ist 
später  (1423)  von  Sigmund  in  einem  Schreiben  an  K.  Wladislaw  tref- 
fend als  „niiles  utriusque  nostrum "  bezeichnet  worden.  Er  ist  im 
Jahre  1408  mit  jenem  nach  Bosnien,  im  Jahre  1410  mit  diesem  nach 
Preussen  gezogen;  im  Jahre  1414  sollte  er  nach  Böhmen  und  Mähren 
kommen,  um  daselbst  Söldner  zu  werben  .  .  .  Später  hat  er  K.  Sig- 
mund auf  einem  seiner  unglücklichen  Züge  nach  Böhmen  begleitet  und 
ist  bei  Deutschbrod  in  hussitische  Gefangenschaft  gerathen.  .  .  Es  ist 
derselbe  Zawisch  von  Garbo w  der  an  der  Spitze  der  polnischen  Herren 
stand,  die  im  Jahre  1415  ihre  Stimme  zu  Gunsten  des  Mag.  Johannes 
Hus  erhoben.  Auch  ohne  besondern  Befehl  des  Königs  ist  diese  Inter- 
vention begreiflich,  indem  sie  den  freundschaftlichen  Beziehungen  ent- 
sprach, die  die  Theilnahme  an  dem  preussischen  Krieg  im  Jahre  1410 
und  1414  zwischen  dem  Adel  beider  Nationen  herbeigeführt  hatte. 
War  doch  Hus  zu  seinen  Lebzeiten  ein  Liebling  des  böhmischen  Adels. 
Uebrigens  galt  jene  Intervention  nicht  seiner  Lehre,  sondern  seiner 
Person ;  die  qualvolle  Haft  des  kranken  Magisters  sollte  durch  end- 
liche Gewährung  eines  Verhörs  abgekürzt  werden. 

Mag.  Johannes  Hus  hat  an  Wladislaw  von  Polen  zwei  Schreiben 
gerichtet ;  in  dem  älteren  spricht  er  den  Wunsch  aus,  den  König  per- 
sönlich kennen  zu  lernen.  Dieser  Wunsch  ist  nicht  in  Erfüllung  ge- 
gangen. Aber  sein  Freund  Hieronymus  von  Prag  durfte  im  J.  1412 
nach  Krakau  und  zu  Hofe  kommen  .  .  .  Anderes  wissen  wir  nicht: 
Wladislaw  mag  von  Hus  gewusst,  er  mag  von  ihm,  namentlich  vor 
seiner  Verurtheilung,  eine  günstige  Meinung  gehabt  haben ;  aber  mehr 
darf   aus    den    angeführten  Thatsachen    nicht   gefolgert  werden.     Hus 


')    A.    Prochaska    Szkice    Historyczne   (Krakau    und    Warschau    1884) 
151—203. 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  447 

selbst  hat  im  Jahre  1412  seine  gegen  den  päpstlichen  Ablass  gerich- 
tete Schrift  auch  nach  Polen  geschickt,  also  daselbst  Freunde  besessen 
und  gesucht.  Geheime  Anhänger  und  Gönner  hatte  er  nach  K.  Sig- 
munds Aussage  bei  seinem  Tode  ausserhalb  Böhmens,  wie  in  andern 
Ländern,  so  namentlich  auch  in  Polen.  Aber  noch  heute  gilt,  was 
J.  Caro  in  seiner  Geschichte  Polens  (III,  511)  sagt;  wir  haben  keine 
genügenden  Mittel  den  Umfang  der  Verbreitung  zu  bemessen,  die  das 
Hussitenthum  in  Polen  gewonnen  hat.  Für  die  Jahre  von  1415  bis 
1420  hören  wir  viel  mehr  von  der  Gefahr,  die  droht,  als  von  dem 
wirklich  bereits  erfolgten  Einbruch  der  hussitischen  Ketzerei.  Wenn 
demnach  diejenigen,  die  im  Jahre  1420  Wladislaw  von  Polen  die  böh- 
mische Krone  anboten,  mit  seiner  Hinneigung  zur  hussitischen  Lehre 
und  der  Verbreitung  des  Hussitismus  gerechnet  haben  sollten,  so  haben 
sie  (darin  ist  Caro  *)  beizupflichten)  schlecht  gerechnet.  Von  wem  ist 
aber  die  polnische  Kandidatur  zuerst  aufgestellt  worden  und  ist  die 
Thatsache  überhaupt  gut  bezeugt,  dass  wir  ihr  so  frühzeitig,  bereits 
im  April  1420,  begegnen  ? 

In  Böhmen  ist  die  Verbrennung  des  Hus  noch  mehr  als  dem 
Koncil  K.  Sigmund  zur  Last  gelegt  worden  und  dies  hat  ihn  beinahe 
die  Krone  gekostet.  Bis  an  sein  Lebensende  musste  er  um  sein  Erb- 
recht kämpfen.  Unter  den  Hussiten  hat  sich  gegen  ihn  ein  Hass  fest- 
gesetzt, der  bei  allen  ihren  Parteien  zu  finden  war,  obgleich  nicht  bei 
allen  in  gleichem  Masse ;  am  stärksten  ist  er  wohl  bei  Johannes  Zizka 
gewesen.  Dagegen  hat  der  utraquistische  Hochadel  so  lange  als  mög- 
lich an  Sigmund  festgehalten.  An  seiner  Spitze  stand  nach  dem  Tode 
K.  Wenzels  (August  1419)  Czenko  von  Wartenberg,  der  Oberst- 
burggraf. Er  hat  dann  einigemal  die  Partei  gewechselt,  dem  Zwange 
der  Verhältnisse  folgend.  Zuerst  ist  er  im  April  1420  von  Sigmund 
abgefallen.  Und  bald  darauf  wäre  Wladislaw  die  böhmische  Krone 
angeboten  worden. 

Von  der  Senduug  des  Werner  vonRankow,  einer  sonst,  wie 
es  scheint,  uns  gänzlich  unbekannten  Person,  berichtet  eine  einzige 
Quelle,  die  Polnische  Geschichte  des  Johanne  s  Dlugosz.  An  sich 
ist  die  Thatsache  nicht  unmöglich ;  ihre  Annahme  oder  Verwerfung 
acheint  aber  von  der  Glaubwürdigkeit  des  Berichterstatters  abzuhängen. 
Und  da  gebieten  die  Ergebnisse  der  bisher  an  seinem  Werke  geübten 
Kritik  ein  gewisses  Mass  des  Misstrauens,  so  dass  wir  uns  nur  ungern 
seiner  Führung  allein  überlassen  möchten.  Palacky  ist  ihm  ohne  Be- 
denken   gefolgt,    dagegen    ist    bei  Tomek   von    der  Sendung  Werners 

*)  III,  517. 


448  Jaroslaw  Goll. 

nichts  zu  finden;  Caro  l)  äussert  sich  skeptisch  .  .  .  Die  Frage  ist 
nicht  ohne  Interesse;  es  gilt  nicht  dem  Gesandten,  sondern  dem  Ab- 
sender. In  ihm  wäre  der  Urheber  der  polnischen  Kandidatur  zu  finden. 
Dlugosz  erzählt2):  In  opidum  Kowalye  Wladislao,  Poloniae  rege, 
ex  Brzeszcze  divertente,  Czenkonis  de  Warthemberg  et  Ulrici  de  Ro- 
zenberg  caeterorumque  Bohemiae  baronum  nuntius  Wernerus  de  Ran- 
kow  advenit,  qui  literis  credentialibus  exhibitis,  exponit  et  quaeritur 
.  Es  folgt  die  Inhaltsaugabe  seiner  Rede:  K.  Sigmund  habe  in 
Breslau  die  böhmischen  Barone  beleidigt,  als  er  ihrer  Bitte,  die  Re- 
gierung von  Böhmen  zu  übernehmen  (de  suscipiendo  Regno  Bohe- 
mico)  Bedingungen  entgegensetzte  —  fractionem  videlicet  muri  in  ci- 
vitate  Pragensi  et  omnium  armorum  traditionem.  .  .  .  Dies  haben  wir 
aber  nicht  lange  vorher  ausführlicher  gehört.  Dlugosz  lässt  nämlich 
nach  Breslau  ausser  Czenko  von  Wartenberg  auch  Ulrich  von  Rosen- 
berg und  andere  Herren,  so  wie  die  Prager  Konsuln  kommen.  Auf 
ihre  Bitte,  die  von  ihnen  (die  Barone  werden  dabei  nicht  ausgenommen) 
fussfällig  vorgetragen  wird,  lautet  die  Antwort  des  Königs,  er  wolle 
seinen  Einzug  in  die  Hauptstadt  des  Landes  durch  die  Bresche,  die 
man  in  der  Stadtmauer  legen  solle  (velut  triumphator  —  bemerkt  da- 
bei Dlugosz),  halten,  ausserdem  hätten  die  Prager  alle  Waffen  abzu- 
liefern ...  So  weit  Dlugosz.  Wenn  wir  dagegen  unseren  verläss- 
lichen Gewährsmann,  Lorenz  von  Brzezowa3)  befragen,  so  er- 
fahren wir,  dass  dies  allerdings  geschehen  ist,  aber  vorher  und  später 
und  dabei  doch  nicht  genau  so,  wie  Dlugosz  berichtet.  Die  Barone 
hatten  es  nicht  nöthig,  Sigmund  erst  als  König  anzuerkennen  oder 
sich  seine  Gnade  zu  erbitten;  anders  die  rebellischen  Prager.  Ihre 
Gesandten  haben  den  König  zu  Ende  des  Jahres  1419  in  Brunn,  be- 
vor er  nach  Breslau  kam,  knieend  um  Gnade  gebeten  und  auch  Ver- 
zeihung erlangt;  doch  sollten  sie  vor  allem  die  Ketten,  welche  die 
Strassen  der  Stadt    sperrten,    niederlegen  .  .  .    Und    dieses  Gebot   des 


l)  III,  517.  Die  ganze  Stelle  lautet:  „Wenn  es  in  der  That  wahr  sein  sollte, 
was  der  polnische  Berichterstatter  mittheilt,  dass  schon  gegen  Ende  des  Monats 
April  1420  unter  der  Hand  beim  König  Wladyslaw  Jagiello  angefragt  worden 
sei,  ob  er  die  Krone  von  Böhmen  anzunehmen  geneigt  wäre,  so  müssen  entweder 
die  Böhmen  sich  einer  unrichtigen  Beurtheilung  des  Königs  und  der  polnischen 
Verhältnisse  überlassen  haben,  oder  die  Sache  mag  vielmehr  von  einer  Seite  aus- 
gegangen sein,  die  nicht  sowohl  die  Förderung,  als  eher  die  Unterdrückung  des 
Hussitenthums  gewünscht  hat.«  —  Palacky^  u.  a.  halten  Czenko  von  Warten- 
berg für  denjenigen,  von  dem  die  Sache  ausgegangen  ist. 

2l  Opera  omnia  IV,  261. 

s)  MeineAusgabe  inFontes  rerum  bohemi  caruinV  (1893)S.353  u.  3G9. 


K.  Sigmund  und  Polen  1420  —  1436.  449 

Königs  ist  dann  auch  erfüllt  worden.  Später,  als  sich  das  Unwetter 
von  allen  Seiten  zusammenzog  und  Czenko  von  Wartenberg  von  Sig- 
mund abgefallen,  aber  auch  wieder  zu  ihm  zurückgekehrt  war,  im 
Mai  1420  in  Kuttenberg,  lagen  abermals  die  Prager  vor  dem  König 
auf  den  Knieen  um  Verzeihung  für  alles  bittend,  was,  seitdem  sie  ihn 
in  Brunn  begrüsst,  geschehen  war ;  er  möge  nach  Prag  (sie  selbst 
bieten  es  an)  „  non  solum  valvis  apertis,  sed  et  muribus  ruptis "  kommen. 
Und  erst  jetzt  bekommen  sie  die  Bedingung  zu  hören ,  sie  sollen  die 
Ketten,  aber  auch  alle  Waffen  abliefern  .  .  . 

Ich  weiss  nicht,  warum  Dlugosz  dies  alles  nach  Breslau  verlegt 
und  ob  er  dieses  Gemenge  von  Wahrem  und  Falschem  irgendwo  vor- 
gefunden hat  oder  ob  es  von  ihm  selbst  herrührt;  jedenfalls  ist  sein 
Bericht  unhaltbar  und  damit  fällt  auch  Werners  Kede  in  Kowali.  Dlu- 
gosz hat  an  dieser  Stelle  sich  selbst  ausgeschrieben.  Die  Freiheit  der 
antiken  Historiker  selbstverfasste  Rede  einzuflechten ,  die  als  Beispiel 
so  viel  Unheil  in  der  historischen  Literatur  angerichtet,  nimmt  er  auch 
für  sich  in  Anspruch.  Hier  haben  wir  ein  Beispiel.  Werners  Kede 
ist  demnach  zu  streichen.     Aber  mit  ihr  noch  nicht  alles  übrige. 

Dlugosz  ist  1415  geboren.  Die  eigene  Erinnerung  konnte  ihm 
hier  noch  nichts  bieten,  wohl  aber  die  Erinnerung  anderer.  Indes  hat 
er  hier  wahrscheinlich  auch  eine  schriftliche  Quelle  vor  sich  gehabt, 
Werners  Credenzbrief.  Er  selbst  macht  uns  darauf  aufmerksam: 
nach  Vorweisung  seines  Credenzbriefes  (literis  credentialibus  exhibitis) 
habe  der  Gesandte  den  König  so  und  so  angeredet.  Dieser  Quelle 
konnte  er  auch  die  Absender  entnehmen,  Czenko  von  Wartenberg, 
Ulrich  von  Rosenberg  und  „andere  Herren",  die  aber  nicht  genannt 
werden.  Dies  sind  auch  die  Aussteller  jenes  Manifestes  vom  20.  April 
1420  ),  des  Absagebriefes  an  Sigmund,  nur  dass  in  diesem  noch  die 
Prager  hinzutreten.  In  dem  Credenzbriefe  sind  sie  wohl  nicht  erwähnt 
worden,  denn  Dlugosz  lässt  Werner  nur  im  Namen  der  Barone  sprechen. 
Hat  aber  ihr  Gesandte  den  König  in  Kowali  gefunden,  so  ist  es  zwi- 
schen dem  18.  und  25.  Mai  (das  ergiebt  sich  aus  Wladislaws  Itinerar) 
gewesen  und  dies  stimmt  ganz  gut  mit  dem  Gange  der  Ereignisse  in 
Böhmen  überein.  Am  15.  April  ist  Herr  Czenko  von  Breslau  nach 
Prag  gekommen,  am  17.  hat  er  sich  den  Pragern  angeschlossen,  am 
7.  Mai  den  Bund  wieder  gelöst  und  die  Prager  Burg  der  königlichen 
Partei  übergeben.  Anfang  Mai"  mag  Werner  seine  Reise  nach  Polen 
augetreten  haben. 


l)  Archiv  Cesky  111,210.  Auch  hier  werden  nur  Czenko  und  Ulrich  nament- 
lich aufgeführt  und  ihnen  , andere  Herren''  (jini  päni)  hinzugefügt. 

llittheilungen  XV.  .)[) 


450  Jaroslaw  Goll. 

Warum  sich  Czenko  von  Wartenberg  nach  seinem  Abfalle  von 
Sigmund  nach  einem  anderen  Könige  umgesehen,  ist  unschwer  zu  er- 
rathen.  Mit  dem  legitimen  König  sollte  nicht  das  Königtum  fallen- 
Und  wer  sonst  wäre  geeigneter  gewesen  Sigmund  zn  verdrängen  und 
zu  ersetzen  als  Wladislaw  von  Polen?  Abgesehen  von  den  nationalen 
Sympathien,  die  Freundchaft  zwischen  ihm  und  Sigmund  hatte  soeben 
in  Breslau  ihr  Ende  gefunden.  Herr  Czenko  war  in  Breslau  gewesen, 
er  kannte  die  Lage  der  Dinge,  wie  sie  sich  soeben  gestaltet  hatte,  er 
wusste,  dass  fortan  mit  der  Feindschaft  der  beiden  Könige  gegen  ein- 
ander zu  rechnen  wäre. 

Wie  einst  (1410)  K.  Wenzel,  so  hat  sich  im  Jahre  1420  Sigmund 
auf  den  Boden  der  früheren  Verträge  gestellt  und  Samogitien  dem 
Deutschen  Orden  zuerkannt. 

Die  Zeitgenossen  Karls  IV.  Olgerd  und  Keistut  haben  in  brüder- 
licher Eintracht  Lithauen  gegen  den  Orden  vertheidigt  und  dem  Fort- 
schritt seiner  Herrschaft  ein  Ziel  gesetzt.  Dann  nach  Olgerds  Tode  kam 
der  innere  Zwiespalt,  in  den  der  Orden  hineingezogen  wurde  und  ein 
vertragsmässiges  Anrecht  auf  Samogitien,  die  Brücke  zwischen  Preussen 
und  Livland,  gewann.  Jagello  und  Witold  haben  es  beide  dem  Orden 
angeboten  für  die  Hilfe,  die  er  dem  einen  gegen  den  anderen  leisten 
sollte,  und  auch,  nachdem  ihr  Zwiespalt  aufgehört  hatte,  haben  beide 
durch  den  Vertrag  von  1404  das  Recht  des  Ordens  anerkannt. 
Der  Orden  hat  dann  Samogitien  bis  1410  wirklich  besessen  .  .  .  Aber 
Lithauen  wollte  Samogitien  trotz  der  Verträge  wiedergewinnen,  der 
Orden  dagegen  auf  Grund  derselben  behaupten.  Der  Krieg  im 
Jahre  1410  ist  ein  Krieg  um  Samogitien  .  .  .  Inzwischen  hatte 
für  Lithauen  und  Polen  eine  neue  Zeit  begonnen ;  durch  ihre  Union 
war  ein  polnisch-lithauisches  Keich  entstanden.  Es  stand  unter  zwei 
Herrschern,  dem  König  und  dem  Grossfürsten;  jener  war  der  Ober- 
herr, dieser  die  bedeutendere,  mächtigere  Persönlichkeit.  In  der  aus- 
wärtigen Politik  überwogen  die  lithauischen  Motive.  Jetzt  ging  auch 
der  lange  Friedensstand  zwischen  Polen  und  dem  Orden,  der  auf  dem 
Frieden  von  Kaiisch  (1343)  begründet  war,  zu  Ende  .  .  .  Der  Friedens- 
vertrag von  Thorn  (1411)  hatte  Samogitien  nur  für  die  Lebenszeit 
Wladislaws  und  Witolds  dem  Orden  abgesprochen;  nach  ihrem  Tode 
sollte  es  diesem  ausgeliefert  werden.  Der  kurze  Krieg  vom  J.  1414 
schloss  mit  einem  Waffenstillstand;  den  Frieden  sollte  im  Jahre  1420 
der  Schiedsspruch  Sigmunds  bringen.  Indem  er  ihn  fällte,  griff  er  auf 
den  Friedensvertrag  von  Thorn  zurück.  Und  wie  sollte  er  anders? 
Sigmund  war  Römischer  König,  der  künftige  Kaiser.  Die  Traditionen 
seiner  Stellung*  geboten  ihm  den  Orden  zu  schützen.    Und  das  hatten 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  451 

auch  die  deutschen  Fürsten  von  ihm  verlangt l) ;  um  diesen  Preis  haben 
sie  ihm  in  Breslau  Hilfe  gegen  seine  böhmischen  Bebellen  zugesagt 
und  dann  geleistet.  Und  auch  auf  die  päpstliche  Kurie  musste  Rück- 
sicht genommen  werden ;  ihre  wechselnde  Gunst  hatte  sich  diesmal 
dem  Orden  zugewendet. 

Den  Polen  hat  Sigmunds  Schiedsspruch  eine  grosse  Enttäuschung 
bereitet.  Wladislaw  und  Witold,  besonders  der  Grossfürst,  sind  für 
die  nächsten  Jahre  seine  Feinde  geworden. 

Man  hat  mitunter  den  Breslauer  Schiedsspruch  als  einen  Fehler 
Sigmunds  bezeichnet.  Mit  Recht  oder  Unrecht  —  was  möchte  dieser 
Vorwurf  anderes  bedeuten,  als  dass  ohne  diesen  Fehler  die  Kandidatur 
Wladislaws  und  dann  Witolds  unmöglich  gewesen  wäre?  .  .  .  Hat  aber 
nicht  Sigmund  trotzdem  wie  von  den  deutschen  Fürsten,  so  auch  von 
Wladislaw  von  Polen  im  Jahre  1420  Hilfe  gegen  die  Hussiten  er- 
halten? Es  lohnt  sich  vielleicht,  auf  die  Behauptung,  dass  es  so  ge- 
wesen sei,  näher  einzugehen. 

Wohl  darf  man  sagen,  König  Sigmund  sei  doch  besser  gewesen 
als  sein  Ruf.  Wenigstens  scheinen  auch  für  ihn  bei  den  Historikern 
bessere  Tage  zu  kommen.  Wir  besitzen  bereits  ein  zusammenfassen- 
des Urtbeil,  das  nicht  gar  so  ungünstig  lautet  2)  und  auch  von  ein- 
zelnen Vorwürfen  ist  er  hie  und  da  entlastet  worden.  Diese  Vorwürfe 
sind  oft  alten  Ursprungs ;  wohl  der  schwerste  ist  bei  Aeneas  Sylvius 
zu  lesen:  wäre  Sigmund  mit  dem  Heere,  das  er  gegen  die  Türken  ge- 
sammelt hatte,  sofort  nach  Wenzels  Tode  nach  Böhmen  gezogen,  er 
hätte  das  ganze  hussitische  Unheil  im  Keime  erstickt.  „At  dum  ille 
Turcos  lacessere  parat,  Bohemiam  amisit  et  Huugariam  non  defendit"  . . . 
Diesen  Vorwurf  hören  wir  auch  von  Dlugosz  (IV,  234);  er  hat  ihn 
von  Aeneas  Sylvius  übernommen  und  K.  Wladislaw  bei  seiner  Zusam- 
menkunft mit  Sigmund,  die  nicht  lange  nach  Wenzels  Ableben  statt- 
fand (September  1419),  in  den  Mund  gelegt.  Jener  Vorwurf  kehrt 
hier  als  ein  Rathschlag  wieder,  den  der  König  von  Polen  seinem  Freunde 
giebt,  dieser  aber  zu  seinem  Schaden  nicht  annimmt.  Wir  können 
getrost  die  billige  Weisheit  auf  ihre  Quelle  zurückleiten  und  die  ganze 
Stelle  bei  Dlugosz  streichen,  aber  nicht  den  Rath  allein,  sondern  mit 
ihm  auch  die  Anerbietung  Wladislaws,  seinem  Freunde  zu  dem  Feld- 
zuge nach  Böhmen,  zu  dem  er  ihn  drängt,  Hilfstruppen  zu  stellen.  In 


')  Vgl.  die  Schreiben  der  Kurfürsten  an  K.  Sigmund  (1419)  Reichstags- 
akten VII,  375  und  397.  Das  erste  Schreiben  enthält  eine  Bitte,  das  zweite 
eine  sehr  entschiedene  Forderung  zu  Gunsten  des  Ordens. 

2)  Th.  Lindner  Deutsche  Gesch.  unter  den  Habsb.  und   Luxemburg,  II. 

29* 


452  Jaroslaw  Goll. 

der  Folge  bat  sich  Sigmund  nie  auf  diese  angebliche  Anerbietung, 
sondern  nur  auf  ihr  bisheriges  Freundschaftsverhältniss  berufen,  wenn 
er  von  Wladislaw  Hilfe  gegen  seine  böhmischen  Kebellen  verlangte. 
Hat  sie  dieser  im  Laufe  des  Jahres  1420  doch  nicht  gewährt? 

Auf  Lorenz  von  Brzezowa,  der  unter  den  Angehörigen  aller  mög- 
lichen Völkerschaften,  die  er  bei  der  Belagerung  von  Prag  aufzählt, 
auch  die  Polen  nicht  auslässt,  ist  in  diesem  Falle  nichts  zu  geben;  wo 
alle  kamen,  durften  sie  auch  nicht  fehlen.  Jedenfalls  wären  es  frei- 
willige Kreuzfahrer,  aber  nicht  königliche  Hilfstruppen  gewesen.  Diese 
hat  Sigmund  „aus  dem  Lager  von  Prag"  verlaugt,  aber  nicht  erhalten. 
Auch  seine  abermalige  Bitte,  die  er  nach  seiner  zweiten  Niederlage  im 
November  1420,  nicht  ohne  Vorwürfe,  an  den  ehemaligen  Freund 
richtete,  ist  unerhört  geblieben.  Und  eigentlich  ist  dieses  Schreiben 
mehr  Vorwurf,  als  Bitte  *).  Sigmund  wusste  schon  längere  Zeit,  was 
ihm  von  Polen  drohe. 

Es  ist  nöthig,  nochmals  auf  Werners  Empfang  in  Kowali  (Mai 
1420)  zurückgreifend,  den  Faden  der  Begebenheiten,  wie  ihn  Dlugosz 
weiterspinnt,  zu  verfolgen.  Nicht  er,  sondern  die  Neueren  sprechen  von 
geheimer  Unterhandlung,  von  Anfragen  „unter  der  Hand;  in  der  Quelle 
tritt  Werner  ganz  offen  auf.  Er  verkündet,  die  böhmischen  Barone 
hätten  Wladislaw  bereits  zu  ihrem  Herrn  und  König  gewählt  und  ihre 
feierliche  Gesandtschaft  werde  demnächst  (paucis  post  diebus)  anlangen ; 
nur  möchte  er,  der  Gesandte,  im  Voraus  seinen  Willen  und  seine  Mei- 
nung hören  .  .  .  Eine  solche  Wahl  hat  aber  in  Böhmen  nicht  statt- 
gefunden,  also  hat  sie  Werner  in  Kowali  nicht  verkündet,  er  hat  aber 
auch  die  Ankunft  der  Gesandten  nicht  angezeigt:  ein  Grund  mehr, 
seine  ganze  Ansprache  zu  verwerfen.  Und  damit  fällt  auch  die  Ant- 
wort des  Königs,  die  —  übrigens  ganz  vernünftig  —  eine  definitive 
Entscheidung  erst  nach  der  Ankunft  der  angemeldeten  Gesandtschaft 
verspricht.  Ein  Keichstag  beräth  dann  im  Voraus,  was  zu  thun  und 
zu  lassen  wäre,  und  alsbald  kommt  die  angekündigte  und  erwartete 
Gesandschaft.  Sie  wird  von  Wladislaw  in  Wolborz  —  nach  dem  könig- 


')  Sigmund  beklagt  die  Lockerung  der  bisherigen  Freundschaft  und  dass 
Wladislaw  ihm  die  Hilfe,  zu  der  er  auf  Grund  derselben  gleichsam  verpflichtet 
war,  nicht  gewährt  habe :  et  inde  fraterna  nobis  subsidia,  que  quasi  cuiusdam 
debiti  nomine  sorciuntur,  subtraxit  Vestra  Fraternitas  (Codex  Witoldi  S.  499). 
E.  Brandenburg  K.Sigmund  undFriedrich  1.  vonBrandenburg  (Berlin 
1891)  S.  103  und  107  missversteht  den  Ausdruck,  wenn  er  behauptet,  Wladislaw 
habe  die  gewünschten  Hilfstruppen  bewilligt,  später  aber  die  Polen  aus  dem 
Kreuzheere  abberufen. 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  453 

liehen  Itiiierar  wäre  es  um  den  1.  August  1420  gewesen  *)  —  em- 
pfangen, (IV,  266).  Mit  Hynek  de  Walsten  —  es  ist  Herr  Hynek  von 
Waldstein,  auch  von  Goldstein  oder  Kolstein  genannt  —  an  der  Spitze 
besteht  sie  aus  6  Mitgliedern.  Das  Exordium  der  Ansprache  mit  In- 
vektiven  gegen  Sigmund  stimmt  dem  Inhalte  nach  mit  hussitischen 
Manifesten  2)  überein.  Dann  folgen  Erwägungen,  die  vortrefflich  der 
Lage  der  Dinge,  wie  sie  sich  in  Folge  des  Breslauer  Spruches  gestaltet, 
entsprechen :  jetzt  haben  die  Böhmen  und  Polen  denselben  Feind  — 
Sigmund!  Der  König  erklärt,  vor  allem  müsse  Witold  gehört  werden 
und  Herr  Hynek  mit  einem  anderen  Boten  begiebt  sich  zu  ihm  nach 
Lithauen,  während  die  übrigen  in  Nepolomice  bei  Krakau  verbleiben; 
und  hier  erhalten  sie  von  K.  Wladislaw,  ohne  .dass  wir  von  Witold 
weiter  hören,  eine  ganz  bestimmte  abweisende  Antwort  (November 
1420)  und  werden  verabschiedet  .  .  . 

In  Dlugoszs  Erzählung  hängt  alles  sehr  pragmatisch  zusammen 
und  alles  hätte  sich  so,  wie  er  erzählt,  ereignen  können.  Die  „innere" 
Kritik,  wenn  sie  es  nicht  gar  zu  genau  nimmt,  könnte  ihm  nicht  viel 
anhaben ;  käme  ihr  nicht  die  „  äussere  ■  zu  Hilfe,  also  der  Zufall,  dass 
noch  andere  Quellen  sich  erhalten  haben,  wir  müssten  für  immer  das 
von  Dlugosz  Gehörte  nacherzählen.  Und  es  ist  auch  lange  nacher- 
zählt worden  —  abermals  ein  Gemenge  von  Wahrem  und  Falschem. 
Beides  zu  scheiden  ist  erst  Prochaska  (1877)  und  Tomek  (1879)  ge- 
lungen, während  Palack^  sich  mit  Bedenken  gegen  Einzelnes  begnügte3). 
Bei?  Dlugosz  fliessen  zwei  Dinge  zusammen :  eine  kurze  Eeise  des  Hynek 
von  Kolstein  nach  Polen  im  Sommer  1420  und  der  lange  Aufenthalt 
der  grossen  Gesandschaft  daselbst,  die  aber  Böhmen  erst  zu  Ende  dieses 
Jahres  verlassen  hat. 

Von  Hyneks  Eeise  im  Sommer  1420  wissen  wir  wenig4).  Seine 
Sendung  galt    der  Königsfrage 5) ;    er   hat    dem  König   wahrscheinlich 


')  E.    Brandenburg  105. 

2)  Und  zwar  aus  dem  Jahre  1421 !  Unter  anderen  wird  schon  jetzt  Sigmund 
vorgeworfen,  er  hätte  die  böhmische  Königskrone  mit  sich  nach  Ungarn  ent- 
führt. Bekanntlich  hat  der  König  Böhmen  erst  im  J.  1421  verlassen.  Und  den- 
noch lässt  Prochaska  den  Hynek  v.  Kolstein  im  Sommer  1420  alles  nachsprechen, 
was  er  bei  Dlugosz  findet. 

3)  Schon  0.  Grünhagen  (Hussitenkämpfe  der  Schlesier  41)  und  noch  mehr 
Bezold  (K.  Sigmund  und  die  Reichskriege  gegen  die  Hussiten  1,60)  sind  im 
Jahre  1872  dem  wahren  Sachverhalt  ziemlich  nahegekommen. 

4)  Die  Reise  ergibt  sich  aus  der  Verbindung  einer  Stelle  in  Brezowas  Chronik 
S.  447  mit  Palacky  Urkund.  Beitr.  I  S.  45. 

5)  Brzezowa  a.  a.  0. 


454  Jaroslaw  Groll. 

die  vier  Artikel  vorgelegt l),  er  ist  damals  vielleicht  auch  nach  Li- 
thaueu  zu  Witold  gekoniuien  2).  Dies  ist  alles.  Es  geht  eben  uicht  au, 
wie  es  meist  geschieht,  dasjenige,  was  Dlugosz  von  der  anticipirten 
grossen  Gesandtschaft  erzählt,  auf  ihn  zu  übertragen.  Erst  mit  dem 
2.  Februar  14*^1  gewinnen  wir  bei  dem  polnischen  Historiker  festen 
Boden  (IV,  271).  Damals  befand  sich  wirklich  Hynek  von  Kolstein 
mit  anderen  in  Lithauen,  in  Worany;  hier  wurden  sie  von  Wladislaw 
und  Witold  empfangen.  Auch  ohne  Dlugosz  möchten  wir  es  aus  ur- 
kundlicher Quelle 3)  erfahren.  Dlugosz  erzählt  allerdings  auch  hier 
alles  umständlich,  als  ob  er  dabei  gewesen  wäre.  Er  weiss  zu  viel. 
In  Worany  (so  lautet  diese  Erzählung)  wird  die  Krone  erst  dem 
König,  dann,  nachdem  er  abgelehnt,  dem  Gross fürsten 
augeboten  und  von  diesem  angenommen...  Es  wäre  dies  ein  Spiel 
mit  aufgedeckten  Karten  gewesen,  wenn  Witold  diese  Antwort  gegeben 
hätte.  Nicht  aus  Liebe  zu  den  Böhmen,  sondern  aus  Hass  gegen  Sig- 
mund (in  odium  Sigismundi)  möchte  er  sich  dazu  entschli essen ;  nur 
müssen  jene  sich  der  Kirche  vollständig  unterwerfen  und  von  den  vier 
Artikeln,  von  der  „Pest"  ihres  Irrthums  lossagen.  .  .  Dann  geschieht 
lange  nichts.  Erst  im  August  1421  kommen  nach  Lublin  zum  Land- 
tage der  König  und  sein  Vetter,  aber  auch  die  Böhmen  (IV,  274). 
Die  angeblich  im  November  1420  in  Nepolomice,  im  Februar  1421  in 
Worany  ertheilte  Antwort  ist  vergessen.  Vorausgesetzt,  dass  die  Böhmen 
sich  mit  der  Kirche  versöhnen  wollen,  wird  einer  von  beiden,  Wla- 
dislaw oder  Witold,  die  Krone  annehmen,  doch  wenn  auch  Sigmund, 
der  ihrer  drei  besitzt,  sich  derselben  freiwillig  entäussert ;  aber  auch 
gegen  seinen  Willen,  wenn  nur  der  Papst  einwilligt4).  Und  so  wer- 
den die  Gesandten  verabschiedet  ...  In  all  dem  ist  viel  Dichtung  und 
etwas  Wahrheit. 

Wahr  ist,    dass    dem  König  Wladislaw    von  Polen  in  Worany 


J)  Palacky  Italienische  Reise  61. 

2)  S.  S.  464,   1.  Anm. 

3)  Palacky  ÜB.  1,92.  Allerdings  gehört  diese  „Zuschrift  an  die  Prager  aus 
Krakau"  nicht  erst  in  den  Monat  Mai  1421. 

4)  In  eo  casu  (wo  Sigmund  abdankt)  posset  alter  ex  nobis  (Wladislaw  oder 
Witold)  vestris  anuere  preeibus  et  regni  Bohemiae  suseipere  regimen.  Sed  et  vobis 
errores  .  .  .  deserentibus,  etiam  in  eventum,  quo  Sigismundus  rex  difficilem  se 
in  cedendo  monstraret,  non  dubitamns  (sede  tarnen  apostolica  consulta  et  con- 
sentiente)  .  .  .  vestrum  regnum  aeeeptare.  —  Dies  wäre  eine  zweifach  bedingte, 
unbestimmte  (Wladislaw  oder  Witold)  Zusage  gewesen  und  Caro  (111,524)  hat 
den  Sinn  dieser  Antwort  kaum  richtig  wiedergegeben,  wenn  er  sagt:  »Auf  den 
im  Sommer  1421  in  Lublin  abgehaltenen  Reichstage  soll  er  (Witold)  den  Böhmen 


K.  Sigmund   und  Polen   1420— 143G.  455 

die  höhmische  Krone  angetragen  worden  ist  und  dass  er  sie  in  Lublin 
abgelehnt  hat.  Dies  erfahren  wir  aus  einem  Schreiben,  das  Wla- 
dislaw  im  Juli  1422  an  die  deutschen  Kurfürsten  gerichtet  hat  und 
in  dem  wir  lesen :  J)  ...  Equidem  diffiteri  non  possumus,  .  .  .  quod 
nuncii  Bohemorum  ad  nostram  venerant  presenciam,  offerentes  uobis 
regnum  cum  corona  Boemie  et  ad  sua  nos  postulantes  presidia;  quos 
in  primis  sprevimus  auspiciis  (in  Worany)  et  tandem  importuue  a 
nobis  hec  per  eos  exigentibus  in  convencione  generali  tocius  milicie 
nostre  (in  Lublin),  quam  tunc  pro  eisdem  principaliter  negociis  in 
ununi  conduximus,  iterum  nos  ardue  pro  recepcione  et  subsidiis  suis 
petiverunt  .  .  .  Nos  vero  .  .  .  desideria  eoruni,  prout  ante,  contempsi- 
mus  ...  *  Warum  verdient  aber  das  königliche  Schreiben  den  Vorzug 
vor  Dlugoszs  Erzählung  ?  Allerdings  enthält  er  nicht  lauter  Wahrheit  : 
Sigmund  Korybut  ist  im  Jahre  1422  nach  Böhmen  als  Witolds  Statt- 
halter nicht  ohne  Wissen  und  Willen  Wladislaws,  wie  hier  behauptet 
wird,  gekommen.  Aber  der  König  hatte  kein  Interesse  zu  läugnen, 
was  sich  ohnehin  nicht  abläuguen  Hess  (diffiteri  non  possumus),  — 
dass  die  Böhmen  zuerst  ihm  die  Krone  angetragen  haben.  Dass  er 
sie  in  Lublin  abgelehnt  hat,  beweist  der  weitere  Verlauf.  So  geschieht 
es  schliesslich  auch  bei  Dlugosz,  d.  h.  Wladislaw  nimmt  die  Krone 
nicht  an,  aber  es  geschieht  anders.  Eigentlich  wären  die  Böhmen, 
wenn  Dlugosz  Recht  hätte,  in  Lublin  arg  betrogen  worden. 

Auf  Grund  dessen,  was  der  Landtag  beschlossen  (vigore  recessuum 
Lublinensis  diaetae  IV,  275)  begeben  sich  bei  Dlugosz  im  Namen  des  Königs 
und  des  Königreiches  Johannes  von  Tarnow  und  Zbigniew  Olesznicki 
zu  Sigmund  nach  Ungarn,  wo  sie  jedoch,  statt  die  Abtretung  Böhmens 
zu  fordern,  die  Unterwerfung  der  Hussiten  durch  die  Vermittlung  oder, 
wo  nöthig,  mit  Beihilfe  der  Polen  anbieten.  Aber  nicht  umsonst.  Was 
sie  fordern,  ist  Kriegshilfe  gegen  den  Deutschen  Orden,  eventuell  — 
wer  sollte  es  glauben !  —  die  Abtretung  Schlesiens.  Sigmund  antwortet 
mit  einem  Gegenantrag.  Er  bietet  Wladislaw  —  der  König  ist  ge- 
rade Witwer  —  seine  Tochter  und  Erbin  oder  lieber  Wenzels  Witwe 
Sophie  —  mit  Schlesien  als  Mitgift  an !  Ob  dafür  die  Polen  gegen 
die  Hussiten  Hilfe  leisten  sollten,  ist  in  Dlugoszs  Erzählung  nicht  ge- 
sagt. Die  Heirath  des  königlichen  Witwers  wird  hier  zur  Hauptsache, 
der  dann  die  Unterhandlungen   in  den  nächsten  Monaten  gelten  .... 


eine  vollkommen  abschlägliche  Antwort  gegeben  haben.«    Aber  mit  Recht  trägt 
er  Bedenken  (vgl.   auch   E.  Brandenburg  130)    hier  Dlugosz  sich    anzuschliessen, 
wie  es  Prochaska  und  auch  Tomek  thun. 
')  CW.  pag.  1069. 


^^ß  Jarpslaw  Goll. 

Die  Abordnung  Tamowskis  und  Olesznickis  ist  eine  auch  sonst  be- 
kannte Thatsaclie.  Aber  Caro  (IV,  525)  kann  sich  auch  hier  nicht 
zum  Glauben  an  das  Ganze,  das  aus  , trübster  Quelle"  komme,  ent- 
schliessen,  solange  nicht  „urkundliche  Beweismittel"  gefunden  wer- 
den. Und  deunoch  lässt  er  dann  von  seiner  Strenge  etwas  nach:  viel- 
leicht habe  eine  Fraktion  des  politischen  Adels,  namentlich  Zawisoh 
von  Garbow,  den  Plan  gefasst,  durch  die  Heirath  des  "Königs  und  für 
die  Beihilfe  gegen  die  Hussiten  Schlesien  zu  gewinnen;  und  auch 
Witold  habe  sich  diesen  Plan  gefallen  lassen. 

Urkundliche  Quellen  über  die  Unterhandlungen  mit  Sigmund  nach 
dem  Landtag  von  Lublin  sind  nun  vorhanden,  obgleich  nicht  in  reich- 
lichem Maasse,  jenes  Schreiben  Wladislaws  an  die  deutschen  Kurfürsten 
und  ein  zweites  jüngeren  Datums  (April  1423)  1).  Aus  anderen, 
ebenfalls  urkundlichen  Quellen  wissen  wir,  dass  von  1420  an  zwischen 
Sigmund  und  Wladislaw  Unterhandlungen  gepflogen  wurden,  die  die 
Giltigkeit  oder  Abänderung  des  Breslauer  Schiedsspruchs  betrafen  und 
durch  die  der  Ausbruch  des  zwischen  Polen  und  dem  Deutschen  Orden 
drohenden  Krieges  aufgehalten  wurde.  Die  deutschen  Kurfürsten  hatten 
den  Spruch,  so  wie  er  lautete,  gefordert,  jetzt  bestanden  sie  auf  seiner 
Giltigkeit 2)  .  .  .  Jene  beiden  Schreiben  aus  den  Jahren  1422  und  1423 
belehren  uns  aber,  dass  die  Polen  nach  dem  Lubliner  Landtag  ihre 
Cooperation  gegen  die  Hussiten  in  der  That  angetragen  haben.  Um 
welchen  Preis  ?  Dies  wird  in  ihnen  nicht  gesagt,  aber  der  ganze  Ver- 
lauf der  Dinge  seit  1420  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  sie  die 
Aufhebung  oder  Abänderung  des  Breslauer  Schiedspruchs  gefordert 
haben  3) ;  dann  wäre  aber  auch  begreiflich,  warum  Sigmund  ihren  An- 
trag abgelehnt  hat.  Die  Ablehnung  selbst  ist  in  jenen  Schreiben  be- 
zeugt. So  wäre  denn  auch  hier  der  Verlauf  viel  einfacher  gewesen, 
als  in  Dlugoszs  Erzählung :  ihr  gegenüber  mag  Caros  Forderung  auch 
weiterhin  gelten 4).  Auch  Dlugosz  hat  jene  Fragen  nach  Motiven  und 
Zielen  der  polnischen  Politik,  welche  die  Neueren  so  sehr  beschäftigen, 
gekannt   und   er  hat  sie  in    seiner  Art  beantwortet  —  in  den  Reden, 


»)  a.  a.  0.  585. 

2)  Reichstagsakten  VIII,   10—13. 

3)  Vgl.  auch  das  Schreiben  des  Hochmeisters  an  K.  Sigmund  v.  Juni  1421 
CW.  19  über  Unterhandlungen,  die  bereits  vor  dem  Landtag  ihren  Anfang  ge- 
nommen haben  und  bei  denen  Zawisch  von  Garbow  thätig  war.  Die  Hauptfrage^ 
von  der  alles  abhängt,  ist  immer  die,  wem  schliesslich  Samogitien  zufallen 
werde. 

4)  E.  Brandenburg   (S.    133—134),    der  hier  dem    Dlugosz   keinen    Glauben 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  457 

die  er  die  handelnden  Personen  halten  lässt.  Weder  Protokolle  über 
die  Sitzungen  des  königlichen  Rathes  und  schriftliche  Aufzeichnungen 
der  Ansprachen  und  Erwiderungen,  noch  mündliche  Tradition,  auch 
nicht  Memoiren  anderer,  sind  seine  Quellen  gewesen. 

Gewiss  hat  Witold  in  Worany  den  Böhmen  nicht  ins  Gesicht  ge- 
sagt, er  sei  geneigt,  die  Krone  „in  odium  Sigismundi"  anzunehmen. 
Und  doch  hat  Dlugosz  auf  diese  Art  das  Grundmotiv  seiner  und  auch 
der  polnischen  Politik  nicht  unrichtig  gekennzeichnet.  Nur  ist  es 
kein  grundloser  Hass  gewesen. 

Die  nationalen  Sympathien  haben  auch  in  diesen  Jahren  fortge- 
dauert, sofern  sie,  wie  bei  Dlugosz,  Abscheu  gegen  die  böhmische 
Ketzerei  nicht  erstickte;  das  Hussitenthum  hat  unter  den  Polen  in 
seinen  antiklerikalen  Tendenzen,  selbst  in  seinen  religiösen  Elementen 
Freunde  gefunden :  die  polnisch-lithauische  Politik  jener  Jahre  ist  aber 
vor  allem  überall  durch  das  Verhältniss  zum  Deutschen  Orden  be- 
stimmt worden.  Zwei  so  entfernte  Länder  wie  Böhmen  und  Samogitien 
sind  dadurch  in  Verbindung  gebracht  worden.  Man  wäre  versucht  zu 
behaupten,  das  Schicksal  des  letzteren  sei  auf  den  böhmischen  Schlacht- 
feldern entschieden  worden. 


II.  Die  Kandidatur  Witolds. 

Mit  der  den  Böhmen  in  Lublin  ertheilten  Antwort  (Aug.  1421) 
ist  die  Kandidatur  Wladislaws  endgiltig  abgethan.  Aber  an  seine 
Stelle  tritt  Witold,  der  Grossfürst  von  Lithauen. 

Wenn  in  dem  königlichen  Schreiben  an  die  Kurfürsten  vom 
Jahre  1422  behauptet  wird,  erst  nachdem  der  König  sie  abgewiesen, 
hätten  sich  die  Böhmen  an  Witold   gewendet,    so    ist    es   nicht   ganz 


schenkt,  behauptet  dennoch,  Wladislaw  habe  durch  seine  Gesandten  K.  Sigmund 
ein  Bündniss  vorgeschlagen,  wonach  er  dem  Römischen  König  mit  aller  Macht 
gegen  die  Hussiten  helfen,  dieser  aber  hinwiederum  Polen  gegen  den  D.  Orden 
bis  zu  dessen  völliger  Vertreibung  unterstützen  solle.  Und  zwar  soll  dies  ein 
Schreiben  Sigmunds  an  den  Hochmeister  v.  2.  Oct.  1421,  das  Voigt  VII,  396  er- 
wähne, beweisen.  Aber  bei  dieser  Beweisführung  ist  übersehen  worden,  dass 
dieses  Schreiben  nach  dem  Regest  in  CW.  573  erst  dem  nächsten  Jahre  (1422) 
angehört. 


458  Jaroslaw  Goll. 

richtig.  Es  ist  die  Verninthuug  aufgestellt  worden,  diese  hätten  bei 
Anbietung  der  Krone  von  vornherein  an  den  Grossfürsten  gedacht 
und  die  Unterhandlungen  mit  dem  Könige  nicht  ernstlich  gemeint l) : 
aber  auch  dies  stimmt  mit  den  Quellen  und  dem  ganzen  Verlauf  der 
Dinge  doch  nicht  überein.  Wahr  ist,  dass  die  Verhandlungen  mit  den 
Grossfürsten  noch  vor  dem  Abschluss  der  mit  dem  König  geführten 
begannen.  Ueber  ihren  Verlauf  wissen  wir  nicht  viel. 

Es  gibt  auch  da  Fragen,  die  zu  Vemiuthungen,  da  bestimmte 
Antworten  nicht  möglich  sind,  Anlass  gegeben  haben.  Neuere  sprechen 
mitunter  von  Parteien,  in  die  sich  die  Polen  damals  getheilt  hätten; 
bei  Dlugosz  und  in  den  urkundlichen  Quellen  sind  sie  nicht  zu  finden. 
Nur  in  dem  oft.  erwähnten  Schreiben  des  Königs  vom  Jahre  1422 
finden  wir  die  Nachricht,  die  böhmischen  Gesandten  selbst  hätten  um 
die  Berufung  des  Landtags,  der  dann  in  Lublin  zusammentrat,  gebeten, 
„credentes,  ut  coram  illa  multitudine,  quam  sibi  putaverunt  affavere, 
votis  eorum  deberemus  acclinari"  —  eine  Andeutung,  wo  es  damals 
Freunde  der  Böhmen  trotz  oder  gerade  wegen  des  Hussitismus  ge- 
geben haben  mag.  Im  Rathe  des  Königs,  in  den  entscheidenden  Kreisen 
hören  wir  nicht  von  ihnen.  Witold  mag  da  seine  Freunde  und  An- 
hänger gehabt  haben,  obgleich  wir  auch  davon  für  diese  Zeit  nichts 
bestimmtes  wissen  2) :  für  das,  was  er  wollte,  hat  er  den  König  durch 
seinen  persönlichen  Einfluss  gewonnen  3). 

König  Wladislaw  bewahrte  seiner  lithauischen  Heimath  treue  An- 
hänglichkeit bis  an  sein  Lebensende.  Dort  pflegte  er  regelmässig  einen 
Theil  des  Winters  als  Witolds  Gast  zu  verbringen  und  sich  dabei  dem 
Jagdvergnügen  hinzugeben.  Es  wurde  zu  Schlitten  gejagt,  denn  in 
Lithauen  war  wie  für  Krieg  so  für  Jagd  der  Winter  die  rechte  Zeit, 
wenn  Sumpf  und  See  zufroren  .  .  .  Als  der  König  in  diesem  Winter 
kam,  stand  der  Entschluss  des  Grossfürsten  bereits  fest,  was  aber  noch 
fehlte,  war  seine  Einwilligung.    Zu  Ende  des  Jahres  1421  sollten  die 


')  Caro  III,  517,  518.  Neuerdings  wieder  gebilligt  von  Brandenburg  104. 

2)  Vgl.  Smolka  199.  Was  da  vom  Schlüsse  des  Jahres  1420  gesagt  wird,  gilt 
auch  vom  Jahre  1421 ;  wenigstens  haben  wir  keinen  Grund  etwas  anderes  anzu- 
nehmen. Dass  der  Kanzler  Jastrzebiec  ein  entschiedener  Anhänger  Witolds,  auch 
in  der  Königsfrage,  wie  sie  sich  im  Laufe  des  Jahres  1421  entwickelte,  gewesen 
sei,  ist  nicht  bewiesen. 

3)  Darüber  belehrt  uns  das  Schreiben  des  Komthurs  von  Dünaburg  vom 
2.  Jan.  1422  (CW.  539),  dessen  Diener  soeben  aus  Lithauen  zurückgekommen 
war.  Was  er  brachte,  hatte  er  von  Monwid,  dem  Kapitän  von  Wilna  vernommen. 
Die  , Ketzer «  baten  Witold,  »dat  er  her  bescherner  und  er  her  wesen  wolde. 
Dis  wolde  Witovt  sik  eer  gerne  underwinden  und  wolde  er  her  wesen,  dis  en 
wil  de  Koninck  von  Polen  nicht  steden. « 


K.  Sigmund  und  Polen  1420  —  1430'.  459 

Unterhandlungen  ihren  Abschluss  finden ;  böhmische  Gesandte,  wahr- 
scheinlich ein  Best  der  grossen  Gesandschaft,  die  sich  nach  Polen  be- 
reits zu  Anfang  des  Jahres  begeben  hatte,  befanden  sich  in  Lithauen. 
Damals  oder  bald  darnach  ist  die  fehlende  Einwilligung  des  Königs 
hinzugekommen. 

In  Böhmen  ist  der  erste  Antrag,  wie  wir  wissen,  von  Czenko  von 
Wartenberg  ausgegangen ;  er  ist  der  Urheber  der  polnischen  Kandi- 
datur gewesen.  Seinen  Plan  haben  dann  die  Prager  und  ihre  Ver- 
bündeten wieder  aufgenommen. 

Die  Verbündeten  Prags,  mit  deren  Hilfe  die  Hauptstadt  im  Som- 
mer 1420  die  grosse  Belagerung  glücklich  bestanden  hat,  sind  die  be- 
waffneten „Gemeinden"  (communitates)  gewesen.  Vom  Süden  sind  die 
Taboriten,  vom  Nordwesten  die  Schlaner,  Launer  und  Saatzer,  vom 
Osten  des  Landes  die  Orebiten  gekommen,  mit  einer  Ausnahme  unter 
Anführern  ritterlichen  Standes.  Die  böhmischen  Herren  standen  da- 
mals noch  bei  Sigmund.  Hynek  Kruschina  von  Kumburg,  der  Anführer 
der  Orebiten,  hatte  sich  wieder  zurückgezogen.  Nur  Herr  Hynek  von 
Kolstein  hat  sich  an  der  Verteidigung  Prags  betheiligt.  Im  Auftrage 
der  Hauptstadt  und  ihrer  Hilfsgenossen  ist  er  dann  nach  Polen  ge- 
gangen. Seine  Sendung  ist  wahrscheinlich  von  den  zwölf  Hauptleuten 
beschlossen  worden,  die  von  Prag  und  den  Gemeinden  gewählt,  die 
Vertheidigung  der  Stadt  geleitet  hatten;  einer  von  ihnen  ist  sicherlich 
(ausdrücklich  ist  es  nicht  bezeugt)  Johannes  ZiZka  gewesen. 

Die  böhmischen  Herren  hatten  während  der  Belagerung  Prag 
mit  K.  Sigmund  versöhnen  wollen ;  aber  ohne  Erfolg.  Sie  harrten 
auch  dann  bei  dem  König  aus  und  haben  in  der  Schlacht  vor  dem 
Wyschehrad  (1.  November  1420)  für  ihn  gekämpft  und  geblutet.  In  der 
Reihe  seiner  Gegner  standen  damals  ausser  Hynek  von  Kolstein,  der 
zurückgekommen  war,  Hynek  Kruschina  (er  führte  den  Oberbefehl)  und 
Viktorin  Bocek,  der  Vater  des  späteren  Königs  Georg  von  Podebrad. 
Von  diesen  Verbündeten  Prags  aus  dem  Herrenstande  ist  wohl  nicht 
lange  nach  der  Schlacht  der  Antrag  ausgegangen,  eine  Gesandschaft 
nach  Polen  zu  senden  und  K.  Wladislaw  die  Krone  anzutragen.  Am 
14.  November  hat  die  Versammlung  der  Prager  Gemeinde  mit  ihnen 
und  anderen  berathschlagt  und  den  Antrag  gebilligt  trotz  des  Wider- 
spruchs, der  von  Nikolaus  von  Hus  ausgieng,  dem  zweiten  —  neben 
Zizka  —  Häuptling  der  Taboriten,  der  mit  einer  geringen  Anzahl  der- 
selben nach  Prag  gekommen  war  und  in  der  Schlacht  mitgefochten 
hatte.     Nicht  Zizka,    wie  Dlugosz    fälschlich  behauptet :),    sondern    er 

')  IV,  267. 


4(30  Jaroslaw  G  o  1 1. 

ist  ein  Gegner  dieser  Kandidatur  gewesen;  ihn  und  nicht  jenen  Laben 
die  Zeitgenossen  für  des  höchsten  Ehrgeizes  fähig  gehalten,  der  nach  der 
Krone  trachtet.  Damals  erklärte  er,  nur  ein  König-Landsmann  möchte 
der  Gesinnung  der  Taboriten  entsprechen  1).  Er  war  demnach  kein 
Gegner  des  Königthums  ;  auch  stand  er,  wenn  er  so  dachte ,  wie  er 
sprach,  kaum  allein.  Ein  Dichter,  wenn  das  Wort  erlaubt  ist,  hat  da- 
mals seinen  Landsleuten  zugerufen  an  Stelle  des  verhassten  Sigmund, 
„dieses  Gezüchtes  aus  deutschem  Samen",  einen  König  zu  wählen,  „der 
Treue,  Liebe  zum  Lande  hätte".  Er  hatte  wohl  einen  Herrscher  ein- 
heimischer Abstammung  im  Sinne  2). 

Als  Kandidaten  der  Taboriten  dürften  wir  aber  Nikolaus  von  Hus 
keineswegs  betrachten.  Die  Zeit  der  ersten  enthusiastischen  Erregung 
war  noch  nicht  vorüber ;  in  Erwartung  des  himmlischen  Reiches  auf 
Erden  dachten  diejenigen,  bei  denen  die  chiliastische  Schwärmerei  (und 
solche  gab  es  auch  unter  den  Taboriten)  noch  anhielt,  an  keinen  ir- 
dischen König.  Nikolaus  von  Hus  gehörte  nicht  zu  ihnen  .  .  .  Mit 
seinem  Widerstand  gegen  die  polnische  Kandidatur  drang  er  nicht 
durch;  Hynek  von  Kolstein  besiegte  ihn  mit  Hilfe  des  abwesenden 
Zi2ka,  indem  er  der  Versammlung  die  frühere  Vereinbarung,  der  zu 
Folge  er  selbst  nach  Polen  gegangen  war,  vorlegte:  Johannes  Zifcka 
hatte  dieselbe  mit  dem  Insiegel  der  Taboriten  bekräftigt  .  .  .  Die  Ab- 
sendung der  Gesandschaft  wurde  am  14.  November  1420  beschlossen, 
aber  erst  am  Ende  des  Jahres  ausgeführt.  Diese  Verzögerung  hat 
wohl  Nikolaus  von  Hus  bewirkt.  Aber  ein  Unfall  —  er  stürzte  vom 
Pferde  —  hat  ihn  dann  auf  das  Krankenlager  geworfen;  er  starb  am 
24.  Dezember  1420  und  Tags  darauf  trat  die  grosse  Gesandtschaft  die 
Reise  an.  Sie  bestand  aus  zwei  Angehörigen  des  Herrenstandes,  Hynek 
von  Kolstein  und  Alsso  von  Riesenburg,  dem  Ritter  Johannes  Hlas 
von  Kamenic  und  einer  Anzahl  von  Prager  Bürgern;  zu  ihr  gehören 
auch  die  Magister  Johannes  Kardinal   und  Peter  Payne,    der  Englän- 


1)  Die  Erzählung  des  Lorenz  von  Brzezowa  (S.  447)  lautet :  Item  feria  V 
post  Martini  congregata  communitate  Pragensi  curn  Crussina,  Boczkone  et  Hyn- 
kone,  dominis  ac  regni  baronibus,  concludunt,  ut  legacio  soleinpnior,  quam  ante 
missa  fuerat,  ad  regem  Polonie  pro  acceptando  regno  et  legis  dei  defensa  expe- 
diatur,  quam  quidem  legacionem  Nicolaus  de  Hus  inpedire  volens  dixit,  nun- 
quam  fuisse  voluntatis  Thaboritarum,  ut  alium  quam  regnicolam  in  regem  eli- 
gant.  Et  cum  per  sigillum  Thaboritarum,  quod  Ziska  cum  Pragensibus  et  aliis 
communitatibus  unanimi  assensu  litere  super  hoc  confecte  inpresserat,  pro  mit- 
tenda  legacione  ad  regem  Polonie  fnit  per  dominum  Hynkonem  deductum,  Nico- 
laus Hus  per  amplius  predictam  legacionem  impedire  non  valuit,  sed  tacens  re- 
murmuravit  .  .  . 

2)  Palacky,  Gesch.  v.  B.  III.   177  und  Dejiny  III,   1  S.  428" 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  4(31 

der  (Englis) *) ;  die  Taboriten,  obgleich  Zizka  sich  damals  in  Prag  be- 
fand, waren  in  ihr  nicht  vertreten. 

Der  Beschluss,  der  also  zur  Ausführung  gelangte,  hatte  gelautet, 
der  König  von  Polen  sei  zu  ersucheu,  die  Krone  und  die  Verthei- 
digimg  des  „göttlichen  Gesetzes"  zu  übernehmen.  Der  Antrag  war  also 
an  eine  Bedingung  geknüpft.  Was  aber  bestimmt  verlangt  wurde,  er- 
fahren wir  verlässlich  nicht.  Erwartete  und  verlangte  man  etwa,  K. 
Wladislaw  werde  die  vier  Artikel  annehmen  und  selbst  Hussite  wer- 
den? Keinesfalls  wollten  diejenigen,  die  ihm  die  Krone  anboten,  einen 
König  gewinnen  und  dafür  ihren  Glauben  aufgeben.  So  viel  steht 
sicher:  im  Jahre  1421  ist  in  Krakau  über  den  Glauben  verhandelt 
worden.  Die  beiden  Magister,  die  mit  der  Gesandschaft  gekommen 
waren,  wollten  die  vier  Artikel  in  einer  akademischen  Disputation  er- 
klären und  vertheidigen ;  dazu  haben  sich  aber  die  polnischen  Bischöfe 
und  die  Universität  nicht  herbeigelassen  2).  Und  dennoch  wurde  jenen 
Gehör  gegeben.  Es  geschah  wahrscheinlich,  wie  zehn  Jahre  später 
(1431),  in  einer  Versammlung  von  polnischen  Prälaten  und  Magnaten, 
so  wie  Mitgliedern  der  Hochschule,  wohl  in  Anwesenheit  des  Königs 
und  in  seiner  Burg.  Damals  ist  von  den  hussitischen  Magistern  das 
stolze  Wort  vernommen  worden :  nicht  um  belehrt  zu  werden,  sondern 
um  andere  zu  belehren,  seien  sie  gekommen3). 

Während  die  Gesandten  in  der  Fremde  weilten,  winkten  in  der 
Heimath  dem  Utraquismus  neue  Siege,  so  dass  König  Sigmund  sich 
erst  nach  Mähren  und  dann  nach  Ungarn  zurückzog.  Der  katholische 


')  Tomek  IV,  128.  —  Den  Alsso  von  Wrestow  und  Riesenburg  finden  wir 
nur  bei  Dlugosz.  Seine  und  des  Lorenz  von  Brzezowa  Angaben  hat  Tomek  aus 
anderen  Quellen  ergänzt.  Wenn  Dlugosz  (IV,  266)  sagt,  die  Gesandten  seien  ,a 
Kruschina  et  Boczkone  caeterisque  Bobemiae  baronibus  destinati«  gekommen,  so 
bat  er  vielleicht  diese  Namen  einem  Credenzbrief  entnommen. 

*)  Dass  die  von  Palacky  (Italienische  Reise  S.  108)  mitgetheilte  »Intimacio 
Hussitarum «  und  die  ablehnende  Antwort  des  Rektors  nicht  der  Disputation 
des  J.  1431  vorangegangen  ist  (Caro  IV,  24),  geht  schon  darum  hervor,  dass  1431 
wohl  Payne,  aber  nicht  auch  Johannes  Kardinal  in  Krakau  sich  befand. 

3)  Palacky  ÜB.  1,325.  Im  Jahre  1424  sollte  eine  ,Audiencia*  stattfinden: 
die  Polen  vermittelten.  Und  da  erinnerten  die  Räthe  K.  Sigmunds  daran,  die 
Böhmen  seien  schon  früher  ohne  Erfolg  , gehört«  worden;  erst  vor  Prag  (d.  h. 
während  der  Belagerung  im  Sommer  1420)  und  dann  in  Krakau  :  secundo  ha- 
buerunt  (audienciain)  eciam  in  Cracovia  coram  dominis  prelatis,  baronibus  regni 
Polonie  ac  magistris  et  doctoribus  universitatis  Cracovie.  Wozu  nochmals  sie 
hören  ?  .  .  .  .  Timendum  est,  ne  sint  tante  pertinacie,  ut  pocius  confidant  nos 
docere  quam  doceri.  Quem  ad  modum  dixerunt  in  audiencia  prehabita  Cracovie, 
quia  cum  confunderentur  per  catholicos,  dixerunt,  quod  venerant  informare  et 
non  informari. 


462  Jaroslaw  Goll. 

Landfriedensbund  des  Pilsner  Kreises  musste  einen  Waffenstillstand 
eingehen;  im  Nordwesten  und  im  Osten  des  Landes  schien  der  Kelch 
zur  Alleinherrschaft  gelangen  zu  sollen.  Kuttenberg,  die  zweite  Stadt 
Böhmens,  war  gewonnen.  Im  Juni  1421  räumte  die  königliche  Be- 
satzung die  bis  dahin  vertheidigte  Prager  Burg  .  .  . 

Diese  Erfolge  trug  Prag  mit  seinen  Verbündeten  davon.  Es  hatte 
die  Führung:  auch  Zifcka  und  die  Taboriten  standen  in  einer  gewissen 
Unterordnung.  Man  kann  sagen,  dass  Prag  die  Kegentschaft  führte, 
gleichsam  an  des  Königs  statt,  der  noch  fehlte  .  .  .  Nach  der  Nieder- 
lage, die  Sigmund  unter  dem  Wyschehrad  erlitten  hatte,  nahm  auch  die 
Anzahl  der  Herren  fortwährend  zu,  die  sich  von  ihm  lossagten  und 
Prag  anschlössen;  auch  Czenko  von  Wartenberg  sah  sich  dazu  ge- 
nöthigt.  Im  Lager  von  Jaromef  (Mai  1421)  hat  er  bekannt,  „ gegen 
Gott  und  die  Prager  Gemeinde"  gesündigt  zu  haben,  und  hat  „Gott 
und  die  Prager  Gemeinde  um  Verzeihung"  gebeten.  Die  erbetene  Ver- 
zeihung ist  ihm  durch  den  Mund  des  Johannes  von  Seelau,  des  „Pre- 
digers", verkündet  worden,  der,  indem  er  zwischen  den  hussitischen 
Parteien  eine  mittlere  Stellung  einnahm,  sie  damals  beherrschte,  ein 
Demagog  und  doch  zugleich  ein  Staatsmann  *). 

Von  der  Stadt  Prag  ist  auch  die  Berufung  des  Landtags  ausge^ 
gangen,  der  in  der  ersten  Juniwoche  1421  zu  Öaslau  zusammentrat. 
Er  umfasste  alle  diejenigen,  die  sich  zum  Kelche  bekannten  oder  be- 
kehrten. Es  kam  der  Erzbischof  Konrad,  es  kamen  böhmische  Herren 
wie  Ulrich  von  Kosenberg,  die  sich  eben  erst  von  Sigmund  lossagen 
sollten,  obgleich  zwischen  dem  genannten  Herrn  und  den  Taboriten 
bereits  vor  längerer  Zeit  ein  Waffenstillstand  verabredet  worden  war, 
es  kam  eine  Anzahl  mährischer  Herren  mit  ihrem  Landeshauptmann  an 
der  Spitze  2).  Es  kamen  aber  auch  Gesandte  K.  Sigmunds.  Was  er 
durch  sie  anbot,  war  eine  vorläufige  Gewährung  der  vier  Artikel  und 
ein  Waffenstillstand  zwischen  den  beiden  grossen  Parteien  des  Landes, 
was  er  verlangte,  seine  allgemeine  Anerkennung  als  König  und  Erb- 
herr. So  viel  erreichte  er  nicht;  was  aber  erfolgte,  war  auch  nicht 
dasjenige,  was  schon  im  Zuge  war  und  dem  ganzen  Verlauf  der  Dinge 
seit  seiner  Niederlage  im  November  1420  entsprochen  hätte,  nämlich 
der  definitive  Abfall  aller,  die  die  vier  Artikel   hielten  und  annehmen 


')  Dies  ist  eigentlich  die  Auffassung  Palackys.  Tomek  sieht  überall  nur 
den  Demagogen. 

2)  Es  ist  Wilhelm  von  Pernstein  gewesen  (Brezowa  S.  985).  Wenn  bei  Pa- 
lacky  und  Tomek  an  seiner  Stelle  Peter  von  Straznic  als  Landeshauptmann  von 
Mähren  erscheint,  so  ist  es  durch  den  fehlerhaften  Test  von  Brzezowas  Chronik 
zu  erklären ;  nur  eine  Handschrift  hat  das  Richtige. 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  463 

und  die  Ausrufung  eines  anderen  Königs.  Der  Beschluss  der  böh- 
mischen Stände,  der  diese  eudgiltige  Lossagung  für  alle  Zukunft  aus- 
sprach, wurde  nämlich  durch  die  Einschaltung  einer  Klausel  gemildert, 
die  weitere  Unterhandlungen  mit  Sigmund  doch  nicht  ausschloss  *), 
den  Mährern  aber  eine  Frist  bewilligt,  in  der  sie  zur  Verwahrung  ihrer 
Ehre  den  König  absagen  sollten a).  Dies  alles  war  doch  eine  Kon- 
cession  von  Seiten  derjenigen,  die  Sigmund  schon  früher  den  Gehorsam 
gekündigt  hatten,  und  stand  auch  nicht  im  Einklang  mit  der  Kandi- 
datur Wladislaws  von  Polen,  ein  Widerspruch,  der  durch  die  Erklä- 
rung der  böhmischen  Herren,  die  Beschlüsse  des  Landtages  sollten  der- 
selben keinen  Eintrag  thun3),  nur  verdeckt,  aber  nicht  ausgeglichen 
wurde.  Der  Anschluss  des  Hochadels,  der  bevorstehende  Beitritt  der 
Mährer  hatten  eine  neue  Situation  geschaffen.  Aber  der  weitere  Fort- 
gang war  doch  ein  anderer,  als  man  hätte  erwarten  können. 

In  Caslau  wurde  für  Böhmen  eine  Kegentschaft  von  20  Mitglie- 
dern eingesetzt,  die  an  des  Königs  statt  die  Regierung  führen  sollte  4). 
Aber  Prag  Hess  sich  dadurch  aus  der  Stellung,  die  es  einnahm,  nicht 
verdrängen.  Es  stand  bereits  in  Unterhandlungen  mit  Witold  und 
setzte  dieselben  auch  nach  dem  Landtage  fort  und  ohne  Rücksicht 
darauf,  dass  die  Unterhandlungen  mit  Wladislaw  noch  nicht  abge- 
schlossen waren. 

Hynek  von  Kolstein  war  vielleicht  schon  im  Jahre  1420  mit  Wi- 
told iu  Berührung  gekommen5);  im  Jahre  1421  hat  er  wahrschein- 
lich bald  nach  der  ersten  ablehnenden  Antwort  Wladislaws  (in  Worany) 
von  den  Pragern  besondere  Aufträge  erhalten;    im  Juni,    unmittelbar 


')  Palacky  Gesch.  v.  B.  III,  223.  Als  spätere  Einschaltung  verräth  sich  diese 
Klausel  dadurch,  dass  sie  den  Artikel  in  zwei  Theile  spaltet,  deren  Zusammen- 
hang noch  zu  erkennen  ist.  Die  Klausel  selbst  ist  nicht  neu,  da  wir  sie  bereits 
in  der  Urkunde  des  Erzbischofs  vom  21.  April  (ÜB.  I,  79)  finden. 

2)  Die  mährische  Urkunde  s.  Archiv  C.  VI,  398;  in  ihr  wird  die  sofortige 
Annahme  der  vier  Artikel  und  der  Abfall  von  Sigmund  in  der  Frist  von  sechs 
Wochen  zugesagt. 

s)  Diese  Erklärung,  die  in  den  Beschluss  nicht  aufgenommen  wurde ,  hat 
nach  Lorenz  v.  Brzezowa  gelautet:  quod  ea,  que  in  hac  aguntur  congregacione 
legacioni  pro  rege  Polonis  ac  Vitoldo  facte  in  preiudicium  esse  non  debent. 

4)  Lorenz  von  Brzezowa  (S.  486)  kennzeichnet  die  Stellung,  die  den  Regenten 
zugedacht  war,  mit  den  Worten  :  qui  sede  vacante  regni  regia  negocia  prout  rex 
potestatem  habeant  pertractare ;  nach  Toinek  (IV,  177)  unrichtig  und  im  Wider- 
spruche mit  dem  Landtagsbeschluss  und  mit  den  Verhältnissen,  die  dann  ein- 
traten. Das  zweite  ist  wahr;  aber  den  Regenten  war  doch  eine  höhere  Stellung 
zugedacht,  als  sie  dann  thatsächlich  einnehmen. 

6)  In  dem  gleich  zu  besprechenden  Schreiben  der  Prager  heisst  es,  mit  Wi- 
told sei  »per  crebros  nuncius  et  legatos"  unterhandelt  worden; 


464  Jaroslaw  Goll. 

nach  dem  Landtage,  ist  er  zurückgekommen  1).  Eine  aunalistische  Auf- 
zeichnung meldet  uns  den  Tag  —  es  ist  der  10.  Juni  —  an  dem  er 
und  ein  anderes  Mitglied  der  grossen  Gesandtschaft,  der  Prager  Bürger 
Mikesch  Hrdonka.  in  der  Hauptstadt  anlangten.  Mit  ihm  war  aber  ein 
Gesandter  Witolds,  Wyszek  Raczjnski,  gekommen.  Was  er  brachte, 
sagt  eine  andere  Quelle  2). 


')  In  dem  von  Palacky  (ÜB.  I,  S.  X)  erwähnten  Formelbuch  der  Kanzlei  der 
Stadt  Prag  findet  sich  ein  Credenzbrief  der  Prager  für  Hynek  von  Holstein  an 
Wladislaw  und  der  Anfang  eines  anderen  an  Witold  (Gedruckt  von  Pelzel  in  den 
Abhandl.  der  B.  Gesellsch.  d.  VViss.  1786).  Sie  gehören  wahrscheinlich  in  das 
Jahr  1421  und  sind  Hynek  v.  Kolstein  nachgesandt  worden,  nachdem  er  bereits 
von  dem  König  und,  vorausgesetzt,  dass  der  zweite  Credenzbrief  mit  dem  ersten 
gleichlautend  war,  auch  von  dem  Grossfürsten  empfangen  worden  war  (qui,  ut 
accepimus,  se  Vestre  Clemencie  representavit  obtutibus). 

2)  Der  überaus  wichtige  Liber  Cancellariae  Stanislai  Ciolek, 
dessen  Ausgabe  wir  J.  Caro  verdanken  (Archiv  f.  öst.  Gesch.  B.  45  (1.  Theil)  und 
52  (2.  Theil),  enthält  (I,  N.  52)  ein  Schreiben  der  Prager  an  Witold.  Wie  auch 
bei  anderen  Stücken  des  Formelbuches  ist  die  Benützung  durch  den  Mangel  des 
Datums,  das  hier  aber  bereits  vom  Herausgeber  ergänzt  wurde,  durih  den  oft 
fehlerhaften  Text  und  in  diesem  Fall  auch  durch  den  schwulstigen  Stil  (man  hat 
das  Schreiben  oft  als  »poetisch*  bezeichnet)  einigermassen  erschwert.  Es  sei  ge- 
stattet die  wichtigsten  Stellen  hier  zu  citirtn  und  zugleich  einige  Emendationen 
vorzuschlagen,  wobei  die  bisherigen  Lesarten  in  Klammern  beigefügt  werden 
sollen)  : 

.  .  .  dumque  severo  (?  sero)  seveque  (seneque)  necis  officio  pii  prineipis  . .  . 
(gemeint  ist  K.  Wenzel)  essemus  orbati  solacio  et  multiplieibus  lacessiti  iniu- 
riis,  incommodis  afflicti  bellorumque  sudoribus  fatigati,  Vestre  Magnificencie  ve- 
nerabilem  personam  .  .  .  per  crebros  nostros  nunecios  et  legatos  requisivimus  ob- 
secrantes,  quatenus  celsi  regalis  solii  Boemorum  honoris  et  oneris  dignaremini 
suseipere  nobilissimum  dyadema  pro  tutela  legis  Christi  eandem  pye  observan- 
cium,  quam  revera  ipse  universorum  dominus  suo  sanetissimo  protulit  ore,  vita 
practieavit  et  manu  ac  suorum  diseipulorum  (dolorum)  predicacione  solerti  per 
orbem  terrarurn  diffusam  innotuit  .  .  .  Quibus  utpote  racionabilibus  fidelium 
votis  .  .  .  rite  pensatis  V.  S.  talis  Celsitudo,  prout  relacione  veraci  et  illaritate 
plena  omnium  gaudiorum  nobilis  viri  Wischconis  Raczinsky  .  .  .  didieimus,  cle- 
menter annuit  et  se  ad  subeundum  pondus  tanti  regiminis  et  regalis  fastigii  ob- 
tulit  graciose  ad  tutandum  legem  domini,  regendum  iuste  et  fortiter  gubernan- 
dum  gentem  inclitam  Boemorum  tamquam  Christiane  legis  zelator  preeipuus  et 
Boemie  lingwagii  prestantissimus  fautor  et  fidelis  protector,  de  cuius  quidem . . . 
proposito  exhilarati,  ...  et  plus,  quam  valemus  edissere  grati,  ex  animo  V.  S. 
Excellenciam  humiliter  exoramus,  eiusdem  sincere  voluntatis  affectum  desidera- 
tum  ad  effectum  (cod.  des.  affectum)  maneipari  dignemini  .  .  .  vestre  (vestro) 
virtutis  victoriose  (victoroso)  brachium  nostrum  in  presidium  et  auxilium  susci- 
tantes,  ne  rex  ille  .  .  .  Sigismundus  .  .  .  confinia  eiusdem  regni  nostri  adierit  et 
dampna  inferat  gemebunda,  scientes,  quod  adventu  V.  S.  nedum  nostrum  (nos) 
sed  baronum  et  militarium  plenus  et  fidelis  consensus  una  cum  toto  regno,  velud 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  465 

Nicht  unmittelbar  hören  wir  Kaczynskis  Botschaft;  aber  wir  ver- 
nehmen doch  ihren  Widerhall  in  einem  Schreiben  der  Prager  an  Wi- 
told.  Was  ist  darin  gesagt?  Die  Prager  sind  entschlossen,  niemand 
andern  (also  auch  nicht  Sigmund  oder  Wladislaw)  als  ihren  Herrn 
und  König  anzuerkennen,  sie  sind  bereit  bis  zu  seiner  Ankunft  Sig- 
mund Korybut,  dessen  Sendung  Baczyriski  in  Aussicht  stellt,  als  Ver- 
weser des  Königreiches  (gubernator  regni)  Gehorsam  zu  leisten  .  .  . 
Und  was  erwarten  sie  von  ihrem  künftigen  Herrn  und  König?  Die 
Bestätigung  ihrer  und  des  Landes  Kechte  und  Privilegien.  Doch 
steht  diese  Forderung  nicht  au  erster  Stelle.  Der  Schutz  des  Gesetzes 
Christi  (tutela  legis  Christi)  ist  und  bleibt  für  sie  die  Hauptsache ; 
und  nicht  allein  die  Freiheit  (libertas),  sondern  auch  die  Beobachtung 
(observancia)  desselben  d.  h.  durch  Witold  selbst,  denn  in  ihm  er- 
blicken sie  —  nach  einem  damals  beliebten  Ausdruck  —  den  „  zelator 
legis  Christiane  precipuus "...  Hat  aber  der  Grossfürst  in  der  That 
durch  seinen  Boten  dies  alles  so  bestimmt  zugesagt?  Wenn  wir  schon 
hier  sein  späteres  Verhalten  überblicken,  so  müssen  uns  darüber  Zweifel 
aufsteigen,  ausser  wir  möchten  annehmen,  er  habe  die  Prager  wissent- 
lich  getäuscht.    Zu  diesem  Vorwurf   sind    wir    aber    nicht    berechtigt. 


ad  ortum  fulgentis  aurore  tenebre  fugabuntur,  velud  (et  velud)  ad  christianissi- 
muni,  piissimum  dominum  exultabunt  in  plenitudine  gaudiorum  de  pyetatis  Vestro 
clemencia  non  hesitantes,  quin  honor  huiusmodi  regni  sub  umbra  alarum  ve- 
strarum  .  .  .  fideliter  protegetur,  vestreque  pyetatis  clemencia  id  ipsum  regnuni 
velnd  quoddam  viridarium  electum  inter  agros  cura  (rura)  reget  precipua  et  dis- 
ponet,  geminis  virtutis  ac  fidei  nitore  necnon  legis  divine  in  quatuor  articulis 
katholicis  ac  aliis  veritatibus  scripturarum  sacrarum  rite  probatis  consistenti(s) . .  . 
libertate  et  observancia  decorabit,  ,  .  .  nosque  .  .  .  circa  consuetudines  laudabiles, 
iura  et  privilegia  ac  emunitates  votaque  alia  V.  S.  tempore  et  loco  oportuno 
offerenda  et  explananda  tenebit  et  conservabit  graciose:  parati  enim  sumus  .  .  - 
ducem  Sigismundum  .  .  .  nobis  pro  gubernatore  regni,  ut  ab  eodeui  domino 
Viscone  accepimus,  dirigendum  suscipere  sibique  omni  subieccionis  obediencia 
subesse,  vestrum  .  .  .  usque  ad  adventum  nulluni  alium  preter  Vestre  Celsitu- 
dinis  Serenitatem  pro  domino  et  rege  acceptando.  —  Das  von  Palacky  aus  dem 
in  der  vorigen  Anmerkung  erwähnten  Fomelbuch  in  ÜB.  I.  S.  121  abgedruckte 
kurze  Schreiben  ist  kein  Auszug  aus  einem  Passus  des  längeren  (Caro  LC.  II,  S.  96 
Anm.),  sondern  eher  der  erste  Entwurf,  der  aber  nicht  abgesandt  worden  ist.  Er 
enthält  1)  bei  aller  Kürze  mehr,  da  hier  neben  Raczyriski  auch  Kolstein  genannt 
wird,  und  2)  etwas  anderes,  denn  während  in  dem  längeren  Schreiben  gesagt 
wird,  Witold  sei  sper  crebros  nunccios  et  legatos*  ersucht  worden,  die  Regierung 
von  Böhmen  zu  übernehmen,  lesen  wir  in  dem  anderen,  er  habe  sich  dazu  bereit 
erklärt,  „ubi  nulla  meritorum  nostrorum  causa  precesserat,  nullaque  noticia  no- 
stre  subieccionis  pervenit*.  Was  ist  als  wahr  anzunehmen?  Die  Wahrheit  liegt 
wohl  in  der  Mitte.  Eine  förmliche  Anerbietung  der  Krone  ist  schon  deswegen 
kaum  vorhergegangen,  weil  die  Unterhandlungen  mit  Wladislaw  noch  dauerten. 
Mittheilnngen,   XV.  30 


466  Jaroslaw  Goll. 

Wenigstens  hat  Witold  weder  damals  noch  später  sich  durch  schrift- 
liche Zusagen  l)  gebunden.  Aber  hat  nicht  sein  Bote  mehr  gesagt,  als 
er  sollte?  Baczynski  ist  in  der  Folge  selbst  Hussite  geworden;  er  hat 
in  Böhmen  eine  neue  Heimat  gefunden  und  sich  hier  schliesslich  an 
die  Beste  der  Taboriten  gehalten,  die  Sigmund  auch  nach  Abschluss 
der  Kompaktaten  nicht  anerkannten:  im  Jahre  1437  hat  er  auf  dem 
hohen  Galgen,  der  für  Bohäc  von  Dubä  auf  dem  Prager  Marktplatz 
errichtet  ward,  gleichzeitig  mit  ihm,  nur  etwas  niedriger  als  er,  sein 
Leben  geendet.  Er  mag  sich  und  die  Prager  im  Jahre  1421  getäuscht 
haben,  wenn  seine  Ankunft  Erwartungen  weckte,  die  dann  nicht  in 
Erfüllung  gehen  sollten  .  .  .  Die  hussitische  Bewegung  hat  mitunter 
noch  viel  später  unerfüllbare  Illusionen  hervorgerufen ;  ist  doch  Prokop 
nach  Basel  gegangen  in  der  Hoffnung,  das  Koneil  werde  für  sich  und 
die  Christenheit  die  vier  Artikel  annehmen. 

Palacky^  erblickt  in  Johannes  von  Seelau  und  seinen  Anhängern 
diejenigen,  die  sich  der  „Berufung  eines  Königs  aus  der  Fremde" 
widersetzt  hätten 2) ;  er  wäre  demnach  ein  Gegner  des  Königthums 
überhaupt  und  insbesondere  der  lithauischen  Kandidatur  gewesen.  Aber 
Hynek  von  Kol stein  habe  dennoch,  nachdem  die  Hoffnung  Wladislaw 
zur  Annahme  der  Krone  zu  bewegen  geschwunden  war,  ohne  grosse 
Schwierigkeiten  für  dieselbe  eine  Partei  gewonnen,  sowohl  unter  dem 
Adel  als  in  Prag  selbst  .  .  .  Den  Andeutungen,  die  wir  in  den  Quellen 
o-efunden  haben,  möchte  dies  nicht  entsprechen.  Wahrscheinlich  ist 
Hynek  der  eigentliche  Urheber  der  lithauischen  Kandidatur  gewesen, 
da  er  in  der  Lage  war,  die  Aussichtslosigkeit  der  polnischen  frühzeitig 
zu  erkennen,  oder  vielmehr  er  und  Witold  selbst:  aber  ist  jene  nicht 
gerade  von  Prag  zuerst  auf-  und  angenommen  worden?  Wohl  ist  der 
Priester  Johannes  der  Vertreter  der  Demokratie  gewesen,  aber  diese 
schliesst  bekanntlich  das   monarchische  Prinzip 3)   nicht   aus ,   und    ist 


1)  ÜB.  I,  287  (Witolds  Schreiben  an  die  Böhmen  1423). 

2)  In  der  böhmischen  Bearbeitung  seiner  Geschichte  III3,  2  S.  118.  — Aehn- 
lich  Tomek  (IV,  179),  der  aber  meint,  Johannes  von  Seelau  hätte  damals  seine 
wahre  Gesinnung  noch  verborgen.  Dies  scheint  allerdings  ein  anonymes  Schreiben, 
ein  Stimmungsbericht  vom  April  1421  (Archiv  Cesky  III,  300)  zu  bestätigen,  aber 
wie  ist  dann  das  Schreiben  der  Prager  zu  erklären?  Uebrigens  haben  Palacky 
und  Tomek  das  längere  Schreiben  in  dem  L.  Canc.  nicht  gekannt. 

3)  In  dem  Schreiben  der  Prager  gelangt  es  in  der  hier  fortgelassenen  Ein- 
leitung zum  kräftigen  Ausdruck:  Gott  habe  überall  in  den  Ländern  Könige  ge- 
setzt, Böhmen  sei  aber  seit  Wenzels  Ableben  verwaist.  Sigmunds  Erbrecht  wird 
demnach  nicht  anerkannt,  während  der  Öaslauer  Beschluss  der  Böhmen  eigentlich 
sagt,  er  habe  sich  desselben  unwürdig  gemacht  (znehodnil).  Bekanntlich  ist  Jo- 
hannes von  Seelau  von  Anfang  an  ein  heftiger  Gegner  Sigmunds  gewesen. 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  467 

gleich  seine  Macht  iu  Prag  im  Juni  noch  nicht  so  gross  gewesen,  wie 
sie  es  im  Juli  durch  die  Vereinigung  der  Alt-  und  Neustadt  zu  einer 
Gemeinde  werden  sollte,  so  ist  doch  schwer  zu  glauben,  jenes  Schreiben 
an  Witold  sei  ohne  sein  Wissen  oder  gegen  seinen  Willen  verfasst 
worden.  Eineu  hussitischen  König  hätte  sich  wohl  auch  der  Prediger 
Johannes  gefallen  lassen  1).  Ein  eigentlicher  Beweis  dafür  ist  aller- 
dings nicht  möglich ;  man  kann  nur  Vermuthung  gegen  Vermuthung 
stellen  und  abwägen.  Auch  der  weitere  Verlauf  wirft  für  uns  kein 
genügendes  Licht  auf  das  zurück,  was  vorangieng,  sondern  vermehrt 
nur  die  Schwierigkeiten  der  Forschung.  Was  zunächst  folgte,  erzählt 
uns  Lorenz  von  Brzezowa,  doch  in  einer  sehr  ungenügenden  Weise. 
Auf  Veranlassung  Ulrichs  von  Rosenberg  und  Czenkos  von  Warten- 
berg sollte  am  17.  August  ein  Landtag  in  Böhmisch  Brod  zusammen- 
treten, was  aber  Johannes  von  Seelau  zu  hintertreiben  suchte.  Er  war 
voll  Misstrauen  gegen  den  Hochadel  und  namentlich  gegen  die  beiden 
Herren.  Schon  früher,  bald  nach  dem  Caslauer  Landtag,  hatte  der 
Priester  Ambrosius,  der  in  Königgrätz  eine  ähnliche  Stellung  wie  Jo- 
hannes in  Prag  einnahm,  den  Czenko  von  Wartenberg  des  Verrathes 
angeklagt,  weil  ein  Zug  über  die  Grenze,  nach  Schlesien,  unterblieben 
war  2),  jetzt  erklärte  der  Prediger ,  jene  Herren  wären  Verräther  und 
ungetreue  Anhänger  der  Wahrheit 3) ;  nicht  mit  Unrecht,  denn  beide 
sind  alsbald  wieder  Sigmund  zugefallen  .  .  .  Johannes,  von  Anfang  an  des 
Königs  entschiedenster  Gegner,  mochte  wohl  befürchtet  haben,  der  Land- 
tag könnte  einen  ihm  günstigen  Beschluss  fassen.  Allerdings,  war  er 
ein  Feind  der  lithauischen  Kandidatur,  dann  hat  er  mit  dem  Landtag 
die  Wahl  Witolds  vereiteln  wollen  4).  Indess  ist  der  Landtag  doch  zu- 
stande gekommen,  und  zwar  zu  Kuttenberg,  und  hat  Anfangs  September 
beschlossen,  den  Grossfürsten  als  König  anzuerkennen  und  durch  eine 


')  Auch  dies  stimmt  mit  der  mittleren  Stellung  überein,  die  Johannes  zwischen 
den  Parteien  einnahm,  dass  in  dem  Schreiben  das  »göttliche  Gesetz*  nicht  auf  die 
vier  Artikel  beschränkt  wird,  sondern  zu  diesen  »andere  schriftgemässe  Wahr- 
heiten« hinzutreten. 

2)  Brzezowa  491.  Vgl.  Grünhagen  53. 

s)  pretactos  dominos  (ich  beziehe  mit  Toniek  dies  auf  die  beiden  früher 
namentlich  angeführten  Herren)  asserens  fore  traditores  ac  infideles  nee  veritati 
sincere  servientes  (Brzezowa  509). 

4)  Tomek  (IV,  196)  vermuthet,  es  sei  vielleicht  eine  Reorganisation  der  Re- 
gentschaft durch  den  Landtag  beabsichtigt  worden  und  dies  habe  er  nicht  zu- 
lassen wollen,  während  Palacky  (Dejiny  III,  2  S.  120)  die  Opposition  des  Predi- 
gers gegen  diesen  mit  der  Kandidatur  Witolds  in  Verbindung  bringt:  er  habe 
befürchtet,  die  Wahl  eines  Königs  könnte  eine  Reaktion  zu  Gunsten  eines  Aus- 
gleichs mit  der  Kirche  herbeiführen. 

30* 


468  Jaroslaw  Goll. 

Gesandtschaft  um  baldige  Uebernahme  der  Regierung  zu  bitten.  Von 
Bedingungen,  von  Forderungen  wird  dabei  in  der  einzigen  Quelle,  die 
wir  besitzen,  nicht  berichtet 1). 

Die  Gesandschaft  bestand  ausschliesslich  aus  Angehörigen  des 
böhmischen! Ritterstandes  mit  Wilhelm  Kostka  von  Postupic,  der  im 
Jahre  1414  mit  den  Polen  gegen  den  Deutschen  Orden  gefochten 
hatte,  an  der  Spitze;  sie  ist  nach  Ueberschreitung  der  Landesgrenze 
in  die  Gefangenschaft  des  Herzogs  Hans  von  Troppau  und  Ra- 
tibor  gerathen,  ohne  dass  dadurch  alle  Verbindung  mit  Lithauen  auf- 
gehört hätte.  Im  Oktober  1421  kam  eine  Gesandschaft  des  Gross- 
fürsten nach  Prag;  im  November  hat  dann  eine  Versammlung  der 
Prager  Geistlichkeit,  die  zu  einem  andern  Zwecke  berufen  worden,  be- 
rathen  und  beschlossen,  wie  auf  seinen  Vorschlag,  den  wohl  jene  Ge- 
sandschaft überbracht  hatte,  zu  antworten  wäre. 

Der  Vorschlag  hatte  auf  Abhaltung  einer  Disputation  (audiencia) 
über  die  vier  Artikel  gelautet.  Darauf  war  die  im  Prager  Karolinum 
tagende  Versammlung  einzugehen  bereit.  Nur  wollten  die  Utraquisten 
vor  den  Gegnern  nicht  etwa  wie  Angeklagte  vor  dem  Richter,  der  das 
Urtheil  fällt,  erscheinen;  sie  wollten  disputiren,  vertheidigen,  beweisen, 
überzeugen.  Sollten  sie  unterliegen  (ein  Ausgang,  den  sie  übrigens  für 
unmöglich  erklären),  so  würden  sie  sich  fügen;  siegen  sie,  dann  soll 
zwar  nicht  die  ganze  Gegenpartei,  wohl  aber  Witold  selbst  die  vier 
Artikel  annehmen.  Die  Disputation  sollte  irgendwo  in  Böhmen,  Polen 
oder  Lithauen  stattfinden,  den  Massstab  dabei  das  Evangelium  und 
die  Praxis  der  ersten  Kirche  abgeben  .  .  . 2). 


')  L.  v.  Brzezowa  510:  .  .  .  nichil  aliud  concluserunt,  nisi  quod  barones 
dirigant  suam  ad  magnum  ducem  .  .  .  ambasiatam,  quod  eum  in  dominum  et 
regni    sui  regem  suscipiunt  petentes,    ne    negligat  regno  Boemie    appropinquare. 

2)  Von  Witolds  Gesandtschaft  berichtet  Brzezowa  516.  Sie  sollte  die  Böhmen 
zu  einem  Zuge  gegen  Hans  von  Troppau  aufordern.  Palacky  III,  2  S.  258  spricht 
hier  von  dem  lauen  Benehmen  der  Prager  und  sucht  die  Ursache  derselben  in 
Johannes  von  Seelau,  der  sich  nicht  ohne  Terrorismus  in  der  Hauptstadt  der 
Diktatur  (so  könnte  man  es  bezeichnen)  bemächtigt  hatte.  Unsere  Quelle  lässt 
auch  eine  andere  Erklärung  zu:  ex  hac  tarnen  legacione  nondum  aliquid  factum 
est,  sed  capti  nuncii  Sigismundo  ...  per  ducem  Oppavie  sunt  presentati  d.  h. 
ehe  etwas  geschah,  waren  schon  die  Gesandten  ausgeliefert.  —  Das  Schreiben  des 
Magister  inLC.II,  N.  54.  In  ihm  ist  statt  reddendum  abiectibus  wohl  »respon- 
dendum  obieccionibus «  zu  lesen.  Die  Utraquisten  wollen  nicht  »stare  sentencie  dif- 
finitive  aut  decreto  dei  et  nostrorum  emolorum,  qui  easdem  veritates  summas  in 
celum  ponentes  perperam  et  de  effectu  contempnunt.  —  Die  für  Basel  giltige  Ver- 
abredung (ÜB.  II,  282)  sollte  eine  Abschwächung  des  hier  eingenommenen  Stand- 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  469 

Es  ist  ein  Unterschied  zwischen  dem  Schreiben  der  Prager  vom 
Juni  und  der  Antwort  der  Magister  vom  November  1421 :  dort  wird 
die  Annahme  der  vier  Artikel  dnrch  Witold  sofort,  hier  erst  in  der 
Zukunft  erwartet  und  von  dem  Ausgang  einer  Disputation  abhängig  ge- 
macht. Die  sonstigen  Beschlüsse  der  Versammlung  sind  nicht  im 
Sinne  des  Predigers  Johannes  ausgefallen,  obgleich  er  sich  in  seiner 
Stellung  auch  dann  behauptete;  es  ist  aber  möglich,  dass  in  dieser 
Frage  die  Parteien  einträchtig  waren  .  .  .  Nach  dem  Schreiben  des  Ma- 
gister erhalten  wir  nur  noch  eine  Nachricht :  sie  ist  bereits  erwähnt 
worden:  zu  Ende  des  Jahres  1421  befanden  sich  böhmische  Gesandte 
in  Lithauen,  aber  Witold  hatte  noch  immer  sein  letztes  Wort  nicht 
gesprochen. 

Wir  gelangen  zu  anderen  Fragen  und  anderen  Schwierigkeiten. 
Was  sind  die  Motive  und  Ziele  von  Witolds  Politik  gewesen?  Eines 
darf  freilich  mit  grosser  Bestimmtheit  behauptet  werden:  den  Aus- 
schlag hat  das  Verhältniss  zum  Orden  und  zu  Sigmund  gegeben  x). 

Der  von  1414 — 1420  währende  Waffenstillstand  wurde  nach  dem 
Breslauer  Schiedsspruch  noch  zwei  Jahre  (1420 — 1422)  erhalten.  Die 
Vermittelung  fiel  dabei  der  päpstlichen  Kurie  und  dem  Kömi- 
schen König  zu,  wobei  Sigmund  bis  1420  Polen,  dann  aber  dem  Or- 
den näher  stand ;  zur  Abänderung  des  Schiedsspruchs  liess  er  sich  nicht 
bewegen  2).  Und  so  war  der  Ausbruch  des  Krieges  im  Mai  1421  ganz 
nahe ;  damals  hat  der  Grossfürst  den  Wyszek  Eaczynski  nach  Prag  ge- 
sendet. Aber  es  gelang  nochmals  den  Krieg  abzuwenden,  diesmal  durch 
Vermittelung  des  Kurfürsten  Friedrich  von  Brandenburg,  des  früheren 
treuen  Dieners  und  nunmehrigen  in  Ungnade  gefallenen  Günstlings 
Sigmunds,  zu  des  Königs  geringer  Freude:  er  hätte  lieber  den  Gross- 
fürsten durch  den  Krieg  beschäftigt  gesehen  und  verlangte  geradezu 
vom  Hochmeister  die  Kriegserklärung,  wenn  Wladislaw  oder  Witold 
den    Ketzern    Hilfe   gewähren    sollten.      Sigmund    blieb    noch   immer 


punktes  bringen,  da  dort  zu  dem  göttlichen  Gesetze  und  der  Praxis  der  primitiven 
Kirche,  die  entscheiden  sollen,  noch  die  »concilia  und  doctores«  hinzugekommen 
sind. 

J)  In  dem  Schreiben  an  die  deutschen  Kurfürsten  (Juli  1422  CW.  1068) 
sagt  der  Grossfürst  selbst,  er  habe  Sigmund  Korybut  ,in  displicenciam  regis 
Hungarie«  nach  Böhmen  geschickt.  Erinnert  das  nicht  an  das  ,in  odium  Sigis- 
lnundi«  bei  Dlugosz? 

2)  Schon  mit  Rücksicht  auf  die  Kurfürsten  (vgl.  ihre  Schreiben  an  den 
Papst  und  die  Kardinäle,  Reichstagsakten  VIII,  10 — 13),  aber  der  König  hätte 
es  damals  nicht  ungern  gesehen,  wenn  der  Orden  selbst  Samogitien  aufgegeben 
hätte,  und  der  Hochmeister  und  seine  Gebietiger  waren  zu  diesem  Opfer  ent- 
schlossen. (S.  das  Schreiben  des  Hochmeisters,  Juni  1421   (CW.  519). 


470  Jaroslaw  Goll. 

Mittler,  wurde  aber  immer  mehr  zur  Partei  und  Hess  sich  dennoch 
nach  dem  Lubliner  Reichstag  zu  weiteren  Unterhandlungen  mit  Polen 
herbei  .  .  . 

Auch  die  Kurie  setzte  ihre  Vermittlungsversuche  fort;  vor  Ende 
des  Jahres  1421  kam  der  Nuntius  Antonio  Zeno  über  die  Alpen.  K. 
Sigmund  war  damit  nicht  zufrieden.  Zwischen  dem  Römischen  König 
und  dem  durch  sein  Verdienst  in  seiner  Einheit  wiederhergestellten 
Papstthum  hatte  sich  alsbald  die  ihrer  Vergangenheit  entsprechende 
Eifersucht  gemeldet;  dies  zeigte  sich  auch  in  diesen  Dingen,  nament- 
lich als  es  (nicht  mit  Unrecht)  hiess,  der  Nuntius  trete  überall  als 
Freund  der  Polen  auf.  Die  Sendung  Sigmund  Korybuts  stand  bevor ; 
dies  war  kein  Geheimniss  mehr.  Der  Orden,  so  verlangte  der  König, 
sollte  vorbereitet  bleiben. 

Die  Sendung  Korybuts  war  das  schliessliche  Ergebniss  der  langen 
Unterhandlungen.  Und  dabei  hat  Witold  zwar  nicht  die  Kurie,  aber 
doch  den  Nuntius  für  sich  und  seine  Pläne  gewonnen,  obgleich  dieser 
nachträgliah  den  Auftrag  erhalten  hatte,  ihn  und  Wladislaw  von  einer 
Verbindung  mit  den  Böhmen  zurückzuhalten  x).  Der  Kurie  selbst  hat 
der  Grossfürst  in  einem  Schreiben  vom  5.  März  1422  „  das  Programm 
seiner  böhmischen  Politik " 2)  vorgelegt.  Das  Schriftstück  macht  der 
lithauischen  Kanzlei  alle  Ehre;  es  zeigt  die  Meisterschaft  des  Stils  in 
dem,  was  gesagt,  und  noch  mehr  in  dem,  was  verschwiegen  wird. 

Der  Hussitismus  wird  durch  Waffengewalt  nimmermehr  unter- 
drückt werden  können:  wozu  soll  noch  weiterhin  christliches  Blut  ver- 
gossen werden  ?  Davon  geht  Witold  aus ,  den  Scharfblick  des  Politi- 
kers, der  die  Zukunft  vorausberechnet,  verrathend.  Er  will  zwischen 
den  Böhmen  und  der  Kirche  vermitteln.  Zu  diesem  Zwecke  nimmt  er 
jene  in  seinen  Schutz  und  wird  Sigmund  Korybut  nach  Böhmen 
schicken.  Die  Kirche  selbst  (das  verlangt  der  Grossfürst)  möge  für  einige 
Zeit  ihre  Sentenzen,  namentlich  die  Verkündigung  des  Kreuzes  gegen 
die  Böhmen  aufheben  und  so  Unterhandlungen  zwischen  ihnen  und 
der  päpstlichen  Kurie  ermöglichen.  Die  Böhmen  hätten  versprochen 
in  den  Schoss  der  Kirche  zurückzukehren  und  sich  dem  Gehorsam  des 
päpstlichen  Stuhles  zu  unterwerfen ;  dies  solle  durch  eine  Gesandschaft 
derselben  an  den  Papst  zustande  kommen ;  dazu  hätten  sie  sich  bereit 
erklärt. 

Unter  welcher  Bedingung?  Das  Schreiben  Witolds  spricht  von 
keiner.      Sonder  Zweifel  —  ein  wohlberechnetes  Schweigen,    aber   für 


')  Der  Papst  an  Zeno,  Dezember  1421  (Cod.  Ep.  sec.  XV.  II,  S.  129). 
2)  Caro  III,  529.  —  Das  Schreiben  Witolds  an  den  Papst  ÜB..  I,  186. 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  471 

uns,  die  wir  seinen  Plänen  nachgehen,  eine  nicht  ganz  leicht  zu  er- 
gänzende Lücke.  Indess  liegt  die  Vermuthung  nicht  zu  ferne,  Witold 
habe  au  keine  bedingungslose  Unterwerfung,  die  damals  nicht  einmal 
von  den  gemässigtesten  unter  den  Hussiten  zu  erwarten  war  l) ,  son- 
dern an  eine  ähnliche  Lösung  des  Konflictes  der  Böhmen  mit  der 
Barche  gedacht,  wie  später  etwa  die  Kompaktaten  bringen  sollten;  es 
ist  eben  nicht  unwahrscheinlich,  dass  derjenige,  der  die  Nutzlosigkeit 
des  weiteren  Kampfes  erkannte,  auch  das  schliessliche  Ende  desselben 
voraussah. 

Wenn  die  geplante  Versöhnung  der  Böhmen  mit  der  Kirche  ge- 
lungen wäre,  Witold  hätte  dadurch  (wie  wir  jetzt  zu  sagen  pflegen) 
einen  „moralischen"  Sieg  über  den  Deutschen  Orden  davongetragen, 
der  sich  eigentlich  insoferne  überlebt  hatte,  als  es  in  seiner  Nähe  keine 
Heiden  mehr  zu  bekämpfen  und  zu  bekehren  gab  (die  letzten  hatte 
soeben  der  Grossfürst  dem  Christenthum  gewonnen,  die  Samogitier, 
dieselben,  die  trotzdem  der  Orden  Lithauen  wieder  entziehen  wollte). 
er  hätte  sich  auch  um  die  Kirche  verdient  gemacht,  nicht  minder  wie 
wenn  durch  seine  und  Wladislaws  Vermittelung  die  Union  mit  der  grie- 
chischen Kirche  (er  hatte  sich  früher,  namentlich  zur  Zeit  des  Kost- 
nitzer  Konzils,  damit  Mühe  gegeben  2)  zustande  gekommen  wäre.  Und 
hat  er  dabei  wirklich  —  das  wäre  das  letzte  und  höchste  Ziel  seiner 
böhmischen  Politik  gewesen  —  gleichsam  als  Lohn  dafür  die  böh- 
mische Krone  ins  Auge  gefasst,  etwa  in  der  Art,  wie  Dlugosz  inLublin 
den  Böhmen  das  Programm  der  polnisch  -  lithauischen  Politik  durch 
die  beiden  Fürsten  darlegen  lässt?  Dass  er  Samogitien  bei  Lithauen 
erhalten  wolle  und  deswegen  sieh  in  die  böhmischen  Verhältnisse  ein- 
mische,   das    hat  Witold  den    deutschen  Kurfürsten  offen  gestanden  3); 

Eine  solche  Erklärung  in  Bezug  auf  Böhmen  (und  wer  sollte  sie 
erwarten  ?)  besitzen  wir  nicht ;  aber  der  Papst  verstand  es  so :  fremdes 


')  Witold  sagt  zwar  die  Böhmen  hätten  per  liier as  et  legationes  ver- 
sprochen, »qualiter  .  .  .  vellent  ad  sanctae  et  universalis  ecclesiae  gremium  redire«, 
aber  damit  kann  auch  nur  das  Schreiben  des  Magisters  v.  12.  Nov.  1421  gemeint 
sein,  in  dem  die  Hoffnung  ausgesprochen  wird,  die  Folge  der  Disputation  (eigent- 
lich des  Sieges  der  Utraquisten  auf  derselben)  könnten  sein  .universalis  ecclesie 
unio  et  salus,.  Später  konnte  Witold  den  Böhmen  auch  nichts  bestimmteres 
vorwerfen,  als  was  wir  in  dem  so  unfreundlichen  Schreiben,  das  er  im  J.  1423 
an  sie  gerichtet  hat,  lesen:  »promittebatis  et  spondebatis  nobis,  quam  cito  hoc 
faceremus  (gemeint  ist  die  Sendung  Korjbuts) ,  quod  omnia  ad  unionem  et  ad 
obedientiam  et  ad  bonum  finem  deberent  pervenire.«  Das  wäre  eben  nicht  viel 
gewesen. 

-')  Auf  Vermuthungen  und  Hypothesen  über  einen  Zusammenhang,  in  dem  die 
böhmische  Politik  Witolds  mit  diesen  Bemühungen  stehen  sollte,  gehe  ich  nicht  ein. 

8)  CW.  S.   1068. 


472  J  ar osla w  Go  11. 

Gut  wolle  Witold  gewinnen1)  .  .  .  Indess  hier  kann  weder  die  Aussage 
des  Papstes,  noch  Witolds  Schweigen  entscheiden.  Die  Quellen  über 
seine  Unterhandlungen  mit  den  Böhmen  sind  ungenügend,  aber  es  ist 
doch  vielleicht  kein  Zufall,  dass  in  ihnen  nicht  ausdrücklich  gesagt  wird, 
der  Grossfürst,  der  selbst  nur  davon  spricht,  er  „nehme  sie  in  seinen 
Schutz",  habe  die  böhmische  Krone  angenommen.  Er  selbst  hat  den 
Titel  „postulirter  König",  den  man  ihm  in  Böhmen  gab,  nicht  ge- 
führt. Wahrscheinlich  möchten  auch  reichlicher  fliessende  Quellen 
dasjenige  nicht  vollends  aufklären,  was  an  sich  zweideutig  war.  Viel- 
leicht hat  es  Witold  nicht  für  unmöglich  gehalten,  darüber  hinaus, 
was  er  um  jeden  Preis  wollte,  noch  mehr  zu  gewinnen;  aber  er  ist 
mit  der  Vorsicht  und  Zurückhaltung  vorgegangen,  die  der  unsichere 
Ausgang  gebot,  die  aber  auch  als  Unaufrichtigkeit  erscheinen  könnte. 
Witold  hat  nicht  die  Billigung  des  Papstes  abgewartet;  als  im 
Mai  1422  sein  Schreiben  vom  5.  März  nach  Kom  gelangte,  stand  Sig- 
mund Korybut  bereits  auf  böhmischem  Boden.  Martin  V.  hatte  aber 
schon  früher  Kunde  erhalten,  was  geschehen  solle,  und  billigte  es 
nicht 2) ;  das  ,  Programm "  Witolds  verwarf  er,  als  es  ihm  bekannt 
wurde,  entschieden,  seine  Ermahnungen  mit  Drohungen  begleitend,  das 
Kreuz  werde  auch  gegen  die  Helfer  der  Ketzer  gepredigt  werden  .  .  . 
Und  so  geschah  es,  dass  auch  der  Papst  seine  bisherige  neutrale  Stel- 
lung verliess  und  selbst  Partei  wurde.  Er  hat  das  Benehmen  seines 
Nuntius  nicht  gebilligt :  der  Krieg  in  Preussen  sollte  im  Namen  Gottes 
beginnen 3).  Zum  Kriege  gegen  den  Orden  war  auch  Witold  ent- 
schlossen. Er  und  K.  Sigmund  sind  die  eigentlichen  Gegner;  von 
ihnen  gehen  die  Impulse  aus,  die  die  anderen,  den  Orden  und  Polen, 
in  Bewegung  setzen.  Ohne  das  Drängen  Sigmunds  hätte  jener  Sa- 
mogitien  wahrscheinlich  ohne  Krieg  geopfert  und  K.  Wladislaw,  hätte 
ihn  nicht  der  Grossfürst  zurückgehalten,  die  Unterhandlungen  noch 
weiter  fortgesetzt  .  .  . 4).     Im  Juli  1422  begann  endlich  der  Krieg. 


')  S.  das  Schreiben  des  Papstes  an  Witold  v.  13.  April  Cod.  Ep.  sec.  XV, 
II  S.  144  (dominacionis  ampliande  cupiditate)  und  v.  21.  Mai  1422  ÜB.  1,  S.  206 
(aliena  per  iniuriam  occupans). 

2)  S.  sein  Schreiben  vom  13.  April  a.  a.  0.  Dass  Witolds  Schreiben  vom 
5.  März  erst  im  Mai  nach  Rom  überbracht  worden  ist,  geht  aus  ÜB.  I,  199 
hervor. 

s)  cum  nostra  benediccione  Martin  V  an  K.  Sigmund ,  Juni  1422  ÜB.  I 
S.  214. 

4)  S.  namentlich  das  Schreiben  des  Mag.  Martin  an  K.  Sigmund,  Thorn, 
11.  Juni  1422  (ÜB.  I  S.  210),  das  Brandenburgs  (S.  140)  Behauptung,  Wladislaw 
sei  unzweifelhaft  entschlossen  gewesen,  gleich  nach  Ablauf  des  Waffenstillstandes 
(14.  Juli)  den  Feldzug  zu  beginnen,    widerlegt.     Brandenburgs  Darstellung    wird 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  473 

Bald  darauf  ist  in  Nürnberg  der  deutsche  Reichstag  eröffnet  wor- 
den; der  Zug  nach  Böhmen  und  bald  auch  der  Krieg  in  Preussen  bil- 
deten den  Gegenstand  seiner  Berathuugen  und  Beschlüsse.  Ohne  zwi- 
schen Wludislaw  und  Witold  einen  Unterschied  zu  machen  haben  die 
Kurfürsten  von  jenem  die  Rückberufung  Korybuts l)  und  die  Fort- 
setzimg der  Unterhandlungen  mit  dem  Hochmeister  gefordert.  Als 
dann  die  Nachricht  von  dem  Ausbruch  des  Krieges  kam,  wurde  der 
Beschluss  gefasst,  sich  des  Ordens  anzunehmen.  K.  Sigmund  versprach 
Hilfe  von  allen  Seiten,  voll  Dankbarkeit  gegen  den  Orden,  der  sich 
„  um  des  Reiches  und  der  Kirche  willen  in  den  Krieg  gesetzt  habe.  ■ a) 

Der  Friede  von  Thorn  (1411)  hat  dem  grossen  Siege,  den  das 
vereinigte  Polen-Lithauen  davongetragen  hatte,  nicht  entsprochen,  aber 
die  Folgen  der  grossen  Niederlage,  die  der  Orden  erlitten,  zeigten  sich 
auch  in  den  folgenden  Kriegen  (1414  und  1422).  Sie  waren  von 
kurzer  Dauer :  die  Ritter  wichen  der  offenen  Feldschlacht  aus,  sich  auf 
Vertheidigung  der  festen  Plätze  beschränkend  .  .  .  Bereits  vor  Mitte 
August  begannen  die  kaum  abgebrochenen  Unterhandlungen  wieder, 
wozu  Witold  selbst  den  Anstoss  gab;  er  hatte  den  Krieg  gewollt,  er 
wollte  aber  auch  den  Frieden.  Der  Vertrag  wurde  am  Melnosee  am 
27.  September,  dem  Tage  des  h.  Stanislaus,  des  polnischen  Patrons, 
geschlossen;  die  Polen  gewannen  dabei  nur  ein  nicht  bedeutendes 
Grenzgebiet.  Vor  dem  Kriege  hatten  sie  alte,  nicht  vergessene  An- 
sprüche, namentlich  auf  Pommern,  ja  selbst  das  Kulmerland  geltend 
gemacht;  sie  sollten  sich  noch  lange  gedulden.  Der  Krieg  vom  Jahre 
1422,  wie  die  beiden  vorhergegangenen  (1410  und  1411),  ist  zu  Gun- 
sten Lithauens   geführt   worden.     Endlich   war  diesem   der   Besitz  Sa- 


man  in  der  Regel  billigen  können,  so  weit  sie  sein  Eauptthema  betrifft,  aber 
nicht  überall,  wo  böhmische  und  polnische  Verhältnisse  behandelt  werden. 

')  Witolds  Schreiben  v.  5.  März  1422  hat  nach  Rom  der  Kanoniker  Martin 
überbracht  als  sein  und  Wladislaws  Gesandter.  Durch  ihn  hat  der  König  dem 
Papste  sagen  lassen,  wie  dieser  dann  in  seinem  Schreiben  v.  21.  Mai  (ÜB.  1,208) 
erinnert,  ,Serem  Tuam  non  esse  prohibiturum,  quin  in  suo  regno  Polonie  sti- 
pendiarii  in  Boemiam  profecturi  conducantur  nomine  Alexandri  ducis«.  Wenn 
der  König  es  dann  wieder  und  wieder  in  Abrede  stellte,  ohne  Glauben  zu  finden, 
so  geschah  nur  das,  was  Martin  V.  ihm  voraussagte :  quod  si  fieri  permiseris, 
numquam  persuadebis  hominibus,  te  huius  consilii  expertem  esse  .  .  .  Dennoch 
hat  Wladislaw  neuerdings  bei  Brandenburg  (S.  139)  Glauben  gefunden.  Dass  Wla- 
dislaw  zu  Korybuts  Sendung  seine  Einwilligung  gegeben,  steht  demnach  fest. 
Ob  die  Nachricht,  die  der  Hochmeister  von  Thorn  erhielt  (CW.  S.  549),  er  habe 
dieselbe,  als  es  schon  zu  spät  war,  zurücknehmen  wollen,  auf  Wahrheit  beruhe, 
ist  schwer  zu  sagen. 

2)  K.  Sigmund  an  den  Hochmeister  3.  Sept.  1422  Reichstagsakt.  VIII,  215. 


474  Jaroslaw  Goll. 

mogitiens  gesichert  und  der  Schaden,  den  vor  Jahren  der  Streit  der 
Nachkommen  Gedymins  unter  einander  angestiftet  hatte,  wieder  gut  ge- 
macht. Aber  kaum  geschlossen,  war  der  Friede  wieder  in  Frage  ge- 
stellt. Zwar  kam  die  Kriegshilfe  aus  Deutschland  zu  spät  und  war 
nicht  ausgiebig  genug,  um  den  Krieg  sofort  wieder  zu  beginnen,  aber 
darin  stimmten  die  deutschen  Fürsten  und  K.  Sigmund  überein,  dass 
der  Friede,  der  nicht  habe  geschlossen  werden  sollen,  auch  keinen 
Bestand  haben  dürfe.  Noch  war  er  weder  von  dem  Hochmeister  rati- 
ficirt,  noch  von  dem  Kömischen  König  anerkannt.  Diesen  schien  da- 
mals dasjenige  näher  anzugehen,  was  in  Preussen  geschehen  war,  als 
das,  was  in  Böhmen  zu  geschehen  habe.  Er  war,  so  berichtete  des 
Ordens  Gesandter  von  Nürnberg  am  31.  Juli  1422,  „in  keiner  andern 
sache  so  ernst  und  so  bekümmert,  also  das  sich  des  alle  wundern*1). 
Was  der  König  damals  insbesondere  zu  Gunsten  des  Ordens  im  Sinne 
hatte,  war  ein  grosser  Bund  gegen  Polen,  bestehend  aus  seinen  Nach- 
barn den  Ungarn,  den  Schlesiern  und  dem  Orden  selbst.  Aber  Sig- 
mund hatte  von  seinem  Grossvater  König  Johann  die  Vielgeschäftig- 
keit, von  seinem  Vater  etwas  von  seiner  diplomatischen  Kunst  geerbt. 
Zu  den  Mitteln  dieser  Kunst  gehört  es  ja,  „zwei  Eisen  im  Feuer  zu 
haben".  Und  so  ist  es  oft  bei  ihm  gewesen;  er  liebte  es,  zwei  Pläne 
gleichzeitig  zu  verfolgen,  um  dann  nach  Umständen  den  einen  fallen 
zu  lassen,  den  anderen  aber  zu  Ende  zu  führen.  Der  Komthur  Ludwig 
von  Lanse,  derselbe,  der  früher  den  Eifer  Sigmunds  so  sehr  gelobt 
hatte,  merkte  schon  im  September,  dass  das  Feuer  nicht  mehr  so  heftig 
brenne,  und  wurde  auch  von  Sigmund  selbst  von  den  mit  Polen  geführten 
Unterhandlungen  in  Kenntniss  gesetzt;  man  kann  nicht  sagen,  dass 
der  König  den  Orden  getäuscht  hätte.  Die  diplomatisshe  Verbindung 
zwischen  Polen  und  Sigmund  war  durch  den  Krieg  nicht  unterbrochen 
worden.  Um  den  1.  Dezember  fanden  Konferenzen  polnischer  und 
ungarischer  Magnaten  statt,  den  Schluss  bildete  die  Zusammenkunft 
der  beiden  Könige  in  Kesmark  im  März  1423  .  .  .  Bereits  im  Mai 
1422  hatten  die  polnischen  Barone  den  Ungarn  geschrieben:  „.  .  .Et 
si  .  .  .  magnus  dux  Lithwanie  nuper  ducem  Sigismundum  Bohemiam 
expediverit,  hoc  nescimus,  cur  hoc  ipsum  fecerit;  forte  propter  terras 
suas  nativas  et  paternas,  quas  dominus  rex  vester  .  .  .  per  sentenciam 
suam  nuper  Wratislawie  latani  ab  ipso  alienare  conatus  est  ... "  In 
diesen  Worten  ist  der  Zusammenhang  der  Dinge  gut  erkannt  und  klar 
ausgesprochen,  aber  auch  der  Ausweg  gezeigt,  der  dann  eingeschlagen 
worden  ist.     Sigmund    gab    den  Breslauer  Schiedspruch    auf   und    er- 

')  a.  a.  0. 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  475 

kannte  den  jüngst  geschlossenen  Frieden  an;  was  er  gewann,  war  vor 
allem  die  Abberufung  Korybuts  aus  Böhmen.  Die  Kandidatur  oder, 
wenn  man  es  so  nennen  will,  das  böhmische  Königthum  Witolds  war 
zu  Ende.  War  dieses  das  Hauptziel  seiner  Politik,  dann  hat  er  eine 
Niederlage  erlitten,  war  es  Samogitien,  dann  hat  er  erreicht,  was  er 
wollte.  Gewiss  war  es  ein  gewagtes  Mittel,  das  der  Grossfürst  ergriff, 
um  zu  diesem  Ziele  zu  gelangen,  und  es  fand  ohne  Zweifel  bei  vielen 
polnischen  Prälaten  und  Baronen  keinen  Beifall;  aber  man  dürfte  doch 
nicht  von  einem  Gegensatz  zwischen  Wladislaw  und  seinen  Baronen 
auf  der  einen  und  Witold  auf  der  andern  Seite  sprechen,  am  wenig- 
sten in  der  preussischen  Frage  *).  Der  Verlauf  der  Dinge  pflegt  in 
der  Wirklichkeit  gar  oft  viel  einfacher  zu  sein,  als  dann  die  Ge- 
schichtschreiber sich  vorstellen. 

Korybuts  Stellung  in  Böhmen  ist  durch  die  Wendung,  die  sich 
erst  vorbereitete  und  dann  vollzog,  unhaltbar  geworden;  an  sich  war 
dieselbe  zwar  schwierig,  aber  nicht  haltlos  2).  Was  man  von  Witold 
erwartet  hatte,  erfüllte  sich  jetzt  bei  seiner  Ankunft;  Korybut  empfing  das 
Sakrament  unter  beiderlei  Gestalt  und  verpflichtete  sich  zur  Verthei- 
dignng  der  vier  Artikel.  Dadurch  gewann  er  sofort  die  gemässigteren 
Elemente.  Aber  auch  Prag  erkannte  Sigmund  Korybut  an,  obwohl 
dort  nach  dem  blutigen  Ende  des  Predigers  Johannes  seine  Partei 
nochmals  emporgekommen  war;  dann  trat  freilich  in  der  Hauptstadt 
ein  Umschwung  ein,  durch  den  die  demokratische  Partei  —  diesmal 
ohne  Blutvergiessen  —  ihr  Uebergewicht  verlor  (Mai  1421).  Sigmund 
Korybut  konnte  Feindschaft  von  zwei  Seiten  erwarten,  von  den  Ge- 
treuen K.  Sigmunds  und  von  den  Taboriten.  Doch  bald  wurde  auch 
ZiZka  gewonnen,  so  dass  er  sich  bereits  im  Juni  1422  mit  ihm  und 
mit  Prag  verbündete.  Einst  hatte  er  sich  für  die  polnische  Kandidatur 


')  Diese  Worte  sind  gegen  Brandenburg  gerichtet,  der  den  Gegensatz,  den 
er  gefunden,  also  erklärt  (S.  147):  »Wladislaw  wollte  den  Krieg  gegen  den  Or- 
den, womöglich  bis  zu  dessen  Vernichtung,  Witold  aber  wünschte  seine  Kräfte 
zu  der  in  Böhmen  bevorstehenden  Entscheidung  aufzusparen.«  Weiter  sagt  Bran- 
denburg (S.  150),  der  Friede  am  Melnosee  sei  wesentlich  ein  Werk  Witolds  ge- 
wesen, der  durch  ihn  seine  Hauptziele,  den  dauernden  Besitz  Samogitiens 
und  die  Cassierung  des  Breslauer  Spruches,  erreicht  und  die  Hände  für  seine 
böhmische  Unternehmung  frei  bekommen  habe.«  Von  diesen  weiteren  Plänen, 
für  die  Witold  die  Hände  frei  bekommen  hätte,  erzählen  die  Quellen  ebenso 
wenig,  wie  davon,  dass  er  »alles  in  Bewegung  gesetzt  habe,  um  den  Ausgleich 
zu  hindern«  (S.  162).  Grünhagen  (S.  74),  auf  den  sich  Brandenburg  beruft,  äussert 
sich  weit  »vorsichtiger«. 

2)  Weit  ungünstiger  beurtheilt  Prochaska  sowohl  die  Verhältnisse  in  Böhmen, 
als  auch  das,  was  dort  Sigmund  Korybut  gelang 


47(3  Jaroslaw  Goll. 

ausgesprochen,  ob  er  aber  dann  die  Wahl  Witolds  gebilligt,  erfahren 
wir  nirgends  ausdrücklich;  gewöhnlich  gilt  es  als  selbstverständlich, 
obwohl  uns  die  Quellen  bei  ihrem  Schweigen  keine  bestimmte  Be- 
hauptung erlauben  l).  Mir  scheint  es  immerhin  beachtungswerth,  dass 
Zizka  den  Prinzen  zwar  als  ,  Helfer  und  Regenten  des  Landes "  aner- 
kannte, aber  ohne  dabei  Witold  zu  nennen  2),  während  sich  Korybut 
sonst,  wenn  auch  nicht  überall,  als  sein  Statthalter  bezeichnet  und  be- 
zeichnen lässt  .  .  .  Freilich  bereitete  sich  durch  ZiZkas  Anschluss  an 
Korybut  ein  Zwiespalt  unter  den  Taboriten  selbst  vor  3).  Bohuslaw  von 
Schwamberg,  früher  als  einer  der  hitzigsten  Vorkämpfer  der  Katho- 
liken ein  Gegner  ZiZkas,  jetzt  ein  den  Eifer  des  Benegaten  bekunden- 
der Radikaler,  so  wie  Johannes  Hvezda,  der  einige  Zeit  in  Prag  neben 
Johannes  von  Seelau  eine  ähnliche  Stellung  wie  etwa  der  Podestä  einer 
italienischen  Stadt  eingenommen  hatte,  versuchten  es,  in  der  Haupt- 
stadt die  ehemalige  Partei  des  Predigers  wieder  emporzubringen  und 
dadurch  Korybut  zu  stürzen  (1.  October),  aber  ihr  Versuch  misslang 
und  der  Prinz  behauptete  sich  4).  Er  hatte  die  Führung  der  Utraquisten 
übernommen,  auch  Zizka,  obwohl  der  Prinz  ihn  mit  der  Anrede  „  Herr 
Vater"   zu    ehren  pflegte,  trat  hinter  „dem  Sohne"  zurück. 


')  Wenn  die  Alten  Annalen  berichten  (vgl.  Bezold  1,62),  Zizka  und  die 
Prager  hätten  im  Jahre  1421  den  Kostka  an  den  König  von  Polen  geschickt,  so 
ist  hier  eigentlich  alles  unrichtig.  —  Nicht  mit  Unrecht  bemerkt  Prochaska  VIII, 
64,  Zizka  sei  vielleicht  kein  Anhänger  Witolds  gewesen,  weil  an  ihn  sonst  Sigmund 
Korybut  kaum  ein  ähnliches  Mahnschreiben  gerichtet  hätte,  wie  an  Ulrich  von 
Rosenberg  (vgl.  Bezold  I,  69). 

2)  Palacky,  Gesch.  v.  B.  III,  2  S.  310.  —  Das  in  das  Prager  Stadtbuch  ein- 
getragene Schriltstück  (Archiv  C.  III,  239)  ist  wohl  kein  Schreiben,  sondern  eher 
die  schriftliche  Aufzeichnung  bei  Gelegenheit  eines  von  Zizka  mit  den  Pragern 
eingegangenen  Bündnisses,  wobei  wir  uns  jenen  in  der  Hauptstadt  anwesend 
denken  müssten. 

3)  Bezold  (I,  66  und  67)  lässt  denselben  zu  bald  beginnen.  Die  »anderen« 
(S.  67  Anm.  2)  sind  nicht  Anhänger  Zizkas,  sondern  die  südwestlichen  Städte. 
Nicht  einmal  die  in  der  vorigen  Anmerkung  erwähnte  Aufzeichnung  beweist,  dass 
die  Spaltung  bereits  eingetreten  war.  Sie  trat  wahrscheinlich  erst  im  Oktober 
eben  dadurch  ein,  dass  Schwamberg  sich  Prags  bemächtigen  wollte. 

4)  Der  von  Palacky  Gesch.  III,  2  S.  319  berührte  Beschluss  der  grossen  Ge- 
meinde lautet:  „Wenn  jemand  dem  Grossfürsten,  unserem  geforderten  Herren, 
und  dem  Fürsten  Sigmund,  unseren  von  Seiner  Hoheit  geschickten  Regenten,  übel 
nachreden  oder  die  Absendungen,  die  von  uns  und  anderen  dem  Gesetze  Gottes 
und  uns  anhängenden  Gemeinden  zu  S.  Gnaden  öfters  geschehen  sind,  schmähen 
sollte,  der  soll  hier  nicht  geduldet  werden. «  Man  sieht  daraus,  was  Schwamberg 
wollte.  Von  der  Theilnahme  Hvezdas  auf  die  Gesinnung  des  Prediger  Johannes 
zurückzuschliessen,    liegt  nahe;    nur  sind  solche  Rückschlüsse  nicht  immer  zwin- 


K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436.  477 

Die  Burg  Karlstein  behaupteten  die  Königlichen  auch  im  Jahre 
1422  und  dieselbe  sollte  ihnen  auch  fernerhin  verbleiben:  es  war  da- 
mals eben  weit  leichter  feste  Plätze  zu  vertheidigen ,  als  zum  Falle 
zu  bringen.  Gegen  das  von  Friedrich  von  Brandenburg  geführte  Keichs- 
heer  hat  Korybut  keinen  Sieg  davongetragen;  aber  man  kann  sagen, 
dass  ihm,  ähnlich  wie  in  Preussen  dem  Grossfürsten,  frühere  Sie^e 
zum  Nutzen  gereichten,  denn  es  war  immerhin  ein  Erfolg,  wenn  der 
Kurfürst,  allerdings  ein  Freund  Polens,  zu  Unterhandlungen  sich  ent- 
schloss,  wobei  einige  Barone  der  königlichen  Partei  als  Vermittler  auf- 
traten. Es  sollte  ein  Waffenstillstand  geschlossen  werden  und  während 
der  Waffenruhe  eine  „ Audienz"  über  die  religiösen  Streitfragen  statt- 
finden; man  griff  also  auf  ein  früher  von  Witold  selbst  vorgeschla- 
genes Mittel  zur  Verständigung  zurück  .  .  .  1).  So  weit  reichte  die 
Uebereinstimmung  auf  beiden  Seiten.  Aber  es  zeigte  sich  alsbald, 
dass  auch  die  gemässigten  Utraquisten  an  eine  Versöhnung  mit  dem 
„König  von  Ungarn"  noch  nicht  dachten;  die  Waffenruhe  sollte  sich 
auf  ihn  nicht  erstrecken  .  .  .  Und  darauf  konnte  und  wollte  Friedrich, 
obwohl  sein  früheres  Verhältniss  zu  K.  Sigmund  noch  nicht  hero-e- 
stellt  war,  nicht  eingehen  .  .  .  Bald  darauf  (November  1422)  hören 
wir  von  einem  Zwiespalt  zwischen  „den  Taboriten  und  den  Prägern", 
ohne  die  Ursache  zu  erfahren ;  wahrscheinlich  hing  derselbe  mit  jenen 
Unterhandlungen  zusammen,  wobei  die  Taboriten  als  die  Unversöhn- 
lichen anzusehen  wären,  die  jeder  Annäherung  an  den  Gegner  wider- 
strebten. Jedoch  jene  Unterhandlungen  misslangen  und  der  Zwiespalt 
hörte  wieder  auf .  .  .  2).  Als  das  Jahr  zu  Ende  gieng,  war  die  Stellung 
Korybuts  nicht  so  ungünstig  geworden,  dass  wir  die  Erklärung  dessen, 
was  folgte,  anderswo  suchen  müssten,  als  in  den  Ereignissen,  die  sich 


')  Der  in  dem  Schreiben  der  hussitischen  Herren  an  die  Stadt  Brüx  (Be- 
zold  I,  146)  vorkommende  Beisatz  hat  nicht  den  Sinn,  »dass  mit  dem  Prinzen 
auch  nicht  die  geringste  Vereinbarung  getroffen  sei«  (a.  a.  0.  119),  sondern  be- 
sagt etwa  soviel,  als  »er  habe  es  an  nichts  fehlen  lassen«.  Die  Unterhandlungen 
fanden  demnach  mit  seinem  "Wissen  und  Willen  statt.  Wenn  der  Kurfürst  schliess- 
lich meinte,  man  habe  ihn  durch  diese  Unterhandlungen  aufhalten  wollen,  „das 
die  Sach  von  dem  Karlstein  nicht  geendet  wurd«,  so  ist  dies  noch  kein  Grund 
für  uns  mit  Brandenburg  (S.   154)  von  »Scheinverhandlungen«  zu  sprechen. 

2)  Wenigstens  ist  es  damals  zu  dem  erwarteten  Kriege  zwischen  den  Ta- 
boriten (wohl  Schwamberg  und  seinem  Anhang)  und  den  Pragern  nicht  gekom- 
men (Bezold  I,  128).  Wohl  heisst  es  in  den  Alten  Annalen  bereits  im  Oktober, 
da  wo  von  dem  mißlungenen  Anschlag  Schwambergs  berichtet  wird:  ,und  von 
dem  Augenblick  begannen  die  Taborschen  mit  den  Pragern  zu  kämpfen.«  Dies 
ist  aber  nicht  wörtlich  zu  nehmen.  Wirklich  sollten  diese  Kämpfe  der  Hussiten 
unter  einander  doch  erst  im  Jahre  1423  zum  Ausbruch  kommen. 


478  Jaroslaw  Goll. 

ausserhalb  Böhmens  entwickelten.  Er  verliess  am  24.  Dezember  die 
Hauptstadt,  aber  damit  noch  nicht  das  Land;  dies  geschah  erst  im 
März  1423.  Hätten  sich  die  zwischen  den  Polen  und  Ungarn,  zwischen 
Wladislaw  und  Sigmund  gepflogenen  Unterhandlungen  zerschlagen,  er 
hätte  wohl  jeden  Augenblick  wieder  hervortreten  können.  „Sigmund 
Korybut",  sagt  Tomek,  „ist  aus  seiner  Stellung  durch  die  Aenderung, 
die  in  der  Politik  seines  Oheims,  des  Königs  und  des  Grossfürsten 
eintrat,  herausgerissen  worden"  1). 


')  Anders  Prochaska.  Er  ist  der  Ansicht,  Korybut  nabe  sich  von  Prag 
zurückgezogen ,  weil  seine  Stellung  unhaltbar  geworden  war.  Das  Schreiben 
Witolds  an  die  Böhmen  (ÜB.  I.  286),  das  hier  herangezogen  wird,  gehört  in 
einen  andern  Zusammenhang.  —  So  weit  wie  Prochaska,  ist  Bezold  nicht  ge- 
gangen, obgleich  auch  er  über  Korybuts  Erfolge   und  Stellung   ähnlich  urtheilt. 


w 


Kleine  Mittheilungen. 

Hatten  die  Frauken  ein  Ordal  des  Flaniuiengriffs  ?  Einige 
Stellen  der  Lex  Kibuar.  l)  haben  zu  der  Vermuthung  Anlass  gegeben, 
dass  das  fränkische  Recht  eine  von  der  sonst  üblichen  Art  abweichende 
Form  des  Feuerordals  besessen  habe,  den  Flammengriff,  darin  be- 
stehend, dass  der  Beweisführer  die  Hand  in  ein  Feuer  habe  halten 
müssen,  um  aus  ihrer  etwaigen  Verletzung  seine  Schuld  zu  consta- 
tiren.  Diese,  zuerst  wohl  von  Grimm 2)  aufgestellte  Theorie,  ist  von 
zahlreichen  Gelehrten  acceptirt  worden 3).  Widerspruch  hat  sich  da- 
gegen erst  in  neuerer  Zeit  erhoben,  ausdrücklich  von  Zeumer 4)  und 
Brunner  5),  während  Schroeder  6)  seine  Missbilligung  durch  vollständiges 
Schweigen  über  ein  solches  Ordal  zu  erkennen  giebt.  Entscheidend 
ist  für  die  Controverse,  welche  Bedeutung  in  den  citirten  Gesetzes- 
stellen dem  Wort  igneum  zu  geben  ist,  ob  wir  darunter  thatsächlich 
ignis  oder  eine  Nebenform  von  aeneum,  dem  bei  der  sonst  üblichen 
Feuerprobe  verwendeten  Kessel,  zu  verstehen  haben.  Dass  letzteres 
zutrifft,  dafür  hat  Brunner 7)  bereits  unter  Heranziehung  mehrerer 
Novellen  zum  salischen  Gesetz  den  Nachweis  erbracht.  Es  dürfte  sich 
aber  auch  noch  aus  andern  Gründen  die  Unzulässigkeit  der  entgegen- 
gesetzten Annahme  darthun  lassen. 

Zunächst   ist   auffallend,    was    freilich    auch    schon   von    Brunner 


»)  30,  1,  2.  31,  5.  2)  Rechtsalterthümer  912. 

3)  Wilda,  Ordalien  (bei  Ersch  und  Gruber)  455.  {Siegel,  Geschichte  des 
deutschen  Gerichtsverfahrens  237.  Dahn,  Studien  zur  Geschichte  der  germanischen 
(jottesurtheile  43.  Sohm  in  den  Anmerkungen  zu  den  zitirten  Bestimmungen 
der  1.  Rib.  Glasson,  Histoire  du  droit  et  des  institutions  de  la  France  3,  509. 

4)  Im  Index  rerum  et  verborum  zur  1.  Rib.  et  Chav.  s.  m.  igneum  und  ignis. 
6)  Deutsche  Rechtsgeschichte  2,  407. 

e)  Deutsche  Rechtsgeschicbte  2.  Aufl.  357  t.  7)  1.  e. 


480  Kleine  Mittheilungen. 

betont  wurde,  dass  uns  kein  einziger  Anwendungsfall  dieses  angeb- 
lichen Ordals  überliefert  ist.  Dann  *)  verweist  allerdings  auf  eine  Stelle 
des  Gregor  von  Tours  2).  die  jedoch  ganz  beweislos  ist.  Es  handelt  sich 
dort  um  einen  religiösen  Streit  eines  Ketzers  und  eines  Orthodoxen,  in 
dessen  Verlauf  der  Kechtgläubige,  um  seinen  Gegner  auch  durch  ein 
Wunder  von  der  Wahrheit  seiner  Behauptungen  zu  überzeugen,  seinen 
Ring  in  ein  Feuer  wirft,  und  ihn  dann,  ohne  sich  zu  verletzen,  aus 
den  Flammen  herausholt  und  glühend  in  der  Hand  hält.  Das  wesent- 
liche ist  hier  das  Herausnehmen  und  Halten  des  glühenden  Gegen- 
standes, nicht  das  Hineingreifen  in  die  Flamme.  Auch  wäre  aus 
einem  so  gelegentlichen  Vorgang  der  Schluss  noch  nicht  erlaubt,  dass 
dabei  ein  auch  sonst  zur  Anwendung  gekommenes  Ordal  vorliege. 
Ueber  den  Flammengriff  schweigen  sich  ferner  die  Formulare  für  die 
Gottesurtheile  völlig  aus,  die  sonst  für  jedes  Ordal  mannigfache  Muster 
überliefern. 

Der  Flammengriff  ist  ferner  den  übrigen  arischen  Völkern  unbe- 
kannt. Wilda 3)  hat  freilich  auf  das  raup  Stsprceiv  der  Griechen  ver- 
wiesen, das  sich  auch  bei  Iren  und  Indern  findet4),  und  auch  in 
sagenhaften  Berichten  des  späteren  Mittelalters  erwähnt  wird  5).  Allein 
Flammendurchschreiten  und  Flammengriff  sind  zwei  begrifflich  ganz 
verschiedene  Ordale.  Weil  das  eine  bei  den  Franken  verwandten 
Völkern  üblich,  ist  noch  nicht  anzunehmen,  dass  nunmehr  auch  das 
andere  bei  ihnen  selbst  gegolten  haben  müsse. 

Am  stärksten  dürfte  jedoch  gegen  die  Existenz  des  Flammengriffs 
sprechen,  dass  eine  die  Ordalien  aufzählende  Quelle  der  fränkischen 
Zeit  dieses  Gottesurtheils  gar  nicht  gedenkt.  Es  ist  dies  die  Streit- 
schrift des  Bischofs  Agobard  von  Lyon:  Liber  de  divinis  sententiis 
digestus  u.  s.  w.  ß)  Nachdem  Agobard  bereits  in  einem  früheren,  sich 
wesentlich  gegen  die  Gundobada  richtenden  Werk  das  Ordal  des 
Zweikampfs  angegriffen  hatte  7),  wendet  er  sich  in  dieser  zweiten  Ar- 
beit gegen  die  Gottesurtheile  überhaupt,  die  er  jedoch  nur  bekämpft, 
soweit  sie  sich  nicht  auf  kirchliche  Unterstützung  berufen  konnten. 
Denn  dass  er  die  Gottesurtheile  nicht  in  Bausch  und  Bogen  verwarf, 
lehren  die  einleitenden  Worte  seiner  Schrift,  in  denen  er  als  allein 
zulässige  Beweismittel  Zeugen  und  Eid,  dann  aber  auch  den  Trank 
des  bittern  Wassers  aufführt8),  den  nach  der  Vorschrift  des  alten 
Testaments    die    des  Ehebruchs   beschuldigte  Frau  einzunehmen  hatte, 


')  43.  2)  De  gloria  confessorum  cp.  14.   Irrthüuilich  auch  bei  Schroeder 

357  Anmerk.  51  zitirt,  3J  459.  <)  Grimm  935.  5)  Grimm  912. 

fi)  Opera,  ed.  Mass.  1605,  287  f. 
7)  Ad  imperatorem  de  duello  103  f.  ft)  Opp.  288. 


Kleine  Mittheilungen.  4g  \ 

um  sich  von  dem  Verdacht  frei  zu  machen  1).  Eine  gewisse  Aehn- 
lichkeit  besitzt  mit  diesem  Ordal  das  Gottesurtheil  des  geweihten 
Bissens,  Judicium  offae,  das  wohl  bereits  dem  heidnischen  Recht  eigen 
war,  jedenfalls  durch  das  alttestamentarische  Vorbild  auch  kirchliche 
Sanktion  erlangt  hatte 2).  Deshalb  lässt  auch  Agobard  dies  Ordal 
gauz  unangefochten.  Der  gleiche  Grund  erklärt  sein  Schweigen  über 
das  Losordal ,  das  ebenfalls  in  mehreren  Bestimmungen  des  alten 
Testameuts  seine  Rechtfertigung  zu  besitzen  schien 3),  wenngleich  es 
auch  wiederholt  gerade  von  kirchlicher  Seite  heftigen  Anfeindungen 
ausgesetzt  war  4). 

