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MITTHEILUNGEN DES INSTITUTS
FÜR
OESTERREICHISCHE
GESCHICHTSFORSCHUNG.
UNTER MITWIRKUNG VON
OSW. REDLICH, F. WICKHOPF und H. R. v. ZELSSBERG
BEDIGIRT VON
E. MÜHLBACHER.
XV. BAND.
INNSBRUCK
VERLAG DER WAGNER'SCHEN UNIVERSITÄTS-BUCHIIÄNDLUNG.
1894.
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DRUCK DER WAGNER'SCHEN UNIV.-BUCHDRUCKEREI IN INNSBRUCK.
Inhalt des XV. Bandes.
Seite
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. Von Reinhold Röhricht 1
Zur Vorgeschichte der Wahl Rudolfs von Habsburg. Von Harry Bresslau 59
Die Entstehung der ptälzisch-österreichischen Convention vom 3. Jan. 1778.
Von AdolfUnzer 68
Der Herzog von Reichstadt. Von Hanns Schütter .... 114
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. Von A.
Riegl 193
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. Von Adolf Beer . 237
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. für das Königreich Sicilien
und besonders über seine Augustalen. Von E. Winkelmann. . 401
K. Sigmund und Polen 1420—1436. Von JaroslawGoll . . . 441
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten, vornehmlich für
die Geschichte Kaiser Friedrichs II. Von Paul Richter . . . 561
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard von San Germano. Von
A. Winkel mann 600
Zur Gründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. Von Karl
Lechner 614
Kleine Mittheilungen:
Zur Biographie des Erzbischofs Tagino von Magdeburg (1004—1012).
Von K. Uhlirz 121
Rückdatirung in Papsturkunden. Von M. Tan gl . . . . 128
Eine neue Urkunde K. Arnolfs und die Schlacht an der Dyle. Von
A. Dop seh 367
Geheimschrift. Von Th. R. v. Sickel 372
Hatten die Franken ein Ordal des Flammengi-iffs ? Von 0. Opet . 479
Zur Chronologie der Päpste. Von L. M. Hartmann . . . 482
Ein Siegelstempel Kaiser Friedrichs II. Von E. Winkelmann . 485
Die Stellung der Lausitz als brandenburgisches Nebenland zu den Be-
stimmungen der Goldenen Bulle. Von Woldemar Lippert . 657
Das Itinerarium Martins V. von Constanz bis Rom (16. Mai 1418 bis
28. September 142C.) Von F. Miltenb erger . . . . 661
Zur Belagerung Wiens durch den Grafen Thurn (2.— 14. Juni 1619).
Von A. Hub er und J. Hirn 664
Anonymes Schreiben aus dem Nachlasse des Herzogs von Reichstadt.
Von Hanns Schütter 672
Literatur :
Diplomi imperiali e reali delle cancellarie d' Italia. Pubblicati a fac-
IV
siinile della R. Societä Romana di Storia patria. 1. Lieferung.
(E. Mühlbacher) 131
Müller Mor., Die Kanzlei Zwentibolds, Königs von Lothringen. (A.
Dopsch) 133
Osnabrücker Geschichtsquellen, herausgegeben vom historischen Verein
zu Osnabrück. Band I : Die Chroniken des Mittelalters, bearbeitet
v. Dr. F. Philippi u. Dr. H. Forst. (E. v. Ottenthai) . . .136
Bretholz Berthold, Geschichte Mährens, I. Band, 1. Abth. (A. Huber) 138
Die Knechtschaft in Böhmen. Von Julius Lippert und Joh. Peisker
(W. Milkovic) 138
Ueber die Chronik Cosmas' von Prag. Von W. Regel. (W. Milkovic) 142
Finke Heinrich, Ungedruckte Dominikaner Briefe. (R. Thommen) . 146
The Absolution Formula of the Templars, von H. Ch. Lea. (L. Gnielin) 148
Franz Kummer, Die Bischofswahlen in Deutschland zur Zeit des grossen
Schismas 1378 — 1418 vornehmlich in den Erzdiöcesen Köln, Trier
Mainz. (M. Tangl) . 150
Otto Hüttebräuker, Der Minoritenorden zur Zeit des Schismas. (0.
Holzer.) 151
P. Albert, Matthias Dörring, ein deutscher Minorit des 15. Jahrhunderts.
(0. Holzer) . 152
Beschreibung des Oberamts Ehingen und des Oberamts Reutlingen.
Herausgegeben vom k. statistischen Landesamt. (Th. Schön) . 153
Herbert, Der Haushalt Hermannstadts zur Zeit Karls VI. (K. Schalk) 157
Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiser-
hauses. Vierzehnter Band. (S. Laschitzer) 159
H. R. v. Jirecek, Unser Reich vor zweitausend Jahren. Eine Studie zum
historischen Atlas der österr.-ungar. Monachie. (J. Jung) . . 374
Georges Blondel, Etüde sur la politique de 1' empereur Frederic II. en
Allemagne et sur les transformations de la Constitution Allemande
dans la premiere moitie du XIIIe siecle. (H. Siegel) . . . 377
Niederösterreichisches Urkundenbuch. 1. Bd. Urkundenbuch des auf-
gehobenen Chorherrnstiftes St. Polten. 1. Theil. 976—1367.
(0. Redlich) 380
Die historischen Programme der österreichischen Mittelschulen für 1893.
(S. M. Prem) 385
Zur Feststellung des Datums der Ueberreichung der , Sturmpetition« der
protestantischen Stände Oesterreichs an Ferdinand H. (1619). That-
sächliche Berichtigung in Betreff des 11. Juni 1619. (Onno Klopp) 394
tteplik. (A. Huber) 396
Entgegnung von Dr. Jean Lulves ........ 398
Replik. (W. Milkovic) 399
Neuere Literatur über deutsches Städtewesen: 1. G. v. Below, Zur Ent-
stehung der deutschen Stadtverfassung I. Th. 2. Dasselbe, II. Th.
3. Derselbe, Die Entstehung der deutschen Stadtgemeinde. 4. K.
Koebne, Der Ursprung der Stadtverfassung in Worms, Speier und
Mainz. 5. Schulte A., Ueber Reichenauer Städtegründungen. 6. Sohm
R, Die Entstehung des deutschen Städtewesens. 7. J. E. Kuntze,
Die deutschen Stadtgründungen oder Röraerstädte und deutsche
Städte im Mittelalter. 8. G. Kaufmann, Zur Entstehung des Städte-
wesens. 9. K. Lamprecht, Der Ursprung des Bürgerthums und des
städtischen Lebeiis in Deutschland. 10. W. Varges, Stadtrecht und
Marktrecht. 11. G. v. Below, Der Ursprung der deutschen Stadt-
verfassung. 12. W. Varges, Die Entstehung der deutschen Städte
(K. Uhlirz) 488
H. J. Bidermann, Geschichte der österreichischen Gesammtstaatsidee
1526—1804. (Th. Fellner) 517
Gross K., Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts. (W. v. Hörmann) 531
Ortvay Th., Geschichte der Stadt Pressburg I. Bd. (F. v. Krones) . 533
Leutrum G., Geschichte des Reichsfreih. und Gräfl. Hauses Leutrum
von Ertingen. (Th. Schön) 536
Ungarns Geschichtsliteratur in den Jahren 1890 — 1893. II. Zeitschriften.
(A. Aldäsy) 538
Neuere Literatur über deutsches Städtewesen : 13. Richard Schröder,
Weichbild. 14. R. Beringuier, Die Rolande Deutschlands. Darin:
Die Stellung der Rolandsäulen in der Rechtsgeschichte. Von R.
Schröder. 15. Sello, Die deutschen Rolande (K. Uhlirz) . . 676
Friedrich v. Wyss, Abhandlungen zur Geschichte des schweizerischen
öffentlichen Rechts (J. Dierauer) 682
H. Fitting, Summa des Irnerius. Quaestiones de juris subtilitatibus
des Irnerius (Luschin v. Ebengreuth) 684
R. Döbner, Urkundenbueh der Stadt Hildesheim (D. Schäfer) . . 687
K. Schrauf, Regestrum Bursae Hungarorum Cracoviensis. Das Inwohner-
Verzeichnis der ungar. Studentenburse zu Krakau (F. Eichler) . 688
M. Büdinger, Don Carlos' Haft und Tod insbesondere nach den Auf-
fassungen seiner Familie (Hirn) 689
Spamers illustrirte Weltgeschichte. 3. Aufl. Fünfter und sechter Band.
Bearbeitet von 0. Kaemmel (Krones) 691
A. Gindely, Geschichte der Gegenreformation in Böhmen (A. Huber) 693
Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kai-
serhauses (S. Laschitzer) 695
R. Luginbühl, Aus Philipp Albert Stapfers Briefwechsel (R. Thommen) 702
Notizen (Siehe S. VI) . . . 167
Zwölfte Plenarsitzung der badischen historischen Commission . . . 189
Jahresbericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae historica . 553
Bericht über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Gesellschaft für
Rheinische Geschichtskunde 556
Bericht der Commission für die Denkmälerstatistik der Rheinprovinz . 559
Historische Landes-Commission für Steiermark. II. Bericht 1893|94 . . 559
Fünfunddreissigste Plenarversarnmlung der historischen Kommission bei
der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften .... 703
Zur Literatur über deutsches Städtewesen (G. v. Below) .... 707
Personalien 191
VI
Notizen über: Hübner, Gerichtsurkunden der fränk. Zeit S. 167. — Oefele,
Unedirte Karolinger Diplome 167. — Oefele, Vermisste Kaiser- und Königsurk.
v. Eicbstätt 168. — Indices chronol. ad Antiquit. Italiae 168. — Parisot, Deux
diploraes inedits 168. — Hartmann, Urk. einer römischen Gärtnergenossenschaft
169. — Leist, Urkundenlehre 169. — Engelbrecht, Titelwesen b. d. spätlatein.
Epistolograpben 169. — Cipolla, Di im diploma perduto di Carlo III. 169. —
Cipolla, °Sull' itinerario di Corrado IL nel 1026. 170. — Erben, Anfänge d. Klosters
Selz 170. — Hidber, Untersuchung d. Berner Handfeste 170. — Zeerleder, Berner
Handfeste 170. — Simonsfeld, Fragmente von Formelbüchern 171. — Pischek, Z.
Frage n. d. mhd. Schriftsprache i. ausg. 13. Jahrh. 171. — Eubel, Registerband
d. Cardinalgrosspönitentiars Bentevenga 171. — Novacek, Gründungsurk. d. Prager
Universität 172. — König, Die päpstl. Kammer unter Clemens V. und Johann XXII.
172. _ Lewinski, Die Brandenburg. Kanzlei 1411—70. 173. — Brandstetter, Luzerner
Kanzleisprache 173. — Scheel, Jaspar v. Gennepp 173. — Wiesner, Baumbast-
papiere 173. — Rockinger, Geheimschriftenschlüssel 174. — Grotefend, Zeitrech-
nuno- 174. — Bilfinger, Die mittelalt. Hören 174. — Hartmann, Ein »Consulat4
in Urk. von 921. 174. — Baumann, Ewiger Abend 174. — Roserot, Notice sur
les sceaux carolingiens 174. — Schlosser, Typare und Bullen 175. — Helfert,
Staatl. Archivwesen 175. — Mitth. d. Archivsection 2. Bd. 175. — Verzeichnis
der Werke J. Fickers 176. — Brunner, Forschungen z. Gesch. d. deutsch, u.
franz. Rechtes 176. — Mittheil, der Gesellsch. f. deutsche Erziehungs- und Schul-
geschichte 1. u. 2. Bd. 176. — Mittheilungen aus d. Stadtarchiv von Köln H. 20
bis 23. 177. — Jahrbuch d. Gesellsch. f. lothringische Gesch. u. Alterthumskunde
Bd. 2—4. 178. — Mittheilungen d. histor. Vereins von St. Gallen Bd. 24. 179. —
Brandstetter, Repertor. über Schweizergesch. 180. — Herre, Ilseburger Annahm
181. — Kugler, Neue Handschr. Alberts v. Aachen 181. — Menzel, Deutsches
Gesandtschaftswesen 181. — Lindner, Fabel von der Bestattung Karls d. Gr. 182.
— Jan, Elsass z. Karolingerzeit 182. — Finke, Konzilienstudien 183. — Novacek,
Aufenthalt Karls IV. in Avignon 1365. 183. — Novacek, Vemeschriften aus d.
Egerer Archiv 183. — Caro, Studien z. Gesch. von Genua 184. — Carreri, Del
buono governo Spilimbergese 184. — Degani, II Comune di Portogruaro 184. —
Joppi, Di Cividale del Friuli 185. — Baltzer, Danziger Kriegswesen 185. —
Schulte, Gilg Tschudi, Glarus und Saeckingen 185. — Stern, Israelit. Bevölkerung
d. deutschen Städte 186. — Stern, Quellenkunde z. Gesch. d. deutschen Juden
186. — Stern, Stellung der Päpste zu d. Juden 186. — Quellen und Forschungen
z. Geschichte, Literatur und Sprache Oesterreichs 186. — Sartori - Montecroce,
Thal- und Gerichtsgemeinde Fleims 186. — Schaller, Ulrich II. Putsch, Bischof
von Brixen 187. — Hofmann - Wellenhof, Johannes Hinderbach 187. — Kufstein
(Festschrift) 187. — A. Zingerle , Humanismus in Tirol unter Erzherzog Sig-
mund 187. — Dopsch, Oesterr. Landrecht 188. — Luschin, Herbersteiniana 188.
— Hartl und Schrauf, Nachträge zu Aschbach Gesch. d. Wiener Universität 188.
— Schuster, Zappert's ältester Plan von Wien 188. — Trubrig, Heinr. Wuest
Waldmeister zu Hall 189. — Revue de 1' Orient latin 189. — Kiem, Gesch.
von Muri-Gries 189.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem1).
Von
Reinhold Röhricht.
Die Geschichte des Königreichs Jerusalem seit der Kückeroberung
der heiligen Stadt durch die Muslimen (1239) ist ein langsames Sterben,
ein völliger Auflösungsprocess, und dass diese Erkenntniss auch den
sonst ziemlich leicht dahinlebenden Bewohnern des christlichen Litorals,
durch die Macht der Ereignisse aufgedrängt, immer klarer wurde, ist
nicht schwer zu beweisen. Die Klagen über Niederlagen und Ver-
luste werden seitdem lauter und häufiger 2), die Ahnung einer bevor-
stehenden Katastrophe findet in Urkunden bereits offen ihren Aus-
druck und wird die Grundlage für die Bestimmung eventuell wegfal-
lender oder trotzdem fortdauernder Kechte und Pflichten3). Grosse
und kleine Herren beeilen sich, an die Johanniter 4) und Deutsch-
herren 5), die mit den Templern 6) noch das meiste Geld und die ver-
*) Diese Studie schliesst an des Verfassers : Etudes sur les derniers temps
du royaume de Jerusalem I (a. La croisade du prince Edouard d' Angleterre ;
1270—1274; b. Les battailles de Hirns; 1281 et 1289) und II (Les combats du
sultan Bibars contre les chretiens; 1261 — 1277) in Archives de l'Orient latin I,
617—652; II A, 365—409 und: Die Eroberung Accons durch die Muslimen 1291
in Forschungen zur deutschen Geschichte XX, 93—126 (worüber auch Wilken VII,
719—774, De Mas Latrie, Hist. de 1' ile de Chypre I, 484—494 und Weil, Gesch.
der Chalifen IV, 179—191 gehandelt haben). Die Regesta regni Hierosolymitani
des Verfassers (Innsbruck 1893) werden im Folgenden der Kürze halber mit RH.
citirt.
*) RH. No. 1221, 1251, 1288, 1290, 1299, 1325, 1383, 1387, 1404, 1405,
1410, 1432, 1446, 1470.
s) RH. No. 1066, 1164, 1285, 1307, 1346.
4) Verkäufe Julians von Sidon (RH. No. 1210, 1217), des Johannes von
Arsüf (RH. Nr. 1241, 1302, 1313, 1370, 1371), des Herren von Caesarea (RH.
No. 1233, 1234).
6) Verkäufe des Johannes von Beirut (RH. No. 1250, 1252—1257, 1265,
1267, 1300, 1301, 1307, 1308, 1310).
6) Julian v. Sidon verkauft ihnen Sidon und Beifort (RH. No. 1319).
Mittheüungen XV. 1
Röhricht.
hältnissmässig sicherste Macht besassen, Dörfer, Städte, ja ausgedehnte
Gebiete zu verkaufen, viele Kirchen x) übergeben Hechte, bedrohte oder
fast verlorene Besitzungen dem Schutze der Ritterorden, retten wie
diese ihre Urkunden schätze im Original 2) oder in Vidimirungen 3) nach
dem Abendlande. Ja im Jahre 1286 sollte sogar eine unsichtbare
Hand auf dem Altare einer Klosterkirche zu Tripolis die Prophezeiung
niedergeschrieben haben 4), welche für die nächste Zeit den Fall dieser
Stadt und Accons voraussagte, aber auch für das Jahr 1301 den Unter-
gang des Islams5), die Rückeroberung des heiligen Landes und das
Kommen des Antichrists 6) verhiess.
') Besitzungen der Kirche von Nazareth (RH. No. 1280, 1282, 1314 ; vgl. No.
1239,1373), der Abtei vom Thaborberge (RH. No. 1230, 1244, 1249, 1255, 1316;
vgl. Nr. 1237) und S. Lazarus von Bethanien (RH. No. 1244, 1275-1277) kom-
men an die Johanniter.
2) Ihre Urkunden retteten die Templer (vielleicht?) nach Cypern, Rom,
Spanien oder Portugal, die Deutschherren nach Venedig, die Lazaristen nach
Italien, die Kirchen von Bethlehem nach Clamecy, von Nazareth nach Barletta
oder Trani, die Abteien: vom heil. Grabe (vielleicht?) nach Perugia oder Miechow,
vom Zionsberge nach Orleans, vom Thale Josaphat und St. Maria Latina nach
Sicilien, vielleicht ebendahin auch die Abtei des Templum Domini (Comte Riant
in Archives I, 705—710).
s) Comte Riant im Bulletin d. antiquaires de France 1877, 61—69. Auch
sonst sind aus unserer Zeit zahlreiche Vidimirungen zu erwähnen (RH. No. 39,
51, 69, 100, 233, 342, 378, 649, 757, 1156-1162, 1172—1173, 1414—1420). Dass der
Johanniterorden 1291 sein Statutenbuch verlor, wissen wir aus der Bulle bei
Potthast No. 24,938; vgl. Prutz, Culturgesch. 602 ff.
4) Eberhard. Ratispon. in Mon. Germ. SS. XVIII, 606; Weichard de Pol-
heim ibid. IX, 811; Menco ibid. XXHl, 567—568; Aegidius li Muisis, Chronica
ed. de Smet im Corp. chron. Flandr. II, 151, auch handschriftlich in Paris (Bibl.
nation. fonds franc. No. 902, fol. 96: Vision des Cisterciens de Tripoli 1347 und
St. Genevieve L. f. 13, 4° fol. 12a : Visio Tripolitana 1367) u. Chartres (Catal. d.
biblioth. de France 1889, XI, 156). Unser Text ist nur eine zeitgemässe Auf-
frischung der unter dem Jahre 1239 in Matthaeus Paris III, 538 und Annal. de
Dunstaplia 151 (ohne Erwähnung vom Untergange der oben genannten Städte)
angeführten Prophezeiung, über die auch Hist. litt, de France XXI, 69, 837 han-
delt. Dass die Katastrophe von Tripolis und Accon durch wunderbare Erschei-
nungen an den heiligen Bildern jener Städte vorherbedeutet worden sei, meldet
Georg. Pachymeres, Bonnae 1835, II, 86—87.
s) Andere Weissagungen vgl. bei Röhricht, Sagenhaftes und Mythisches
in Zeitschr. für deutsche Philologie XXIII, 412—413, SS. quinti belli sacri
XLI— XLV1I, 205—228, Studien zur Gesch. d. fünften Kreuzzuges 4, 12—13; RH.
No. 1421 (in einem Briefe Eduards an den Mongolenchan) , auch v. Bezold,
Astrolog. Geschichtsconstruction im Mittelalter in Quiddes Zeitschr. 1892, II, 39 ff.
und für das Jahr 1290 und 1295 Tourtoulon in Revue d. langues Romanes, Mont-
pellier 1872, IU, 175—179, 350—353.
") Erich Olaus in SS. rerum Suecic. II, 71 berichtet, dass schon 1291 nach
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 3
Die schlimmste Zeit war für die Christen hereingebrochen, als
Sultan Bibars, „ohne Zweifel eine welthistorische Figur" % den Thron
von Aegypten bestieg und in unaufhörlichem Siegeslaufe die sichersten
und stolzesten Städte und Burgen der Christen eroberte. Als er daher
am 4. Juli 1277 2) starb, athmeten diese wie von einem schweren
Drucke erlöst auf, da die Muslimen durch die Mongolen in Nord-
Syrien unaufhörlich beunruhigt wurden, und in Aegypten selbst Auf-
stände ausbrachen. Dem Sultan Bibars war nämlich sein neunjähriger
Sohn Mälik as-Said gefolgt, aber durch eine Verschwörung der Emire
unter Leitung des Kelawün wieder gestürzt und durch den dritten
Sohn des Bibars Mälik al-Adil Bedr ed-din Selamieh ersetzt worden.
Auch dieser wurde (27. Nov. 1277) verdrängt, und nun bestieg Kelawün
unter dem Titel Mälik al-Mausür selbst den Thron. Er konnte sich
anfangs nur mit Mühe behaupten ; denn der Emir Sonkor al-Aschkar
Hess sich sogar (April 1280) als Sultan in Damascus huldigen, schlug
ein ägyptisches Heer bei Gaza, verlor aber die Schlacht bei Dschezürah,
nicht weit von Damascus (17. Juni 1280). Trotzdem ward ihm in
einem Frieden (24. Juni 1281) Apamea 3), Kafar-täb 4), Antiochien mit
dem Hafen, Bakäs 5) mit dem gegenüber liegenden esch-Schughr sowie
Darküsch6) zugesprochen und der Besitz der ihm bereits gehörigen
Burgen Sahjün 7) , Balatunus s) , Burzieh 9) und der Stadt Laodicea
garantirt, weil die Mongolen, welche im October 1280 Syrien fürchter-
lich verwüstet hatten, im Frühjahr 1281 ihre Einfälle wiederholten,
und der Sultan ihr Bündniss mit seinem Gegner fürchtete. Aus dem-
selben Grunde zeigte jener sich auch den Templern und Johannitern10),
wie dem früheren Fürsten Bohemund VII von Antiochien und Grafen
von Tripolis ? x) sehr entgegenkommend und bewilligte ihnen einen
dem Falle von Tripolis und Accon die Erscheinung des Antichrists erwartet
wurde.
») L. v. Ranke, Weltgeschichte VIII, 443.
2) Ueher dieses Datum vgl. Weil IV, 98.
3) Nw. von Hamah.
4) Zwischen Schaisar (Caesarea ad Grontem) und Ma'arrat an-n( umän.
6) Von esch-Schughr durch den Oi-ontes getrennt.
8) Nö. von Laodicea. 7) Nö. von Laodicea.
8) Jetzt Kalcat muhelbeh nach Hartmann in ZDPV. XIV, 180, söö. von
Laodicea. °) Nw. von Apamea.
I0) Der Frieden begann mit dem 12 (nicht 22) Muharram 680 also dem
3. Mai 1281 (RH. No. 1447; Weil IV, 124). Nach Makrizi, Hist. d. Sultans Maml.
ed. Quatremere II A, 29 soll der Sultan durch Briefe aus Accon erfahren haben,
dass Sonkor diesen Frieden zu stören beabsichtige und ein Complott gegen den
Sultan plane.
") Der Frieden begann mit dem 27 Rabi I, 680 (16. Juli 1281). Bei dieser
1*
4 Röhricht.
Frieden von 10 Jahren, 10 Monaten, 10 Wochen und 10 Tagen. So
im Rücken gedeckt, trat er den Mongolen entgegen und schlug sie
(30. October 1281) bei Hirns in entscheidender Schlacht, worauf die
Templer von Tortosa l) wie die Einwohner von Accon 2) sich beeilten,
auch ihrerseits einen Frieden von gleicher Dauer nachzusuchen, der
ihnen auch unter allerdings sehr demüthigenden Bedingungen bewilligt
ward und für die ersteren mit dem 15. April 1282, für die letztern
mit dem 3. Juni 1283 beginnen sollte 3).
Wie wenig sich trotzdem der Sultan durch diese Abmachungen
gebunden fühlte, beweist er durch den plötzlichen Ueberfall der Jo-
hanniterburg Margat4) (deren Eroberung Saladin wie Bibars für unmöglich
gehalten hatten), trotzdem sie den Besitzern ausdrücklich garautirt war 5).
Er erschien am 17. April 1285, da die Vorbereitungen zur Belage-
rung mit der grössten Heimlichkeit betrieben worden waren, ganz
unerwartet vor der nicht genügend verproviautirten und ausgerüsteten
Festung, wies am 21. April die Johanniter, welche wegen einer Ueber-
gabe verhandelten, ab und verwandelte den Hauptthurm 6) vier Wochen
später in einen Trümmerhaufen, worauf die Belagerten von neuem
Gelegenheit schon soll der Sultan dem Grafen eröffnet haben, dass er demnächst
Tripolis erobern werde.
') RH. No. 1447.
2) RH. No. 1450. Diesen Frieden soll der König von Cypern, weil er ohne
seine Autorität geschlossen war, nicht acceptirt haben.
3) In diese Zeit setzt Makrizi II A, 63 ein Gefecht, welches der König von
Cypern (Hugo !) den Muslimen bei Beirut geliefert habe ; ein Handstreich des
ersteren auf Accon (!) soll durch die Muslimen von Charrüba glücklich vereitelt
worden seir, worauf der König in Cypern gestorben sei (Weil IV, 156). Eben-
sowenig historisch ist, was Makrizi II A, 62—63 über den Bischof von Tripolis
erzählt.
4) Heut Kal'at al-markab, s. von Dschebele ; ein Reconstructionsbild der
grossartigen Festung siehe bei E. G. Rey, LT avchitecture militaire des croises)
Paris 1871, planche 2, 3 (vgl. 19—38), woraus B. v. Kugler, Gesch. d. Kreuzz.
2. Aufl., 406 ; vgl. auch Ritter, Asien XVII, 883 und Rey, Les colonies franques,
Paris 1883, 121. Eine poetische Beschreibung der Festung giebt der Brief des
Ibn cAbd ar-rahim bei Reinaud, Extraits 550—551.
5) RH. No. 1447, 1457. Als Grund der Belagerung mag wohl gelten, weil
die Johanniter 1279 Turkomanen und 1280 ein 7000 Mann starkes Corps unter
Saif ad-din Belbän, dem Gouverneur des Kurdenschlosses, besiegt hatten (Makrizi
II A, 27; Abulfaradsch 627; Gestes des Chyprois 208—210).
8) Gestes 217— 218: tour de 1' Esperon; Sanutus229: Josperon ; Amadi216:
Torre del Speron genannt. Nach Makrizi II A, 86 (Weil IV, 158 Note) fiel der
Thurro am 16 Rabi I (22. Mai), nach dem Biographen Kelawüns (Michaud, Bibl. H,
694 — 695) erst am 17 Rabi I; er stand ,ä 1' angle de la Baschouret« und ward,
wie der Autor weiter berichtet, nur mit Hilfe der vier Erzengel und anderer
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 5
unterhandelten und die gewünschte Capitulation bewilligt erhielten,
da der Sultan die sonst so starke und ihm werthvolle Festung nicht
weiter zerstören wollte. Am 25. Mai l) ward sie dem Emir Fachr
ed-din übergeben, und die Capitulanten, welche von ihrer Habe im
Ganzen 2500 Goldstücke und 25 bepackte Maulthiere mit sich nehmen
durften, zogen nach Tripolis und Tortosa ab. Nachdem er 1000 Mann
Besatzung, 400 Pioniere und 1500 Mameluken als Garnison zurück-
gelassen und die Verwaltung des neu gewonnenen Bezirks geordnet
hatte, wandte er sich gegen die ebenso für unbezwinglich geltende Burg,
welche am Meere, zwei Bogenschuss weiten von der Stadt Maraclea2),
lag und durch Bartholomäus von Giblet mit Unterstützung des Grafen
von Tripolis und der Johanniter von Markab erbaut worden war. Sie
bestand aus einem mächtigen, sieben Stockwerke hohen, viereckigen
Thurme von fünfundzwanzig und einer halben Elle Höhe, die
Mauern waren sieben Ellen dick, die einzelnen Lagen durch einge-
gossenes Blei verbunden und die Mauern des Aussenwerkes durch ei-
serne Klammern innerlich befestigt; an diesen Hauptthurm war ein
Berchfried angebaut, auf dem drei Maschinen standen. Obgleich die
Besatzung nur hundert Mann betrug, so galt dem Sultan die Burg,
da er von der Seeseite her nicht heranzukommen vermochte, für un-
einnehmbar, und er griff daher zu einem anderen Mittel. Er forderte
den Grafen von Tripolis auf, den Bartholomäus zur Schleifung der
Burg zu bestimmen, widrigenfalls er ihm sein ganzes Land nehmen
oder verwüsten werde, und dieser Drohung nachgebend bewirkte Bohe-
mund die Uebergabe, ja er soll den fränkischen Gefangenen und mus-
limischen Maurern selbst die Werkzeuge zur Zerstörung hergegeben
haben, worauf die stolze Feste in Trümmer verwandelt wurde3). In
Folge dieser siegreichen Fortschritte des Sultans beeilte sich der König
Leo III von Armenien und die Herrin von Tyrus Margarethe, von ihm
einen Frieden zu erlangen, den er auch unter den drückendsten Be-
dingungen auf 10 Jahre gewährte 4). Als er endlich von seinem Sieges-
zuge nach Cairo zurückkehrte, hatte er die Genugthuung, von christ-
lichen Gesandten, denen des Königs Rudolf L, des Kaisers von Con-
himmli8cher Heerscharen, wie sie sonst auch die Christen behaupteten gesehen
zu haben, erobert.
') Geste s 217: 27. Mai; der Biograph Kelawüns (bei Reinaud 549 und
Michaud II, 696): 19 Rabi I (Freitag den 25. Mai).
-) Heute Marakia, s, von Kalc at al-markab, an der Mündung des gleich-
namigen Flusses; vgl. Rey 161 — 162 und Ritter XVII, 885.
3) Weil IV, 158.
4) RH. No. 1457, 1458; vgl. No. 1460,
6 Röhricht.
stantinopel und der genuesischen Commune begrüsst und mit reichen
Geschenken geehrt zu werden (6. November) x).
Inzwischen war König Johann I. von Cypern (10. Mai) 2) ge-
storben und sein Bruder Heinrich II ihm auf dem Throne gefolgt.
Er versuchte, da die Truppen des Königs Karl I. von Sicilien unter
Heude Petechien das Schloss von Accon besetzt hielten 3), sich des
mächtigen Beistandes der Templer zu versichern, um seine Rechte zur
Geltung zu bringen, und schickte Julian den jüngeren ab; leider
kennen wir jedoch den gen auereu Inhalt dieser Abmachungen nicht4).
Am 24. Juni 1286 landete König Heinrich II. mit Balduin von Ibelin,
dem Connetable von Cypern, und einem ansehnlichen Herre in Accon,
und es gelang ihm unter Vermittlung der drei Ordensmeister nach
viertägigen Unterhandlungen, den Heude Pelechien zur Bäumung des
Schlosses zu bewegen (27. Juni) 5). Hierauf regelte er nach Tyrus,
empfing dort am 15. August iu der Cathedrale aus den Händen des
Erzbischofs Bonacursus die Krone des Königreichs Jerusalem und kehrte
nach Accon zurück, wo das Krönungsfest unter allerlei prächtigen
Schaustellungen und Belustigungen in dem Ordenshause der Johanniter
l) 7 Ramadhän 684. Makrizi II A, 81 meldet nach seiner Quelle (No-
wairi) : ,Les presents de 1' empereur formoient lacharge de trente deux hommes ;
quatorze portaient des fourrures de petit-gris et de zibeline (Biberfelle schickte
Ottokar II. von Böhmen an den Sultan; RH. No. 1407), cinq de robes ecarlates,
treize de vetements d' atlas et de bondoki (feine Leinwand aus Venedig). Les
presents des Genois comprenaient deux charges de sarsinä (Gewebe nach orien-
talischem Muster), six sonkors (Gerfalken), un chien blanc, qui etait, dit-on, plus
grand qu' un Hon; les presents de Lascaride (Andronicus II) consistaient en une
Charge d' atlas et quatre de tapis«; vgl. Weil IV, 153. Genau dieselben Angaben
wiederholt der später Compilator Ibn el-Furat (Karabacek in Oesterr. Monats-
schrift für d. Orient 1879, 4). Als Begleiter jener Gesandtschaft Rudolfs I. von
Deutschland (Aman, Vespro Siciliano 1886, II, 132 will unter dem »enberür« mit
Unrecht den König von Aragonien verstehen) kennen wir den berühmtesten Palaes-
tinographen des XIII. Jahrhunderts Burchardus de Monte Sion (Bibl. geogr. Palaest.
No. 143), und dies geht unwiderleglich hervor aus dem Anfange des Lindauer
(Historia mundi P. I, 1, No. 6; vgl. Karabacek 7) Burcharduscodex : .quem misit
gloriosus Rudolfus, rex Romanorum, ad soldanum Babylonis pro quodam negotio,
a quo benigne receptus fuit.' Neumann (ZDPV. IV, 233) möchte eine Reminis-
cenz an diese Gesandtschaft in der Notiz des Prager Burchardus-Codex (ünivers.
bibl. XIV. C. 16, s. XV) finden: »Libellus sequens de descriptione terre sancte
per Soldanum, Regem Babilonie, fuit missus Karolo quarto, Romanorum Impera-
tori, ad immensissimas preces Cesaris, imperii ipsius anno quarto.*
2) Amadi 216: 20. Mai; vgl. Gestes 218.
3) Ueber die Erwerbung der Thronansprüche Karls I. auf Jerusalem durch
Vertrag mit der »domicella Hierosolymitana« vgl. RH. No. 1411, 1486.
*) Gestes 218. ») Gestes 2l7; RH. No. 1456, 1466.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 7
15 Tage lang gefeiert ward1); von da kehrte er, nachdem er seinen
Onkel Balduin von Ibelin als Connetable von Jerusalem zurückgelassen
hatte, wieder nach Cypern zurück.
Während bald darauf (1286—1287) ein furchtbarer Krieg zwi-
schen den Genuesen und Pisanern wüthete, aus dem die ersteren, durch
die Freundschaft des Sultans unterstützt, als Sieger hervorgingen 2),
rüstete dieser sich, seine Herrschaft im nördlichen Syrien weiter zu
befestigen. Er soll plötzlich gegen Bohemund VII., Fürsten von Auti-
ochien und Grafen von Tripolis, die Beschwerde erhoben haben 3), dass
er den nach dem Fall von Markab neu eingegangenen Vertrag, wo-
nach er weder muslimische Gefangene halten, noch muslimische Kauf-
leute belästigen dürfe, nicht ehrlich gehalten habe, und Hess durch
den Emir Torontai Laodicea belagern, welches auch am 20. April
1287 fiel*).
Am 18. Juni 1287 5) landete Alice, Gräfin von Blois, in Accon
und verwandte ihre reichen Mittel 6) zum Bau einer Capelle, eines
») Interessant sind die Details in Gestes 220: ,et fu la feste la plus belle
pue 1' on sache c ans a d' envissures et de behors et contrefirent la table reonde
et la raine de Femenie, c' est asaver Chevaliers vestus comme dames et josteent
ensemble ; puis firent nounaines quy estoient ave moines et bendoient les uns
as autres ; et contrefirent Lanselot et Tristan et Pilamedes et mout d' autres jeus
biaus et delitables et plaissans«.
2) Gestes 220—230; vgl. Heyd, Hist. du commerce I, 355, 474: RH. No. 1476.
9) Makrizi II A, 101 ; Reinaud 561.
4) So nach dem Biographen Kelawüns bei Michaud II, 705 : Sonntag 5 Rabi I
(20 April), nach Sanutus 229 : 17. April. Die Stadt gehörte, wie wir wissen, dem
Sonkor al-Aschkar, ist auch im Friedensinstrumente (15. April 1282) als muslimische
Stadt genannt (RH. No. 1447) ; dann wäre die Eroberung ein Schlag gegen Sonkor,
dem der Sultan kurz vorher durch Verrath Balatunus abgenommen hatte (Weil
IV, 159—160), gewesen. Die Eroberung gelang dadurch, dass die Stadt kurz
vorher (Sonnabend den 22. März) durch ein Erdbeben eines grossen Theiles ihrer
riesigen Befestigungen (ein Thurm im Meere, der .Taubenthurm* und auch ein
Leuchtthurm) beraubt worden war (Reinaud 561); die gewaltigen Belagerungs-
maschinen, »deren Zungen den Erfolg verkünden, deren Finger den Sieg heran-
winken", vollendeten die Zerstörung.
5) Dies Datum nur in den Annales de Terre Sainte (ed. Röhricht in Archi-
ves II) 459, 460, während Gestes 245, Sanutus 225 und Liber de passagiis, ed
Thomas, Venetiis 1879, fol. 15 der Sache nur ganz oberflächlich Erwähnung thun ;
vgl. sonst Ritter, Asien XVII, 925.
6) Duchesne, Hist. de la maison de Chätillon, Paris 1621, 119 und preuves
68 erwähnt einen Beschluss des Parlaments (Sept. 1284), wodurch die Testa-
mentsexecutoren des Grafen Johannes angehalten weiden, der Gräfin Alice 3000 Livres
zu zahlen, um davon eine Anzahl Ritter nach dem heil. Lande zu schicken, und
eine Urkunde (1287), worin Florentius von Hainaut der Gräfin verspricht, mit
g Röhricht.
Thurmes an der Barbacane beim S. Nicolausthore und zwischen dem
S. Thoinasthore und dem „verfluchten Thurme" 1). Am 19. October
starb Bohemund VII., Fürst von Antiochien und Graf von Tripolis,
ohne Kinder zu hinterlassen; die Erbin war seine Schwester Lucia,
welche den Admiral des Königs Karl II. von Sicilien Narjot de Toucy 2)
zum Gemahl hatte.
Die Einwohner von Tripolis waren jedoch sehr wenig damit zu-
frieden, dass Lucia Herrin der Stadt werden sollte, und baten Sibylle,
die Mutter Bohemund VII., die Verwaltung in die Hände eines an-
deren zu legen, als sie aber zu diesem Zwecke den Bischof (Bartho-
lomäus ?) von Tortosa berief, der am allermeisten verhasst war, so
organisirten die Bürger ihren offenen Widerstand durch Wahl des
Bartholomäus von Giblet zum Capitano und Hessen durch den Notar
Petrus von Bergamo 3) in Genua den dritten Theil der Stadt als Besitz
versprechen, den die Genuesen vertragsmässig früher besessen, aber
wieder verloren hatten. In Folge dessen segelte Benedetto Zaccaria
am 10. Juni 1288 mit zwei Schiffen von Genua ab, verstärkte, als er
unterwegs erfahren hatte, dass Lucia mit fünf Galeen aus Foggia nach
Tripolis vorausgesegelt sei, sein kleines Geschwader auf fünf Schiffe
und landete in Tripolis, wo Lucia bereits angekommen war und bei
vier anderen Rittern für 2500 Livres jährlich im heil. Lande zu dienen; vgl.
Wauters, Table chronol. VI, 253.
*) Nach Dupre-Bergevin, Hist. de Blois, Blois 1846, I, 45, starb sie auf der
Rückreise von ihrer Pilgerfahrt ; ihr Leib wurde neben dem ihres Gemahls in der
Abtei la Guiche, ihr Herz in der Schlosscapelle von Montils beigesetzt : vgl. auch
Morice, Hist. de Bretagne IV, 190. Sie starb nicht am 4. Aug. 1287 (Annal. de
Terre Sainte) im heil. Lande, sondern am 29. Jan. 1292 in Frankreich (Rec. armen.
II, 809), wenn sie nicht die Witwe des 1280 verstorbenen Grafen Johannes v. Blois,
sondern (seit 1272) Gemahlin des Grafen Peter von Alencon ist, des Sohnes Louis' IX.
2) Er wird 18. April 1274 als »capitaneus in partibus Albaniae* erwähnt
(Del Giudice, La famiglia di re Manfredi, Napoli 1880, append. XCIII, No. 18).
Wir besitzen 2 Cabinetsordres Karls I. von Sicilien an Roger de San Severino (1278),
worin dieser aufgefordert wird, vier Galeen auszurüsten, um Margarethe, die
Tochter des Vicomte Louis de Beaumont, Sohnes des früheren Königs Jobannes
von Jerusalem, in Tripolis abzuholen und für die Rückkehr des Nicolaus von S. Omer
und Narjot de Toucy Sorge zu tragen (Riccio. Nuovi studii, Napoli 1876, 6),
ferner (1288) Karls IL, welcher seinen Admiral Narjot de Toucy aufiordert, Lebens-
mittel in das Gebiet des Fürsten Bohemund VII. zu bringen, dessen Tochter Lucia
nun Erbin der Grafschaft Tripolis geworden sei (Riccio, Studii storici, Napoli
1863, 58; vgl. Durrieu, Archives de Naples II, 390; Heyd I, 356—359, 392—393).
Ein Siegel Narjots de Toucy siehe bei Douet d' Arcq No. 11837 und im Musee
archeologique H, 323—324, No. 20.
8) Gestes 231 : Aubergamo ; Jacobus Auriae in Mon. Germ. SS. XVIII, 322.
Vgl. die Aeusserungen des Textes hinten in unserer Beilage.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 9
den Meistern der Templer und Johanniter, denen ja durch den Papst
die Unterstützung der Lucia anbefohlen war x) , den Venetianern
und Pisanern sowie Johannes von Graüly Hülfe gefunden hatte.
Benedetto Zaccaria rüstete sich zum Kampfe und befahl , von den
Tripolitanern freundlich aufgenommen, der Lucia, welche inzwischen
nach der festen Johanniterburg Nephin (Eufeh) sich zurückge-
zogen hatte, ihre Freunde und Helfer zu entlassen, worauf sie mit
diesen nach Accon abfuhr 2). Der Admiral schloss nun mit Bartho-
lomäus von Giblet 3) einen Vertrag, der aber lange nicht so günstig
war als der in Genua angebotene, segelte dann nach Cypern und
brachte mit König Heinrich II. ebenfalls einen Vertrag (21. Sept. 1288)
zu Stande, welcher in Genua nicht angenommen und am 17. Mai 1292
aufgehoben wurde4). Hierauf nach Tripolis zurückgekehrt knüpfte
er, da ihm bald klar wurde, dass die Tripolitaner ihn betrügen wollten,
mit Lucia an, lud sie nach Tyrus und schloss mit ihr unter Vermitt-
lung des Grosspraeceptors der Johanniter Bonifacius von Calamandrane
ab. Da ihr in Tripolis desshalb abermals die Aufnahme verweigert
wurde, so musste sie wieder die Gastfreundschaft der Johanniter in
Nephin annehmen 5), während Benedetto Zaccaria nach Armenien ab-
segelte 6).
Diese Verwirrung der Verhältnisse, nach anderen Berichten die
Besorgniss, dass Tripolis in der Hand der Genuesen dem Handel von
Alexandrien gefährlich werden könne 7), oder, wie arabische Autoren
melden, weil die Hoffnung auf eine leichte Eroberung durch Verrath
fehlgeschlagen wäre8), glaubte der Sultan benützen zu können, um
die Stadt zu gewinnen. Ein Emir des Sultans setzte in einem geheimen
Schreiben den Templermeister von dem Vorhaben seines Herrn in
Kenntniss, und in Folge dessen wurden auch die Tripolitaner gewarnt,
aber sie schenkten dieser Mittheilung keine Beachtung und meinten,
dass die Küstungen des Sultans wohl Nephin gelten 9) sollten ; zudem
*) RH. No. 1478.
2) Gestes 233; Jacobus Auriae 322. Johann war 1288 nach Palästina ge-
kommen (Annales de Terre Sainte 460).
8) Nach arabischen Autoren hätte er mit Hülfe des Sultans Tripolis ge-
winnen wollen, als Capitano der Stadt aber jede Beziehung mit ihm abgebrochen
(Weil IV, 161); er wäre Vasall des Bartholomäus von Maraclea gewesen (welcher
seinen einzigen Sohn niedergestossen habe, weil er Maraclea an die Muslimen
hätte verrathen wollen); vgl. Reinaud 561.
4) Heyd II, 5. 5) Gestes 234; Jacobus Auriae 323.
6) Ueber seinen mit Leo III. von Armenien (23. Dec. 1288) abgeschlossenen
Vertrag vgl. RH. No. 1482. 7) Gestes 234. 8) Vgl. oben Note 3.
8) Ueber dessen starke Verproviantirung genaueres Sanutus 229 meldet.
10
Röhricht.
verliessen sie sich auf die Stärke ihrer Mauern l) und deii Hafen, den zu
sperren der Sultan nicht im Stande war. Als nun das Heer der Feinde2)
bereits im Anmärsche war, schickte der Templermeister den Ordens-
bruder Reddecuer aus Spanien mit einem neuen Warnungsschreiben
ab, jedoch als er auf der Kückkehr nach Accon kam, war die Stadt
bereits von Feinden auf der Landseite eingeschlossen. Nun eilten von
Accon aas der Bruder des Königs Heinrichs von Lusignan, Conne-
table des Königreichs, mit ansehnlicher Macht, der Templermarschall
Geoffroy de Vendac, der Templercomthur von Accon Pierre de Mon-
cade mit Reddecuer, sehr viele Johanniter, Kitter und Serjanten der
vom französischen König gesandten Hülfstruppen 3), vier genuesische
und zwei venetianische Galeen wie auch Pisaner der Stadt zu Hülfe 4)
Die Belagerung begann am 17. März5) 1289 mit 19 Maschinen 6) und
1500 Sappeuren7). Bald war der „Thurm des Bischofs" und der neue
„Thurm der Hospitaliter" in Trümmer gesunken. Die Yenetianer flohen
zuerst, dann folgten mit vielen Bürgern auch die Genuesen, und so
fiel die Stadt Dienstag den 26. April 8). Es entkamen die Wittwe des
Fürsten Bohemund VII. und des Johannes von Montfort mit Lucia,
Amalrich, der Connetable des Königreichs Jerusalem, der Marschall der
Templer, der Comthur der Johanniter Matthäus von Clermont, Johannes
von Grailly, Befehlshaber der französischen Hilfstruppen und Sene-
») Sie waren so breit, dass drei Ritter sehr bequem darauf neben einander
reiten konnten ; ausserdem war die Stadt sehr bevölkert und hauptsächlich durch
die Seidenweberei reich, die nicht weniger als 4000 Personen betrieben (Makrizi
II A. 102).
2) Gestes 235. Die Stärke des feindlichen Heeres wird auf 40.000 Reiter
und 200.000 Mann Fussvolk (offenbar ühertrieben) angegeben (Annales de Terre
Sainte 460).
3) Diese werden mit ihrem Führer Johann von Grailly schon in einem Briefe
vom 30. September 1288 erwähnt, worin Nicolaus IV. den drei Ordensmeistern
und Johannes von Grailly auf ein Schreiben antwortet, welches sie durch den Prior
von S. Aegidien, Wilhelm von Villaret, die Predigermönche Rudolf und Wichard
sowie den Bruder Bertrand aus St, Maurice (Diöcese Agen) an den Papst gesandt
hatten (RH. No. 1480).
4) Gestes 235 ; Jacobus Auriae 323.
5) Gestes 236; Sanutus 230; nach Jacobus Auriae 323: 10. März; Abulfeda
162 : 25. März ; nach Ostern (Flores temp. pontif. in Mon. Germ. SS. XXPV, 242)-
8J A nach Annales de Terre Sainte 460. 7) Makrizi II A, 162.
8) So richtig Gestes 237; Sanutus 230; Annales de Terre Sainte 460 (Va-
riante: 30. April); falsch Jacobus Auriae 323: 27. April; Makrizi IIA, 102 (wo
statt 4 Rabi I: 4 Rabi II zu corrigiren ist; vgl. Weil IV, 162—163), Bernard
Guidonis 709 , Li livre de reis 306 : 25. April ; Dandolo (Muratori SS. XII) 402
Brunetto Latini 230 , Paolino di Piero 43 : Mai : Bartholomaeus Cotton 172 ;
24. Aug.; Annal. Waverleiens. 408: Sept.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 1 \
schall von Jerusalem *), ebenso Heinrich von Giblet. Ein Theil der
Flüchtigen rettete sich nach der vor dem Hafen liegenden S. Nicolaus-
Insel'2) und zwar in die dort liegende S. Thomas-Kirche, aber die
Sieger setzten nach und erschlugen sie alle. Unter den Gefallenen 3)
werden besonders genannt : Bartholomäus von Giblet, der Templer-
comthur Pierre de Moncade, der Templerbruder Guillerme de Cordone,
der frühere Guardian der Franziskaner von Oxford, welcher nur mit
einem Kreuze bewaffnet den Feinden kühn entgegenging4), und Lu-
ceta, die Aebtissiu eines Nonnenklosters, die, bereits als Sclavin einem
Emir zugetheilt, durch eine List den Tod suchte und fand 5), während
ihre Ordensschwestern wie die Templer Eeddecuer und Hugo, Sohn
•) Ueber ihn vgl. weiter unten S. 30.
2) Dschesirat al-nakleh ; vgl. Makrizi 102; Annales de Terre Sainte 460;
Reinaud, Extr. 560, 563, 569; Bibl. d. croisades II, 79. Abulfeda 162 sah selbst
die Haufen der erschlagenen Christen. Nach dem Text in unserer Beilage sei
das Meer zwischen dem Hafen und der Stadt so seicht gewesen, dass es dem Vor-
dringen der Feinde keine Schwierigkeiten bot.
3) Als Gesammtzahl wird angegeben: 11.000 Christen (dagegen 24.000 Mus-
limen) nach Bartholomaeus Cotton 172 : 20.000 (Brunetto Latini bei Hartwig,
Quellen II, 230), gegen 50.000 (Excidium 759), 70.000 (Sanutus 230); getödtet
und gefangen wurden nach den Annales de Terre Sainte 460 : 40.000. Der Johan-
nitermei8ter Johann de Villiers meldet am 22. Aug. 1289 (RH. No. 1493), dass
vierzig Ordensbrüder fielen, an Streitrossen und Waffen ein grosser Schaden
und ein Verlust von über 1500 Mann zu beklagen war, wesshalb alle Convente
im August 1290 Waffen und Pferde nach Accon schicken sollten.
4) Chron. Lanercost (Bannatyne Club LXV1H), 128—129. Nach dem Cod.
Assisi No. 341, aus welchem im N. Archiv X, 1885, 237 interessante Auszüge
gegeben sind (auch Ehrle in Miscell. Francesc. 1887, II, 22 wies auf ihn hin),
wir uns aber vergeblich bemüht haben, weitere Mittheilungen zu erlangen, ward
(238) der Abt des grösseren Klosters mit 7 Minoriten erschlagen ; unter den zer-
störten Kirchen werden S. Benedict (offenbar Belmont bei Tripolis), S. Clara,
S. Maria de Turre und S. Marcus erwähnt (vgl. Röhricht in ZDPV. X, 317).
5) Sie soll ihm erklärt haben, dass sie ein Mittel besitze, sich unverwund-
bar zu machen, und als der Emir auf ihre Aufforderung hin dies mit dem Schwerte
erprobte, unter seinem Hiebe zusammengebrochen sein (Chron. Lanercost 129 — 131,
wonach dieser Bericht aus dem Munde des zwei Jahre in England ansässig ge-
wesenen Bischofs Hugo von Byblus stammt). Eine ähnliche Geschichte , dass
nämlich, um der sicheren Schande und Entweihung zu entgehen, die Clarissinnen
sich durch Abschneiden der Nasen unansehnlich gemacht hätten, wird (1187)
von der Eroberung Jerusalems durch Saladin (Thietmar ed. Laurent 30 ; Felix
Fabri, Evagatorium ed. Hassler II, 132), von der Eroberung Antiochiens (1268)
durch Bibars (Bzovius 1268 § 12), von der Eroberuug von Tripolis (Bzovius 1289
§ 2; Wadding, Annales Minor. II, 585—586) und von Accon (Antonius Floren-
tinus, Chronicon III C. tit. XXIV, cap. IX § 11; Martyrolog. Franciscan., Paris
1553, 214; Annales ordin. Minorum, supplem. ed. Maria de Turre, Angustae Tatra».
1710, 115— 116J erzählt. Ganz kurz ohne Details wird der Märtyrertod derClaris-.
\2 Röhricht.
des Grafen von Dampierre, in die Gefangenschaft fielen 1). Die Kirchen
und Heiligthümer der Stadt wurden geschändet, Heiligenbilder, Statuen
und Crucifixe an Eosschweifen durch die Strassen geschleift und zer-
schlagen 2), dann die Häuser und Mauern zerstört und sofort landein-
wärts auf dem „ Pilgerberge " die Anlage einer neuen Stadt begonnen3),
deren Gouverneur der Emir des Kurdenschlosses Saif ed-din Belbän
wurde4). Wenige Tage darauf fiel auch die Johanniterburg Nephin
und Batrün 5) ; nur der Herr von Dschubail soll gegen einen Tribut
sinnen von Accon auch erwähnt bei Johannes Vitoduranus 37 und Nicolaus Glas-
berger in Analecta Franciscana II, 106; vgl. Röhricht in Archives II, 392, Note 111.
*) Gestes 237. Makrizi 102 berichtet, es seien allein 1200 Gefangene im
Arsenal des Sultans eingesperrt worden.
2) Stefan Orbelian, Histoire de Siounie, ed. Brosset, St. Petersbourg 1864,
245 ; Petermann, Beiträge zur Gesch. d. Kreuzzüge aus armen. Quellen, Berlin
1860, 172 (wonach Tripolis nur durch Verrath gefallen sein soll; vgl. Excidium
759); Flores histor. III, 69 — 70; Annales Hiberniae in Chartul. of S. Mary's abbey
ed. Gilbert, Dublin 1884, II, 320—321 (der Codex von Assisi 238 hat die un-
verständliche Anklage: »proditor autem princeps cum suis sequacibus muneribus
ditatus a soldano in Babilonie collocatus est et frater ejus princeps Numidicus11).
Ganz dieselben Schändungen berichten nach dem Falle Accons Stefan Orbelian 172 ;
Annal. Waverleiens. 410, und Augenzeuge war Riccoldo de Monte Croce (Archives de
1' Orient latin II, 262) nach dem Falle von Tripolis in Siwäs. Ein Trauerlied
auf den Fall der Stadt und die Zerstörung ihrer Kirchen (mit interessanten
Details) veröffentlichte im syrischen Urtext (von Gabriel Bar Kalai, Bischof von
Nicosia, welcher um 1550 starb) Giudi in Rom 1883 (vgl. Zeitschr. der Deutsch.
Morgenl. Gesellsch. 1884, XXXVIII, VII, No. 4676) und mit Röhricht französisch
in Archives II B, 462—467; sonst vgl. auch Hartzheim, Concil. Germ. IV. 2—3.
s) Gestes 238 ; vgl. Ritter, Asien XVII, 608—609. Wenn Jacobus ab Aquis
in Mon. hist. patr. SS. III, 1604 berichtet, dass der Sultan nicht weit vom alten
Accon eine Neustadt anlegen Hess, so ist dies eine Verwechslung mit Tripolis,
wie Gaufridus de Courlon, Chron. ed. Julliot, Sens 1876, 568 Accon wieder mit
Damiette verwechselt, wenn er erzählt, dass er den ersteren Hafen durch Ver-
senkung von Steinmassen unbrauchbar machen Hess, während dies nur von Da-
miette nach Louis' IX. Kreuzzug feststeht (Röhricht in Archives II A, 369, Note 18).
4) Makrizi IIA, 104; lbn Ferät in Bibl. d. croisades II, 806; Reinaud 563.
Die ebenda gebotene Nachricht, dass jetzt Guido von Giblet, dessen Vater einst
die Eroberung von Tripolis mit den Templern erstrebt hatte (RH. No. 1444), zum
Sultan gekommen und von ihm sehr geehrt worden sei, ist wohl keine blosse
Erfindung.
s) Küstenstadt zwischen Tripolis und Beirut. Makrizi II A, 103; Nuweiri
bei Weil IV, 163. In diese Zeit ist wohl auch die Eroberung und Zerstörung
der Abteien Beaumont (Belmend) bei Tripolis und Beaulieu am Libanon zu setzen
(Guillelmus de Sandwich [über ihn Bibl. Carmelitana, Aurelianis 1752, I, 608
bis 613; Duftus Hardy, Descript. catalogue III, 231; Hist. litt, de France XXI,
229—231], Chron. de multiplicatione relig. Christ, in Act. SS. Maj. III, LXI1I).
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 13
wie die Gräfin Lucia zwei Ortschaften in der Nähe von Tripolis be-
halten haben, so dass den Christen im Ganzen nur noch Accon, Ath-
lith, Sidon, Tyrus und Beirut verblieben.
Während der genuesische Admiral Benedetto Zaccaria , dessen
eiliger Abfahrt aus Tripolis viele Flüchtigen allein ihre Kettung
nach Cypern und Tyrus verdankten, nach Armenien gekommen war v),
hatte der genuesische Consul Paulinus Auriae von CafFa aus mit drei
Galeen sich aufgemacht, hörte aber bereits unterwegs von dem Fall
von Tripolis und der Abfahrt Benedettos nach Armenien, segelte dess-
halb ihm nach und caperte bei Candelor ein ägyptisches Schiff. In
Folge dessen liess der Sultan alle genuesischen Kaufleute in Aegypten
verhaften und gab ihnen erst die Freiheit wieder, als im Dezember
1289 die gefangenen muslimischen Kaufleute losgelassen und die weg-
genommenen Waaren ihnen zurückerstattet worden waren; am 13. Mai
1290 erlangten die Genuesen sogar vom Sultan einen neuen Handels-
vertrag 2).
Inzwischen war unter Franceschi Suppa ein Geschwader von drei
Galeen aus Genua abgesegelt, um den neuen Podestä Caccinimico da
Volta nach Tripolis zu bringen, allein auf die Nachricht vom Falle
der Stadt mussten die Schiffe umkehren und wurden als Kreuzer gegen
die Pisaner verwandt 3).
Da zu der Vertheidigung von Tripolis nicht nur die Ordensmeister
aus Accon, sondern auch der König Heinrich II. von Cypern herbeige-
eilt waren, so beschwerte sich der Sultan gegen den letzteren, aber
dieser erklärte, dass von einer Verletzung der bestehenden Verträge
nicht die Kede sein könne , da Tripolis in das darin genannte
Ländergebiet nicht falle4). Trotzdem hielt er es für gerathen, von
dem Sultan einen neuen Vertrag zu erbitten 5), den dieser auf 10 Jahre,
10 Monate, 10 Wochen und 10 Tagen bewilligte 6). Dann segelte
Heinrich, nachdem er seinen Bruder Amalrich in Accon zurückgelassen
hatte, am 26. September 7) heim nach Cypern.
«) Jacobus Auriae 323—324; Heyd II, 84.
*) RH. No. 1503. 3) Jacobus Auriae 326.
*) Nur bei Amadi 218.
6) Amadi 218; Chron. Danduli 402 (vgl. Tafel-Thomas, Urkunden III, 357,
No. 382) ; nach dem Excidium 759 : 2 Jahre, 2 Monate und 2 Wochen. Derselbe
Bericht meldet, der Sultan habe damals schon die Belagerung Accons als bevor-
stenend angekündigt.
B) Nach Amadi 218 erfolgte der Abschluss schon am 24. April (offenbar
falsch), nach den Gestes 238: 3 Tage nach dem Fall von Tripolis.
') Gestes 238; Sanutus 230.
14 Röhricht.
Die Nachricht von dem Falle der Stadt, welche Johannes von
Grailly, die Predigermönche Hugo und Johannes, der Johanniter Peter
von Hezquam und der Templer Hertand nach Rom überbracht hatten *),
meldete Nicolaus IV. am 1. September 1289 dem Bischof Bernhard
von Tripolis und übertrug ihm die Kreuzpredigt in Slavonien und
der Mark Treviso, in der Romagna und den Gebieten von Venedig,
Ferrara und Ancona2), sowie mit Johannes von Grailly (13. Sept.) die
Ausrüstung der zwanzig Galeen für das heil. Land 3), welche die Vene-
tianer durch Nicolas Quirinus uud Marcus Bembus, ihren Gesandten
am päpstlichen Hofe, ausser den fünf von ihnen besonders noch zu
stellenden Schiffen angeboten hatten 4). Ausserdem überwies er (9. Sept.)
dem Patriarchen Nicolaus in Accon viertausend Turoneser Pfund zur
Verstärkung der Festungsmauern, für den Bau von Maschinen und
Loskauf christlicher Gefangenen 5), (17. Sept.) einen grossen Theil der
gesammelten Kreuzzugsgelder, die vom Papst Hadrian testamentarisch
dem heil. Lande vermachten zwölftausend Turoneser Pfund 6) und
(7. Oct.) zweitausend Goldfloren 7).
Seit dem Mai 1290 begannen nun in Italien8) starke Pilgerschaaren
sich zu rüsten, um auf den in Venedig bereit stehenden Galeen abzu-
fahren, so besonders in der Lombardei, in Tuscien, den Marken von
') Potthast No. 23040 : Langlois No. 7509. Sie wurden mit der Hiobspost
selbst (13. Aug. 1289) an König Eduard I. von England weiter geschickt.