Die  fragliche  Stelle,  in  der  Agobard  die  kirchlich  zu  missbilligen- 
den Ordalien  anführt,  hat  folgenden  Wortlaut 5) :  Neque  sanctus  et 
innocens  vir  Da~vid  persecutori  suo  Saul  diceret:  „Si  Deus  te  incitat 
contra  me  odoretur  sacrificio  etc."  Sed  potius  diceret:  „Mitte  unum 
de  tuis  qui  congrediatur  mecum  singulari  certamine  et  probet  me 
reuni  tibi  esse  si  occiderit" :  aut  certe:  „Jube  ferrum  vel  aquas 
calefieri,  quas  manibus  illaesus  attrectem :  aut  constitue 6)  cruces  ad 
quas  stans  immobilis  perseverem.  ■  Offenbar  soll  hier  eine  erschöpfende 
Aufzählung  gegeben  sein,  wie  sie  der  Plan  der  Arbeit,  die  sich 
gegen  alle  kirchlich  unzulässigen  Gottesurtheile  kehrt,  durchaus  ver- 
langt. Dazu  stimmt  auch  der  Folgesatz:  Cum  autem  nihil  tale  lex 
divina  vel  etiam  humana  sanxerit 7),  et  vani  homines  nominent  ista 
Judicium  Dei.  Also  gerade  die  nacherwähnten  Formen  werden  als  die 
fälschlich  unter  die  Gottesurtheile  gezählten  bezeichnet. 

Agobard  nennt  demnach  nur  vier  Arten :  den  Zweikampf,  das 
Ordal  des  heissen  Eisens,  den  Kesselfang  und  die  Kreuzprobe.  Unter 
Berücksichtigung  des  schon  erwähnten  Umstandes,  dass  er  das  Ordal 
des  Probebissens  und  des  Loses  von  seinem  Standpunkt  aus  fortlassen 
musste,  ergiebt  sich  hiernach  für  das  fränkische  Recht  seiner  Zeit  die 
Existenz  von  sechs  Gottesurtheilen,  unter  denen  sich  der  angebliche 
Flammengriff  nicht  befindet. 

Die  Annahme,  dass  Agobards  Aufzählung  erschöpfend  sei,  scheint 
allerdings  damit  widerlegt  zu  sein,  dass  sie  des  Wasserordals  und  des 
Bahrgerichts    nicht    gedenkt,    von    denen    das   erstere    zweifellos,    das 


>)  Mos.  5,  12—31.  2)  Wilda  482. 

3)  Jos.  7,  14  fg.,  1  Sam.  14,  37  fg.,     Sp.  16,  33.  18,  18. 

4)  Wilda  480.     Brunner  2,  414. 

5)  Opp.  288.  6)  Constituo  ist  Druckfehler. 

7)  Das  ist  nicht  ganz  richtig.     Die  weltliche  Gesetzgebung  hatte  die  Gottes- 
urtheile durchaus  gebilligt. 

Mitteilungen  XV.  31 


482  Kleine  Mittheilungen. 

zweite  wenigstens  nach  Brunner  x)  ebenfalls  schon  in  dieser  Periode 
in  Uebung  standen. 

Allein  das  Wasserordal  war  unter  Ludwig  dem  Frommen  829 
modificirt  oder  sogar  verboten  worden  2).  Agobards  Schrift,  die  wohl 
erst  nach  diesem  Zeitpunkt  verfasst  ist  —  bis  dahin  dürfte  seine 
schriftstellerische  Thätigkeit  von  der  Vertheidigung  seiner  persönlichen 
Verhältnisse  in  Anspruch  genommen  worden  sein 3)  —  hatte  daher 
keine  Veranlassung,  sich  auch  gegen  dies  Gottesurtheil  auszusprechen, 
das  sich  in  der  Praxis  allerdings  wieder  rasch  einbürgerte.  Das  Bahr- 
crericht  endlich  kommt  erst  im  späteren  Mittelalter  als  rechtliche  In- 
stitution vor,  wenngleich  es  auch  schon  vorher  in  der  Volkssitte  ge- 
herrscht haben  mag4).  Jedenfalls  war  seine  gerichtliche  Anwendung 
unserer  Periode  fremd;  also  auch  hier  erklärt  sich  das  Schweigen 
Agobards ,  ohne  die  Vollständigkeit  seiner  Aufzählung  in  Frage  zu 
stellen. 

Vermissen  könnte  man  etwa  das  Ueberschreiten  des  brennenden 
Holzstosses,  wodurch  Thietberga,  die  Gemahlin  Lothars  II.  ihre  Un- 
schuld dargethan  haben  soll.  Diese  Nachricht  entstammt  jedoch  erst 
dem  späten  Mittelalter;  zeitgenössische  Berichterstatter  nennen  andere 
dabei  angewendete  und  bereits  erwähnte  Ordalien  5). 

Bern.  Otto    Opet. 

Zur  Chronologie  der  Päpste.  Beiträge  zu  der  höchst  unsichern 
Chronologie  der  Päpste  des  10.  u.  11.  Jahrhunderts  liefern  die  römi- 
schen Privaturkunden  der  Zeit,  deren  ich  eine  Anzahl  in  dem  Ar- 
chive von  Sa  Maria  in  Via  Lata  einsehen  und  abschreiben  durfte.  Die 
Datirung  dieser  Urkunden  darf  überhaupt  und  speciell,  was  die  Papst- 
jahre angeht,  als  sehr  zuverlässig  angesehen  werden,  da  die  Verfasser 
und  Schreiber  der  Urkunden  tabelliones  nrbis  Eomae  und  scriniarii 
sanctae  Komanae  ecclesiae  sind.  Die  Keihenfolge  der  chronologischen 
Merkmale  in  der  Datirung  ist  in  der  Regel:  1.  Papstjahr;  2.  Kaiser- 
jahr (wenn  ein  Kaiser  vorhanden  ist) ;  3.  Indiction ;  4.  Monat ;  5.  Tag. 
Da  wir  die  Indiction  berechnen  können  und  das  Kaiserjahr  durch  den 
Tag  der  Krönung  bestimmt  ist,  kann  man  auf  den  Beginn  des  Papst- 
jahres zurückschliessen. 


*)  Deutsche  Rechtsgeschichte  2,  411. 

2)  1.  c.  Anm.  58,  59. 

8)  Seine  Streitigkeiten  mit  den  Juden  fallen  in  die  Jahre  822—825.  Aronius, 
Regesten  zur  Geschichte  der  Juden  33  fg.,  ur.  84—97. 

4)  Lehmann,  Das  Bahrgericht  (Abhandlungen  zum  70.  Geburtstag  Konrad 
von  Maurers)  24.  5)  Grimm  912. 


Kleine  Mittheilungen.  483 

In  einer  Urkunde  fehlt  das  Papstjahr;  die  Datirimg  lautet:  „Im- 
p(erante)  d(omi)n(o)  n(ostro)  Ottone  a  d(e)o  coronato  magno  impera- 
tore  anno  sextodechno,  indictione  duodecima  mens(e)  octuber  die  sep- 
tima",  d.  h.  7.  October  983.  Im  October  983  war  Sedisvacanz,  und  da 
in  dieser  Datirung  kein  Papst  genannt  ist,  können  wir  mit  Bestimmt- 
heit sagen,  dass  Benedict  VII.  schon  vor  dem  7.  October  gestorben  war. 

Schon  an  anderem  Orte  habe  ich  gezeigt *),  dass  die  Jaffe-Löwen- 
feld'sche  Berechnung  des  Todestages  Benedict  VIII.  (11.  Juni)  und  des 
Regierungsantrittes  seines  Nachfolgers  Johannes  XIX.  (Juni-Juli  1024) 
nicht  richtig  sein  kann,  weil  sie  Datirungen  von  Privaturkunden  wi- 
derspricht, aus  denen  hervorgeht,  dass  Johannes  XIX.  nach  dem 
15.  März,  aber  spätestens  im  Mai  consecrirt  worden  sein  muss.  Ich 
schlug  vor,  den  Fuldenser  und  Weissenburger  Nekrologien  zu  folgen, 
die  den  Tod  Benedicts  VIII:  VII  id.  Apr.  ansetzen. 

Würde  man  von  diesem  Todestage  an  die  11  Jahre  11  Monate 
21  Tage,  die  Benedict  VIII.  nach  den  von  Jaife-Löwenfeld  angeführten 
Katalogen  regiert  haben  soll,  zurückrechnen,  so  käme  man  auf  ein 
Datum,  das  dem  von  J.-L.  angenommenen  Regierungsantritte  dieses 
Papstes  (22.  Juni)  widerspricht.  Doch  widersprechen  diesem  Datum 
auch  die  ebenda  und  von  Gregorovius  angeführten  Urkunden,  nach  denen 
der  Regierungsantritt  vor  dem  21.  Mai  zu  setzen  ist;  ebenso  die  fol- 
gende Datirimg  einer  Urkunde  aus  Sa.  Maria  in  V.  L. :  „Anno  deo 
propitio  pontificatus  domni  nostri  Benedicti  summi  pontificis  et  uni- 
versalis papae  in  sacratiss.  sede  b.  Petri  ap.  primo  indictione  decima 
(d.  i.  1012)  mense  Madio  die  vicesima  quinta."  Es  wird  also  wohl 
die  Salernitaner  Urkunde  Sergius  IV. ,  die  nach  den  Ausgaben  ,,XV. 
kal.  Jul.u  datirt  ist,  verlesen  oder  sonst  nicht  in  Ordnung  sein. 

Rechnet  man  zu  dem  oben  angenommenen  Todestage  Benedict  VIII 
die  Regierungszeit  Johannes  XIX.  nach  dem  von  J.-L.  angeführten  Kataloge 
hinzu,  nämlich  8  Jahre  und  6  Monate,  und  berücksichtigt  man  eine 
Sedisvakanz,  so  kommt  man  für  den  Todestag  Johannes  XIX.  aller- 
dings auf  die  Zeit  nicht  lange  nach  Anfang  October  1032  (statt  Jan. 
1033).  Damit  stimmt  das  Datum  einer  Sutriner  Urkunde  aus  dem  er- 
wähnten Archive  überein,  aus  dem  hervorgeht,  dass  Benedict  IX.  spä- 
testens im  Dezember  1032  consecrirt  worden  sein  muss  —  es  lautet: 
„Temporibus  d.  Benedicti  noni  pp.  anno  hoctavo  mense  decembrio  in- 
dict.  [octjava"  (d.  i.  1039)  —  sowie  eine  von  Jaffe-Löwenfeld  selbst 
angeführte  Galletti'sche  Urkunde,  nach  welcher  der  Regierungsantritt 
Benedict  IX.  vor  den  15.  November  1032  fallen  muss. 


')  Urkunde  einer  Römischen  Gärtnergenossenschaft  S.  15  Anni.  1. 

31* 


484  Kleine  Mittheilungen. 

Diese  Daten  werden  nun  bestätigt  durch  ein  für  die  Geschichte 
dieser  Zeiten  höchst  werthvolles  Document,  das  Obituarium  des  Klo- 
sters SS.  Cyriacus  et  Nicolaus.  Es  ist  von  F.  Martinelli :)  auszugs- 
weise und  sehr  lückenhaft  publicirt  worden  und  befindet  sich  gegen- 
wärtig in  der  Bibliotheca  Yallicelliana.  Vor  kurzem  hat  die  Societä 
di  Storia  patria  das  Facsimile  eines  Blattes  aus  dem  Codex  veröffent- 
licht 2)  und  bereitet  nun,  wie  verlautet,  auch  eine  Ausgabe  vor.  Das 
Obituarium  ist  derart  angelegt,  dass  auf  jedes  Datum  des  ganzen  Ka- 
lenders zuerst  der  betreffende  Theil  aus  Bedas  Martyrologium  folgt  und 
dann  noch  von  derselben  ersten  Hand  nach  der  Kubrik  OB  (=  obiit 
oder  obitus)  vielfach  Namen  von  verstorbenen  Personen  eingetragen  sind, 
die  dem  Kloster  nahe  gestanden  waren.  Dieselbe  erste  Hand  hat  auch 
ferner  noch  zu  jedem  Tage  regelmässig  je  3  solche  OB  eingetragen  und 
Raum  für  nachträgliche  Einschreibungen  gelassen.  Der  Raum  ist  dann 
von  späteren  Händen  bis  ins  14.  Jahrhundert  dazu  benützt  worden, 
das  Obituarium  regelmässig  fortzusetzen,  so  dass  der  ganze  Codex  eine 
Geschichte  der  vulgär-römischen  Schrift  bildet,  wie  man  sie  sich  nicht 
besser  wünschen  kann.  Die  Zeit  der  meisten  dieser  späteren  Hände 
wird  sich  bestimmen  lassen,  da  u.  a.  auch  die  Aebtissinnen  des  Klo- 
sters an  ihren  Todestagen  eingetragen  sind  und  wir  durch  die  im  Ar- 
chive von  Sa  Maria  in  V.  L.  aufbewahrten  Urkunden  des  Klosters 
SS.  Cyriacus  et  Nicolaus  imstande  sind,  die  Todesjahre  der  Aebtiss- 
innen annähernd  zu  bestimmen.  Denn  es  ist  unzweifelhaft,  dass  ge- 
rade diese  Todesfälle  sogleich  oder  sehr  bald  eingetragen  worden  sind. 

Durch  dieselben  Mittel  kann  man  die  Zeit  der  Anlage  und  der 
ersten  Hand  bestimmen.  Eine  Prüfuug  des  Codex  ergab  mir  nun, 
dass  die  Aebtissinnen  Agathe  (III.  id.  Mai.),  Sergia  (V.  id.  Nov )  und 
Boniza  quae  et  Dulkyza  (VI.  id.  Iun.)  von  der  ersten  Hand  gleich  bei 
Anlage  des  Obituarium  aufgenommen  wurden.  Diese  Boniza  I.  wird 
zuletzt  im  Jahre  1008  erwähnt;  die  beiden  andern  sind  ihre  Vor- 
gängerinnen. Ihre  Nachfolgerin  Ermingarda  wird  zuerst  im  Jahre  1018, 
zuletzt  im  Jahre  1043  erwähnt;  ich  habe  die  auf  sie  bezügliche  Ein- 
tragung unter  kal.  Febr.  im  Obituarium  aufgefunden;  doch  ist  diese 
Eintragung  schon  von  einer  zweiten  Hand  besorgt  worden.  Diese  spä- 
tere Haud  hat  auch  den  Tod  der  Boniza  II.  eingetragen,  die  in  den 
Urkunden  eine  Zeit  lang  als  Collegin  der  Ermingarda,  aber  nach  dem 
Jahre  1043  nur  noch  allein  erscheint  und  der  dann  spätestens  im 
Jahre  1052  die  Theodora  gefolgt   ist,    deren  Todestag  (XV.  kal.  Jun.) 


J)  Primo  Trofeo  della  Sma  Croce  eretto  in  Roma  nella  Via  Lata.    (Rom  1655). 
2)  Monumenti  paleografici  di  Roma  I  (1884)  n°.  5. 


Kleine  Mittheilungen.  485 

aus  dem  Facsimile  der  Societä  d.  St.  P.  zu  entnehmen  ist.  Das  Obi- 
tuarium  muss  demnach  zwischen  den  Jahren  1008  und  1052,  wahr- 
scheinlich aber  vor  1043  angelegt  sein.  Ein  auf  dem  letzten  Blatte 
vor  der  prima  manus  zum  August  der  Ind.  VII  gemachter  Nachtrag 
führt  auf  das  Jahr  (1024  oder)  1039. 

Diese  Feststellung  ist  für  die  Chronologie  der  Päpste  desshalb  von 
Wichtigkeit,  weil  in  dem  Obituarium  von  erster  Hand  eingetragen  ist 
V.  id.  April  „Donmus  Benedictus  j^p"  und  VIII.  id.  Novemb.  „Donmus 
Jons  papa".  Dass  unter  Benedict  nur  Benedict  VIII.  gemeint  sein 
kann,  ist  schon  desshalb  sehr  wahrscheinlich,  weil  Benedict  IX.  nicht 
als  Papst  gestorben  ist;  es  wird  fast  zur  Gewissheit,  wenn  man  das 
Datum  des  Obituarium  mit  dem  oben  berechneten  vergleicht ;  man 
muss  also  die  Angaben  der  Deutschen  nach  dem  römischen  Nekrolo- 
gium  um  2  Tage  corrigiren.  Das  andere  Datum  stimmt  mit  der  für 
Johann  XIX.  angenommenen  Todeszeit  überein.  An  Johann  XVIII. 
kann  man  nicht  denken.  Es  sind  eben  in  das  Obituarium  bei  seiner 
Anlage  die  beiden  letztverstorbenen  Päpste  eingetragen;  beide  Päpste 
waren  überdies  aus  dem  Geschlechte  der  Grafen  von  Tusculum,  mit 
dem  (wie  mit  dem  der  Crescentier)  das  Kloster  in  naher  Beziehung 
gestanden  ist. 

Nun  sind  wir  imstande  mit  den  obigen  Berechnungen  und  den 
Daten  des  Obituariums  die  Chronologie  der  Päpste  der  1.  Hälfte  des 
11.  Jahrhunderts  folgendermassen  festzustellen,  angenommen,  dass  die 
Consecrationen  auf  einen  Sonntag  fallen  müssen: 

Sergius  IV.  gestorben  vor  20.  April  1012; 

Benedict  VIII.:  20.  April  1012  bis  9.  April  1024; 

Johannes  XIX.:  Sonntag  zwischen  12.  Apr.  und  10.  Mai  1024 
bis  6.  November  1032; 

Benedict  IX.:  12.  November  1032  bis  16.  Juli  1048. 

Rom.  L.  M.  Hartmann. 


Ein  Siegel  Stempel  Kaiser  Friedrichs  II.  Herrn  Dr.  Robert 
Davidsohn  in  Florenz  verdanke  ich  die  Mittheilung,  dass  zu  Ende  des 
vorigen  Jahrs  der  Antiquar  Kautschik  daselbst  im  Besitze  eines  Siegel- 
stempels Friedrichs  II.  war,  der  wenn  echt,  der  älteste  wäre,  der  von 
einem  deutschen  Herrscher  erhalten  ist.  Er  soll  in  Rom  gekauft,  dort- 
hin aber  aus  Palermo  gekommen  und  neuerdings  wieder  an  einen 
römischen  Marchese  verkauft  worden  sein.  Ein  Abdruck,  den  mir 
H.  Davidsohn  auf  meine  Bitte  verschaffte,  überzeugte  mich,  dass  es 
ein  Stempel    des    Kaisers    für    sein  Königreich  Sicilien  ist,    und    zwar 


486 


Kleine  Mittheilungen. 


einer,  der  wie  sein  Titel  als  König  von  Jerusalem  zeigt,  nach  dem 
Jahre  1225  gebraucht  worden  sein  würde.  Er  entspricht  also  dem, 
den  Philippi  Reichskanzlei  S.  65  unter  Nr.  6b  beschrieben  und  (vor 
der  Hinzufügung  des  Jerusalemer  Titels)  auf  Taf.  VIII  Nr.  3  ab- 
gebildet hat;  er  ist  aber  keineswegs  mit  diesem  identisch.  Leider  ist 
die  Abbildung  bei  Philippi  zu  undeutlich,  um  eine  genaue  Vergleichung 
derselben  mit  meinem  Abdrucke  durchführen  zu  können.  Um  sie  aus 
einander  zu  halten,  genügt  aber  schon  der  eine  Umstand,  dass  jene 
im  Durchmesser  6,9  C.,  dieser  jedoch  7,2  C.  hat.  Jene  scheint  von 
einem  Stempel  herzurühren,  der  schon  ziemlich  abgenützt  war,  dieser 
ist  dagegen  in  allen  seinen  Theilen,  in  den  Buchstaben,  in  der  Dar- 
stellung des  Kopfs  (bartlos),  Gewands  u.  s.  w.,  ungemein  scharf,  ob- 
wohl die  Siegelplatte  selbst  anscheinend  die  Spuren  vielfacher  Benützung 
zeigen  soll,  und  er  lässt  z.  B.  ohne  Weiteres  erkennen,  dass  das,  was 
Philippi  als  eine  Art  Brustschild  bezeichnet,  eine  runde  Agraffe  ist,  die 
das  Gewand  unter  dem  Halse  zusammenhält. 

Die  Umschrift   des   neuen  Stempels   lautet   mit  Auflösung  einiger 
Ligaturen : 
+FRIDERIC  VS  •  DI  -GRA-  ROM  ANOl^  ■  IMPERATOR  •  ?SEP-  AVG  VST  '7 


REX-SICL 
wozu  dann  noch 
rechts  und  links 
vom  Throne  im 
Felde,  nicht  ganz 
aufgeraderLinie, 
hinzugefügt  ist  j 
7REX— IERLM 
Die  Abkürzungs- 
striche der  Um- 
schrift bestehen 
in  Verdickungen 
der  äusserenüm- 

fassungslinie  an  (Von  7,2  auf  5,7  C.  verkleinert.) 

Stempelschneider  gemacht  hat,  indem  er  auch  an  den  Schluss  von 
IMPERATOR  ein  Abkürzungszeichen  gesetzt  hat  wie  bei  ROMA  NOR, 
würde  wohl  auch  kaum  zur  Verdächtigung  ausreichen.  Ebenso  wenig 
der  Umstand,  dass  Abdrücke  des  Stempels  an  Urkunden  sonst  nicht 
bekannt  geworden  sind,  da  es  wohl  denkbar  ist,  dass  die  verhältniss- 
mässig  geringen  Unterschiede  von  dem  durch  Philippi  beschriebenen 
übersehen  wurden.  Auch  dass  zwei  Stempel  neben  einander  im  Ge- 
brauche gewesen  sein  müssten,  könnte  keinen  Anstoss  erregen.     Aber 


den  betreffenden 
Stellen. 

Die  Form  der 
Buchstaben,  wie 
überhaupt  die 
ganze  Zeich- 
nung, giebt  mei- 
nes Erachtens 
keinen      Anlass 
zum     Verdachte 
gegen  die  Echt- 
heit   des   neuen 
Stempels  und  der 
Fehler,    den  der 


Kleine  Mittheilungen.  437 

es  bedarf  dieses  Ausweges  nicht  einmal.  Denn  wenn  Techniker  nicht 
etwa  aus  der  Art  des  Stempelschnitts,  die  ich  nicht  zu  beurtheilen  ver- 
mag, den  neu  aufgetauchten  Stempel  als  Fälschung  erweisen,  steht 
nichts  der  Annahme  im  Wege,  dass  wir  in  ihm  gerade  den  Stempel 
haben,  den  der  Kaiser  anfertigen  liess,  als  der  bisher  für  das  König- 
reich gebrauchte  am  18.  Febr.  1248  bei  dem  Ueberfalle  von  Vittoria 
verloren  gegangen  war  (s.  BF.  3667.3670)  —  eine  Annahme,  die  auch 
erklären  würde,  dass  Abdrücke  dieses  Stempels  bisher  nicht  nachweis- 
bar sind.  Denn,  so  weit  ich  sehe ,  sind  bisher  überhaupt  keine  Ori- 
ginalurkunden für  das  Königreich  aus  seinen  letzten  der  Katastrophe 
folgenden  Jahren  zum  Vorschein  gekommen ,  deren  Siegel  zur  Ver- 
gleichung  herangezogen  werden  könnten. 

Heidelberg.  E.  Winkelmann. 


Literatur. 

Neuere  Literatur  über  deutsches  Städte wesen. l) 

III. 

1.  Georg  v.  Below,  Zur  Entstehung  der  deutschen 
Stadtverfassung.  Theil  I,  München,  Druck  von  E.  Oldenburg 
1887.     Sonderabdruck  aus  der  Hist.  Zeitschr.  N.  F.  22.  Bd.  8°,  52  S. 

2.  Dasselbe.  Theil  IL,  ebenda  1888,  Sonderabdruck  aus  der  Hist. 
Zeitschr.  N.  F.  23.  Bd.,  8°,  55  S. 

3.  Derselbe,  Die  Entstehung  der  deutschen  Stadtge- 
meinde. Düsseldorf,  Druck  und  Verlag  von  L.  Voss  u.  C.  1889.  8°, 
XI +126  S. 

4.  Karl  Koehne,  Der  Ursprung  der  Stadtverfassung 
in  Worms,  Speier  und  Mainz.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des 
Städtewesens  im  MA.  Breslau,  Verlag  von  W.  Koebner  1890.  8°, 
XXIV  4- 423  S. 

5.  Schulte  Alois,  Ueber  Keichenauer  Städtegrün- 
dungen, in  Zeitschr.  für  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  5  (1890), 
137—169. 

6.  SohmRudolf,  Die  Entstehung  des  deutscheuStädte- 
wesens.  Eine  Festschrift.  Leipzig,  Verlag  von  Duncker  u.  Humblot 
1890.  8°,  102  S. 

7.  J.  E.  Kuntze,  Die  deutschen  Stadtgründungen  oder 
Kömerstädte  und  deutsche  Städte  im  Mittelalter.  Leipzig, 
Druck   und  Verlag   von  Breitkopf  und  Härtel  1891.     8°,  VII +  79  S. 

8.  Georg  Kaufmann,  Zur  Entstehung  des  Städte- 
wesens. Im  Index  lectionum  der  Akademie  zu  Münster  für  das  Som- 
mersemester 1891.  4°. 


•)  Nachfolgender  Artikel  wurde  bereits  anfangs  März  dieses  Jahres  der  Re- 
daction  übergeben,  konnte  jedoch  wegen  Raummangels  nicht  schon  im  2.  Heft 
erscheinen.  ß-  "•• 


Literatur.  489 

9.  Karl  Lamprecht,  Der  Ursprung  des  Bürgerthums 
und  des  städtischen  Lebens  in  Deutschland.  In  Hist.  Zeitschr. 
N.  F.  31  (1891),  385  ff. 

10-  Willi  Varges,  Stadtrecht  und  Marktrecht.  In  Jahr- 
bücher für  Nationalökonomie  3.  Folge,  3  (1892),  670  ff. 

11.  Georg  v.  Below,  Der  Ursprung  der  deutschen 
Stadtverfassung.  Düsseldorf,  Verlag  von  L.  Voss  u.  Cie.  1892- 
8°,  XV +  145  S. 

12.  W.  Varges,  Die  Entstehung  der  deutschen  Städte. 
In  Zeitschr.  für  d.  Kulturgeschichte  2  (1892),  319  ff. 

Erst  drängende  Arbeit,  dann  lange,  schwere  Krankheit  haben  mich 
mit  meinem  im  siebenten  Band  der  Mittheilungen  begonnenen,  im  neunten 
und  zehnten  fortgesetzten  Literaturbericht  in  argen  Rückstand  gebracht. 
Konnte  ich  erst  vor  wenigen  Monaten  an  die  Wiederaufnahme  begonnener 
Arbeit  denken,  und  sie  nur  langsam  zum  Abschluss  bringen,  so  glaubte 
ich  doch  an  jene  ersten  Berichte  anknüpfen  zu  sollen,  wenn  auch  in  Folge 
der  langen  Unterbrechung  die  Rezension  einzelner  Schriften  recht  verspätet 
erscheint.  Dieser  Mangel  wird  aber  vielleicht  dadurch  ersetzt,  dass  wir 
einen  Ueberblick  über  die  Literatur  mehrerer  Jahre  erhalten,  welche  für  die 
Gesammtauffassung  wie  für  die  Einzelforschung  erheblichen  Fortschritt  be- 
deuten, dass  es  uns  im  Zusammenhange  leichter  möglich  sein  wird,  diese 
Fortschritte  nach  Gebühr  zu  würdigen  und  ein  unbefangeneres  Urtheil  zu 
gewinnen,  als  es  im  Gewirr  der  Recensionen,  im  Lärm  des  wogenden 
Kampfes  möglich  gewesen  wäre. 

Zwei  Schriften  v.  Belows,  der,  mit  einer  Geschichte  der  deutschen 
Territorien  beschäftigt,  als  erste  Frucht  dieser  Studien  eine  Geschichte  der 
landständischen  Verfassung  in  Jülich  und  Berg  veröffentlicht  hatte,  stehen 
an  dem  Anfange  einer  literarischen  Bewegung,  welche  die  behagliche  Ruhe 
historischer  Zeitschriften  aufs  empfindlichste  gestört  hat.  Anstoss  zu  der- 
selben gaben  Angriffe  v.  Belows  auf  Nitzsch  und  einzelne  Schüler  des- 
selben, Angriffe  die  ihrem  Inhalte  nach  zum  Theil  berechtigt,  ihrer  Form 
nach  aber  ganz  gewiss  unzulässig  waren  und  die  in  diesem  Betracht  immer 
mehr  gesteigert  wurden.  Sie  gaben  Anlass  zu  einer  heftigen  und  ausge- 
dehnten Zänkerei,  über  deren  literarische  Aeusserungen  wir  kurz  hinweggehen 
dürfen,    da   sie    sachliche    Aufschlüsse    zumeist    nicht  gewähren l).    Es  ge- 


')  Ohne  irgendwie  Anspruch  auf  bibliographische  Vollständigkeit  zu  machen, 
stelle  ich  etliche  Titel  zusammen:  Köhne  in  seinem  oben  verzeichneten  Buche 
p.  360—388  Anhang  I.  Die  Arbeiten  v.  Belows  zur  Geschichte  der  deutschen 
Stadtverfassung.  —  v.  Below  gegen  Köhne  in  Deutsche  Zeitschr.  für  Geschichtsw. 
4,  111  ff.  —  Köhne  gegen  Below  ebenda  5,  139  ff.  mit  Replik  Belows.  —  v.  Be- 
lows Exkurse  gegen  Höniger  Lamprecht  und  Lövinson  in  Nr.  3  und  11.  —  Her- 
mann Lövinson,  Die  Mindensche  Chronik  des  Busso  Watensted  1890.  —  R.  Hö- 
niger Professor  Georg  v.  Belows  Detailpolemik.  Ein  Nachwort  zu  dessen  Ar- 
beiten über  städtische  Verfassungsgeschichte.  Berlin  1892.  69  S.  —  Historische 
Zeitschrift  70  (1893),  378,  Erklärung  der  Redaktion  gegen  Höniger.  —  v.  Below 
Der  Höniger-Jastrow'sche  Freundeskreis.  Ein  Beitrag  zur  Zeitgeschichte.  Düssel- 
dorf 1892,  32  SS.  —  G.  Schmoller  Die  Verwaltung  des  Mass-  u.  Gewichtswesens 


490  Literatur. 

nüge  hier  zu  bemerken,  dass  namentlich  die  Frage  über  die  wissenschaft- 
liche Bedeutung  von  Nitzsch  durch  sie  nicht  die  geringste  Förderung  er- 
fahren hat  und  dass  man  es  lebhaft  beklagen  muss,  gerade  den  Namen 
dieses  edeln  Mannes  mitten  in  solchem  Streit  zu  finden.  Werth  und  Mangel 
des  ausgezeichneten  Gelehrten  lassen  sich  nicht  durch  Absprechen  oder 
Zustimmen  feststellen,  mehr  als  mancher  andere  moderne  Historiker  for- 
dert Nitzsch  zu  ernster  Erforschung  seiner  Persönlichkeit  und  seines  Stre- 
bens  heraus,  für  dessen  gerechte  Würdigung  er  selbst  die  wertvollsten 
Anhaltspunkte  in  seiner  Eede  beim  Eintritt  in  die  Berliner  Akademie  ge- 
boten hat.  Auch  in  anderer  Beziehung  verfehlen  die  Worte,  mit  denen  v.  B. 
seine  Abhandlung  einleitet,  ihr  Ziel.  Der  Verfasser  schreibt  seiner  Arbeit  von 
vornherein  »wenigstens  ein  Verdienst«  zu,  die  Herrschaft  der  Ideen  von  der 
Bedeutung  der  Ottonischen  Immunitäten  und  des  Hofrechts  für  die  städtische 
Entwicklung  gebrochen  zu  haben.  Bestand  denn  wirklich  nach  Heuslers  Buch 
eine  solche  Herrschaft  der  hofrechtlichen  Theorie  ?  Haben  nicht  schon  Waitz 
und  Hegel  in  vielem  den  rechten  Weg  gewiesen?  Eine  andere  »herrschende 
Ansicht«  —  er  liebt  dies  Wort,  um  möglichst  viele  herrschende  Ansichten 
von  dem  Throne,  auf  den  aber  doch  nur  er  sie  gesetzt  hat,  herabwerfen 
zu  können  —  soll  die  Zahl  der  möglichen  Hypothesen  für  erschöpft  an- 
sehen und  es  auf  den  »statistischen  Nachweis«  ankommen  lassen  welche 
Hypothese  durch  die  meisten  Einzelfälle  gestützt  werde.  Er  unter- 
lässt  aber  zu  sagen,  wer  denn  diese  allerdings  nicht  zu  billigende  »herr- 
schende Ansicht«  vertreten  hat.  Niemand  ist  es  wohl  beigefallen,  die  Zu- 
lässigkeit  allgemeiner  Erörterung  der  streitigen  Fragen  zu  verneinen ,  ja 
Höniger  hat  sogar  die  Notwendigkeit  derselben  im  Hinblick  auf  die  Zer- 
fahrenheit in  der  localen  Forschung  betont.  Die  Berechtigung  des  v.  B. 
gemachten  Versuches  war  nicht  anzuzweifeln;  wenn  es  ihm  aber  gelang; 
manche  nebelhafte  Vorstellung  wegzuwehen  und  an  vielen  Punkten  klarer 
und  bestimmter  Richtung  und  Ziel  der  Forschung  anzugeben,  so  ward  ihm 
dies  doch  nur  möglich  durch  die  Ergebnisse  einer  regen  Einzelunter- 
suchung und  mehrerer  ergiebiger  Urkundenveröffentlichungen. 

Wendet  v.  B.  zuerst  einer  der  wichtigsten  Fragen,  der  nach  dem 
Stande  der  Bürger,  sein  Augenmerk  zu,  so  hebt  er  mit  vollem  Rechte  als 
eine    der  Besonderheiten    und    Grundbedingungen    städtischen  Wesens    die 


im  Mittelalter  in  Jahrbuch  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Volkswirthschaft 
17  (1893),  289  ff.  —  v.  Below ,  Die  Verwaltung  des  Mass-  und  Gewichtswesens 
im  Mittelalter.  Eine  Antwort  an  Herrn  Prof.  Dr.  Schmoller.  Münster  1893,  32  SS. 
—  Dazu  eine  ganze  Anzahl  von  Rezensionen  in  verschiedenen  Zeitschriften.  Bei 
der  Lesung  dieser  Schriften  kamen  mir  zwei  Sätze  ins  Gedächtnis:  While  our 
historians  are  practising  all  the  arts  of  controversy,  they  miserably  neglect  the 
art  of  narration  (Macaulay's  Essay  on  History).  On  ne  peut  etre  ä  la  fois  bon 
controversiste  et  bon  historien  (Renan  Etudes  d'hietoire  relig.  pref.  XII.).  Vor 
69  Jahren  schrieb  der  gelehrte  Mann,  der  Gaupps  Büchlein  Ueber  Städtegrün- 
dung in  den  Heidelberger  Jahrbüchern  1825,  Heft  5  und  6  rezensierte :  »Schliess- 
lich noch  eine  Bitte  vielmehr  als  eine  Bemerkung,  nicht  an  den  Verfasser  allein, 
sondern  noch  an  recht  viele  andere  Verfasser,  Notizen  nämlich  von  ganz  sübjec- 
tivem  Werth  nicht  in  die  Darstellung  einzuweben;  sie  sind  jedem  Leser,  der  kein 
persönliches  Interesse  für  den  Autor  hat  (was  doch  immer  nur  bei  sehr  wenigen 
der  Fall  ist)  höchst  lästig.«  Wie  müsste  der  gute  Anonymus  sich  verwundern, 
wenn  er  die  neueren  demselben  Gegenstande  gewidmeten  Schriften  zu  besprechen 
hätte. 


Literatur.  49  ^ 

Entwickelung  des  Stadtrechtsgutes  hervor,  das  heisst  des  Besitzes  der  ohne 
Eintritt  in  ein  Hofrecht  erworben  werden  konnte  und  nicht  dem  Hofge- 
richte, sondern  dem  aus  dem  öffentlichen  Gerichte  hervorgegangenen  Stadt- 
gericht unterstand.  Mit  klarem  Blick  hat  er  erkannt,  dass  die  städtische 
Entwickelung  nicht  aus  dem  Hofrechte  heraus,  nicht  innerhalb  desselben 
sondern  neben  ihm  sich  vollzieht.  Dieser.  Satz  wird  auch  dadurch  nicht 
beschränkt,  dass  in  manchen  Fällen  die  Bildung  eines  städtischen  Gemein- 
wesens innerhalb  des  Hofrechts  vor  sich  gehen  kann.  Diese  Scheidung 
zwischen  Stadtrecht  und  Hofrecht  vermag  v.  B.  namentlich  an  der  Hand 
des  ersten  Strassburger  Stadtrechts,  dieses  seit  Eichhorn  stets  für  die 
hofrechtliche  Auffassung  angeführten  Weisthums,  klar  zu  legen  1).  Weniger 
dürfte  seine  Deutung  der  Speirer  Urkunden  befriedigen 2).  Auch  die 
daran  sich  anschliessende  scharfe  Ablehnung  des  hofrechtlichen  Ursprungs 
der  Zünfte  ist  nicht  schlechthin  anzunehmen.  Ganz  unzweifelhaft  ist  ihm 
darin  Recht  zu  geben,  dass  von  einer  allgemeinen  und  für  alle  Gewerbe 
giltigen  Ableitung  der  Zünfte  aus  dem  Hofrechte,  von  einer  allgemeinen 
Unterstellung  der  Handwerker  unter  dasselbe  nicht  die  Rede  sein  kann. 
Es  läuft  auch  hier  eine  gleichartige,  doppelte  Entwicklung,  es  gab  in  den 
Hofrechten  Handwerker,  es  gab  von  Anfang  an  städtische  Handwerker 3), 
beide  Klassen  erscheinen  auch  in  späterer  Zeit  genau  getrennt..  Irgend- 
welche allgemein  giltige  Scheidung  etwa  nach  Gewerben  erscheint  mir  un- 
zulässig, hier  waren  die  verschiedenen  örtlichen  Einflüsse  massgebend; 
nur  eingehende  örtliche  Forschung  kann  da  zu  weiterem  Ergebnisse  führen 
und  dabei  ist  dann  v.  Belows  Mahnung,  den  Ursprung  der  einzelnen  Lei- 
stungen und  Verpflichtungen,  die  auf  den  Handwerkern  ruhen,  unbefangen 
zu  erforschen,  recht  zu  beherzigen.  Der  an  sich  berechtigten  Widerlegung 
der  verschiedenen  Auffassungen  von  dem  Einflüsse  der  ottonischen  Privi- 
legien auf  die  ständischen  Verhältnisse  ist  in  der  Hauptsache  zuzustimmen. 
Mit  scharfer  Dialectik  hat  v.  B.  Widersprüche  und  Mängel  aufgedeckt,  die 
an  den  Darlegungen  Eichhorns,  Arnolds  und  Heuslers  haften,  aber  den 
Kern  der  Sache  hätte  er  wohl  besser  herausgeschält,  wenn  er  sich  die 
Mühe  genommen  hätte,  die  ottonischen  Privilegien  selbst,  nicht  blos  die 
Aeusserungen  über  sie,  zu  betrachten.  Darauf  komme  ich  noch  zu  sprechen. 
Auch  seine  Bemerkung,  dass  die  Scheidung  in  bischöfliche,  königliche  und 
landesherrliche  Städte  dem  Wesen  der  Sache  nicht  entspricht,  wird  man 
annehmen,  da  ja  im  Grunde  die  Bischöfe  ebenso  Landes(Stadt)herrn  sind, 
wie  die  Laien  und  Aebte;  aber  es  ist  für  die  geschichtliche  Betrachtung 
doch  sehr  wesentlich,  dass  in  den  bischöflichen  Städten  die  stadtherrliche 
Gewalt  ganz  eigens  geartet  war  und  dementsprechend  auch  die  Abgren- 
zung derselben  gegenüber  der  Gemeinde  sich  verschieden  gestaltet,  uns 
daher  ein  ganz  verschiedenes  Geschichtsbild  vor  Augen  tritt. 

J)  Vgl.  auch  Baltzer  in  Gott.  Gel.  Anz.  1889,  622  ff.,  der  den  wichtigen 
von  B.  nicht  beachteten  Punkt  hervorgehoben  hat,  dass  gerade  die  von  der  bür- 
gerlichen Ackerfronde  befreiten  Handwerker  zu  gewissen  anscheinend  hofrecht- 
lichen Leistungen  verpflichtet  sind. 

2)  Vgl.  v.  Below  Ursprung  119  und  dagegen  Kolraar  Schaube  Die  Entste- 
hung der  Stadtverfassung  p.  71. 

s)  Schon  das  Edictum  Pistense  unterscheidet  zwischen  den  Bäckern  des 
Grafen,  Bischofs  oder  Abtes  und  denjenigen  die  für  den  Verkauf  backen.  Leeres 
1,  493  §  20.  * 


4g2  Literatur. 

In  seiner  zweiten  Abhandluug  ergänzt  v.  B.  die  mehr  negative  Kritik 
der  ersten,    indem    er  die  Merkmale    der  mittelalterlichen  Stadt    bestimmt 
und    einzeln    beschreibt.    Markt,    Unimauerung,    besonderer  Gerichtsbezirk, 
Bevorzugung    der  Bürger   in  Betreff  der  Lasten    sind  allerdings  unerläss- 
liche  Attribute  der  mittelalterlichen  Stadt,    aber  es  ist  doch  zu  beachten, 
dass  ihnen  weder  in  logischer  noch  in  materieller  Hinsicht  gleicher  Werth 
zukommt.  Kann  auch  die  Stadt  des  Marktes  nicht  entbehren,  so  ist  dieser 
doch  nicht  an  die  Stadt  gebunden,  kann  auch  an  andern  Orten  abgehalten 
werden    und    die  Bevorzugung    in  Betreff   der  Lasten   ist  wohl  eher  eine 
Folge    als    ein    bedingendes    Merkmal    städtischen  Lebens.     So    bleibt    als 
erstes  wesentliches  Merkmal  die  Befestigung,  wie  das  schon  der  Sachsen- 
spiegel und  nach  ihm  Gaupp,  Frensdorff,  Planck  u.  a.  betont  haben,  wo- 
zu   dann    die  Ausscheidung    aus  dem  Landgericht,    »als  ein  geschlossener 
Rechtskreis  mit  gesonderter  Gerichtsgewalt«   hinzutritt 1).  Ein  Moment,  die 
Ausbildung  einer  eigenartigen  Gemeindeverfassung,  ist  v.  B.  in  dieser  Ab- 
handlung noch  geneigt,  in  zweite  Keihe  zu  stellen.  Ausführlicher  bespricht 
der  Verfasser    entsprechend    der    vorragenden  Wichtigkeit    nur  die  Eigen- 
schaft der  Stadt  als  Gerichtsbezirk.     Im  Anschluss  an  andere  Forscher  be- 
trachtet v.  B.  das  Stadtgericht  als  öffentliches  Gericht,  das  von  dem  Raths- 
gerichte  (städtischem  Gemeindegericht)  zu  sondern  ist.     Wenn  v.  B.  auch 
in  diesem  Abschnitt  den  ottonischen  Immunitäten  »jede  Bedeutung  für  die 
städtische  Entwickelung «  abspricht  und  es  schlankweg  läugnet,  dass  durch 
dieselben  »besondere  Stadtgerichtsbezirke«    geschaffen  wurden,    so  ist  das 
trotz  allen  scharfsinnigen  Einwendungen    nicht  zuzugeben.     Die  Urkunden 
für  Speier  und  Strassburg  (DO.  I.   379   DDO.  IL   94.   267),    die  Bannver- 
leihungen an  einzelnen  Orten,    die  Exemtionen  einzelner  Orte,  wie  sie  mit 
Do.  IL  200  beginnen,    sind    deutliche  Beispiele    für  solche  besondere  Ge- 
richtsbezirke.    Dass  die  letzteren  neuartigen  Formeln  gerade  von  Wormser 
und  Magdeburger  Dictatoren  eingeführt    wurden,    mag    wohl    ebensowenig 
ein  Zufall  sein,    als  die  Annäherung  an  italienische  Vorlagen  in  manchen 
Urkunden.     Wenn    v.  B.    meint,    der  Vogt    habe   ja    doch    über  die  Stadt 
hinaus  seine  Gewalt  geübt,  so  ist  das  richtig,    aber    nicht    auf  Vogt  und 
Grafen  kommt  es  an,    sondern  auf   den  ministerialis  comitis,    auf  villicus 
oder  scultetus.     Nur  das  eine  mag  v.  B.  zugegeben  werden,  was  ja  schon 
Gaupp  gegenüber  Eichhorn  richtig  gestellt  hat,  dass  die  Immunität  an  sich 
keine  Ausscheidung  eines  besonderen  Gerichtsbezirkes  bedeutet,  und  auch 
darin  mag  man  ihm  zustimmen,    dass    in    der  ottonischen  Zeit    von  einer 
bewussten    und   allgemeinen  Regelung    dieser  Verhältnisse  nicht  die  Rede 
ist,  aber  die  ersten  und  zwar  gar  nicht  vereinzelten  Anfänge  der  spätem 
Entwickelung  sind  für  den  nicht  zu  verkennen,    der    die  zwei  Baude    der 
neuen  Diplomataausgabe    aufmerksam    durchforscht.      Mit    guten    Gründen 
lehnt  v.  B.  die  Ansicht  Lamprechts  von  den  Zendereien  ab  und  schildert 
übersichtlich  den  Organismus  des  Stadtgerichts,  die  Theilnahme  der  Bürger- 
schaft an  der  Bestellung  des  Stadtrichters  und   das  Verhältniss  des  Rates 


')  Planck  Gerichtsverfahren  1,  21:  Dis  Stadt  ist  ihm  (dem  Sachsenspiegel) 
ähnlich  der  Burg  ein  mit  Erlaubnis  des  Landrichters  befestigter,  allenfalls  kraft 
königlicher  Bewilligung  mit  Marktgerechtigkeit  begnadeter  Ort  dessen  Bewohner, 
wie  das  Dorf,  eine  aus  Burmester  und  Buren  zusammengesetzte  Gemeinde  bilden. 


Literatur.  493 

zu  dem  öffentlichen  Stadtgerichte,  eine  Sache  die  seit  jeher  zu  vieler  Ver- 
wirrung Anlass  gab,  sich  aber  nach  v.  Belows  Vorgang  reinlich  und  sauber 
darstellen  lässt.  Auch  die  Bemerkungen  über  das  Stadtrechtsgut,  die  Ein- 
schränkung der  Kriegspflicht,  über  die  öffentlichen  und  privaten  Lasten 
der  Stadtgemeinde  mögen  bei  der  Einzelforschung  Beachtung  finden. 

Ganz  gewiss  kommt  beiden  so  lebhaft  bekämpften  Abhandlungen  ein 
methodischer  Werth  zu,  mit  scharfer  Axt  hat  v.  B.  in  dem  wirren  Ge- 
strüpp sich  verschlingender  Irrthümer  den  Weg  für  die  weitere  Forschung 
gehauen  und  für  die  Auswahl  wie  die  Anordnung  des  Stoffes  in  Forschung 
und  Darstellung  belangreiche  Anregung  gegeben.  Daher  mag  die  aphori- 
stische Art  seines  Vortrags  hingenommen  werden,  wenn  sich  auch  nicht 
verhehlen  lässt,  dass  eine  tiefer  greifende  Forschung  die  Ergebnisse  manch- 
mals  ganz  anders  gestaltet,  in  allen  Fällen  besser  begründet  haben  würde. 
Diesen  Mangel  hat  übrigens  v.  B.  selbst  erkannt  und  eingestanden,  er 
war  denn  auch  bemüht,  ihm  in  seinen  folgenden  Schriften  wenigstens 
theilweise  abzuhelfen. 

Ueber  die  beiden  ersten  in  der  Hauptsache  kritischen  Aufsätze  hinaus 
schreitet  v.  B.  in  einem  selbständig  erschienenen  Buche  (3)  zur  Kundge- 
bung seiner  eigenen  Ansicht  von  der  Entstehung  der  Stadtverfassung. 
Nach  seinem  ersten  Vorworte  hätte  man  allerdings  erwarten  müssen,  dass 
v.  B.  die  Zahl  der  vorhandenen  Hypothesen  um  eine  neue  vermehren 
würde,  statt  dessen  beschränkt  er  sich  darauf,  die  Ansicht  v.  Maurers  auf- 
zunehmen, schärfer  zu  umgrenzen  und  von  der  ihr  anhaftenden  Unklarheit 
und  Ungenauigkeit  der  Begründung  zu  befreien.  War  dabei  v.  B.  insoferne 
auf  dem  rechten  Wege,  als  der  eigentlichen  Gemeindeverfassung  über  all 
den  schönen  Ausblicken  auf  Reichsunmittelbarkeit,  republikanische  Verfassung 
u.  ä.  viel  zu  geringe  Aufmerksamkeit  geschenkt  worden  ist,  so  hat  er 
meines  Erachtens  einen  Fehler  darin  begangen,  dass  er  schlechthin  von 
Entstehung  der  Stadtgemeinde  aus  der  Landgemeinde  spricht,  deren  einer 
wesentlicher  Bestandtheil  unzweifelhaft  die  Almende  ist,  die  bei  der  städti- 
schen Entwicklung  sehr  zurücktritt,  ja  ganz  fehlen  kann,  was  natürlich 
zu  berechtigten  Angriffen  namentlich  von  Seite  Schultes  und  Gotheins  ge- 
führt hat  Dazu  kommt,  dass  das  Wort  Landgemeinde  an  sich  einen  Ge- 
gensatz zur  Stadtgemeinde  bezeichnet,  dass  man  also  von  Landgemeinden 
erst  nach  der  Ausbildung  der  Stadtgemeinde  sprechen  sollte.  Da 
entsteht  notwendigerweise  eine  Zweideutigkeit,  indem  v.  B.  bald  von  einer 
Landgemeinde  spricht,  aus  welcher  sowohl  die  Stadt-  als  auch  die  spätere 
Landgemeinde  hervorgegangen  sind,  bald  eben  von  dieser  spätem  Land- 
gemeinde. Gibt  es  nun  Anfangs  allerdings  nur  Landgemeinden,  da  ja 
auch  das  was  man  Städte  nennt,  in  früherer  Zeit  den  Dorfschaften  gleich 
zu  achten  ist  *),  so  hätte  es  doch  der  Darstellung  zu  grösserer  Klarheit 
verholfen,  wenn  v.  B.  das  Wort  Gemeinde  gebraucht  und  zwischen  den 
drei  Theilen  derselben,  der  eigentlichen  Ansiedelung,  der  Feldgemeinschaft 
und  der  Markgenossenschaft  unterschieden  hätte.  Nur  die  erstere  kommt, 
wie  ich  glaube,    wesentlich    für  die    städtische    Entwickelung    in  Betracht. 

Folgen  wir  nach  diesem  grundsätzlichen  Vorbehalt  der  Untersuchung 


')  Vgl.  Waitz  Vfgg.  2a,  415. 


494  Beer. 

v.  Belows.  Zuerst  bespricht  derselbe  das  Wesen  und  den  Organismus  der 
alten  Gemeinde  und  verneint  die  von  Gierke  dann  neuerdings  von  Phi- 
lippi  l)  verfochtene  Ansicht,  dass  dieselbe  ein  Glied  der  öffentlichen  Ver- 
fassung sei,  nimmt  vielmehr  im  Anschluss  an  Sohm  und  Waitz  eine  au- 
tonome Bildung  an,  der  allerdings  nicht  lediglich  agrarische  Funktionen 
zukommen,  die  aber  unter  dem  Einfluss  der  sich  bildenden  Grundherr- 
schaften nur  in  seltenen  Fällen  und  in  einzelnen  Gebieten  ihre  Autonomie 
bewahrt  hat.  Daran  schliesst  sich  eine  Uebersicht  der  Entwickelung  in  ein- 
zelnen Orten,  welche  eben  den  Zusammenhang  zwischen  Stadt-  und  Land- 
gemeinde deutlich  machen  soll.  Ich  kann  mich  an  dieser  Stelle  nicht  auf 
alle  Einzelheiten  einlassen,  nur  eine  Frage  möchte  ich  eingehender  be- 
sprechen. Gegenüber  v.  B.  meine  ich,  dass  in  Hameln  das  Burmesteramt 
nicht  eine  anlässlich  der  Aufhebung  des  Schultheissenamtes  eingeführte 
Analogiebildung  ist,  sondern  dass  es  hier  von  Anfang  an  bestanden  und 
die  Kompetenz  des  alten  Gemeindevorstehers  behalten  hat,  während  der 
scultetus  nichts  anderes  ist  als  der  alte  Centenar,  dem  auch  das  Amt  des 
hofrechtlichen  villicus  zugefallen  war  -).  v.  B.  will  nämlich  zwei  Urkun- 
den des  Jahres  1266  dahin  deuten,  dass  sie  die  Aufhebung  des  Schult- 
heissenamtes bezeugen,  und  da  in  einer  derselben  zum  erstenmale  der  bur- 
mester  erwähnt  wird,  so  ergibt  sich  ihm  obige  Auslegung.  Schon  Ilgen 
Herford  p.  29  hat  sich  gegen  v.  Belows  Auffassung  im  Allgemeinen  er- 
klärt, ich  will  hier  nur  nachweisen,  dass  die  Urkunden  zu  anderer  Deu- 
tung berechtigen.  Noch  in  einer  Urkunde  von  j  265  (ÜB.  nr.  58)  wird 
Conradus  scultetus  Hamelensis  erwähnt,  in  Urk.  nr.  59  (1266)  über  die 
Verpfändung  eines  Viertels  der  advocatia  steht  unter  dem  Zeugen  Hein- 
ricus  de  Eylenhusen  dapifer  (episcopi  Mindensis)  et  schultetus  Hame- 
lensis, in  Urk.  nr.  60  vom  selben  Jahre  schliesst  Conradus  miles  dictus 
scultetus  Hamelensis  einen  Vergleich  über  drei  Hufen  in  villa  Affordhe, 
in  dieser  Urkunde  steht  unter  den  als  Zeugen  angeführten  cives  der  bur- 
mester  Gerwicus.  Muss  aus  diesen  Urkunden  auf  die  Erwerbung  des  Schul- 
theissenamtes durch  die  Stadt  geschlossen  werden  V  War  der  Truchsess  in 
der  That  Schultheiss  von  Hameln  ?  Ist  es  nicht  viel  wahrscheinlicher,  dass 
man  vor  scultetus  den  Taufnamen  weggelassen  hat,  wie  man  in  Urkunden 
auch  schlechthin  von  einem  advocatus,  praepositus  Wormatiensis  spricht? 
Ist  dem  dictus  wirklich  solche  Bedeutung  zuzuschreiben,  dass  man  daraus 
folgern  darf,  Conrad  habe  nicht  das  Amt  inne  gehabt,  scultetus  sei  nur 
mehr  sein  Zuname?  Man  liest  doch  auch  dicti  consules  u.  Ae.  und  in 
spätem  Urkunden  von  1268,  1270  finden  wir  Conrad  wieder  ohne  dictus 
und  neben  ihm  seinen  Sohn  einfach  als  Heinricus  filius  scultheti.  Erst  im 
Jahre  1277  wird  uns  berichtet  (nr.  79),  dass  die  Stadt  das  officium  scul- 
theti in  civitate  (nicht  in  bonis  praepositi)  angekauft  hat  und  erst  vom 
Jahre  1249  an  finden  wir  den  Heinricus  Sculthetus  unter  den  famuli  oder 
milites,  ihn  und  seine  Nachkommen  als  Lehensträger  der  curia  scultheti 
cum  omnibus  juribus  et  pertinentiis,  die  sie  dann  dem  Kate  weiterleihen, 
bis  dieser  im  Jahre   1327   die  proprietas  super    officium    scultheti  (soweit 


J)  Hansische  Geschichtsbl.  1889,  174  ff. 

2)  Vgl.  Meinardus  ÜB.  nr.  37  (1260)  collatio  .  .  .    villicationis    quod    dicitur 
sculteitammet  immediate  pertinet  ad  (episcopura  Mindensem). 


Literatur.  495 

er  sie  nicht  schon  hatte)  cum  curia  infra  oppidum  Hamelense  erwirbt.  Dass 
nun  gerade  in  nr.  60  der  burmester  erwähnt  wird,  hat  seinen  Grund 
darin,  dass  das  bezeichnete  Dorf  zu  jenen  gehört,  die  an  der  Hameler  Al- 
mende Antheil  hatten,  deren  Beaufsichtigung  eben  dem  Burmeister  zu- 
stand. Man  sieht,  dass  auch  v.  B.  in  den  Fehler  verfallen  kann,  die  Ur- 
kunden nicht  unbefangen,  sondern  im  Banne  seiner  Ansicht  zu  deuten. 

In  systematischer  Anordnung  bespricht  nun  v.  B.  die  einzelnen  Be- 
ziehungen zwischen  der  altern  Gemeinde  und  der  Stadtgemeinde.  Dass 
ich  in  diesem  Zusammenhange  den  ersten  Abschnitt  über  die  Stadt  als 
Markgenossenschaft  nicht  zu  billigen  vermag,  geht  aus  früherem  hervor. 
Ich  möchte  noch  darauf  hinweisen,  dass  die  alte  Markgenossenschaft 
neben  der  Bürgerschaft  bestehen  kann  und  besteht,  dass  die  Stadt 
nicht  die  freie  Verfügung  über  die  Almende  hat,  darin  nicht  allein 
an  die  Zustimmung  des  Stadtherrn ,  sondern  auch  der  vollberech- 
tigten Markgenossen,  der  ervesaten,  gebunden  ist.  Nicht  alle  Bürger 
müssen  Markgenossen  sein,  nicht  alle  Markgenossen  Bürger.  Erst  nach 
der  Bildung  einer  Stadtmark  im  neuern  Sinne,  welche  sich  nach  dem 
Durchgang  durch  die  Periode  der  Stadtherrschaft  vollzieht,  kann  man  wie- 
der von  der  Stadt  als  Markgenossenschaft  sprechen  (Gierke  2,  659).  Diese 
neue  Stadtmark  aber,  in  welcher  die  alte  Almende  nur  einen  Theil  bildet, 
scheint  mir  eher  eine  Folge  denn  ein  Ausgangspunkt  städtischen  Wesens  zu  sein. 

Das  grösste  Gewicht  legt  v.  B.  auf  die  Kompetenz  des  Rathes  oder 
der  andern  kommunalen  Organe  in  der  Ordnung  von  Mass  und  Gewicht. 
An  diesen  Kern  setzt  sich  die  gesammte  Thätigkeit  des  Bathes  für  die 
Handhabung  des  Gewerbe-  und  folglich  auch  des  Zunftwesens  an.  Eben  diese 
Ordnung  von  Mass  und  Gewicht  ist  nun  nach  Below  uralte  Gemeindekompe- 
tenz und  wird  so  der  Mittelpunkt  seiner  ganzen  Beweisführung,  ihr  widmet 
er  sowohl  in  der  Entstehung  der  Stadtgemeinde  als  auch  in  dem  Ur- 
sprung der  deutschen  Stadtverfassung  ein  eigenes  Kapitel  und  die  letztere 
Schrift  schliesst  er  mit  den  Worten:  »Wenn  jedoch  jemand  den  Nachweis 
erbringt,  dass  der  mittelalterliche  Staat  sich  eingehend  mit  sozialen  und 
wirthschaftlichen  Fragen  beschäftigt  hat  und  namentlich,  dass  die  Ordnung 
von  Mass  und  Gewicht  Regal  gewesen  ist,  so  will  ich  mich  gern  in  der 
Hauptsache  für  besiegt  erklären.«  Um  diesen  Satz  zu  widerlegen,  würde 
man  vor  allem  eine  genaue  Bestimmung  dessen  brauchen,  was  denn  v.  B. 
unter  dem  Worte  Regal  versteht,  in  welchem  Sinne  er  es  gedeutet  haben 
will.  Auf  S.  60  erklärt  er  Regal  gleich  staatliches  Recht  und  S.  59  stellt 
er  die  Ordnung  von  Mass  und  Gewicht  in  Gegensatz  »gegen  Zoll-,  Markt-, 
Münz-  und  Geleitsregal  u.  s.  w.«  Er  nimmt  das  Wort  also  einmal  im 
mittelalterlichen  Sinne  für  die  dem  König  zustehenden  Befugnisse,  dann 
vermengt  er  Hoheitsrechte  und  nutzbare  Regalien  im  neuern  Sinne  mit 
einander.  Bleiben  wir  bei  seiner  ersten  Bestimmung,  so  fordert  er  den 
Nachweis,  dass  die  Ordnung  von  Mass  und  Gewicht  »staatliches  Recht« 
gewesen  sei  und  diesen  Nachweis  hat  Schmoller  zu  führen  versucht. 
Die  Art  der  Beweisführung  Schmollers  ist  aber  keineswegs  in  allen  Punkten 
zu  billigen  und  v.  B.  hat  gegen  dieselbe  ganz  begründete  Einwendungen 
erhoben.  Die  verfehlte  Auffassung,  welche  Schmoller  von  der  Thätigkeit 
der  Geistlichkeit  hat,  führte  ihn  zu  einer  irrigen  Auslegung  der  von  ihm 
citirten  Stelle  des  Edictum  Pistense  und  zu  einer  Ueberschätzung  derBuss- 


496  Literatur. 

Ordnungen  wie  der  Sendgerichte.  Aber  davon  abgesehen  ist  sein  Satz, 
dass  seit  der  karolingiscken  Verfassung  die  Sorge  für  gutes  Mass  und  Ge- 
wicht ein  Bestandtheil  der  öffentlichen  Gewalt  geworden  war,  unzweifel- 
haft richtig.  Er  hätte  dafür  noch  die  von  Knut  und  Wilhelm  dem  Eroberer 
bestätigten  Verordnungen  der  angelsächsischen  Könige  x)  anführen  können, 
sowie  die  merkwürdige  Anrede  des  Herzogs  Boleslaus  von  Böhmen  an 
seinen  Sohn  2) :  Est  aliquid,  fili  mi,  quod  Karolus  rex  sapientissimus  et  manu 
potentissimus  haud  aequiperandus  nobis  hominibus  valde  humilibus,  cum 
filium  suum  Pipinum  post  se  in  solio  sublimandum  disponeret,  cur  terri- 
bili  eum  sacramento  constringeret,  ne  in  regno  suo  subdola  et  grava  ta- 
xatio  ponderis  auf  monetae  fieret«.  Cosmas  betrachtet  ebenso  wie  die 
englischen  Könige  die  Sorge  für  das  Gewicht  als  Pflicht  des  Herrschers 
und  stellt  sie  auf  eine  Linie  mit  der  Aufsicht  über  die  Münze.  Wie  es 
mit  der  Erfüllung  dieser  Pflicht  bestellt  war,  das  ist  eine  andere  Frage, 
v.  Below,  dem  ja  einzelne  Beispiele  für  die  Einflussnahme  der  öffentlichen 
Gewalt  auf  diese  Dinge  bekannt  waren,  hat  sich  allerdings  ein  Hinter- 
thürchen  geöffnet,  indem  er  einerseits  darin  nur  willkürliche,  sporadische 
Ein-  in  seinem  Sinne  gesagt  Uebergriffe  der  öffentlichen  Gewalt  sieht,  anderer- 
seits dort  wo  der  Stadtherr  ein  regelmässiges  Recht  über  Mass  und  Ge- 
wicht übt,  erklärt,  derselbe  handle  nicht  als  Inhaber  der  öffentlichen  oder 
hofrechtlichen  Gewalt,  sondern  als  Gemeindeherr.  Es  ist  nun  eine  sehr 
schwere  Sache  zu  scheiden,  was  der  Herr  als  Grundherr,  was  er  als  Ge- 
meindeherr thut,  selbst  wenn  man  der  Entstehung  p.  17  gegebenen  Dar- 
stellung folgen  würde. 

Prüfen  wir  zunächst  den  urkundlichen  Beweis  v.  Belows.  Urspr.  64 
weist  er  darauf  hin,  dass  in  Städten,  die  zwei  Stadtherrn,  einen  Landes- 
und einen  Gemeindeherrn  haben,  die  Ordnung  von  Mass  und  Gewicht, 
dem  Gemeindeherrn  zusteht,  als  Beispiele  führt  er  an  Straubing,  Hameln 
»und  wie  mir  scheint  Herford«.  Nur  bei  ersterer  Stadt  ist  ausdrücklich 
von  der  Aufsicht  über  Masse  und  Gewichte  die  Rede  und  zwar  steht  sie 
dem  Augsburger  Domcapitel  als  dem  Grundeigentümer  zu,  welches  auch  das 
Marktrecht,  die  niedere  Geiichtsbarkeit  und  den  Hofstättenzins  innehat. 
Weder  in  Herford  noch  in  Hameln  wird  die  Ordnung  von  Mass  und  Ge- 
wicht erwähnt,  in  Herford  hat  das  der  Aebtissin  gehörige  Burggericht  zu 
entscheiden  de  venditionibus  et  emtionibus  cibarioruni  et  censibus  arearum, 
wir  haben  also  auch  hier  grundherrliche  Rechte  unter  die  man  die  Ord- 
nung von  Mass  und  Gewicht  einreihen  müsste.  In  Hameln  dagegen  hat 
der  Schultheiss  die  Aufsicht  über  den  Verkauf  der  cibaria  und  eine  Reihe 
anderer  Rechte,  welche  sehr  an  die  Befugnisse  erinnern,  die  der  Graf  von 
Namur  in  Dinant  durch  seine  Ministerialen  ausüben  lässt.  Im  Gegensatz 
gegen  Pirenne  nimmt  allerdings  v.  B.  an,  der  Graf   übe  diese  Rechte  als 


')  Schmid,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen  p.  192  Edgar  III,  8  Be  mynetum 
and  gemetum  (Stubbs  Sei.  eh.  71)  p.  224  Aethelred  V,  24  false  gewihta  und  wöge 
gemeta  p.  230  VI,  28,  p.  232,  VI,  32,  letzteres  wiederholt  von  Cnut  II,  9  j  p.  355 
Wilh.  III,  7  Et  quod  habeant  per  Universum  regnum  mensuras  fidelissimas  et 
signatas  et  pondera  fidelissima  et  signata  sicut  boni  predecessores  statuerunt. 

2)  Cosmae  Chron.  1  c.  33  Mon.  Germ.  SS.  9,  55.     Stadtgemeinde  63. 


Literatur.  497 

Gemeindeherr  und  zwar  weil  er  den  Brauhausbann  hat :).  Dabei  über- 
sieht er,  dass  gerade  in  den  niederländischen  Gebieten  die  Braugerecht- 
same der  öffentlichen  Gewalt  untersteht  und  von  ihr  verliehen  wird,  also 
nutzbares  Eegal  ist.  Vgl.  DO.  III.  85  Otto  gestattet  dem  Bischöfe  Notker 
von  Lüttich  ut  in  loco  Fossas  nuncupato  theloneum  rnercatumque  et  mo- 
netam  et  materiam  cervise  constitueret ,  DO.  III  312  Otto  schenkt  der 
bisch.  Kirche  zu  Utrecht  omnem  districtum  super  villam  Bomele  et  super 
cuncta  quae  ad  eandem  villam  pertinent,  videlicet  publicae  rei  subiecta, 
theloneum  vero  monetam  et  negotium  generale  fermentatae  cervisie ,  was 
dann  näher  ausgeführt  und  am  Schlüsse  nochmals  zusammengefasst  wird 
in  den  Worten:  atque  eundem  districtum  cum  moneta,  banno  et  theloneo 
et  totius  publice  rei  functione.  Beruft  sich  nun  der  Graf  von  Namur 
wegen  seines  Rechtes  über  die  Almende  auf  die  potestas  et  justicia  quam 
tenet  a  rege,  so  werden  wir  doch  in  der  allzubestimmten  Ausscheidung 
der  gemeindeherrlichen  Befugnisse  sehr  zur  Vorsicht  gemahnt.  Dass  auch 
in  Toul  die  Ordnung  von  Mass  und  Gewicht  zum  comitatus  gehört  hat, 
glaube  ich  aus  dem  Umstände  schliessen  zu  dürfen,  dass  der  Graf,  obwohl 
ihm  über  beides  die  Verfügung  entzogen  ist,  doch  ein  Drittel,  der  Bischof 
zwei  Drittel  der  Bussen  erhält.  Wenn  aber  der  Bischof  als  Gemeindeherr 
die  Münze  ausschliesslich  sich  und  seinen  Officialen  vorbehält,  die  Masse 
dagegen  seiner  städtischen  Behörde,  dem  Villicus  und  den  Schöffen  überlässt, 
so  waren  für  ihn  dabei  kaum  verfassungsgeschichtliche  Erwägungen,  son- 
dei*n  das  practische  Bedürfnis  und  sein  eigenes  Interesse  massgebend. 

Gegenüber  den  Belegen  für  den  öffentlichen  Character  der  Ordnung 
von  Mass  und  Gewicht  finde  ich  vor  Allem  in  Bezug  auf  die  Annahme 
der  Gemeindekompetenz  zwei  Hauptfragen  unbeantwortet:  Hat  denn  die  alte 
Gemeinde  wirklich  ganz  allgemein  die  Ordnung  von  Mass  und  Gewicht  ge- 
handhabt? v.  B.  bringt  einen  unmittelbaren  Beweis  nicht  bei  und  sein 
disjunktiver  Schluss,  diese  Ordnung  ist  weder  staatlich,  noch  grundherr- 
lich,  folglich  muss  sie  Gemeindecompetenz  sein  (Urspr.  p.  60),  ermangelt 
der  Richtigkeit  des  Obersatzes.  Aber  selbst  dies  zugegeben  müssten  wir 
weiter  fragen:  Wo  findet  sich  eine  ununterbrochene  selbständige  Thätig- 
keit  der  Gemeinde  bezw.  ihrer  Organe  in  diesen  Angelegenheiten?  v.  B. 
gibt  zu,  dass  selbst  in  von  ihm  für  unabhängig  erklärten  Gemeinden  der 
Gemeindeherr  diese  Rechte  übt,  der  sich  doch  gewiss  nicht  als  Organ  der 
Gemeinde  betrachtet  hat,  und  so  finden  wir  denn  auch,  dass  in  der  Regel  die 
Gemeindebehörde  dieses  Recht  entweder  usurpirt  oder  zugestanden  erhält. 
Die  Frage  ist  also  gar  nicht,  woher  hat  der  Rath  das  Recht,  sondern  wo- 
her hat  es  der  Stadtherr?  Und  da  werden  wir  keineswegs  auf  gleichar- 
tige Verhältnisse  stossen.  Manche  Bischöfe  werden  der  Ueberlieferung  aus 
spätrömischer  Zeit  gemäss  dies  Recht  in  ihren  Städten  wohl  von  Anfang 
an  geübt  haben,  andere  erlangten  es  durch  die  Uebertragung  öffentlicher 
Gewalt,  die  meisten  Gemeindeherrn  aber  werden  sich  des  Rechtes  von  selbst 
angenommen  haben,  als  an  sie  die  Pflicht  herantrat,  für  diese  Angelegen- 
heit bei  wachsendem  Verkehr  und  sich  mehrender  Bevölkerung  vorzu- 
sorgen.      Damit    soll    keineswegs    einer    rein    grundherrlichen    Auffassung 

')  Vgl.  auch  Hist.  Zeitschr.  64.  538  wo  v.  B  seine  Ansicht  gegen  Pirennes 
Einwendungen  aufrecht  hält. 

Mittheilungen,  XV.  32 


498  Literatur. 

das  Wort  geredet  sein,  deren  Unmöglichkeit  v.  B.  Urspr.  60  dargethan 
hat.  Aber  ebensowenig  lässt  sich  die  Sache  im  Sinne  des  Verfassers 
deuten  und  verwerten,  vielmehr  wird,  wie  ich  meine,  die  Untersuchung 
auf  den  Ursprung  der  einzelnen  stadtherrlichen  Befugnisse  zu  richten  sein. 

Dagegen  ist  der  Zusammenhang  zwischen  dem  städtischen  Gemeinde- 
gericht und  dem  alten  Burgericht  zuzugeben,  wenngleich  auch  hier  vor 
Veraligemeinung  zu  warnen  ist,  da  das  Burgericht  neben  dem  städtischen 
Gemeindegericht  fortbestehen  kann.  So  vermag  ich  die  Behauptung  v.  B., 
er  habe  den  Nachweis  erbracht,  dass  die  Gewalt  der  städtischen  Kommunal- 
organe aus  der  Landgemeindegewalt  entstanden  sei,  nur  bedingt  und  mit 
aller  Beschränkung  hinzunehmen,  v.  B.  hat  nur  die  Gleichartigkeit  ge- 
wisser Erscheinungen  und  Einrichtungen  der  ältesten  und  der  spätem  Zeit 
erwiesen,  aber  einen  Beweis  dafür,  dass  zwischen  beiden  ein  ununter- 
brochener Zusammenhang  besteht,  nicht  erbracht.  Nicht  zum  Vortheile 
der  richtigen  Erkenntnis  überspringt  v.  B.  das  zehnte  und  elfte  Jahr- 
hundert, er  übergeht  diese  Periode  der  stärksten  Entfaltung  der  Stadt- 
herrschaft, aus  der  uns  allerdings  nur  wenige  urkundliche  Zeugnisse  vor- 
liegen, die  aber  für  irgendwelche  Autonomie  der  Gemeinde  gar  keinen 
Eaum  zu  lassen  scheinen.  Darauf  aber  kommt  es,  wie  ich  meine,  vor  Allem 
an  zu  untersuchen ,  was  wir  in  der  spätem  städtischen  Entwickelung 
auf  ununterbrochene,  wenn  auch  gehemmte  Fortpflanzung  alter  Freiheit 
zurückführen  können  und,  was  wir  als  Erwerb  einer  neuen  Freiheit,  als 
selbständiges  Erzeugnis  zu  betrachten  haben. 

Ganz  deutlich  liegt  eine  solche  Neubildung  in  den  beiden  hauptsäch- 
lichen Organen  der  Stadtgemeinde,  Rath  und  Bürgermeister  vor.  Mit  durch- 
greifenden Gründen  beseitigt  v.  B.  die  Ansichten  von  der  Entstehung  des 
Rates  aus  den  alten  Gemeindevorstehern,  dem  Schöffenkolleg  oder  dem 
Territorialrath,  er  lehnt  es  ab,  für  den  Rath  einen  Anknüpfungspunkt  zu 
suchen  und  bemerkt  treffend,  dass  es  nicht  auf  die  Form,  sondern  auf  die 
Rechtsgrundlage  ankommt  und  in  diesem  Betracht  ist  der  Rath  Gemeinde- 
vertretung, Kommunalorgan.  Das  kann  man  unbedingt  annehmen,  ohne 
deshalb  v.  Belows  Theorie  zu  theilen  und  ohne  seinen  Satz  zu  billigen, 
dass  der  Rath  seine  Befugnisse  von  der  Gemeinde  empfangen  hat.  Nicht 
anders  verhält  es  sich  mit  dem  Bürgermeister.  In  kleinern  Orten  bleibt 
der  (hofrechtliche)  Gemeindevorsteher  im  Amte,  in  den  eigentlichen  Städten 
aber  tritt  der  alte  Gemeindevorsteher  zurück  vor  dem  Rathe  und  wird 
bestenfalls  ein  Mitglied  desselben,  während  aus  dem  Rathe  sich  das  neue 
Amt  des  Raths-  oder  Bürgermeisters  bildet.  Da  nun  der  alte  Gemeinde- 
vorsteher neben  dem  Bürgermeister  seine  Befugnisse  fortbehalten  kann, 
so  besteht  von  vorneherein  weder  ein  äusserer  noch  ein  innerer  Zusammen- 
hang zwischen  beiden  Aemtern. 

Wesentlich  polemischer  Auseinandersetzung  mit  Sohm,  Schulte,  Go- 
thein  u.  A.  sowie  der  bessern  Begründung  der  eigenen  Ansicht  ist  die 
vierte  Schrift  v.  Belows  (]])  gewidmet.  Ich  muss  mir  versagen,  auf  seine 
Ausführungen  des  näheren  einzugehen,  und  ich  bemerke  nur,  dass  er  gegen 
sich  selbst  die  nothwendigen  Folgerungen  zieht  und  manches,  was  er  in 
seiner  zweiten  Abhandlung  noch  stark  betonte,  mehr  zurücktreten  lässt, 
so  vor  allem  den  Markt,  wobei  er  auch  R.  Schröders  Deutung  des  Wortes 
Weichbild  ablehnt.     Wie  wir  auf   einzelnes    schon  Rücksicht  nahmen,    so 


Literatur.  499 

werden    wir    anderes    bei    der  Besprechung    der    folgenden  Bücher   zu  er- 
wähnen haben. 

Ganz  im  Gegensatze  gegen  v.  B.  hat  Kühne  in  ortsgeschichtlicher 
Einzelforschung  die  Frage  nach  der  Entstehung  deutschen  Städtewesens  zu 
lösen  versucht.  (4.)  Stellt  er  sich  im  allgemeinen  auf  Heuslers  Standpunkt, 
so  ist  es  erklärlich,  dass  er  eben  die  rheinischen  Städte  zum  Gegenstände 
gewühlt  hat.  Mit  staunenswerthem  Fleisse  und  grosser  Belesenheit  hat 
sich  K.  seiner  Aufgabe  gewidmet  und  dafür  verdiente  Anerkennung  ge- 
funden, die  ihm  auch  hier  nicht  vorenthalten  sein  soll.  Aber  dieses  Ver- 
dienst wird  wesentlich  geschmälert  durch  den  Mangel  an  Beherrschung  des 
aus  den  entlegensten  Ecken  zusammengesuchten  Stoffes,  ein  Mangel,  der 
sieh  in  der  Anlage  und  der  schwerfälligen  Sprache  um  so  emptindlicher 
äussert,  als  es  sich  um  einen  oft  und  oft  bearbeiteten  Gegenstand  handelt. 
Aus  diesem  Mangel  erklärt  sich  auch,  dass  der  Verfasser  Behauptungen 
vorweg  nimmt  und  verwertet,  deren  Begründung  erst  viele  Seiten  nachher 
versucht  wird,  dass  manchmal  die  These  eines  Kapitels  gar  nicht  in  diesem 
selbst  erwiesen,  sondern  am  Schlüsse  desselben  der  Leser  wieder  auf  ein 
folgendes  vertröstet  wird.  K.  hat  jedenfalls  dabei  den  guten  Willen  ge- 
habt,  den  (hing  seiner  Untersuchung  vor  dem  Leser  klarzulegen,  das  ist 
aber  bei  einem  dicken  Buche  ein  gefährliches  Stück  Arbeit,  das  unge- 
wöhnliche Klarheit  und  hinreissende  Kraft  des  Denkens  wie  der  Beweis« 
führung  verlangt.  Dazu  hat  K.  eine  Pflicht  ausser  Acht  gelassen,  die  bei 
einem  so  angelegten  und  mit  allen  Mitteln  historischer  Kritik  ausgestat- 
teten Buche  unbedingt  erfüllt  werden  muss,  die  volle  Unbefangenheit  der 
Forschung.  Der  Satz,  den  er  beweisen  wollte,  stand  für  ihn  fest  und 
mnsste  bewiesen  werden,  das  führte  ihn  zu  den  bei  solchem  Verfahren 
nothwendigen  Fehlern ,  er  doutet  die  Quellenstellen  unter  dem  Zwange 
seiner  Ansieht  und  verwandelt  im  Verlaufe  seiner  Darstellung  Vermuthung 
in  Gewissheit,  ohne  dass  sich  dafür  eine  wissenschaftliche  Begründung  er- 
kennen lässt.  Indem  ich  zur  Rechtfertigung  meines  Urteils  auf  Kolmar 
Schaubes  ausführliehe  und  in  manchem  Betracht  abschliessende  Arbeit  ver- 
weise *),  begnüge  ich  mich  hier  damit,  eiu  paar  wichtigere  Beweisführungen 
Kühnes  selbständig  zu  prüfen.  »Nicht  die  Gemeinde  der  Altfreien,  son- 
dern die  sich  unabhängig  von  der  alten  ständischen  Gliederung  ent- 
wickelnde Klasse  der  Kuulleute  erringt  die  städtische  Freiheit*,  in  diesem 
Satze  fasst  K.  S.  353  das  Hauptergebnis  seiner  Arbeit  zusammen  und  das 
ist,  denn  auch  von  allen  Schriftstellern,  die  dem  Kaufmanne  ausschlagge- 
bende  Hedeutung  zuweisen,  angenommen  und  nachgeschrieben  worden.  Zu 
dieser  massgebenden  Stellung  sind  nun  nach  K.  die  Kaufleute  gelangt: 
durch  genossenschaftliche  Organisation,  Erlangung  öffentlicher  Rechte  für 
dieselbe,  durch  Theilnahme  am  Rath  der  Bischöfe,  durch  Besetzung  der 
Sehöffenstühlo.  Für  die  ersten  beiden  Funkte  beruft  er  sich  p.  37  vor- 
nehmlich auf  die  seit  jeher  oft  besprochene  Urkunde  (Wormser  ÜB.  1,  50 
nr.  58  circa  LI 06),  laut  welcher  B.  Adalbert  auf  Bitten  des  Stadtgraten 
Wernher  aliorumque  optimatum  suorum  eonsilio  et  persuasione  23  ge- 
nannte piscatores  einsetzt  und  ihnen  folgendes  Privileg  ertheilt:  Stirbt 
einer,   so   soll   sein   Erbe   das  officium  verwalten,   fehlt  ein  Erbe,   so  erfolgt 

')  Vgl.  Mittheil.   14,   143.     Vgl.  auch  Rietzschel  Die  Civitas  S.  88—90. 

32* 


500  Literatur. 

die  Verleihung  des  erledigten  Amtes  (selbstverständlich  durch  den  Bischof 
oder  dessen  Vertreter)  urbanorum  communi  consilio.  Auf  Rath  seiner  Op- 
timaten  verfügt  dann  der  Bischof,  dass  innerhalb  eines  begrenzten  Ge- 
bietes niemand  ausser  den  23  mit  Fischen  handeln  dürfe,  wird  einer  dabei 
betreten,  so  werden  die  Fische  konfisziert  und  inter  urbanos  equaliter  ver- 
theilt,  der  nicht  berechtigte  Verkäufer  wird  vor  die  Richter  gestellt  und 
mit  3  Talenten  gebüsst,  wovon  zwei  dem  Bischöfe,  eines  dem  Grafen  zu- 
fallen. Zur  Bekräftigung  des  Privilegs  müssen  die  23  alljährlich  dem  Bi- 
schöfe und  dem  Grafen  eine  Gabe  Fische  überreichen.  Das  Privileg  be- 
zweckt kein  unbedingtes  Monopol,  sondern  ist  in  mancher  Hinsicht  zum 
allgemeinen  Nutzen  beschränkt.  Als  Zeugen  erscheinen  der  Propst  Adal- 
bert,  mehrere  Geistliche  und  32  Laien  ohne  nähere  Bezeichnung.  Richtig 
hat  K.  die  piscatores  als  Fischhändler  erklärt,  aber  ganz  unbegründet  ist 
es,  wenn  er  die  urbani  zu  einem  „  Gildeausschuss «  und  zwar  zu  dem  Aus- 
schuss  der  die  ganze  irgendwie  handeltreibende  Bevölkerung  umfassenden 
Kaufgilde,  deren  Existenz  er  eben  aus  unserer  Urkunde  erst  erweisen 
sollte,  erhebt.  Dieser  Ausschuss  erlässt  nach  Köhnes  Auffassung  eine  Ord- 
nung des  Fischverkaufs,  wozu  er  sich  allerdings  der  Genehmigung  des 
Bischofs  versichert.  Dass  nach  dem  Wortlaut  der  Urkunde  die  urbani  in 
die  Privilegiumsertheilung  gar  nichts  dareinzureden  hatten,  beirrt  K.  nicht. 
Dagegen  lässt  er  nunmehr  eine  schwere  diplomatische  Batterie  auffahren. 
Die  Urkunde  ist  objectiver  Fassung,  entbehrt  der  Datirung,  beides  ist  nie 
in  bischöflichen,  oft  dagegen  in  städtischen  Urkunden  noch  des  13.  Jahr- 
hunderts der  Fall.  Die  Urkunde  ist  demnach  nicht  aus  der  bischöflichen 
Kanzlei  hervorgegangen,  ihre  Form  weist  auf  bürgerlichen  Ursprung,  ihr 
Inhalt  auf  Gildekompetenz,  also  ergibt  sich  klar  ihr  »Gildeursprung«.  Nun 
lese  ich  auf  der  nächsten  Seite  des  Urkundenbuches  die  einer  ausschliess- 
lich geistlichen  Sache  gewidmete  Urkunde  nr.  60  :  Notum  sit  .  .  .,  quod 
Arnolfus  beatae  memoriae  episcopus  .  .  .  tradidit,  das  ist  doch  auch  ob- 
jektiv. Es  wird  in  dieser  Urkunde  von  einer  Handlung  des  Propstes  von 
S.  Paul  berichtet,  die  stattfand  convocatis  de  civitate  majoribus  tarn  cle- 
ricis  quam  laicis  quorum  nomina  in  presenti  continentur  kartula.  An  der 
Spitze  dieser  majores  steht  der  Propst  Adalpreht,  ihm  folgen  Geistliche, 
darunter  auch  die  in  nr.  58  Genannten,  dann  eine  grössere  Anzahl  von 
Laien,  unter  welchen  wir  wenigstens  vierzehn  der  in  nr.  58  Aufgezählten 
finden.  Also  nicht  auf  die  Kanzlei  der  unerwiesenen  Gilde,  sondern  auf 
die  des  urkundlich  bezeugten  Propstes  werden  wir  geführt  und  die  urbani 
sind  nichts  anderes  als  die  Bürger,  unter  welche  eben  die  Fische  vertheilt 
werden  sollten.  Von  einem  Ausschusse  ist  ja  überhaupt  nicht  die  Rede, 
da  die  Neubesetzung  ausdrücklich  communi  consilio  urbanorum  vorge- 
nommen werden  soll  und  communi  consilio  bedeutet  in  keiner  Verbin- 
dung, so  •  oft  es  auch  vorkommt,  einen  ständigen  von  einer  grösseren  Ge- 
meinschaft bestellten  Ausschuss  oder  Rath.  Auf  die  Zahl  der  Bürger  von 
Worms  lässt  sich  aus  der  Urkunde  zwar  nicht  schliessen,  da  ja  die  Ver- 
theilung  nach  einem  bestimmten  Turnus  vorgenommen  werden  konnte, 
doch  ist  zu  beachten,  dass  in  den  drei  Urkunden  nr.  58 — 60  allein  mehr 
als  50  majores  laici  civitatis  zusammengerechnet  werden  können.  Hat 
nun  K.  hier  einen  Gildevorstand  entdeckt,  so  kommt  es  ihm  nicht  mehr 
darauf  an,  auch  in  einer  Urkunde  von  1016  (nr.  45),  mit  der  B.  Burchard 


Literatur.  501 

dem  Nonnenmünster  Güter  schenkt,  die  Worte  et  pene  omnes  urbani, 
welche,  wie  sonst  et  alii  quam  plures,  die  Eeihe  der  Zeugen  schliessen, 
auf  den  »Gildevorstand«  zu  beziehen.  Ebensowenig  ist  das  Spiel  gestattet, 
das  er  mit  dem  Worte  civis  treibt.  Wir  besitzen  mehrere  Urkunden  in 
denen  Cives  de  Wormatia  (de  Spira)  als  Aussteller  oder  als  vertrag- 
schliessende  Partei  auftreten,  K.  will  an  diesen  Stellen  cives  gleichbedeu- 
tend mit  Schöffen  haben,  um  daraus  zu  folgern,  dass  das  (aus  Kaufleuten 
gebildete)  Schöffenkolleg  die  Stadt  repräsentirte.  Im  Text  dieser  Urkunden 
wird  dann  aber  das  Wort  civis  so  gebraucht,  dass  eine  alleinige  Beziehung 
auf  die  Schöffen,  welche  übrigens  in  keiner  der  drei  Städte  zu  so  früher  Zeit 
bestanden,  ausgeschlossen  ist,  wir  müssten  denn  annehmen,  die  gar  nicht  nach- 
weisbaren Schöffen  hätten  allein  Handel  getrieben  (Speirer  ÜB.  nr.  23  und 
Wormser  ÜB.  nr.  111)  Si  civis  Wormaciensis  (Spirensis)  cum  quibuscumque 
mercimoniis  venerit  Spirae  . . .  oder  sie  hätten  dem  Bischof  allein  Geldsummen 
gezahlt  für  Abschaffung  von  gerichtlichen  Missbräuchen  (Speierer  ÜB.  nr.  44). 
Noch  weniger  lässt  sich  aus  der  von  ihm  angezogenen  Urkunde  (Stumpf 
Acta  Mag.  87  nr.  84)  folgern,  dass  die  Schöffen  im  Besitze  des  Stadt- 
siegels waren.  Sie  ist  von  dem  Propst  Burcard  von  S.  Peter  in  der 
Mainzer  Vorstadt  ausgestellt :  Ein  Bürger  Heriold  unterlässt  die  Zinszah- 
lung von  dem  ihm  zu  Erbleihe  übertragenen  stiftischen  Hofe.  Das  Stift  bringt 
die  Klage  wegen  versessenen  Zinses  an  die  judices  civici,  diese  sprechen 
dem  Stifte  die  possessio  zu,  die  Brüder  beharren  trotz  Heriolds  Wider- 
stand fulti  iudicum  et  burgensium  testimonio  auf  ihrem  Rechte,  bis  end- 
lich Heriold  sich  aufs  Bitten  verlegt.  Da  sich  für  ihn  Geistliche,  der 
Kämmerer  Dudo  und  mehrere  probabiles  viri  verwenden,  lässt  das  Stift 
Gnade  für  Recht  ergehen  und  es  kommt  zu  einem  aussergerichtlichen  Ver- 
gleich, den  der  Propst  beurkundet  und  mit  dem  Stadtsiegel  bekräftigen 
lässt.  Als  Zeugen  finden  sich  weder  Schöffen  noch  Richter,  sondern  der 
Kämmerer  und  mehrere  viri  probabiles,  darunter  auch  die  im  Texte  Ge- 
nannten. Also  nicht  die  Schöffen,  sondern  der  Kämmerer  und  die  ihm  bei- 
gegebenen ehrbaren  Bürger  führen  das  Stadtsiegel.  Indem  ich  mich  mit 
diesen  Beispielen  für  Köhnes  Methode  begnüge,  behalte  ich  mir  vor,  auf 
seine  Gesammtauffassung  und  Beweisführung  im  Zusammenhang  mit  an- 
deren der  Gilde-  und  Kaufmannstheorie  gewidmeten  Schriften  einzugehen. 
Im  Pfarrarchiv  zu  Radolfzell  verwahrt  man  ein  im  15.  Jahrhundert 
angelegtes  Kopialbuch  des  ehemaligen  Choiiierrnstiftes ,  in  welchem  ein 
junger  Scholar  die  Abschrift  einer  Urkunde  vom  Jahre  1100  fand,  laut 
welcher  der  Abt  von  Reichenau  Udalrich  und  der  legitimus  advocatus  de 
Ratolfiscella  mit  Zustimmung  des  villicus  Burchard  und  der  Chorherren, 
auctoritate  et  praecepto  Henrici  imperatoris  tercii  den  Markt  in  der  villa 
Ratolfi  einrichtete.  Der  glückliche  Finder  theilte  die  Urkunde  Alois  Schulte 
mit  und  dieser  nahm  von  ihr  Anlass,  in  einer  klar  und  lebhaft  geschrie- 
benen Skizze  seine  Ansicht  von  der  Entstehung  der  Städte  darzulegen,  in- 
dem er  als  Seitenstück  die  bereits  bekannte  Urkunde  des  Abtes  Eggehard 
über  die  Errichtung  des  Marktes  in  Allensbach  vom  Jahre  1075  heran- 
zog. Für  Schulte  ist  das  Marktrecht  das  allerwesentlichste,  ja  einzige 
unterscheidende  Merkmal  der  Stadt,  die  Urkunde  von  1100  ist  der 
Akt ,  der  Radolfzell  zur  Stadt  macht ,  Marktgründungen  im  Sinne  von 
Radolfzell  sind  Stadtgründungen,  so  kommt  er  zu  dem  befremdlichen  Titel 


5Q2  Literatur. 

seiner  Abhandlung.  Als  Stützen  für  diese  Behauptungen  führt  er  in 
der  Hauptsache  nur  drei  Urkunden  an,  die  bekannte  Aufzeichnung  über 
die  Rechte  des  Grafen  von  Namur  in  Dinant  und  die  beiden  von  ihm  ver- 
öffentlichten Stücke.  Da  er  die  erstere  nur  nebenher  erwähnt  und  wir 
uns  mit  ihr  später  noch  eingehender  zu  beschäftigen  haben,  so  können 
wir  uns  jetzt  darauf  beschränken,  die  Auslegung,  welche  Seh.  der  Radolf- 
zeller  und  der  Aliensbacher  Urkunde  gibt,  zu  prüfen.  Die  Eadolfzeller  Ur- 
kunde ist  anscheinend  schlecht  überliefert  und  daraus  hat  Seh.  das  Eecht 
abgeleitet,  »Verbesserungen  und  Konjekturen«  anzubringen,  welche  aber  in- 
soferne  Bedenken  erregen,  als  sie  einerseits  aus  der  Auffassung  Schultes 
abgeleitet  sind,  andererseits  aber  diese  erst  begründen  sollen.  Ausser 
Schulte  haben  auch  andere  sich  an  der  Deutung  der  Urkunde  versucht  1). 
Stimme  ich  mit  keinem  so  ganz  überein,  dass  ich  mich  einfach  auf  ihn 
berufen  könnte,  so  versuche  ich  es  lieber,  meine  Ansicht  im  Zusammen- 
hange vorzulegen.  Wir  müssen  vor  allem  fragen:  Sind  Verbesserungen 
überhaupt  nothwendig?  kommen  wir  nicht  ohne  sie  mit  dem  überlieferten 
Texte  aus?  Dabei  können  wir  von  einzelnen  Schreibfehlern  und  Nachläs- 
sigkeiten absehen  und  uns  auf  die  sachlich  bedeutsamen  Stellen  be- 
schränken. Der  Anfang  der  Urkunde  ist  deutlich.  Es  wird  ein  Gebiet 
für  den  Markt  ausgesondert  mit  dem  Rechte  und  der  Freiheit,  dass  jeder- 
mann cuiuscumque  conditionis  einen  Theil  des  Grundes  erwerben,  frei  zu 
Allod  besitzen  und  verkaufen  kann,  nur  muss  der  Käufer  dem  Villicus 
eine  Quart  Wein  entrichten.  Hoc  etiam  constituimus  ut  idem  forum  sub 
nullo  districtu  constaret,  sed  iustitiam  et  libertatem  Constantiensem  quae 
jus  fori  est,  semper  obtineret.  Hier  versteht  Schulte  unter  districtus  die 
öffentliche  wie  die  hofrechtliche  Gewalt  und  leitet  aus  dieser  Stelle  die 
Aussonderung  eines  besonderen  Gerichtsbezirkes  und  die  Bestellung  eines 
eigenen,  mit  öffentlicher  Gewalt  bekleideten  Marktgerichtes  ab.  Schaube 
und  Sohm  stimmen  ihm  darin  zu,  nur  sind  sie  über  die  Kompetenz  nicht 
einig,  da  Schulte  und  Schaube  diesem  Marktgericht  die  niedere  und  die 
hohe  Gerichtsbarkeit  übertragen,  Sohm  dagegen  die  peinliche  Gerichtsbar- 
keit dem  Landgericht  vorbehalten  will.  Sohm  hat  überhaupt  herausge- 
fühlt, dass  es  keinen  Sinn  gibt,  zu  sagen,  der  Markt  unterstehe  gar  keiner 
Gerichtsbarkeit,  er  ergänzt  daher  »keiner  auswärtigen*.  Gegen  die  Auslegung 
dieser  Stelle  ist  einzuwenden,  dass  uns  nirgends  gesagt  wird,  dass  das  iudicium 
fori  die  ordentliche  Gerichtsbarkeit  dauernd  und  in  allem  Betracht  auf- 
hebt 2),  ausdrücklich  wird  in  der  Allensbacher  Urkunde  betont,  dass  die 
mercatores  inter  se  vel  inter  alios  (sc.  mercatores)  keine  anderen  als  die  ge- 
bräuchlichen iudicia  halten  dürfen,  deren  Kompetenz  wohl  nicht  viel  ver- 
schieden war  von  der  in  den  Quedlinburger  und  Halberstädter  Urkunden 
beschriebenen.  Dass  dies  iudicium  fori  auch  über  das  ausgesonderte  Gut 
zu  handeln  hatte,  beweist  noch  gar  nicht  die  Aufhebung  der  andern  Ge- 
richtsbarkeit,   gleiche  Kompetenz    ist    mit    dem   Hofrechte    vereinbar    (vgl. 

')  Kolmar  Schaube,  Die  Erklärung  der  Urkunde  von  1100  betreffend  die 
Marktgründung  in  Radolfzell,  in  Ztschr.  f.  G.  des  Oberrheins  N.  F.  6  (1891),  296  ff. 
dem  Bresslau  in  N.  Archiv  17,  236  zum  Theil,  Gothein  Wirthschaftsgesch.  des 
Schwarzwalds  1,  VII  ganz  zustimmt.  Georg  Küntzel,  Zur  Erklärung  der  Markt- 
privilegien von  Radolfzell  und  Allensbach  ebenda  8  (1893),  373  ff.  Kolmar  Schaube, 
Noch  einmal  das  Radolfzeller  Marktprivileg  ebenda  626  p. 

2)  Vgl.  auch  Kathgen,  Entstehung  der  Märkte  p.  33. 


Literatur.  503 

Hofrecht  Burchards  v.  Worms  §  26)  und  kommt  selbständig  neben  dem 
ordentlichen  Gericht  vor  1).  Neben  diesem  iudicium  fori  blieb  die  ordent- 
liche Gerichtsbarkeit  des  advocatus  und  villicus  fortbestehen,  wir  brauchen 
gar  nicht  zu  der  künstlichen  Scheidung  zweier  selbständigen,  gleich  kom- 
petenten, öffentlichen  Gerichtsgewalten,  die  wie  selbst  Schaube  zugibt, 
doch  in  der  Hand  der  alten  Beamten  vereinigt  waren,  zu  greifen.  So  kann 
sub  nullo  districtu  bezogen  werden  auf  die  Freiheit  des  Verkehrs  2)  oder 
auf  die  Freiheit  des  Besitzes,  welche  vorher  und  auch  sonst  als  ius  fori, 
ius  forense  bezeichnet  wird.  Mit  dieser  Verfügung  war  in  letzerem  Falle 
also  eine  Beschränkung  des  öffentlichen  Gerichts  nur  insoferne  verbunden, 
als  ihm  die  zuständige  Gerichtsbarkeit  über  das  neu  geschaffene  Erb  und 
Eigen  entzogen  wurde,  dagegen  bewirkte  sie  eine  völlige  Aufhebung 
des  Hofrechts  für  die  aus  demselben  ausgesonderte  Marktgemeinde.  Daher 
erklärt  es  sich,  dass  die  folgenden  Bestimmungen  wesentlich  dem  Schutze 
dieses  Hofrechtes  gegen  spätere  willkürliche  Erweiterung  des  Marktrechts 
dienen  und  bewirken  sollen,  dass  die  famuli  ecclesiae  bei  ihrem  Rechte 
bleiben.  Weil  sie  durch  die  neue  Ansiedlung  an  Weide  und  Holznutzung 
Einbusse  erleiden,  wird  ihnen  das  Recht  zugesichert  ut  in  foro  sub  nullo 
banno  emant,  vendant  et  nulli  iudicum  de  vendicione  pro  iure  fori  re- 
spondeant.  Schulte  meint,  der  Abt  verzichte  an  dieser  Stelle  auf  jedes 
Bannrecht,  d.  h.  auf  die  mit  dem  Worte  Bann  bezeichneten  Monopolver- 
käufe und  Abgaben,  wie  ich  glaube,  mit  Unrecht.  Es  handelt  sich  hier 
nur  um  die  Marktabgaben,  welche  eben  die  mercatores,  nicht  aber  die 
famuli  entrichten  sollen  3).  Die  judices  hat  Schaube  für  die  von  ihm  kon- 
struirten  Marktrichter  erklärt,  Sohm  versteht  darunter  die  »auswärtigen 
Richter«,  Küntzel  und  wie  es  scheint  auch  Schulte,  den  advocatus  und 
villicus,  was  sich  auch  aus  dem  Zusammenhange  ergibt.  Küntzel  aber  über- 
setzt die  Stelle :  die  Hörigen  sollen  für  das  Marktrecht  d.  h.  für  die  zu  er- 
theilende  Erlaubnis  keine  Abgabe  zu  entrichten  haben.  Dem  gegenüber  halte 
ich  an  der  Bedeutung  von  respondere  =  gelten,  entsprechen  und  pro  =  ge- 
mäss fest 4)  und  betrachte  den  Satz  nur  als  eine  Ausführung  und  Folge  des 
sub  nullo  banno  emant  et  vendant;  es  liegt  das  Hauptgewicht  gar  nicht 
auf  nulli  iudicum  sondern  auf  pro  iure  fori,  nicht  die  Gewalt  der  iudices 
überhaupt,  sondern  das  ius  fori  wird  ausgeschlossen.  Im  ersten  Theile 
des  folgenden,  die  meisten  Schwierigkeiten  bereitenden  Satzes  scheinen 
etliche  Worte  ausgefallen  zu  sein ;  so  wie  Seh.  ihn  verbessert  hat,  gibt  er 
keinen  Sinn,  da  man  nicht  weiss,  was  denn  der  Abt  verbieten  will.  Besser 
wäre  es  vielleicht  nolumus  im  Texte  beizubehalten  und  quod  si  in  der 
Bedeutung  von  quin  zu  nehmen :  wir  wollen  es  nicht  verbieten,  dass  etwa 
ein  famulus  ecclesie  im  Markte  ein  Haus  kauft  oder  sonst  irgendwie  ein 
Allod  besitzt,    (doch)    stellen    wir    fest    ut    nee  advocatus  nee  villicus  nee 

')  Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte  der  westfäl.  Bischofsstädte  21. 

2)  Vgl.  Halberstädter  ÜB.  1,2  nr.  3  ut  in  quodeumque  mercatum  nostra 
vel  antecessorum  nostrorum  auetoritate  constitutum  vel  constituendum  negotia- 
tionis  causa  intraverint,  sine  contradictione  et  districtione  judicum  publicorum 
vel  quarumque  iuridiciarum  pevsonarum  vendendi  et  emendi  vel  quolibet  modo 
commutandi  sine   theloneo   perpetuain   libertatem  habeant  facultatem. 

8)  Rathgen,  Entstehung  der  Märkte  p.  50. 

4)  Urk.  von  Dinant,  Waitz  Urk.  p.  22  de  perforatione  seeundum  quod  jus  suum 
est,  (rainisteriali)  respondebitur,   —   ministeriali  de  omni  foris  facto  respondebit. 


504  Literatur. 

aliqua  secularis  potestas  ipsum  occasione  allodii  iudicio  fori  vocet  ad 
presenciam  sui,  n(ec)  ius  fori  ponat  vel  suscipiat.  So  bietet  die  Hand- 
schrift diese  entscheidende  Stelle,  an  der  Seh.  vorzugsweise  seine  Emen- 
dationen  vorgenommen  hat:  vor  iudicio  schiebt  er  die  Praeposition  a  ein, 
liest  das  unsichere  n  mit  einem  Hacken  darüber  für  nisi,  wofür  ihm 
eigentlich  sed  noch  lieber  wäre,  und  nimmt  statt  ponat  poscat  an.  Damit 
kommt  er  zu  dem  Verbot,  die  famuli  nicht  dem  Marktgerichte  zu  ent- 
ziehen und  schliesst  daraus  auf  die  Ausdehnung  des  Markt gerichtes  über 
die  famuli,  allerdings  nur  in  Bezug  auf  Marktsachen  und  Marktrechtsgut. 
Bresslau  lässt  Schulte's  a  fallen,  nimmt  aber  nisi  poscat  an,  Küntzel  da- 
gegen erklärt  sich  gegen  letzteres ,  behält  aber  Schulte's  a  bei,  während 
Schaube  mit  vollem  Eechte  für  die  überlieferte  Fassung  eintritt,  aber  doch 
insoferne  fehlt,  als  er  für  ponat  vel  suscipiat  als  Subjekt  nicht  wie  sich 
aus  dem  Satzgefüge  ergibt,  nee  advocatus  nee  villicus,  sondern  mit  Schulte 
und  Bresslau  famulus  annimmt.  Schulte  könnte  sich  für  seine  Deutung 
allerdings  auf  §  38  des  ersten  Strassburger  Stadtrechtes  berufen:  mini- 
stros  .  .  .  jus  habet  (scultetus)  judicandi  de  ipsis,  scilicet  in  causis  perti- 
nentibus  ad  mercaturam,  si  volunt  esse  mercatores,  aber  dagegen  spricht 
die  Absicht  des  Eeichenauer  Abtes,  den  Hofgenossen  alle  Vortheile  zu 
sichern  und  gleichzeitig  den  Hofverband  abzuschliessen :  quia  nostrum  est 
ecclesiis  et  ecclesie  hominibus  .  .  .  providere.  So  vermag  ich  den  Satz 
nicht  anders  zu  übersetzen  als  :  weder  der  Vogt  noch  der  Meier  noch  eine 
andere  gerichtliche  Gewalt  soll  einen  famulus,  wenn  er  etwa  ein  Allod  im 
Markte  besitzt,  durch  das  Mittel  des  Marktgerichts  vor  sich  laden  noch 
das  Marktrecht  (Verfahren  und  Bussen  in  dem  Marktgericht)  setzen  oder 
empfangen1).  Ganz  ungezwungen  verbindet  sich  damit  der  Schlusssatz: 
Et  si  secularis  potestas  vel  qualiscumque  persona  ipsum  habet  impetere, 
ad  presenciam  famulorum  ecclesie  vocetur  et  omnis  controversia  et  pul- 
sacio,  que  in  ipsum  est,  iudicio  illorum  terminetur.  Also  nicht  Ausdeh- 
nung, sondern  Ausschluss  des  Marktgerichts  folgere  ich  aus  der  Urkunde, 
den  Beamten  soll  die  Möglichkeit  benommen  werden,  mit  Hilfe  des  Markt- 
rechts das  Hofrecht  zu  umgehen  und  auf  diese  Weise  die  Grundherrschaft 
zu  schädigen,  die  Hofgenossen  zu  belästigen.  Bequem  reiht  sich  die  Urkunde 
unter  die  zahlreichen  Verfügungen  ein,  in  denen  die  Herren  ihre  eigenen  Leute 
an  dem  Eintritte  in  das  Stadtrecht  oder  einen  andern  Hofverband  hinderten  2). 
Mit  dem  Gesagten  halte  ich  auch  die  Frage  über  die  Notwendigkeit  und 
Zulässigkeit  einer  den  Sinn  des  überliefei'ten  Textes  in  sein  Gegentheil 
verkehrenden  Verbesserung  im  Gegensatz  zu  Schulte  entschieden. 

Auch  mit  der  anderweitigen  Auslegung  der  Urkunde  von  Seite  Schultes 
vermag    ich    mich    nicht    überall    einverstanden  zu  erklären.     Auf  S.   143 

ö 

lesen  wir :  » von  Erwerb  andern  eigenen  Besitzes  in  der  Ackerfiur  ist  keine 
Rede,  der  Kaufmann  braucht  ja  auch  keinen  Ackerbesitz«.  Wozu  bedurften 
dann  diese  Kaufleute  der  Nutzung  an  Weide  und  Wald?  S.  147  hebt  Seh. 
als  »wichtigen  Umstand«  hervor,    dass  der  Abt  nicht   »verlangt,    dass  der 


')  Urk.    von  Dinant  Waitz   p.  23   non    licet  placitum  alicui  poni,    dum  ju- 
sticie  comitis  audiri  debent  et  reeipi.  8)  So  auch  v.  Below  Urspr.  106.     Die 

famuli  in  Radolfzell  waren  also  noch  strenger  vom  Marktrechte  abgeschlossen  als 
dies  sonst  der  Fall  war,  sie  standen  gleich  den  rustici  der  Canoniker  von  Lüttich 
und  Mastricht  vgl.  Waitz  Urk.  p.  38  §  1—3. 


Literatur.  505 

neue  Ansiedler  irgend  einem  Stande  angehört.  Omnis  homo  cuiuscunque 
conditionis  ist  ihm  willkommen;  .  .  .  Frei  oder  unfrei?  Darum  kümmert 
sich  der  Marktherr  nicht*.  Ganz  richtig,  nur  ist  das  keine  besondere 
Eigenthümlichkeit  des  Markt-  oder  des  Stadtrechts.  Die  Herren  kümmerten 
sich  überhaupt  nicht,  woher  ihre  Leute  kamen ;  so  eifersüchtig  sie  ihren 
Hofverband  abschlössen,  so  gerne  nahmen  sie  fremde  Hörige  oder  Freie 
auf,  herein  Hessen  sie  jeden,  hinaus  keinen.  Die  Aschaffenburger  Familia 
zu  Ebermannstadt  setzt  sich  aus  Leuten  zusammen  de  quacumque  gente 
commanendum  illuc  convenirent,  ganz  so  wie  der  Graf  von  Namur  jeden 
für  sich  in  Anspruch  nimmt,  der  sich  in  der  villa  ansiedelt  cujuscum- 
que  antea  fuerit  1).  Daraus,  dass  nach  der  Urkunde  vom  Jahre  1267  die 
fremden  Herren  der  in  der  Stadt  angesiedelten  Eigenleute  nur  auf  ein 
Drittel  des  Nachlasses  Anspruch  hatten,  vermag  ich  durchaus  nicht  zu 
folgern,  dass  »mindestens  eine  gleiche  Vergünstigung  für  die  Eigenleute 
der  Keichenau  bestanden  haben  muss«.  Es  handelt  sich  da  gar  nicht  um 
eine  Vergünstigung  für  fremde  Eigenleute,  sondern  darum,  dass  nicht 
städtisches  Gut  in  fremde  Hände  gelangte  oder  der  fremde  Herr  durch 
Erbgang  in  die  städtische  Gemeinschaft  eintrat.  Ganz  unvermittelt  stellt 
Seh.  den  Satz  hin,  dass  eben  die  Urkunde  von  1100  der  Akt  sei,  der 
Kadolfzell  zur  Stadt  macht.  In  der  Urkunde  selbst  ist  diese  Absicht  ja 
nicht  ausgesprochen  und  Seh.  begründet  sie  nur  damit,  dass  Kadolfzell 
Anfangs  des  13.  Jahrhunderts  als  Stadt  erwähnt  wird,  uns  aber  zwischen 
dieser  Zeit  und  dem  Jahre  1100  keine  Urkunde  bekannt  ist,  welche  die 
Erhebung  zur  Stadt  bezeugt.  Muss  denn  überall  eine  solche  Urkunde  vor- 
liegen? Wann  wurden  Köln,  Worms,  Mainz,   Speier  Städte? 

Ohneweiters  spricht  nun  Seh.  auch  bei  der  Allensbacher  Urkunde  von 
einer  Städtegründung  und  gestattet  sich,  von  diesem  Gedanken  völlig  be- 
herrscht, manche  Willkür  in  der  Deutung  derselben.  Es  spricht  in  leb- 
hafter Phantasie  davon,  dass  man  Allensbach ,  dem  Reichenauer  Konkur- 
renzmarkt gegen  Konstanz,  grosse  Freiheiten  zumass,  indem  man  es  Worms 
uud  Mainz  an  die  Seite  stellte.  Das  ist  Uebertreibung  2),  in  der  Urkunde 
Ottos  III.  steht  nur,  wer  den  Markt  stört,  soll  die  gleiche  Strafe  zahlen 
wie  der  Friedensbrecher  und  Münzfälscher  in  Mainz,  Worms  oder  Kon- 
stanz, eine  recht  einfache  und  selbstverständliche  Sache,  da  des  Königs 
Praecept  die  gleiche  Würde  in  sich  hat,  ob  es  für  Mainz  oder  Allensbach 
ausgestellt  ist  3).  Mit  der  Koncurrenz  gegenüber  Konstanz  wird  es  kaum 
so  ernst  zu  nehmen  sein,  da  die  Reichenauer  sich  80  Jahre  lang  Zeit  Hessen, 
bis  sie  die  von  Otto  III.  erhaltene  Verleihung  ins  Leben  führten,  und  so 
wird  wohl  auch  der  Konstanzer  Bischof  gerade  deswegen  keine  schlaflose 
Nacht  zugebracht  haben.  Versuchen  wir  es,  ohne  Voreingenommenheit  und 
ohne  das  Bestreben,  in  der  Urkunde  den  Akt  einer  Städtegründung  zu 
erweisen,  die  Verfügung  des  Reichenauer  Abtes  zu  erklären,  so  bemerken 
wir  als  den  auffälligsten  Unterschied    zwischen  Radolfzell  und  Allensbach, 


')  Vgl.  auch  .Waitz  Vfgg.  2  5,  313. 

2)  Vgl.  die  lehrreiche  Anmerk.  bei  Bücher  Entstehung  der  Volkswirtschaft  S.  47. 

»)  Dieselbe  Formel  des  Notars  Her.  C.  in  DD.  O.  III.  311  (f.  Graf  Berthold- 
Villingeu),  357  (f.  Heimarshausen),'  364  (S.  Maximin- Wasserbillich) ,  in  anderen 
Urkunden  werden  solche  Vorbilder  nicht  erwähnt,  .sondern  nur  der  Königsbann 
schlechthin  verhängt  DDO.  III.  357,  372,  vgl.  Rathgen,  Entstehung  der  Märkte  p.  38. 


506  Literatur. 

dass  an  ersterem  Orte  ein  bestimmtes  Gebiet  ausgesondert  wurde,  was  in 
Allensbach  nicht  der  Fall  ist:  Omnibus  eiusdem  oppidi  villanis  mercandi 
potestatem  concessimus,  ut  ipsi  et  eorum  posteri  sint  mercatores,  exceptis 
his  qui  in  exercendis  vineis  vel  areis  occupantur.  Schulte  meint,  dass  im 
Gegensatz  gegen  Badolfzell  den  Bauern  überhaupt  jede  Antheilnahme  am 
Markt  untersagt  sei,  Küntzel  und  Schaube  erklären  die  Ausgenommenen 
als  die  Eigenleute  des  Abtes,  welche  dessen  eigene  Güter  bewirthschafteten. 
Beide  Erklärungen  befriedigen  nicht,  die  erste  nicht  aus  dem  von  Küntzel 
a.  a.  0.  zusammengefassten  Gründen,  die  zweite  nicht,  weil  von  einer 
Lösung  des  Hofverbandes  für  die  mercatores  gar  nicht  die  Bede  ist *)  wie 
denn  auch  die  servi  aecclesiae  am  Schluss  der  Urkunde  als  Zeugen  er- 
scheinen. Ich  meine,  die  rechte  Auffassung  gewinnen  wir,  wenn  wir  uns 
den  tiefgreifenden  Unterschied  zwischen  Aliensbach  und  Badolfzell  ver- 
gegenwärtigen, der  eben  darin  besteht,  dass  man  in  ersterem  die  Grün- 
dung des  Marktes  innerhalb  des  Hofrechts,  in  letzterem  ausserhalb  des- 
selben vornahm.  Die  villani  konnten  Handel  treiben,  nur  durfte  dadurch 
die  Bewirthschaftung  der  Güter  nicht  vernachlässigt,  der  Ertrag  der  Grund- 
herrschaft nicht  verringert  werden 2).  Dagegen  schützt  sich  der  Abt  ad 
profectum  monasterii  sui,  daher  behält  er  auch  seine  grundherrlichen  Bann- 
rechte in  vollem  Umfange,  sichert  gerade  diese  durch  den  Königsbann  auf 
Grund  des  Braeceptes  und  erlässt  den  mercatores  keine  Abgabe,  sondern 
verpflichtet  sich  nur,  von  ihnen  nicht  mehr  einzuheben  als  die  Kaufieute 
in  Konstanz  und  Basel  dem  Bischof  und  Vogte  leisten.  In  Aliensbach 
trat  auch  keine  Vermehrung  der  Bevölkerung,  keine  Neuansiedelung  ein. 
Nur  die  wirthschaftlichen  Verhältnisse  hätten  eine  Aenderung  erfahren 
können,  wenn  der  Markt  zu  einiger  Blüthe  gediehen  wäre,  was  aber  nicht 
geschah.  Die  Begelung  dieser  Verhältnisse  blieb  wohl  der  Hofgenossen- 
schaft überlassen,  selbstverständlich  war  es  nicht  beabsichtigt,  dem  mer- 
cator  den  Ackerbau  zu  verbieten,  wie  ja  die  guten  Aliensbacher  überhaupt 
keine  Kaufleute  geworden,  sondern  statt  den  Konstanzer  Markt  zu  ver- 
nichten, ruhige  Ackerbürger  geblieben  sind  3).  VoUends  ist  auch  in  dieser 
Urkunde  keine  Bede  von  einer  Aussonderung  einer  eigenen  Gerichtsge- 
meinde der  Kaufleute,  deren  Gericht  mit  der  hohen  und  niedern  öffent- 
lichen Gerichtsbarkeit  betraut  wurde.  Die  iudicia,  die  der  Abt  den  mer- 
catores erlaubte  und  doch  gleich  von  Anfang  an  einschränkte,  dürfen  wir 
ausschliesslich  nur  auf  Marktangelegenheiten  beziehen.  Der  Abt  leitete 
aus  dem  kön.  Fraecept  nur  die  Berechtigung  ab ,  innerhalb  des  Dorfge- 
bietes, das  ja  keineswegs  mit  dem  Marktrechtsgebiet  übereinstimmt,  den 
Königsbann  für  Frevel  aUer  Art  anzusetzen 4),  und  nur  insoferne  als  der 
Markt  innerhalb  dieses  Gebietes  lag  und  die  betreffende  Vorschrift  eben 
durch  die  Gründung  des  Marktes  und  die  Verstärkung  der  Verkehrssicher- 
heit veranlasst  war,    besteht  zwischen  dem  Markte    und  dieser  Verfügung 


')  So  auch  Sohm  p.  83. 

2)  Solche  Vernachlässigung  Hess  sich  1187  ein  juvenis  Hermann  aus  Hugel- 
heim  zu  Schulden  kommen,  der  institoris  officium  gerens  plus  coluit  forum  quam 
agrum.  Höniger  in  Westd.  Zeitschr.   1883,  241. 

3)  Below,  Ursprung  30.  Gothein,  Wiithschaftsgesch.  des  Schwarzwalds  1,  140. 
*)  Vgl.  eine  ähnliche  Abgrenzung  des  Banngebietes  in  Bingen  DO.  IL  306. 


Literatur.  507 

ein  Zusammenhang.     Mit   keinem  Worte  aber  wird  gesagt.,  dass  das  iudi- 
cium  mercatorum  mit  diesem  Königsbann  ausgestattet  worden  sei. 

Müssen  wir  nach  diesen  Betrachtungen  die  Bedeutung  des  Marktes 
für  die  Entstehung  der  Stadt  ßadolfzell  und  der  überhaupt  nicht  nach- 
weisbaren Stadt  Allensbach  gegenüber  Schulte  wesentlich  einschränken,  so 
werden  wir  auch  den  allgemeinen  Schlussfolgerungen,  die  Seh.  aus  beiden 
Urkunden  zieht,  nicht  zuzustimmen  vermögen.  Zwar  das  ist  richtig,  dass 
die  Kadolfzeller  Urkunde  uns  erweist,  wie  die  Gründung  eines  Marktes  sich 
neben  dem  Hofrechte  vollzieht,  aber  gegen  die  Ueberschätzung  des  Marktes, 
gegen  die  Identificierung  des  Marktrechtes  mit  dem  Stadtrechte  schlechthin 
muss  ich  mich  mit  dem  Hinweise  auf  die  allgemeinen  Einwendungen, 
welche  gegen  die  Marktrechtstheorie  überhaupt  erhoben  worden  sind,  eben- 
so aussprechen  wie  gegen  die  Unterschätzung  der  Befestigung.  Gerade 
diese  bildet  eines  der  hervorragendsten  Einigungsmittel  der  Stadt,  das 
beweisen  uns  zahlreiche  Urkunden  und  Nachrichten  aus  allen  Zeiten,  denen 
wir  die  Radolfzeller  Urkunde  vom  Jahre  1267,  welche  Seh.  selbst  anführt, 
anreihen  dürfen1).  Seit  jeher  haben  Handel  und  Verkehr  Schutz  und  Frie- 
den an  gesichertem  Orte  gesucht,  sei  es,  dass  die  Händler  ihre  Buden 
auf  einem  befriedeten  Platze,  wie  dem  Eaume  vor  einer  Kirche,  aufschlugen, 
sei  es,  dass  in  gefahrdrohender  Zeit  einsichtige  Eegenten  den  Handel  in 
die  befestigten  Orte  lenkten,  wie  das  die  angelsächsischen  Könige  und 
Wilhelm  der  Eroberer  2),  im  Osten  Deutschlands  Heinrich  I.  verfügten.  So 
lege  ich  denn  auch  der  Erörterung  darüber,  ob  der  Jahr-  oder  der  Wochen- 
markt grössere  Bedeutung  für  die  Entstehung  einer  Stadt  gehabt  haben, 
kein  Gewicht  bei.  Für  die  rechtliche  Seite  der  Untersuchung  ist  das,  wie 
Sohm  und  v.  Below  bemerkt  haben,  gleichgiltig,  und  was  das  wirthschaft- 
liche  Moment  betrifft,  so  wird  sich  eine  einheitliche  Formel  nicht  aufstellen 
lassen,  da  hier  die  Verhältnisse  einer  Gegend,  eines  Ortes,  die  Wandlungen 
im  Laufe  der  Zeit  durchaus  verschiedene  Bedingungen  schufen  und  ver- 
schiedene Wirkungen  hervorriefen.  Doch  nehme  ich  dankbar  als  Abschlags- 
zahlung das  Zugeständnis  Schultes  an,  dass  der  Jahrmarkt  gar  nichts  zur 
Städtebildung  beiträgt,  und  in  Bezug  auf  den  Wochen-,  Tages-  und  stän- 
digen Markt  erlaube  ich  mir  die  bescheidene  Meinung  zu  äussern,  dass 
diese  eine  grössere  geschlossene  Ansiedlung  voraussetzen,  nicht  hervor- 
l-ufen,  wenn  sie  auch  dann  ihr  wirtschaftliches  Aufblühen  sehr  begün- 
stigen. Sehen  wir  von  dem  Handel  mit  Vieh  und  Ackerfrucht  ab,  der 
doch  als  eine  zufällige  Erweiterung  ,dem  wieder  verschwindenden  Konflux 
des  Jahrmarktes'  gleichsteht,  so  bleiben  nur  die  Stände  der  Lebensmittel- 
verkäufer und  der  für  den  täglichen  Bedarf  arbeitenden  Gewerbe  und  Hand- 
werker übrig,  diese  aber  können  ihr  Geschäft  nur  mit  einer  verzehrenden, 
nicht  selbst  erzeugenden,  zahlreichen  Bevölkerung  treiben ;  um  einen  solchen 
Markt  ertragreich  zu  machen,  bedarf  es  also  einer  Bevölkerung  von  städti- 
schem Charakter.  Seh.  hat  seinen  Vorsatz  angekündigt,  den  Beweis  für 
seine  Theorie  »auf  breitester  Grundlage*  zu  führen,  man  darf  wünschen, 
dass  es  ihm  inzwischen  möglich  geworden  sei,  die  Hindernisse  zu  besei- 
tigen, welche  dem  im  Wege  standen. 


')  Vgl.  auch  Bücher  Entstehung  der  Volkswirtschaft  S.  45. 

2)  Schmidt,  G  esetze  der  Angelsachsen  p.  1 1 1 ,  630,  Stubbs  Select  Charters  7  p.  84. 


508  Literatur. 

Ich  habe  mich  bei  Schultes  Schrift  so  lange  verhalten,  einerseits  weil 
dieselbe  begründeten  Anspruch  auf  eindringende  Beurtheilung  hat,  ande- 
rerseits weil  sie  einer  der  Grundpfeiler  ist,  auf  denen  S  o  h  m  das  kunst- 
volle Gebilde  seiner  Schrift  (6)  errichtet  hat,  der  wir  uns  nunmehr  zu- 
wenden. Diese  würdig  ausgestattete  Festgabe  zum  50jährigen  Doctorjubi- 
läum  G.  W.  Wetzells  hat  eine  besondere  Anziehungskraft,  da  sie  das  po- 
litische, religiöse  und  wissenschaftliche  Glaubensbekenntnis  des  gewaltigen 
Denkers  enthält  und  eine  Formvollendung  aufweist,  welche  ihr  unter  den 
Forschungsdarstellungen  letzter  Zeit  unstreitig  einen  ersten  Platz  anweist. 
Mit  bewunderswerther  Meisterschaft  hat  Sohm  den  Stoff  zurechtgehauen 
und  seiner  Untersuchung  zu  folgen  gewährt  reizvollen  Genuss  und  leb- 
hafte Befriedigung.  Begreiflich,  dass  seine  Ergebnisse  manchmal  in  wenig 
durchdachter  Form  wiederholt  wurden,  dass  man  seine  Autorität  anführte, 
um  die  eigene  Meinung  zu  stützen,  den  Werth  des  Widerspruches  zu  ver- 
ringern. Gegen  solche  Thätigkeit,  die  gewiss  nicht  im  Sinne  des  Ver- 
fassers geübt  wird  und  die  auch  den  Pflichten  eines  gewissenhaft  urthei- 
lenden  Berichterstatters  wenig  entspricht,  hat  vor  Allem  Bernheim  kräftige 
Einsprache  erhoben  und  diese  auch  durch  eine  scharfe  Kritik  der  Auffas- 
sung und  Methode  Sohm's  begründet  x).  Heusler  hat  im  Allgemeinen  Sohm 
zugestimmt,  G.  Schmoller  in  kurzem  Bericht  seines  ehemaligen  Strassburger 
Kollegen  Ansichten  abgelehnt 2).  Auf  eine  eingehendere  Widerlegung  sei 
es  der  Gesammtauffassung,  sei  es  einzelner  Punkte  haben  sich  v.  Below, 
Kuntze,  G.  Kaufmann,  Willi  Varges,  Philippi  u.  A.  eingelassen.  Verweise 
ich  auf  diese  Schriften  und  Besprechungen,  so  wird  es  doch  nicht  über- 
flüssig sein,  nochmals  unbefangen  dem  Gange  der  Untersuchung  Sohm's 
zu  folgen ,  wobei  wir  uns  darauf  beschränken  können ,  einzelnes  was 
bisher  noch  nicht  eingehender  erörtert  worden,  herauszuheben  und  an 
diesen  Stellen  mit  den  begründeten  Bedenken  nicht  zurückzuhalten.  Steht 
man  nicht  von  vorneherein  auf  dem  Standpunkt  der  Marktrechtstheorie, 
so  ist  gegenüber  Sohms  Aufstellungen  um  so  grössere  Vorsicht  am  Platze, 
da,  wie  wir  gesehen  haben,  zwei  Schriften,  auf  die  er  sich  vornehmlich 
stützt,  die  von  Köhne  und  Schulte,  nicht  jene  Beweiskraft  haben,  die 
ihnen  S.  zuschreibt. 

In  der  Einleitung  führt  S.  den  Leser  im  Gegensatz  gegen  die  von 
Gierke  u.  a.  vertretene  Anschauung,  dass  zur  Entstehung  der  Städte  mehrere 
Ursachen  in  steter  Wechselbeziehung  zusammengewirkt  haben,  zu  dem  Satze: 
»Immer,  auch  in  der  Rechtsgeschichte  führt  nicht  Vielherrschaft,  sondern 
Einherrschaft  zum  Ziel«.  Es  gilt  also  den  Punkt  zu  treffen,  »bei  dessen 
Berührung  wie  durch  Wunderkraft  das  helle  Licht  sich  entzündet«  und 
dieser  Punkt  ist  der  Markt.  Wie  Schulte  sagt  auch  S.:  »Aus  dem  Markt- 
recht ist  das  Stadtrecht  hervorgegangen«.  »Es  kommt  also  darauf  an,  das 
Marktrecht  kennen  zu  lernen,  um  aus  demselben  das  Stadtrecht  zu  be- 
greifen. Es  kommt  ferner  darauf  an,  das  deutsche  (!?)  Marktrecht  aus 
dem  fränkischen  Keichsrecht,  ja  aus  dem  Grundgedanken  des  germanischen 
Rechtes  zu  erschliessen«.  So  steht  diese  Untersuchung  mitten  in  dem 
Gange  der  andern  Arbeiten  Sohms  und  bildet  ein  prunkendes  Glied  in  der 

i)  Deutsche  Zeitschr  f.  Geschichtsw.  6  (1891),  257  ff 

2)  Heusler  in  Krit.  Vierteljahrsschrift  N.  F.  14  (1891),  178  ff.  Schmoller  in 
Jahrb.  für  Verwaltung  14  (1890),  267  ff. 


Literatur.  509 

kunstvollen  Ketce  seiner  Schriften.  Im  ersten  Kapitel  handelt  nun  S.  von 
dem  Weichbild.  Es  geht  hier  von  R.  Schröders  Deutung  des  Wortes 
Weichbild  =  Ortsbild  =  Stadtkreuz  und  von  dessen  Anschauung  über  das 
Wesen  des  Marktkreuzes  aus  x).  Stadtrecht  ist  Weichbildrecht  d.  h.  das 
Stadtrecht  ist  das  Recht  des  Kreuzes,  das  Marktzeichen  ist;  die  Stadt  hat 
das  Eecht  ständig  ein  Kreuz  zu  haben,  während  auf  den  Märkten  des 
platten  Landes  das  Kreuz  nur  so  lange  steht,  als  der  Markt  dauert.  Diese 
Scheidung  zwischen  ständigem  und  unständigem  Markt  in  dem  Sinne,  dass 
der  erste  ausschliesslich  den  Städten  eigen  sein  soll,  ist  sachlich  nicht  be- 
gründet. Die  Märkte  im  engern  Sinne  sind  auch  in  Städten  unständig 
und  andererseits  kann  es  auch  in  Orten,  die  nie  Städte  waren,  einen  stän- 
digen Markt,  d.  h.  den  Verkauf  super  fenestras  und  in  Gewölben  geben. 
Die  Marktrechtsverleihungen  beziehen  sich  in  der  Hauptsache  überhaupt 
nur  auf  den  unständigen  Markt.  Auch  die  Schilderung  des  Vorganges, 
wie  sich  die  Stadt  im  Rechtssinne  aus  dem  Marktplatze  heraus  entwickelt 
hat ,  wird  man  nicht  billigen  können.  Sohm  ist  genöthigt  bei 
den  alten  Römerstädten  anzunehmen,  dass  das  Weichbildrecht  sich  nicht 
von  der  Altstadt,  sondern  von  der  Neustadt  aus  verbreitet  habe,  während 
er  doch  selbst  die  so  bezeichnende  Kölner  Urkunde  von  1154  anführt, 
welche  uns  die  Ausdehnung  des  ius  civile  von  innen  heraus  veranschaulicht. 
Eine  feine  Beobachtung  hat  er  in  Betreff  der  Verbindung  des  Marktes  mit 
den  Martinskirchen  gemacht,  (S.  20)  es  Hessen  sich  den  von  ihm  angeführten 
Beispielen  noch  Halberstadt,  Braunschweig,  Erfurt,  Minden  und  das  Siegel 
der  Mainzer  Bürger  hinzufügen,  doch  kann  von  einem  allgemeinen  und 
innern  Zusammenhange  wohl  nicht  die  Rede  sein,  da  ecclesiae  forenses 
auch  anderen  Heiligen  geweiht  sind.  Es  dürfte  sich  wohl  um  eine  re- 
gionale Besonderheit  handeln,  die  erst  ihrer  Aufklärung  harrt 2).  Was 
nun  die  Hauptsache  betrifft,  so  nimmt  S.  allerdings,  wie  bemerkt,  Schrö- 
ders Auslegung  des  Wortes  Weichbild  an,  will  aber  den  ersten  Theil 
desselben  nicht  wie  Sehr,  allgemein  als  Ort,  sondern  mit  Hinweis  auf  Wig- 
haus  als  den  befestigten  Ort  deuten,  so  dass  er  die  Uebersetzung 
Burgbild  erhält.  Er  begeht  denselben  sprachlichen  Irrthum  wie  einst 
Gaupp  und  ist,  wie  dieser  von  einem  Recensenten  in  den  Heidelberger 
Jahrbüchern  18  (1825),  82,  so  von  W.  Varges  in  D.  Zeitschr.  f.  Ge- 
schichtsw.  6  (l89l),  86  und  Kuntze  p.  47  berichtigt  worden.  Für  den 
zweiten  Theil  ist  die  Deutung  auf  unser  Bild,  wie  sie  übrigens  auch  Varge« 
verficht,  abzulehnen,  ganz  entschieden  ist  der  auch  von  Kluge  und  Schulte 
gebilligte  Hinweis  auf  ein  als  selbständiges  Wort  verlorenes  bilida  = 
Recht  (Unbill)  vorzuziehen.  Wir  erhalten  also  Weichbild  =  Ortsrecht  3)  und 
damit  einen  völlig  synonymen  Ausdruck  zu  dem  bairisch-österreichischen 
Burgrecht,  in  dem  sich  Burg  als  das  älteste  deutsche  Wort  für  civitas  er- 
halten hat i).    Beide  stehen  sich  auch  darin  gleich,  dass  man  sowohl  von 

J)  Ich  werde  über  die  dieser  Frage  gewidmeten  Schriften  noch  zu  be- 
richten  haben. 

2)  Hinschius,  Kirchenrecht  2, 281.  Vgl.  auch  die  Thesen  des  Gesarnmt- 
vereins  der  deutschen  Geschichts-  und  Alterthumsvereine  auf  der  Versammlung 
zu  Stuttgart  1893  September. 

8)  So  schon  Wigand  Gesch.  v.  Corvei  und  Höster  1, 228  und  wenn  auch 
mit  falscher  Ethymologie  Gaupp,  Ueber  deutsche  Städtegründung  p.  110. 

4)  Hess  in  Wiener  SB.  11  (1S53),  7G5.    Vgl.  auch  Rietzschel  Civitas  S.  95  f. 


510  Literatur, 

einem  Weichbildrecht,  als  von  einem  Burgrechtsrecht  spricht,  eine  Tauto- 
logie, welche  also  nicht  gegen  bilida=Recht  verwendet  werden  kann.  Sind 
nun  das  kräftigere  Burgrecht  und  das  farblose  Weichbild  einander  wörtlich 
gleich,  so  ist  doch  die  Bedeutung  nicht  dieselbe.  Ganz  unzweifelhaft  be- 
ziehen sich  Burgrecht  -  Weichbild  =  ius  civile  =  ius  fori  auf  eine  und  die- 
selbe Sache,  das  Rechtsverhältnis  des  zu  freier  Leihe  ausgethanen,  zur 
Tragung  der  städtischen  Lasten  verpflichteten  Besitzes,  aber  Weichbild  und 
Marktrecht  bezeichnen  dann  auch  das  ganze  räumliche  Gebiet  dieses  bür- 
gerlichen Rechtes,  während  Burgrecht  seine  engere  Bedeutung  beibehält, 
ja  sich  als  Leihe-  und  Rentenrecht  von  dem  Grundzins  scheidet  1),  für  das 
Rechtsgebiet  aber  in  Bayem-Oesterreich  das  Wort  Burgfriede  gebraucht 
wird.  Daraus  schliesse  ich,  dass  eben  jene  engere  gemeinsame  Bedeutung 
die  ursprüngliche  ist,  was  sich  ja  ganz  gut  erklärt,  da  jene  Besitzart 
,  nicht  ein  rein  privatrechtliches  Verhältniss,  sondern  eine  der  Grundlagen 
städtischer  Gemeinwesen  ist«2),  eben  der  auf  freier  Erbleihe  begründete 
bürgerliche  Besitz  in  frühester  Zeit,  wenn  nicht  das  einzige  so  doch  das 
vornehmste  ius  civium  war3).  Burgrecht  wurde  auch  niemals  mit  Stadt- 
recht gleich  gesetzt,  die  Urkundenformeln  scheiden  ganz  bestimmt:  als  es 
der  Stadt  Recht  und  Burgrechtes  Recht  ist.  Von  einer  Beziehung  zum 
Markte  ist  in  den  drei  ältesten  und  am  meisten  verbreiteten  Benennungen: 
ius  civile,  Weichbild,  Burgrecht  nichts  zu  erkennen,  damit  kann  auch  die 
zum  ersten  Male  in  der  Radolfzeller,  dann  in  späteren  schwäbischen  Ur- 
kunden, vereinzelt  auch  in  Westfalen  vorkommende  Benennung  ius  fori 
(Marktrecht)  nicht  jene  Wichtigkeit  beibehalten,  die  ihr  S.  zuschreibt.  Es 
ist  doch  auffallend,  dass  weder  in  der  Radolfzeller  noch  in  der  Freiburger 
Urkunde  sich  eine  Beziehung  des  ius  fori  zu  Marktangelegenheiten  im 
eigentlichen  Sinne  findet,  sondern  dass  das  Wort  für  jenes  städtische  Recht 
am  liegenden  Gut  gebraucht  wird,  das  viel  allgemeiner  mit  jus  civile  und 
mit  den  entsprechenden  deutschen  Worten,  deren  sprachlicher  Ursprung 
jedenfalls  in  sehr  frühe  Zeit  zurückreicht,  wenn  sie  auch  in  Urkunden 
verhältnissmässig  spät  vorkommen,  bezeichnet  wird.  So  erscheint  mir  denn 
nicht  ius  fori,  sondern  ius  civile  als  das  Ursprüngliche  und  ich  betrachte 
das  erstere  nur  als  eine  besondere  Anwendung  des  allgemeinen  Begriffes. 
Aus  dieser  Auffassung  ergibt  sich  auch  die  Unzulässigkeit  der  künstlichen 
Auslegung,  mit  welcher  S.  zwischen  einem  Marktrecht  im  ursprünglichen 
Sinne,  das  die  Stadt  einschliesst,  und  einem  Marktrecht  im  Jüngern  Sinne 
scheidet,  welches  das  ausserhalb  der  Stadt  aber  doch  zu  Stadtrecht  lie- 
gende Gebiet  bezeichnen  soll  4). 

')  Hess  a.  a.  0.  Schwind  Erbleihe  p.   18. 

2)  Frensdorff,  Lübek  12,  der  aber  den  allgemeinen  Begriff  ==  Stadtrecht  als 
ursprünglich  annimmt. 

3)  Es  ist  in  diesem  Zusammenhange  zu  beachtent  dass  Radolfzell,  wo  eine 
Aussonderung  zu  jus  civile  stattgefunden  hat,  wirklich  Stadt  geworden  ist,  wäh- 
rend Aliensbach,  trotzdem  auch  hier  ein  Markt  errichtet  wurde,  es  niemals  so 
weit  gebracht  hat. 

4)  Philippi  vertritt  in  seiner  neuesten  Schrift  (Zur  Verfassungsgesch.  der 
westfäl.  Bischofsstädte)  p.  18  ft.  die  gleiche  Auflassung  des  ius  forense.  Auf 
seinen  Versuch  einer  neuen  sprachlichen  Ableitung  des  Wortes  Weichbild  gehe  ich 
später  ein.  In  Wien  wird  das  Wort  Weichbild  nicht  gebraucht,  wie  man  aller- 
dings nach  dem  Titel  der  von  H.  Schuster  besorgten  Ausgabe  des  Wiener  Stadt- 
rechtsbuches vermuthen  könnte. 


Literatur.  5  \\ 

Zu  der  falschen  Auslegung  des  Wortes  Weichbild  gesellt  sich  bei  S. 
der  andere  Irrthum,  das  alte  Wort  Burg  im  späteren  Sinne  zu  nehmen. 
Die  Stadt  ist  ein  Markt,  auch  zu  Zeiten,  wenn  kein  Markt  gehalten  wird, 
sie  ist  eine  durch  das  Weichbild  (Burgbild)  bezeichnete  Burg,  auch  wenn 
sie  durch  keine  Mauer  geschirmt  ist.  Da  das  Weichbild  (Markt- ,  Stadt- 
kreuz) Zeichen  des  Königs  ist  und  die  daran  angebrachten  Leibzeichen  des 
Königs  persönliche  Anwesenheit  veranschaulichen  sollen,  so  ist  die  Stadt 
als  Markt  eine  Königsburg,  in  welcher  der  König  weilt.  Nun  tritt  als 
wichtigstes  Beweisstück  die  phantastische  Fabelei  des  Sächsischen  Weich- 
bildrechtes ein  (S.  29).  Aus  ihr,  die  auch  R.  Schröder  und  Kuntze  mit 
gleichem  Behagen  verwerthen,  folgert  S.,  dass  die  Verleihung  des  Weich- 
bildrechtes Verleihung  des  königlichen  Burgrechts  ist.  Ja,  indem  S.  einen 
Gedanken  Schröders  übertreibt,  lässt  er  durch  das  Kreuz  die  Stadt  sogar 
für  den  König  in  Besitz  nehmen,  denn  das  Kreuz  ist  das  Zeichen  der 
Frohnung,  der  missio  in  bannum,  der  Konfiskation.  Abgesehen  davon, 
dass  die  Frohnung  ein  Strafexekutionsmittel  ist  und  S.  uns  nicht  darüber 
aufklärt,  wofür  denn  eigentlich  die  Strafe  der  Frohnung  bei  den  Städten 
erfolgt  sein  soll,  wird  hier  vorausgesetzt,  dass  ein  jedes  Kreuz  die  Kon- 
fiskation bezeichnet,  und  andererseits  einem  Kreuze  doppelte  symbolische 
Bedeutung  unterlegt,  da  das  Marktkreuz  sowohl  die  Anwesenheit  des  Kö- 
nigs als  die  Frohnung  durch  denselben  bezeichnen  soll.  Daher  werden 
alle  Städte,  da  sie  eben  Märkte  sind,  als  urbes  regales  als  civitates  (majores 
und)  publicae  bezeichnet,  auch  wenn  sie  unter  der  Gewalt  eines  Stadtherrn 
stehen.  Ist  schon  die  Beweisführung  Sohms  gewaltsam,  so  darf  es  uns  nicht 
wundern,  dass  die  Probe  nicht  stimmt  und  dass  die  beiden  Urkunden,  die  S. 
für  sich  anführt,  das  nicht  beweisen,  was  er  will.  In  DO.  I.  307  werden  den 
Kaufieuten  von  Bremen  anlässlich  der  dem  Erzbischof  zugestandenen  Errich- 
tung des  Marktes  dieselben  Eechte  und  der  gleiche  Schutz  zugestanden  wie 
den  institores  ceterarum  regalium  urbium.  Also  muss  nach  Sohms  Auf- 
fassung auch  Bremen  als  regalis  urbs  bezeichnet  werden.  Schon  Frens- 
dorff  hat  einmal  darauf  aufmerksam  gemacht ,  dass  ceteri  im  ma.  Latein 
eine  sehr  abgeschwächte  Bedeutung,  etwa  wie  das  französische  autres,  hat 
und  wir  brauchen  daher  den  Ton  gar  nicht  auf  ceterarum  zu  legen,  wie 
Sohru,  sondern  auf  regalium.  Die  Kaufleute  von  Bremen  sind  keineswegs 
»trotz  der  Gewalt  des  Erzbischofs  über  den  Ort  Kaufleute  einer  Königs- 
stadt«, sondern  sie  sind  mit  den  Rechten  königlicher  Kaufleute  begnadete 
Händler  eines  erzbischöflichen  Ortes.  Dass  ferner  Worms  in  der  oft  be- 
sprochenen Urkunde  l)  Heinrichs  IL  vom  Jahre  1014  (Wormser  ÜB.  1,32 
nr.  42)  zu  den  civitates  publicae  gerechnet  werde,  vermag  ich  ebenso 
wenig  zuzugeben.  S.  stützt  sich  darauf,  dass  H.  D.  die  Einhebung  des 
Sechzigschillingbannes  untersagt  hat  nisi  in  publicis  civitatibus,  während 
nach  dem  Hofrecht  Burchai-ds  dieser  Königsbann  in  Worms  erhoben  wurde. 
Aus  der  ganzen  Tendenz,  dem  Anlass  der  Urkunde  geht  aber  hervor,  dass 
Heinrich  IL  nicht  die  Erhebung  dieses  Bannes  überhaupt,  sondern  nur 
die  Erhebung  durch  die  Grafen  verbieten  wollte,  daher  untersagt  er  nicht 
den  Bann  an  sich,  sondern  den  Bann  den  die  Grafen  bisher  mit  Unrecht 
erhalten  hatten:  Illos  vero  60  solidos  quos  usque  nunc  iniusta  et  irra- 
tionabili  lege  receperunt  (sc.  comites),  omnino  interdicimus  nisi  in  publicis 

')  Vgl.  auch  Hegel  in  Allgem.  Monatsschrift  1854,   164. 