2) Potthast No. 23064; RH. No. 1494; Dandulus 402; Gestes 238." Am
5. September befahl er ihm, zwischen dem Patriarchen von Aquileja und dem
Dogen von Venedig Frieden zu vermitteln. Der Aufruf zum Kreuzzuge an alle
Gläubigen erfolgte am 5. Jan. 1290 (Potthast No. 23.153; Langlois No. '2268),
unter demselben Datum auch die Berufung von Franziskanern und Augustinern
zu Kreuzpredigern in Italien (Potthast No. 23.151 f.); der Aufruf ward erneuert
29. März 1291 (Potthast No. 23.633; Langlois No. 7595).
3) Potthast No. 23.078; RH. No. 1496.
*) Dandulus 402; Raynaldi Annales 1289, § 54—55.
5) RH. No. 1495 ; Langlois, Reg. de Nicol. IV. No. 1357. Einen Brief des
Patriarchen Nicolaus um Unterstützungen für den Mauerbau in Accon siehe in
RH. No. 1500.
6) Langlois No. 2259; vgl. Prou, Reg. d'Honorius IV, No. 183: 11. Oc-
tober 1285.
7) Langlois No. 4390 ; vgl. 4388. Merkwürdig ist der Befehl an den völlig
machtlosen Patriarchen Nicolaus (21. Februar 1290), die Inquisition einzuführen
und kräftig zu handhaben (Potthast No. 23.188; über die Strafen der Inquisition
in Palästina und Frankreich vgl. Bibl. de 1' ecole d. chartes 1880, XL1, 593—600).
8j Fragmenta Fulginat. hist. in Muratori SS. IV, 141; Chron. Regiense
ibid. XV, 13. Aus Camarina rüsteten sich 400 Pilger zur Abfahrt, wie wir aus
dem Briefe Nicolaus' IV. vom 5. Juli 1290 (Langlois No. 7255) erfahren.
.Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 15
Ancona und Treviso *), in den Städten Parma 2), Modena 3) uud be-
sonders Bologna4), und im Sommer fuhren jene zwanzig Galeen unter
Nicolo Teupulo, dem Sohne des Dogen von Venedig 5), Roux de Sully G),
und Johannes de Grailly 7) ab, von denen jeder noch 1000 Unzen Gold
mit sich führte; Johannes landete auf Sicilien und erhielt vom König
Jacob noch fünf Schiffe8). Als jedoch das christliche Geschwader
Accon erreicht hatte 9), stellte es sich heraus, dass die Ausrüstung
durchaus ungenügend war, da es besonders an Waffen und zwar am
meisten an Armbrüsten fehlte; sie hätte knapp für dreizehn Schiffe
genügt, aber nicht für zwanzig.
») Chron. Estense ibid. XV, 541. Am 23. Axig. 1290 aber verbot Nicolaus IV.
die Abfahrt weiterer Pilgerschaaren aus Fabriano (Potthast No. 28.365 ; Langlois
No. 3078), ohne den Grund anzugeben.
2) Am 30. Juli gingen 500 Parmesanen, durch den Rath mit tausend Parme-
saner Pfund unterstützt unter Führung des Baratus Rubeus ab und bald darauf
wieder einige hundert Mann (Chron. abbat. Parmens. in Mon. Pavm. 336; Annal.
Parm. major, in Mon. Germ. SS. XVIII, 708). Bei der Eroberung Accons fanden
auch viele Parmesanen ihren Tod (Ann. Parm. maj. 709 ; Aflb, Storia di Parma IV,
81—82; vgl. Chron. Estense 541).
8) Chron. Mutin. in Muratori SS. XV, 567 ; vgl. Tiraboschi, Mem Moden.
II, 129.
4) Aus Bologna zogen 600 Mann (Chron. di Bologna bei Muratori SS. X"V1II
296) unter 10.000 italienischen Pilgern insgesammt. Ghirardacci, Storia di Bo-
logna, Bologna 1605, I, 294—295 (und daraus Muzzi, Annali della citta di Bo-
logna 1840, II, 215) nennt folgende Bologneser Kreuzfahrer: Tiresio Ghisilieri,
Tomaso Romponi, Tiberio Sabbadini, Rolando Zambrasi, Niecola Ariosti, Fran-
cesco Albergati, Pietro Prendiparti, Bargellino Bargellini, Trencivalle Uccelletti,
Filippo Scappi, Bartolo d' Isnardo Paleotti, Cristano Guidozagni, Pietro di Gran-
done de' Rossi, Savio de1 Buoi, Buonfante Piatesi, Giliolo de Bualello Orsi, Gui-
dalotto Mezzovillani, Giulio Rodaldi, Bempiglio Malpigli, Bartolommeo de' Toschi,
Lamberto di Lorenzo, Magnani, Gerarda Cerniti, Bonacossa de' Fabri, Buongio-
vanni Beccadelli, Errighetto de' Ubaldino Albergati, Filippo Mantici, Rizzardo
Dainesi, Guiglielmo di Giacomo Marsili, Romeo Scannabecchi, Cingolo di Buona-
ventura delle Arme, Balduino di Provenzale Fascarari, Rolando Visconti, Alberg-
hetto Carrari, Pietro Tettalasina.
5) Dandulus 402.
") Russus de Solliaco sonst genannt und als »capitaneus in partibus Ro-
maniae' urkundlich erwähnt (Riccio, Archivio storico italiano 1879, IV, 3; Giudice, La
famiglia di re Manfredi .Napoli 1880, append. CHI, No. 125: CVr -CVI1I, No. 128)
Nach Durrieu II, 383 heisst er eigentlich Hugo Russus (Roux) de Sulliaco (Sully).
7) Ihm war neben Bernhard, Bischof von Tripolis, 17. Jan. 1290 die Aus-
rüstung der Galeen übertragen worden (Langlois No. 2269).
8) Sanutus 229.
9) Nach einem vergeblichen Handstreich gegen Candelor, den Sanutus
230 vor, die Gestes 261 (offenbar richtig) nach dem Falle Accons ansetzen.
16
R ö h r i c h t.
Als der gefürchtete Ueberfall Accons durch den Sultan im Hoch*
sommer 1290 nicht erfolgte, so kehrte Roux de Sully nach wenig
Monaten mit zwei Galeen nach Italien zurück, um den Papst zu bitten,
für die in Accon zurückbleibenden Pilger Geld anzuweisen. Nicolaus IV.
erfüllte diese Bitte, und Eoux de Sully brachte die nicht unbeträchtliche
Summe selbst nach Accon, begnügte sich aber, als er erfuhr, dass eine
grosse Menge von Pilgern wegen Geldmangels bereits heimgekehrt sei,
das Geld dem Patriachen abzuliefern, und segelte, ohne auf seine Bitte
zu hören, wieder zurück nach Italien2). Inzwischen aber hatten die
in Accon zurückgebliebenen Pilger 3), da sie nicht wussten, was sie
machen sollten, sich einem wüsten Leben hingegeben und Gewalt-
tätigkeiten gegen die Einwohner der Stadt wie die muslimischen
Schutzbefohlenen und Bauern der Umgebung begangen, ihre Ländereien
und Anpflanzungen geplündert und verwüstet4); ja als eines Tages
muslimische Landleute5) in gewohnter Weise nach der Stadt herein-
kamen, um ihre Producte zu verkaufen, so wurden sie von jenen Pil-
gern überfallen und getödtet. Einige Ordensritter 6) kamen zufällig
noch zur rechten Zeit an den Ort der That 7), um den kleinen Kest
der Angegriffenen dem wüthenden Haufen zu entreissen und sicher
nach der Burg zu retten8).
Der Sultan, dem diese Brutalität äusserst gelegen kam, nahm die
Entschuldigung, dass die Friedensbrecher keine Bürger der Stadt seien,
i) Potthast No. 23.439; Langlois No. 4389: 20. Oct. 1290.
2) Sanutus 229^230, dessen Angaben hier durch das ihn sonst ausschrei-
bende Chron. S. Bertini 770 zu corrigieren sind.
8) Die Zahl der Pilger wird verschieden angegeben: Oesterr. Reimchronik
Vers 45.015: c 100, Guillelmus de Nangiaco 574: 1500, Excidium 760: 1600,
Bustron: 3500, Amadi 218: 3540, Ludolf v. Sudheim 42 (und daraus Corner):
12.000, Walter von Hemmingburgh II, 23: 15.000, Villani 337 (und daraus Bondone,
Siena, Bibl. publ. A. III, 23 chart. s. XVI): 18.000, Annales Colmar. maj. in
Mon. Germ. SS. XVII, 217: 60.000 (die von Brindisi her gekommen waren).
*) Excidium 759—760; Bartholomaeus Cotton 432; Walter von Hemming-
burgh II, 23; Johannes Vitoduranus 35 ; Chron. Sampetrin. 126; Villani 337; Bar-
tholomaeus de Neocastro 1182; Peter de Dusburg in SS. rerum Pruss. I, 208.
6) Gestes 238, nach Amadi 219 gegen 30, nach Bustron 30; nach Makrizi II,
109 waren es Kaufleute und zwar nach Sanutus 230: 19.
e) Dies nur bei Amadi und Bustron.
7) Nach Sanutus 230: »in loco vocato la funda juxta cambium«.
s) Das Datum : Schaban 689 (9. August bis 7. Sept. 1290) nur bei Makrizi
II A, 109. Der Biograph des Sultans hingegen meldet, dass bei einem von den
aus dem Abendlande eben eingetroffenen Pilgern mit Muslimen veranstalteten
Gelage ein christlicher Bürger seine Frau mit einem Muslimen überrascht und
in Folge dessen ihn wie seine Glaubensgenossen, welche ihm in den Weg kamen,
erdolcht habe (Reinaud 567).
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. \ 7
nicht an, obgleich die Emire der fortwährenden, aufreibenden Kriegs-
züge müde waren und den Ausbruch eines neuen Kampfes befürchteten,
sondern befahl eine sorgfältige Prüfung des 1282 mit der Signorie
von Accon abgeschlossenen Vertrages, um eine Handhabe für seine
Kriegserklärimg zu finden; „denn er war von Anfang an entschlossen,
den geringsten Vorwand zu benutzen, um die Waifen wieder aufzu-
nehmen und den Untergang der christlichen Colonien zu vollenden."
Die Meinung der Meisten, welche der Berathung beiwohnten, unter
andern auch Fath ed-dins, der den Vertrag selbst aufgesetzt hatte,
war, dass in keinem der Paragraphen der vorliegende Fall vorgesehen
sei, aber da der Sultan durchaus den Krieg wollte, so fand sich auch
ein Emir, der den Artikel anzog, dass, „wenn nach Accon Christen
aus dem Abendlande kämen, welche schlimme Pläne gegen die Mus-
limen schmiedeten, die Obrigkeit und die Befehlshaber der Stadt diese
zu verhindern hätten" x) ; die Obrigkeit hätte dem Morde vorbeugen,
oder ihn empfindlich bestrafen müssen. „ Nach diesen Worten konnte
der Sultan seine Freude nicht zurückhalten" und begann die Rüs-
tungen, indem er sofort befahl, in der Gegend von Baalbek sowie
zwischen Caesarea und Athlith Holz zu fällen und mit dem Bau von
Belagerungsmaschinen zu beginnen 2).
Ein Emir 3) theilte alsbald dem ihm befreundeten Templermeistei
die Pläne des Sultans mit, freilich ohne anfangs Glauben zu finden,
aber als die Nachrichten von den Rüstungen immer häufiger wurden,
riethen die Meister der Templer, Johanniter und Deutschherren ener-
gisch dazu, dem Sultan Genugthuung zu gewähren4). Sie ver-
langten die Auslieferung der Friedensbrecher, aber die Menge wollte
nichts davon wissen, da die christlichen Pilgerschaaren die von ein-
zelnen Städten geschlosseneu Verträge nicht zu respectiren brauchten,
und die Behörden Accons über sie keine richterliche Gewalt hätten 5).
Ende des Jahres 1290 oder in den ersten Wochen des folgenden
Jahres erklärte der neue Sultan Mälik-al-Aschraf in einem ausführ-
') Der Paragraph 4 des Vertrages von 1282 (Quatrernere II A, 228—22!»;
Reinaud 546;, der hier angezogen wird, besagt aber nur, dass, wenn Christen in
Accon landen, urn den Sultan zu bekriegen, die Signorie verpflichtet ist, dies
wenigstens zwei Monate vorher ihm anzuzeigen.
2) Gestes 240; Makrizi II A, 109, wo auch gemeldet wird, dass der Bau
durch Reitergeschwader der Christen und im Winter durch Schneewetter sehr
gestört "wurde.
3) Salah (Gestes 240), arab. Silah , Vorsteher des Arsenals «, welche Würde
damals Bedr ed-din Bektasch el-Fachri bekleidete (Rec. arm. II, 806).
4) Excidium 701 ; Walter von Hemmingburgh II, 24; Ludolf von Suchern 43.
s) Excidium 761; Gestes 2:J>!t.
MittUeilungeu, XV. 2
18 Röhricht.
liehen Schreiben, dass er den Friedensbruch durch die Eroberung der
Stadt rächen werde l) ; es sei unnütz, etwa durch eine Gesandtschaft
dies Schicksal von Accon abwenden zu wollen. Als nun gleichwohl
Philipp Mainebeuf, welcher des Arabischen mächtig war, der Templer
Bartholomäus Pisan aus Cypern, ein Johanniter und ein Schreiber
Namens Georg an den Hof des Sultans abgingen, um die Vertreibung
der Friedensbrecher aus dem heiligen Lande, die lebenslängliche Ge-
fangenschaft der Eädelsführer als Genugthuung anzubieten, so wurden
sie ohne weiteres in's Gefängniss geworfen, wo sie starben 2).
Da also die Gesandten nicht mehr heimkehrten, sammelten sich
eines Tages die Angesehensten der Stadt, der Patriarch Nicolaus, die
Ordensgebietiger, Johannes von Grailly und Otto von Granson 3) in
der Cathedrale zum heiligen Kreuz4) und beriethen, was zu thun sei.
Der Patriarch hob den Muth durch eine kräftige Kede und lobte die
Eintracht der Bürger 5). Inzwischen waren nach allen Kichtun gen des
Abendlandes, an den König von Cypern, den päpstlichen Stuhl G) und
die verschiedenen Ordenshäuser 7) Hilferufe ergangen, und die Bürger
waren unaufhörlich bemüht, durch Heranschaffung von Lebensmitteln,
Verstärkung der Wälle und Thürme sich zu rüsten; im Ganzen wird
die Bevölkerung ungefähr 25.000 Köpfe betragen haben, während die
') In Gestes 242 ist nur der Eingang des Schreibens erhalten ; vgl. RH.
No. 1508. Der Verfasser des Abschnittes der Gestes las den Brief des Sultans
dem Patriarchen, dem Meister der Johanniter, dem Comthur der Deutschherren
(ihr Meister war ohne Willen des Convents nach Apulien gegangen), auch dem
Consul der Pisaner und Baillif der Venetianer übersetzt vor (Gestes 242 — 243).
Die Boten kamen nach Makrizi II A, 120 im Muharram 690 (4. Jan. — 3. Febr.
1291) zum Sultan Mälik al-Aschraf.
2) Excidium 762 ; Gestes 241. Nach Gestes 239 hätte anfangs der Templer-
meister vorgeschlagen, die schwersten Verbrecher aus den Gefängnissen Accons
als die Attentäter zu declariren und hinzurichten, ja der Biograph des Kelawün
(bei Reinaud, Extr. 568) meldet sogar, die Christen hätten, um eine Schein-Ge-
nugthuung zu geben, als Sclaven verkleidete Muslimen aufgehängt.
3) Er veiiiess London am 10. Juli 1290 (Annales Londiniens. ed. Stubbs
in Chronicles of Edw. I. und II, London 1885, I, 99) und ging über Rom (Bar-
tholomaeus de Neocastro in Muratori SS. XIII, 1167) nach Palästina.
4) Ludolf von Suchern 43.
5) Excidium 765: »Est enim, ut videtur, in vobis cor unum et anima una
(Actor. IV, 32) ; reddidistis enim vos commendabiles apud Dominum et totum
mundum«. Von einem begangenen Unrecht, das zu sühnen gewesen wäre, spricht
der Patriarch nicht. 6) RH. No. 1505.
7) In Folge dessen sollen die Templer und Johanniter je 2000, die Deutsch-
herren 700 (Reimchronik, Vers 48.219, 48.225, 48.242) Mann oder, wie die jüngere
Hochmeisterchronik (SS. rerum Pruss. V, 103) meldet, die ersteren über 3000 resp.
2000, die letzeren über 3000 Ritter nach Palästina gesandt haben.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. ig
waffenfähige Mannschaft bei Beginn der Belagerung auf c. 800 Ritter
und 13.000 Fusssoldaten geschätzt wird x). Dass diese verhältniss-
mässig geringe Zahl von Kämpfern einem so gewaltigen Heere, wie
das feindliche war, über 40 Tage lang erfolgreichen Widerstand leistete,
ist der Tapferkeit der Vertheidiger zuzuschreiben, welche mit dem
Muthe der Verzweiflung fochten, ebenso aber auch den ausgezeichneten
Befestigungswerken, welche die Stadt in doppelter Linie umgaben 2)
und sie zum Hauptwaffenplatz der Christenheit in Syrien machten.
„Jene berühmte Stadt Accon", meldet ein deutscher Reisender3), wel-
cher die Stadt in Trümmern sah, aber die Mittheilungen von Augenzeugen
ihrer früheren Blüthe benutzen konnte, „liegt am Meere und ist aus
ausserordentlich mächtigen Steinquadern erbaut und mit hohen und
sehr starken Thürmen, welche kaum auf Steinwurfsweite von einander
entfernt sind, umgeben ; ein jedes Stadtthor lag zwischen zwei Thürmen,
und die Mauern waren, wie auch jetzt noch, so breit, dass ein Wagen
einem anderen, der ihm auf der Mauer begegnete, bequem ausweichen
konnte. Und nach der anderen Seite, landeinwärts, war die Stadt
wieder durch besondere Mauern und sehr tiefe Gräben befestigt, mit
mannigfaltigen Bastionen uud Vertheidigungswerken auf verschiedene
Weise ausgerüstet. Die freien Plätze aber innerhalb der Stadt waren
sehr sauber, alle Wände der Häuser an Höhe einander gleich und ohne
Unterschied aus behauenen Steinen erbaut, mit Glasfenstern und Ma-
lereien wunderbar geziert, auch waren alle Paläste und Häuser der
Stadt nicht für irgend welche nothwendigen Bedürfnisse erbaut, son-
dern für den menschlichen Luxus und zum Genuss durch Glas, Ge-
mälde, Zelte und anderes Zierwerk, wie ein Jeder konnte, sorgfältig
und ausgezeichnet im Innern eingerichtet und von aussen geschmückt.
') Ludolf von Suchern ed. Dej'cks 39—42 ; über das Werk dieses Autors
vgl. Biblioth. geogr. Palaest. No. 195. Der die Belagerung Accons betreffende
Abschnitt ist aus einer Darmstädter altdeutschen Handschrift in ZDMG. 1888,
422—424 von Roth herausgegeben ; wir benutzten nur die oben citirte lateinische
Ausgabe.
2) De Mas Latrie, Hist. I, 488; andere Zahlen: nach Gestes 241: 7—800
Ritter (Amadi: 700, Bustron 600) und 13000 Fusssoldaten (ebenso Amadi und
Bustron); Excidium 766: 900 Ritter und 18.000 Mann Fussvolk; Jacobus Auriae
337: 40.000 Weiber und Kinder, 30.000 Pilger, 1200 Ritter; Cont. Florian, in Mon.
Germ. SS. IX. 74! » : 70.000 Christen; Reimchronik. Vers 48.274: 100.000 Christen.
3) Pläne und Ansichten der Stadt sind von der ältesten bis auf die neueste
Zeit nachgewiesen in Biblioth. geogr. Palaestinae s. v. ; sonst vgl. Röhricht in
ZDPV. X, 300—308; RH. s. v. Ueber die handelsgeschichtliche Stellung der Stadt
vgl. Heyd, Hist. I, 317—319 und 359; II, 405 und die Auszüge aus Ihn Djubair
in Görgens, Quellenbeitr. 1, 276—278.
2*
20 Röhricht.
Die freien Plätze der Stadt waren mit seidenen Tüchern oder anderen
prächtigen Stoffen zur Beschattung überdeckt; in jeder einzelnen Ecke
eines Platzes i-tand ein sehr starker Thurm mit einer eisernen Thür
und eisernen Ketten befestigt. Alle Vornehmen wohnten im inneren
Umkreise der Stadt in sehr starken Burgen und Palästen. Im Mittel-
punkte der Stadt wohnten die Handwerker und Kaufleute, ein jeder
nach seinem Gewerbe au einem bestimmten Platze, und alle Einwohner
der Stadt hielten sich wie einst die Kömer und trugen sich als Vor-
nehme und Herren, wie sie es ja auch waren. Zuerst wohnten in ihr :
der König von Jerusalem und seine Brüder und noch viele andere
Vornehme seines Geschlechts, die Fürsten von Galiläa, und Antiochien
sowie der Feldhauptmann des Königs von Frankreich *), der Herzog
von Caesarea 2), die Herren von Tyrus, Tiberias und Sidon, die Grafen
von Tripolis und Jaffa, die Herren von Beirut und Ibelin, die Herren
von Pysan 3), Arsuf und Vaus 4), sowie die Edlen von Blanchegarde.
Die Fürsten, Herzöge, Grafen, Edle und Barone gingen mit ihren
goldenen Kronen auf dem Haupte nach königlicher Weise auf den
Plätzen einher (!), und jeder Einzelne paradirte wie ein König mit
Mannen, Schutzbefohlenen, Söldnern und Trabanten, durch Kleidung
und Streitrosse, die mit Gold und Silber wunderbar geschmückt waren,
vor dem andern ganz besonders und schön mit einem nur erdenk-
lichen Eifer und hielt an jedem Tage (!) Spiele, Turniere, Waffenkünste
und verschiedene Schaustellungen, Jagden und allerlei Arten von Auf-
führungen, welche auf den Kriegsdienst sich beziehen, ab, und jeder
hatte für sich ausser seinem Palaste oder Schlosse noch vollständige
Freiheit oder vielmehr Steuerfreiheit. Ebenso wohnten in ihr die Feinde
der Saracenen und Kämpfer für den katholischen Glauben: der Meister
und die Brüder des Templerordens, die streitbaren, der Meister und
die Brüder des Ordens vom heil. Johannes von Jerusalem, die streit-
T) Gemeint ist Johannes de Grailly ; vgl. Anmerk. 3 Seite 10.
8) Herzöge dieser Stadt gab es nicht.
°J Es ist unerfindlich, warum der Autor diesen Namen, den gar kein be-
ll ühmtes Geschlecht trägt, erwähnt, die wichtigeren aber auslässt.
') Ein Geschlecht genau dieses Namens können wir aus Chroniken und
Urkunden nicht nachweisen. Ein Godefridns de Waus geht im Auftrage des Chan
Abagha 1271 an den Hof des Königs Eduard I. von England (RH. No. 1380).
Fürsten unseres Namens werden nur noch in der Legende von den hl. drei Königen
des Johannes von Hildesheim erwähnt (ed. Köpke, Brandenburg 1878, Programm
der Ritteracademie 10, 11, 21), den wir in Baux, dem Namen eines im Orient
damals ansässigen französischen Geschlechts wiederzufinden glaubten (Röhricht
und Meisner, Ein niederrhein. Bericht über den Orient in d. Zeitschr. für deutsche
Philologie 1886, XIX, 6—8; vgl. RH. s. v. Balcis).
Der Untergang des Königreich« Jerusalem. 21
baren, ebenso der Meister und die Brüder des deutschen Hauses, die
streitbaren, ebenso der Meister und die Brüder von St. Thomas *), die
streitbaren, und der Meister und die Brüder von St. Lazarus, die streit-
baren 2). Diese alle lebten in Accon und hatten ihren Ordenssitz dort
und kämpften Tag und Nacht mit ihren Cameraden gegen die Sara-
cenen. Auch wohnten in Accon die reichsten Kaufleute unter dem
Himmel, die aus allen Nationen dort zusammengekommen waren ; dort
wohnten die Pisaner, Genuesen, Lombarden, wegen deren verfluchten
Zwietracht die Stadt zerstört wurde ; denn sie geberdeten sich eben-
falls wie die Herren. Auch wohnten in ihr die reichsten Kaufleute
und verschiedensten Nationen; denn vom Aufgange bis zum Nieder-
gange der Sonne schaffte man alle Waaren dorthin; denn alles Wun-
derbare und Seltene, was auf der Welt sich finden liess, wurde wegen
der Vornehmen und Fürsten, die daselbst wohnten, dorthin gebracht. "
Während so die Stadt Keichthum und Behaglichkeit athmete,
waren die inneren zusammenhaltenden Kräfte durch die Verschieden-
heit 3) der Nationalität, der Bekenntnisse und der Interessen, welche
die Eingeborenen und Lateiner, die Kitter der Hauptorden4) und die
talienischen Kaufleute 5) unter und gegen einander zu Hass und Neid,
ja oft zu blutigen, aufreibenden Kämpfen antrieb, gelähmt und er-
schlafft, besonders aber durch die allgemeine moralische Fäulniss6), die
allerdings in allen Städten des Königreichs Jerusalem, wie in der
Hauptstadt selbst, das gesellschaftliche und das Familien-Leben durch-
setzte 7), hier aber wie in allen grossen Handelscentren, wo der rohe
l) Ueber diesen Orden, dessen Existenz der Herausgeber der jüngeren
Hochmeisterchron. in SS. verum Pruss. V, 33 — 34 mit Unrecht bestreitet, vgl.
RH. s. v. und Stubbs, The mediev. kingdomes of Cyprus and Avmenia, Oxford
1878, 28 ff.
9) Vgl. RH. s. v. Auffallend ist, dass der Berichterstatter den Patriarchen
von Jerusalem nicht erwähnt, der auch die Bischofswürde von Bethlehem und
Accon besass, ebensowenig alle die Kirchen und Klöster, deren Erzbischöfe,
Bischöfe, Aebte und Prioren durch die fortgehenden Eroberungen ihre Sitze ver-
loren hatten und nach Accon übergesiedelt waren.
•s) Die Vielheit dev Signorien bezeichnet Franc. Pipinus 734 als Grund des
Unterganges, und zwar werden 6—7 (Ptolom. Luccens., Histor. eccles. XI, 1196
[dort auch 1196 -1197 die Reichsmatrikel mit sehr verstümmelten Namen]), 8
(Roncioni 650), ja 17 (Chron. di Bondone und daraus Villani ; vgl. Assises I,
524, Not. 6) genannt.
4) Ueber sie vgl. Bartholomaeus de Neocastro 1 183 und Annales de Dunsta-
plia 366, wo besonders die Feindschaft der Johanniter und Templer getadelt wird-
5) Ludolf von Suchern 42; Thaddaeus 37—38, 50—51.
8J Vgl. Prutz, Culturgesch. 108 ff.
7) Die Zahl der Huren giebt Jacobus ab Aquis in Mon. Hist. patr. III,
22 Röhricht.
und feine Genüss als der beste Preis und der höchste Lohn für eine
angestrengte Geschäftstätigkeit zu gelten pflegt und hauptsächlich,
wo verschiedene Culturkreise sich berühren, in wahrhaft erschrecken-
der Weise zu Tage trat. Dies bezeugt besonders der deutsche Dichter,
welcher den Kaiser Friedrich IL auf seinem Kreuzznge nach Accon
begleitete x), der Bischof Jacob von Accon, welcher kurz vor dem fünften
Kreuzzuge sein Amt antrat 2), und der päpstliche Legat Odo, welcher
mit Louis IX. nach Accon ging und (1254) wie ein Prophet zu Join-
ville, dem Seneschall des Königs Louis IX., die Worte sprach: r Nie-
mand hat Kenntniss von so viel entsetzlichen Sünden, die man in
Accon begeht, als ich selbst. Auch muss wohl Gott dieselben in der
Weise strafen, dass die Stadt Accon mit dem Blute ihrer Bewohner
gewaschen wird und sofort ein anderes Volk komme, um darin zu
wohnen. " 3) Und dieses entsetzliche Strafgericht ist auch wirklich
gekommen!
Der Sultan brach am 4. November 1290 von Cairo auf, erkrankte
aber plötzlich und starb schon am 10. November iu der Nähe der
Stadt1), wie man allgemein glaubte, an Gift5). Sein Sohn Mälik al-
1604 auf 10.000, Walter von Hemmingburgh II, 24 auf 14.000 an, der Codex von
Assisi in Miscellan. Francisc. 1887, II, 22 auf 6000; als ein Lasterpfuhl wird
Accon (ibid. II, 22—23; Gesta Boemundi in Mon. Germ. SS. XXIV, 474—475;
Peter de Dusburg in SS. rerum Pruss. I, 208) allgemein geschildert.
») Sandvoss, Fridank, Berlin 1877, CLVI und CLX.
2) Brief II ed. Röhricht in Zeitsch. für Kirchgesch. XIV, 1893, 106—118; er
zählt 7 verschiedene Nationalitäten und christliche Bekenntnisse auf, dann aber
(111) fährt er fort: »Fiebant autem singulis fere diebus et noctibus homicidia
tarn manifesta quam occulta. Mulieres ex antiqua consuetudine venenis et potionibus
maritos suos, ut aliis nuberent, perimebant. Erant in civitate homines venenum
et toxicum vendentes; vix aliquis alii se credebat et inimici hominis domestici
ejus. — Erat autem prostibulis passim repleta civitas. Nam quia meretrices
carius hospicia quam alii conducebant, non solum laici sed persone ecclesiastice
et quidam regula,res in publicis scortis hospitia sua per totam civitatem locabant*.
s) Joinville § 613. Der Berichterstatter setzt ebenda hinzu: „Die Weis-
sagung des Biedermannes ist zum Theil erfüllt; denn die Stadt ist wohl ge-
waschen worden in dem Blute ihrer Bewohner, doch sind wohl noch nicht hin-
gekommen die, welche da wohnen sollen, aber Gott wird sie schicken, um seinen
Willen zu thun«. Hingegen rühmte Iunocenz IV. (17. Juli 1247) die Einwohner
von Accon: »Vos equidem estis celestis plantatio, que terram incolit!« (Mon.
Germ., Epp. II, 299—300, No. 412).
*) Bei Meschhid at-tibn (Makrizi II A, 109; Abulfeda 163; vgl. Recueil
arabe I, 769), nach Bartholomaeus Cotton 432 : ,in planis Dokke«, also bei Accod ;
Amadi nennt den Ort: Sacachia. Ueber das Datum vgl. Weil IV, 165.