512  Literatur. 

civitatibus.  In  diesen  dürfen  sie  ihn  nach  Eecht  und  Gesetz  erheben, 
während  in  Worms  ihn  nur  der  Vogt  für  den  Bischof  weiterhin  einheben 
kann.  Wir  haben  sonach  keinen  Grund,  die  bisherige  Scheidung  aufzu- 
geben, und  uns  mit  dem  seltsamen  Widerspruch  abzuquälen,  dass  die  Ver- 
leihung des  Marktbannes  an  einen  Marktherrn  gleichzeitig  den  Ausschluss 
der  kön.  Beamten,  die  Verleihung  des  Begals  und  die  Frohnung  für  den 
König  bewirkt  haben  soll. 

Indem  nun  S.  das  Stadtrecht  aus  dem  Burgrecht  ableiten  will,  er- 
klärt er  zuerst  den  Stadtfrieden.  S.  geht  dabei  von  dem  Königshause  aus, 
das  eben  einen  besonderen  Frieden,  den  Königsburgfrieden  geniesst,  den 
er  von  dem  Frieden  scheidet,  den  die  Person  des  Königs  mit  sich  trägt; 
Verletzung  des  einen  wie  des  andern  wird  mit  Bann  d.  h.  mit  öffentlicher 
Geldstrafe  gebüsst.  Treffen  beide  zusammen,  d.  h.  wird  ein  Vergehen  im 
Königshause  und  in  der  Nähe  des  Königs  begangen,  so  tritt  die  peinliche 
Strafe  ein.  Obwohl  in  allen  von  Sohm  und  Brunner  (Rechtsgesch.  2,42) 
angeführten  Stellen  die  persönliche  Anwesenheit  des  Königs,  sein  wirkliches 
Eigenthum  vorausgesetzt  wird,  so  führt  Sohm  doch  seine  im  ersten  Kapitel  ge- 
wonnenen, durchaus  unbegründeten  Vorstellungen  ein.  Durch  das  Kreuz  des 
Volksrechts,  das  Marktkreuz  ist  der  König  in  der  Stadt  anwesend,  daher 
ruht  nur  die  Strafe  des  Bannes  auf  dem  Friedensbruch,  durch  das  froh- 
nende  Kreuz  des  Amtsrechts  ist  aber  die  Stadt  auch  im  Besitz  des  Königs, 
daher  die  peinliche  Strafe.  So  erhält  S.  ein  Weichbild  (Kreuzes-)Recht 
nach  fränkischem  Volksrecht,  ein  anderes  nach  fränk.  Amtsrecht.  Beide 
gerathen  nun  im  ]2.  Jahrhundert  in  Kampf,  der  damit  endet,  dass  sich 
das  volksrechtliche  Weichbildrecht  aus  der  Stadt  flüchten  muss,  während 
in  der  letzten  die  peinliche  Strafe  für  Friedensbruch  durchdringt,  ein 
Vorgang,  für  den  es  allerdings  eine  etwas  einfachere  Erklärung  gibt, 
die  Bernheim  und  Kaufmann  entgegengestellt  haben.  Aus  diesen  Vor- 
stellungen gewinnt  nun  S.  die  weitere  Fiction,  dass  der  Friede,  den 
die  Kaufleute  gemessen,  darin  begründet  ist,  dass  sie  zum  Könige 
reisen,  wofür  er  dann  eine  Bestätigung  darin  findet,  dass  im  12.  und 
13.  Jahrhundert  die  Verletzung  der  diesen  ertheilten  Schutzurkunden 
als  Majestätsbeleidigung  geahndet  wird.  Die  Wendung  reus  majestatis  auf 
die  er  sich  beruft,  ist  nun  aber  keineswegs  diesen  Urkunden  allein  eigen- 
thümlich,  sie  findet  sich  in  Diplomen  jeglichen  Inhalts  (vgl.  aus  dem 
10.  Jahrh.  DO.  I.  389,  401,  DO.  II.  221,  DO.  III.  80,  136)  und  findet  ihre 
Erklärung  in  der  von  Ficker  Forsch,  zur  ital.  Bechtsgesch.  1,79  darge- 
stellten Entwicklung  der  Strafformeln.  *)  Gegen  die  Ansicht  Sohms  spricht 
dann  auch,  dass  dieser  Friede  den  Kaufleuten  keineswegs  als  Folge  des 
Königsfriedens  von  selbst  zusteht,  sondern  ihnen  erst  durch  besondere  könig- 
liche Verfügung  verliehen  werden  muss,  wir  werden  ihn  daher  als  Ausfluss 
des  kön.  Schutzes  betrachten,  unter  dem  die  Kaufleute  stehen  (Brunner, 
Bechtsgesch.  2,  47,  49).  Wie  Schröder  will  auch  S.  in  dem  Markt  (Stadt)-kreuz 
nur  ein  weltliches  Symbol  erblicken,  das  erst  später  seiner  Form  wegen  Anlass 
zu  kirchlicher  Deutung  gegeben  hat,  eine  Auffassung,  gegen  welche  Kuntze's 
Bemerkungen  zu  vergleichen  sind.  Daher  haben  nach  seiner  Auffassung 
auch  die  Urkunden  Unrecht,  welche  den  Stadtfrieden  als  pax  dei  bezeichnen, 


*)  Vgl.  auch  v.  Ottenthai  Reg.  Ottos  I.  n<>  514,  528. 


Literatur.  51 3 

und  die  feierliche  Handlung  mit  der  einst  Bischof  Arnulf  von  Halberstadt 
die  Vollendung  und  den  Ausbau  seiner  civitas  bekräftigte,  bezeichnet  S. 
als  etwas  Nebensächliches,  der  treffliche  Bischof  und  seine  Städte  regieren- 
den und  errichtenden  Amtsgenossen,  wie  etwa  der  h.  Ulrich,  Burchard 
von  Worms,  hatten  freilich  keine  Ahnung,  dass  sie  sich  eigentlich  gegen 
die  rechtsgeschichtliche  Entwicklung  vergiengen,  wenn  sie  nach  einer  in 
die  spätrömische  Zeit  hinaufreichenden  Uebung  handelten. 

Schreiten  wir  nun  in  der  Untersuchung    weiter,  so  kommen    wir  zu 
zwei    einander    scheinbar    widersprechenden    Wahrnehmungen.       Einerseits 
machen  sich  die  Folgen  der  irrigen  Voraussetzungen  immer  deutlicher  be- 
merkbar,   andererseits  gelangen  wir  auf  festeren  Boden    und  hier  vermag 
S.  alle  Klarheit  seines  Denkens  fördernd  zu  entfalten.     So  werden  manche 
Abschnitte    auf  unbedingte  Zustimmung  rechnen    können  und   reiche  An- 
regung gewähren,    soferne  man  nur    von  den  vorgefassten  Meinungen  des 
Verfassers    sich  freizuhalten  weiss.     Die  Stadt    ist    kraft    ihres  Weichbild- 
rechtes ein  Asyl,  ein  Satz  der  sich  in  solcher  bestimmter  und  allgemeiner 
Fassung    nicht    behaupten    lässt  1).     Soweit    wir    sehen,    ist  dies  Vorrecht 
kein  ursprüngliches,  sondern  ein  auf  Privileg  begründetes  und  hat  den  Be- 
stand   eines    besonderen  Gerichtsbezirkes    zur  Voraussetzung,    es  ist  auch 
keineswegs  den  Städten  allein  eigen,  sondern  kommt  jedem  Gerichtsbezirke 
zu.     Sohm  setzt  das  Ende  einer  langsamen  Entwicklungsreihe  als  den  An- 
fang, ohne  hiefür  einen  Beweis  beizubringen,  man  müsste  denn  seine  Frage 
in  Anm.  85  als  solchen  gelten  lassen.     Er  geht  auch  ohne  viel  Aufhebens 
zu  machen  über  eine  Konsequenz  seiner  Ansicht  hinweg,    die    doch  etwas 
mehr    zu     denken     gibt.     Er    muss    zugestehen,     dass,     obwohl    die  Stadt 
ständiger  Marktplatz  ist,  zur  Zeit  des  Marktes  wieder  ein  besonderer  Markt- 
friede herrscht.    Dieser  gesteigerte  Marktfriede,  welcher  das  aus  dem  Stadt- 
(Markt-)frieden  abgeleitete  Stadt-  (Markt)gericht  aufhebt,  erklärt  sich  leicht, 
wenn  man  Stadt-  und  Markt,  Stadt-  und  Marktgericht  auseinanderhält,  bleibt 
aber  nach  Sohms  Auffassung  ebenso  unerklärt,  wie  die  Wahrnehmung,  dass  sich 
die  Stadt  nicht  etwa  aus  der  wirklichen  Königsburg,  wo  eine  solche  vorhanden 
war,   sondern  neben  dieser  (nach  Sohm  aus  der  fictiven)  entwickelt  hat.    Aus 
diesen    widerspruchsvollen    Voraussetzungen    gelangt    S.    (p.    54)    zu  dem 
Schlüsse,    dass    das  Asylrecht  ein  besonderes   Stadtgericht  erzeugt  und  in 
sich  die  Befreiung  vom  Landgerichte  schliesst.    Da  nun  dieses  Stadtgericht 
aber    auch    ein    öffentliches  ist    so  muss  S.  erst  seine  Entstehung  ausser- 
halb des  Landgerichtes  erklären.    Dazu  dient  ihm  nun  die  Immunität,  für 
welche  er  Heusler-Gierkes  Ansicht  in  eine  seiner  Auffassung  entsprechende 
Form  bringt.     Die  Stadt  geniesst    die  Immunität    des  Königshauses    d.  h. 
nach  Sohm,  sie  ist  wie  dieses  kraft  öffentlichen  Eechtes   von  der  Ge- 
walt des  öffentlichen  Gerichts  ausgenommen  und    daher  ist  das  besondere 
Stadtgericht  kein  gewöhnliches  Immunitätsgericht,   sondern  ein  öffentliches 
Gericht  und  sein  Richter  ist  der  Schultheiss,   der  Centenar  der  fränkischen 
Reichsverfassung.     Man   sieht,    ein  künstlicher  und  umständlicher  Beweis- 
gang   für    eine    seit    langem   bekannte  Thatsache,    ein  Beweisgang  den  S. 
wohl  an  keiner  einzigen  Stadt  als  wirklich  eingehalten  nachweisen  könnte. 
In  keiner  Weise  hat  er  die  bisherige  Annahme,   dass  das  Stadtgericht  eine 


»)  v.  Below  Urspr.  B3.     Varges  in  seinem  angeführten  Aufsatze. 
Mitteilungen  XV.  33 


514  Literatur. 

Fortsetzung  des  Landgerichtes  sei,  irgendwie  erschüttert.  Aus  seiner  Auf- 
fassung ersteht  aber  noch  ein  schwerer  Fehler,  indem  S.  Stadt-  und 
Marktgericht  schlechthin  zusammenwirft,  während  wir  zu  einem  klaren  Ver- 
ständnis nur  gelangen  können,  wenn  wir  beide,  bezw.  das  öffentliche 
Stadtgei-icht  und  das  Kathsgericht,  sorgfältig  auseinanderhalten,  mögen 
auch  zu  gewissen  Zeiten  und  in  manchen  Städten  beide  in  einei  Hand 
vereinigt  gewesen  sein *).  An  seine  Darstellung  der  Leihe,  welche  uns 
vielleicht  in  anderm  Zusammenhang  beschäftigen  wird,  knüpft  S.  die  Fol- 
gerung, dass  die  Handwerker  in  ihrer  grossen  Mehrzahl  in  den  Städten 
nicht  zu  Weichbildrecht  sondern  zu  Hofrecht  angesessen  und  daher  auch 
vom  Bürgerrecht  ausgeschlossen  waren.  Diese  Ansicht  ruht  auf  der  durch- 
aus unrichtigen  Anschauung,  dass  das.  Stadtreehtsgut  die  unmittelbare 
Verleihung  von  Seite  der  Markthern  zu  Marktrecht  als  nothwendige 
Bedingung  seiner  Eechtswirksamkeit  voraussetze.  Das  Stadtrechtsgut 
kann  seine  Eigenschaft  nur  duich  Exemtion  von  Seite  des  Käthes 
oder  der  andein  zuständigen  Behörden  verlieren,  eine  area  civilis  soll 
stets  dem  Stadtgerichte  unterstellt  bleiben,  wie  das  deutlich  in  den  Ur- 
kunden von  Hameln  in  Anwendung  auf  verschiedene  Fälle  betont  wirda). 
So  macht  es  also  gar  nichts  aus,  wenn  die  Handwerker  in  Folge  ihrer 
Kapifalsnoth  zumeist  nicht  auf  eigenem,  sondern  auf  geliehenem  Grunde 
in  einem  geliehenen  oder  mit  Rechten  belasteten  Hause  sassen,  die  Haupt- 
sache war  die,  ob  dieser  Grund,  dieses  Haus  bürgerlich  oder  herrschaftlich 
war.  Von  einem  Hofrechte  auf  städtischem  Grunde  kann  keine  Rede  sein, 
mochten  auch  eine  noch  so  grosse  Anzahl  bürgerlicher  areae  in  einer 
Hand  vereinigt  sein.  Eben  der  Entfiemdung  der  bürgerlichen  Hinter- 
sassen solcher  weitergeliehener  Stadtrechtsgüter  soll  die  von  S.  (p.  6l) 
augeführte  Stelle  des  Augsburger  Stadtbuches  vorbeugen 3),  während  die 
Stelle  des  Wiener  Stadtrechtsbuches  hier  überhaupt  nicht  in  Betracht 
kommt,  da  es  sich  um  ein  herrschaftliches  Hofrecht,  das  der  Schotten, 
handelt,  das  seine  Selbständigkeit  bis  in  die  neueste  Zeit  gewahrt  hat. 
Jedenfalls  aber  genossen  die  Handwerker  des  Bürgerrechts,  wenn  sie  auch 
nicht  im  Vollbesitz  der  politischen  Rechte  waren,  ihnen  Rathsfähigkeit 
entweder  ganz  abgesprochen  oder  nur  in  beschränktem  Masse  zugestanden 
wurde.  Dass  allein  Kaufieute  unmittelbare  Besitzer  von  Weichbildgut  waren, 
lässt  sich  nur  in  den  als  Kauforten  gegründeten  Städten  erweisen,  die  doch 
nicht  allein  massgebend  sind,  in  allen  andern  Städten,  mögen  es  noch  so 


')  v.  Below  Urspr.  p.  89  ff.  Man  vergl.  die  deutliche  Scheidung  in  der 
auch  von  Sohrn  angeführten  Urkunde  für  Medebach  und  in  Herford. 

'•Q  Meinardus  Ü.B.  n°  21,  27,  75. 

3)  Den  in  dieser  Hinsicht  in  Wien  , durch  Gewohnheit'  eingerissenen  Missbrauch 
hat  Herzog  Rudolf  iV.  mit  Urkunde  vom  2.  August  1360  abgestellt.  Die  be- 
trettende Urkunde  ist  in  den  Rechten  und  Freiheiten  1,  149  n°  b'2  fehlerhaft  und 
keinesfalls  nach  der  Originalurkunde,  sondern  trotz  der  bestimmten  Quellenangabe 
nach  Hormayr  gedruckt.  Horniayr  hat  das  Eisenbuch  benützt,  in  dem  an  der 
entscheidenden  »Stelle  mehrere  wichtige  Worte  weggelassen  sind,  im  Original 
steht:  hingegeben  und  gevertigt  wurden  als  mit  herren  der  aigenschaft.  Doch 
wan  wir  rechter  herre  sein  der  aigenschaft  und  des  grundes  der 
egenannten  stat  und  der  vorstetten.  (Hechte  und  Freiheiten  1,  149  Zeile  lü  des 
Textes).  Dazu  gehört  dann  die  Urkunde  vom  20.  Juli  1360  n°  65  in  der  alle 
Freiungen  mit  Ausnahme  der  Burg-,  Schotten-  und  S.  Stephan sfreiung  abgethan 
werden. 


Literatur.  515 

grosse  Handelsstädte  sein,  treten  die  Grundbesitzer  als  die  älteste,  wich- 
tigste und  vornehmste  Schicht  der  Bevölkerung  auf1).  Ebensowenig  mussten 
die  ständigen  Urt)ieil6nder  im  Stadtgericht  Kaufleute  sein,  all  das  sind 
Behauptungen,  welche  in  den  von  den  Einzelforschungen  gewonnenen  Er- 
gebnissen keine  Bestätigung  finden. 

Derselbe  grundlegende  Fehler  der  Vermischung  von  Stadt-  und  Raths- 
gericht  beeinflusst  auch  das  folgende  Kapitel  über  die  Zuständigkeit  des 
Stadtgerichtes,  hier  muss  S.,  da  er  die  Kompetenz  des  Landgerichts  für 
peinliche  Sachen  anerkennt,  einen  Gegensatz  zwischen  Land-  und  Stadt- 
gericht annehmen,  der  in  diesem  Sinne  nicht  vorhanden  ist.  Dagegen  ist 
es  richtig,  dass  die  IStadt  keineswegs  selbst  die  Gerichtsbarkeit  erwerben  muss, 
dass  vielmehr  die  Gerichtsherrlickeit  über  das  Stadtgericht  entweder  dem 
Stadtherrn  oder  einem  eigenen  Gerichtsherrn  verbleiben  kann. 

Eine  Fülle  von  Anregungen  und  zutreffenden  Bemerkungen  streut  S. 
in  dem  fünften  und  dem  Schlusskapitel  aus,  lehrreich  ist  namentlich  die 
Darstellung  der  Ausbildung  des  Stadtrechts  und  seines  Inhaltes.  Wenn  S. 
den  Rath  auschliesslich  aus  der  Marktverfassung  ableiten  will,  so  fehlt  dafür 
nach  dem  Gesagten  ebenso  die  Grundlage  wie  für  den  pathetischen  Schluss- 
satz: »allein  das  Amtsrecht  des  germanischen  Königthums  hat  machtvoll  als 
sein  lebenskräftigstes,  noch  heute  blühendes  Erzeugnis  der  deutschen  und  der 
ganzen  abendländischen  Entwicklung  das  deutsche  Bürgerthum  geschenkt.« 

Der  Versuch,  so  flüssige  und  lebendige  Elemente  wie  Handel  und 
Verkehr,  in  den  starren  und  abstrakten  Vorgang  eines  Kampfes  und  Vor- 
schreitens  von  Rechtsanschauungen  zu  zwängen,  scheint  mir  um  so  mehr 
verunglückt,  als  S.  nicht  an  einer  Stelle  nachgewiesen  hat,  dass  die  von 
ihm  entwickelten  Rechtsanschauungen  im  Bewusstsein  der  Zeitgenossen 
gelebt  haben.  Wir  gelangen  somit  in  das  gefährliche  Kapitel  von  dem 
Einflüsse  des  Unbewussten  in  der  Geschichte  und  bevor  wir  dies  Moment 
für  die  Erkenntnis  von  Thatsachen  verwenden,  wollen  wir  doch  lieber 
versuchen,  den  Kreis  des  Bewussten  möglichst  zu  erweitern  und  zu  erhellen. 

Im  Gegensatz  »gegen  den  Chor  neuerer  Schriftsteller  nach  Eichhorn« 
hat  Sohms  romanistischer  Universitäts-Kollege  Kuntze  (7)  den  Versuch 
gemacht  Eichhorns  und  Gaupps  mit  Savigny's  Forschung  zusammenhängende 
Theorie  von  der  Fortdauer  römischer  Einrichtungen,  ja  von  der  Vorbild- 
lichkeit römischer  Stadtverfassung  für  die  deutsche  neu  zu  beleben.  Das 
geschieht  jedoch  mit  allzu  geringer  Kenntnis  der  letzteren  und  auch  mit 
geringer  Wirkung.  Es  genügt  auch  dieser  neuesten  Schrift  gegenüber  auf 
den  entsprechenden  Abschnitt  im  2.  Bd.  von  Hegels  Ital.  Städteverfassung, 
ferner  auf  Brunn  er  Rechtsgesch.  2,  197  und  Luchaire  Les  Communes 
Francaises  1 2  zu  verweisen.  Den  römischen  Ursprung  der  Kölner  Richer- 
zeche  und  die  Selzer  libertas  Romana  hätte  K.  nicht  mehr  hervorholen 
sollen.  Doch  ist  die  Schrift  nicht  ohne  Verdienst,  mit  guten  Gründen 
hat  K.  manche  schwachen  Punkte  in  Sohms  Beweisführung  aufgedeckt  und 
ich  möchte  sein  Urtheil  um  so  mehr  beachtet  wissen,  als  er  nicht  im 
Banne  einer  andern  deutschrechtlichen  Theorie  befangen  ist,  und  wesent- 
lich nur  den  von  Sohm  selbst  beigebrachten  Quellenstoff  kennt. 

Eine  Anzahl  zutreffender  Bemerkungen  und  methodischer  Winke  theilt 


')  Man  vgl.  die  trefflichen  Bemerkungen  bei  Stubbs  Constit.  History  1,  410. 

33* 


516  Literatur. 

Gr.  Kaufmann  in  einem  knappen  aber  klar  geschriebenen  Aufsatze  (8)  mit. 
Darauf  näher  einzugehen  wird  sich  vielleicht  Gelegenheit  ergeben,  wenn 
K.  seiner  ersten  Abhandlung,  die  nach  einer  allgemeinen,  Gierkes  Einfluss 
aufweisenden  Einleitung,  dem  Markte  gewidmet  ist,  die  beiden  Fortsetz- 
ungen über  die  Ummauerung  und  Innungen  folgen  lässt.  Vorläufig  ge- 
nügt es,  auf  die  Einwendungen,  welche  v.  Below  (ll)  gegen  einige  Sätze 
Kaufmanns  erhoben  hat,  zu  verweisen. 

Eine  mit  vielem  Eifer  veranstaltete  Sammlung  der  meisten  in  der  Litera- 
tur über  unsern  Gegenstand  verbreiteten  Irrthümer  hat  Lamprecht  (9) 
veröffentlicht  in  einem  Aufsatze  auf  den  ich  noch  in  anderem  Zusammen- 
hange zurückzukommen  gedenke,  v.  Below  (Urspr.  135)  hat  sich  ein- 
gehend damit  beschäftigt  und  die  Art  und  Weise,  wie  L.  sich  seiner 
Aufgabe  entledigt  hat,  wird  im  ganzen  wie  im  einzelnen  zum  mindesten 
befremden. 

Willi  V arges  hat  in  zwei  Abhandlungen  (10,  12)  eine  neue  Ansicht 
auf  den  Weg  zu  bringen  versucht,  zu  der  ihn  wohl  die  neueren  Forsch- 
ungen über  den  Frieden  anregten.  Ganz  gewiss  kommt  dem  Frieden  die 
grösste  Bedeutung  für  das  städtische  Wesen  zu,  aber  für  die  von  ihm 
versuchte  Ableitung  des  Stadtfriedens  aus  dem  Königsfrieden,  des  Markt- 
friedens aus  dem  Gottesfrieden,  für  die  Art  wie  er  den  erstem  mit  der 
Gründung  von  Festungen  durch  den  König  in  Zusammenhang  bringt,  wird 
man  sich  um  so  weniger  erwärmen  können,  als  die  zu  erwartende  Be- 
gründung der  im  ersten  Aufsatze  dargelegten  Ansicht  in  dem  zweiten 
nicht  gebracht  worden  ist.  Auf  die  Gesammtdarstellung  Varges'  nochmals 
im  einzelnen  einzugehen,  ist  nach  dem  bisher  Gesagten  überflüssig.  Zu 
tadeln  sind  mehrere  schriftstellerische  oder  eigentlich  nicht  schriftstellerische 
Gewohnheiten  des  Verfassers.  Er  citiert  in  den  Anmerkungen  sehr  gerne 
nicht  nur  seine  bereits  erschienenen  Schriften  in  einer  seltsamen  Form 
(vgl.  »Meine  Gerichtsverfassung  von  Braunschweig «),  sondern  auch  seine, 
demnächst  erscheinenden  Eecensionen  und  kündigt  am  Schlüsse  der  zweiten 
Abhandlung  wieder  einen  neuen  Aufsatz  an.  Auf  S.  328  lesen  wir: 
»Anders  v.  Below  Urspr.  S.  20,  134.  Ich  würde  mich  freuen,  wenn  v.  B. 
recht  hätte«.  Auch  diese  an  sich  reizende,  fröhliche  und  zarte  Art  des 
Verkehrs  in  der  Anmerkung  wird  kaum  als  eine  werthvolle  Bereicherung 
gelehrter  Schreibart  gelten  können.  Das  selbstgefällige  Verfahren  in  An- 
merkung und  Ankündigung  ist  nicht  geeignet,  den  üblen  Eindruck,  wel- 
chen der  merkwürdige  Stil  der  beiden  Abhandlungen  hervorruft,  zu  ver- 
wischen. Die  Ergebnisse  zu  denen  Willi  Varges  kommen  will,  sind  weder 
so  bedeutend  noch  so  neu,  dass  ihre  Veröffentlichung  nicht  durch  eine 
etwas  sorgfältigere  Form  oder  etwa  gar  durch  längeres  Verweilen  in  der 
Pultlade  des  Verfassers  hätte  gewinnen  können. 

Der  Vollständigkeit  wegen  erwähne  ich  am  Schlüsse,  dass  Inama- 
Sternegg  und  Amira  übersichtliche  Darstellungen  des  Gegenstandes  in 
Pauls  Grundriss  der  germanischen  Philologie  (II.  Bd.,  2.  Abth.)  geboten 
haben  und  dass  v.  Below  einzelne  Kapitel  in  den  betreffenden  Artikeln 
des  Handwörterbuches  der  Staatswissenschaften  bearbeitet  hat. 

Wien.  K.  Uhlirz. 


Literatur.  5^7 

Herrn.  Ign.  Bidermann,  (weiland)  Professor  an  der  Universität 
zu  Graz:  Geschichte  der  österreichischen  Gesammtstaats- 
idee  1526—1804,  1.  Abtheilung  1526—1705.  VI,  174  S.,  8°,  1867; 
2.  Abtheilung  1705—1740,  VII,  361  S.,  8°,  1889,  Innsbruck,  Wagner. 

Eine  eigenartige  Arbeit.  Die  erste  Abtheilung  des  B.  Werkes  ent- 
hält 54  Seiten  Text  und  120  Seiten  Anmerkungen  und  die  zweite,  die 
Zeit  von  1705 — 1740  umspannende  Abtheilung,  mit  welcher  der  Ver- 
fasser ursprünglich  auch  das  Ende  zu  erreichen  hoffte,  umfasst  78  Seiten 
Text  und  283  S.  Noten.  In  beiden  Theilen  nehmen  also  die  Anmerkungen, 
die  häufig  zu  förmlichen  Exkursen  sich  ausdehnen,  mehr  Eaum  ein,  wie 
der  zu  knapp  gehaltene  Text  und  man  kann  sich  wohl  nicht  darüber 
wundern,  wenn  diese  Ueberwucherung  der  Noten  zu  manchem  Tadel  An- 
lass  gab,  da  die  Einheitlichkeit  und  die  Uebersichtlichkeit  der  Darstellung 
dadurch  stark  beeinträchtigt  wird.  Die  Tadler  hätten  freilich  bedenken 
sollen,  dass  Bidermann  kein  wohl  abgerundetes  Buch  schi-eiben,  sondern 
vor  allem  das  verwaltungsgeschichtliche  und  staatsrechtliche  Material  zu 
sammeln  sich  bemühte,  welches  zur  Erhärtung  seiner  These  von  dem 
hohen  Alter  der  österreichischen  Gesammtstaatsidee  nothwendig  schien. 
Kecensent  hatte  anfänglich  nur  vor,  den  vor  einigen  Jahren  erschienenen 
zweiten  Theil  der  Gesammtstaatsidee  zu  besprechen;  weil  aber  in  diesem 
mit  einem  ergänzenden  Bückblick  auf  die  erste  Abtheilung  zurückge- 
griffen wird  und  beide  Theile  des  Werkes  in  so  engem  Zusammenhange 
stehen,  dass  der  eine  ohne  die  Berücksichtigung  des  andern  kaum  zu  be- 
handeln ist,  so  hielt  er  es  für  angezeigt,  auch  die  erste  bis  1705  sich 
erstreckende  und  trotz  ihrer  grossen  Wichtigkeit  noch  nicht  ausführlich 
besprochene  Partie  in  den  Kreis  seiner  Erörterungen  zu  ziehen.  Um  den 
Ausführungen  B.'s  gerecht  zu  werden,  muss  man  sich  die  Zeit  vergegen- 
wärtigen, in  der  sie  grösstentheils  entstanden  sind,  und  den  ausgeprägten 
politischen  Standpunkt  des  hochverdienten,  leider  zu  früh  verstorbenen 
Historikers  in  Anschlag  bringen.  Derselbe  gehörte  zur  Gruppe  derjenigen 
Politiker  und  Staatsrechtslehrer,  welche  überzeugt  sind,  »dass  lange  vor 
dem  Jahr  1848  eine  selbständige  die  Königreiche  und  Länder  überragende 
und  sie  beherrschende  Centralgewalt  zu  Kecht  bestand,  die  bei  der  Aus- 
übung ihrer  Befugnisse  nur  den  Eingebungen  des  eigenen  Willens  und 
Gewissens  zu  folgen  brauchte  und  an  die  Zustimmung  der  Theilstaaten 
oder  einzelner  Länder  nicht  gebunden  war«.  (Bid.  Juristische  Blätter  1877, 
S.  221,  Die  rechtliche  Natur  der  österr.-ung.  Monarchie.)  Dieser  Anschau- 
ung hatte  B.  in  seiner  Gesammtstaatsidee,  indem  er  in  ausführlichster 
Weise  die  Thätigkeit  der  von  ihm  angenommenen  Centralgewalt  zu  be- 
leuchten trachtete,  eine  ordentliche  wissenschaftliche  Grundlage  zu  geben 
sich  bemüht  und  vielleicht  dabei  die  Hoffnung  gehegt,  der  erste  Theil 
seines  im  Januar  des  Jahres  1867  ausgegebenen  Buches  würde  bei  den 
Ausgleichsverhandlungen  mit  Ungarn  nicht  ohne  Beachtuug  bleiben.  Der 
Ueberzeugung  des  Verfassers  entsprechend,  wird  darin  schärfstens  betont, 
dass  schon  Ferdinand  I.  einen  österreichischen  Gesammtstaat  zu  bilden 
vor  hatte,  dass  dieser  Habsburger  wiederholt  Versuche  machte,  einen  öster- 
reichischen aus  Repräsentanten  aller  von  ihm  beherrschten  Länder  be- 
stehenden Reichsrath  um  sich  zu  versammeln,  endlich  dass  die  von  dem- 


518  Literatur. 

selben  geschaffenen  Centralstellen :  Geheimraths-Collegium,  Hofkammer,  all- 
gemeine Hofkanzlei  (1527)  und  Kriegsrath  (1556)  gleich  anfangs  ihren 
Wirkungskreis  auf  Ungarn  und  Böhmen  ausdehnten.  Selbst  nach  Fer- 
dinands Tode  soll  trotz  der  Zerstückelung  Oesterreichs  in  drei  Herrschafts- 
gebiete nach  Bidermanns  Meinung  »das  Bewusstsein  der  Zusammengehörig- 
keit in  den  getrennten  Reichsländern  fortgedauert  haben«  (B.  S.  24)  und, 
als  die  steierische  Linie  des  Erzhauses  zur  Kaiserwürde  gelangte  und  die 
innerösterreichischen  und  tirolischen  Lande  wieder  mit  dem  Hauptbesitze 
vereinigte,  sei  die  Gesammtstaatsidee  dadurch  selbstverständlich  neuer- 
dings gefördert  worden.  Als  Beweis  für  das  Vorhandensein  dieser  Idee 
wird  unter  anderm  angeführt,  dass  die  ungarische  und  böhmische  Hof- 
expedition nach  1635  Bestandtheile  der  österreichischen  Hofkanzlei  waren 
(B.  S.  35)  und  unter  Leopold  I.  der  österreichische  Hofkanzler  die  Be- 
fugnis hatte,  die  um  landesfürstliche  Anträge  sich  drehenden  Diätaltraktate 
auf  dem  Pressburger  Landtage  zu  leiten  (a.  a.  0.  S.  IL). 

In  Wirklichkeit  gestaltete  sich  die  staatliche  Entwicklung  in  vielem 
anders,  als  derjenige,  welcher  die  Wandlungen  und  Veränderungen  des 
öffentlichen  Lebens  in  Oesterreich  mit  zu  centralistisch  gefärbten  Brillen 
betrachtet,  erkennen  dürfte.  Es  ist  richtig,  Ferdinand  I.  berief  ab  und 
zu  Landtagsausschüsse  der  von  ihm  beherrschten  Länder  zu  gemeinsamen 
Berathungen,  um  eine  kräftigere  und  ausgiebigere  Unterstützung  gegen 
die  immer  weiter  vordringende  türkische  Macht  zu  erlangen,  aber  von 
einem  österreichischen  Reichsrath  in  unserm  Sinne,  der  allseits  bindende 
Beschlüsse  zu  fassen  das  Kecht  gehabt  oder  gar  eine  gesetzgebende  Ge- 
walt über  alle  Länder  ausgeübt  hatte,  lässt  sich  gewiss  nicht  reden.  Nur 
von  den  unter  Ferdinands  I.  Regierung  am  Hoflager  errichteten  Stellen: 
Geheimer  Rath,  Hofkanzlei,  Hofkammer  und  Kriegsrath  kann  mit  Fug 
und  Becht  gesagt  werden,  dass  sie  ein  wirksames  Mittel  waren,  die  König- 
reiche und  Länder  einander  näher  zu  bringen  und  eine  innigere  Verbin- 
dung derselben,  von  denen  jedes  einzelne  bis  dahin  als  eigene  politische 
Individualität  sich  gefühlt  hatte,  allmählig  herzustellen.  Doch  es  wäre 
eine  schiefe  Auffassung  zu  glauben,  die  Verschmelzung  der  Länder  sei 
eine  ursprünglich  geplante  gewesen  und  es  habe  schon  dem  ersten  Ferdi- 
nand der  Plan  vorgeschwebt,  aus  seinem  Besitze  ein  einheitliches  Staats- 
gebilde zu  machen;  im  Gegentbeil  dieser  Monarch  war  sich  nie  im  Un- 
klaren darüber,  dass  Ungarn  und  Böhmen  selbständige,  nach  ihren  eigenen 
Gesetzen  zu  beherrschende  Reiche  seien,  andererseits  hielt  er  sich  aber 
für  berechtigt,  mit  beliebigen  selbstgewählten  Rathgebern  sich  zu  umgeben 
und  nach  deren  Rathschlägen,  unbeschadet  der  Privilegien  der  Königreiche 
und  Länder,  die  Herrschergewalt  auszuüben.  In  Folge  der  auch  von 
Ferdinands  Nachfolgern  eingehaltenen  gleichen  Regierungsmethode ,  mit 
einigen  Vertrauenspersonen ,  alle  wichtigen  nach  Hof  gelangenden  An- 
gelegenheiten zu  berathen  und  zu  erledigen,  begann  der  Gedanke  der 
engeren  Zusammengehörigkeit  der  auf  so  verschiedene  Weise  an  das  Haus 
Oesterreich  gekommenen  Territorien  sich  Eingang  zu  verschaffen  und  immer 
festere  Wurzeln  zu  fassen.  Freilich  blieben  Gegenströmmungen  gegen  die 
hauptsächlich  in  der  Umgebung  des  Herrschers  hervortretenden  Einheits- 
bestrebungen nicht  aus  und  die  Stände  der  hervorragendsten  Länder,  die 
damals  überall  mit  dem  Landesherrn  in  die  Gesetzgebung  und  Verwaltung 


Literatur.  5^g 

sich  theilen,  kämpften  energisch  gegen  eine  ihre  Gerechtsame  schmälernde 
Centralregierung.  Der  dreissigjährige  Krieg  brachte  eine  Klärung  in  die 
Sachlage.  In  den  böhmischen  und  österreichischen  Ländern  wurden  die 
ständischen  Gewalten  fast  vollständig  niedergeworfen ,  der  Landesfürst 
leitete  von  nun  an  nahezu  als  absoluter  Herr  ihre  Regierung  und 
regelte,  ohne  sich  viel  um  Privilegien  zu  kümmern  und  auf  Vorstellungen 
der  Länder  Rücksicht  zu  nehmen,  deren  Beziehungen  zu  einander.  An 
den  Formen  der  ständischen  Verfassung  aber  rüttelte  man  nicht  und 
schonte  dadurch  bis  zu  einem  gewissem  Grade  die  Eigenartigkeiten 
der  Länder.  Nicht  so  glatt  verliefen  die  Dinge  in  Ungarn.  Trotz- 
dem die  ungarischen  Stände  die  Befreiung  des  Landes  von  den  Türken 
in  erster  Linie  den  erbländiscken  Kräften  zu  danken  hatten,  gelang  es 
nicht,  sie  zu  einem  festen  Anschluss  an  eine  gemeinsame  Regierung  in 
Wien  zu  vermögen  und  Karl  VI.  war  gezwungen,  um  seinem  Hause  die 
weibliche  Erbfolge  zu  sichern,  sich  damit  zufrieden  zu  geben,  dass  zwar 
von  Seiten  des  ungarischen  Landtages  die  Untrennbarkeit  und  Untheil- 
barkeit  des  gesammten  habsburgischen  Besitzes  feierlichst  verbürgt,  hin- 
gegen aber  ebenso  unzweideutig  gesetzlich  festgestellt  wurde:  »Seine 
königliche  Majestät  werde  das  ungarische  Reich  nie  anders,  als  mit  Bei- 
behaltung der  bisher  geschaffenen  oder  in  Zukunft  zu  schaffenden 
eigenen  Reichsgesetze  beherrschen  und  regieren  und  die  Regierungsform 
anderer  Provinzen  in  Ungarn  nie  einführen".  (G.  A.  1715.  3  §§1  und  2 
und  G.  A.    1723.   3). 

Der  von  Ferdinand  I.  aufgestellte  Centralregierungsapparat  machte 
im  Laufe  der  Zeiten  verschiedene  Veränderungen  durch.  Als  das  erste 
und  angesehenste  Organ  am  Hofe  erscheint  der  geheime  Rath,  der  in  den 
wichtigsten  Fragen  der  äusseren  und  inneren  Politik  den  Fürsten  zu  be- 
rathen  hatte.  Die  höchsten  Würdenträger  wurden,  je  nachdem  es  sich 
als  nothwendig  herausstellte ,  von  Fall  zu  Fall  in  denselben  berufen. 
Ständige  geheime  Räthe  ausser  den  obersten  Hofchargen  gab  es  ursprüng- 
lich nicht  und  erst  mit  der  Zeit  bildete  sich  der  geheime  Rath  zu  einem 
eigenen  für  sich  bestehenden  Collegium  aus,  das  aus  bestimmten  Personen 
zusammengesetzt  war,  täglich  Sitzungen  abhielt  und  in  allen  schwierigen 
Angelegenheiten  sein  berathendes  Votum  abgab.  Unter  Ferdinand  II.  stand 
der  geheime  Rath,  welcher  bereits  acht  ständige  und  drei  ausserordent- 
liche, in  bestimmten  Sachen  zu  den  Sitzungen  zu  berufende  Mitglieder 
umfasste  (Haus-  Hof-  und  Staats-Arch.),  im  Höhepunkte  seines  Ansehens 
und  Einflusses.  Die  Bedeutung  dieses  wirklichen  obersten  Centralorganes 
brachte  es  mit  sich,  dass  jeder,  der  Verdienste  geltend  machen  konnte, 
die  Aufnahme  in  dasselbe  anstrebte  und,  da  die  Bewerber  nur  zu  häufig 
geneigtes  Gehör  fanden,  erreichte  der  geheime  Rath  eine  für  die  gedeih- 
liche Behandlung  der  geheimsten  Regierungsgeschäfte  unverhältnismässig 
grosse  Anzahl  von  Mitgliedern.  Leopold  I.  sah  sich  daher  im  Interesse  eines 
rascheren  Geschäftsganges  ungefähr  um  das  Jahr  1659  in  die  Notwendig- 
keit versetzt,  eine  kleine  Zahl  von  geheimen  Räthen  als  Conferenzräthe 
zur  Begutachtung  der  dringendsten  Regierungssachen  auszuscheiden  (ge- 
heime Conferenz)  und  selbst  diese  Hess  er  gewöhnlich  nicht  im  Plenum, 
sondern  in  Abtheilungen  zu  Dreien  und  Vieren  Berathungen  halten.  Mit 
den   Ansichten    des    Verfassers    über    den  Wirkungskreis    der    Hofkammer 


520  Literatur. 

und  des  Hofkriegsraths ,  welch'  letzterer  die  am  wenigsten  bekämpfte 
Prärogative  des  Herrschers,  als  des  obersten  Kriegsherren,  zu  wahren 
hatte,  ist  Eeferent  im  Grossen  und  Ganzen  einverstanden,  nur  in  Betreff 
des  Verhältnisses  der  ungarischen  Kammer  zur  Hof  kammer  kann  ich  die 
Bemerkung  nicht  unterdrücken,  dass  B.  zu  sehr  auf  die  von  den  Regenten 
und  der  kaiserlichen  Hofkammer  zu  wiederholten  Malen  mit  grosser  Schärfe 
betonte  Unterordnung  der  ungarischen  Kammer  Gewicht  legt,  während 
den  in  verschiedenen  ungarischen  Gesetzartikeln  des  17.  und  18-  Jahr- 
hunderts ausgesprochenen  Bestimmungen  über  die  Unabhängigkeit  der 
ungarischen  Kammer  keine  weniger  geringere  Wichtigkeit  beigelegt 
wird.  Zu  grösseren  Meinungsverschiedenheiten  gaben  die  Ausführungen 
Bidermanns  über  die  Stellung  und  Competenz  der  Hofkanzlei  der  öster- 
reichischen Habsburger  Veranlassung,  weil  in  dem  Falle  am  stärksten  der 
einseitige  Standpunkt  des  Autors  zu  Tage  tritt  und  die  richtige  Beur- 
theilung  dieses  Hofmittels  erschwert.  Ausgehend  von  der  Hofkanzleiord- 
nung von  1528,  wornach  von  einem  obersten  Kanzler  alle  Sekretäre,  auch 
die  ungarischen  und  böhmischen,  abhängen,  suchte  Bidermann  den  Nach- 
weis zu  führen,  dass  die  1528  einheitlich  organisirte  Kanzlei  diesen 
Charakter  bis  in  die  Zeit  Ferdinands  IL  bewahrt  habe  und,  um  die  Schwierig- 
keiten noch  zu  vermehren,  gibt  er  ihr,  obgleich  in  den  Quellen  sich  kein 
Beleg  dafür  findet,  die  Bezeichnung:  österreichische  Hofkanzlei,  ebenso 
wie  er  deren  Vorstand  zum  österreichischen  Kanzler  macht  (S.  S.  13,  31, 
79  und  99).  Er  hat  aber  übersehen,  dass  diese  einheitliche  Führung  der 
Kanzleigeschäfte  nur  so  lange  Bestand  hatte,  als  die  mächtige  Persönlich- 
keit des  Kardinals  von  Trient  an  der  Spitze  des  geheimen  Raths  und  der 
Kanzlei  sich  befand.  Nach  dessen  Tode  wurde  das  Amt  eines  obersten  Kanzlers 
aufgelassen  und  einfache  (bürgerliche)  Vicekanzler,  welche  dem  nach  Gel- 
tung und  Macht  strebenden  Juristenstand  angehörten,  erhielten  die  Lei- 
tung der  königlichen  Hofkanzlei.  Diese  hatten  wegen  ihrer  Herkunft 
naturgemäss  geringeren  Einfluss  auf  die  Entschliessungen  des  Königs  und 
vermochten  den  Bemühungen  der  ungarischen  und  böhmischen  Stände, 
ihre  Kanzleiexpeditionen  von  der  Hofkanzlei  unabhängig  zu  machen  und 
ihren  Landeskanzlern  unterzuordnen,  keinen  sehr  nachhaltigen  Widerstand 
entgegenzusetzen.  So  kam  es,  dass  aus  der  ungarischen  und  böhmischen 
Hofexpedition  sich  besondere  Kanzleien  zu  entwickeln  begannen,  die  sicher- 
lich unter  Ferdinand  IL  in  keiner  Unterordnung  zur  Hofkanzlei  mehr 
standen  und  die  Angelegenheiten  ihrer  Länder  unabhängig  von  derselben 
besorgten.  Die  fortgesetzten  Bestrebungen  der  ungarischen  und  böhmischen 
Stände,  ihre  Kanzleien  am  Hofe  selbständig  zu  stellen,  wird  man  um  so 
erklärlicher  finden,  wenn  man  sich  erinnert,  dass,  nachdem  Ferdinand  I. 
die  Kaiserwürde  erlangt  hatte,  die  Reichskanzlei  die  vornehmste  Kanzlei 
wurde  und  der  Reichsvicekanzler,  den  der  Mainzer  Erzbischof  als  Erzkanzler 
mit  Zustimmung  des  Kaisers  zu  ernennen  hatte  (Seeliger,  Erzkanzler  und 
Reichskanzleien,  S.  153),  von  nun  an,  als  Stellvertreter  des  abwesenden 
Erzkanzlers,  ausser  den  Reichssachen  nicht  allein  die  österreichischen  und 
Hausgeschäfte  versah,  sondern  auch  im  geheimen  Rath  eine  einflussreiche 
Thätigkeit  entfaltete.  Bidermann  hat  sich  diese  Dinge  in  seiner  Weise 
zurecht  gelegt  und  angenommen,  trotz  der  Reichskanzleiordnung  von  1559 
sei    der  »österreichische«  Hofkanzler    die    Hauptperson    am   Hoflager    ge- 


Literatur.  521 

blieben  und  habe  so  nebenbei  das  Amt  eines  Eeichsvicekanzlers  bekleidet 
und  die  Reichsexpedition  geleitet.  Auf  die  Irrigkeit  dieser  Auffassung, 
wobei  ich  mich  jetzt  in  Uebereinstimmung  mit  Seeliger  (a.  a.  0.  S.  175) 
und  Huber  (Geschichte  Oesterreichs,  4,  213)  befinde,  habe  ich  im  8.  Bande 
dieser  Zeitschrift  hingewiesen  und  da  den  Beweis  erbracht ,  dass  der 
Reichsvicekanzler  der  österreichischen  Kanzleiexpedition,  die  einen  Theil 
der  Eeichskanzlei  bildete,  vorgesetzt  war  und  als  Vorstand  dieser  beson- 
deren Abtheilung  alle  Erlässe  unterfertigte,  welche  in  die  Erblande  gingen. 
Erst  unter  Ferdinand  II.  trat  ein  bedeutungsvoller  Umschwung  in  den 
Kanzleiverhältnissen  ein.  Eine  seiner  ersten  Regierungshandlungen  war  meines 
Erachtens  die  Loslösung  der  österreichischen  Kanzleiabtheilung  von  der  Reichs- 
kanzlei und  die  Errichtung  einer  selbständigen  österreichischen  Kanzlei  an- 
fangs mit  einem  Vicekanzler  und  später  mit  einem  Hofkanzler  an  der  Spitze, 
eine  Ansicht,  welche  ich  gegen  die  Anschauungen  Seeligers  (a.  a.  0.  S.  177), 
der  diese  Einsetzung  einem  der  letzten  Regierungsjahre  Kaiser  Mathias' 
zuweist,  demnächst  erweisen  zu  können  hoffe.  Diese  Massregel  Ferdinands  IL 
darf  man  aber  nicht  als  eine  rein  administrative  auffassen,  sie  erscheint 
mir  vielmehr  für  die  grosse  Schwenkung  in  der  habsburgischen  Politik 
symptomatisch  zu  sein,  wodurch  die  Angelegenheiten  des  Hauses  Oester- 
reich  in  die  erste  und  des  römischen  Reiches  Sachen  in  die  zweite  Linie 
rückten.  Die  österreichische  Kanzlei  wurde  durch  Ferdinand  II.  zur  Haus- 
kanzlei der  deutschen  Habsburger  gemacht  und  erhielt  die  Expedition  all' 
der  Geschäftsstücke  zugewiesen,  welche  die  österreichischen  Länder  und  die 
secreta  des  Erzhauses  betrafen.  Zu  welch'  grossem  Ansehen  dieselbe  in  kurzer 
Zeit  gelangt  war,  bezeugt  ein  Bericht  des  bairischen  Gesandten  vom 
4.  August  1627  an  seinen  Herrn,  wo  es  heisst:  So  sieht  man  täglich 
die  exempla,  was  der  österreichische  Kanzler  in  Reichssachen  dem  Reichs- 
hofrath  vor  Eingriff  erzeigt,  und  gleichsamb  alle  Sachen  ohne  Unterschied 
an  sich  zeucht,  weniger  nicht,  als  ob  das  Rom.  Reich  seiner  Expedition, 
sowohl  untergeben,  als  die  österreichische  Erbland«  (Gindely  Waldstein 
während  seines  erste  Generalats  1,  264).  Schon  Ferdinand  IL,  der  die 
innerösterreichischen  Länder  wieder  mit  dem  Hauptbesitz  seiner  Familie 
vereinigte,  hatte  die  österreichische  Kanzlei  in  zwei  Abtheilungen,  in  eine 
nieder-  und  innerösterreichische  getheilt,  und,  als  Leopold  I.  im  Erbgang 
die  tirolische  und  vorderösterreichischen  Besitzungen  erworben  hatte,  wurde 
eine  dritte,  die  oberösterreichische  (tirolische)  Expedition  hinzugefügt,  so 
dass  es  drei  österreichische  Kanzleien  gab,  welche  einen  gemeinsamen 
Kanzler  hatten,  aber  fast  unabhängig  neben  einander  amtirten.  Wenn 
Bidermann  diesem  österreichischen  Kanzler  die  Befugnis  zuerkennt,  »die 
um  landesfürstliche  Anträge  sich  drehenden  Diätaltraktate  mit  den  un- 
garischen Ständen  zu  leiten«  (S.  S.U.,  65,  100,  104,  117),  so  begeht  er 
den  Fehler,  den  Wirkungskreis  des  Kanzlers  mit  der  Stellung  zu  ver- 
mengen,  die  dieser  als  Vertrauensmann  des  Regenten  einnahm.  Ge- 
wöhnlich schickten  die  habsburgischen  Könige  zu  den  ungarischen  Land- 
tagen Commissäre,  welche  als  Vertreter  des  Monarchen  seine  Wünsche 
vorzubringen  und  mit  den  Ständen  über  die  königlichen  Propositionen 
zu  verhandeln  hatten  und  es  kam  häufig  vor,  dass  sich  unter  diesen  aus 
den  höchsten  Würdenträgern  des  Reiches  genommenen  Vertrauensmännern 
der  österreichische  Kanzler  befand. 


522 


Literatur. 


Ausser  den  Centralorganen  in  der  vollen  Bedeutung  des  Wortes,   wie : 
Geheimer  Rath,   Hof  kanzlei    und  Hofkammer    hatte  Ferdinand  I.  im  Jahre 
1527    einen  Hofrath   in  Justiz-    und    Parteiensachen,    aber    nicht    für    die 
gesammten    von    ihm  beherrschten  Länder,    sondern  nur  für  das  deutsche 
Reich    und  die    österreichischen  Erblande  eingesetzt  und  diesem    die  Auf- 
gabe gestellt,  alle  Beschwerden  der  Unterthanen  der  genannten  Gebiete,  sie 
mochten  auf  Justiz-  oder  Verwaltungsangelegenheiten  Bezug  nehmen,  seiner 
Beschlussfassung    und,    insoweit  der  König  nicht  persönlich  eingriff,  Ent- 
scheidung   zu    unterziehen.      In    den    Königreichen    Ungarn    und    Böhmen 
konnte  nach  einheimischem  Rechte  im  Gegensatz  zu  dem  in  das  deutsche 
Recht    eingedrungenen    römischen    Rechtsgrundsätzen    eine  Appellation    an 
den  König  nicht  stattfinden  und  es  war  deshalb,  abgesehen  von  politischen 
Erwägungen,   deren  Einbeziehung  in  das  Geltungsgebiet  des  Hofraths  un- 
möglich.     Schwierig  fällt  es,  die  Beziehungen  des  Hofrathes  zum  geheimen 
Rathe    zu    bestimmen.     Ich  halte    noch  heute  daran  fest,    dass    man    sich 
den    Hofrath    ausschliesslich    als    oberste    Gerichtsbehörde    in  Justiz-    und 
Verwaltungssachen  zu  denken  habe,  hingegen  im  geheimen  Rathe,  der  bei 
der  geringen  Anzahl  wirklicher  Räthe  öfter  durch  Mitglieder  des  Hofraths 
eine  Verstärkung  erhielt,  alles  Politische  verhandelt  wurde  (a.  a.  0.  S.  272). 
Dem  von  Ferdinand  I.  geschaffenen  Hofrath  gibt  Bid^-rmann  den  Beinamen 
des  erbländischen,  obwohl  er,  wie  bemerkt,  nicht  allein  für  die  Erblande, 
sondern    auch    für    das    römische    Reich    competent    war   und    nimmt  von 
ihm  an,  dass  er  sogar  nach  der  im  Jahre  1559  erfolgten  Neuorganisation 
des  Reichshofraths,  als  besonderer  erbländischer  Rath,  bis  zum  Tode  Fer- 
dinands gewirkt  habe  (S.   79);    Es  ist  das  eine  Annahme,    die  ich,    wenn 
gleich  sie  in  dem  Passus  der  Reichshofrathsordnung :   »Alle  und  jede  .... 
Brieff   und  dergleichen  .  .  .   soll  .  .  .  unsers  Vice-Cantzler    annehmen    .... 
und  Gelegenheit  einer  jeden  Handlung  entweders  bei  uns  in  unserem  Ge- 
heimen Rath  anbringen  oder  aber  in  andern   unsere  Verordnete  des  Heil. 
Reichs  auch  Hungarische  Beheimisehe  und  österreichische  Hof-  oder  Kammer- 
räthe  ausstheilen«  (Uffenbach,  vom  keys.  Reichs -Hoff-Rath  S.  6),  eine  Stütze  zu 
finden  scheint,  nicht  für  gerechtfertigt  halte.     Da  Rosenthal  in  seiner  Be- 
hördenorganisation Ferdinand  I.   sie  billigt  (Archiv    für  österr.  Geschichte 
Bd.   69   S.  78),  so  mögen  hier  die   dagegensprechenden  Gründe  eine  Stelle 
finden:     Für's  erste    ist  im  Auge  zu  behalten,    dass  nach    der  Reichshof- 
rathsordnung der  Reichshofrath  ausdrücklich  für  das  Reich  und  die  öster- 
reichischen Erblande  bestimmt  ist  und  wozu  sollte  weiter,  müssen  wir  fragen, 
denn  gerade  für  die  Jahre  1559—1564  ein  eigener  erbländischer  Hofrath 
bestellt  gewesen  sein?     Ferner  kennt    eine  im  Jahre   155S    angelegte,  im 
Jahre  1559  nach  der  Neueinrichtung  des  kaiserlichen  Hofraths  ergänzte  Hof- 
staatsordnung (Haus-  Hof-  und  Staats-Arch.)  —  nur  einen  und  zwar  den 
Hofrath  des  Kaisers,    in  welchem   ausser  dem  neu  hinzugekommenen  Prä- 
sidenten, dessen  Namen  in  die  Hofordnung  von  anderer  Hand   nachgetragen 
wurde,  als  Räthe  nebst  einigen  neuen  die  alten   des  früheren  königlichen 
Hofraths  Sitz  und  Stimme  bekamen  (Vgl.  Hofordnung  von  1557  und  1559 
H.-  H.-  und  St.-A.).     Nicht    ohne  Grund  kann    ich  demnach   die  Behaup- 
tung wagen,  am  Hofe  Ferdinands  bestand  von  jeher  ein  einziges  Hofratns- 
collegium,    das    merst  für  den   Erzherzog- Statthalter,  dann  den  deutschen 
König    und  endlich  den  römischen  Kaiser    in  Sachen,  die  aus  dem  Reich' 


Literatur.  523 

oder  den  österreichischen  Landen  bei  Hof  einlangten,  Recht  sprach  oder 
ihn  in  der  Rechtsprechung  unterstützte  1).  Die  aus  der  Reichshofraths- 
ordnung  von  1559  oben  angeführte  Stelle  soll  nach  meinem  Dafürhalten 
lediglich  besagen:  Der  Reichsvicekanzler  habe  als  Vorstand  der  Hofkanzlei 
die  österreichischen  Geschäftsstücke  den  im  Reichshofrathe  sitzenden  öster- 
reichischen Räthen  zumReferiren  zuzutheilen. 


Der  zweite  Theil  des  Bidermann'schen  Werkes  beginnt,  wie  oben  er- 
wähnt wurde,  mit  einer  ergänzenden  Rückschau  über  die  Regierung  Leo- 
polds I.  und  behandelt  des  Ausführlichen  die  Thätigkeit  Josefs  I.  und 
Karls  VI.  im  Dienste  der  Gesammtstaatsidee,  unterscheidet  sich  aber  von 
der  ersten  Partie  dadurch,  dass  der  Verfasser  von  den  verschiedenen  an- 
deren Berührungspunkten,  die  sich  zwischen  den  Ländern  herausgebildet 
hatten,  fast  ganz  absieht,  und  das  Schwergewicht  auf  die  Schilderung  des 
Wirkungskreises  der  Central- Organe  legt,  weil  in  der  Thätigkeit  dieser 
Behörden  am  deutlichsten  die  auf  die  Bildung  eines  Gesammtstaates  ge- 
richteten Bestrebungen  der  beiden  letzten  Habsburger  hervorgetreten  seien. 
Dass  die  Centralstellen,  welche  man  aber  nicht  nach  Bidermanns  Vorgang 
(II.  16.)  mit  dem  modernen  Ausdruck  Fachministerien  bezeichnen  darf, 
da  sie  collegial  organisirt  waren,  in  gewissem  Sinne  ein  einigendes  Band 
bildeten,  soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  andererseits  lassen  sich 
aus  Bidermanns  Buche  zahlreiche  Belege  für  eine  den  Königreichen  und 
Ländern  trotz  der  grossen  Wandlungen  in  den  Zeiten  des  dreissigjährigen 
Krieges  verbliebene,  nicht  unbedeutende  selbständige  Stellung  erbringen. 
Die  böhmische  und  die  österreichische  Ländergruppe  stehen  sich  noch 
immer  als  besondere,  von  einander  getrennte  Verwaltungsgebiete  gegen- 
über, noch  immer  bewilligt  jedes  einzelne  Land  die  Contribution  für  sich 
und  sind  zwischen  einzelnen  Provinzen  des  Habsburgischen  Besitzes  Zoll- 
linien aufgerichtet.  Von  der  sehr  ausgedehnten  Autonomie  des  König- 
reichs Ungarn  will  ich  nicht  reden,  auch  nicht  davon,  dass  seine  privi- 
legirte  Eigenart  des  öftern  feierliche  Anerkennung  gefunden  hatte.  Wie 
selbst  am  kaiserlichen  Hof  das  Verhältnis  Ungarns  zur  Dynastie  im  Ver- 
gleich zu  den  übrigen  Erbländern  als  ein  singuläres  aufgefasst  wurde, 
dafür  können  wir  einen  merkwürdigen  Beweis  aus  der  von  Arneth  edir- 
ten  Correspondenz  König  Karls  III.  von  Spanien  —  nachmals  Kaiser 
Karls  VI.  —  mit  dem  Grafen  Wratislaw  liefern.  In  einem  Briefe  vom 
4.  Juli  1705  theilt  dieser  seinem  Gönner  Karl  mit,  dass  der  Kaiser  (Joseph) 
ihn  zum  böhmischen  Kanzler  und  wirklichen  Geheimrath  ernannt  und  an- 
befohlen habe,  ihn  » in  die  conferentzien  der  hungarischen,  englischen  und 
holländischen  oder  anderen  von  diesen  dependirenten  Sachen  zuziehen  «  (Archiv 
für  Kunde  österr.  Geschichtsquellen  16.  Bd.  S.  17).  Daraus  erhellt  wohl, 
dass  so  manche  ungarische  Angelegenheiten  —  es  sind  hier  vermuthlich 
die  Verhandlungen  mit  den  Insurgenten  gemeint  —  nicht  als  res  internae, 
sondern  nach  Art  der  auswärtigen  Sachen  in  einer  kleinen  aus  einigen 
geheimen    Räthen    zusammengesetzten  Commission    behandelt    wurden.     Je 


')  Vgl.  dazu  Huber  a.  a.  0.  4,  211  und  Seeliger  S.   180,  welche  meine  An- 
sicht von  der  Existenz  nur  eines  Hofraths  billigen. 


524  Literatur. 

aufmerksamer  man  die  innere  Ausgestaltung  der  habsburgischen  Monarchie 
verfolgt  und  je  genauer  man  den  mannigfaltigen  Bestrebungen,  eine  festere 
Verknüpfung  der  babsburgiscben  Länder  herzustellen ,  nachgeht ,  desto 
unabweislicher  drängt  sich  der  Gedanke  auf,  das  Verdienst,  die  wirkliche 
Grundlage  zu  einer  innigen  Vereinigung  und  Verbindung  des  losen  Länder- 
bestandes geschaffen  zu  haben,  gebühre  doch  vorzüglich  Karl  VI.,  der  durch 
die  pragmatische  Sanktion  uud  die  in  ihr  enthaltene  Festsetzung  des 
untrennbaren  und  untheilbaren  Besitzes  dem  Gefühl  der  Zusammengehörig- 
keit in  der  dem  Scepter  des  Hauses  Habsburg  unterstellten  Ländermasse 
eine  gesetzliche  Weihe  verlieh.  Bevor  ich  über  die  Entwicklung  der 
Centralbehörden  unter  Joseph  I.  und  Karl  VI.  im  Anschluss  an  Bider- 
manns  Buch  ein  Bild  zu  entwerfen  versuche,  mag  vorerst  einleitend  be- 
merkt werden,  dass  schon  unter  Leopold  I.  die  Erkenntnis  von  der  mangel- 
haften Organisation  der  Centralstellen  aufgetaucht  war,  dass  Anläufe  ge- 
macht wurden,  Verbesserungen  einzuführen  und  als  Ergebnis  verschiedener 
Vorschläge  die  im  Jahre  1697  eingesetzte,  aus  Vertretern  der  Hofkanzleien, 
des  Hofkriegsraths  und  der  Hofkammer  zu  bestehen  habende  Deputation 
anzusehen  ist,  welche  die  Aufgabe  zugewiesen  erhielt,  über  die  genaue 
Einhaltung  des  gerade  neu  eingerichteten  Status  politico-et  oeconomico- 
militaris  sorgfältigst  zu  wachen,  und  nur  solche  Vorschläge  zu  erstatten, 
die  im  Einklang  mit  dem  neuen  auf  eine  leichtere  Einbringung  der  Con- 
tribution  und  auf  eine  bessere  Verflegung  und  Ausrüstung  der  Truppen 
hinzielenden  System  sich  befänden.  Die  mit  Einrechnung  von  Ungarn 
auf  zwölf  Millionen  Gulden  veranschlagte  Contributionssumme  sollte  nach 
dem  Willen  des  Kaisers  ausschliesslich  für  die  Armada  verwendet  und  in 
die  unter  der  Hofkammer  stehende  Generalkriegskassa  abgeführt  werden. 
In  der  an  die  Deputation  erlassenen  Instruktion,  ward  auch  verordnet, 
dass  diese  sich  zweimal  in  der  Woche  zur  Berathung  zu  versammeln,  ihre 
Beschlüsse  per  maiora  zu  fassen  und  in  wichtigen  Sachen  sich  an  den 
Kaiser  zu  wenden  habe  (B.  I.  S.  39).  Die  grösste  Unzufriedenheit  hatte 
in  den  letzten  Kegierungsjahren  Leopolds  die  schlechte  Geschäftsführung 
der  österreichischen  Hofkanzlei  erregt,  welche  damals  schon  die  Reichs- 
kanzlei an  Bedeutung  übertraf,  die  Haus-  und  Familiensachen  und  einen 
Theil  der  fremden  Staatssachen,  wie  auch  »alle  Angelegenheiten,  so  sich 
in  den  österreichischen  Ländern  ereignen,  traktirte«,  aber  in  den  Händen 
einer  schwerfälligen,  für  so  verschiedenartige  Geschäfte  ganz  ungeeigneten 
Persönlichkeit  sich  befand.  Die  Stellung  des  österr.  Kanzlers  hätte  einen 
Mann  erfordert,  der  nicht  minder  in  den  Particularrechten  der  öster- 
reichischen Herzogthümer,  als  in  den  Reichscapitulationen  und  der  hohen 
Politik  zu  Hause  gewesen  wäre. 

Als  Joseph  zur  Regierung  gelangte,  entliess  er  den  österreichischen 
Hofkanzler  Bucelini  und  richtete,  den  vielen  Schwierigkeiten  Rechnung 
tragend  und,  um  eine  grössere  Raschheit  in  den  Geschäftsgang  zu  bringen, 
die  Kanzlei  in  der  Weise  ein,  dass  er,  ohne  eine  strenge  Scheidung  der 
Agenden  vorzunehmen,  für  den  einen  Vorstand  zwei  Kanzler  bestellte 
und  die  Besorgung  der  diplomatischen  Correspondenz,  die  früher  in  ver- 
schiedenen Kanzleien  —  österreichische,  böhmische,  Reichskanzlei  und  Hof- 
kriegsrathtkanzlei  —  nach  den  Weisungen  der  geh.  Conferenz  vor  sich 
gieng,  der  geheimen    österr,  Hofkanzlei    übertrug.     Nur   den  Verkehr  mit 


Literatur.  525 

dem  osmanischen  Reich  vermittelte  nach  wie  vor  der  Hofkriegsrath,  an 
den  die  diplomatischen  Vertreter  in  Konstantinopel  und  die  Commandanten 
an  den  türkischen  Grenzen  über  wichtige  Vorkommnisse  in  der  Türkei 
Meldung  zu  machen  und  von  welchem  sie  Verhaltungs-Massregeln  zu  er- 
halten hatten.  (Bid.  S.  9  und  Aktenconvolut.  H.-  H.-  und  St.-A.):  In 
die  Anfangszeit  der  Josephinischen  Regierung  fällt  ferner  eine  Ver- 
stärkung des  Wirkungskreises  der  Hofkammer  und  des  Hofkriegsraths 
durch  die  Zuweisung  der  bisher  in  der  Regel  im  Wege  der  österreich- 
ischen Hofkanzlei  nach  Hof-  gelangenden  und  auf  Grund  allerhöch- 
ster Weisungen  erledigten  Cameralia  und  Militaria  der  inneröster- 
reichischen und  tirolischen  Länder  an  die  genannten  Hofstellen,  wohin 
sie  ihrer  Natur  nach  gehörten.  Als  Ferdinand  I.  die  Hofkammer  und  den 
Hofkriegsrath  einsetzte,  hatte  ihn  die  Absicht  geleitet,  für  das  Camerale 
und  Militare  Centralinstanzen  aller  seiner  Länder  zu  schaffen,  durch  die 
Theilungen  aber  war  die  tirolische  und  innerösterreichische  Gruppe  zu 
einer  beinahe  vollen  Selbstständigkeit  gekommen  und,  wenn  auch  später 
diese  Gebiete  wieder  mit  dem  Hauptbesitz  vereinigt  wurden ,  so  Hess 
man,  um  die  Empfindlichkeiten  und  Eigenartigkeiten  zu  schonen,  deren 
Behördenorganismus  unberührt.  Oberste  Regierungsbehörden  —  von 
den  zeitweilig  vorkommenden  fürstlichen  Gubernatoren  sehe  ich  ab 
—  in  Graz  und  Innsbruck  waren  die  geheimen  Räthe,  auch  geheime 
Stellen  genannt,  welche  den  »persönlich  diesen  Ländern  nicht  beiwohnen 
könnenden*  Landesfürsten  vertraten  und  die  höchste  Regierungsgewalt 
daselbst  mit  der  Einschränkung  ausübten,  dass  sie  in  wichtigen  und 
schwierigen  Fällen  politischer,  finanzieller  und  militärischen  Art  nach  Wien 
zu  berichten  hatten,  von  wo  aus  ihnen  von  Seite  des  gemeinsamen  öster- 
reichischen Hofkanzlers  durch  die  innerösterreichische  oder  tirolische  Ab- 
theilung der  geheimen  Hofkanzlei  die  kaiserlichen  Entschliessungen  zu- 
gingen. Grosse  Selbständigkeit  genossen  diese  geheimen  Stellen  in  Justiz- 
sachen; es  war  ihnen  nämlich  das  Recht  eingeräumt,  alle  civilen  Streitig- 
keiten als  Revisionsinstanzen  endgiltig  zu  erledigen  und  allein  in  Criminal- 
sachen  mussten  sie  die  Gnadengesuche,  die  Recurse  ad  gratiam,  bei  Hof 
vorlegen.  Damit  dass  die  Behörden  der  innerösterreichischen  und  tiroli- 
schen Lande  von  Joseph  I.  der  Hofkammer  und  dem  Hofkriegsrath  in 
den  entsprechenden  Dienstzweigen  direkt  untergeordnet  wurden,  war  ein 
bedeutender  Schritt  zur  Verwischung  und  Beseitigung  der  Eigenstellung 
dieser  Territorien  gethan  (S.   9.  u.   10). 

Die  Hauptrolle  am  Hofe  spielten  auch  unter  Joseph  I.  die  Ab- 
theilungen (Commissionen)  der  geheimen  Conferenz ,  von  denen  die 
auswärtigen  und  Kriegssachen  berathen  und  begutachtet  zu  werden  pfleg- 
ten. Es  dürfte  von  Interesse  sein,  aus  einem  unlängst  von  Herrn 
Dr.  Schuster  im  Staats  -  Archiv  aufgefundenen,  von  Bidermann  nicht  be- 
benützten, an  den  Kaiser  erstatteten  Gutachten  des  österreichischen  Kanzlers 
Grafen  von  Sinzendorf  de  dato  2.  Oktober  1706  die  verschiedenen  Com- 
missionen der  Conferenz  kennen  zu  lernen:  »Bei.  E.  M.  angetretenen  Re- 
gierung, sagt  in  diesem  Schriftstück  Sinzendorf,  ist  die  Sach'  nachfolgen- 
der Allergnädigsten  Austheilung  gemacht  worden,  dass  Imu  die  Reichssachen 
in  einer  Conferenz,  wobei  der  Fürst  von  Salm  als  erster  Minister,  Graf 
von  Oetting  als  Reichshofrathspräsident,  Graf  von  Windischgrätz,  B.  Seilern 


526  Literatur. 

als  Hofkanzler  und  Graf  von  Schönborn  als  Eeichs  vicekanzler  erscheinen, 
dirigirt  werden  sollen,  in  welcher  auch  meistens  die  polnischen,  schwedi- 
schen und  dänischen  Sachen  traktiret  werden.  Engelland:  Holland:  Fran- 
zösich :  zu  diesen  Geschäften  haben  E.  M.  eine  Conferenz  verordnet,  bestehend 
in  dem  Fürsten  von  Salm,  Grafen  von  Sinzendorf  als  Hofkanzler  und  Graf 
von  Wratislaw.  Spanische:  diese  sind  zwischen  dem  Fürsten  von  Salm, 
Grafen  von  Waldstein,  Duca  di  Moles  und  Baron  von  Seilern,  als  Hof- 
kanzler traktirt.  Eomanische :  diese  kommen  vor  in  einer  Conferenz,  wobei 
sich  befinden :  der  Fürst  von  Salm,  Graf  Adam  Martiniz ,  Moles,  Seilern, 
Grimani,  welche  Sachen  aber  Italien  insgemein  betreffen,  dazu  hat  man 
ged.  Cardlen  Grimani  nit  pflegen  zu  rufen.  Militärische:  die  politico-mili- 
taria,  welche  bei  denen  Armeen  am  Ehein  und  in  Niederland  zu  beobachten, 
werden  meistens  vom  Fürsten  von  Salm,  Gr.  Sinzendorf,  vom  Kriegs- 
präsidenten mit  Zuziehung  der  Kammer  oder  Commissariats  nach  Beschaf- 
fenheit deren  Materien  vorgenommen.  Die  Trappenallianz  mit  dem  König 
in  Preussen,  Kurfürsten  von  Pfalz,  Pohlen  als  Kurfürsten  zu  Sachsen,  und 
anderen  Kur:  und  Fürsten  betr:  kommet  solches  bissweilen  in  der  Depu- 
tation, sonsten  aber  in  publica  conferentia  zwischen  dem  Fürsten  von 
Salm,  Sinzendorf,  Hofkammerpräsidenten.  Kriegspräsidenten,  und  etlichen 
anderen  die  extraordinarie  dar  zu  berufen  werden  vor.  Schweizer :  Diese 
haben  unter  Händen  Fürst  v.  Salm  und  beede  Hofkanzlere.  Türkische : 
Diese  werden  tractirt  von  dem  Fürsten  von  Salm,  Oettingen,  Seilern,  Hof- 
kriegsrath.  Ueber  obbemelte  werden  auch  kleine  Conferenzen  nach  unter- 
schiedlichen Vorfallenheiten  sowohl  für  die  ausser-  als  innlandische  Sachen 
und  Angelegenheiten  gehalten.  Expeditiones :  In  Sachen,  die  innerliche 
Eeichssachen  so  zu  dem  Eeichshofrath  und  an  den  Eeichstag  gehören, 
sollen  durch  die  Eeichskanzlei :  alle  andere  als  die  Spanische,  Eomanische, 
Venetianische,  und  von  ganz  Italien,  in  so  weit  selbige  dero  Staat  und 
Erzhaussachen  angehen,  wie  auch  jene,  so  die  negotiationes,  Tractaten  und 
Allianzen  in  Eeich  mit  Engelland,  Holland,  Schweden,  Pohlen,  Dänemark 
betreffen,  welche  E.  K.  M.  nicht  als  Kaiser,  und  mit  und  von  wegen  des 
Eeichs  schliessen,  von  der  Hofkanzlei  expedirt  werden.«  Fürst  Sahn,  Josephs 
ehmaliger  Erzieher  und  nachmaliger  Obersthofmeister,  war  somit  die  erste 
Persönlichkeit  im  Eathe  des  Kaisers,  ohne  deren  Zustimmung,  wie  Wra- 
tislaw in  der  angeführten  Correspondenz  öfter  mit  Unmuth  hervorhebt, 
nichts  Wichtiges  vorgenommen  werden  konnte.  Aber  die  mangelhaften 
politischen  Kentnisse  des  Fürsten  und  seine  herrische  Art  der  Geschäfts- 
leitung brachten  eine  solche  Verwirrung,  Unordnung  und  Ziellosigkeit  in 
der  Behandlung  der  heikelsten  Angelegenheiten  hervor,  dass  Joseph  sich 
entschloss,  der  Commissionswirthschaft  ein  Ende  zu  machen  und  eine 
ständige  Conferenz  mit  einer  festen  Organisation  und  einem  bestimmten 
Wirkungskreise  einzusetzen.  Am  7.  März  1709  wurde  die  erste  Conferenz- 
sitzung  in  Gegenwart  des  Kaisers  gehalten  und  die  Instruktion  —  Bider- 
mann  blieb  sie  unbekannt  —  verlesen,  wornach  die  geheime,  acht  Eäthe 
starke  Conferenz  sich  zweimal  in  der  Woche  unter  Vorsitz  des  Kaisers 
versammeln,  über  die  auswärtige  Politik  und  die  Eeichs-  und  Kriegs- 
sachen (Feldzugspläne,  Vertheilung  der  Armeen)  berathschlagen  sollte. 
Ausserdem  ordnete  Joseph  an,  dass  in  seiner  Abwesenheit  die  Conferenz 
nicht  unter  Vorsitz  des  Obersthofmeisters  —  eine  gegen  den  Fürsten  Salm 


Literatur.  527 

gerichtete  Bestimmung  —  sondern  des  ältesten  geheimen  Rathes  abzu- 
halten sei  und  dieser  ihm  die  gefassten  Beschlüsse  zur  Entscheidung  mit- 
zutheilen  habe,  (H.  H.  u.  St.  A.).  Wie  sehr  die  Verhältnisse  am  kaiser- 
lichen Hol'  seit  Rudolfs  und  Mathias'  Zeiten  sich  geändert  hatten,  zeigt 
der  Umstand,  dass  der  Reichsvicekanzler,  der  früher  als  Sekretär  und 
Mitglied  des  geheimen  Rathes  den  grössten  Einfluss  besessen  hatte,  in  der 
ständigen  Conferenz  mit  Sitz  und  Stimme  nicht  betraut,  sondern,  weil 
man  es  nicht  für  angezeigt  hielt,  einen  Fremden  in  die  arcana  des  Hauses 
einzuweihen,  im  Verein  mit  dem  Reichshofrathspräsidenten  nur  zu  solchen 
Conferenzsitzungen  eingeladen  wurde,  in  denen  Reichssachen  in  Verhand- 
lung standen.  In  derselben  Entschliessung,  welche  die  ständige  Conferenz 
ins  Leben  rief,  wurde  auch  die  Thätigkeit  der  Deputation  berührt  und 
wir  ersehen  daraus,  dass  dieses  von  Leopold  aufgestellte,  wahrscheinlich 
bald  nach  seiner  Errichtung  mit  einer  grösseren  Competenz  ausgestattete 
Rathscollegium  nunmehr  aus  dem  Oberstkämmerer,  den  Vorständen  der 
Kanzleien,  der  Hofkammer  und  des  Hofkriegsrathes  bestand  und  die  An- 
gelegenheiten der  Länder  (Landtags  Materien,  Contributionen  .  .  .)  die  Ca- 
meralgegenstände  und  die  finanzielle  Seite  der  res  bellicae,  alles  in  Sitzungen 
unter  dem  Vorsitz  des  Kaisers,  in  Erwägung  zu  ziehen  hatte,  kurz  dass 
diese  Deputation  eine  Art  Conferenz  in  internis  vorstellte.  Die  Gegen- 
stände der  auswärtigen  Politik  berieth  also  in  den  letzten  Regierungs- 
jahren Josephs  die  geheime  Conferenz,  aus  der  freilich  kaum  nach  ihrer 
Schaffung  für  die  allervertraulichsten  Sachen  die  kleine  oder  spanische 
Conferenz  abgezweigt  wurde,  über  die  inneren  Agenden  verhandelte  die 
Deputation  und,  wenn  Justizsachen  der  Erledigung  harrten,  wurde  der 
geheime  Rath  noch  in  seiner  Gesammtheit  einberufen.  (B.  S.  17  und 
dazu  Archiv.  .  .  16,  S.  147  und  Arneth,  Prinz  Eugen:  S.  188  und  319  ff.). 
Josephs  Nachfolger  Karl  VI.,  hatte,  als  er  noch  in  Spanien  weilte, 
auf  die  Regelung  der  österreichischen  Finanzen  sein  Augenmerk  ge- 
lenkt, bald  nach  seiner  Rückkehr  unterzog  er  die  Hofkammer  einer  Re- 
organisation und  setzte,  um  Ordnung  in  das  Kassen-  und  Schuldenwesen 
zu  bringen,  eine  von  der  Hofkammer  unabhängige  Stelle  ein,  die  Universal- 
bancalität  (1715),  welche  einen  doppelten  Zweck  zu  erfüllen  bestimmt  war. 
Einerseits  sollte  sie  die  Centralkassa  des  Staates  sein,  durch  die  behufs 
der  Controle  alle  in  Baargeld  eingehenden  Cameraleinkünfte  (die  Erträg- 
nisse aus  den  Domänen,  Regalien  und  indirekten  Steuern)  und  Militär- 
gefälle (die  in  direkten  Steuern  bestehenden  Contributionen  der  Länder) 
durchliefen  und  in  Verrechnung  gehalten  wurden,  andererseits  war  ihr  die 
Aufgabe  zugedacht,  als  Creditinstitut  zu  dienen,  weshalb  sie  einige  Fonde 
zugewiesen  erhielt,  um  Geldgeschäfte  machen  d.  h.  Geld  ausleihen  und 
aulnehmen  zu  können.  Die  Hofkammer  hatte  durch  Errichtung  der  Ban- 
calität  eine  grosse  Einbusse  in  ihrem  Agendenkreis  erlitten ;  denn  es  blieb 
ihr  lediglich  das  Anweisungsrecht  auf  die  in  den  Kassen  der  Bancalität 
befindlichen  Staatsgelder  und  die  Pflege  und  Verwaltung  der  Cameral- 
fonde  überlassen.  Sie  hatte,  um  es  deutlich  zu  sagen,  dafür  zu  sorgen,  dass 
keine  Unterschleife  in  der  Administration  der  Cameralgefälle  vorkamen  und  die 
Cameraleinnahmen  nicht  kostspielig  verwaltet  wurden  und  wirklich  eingingen. 
Grosse  Hoffnungen  und  Erwartungen  hatte  man  an  diese  neue  Einrichtung  ge- 
knüpft, sie  erfüllten  sich  aber  nicht.  Hofkammer  und  Bancalität  lagen  sich  ge- 


528  Literatur. 

wohnlich  in  den  Haaren,  Competenzstreitigkeiten  verwickeltster  Art  ent- 
standen, weitläufige  Erörterungen  der  beiderseitigen  Wirkungskreise  stellten 
sich  als  nothwendig  heraus  und  noch  unter  Karl  VI.  wurde  die  Ban- 
calität  auf  die  alleinige  Thätigkeit  als  Centralkasse  und  Generalcontrol- 
organ  beschränkt.  Die  neue  Anstalt  vermochte  nur  kurze  Zeit,  dem  Staate 
Anleihen  zu  verschaffan,  es  war  ihr  nicht  gelungen,  —  der  Grund  lag  in 
der  Unzulänglichkeit  ihrer  Beservefonde  —  das  Vertrauen  der  besitzenden 
Klassen  zu  gewinnen  und,  wenn  der  Staat  Geld  brauchte,  sah  er  sich 
nach  wie  vor  genöthigt,  an  die  Wiener  Stadtbank  sich  zu  wenden,  welcher 
wegen  ihrer  vorzüglichen  Leitung  und  guten  Fundirung  von  In-  und 
Ausländern  Capitalseinlagen  zuflössen.  (B.  S.  27  ff.)  x).  Ueber  Bancalität 
und  Hof  kammer  setzte  der  Kaiser  im  Jahre  1716  die  geheime  Finanzcon- 
ferenz,  die  im  Bange  der  geheimen  Conferenz  stehend,  an  bestimmten 
Tagen  in  wichtigen  Dingen  unter  Vorsitz  des  Monarchen  —  Sitzungen 
zu  halten  und  ihn  in  der  Leitung  und  Ueberwachung  des  gesammten 
Finanz-  und  Creditwesens  zu  unterstützen  hatte. 

Auf  dem  Gebiete  der  obersten  politischen  Verwaltung  und  Justizpflege 
begegnen  wir  ebenfalls  den  reformatorischen  Bestrebungen  Karls  VI.  Die 
noch  unter  Mathias  als  Schreiborgane  thätigen  Kanzleien  hatten  sich  seit 
Ferdinand  IL  unter  fortwährender  Ausdehnuug  ihres  Geschäftskreises  zu 
förmlichen  Behörden  ausgewachsen,  welche  nicht  allein  die  oberste  Ver- 
waltung grösserer  Ländercomplexe  führten,  sondern  auch  als  richterliche 
Instanzen  wirkten  und  bei  Bevisionsprozessen  das  gefundene  Urtheil  dem 
Kaiser  im  geheimen  Eath  vorzutragen  hatten.  Zwar  war  von  Joseph  der 
österreichischen  Hof  kanzlei  eine  bessere  Verfassung  gegeben ,  Karl  ging 
aber  noch  einen  Schritt  weiter,  normirte  den  Wirkungskreis  der  böhmischen 
und  österreichischen  Hof  kanzlei,  wie  er  sich  entwickelt  hatte,  und  machte 
dieselben  zu  höchsten  Begierungsdikasterien  mit  genau  festgeset/en  Be- 
fugnissen. Nach  der  am  26.  April  1719  erflossenen  Instruktion  bildete 
die  böhmische  Hof  kanzlei  (B.  führt  die  Instruktion  nicht  an ,  Copie 
im  Minist,  d.  Innern)  ein  einziges  corpus  dicasterium  der  Länder  der 
böhmischen  Krone  und  sollte  als  letzte  und  vornehmste  königliche  und 
landesfürstliche  Stelle  angesehen  werden,  die  sich  immer  gegenwärtig  zu 
halten  habe,  dass  der  König  »das  obriste  Haupt  und  Bichter  sei«.  Früher, 
erfahren  wir  aus  dieser  Ordnung,  waren  die  publica  und  judicialia  uno 
eodemque  consessu  vorgenommen  worden ;  Karl  verordnete  aber,  aus  dem 
pleno  cancellariae  zwei  Senate,  einen  für  die  publica  und  den  zweiten  für 
die  judicialia  zusammen  zu  setzen.  Die  am  26.  März  1720  nach  dem 
Muster  der  böhmischen  Kanzleiinstruktion  erlassene  Ordnung  für  die  öster- 
reichische Hofkanzlei  (Archiv  d.  M.  d.  I.)  nennt  diese  die  gemeine  Hof- 
kanzlei unserer  deutsch-österreichischen  Erblande,  welche  unsere  erzherog- 
liche  Person  und  Autorität  zu  repräsentiren  hat,  und  charakterisirt  im 
ersten  Artikel  die  Thätigkeit  der  genannten  Behörde  mit  folgenden  Worten : 
»Weilen  bishieher  bei  erwähnter  Kanzlei  nicht  allein  die  Haus-  und  frem- 
den Staatssachen,  sondern  auch  alle  andern  Angelegenheiten,  die  in  unsern 
österreichischen  Landen  vorkommen  können,    traktirt  werden,   so  solle  der 


')  Vgl.  dazu  Mensi:     Die  Finanzen  Oesterreichs  von  1701  —  1740. 


Literatur.  529 

erste  Kanzler  mit  denen  ihrne  bereits  zugetheilten  zweien  Eäthen  die  Haus-  uud 
Staatsachen  unter  sich  haben,  zugleich  auch  in  dem  praesidio  bei  der  Kanzlei, 
sooft  er  will  und  es  ihme  die  Staatsgeschäften  zulassen,  auf  herunter  beschrie- 
bene Art  und  Weise  continuiren,  dem  änderten  Kanzler  aber  mit  denen  übrigen 
Räthen  die  Besorgung  deren  Provincialium,  Judicialium  et  ea  concernentium 
überlassen  «.  Durch  die  neue  Organisation  der  österreichischen  Hof  kanzlei  hatten 
die  doch  eine  gewisse  Art  von  Selbstständigkeit  in  Anspruch  nehmenden" Ab- 
theilungen derselben,  die  tirolische  und  inner-österreichische  Kanzlei  ihre 
Sonderstellung  verloren,  es  wurden  die  Expeditionen  und  Registraturen 
wohl  weiter  getrennt  geführt,  aber  die  meritorische  Behandlung  der  aus 
den  tirolischen  und  innerösterreichischen  Ländern  einlangenden  Sachen 
erfolgte  in  dem  gleichen  Senate ,  in  dem  die  niederösterreichischen  Ge- 
schäftsstücke ihre  Erledigung  fanden  (vgl.  Maasburg  Geschichte  der  obersten 
Justizstelle).  Nicht  unwichtig  erscheint  es  zu  betonen,  dass  der  die  Ex- 
pedition der  auswärtigen  Geschäfte  unter  sich  habende  Theil  der  öster- 
reichischen Kanzlei  schon  damals  in  offiziellen  Aktenstücken  von  der  Hof- 
kanzlei in  internis  unterschieden  und  als  Staatskanzlei  bezeichnet  wurde. 
Eine  dankenswerthe  Aufgabe  würde  es  sein,  das  Anwachsen  der  Agenden 
der  böhmischen  und  österreichischen  Hofkanzlei  seit  Ferdinand  IL  zu  ver- 
folgen, die  steigende  Bedeutung  dieser  Kanzleien  zu  schildern  und  zu  zeigen, 
wie  die  Macht  Sphäre  des  Reichshofraths,  der  noch  unter  Mathias  als  oberste 
Justizstelle  der  von  ihm  beherrschten  österreichischen  Erblande  galt, 
unter  den  folgenden  Regierungen  als  judicielles  Organ  des  Landesfürsten 
sich  immer  mehr  verringerte,  bis  er  unter  Karl  VI.  mit  der  Errichtung 
eines  eigenen  judiciellen  Senates  bei  der  österreichischen  Hof  kanzlei  voll- 
ständig aufhörte.  Ebenso  wurde  mit  der  Aufstellung  eines  judiciellen 
Senates  bei  der  böhmischen  Kanzlei  die  Einflussnahme  des  Reichshofrathes 
oder  einzelner  Räthe  desselben  auf  die  Entscheidungen  von  Prozessen,  die 
aus  den  Ländern  der  böhmischen  Krone  nach  Wien  kamen,  gänzlich  be- 
seitigt. Als  nämlich  Ferdinand  IL  nach  Niederwerfung  des  böhmischen 
Aufstandes,  um  die  Justizhoheii  des  böhmischen  Königs  sicher  zu  stellen, 
in  der  verneuerten  Lendesordnung  festgsetzt  hatte,  dass  sowohl  in  Leib- 
und  Lebens-  als  auch  in  Eigenfhumsprozessen  eine  Appellation  an  die 
königliche  Majestät  zulässig  sei,  war  es  in  Folge  der  geringen  Richter- 
zahl bei  der  böhmischen  Kanzlei  üblich  geworden,  zur  Bearbeitung  und 
Erledigung  von  Prozessen  Reichshofräthe  heranzuziehen.  Was  für  Stellung 
der  geheime  Rath  in  Justizsachen  einnahm,  dürfte  bei  dem  Mangel  nahe- 
zu jeglichen  Aktenmaterials  schwer  aufzuklären  sein ;  das  eine  können 
wir  sagen,  derselbe  hatte  unter  Ferdinand  IL  und  III.  neben  Führung 
der  auswärtigen  Politik  ein  entscheidendes  Wort  in  den  wichtigsten  Sachen 
administrativer  und  judicieller  Natur,  er  büsste  dann  unter  Leopold  durch 
die  geheime  Conferenz  auf  dem  Gebiete  des  Auswärtigen  und  durch  die 
Bestellung  der  Deputation  auf  dem  der  inneren  Politik  seinen  Einfluss 
ein  und  wurde  bis  zur  Schaffung  der  obersten  Justizstelle  1749  allein 
als  Beirath  in  jurisdiktioneller  Beziehung  verwendet.  Man  hat  sich  das  so  vor- 
zustellen, dass  der  Herrscher,  der  als  oberster  lüchter  in  gewissen  Fällen  selbst 
Recht  sprach,  die  Referate  über  Prozesse,  die  an  ihn  gelangen  musten,  erst  nach 
Anhören  des  geheimen  Rathes  entschied.  Nicht  allein  die  Finanzbehörden 
und  die  Hofkanzleien  wurden  unter  Karl  VLeiner  Neugestaltung  unterzogen, 

Mitteilungen,  XV.  34 


530  Literatur. 

auch  die  geheime  Conferenz  erhielt  im  Jahre  1721  eine  neue  Instruktion, 
nach  welcher  der  erste  österreichische  Hofkanzler  als  die  Hauptperson  im 
Rathe  des  Fürsten  anzusehen  ist  und  nahezu,  wie  ein  Minister  der  aus- 
wärtigen Angelegenheiten,  die  Geschäfte  betreibt.  Zur  Beleuchtung  der 
Stellung  der  Conferenz  und  des  österreichischen  Kanzlers  in  dieser  mögen 
einige  Zeilen  aus  der  Conferenzordnung  hier  Platz  finden:  »Demnach 
die  von  meiner  Hofkanzlei,  resolvirt  Karl,  insonderheit  besorgende  Staats 
und  Hausgeschäften,  dann  auch  die,  so  von  meinem  Hofkriegs,  Spanischen 
und  Niederländischen  Rath  expedirt  und  beobachtet  werden,  wie  denn 
auch  wenn  einige  von  der  Ungarisch-  oder  böhmischen  Kanzlei  vorhanden, 
mich  entschlossen  habe,  selbe  in  dem  Lauf  von  zwei  Wochen  in  meiner 
Gegenwart  dreimal  (wenn  aber  die  Reichskanzlei  zweimal  vorkommete, 
diese  auch  nur  zweimal  als  dann  den  Vortrag  zu  machen  hätte)  vorzu- 
nehmen. Als  ist  folgendes  zu  beobachten,  I.°  es  wird  der  erste  Hofkanzler 
einen  Extrakt  von  dem  ihme  zukommenden  Relationen,  wie  dann  eben- 
falls eine  schriftliche  Anmerkung  von  deme,  was  die  fremden  Ministri, 
so  an  ihn  angewiesen,  demselben  an  und  vorgebracht,  und  das  ein  so 
wohl  als  das  andere  in  der  ob  angeführten  Conferenz  beibringen  und  sein 
mündliches  Votum  über  derselben  Enthalt  zum  ersten  vortragen«  (H.  H. 
und  St.  A.). 

Damit  bin  ich  mit  meinen  Ausführungen  zu  Ende  gekommen.  Es 
soll  aber  nicht  gesagt  sein,  dass  ich  das  Bidermannische  Buch  etwa  er- 
schöpft hätte,  was  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  wäre.  Mein  Plan  ging 
dahin,  zur  leitenden  Idee  in  Bidermanns  Arbeit  Stellung  zu  nehmen  und 
an  dieser  auf  Grund  der  Verhältnisse,  wie  sie  sich  nach  meiner  Auffas- 
sung thatsächlich  gestaltet  haben,  Kritik  zu  üben.  Die  Absicht,  das  in 
den  Anmerkungen  niedergelegte  Material  ausgiebig  zu  verwerthen,  lag  mir 
vollständig  ferne,  es  bedeutete  das  nichts  Geringeres,  als  die  innere  Ge- 
schichte von  Gesammtösterreich  auszugsweise  zu  bringen.  Wenn  ich  auch 
mit  so  manchen  Ansichten  Bidermanns  nicht  einverstanden  sein  konnte, 
so  drängt  es  mich  doch  auszusprechen ,  dass  wir  an  dem  Verewigten 
einen  der  eifrigsten  und  unermüdlichsten  Forscher  auf  dem  Gebiete  der 
inneren  österreichischen  Geschichte  verloren  haben,  dem  wir  für  das  ge- 
waltige Quellenmaterial,  welches  er  in  seiner  Geschichte  der  österreichischen 
Geeammtstaatsidee,  die  leider  ein  Torso  zu  bleiben  bestimmt  ist,  zum  Ab- 
druck bringt,  nicht  genug  dankbar  sein  können. 

Das  Jahr  1740  bildet  keinen  natürlichen,  sondern  nur  einen  zufälligen 
Abschluss  in  der  Organisation  der  österreichischen  Centralstellen  und  es 
sei  hier,  um  zu  einem  solchen  zu  gelangen,  gestattet,  hervorzuheben,  dass 
im  Laufe  der  vierziger  Jahre  von  Maria  Theresia  die  einschneidensten 
Veränderungen  im  Staatsorganismus  vorgenommen  worden  sind.  Im  Jahre 
1741  liess  die  Fürstin  die  geheime  Finanzconferenz  eingehen,  weil  sie  ge- 
funden hatte,  dass  der  Hofkammerpräsident  allein  in  finanziellen  Fragen 
sie  besser  berathen  könne,  als  ein  vielköpfiges  Collegium,  im  Jahre  1742 
wurde  die  Abtheilung:  Staatskanzlei  von  der  österreischischen  Kanzlei  ge- 
trennt und  zu  einer  eigenen  Hof  stelle  gemacht,  womit  Maria  Theresia  den 
Grund  zur  Behandlung  der  auswärtigen  Angelegenheiten  durch  einen 
Vertrauensmann  legte,  und  endlich  drei  Jahre  später  hob  sie  die  Bancalität 
auf  und  übergab  die  Centralkassenverwaltung  und  Coutrole  der  Hof  kammer. 


Literatur.  53  \ 

Als  der  eigentliche  Wendepunkt  in  der  inneren  Geschichte  Oesterreichs 
ist  das  Jahr  1749  zu  betrachten,  in  welchem  die  grosse  Eegentin  die 
1697  aufgestellte  Deputation  ausser  Wirksamkeit  setzte,  den  geheimen 
Eath  als  solchen  des  letzten  Scheines  einer  Thätigkeit  beraubte,  die  öster- 
reichische und  böhmische  Kanzlei  auflöste,  die  politische  und  Cameral- 
verwaltung  der  böhmischen  und  österreichischen  Länder  oder,  wie  sie  da- 
mals genannt  wurden,  deutschen  Erblande,  im  Directorüum  in  publicis  et 
cameralibus  und  in  der  Conferenz  in  internis  vereinigte  und  schliesslich 
für  die  Besorgung  des  Justizwesens  dieser  Länder  die  oberste  Justizstelle 
schuf.  In  demselben  Jahre  beseitigte  Maria  Therssia  die  Landes-Verwaltungs- 
behörden  in  den  böhmischen  und  österreichischen  Ländern,  die  man  als  die 
Träger  und  Bewahrer  der  Eigenartigkeiten  der  verschiedenen  Ländergruppen 
ansehen  kann,  setzte  als  Verwaltungsstelle  für  jedes  Kronland  eine  Repräsen- 
tation  und  Kammer  ein,  versah  jede  dieser  Repräsentationen  mit  der  gleichen 
Instruktion  und  erstrebte  damit,  dass  die  politische  Verwaltung  in  den  deut- 
schen Erblanden  einheitlich  geführt  werden  und  die  noch  erhalten  geblie- 
benen Besonderheiten  dieser  Länder  verschwinden  sollten.  —  Zum  Schlüsse 
will  ich  darauf  hinweisen,  dass  aus  dem  literarischen  Nachlasse  weiland 
Professor  Bidermanns  in  der  von  Grünhut  herausgegebenen  Zeitschrift  für 
das  Privat-  und  öffentliche  Recht  der  Gegenwart  (IL  Heft  p.  339  ff.  1894) 
von  Dr.  S.  Adler  ein  Aufsatz  unter  dem  Titel:  »Die  staatsrechtlichen 
Wirkungen  der  österreichischen  Gesammtstaatsidee «  der  Oeffentlichkeit  über- 
geben wurde,  in  welchem  Bidermann  nach  fünf  Gesichtspunkten  die  Be- 
mühungen der  österreichischen  Herrscher,  eine  einheitliche  die  territorialen 
Bestandtheile  zusammenfassende  Staatsgewalt  aufzurichten,  bis  in  die 
neueste  Zeit  verfolgt  und  in  zusammenhängender  Weise  zur  Darstellung 
bringt.  Ich  habe  nicht  vor,  eine  kritische  Würdigung  der  letzten  Arbeit 
Bidermanns  versuchen  zu  wollen,  nur  das  eine  möchte  ich  bemerken,  dass 
in  derselben  ein  guter  Theil  des  in  den  Anmerkungen  der  Gesammtstaats- 
idee mitgetheilten  Materials  verarbeitet  und  die  historisch  -  politischen  An- 
schauungen des  Verstorbenen  in  voller  Schärfe  und  Deutlichkeit  zum  Aus- 
druck gebracht  werden1). 

Wien.  Fellner. 


Gross  Karl,  Lehrbuch  des  katholischen  Kircheiirechts 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  particuläreu  Gestaltung  desselben 
in  Oesterreich.     Wien,  Manz  1894  (XII  und  426  S.). 

Von  den  vielen  Kirchenrechtslehrbüchern,  welche  die  moderne  deutsche 
Literatur  aufweist,  haben  sich  trotz  der  vielfach  trefflichen  Darstellung  nur 
wenige  und  keines  eigentlich  allgemein  an  den  österreichischen  Hochschulen 
einzubürgern  vermocht.  Mag  eine  solche  Thatsache  immerhin  auch  ein 
gewisses  Urtheil  über  den  praktischen  Werth  der  angewandten  Lehrmethode 

')  Ueber  die  Entwicklung  der  Centralstellen  wäre  auch  ein  zu  Ende  des 
Druckes  dieser  Recension  im  Österr.  Staatswörterbuch  erschienener  Aufsatz  von 
Prof.  Lustkandl  einzusehen. 

34  • 


532  Literatur. 

gestatten,  so  sind  im  vorliegenden  Falle  die  Gründe  grösstenteils  nicht 
in  der  Verfehltheit  dieser  zu  suchen.  Sie  liegen  vielmehr  theils  in  der 
zu  grossen  Ausführlichkeit  der  Darstellung  und  in  der  Heranziehung  vielen 
für  den  Hochschüler  wie  für  den  Practiker  völlig  überflüssigen  historischen 
oder  dogmatischen  Details.  Auch  erweist  sich  die  Aufnahme  des  in 
Oesterreich  nicht  gelehrten  und  practisch  wenig  hervortretenden  akatho- 
lischen Kirchenrechts  als  unnötkig,  soweit  es  sich  um  ein  nur  für  die 
Zwecke  der  eben  genannten  Kreise  bestimmtes  Lehrbuch  handelt  und 
nicht  um  ein  wissenschaftliches  Handbuch  der  gesammten  Materie  des 
Kirchenrechts.  Insbesondere  ist  es  aber  die  fortschreitende  particuläre 
Gestaltung  des  kathol.  Kirchenrechts  in  Oesterreich ,  welche,  von  der  Ent- 
wicklung in  Deutschland  seit  den  Reformen  der  Siebziger  Jahre  immer- 
mehr sich  entfernend,  das  Bedürfnis  nach  einem  ihr  allein  Rechnung 
tragenden  Lehrbuche  rege  werden  lässt.  Dies  fällt  umsomehr  ins  Gewicht, 
als  der  obligate  Lehrplan  unserer  juridischen  Hochschulstudien  die  mo- 
derne selbständige  Entwicklung  der  kirchenrechtlichen  und  confessionellen 
Verhältnisse  in  Oesterreich,  unser  geltendes  Kirchenrecht  in  Verbindung 
mit  der  Darstellung  der  historischen  Disciplin  des  canon.  Rechtes  be- 
greiflicherweise besonders  berücksichtigt  sehen  will.  Endlich  dürfte  wohl 
auch  die  mit  kommendem  Studienjahre  ins  Leben  tretende  Reform  der 
jurid.  Studien,  welche  die  Dauer  der  rechtshistorischen  Studien  facultativ 
und  die  obligate  Stundenzahl  der  ihnen  entsprechenden  Vorträge,  nament- 
lich der  über  Kirchenrecht,  bedeutend  und  peremtorisch  beschränkt,  das 
Bedürfnis  nach  einem  kurzgefassten  Lehrbuche  steigern,  welches  dem  nun- 
mehrigen Studienplane  und  unseren  speciellen  österr.  Verhältnissen  ange- 
passt  ist.  Allen  diesen  Anforderungen  zu  entsprechen  strebt  die  vor- 
liegende Publication  an,  die  daher  auch  allein  von  diesem  Gesichtspunkte 
aus  beurtheilt  werden  muss.  Es  muss  daher  befremden,  dass  derselben  eine 
jüngste  Recension  deswegen  den  Vorwurf  der  Einseitigkeit  macht;  dieser 
wäre  von  österreichischem  Standpunkte  aus  dann  auch  gegenüber  den 
meisten  in  Deutschland  erschienenen  Kirchenrechtsbüchern  berechtigt. 

Das  vorliegende  Lehrbuch  begrüssen  wir  noch  besonders  darum,  weil 
es  von  einem  unserer  hervorragendsten  Fachmänner  ausgeht,  der  in  ihm 
eine  mehr  als  fünfundzwanzigjährige  academische  Lehrerfahrung  zu  ver- 
werthen  in  der  Lage  war.  Die  ganze  Anlage,  Methode  und  concise  Durch- 
führung des  Werkes  zeugt  hievon.  Der  Verf.  hat  seine  in  der  Vorrede 
motivirte  Aufgabe  sehr  glücklich  gelöst.  Der  historische  Stoff  erscheint 
überall  auf  jenes  Mass  beschränkt,  das  zum  Verständnis  des  geltenden 
Rechtes  nöthig  ist;  alles  für  die  Studierenden  wie  für  den  Practiker  über- 
flüssige Detail,  Controversen  und  Polemik  sind  vermieden  und  der  immer- 
hin auch  dann  noch  umfangreiche  Lehrstoff  in  prägnanter  Darstellung, 
übersichtlicher  Anordnung  und  leichtfasslicher  Form  wiedergegeben.  Eine 
wohldurchdachte  Gliederung  des  Stoffes,  klare  Begriffsbestimmungen,  kurze 
Skizzen  der  geschichtlichen  Entwicklung  bei  wichtigen  Institutionen  machen 
das  Werk  für  die  Zwecke  des  Universitätsstudiums  besonders  geeignet. 
Der  Haupttext,  der  durch  Quellencitate  und  Literaturbelege  vöJlig  ge- 
nügend und  entsprechend  dem  Zwecke  des  Lehrbuchs  ergänzt  ist,  liest 
sich  sehr  fliessend  und  entbehrt  trotz  der  präcisen  Form  und  Knappheit 
des  Ausdrucks  nirgends  des  wissenschaftlichen  Charakters  der  Darstellung 


Literatur  ggg 

noch  jener  wohlthuenden  Eleganz  des  Stils,  die  das  Interesse  des  Lernen- 
den und  Laien  an  der  vielfach  trocken  scheinenden  Materie  nicht  ermüden 
lässt.  Besonders  die  wichtigen,  anderwärts  oft  zu  breit  erörterten  Kapitel 
über  das  Verhältnis  der  Kirche  zum  Staate  und  ihre  interconfessionelle 
Stellung,  über  die  allgem.  Lehren  des  Eherechts  und  über  die  kirchl. 
Strafgewalt  müssen  als  sehr  gelungene  Partien  des  Buches  bezeichnet 
werden.  Das  österr.  Particularkirchenrecht  und  unsere  confessionelle  Ge- 
setzgebung ist  erschöpfend  berücksichtigt,  was  als  Hauptzweck  des  Werkes 
zugleich  dessen  Hauptwerth  für  uns  bildet.  Ein  vorzügliches  Sachregister 
uud  gediegene  Ausstattung  empfehlen  die  vorliegende  Publication  auch  für 
den  äusseren  practischen  Gebrauch.  Dieselbe  wird  sich  rasch  unter  unserer 
rechtsbeflissenen  Jugend  einbürgern,  wird  aber  auch  dem  österr.  Practiker  als 
sehr  handliches  und  kurzgefasstes  Kirchenrechtscompendium  willkommen  sein. 
Innsbruck.  W.  v.  Hör  mann. 


Th.  Ortvay,  Geschichte  der  Stadt  Pressburg,  h.  durch 
die  Pressburger  Erste  Sparcassa.  Autorisirte  deutsche  Ausgabe.  I.  Bd. 
Von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum  Erlöschen  desArpaden- 
h  aus  es.  Mit  37  in  den  Text  gedruckten  Illustrationen,  einem  Ur- 
kunden-Facsimile  und  7  Tafeln.  Pressburg,  1892,  XVII  u.  392  SS  gr.  8  °. 

Unter  den  Städten  Westungarns  behauptet  Pressburg,  die  Uferstadt 
der  Donau,  durch  ein  reiches  Geschichtsleben  innerhalb  günstiger  Be- 
dingungen, die  erste  Stelle.  Man  könnte  sie  mit  Fug  und  Kecht  das 
örtliche  Bindeglied  des  Geschichtslebens  Ungarns  und  Oesterreichs  nennen, 
da  dessen  Wechselströmungen  in  jeder  Hinsicht,  mag  man  Kriegs-  oder 
Fridenszustände  in  Anschlag  bringen,    Pressburg  immer  wieder  berührten. 

Wir  müssen  daher  die  Bearbeitung  der  Geschichte  dieser  Stadt  durch 
einen  so  gründlichen  Fachmann,  wie  Ortvay  es  ist,  um  so  mehr  will- 
kommen heissen,  da  es  ihm  der  Patriotismus  der  »Pressburger  Ersten 
Sparkasse«,  anlässlich  ihres  halbhundertjährigen  Jubiläums,  ermöglichte, 
seine  Monographie  so  ausführlich  anzulegen,  sich  in  behaglicher  Detail- 
forschung und  Detailschilderung  zu  ergehen  und  dem  Worte  da  und  dort 
das  veranschaulichende  Bild  beizugesellen.  Die  Verdeutschung  des  Werkes, 
das  in  seinem  ersten  Bande  vorliegt,  hat,  wie  das  Vorwort  bemerkt,  der 
Pressburger  Stadtarchivar  J.  Batka  übernommen,  »völlig  selbstlos  und 
rein  aus  Liebe  zu  seiner  Vaterstadt«  (S.  VII).  Auch  sonst  erfreute  sich 
Ortvay,  o.  Prof.  der  Geschichte  an  der  k.  ung.  Bechtsakademie  zu  Press- 
burg und  Mitglied  der  ung.  Akad.  d.  Wissensch.,  des  vielseitigen  Ent- 
gegenkommens ,  und  so  konnte  eine  Stadtgeschichte  unter  wesentlich 
anderen  Vorbedingungen  erstehen  als  jene  waren,  über  welche  seiner  Zeit 
(1823)  Paul  v.  Ballus  verfügte. 

Ortvay  hebt  mit  den  prähistorischen  Gegend-  und  Oertlichkeitsver- 
hältnissen  Pressburgs  an  und  schlägt  dann  den  Weg  die  geschichtlichen 
Zeiten  bis  zur  Begründung  des  Reiches  der  Magyaren  ein.  Auf  diesem 
Wege  kommt  er  auf  den  Doppel-Namen  der  Stadt  zu  sprechen  (S.  48) 
und  erörtert  denselben  auch  an  anderer  Stelle  (S.  lll),  wo  von  der  Donau- 


534  Literatur. 

Ueberfuhr  die  Eede  ist.  Er  untersucht  die  deutsche  Benennung  »Press- 
burg* und  die  magyarische  »Pozsony«  in  sehr  umsichtiger  Weise,  ohne 
sich  von  einer  vorschnellen  Namensdeutung  gefangen  zu  geben.  Bei  diesem 
Anlasse  möchte  Eeferent  noch  auf  eine  Namensform  hinweisen,  welche  sich 
als  Umdeutschung  von  »Pozsony«  herausstellt  und  durch  die  »Historia 
Friderici«,  continuatio  Joh.  Hinderbach  (Kollar,  Anal.  Monum.  o.  ae. 
Vindob.  IL  Col.  566)  beglaubigt  wird.  Im  Volksmunde  habe  Andreas 
Baumkircher  »Pasemeyer  Spang  i.  e.  comes«  geheissen;  Pasemey  = 
Posonium,  Pasemeyer  spang  =  comes  Posoniensis. 

Sehr  ausführlich  ergeht  sich  der  Verf.  in  der  Analyse  der  Ent- 
scheidungsschlacht im  Jahre  907  zwischen  den  Magyaren  und  dem  bai- 
rischen  Heerbann.  In  der  Verfechtung  der  Authenticität  des  Berichtes 
Aventins  (Ann.  Boj.  1.  IV.  c.  19 — 21)  geht  er  jedoch  zu  weit.  Der 
bairische  Chronist  hat  da  nicht  bloss  compilirt,  sondern  auch  combinirt 
und  von  Eigenem  dazu  gethan. 

Eine  ebenso  sorgfältige  als  genaue  Untersuchung  wird  der  Press- 
burger Schlossherrschaft  (S.  7  Off.)  und  der  P.  Donau -Ueberfuhr,  ferner 
der  Wödritz  zu  Theil  (S.  111  ff.),  um  so  die  Grundelemente  des  Press- 
burger Territoriums  bioszulegen.  Dann  kommen  die  ältesten  kirchlichen 
Verhältnisse  zur  Sprache.  Ortvay  erklärt  sich  gegen  die  Annahme  eines 
» avarischen «  Bisthums  mit  dem  Sitze  in  Pressburg  und  ebenso  vermeint 
er  die  Identifizirung  von  »  Vetvar «  in  der  (gefälschten)  Urkunde  K.  Eugens  IL 
für  Lorch-Passau  mit  Pressburg,  indem  er  darin  »Vizivär«,  d.  i.  >  Wasser- 
burg«,  den  avarischen  Vorläufer  Deutsch-Altenburgs,  gewahrt. 

Auf  ungleich  festeren  Grunde  stellt  sich  die  Forschung  nach  den 
Anfängen  der  »  alten «  Pressburger  Probstei  auf  dem  Schlosse.  Die  Probstei- 
kirche  in  der  Stadt  erstand  nach  d.  J.   1221. 

Die  Betrachtung  des  alten  Strassennetzes  und  der  Stellung  Press- 
burgs  innerhalb  desselben  eröffnet  den  ausführlichen  geschichtlichen  Ex- 
kurs über  die  Kriegszüge  K.  Heinrichs  III.  nach  Ungarn,  mit  besonderer 
Eücksicht  auf  Pressburg,  wobei  der  Verf.  Gelegenheit  nimmt,  manche  ab- 
weichende Anschauung  zu  vertreten.  So  gewahrt  er  beispielsweise  in  dem 
»Verwandten«  K.  Stephan  I.  welchem  K.  Heinrich  HI.  die  1042  eroberten 
Städte,  darunter  auch  Pressburg,  auf  Fürbitte  Gg.  Bretislaws  von  Böhmen 
und  mit  Zustimmung  der  Einwohnerschaft  übergeben  habe,  —  den  Ar- 
pädenprinzen  Domoszlö  und  verficht  in  ihm  einen  Sohn  des  geblendeten 
Vazul,  während  dem  Verf.  Andreas,  Bela  und  Levente  als  Söhne  Ladislaus 
des  Kahlen  gelten.  All  dies  bewegt  sich  freilich  auf  einem  schlüpfrigen, 
hypothetischen  Boden. 

In  der  Kritik  der  deutschen  Auffassung  der  wechselvollen  Ungarn- 
kriege Heinrichs  III.  lässt  es  Ortvay  an  Schärfe  nicht  fehlen;  um  so  em- 
pfänglicher zeigt  er  sich  für  die  Glaubwürdigkeit  der  ungarischen  Ge- 
schichtsquellen des  XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts,  deren  sagenhafter  und 
begreifliche  nationale  Tendenz  doch  auch  zu  äusserster  Vorsicht  mahnen 
soll.  Immerhin  muss  gesagt  werden,  dass  der  Verf.  die  halben  und  die 
Misserfolge  der  Kriegsführung  Heinrichs  III.  seit  1051   darzuthun  verstand. 

Für  die  Geschichte  der  Ueberrumplung  Pressburgs  v.  J.  1146  Hess 
sich  auch  die  Angabe  der  Ann.  Austriae,  so  der  Contin.  Admont.  heran- 
ziehen,   worin    der    >comites   Herimannus  und  Liutoldus«  als  Führer  des 


Literatur.  535 

Ueberfalles  gedacht  wird,  was  jedenfalls  der  Angabe  im  Chron.  Marci  be- 
züglich des  »miles  Alemannus«  Rapolt  und  der  » industria «  und  »impro- 
bitas«  »Juliani  comitis  «  gegenübergestellt  zu  werden  verdient.  — Ebenso 
empfahl  sich  der  genaue  Bericht  zum  28.  Mai  1189  in  den  Ann.  Colon, 
mav.  (M.  G.  XVII,  797)  in  Hinsicht  des  Aufenthaltes  K.  Friedrichs  I.  zu 
Pressburg  einer  Berücksichtigung,  da  er  einige  Details,  wie  die  Schenkung 
des  Riesenzeltes  (tentorium  operosum,  quod  portare  vix  poterant  tria 
plarsta)  an  den  Kaiser  und  die  Verlobung  des  staufischen  Prinzen  mit 
der  ungarischen  Königstochter  u.  A.  enthält. 

Für  die  Geburt  der  heil.  Elisabeth,  Tochter  K.  Andreas  II. 
der  Andechs  -  Meranerin  Gertrude,  in  Pressburg  (1207)  tritt  0.  als 
Wahrscheinlichkeit  ein.  Inwieweit  die  Legende  mit  Recht  oder  Unrecht 
Pressburg  als  Empfangsort  der  glänzenden  thüringischen  Gesandtschaft 
bezeichnet,  welche  die  jugendliche  Königstochter  abholte,  und  was  sie  an 
Detail  hierüber  enthält,  muss  dahingestellt  bleiben. 

Bei  dem  Umstände,  dass  der  Verf.  stets  von  der  allgemeinen  Zeit- 
lage ausgeht,  erscheint  es  begreiflich,  wenn  er  ziemlich  ausführlich  der 
Mongolenzeit  Ungarns  gedenkt  und  hiefür  Rogers  »Carmen  misera- 
bile«  und  die  Historia  Salonit.  des  »  Archidiaconus  «  (richtiger  sollte  dies 
mit  »Erzpriester*  statt  Dechant  übersetzt  werden)  Thomas  vorzugsweise 
benützt,  neben  dem  Briefe  des  Mönches  Julian  und  dem  »Liber  de  regnis 
aliquarum  nationum  presertim  barbararum«  in  dem  Orig.  Cod.  der  Grazer 
Univ.  Bibliothek,  abgesehen  von  dem  Urkundenmaterial  der  Zeit  Belas  IV. 
Mit  dem,  was  0.  über  die  Heimsuchung  des  Gebietes  von  Pressburg  durcn 
die  Mongolen  ausführt,  kann  man  ganz  einverstanden  sein,  ebenso  müsseh 
wir  ihm  beipflichten,  wenn  er  Pressburg  als  Ort  der  verhängnissvollen 
Zusammenkunft  des  flüchtigen  Ungarnköniges  mit  Herzog  Friedrich  dem 
Streitbaren  bezeichnet.  Anders  steht  es  mit  der  Frage  nach  dem  Zeit- 
punkte der  —  allerdings  vergeblichen  —  Belagerung  des  Pressburger 
Schlosses  durch  den  genannten  Herzog ,  den  nach  dem  Wortlaut  der 
Schenkungsurkunde  Belas  IV.  Graf  Oosmas  mit  Erfolg  abwehrte  (Fejer  IV, 
1,   390).     Diese  Frage  erscheint  bei  Ortvay  nicht  gelöst. 

Die  Rolle  Pressburgs  in  den  Kriegen  von  1246,  1254  (als  Congress- 
ort),  1260,  1262  (als  Friedensort),  1271  — 1273,  1287,  bis  in  die  Tage 
Andreas  III.  wird  von  Ortvay  erschöpfend  dargelegt.  Die  Apologie  des 
Magyarenthums  —  anlässlich  der  Polemik  gegen  die  Reimchronik  Otto- 
kars (S.  308 — 313)  wollen  wir  ihm  zu  Gute  halten,  da  er  in  dem  Haupt- 
punkte —  die  Ursache  der  Unzufriedenheit  der  Steiermärker  sei  über- 
haupt im  Widerstreben  gegen  die  Fremdherrschaft  zu  suchen,  Recht  haben 
mag.  Nur  erscheint  (S.  31 1)  der  Seitenhieb  auf  die  modernen  Aspirationen 
gegen  die  magyarische  Hegemonie  nicht  platzgerecht. 

Wir  müssen  schliesslich  als  Vorzüge  des  Werkes  Gründlichkeit,  klare 
Auffassung  und  Darstellung  und  einen  richtigen  Blick  für  das  Allgemeine 
und  Einzelne  anerkennen.  Dem  Texte  schliessen  sich  drei  Beilagen  an, 
von  denen  die  I  (353 — 372)  die  Obergespäne  von  Pressburg  v.  1135 — 
1298;  die  IL  (363 — 386)  »die  Beurkundungen  des  Pressburger  Capitels 
aus  der  Arpadenzeit«  (1230 — 1300)  und  die  III.  »die  Pröbste  und  Dom- 
herrn von  Pressburg  unter  den  Königen  des  Arpadenhauses«  (387 — 391) 
diplomatisch  belegt  und  zusammenstellt. 


536  Literatur. 

Das  Werk  wird  umfangreich  werden,  da  der  Verf.  nach  dem  zu 
schliessen,  was  bis  jetzt  vorliegt,  eine  Zeitgeschichte  Ungarns  mit  be- 
sonderer Eücksicht  auf  Pressburg  zu  liefern  beabsichtigt.  Dem  deutschen 
Lesepublikum  kann  das  nur  willkommen  sein,  da  es  hier  ausnahmsweise 
einer  grossangelegten  Ortsgeschichte  Ungarns  begegnet,  welche  magyarisch 
und  deutsch  herausgegeben  wird. 

Graz.  F.  v.  Krone s. 


Geschichte  des  Keichsfreiherrlichen  und  Gräflichen 
Hauses  Leutrum  von  Ertingen.  Von  Gerhard  Graf  Leu- 
trum von  Ertingen.  Zwei  Bände.  Stuttgart,  Druck  von  W.  Kohl- 
hammer 1893. 

Die  Mehrzahl  der  Geschichten  adliger  Familien  werden  —  ganz  ab- 
gesehen von  der  vielfach  unkritischen  Behandlung  des  Stoffes  —  kaum 
das  Interesse  der  Fachkreise  wecken.  Nur,  wenn  in  einem  solchen  Werke 
die  Biographie  eines  aus  der  Familie  hervorgegangenen ,  bedeutenden 
Mannes  sich  findet,  wird  und  muss  der  Historiker  demselben  seine  Auf- 
merksamkeit schenken.  Aus  diesem  Grunde  verdient  der  zweite  Band 
des  vorliegenden  Werkes,  welcher  die  Lebensgeschichte  des  kaiserlichen 
Generalfeldmarschalls  Freiherrn  Karl  Magnus  Leutrum  von  Ertingen  (17  38) 
enthält,  eine  genauere  Betrachtung.  Dadurch,  dass  Leutrum  1712  bis 
1719  im  Heere  Königs  Karl  XII.  von  Schweden  eine  hervorragende  Stelle 
einnahm,  sowie  vom  Landgrafen  Karl  von  Hessen-Kassel  zu  mehrfachem 
diplomatischen  Missionen,  so  an  den  französischen  Hof  (1719  bis  1720, 
und  nochmals  1720  bis  1721),  an  den  sardinischen  Hof  (1724)  und  an 
den  Wiener  Hof  (1724  bis  1727)  verwandt  wurde,  war  derselbe  in  der 
Lage,  zumal  weil  er  ein  scharfer  Beobachter  war,  das  Treiben  an  allen 
diesen  Höfen  in  seinem  Tagebuche  und  seinen  Briefen  eingehend  zu 
schildern.  Namentlich  ersteres,  welches  zum  ersten  Mal  hier  publicirt 
wird,  ist  von  besonderem  Werthe,  da  Leutrum  in  nahe,  persönliche  Be- 
rührung mit  König  Karl  XII.  kam  und  dessen  volles  Vertrauen  genoss. 
Trefflich  characterisirt  er  die  Leute,  die  nach  des  Königs  Tod  das  Ruder 
des  schwedischen  Staates  ergriffen,  als  solche,  »so  dess  Königs  Tode  mehr 
erfreut,  alss  betrübte*. 

Noch  interessanter'  ist  seine  Schilderung  des  Pariser  Hofes:  »Der 
Regent  widmete  den  Geschäften  einen  geringen  Theil  des  Tages,  von  einer 
meist  späten  Vormittagsstunde  bis  5  Uhr  Nachmittags.«  Vom  leitenden 
Minister  Dubois  heisst  es:  »man  könne  ihn  mit  einigen  Raritäten  oder 
Antiquitäten  gewinnen.«  Ein  anderes  Mal  meinte  er  von  demselben:  »er 
ist  ein  schlimmer,  falscher  Mann,  auf  dessen  Worte  sich  kein  Mensch 
verlassen  kann,  der  heute  so  und  morgen  ganz  anders  spricht.«  Auch 
sonst  gewährt  die  Leetüre  des  Buchs  einen  Einblick  in  das  Treiben  am 
französischen  Hofe,  namentlich  in  die  Bestechlichkeit  der  massgebenden 
Persönlichkeiten. 

Zweien  Personen  musste  er  6000  Reichsthaler,  einer  Dame  eine 
goldene  Repetiruhr  und  Stoff  zu  einem  goldenen  Kleide,  im  Ganzen  36.000 
Reichsthaler   »Schmiergeld«    zahlen.      Leider    sah    es    in    andern    Ländern 


Literatur.  537 

nicht  viel  besser  aus.  Dein  bekannten  Monsieur  de  Eobethon  zahlte  er 
4000  Eeiehsthaler,  einen  schwedischen  Gesandtschaftssecretair  gewann  er 
für  4  bis  500  Eeiehsthaler  jährlich  zum  Verrath  der  Amtsgeheimnisse, 
den  Obermarschall  des  Markgrafen  von  Bayreuth  bestach  er  durch  ein 
Pferd.  Gegenüber  dieser  Käuflichkeit  an  hoher  und  höchster  Stelle  sticht 
vortheilhaft  ab  Leutrums  unwandelbare  Treue  gegen  den  einmal  erwählten 
Herren,  die  weder  die  Versprechungen  des  Herzogs  von  Holstein-Gottorp. 
des  Gegners  des  Hauses  Cassel  in  Schweden,  noch  die  Lockungen  Frank- 
reichs brechen  konnten.  Von  nicht  geringem,  culurgeschichtlichen  Inter- 
esse ist  die  Schilderung  von  Leutrums  Eeise  an  den  sardinischen  Hof. 
Eine  unbewusste  Komik  liegt  in  dem  Ernst,  mit  welchem  Leutrum  dafür 
eintritt,  dass  seinem  Herrn  der  Titel  »Serenitas«  statt  »celsitudo«  seitens 
des  erst  kürzlich  zum  König  vorgerückten  Herzogs  von  Savoyen  ertheilt 
werde.  Ueberhaupt  bietet  das  ganze  Werk  reiches  Material  zur  Geschichte 
der  Etiquettestreitigkeiten ,  bekanntlich  einer  Specialität  unserer  deut- 
schen Höfe. 

Am  meisten  Interesse  bietet  für  den  österreichischen  Leser  Leutrums 
Mission  an  den  Wiener  Hof.  Auch  hier  glaubte  Leutrum:  »ohne  Geld 
und  ohne  Versprechung  sei  nichts  auszurichten«  und  meinte:  »man 
solle  ja  nicht  vergessen,  für  den  Eeichsvizekanzler  ein  namhaftes  Geschenk 
—  alles  in  allem  20,000  Gulden  —  mitzubringen«.  Doch  hat  er  sich 
in  diesem  Punkt  sicher  geirrt  und  hat  gerade  der  negative  Erfolg  seiner 
Wiener  Mission,  gezeigt,  dass  die  Mittel,  mit  denen  er  am  Pariser  Hof 
und  andern  Höfen  mit  Erfolg  gearbeitet  hatte,  Bestechung  und  Erkaufung 
hoher  Beamten  *)  in  Wien  nicht  anschlugen.  Hier  wurden  zwar  den  fürst- 
lichen Häusern,  welche  zum  Kaiser  halten  würden,  grosse  Länder  und 
grosse  Würden  in  Aussicht  gestellt,  allein  der  Wiener  Hof  selbst  wider- 
stand allen  Lockungen  des  gewandten,  politischen  Emissairs  und,  da  der 
Kaiser  noch  viele  Hunderte  bisher  noch  nicht  verwendeter,  aggregirter 
Officiere  hatte,  ihm  auch  von  allen  Seiten  Eegimenter  und  Truppen  ohne 
Entgeld  angeboten  wurden,  so  lehnte  der  Wiener  Hof  höflich,  aber  mit 
Entschiedenheit  das  durch  Leutrum  übermittelte  Angebot  von  6000  hessen- 
casselschen  Soldaten  gegen  Subsidiengelder  ab. 

Das  Scheitern  dieser  Mission  hatte  Leutrums  Ausscheiden  aus  hessi- 
schen Diensten  zur  Folge  und  ein  glücklicher  Stern  führte  ihn  1734  in 
kais.  Kriegsdienste.  Seine  letzte  Thätigkeit  in  Italien  und  gegen  die 
Türken  wird  an  der  Hand  des  dem  k.  u.  k.  Kriegsarchiv  entnommenen 
Materials  eingehend  geschildert.  Es  wird  dieser  letzte,  sehr  anziehend 
geschriebene  Theil  des  Werkes  manchen  österreichischen  Lesern  gewiss 
Freude  machen. 

Das  ganze  Werk  zeigt  ein  fleissiges  Studium  der  Archive  (Karlsruhe, 
Marburg,  München,  Stockholm,  Stuttgart,  Wien  und  mehrerer  städtischer 
und  privater  Archive).  Der  Verf.  hat  überall  gesucht,  Licht  und  Schatten 
gerecht  zu  vertheilen.  Von  einseitiger  Verherrlichung  der  verstorbenen 
Geschlechtsgenossen  hält  sich  derselbe  fern.  Ebenso  ist  das  Werk  trotz 
des  hie  und  da  hervortretenden,  streng  protestantischen  Standpunktes  des 


l)  Er  meinte  auch:  »man  müsse  sich  an  gewisse  Leute,  zumal  an  ein  Paar 
Damen  wenden,  mit  ihnen  Geld  verspielen«. 


ggg  Berichte. 

Verfassers  frei  von  engherziger  Confessionalität.  Die  Ausstattung  ist 
schlicht  und  vornehm  x).  Was  der  Benutzer  allein  vermissen  dürfte  an 
dem  sonst  so  trefflichen  Werke,  ist  ein  Personalregister  zum  zweiten  Bande. 
Doch  da  der  Verf.  das  Werk  für  seine  Verwandten,  nicht  für  die  gelehrte 
Welt  geschrieben  hat,  darf  man  ihm  daraus  keinen  Vorwurf  machen. 
Stuttgart.  Theodor  Schön. 


Ungarns  Geschichtsliteratur  in  den  Jahren  1890 
bis    1893-     II.    Zeitschriften. 

Im  nachstehenden  veröffentliche  ich  den  II.  Theil  der  Bibliographie 
der  ungarischen  Geschichtsliteratur  der  Jahre  1890 — 1893.  Wie  ich  schon 
im  ersten  Theil  dieser  Bibliographie  darlegte  (vgl.  Mitth.  des  Instituts  14, 
68 1),  umfasst  der  zweite  Theil  die  Zeitschriftenschau a).  Ich  war 
bestrebt  die  wichtigsten  Zeitschriften  Ungarns  anzuführen,  wobei  ich  jedoch 
die  in  deutscher  Sprache  erschienenen  nicht  anführte.  Trotz  aller  Mühe 
konnte  ich  einiger  Jahrgängen  von  Zeitschriften  nicht  habhaft  werden, 
wofür  ich  um  gefällige  Nachsicht  bitte. 

Archaeologiai  ertesitö.     (Archaeolog.  Anzeiger.) 

1891.  I.  Urzeit.  Bella  bespricht  mehrere  neue  Oedenburger  Funde, 
ferner  eine  zu  Varishegy  gefundene  Urne,  und  gibt  Mittheilungen  über 
die  Erdburg  und  den  Urnenfriedhof  zu  Purgstall  bei  Oedenburg.  —  Darnay 
über  Funde  in  der  Gegend  von  Sümeg  und  einen  neuen  Urnenfriedhof 
bei  Csabrendek.  —  Dömötör  gibt  Aufschluss  über  einen  Bronzfund  bei 
Arad,  Fenichel  über  die  Hügelgräber  bei  Gyertyämos  und  Bedelö,  sowie 
über  den  Tumulus  in  der  Gemarkung  »la  furcsi«  bei  Bedelö.  —  Kubinyi 
spricht  über  die  Fibula  ;  Lehoczky  über  Funde  in  den  Komitaten  Ung  und 
Bereg  und  über  eine  Niederlassung  in  der  Urzeit  bei  Beregszäsz.  — 
Mihalik  über  einen  zu  Sonkäd  gefundenen  Bronzsäbel,  über  Niderlassungen 
in  der  Urzeit  im  Liptauer  Komitat  und  Denkmäler  der  Urzeit  im  Komitat 
Ugocsa.  —  Münnich  über  Ziegelfunde  aus  der  Urzeit  in  der  Zips.  — 
Pinter  über  einen  Bronzfund  zu  Dolyäny.  —  Recsei :  Bronzfunde  im  Honter 
und  Neograder  Komitat.  —  Keizner:  über  die  Bäbeer  Funde;  Ausgra- 
bungen bei  Bäbe;  ein  Fund  bei  Szegedin.  —  Szäraz  macht  Mittheilungen 
über  die  Egger'sche  Antiquitätensammlung.  —  Tegläs:  Niederlassungen 
in  der  Urzeit  bei  Csuga  und  Magulicza;  Ormamente  und  Steinwerkzeuge 
aus  der  Niederlassung  bei  Homoröd.  —  Tomka:  die  Niederlassungen  der 
Urzeit  im  Sohler  Komitat.  —  Vancsö:  der  Urnenfriedhof  zu  Nagyiratos. 
—  Wosinszky :  Funde  zu  Käczegres ;  Schmuckgegenstände  der  Gräberfelder 
der  Neolith  Zeit  bei  Lengyel;  praehistorische  Fussgeschirre ;  Ausgra- 
bungen bei  Gerjen. 

IL  Alterthum  und  Völkerwanderung.    Bella:  Piömische  Grä- 

')  Werthvolle  Beigaben  sind  zahlreiche  Briefe  im  Wortlaut,  darunter  einer 
des  Prinzen  Eugen  an  Landgraf  Karl  vom  28.  Juni  1724,  ein  Schreiben  Königs 
Stanislaus  an  Leutrum  vom  Jahre  1720. 

-)  Die  ursprünglich  auch  für  den  zweiten  Theil  bestimmte  Aufzählung  der 
hervorragenderen  selbstsändigen  Werke  wird  als  besonderer  dritter  Theil  er- 
scheinen. 


Literatur.  539 

ber  auf  dem  Deäk-Platz  in  Oedenburg.  —  Grempler  gibt  Aufschlüsse  über 
verschiedene  Funde.  —  Neudek:  das  Trajan-Denkmal  in  der  Nähe  von 
Orsova  gegenüber  Ogradina.  —  Eadisics :  Römische  Fächer.  —  Söter : 
Römische  Funde  in  Russland.  —  Tegläs:  Römische  Bergwerke.  —  Szelle: 
Ausgrabungen  im  Friedhof  aus  der  Zeit  der  Völkerwanderung  zu  Bölcske. 

—  Wosinszky  über  eine  Pfanne  aus  der  Zeit  der  Völkerwanderung,  ge- 
funden zu  Kaposvölgy.  —  Ferner  eine  Mittheilung  über  den  Schatz  aus 
der  Völkerwanderung  im  Komitat  Szabolcs. 

m.  Mittelalter.  Bojnicic:  über  einen  kreuzförmigen  Reliquien- 
halter im  Domschatze  zu  Agram.  —  Boncz  theilt  das  Wappen  des  Bischofs 
von  Fünfkirchen,  Sigismund  Ernust  de  Csaktornya  (von  1498)  mit;  ferner 
spricht  er  über  unbekannte  Wappen  auf  ungarischen  Goldschmiedewaaren. 

—  Köver  gibt  Beiträge  zur  Chronologie  der  ungarischen  mittelalterlichen 
Baukunst    und    über  Anjou-Denkmäler    in    der  Schatzkammer  zu  Dresden. 

—  Lissauer :  Die  Formen  der  slavischen  Schläfenringe.  —  Mayer :  Der 
Pokal  König  Mathias'  zu  Nemetujhely.  —  Mihalik :  Die  Kirche  zu  Mäty- 
falva  und  dessen  Wappenbild.  —  Nagy:  über  die  ungarischen  mittelalter- 
lichen Waffen.  —  Radisics :  Alte  kirchliche  Goldschmiedegegenstände ;  Reli- 
quienschrein in  dem  National-Museum  zu  Neapel.  ■ —  Reizner :  Gräber- 
funde aus  der  ungarischen  Heidenzeit ;  Kirchen  der  Gegend  Szegedins.  — 
Str^zgovszky :    Eine  Elfenbeinplatte  in  Relief  aus    dem  Dom    von  Salerno. 

—  Szäraz:  Das  Antipendium  der  Königin  Agnes.  —  Szendrei:  Ungarische 
Trachtenbilder  in  ungarländischen  Wappen. 

IV.  Neuzeit.  Dankö:  Grabmal  des  Pressburger  Domherrn  Gaspar 
Römer.  —  Fraknöi:  Das  Bildniss  Mathias'  Corvinus  in  Bresslau  —  Maj- 
läth :  Die  Drahtpanzer  des  ungar.  Nat.-Museums.  —  Mihalik :  Der  Siegel- 
stock der  Goldarbeiter  und  Färber  der  Stadt  Schemnitz.  —  Myskovszky: 
Die  Sgrafitten  des  Fricsier  Schlosses.  —  Ferner  ein  Artikel  über  alte 
Pokale  (sogen.  » aldozö  poharak «)  in  Ugocsa.  —  Bartalus  :  Ueber  Höhlen 
und  Korbsteine  (» kaptärkövek *)  der  Gegend  Erlau's. 

V.  Numismatik.  Hampel:  Ein  Münzschatz  von  Bregetium.  — 
Pich :  Ueber  zwei  Thyatira  Münzen,  selbe  wurden  in  Ungarn  gefunden.  — 
Rethy:  Unedierte  Münzen  der  Arpaden  und  Anjouzeit.  —  Die  Münzen  des 
Banus  von  Szöreny  Nikolaus  Redwitz.  —  Unedierte  ungarische  Münzen.  — 
M.  J. :  Antike  Münzen  in  Ugocsa.  —  R.  L. :  Unedierter  Denar  König  Bela  IV. 

1892.  I.  Urzeit.  Bella:  Neuere  Purgstaller  Funde ;  über  Petöhazaer 
Funde.  —  Dömötör :  Der  Bronzfund  zu  Bräd.  —  Farkas :  über  die  Szeg- 
värer  Steinzeit  Funde ;  über  Szenteser  und  Csongräder  Funde.  —  Jösa : 
Niederlassung  aus  der  Urzeit  zwischen  Rakamaz  und  Timar;  über  den 
Bronzefund  zu  Piricse.  —  Könyöki:  Funde  zu  Selypi.  —  Kubinyi:  Bronz- 
fund zu  Krasznahorka.  —  Lehoczky :  Funde  im  Komitat  Ung ;  über  den 
Bronzfund  zu  Danköfalva.  —  Mihalik:  Die  Festung  »Belavära«  aus  der 
Urzeit  bei  Bujänhäza.  —  Recsey :  Denkmäler  der  Urzeit  in  der  Gegend  von 
Gran.  —  Reizner:  Die  Gräberfunde  in  Szeged-Röszke.  —  Sändorfi:  Ueber 
die  praebist.  Niederlassung  zu  Csejthe.  —  Söter :  Bronzefunde  zu  Mosony- 
Szolnik   und  Mosony-Jeszehof.  —  Tegläs :  Ueber  das  praehistorische  Dacien. 

—  Wosinszky:  Ausgrabungen  in  Gerjen.  Die  abaligeter  Tropsteinhöhle 
und  die  in  der  Nähe  befindlichen  Gräber  der  Römerzeit. 

H.     Alterthum    und     Völkerwanderung.      Bella:     Römischer 


540 


Literatur. 


Grabstein.  —  Domaszewszky :  Zwei  unedierte  römische  tabellae  honestae 
missionis.  —  Farkas:  Friedhof  der  Völker wanderungszeit  in  Märtely.  — 
Fröhlich:  Die  Gegend  Acumincum's  und  der  alte  pannonische  Limes.  — 
Kuzsinszky:  Die  Münzen  des  Ormoder  Goldfundes;  Römisch  ir  Friedhof  in 
Aquincum.  —  Lehoczky:  TJeber  den  Ormoder  Goldschatz.  —  Ornstein: 
Ueber  die  Szamosujvärer  Athene  Statuette.  —  Väsärhelyi :  Ueber  Richtung 
und  Spuren  der  von  Aquincum  nach  Bregetium  führenden  Römischen  Strasse. 

—  Wosinsky :  Ueber  Erdburgen.  —  F.  R. :  Römischer  Ziegel  mit  Inschrift 
in   Szamosujwär. 

III.  Mittelalter.  Czobor:  Sieben  alte  Goldschmiedewerke  aus  dem 
Siebenbürg.  Bisthum.  —  Decsenyi :  Die  röm.  kath.  Stefanskirche  zu  Nagy- 
bänya.  —  Huszka :  Die  Mauerbilder  der  ev.  ref.  Kirche  zu  Mezötelegd.  — 
Jösa:  Ueber  das  Grabfeld  zu  Käräsz.  —  Käräsz:  Die  Goldschmiedewerke 
der  Aachener  ungarischen  Kapelle.  —  Köver:  Zur  Frage  des  mittelalter- 
lichen Drahtemails.  —  Nagy:  Die  ungarischen  heidnischen  Denkmäler  des 
Komitat  Fejer.  —  Pör:  Die  Goldschmiedewerke  des  14.  Jahrhunderts  in 
der  Aachener  ungar.  Kapelle. 

IV.  Neuzeit,  lllesy:  Beiträge  zur  Geschichte  der  Malerei  der  Press- 
burger Schlosskapelle  1563—1570.  —  Mihalik:  Siegel  der  Neusohler  Gold- 
schmiede; Siegelstock  der  Schuhmacher-Gilde  von  Korpona  aus  1631.  — 
Siegel  ungarischer  Goldschmiedgilden  des  17.  und  18.  Jahrhunderts.  — 
Tegläs :  Ueber  den  Segesvärer  Schatz.  —  K.  B. :  Ungarische  Prunkgewänder 
aus  der  Fraknöer  Schatzkammer. 

V.  Numismatik.  Kuzsinszky:  Die  Münzen  des  Oimöder  Gold- 
fundes. —  Rethy :  Beiträge  zur  Numismatik  der  Havaselver  Wojvodenschaft. 

—  Väsärhelyi:  Ueber  den  Münzfund  zu  Tinnye. 

Budapesti  Szemle.     (Budapester  Revue). 

1890.  Marczali:  Ueber  die  Gründung  des  Deutschen  Reiches  (Nach 
dem  v.  Sybel'schen  Werke).  —  Könyi:  Beust  und  Andrässy  1870  und 
1871.  —  Moldovän:  Die  Wirkung  der  Reformation  auf  das  rumänische 
Volk  in  Siebenbürgen.  Schildert  die  religiösen  und  literarischen  Zustände 
des  rumänischen  Volkes  im  16.  und  17.  Jahrh.  und  den  günstigen  Ein- 
fluss  der  Reformation.  —  Marczali:  Die  Mission  Lonovics's  nach  Rom. 
Dieselbe  erfolgte  1840/41  anlässlich  des  Auftauchens  der  Frage  der  ge- 
mischten Ehen.  Der  gehaltvolle  Artikel  wurde  bei  Beginn  des  kirchen- 
politischen Streites  in  Ungarn  veröffentlicht  und  bildet  einen  interessanten 
Beitrag  zur  Geschichte  der  gemischten  Ehen.  —  Salamon :  Ueber  nationale 
Landwehr.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Jahres  1848,  zugleich  eine 
Beleuchtung  des  G.  A.  XXII:   1848. 