5) Abulfeda 163 ; Haithon in Louis de Backer, L' extreme Orient 229 ; Jacobus
Der Untergang des Königreichr Jerusalem. 23
Aschraf setzte die Eüstungen fort und schickte im Februar 1291 den
Emir Izz ad-din Aibek Afram nach Syrien, um den Bau der Be-
lageruugsmaschinen zu überwachen; am 4. März ging die erste Sen-
dung fertiger Theile ab, die am 15. März unter dem Befehle des Emirs
Aläm ad-din Sandschar zusammengesetzt wurden. Am 23. März ver-
liess der Näib von Syrien Hussäm ad-din Ladschin Damascus mit
seinem Heere, während Saif ad-din Tughril von Cairo abging, um
die Contingente Syriens zu sammeln. Am 25. März traf Mälik al-
Muzaffar, Fürst von Hamah und Vater des berühmten Geschichts-
schreibers Abulfeda, in Damascus ein, am 26. März der Gouverneur
des Curdenschlosses Saif ad-din Belbän ; Abulfeda, welcher als Augen-
zeuge über die Belagerung uns berichtet hat, leitete den Transport
einer riesigen Belagerungsmaschine, al-mansurija *), „ die siegreiche " ge-
nannt, deren einzelne Theile zum Transport hundert Ochsenkarren er-
forderten.
Während dessen hatte der Sultan in der Nacht des 24. Februar
1291 am Grabe seines Vaters in der Kubbet-mansurija alle Ange-
sehenen, Kadis und Vorleser Kairos zu einem grossen Feste um sich
versammelt, mit Geld und kostbaren Gewändern reich beschenkt und
war am 6. März nach Damascus abgereist, um von da Anfang April
bei der Belagerungsarmee einzutreffen. Als er aufbrach2), soll der
Scheich Scheref ad-din Busiri im Traum einen Unbekannten gesehen
haben, der die Verse citirte: „Schon haben die Muslimen Accon ge-
nommen und den Ungläubigen die Köpfe herunter gehauen! Unser
Sultan hat gegen die Feinde Bosse geführt, welche ganze Berge in
Staub zerstampfen werden; die Türken haben, seitdem sie auf dem
Marsche sind, geschworen, den Franken keinen Besitz zu lassen".
Ebenso rief ihm der Kadi Muhi ad-din cAbd ad-dahir die Verse zu:
Auriae 331; Chron. Sampetrinum 126. Nach Gestes 240 und Bartholomaeus Cotton
hätte der sterbende Sultan seinen Sohn schwören lassen, die Belagerung Accons
um keinen Preis aufzugeben.
') Abulfeda 163. Sie stand (derselbe Name wird auch genannt) den Pisanern
gegenüber (Gestes 243); eine andere (»haveben«, wofür nach d. Rec. arm. II, 808:
ghadban »furieux« zu lesen sein wird) stand den Templern, eine dritte den
Hospitalitern, eine vierte dem »verfluchten Thurme« gegenüber (ibid.). Eine mit
der Hand zu spannende Art von türkischen Maschinen wird im Briefe des Jo-
hannitermeisters (Hiat. litt, de France XX, 94) : carabonares, in Gestes 244 : cara-
bouhas, bei Sanutus 230 : carabogar, bei Wilh. Godel (Bouquet XXI, 761) : cyro-
gabar, bei Amadi: charabacani genannt; vgl. Du Cange, Glossar, s. voce cara-
bolatum; Raschid ad-din ed. Quatremere I, 132—137; Marco Polo ed. Yule 1875.
II, 151—154 und Weil IV, 179, Note 1.
*) Makrizi II A, 121—124, 127-128.
24 K. 8 h r i c h t.
,0 ihr Söhne des Blonden (Christen), bald wird die Rache Gottes sich
über Euch ausgiessen, deren Ausführung nichts aufhalten wird; schon
fst Aschraf an Euren Gestaden angelangt ; macht Euch bereit, aus seiner
Hand unaufhörlich Hiebe zu empfangen ! "
Seit dem Beginne des März waren die Christen in fortwährender
Unruhe. Sie theilten ihre Streitkräfte im Ganzen in vier Abtheilungen,
von denen die erste unter dem Befehl des Johannes von Grailly und
Otto von Granson, die zweite unter dem Hauptmanne der cyprischen
Ritterschaft und dem Stellvertreter :) des Deutschmeisters stand ; die
dritte befehligten die Meister der Johanniter und des S. Thomasordens,
die vierte die Meister des Templer- und des St. Lazarus-Ordens. Von
diesen Schaaren, deren Befehlshaber sich abwechseln sollten, hatte die
eine Hälfte von 6 Uhr Morgens im Ganzen acht Stunden auf der
Mauer, die andere an den Thoren Wache zu halten. 2)
Nachdem Ende März die ersten Truppen des Sultans in der Ebene
vor Accon erschienen waren und die Umgegend furchtbar verwüstet
hatten, war am 5. April3) das ganze Belagerungsheer 4) vereinigt; die
J) Heinrich von Bolanden (RH. No. 1492 und 1501, wo auch über den
Urdensmeister Burchard von Schwanden gehandelt wird). Er fiel mit Walter
Broyken und allen Brüdern des Ordens am 18. Mai (Perlbach in Forschungen
zur deutsch. Gesch. 1877, XVII, 360; vgl. SS. rerum Pruss. V, 33).
2) Excidium 765—766.
3) Dieser Tag wird als Beginn der Belagerung angegeben bei Thaddaeus 5,
Jacobus Auriae 337. Gestes 243, Marinus Sanutus 230, Joh. de Villers 94,
Makrizi 125 ; hingegen Bartholornaeus de Neocastro 1183 : 25. März ; Andr. Dandolo
403 und Epist, Joh. de Villiers 93: 1. April; Annal. Mogunt. 3: 3. April; Cont.
Godel 761, Chron. Sampetrin. 126. Excid. 770: 4. April; AbuT-Mehäsin 570:
6. April; Aegidius li Muisis 151 : 7. April; Brunetto Latini 232: 20. April; Annal.
de Oseneia 332 : 9. Juni. Die Beschiessung begann nach Amadi schon den 9. April.
Als Dauer der ganzen Belagerung werden 40 (Eberh. Ratispon. 594; Cont. Godel
761 ; Walter von Hemmingburgh II, 25), 42 (Joh. Vitoduranus 36), 43 (Joh. de
Oxenedes 284), 44 (Jacobus Auriae 337; Annal. Island. 196; Briefe Nicolaus IV.
vom 1. und 23. August 1291), 45 (Cont. Florian. 749), 46 (Robertus de Boston 123)
und 48 Tage (Dandulus 403) angegeben.
4) Ludolf von Suchern 43: 600.000 Mann; Robertus de Boston 123: 500.000;
Annales de Terre Sainte 460: 400.000 Mann Fussvolk und 80.000 Reiter; Excid.
767: 400.000 unter 7 Emiren (nach Excid. 768: 10 Emire mit je 4000 Reitern;
nach Annal. Mediolan. in Muratori XVI, 682: 12 Emire); Chron. de Lanercost
139 und Laurentius Bonincontrius 63 : 300.000 Mann ; Thaddaeus 30 : 260.000 Reiter :
Dandulus 403: 200.000 Reiter und 300.000 Fussvolk; Chron. Sampetrin. 128:
200.000 Reiter ohne das Fussvolk; Marinus Sanutus 230: 160.000 Fussvolk und
60.000 Reiter; Gestes 241 und Amadi: 150.000 Fussvolk und 70.000 Reiter;
Brunetto Latini 231 und Roncioni 650: 150.000 Reiter; Epitome bell. sacr. 439:
140.000 Fussvolk ; Bartholornaeus Cotton 431: 130.000 Reiter ; Chron. Estense 542 :
100.000 Mann: Chron. S. Bertini 770: 60.000 Reiter und ebensoviel Fussvolk.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 25
Belagerungsniaschinen J) wurden in kurzer Zeit zusammen- und aufge-
stellt, so dass am 12. April a) schon die Beschiessung der Stadt be-
sann. Täglich rückten die Muslimen wie ein schreitender Lanzen-
wald gegen die Mauern, indem sie die Wucht ihres Angriffes durch
tobende Musik und bestialisches Geschrei unterstützten 3).
In der mondhellen Nacht des 15. April 4) unternahmen die Be-
lagerten einen Ausfall aus dem St. Lazarusthore 5) gegen die auf dem
äussersten rechten Flügel der Belagerungslinie am Meere aufgestellten
Truppen des Fürsten Muzaffar ad-din von Hamah, und zwar berichtet
dessen Sohn Abulfeda als Augenzeuge folgendes darüber 6) : „Kleine
Fahrzeuge mit Bohlen und (zum Schutz gegen das griechische Feuer)
Büffelhäuten belegt, uäherten sich uns, und die Schiesszeuge schleu-
derten uns Pfeile und Bolzen zu. So hatte unsere Front die Au griffe
von der Stadt her zu bestehen und unser rechter Flügel von der See-
seite. Der Feind liess ein Fahrzeug sich uns nähern, auf welchem
sich eine Wurfmaschine befand, welche Steine gegen uns und unsere
Zelte schleuderte. Dies Fahrzeug war uns recht unbequem, aber eines
Nachts erhob sich ein sehr starker Wind, und das Schiff ward von
den Wellen so hin und her geworfen, dass die Maschine in Unord-
nung gerieth und unbrauchbar wurde. Eines Nachts während der
Belagerung machten die Franken einen Ausfall und überraschten unser
Heer. Unsere Vorposten vor sich hertreibend 7) griffen sie das Lager
an, wo sie sich aber in den Stricken, welche die Zelte hielten, ver-
fingen 8). Einer von den Rittern fiel in die Abtrittgrube einer Emir-
Abtheilung und wurde dort getödtet. Da sie sahen, dass die mus-
») 666 (als Zahl des Antichrist*) bei Excid. 769 ; 300 (Abulfaradsch, Chron.
Syr. 627 [daneben 1000 Mineure] und Joh. Victoriens. 327); 92 (Makrizi 125);
60 (Ludolf von Suchem 43; Chron. Estense 542); 44 (Jacobus Auriae 337); 40
(Chron. di Bologna 296); 14 (Annales de Terre Sainte 460; Epitome bellor.
sacror. 439). ?) Gestes 243.
s) Excidium 767 — 768. Die ebenda (und bei Bartholomaeus de Neocastro
1183) gebotene Nachricht, dass die Christen trotz der furchtbaren Gefahr in
Schenken und Bordellen sich herumgetrieben haben sollen, ist wohl billig zu
bezweifeln.
4) Das Datum nur im Chron. de Lanercost 139.
s) Gestes 245, während fälschlich Amadi und Bustron das S. Nicolausthor
nennen. Auffallend ist die bei Abulfeda 164 und Ludolf von Suchern 43 erhal-
tene Nachricht, dass die Christen Tag und Nacht die Thore der Stadt hätten
offen stehen lassen. *) Abulfeda 164.
7) Gestes 245. Die Christen wollten Feuer in das Reisig und Holzwerk der
Feinde werfen, aber der Hafenvicomte that mit seiner Maschine einen zu kurzen
Wurf und beschädigte nur die Bedeckungsmannschaft der feindlichen Waschine.
s) Gestes 245 bestätigt dies.
26
Röhricht.
limischen Kämpfer ihnen an Zahl überlegen waren *), so flohen sie
in die Stadt, und die Schaaren von Haniah tödteten von ihnen mehrere2).
Als der Tag anbrach, Hess Mälik al-Muzaffar, Fürst von Hainah, mehrere
Führer der Franken am Halse der Pferde, die man ihnen abgenommen
hatte, anbinden und schickte sie alle dem Sultan zu".
Diese Unglücksfälle und schweren Verluste, welche die Christen
in den Kämpfen gegen die vielfalch überlegenen Feinde erlitten, ohne
selbst Nachschub zu erhalten, die entsetzlichen Strapazen des unaufhör-
lichen Wachtdienstes und der unter den riesigen Wurfsteinen und
Minen der Feinde bereits beginnende Verfall einzelner Thürme und
Mauerstrecken Hessen die Spannkraft der Christen bald erlahmen, be-
sonders seit dem 4. Mai, wo furchtbare Salven griechischen Feuers und
gewaltige Steinschauer unaufhörlich über die Stadt sich ergossen 3).
Allerdings kam König Heinrich IL von Cypern an demselben
Tao-e mit einem Heere 4) und dem Erzbischof Johann von Nicosia, von
den Belagerten mit Freudenfeuern begrüsst 5), aber sein Heer war doch
zu schwach und sein Einfluss auf die Verhältnisse ebenso gering wie
der seines in Accon zurückgebliebenen Bruders Amalrich 6). Es ge-
lang ihm weder, die immer wieder auftauchenden Zwistigkeiten der
Ordensritter unter einander und mit den italienischen Kaufleuten zu
beseitigen, noch die heimliche Flucht vieler Angesehenen aus der Stadt
zu hindern. Er sandte sofort nach seiner Ankunft den Templer Guil-
laume de Cafran und Ritter Guillaume de Villiers an den Sultan 7),
») 2000 Feinde gegen 200 Christen (Gestes 245) ; nach C'hron. de Lanercost
L39: 15.000 Christen gegen 10.000 Muslimen.
2) Die Christen verloren nach Gestes 245 im Ganzen 18 Ritter (Amadi
221 : 8). die Feinde nach Bustron 3000 Mann. Bonincontrius 63 läset 2000 Christen
und 7000 Feinde fallen, Chron. de Lanercost 139 sogar 5000 Muslimen gefangen
werden. Ein anderer Ausfall aus dem St, Antoniusthore ist unmittelbar darauf
gefolgt, welcher, da die Feinde die finstere Nacht durch Feuer erhellten, erfolg-
los ablief. Bei dieser Gelegenheit sollen 2000 Muslimen und 2000 Christen gefallen sein
(Abulfaradsch 627 j Oesterr. Reimchronik Vers 50.223. 50.229 ; vgl. 50.443. 50.458).
s) Excid. 770; Thaddaeus 5.
4) Sanutus 231: 100 (Amadi 221: 100: Bustron: 600) Ritter und 500 Mann
Fussvolk (Amadi 221: 200; Bustron: 2000) mit 42 (Amadi 221) Schiffen.
5) Abu'l Mehasin 57o.
r-) Der von einigen Quellen gegen ihn erhobene Vorwurf der Feigheit ist
jedoch ungerecht (Bartholomaeus de Xeocastro 1183; Marinus Sanutus 230;
Reinaud 570).
') Gestes 246.
7) Gestes 243, 246, wonach das Zelt bei der »Semmerie« des Tempels lag.
welche sonst urkundlich als »Somelaria Templi« vorkommt (Röhricht in Zeitschr.
d. Deutsch. Palästina-Vereines X, 251).
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 27
welcher sein grünes Zelt auf einem Hügel dicht bei einem Templer-
fchurme hatte x), um Erklärung wegen des plötzlichen Angriffes gegen
die Stadt zu erbitten, aber der Sultan stellte nur an sie die Frage, ob
sie die Schlüssel der Stadt brächten, und als sie dies verneinten, aber
um Gnade für das Volk baten, antwortete er, dass er nur die Stach
haben wolle, alles andere sei ihm gleichgültig. Hierauf erklärten die
Gesandten, dass sie nicht ohne eigene Lebensgefahr den Ihrigen die
Uebergabe anrathen könnten. Während dieser ganzen Unterhandlung
flog von der gegenüber auf dem Thurme des Legaten stehenden Ma-
schine, die eben probirt wurde, unglücklicher Weise ein Stein so dicht
an das Zelt, dass der Sultan sein Schwert zog, um die Christen nieder-
zustossen, aber der Emir Schuga'i bat ihn, „sein Schwert nicht mit
dem Blute der Schweine zu röthen. "
Indessen machten die Belagerer immer mehr Fortschritte. Der
Emir Schuga'i hatte einen neuen Thurm, der in der ersten Mauer vor
dem „verfluchten Thurme" stand und „Thurm des Königs" hiess,
unterminirt, die Barbacane des Königs Hugo wie den Thurm der Gräfin
von Blois in Trümmer verwandelt (8. Mai); am 15. Mai ward der
Thurm des Königs Eduard 2) völlig in den Graben geworfen, und die
Belagerer füllten mit Sandsäcken und Reisig die Lücken der Trümmer
aus, so dass eine Art Strasse nach der Stadt entstand. Am Morgen
des 16. Mai rückte das feindliche Heer, dem die Christen nur noch
7000 Mann entgegenstellen konnten, zum Sturme heran ; bald war der
Graben am S. Antoniusthore auf hundert Klaftern Länge mit allerlei
Material ausgefüllt b) und die Vormauer erstiegen, in welche die Feinde
eine Bresche von sechzig Klaftern legten 4). Die ermatteten Verthei-
diger wichen auf Bogenschussweite zurück, bis die Templer herbei-
eilten. Der Marschall der Johanniter Matthäus von Clermont 5) stellte
sich an die Spitze der Christen, durchbohrte einen feindlichen Emir,
hieb dann rechts und links um sich mit furchtbarem Erfolge, so dass
die Christen wieder Muth gewannen und die Feinde nach der Bresche
zurückdrängten, aber dort behaupteten diese sich und zogen die Fahne
des Sultans auf6). Die Christen stellten vor die Bresche zwanzig
') Gestes 247. Auch Ludolf von Suchern 42 und Walther von Hemming-
burgh [I, 24 wissen von den Unterhandlungen des Sultans, allerdings nichts
Genaueres.
-) Ueber ihn vgl. Röhricht in Archives I, 629, Not. 81.
s) Oesterr. Reimchronik Vers 48.744- 48.745 (wonach 30.000 Lastthiere das
Material herangeschleppt hätten); Chron. Sampetrin. 128.
*) Excid. 770. *) Excid. 773; Thaddaeus 22-23.
fi) Gestes 247.
28 T{ ö h r i c h t.
grosse und fünfzig kleine Maschinen, während ein Theil der Stadt-
obersten im Johanniterhause zusammentrat, andere im Hafen Schiffe
bereit machten, um die Weiber und Kinder zu retten x) ; der Patriarch
stärkte, nachdem er die Messe celebrirt, Beichte und Abendmahl ge-
halten hatte, die Anwesenden durch eine begeisternde Kede, worauf
sie sich unter Thränen gelobten auszuharren , aber die Kettung der
Weiber und Kinder wurde unmöglich, da die See so hoch ging, dass
diese schon am folgenden Tage (17. Mai) wieder in Accon landen
mussten 2).
Kaum war der trübe und nebelige Morgen 3) des 18. Mai4) an-
gebrochen, als das feindliche Heer unter furchtbarem Getöse zum
Sturme heranrückte 5) ; dreihundert Kameele trugen Trommelschläger
und Trompetenbläser, welche einen Höllenlärm machten6), während an der
Spitze der Colonnen Keuegaten, Derwische und Fakire voll fanatischen
Eifers vorauseilten 7). Das ganze Heer soll in 150 Schaaren getheilt
gewesen sein, jede zu 200 Mann, die wieder eine starke Keserve von
160 anderen Schaaren im Kücken gehabt8). Die ersten hatteu grosse
Tartschen, die vier dahinter folgenden Feuerkessel, Oel und Peckfackeln,
die drei folgenden Ledertartschen und kurze Säbel 9). Die Christen
wehrten sich gegen den Strom der Augreifer, so lange ihr Schiess-
') Excid. 774.
2) Gestes 248. Dass König Heinrich von Cypern am 16. Mai schon Accon
verliess, wie das Excidium 770 behauptet, ist ein Irrthum.
3) Ludolf von Suchern 44.
4) Das richtige Datuni für den Tag der Eroberung geben Ep. Johannis de
Vill. 93; Thomas de Burton 241; Cont. Vindob. 717; Aegidius li Muisis 151;
Chron. Sampetrin. 127; Bartholomaeus de Neocastro 1183; Jacobus Auriae 337;
Annal. Mutin. 73; Dand. 403; Simon della Tosa 154; Chron. Sanese 41; Gestes
248 ; Annales de Terre Sainte 460 ; Makrizi 125 ; Abul Mehäsin 570 ; Corner 944.
Falsch: 20. April (Cont. Florian. 749), 12. Mai (Chron. abbat. Parm. 336; Ludolf
von Suchern 44), 14. Mai (Cronache di Termo 3), 16. Mai (Annal. Mogunt. 3),
17. Mai (Jul. Cividat. 1200), 19. Mai (Cont. Godel 761; Chron. S. Martialis 810;
Bernard Guidonis 709; Necrolog. ordin. Teuton. 361), 20. Mai (Calend. Teuton.
469 not.), 7. Juni (Walter von Hemmingburgh II, 25), 17. Juni (Jon. de Oxendes
283, wo statt XV cal. Jim. : XV. Cal. Julii steht; Abulfeda 164 [vgl. Weil IV.
180] auf Grund einer theologischen Construction, weil Accon durch die Muslimen
am 17 Djumada [I gerade 100 Jahre vorher an die Christen verloren ging, musste
es an demselben Monats-Datum zurückgewonnen werden !).
8) Im Umkreise von 6000 Schritten die Stadt einschliessend (Franc. Pipinus
bei Muratori IX. 732), 12 Meilen sich ausbreitend (Chron. di Bondone in Siena,
Bibl. publ. A. III, 23). B) Makrizi II A, 125.
7) Excid. 779; Bartholomaeus de Neocastro 1184; Joh. Vitoduran. 36—37.
R) EKcid. 779. fl) Gestes 248—249.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 20
bedarf ausreichte, heldenmüthig, setzten dann den Kampf mit Sicheln,
Steinen, Kuitteln und anderem zufällig sich bietenden Vertheidigungs-
material fort, bis Matthäus von Clermont, der Johannitern! arschall, die
eben durch das S. Antoniusthor einströmenden Feinde wieder hinaus-
drängte !). Aber inzwischen waren andere Schaaren derselben über
die Trümmer des Thurmes Hugos in die Stadt eingebrochen -) , be-
setzten sofort die Barbacane zwischen der ersten und zweiten Mauer,
theilten sich hier und gingen theils durch das Thor des „ verfluchten
Thurmes" auf die S. Romanuskirche zu, wo die Pisauer ihre Maschinen
hatten, theils nach dem S. Antoniusthore. Der Templermeister Guil-
laume de Beaujeu sowie der Meister der Johanniter Jean de Villiers
eilten mit 10 — 12 Ordensbrüdern nach dem letzteren Thore, fauden
hier die cyprischen und syrischen Ritter im Weichen begriffen und
wurden von einem furchtbaren Pfeilhagel empfangen 3). Der Templer-
meister erhielt einen Schuss in die rechte Achselhöhle, wo die
Platten des Panzers nicht fest genug schlössen4), uud musste vom
Kampfplatze getragen werden; im Templerhause ist er bald darauf
gestorben 5). Ebenso ward der Johannitermeister Jean de Villiers
schwer verwundet, aber auf ein Schiff gerettet 6). Matthäus von Cler-
•) Excid. 777—779.
2) Excid. 779 — 781; Ep. Johann, de Villiers 94; Ludolf von Suchern 44;
Bartholomaeus Cotton 432; nach der letzteren Quelle drangen die Feinde (31.000
Mann) ein »bei einem Mandelbaurugarten durch eine Mine'. Sonst wird gewöhn-
lich als die Einbruchstelle der Punkt erwähnt, wo König Heinrich von Cypern die
Vertheidigung zu leiten hatte (Cont. Vindob. in Mon. Germ. SS. IX, 717; Ludolf
von Suchern 44; Godel bei Bouquet XXI, 761 ; Oesterr. Reimchronik, Vers 50.121,
50.602—50.604), oder bei dem »verfluchten Thurrne« (Godel 761: »halechitibi").
?) Gestes 249.
4) Gestes 249: Thaddaeus 18—19; Villani 338; vgl. Godel 761.
5) Gestes 250—251. Er stammte nicht aus Brabant, wie Brunetto Latini
232 meldet (Guichenou, Histoire de Dombes I, 210; Lacarelle, Hist. de Beaujolais I,
93; Galeries de Versailles I, 454; II, 460), ist auch kein Verräther der Christen
gewesen, wie die Chrou. riinee bei Bouquet XXII, 85, das Chron. Estense bei
Muratori XV, 542, Stefan Orbelian, Hist. de Siounie ed. Brosset, St. Petersbourg
1864, 245 — 246 und die Acten des französischen Templerprocesses (ed. Michelet,
Paris 1841 ff. 1, 187; II, 209, 215; vgl. RH. No. 1413) melden, während die des
cyprischen (Schottmüller, Untergang der Tempelherren II, 155 — 156) ihn völlig
lreisprechen und zwar auf Grund des Zeugnisses von Mitkämpfern wie des Ritters
Johannes de Plany.
r') Epistola Johannis de Villiers 94. Von den Templern sollen nur 10, von
den Johannitern nur 7 (Excid. 782 ; wenige nach d. Epist. Joh. 95), von den
Deutschherren kein einziger entkommen sein (Ludolf von Suchern 44; Thaddaeus 24),
aber dem widersprechen die Angaben des cyprischen Processes (Schottmüller 11,
395), wonach in Cairo Templer als Renegaten weiter gelebt hätten, und Ludolf
30
R ö h r i c h t.
mont, der Johannitermarschall, der den ganzen Strom der eindringen-
den Feinde bis an das St. Antoniusthor uud wieder zurück unter
Wundern der Tapferkeit durchraunt hatte, fiel auch und zwar bei der
Strasse der Genuesen l).
Inzwischen hatten andere feindliche Abtheilungen bei dem S. rio-
manusthore die Pisaner zurückgedrängt, ihre Maschinen verbrannt,
nach kurzem siegreichen Gefecht die Strasse der Deutschen hinunter-
stürmend bei der St. Leonhardskirche 2) die Ritter des Thomasordens
überwältigt, während wieder andere am St. Nicolausthore und am
Thurme des Legaten eingedrungen waren, nachdem sie Johannes von
Grailly3) und Otto von Granson 4). welche auf dieser Seite die Ver-
theidigung geleitet, zur Flucht gezwungen hatten; beide entkamen.
Jetzt war natürlich Alles verloren; die tausend Christen, welche
im Ganzen noch widerstandsfähig waren, wurden mit Leichtigkeit zu-
von Suchern 54 meldet, dass er in Matharia bei Cario aus der Zahl der bei Accon
Gefangenen Christen vier Deutsche, darunter einen Mann aus Schwarzburg in
Thüringen, ferner (89) zwei Templer aus Burgund und Toulouse als Holzhauer
am todten Meere getroffen habe, denen später der Sultan die Freiheit geschenkt.
Dass viele christlichen Ritter .bis jetzt mit ihren Nachkommen ihnen (den Mus-
limen) Sclavendienste thun müssen, aber wie man sagt, von ihnen in Achtung
o-ehalten werden«, sagt Job. Vitodur. 37. Auch der Ueberbringer des bei Dandulus
(MuratoriSS.XH, 513— 514) erhaltenen Briefes von 1300 war ein bei Accon gefan-
gener | deutschen Ritter. Ebenso empfiehlt der Patriarch N. von Jerusalem in
einem höchst wahrscheinlich fingirten Schreiben (es folgt nämlich p. 444. wie in
den Annal. Wigoru. 548 ein Brieffragment des .Königs von Tarsis« an Bonifaz VIEL)
dem Papste den Ritter Gaufridus de Semeray. welcher, während sein Bruder
Johannes Capellanus fiel, bei der Eroberung Accons gefangen und jetzt nach
9 Jahren befreit wurde (Wilh. Rishanger. Annales regni Eduardi primi ed. Riley,
London 1865. 442—444). nämlich durch die Mongolen, die Cairo erobert hätten!
Dieselbe erdichtete Siegesnachricht findet sich oft (Röhricht in Ärchives I, 649).
i) Excid. 781—782; Thaddaeus 22—23; Ep. Joh. de Villiers 94; Gestes 255;
vgl. Hist. litt, de France XX. 87.
2) Bustron und Amadi : St. Raynalduskirche.
3) Er entkam verwundet (Gestes 252), nach Excid. 781 »mit unverletzter
Rüstung«. Ueber ihn vgl. E. de Rostaing, Jean de Grailly (Gex) ä la septieme
croisade in Revue de 1' Ain 1879. Mai-Juin; eine Bulle für seine Gemahlin Beatrix
(6. Jan. 1290), worin er als zurückgekehrt erwähnt wird, vgl. bei Langlois No. 1941.
Der Vorwurf, dass er schon bei der Vertheidigung von Tripolis sich feige ge-
zeigt (Thaddaeus 25—26). ist nach Gestes 237 nicht gerechtfertigt.
4) Gestes 252. Er wird vielfach in Bullen der Päpste erwähnt wie Hono-
rius' IV. (Prou. 37]. No. 535) und Nioolaus' IV.: 26. Aug. 1289, 13. Dez. 1280.
15. October 1290 (Langlois No. 1351-1352; 2162 2163; 4391-4394); vgl. Mem.
de la Franche Comte IV. 361—362; Anzeiger für Schweiz. Gesch. 1876, No. 3;
1878 Nr. 2. In Pariser Templerprocessacten (ed. Michelet II, 224) wird erwähnt,
dass er die Wahl Hugos de Peraudo zum Meister besonders gern gesehen hätte.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 31
rückgedrängt oder niedergemacht; wer konnte, rettete sich, aber im
Ganzen standen nur sechs Schiffe bereit, zwei päpstliche, zwei cyprische
und zwei genuesische unter Andreotus Pellotus *). Mit Mühe riss man
den ehrwürdigen Patriarchen Nicolaus, der seine unglückliche, zerstreute
Heerde nicht verlassen wollte, fort nach einem Schiffe ; er fiel in's Meer
und ertrank, entweder weil der Matrose, der ihm die rettende Hand
reichte, nicht fest genug hielt, oder der Patriarch nicht kräftig genug
zugriff2); auch zwei Schiffe schlugen, weil das Meer zu stürmisch war,
um und begruben alle Flüchtigen im Meeresgrunde 3), so dass im Ganzen
uur wenige Armenien und Cypern erreichten4), wo sie sich dauernd
niederliessen 5), oder nur kurze Zeit rasteten, um nach Italien zurück-
zukehren 6).
Der bei Weitem grössere Theil der früheren Bevölkerung war
während der Belagerung gefallen, oder erlag schonungslos dem Schwerte
') Gestes 254 ; Jacobus Auriae 337, desssen Bericht Giustiani, Annali di
Genova lib. CX. L— Gm; üb. CXI1. G— H. ausschreibt.
2) Gestes 254; vgl. Sanutus 231; Thaddaeus 10 — 18; Epist. Riccoldi in
Archives de V Orient latin. II B, 269, 289—291 (über ihn genaueres in Hist. litt,
de France XX, 51—78 und Röhricht, Syria sacra in ZDPV. X. 10—11). Nach
dem Excid. 781 — 782 wollte Nicolaus in dem Schiffe, welches schon (nach Bru-
netto Latino 232 durch 22—2300 Flüchtlinge) zu stark überlastet war, noch mehr
einnehmen, wesshalb das Schilt' umschlug ; nur sein Diener soll sich gerettet haben.