1891.  Stefan  Görgey:  Kossuth  und  Görgey.  Behandelt  das  Zusam- 
mentreffen Kossuth's  mit  Görgey  1849  August  11.  Das  Dunkel,  das  über 
den  in  dieser  Zusammenkunft  verhandelten  Fragen  schwebt,  vermag  auch 
dieser  Artikel  nicht  zu  lichten.  —  Könyi  theilt  die  Ansichten  Franz  Deäk's 
über  die  Siebenbürgische  Union  mit.  —  A.  P.:  Gesetzartikel  XX.  des 
Reichstages  1847/48  »in  negotio  religionis«.  —  Horväth  gibt  eine  lite- 
raturhistorische Studie  über  das  Verhältniss  Pelbärt  zur  mittelalterlichen 
Literatur.  —  Csänki  spricht  über  die  Renaissance  unter  König  Mathias. 
—   Zichy  veröffentlicht  an  den  Grafen  Stefan  Szechenyi    gerichtete  Briefe. 


Literatur.  541 

—  Marczali  veröffentlicht  ein  Memorandum  über  das  Tabakregale,  welches 
Graf  Szechenyi  an  den  Kanzler  Georg  Grafen  Apponyi  richtete;  es  stammt 
aus  dem  Archiv  des  Grafen  Apponyi,  wo  sich  noch  eine  Reihe  ähnlicher 
von  der  Hand  Szechenyi's  herrührender  Memoranden  befinden. 

1892.  Zichy,  dem  wir  schon  eine  Reihe  von  Werken  und  Artikeln 
über  Graf  Szechenyi  verdanken,  spricht  in  diesem  Jahrgang  über  die  ver- 
schiedenen an  St.  Szechenyi  gerichteten  Briefe,  welche  zur  Lebensgeschichte 
dieses  hervorragenden  Reformators  von  besonderer  Wichtigkeit  sind. 

Katholikus  Szemle  (Katholische  Revue). 

1890.  Recsei:  Ein  unbekannter,  Peter  Päzmäny  gewidmeter  ungari- 
scher Kalender  von  1634.  Derselbe  wurde  von  Recsei  aus  dem  Einband 
eines  Codex  der  Kaschauer  bischöflichen  Bibliothek  herausgeschält,  und 
vervollständigt  einen  schon  früher  auf  dieselbe  Weise  gefundenen  Kalender. 
Die  zwei  Funde  ergänzen  sich  und  bieten  ausser  dem  Kalender  verschie- 
dene Lebensregeln,  astronomische  und  andere  Mittheilungen  und  Nach- 
weisungen. —  Takäts  behandelt  in  einer  literaturhistorischen  Studie  ein- 
zelne Abschnitte  aus  dem  Kampfe  um  die  Neologisirung  der  ung.  Sprache. 

1891.  Cyrill  Horväth:  Die  ungarische  Nationalliteratur  bis  zur  Re- 
formation. Auf  diese  den  ganzen  Jahrgang  hindurch  laufende  Abhandlung 
sei  hier  bloss  verwiesen.  —  Pör  veröffentlicht  die  Biographie  des  Bischofs 
von  Agram,  Stephan  Kanizsai.  Derselbe  stammte  aus  dem  Geschlecht  der 
Osl,  und  war  ein  Sohn  des  Zalaer  Obergespans  Lorenz  L,  welcher  1330 
starb.  Den  Namen  Kanizsai  nahm  Lorenz  I.  an,  als  er  nach  Eroberung 
von  Kanizsa  diese  Festung  sammt  dazu  gehörigen  Territorium  von  Karl  I. 
erhielt.  Stephan  Kanizsai  war  1343  canonicus  lector  von  Bäcs,  1347 
Propst  von  Ofen,  wurde  dann  mit  der  Legation  an  Innocenz  VI.  betraut, 
um  dem  Papst  zu  bestimmen,  dass  er  die  Eroberung  Dalmatiens  durch 
Ludwig  I.  nicht  hindere.  Als  gewählter  Bischof  von  Agram  fiel  er  eine 
Zeit  lang  in  Ungnade  beim  König,  wurde  jedoch  später  wieder  in  Gnaden 
aufgenommen  und  mit  der  Legation  nach  Frankreich  betraut,  um  eine 
Heirath  zwischen  dem  zweitgebornen  Sohn  des  französischen  Königs  und 
einer  Tochter  Ludwig's  von  Ungarn  zu  vermitteln.  Er  starb  wahrschein- 
lich Ende   1375. 

1892.  Alexander  Takäts  veröffentlicht  eine  Studie  über  Clemens 
Didak  und  dessen  Verhältniss  zur  Familie  des  Alexander  Kärolvi,  des  be- 
rühmten Parteigängers  Franz  Räköczi  II.  Verf.  skizzirt  in  grossen  Zügen 
die  Familienverhältnisse  Alex.  Karolyi's  und  entwirft  dann  ein  Bild  des 
Wirkens  des  Minoriten  Didäk  als  Verbreiters  der  katholischen  Religion, 
hauptsächlich  auf  den  Kärolyi'schen  Gütern.  —  Töth  theilt  eine  Studie 
über  die  Anabapti3ten  in  Siebenbürgen  und  ihre  Bekehrung  durch  den 
Jesuiten  Delpini  mit.  Die  Sekte  der  Anabaptisten  wurde  in  Siebenbürgen 
durch  Fürst  Gabriel  Bethlen  angesiedelt,  wo  sie  1621  auftaucht.  In  Un- 
garn werden  sie  1546  zuerst  erwähnt,  von  wo  sie  nach  Siebenbürgen 
kamen.  Ihre  Bekehrung  in  Siebenbürgen  erfolgte  unter  Maria  Theresia 
seit  dem  Jahre  1763.  Verf.  benutzte  bei  seiner  Arbeit  auch  archivalische 
Quellen,  hingegen  Hess  er  die  Publication  Beck's  in  den  Fontes  rerum 
Austriacarum  II  41  über  die  Geschichtsbücher  der  Wiedertäufer,  unbenutzt. 


542  •  Literatur. 

Magyar-Zsidö  Szemle.     (Ungarisch- Jüdische  Revue). 

1890.  Diamaut  gibt  die  Geschichte  des  im  Jahre  1736  gegründeten 
Chevra-Kadisa  Vereins  in  Trencsen.  —  Büchler:  Beiträge  zur  Geschichte 
der  ungarischen-israelitischen  Gemeinden  in  den  Jahren   1830 — 1848. 

1891.  Büchler:  Aus  der  Vergangenheit  der  Pester  israelit.  Gemeinde. 
Behandelt  die  Ereignisse  des  Jahres  1831.  —  Kelen:  Ueber  die  jüdische 
Synode  des  Jahres  1650.  Behandelt  die  auf  diese  Synode  bezüglichen 
Daten  des  Werkes  des  Engländers  Brett,  welches  1650  erschien.  —  Kohn: 
Die  Altofner  israelit.  Gemeinde  gegen  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts. 
Theilt  auch  Schriftstücke  mit,  welche  die  Gemeinde  1766  an  die  königl. 
Kammer  richtete.  —  Venetianer:  Beiträge  zur  Rechtsstellung  der  Juden 
in  Oesterr.-Ungarn  in  dem  10. — 16.  Jahrhundert.  —  Kohn:  Zwei  Urkunden 
zur  Geschichte  der  ungarischen  Juden  von  1422  und  15  28.  Letztere 
stammt  von  Königin  Maria,  Statthalterin  Ferdinands  I.,  worin  die  Königin 
befiehlt,  dass  die  aus  Pressburg  vei-triebenen  Juden  dorthin  nicht  zurück- 
kehren dürfen.  —  Kohn:  Eine  Urkunde  von  1539  zur  Geschichte  der 
Juden.  Ferdinand  I.  verlangt  Ersatz  für  den  Census,  welchen  die  aus 
Pressburg  vertriebenen  Juden  zahlten.  — ■  Klein:  Zur  Geschichte  der  Alt- 
ofner israel.  Gemeinde.  Publicirt  ein  1787  geschaffenes  Gemeindestatut. 
—  Bücher:  Aus  der  Vergangenheit  der  Irsaer  isi\  Gemeinde.  —  Ferner 
ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Juden  in  Szegedin. 

1892.  Polhik:  Die  ältesten  Spuren  der  Juden  in  Oesterreich  und 
Wienerrieustadt.  Schon  Ende  des  11.  und  Anfang  des  12.  Jahrh.  besassen 
die  Juden  in  Oesterreich  einen  Friedhof.  Im  übrigen  kennzeichnet  Verf. 
die  rechtlichen  Verhältnisse  der  Juden  in  Wienerneustadt  bis  1496.  — 
Diamant  veröffentlicht  Beiträge  zum  Leben  des  jüdischen  Rabbi  zu  Olden- 
burg aus  dem  15.  Jahrh.  —  Polläk  publicirt  zu  seinem  ebenangeführten 
Artikel  neun  unedierte  Urkunden  aus  dem  Stadtarchiv  zu  Wienerneustadt. 
Beigegeben  sind  Abbildungen  der  ältesten  jüdischen  Grabmäler. 

Magyar  Sion  (Ungarischer  Sion;  erscheint  in  Gran,  ist  katho- 
lischer Richtung). 

1890.  Suränyi:  Geschichte  des  ungarischen  königl.  jus  patronatus. 
Ausdehnung  und  Ausübung  des  jus  patronatus  seit  dem  Konstanzer  Konzil 
bis  Maria  Theresia.  Behandelt  eingehend  diese  Frage ;  ■  interessant  sind 
die  Ansichten  Peter  Päzmäny's,  die  Verf.  mittheilt :  beneficia  rex  dat,  donat, 
confert;  dem  König  von  Ungarn  steht  nicht  nur,  wie  andern  Patronats- 
herren  das  Präsentationsrecht  zu,  sondern  auch  die  Ernennung  und  Ver- 
leihung der  Beneficien.  Im  Jahre  1635  Juni  16  führt  Päzmäny  in  einer 
Schrift  aus,  dass  dem  König  von  Ungarn  das  Recht  zusteht,  die  Titular- 
bischöfe  in  den  Ländern,  welche  zu  Ungarn  gehörten,  zu  ernennen.  Ueber 
das  Jus  patronatus  wird  ein  grösseres  Werk  von  Wilh.  Fraknöi  vorbe- 
reitet, dessen  1.  Band  noch  dieses  Jahr  erscheinen  dürfte.  —  Nogäll: 
Stephan  Vancsai,  der  erste  ungarische  Kardinal.  Wurde  1252  zum  Kar- 
dinal ernannt;  erwarb  sich  grosse  Verdienste  um  die  Wiederherstellung 
Ungarns  nach  dem  Tataren-Einfall. 

1891.  Knauz :  Die  Benediktiner- Abtei  bei  der  Gran.  Skizzirt  die 
Geschichte  dieser  Abtei,  über  welche  derselbe  Verf.  ein  grösseres  Werk 
veröffentlichte.  —  Kollänyi:  Bilder  aus  der  Zeit  der  heimatl.  Reformation. 


Literatur.  543 

Kleinere  Mittheilungen  aus  dem  16.  und  17.  Jahrh.  —  ßecsei:  Original- 
beitrag zur  Geschichte  der  Reformation  in  Ungarn.  Ein  gegen  den  luthe- 
rischen Superintendenten  Böjthe  von  Seite  seiner  Gemeinde  gerichtetes 
Schriftstück,  aus  dem   16.  Jahrh. 

1892.  Nogäll  gibt  eine  Biographie  des  Erzbischofs  von  Gran  Jo- 
hann I.  1205 — 1223.  —  Halmos:  Die  Eröffnung  des  Pressburger  Semi- 
nars (1784  Juni  l).  —  Kollänyi:  Alte  Geschichten  aus  dem  Pazmaneum. 
Interessante  Beiträge  zur  Geschichte  der  inneren  Verhältnisse  des  Instituts. 
■ —  Vargka:  Die  Südslaven  und  Papst  Innocenz  III.  Behandelt  eingehend 
diese  Verhältnisse ;  der  Artikel  bildet  ein  Kapitel  aus  dem  preisgekrönten 
Werke  des  Verf.'s  »Papst  Innocenz  III.  und  sein  Zeitalter«. 

Ludovica  Akademia  Közlönye  (Organ  derLudovicaHon- 
ved-Academie). 

In  dieser  Zeitschrift  erscheinen  vorwiegend  Artikel  militärischen  In- 
halts, doch  kommen  auch  Artikel  von  geschichtlichem  Interesse  vor,  zu- 
meist in  den  Beilagen.  Im  Jahrgang  1890  besprach  Szecsi  die  Warschauer 
Militärrevolution  im  Jahre  1830.  —  Jahrgang  1891  brachte  aus  der  Feder 
Fülek's  einen  Artikel  über  Baron  Franz  Trenck,  den  Obersten  der  Pan- 
duren.  Behandelt  das  wechselreiche  Leben  Trenck's,  welcher  1741,  anläss- 
lich des  Ausbruchs  des  preussischen  Krieges  auf  eigene  Kosten  1000 
Panduren  ins  Feld  stellte.  —  Kälnay  bespricht  die  Kämpfe  der  Keiterei 
in  dem  österr.-preuss.  Kriege  1866.  —  Im  Jahrgang  1892  erschien  eine 
anonyme  Abhandlung  über  Stephan  Dobö,  den  heldenmüthigen  Vertheidiger 
der  Festung  Erlau,  mit  einem  übersichtlichen  BiLd  der  Belagerung  der 
Festung. 

Kereszteny  Magvetö  (Christlicher  Sämer;  Organder  Unitarier). 

1890.  Kanyarö:  Unitarier  in  Ungarn  im  16.  und  17.  Jahrh.  Gibt 
die  Geschichte  der  Ausbreitung  dieser  Lehre,  welche  Ende  des  17.  Jahrh. 
schon  bis  Gran  sich  verbreitete.  —  Jakab :  Leben  Georg  Enyedi's.  E.  war 
einer    der    hervorragensten    unitarischen  Schriftsteller   aus  dem    17.  Jahrh. 

—  Vegh:  Entstehung  der  Ravaer  unitarischen  Kirche.  Die  erste  nach- 
weisbare Spur  datirt  von  1693,  jedoch  existirte  die  Gemeinde  schon  viel 
früher. 

1891.  Benczedi  veröffentlicht  einen  Brief  des  Bischofs  Valentin 
Kadeczky  von  1632  an  die  Geistlichen  des  Baranyaer  Komitats.  —  Koncz 
theilt  einen  Brief  Val,  Radeczky's  (1616  —  1632)  an  Franz  Komis  von  1624 
Oct.  9  mit.  —  Ferner  finden  wir  einen  Brief  des  Unitariers  Adam  Franc 
aus  London  1680,  sowie  Nachricht  über  ein  zweites  Exemplar  des  ältesten 
unitarischerj  Liederbuches  von  Franz  David.  —  Jakab  veröffentlicht  unter 
dem  Titel  »Noch  einmal  über  Nicolaus  Bogäthy  Fazekas«  interessante 
Bemerkungen  über  das  Werk  Kohn's  »Geschichte  der  Sabbathier«.  — 
Benczedi  gibt  das  Verzeichniss  der  unitar.  Seelsorger  Toroczkö's  seit  1538. 

1892.  Kanyarö  spricht  über  den  Aufenthalt  Franz  Dävid's,  von 
welchem  auch  das  älteste  Liederbuch  der  Unitarier  stammt,  in  Debreczin. 

—  Gyalui  gibt  die  Geschichte  des  Unitarier  in  Siebenbürgen  Ende  des 
18.  Jahrh.  —  Jakab  veröffentlicht  ein  Diplom  Gabriel  Bethlen's  von  1613, 
womit  er  einen  unitarischen  Bischof  bestätigt.  —  Zovänyi  gibt  Beiträge 
zur  Geschichte  der  holländisch-ungarischen  Beziehungen   der  Unitatier.  — 


544  Literatur. 

Kanyarö:  Aus  den  Tagen  der  Verfolgung  im  17.  Jahrh.  —  Benczedi:  Die 
Schule  von  Toroczkö  und  deren  Lehrer.  —  Endlich  eine  Abhandlung  von 
Kanyarö  über  Kalvin- Orthodoxie  und  unitarische  Geschichtsschreibung. 

Turul    (Organ     der    genealogisch-heraldischen    Gesell- 
schaft). 

1880.  I.  Grössere  Abhandlungen.  Bela  Majläth  publicirt  Studien 
über  die  Starnmfamilien  des  Comitats  Liptö  bis  1526.  Er  untersucht  und 
stellt  fest  die  genealogische  Verzweigung  folgender  Liptauer  Stämme: 
Sepere,  Bogomer,  Nachkommen  Hauk  Polku's,  die  des  Zalök,  Nachkommen 
Serefel's.  Auf  die  Fülle  der  Daten,  besonders  über  die  Besitzverhältnisse 
dieser  Familien  kann  leider  nicht  eingegangen  werden.  —  Wertner  unter- 
sucht die  Abstammung  der  Fürstenfamile  Brankovics.  Als  ersten  glaub- 
würdigen Ahne  weist  er  den  vor  1354  verstorbenen  Mladen  ßassisaglics 
nach,  die  Familie  stirbt  mit  dem  Metropoliten  Georg  Maxim  1516  aus.  — 
In  weiteren  Abhandlungen  spricht  Wertner  über  die  Familie  des  Königs- 
sohnes Alnios,  Vater  des  nachmaligen  König  Bela  IL,  er  gelangt  zum  Er- 
gebniss,  dass  die  Gemahlin  Almos  jene  Predazläva  war,  die  Tochter  Szvje- 
topolk's,  welche  für  gewöhnlich  als  Frau  König  Koloman's  angeführt  wird, 
und  dass  letzterer  1112  die  Tochter  Monomach  Wladimir's  Euphemia 
heiratete.  Ferner  weisst  W.  nach,  dass  ein  Schwiegersohn  Ladislaus  des 
Hl.  der  Herzog  Jaroslov  von  Russland  war.  —  Soös  behandelt  die  Legende 
der  Miczbän'schen  Familie  im  13.  Jahrh.  Nach  derselben  gebar  die  Gattin 
Miczbän's  (eigentlich  hiess  er  Simon)  sieben  Kinder,  von  welchen  die  Fa- 
milien Chapy,  Zerdahelyi,  Szechy,  Soös,  Bochkay,  Zritthey  abstammen.  Die 
Behauptungen  und  Ergebnisse  Soös'  weist  dann  Karäcsonyi  als  unwahr 
zurück,  und  verweist  die  ganze  Fabel,  sowohl  von  den  Kindern,  als  auch 
von  der  Abstammung  der  angeführten  Familien  in  das  Reich  der  Erfin- 
dungen. Karäcsonyi  gibt  weiter  einen  Artikel  über  die  zweite  Verzweigung 
des  Hauses  Arpäd.  Bekanntlich  starb  die  erste  Linie  des  Hauses  mit 
Emerich,  Sohn  Stephans  aus.  Die  zweite  Linie  construirt  K.  als  von  dem 
Oheim  Stephan  des  Hl.  abstammend.  Er  beweist,  dass  dieser,  der  Bruder 
des  Vaters  von  Geza,  eigentlich  Julius  hiess,  und  erst  in  der  Taufe  den 
Namen  Michael  erhielt.  Von  Julius -Michael  stammte  dann  Vazul  ab,  und 
von  diesen  Andreas  L,  Bela  I.  und  Levente.  —  Szombathy  schreibt  über 
die  Familie  Bay ;  Bay  über  die  Abstammung  der  Familie  Ludänyi  Bay.  — 
Anton  Pör  stellt  die  Abstammung  der  Familie  Osl  fest,  und  schildert  ein- 
gehend die  Geschichte  dieser  Familie  sammt  ihren  Nebenlinien. 

IL  Kleinere  genealogisch-heraldische  Aufsätze.  H.  G.  D.  schreibt  über 
den  Wappenbrief  der  Eathold's ;  F.  über  den  des  Peter  Berekszöi  aus  dem 
Jahre  1448;  Cs.  J.  über  dem  Wappen  der  Familie  Guthay.  Wertner  gibt 
Beiträge  zur  Kenntniss  des  Genus  Sos  und  Genus  Bousch  Bani.  —  Sväby 
veröffentlicht  das  Armal  der  Telegdy's,  von  Ludwig  XII.  von  Frankreich 
der  Familie  ertheilt.  —  Nagy  publicirt  eine  Urkunde  König  Karl  IL; 
Csergheö  bespricht  die  ältesten  Wappen  der  Familien  Apaffy,  Rhedey  und 
Wesselenyi.  —  Szendrei  veröffentlicht  eine  Zusammenstellung  der  Wappen- 
briefe im  Borsoder  Komitatsarchiv.  —  Csoma  über  dem  Wappenbrief  Georg 
Vajday's,  und  über  das  Wappen  des  genus  Hunt-Päzmän,  Nagy  über  Jo- 
hann Lazöi's  Wappen.  —  Noszlopy  publicirt  eine  genealogische  Tafel  der 


Literatur.  545 

Familie  Berzsenyi  von  1559.  —  Dudas  handelt  über  Bäcs-Bodrogh's  Ko- 
mitatswappen. —  Szendrei  theilt  den  Siegelring  Franz  Wesselenyi's  mit. 
—  Ausserdem  finden  wir  kleinere  Beiträge  von  H.  G.  D.  über  das  Genus 
Divek,  von  Csergheö,  Szeremi  und  Csoma  über  verschiedene  Grabmäler  des 
15.  und   16.  Jahrhunderts. 

1891.  I.  Grössere  Abhandlungen.  Komäromy  gibt  eine  längere 
Studie  über  den  Palatin  Dözsa  und  die  Familie  Debreczeni.  Er  bespricht 
eingehend  die  Familiengeschichte,  die  Besitzverhältnisse  und  das  Wappen 
derselben.  —  Csergheö  stellt  die  eigentliche  Form  des  Wappens  des  Genus 
Guthkeled  fest,  von  welchem  Wappen  er  nicht  weniger  als  45  Variationen 
anführt.  —  Majläth  veröffentlicht  familiengeschichtliche  Studien  aus  der 
Zeit  bis  1526:  über  die  Familie  Palugyay  de  Kis-Palugya  und  Bodafalva, 
über  den  Stamm  Milath's,  von  welchem  die  Familien  Fejerpataky,  Anda- 
häzy,  Lipthay  abstammen,  ferner  über  die  Nachkommen  des  Hongh,  Stamm 
der  Familien  Bobrovniczky  und  Kiswely.  — ■  Sväby:  Ueber  Genealogie  der 
Grafen  Sväby.  —  Szell  weist  nach,  dass  die  Familie  Török  de  Telekes 
nur  in  einer  Linie  ausstarb,  während  Mitglieder  der  andern  Linie  noch 
am  Leben  sind.  —  Nagy  gibt  Mittheilungen  über  Personennamen  im  Zeit- 
alter der  Arpaden  und  über  die  Abstammung  der  Osl,  weist  gegen  Pör 
nach,  dass  die  Osl  nicht  südslavischen  Ursprungs  waren,  sondern  aus  der 
Gegend  des  Neusiedler  Sees  stammen.  —  Uecsenyi  theilt  die  Wappenbriefe 
des  Königs  Wladislaus  II.  mit,  in  dessen  Zeit  schon  ein  gewisser  Verfall 
der  Heraldik  zu  beobachten  ist.  —  Bärczay  gibt  Aufschlüsse  über  Ab- 
stammung und  Wappen  seiner  eigenen  Familie.  —  Pör  veröffentlicht  einen 
Artikel  üher  den  Vajvoden  von  Siebenbürgen  Ladislaus  und  über  das 
Genus  Keän.  In  einem  zweiten  Artikel  replicirt  er  gegen  Nagy's  oben 
erwähnten  Artikel  übefr  die  Osl.  —  Wartner  liefert  Beiträge  zur  Genea- 
logie der  Czudar  de  Onöd.  —  Kis  handelt  über  die  Bogäthy,  eine  der 
ältesten  siebenbürgischen  Familien.  —  Märki  theilt  unter  dem  Titel  die 
Döczy's  in  Arad  einen  Bruchtheil  aus  seinem  grossen  Werke  Geschichte 
des  Komitats  Arad  mit. 

II.  Kleinere  genealogisch  heraldische  Beiträge.  Ueben  den  Vojvoden 
von  Siebenbürgen  handelt  ausser  Pör's  angeführten  Artikel  noch  Puky, 
der  auch  über  die  Familie  Kinisy  spricht.  —  Szendrei  schreibt  über  den 
Wappenbrief'  der  Leszteneri's  von  1422,  und  über  das  Siegel  der  Stadt 
Sohl.  —  üoby  über  das  Wappen  der  Grafen  Csäky.  —  Decsenyi  über  die 
Abstammung  des  Bischofs  Gosztonyi.  —  Karäcsonyi  gibt  einen  Beitrag 
zur  ungarischen  Onomastik,  unter  dem  Titel  Ajtony-Achtum.  —  Ghyczy 
veröffentlicht  den  Wappenbrief  Johann  Dombay's  von  1506.  —  Wertner 
gibt  Beiträge  zur  Gnnealogie  der  Drugeth  von  Turzö  und  der  Podmanini. 
—  Ausserdem  kleinere  Beiträge  zur  Kenntniss  der  in  einzelnen  Archiven 
verwahrten  Wappenbriefe  und  verschiedener  Grabmäler. 

1892.  I.  Grössere  Abhandlungen.  Thallöczy  spricht  über 
den  Herzog  Hervoja  und  dessen  Wappen.  Diese  Abhandlung  bildet  die 
historische  Einleitung  zu  dem  von  der  bosnischen  Regierung  edirten  Missale 
Glagoliticum.  —  Komäromy  würdigt  in  einem  längeren  Artikel  das  Werk 
Wertner's  über  die  ungarischen  Nationalitäten.  —  Csergheö  veröffentlicht 
eine  Studie  über  die  verschiedenen  Familien  Török.  —  Karäcsonyi  und 
Nagy    polemisiren    über    die  Aussprache    des    Namens    Geiza.    —    Kärolyi 

Mittheilungen,  XV.  35 


546  Literatur. 

schreibt  über  die  in  der  Bihäcser  Hegend  eingewanderten  Wlachen  und 
ihr  aus  dem  Ende  des  16.  Jahrh.  stammendes  Wappen.  —  Wertner 
schreibt  über  die  zwei  alten  Familien  der  Athinai  und  Wolfart,  theilt 
ferner  eine  Studie  über  die  Franköi  mit,  sowie  Beiträge  zur  Genealogie 
der  Körögyi,  Tornai  und  Czudar.  —  Kis  ergänzt  die  Abhandlung  Koma- 
romy's  über  die  Szentpali,  und  spricht  über  die  Kälnokys  de  Körispatak 
als  eine  der  alten  siebenbürgischen  Familien,  ferner  über  die  Familien 
Mayläd,  Perneszy  und  Basa.  —  Szombathy  de  Tirna  und  Beczkö.  —  De- 
csenyi  über  die  Genealogie  und  Wappen  der  Familie  Erdelyi  de  Somkerek 
von  1415.  —  Pör  über  einzelne  genealogische  Fragen  aus  dem  13.  und 
14.  Jahrh.  —  Komäromy  handelt  über  die  Szentpali,  Myskovszky  und 
Fejerpatakys,  über  verschiedene  Siegel,  ersterer  über  Siegel  und  Wappen 
der  Stadt  Bartfeld,  letzerer  veröffentlicht  die  Siegel  der  Könige  Ladislaus 
des  Hl.,  Kolomann  und  Bela  IL  —  Thaly  gibt  Beiträge  zur  Genealogie 
des  Hauses  Räköczi.  —  Csoma  weist  den  Einfluss  der  italienischen  Re- 
naissance auf  die  ungarische  Heraldik  nach. 

IL  Kleinere  genealogisch-heraldische  Aufsätze.  Radvänszky  über  das 
Wappen  des  Zemlenyi  anno  1418.  —  Ueber  eine  Privatwappenbriefver- 
leihung durch  Marchese  Negrelli  im  Jahre  1698;  Dudäs  über  Adels- 
briefe im  Komitatsarchiv  von  Bäcs-Bodrogk.  —  Lehoczky  spricht  über  die 
Dercsenyi,  ein  Artikel  über  die  Familie  Hofmann,  Decsenyi  über  ungarische 
heraldische  Monumente  in  ausländischen  Wappenbüchern,  darunter  über 
eine  ungarische  Fahne  in  der  Manesse-Handschrift.  —  Kabusius  Kandra 
spricht  über  die  Debrei  de  genere  Aba,  gibt  einen  Beitrag  zur  Familien- 
geschichte der  Athinai's.  —  Zum  Schlüsse  erwähne  ich  eine  Mittheilung 
über  Adelsverleihungen  im  17.  Jahrh.  an  die  sogenannten  Jobbagiones, 
ungar.  Landsleute,  wobei  ein  interessantes  Aktenstück  veröffentlicht  ist. 

Szäzadok    (Organ    des  ungar.  hist.    Vereins). 

1890.  Gerson  Adam  gibt  Nachricht  über  einen  von  ihm  entdeckten 
altungarischen  Kalender  von  1630.  —  Hunfalvy  bringt  einen  längeren 
Artikel  über  die  ungarischen  National-Chroniken ;  derselbe  ist  ein  Bruch- 
stück aus  des  Verf.  grossem  Werk  »Die  Geschichte  der  Rumänen4,  ein 
werthvoller  Beitrag  auch  zur  quellengeschichtlichen  Literatur  Ungarns, 
welche  ziemlich  spärlich  ist.  —  Jankö  theilt  die  auf  den  Tatareneinfall 
bezügliche  Stellen  chinesischer  Geschichtsbücher  mit.  —  Karäcsonyi  han- 
delt über  die  Bullen  Papst  Bonifas  IX.  Bespricht  eingehend  die  Bullen- 
publication  der  Monumenta  Vaticana.  —  Komäromy  bespricht  eingehend 
das  Testament  des  judex  curiae  Stefan  Bathory  von  1603  Febr.  28.  — 
Von  demselben  Verf.  noch  eine  zweite  Abhandlung  über  Michael  Thele- 
kessy  und  dessen  Leben  1576 — 1601.  —  Kropf  spricht  über  Maximilianus 
T^ansylvanus.  —  Märki  über  den  Anfang  des  Mittelalters  in  Ungarn.  — 
Oväry  macht  Mittheilungen  über  die  Regesta  Angiov.  in  Neapel  und  be- 
handelt auf  Grund  unedirter  Urkunden  die  Heirath  Wladislaus  IL  mit 
Beatrix.  —  Pettkö  theilt  ein  in  ital.  Sprache  abgefasstes  Memoire  von 
1624  über  den  Sturz  Gabriel  Bethlen's  mit.  Als  Verfasser  glaubt  P.  den 
Kardinal  Khlesl  annehmen  zu  können.  In  der  Original-Sprache  veröffent- 
lichte das  Schriftstück  Gindely  in  seinem  Urkundenbuch  zur  Geschichte 
G.  Bethlen's.  —  Ebenfalls  P.  publicirt  ein  ungarisches  Gedicht  von  1670. 


Literatur.  547 

—  Anton  Pör  handelt  über  Demetrius  und  Alexander  de  Lipocz  und  Nekcse. 
Alexander  war  ein  berühmter  Streiter  des  14.  Jahrhunderts,  der  unter 
Karls  I.  Fahne  focht,  Demetrius  bekleidete  25  Jahre  hindurch  das  Amt 
eines  Tavernicus  regni.  Sie  entstammten  dem  Geschlecht  der  Aba,  dessen 
Stammort  Lipocz  zwischen  dem  Zempliner  und  Säroser  Komitat  war.  — 
Pör  gibt  weiter  Beiträge  zur  Gesshichte  Stefan  Bogär  und  Martinus  filius 
Bogär;    beide    waren  sogenannte  »servientes«,   Officiere  der  Nemetujvüri's. 

—  Räth  macht  Mittheilung  über  Johann  von  Aragonien,  jüngsten  Sohn 
des  Königs  Ferdinand  von  Neapel  geb.  1463.  —  Szadeczky  handelt  über 
die  Mitgiit  der  Erzherzogin  Maria  Christina,   Gemahlin  Sigismund  Bätkory's. 

—  Ausserdem  verdanken  wir  ihm  noch  Mittheilungen  über  das  Archiv 
der  Familie  Pechy,  das  grösstentheils  dem  18.  Jahrb..  angehört  und  mehr 
für  die  Familiengeschichte  als  für  die  Landesgeschichte  Werth  hat.  Ferner 
über  die  öffentlichen  Archive  der  Stadt  Fogaras.  —  Szabö  gibt  eine  Kritik 
des  Wortes  Arpalice  in  den  Gesta  Hemgar  des  Anonymus.  —  Sz.  S.  zur 
Geschichte  des  Palastes  der  siebenbürg.  Fürsten  zu  Karlsburg  aus  dem 
17.  Jahrh.  —  Szendrei  über  das  Familienarchiv  der  Kapi's.  —  Thaly 
erstattet  Bericht  über  die  Konstantinopeler  Forschungen  aus  der  Räköczi- 
Emigration.  Ferner  kleinere  Artikel  über  die  Gräber  Thököly's  und  Ge- 
nossen in  der  Gegend  von  Ismid  und  über  das  Leben  des  Valentin  Ba- 
lassa.  —  Wenzel  schreibt  über  die  Rolle  der  Familie  Frangepän  unter 
den  Anjou's,  —  Wertner  weist  nach,  dass  der  Vojvode  von  Transylvanien, 
Ladislaus,  aus  dem  Genus  der  Borsa  stammte.  —  Zsatkovics  handelt  über 
die  Geschichtsschreibung  der  ungarländischen  Russen,  welche  im  17.  Jahrh. 
beginnt. 

1891.  Ueber  das  Fürstenthum  Johann  Kemeny's  veröffentlicht  Stefan 
Domjän  eine  Studie,  worin  er  die  Regierung  des  Fürsten  nach  dem  Reichs- 
tag zu  Bistricz  behandelt.  —  Fest  gibt  eine  längere  Arbeit  über  das  Ver- 
hältnis der  Usken  d.  i.  Flüchtlinge  zu  Fiume  im  16.  und  17.  Jahrh. 
Neben  der  Adria  waren  übrigens  unter  dem  Namen  Usken  die  Mann- 
schaften der  Burg  Zengg  bekannt.  —  Fraknöi  veröffentlicht  seine  Denk- 
rede auf  dem  verstorb.  Archaeologen  Florian  Römer.  —  Füssy  behandelt 
die  Geschichte  des  Conventes  zu  Zalavar,  einer  der  loca  credibilia  in  Un- 
garn. —  Hodinka  publicirt  eine  Studie  über  Bogdan  Cbmielnicki  nach  dem 
Werke  Kostomarow's.  —  Jakab,  Denkrede  auf  Baron  Blasius  Orkan.  — 
Jankö  spricht  über  die  Benyovszky-Literatur.  —  Kiraly  veröffentlicht  eine 
Studie  über  die  Markomannen-Kriege.  —  Komäromy  über  die  Geschichte 
des  Räköczy'schen  Schatzes  in  Munkäcz.  —  Kvacsala  über  Johann  Heinrich 
Bisterfeld.  —  Ortvay  bespricht  die  Besitz  Verhältnisse  der  Genus  Ajtony 
und  Csanäd  in  Südungarn.  —  Pör  über  Lorenz  Töth,  magister  taverni- 
corum  unter  Karl  I.  —  Schwarz  über  Bäder  in  Ungarn  bis  zum  16.  Jahr. 

—  Wertner  weist  nach,  dass  Lambert  comes  zur  ersten  Frau  eine  Schwester 
Ladislaus  des  Hl.  hatte,  deren  Namen  wir  nicht  kennen.  —  Zsilinszky 
veroffentltcht  eine  Studie  über  die  Obergespäne  des  Komitats  Csongräd, 
wobei    er    sich    auch  über  die  Entwicklung    des  Komitats  Systems  äussert. 

1892.  Bartalus  spricht  über  den  Ursprung  der  ungarischen  »Palotäs« 
Musik.  —  Berzeviczy  schreibt  über  die  Hoffman  de  Csatär  und  Szedikert, 
besonders  im  17.  Jahrh.  —  Decsenyi  referirt  über  seine  italienischen 
Forschungen.    : —    Fraknöi    bespricht    die    Forschungen    im    vatikanischen 

35* 


54$  Literatur. 

Archiv.  —  Huszka  gibt  ornamentalen  Quellen  Beiträge  zur  Urgeschichte 
der  Ungarn.  —  Jakab  bespricht  die  Bezeichnungen  der  ungarischen  und 
polnischen  Unitarier  im  16.  und  17.  Jahrh.  —  Karacsonyi  gibt  eine  Studie 
über  die  ersten  ungar.  Erzbischöfe,  welche  auch  ein  werthvoller  Beitrag 
zur  Kritik  der  Geschichtsquellen  im  11.  Jahrh.  ist.  —  Kvacsala  veröffent- 
licht Beiträge  zur  Geschichte  der  ungarisch. -englischen  Beziehuugen  von 
1620 — 1670.  —  Meltzl  eine  Studie  über  Gewerbe  und  Handel  der  sieben- 
bürgischen  Sachsen  im  14.  und  15.  Jahrh.  —  Pauler  spricht  über  die 
Hartvik  Legende,  worin  er  gegen  die  Ausführungen  Karacsonyi's  in  dessen 
obangeführten  Artikel  polemisirt.  —  Petrof  schreibt  über  die  Jahresrech- 
nung der  russischen  Annalen.  —  Pör  bespricht  die  Gesandtschaft  Lud- 
wigs I.  an  den  päpstlichsten  Hof  in  Avignon  i.  J.  1346;  ferner  die  Ver- 
wandtschaft der  Piasten  mit  den  Anjou's.  —  Szamota  veröffentlicht  die 
auf  Ungarn  bezüglichen  Stellen  russischer,  serbischer  und  bulgarischer 
Quellen.  —  Szentkläray  kennzeichnet  die  öffentlichen  Verhältnisse  im  Csa- 
mäder  Komitat  nach  der  türkischen  Herrschaft.  — ■  Th.  L.  über  Georg 
ßäköczy  IL  und  die  walachischen  Szemenyen  d.  i.  die  Leibwache  der  wa- 
lachischen  Wojvoden.  —  Thüry  spricht  über  das  Verhältnis  des  Geschichts- 
schreibers Pecsevi  zur  ungarischen  Literatur.  —  Veress  gibt  die  Genea- 
logie der  walachischen  Familie  Nasturel.  —  Wertner  schreibt  über  den 
Palatin  Lorenz,  Sohn  des  Kemeny  und  desselben  Nachkommen  aus  dem 
13.  Jahrh.  —  Zsilinszky  setzt  seine  Studie  über  die  Obergespäne  des 
Csongräder  Komitats  auch  in  diesem  Jahrgang  fort.  —  In  diesem  Jahre 
feierte  die  ungar. -bist.  Gesellschaft  das  25jährige  Jubiläum  ihrer  Grün- 
dung. Das  aus  diesem  Anlass  erschienene  Jahrbuch  enthält  ausser  der 
Eröffnungsrede  des  Gf.  Szechen  und  der  Geschichte  der  Gesellschaft  aus 
der  Feder  des  Secretärs  Alex.  Szilägyi  einen  längeren  Artikel  von  Kolo- 
man Thaly,  dem  verdienstvollen  Forscher  der  Geschichte  Franz  Räköczi's  IL 
Thaly  berichtet  über  die  Exhumirung  der  Leiche  des  Fürsten  Bäköczy, 
dessen  Leichnam  in  der  Klosterkirche  St.  Benoit  zu  Konstantinopel  be- 
graben ist.  Die  Exhumirung  fand  im  Beisein  Fraknöi's  und  Thaly's  im 
Jahre  1889  statt  und  hatte  den  Zweck,  die  Existenz  der  Leiche  zu  con- 
statiren,  nachdem  von  vielen  Seiten  Zweifel  über  das  Vorhandensein  der 
Ueberreste  erhoben  worden  waren. 

Bekesvarmegyiregeszeti  es  mivelödestörteneti  tärsulat 
evkönyve.  (Jahrbuch  der  archaeol.  und  literar  -  bist.  Ge- 
sellsch.    des    Komit.   Bekes). 

1890/91.  Karacsonyi  gibt  die  Geschichte  der  Stadt  Bekes  bis  zu 
Anfang  des  18.  Jahrh.  und  veröffentlicht  ferner  die  Aufzeichnung  des 
Kammerdieners  Gritti's,  eines  Italieners,  welcher  1534  Gefangener  in  der 
Burg  Gyula  war.  —  Von  Kar.  stammen  noch  zwei  Artikel :  Kleinere  Mit* 
theilungen  zur  Geschichte  des  Komitats  Bekes,  und  altungarische  auf  das 
Komitat  Bekes  bezügliche  Briefe.  —  Krisztik  gibt  Beiträge  zur  Geschichte 
der  Klöster  in  Bekes. 

1891/92.  Csänki  schreibt  über  das  alte  Szeghalom  und  Füzes  Eyar- 
mot,  und  theilt  die  Statistik  der  Bevölkerung  und  Besitzverhältnisse  dieser 
beiden  Orte  mit.  —  Karacsonyi  charakterisirt  das  Leben  der  kleinen 
Edelleute  im  Bekeser  Komitat.  —  Krisztik  theilt  die  Daten  über  die  Ver- 


Literatur.  g^g 

gangenheit  des  Komitates  Bekes  aus  dem  Bölöner  Archiv  mit;  Sörös  spricht 
über  die  aus  Bekes  stammenden  römischen  Pilger;  Karäcsonyi  gibt  eine 
Eegestensammlung  zur  Geschichte  Bekes  bis   1711. 

Szepesmggei  törtenelmi  tarsulat  evkönyol.  (Jahrbuch 
des  hist.  Vereins    der    Zips. 

1891.  Pirhalla  bringt  den  3.  Theil  der  Geschichte  der  Zipser  Propstei, 
von  1493 — ■  1614.  —  Tm  Jahrgang  1892  handelt  Koloman  Demkö  über 
die  Chronik  von  Szepesszombat. 

Alsötehermegy ei  tört.  reg.  es  term.  tud  tärsasag  ev- 
könyde  (Jahrbuch  des  hist.  -archaeolog.  und  naturwiss. 
Vereins    des    Unter  weissenburger    Komi  tat  s. 

1891.  Czerni  spricht  über  Ueberreste  von  Apulum.  Zlamäl  behan- 
delt   die  Keisen  Kaiser    Josef  II.    mit  Rücksicht    auf  die  Stadt  Karlsburg. 

Bäcs-Bodroghvärmegyi  tört.  tarsulat  evkönyve.  (Jahr- 
buch  hist.    Vereins    des    Komitats  Bacs-Bodrog.) 

1892.  Erdujhelyi  handelt  über  die  taktische  Bedeutung  von  Peter- 
wardein.  —  Czirfusz  gibt  Bruchstücke  aus  Tagebüchern,  während  ein  anon. 
Artikel  über  die  serbische  Literatur  des  Komitats  Aufschluss  gewährt.  — 
Dudäs  kennzeichuet  die  Gravamina  des  Komitats  in  den  Jahren  1741  bis 
17  51  und  gibt  ferner  eine  Zusammenstellung  der  Adelsbriefe  im  Komitats- 
archiv, einen  Artikel  über  Insurrection  des  Adels  der  Bäczka  in  1779 
und  veröffentlicht  einen  Theil  des  Tagebuches  Stephan  Körmendy's  der 
1734 — 1739  Obernotär  des  Komitats  war;  das  mitgetheilte  Bruchstück 
bezieht  sich  auf  den  russisch-türkischen  Krieg  1737,  —  Grosschmied 
schreibt  über  Graf  Anton  Grassalkovich  senior. ;  von  demselben  ferner  ein 
Artikel  über  den  archaeolog.  Fund  von  Kukula.  —  Jvanyi  handelt  über 
die  Festung  Bodrog,  über  die  Verordnung  Josef  IL  betreffs  der  Regelung 
der  Bäcskaer  Pfarren  von  1787  Nov.  2,  ferner  über  Aranyon  und  Futak.  — 
Von  Erdujhelyi  eine  Abhandlung  über  den  Process  der  Stadt  Neusatz  mit 
Peterwardein  betreffs  der  Pflastermauth  aus  der  Mitte  des  18.  Jahr.  — 
Von  Grosschmied  über  das  Komitatshaus  des  Bäczer  Komitats.  - —  D.  Gy. 
gibt  alte  städtische  Siegel.  —  Köszeghy :  Mittheilungen  zur  Geschichte  der 
inneren  Verhältnisse  des  Komitats  im  18.  Jahrh.  —  Ferner  noch  Artikel 
von  Erdujhelyi  über  die  Geschichte  der  serbischen  Journalistik  in  Ungarn 
und  eine  Liste  der  öffentlichen  Funktionäre  des  Komitats  von  1759 — 1768. 

Hunyadmegyei  törteneti  es  regeszeti  tarsulat  evkönyve 
(Jahrbuch    des    hist. -arch.  Vereins  des  Hunyader  Komitats). 

1890.  Franz  Sölyom-Fekete  gibt  Beiträge  zur  Geschichte  der  Orts- 
namen des  Hunyader  Komitats.  —  Kiraly  bespricht  das  Räkoser  Mith- 
raeum  und  das  Begräbnis  der  Mithraeer;  ferner  schreibt  er  über  die  west- 
lichen Grenzen  und  die  Grenzenvertheidigung  Daciens.  —  Darvai  be- 
spricht die  Staatsformen  des  Vlachen. 

Törtenelmi  es  regeszeti  ertesitö.  (Histor. -archaelog. 
Anzeiger.      Temesvar). 

1890.  Karäcsonyi:  Ueber  die  Besitzungen  der  Propstei  und  des 
Kapitels    von  Arad.     Selbe    lagen  zumeist  entlang    des  Flusses  Maros.  — 


550  Literatur. 

Dudäs  über  die  Bronzzeit  der  südlichen  Gegenden.  —  Pfeiffer  gibt  die 
Geschichte  des  um  1750  gegründeten  Gymnasiums  und  Klosters  der  Piaristen 
zu  Temesvar.  —  Milleker:  Die  Vergangenheit  des  Wersetzer  griechisch- 
nicht-unierten  serbischen  Bisthums.  —  Berkessi:  Aufzeichnungen  auslän- 
discher Keisender  im  18.  Jabrh.  über  Temesvar  und  Südungarn.  — -Milleker: 
Ueber    das    röm.  Castrum    centum    putei  in  der  Nähe  von  Gross-Szurdok. 

—  Baröti:  Ausweise  der  Banater  deutschen  Schulen  im  18.  Jahrh. ;  Liste 
des  zum  Bisthum  Csanad  angehörigen  Dörfer  von  1701;  Bericht  über  die 
1731   stattgefundene  Conscription  im  Banat. 

Ethnographia. 

1890.  Baröti:  Zur  Geschichte  der  deutschen  Ansiedelungen  im  Banat.  Unter 
dem  General  Mercy  in  den  Jahren  1717- — 1734.- —  Märki:  Zur  Geschichte 
der  Zigeuner  in  Arad.  —  Tagänyi :  Die  Landesergreifung  und  Siebenbürgen. 

1891.  Blesy:  Beiträge  zur  Geschichte  des  Aberglaubens  in  Ungarn. 
Gibt  Auszüge  aus  Protokollen  von   1653,   1726  nnd   1730. 

Erdelyi    Muzeum    Egylet    (Museum-Verein    Siebenbürgens). 

1890.  Anton  Pör  schreibt  über  Thomas  Csör.  Derselbe  lebte  um 
1330 — 1360,  bekleidete  die  Stelle  eines  königl.  Oberthürhüters,  war  Ober- 
gespan von  Liptau  und  Crisien,  ferner  Commandant  von  Csökakö,  Gesztes 
und  Alt-Ofen.  —  Pör:  Bänk-ban's  Melinda.  Weist  nach,  dass  die  Frau 
des  Palatin's  Baank  eine  Spanierin  Namens  Tota,  die  Hofdame  Konstanzia's 
von  Aragonien,  Gemahlin  des  Königs  Emerich  war.  —  Läzär:  Beiträge 
zur  Verwaltungsgeschichte  des  Temeser  Banats  und  Serbiens  nach  dem 
Frieden  von  Passarowitz  1717 — 1739,  auf  Grund  der  Mittheilungen  des 
k.  u.  k.  Kriegsarchivs.  —  Moldovän:  Zur  Geschichte  der  romanischen  Leib- 
eigenen. - —  Revesz  entwirft  das  Bild  des  Wirkens  Alois  Gritti's  in  Ungarn. 

—  Tegläs  gibt  Beiträge  zur  Geschichte  Daciens  um  das  Jahr  162.  Spricht 
über  Julius  Alex,  staatlichen  Unternehmer,  gibt  neuere  Beiträge  zur  Epi- 
graphik  Daciens.  —  Wertner  über  Margarethe,  Tochter  Bela  III.,  Gemahlin 
Kaiser  Isaak  IL,  nach  dessen  Tode  sie  Thessalonich  verwaltete.  —  Der- 
selbe :  Arpaden  und  Nemanjiden,  bildet  ein  Bruchstück  zur  Genealogie 
der  südslavischen  Regenten. 

1891.  Gyalui  gibt  Beiträge  zur  Biographie  des  Bibelübersetzers 
Nikolaus  K.  Tötfalusi.  - —  Jakob  theilt  das  Tagebuch  der  Grenzbestimmungs- 
kommission  von  1741  mit.  Enthält  die  Grenzenbeschreibungen  zwischen 
dem  Reiche  Mehmet  Sultans  und  Karl  VI.  nach  dem  Krieg  von  1739.  — 
Mika  behandelt  die  Geschichte  Brasso's  und  Siebenbürgen^  nach  der 
Schlacht  zu  Töldoar  1612  Okt.  16.  —  Pör  schreibt  über  den  Vojvoden 
von  Siebenbürgen  Ladislaus  1291 — 1315.  —  Revecz:  Johann  von  Neme- 
tujvar,  handelt  über  Abstammung,  Geschichte  u.  s.  w.  dieser  im  13.  Jahrh. 
eine  grosse  Rolle  spielenden  Familie.  —  Wertner:  Ueber  die  Königin 
»Synadene.«  Weist  nach,  dass  der  Name  der  Gemahlin  König  Geza  I. 
unbekannt  ist.  Der  Name  Synadene  ist  bloss  der  Familienname;  die 
Königin  war  griechischer  Abkunft. 

Magyar   Könyvszemle    (Ungar.    Bibliogr.    Revue). 

1890.  Von  Csontosi  finden  wir  Artikel  über  die  von  ihm  angestellten 
Forschungen  in  Bibliotheken  Oesterreichs  und  Polens.    Ferner  die  Beschrei- 


Literatur.  55  \ 

bung  des  Codex  Diomedes  Carafa's  »De  institutione  vivendi  ad  Beatricem 
reginam  Hungariae. c  Die  Handschrift  befindet  sich  in  der  kön.  Bibliothek 
zu  Parma,  Cs.  gibt  sowohl  die  Beschreibung  der  Handschrift,  als  auch  den 
Text.  Ferner  gibt  Cs.  einen  Bericht  über  den  Antwerpener  bibliogr.  Con- 
gress  im  Jahre  1890.  —  Erdelyi  spricht  über  eine  Gedichtsammlung  des 
18.  Jahrh.  Dieselbe,  » Virägos  Kert *  (Blumen-Garten)  titulirt,  enthält  eine 
Anzahl  von  Gedichten  in  lateinischer  und  ungarischer  Sprache,  Paspuille, 
Anagramme  u.  s.  w.  —  Fraknöi  spricht  über  die  neue  Edition  der  Briefe 
König  Mathias  Corvinus'.  —  Hellebrant  liefert  Nachträge  zur  altungar. 
Bibliographie,  wozu  auch  Horväth  Beiträge  gibt.  —  Hodinka  kennzeichnet 
die  altslavischen  Druckwerke,  die  in  Siebenbürgen  und  Bumänien  erschienen 
sind.  —  Illesy  schreibt  über  die  Bibliothek  der  Kaschauer  Domkircke  zu 
S.  Elisabeth  anno  1606  und  theilt  den  Katalog  mit.  —  Kemeny  gibt 
Beiträge  zur  Geschichte  des  Buchdrucks  in  Kaschau  im  17.  Jahrh.  — 
Läng :  Ueber  die  ungar.  medicinalwissenschaftlichen  Fachschriften  des  ungar. 
National-Museums.  —  Petrov  schreibt  über  das  Tetraevangelium  des  Jo- 
hann Biegner,  gedruckt  zu  Kronstadt  1561.  Petrov  entdeckte  das  Werk 
in  der  Bibliothek  des  Klosters  zu  Csernekkegy  bei  Munkäcs.  —  Räth  be- 
spricht den  Erstlingsdruck  der  Druckerei  zu  Tirnau  von  1588,  eine  Ca- 
nonensammlung ;  ferner  die  ungar.  gedruckten  Ritualbücher  bis  zur  Ein- 
führung des  röm.  Rituals.  —  Schönherr  gibt  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Schulen  in  Ungarn  im  M.-A.  —  Szell :  Neuere  Beiträge  zur  Bibel  des 
Georg  Csipkes  -  Komaxomi.  —  Szilägyi :  Zur  Geschichte  der  Käroli'schen 
Bibel.  Sodann  finden  wir  von  Csänki,  Fejerpataky  und  Koväcs  Beiträge 
zur  Geschichte  der  ungar.  Bibliotheken  des  M.-A.,  von  Majläth  einen  Be- 
richt über  die  Bibliothek  des  Nat.-Museums  in  den  Jahren  1889 — 90, 
ferner  von  Szilägyi  einen  Necrolog  über  den  Historiker  und  Bibliographen 
Karl  Szabö.  —  Horväth  theilt  die  Pragmatik  der  ital.  Bibliotheken  von 
1885  mit.  —  Unter  der  Rubrik  »Verschiedenes«  finden  wir  kleinere  Mit- 
theilungen über  verschiedene  neuere  Werke,  Bibliotheken,  naturgesckicht- 
liche  und  andere  Notizen.  —  Die  Beilage  enthält  ein  Verzeichnis  der  im 
Jahre  1890  erschienenen  Werke  Ungarns  und  der  auf  Ungarn  bezüglichen 
Werke  des  Auslandes. 

1891.  Thalloczy  schreibt  über  den  von  ihm  entdeckten  Corvin-Codex 
in  der  Bibliothek  der  Dominikaner  in  Ragusa.  —  Barabäs,  Csänki,  Fejer- 
pataky und  Decsenyi  geben  Beiträge  zur  Geschichte  der  mittelalterlichen 
Bibliotheken  Ungarns.  —  Ferenczi  gibt  Beiträge  zur  altungarischen  Bib- 
liographie, ebenso  Hellebrant.  —  Majläth  bespricht  die  alten  ungarischen 
Einblattdrucke  des  ungar.  Nationalmuseums.  —  Erdelyi  theilt  ein  Werk 
des  Christoph  Peichich,  betitelt  »Wurmland«  von  1778  mit.  —  Majläth, 
Horväth  und  Hellebrant  geben  bibliogr.  Beiträge  zu  altung.  Drucken.  — 
Csontosi  berichtet  über  die  Bibliothek  der  Familie  Trivulzio  in  Mailand 
und  über  die  auf  Ungarn  bezüglichen  Manuscripte  derselben.  —  Ferner 
von  demselben  ein  Beitrag  zur  Geschichte  zweier  Corvincodices  in  Modena. 
—  Ein  Artikel  bringt  die  auf  Ungarn  bezüglichen  Drucke  der  Marcus-Bib- 
liothek zu  Venedig.  —  Sodann  finden  wir  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Druckereien  zu  Krasso  und  Vizsolz  im  16.  Jahrh.  —  Ein  Artikel 
gibt  Aufschlüsse  über  die  auf  Ungarn  bezüglichen  Handschriften  der  kön. 
Bibliothek  zu  Hannover.  —  Decsenyi  berichtet    über    eine  Sammlung  von 


552 


Literatur. 


Briefen  des  Königs  Mathias  in  der  Bibliothek  des  Grafen  Khuen  -  Heder- 
Vary.  —  Sebestyen  bespricht  die  Korrespondenz  des  Grafen  Franz  Szechenyi 
in  Bibliothekssachen.  —  Jakab  spricht  über  die  Original-Handschrift  der 
Vertheidigungsschrift  des  Michael  Veresmarty,  in  welcher  dieser  seinen 
Glaubenswechsel  rechtfertigt.  —  Illesy  handelt  über  zwei  Werke  Keresz- 
tury's  die  »Nova  Transylvanica,  und  »Talio«;  letzteres  erschien  1642.  — 
Decsenyi  über  den  Wappenbrief  des  Copisten  Bonfini's,  Szilägy  über  das 
Wörterbuch  Stepan  Szamosközy's  von  1580.  —  Vermischte  Nachrichten, 
sowie  Bibliographie  ähnlichen  Inhaltes  wie  oben  angegeben  schliessen  auch 
diesen  Jahrgang  *). 

Hadtörtenelmi  Közlemenyek  (Kriegsgeschichtliche  Mit- 
theilungen). 

1890.  Pauler:  Die  russisch  -  griechischen  Feldzüge  König  Geza  II 
H48 — 1166.  — Gömöry:  Die  Belagerung  Peterwardein  1694.  Behandelt 
dies  Ereignis  auf  Grund  einer  osmanischen  Quelle  aus  der  Nationalbiblio- 
thek in  Berlin.  Verf.  dieser  Quelle  war  Augenzeuge  der  Belagerung  und 
beleuchtet  die  Operationen  der  belagernden  Türken.  —  Thüry  spricht 
über  die  Quellen  der  strategischen  Principien  des  Nicolaus  Zrinyi  und 
weist  nach,  dass  dieselben  in  der  Jugendzeit  und  im  Mannesalter  Zrinyi's 
sowohl  aus  Theorie  als  auch  aus  Praxis  sich  bildeten.  Neben  un- 
garischen historischen  Werken  las  Zrinyi  das  Kudatku  Bilik  von  1069, 
verfasst  von  Iuszuf.  —  Komärony:  Die  Empörung  zu  Fülek  1602.  Kriegs- 
gerichtliche Verhandlung  gegen  den  Lieutenant  Michael  Balogh,  der  mit 
anderen  zusammen  gegen  Egidius  Nagy,  Vicekapitän  in  Fülek,  eine  Em- 
pörung anzettelte.  —  Eugen  Horväth-Rönai :  Der  schlesische  Feldzug  des 
Herzogs  Karl  von  Lothringen  1757;  auf  Grund  bisher  unedirten  Materials 
aus  dem  gräflich  Nadasdy'schen  Familienarchiv  zu  Nädasdladäny,  wo  ca. 
100  Originalbriefe  Karls  sich  befinden,  welche  auf  den  Zeitraum  nach  der 
Schlacht  bei  Kolin  bis  zum  Ende  des  Krieges  Bezug  haben.  Es  fehlen 
die  Relationen  des  Grafen  Nädasdy  an  den  Herzog  von  Lothringen,  die 
sich  in  dem  k.  u.  k.  Kriegsarchiv  befinden  dürften.  —  Fraknöi:  Ueber 
die  Wahl  König  Mathias  Corvinus.  —  Horväth:  Die  Feldzüge  König 
Mathias.  —  Csontosi:  Ueber  kriegswissenschaftliche  Werke  der  Bibliothek 
Mathias  Corvinus.  —  Hazay :  Ueber  Verteidigung,  Armeestärke  und  Krieg- 
führung unter  König  Mathias'  in  Paris.  Befindet  sich  in  dem  Musee 
d' Artillerie.  —  Mangold:  Die  kriegswissenschaftliche  Bibliographie  König 
Mathias.  —  Gömöry:  Das  Verhältnis  des  k.  k.  Hofkriegsratb.es  zu  den 
Heerführern   1683 — 1693;  auf  Grund  von  Documenten  des  Kriegsarchivs. 

—  Huszär:  Ueber  die  sogen,  »schwarze  Legion«  des  Königs  Mathias.  — 
Märid:  Mittelalterliche  Kriegsgeschichte  des  Komitats  Arad.  —  Olchväry: 
Der  erste  Angriff  Gabriel  Bethlen's  gegen  Ferdinand  IL  —  Thüry:  Der 
Feldzug  von  1663 — 1664.  Benützt  das  Werk  von  Rasid  Etendi.  —  Kozics: 
Der  Feldzug  Ludwig  des  Grossen  nach  Neapel.  —  Thaly:  Zeitgenössische 
Berichte  über  die  Schlacht  von  Koroncza  1704  (auch  Schlacht  von  Györ- 
Szemere  genannt).  —  Soös:  Die  Schlacht  auf  dem  Marchfelde  anno  1278. 

—  Gömöry:    Die  Belagerung  Erlaus   1552.     Auf  Grund   von  Documenten 


*)  Jahrgang  1892  wird  erst  1894  erscheinen. 


Literatur.  553 

des  Kriegsarchivs.  —  Komaromy:  Der  siebenbürgische  Feldzug  Thököly's 
i.  J.  1668.  —  Barabäs:  Das  Kegulament  des  Königs  Stephan  Bäthory's 
von  Polen  für  die  in  der  polnischen  Armee  dienenden  ungarischen  Husaren 
1576 — 1586.  —  Ausserdem  befindet  sich  in  jeder  Nummer  eine  Rubrik 
für  kleinere  Editionen,  sowie  Bibliographie  kriegsgeschichtlichen  Inhalts. 
1891.  Thaly:  Präsenzstärke  und  Kriegsausrüstung  der  Regimenter 
Franz  Räköczi's.  Behandelt  die  Kavallerie  und  Fusstruppen.  —  Kiss :  Ver- 
theidigung  der  nationalen  Unabhängigkeit  gegen  Heinrich  III.  —  Thury: 
Die  Einnahme  der  Festung  Sziget  im  Jahre  1566.  Benützt  das  Werk 
des  Szeläniki  Mustafa  Effendi,  das  die  Jahre  1563 — 1599  behandelt.  — 
Horväth:  Nicolaus  Zrinyi  der  Dichter  als  Feldherr.  —  Szendrei:  Die  Zeug- 
häuser zu  Karlsburg  und  Sarospatak  im  17.  Jahrh.  unter  Georg  Räköczy  I. 

—  Komaromy:  Zur  Geschichte  der  Hajduckenempörung  1607.  Publicirt 
Documente  aus  dem  ungar.  Landesarchiv,  vornehmlich  Familienschriften 
der  Tburzö's  und  Räköczy's.  —  Czimer:  Die  Belagerung  Szegedins   1552. 

—  Majläth:  Die  Reliquien  des  Dichters  Nicolaus  Zrinyi  in  Vöttau.  Be- 
spricht die  Waffensammlung  der  Familie  Daun  zu  Vöttau,  und  einzelne 
daraus  für  das  ungar.  Nationalmuseum  erworbene  Waffenstücke,  die  ehe- 
dem Eigenthum  des  Dichters  Nicolaus  Zrinyi  waren.  —  Horväth:  Der 
Feldzug  von  1664  zwischen  der  Mur  und  Raab  und  die  Schlacht  St.  Gott- 
hard.  —  Milodänovits :  Die  hervorragenden  ungar.  Soldaten  in  den  franz. 
Revolutionskriegen.  Bietet  biographische  Notizen  auf  Grund  der  officiellen 
Editionen  des  Maria-Theresia-Ordens.  —  Thaly:  Noch  einmal  über  die 
Schlacht  von  Koroncza  und  General  Simon  Forgäch.  Gibt  einen  Nachtrag 
zum  Artikel  gleichen  Inhalts  im  Jahrgaug  1890,  auf  Grund  der  Relationen 
des  Baron  Stephan  Andrässy  und  Ladislaus  Dobay.  —  Gömöry:  Die  Ein- 
nahme der  Festung  Gran  i.  J.  1595.  Mit  Benutzung  der  Schriften  des 
k.  u.  k.  Kriegsarchivs.  —  Karäcsonyi  theilt  Akten  mit  aus  dem  Processe 
gegen  Nelepeczy,  angestrengt  von  Nicolaus  Szekely  wegen  Ehrenbeleidigung 
auf  dem  Landtag  zu  Czisien.  —  Kozics:  Die  Festung  Raab  in  den  Jahren 
1594 — 1598.  —  Horväth:  Der  ungar.  Unabhängigkeitskampf  1848 — 49. 
Bubics :  Die  Theilnehmer  an  der  Revindikation  Ofens  1686.  —  Biblio- 
graphie und  anderes  wie  in  Jahrgang   1890  1)- 

Budapest.  Anton    Aid  äs  y. 


Jahresbericht  über  die  Herausgab  e  der  Monumenta 
Germaniae   historica. 

Die  20.  Plenarversammlung  der  Centraldirection  der  Monumenta  Ger- 
maniae historica  wurde  in  diesem  Jahre  in  den  Tagen  vom  5.  bis  7.  April 
in  Berlin  abgehalten.  An  der  Theilnahme  verhindert  waren  Prof.  Bresslau 
in  Strassburg,  Geh.  Hofrath  v.  Rockinger  in  München  und  Prof.  Scheffer- 
Boichorst  in  Berlin.  Anwesend  waren  Geheimerath  Brunner  und  Dümmler, 
Geheimerath  v.  Hegel  aus  Erlangen,  Prof.  Holder-Egger,  Hofrath  Maassen 
und  Prof.  Mühlbacher  aus  Wien,  Prof.  Mommsen,  Geh.  Oberregierungsrath 
v.  Sybel,  Geheimerath  Wattenbach    und    als    neues  Mitglied  Prof.  Weiland 


J)  Jahrgang  1892  theile  ich  im  nächstjährigen  Referat  mit. 


554  Literatur. 

aus  Göttingen.     Hofrath    v.    Sickel    in    Rom    ist    aus    der    Centraldirection 
ausgeschieden. 

Im  Laufe  des  Jahres   1893/94  erschienen 

in  der  Abtheilung  Auetores  antiquissimi :  Cassiodori  Senator is 
Variae  ed.  Mommsen.  Accedunt  L  Epistolae  Theodoriciauae  variae. 
TL  Acta  synodorum  habitarum  Eomae  499.  501.  502.  III.  Cassiodori 
orationum  reliquiae  ed.  Traube  (=A.  a.  XII); 

in  der  Abtheilung  Scriptores:  Lampe rti  Hersfeldensis  opera 
recogn.  Holder-Egger.     Acced.  Annal.  Weissenburg.  als  Handausgabe  in  8°; 

in  der  Abtheilung  Leges :  Capitularia  regum  Francorum  t.  II, 
2  ed.  Krause;  Constitutiones  et  acta  publica  imperatorum 
et  regum  ed.  Weiland  t.  I; 

in  der  Abtheilung  Diplomata:  Die  Urkunden  der  Deutschen 
Könige  und  Kaiser  II,  2.  Die  Urkunden  Otto  des  Dritten, 
herausg.  von  Sickel; 

in  der  Abtheilung  Epistolae:  Epistolae  t.  II,  1  Gregorii  I  Re- 
gistri  1.  VIII— IX  ed.  Lud.  Hartmann; 

von  dem  Neuen  Archiv  der  Gesellschaft  Band  XIX,  herausg.  von 
Bresslau. 

In  der  Sammlung  der  Auetores  antiquissimi  ist  durch  das 
Erscheinen  der  Variae  Cassiodors  (mit  dem  von  Traube  verfassten  index 
verborum)  eine  der  seit  langen  Jahren  am  schmerzlichsten  empfundenen 
Lücken  ausgefüllt  worden.  Der  2.  Band  der  kleinen  Chroniken,  bringt  in 
seiner  zweiten  Hälfte  die  schwierigen  Chroniken  Isidors  von  Sevilla,  der  dritte 
führt  uns  mit  Gildas,  Nennius  und  Beda  nach  Britannien  hinüber  und 
wird  voraussichtlich  diese  Eeihe  abschliessen. 

In  der  Abtheilung  Scriptores  hat  Archivar  Krusch  die  vormero- 
wingischen  Heiligenleben  und  Passionen  sowie  einen  Theil  der  merowin- 
gischen  insoweit  vorbereitet,  dass  der  Druck  des  ersten  dieser  beiden 
Bände  im  nächsten  Herbst  beginnen  kann. 

Für  den  3.  Band  der  Schriften  zum  Investiturstreit  sind 
einige  weitere  Vorarbeiten  ausgeführt  worden  und  namentlich  hat  Dr. 
Dieterich  für  zwei  Werke  des  sog.  Honorius  von  Autun  die  Hss.  von 
München,  Melk,  Kremsmünster  und  Lüttich  verglichen.  Der  30.  Folio- 
band,  von  Prof.  Holder-Egger  herausgegeben  und  Ergänzungen  für  das 
staufische  Zeitalter  enthaltend,  ist  jetzt  wieder  in  Fluss  gekommen  und 
wird  ausser  den  grossen  thüringischen  Chroniken  des  13.  Jahrh.  u.  a. 
auch  die  neu  entdeckte  Vita  Paulinae  Sigebotos  und  bisher  unbekannte 
Annalen  von  St.  Afra  und  Ulrich  in  Augsburg  bringen.  Daneben  sind 
die  Vorbereitungen  für  den  31.  im  Quartformat  zu  veröffentlichenden  Band 
italienischer  Chroniken  des  1  3.  Jahrh.  fortgesetzt  worden  und  Dr.  Simons- 
feld in  München  hat  dafür  die  Chroniken  von  Faenza  des  Tolosanus  und 
Petrus  Cantinelli  grossentheils  vollendet.  Von  den  Handausgaben 
werden  die  Annales  Einhardi  und  Laurissenses,  bearbeitet  von  Dr.  Kurze, 
im  nächsten  Winter  unter  die  Presse  kommen,  vollendet  ist  durch  Prof. 
Holder-Egger  die  neue  Sonderausgabe  von  Lamperti  Hersfeld,  opera,  die 
mit  den  Annalen  nicht  nur  die  V.  Lulli  und  die  Auszüge  aus  der  Hers- 
felder Klostergeschichte  sowie  die  verwandten  Weissenburger  Annalen  ver- 
bindet, sondern  auch  die  umfassendsten  Nachweisungen  über  den  Sprach- 


Berichte.  555 

gebrauch  Lamperts  bietet.  Für  eine  spätere  Handausgabe  der  Erfurter 
Annalen  und  des  sog.  Chronic.  Ottenburanum  wurde  ebenfalls  vorge- 
arbeitet. 

Für  den  I.  Band  der  Deutschen  Chroniken  ist  schon  längst 
eine  Ergänzung  im  Werke,  bestehend  aus  dem  Annoliede,  welches  Prof. 
Rödiger  herausgiebt,  und  der  Silvesterlegende,  die  Dr.  Kraus  in  Wien 
übernommen  hat.  Enikels  Fürstenbuch,  von  Prof.  Strauch  in  Halle  be- 
arbeitet, wird  im  Spätherbst  druckfertig  sein  und  mit  dem  Landbuch  und 
den  Registern  den  3.  Band  abschliessen.  Prof.  Seemüller  in  Innsbruck, 
der  verdiente  Herausgeber  Ottokars,  hat  seit  kurzem  sich  der  Aufgabe 
gewidmet,  einen  weiteren  Band  mit  österreichischen  und  bairischen  Chro- 
niken des  13.  und  14.  Jahrh.  herzustellen.  Als  Ergänzung  zu  den  Chro- 
niken, aber  als  selbständige  Sammlung,  wird  ferner  eine  Ausgabe  der 
politischen  Sprüche  und  Lieder  in  deutscher  Sprache  bis  1500  geplant, 
die  Prof.  Röthe  in  Göttingen  mit  Hülfe  des  Dr.  Heinr.  Meyer  zu  veran- 
stalten gedenkt. 

In  der  Abtheilung  der  Leges  ist  die  Handausgabe  der  leges  Visi- 
gothorum,  die  der  grösseren  zur  Grundlage  dienen  soll,  soeben  vollendet 
worden  und  für  diese  werden  sich  nun  weitere  handschriftliche  Studien, 
zumal  in  Paris,  anschliessen.  Von  dem  durch  Dr.  Krause  bearbeiteten 
2.  Bande  der  Capitularien  ist  das  2.  Heft  erschienen,  gedruckt  sind  auch 
bereits  die  Anhänge,  Walahfrids  Büchlein  de  exordiis  et  incrementis  rerum 
ecclesiasticarum  und  Hincmar  de  ordine  palatii,  doch  wird  das  Schlussheft 
(mit  Register  und  Einleitung)  vor  nächstem  Winter  nicht  zur  Vollendung 
kommen  können.  Hincmars  sehr  wichtige  Schrift  wird  auch  in  einer 
Sonderausgabe  erscheinen. 

Von  den  Reichsgesetzen  seit  dem  Ende  der  Karolinger  hat  Prof. 
Weiland  den  ersten  stattlichen  Band  veröffentlicht,  der  von  Konrad  I.  bis 
auf  Heinrich  VI.  (1197)  herabreicht.  Wie  der  Doppeltitel  desselben  an- 
deutet, ist  nach  dem  Vorbilde  von  Pertz  der  dürftige  Stoff  der  Gesetze 
vielfach  durch  andere  Aufzeichnungen  ergänzt  worden  und  haben  besonders 
auch  die  Synoden  eine  eingehendere  Berücksichtigung  erfahren.  An  dem 
2.  Bande  (bis  1273)  wird  bereits  eifrig  gedruckt  und  für  die  folgenden 
bis  zur  goldenen  Bulle  wird  durch  Dr.  Schwalm  vorgearbeitet.  Die  als 
Vorarbeit  für  eine  künftige  Ausgabe  bestimmten  Regesten  der  Gerichts- 
urkunden sind  durch  Dr.  Hübner  in  einem  2.  Hefte  zu  Ende  geführt. 

Von  den  Urkunden  des  sächsischen  Kaiserhauses  ist  endlich  die 
lange  ersehnte  zweite  Abtheilung  des  zweiten  Bandes,  die  Urkunden  Ottos  III. 
nebst  beachtenswerthen  Nachträgen  für  seine  beiden  Vorgänger  und  den 
Registern,  ausgegeben  worden.  Hofrath  von  Sickel,  durch  seine  Ueber- 
siedelung  nach  Rom  in  dieser  Arbeit,  bei  welcher  ihm  die  Herren  Erben 
und  Tangl  Hülfe  leisteten,  vielfach  gehemmt,  hat  damit  seiner  langjähri- 
gen Thätigkeit  für  die  Monumenta  Germainiae  einen  rühmlichen  Abschluss 
gegeben  und  für  eine  ihrer  wichtigsten  Abtheilungen  festen  Grund  gelegt. 
Sein  unmittelbarer  Fortsetzer  Prof.  Bresslau,  unterstützt  durch  Dr.  Bloch, 
beabsicht  im  nächsten  Herbst  mit  dem  Drucke  der  Urkunden  Heinrichs  II. 
(und  Arduins)  sich  anzuschliessen. 

Nicht  minder  emsig  ist  an  der  erst  später  in  Angriff  genommenen 
Abtheilung  der  Karolingerurkunden  fortgearbeitet  worden.     Während  Prof. 


556  Literatur. 

Mühlbacher  in  Wien  mit  dem  Beistande  von  Dr.  Tangl  das  deutsche  Ma- 
terial, welches  ihm  zu  einem  sehr  grossen  Theile  zugesandt  wurde,  für 
die  Ausgabe  durcharbeitete  und  überdies  die  Regesten  der  italienischen 
Karolinger  vorbereitete,  befand  sich  sein  Mitarbeiter  Dr  Dopsch  seit  An- 
fang December  in  Frankreich,  wo  er  bei  systematischer  Dui^chmusterung 
der  grossen  handschriftlichen  Urkundensammlungen  des  16.  bis  18.  Jahr- 
hunderts auf  der  Nationalbibliothek  schon  eine  Reihe  glücklicher  Funde 
gemacht  hat.  Ausserdem  ist  von  ihm  in  Nancy  die  Sammlung  Duchesne 
benützt  worden.  Die  Fortsetzung  der  Arbeiten  in  Paris,  sowie  der  Besuch 
der  Archive  der  Departements  wird  sicher  noch  Monate  erfordern.  Die 
Frage,  ob  und  inwieweit  die  Urkunden  der  westfränkischen  Karolinger 
von  840  an  einbegriffen  werden  sollen,  darf  in  Erwartung  der  in  Frank- 
reich geplanten  Ausgabe  derselben  vorläufig  unentschieden  bleiben. 

In  der  Abtheilung  Epistolae  führte  Dr.  Hartmann  den  Druck  des 
Registrum  Gregorii  weiter,  so  dass  das  achte  und  neunte  Buch  als  erstes 
Heft  des  zweiten  Bandes  ausgegeben  werden  konnte.  Inzwischen  hat  auch 
der  Druck  des  vierten  Bandes  der  Epistolae  angefangen,  welcher  der  Zeit 
Karls  d.  G.  gewidmet  ist  und  zu  zwei  Dritteln  durch  Alchvin  ausgefüllt 
wird.  Er  wird  sicher  1895  erscheinen.  Der  sehr  inhaltreiche  dritte  und 
letzte  Band  der  Regesta  pontificum  saec.  XIII  ist  im  Texte  fertig  gedruckt. 
Die  dazu  gehörigen  Register  werden  dem  neuen  Mitarbeiter  Dr.  Hampe 
verdankt. 

In  der  Abtheilung  Antiquitates  hat  Prof.  Herzberg-Fränkel,  durch 
seine  Berufung  nach  Czernowitz  längere  Zeit  in  der  Arbeit  gestört,  nun- 
mehr wieder  Hand  an  das  Register  des  zweiten  Bandes  der  Necrologia 
Germaniae  gelegt  und  für  das  Ende  des  Jahres  den  Wiederbeginn  des 
Druckes  verheissen.  Von  dem  dritten  Bande  der  Poetae  Carolini  wird 
durch  Hern  Dr.  Traube,  mit  Beihülfe  des  Dr.  Neff  in  München,  ein  letztes 
Heft  vorbereitet,  für  welches  Johannes  Scotus  und  Milo  von  St.  Amand 
bestimmt  sind  nebst  Nachträgen  und  Register.  Ein  vierter  Band  soll 
endlich  den  Stoff  der  karolingischen  Zeit  erschöpfen. 


Bericht  über  die  wissenschaftlichen  Unternehmungen 
der   Gesellschaft  für   rheinische   Geschichtskunde. 
Seit  der   12.  Jahresversammlung  gelangten  zur  Ausgabe: 

1.  Kölnische  Künstler  in  alter  und  neuer  Zeit.  Johann 
Jacob  Merlos  neu  bearbeitete  und  erweiterte  Nachrichten  von  dem  Leben 
und  den  Werken  Kölnischer  Künstler  hg.  von  Dr.  Eduard  Firmenich- 
Richartz  unter  Mitwirkung  von  Dr.  Hermann  Keussen.  Mit  zahlreichen 
bildlichen  Beilagen.     Düsseldorf  1893.     Zweite  bis  sechste  Lieferung. 

2.  Akten  zur  Geschichte  der  Verfassung  und  Verwal- 
tung der  Stadt  Köln  im  14.  und  15.  Jahrhundert,  bearb.  von 
Walther  Stein.      1.  Band.  Bonn   1893. 

Von  den  Kölner  Schreinskarten  befindet  sich  der  Schluss  des 
2.  Bandes  unter  der  Presse.  Die  ersten  1 0  Bogen  umfassen  die  Bürgeiv 
Verzeichnisse  und  die  Gildeliste.  Dr.  Hoeniger  hofft  in  diesem  Jahre  die 
Publikation  abschliessen. 


Berichte.  557 

Die  Arbeiten  am  1 .  Bande  der  Eb.einiscb.en  Weistümer  mussten 
ruhen,  da  Geb.  Justizrat  Professer  Dr.  Loersch  zur  Kräftigung  seiner  Ge- 
sundheit seit  Herbst  in  Italien  weilt  und  eine  Hilfskraft  nicht  zur  Ver- 
fügung stand. 

Von  den  Aachener  Stadt rechnungen  sind  die  ältesten  Stücke 
des  14.  Jahrh.  im  Text  festgestellt  worden.  Ausserdem  wurden  einige  neu 
aufgefundene  Rechnungen  des  14.  und  15.  Jahrh.  von  Stadtarchivar  Pick 
abgeschrieben. 

Die  Herausgabe  der  Rheinischen  Urbare  erfolgt  jetzt  unter  Lei- 
tung von  Prof.  Dr.  Lamprecht  in  Leipzig  in  der  Weise,  dass  der  Niederrhein 
an  vier  Stellen  von  verschiedenen  aber  nach  gemeinsamer,  gleichmässig 
festgestellter  Methode  arbeitenden  jungen  Gelehrten  in  Angriff  genommen 
ist.  Die  Urbare  der  stadtkölnischen  Grundherrschaften  werden  von  Dr. 
Hillinger  in  Leipzig,  der  stadtaachener  Grundherrschaften  von  Kelleter  in 
Köln,  der  grossen  ländlichen  Grundherrschaften  von  Dr.  Helmolt  in  Leipzig, 
der  kleinen  ländlichen  Grundherrschaften  von  Dr.  Bahrdt  in  Göttingen 
bearbeitet.  Leider  wird  Dr.  Helmolt  zu  Ostern  aus  dem  Unternehmen 
scheiden;  an  seine  Stelle  tritt  Dr.  Kötzschke  I,  bisher  Gymnasiallehrer  in 
Dresden. 

Ueber  die  Jülich-Bergischen  Landtagsakten  berichtet  Geh. 
Rath  Prof.  Dr.  Ritter  in  Bonn.  Der  Druck  des  1.  Bandes  hat  begonnen  und 
soll  im  laufenden  Jabre  zu  Ende  geführt  werden.  Die  Einleitung,  welche 
die  landständische  Verfassung  in  ihrer  älteren  Gestalt  darlegt  und  die 
zugleich  eine  Geschichte  der  Landtage  vom  Beginn  des  15.  Jahrhunderts 
bis  1537  enthält,  liegt  vor.  Die  Ausgabe  der  Akten,  beginnend  mit 
Dezember  15:37,  schliesst  sich  an.  Die  Bearbeitung  der  Jülich-Bergischen 
Landtagsakten  II.  Reihe  hat  Dr.  Küch  in  Düsseldorf  unter  Leitung  von 
Geh.  Archivrat  Dr.  Harless  übernommen. 

Von  dem  IL  Bande  der  älteren  Matrikeln  der  Universität  Köln 
liegt  die  Namenliste  bis  1510  in  Abschrift  vor.  Da  seit  den  20er  Jahren 
des  16.  Jhdts.  eine  starke  Abnahme  des  Besuchs  stattgefunden  hat,  so  ist 
zu  erwarten,  dass  die  Abschrift  der  Matrikel  bis  1559  und  das  Haupt- 
register bis  zum  nächsten  Jahre  fertig  gestellt  werden  kann;  dagegen 
dürfte  die  Erläuterung  noch  geraume  Zeit  beanspruchen.  Aus  den  arti- 
stischen Dekanatsbüchern  und  mehreren  bisher  unbekannten  Rotuli  der 
Universität  sind  nachträglich  wichtige  Ergänzungen  zu  dem  1.  Bande  ge- 
wonnen worden. 

Für  die  erste  Abtheilung  der  von  Prof.  Menzel  bearbeiteten  erzbischöf- 
lich-kölnischen Regesten  bis  zum  Jabre  1099  ist  die  Sammlung 
der  Urkunden,  sowie  der  in  diese  Zeit  fallenden  Briefe,  abgeschlossen.  Eine 
reiche  Ausbeute  an  Briefen  ergab  ein  Codex  der  Trierer  Stadtbibliothek, 
den  schon  Heinr.  Jos.  Floss  (Die  Papstwahlen  unter  den  Ottonen)  benutzt 
hatte.  Die  Arbeit  wird  in  diesem  Jabre  ihrer  Vollendung  entgegengehen. 
Für  die  zweite  Abiheilung  (1099 — 1304)  war  Dr.  Rieh.  Knipping  haupt- 
sächlich damit  beschäftigt,  das  reichhaltige  und  weit  zerstreute  chronikalische 
Material  zusammen  zu  tragen.  Daneben  wurde  mit  der  Durchsicht  der 
Urkundenlitteratur  und  der  Bearbeitung  des  schon  vorliegenden  Stoffes 
fortgefahren.  Bisher  unbekannte  Urkunden  konnten  noch  dem  historischen 
Aiohiv  der  Stadt  Köln,  so  wie  dem  Kirchenarchiv  von  St.  Peter  in  Köln, 


558  Berichte. 

dem  Klosterarchive  von  Grafenthal  und  den  Stadtarchiven  von  Ahrweiler, 
Duisburg,  Goch,  Kempen  und  Kaikar  entnommen  werden.  Für  die  dritte 
Abtheilung  (1304 — 1414)  war  Dr.  Moriz  Müller  thätig.  Bis  jetzt  sind 
mehr  als  3000  Nummern  zusammengebracht  und  im  Hauptrepertorium 
eingereiht.  Voraussichtlich  wird  auch  die  vierte  Abtheilung  (1414  bis 
1508)  in  diesem  Jahre  durch  einen  weiteren  Hilfsarbeiter  in  Angriff  ge- 
nommen werden. 

Von  den  älteren  rheinischen  Urkunden  wurden  im  Jahre  1893 
die  Urkunden  des  Klosters  Werden  a.  d.  Ruhr  und  des  Marienstiftes  in  Aachen 
durch  Prof.  Menzel  bearbeitet  und  mit  der  Bearbeitung  der  Urkunden  von 
St.  Maximin,  Echternach,  Stablo,  Prüm  und  des  Erzstiftes  Trier  wurde 
fortgefahren.  Wenn  noch  etwa  60  Urkunden  an  zerstreuten  Orten  ver- 
glichen sind,  ist  die  ganze  Sammlung,  die  sich  über  die  Zeit  von  314 — 1000 
erstreckt,  abgeschlossen.  Spätestens  zu  Anfang  des  nächsten  Jahres  wird 
der  Druck  beginnen  können. 

Die  Stockung  in  der  Ausgabe  der  Zunfturkunden  der  Stadt  Köln 
konnte  aus  dem  in  den  früheren  Berichten  erwähnten  Grunde  nicht  be- 
seitigt werden. 

Das  Merlo'sche  Werk  »Kölnische  Künstler  in  alter  und  neuer  Zeit« 
ist  bis  zum  Artikel  Kellerhoven  erschienen:  der  Druck  reicht  bis  zum 
Buchstaben  M.  Dr.  Lehrs  in  Dresden  hat  den  Schluss-Abschnitt  über  die 
ungenannten  Monogrammisten  eingesandt,  womit  das  ganze  Manuskript 
druckfertig  geworden  ist. 

Den  Beginn  des  Druckes  des  IL  Bandes  der  Akten  zur  Geschichte 
der  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt  Köln  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert hat  Dr.  Walther  Stein  in  Giessen  für  Pfingsten  zugesagt. 

Die  Arbeiten  für  den  Geschichtlichen  Atlas  der  Rheinpro- 
vinz sind  von  Dr.  Wilh.  Fabricius  in  Darmstadt  eifrig  gefördert  worden.  Die 
politische  und  administrative  Eintheilung  der  Rheinlande  im  Jahre  1789  liegt 
in  7  Blättern  theils  im  Reindruck,  theils  in  der  Zeichnung  vor.  Herr 
Schulteis  ist  durch  die  Rücksicht  auf  seine  Gesundheit  veranlasst,  vor- 
läufig die  Arbeiten  an  der  Karte  für  das  Jahr   1818  zurückzustellen. 

Bei  den  Vorarbeiten  für  die  von  Geh.  Rath  Ritter  geleitete  Ausgabe  der 
Akten  der  Jülich-Clevischen  Politik  Kurbrandenburgs  (1610 
bis  1640)  wurde  zunächst  der  Zeitraum  vom  Fall  der  Festung  Jülich  bis  zum 
Xantener  Vertrag  (1610  Sept.  bis  1614  Nov.),  als  der  grundlegende  vor- 
zugsweise ins  Auge  gefasst.  Der  Leiter  des  Unternehmens  suchte  in  Berlin, 
Dresden  und  Düsseldorf  eine  Uebersicht  über  die  in  den  dortigen  Staats- 
archiven enthaltenen  Akten  zu  gewinnen.  An  der  Hand  der  von  ihm 
angelegeten  Verzeichnisse  hat  dann  Dr.  Löwe  die  Arbeit  des  Excerpierens 
und  Abschreibens  begonnen. 

Ueber  die  Quellen  zua-  ältesten  Geschichte  des  Jesuiten- 
ordens in  den  Rheinlanden  (1543 — 1582)  berichtet  Stadtarchivar  Dr. 
Hansen:  Im  Laufe  des  Jahres  1893  wurden  die  Berichte  der  Kölnischen 
Jesuitenniederlassung  bis  zum  Jahre  1582,  soweit  ihr  Inhalt  historisch  werth- 
voll  ist,  für  die  Publikation  vorbereitet.  Ebenso  wurden  die  Korrespondenzen 
von  P.  Leonhard  Kessel  und  P.  Johannes  Rhetius  (1543 — 1570)  bearbeitet. 
Das  Kölner  Material,  wurde  durch  Nachforschungen  zu  Trier,  Coblenz,  sowie 
in  der  Kempisschen  Bibliothek  zu  Kendenich    ergänzt;    die    heute    in  der 


Berichte.  559 

Mainzer  Stadtbibliothek  aufbewahrten  Akten  des  Jesuitenkollegiums  zu 
Mainz,  wo  früher  das  Archiv  der  rheinischen  Jesuitenprovinz  ruhte, 
ergaben  keine  Beiträge  für  die  Zeit  bis  1582.  Die  Veröffentlichung  des 
Materials  dürfte  im  nächsten  Jahr  erfolgen. 

Zwei  neue  Veröffentlichungen  sind  von  der  Gesellschaft  in  Aussicht 
genommen  worden:  Ein  Katalog  der  im  Rheinlande  entstandenen  Inkuna- 
beln wird  von  Bibliotheks-Assistenten  Dr.  E.  Voullieme  in  Bonn  bear- 
beitet. Da  der  Schwerpunkt  der  Arbeit  in  der  Vollständigkeit  der  Biblio- 
graphie liegt  und  andererseits  diese  selbst  das  Hauptmaterial  für  die  Dar- 
stellung der  Entwicklung  des  Kölner  Buchdrucks  liefern  wird,  so  hat 
Dr.  Voullieme  damit  begonnen  ein  sämmtliche  bisher  bekannten  Drucke 
enthaltendes  Repertorium  zusammenzustellen.  300  Nummern,  der  Kölner 
Stadtbibliothek  und  der  Berliner  Kgl.  Bibliothek  angehörig,  sind  bisher 
völlig  bearbeitet  worden.  Schliesslich  hat  der  Vorstand  den  Plan  einer 
von  Prof.  Dr.  Gothein  beabsichtigten  Herausgabe  von  Urkunden  und  Akten 
zur  Geschichte  des  Handels  und  der  Industrie  in  Rheinland  und  Westfalen 
gutgeheissen. 


Bericht  der  Kommission  für  die  Denkmälerstatistik 
der  Rheinprovinz. 

Seit  der  vorigjährigen  Hauptversammlung  wurde  zunächst  das  dritte, 
Stadt  und  Kreis  Essen  behandelnde  Heft  des  2.  Bandes  veröffentlicht. 
Ihm  sind  die  Sachregister  und  Künstlerverzeichnisse  für  den  2.  Band, 
beigegeben  worden.  Soeben  erschien  das  erste  Heft  des  3.  Bandes,  welches 
der  Stadt  und  dem  Kreise  Düsseldorf  gewidmet  ist.  Die  weiteren  Hefte 
dieses  Bandes  (Remscheid,  Barmen,  Elberfeld,  Lennep,  Mettmann  und  So- 
lingen) werden  jedenfalls  noch  in  diesem  Jahre  erscheinen. 

Die  Aufnahmen  in  den  für  den  4.  Band  bestimmten  Kreisen  Krefeld, 
Gladbach,  Neuss  und  Grevenbroich  wurden  fertiggestellt;  auch  die  Berei- 
sung dieser  Kreise  hat  stattgefunden  und  Dr.  Paul  Clemen  ist  mit  der 
Ausarbeitung  des  Textes  beschäftigt.  Die  Aufnahmen  in  dem  5.  Band 
überwiesenen  Kreisen  Bergheim,  Euskirchen,  Rheinbach,  Bonn  und  Köln- 
Land  sind  zum  Theil  bereits  fertig  gestellt  worden.  Die  Bereisung  wird 
im  Laufe  dieses  Jahres  beginnen.  Auch  im  Siegkreise,  wie  in  den  Kreisen 
Mülheim  am  Rhein,  Wipperfürth,  Gummersbach  und  Waldbroel,  die  im 
G.  Band  zur  Bearbeitung  gelangen,  wurden  Aufnahmen  gemacht. 

Ueber  die  Preisfragen  der  Mevissen-Stiftung  vgl.  Mitth. 
des  Instituts   14,  532. 


Historische  Landes- Commission  für  Steiermark. 
II.  Bericht.     März  1893  —  Februar  1894. 

Die  Vollversammlung  vom  13.  Mai  1893  hat  in  Folge  der  Unter- 
stützung von  Seite  des  steiermärkischen  Hochadels  den  Beschluss  geiasst, 
die  Erforschung  und  Darstellung  der  Familiengeschichte  des  steiermärkischen 
Hochadels  in  Angriff  zu  nehmen.     Es  können  hiebei  Biographien  von  her- 


560  Berichte. 

vorragenden  Männern  aus  der  allgemeinen  genealogischen  Darstellung  der 
betreffenden  Familie  ausgeschieden  und  in  den  »Forschungen  zur  Ge- 
schichte der  Verfassung  und  Verwaltung  der  Steiermark« 
als  selbständige  Werke  behandelt  werden.  Auf  Grund  dieses  Beschlusses 
wird  der  Secretär  Prof.  v.  Zwiedineck  die  Biographie  des  Staatsmannes 
und  Gelehrten  Johann  Wilhelm  Eeichsgrafen  von  Wurmbrand  in  An- 
griff nehmen  und  eine  »Geschichte  des  Wappens  der  Steiermark« 
von  A.  R.  Anthony  v.  Siegenfeld  in  die  »Forschungen«  aufge- 
nommen. 

Der  ständige  Ausschuss  genehmigte  das  Programm  von  Dr.  Peisker 
für  die  Erforschung  der  steiermärkischen  Siedelungs-  und  Agr ar ge- 
schieh te,  dessen  Bericht  über  die  bisherigen  Ergebnisse  im  Anhang  mit- 
getheilt  wird,  wie  auch  eine  Zusammenstellung  der  Quellen  zur  Geschichte 
der  grundherrlichen  Verwaltung  und  der  Unterthanen- 
Verhältnisse  in  Steiermark,  welche  Dr.  A.  Meli  in  Angriff  nahm. 

Archivs-Adjunkt  Th.  Unger  legte  einen  ausführlichen  Plan  für  eine 
Bearbeitung  der  Münzen  der  münzberechtigten  Familien  und 
aller  andern  Gepräge  an  Medaillen,  Jetonen  u.  s.  w.  vor. 

Weiter  wurde  beantragt  eine  dritte  Reihe  von  Publicationen  unter 
dem  Titel  »Vorarbeiten  zur  steiermärkischen  Verfassungs-  und  Verwaltungs- 
geschichte« zu  veranstalten,  worüber  in  der  nächsten  Vollversammlung  Be- 
schluss  gefasst  werden  wird. 

Zur  Förderung  der  Arbeiten  der  Commission  wurden  folgende  Reisen 
unternommen,  über  die  der  Bericht  nähere  Mittheilung  bringt :  v.  Zahn 
untersuchte  in  Agram  die  Handschriftensammlung  der  südslavischen  Aka- 
demie, die  Bibliothek  des  Domcapitels,  das  erzbischöfliche  Archiv  und  das 
Landesarchiv,  sodann  das  gräfl.  Breuner  sehe  Archiv  in  Grafenegg 
bei  Krems;  v.  Krone s  für  die  Geschichte  der  steirischen  Landtage  im 
Mittelalter  das  Staatsarchiv,  sowie  die  Hofbibliothek  in  Wien.  v.  Lu- 
schin veranlasste  nach  gleicher  Richtung  Arbeiten  in  Görz  und  Lai- 
bach; v.  Zwiedineck  arbeitete  im  Landesai-chiv  in  Klagen  fürt  und 
im  Wurmbr an d 'sehen  Archiv  in  Steve rsberg  und  übernahm  die 
Ordnung  des  gräfl.  Lamberg'schen  Archivs  in  Feistritz. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrer- 
Staaten,  vornehmlich  für  die  Geschichte  Kaiser 

Friedrichs  IL1) 


Von 

Paul  Richter. 


IL  Die  Estoire  d'Eracles. 

Als  Estoire  d'Eracles  bezeichnen  wir  mit  zusammenfassendem, 
etwas  wunderlichem  Ausdruck  die  französischen  Fortsetzungen  der  la- 
teinischen, bis  zum  Jahre  1184  reichenden  Chronik  des  Wilhelm  von 
Tyrus 2).  Gross  ist  die  Zahl  ihrer  Handschriften ,  deren  De  Mas  La- 
trie  1840  bereits  40 3),  1871  mehr  als  50,  Graf  Kiant  aber  1881 
schon  73  kannte 4).  Der  letztere  macht  ausserdem  3  lateinische, 
3  spanische,  2  englische  und  je  eine  italienische  und  englische  Ueber- 
setzung  namhaft.  Dieser  vielfachen  Ueberlieferung  entspricht  ihre 
mannigfaltige  Gestaltung.  Unsere  Aufgabe  erfordert  zunächst  hierüber 
eine  allgemeine  Aufklärung. 

1.  Die  Texte  der  Estoire  tTEracles. 

Der  erste  Fortsetzer  des  Wilhelm  von  Tyrus  schrieb  —  und  dies 
ist  zunächst  wichtig    —    nicht   in  der  Absicht,    seine  Arbeit   mit    der 


1)  Vgl.  Mittheil.  d.  Inst.  f.  österr.  Gesch.  XIII,  p.  255  ff. 

2)  Ueber  die  Vorgeschichte  dieser  Quellen,  ihre  ersten  Publikationen  u.  s.  f. 
Vgl.  De  Mas  Latrie,  Chronique  d' Ernoul  et  de  Bernard  le  Tresorie1,  Paris  1861 
[cit.  D.  M.  L.  Chronique],  p.  I,  XVI,  und  L.  Streit,  De  rerum  transmarinarum 
qui  Guil.  Tyrius  excepisse  fertur  Gallico  auctore  Specimen;  Greifswald  1861 
[cit.  Streit],  7  f;  über  die  verschiedenen  Namen,  besonders  deren  Verwendung 
seitens  der  alten  Autoren,  vgl.  Streit,  2  f.,  auch  D.  M.  L.  Chronique  478,  Anm. 
und  553. 

3)  D.  M.  L.  Chronique  XVII. 

4)  Arch.  de  1' Or.  lat.  1  (Paris  1881),  247  f. 

Mitteilungen  XV.  36 


562  Richter. 

seines  Vorgängers  unmittelbar  zu  verbinden,  vielmehr  begann  er  mit 
einer  neuen  Darstellung  der  von  jenem  am  Sehluss  schon  erzählten 
Dinge,  die  der  älteren  Darstellung  in  mancherlei  Einzelheiten  wider- 
sprach. Erst  ein  späterer  Kornpilator  verband  die  französische  Ueber- 
setzung  des  Wilhelm  von  Tyrus  mit  der  französischen  Fortsetzung: 
vielfach  wurde  dieser  auch  nur  ein  Auszug  aus  der  alten  Chronik  oder 
o-ar  nur  ein  kurzer  Prolog  vorausgeschickt 1).  Das  letztere  geschah 
aber  bezeichnender  Weise  nur  in  solchen  Handschriften,  die  blos  diesen 
ersten  Theil  der  französischen  Fortsetzungen  enthalten. 

Alle  diese  Handschriften  mit  der  ersten  Fortsetzung  allein  bilden 
eine  grosse  Klasse,  welche  in  der  akademischen  Ausgabe  der  Estoire 
d'Eracles  durch  Hs.  C  vertreten  wird.  Neben  derselben  stehen  als 
Kepräsentanten  einer  zweiten  Klasse  2  Hss.,  die  der  Uebersetzung  der 
lateinischen  Chronik  jenen  ersten  Theil  der  Fortsetzungen  und  diesem 
noch  weitere  Fortsetzungen  folgen  lassen  und  bis  zum  Jahre  1248  in 
ihrem  Texte  völlig  übereinstimmen ;  ihre  spätere  Beschaffenheit  ist  für 
uns  ohne  Interesse.  Es  sind  die  Handschriften  Eracles-Fontainebleau, 
Hs.  A  und  Eracles-Colbert 2),  Hs.  B. 

Sie  bieten  für  den  ersten  Theil  der  Fortsetzungen,  also  für  den 
Inhalt  der  Handschriftenklasse  C,  einen  sehr  viel  ausführlicheren  Text, 
als  eben  die  dieser  Klasse  angehörenden  sehr  zahlreichen  Handschriften. 
Aber  nur  für  gewisse  Theile.  Für  andere,  mehr  oder  weniger  ausge- 
dehnte Partieen  stimmen  die  Texte  der  beiden  Handschriftenklassen 
vollkommen  überein.  Für  die  Theile,  in  denen  es  nicht  der  Fall  ist, 
und  die  Klasse  C  sich  durch  einen  kürzeren  Text  —  deutlicher  ge- 
sagt durch  kürzere  Texttheile  —  von  den  Hss.  A  und  B  unterscheidet, 
bestehen  auch  innerhalb  der  Klasse  C  Unterschiede.  Denn  der  „kurze 
Text"  erscheint,  je  nach  den  Handschriften,  in  drei  verschiedenen 
Formen;  zumeist  zwar  an  denselben  Stellen  der  Erzählung,  aber  na- 
mentlich Hs.  D  der  akademischen  Ausgabe  bietet  unabhängig  für  sich 
noch  für  andere,  zahlreichere  Theile  kurze  Texte. 

Zwischen  diesen  beiden  Handschriftenklassen  steht  eine  Gruppe  von 
Handschriften,  die  sowohl  der  einen  wie  der  anderen  Klasse  zugezählt  wer- 
den kann.  Sie  bietet  für  den  ersten  Theil  der  Fortsetzungen  kurze  Texte, 
entsprechend  dem  allgemeinen  Charakter  der  Klasse  C,  lässt  aber  ausser- 
dem auch  die  späteren  Fortsetzungen  wie  die  Hss.  A  und  B  folgen.  Die 


i)  Streit,  75,  76;  D.  M.  L.  Chronique,  493. 

2)  D.  M.  L.  Chronique,  484:  Venant  du  chäteau  de  Fontainebleau,  aujourd' 
hui  2634  Bibliotheque  nationale;  486:  X  8314—3,  Fonds  francais  (Colbert  272), 
aujourd'hui  2628. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  563 

schon  genannte  Hs.  D  und  Hs.  G,  von  dem  ehemaligen  Besitzer  Ga- 
ston de  Noailles  als  Eracles-Noailles  bezeichnet,  sind  die  Repräsen- 
tanten dieser  Zwittergruppe.  Sie  stimmen  demgemäss  unter  einander 
und  mit  Hs.  C  überein  für  den  ersten  Theil  der  Fortsetzungen,  für 
welchen  sie  sich  doch  zugleich  wieder  durch  die  besonderen  Fassungen 
der  kurzen  Texte  von  einander  unterscheiden;  sie  stimmen  aber  auch 
völlig  mit  Hs.  A  und  Hs.  B  überein  für  die  folgenden  Theile  bis  1248. 

Die  Handschriftenklasse  C  schliesst  mit  den  Ereignissen  des  Jahres 
1231:  den  neuen  Feindseligkeiten  der  Sarazenen,  welche  die  zweite 
Expedition  Friedrichs  II.  nach  dem  heil.  Lande  mit  veranlassten,  und 
der  Erhebung  des  Exkönigs  Johann  von  Jerusalem  zum  Kaiser  in 
Konstantinopel x).  In  den  Handschriften  D  und  G,  welche  die  chro- 
nikalische Erzählung  über  1231  hinaus  fortführen,  wiederholt  sich 
diese  Berichterstattung  bei  Beginn  der  Fortsetzung,  jedoch  werden  die 
Begebenheiten  in  umgekehrter  Folge  erzählt,  so  dass  die  syrischen 
Verhältnisse  auf  die  konstantinopolitanischen  Ereignisse  folgen.  Das 
Verhältnis  der  Wilhelm'schen  Originalchronik  zu  deren  erster  Fort- 
setzung wiederholt  sich  hier,  dass  nämlich  Schluss  des  Alten  und  An- 
fang des  Neuen  nicht  zusammenstimmen.  Hier  ist  aber  das  Missver- 
hältniss  viel  auffälliger,  weil  in  der  angeschlossenen  Erzählung  ein 
Stoff,  die  cyprische  Geschichte,  ausführlich  dargelegt  wird,  für  welchen 
in  dem  voraufgehenden,  die  kurzen  Texte  aufweisenden  Theile  jede 
Voraussetzung  und  jeder  Vorbericht  fehlt.  In  Eracles-Fontainebleau 
(Hs.  A)  und  Eracles-Colbert  (Hs.  B)  dagegen,  welche  für  die  Erzäh- 
lung bis  1231  den  ausführlichen  Text  bieten,  herrscht  die  beste  Zu- 
sammenstimmung und  Eiuheitlichkeit;  es  fehlen  die  Wiederholungen 
in  der  Darstellung,  und  die  Behandlung  der  cyprischen  Geschichte  er- 
weist sich  als  einfache  Fortsetzung  früherer  Erzählung. 

Das  Missverhältniss  in  der  Gruppe  Eracles-Noailles  (Hs.  G  und 
Hs.  D)  findet  seine  völlig  ausreichende  Erklärung.  Es  waren  Hand- 
schriften der  Klasse  C,  bis  zum  Jahre  1231  reichend,  und  solche  der 
Klasse  A  und  B,  über  1231  hinausgehend  und  bis  1231  mit  theil- 
weise  ausführlicherer  Erzählung,  im  Morgenlande  verbreitet.  Irgend 
jemand  versuchte  eine  Handschrift  der  Klasse  C  mit  Hülfe  der  letzt- 
genannten Chronik  in  A  bez.  B  weiter  zu  führen  2)  und  benahm  sich 


l)  Vgl.  Wilken ,  Gesch.  der  Kreuzzüge  VI,  520 ;  Kugler,  Kreuzzüge,  295 
und  dazu  Schaube,  Eine  bisher  unbekannte  Regentin  des  latein.  Kaiserreichs  in 
Mittheil.  d.  Inst.  f.  österr.  Gesch.  F.  8,  593. 

-)  Im  Abendlande  diente  zur  Fortsetzung  eine  nur  hier  bekannte,  kompi- 
lierte Chronik,  die  sog.  Roetelana,  die  von  1231  —  1261  reicht;  vgl.  Recueil  des 
hist.  des  crois.  Aut,  occ.  t.  2,  Pref.  VI,  X,  u.  Streit,  27  f. 

36* 


5ß4  Richter. 

dabei  so  ungeschickt  wie  möglich.  Es  entging  ihm  nicht ,  dass  das 
12.  Kapitel  im  33.  Buch  der  grösseren  Chrouik  dem  Inhalt  nach  in 
dem  zu  verlängernden  Text  noch  enthalten  war,  das  13.  Kapitel  da- 
gegen neue  Thatsachen  bot,  er  kümmerte  sieb  aber  nicht  darum,  dass 
auch  der  Inhalt  der  Kapitel  14 — 19  in  seiner  Handschrift  schon  ver- 
treten war  und  fühlte  sich  dazu  um  so  weniger  veranlasst,  als  gerade 
das  13.  Kapitel  einleitete:  En  ce  point  que  li  empereres  se  fu  partis 
de  la  terre  de  Surie  et  de  Chypre  .  .  . ,  also  für  die  Anfügung  treff- 
lich geeignet  schien.  So  kamen  denn  in  der  Handschrift  die  kon- 
stantinopolitanischen  und  syrischen  Ereignisse  nochmals  und  ausführ- 
licher zur  Darstellung  und  fand  die  Erzählung  cyprischer  Geschichte 
plötzlich  ihren  Platz,  ohne  vorher  irgend  berücksichtigt  gewesen  zu 
sein. 

Eine  derartig  compilirte  Handschrift  —  Eracles-iN  oailles,  Hs.  G  — 
musste  zum  Unglück  die  erste  sein,  welche  als  Fortsetzung  des  Wil- 
helm von  Tyrus  aufgefunden  und  von  Martene  1729  x)  zum  ersten, 
dann  1824  von  Guizot2)  zum  zweiten  Male  publicirt  wurde.  Guizots 
für  diesen  Text  vollkommen  zutreffende  Bemerkung,  dass  der  Theil 
von  1230—1275  nicht  von  derselben  Hand  wie  der  frühere  herrühre, 
und  dieser  letztere  wiederum  eine  Fortsetzung  erfahren  habe  3),  wurde 
für  allgemein  gültig  gehalteu  und  auch  auf  die  anderen,  später  ent- 
deckten Codices  als  ein  selbverständlicher  Satz  angewandt. 

Obgleich  die  Bearbeiter  der  akademischen  Ausgabe  der  Estoire 
d'Eracles4)  bis  1248  den  Text  von  Eracles-Colbert,  Hs.  B,  zu  Grunde 
legten  und  unter  demselben,  als  Haupttext,  die  kurzen  Fassungen  der 
Hss.  C,  D  und  G  (Eracles-Noailles)  bis  1231,  als  Nebentexte  abdruckten, 
haben  sie  sich  von  jener  irrthümlichen  Auffassung  nicht  frei  machen 
können,  und  indem  sie  die  erste  Fortsetzung  des  "Wilhelm  von  Tyrus 
eben  mit  dem  12.  Kapitel  des  33.  Buches,  zeitlich  mit  der  Abreise 
Kaiser  Friedrichs  aus  dem  Orient,  begrenzten,  haben  sie  ganz  dasselbe 
unkritische  Verfahren  wie  der  mittelalterliche  Compilator  der  ersten 
Handschrift  der  Gruppe  Eracles-Noailles  beobachtet.  Weil  dieser  an 
einer  anscheinend  trefflichen  Stelle,  bei  dem  13.  Kapitel,  mit  dem  Ab- 
schreiben seiner  Vorlage  begann  und  urtheilslos  ein  zusammenhän- 
gendes Ganzes  auseinander  riss,  glaubten  die  modernen  Gelehrten  an 
derselben  Stelle  den  Anfang  eines  neuen  Werkes  ganz  allgemein  an- 
nehmen zu   müssen,    ohne    sich   die    geringsten  Gedanken    darüber  zu 


*)  In  der  C'ollectio  amplissinia,  t.  5. 

2)  In  der  Collection  des  Memoires  relatifs  ä  1'  histoire  de  France  t,  XIX. 

3)  1.  c.  p.  VIII. 

4)  Recueil  des  bist,  des  crois.  Aut,  occ.  t,  2.  Paris  1859  [cit.  Est.  d'Er.] 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  565 

machen,  welches  Verhältnis  zwischen  diesem  neuen  Werk  und  den 
vorhergehenden  Theilen  in  Eracles-Foutainebleau  und  Eracles-Colbert 
obwalte.  Ebenso  nahm  De  Mas  Latrie  die  Aufstellung  Guizots  an  x) 
und  behielt  sie  für  die  Zukunft  auch  bei  2).  Er  that  es  —  so  stark 
war  die  Macht  von  Guizots  Vorgang  und  Autorität  —  wie  wohl  er 
das  wahre  Sachverhältnis  erkannte ;  aber  er  verschluss  sich  selbst  dem 
freilich  nicht  ganz  durchsichtigen  Sinn  seiner  Ausführungen  und  trennte 
das,  was  er  die  „umfangreiche  Redaktion"  für  die  Zeit  bis  1231 
nennt,  von  dem  Theil,  welcher  der  „  kurzen  Redaktion"  —  in  Era- 
cles-Noailles  —  als  Fortsetzung  angeschlossen  ist,  d.  h.  er  riss  eine 
wohl  gefügte,  in  der  akademischen  Ausgabe  zudem  in  fortlaufendem 
Haupttext  gedruckte  Geschichtserzählung  an  der  Stelle  auseinander,  an 
der  in  einer  willkürlich  compilirten  Handschrift  der  Eiss  unverkenn- 
bar war,  welcher  ganz  verschiedene  Bestandteile  von  einander  schied- 
Es  ist  und  bleibt  aber  ein  reiner  Zufall,  dass  in  der  Handschriften- 
gruppe Eracles-Noailles  ein  blosses  Fragment  als  etwas  Selbständiges 
erscheint. 

Diese  Thatsache  ist  für  das  ganze  Verhältnis  der  handschrift- 
lichen Ueberlieferung  der  Estoire  d'Eracles  von  entscheidender  Bedeu- 
tung. Kein  Wunder,  dass  dasselbe  in  der  akademischen  Ausgabe  völlig 
missverstanden  und  total  verwirrt  ist.  Der  hier  beliebten  Classifica- 
tion versuchte  De  Mas  Latrie  eine  andere  gegenüberzustellen  *) ;  in- 
dem er  aber  die  Entstehungszeit  der  Codices  als  Massstab  wählte,  ver- 
zichtete er  darauf,  seine  Eintheilung  durch  innere  Gründe  zu  recht- 
fertigen. Dagegen  trägt  die  von  Streit3)  in  scharfer,  aber  vollkom- 
men berechtigter  Polemik  gegen  die  akademischen  Herausgeber,  vor- 
geschlagene Klassification  der  nothwendigen  Rücksicht  auf  die  innere 
Beschaffenheit  der  Handschriften  in  vollem  Masse  Rechnung. 

Das  allgemeine  Verhältnis  der  Handschriften  unter  einander  scheint 
uns  der  Darstellung,  wie  wir  sie  gegeben  haben,  zu  entsprechen  und 
völlig  klar.  Daneben  aber  erhebt  sich  eine  Reihe  schwieriger  Fragen, 
deren  Lösung  jedoch  nicht  unsere  Aufgabe  ist  und  die  wir  nur  an- 
deuten. Als  erste  und  wichtigste :  haben  wir  die  erste  und  ursprüng- 
liche Fortsetzung    des  Wilhelm    von  Tyrus    in    Eracles  -  Fontainebleau, 


>)  In  seinem  Essai  de  Classification  des  Continuateurs  de  1'  histoire  des  Croi- 
sades  de  Guillaume  de  Tyr,  in  Bibl.  de  1' Ecole  des  chartes,  1860,  5e  serie,  1, 
38—140,  wieder  abgedruckt  in  der  Ausgabe  der  Chronique  d'Ernoul,  [vgl.  S.  561, 
Anm.  ]],  und  nach  diesem  Abdruck  citiert. 

2)  D.  M.  L.  Chronique,  530;  XVII. 

3)  Streit  (vgl.  S.  561.  Anm.  2),  20,  26,  32,  43. 


566  Richter. 

bez.  Eracles-Colbert,  also  in  dem  ausführlich  gestalteten  Text,  zu  sehen 
oder  in  einer  Handschrift  mit  dem  kurzen  Text?  Für  das  erstere  er- 
klären sich  in  gewissem  Sinne  De  Mas  Latrie  x) ,  und  ohne  jede  Ein- 
schränkung die  akademischen  Herausgeber,  während  für  Streit  jene 
Handschriften  durch  Interpolationen  entstellt  und  erweitert  sind 2). 
Wenn  dieses  der  Fall  ist,  welche  von  den  drei  Formen  des  kurzen 
Textes  war  die  früheste  ?  Wie  weit  reichte  ferner  die  erste  Fortsetzung  ? 
Ist  es  in  dieser  Beziehung  von  Bedeutung,  dass  die  Handschriften  der 
Klasse  C  mit  der  Abfahrt  Friedrichs  aus  dem  heil.  Lande  1231  ab- 
brechen, oder  ist  dies  mehr  zufällige  Folge  davon,  dass  der  betreffende 
Kedaktor  mit  der  kürzenden  Bearbeitung  der  ihm  vorliegenden  grös- 
seren Chronik  nicht  weiter  kam?  Oder  hat  De  Mas  Latrie  mit  seiner 
ansprechend  begründeten  Meinung  Recht,  dass  zunächst  die  Fort- 
setzung bis  1218  das  Werk  eines  Mannes  gewesen,  dann  bis  1227 
und  weiter  bis  1231  fortgeführt  sei?  Gewähren  die  Namen,  welche 
mehr  zufällig  in  einigen  Handschriften  genannt  werden,  wirklich  einen 
irgendwie  sicheren  Hinweis  auf  die  Verfasser  oder  Redaktoren  und 
sind  es  nicht  vielmehr  blosse  Schreiber  ? 3) 

Wir  gehen  allen  diesen  Fragen,  soweit  wir  sie  nicht  im  Vorüber- 
gehen zu  streifen  haben  werden,  aus  dem  Wege ;  nur  mit  der  Ge- 
schichtserzählung in  Eracles-Fontainebleau  bez.  Eracles-Colbert  haben 
wir  es  nunmehr  zu  thun.  Dass  sie  keinerlei  Störung  oder  Missver- 
hältnis in  der  Darstellung  für  die  um  1230  liegenden  Jahre  aufweist, 
war  der  allgemeinen  falschen  Auffassung  gegenüber  nur  als  Thatsache 
zu  konstatieren;  wo  aber  haben  wir  einen  Anfang  und  ein  Ende  zu 
suchen  ?  Streit  behauptet  die  Einheitlichkeit  des  Textes  für  die  ganze 
Zeit  von  1205-  1248,  vom  11.  Kapitel  des  30.  Buches  bis  zum 
62.  Kapitel  des  33.  Buches4).  Die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  zu 
erweisen,  ist  unsere  nächste  Aufgabe,  welche  durch  die  Ungewissheit, 
ob  diese  Chronik  ein  Originalwerk  oder  eine  Redaktionsarbeit  darstellt, 
in  keiner  Weise  an  Wichtigkeit  einbüsst. 

2.  Die  Einheitlichkeit  der  Estoire  d'  Eracles  für  die  Zeit  von 

1205  — 1248. 

Wenn    Streit,    um    die  Einheitlichkeit    des  fraglichen  Theiles    der 


')  Vgl.  bes.  Chronique  491  f. 

2)  Streit,  47. 

3)  Vgl.  D.  M.  L.  Chronique  XXIV  f.,  492,  ferner  Streit;  Guizot,  Coli,  des 
mem.  XIX  Pref.;  Est.  d'Er.  Pref. 

4)  Schon  vor  der  Bekanntschaft  mit  Streits  Abhandlung,  die  mir  erst  spät 
zugänglich  wurde,  war  für  mich  die  Einheitlichkeit  zum  mindesten  von  der 
Mitte  des  31.  Buches  an  gesichert. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  567 

Estoire  d' Eracles  zu  beweisen,  sich  u.  a.  darauf  beruft  v),  dass  Marinus 
Sauudus  und  der  cyprische  Chronist  Amadi  denselben  für  ihre  Ar- 
beiten benutzt  haben,  so  kann  dies  noch  weniger  in  Betracht  kommen, 
als  der  Umstand,  dass  schon  Philippe  de  Nevaire  diesen  Text  wenig- 
stens vom  9.  Kapitel  des  33.  Buches  an  für  seine  Memoiren  benutzt 
hat 2).  Nur  der  Nachweis,  dass  die  in  Betracht  kommende  Chronik 
durchgängig  den  gleichen  Charakter  in  äusseren  Merkmalen  wie  in 
der  Composition  trage,  und  dass  sie  sich  so  als  ein  Ganzes  gegen  die 
früheren  wie  späteren  Theile  der  Estoire  d' Eracles  abschliesse,  kann 
zum  Ziele  führen.  Der  Augenschein  und  die  flüchtigste  Lektüre  lehrt, 
dass  wir  es  in  der  Geschichtserzählung  der  Estoire  d' Eracles  nach 
1248  mit  ganz  anderen  Elementen  als  vorher  zu  thun  haben;  nicht 
gleich  unmittelbar  klar  ist  die  Verschiedenartigkeit  gegenüber  den 
Theilen  vor  1205  und  nmss  erst  aufgedeckt  werden. 

Hier  fällt  zunächst  ins  Gewicht,  dass  die  ganze  Chronik  von 
1205 — 1248  mit  Hülfe  der  Annales  de  Terre  sainte,  worauf  wir  noch 
zurückzukommen  haben,  geschrieben  worden  ist 3).  Die  Parallelstellen 
der  beiden  Werke  fehlen  nur  in  seltenen  Fällen,  mitunter  erscheinen 
die  Annalentheile  an  ausgezeichneter  Stelle  in  der  Chronik,  am  An- 
fang oder  Ende  eines  Kapitels  oder  Absatzes.  In  den  bis  1205  rei- 
chenden Theilen  der  Estoire  sind  dagegen  die  Parallelstellen  zu  den 
Annalen  nicht  eben  zahlreich,  erscheinen  nie  in  so  auffallender  Weise 
und  ohne  stilistische  Ueberein Stimmungen.  Sind  die  Annalen,  was  ja 
nicht  ausgeschlossen  ist,  auch  hier  benutzt  worden,  so  ist  es  nach 
ganz  anderer  Methode  geschehen  als  in  unserer  Chronik. 

Verschieden  ist  auch  hier  wie  dort  die  Gewohnheit,  die  Ereignisse 
in  der  Darstellung  zu  verknüpfen  und  die  Uebergangswendungen  der 
Erzählung  zu  gebrauchen.  In  den  älteren  Theilen  wird  die  Art  des 
vortragenden  Sängers,  die  Beziehung  zu  seinen  Zuhörern  immer  fest- 
zuhalten beobachtet,  ist  eine  sehr  überflüssige  Breite  und  Umständ- 
lichkeit des  Ausdruckes  beliebt.  Phrasen  wie:  or  (je)  vos  dirai-,  or 
nos  vos  lairons  de  parier  de-,  si  vos  dirons  de-,  kehren  in  oft  lang- 
weiliger Eintönigkeit  wieder  und  sind  ganz  ohne  Grund  namentlich 
an  die  Kapitelanfänge  gestellt.  Dergleichen  Wendungen  erscheinen  in 
der  „Chronik  von  1205u  nur  in  Ausnahmefällen,  wenn  der  Erzähler 
sich  wirklich  einer  neuen  Materie  zuwendet.  Ihre  Stelle  vertreten,  um 
den  einfachen  Fortschritt    in  der  Erzählung    zu   bezeichnen,    die  For- 


»)  Streit,  35  ff. 

«)  Vgl.  Mittheil.  d.  I.  f.  öst.  Gesch.  XIII,  271  f. 

8)  ib.  282. 


5(5^  Richter. 

mein:  en  ce  point,  en  ce  tens  avint  que  — ,  apres  ce  ne  tarda  mie 
granment  que  — ,  or  retornerons  a  parier  de  — ,  il  m'  estuet  retorner 
por  dire  coment  — ,  u.  ä.  Vollständig  fehlen  hier  aber  die  in  den 
älteren  Theilen  überall  vorkommenden  höchst  charakteristischen  Re- 
densarten, wie:  je  vos  avoie  oblie  a  dire,  quant  je  vos  parlai  de  .  .  ., 
de  — ;  je  vos  avoie  oblie  a  dire  que  — ;  je  vos  avoie  dit  devant  que 
je    vos    diroie    coment   — ;    oder    gar    die    Wendungen:     or   vos   lai- 

rons  a  tant  a  parier  de tant  que  poinz  et  höre   en   soit,    oder 

jusque  a  une  autre  fois  par  aventure  que  Ten  en  parlera  *).  Nur  ganz 
im  Anfang  unserer  Chronik  stossen  wir  zwei  Mal  auf  ähnliche  wort- 
reiche Ausdrücke,  1.  30,  c.  11,  p.  304 —  wo  der  neue  Chronist  mit  seiner 
Erzählung  einsetzt,  um  in  ihr  den  vorher  behandelten  Stoff  nicht  weiter 
zu  berücksichtigen  — und  1.  31,  c  3,  p.  313;  zugleich  werden  hier  mit 
den  von  dem  alten  Chronisten  gebrauchten  Phrasen  die  sonst  übli- 
chen Formeln  dist  li  contes  oder  eist  livre  parole  verbunden.  Der  Er- 
zähler steht  —  so  erklären  wir  —  bei  der  Neuheit  seiner  Aufgabe 
zu  Beginn  derselben  noch  im  Banne  der  stilistischen  Gewohnheit  seines 
Vorgängers  und  anderer  Schriftsteller;  sehr  bald  aber  hat  er  sich  von 
dieser  traditionellen  Art  frei  gemacht  und  durchweg  eigene  Gewohn- 
heiten angenommen. 

Grundverschieden  ist  endlich  die  Composition  in  der  mit  dem 
Jahre  1205,  1.  33,  c.  11  beginnenden  Chronik  und  in  der  früheren 
Erzählung,  welche  die  ganze  Zeit  von  1184  bis  1228  umspannt. 

In  dieser  Berichterstattung  sind  leicht  zwei  Theile  von  einander 
zu  sondern.  In  dem  ersten  wird  wirklich  nur  orientalische  Geschichte 
erzählt.  Es  gilt  den  Verlust  Jerusalems  und  die  sich  daran  knüpfen- 
den welterschütternden  Begebenheiten  zur  Darstellung  zu  bringen,  die 
Kreuzfahrt  Friedrichs  I.,  den  Tod  dieses  „so  grossen  und  mächtigen 
Mannes,  der  da  erschien,  voll  Ehrfurcht  und  Sehnsucht,  das  heilige 
Land  von  Jerusalem  wieder  zu  gewinnen" 2),  endlich  die  Kreuzfahrt 
des  englischen  und  französischen  Königs  mit  all  ihren  Folgen.  In 
dieser  Fülle  andrängenden  Stoffes  behandelt  der  Chronist  die  sicilisch- 
normannische  Geschichte  nur  in  ihren  Beziehungen  zu  Konstantinopel 
und  dem  heiligen  Lande  3) ;  geht  er  auf  die  englisch-französischen  Ver- 
hältnisse nur  ein,  sofern  sie  nothwendig  sind  für  das  Verständnis  des 


»)  Vgl.  Est.  d'Er.  1.  23,  c.  47;  1.  27,  c.  17;  1.  28,  c.  8,  c.  10;  1.  30.  c. 
1.  —  Vgl.  auch  Mitth.  d.  Inst.  f.  öst.  Gesch.  XIII,  p.  39;  es  scheint  der  im  fran- 
zösischen Orient  vielfach  gebräuchliche  Stil  der  Erzählung  gewesen  zu  sein. 

2)  Est.  d'Er.  1.  25,  c.  1,  p.  139. 

3)  1.  c.  1.  24,  c.  6—8,  p.  113  ff. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  5ß9 

von  Philipp  August  und  Kichard  gemeinsam  unternommenen  Zuges  *) ; 
erzählt  er  uns  von  der  Regieruug  Kaiser  Heinrichs  und  seiner  Macht- 
stellung in  Italien  und  Sicilien,  weil  das  ebenso  nothwendig  ist  für 
das  Verständnis  der  orientalischen  Dinge 2).  So  verfolgt  er  die  Ge- 
schichte des  heil.  Landes  bis  zum  Abzug  der  deutschen  Kreuzfahrer 
aus  Syrien  im  Jahre  1198,  und  knüpft  noch  daran  die  Erzählung  von 
dem  gegen  das  Leben  König  Amalrichs  unternommenen  Anschlag 
nebst  dessen  Folgen.  Die  Bemerkung,  dass  der  infolge  dieses  An- 
schlages in  die  Verbannung  geschickte  Raoul  Tabarie  erst  nach  dem 
Tode  König  Amalrichs,  1205,  zurückkehrte,  gibt  uns,  vorausgesetzt 
dass  sie  keinen  späteren  Zusatz  darstellt,  einen  Fingerzeig  für  die  Ab- 
fassung dieser  Chronik-Partie.  L.  27,  c.  11  p.  231,  oder  wahrschein- 
licher c.  13,  p.  234,  bezeichnet  den  Abschluss  des  ersten  Theiles  der 
französischen  Fortsetzung. 

Das  zweite  Stück  der  älteren  Erzählung  enthält,  im  Gegensatz  zu 
diesem  eben  charakterisierten  Stücke,  abwechselnd  europäische  und 
syrische  Geschichte.  Die  Kämpfe  in  Sicilien  und  Apulien,  in  deren 
Erzählung  Graf  Walter  von  Brienne,  Bruder  des  späteren  Königs  und 
Kaisers  Johann,  einen  hervorragenden  Platz  einnimmt,  sodann  der 
Krieg  zwischen  den  Kreuzzugsgenossen  Philipp  August  und  Richard, 
endlich  aus  der  deutschen  Reichsgeschichte  die  Ermordung  König  Phi- 
lipps und  der  Triumph  Ottos  —  diese  Dinge  werden  zunächst  erzählt, 
bis  1.  27,  c.  21,  p.  243.  So  gelangt  der  Chronist  mit  seiner  Erzäh- 
lung bis  ins  Jahr  1208.  Es  folgen  die  Kreuzzugspläne  und  Rüstungen 
des  Jahres  1200,  als  Einleitung  für  die  Darstellung  der  Eroberung 
von  Konstantinopel.  Dieses  denkwürdige  Unternehmen  steht  fortan  im 
Vordergrund  des  Interesses.  Mehr  nur  als  Episode  der  hierauf  bezüg- 
lichen Geschehnisse  werden  die  Unternehmungen  der,  von  dem  Haupt- 
heer sich  absondernden  französischen  Kreuzfahrer  von  1203  erzählt, 
1.  27,  c  24,  25,  p.  245—249,  und  eingehender  1.  28,  c.  5-12,  p.  256  bis 
63;  ähnlich  finden  einige  saracenische  Verhältnisse  1.  28,  c.  1,  2, 
p.  250—252  ihre  Stelle.  Mit  1.  28,  c  13,  p.  264  wendet  sich  der 
Chronist  ausschliesslich  dem  Zuge  nach  Konstantinopel  und  den  Ge- 
schicken des  neu  gegründeten  Kaiserreichs  zu:  die  Entfernung  des 
vierten  lateinischen  Kaisers  nach  Rom  ,  seine  Rückkehr  und  sein  Tod 
in  Achaja  Ende  1227  oder  Anfang  1228  schliessen  diese  Erzählung 
mit  dem  Ende  des  29.  Buches,  p.  295,  ab.  Dann  kommt  wieder 
deutsche-  Reichsgeschichte ,    der  Kampf   zwischen    den    beiden  Präten- 


»)  1.  c.  1.  25,  c.  5—7,  p.  143  fi. 
»)  1.  c.  1.  26.  c.  20,  p.  205  ff. 


570  Richter. 

deuten  Friedrich  und  Otto,  in  den  ersten  10  Kapiteln  des  33.  Buches 
zur  Darstellung.  Der  Tod  Otto's  IV.,  Mai  1218,  bildet  den  Abschluss 
des  zweiten  Theiles  der  ersten  Fortsetzung. 

Bilden  diese  beiden,  so  verschieden  gearteten  Theile  nicht  eher 
zwei  besondere  Fortsetzungen?  Statt  einer  Beantwortung  müssen  wir 
uns  mit  Andeutungen  begnügen.  Dagegen  möchte  die  Thatsache  spre- 
chen, dass  die  hervorgehobenen  stilistischen  Eigenthümlichkeiten  beide 
Theile  in  gleich  charakteristischer  Weise  auszeichnen.  Andererseits  hat 
nach  dem  Abschluss  des  ersten  Theiles,  1.  27,  c.  13,  p.  234,  die  Ar- 
beit unzweifelhaft  längere  Zeit  geruht.  Der  Erzähler  spricht  hier  in 
seiner  umständlichen  Weise  die  Absicht  aus,  mit  der  kurzen  (durch- 
aus in  den  Rahmen  seiner  ganzen  Geschichtserzählung  hineinpassen- 
den) Darstellung  der  sicilischen  Verhältnisse,  bis  zum  Tode  der  Kai- 
serin und  Königin  Constanze,  aufzuhören  und  sich  anderen  Dingen 
zuzuwenden  *).  Gleichwohl  bleibt  die  Darstellung  bei  der  sicilischen 
Geschichte  und  wird  zum  zweiten  Male  in  ganz  ähnlicher  Weise  c.  17 
abgebrochen  2).  Walter  von  Brienne  steht  im  Mittelpunkt  derselben, 
seine  verwandtschaftlichen  und  sonstigen  Verhältnisse  sind  dem  Er- 
zähler ganz  vertraut.  Er  hat  für  diesen  offenbar  als  Bruder  des  Jo- 
hann  von  Brienne,  qui  fu  de  Jerusalem  roi  et  puis  fu  empereor  de 
Constantinople,  si  come  vos  orrez  ca  avant  —  solche  Wichtigkeit.  Ist 
danach  sicher  dieser  Theil  der  Fortsetzung  nach  1229  geschrieben3), 
so  ist  vielleicht  der  erste  Theil  verfasst,  bevor  Johann  von  Brienne 
und  dessen  Familie  für  den  Orient  so  wichtig,  d.  h.  bevor  er  im 
Jahre  1208  König  von  Jerusalem  geworden  war.  Auffallend  ist  es 
und  zukünftig  besonders  zu  berücksichtigen,  dass  es  ziemlieh  für  jenen 
ganzen  zweiten  Theil,  vom  16.  Kapitel  des  27.  Buches  bis  zum  Ein- 
setzen der  mit  1205  im  11.  Kapitel  des  30.  Buches  beginnenden  Chro- 
nik, keine  kurzen  Texte  giebt,    sondern  nur  eine  Textform  überliefert 


*)  Est.  d' Er.  1.  27,  c.  13,  p.  234.  Ci  en droit  vos  lairons  a  parier  de  la 
terre  de  cesüe  et  dou  roi  Fedric  qui  enfes  estoit ,  qui  puis  fu  apelez  en  mains 
lues  li  Enfes  de  Puille.  —  Wenn  die  Hss.  D.  G.  diesen  Satz  nicht  haben,  so  er- 
kennt man  die  Feile  des  Redaktors.  Dagegen  hat  ihn  Hs.  C,  bietet  also  sicher 
hier  die  ältere  Form  des  kurzen  Textes,  vielleicht  überhaupt  die  ursprünglichste 
Form  für  diese  Partie.  Denn  gerade  der  Nebentext,  der  doch  mit  der  Erzäh- 
lung von  der  Erhebung  König  Johanns  zum  Kaiser  von  Konstantinopel  schliesst 
(vgl.  oben  S.  563),  spricht  nicht  wie  es  der  Haupttext  thut,  die  Absicht  aus,  die 
bez.  Ereignisse  erzählen  zu  wollen  (vgl.  unten  p.  572,  Anm.  1). 

2)  Jci  vos  Jairons  a  parier  de  la  terre  de  Calabre  et  de  Cesile  jusque  a 
une  autre  fois  que  point  et  bore  sera. 

3)  In  2  Briefen  Gregors  IX.,  1229,  April  9,  erscheinen  die  Verhältnisse  in 
Konstantinopel  geregelt,  Potthast,  Reg.  Pont.  I,  nr.  8370,  71. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  571 

ist.  Wir  möchten  vermuthen,  dass  der  Verfasser  oder  Compilator  des 
2.  Theiles  zugleich  den  ursprünglich  kürzer  gefassten  *)  1.  Theil  er- 
weitert, ihm  durch  seine  Ueberarbeitimg  den  gemeinsamen  Stil  aufge- 
prägt und  der  so  umgestalteten  Chronik  seine  Erzählung  angefügt  hat. 
Hier  ist  er  aber  mit  ziemlicher  Nachlässigkeit 2)  und  ohne  einen  con- 
sequent  verfolgten  Plan  zu  Werke  gegangen. 

So  undurchsichtig  und  complicirt  die  Composition  in  der,  bez.  in 
den  ersten  Fortsetzungen  ist,  so  klar  und  einfach  ist  sie  in  dem  Werke 
des  neuen  Chronisten.  Den  Inhalt  der  früheren  Erzählung  hat  er  sich 
im  allgemeinen  wenigstens  zu  eigen  gemacht,  wie  er  denn  auch  für 
den  Anfang  von  ihrem  Stil  beeinflusst  wurde.  Den  Zusammenhang 
zwischen  seiner  eigenen  und  der  von  ihm  fortgesetzten  Darstellung 
sucht  er  festzuhalten 3)  und  ebenso  ist  er  bemüht,  innerhalb  seiner 
Berichterstattung  die  Einzelheiten  zu  verknüpfen.  Immer  erscheint 
eine  Etappe  der  geschichtlichen  Handlung  als  Fortsetzung  einer  vor- 
her geschilderten,  und  bei  dieser  wiederum  wird  entweder  auf  die 
später  folgende  ausdrücklich  Eücksicht  genommen,  oder  aus  der  Dar- 
stellung geht  hervor,  dass  dabei  das  spätere  Ereignis  bereits  vorschwebte. 
So  wird  schon  rein  äusserlich  der  Eindruck  eines  wohlverknüpften, 
einheitlichen  Werkes  erzeugt.  Nicht  minder  aber  auch  durch  Plan 
und  Fortgang  des  Ganzen.  Der  Chronist  geht  aus  von  dem  Tod  König 
Amalrichs  im  Jahre  1205.  Dies  Ereignis,  mit  seinen  Nebenumständen 
erzählt,  ist  ganz  bewusster  Weise,  wie  es  scheint,  an  die  Spitze  des 
Buches  gestellt.  Es  bedeutet  die  äussere  Trennung  der  beiden  König- 
reiche Jerusalem  und  Cypern ;  aber  trotz  dieser  äusseren  Trennung 
der  beiden  Staaten  bleibt  ihre  innere  Verbindung,  durch  die  grossen 
politischen  Verhältnisse  Europas,  wie  durch  die  seltsamen  feudalen 
Staatseinrichtungen  bedingt,  und  damit  ihre  Interessengemeinschaft 
bestehen.  In  diesem  Dualismus  äusserer  Trennung,  innerer  Gemein- 
schaft der  beiden  wichtigsten  orientalisch-christlichen  Staatswesen  ver- 
läuft ein  grosser  Theil  der  Geschichtserzählung  unseres  Chronisten. 
Anfangs  von  Syrien  zu  Cypern,  von  Cypern  zu  Syrien  hinüberblickend, 
kommt  er  bald  dazu,    die  cyprisch- syrische  Geschichte   in  ihrer  engen 


')  Vgl.  Streit,  44  ff.,  wo  die  Ursprünglichkeit  der  kürzeren  Fassung  für 
diesen  Theil  wenigstens  sehr  wahrscheinlich  gemacht  wird. 

2)  Vgl.  Est.  d'Er.  1.  27,  c.  24,  2.  Hälfte  und  1.  28,  c.  5  Anf. ;  1.  27,  c.  10 
Ende  und  1.  28  c.  5  späterer  Theil. 

3)  Vgl.  Est.  d'Er.  1.  31,  c.  15,  p.  308  und  1.  26,  c.  21,  p.  208;  1.  32,  p. 
359  und  1.  27,  c.  14—16,  p.  234  f.,  1.  26,  c.  20,  p.  206;  das  nous  avons 
parle  lässt  natürlich  nicht  den  Schluss  zu,  der  Schreiber  dieser  Worte  wolle  sich 
selbst  als  Verfasser  jener  früheren  Erzählung  bezeichnen. 


572  Richter. 

Verknüpfung  zu  behandeln.  Ein  anderer  grosser  Theil  seines  Buches 
ist  dem  Kreuzzuge  von  1217  und  den  wechselvollen  Ereignissen  vor 
Darniette  gewidmet.  Weun  diese  und  die  cyprisch-syrischen  Kämpfe 
zwischen  der  meist  französischen  Adelspartei  und  dem  deutschen  Kaiser 
von  dem  Erzähler  mit  besonderer  Ausführlichkeit  behandelt  sind,  so 
beweist  das  doch  nur  die  Wichtigkeit,  welche  die  denkenden  Zeitge- 
nossen im  Morgenlande  diesen  Geschehnissen  beilegten.  Denn  einen 
so  hervorragenden  Platz  sie  auch  in  der  Darstellung  einnehmen,  so 
erscheinen  sie  doch  nur  als  freilich  sehr  begünstigte  Episoden.  Mög- 
lichste Vollständigkeit  in  dem  Rahmen  seiner  Geschichtserzählung 
strebt  der  Chronist  an;  den  Orient  aber  in  allen  seinen  Beziehungen 
zu  schildern  sieht  er  als  seine  Aufgabe  an,  der  gerecht  zu  werden  er 
sich  redliche  Mühe  giebt.  Er  sieht  diese  Beziehungen  nicht  nur  in 
Jerusalem  und  Cypern,  in  Antiochien  und  Damaskus,  Babylon,  Ar- 
menien und  Aegypten ,  sondern  findet  sie  auch  in  den  politischen  Ver- 
wickelungen des  Abendlandes.  Ist  die  Darlegung  der  aussersyrischen 
Verhältnisse,  anfangs  an  die  Schicksale  des  in  ganz  Europa  herum- 
abenteuernden Königs  Johann,  dann  au  die  Person  des,  mit  den  In- 
teressen des  heiligen  Landes  so  enge  verknüpften  Kaisers  Friedrich 
gebunden,  auch  eine  mangelhafte,  so  ist  es  doch  erfreulich,  sie  ent- 
deckt zu  sehen,  und  ebenso  erfreulich  ist  es,  sie  nicht  anders  als  in 
ihren  Beziehungen  zum  Orient  besprochen  zu  finden.  Nirgend  stösst 
man  auf  eine  grössere  Partie,  die  aus  dem  Kahmen  der  orientalischen 
Geschichte  herausfallend,  den  Zusammenhang  des  Ganzen  in  empfind- 
licher Weise  stört.  In  ungehöriger  Weise  scheint  nur  einmal  die 
europäische  Geschichte  Berücksichtigung  zu  finden,  1.  32,  c.  22,  p.  362i 
wo  in  einem  sehr  lückenhaften  Bericht  über  den  Kampf  Ludwigs  VIII. 
gegen  Kaimund  von  Toulouse  eigentlich  nur  die  Belagerung  von 
Avignon  zur  Sprache  kommt.  Vielleicht,  dass  auch  dieser  Kampf  un- 
serem Historiker  als  ein  heiliger  Krieg  und  Kreuzzug  erschien  und  er 
ihn  deshalb  seiner  Erzählung  einverleibte. 

Somit  zwingen  äussere  und  innnere  Gründe  dazu,  diesen,  die 
orientalische  Geschichte  von  1205 — 1248  behandelnden  Theil  der  fran- 
zösischen Fortsetzungen  des  Wilhelm  von  Tyrus  für  ein  einheitliches, 
nach  festem  Plan  gearbeitetes  Ganzes  zu  halten.  Auch  sind  wir  ge- 
neigt, in  ihm  die  originale  Arbeit  eines  einzelnen  Mannes  zu  sehen, 
die  kurzen  Texte  also,  welche  von  1.  30  c  12  an  unsere,  mit  1.  30, 
c  11  beginnende  Chronik  bis  1.  33,  c.  19  ohne  Unterbrechung  be- 
gleiten, für  die  Arbeit  späterer  Redaktoren  zu  halten  *).  Nennen  wir 
unseren  Historiker  der  Kürze  halber  „den  Chronisten  von  1205." 

[)  Bei  genauerer   Untersuchung   dürfte   sich   herausstellen,    dass   der   kurze 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  573 

3.  Untersuchung  und  Beurtheilung  der  Chronik  von  1205  bis 

1248. 

Einen  Theil  der  quellenkritischen  Untersuchung  haben  wir  im 
vorhergehenden  Abschnitt  vorwegnehmen  müssen;  wir  wenden  uns 
zur  Erledigung  der  übrigen  Fragen,  zunächst  derjenigen  nach  den 
Quellen  unserer  Chronik. 

Den  Zusammenhang  zwischen  der  Estoire  d'  Eracles  und  den  An- 
nales de  terre  sainte  hat  ßöhricht  in  seiner  Ausgabe  *)  der  letzteren 
dargethan.  Indem  wir  ihre  Benutzung  durch  unseren  Chro- 
nisten nachweisen,  lösen  wir  die  Aufgabe,  deren  erster  Theil  in  der 
Untersuchung  über  Philipps  Memoiren  geleistet  war  -),  und  erweisen 
die  Priorität  der  Annalen  gegenüber  den  in  Betracht  kommenden 
Werken  überhaupt. 

Nur  ausnahmsweise  sind  Nachrichten  nicht  in  beiden  Werken  zu- 
gleich belegt 3),  während  andererseits  wörtliche  Uebereinstimmungen 
nicht   allzu    häufig    sind 4).     Seltener  sind    die    Annalenstellen    in    der 


Text  eine  Verkürzung  und  zugleich  Ergänzung  des  ausführlichen  darstellt.  Man 
vergl.  die  stilistischen  Uehereinstimmungen  in  den  Schlusspartien  der  kurzen  Re- 
daktion im  Nehentext  auf  Seite  377  mit  c.  16,  p.  383  und  c.  17,  p.  384,  und 
das  si  comme  1'  en  dit  in  Hs.  D.  u.  Hs.  G.,  das  auf  die  Darstellung  des  Haupt- 
textes hinzuweisen  scheint ;  jedoch  hat  Hs.  (J,  welche  die  früheste  Fassung  der 
kurzen  Redaktion  zu  bieten  scheint  [vgl.  S.  570  Anm.  1]  diesen  Hinweis  nicht, 
und  es  kann  sich  daher  das  si  comme  1'  en  dit  auch  auf  Hs.  C  beziehen.  Nur 
die  eingehendsten  Forschungen  können  diese  Verhältnisse  aufklären. 

!)  Arch.  de  1' ür.  lat.  tom.  II,  Abth.  Documents  427  ff.  (cit.  A.  d.  t.  s). 

2)  Vgl.  Mitth.  d.  Inst.  f.  österr.  G.  F.  XIH,  282  f. 

s)  Die  Randnotizen  in  Röhrichts  Ausgabe  der  Annalen  sind  durch  folgende 
Fälle  zu  ergänzen:  ad  1219,  Tod  Königs  Leo  von  Armenien:  1.  32,  c.  15,  p.  347; 
ad  1221,  sämmtliche  Angaben:  1.  32  c.  17  p.  352,  c.  18  p.  354,  c.  15  p.  347; 
ad  1222,  Gesandtschaftsreise  nach  Rom:  c.  19,  p.  355,  armenische  Dinge:  c.  15 
p.  348;  ad  1223,  Tod  König  Philipps  von  Frankreich:  c.  20  p.  357;  ad  1224, 
Heirat  Boemunds  von  Antiochia :  c.  21  p.  361:  ad  1225,  Brautfahrt  der  Isabella: 
c.  20  p.  357;  ad  1226,  kaiserliche  Bevollmächtigte  in  Syrien:  c.  24p.  364.  Einige 
dieser  Parallelstellen  weisen  auch  stilistische  Uebereinstimmung  auf.  —  Mit  Un- 
recht sieht  R.  wohl  einen  Parallelismus  zwischen  einer  Annalennotiz  ad  1242  über 
christlich-muhamedanische  Verwickelungen,  und  Est.  d'  Er.  1.  33,  c.  56  p.  428 
bis  430,  wo  der  Einfall  der  Chowaresmier  1244  erzählt  wird ;  sowie  einer  andern 
Notiz  ad  1243  und  Est.  d'Er.  1.  33  c.  49  p.  419,  c.  51,  52,  p.  421,  22.  Dieselben 
Chronikpartieen  sind  auch  als  Parallelstellen  für  die  Annalenberichte  ad  1244  und 
1239  richtig  angegeben.  In  den  Notizen  für  1242  u.  1243  haben  wir  eine  Be- 
reicherung unseres  Wissens  zu  sehen,  cf.  Wilken,  VI  p.  626  ff. 

4)  Vgl.  beispielsweise  Est.  d'Er.  1.  31,  c.  6,  p.  316  und  A.  d.  t.  s.  ad  1211 ; 
1.  31,  c.  13,  p.  325  u.A.  ad  1218;  1.  33,  c.  10,  p.  376  u.  A.  ad  1229;  1.  33  c.  60 
p.  433,  u.  A.  ad  1247.     Zur  letzten  Stelle  vgl.  Mitth.  XIII,  268,  Anm.  5 ;  die  A. 


574 


Richter. 


Chronikpartie  von  1205—1218  zu  belegen,  weil  hier  die  gesammte 
aussersyrische  Geschichte  nur  mit  Auswahl  behandelt  wird.  In  un- 
serer Chronik  erscheinen  sie  in  11  Fällen  am  Anfang  eines  Kapitels, 
in  zweien  am  Schlüsse,  3  Mal  am  Anfang  bez.  Ende  eines  Absatzes  l). 

Dass  unsere  Chronik  eine  schlechte  Quelle  für  ein  Annalenwerk 
war,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  sie  nur  7  Mal  eine  Jahreszahl 
bietet,  darunter  in  6  Fällen  mit  Beifügung  einer  ganz  genauen  Da- 
tieruno-. Die  erste  derartige  Augabe  am  Schluss  des  30.  Buches,  c.  17, 
p.  310  bezieht  sich  auf  die  Ankunft  des  Johann  von  Brienne  in  Ac- 
con,  wo  er  verheiratet  und  König  werden  soll,  und  lautet:  Et  ce  fu 
en  ud  mecredi,  la  veille  de  Sainte  Crois,  en  septembre,  en  l'an  de 
1'  Incarnation  de  Notre  Seignor  Jhesu  Crist  MCC  et  VIII  anz.  Es  sind 
nur  die  aller  wichtigsten  Ereignisse,  welche  durch  solche  Datierung  aus- 
gezeichnet werden:  der  Beginn  des  Lateranconcils  1215,  die  Einnahme 
von  Damiette  durch  die  Christen  1219,  die  Schlacht  von  Nicosia  1229, 
welche  die  siegreichen  Ibeliner  wieder  in  den  Besitz  von  Cypern  setzte, 
der  schwere  Schlag,  der  sie  1232  auf  dem  Felde  von  Casal  Imbert 
traf,  der  Unglückstag  von  Gaza  1244,  der  den  letzten  Verlust,  welchen 
die  Christen  an  Jerusalem  erleiden  sollten,  zur  Folge  hatte2).  Am 
Schlüsse  des  32.  Buches,  c.  25,  p.  365  ist  zum  7.  und  letzten  Male 
das  Incarnationsjahr  ohne  weitere  Daten  gegeben,  wohl  nur  um  des 
Abschlusses  willen  für  das  Buch.  Die  zweite  und  dritte  Datierung  ist 
benutzt,  um  durch  Hinzuzählen  von  Monaten  oder  von  Jahren  eine 
ungefähre  Zeitbestimmung  für  je  ein  ferneres  Factum  zu  gewinnen, 
und  einige  Angaben  im  Anschluss  an  die  erste  Datierung  lassen  un- 
zweifelhaft erkennen,  dass  sie  sich  auf  dasselbe  Jahr  beziehen. 

Häufiger  erscheinen  Zeitbestimmungen  anderer  Art,  aber  ohne 
Jahresangabe  und  deswegen  für  einen  Annalenschreiber  wertlos;  Mo- 
natsnamen, Festtage  überraschen  namentlich  in  der  Erzählung  der 
ägyptischen  und  cyprischen  Vorgänge  3).     Hier  jedoch   wären  die  auf 

d.  t.  s.  sind  hier   nicht    zuverlässig:    Herr  von    Arsur  war    damals    Johann    von 
Ibelin,  vgl.  Mitth.  XIII.  266. 

i)  Der  erste  Fall,  dass  Kapitelanfang  einer  Annalennachricht  entspricht, 
findet  sich  Est.  d'  Er.  1.  31,  c  10  p.  321,  zum  Jahre  1217-  unsere  Chronik  nimmt 
mit  1.  30,  c.  11,  p.  304  ihren  Anfang.  —  Diese  Thatsache  muss  dafür  geltend 
gemacht  werden,  dass  die  Eintheilung  der  Chronik  in  Kapitel  schon  hei  der 
ersten  Abfassung  statt  hatte,  was  für  die  Beurtheilung  der  Hss.  und  Texte  nicht 
unwesentlich  ist. 

2)  1.  31,  C  8  p.  318 ;  1.  32,  c.  14  p.  349  ;  1.  33,  c.  10,  p.  376 ;  1.  33,  c.  31 
p.  398;  1.  33,  c.  57  p.  431.  Dass  die  Jahreszahlen  theilweise  denjenigen  der 
Annalen  widersprechen,  ist  wegen  der  handschriftlichen  Ueberlieferung  belanglos. 

3)  Dass  die  Est.  d'  Er.  für  die  ägyptische  Geschichte  selbst  abhängig  ist,  ist 
für  den  vorliegenden  Zweck  gleichgültig. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  575 

Keisen  und  Seefahrten  bezüglichen  Daten  weniger  der  Kenntnis  als 
der  Kombination  des  Erzählers  zuzusehreiben,  da  ja  die  Termine  für 
diePassagien  feststehende  waren,  die  Kreuzfahrer  im  Frühjahr  um  dieOster- 
zeit,  im  Herbst  in  den  Monaten  August  und  September  im  heil.  Lande  ein- 
trafen, und  entsprechend  die  Abfahrtszeiten  von  hier  und  von  den 
Westküsten  geregelt  gewesen  sein  müssen  *).  Wirkliche  chronolo- 
gische nicht  einmal  stets  zuverlässige  Kenntniss  verräth  daher  der 
Chronist  ausser  in  den  genannten  7  Fällen  in  noch  etwa  ebenso  vielen 
anderen  2). 

Er  war  nicht  der  Mann,  unserem  Annalisten  Anhaltspunkte  oder 
gar  das  volle  chronologische  Küstzeug  zu  bieten.  Er  vernachlässigt 
dasselbe,  es  ist  ihm  gleichgiltig.  In  rein  erzählenden  Uebergäugen, 
in  ganz  allgemeinen,  unbestimmten  Formeln  liebt  er  es  die  Ereio-nisse 
zu  verknüpfen  3) ;  die  ganze  Art  der  Darstellung  scheint  geradezu  eine 
Vorlage  mit  chronologischen  Angaben,  die  dann  leicht  unberücksich- 
tigt bleiben  konnten,  als  Anleitung  vorauszusetzen.  Nachdem  z.  B. 
1.  32,  c.  14,  p.  346  die  Einnahme  von  Damiette  durch  die  Christen 
erzählt,  und  das  Kapitel  mit  einer  genauen  Zeitbestimmung  dieses 
Ereignisses  abgeschlossen  ist,  wird  c.  15  die  Erzählung  armenischer 
Geschichte  durch  die  Phrase:  en  celui  tens  avint  que  .  .  .  eingeleitet; 
die  ganze  Fülle  von  Ereignissen,  welche  die  Annalen  für  die  Jahre 
1219,  1221,  1222  verzeichnen,  werden  im  Zusammenhange  abgethan, 
mitten  in  der  Darstellung  der  ägyptischen  Kämpfe,  zu  denen  im  selben 
15.  Kapitel  noch  zurückgekehrt  wird.  Haben  die  Annalen  dem  Chro- 
nisten vorgelegen,  so  ist  der  Grund  für  diese  Darstellung  klar :  er  er- 
zählte die  Einnahme  von  Damiette  gemäss  der  ersten  Annalennotiz 
für  1219,  wurde  sodann  aber  durch  den  Satz:  et  le  prince  Buemont 
toli  Antioce  ä  Ruppin  son  neveut  etc.  auf  die  armenischen  Dinge,  die 
ja  auch  sachlich  mit  den  ägyptischen  zusammenhängen,  hingewiesen 
und  erzählte  sie  nun  in  geordneter  Folge,  indem  er,  wie  einige  stili- 


J)  Vgl.  Prutz,  Kulturgesch.  d.  Kreuzz.  Berlin  1883,  100.  —  Als  Beispiele  für 
derartige  Daten  vgl.  Est.  d'Er.  1.  31,  c.  13,  p.  325  (Wilken,  VI,  156,  Anm.  46)T 
1.  32,  c.  12,  p.  342  (Hoogeweg,  der  Kreuzz.  von  Damiette,  in  Mitth.  d.  Inst.  f. 
öst.  G.  F.  VIII,  ?05  ff.),  1.  33,  c.  1,  p.  366  (Röhricht,  Beitr.  zur  Gesch.  d.  Kreuzz, 
Berl.  1874,  p.  26,  Note  148). 

2)  Est.  d'Er.  1.  31.  c.  1,  p.  311  f.;  1.  32,  c.  4,  p.  324;  c.  7,  p.  336;  c.  10, 
p.  34') ;  1.  33,  c.  27,  p.  392 ;  c.  36,  p.  402 ;  vgl.  dazu  Wilken,  VI,  60  f. ;  Hoo- 
geweg, 1.  c.  VIII,  206,  216,  IX,  262.  —  Bei  dieser  Sachlage  stellt  Müller,  der 
Langobardenkrieg  auf  Cypern,  1229—1233  In-diss.  Halle,  1890,  p.  9  der  Chrono- 
logie des  Chronisten  ein  gar  zu  gutes  Zeugnis  aus. 

3)  Vgl.  oben  S.  567  f.. 


576 


Richter. 


stische  Anklänge  darthun,  das  von  den  Annalen  gebotene  Material 
zusammensuchte  und  verwertete.  Ueberhaupt  ist  in  den  einzelnen 
Fällen  wohl  zu  erklären,  wie  die  chronikalische  Darstellung  mit  Hülfe 
des  annalistischen  Materials  entstanden  ist,  nicht  aber  —  wenn  man 
nicht  zu  ganz  unmöglichen  Annahmen  seine  Zuflucht  nehmen  will  — 
wie    dieses   Material    aus   der  Chronik   zusammengetragen    sein  soll x). 

Doch  vermögen  wir  auch  einen,  so  zu  sagen,  positiven  Beweis 
dafür  beizubringen,  dass  die  Annalen  dem  Chronisten  vorgelegen  haben. 
Sie  sprechen  beide  von  der  Heirat  Friedrichs  IL  mit  Isabella,  der 
Tochter  des  Königs  Johann.     Est.  d'Er.  1.  32,    c.  20,  p.  357  erzählt: 

li  empereres  envoia  l'arce vesques  de  Capes,  por  esposer  la 
demoisele  en  lue  del  empereor  ....  li  arcevesques  de  Cappes  .  .  .  li 
mist  l'anel  ou  doi.  A.  d.  t.  s.  ad  1223  berichten:  A.  1224  vint  l'e- 
vesquedePaude  et  aporta  l'anel  ä  Ysabel,  fille  dou  roi  Johan, 
de  par  Fedrix  l'empereour.  Der  Zusammenhang  beider  Quellen  ist  ge- 
rade an  dieser  Stelle  und  den  dazu  gehörigen  Stücken  unleugbar.  Dass 
aber  die  Annalen  den  kaiserlichen  Gesandten  Bischof  von  Patti  nennen2), 
die  Chronik,  und  zwar  in  allen  Handschriften,  Erzbischof  von  Capua, 
beweist,  dass  jene  das  zeitlich  frühere  Geschichtswerk  waren  und  dem 
Chronisten  vorgelegen  haben.  Denn  Bischof  Jakob  von  Patti  wurde 
vor  1225,  Sept.  25  auf  den  erzbischöflichen  Stuhl  von  Capua  be- 
rufen 3).  Der  Chronist  hat  entweder  —  was  wir  ihm  wohl  zutrauen 
können  —  gewusst,  dass  der  in  den  Annalen  genannte  Bischof  von 
Patti  später  Erzbischof  von  Capua  wurde,  oder  er  folgte  lediglich  der 
mündlichen  üeberlieferung,  welche  nach  der  baldigen  Würdenerhöhung 
des  mit  so  hoher  Mission  Betrauten,  diesen  nur  noch  in  seiner  neuen 
Stellung  kannte  und  seine  frühere  vergass :  der  Erzbischof  von  Capua, 
nicht  mehr  der  Bischof  von  Patti  war  es,  der  dem  Kaiser  die  Braut 
heimholte.  Für  ganz  undenkbar  halten  wir  es  aber,  dass  der  Anna- 
list, als  der  spätere  Schriftsteller,  die  Angabe  seiner  chronikalischen 
Vorlage  gemäss  der  lange  vergangenen  Sachlage  verbessert  haben,  dass 
er  etwa  25  Jahre  nach  jener  Brautfahrt  noch  von  der  früheren  Würde 
des  Erzbischofs  von  Capua  gewusst  haben  soll4). 

Es  ist  für  uns    erwiesen,    dass    die  Annales    de    terre  sainte  eine 


J)  "Vgl.  abgesehen  von  der  erläuterten  Partie  m  1.  32  c.  15,  z.  B.  auch  1.  32, 
c.  23  — c.  25  mit  A.  d.  t.  s,  ad  1226  und  1227. 

2)  Auch  in  der  Redaktion  A  und  ebenso  in  dem  Text  der  G.  d.  Ch.  §  109, 
p.  30. 

s)  Vgl.  Est.  d'Er.  p.  357,  Note  e;  Huill.-Breh.  II,  522,  Brief  des  Papstes 
Honorius  an  Kaiser  Friedrich  mit  der  Nachricht  der  Berufung. 

4)  Die  Chronik  ist  erst  c.  1250  geschrieben,  vgl.  unten  S.  581. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaat.en.  57^ 

Quelle  der  Estoire  ä"  Eracles  waren ;  etwa  noch  vorhandene  Zweifel 
mag  in  der  folgenden  Darstellung  die  Evidenz  des  Gresammt Verhält- 
nisses beseitigen.  Wir  schauen  nach  anderen  Hülfsmitteln  unseres 
Chronisten  um  und  finden  solche  zunächst  für  die  Geschichte  der  ägyp- 
tischen Kämpfe. 

Die  Quellenliteratur  zur  Geschichte  des  sog.  5.  Kreuzzuges  ist 
nicht  gering.  Von  besonderer  Wichtigkeit  für  die  Kritik  sind  einige 
kleine  Schriften,  auf  die  Eöhricht  durch  seine  Ausgabe  der  Quinti 
belli  sacri  scriptores  l)  zuerst  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  hat.  Jo- 
hannes de  Tulbia  schrieb  de  domino  Johanne  rege  Jerusalem,  ein 
Anonymus  den  liber  duelli  christiani  in  obsidione  Damiatae  exacti, 
Codagnellus  verfasste  die  Gesta  obsidionis  Damiatae 2).  Schon  Eöh- 
richt hatte  angenommen,  dass  diese  drei  Quellen  —  freilich  sind  die 
von  ihm  herausgegebenen  Gesta  nicht  die  von  Codagnellus  verfassten, 
wie  Holder-Egger  nachgewiesen  —  auf  einem  gemeinsamen  Grund- 
stock, im  heil.  Lande  entstau denen  Aufzeichnungen  und  Tagebüchern, 
beruhten.  Holder-Egger  hat  neuerdings  diese  gemeinsame  Quelle  für 
die  Arbeit  eines  italienischen  Klerikers  aus  der  Umgebung  des  Kar- 
dinallegaten  Pelagius  erklärt;  daneben  habe  noch  ein  bisher  unbe- 
kannter Bericht  mit  eigenen  Nachrichten  existirt;  aus  ihm  und  den 
Gesta  Damiatae  des  Codagnellus  habe  ßeginus  die  in  dem  Liber  de 
temporibus  et  aetatibus  enthaltenen  Gesta  obsidionis  Damiatae  kom- 
piliert3).  Nun  sind  Beziehungen  des  „Chronisten  von  1205"  zu  diesem 
Schriftenkreis  unverkennbar.  Mit  Johannes  de  Tulbia,  der  —  wie 
auch  Holder-Egger  bemerkt  hat  —  dem  liber  duellii  im  Allgemeinen 
ganz  nahe  steht,  ist  die  Verwandtschaft  im  Anfang  auffällig 4) ;  sonst 
ist  sie  auch  mit  den  Gesta  zu  konstatieren,  aber,  ihrem  Charakter  ent- 
sprechend, nur  selten  und  in  sehr  äusserlicher  Weise.  Folgende  Stelle 
ist  namentlich  zu  vergleichen : 

Gesta  obsid.  Dam.  Est.  d' Er.  1.  32,  c.  4      Joh.  de  Tulbia,  p.  122, 

p.  77  §  VI.  p.  333.  §    X    und    Lib.     duelli, 

p.  145,  §  VII,  ganz  ähnlich: 

Considerans  vero  rex 

Egypti    quod    nee    per 

aquam,    nee    manendo 


Perpendens  autem  |  Quant  li  sotans  Me- 
Egiptiacus  rex  quod  lec  el  Quemel  vit  que 
Cristianorum    exercitus  li  Crestiens   creissoient 


'.  Publ.  de  la  soc.  de  1'  Orient  lat.  Serie  hist.  II.  p.  71  ff.  (Genf  1879). 

2)  Vgl.  Holder-Egger,  Ueber  die  hist.  Werke  des  Johannes  Codagnellus  aus 
Piacenza  N.  A.  XVI,  253  ff'.  V.  Die  Gesta  obsidionis  Damiatae,  p.  287  ff. 

3)  N.  A.  XVI,  300,  304.  —  Die  Gesta  des  Reginus  bei  Muratori  Script,  rer. 
Ital.  VIII,  p.  1084-1104. 

<)  Est,  d'Er.  I.  31,  c.  14,  p.  32G  und  Publ.  de  1'  Or.  lat,  II,  120  f. 
Mitthoilnngpn  XV.  :',7 


578  Richter. 


ades,  si  dota  moult,  por 
quei  il  vost  essayer  scm 
poeir  au  lor.  Et  il  avoit 
grant  aye  que  li  califes 
li  avoit  envoiee. 


in  sabulo  eis  nocerepo- 
teramus,  cogitavit  nos 
perdere  u.  s.  f. 


quotidie  augebatur,  plu- 
rirnum  est  turbatus. 
Tarnen  cepit  calide  co- 
gitare  qualiter  Cristia- 
norum  gentem  posset 
invadere  et  de  Terra 
Egipti  penitus  expellere. 

Danach  erzählen  die  Gesta  sofort  den  Kampf  vom  26.  Oktober 
1218,  während  die  anderen  beiden  den  Kampf  vom  9.  October  an- 
schliessen  x) ;  die  Darstellung  des  zweiten  Schlaehttages  am  26.  leiten 
sie  dann  mit  einem  Satze  ein,  der  dem  zweiten  oben  citirten  Satz  der 
Gesten  entspricht.  Die  Estoire  ihrerseits  bringt  eben  diesen  Satz  an 
derselben  Stelle  wie  die  Gesten,  leitet  aber  eine  Erzählung  mit  ihm 
ein,  in  welcher  —  wie  die  hier  geschilderte  Heldenthat  des  Königs 
Johann  beweist  —  die  Ereignisse  des  ersten  und  zweiten  Kampftages 
vermengt  und  auf  den  9.  Oktober  fixiert  sind.  So  verweist  die  Berück- 
sichtigung des  ersten  Schlachttages  auf  Johannes  de  Tulbia  und  den 
Liber  duelli,  das  sonstige  Verhältnis  auf  die  Gesten.  An  anderer  Stelle 
wieder    ist  eine  Beziehung    zu  Olivers  Geschichtschreibung  deutlich  2). 

Wir  vermessen  uns  über  die  Art  dieses  Zusammenhanges  keines 
Urtheils ,  für  welches  die  Voraussetzungen  fehlen :  eine  lückenlose 
Kenntnis  der  Quellen  und  eine  klare  Einsicht  in  die  Verhältnisse  der 
historia  Damiatina  des  Oliverius  Scholastikus.  Es  genüge  die  Erkennt- 
niss,  dass  der  Chrouist  Quellen  zu  Rathe  gezogen  hat. 

Andere  Quellen  haben  ihm  für  die  Geschichte  des  Occidents 
vorgelegen.  Wir  betrachten  den  Inhalt  von  1.  33,  c.  42  und  c.  43 
p.  408  ff.  Die  italienischen  Ereignisse  nach  der  Eückkehr  Fried- 
richs II.  aus  Deutschland  kommen  zur  Darstellung:  der  Kampf  mit 
den  italienischen  Städten  1237,  worin  die  Schlacht  von  Cortenuova  als 
Hauptstück,  die  Berufung  des  Generalconcils  nach  Kom,  der  Zusam- 
menstoss  zwischen  Pisanern  und  Genuesen  und  die  Gefangennahme 
der  Prälaten  1241.  Inmitten  dieser  Dinge,  nachdem  noch  der  gewalt- 
same Tod  des  Mailänder  Podesten  Pietro  Tiepolo  erzählt  ist,  werden 
wir  plötzlich  zur  Schlacht  von  Gorgonzola  im  November  1245  geführt. 
Dann  fährt  die  Erzählung  fort:  „uach  dieser  Schlacht  ging  der  Kaiser 
daran,   eine  Stadt,  welche  zur  Freundschaft  Mailands  gehörte  und  den 


')  Vgl.  Hoogeweg,  Mittheil,  d.  I.  f.  ösf.  Gesch.  VIII,  206,  209. 

2)  Vgl.  Röhricht  in  Westd.  Zs.  X,  161  ff.  —  Auf  den  Zusammenhang  der 
früheren  Theile  der  Estoire  d'  Eracles  mit  Oliverius  hat,  indessen  ohne  Erklärung, 
Streit,  p.  56  ff.,  hingewiesen.  Für  den  ägyptischen  Kreuzzug  ist  z.  ß.  zu  ver- 
gleichen: Est.  d'Er.  1.  31,  c.  12,  p.  324  u.  Röhricht,  1.  c.  p.  171. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  579 

Namen  Vincense1)  führte,  zu  belagern":  die  aus  der  Belagerung 
von  Parma,  Winter  1247/48,  bekannten  Ereignisse  sind  es,  die  wir 
zu  hören  bekommen,  der  Bau  der  Belagerungstadt  Vittoria,  der  prä- 
sumierten Nachfolgerin  von  Parma,  ihre  Einnahme  und  Zerstörung 
durch  das  Feuer  der  Belagerten.  Mit  dem  Generalconcil  in  Rom  wer- 
den wir  ebenso  unvermuthet  wieder  ins  Jahr  1241  zurückversetzt  und 
hier  ziemlich  ausführlich  über  den  Zusammenstoss  der  Pisaner  und  Ge- 
nuesen unterrichtet. 

Es  ist  die  zweifache  Frage :  wie  kommt  der  Chronist  auf  den 
Namen  Vincentia  statt  Parma  und  was  veranlasst  ihn  die  italienischen 
Ereignisse  von  1245 — 1248  in  eine  Erzählung  hineinzuzwängen,  welche 
die  Geschichte  von  1237 — 1241  behandelt?  Eine  Antwort  gibt  es 
für  beide  Fragen. 

Wir  erinnern  uns,  dass  im  August  1240,  auf  dem  Zuge  nach 
Bologna  begriffen,  der  Kaiser  die  Stadt  Faenza  umschloss,  dass  er 
dann,  als  sich  die  Belagerung  wider  Erwarten  in  die  Länge  zog  und 
ihn  zur  Ueberwinterung  nöthigte,  an  Stelle  des  Sommerlagers  um  die 
Stadt  gewissermassen  eine  neue  Stadt,  mit  Gräben  und  Befestigungs- 
werken geschützt,  aufbauen  liess 2).  Wie,  wenn  der  Chronist  diese 
Belagerung,  mit  den  Nebenumständen  erzählt,  in  einer  Vorlage  ge- 
funden? Dann  ist  erklärt,  wie  aus  dem  Namen  Faenza  die  Bezeich- 
nungen der  Handschriften  3)  entstehen  und  wie  der  Chronist  auf  die 
von  ihm  behandelten  Dinge  verfallen  konnte.  Durch  seine  Vorlage 
wurde  er  an  die  weniger  weit  zurückliegende,  in  den  Umständen  ähn- 
liche Belagerung  von  Parma  und  die  Ereignisse  vorher  erinnert;  über 
diese  Dinge  als  Zeitgenosse  unterrichtet  hat  er  seine  Erinnerungen  mit 
seiner  Vorlage  kombiniert  und  kam  so  zu  den  Unmöglichkeiten  seiner 
Darstellung.  Diese  Erklärung  besteht  die  Probe,  indem  wir  die  Vor- 
lage zu  bestimmen  suchen. 

Die  geschichtliche  Darstellung  für  die  Jahre  1237 — 1241  in  den 
Annales  Piacentini  Gibellini  lässt  den  vollkommenen  Parallelismus  mit 
der  Estoire  d'  Eracles,  wenn  auch  zum  Theil  viel  ausführlicher  als  diese, 
unzweifelhaft  hervortreten,  sobald  man  in  der  letzteren  die  Erzählung 
von  Gorgonzola,  Vicenza  und  Vittoria  durch  die  Belagerung  von  Fa- 
enza ersetzt.  U eberall  möchte  man  erkennen,  wie  der  chronikalische 
Bericht   aus    dem   der  Annalen   entstanden   ist;    auch    stilistische  An- 


')  Dies    die  Lesart    von    Hs.  B ;    A  schreibt  Vicence ,   D  Pazina  (?),    G  Vin- 
cence. 

2)  Schirrmacher,  Kaiser  Friedrich  II.  III,  168  ff. 

s)  Dass  alle  Hss.  entsprechende  Lesai*ten   haben,    beweist,    dass    schon   das 
erste  Ms.  die  aus  Faenza  verderbte  Lesart  gehabt  hat. 

37* 


580 


Richter. 


klänge  fehlen  nicht l).  In  ähnlicher  Folge  und  Verknüpfung,  wie  in 
den  Annales  Placentiui  und  wie  es  für  die  Vorlage  der  Estoire  zu  ver- 
niuthen  steht,  sind  die  Ereignisse  in  den  viel  umfangreicheren  An- 
nales Jauuenses  erzählt.  Der  äussere  Charakter  lässt  sie  freilich  als 
Vorlage  für  den  „Chronisten  von  1205"  weniger  geeignet  erscheinen, 
und  im  Besonderen  die  Schilderung  der  Belagerung  von  Faenza  ist 
hier  nicht  so  beschaffen,  dass  sie  jenen  Fehler  des  Chronisten  leicht 
hätte  veranlassen  können 2).  Trotzdem  ist  ein  Zusammenhang  auch 
dieser  Annalen  und  der  Chronik  nicht  von  der  Hand  zu  weisen. 

Ein  gewisser  Parallelismus  der  beiden  Quellen  besteht  für  einige 
Partieen  in  der  Erzählung  der  verunglückten  Prälatenfahrt  von  Genua 
nach  Kom  3).  In  dem  Chronikbericht  über  das  Concil  von  Lyon,  1245, 
finden  sich  deutliche  stilistische  Anklänge  an  die  entsprechende  Er- 
zählung der  Genueser  Annalen.  Aus  den  Worten,  welche  der  päpst- 
liche Gesandte  vor  dem  Kat  in  Genua  —  nach  den  von  hier  stammen- 
den Annalen  —  gesprochen  haben  soll,  hat  unser  Chronist  einige  er- 
zählende Sätze    zusammengeformt.     Beispielsweise   ist   zu  vergleichen: 


An.  Jan.  p.  213. 
dominus  papa  etc.  mandat  ut  pro 
deo  armentur  galee,  in  quibus  sit 
persona  potestatis  etc.,  qui  veloci- 
ter  moveant,  euntes  apud  Civitam 
vetulam;  quae  cum  ibi  applicave- 
rint,  se  parabit  quam    celatim 

poterit  nocte  una  etc. 
Ueber  den  Aufenthalt  in  Genua  geben  beide: 


Est.  d'Er.  1.  33,  c.  53  p.  423. 
.  .  .  pape  InnoceDt  le  Quart  etc., 
si  manda  a  Jenoe  que  il  li  envoi- 
assent  galees  priveement  a  la  fois 
do  Tivre.  Et  quant  eles  i  furent 
venues,  il  se  parti  de  Korne  celee- 
ment  et  vint  la  etc. 


:  1.  e. 

En  ce  que   il  fu   a  Jenoe,    il    i 
sejorna  une  piece  etc. 


:  p.  215. 

Et  per  dies  plures  requievit  ibi- 
dem iacens  infirmus. 


»)  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  p.  484:  .  .  .  Unde  imperator  valde  indignatus 
....  raandavit  in  Apuliam  et  fecit  suspendere  Comitem  Petrum  Depoluni  filium 
ducis  Venecie  quem  detinebat  carceratum.  Est.  d'Er.  1.  33,  c.  42,  p.  408:  in 
der  Schlacht  bei  Gorgonzola  wurde  gefangen  genommen  le  podeste  de  Milan,  qui 
estoit  fil  dou  duc  de  Venise  lequel  li  empereres  fiat  pendre  en  la  cito  de  Trane, 
sur  une  haute  tor,  qui  sist  sur  le  rivage  de  la  mer. 

2)  Mon.  Germ.  SS.  XVIII,  192:  In  qua  obsidione  ab  omni  latere  eiusdem 
civitatis  facta  permansit  per  menses  .  .  .  faciendo  ibi  construi  domos  et  quam 
plurimas  mansiones;  zu  vergleichen  mit  Mon.  Germ.  XVIII,  An.  Plac.  Gib.  484: 
In  proximo  mense  Octubris  imperator  credens  ibi  yemare  statuit  fieri  fossata  in 
giro  castris  et  spaldis  et  berteschis  munita,  et  domos  in  ipso  fieri  fecit  et  in 
publica  Concione  dedit  fidanciam  Omnibus  etc. 

3)  Est.  d'Er.  1.  33,  c.  43,  p.  4L1,  412  u.  Ann.  Jan.  SS.  XVIII,  194 ff. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  581 

Für  einen  sehr  summarischen  Vorbericht  der  Exkommunikation 
Friedrichs  sind  von  dem  Chronisten  noch  die  Annalen,  p.  216,  217 
benutzt  worden,  wie  einzelne  stilistische  Beobachtungen  zeigen.  Wo- 
rauf er  sich  für  die  Episode  aus  den  Concilsverhandlungen,  die  er  zu 
berichten  weiss  —  das  Auftreten  des  Kaiserlichen  Bevollmächtigten 
Peter  de  Vineis  l)  —  stützt,  ist  nicht  klar  zu  erkennen. 

Ob  der  „Chronist  von  1205u  nun  die  Annalen  von  Genua  in  der 
uns  bekannten  Gestalt  oder  in  einem  Auszug,  ob  er  neben  ihnen  die 
Annalen  von  Piacenza  benutzt  hat  oder  ob  diese  bereits  in  einer  Ver- 
arbeitung mit  jenen  ihm  vorgelegen  haben,  oder  ob  endlich  andere 
schriftliche  Aufzeichnungen  auf  irgend  eine  Weise  die  gemeinsame 
Quelle  aller  gewesen  sind  —  das  sind  Fragen,  deren  Entscheidung 
dahingestellt  bleiben  muss.  Genug,  dass  die  Geschichtsschreibung  ita- 
lienischer Städte  dem  Historiker  des  Orients  hat  dienen  müssen.  Ge- 
meinschaftliche Interessen  in  Handel  und  Politik  hatten  zwischen  den 
Seestädten  Italiens  und  den  Kreuzfahrerstaaten  Kleinasiens,  nament- 
lich zwischen  Genua  und  Cypern,  eine  enge  Verbindung  geschaffen: 
sie  zeigt  sich  auch  wirksam  bei  der  unscheinbaren  geräuschlosen  Arbeit 
des  Chronisten  und  unterstüzt  sie  durch  die  Früchte  europäischer  Ge- 
schichtschreibung. 

Die  letzten  Erörterungen  zeigen,  dass  die  Chronik  ziemlich  spät 
geschrieben  worden  ist.  Es  liegt  keinerlei  Anlass  vor,  die  Darstellung 
der  italienischen  Kämpfe,  für  welche  die  Ereignisse  des  Jahres  1248 
noch  beigesteuert  haben,  für  ein  späteres  Einschiebsel  zu  halten;  diese 
Darstellung  selbst  und  die  folgenden  Theile,  1.  32,  c.  42 — 62,  p,  408 
bis  435,  wären  also  nach  dem  18.  Februar  1248 ,  der  kaiserlichen 
Niederlage  vor  Parma,  geschrieben  ä).  Ja,  der  Chronist  nimmt  c.  54 
noch  auf  den  Tod  Kaiser  Friedrichs  Bezug  und  auf  den  Einzug  des 
triumphirenden  Papstes  in  die  ewige  Stadt  (1251,  April  19),  nachdem 
der  Kaiser  gestorben.  Das  letzte,  wirklich  zur  Darstellung  kommende 
geschichtliche  Ereignis  ist  die  Kreuzesnahme  Ludwigs  des  Heiligen 
1247.  Dies  ist  nicht  zufällig  und  vermuthlich  dadurch  begründet,  dass 
die  Annales  de  terre  sainte,  wovon  noch  die  Kede  sein  wird,  mit  den 
Jahren  1247/48  ein  vorläufiges  Ende  erreichten  3).  Die  ganze  Chronik 
ist  mit  Hülfe  der  Annalen  gearbeitet  und  zwar  so,  dass  eine  spätere 
Interpolation   einfach  ausgeschlossen  ist,    die  Arbeit   an    derselben  ist 


')  1.  c.  p.  424;    nach   allen   anderen  Quellen   ist  Thaddaeus    de  Suessa   der 
kaiserliche  Gesandte  und  Mundwalt. 
2)  Schirrmacher,  IV,  258. 
»)  Vgl.  Mitth.  d.  Inst.  f.  öst.  Gesch.  XIII,  270  f. 


582  Richter. 

also  erst  begonnen  worden,  nachdem  die  Anualen  bis  1248  fertig  ge- 
stellt waren,  vor  1248  hat  der  Chronist  daher  nicht  zu  schreiben  an- 
gefangen. 

Aber  er  that  es  nach  sorgfältiger  Vorbereitung,  die  um  so  nöthiger 
war,  als  er  bis  auf  das  Jahr  1205  mit  seiner  Berichterstattung  zurück- 
ging. Fleissige  Erkundigung  und  reiches  Eigenwissen  haben  ihm  na- 
mentlich für  die  cyprisch-  syrische  Geschichte  Stoff  zugeführt.  Wo  ihn 
diese  Quellen  im  Stich  Hessen,  hat  er  schriftliche  zu  Käthe  gezogen. 
Die  Annales  de  terre  sainte  waren  nicht  nur  als  chronologisches  Hülfs- 
mittel,  sondern  auch  wegen  des  zwar  kurz  gefassten,  aber  nicht  selten 
reichen  Inhalts  dankenswerth ;  in  ihrer  Verwendung  bekundet  der 
Chronist  nicht  wenig  Geschick  und  Ueberlegung.  Sein  Verhalten  zu 
den  sonstigen  Quellen  ist  dunkel,  wie  diese  selbst  es  sind.  Wir  müssen 
uns  begnügen,  solche  für  die  ägyptische  und  europäische,  im  beson- 
deren italienische  Geschichte,  aufgedeckt  zu  haben;  möglich,  dass  er 
hier  ein  reiches  Material  vielartigen  Ursprungs  zusammengetragen  und 
verarbeitet  hat.  Wenig  zuverlässig  ist  er  in  der  Chronologie,  die  er 
um  so  geringer  achten  mochte,  als  sie  ihm  in  den  Annalen  als  etwas 
Bekanntes  gegeben  war.  Und  in  der  Behandlung  europäischer  Ver- 
hältnisse gestattete  er  sich  eine  wenig  gewissenhafte  Freiheit  und 
Willkür.  Sie  gehörten  für  ihn,  bei  der  Entfernung  des  Schauplatzes, 
nicht  mehr  in  dem  Masse  der  Geschichte  an,  als  die  orientalischen 
Zustände  und  Ereignisse;  er  betrachtete  sie  als  Nebensache.  Aber  ge- 
nug, dass  er  sie  überhaupt  berücksichtigte  und  nie  anders,  als  es  der 
Plan  des  Werkes  erlaubte. 

Gerade  die  nicht  orientalische  Geschichtserzählung  legt  Zeugnis  ab 
von  dem  weit  um-  und  überschauenden  Blick  unseres  Chronisten;  er 
steht  hier  im  schärfsten  Gegensatz  zu  dem  Memoirenschreiber  Philipp, 
für  welchen  es  kaum  etwas  anderes  giebt,  als  die  kleine  Welt  Cyperns 
und  der  syrischen  Küste  mit  ihrem  engen  Horizont  und  ihren  eigen- 
süchtigen Interessen.  Und  ebenso  übertrifft  er  diesen  weit  durch  die 
Ruhe  des  Urtheils  und  die  Sachlichkeit  seinem  Stoff  gegenüber ;  er 
schreibt  seine  Geschichte,  kaum  mehr  beeinflusst  von  Parteilichkeit 
und  eigenen  Bestrebungen,  als  es  auch  heute  noch  der  Historiker  von 
gutem  Willen  ist 1).  Dem  deutscheu  Kaiser  steht  er  ohne  besondere 
Voreingenommenheit  gegenüber;  dem  Feind  seines  Vaterlandes  ist  auch 


')  Vgl.  Löher,  Kaiser  Friedrichs  Kampf  um  Cypern,  in  Abhancll.  d.  bist. 
Kl.  der  baier.  Ak.  d.  Wiss.  142,  113,  Anm.  1,  114,  u.  D.  M.  L.  Chronique  504, 
welche  beide  ein  ganz  unberechtigt  scharfes  Urtheil  in  entgegengesetztem  Sinne 
fallen. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  583 

er  Feind  und  deswegen  geneigt  Uebles  nachzusagen,  aber  es  fehlt  jener 
persönliche  Hass,  wie  er  bei  Philipp  hervorbricht.  Wenn  der  Chronist 
gegen  Ende  seines  Buches  c.  54,  gelegentlich  der  Absetzung  Fried- 
richs, erzählt,  wie  ,,viel  Volk  sich  gegen  ihn  wandte  und  zum  Papste 
hielt,  und  namentlich  die  ganze  Geistlichkeit,  welche  gar  grosse  Macht 
auf  Erden  hat"  —  klingt  es  nicht  durch  wie  Mitgefühl  mit  dem  Kaiser 
und  Empörung  wider  die  „Pfaffen",  denen  er  seit  Damiette  nicht  wohl 
will  und  Vorwürfe  macht?  l) 

Wenn  daher  in  der  Darstellung  cyprischer  Dinge  unsere  beiden  Ge- 
währsmänner auseinandergehen,  verdient  der  Chronist  überall  da  unser 
Vertrauen,  wo  Philipp,  wie  wir  ihn  kennen  gelernt  haben,  zu  Einsei- 
tigkeit und  Entsteilung  veranlasst  sein  kann,  und  wo  jener  mit  seinen 
Nachrichten  allein  steht,  können  wir  ihm  unbedenklich  Glauben 
schenken,  wenn  nicht  zwingende  Gründe  entgegenstehen. 

Der  Chronist  schrieb  sein  Buch  als  Historiker  in  der  Absicht  auf- 
zuzeichnen was  geschehen  war ;  dass  in  seiner  Geschichtserzählung  die 
cyprischen  Kämpfe  einen  grösseren  Raum  einnehmen,  ist  in  ihrer 
Wichtigkeit  für  die  orientalische  Christenheit  ebenso  begründet,  wie 
die  breite  Darstellung  des  ägyptischen  Kreuzzuges.  Philipp  schrieb 
seine  Memoiren,  um  der  Sache  seiner  Freunde  und  auch  seiner  eigenen 
zu  dienen,  als  Theilnehmer  an  den  wechselvollen  Kämpfen  um  die 
Herrschaft  auf  Cypern.  Nur  so,  halb  zufällig  wurde  er  zum  Geschicht- 
schreiber, während  den  Chronisten  Neigung  und  Anlage  dazu  trieb  2). 


')  Vgl.  Est,  d'Er.  1.  31,  c.  15,  p.  348. 

2j  Streit,  p.  38,  Anm.  3,  glaubt  in  dem  Chronisten  den  auch  als  Juristen 
im  französischen  Orient  bekannten  Ritter  Godefridus  Taurus  oder  Tortus  sehen  zu 
dürfen,  der  selbst  in  den  Gang  der  Ereignisse  handelnd  eingriff  (Est.  d'  Er.  1.  33 
c.  40,  D.  M.  L.  Chipre,  II  57,  Anm.  1.)  Er  ist  wohl  zu  identificiren  mit  einem 
„toskanischen"  Ritter  Tor  (G.  d.  Ch.  §  113  p.  31)  [so  genannt  vermutlich  wegen 
seiner  Familienabstammung,  da  der  Joffroi  de  Tor  der  Estoire  in  Syrien  geboren 
ist]  und  einem  Toringuel  genannten  Ritter  (G.  d.  Ch.  §  152  p.  68,  69,  §  155  p.  76.) 
Diese  letztere  Identificirung  ist  wegen  der  Schicksale  des  Tor  und  der  Rolle  des 
Toringuel  in  Philipps  Reinekelied  kaum  von  der  Hand  zu  weisen.  Nun  hat  Phi- 
lipp den  Theil  der  chronikalischen  Erzählung,  in  welchem  Tor  als  Mann  von  Be- 
deutung und  Einfluss  genannt  wird,  wieder  einmal  unberücksichtigt  gelassen, 
Philipp  dagegen  wird  in  der  Chronik  überhaupt  nicht  genannt,  während  doch 
Philipp  und  Tor  in  nahen  persönlichen  Beziehungen  zu  einander  gestanden  haben. 
Wäre  Tor  wirklich  der  Verfasser  der  Estoire  —  was  wir  nicht  glauben  — ,  so 
hätten  wir  ein  merkwürdiges  Beispiel  literarischer  Befehdung  und  in  die  Ge- 
schichtschreibung hineingetragener  Eifersucht  vor  uns.  —  Müller  hätte  in  seiner 
Darstellung  des  cyprischen  Kampfes  (cf.  oben  S.  575  Anm.  2)  immer  noch  mehr 
Zurückhaltung  der  Erzählung  Philipps  gegenüber  beobachten  dürfen. 


584  K  i  c  h  t  e  r. 

III.  Die  Annales  de  terre  sainte. 

Das  Annalenwerk,  welches  beide,  Chronist  und  Memoirenschreiber 
als  Hülfsrnittel  für  ihre  historischen  Arbeiten  benutzt  haben,  soll  im 
folgenden  besprochen  werden.  Wir  müssen  uns,  aus  Eücksicht  auf 
den  zur  Verfügung  stehenden  Raum  damit  begnügen,  nur  mehr  Re- 
sultate der  Untersuchungen,  als  diese  selbst  in  der  nöthigen  Ausführ- 
lichkeit vorzulegen. 

1.  Ueberliefcrung  der  Annaleu   in  Texten  und  Nachschriften 
und  ihr  allgemeiner  Charakter. 

In  zwei  Redaktionen,  A  und  B,  sind  die  Annales  de  terre  sainte 
bisher  bekannt  und  von  Röhricht  herausgegeben  1).  Von  ihnen  stellen 
Annalen  A  in  ihrem  ganzen  Umfange  offenbar  eine  zum  Theil  sehr 
lüderliche  Verkürzung  einer  Vorlage  dar,  so  dass  höchstens  Annalen 
B  den  Anspruch  erheben  könnten,  das  Originalwerk  zu  sein.  Jeden- 
falls können  für  alle  Werke,  welche  Anleihen  bei  den  Annalen  ge- 
macht haben,  nie  die  Annalen  A  wegen  ihrer  Aermlichkeit ,  sondern 
höchstens  die  inhaltsreicheren  Annalen  B  in  Betracht  kommen. 

Zu  diesen  Schuldnern  gehört,  vielleicht  als  erster,  „der  Chronist 
von  1205".  Er  behandelte  das  Entliehene  wie  etwas  Eigenes  sehr  frei 
und  selbständig,  so  dass  es  nur  ausnahmsweise  seinen  Ursprung  ver- 
räth.  Ehrlicher  verfuhr  der  Fortsetzer,  welchen  er  fand  und  der  das 
34.  Buch  der  Estoire  d'Eracles,  p.  436  —  481,  für  die  Zeit  von  1248 
bis  1277  hinzufügte.  Die  Worte,  mit  denen  er  die  Schlusserzählung 
seines  Vorgängers  abbrach  2),  scheinen  auf  seine  chronologisch-anna- 
listische Vorlage  hinzuweisen,  wie  denn  auch  seine  Darstellung  im 
Grossen  und  Ganzen  ein  annalistisches  Gepräge  trägt,  bis  auf  die  Par- 
tieen  aussersyrischer  Geschichte.  Er  bringt  aber,  verbunden  mit  dem 
den  Annalen  unzweifelhaft  entnommenen  Material,  noch  reichliche  Nach- 
richten annalistischer  Form,  die  wir  gerne  als  ursprüngliche  Bestand- 
teile für  die  Annales  de  terre  sainte  in  Anspruch  nähmen.  Doch  ver- 
bietet das  der  Vergleich  mit  allen  in  Betracht  kommenden,  den  An- 
nalen nahe  stehenden  Texten.  Es  müssen  dem  Redaktor  des  letzten 
Theiles  der  Estoire  d'  Eracles  —  denn  mehr  als  ein  Redaktor  war  sein 


')  Vgl.  oben  S.  573,  Anm.  1. 

2)  1.  33,  c.  62,  p.  435 :  Nos  lairons  ores  a  parier  dou  fait  d'  Antiocke  et 
des  Turquemans  por  ce  que  il  nos  covient  porsivre  la  matiere  de  ce  livre  et 
mener   a   ordre   enei   come   les   choses   sont  avenues  en  la  terre  de 

Surie. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  5*^5 

Urheber  nicht  —  irgend  welche  Aufzeichnungen  zu  Gebote  gestanden 
haben,  welche  Todesfälle,  Eeiseereignisse  und  sonstige  Neuigkeiten  des 
Orients  betrafen,  und  die  er,  zusammenhangslos  und  ohne  Daten,  wie 
er  sie  fand,  dem  annalistischen  Material  mühelos  einfügte.  Hierbei 
verkürzte  er  vielfach  die  Annalen  und  fügte  wohl  auch  manches  aus 
eigener  Kenntnis  hinzu  1).  Zu  vermuthen  ist,  dass  diese  Aufzeichnungen 
im  Templerorden  ihren  Ursprung  hatten,  der  Redaktor  selbst  vielleicht 
in  irgend  welchen  Beziehungen  zu  demselben  gestanden  hat2). 

Nicht  minder  vorsichtig  ist  das  in  dem  Liber  secretorurn  fideli- 
um  crucis  des  Marinus  Sanudus  enthaltene  annalistische  Material  für 
die  Beurtheilung  der  Annalen  zu  verwerthen.  Marinus  verwendet  die 
Estoire  und  die  Annalen  neben  einander,  welch  letztere  doch  in  jener 
schon  so  oder  so  gestaltet  Verwendung  gefunden  hatten.  Schreibt  er 
vorzugsweise  die  Estoire  aus,  so  schliesst  er  sich  doch  auch  nicht  selten 
an  die  Annalen  enger  an,  nie  aber  hat  er  diese  ganz  ausser  Acht  ge- 
lassen 3).  Höchst  geschickt  verwebt  er  den,  in  seinem  letzten  Theil 
so  verschieden  gearteten  Text  der  Estoire,  bestehend  aus  annalistischen, 
eigenen  und  ihrem  Ursprung  nach  dunklen  Bestandteilen,  mit  seiner 
annalistischen  Vorlage.  —  Unter  den  Benutzern  der  Annalen  ist  ferner 
der  Autor  der  Gestes  des  Chiprois,  als  deren  Bestandtheil  uns  Philipps 
Memoiren  erhalten  sind,  zu  nennen 4).  Er  schrieb  seine  Chronik,  wo 
ihn  eigene  Kenntnis  verliess,  entschieden  auf  Grund  der  Estoire  und 
auch  der  Annalen,  aber  mit  so  freier  Benutzung  und  Umgestaltung 
des  hier  gebotenen  Materials,  dass  er  für  die  Erkennung  der  Annalen 
kaum  etwas  übrig  gelassen  hat.  Seine  Arbeit  bildete  die  leitende 
Hauptquelle  für  den  späten  italienischen  Chronisten  Amadi,  der  da- 
neben die  Estoire,  Marinus  Sanudus  und  vielleicht  unsere  Annalen  als 
Hilfsmittel  benutzte.  Dieses  Zusammenfliessen  verschiedenster  Bestand- 
teile macht  sein  Buch  für  uns  ebenso  untauglich  wie  die  Gestes  des 
Chiprois. 


')  Das  Zusammenfliessen  verschiedenartigen  Materials  ist  besonders  deutlich 
zu  erkennen  bei  einem  Vergleich  der  Berichterstattung  für  die  Jahre  1273,  1274, 
1275  (Est.  d'Er.  1.  34,  c.   17,  20). 

2)  Vgl.  die  auffallend  sorgfältige  Datierung  der  zweiten  Notiz  für  1273, 
während  sonst  nur  die  wenigen  annalistischen  Angaben  der  Vorlage  gemäss  da- 
diert  sind;  vgl.  ferner  die  Bearbeitung  in  1.  34,  c.  3,  p.  445  gegenüber  dem 
Annalenbericht  für  1260.  —  D.  M.  L.  Chronique,  557,  spricht  von  Beziehungen 
zum  Johanniterorden,  ohne  eine  Begründung  anzugeben. 

3)  lieber  die  Grundlage  des  Marinus  bis  1231  vgl.  Simonsteld,  Studien  zu 
Marinus  Sanudus  den  Aeltern,  N.  A.  VII,  45  ff.  62,  Anm. 

4)  Vgl.  den  Anhang. 


586 


Richter. 


Aus  den  Eedaktioueu  und  den  Texten,  in  welche  die  französischen 
Ännalen  hinübergegangen  sind,    lässt    sich   ihr   allgemeiner  Charakter 
bestimmen.     Sie  beginnen  mit    dem  Jahre    1095,    sind    anfangs    sehr 
kurz  und  verzeichnen  oft  nur  ein  Faktum  für   ein  Jahr,    werden  mit 
dem  ausgehenden  12.  Jahrhundert  etwas  reichhaltiger,    ohne    doch   je 
über  das  Aneinanderreihen  von  Notizen   hinauszukommen,    zeigen  für 
die    40er    Jahre   des    13.  Jahrhunderts  mitunter  grössere  Ausführlich- 
keit, bis  sie  vom  Jahre  1249    ab    ein    umfangreiches   und  werthvolles 
Material  überliefern,    auch   jetzt   noch    in    kurzer   und  präciser  Form, 
weit    entfernt    von   behaglicher  Erzählung.     Der  erste  Kreuzzug  Lud- 
wigs des  Heiligen,  und  zwar  von  seiner  Fahrt  nach  Aegypten  an,  be- 
zeichnet diesen  Wechsel  der  annalistischen  Berichterstattung,    der  zu- 
gleich auch  mit  dem  Abschluss  der  Chronik  von  1205  in  der  Estoire 
d'Eracles    zusammenfällt.     Es   werden    die   Annalen   mit    den    Jahren 
1247 — 1248    ein    vorläufiges  Ende  erreicht   und  in  dieser  Gestalt  zu- 
nächst Verbreitung  gefunden    haben.      Die    ausführliche  Berichterstat- 
tung von  1249   an  —    für    die  Zeit  von  Ludwigs  Kreuzzug  vielleicht 
auf  Grund  eines  Itinerars  geschrieben,  später  wenn  nicht  gleichzeitigen 
so    doch    zeitgenössischen  Ursprungs    —  nimmt    ein   plötzliches  Ende 
mit  den  Jahren    1273—1275,    für    welche    eine   bezw.    drei  und  zwei 
Notizen  erscheinen.     Danach  haben  die  beiden  uns  erhaltenen  Kedak- 
tionen  nichts  mehr  miteinander  zu  thun.   In  B  folgt,  nach  einer  Lücke 
bis  1281,  eine  sonst  nicht  nachzuweisende  annalistische  Berichterstat- 
tung bis  1290 ;  in  A  schliessen  sich  auch  sonst  zu  belegende  Jahres- 
berichte bis  1291  an,  welche  durchaus    den  dieser  Kedaktion  eigenen 
Charakter  unordentlicher  und  unzuverlässiger  Bearbeitung  tragen.  Da- 
nach ist  klar,  dass  mit  dem  Jahre  1275  die  Annalen   abermals  einen 
Abschluss    erfuhren,    um    später    verschiedenartige    Fortsetzungen    zu 
finden.     Wir  haben  sie  also  in  drei  Theile  zu  scheiden,  den  ersten  bis 
1248,  den  zweiten  bis  1275,   den   dritten  bis  1291,  und  diese  geson- 
dert zu  betrachten. 

2.  Die  nicht  überlieferten  Annalenwerke. 

Die  Annalen  von  1095—1248.  Schon  die  Form  mancher  in  dem 
Gestentext  der  Memoiren  überlieferten  Nachrichten  und  ihre  Verbin- 
dung mit  annalistischen  Notizen  lässt  die  Annahme  zu,  die  Nach- 
richten dem  benutzten  Annalenwerke    zuzuschreiben  *).     Dass  Philipp, 


i)  Vgl.  mit  A.  d.  t.  s.  ad  1226  G.  d.  Ch.  §  118  u.  §  119,  wo  auf  die  erste, 
in  den  Annalen  belegte  Notiz  noch  fernere  Notizen  folgen,  die  auf  die  annali- 
stische Vorlage  zurückzugehen  scheinen ;  vgl.  besonders  die  hier  gegebene  Nach- 


Beiträge  zur  Historiographie  iu  den  Kreuzfahrerstaaten.  587 

oder  seinem  Interpolator  l)  in  der  That  weder  Redaktion  A  noch  B 
vorgelegen  hat,  beweist  aber  schlagend  die  Thatsache,  dass  in  dem 
Gestentext  irrthümlicherweise  zwei  Mal  dieselbe,  von  der  Redaktion  A 
überhaupt  nicht  gebrachte,  annalistische  Nachricht  erscheint,  beide 
Male  nahezu  gleichlautend,  aber  doch  mit  bemerkenswerthen  Ab- 
weichungen von  der  in  Redaktion  B  überlieferten  Form  2).  Der  Inter- 
polator muss  also  in  seiner  Vorlage  einen  ähnlichen  Wortlaut  gefun- 
den haben,  wie  er  ihn  beide  Male  anwandte;  denn  es  ist  ausge- 
schlossen, dass  er,  um  das  zweite  Mal  sich  selbst  abzuschreiben,  viele 
Seiten  in  seinem  Manuscript  zurückgeblättert  habe. 

Man  vergleiche  ferner  Marinus  Sanudus  lib.  III,  c.  9,10,  p.  209  f.3) 
mit  Redaktion  B  ad  1219  und  ad  1222  auf  der  einen 4),  die  Estoire 
1.  33,  c.  15,  p.  347  mit  Redaktion  A  ad  1219  und  ad  1222  auf  der 
anderen  Seite,  und  alle  vier  Quellen  unter  einander;  so  ergiebt  sich, 
dass  Sanudus  und  B,  ebenso  Estoire  und  A  sich  nahe  stehen.  Den 
engeren  Zusammenhang  der  letzteren  beiden  lässt  in  diesem  Falle 
mehr  die  gemeinschaftliche  Anordnung  des  Stoffes  und  die  Art  der 
Berichterstattung  vermuthen,  in  einem  anderen  Falle  5)  die  unverkenn- 
bare sachliche  Uebereinstimmung. 

Wir  erkennen  also  für  diesen  ersten  bis  1248  reichenden  Theil 
zwei  Annaleugruppen.      Der    einen    gehören    die  Annalen  A   und   der 


rieht  vom  Tode  des  französischen  Königs  Ludwig  mit  der  entsprechenden  Nach- 
richt über  den  Vater  Philipp,  A.  d.  t.  s.  ad  1223  und  G.  d.  Ch.  §  108. 
')  Vgl.  den  Anhang. 

2)  Vgl.  M.  d.  I.  f.  ö.  G.  XIII  p.  288  f.  G.  d.  Ch.  §  157,  p.  77  ad  1229 :  ...  Et 
le  patriarche  d'Antioche  vint  en  Acre  legat  de  la  court  de  Rorne  et  apres  ly  fu 
tolue  la  legation  au  patriarche  par  V  emperere  Federic,  qui  Tavoit  acuse  au  pape, 
dont  il  ala  ä  Rome,  et  ot  ariere  la  legation  en  son  patriarche  perpetuaument, 
u.  G.  d.  Ch.  §  204  p.  112  ad  1232:  Et  le  patriarche  Gerolt  de  Jerusalem  fu  acu- 
ses  ä  Rome  par  1'  emperere  Federic,  et  ly  fu  tolue  la  legation,  dont  il  ala  etc. ; 
dagegen  A.  d.  t,  s.  ad  1232:  Et  le  patriarche  Girot  ala  ä  Rome,  pour  ce  que 
l'empereur  Fedrik  si  1' avoit  acuse  au  pape,  siqu'il  perdi  la  legassion,  et  quant 
il  fu  venus  devant  le  pape,  il  li  donna  la  legassion  en  son  patriarche  ä  tous  tens. 
Die  Gesten-Lesart  an  erster  Stelle  dürfte  den  älteren  Wortlaut  bieten,  weil  sie 
in  den  Worten  ...  1'  avoit  acuse  au  pape  .  .  .  mit  Redaktion  B  übereinstimmt. 

3)  Bei  Bongars,  Gesta  dei  per  Francos,  Bd.  II.  Hanoviae,  1611. 

4)  Ann.  B  ad  1219:  par  l'atrait  de  Guillaume  Forabel  hat  seine  Parallel- 
stelle bei  Mar.  San.  c.  9,  p.  209,  und  Ann.  B.  ad  1222:  et  ot  tout  le  royaume 
d'  Ermenie  bei  Mar.  San.  c.  10,  p.  210  —  im  Gegensatz  zu  Estoire  u.  Ann.  A. 

5)  Ann.  A.  ad  1239:  et  fu  pris  le  conte  de  Monfort  et  le  conte  de  Bar 
y  fu  mors  etc.  u.  Est.  d' Er.  1,  33,  c.  45,  p.  415.  La  fu  pris  Amauri  li  cuens  de 
Monfort  et  i  fus  ocis  li  cuens  de  Bar  le  Duc  etc.,  gegenüber  Ann.  B:  et  furent 
ocis  le  conte  de  Monfort  et  le  conte  de  Bar  etc. 


588  Richter. 

Text  der  Estoire  an  und  so  zwar,  dass  beide  auf  ein  gemeinschaft- 
liches, bereits  abgeleitetes  Annalenwerk  zurückgehen ;  dies  sei  Gruppe  A. 
Der  zweiten,  der  Gruppe  B,  ist  der  Text  der  Gesten  und  des  Marinus  Sanudus 
nebst  Annalen  B  zuzuweisen;  von  ihnen  ist  der  erste  sicher  nebenRe- 
daktion  B  auf  ein  gemeinsames  (vielleicht  das  ursprüngliche)  Annalen- 
werk, Marinus  Sanudus  möglicherweise  auf  Annalen  B  zurückzuführen. 

Die  Annalen  von  1248  —  1275.  Am  deutlichsten  zeigt  sich  das 
Verhältnis  der  Texte  in  der  Berichterstattung  für  das  Jahr  1271  1). 
In  der  Estoire  werden  zwei  Kriegszüge  der  Kreuzfahrer  erzählt,  der 
eiue  gegen  St.  George  2),  der  andere  gegen  Burg  Kakoun,  jener  mit 
Verlusten  für  die  Engländer  auf  dem  anstrengenden  Marsche  verbun- 
den, dieser  von  dem  schönsten  Erfolge  begleitet.  In  Widerspruch  da- 
mit stehen  die  Annalenredaktionen,  während  ihr  Zusammenhang  mit 
der  Chronik  doch  unverkennbar  ist.  Sie  vermischen  offenbar  die  bei- 
den verschiedenen  Nachrichten  und  geben  eine  nicht  blos  unklare, 
sondern  völlig  falsche  Vorstellung  von  den  Ereignissen.  Das  beweisen 
andere,  von  unseren  Quellen  ganz  unabhängige  Berichte,  und  nament- 
lich eine  vertrauenswürdige  englische  Chronik  giebt,  im  schroffsten 
Widerspruche  mit  den  Annalen,  der  Estoire  Hecht  3).  Bei  ihr  ist  da- 
her die  richtige,  also  auch  ursprünglichere  Berichterstattung  der  An- 
nalen zu  suchen,  während  der  Text  der  beiden  Kedaktionen  verderbt 
ist.  Also  auch  für  diesen  Theil  bis  1275  stellen  die  Annalen  B  — 
was  für  Annalen  A  von  vornherein  feststand  —  ebenso  wenig  das  Ori- 
ginal dar,  wie  für  den  ersten  Theil.  Die  Entstellung  des  richtigen 
Textes  kann  indessen  von  den  beiden  Redaktoren  selbständig  besorgt 
sein,  sie  müssen  nicht  nothwendig  eine  Vorlage  mit  bereits  verderbtem 
Text  benutzt  haben.  Die  Aehnlichkeit  der  fraglichen  Nachrichten  er- 
leichterte ihre  Verwechslung  und  Verwirrung  ungemein,  zumal  durch 
einen  schnell  arbeitenden  Redaktor  oder  Abschreiber  von  Annalen. 

Der  Redaktor  von  B  aber  ist  bei  seiner  Ueberarbeitung  von  einem 
Gesichtspunkt  geleitet,  dessen  Befolgung  auf  der  anderen  Seite  wohl 
eine  grobe  Flüchtigkeit  verschulden  mochte.  Er  ist  bemüht  die  ein- 
zelnen Jahresangaben  genau  zu  datieren  und  sie  danach  mit  fast  pein- 
licher Gewissenhaftigkeit  chronologisch  zu  ordnen.  Namentlich  lehr- 
reich in  dieser  Beziehung  ist  ein  Vergleich  der  Berichterstattung  in 
B  mit  den  anderen  Quellen  für  die  Jahre  1266  und  1271.  Ein  Blick 


')  Est,  d'  Er.  1.  34,  c.  14,  p.  461 ;  Ann.  A.  p.  454  j  Ann.  B.  p.  455. 

2)  Nach  Clermont-Ganneau,  in  Rec.    cT  archeol.    Orient.    Paris  1888,    p.  273, 
identisch  mit  dem  zwischen  Accon   und  Safed   gelegenen  St.  George-de-Labaene. 

3)  Röhricht,  La  croisade  du  prince  Edouard  d'  Angleterre  im  Arch.  de  l'Or. 
lat.  I.  p.  623. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuztahrerstaaten.  589 

auf  den  ersten  Tlieil  des  Jahresberichtes  von  1271  hei  Marimis  Sa- 
nudus  !)  lässt  erkennen,  dass  er  inhaltlich  den  Annalen  B,  in  der 
Folge  der  Begebenheiten  der  Chronik  nahe  steht.  Marinus  hat  also 
nicht  die  Redaktion  B,  sondern  Annalen  von  älterer  Gestalt  verwandt. 
Blieb  für  den  ersten  Theil  bis  1248  die  Möglichkeit  bestehen,  dass 
ihm  die  Redaktion  B  selbst  vorgelegen  habe,  so  halten  wir  uns  nun- 
mehr zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  er  für  seine  ganze  Arbeit  ein 
Annalenwerk  benutzte,  aus  dem  direkt  oder  mit  irgend  welchen  Zwi- 
schengliedern, auch  Redaktion  B  geflossen  ist. 

Dass  bei  dem  vorhin,  p.  588,  hervorgehobenen  Widerspruch  der  Re- 
daktion A  mit  der  Estoire  eine  Art  Einklang  mit  der  Redaktion  B 
besteht,  halten  wir  für  einen,  gerade  in  diesem  Falle  leicht  möglichen 
und  erklärlichen  Zufall.  Denn  auch  für  den  Theil  der  Annalen  bis 
1275  ist  ein  engerer  Zusammenhang  zwischen  der  Estoire  und  den 
Annalen  A  festzuhalten.  Die  Noth wendigkeit  wird  evident  bei  einem 
Vergleich  der  verschiedenen  Berichte  für  1250  2).  Hier  legt  Marinus 
Sanudus,  indem  er  mit  Annalen  B  übereinstimmt,  Zeuguis  dafür  ab, 
dass  ihre  gemeinsame  Vorlage  sich  merklich  von  dem  Annalenwerk 
unterschied,  aus  welchem  die  Texte  der  Estoire  und  der  Redaktion  A 
entstanden  —  ein  Zeugnis,  das  bei  allen  anderen  Uebereinstimmungen 
der  letzteren  beiden  fehlt. 

Obgleich  der  neue  Chronist  der  Estoire,  der  mit  dem  Jahre  1248 
seine  Arbeit  begann,  sehr  wohl  ein  anderes  Annalenwerk  benutzt  haben 
kann,  so  ist  es  doch  nicht  der  Fall  gewesen.  Es  ist  nun  daran  zu  erin- 
nern, dass  von  den  in  Rede  stehenden  erzählenden  Geschichtswerken 
der  bis  1248  reichende  Theil  der  Estoire  das  älteste  ist.  Er  ist  nach 
1248,  jedenfalls  vor  der  endgültigen  Abfassung  von  Philipps  Memoi- 
ren, die  vielleicht  erst  nach  1258  zu  setzen  ist 3),  entstanden.  Sind 
unsere  Aufstellungen  richtig,  so  muss  dem  Chronisten  schon  bald  nach 
der  Fertigstellung  der  Annalen  bis  1248  ein  Exemplar  derselben  in 
irgend  welcher  Gestalt  zugänglich  gewesen  sein ;  dies  oder  ein  ganz 
entsprechendes  Exemplar  ist  dann,  sei  es  original,  sei  es  mit  Ueber- 
arbeitung  einer  Vorlage,  bis  1275  weitergeführt  worden,  so  dass  dem 


i)  Lib.  III,  pars  XII,  c.  11  p.  224. 

-)  Ann.  B  ad  1250,  die  zugleich,  den  Text  des  Marinus  Sanudus  1.  c.  cap.  2, 
p.  218  vertreten:  ä  VIII  jors  de  fevrier,  vint  uns  Bedoyns  au  roy  de  France,  et 
li  enseigna  ä  passer  le  flun  de  Tenis  pour  aler  ä  la  Massole.  Dagegen  Est.  d'EJr. 
1.  34,  c.  1.  p.  437:  A.  MCCL  a  VIII  jors  de  fevrier  passa  le  roi  le  flun  de 
Thenis  a  tot  son  ost,  und  Ann.  A.  En  Tan  MCC  et  L  VIII  jours  en  fevrier, 
passa  li  roi  Loeys  le  riviere  de  Tenis  pour  aler  h  le  Messore. 

3)  Vgl.  M.  I.  O.G.  XIII  p.  267. 


590 


Richter. 


Fortsetzer  der  Chronik,  als  er  nach  1275  seine  Thätigkeit  begann, 
wiederum  das  Annalenwerk  zur  Verfügung  stand.  Diese  Annalen  (und 
die  Texte  ihrer  Benutzer)  gehören  mit  Redaktion  A  für  die  ganze  Zeit 
bis  1275  zur  Gruppe  A.  Die  Quelle  oder  Quellen  des  Marinus  und 
der  Kedaktion  B  ebenso  zur  Gruppe  B.  — 

Für  den  letzten  bis  1291  reichenden  Theil  der  Annalen  bildet 
die  Redaktion  B  ein  Besonderes  für  sich.  Sie  erhielt  für  die  Zeit  von 
1280  an  eine  selbständige  Fortsetzung,  die  in  kein  Geschichtswerk 
sonst  übergegangen  ist.  Bis  1286  ausschliesslich  wird  französisch- 
sicilisch-spanische  Geschichte  behandelt,  man  möchte  die  Entstehung 
dieser  Berichte  im  Abendlande  vermuthen;  von  1287  an  bis  1290 
tritt  wieder  syrische  Geschichte  in  ihr  Recht. 

Die  in  der  Regel  ausführliche  Erzählung  in  der  Estoire  d'Eracles 
nimmt  bald  nach  1275  mit  dem  Jahre  1277  ein  Ende  *),  beruht  je- 
doch unverkennbar  auf  dem  in  Annalen  A  vorliegenden  Grundstocke. 
Der  Kompilator  dieses  Theiles,  sei  es  der  schon  bisher  thätige  oder 
ein  anderer,  wird  dieselben  Hülfsmittel  wie  für  den  Theil  bis  1275 
benutzt  haben,  also  ein  Annalenwerk  der  Gruppe  A.  Die  Redaktion  A 
selbst  bietet  auch  für  den  Schlusstheil  bis  1291  einen  verstümmelten 
und  unbrauchbaren  Text.  Dies  wird  unzweifelhaft  klar  bei  einer  Ver- 
gleichung  mit  dem  Text  des  Marinus  Sanudus,  z.  B.  für  das  Jahr 
1280 2).  Der  bleibt,  so  lange  die  Estoire  mit  ihrem  mannigfaltigen 
Material  benutzt  werden  konnte,  von  gleicher  Ausführlichkeit  wie  bis- 
her, von  1278  an  aber  wird  er  viel  kürzer,  zum  Theil  von  auffallen- 
der Dürftigkeit;  es  haben  offenbar  nur  die  Annalen  ihr  im  Vergleich 
zur  Estoire  geringes  Material  geboten.  Befand  sich  die  Fortsetzung 
bis  1291  nur  in  den  zur  Gruppe  A  gehörigen  Annalen  —  was  nicht 
unmöglich  erscheint  — ,  so  müsste  Marinus  für  diesen  Theil  seiner  Er- 
zählung ein  Exemplar  dieser  Klasse  sich  beschafft  haben. 

Wie  zahlreich  die  Annalenredaktionen  oder  -Handschriften,  und 
wie  verschiedenartig  in  Einzelheiten  ihre  Ueberlieferung  war,  ist  nicht 
zu  sagen;  die  Benutzung  durch  den  „Chronisten  von  1205"  ermög- 
licht indessen  ein  Urtheil    über  ihre   frühzeitige  Verbreitung  und  Be- 


1)  Nur  eine  einzige  Hs.  überliefert  den  Text  bis  1277,  vgl.  Recueil,  II,  p. 
XXI,  473 ;  die  zwei  übrigen  Hss,  deren  eine  aus  dem  XV.  Jabrbundert  stammt 
(vgl.  Rec.  II  p.  XXI),  hören  mit  dem  Jahre  1275  auf,  doch  rein  zufällig,  mitten 
in  der  Erzählung;  ein  Schluss  auf  die  Art  der  annalistischen  Vorlage  ist  daher 
unzulässig. 

2)  Mar.  San.  1.  III,  c.  18,  p.  228  und  Ann.  A.  ad  1280:  hier  macht  der 
Text  des  Mar.  San.  bez.  seiner  Annalen-Vorlage  den  Bericht  der  Redaktion  A 
überhaupt  erst  verständlich. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  59 1 

arbeitung.  Es  verbieten  sich  auch  sichere  Aufstellungen  über  die  Ver- 
wandtschaftsgrade der  verschiedenen  Texte.  Es  mag  genügen,  die 
Wirkung  und  Verbreitung  der  orientalischen  Annalisten  im  allge- 
meinen aufgedeckt  und  gezeigt  zu  haben,  dass  die  beiden  überlieferten 
Annalenredaktionen  nur  einen  kleinen  ßestandtheil  der  gesammten 
annalistischen  Literatur  ausmachen.  Und  sie  gewinnt  einen  weiteren 
Umfang,  wenn  wir  sie  zu  ihren  ersten  Anfängen  rückwärts  verfolgen. 
Denn  die  ersten  französischen  Annalen  gehen  in  ihrem  älteren 
Bestände,  etwa  für  den  Zeitraum  eines  Jahrhunderts  von  1095  an,  auf 
ältere  lateinische  Annalen  zurück.  Diese  sind  mehrfach  gedruckt,  zu- 
letzt von  Köhricht  in  seiner  Ausgabe  der  Annales  de  terre  sainte,  unter 
deren  Text,  nach  zwei  Pariser  Hss.  Ein  älterer  Druck  x)  bietet  in  den 
Pariser  Hss.  fehlende  Notizen  für  die  Jahre  1098,  1099,  1105,  ent- 
spricht jedoch  im  übrigen  bis  auf  geringe  Abweichungen  dem  jüngsten 
Druck.  Die  Jahresberichte  finden  sich  von  1098  bez.  1101  bis  1202,  aber 
nur  in  einer  Zahl  von  23  bez.  20.  Die  französischen  Annalen  dagegen 
beginnen  mit  1095  und  für  die  Zeit  von  1098  bis  1202  verzeichnen 
sie  50  Jahresberichte,  von  ihnen  drei  für  die  Zeit  von  1126  bis  1147, 
für  welche  in  den  lateinischen  Annalen  keine  Notizen  überliefert  sind. 
Auch  inhaltlich  sind  in  13  Fällen  die  französischen  Jahresberichte 
mehr  oder  weniger  den  lateinischen  überlegen.  Freilich  ist  diese  Weiter- 
bildung durch  die  französischen  Annalen  —  denn  eine  Kückbildung  der 
lateinischen  glauben  wir  nicht  annehmen  zu  dürfen  —  nicht  immer  zu- 
verlässig. Hat  doch  ein  Mal  der  französische  Kedaktor  aus  einer  Nie- 
derlage einen  Sieg  der  christlichen  Waffen  gemacht 2).  Dass  der  Jahres- 
berichte in  den  lateinischen  Annalen  von  vorneherein  so  wenige  waren 
ist  wenig  wahrscheinlich ;  es  dürften  eher  blosse  Ueberbleibsel  sein, 
die  durch  irgend  welche  Zufälle  der  Ueberlieferung  erhalten  sind. 


Rückblick. 

Die  Geschichtsliteratur,  wie  wir  sie  kennen  gelernt  haben,  ist  nicht 
umfangreich  nach  der  Zahl    der  ihr  angehörigeu  Originalwerke,    aber 


')  Giovene,  Kalendaria  vetera  Mss.  Napoli  1828,  p.  9,  10.  Der  Codex  soll 
aus  dem  Ende  des  XIII.  oder  Anfang  des  XIV.  Jahrh.  stammen,  aber  Abschrift 
eines  älteren  Cod.  sein.  Er  enthält  u.  a.  eine  Liturgie,  wie  sie  in  Jerusalem  im 
XII.  Jahrh.  Brauch  gewesen  wäre.  —  Die  Bemerkungen  über  den  Cod.  p.  2  ff. 
sind  indes  unzuverlässig. 

2)  Kai.  vet.  p.  9  (in  ziemlicher  Uebereinstimmung  mit  den  Pariser  Hss.) : 
Anno  MCXIII  factum  est  bellum  apud  Tiberiadem,  in  quo  non  bene  evenit  no- 
bis ;  Ann.  de  terre  s.  B. :  A  mil  et  c  et  XIII  ans  fu  faite  la  quarte  bataille  que 
le  roi  B(audouin)  desconfist  les  Sarrasins  ä  Tabarie.  Vgl.  Wilken,  Kreuzzüge  II 
374,  Kugler,  Albert  von  Aachen,  Stnttg.  1885,  p.  391  f. 


592 


Richter. 


so  mannigfaltig  wie  nur  möglich.  Sie  umfasst  ein  Annalenwerk,  eine 
Chronik  —  wir  denken  im  besonderen  an  die  „Chronik  von  1205"  — 
und  ein  Memoirenwerk:  die  drei  Hauptypen  der  Geschichtschreib ung 
früherer  Zeiten,  der  schriftlichen  Primärquellen  überhaupt,  sofern  es 
keine  Urkunden  sind.  Die  Annalen  haben  zum  Entstehen  der  Chronik, 
diese  zur  Vollendung  der  Memoiren  beigetragen.  Alle  drei  wollen  nur 
Geschichte  des  heiligen  Landes,  der  Geburt-  oder  doch  Heimstätte  ihrer 
Verfasser,  überliefern;  Philipp  aus  Novara  hat  dabei  die  Hauptabsicht 
selbst  Erlebtes  und  Gebändeltes  zu  berichten. 

Die  Annalen  umspannen  die  ganze  Geschichte  des  heil.  Landes, 
sie  unterscheiden  sich  in  nichts  von  der  gewöhnlichen  Form  schlich- 
tester annalistischer  Erzählung  des  rein  Thatsächlichen ;  ihre  Verfasser 
kennen  wir  weder,  noch  vermögen  wir  sie  zu  beurtheilen.  In  der 
Chronik  und  den  Memoiren  tritt  uns  die  Persönlichkeit  der  Verfasser 
entgegen,  nicht  sehr  deutlich  die  des  Chronisten,  in  vollkommenster 
Schärfe  aber  die  des  Memoirenschreibers.  Personen  und  ihre  Hand- 
lungen, die  politischen  Verwickelungen  und  die  Leidenschaften  der 
»Menschen  erscheinen  in  ihrer  Verflechtuug.  In  der  Chronik  tritt  das 
unpersönliche  Element  mehr  hervor,  wir  hören  vielfach  nur  von  Ge- 
schehnissen, deren  Wurzel  unsichtbar  bleibt.  Der  Verfasser  durchmisst 
einen  weiten  Zeitraum  und  berücksichtigt  mannigfaltige  Verhältnisse 
in  seiner  Erzählung.  So  dringt  er  nicht  tief  in  das  Wesen  der  Dinge 
ein  und  hätte  es  wohl  auch  nicht  häufig  vermocht.  In  den  Memoiren 
wird  ein  weniger  umfangreicher  Zeitraum  und  der  Stoff  nach  be- 
stimmter Auswahl  behandelt.  Deswegen  und  weil  der  Verfasser  mit 
diesem  Stoff  vollständig  vertraut  ist,  vermag  er  ihn  ganz  zu  durch- 
dringen. Aber  die  Persönlichkeiten  sind  für  ihn  Alles,  völlig  lässt  er 
sich  von  Gunst  und  Abneigung  leiten,  giebt  sich  ganz  der  Detailer- 
zählung hiu,  und  verliert  so  die  allgemeineren  politischen  Verhältnisse 
aus  dem  Auge,  schliesslich  wird  er  zum  offenkundigen  Geschichts- 
fälscher. 

Unter  den  Persönlichkeiten,  mit  denen  es  diese  Geschichtschrei- 
bung zu  thun  hat,  ist  keine  wichtiger  als  Friedrich  II.  Er  steht  für 
grosse  Theile  der  Chronik  im  Mittelpunkt  der  Erzählung,  die  Verhält- 
nisse beherrschend ;  seine  Bedeutung  für  die  Geschichte  des  heiligen 
Landes  wird  sehr  bemerkt,  seine  ganze  Grösse  vielleicht  schon  dunkel 
geahnt ;  bis  an  seinen  Tod  folgt  ihm  das  Interesse  des  Schreibers.  Für 
Philipps  Memoiren  ist  des  Kaisers  Leben  und  Wirken  allein  bestim- 
mend; der  durch  sein  Eingreifen  in  die  orientalischen  Verhältnisse 
hervorgerufene  Kampf  der  Personen  und  Interessen  ist  Gegenstand  und 
Anlass  der  Erzählung  und  erhält  in  ihr  eiue  eigenartige  Beleuchtung. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  593 

Wurde  der  Memoirenschreiber  nur,  weil  er  Genosse  dieses  Kampfes 
war,  zum  Historiker,  so  mag  auch  der  Chronist  durch  das  Interesse 
an  den  wechselvollen  miterlebten  Schicksalen  die  erste  Anregung  zur 
Geschichtschreibung  erhalten  haben;  auch  ist  es  nicht  zufällig,  dass 
Johann  von  Ibelin,  Herr  von  Jaffa,  ein  thätiger  Vorkämpfer  der  anti- 
kaiserlichen Partei  als  Neffe  des  alten  Herrn  von  Beirut,  der  Ver- 
fasser der  Assisen  wurde  und  in  ihnen  eine  Fülle  von  Erinnerungen 
an  jene  Zeit  widerstreitender  Rechtsanschauungen,  zusammenprallender 
Principien  und  daraus  erwachsener  Ansprüche  niederlegte.  Aus  dem 
unmittelbaren  Einwirken  des  deutschen  Kaisers  ist  es  zu  erklären, 
wenn  wir  wenige  Jahrzehnte  vor  dem  gänzlichen  Untergang  der  Fran- 
kenstaaten auf  syrischem  Boden,  nur  noch  aus  Trümmern  aufspriessend 
eine  Literatur  entstehen  sehen,  die  zwar  nicht  umfangreich,  aber 
achtbar   und  werthvoll  in  vielen  Beziehungen  ist. 


Anhang. 

Die  Memoiren  Philipps  und  die  spätere  (xesehichtsclireifouns. 

Die  Memoiren  des  Philipp  de  Nevaire  (aus  Novara)  sind  schon 
früh  gekannt  und  beachtet  worden ;  sie  haben  eine  ganze  Geschichte. 

Ihre  ursprüngliche  Gestalt  kennen  wir  nicht.  Im  Anfang  des 
14.  Jahrhunderts  unternahm  es  ein  Anonymus,  in  dem  man  nicht 
ohne  Grund  einen  gewissen  Gerard  de  Monreal  vermuthet J),  eine  Ge- 
schichte des  christlichen  Orients  mit  besonderer  Berücksichtigung  Cy- 
perns  zu  schreiben.  Die  Memoiren  mussten  dazu  helfen.  Sie  erhielten 
eine  Art  Einleitung  in  einem  annalistischen  Geschichtsabriss  von  den 
Zeiten  Adams,  deren  Schlusstheile  schon  den  Anfang  der  Memoiren- 
Erzählung  vorwegnehmen  —  ausführlicher  und  mit  einer  Nuance  ins 
Objektive  —  und  erhielten  eine  Fortsetzung  vom  Jahre  1242  an,  mit 
dem  ihre  Erzählung  abgeschlossen  hatte.  Diese  Fortsetzung,  die  eigent- 
liche neue  Chronik,  umspannt  die  Zeit  bis  1309,  ist  aber  unvollendet 
überliefert.  Der  Chronist  wird  die  Memoiren  mit  geringen  und  dann 
wohl  meist  zufälligen  Veränderungen  abgeschrieben  haben.  Nicht  so 
ein  gewisser  Johan  le  Miege,  der  im  Jahre  1343  2)  die  ganze  Chronik 
—  von  dem  Herausgeber  Gestes  des  Chiprois  genannt  —  abschrieb 
und    dabei    die  in  ihr    enthaltenen  Memoiren    durch    die    äusserlichste 


')  G.  d.  Ch.  Preface,  p.  XXI. 

2)  G.  d.  Ch.  §  235,  236,  p.   138  und  §  702,  p.  334. 
Mittheilungeu  XV.  gg 


594  Richter. 

und  unverständigste  Bearbeitung  entstellte.  Theile  der  Annalen  J), 
grosse  Stücke  oder  einzelne  Sätze  und  Satztheile  aus  der  Estoire  d'E- 
racles  interpolierte  er;  hierbei  und  bei  anderen  Gelegenheiten  ging  von 
dem  ursprünglichen  Text  manches  verloren.  Nur  in  dieser  Gestalt 
sind  die  Memoiren  im  Gestentext  erhalten. 

Dass  dieser  Abschreiber  und  nicht  der  Chronist  der  Gesten  Phi- 
lipps Buch  überarbeitet,  oder  dass  es  gar  von  Haus  aus  die  heutige 
Gestalt  nicht  gehabt  habe,  beweist  der  Text  des  Italieners  Amadi.  Er, 
der  1566  in  unbekannten  Verhältnissen  gestorben  ist,  hat  eine  bis 
1441  reichende  Geschichte  Cyperns  geschrieben  2),  für  welche  er,  so- 
weit es  möglich  war,  die  Gestes  des  Chiprois,  gelegentlich  auch  die 
Estoire  d'  Eracles  verwandte.  In  seinem  Gestentext  aber  lag  ihm  eine 
unverderbte  Fassung  der  Memoiren  vor,  sein  Buch  muss  zu  ihrer 
Herstellung  dienen  3).  Die  Annalen  sind  schon  von  Philipp  benutzt 
worden 4) ,  aber  die  rohe  Interpolation  in  dem  ersten  Theil  der  Me- 
moiren —  mit  welcher  grösstentheils  die  annalistischen  Nachrichten  aus 
dem  einleitenden  Theile  des  Gestentextes  wiederholt  wurden  —  ist  das 
Werk  des  banausischen  Abschreibers  5).  Desgleichen  ist  die  Estoire 
unzweifelhaft  schon  von  Philipp  benutzt  worden,  der  schon  bestehende 
Zusammenhang  aber  von  dem  Abschreiber  durch  die  roheste  Interpo- 
lation äusserlich  und  auffällig  genug  hervorgehoben  G).  Wo  solche  Ent- 


i)  Mittheil.  d.  Inst,  f.  österr.  Geschtsf.  XIII,  286  ff. 

2)  Chroniques  d'  Amadi  et  de  Strambaldi,  publ.  p.  M.  Rene  de  Mas  Latrie. 
Premiere  partie,  Chronique  d'  Amadi.  (Coli,  de  doc.  inedits  sur  V  hist.  de  France. 
Premiere  serie.  Hist.  polit.)  Paris  ]  891.—  Vgl.  Avertissement  I,  Anm.  über  Amadi's 
Lebensverhältnisse. 

3)  Leider  hat  der  Herausgeber  des  Amadi  es  nicht  für  seine  Pflicht  ge- 
halten, das  Verhältnis  seines  Textes  zu  dem  der  Gesten  des  genaueren  festzu- 
stellen, und  sich  im  Grossen  und  Ganzen  begnügt,  die  eine  Hs.  abzudrucken. 
Einiges  führt  er  zum  Beweise  an,  dass  Amadi  —  was  nur  zu  erkennen,  nicht  zu 
beweisen  ist  —  nicht  den  Gestentext  benutzt  habe,  wobei  er  einmal  das  Gegen- 
theil  von  dem  behauptet,  was  thatsächlich  der  Fall  ist;  vgl.  zu  p.  V  u.  p.  174 
Anm.  3,  G.  d.  Ch.  §  199,  p.  108.  —  Für  einige  Hauptpunkte  mag  in  aller  Kürze 
an  dieser  Stelle  die  Aufgabe  des  Herausgebers  nachgeholt  und  zugleich  verbes- 
sernd nachgetragen  werden,  was  in  meinen  früheren  Aufstellungen  mangelhaft 
blieb.  Es  stand  mir  damals  —  durch  die  Güte  R.  Röhrichts  —  nur  ein  Theil 
der  Amadischen  Chronik  handschriftlich  zur  Verfügung.  Die  Annahme,  dass 
Philipp  selbst  die  Annalen  interpoliert  habe  (MIÜG.  VIII,  286)  und  die  andere, 
dass  Amadi  neben  dem  Gestentext  auch  die  Memoiren  benutzte  (ib.  295)  ist  gänz- 
lich aufzugeben. 

4)  Vgl.  zum  Beweise  besonders  MIÖG.  XIII  p.  290  f. 

5)  Vgl.  1.  c.  p.  283  ff. 
ß)  Vgl.  1.  c.  p.  292  ff. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  595 

Stellungen  gemäss  den  früheren  Ausführungen  im  Gestentext  vorliegen, 
hat  Amadi  die  Memoiren  Philipps  zu  vertreten  1).  Auch  sonst  haben 
diese  naturgemäss  gelitten;  wo  es  deutlicher  der  Fall  zu  sein  scheint; 
sei  hier  unten  notiert 2).  Ebenso  ist  selbverständlich ,  dass  auch 
Amadi  bei  seiner  Uebersetzung  vielfach  gekürzt  hat;  er  kann  nicht 
den  vollständigen  Text  der  Philipp'schen  Memoiren  darstellen,  sondern 
nur  die  Wege  weisen,  ihn  zu  rekonstruiren. 

Schon  vor  Amadi  hat  Marinus  Sanudus  die  Memoiren  Philipps  in 
seinem  Liber  secretorum  fidelium  crucis  verwertet  —  wie  er  auch  die 
Estoire  d'  Eracles  und  die  Annales  de  terre  sainte  benutzte  — ,  als  Schrift- 
steller, nicht  als  Abschreiber  oder  Uebersetzer.  Es  ist  möglich,  dass 
sie  ihm  schon  als  Bestandtheil  der  Gesten  vorgelegen  haben3);  jeden- 
falls erzählte  er  die  Ueberfahrt  des  Kaisers  nach  Cypern  und  seinen 
dortigen  Aufenthalt  nach  Philipp.  In  c.  11,  p.  211  ff.  sind  die  §§  126 
bis  132,  p.  38 — 46  der  Gesten  (Memoiren)  theils  in  mehr  oder  weniger  treuer 
Uebersetzung,  theils  im  kurzen  Auszug  enthalten.  Mit  den  Schluss- 
worten, die  den  cy prischen  Dingen  vor  des  Kaisers  Abfahrt  gewidmet 
sind,  kehrt  er  wieder  zur  Estoire  zurück4),  um  ihr  fortan,  auch  für 
die  cyprische  Geschichte,  ausschliesslich  zu  folgen.  Philipps  Erzählung 
von  der  Behandlung  der  Geiseln  durch  Kaiser  Friedrich  überging  er 
mit  Stillschweigen.   Dass  die  verschiedenartigen  Berichte  seiner  beiden 


')  Vgl.  1.  c.  292—301. 

2)  Amadi,  p.  147  im  Vergleich  zu  G.  d.  Ch.  §  158  p.  77  für  die  Ueherfahrt 
Philangers;  Am.  p.  150  —  G.  d.  Ch.  §  160,  p.  80  für  die  Rede  des  Herrn  von 
Beirut;  Am.  p.  161  —  G.  d.  Ch.  §  175,  p.  92  für  die  Nachricht  vom  vorgeblichen 
Tod  des  jungen  lbelin;  Am.  p.  165  —  G.  d.  Ch.  §  184,  p.  97  für  die  Nachricht 
vom  Kundschafterschiff  und  das  Auftreten  des  Herrn  von  Beirut  (während  Am. 
p.  165  —  G.  d.  Ch.  §  182,  p.  96  die  etwas  ungeordnete  Erzählung  Philipps  klarer 
scheint  wiedergehen  zu  wollen);  Am.  p.  166  —  G.  d.  Ch.  §  185,  p.  98;  Am.  p.  193 
-  G.  d.  Ch.  §  227,  p.  131. 

3)  Vgl.  G.  d.  Ch.  p.  XXIII.  Der  Zusammenhang  zwischen  Gesten  und  Ma- 
rinus erscheint  doch  nicht  zweifellos  klar,  sie  können  beide  auf  gleiche  Quellen 
oder  auch  die  Gesten  auf  Marinus  zurückgehen;  vgl.  dazu  Simonsfeld  im  N.  A. 
VII  p.  50:  gehört  vielleicht  die  fragliche  Partie  Mar.  San.  1.  III,  pars  XIII,  c.  3  ff. 
zu  den  Neuerungen  der  dritten,  1321  entstandenen  Redaktion?  nach  1309,  viel- 
leicht erheblich  später  sind  die  Gesten  erst  entstanden. 

*)  Est.  d'Er.  1.  33,  p.  369.  —  Vgl.  Mar.  San.  1.  III,  pars  XI,  c.  11,  p.  211: 
in  partibus  Romaniae  (entsprechend  Amadi  und  Bustron  :  sina  alla  Romania)  ge- 
genüber G.  d.  Ch.  §  126,  p.  38:  jusques  ä  parties  de  maryne.  —  An  gleicher 
Stelle  die  Worte :  uxoris  enim  suae  iam  defunctae  avunculus  fuerat  beweisen, 
dass  Mar.  die  Memoiren  ihrem  grösseren,  wenn  nicht  dem  ganzen  Umfange  nach 
gekannt  hat,  da  sie  vermuthlich  auf  G.  d.  Ch.  §  110,  p.  30  zurück  gehen. 

38* 


596  Richter. 

Vorlagen l)  ihm  Schweigen  als  das  rathsaruste  Auskunftsinittel  er- 
scheinen Hessen,  ist  immerhin  der  Erwähnung  werth  als  ein  Beweis 
für  sein  besonnenes  und  ruhiges  Urtheil.  Er  versagt  dem  Kaiser  nicht 
seine,  wenn  auch  noch  so  zurückhaltend  geäusserte  Anerkennung  2) ; 
er  steht  auf  dem  Standpunkt  der  päpstlichen  Weltanschauung 3)  und 
hat  sein  Buch  der  Kurie  gewidmet,  ist  aber  doch  bemüht  gerecht  zu 
sein. 

Die  Benutzer  des  liber  secretorum  kommen,  da  er  ihre  einzige 
Quelle  ist,  für  uns  nicht  weiter  in  Betracht4). 

Wichtig  wurde  das  16.  Jahrhundert,  in  dem  der  mittelalterliche 
Kampf  zwischen  Christenthum  und  Heidenthum,  zwischen  Orient  und 
Occident  neu  entflammte,  für  die  cyprische  Geschichtschreibung. 
Amadis  Chronik  musste  schon  genannt  und  erörtert  werden.  Sein  Zeit- 
genosse und  Sprachverwandter  Florio  Bustron  schrieb  ein  anderes 
Buch  5). 

Er  entstammte  einer  vornehmen  Familie  Cyperns;  ein  Sohn  der 
Renaissance  sieht  er  in  Philipp  aus  Novara  den  Idealmenschen  seiner 
Zeit,  den  uomo  universale ;  er  ist  stolz  auf  die  Wissenschaft  und  fühlt 
sich  nicht  wenig  als  Historiker.  Unter  den  vielen  Geschichtschreibern, 
mit  deren  Namenkenntniss  er  prunkt,  nennt  er  wohl  die  Gesti  di  Ci- 
prioti  in  francese  scritti  da  Filippo  de  Navarra  (wie  er  auch  Philipps 
Buch,  die  materia  delle  nostre  leggi  municipali  kennt),  benutzt  aber 
hat  er  durchweg  die  Chronik  des  Amadi,  welche  er  nicht  nennt,  und 
daneben  die  Estoire  d'  Eracles,  welche  er  eben  so  wenig  nennt.    Bald 


!)  Vgl.  MIÖG.  XIII.  275  ff. 

2)  Mar.  San.  c.  13.  p.  214:  tum  multam  affectionem  ostendit  ad  Terrae  sanctae 
reniedium. 

s)  1.  c.  c.  12  p.  212 :  recte  eniin  ipsius  contemnitur  imperiuin  qui  superioris 
sui  noluit  observare  mandatum.  Löher  in  Abh.  der  hist.  Klasse  d.  k.  bair.  Akad. 
XIV,  2,  p.  113  fällt  ein  sehr  scharfes  Urtheil  im  entgegengesetzten  Sinne. 

4)  Jordanus  bei  Muratori,  Aut.  Ital.  t.  IV.  Excerpta  ex  Chronico  Jordani, 
p.  993  f.  giebt  für  die  cyprischen  Dinge  nur  einen  ganz  kurzen  Auszug,  und 
nicht  anders  das  chronologische  Werk  De  passagiis  in  terram  sanctam,  excerpta 
ex  Chronologia  magna  etc.,  ed.  G.  Mart.  Thomas.  Venedig  1879.  Für  diese  Arbeit 
ist  Marinus  Quelle,  nicht  umgekehrt;  vgl.  Est.  d' Er.  1.  32,  c.  20,  p.  358:  der 
Kaiser  fordert  que  il  li  deust  saisir  dou  roiaume  de  Jerusalem  et  de  toz  les  drois 
de  sa  ferne,  u.  Mar.  San.  III,  c.  10,  p.  211  :  ut  regnum  sibi  cunctaque  reginae 
iura  resignet;  dagegen  De  pass.  p.  13:  ut  cuncta  sua  regalia  iura  resignet.  — 
Vgl.  Streit  p.  36,  Anm.  6;  die  hier  gerügte  Nachlässigkeit  des  Jordanus  findet 
sich  auch  in  De  pass. 

6)  De  Mas  Latrie :  Chronique  de  1'  lle  de  Chipre  par  Florio  Bustron,  in  Me- 
langes  historiques  t.  V.  Paris  1886. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  597 

vereinigt  er  sie  beide  durch  Kombination,  bald  verschweigt  er  die  eine 
Tradition  oder  auch  beide.  Er  mag  immerhin  auch  einmal  Philipps 
Memoiren  oder  vielmehr  den  Gestentext  zu  Eathe  gezogen  haben, 
Amadi  ist  aber  durchaus  die  leitende  Quelle.  Sie  gestaltet  er  um  in- 
folge seiner  aus  der  Estoire  geschöpften  weiteren  Kenntnis,  aber  auch 
aus  eigener  Machtvollkommenheit.  Ein  treffliches  Beispiel  unter  vielen 
bietet  die  Schilderung  der  Schlacht  von  Agridi  bei  Nikosia  am  15.  Juni 
1232  1).  Sie  verliert  unter  Bustrons  Feder  ganz  den  typischen  Cha- 
rakter der  Kreuzzugsgefechte,  den  Philipps  Darstellung  unverkennbar 
aufweist,  und  gewinnt  völlig  das  Aussehen  einer  Schlacht  aus  Bustrons 
Zeit,  wobei  mit  den  Personen  und  ihren  Hollen  in  vollkommener 
Willkür  umgesprungen  wird.  So  wissenschaftlich  Bustron  sein  will, 
so  wenig  ist  er  es ;  wie  andere  Geschichtschreiber  seines  Zeitalters  macht 
er  sich  kein  Gewissen  daraus,  die  Dinge  nach  Belieben  umzugestalten 
und  Falsches  als  wahr  vorzutragen.  Kanke  hat  die  antikisierende 
Manier  der  Kenaissance-Schriftsteller  in  den  Keden  der  handelnden 
Personen  gekennzeichnet.  Bustron  schwelgt  förmlich  in  Reden  und 
Briefen;  gar  schön  hat  er  eine  Kede  des  13-jährigen  Königs  Henry  er- 
funden, doch  wird  sie  nicht  glaubwürdiger  durch  seine  Versicherung, 
„so  jung  wie  der  König  war,  hätte  er  diese  Worte  gesprochen'1  ä). 
Auch  sonst  lässt  er  seiner  Phantasie  freien  Spielraum  und  zeigt  dem 
Leser  sehr  anschauliche  und  ebenso  unwahre  Bilder.  Die  Erfindung 
von  Zahlenangaben  3),  das  Entwerfen  von  Schlachtenbildern,  die  Schil- 
derung von  Einzelgefechten4)  ist  seine  Stärke. 

In  manchen  Einzelheiten  bedeutet  Bustrons  Darstellung  einen  Fort- 
schritt gegenüber  der  früheren  Geschichtschreibung  —  wo  nämlich  die 
beiden  älteren  Hauptwerke  zusammen  benutzt  worden  sind  —  viel 
häufiger  aber  einen  empfindlichen  Kückschritt  durch  die  willkürliche 
Entstellung  der  leitenden  Quelle  und  durch  vielfache  Kürzungen,  welche 
namentlich  die  Schlusspartie  geradezu  verstümmeln.  Diese  Arbeit  er- 
hob sich  in  der  Folgezeit  zum  Hange  einer  ersten  Quelle. 

Auf  ihrem  Grunde  baute  etwa  100  Jahre  später  der  italienische 
Dichter  und  Schriftsteller  Loredano  ein  Phrasenwerk  voll  phantastischer 


')  G.  d.  Ch.  §  189  p.  101  f.  und  Bustron,  p.  94.  Vgl.  Heermann,  Die  Ge- 
fechtsführung abendländischer  Heere  in  der  Epoche  des  ersten  Kreuzzuges.  Mar- 
burg, 1888. 

2)  Bustron  p.  83. 

»)  Z.  B.  Bustron  p.  79,  p,  81.  —  G.  d.  Ch.  §  149,  p.  63  u.  §  158,  p.  78. 

*)  Vgl.  Anm.  1 ;  Bustron  p.  62  —  G.  d.  Ch.  §  122  p.  36 ;  Bustron  p.  85  — 
G.  d.  Ch.  §  163,  p.  83. 


598  Richter. 

Dichtung  und  bewusster  Lüge  1).  Dieses  Buches  bemächtigte  sich  nach 
abermals  100  Jahren  der  Chevalier  Dominique  Jauna,  ein  Mann,  aus- 
gestattet mit  den  trefflichsten  Grundsätzen  über  die  Geschichtsschrei- 
buug  und  einem  gebührend  hervorgehobenen  Studium  von  Sprachen 
und  Handschriften  2).  War  aber  schon  das  Bild,  das  Loredano  von  den 
cyprischen  Kämpfen  entworfen  hatte,  verglichen  mit  dem  des  Bustron 
überall  verzeichnet,  in  den  einzelnen  Theilen  hier  verblasat  und  schwer 
kenntlich,  dort  durch  andere  Beleuchtung  greller  und  hervorstechender 
—  bei  Jauna  finden  wir  ganz  etwas  Neues  und  Fremdes;  wer  von 
der  Lektüre  der  Primärquellen  oder  auch  nur  Bustrons  zu  seiner  Er- 
zählung übergeht,  findet  des  Staunens  kein  Ende  über  das,  was  sich 
ihm  hier  bietet.  Dieser  „Historiker"  des  philosophischen  18.  Jahr- 
hunderts mit  seinem  Vertrauen  in  die  eigene  Klugheit  und  seiner 
Ueberzeugung,  durch  das  Licht  der  Vernunft  ganz  unabhängig  von 
der  Ueberlieferung  die  Geschichte  erkennnen  und  konstruiren  zu  können, 
ist  viel  gefährlicher  als  Loredano,  der  redselige  Phantast  des  17.  Jahr- 
hunderts. Friedrich  IT.  aber  trägt  die  Kosten  dieser  vagen  Schrift- 
stellerei. 

Die  spätere  Geschichtschreibung  muss  sich  kümmerlich  mit  den 
trübsten  oder  ganz  unvollkommenen  Berichten  behelfen 3).  Erst  die 
moderne  Forschung  hat  zunächst  Amadi  und  Bustron  4),  dann  die  Me- 
moiren Philipps  ans  Tageslicht  gezogen  und  für  die  Darstellung  ver- 
werthet.  Aber  noch  die  allerneueste  Darstellung 5)  hat  sich    nicht  von 


*)  Cavalier  Henrico  Giblet:  Historie  de'  re  Lusignani,  Bologna  1647,  wieder 
abgedruckt  in  Loredanos  Werken,  Venedig  1660.  Das  Versteckspiel  in  der  Vor- 
rede ist  leicht  zu  durchschauen. 

2)  Er  schrieb :  Histoire  generale  des  roiaumes  de  Chypre,  de  Jerusalem, 
d'  Armenie  et  Egypte  etc.  Leyden  1742. 

3)  Reichard  in  seiner  „Vollständigen  Geschichte  des  Königreichs  Cypern", 
Erlangen  und  Leipzig  1766,  kennt  Loredano,  Jauna,  Marinus  Sanudus.  So  konnte 
trotz  des  besten  Willens  und  einer  höchst  anerkennenswerthen  Kritik  für  die 
Fridericianische  Epoche  Cyperns  nicht  viel  herauskommen.  Wilken  in  seiner  „Ge- 
schichte der  Kreuzzüge"  1808  ff'.  Bd.  6  erneuert  in  der  Hauptsache  die  Darstel- 
lung der  Estoire  d'  Eracles  und  verwendet  daneben  Mar.  San. 

4)  De  Mas  Latrie  in  seiner  Histoire  de  l'ile  de  Chipre  sous  le  regne  des 
Princes  de  la  Maison  de  Lusignan,  Paris  1861,  verwendet  Amadi,  Bustron,  Estoire 
neben  Urkunden.  Ihm  folgt  Löher  in  „Der  Kampf  Kaiser  Friedrichs  IL  um  Cy- 
pern-' in  Abh.  der  bist.  Kl.  der  K.  baier.  Akad.  d.  Wiss.  XIV,  2,  München  1878 ; 
er  will  unparteiischer  sein  als  die  italienischen  und  französischen  Darsteller,  ist 
aber  für  Philipps  Erzählung    ganz   auf  den  Text  des  De  Mas  Latrie  angewiesen. 

5)  Hans  Müller:  Der  Langobardenkrieg  auf  Cjpern  1229—1233.  Mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  Gestes  des  Chiprois  des  Phelippe  de  Novaire,  1890- 
In-diss.  Halle. 


Beiträge  zur  Historiographie  in  den  Kreuzfahrerstaaten.  599 

der  Hochachtung  frei  machen  können,  die  der  Erzählung  Bustrons  bei- 
zulegen man  sich  gewöhnt  hatte.  Sie  als  ergänzende  Quelle  heranzu- 
ziehen ist  methodisch  falsch.  Entweder  Bustron  bietet  in  Ueberein- 
stimmung  mit  Amadi  eine  Ergänzung  des  Gestentextes,  dann  ist  allein 
das  Zeugnis  Amadis  beweisend,  wofern  man  nicht  auch  bei  ihm  eine 
unberechtigte  Zuthat  hier  und  da  annehmen  will;  oder  Bustron  steht 
allein,  so  beweist  er  gar  nichts.  Eine  sehr  bescheidene  Bedeutung 
gewinnt  er  nur,  wenn  er  ohne  Amadi  den  Gestentext  bestätigt. 


Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard 
von  San  Germano. 


Von 

A.  Winkelmann. 


1.  Einleitung. 

Im  Jahre  1888  veröffentlichte  Augusto  Gaudenzi  eine  von  ihm 
in  der  Kommunalbibliothek  von  Bologna  entdeckte  neue  Chronik  des 
Richard  von  San  Germano  l).  Sie  deckt  sich  zwar  in  dem  von  ihr  be- 
handelten Zeitraum  (1208—1226)  mit  der  zuletzt  in  den  Monumente 
Germaniae2)  herausgegebenen  Chronik  in  der  Hauptsache,  in  Einzel- 
heiten jedoch  zeigen  sich  doch  manche  Unterschiede,  die  eine  genauere 
Prüfung  recht  wohl  verdienen.  Aus  diesem  Gesichtspunkte  hat  Gau- 
denzi die  Monumentenausgabe  bei  den  einzelnen  Jahren  nochmals  zum 
Abdruck  gebracht  und  so  viel  zur  Erleichterung  vorliegender  Unter- 
suchung beigetragen. 

Jeder  Chronik  ist  eine  Vorrede  vorausgeschickt,  die  uns  ihren 
Zweck  klar  macht.  Die  in  den  MG.  gedruckte  Chronik  will  alles  be- 
richten, „que  ubique  terrarum  ac  presertim  in  regno  Sicilie  gesta  sunt 
diebus  meis  3) ,  und  hat  somit  den  Charakter  einer  sicilischen  Reichs- 
chronik. Dem  entspricht  auch,  dass  der  Anfang  dieser  Chronik  mit 
dem  Tode  Wilhelms  II.,  des  letzten  legitimen  Normannenkönigs,  von 
Sicilien,  (1189)  gemacht  wird.  Die  andere  Arbeit  ist  direkt  dem  Auf- 
trage   des   Abts  Stephan  von  Monte  Casino    an    Richard    entsprungen 


l)  Societä  Napoletana  di  storia  patria.  Serie  I.  Cronache.  1888. 
*)  M.  G.  XIX.  p.  321  fi. 
»)  M.  G.  XIX.  323,   12,   13. 


Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard  von  San  Germano.       QQ\ 

„  vestro  iussu,  cui  teneor  famulus  oboedire  ■  *) ;  sie  soll  die  Geschichte 
der  Zeit,  des  Königreichs  Sicilien  und  besonders  die  Thaten  seines  Auf- 
trao-o-ebers  behandeln.  Dadurch  erhält  diese  Chronik  den  Charakter 
einer  Klosterchronik;  sie  will  ganz  offenbar  eine  Fortsetzung  der  mit 
1212  aufhörenden  Annales  Casinenses  2)  sein  und  hat  sich  als  Anfang 
den  für  ein  Kloster  immerhin  recht  wichtigen  Besuch  des  Papstes  In- 
nocenz  III.  in  Monte  Casino  genommen. 

Einen  weiteren  Beleg  für  diese  Annahme  ist  darin  zu  finden,  dass 
die  dem  Abt  Stephan  gewidmete  Chronik  mit  1226  aufhört,  einfach 
aus  dem  Grunde,  weil  sein  Auftraggeber  schon  am  11.  Juli  1227 
starb3).  Später,  als  Richard  im  Dienste  Friedrichs  II.  stand4),  nahm 
er  sein  Werk  wieder  auf,  änderte  es  um  und  fügte  den  Zeitabschnitt 
1189—1208  und  die  Fortsetzung  von  1226,  27  bis  1243  hinzu.  Der 
Tod  wird  wohl  Kichard  an  der  Vollendung  dieses  Werkes  gehindert 
haben.  Darnach  ist  es  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die  Klosterchronik 
die  frühere  ist;  ich  bezeichne  im  Folgenden  diese  mit  A,  die  jüngere 
Keichschronik  mit  B. 

2.  Das  urkundliche  Material  in  A  und  B. 

Zunächst  fällt  bei  einem  auch  nur  flüchtigen  Vergleiche  beider 
Chroniken  auf,  dass  A  bei  weitem  mehr  Aktenstücke  gibt  wie  B.  Eine 
Zusammenstellung  dieser  zeigt,  dass  unsere  Kenntnis  von  der  Zeit 
Friedrichs  IL  in  vielen  Punkten  nicht  unbedeutend  erweitert  wird,  ja 
dass  gerade  in  ihnen  der  grosse  Werth  des  Fundes  Gaudenzis  liegt. 
Desshalb  wird  es  wohl  am  Platze  sein,  ein  Verzeichnis  dieser  Urkun- 
den nach  Art  von  Kegesten  zu  geben. 

Urkunden  im  Wortlaut  in  A,  in  B  ein  kurzer  Auszug. 

1.  (1212.  Nach  Juli  16.)  König  Alphons  VIII.  von  Castilien  berichtet 
dem  Papst  Innocenz  III.  über  den  grossen  Sieg  der  verbündeten  Könige 
von  Castilien,  Arragon  und  Navarra  über  die  Sarazenen  bei  Navas  de  To- 
losa.  Gaud.  p.  78.  —  Vgl.  Schirrmacher,  Geschichte  von  Castilien.  Kap. 
V.  p.   277   ff. 

2.  1213.  Mai  18.  Innocenz  III.  beruft  ein  allgemeines  Konzil  auf  den 
1.  November  1215.  d.  Laterani,  XV  Kl.  iuni,  pont.  nostri  anno  XVI. 
Gaud.  p.  81.  —  Vgl.  Potthast,  (F.)  nr.  4706.  Böhmer,  Regesta  imperii, 
bearbeitet  von  J.  Ficker  und  E.  Winkelmann.  (B.  F.  W.)  nr.  6140.  —  Ri- 
chard gibt  dieses  Stück  unter   1212. 


')  Gaudenzi,   1.  c.  71. 
2)  M.  G.  XIX.  320,   10. 
s)  Gaudenzi,  51. 
4)  Gaudenzi  1.  c. 


ß02  A.  Winkelmann. 

3.  1214.  Juli  17.  Innocenz  III.  ruft  alle  Christgläubigen  zur  Beschir- 
mung des  heiligen  Grabes  auf.  d.  Viterbii  XVI.  Kl.  aug.,  pont.  nostri  a. 
XVII.  Gaud.  p.  82.  —  P.  nr.  4725.  B.  F.  W.  nr.  6141.  —  Bei  Eichard 
fälschlich  unter   1213. 

4.  1214.  Juli  19.  Innocenz  III.  fordert  die  Erzbischöfe  und  Bischöfe, 
„cytra  farum"  auf,  sein  Rundschreiben  betreffend  die  Beschirmung  des 
heiligen  Grabes  nach  Kräften  zu  unterstützen,  d.  Viterbii  XIIII  Kl.  au- 
gusti,  pont.  nostri  anno  XVI.  Gaud.  p.  85.  —  Vgl.  P.  nr.  4727,  ohne 
diese  Ausfertigung.  —  Bei  Eichard  fälschlich  unter   1213. 

5.  (1215.  November  11.)  Rede  des  Papstes  Innocenz  III.  bei  der 
Eröffnung  des  Lateranischen  Konzils  und  genauer  Bericht  über  den  Ver- 
lauf desselben.  Gaud.  p.  90.  x)  —  P.  nr.   5006.  B.  F.  W.  nr.    6177.   a. 

6.  1216.  Juli  24.  Honorius  Ell.  erlässt  ein  Eundschreiben  über  den 
Tod  seines  Vorgängers  und  seine  eigene  Wahl.  d.  Perusii  IX.  Kl.  au- 
gusti,  pont.  nostri  a.  primo.  —  Eine  bisher  unbekannte  Ausfertigung.  — 
B.  F.W.  nr.  6189.  — „etsi  ambulans  in  ymagine  Dei  homo".  —  Gaud.  p.  95. 

7.  (1220.  ante  coronationem ,  November  22.)  Friedrich  LT. 
gibt  Satzungen  pro  ecclesiarum  libertatibus 2).  Gaud.  p.  99.  —  B.  F. 
nr.   1203. 

8.  (1220.  Zwischen  Dezember  17  und  2l).  Friedrich  II.  erlässt 
auf  einem  grossen  Hoftage  zu  Capua  die  „neuen  Assisen"  in  20  Kapiteln3). 
Gaud.  p.  101.  —  Dieses  für  die  Verwaltungsgeschichte  des  Königreichs 
Sicilien  unendlich  wichtige  Aktenstück  war  bisher  im  Wortlaut  nicht  be- 
kannt. Vgl.  B.  F.  nr.   1260  b.4). 

9.  (1221.  nach  April  28.)  Friedrich  II.  erlässt  bei  einem  Hoftage 
zu  Messina  neue  Assisen  wegen  verschiedentlicher  Misstände  im  Eeich  5). 
Gaud.  p.  104.  —  Auch  hiervon  hatten  wir  bisher  nur  einen  Auszug  in 
Eichards  Chronik  B.  Vgl.  B.  F.  nr.   1325.  a. 

10.  1222.  September  10.  Friedrich  II.  befiehlt  seinen  Getreuen  „a 
Cruce  Ordeoli  usque  ad  fines  regni'S  den  Bevollmächtigten  Paganus  Bal- 
dinus  magister  Sicilie  und  notarius  Eiccardus  [von  S.  Germano?]  bei  der 
Eegelung  des  Münz-  und  Marktwesens  mit  Eat  und  That  zur  Seite  zu 
stehen,  d.  apud  Calatatrasi,  X°  Septembris,  indictionis  Xe.  Gaud.  p.  108. 
—  B.  F.  W.  nr.    14678. 

11.  (1222.)  Formel  des  Eidschwurs,  den  alle  „a  Cruce  Ordeoli 
usque  ad  flumen  Tronti"  leisten  müssen.  —  Sie  verpflichten  sich  von  jetzt 
ab,  die  neuen  Brindisischen  Denare  zu  keinem  höheren  Kurs  als  zu  41  So- 
lidi  auf  die  Unze  anzunehmen,  auf  andere  Münzen  40  Solidi  auf  die  Unze 
zu  rechnen,  in  keiner  Form  Silber  aus  dem  Lande  zu  schaffen  und  solche, 
die  Silber  ins  Ausland  führen,  sofort  den  Aufsichtsbeamten  oder  Kate- 
panen  zur  Anzeige  zu  bringen.     Gaud.  p.  108.  —  B.  F.  W.  nr.   14678. 


1)  Dieser  Bericht  stimmt  in  keiner  Weise  mit  den  bisher  bekannten,  viel- 
fach gleichen  Protokollen  überein.  Vgl.  Winkelmann  Friedrich  II.  1.  Aufl.  p.  105. 
—  Otto  IV.  p.  513. 

2)  Gedr.  mit  Titel  Huillard-Breholles.  II.  3.  M.  G.  Leg.  H.  243. 

3)  Winkelmann,  Friedr.  II.  p.  132. 

*)  —  Friedr.  II.  Erläuterungen  II.  p.  525  ff. 
5)  Winkelmann,  1.  c. 


Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard  von  San  Germano.        ß()3 

12.  (1222.)  Statuten  für  die  Einführung  der  neuen  Brindisischen 
Münze.  —  In  jedem  Orte  sollen  4  oder  6  beeidigte  Männer  die  Befolgung 
obigen  Schwures  kontrolliren ;  sodann  werden  die  Strafen  für  die  Ueber- 
tretung  des  neuen  Statuts  angegeben.  Gaud.  p.  109.  —  B.  F.  W.  nr. 
14678.  —  Ueber  diese  für  das  Münzwesen  in  Sicilien  wichtige  Bestim- 
mungen hatten  wir  bisher  nur  eine  kurze  Inhaltsangabe  in  der  jüngeren 
Chronik  Eichards. 

13.  1223.  November  20.  Friedrich  II.  befiehlt  den  Hintersassen  von 
Monte  Casino  zur  Bekämpfung  der  Sarazenen  in  diesem  Jahre  einen  Bei- 
trag von  300  Unzen  an  den  magister  iustitiarius  Heinricus  de  Morra  aus- 
zuzahlen, d.  Cathanie,  XX0  .Novembris  XII  indictione.  Gaud.  p.  111.  — 
B.  F.  W.   nr.    146K. 

14.  1224.  Januar  27.  Friedrich  II.  theilt  den  Justitiaren  von  Terra 
Laboris,  Petrus  de  Ebulo  und  Nicholaus  de  Cicala  mit,  dass  der  Klerus 
zu  keinen  anderen  Steuern  und  sonstigen  Verpflichtungen  herangezogen 
werden  dürfe  als  wie  zu  Zeiten  König  Wilhelms  II.  d.  Cathanie,  XXVII. 
ianuarii,  XII  indictionis.  Gaud.  p.   114.  —  B.  F.  W.  nr.   14687. 

15.  1224.  Juni  5.  Friedrich  II.  erläset  ein  Generaledikt,  wonach  von 
jetzt  ab  im  Studium  Neapolitanum  alle  Wissenschaften  gelehrt  werden 
sollen,  d.  Siracusie,  V°  iunii,  XIIe  indictionis.  Gaud.  p.  112.  —  B.  F. 
nr.   1537.  —  Bisher  ohne  Datum  bekannt  x). 

16.  1224.  Juli  20.  Friedrich  II.  meldet  den  Einwohnern  von  San 
Germano,  dass  er  auf  die  Vorstellungen  des  magister  Petrus,  magister  Rof- 
fridus  und  anderer  hin  den  Befehl  zur  Schleifung  der  Stadtmauern  zurück- 
nehme und  dem  magister  iustitiarius  Heinricus  de  Morra  diesbezügliche 
Weisungen  ertheilt  habe.  d.  Siracusie  XX0  iulii,  XII  indictionis.  Gaud. 
p.  114.  —  B.  F.  W.  nr.  14690.  —  Dieses  Stück,  wie  nr.  14,  ist  jetzt 
erst    durch  die  Chronik  A  bekannt  geworden,  ebenso  auch 

17.  1225  Mai  21.  Friedrich  II.  beruft  sämmtliche  Prälaten  zu  sich 
nach  Foggia,  (wo  er  sie  dann  fast  einen  Monat  festhielt),  d.  Fogie, 
XXI  mai  XIII  indictionis.     Gaud.  p.   116.    —  B.  F.  W.  nr.   14692. 

18.  1225.  Juli  30.  Friedrich  II.  beruft  die  Getreuen  Deutschlands 
und  Italiens  nach  Cremona  auf  Ostern  1226  (19.  April)  zur  Beratung  über 
die  Kreuzzugsangelegenheit,  d.  apud  Sanctum  Germanum  penultimo  Julii 
XII  indictionis.  Gaud.  p.  118.  —  B.  F.  W.  nr.  14694. —  Bisher  unbekannt, 

19.  (1225.  Oktober  21.)  Papst  Honorius  III.  erlässt  ein  Kundschreiben 
an  die  Prälaten  des  Königreichs  Sicilien,  durch  das  er  ihnen  das  Resultat 
der  Verhandlungen  mit  Friedrich  über  den  Kreuzzug  mittheilt.  Gaud. 
p.  119.  —  Vgl.  B.  F.  W.  nr.  6620.  —  Das  Stück  ist  am  Ende  unvoll- 
ständig. Durch  diese  Lücke  in  A  fehlt  uns  wohl  auch  noch  ein  Schreiben 
Honorius  III.  gegen  die  allzugrosse  Nachgiebigkeit  gegen  die  Sarazenen  2), 
und  der  Anfang  des  Berichts  über   1226. 

20.  1226.  März  26.  Friedrich  II.  beschwert  sich  darüber,  dass  die 
Mannen  des  Herzogthums  Spoleto  seinem  Befehle,  sich  in  Fano  bei  ihm 
einzufinden,    nicht    nachgekommen    sind,    und    erneuert    diesen    Befehl    in 


!)  Gedr.  Petri  de  Vinea  Epp.  3,  11.  Huill.  2,  450. 
2)  Chron.  B.  1225.  Letzter  Abschnitt. 


ß04  A.  Winkel  mann. 

schärferer  Weise,    d.    apud  Fanum    XXVI  martii    XIIII  indictionis.     Gaud. 
p.   122.  —  B.  F.  W.  nr.   14695.  —  Bisher  im  Wortlaut  unbekannt. 

21.  (1226,  c.  März.)  Honorius  III.  schreibt  an  Friedrich  wegen  ver- 
schiedener Eingriffe,  die  er  sich  gegen  die  Rechte  der  Kirche  zu  Schulden 
kommen  liess.  Gaud.  p.  123.  — B.  F.W.  nr.  6628.  —  Ohne  Schluss.  — 
Durch  Chronik  A  bekannt  geworden. 

Auf  dieses  Schreiben  antwortet  Friedrich  II.  in  einem  ebenfalls  bis- 
her nicht  bekannten  Briefe,  dessen  Anfang  und  Schluss  fehlt : 

22.  (1226  nach  März).  Friedrich  II.  rechtfertigt  sich  auf  die  Be- 
schwerden des  Papstes  und  antwortet  mit  Gegenanklagen.  Gaud.  p.  124.1)  — 
B.  F.  W.  nr.   14696. 

Hiermit  bricht  Chronik  A  ab,  offenbar,  wie  schon  oben  erwähnt, 
wegen  des  Todes  seines  Auftraggebers  2). 

Eine  Uebersicht  dieser  Urkunden,  von  denen  die  Chronik  B  nur 
den  Auszug  hatte,  ergibt,  dass  von  obigen  22  Stücken  nicht  weniger 
wie  14,  zum  Theil  äusserst  wichtige,  auch  sonst  im  Wortlaute  unbe- 
kannt waren,  und  zwar  nr.  8 — 20,  nr.  22  (Aktenstücke  Friedrichs)  und 
nr.  21,  eine  päpstliche  Urkunde. 

Wir  haben  hierzu  noch  eine  Urkunde  in  A,  welche  Chronik  B 
gar  nicht  erwähnt: 

23.  1210.  Januar  14.  Friedrich  II.  rechtfertigt  sich  in  einem  Schreiben 
an  den  Abt  Eoffrid  von  Monte  Casino  gegen  den  Vorwurf  der  Grausam- 
keit gegenüber  verschiedenen  sicilischen  Grossen,  d.  Messane  XIIII  ia- 
nuarii  XIII  indictione.     Gaud.  p.  75.  —  B.  F.  W.  nr.   14648  3). 

Desgleichen  haben  wir  nur  einen  Fall,  in  dem  A  einen  ganz 
kurzen  Auszug  gibt,  und  B  sich  dem  Wortlaute  nähert,  und  zwar  bei 
den  Bestimmungen,  die  Papst  Innocenz  III.  bei  seinem  Aufenthalte  in 
San  Germano  1208  zur  Ordnung  des  sicilischen  Keiches  erlässt.  — 
Gaud.  p.  74. 

In  zwei  Urkunden  stimmen  A  und  B  überein: 

24.  1213  April  26.  Innocenz  III.  an  den  Sultan  Sephedinus  von 
Damaskus  und  Babylon  wegen  Herausgabe  des  heiligen  Landes,  d.  La- 
terani,  VI  Kl.  Maii,  pont.  nostri  a.  XVI.     Gaud.  p.  85. 

25.  (1214.)  Auf  Erkundigungen  des  Papstes  bei  dem  Patriarchen  von 
Jerusalem,  den  Templern  und  Johannitern  über  die  orientalischen  Verhält- 
nisse lief  wohl  1214  —  denn  unter  diesem  Jahre  sind  beide  Stücke  über- 
liefert —  der  in  A  und  B  gegebenen  Bericht  bei  dem  Papste  ein.  Gaud. 
p.  86. 

')  Die  von  Facellus  gegebene  Antwort  ein  eigenes  Machwerk  aus  B.  F.  W. 
nr.  6630  „Miranda". 

2)  Wegen  des  weiteren  sehr  interessanten  Notenwechsels  mit  Papst  Hono- 
rius III.,  dessen  die  .Chronik  Erwähnung  thut,  verweise  ich  auf  B.  F.  W. 
nr.  6628.   6630. 

s)  In  Chronik  A  unter  1209  erwähnt.  Ueber  das  Datum  ,Jan.  14.«  vgl.  B. 
F.  W.  1.  c. 


Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard  von  San  Germano.       605 

Der  Grund  dafür,  dass  Richard  von  seiner  Gewohnheit,  in  B  keine 
Urkunden  zu  geben,  abwich,  ist  unschwer  in  dem  allgemeinen  In- 
teresse jener  Zeit  an  allen  Dingen,  die  den  Orient  und  das  heilige 
Land  betrafen,  zu  erkennen.  Derselbe  Gesichtspunkt  mag  auch  dabei 
mitgewirkt  haben,  als  Richard  seine  fünfzehnstrophige  Cantilena  über 
den  Fall  von  Damiette  ebenfalls  in  B  der  Nachwelt  überlieferte;  in 
seinem  Stolze  auf  diese  Dichtung  mochte  er  wohl  glauben,  auch  für 
diese  dauerndes  Interesse  in  Anspruch  nehmen  zu  dürfen. 

In  den  meisten  Fällen  aber  begnügt  sich  Richard  in  Chronik  B 
damit,  von  den  in  A  gebrachten  Urkunden  und  Aktenstücken  den 
wesentlichsten  Inhalt  zu  geben.  Welchen  Grund  hatte  Richard  hie- 
für? Wie  wir  oben  gesehen  haben,  war  die  Chronik  A  dem  direkten 
Auftrage  des  Abts  Stephan  von  Monte  Casino  entsprungen  und  als  Fort- 
setzung der  Annales  Casinenses  für  das  genannte  Kloster  bestimmt. 
Die  Ueberlieferung  der  Chronik  B  —  ein  Manuscript  Richards  —  im 
Archive  des  Klosters  spricht  dafür,  dass  Richard  wohl  schon  von  vorn- 
herein ein  Exemplar  der  Chronik  B  für  das  Klosterarchiv  bestimmte 
und  so  die  Aktenstücke  von  A  nur  im  Auszug  zu  geben  brauchte, 
da  ja  jeder  Leser  von  B  in  Monte  Casino  die  betreffenden  Partieen 
in  A  nachlesen  konnte.  Der  Beweggrund  für  die  Kürzung  in  B  war 
somit  im  wesentlichen  Bequemlichkeit. 

3.  Abweichungen  der  beiden  Chroniken  in  einzelnen 

Punkten. 

Weit  schwieriger  ist  die  Frage  zu  lösen,  welche  Gründe  den  Chro- 
nisten bewogen  haben  mochten,  in  einzelnen  Punkten  von  der  ersten 
Ausarbeitung  abzuweichen,  sei  es  dass  er  Angaben  der  Chronik  A  in  B 
wegliess  oder  veränderte  oder  dass  er  ganz  neue  Notizen  einfügte. 

War  B,  wie  in  der  Einleitung  dargelegt  ist,  nur  dem  historischen 
Interesse  Richards  entsprungen,  das  die  Ereignisse  seiner  Zeit  der  Nach- 
welt überliefert  wissen  wollte,  so  hatte  A  noch  den  spezielleren 
Zweck,  die  Thaten  seines  Auftraggebers  oder  Angelegenheiten  des 
Klosters  Monte  Casino  zu  berichten.  So  fällt  es  denn  nicht  weiter  auf, 
dass  uns  Richard  in  A  vieles  über  Monte  Casino  erzählt,  was  er  dann 
in  der  „  Reichschronik ■  zu  erwähnen  nicht  für  wichtig  genug  hält.  Be- 
sonders tritt  die  Person  des  Abts  Stephan  hier  sehr  zurück.  Es  fehlt 
z.  B.  die  Erhebung  seines  Gönners  zum  camerarius  von  Monte  Casino, 
seine  Gesandtschaft  an  König  Friedrich  wegen  der  Massregelung  meh- 
rerer Grossen  des  Reiches,  wobei  er  allerdings  auch  das  für  die  Ge- 
schichte äusserst  wichtige  Rechtfertigungsschreiben  Friedrichs  (s.  o.  nr.  23) 


(3Q6  A.  Winkelniann. 

weglässt.  Fortfallen  musste  auch  bei  der  Erwähnung  von  Stephans  Erhe- 
bung zum  Abte  die  längere  Erörterung  über  dessen  Verdienste.  Was 
lag  der  Nachwelt  daran  zu  erfahren,  dass  Stephan  an  diesem  oder 
jenem  Tage  als  Abt  seinen  Einzug  in  Monte  Casino  hielt,  oder  dass 
er  von  seiner  Erhebung  Friedrich  Mittheilung  machte,  was  Eichard  wohl 
später  als  selbstverständlich  vorkam?  In  der  „ Klosterchronik \  als  für 
Stephan  selbst  bestimmt,  war  der  Bericht  über  das  freigebige  und 
gastfreundliche  Auftreten  des  Abtes  während  des  Lateranischen  Kon- 
zils am  Platze;  in  B  wird  Stephans  Anwesenheit  in  Rom  gar  nicht 
berührt.  Damit  soll  aber  nicht  gesagt  sein,  dass  Richard  in  der  Um- 
arbeitung diesen  Abt  mit  Stillschweigen  übergangen  habe;  das  konnte 
er  schon  gar  nicht  bei  der  Bedeutung  und  Stellung  der  hoch  angese- 
henen Abtei  Monte  Casino  im  Königreich  Sicilien,  abgesehen  davon, 
dass  Richard  eben  mit  den  Vorgängen  seiner  engereu  Heimat  viel  zu 
sehr  verwachsen  war,  um  von  ihnen  ganz  zu  schweigen.  Aber  so  oft 
Richard  in  B  den  Abt  Stephan  erwähnt,  geschieht  es  stets  in  kurzer, 
sachlicher  Form;  auch  die  Angabe  seines  Todes  unterscheidet  sich  in 
nichts  von  der  seiner  Vorgänger:  in  B  ist  ihm  Stephan  nur  der  Abt 
des  wichtigen  Monte  Casino,  in  A  aber  sein  hoher  Gönner. 

In  der  gleichen  Weise  werden  manche  Ereignisse,  die  für  das 
Kloster  wichtig  waren  und  so  auch  in  der  „Klosterchronik"  berichtet 
werden,  von  dem  Autor  in  B  entweder  ganz  fort  gelassen  oder  mit 
wenigen  Worten  abgemacht.  Insbesondere  scheint  Richard  in  B  die 
Erwähnung  von  Besuchen  hoher  Herrn  in  San  Germ  an  o  vermieden  zu 
haben,  so  z.  B.  die  Ankunft  Friedrichs  II.,  des  Königs  Johann  von  Jeru- 
salem, von  Friedrichs  Sohn  Heinrich  u.  a.  Bei  anderen  Ereignissen, 
namentlich  solchen,  die  auf  das  Kloster  Bezug  haben,  gibt  wohl  A 
die  Daten,  B  aber  gar  keine  genaueren  Bestimmungen  oder  nur 
den  Monat,  und  das  auch  manchmal  bei  den  aller  wichtigsten  Vor- 
fällen, wie  z.  B.  bei  dem  Vertrag  von  San  Germano  1225. 

Im  übrigen  sind  die  Verkürzungen  in  B  nicht  allzu  zahlreich; 
sie  beschränken  sich  vielfach  auf  Provinzialvorgänge  von  geringerer 
Bedeutung.  So  fehlt  in  B  die  Ernennung  des  Landulf  von  Aquino  zum 
iustitiarius  der  terra  laboris  (1220) ;  wohl  aber  erscheint  Richard  die 
Erhebung  des  Thomas  von  Aquino  zu  der  höheren  Stellung  eines  ma- 
gister  iustitiarius  Apulie  et  terre  laboris  und  wegen  seiner  späteren 
bedeutenden  politischen  Rolle  erwähnenswerth. 

Andrerseits  kommt  es  doch  auch  vor,  dass  der  Chronist  selbst 
bei  sehr  wichtigen  Ereignissen,  wie  z.  B.  bei  dem  Lateranischen  Konzil 
(1215),  den  ausführlichen  Bericht  in  A  in  der  Umarbeitung  auf  eine 
ganz  kurze  Inhaltsangabe  beschränkt. 


Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard  von  San  Germano.       607 

Manche  Kürzungen  in  B  scheinen  einen  ganz  besonderen  Zweck 
gehabt  zu  haben ;  es  scheint  nämlich,  als  ob  Kichard  in  der  jüngeren 
Chronik  dem  König  Friedrich  gegenüber  eine  etwas  andere,  günstigere 
Stellung  eingenommen  habe,  als  wie  in  Chronik  A.  Einzelne  Beispiele 
mögen  diese  Annahme  stützen. 

Wenn  Richard  in  A  berichtet,  dass  Abt  Adenulf  von  Monte  Casino 
eine  zum  Königreich  Sicilien  gehörige  Feste  ,,auctoritate  apostolica  et 
litterarum  dicti  regis  Friderici"  x)  einschliesst,  so  finden  wir  in  B  statt 
dessen  ,,occasione  mandati  regis"2).  —  1223  kehrt  Friedrich  II.  nach 
einer  Zusammenkunft  mit  Honorius  III.  in  Ferrentino  nach  Sora  zu- 
rück, in  A  ,,accepta  pape  licentia  et  cardinalium",  in  B  ,,accepta  a 
papa  licentia" 3).  Richard  wollte  offenbar  nicht,  dass  das  Thun  und 
Lassen  seines  Königs  von  der  Zustimmung  der  Kardinäle  abhängig 
gewesen  zu  sein  scheine.  —  In  B  unternimmt  Friedrich  die  folgen- 
schwere  Fahrt  aus  seinem  Königreich  nach  Gaeta  und  seinen  Zug  nach 
Deutschland  (1212)  ausdrücklich  und  der  Sachlage  entsprechend  auf 
Wunsch  des  Papstes  („ab  Innocentio  papa  vocatus  *) 4).  Diese  in  A 
fehlende  Notiz  soll  vielleicht  zeigen,  dass  eigentlich  die  Kirche  die 
Urheberin  aller  folgenden  Streitigkeiten  sei.  Richard  steht  hier  schon 
unter  dem  Eindruck  der  ungeheueren  Kämpfe  zwischen  Kaiser  und 
Papst  und  sucht  die  Gründe  für  diese  festzustellen.  In  ähnlicher  Weise 
gibt  er  in  B  bei  dem  Zuge  Friedrichs  durch  Oberitalien  1212  den  Zu- 
satz „invitis  Mediolanensibus" 5) :  von  seinem  späteren  Standpunkt 
aus  muss  er  auch  die  ersten  Anzeichen  von  Feindschaft  zwischen  Mai- 
land und  Friedrich  erwähnen.  —  Es  wirft  offenbar  ein  zu  ungünstiges 
Licht  auf  die  Zustände  des  Königreichs  Sicilien,  wenn  der  Herzog  Di- 
pold  noch  1217  seine  Plünderungszüge  noch  dahin  „inore  solito" 6) 
unternehmen  kann;  in  B  fehlt  dieser  bezeichnende  Zusatz.  —  1220 
tritt  der  Abt  von  Monte  Casino  an  Friedrich  zwei  Plätze  ab,  nach  A 
„licet  invitus"  7),  in  B  dafür  „ad  petitionem  imperatoris" 8).  —  Das 
Recht  der  Bestimmung  über  Erbauung  oder  Schleifung  von  Befesti- 
gungen stand  allein  dem  Landesherrn  zu.  Diesem  scheint  zu  wider- 
sprechen, dass  in  A  Abt  Stephan  auf  seinem  Befehl  („mandato  abbatis 
Stephani")  die  rocca  Jani  (1221)  schleifen  lässt.  Der  wahre  Grund 
aber  lag  in  einem  Edikte  Friedrichs:  es  geschah  nach  B  „iuxta  edi- 
tam  Capue  Constitutionen!  de  novis  edificiis  diruendis"  9)  10). 


i)  Gaud.  p.  81.         2)  Gaud.  p.  78."  3)  Gaud.  p.  110.         4)  Gaud.  p.  77. 

5)  Gaud.  1.  c.        fi)  Gaud.  p.  97.       7)  Gaud.  p.  99.       fl)  Gaud.  p.  100. 

°)  Gaud.  p.  104.  ,0)  Ueber  eine  scheinbar  nur  formale  Aenderung  in  ß 
wird  weiter  unten  gehandelt  werden. 


gQg  A.  Winkelmann. 

Nicht  gar  selten  sind  auch  Veränderungen  oder  Umstellungen  der 
berichteten  Ereignisse.  Hierbei  stellt  es  sich  heraus,  dass  Eichard  bei 
der  Abfassung  von  B  durchaus  eine  gewisse  Kritik  an  seinem  ersten 
Werk  geübt  hat,  allerdings  aber,  wie  es  sich  später  zeigen  wird,  ohne 
irgendwie  an  der  Anordnung  im  Ganzen  zu  rütteln. 

In  A  erzählt  Richard  von  Friedrichs  erfolgreichem  Zuge  nach 
Deutschland,  dass  er  sich  dann  1212  das  Kreuz  anheften  Hess.  *)  Davon 
war  aber  bisher  nicht  das  Geringste  bekannt 2) ;  somit  hat  sich  wohl 
"Richard  geirrt:  er  selbst  gibt  obige  Angabe  in  veränderter  Gestalt  in 
B  statt  unter  1212  unter  dem  richtigen  Jahre  1215  3).  Die  Erneuerung 
des  Kreuzzugsgelübdes  bei  Gelegenheit  der  Kaiserkrönung  1220  kennt 
A  nicht,  B  berichtet  ziemlich  Genaues  darüber. 

Gelegentlich  ist  auch  A  besser  unterrichtet.  So  werden  bei  dem 
Vertrage  zwischen  Friedrich  II.  und  dem  Grafen  Thomas  von  Celano 
(1223)  4)  in  A  Kirche  und  Deutschordensmeister  als  Vermittler  genannt 
„mediante  Romana  curia  et  magistro  domus  Teutonicorum"  5),  in  B  nur 
die  römische  Kurie :  diese  Notiz  ist  sicher  ungenau,  da  die  Vermittler- 
stellung des  Deutschordensmeisters  im  Vertrage  unverkennbar  ist,  wenn 
z.  B.  sich  Friedrich  verpflichtet  „iuxta  ordinationem  magistri  domus 
Theutonicorum"  das  Privileg  für  den  genannten  Grafen  auszustellen.  — 
Wir  müssen  hier,  wie  auch  darin,  dass  Richard  in  B  bei  der  Aufzäh- 
lung der  Kreuzfahrer  gegen  Damiette  G)  den  wirklich  am  Zuge  bethei- 
ligten Herzog  Leopold  VI.  (VII.)  von  Österreich  7)  weglässt,  Flüchtig- 
keit der  Umschrift  annehmen.  ■ 

Es  sind  nunmehr  noch  einige  kleinere  Differenzen  zu  besprechen ; 
es  geschieht  dies  ohne  den  Versuch  einer  chronologischen  Ordnung.  — 
A.:  1210  sind  als  Anstifter  des  Zuges  Ottos  IV.  gegen  das  Königreich 
Sieilien  Dipold  und  der  Graf  Thomas  von  Molise  genannt8);  B  hat 
statt  des  letzteren  richtig  Petrus  de  Celano  9).  Bei  diesem  Angriffe 
war  das  Gebiet  von  Monte  Casino  am  meisten  der  Gefahr  ausgesetzt; 
um  diese  abzuwenden,  bittet  der  Abt  durch  Gesandte  an  jenen  Tho- 
mas (d.  h.  Petrus)  nach  A,  nach  B  an  Otto  IV.  um  Schutz.  Eine  Ent- 

»)  Gaud.  p.  82. 