3) Gestes 254; Sanutus 231 ; Ludolf von Suchern 44. Es kamen durch die
Eroberung Accons um : über 100.000 (Cont. Zwetl. 658), 70.000 (Brunetto Latini 231 ;
Gesta Florent, 290). über 50.000 (Piero bei Tartinius II. 40), über 40.000 (Nau-
gerius bei Muratori SS. XXI II. 1005- 1007). über 30.000 (Ptolom. Lucc. Annales in
Documenti VI, 96; Chron. Anon. 170), 30.000 (Franc. Pipinus 773). 20.000 (Ro-
bertus de Boston ed. Sparke 123). Gefangen und getödtet wurden: 106.000 (Lu-
dolf von Suchern 46, darnach Corner 940: 105.000). 100.000 (Piero 46), 80.000 (von
den Feinden 30.000 ; vgl. Oesterr. Reimchron.. Vers 52.335 und 52.340). über 70.000
(Istoria di Chiusi bei Tartinius I. 932). 70.000 (Job. Vitoduran. 37), G0.000 (Yillani
378 und daraus Chron. di Bondone), über 40.000 (Anon. Florent. bei Baluze, Mis-
cell. IV. 105), über 30.000 (Epist. Riccoldi 202 ; Ptolom. Lucc. Hist. eccles. in
Muratori SS. XI, 1196), 30.000 (Guill. de Sandwich in Act, SS. Maj. III, LXIV);
10.000 wurden gefangen (Makrizi II, 126).
4) Epist. Haithonis bei Bartholom. Cotton 221.
5) Solche werden vielfach im cyprischen Processe als Zeugen erwähnt.
6) Besonders Parmesanen (Annal. Parmens. 709). Aus dem Munde solcher
Flüchtlinge und frei gewordener Gefangenen schöpfte Thaddäus (31, 39) Nach-
richten für seine Historia de desolacione et conculcacione civitatis Acconensis ed.
Com. Riant, Genevae 1873, für deren Textkritik ein bisher unbekannter Codex
in Madrid, Bibl. nacion. H. 188 (Neues Archiv 1881, 315) unbenutzt geblieben ist.
Hingegen fiel der pisanische Grosskaufmann Pannocchia Sasetta degli Orlandi
(Roncioni, Istorie Pisane im Archiv, stör. ital. 1844. VI A. 651), und die Floren-
tiner Firma Peruzzi erlitt grosse materielle Verlust'' (Brunetto Latini 232).
32 R Ö h r i c h t.
der Sieger, so viele Mönche und Geistliche *), während Kinder, Jung-
frauen und Nonnen in die Gefangenschaft abgeführt wurden2), oder
brutale Gewalt erleiden mussten 3), die Kirchen und Klöster demoliert,
heilige Gelasse und Geräthe, Bilder uud Statuen, Crucifixe und Glocken
aufs gemeinste entweiht und zerschlagen wurden4).
Da sich ein Theil der Christen 5) mit dem Marschall der Templer
Pierre de Sevry 6) in die feste Templerburg 7) geworfen hatte, während
andere sich im Palast des Meisters und in den festen Ordenshäusern
der Deutschherren und Johanniter verschanzten, so fanden die Sieger
am 19. Mai neuen verzweifelten Widerstand, so dass der Kampf sich
über zehn Tage 8) hinzog. Der Sultan Hess den Christen in der Templer-
burg freien Abzug ohne Waffen und mit einem Kleide anbieten und
schickte, als sie darauf eingingen, eine weisse Fahne zum Schutze,
») Epist. Riccoldi 262—263; Jacobus de Aquis in Mon. bist. patr. III, 1604.
Nach dem Chron. Sampet. 127 kamen alle Dominikaner um bis auf 7 (,de con-
ventu Aquensi*), alle Franziskaner bis auf 5 (nacb Wadding, Annal. Minor. III,
585: der Custos von Syrien Jacob und sein Gefäbrte Jeremias; vgl. Brewer,
Monum. Francisc. 528), während nach Thaddäus (14—16) 2—300 Mönche und
Geistliche den Tod im offenen Gefechte suchten und fanden.
2) Makrizi II A, 125; Joh. Vitoduran. 37. In seinem Briefe an den König
Haithon von Armenien meldet der Sultan, dass so viel Jungfrauen gefangen
wurden , dass man in jede einzelne um eine Drachme verkaufte (Epist, Bar-
tholom. Cotton 217). Nach d. Oesterr. Reimchronik (Vers 51.990 ff.) wurden die
Gefangenen in drei Schaaren getheilt: Kinder, die geschont wurden, Geistliche,
Weiber und Männer, die den Glauben nicht verleugnen wollten und dafür erschlagen
wurden, und Schwangere, denen man den Leib aufschlitzte. Dass viele Gefangene
getödtet wurden, bezeugen Sanutus 231, Bartholom. Cotton 432. Abulfeda 164.
Abu'l Mehäsin 571, Epist. Soldani 218.
3) Thaddäus 9-10 (vgl. oben Seite 11 Note 5); Epist, Riccoldi 263. Nach
Ludolf von Suchern 45 wurden fünfhundert vornehme Damen durch einen plötz-
lich auftauchenden Schiffer nach Cypern gerettet, wo er, ohne ihren Dank abzu-
warten, ebenso unerkannt plötzlich wieder verschwand (der Gralritter?).
*) Thaddäus 35 36; vgl. oben Seite 12 Note 2. In einer der Kirchen
Accons wollten die Muslimen eine Bleitafel gefunden haben, welche die weitere
Ausbreitung des Islams in Syrien für das Jahr der Flucht 700 (1300—1301) pro
phezeite (Makrizi II A, 126) ; vgl. oben Seite 2 eine auf dasselbe Jahr sich be-
ziehende Weissagung.
5) Nach Thaddäus 13 und Sanutus 231 nur wenige, nach Amadi 400, nach
dem Excidium 780: c. 1000, nach AbuT Mehäsin 571: über 4000, nach Chron-
Sampetr. 127: 7000, nach Gestes 252, Brunetto Latini 232, Makrizi II A, 126: 10.000..
6) Gestes 256.
7) Die genauere Beschreibung derselben vgl. in Gestes 253—254.
8) Gestes 256: 10 Tage, Bartholomaeus Cotton 432 : 11 Tage, Chron. Sam-
petr. 127: 12 Tage, Ludolf von Suchern 45: 2 Monate. Nach Sanutus 231 unter-
handelte der Sultan schon am 19. Mai wegen Uebergabe.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 35
sowie einige hundert Mann x) unter einem Emir ab, welche die pünkt-
liche Ausführung der Capitulationsbedingimgen überwachen sollten 2).
Da diese aber den Mädchen und Knaben Gewalt anthaten und die
Capelle schändeten, so warfen sich die Christen auf die Feinde3), tödte-
ten sie alle und schleuderten mit der weissen Fahne ihre Leichname
vor das Thor 4). Sofort begab sich der Marschall mit einigen Templern
zum Sultan und bat ihn, nachdem er die Brutalität der Muslimen ge-
schildert, die Capitulation doch aufrecht zu erhalten, allein dieser liess
sie sofort hinrichten. Dann befahl er die regelrechte Belagerung des
Ordenshauses. Bald waren die Mauern unterminirt, und nun stürmten
die Angreifer durch die nächste offene Bresche, aber in demselben
Augenblicke stürzte das gewaltige Gebäude in sich zusammen und be-
grub Christen und Muslimen (28. Mai) 5). So fiel das letzte Bollwerk
der Christen, und ihm folgten bald die wenigen festen Punkte innerhalb
der Stadt wie die Burgen der Deutschherren und Johanniter 6), dann
ward die Zerstörung gründlich fortgesetzt und was Menschenhand
nicht schnell zerstören konnte, dem Feuer preisgegeben. Ein arabischer
Dichter7) sang damals die Verse: „Ich ging an der Stadt Accon vor-
über nach der Zerstörung der Mauern, als eine feindliche Hand das
') Excid. 782; Sanutus 231: 300; Gestes 256: 400; Bartholoniaeus Cotton
432: 700; Amadi : 1200; Walter von Hemmingburgh II, 25: 5000 Mann.
-) Abu'l Mehäsin 571.
3) Nach dem Excid. 782 soll Meister der Templer Gaudinus gewesen sein,
der aber Nachts darauf nach Cypern glücklich entkommen sei (die Oesterr. Reiui-
chron., Vers 50.246 ff., 50.379 nennt ihn Perchtrand). Schottmüller, Untergang 587
kennt Theobald Gaudin nur als Praeceptor des heil. Landes und (588—589) be-
streitet die Nachricht, welche die sonst so zuverlässigen Gestes 256, 257 bieten,
dass er sofort Nachfolger Guillaumes von Beaujeu geworden sei.
4) Excid. 782; Sanutus 231 ; Abulphar. 628. Nach Abu'l Mehäsin 571 hätten
die Christen die in der Burg befindlichen Zugthiere durch Zerbauung der Sehnen
unbrauchbar gemacht, und desshalb habe er durch trügerische Versprechungen sie
(20. Mai) herausgelockt und niederhauen lassen; vgl. Abulfeda 164. Nach dem un-
gedruckten Berichte eines arabischen Augenzeugen hätten die Muslimen einzelne
Christen im Castell getödtet, aber nur wenige hätten sich durch einen Sprung von
der Mauer nach der Seeseite vor der Wuth der Christen gerettet (Weil IV, 181).
5) Gestes 256: 2000; Amadi 234 : 3000; Walter von Hemmingburgh II, 25:
5000; Bustron: 7000. Nach Amadi 234 waren von den Christen nur noch 113
übrig.
r>) Deren Ruinen der bekannte Emir Fachr ed-din später zu einem Palast
ausbauen liess (Ritter. Asien XVI, 733) ; ebenda (735— 736) werden auch als noch
erkennbar die Ruinen anderer Bauten der Johanniter, eines Nonnen- und des
St. Andreaskloster erwähnt.
7) Der Kanzleisecretär des Sultans Scbehäb ad-din Mahmüdi aus Aleppo
(Makrizi II A, 126).
Mittheilungen XV. 3
34 Röhricht.
Feuer in der Mitte seiner Einfassungsmauer angezündet hatte. Ich sah,
dass dieser Platz, nachdem er christlich gewesen, der Magierreligiou
zugefallen war, da die Thürme vor dem Feuer sich neigten", und ein
anderer1): „0 ihr Bilder, die ihr die Kirchen schmücktet, wenn die
Hand der Zeit mit Euch gespielt hat, wenn Euer Loos sich geändert
hat, lange Zeit hat man vor Euch ehrgeizige Kitter, ruhmvolle Heer-
führer sich neigen sehen ! Dies muss über jenen Gegensatz trösten ;
in der That ein Tag folgt dem andern, und der Krieg hat seine
Wechselfälle ! Der Eine macht Platz dem Andern, und unsere Zeit
hat die Natur nicht geändert: denn jede Epoche hat verschiedene Ab-
schnitte, verschiedene Menschen ! " 2).
Sofort auf die Nachricht von dem Falle Accons verliessen die
reichsten Bürger mit dem königlichen Baillif Adam de Cafran Tyrus
mit Hinterlassung der Armen, Weiber und Kinder, worauf die Mus-
limen unter Izz ad-din Benä ohne Widerstand die Stadt besetzten 3).
In Sidon, das den Templern durch Kauf gehörte 4), rüstete man sich
in der Hoffnung auf die durch Thibaut Gaudin von Cypern her ver-
heissene Hülfe anfangs zur Gegenwehr , die auch bei der grossen
Festigkeit des durch Louis IX. besonders verstärkten Inselcastells 5)
nicht aussichtslos erscheinen musste, aber als der Emir Aläm ad-din
Sandscliar die preisgegebene Stadt besetzte und sich zur Belagerung
des Castells anschickte, flohen die Templer theils nach Tortosa, theils
nach Cypern G), worauf dieses mit der Stadt völlig zerstört wurde
(13. Juli) 7). Nicht lange nachher erschien der glückliche Eroberer
auch vor Beirut, lockte durch die trügerische Verheissung von Schutz
und Sicherheit die Einwohner heraus und liess sie theils niederhauen,
theils in die Gefangenschaft nach Damascus abführen (21. Juli)8).
') Ibn Damen Aldaha (Makrizi II A, 128—129). Nach Makrizi II A, 230
ward ein Kirchenthor aus Accon durch den mit dem Zerstörungswerk beauftragten
Emir Alam ad-din nach Cairo gebracht und das Thor des Collegiums Nasserija.
-) Ludolf von Suchern 46 meldet, dass die Zerstörung keine vollständige
gewesen sei ; eine Restauration des alten Accon biete keine grossen Schwierigkeiten.
3j Gestes 254 ; nach Makrizi II A, 127 am 19. Mai, nach der Epist. Soldani
in Bartholom. Cotton 218 schon am 18. Mai, an demselben Tage, an welchem
Accon fiel. 4) RH. No. 1319; Gestes 257.
5) Eine Ansicht bei E. G. Rey, L'architecturedes croises, plancheXVI; vgl.
153—159 und Ritter, Asien XVII, 393—394.
n) Gestes 257. Daraus, dass der Berichterstatter, den das Chronic. Sam-
petrinum 128 ausschreibt, Sidon und Athlith noch in den Händen der Christen
weiss, ist zu erkennen, dass der Bericht selbst sofort nach dem Falle Accons ab*
gefasst sein muss. r) 15 Radschab 690 (Weil IV, 181).
s) 23 Radschab 690, wie arabische Chronisten melden , durch Verrath
(Weil IV, 181); vgl. Gestes 258.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 35
Wenige Tage später fielen auch Chaifa (30. Juli) l) am Fusse des
Carmel 2), dessen Kloster völlig zerstört ward, am 3. August Tor-
tosa3) und am 14. August4) die starke Templerburg Athlith ; die letzte
Spur christlicher Herrschaft war verschwunden.
Der Sultan hielt nach dem verlustreichen 5), aber vernichtenden
Siege über die Christen schon am 12. Juni in Damascus seinen glän-
zenden Eiuzug; die christlichen Banner wurden, mit der Spitze nach
unten, die Köpfe erschlagener Christen hoch auf Lanzen vorausge-
tragen, die Gefangenen gefesselt auf Pferden nachgeführt6). Nach-
dem er einen grossen Theil der Beute für fromme Stiftungen und
zum Bau kostbarer Grabdenkmäler angewiesen hatte, kehrte er nach
Cairo zurück, wo er Mitte Juli einen pomphaften Einzug hielt. In
zwei hochmüthigen Schreiben 7) meldete er dem König Haython von
Armenien, welche ungeheure Beute er in Accon gemacht habe, und
drohte ihm, wenn er nicht bald den schuldigen Tribut s) wieder zahlen
werde, sein Land zu verheeren und seine Hauptstadt Massissa zu zer-
stören.
Als die Nachricht von dem Falle Accons und dem Verluste des
heiligen Landes durch Flüchtlinge 9), Privatbriefe10) und päpstliche
') 1 Schaban 690 (Weil).
2) Die Brüder sollen, während sie das , Salve Regina1 sangen, niederge-
macht worden sein (Guill. de Sandwich in Acta SS. Maj. III, LXIY ; Joh de Ma-
linis, Specul. historiale, Venetiis 1507 s. v. ; Werner Rolevinck, Fascicul. temp.,
Norimbergae 1483, 83).
s; 5 Schaban 690. Um dieselbe Zeit muss auch Dschubail gefallen sein.
«) 16 Schaban 690; Ansichten und Pläne der Festung weist die Biblioth.
geogr. Palaest. s. v. nach; vgl. auch Ritter, Asien XVI, 616—617.
5) Er soll 60.000 Mann (Simone della Tosa, Annali in : Manni, Chronichette
antiche, Firenze 1733, 154), nach Thaddaeus 30: 26.000 Reiter und über 100 Emire
(31), für die grosse Leichenfeierlichkeiten veranstaltet worden seien (vgl. Weil
IV, XII , wonach in einer Münchener arabischen Handschrift die Namen der
Emire aufgezählt werden), verloren haben, nach Ludolf von Suchern 46: über
300.000 Mann. 6) Makrizi II A, 129; Abu'l Mehäsin 571.
') Bartholomaeus Cotton 215-217 und 218-219 (RH. No. 1511 und 1512);
beide schickte Haython an König Eduard I. Im ersteren schreibt der Sultan :
, nichts nutzte den Franken ihre Tapferkeit, die Stärke ihrer Mauern, ebensowenig
die custodia Salachadyn (unverständlich!), als er die Stadt eroberte1.
8) Vgl. das Instrument in RH. Xo. 1457.
9) Vergl. Anmerk. 6 Seite 31. Dass auch nach Venedig viele Familien
wie die Alberti, Bondomir, Barisani, Benedetti, Molin dal molin d' oro, Foscol,
Lion, Mormora, Suriani 1291 (und wie Dandulus 409 meldet auch 1299) aus der
Levante zurückkehrten, bezeugt Andreas Naugerius, Storia Veneziana in Muratori
SS. XXIII, 1007; vgl. Laurentius de Monacis, Chron. de rebus Venetis ed. Cor-
nelius, Venetiis 1758, 265.
,0) Solch ein Schreiben wird erwähnt (aber nicht ausgezogen) als 1291 nach
3*
36 R ö h r i c h t.
Schreiben l) im Westen sich verbreitete, war nur Eine Stimme, dass
Gottes Gericht über Accon gerecht gewesen sei 2). Aber man suchte
doch auch wieder nach greifbareren Gründen, aus denen der völlige
Verlust des heiligen Landes zu erklären sei, und klagte in Folge dessen
bald den Papst an, der über der » sicilischen Frage ■ die für die ganze
Christenheit viel wichtigeren Interessen des heiligen Landes vergessen
und vernachlässigt habe 3), bald die Fürsten und weltlichen Herren der
Christenheit, die nur Keichthümern und Genüssen nachjagten 4), bald
die egoistische Politik der italienischen Kaufleute 5), aber allgemein
war die Klage über den Verlust eines so heiligen und theuren Besitzes6).
Herzbewegend sind die Worte, in denen Thaddaeus von Neapel 7) seinem
Schmerze Ausdruck giebt, aber Trost aus dem Propheten Jesaias s)
findet, welcher den nahen Zusammenbruch der Macht Babels und
Aegyptens weisssagt, um endlich mit einem kräftigen Appell an den
Papst, die Könige und Völker der Christenheit zu schliessen 9). Keiner
hat aber in ergreifenderen und herzbewegenderen Betrachtungen uud
Klagen seinem Herzen Luft gemacht als der Predigermönch Biccoldo
de Monte Croce 10) in seinen Briefen an Gott, die Jungfrau Maria,
die berühmtesten Heiligen und den bei der Belagerung Accons um-
gekommenen Patriarchen Nicolaus. Inmitten einer feindlichen Welt
als Sendbote und Verkündiger des Evangeliums hört er von dem Falle
Accons, dazu die blasphe mischen Hohnreden der Muslimen, Juden und
Mongolen, welche die Ohnmacht des Heilandes verspotten11), er sieht
Siena überbracht in Chromehe Sanese (Masconi, Kaccolta di documenti storici,
Livorno 1876, I B, cap. 80) ; andere sind von den Chronisten ohne genaue An-
gabe des Schreibers ausgezogen.
0 Vgl. Potthast No. 23.772, 23773 und die unten zum 1., 13.. 16., 18. Aug.
zu nennenden Schreiben.
-) Vgl. Anmerk. 2—3 Seite 22.
3j Xach Bartholomaeus de Neocastro 1182 hätte dies der Templerbruder
Guido als Bote der orientalischen Christen in freisten Worten ausgesprochen (vgl.
auch Excid. 783-784). Dante, Inferno XXVII, 88—90 spricht von Bonifaz : »Che
eiaseun suo nimico era Cristiano ; E nessuno era stato a vincer Acri, Xe merca-
tante in terra del Soldano«. 4) Excid. 783.
s) Ludolf von Suchern (oben S. 21); Thaddaeus 37—38, 50 — öl.
6) Klagegedichte in Gestes 263—273 (ed. Rec. armen. II. 822—826); Paul
Meyer, Recueil d' anciens textes bas latins 95 — 96; Theoder de Kiem, Privilegia
et jura imperii, ed. Schardius, Basileae 1566, 852.
7) 48-60. 8) XIII, 3-22, und XIX, 1—22 (61-64). n) 64-66.
,0) Lettres de Riccoldo de Monte Croce ed. Röhricht in Archives de 1' Orient
latin II B, 258-296; vgl. auch dazu den interessanten Artikel von Mandonnet
in Revue biblique, Paris 1893, 44—61 und dessen Fortsetzungen.
") Vgl. Röhricht. Deutsche Pilgerreisen (1889) 1.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 37
die Feinde des Kreuzes im Besitze des mit Strömen von Christenblut
erkauften Lau des der Verheissung triumphiren, die heiligen Stätten,
an denen Tausende und aber Tausende Gnade und Vergebung gefun-
deu, in Trümmer, in Tempel des falschen Propheten oder Stätten des
Unflats umgewandelt, endlich die langen Züge von Gefangenen,
darunter Nonnen, welche in den Harems der Emire und des Chalifen
Dienerinnen der Lust werden sollen, und fragt mit bebenden Herzen:
Wie ist es möglich, dass Gott die Muslimen fortwährend siegen, das
Thier der Offenbarung nun schon siebenhundert Jahre *) herrschen
ässt? Er hält Gott sein unermessliches Erbarmen, seine unzähligen
Verheissungen vor und fragt, ob denn nicht wenigstens zehn Gerichte
in Accon gewesen seien, um deren willen er einst Sodom und Go-
morrha hätte verzeihen wollen 2), er dringt in die Mutter Gottes, die
Apostel und Heiligen und fragt, ob sie denn wirklich Freunde des
falschen Propheten geworden seien, er beschwört die Märtyrer Accons,
besonders die Ordensbrüder und Ordensschwestern mit dem Patriarchen
Nicolaus, am Throne Gottes ihre Stimme zu erheben , dass er sich
endlich wieder der unglücklichen Christen erbarme und seinen Arm
watfne, um das vergossene Blut seiner Treuen zu rächen. Aus der
Beute Accons erwirbt er heilige Gewänder und ein Brevier, welches
einen Lanzenstich und einen Blutfleck zeigte, endlich die Moralia des
heiligen Gregor, und aus ihnen, aus der Erklärung einer Stelle des
Buches Hiob findet er wenigstens vorläufig 3) Trost und fügt sich mit
stiller Ergebung in die unergründliche Weisheit seines Gottes.
Die Schreckensbotschaft von dem schmählichen Zusammenbruch
der christlichen Herrschaft in Palästina ward für die Curie das Signal
für eine ganz ausserordentliche Thätigkeit. Papst Nicolaus IV. theilte
am 1. August der ganzen Christenheit die Trauerkunde mit, befahl
das Kreuz von Neuem zu predigen 4), damit der zum Johannisfeste
') Man rechnete die Dauer seiner Herrschaft nur auf 66b" Jahre (Thad-
daeus 45 ; Röhricht in Archives II B, 260, Studien zur Gesch. des fünften Kreuz-
zuges 12-13).
2) Dieselbe Frage in der Oesterr. Reimchronik. Vers 52.356 ff. ; der Verfasser
weiss nur darauf dieselbe Auskunft, die bekanntlich Augustin seiner Prädestina-
tionslehre zu Grunde legte und Johannes de Casa S. Mariae nach dem unglück-
lichen zweiten Kreuzzuge gab, dass Gott die durch den Fall der Tausende von
Engeln einst entstandenen Lücken habe ausfüllen wollen (Vers 52.403 — 52.452;
vgl. Enenckel, Weltchronik ed. Strauch V. 327).
3) »Pro responsione denique theoretia gratias ago, pr ac t icam nihilo-
minus affectuose atque indesinanter exspecto* (Epist. Riccoldi 296).
4) Potthast Nr. 23.756- 23.763 (vgl. 23.608) ; Langlois Nr. 7377—7378. Als
Kreuzprediger werden genannt: die Erzbischöfe Conrad von Salzburg und Jacob
gg Röhricht.
1293 von König Eduard zu unternehmende Kreuzzug guten Fortgang
habe, den Grafen Guido von Flandern x) zur endlichen Ausführung
seines Kreuzgelübdes zu veranlassen 2), und richtete (13. — 23. August)
eine Keihe von Bittschreiben an mongolische Fürsten 3), den griechi-
schen Kaiser und andere geistliche und weltliche Herren des Morgen-
landes, um die längst gewünschte und versprochene Hülfe dem hei-
ligen Lande in dieser Noth zuzuwenden. Ausserdem forderte er den
König von Frankreich und eine Reihe von Prälaten (16. und 18. Aug.)
auf4), Provinzialsynoden abzuhalten, über die zum Nutzen des hei-
ligen Landes zu ergreifenden Massregeln, besonders die schon auf dem
Concil von Lyon 1274 ventilirte Frage der Vereinigung der Haupt-
Ritterorden, zu berathen und bis Februar 1292 eingehend zu berichten.
In Folge dessen wurden auch Provinzialconcile wirklich ab-
gehalten, und zwar am 30. November 1291 unter dem Vorsitz
des Erzbischofs Otto zu Mailand5), am 20. Jan. 1292 zu Com-
von Gnesen, der Dominikaner-Provincial Israel für Dänemark, der Dominikaner-
prior der Lombardei mit 40 Brüdern, der Franziskanerminister in der Provinz
des S. Franciscus mit 7 Brüdern und der Prior der Augustiner. Allen Zuhörern
der Kreuzpredigt wurden 100 Tage Ablass verheissen.
') Zur Geschichte seines Kreuzgelübdes vgl. die Bullen: 4. Dec. 1276,
14. Dec. 1278, 11. Mai 1286, 22. Juni 1288, 24. Febr. 1289 (Kaltenbrunner I,
No. 100, 142, 143, 143, 299—302, 320, 329), ferner die Urkunden in St. Genois,
Inventaire analytique d. chartes d. conites de Flandre, Gand 1843—1846, No. 550
bis 555, 651 u. Wauters, Table chrono]. VI, 399. lieber die Sammlung des Zehnten
in Flandern (und dessen Collectoren) für den König Philipp von Frankreich vgl.
St. Genois No. 594, 601, 604-605.
2) Er sollte am nächsten Michaelisfeste unter den bereits bekannten Be-
dingungen die Hälfte der ihm bewilligten Kreuzzugsgelder erhalten (Potthast
No. 23.763). Am 5. August ward der Bischof Nicolaus von Tournay mit wei-
teren Anweisungen in Bezug auf diese Zahlung versehen (Langlois No. 5765)
ebenso der Bischof von Carcbray am 5. October (Potthast No. 23.850).
3) RH. No. 1515—1517. Zur Geschichte der Beziehungen der Päpste und
christlichen Könige zu den Mongolenchanen überhaupt vgl. auch dort No. 1134,
1147, 1150, 1155, 1166, 1167, 1211, 1215, 1295, 1354, 1379, 1401, 1409, 1421,
1423, 1456, 1477, 1485, 1489, 1491; Bustron 129—130; Dandulus bei Muratori XII,
514; Archives d. miss. scient. 1851, 11, 345 ff.; über Päpste und Sultane vgl. RH.
No. 544, 626, 852, 864, 1053, 1061, 1134, 1138, 1139, 1142-1145, 1213.
4) Die Erzbischöfe von Spalato, Narbonne, Tours, Canterbury und Cagliari,
auch den Hospitaliterprior in Venedig, (Potthast No. 27, 23.781, 23.783, 23.784.
23.786, 23.787. 23.793, 23.794. 23.803; Langlois 6791-6799, 7381).
-) t'orio, Histor. Mediolan. 1646, 300-301, daraus Mansi XXIV, 1070 bis
1082; Giulini, Memorie VIII, 441-442; Calchi, Historia patiia in Graevius, Antiq.
et bist, Italiae, Lugduni Batavorum 1704, II, 385-387; vgl. Hefele-Knöpfler VI,
263. Hier ward für die Führung des Kreuzheeres der König von Frankreich ge-
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 39
piegne x), am 28. Jan. unter Erzbischof Conrad in Salzburg 2), am
13. — 24. Februar unter dem Erzbischof Johannes von Canterbury
zu London3); hier forderte man Austreibung der Juden, regelmässige
Sonntagsgebete für das heilige Land, wie sie Gregor VIII. und Inno-
cenz III. eingeführt hatte, Herstellung eines allgemeinen Friedens unter
den christlichen Fürsten, sofortige Wahl eines neuen Kaisers 4) als des
Führers der Kreuzheere, Ueberweisung des ganzen englischen Zehnten
an König Eduard und Vereinigung der drei Haupt-Kitterorden. Ebenso
berieth man in York 5), am 20. April 1292 unter Erzbischof Gonsalvo
von Corduba in Valladolid 6) und in Arles 7). Die französischen Prä-
laten 8) verlangten im Wesentlichen dasselbe, wie die englischen, aber
für die französischen Kreuzfahrer die Ernennung des Königs oder
eines anderen grossen Herren zum Führer, schleunige Wahl eines
deutschen Königs und Erhebung zum römischen Kaiser, ausnahmslose
Heranziehung aller Geistlichen zur Zahlung des Zehnten, aber Mil-
derung desselben, da der Ausgaben schon zu viele auf den Kirchen
lasteten.
wünscht, das Verbot jedes Handels mit der Levante, die Vereinigung der drei
Haupt-Ritterorden und allgemeine Pacificirung der Städte Italiens gefordert.
') Annales Blandin. in Mon. Germ. SS. V, 34 ; vgl. Finke, Konzilienstudien,
München 1891, 105.
2) Am 20. Nov. 1291 ladet Conrad den Bischof Ernicho von Freising ein (v. Lang.
Keg. IV. 502; Pez. Cod. diplom. II, 164). Sonst vgl. Mansi XXIV. 107?— 1088;
Dalham. Concil. Salisburg., Augustae Vindelicorum 1788. 136—139; Eberhard.
Katispon. in Mon. Germ. SS. XVIII, 594, 600—605; Cont. Zwetlens. in Mon. Germ.
SS. IX. 658; Hefele-Knöpfler VI, 263.
s) Bartholom. Cotton 206—210. 433; ebenda 199—205 Einladungsschreiben.
Kurze Erwähnungen in: Gervasius Cantuar. Opera I, 299; Joh. de Oxened. 285;
Ännal. de Dunstaplia 367; Annal. Wigorn. 507; Chron. de Lanercost 143
bis 144 ; Walter von Hemmingburgh II, 25 ; Annal. Blandin. 33—34 ; vgl. Willems.
Concil. Magnae Britann. II, 180; Mansi XXIV, 1079-1080; Finke 104.
4) Bartholom. Cotton 207.
5) Chron. de Lanercost 143-144; vgl. Raine 93—97; die Briefe des Erz-
bischofs bei Wilkins II, 174 und Finke 104.
fi) Tejada y Ramiro, Colleccion de canones y de todos los concilios de la
iglesia de Espaüa, Madrid 1859, VI, 58—59; vgl. Finke 104.
') Bartholom. Cotton 215. Ein: Consilium magistri Templi datuin Cle-
menti V super negotio Terrae Sanctae et super unione Templariorum et Hospitala-
riorum siehe in Baluze, Hist. paparum Avenionens. II, 176-178, No 32 (1311?).
8) Bartholom. Cotton 210—214. Nicolaus IV. forderte am 25. Sept. 1291
den Erzbischof Johannes von Upsala auch auf. ein Provincialconcil vor Ankunft
des Bischofs Bernhard von Tripolis zu halten (Potthast No. 23.828), welches höchst
wahrscheinlich auch wird abgehalten worden sein (Diplom. Suec. No. 1052; Riant,
Expeditions sacrees 371). Sonst vgl. zur Geschichte der Zehntensammlung in
Seandinavien Diplom. Suec. II, No. 1034, 1039, 1041, 1043, 1053, 1081, 1737, 1731.» .