2)  Winkelmann,  Otto  IV.  p.  333,  334. 

3)  Winkelmann,  1.  c.  p.  392.  Gaud.  p.  90. 

<)  Huillard-Breholles  II,  p.  357.     B.  F.  Dr.   1485. 
ß)  Gaud.  p.  110.         fi)  Gaud,  p.  97. 

7)  Röhricht,'  Beiträge  z.  Gesch.  d.  Kreuzzüge,  II.  p.  372.  v.  Meiller,  Regesten 
z.  Gesch.  d.  Hauses  Babenberg.  p.  123.  nr.  154. 

8)  Gaud.  p.  76. 

°)  Winkelmann,  1.  c.  p.  243  ff.  A  verwechselt  hier  Vater  und  Sohn :  Thomas 
tritt  uns  erst  später  als  Parteigänger  jenes  Dipolds  entgegen  s.  1.  c.  p.  407. 


Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard  von  San  Germano.       QQQ 

scheidung  ist  schwierig;  das  richtigste  wird  sein,  beide  Notizen  zu- 
sammen zu  nehmen.  —  1213  zieht  Innocenz  über  die  Sarazenen  Er- 
kundigungen ein,  nach  A  bei  den  Templern  und  Johannitern,  nach 
B  ausserdem  noch  bei  dem  Patriarchen  von  Jerusalem  *),  was  eben- 
falls eine  Ergänzung  ist 2), 

Einige  recht  charakteristische  Aenderungen  sind  bei  dem  Berichte 
über  den  Zug  nach  Damiette  zu  bemerken,  obwohl  er  sich  sonst  bei 
diesem  interessanten  Gegenstand  mehr  an  A  hält.  Der  jedenfalls  sehr 
treffende,  lobende  Zusatz  bei  der  Erwähnung  des  Sultans  Sephedin 
„utpote  vir  studiosus  et  callidus"  in  A 3)  fehlt  in  B.  —  1219  lässt 
der  Sultan  die  Mauern  von  Jerusalem  niederreissen  und  befiehlt  den 
Sarazenen,  die  Stadt  zu  verlassen,  um  so  die  Christen  den  Plünderungen 
herumziehender  Horden  preiszugeben:  als  Grund  für  diese  Massregel 
erscheint  in  B  besser  „  furore  accensus ",  in  A  „metus  causa"  4). 

In  B  steht  Richard  den  landläufigen  Sagen  und  Gerüchten  skep- 
tischer gegenüber :  einen  fabelhaften  Bericht  über  das  Herannahen  des 
Königs  David  oder,  wie  er  sonst  genannt  ist,  des  Erzpriesters  Johannes 
nimmt  er  in  B  nicht  mehr  auf5).  —  Wir  vermissen  auch  in  B  die 
Bemerkung,  dass  bei  dem  Frieden  mit  dem  Sultan  Sephedin  1221  den 
Christen  das  Kreuz  Christi  ausgehändigt  worden  sei  („vera  Christi 
crux  est,  ut  dicitur,  reddita  christianis'1 6) ;  bedenklich  stand  er  dieser 
Nachricht  gegenüber  schon  in  A,  wie  das  „ut  dicitur"  zeigt. 

A  gibt  einen  ganz  genauen  Bericht  über  das  Lateranische  Konzil 
mit  dem  Zusatz  „seriatim  exponam,  ego  qui  interfui  et  vidi  Riccardus 
huius  operis  auctor"  7).  In  B  ist  der  Bericht  ganz  summarisch,  weil 
er  wohl  allgemein  bekannt  war,  so  dass  jener  Zusatz  ihm  überflüssig 
erscheinen  mochte.  Bescheidenheit  war  es  kaum,  da  er  bei  der  Eiu- 
schiebung  seines  Gedichts  über  Damiettes  Fall  weder  in  A  noch  in  B 
den  Verfasser  verschweigt.  —  Der  Brief  Innocenz  an  den  Sultan  Se- 
phedin von  1213  stand  in  A  irrthümlich  unter  1214;  A  hebt  diesen 
Fehler  nun  besonders  hervor  „quod  obmissum  est  in  anno  praeterito"  8). 
B  gibt  denselben  Brief,  ebenfalls  unter  dem  falschen  Jahre,  aber  be- 
zeichnenderweise ohne  seinen  Zusatz.  Und  gerade  dies  zeigt,  dass  die 
Chronik  B  keine  eigentliche  Umarbeitung  von  A  ist,  sondern  nur  eine 
in  Einzelheiten  veränderte  und  bezüglich  der  Aktenstücke  verkürzte 
Umschrift    ist.     Denn    sonst   müsste  Richard   auch   das  Rundschreiben 


l)  Gand.  p.  86. 
2J  P.  nr.  4720. 

s)  Gaud.  p.  97.         «)  Gaud.  p.  99.  5)  Gaud.  p.  111.        «)  Gaud.  p.  105. 

7)  Gaud.  p.  90.        ")  Gaud.  p.  85. 

Mittheilungen  XV.  on 


610  A-  Winkelraann. 

des  Papstes  Inuocenz  III.  betreffend  den  Kreuzzug  vom  17.  Juli  1214 
und  die  Ermahnung  an  die  Bischöfe,  obiges  Schreiben  zu  unterstüzen, 
wenigstens   in  B  unter  1214  stehe,  nicht   auch  wie  in  A  unter  1213. 

A  erwähnt  die  Besetzung  von  Capua  durch  den  Grafen  Richard 
von  Aquila  und  die  Aufgebung  dieser  Stadt  („postniodum")  unter  1208 : 
in  B  sind  richtig  beide  Nachrichten  in  die  Jahre  1208  und  1209  ge- 
trennt 1).  —  In  B  steht  die  Exkommunikation  Ottos  und  die  Capuas 
und  seiner  übrigen  Anhänger  gleichzeitig  unter  1210.  Diese  Nachricht  er- 
regte mannigfache  Bedenken  '-),  die  jetzt  durch  A  gehoben  sind,  indem  die 
Bannsprüche  vertheilt  sind  auf  1210  und  1211:  Otto  IV.  wird  am 
18.  November  gebannt,  da  er  es  wagte,  das  Königreich  Sicilien  mit 
Krieg  zu  überziehen.  Die  Bannung  wird  bekannt  —  trotzdem  wagen 
es  die  Geistlichen  von  Capua,  vor  dem  Gebannten  zu  celebriren.  Des- 
halb wird  zugleich  mit  der  feierlichen  Erneuerung  des  Bannes  über 
Otto  und  seine  Parteigänger  über  Capua  das  Interdikt  verhängt.  — 
Bei  der  unglücklichen  Expedition  des  lateinischen  Kaisers  Peter  von 
Auxerre  von  Konstantinopel  nach  Durazzo  1217  wurde  auch  der  Kar- 
dinal Johannes  de  Columna  gefangen  genommen.  Hierzu  bemerkt 
Richard  in  A  sowohl  unter  1217  wie  unter  1218  seine  Freilassung; 
in  B  vermeidet  er  die  Wiederholung  und  entscheidet  sich  für  das  rich- 
tige 1218-  —  Umgekehrt  ist  nach  A  ganz  richtig  die  Ankunft  Fried- 
richs in  Apulien  und  die  Weihnachtsfeier  apud  Apriciuam 3)  in  das 
Jahr  1222  gesetzt4),  während  er  nach  B  erst  1223  nach  Apulien 
kommt. 

Nur  zufällig  ist  es,  nicht  etwa  der  Absicht  entsprungen,  das  Un- 
bedeutende und  Nebensächliche  an  das  Ende  eines  Jahres  zu  setzen, 
wenn  Richard  den  Ausbruch  einer  Hungersnoth  in  Apulien  in  B  an 
das  Ende  von  1212  stellt,  nicht  wie  in  A  in  die  Mitte  der  Erzählung, 
denn  die  nicht  weniger  unwichtige  Bemerkung  „hoc  anno  (1216) 
magna  fertilitas  fuit"  steht  in  A  wie  in  B  mitten  in  dem  Berichte. 

4.  Formale  Aenderungen  in  der  Chronik  B. 

Formale  Verschiedenheiten  sind  in  beiden  Chroniken  vorhanden; 
ausführlich  auf  sie  einzugehen,  liegt  nicht  im  geschichtlichen  Interesse. 
Indess  sind  manche  dieser  Aenderungen  so  auffallender  Natur,  dass 
man  sie  doch  näher  ins  Auge  fassen  muss. 


')  Gaud.  p.  74.  —  Otto  IV.,  p.  92. 
2)  —  Otto  IV.,  p.  249. 
3J  Gaud.  p.  109. 
4)  B.  F.  iir.  1424. 


Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard  von  San  Germano.       Q\\ 

Schon  verschiedentlich  wurde  auf  die  veränderte  Stellung  Richards 
gegen  Friedrich  in  der  jüngeren  Chronik  aufmerksam  gemacht.  So 
scheint  auch  Richard  für  das  Kreuzzugsgelübde  Friedrichs  in  B  einen 
milderen  Ausdruck  zu  verwenden.  Nach  A  verpflichtete  sich  Fried- 
rich II.  bei  der  Zusammenkunft  mit  Honorius  III.  zu  Veruli  (1222) 
zu  einem  Kreuzzuge  „iuramento  prestito",  nachB  „data  fide"  1). — 
Bei  der  erneuten  Unterredung  in  Ferrentino  (1223)  heisst  es  in  A 
.,iuravit  (sc.  Fridericus)  pape  publice  usque  ad  bienium  in  terre  sancte 
subsidium  transfretare",  in  B  dasselbe,  nur  statt  „iuravit"  „promi- 
sit"2).  —  Noch  deutlicher  tritt  uns  diese  sicher  nicht  zufällige  Unter- 
scheidung bei  dem  Vertrage  von  San  Germano  entgegen.  Ich  stelle 
beide  Angaben  neben  einander:  A.  ,, —  ea  omnia  (d.  h.  den  Vertrag) 
ipse  imperator  manu  propria  servaturum  iuravit  et  cum  eo  iuravit 
dux  Spoleti  predictus".  B:  ,, —  promisit  imperator  se  publice  serva- 
turum —  et  hoc  ipsum  Raynaldus  diclus  dux  Spoleti  iuravit  in 
anima  sua" 3).  Es  hätte  dieser  Unterschied  keine  Beweiskraft,  wenn 
Richard  stets  in  B  den  Ausdruck  „iurare"  vermieden  hätte;  das  ist 
aber  keineswegs  der  Fall:  Richard  ersetzt  nur  bei  Friedrich  „iurare" 
durch  einen  verwandten,  aber  doch  nicht  so  bindenden,  technisch 
richtigeren  Ausdruck ;  sonst  findet  sich  öfters  „iurare,  iuramentum  etc." 
Nicht  ganz  formal  ist  auch  die  Aenderung,  dass  Innocenz  an  Se- 
phedin  nicht  „legati",  wie  in  A,    sondern  nach  B  ,,nuncii"    sendet4). 

—  Bei  der  Kreuzfahrt  von  1218  betheiligen  sich  aus  dem  Gebiete  von 
Monte  Casino  „ruulti"  nach  A,  in  B  „nonnulli"  5). 

Aus  der  Zahl  der  rein  formalen  Aenderungen  hebe  ich  hervor: 
Friedrich  geht  nach  rocca  Magenulfi  „uxorem  suam  (d.  h.  des  Grafen 
Thomas  von  Celano)  trahens  de  rocca  (Boiani)",  in  B  „secum  ducens". 

—  Statt  des  seltenen  „in  fato  concessit"  gebraucht  er  in  B  „mortuus 
est.  —  Oder  wenn  in  A  kurz  nach  einander  zweimal  „ad  urbem" 
gesagt  ist,  finden  wir  in  B  den  Wechsel  „Romam"  und  „ad  urbem".  — 
Der  Ausdrucksfehler  „expugnare"  im  Sinne  von  „angreifen"  wird  durch 
das  richtige  „aggredi"  ersetzt G).  —  Aehuliche  Fälle  Hessen  sich  noch 
in  grösserer  Zahl  zusammenbringen;  es  genügt  aber  um  zu  zeigen, 
dass  Richard  in  formaler  Hinsicht  entschieden  in  B  zu  bessern  ge- 
sucht hat. 

5.  Zusammenfassung.  Zeit  der  Entstehung  von  A. 

Das  Resultat  vorliegender  Untersuchung  ist  kurz  folgendes: 

1.  Der  Hauptunterschied  beider  Chroniken  besteht  darin,    dass  A 


')  Gaud.  p.  107.         2)  Gaud.  p.  110.         s)  Gaud.  p.  118.         4)  Gaud.  p.  116. 
5)  Gaud.  p.  98.         *)  Gaud.  p    104. 

39" 


(312  A.  Winkelmann. 

eine  grosse  Zahl  der  allerwichtigsten  Urkunden  gibt,    von  denen  mei- 
stens nur  der  ganz  kurze  Auszug  in  ß  bekannt  war. 

2.  Die  Chronik  A  als  eine  „Klosterchronik"  ist  genauer  in  allen 
Ereignissen,  die  auf  Monte  Casino  und  Umgebung  Bezug  haben. 

3.  In  der  „Reichschronik"  finden  sich  vielfach  Verbesserungen, 
gelegentlich  aber  auch  Nachlässigkeiten  der  Umschrift,  so  dass  es  noth- 
wendig  ist,  besonders  bei  unbedeutenderen  Bemerkungen  beide  Chro- 
niken zu  benutzen. 

4.  Richard  nimmt  in  B  eine  andere  Stellung  zu  Friedrich  ein;  er 
scheint  sich  zu  bemühen,  ihn  in  ein  günstigeres  Licht  zu  stellen. 

5.  B  zeigt  häufige  formale  Besserungen. 

Aus  allem  folgt,  dass  für  die  Zeit  von  1208  bis  1226  nicht  eine 
Chronik,  A  oder  B,  massgebend  ist,  sondern  beide,  die  sich  gegen- 
seitig ergänzen ;  für  die  Geschichtsforschung  ist  aber  A  wegen  des  ur- 
kundlichen Materials  ein  grosser  Gewinn. 

Zum  Schlüsse  wird  es  am  Platze  sein,  noch  einige  Bemerkungen 
über  die  Entstehungszeit  der  Chronik  A  zu  machen,  wobei  ich  zu  einem 
etwas  anderen  Ergebnis  komme  wie  Gaudenzi.  Dieser  spricht  von  einer 
Publication  oder  Beendigung  des  nur  verstümmelt  überlieferten  Werks.  Das 
letzte  behandelte  Jahr  war  1226;  Abt  Stephan  starb  am  11.  Juli  1227:  so- 
mit bleibt  für  die  Publikation  nur  die  Zeit  1226  bis  Mitte  1227,  da 
Richard  doch  nicht  gut  nach  dem  Tode  seines  Gönners  die  Chronik 
nebst  Widmung  veröffentlichen  konnte.  —  Aber  woher  weiss  denn 
Gaudenzi,  dass  die  Chronik  veröffentlicht  wurde  als  ein  abgeschlossenes 
Ganzes?  Das  Ende  der  Chronik  mit  1226  und  der  Tod  Stephans  stehen 
sicher  in  einem  gewissen  Zusammenhang,  indem  Richard  durch  das 
Ableben  des  Abts  an  der  Vollendung  seines  Werks  gehindert  wurde. 

Nach  der  Vorrede  wurde  A  durch  Abt  Stephan  (Abt  von  Monte 
Casino  seit  1215)  veranlasst.  Riebard  übernimmt  die  Aufgabe,  schreibt 
die  Widmung  und  die  Ereignisse  vor  der  Erhebung  Stephans  und 
konnte  dann  Jahr  für  Jahr  die  Chronik,  oder  besser  gesagt  die  An- 
nalen,  bis  1226  fortgesetzt  haben.  Wir  erhalten  jedoch  noch  einen 
kürzeren  Zeitraum  für  die  Arbeit  Richards  an  der  Chronik.  1215  setzt 
Stephans  Vorgänger  Adenulf  neben  anderen  Punkten  auch  *)  ,,roccam 
Jani,  que  tunc  munita  erat",  in  Vertheidigungszustand.  Nun  wurde 
die  rocca  Jani  erst  1220  entfestigt 2) ;  somit  kann  wegen  seines  Zu- 
satzes dieser  Abschnitt  nicht  vor  1220  entstanden  sein.  Wir  können 
aber  noch  weiter  kommen.  Richard  nahm  in  Monte  Casino,  begünstigt 
von  Abt  Stephan,    eine  jetzt    nicht   mehr   bestimmbare  Stellung    ein; 


')  Gaud.  p.  89.         2)  Gaud.  Friedr.  II.,  p.  135. 


Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Richard  von  San  Germano.       Q]_3 

seine  Theilnahme  an  dem  Lateranischen  Konzil,  seine  genaue  Kenntnis 
von  Urkunden  aus  dem  Klosterarchive,  u.  a.  lassen  auf  eine  Art  Se- 
kretärstelle schliessen.  Aus  diesem  Amte  wird  er  als  Notar  in  die 
Dienste  Friedrichs  genommen.  Indem  ich  mich  in  diesem  Punkte  Gaudenzis 
Ansicht  anschliesse,  begegnet  uns  Richard  als  königlicher  notarius  zuerst 
in  der  oben  erwähnten  Urkunde  vom  10.  September  1222  (s.  o.  nr. 
10)  :  Friedrich  IL  gibt  den  Befehl  der  Ordnung  der  Markt-  und  Münz- 
verhältnisse „Pagano  Baldino  ...  et  notario  Riccardo  fidelibus  nostris, 
quos  pro  servitiis  nostris  mictimus".  Die  Vorrede  und  der  Anfang  der 
Chronik  muss  unter  obiger  Annahme  zwischen  1220  und  1222  ent- 
standen sein.  Denn  würde  man,  wie  Gaudenzi,  unter  „promotio"  seine 
Ernennung  zum  Notar  verstehen,  so  bliebe  es  unerklärlich,  wie  sich 
Richard  in  der  Widmung  den  ,,famulusu  Stephans  nennen  könnte,  und 
warum  er  nicht  hier  seine  Notarswürde  ebenso  angibt,  wie  in  der  Vor- 
rede zu  B  „ego  Riccardus  de  Sancto  Germano  notans  notanda  nota- 
rius". Die  „promotio"  ist  somit  die  Uebertragung  irgend  einer  Stelle 
in  Monte  Casino,  die  er  vielleicht  seinem  Gönner  Abt  Stephan  ver- 
dankte; als  Ausdruck  des  Dankes  wäre  dann  die  Chronik  A  zwischen 
1220  und  1222  begonneü  worden;  sodann  wurde  sie  fortgesetzt,  aber 
durch  den  Tod  des  Abts  Stephan  1227  unterbrochen. 

Nach  diesem  Jahr  nahm  Richard  das  Werk  von  Neuem  vor  und 
gab  ihm  eine  nach  Umfang  und  Inhalt  geänderte  Fassung,  die  Chro- 
nik B. 


Zur  Gründiingsgeschichte  der  österreichischen 
Kriegsmarine. 


Von 

Karl  Lechner. 


Kaiser  Karl  VI.  kann  mit  vollem  Rechte  als  der  Begründer  des 
österreichischen  Handels  und  der  Industrie  angesehen  werden,  nament- 
lich ist  er  es  gewesen,  der  mit  richtigem  Blick  die  grosse  Bedeutung 
erkannte,  welche  die  Hebung  des  Seehandels  für  das  damalige  öster- 
reichische Litorale  und  den  Gesammtstaat  zur  Folge  haben  musste.  Um 
diesen  Zweck  der  Förderung  der  materiellen  Wohlfahrt  der  Küsten- 
gebiete zu  erreichen,  erliess  er  unter  dem  2.  Juni  1717  ein  Patent, 
in  welchem  er  die  freie  Schiffahrt  für  alle  Nationen  beansprucht  und 
den  festen  Willen  zum  Ausdruck  bringt,  dieselbe  mit  allen  Kräften  zu 
wahren.  Zugleich  wurde  allen  an  der  österreichischen  Küste  gelegenen 
Hafenplätzen  das  Becht  des  Schiffsbaues  und  Handelsbetriebes  einge- 
räumt und  den  Schiffsinhabern  bedeutet,  dass  sie  von  der  k.  k.  Hof- 
kanzlei das  Schiffahrtspatent  erhalten  würden.  Der  Kaiser  that  bald 
einen  Schritt  weiter,  indem  er  durch  ein  Schreiben  vom  21.  August 
1717  an  den  Triester  Stadtrath  den  Auftrag  ergehen  Hess,  sich  darüber 
zu  äussern,  wo  man  am  besten  Freihäfen  errichten  könnte.  Es  war 
nur  eine  Pflicht  der  Selbsterhaltung,  dass  der  Stadtrath  durch  Gabriel 
v.  Marenzi  auf  die  günstige  Lage  Triests  zu  eineni  solchen  Vor- 
haben hinweisen  Hess,  so  dass  durch  Patent  vom  18.  März  1719  Triest 
und  Fiume  wirklich  zu  Freihäfen  erklärt  wurden  1). 


')  Löwenthal,  Geschichte  der  Stadt  Triest  (1857)  1,  154  folgd.  v.  Radics, 
Kaiser  Karl  VI.  als  Staats-  und  Volkswirth  (1886)  60  lässt  irrthümlicher  Weise 
schon  das  Patent  vom  2.  Juni  1717  als  Freihafenpatent  gelten. 


Zur  Gründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  ß!5 

Am  21.  Juli  1718  war  der  Passarowitzer  Frieden  geschlossen  wor- 
den und  kurze  Zeit  später  wurde  mit  der  Türkei  ein  Handelsvertrag 
vereinbart.  Der  Zeitpunkt  zur  Gründung  der  orientalischen  Compagnie, 
die  schon  durch  kaiserliches  Patent  vom  27.  Mai  1719  mit  dem  Sitze 
zu  Wien  ins  Leben  gerufen  wurde,  war  daher  güustig  gewählt.  Der 
Kaiser  stattete  dieselbe  mit  grossen  Privilegien  aus  und  gab  ihr  vor 
allem  das  Recht,  in  Wien,  Belgrad  oder  wo  die  Compagnie  sonst  es 
für  gut  erachten  würde,  Niederlagen,  Magazine  u.  s.  w.  zu  errichten, 
wozu  unter  dem  20.  Mai  1722  noch  die  Erlaubnis  hinzukam,  inTriest, 
Fiume  oder  Buccari  Schiffe  von  mehr  als  60'  Länge  zu  erbauen  und 
alles  zu  erzeugen,  was  zum  Schiffsbetrieb  nöthig  sei,  also  Tauwerk, 
Anker,  Kanonen,  Segeltuch;  auch  die  Heranziehung  von  Schiffsbau- 
meistern und  Handwerkern  aus  Holland,  Schweden ,  Hamburg  etc. 
wurde  gestattet 1). 

Diese  Bemühungen  des  Kaisers  zur  Hebung  von  Oesterreichs  See- 
handel mussten  mit  zwingender  Notwendigkeit  zur  Schaffung  einer 
Kriegsflotte  führen,  die  denselben  zu  schützen  vermochte.  Den  Plan 
hiezu  hatte  Karl  VI.  schon  lange  gehegt,  hatte  er  doch  im  spanischen 
Successionskriege  den  Mangel  einer  Kriegsflotte  empfindlich  gefühlt. 
Leider  sind  wir  hierüber  nicht  genauer  unterrichtet,  denn  aus  Archiven 
ist  meines  Wissens  bisher  nur  wenig  in  die  Oeffentlichkeit  gedrungen 
und  die  wichtigste  Quelle,  die  Berichte  der  venetianischen  Botschafter 
am  Wiener  Hofe,  weist  für  die  Jahre  von  1708  —  22  leider  eine  Lücke 
auf.  Aus  dem  vom  erstgenannten  Jahre,  herrührend  von  dem  Bot- 
schafter Daniel  Dolfin  2)  geht  hervor,  dass  schon  Kaiser  Josef  I.  den 
Plan  der  Gründung  einer  Handelsflotte  im  Hafen  von  Buccari  ins 
Auge  fasste  und  hiezu  einen  englischen  Ingenieur  berief;  doch  wussten 
Dolfin  und  der  englische  Gesandte  Georg  Stepney  das  Project  zu  hin- 
tertreiben. Ohne  das  Geld  der  Engländer  und  Holländer,  schrieb  Dolfin, 
könne  man  überhaupt  nichts  anfangen.  Die  finanzielle  Lage  des 
Staates  am  Ende  des  spanischen  Successionskrieges  und  des  ungari- 
schen Aufstandes  war  aber  eine  höchst  ungünstige.  Wohl  hauptsäch- 
lich aus  diesem  Grunde  konnte  das  Project  der  Gründung  einer  Kriegs- 
flotte, das  Baron  Franz  Anton  von  St.  Hilaire  im  Jahre  1713  vor- 
legte, nicht  realisiert  werden.  Derselbe  machte  sich  verbindlich,  20 
vollständig  ausgerüstete,  bemannte  und  auf  6  Monate  verproviantierte 
Kriegsschiffe   von  40  —  80  Kanonen    für  den  durchschnittlichen  Preis 


1)  Mayer,    Die  Anfänge    des  Handels   und    der  Industrie  in  Oesterreich  und 
die  orientalische  Compagnie  (1882)  38  folgd. 

2)  ed.  Arneth  in  Fontes  rerum  Austriacarutu  II  22,  20  folgd. 


Q1Q  Le  ebner. 

von  140 — 150.000  fl.  per  Schiff  in  Holland  zu  beschaffen.  Diese  Flotte 
sollte  insgesammt  1270  Kanonen  führen  und  eine  Bemannung  von 
9450  Köpfen  zählen  l).  Es  wäre  das  für  jene  Zeit  eine  ganz  respec- 
table  Kriegsmacht  zur  See  gewesen,  die  ohne  Zweifel  Oesterreichs  An- 
sehen im  Mittelmeere  mächtig  gehoben  hätte.  Ob  aber  dadurch  der 
Kaiserstaat  gegenüber  den  anderen  seefahrenden  mediterranen  Mächten 
„gewiss  das  Uebergewicht  erlangt  hätte",  wie  v.  Eechberger  dafür  hielt, 
mag  doch  noch  dahingestellt  bleiben.  Nach  einer  dem  Könige  Lud- 
wig XV.  überreichten  Beschreibung  zählte  nämlich  Frankreich  im  Jahre 
1725  im  Mittelmeere  30  Galeeren  und  ausserdem  dortselbst  und  im 
offenen  Ocean  70  Kriegsschiffe  2).  Konnte  auch  Kaiser  Karl  VI:  nicht 
im  entferntesten  daran  denken,  Hilaires  Projekt  zu  realisieren,  so  gab 
er  doch  den  Plan  einer  Marinegründung  nicht  auf.  Während  die  Ar- 
beiten von  C.  K  e i  c h a r  d  und  Fr.  Mares  (letztere  im  1.  u.  2.  Bande 
dieser  Zeitschrift),  sich  die  Darstellung  der  politischen  Bestrebungen 
der  Habsburger  zur  Gründung  einer  Kriegsflotte  im  17.  Jahrhundert 
zur  Aufgabe  machten,  will  ich  versuchen,  an  der  Hand  einer  Kelation 
zu  zeigen,  wie  sich  ein  solcher  Plan  Karls  VI.  anliess  und  mit  welchen 
Verhältnissen  man  zu  rechnen,  beziehungsweise  Hindernissen  man  hie- 
bei  zu  kämpfen  hatte. 

Ich  will  zuvor  noch  bemerken,  dass  der  Fürstbischof  von  Olmütz, 
Cardinal  Wolfgang  Hannibal  Graf  von  Schrattenbach,  einem  im 
Cillier  Kreise  begüterten  Adelsgeschlechte  entsprossen,  als  Comprotector 
der  deutschen  Nation  seit  1714  in  Born  sich  aufhielt,  woselbst  Graf 
Johann  Wenzel  G  alias  als  kaiserlicher  Botschafter  fungierte.  Nach- 
dem es  der  spanischen  Partei  am  Kaiserhofe  gelungen  war,  die  Ab- 
berufung des  Feldmarschalls  Grafen  Wirich  Daun  von  seiner  Stellung 
als  Vicekönig  und  Generalcapitän  des  Keiches  von  Neapel  im  Jahre 
1719  zu  erwirken,  kam  Gallas  an  dessen  Stelle,  der  sich  in  dieselbe 
gar  nicht  einleben  konnte,  da  er  schon  am  25.  Juli  genannten  Jahres 
mit  Tod  abgieng.  Auf  seinen  Posten  brachte  die  spanische  Partei  nun 
den  Cardinal  Schrattenbach,  der  durch  kaiserliches  Decret  vom  4.  Au- 
gust 1719  ad  interim  auf  denselben  berufen  wurde  und  am  24.  Au- 
gust auf  päpstlichen  Galeeren  in  Neapel  eintraf.  Zufolge  erwähnten 
Decretes  vom  4.  August  trat  interimistisch  an  seine  Stelle  in  Kom 
Cardinal  Giudice,  der  definitiv  abgelöst  wurde  durch  den  Bischof  von 
Waitzen,  Cardinal  Michael  Friedrich  Grafen  von  Althan ,  den  Neffen 
des  Favoriten  Michael  Gr.  v.  Althan 3). 

')  v.  Rechberger,  Gescbicbte  der  k.  k.  Kriegsmarine  1.  16  folgd. 

2)  Miscellaneenband  in  der  fürsterzb.  Bibliotbek  in  Kremsier. 

3)  Schrattenbacbs  Correspondenzbücber  Bd.  XXIX.  und  VI. 


Zur  Gründungsgeschicbte  der  österreichische  Kriegsmarine.  617 

Aus  Schrattenbaclis  Correspondenz,  die  bis  ins  Jahr  1722  reicht 
und  in  42  Foliobänden  im  fürsterzbischöflichen  Archive  in  Kremsier 
erliegt1),  stammen  die  Beilagen  zu  diesem  Aufsatze. — Während  seiner 
Statthalterschaft  wurden  die  neapolitanischen  Schiffe  ausgerüstet. 

Die  ganze  damalige  Organisation  des  neapolitanischen  Königreichs, 
das  jetzt  mitten  im  Kriege  einem  im  diplomatischen  Dienste  am  rö- 
mischen Hofe  emporgekommenen  Manne  zur  Verwaltung  überwiesen 
war,  scheint  nur  dazu  geschaffen  gewesen  zu  sein,  durch  eine  Ueber- 
fülle  von  Aemtern  und  Pfründen  den  einheimischen  und  spanischen 
Adel  und  Klerus  zu  versorgen,  so  dass  das  Staatseinkommen  im  Hin- 
blick auf  die  Steuerfreiheit  dieser  Stände,  die  nur  freiwillige  Beiträge 
leisteten,  und  auf  die  Unregelmässigkeiten  und  Betrügereien  der  Be- 
amten relativ  nur  ein  ganz  geringes  gewesen  sein  kann.  Zur  Erhär- 
tung dieser  Behauptung  mag  erwähnt  werden,  dass  nach  den  dem 
Cardinal  Schrattenbach  unterbreiteten  Uebersichten  im  Reiche  von 
Neapel  (ohne  Sicilien)  im  Jahre  1720  nicht  weniger  als  130  Princi- 
pati,  152  Ducati,  198  Marchisati  und  45  Contee  gezählt  wurden.  Viel 
zu  zahlreich  für  das  kleine  Reich  waren  auch  die  geistlichen  Pfrün- 
den. Denn  der  Kaiser  hatte  8  Erzbisthümer  und  16  Bisthümer,  der 
Papst  hingegen  11  Erzbisthümer  und  105  Bisthümer  zu  besetzen,  also 
eine  Gesammtzahl,  die  selbst  für  einen  zehnmal  grösseren  Staat  noch 
immer  zu  hoch  gewesen  wäre.  Der  Vicekönig  sollte  ein  Einkommen 
von  6303  neapol.  Ducaten  per  Monat  beziehen,  aber  die  materielle 
Lage  desselben  scheint  doch  nicht  allzu  rosig  gewesen  zu  sein;  denn 
obwohl  Cardinal  Schrattenbach  ein  sparsamer  Herr  gewesen  seiu  muss 
in  Rücksicht  auf  seinen  Stand  und  seine  Stellung,  wie  sich  aus  der 
Correspondenz  mit  seinem  Bruder  Otto,  dem  die  Oberleitung  der  Ver- 
waltung der  bischöflichen  Güter  der  Olmützer  Kirche  oblag,  deutlich 
ersehen  lässt,  giengen  doch  bedeutende  Summen  an  denselben  zur  Be- 
streitung der  Kosten  seiner  Stellung  in  Rom  und  Neapel  ab.  Daraus 
ergibt  sich,  dass  der  Cardinal  an  steter  Geldverlegenheit  laborierte,  be- 
ziehungsweise, dass  sein  factisches  Einkommen  nicht  dem  stipulierten 
Betrage  entsprach.  In  einem  Schreiben  des  Grafen  Otto  an  den  Bru- 
der d.  d.  Brunn  21.  Januar  1722  kommt  die  bezeichnende  Stelle  vor: 


')  Leider  fehlen  die  zwei  wichtigsten  Bände  (VII  und  VIII),  die  entweder 
im  Kriegsarchiv  in  Wien  oder  im  Gräfl.  Kalnokyschen  Archive  zu  suchen  sein 
dürften  und  den  sicilischen  Krieg  betreffen.  Die  letzte  Gräfin  Schrattenbach  Isa- 
bella, war  mit  Grafen  Gustav  Kalnoky  vermalt,  wurde  die  Mutter  Sr.  Ex.  des 
Ministers  des  Kais.  Hauses  und  der  auswärtigen  Angelegenheiten  Grafen  Gustav 
Siegmund  Kalnoky  und  starb  8.  Okt.  1875.  Im  Jahre  1853  schenkte  sie  des  Car- 
dinais Schrattenbach  Correspondenz  dem  f.  e.  Archive  zu  Kremsier. 


(318  Lechner. 

„Allhier  spargiert  man,  Ihro  Hochfürstl.  Eminenz  würden  an  Statt  des 
Cardinal  Altheim  in  Rom  bleiben.  So  es  seyn  solte,  bitte,  gnädigster 
Herr,  selbe  wollen  wegen  des  khaiserliclien  adiuto  sich  auff  ein  sicheres 
fondiren,  undt  nicht  auff  die  Cammer  anweisen  lassen,  weillen  die 
Hoffeammer  so  schlecht  stehet,  das  die  Herren  Eathe  khein  Bessoldung 
Jahr  undt  Tag  haben"  r). 

In  allen  Centralstellen  waren  zu  viel  Leute,  darunter  viele  ohne 
jedes  Gehalt,  angestellt,  die  dalier  auf  unrechtmässige  Weise  sich  ihren 
Unterhalt  erwerben  mussten.  So  gab  es  z.  B.  bei  der  Giunta  della 
Vicaria,  die  in  eine  Criminal-  und  Civilabtheilung  zerfiel,  in  ersterer 
1 1  Maestri  d'  atti  mit  je  10  Schreibern  für  jede  Kanzlei,  in  letzterer 
14  Maestri  d' atti  mit  je  7  Schreibern  für  jede  Kanzlei;  19  Actuars- 
kanzleien  mit  je  3  Schreibern  und  46  Diener.  Für  die  ganze  Giunta 
der  Vicarie  gab  es  eine  Wache  von  15  Justiz-Hauptleuten  mit  je  eilf 
Sbirren,  die  bezahlt  wurden,  vier  weitere  Hauptleute  waren  überzählig 
und  bezogen  keinen  Sold,  wohl  aber  ihre  Sbirren,  deren  jeder  fünf 
unter  sich  hatte.  Ausserdem  gab  es  noch  sieben  Caporali  di  Cata- 
ratta  mit  je  zehn  Soldaten,  die  gar  keinen  Sold  erhielten  und  bloss 
von  den  Taxen  für  Zustellung  der  Executions- Acten  an  die  Schuldner 
leben  mussten  2). 

Unter  solchen  Verhältnissen  ist  es  begreiflich,  dass  es  mit  der  nea- 
politanischen Kriegsmarine  beim  Ausbruche  des  sicilischen  Krieges  im 
Sommer  des  Jahres  1718  nicht  gut  bestellt  war.  Die  kaiserlichen 
Truppen  mussten  zum  weitaus  grössten  Theile  auf  fremden,  namentlich 
genuesischen  Fahrzeugen,  nach  dem  Kriegsschauplatz  gebracht  werden. 
Und  doch  sollte  gerade  dieser  Krieg  Veranlassung  zur  Gründung  einer 
erbländischen  Marine  werden.  Während  nach  v.  Rechberger  hiefür 
erst  das  Jahr  1733  von  Bedeutung  gewesen  sein  soll,  halte  ich  den 
Ausbruch  des  sardinisch-sicilisehen  Krieges  1717 — 20  für  die  eine,  die 
Gründung  der  orientalischen  Compagnie  für  die  andere  Veranlassung, 
dass  der  Kaiser  seine  bezüglichen  Pläne  zu  verwirklichen  trachtete.  Ganz 
abgesehen  davon,  dass  der  Reichskanzler  Graf  Sinzendorff  und  der 
Marquis  von  Rialp  bei  jeder  Gelegenheit  dem  Kaiser  darin  beistimmten 
und  ihn  aufmunterten  3),  musste  es  für  den  hochstrebenden  Sinn  Karl  VI. 
höchst  peinlich  sein,  ganz  von  der  Gnade  der  Engländer  abhängig  zu 
sein,  und  deswegen  hat  er  noch  während  des  Krieges  die  Vermehrung 
der  maritimen  Streitmacht   durchzusetzen    gesucht.     Das  geht  aus  der 


')  Schrattenbachs  Correspondenzbücher  Bd.  XXXI,  XXXII,  XX. 

*)  ibid.  Bd.  XXXIV. 

3)  Arneth,  Prinz  Eugen  von  Savoyen  3,  36  folgd. 


Zur  Gründuugsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  (319 

Beilage  I  deutlich  hervor.  Es  sind  seit  circa  1720  mehrere  Vorschläge 
hiezu  eingelaufen  und  es  mögen  wohl  auch  selbstsüchtige  Motive  hie- 
bei  wirksam  gewesen  sein.  Letzteres  ist  bei  dem  Verfasser  der  an- 
gezogenen Kelation  sicher  nicht  der  Fall  gewesen,  denn  sonst  hätte 
derselbe  nicht  so  ungeschminkt  den  wahren  Zustand  der  ganzen  Sach- 
lage dem  Kaiser  dargestellt,  da  er  doch  wissen  musste,  dass  Karl  VI. 
jeden  Tadel  in  Flottenangelegenheiten  als  eine  Kritik  seiner  Regierung 
ansah.  Und  doch  hat  E.  Deich  manu  das  Vertrauen  seines  Kaisers 
besessen,  da  er  von  diesem  den  Auftrag  erhielt,  als  kais.  Commissär 
die  Waldungen  im  Küstengebiete,  in  Neapel  uud  Sicilien  in  Augen- 
schein zu  nehmen,  alle  Golfe  und  Hafenplätze  zu  besuchen  und  über 
deren  Tauglichkeit  zur  Anlegung  eines  Kriegshafens  sowie  über  die 
vorhandenen  Schiffe,  deren  Brauchbarkeit  und  Bemannung,  genauen 
Bericht  zu  erstatten.  Wann  dieser  Auftrag  ergangen  ist,  vermag  ich 
nicht  genau  anzugeben,  ebenso  wenig,  aus  welcher  Marine  Deichmann 
berufen  worden  war  und  welchen  Charakter  er  in  der  kaiserlichen  be- 
kleidete. Nach  Kuchelbeckers  „Allerneueste  Nachricht  vom  Römisch- 
Kayserl.  Hofe  nnd  der  Eesidenzstadt  Wien  1730"  stand  er  vordem  in 
dänischen  Diensten  und  war  damals  von  Deichmann  „Admiral  über 
die  Flotte  der  Adriatischen  Seehäfen".  In  dem  Protokoll  der  Hof- 
Commerz-Commission  vom  12.  Juli  1731,  das  Mayer  1.  c.  125  folgd. 
nach  den  Aufzeichnungen  des  Franz  von  Reigersfeld,  eines  der  vor- 
nehmsten Mitglieder  genannter  Commission ,  aus  dem  Laibacher 
Museal-Archiv  mitgetheilt  hat,  wird  der  Herr  v.  Teichmann  öfters  ge- 
nannt, jedoch  ohne  nähere  Angabe  seines  Marine-Charakters,  obwohl 
deutlich  hervorgeht,  dass  er  einen  höhern  Rang  bekleidete.  In  den 
Verhandlungen  der  Marine-Conferenz  vom  11.  August  1734  l)  wird 
des  Cavaliere  Deichmann  als  eines  Verstorbenen  gedacht.  Dass  es  sich 
hier  um  eine  und  dieselbe  Person  handelt,  steht  ausser  Zweifel;  ich 
vermuthe,  dass  Deichniann  mit  dem  von  Löwenthal  zum  Jahre  1725 
als  Viceadmiral  angeführten  „Engländer*  Deigham  identisch  ist. 
Dann  dürfte  seine  Beförderung  und  seine  Erhebung  in  den  Adelstand 
eine  Folge  seiner  Relation  gewesen  sein,  auf  die  ich  nun  übergehe. 

Dieselbe  ist  in  italienischer  Sprache  abgefasst  und  unmittelbar  an 
den  Kaiser  gerichtet.  Der  Band  enthält  116  Seiten  Text  in  Folio  und 
nachstehende  Originalkarten,  beziehungsweise  Pläne:  1.  Mappa  del 
Friuli;  2.  Carta  del  Golfo  di  Trieste;  3.  Carta  della  profonditä  e  si- 
tuazione  di  Porto  Re  e  Boucari;  4.  Carta  del  Golfo  di  Napoli;  5.  Mappa 
della  Situazione    del  Porto   di  Trani.     Die  Relation    ist   nicht    datiert, 


')  v.  Rechberger  1,  Anhang  p.  13. 


(520  L  e  c  h  n  e  r. 

doch  lässt  sich  die  Zeit  der  Abfassung  bestimmen.  In  der  Einleitung 
sagt  Deichmann,  er  habe  die  Relation  nach  Beendigung  seiner  In- 
spectionsreise  geschrieben  und  er  beruft  sich  in  derselben  auf  ein  ihm 
aus  Neapel  zugekommenes  Schreiben  vom  25.  September  1723.  Da- 
nach muss  die  Relation  Ende  1723  verfasst  worden  sein.  Hiefür  spricht 
zu  einem  Theile  auch  der  Umstand,  dass  die  in  derselben  mehrfach 
erwähnten  Allegata  nicht  mehr  beigeschlossen  sind,  woraus  ich  den 
Schluss  ziehe,  dass  dieselben  vom  Kaiser  zurückbehalten  wurden,  als 
er  die  Relation  dem  schon  in  seinem  Bisthum  weilenden  Cardinal 
Schrattenbach  wohl  zur  Begutachtung  übersandte,  denn  auf  eine  an- 
dere Weise  würde  sich  nicht  wohl  erklären  lassen,  dass  sie  in  der  f. 
erzb.  Bibliothek  zu  Kremsier  fich  findet.  Aus  dem  Umstände,  dass  er 
die  Schiffe  S.  Carlo  und  S.  Barbara  zur  Zeit  seiner  Besichtigung  als 
vor  zwei  Jahren  erbaut  bezeichnet,  dies  aber  zu  Beginn  1720  geschah, 
würde  sich  1722  als  Zeitpunkt  für  den  Beginn  seiner  Inspectionsreise 
ergeben.  Doch  kann  das  nicht  richtig  sein,  denn  in  Neapel  überreicht 
er  das  kaiserliche  Creditivschreiben  dem  Cardinal  Schrattenbach  (den 
Namen  nennt  er  wohl  nicht,  aber  es  kann  nur  Schrattenbach  sein), 
der  seit  April  1721  wegen  des  bevorstehenden  Conclave  in  Rom  weilte 
und  nicht  mehr  nach  Neapel  zurückkehrte.  Mit  der  Annahme,  dass 
Deichmann  schon  im  Jahre  1721  seine  Reise  begann,  würde  auch  gut 
übereinstimmen,  dass  unter  den  in  der  Beilage  VI  vorkommenden 
Schiffen  auch  der  S.  Leopoldo  genannt  wird. 

Dass  er  seine  ihm  gewordene  Aufgabe  genau  nahm  und  ein  er- 
fahrener Seemann  war,  ist  aus  seinem  Berichte  unverkennbar  zu  er- 
sehen. Er  gliedert  denselben  in  6  Capitel.  Im  I.  äussert  er  sich  über 
den  Zustand  der  für  den  Schiffsbau  das  nöthige  Holz  liefernden  Wäl- 
der, im  II.  über  die  Hafenplätze;  das  III.  handelt  über  die  vorhan- 
denen Kriegsschiffe,  die  Zahl  und  Qualität  der  Matrosen.  Im  IV."  legt 
er  sein  Urtheil  über  die  Marine  zu  Neapel  nieder,  im  V.  und  VI.  be- 
spricht er  die  vorgefundenen  Mängel,  setzt  auseinander,  wie  dieselben 
vermieden  werden  können  und  hebt  zum  Schlüsse  die  Hauptpunkte 
hervor,  die  er  für  die  Gründung  einer  Handels-  und  Kriegsmarine  für 
besonders  wichtig  hält. 

Hören  wir  nun  seinen  Bericht  über  die  Waldungen.  Deichmann 
unterzog  zunächst  die  Waldungen  von  Planina,  die  Eigenthum  des 
Grafen  Cobenzl  waren  und  aus  welchen  die  orientalische  Compagnie 
Buchenholz  für  das  Kriegschiff  S.  Elisabetta  bezogen  hatte,  einer  ge- 
nauen Besichtigung.  Er  fand  dort  schönes  Holz  von  guter  Qualität, 
besonders  für  Mastbäume ,  jedoch  machte  der  Transport  erhebliche 
Schwierigkeiten.     Von    da   begab    er  sich   in  die  kaiserlichen  Eichen- 


Zur  Gründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  621 

forste  von  Lock  im  Görzischen.  Trotz  einer  schon  bedeutenden  Menge 
o-efällter  Stämme  fand  er  noch  eine  grosse  Anzahl  von  solchen,  die  für 
Kriegsschiffe  speciell  Deckbalken  und  Schiffsrippen  abgeben  konnten. 
Weil  jedoch  ein  Theil  des  Waldes  alljährlich  durch  eine  gewisse  Zeit 
unter  Wasser  stand,  hielt  er  das  Holz  seiner  Qualität  nach  nicht  für 
besonders  gut,  da  ja  die  italienische  Eiche  einen  trockenen  Boden  liebt. 

Auch  den  kaiserlichen  Forst  von  Pannowitz  fand  er  reich  mit 
Eichen  bestanden;  derselbe  hatte  seiner  Schätzung  nach  einen  Um- 
fang von  l8/4  deutschen  Meilen;  um  ihn  der  Länge  und  Breite  nach 
zu  durchreiten,  hatte  er  5  Stunden  benöthigt.  Da  jedoch  hier  das 
Terrain  stark  wechselt,  blieb  nur  der  trockene  und  nicht  felsige  Theil 
des  Waldes  übrig,  der  für  den  Schiffsbau  gutes  Eichenholz  zu  liefern 
vermochte.  Einschliesslich  des  dortselbst  auf  Rechnung  der  orienta- 
lischen Compagnie  schon  gefällten  Holzes  konnten  nach  Deichmanns 
Meinung  immer  noch  so  viel  Stämme  herausgefördert  werden,  dass  sich 
damit  etliche  Kriegsschiffe  erbauen  Hessen.  Viele  Bäume  waren  jedoch 
schon  üherständig,  vielen  anderen  nach  der  Gewohnheit  der  Leute  die 
Krone  abgehauen,  so  dass  sie  im  Marke  anfaulen  mussten:  das  fand 
Deichmann  gerade  dort,  von  wo  das  Holz  am  leichtesten  fortgeschafft 
werden  konnte,  besonders  häufig.  Dieser  Unfug  war  damals  im  Kü- 
stenlande überhaupt  stark  üblich,  speciell  bei  den  Tschitschen,  so  dass 
Kaiser  Karl  VI.  dagegen  uud  gegen  das  Anzünden  der  Wälder  im 
Jahre  1732  eine  scharfe  Verordnung  erliess,  die  jeden  mit  der  Todes- 
strafe bedrohte,  der  sich  einen  derartigen  Waldfrevel  zu  Schulden 
kommen  Hess.  Zu  Balken  und  Rippen  konnte  aus  diesem  Forste  viel 
Holz  Verwendung  finden,  nicht  aber  zu  Schiffsplanken  wegen  Mangels 
der  hiezu  nöthigen  Länge. 

Der  Wald  von  Senoschetz,  Eigeuthum  des  Fürsten  Porzia,  hatte 
für  den  Bau  von  Kriegsschiffen  ersten  Ranges  nur  wenig  taugliches 
Holz,  jedoch  eine  bedeutende  Menge  von  Stämmen  für  solche  von  30 
bis  40  Kanonen.  Das  Holz  der  dortigen  Schwarzeiche  war  von  aus- 
gezeichneter Qualität.  In  diesem  Forste  hatte  die  orientalische  Com- 
pagnie an  800  Stämme  auf  ihre  Rechnung  fällen  und  zurichten  lassen. 

Beiläufig  drei  deutsche  Meilen  von  Fiume  lag  der  Staatsforst  von 
Bleto,  der  zu  etwa  %  mit  Buchen,  zu  Vs  mit  Eichen  bestanden 
war.  Leider  war  mit  diesem  Walde  gar  übel  gewirthschaftet  worden. 
Deichmann  wunderte  sich  freilich  nicht  mehr  darüber,  dass  dieser  grosse 
Forst  keine  grössere  Anzahl  von  Stämmen  in  gehöriger  Stärke  auf- 
wies, nachdem  ihm  von  Seite  der  Förster  eine  Specification  vorge- 
wiesen worden  war,  aus  der  er  entnehmen  konnte,  dass  seit  dem  Jahre 
1711  darin  nicht  weniger  als  3535  der  schönsten  Stämme  gefällt  wor- 


ß22  Lech  n  er. 

den  waren.  Ueberdies  war  der  orientalischen  Compagnie  das  Kecht 
zugestanden  worden,  noch  weitere  3000  Bäume  dortselbst  zu  schlagen. 
Als  Deichmann  die  Inspection  vornahm,  war  dies  bei  126  Stämmen 
schon  geschehen:  sechs  davon  sollten  zur  Ausbesserung  eines  Schiffes 
in  Fiume  dienen,  während  die  restierenden  120  zu  Fassdauben  zer- 
sägt worden  waren.  Wenn  man  auch  noch  die  übrigen  2874  Stämme 
abtreibe,  sei  nach  seiner  und  der  Forstinspektoren  Ansicht  der  Wald 
ruiniert,  während  man  gerade  jetzt  allen  Grund  habe,  eine  weise  Spar- 
samkeit zu  üben.  Für  den  Bau  von  Kriegsschiffen  konnte  er  nur  mehr 
eine  geringe  Anzahl  von  Bäumen  in  der  nöthigen  Stärke  ausfindig 
machen  und  er  betont  nachdrücklich,  dass  man  mindestens  20  Jahre 
zuwarten  müsse,  bis  eine  grössere  Anzahl  für  einen  derartigen  Zweck 
herangewachsen  sein  werde. 

Von  hier  begab  er  sich  nach  Zengg,  um  die  Waldungen  der  dor- 
tigen Umgebung,  besonders  jene  um  S.  Giorgio  und  Carlo pago 
in  Augenschein  zu  nehmen.  Hiebei  stiess  er  auf  das  erste  Hindernis 
(es  sollten  ihm  noch  mehrere  begegnen),  das  uns  beweist,  dass  trotz 
aller  dahin  abzielenden  Bestrebungen  des  Kaisers  noch  immer  die  Cen- 
tralisierung  der  Verwaltung  gar  viel  zu  wünschen  übrig  Hess.  Als 
Deichmann  nämlich  für  die  von  ihm  einzuschlagende  Koute  der  Be- 
reisung dieser  Waldungen  vom  Vice-Commandanten  zu  Zengg  sich 
einen  Führer  erbat,  stellte  sich  heraus,  dass  dieser  von  der  ihm  über- 
tragenen Aufgabe  gar  nicht  benachrichtiget  war,  weshalb  er  erklärte, 
ohne  specielle  Erlaubnis  seines  Vorgesetzten,  des  Generals  Teuffenbaeh, 
der  Bitte  nicht  willfahren  zu  können.  Deichmann  hätte  daher  sofort 
wieder  umkehren  müssen,  wenn  nicht  der  in  Zengg  anwesende  Com- 
missär  Nelander  ihn  nach  Carlopago  zu  begleiten  sich  erboten  hätte, 
da  auch  diesen  seine  Mission  auf  längere  Zeit  dorthin  führte.  Von 
diesem  wurde  ihm  nun  noch  die  Aufklärung  zu  Theil,  dass  die  ange- 
zogenen Forste  ohne  evidente  Lebensgefahr,  d.  h.  wohl  ohne  genügende 
Bedeckung  überhaupt  nicht  zu  bereisen  seien.  Deichmann  musste  da- 
her sein  Vorhaben  aufgeben  und  sich  damit  begnügen,  die  von  Land- 
leuten zugeführten  Baumstämme  zu  Carlopago  zu  untersuchen.  Es  war 
Eichenholz  von  ausgezeichneter  Qualität  und  von  der  ganz  besonderen 
Länge  von  72  Fuss.  Von  hier  reiste  er  nach  Buccari  zurück,  um  die 
Wälder  des  kroatischen  Küstengebietes  zu  besuchen.  Damals  wurde 
gerade  an  dem  Baue  der  Strasse  nach  Karlstadt  gearbeitet1).  Deich- 


')  Dieser  Bau  muss  aus  mir  nicht  näher  bekannten  Gründen  arg  ins  Stocken 
gerathen  sein,  da  nach  Mayer  1.  c.  84  das  Project,  die  Strasse  über  Fucine,  Mar- 
kopolje,  Verbousko,  Bosiljevo  und  Novigrad  nach  Karlstadt  zu  bauen,  1725  wie- 


Zur  Gründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  623 

mann  kam  nur  iy2  Meilen  über  Fucine  hinaus  und  fand  hier  kein 
Riehen-,  sondern  nur  Buchenholz.  Davon  war  allerdings  so  viel  vor- 
handen, dass  er  sich  einen  lebhaften  Handel  damit  versprach,  sobald 
einmal  die  erwähnte  Strasse  ausgebaut  sei,  weil  man  in  Karlstadt  Säge- 
mühlen herstellen  könne,  um  von  dort  das  fertige  Holz  in  den  Handel 
zu  bringen  und  zwar  einerseits  auf  der  Kulpa  und  Save  ins  Donau- 
gebiet, andererseits  wieder  ans  Meer  nach  ßuecarizza  und  Porto  Re. 
Zu  beiden  Seiten  der  neuerbauten  Strassenstrecke  lagen  gewaltige  Haufen 
von  gefällten  Baumstämmen,  von  denen  Deichmann  einen  Theil  brauch- 
bar  fand;  das  für  Schiffszwecke  untaugliche  Holz  räth  er  zu  Kohlen 
zu  brennen,  von  deren  Erlös  zum  Theile  die  Kosten  für  den  weiteren 
Ausbau  der  Strasse  hereinzubringen  wären.  Wohl  von  Fiume  aus  hatte 
er  auch  einige  nicht  näher  bezeichnete  Waldungen  von  dem  damaligen 
österreichischen  Istrien  (Grafschaft  Pisino-Mitterburg)  einer  Inspection 
unterzogen  und  schickte  dann  einen  Eilboten  nach  Triest  mit  der  An- 
frage,  ob  das  für  seine  Ueberfahrt  nach  Neapel  ihm  vom  Kaiser  bestimm- 
te Kriegsschiff  S.  Leopoldo  schon  unter  Segel  gehen  könne ;  er  erhielt 
jedoch  zur  Antwort,  dass  dies  vor  Ablauf  von  zwei  Monaten  oder  zum 
mindesten  von  sechs  Wochen  nicht  möglich  sei,  weil  das  genannte 
Schiff  noch  nicht  auf  dem  Kiel  liege  und  für  seine  Bemannung  noch 
manches  vorzusorgen  nöthig  sei. 

Um  die  Zeit  nicht  mit  unnützem  Zuwarten  zu  verbringen,  reiste 
Deichmann  unverzüglich  nach  Neapel  ab,  ob  zu  Lande  oder  mit  einem 
andern  Schiffe  ist  nicht  zu  ermitteln.  Wahrscheinlicher  dürfte  das 
letztere  sein,  da  damals  und  bis  in  unser  Jahrhundert  hiefür  in  der 
Regel  der  Weg  von  Triest  oder  Fiume  zur  See  nach  Manfredonia 
eingeschlagen  wurde.1)  Dort  angekommen  überreichte  er  dem  Vice- 
König,  Cardinal  Schrattenbach,  seine  Vollmacht  und  erhielt  von  ihm 
zur  Antwort,  er  werde  ihn  rufen  lassen,  sobald  er  von  dem  Inhalt 
derselben  Einsicht  genommen  habe.  Als  Deichmann,  der  unterdessen 
erkrankt  war,  nach  einigen  Tagen  nachzufragen  sich  erlaubte  und  den 
Cardinal  hiebei  um  Unterstützung  bat,  um  das  dortige  Marinewesen 
gründlich  kennen  lernen  zu  können,  wurde  ihm  bedeutet,  dass  der 
Vice-König  es  für  nothwendig  erachtet  habe,    sich   an   den  Kaiser   zu 


der  aufgenommen  werden,  und  Oberingenieur  Weis  die  Ausführung  des  Baues 
überwachen  sollte.  Mit  einigen  Tracenänderungen  kam  sie  später  wirklich  zu- 
stande. 

J)  Aus  vielen  Schreiben  Schrattenbachs  ergibt  sich,  dass  dies  damals  der 
gewöhnliche  Weg  war;  als  im  Jahre  1802  Königin  Karoline  von  Neapel  nach 
fast  2jährigem  Aufenthalt  in  Wien  wieder  nach  ihrem  Reiche  heimkehrte,  wurde 
auch  die  Route  Triest-Manfredonia  eingeschlagen. 


624  Le  ebner. 

wenden,  um  mancherlei  Aufklärungen  üher  das  ihm  überreichte 
Schreiben  zu  erhalten.  Selbst  wenn  das  Schreiben  des  Cardinais 
nicht  mit  der  „Ordinari-Post",  sondern  durch  eine  reitende  „Staffetta" 
nach  Wien  gesendet  wurde,  musste  doch  eiue  geraume  Zeit  vergehen, 
bis  eine  Antwort  einlief,  weshalb  Deichmann  an  den  Vicekönig  das 
Ersuchen  richtete,  ihn  auf  einer  Galeere  nach  Sicilien  bringen  zu 
lassen,  nm  dort  seines  ihm  gewordenen  Auftrages  sich  entledigen  zu 
können.  Bis  zu  seiner  Rückkehr,  hoffte  er,  werde  der  Cardinal  die 
entsprechenden  Aufklärungen  erhalten  haben.  Hiebei  versprach  ihm 
Schrattenbach,  für  ihn  einen  erfahrenen  Ingenieur  zu  bestimmen,  der  die 
nöthigen  Pläne  jener  Hafenplätze  herstellen  sollte,  welche  Deichmann 
als  für  den  kaiserlichen  Dienst  geeignet  erachtete;  einige  Tage  später 
gieng  ihm  aber  durch  den  Adjutanten  des  Vice-Königs  die  Meldung 
zu,  er  werde  den  Ingenieur  bei  seiner  Ankunft  in  Tarent  antreffen. 
Mit  dieser  Zusage  segelte  Deichmann  auf  der  Galeere  x)  Padiona  nach 
Sicilien  ab  in  der  Absicht,  nach  Beendigung  seiner  dortigen  Geschäfte 
mit  einer  Galeere  nach  Tarent  und  Brindisi  zurückzufahren.  Daraus 
sollte  jedoch  nichts  werden.  Denn  kaum  war  er  in  Palermo  ange- 
kommen, als  ihm  der  Commandant  der  Padiona  die  Eröffnung  machte, 
dass  eeine  ihm  in  Neapel  gegebene  Instruction  ihn  verpflichte,  direct 
von  Palermo  nach  Messina  zurückzukehren;  finde  er  dort  nicht  einen 
neuen  Befehl  vor,  so  sei  er  nicht  weiter  in  der  Lage,  ihn  zu  begleiten. 
Deichmann  war  daher  gezwungen,  geradewegs  auf  der  genannten 
Galeere  wieder  nach  Messina  abzusegeln ;  dort  angekommen  fand 
sich  natürlich  keine  Instruction  für  deren  Capitän  vor,  wohl  aber 
wurde  er  von  diesem  auf  das  Eintreffen  einer  solchen  vertröstet.  Um 
nun  nicht  neuerdings  zur  Unthätigkeit  gezwungen  zu  werden,  segelte 
Deichmann  nach  kurzem  Aufenthalt  auf  einer  Feluche  2)  nach  Neapel 
zurück,  in  der  Erkenntnis,  dass,  wenn  er  in  Messina  die  vice-königliche 
Antwort  hätte  abwarten  wollen,  die  Zeit  für  die  Fortsetzung  seiner 
Fahrt  nach  Tarent  und  Brindisi  äusserst  knapp  geworden  wäre,  weil 
unterdessen  weitere  10 — 12  Tage  für  die  Verproviantierung  der  Ga- 
leere nöthig  gewesen  wären,  die  in  der  vorgerückten  Jahreszeit  nicht 
ohne  dringende  Notwendigkeit  einer  Gefahr  ausgesetzt  werden  sollte. 


')  Nach  v.  Rechberger,  1.  c.  17.  Anmerkung  3  waren  Galeeren  zweiniastige 
Fahrzeuge  von  ungefähr  22  Klafter  Länge  und  in  der  Mitte  3  Klafter  Breite,  an 
beiden  Seiten  mit  je  25-30  Rudern  ä  4-6  Ruderknechten  auf  jeder  Ruderbank  und 
führten  5  Geschütze. 

2)  Feluchen  waren  eine  Art  schmaler  Brigantinen,  hatten  kein  Verdeck,  führ- 
ten Segel  und  beiderseits  6  Ruder. 


Zur  Grund ungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  625 

Diese  Chicanen,  deren  Grund  ich  später  klar  zu  legen  suche, 
führt  Deichniann  als  massgebend  dafür  an,  dass  es  ihm  nicht  mög- 
lich gewesen  sei,  die  Waldungen  von  Sicilien  in  Augenschein  zu 
nehmen;  davon  abgesehen,  hätte  es  ihm  auch  die  ausserordentliche 
Hitze  in  diesem  Lande  unmöglich  gemacht  und  hätte  er  hiezu  mehrere 
Monate  verwenden  müssen.  Trotzdem  wisse  er  recht  gut,  dass  die 
sicilischen  Forste  ein  ausgezeichnetes  Holz  zum  Baue  von  Kriegs- 
und Handelsschiffen  hervorbringen  und  es  sei  bekannt,  dass  der  König 
von  Sardinien  während  der  kurzen  Dauer  seiner  Herrschaft  über  das 
Land  2  Kriegsschiffe  von  60  Kanonen  und  2  Galeeren  erbaut  habe. 
Nach  den  von  ihm  eingezogenen  Erkundigungen  fand  sich  das  beste 
Holz  in  den  Wäldern  um  Capigi  und  Carogna,  beide  Orte  etwa 
8  Miglien  vom  Meere  entfernt.  x)  Auch  auf  der  Insel  Pantellaria, 
ungefähr  40  Miglien  vom  Cap  Bon  in  Afrika  und  80  Miglien  von 
Marsala  entfernt,  müsse  sich  eine  grosse  Menge  tauglichen  Schiffs- 
bauholzes befinden,  das  von  da  sehr  leicht  transportiert  werden  könne- 
Um  über  die  Waldungen  Siciliens  doch  genaueren  Aufschluss  zu  er- 
halten, hatte  sich  Deichmann  an  jene  Leute  gewendet,  die  seiner  Zeit 
dem  Könige  von  Sardinien  ihre  Dienste  geliehen  hatten.  Er  Hess 
sie  durch  den  Präsidenten  der  Krondomänen,  Marchese  Francesco 
Maria  Cavallari,  hierüber  vernehmen  und  später  in  dessen  Gegen- 
wart durch  den  General  Wallis,  den  früheren  Commandanten  von 
Messina  und  damaligen  Chef-General  von  Sicilien.  Das  Ergebnis 
dieser  Einvernehmungen,  die  der  Eelation  ursprünglich  beigeschlossen 
waren,  hier  aber  nicht  mehr  vorliegen,  lautete  dahin,  dass  man  mit 
Leichtigkeit  6  Kriegsschiffe  und  10  Galeeren  erbauen  könne,  unge- 
rechnet das  Holz  in  entfernteren  Gegenden  im  Innern  des  Landes 
und  auf  der  Insel  Pantellaria. 

Auch  im  Keiche  von  Neapel  gab  es  genug  Waldungen,  die  mit 
dem  besten  Eichenholz  zum  Bau  von  Kriegsschiffen  bestanden  waren. 
Auf  sein  Ansuchen  erhielt  Deichmann  von  der  Giunta  della  Marina 
die  Auskunft,  dass  diese  Waldungen  in  ihrer  Gesammtheit  eine  Fläche 
von  180  Miglien  Länge  und  150  Miglien  Breite  ausmachen^).  Im 
Arsenal  zu  Neapel  fand  er  eine  grosse  Menge  des  trefflichsten  Schiffs- 
bauholzes vor;  es  liess  sich  dies  auch  an  den  bis  dahin  erbauten 
Schiffen  erkennen.  Wegen  seines  misslichen  Gesundheitszustandes 
und  weil  eine  persönliche  Untersuchung  der  Waldungen  viele  Monate 
in  Anspruch  genommen  haben  würde,  niusste  Deichmann  von  einer 
Bereisung    derselben    abstehen.     Daher   liess    er,    um    die   Daten    der 


')  Liegen  auf  der  Nordseite  Siciliens. 
Mitt]ir>ilui)gen  XV.  40 


(326  L  e  c  h  n  e  r. 

Giunta  einer  genaueren  Prüfung  unterziehen  zu  können,  die  Schiffs- 
baumeister und  das  Forstpersonal  durch  den  Ingeuieur  Marinelli, 
einen  Mann  von  bestem  Kufe  und  grosser  Praxis,  befragen  und  holte 
ausserdem  hierüber  das  Gutachten  des  Stadtrathes  von  Barletta  über 
die  Waldungen  der  dortigen  Umgebung  ein  und  alle  Angaben  stimm- 
ten in  der  Hauptsache  mit  denen  der  Giimta  überein.  Leider 
sind  auch  diese  der  Relation  angeschlossen  gewesenen  Allegata  nicht 
mehr  hier. 

Sowohl  in  Sicilien  als  auch  in  Neapel,  berichtet  Deichmann  weiter, 
baue  man  trefflichen  Hanf.  Nach  den  erhobenen  Informationen  über- 
stieg die  jährliche  Durchschnittsernte  in  Sicilien  3260  Cantar  a  300 
sicilianische  Pfund.  Im  vergangenen  Jahre  (also  1720!)  war  sie  noch 
weitaus  reichlicher  ausgefallen,  und  wäre  der  Boden  besser  cultiviert, 
so  könnte  der  Ertrag  noch  bedeutend  gesteigert  werden.  Aber  damals 
lasen  grosse  Strecken  des  Landes  brach,  weil  die  Bewohner  den  Hanf 
nicht  leicht  abzusetzen  vermochten  und  daher  wegen  des  unsichern 
Ertrages  andere  Bodenproducte  dem  Hanfbau  vorzogen.  Den  Hanf 
im  Gebiete  von  Neapel  und  Capua  fand  Deichmann  von  der  besten 
Qualität;  die  jährliche  Fechsung  veranschlagte  man  auf  28165  Cantar, 
nicht  eingerechnet  jenen,  den  man  in  anderen  Landstrichen  im  Reiche 
von  Neapel  erzeugte.  Ausserdem  finde  man  Pech  in  genügender  Menge. 
Eisenminen,  meint  Deichmann,  dürfte  es  wohl  in  Sicilien  nicht  mehr 
geben,  als  man  gerade  damals  im  Betriebe  hatte  und  die  Erfahrung 
müsse  erst  zeigen,  ob  das  Eisen  von  brauchbarer  Beschaffenheit  sei. 
Auch  in  Neapel  waren  viele  Eisenbergwerke  im  Betrieb,  jedoch  will 
sich  Deichmann  über  deren  Product  des  Urtheils  entschlagen,  weil 
man  daraus  noch  keine  Kanonen  gegossen  habe.  Diese  Frage  nennt 
er  überhaupt  belanglos,  weil  der  Kaiser  in  Niederösterreich  Eisen  von 
bester  Güte  genug  gewinne.  Lebhaft  tritt  er  vom  wirthschafts-poli- 
tischen  Standpunkte  dafür  ein,  dass  man,  mit  allem  erforderlichen  Roh- 
material im  eigenen  Lande  wohl  versehen,  sich  vom  Auslande  unab- 
häugig  machen  solle,  und  wohl  ganz  mit  Recht  spricht  er  seine 
Meinung  dahin  aus,  dass  sogar  über  den  eigenen  Bedarf  hinaus  noch 
eine  beträchtliche  Ausfuhr  erzielt  werden  könne. 

Nachdem  Deichmann  in  der  angedeuteten  Weise  die  Ergebnisse 
seiner  Beobachtungen  und  Erkundigungen  über  die  Waldungen  dar- 
gelegt hat,  geht  er  zu  den  Hafenplätzen  über.  Zunächst  hatte  er  die 
Küste  von  Friaul  untersucht.  In  der  Nähe  von  Aquileja  fand  er 
nur  1 — 3  Fuss  Wassertiefe,  die  gegen  den  Canal  der  Amfora  hin  sich 
auf  6 — 8  Fuss  absenkte,  um  an  der  Mündung  desselben  wieder  nur 
2 — 3  Fuss  aufzuweisen.         Die  Ursache  davon  sieht    er    ganz   richtig 


Zur  Griindungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  ß27 

in  den  Geröll-,  Sand-  und  Erdmassen,  welche  die  Flüsse,  besonders 
der  Isonzo  mit  der  Wippach  und  dem  Torre  ablagerten.  Bei  Scirocco 
(S.  W.)  oder  Garbino  (S,  0.),  die  gerade  an  dieser  Küste  heftig  auf- 
treten, werden  diese  Massen  durch  den  Meeresschlamm  gestaut  und  so 
haben  sich  die  Lidi  gebildet  und  waren  an  der  Mündung  der  Amfora 
einige  Inseln  entstanden,  welche  den  Eingang  sperrten.  Zwar  fand 
sich  zwischen  diesen  und  den  beweglichen  Sandbänken  eine  genügend 
tiefe  Durchfahrt,  aber  Wind  und  Fluten  veränderten  dieselbe  so  häufig, 
dass  man  nicht  selten  den  Weg  nicht  mehr  benutzen  konnte,  den  mau 
tags  vorher  gefahren  war.  Ausserdem  fand  Deichmann  bei  diesen  be- 
weglichen  Inseln  nirgends  einen  brauchbaren  Ankergrund.  So  sonder- 
bar es  auch  erscheinen  mag,  betont  er  doch  nachdrücklich,  dass  an 
der  ganzen  Küste  von  Aquileja  her  gegen  die  Amfora  niemand  von 
den  Unterthanen  des  Kaisers  den  Fischfang  betreibe  und  dass  daher 
auch  niemand  eine  halbwegs  genügende  Kenntnis  dieser  Küste  habe, 
so  dass  man  ganz  auf  die  venetianischen  Fischer,  die  allein  mit  den 
Oertlichkeiten  vertraut  waren,  als  Lootsen  angewiesen  bleibe.  Der 
Grund  der  Amfora,  meint  er,  Hesse  sich  vielleicht  tiefer  legen  und  die 
Einfahrt  erweitern,  aber  unmöglich  schien  es  ihm,  die  Sandbänke,  resp. 
Inselchen  zu  beseitigen,  weil  dieselben  immer  wieder  durch  das  An- 
schwellen der  Küstenflüsse  neu  gebildet  würden.  Daher  könne  man 
für  grosse  Schiffe  hier  nie  ein  taugliches  Fahrwasser  herstellen. 

An  der  Mündung  der  Amfora  fand  er  an  50  venetianische  Fischer 
vor,  die  dort  ihre  Netze  ausbesserten;  den  Ertrag  ihres  Fischfanges 
verkauften  sie  zum  Theil  in  Venedig.  Weil  nun  das  Fischerei-Kecht 
dem  Kaiser  zustand  und  an  die  Venetianer  um  jährliche  120  fl.  nur 
in  Pacht  gegeben  war,  tritt  er  dafür  ein,  dass  man  dies  den  eigenen 
Unterthanen  um  Aquileja  überlasse.  Denn  dann  bleibe  das  Geld  im 
Lande,  und  was  weit  wichtiger  sei,  man  würde  auf  diese  Weise  die 
Leute  ans  Meer  gewöhnen  und  könnte  sie  dann  zur  Marine  brauchen. 
Da  Deichmann  nach  ßuto  bei  Marano  auf  venetianisches  Gebiet 
nicht  vordringen  durfte,  kehrte  er  nach  Fiumicello  auf  friaulischem 
Boden  zurück  und  er  faud  hier  den  Grund  gleichmässig  10 — 12  Fuss 
tief  bis  gegen  das  offene  Meer,  wo  die  Wasaertiefe  auf  6  Fuss  sank. 
Dieser  Canal  hatte  also  eine  genügende  Tiefe  und  wäre  leicht  noch 
zu  vertiefen  gewesen  für  schwere  Schiffe,  aber  an  der  Mündung  waren 
auch  hier  Untiefen,  die  sich  bis  auf  3  Miglien  ins  Meer  hinauszogen 
und  nur  einen  Wasserstand  von  4 — 3,  ja  selbst  nur  bis  2  Fuss  auf- 
wiesen. Daher  sei  auch  hier  jeder  Aufwand  vergeblich  ausgelegt.  Dann 
kommt  er  auf  den  Golf  und  Hafen  von  Triest  zu  sprechen.  Nach  der 
von    ihm    beigeschlossenen    Aufnahme    dieses   Golfes   ergibt  sich,    dass 

40' 


(328  L  e  c  li  n  e  r. 

er  die  Tiefe  sehr  ungleichmässig  fand,  weshalb  er  auch  erklärt,  er 
wüsste  im  ganzen  Golfe  keinen  Ort  ausfindig  zu  machen,  der  zur  An- 
legung eines  Kriegshafens  und  zum  Standort  einer  Marine  die  Eignung 
besässe.  Mit  kundigem  Blick  erkannte  er  die  Schwierigkeit  der  Be- 
schaffung von  Trinkwasser,  das  nur  in  grosser  Entfernung  von  der 
Stadt  sich  fand,  und  schon  aus  diesem  Grunde  tauge  Triest  nicht  zu 
einem  Kriegshafen.  Den  Meeresboden  gegen  das  Lazareth  hin  be- 
zeichnet er  als  felsig  und  wenig  tief.  Arbeiten  in  derartig  ungleichem 
Niveau  wie  hier  seien  immer  vielen  unvorhergesehenen  Zufällen  aus- 
gesetzt. Trotzdem  hielt  er  dafür,  dass  man  mit  erheblichem  Kosten- 
aufwand doch  etwas  machen  könnte;  aber  einen  sichern  Hafen  für  eine 
Kriegsflotte  könne  man  selbst  mit  dem  grössten  Aufwand  an  Kraft  und 
Geld  nie  und  nimmer  herstellen.  Ausserdem  lassen  sich  dort  auf  keine 
Weise  Werke  aufführen,  durch  welche  man  eine  feindliche  Flotte  hin- 
dern könnte,  alles  was  sie  vorfinde,  zu  bombardieren  und  in  Brand 
zu  stecken.  Um  den  Handelsverkehr  von  Triest  zu  heben,  hält  er 
für  nöthig,  den  kleinen  Hafen  in  bessern  Stand  zu  setzen,  ihn  zu  er- 
weitern und  zu  vertiefen,  so  dass  er  für  grössere  Handelsfahrzeuge 
brauchbar  werde,  jedoch  könne  er  über  die  Beschaffenheit  des  Grundes 
in  demselben  keine  sichere  Mittheilung  machen,  „essendo  (il  fondo) 
ricolmo  di  sabbia  e  di  fango. "  Für  Marciglianen  *),  Tartanen 2)  und 
andere  kleinere  Fahrzeuge  könne  man  den  Canal  bei  den  Salinen, 
nahe  am  Hafen,  erweitern  und  hätte  dann  durch  die  genannten  zwei 
Arbeiten  für  den  commerciellen  Verkehr  genügend  vorgesorgt,  ohne 
dass  hiezu  besonders  grosse  Summen  zu  verwenden  nöthig  sei.  Diese 
Ansichten  Deichmanns  decken  sich  zum  Theil  mit  dem  Inspections- 
bericht,  den  der  Ober-Ingenieur  Weis  im  Jahre  1721  erstattet  hatte. 
Die  orientalische  Compagnie  hatte  nämlich  1720  den  Laibacher  Bau- 
meister Martinuci  beauftragt,  in  Triest  ein  Lazareth  und  Magazine  zu 
erbauen.  Der  hiezu  von  der  Stadt  geschenkte  Grund  auf  dem  Campo 
Marzo  war  jedoch  schlecht,  und  Weis  würde  der  Compagnie  wohl 
besser  vorgeschlagen  haben,  den  schon  in  der  Ausführung  begriffenen 
Bau  ganz  zu  sistieren,  als  denselben  aus  Ersparungsrücksichten  bloss 
möglichst  einfach  durchzuführen. 3)  Die  Compagnie  scheint  noch  mehr 
haben  sparen  wollen,  denn  Deichmann  fand  einmal  das  Arsenal  halt 
an  die  Stadtmauer  gebaut  vor  und  die  Magazine  aus  Fichtenbrettern 
hergestellt,  so  dass  durch  böswillige  Hand  der  ganze  Complex  in  Brand 


')  Handelsfahrzeuge,  wie  sie  in  Marseille  üblich  waren. 

*)  Fahrzeuge  mit  gespitztem  Segel,  mit  8 — 10  Rudern  beidei-seits. 

8)  Mayer  79  flgde. 


Zur  Grandungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  629 

gesteckt  werden  konnte.  Der  Untergrund  war  so  nass,  dass  innerhalb 
des  Magazins  das  Wasser  2  l/a  Fuss  hoch  stand,  der  Platz  für  das  Arsenal 
viel  zu  klein,  um  weitere  Gebäude  dort  aufführen  zu  können. 
Man  hatte  den  Beschluss  gefasst,  ein  anderes  Magazin  an  der  Strasse 
zu  erbauen,  wo  es  jedoch  viel  zu  sehr  exponiert  war.  Er  nahm  auch 
die  Gegend  um  Pantaleone  in  Augenschein,  also  wohl  den  Platz 
am  Fusse  dieses  Hügels,  und  hielt  denselben  für  weitaus  geeigneter, 
als  irgend  einen  andern  im  Golfe  von  Triest,  zur  Anlage  eines  Kriegs- 
hafens, die  ihm  freilich  nur  mit  grossen  Geldopfern  durchführbar  schien. 
Damals  baute  man  dort  gerade  das  Kriegsschiff  S.  Leopoldo,  das  zu 
inspirieren  Deichmann  hier  der  Auftrag  zugieng.  Die  Stadt  Triest 
hatte  damals  noch  kein  einziges  grösseres  Handelsschiff,  ihre  grössten 
Schiffe  waren  zwei  Marciglianen  und  8  —  10  kleinere  Küstenfahrzeuge. 
Matrosen  konnte  man  beinahe  nicht  auftreiben,  denn  es  gab  nur  solche, 
welche  auf  Fahrzeugen  voriger  Gattung  dienten  und  man  hatte  grosse 
Mühe  gehabt,  für  die  Equipage  des  Kriegsschiffes  S.  Elisabetta  20  Ma- 
trosen ausfindig  zu  machen.  — 

Ueber  die  Häfen  von  Buccari  und  Porto  Re  äussert  sich  Deich- 
mann weitaus  günstiger.  Den  von  Buccari  nennt  er  mit  vollem  Kechte 
seiner  natürlichen  Beschaffenheit  nach  „veraniente  perfetto"  und  hält 
ihn  für  ausreichend  zur  Anlage  eines  Schiffsbauplatzes,  auf  dem  3 — 4 
Schiffe  gleichzeitig  erbaut  werden  könnten,  weil  derselbe  auch  vor  der 
sonst  im  Hafen  häufig  auftretenden  Bora  geschützt  werden  könnte. 
Er  hält  übrigens  dafür,  dass  dieselbe  den  grosssen  Schiffen  im  Hafen 
nicht  viel  anhaben  werde  können,  da  er  ohne  besondere  Mühe  bei 
starker  Bora  auf  einem  Kahn  mit  6  Rudern  wohlbehalten  nach  Bucca- 
rizza  gelangte.  In  Porto  Re,  das  mit  Buccari  sozusagen  einen  Hafen 
bildet,  lasse  sich  derselbe  leicht  zur  Aufnahme  von  10 — 12  Kriegs- 
schiffen tauglich  machen,  Baum  für  Magazine  und  sonstige  Bauten  sei 
genug  da  und  sei  er  einmal  ordentlich  in  Stand  gesetzt,  so  würden 
die  Schiffe  vor  der  Bora  und  andern  widrigen  Winden  gesichert  liegen 
können.  Wie  er  den  Hafen  vorfand,  vermochte  er  freilich  nur  etwa 
4  Linienschiffe  und  2  Fregatten  zu  fassen.  Damals  hatte  Buccari  mit 
Fiume  22  Handelsschiffe  verschiedener  Grösse  mit  260  Matrosen,  von 
denen  zwei  Drittel  Ragusaner  waren.  Nach  seinen  Erkundigungen 
Hessen  sich  aber  aus  diesem  Küstenstriche  noch  an  3 — 400  Matrosen 
aufbringen,  jedoch  nur  solche,  die  in  der  Adria  fuhren,  die  daher  für 
den  Dienst  auf  Kriegsschiffen  erst  hätten    ausgebildet  werden 'müssen. 

Zengg,  der  Hauptsitz  der  Morlacken,  besass  39  grössere  und 
kleinere  Handelsfahrzeuge  mit  einer  Bemannung  von  314  Matrosen, 
welche  Deichmann  für  den  Dienst  auf  Kriegsschiffen  für  durchaus  ver- 


630 


L  e  c  k  n  e  r. 


5 


wendbar  erklärte.  Dass  er  hiebei  eine  ganz  richtige  Beobachtung 
machte,  bezeugt  das  Urtheil  des  späteren  Flottencommandanten  Conte 
Luca  Pallavicini  aus  dem  Jahre  1733,  indem  dieser  die  Bewohner 
dieser  Küstenstriches  als  „  naturellernent  braves,  intrepides  et  plus  propres 
au  service  de  mer"  nennt1).  Leider  hatte  die  Stadt  keinen  Hafen,  so 
dass  bei  widrigem  Winde  und  im  Winter  ihre  Schiffe  in  den  vene- 
tianischen  Hafenplätzen  auf  der  Insel  Veglia  eine  Zuflucht  suchen 
mussten. 

Den  Hafen  von  Messina  hielt  Deichmann  für  den  besten  im 
Mittelmeer  wegen  der  vollkommenen  Sicherheit  der  Schiffe  vor  Stür- 
men. Für  jene  Zeit  mag  er  Becht  gehabt  haben,  ist  er  doch  heute 
noch  ein  wichtiger  Zufluchtsort  bei  schlechtem  Wetter,  aber  der  beste 
Hafen  ist  er  nicht  mehr.  Einen  erheblichen  Uebelstand  fand  er  in  dem 
Auftreten  grosser  Massen  von  Würmern  an  mehreren  Orten  desselben; 
doch  eruierte  er  2  -300  Schritte  vom  Palaste  des  Vice-Königs  entfernt 
eine  Stelle,  wo  sie  nur  ganz  vereinzelt  vorkamen.  Ihr  geringes  Auf- 
treten an  derselben  schreibt  er  dem  Umstand  zu,  dass  dort  die 
Cloaken  einmündeten  und  er  hebt  hervor,  dass  der  gleiche  Uebel- 
stand auch  in  Toulon  gewesen  sei,  weshalb  man  dort  die  Cloaken 
o-erade  durch  das  Arsenal  habe  hindurchführen  lassen  und  seit  dieser 
Zeit  habe  man  Kühe  vor  den  Würmern.  Die  Stadt  Messina  hatte  da- 
mals wohl  in  Folge  der  vorausgegangenen  Kriegsereignisse,  in  denen 
sie  hart  mitgenommen  worden  war,  nur  7  Tartanen,  12  Paronen,  d.  h. 
kleinere  einmastige  Fahrzeuge,  und  23  Feluchen.  Hingegen  war  dort 
wie  im  ganzen  Beiche  von  Sicilien  kein  einziges  grosses  Handels-  oder 
Kriegsschiff.  Es  lässt  sich  daher  begreifen,  dass  Deichmann  wegen 
der  exponierten  Lage  von  Sicilien  gegenüber  den  Barbaresken Staaten 
entschieden  für  eine  Abhilfe  dieses  Zustandes  eintrat  und  zum  min- 
desten die  Aufstellung  eines  stets  armierten  Kriegsschiffes  beim  Leucht- 
thurme  von  Messina  für  nöthig  erklärte.  Nach  den  von  ihm  eingezo- 
genen Erkundigungen  schätzt  er  die  in  Sicilien  verfügbaren  Matrosen 
auf  circa  2000  Mann,  nicht  eingerechnet  jene,  die  zur  Zeit  auf  Han- 
delsschiffen in  Dienst  standen.  Als  die  erfahrensten  sah  man  die  von 
den  liparischen  Inseln,  von  Scaletta  und  von  Trapani  an. 

Palermo  hatte  damals  keinen  eigentlichen  Hafen,  sondern  unter- 
halb der  Höhen  von  S.  Bosalia  war  innerhalb  des  Golfes  ein  gut  ge- 
bauter und  wohl  erhaltener  Molo  von  360  Schritt  Länge,  durch  den 
die  Schiffe  hinter  demselben  vor  widrigem  Wetter  geschützt  waren. 
Die  Stadt  besass  damalt  sieben  Tartanen  und  zwanzig  kleinere 
Barken  -) ;  die  übrigen  Häfen  Siciliens  sowie  die  von  Tarent  und  Brin- 

0  v.  Rechberger  1,  27.       2)  Ein-  oder  zweimastige  Scbiffe  von  grosser  Breite, 


Zur  (-h-ündungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  631 

disi  konnte  Deiclimann  wegen  der  schon  angedeuteten  Haltung  des 
Vicekönigs  nicht  in  Augenschein  nehmen. 

Auch  Neapel  hatte  keinen  Hafen  uud  er  glaubte  auch  nicht, 
dass  irgendwo  in  der  Nähe  der  Stadt  ein  passender  Ort  für  eiuen  sol- 
chen sich  werde  finden  lassen.  Der  Platz,  der  damals  als  solcher 
diente,  war  durch  einen  Molo  nur  schlecht  gesichert,  so  dass  es  immer 
Unfälle  gab.  Der  Grund  nahe  am  Lande  war  mit  Sand  und  Schlamm 
angefüllt  und  dort  einen  sicheren  Hafen  anzulegen,  hält  er  fast  für 
ein  Ding  der  Unmöglichkeit.  Das  Arsenal  war  ein  sehr  beträchtliches 
Gebäude,  aber  bloss  eingerichtet  für  den  Bau  von  Galeeren  sammt 
allem  Zugehör,  jedoch  fand  er  dasselbe  derart  im  Verfalle,  dass  es  nur 
mit  grossen  Kosten  in  seinen  ursprünglichen  Stand  hätte  gebracht 
werden  können.  Daher  will  er  von  einer  Wiederherstellung  desselben 
nichts  wissen,  da  hiebei  Nutzen  und  Auslagen  in  argem  Missverhältnis 
stünden.  Es  besass  noch  viel  Eichenholz  von  bester  Qualität,  aber  jede 
Gebahrung  dortselbst  war  gar  übel,  wie  sich  aus  der  Beilage  II  er- 
o-ibt.  die  wohl  als  eine  für  Cardinal  Schrattenbach  bestimmte  Auf- 
zeichntiug  eines  höheren  Arsenalbeamten  anzusehen  sein  dürfte  x).  Die 
Darsena  konnte  bei  ihrer  Grösse  von  50X40  Schritten  nur  Galeeren 
aufnehmen.  Diese  Angabe  findet  volle  Bestätigung  in  einem  Schreiben 
des  Cardinais  an  den  Hofkriegsrath  (Beilage  III). 

Baja  hatte  nur  eine  offene  Rhede.  In  derselben  war  ein  Platz, 
Trullio  genannt,  wo  zur  Römerzeit  ein  Hafen  sich  befand,  der  jetzt 
so  versandet  war,  dass  kein  Schiff  mehr  eindringen  konnte,  abgesehen 
davon,  dass  die  Einfahrt  nur  45  F.  Breite  hatte.  Man  könnte,  meint 
Deichmann,  den  Platz  schon  wieder  herrichten,  aber  für  die  Errich- 
tung der  Marine  würde  derselbe  doch  nicht  taugen,  weil  es  einerseits 
kein  Süsswasser  gebe,  und  weil  andererseits  die  Luft  durch  das  stehende 
Wasser  des  Arverner  Sees  und  andere  Sümpfe  völlig  verpestet  sei,  so 
dass  die  Anwohner  selbst  gezwungen  seien,  durch  5  —  6  Monate  im 
Jahre  anderwärts  Aufenthalt  zu  suchen.  Der  genannte  See  war  nicht 
ganz  eine  halbe  Miglie  von  Baja  entfernt  uud  hatte  42  F.  Wasser- 
tiefe. Seine  Lage  wäre  zu  einem  Hafen  ganz  geeignet  gewesen,  wenn 
nicht  an  der  Verbindungsstelle    mit  dem  Meere  in  einer  Nacht  durch 


his  50'   Länge,   bis    100   Tonnen    tragend,    führten    Munition  oder   Waaren    und 
löschten  die  Ladung  grosser  Fahrzeuge. 

')  Von  Deichmann  kann  dieselbe  nicht  herrühren,  da  sie  neben  anderem 
noch  ungünstigere  Angaben  über  den  S.  Leopoldo  enthält,  die  er  ganz  sicher 
nicht  verschwiegen  hätte,  wenn  sie  ihm  bekannt  gewesen  wären  ;  vielleicht  «rar 
Bolini  der  Verlasser  derselben. 


g32  L  e  c  h  n  e  r. 

ein  Erdbeben  ein  Hügel  entstanden  wäre.  In  so  gefahrlicher  Nähe 
durfte  man  jedoch  gar  nicht  daran  denken,  einen  solchen  zu  errichten. 

Auch  in  Pozzuoli  gab  es  seit  langer  Zeit  keinen  Hafen,  denn 
von  dem  alten  römischen  waren  nur  noch  einzelne  Spuren  von  Bögen 
übrig  geblieben,  deren  äusserste  bis  zu  44  F.  tief  im  Wasser  fundiert 
waren  x).  Das  einzige  Mittel,  hier  einen  Hafen  herzustellen,  wäre  die 
Ausgestaltung  dieser  Reste  zu  einem  starken  Molo  gewesen.  Eine  der- 
artige Arbeit  hätte  jedoch  wegen  des  gewaltigen  Ansturmes  der  Wogen 
trotz  der  immensen  Kosten  eines  solchen  Baues  keine  lange  Dauer 
versprochen. 

Trano  in  Apulien,  6  Miglien  von  Barletta  entfernt,  hatte  einen 
genügend  räumlichen  Hafen  zur  Aufnahme  einer  grossen  Anzahl  von 
Fahrzeugen,  der  sich  für  die  grössten  Handelsschiffe  jener  Zeit  ver- 
tiefen liess.  Dass  er  auch  für  Kriegsschiffe  tauglich  gemacht  werden 
könnte,  getraut  sich  Deichmann  nicht  mit  Sicherheit  zu  behaupten, 
obgleich  er  bis  in  den  Hafen  hinein  einen  Wasserstand  von  5  Ellen 
constatieren  konnte,  wie  sich  aus  seiner  Aufnahme  ergibt.  Jedenfalls 
müsse  man,  meint  er,  im  Auge  behalten,  dass  in  ganz  Apulien  kein 
anderer  Hafenplatz  für  Kriegsschiffe  vorhanden  sei,  weshalb  der  Ver- 
kehr vom  österreichischen  Litorale  nach  dem  Reiche  von  Neapel 
grossen  Schwierigkeiten  unterworfen  bleibe,  besonders  in  Kriegszeiten, 
wo  man  grosse  Transporte  vorzunehmen  habe.  Er  tritt  daher  dafür 
ein,  diesen  Hafen  in  guten  Stand  zu  setzen.  Tar^nt  und  Brindisi,  wo 
er  nicht  selbst  gewesen  war,  lässt  er  ausser  Betracht,  weil  er  der  Mei- 
nung sei,  dass  die  Herstellungsarbeiten  lange  Zeit  erfordern  und  der 
Erfolg  doch  fraglich  bleiben  würde.  Heutzutage  sind  die  grossen 
Kriegshäfen  fast  durchwegs  nur  Handelshäfen  zweiten  oder  dritten 
Ranges  oder  haben  als  solche  fast  nur  locale  Bedeutung.  Es  mag 
dahin  gestellt  bleiben ,  ob  Deichmann  für  seine  Zeit  gut  daran  that, 
wenn  er  dafür  eintritt,  dass  der  Platz,  wo  der  Kriegshafen  errichtet 
werden  solle,  auch  zur  Förderung  des  Handels  geeignet  sein  müsse. 
Als  solchen  Platz  bezeichnet  er  Buccari-Porto-Re,  in  dem  er  unter 
den  Gründen  für  seine  Ansicht  den  damals  gewiss  stichhältigsten  an- 
führt, dass  die  Lage  in  Rücksicht  auf  den  Besitzstand  Oesterreichs  an 
der  Küste  die  beste  von  allen  Orten  sei,  dass  sie  eine  bequeme  Ver- 
bindung nach  Neapel,  auch  für  den  Handel,  biete  und  man  hier  die 
Flotte  jederzeit  in  der  Hand  habe.  An  Deutschland  grenzend  könne 
von  hier  aus  Neapel  und  Sicilien  immer  Hilfe  gebracht  werden,  was 
umgekehrt  von  Neapel  aus  nicht  im  gleichen  Masse  der  Fall  wäre.  Zu 


l)  Trümmer  dieses  Molo  sind  noch  vorhanden. 


Zur  Uründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  G3o 

den  Arbeiten,  welche  die  Umgestaltung  der  beiden  Plätze  erheischte, 
will  er  die  Galeerensträflinge  aus  Neapel  verwendet  wissen,  weil  man 
sie  doch,  ohne  dortselbst  von  ihnen  den  geringsten  Nutzen  zu  haben, 
erhalten  müsse  und  unter  ihnen  viele  taugliche  Arbeiter  seien.  Auf 
diese  Weise  könne  man  bedeutende  Kostenersparnisse  machen. 

Ich  habe  oben  angedeutet,  dass  bei  Pantaleone,  wo  damals  der 
S.  Leopoldo  erbaut  wurde,  Deichmann  Befehl  erhielt,  diesen  zu  inspi- 
cieren.  Er  inspicierte  zunächst  seine  Bemannung,  die  aus  239  Ma- 
trosen bestand,  darunter  freilich  nur  wenige,  die  diese  Bezeichnung 
verdienten,  noch  weniger  solche,  die  auf  einem  Kriegsschiffe  gedient 
oder  sonst  ihr  Metier  gründlich  erlernt  hatten.  Die  Officiere  hatten 
keine  Instruction  und  keine  Kriegsartikel  *),  daher  auch  von  einer 
guten  Disciplin  und  geordneten  Ökonomie  keine  Rede  sein  konnte. 
Die  Inventare  und  das  Schiffsregister  waren  in  solcher  Unordnung, 
dass  zu  ihrer  völligen  Richtigstellung  monatelange  Arbeit  nöthig  ge- 
wesen wäre.  Einen  grossen  Uebelstand  rief  man  dadurch  hervor,  dass 
man  jedem  Matrosen  unterschiedslos  monatlich  5  neapol.  Ducaten  Löh- 
nung zahlte,  gleichviel  ob  er  erst  angeworben  war  oder  schon  eine 
lange  Reihe  von  Jahren  im  Dienste  stand.  Dass  dieser  Lohn  allge- 
mein bei  der  neapolitanischen  Marine  üblich  war,  geht  aus  der  Bei- 
lage VI  hervor.  Das  Urtheil  Deichmanns  über  das  Kriegsschiff  lautet 
sehr  ungünstig.  Dasselbe  war  nach  dem  ursprünglichen  Plane  für  eine 
Bestückung  von  etlichen  40  Kanonen  auszuführen  gewesen,  man  hatte 
es  aber  für  etliche  50  gebaut.  Hierüber  befragt,  gab  der  Schiffsbau- 
meister (es  muss  dies  der  von  Löwenthal  1,  166  angeführte  Boyer 
gewesen  sein),  zur  Antwort,  dass  die  orientalische  Compagnie  es  so 
befohlen  habe  und  seine  gegentheiligen  Einwendungen  daran  nichts 
zu  ändern  vermocht  hätten.  Daraus  und  aus  Deichmanns  ausdrück- 
licher Angabe,  dass  der  Kaiser  das  Schiff  auf  seine  Rechnung  ge- 
nommen habe,  ergibt  sich  die  Thatsache,  dass  die  genannte  Compag- 
nie auch  das  Recht  erhalten  haben  muss  Kriegsschiffe  zu  baueu,  was 
aus  dem  Privilegium  von  1722  nicht  zu  erkennen  ist.  Wahrschein- 
lich wollte  die  stets  in  Geldnöthen  befindliche  Gesellschaft  auf  solche 
Weise  wenigstens  zum  Theile  sich  die  Mittel  für  ihren  Handel  ver- 
schaffen. 


»)  Es  scheint  mir  nicht  unwahrscheinlich,  dass  auf  Deichmanns  Relation  hin 
die  „See-Articuli  und  Kriegsgerichts-Instruction  für  die  Marine  Seiner  kaiserlichen 
nnd  katholischen  Majestät  Carl  VI."  erlassen  worden  sind,  die  v.  Lehnert  (im 
„Organ  der  militärwissenschaftlichen  Vereine  1886,  p.  4)  „wahrscheinlich"  aus  dem 
Jahre  1730  stammen  lässt. 


(334  Lechne  r. 

Seinem  äusseren  Baue  nach  bezeichnete  er  den  8.  Leopoldo  als 
recht  hübsch,  aber  erbaut  war  er  aus  dem  schlechtesten  Holze.  Viele 
Planken  wiesen  grosse  Risse  auf,  die  mit  Pech  ausgegossen  worden 
waren,  da  die  Arbeit,  neue  einzufügen,  mehr  gekostet  hätte,  als  das 
Schiff  ganz  neu  zu  bauen.  Auf  der  zweiten  Batterie  waren  7  Balken 
unbrauchbar,  tiefer  unten  im  Schiffsinnern  waren  3  Balken,  welche 
die  erste  Batterie  stützen  sollten,  die  mit  3  der  Hauptrippen  entweder 
gebrochen  oder  angefault  waren.  Ausserdem  waren  viele  Balken  an 
ihren  Seiten  durch  Eichenbohlen  verstärkt  worden,  unfraglich  ein  Be- 
weis, dass  sie  entweder  nicht  die  nöthige  Stärke  hatten  oder  dass  man 
sie  nicht  in  richtiger  Ordnung  eingesetzt  hatte.  Den  Hauptmast  aus- 
genommen, waren  die  anderen  vom  schlechtesten  Holze.  Dass  dieses 
neu  erbaute  Schiff  so  grosse  Mängel  aufwies,  schreibt  er  dem  Umstände 
zu,  dass  man  einmal  überhaupt  schlechtes  Holz  nahm  und  überdies 
dasselbe  nicht  zu  rechter  Jahreszeit  geschlagen  habe;  waren  doch  ein- 
zelne Stücke  so  faul,  dass  sie  beim  Anschlagen  klangen  „como  fossero 
botti  vuote",  und  dazu  waren  sie  völlig  wurmstichig.  Die  Bestückung 
der  ersten  Batterie  bestand,  aus  24  Achtzehnpfündern,  für  welche  der 
Baum  viel  zu  gering  war,  denn  nach  der  Construction  und  Stärke  der 
Planken  hätten  es  Zwölf pf linder  sein  müssen,  während  sie  für  Acht- 
zehnpfünder  viel  zu  eng  waren.  Nur  die  2.  Batterie,  mit  Sechspfün- 
dern  bestückt,  war  in  den  gehörigen  Proportionen  erbaut.  Die  Anker- 
taue waren  um  4  Zoll  stärker  als  sie  hätten  sein  sollen,  so  dass  sie 
nach  seiner  Meinung  die  Anker  derart  beherrschen  werden,  dass  diese 
ihren  Zweck  nicht  erfüllen  können.  Als  einen  weiteren  schweren 
Fehler  bezeichnet  er  den  Vorgang,  dass  das  Schiff  von  dem  Zeitpunkt 
an,  wo  es  der  Kaiser  auf  seine  Rechnung  übernahm,  bis  zu  dem  der 
Inspection  immer  im  Golf  von  Triest  gelassen  wurde,  beschwert  mit 
seiner  ganzen  Belastung  an  Kanonen,  Ankern,  Tauwerk  u.  s.  f.,  da 
dies  allen  wirtschaftlichen  Grundsätzen  zuwiderlaufe.  Auch  das  Kriegs- 
schiff S.  Elisabetta  wurde  von  Deichmann  in  Triest  einer  Besich- 
tisnm£  unterzogen.  Den  Bau  des  Schiffes  fand  er  von  kundiger  Hand 
durchaus  in  rechten  Proportionen  ausgeführt,  aber  hinsichtlich  des 
Materials  wies  es  die  gleichen  Mängel  auf  wie  der  S.  Leopoldo.  Im 
Schiffsinnern  sahen  3  Balken  genau  so  aus,  als  ob  sie  gebrochen 
wären,  und  zwei  Hauptrippen  waren  schon  vollständig  unbrauchbar; 
über  der  zweiten  Brücke  waren  5,  die  nicht  mehr  lange  halten  konnten. 
Ueber  die  Bestückung  desselben  macht  er  keine  Angabe,  nach  Löwen- 
thal (1,  165)  führte  es  60  Kanonen  und  diente  noch  unter  Conte 
Luca    Pallavicini    als   Admiralschiff.      Es    ist    wohl   auch  auf  der 


Zur  Gründungsgeschiclite  der  österreichischen  Kriegsmarine.  635 

Triester  Werfte  erbaut  worden,  da  das  Holz  dazu  aus  dem  Walde  von 
Plauina  genommen  wurde  J). 

In  Neapel  besichtigte  Deichmann  die  drei  übrigen  Schiffe,  näm- 
lich die  S.  Barbara,  den  S.  Carlo  und  den  S.  Michele.  Die  beiden 
erstem  fand  er  ihrem  Baue  nach  annehmbar,  wenngleich  ein  tüchtiger 
Schiffsbaumeister  sie  nicht  gebaut  zu  haben  schien.  Auch  diese  zwei, 
obwohl  erst  vor  zwei  Jahren  erbaut 2),  fand  er  im  schlechtesten  Zu- 
stande. Deichmann  sagt,  dass  er  schon  40  Jahre  alte  Schiffe  nicht 
so  rank  gefunden  habe  wie  die»e  zwei.  Der  S.  Michele  aber  war  ohne 
jede  Symmetrie  erbaut,  so  dass  er  ihn  als  vollständig  unbrauchbar  für 
den  Kriegsdienst  bezeichnete.  Es  könnte  nun  leicht  den  Anschein  haben, 
dass  er  aus  irgend  einem  Grunde  ein  zu  hartes  Urtheil  fällte,  beson- 
sonders  wenn  man  das  überschwängliche  Lob  des  Giov.  Battista  Bolini 
über  die  Tüchtigkeit  des  S.  Carlo  damit  vergleicht3);  man  darf  aber 
dessen  amtliche  Stellung  nicht  vergessen,  die  es  ihm  nahe  legen  mochte, 
das  unter  seiner  Präsidentschaft  neu  ausgerüstete  Schiff  hinsichtlich 
seiner  Brauchbarkeit  besonders  hervorzuheben.  Dass  Deichmann  that- 
sächlich  leider  nicht  zu  schwarz  gesehen  hat,  beweist  der  Umstand, 
dass  im  Januar  1733  der  Bericht  einlief,  der  S.  Carlo  habe  nur  mehr 
wenig  Werth  und  der  S.  Leopoldo  sei  überhaupt  nicht  mehr  zu  ge- 
brauchen; sein  Urtheil  über  letzteren  findet  eine  glänzende  Kecht- 
fertigung  durch  den  Ausspruch  einer  Sachverständigen-Commission : 
„esta  inservibile,  porque  ne  tiene  mas  madera  buena'1  4).  Im  Jahre 
1736  bei  Auflösung  der  Flotte  standen  von  diesen  Schiffen  nur  noch 
die  S.  Elisabetta,  der  S.  Carlo,  (der  bald  versauk)  und  der  S.  Michele 
in  Verwendung  5).  —  Ueber  die  Equipage  der  3  neapolitanischen  Linien- 
schiffe drückt  sich  Deichmann  noch  ungünstiger  aus,  als  über  die  der 
beiden  österreichischen,  da  in  derselben  eine  grosse  Anzahl  von  Leuten 
sich  fand,  welche  bloss  den  Namen   von   Matrosen   führten,    aber   gar 


1)  Wie  das  dritte  auf  der  Triester  Werfte  erbaute  Kriegsschiff  hiess,  ist 
mir  nicht  bekannt;  Löwenthal  1.  c.  spricht  nämlich  von  3  Linienschiffen  und 
2  Fregatten,  die  dort  im  Laufe  der  Jahre  Boy  er  erbaut  hatte. 

2)  Das  trifft  eigentlich  für  keines  zu,  denn  die  drei  genannten  Schiffe  waren 
nur  Ende  1719  oder  anfangs  1720  neuerdings  seetüchtig  gemacht  worden,  wie 
sich  für  die  S.  Barbara  ans  der  Beilage  IV  a  und  b  ergibt,  während  in  einem 
später  zu  erwähnenden  Schreiben  Cfirdinal  Schrattenbach  sagt,  alle  3  Schiffe 
würden  noch  auf  der  Darsena  faulen,  wenn  er  sich  nicht  die  Wiederausrüstung 
hätte  angelegen  sein  lassen.  In  Rücksicht  auf  die  oben  mitgetheilte  Grösse  der- 
selben können  diese  3  Schiffe  nur  Kriegsschiffe  zweiten  Ranges  gewesen  sein, 

3)  Beilage  V. 

•*)  v.  Rechberger  1,  25,  2G. 
5)  Löwenthal  1,  156. 


(53(5  L  e  c  h  ii  e  r. 

keine  Eignung  dazu  besassen  und  auch  nicht  darau  dachten,  sich  die- 
selbe zu  erwerben.  Und  dabei  hatten  diese  Schiffe  doch  eiu  für  jene 
Zeit  horrendes  Geld  gekostet.  Nach  den  ihm  vorgewiesenen  Rech- 
nungen betrugen  nämlich  die  Kosten  für  die  S.  Barbara  65099'22, 
für  den  S.  Carlo  64642'86  und  für  den  S.  Michele  40233'42  neapol. 
Ducaten  (ä  100  Gran  =  2fl.  rh.),  wobei  nicht  eingerechnet  war  das 
Bauholz,  das  aus  den  ärarischen  Waldungen  genommen  wurde,  die 
Artillerie  und  sonstigen  Waffen,  Anker,  Tauwerk  etc.  Diese  Miss- 
wirthschaft  liess  Deichmann  den  für  die  damaligen  Verwaltungszu- 
stände  in  Neapel  charakteristischen  Satz  niederschreiben:  „Confesso 
ingenuamente,  che  nessuna  nazione  al  mondo  fabrica  i 
suoivascelli  ad  un  prezzo  si  caro".  Es  stehen  auch  diese 
Auslagen  im  Vergleich  zu  dem,  was  damit  geleistet  wurde,  in  gar 
keinem  Verhältnis  zu  jenen,  welche  sich  im  Marineproject  vom  Jahre 
1713  finden  und  lassen  deutlich  erkennen,  dass  unzweifelhaft  grosse 
Unterschleife  vorgefallen  sein  müssen. 

Die  Galeeren  zu  Neapel  schienen  ihm  solid  gebaut  zu  sein,  aber 
ihre  Feuerwaffen,  Säbel  und  anderes  Kriegsmaterial  bezeichnete  er  als 
höchst  mittelmässig.  Ihre  Bemannung  stand  das  ganze  Jahr  hindurch 
iu  Dienst  und  wurde  für  diese  ganze  Zeit  bezahlt,  obwohl  die  Galeeren 
nur  circa  4  Monate  im  Jahre  auf  See  waren.  Sie  schien  ihm  auch 
numerisch  zu  schwach,  der  Sold  für  die  Matrosen  von  2  Ducaten 
41  Gran  monatlich  (also  ungefähr  die  Hälfte  jenes  für  die  Matrosen 
der  Linienschiffe)  geradezu  kärglich,  um  so  mehr,  als  man  den  Monat 
zu  45  Tagen  rechnete. 

Anschliessend  an  den  Inspectionsbericht  über  die  Schiffe  zu  Neapel 
gibt  Deichman  jenen  über  die  dortigen  Marine- Verhältnisse  über- 
haupt. Waren  damals  die  obersten  Centralstellen  in  unserem  Staate, 
mehr  als  für  eine  geordnete  Verwaltung  gut  war,  zersplittert,  so  traf 
dies  in  noch  weit  höherem  Masse  für  die  Marine  von  Neapel  zu.  Die 
ganze  Marineorganisation  war  in  verschiedene  Departements  gegliedert 
als  da  waren  die  Camera  Reale,  die  Giunta  Reale,  das  königliche 
Marine  Officierscorps,  die  Razionali  di  terra,  das  Justiz-Tribunal,  das 
Arsenal-Tribunal,  das  kgl.  Munitions-Tribunal,  lauter  Behörden,  welche 
nur  die  Auslagen  vermehrten  und  den  Dienst  des  Kaisers  herabzumin- 
dern geeignet  waren,  weil  deren  gegenseitiger  Wirkungskreis  nicht  genau 
abgegrenzt  war.  Deichmann  beantragt  daher  die  Schaffung  einer  ein- 
zigen Marine-Centralstelle,  wie  das  auch  bei  anderen  Nationen,  wo  das 
Kriegswesen  zur  See  wohl  bestellt  war,  in  Uebung  stand.  Er  gestattet 
sich,  den  Kaiser  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  aus  der  der  Re- 
lation beigeschlossenen  (hier  aber  nicht  mehr  vorhandenen)  tabellarischen 


Zur  Gründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  637 

Uebersicht  die  überaus  grosse  Anzahl  der  subaltern en  Beamten  auf- 
fallen müsse,  die  auch  zu  zahlreich  wären  „per  governare  cinquanta 
vascelli  di  guerra  non  che  due  ö  tre  e  quattro  galere,  giacche  nel  corso 
di  dodici  anni  non  ve  ne  (sono)  stati  di  piü"  1).  Demnach  kann  man 
sich  einen  Begriff  von  der  herrschenden  Misswirthschaft  machen  und 
erfährt  andererseits,  dass  schon  seit  1711  die  angeführte  Zahl  von  3 
Linienschiffen  bestanden  haben  muss.  Von  den  Officieren  waren  viele 
durch  Aemterkauf  zu  ihren  Stellen  gelangt,  obgleich  manche  davon 
unmittelbar  kein  Gehalt  bezogen.  Andere  dienten  ganz  ohne  Salarium 
und  hatten  keinen  anderen  Nutzen,  als  den  sie  zufolge  ihrer  Amts- 
stellung zu  erpressen  suchten,  was  natürlich  die  schlimmsten  Conse- 
quenzen  zur  Folge  haben  musste.  Wie  muss  es  da  mit  der  mili- 
tärischen Fähigkeit  solcher  Leute  bestellt  gewesen  sein?  Dazu  kam 
noch,  dass  die  Camera-  und  Giunta-Keale  nur  verschiedene  Namen 
führten,  aber  sonst  im  Grunde  genommen  so  ziemlich  aus  denselben 
Personen  zusammengesetzt  waren  zur  Deckung  des  General-Eevisors, 
der  selbst  in  der  Kammer  keinen  Sitz  hatte.  Die  Rechnungen  der 
Giunta  controllierte  die  Camera  und  die  Befehle  der  Camera  führte 
die  Giunta  aus, wobei  natürlich  der  Grundsatz  des  „manus  manum  la- 
vat"  galt  und  ein  Theil  des  Marinefondes  für  die  privaten  Zwecke  der 
Mitglieder  der  genannten  Körperschaften  oder  sonst  zu  andern  Zwecken 
verwendet  wurde,  als  für  welche  er  bestimmt  war. 

Deichmann  hatte  gemäss  seines  Auftrages  auch  das  Marine-Regi- 
ment, über  dessen  Stand  die  erwähnte  und  wohl  im  Kriegsarchiv  be- 
findliche Tabelle  Aufschluss  geben  dürfte,  einer  Inspection  unterzogen 
und  dabei  33  zugetheilte  Officiere  gefunden,  die  der  Marine  nur  zur 
Last  fielen.  Er  hob  mit  grosser  Offenheit  hervor,  dass  der  Fond  der 
Marine  für  diese  selbst  und  nicht  zur  Erhaltung  ganz  überflüssiger 
Beamten  bestimmt  sei.  Daher  müsse  das  ganze  Regiment  auf  einen 
andern  Fuss  gebracht  werden,  so  dass  es  einen  grössern  Nutzen  ver- 
bürge und  trotzdem  weniger  koste  als  bisher.  So  lange  das  nicht  ge- 
schehen sei,  halte  er  es  überhaupt  für  überflüssig,  über  diese  Angele- 
genheit weiter  zu  reden.  Der  Marine  fiel  auch  die  übergrosse  Zahl 
der  Galeerensträflinge  zur  Last  und  er  erklärte  es  mit  vollem  Rechte 
entschieden  für  unbillig,  das  Geld  des  Kaisers  dazu  zu  verwenden,  um 
damit  alle  Sträflinge  und  Uebelthäter  in  den  kaiserlichen  Landen  zu 
ernähren.     Ebenso  wird  man  ihm  völlig  beipflichten  müssen,  wenn  er 


*)  Danach  hat  also  Deichmann,  wie  schon  früher,  die  z-wei  zu  Triest  er- 
bauten Schiffe  S.  Lcopoldo  und  S.  Elisabetta,  als  Schiffe  der  erbländischen  Ma- 
rine angesehen. 


638 


L  e  c  h  n  e  r. 


das  in  Neapel  beliebte  System,  alle  Käuber  und  Vagabunden  der  Stadt 
zum  Dienste  auf  den  Kriegsschiffen  und  Galeeren  des  Kaisers  zu  ver- 
urtheilen,  einen  offenkundigen  Nachtheil  nennt,  da,  ganz  abgesehen 
von  der  ökonomischen  Seite,  dies  in  politischer  Hinsicht  als  unzu- 
kömmlich  sich  herausstellen  musste,  weil  auf  diese  Weise  sich  die 
Meinung  bildete,  als  seien  die  Matrosen  bloss  eine  besondere  Species 
von  Galeerensträflingen 1).  Daher  kam  es  auch,  wie  er  weiter  her- 
vorhebt, dass  kein  Mann  von  Ehre  als  Matrose  eintreten  wollte  und 
alle  vor  dem  kaiserlichen  Dienste  zurückschreckten,  während  doch  sonst 
in  der  gauzen  Welt  die  Matrosen  als  Soldaten  angesehen  wurden  und 
den  Kriegsdienst  aufsuchten.  Noch  mehr  wird  man  seiner  Ansicht 
darin  beipflichten  müssen,  wenn  er  einen  weiteren  Uebelstand  in  der 
Thatsache  erblickt,  dass  die  Officiersstellen  und  sonstigen  Aemter  bei 
der  Marine  Leuten  überantwortet  waren,  die  durchaus  nicht  das  Zeug 
hatten,  den  ihnen  auferlegten  Verpflichtungen  gerecht  zu  werden.  Man 
könne  eben  nicht  im  Handumdrehen  aus  einem  Truppenoffizier  einen 
Commandanten  eines  Kriegsschiffes  machen  und  dürfe  auch  die  Stellen 
von  Schiffslieutenanten  nicht  an  Personen  vergeben,  die  entweder  das 
Meer  nie  gesehen  oder  wenigstens  zur  See  noch  nicht  gedient  hätten. 
Eine  nothwendige  Folge  davon  müsse  vor  allem  die  sein,  dass  es  an 
einer  ordentlichen  Disciplin  fehle.  Man  dürfe  nicht  einwenden,  dass 
sich  diese  Personen  die  erforderlichen  Kenntnisse  schon  aneignen  wer- 
den ,  denn  der  Marinedienst  sei  ein  derartiger,  dass  ihn  einer  in  spä- 
teren Lebensjahren  nie  mehr  völlig  erlerne,  wenn  er  nicht  von  Jugend 
auf  für  denselben  erzogen  worden  sei.  Dafür  habe  man  wohl  den 
vollwichtigsten  Beweis  in  der  Thatsache  zu  erblicken,  dass  alle  see- 
fahrenden Nationen  die  Leute  von  Jugend  auf  für  den  Seedienst  er- 
ziehen lassen. 

Auch  unter  den  Kechnungsofficieren  fand  er  nur  wenige,  die  ihrem 


')  Dass  Deichmann  in  einer  Zeit,  wo  besonders  die  italienischen  Seestaaten 
und  Frankreich  die  Galeerensträflinge  auf  ihren  Flotten  verwendeten,  für  deren 
Beseitigung  in  unserem  Kaiserstaate,  in  dem  diese  Strafe  erst  1716  neuerdings 
eingeführt  worden  war,  aus  militärischen  Gründen  eintritt,  ist  jedenfalls  ein  be- 
achtenswertes Zeugnis  für  seine  Erfahrungen.  Leider  sollte  er  damit  nicht  durch- 
dringen, denn  man  verurtheilte  auch  weiterhin  Leute  aus  allen  erbländischen 
Provinzen  zu  dem  Dienste  auf  den  Galeeren,  so  dass  sie  gar  nicht  Verwendung 
genug  finden  konnten,  weshalb  zufolge  Patentes  vom  10.  November  1728  nur 
jene  dazu  verurtbeilt  werden  sollten,  welche  aus  allen  Erbländern  auszuweisen 
waren.  Nach  dem  Verluste  von  Neapel  und  Sicilien  überliess  man  sie  an  die 
Venetianer,  bis  Maria  Theresia  die  Galeerenstrafe  1762  ganz  auihob.  (In  Ermang- 
lung des  diesbezüglichen  Buches  von  Maasburg,  Wien  1885  nach  den  Sections- 
schriften  der  k.  k.  mähr.-schles.  Ackerbaugesellsch.  27,  101  folgd.) 


639 

Amte  gewachsen  waren;  daher  waren  ihre  Bücher  auch  in  derartiger 
Unordnung  getroffen  worden,  dass  man  sich  von  dem  wirklichen  Stande 
der  Marineverwal  tun  g  absolut  kein  klares  Bild  zu  verschaffen  ver- 
mochte. Man  müsse,  meint  er,  geradezu  staunen,  dass  der  Camera 
und  Giunta,  denen  doch  die  Oberverwaltung  zustand,  in  dem  langen 
Zeitraum  von  12  oder  mehr  Jahren  nie  der  Gedanke  gekommen  sei, 
nachzusehen,  in  welcher  Ordnung  man  die  Bücher  führe  und  ob  man 
taugliche  Beamte  hiezu  bestellt  habe.  Als  unbedingt  nöthiges  Erfor- 
dernis für  eine  geordnete  und  controllierbare  Verwaltung  stellt  er  eine 
mindestens  vierteljährige  Kechnungslegung  über  Einnahmen  und  Aus- 
gaben hin,  was  bisher  nie  geschehen  war,  woraus  sich  consequenter 
Weise  nur  der  Schluss  ergeben  könne,  dass  die  vorgenannten  Behör- 
den entweder  mit  der  Unordnung  einverstanden  oder  nicht  energisch 
genug  gegen  dieselbe  aufgetreten  seien ;  trotz  der  kaiserlichen  Befehle, 
die  seit  langer  Zeit  erflossen  waren,  habe  mau  nie  eine  ordentliche 
Bilanz  ausgewiesen.  Solchen  Missbräuchen  könne  nur  durch  Einsetzung 
brauchbarer  und  durchaus  verlässlicher  Beamten  abgeholfen  werden.  — 
Um  in  dieser  Angelegenheit  klare  Einsicht  zu  erlangen,  hatte  Deich- 
mann von  der  Kammer  einen  genauen  Ausweis  über  die  Verwaltung 
des  Marinefonds  verlangt.  Er  erhielt  wohl  etwas  Aehnliches,  aber  leider 
fehlt  hier  auch  diese  Beilage  der  Relation.  Danach  und  nach  seinen 
eigenen  Beobachtungen  konnte  er  erklären,  dass  die  Organisation  der 
Kammer  durchaus  gut  und  richtig  war,  er  verlangte  aber  selbstver- 
ständlich, dass  man  nach  derselben  in  der  Praxis  aufrichtig 
handle.  Dann  werde  man  es  nicht  mehr  nöthig  haben,  sich  durch 
ein  wahres  Labyrinth  von  Schlichen  und  confusen  Angaben  zur  Wahr- 
heit hindurchzuarbeiten.  Eine  genaue,  von  Jahr  zu  Jahr  die  Ver- 
waltung des  Marinefonds  darstellende  Bilanz  konnte  er  trotz  allen 
Drängens  von  der  Giunta  doch  nicht  erlangen.  Man  vertröstete  ihn 
von  Tag  zu  Tag  mit  Versprechungen  und  übersandte  ihm  schliesslich 
völlig  werthlose  Aufzeichnungen  und  Rechnungen  der  Giunta  nnd  des 
Generalrevisors.  Der  Präsident  der  Giunta,  Giov.  Battista  Bolin i,  der 
sich  so  lobend  über  den  S.  Carlo  geäussert  hatte,  liess  ihm  zwar  end- 
lich eine  Bilanz  zugehen,  welche  ohne  jede  nähere  Specificatiou  die 
Einnahmen  der  letzten  drei  Jahre  enthielt,  mit  einem  Begleitschreiben 
vom  25.  September  1723,  in  welchem  er  selbst  erklärte,  dass  er  eine 
genauere  Arbeit  nicht  habe  beschaffen  können.  Auch  der  General- 
revisor,  Marchese  d!  Avellaua,  bemerkte  in  seinem  Rechuungsausweis, 
dem  er  den  Titel  einer  Bilanz  zu  geben  beliebte,  dass  derselbe  der  ge- 
naueste sei,  den  er  bei  dem  Chaos,  in  welchem  sich  die  Bücher  be- 
fänden, zu  bieten  vermöge.     Deichmann  theilt  in  seiner  Relation  des- 


640 


L  e  c  h  n  e  r. 


selben  eigene  Worte  mit:  „II  presente  bilancio  e  il  piü  esatto,  che  si 
e  potuto  fare  di  tutti  li  gasti  (i.  e.  guasti)  effettivi  di  questa  rnarina, 
rispetto  alla  gran  confusione,  che  vi  e  nella  medesima 
sopra  le  libraiize  de'  generi,  razioni,  munizioni  e  paga- 
menti:  facendosi,  come  si  fanno  per  la  Giunta  di  Marina,  e  non  si 
soo-liono  in  molti  anni  passare  in  cassa  militare  lepartite 
deo-li  assegnamenti,  ne  anche  le  di  altri  pagarnenti.  bi 
fanno  medesimanente  per  li  Regj  officj  con  una  gran  confusione 
di  scrittura  et  ultimamente  si  fanno  per  il  s  crivano  dell' 
Arsenale." 

Man  wird  es  Deichmann  aufs  Wort  glauben,  dass  diese  Aeusse- 
rungen  des  Generalrevisors  deutlich  genug  für  seine  Behauptungen 
sprechen.  Leider  sind  auch  diese  Ausweise  hier  nicht  mehr  vorhan- 
deu.  Nur  zwei  Beispiele  hebt  er  aus  denselben  hervor,  um  dem  Kaiser 
zu  beweisen,  welchen  Wert  man  auf  derartige  Kechnungslegungen 
geben  dürfe.  Das  erste  betrifft  die  Kosten  für  den  Schiffskörper  des 
S.  Michele.  Obwohl  die  Angaben  aus  den  gleichen  Büchern  gezogen 
und  von  denselben  Personen  gemacht  wurden,  divergierten  die  der 
Giunta  von  denen  des  Generalrevisors  um  800  Ducaten.  Das  zweite 
geht  das  Marine-Regiment  an.  üeber  dessen  jährliche  Erhaltungskosten 
befragt,  gab  der  Präsident  der  Giunta,  Bolini,  in  dem  schon  erwähnten 
Schreiben  dieselben  auf  ungefähr  65.000  Ducaten  an,  der  Generalre- 
visor bezifferte  sie  in  seiner  Rechnungslegung  mit  45.700  Ducaten  und 
der  Oberst  des  Regiments,  der  doch  wissen  musste,  was  er  jährlich  für 
dasselbe  auf  den  Sold,  die  Montur,  auf  Werbegelder  u.  s.  w.  erhielt, 
berechnete  dieselben  in  einer  gewissen  Uebereinstimmung  mit  den  An- 
gaben des  Generalrevisors  mit  circa  45.000  Ducaten.    Im  Hinblick  auf 

o 

die  Provenienz  der  Daten  konnte  Deichmann  die  Differenz  der  ge- 
machten Angaben  nicht  begreifen  und  unterzog,  um  der  Sache  auf 
den  Grund  zu  kommen,  die  Bücher  in  der  Schreibkanzlei  des  Arsenals 
einer  genauen  Revision,  wunderte  sich  aber  bald  nicht  mehr,  dass  die 
Daten  nicht  übereinstimmten,  weil  bei  der  confusen  Buchführung  auch 
er  nicht  sich  völlige  Klarheit  hierüber  zu  verschaffen  vermochte,  wes- 
halb er  jeden  weiteren  Versuch,  einer  derartigen  Arbeit  gänzlich 
aufgab. 

Nachdem  so  Deichmann,  wie  er  sagt,  nur  flüchtig  die  Misstände 
bei  der  Marine  zu  Neapel  besprochen  hatte,  wandte  er  sich  zu  solchen, 
die  ihm  sonst  aufgestossen  waren.  Er  erörtert  zunächst  den  Schaden, 
den  die  Waldungen  durch  die  Art  des  Abholzens  erlitten  und  tritt  für 
ein  sofortiges  Regulativ  für  die  Wälder  von  Lock,  Pannowitz  und  Bleto 
ein,  weil  man  gerade  die  Eichenwaldungen  besonders  schützen  müsse, 


Zur  Gründmigsgeschickte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  641 

wenn  man  eine  Kriegsflotte  schaffen  wolle.  Die  Waldinspectoren, 
wenigstens  die  zu  Fiume,  hatten  keine  genaue  Instruction  und  be- 
sichtigten die  Forste  nur  einmal  im  Jahre.  Kam  ihnen  der  Befehl 
zu,  irgend  jemandem  zu  erlauben,  Holz  zu  schlagen,  so  wurde  deu 
Waldhütern  einfach  angezeigt,  dass  der  oder  jener  eine  bestimmte  An- 
zahl Stämme  zu  fällen  befugt  sei,  aber  man  frug  nicht,  welchem 
Zwecke  das  Holz  dienen  solle,  daher  die  Leute  nach  ihrem  Belieben 
die  besten  Bäume  auswählten  und  in  jenen  Theilen  des  Forstes  sie 
schlugen,  aus  welchen  sie  dieselben  mit  der  geringsten  Mühe  fort- 
schaffen konnten.  Dadurch  wurden  die  günstigst  gelegenen  Waldpar- 
cellen  abgetrieben,  während  an  weniger  günstigen  Plätzen  das  Holz 
überständig  wurde.  Zu  Waldhütern  verwendete  man  meistens  Bauern, 
die  oft  weit  entfernt  wohnten  und  daher  nur  selten  in  die  Waldungen 
kamen,  so  dass  man  Holz  so  ziemlich  nach  freiem  Belieben  stehlen 
konnte,  ohne  befürchten  zu  müssen,  hiebei  erwischt  und  bestraft  zu 
werden.  Deichmann  räth  daher  eindringlich,  die  genannten  Waldun- 
gen wenigstens  bis  zu  jenem  Zeitpunkt  möglichst  zu  schonen,  bis  zu 
welchem  man  die  Strasse  zum  Holztransport  aus  den  kroatischen  Wal- 
dungen hinter  Zengg,  S.  Giorgio  und  Carlopago  fertig  gestellt  haben 
werde.  Er  betont  noch  einmal,  dass  dort  treffliches  Schiffsbauholz  zu 
finden  sei,  ein  besseres  wie  in  Zengg  habe  er  bisher  überhaupt  nicht 
gefunden ;  er  wisse  ganz  wohl,  dass  der  Bericht  der  dorthin  geschickten 
Forstdeputierten  dahin  laute,  dass  der  Transport  beträchtliche  Summen 
koste,  so  lange  eine  Strasse  für  die  verschiedenen  Arten  von  Fuhr- 
werk nicht  fertig  gestellt  sei;  doch  halte  er  dafür,  dass  hiezu  einfache 
Waldwege  genügen,  auf  welchen  man  mittelst  Schleifen  das  Holz  bis 
ans  Meer  schaffen  könne.  Die  Holzschläger  müssten  das  Holz  für  den 
verlangten  Gebrauch  genau  auswählen,  weil  man  nur  auf  diese  Weise 
den  Schaden  vermeiden  könne,  den  er  auf  den  erwähnten  Kriegs- 
schiffen S.  Leopoldo  und  S.  Elisabetta  gefunden  habe.  Er  erklärt  es 
weiter  für  einen  grossen  Fehler  zu  meinen,  dass  solche  Stämme  zu 
fällen  seien,  die  mehrere  Stücke  von  Werkholz  für  den  Schiffsbau  ab- 
gaben, als  solche,  die  nur  ein  einziges  Stück  herstellen  Hessen,  weil 
doch  unbestreitbar  feststehe,  dass  ein  Balken  aus  einem  Stamme  weit- 
aus fester  sei  als  ein  solcher ;  der  durch  Zersägen  des  Baumes  ge- 
wonnen wurde,  auch  wenn  letzterer  noch  einmal  so  stark  im  Holze 
wäre.  Namentlich  Schiffsrippen  müssten  stets  von  Natur  aus  und  nicht 
künstlich  gekrümmt  sein,  wenn  sie  in  den  Batterien  den  Rückschlag 
der  Geschütze  aushalten  sollten,  was  gerade  von  den  Schiffsbaunleistern 
„de  nostri  vascelli"  (also  wohl  wieder  der  zwei  genannten  Schiffe) 
nicht  beobachtet  worden  sei,  deren  Holz  zumeist  nicht  an  sich  un- 
Mittheihrageii  XV.  41 


(342  L  e  c  h  n  e  r. 

brauchbar  gewesen,  sondern  nur  mit  geringer  Sorgfalt  ausgewählt  wor- 
den sei. 

Im  dritten  Capitel  seiner  Kelation  hatte  Deiehmann  betont,  dass 
man  die  Galeeren  nach  ihrer  jährlichen  Fahrt  in  der  Darsena  abta- 
keln, mit  einem  Dache  versehen,  die  Matrosen  beurlauben  und  die 
Galeerensträflinge  im  Arsenal  verwenden  solle,  wodurch  man  au  Löh- 
nung so  viel  ersparen  werde,  um  einerseits  die  Anzahl  der  Matrosen, 
die  ihm  zu  gering  erschien,  sowie  andererseits  ihren  Sold  erhöhen  zu 
könneu.  Er  erklärt  es  für  nothwendig,  dass  ein  erfahrener  Marine- 
officier  dieselben  classenweise  nach  ihrer  Brauchbarkeit  einrolliere  und 
dass  man  die  Matrosen  über  ihre  Pflicht  gehörig  aufkläre.  Schlimmer 
war  es,  dass  auch  die  Schiffscapitäue  nicht  die  entsprechende  Praxis 
besassen,  denn  es  fehlte  ihnen  die  Uebung,  eine  Dienst-Pragmatik  und 
Kriegsartikel,  ja  Deichmann  sagt  geradezu:  „non  hanno  verun  lume 
di  cio,  che  appartenga  alla  buona  condotta  d'un  vascello,  ne  tengono 
alcun  protocollo,  in  cui  si  registri  cio,  che  conviene."  Das  ist  ein 
vernichtendes  Urtheil.  Die  Vertheiluug  der  Lebensmittel  gieug  unter 
grosser  Unordnung  durch  Anweisungen  auf  kleineu  Zetteln  vor  sich, 
der  Capitän  führte  weder  ein  genaues  Verzeichnis  über  den  Stand  der 
Munition,  noch  über  den  der  Victualien,  weil  alles  das  einem  ein- 
fachen Schreiber  überlassen  blieb.  Wie  schou  erwähnt,  waren  die  vor- 
handenen Inventare  in  heilloser  Unordnung,  manche  Bedürfnisse  kärg- 
lich, andere  im  Ueberflusse  vorhanden  zum  schweren  Schaden  des 
Marinebudgets.  Alles  das  rührte  von  dem  Mangel  eines  stricten  „Ke- 
golamento"  und  der  Unkenntnis  dessen  her,  was  für  ein  Schiff  von 
entsprechendem  Hange  erforderlich  war.  Die  Stellung  eines  Comman- 
danten  eines  Kriegsschiffes  vergleicht  Deichmann  ganz  zutreffend  mit 
der  eines  solchen  einer  Citadelle.  Ohne  seinen  Willen  und  sein 
Wissen  dürfe  man  keine  Befehle  geben  oder  annehmen  und  nichts 
verbrauchen.  Darüber  müsse  ein  genaues  Journal  geführt  werden  und 
strenge  sei  zu  fordern,  dass  jeder  seiner  Pflicht  nachkomme.  „Secondo 
le  ordinanze  della  Marina"  x)    sei    es    des  Capitäns    erste  Pflicht,   jede 


')  Welche  mag  er  hiebei  im  Auge  gehabt  haben,  da  es  für  unseren  Staat 
damals  solche  noch  nicht  gab  ?  Sollte  damit  die  von  Kaiser  Maximilian  I.  vom 
8.  Januar  1487,  durch  Karl  V.  und  Philipp  II.  vermehrte  und  für  die  Marine- 
gesetzgebung von  Grossbritanien  und  Frankreich  massgebend  gewordene  „Or- 
donnance" gemeint  sein,  von  der  R.  v.  Lehnert  1.  c.  32,  2  und  3  spricht?  Oder 
gab  es  solche  für  das  Reich  von  Neapel  ?  Ich  vermag  darüber  keinen  Aufschluss 
zu  geben,  da  das  möglicherweise  nähere  Angaben  enthaltende  Buch  von  Alia- 
nelli,  Delle  antiche  consuetudini  e  leggi  marittime  delle  provincie  napolitane 
(Napoli  1871)  mir  nicht  zur  Verfügung  stand. 


Zur  Gründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  ß43 

Unordnung  und  jeden  Betrug  hintanzuhalten,  nichts  zu  verheimlichen 
und  eine  genaue  Führung  des  Schiffsjournals  über  alle  Vorkommnisse 
zu  beobachten.  An  guter  Ordnung  auf  dem  Schiffe,  strenger  Disciplin 
gegenüber  den  Untergebenen  erkenne  man  eben  die  Tauglichkeit  eines 
Schiffscommandau  ten. 

Hinsichtlich  der  Matrosen  der  Handelsschiffe  hatte  Deichmann  die 
Wahrnehmung  gemacht,  dass  die  im  österreichischen  Litorale  herr- 
schende Uebung,  nur  den  Fremden  einen  Sold  zu  zahlen,  hingegen  die 
Einheimischen  am  Gewinn  participieren  zu  lassen,  wegen  der  daraus 
sich  ergebenden  Streitigkeiten  nur  den  übelsten  Erfolg  hatte.  Er  be- 
tont daher  die  Notwendigkeit  der  Lohnzahlung  an  alle,  weil  man 
auch  nur  dann  den  Schmuggel  hintauzuhalten  vermochte,  den  sie  bis- 
her übten.  Durch  ausreichende  Verpflegung  und  die  drohende  Ga- 
leerenstrafe lasse  sich  dem  vorbeugen,  jedoch  müsse  eine  für  Schiffs- 
rheder  und  Matrosen  gleich  bindende  Vorschrift  erlassen  werden,  da- 
mit jeder  genau  seine  Rechte  und  Pflichten  kenne,  wie  dies  auch  in 
anderen  Staaten  mit  vollkommen  geregeltem  Seehandel  der  Fall  sei. 
Den  Zahlmonat  in  Neapel  mit  45  Tagen  zu  rechnen  halte  er  für  den 
Dienst  des  Kaisers  nur  hinderlich,  denn  eine  geordnete  Oekonomie  be- 
stehe nicht  darin,  dass  man  den  Zahlmonat  verlängere  und  die  Katio- 
nen vermindere  für  jene,  die  sie  für  ihren  Unterhalt  brauchten,  son- 
dern darin,  dass  man  jedem  so  viel  gebe,  dass  er  seiner  Stellung  ge- 
mäss leben  könne,  dass  man  aber  alle  überflüssigen  Aemter  abschaffe 
und  nur  taugliche  Leute  in  dieselben  berufe,  welche  Diebstähle  und 
andere  Unzukömmlichkeiten  hintan  zuhalten  oder  gegebenen  Falles 
strenge  zu  bestrafen  wüssten.  Bei  einem  Unternehmen  wie  die  Ma- 
rinegründung sei,  müsse  man  in  erster  Linie  Rücksicht  nehmen  auf 
den  Dienst  des  Kaisers,  dann  aber  auch  auf  die  localen  Verhältnisse 
jener  Gebiete,  wo  eine  solche  errichtet  werden  solle,  wie  dies  ander- 
wärts auch  geschehen  sei.  Er  hebt  noch  besonders  hervor,  dass  seine 
Vorschläge  wegen  Vermehrung  der  Kationen  und  Aufbesserung  der 
Löhne  nur  scheinbar  eine  grössere  Belastung  des  Marinefonds  ent- 
halten, während  in  Wirklichkeit  durch  Beseitigung  überflüssiger  Stellen, 
Streichung  der  unbefugten  Rationen  u.  s  w.  sich  gegenüber  den  bis- 
herigen Ausgaben  noch  ein  Ueberschuss  ergeben  müsse.  Im  Arsenal 
zu  Neapel  fand  er,  dass  die  Kationen  an  Brod,  Wein  und  anderen 
Provisionen  für  Matrosen,  Schreiber  und  zum  Theile  Beamte  zu  ihrem 
entsprechenden  Unterhalt  nicht  genügten,  obwohl  sie  den  Kaiser  theuer 
genug  zu  stehen  kämen,  weil  gar  viele  sie  erhielten,  denen  sie  nicht 
gebührten  und  man  thatsächlich  die  Anzahl  der  sie  geniessenden  Per- 
sonen gar  nicht  einmal  kenne,   ja   nach  Beilage  II    wurden  Rationen 

41" 


ß44  L  e  c  li  n  e  r. 

und  Sold  ausgezahlt  auf  den  Namen  von  längst  Verstorbenen.  Von 
den  vielen  subalternen  Beamten  bezogen  manche  gar  kein  Gehalt,  ob- 
wohl sie  doch  die  Stellen  kauften  wie  z.  B.  der  Kations-  und  Muni- 
tionschreiber, der  Arsenalportier  u.  a.  m.  Man  hätte  meinen  mögen, 
es  müsse  doch  jedermann  klar  sein,  dass  derjenige,  der  sein  Geld  zur 
Erlangung  eines  Amtes  auslegt,  nicht  nur  dieses  auf  irgend  eine  wenn 
auch  unerlaubte  Weise  wieder  hereinzubringen  suchen  werde,  sondern 
auch  in  seiner  amtlichen  Stellung  den  nöthigen  Unterhalt  sich  ver- 
schaffe. Wie  solches  angestrebt  wurde,  zeigt  folgendes  Beispiel.  In 
Cardinal  Schrattenbachs  Correspondenzbüchern  Bd.  XXXIV  kommt  ein 
Bittgesuch  des  Marine-Kationsschreibers  Domenico  Galtieri  (wahr- 
scheinlich aus  dem  Jahre  1720)  vor,  worin  er  auf  Grund  der  vielen 
Verdienste,  die  er  sich  bei  der  sicilischen  Expedition  erworben,  wobei 
er  viele  Arbeiten,  die  nicht  zu  seinem  Amte  gehörten,  besorgt  zu  haben 
vorgibt  und  zwar  natürlich  ganz  ohne  Entgelt,  den  Cardinal  um  ein 
Empfehlungsschreiben  an  den  Kaiser  bittet,  damit  ihm  gegen  Zahlung 
von  300  Ducaten  der  Verkauf  der  alten  Monturen  oder  der  Ueber- 
reste  des  Schiffszwiebackes  gestattet  werde.  Der  Mann  schlug  wenig- 
stens noch  den  gesetzlichen  Weg  ein,  dies  Geschäft  zu  erlangen;  wie 
viele  mögen  aber  durch  Betrug  zu  dem  Ihrigen  zu  kommen  gesucht 
haben ! 

Man  wird  Deichmann  auch  darin  Kecht  geben  müssen,  dass  er 
verlangt,  alles  Erforderliche  im  Arsenal  selbst  herzustellen,  während 
damals  thatsächlich  gar  nichts  erzeugt  wurde,  weil  alles  bis  auf  den 
letzten  Nagel  herab  den  Lieferanten  überlassen  worden  war.  Das  Un- 
zweckmässige eines  solchen  Vorgehens  liege  darin,  dass  man  erstens 
alles  theurer  bezahlen  müsse,  weil  ja  doch  der  Lieferant  seinen  Gewinn 
haben  wolle  und  dass  zweitens  die  gelieferten  Waaren  meist  schlechter 
seien,  als  solche  in  eigener  Regie  hergestellte,  zum  Schaden  der  Schiffe 
und  nicht  selten  zur  Bedrohung  des  Lebens  seiner  Bemannung.  Dieser 
Uebelstand  der  Verpachtung  erstreckte  sich  auf  die  Versorgung  mit 
Brod,  Zwieback,  Wein,  Kleidung,  Betten,  kurz  auf  alle  Marineartikel. 
Dabei  war  es  vorgekommen,  dass  man  im  Bedarfsfalle  das  Nöthige 
nicht  hatte  und  dass  Lieferanten  Concurs  machten.  Trotz  aller  Be- 
fehle an  die  Kammer  hatte  man  damals  an  Lieferanten  gewährte  Vor- 
schüsse in  der  Höhe  von  49516  Ducaten  nach  jahrelangem  Zuwarten 
nicht  hereinbringen  können.  Wäre  ein  solcher  Vorgang  zweckentspre- 
chend, so  hätten  ihn  gewiss  andere  Seemächte  schon  angenommen, 
was  aber  nicht  geschehen  sei.  Auch  die  Zahl  der  Arsenalschreiber 
fand  er  weitaus  grösser  als  in  den  Arsenalen  jener  Mächte,  die  ein 
starkes,    wohl   geordnetes  Kriegswesen   zur  See   hatten.     Ihre  Bücher 


Zur  Griindungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  (j45 

bezeichnet  er  nur  als  zusammengebundene  Blätter  „ripieni  cli  scritture 
e  di  note  estremamente  confuse",  wahrend  doch  die  Hauptbücher  über 
die  täglichen  Ausgaben  und  Einnahmen  mit  Bindfaden  gebunden  und 
am  Ende  gesiegelt  sein  sollten,  damit  nicht  Blätter  herausgenommen 
und  durch  andere  ersetzt  werden  konnten,  wodurch  allein  dem  Irr- 
thum  und  Betrug  vorzubeugen  war.  Deichmann  unterbreitet  daher 
dem  Kaiser  den  Vorschlag,  für  die  Buchführung  der  Munitions-  und 
Marinerechnungen  eine  genaue  Dienstvorschrift  zu  erlassen,  so  dass 
man  jeden  Augenblick  eine  ordentliche  Bilanz  ziehen  könne. 