40 R. öhri e h t.
Wichtiger als diese Beschlüsse waren für die Interesseu des hei-
ligen Landes die Unterhandlungen , welche die Curie mit König
Eduard 1. von England pflog. Dieser hatte nämlich schon als
Prinz einen Kreuzzug unternommen l) , auf seiner Rückkehr durch
Italien (Febr. — April 1274) mit Gregor X. wegen eines neuen Kreuz-
zuges unterhandelt 2), ihm 1276 durch Abt R. von Westminster und
Heinrich von Newark auch versprechen lassen 3), aber durch Johannes
von Darlington und die Magister Heinrich und Wilhelm um Ueber-
lassung des auf dem Concil von Lyon ausgeschriebenen Kirchenzehnten
seiner Reiche gebeten 4). Die Nachricht von diesen Rüstungen er-
zeugte im heiligen Lande neue Hoffnungen 5), aber erst 1282 giengen
die Verhandlungen weiter, welche im Namen des Königs Hugo von
Eveshara, der Decan Robert von York und Johannes Clarel, im Auf-
trage des Papstes Garner und Rainer von Florenz führten 6). Eduard
reizte diesen zwar dadurch, dass er die Ausführung der Kreuzzugs-
zehnten aus seinem Reiche verbot und sie in eigene Verwaltung nahm 6),
M Röhricht, La croisacle du prince Edouard d' Angleterre (Avchives I, 617
bis 632; II A, 407—409). Wir tragen hier nach aus Palgrave, Kalend. and in-
vent. of the exchequer, London 1836, I, 101 § 69 den Brief Karls I. von Sicilien,
worin er Eduard gestattet, auf seiner Reise durch die Länder Karls und im hei-
ligen Lande alle Vergehen seiner Leute selbst bestrafen zu dürfen, ferner den
Geleitsbrief Karls für Eduard. Ueber die während des Kreuzzuges ausgestellten
Schuldscheine des Roger Clifford vgl. ebenda 80, § 38 und 45; dort auch ähn-
liche Verschreibungen des Hämo Extraneus über 375 Mark (§ 39), des Paganus de
Cadurcis über 850 Turoneser Pfund (§ 40). des Johannes de Grilly über 2000 Turon.
Pfund (§ 41), des Johannes de Vescy und Otto von Granson über 2500 Turoneser
Pfund (§ 42), Edmunds, des Bruders von Eduard, über 1000 Mark (§ 43), des Jo-
hannes von der Bretagne über 500 Talente Sarrasins (§ 44). Sonst vgl. auch über-
haupt Rymer I B, 514 und Bond, Archaeologia Britann. XXVIII, 207 ff. ; den Brief des
Pierre de Conde (21. Aug. 1278) aus Carthago über Eduards Pilgerfahrt siehe in
Delisle, Litterature latine et hist. du moyen äye, Paris 1890, 72—73.
2) Archives I, 627. Die bisher unbekannten Constitutionen Gregor X. be-
treffend die Erhebung des Zehnten (18. Mai 1274) hat Finke, Concilienstudien
113 — 117 herausgegeben. Ueber die Erhebung desselben handelt sehr genau Gott-
lob, Die päpstlichen Kreuzzugs-Steuern 94 ff. ; für die Constanzer Diöcese vgl.
Freiburger Diöcesan-Archiv 1865, I, 16— 299, für Salzburg vgl. Hauthaler, Libellus
decimationis in der Beilage zum Progamm des Privat-Untergymnasiums Borro-
maeum, Salzburg 1887; Steinherz in Mittheil, des österr. Instit. 1893, XIV, 1—86;
für Holland vgl. de Sloet Ookondenb. von Gehe II, 941—947.
3) Rymer I B, 537. 4) Rymer I B, 560; Potthast No. 21.378, 21.392.
s) Rymer I B, 586; RH. No. 1436.
fi) Rymer I B, 606-607, 610; Potthast No. 21.967.
•) Rymer I B, 608; Potthast No. 22047; vgl. Gottlob, Die pästlichen Kreuz-
zugs-Steuern 139-142,
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 41
beruhigte ihn aber wieder durch das Versprechen des Kreuzgelübdes,
welches er durch den Canonicus Walter von York, und Elias von
Hanville officiell abgeben Hess 1). In Folge dessen ward ihm, wenn
er bis Weihnachten sein Versprechen erfülle, auf drei Jahre der Zehnte
aller seiner Länder, mit Ausnahme der Gascogne, deren Zehnten der
Papst bereits dem König Philipp von Frankreich zugesichert batte,
versprochen und für die Betreibung der Zurüstungen eine Frist von
füuf Jahren bewilligt2). Am 20. April 1285 wiederholte Martin IV.
den Gesandten Eduards Walter von Wells und Elias von Hanville
diese Zusage, bewilligte vom 10. October ab auf fünf Jahre den ge-
wünschten Ausstand 3), und Honorius IV. verlängerte am 25. Juli 1285
den Termin für die Annahme des Kreuzes von Weihnachten auf Pfing-
sten 1286 4), am 1. April 1286 auf den 1. Juli 1286 5) und lobte
Eduards Eifer H). Dieser unterhandelte durch Otto von Granson über
die Bewilligung des Zehnten weiter und erhielt am 17. Juni 1285 ihn
auf sechs Jahre zugebilligt; die Zahlung solle Pfingsten 1287 beginnen,
sobald er das Kreuz wirklich genommen haben werde 7). Die Unter-
handlungen wurden durch Eduards Gesandte Richard de Punisei und
Magister Johann de Gereberd 8), Anfang Mai 1288 durch Gislebert de
Brigdesala 9), weiter fortgesetzt, aber besonders lebhaft mit dem Be-
ginn des Jahres 1289. Am 3. Februar 1289 versprach der König die
ihm durch den Dominikaner Wilhelm de Hothum übersandten Forde-
rungen erfüllen zu wollen und zum Johannisfest 1293 seinen Kreuz-
zug anzutreten ; er wünsche den auf sechs Jahre bewilligten Kirchen-
zehnten zum Johannisfeste 1289 und 1290 in zwei Raten ausgezahlt
zu erhalten und deren Erhebung durch seine eigenen Leute besorgt
zu sehen; für den Fall, dass er durch eigene Schuld den Kreuzzugs-
termin nicht innehalte, verspricht er die empfangenen Summen,
auch wenn sie zum Theil durch Rüstungen aufgebracht seien, voll
herauszuzahlen, sollten jedoch unüberwindliche Hindernisse eintreten,
so habe er das Recht, die entstandenen Ausgaben von dem empfangenen
Zehnten abzuziehen. Zum Schluss verpfändete Eduard als Garantie
alle seine Güter und Einkünfte, verpflichtete auch seine Nachfolger
zur Erfüllung der gegebenen Versprechungen 10). Der Fall von Tripolis
') Potthast No. 22142. 2) Potthast No. 22143.
3) Potthast No. 22230. 4) Potthast 22274. s) Kyrner I B, 663.
«) Potthast No. 22.427. 7) Potthast No. 22.486.
8) Potthast 22.952. 9) Potthast No. 22.698; Langlois No. 7029.
I0) Kymer I B, 705, 706, 714, 746; vgl. auch das Schreiben Eduards
(4. Nov. 1290) an den Erzbischof Johann von York (Wilkins, Concil. Magna e
Britanniae II, 174).
42 R ö h r i c h t.
gab dein Papste Veranlassung, dem Könige die Notwendigkeit eines
Kreuzzuges wieder vor Augen zu stellen1); am 7. Nov. 1289 bestätigte
er die durch den Dominicaner Wilhelm von Hothum und Otto von
Granson -) vorgelegten Paragraphen, welche im Wesentlichen den In-
halt der Briefe Eduards vom 3. Februar wiederholen, setzte aber den
Termin des Kreuzzuges wegen der dem heiligen Lande drohenden Ge-
iahren, auf den 23. Juni 1292 fest3). Am 10- Jannar 1290 gab Nico-
laus IV. Anordnungen über die Abschätzung des Zehnten4) und be-
stimmte, dass nicht, wie der König gewollt, dessen Erhebung durch
königliche, sondern päpstliche Bevollmächtigte erfolgen solle 5), dann
rief er ihm (14. Mai 1290) die durch das Concil von Lyon aufge-
stellten Bestimmungen betreffend die Erhebung des Zehnten wieder in's
Gedächtniss 6) und wiederholte (16. Mai 1290) die bereits in Bezug
auf Antritt der Kreuzfahrt und die Bewilligung des Zehnten gegebenen
Anordnungen 7), worauf Eduard (14. October 1290) im Beisein vieler
Grossen, auch des Bischofs von Grosseteste als päpstlichen Gesandten
den Yorker Canonicus Wilhelm von Grenefeld für sich schwören Hess,
dass er an dem festgesetzten Termine die Kreuzfahrt antreten und die
') vgl. Anmerk. 1 Seite 14 und Potthast No. 23.633.
2) Ein Empfehlungsschreiben (8. Mai 1289) für sie nach Rom hei Rymer
L B, 708 und Stevenson, Docum. illustrat. of the history of Scotland 1870, I,
p. 90—93: sie werden auch am 4. und 10. Nov. 1289 als Gesandte des Königs
erwähnt (Potthast No. 23.102, 23.112). Ueher die Ausgaben dieser Reise vgl.
Stevenson 134—138 In einem Schreiben Nicolaus IV. (10. Nov. 1289) wird statt
Otto von Granson der bekannte Johann de Grailly genannt (Potthast No. 23.110;
Langlois No. 8260).
3) Rymer I B, 714—715; Potthast No. 23.099; Langlois No. 1585.
4) Potthast No. 23.157; Langlois No. 1906.
5) Potthast No. 23.158; Langlois No. 1934.
6) Rymer I B, 732—733; Potthast No. 23.274. Von der Zahlung des Zehnten
waren frei die Cistercienser (Potthast No. 20.905, 21.012), die Hospitaliter (ibid.
21.021), Templer (ibid. 20.942), Deutschherren (ibid. 20.946), 20.953), Augustiner-
nonnen (ibid. 20.948), Fratres de Mercede (ibid. 21.169). die Humiliaten (ibid.
22.476). Der Zehnte sollte vom Johannisfeste 1275 an 6 Jahre lang gesammelt
weiden (ibid. 20.925), über dessen Erhebung genaue Instructionen gegeben
wurden (ibid. 20.947, 21.219, 22.332); einzelnen Kreuzfahrern wie Eduard wurde
ein Theil des Zehnten (ibid. 21.086), auch Erhard von Valery (ibid. 21.079) über-
lassen; König Karl von Sicilien empfing sogar wie Eduard den ganzen Zehnten
seines Reiches auf 6 Jahre (ibid. 21.082, 21.873).
7) Potthast No. 23 280 ; dem Briefe ist der Tenor zweier Urkunden einge-
fügt, deren Unterschrift gefordert und am 24. October 1290 auch ausgefertigt
worden ist. Die Gesandten des Königs, denen diese Antwort mitgegeben wurde,
sind Gaufried de Genville, Mag. Wilhelm de Grenofend und Thomasius de Lag-
gore (Rymer I B, 746; vgl. 726).
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 43
Befehle des päpstlichen Stuhles befolgen wolle *) ; dasselbe wiederholte
er (24. October 1290) von neuem unter ausdrücklicher Beziehung auf
die bereits 3. Febr. 1289 seinerseits gegebenen Versprechungen a) und
schickte die Urkunde durch Magister Wilhelm von Montfort, Decan
der St. Pauluskirche in London, den Dominikaner Kobert de Novo
Mercato und den Minoriten Johann von Beckingham an den Papst 3).
Dieser resumirt (18. März) noch einmal den wesentlichen Inhalt der
getroffenen Bestimmungen4), lobt den Eifer Eduards, der zuerst aus
der Hand des Erzbischofs von Rieux 5), dann von Canterbury das Kreuz
genommen habe, und beantwortet seine Frage, ob er desshalb, weil
diese Prälaten officiell noch nicht Kreuzprediger gewesen seien, einen
Fehler begangen habe, dahin, dass das von ihm und seinen Begleitern
vor jenen Prälaten abgelegte Gelübde legal und verbindlich sei. Zu-
gleich (18. März)6) bewilligte er die Bitte des Königs, den Kirchen-
zehnten, statt in zwei Raten, lieber ganz und zwar 23. Juni 1291
zu empfangen, zwar nicht, wohl aber die Hälfte des ausserhalb Eng-
lands gesammelten Geldes und schickte ihm 100.000 Mark Sterling
durch Kaufleute aus Lucca 7), indem er zugleich die päpstlichen 8) und
i) Rymer I B, 741.
2) Rymer I B, 746—747. Zur Erläuterung des in diesen Zusammenhang
nicht gehörigen Schreibens (Rymer I B, 745; Potthast 23.583) vom 28. Febr. vgl.
Chronic, di Milano in Miscellan. della storia Italiana, Torino 1869, VIII, 7!) 80;
Chron. abb. Parmens. 336; Schiavinna, Annales Alexandrini ed. Ponzilionus f,
538, 542.
3) Dies geht hervor aus dem Schreiben Nicolaus IV. vom "16. März 121)1
(Rymer I B, 746—747; Potthast No. 23.604; Langlois No. 6664—6665,
•») Rymer I B, 748; Potthast No. 23.607; Langlois No. 6667.
5) Nach Trivetus 314 und Walsingham, Ypodigma Neust riae 178 nahm
Eduard 1288 das Kreuz zu Blanquefort bei Bordeaux, nach den Annal. de Waver-
leia 404 schon 1287 in Bordeaux in Folge eines in schwerer Krankheit abge-
legten Gelübdes (»legato curiae Romanae ad hoc specialiter a latere domini papae
destinato«). Ueber den Bruder Eduards Edmund und sein Kreuzgelübde vgl. Pott-
hast No. 21.967, 23.122 (Langlois No. 1710), und Rymer I B. 537.
fi) Rymer l B, 750; Palgrave, Kalend. and invent., London 1836 1, 98,
§ lil ; Potthast No. 23.610; Langlois No. 6668—6669.
7) ,De societate Riccardi«: Labrus Vulpelli, Riccardus Guidicionis, Rkcardus
Gottoli, Tliomasius Guidicionis.
*) Wilhelm von Montfort, Radulf von Baudak und Gaufried de Vedano. Letz-
terer, seit 1274 (Jolleetor nach dem Tode seines Vorgängers Bayamund, wird durch
Eduard 16. Sept. 1291 den Bischöfen von S. Andrew und Glasgow empfohlen
(Rotuli Scotiae I, 8; vgl. sonst über dessen Taxationen: Goncilia Scotiae, Edin-
burgh 1866, LXV LXXl). Andere Briefe des Königs betreffend die Erhebung des
Zehnten siehe in Rot. Scotiae, London 1814, I, 3, 4 (12. und 13. Aug. 1290), 7. 8
(6. und 16. Juni 1291).
44 Röhricht.
bischöflichen Collectoren *) davon benachrichtigte. In dem letzten
Schreiben, welches Nicolaus IV. (12. Febr. 1292) an Eduard nach dem
Falle Accons richtete 2), erklärt er, dass, so viel angehe, er ihm den
Zehnten derjenigen Länder bewilligen wolle, deren Herren nicht das
Kreuz genommen hätten, doch sei weder aus Frankreich noch aus
Castilien, deren Könige selbst den Zehnten ihrer Länder bereits zu-
gewilligt erhalten hätten, etwas, aus Deutschland und den nördlichen
Reichen Europas nur wenig eingegangen, ausserdem habe er selbst
auf die Ausrüstung von Galeeren und Mannschaften grosse Summen ver-
wendet. Die Bitte wegen Auszahlung des restirenden Zehnten am
23. Juni 1292 erfüllt er, hingegen nicht die wegen Ueberlassung der auf
100.000 Turoneser Pfund taxirten Zehnten der Cistercienser. Zum
Schluss erklärt er, dass er vor einer neuen Aufforderung zu der Kreuz-
fahrt, erst Ort und Zeit wissen müsse, wo und wann die Pilger sich
sammeln sollten , nimmt ihn und alle Mitglieder in seinen Schutz-
droht ihm aber, dass, wenn er -seine Versprechungen nicht pünktlich
erfüllen werde , die Kirche ihu nicht schonen , sondern" sehr
streng gegen ihn' vorgehen wolle. Wie wir wissen, sind diese Ver,
Handlungen Jahre lang weiter gegangen und völlig nutzlos geblie-
ben,r ohne dass der Bann den König getroffen hätte 3). Allge-
mein aber ist in den englischen Geschichtsquellen jener Zeit die
Klage, dass niemals eine schwerere Besteuerung 4) das Land getroffen
') Potthast No. 23.611-23.615; Langloiß No. 6670-6679, 6693—6695.
Aehnliche Anordnungen (29. März) siehe hei Potthast No. 23.631 — 23.633; Lang-
lois No. 6684—6692, auch vom 1. und 22. April bei Potthast No. 23.635: Lang-
lois 6696-6701.
2) Rvmer I B. 743-744; Potthast No. 23.921; 23.922: Langlois No. 6858
bis 6859. Als königliche Gesandte werden genannt Johannes de S. Johanne und
Roger Lestrange.
3) Interessant (aber aus ungarischen Quellen nicht zu bestätigen) ist die
Antwort Eduards I. (23. Juni 1292) auf ein Schreiben des Königs Andreas III.
von Ungarn, (welcher diesen durch Paganellus de Vicopisano ihn aufgefordert hatte,
seinen Weg durch Ungarn zu nehmen), dass er seiner freundlichen Aufforderun.
nicht folgen könne, aber die angebotene Hilfe von 1000 Rittern und Bogenschützen
auf ein Jahr für seinen Kreuzzug gern annehme (Rymer I B, 760).
4) Annales Waverleienses 410 ; Joh. de Oxenedes 284; Annales de Dunstapg
lia 367; Chronic, de Lanercost 144; Annal. de Oseneia 331—333; Annal. Londin-
I, 99; Annal. Wigorn. 506—509; Walter von Hemmingburgh II, 25; Thomas de
Bnrton240; Bartholomaeus Cotton 183, 198—199. Sehr gründlichen Bericht über
die damaligen Erhebungen enthält : Taxatio ecclesiastica Walliae auctore Nicolai IV.
papa a. 1292, London 1802. fol. ; vgl. Dugdale, Monas! Anglic. III, 476—477:
The priory of Coldingham (Surtee Society) 1841, CvTI— CXVII; Archaeologia
Cambrensis 1889, 106 — 108, 357—358 (The taxation Norwich) und viele Briefe
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 45
habe, zumal die Collectoreu mit rücksichtsloser Strenge aufgetreten
seien 1).
Diesen Unterhandlungen mit der Curie gingen die mit den mongo-
lischen Fürsten parallel2), ebenso der Briefwechsel mit König Haython von
Armenien 3), dessen Boten auch zum König Philipp IV. von Frank-
reich 4) gingen, um ihn zu einer schleunigen und persönlichen Unter-
stützung der Interessen des heiligen Landes zu bewegen.
König Philipp III. hatte bekanntlich am Kreuzzuge Louis' IX.
gegen Tunis Theil genommen und am 25. November 1270 gleich nach
der Landung in Trapani und vor Antritt seines Heimweges mit König-
Karl von Sicilien die Ausführung eines zweiten Kreuzzuges auf drei
Jahre verschoben5). Seit 1272 war zu dessen Betreibung der Erz-
in James Raine, Historical papers and lettres froni the northern registie, Lon-
don 1873.
') Als Collectoreu werden besonders genannt : Bischof Bernhard von Tripolis
(Potthast No. 23.812; Bartholom. Cotton 225 — 226); die Bischöfe Johannes von
Winchester und Oliver von Lincoln (Annal. de Dunstaplia 367 ; Johannes de
Schalby, Yitae episcop. Lincoln in Giraldus. Opera VI, app. E, 209j, ferner der
Abt Roger von Oseny (Annal. de Dunstaplia 372 ; Annal de Oseneia 332) und
Prior von St. Catharina in Lincoln (Annal. de Oseneia 332—333).
2) RH. No. 1380, 1401, 1409, 1421, 1497. 1506, 1515, 1516. Eduard hatte
am 26. Jan. 1275 auf eine Gesandtschaft Abaghas über den Termin seiner Kreuz-
fahrt unbestimmt geantwortet (Rymer I B, 520), dann wahrscheinlich mit Alfonso
von Castilien (1278) weiter verhandelt (ibid. 564), und hatte (5. Octob. 1280)
Nachricht bekommen, dass mongolische Gesandte in Accon gewesen seien und
Hilfe versprochen hätten (ibid. 587); vgl. Röhricht in Archives I, 623, 638, 650
bis 651, in Mittheil. d. österr. Instituts XI, 373. Sehr wichtig ist die Syrische-
Histoire de Mar Jab Allaha et de Raban Sauma. Paris 18S8; vgl. Nöldeke im
Lit. Centralblatt 1889, 843. Im Allgemeinen handeln über die Beziehungen
christlicher Fürsten zu den Mongolen auch Recueil de voyages, Paris 1840, IV,
457 ff. ; Abel Remusat in Mein, de 1' acad. d. insccript. VII. und VIII. ; Druruann,
Bonifaz VIII, 1, 231 252; Gieseler. Kirchengesch. II, 660—663; Zarncke, Der Pres-
byter Johannes 07 ff. Ueber den Unterschied zwischen muslimischer und mon-
golischer Herrschaft vgl. Ibn. Ferat bei Reinaud 412. Bündnisse mit den Mon-
golen galten als durch Jesaias 40, 1—6, empohlen (Chron. Sicul. bei Breholles,
Hist. diplom. I, 902—903); eine Weissagung auf christliche Siege mit Hülfe der
Mongolen notirt Rubruik ed. Paris. 386.
3) RH. No. 1514 (vgl. 1511, 1512); Briefe der Johanniter an Eduard ibid.
No. 1442, 1445, 1446, 1448, 1470. der S. Thomas-Ritter No. 1432, des Bischofs
von Hebron No. 1436; vgl. No. 1497, 1506, 1510.
«) RH. No. 1519. Unter demselben Datum (23. Jan. 1292) ruit Nicolaus IV.
auch alle Christen (Potthast No. 23.899; Langlois No. 6850—6851) und die Meister
der beiden Hauptorden zum Schutze Armeniens auf (Lnnglois No. 6854 — 6856),
5) Röhricht in Archives I, 621.
46 Röhricht.
bischof von Corinth als Legat thätig *), doch bat Gregor X. den König
vorläufig die Erfüllung seines Kreuzzgelübdes zu verschieben, bis die
Eüstungen wirklich vollendet seien l) ; um jedoch seinen Eifer zu zeigen,
schickte Philipp einige Schaaren französischer Hilfstruppen nach Accon2)
und streckte 25-000 Mark zur Ausrüstung von Schiffen vor 3). Die
Kreuzpredigt dauerte fort, ebenso die Unterhandlungen, welche im
Xamen Gregors X. Magister Gregor und Guillaume de Matiscon lei-
teten4). Am 31. Juli 1274 bewilligte er dem König den Zehnten
seines Landes, auch deutscher Diöcesen für den Kreuzzug 5), für dessen
Zustandekommen der päpstliche Legat Cardinal Simon mit Erfolg thätig
war 6), zumal Philipp das Kreuz, welches er bereits abgelegt hatte,
von Neuem genommen hatte 7). Der nun folgende Krieg zwischen ihm
und Castilien ward (1278) durch die Bemühungen der päpstlichen Le-
o-aten den Cardinal Gerhard und den erwählten Patriarchen Johannes
von Jerusalem8), nicht verhütet, der Krieg gegen Aragonien, um die
sicilianische Vesper zu rächen, war unglücklich, und Philipp 111. starb
am 5. October 1285. Um den Krieg gegen Aragonien nachdrück-
lich führen zu können, bewilligte Nicolaus IV. (31. Mai 1289) seinem
Nachfolger Philipp IV. den ganzen Kreuzzugszehnten seines Keiches
auf drei Jahre9), aber dadurch wurde die wirksame Betreibung des
1 ) Potthast No. 20.654 ; als Gesandter Philipps wird der sonst aus RH. Xo 1388
bekannte Johannes butticularius de Accon genannt. Ueber die frühere Samm-
lung von Kreuzzugsgeldern in Frankreich vgl. Lippert in Mittheil. d. österr.
Instituts X, 663 ff'., in Deutschland ibid. 580—582.
-j Raynaldi Annales 1273 § 18; vgl. Gottlob 109—111.
3) Posse, Analecta 62, Xo. 776 ivgl. 66, No. 821). Diese Summe ward dem
Erhard von Yalery, Imbert von Beaujeu, Connetable von Frankreich. Theobald
von Chasteignier und Gerhard von Morbay übergeben (Potthast Xo 20.978 ; ibid.
21.079 wird bestätigt, dass der genannte Erhard 2000 Mark Sterling vom Zehnten
Navarras erhielt).
->i Potthast Xo. 20.754 f.
5) Potthast Xo. 20.875. Die deutschen Prälaten beschwerten sich darüber
umsonst, und die Briefe Nicolaua III. (23. Jan. 1278) und Xicolaus IT. (31. Mai
1289, vgl. Kaltenbrunner I, Xo. 107, 349; Langlois Xo. 991—1003) nahmen keine
Rücksicht darauf; vgl. auch die Bullen 13. Juni 1290 (Langlois Xo. 2741 2742).
3. Juli 1290 (Xo. 4312), 22. Xov. 1290 (Xo. 3863, 3866).
6) Potthast Xo. 20.884, 20.940; vgl. Posse 65, Xo. 808—812. Xach Ab-
gange Simons bewilligten Xicolaus III. (31. März 1280) und Martin IV. (19. Mai
1282) den weiteren Genuss des Zehnten, ebenso 5. Mai 1284 (Kaltenbrunner
Xo. 225, 238, 262 ; vgl. Taxatio seu valor decimae triennii pro Aragonia in
Bouquet XXL. 546 j Heller, Deutschland und Frankreich 134—139),
'•) Potthast Xo. 20.883.
B) Posse 75, Xo. 914; 76, Xo. 916: Potthast Xo. 21.389, 21.490; vgl. 21.683.
■->) Potthast Xo. 22.971; Langlois Xo. 3261—3264; vgl. 22.996. tu Bezug
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 47
Kreuzzuges nach Syrien wieder unmöglich, zu dem ihn eben ein
Schreiben des Mongolenchan Argon (c. Mai 1289) aufforderte *). In
der dringendsten Weise bat Nicolaus den König (5. Dec. 1290) um
Hülfe, indem er seine Besorgniss bekämpfte, als ob er durch die Ver-
pflichtung der Unterstützung nicht nur die Gefahren, sondern eventuell
die Schuld eines Verlustes des heiligen Landes mitübernehme 2), drohte
ihm aber auch (9. und 16. Dec. 1290), dass, wenn er den Schutz des
heiligen Landes nicht übernehmen wolle, er auch die schon seinem
Vater bewilligten Zehntengelder an die päpstlichen Bevollmächtigte^
den Bischof Gerhard von Sabina und Cardinaldiacon Benedicct von
St. Nicolaus in carcere Tulliano, herauszuzahlen haben werde 3). Nach
dem Falle Accons wiederholte Nicolaus IV. (23. Aug. 1291) seine Bitte
um schleunige Hülfe 4) und forderte ihn zur Unterstützung des Königs
Karl II gegen die Aragonesen auf, da dieser als Herr von Sicilien dem
heiligen Lande die leichteste Hülfe zu bringen vermöge 5), doch schlug
er ihm die Bewilligung des Zehnten (13. Dez. 1291) gegen König
Jacob auf 6 Jahre glatt ab 6), da auf diese Weise die Wiedereroberung
des heiligen Landes unmöglich werde.
Noch hoffnungsloser für einen Kreuzzug lagen die Verhältnisse
in Deutschland. Hier war zwar durch die Wahl des Grafen Rudolf
von Habsburg „die kaiserlose, die schreckliche Zeitu vorüber, aber
die Gegnerschaft des Königs Ottokar IL von Böhmen liess ihn in den
den ersten Jahren seiner Regierung nicht zur Ruhe kommen. Um die
Freundschaft des Papstes Gregor X., welcher die Zustände des heiligen
Landes aus eigener Erfahrung kannte und für dessen Befreiung eifrig
bemüht war, zu gewinnen, liess Rudolf schon Ende December 1273
auf die vergeblichen Verhandlungen zwischen den Königen von Sicilien und Ara-
gonien vgl. Potthast No. 23.226; Amari, Storia. del Vespro Siciliano 1, 422 f.
') RH. No. 1485; auch d. armen. Historiker Tschamtschean (Petennann,
Beitr. 173) erwähnt dieses Schreiben.
-') Potthast No. 23.484; Langlois No. 4409—4410.
3j Potthast No. 23.499 f. ; Langlois No. 4411—4414; dasselbe hatte übrigens
Nicolaus IV. schon (24. April 12110) dem Könige in Aussicht gestellt (Potthast
No. 23.246; Langlois No. 4300—4302). Ein Schreiben Philipps (30. Juli J2H0I
an die Collectoren der Diöcese Rheims, worin er bittet, von den Zehnten 5000
Pfund an die Erben des verstorbenen Bischofs Raynald von Beauvais zu zahlen,
siehe bei Martene, Thesaus. I, 1232—1233; vgl, 1174-1175; Bist. litt, de France
XIX, 814; Delettre, Hist, du diocese de Beauvais 1843, II, 349 350.
*) Potthast No. 23.794; Langlois No. 0771» f.
e) Potthast No. 23.842, 23.845; Langlois No. 0837.
") Potthast No. 23.874; vgl. Gottlob, IM)' — 133. Dass Philipp niemals ernste
Neigung zu einem Kreuzznge hatte, beweist C. Wenck, Clemens V und Heinrich VII.
51—58.
48 R ö'h rieh t.
durch den Propst Otto von Speier seine Absicht eines Kreuzzuges aus-
sprechen und am 24. Februar 1274 durch den Franziskaner Conrad
zum zweiten Male kundgeben l); am 6. Juni 1274 musste sein Gesandter
in Lyon ausser der Bestätigung mehrerer vom Papste gewünschter
Privilegien die feierliche Zusage eines Kreuzzuges in seinem Namen
geben, worauf am 26. September 1274 die päpstliche Anerkennung
.Rudolfs erfolgte 2), nachdem der König Alfons von Castilien bewogen
worden war, auf den deutschen Thron zu verzichten 3). Endlich nahm
Kudolf am 18. October 1275 aus den Händen des Papstes mit vielen
Edlen Deutschlads zu Lausanne das Kreuz 4).
Inzwischen hatte auch Ottokar sich um die Gunst des Papstes
bemüht und Mitte 1274 erklären lassen, dass er nach vier Jahren, die
>) Vgl. Kopp, Gesch. d, eidgenöss. Bünde I, 67—130, 205 ff.; Plischke,
Das Rechtsverfahren Rudolfs von Habsburg gegen Ottokar von Böhmen, Bonn
1885 (Inaug. Diss.), besonders aber Wertsch, Die Beziehungen Rudolfs von Habs-
burg zur röm. Curie, Bochum 1880 (Göttinger Inaug. Dissert.), Zisterer, Gregor X.
und Rudolf v. Habsburg, Freiburg 1891, Redlich in Mitth. d. österr. Inst. X.
341 — 418 und von Zeissberg im Arch. für österr. Geschichtsq. LXIX, 1 — 51.
2) Potthast No. 20.929, 20.930 ; vgl. 20.809, 2057 ; 0. Lorenz. Deutsche Ge-
schichte II, 45.
3) Potthast No. 20.846; Kaltenbrunner, Actenstücke I, No. 48 und 49. Am
28. Juli 1275 concedirte Gregor dem König den Zehnten seines Reiches auf sechs
Jahre zum Kampfe gegen die Mauren; vgl. Potthast No. 21083. Dieselbe Con-
cession für König Karl von Sicilien als Kreuzfahrer (13. October 1275) ibid.
No. 21.982.
4) Job. Victoriens. in Böhmer, Fontes I, 307 : Chron. Sampetrin. 108 ; Chron.
Salimbene 267 ; Thomas Tuscus in Mon. Germ. SS. XXII. 529 ; Mart. Chron. ibid.
XX, 442; Annal. Basil. ibid. XVII, 198; Dandulus 385; Ptolom. Lucc, Histor.
eccles. XXIII, c. 3; Raynaldi Annales 1275 §9; Marinus Sanutus, Gesta Dei 225.
»Seinem Beispiele folgten die Königin Anna und gegen fünfhundert Geistliche
und Edle; zu den letzteren gehören sicher wohl die Zeugen der grossen Urkunde
(Mon Germ. Leg. II, 403—40*) vom 20. October: Der Landgraf Ludwig IL vom
Rhein (Riezler, Bayr. Gesch. II, 143), die Herzöge Friedrich (vgl. Potthast No. 20.857,
21.104) und Conrad von Lothringen und Teck, der Burggraf Friedrich von Nürn-
berg, die Grafen Albert und Burchard von Hochberg, Emicho und Friedrich von
Leinigen, Eberhard von Katzenellenbogen, Siegbert von Werd, Theobald von
Pürt, Heinrich von Freiberg, Ludwig von Homberg, Eberhard von Habsburg,
Mangold von Neuenbürg und Hermann von Sulz (vgl. Kopp I, 120) : nach den
Annal. Rudb. in Mon. Germ. SS. IX, 803 waren 1278 im Heere Rudolfs I. wem'g
Ritter, die nicht das Kreuz tragen; vgl. auch Lorenz II, 58—60). Der Papst
(»qui cum eisdem [den Königen von Deutschland, Frankreich und England] Terrain
Sanctam intendebat visitare et ibi vitam fniire« nach Raynaldi Annal. 1275, § 42 ;
1275, § 1), bestimmte als Termin für den Antritt der Fahrt 2 (Monate oder Jahre ?)
nach künftiger Lichtmess (Annal. Colmar. in Mon. Germ. SS. XVII, 198 ; Kopp 1,
126 will für das ausgefallene Wort: Monate lesen). Sonst vgl. über die Ab-
machungen in Lausanne ibid. I, 126 ff., und Potthast Reg.: 6—19. Octob. 1275.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 49
er zu Rüstungen nöthig habe, persönlich einen Kreuzzug unternehmen
wolle, und gebeten, ihm die Zehntengelder seines Reiches für diesen
Zweck zu gewähren, über seinen Streit mit Rudolf aber erst nach
seiner Rückkehr aus dem heiligen Lande zu entscheiden l). Gregor X.
lobte natürlich den Eifer des Königs (26. Septembter 1274), lehnte aber
indirect die gewünschte Entscheidung ab, indem er sie dem Bischof
Bruno von Olniütz übertrug, dessem Spruche Rudolf sich aber nicht
unterwarf2). In Folge der Beschlüsse des Nürnberger Reichstages
(19. Nov. 1274) oppouirte Ottokar, klagte, dass Rudolf ihn trotz des
auf dem Concil zu Lyon geforderten Friedens aller christlichen Herr-
scher bekriegen und damit die Ausführung seines Kreuzgelübdes un-
möglich machen wolle (9. März 1275) 3). Der Papst antwortete (2. Mai
1275), dass er als Kreuzfahrer die Zehntengelder seines Reiches er-
halten, aber zur Beilegung seines Streites mit Rudolf Boten senden
solle4). Da nun der Bruch entschieden war, so verbot Ottokar die
Ausführung der erhobenen Zehntengelder5); am 24. Juni 1276 ward
über ihn die Reichsacht ausgesprochen und am 26. August 1278 fiel
er bei Dürnkrut auf dem Marchfelde. So war Rudolf unbestrittener
Herrscher von Deutschland, aber sein Kreuzgelübde hat er nicht ein-
zulösen vermocht 6) ; er ist auch nicht dazu getrieben worden.
Die Christen, welche aus den Litoralstädteu Syriens, nach Cypern
') Emier No. 892 ; Raynaldi Annal. 1273 § 37, Biermann, Ottokar II. Stel-
lung zur röm. Curie, Teschen 1857 (Progr.); Wertsch 11; v. Zeissberg 23—24:
Ulanowski in Mitth. d. österr. Inst. VI, 421—440.
2) v. Zeissberg 26.
s) Emier No. 946, 947; v. Zeissberg 36—39. In diese Zeit wird wohl die
Gesandtschaft Ottokars an den Sultan Bibars zu setzen sein (RH. No. 1407).
4) Emier No. 958 ; v. Zeissberg 39.
6) Raynaldi Annal. 1247 § 7 ; dasselbe thaten später König Erich II. v. Nor-
wegen und König Philipp von Frankreich (ibid. 1286 § 34 und Drumann, Bonifaz I,
173 f.). Florentiner Kaufleute, welche den Zehnten aus Scandinavien holen sollten,
wurden in Flandern auf der Rückreise geplündert und getödtet (Potthast No. 22.255,
22.311—22.316, 22.321, 23.352); sonst vgl. Riant, Expedit, sacrees 391—392 über
die Sammlungen in Scandinavien.
6) Am 18. März 1277 versprach Rudolf dem Dogen von Venedig, bald
seinen Zug antreten zu wollen (Zeitschr. für Gesch. d. Oberrheins 1854, V, 15 — 16;
Mon. Germ. Leges II, 412—413). Ein Bittgesuch des Patriarchen Thomas (c. 1276)
siehe in RH. No. 1410, von Johann XXI. (3. Febr. 1277) bei Potthast No. 21.221.
Ueber die Sendung des Burchardus de Monte Sion nach Cairo vgl. oben Note 1
Seite 6 und im Allgemeinen Lorenz II, 315—316. Eine Bulle Gregor X, worin
wie am 18. Mai 1274 (Rymer I B, 139) dem König Eduard, hier Rudolf das Ver-
bot der Turniere einschärft wegen des bevorstehenden Kreuzzuges, siehe bei
Kaltenbrunner I, No. 97,
Mittheilungeu XV. 4
5Q Röhricht.
geflohen waren und durch eine Theurung, welche die Insel heimsuchte,
schwer litten1), verbrachten die letzten Monate des Jahres 1291 und
die ersten des folgenden in Angst; denn im Mai 1292, so glaubte man
allgemein, sollte der Sultan auch Cypern zu erobern beabsichtigen 2), aber
sein nächstes Ziel war die armenische Hauptfestung Hromgla am oberen
Euphrat, die er am 28. Juni 1292 eroberte3). Er konnte jedoch die
Früchte seiner vielen Siege nicht lange geniessen; am 12. December
1293 ward er auf der Jagd ermordet4).
Inzwischen hatte Nicolaus IV. in Ancona zehn Schiffe ausrüsten
und nach Cypern abgehen lassen, denen von Genua zehn nachfolgten
und König Heinrich IL fünfzehn andere hinzufügte. Diese Flottille
unternahm einen Streifzug gegen Candelor (Alaja), musste sich aber
mit der Zerstörung eines Thurmes begnügen und, ohne die Stadt er-
obert zu haben, zurückkehren 5). Unter Cölestin V. (1294) wurden
Flottenrüstungen vorgenommen 6), Bonifaz VIII. meldete am 26. October
1298 dem Könige von Armenien, dass die Könige von England und
Frankreich bald ihre Kreuzfahrt antreten würden 7), und Eduard (1300),
dass die Mongolen, Georgier und Armenier auf seine Ankunft bereits
warteten, um mit ihm gegen die Muslimen zu kriegen 8). König
Karl II. von Sicilien 9), wie der Herzog Johannes von der Bretagne l0),
hatten das Kreuz genommen, ebenso in Genua viele vornehme Frauen
(1301), die mit Benedetto Zaccaria, Lanfranc Tartarus, Jacobus Pome-
i) Gestes 259 (ibid. 259—260 die Matrikel des Königreichs Jerusalem;
vgl. ßiblioth. geogr. Palaest. No. 67). Im Jahre 1295 (18. Febr.) urkundet König
Karl II. von Sicilien für die auf Cypern nothleidenden Templer (Riccio, Saggio
di codice diplom., suppl. 88—89, No. 83).
2) Gestes 259; Thaddaeus 43; Bartholomaeus de Neocastro 1184.
3) St. Martin, Mein, sur 1' Armenie I, 398; Rec- armen. I, 542—543, 654
bis 655; Carriere, Melanges Orient. 1883, 167—213; Weil IV, 183. Auszüge aus
dem Schreiben des Sultans, worin er die Eroberung meldete, giebt aus einem
Münchner arabischen Codex Weil 184.
4) Weil TV, 188.
5) Gestes 261 ; Sanutus 232 ; Jacobus Auriae in Mon. Germ. SS. XVIII, 342 ;
vgl. Heyd II, 28—29.
e) Potthast No. 23.997.
7) Potthast No. 24.745; vgl. Annal. Wigorn. 518—519; Walter von Hemming-
burgh II, 217 und die Nachweise bei Röhricht in Archives I, 651, Note. Briefe
Eduards II, (1307) an den König von Armenien und Georgien vgl. in Purchas,
Pilgrim. II, 1273.
8) Potthast No. 24.937 ; vgl. 24.976 f. König Philipp ward zugleich an die
Erfüllung seines Kreuzgelübdes gemahnt (Potthast No. 24.469, 25.097 ; vgl. Guill.
de Nangiaco, Cont. 605).
e) Potthast Nr. 24.992. 10) Potthast No. 24.975.
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 51
lius und Johannes Blancus absegeln wollten *), aber alle diese Ver-
sprechungen und Küstungen waren vergeblich; eine Landung, welche
die Templer auf Wunsch des Mongolenchans Gazan auf der Tortosa
vorliegenden Insel (1302) unteruahnien, endigte mit der Gefangenschaft
oder dem Untergange der Christen 2). Neue Hoffnungen auf den Unter-
gang des Islams3), auf die Hülfe christlicher Herrscher4) und Mon-
golen 5) wurden zu Schanden. Im Jahre 1309, wo König Heinrich VII.
von Deutschland das Kreuz genommen hatte, um 1312 abzuziehen 6),
liefen gegen 40.000 Männer und Weiber ohne Kreuzpredigt in Eng-
land, Holland, Belgien, in der Picardie und in Schlesien zusammen,
erschlugen auf ihren Wegen nach Avignon überall die Juden 7), wur-
den aber durch den Papst aufgefordert, sich wieder su zerstreuen8).
Im Jahre 1313 schienen die Könige von England, Frankreich und
») Potthast No. 25.057 — 25.063 (trotzdem Genuas Handelsvertrag mit
Aegypten (RH. No. 1503) noch nicht abgelaufen war). Nicolaus IV. hatte 23. Aug.
1291 das alte Handelsverbot mit Aegypten erneuert (doch vgl. Langlois No. 4403,
wo indessen nicht 1291, sondern 1290 (21. October) zu lesen ist, da der Patriarch
längst todt war; vgl. Langlois No. 6784—6788), und dasselbe geschah immer
wieder (Potthast No. 24.814, 24.922, 25.233), aber ohne Erfolg.
2) Röhricht in Archives I, 648; Gestes 305. Ueber die Tapferkeit und den
Glaubensmuth der hier gefangenen Templer vgl. Schottmüller I, 607, 642; II,
160—161.
3) Der 1305 erfolgen sollte (Döllinger in v. Raumer, Hist. Taschenbuch
1871, 344).
4) Verhandlungen mit Eduard von England wurden 1306 nach dem Concil
von Portiers (Raynaldi Annal. 1306 § 3, 11 ; Chron. Triveti 409) gepflogen.
5) Raynaldi Annales 1307 § 3—4. Dem Kreuzzugszwecke sollte besonders
das Buch des Haithon, Historia orientalis dienen (darüber Biblioth. geogr. Palaest
No. 178; vgl. Ernoul 561— 562), welches eben im Rec. armen. II, 113— 253 (franz.)
253—363 (lateinisch) neu herausgegeben ist.
6) Pöhlmann, Der Römerzug Heinrich VII., 7—8; Heidemann in Forsch,
zur deutsch. Gesch. XI, 50—59, 75—78. In demselben Jahre (wo ein Johanniter
das Geld aus dem Opferstocke der Osnabrücker Diöcese vergiebt; vgl. Ennen
u. Eckertz. Quellen IV, 13) erfolgten Zehntenerhebungen durch den Erzbischof
von Mainz in Deutschland (Sudendorf, Reg. I, 126—132; III. 67, dann in Norwegen
(Annal. Islandici 198, 202 ; vgl. Riant, Expedit, sacrees 392—394), 1313 in den
Diöcesen Mainz und Strassburg (Urkundenb. d. Abtei Eberbach III B, 612).
') Viele Juden waren, weil der Messias erschienen sein sollte, 1297 nach
Palaestina gezogen (Annal. Caesenat. in Muratori SS. XIV, 1115).
8) Cont. Florian, in Mon. Germ. SS. IX, 752; Chron. Elwac. und Gesta.
abb. Trudon. cont. III, ibid. X, 39, 412; Annal. Lub. und Gand. ibid. XVI, 421,
596; Annal. T. Prussiae und Colbaz. ibid. XIX, 692, 717; Annal. Tielens., Martini
cont. Brabant. und Annal. S. Blasii Brunsvic. ibid. XXIV, 26, 262, 825; Henne,
Klingenberger Chronik 60—61; Aegidius li Muisis ed. deSmetl75; Mecklenburg.
Urkundenb. No. 3279; Stenzel, Breve chron. Silesiae (SS. rerum Siles. I) 35;
4'
52 Röhricht.
Navarra Ernst mit ihrem Kreuzgelübde machen zu wollen x), und (1316)
in Frankreich predigte der Patriarch von Jerusalem das Kreuz 2), so
dass Karl der Schöne sich zu einer Kreuzfahrt rüstete 3), während zu-
gleich Concilien weiterberiethen 4) , christliche Missionäre 5) zu den
Muselmänner gingen und Gutachten in Fülle ausgearbeitet wurden,
wie das heilige Land wiedergewonnen werden könne 6). Das ganze
vierzehnte Jahrhundert 7) bis in die erste Hälfte des folgenden, wo die
Chron. Guillelmi Monachi (in Matthaeus, Analecta II) 577 ; Bernard Guidonis ad
1309; Ptol. Lucc. (Baluze I) 34. Nach St. Genois, Invent. de chartes de Flandre
338, No. 1186 waren 1308 aus der Umgegend von Brügge 3000 Menschen zu einer
Pilgerfahrt verurtheilt worden (vgl. Vinchant, Annales de Hainaut III, 79—80).
Solche Pilgerzusammenläufe erfolgten auch 1320 (Chron. Cadom. bei Bouquet,
XXII, 26).
•) Raynaldi Annal. 1312 § 22 ff. ; 1313 § 2; Baluze, Hist. pap. Avenion.
II, 79, 176, 186; Gnill. de Nangiaco cont. ad 1313.
2) d'Achery, Spicil. VIII, 276—277; über ihn vgl. Guill. de Nangiaco 593, 815.
3) Biblioth. de 1' ecole des chartes 1859, 563 ff.; 1875, 588—600; Soeiete
de T histoire de France 1872, Ann. bullet 230—236, 246—255 und (separat) Boi-
lisle, Projet de croisade du premier duc de Bourbon, Paris 1873 ; vgl. Bullet, de
l'acad. de Bruxelles 1861 B, 123 ff. Hieher gehört auch: Vayssiere, Fragment
d' un compte d1 Etienne de la Baume dit le Galois relatif ä certaines depenses
faites par 1' ordre du roi pour la preparation d' une croisade 1335 (Comite d. tra-
vaux histor., section d' hist. et de pbilos. Bulletin 1884, No. 3, 4.
«) Vgl. Hefele-Knöpfler VI, 408, 528, 704, 709. Ueber die Bemühungen
der Päpste, die Cultusstätten in Palaestina, besonders in Jerusalem zu sichern, vgl.
die Nachweise bei Röhricht. Bibliotheca geogr. 239, No 948.
s) 1308 Raymundus Lullus (Hist. litt, de France XXIX, 1—386; Raynaldi
Annales 1308 § 30 ff. ; 1309 § 22 f.), Jordanus de Severaco 1330 (Rec. de voyages
1839, IV, 37—68), 1334 Johannes de Marignola (Biblioth. geogr. Palaest. No. 207 ;
vielleicht gehören auch die ibid. No. 199, 227 citirten Schriften hierher).
6) Pierre Dubois, De recuperatione Terrae Sanctae ed. Ch. V. Langlois,
Paris 1891 (Collect, de textes pour servir ä V etude et ä 1' enseignement de 1' hist.
IX), XXIV und 144 pp. 8° (1305—1307 geschrieben); ein Tractat des Benedetto
Zaccaria (1311) ist erwähnt in De Mas Latrie, Hist. de 1* Sie de Cypre II, 128
bis 129 (vgl. 118—125); sonst siehe auch Bongars, Gesta II, 316—361 und die
unter dem Namen Marinus Sanutus (1321) und Brocardus (eben neu her-
ausgegeben im Rec. armen. II, 365—517; ibid. 519 — 555 Guillelmus Adam ; über
den auch Bibl. de 1' ecole d. chartes 1892 : L' officium Robaire) in Bibl. geogr.
Palaest. No. 179 und 183 nachgewiesenen Schriften (vgl. für das XVI. Jahrhundert
auch Michaud, Hist. d. crois. ed. Breholles, Paris 1862, IV, 345—400).
7) Im Jahre 1340 will Eduard von England absegeln (Walter von Hemming-
burgh II, 339), in den Jahren 1340, 1348, 1351, 1355, 1356, 1359, 1361, 1362
(Raynaldi Annal. ad ann. ; Chron. Danduli ad ann. ; Heinrich von Diessenhofen
18, 46, 103 ; Ibn Khaldoun, Hist. des Berberes III, 52 ; Amari, I diplomi arabi VII ;
Langlois, Documents, Paris 1859 ad ann.) erfolgen Rüstungen, 1365 erobert der
König Peter von Cypern vorübergehend Alexandrien (Paul Herzsohn, Der Ueber-
fall Alexandriens durch Peter I, Bonn 1886 (Dissert.) I ; darin die ganze Literatur ;
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 53
Eroberung Constautinopels die Türkennoth den abendländischen Christen
fühlbar macht, dauern diese Bestrebungen weiter, die dann an dem
Wendepunkte der neuen Zeit durch Maximilian I, Christoph Columbus,
Karl V. und Iguatius von Loyola wieder aufgenommen werden *), um
dann für immer aus der Geschichte der europäischen Politik zu ver-
schwinden.
Die Christen, denen eine Fahrt nach dem heiligen Lande Herzens-
bedürfniss war, haben zuerst für das verlorene heiligste Pilgerziel in
mannigfacher Weise Ersatz zu finden sich bemüht 2), dann aber immer
vgl. Hefele-Knöpfler VI, 709), 1366 geht Amadeo VI. von Savoyen nach Palaestina
(P. Datta. Spedizione in Oriente di A., Torino 1826 und G. Canale, Della Spediz. di A.,
Genova 1887 ; über Humbert II. (1345) von Savoyen im heil. Lande; vgl. Archives I,
537—538). Bald darauf ermahnt Catharina von Siena Gregor XL zum Kreuzzuge (Acta
SS. April. III, 924), der Otto von Braunschweig mit der Königin Maria von Armenien
zu vermählen gedachte (Rec. armen. I, 718). Kreuzzugspläne tauchen wieder auf
1386 (Mem. de la Franche Comte IV, 386), 1390, 1403, 1409 (Döllinger in von
Raumers Hist. Taschenb. 1871, 350—351; Remusat in Mem. de T Institut 1822,
VI, 470 ff.), 1443 (Iireöek, Gesch. der Bulgaren 364; vgl. v. Sybel, Histor. Zeitschr.
XI, Heft 2, 257 ff.). König Heinrich V. von England schickt 1422 Gillebert
von Lannoy (Biblioth. geogr. Palaest, No. 276), wie Herzog Philipp der Gute von
Burgund, der 1452 zum Kreuzzuge aufgefordert (Vinchant VI, 206), sich zu dessen
Antritt rüstete (1454—1456; vgl. Mem. de la Franche Comte IV, 386); Paul
Fredericq, Essai sur la röle politiqne et sociale d. ducs de Bourgogne, Gand 1875,
42—43, 57; Chronique de 1' abbaye de Floreffe [Mon. de Namur VIII], 168—169;
Chron. relat. ä 1' hist de la Belgique 1876, 79—94 ; Vinchant VI, 206 ; Bibl. de
1' ecole d. chartes 1876, 502 ; Voigt, Pius IL Bd. II, 89 ff. ; III, 17 ff, 105 ff.,
685-724) den Bertrandon de la Brocquiere (Bibl. geogr. Pal. No. 299 ; ed. Schefer 1892),
vielleicht auch den Martin Vilain (St. Genois, Les voyageurs Beiges I, 23; vgl.
30—32) als Späher vorausgeschickt hatte. Philipp ging nicht nach dem heiligen
Lande, ehrte es aber durch viele Stiftungen und Bauten (Tobler, Jerusalem II,
120, 816, Bethlehem 112, Golgatha 136, 152). Ueber Kreuzzugspläne vgl. be-
sonders Ludwig Pastor I, 460—464, 514—521, 536—544, 553-562; II, 170—172,
217—234, 240—245, 260—261, 318—319, 419—422, 462—465, 497— 505 und über
Kreuzzugsvorschläge zum Jahre 1477 Mones Anzeiger VII, 290, 302, 460 ; sonst vgl.
auch Finot, Projet d' exp<§dition contre les Turcs, Jan. 1457 (Mem. de la societe
d. sciences de Lille), Lille 1890, 51 pp. 8°.
») Vgl. Leibnitius, De expeditione Aegyptiaca ed. Onno Klopp, praef. VII ff.
In Spanien ward die Kreuzzugssteuer (la cruzada), trotzdem kein Kreuzzug unter-
nommen wurde, weiter erhoben als Einnahmequelle der Krone (v. Sybel, Hist.
Zeitschr. 1878, XXXIX, Heft 2, 281 ff.; vgl. H. Charles Lea, Indulgences in
Spain 1890, 8°.
*) In der Wallfahrt nach Cypern (Revue nobil. 1870, 54—55), in Geissler-
zügen (Annal. Forajul. in Mon. Germ. SS. XIX, 205), Passionsspielen (ibid. 298;
vgl. Wackernagel, Geschichte der deutschen Literatur 300) und »chemins de Je-
rusalem« (Röhricht, Deutsche Pilgerreisen, 1889, 34, Note 1); auch die »geist-
lichen Pilgerfahrten« werden hierher zu rechnen sein (Bibl. geogr. Palaest. s. voce).
54 Röhricht.
wieder nach dem Vaterhause ihres Glaubens sich znrückgesehnt und
unbekümmert darum, dass wie in den ältesten Zeiten des Christen-
thums fremde Herren dort regierten, die Stätten zu schauen gewünscht
„wo seine Füsse gestanden haben" ; denn der Name Jerusalem ist „so
weit christliche Gemeinden wohnen, ein gefeierter Name, an den
immer Erinnerungen, Gefühle, Gedanken, Ueberzeugungen von der
grössten und höchsten Wichtigkeit für das menschliche Herz geknüpft
sind. Ja so weit heidnische Völker über den Erdball verbreitet
sind, so weit dringt er auch heute schon vor, wird dort immer hei-
mischer werden und die Augen aller Menschen dereinst auf jenes
wunderbare Land der höchsten Offenbarung hinweisen *)".
i) Karl Ritter, Asien XV, 4.
Anhang.
I. Kritische Bemerkungen.
Die Zahl der Quellen, welche unser Thema, besonders die Eroberung
Accons, behandeln, ist sehr gross, so dass ihre Vorführung viel Raum be-
anspruchen würde. Wir haben die bedeutendsten und wichtigsten unserer
Darstellung zu Grunde gelegt, und es genügt wohl, wenn wir hier nur
den Zusammenhang der seeundären Quellen mit ihren Vorlagen aufzeigen.
Der Verfasser hatte für die Societe de 1' Orient latin das ganze Material
der Scriptores de amissione Terrae Sanctae bereits im Jahre 1886 druck-
fertig ausgearbeitet, aber nach dem Tode seines hochherzigen Freundes des
Grafen Riant (1888) war von dem Manuscript im Nachlass nicht ein Blatt
wiederzufinden. Statt der Materialiensammlung bieten wir nun eine fer-
tige Studie und möchten die in den Anmerkungen zum Theil schon ge-
gebenen kritischen Bemerkungen nur noch durch einen Nachtrag ergänzen.
Von occidentalischen Berichten ist zunächst eine Hauptgruppe
hervorzuheben, zu der zu rechnen sind: die Estoire d' Eracles ( — 1277),
die Chronique de Templier de Tyr (1242 — 1309) in den Gestes des Chy-
prois (139 — 335), die Annales de Terre Sainte (in Archives de 1' Orient
latin II B, 429 — 462, ed. Röhricht), Liber de passagiis ed. G. M. Thomas,
Venetiis 1879, fol. max., die Chroniken des Amadi (ed. Comte de Mas
Latrie in Collect, de documents inedits, Paris 189l) und Bustron (ed.
Comte de Mas Latrie ebenda 1886), endlich die Secreta fidelium crucis
von Marinus Sanutus (über dessen verschiedene Redactionen Simonsfeld im
N. Archiv VII, 42 — 72 und Codices Röhricht in Bibl. geogr. Pal. No. 179
handeln). Nachdem P. Richter in den. Mittheil. d. österr. Instit. XIII,
255 — 310 durch seine ., Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrer-
staaten" einen Theil der Aufgabe gelöst hat, mag es wünschenswerth er-
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 55
scheinen, einmal alle die oben genannten Berichte für die ganze Zeit
der Kreuzfahrergeschichte kritisch zu behandeln. Dem Berichte des Marinus
Sanutus folgen: Johannes Longus im Chronicon St. Bertini (Martene, The-
saurus III, 769—77 3; vgl. Mon. Germ. SS. XXV, 865), d. Epitome bello-
sacrorum (Basnage-Canisius, Thesaur. IV, 439) und Marcus Antonius Sa-
bellicus (Histor. rerum Venetarum, Basileae 1670, 180 — 181), dem letz-
teren und dem Villani folgt Marinus Sanutus jun., Vite de duchi di Venezia
(Muratori, SS. XXII, 576).
Villani, Histor. univ. (Muratori SS. XIII, 324) folgt den Gesta Flo-
rentinorum und d. Chronicon de Bordone und wird selbst wieder ausge-
schrieben von Benevenuto de Imola (Muratori, Antiquitt. [fol.] I, 1 1 1 1 — 1113;
[4°] III, 439 — 444), Antonius Florentinus, Chronicon III C, tit. XX, cap.
VI, § 9, fol. 77, Felix Fabri, Evagator. ed. Hassler (Stuttgarter Literar.
Verein XLIII), II, 316 — 317 (wo nur die Notiz über den Tod des Do-
minicaners Jordanus [1237] hinzugefügt ist; vgl. Chron min. in Mon.'Germ.
SS. XXIV, 198, 212) und Henrico Giblet, Historie de' re' Lusignani, Bo-
logna 1647, 182 — 201, der daneben auch den Bustron und Dandulus
benutzt.
Der Brief des Hospitalitermeisters Jean de Villiers an seinen Bruder
Guillaume de V., Prior von St. Gilles in der Languedoc (ed. Leclerc in
Hist. litt, de France XX, 93 — 94) ist die Grundlage für den Bericht:
Anonymus de excidio Acconis (Martene, Ampi. Coli. V, 757 — 784) ge-
worden, welcher in Hist. litt. XX, 79 — 92 sorgfältig, von Michaud, Hist.
d. crois. ed. H. Breholles 1862, III, 496 — 502 kürzer ausgezogen (vgl.
Ernoul 557 — 558) und von La Curne de Sainte Palaye im Eapport (von
Paul Lecroix), Sur les manuscrits relatifs ä 1' histoire de France conservees
dans les bibliotheques d' Italie, Paris 1 839 französisch übersetzt ist. Eine
sorgfältige Ausgabe nach den Codd. : Rom, Eegina Christ. 737 (unvoll-
ständig), Paris, Bibl. nation. fonds lat, 14.359, 14.379, fonds franc. 2825
und Bibl. Mazarine 7 1 1 (letztere saec. XIV) wäre erwünscht. Dieses Ex-
cidium ist ausgeschrieben vom Chronic. Zantfliet (Martene, Coli. V, 124
bis 130). Thomas Walsingham I, 33 Annal. Merliolan. (Muratori, SS. XVI,
682), Nicolaus Trivetus (ed. Hog 314—315, 317 — 319, 323; daraus
Wilhelm Eishanger, Chron. mon. S. Albani ed. Eiley 1865, 116, 121, 122,
130) und besonders Guillaume de Nangis (Bouquet XX, 572 — 574), dem
d. Chroniques de St. Denys (Bouquet XX, 656 — 657), Girardus de Fracheto
(Bouquet XXI, 9 — 11) und Aegidius de Eoya (Sweert, Eerum Belgic.
Annales, Francofurti 1620, 43 — 44) folgen.
Bernard Guidonis (Flores chronic, bei Bouquet XXI, 709) schreibt
fast wörtlich den Franciscus Pipinus aus und wird ausgeschrieben vom
Magnum chronic. Belgicum (Pistorius-Struve, Eerum German. SS. III, 295),
Petrus de Dusburg, (Chron. T. Sanctae in SS. rerum Pruss. I, 205, 206,
208, dem wieder die Annales exped. Pruss. ibid. III, 9 und Historia brevis
magistrorum ibid. IV, 271 [daneben auch dem Nicol. v. Jeroschin] folgen),
d. Contin. Vindobonensis (Mon. Germ. SS. IX, 757), Eberhardi archidiaconi
Eatisponensis Annales (Mon. Germ. SS. XVII, 594), Theodericus de Niem
(Vitae pontific. in Eccard, Corpus I, 1463), Jean der Preiz d' Oltremeuse
(Ly mireur d. hist. ed. Borgnet, Bruxelles 1876. V, 479 — 480; letzterer
folgt auch dem Guill. de Nangis).