Das  Schlusscapitel,  in  welchem  er  seine  Ansicht  über  die  not- 
wendigen Vorbedingungen  einer  Marine  äussert,  beginnt  Deichmann 
mit  dem  bedeutungsvollen  Satze:  „II  fondamento,  la  base  ed  il  so- 
stegno  piü  stabile  d' una  marina  non  vi  ha  dubbio  essere  il  Commer- 
cio,  che  puö  giustamente  chiamarsi  il  vero  seminario  de  mari- 
nari".  Da  nun  der  Handel  in  den  kaiserlichen  Staaten  noch  nicht 
eineu  blühenden  Stand  erreicht  hatte,  durfte  man  sich  auch  nicht  wun- 
dern, dass  die  Matrosen  nicht  jene  Eigenschaften  besassen,  die  man 
von  einem  Seemanne  zu  fordern  berechtigt  war.  Schlimmer  war  es, 
dass  sie  auch  nicht  auf  Schiffen  jener  Staaten,  wo  sie  ihr  Handwerk 
gründlich  erlernen  und  an  pünktliche  Disciplin  gewöhnt  werden  konnten, 
Dienste  nehmen  wollten.  Darüber  die  Leute  aufzuklären  erachtete  er  als 
unerlässlich  für  die  Schaffung  einer  Kriegsflotte,  über  deren  Gründung 
er  seine  Meinung  in  folgende  Punkte  zusammenfasste : 

1.  Der  Marinedienst  ist  eine  von  jeder  andern  wesentlich  ver- 
schiedene Berufsart;  daher  ist  die  Bildung  eines  Marinecorps  unerläss- 
lich, das  mindestens  theilweise  auf  eigenem  Fusse  stehen  muss.  Weil 
der  Dienst  ein  militärischer  ist,  muss  dasselbe  seine  eigene  Justiz  un- 
abhängig von  jedem  anderen  Tribunal  besitzen,  eigene  Gesetze  und 
Kriegsartikel  haben,  denen  die  Offi eiere  sammt  ihren  Familien,  Dienst- 
boten und  die  Matrosen  unterstehen.  Es  müssen  diese  Gesetze  ganz 
ähnlich  denen  der  Landtruppen  sein,  für  jedes  einzelne  Marine-Depar- 
tement im  Detail  ausgearbeitet  werden,  so  dass  jeder  wissen  kaun,  Avas 
er  gegenüber  seinen  Kameraden  und  gegenüber  dem  Civil  zu  thun 
und  zu  lassen  hat. 

2.  Die  Höhe  des  Marinebudgets  muss  genau  fixiert  werden,  weil 
sich  erst  darauf  hin  ein  Flottenplan  entwerfen  lässt.  Unbedingt  nöthig 
ist  es,  dass  die  hiefür  angewiesenen  Summen  wirklich  in  Geld  einge- 
zahlt werden  und  die  Verwaltung  dieses  Fonds  strenge  geregelt  wird. 

3.  Muss  eine  endgiltige  Entscheidung  getroffen  werden,  wo  ein 
Kriegshafen  zu  errichten  ist,  in  welchem  die  Schiffe  nach  ihren  Fahrten 
abzutakeln  sind  und  sicher  liegen  können.  Dadurch  werden  die  Schiffe 


646 


L  e  c  h  n  e  r. 


conserviert  und  erspart  man  bisher  unnöthig  ausgegebene  Summen  für 
diverse  Geräthe.  In  diesem  Hafen  müssen  alle  für  die  Marine  erfor- 
derlichen Baulichkeiten  Platz  finden,  hier  muss  der  Marine-Comman- 
dant  sein  Domicil  haben,  damit  er  alles  unter  seinen  Augen  hat;  hier 
müssen  auch  die  Schiffsconiniandanten  und  sonstigen  Officiere  wohnen, 
auch  wenn  ihre  Schiffe  nicht  armiert  sind,  damit  sie  die  Abrichtung 
der  Untergebenen  überwachen  können. 

4.  Um  die  Unterthanen  des  Kaisers  an  militärische  Disciplin  und 
an  die  Marineordnung  zu  gewöhnen  ist  weiter  nothwendig,  dass  man 
ein  fremdes  wohlerfahrenes  Matrosen-Corps  mit  einer  entsprechenden 
Anzahl  von  Officieren  I.  u.  II.  Ranges  für  die  verschiedenen  Abthei- 
lungen des  Marineressorts  aufnimmt,  das  imstande  ist,  den  Anfängern 
den  rechten  Weg  zu  ihrer  Ausbildung  zu  zeigen.  So  hält  man  es  bei 
allen  Seemächten,  so  lange  dieselben  noch  keinen  sichern  und  blü- 
henden Handel  besitzen  und  ohne  einen  solchen  Grundstock  von  Leuten, 
die  ihr  Handwerk  gründlich  verstehen,  kann  man  eine  Marine  über- 
haupt nicht  errichten.  Ueber  die  Werkstätten,  das  Arsenal,  die  Ma- 
gazine etc.  muss  ein  erfahrener  Generalinspector  bestellt  werden,  der 
im  Range  dem  Marine-Commandanten  untersteht.  Um  von  den  Lie- 
feranten sich  unabhängig  stellen  zu  können,  müssen  vollkommen  kun- 
dige Meister  aller  jener  Handwerke  in  Dienst  genommen  werden,  die 
bei  der  Marine  vorkommen.  Das  ist  schon  vom  Gesichtspunkt  der 
politischen  Ökonomie  angezeigt,  weil  ein  solches  stabiles  Arbeiter- 
Corps  in  seinem  eigenen  Interesse  den  Dienst  gut  versehen  wird 
Selbstverständlich  muss  dieses  Officier-  und  Marine-Arbeitercorps  in 
entsprechendem  Verhältnisse  zum  jährlichen  Budget  stehen.  Ausseror- 
dentliche Auslagen  von  Bedeutung  werden  dadurch  nicht  erwachsen, 
weil  man  ja  ohnehin  schon  jahraus-jahrein  460  Matrosen  für  die  vier 
Kriegsschiffe  *)  unterhält,  ohne  die  zahlreichen  Beamten  und  Officiere 
zu  rechnen,  die  alle  zusammen  bisher  doch  nichts  Brauchbares  lei- 
steten. 

5.  Damit  einmal  die  eigenen  Unterthanen  zum  Marinedienst  ver- 
wendet werden  können,  ist  es  durchaus  angezeigt,  sobald  dies  nur 
irgendmöglich,  eine  Anzahl  Knaben  von  solchen  Familien,  die  über  den 
Seedienst  unterrichtet  sein  können,  aufzunehmen,  wobei  jedoch  keiner 
über  15  Jahre"  alt  sein  darf,  weil  es  fast  unmöglich  ist,  in  diesem  Fache 
es  zur  Vollendung  zu  bringen,  wenn  man  nicht  von  Jugend  an  hiezu 
abgerichtet  worden  ist.     Ihren  Aufenthalt  haben  sie  am  Standorte  der 


l)  "War  etwa  der  S.  Michele  nicht  mit  Equipage  versehen,   da   er  nur  vier 
Schiffe  zählt? 


Zur  Grundungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  647 

Marine  zu  nehmen,  deren  Comniandant  über  ihre  Ausbildung  sowie 
über  ihre  Lehrer  die  Aufsicht  hat. 

Schliesslich  richtet  Deichmann  an  den  Kaiser  die  ehrfurchtsvoll 
Bitte  um  Verständigung  darüber,  wenn  jemand  über  eines  und  anderes 
entgegengesetzter  Anschauung  sei,  damit  er  seinen  Standpunkt  schärfer 
präcisiereu,  beziehungsweise  sich  freimüthig  zu  derselben  bekennen 
könne,  da  es  ihm  nur  um  den  Dienst  des  Kaisers  zu  thun  sei. 

Dass  man  an  massgebender  Stelle  Deichmanns  Relation  wür- 
digte, so  weit  die  geringen  Mittel  dies  erlaubten,  geht  mehrfach  her- 
vor. So  hatte  man  im  Arsenal  zu  Triest  später  thatsächlich  Galeeren- 
sträflinge als  Handwerker  beschäftigt,  sowie  Schiffsziinmerleute  aus 
Neapel  und  Fiume  herangezogen  x).  Aus  dem  Protokoll  der  Hof-Com- 
merz-Commission  vom  12.  Juli  1731  ergibt  sich,  dass  ihm  die  von 
ihm  selbst  vorgeschlagene  Ausbesserung  des  kleinen  Hafens  von  Triest 
übertragen  wurde  und  dass  man  seine  Ansicht  über  den  Werth  und 
die  Brauchbarkeit  der  Häfen  von  Buccari  und  Porto  Re  wenigstens 
theilweise  acceptierte,  denn  in  letzterem  hat  man  thatsächlich  Erwei- 
terungsarbeiten vorgenommen,  weil  die  Rede  davon  ist,  dass  dort  nach 
Deichmanns  und  des  Obersten  de  la  Merveille  Anschauungen  25 — 30 
Kriegsschiffe  stehen  könnten  2).  Doch  wollte  der  Letztgenannte  später 
nach  Deichmanns  Tode  eine  zu  geringe  Wassertiefe  im  Hafen  von 
Porto  Re  gefunden  haben  3). 

Es  bleibt  noch  die  Frage  offen,  warum  ihm  vom  Vicekönig  die 
früher  angedeuteten  Hindernisse  in  den  Weg  gelegt  wurden.  Darüber 
dürften  folgende  Daten  einiges  Licht  zu  bringen  vermögen.  Nach 
dem  Tode  des  Grafen  Gallas  hatte  seine  Witwe  sich  an  den  Cardinal 
Schrattenbach  nach  Rom  um  seine  Hilfe  gewendet  und  wahrscheinlich 
durch 'seine  Vermittlung  ist  die  Ordre  erflossen,  dass  Graf  Karl  Josef 
Dietrichstein  sie  und  ihre  Familie  sammt  aller  Equipage  nach  Oester- 
reich  zurückbringen  solle.  Am  9.  December  1719  schreibt  der  letz- 
tere von  Manfredonia  aus  dem  Cardinal,  der  unterdessen  als  Vicekönig 
und  Generalcapitän  sein  Vorgesetzter  geworden  war,  in  den  achtungs- 
vollsten Worten,  dass  er  zur  Weiterreise  der  genannten  Gräfin  erst 
die  Ankunft  einer  Fregatone  abwarten  müsse 4).  Unterdessen  hatte 
Schrattenbach  wohl  infolge  Auftrages  des  Hofkriegsrathes,  da  der  in 
Sicilien^  stehende  General  Graf  Mercy  durch  die  Verhältnisse  gezwungen 


')  Löwenthal  1,  166. 

2)  Mayer  125  folgd. 

s)  v.  Rechberger  1,  Anhang  pg.  13. 

4)  Correspondenzbücher  Bd.  XXXIV. 


648 


Lechner. 


dies  forderte,  die  im  Hafen  von  Neapel  liegenden  Schiffe  neu  auszu- 
rüsten unternommen  und  so  auch  die  S.  Barbara,  deren  Capitän  Dietrich- 
stein  war,  wieder  seetüchtig  machen  lassen.  Darüber  beschwerte  sich 
nun  der  letztere  von  Wien  aus  (Beilage  IV.  a)  in  wenig  schmeichel- 
haften Worten,  dass  er  6  Jahre  lang  als  Commandant  vergeblich  auf 
die  Ausrüstung  seines  Schiffes  gewartet  habe,  die  jetzt  so  rasch  voll- 
zogen worden  sei.  Obwohl  nun  das  für  den  erst  wenige  Monate  seines 
Amtes  waltenden  Cardinal  kein  berechtigter  Vorwurf  sein  konnte, 
steckte  in  der  Berufung  auf  die  Gunst  seines  Hauses  am  kaiserlichen 
Hofe  (sein  Bruder  Graf  Joh.  Karl  Dietrichstein  war  Hofkammerpräsident) 
für  denselben  doch  eine  ziemlich  unverhüllte  Drohung;  jedenfalls  hatte 
Schrattenbach  nun  einen  Feind  mehr,  der  es  nicht  unterlassen  hat, 
ihn  am  Wiener  Hofe  zu  verdächtigen,  obwohl  er  unterdessen  den 
S.  Carlo  und  S.  Michele  auszurüsten  sich  hatte  augelegen  sein  lassen. 
Dietrichsteins  Klagen  müssen  auf  fruchtbaren  Boden  gefallen  sein,  wie 
aus  einem  Schreiben  Schrattenbachs  an  den  Marchese  de  Kialp  vom 
27.  December  1720  hervorgeht.  Darin  beruft  er  sich  auf  ein  ihm  vom 
Kaiser  am  3.  November  zugekommenes  Schreiben  und  bemerkt,  er  habe 
Grund  zu  glauben,  dass  der  kaiserliche  Hof  vergessen  habe,  „che  se 
non  fossero  state  le  mie  premure,  sarebbero  a  questa  hora  li  3  vas- 
celli  (nämlich  S.  Carlo,  S.  Barbara,  S.  Michele)  ancora  nella  Darsena 
marcendosi  siccome  lo  sono  stati  tanti  anni  prima  della  mia  venuta 
a  questo  governo."  Er  habe  hiezu  nicht  die  Ermunterung  Dietrichsteins 
nöthig  gehabt,  der  die  ganze  Zeit  über  am  kaiserlichen  Hofe  sich  auf- 
gehalten habe,  sondern  die  Pflicht  allein  habe  ihm  geboten,  den  Dienst 
seines  Herrn  und  Kaisers  im  Auge  zu  haben.  In  seiner  Antwort  vom 
18.  Januar  1721  versichert  ihn  Rialp,  der  Kaiser  habe  in  seinem 
Schreiben  keinen  anderen  Gedanken  zum  Ausdrucke  bringen  wollen, 
als  dass  die  Schiffe  klar  gemacht  sein  müssen  für  den  Fall,  dass  man 
sie  brauche.  Se.  Majestät  zweifle  auch  nicht,  dass  er  mit  allem  Eifer 
den  S.  Carlo  ausgerüstet  habe,  weil  man  nicht  wissen  könne,  was  sich 
in  diesem  Jahre  noch  ereigne;  Rialp  schrieb,  er  sehe  ein,  dass  die 
Marinesachen  keinen  Aufschub  erleiden  und  hoffe,  dass  man  einen 
Ausweg  finden  werde,  um  der  Marine-Delegation  die  hiefür  nöthigen 
Summen  zuführen  zu  können ;  im  übrigen  solle  er  gemäss  kaiserlichen 
Auftrages  den  Vorschlag  zur  Pensionierung  Dietrichsteins  erstatten. 
Nicht  weniger  wehrte  sich  wohl  auch  die  Marine- Giunta ;  aus  mehreren 
Billets  in  spanischer  Sprache  ergibt  sich,  dass  der  Staats-  und  Kriegs- 
secretär  Marchese  Cavanillas  um  Auskunft  sich  an  den  Cardinal 
wandte,  was  Dietrichstein  über  die  Giunta  della  Marina  und  über  die 
Matrosen    vorgebracht   habe.      Unter    dem    11.    Februar    1721    dankt 


Zur  Gründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  649 

Schratteubach  dem  Marchese  de  Rialp  für  seine  Nachrichten  und  be- 
merkt, dass  die  Giunta  della  Marina  gegen  Dietrichstein  in  anderer 
Weise  vorzugehen  gedenke,  abgesehen  von  der  nach  neuen  Befehlen 
ins  Auge  zu  fassenden  Pensionierung  desselben  1).  Nicht  viele  Wochen 
später  kam  Deichmann  als  kaiserlicher  Commissär  in  Marineangelegen- 
heiten nach  Neapel.  Schrattenbach  musste  mit  Beziehung  auf  das 
Vorgefallene  in  ihm  nur  eine  lästige  Controle  sehen  und  hat  aus 
Aerger  hierüber  den  bureaukratischen  Weg  eingeschlagen  und  ihm 
Hindernisse  zu  bereiten  gesucht.  Es  ist  dies  begreiflich,  da  er  doch 
in  einer  Zeit,  wo  in  Neapel  die  traurigste  Finanzlage  war,  die  Schiffe 
wieder  auszurüsten  vermocht  hatte. 

Die  neapolitanische  Flotte  bestand  also  um  1721  aus  den  Linien- 
schiffen S.  Carlo,  S.Barbara  (Capitän  Graf  K.  J.  Dietrichstein),  S.  Michele. 
Was  für  ein  Schiff  die  Kosa  und  die  übrigen  nach  Beilage  VI  damals 
noch  in  Mahon  stehenden  waren,  vermag  ich  nicht  anzugeben,  ver- 
muthe  jedoch,  dass  es  gewöhnliche  Transportschiffe  waren. 

Da  aber  auch  die  beiden  in  Triest  erbauten  Linienschiffe  S.  Leo- 
poldo  (Capitän  Furter)  und  S.  Elisabetta  derselben  bald  zugetheilt 
wurden,  zählte  sie  zusammen  fünf  Linienschiffe.  Dazu  kamen  noch 
vier  Galeeren,  von  denen  laut  Schreibens  des  Vicekönigs  vom  3.  Mai 
1720  damals  nur  zwei  Dienste  leisten  konnten,  während  die  andern 
auf  der  Darsena  zu  Neapel  einer  Reparatur  unterzogen  wurden.  Nur 
von  dreien  kennt  man  die  Namen.  Die  eine  war  die  schon  erwähnte 
Padiona,  die  andere  hiess  S.  Carlo,  deren  Capitän  Lorenzo  de  Prado,  der 
in  einer  Bittschrift  an  den  Vicekönig  ersucht,  den  Grafen  Mauleon  als 
Präsidenten  der  kgl.  Kammer  zu  beauftragen,  ihm,  der  Schulden  halber 
sich  und  seine  Familie  kaum  mehr  erhalten  könne,  seinen  rückstän- 
digen Sold  von  660  Ducaten  auszahlen  zu  lassen  2).  Den  Namen  der 
dritten,  S.  Giuseppe,  erfahren  wir  aus  der  Bittschrift  eines  zu  7  Jahren 
Galeerenstrafe  verurtheilten  Priesters,  der  auf  derselben  sie  abzubüssen 
hatte 3).  Dazu  kamen  noch  etliche  (wahrscheinlich  sechs)  Tartanen. 
Ausserdem  gab  es  noch  einige  Fahrzeuge  für  den  Dienst  beim, Vice- 
könig, wie  aus  einer  nicht  datierten  Copie  einer  Bittschrift  des  Capi- 
täns  und  der  Matrosen  der  Brigantine,  Feluche  nnd  Gondel  desselben 
hervorgeht,  in  der  sie  inständig  um  Auszahlung  des  rücksändigen 
Soldes  bitten 4).     Wer  die  Würde  eines  Admirals  oder  „Generale  delle 


')  Correspondenzbücher  XXX,  XXXI. 

2)  Da  er  monatlich  22  Ducaten  an  Sold  beziehen  sollte,"  schuldete  man  ihm 
denselben  für  2'/2  Jahre;  Correspondenzbücher  Bd.  XXXIV. 

3)  ibid. 
<)  ibid. 


650  L  e  c  h  n  e  r. 

Galere"  bekleidete,  ist  mir  nicht  bekannt,  doch  hat  es  nach  der  Bei- 
lage IV.  a  einen  solchen  gegeben.  Das  blosse  Hofarat  eines  Gross- 
Admirals  aber  war  wenigstens  im  Jahre  1720  nicht  besetzt1). 

Dass  man  bei  Ausbruch  des  sicilischen  Krieges  trotz  der  Finanz- 
calamität  an  eine  rasche  Vermehrung  der  Flotte  dachte,  ergibt  sich 
aus  der  Beilage  VI.  Danach  war,  wohl  noch  im  Jahre  1718,  der 
Arsenaldirector  zu  Neapel,  Capitän  Sebastiano  T  ixi,  nach  Port 
Mahon  entsendet  worden,  um  daselbst  vier  Schüfe  zu  besichtio-en,  die 
dann  auch  auf  Grund  seines  Berichtes,  unbekannt  um  welchen  Preis, 
käuflich  erworben  wurden,  obwohl  wenigstens  zwei  davon  reparatur- 
bedürftig waren.  Doch  konnten  sie  wegen  des  ausgebrochenen  Krieges 
nicht  mehr  nach  Neapel  convoyiert  werden,  weshalb  dies  erst  anfangs 
1721  (denn  in  diese  Zeit  muss  das  Concept  des  Auftrages  fallen)  ge- 
schehen sollte.  Da  jedoch  Deichmann  von  ihnen  gar  nie  spricht  und 
auch  sonst  nie  mehr  ihrer  Erwähnung  geschieht,  muss  man  anneh- 
men, dass  sie,  nämlich  der  Principe  d'Asturias,  laKeale,  S.  Carlo,  Giüno, 
wahrscheinlich  aus  Geldmangel  und  weil  ohnehin  der  Krieg:  zu  Ende 
war,  wieder  verkauft,  beziehungsweise  der  Kauf  rücke-äng-icr  gemacht 
wurde.  Nach  den  Namen  zu  schliessen,  sind  es  erbeutete  Schiffe  der 
Anjouvinischen  Flotte  gewesen;  sie  sind  also  von  den  Engländern  zum 
Kaufe  ausgeboten  worden,  in  deren  Besitz  Port  Mahon  war,  wohin 
und  nach  Gibraltar  noch  im  November  1720  drei  Bataillone  kaiser- 
licher Truppen  zur  Verstärkung  der  englischen  Besatzung  wegen  der 
Truppenansammlungen  Spaniens  unter  Marquis  de  Leede  abgegangen 
waren  2). 

Beilagen. 

i. 

Havendosi  fatto  1' armisticcio  per  mare  fra  il  Duca  d'Anjou  e  le  po- 
tenze  maritime,  da  che  potrebbe  forse  derivare,  che  l'Amiraglio  Bings 
havesse  prohibitione  di  prestare  in  avenire  l'istessa  assistenza,  che  per  lo 
passato  alle  nostre  truppe  militanti  in  Sicilia,  e  non  potendo  noi  desi- 
stere  dalle  gia  incominciati  operationi  in  quel  regno  sino  a  tanto,  che 
questo  non  sia  intieramente  sotto  il  nostro  dominio,  e  ricercandosi  a 
c i ö  ottenere  non  solo  per  iltransportodelle  nostre  truppe, 
ma  per  altre  indispensabili  occorrenze  un  competente  nu- 
mero  di  vascelli,  prevenghiamo  la  Vra  Eccza  in  caso  si  dovesse  dare 
il  sopradetto  accidente  coli'  Amiraglio  Bings,  e  per  altro  il  Generale  Mercy 
non  potesse  aggiustare  col  nemico  General  Leede  la  conclusione  de  suoi 
negotiati  di  pace  di  fare  in  modo,    che  piü  presto   sia  possibile,    si  hab- 


i)  ibid.  Bd.  XXXI. 

-')  ibid.  Bd.  VI. 


Zur  Gründimgsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  £51 

bia  pronti  li  sopradetti  vascelli,  e  di  piü  la  Eecza  Via  mantenga 
sempre  una  esatissima  corrispondenza  col  Generale  Mercycon  assisterlo 
con  tutte  le  sue  forze  in  tutto  quelle-  (che)  possa  cooperare  a  un  felice 
esito  di  questa  difficoltosa  e  dispendiosa  guerra  etc. 

Vienna  6.  d'Aprille   1720. 

(Copie  eines  Schreibens  des  Hofkriegsrathes  an  den  Vicekönig.  Correspon- 
denzbücher  XXX). 

II. 

Bavaglio  di  tutti  gli  disordini  e  furti  si  sono  commessi  e  commet- 
tino  in  grave  pregiuditio  si  dell  Eeal  cos0  alario  come  del  Reale  servitio 
nella  Reale  Darsena. 

In  primis.  Nello  officio  mavitimo  si  estorgue  summa  considerabile 
si  di  soldo  come  di  rationi ;  dell  modo  veramente  (!)  vi  compariscono  et 
arrollati  e  figurati  persone  sotto  varij  nomi  rollati,  il  che  non  sono  di 
servitio,  mai  anco  nati  in  questo  mondo. 

Per  secondo.  Da  un  gran  tempo  a  dietro  esequitano  presentemente 
a  usurparsi  le  paghe  e  razioni  di  persone  da'  molti  anni  giä  morti  et  sono 
pagate  per  vivi  sotto  varij  protettioni  e  rispetti. 

3°.  Nella  fabrica  e  costrottioni  di  vascelli  e  lateri  (?).  In  primis  per 
la  legniame  se  paga  dal  regla  ezienna  (?)  il  doppio  di  quello  vi'  vä  et  cosi 
di  ferramenti  et  ogni  altri  materiali  in  verbo  dell  peso. 

4°.  Nelli  cuarnimenti  delle  navi  e  notabile  il  danno  commesso,  da 
chi  ha  mai  nizziato  i  maneggia  (!)  dello  affare.  Li  particolaritä  sono  li 
sequenti.  La  prima  nella  fabrica  della  nave  S.  Leopoldo  et  sua  guarna- 
tione  si  e  fatto  molto  danno  di  molte  migliara  per  la  poca  aecortezza,  di 
chi  comandava,  si  fece  uno  cuarnimento,  che  era  bastante  e  capace  per 
una  nave  di  ottanta  cannone,  di  modo  che  prima  uscire  dall  Darsena  si 
volsero  aecortare  due  volte  1'  vele,  et  dismettere  tutti  li  bozzellami  et  tutti 
li  capi  fatti  poco  ne  furno  d'  servitio  per  essere  tutti  materiali  si  come 
li  gumene.  Doppo  uscita  dall'  Darsena  si  volsero  aecortare  tutti  li  albori  e 
pendoni,  quäle  tutto  si  puö  riconoscere  dalli  relationi  (!)  che  si  conser- 
vano  firmati  di  propie  mani  di  chi  comandava,  et  riconosceva  il  danno 
stante  la  Eeale  Ezienna  (?)  et  anco  li  altri  dui  nave  Sta  Barbara  e 
S.  Carlo  farci  fare  l'inventario  da  persone  esposte  con  persona  esistenza 
distinata,  da  V.  A.  Em.  doversi  brocura  (?)  tutto  il  mancamento  delle  robbe 
che  hanno  riceuto,  quäle  ascendera  a  summa  considerabile,  et  servirse  dall 
relatione  e  non  dall  libri  dell'  officio  maritimo. 

5°.  Per  la  mancanza  dell'  albori  per  nave  e  galere,  che  questo  in- 
verno  due  galere  non  hanno  possuto  uscire  come  all  presenza  la  nave 
Sn  Leopoldo  per  mancanza  dell'  albori ,  quando  nella  sira  (?)  di  C  o  s  e  n  z  a 
inCalabria  vi  e  un  bosco,  che  potrebbe  providere  di  albori  tutta  la 
Vropa,  questi  signori  che  comandano  navi  li  vonno  fare  tagliare  e  por- 
tare  in  Napoli;  accio  li  bastimenti  di  S.  M.  Caes.  Cattca,  Dio  Guardi,  non 
possono  uscire  per  fare  il  Eeale  servitio,  quando  non  solo  potrebbino  pro- 
vedere  le  nave  e  galere,  ma  provedere  tutti  li  bastimenti  dell  Eegno,  con 
grand'avanzo  dell' Eeal  Ezienna  (?)  et  quando  ne  fanno  tagliare  e  portare 
nella  marina    di  Gurigliano    (nach  Beilage  VI    kann  damit  nur  Corri- 


652  L  e  u  h  n  e  r. 

gliano  gemeint  sein),  la  le  lasciano  stare  due  6  tre  auni  a  fin  che  si  am- 
mariscono  all'  aqua  esote  (?)  et  poi  li  mandano  a  pigliare  et  quelli ,  per- 
cbe  sono  marciti,  la  subbito  si  rompino,  come  ultinaamente  sovesse,  cbe 
da  molto  tempo  cbe  si  erano  in  detta  marina,  banno  mandato  a  pigliaida, 
et  quelli  si  sono  trovati  marciti  et  pagate  tutte  le  spese  inutile. 

6°.  Li  officiali  dell'  Officio  Maritimo  ogniun,  cbe  va  assentarsi,  si  pi- 
gliava  otto  e  diece  Carline  per  uno,  quando  essi  sono  pagati  da  S.  M.  et 
per  ogni  altra  scittura  (?)  cbe  bisogniasse,  vegnono  da  essi  officiali  com- 
posti,  quando  doverebbino  tenere  la  tabbella  di  quello  cbe  li  spetta,  et 
per  tale  effetto  tutti  sfuggino. 

7°.  Per  non  fare  pervenire  all'  orecbi  di  chi  spessa  il  danno  fatto  e 
faciendo,  non  vonno  amettere  sopra  dette  navi  officiali  vasalli  di  S.  M. 
Cesa  e  Catta,  Dio  guardi.  Prima  si  e  per  non  farli  inteso  di  quello  cbe  si 
fa,  altra  per  fare  stare  sempre  obbietati  li  vasalli  et  tenere  sempre  sotto 
posto  il  Eegno  all  sbaniere,  accio  quando  bisogniano,  le  nave  (!)  non  pos- 
sono  uscire  per  lo  Reale  servitio,  quando  in  Regno  vi  sono  persone,  cbe 
sianno  servito  e  possino  servire  per  tutti  li  officij.  Mä  per  il  caso  sopra- 
detto  non  si  voglino  ammettere. 

(Schwer  zu  entziffernde  Copie  in  der  Localsprache  mit  vielen  grammatischen 
Verstössen;  Correspondenzbücher  Bd.  XXXIV.) 

III. 

Einem  Concepte  des  Cardinais  Schrattenbach,  datiert  Neapel  den  1 3.  De- 
cember  1720  und  gerichtet  an  den  Hofkriegsratb  betreffs  des  Streites  über 
die  Besetzung  des  Torre  di  S.  Vincenzo  dortselbst,  ist  nachfolgender  Passus 
üder  die  dortige  Darsena  entnommen: 

»In  dessen  Erwartung  dann  die  Sachen  in  statu  quo  mit  so  weniger 
Anstand  gelassen  werden  können,  als  wehrender  dieser  Zeit  in  der  Dar- 
sena vor  die  darinnen  befindl.  Bastimenti  wass  widriges  nicht  zue  be- 
sorgen, indeme  in  gegenwartig  ohngestimmer  Saison  ohne  deme  sich  wenig 
Schiffe  zue  Meer  befinden,  und,  wie  der  obangezogene  Abriss  weiset,  die 
Darsena  kein  porto,  sondern  ein  sehr  kleiner  Einfang  ist, 
welcher  weegen  weniger  Tiefte  dess  Wassers  grosse  Schiffe 
nicht  traget,  sondern  allein  vor  die  Squadra  der  hiesigen 
Galeren,  vor  welche  und  andere  wenige  Tartanen  und  geringe 
Kauffardey-S  cbiffe  sye  gemacht  worden,  zur  Sicherheit 
dienen  kan,  massen  die  disseitige  Kriegschiffe  umb  im  Fahl  der  Noth, 
wie  dermahl  mit  dem  von  S.(anta)  B.(arbara)  geschibet,  reparirt  zue  wer- 
den, ohne  völlig  disarmirt  zue  sein,  nicht  hinein  kommen,  innfolglich  in 
gedachter  Darsena  von  frembde  dergleichen  grosen  Schiffen  umb  so  weniger 
ainiger  Nachtheil  vermuthet  werden  mag.* 

(Correspondenzbücher  Bd.  X.) 

IVa. 
Illmo   Sigre  Ptne.  Colmo. 

Mi  prendo  la  confidenza  di  riverire  V.  S.  Illma  come  devo  partici- 
pandoli,    col    felice  9arrivo    in  questa  corte  il  mio  \ontinuato  ben  stare  di 


Zur  Gründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine.  653 

mia  salute,  sperando,  che  in  breve  possi  dare  disbrico  a  mei  affari ,  per 
poter'  ritornare  a  godere  1'  amenitä  di  cotesto  paese,  ed  assieme  continuare 
1'  esercitio  del  mio  impieco  a  dispetto  de  malevoli  e'  pochi  amici  di  noi 
altri  Tedeschi,  mentre  ben  saprä  V.  S.  Illma,  che  subbito  doppo  la  mia 
partenza  si  pose  al'ordine  il  mio  vascello  S.  Barbara  per  farlo  uscire 
fuori  della  Tarzena,  quando  per  sei  anni  di  mia  presenza  non  si  sono 
ritrovati  i  mezzi,  il  modo  e  la  forma  per  farlo  sortire,  e  di  peggio, 
mi  si  permette  la  licenza  di  partire  sull'  siguranza  del  Generale  delle 
Galere,  che  la  mia  persona  non  bisogniava  per  algun  servitio  del  Pa- 
trone, stante  che  detto  vasciello  non  sarebbe  uscito  per  questo  anno  ne 
per  l'altro,  e  mi  permette  amico  sfogarmi  con  ella  nel  narrarli  quel  che 
mi  scrive  il  P.  Galler,  che  avendo  supplicato  S.  Emiza  in  mio  nome  di 
farmi  produrre  dalla  Secretaria  autentica  copia  della  licenza  congessami, 
in  piedi  del  informazioni  del  detto  Generale ;  non  ostante  V  ordine  precise 
dato  da  S.  Ema,  mio  Kiveritismo  Padrone,  gl'officiali  di  detta  Secretaria 
non  hanno  voluta  mai  farla,  con  varii  e  finti  protesti,  a  me  p  o  c  o  m'im- 
porta  essendo  in  questa  corte  creduta  piü  la  representa- 
tione  del  conte  d'Triechtestain,  che  ogni  scrittura  di  questa 
Secretaria;  mi  dispiace  solo,  che  detto  P.  Galler  per  troppo  amore  e 
cordiale  amicizia  nel'  memoriale  ave  esposto,  lo  che  io  non  mi  son'  sogniato, 
e  per  non  piü  tediare  V.  S.  Illma  resto  pregandola,  conservarmi  la  Sua 
buona  cordialitä  col  riscontro  di  qualche  suo  riverito  comando  nel  mentre 
ponendomi  alla  obidienza  di  S.  Emiza  resto  di  V.  S.  111 ma. 

Vienna   14.  Febrro   1720- 

Devotissmo  e  obligmo  Servire 
Carlo  Gioseppe  Conte  Dietrichstain. 
(Original ;  Correspondenzhücher  Bd.  XXXIII.) 


1Y\ 

Ihro  Eminenz 
Hochgebohrner  Eeichs-Fürst ! 

Gnädigster  Herr!  Eurer  Hochfürstl.  Eminenz  wird  gnädigst  erinner- 
lich beywohnen,  dass  das  neu  aussgerüstete  hiesige  Kriegsschiff 
Sta  Barbara  die  Ordre  erhalten  von  Trapani  nacher  Genua  abzufahren, 
weillen  ich  nun  nicht  zweiffle,  es  werde  solches  allschon  zu  erwoehnten 
Trapani  arriviert  seyn,  also  solle  hierdurch  Eure  Eminenz  gehorsambst  be- 
langen, mir  eine  Ordre  an  dessen  Capitain-Leuth.  gnädigst  zukommen  zu 
lassen,  auf  dass  gedachtes  Kriegs-Schiff  das  aus  der  Lombardie  gekommene 
Getraydt  nebst  dem  etwa  sich  bey  den  Herrn  Prencipe  d'Oria  befindende 
Geldt  zu  Genua  lade,  dass  ebenmässig  allda  seyende  Pulver  aber  hieher 
convoijre,  welche  erhaltende  Ordre  sodann  bemeltem  Herrn  Prencipe  Doria 
beyschlüssen  wolte,  im  Fahl  aber  Eure  Hochfürstl.  Eminenz  darwider  einiges 
Bedenckhen  trageten,  so  bitte  mir  solches  umb  so  mehrers  gnädigst  zu 
erinnern,  auf  dass  ich  hierüber  anderwärttige  Dispositiones  vürkehren  möge. 
Ansonsten  solle  auch  zue  gehorsamsten  Nachricht  geben,    dass  dise  2000 


ß54  L  e  c  h  n  e  r. 

Centuer  Pulver    1260   Cantar    abwerffeil    werden,    womit    zu    beharrlichen 
Gnaden  mich  gehorsambst  empfehle  und  ersterbe  Euer  Eminenz 

unterthäniger  undt  gehorsamer  diener 

Neapel  den  5ten  Martii   1720.        Eeichsgraff  von  Nesselrode1). 

(Original;  Correspondenzbücher  Bd.  XXXII.) 

Aus  einem  Schreiben  Schrattenbachs  an  Prinz  Eugen  vom  3.  Mai  1720  geht 
hervor,  dass  damals  die  S.  Barbara  noch  in  Genua  lag  (ibid.  Bd.  X). 


Illmo   Sre  Sre  PDe  Collmo! 

Prima  di  dare  a  V.  S.  Illma  altre  relationi,  non  posso  ameno  di  parte- 
ciparle  le  ottime  qualita  della  nave  S.  Carlo,  la  quäle  in  questo 
picciolo  passeggio  ha  caminato  a  maraviglia,  sperando  che  doverä  essere 
maggiore  la  sua  velocitä,  mentre  procurerö  di  scandagliare  piü  a  minuto 
con  la  differenza  de  tempi  l'intrinsecho  della  sua  bontä,  non  potendosi  in 
cosi  breve  tempo  e  con  pochi  venti  e  calma  misurarne  il  certo,  e  nel 
progresso  del  tempo  non  mancherö  di  darne  a  V.  S.  Illma  il  piü  distinto 
ragualio  per  compimento  del    mio    dovere    e   per    la    di    Lei    sodisfatione. 

Partirä  fra  tre  giorni  la  nave  S.  Barbara,  che  porta  alli  presidii 
di  Toscana  il  Sre  Conte  di  Bonnevall,  e  scorta  l'imbarcationi  che  vi  tras- 
portano  le  truppe  di  suo  comando  per  poi  rendersi  altra  volta  qua,  e  se 
non  si  muttano  le  dispositioni,  passeranno  nell'  istesso  tempo  a  Messina 
queste  due  galer e  con  altre  tartane  con  le  truppe  destinate  collä, 
per  poi  venire  a  cotesta  capitale  con  il  battaglione  di  Wallis  essendo  pre- 
ciso,  che  senza  perdita  di  tempo  ritornino  qua  per  terminare  in  questo 
Regno-  il  postamento  delle  truppe  nelle  guarnigioni  di  mare. 

Non  ha  risoluto  tuttavia  il  Sre  Conte  Mercy,  dove  s'imbarcherä  per 
passare  la  Genova,  onde  non  posso  dire  a  V.  S.  Illma,  per  dove  sarö 
destinato,  se  non  con  altra  occasione,  con  la  quäle  non  mancherö  di  parte- 
ciparle  quello  che  succederä.  Questo  comandante  Inglese  con  altri  capi- 
tani  di  navi  da  guerra,  che  hoggi  apponto,  hanno  pransato  meco,  non 
tralasciano  di  ammirare  el  odare  la  bontä  e  constructione  della  nave,  in  che 
non  fanno  se  non  che  giustitia;  che  e  quanto  devo  dirle  per  hora,  e  con 
tutto  il  rispetto  mi  raffermo  inalterabile 

Palermo  li  3.  Agosto    1720. 

V.  S.  111  :ma 

Devot1110  et  obligmo  Servre 
Fra.  Giov.  Batta  Bolini. 

(Original ;  Correspondenzbücher  Bd.  XXXII.) 

VI. 

Per  transportare  le  4  navi  comprate  da  Sua  Mta  a  Porto  Mahone : 
cioe  Principe  d'Asturias,  la  Reale,  S.  Carlo,  e  Giüno  a  questo 
porto  si  propongono  alcuni  capitoli  per  poterlo  con  maggiore  facilitä  e 
minore  Spessa  effettuare. 


•)  General  Nesselrode  war  als  Oberster-Kiiegscommissär  der  sicilischen  Ar- 
mee zugetheilt. 


Zur  Grünclungsgeschiclite  der  österreichischen  Kriegsmarine.  ß55 

Priroo.  Sarebbe  necessario,  che  doppo  il  viaggio  di  Sicilia  e  le  in- 
coinbenze  colä  de  3  vascelli,  che  stanno  per  partire  da  questo  porto  cioe 
S.  Carlo,  Sta  Barbara  e  S.  Leopoldo  questi  passassero  in  Mahone, 
si  per  portarvi  il  necessario  per  carenare  li  4  vascelli  colä  comprati,  come 
la  gente  per  ammarinarli,  sino  a  che  possano  passare  a  questo  porto, 
et  anche  per  il  travaglio  di  consideratione  che  sara  indispensabile  per 
renderle  in  istato  e  pronte  per  il  sudetto  viaggio. 

2°.  Si  dovranno  portarvi  200  marinari  e  200  soldati  di  questa  marina, 
20  calafati,  12  maestri  d'ascia,  che  con  altri  100  marinari  e  150  soldati, 
che  si  levaranno  colä  ripartitamente  d'  medesimi  nostri  3  vascelli,  sara 
bastante  per  condurle  in  Napoli  sotto  la  scorta  pero  di  questi. 

3°.  Se  non  riuscisse  in  questo  mentre  di  potere  qui  reclutare  li 
sudetti  200  marinari,  sarebbe  a  proposito  di  passare  con  li  3  vascelli 
sudetti  per  Livorno  ö  Genova  per  vedere  di  avere  il  compimento  del 
numero  sudetto,  e  quando  mai  non  si  potesse  trovarli  (ciö  che  non  e  da 
credersi),  si  potrebbe  spedire  (in  caso  seguisse  il  libero  comercio  con  la 
Spagna)  il  capitano  Furt  er  con  la  sua  nave  di  S.  Leopoldo  a  Mayorca, 
mentre  essendo  egli  naturale  di  quel  paese,  asserisce  essergli  molto  facile 
di  riuscirsi  ad  averlo,  con  che  si  aquistarebbe  un  buon  piede  di  marinaria. 

4°.  La  spesa  de  sudetti  marinari,  calafatti  e  maestri  d'ascia  per 
Ire  niesi,  che  potrebbe  dilatarsi  l'accomodamento  de  4  vascelli  e  il  suo 
transporto  in  Napoli,  importarebbe  cioe: 

Per  200  marinari  a  raggione  di  duc.   5  l'uno  per  mesi  tre     De.      3000 
20   calefati  e   12  maestri  d'ascia  a  ragg.  di  duc.   18  l'uno 

per  mesi  3 De.      1728 

Oltre  li  generi,  che  sono  in  questo    arsenale,    e    monitione 

che  possono    haversi  dallo    partitarii ,  per    carenare    e 

guarnire  le    sudette  navi  a  segno  di  condurle  qua,  si 

computa  la  spesa  in  denaro  contante  per    comprarseli 

computata  la  sartia  in  tutto         De.     8000 

De.   12728 

Essendo  tutto  questo  calcolo  stato  tirato  con  l'intervento  del  capi- 
tano Sebastiano  Tixi,  capo  maestro  di  questo  arsenale,  e  che  fü  2 
anni  fä  alla  recognitione  in  Mahone  delle  dette  4  navi,  si 
potra  poi  a  conto  piü  minuto  di  specie  in  specie  delle  cosse  necessarie 
averne  dall'  istesso  la  relatione ,  che  poi  sara  nella  somma  1'  istesso  che 
qui  si  e  esposto. 

5°.  Siccome  in  questo  arsenale  non  vi  sono  alberi,  ne  pennoni  per 
remediare  le  navi  Principe  d'Asturias  e  Eeale,  sarebbe  necessario, 
che  il  Sre  Amiraglio  dasse  ordine  di  lasciare  provedere  dalle  2  navi  S.Elisa- 
betta  e  la  Eosa  et  altre,  che  stanno  in  Mahone,  intendendosi 
con  lui  ö  d'abbonarglo  il  prezzo,  ö  di  restituirglieli  doppo  l'arrivo  delle 
4  navi  in  questo  porto. 

Avendo  perö  il  Sigre  Preside  Comiss0  D.  Bonifacio  d'Andra- 
da  assicurato,  che  verso  la  meta  di  questo  mese  devono  essere  calati  alla 
marina  di  Corrigliano  molti  alberi  et  antenne,  che  la  gionta  dell'ar- 
senale  ha  fatto  tagliare  nella  silva  di  Cosenza,  si  potrebbe  mandare 
imbarcationi  bastanti  alla  detta  marina  de  Corigliano  per  caricarle  e  trans- 


(356  L  e  c  h  n  e  r. 

portarli  qua  per  potere  da  quella  qnantita  scielgere  i]  bisognevole  per 
transportaiie  per  a  Mahone '  e  percio  vi  varä  una  picciola  nave  da  tras- 
porto  affine  di  rendere  quelle  2  navi  in  stato  di  condurle  in  questo  porto, 
in  caro  che  il  Sigre  Amiraglio  non  potesse  condescendere  all'altro  prog- 
getto  gia  detto  di  disalborare  le  altre  2  sue  navi  che  stanno  in  Mahone 
per  servizio  delli  navi. 

(Concept;  Correspondenzbücher  Bd.  XXX.) 


Kleine  Mittheilungen. 


Die  Stellung  der  Lausitz  als  brandenburgisches  Neben- 
land  zu  den  Bestimmungen  der  Goldenen  Bulle.  In  den  bis- 
herigen Arbeiten  über  das  Kurfürstenkollegium  und  die  Goldene  Balle 
sind  zwar  die  Erklärungen  zu  Gunsten  des  brandenburgische u  Kur- 
rechtes Markgraf  Ludwigs  des  Kömers,  die  am  7.  Januar  1356  von 
den  übrigen  fünf  Kurfürsten  zu  Nürnberg  in  Zusammenhang  mit  den 
Berathungen  über  die  im  ersten  Theile  der  Goldenen  Bulle  vorliegen- 
den Beschlüsse  urkundlich  abgegeben  wurden, l)  wiederholt  mit  berück- 
sichtigt wordeu,  doch  einen  nicht  unwichtigen  Punkt  dieser  Urkunden 
noch  besonders  zu  besprechen,  ist  der  Zweck  der  folgenden  Zeilen, 
nämlich  die  Stellung  der  kurfürstlichen  Nebenlande  zu  der  Bestim- 
mung der  Goldenen  Bulle  über  die  Untheilbarkeit  der  Kurlande. 

In  den  betreffenden  Erklärungen  wird  ausdrücklich  hervorgehoben, 
dass  Ludwig  der  Römer  in  Besitz  der  Stimme  und  Kur  bei  der 
Königswahl  sei  „und  auch  in  besitzunghe  und  in  gewer  hat  daz 
iurstenthum  der  marke  zu  Brandenborgh  und  zu  Lusitz, 
daz  kamerampt,  die  lande,  manschaft  und  alle  zugehorunghe,  daruffe 
die   kure   und  die  stimme   eyns  marggrafen   zu  Brandenborgh  und  zu 


l)  Bei  Riedel  II,  II,  395,  396  sind  die  Urkunden  der  Kurfürsten  Gerlach 
von  Mainz  und  Ruprecht  des  Aelteren  von  der  Pfalz  gedruckt,  nicht  aber,  wie 
Harnack,  das  Kurfürstencollegium  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  (Giessen 
1883)  S.  143  Anni.  3  angiebt,  auch  die  des  sächsischen  Kurfürsten  Rudolf;  über 
diese  und  die  Erklärung  Boemunds  von  Trier  s.  Huber,  Regesten  Karls  IV., 
Reichssachen  Nr.  257.  An  der  hier  angegebenen  Stelle  der  Regesta  Boica  (her- 
ausgeg.  von  Freyberg  München  1837)  VIII,  340  steht  übrigens  auch  das  Regest 
der  von  Harnack  vermissten  Urkunde  Erzbischof' Wilhelms  von  Köln  vom  selben 
Tag  und  Ort.  —  Die  obigen  Textstellen  sind  nach  der  Urkunde  Herzog  Rudolfs 
von  Sachsen  ;.bei  Gerken,  Codex  diplom.  Brandenburgensis  (Stendal  1782)  VII, 
55  folg.,  gegeben. 

Mittheilimgen  XV.  42 


ß58  Kleine  Mittheüungen. 

Lusitz  begruntvestiget  ist";  wer  ihn  um  die  Kur  und  Stimme  bei 
der  Königswahl  ansprechen  wolle,  der  müsse  zugleich  Anspruch  er- 
heben „an  daz  furstenthum  und  die  land  der  egenanten  marke 
zu  Brandenburg  und  zu  Lusitz,  das  kamerampt  und  die  nian- 
schaft  und  was  darzu  gehöret,  und  gewynne  yme  die  an,  als  recht 
ist,  wanne  wyr  zu  recht  und  zu  urtheil  funden  haben,  daz  die  kure 
der  stymme  uf  daz  furstenthum  und  uf  daz  land  der  marke  zu 
Brandenburg  und  zu  Lusiz  und  uff  das  egenante  kamerampt 
also  gegrundfestiget  sind,  daz  yr  eynes  ane  daz  ander  nicht  gesin  mag, 
sundern  sie  muezzen  by  eynander  in  aller  anspräche  zu  vorlust  und  zu 
gewynne  blyeben".  Stimme  und  Würde  ist  hier  also  nicht  lediglich 
an  die  Mark  Brandenburg,  sondern  an  Brandenburg  und  die  Lau- 
sitz geknüpft.  Dies  steht  in  Widerspruch  mit  der  künftigen  Ent- 
wicklung der  Herrschaftsverhältnisse  in  den  Kurfürstenthümern  und 
vielleicht  auch  mit  dem  Wortlaut  der  Goldenen  Bulle. 

In  Kapitel  XX  des  ersten  Theiles  derselben,  also  in  den  Bestim- 
mungen, die  zu  Nürnberg  gleichzeitig  mit  den  vorerwähnten  Urkunden 
vom  7.  Januar  1356  entstanden  und  unter  dem  Datum  des  10.  Ja- 
nuars 1356  veröffentlicht  wurden,  heisst  es  über  die  Beziehungen 
zwischen  Kurwürde  und  Kurland1):  Cum  universi  et  singuli  prin- 
cipatus,  quorum  virtute  seculares  principes  electores 
ius  et  vocem  in  electione  regis  Komanorum  in  cesarem 
promo vendi obtiuerenoscuntur,  cumiurehuiusmodinecnon 
officiis  dignitatibus  et  iuribus  aliis  eis  et  cuilibet  eorum  annexis 
et  dependentibus  ab  eisdem  adeo  coniuncti  et  insepar  abil  i  ter 
sint  uniti,  quod  ius  vox  officium  et  dignitas,  alia  quoque 
iura  ad  quemlibet  principatuum  eorundem  spectantia  cadere  non 
possint  in  alium  preter  illum,  qui  principatum  ipsum 
cum  terra  vasallagiis  feudis  et  dominus  ac  eius  pertinentiis  univer- 
sis  dinoscitur  possidere,  presenti  edicto  imperiali  perpetuo  vali- 
turo  sanccimus ■  Hier  sind  also  die  Ländernamen  nicht  aufge- 
führt, sondern  es  ist  einfach  auf  dieselben,  als  bekannt,  Bezug  ge- 
nommen; aber  auch  in  den  vorhergehenden  Kapiteln  sind  die  Kur- 
lande nie  besonders  namhaft  gemacht,  nur  die  Fürsten  selbst  bind 
mehrfach  erwähnt,  so  Kap.  I,  IV,  YII,  XI,  XXII2)  als  rex  Boeraie, 
comes  palatinus  Keni,  dux  Saxonie,  marchio  Brandemburgensis.  In 
den  Zusatzbestimmungen,  die  am  Ende  desselben  Jahres  zu  Metz  be- 
schlossen und  als  zweiter  Theil  der  Goldenen  Bulle  am  25.  December 


')  Vgl.  Hamack,  das  Kurfürstencollegiuui,  S.  232. 
2)  Harnack,  a.  a.  Ü.  S.  208  f.,  216,  218,  224,  234. 


Kleine  Mitteilungen.  (359 

1356  veröffentlicht  wurden,  findet  sieb  nun  zwar  eine  Stelle,  die  nicht 
bloss  die  Fürsten  selbst,  sondern  die  Kurlande  mit  Namen  nennt, 
doch  auch  hier  sind  bloss  die  Hauptlande  aufgezählt;  es  ist  dies  in 
Kap.  XXV  *)  über  die  Untheilbarkeit  der  Kurfürstenthürner :  .  .  .  deeer- 
niraus  igitur  et  hoc  perpetuis  temporibus  valituro  sanximus  edicto, 
quod  exnunc  in  antea  perpetuis  futuris  temporibus  insignes  et  magni- 
fici  prineipatus,  videlicet  regnum  Boemie,  comitatus  palatinus  Reni, 
ducatus  Saxonie  et  marchionatus  Brandemburgensis,  terre  districtus 
homagia  seu  vasallagia  et  alia  quevis  ad  ipsa  speetaucia  scindi  dividi 
seu  quavis  condicione  dimembrari  non  debeant,  sed  ut  pocius  in  sua 
perfecta  integritate  perpetua  maneant,  primogenitus  filius  succedat 
in  eis  ...  " 

In  der  Folgezeit  hat  man  sich  streng  au  diesen  Wortlaut  gehalten 
und  die  Bestimmung  dahin  interpretirt,  dass  nur  die  genannten 
Hauptlande  selbst  als  untheilbar  und  in  der  Erstgeburt  vererblich  zu 
betrachten  seien,  die  übrigen  Fürstenthümer  und  Herrschaften  aber, 
die  ein  Kurfürst  zwar  als  Nebenlande,  aber  doch  als  selbständige  Be- 
sitzungen (als  Reichslehen  oder  in  anderer  Weise)  und  nicht  als  in- 
tegrirende  Bestandtheile  seines  Kurlandes,  inne  hat,  nicht  davon  be- 
troffen würden.  Es  kommt  nun  darauf  an,  ob  in  der  Goldenen  Bulle 
die  vier  genannten  Gebiete  wirklich  nur  in  dem  engen  Sinne  zu 
fassen  sind,  oder  ob  sie  bloss  als  pars  pro  toto  hervorgehoben,  die 
Nebenlande  aber  in  den  „alia  quevis  ad  ipsa  speetantia"  (oder  Kap. 
XX  „prineipaturn  cum  .  .  .  eius  pertinentiis  universis ",  „  cum  .  .  .  per- 
tinentiis  ad  ipsum  speetantibus ")  ausgedrückt  sind.  Wenn  wir  die 
Stelle  an  und  für  sich  betrachten,  so  ist  zwar  die  engere  Fassung 
(lediglich  das  eigentliche  Kurland)  nicht  auszuschliessen,  denn  auch 
die  terre  brauchen  nur  auf  dieses  eine  hinzudeuten,  da  der  mittel- 
alterliche Ausdruck  terre,  Lande,  vielfach  bloss  Landestheile  nach  heu- 
tiger Auffassung  bedeutet;  z.  B.  zum  „Lande"  Brandenburg  als  Ge- 
sammtbegriff  gehörten  als  solche  „Lande"  (im  Sinne  von  Unterab- 
theilungen) die  Priegnitz,  der  Barnim,  Teltow,  Lebus,  Sternberg  u.  s.  \v. 
Doch  die  kurfürstlichen  Erklärungen  für  Ludwig  vom  7.  Januar  1350 
weisen  auf  die  weitere  Fassung  hin,  dass  als  Kurfürstenthum  über- 
haupt der  vollständige    Besitz    anzusehen    sei,-)   als    Norm   der   status 


')  Harnack,  S.  237  f. 

8)  Für  die  umfassendere  Deutung  (eigentliches  Kurland  nebst  siimnitlicben 
gegenwärtig  damit  verbundenen  Nebenlanden)  spricht  auch  der  Schluss  von 
Kapitel  XXV,  Harnack  S.  238,  der  die  Versorgung  der  jüngeren  Höhne  und  der 
Töchter  ganz  in  das  Belieben  des  Erstgebornen,  des  Kurfürsten,  stellt:  ,  qui  (der 
Kurnachfölger)  apud  alios    fratres    et   sorores   se   dementem    et   pium    exhibebit, 

42* 


gßO  Kleine  Mittheilungen. 

quo  zu  gelteu  habe,  demzufolge  auch  der  Besitz  der  Lausitz1)  als  mit 
erforderlich  für  rechtsgiltige  Ausübung  der  brandenburgischen  Kur  zu 
betrachten  wäre.  Ist  diese  Auffassung  richtig  —  und  sie  wird  dann 
auch  selbstverständlich  für  die  andern  drei  weltlichen  Kurfürsten- 
thünier  mit  gelten  —  so  wäre  die  ja  gleich  von  Karl  selbst,2)  und 
später  von  den  Kurfürsten  wiederholt3)  beliebte  Auffassung,  dass  Neben- 
lande nicht  eingeschlossen  seien,  nicht  nur  willkürlich,  sondern  direkt 


continuo  iuxta  datam  sibi  a  deo  gratiam  et  iuxta  suum  beneplacitum  et  ipsius 
patrinionii  facultates,  divisione  scissione  seu  dimembracione  principatus  et  per- 
tinentiarum  eius  sibi  modis  Omnibus  interdicta. «  Hatten  die  Geschwister  eines 
jeweiligen  Kurfürsten  Anspruch  zwar  nicht  auf  das  Kurland,  aber  doch  auf  Ab- 
findung mittels  entsprechender  Antheile  der  übrigen  Fürstenthümer  und  Herr- 
schaften (z.  B.  bei  Brandenburg  auf  die  Lausitz,  bei  Sachsen  auf  die  Pfalzgraf- 
schaft Sachsen,  die  Burggrafschaft  Magdeburg  und  die  Grafschaft  Brehna,  bei 
Böhmen  auf  die  Oberlausitz  und  die  unmittelbaren  Besitzungen  in  Schlesien),  so 
hingen  sie  doch  nicht  lediglich  von  der  Gnade  ihres  kurfürstlichen  Bruders  ab, 
wie  dies  in  vorstehender  Bestimmung  vorausgesetzt  wird. 

')  Dass  die  Lausitz  gegenwärtig  —  1356  —  an  die  wettinischen  Markgrafen 
von  Meissen  verpfändet  war,  wäre  kein  Hinderniss  gewesen,  da  die  Verpfändung 
mit  jederzeit  freistehender  Kündigung  rechtlich  ja  nur  als  eine  vorübergehende 
Handlung  zur  Befriedigung  finanzieller  Bedürfnisse,  nicht  aber  als  endgiltige, 
dauernde  Entfremdung  und  Losreissung  anzusehen  war. 

2)  So,  als  er  die  Lausitz  nicht  bloss  pfandweise,  wie  das  unter  den  Wet- 
tinern  und  Bolko  von  Schweidnitz  der  Fall  gewesen  war,  von  Brandenburg  löste, 
sondern  sie  1368  vollständig  und  dauernd  in  Form  eines  wirklichen  Kaufes  (ohne 
Wiederkaufsrecht)  aus  dem  brandenburgischen  Verbände  herausnahm  und  1370 
in  den  Staatsverband  der  böhmischen  Krone  durch  besondere  Inkorporationsur- 
kunde einfügte  (näheres  hierüber  an  anderem  Orte) ;  so  ferner  in  seiner  Erbthei- 
lung  unter  seine  drei  Söhne,  deren  langvermisste  Urkunde  vor  einem  Jahre 
Schlesinger  in  den  Mittheilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen  in 
Böhmen  XXXI.  (1893)  S.  1  folg.,  bes.  6  veröffentlicht  hat,  denn  hier  riss  er  von 
der  Mark  Brandenburg  sogar  ein  unmittelbar  zugehöriges  Stück,  das  Land  über 
der  Oder  mit  Küstrin,  das  niemals  ein  selbständiges  Nebenland  gewesen  war,  los 
und  gab  es  seinem  jüngsten  Sohne  Johann  von  Görlitz. 

8)  Auch  von  kurfürstlicher  Seite  erfolgte  schon  wenige  Jahre  darauf  eine 
schroffe  Verletzung  durch  die  Theilung  der  brandenburgischen  Länder  zwischen 
Ludwig  dem  Römer  und  Otto  am  12.  April  1364,  wodurch  nicht  nur  die 
Lausitz  von  Brandenburg  geschieden,  sondern  noch  weitergehend  die  eigentliche 
Mark  Brandenburg  selbst  getheilt  wurde,  indem  Otto  zur  Lausitz  auch  die  Mark 
über  der  Oder,  das  Land  Lebus,  und  sogar  Stücke  der  Lande  Barnim  und  Teltow 
erhielt  (wurden  doch  selbst  die  äusserlich  fast  zusammengewachsenen  Städte  Cöln 
und  Berlin  getrennt,  erst  eres  bekam  Otto,  letzteres  Ludwig).  Diese  Handlung  ist 
umso  auffälliger,  als  ihr  Karl  selbst  am  14.  April  1364  seine  Zustimmung  er- 
theilte,  s.  Riedel  Supplementband  S.  35  folg.  Von  späteren  Beispielen  sei  nur 
auf  die  Theilung  unter  die  Söhne  Joachims  I.  verwiesen,  wobei  für  den  jüngeren 
Sohn  Hans  (von  Küstrin)  die  Neumark  von  der  Mark  Brandenburg  losgelöst  wurde. 


Kleine  Mittheilungen.  QQ\ 

unzulässig  gewesen.1)  Will  man  sich  zu  dieser  schroffen  Auffassung 
nicht  verstehen,  so  bliebe  die  Annahme  übrig,  dass  zwar  —  wie  dies 
die  Urkunden  vom  7.  Januar  unwiderleglich  darthun  —  bei  den 
ersten  Berathungen  zu  Nürnberg  die  weitergehende  Auffassung  an- 
genommen wurde,  dass  aber  dann  sich  alsbald  Gegenbestrebungen 
geltend  machten,  zumal  in  dem  bisherigen  Text  der  Goldenen  Bulle 
selbst  davon  noch  nicht  bestimmt  die  Kede  war.  Als  nun  in  Metz 
die  ergänzenden  Berathungen  stattfanden,  drang  die  mildere  Ansicht, 
dass  man  sich  nicht  zu  sehr  um  des  Eeichsrechtes  willen  die  Hände 
binden  dürfe,  aus  privatrechtlichen  Gründen  durch,  in  dem  betreffen- 
den Zusatzabschnitt  Kap.  XXV  wurden  nur  die  Namen  der  Haupt- 
kurlande erwähnt,  möglicherweise,  um  damit  einer  künftigen  Regelung 
dieses  wichtigen  Punktes  nicht  vorzugreifen;  denn  die  neue  Fassung 
bot  allenfalls  Spielraum  genug,  sich  für  beide  Möglichkeiten  zu  ent- 
scheiden: zog  man  als  erläuternden  Präcedenzfall  die  kurfürstlichen 
Erklärungen  vom  7.  Januar  1356  herzu,  so  war  die  umfassendere 
Deutung  im  Recht;  klammerte  man  sich  eng  an  den  Wortlaut,  so 
konnten  die  oft  so  unheilvollen  Länderzersplitterungen,  die  aus  der 
privatrechtlichen  Auffassung  des  Mittelalters  vom  fürstlichen  Land- 
besitz hervorgingen,  zum  Schaden  der  Gesammtheit,  aber  zum  Vor- 
theil  der  jüngeren  Söhne  auch  fernerhin  vorgenommen  werden.  Die 
Praxis  hat  sich,  wie  erwähnt,  für  letzteres  entschieden. 

Dresden.  Woldemar  Lippert. 


Das  Itinerariiiin  Martins  V.  von  Constanz  bis  Rom  (16.  Mai 
1418 — 28.  Sept.  11'20.)  Ueber  die  Reise  Martins  V.  von  Constanz 
über  Genf,  Mantua  und  Florenz  nach  Rom  geben  die  bisher  bekannten 
Quellen  nur  mangelhaften  Aufschluss.  Pastor  (Päpste  I.  2.  S.  175) 
verweist  für  die  Fixierung  der  Daten  auf  den  bis  jetzt  in  seiner  Ge- 
samtheit der  Herausgabe  harrenden  1.  Mandatenband  Martins  V. 2)  im 
Staatsarchiv  in  Rom,  sowie  die  acta  consistorialia  des  Consistorial- 
archivs  im  Vatikan,  aber  hieraus  lässt  sich  namentlich  der  Aufent- 
halt an  kleineren  Orten  nicht   genau    erweisen.     Vereinzelte  Angaben 


')  Dass  eine  solche  Verletzung  an  und  für  sich  nicht  ausgeschlossen  war, 
lehren  ausser  den  oben  erwähnten  ja  andere  Verletzungen,  bez.  Nichtbeach- 
tungen von  Satzungen  der  Goldenen  Bulle,  auf  die  schon  viel  hingewiesen  ist, 
wie  bei  Karls  Lebzeiten  selbst  die  Wahl  seines  Sohnes  "Wenzel  zum  römischen 
König,  ferner  die  wohl  regelmässige  Uebertretung  der  Anordnungen  über  den 
fremden  Sprachunterricht  der  Kurprinzen. 

2)  Ist  von  Dr.  Hayn  kopirt.  Der  erste  hier  fehlende  Fascikel  der  Mandata 
Martini  V.  findet  sich  im  Vat.  Archiv:  Div.  cam.  T.  4   (Martini  T.   1.)    f.  214  ss. 


ßl^.;  Kleine  Mittheilungen. 

finden  sich  ausser  bei  Muratori:  Scriptores  T.  XIX  auch  in  dem  sel- 
tenen Buch  Garanipis:  Saggi  sul  valore  delle  antiche  monete  ponti- 
ficie,  in  dem  eine  ganze  Keine  vat.  Urkunden  benützt  und  gedruckt 
sind,  ohne  hier  gesucht  zu  werden.  Genaueren  Aufschluss  über  die 
einzelnen  Haltepunkte  der  für  die  damalige  Zeit  ungemein  beschleu- 
nigten Reise  giebt  uns  die  Datierung  in  den  Supplikenbänden  Mar- 
tins V.  Zur  Benützung  kamen  namentlich :  Suppl.  Marcini  V.  auno  1. 
per  fiat.  T.  9,  10,  11,  nach  der  nunmehr  durchgeführten  Numerierung1): 
T.  112,  113,  114  anno  II.  per  fiat  T.  2  =  T.  117,  daneben  sind 
einige  Citate  den  Vat.  Registerbänden,  sowie  einer  im  Vat.  Archiv 
erhaltenen  Abschrift  von  Consistorialakten  Martins  (Arm.  XII.  Nr.  121), 
einige  auch  den  Div.  cam.  T.  ß  des  vat.  Archivs  entnommen.  Aus  der 
ganzen  Art  des  Reisens  übrigens  sieht  man  klar,  dass  die  Sorge  für 
das  von  Tag  zu  Tag  mehr  verödende  Rom  die  Schritte  des  Papstes 
beschleunigte. 

Abreise  von  Constanz:    16.  Mai   1418  Cf.  Pastor:  Päpste  I.  2.  f.  175. 

Schaff  hausen:    17.   18.  Mai  Arch.    Vat.    Introiti     et    exiti 

Nr.   379.  f.   2. 
Baden:   19.  Mai  Arch.  Vat.  Suppl.  1 1  4.  f.  195  v. 

Lentzburg:   19.   Mai  S.   114  f.   200  v. 

Aarau:   19.  Mai  S.   114  f.   248  v. 

Ölten:   20.   21.  Mai  S.   114  f.   2 46.  Arch.  di  Stato 

Mand.  T.   1.  f.  4  v. 
Solothurn:   22.  Mai  S.    114  f.   246   v. 

Bern:2)   23.  Mai— 3.  Juni  Arch.  Vat,  Arm.  XII.  Nr.  121, 

f.    102. 
Freiburg:   5.  Juni  S.   114.  f.   120  v. 

Lausanne:   9.  Juni  S.    114.  f.   119  v. 

Genf:   11.  Juni  Arch.  Vat.  arm.   XII.    Nr.   121 

f.   102.3) 
Cruseilles  (Crusillie):   4.  Sept.    141 8  S.   114.  f.   169. 


')  Seit  meinen  Mittheilungen  Hist.  Jahrb.  1894  S.  252  ist  wiederum  eine 
neue  Numerierung  zu  verzeichnen. 

2)  23.  mensis  Maii  intravit  terram  Berne,  die  veneris  3.  Junii  discessit  de 
Berna.    (S.  114.  f.  199:  24.  Mai.  S.  114.  f.  118:  2.  Juni).  Cf.  Garampi  1.  c.  f.  77- 

3)  Die  sabbati  11.  Juni  circa  horam  vesperarum  intravit  limitem  Gehenne 
in  Sabaudia,  1.  c.  f.  108:  die  mercurii  7.  Sept.  fuit  posita  cedula  translationis 
eurie  de  Gebennis  ad  Mantuam.  Der  Papst  war  schon  früher  fort  und  zwar  er- 
folgte seine  Abreise  wegen  Ausbruchs  einer  Epidemie  sehr  rasch.  Arch.  Yat. 
Div.  cam.  T.  4.  1.  202.  Der  Kreuzzugsprediger  Cataldinus  de  Boncompagnis  er- 
hält Schlussquittung,  ohne  dass  seine  Bücher  in  Ordnung  waren:  propter  reces- 
sum  pape  cum  sua  curia  celerem  et  festinum.  Div.  cam.  T.  5.  f.  8:  Der  Skriptor 
Nicolaue  Niqueti  hatte  sich  von  Genf  nach  Avignon  geflüchtet  propter  vigentem 
mihi  epidimiam.  Die  Gefahr,  dass  der  Papst  abermals  seinen  Wohnsitz  in 
Avignon  aufschlagen  möchte,  war  also  vorhanden! 


Kleine  Mittheilungen.  (3(33 

Annecy  (Annasiaci) :   5. — 9.  Sept.  S.    113.    1.   52  v.   und    112    f. 

137    v. 
Talloires  (in  prioratu  b.  Marie  o.  s.  B.  alias 

Clun.  apud  villam  Tellueriarum  vel  bre- 

vius:  Tellueriis):   9.  Sept.  S.    112.  f.    137   v. 

Faverge  (Fabricis) :    10.  Sept.  S.   1 14.  f.    22  v. 

Ugine  (?)  (Vesiaci,  auch  Nesiaci)  :   10.  Sept.    S.   114.  f.    108. 
Tours  (?)  (Turnoni):    11.  Sept.  S.   112.  f.   75. 

Aiguebelle  (Aquabelle):    12.  Sept.  S.   112.  f.   256  v. 

La  Chambre  (Camere):   12.  Sept.  S.   113.  f.   226  v. 

St.  Michel  (St.  Michaele):    13.  Sept.  S.   112.  f.   230  v. 

Chateau  Bourreau  (?)  (Burgetti):    14.  Sept.    S.   113.  f.   246   v. 
Lanslebourg:    16.  Sept.  Keg.  Vat.   348.  f.    107. 

Gipfel  des  Mont  Cenis  *)  (in  cacumine  mon- 

tis  Lancuburgii) :   16.  Sept.  S.  T.   112.  f.    281   v. 

Susa  (Secusie):   17. — 19.  Sept.  S.   112.  f.    135.  v.u.  f.  245  v. 

Turin  (Taurini):   20. — 27.  Sept.  S.    112.  f.    137  u.   114.  f.   40. 

Chivasso  (Clavassi) :   28,   29.  Sept.  S.   112.  f.   193  u.   114   f.  38  v. 

Trino  (Tridenti):   30.  Sept.  S.   113.  f.   150. 

Vercelli:    1.   2.  Okt.  S.   114.  f.   181   u.  112  f.   135. 

Novara  (Novarie) :   3.  Okt.  S.   112.  f.   180. 

Vigevano  (Vigleveni):   4.  Okt.  S.   112.  f.   134. 

Pavia  (Papie):   6.— 11.  Okt.  S.   113.  f.  43  v.  u.  114  f.  20*. 

Mailand:   12—19.  Okt.  S.   113.  f.   83.  u.  f.   81. 

Cassano:   19.  Okt.  S.   113.  f.   53. 

Chiari:   20.  Okt.  S.   114.  f.   29  v. 

Brescia:   23.  Okt.  S.   112.  f.   138. 

Mantua:   24.  Okt.  Eeg.  Vat.   352.  f.   197. 

Der  Aufenthalt  in  Mantua  währte  bis  zum  6.  Febr.  1419  (S.  117 
f.  18). 

Bereits  am  30.  Jan.  1419  teilt  der  Kämmerer  mit,  der  Papst 
habe  sich  zur  Abreise  entschlossen:  Immediate  post  diem  dominicam 
5.  Febr.  angelo  pacis  comitante  continuatis  dietis  dragendo  versus 
civitatem  Florentiatn  in  eadem  residentiam  facere  intendendo,  nisi  de 
civitate  Pisana  post  tempus  videatur  potius  electio  residentie  cum 
dicta  sua  curia  faciende.  Div.  cam.  T.  5  f.  7  v.     Dieser  Plan,  in  Pisa 


')  Hier  nahten  sich  dem  Papst  mit  ihrem  Bittgesuch  die  beiden  Einsiedler  : 
Bruder  Johann,  der  auf  der  italienischen  Seite  des  Mont  Cenis  hauste  (in  pede 
scale  montis  Ceneysii  a  parte  Secusie)  und  Br.  Augustin  von  der  franz.  Seite 
(domus  appellate  Lacadarb  a  parte  Lancuburgii)  und  baten  um  einen  Ablass  für 
die  Errichtung  von  Unterkunftshütten :  cum  .  .  .  propter  ibidem  confluentes  valde 
sit  necessarium  in  dietis  duobus  locis  habere  reeeptaculum,  cum  ipsi  montes 
tempore  hyemali  valde  sint  variis  (sie!)  et  tenebrosis  (!)  ob  ventorum  et  gran- 
dinum,  turbidinum  etc.  habundantiam  nimiam  .  .  .  evidenterque  V.  S.  visis  locis 
dictorum  montium  in  hoc  ioeundissimo  adventu  et  transitu  Vestro  poterit  se  in- 
formare  .  .  . 


ßß4  Kleine  Mittheilungen 

längereu  Aufenthalt  zu  nehmen,  kam  bekanntlich  nicht  zur  Ausführ- 
ung, der  Papst  eilte ,  nach  Rom  zu  kommen.  Seinen  Weg  nach  Flo- 
renz nahm  er,  um  das  unbotmässige  Bologna  zu  umgehen,1)  über 
Ferrara,  Kavenna  und  Forli. 

Sermide:   7.  Febr.   1419  S.   117.  f.  98  v. 

Ferrara2):   9.— 15.  Febr.  S.   117.  f.   17  u.  f.   148  v. 

Ravenna  :   17.  Febr.  S.   117.  f.  92  v. 

Forli3):   19  u.  20.  Febr.  S.   117.  f.   223  v.  u.  f.  77. 

Florenz:   27.  Febr.  S.   117.  f.   38. 

Der  Aufenthalt  des  Papstes  in  Florenz  währte  bis  zum  9.  Sept. 
1420.  Der  Befehl  des  Vicekämmerers  betr.  Verlegung  der  Kurie  wurde 
am  19.  Aug.  erlassen. 

Translatio  curie.     Ludovicus  .  .  .  pape  vicecamerarius. 

De  mandato  smi  .  .  .  Martini  pape  V.  nobis  super  hoc  facto  oraculo 
vive  vocis  intimamus  universis  et  singulis  cortesanis  et  Romanam  curiam 
sequentibus,  qualiter  idem  dominus  noster  pacis  angelo  comitante  imme- 
diate  post  festum  b.  virginis  Marie,  que  erit  dies  nona  mensis  Septembris 
proxime  futuri,  intendit  ab  hac  civitate  Florentina  iter  arripere  versus 
almana  urbem  cum  eius  curia,  curiamque  ipsam  ex  nunc  dicta  nona  Sep- 
tembris transfert  ad  ipsam  urbem ,  et  propterea  omnes  curiam  ipsam 
sequentes  se  ad  iter  accingant.  Florentie  19.  m.  Aug.  1420.  Div.  cam. 
T.  6.  f.  168  v. 
?    (Apud    pontem    Arbie,    Senensis    dioc.): 

12.  Sept.   1420  Div.   cam.  T.   6.  f.   204. 

Acquapendente :   14.  Sept.  1.  c.  f.  204. 

Viterbo:   19. — 25.  Sept.  1.  c.  f.    205. 

Der  Einzug  des  Papstes  erfolgte  dann  am  28.  Sept.  1420.  Cf. 
Pastor:  Päpste  I.  2.  S.  177. 

Giebelstadt-Würzburg.  F.  Miltenberger. 


Zur  Belagerung  Wiens  durch  den  Grafen  Thurn  (2.  — 14. 
Juni  1619).  I.  Nachdem  ich  in  den  „Mittheilungen  des  Instituts" 
15,  394  ff.  auf  Grund  der  Akten  der  niederösterreichischen  Stände  dar- 
zuthun  gesucht  hatte,  dass  die  „Sturmpetition"  der  Protestanten  Nie- 
derösterreichs, welche  durch  das  plötzliche  Erscheinen  von  mehreren 
hundert  Reitern  ein  rasches  Ende  fand,  nicht  am  11.,  sondern  wie 
schon  Gindely  festgestellt  hatte,  am  5.  Juni  1619  stattgefunden  habe, 
konnte    ich    durch    die  Güte    des  Herrn  Generalmajors    L.    v.  Wetzer, 


1)  Muratori  Script.  XIX.  f.  92  :  Non  si  sa  il  perche  non  volle  poi  passar  per 
Bologna,  probabilmente  rradriva  sin  d'allora  de  pensieri  diversi  contro  quella 
citta. 

2)  Muratori  1.  c.  f.  92.  8.  Febr. 
')  Muratori  1.  c.  f.  93.  18.  Febr. 


Kleine  Mittheilungen.  665 

Directors  des  k.  u.  ■  k.  Kriegsarchivs,  einige  in  diesem  vorhandene 
Actenstücke  (Concepte)  benutzen,  welche  über  die  Massregeln  Ferdi- 
nands II.  und  die  Lage  desselben  in  den  entscheidenden  Tagen  nicht 
unwichtige  Aufschlüsse  geben.  Es  sind  dies  theils  Befehle  des  Königs 
an  den  Grafen  Dampierre,  welcher  dem  Grafen  Buquoy,  der  mit  seiner 
Armee  bei  Budweis  stand,  Verstärkungen  zuführen  sollte  und  bereits 
bis  Krems  gelangt  war,  theils  Mittheilungen  an  Buquoy  selbst. 

1.  Am  2.  Jtmi  meldet  König  Ferdinand  dem  Grafen  Dampierre, 
dass  seit  dessem  Aufbruche  von  Wien  nach  Krems  der  Feind  (d.  h. 
Graf  Thurn,  der  am  29.  Mai  Laa  in  seine  Gewalt  gebracht  hatte  und 
am  31.  Mai  von  da  gegen  Wien  aufgebrochen  war)  „mit  aller  seiner 
heraus  habenden  Macht"  heranziehe.  Da  der  König  in  Folge  dessen 
Dampierres  Kriegsvolk  zur  Defensive  bedürfen  könnte,  so  befiehlt  er 
ihm,  all  sein  Volk  an  einem  gelegenen  Ort  bei  Krems  zu  vereinigen, 
gutes  Regiment  zu  halten,  Bedrängnisse  der  armen  Leute  zu  verhüten 
und  weiterer  Befehle  gewärtig  zu  sein.  Auch  sei  es  nothwendig,  die 
Schiffe  in  guter  Bereitschaft  zu  halten,  damit  das  Fussvolk,  wenn  man 
es  „  herunten "  brauchte,  auf  dasselbe  gesetzt  und  herab,  oder  wo  man 
es  begehrte,  geführt  werden  könnte.  Da  man  auch  die  Tschaiken  l) 
herunten  mehr  als  droben  nothwendig  habe,  so  sollte  Dampierre  sie 
alsobald  herabordnen. 

2.  Noch  am  nämlichen  Tage  meldet  König  Ferdinand  dem  Grafen 
Dampierre,  dass  der  Feind  bereits  in  die  3000  Mann  stark  zu  Ross 
und  Fuss  zur  Fischa  (Fischamend)  übers  Wasser  gesetzt  und  sich  jetzt 
daselbst  befinde.  Da  nun  der  König  der  bei  Dampierre  befindlichen 
Kriegsmacht  zur  Defensive  des  Landes  bedürfe,  wie  ihn  der  Ober^t- 
lieutenant  Freiherr  von  Breuner  näher  referiren  werde,  so  solle  er 
vom  Fussvolk  so  viel,  als  sich  ohne  Gefahr  thun  lasse,  aus  den  in 
den  Städten  und  Posten  eingelegten  Garnisonen  herausnehmen  wie 
auch  die  Tschaiken  herabordnen. 

3.  In  einem  eigenen  Postscriptum  vom  nämlichen  Tage  trägt  der 
König  dem  Grafen  Dampierre  auf,  die  Ungarn  zu  Ross  und  Fuss  nach 
Budweis  ins  Lager  des  Grafen  Buquoy  zu  führen,  das  übrige  Volk 
aber,  was  von  Deutschen  und  Ausländern  zu  Ross  und  Fuss  vorhan- 
den, zu  Wasser  oder  Lande,  wie  es  am  bequemsten  sein  würde,  sammt 
den  Tschaiken  herabzuordnen. 

4.  Ebenfalls  am  2.  Juni  meldet  der  König  dem  Grafen  Buquoy, 
dass  er  den  Grafen  und  Obersten  Dampierre,  der  auf  seinem  Zuge  nach 
Budweis  bereits  bis  Krems  gekommen,   zurückzurufen  veranlasst  wor- 


')  Ungarischer  Ausdruck  für  Schiffe  oder  Boote. 


6(30  Kleine  Mittheilungen. 

den  sei,  weil  der  Feind  bereits  in  3000  Mann  stark  zu  Koss  und  Fuss 
zur  Fischa  über  das  Wasser  auf  diese  Seite  gesetzt  habe,  weitere 
Kriegsmacht  folge  und  diese  Macht,  die  bei  10000  Mann  stark  sein 
soll,  die  Stadt  Wien  zu  umringen  Willens  sein  könnte.  In  einer  Nach- 
schrift theilt  der  König  auch  an  Buquoy  seinen  Beschluss  mit,  dass 
Dampierre  alles  ungarische  Kriegsvolk  ins  Lager  nach  Budweis  führen, 
das  bei  ihm  befindliche  deutsche  und  ausländische  Kriegsvolk  aber  zu 
Lande  und  Wasser  herabschaffen  solle. 

5.  Am  6.  Juni  wird  dem  auf  dem  Douaustrom  herab  nach  Wien 
kommenden  Befehlshaber  und  Knechten  befohlen,  dass  50  zu  Kloster- 
neuburg bleiben,  die  übrigen  auf  der  grossen  Donau  herab  der  Brücke 
und  der  neben  derselben  aufgeworfenen  Schanze  zufahren  und  bis  auf 
weitere  Ordonanz  sich  aufhalten  sollen. 

6.  Am  8.  Juni  wird  vom  Könige  an  Buquoy  geschrieben ,  dass 
noch  alles  in  dem  Status  sei,  wie  es  ihm  in  dem  vor  vier  Tagen  über- 
schickten Brief!  mitgetheilt  wordeu,  und  habe  sich  während  der  Ver- 
handlungen zwischen  den  katholischeu  und  unkatholischen  Ständen 
der  Feind  der  hiesigen  Vorstädte  bemächtigt.  Es  lasse  sich  dahin  an- 
sehen, als  ob  er  sich  einer  Belagerung  unterfahren  wollte,  wozu  er 
gleichwohl  (,,da  nit  sondere  conspirationes  wären")  zur  Zeit  [zu  schwach 
sei]  *),  weil  er  nur  des  von  Teuffenbach,  9  mährische,  das  von  Thurn 
3  böhmische  geworbene  und  2  böhmische  Fändl  Landvolk  bei  sich 
habe,  von  Eeiterei  in  2000  und  fünf  2,  3  und  vierpfündige  Stuck.  Er 
(der  König)  habe  solche  Präparation  in  der  Stadt  thun  lassen,  dass  er 
hoffentlich  wenig  zu  fürchten  haben  werde.  Er  habe  von  geworbenem 
Volk  8  Fändl  Knechte  und  8  Compagnien  Keiter ;  morgen  sollen  wie- 
der 200  Pferde  unter  dem  Obersten  Histerle  geworben  werden.  Heute 
sei  zum  erstenmale  die  Eeiterei  zum  Kecognosciren  ausgezogen  und 
habe  in  30  Feinde  erlegt  und  gefangen  gebracht.  Er  theile  ihm  dies 
deswegen  mit,  damit  er  den  ganzen  Verlauf  erfahre  und  versichert  sei, 
„dass  Ich  mich  bei  dieser  Beschaffenheit  keineswegs  zum  Verlieren  (?) 
sondern  das  euseriste  zu  thun  gesonnen  sey".  Deswegen  sei  alles  zur 
Ausstehung  einer  Belagerung  gerichtet,  die  unnöthigen  Brücken  ab- 
geworfen und  das  Geschütz  auf  den  Basteien  plantirt.  Bis  jetzt  werde 
der  Pass  des  Donaustromes  erhalten,  indem  er  an  der  äussersten  Brücke 
eine  Schanze  aufwerfen  und  mit  400  Mann  bewachen  lasse.  Es  seien 
auch  zu  deren  Versicherung  stets  auf  dem  Wasser  vier  Tschaiken  un- 


')  Dies  oder  etwas  ähnliches  ist  nach  dem  Zusammenhang  zu  ergänzen. 


Kleine  Mittheilungen.  6G7 

garischer  Nassadisten  x),  welche  die  Böhmen  wohl  einmal  attakirt,  aber 
mit  Verlust  abziehen  müssen. 

Die  Akten  sind  offenbar  lückenhaft.  Aber  sie  zeigen  doch,  dass 
König  Ferdinand  II.  schon  am  2.  Juni  auf  die  Nachricht  von  der 
Ueberschreitung  der  Donau  durch  die  Böhmen  dem  Grafen  Dampierre, 
der  mit  Verstärkungen  für  Buquoy  abgeschickt  worden  uud  bis  Krems 
gekommen  war,  den  dringenden  Befehl  ertheilt  hat,  alle  nicht  unga- 
rischen Truppen  zu  Wasser  oder  Lande  nach  Wien  zu  senden.  Dass 
Dampierre  mit  der  Ausführung  dieses  Auftrages,  den  er  am  3.  erhalten 
haben  dürfte,  nicht  bis  zum  10.  gewartet  haben  wird,  ist  wohl  ausser 
Zweifel  und  wird  auch  dadurch  bewiesen,  dass  der  König  am  8.  Juni 
in  Wien  an  geworbenem  Volk  2800  Mann  hat  und  sich  vollkommen 
sicher  fühlt  und  am  folgenden  Tage  weitere  Verstärkung  erwartet.  Im 
Angesichte  einer  solchen  Besatzung  hätten  die  protestantischen  Stände 
am  11.  Juni  gewiss  nicht  mehr  gewagt,  gegen  den  König  eine  dro- 
hende Haltung  einzunehmen.  Diese  Aktenstücke  werden  nicht  bloss 
durch  die  schon  bei  Gindely  abgedruckten  Depeschen  des  spanischen, 
sondern  auch  durch  die  von  ihm  benutzten  Berichte  des  sächsischen 
Gesandten,  welche  nach  einer  vom  genannten  Forscher  veranlassten 
Abschrift  im  k.  und  k.  Kriegsarchiv  copiert  und  mir  zur  Benützung 
überlassen  worden  sind,  in  wünschenswerther  Weise  ergänzt.  Bei  der 
Wichtigkeit  derselben  theile  ich  dieselben  in  einem  (fast  wörtlichen) 
Auszuge  mit. 

2.  Juni:  Das  böhmische  Kriegsvolk,  welches  nach  dem  Accordo 
gegen  Laa  von  dort  abgeführt  worden,  habe  sich  Samstag  (1.  Juni) 
zu  Nacht  bis  auf  zwei  Meilen  von  hier  befunden.  Als  dies  gestern 
früh  dem  Könige  avisirt  worden,  sei  ein  solcher  Schrecken  entstanden, 
dass  das  Volk  aus  den  Vorstädten  sich  mit  aller  Habe  in  die  Stadt 
retiriert  und  man  diese  ganz  habe  sperren  wollen.  Weil  aber  andere 
Nachrichten  gekommen,  dass  sich  das  böhmische  Volk  „auf  die  Seiten 
der  Donau  und  nicht  herwärts  in  die  Stadt  gewendet1',  seien  die  übri- 
gen Thore  offen,  und  nur  das  Schotten-  und  Rothenthurmthor  gesperrt. 
Gestern  Abend  über  Nacht  seien  2  Fähnlein  Knecht  diesseits  über  die 
Schiagbrucken  und  1  Fähnlein  in  die  Burg  zur  Garnison  geordnet  und 
die  Stücke  auf  die  Basteien  geführt  worden.  Gestern  die  ganze  Nacht 
über  wie  dato  sei  das  böhmische  Volk  zu  Fischau  über  die  Donau  ge- 
führt worden,  und  verlaute,  dass  es  bei  15000  Maun  stark  sei. 

3.  Juni:  Gestern  seien  die  Böhmen  viele  1000  stark  vier  Meilen 
unterhalb   Wien  zur  Fischa  ankommen;  heute  und  gestern  führe  man 

l)  Naszadisten,  die  bewaffnete  Bemannung  der  ungarischen  Kriegsschiffe  auf 
der  Donau. 


668  Kleine  Mittkeilungen. 

Stücke    auf  die  Basteien  und  seien  alle  Thore  bis  auf  das  Stubenthor 
gesperrt. 

10.  Juni :  Thurn  sei,  nachdem  er  sein  Volk  am  2.  Juni  und  fol- 
genden Tage  bei  Fischa,  ohne  Widerstand  zu  fiuden,  über  die  Donau 
gebracht,  am  6.  Juni  so  nahe  an  die  Stadt  Wien  gerückt,  dass  man 
zwischen  10  und  11  Uhr  Mittags  das  böhmische  Volk  von  der  Burg 
aus  marschieren  sehen  konnte.  Der  König  habe  befohlen,  auf  die  Ba- 
steien und  wo  es  sonst  nothwendig,  grosse  Stücke  zu  führen,  und  ge- 
wisse Orte  mit  Soldaten  zu  besetzen.  Als  „die  beiderseitigen  Stände" 
in  Unter-Oesterreich  beim  Könige  in  der  Burg  Audienz  gehabt,  „den 
5.  Juni",  seien  zuerst  die  Katholischen,  dann  die  Evangelischen  vor- 
gelassen worden.  Als  die  Evangelischen  zwischen  10  und  11  Uhr  vor 
dem  Könige  waren,  hätten  sie  erklärt,  dass  sie  jetzt  entschlossen  seien, 
sich  von  den  Katholischen  zu  trennen  und  mit  den  Böhmen  und  an- 
dern Conföderirten  zu  verbinden  und  zur  Kechtfertigung  allerlei  Ur- 
sachen eingewendet.  Als  der  König  ihnen  beweglich  zugeredet,  seien 
„geling"  etliche  Cornet,  nämlich  zwei  in  vollem  Beiten  auf  den  Burg- 
platz kommen,  (die,  wie  für  gewiss  berichtet,  den  vorigen  Abend  von 
Krems  ausgereiset)  und  1  Fähnlein  Knecht  auf  gemeldeten  Platz  ge- 
führt und  1  Cornet  beim  Landhaus  *)  verordnet  worden.  „Diese  Cornet 
seind  Kürassier  gewesen".  Durch  solches  Kriegsvolks  Ankunft  seien 
die  evangelischen  Verordneten  nicht  wenig  erschrocken,  da  sie  schon 
vor  der  Audienz  durch  eine  ziemliche  Anzahl  Handwerker  um  Gottes 
Willen  gebeten  worden,  sich  nicht  nach  der  Burg  zu  begeben,  da  nicht 
bloss  Gefängnisse  vorbereitet  seien,  sondern  ihnen  auch  die  Köpfe  ab- 
gerissen werden  würden. 

11.  Juni:  „Den  5.  dito  haben  Ire  kgl.  Mt.  die  evangelischen  Land- 
stände zur  Audienz  erfordern  lassen,  welche  auch  erst  umb  10  Uhr 
erschienen,  und  haben  biss  nach  11  Uhr  bey  der  Audienz  verharret"? 
wobei  der  König  sie  unter  andern  ermahnt,  sich  mit  den  katholischen 
Ständen  wegen  der  geringen  Differenzen  zu  vergleichen  und  wegen  des 
vor  Augen  schwebenden  Kuins  des  Landes  zu  einhelliger  Berathung 
der  Landesnothdurft  zu  schreiten.  Es  haben  sich  aber  die  Evangeli- 
schen entschuldigt,  dass  die  Verzögerung  nicht  an  ihnen,  sondern  an 
den  Katholiken  liege,  weil  sich  diese  über  ihre  letzte  Erklärung  noch 
nicht  resolviert  hätten,  und  den  König  gebeten,  solche  Kesolution  selbst 
ehist  zu  befördern.  Dazu  habe  sich  der  König  erboten ,  ihnen  T  aber 
die  ohne  seinen  Consens  acceptierte  Conföderation  mit  den  böhmischen 
Ständen  in  etwas  verwiesen. 


l)  in  der  der  Burg  zunächst  liegenden  Herrengasse. 


Kleine  Mittheilunggn.  669 

„Unter  solcher  wehrender  Audienz,  da  ohne  das  albereit  2  Fand- 
lein Knecht  in  dem  Purg  Platz  gehalten,  seind  die  4  Cornet  Floren - 
tinische  Reutter,  ein  tapfer  Volgg,  zu  denen  das  Künftige  auch  täg- 
lich solle  complirt  werden,  ettwas  ungestim  mit  einer  furia  durch  die 
Statt  in  die  Burg  marchiret,  welches  bey  meniglich  in  der  Statt  ein 
Schrekhen  und  Furcht  verursachet,  sonderlich  weill  die  Stende  etwas 
lange  vber  Gewohnheit  bey  der  Audienz  aufgehaltten  und  dahero  auss- 
ieben worden,  dass  Ir.  Mt.  etliche  von  den  Ständen  in  Arrest  behalten 
lassen,  so  aber  nicht  besehenen,  sonder  seindt  nach  11  Uhr  abgeschie- 
den". Um  3  Uhr  seien  sie  neuerdings  zur  Audienz  erfordert  worden, 
aber  erst  des  anderen  Tages  erschienen. 

Dieser  Tage  sei  Graf  Thurn  mit  seinem  Lager  der  Stadt  näher 
und  bis  St.  Marx  gerückt.  Am  6.  und  7.  haben  sie  sich  in  die  Vor- 
städte einlosiert,  besonders  aber  haben  sie  ein  Lager  in  der  Gänsweid, 
wo  sie  sich  verschanzt,  geschlagen,  gegenüber  dem  königlichen  Volk 
im  Praeter.  Sie  schiessen  Tag  und  Nacht,  wenn  sich  einer  sehen  lässt, 
auf  einander.  Die  Königlichen  haben  14  Musketiere  gefangen.  Die 
Stadtthore  bis  auf  das  ßothenthurmthor  seien  geschlossen.  Am  9.  und 
10.,  besonders  am  10.  Nachts  sei  das  Schiessen  im  Prater  wieder  an- 
gangen, daher  man  zu  mehrerer  Stärkung  der  Wachen  diesen  Abend 
fast  spat  von  einem  Freifändlein,  500  Mann  stark,  das  erst  von  Krems 
herabgeführt  worden,  400  Musketiere  in  die  Stadt,  100  in  den  Prater 
geordnet.  Damit  das  böhmische  Volk  nicht  mit  Schiffen  über  die 
Donau  setzen  können,  hat  man  alle  Zillen  oder  kleinen  Schiffe  auf  der 
Donau  zerschlagen  und  senken  lassen.  Unserer  kgl.  Mt.  Volk  befinden 
sich  derzeit  bei  der  Stadt  8  Cornet  Reiter,  9  Fahnen  Fussvolk  und 
4  Tschaiken  Haiduken,  zu  denen,  wie  es  heisst,  die  wälschen  Kauf- 
leute auf  ihre  Kosten  ein  Fähnlein  Wallonen  und  Franzosen  aufrichten 
wollen.  Die  Studenten  beider  Universitäten  wollen  2  Fähnlein  auf- 
richten, ihre  Collegia  selbst  zu  verwahren  *).  „Die  Evangelischen  aber 
dürffen  nicht  mucken." 

12.  Juni:  Der  Anstand  habe  nicht  lange  gewehrt.  Gestern  und 
heute  habe  das  Schiessen  wieder  begonnen,  was  den  König  veranlasste, 
von  */a  12  die  Nacht  mit  grossen  und  kleinen  Stücken  unter  die  Böh- 
men zu  schiessen.  Die  Reiter  und  Knechte  machen  auch  3  bis  4  mal 
des  Tags  Ausfälle,  bringen  Beute   und  Gefangene   zur  Genüge  herein. 


')  Der  spanische  Gesandte  berichtet  am  12.  Juni:  Hanse  levantado  a  qui 
ducientes  cavallos  y  tres  companias  de  infanteria  de  los  burgenses  y  dado  ar- 
mas  a  cosa  de  400  etudiantes  y  oy  han  llegado  500  infantes  de  fuera,  con  que 
habra  en  todo  cosa  de  5000  hombres. 


670  Kleine  Mittheiluugen. 

Gleich  nach  Eröffnung  der  Thore  kommt  Nachricht,  dass  der  Graf 
(Thurn)  heut  in  der  Nacht  um  12  Uhr  angefangen  seinen  Abzug  zu 
nehmen,  dann  die  Keiterei  nachgesetzt  habe. 

18.  Juni:  Am  14.  d.  zwischen  2  und  3  Uhr  Früh  sei  der  Graf 
von  Wien  mit  seinem  Volk  aufgebrochen  und  habe  sich  nach  Schwe- 
chat  begeben.  A.  Hub  er. 

II. 

Die  Controverse  über  das  Datum  der  stürmischen  Audienz  bei  K. 
Ferdinand  im  Juni  1619  veranlasst  mich,  die  Aufmerksamkeit  auf  eine 
Quelle  zu  lenken,  welche  über  einzelne  Vorkommnisse  zu  Wien  in  den 
bewegten  Junitagen  des  genannten  Jahres  willkommenes  Licht  ver- 
breitet. Diese  Quelle  nennt  sich  ein  Memorial  zum  Jahre  1G19. 
Dieses  Memorial  liegt  in  einem  Faszikel  des  Innsbrucker  Statthalterei- 
Archives  (Leop.  C.  41),  in  welchem  Inventarien  und  Akten  über  den 
Erbnachlass  des  1618  verstorbenen  Markgrafen  Karl  von  Burgau  ent- 
halten sind.  Dieser  Naehlass,  soweit  er  Liegenschalten  betraf,  sollte 
nach  dem  Wunsche  des  K.  Ferdinand  als  Pfandobjekt  verwendet  wer- 
den, um  zu  den  Küstungen  gegen  die  böhmischen  Aufständischen  eine 
ansehnliche  Summe  aufleihen  zu  können.  Die  Verhandlungen  darüber 
sollten  in  Wien  geführt  werden,  wozu  die  tirolische  Regierung,  welcher 
Burgau  unterstand,  den  Kammerrath  Leo  Marquard  Schiller  v.  Herdern 
zu  Grabenstein  (später  tirol.  Kammerpräsident  und  geheimer  Rath)  ent- 
sandte. (Instruktion  für  Schiller  vom  23.  Mai  1619).  Schiller  langte 
in  Wien  am  29.  Mai  an,  und  trat  die  Rückreise  von  dort  am  23.  Juni 
an.  Er  war  unmittelbarer  Zeuge  der  Dinge,  welche  innerhalb  dieses 
Zeitraumes  in  und  um  Wien  vorgiengen.  Um  sich  das  Material  für 
eine  Relation  zusammenzutragen,  schrieb  Schiller  das  Memorial.  Nicht 
vielleicht  gerade  täglich,  aber  jedenfalls  nach  zwei  bis  drei  Tagen 
schrieb  er  sich  dasjenige  auf,  was  ihm  als  das  Wichtigste  von  den 
äussern  Vorfällen  und  den  gepflogenen  Traktationen  erschien.  Die 
einzelnen  Sätze  lesen  sich  wie  tagebuchartige  Aufzeichnungen  und 
tragen  das  deutliche  Merkmal  der  Unmittelbarkeit  an  sich.  Nur  der 
erste  Absatz  macht  davon  eine  Ausnahme,  indem  er  mehrere  Einzel- 
vorgäuge  in  eine  Gesammtschilderung  zusammenfasst,  welche  dem  Me- 
morialschreiber  offenbar  als  Einleitung  zu  seinen  folgenden  Einzeldaten 
dienen  sollte.  Schiller  deutet  darin  an,  dass  die  protestierenden  Stände 
auch  die  Unzufriedenheit  der  Bevölkerung  über  die  Ausschreitungen 
der  nach  Böhmen  ziehenden  Ungarn  gegen  Ferdinand  ausnützten.  Mit 
dem  2.  Juni,  dem  Tage,  an  welchem  Thurns  Truppen  nach  Fischamend 
übersetzten,  beginnt  die  Aufzeichnung  dessen,  was  Schiller  in  Wien 
selbst  erfahren  und  gesehen  hat.  Ich  gebe  im  Nachfolgenden  den  Text 


Kleine  Mittheilungen.  G71 

des  Memorials,  soweit  er  sich  auf  die  politischen  und  kriegerischen 
Vorgänge  in  und  bei  Wien  bezieht.  Die  zahlreichen  Stellen,  worin 
Schiller  über  seinen  geschäftlichen  Verkehr  mit  dem  König,  dessen 
Ministern  und  Kammerleuten  berichtet,  übergehe  ich,  als  nicht  zur 
Sache  gehörig. 

Memorial. 

Als  die  catholischen  und  kezerischen  ständt  ain  guette  zeit  zu  Wien 
beysamen  gewest,  haben  sie  sich  in  religionspuncten  nit  vergleichen  kün- 
den, darinnen  doch  Ire  Maj.  sich  ser  bemühet,  und  als  etlich  1000  Hun- 
gern merenteils  zu  ross  vor  der  statt  für  auf  Krembs  in  Böhamb  gezogen 
und  dem  armen  landtraan  grossen  schaden  und  übertrang  gethan,  ist  graf 
von  Thurn  durch  die  kezerischen  ständt  ersuecht  worden,  inen  zu  hilff  zu 
khomen,  darauf  sie  sich  verlassen  und  vermählt,  einer  stattporten  zu  be- 
mechtigen  und  den  graffen  herein  zu  lassen.  Man  vernimbt  bald,  dass  der 
graf  bey  Vischach  über  die  Thonaw  sezt,  so  darumben  nit  künde  verwehrt 
weiden,  weiln  man  mit  wenig  volkh  nit  getraut  und  mit  vielen  die  statt 
nit  umblassen  könde. 

Den  4.  haben  sich  die  ständt  ser  endtzweyt  und  getrent,  und  sein 
die  catholischen  klainmüttig  worden. 

Aber  den  5.  gegen  den  könig  erklärt,  die  durch  die  kezer  begerte 
conditiones  kaineswegs  einzugehn,  ehender  alles  ausszustehn,  entgegen  sich 
die  kezer  erklärt,  mit  den  Böhmen  zu  halten ;  und  gleich  als  sie  bey  der 
audienz,  komen  unfürsehens  5  cornet  reitter  auf  den  hof,  darob  sie  sich 
ser  entsetzt ;  wäre  darüber  auch  bald  lärmen  in  der  statt  worden,  und 
haben  sich  Ire  Maj.  selbigen  und  die  vorige  tag  stättigs  ohne  frucht  bemühet, 
und  ist  diesen  abendt  das  Böhamische  volkh  gar  in  die  vorstätt  komen, 
und  hat  solches  herzu  zu  dem  6.  und  7.  und  8.  gewehrt,  dass  nians  von 
der  bürg  auss  sehen  mögen. 

Den  7.  haben  die  Böhemb  ein  schanz  vor  dem  Stubenthor  aufge- 
worifen.  In  der  stat  sein  die  stuckh  auf  die  pasteyen  gezogen,  fleissige 
wachten  zu  ross  und  fuss  bestellt  und  die  fürnembsten  platz  und  ordt 
eingenomen  und  besezt,  die  ketten,  dass  man  sie  zu  Verhinderung  der  reit- 
terey  nit  fürziehen  möge,  abgekürzt  worden. 

Den  8.  haben  sich  etlich  Böhemische  reitter  etwas  vermessen  gar  an 
die  statt  gelassen,  darauf  etlich  reitter  aussgefallen  und  teils  davon  ge- 
fangen hereingebracht. 

Dergleichen  ist  auch  den  9.  beschehen  und  den  1 0.  früe  haben  die 
Böhamb  in  dem  prater  über  das  wasser  sezen  wellen,  die  sein  von  den 
Heyduggen,  so  mit  etlich  Tschaiggen  darin  ligen,  abgeschlagen  und 
etlich  erlegt  worden. 

Graf  v.  Thurn  solle  mit  den  ständen  übl  zufriden  sein,  dass  sie  ine 
also  angefihrt.  Selbigen  abendt  widerumben  etlich  Bömische  Soldaten 
gefangen,  ist  ab  den  pasteyen  hinauss  und  darauf  herein  mit  musgehten 
geschossen  worden. 

Den  11.  diss  ist  baiderseits  mit  schiessen,  aussfallen  und  fangen  con- 
tinuirt  worden.  Den  1 2.  dito  ist  durch  das  Böhamische  volkh  dem  prater 
starkh  zugesezt  worden,  darinnen  sich  die  gelegnen  Soldaten  sanibt  den 
Jägern  starkh  gewerdt,  die  schüff  gesenckht,  abgenomen  und  den  feindt  zu- 


ß72  Kleine  Mittheüungen. 

rugg  getriben.  Selben  vormittag  haben  sich  etliche  vom  feindt  gegen  der  Schloss- 
und  Kärnerpastey  gar  nahendt  sehen  lassen,  darauf  lang  mit  musgetten 
o-egen  ainander  geschossen  worden,  ist  auch  letztlich  mit  stuckhen  hinauss 
und  etlich  der  Böhamischen,  auch  ain  Soldat  auf  der  Schlosspastey  er- 
schossen worden.     Nachmittag  ists  rüebiger  gewest. 

Den  13.  morgens  vor  tags  ist  der  feindt  aufgebrochen  und  fortgezogen, 
darauf  selben  und  volgende  tag  etliche  von  der  reitterey  ausgefallen,  beüt- 
ten  und  gefangene  bekhomen.  Den  1 2.  diss  morgens  sein  die  kuglen  gar 
in  des  königs  anticamera  gangen,  als  herr  v.  Brandis  neben  mir,  auch 
herr  bischof  von  Bossna,  hungerischer  secretari  und  noch  ir  2  under  dem 
fenster  gestanden  ist,  gleich  ober  und  zwischen  unss  ain  kugl  durchge- 
flogen. 

Wie  kurz  auch  die  meisten  Bemerkungen  Schillers  sind,  so  sind 
sie  doch  für  manche  Ereignisse  jener  Tage  beachtenswerth.  Schiller 
spricht  ausdrücklich  davon,  dass  die  protestantischen  Stände  Thurn  zu 
Hilfe  riefen  in  der  Hoffnung,  ihm  ein  Stadtthor  öffnen  zu  können.  In 
der  Haltung  der  katholischen  Stände  in  den  Verhandlungen  am  4.  und 
5.  Juni  wird  ein  auffallender  Unterschied  konstatirt.  Am  4.  Juni  zeigen 
sie  sich  kleinmüthig,  am  5.  dagegen  entschieden. 

Den  5.  Juni  bezeichnet  Schiller  als  Augenzeuge,  der  selbst  in  der 
Burg  anwesend  war,  als  den  Tag,  an  welchem  die  Evangelischen  jene 
viel  besprochene  Audienz  beim  Könige  hatten,  die  mit  dem  Erscheinen 
der  Reiter  Saint-Hilaires  ihr  Ende  fand. 

Dass  in  den  Tagen  vom  7.  bis  zum  13.  Juni  die  feindlichen  Thät- 
lichkeiten  zwischen  den  Wienern  und  den  Böhmen  nicht  geruht  baben, 
das  bezeugt  Schillers  Aufzeichnung  zu  jedem  einzelnen  dieser  Tage. 

Innsbruck.  Hirn. 


Anonymes  Schreiben  ans  dem  Nachlasse  des  Herzogs  toii 
Reichstadt.  Als  man  nach  dem  Ableben  des  Herzogs  von  Reichstadt 
die  Papiere  dieses  unglücklichen  Prinzen  einer  genauen  Durchsuchung 
unterzog,  fand  man  unter  anderem  auch  das  Concept  eines  Schreibens, 
welches  vermöge  seines  Inhalts  einer  besonderen  Beachtung  würdig 
ist.  Baron  Marschal  übersendete  es  am  10.  September  1832  mit  fol- 
genden Zeilen  an  den  Fürsten  Metternich :  „En  examinant  avec  Ma- 
dame  Tarchiduchesse  les  papiers  laisses  par  feu  le  duc  de  Reichstadt, 
j'ai  trouve  les  deux  feuilles  ci-jointes,  qui  peuvent  etre  de  quelqn  in- 
teret  ä  raison  de  la  personne  qui  les  a  ecrites  et  qui  pourrait  vou- 
loir  recueillir  des  renseignemens  ulterieures " l.)  Dem  kaiserlichen  Mi- 
nister in  Parma  sovvol  als  auch  dem  Staatskanzler  rnusste  die  Persön- 


')  K.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv. 


Kleine  Mittheilungen.  (373 

lichkeit,  welche  jenes  Schriftstück  verfasste,  bekannt  gewesen  sein. 
Leider  ist  es  mir  jedoch  trotz  aller  Bemühungen  nicht  gelungen,  etwas 
Näheres  darüber  in  Erfahrung  zu  bringen.  Das  Eiue  erhellt  aber 
mit  Sicherheit,  dass  wir  es  mit  einem  französischen  Diplomaten  zu 
tun  haben,  welcher  dem  Bürgerkönig  Louis  Philippe  nichts  weniger 
als  Sympathie  entgegenbrachte. 

Das  Schreiben2),  welches  ich  hier  mitteile,  scheint  entweder  im 
Winter  1831  oder  im  Frühjahr  1832  abgefasst  worden  zu  sein. 

Le  prince  de  Metternich  s'  est  exprime  dans  la  conversation,  que  j'ai 
eu  ce  matin  avec  lui  de  la  maniere  la  plus  desesperante  sur  1'  etat  actuel 
de  la  France,  qu'il  nornme  un  etat  temporaire,  le  passage  de  1' ordre  ä 
1'  anarcliie. 

La  circonstance,  la  plus  triste  dans  ce  moment  est  indubitablement 
la  misere  et  la  mefiance  universelle,  oü  placer  les  nombreux  fonds  qui 
sont  dans  tous  les  pays,  comment  soigner  l'agriculture,  et  le  souhait  de 
la  paix  generalement  exprime  n'  est  pas  un  garant  assez  sur,  pour  desarmer. 

Toute  fois  la  misere  viendra  au  comble  dans  tous  les  pays,  la  France 
a  la  tete,  et  Ton  retournera  ä  la  verite !  Louis  Philippe  est  un  lache 
ambitieux,  prive  des  talens,  qui  servent  cette  grande  passion.  Casimir 
Perrier  le  mortel  le  plus  energique,  qui  apres  le  grand  homme  du  siecle 
aye  paru  en  France,  ne  peut  sans  parier  du  talent  pas  soutenir  avec  Na- 
poleon une  comparaison,  parceque  il  doit  se  borner  ä  conduire  le  gouver- 
nail  au  fort  de  la  tempete ,  tandis  que  l'empereur  lanca  le  navire,  qu1  il 
avait  forme,   sur  l'ocean  apaise. 

Ni  Napoleon  IL  ni  Henry  V.  pourroit  regner  en  ce  moment-ci ;  mais 
ce  dernier  aurait  toujours  plus  de  base,  si  un  jour  l'anarchie  venait  a 
eclater. 

Si  Napoleon  avait  encore  vecu  sur  son  rocher  lorsque  la  revolution 
de  Juillet  eclata,  peut-etre  la  majorite  des  voies  l'appellant  au  tröne  com- 
me  l'unique  sauveur,  aurait  il  tranquillise  la  France;  en  verite  le  chemin 
qu'il  aurait  du  embrasser  etait  d'annoncer  au  souverain  la  ferme  volonte 
de  retablir  l'ordre,  et  de  succomber  s'il  le  fallait  dans  cette  noble  entre- 
prise  qu'il  avait  en  vue  durant  toute  sa  vie. 

Les  meines  grand  es  qualites,  qui  l'eleverent,  l'ont  perdu,  ce  noble 
elan,  cette  insigne  ambition.  Sans  son  esprit  de  conquete  il  ne  serait  pas 
entre  en  Russie ;  sans  la  ferme  conviction,  qu'il  ne  pouvait  rentrer  en 
France,  que  ceint  de  nouveaux  lauriers,  il  aurait  acquiesce  au  projet  du 
prince  Metternich  ä  Dresde,  de  conserver  la  France  avec  ses  frontieres 
naturelles,  mais  alors  une  triste  indecision  et  la  passion  de  la  gloire, 
irresistible  si  eile  l'emportait  sur  le  genie  immense  qui  planait  ordinaire- 
ment  avec  sang-froid  sur  les  affaires,   lui  insprerent  un  refus  qui  le  perdit. 

Finalement  sur  son  rocher  il  trouva  dans  l'attachement  de  peu  de 
personnes  la  reconaissance,  que  lui  devaient  les  peuples,  et  expirant  sur 
le  sol  anglais  il  jeta  un  regard  langoureux  vers  cette  belle  France,  qu'il 
aimait  avec  passion  et  ä  laquelle  il  voulait  apres  l'avoir  rendu  dominatrice 


2)  Zwei  Bogen  Kleinquart,  wovon  das  Eine  in  der  Mitte  durchrissen  ist. 
Mittheilungen  XV.  43 


(374  Kleine  Mittheilungen. 

de  l'Europe,  donner  1' Organisation  la  plus  prospere,  qu'il  detailla  ä  Dresde 
ä  Metternich,  lorsque  ce  prince  en  vain  täche  de  rappeller  sur  l'horizon 
Europeen  l'aurore  d'une  paix,  fondee  sur  son  equilibre.  Mais  cet  equilibre 
devait  etre  assis  sur  des  cessions,  et  des  cessions  suggerant  un  pas  retrograde 
ä  l'empereur,  le  privait  du  fruit  de  son  genie,  seule  base  de  son  tröne, 
des  le  moment  qu'il  avait  renonce  ä  l'harmonie  parfaite  avec  les  autres 
puissances. 

Entre  les  compagnons  d'infortune  de  l'empereur,  le  Pr.  (prince) 
estimait  le  plus  Bertrand  ä  cause  de  son  caractere  ferme  et  sur,  jusqu'  ä 
ce  qu'il  entre  entierement  dans  le  parti  anarchique,  cruel  dementi  d'une 
carriere  pure. 

J'ai  saisi  cette  occasion  pour  apprendre  quelques  particularites  sur 
les  rapports,  qui  peut-etre  existent  avec  eux  et  le  duc  de  Reichstadt. 
Plusieurs  fois  ils  ont  aspire  ä  ce  que  le  prince  m'assure  de  remettre  au 
jeune  prince  les  marques  de  la  sollicitude  paternelle  qui  leurs  sont  confiees  ; 
le   cabinet  autricbien    veut  les  lui  faire  parvenir    sans  leur    intermediaire. 

Le  prince  est  decourage,  departi  de  son  Systeme,  et  convaincu  que 
l'enfantement  dans  lequel  soupire  le  monde,  durera  encore  biens  des  ans. 
En  ce  moment-ci  la  guerre  est  refoulee  dans  ces  idees  par  d'autres  pensees. 

Je  tiens  de  sources,  dont  l'autencite  est  non  equivoque,  que  l'em- 
pereur Francois  envisage  lui  meme  toute  guerre  commencee  ä  cette  heure 
de  la  part  des  allies,  comme  injuste,  et  qu'il  pleure  la  premiere  lutte  de 
la  revolution  dans  laquelle  il  avoue  avoir  ete  enträine  par  l'experimente 
Kaunitz.  A  ces  motifs  de  conscience  viennent  le  joindre  la  conviction  de 
S.  M.,  que  toute  guerre  actuellement  entreprise  serait  impopulaire,  et  cette 
croyance  est  ä  une  influence  populaire  que  commence  ä  poindre ;  dans  son 
cabinet  est  un  immense  grain  pour  la  justice  de  notre  cause. 

L'empereur  a  un  mepris  personnel  pour  notre  roi,  et  une  grande 
idee  de  la  force  de  ses  armees  et  de  Celles  de  ses  allies ;  je  sais  que  dans 
une  audience  particuliere,  que  Mr  de  Tatticheff  a  eue  dimanche  passe,  ce 
ministre  a  remis  ä  S.  M.  une  lettre  de  son  monarque  et  l'assurance  qu'au 
premier  ordre  150,000  bommes  seraient  prets  ä  s'elancer  de  la  Vistule 
sur  la  Seine. 

Quand  a  l'armee  Autrichienne  je  ne  puis  vous  donner  aucun  detail, 
car  je  ne  la  connais  absolument  pas;  mais  soyez  sur  de  recevoir  en  un 
mois  des  rapports  circonstancies  de  ma  part,  qui  vous  informeront  de  sa 
force  reelle,  de  son  equipement,  de  son  Instruction  et  de  l'esprit  qui 
l'animent. 

Je  sais  qu'  on  lui  destine  en  Italie  pour  cbef  le  G.  Radetzky,  qui 
en  1813  — 1814  etait  major-general  du  prince  Scbwarzenberg.  Selon  le 
jugement  de  cet  babile  capitaine,  Radetzky  a  le  doigt  du  genie,  mais  de 
l'indecision. 

L'armee  du  Rbin  sera  commandee  par  Bianchi.  Le  general  Bianchi, 
disgracie  parcequ'  il  etait  trop  franc-parleur,  a  ete,  il  y  a  peu  de  temps 
ä  Vienne,  et  il  a  recu  cette  bonorable  promesse  de  la  part  de  l'empereur. 
C'est  le  seul  general,  de  toutes  les  coalitions,  qui  ont  combattu  notre 
'patrie,  qui  aye  deploye  un  brillant  genie  militaire.  En  1815  chef  de 
larmee  qui  devait  combattre  Murat,  il  recut  l'ordre  du  G.  Frimont  de  se 
tenir  en  Lombardie  sur  la  stricte  defensive,  connaissant  son  adversaire,  la 


Kleine  Mittheilungen.  (375 

bravour  de  son  armee,  se  reposant  sur  son  talent,  jugeant  de  1'  ä  propos 
du  moment,  il  enfreint  cet  ordre;  la  bataille  de  Tolentino  decida  du  sort 
de  Naples,  qui  quinze  jours  apres  tornbe  dans  son  pouvoir.  En  ce  mo- 
ment-ci  il  est  sur  sa  villa  tout-pres  de  Treviso.  Le  seul  reproche,  qu'  on 
lui  porte,  est,  de  ne  pas  savoir  employer  la  cavalerie. 

J'ignore  entiei*ement  les  plans,  relativenient  ä  la  disposition  des  ar- 
mees;  le  G.  Langenau  employe  a  Bude  les  a  trace ;  je  ne  connais  pas  le 
conseil  de  guerre,  et  je  ne  puis  donc  esperer  encore  de  me  les  procurer, 
toutefois  il  n'y  a  rien  qui  resiste  ä  de  l'argent  ou  a  l'arnitie.  Les  al- 
lies  ne  peuvent  etablir  leurs  plans  que  sur  deux  hipotheses,  et  dans 
tous  les  deux  cas  nous  serons  vainqueurs ,  sauf  que  mes  calculs  ne  me 
trornpent,  et  suppose  que  le  allies  nous  declarent  la  guerre.  Car  une  coa- 
lition  a  besoin  de  beaucoup  de  temps,  pour  se  reunir,  tandis  que  nous 
sommes  forts  de  notre  volonte,  de  notre  esqrit  national,  de  la  Sympathie 
qu'  ont  pour  nous  les  nations  allemandes,  et  que  nous  avons  des  jambes 
fran^aises. 

Une  des  grandes  erreurs  de  la  cour  de  Vienne,  dont  je  me  suis 
aper^u  des  mon  arrivee,  suite  des  anciennes  habitudes  est  la  supposition 
de  trouver  un  fort  echo  en  France,  en  cas  de  guerre.  C'est  une  croyance 
dont  ils  reriendront  bientöt. 

Wien.  Hanns    Schütter. 


43* 


Literatur. 

Neuere  Literatur  über  deutsches  Städtewesen. 

IV. 

13.  Richard  Schröder,  Weichbild.  In  Hist.  Aufsätze  dem 
Andenken  an  Georg  Waitz  gewidmet,  Hannover  1886.  S.  306  ff. 

14.  Die  Rolande  Deutschlands.  Festschrift  zur  Feier  des 
25jährigen  Bestehens  des  Vereines  für  Geschichte  Berlins  am  28.  Ja- 
nuar 1890.  Im  Auftrage  des  Vereins  herausgegeben  von  Dr.  jur.  Ri- 
chard Beringuier.  Berlin  1890.  Darin  S.  1 — 36:  Die  Stellung  der 
Rolandssäulen  in  der  Rechtsgeschichte.  Von  Dr.  Richard 
Schröder,  Professor  an  der  Univ.  Heidelberg. 

15.  Sello,  Die  deutschen  Rolande.  In  Forschungen  zur 
Brandenburg.-Preussischen  Geschichte  3  (1890),  399  ff. 

Bevor  ich  zur  Besprechung  der  wichtigeren  unter  jenen  Schriften 
übergehe,  welche  der  G-eschichte  und  der  Verfassungsentwickelung  einzelner 
Städte  gewidmet  sind,  will  ich  über  zwei  Abhandlungen  Kichard  Schröders 
(13,  14.)  berichten,  die  nicht  allein  des  Gegenstandes  wegen,  den  sie 
behandeln,  sondern  auch  deshalb  eingehender  Erörterung  bedürfen,  weil  die 
Ergebnisse  derselben  einerseits  des  Verfassers  eigene  und  weit  verbreitete 
Gesammtanschauung  beeinflu^st  haben,  andererseits  von  Sohm  und  andern 
Forschern  als  Ausgangspuncte  ihrer  Arbeiten  genommen  worden  sind. 
Weichbild  ist  gleich  Ortsbild  und  als  dieses  Ortsbild  tritt  uns  vorzugs- 
weise das  Stadtkreuz  entgegen.  Dasselbe  ist  aus  dem  Marktkreuz  hervor- 
gegangen, es  hat  keinen  religiösen  Character,  sondern  ist  das  Wahrzeichen 
des  königlichen  Bannes ;  als  eine  Umformung  dieses  den  König  vertre- 
tenden Kreuzes  haben  wir  die  Rolande  zu  betrachten.  In  diesen  Sätzen 
lässt  sich  Schröders  Ansicht  zusammenfassen.  Unbestreitbar  ist  des  Ver- 
fassers Verdienst,  mit  beiden  Untersuchungen  die  Aufmerksamkeit  auf 
sehr  wichtige  Fragen  gelenkt,  über  Genglers  verdienstliche  Zusammenstellung 
hinaus    neue  Belegstellen  beigebracht   und  der   Forschung   mehrmals    den 


Literatur.  677 

rechten  Weg  gewiesen  zu  haben.  Zu  bedauern  ist  aber,  dass  der  Ver- 
fasser selbst  seiner  Marktrechtstheorie  zu  Liebe  einen  Irrweg  eingeschlagen 
hat.  Schon  die  Deutung  des  Wortes  Weichbild  =  Ortsbild  *)  kann,  wie 
wir  früher  gesehen  haben,  nicht  befriedigen,  noch  bedenklicher  aber  ist, 
dass  Schröder  die  ganz  richtig  erkannte  Scheidung  zwischen  Markt-  und 
Stadtkreuz  aufgegeben  hat.  Statt  diese  Scheidung  in  archaeologischer 
Forschung  genau  durchzuführen,  und  festzustellen,  ob  zwischen  beiden 
Kreuzen  irgend  ein  äusserer  Zusammenhang  besteht,  begnügt  er  sich,  mit 
einem  theoretischen  Axiom  über  diese  grundlegende  Frage  hinwegzueilen. 
Da  das  Marktrecht  die  Vorstufe  des  Stadtrechts  ist,  so  muss  auch  das 
Marktkreuz  älter  als  das  Stadtkreuz  sein  (Weichbild  p.  318).  Nur  unter 
der  Voraussetzung,  dass  die  deutschen  Städte  aus  Märkten  entstanden  sind, 
konnte  das  Marktkreuz  zum  Stadtkreuz  werden  (Rolande  p.  35).  Man  er- 
kennt den  methodischen  Fehler  dieser  beiden  Sätze,  die  aus  einer  uner- 
wiesenen  Voraussetzung  einen  Schluss  ziehen  und  diesen  wieder  als  Beweis 
für  jene  Voraussetzung  nehmen.  Ich  vermisse  einen  Beweis  dafür,  dass 
das  Marktkreuz  im  allgemeinen  älter  als  das  Stadtkreuz  ist,  und  einen 
Beweis  dafür,  dass  ein  Marktkreuz  schon  in  sehr  früher  Zeit  durch  ein 
Stadtkreuz  ersetzt  wurde.  Die  Stelle  aus  der  Translatio  s.  Filiberti,  welche 
Schröder  Rolande  p.  1 0  anführt,  kann  ich  als  Beleg  für  den  Bestand  eines 
Marktkreuzes  nicht  gelten  lassen:  Figitur  crux  in  Signum  longiuscule  a 
forinseca  monasterii  porta,  quousque  uterque  sexus  admitti  debeat,  causa 
scilicet  negotii,  quia  ibidem  nundinae  exercentur.  Die  Sachlage  ist  deut- 
lich genug,  es  handelt  sich  gar  nicht  um  ein  Marktzeichen,  sondern  um 
ein  Zeichen  zum  Schutz  der  Klausur,  die  eben  eines  solchen  in  Folge 
des  Zusammenströmens  von  Personen  männlichen  und  weiblichen  Geschlech- 
tes anlässlich  des  vor  der  Klosterpforte  abgehaltenen  Marktes  bedurfte. 
So  bleibt  uns  als  erster  Beleg  für  das  Marktkreuz  nur  die  bekannte  Ge- 
richts-Urkunde Friedrichs  I.  vomJ.  1165,  welche  auf  ein  Privileg  Lothars  vom 
Jahre  1130  zurückgeht,  wir  kommen  damit  ungefähr  in  dieselbe  Zeit,  aus 
der  uns  auch  der  Bestand  von  Stadtzeichen  urkundlich  bezeugt  wird. 
Schon  dieser  zeitliche  Zusammenhang  macht  eine  genaue  Untersuchung  des 
Aeusseren  der  beiden  Kreuze  und  der  Art  ihrer  Verwendung  unerlässlich. 
Ohne  auf  die  Frage  näher  eingehen  zu  können,  scheint  mir  doch  das  eine 
zu  betonen  nöthig,  dass  das  Marktkreuz  oder  die  es  vertretenden  Zeichen  anfangs 
nicht  dauernd  stehen,  sondern  nur  für  die  Zeit  des  Marktes  aufgerichtet 
werden,  dass  ferner  diese  Marktzeichen  ihren  Platz  auf  dem  Markte  haben, 
während  das  Stadtkreuz  auch  anderswo  stehen  kann,  sei  es,  dass  mehrere 
(zumeist  vier)  die  Burgfriedensgrenzen  bezeichnen  oder  dass  eines  an  ir- 
gend einem  stark  begangenen  Orte  (Brücken,  Markt,  Landstrasse)  aufge- 
stellt wird.  Daraus  dürfte  doch  das  eine  hervorgehen,  dass  es  nicht  zu- 
lässig ist,  beide  Kreuze  blos  auf  Grund  eines  dogmatischen  Satzes  zusam- 
menzuwerfen. Zu  dem  könnte  man  den  Satz :  „Städte  sind  an  Märkten 
entstanden,  daher  ist  das  Stadtkreuz  aus  dem  Marktkreuz  hervorgegangen« 
auch  umkehren  und  sagen :  Märkte  sind  in  Städten  entstanden,  daher    ist 


*)  Diese  Deutung  ist  nicht  erst  von  Haltaus  auf  den  Weg  gebracht,  sondern 
findet  sich,  wie  Sello  bemerkt  hat,  schon  in  der  auch  von  Gengier  angeführten 
Schrift  Gryphianders. 


ß<7g  Literatur. 

das  Marktkreuz  aus  dem  Stadtkreuz  hervorgegangen.  Wie  dieses  ist  es 
ein  Zeichen  städtischer  Gerichtsbarkeit,  aber  nicht  wie  das  Stadtkreuz 
der  regelmässigen  Gerichtsbarkeit  des  öffentlichen  Stadtrichters,  son- 
dern der  vom  Stadtherrn  auf  Grund  königlicher  Vollmacht  für  den  Markt 
(nach  Raum  und  Zeit)  bestellten  Gerichtsbarkeit  des  Rathes.1)  Halten  wir 
beide  Kreuze  auseinander,  so  kommen  wir  auch  besser  mit  dem  geschicht- 
lichen Verlaufe  aus,  als  dies  mit  Schröders  Annahme  geschieht.  Da  soll 
in  unvordenklicher  Zeit  das  Marktkreuz  zum  Stadtkreuz  geworden,  dann 
aber  erst  wieder  ein  eigenes  Marktkreuz  errichtet  worden  sein;  das  ist 
derselbe  Widerspruch  wie  bei  der  Marktrechtstheorie  überhaupt,  der  zu 
Folge  im  grauen  Alterthume  der  unständige  Markt  zum  ständigen  d.  h. 
zur  Stadt  geworden  sein  soll,  worauf  dann  dem  Herrn  dieses  ständigen 
Marktes  erst  wieder  im  9.  und  10.  Jh.  das  Recht  zur  Abhaltung  eines 
unständigen  Marktes  vom  König  verliehen  werden  musste. 

Aber  selbst  wenn  weitere  Forschung  die  äussere  Uebereinstimmung 
beider  Kreuze  dartun  würde,  so  wäre  damit  die  innere  Gleichheit  noch 
nicht  erwiesen.  Wird  doch  das  Kreuz  überhaupt  für  die  verschiedensten 
Zwecke  als  Symbol  gebraucht,  wofür  man  selbst  in  dem  eng  umgrenzten 
Gebiete  städtischen  Wesens  aus  den  von  Schröder  angeführten  Belegen 
lehrreiche  Beispiele  aufzählen  kann.  In  Echternach  standen  vier  Friedens- 
kreuze an  den  Grenzen  des  Stadtgebietes,  auf  dem  Markte  aber  eiu  Kreuz 
mit  Galgen,  Rad  und  Hand  zum  Zeichen  dass  ,der  grontherr  das  hochge- 
richte'  hat;  in  Obernaula  finden  wir  als  Zeichen  der  Gerichtsbarkeit  des 
Landgrafen  von  Hessen  den  Diebstock  mit  Halseisen,  als  Zeichen  der  Zoll- 
gerechtigkeit des  Mainzer  Erzbischofs  ein  Kreuz  mit  Schwert;  in  Zülpich 
wird  während  der  Dauer  des  Marktes  das  Banner  des  Erzbischofs  von 
Köln  als  Marktherrn,  nach  Schluss  des  Marktes  aber  ein  Kreuz  als  Zeichen 
der  vierzehntägigen  Zollgerechtigkeit  des  Abtes  von  Sinzig  aufgerichtet. 
Wenn  man  nicht  behaupten  will,  dass  der  Zoll  die  Hauptsache  beim  Markte 
sei,  Marktherrlichkeit  und  Gericht  nur  nebenher  in  Betracht  kommen,  so 
wird  man  diese  Kreuze  nicht  unter  den  einen  Marktrechtshut  bringen 
können,  sondern  sich  bei  der  auch  sonst  begegnenden  Thatsache  beschei- 
den müssen,  dass  für  ein  und  dieselbe  Sache  verschiedene  Symbole  ver- 
wendet werden  und  umgekehrt  ein  und  dasselbe  Symbol  für  verschiedene 
Dinge  gebraucht  wurde.  Die  vielfältige  Verwendung  des  Kreuzes  kann 
man  aber  nur  aus  der  weihevollen  Achtung,  die  diesem  Zeichen  seit  den 
ersten  Jahrhunderten  des  Christenthums  entgegengebracht  und  die  immer 
gesteigert  worden  ist,  erklären.  Nicht  die  Form  an  sich,  sondern  erst  der 
christliche  Gedanke  ist  es,  „der  die  Grundlage  des  Preises  und  des  Schmuckes 
des  Kreuzes  bildet".  Mit  diesen  Worten  hat  Stockbauer  unzweifelhaft  den 
Kern  getroffen  2),  und  mag  dieser  christliche  Gedanke  in  einzelnen  Gegen- 
den, in  manchen  Zeiten  und  bei  manchem  Gebrauche  zurückgetreten  sein 
oder    sich    verflüchtigt    haben,    die    kirchliche    Gesinnung    des    Mittelalters 

J)  Wie  wir  später  sehen  werden,  hat  z.  B.  der  Rath  von  Magdeburg  die 
Gerichtsbarkeit  während  der  Messe  auf  dem  der  Grund-  und  Gerichtsherrschaft 
des  Erzbischofs  unterstehenden  Neuen  Markt. 

2)  Stockbauer,  Kunstgesdi.  des  Kreuzes  122,  vgl.  auch  Zöckler,  Das  Kreuz 
Christi  196.  167,  179  und  namentlich  die  von  ihm  S.  165  angeführte  Stelle  des 
heil.  Hieronymus,  auf  welche  sich  auch  Kuntze,  Deutsche  Städtegründ.,  40  ff. 
beruft. 


Literatur.  679 

bringt  ihn  doch  immer  wieder  zu  Tage.  Nicht  aus  einer  abstrahierenden, 
theoretischen  und  antiquarischen  Erläuterung,  sondern  aus  dem  Geiste  der 
Vergangenheit  muss  der  Historiker  den  Wert  dieses  Symbols  zu  verstehen 
suchen.  Aus  dieser  Auffassung  heraus  wird  man  sich  mit  Schröders  Schei- 
dung zwischen  dem  weltlichen  und  christlichen  Kreuz  *)  nicht  befreunden 
können,  und  weder  die  von  Schulte  angesprochene  Kastatter  Bäuerin 2), 
noch  die  von  Schröder  (Rolande  p.  15)  herangezogene  Stelle  aus  Ortnit 
wei'den  die  in  dem  allgemeinen  Verlauf  der  Kreuzesverehrung  begründete 
Anschauung  erschüttern  können.  In  dem  erwähnten  Gedichte  bindet  der 
.Konstabel'  einer  muhammedanisch  gedachten  Stadt  an  den  Mastbaum  eines 
einfahrenden  Schiffes  „einen  vanen  und  ein  kriuze,  damit  er  si  bewiste, 
dass  in  fride  waere  bekant" ;  da  soll  nun  ,von  einem  christlichen  Kreuze' 
keine  Eede  sein  können.  Es  liegt  doch  nur  eine  echt  mittelalterliche  naive 
Verwendung  des  Gebrauchs  der  christlichen  Pilgerschiffe  vor,  welche,  wie 
Sehr,  selbst  mit  Berufung  auf  mehrere  Stellen  der  Kudrun  hervorhebt,  „das 
christliche  Kreuz  auf  ihren  Segeln*'  führten.  Oder  gab  es  vielleicht  auch 
muhammedanische  ,Konstabel  von  der  stat'  und  muhammedanische  Kreuze? 
Nehmen  wir  diese  Kreuze  als  das  was  sie  sind  und  wofür  sie  auch 
von  denen,  die  sie  errichteten,  stets  gehalten  wurden,  so  werden  wir  auch 
Schröders  Vermuthungen  über  die  Gründe,  welche  zur  Ersetzung  des  Stadt- 
kreuzes durch  den  Koland  führten,  wenn  üherhaupt  von  einer  solchen  Er- 
setzung die  Rede  sein  kann,  nicht  bedürfen.  Schon  Sello  hat  deren  innere 
Unhaltbarkeit  dargethan.  Wenn  Schröder  meint,  es  habe  zum  Theil  die 
zunehmende  Verfeinerung  des  Kunstsinnes  mitgewirkt,  so  wird  er  durch 
die  von  ihm  einbegleiteten  Abbildungen  augenfällig  widerlegt  und,  wenn 
er  meint,  dass  es  das  religiöse  Gefühl  beleidigte,  das  Zeichen  Christi  als 
Träger  weltlicher  Symbole  zu  sehen,  so  wäre  es  gewiss  sehr  merkwürdig, 
wenn  sich  dies  religiöse  Gefühl  allgemeiner  und  häufiger  nur  in  einem  be- 
grenzten Gebiete ,  nicht  auch  in  dem  doch  unzweifelhaft  ebenso  kirchlich 
gesinnten  Süden  und  Westen  Deutschlands  oder  in  Frankreich  geäussert 
hätte,  ganz  abgesehen  davon,  dass  gerade  das  gesteigerte  religiöse  Gefühl 
die  Verwendung  des  Kreuzes  zu  den  allerverschiedensten  Zwecken,  selbst 
bis  zum  rein  äusserlichen  und  tadelnswerten  Uebermass,  ebenso  wie  im 
7.  Jahrhundert  so  auch  heute  noch  im  Gefolge  hat 3).  Damit  gelangen 
wir  zur  zweiten  Schrift  Schröders,  die  auf  noch  geringere  Zustimmung  An- 
spruch hat,  als  die  erste  Abhandlung,  der  man  wenigstens  das  Verdienst 
vielfacher  Anregung  nicht  bestreiten  kann.  Scharfe  und  auf  guter  Sach- 
kenntniss  begründete  Kritik  hat  Sello  (15.)  daran  geübt,  es  wird  daher 
genügen,  auf  dessen  Darlegung  zu  verweisen,  hier  nur  wichtigere  Einzel- 
heiten herauszuheben.  Gewiss  ist,  dass  die  Rolande  in  einem  Gebiete,  das 
sich  wesentlich  mit  dem  Vorkommen  des  Wortes  Weichbild  deckt,  die 
Stelle  eines  Stadtkreuzes    einnehmen 4).     In  Weiterbildung    seiner  Theorie 


J)  Die  er  schon  im  Jahre  1885  vertreten  hat,  s.  Zeitschr.  für  Kirchenrech^ 
21,  397. 

2)  Gott.  Gel.  Anzeigen  1891,  530. 

3)  Zöckler  167,  179. 

4)  Die  orts-  und  landesgeschichtlichc  Forschung  wird  testzustellen  haben, 
wie  es  sich  mit  dem  angeblichen  Vorkommen  von  Rolanden  ausserhalb  dieses 
Gebietes  verhält. 


680 


Literatur. 


von  der  Entstehung  des  Stadtkreuzes  aus  dem  Marktkreuz  will  nun  Sehr, 
nachweisen,  dass  auch  die  Eolande  Marktzeichen  sind,  oder  das  Markt- 
kreuz ersetzen.  Er  kommt  zu  diesem  Schlusssatze  auf  dem  so  beliebten 
Wege  des  disjunktiven  Schlusses:  die  Rolande  sind  weder  Gerichtszeichen 
noch  sind  sie  Stadtzeichen,  folglich  sind  sie  Marktzeichen. 

Sie  sind  nicht  Gerichtszeichen,  weil  sie  sich  an  Orten  finden,  welche 
die  hohe  Gerichtsbarkeit  nie  besessen  haben  und  weil  andererseits  an 
der  Mehrzahl  der  Dingstätten  sich  kein  Roland  findet.  Es  liegt  nun  gar 
kein  Grund  vor,  die  Rolande  auf  die  hohe  Gerichtsbarkeit  zu  beschränken, 
und  was  das  zweite  Argument  betrifft,  so  ergibt  sich  aus  den  Be- 
schreibungen des  Buches,  wie  sehr  bei  diesen  Dingen  der  Kostenpunkt 
ins  Gewicht  fiel,  so  dass  von  einem  regelmässigen  und  notwendigen 
Herkommen  der  Rolande  gar  nicht  die  Rede  sein  kann.  Uebrigens  könnte 
das  Argument  ebenso  gut  gegen  die  Markttheorie  verwertet  werden,  da 
auch  auf  vielen  Märkten  kein  Roland  nachzuweisen  sein  dürfte.  Noch 
entscheidender  als  diese  formalen  Bedenken  scheint  es  mir  zu  sein, 
dass  die  Rolande  oder  Säulen  zu  Beigern,  Brakel,  Caibe,  Halle,  Perleberg, 
Questenberg,  Stendal  unmittelbare  Beziehung  zum  Gericht  aufweisen,  an- 
dere sie  nicht  ausschliessen.  Das  zweite  Trennungsglied  des  Obersatzes 
ist  allerdings  zuzugeben,  da  sich  Rolande  auch  an  Orten  finden,  welche 
nie  Städte  waren,  aber  daraus  folgt  noch  nicht  für  sich  allein,  dass  man 
sie  als  Marktzeichen  zu  nehmen  hat.  Wenn  nun  die  Rolande  weder  Markt- 
zeichen noch  Stadtrechtszeichen  sind,  für  was  hat  man  sie  zu  halten?  Be- 
stimmt beantworten  lässt  sich  diese  Frage  heute  noch  nicht,  nur  einen 
Hinweis  möchte  ich  mir  gestatten.  Die  meiste  innere  Berührung  scheinen 
sie  mir  nach  den  von  Schröder  und  Sello  beigebrachten  Belegen  mit  der 
croix  de  Beaumont  zu  haben  und  wir  werden  möglicherweise  ihre  Bedeu- 
tung durch  ein  Moment  zu  erfassen  haben,  das  weder  Sehr,  noch  Sello 
hervorheben,  das  aber  gerade  durch  die  geographische  Verbreitung  an  die 
Hand  gelegt  wird,  die  Ansiedlung  nach  Weichbildrecht,  wobei  eine  Be- 
ziehung zum  Gerichte  nicht  ausgeschlossen  wäre.  Eine  sichere  Lösung 
aller  Fragen,  die  diese  Bilder  uns  stellen,  werden  wir  aber  erst  von  einer 
eingehenden  erneuten  Sammlung  der  erhaltenen  Rolande  und  der  Nach- 
richten über  die  nicht  mehr  erhaltenen  erwarten  dürfen,  wobei  nament- 
lich auf  die  Entstehung  der  einzelnen  Bildsäulen  das  grösste  Gewicht  zu 
legen  ist,  wie  Sello  richtig  und  bestimmt  ausgesprochen  hat.  Eben 
aus  dem  Mangel  einer  ausreichenden  archäologischen  Grundlage  erklärt  es 
sich,  dass  wichtige  Behauptungen  Schröders  in  der  Luft  hängen  und  dass 
er  manchmal  recht  schlimm  in  die  Irre  gegangen  ist.  So  meint  er  (S.  5) 
dass  in  Erfurt  einmal  ein  Marktkreuz  gestanden  habe,  an  dessen  Stelle 
im  J.  1591  ein  Roland  gesetzt  worden  sei.  Aus  dem  S.  130  abgedruckten 
Berichte  des  Stadtarchivars  Dr.  Beyer  geht  aber  hervor,  dass  das  Kreuz 
zur  Erinnerung  an  die  1385  wegen  Baufälligheit  abgebrochene  Martins- 
kirche errichtet  wurde  und  dass  die  im  J.  1591  an  Stelle  dieses  Kreuzes 
aufgerichtete  Bildsäule  überhaupt  für  einen  Roland  nicht  zu  halten  ist. 

Die  Säule  in  Brakel,  welche  eine  Kugel  und  auf  derselben  eine  Fahne 
trägt,  an  deren  Spitze  eine  Kugel  mit  einem  Kreuze  angebracht  ist,  will 
Schröder  dahin  verwerthen,  dass  uns  hier  die  Auffassung  dieser  Säulen 
(und  damit  auch  ihrer    Nachfolger    der    Rolande)    als    Träger   von   Markt- 


Literatur.  ßgl 

zeichen  (Fahne,  Reichsapfel,  Kreuz)  am  unverkennbarsten  entgegentritt. 
Hören  wir  nun  was  uns  auf  S.  40  Herr  Bürgermeister  Witkop  von  Brakel 
erzählt.  Die  Säule  trug  früher  „ein  Kerlchen"  oder  „Männeken"  (also 
Prangers äule),  stand  auch  nicht  mitten  auf  dem  Markte  sondern,  vor  dem 
Hause  des  Gografen,  in  dem  bis  1803  Gericht  gehalten  wurde.  Anfangs  der 
20er  Jahre  wurde  die  Säule  umgefahren,  wobei  das  Männeken  in  Stücke 
gieng.  Nach  etlichen  Jahren  wurde  sie  wieder  aufgerichtet,  aber  ohne 
Männeken  und  an  einer  andern  Stelle,  wo  sie  den  Verkehr  nicht  mehr 
behinderte.  Da  sich  nun  in  Brakel  kein  Künstler  fand,  der  ein  Kerlchen 
herstellen  konnte,  man  aber  die  Säule  nicht  jedes  Schmuckes  bar  dastehen 
lassen  wollte,  so  liess  man  die  gegenwärtige  Verzierung  anbringen.  Da 
die  Säule  auch  als  „die  getreulich  bewahrte  Form  der  Irminssäule"  ge- 
golten hat,  so  findet  der  Herr  Bürgermeister  es  für  nothwendig,  zu  ver- 
sichern, dass  der  hiesige  Maurermeister  bei  Anfertigung  der  Würfel  und 
der  Kugel  sicherlich  nicht  an  die  Irminsäule  gedacht ,  von  letzterer  wahr- 
scheinlich nie  etwas  gehört  hat,  und  fügt  zum  Schlüsse  die  Bemerkung 
an:  „Es  bleibt  jedem  überlassen,  hieran  Reflexionen  über  die  Zuverlässig- 
keit der  Hypothese  gelehrter  Forscher  und  Alterthümler  zu  knüpfen." 
Damit  hat  er  auch  Schröders  Darlegung  getroffen,  wir  dürfen  wohl  an- 
nehmen, dass  auch  der  Schlossermeister  bei  der  Anfertigung  der  Fahne, 
des  Kreuzes  und  des  Reichsapfels  sich  keine  tiefen  Gedanken  gemacht  hat. 
Wenden  wir  uns  nun  von  der  Einleitung  zur  Veröffentlichung  selbst.  Sie 
bietet  Abbildungen  von  27  wirklichen  und  vermeintlichen  Rolanden  oder 
Marktzeichen  und  scheidet  diese  in  eine  Hauptgruppe,  welche  die  eigent- 
lichen Rolande  nach  ihrer  geographischen  Verbreitung  vereinigt,  und  in 
eine  zweite  kleinere,  in  welcher  die  nur  im  Volksmunde  als  Rolandssäulen 
bezeichneten  Standbilder  zusammengestellt  sind.  Mag  dieser  Eintheilung 
die  Berechtigung  nicht  abgesprochen  werden,  so  wird  dagegen  die  Zu- 
weisung der  einzelnen  Standbilder  nicht  immer  Beifall  finden.  Das  als 
Roland  gebrauchte  Standbild  Heinrichs  des  Löwen  in  Neuhaldensleben  hätte 
in  die  erste  Gruppe  gehört,  oder  man  hätte  auch  die  auf  dem  Friedhof 
von  Obermarsberg  stehende  Statue  s.  Rolandi,  welche  jedenfalls  einen  der 
Gründer  der  Kirche  darstellt,  ausscheiden  müssen.  Ebenso  hätten  die  Säule 
von  Brakel  und  das  Standbild  von  Erfurt  ihren  Platz  in  der  zweiten 
Gruppe  finden  sollen.  Den  einzelnen  Photographien  sind  Beschreibungen 
und  Nachrichten  beigegeben,  wie  sie  auf  die  von  dem  Verein  ausgeschickten 
Anfragen  einliefen.  Dieselben  haben  aber  sehr  verschiedenen  Werth.  Den 
bereits  erwähnten  guten  Berichten  von  Witkop  und  Dr.  Beyer  ist  noch 
die  Darstellung  des  Staatsarchivars  Dr.  Prümer  über  Posen  anzureihen,  die 
meisten  der  andern  Mittheilungen  dagegen  treffen  gar  nicht  die  Haupt- 
punkte der  Forschung,  sondern  berichten  oft  nur  über  belanglose  Aeusser- 
lichkeiten.  Eine  Verarbeitung  des  gelieferten  Materiales  hat  in  keiner 
Weise  stattgehabt.  Damit  bin  ich  an  einem  heiklen  Punkt  angelangt,  an 
dem  ich  einer  allgemeinen  Erwägung  Ausdruck  verleihen  möchte. 

In  keiner  Weise  sollen  die  gute  Absicht  und  der  redliche  Wille, 
welche  die  Herausgabe  dieser  Festschrift  veranlasst  haben,  verkannt  werden, 
aber  es  ist  unmöglich,  darüber  hinwegzusehen,  dass  der  Herausgeber  eine 
jener  seltsamen  Methoden  gebraucht  hat,  welcher  sich  auch  ein  immer 
lästiger  werdender  Dilettantismus    im  Bunde  mit  der  Schaulust  eines  weit 


ßg2  Literatur. 

reichenden  literarischen  Pöbels  und  mit  der  zum  Schaden  ernster  und 
redlicher  Arbeit  mehr  und  mehr  auch  in  die  Wissenschaft  eindringenden 
kapitalistischen  Productionsweise  gerne  bedient.  Als  wesentliche  Hilfs- 
mittel dieser  Methode  dilettantischer  Ausstellungs-  und  Bücherfabrikation 
erscheinen  der  Fragebogen  und  der  Fachgelehrte.  Ist  die  Versendung  der 
Fragebogen,  die  ja  selbstverständlich  nie  genügen,  beendet  und  laufen  auch 
Antworten  ein,  deren  Werth  natürlich  von  dem  guten  Willen  und  der 
Sachkenntnis  der  Angegangenen  abhängt ,  dann  wird  der  Fachgelehrte 
herangezogen,  als  welcher  in  der  Regel  „eine  erste  Kraft"  gewonnen 
wird.  Ihm  wird  nun  beileibe  nicht  das  ganze  Material  zur  Verfügung 
gestellt,  sondern  er  ist  ganz  auf  das  Entgegenkommen  des  von  dem  Geld- 
geber beauftragten  Unternehmers  angewiesen.  Kann  schon  an  und  für 
sich  bei  einer  solchen  zumeist  ohne  innere  Nöthigung  oft  nur  als  lästige, 
nicht  zu  vermeidende  Verpflichtung  übernommenen  und  an  einen  bestimmten 
Termin  gebundenen  Gelegenheitsarbeit  nicht  viel  herauskommen,  so  muss 
es  vollends  zum  schlimmen  Ende  führen,  wenn  der  Fachgelehrte  ohne 
Kenntnis  des  gesammelten  Stoffes  bleibt,  der  Unternehmer  oder  Redacteur 
aber  den  Widerspruch  zwischen  dem  Fachmanne  vorne  und  den  Bericht- 
erstattern rückwärts  nicht  beachtet.  Da  ist  es  kein  Wunder,  wenn  die  so 
künstlich  ausgeklügelte  Maschine  den  Dienst  versagt  und  nichts  klappt. 
Der  offenkundige  Misserfolg,  den  der  Berliner  Verein  mit  der  vorliegenden 
Festschrift  zu  tragen  hat,  soll  aber  nicht  etwa  ein  Anlass  zu  hämischer 
Schadenfreude  und  dünkelhafter  Selbstbespiegelung,  sondern  eine  ernste 
Warnung  und  Mahnung  sein.  Solche  Misserfolge  sind  vor  allem  deshalb 
zu  beklagen  und  zu  vermeiden,  weil  durch  sie  das  Vertrauen  weiter  Kreise 
in  die  Zuverlässigkeit  unserer  Wissenschaft  verringert  wird,  ein  Umstand, 
den  wir  nicht  gering  schätzen  dürfen,  da  keine  Wissenschaft,  vor  allem 
aber  nicht  die  Geschichtsforschung,  dieses  Vertrauens  und  der  volksmässigen 
Theilnahme  entrathen  kann. 

Wien.  K.  U  h  1  i  r  z. 


Friedrich  von  Wyss,  Abhandlungen  zur  Geschichte 
des  schweizerischen  öffentlichen  Rechts.  Zürich,  Orell  Füssli. 
VIII  und  475  S.  8°. 

Etwas  verspätet  kommen  wir  zu  einer  kurzen  Besprechung  dieses  vor 
zwei  Jahren  erschienenen  Werkes.  In  dem  würdig  ausgestatteten  Bande 
hat  der  gewesene  Professor  des  Rechts  an  der  Universität  Zürich  drei  ältere 
zerstreute  Untersuchungen  in  theilweise  umgearbeiteter  Form  vereinigt  und 
damit  allen  denjenigen,  die  sich  mit  rechtshistorischen  Studien  auf  schwei- 
zerischem Gebiete  beschäftigen,  einen  höchst  schätzbaren  Dienst  geleistet. 
Es  sind  grundlegende  Arbeiten  für  die  älteste  eidgenössische  Geschichte, 
die  ja  ohne  eingehende  Erörterung  rechtlicher  Fragen  nicht  verstanden 
werden  kann. 

Die  erste  Abhandlung  über  »die  schweizerischen  Landgemeinden  in 
ihrer  historischen  Entwicklung«  (S.  1  — 160)  erschien  bereits  vor  42  Jahren 
im  1.  Bande  der  Zeitschrift  für  schweizerisches  Recht  und  fand  schon  da- 
mals die  Zustimmung  der  Fachgenossen.  Für  die  zweite  Bearbeitung  stan- 


Literatur.  533 

den  dem  Verfasser  die  neueren  Quellenpublicationen,  vor  allem  Wartmanns 
Urkundenbuch  der  Abtei  St.  Gallen  zu  Gebote.  Die  Recktszustände  in  der 
ältesten  Periode,  der  merovingischen  und  karolingischen  Zeit  bis  in  das 
zehnte  Jahrhundert,  konnten  schärfer  beleuchtet  werden,  und  die  hier  ge- 
wonnenen Resultate  haben  trotz  der  Begrenzung  des  Forschungsgebietes 
nicht  nur  lokale  Bedeutung:  sie  fördern  die  Erkenntnis  der  rechtsgeschicht- 
lichen Entwicklung  auf  dem  ganzen  alt-alamannischen  Territorium.  Eine 
reiche,  in  den  letzten  Jahrzehnten  erschlossene  Quellenliteratur  kam  auch 
den  Untersuchungen  über  die  Gemeindebildung  in  der  zweiten  Periode,  vom 
10.  bis  ins  16.  Jahrhundert,  zu  statten;  für  die  Waldstätte  insbesondere 
leistete  dem  Verfasser  das  sorgfältig  angelegte  Werk  Oechslis  über  »die 
Anfänge  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft«  (Zürich  1891)  treffliche 
Dienste.  Nur  geringe  Aenderungen  erlitt  die  Darstellung  in  der  dritten, 
bis  zum  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts  reichenden  Periode,  während 
in  der  vierten  Periode  von  der  Begründung  der  helvetischen  Republik  bis 
zur  Gegenwart  auf  die  gesetzliche  Regelung  des  Verhältnisses  zwischen 
Einwohner-  und  Bürgergemeinde  in  den  verschiedenen  Kantonen  nament- 
lich auf  Grund  der  einschneidenden  Bestimmungen  der  revidirten  Bundes- 
verfassung vom  Jahre   1874  Rücksicht  zu  nehmen  war. 

Ebenfalls  in  der  Zeitschrift  für  schweizerisches  Recht  (18.  Bd.,  1873) 
ist  die  zweite  Abhandlung:  »Die  freien  Bauern,  Freiämter,  Freigerichte 
und  die  Vogteien  der  Ostschweiz  im  spätem  Mittelalter»  (S.  161 — 335) 
erschienen.  Der  neuen  Ausgabe  sind  ergänzende  Bemerkungen  und  Citate 
beigefügt.  Die  Bedeutung  dieser  Arbeit  liegt  in  dem  genauem  Nachweis, 
dass  in  der  ganzen  Ostschweiz,  in  gebirgigen  Gegenden  wie  auf  dem 
flachen  Lande,  neben  einer  vorwiegend  unfreien  Bevölkerung  einzelne  Ge- 
meinden von  freien  Bauern  bestanden,  die  unter  eigenartigen  Rechtsver- 
hältnissen lebten,  bis  gegen  das  Ende  des  Mittelalters  infolge  der  allge- 
meinen Entwicklung  auf  schweizerischem  Boden  die  Unterschiede  zwischen 
Freien  und  Unfreien  sich  verwischten.  Ausser  im  Lande  Schwiz,  dessen 
rechtliche  Verhältnisse  seit  den  Arbeiten  Kopps  schon  vielfach  untersucht 
und  leidlich  klargestellt  worden  sind,  gab  es  solche  Verbände  freier  Leute 
(vrie  lüte,  homines  liberae  conditionis)  in  der  zürcherischen  Grafschaft 
Kiburg,  im  argauischen  Siggental,  in  den  Herrschaften  Greifensee,  Grü- 
ningen und  Regensberg,  im  Bezirke  Affoltern  zwischen  Albis  und  Reuss, 
wo  der  Name  »Freiamt«  im  Munde  des  Volkes  noch  heutzutage  fortlebt, 
in  der  Landgrafschaft  Turgau  und  in  der  Reichsvogtei  St.  Gallen,  in  der 
rätischen  Grafschaft  Lags,  in  Unterwaiden,  im  Haslithal  etc.  Die  freie  Ge- 
meinde in  Schwiz  aber  unterschied  sich  von  allen  andern  Vereinigungen 
durch  die  grosse  Zahl  ihrer  Genossen,  durch  die  unermüdliche  Verthei- 
digung  und  Erweiterung  ihres  alten  Rechts  und  durch  die  volle  politische 
Unabhängigkeit,  die  sie  im  Kampfe  gegen  das  habsburgische  Haus  auf  die 
Dauer  errang.  Es  ist  ungemein  lehrreich,  an  der  Hand  des  Verfassers  die 
verschiedenen  in  den  Quellen  erwähnten  Verbände  mit  ihrer  Organisation 
zu  verfolgen  und  hierauf  die  Resultate  zusammenzufassen,  die  sich  aus  den 
einzelnen  Erscheinungen  für  die  Beschaffenheit  des  Standesverhältnisses 
der  freien  Leute  und  für  ihren  Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  rechts- 
historischen Entwicklung  ergeben.  Immerhin  bedürfen  die  merkwürdigen 
Zustände  in    den    rätischen   Landschaften,    für    welche    die    durch  Wagner 


684  Literatur. 

und  v.  Salis  herausgegebenen  Kechtsquellen  des  Kantons  Graubünden  neues 
Material  erschlossen  haben,  noch  weiterer  Aufhellung. 

Die  dritte  Abhandlung:  »Gsschichte  der  Entstehung  und  Verfassung 
der  Stadt  Zürich  bis  zur  Einführung  des  Zunftregimentes  1336*  (S.  337 
bis  475)  ist  aus  Sah  Vögelin,  Das  alte  Zürich,  2.  Auflage,  Zürich  1890, 
S.  101 — 230,  mit  unbedeutenden  redaktionellen  Aenderungen  herüberge- 
nommen worden.  Ganz  besonders  diese  Abhandlung  darf  eine  über  die  lo- 
kale Bedeutung  hinaus  gehende  Beachtung  in  Anspruch  nehmen.  Sie  ist 
das  sorgsam  herausgearbeitete  Resultat  langjähriger  Studien  (vgl.  des  Ver- 
fassers Untersuchung  über  die  Eeichsvogtei  Zürich  im  17.  Bande  der  Zeit- 
schrift für  Schweiz.  Becht,  1872)  und  bildet  einen  höchst  wichtigen  Bau- 
stein zur  deutschen  Städtegeschichte.  Ich  unterlasse  es  hier,  ihre  Ergeb- 
nisse im  einzelnen  darzulegen  und  hebe  nur  den  glücklichen  Nachweis  der 
Richtigkeit  einer  schon  früher  von  Dr.  Konrad  Stocker  ausgesprochenen 
Vermuthung  hervor,  dass  das  Recht  von  Konstanz  als  Mutterrecht  für 
Zürich  und  Schaff  hausen  anzunehmen  sei,  dass  sich  aber  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Schaffhauser  Richtebriefes  auch  selbständiges  zürcherisches  Recht 
bemerklich  mache.  In  völliger  Uebereinstimmung  mit  Heusler  (Verfassungs- 
geschichte der  Stadt  Basel)  und  Hegel  (Chroniken  der  deutschen  Städte 
IX,  963),  anerkennt  Fr.  v.  Wyss  den  Zusammenhang  der  von  Bürger- 
meister Rudolf  Brun  im  Jahre  1336  eingeführten  Zunftverfassung  mit  dem 
Strassburger  »Schwörbrief«  vom   17.  October  1334. 

St.  Gallen.  Joh.  Dierauer. 


Summa  deslrnerius.  Mit  einer  Einleitung,  herausgegeben  von 
HermannFitting.  Berlin,  J.  Guttentag  Verlagsbuchhandlung  1894. 
(CIV  und  334,  8°). 

Quaestiones  de  juris  subtilitatibus  des  Irnerius.  Zur 
zweiten  Säcularfeier  der  Universität  Halle  als  Festschrift  ihrer  juristi- 
schen Facultät  mit  einer  Einleitung  herausgegeben  von  Hermann 
Fitting.  Berlin,  J.  Guttentag,  1894.  (98  S.  4°). 

Als  die  gelehrte  Welt  im  Juni  1888  das  Jubiläum  von  Bologna  fest- 
lich beging,  feierte  man  das  Auftreten  des  Bolognesen  Irnerius,  jenes 
Mannes,  der  vor  800  Jahren  seiner  Vaterstadt  den  Ruf  einer  Mater  stu- 
diorum  begründete.  Eine  wahre  Fluth  von  Festschriften  erschien  aus 
diesem  Anlass,  —  nahezu  zwei  Dutzend  derselben  habe  ich  im  XI.  Band 
dieser  Mittheilungen  S.  146  ff.  angezeigt  —  um  so  mehr  staunte  man, 
wie  wenig  man  daraus  über  Irnerius  selbst  erfuhr.  Die  ältere  Annahme 
schrieb  diesem  Manne  die  unvermittelte  Wiedererweckung  der  seit  vielen 
Jahrhunderten  völlig  erloschenen  Rechtswissenschaft  zu.  Irnerius  war  nach 
dieser  Ueberlieferung  der  erste,  der  das  in  tiefe  Vergessenheit  versunkene 
römische  Recht  wieder  entdeckte,  dessen  Bedeutung  erfasste,  durch  seine 
Lehre  Schule  machte  und  dadurch  für  die  Herrschaft  des  römischen  Rechts 
im  Abendlande  entschied.  Sieht  man  indessen  von  Pescatore's  Zusammen- 
stellung der  Glossen  des  Irnerius  ab,  so  sind  die  meisten  der  erwähnten 
Arbeiten    dem  Nachweis  gewidmet,    dass  sich  die  Dinge  anders  verhalten 


Literatur.  685 

haben,  als  es  die  Tradition  will:  Schon  vor  Irnerius  hat  es  an  Lehrern 
des  römischen  Rechts  nicht  gemangelt,  schon  vor  seinem  Auftreten  gab 
es  Eechtsschulen  in  Italien,  in  denen  römisches  Recht  gelehrt  wurde,  die 
Glossenform  war  schon  vor  Irnerius  üblich,  ja  Tamassia  erblickte  in  der 
Thätigkeit  des  Irnerius  und  der  Glossatorenschule  überhaupt  nur  die  Fort- 
setzung der  byzantinischen  Rechtschulen.  —  So  fiel  Blatt  um  Blatt  aus 
dem  Ruhmeskranze,  den  die  Vorzeit  dem  Irnerius  als  Begründer  der 
modernen  Rechtswissenschaft  ums  Haupt  geflochten  hatte.  Dabei  blieb 
allerdings  unerklärt,  was  wohl  die  Mitwelt  bewogen  hat,  Meister  Ir- 
nerius so  laut  zu  preisen.  Da  man  über  den  Mann  und  dessen  verschol- 
lene Werke  nichts  bestimmtes  zu  sagen  wusste,  so  mussten  allgemeine 
Vermuthungen  als  Gründe  herhalten,  namentlich  die  Dankbarkeit  der  Glos- 
satoren gegen  Irnerius,  der  als  erster  zu  Bologna  römisches  Recht  mit  Er- 
folg gelehrt  habe,  u.  dgl.  m. 

Fittings  neueste  Gaben  verbreiten  mit  einem  Male  überraschendes 
Licht  in  diesem  Dunkel.  Durch  den  Nachweis,  dass  uns  eine  Reihe  von 
Schriften  des  Irnerius  erhalten  ist,  gewinnen  wir  zuerst  ein  unmittelbares 
Bild  vom  ,, Lehrer11  Irnerius,  erkennen  wir  in  welchem  Sinne  dieser  als 
Wiedererwecker  der  römischen  Jurisprudenz  gefeiert  wurde,  begreifen  wil- 
den Einfluss,  den  das  Auftreten  dieses  bedeutenden  Mannes  zu  Bologna 
auf  die  Zeitgenossen  üben  musste. 

Die  Würdigung  des  juristischen  Inhalts  der  neu  entdeckten  Werke  des 
Irnerius  wird  von  Berufeneren  an  andern  Orten  geliefert  werden,  hier 
seien  nur  kurz  die  Ergebnisse  mitgetheilt,  soweit  sie  für  den  Historiker 
schlechthin  von  Wichtigkeit  sind.  Vorerst  einige  Worte  über  die  hand- 
schriftlichen Grundlagen  und  über  die  Veranlassung,  dass  Fitting  sich  mit 
denselben  näher   beschäftigte. 

Bei  den  Vorarbeiten  für  die  Herausgabe  einer  »Summa  Codicis«  in 
provencalischer  Sprache  ergab  sich  für  Fitting  das  Bedürfnis,  das  Verhältnis 
dieser  ums  Jahr  1150  verfassten  Summa  zu  den  übrigen  Summae  Codicis 
des  12.  Jahrhunderts,  insbesonders  zu  derjenigen  des  Rogerius  festzu- 
stellen. Da  zeigte  sich  denn  bald  eine  stätige  Benutzung  der  letzteren, 
namentlich  in  der  zweiten  Hälfte  des  Werkes  vom  Ende  des  4.  Buches 
an.  Nun  hatte  bereits  der  verstorbene  W.  M.  de  Ablaing  gezeigt,  dass 
Rogerius  für  sein  Werk  eine  ältere  Arbeit  (de  Ablaing  meinte  des  Glos- 
sators Hugo)  benützte,  die  nach  ihrem  gegenwärtigen  Verwahrungs- 
orte, der  Bibliothek  zu  Troyes  die  »Summa  Trecensis«  genannt  wurde  und 
die  man  auf  Grund  einer  Vermuthung  Savignys  für  eine  von  Placentinus 
herrührende  Ueberarbeitung  der  Summa  des  Rogerius  gehalten  hat.  Da  nun 
die  engere  Verwandtschaft  der  Summa  des  Rogerius  mit  der  provencalischen 
gerade  von  da  an  zu  beobachten  war,  wo  ihre  wörtliche  Uebereinstimmung 
mit  der  Summa  Trecensis  anfängt,  so  musste  der  Herausgeber  des  pro- 
vencalischen Werkes  vorerst  die  Frage  klar  stellen,  ob  der  Verfasser  dieser 
Summa  den  Inhalt  der  Summa  Trecensis  durch  Vermittelung  des  Rogerius 
oder  unmittelbar  benützt  habe.  Damit  war  für  Fitting  der  Anlass  zu  einer 
eingehenden  Untersuchung  der  Summa  Trecensis  gegeben  und  diese  Be- 
schäftigung führte  ihn  zur  Ueberzeugung,  dass  diese  Summa  nicht  von 
Hu<*o,  sondern  von  einem  Grösseren,  nämlich  vom  Vater  der  ganzen  neueren 
Rechtswissenschaft,  von  Irnerius  herrühre. 


ßgg  Literatur. 

Die  wichtigste  Grundlage  der  Fittingischen  Ausgaben  der  Werke  des 
Irnerius  ist  Cod.  1317  der  Stadtbibliothek  von  Troyes,  wie  es  scheint  ita- 
lienischen Ursprungs,  jedoch  vom  12.  Jahrhundert  ab  im  Eigenthum  der 
Abtei  von  Clairvaux  nachweisbar.  Er  enthält,  abgesehen  von  ein  paar 
kleineren  Stücken,  auf  S.  1  —  65  die  Summa  Codicis,  S.  66 — 70  das  von 
Anschütz  als  Summa  legis  Langobardorum  herausgegebene  Rechtsbuch  und 
auf  S.  71 — 83  die  unvollständigen  Quaestiones  de  juris  subtilitatibus.  Die 
Summa  Codicis  findet  sich  ausserdem  in  einer  erheblich  jüngeren  aber  den- 
noch dem  12.  Jahrhundert  angehörigen  Pariser  Handschrift  der  Bibl.  na- 
tionale (lat.  18230)  und  von  einer  Hand  aus  dem  Anfang  des  13.  Jahr- 
hunderts im  Cod.  73  der  Albornotiana  des  spanischen  Collegs  zu  Bologna. 
Die  Quaestiones  und  ein  kleines  Stück  über  die  aequitas  sind  uns  aber 
auch  von  einer  Hand  aus  dem  spätem  12.  Jahrhundert  in  einer  Hand- 
schrift der  Leidener  Bibliothek  überliefert,  die  wie  es  scheint,  seinerzeit 
dem  ob  seiner  Eechtsgelehrsamkeit  gerühmten  Cardinalbischof  von  Porto 
Romanus  Bonaventura  (t  1243)  gehört  hatte.  Da  weder  die  Summa  noch 
die  Quaestiones  den  Namen  ihres  Verfassers  nennen,  so  war  zunächst  der 
Beweis  der  Autorschaft  des  Irnerius  zu  liefern.  Fitting  hat  denselben 
dank  seiner  ungemeinen  Belesenheit  in  scharfsinnigster  Weise  erbracht. 
Er  zeigt  vorerst  das  höhere  Alter  der  s.  g.  Summa  Trecensis  gegenüber 
der  Summa  des  Rogerius,  dann  aber  auch  der  provencalischen,  an  welcher 
noch  im  Jahre  1149  gearbeitet  wurde.  Da  selbst  die  älteste  erhaltene 
Handschrift,  die  nach  dem  Urtheile  Schums  aus  einer  ganz  frühen  Zeit  des 
12.  Jahrhunderts  stammt,  nicht  das  Original  sein  kann,  sondern  infolge 
ihrer  Correcturen  das  Dasein  zweier  älterer  Handschriften  voraussetzt,  so 
muss  die  Summa  den  allerersten  Glossatoren  angehören,  unter  denen  jedoch 
nach  den  Ausführungen  des  Herausgebers  nur  Irnerius  als  ihr  Urheber  an- 
gesehen werden  kann.  Fitting  begnügt  sich  keineswegs  mit  dieser  be- 
stimmten Ausschliessung  jedes  andern  möglichen  Verfassers,  sondern  führt 
noch  eine  grosse  Menge  entscheidender  positiver  Gründe  für  die  Urheber- 
schaft des  Irnerius  an,  als:  inhaltliche  Uebereinstimmung  der  Summa 
mit  zahlreichen  Glossen  und  den  Authentiken  des  Codex,  dio  dem  Irnerius 
angehören  und  die  Wiederkehr  eines  und  desselben  eigenthümlichen  Sprach- 
gebrauchs in  allen  dreien.  Besonders  wichtig  aber  ist,  dass  Ansichten  des 
Irnerius  über  streitige  Fragen,  soweit  sie  uns  zuverlässig  überliefert  sind, 
auch  in  der  Summa  vorkommen,  und  endlich,  dass  Stellen,  welche  Citate 
aus  der  Summa  sind,  ausdrücklich  dem  Irnerius  zugeschrieben  werden. 

Geringere  Schwierigkeiten  bot  der  Nachweis,  dass  auch  die  Quaestiones 
dem  Irnerius  beizulegen  seien,  da  feststeht,  dass  er  ein  Werk  unter  diesem 
Titel  geschrieben  hat,  die  Uebereinstimmung  der  Quaestionen  mit  der 
Summa  ganz  durchgängig  ist  und  endlich  in  der  Accursischen  Glosse 
mehrere  der  in  den  Quaestiones  vertretenen  eigenthümlichen  Ansichten 
ausdrücklich  als  die  Meinungen  des  Irnerius  bezeichnet  werden. 

Die  Bedeutung  der  Summa  und  der  Quaestiones  für  die  juristische 
Literargeschichte  ist  eine  ganz  ungewöhnliche.  Zuvörderst  wird  durch 
die  Quaestiones  die  Frage,  ob  mit  Irnerius  für  die  moderne  Welt  die  Rechts- 
wissenschaft neu  beginne,  oder  ob  seine  Leistungen  durch  eine  ältere 
mittelalterliche  Rechtswissenschaft  vorbereitet  seien,  endgiltig  im  Sinne 
der  zweitangeführten  Ansicht  entschieden.     Dann  aber  zeigen  sie  uns  den 


Literatur.  ßg7 

Irnerius  als  Lehrer  nicht  bloss  in  Bologna,  sondern  auch  in  Rom  und  be- 
kräftigen dadurch  die  Berichte  des  Accursius  und  Odofredus ,  laut  deren 
erst  nach  Zerstörung  der  Hochschule  zu  Rom  (um  1084),  der  Hauptsitz 
der  Rechtslehre  nach  Ravenna  und  dann  nach  Bologna  kam.  Endlich  ge- 
statten uns  diese  Schriften  ein  unmittelbares  Urtheil  über  die  schriftstel- 
lerische Thätigkeit  des  Irnerius,  dessen  Genialität  uns  ,in  fast  blenden- 
dem Glänze«  entgegentritt.  Nichts  schien  fester  zu  stehen,  als  die  That- 
sache,  dass  die  hauptsächlichste  und  weitaus  wichtigste  wissenschaftliche 
Arbeit  des  Irnerius  wie  seiner  ganzen  Schule  in  der  Glossierung  des  Cor- 
pus juris  bestanden  habe.  Jetzt  erfahren  wir  auf  einmal,  dass  dies  we- 
nigstens bei  Irnerius  nur  eine  vergleichsweise  untergeordnete  schriftstel- 
lerische Thätigkeit  war,  welche  völlig  zurücktrat,  gegen  eine  andere  bisher 
nicht  einmal  geahnte.  Denn  sein  unvergängliches  und  unvergleichliches 
Verdienst  bestand  einerseits  in  der  wissenschaftlichen  Vertiefung,  die  er 
dem  Studium  des  römischen  Rechtes  verschaffte,  andererseits  und  vornehm- 
lich darin,  dass  er  der  erste  und  zugleich  grösste  juristische  Systematiker 
des  Mittelalters  war. 

Nicht  so  günstig  als  für  den  Gelehrten  sind  die  Ergebnisse  für  den 
Menschen  Irnerius,  den  uns  Fitting  auf  Grund  der  Schriften  und  anderer 
Zeugnisse  als  einen  von  hohem  Selbstgefühl  erfüllten,  hochbegabten  Streber 
schildert.  So  verlockend  es  wäre  bei  diesem  Thema  länger  zu  verweilen, 
so  muss  ich  doch  den  Leser,  der  sich  dafür  interessirt,  auf  Fittings  Aus- 
führungen unmittelbar  verweisen,  ebenso  jenen,  der  sich  über  die  in  Rom 
zur  Zeit  des  Irnerius  herrschenden  Anschauungen  vom  Verhältnis  der  Stadt 
zum  römischen  Kaiserreiche  und  der  römisch-deutschen  Kaiser  zum  römi- 
schen Rechte  belehren  will.  Die  Universität  Halle  aber  hat  allen  Grund 
auf  die  Festschrift  ihrer  juristischen  Fakultät  stolz  zu  sein,  in  welcher 
durch  ihres  Mitgliedes  Fittings  unermüdete  Ausdauer,  Fleiss  und  Belesen- 
heit die  gelehrte  Welt  mit  so  überraschenden  und  wichtigen  Ergebnissen 
der  Rechtsforschung  bekannt  gemacht  wird. 

Graz.  Luschin  von  Eb engreu th. 


Urkundenbuch    der  Stadt  Hildes  heim.     Im  Auftrage  des 


6* 


Magistrats  zu  Hildesheim  herausgegeben  von  Dr.  Kichard  Doebner, 
Geh.  Staatsarchivar  und  Archivrath  zu  Berlin.  5.  Theil.  Stadtrechnim- 
gen  von  1379 — 1415.  Hildesheim,  Gerstenberg'sche  Buchhandlung,  1893. 
XIII,  713.  8°. 

Der  ursprüngliche  Plan  des  Hildesheimer  Urkundenbuches  hatte  mit 
dem  vierten,  bis  zum  Jahre  1450  reichenden  Bandes  1890  seinen  Ab- 
schluss  gefunden.  AVenn  damals  die  Hoffnung  ausgesprochen  werden  durfte, 
dass  die  Unterstützung  der  kgl.  Staatsregierung  es  ermöglichen  werde,  das 
Werk  fortzuführen,  so  hat  sich  diese  jetzt  erfüllt.  Der  vorliegende  5.  Band 
bringt  Stadtrechnungen ;  ein  sechster  Band  gleichen  Inhalts  ist  im  Druck. 

Vor  allem  ist  freudig  zu  begrüssen,  dass  der  Herausgeber  in  der  Be- 
handlung des  Materials  sich    dem    bewährten    Vorbilde    Koppmanns    ange- 


(jgg  Literatur. 

schlössen  hat.  Er  theilt  die  Rechnungen  im  Allgemeinen  in  ihrem  vollen 
Wortlaut  mit;  die  Auslassungen  und  Kürzungen,  die  er  sich  gestattet, 
sind  durch  den  sonst  nicht  zu  bewältigenden  Umfang  des  Materials  ge- 
boten und  vollauf  gerechtfertigt.  Der  vorliegende  Band  enthält  Raths- 
(Kämmerei-)  Rechnungen  aus  den  Jahren  1370 — 1415  (es  fehlen  die  Auf- 
zeichnungen aus  den  Jahren  1380.  1385-  1390.  1391.  1393.  1394.  1396. 
1397.  1399.  1400),  Schossregister  aus  den  Jahren  1404 — 1415  (fehlend 
1405.  1408-  1409)  und  Weinamtsregister  von  1407 — 1415:  ein  über- 
aus reiches  Material  für  die  äussere  und  innere  Geschichte  der  Stadt  und 
der  ganzen  Gegend.  Ein  sehr  conciser,  aber  doch  klarer  und  übersicht- 
licher Druck  hat  es  ermöglicht,  einen  ungewöhnlich  umfassenden  Stoff 
auf  den  fast  600  Seiten  des  Textes  zu  bewältigen.  Gegen  120  Seiten 
Register  gestatten  die  vielseitigste  kursorische  Benützung.  Die  Editions- 
arbeit ist,  wie  es  von  dem  Herausgeber  nicht  anders  zu  erwarten  war, 
in  jeder  Beziehung  mustergültig  geleistet,  und  so  wird  es  jedenfalls  nicht 
an  ihm  liegen,  wenn  etwa  sein  Wunsch  nach  wissenschaftlicher  Verwerthung 
des  mitgetheilten  Stoffes  nicht  in  dem  erhofften  Umfange  in  Erfüllung 
gehen  sollte.  Doch  ist  diese  Befürchtung  bei  dem  regen  Leben,  das  auf 
dem  Gebiete  norddeutscher  städtegeschichtlicher  Forschnng  herrscht,  gewiss 
nicht  am  Platze. 

Tübingen.  D.  Schäfer. 


ßegestrum  Bursae  Hungarorum  Cracoviensis.  Das  In- 
wohner- Verzeichniss  der  ungarischen  Studentenburse 
zu  Krakau  (1493  —  1558).  Aus  der  Original-Handschrift  mitgetheilt 
und  erläutert  von  Dr.  Karl  Sehr  auf,  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staats- 
archivar. Wien,  1893.  8°  XXIII,  138  S. 

Es  ist  bekannt,  welche  Bedeutung  die  Bursen  im  Universitätssleben 
hatten  nicht  allein  auf  socialem  Gebiete,  sondern  auch  auf  dem  des  Unter- 
richts. In  den  Bursen  pulsierte  zu  Zeiten  eine  mächtige  Ader  akademischer 
Betriebsamkeit.  Alles,  was  unsere  Kenntnis  dieser  Institution  fördert, 
wird  daher  willkommen  sein.  Die  vorliegende  neue  Ausgabe  des  Regestrum 
Bursae  Hungarorum  Cracoviensis  liefert  einen  bedeutungsvollen  Beitrag  zur 
Personalstatistik  des  ungarischen  Studententhums  vom  Ausgange  des  15. 
bis  zur  Mitte  des  16.  Jahrhunderts.  Mit  jener  Sorgfalt,  die  man  in  neuerer 
Zeit  bei  der  Herausgabe  älterer  akademischer  Personalverzeichnisse  anzu- 
wenden pflegt  —  man  denke  beispielsweise  an  die  Ausgabe  der  Kölner 
Matrikel  durch  Keussen  —  hat  auch  Schrauf  seine  Aufgabe  angefasst. 
Es  war  dies  hier  umsomehr  nöthig,  als  es  galt,  die  nach  einer  ungenauen 
Abschrift  veranstaltete,  daher  für  die  Wissenschaft  unbrauchbare  Ausgabe 
des  Regestrum  von  J.  F.  Miller  (Budae,  1821)  durch  eine  correcte  zu  er- 
setzen. Der  Herausgeber  unterrichtet  in  der  Einleitung  (S.  III  —  XXIII) 
über  die  Beschaffenheit  des  Inhaltes  des  Registrum,  das  er  nach  dem 
Original  der  Krakauer  Universitäts  -  Bibliothek  veröffentlicht,  namentlich 
über  die  Art  der  Eintragungen,  die  nicht  immer  gleich  sorgfältig  geschahen. 
Bemerkenswert!!  ist  u.  a.  der  Umstand  (S.  XIX  —  XX),  dass  gewisse  her- 


Literatur.  (389 

vorragende  Städte  im  Kegestrum  nicht  vertreten  sind,  so  gerade  solche 
des  nördlichen  Ungarns.  Das  Regestrum  wird  mit  einigen  Urkunden  auf 
S.  1 — 46  abgedruckt.  Nicht  ohne  Interesse  sind  die  urkundlichen  Be- 
richte über  die  letzten  Schicksale  der  Burse,  wobei  ein  Anflug  von  Bitter- 
nis und  Gehässigkeit  gegen  die  domini  collegiati  die  Feder  des  Schreibers 
stellenweise  geführt  zu  haben  scheint,  und  die  über  die  innere  Geschäfts- 
gebarung der  Burse,  wodurch  wir  auch  in  ihre  Wäsche-  und  Tellerwirth- 
schaft  einen  Einblick  erhalten,  freilich  nur  ein  bescheidener  Ersatz  für 
den  nicht  mehr  vorhandenen  liber  statutorum.  Der  Herausgeber  bietet 
dann  eine  Liste  der  Senioren  (S.  47 — 48),  der  consiliarii  (S.  49 — 50), 
belehrt  uns  (S.  51 — 103)  über  den  Studiengang  der  einzelnen  Bursen- 
mitglieder  namentlich  mit  Zuhilfenahme  des  Album  studiosorum  universi- 
tatis  Cracoviensis  und  der  Statuta  nee  non  liber  promotionum  philosophorum 
ordinis  und  beschliesst  seine  Arbeit  (S.  105 — 138)  mit  einem  index  per- 
sonarum  nach  Orts-  Vor-  und  Familiennamen.  Der  Index  ist,  wie  ich 
mich  wiederholt  überzeugt  habe,  verlässlich,  man  wird  allerdings  bei  manchen 
Namen  erst  etwas  weiter  Umschau  halten  müssen,  bevor  man  sie  findet; 
z.  B.  Dominicus  Kystarchay  steht  unter  Kis-Tarcsa,  Blasius  de  Chepe  ist 
mit  Eücksicht  auf  die  Vorbemerkung  (S.  106)  beiC  zu  suchen  und  hier  bei 
Csepe  zu  finden,  nur  darf  man  sich  nicht  einfallen  lassen,  diese  Vorbemerkung 
z.  B.  auch  bei  Balthasar  de  Oberes  Banya  zu  verwerten,  der  unter  Körös- 
bänya  steht.  Ich  bin  der  Meinung,  dass  bei  solchen  Namenverzeichnissen 
ein  Mehr  an  Hinweisen  und  erläuternden  Vorbemerkungen  nicht  schaden 
kann. 

Graz.  FerdinandEichler. 


M.  Büdinger,  Don  Carlos'  Haft  und  Tod  insbesondere 
nach  den  Auffassungen  seiner  Familie.  Wien  und  Leipzig. 
1891.  VI  und  317  S. 

Trotz  der  tiefgehenden  Forschungen  von  Gachard  vermochte  die  Frage 
nach  dem  Ende  des  unglücklichen  Prinzen  B.  noch  zu  neuen  Studien  an- 
zuregen. Trat  dabei  die  politische  Seite  des  Gegenstandes,  als  ohnehin 
bereits  vielfach  erörtert,  mehr  in  den  Hintergrund,  so  schenkte  B.  umso- 
mehr  der  psychologischen  und  pathologischen  Entwicklung  seine  Aufmerk- 
samkeit. Und  dies  mit  um  so  grösserem  Rechte,  als  dieselbe  die  eigent- 
liche causa  movens  im  Drama,  einem  Familiendrama  im  wahrsten  Sinne, 
war,  gegen  welche  Entwicklung  die  politischen  Momente  überhaupt  in  den 
Hintergrund  treten.  Indem  die  Forschung  aber  dies  feststellt,  entrückt 
sie  den  Prinzen  und  alle  damit  zusammenhängenden  Hauptpersonen  einem 
Felde,  auf  dem  sich  nur  allzulange  tendenziöse  oder  doch  Sensationslust  Ige 
Geschichtsschreiberei  breit  gemacht  hat.  Allerdings  steht  der  Aufstand 
der  Niederlande  mit  der  , physiologisch  unvermeidlichen  Katastrophe«  des 
Prinzen  in  einem  gewissen  Zusammenhang,  aber  nicht  so,  dass  etwa  Don 
Carlos  als  Vertreter  eines  andern  Systems  gegenüber  seinem  Vater  anzu- 
sehen wäre.  Der  Prinz  ist  durchaus  der  Mann  »  castilischer  Ueberzeugungen.« 
Auch  Philipp  II.  hat,  wie  Bs.  eingehendste  Erörterungen  dartun,  nie  daran 
Mittheilungen  XV.  44 


390  Literatur. 

gezweifelt,  ebensowenig  der  Papst.  Bei  dieser  Gelegenheit  constatirt  B. 
Maximilians  II.  »gänzliche  Uebereinstimmung  mit  König  Philipps  Gesichts- 
punkten bei  dem  Strafbeschlusse  gegen  Flandern«,  wenngleich  der  Kaiser 
mitunter  Aeusserungen  tat,  die  das  Gegenteil  vermuten  Hessen.  Gleich- 
zeitig hat  der  spanische  König  eine  gutachtliche  Meinung  des  päpstlichen 
Stuhles  zu  Gunsten  friedlicher  Mittel  in  den  Niederlanden  schroff  von  sich 
gewiesen. 

Schritt  für  Schritt  entrollt  B.  den  traurigen  Entfremdungsprozess 
zwischen  dem  Vater  und  seinem  kranken  Sohne.  Schon  die  Zusammen- 
setzung des  eigenen  Hofstaates  war  nicht  nach  Carlos'  Geschmack.  Ganz 
besonders  steigt  seine  Aufregung,  da  sein  »Doppelziel«:  ein  selbständiges 
Herrrschaftsgebiet  und  die  Heirat  mit  Anna  von  Oesterreich,  »immer 
unerreichbarer «  wird.  Es  folgen  seine  Zornausbrüche  gegen  die  Cortes, 
Alba  und  Espinosa.  Daneben  stets  fortschreitende  körperliche  Gebrechlich- 
keit und  zunehmender  Schwachsinn,  beides  wieder  gefördert  durch  zeitweilige 
sexuelle  Ausschreitungen.  Der  Hass  gegen  den  Vater  tritt  immer  stärker 
hervor;  aber  er  darf  »überhaupt  nicht  mehr  vom  politischen  Gesichtspunkte  « 
betrachtet  werden. 

Der  König  überzeugt  sich  immer  mehr  von  der  physischen  und  psy- 
chischen Untauglichkeit  des  Sohnes  zur  Thronfolge.  Alle  Mittel,  die  zur 
Heilung  des  Uebels  versucht  werden,  erweisen  sich  als  vergeblich.  Die 
»Form  ihrer  Anwendung«  ist  von  der  modernen  Psychiatrie  als  »entspre- 
chend bezeichnet  worden«.  Begreiflich,  wenn  so  die  Erreichung  von  Car- 
los' »Doppelziel*  in  die  weiteste  Ferne  zurücktrat.  Der  Vater  kämpft  einen 
furchtbaren  Kampf  mit  sich  selbst.  Sein  Pflichtbewusstsein  gegen  Staat 
und  Kirche  zwingt  ihn,  von  der  Folge  des  Unfähigen  abzusehen.  Daher 
die  Berufung  der  beiden  Söhne  des  Kaisers  nach  Spanien.  Aber  den 
Hereinbruch  der  Katastrophe  beschleunigt  die  Krankheit  des  Prinzen  selbst. 
Dieselbe  steigert  sich  zu  Empörungsversuchen  und  Mordplänen  gegen  den 
König,  und  insofern  »berühren  diese  letzten  Ausläufer«  des  Irrsinns  noch 
»das  staatliche  Gebiet«.  Philipp  verhängt  die  Haftnahme.  Die  Gefangen- 
schaft, welche  jeglichen  Attributes  überflüssiger  Härte  entbehrt,  beendet 
nach  sieben  Monaten  des  Prinzen  unnatürliche  Lebensweise. 

Alle  die  zahlreichen  Details  über  die  Krankheitsgeschichte,  über  die 
Sinnesart  und  über  die  Haft  wie  das  Ende  des  unglücklichen  Königssohnes 
gewinnt  B.  aus  der  sorgfältigsten  kritischen  Vergleichung  der  Quellen, 
unter  denen  die  Gesandtschaftsberichte  naturgemäss  den  breitesten  Eaum 
einnehmen.  Allerdings  sind  auch  die  verlässlichsten  dieser  Berichte  mit 
Vorsicht  zu  benützen,  denn  bei  der  sorgfältigen  Wahrung  des  Geheimnisses 
von  Seite  des  Königs  waren  auch  die  Gesandten  am  Madrider  Hofe  nicht 
immer  in  der  Lage,  alsbald  das  Kichtige  zu  erfahren.  Mitunter  sahen  diese 
Herren  wohl  auch  durch  gefärbte  Gläser.  So  wollte  der  sonst  gut  infor- 
mirte  Dietrichstein  so  lange  nicht  an  die  unheilbare  Krankheit  des  Prinzen 
glauben,  als  noch  einige  Hoffnung  bestand,  dass  Carlos  die  Erzherzogin 
Anna  zur  Gemahlin  nehme.  Zur  Beurtheilung  der  kirchlichen  und  poli- 
tischen Denkweise  des  Prinzen  wird  namentlich  auch  dessen  erstes  Testa- 
ment einer  eingehenden  Analyse  unterzogen.  Einer  eben  solchen  Prüfung 
würdigt  B.  auch  die  königlichen  Mittheilungen  an  befreundete  Höfe  über 
Verhaftung   und  Tod  des  Sohnes.     Bei    dieser  Zergliederung  der  einschlä- 


Literatur.  691 

gigen  Korrespondenz  macht  B.  gelegentlich  auf  anderweitige  interessante 
Einzelheiten  aufmerksam.  So  sehen  wir  z.  BM  wie  dem  Erzherzog  Ferdi- 
nand die  von  Philipp  geführte  Titulatur  eines  Grafen  von  Tirol  »als  eine 
Anmassung*  erscheint,  welcher  der  Erzherzog  in  seiner  Bückantwort  da- 
durch eine  Berichtigung  zu  Theil  werden  lässt,  dass  er  den  König  anstatt 
Graf  von  Tirol  als  Graf  von  Artois  titulirt. 

Dem  Buche  ist  ein  Bildnis  des  Prinzen  in  Photogravüre  beigegeben. 
Auf  p.   234  ist  anstatt   »Albrecht  III.«   »Albrecht  V.«  zu  lesen. 

Referent  kann  seine  Anzeige  nicht  scbliessen,  ohne  zu  konstatiren, 
dass  der  Verfasser,  der  bereits  auf  so  verschiedenen  und  weitentlegenen 
Gebieten  unserer  Wissenschaft  Ausgezeichnetes  geleistet,  mit  der  vorliegen- 
den Arbeit  ein  wahres  Kabinetstück  historischer  Kritik  geliefert  hat. 

Innsbruck.  Hirn. 


Spamers  illustrirte  Weltgeschichte,  dritte  völlig  um- 
gestaltete Auflage.  Fünfter  Band:  Vom  Beginn  der  grossen 
Entdeckungen  bis  zum  30jährigen  Kriege  (mit  340  Textab- 
bildungen und  40  Beilagen  und  Karten).  Sechster  Band:  Vom 
30jährigen  Kriege  bis  zur  Machthöhe  Ludwigs  XIV.  (mit 
457  Textabbildungen,  sowie  36  Beilagen  und  Karten),  bearbeitet  von 
Prof.  Dr.  Otto  Kaemmel.  Leipzig  1894,  XII  u.  752;  XII  und  768 
SS.  Lex.  form. 

Der  rührige  Spamer'sche  Verlag  hat  mit  seiner  «Illustrirten  Weltge- 
schichte» keinen  Fehlgriff  gethan.  Sie  liegt  nunmehr  schon  in  dritter,  er- 
weiterter und  wesentlich  neu  bearbeiteter  Auflage  fertig  gestellt  vor  den 
Augen  des  geschichtsfreundlichen  Publikums.  Die  Neuzeit  übernahm  ein 
Historiker  von  gutem  Namen,  dessen  »deutsche  Geschichte«  Referent  im- 
mer wieder  gern  zur  Hand  nimmt.  Die  zwei  stattlichen  Bände,  bei  denen 
mit  Illustrationen  aller  Art  wahrlich  nicht  gespart  wurde,  bewegen  sich 
in  ihren  zeitgeschichtlichen  Grenzeu  innerhalb  der  Jahre  1492 — 1618  und 
1618 — 1699. 

Kämmel  Hess  es  an  redlicher  Mühe  nicht  fehlen,  um  den  massen- 
haften Stoff  zweckentsprechend  einzutheilen.  Der  I.  (V.)  Band  ist  in  zwei 
Zeiträume  gegliedert,  deren  erster  das  Zeitalter  der  Entdeckungen  und  der 
Reformation  (S.  3 — 427),  das  zweite  das  der  Gegenreformation  und  der 
Religionskriege  (S.   528 — 752)  umfasst. 

Das  Zeitalter  der  Entdeckungen  zählt  7  Abschnitte,  liefert  eine  Skizze 
der  äussern  und  innern  Zustände  Spaniens  und  Portugals ,  behandelt  die 
Entdeckung  Amerikas,  die  Eroberung  von  Mexiko,  Peru  und  charakterisirt 
die  spanische  Kolonialpolitik  und  die  allgemeinen  Folgen  der  Entdeckun- 
gen. —  Den  Uebergang  zur  Geschichte  der  Reformation  vermittelt  die  Be- 
trachtung über  den  Höhepunkt  der  italienischen  Renaissance  auf  allen  Ge- 
bieten, —  anderseits  die  Erörterung  der  Zustände  und  Reformversuche 
in  Deutschland  unter  Maximilian  I.,  des  kirchlichen  Wesens  und  des  Ge- 
gensatzes, in  welchem  zu  ihm  der  Humanismus  und  der  Volksgeist  treten. 
Die  »deutsche  Reformation  und  Karl  V.  bis  1532«  wie  der  folgende  Haupt- 

44' 


ßg2  Literatur. 

abschnitt  überschrieben  erscheint,  paart  den  Gang  der  kirchlichen  Bewe- 
gung mit  den  Franzosenkriegen  mit  der  Erwerbung  des  böhmischen  und 
ungarischen  Reiches  durch  die  Habsburger.  An  die  Geschichte  der  Ver- 
wicklungen von  1532 — 1558,  welche  mit  dem  Augsburger  Religionsfrie- 
den und  der  Thronentsagung  Karls  v.  schliessen,  reiht  sich  die  Skizze 
über  deutsche  Wissenschaft,  Literatur  und  Kunst  zur  Zeit  der  Reformation. 
Der  zweite  Zeitraum  umfasst  17  Abschnitte,  die  mit  der  »Neugrün- 
dung der  katholischen  Kirche«  anheben  und  die  Geschichte  der  spanischen 
Monarchie  unter  Philipp  II.  gegenüber  Frankreich  und  den  Osmanen,  die 
des  westeuropäischen  Protestantismus  im  Kampfe  mit  Spanien,  die  Huge- 
nottenkriege, den  niederländischen  Aufstand  gegen  Spanien,  den  Anglica- 
nismus  und  das  Kalvinerthum  in  Schottland  zum  Gegenstande  haben.  Die 
staatlichen  und  volkswirthschaftlichen  Errungenschaften  Englands  und  Hol- 
lands, dem  gegenüber  der  Verfall  Spaniens  in  materieller  Richtung  und 
seine  Literaturblüthe,  machen  den  Schluss. 

Der  IL  (VI.)  Band  bietet  zunächst  (S.  3—138)  den  Schluss  des 
zweiten  Zeitraumes  und  eröffnet  den  Ausblick  in  das  Geschichtsleben  der 
nordischen  Staaten:  Skandinavien,  Polen,  Kussland  im  16.,  17.  Jahrhun- 
dert. Dann  kommt  Deutschland  in  seinen  Zuständen  nach  dem  Augs- 
burger Religionsfrieden  an  die  Reihe,  die  Kaiserzeit  Ferdinand  I.  und  Ma- 
ximilians IL,  das  Wirrsal  in  Oesterreich-Ungarn  unter  Rudolf  IL  und  seine 
unzulängliche  Bekämpfung  durch  die  halben  Massregeln  K.  Mathias,  dessen 
Ansehen  auch  in  Deutschland  nichts  gewann. 

Der  dritte  Zeitraum  (S.  133 — 512)  hat  zunächst  den  dreissig- 
jährigen  Krieg  zu  seinem  Gegenstände.  Der  Verlauf  desselben  wird  in  fünf 
Abschnitten  geschildert.  Daran  reiht  rieh  die  Geschichte  »Süd-  und  West- 
Europas  im  Zeitalter  des  dreissigjährigen  Krieges«,  mit  der  Schilderung 
der  Kämpfe  Spaniens,  Frankreichs,  der  Niederlande  und  einer  Betrachtung 
des  Geisteslebens  in  Spanien,  Italien  und  der  Errungenschaften  Hollands 
auf  dem  Boden  des  Handels,  der  Kolonialpolitik,  des  Gewerbes  und  der 
geistigen  Kultur.  Dann  folgt  die  „englische  Revolution«  in  ihrer  Vorbe- 
reitung und  entscheidenden  Krise,  Cromwells  Protektorat  und  die  Restau- 
ration der  Monarchie.  Auch  hier  fehlt  nicht  ein  Blick  auf  das  geistige 
Leben  Englands. 

Der  vierte  Zeitraum  (S.  513—768)  —  »das  Zeitalter  der  un- 
umschränkten Monarchie«  überschrieben  —  zählt  drei  Hauptabschnitte.  Den 
Reigen  eröffnet  Frankreichs  Machthöhe  uuter  Ludwig  XIV.  (1661  — 1685). 
Wir  werden  zunächst  in  die  »Vollendung  der  Selbstherrschaft«  eingeführt, 
in  die  inneren  Zustände  und  Machtmittel  Frankreichs,  dessen  König  den 
Weg  der  »Raubkriege«  —  der  „ Devolutionen «  und  „Reunionen*  betritt, 
anderseits  das  gesellschaftliche  und  geistige  Leben  Frankreichs  zu  einem 
für  Europa  tonangebenden  zu  gestalten  weiss. 

Dann  erschliesst  sich  uns  „Deutschland  und  Nordosteuropa«.  Das 
»deutsche  Reich  und  die  Einzelstaaten«  gehen  voran,  eine  allgemein  ge- 
haltene Umschau,  welche  der  deutschen  Politik  des  grossen  Kurfürsten  das 
Relief  zu  bieten  hat.  Schwedens  Zustände  unter  Christian,  die  letzten 
Wasas  in  Polen,  der  baltische  Krieg  Karls  X.,  die  Begründung  der  Selbst- 
herrschaft in  den  nordischen  Reichen  —  fügen  sich  an.  Der  Staat  des 
grossen  Kurfürsten    und    der  politische  Gegensatz  Deutschlands  zu  Frank- 


Literatur.  593 

reich  und  Schweden  (1658 — 1679)  bilden  die  Endglieder  dieses  Hauptab- 
schnittes, während  uns  der  dritte  und  letzte  Oesterreich  unter  Leopold  L, 
das  osmanische  Reich,  die  ersten  Türkenkriege  (1662 — 1664),  die  Kuruz- 
zengefahr  und  die  grosse  Entscheidung   1683 — 1699   vorführt. 

Bei  einem  solchen  Werke,  welches  riesige  Stoffmassen  sichten,  durch- 
sichtig gliedern  und  ebenso  gemeinfasslich  als  anmuthend  zum  Zeitbilde 
und  historischem  Porträt  gestalten  soll,  darf  nicht  der  Maasstab  einer  ge- 
schichtlichen Monographie  oder  eines  Lehrbuches  zur  Anwendung  kommen. 
Wenn  mit  der  anschaulichen,  lebendigen  und  gehaltvollen  Schilderung 
Achtung  vor  der  geschichtlichen  Wahrheit  und  Wärme  der  Ueberzeugung 
Hand  in  Hand  gehen,  und  der  Fachmann  —  in  seiner  Vertrautheit  mit 
den  wesentlichsten  Errungenschaften  der  Forschung  —  überall  zu  Tage 
tritt, —  so  hat  das  Buch  seine  Schuldigkeit  und  mehr  noch  gethan.  Und 
das  gilt  von  Kämmeis  Bearbeitung  der  neuen  Geschichte  in  vollem  Maasse. 
Er  verläugnet  nirgends  den  Reichsdeutschen  und  Protestanten  in  der  Be- 
trachtung und  Behandlung  der  Weltgeschichte,  wird  aber  mit  seinem  Stand- 
punkt nie  aufdringlich  oder  geflissentlich  ungerecht. 

So  weit  es  in  dem  Rahmen  der  Darstellung  möglich  war,  bemüht 
sich  der  kundige  Verfasser  auch,  den  führenden  Ereignissen  und  Persön- 
lichkeiten des  habsburgisch-österreicbi sehen  G-eschichtslebens  gerecht  zu 
werden.  Den  meisten  Anlass  hiezu  bot  der  Schlussabschnitt  des  vierten 
Zeitraumes:  »Oesterreich  und  der  Südosten  Europas  (1658  — 1705)*. 

Graz.  Krones. 


Geschichte  der  Gegenreformation  in  Böhmen  von 
Prof.  Dr.  Anton  Gindely.  Nach  dem  Tode  des  Verf.  herausgeg. 
von  Dr.  TL  Tupetz.  Leipzig  1894.  Duncker  und  Humblot.  (XI, 
532  S.  gr.  8.) 

Das  vorliegende  Werk,  dessen  Abfassung  Gindely  so  lange  von  der 
Fortsetzung  seiner  »Geschichte  des  dreissigjährigen  Krieges*  abgehalten 
hat,  lag  bei  dessen  Tode  im  wesentlichen  vollendet  vor.  Nur  die  An- 
ordnung der  einzelnen  Kapitel  war  manchmal  zweifelhaft  und  musste  vom 
Herausgeber  Landesschulinspector  Dr.  Tupetz  selbständig  vorgenommen 
werden,  der  wohl  das  Richtige  getroffen  zu  haben  scheint.  Sonst  waren 
nur  geringe  sachliche  und  stilistische  Aenderungen  nothwendig. 

Das  Werk  behandelt  nicht  blos  die  Geschichte  der  Gegenreformation, 
sondern  auch  die  politische  Reaction,  besonders  die  Abänderungen  der 
Verfassung  und  die  Entstehung  wie  den  Inhalt  der  »vernewerten  Landes- 
ordnung« von  1627,  und  die  Ausprägung  der  schlechten  »langen«  Münze, 
welche  neben  den  Erpressungen,  Confiscationen  und  der  Gegenreformation 
dem  Wohlstand  Böhmens  so  tiefe  Wunden  geschlagen  hat.  Für  alle 
diese  Fragen  hat  der  Verfasser  ein  sehr  reiches  handschriftliches  Material 
benützt  und  es  sind  ihm  nicht  blos  die  öffentlichen,  sondern  auch  wich- 
tige Privatarchive  wie  das  erzbischöfliche  Archiv  und  das  der  Kapuciner 
in  Prag,  das  Archiv  der  Propaganda  in  Rom  und  verschiedene  Adelsarchive 
zugänglich    gewesen.      Wie    sehr    unsere    Kenntnis    der    innern  Geschichte 


g94  Literatur. 

Böhmens  von  1621  — 1627  dadurch  gewonnen  hat,  braucht  wohl  nicht 
erst  näher  auseinandergesetzt  zu  werden.  Es  ist  vielfach  ein  ganz  neues 
Bild,  welches  wir  von  den  Vorgängen  dieser  Zeit  erhalten.  Der  Verlauf 
der  Gegenreformation,  für  welche  wir  bisher  fast  ganz  auf  die  »Historia 
persecutionum «,  also  auf  eine  Parteischrift  angewiesen  waren,  wird  uns 
erst  jetzt  klar  gelegt  und  wir  lernen  die  Anschauungen  und  ßathschläge 
der  Personen  kennen,  welche  dafür  besonders  bestimmend  gewesen  sind. 
Von  hohem  Interesse  sind  auch  die  Streitigkeiten,  in  welche  die  Jesuiten 
mit  dem  Erzbischofe  wegen  der  ihnen  übergebenen  Universität  geriethen, 
wobei  sie,  gestützt  vom  Kaiser,  ihre  Stellung  behaupteten,  obwohl  der 
päpstliche  Nuntius,  die  Congregatio  de  propagancla  fide,  ja  der  Papst  selbst 
für  den  Erzbischof  eintraten.  Durch  die  Darstellung  der  Münzfrage  wird 
Gindelys  eigene  Darstellung  in  seinem  »Waldstein*  vielfach  berichtigt; 
namentlich  Wallenstein  erscheint  nur  als  Nebenperson.  Auch  die  Mit- 
theilungen über  die  Entstehung  der  neuen  Landesordnung  sind  von  grosser 
Wichtigkeit. 

Doch  können  wir  nicht  verschweigen,  dass  die  schwache  Seite  Gindelys, 
die  Vernachlässigung  des  gedruckten  Materials,  auch  in  diesem  Werke  zu  Tage 
tritt.  Häufig  hat  er  dasselbe  allerdings  in  handschriftlicher  Form  benützt. 
Aber  manchmal  ist  doch  in  Folge  dessen  seine  Darstellung  lückenhaft  ge- 
worden. So  sagt  er  S.  129  f.,  es  sei  leider  nicht  bekannt,  wie  ein  den 
böhmischen  Theologen  abverlangtes  Gutachten  über  die  Austreibung  der 
lutherischen  Prediger  gelautet  habe,  während  man  aus  Caraffa,  Commen- 
taria  (ed.  1630)  p.  137  sq.  und  Relazione  p.  249  sq.  erfährt,  dass  die 
Theologen  in  Uebereinstimmung  mit  dem  päpstlichen  Legaten  sich  gegen 
die  Duldung  des  lutherischen  Gottesdienstes  ausgesprochen  haben.  Caraffa, 
Comment.  p.  276  sqq.  nennnt  als  Reformationscommission  für  Böhmen 
neben  dem  Erzbischofe,  Martinitz  und  Talmberg  auch  Christoph  Wratislaw 
von  Mitrowitz,  was  durch  die  kaiserliche  Instruction,  welche  im  Anhange 
p.  108  sqq.  mitgetheilt  ist,  sichergestellt  wird.  Gindely  S.  252  nennt 
Wratislaw  gar  nicht  und  kennt  auch  nur  die  den  Commissären  vom  Erz- 
bischofe ertheilte  Instruction.  S.  71  wird  gesagt,  dass  der  Kaiser  dem 
General  Tilly  20.000  Thaler  und  eine  jährliche  Pension  von  1000  Thalern 
geschenkt  habe.  Aus  d'Elvert.  Beiträge  3,  381  und  468  ergibt  sieb, 
dass  letzteres  wohl  ein  Druckfehler  für  10.000,  ersteres  in  100.000  Thaler 
(—  Schock  Groschen)  zu  berichtigen  ist.  Ein  Versehen  ist  es,  wenn  es 
S.  421  heisst,  der  Sohn  Karls  von  Lichtenstein  sei  ohne  männliche  Nach- 
kommen gestorben,  während  Karls  Mannsstamm  erst  1712  mit  seinem 
Enkel  erlosch.  Unbekannt  ist,  warum  der  Verf.  seine  Darstellung  im  all- 
gemeinen mit  dem  Jahre  1627  schliesst  und  die  Bauernaufstände  des 
Jahres  1628  nicht  mehr  behandelt  hat.  Ich  kann  übrigens  trotz  dieser 
kleinen  Ausstellungen  nicht  unterlassen,  noch  einmal  meiner  Freude  über 
das  Erscheinen  dieses  Werkes  Ausdruck  zu  geben. 

Wien.  A.  Hub  er. 


Literatur.  695 

Jahrbuch  der  kunst historischen  Sammlungen  des 
Allerhöchsten  Kaiserhauses,  herausgegeben  unter  Leitung  des 
Oberstkämmerers  Sr.  k.  u.  k.  Majestät  Ferdinand  Grafen  zu  Trautt- 
mansdorff- Weinsberg  vom  Oberstkämmerer- Amte.  (Redacteur:  Dr.  Hein- 
rich Zimerman.)  15.  Bd.  Mit  31  Tafeln  und  145  Textillustrationen. 
Prag,  Wien,  Leipzig.  Tempsky  und  G.  Freytag  1894.  457  u.  CCXV 
SS.  4°. 

Mit  gewohnter  Pünktlichkeit  ist  auch  diesmal  das  Jahrbuch  ausge- 
geben worden.  Die  im  ersten  Theile  enthaltenen  Abhandlungen  beschäf- 
tigen sich  mit  Ausnahme  jener  von  R.  v.  Schneider,  die  ein  kunstarchäo- 
logisches Thema  bearbeitet,  zur  einen  Hälfte  mit  Gegenständen  der  Ma- 
lerei, zur  anderen  Hälfte  mit  Gegenständen  des  Kunsthandwerkes.  Dies- 
mal treten  vorwiegend  die  Künstler  der  rudolfinischen  Periode  in  den  Kreis 
der  Betrachtung  und  Behandlung.  Von  den  zehn  Abhandlungen  sind  näm- 
lich drei  Hofkünstlern  des  Kaisers  Rudolf  IL  gewidmet,  während  sich  die 
übrigen  auf  verschiedene  andere  Zeiträume  vertheilen. 

Zunächst  einige  Worte  über  die  ausgezeichnete,  klar  disponirte  und 
den  Gegenstand  völlig  erschöpfende,  archäologische  Arbeit:  »Die  Erz- 
statue vom  Helenenberg«  von  R.  v.  Schneider1)  (S.  103  bis 
123).  Sie  handelt  über  die  künstlerisch  schönste  Erzstatue,  die  aus  dem 
Alterthume  stammend,  diesseits  der  Alpen  zum  Vorschein  gekommen  ist 
und  nun  eine  Zierde  der  kaiserlichen  Hofsammlungen  bildet.  Die  Abhand- 
lung gliedert  sich  in  drei  Theile.  Der  erste  Theil  bringt  zunächst  die 
Nachrichten  über  den  Fund  der  Statue,  dann  werden  ihre  späteren  Schick- 
sale und  ihr  Bekanntwerden  in  Gelehrtenkreisen  erzählt,  und  endlich  wer- 
den die  verschiedenen  Deutungen,  die  sie  in  der  Literatur  gefunden,  kurz 
verzeichnet.  An  der  Spitze  des  zweiten  Theiles  steht  eine  genaue  Be- 
schreibung der  Erzfigur  und  ihrer  Erhaltung.  Leider  ist  sie  nicht  intakt 
auf  uns  gekommen,  sondern  eine  barbarische  Hand  hat  in  roher  Weise  die 
alte  dunkelgrüne  Patina  von  ihr  entfernt  und  dabei  auch  die  Feinheiten 
in  der  Modellirung  der  zarteren  Theile  des  Körpers  vernichtet.  An  die 
Beschreibung  der  Figur  knüpft  der  Verfasser  an,  um  aus  einer  sorgfäl- 
tigen Vergleichung  mit  antiken  Bildwerken  gleicher  oder  ähnlicher  Stel- 
lung ihre  richtige  Deutung  zu  gewinnen.  Er  kommt  zu  dem  annehmbaren 
Resultate,  dass  die  Statue  »das  Bild  eines  Siegers  im  Fünf  kämpfe  vor- 
stelle, der  in  scheuer  Ehrfurcht  vor  den  Gott  hintritt,  ihm  für  den  er- 
rungenen Sieg  zu  danken.«  Daran  schliesst  der  Verfasser  eine  Unter- 
suchung des  künstlerischen  Stiles  der  Statue  und  findet  in  ihr  ein  grie- 
chisches Kunstwerk  der  polykletischen  Schule.  Im  dritten  Theile  wird  die 
dieser  Deutung  scheinbar  entgegenstehende,  lateinische  Inschrift  untersucht 
und  erklärt,  und  es  werden  ferner  die  Gründe  angeführt,  welche  dafür  spre- 
chen, dass  die  Figur  im  Tempel  am  Helenenberge  den  alten,  norischen  Kriegs- 
gott Latobius,  der  in  römischer  Zeit  dem  Mars  gleichgesetzt  worden  war, 


*)  Zugleich  in  einem  nicht  für  den  Buchhandel  bestimmten  Sep.-Abdr.  als 
„Festschrift  zur  Begrüssung  der  XLII.  Versammlung  deutscher  Philologen  und 
Schulmänner  in  Wien"  erschienen. 


69(3  Literatur. 

dargestellt  haben  dürfte.  So  hat  die  schöne  und  interessante  Erzstatue 
im  Verfasser  einen  sachkundigen  und  scharfsinnigen  Erklärer  gefunden,  so 
dass  die  vielfach  neuen  Ergebnisse,  zu  denen  er  gelangt,  wohl  kaum  eine 
Ablehnung  erfahren  dürften. 

Referent  geht  nun  zu  den  Abhandlungen,  welche  sich  auf  Werke  der 
zeichnenden  Künste  und  Malerei  beziehen,  über.  Der  Erklärung  von  Kunst- 
blättern aus  der  Zeit  des  Kaisers  Maximilian  I.  ist  der  Commentar  zu 
»Jost  de  Negkers  Helldunkelblätter  Kaiser  Max  und  St. 
Georg  von  Ed.  Chmelarz  (S.  392 — 397)  gewidmet.  Er  fasst  alles  zu- 
sammen, was  über  diese  Holzschnittblätter,  über  ihre  Entstehung  und  ihre 
Technik  zu  sagen  ist.  Neues  bietet  der  Aufsatz  nicht.  Die  genaue  Facsi- 
mile-Reproduction  dieser  Kunstblätter  ist  aber  sowohl  wegen  ihrer  grossen 
Seltenheit  als  auch  des  Umstandes  wegen,  dass  sie  zu  den  ersten  Incu- 
nabeln  einer  eigenartigen  Technik  des  Holzschnittes  und  Druckes  zählen, 
wohl  gerechtfertigt. 

In  dem  Aufsatze  von  Th.  Frimmel  »Unveröffentlichte  Ge- 
mälde aus  der  Ambraser  Sammlung«  (S.  124 — 146)  werden  fol- 
gende, zugleich  durch  gute  Heliogravüren  oder  Lichtdrucke  reproducirte 
Bilder  näher  beschrieben  und  besprochen:  1.  Bildniss  des  Kaisers  Maxi- 
milian I.  von  Ambrogio  de  Predis,  2.  Bildniss  der  Bianca  Maria  Sforza, 
3.  Flandrische  Landschaft  von  Jakob  Grimmer,  4.  Zwei  italienische  Land- 
schaften von  Paul  Bril  und  5.  Eine  Winterlandschaft  von  Hendrik  Aver- 
camp. Sie  sind  mit  Ausnahme  von  Nr.  2  und  einem  Bilde  von  Nr.  4  mit 
den  Signaturen  der  betreffenden  Künstler  versehen  und  waren  auch  sämmt- 
lich  schon  in  der  Literatur  bekannt.  Ebenso  waren  auch  schon  von  an- 
dern richtig  bestimmt  das  Bildniss  Maximilians  I.  und  die  beiden  italieni- 
schen Landschaften  von  P.  Bril.  Nur  die  Zuweisung  der  flandrischen 
Landschaft  an  Grimmer  und  der  Winterlandschaft  an  Avercamp  rührt  vom 
Verfasser  her.  Aber  auch  diese  hat  er  nicht  hier,  sondern  schon  früher 
in  anderen  Aufsätzen  zum  erstenmal  ausgesprochen.  Das  einzig  sachlich 
Neue,  das  diese  Bilder  betrifft  und  im  vorliegenden  Aufsatze  zuerst  aus- 
gesprochen erscheint,  ist  die  Angabe,  dass  das  an  zweiter  Stelle  genannte 
Bild  eine  »tirolische  Copie  nach  einem  Mailänder  Originale«  sei.  Auch 
erklärt  der  Verfasser  das  Bild  bestimmt  als  Bildniss  der  Bianca  Maria 
Sforza,  was  vor  ihm  Sacken  nur  vermuthungsweise  hingestellt  hat.  Abge- 
sehen von  den  ergänzenden  Beschreibungen  der  Bilder,  die  sehr  detaillirt 
und  genau  sind,  kann  man  aber  die  Art  der  Commentirung  derselben  in 
den  ihnen  beigebenen  Aufsätzen  nichts  weniger  als  musterhaft  bezeichnen. 
Im  Grossen  und  Ganzen  machen  sie  auf  den  Ref.  den  Eindruck,  als  hätten 
sie  dem  Verf.  nur  eine  passende  Gelegenheit  dargeboten,  seine  auf  Reisen 
vor  den  Bildern  und  in  der  Arbeitsstube  aus  der  älteren  und  neueren 
Literatur  gemachten  Notizensammlungen  über  die  genannten  Meister  so 
ziemlich  ohne  Wahl  und  Qual  zu  verwerthen.  Ein  solches  aus  alten  Ka- 
talogen unterschiedslos  zusammengelesenes,  antiquarisches  Sammelsurium, 
wie  es  der  Verf.  unter  anderem  über  Bilder  des  P.  Bril  leistet,  ist  ohne 
wissenschaftlichen  Werth.  Auch  die  meist  apodiktisch  ohne  jede  Begrün- 
dung vorgebrachte  Zuweisung  von  Bildern  an  den  einen  oder  anderen 
Meister  kann  wohl  für  eine  zusammenfassende,  kunstgeschichtliche  Darstel- 
lung,   aber    nicht   für  Einzeluntersuchungen    passen.     Das  ist  die  von  der 


Literatur.  (397 

Wissenschaft  abgethane  Methode  der  dilletirenden  Kunstkenner,  die  für  die 
von  ihnen  ausgesprochenen  Zuweisungen  von  Kunstwerken  selten  andere 
Gründe  ins  Feld  zu  führen  wissen,  als  ihre  eigene  Autorität.  Für  Ver- 
öffentlichung wenig  oder  noch  gänzlich  unbekannter,  guter,  alter  Bilder  durch 
genaue  und  gute  Reproduktionen  wird  die  Wissenschaft  immer  Dank  wissen. 
Sind  die  Bilder  signirt,  die  Signaturen  bekannt  und  walten  gegen  die 
Signirung  keine  Bedenken  vor,  so  genügt  als  Commentar  schon  eine  ge- 
naue, ergänzende  Beschreibung.  Aber  ein  künftiger  Biograph  wird  es  auch 
stets  dankbarst  entgegennehmen,  wenn  der  Commentator  wirklich  neues, 
unbekanntes  Material,  sei  es  zur  Biographie,  sei  es  zum  Werke  des  Künst- 
lers, bietet,  mag  er  es  nun  in  der  Form  von  einfachen  Notizen  oder  in 
der  Form  eines  Aufsatzes  bringen.  Ebenso  können  auch  unsignirte  Bilder 
einfach  nur  mit  ei'gänzenden  Beschreibungen  veröffentlicht  werden,  um  für 
weitere  Forschungen  eine  Grundlage  zu  bilden.  Entschliesst  sich  der  Her- 
ausgeber aber,  sie  bestimmten  Meistern  zuzusprechen,  so  wird  er  diese  seine 
Zutheilungen  stets  auch  ausführlich  und  erschöpfend  begründen  müssen. 
Die  Gründe  für  solche  Zutheilungen  können  entweder  nur  allein  aus  einem 
genauen  und  eingehenden,  vergleichenden  Studium  des  Werken  des  Mei- 
sters geschöpft  sein,  oder  sie  können  noch  durch  erzählende  Quellen  unter- 
stützt werden.  Aber  immer  wird  es  dann  nothwendig  sein,  von  dem  Werke 
des  Künstlers  so  viele  Bilder  (eventuell  auch  Zeichnungen)  als  möglich 
zur  Vergleichung  heranzuziehen.  In  den  vorliegenden  Commentaren  wird 
man  jedoch  wenig  Spuren  von  solchen  aus  der  Composition  und  Malweise 
der  Meister  gezogenen  Begründungen  für  die  Zutheilungen  der  Bilder  fin- 
den können.  Wohl  wird  eine  Reihe  von  Bildern,  die  der  Verf.  von  dem 
einen  oder  andern  Meister  gesehen,  angeführt,  und  es  werden  auch  un- 
signirte Bilder  dem  einen  oder  andern  Meister  bestimmt  zugetheilt;  wor- 
auf der  Verf.  aber  diese  autoritativen  Aussprüche  basirt,  erfahren  wir 
meist  nicht.  Zu  rühmen  ist  der  Bienenfleiss ,  mit  dem  der  Verf.  kunst- 
historische Notizen  sammelt,  und  die  Reichhaltigkeit  seiner  Zettel  Sammlung. 
Fr.  Kenner  setzt  seine  im  14.  Bande  begonnene  Studie  über  »die 
Porträtsammlung  des  Erzherzogs  Ferdinand  von  Tirol* 
(S.  147 — 259)  fort,  indem  er  die  deutschen  Bildnisse  derselben  einer  ein- 
gehenden Beschreibung  und  Würdigung  unterwirft.  Eine  allgemein  orien- 
tirende  Einleitung  geht  voraus.  Die  Sammlung  besteht  aus  168  Num- 
mern. Zwei  grössere  Reihen  treten  unter  ihnen  hervor:  die  eine  die  bai- 
rischen  mit  47  Stücken,  die  andere  die  sächsischen  Fürstenbildnisse  mit 
48  Stücken  umfassend,  während  die  hessischen  mit  9  Stücken  und  die 
hohenemsischen  Bilder  mit  7  Stücken  zwei  kleinere  Reihen  bilden.  Die 
brandenburgischen  Bildnisse  stammen  der  Mehrzahl  nach  aus  dem  18.  Jahr- 
hundert. Ungefähr  ein  Drittel  der  Bilder  sind  Einzelerwerbungen.  Für 
circa  100  Bilder  konnten  die  Maler,  welche  die  Originale  geschaffen  hatten, 
mehr  oder  weniger  sicher  nachgewiesen  werden,  auch  die  Copisten  mancher 
Bildnisse  blieben  nicht  unbekannt.  Ferner  wird  dargelegt,  dass  es  nicht 
ganz  bedeutungslos  sei,  ob  die  Inschriften  lateinisch  oder  deutsch  abge- 
fasst,  ob  sie  in  Gold,  Silber  oder  in  weisser  oder  gelber  Oelfarbe  herge- 
stellt seien.  Die  Beschreibungen  und  Nachweise  für  die  einzelnen  Bilder 
sind  in  der  gleichen,  sorgfältigen  Weise  angefertigt,  wie  im  ersten  Theile, 
der  die  habsburgischen  Bildnisse    behandelte,    auch    die    beigefügten  Bio- 


698  Literatur. 

graphien  sind  in  derselben  Weise  abgefasst.  An  die  Spitze  der  Sammlung 
sind  die  Bildnisse  der  Kaiser  und  Könige  gestellt,  ihnen  folgen  jene  der 
Kurfürsten  und  Herzoge:  Pfafr,  Baiern,  Würtemberg,  Baden,  Hessen, 
Sachsen,  Brandenburg,  Preussen,  Nassau- Oranien  und  Schlesien.  Die  übrigen 
Bildnisse  sind  unter  der  Collectiv-Bezeichnung  » Celebritäten «  zusammen- 
gefasst  und  alphabetisch  angeordnet  (98 — 168).  Der  Hauptwerth  dieser 
Bildniss-Sammlung  liegt  in  ihrer  ikonographischen  Bedeutung,  denn  von 
71  Nummern  sind  die  Originale  bereits  in  Verlust  gerathen,  und  von 
einer  Anzahl  der  dargestellten  Persönlichkeiten  existiren  keine  anderen 
authentischen  Bildnisse  als  diese.  Zudem  sind  dann  noch  mehrere  der 
Originalbildnisse  von  hervorragenden  Künstlern  des  16.  Jahrhunderts  her- 
gestellt. Eine  besondere  Beachtung  verdienen  die  sächsischen  Fürstenbild- 
nisse, da  sie  von  Lucas  Cranach  d.  J.  gemalt  sind  und  Copien  jener  säch- 
sischen Fürstenbilder  darstellen,  die  derselbe  Künstler  für  den  Fürstensaal 
der  Augustusburg  geschaffen  hat,  die  aber  im  siebenjährigen  Kriege  zu 
Grunde  gegangen  waren.  In  einer  besonderen  Einleitung  (S.  176 — 18ü) 
wird  über  diese  Bildnisse  ausführlich  berichtet.  Viele  Bilder  sind  in  guter 
Auswahl  theils  im  Text  als  Zinkotypien,  theils  auf  besonderen  Tafeln  als 
Heliogravüren  der  Abhandlung  beigegeben. 

Mit  einem  der  hervorragendsten  Maler  aus  dem  Künstlerkreise  am 
Hofe  Kaiser  Rudolfs  II.  beschäftigt  sich  Berthold  Haendcke  in  seiner  Ab- 
handlung: »Josef  Heintz,  Hofmaler  Kaisers  Rudolf  II.«  (S.  45 
bis  59).  Der  Verfasser  versucht  anf  Grund  der  wenigen  handschriftlichen 
Nachrichten  und  der  Signaturen  auf  seinen  authentischen  Werken  eine 
Skizze  vom  Lebenslaufe  des  Künstlers  (1564 — 1609)  zu  entwerfen,  in  die 
er  zugleich  eine  Beschreibung  und  Würdigung  des  grössten  Theiles  der 
ihm  bekannt  gewordenen  Gemälde  und  Handzeichnungen  einflicht.  Die 
Arbeit,  im  Grossen  und  Ganzen  recht  verdienstvoll,  macht  auf  den  Ref.  theil- 
weise  den  Eindruck  des  Unfertigen,  indem  nur  die  in  den  wenigen  öffent- 
lichen Hauptsammlungen  befindlichen  Werke  herangezogen  erscheinen  und 
selbst  auch  noch  für  einige  in  Wien  befindliche  Werke,  bezüglich  welcher 
während  der  Arbeit  Lücken  wahrgenommen  wurden  und  Zweifel  aufge- 
taucht waren,  Prof.  Wickhoff  eintreten  musste.  Daher  erscheint  auch  das 
zum  Schlüsse  bezüglich  einiger  Gemälde  und  Zeichnungen  berührte  Ver- 
hältniss  zum  Sohne  des  Künstlers,  dem  jüngeren  Josef  Heintz,  leider  nicht 
vollständig  klargelegt.  Auch  vermisst  man  eine  eingehende  und  zusam- 
menhängende Charakterisirung  der  Mal-  und  Zeichenweise  des  Künstlers  ; 
nur  gelegentlich  bei  Beschreibung  der  einzelnen  Bilder  findet  man  zerstreut 
diesbezügliche  Bemerkungen.  Endlich  erscheint  seine  Stellung  unter  den 
Malern  seiner  Zeit  überhaupt  und  im  rudolfinischen  Künstlerkreise  insbe- 
sondere nicht  bestimmt  genug  präcisirt.  Im  Anhange  gibt  der  Verfasser 
ein  Verzeichniss  der  ihm  bekannt  gewordenen  (l9)  Gemälde  und  (40) 
Handzeichnungen  des  Künstlers.  Von  den  letzteren  werden  mehrere  als 
zweifelhaft  bezeichnet. 

Wendelin  Boeheim  bringt  den  Schluss  seiner  im  13-  Bande  des  Jahr- 
buches begonnenen  Arbeit  über  »Die  Zeugbücher  des  Kaisers  Ma- 
ximilian I.«  (Seite295 — 39l),  welche  theilweise  das  Gebiet  der  zeichnen- 
den Künste,  theilweise  aber  das  des  Kunsthandwerkes  berührt  und  daher 
an  dieser  Stelle  besprochen  werden  soll. 


Literatur.  699 

Nach  einigen  Notizen  über  die  Lage  des  Wiener  Zeughauses  gibt  der 
Verfasser  zunächst  eine  kurze  Beschreibung  der  Manuscripte  Nr.  10815 
und  10816  der  Wiener  Hotbibliothek,  welche  Darstellungen  der  Waffen 
und  des  Kriegszeuges  des  Zeughauses  in  Wien  enthalten  sollen.  Dann 
erst  lässt  er  die  genaue  Beschreibung  des  2.  und  3.  Bandes  der  Zeug- 
bücher —  den  1.  Band  hatte  er  bereits  im  1.  Theile  seiner  Arbeit  be- 
handelt —  folgen.  Diese  beiden  Bände  enthalten  Abbildungen  der  Aus- 
rüstungen von  folgenden  Zeughäusern  und  zwar  der  2.  Band  von  Wien 
(g.  305 — 339),  von  Osterwitz  in  Kärnten  (S.  340 — 355),  von  Graz  (S.  355 
bis  364)  und  von  Görz  (S.  364 — 368),  der  3.  Band  von  Breisach  (Seite 
369 — 38G-)  und  von  Lindau  am  Bodensee  (S.  380  —  388).  Zum  Schlüsse 
sucht  Boeheim  den  Innsbrucker  Maler  Wolfgang  Reisacher  als  den  Meister 
der  Zeichnungen  der  Zeugbücher  nachzuweisen.  Aber  die  vorgebrachten 
Gründe  ergeben  kaum  mehr  als  die  Möglichkeit  und  im  besten  Falle  nur 
einige  Wahrscheinlichkeit  für  diese  Annahme.  Mit  Angaben  über  das  Schick- 
sal, welches  die  Zeugbücher  im  Laufe  der  Zeit  erfahren  haben,  schliesst 
der  Aufsatz.  Für  die  Geschichte  der  Waffen  und  des  Kriegswesens  in  der 
Maximilianischen  Periode  sind  diese  Zeugbücher  von  grosser  Wichtigkeit, 
daher  eine  ausführliche  Publikation  derselben  der  Wissenschaft  zum  Nutzen 
gereicht.  Obwohl  die  Beschreibung  des  Inhaltes  der  drei  Bände  sehr  ins 
Detail  geht,  entspricht  die  Publikation  den  streng  wissenschaftlichen  An- 
forderungen doch  nicht  in  jeder  Beziehung.  Noch  weniger  genügt  die  Be- 
schreibung der  anderen  Codices.  Auch  mangelt  der  Abhandlung  klare  An- 
ordnung und  Uebersichtlichkeit,  und  unter  langathmigen  Weitschweifig- 
keiten sucht  man  vergebens  nach  logisch  klaren  und  präcisen  Deduktionen. 
Endlich  ist  auch  der  Stil  keineswegs  musterhaft. 

Die  vier  weiteren  noch  zu  besprechenden  Abhandlungen  sind  ganz 
der  Geschichte  der  Kunstindustrie  gewidmet. 

Einen  werthvollen  und  in  seinen  ikonographischen  Ergebnissen  in- 
teressanten Beitrag  zur  Geschichte  der  mittelalterlichen  Kunstübung  liefert 
Jul.  v.Schlosser  in  seiner  Abhandlung :  „Elfenbeinsättel  des  aus- 
gehenden Mittelalters"  (S.  260 — 294).  Ausgehend  von  dem  in  der 
kaiserl.  Waffensammlung  aufbewahrten  „Sattel  Königs  Wenzel  L",  der  im 
ersten  Theile  der  Arbeit  eine  eingehende  Beschreibung  und  Besprechung 
und  eine  vorzügliche,  bildliche  Reproduction  erfährt,  gibt  der  Verfasser 
im  zweiten  Theile  eine  nach  geographischen  Gesichtspunkten  angeordnete 
Zusammenstellung  und  mehr  oder  weniger  ausführliche  Beschreibung  der 
anderen  ihm  bekannt  gewordenen  (20)  „Prunksättel".  Im  dritten  Theile 
geht  er  dann  auf  das  „Ikonographische"  der  auf  diesen  Sätteln  vorkom- 
menden, eigenartigen,  höchst  interessanten  Darstellungen  näher  ein.  Nach- 
dem er  die  Beschreibungen  derartiger  Sättel,  welche  in  der  mittelalter- 
lichen Literatur  sich  vorfinden,  theils  vollständig  mitgetheilt,  theils  nur  er- 
wähnt hat,  bespricht  er  kurz  die  in  den  Darstellungen  verwendeten  „Stoffe 
aus  der  Legende",  handelt  dann  über  die  „Darstellungen  romantischer  Stoffe" 
und  über  die  „Darstellungen  aus  dem  höfischen  Minneleben"  und  erklärt 
endlich  in  ausführlicher  und  grosse  Sachkenntnis  und  Belesenheit  zeigen- 
der Darlegung  die  in  den  Darstellungen  zum  Ausdruck  kommende  „Ero- 
tische Allegorik".  Im  vierten  Theile  fasst  er  schliesslich  noch  kurz  zu- 
sammen, was  über  das  „Stilistische"  dieser  kunstindustriellen  Erzeugnisse 


700  Literatur. 

gesagt  werden  kann.  Obwohl  bei  der  grossen  Zerstreutheit  und  Eigenar- 
tigkeit des  Materials,  wie  der  Verfasser  selbst  zugesteht,  gewiss  noch  der 
eine  oder  andere  derartige  Prunksattel  auftauchen  wird,  so  dürfte  doch 
an  den  Ergebnissen  der  verdienstvollen  Arbeit  sich  kaum  etwas  Wesent- 
liches ändern. 

Der  nach  einer  zeitgenössischen  Beschreibung  gearbeitete  Aufsatz  von 
Eud.  Beer:  „Die  Galeere  des  Don  Juan  de  Austria  bei  Le- 
panto"  (S.  1 — 1 4)  ist  in  mehrfacher  Beziehung  interessant.  Schon  die  Idee,  ein 
Kriegsschiff  künstlerisch  auszuschmücken,  ist  originell.  Dazu  kommt  dann 
das  Bestreben,  den  geistigen  Inhalt  dieses  künstlerischen  Schmuckes  mit 
der  Bestimmung  des  Schiffes  durch  meist  allegorische  Darstellungen  in 
Einklang  zu  bringen.  Ausserdem  aber  wird  der  grosse  Kunstsinn  des 
Königs  Philipp  II.  von  Spanien  durch  dieses  Werk  in  ein  besonders  helles 
Licht  gestellt.  Leider  gibt  das  publicirte  Schriftstück  nicht  eine  Be- 
schreibung der  fertigen  künstlerischen  Ausschmückung  des  Schiffes ,  son- 
dern nur  eine  Kritik  des  für  diese  aufgestellten  Programmes,  aber  trotz- 
dem ist  es  immerhin  noch  interessant  genug,  dass  die  Publikation  des- 
selben vollauf  gerechtfertigt  erscheint. 

Eine  hervorragende  Arbeit  sowohl  rücksichtlich  des  Gegenstandes,  den 
sie  behandelt,  als  auch  rücksichtlich  ihrer  Durchführung  ist  die  Abhand- 
lung über  „Paulus  vanVianen"  (S.  60 — 102)  von  Heinrich  Modern. 
Der  Verfasser  beherrscht  den  Gegenstand  vollständig,  und  man  sieht  es 
der  Arbeit  an,  dass  sie  mit  besonderer  Liebe  zur  Sache  und  mit  gutem 
Verständniss  für  dieselbe  abgefasst  ist.  Schon  die  Eintheilung  des  Stoffe- 
ist eine  übersichtliche  und  klare.  Der  Verfasser  stellt  vorerst  alles  zu- 
sammen, was  die  Lebens  Schicksale  des  Künstlers  betrifft.  Fliesst  das  bio- 
graphische Quellenmaterial  auch  nur  spärlich,  so  erhalten  wir  doch  ims 
merhin  einen  im  Grossen  und  Ganzen  genügenden  Einblick  in  die  äussern 
Lebensverhältnisse  Pauls  van  Vianen.  An  die  Lebensskizze  schliesst  der 
Verfasser  die  Beschreibung  und  Würdigung  der  Werke  des  Meisters.  Er 
beginnt  mit  Recht  mit  den  Gold-  und  Silberarbeiten  desselben,  denn  auf 
ihnen  beruht  die  Kunstbedeutung  unseres  Meisters,  geht  dann  auf  die 
Medaillen  über  und  schliesst  mit  der  Erörterung  seiner  Thätigkeit  als 
Maler.  Paulus  van  Vianen  erscheint  als  einer  der  hervorragendsten  und 
bedeutendsten  Meister  des  Künstlerkreises  am  Hofe  Rudolfs  II.  in  Prag. 
Seine  Spezialität  war  die  Treibarbeit  in  Silber,  und  in  der  That  hat  er 
hierin  wie  auch  in  anderen  Goldschmiedearbeiten  Grosses  geleistet,  so  dass 
er  nicht  nur  unter  den  Goldschmieden  seiner  Zeit  sondern  aller  Zeiten 
überhaupt  eine  erste  Stelle  einnimmt  und  neben  Benvenuto  Cellini  gesetzt 
werden  kann.  Ausser  den  beiden  Hauptwerken,  dem  Nereidenkrug  und 
der  Trionfikanne  in  den  kaiserl.  Hofsammlungen,  die  eine  besonders  ein- 
gehende Beschreibung  und  Würdigung  und  eine  reiche  und  ausgezeichnete, 
bildliche  Wiedergabe  finden,  werden  vom  Verfasser  auch  die  anderen  ihm 
bekannt  gewordenen  Goldschmiedearbeiten  in  verschiedenen  öffentlichen  und 
privaten  Sammlungen  mehr  oder  weniger  ausführlich  besprochen,  so  unter 
anderen  zwei  Schüsseln  in  München,  zwei  getriebene  Silberreliefs  bei  Na- 
thaniel  von  Rothschild  in  Wien,  zwei  andere,  dem  Fürsten  Fürstenberg 
gehörige,  in  Heiligenberg,  eines  bei  Baron  Günzburg  in  Petersburg,  die 
Diana-Actäonschale  der  Prinzessin  Wied  u.  s.  w.  Es  folgt  dann  eine  Liste 


Literatur.  7Q^ 

der  nur  in  alten  Inventaren  und  Katalogen  genannten  Werke,  die  vor- 
läufig als  verschollen  gelten  müssen.  Weiters  bespricht  dann  der  Verfasser 
die  Thätigkeit  Pauls  van  Vianen  als  Medailleur.  Auch  dieser  Theil  der 
Arbeit  bringt  sehr  viel  Neues.  Dem  Verfasser  ist  es  gelungen,  14  Me- 
daillen als  Werke  dieses  Künstlers  nachzuweisen.  Unter  ihnen  befinden 
sich  ein  paar,  die  den  besten  Arbeiten  auf  diesem  Kunstgebiete  an  die 
Seite  zu  stellen  sind. 

Zum  Schlüsse  weist  der  Verfasser  überzeugend  nach,  dass  Paulus  van 
Vianen  auch  als  Maler  sich  bethätigt  und  mehrere  Selbstbildnisse  ge- 
schaffen hat,  wovon  eines  in  der  Münchener  Pinakothek,  ein  anderes  in 
der  Amsterdamer  Galerie  sich  befinden.  Diese  vorzügliche  Arbeit  ist  wohl 
geeignet,  dem  Künstler,  der  von  seinen  Zeitgenossen  die  vollste  Anerken- 
nung gefunden  hatte,  dann  aber  im  Laufe  der  Zeiten  fast  in  Vergessen- 
heit gerathen  war,  nun  auch  bei  der  Nachwelt  wieder  zu  seinem  Eechte 
zu  verhelfen  und  ihm  seinen  wohlverdienten  Euhm  wieder  zu  verschaffen. 

Nicht  eine  vollständige  und  erschöpfende  Biographie  wie  Modern  über 
Paul  van  Vianen  bietet  uns  C.  Alhart  von  Drach  über  ,,Jost  Burgi, 
Kammeruhrmacher  Kaiser  Rudolf  IL",  sondern  er  bringt  nur 
„Beiträge  zu  seiner  Lebensgeschichte  und  Nachrichten  über  Arbeiten  des- 
selben" (S.  15 — 44).  Aber  schon  diese  enthalten  viele  neue  und  schätzens- 
werthe  Detailnachrichten  über  das  Leben  und  die  Arbeiten  dieses  ge- 
schickten und  seinerzeit  hochangesehenen  Uhrmachers  und  gelehrten  Ver- 
fertigers von  mathematischen  und  astronomischen  Instrumenten.  Ihm  ver- 
danken wir  nebst  Verbesserungen  im  Uhrenbau  auch  noch  auf  dem  Ge- 
biete der  Mathematik  die  Ausbildung  der  Decimalbruchrechnung  und  die 
Aufstellung  von  Logarithmen.  Gerade  dieser  letztere  Umstand  hat  viel 
mehr  als  seine  kunstfertige  Geschicklichkeit  dazu  beigetragen,  dass  sein 
Name  in  unseren  Tagen  wieder  neuen  Klang  erhielt.  Der  Aufsatz  beruht 
der  Hauptsache  nach  auf  den  im  königl.  preussischen  Staatsarchiv  zu  Mar- 
burg in  Hessen  vorhandenen  Aktenstücken  und  beleuchtet  dem  entspre- 
chend hauptsächlich  auch  nur  des  Meisters  Thätigkeit  im  hessischen  Dienste. 
Seine  Beziehungen  zum  hessischen  Hofe  und  seine  Arbeiten  für  denselben 
werden  unter  gleichzeitiger,  vollständiger  Publikation  der  betreffenden  Ur- 
kunden eingehend  geschildert.  Dabei  werden  allerdings  auch  manche  an- 
dere Nachrichten  über  ihn  insbesonders  auch  über  seinen  Aufenthalt  am 
Hofe  des  Kaisers  Rudolf  II.  zu  Prag  mitgetheilt.  Ohne  die  Verdienstlich- 
keit der  Arbeit  in  Bezug  auf  das,  was  wir  sachlich  aus  ihr  über  Burgi 
und  seine  Arbeiten  für  unser  Wissen  Schätzenswerthes  erfahren,  irgendwie 
schmälern  zu  wollen,  möchte  Referent  nur  rücksichtlich  der  Form  die  Be- 
merkung zu  machen  sich  erlauben,  dass  seines  Erachtens  der  Aufsatz  eineu 
viel  besseren  Eindruck  machen  würde,  wenn  die  mitgetheilten  Aktenstücke 
dem  Aufsatze  als  Anhang  angeschlossen  oder  noch  besser,  wenn  sie  gleich- 
zeitig im  zweiten  Theile  als  Quellenmaterial  publicirt  worden  wären. 

Ein  vom  Redacteur  des  Jahrbuches  H.  Zimerman  geschriebener 
Nachruf  an  „Quirin  Ritter  von  Leitner",  dem  Vorgänger  in  der  Re- 
daktion und  Mitbegründer  des  Jahrbuches,  schliesst  den  I.  Theil  dieses 
Jahrganges.  Sowohl  der  Mensch  wie  auch  der  Gelehrte  wird  uns  in  seinen 
vortrefflichen  Eigenschaften  mit  einer  massvollen  und  darum  um  so  an- 
sprechenderen Wärme  vor  Augen  geführt.    Unter  den  um  die  Kunstsamm- 


702  Literatur. 

lungen  des  österr.  Kaiserhauses  verdienten  Männern  wird  Leitner  immer 
als  einer  der  ersten  genannt  werden  müssen.     Ehre  seinem  Andenken! 

Der  zweite  Theil  dieses  Jahrganges  bringt  die  Fortsetzung  der  ,. Ur- 
kunden und  Kegesten  aus  dem  k.  u.  k.  Re  ichs-Finanz-Archiv" 
von  Franz  Kreyczi  (S.  I— XLVIII,  Nr.  11469 — 11801),  die  Jahre  1569 
bis  1619  umfassend,  dann  Nachträge  und  Fortsetzung  der  „Urkunden 
und  Regesten  aus  dem  k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv 
in  Wien"  von  Dr.  Hans  von  Voltelini  (S.  XLIX— CLXXIX,  Nr.  11802 
bis  12604)  für  die  Zeit  von  1498 — 1600.  Sie  enthalten  wieder  viel  in- 
teressantes Qnellenmaterial  zur  Gelehrten-,  Kunst-  und  Handwerksgeschichte 
des  16.  und  beginnenden  17.  Jahrhunderts.  Die  Publikation  von  Dr.  Albert 
Starzer:  „Ein  Münzkatalog  Königs  Ferdinand  I.  in  der  Va- 
ticanischenBibliothekzuRom"  (S.CLXXXIV— CLXXXIX, Nr.  12605) 
wird  vom  Redacteur  H.  Zimerman  mit  einer  Vorbemerkung  (Seite 
CLXXX —  CLXXXIV)  einbegleitet,  in  der  er  alles,  was  aus  den  bisher  publi- 
cirten  Akten  über  die  numismatischen  Sammlungen  Maximilians  I.  und 
Ferdinands  I.  zu  erfahren  ist,  kurz  zusammenfasst  und  die  Zeit  der  Ab- 
fassung des  veröffentlichten  Münzkataloges  auf  die  Jahre  1553  bis  1558 
bestimmt. 

Als  Beilage  sind  diesem  Bande  des  Jahrbuches  30  Lichtdrucktafeln 
beigegeben,  welche  genaue  Reproduktionen  der  ersten  30  Seiten  der  kost- 
baren, auf  Purpurpergament  geschriebenen  Handschrift  der  „Wi  en er  Ge- 
nesis" aus  dem  4.  Jahrhundert  enthalten.  Die  22  übrigen  Seiten  und 
die  Erläuterungen  zu  denselben  von  Wilhelm  R.  v.  Hartel  und  Franz  Wick- 
hoff werden  im  nächsten  Bande  des  Jahrbuches  erscheinen,  bei  dessen  An- 
zeige  Referent  über  dieselben  das  Nähere  berichten  wird. 

So  stellt  sich  auch  dieser  Jahrgang  des  Jahrbuches  durch  seinen 
reichen,  interessanten  und  in  den  Resultaten  zum  grössten  Theile  auch 
neuen  Inhalt,  durch  die  vornehme  und  splendide  Ausstattung  in  Bild  und 
Druck  und  durch  die  sorgfältige  Redaction  würdig  an  die  Seite  seiner  Vor- 
gänger. 

Klagenfurt.  Simon  Lasehitzer. 


Luginbühl  R.,  Aus  Philipp  Albert  Stapfers  Brief- 
wechsel (Quellen  zur  Schweiz.  Geschichte.  Bd.  11  und  12)  CXL1I, 
440  und  522   W.  Basel,  1891,  A.  Geering,  8°. 

Die  bisher  erschienenen  Besprechungen  dieses  umfangreichen  Werkes 
sind  durchaus  empfehlend  gehalten  und  im  wesentlichen  kann  auch  diese 
Anzeige  sich  ihnen  in  demselben  Sinne  anschliessen.  Da  der  Herausgeber 
die  Bedeutung  der  Briefsammlung  selbst  schon  hinlänglich  gekennzeichnet 
hat,  kann  ich  mich  auf  wenige  Bemerkungen  beschränken. 

Was  die  Hauptsache  betrifft,  die  Wiedergabe  des  Textes  der  Briefe, 
so  verdient  sie  das  Zutrauen,  das  der  Herausgeber  für  diesen  Theil  seiner 
Arbeit  in  Anspruch  nimmt,  so  weit  man  wenigstens  nach  blosser  Durch- 
lesung und  ohne  Vergleichung  urtheilen  kann.  Auch  die  Anmerkungen, 
deren  einige  für  Benutzer  eines  solchen  Werkes  wohl  überflüssig  sind 
(Vgl.  z.  B.  S.   126  nr.   2    und    3.,   S.    177  nr.   2  u.  a.)    und    die  Register 


Literatur.  703 

sind  mit  anerkennenswerter,  vom  Herausgeber  selbst  genügend  gewürdigter 
Sorgfalt  gemacht  worden. 

Für  verfehlt  aber  halte  ich  es,  dass  auch  die  Einleitung  als  Sammel- 
stelle von  Briefen,  wenn  auch  nur  in  Form  von  Auszügen  und  Regesten 
benützt  wurde  (S.  VIII — XXX  und  XXXII — CII).  Dadurch  ist  der  zusam- 
mengehörige Stoff  zertheilt  und  die  Uebersicht  erschwert  worden,  beson- 
ders, da  bei  diesen  Auszügen  auch  die  chronologische  Eintheilung  einer 
andern,  zum  Theil  alphabetischen  hat  weichen  müssen.  Das  Richtige  wäre 
wohl  gewesen,  diese  Regesten,  wenn  man  sie  schon  nicht  unter  die  an- 
dern Briefe  einreihen  wollte,  am  Ende  der  ganzen  Sammlung  zu  vereinigen. 
Dann  wären  sie  zweifellos  auch  im  Register  berücksichtigt  worden,  was 
jetzt  leider  nicht  der  Fall  ist. 

Indem  ich  schliesslich  nicht  unterlassen  will,  darauf  hinzuweisen,  dass 
diese  Briefsammlung  eine  Reihe  wichtiger  Ergänzungen,  zumeist  durch  L. 
selbst  erhalten  hat x),  erwarte  ich  mit  dem  Herausgeber,  der  sich  um  die 
Geschichte,  vorab  um  die  Geschichte  seiner  Heimat  unstreitig  verdient  ge- 
macht hat,  dass  die  Forschung  über  seinen  Helden  nunmehr  in  der  That 
abgeschlossen  ist. 

Basel.  R-  Thommen. 


Fünfunddreissigste  Plenarversarnnilung  der  histo- 
rischen Kommission  bei  der  kgl.  bayer.  Akademie  der 
Wissenschaften. 

München  im  Juni  1S94.  Die  Plenarversammlung  hat  am  17.  18. 
19.  Mai  stattgefunden.  Der  Vorstand  der  Kommission,  Wirkl.  Geh.  Rath 
v.  Sybel,  war  durch  Unwohlsein  auch  diesmal  gehindert,  die  Reise  nach 
München  zu  unternehmen.  Daher  übernahm  der  Sekretär,  Prof.  Cornelius, 
die  Leitung  der  Verhandlungen,  an  welchen  ausser  ihm  folgende  Mitglie- 
der Theil  nahmen:  Wirkl.  Geh.  Rath  v.  Arneth  aus  Wien,  Klosterpropst 
Freih.  v.  Liliencron  aus  Schleswig,  Hofrath  v.  Sickel  aus  Rom,  die  Geh. 
Regierungsräthe  Wattenbach  und  Dümmler  aus  Berlin,  Geh.  Rath  Wegele 
aus  Würzburg,  Geheimer  Rath  v.  Hegel  und  Prof.  v.  Bezold  aus  Erlangen, 
Geheimrath  v.  Maurer,  Geh.  Hofrath  und  Reichsarchivdirektor  v.  Rockinger, 
Oberkonsistorialrath  Preger,  Oberbibliothekar  Riezler,  die  Professoren  Stieve, 
Heigel,  Lossen  von  hier;  ferner  das  ausserordentliche  Mitglied  Prof.  Quidde 
von  hier. 

Im  Laufe  des  verflossenen  Jahres  sind  die  Mitglieder  der  Kommission 
Prof.  Hermann  Baumgarten  zu  Strassburg  und  Prof.  Georg  von  Wyss  zu 
Zürich  gestorben. 


l)  A.  v.  Humboldt  et  Ph.  A.  Stapfer  in  der  Denkschrift  d.  hist.  und  anti- 
quar.  Ges.  Basel  zum  Bundesjubiläum  1891,  S.  135  ff.  —  Briefe  von  J.  G.  Zim- 
mermann u.  s.  w.  an  Stapfer  im  Archiv  d.  histor.  Vereins  des  Kantons  Bern  13, 
63  ff.  —Briefe  von  Stapfer  in  der  Argovia  22,  3  ff.  Nachträge  zum  Briefwechsel 
St.  mitüsteri  181 1  —  1830  in  Auszügen  im  Anzeiger  f.  Schweiz.  Geschichte  6,  458  ff.; 
Lettres  inedites  de  Bonstetten  ä  St.  par  M.  Th.  (iodet  in  Bibliotheque  univer- 
selle et  Revue  Suise  III.  per.  GO.  vol.  1393. 


704  Literatur. 

Seit  der  letzten  Plenarversammlung  sind  folgende  Publikationen  durch 
die  Kommission  erfolgt: 

1.  Allgemeine  deutsche  Biographie.  Bd.  XXXVI  und  Lieferung  1  des 
Bd.  XXXVII. 

2.  Deutsche  Reichstagsakten,  jüngere  Reihe.  Bd.  I:  Die  Reichstags- 
akten unter  Kaiser  Karl  V.  I.  Bd. 

3.  Die  Recesse  und  andere  Akten  der  Hansetage  von  1256 — 1430. 
Bd.  VII. 

4.  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  Heinrich  IV.  und  Hein- 
rich V.  Bd.  IL 

Die  Hanserecesse  gehen  ihrer  Vollendung  entgegen.  Der  Heraus- 
geber Dr.  Koppmann,  Archivar  der  Stadt  Rostock,  vorübergehend  durch 
Krankheit  und  andere  Arbeiten  gehindert,  wird  binnen  kurzem  die  Arbeit 
an  dem  8.  Band  wieder  aufnehmen. 

Die  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  Heinrich  IV.  und 
V.  werden  von  Prof.  Meyer  von  Knonau  fortgesetzt.  Dr.  Uhlirz  arbeitet 
fortdauernd  an  den  Jahrbüchern  unter  Otto  IL  und  III.  Prof.  Winkel- 
mann ist,  nachdem  er  1889  den  1.  Band  der  Jahrbücher  unter  Fried- 
rich IL  hatte  erscheinen  lassen,  theils  durch  Krankheit,  theils  durch  die 
Verzögerung  im  Fortgang  der  Böhmer-Ficker'schen  Reichsregesten  an  der 
Fortsetzung  des  Werks  gehindert  worden.  Jetzt  aber,  nachdem  er  die 
Regestenarbeit  durchgeführt  hat,  gedenkt  er  mit  aller  Kraft  wieder  an  die 
Geschichte  Friedrichs  H.  zu  gehen. 

Von  der  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland 
sind  nur  wenige  Bände  noch  im  Rückstand.  Zunächst  ist  die  Geschichte 
der  Geologie  von  Professor  v.  Zittel  zu  erwarten.  Die  Geschichte  der 
Physik  liegt  in  den  Händen  des  Prof.  Karsten,  der,  von  langer  und 
schwerer  Krankheit  genesen,  von  neuem  mit  Eifer  dieser  Aufgabe  sich 
widmet.  Die  Vollendung  der  Geschichte  der  Rechtswissenschaften  von  Prof. 
Landsberg  steht  über  einige  Jahre  in  Aussicht. 

Von  der  Allgemeinen  deutschenBiographie  sollen  im  näch- 
sten Etatsjahr  ausser  den  noch  fehlenden  Lieferungen  des  37.  Bandes  zwei 
weitere  Bände  erscheinen.  Die  Herausgeber,  Freiherr  v.  Liliencron  und 
Geheimrath  Wegele,  halten  ausserdem  noch  drei  Bände  und  zwei  Bände 
Nachträge  erforderlich,  um  das  ganze  Werk  zum  Abschluss  zu  bringen. 
Ein  Namensverzeichnis  aller  behandelten  Personen  ist  in  raschem  Fort- 
gang begriffen. 

Von  den  Chroniken  der  deutschen  Städte,  unter  Leitung  des 
Geheimen  Raths  v.  Hegel,  wird  Bd.  XXIII  demnächst  erscheinen.  Derselbe 
ist  der  vierte  Band  der  Chroniken  der  Stadt  Augsburg,  bearbeitet  von 
Dr.  Friedrich  Roth,  und  enthält  die  Chronik  des  Clemens  Sender,  die  im 
Anschluss  an  die  Chronik  des  Hektor  Mülich  (bis  1487)  bis  1536  reicht; 
daneben  noch  andere  Fortsetzungen  der  Mülich'schen  Chronik  von  Deiner, 
Walther  und  Wilhelm  Rem.  Clemens  Sender,  Mönch  zu  S.  Afra  in  Augs- 
burg, ist  Gegner  der  Reformation.  Auf  der  entgegengesetzten  Seite  steht 
die  „ Chronica  neuer  Geschichten«  von  1514  bis  1526,  die  für  den  nächst- 
folgenden Augsburger  Band  bestimmt  ist.  —  Die  Herausgabe  des  neuen 
Bandes  der  westfälisch-niederrheinischen  Chroniken,  der  eine  Verfassungs- 
geschichte der  Stadt  Soest  von  Archivar  Dr.  Ilgen    in  Münster,  chronika- 


Literatur.  7  05 

lische  Aufzeichnungen  aus  Soest  und  Duisburg  bringen  wird,  ist  dadurch 
verzögert  worden,  dass  Dr.  Ilgen  noch  weitere  Forschungen  im  Stadtarchiv 
von  Soest  und  im  Düsseldorfer  Provinzialarchiv  anstellte.  Der  Druck  wird 
im  nächsten  Herbst  beginnen  können. 

Für  die  Keichstagsakten  der  älteren  Serie  sind  die  gewohnten 
Arbeiten  fortgesetzt  worden.  Es  wurde  vorzugsweise  auf  die  Herstellung 
des  1 0.  und  des  1 1 .  Bandes  Zeit  und  Mühe  verwandt.  So  hat  die  Reise, 
die  Dr.  Beckmann  im  vorigen  Herbst  nach  Düsseldorf,  Köln,  Aachen,  Lüt- 
tich, Brüssel,  Frankfurt,  Mainz,  Marburg,  Giessen,  Darmstadt,  Würzburg, 
Nürnberg  machte,  neben  der  allgemeinen  Orientierung  ganz  besonders  die 
Lücken  im  Auge  gehabt,  welche  frühere  Reisen  für  die  Jahre  1430  bis 
1440  gelassen  hatten.  Die  beiden  Bände  sollen  die  Zeit  von  1432  bis 
1437  umfassen;  nur  muss  im  10.  Band  um  der  Romzugsfrage  willen  noch 
in  die  Jahre  1426—1431  zurückgegriffen  werden.  Der  10.  Band  schliesst 
mit  der  Kaiserkrönung  Sigmunds  im  Mai  1433,  die  Verhandlung  zwischen 
Kaiser  und  Papst  bis  zur  Rückkehr  Sigmunds  und  der  Kurfürstentag  zu 
Frankfurt  im  September  1433  wird  dem  11.  Band  zugewiesen,  der  bis 
1437  reichen  soll.  Der  10.  Band,  bearbeitet  von  Dr.  Herre,  kann  vor- 
aussichtlich im  gegenwärtigen  Sommei*,  der  11.,  bearbeitet  von  Dr.  Beck- 
mann, ein  Jahr  später  fertig  gestellt  werden.  Aber  der  Herausgeber,  Prof. 
Quidde,  glaubt  die  Veröffentlichung  nicht  beginnen  zu  dürfen,  ehe  nicht 
die  dem  Concil  gewidmeten  Manuscripte  der  Pariser  National bibliothek  und 
des  British  Museum  ausgebeutet  sind.  Nach  Ausführung  beider  Arbeiten 
und  einer  Nachlese  in  Mailand,  Venedig  und  Florenz,  wird  der  10-  Band 
fertig  gestellt  werden  und  im  nächsten  Jahre  sein  Druck  beginnen;  ein 
Jahr  später  der  des   11.  Bandes. 

Die  Reichstagsakten  der  jüngeren  Serie  sind  nach  dem  Tode 
des  Prof.  v.  Kluckhohn  unter  die  Leitung  des  Dr.  Wrede,  der  von  An- 
fang in  hervorragender  Weise  an  dem  Unternehmen  betheiligt  gewesen  ist, 
gestellt  worden.  Ausserdem  ist  Dr.  Bernays  vollständig  in  den  Dienst 
der  Reichstagsakten  getreten.  Vorerst  hat  Dr.  Wrede  das  Register  zu  dem 
1.  Band  abgefasst  und  im  August  diesen  Band  erscheinen  lassen.  Darauf 
wurde  die  Redaktion  des  2.  Bandes  in  Angriff  genommen,  der  die  Zeit 
von  der  Kaiserwahl  bis  zum  Schluss  des  Wormser  Reichstags  umfassen 
wird.  Dr.  Bernays  wird  in  einer  darstellenden  Einleitung  die  Zeit  von 
der  Wahl  bis  zum  Ausschreiben  des  Reichstags  behandeln.  Darauf  folgen 
die  Akten  des  Reichstags,  in  Gruppen  geordnet  nach  den  Verhandlungs- 
gegenständen, jede  Gruppe  durch  eine  kurze  Uebersicht  eingeführt.  Hier- 
auf wird  eine  Präsenzliste  gegeben,  mit  möglichst  genauem  Nachweis  über 
Ankunft  und  Abreise  der  einzelnen  Fürsten.  Dann  folgen,  chronologisch 
geordnet,  die  Correspondenzen,  namentlich  die  Bi-iefe  der  Gesandten  von 
Strassburg,  Frankfurt,  Augsburg,  und  des  venetianischen  Gesandten  Con- 
tarini.  Die  Depeschen  des  Nuntius  Aleander  werden  nur  in  aller  Kürze 
Berücksichtigung  finden,  da  sie  an  andern  Orten  veröffentlicht  sind.  Da- 
gegen lässt  sich  der  Wiederabdruck  der  grossen  Reichsgesetze  nicht  ver- 
meiden. Derselbe  wird  dadurch  von  besonderem  Nutzen  sein,  dass  die 
verschiedenen  Fassungen  festgestellt  werden  sollen,  welche  diese  Ordnun- 
gen nach  einander  durchgemacht  haben,    und    nachzuweisen  versucht  wer- 

Mittheilungen,  XV.  45 


70ß  Literatur. 

den  soll,  was  davon  wörtlich  aus  früheren  ßeichsgesetzen  übernommen  ist. 
Bis  zum  Herbst  wird  hoffentlich  der  zweite  Band  druckfertig  sein. 

Die  ältere  Pfälzische  Abtheilung  der  Witteisbacher  Kor- 
respondenzen erwartet  ihren  Abschluss  und  die  Beendigung  des  Drucks 
des  3.  Bandes  der  Briefe  des  Pfalzgrafen  Johann  Casimir  erst  im  J.  1896, 
da  der  Herausgeber,  Prof.  v.  Bezold,  durch  seine  Wahl  zum  Prorektor  der 
Universität  Erlangen  verhindert  war,    die  Vorarbeiten  zu  Ende  zu  führen. 

Für  die  ältere  Bayerische  Abtheil  ung  der  Witteisbacher 
Korrespondenzen,  unter  Leitung  des  Professors  Bossen,  sind  Dr.  Brandi 
und  Dr.  Götz  fortdauernd  thätig  gewesen.  Dr.  Brandi  hat  seine  Vorar- 
beiten für  den  4.  Band  der  Beiträge  zur  Beichsgeschichte  fortgesetzt  und 
mit  einem  vierwöchigen  Aufenthalt  in  Wien  abgeschlossen;  der  Druck  des 
4.  Bandes  hat  begonnen.  Derselbe  wird  die  Sammlung  v.  Druffeis  in  dem 
von  diesem  den  früheren  Bänden  gegebenen  Umfang  bis  Ende  1554  führen. 
Für  1555  und  56  wird  sich  die  Publikation  auf  Briefe  und  Akten  zur 
Geschichte  der  bayerischen  Politik  und  des  Heidelberger  Bundes  be- 
schränken und  damit  dem  Unternehmen  des  Dr.  Götz  die  Hand  reichen, 
der  für  die  Geschichte  des  Landsberger  Bundes  seit  1556  fortgefahren 
hat,  die  Münchner  und  Nürnberger  Archivalien  durchzuarbeiten,  und  dann 
die  Archive  von  Augsburg,  Innsbruck,  Wien  zu  besuchen  gedenkt. 

Die  j  ünger  eB  ay  er  i  seh -Pfälzische  Abtheilung  der  Witt  els- 
bacher  Korrespondenzen,  die  Briefe  und  Akten  zur  Ge- 
schichte des  30jährigen  Kriegs,  unter  Leitung  des  Prof.  Stieve, 
verdankt  dem  Aufenthalt  des  Dr.  Mayr-Deisinger  in  Simancas  vom  April 
bis  September  1893  die  schönsten  Ergebnisse.  Das  von  ihm  gewonnene 
Material  gewährt  bedeutsame  Auskunft  über  die  deutschen  Verhältnisse 
und  Persönlichkeiten  der  Zeit,  höchst  überraschende  Aufschlüsse  über  die 
spanische  Politik  in  deutschen  Angelegenheiten,  und  stellt  die  handelnden 
Staatsmänner  auf  spanischer  Seite,  die  Gesandten,  vor  allen  den  einfluss- 
reichen und  geistig  hervorragenden  Baltasar  de  Züniga,  dann  den  Erzher- 
zog Albrecht,  Begenten  der  Niederlande,  und  den  Bischof  Philipp  Christoph 
von  Speier  in  das  volle  Licht  der  Geschichte:  ein  um  so  höher  anzu- 
schlagender Gewinn,  je  deutlicher  die  Forschung  jenes  Gelehrten,  der  früher 
Gelegenheit  gehabt  hat,  dieselben  Simancas-Papiere  zu  benutzen,  sich  als 
leichtfertig  und  irreführend  herausstellt.  Der  Frühling  1894  brachte  eine 
andere  höchst  erfreuliche  Gabe  durch  die  Güte  des  Landhofmeisters  von 
Preussen,  Burggrafen  Richard  Friedrich  zu  Dohna-Schlobitten,  der  die  Pa- 
piere seines  Familienarchivs  mit  hochherzigem  Vertrauen  in  die  Hände  der 
Kommission  gelegt  hat.  Die  Kommission  ist  diesem  Gönner  zu  lebhaftem 
und  ehrerbietigem  Dank  verpflichtet.  Aus  der  umfangreichen  Korrespon- 
denz der  fünf  damals  lebenden  Brüder  Dohna  empfangen  die  ersten  Jahr- 
zehnte des  17.  Jahrhunderts  an  vielen  Stellen  willkommene  Aufschlüsse 
und  eine  energische  Beleuchtung. 

Der  Druck  des  6.  Bandes  der  »Briefe  und  Akten«,  der  den  Anfang 
der  Jahre  1608 — 1610  enthält,  die  der  Herausgeber,  Prof.  Stieve,  selbst 
zu  besorgen  übernommen  hat,  sollte  schon  im  Jahre  1893  begonnen  wer- 
den, ist  aber  durch  die  unerwartete  Auffindung  der  lange  vergebens  ge- 
suchten bayerischen  Akten  zum  Jülicher  Erbstreit  und  ihre  Verarbeitung 
verzögert  worden.     Er  hat  im  Februar   1894  begonnen  und  wird  seitdem 


Literatur.  707 

rasch  gefördert.  Die  Masse  der  Stoffe  machte  es  nothwendig,  die  für  den 
österreichischen  Hausstreit  gesammelten  Papiere  auszuscheiden.  Auch  nach 
dieser  Erleichterung  werden  zwei  Bände  nicht  genügen,  sondern  Band  VI, 
VII  und  VIII  den  Jahren  1608  — 1610  gewidmet  werden.  Der  Heraus- 
geber hofft  im  kommenden  Etatsjahr  den  6.  Band  und  den  Anfang  des  7. 
gedruckt  vorlegen  zu  können. 

Die  übrige  Zeit  haben  die  Mitarbeiter  -des  Prof.  Stieve,  Dr.  Chroust 
und  Dr.  Mayr-Deisinger,  auf  die  Portsetzung  ihrer  gewohnten  Arbeiten, 
der  erste  für  die  Jahre  1611  — 1618,  der  andere  für  die  Jahre  1618  bis 
1620  verwandt.  Dr.  Chroust  hat  zunächst  für  die  Jahre  1611 — 1613  die 
bayerischen,  Kurpfälzer  und  Pfalz-Neuburger  und  die  von  Berlin  mitge- 
theilten  Ansbacher  Akten  bearbeitet.  Er  wird  demnächst  nach  Wien  gehen. 
Dr.  Mayr  hat  die  Bearbeitung  der  bayerischen  und  Kurpfälzer  Akten  des 
Münchner  Staatsarchivs  fortgesetzt.  Prof.  Stieve  hat  die  Archive  zu  Coblenz, 
Düsseldorf,  Dresden  besucht  und  dort  die  Akten  aufgezeichnet,  deren  Mit- 
theilung seiner  Zeit  erbeten  werden  soll. 


Zur  Literatur  über  deutsches  Städtewesen. 

Herr  Dr.  Uhlirz  widmet  in  seinem  in  dieser  Zeitschrift  S.  488  ff.  er- 
schienenen Aufsatze :  » Neuere  Literatur  über  deutsches  Städtewesen «  auch 
meinen  Arbeiten  eine  eingehende  Besprechung.  Ich  spreche  ihm  für  seine 
Erörterungen,  die  mir  ausserordentlich  werthvoll  sind,  meinen  aufrichtigen 
Dank  aus.  Es  sei  mir  jedoch  gestattet,  gegen  eine  einzelne  Behauptung 
an  dieser  Stelle  etwas  einzuwenden.  U.  meint  nämlich,  dass  ich  manches 
als  »herrschende  Ansicht"  bezeichnet  habe,  was  diese  Bedeutung  nicht  ge- 
habt habe,  und  belegt  diese  Aeusserung  u.  a.  mit  folgenden  Sätzen:  »Be- 
stand denn  wirklich  nach  Heuslers  Buch  eine  solche  Herrschaft  der  hof- 
rechtlichen Theorie?  Haben  nicht  schon  Waitz  und  Hegel  in  vielem  den 
rechten  Weg  gewiesen?* 

Ich  gebe  den  letzteren  Satz  bereitwilligst  zu.  Ich  habe  eben  das- 
selbe von  Waitz  und  namentlich  von  Hegel  ja  auch  früher  ausdrücklich 
betont.  Aber  ich  behaupte:  die  von  Hegel  an  der  hofrechtlichen  (von 
Nitzsch  formulierten)  Theorie  geübte  energische  Kritik  war  vor  dem  Er- 
scheinen meiner  Aufsätze  zu  sehr  in  Vergessenheit  gerathen.  Und  zwar 
ist  derjenige,  der  dies  hauptsächlich  verursacht  hat,  —  Heusler  gewesen, 
welcher  (»Ursprung  der  deutschen  Stadtverfassung«  S.  6)  über  Hegel  das 
völlig  unmotivierte,  aber  leider  keineswegs  wirkungslos  gebliebene  Urtheil 
fällt:  »dass  H.  vielfach  als  Autorität  für  deutsche  Städtegeschichte  gilt, 
dafür  vermag  ich  schlechterdings  keine  Erklärung  zu  finden«,  und  insbe- 
sondere auch  über  jene  Hegel'sche  Kritik  sich  absprechend  äussert,  da- 
gegen die  Verdienste  von  Nitzsch  sehr  erhebt.  Nach  Heusler  hat  dann 
vor  allem  Schmoller  durch  seine  Rede  »Strassburgs  Blüte  und  die  volks- 
wirthschaftliche  Revolution  im  13.  Jahrhundert«  einen  förmlichen  Nitzsch- 
kultus  eröffnet  und  dabei  besonders  die  Bedeutung  des  Hofrechts  hervor- 
gehoben. So  ist  es  gekommen,  dass  der  richtige  Weg  verlassen  wurde 
und  dagegen  die  hofrechtliche  Theorie  von  Nitzsch  die  Herrschaft  erlangte. 
Als  Beleg  führe  ich  an  (andere  Belege  s.  in  Quidde's  Ztschr.  5,  S.  150  ff. 

45* 


708  Literatur. 

und  Gott.  Gel.  Anz.  1891,  S.  758  ff.),  dass  Lamprecht  in  den  preuss. 
Jahrbüchern  49,  S.  496  (wiederabgedruckt  in  seinen  Skizzen  zur  rhein. 
Gesch.)  mit  Ausnahme  von  Köln  (für  welche  Stadt  Hegel  die  Ansicht  von 
Nitzsch  widerlegt  hatte)  »in  den  übrigen*  Städten  »nur  homogene  Be- 
völkerungen von  hofhörigen  Leuten«  bestehen  Hess  und  über  die  Bedeu- 
tung der  Ministerialen  ebenso  urtheilte  wie  Nitzsch  und  Schmoller.  Dabei 
will  ich  noch  nicht  einmal  darauf  Werth  legen,  dass  selbst  nach  Hegel 
das  Hofrecht  noch  immerhin  eine  grössere  Rolle  in  den  Städten  gespielt 
hat,  als  ich  zugegeben  habe  und  zugeben  kann.  Ganz  besonders  aber  be- 
hauptete die  hofrechtliche  Theorie  die  »Herrschaft«  in  Bezug  auf  die  Er- 
klärung der  Entstehung  des  Handwerkerstandes.  In  irgend  einer  Form 
hat  vor  mir  jeder,  der  sich  über  diese  Frage  äusserte,  die  Theorie  von 
dem  allmählichen  Aufsteigen  der  städtischen  Handwerker  aus  der  Hörig- 
keit zur  Freiheit  vorgetragen.  Und  gerade  gegen  diese  Theorie  habe  ich 
mich  in  dem  betr.  Aufsatze  gewandt,  sie  als  »herrschend«  bezeichnet.  Ich 
glaube,  wenn  irgendwo,  so  war  es  hier  berechtigt,  von  einer  »herrschen- 
den«  Theorie  zu  sprechen.  G.  v.  Below. 


Verlag  von  P.  Friesenhahn,  Leipzig. 


Illustrierte  Bibliothek 

der 

Kunst- und  Kulturgeschichte 

ca.  60  Bände  gr.  8°. 

Mit  zahlreichen  Ton-  und  Titelbildern   und   mehreren  Tausend 

bisher  noch  nicht  veröffentlichter  und  speciell  für  die  Sammlung 

angefertigter  Textabbildungen. 

PREIS:    Brosch.  Mark  4.00,  elegant  geb.  Mark  5.00, 
in  Prachtband  Mark  5.50 


Band  i:    Collignon,  Handbuch  der  griechischen  Archäologie.    312  Seit. 

mit  140  Textabbildungen. 

Preisgekrönt  von  der  „Association  pour  T  encouragement 

des  e'tudes  grecques"  in  Paris. 
Band  2:   A.  J.  Wauters,    Die    vlämische    Malerei.     354  Seiten   mit  108 

Textabbildungen. 

Preisgekrönt  von  der  Königlich  Belgischen  Akademie. 
Band  3:   0.  Henne  am  Rhyn,    Geschichte   des   Rittertums.     350  Seiten 

mit  206  Textabbildungen. 
Band  4:   0.  Keller,  Geschichte  der  Musik.    400  Seiten  mit  96  Original- 
Illustrationen. 
Band  5  :   0.  Henne  am  Rhyn,  Kulturgeschichte  der  Kreuzzüge.  520  Seiten 

mit  210  Textabbildungen. 
Band  6:   G.  A.  Seyler,  Geschichte  der  Siegel,     ca.  320  Seiten  mit  ca. 

3 so  Siegelabbildungen.     (Unter  der  Presse.) 


Die  „Illustrierte  Bibliothek  der  Kunst-  und  Kulturgeschichte"  versucht 
es,  auf  Grundlage  sorgfaltiger  Studien  in  kurzen  Umrissen  das  ganze 
Gebiet  der  Kunst-  und  Kulturgeschichte  von  alter  Zeit  bis  zur  Gegen- 
wart in  Wort  und  Bild  zusammenzufassen.  Die  Darstellung  wird  sich 
von  trockener  Gelehrsamkeit  ebenso  fern  halten,  wie  von  der  Ober- 
flächlichkeit der  Tagesschriftsteller.  Es  soll  dem  gebildeten  Leser  der 
riesige  Stoff  in  knapper  aber  anregender  Art  vermittelt  werden ,  und 
soll  er  zugleich  dem  Künstler  und  Kunstgelehrten  zur  Erleichterung 
der  Uebersicht  dienen. 

An  grossen  und  kostspieligen  Specialwerken  aus  dem  Gebiete  der 
Kunst  und  Kulturgeschichte  ist  kein  Mangel,  aber  die  streng  wissen- 
schaftliche Darstellung  einerseits,  der  relativ  hohe  Preis  der  Bücher 
andererseits  lassen  sie  nur  für  den  ernsten  Forscher  und  den  vermögenden 
Bücherfreund  als  geeignet  erscheinen,  obwohl  sich  das  Interesse  an  diesen 
Fächern  gewiss  nicht  auch  in  breiteren  Schichten  läugnen  lässt.  Gerade 
diesem  heute  allgemein  anerkannten  Bedürfnisse  soll  die  „Illustrierte  Biblio- 
thek der  Kunst-  und  Kulturgeschichte"  entgegenkommen,  und  sie  ist  des- 
wegen auch  bei  ihrem  Erscheinen  von  der  gesammten  Fach-  und  Tages- 
presse auts  Wärmste  begrüsst  worden.  —  Die  tadellose,  vornehme  Aus- 
stattung in  Papier,  Druck,  Illustrationen  und  Einbänden  machen  die 
Bände  zu  Festgeschenken  ersten  Ranges,  die  dabei  infolge  ihres  bei- 
spiellos niedrigen  Preises  jedem  leicht  zugänglich  sind. 

Die  Bände  erscheinen  in  zwangloser  Reihenfolge, ^bilden  je  ein  abge- 
schlossenes Ganzes  und  sind  &HGF'  einzeln  käuflich. 


Verlag  der  Wagner'sclien  Universitäts-Buckkandlung 
in  Innsbruck. 

Neueste  Fortsetzungen  der  Regestenwerke: 
J.  F.  Böhmer,  Regesta  Imperii  V. 

Die  Regesten  des  Kaiserreichs  von  1198 — 1272. 

Nach  der  Neubearbeitung  aus  dem  Nachlasse  J.  Fr.  Böhmer's  neu 
herausgegeben  und  ergänzt  von  J.  Ficker  und  E.  Winkelmann. 

8.  Lieferung  oder  IV.  Abtheilung  3.  Lieferung  M.  3.60 
Preis  sämrntlicher  8  Lieferungen  M.  84.70 

Regesten  der  Pfalzgrafen  am  Rhein 

1214  bis  1400. 

Herausgegeben  von  der  badischen  historischen  Commission  unter  Leitung 

von  Ed.  Winkelmann 

bearbeitet  von  Ad.  Koch  und  Jak.  Wille. 

6.  (Schluss-)  Lieferung  des  I.  Bandes  M.  10.80 

Preis  des  I.  Bandes  M.  30. — 

Regesten  der  Markgrafen  von   Baden  und  Hachberg 

1050—1515. 

Herausgegeben  von  der  badischen  historischen  Commission. 
Bearbeitet  von  Richard  Fester. 
4.  und  5.  Lieferung   M.  8. — 

Regesta  Episcoporum  Constantiensium 

Regesten  zur  Geschichte  der  Bischöfe  von  Constanz  von 
Buhulcus  bis  Thomas  Berlower  517—1496. 

Herausgegeben  von   der  badischen  historischen   Commission 

bearbeitet  von  Alex.  Cartellieri. 

II.  Band  1.  Lieferung  M.  4  — 

Die  Schlusslieferung  des  I.  Bandes  erscheint  noch  im  Laufe  dieses  Jahres. 

Neuigkeiten  aus  dem  Jahre  1894: 


Geschichte  Konradins  von  Hohenstaufen. 

Von  Karl  Hampe. 

XI  u.  394  Seiten  8°.  mit  1  Karte  M.  6.— 


Die  Deutsehen  im  Heiligen  Lande. 

Chronologisches  Verzeichnis  derjenigen  Deutschen,  welche  als  Jerusalem- 
pilger und  Kreuzfahrer  sicher  nachzuweisen  oder  wahrscheinlich  anzu- 
sehen sind  (c.  650—1291). 
Von  Reinhold  Röhricht. 

IV  u.  168  Seiten.    8°.    M.  3.— 


leliailieiti  der  deutsches  lalseistlt 

Aus  dem  Lateinischen  übersetzt,    an  zeitgenössischen  Berichten  erläu- 
tert und  eingeleitet  durch  Übersichten  über 

die  Entwicklung  der  deutschen  Gesclnchtschreilmng 

im  X.,  XI.  und  XII.  Jahrhundert. 

Zur  Ergänzung  der  deutschen  Literaturgeschichte  und  zur  Einführung 

in  die  Geschichtswissenschaft. 

Von  Wilhelm  Gundlach. 

I.  Band:    Hrotsvitha's  Otto-Lied. 

XXXIX  u.  654  S.    8".    M.  7.— 

Herzog  Friedrichs  Flucht  von  Constanz  nach  Tirol. 

Von  Josef  Zösmair. 

(Sonderabdruck  aus  dem  Innsbrucker  Gymnasial-Prograram.) 

36  S.  gr.  8°.  M.  —.80 

Wolfgang  Lazius 

als  Geschichtsschreiber  Oesterreichs. 

Ein  Beitrag  zur  Historiographie  des  16.  Jahrhunderts.- 

Mit  Nachträgen  zur  Biographie. 

Von  Dr.  Michael  Mayr. 

IV  u.  90  S.    8°.    M.  1.80 

Die   Fasten   der  römischen   Provinz  Dacien. 

Mit  Beiträgen  zur  römischen  Verwaltungsgescliichte. 

Von  Dr.  Julius  Jung. 
XLII  u.  191  Seiten     8°.    M.  4.80 


Entstehung  des  deutschen  Immobiliareigenthums. 

Von  Dr.  Alfred  Halban-Blumenstock. 

I.    Band:    Grundlage  n. 

375  S.    8°.    M.  7.20 


Erscheinende  Neuigkeiten: 


Die  päpstlichen  Kanzleiordnungen  von  1200  bis  1500. 

Herausgegeben  von  Dr.  Michael  Tangl. 


Geschichte  der  Babenberger  und  ihrer  Länder. 

Von  Dr.  Georg  Juritsch. 


Geschichte  der  ungarischen  Nation 

unter  den  Königen  aus  dem 

Hause  iV  r-  x>  a  cl  '  s. 

Von  Julius  Pauler. 

Autorisierte  Uebersetzung. 


Ausgewählte  Urkunden 
zur  Verfassungsgeschichte  der  deutsch-österr.  Erblande 

bis  zum  Ausgange  des  Mittelalters. 
Herausgegeben  von  Dr.  E.  v.  Schwind  und  Dr.  A.  Dopsch. 

Geschichte  der  österreichischen  Verwaltung 

von   1740  bis   1848. 

A.ias    derri    Nachlasse   von    Dr.    Ignaz    Beidtel. 

Herausgegeben  von  Alfons  Huber. 

Die 

bäuerliche  Wirthschaftsverfassung  des  Vintschgaues 

Vornehmlich  in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters. 
Von  Arnim  Tille. 

Gräfin  Mathilde  von  Tuscien. 

Ihre  Besitzungen,    Geschichte  ihres  Gutes  von    1115  — 1230  und  ihre 

Kegesten. 
Von  Dr.  A.  Overmann. 

Beziehungen  Rudolfs  Yon  Habsburg  zu  Papst  Gregor  I 

Von  Dr.  Heinrich  Otto. 

(Mit  Benützung  der  im  II.  Bande  der  ,, Mittheilungen  aus  dem  Vaticanisehen  Archive" 
von  Dr.  0.  Redlieh  herausgegebenen  „Brief- Sammlung  Rudolfs  von  Habsbung". 

Anm.  der  Verlagshandlung.) 

Grundzüge  der  lateinischen  Palaeographie  und  Urkundenlehre. 

Von  Cesare  Paoli. 

Aus  dem  Italienischen  übersetzt  von  Dr.  K.  Lohmeyer. 
II.    Theil. 


Galterii  Cancellerii  Bella  Antiochena. 

Mit   Einleitung-,   Index  rerum   und  Glossarium 

herausgegeben  von  Hagenmeyer. 

Avellanische  Sammlung  von  Papstbriefen 

des  4. — 6.  Jahrhunderts. 

Herausgegeben  von  Dr.  Otto  Günther. 


Zur  Benachrichtigung  der  Abonnenten  der  „Mitth.  d.  Inst, 
f.  österr.    Gesch.-Forschung !" 

Soeben  ist  erschienen 

das  3.  Heft  des  111.  Ergänzungsbandes 

der 

Mittheilungen  des  Instituts  für  österr.  Geschichtsforschung. 

Mit  diesem  Hefte  ist  der  III.  Ergänzungsband  abgeschlossen. 

Inhalt  des  3.  Heftes: 

Beitrage  zur  deutschen  Verfassungsgeschichte  des  Mittelalters  von  Willi. 

Sickel.  —  Die  Zuverlässigkeit  der  rechtsgeschichtlichen  Angaben  der  Hrafn- 

kelssaga  von  Otto  Opet.  —  Die  Grafschaft  des  Hegaus  von  G.  Tumbült. 

Preis  des  Heftes  fl.  2.20  kr.,  des  ganzen  Bandes  fl.  6.80  kr. 

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DB 
1 

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Bd.  15 


Vienna.      Institut  für 
CTsterreichische 
Geschichtsrorschuii'j; 
rlitteilungen 
Bd.   15 


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