56 R ö h r i c ht.
Die Gesta Florentinorum (Hartwig, Quellen II, 288, 290) ebenso d.
Anonymus Florentinus (Baluze, Miscell. ed. Mansi IV, 105; er benutzt aber
auch die Annales d. Ptolom. Luccensis) schreiben das Cbronicon des Paolini
di Piero, Bartholomaeus Ferrariensis (Muratori, SS. XXIV, 701) das Chroni-
con Estense, das Chronicon abbatum Parmensium (Mon. • historiae patr.
Parmens. et Piacent, pertinentia, Parmae 1858, I, 336) kurz die Annales
Parmens. maj. aus. Der Bericht des Antoninus Florentinus und Werner
Kolewinck ist die Grundlage für d. Delucidario y demonstracion de la
chronicas . . . . del sacro ordine del Monte Carmelo von Diego de Coria,
Cordoba 1598, 469a wie Guillelmus de Sandwich für Johannes Palaeonydor,
Histor. Carmelitana, Magontini 1495, III, c. 10.
Florius Blondus, Decades historiarum, Venetiis 1483, 330 — 331 lässt
keinen bestimmten Bericht als leitenden erkennen, wird selbst aber vielfach
wörtlich abgeschrieben, so von Sebastian Brandt (De origine et conver-
satione, Basileae 1495, P3 — PJ, Paulus Aemilius (De rebus gestis Fran-
corum, Parisiis 1555, 304 — 306), Bonincontrius (Hist. Sicula in Lami,
Deliciae erudit., Florentiae 1740, VIII, 59 — 64), Roncioni (Istorie Pisane
im Archivio storico italiano, Firenze 1844, VI A, 650 — 651), Ubertus
Folietus (Genuensium hist. in : Graevius, Thesaur. antiquitatis et histor.
Italiae, Lugdani Batav. I, 396, 399 — 400), Hartmann Schedel (Lib. chronic.
Norimbergae 1496, 147), Johannes Nauclerus (Chronic. Coloniae 1579,,
975 — 976), Jacobus Wimpheling (Epitome in Schardius redivivus ed.
Thomae, Gissae 1673, I, 186), Joachim de Watt (Chron. d. Aebte des
Klosters St. Gallen, ed. Götzinger, St. Gallen 1875, I, 378—379).
Die Annales Eberhard! Ratisponensis werden ausgeschrieben von der
Contin. Weichardi de Polhaim (Mon. Germ. SS. IX, 813). Aus der Oesterr.
Reimchronick fiiesst der Bericht des Thomas Ebendorfer v. Haselbach
(Pez II, 778 — 781) und des Joh. von Victring (Böhmer, Fontes I, 327
bis 329), aus Ludolf von Suchern die Chronica novella des Hermann Corner
(Eccard. Corp. II, 946 — 947; das dort gegebene Quellencitat »secundum
Egghardum * ist ein fingirtes ; vgl. Lappenberg im Archiv für ältere deutsche
Geschichtswerke VI, 615 und Waitz 791 ff.) und die jüngere Hochmeister-
chronik (SS. rerum Pruss. V, 102 — 109; daneben wird auch d. Livländ.
Reimchronik benutzt), aus dem Chron. Sampetrin. die Düring. Chronik des
Johannes Rothe (Thüring. Geschichtsq., Jena 1859, III, 469 — 47 1), aus
den Annal. Waverleienses die Chronica des Matthaeus v. Westminster (Franco-
furti 1601, 412).
Der späteste aller Berichte: Johannes Herold, Continuatio belli sacri,
Basileae 1549. 160 — 167 folgt den Annal. Januenses , Villani, Antonius
Sabellicus und Aemilius Paulus, wird selbst wieder ausgeschrieben von
Bosio, Dell'historia della Sacra religione et illustr. militia di S. Giovanni
Gierosol., Roma 1621, 825 — 845 und Jauna, Hist. generale du ro'iaume
de Chypre et de Jerusalem, Leide 1747, I, 704 — 726; letzterer kennt
auch die Berichte des Marinus Sanutus, Amadi und Villani. Beide be-
rufen (840 resp. 726) sich auf eine handschriftliche Quelle, welche durch
Thomas Bosio, Bischof von Malta, nach Rom mitgebracht wurde, als der
Ordensmeister Philippe de Villiers nach der Eroberung von Rhodus dorthin
kam (ein Fragment der Histor. Hierosolym. des Melchior Bandini), ausser-
dem die Schrift eines Ritters Foxan (Jauna: Toxan). Ehrle in: Historia
Der Untergang des Königreichs Jerusalem. 57
bibliothecae Roman, pontif. 1890 (in Bibl. della accad. storico giuridica VII)
erwähnt 539, No. 1330 als in der Bibliothek Gregors XI zu Avignon
befindlich: »Historia de perdicione Accon», über die wir leider sonst nichts
wissen.
Von den orientalischen Quellen ist neben Abulfeda, Novairi und
dem Biographen des Sultans Kelawün der bei weitem wichtigste Bericht
eines Augenzeugen, welcher in einer arabischen Handschrift zu München
(v. Aumer, Die arab. Handschriften der königl. Hof- und Staats-Bibliothek
in München, 1866 No. 406) erhalten, von Weil, Gesch. d. Chalifen IV,
XI — XIV (vgl. 181 Note l) beschrieben und auch für seine Darstellung
benutzt worden ist; er enthält eine ausserordentlich genaue Geschichte der
Eroberung des christlichen Litorals, auch einen Brief des Sultans an den
König von Armenien über den Fall Accons und über die Eroberung der
armenischen Festung Hrongla am Euphrat 1293; über diese letztere han-
deln auch 104 armenische Verse auf dem Reliquiarium, welches Promis
in Mem. dell' Accad. di Torino 1884 XXXV, 125 bis 130 bespricht.
Leider haben wir uns völlig vergeblich bemüht, eine Uebersetzung dieses
Textes zu erlangen und müssen uns mit diesem Hinweise begnügen; wir
wünschen nur dringend, das3 einmal ein tüchtiger Arabist die Arbeit
übeimehmen möge, welche, nachdem das ganze sonst vorhandene Ma-
terial nachgewiesen und verarbeitet ist, verhältnismässig geringe Schwie-
rigkeiten machen, aber der Wissenschaft ausserordentlichen Nutzen brin-
gen würde.
2. Beilage. l)
Erat enim juvenis quidam nobilis progenie judiciis magnus et potens
in civitatibus, qui Antiochie comitatum et principatum Tripoli gubernabat
erat enim omnium istorum dominator. Habebat tarnen
juvenis iste matrem suam quandam, que valde invidiosa erat; dolebat
enim , quod amiserat comitatus et principatus nomen, quod filius suus
et filii sui uxor plenarie obtinebant. Ipsa enim cum ista uxore filii sui
predicti continui maligne et malivole vexabatur; fecit enim tarnen istius
principis mater cum verbis et , quod princeps predictus ex
uxore sua numquam potuit habere prolem. Cogitavit enim, quod filius
suus princeps ex uxore filios non haberet neque uxorem diligeret, quod
ipsa cum filio suo princeps esset principatus et tocius patrie gubernatrix.
Accidit tarnen, quod ex voluntate Dei princeps iste istius domine filius
de hoc seculo transmigravit, ita quod uxor sua desolata ad regionem, unde
ipsa venerat, remeavit; erat enim ista domina principis uxor regis Fran-
corum neptis. Remansit ergo vetula maledicta et obtinuit, quod volebat.
Ipsa tarnen capta erat amore illicito de quodam homine pulcerimo, qui
erat episcopus de Tortosa et ipsa oblita erat de morte
principis antedicti. Volebat enim illum episcopum esse comitem et prin-
') Der Text stammt aus dem Londoner Codex addit. 27.695 fol. 5b, col.
1—2, welcher mir durch die Güte des Herrn Dr. Charles Köhler aus dem Nach-
lasse des Crafen Riant (Revue de 1' Orient latin 1893, T. 13) gütigst überlassen
und durch Herrn Dr. Jeayes, Bibliothekar des Britischen Museums, nachcolla-
tionirt wurde.
58 Röhricht.
cipem tocius terre predicti nati sui et ordinavit pro posse suo, quod tarn milites
quam populäres jurarent et tenerent precepta episcopi antedicti, ac si esset
princeps vel dominus tocius principatus. Fuerunt tarnen ex militibus
externis, qui nullo modo episcopo predicto se subjicere voluerunt, con-
tenti tarnen erant aliqualiter de principissa, et sie in terra illa orte fuerunt
partes et discordia magna. Que soldanus sciens et audiens cum magno
exercitu prineipatum invasit et cepit terram, interfecit , destruxit
habitacula et ab illo tempore citra nullus illam terram postea habitavit.
Fuit enim propter invidiam facta destruetio ista divino Dei emergente ju-
dicio per nonnullos. Et sie se habuit veritas predictorum,
quod hominum civitatis Tripoli, quando predieta civitas fuit capta ad-
cisit , quod mare arruit delictando per totum usque in
insulam civitatis taliter, quod Sarraceni cum toto ex forcis accesserunt
super eam per terram et ipsam violenter ceperunt et oeeiderunt omnes
homines et feminas induetos . . et ceteros induetos in dicte
civitatis tarn mares quam mulieres plenarie evaserunt, et sie propter in-
vidiam fuit principatus iste totaliter anullatus, sicut regna et multe alie
civitates propter invidiam sunt destruete. Istud enim vicium contagiosum
existit velud lepra quae infecit ad invicem conversantes, quare quod de
prineipatu propter invidiam aeeidit, idem vel pejus aeeidit de civitate qua-
dam vicina illius principatus, quae Achon civitas est vocata, propter idem
scelus. Erat enim civitas illa in regione Surie regnum et
illud, quod de ipsa propter invidiam aeeidit, verbis plenissime ennarrabo.
(Davon ist im Folgenden aber keine Rede).
Nachschrift.
Die oben Seite 48 — 49 nur gestreiften Beziehungen Rudolfs von Habs-
burg zu Gregor X. werden viel Licht empfangen durch die von Redlich
in diesen Mitth. XIV., 653 ff. als demnächst erscheinend angezeigten Briefe
und Acten stücke.
Zur Vorgeschichte der Wahl Kudolfs von Habsburg.
Von
Harry Bresslau.
Durch Urkunde vom 13. Oktober 1272 ertheilten die Capitane
der Commune Genua drei Bürgern ihrer Stadt, dem Juristen Marchi-
sinus de Cassino, dem Obertus Cigala und dem Johannes de Kovegno
Vollmacht, bei der römischen Curie und unter deren Vermittlung
mit dort befindlichen venetianischen Bevollmächtigten Friedensverhand-
lungen zu führen *). Am 13. Jan. 1273 erhielten dieselben Gesandten
eine zweite, ihre früheren Aufträge ergänzende Vollmacht2). Am
7. Februar 1273 erstatteten die Gesandten ihrer Stadtbehörde von
Monte Fiascone aus einen eingehenden, uns im Original erhaltenen
Bericht über ihre Verhandlungen mit den Venetianern 3). Diese hatten
am 1. Februar in Orvieto, wo sich damals der Papst Gregor X. auf-
hielt, begonnen, waren aber nicht zum Ziele gelaugt, so dass die
Genuesen am 6. Februar Orvieto verliessen und sich nach Monte Fias-
cone begaben. Von dort beabsichtigten sie an den Hof König Karls
von Sicilien zu gehen , zunächst aber ein sicheres Geleit desselben
abzuwarten ; sie erbaten sich gleichzeitig nach Rieti weitere Instruc-
tionen aus ihrer Heimath.
Der Abdruck des ganzen umfangreichen Berichtes, der ein Papier-
heft von fünf in der Mitte gebrochenen Doppel - Blättern bis auf die
') Genua. Archivio di stato. Materie politiche, mazzo 5. — Ich verdanke
die Kenntnis der in diesem Aufsatz angeführten genuesischen Urkunden meinem
jungen Freunde, Dr. 6. Caro. der dieselben abgeschrieben und, da er mit an-
deren Studien beschäftigt ist, mir die Veröffentlichung des für die deutsche Ge-
schichte wichtigen Theiles freundlichst überlassen hat. Ein .Stück des Berichtes
ist schon benntzt. nach Excerpten Wüstenfelds, bei Caro, Die Verfassung Genuas
zur Zeit des Podestats S. 148. -') Ebenda mazzo 6. s) Ebenda mazzo 5.
60 Bresslau.
letzten drei Seiten füllt, ist an dieser Stelle nicht angebracht, obwohl
er mancherlei interessantes enthält 1). Von allerhöchstem Interesse aber
ist ein am Schluss des eigentlichen Berichtes hinzugefügter Abschnitt,
in welchem die Gesandten allerhand politische Neuigkeiten, die sie an
der Curie erfahren haben, in die Heimath melden. Ich lasse diesen
Abschnitt hier folgen:
„Dominus Oddoardus est Rome 2). Dominus rex Karolus venit
cum eo usque ad locum qui dicitur Insula prope Ceparanam. Dominus
cardinalis et d. Precivalis 3) frater eius fuerunt in colloquio cum rege
Karulo apud Insulam 4), ut ürmiter scivimus. Ambaxatores Pisarum
sunt in curia Romana pro factis excommunicationis eorum nee aliquid
faciunt in curia, nisi pareant ecclesie de factis Sardinee. Ambaxatores
ßononienses fuerunt diu in curia pro factis Venetorum et nichil
fecerunt et recesserunt discordes a Venetis. Quidam amicus co-
munis, qui est de maioribus curie post papam, dum interrogaremus
eum certifficari de factis regis Boemie, dixit nobis: „Securiter rescri-
batis capitaneis vestris, quod dominus papa et ecclesia Romana volunt,
quod imperator eligatur et fiat, verumtamen non vult, quod Fredericus
de Stuffa vel exeomunicatus aliquis sit imperator''. Unde intellegite,
de quo sentit ecclesia. Nuncii regis Boemie recesserunt de curia ala-
criter, inter quos est Iacobus de Roba de Cremona 5), qui nobis dixit,
quod non displicebat ecclesie, quod rex Boemie per prineipes Alemanie
eligeretur in regem Romanorum. Predictus thesaurarius regis6) nobis
') So eine Aeusserung des Papstes, als die Gesandten bei ihm über die
Unzuverlässigkeit des Königs Karl Beschwerde führen : Ego fui in partibus Sarra-
cenorum et bene scio quod Sarraceni melius servant promissa et paces quam
christiani. Et si rex Karolus fecit alique inconveniencia comuni Ianue, dolemus
inde et ei scribemus.
2J Eduard I. von England, der nach Pauli IV, 5 am 14. Febr. in Orvieto
beim Papst eintraf.
s) So! — Gemeint sind der Cardinal Ottobuono Fieschi, später Hadrian V.,
und sein Bruder Percival, päpstlicher Caplan.
4) Am 31. Jan. 1273 urkundet Karl zu Isola del Ponte Solerato nach Mi-
nieri-Riccio, Arch. stör, italiano Ser. 3a, Bd. XXII, S. 6.
5) Es fügt sich glücklich, dass wir diesen Mann anderweit nachweisen
können. ,Jacobus Robba« wird im J. 1269 als »bandezatus communis Cremonae*
erwähnt, Muratori SS. VII, 649. Wie Heinrich von Isernia hat also auch er nach
seiner Verbannung aus der Heimath sein Glück in Böhmen gesucht und gefun-
den. Dort eine Spur von ihm aufzufinden, ist mir leider bisher nicht gelungen.
Auch Herrn Prof. Emier in Prag, den ich desshalb befragt habe, ist sein Name
bisher nicht begegnet, wie derselbe mir mitzutheilen die Güte hatte.
6) Nicolaus Bozello, Schatzmeister König Karls von Sicilien, dem die Ge-
sandten am 6. Febr. zwischen Orvieto und Monte Fiascone begegnet waren.
Zur Vorgeschichte der Wahl Rudolfs von Habsburg. 61
dixit, quod tractabatur coratn d. rege et quasi erat firmatum, quod
Iauuenses et res eorum arrestate in regno deberent relaxari. Illud iddem
dixit nobis Petrus de Stella in curia Romana, verumtaruen de hoc
aliud pro certo nescimus" *).
Von welcher Bedeutung die hier mitgetheilten Nachrichten für
die Vorgeschichte der Wahl Rudolfs von Habsburg sind, erhellt sofort:
sie zuerst gewähren uns einen sicheren Anhaltspunkt für die Beant-
wortung der Frage, welche Haltung König Ottokar von Böhmen in
den kritischen Monaten, welche der Wahl vorangiengen, eingenom-
men hat.
Bekanntlich erzählt eine böhmische Quelle, die nicht eben sehr
zuverlässig ist 2), im August 1272 habe sich der Erzbischof von Köln
im Auftrage, wie man annehmen muss, der übrigen Kurfürsten und
in Begleitung mehrerer Edlen nach Böhmen begeben, um Ottokar die
deutsche Krone anzubieten, dieser aber habe, nachdem er mit seinen
Grossen Raths gepflogen, das Anerbieten abgelehnt und auf seinem
Widerstände auch beharrt, als der Antrag wiederholt erneuert worden
sei. Nachdem in neuerer Zeit, nach dem Vorgang J. F. Böhmers,
diese Nachricht, wenigstens insoweit sie das Anerbieten der Krone
und ihre Ablehnung durch Ottokar berichtet, ziemlich allgemein als
unglaubwürdig verworfen worden ist, ist zuletzt Theodor Lindner 3},
wenn auch mit gewissem Vorbehalt , für dieselbe eingetreten. Er
glaubt zwar nicht, dass Engelbert von seinen Mitwählern zu einem
derartigen Schritte ermächtigt worden ist, aber er hält es keineswegs
für unmöglich, dass der Erzbischof den Wegen gefolgt sei, die sein
Vorgänger Konrad im Jahre 1254 betreten hatte. Und wie das An-
erbieten, so hält er auch die Ablehnung desselben durch den Böhmen
für glaubhaft. Die Gefahr des Verlustes, wenn Ottokar auf den An-
trag einging, meint Lindner, sei grösser gewesen als die Aussicht auf
Gewinn ; mit stolzer Ruhe habe der Böhme einem etwaigen Kampfe mit
dem zu wählenden deutschen König entgegensehen können; so habe
er einfach abgewartet, was die Zeit bringen würde.
Nach der Entdeckung unseres genuesischen Berichtes wird diese
Ansicht nicht aufrecht erhalten werden können : verhandelte der König
4) Es folgt das Datum (die Mortis, VII. Febr. apud Montem Fiasconum)
und eine Nachschrift, die sich auf die Ankunft eines nach Siegelung des Briefes
eingetroffenen Boten aus Genua bezieht mit Briefen an den Papst und den Vice-
kanzler; in Folge dessen haben die Gesandten, beschlossen am folgenden Tage
an die Curie zurückzukehren.
2) Ann. Otak. SS. IX, 189, irrig zu 1271.
8) Deutsche Geschichte unter den Habsburgern und Luxemburgern I, 18.
ß2 B r e s 8 1 a u.
im Anfang des Jahres 1273 mit der Curie über seine Wahl, so kann
er selbstverständlich nicht im Sommer 1272 ein Anerbieten abgelehnt
haben, das, wenn es überhaupt gestellt worden wäre, ihm vielmehr
im höchsten Masse für seine Pläne hätte willkommen sein müssen.
Und wenn es bisher befremdete, dass man vom August 1272 an, da
Ottokar wissen musste, dass man im Reich eine Neuwahl plane,
durchaus nichts mehr von seinen Bestrebungen auf dieselbe ein-
zuwirken hörte x), so ist diese befremdliche Lücke in unserem Wissen
jetzt aufs erwünschteste ausgefüllt. Ja, wir dürfen sogar noch einen
Schritt weiter gehen; Ottokar hat sich nicht darauf beschränkt am
päpstlichen Hof Verhandlungen anzuknüpfen, die auf seine Wahl zum
deutschen König abzielten; er ist fast um dieselbe Zeit auch mit dem
Herrscher in diplomatische Beziehungen getreten, dessen günstige oder un-
günstige Gesinnung für das Gelingen seiner Pläne, namentlich insoweit
dabei die Curie in Betracht kam, von grösster Bedeutung sein musste.
Am 26. März 1273 befiehlt Karl von Anjou 2) vom Lager bei
Monteforte aus seinen Unterthanen, den an ihn abgesandten Fridericus
Spigri 3) ,,nuncius illustris regis Boemie" auf dem Wege zu und auf der
Rückkehr von seinem Hoflager frei im Reiche verkehren zu lassen.
Es wird wohl nicht bezweifelt werden können, dass diese Gesandtschaft
aji den König von Sicilien und diejenige, welche im Februar vom
päpstlichen Hofe zurückkehrte, im Zusammenhang stehen; wenn es auch
schwerlich dieselben Boten sind, von denen wir im Februar am päpst-
lichen Hoflager und im März bei Karl von Anjou hören4). Eher wäre
') Vgl. die Bemerkungen Redlichs, Mittheil, des Instituts f. österr. Ge-
schichtsforschung X. 344.
2) Minieri-Riccio, Saggio di cod. diplomatico (Napoli 1878) I, 103 n. 116;
vgl. Arch. storico Italiano Serie 3a, Bd. XXII, S. 12.
3) Auch über Fridericus Spigri habe weder ich selbst etwas weiteres er-
mitteln können, noch kennt Herr Prof. Emier denselben.
•») Dass das eine Mal Jacobus de Roba, das andere Mal Fridericus Spigri
o-enannt wird, würde der Annahme, dass es sich um dieselbe Gesandtschaft handle,
nicht im Wege stehen. War Fridericus Spigri das Haupt der Gesandtschaft, wie
man nach dem Erlass vom 26. März annehmen muss. so könnte der Cremonese
sein Begleiter gewesen und aus irgend welchen Gründen nicht mit an den Hof
Karl* gegangen sein. Aber die Zeitverhältnisse stehen einer solchen Annahme im
Weo-e. Boten, die vor dem 7. Febr. die Curie verliessen um sich zu Karl zu be-
geben, würden aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem 26. März bei diesem ein-
getroffen sein. Allerdings könnte man vermuthen, dass der Erlass vom 26. März
sich auf die Rückreise des Gesandten vom Hofe bezöge, wie der verwandte für die
böhmischen Gesandten von 1276, Minieri-Riccio, Cod. dipl. I, 1J7 n. 139; aber in
dem unsrigen heisst es : nos F. Sp. nuncio ill. regis Boemie veniendi, morandi et re-
deundi directe ad nostram presentiam una cum Raynono de Santorono familiari
Zur Vorgeschichte der Wahl Rudolfs von Habshurg. ß3
allenfalls denkbar, dass nach der Kückkehr der Boten, die an die Curie
gesandt waren, Ottokar den Fridericus Spigri zu Karl geschickt hätte,
aber wahrscheinlich ist auch dies nicht; selbst wenn wir annehmen,
dass die ersteren bereits einige Tage vor Absendung des Berichts der
Genuesen den päpstlichen Hof verlassen hätten, was der Wortlaut des
Berichts nicht ausschliesst, würde eine solche Combination kaum noch
möglich sein. Doch wie dem auch sein mag: das wird man jeden-
falls annehmen dürfen, dass Ottokar im Interesse derselben politischen
Pläne, die ihn veranlassten sich über die Stellung der Curie zu seiner
Königswahl zu vergewissern, auch mit dem Herrscher von Neapel in
diplomatische Beziehungen getreten ist.
Welchen Erfolg hat nun diese Action Ottokars im Anfang des
Jahres 1273 gehabt?
Dass man in Italien von der Bewerbung Ottokars um die Krone
auch in weiteren Kreisen unterrichtet war, darf aus unserem genuesi-
schen Bericht mit grosser Bestimmtheit gefolgert werden. Bezeichnend
dafür sind die Frage der Gesandten und die Antwort, welche sie er-
halten. Die Genuesen wenden sich an einen der einflussreichsten
Männer bei der Curie, dessen Namen sie leider verschweigen, und
bitten „über die Angelegenheiten des, Königs von Böhmen unterrichtet
zu werden1'. Darauf wird ihnen geantwortet : „Ihr könnt Euren Ca-
pitanen melden, dass der Herr Papst und die römische Kirche wollen,
dass ein Kaiser gewählt werde *) ; aber er will nicht, dass Friedrich
von Staufen (nur der Wettiner Friedrich der Freidige, der Enkel
Friedrichs IL, der Sohn von dessen Tochter Margaretha aus ihrer Ehe
mit Landgraf Albrecht dem Entarteten, kann hier gemeint sein2) oder
irgend ein Gebannter Kaiser werde". Man sieht, die Gesandten denken
nostro latore presentiurn liberam concedimus facultatem. Also ist hier doch zu-
nächst die Reise der Gesandten an den Hof ins Auge gefasst.
l) »Securiter rescribatis capitaneis vestris, quod dominus papa et ecclesia
Romana volunt, quod imperator eligatur et fiat '. Man könnte zunächst geneigt
sein zu übersetzen : Papst und Kirche wollen, dass er, nämlich der im vorigen
Satz genannte Böhmenkönig, nach dessen Angelegenheiten sich die Gesandten
erkundigen, gewählt werde. Aber, abgesehen von sachlichen Erwägungen, wäre
dann der Nachsatz, ,er will nicht, dass Friedrich von Staufen oder ein Gebannter
zum Kaiser gewählt werde1 überflüssig; und gewiss könnte er nicht durch die
starke Adversativpartikel »verumtamen* mit dem Vordersatz verbunden sein.
-) Und so erhalten die letzten Ausführungen H. Grauerts im Hist. Jahrb.
XIII, 110 ff. 200 ff., denen zufolge der Wettiner Friedrich als Candidat der stau-
fischen Partei auch für die Kaiserwürde vielfach betrachtet wurde, durch unseren
Gesandtschaftsbericht eine überraschende Bestätigung.
(34 ß r e s s 1 a u.
bei ihrer Frage an Ottokars Aussichten auf die deutsche Königswahl ;
aber der Kardinal oder wer sonst ihr Gewährsmann war, umgeht eine
bestimmte Antwort und gibt ihnen einen ausweichenden Bescheid, aus
dem zu erkennen „de quo sentit ecclesia", ihren heimischen Behörden
doch nicht so ganz leicht werden mochte.
Etwas bestimmter drücken sich die Boten Ottokars aus, mit denen,
ehe sie von der Curie zurückkehren, unsere Genuesen noch zusammen-
treffen. „Fröhlich" reisen sie vom päpstlichen Hofe ab, und einer von
ihnen berichtet seinen italienischen Landsleuten, es missfalle der Kirche
mcht, dass Ottokar von den deutschen Fürsten zum römischen König
gewählt werde. „Es missfalle der Kirche nicht" ; sollte hier die Form
der Litotes gewählt sein, um ein starkes Interesse des Papstes an der
Wahl des Böhmen auszudrücken? oder waren die Gesandten schon „fröh-
lich", wenn der Papst derselben nur nicht widerstrebte? Man möchte
geneigt sein, das letztere anzunehmen, wenn man diese Worte mit den-
jenigen zusammenhält, welche die Genuesen von dem angesehenen
Curialen hörteu, den sie befragt hatten : die Meinung des Papstes wäre
dann dahin gegangen, dass er ohne Rücksicht auf die noch bestehenden
castilischen Ansprüche eine Königswahl wollte, dass er zwar Ottokar
als einen ihm genehmen Candidaten bezeichnet hätte, dass er aber im
übrigen den Kurfürsten freie Hand bei der Wahl zu lassen entschlossen
war, sofern dieselbe nicht auf den Sprössling aus dem verhassten
Staufengeschlecht oder einen offenen Feind der Kirche fiel.
Im Zusammenhang dieser Erwägungen dürften nun aber auch
zwei schon oft besprochene Briefe aus der Formularsammlung des
Heinrich von Isernia l) erhöhte Beachtung erfordern, in denen ein
Cardinal Simon 2) sjch bei Ottokar und bei einem Bischof, wahrschein-
lich Bruno von Olmütz, für die Ernennung eben jenes Heinrich zum
böhmischen Notar verwendet. „Wir hoffen, ja wir erwarten mit heissen
Wünschen, dass Ihr zum Glanz kaiserlicher Hoheit gelangen möget",
heisst es in dem einen; „wenn Ottokar zum Gipfel kaiserlicher Würde
') Dolliner. Cod. epistolaris Primislai Ottocari II. S. 10. 12 ; Emier, Reg-
Bohem. et Morav. II, 349 n. 848; 1140 n. 2612.
2) Dass so der Fürbitter heisst. hat Dolliner aus einem anderen Brief (bei
ihm S. 13; Emier IL 1147 n. 2623) mit Recht geschlossen und schon bemerkt-
dass damals zwei Cardinal e dieses Namens existiren, der vom Titel der h. Caecilia,
der spätere Papst Martin IV., und der vom Titel des h. Martin. Grauert, Hist.
Jahrb. XIII, 202 und Andere vor ihm haben bei unseren Briefen nur an den
ersteren gedacht; aber es ist keineswegs selbstverständlich, dass gerade er, der
als einer der Führer der französisch-angiovinischen Partei an der Curie bekannt
ist, der Gönner des Ghibellinen Heinrich von Isernia gewesen sei.
Zur Vorgeschichte der Wahl Rudolfs von Habsburg. 65
erhoben werden wird, was wir glauben und wünschen", heisst es in
dem anderen.
Beide Briefe gehören in das Jahr 1273; bisher hat man sie, einer
Berechnung Dolliners folgend, in den September dieses Jahres gesetzt;
doch ist diese Ansicht nicht sicher begründet *), und unser genuesischer
Bericht kann um so mehr den Gedanken nahe legen, dass sie in eine
etwas frühere Zeit gehören. Sind sie echt, so würden sie ein Zeichen
dafür sein, dass auch innerhalb des Cardinalkollegiums die Hoffnungen
getheilt worden sind, mit denen die böhmischen Gesandten die Curie
verlassen hatten, und von denen unsere genuesischen Machtboten ihrer
Heimathsbehörde Kunde gaben. Ob sie aber echt sind, erscheint mir
keineswegs so sicher, wie man bisher immer angenommen hat. Zwar
bezweifle auch ich die Thatsache nicht, dass ein Cardinal Simon Hein-
rich von Isernia nach Böhmen hin empfohlen hat ; aber es fragt sich,
ob dies durch uusere Briefe geschehen ist, oder ob vielmehr diese, der
Thatsache entsprechend, erfunden worden sind. Durch eine stilistische
Untersuchung, deren Verlauf ich hier nicht wiederhole, die aber jeder-
mann leicht nachprüfen kann, habe ich die feste Ueberzeugung ge-
wonnen, dass beide Schriftstücke von Heinrich von Isernia selbst ver-
fässt sind. Ist dies richtig, und ich halte es für ganz sicher, so
müssen sie entweder als blosse Musterdictamina angesehen werden, die
Heinrich bei Anlage seines Formularbuches unter Anlehnung an wirk-
lich geschehene Dinge frei componirt hat, oder sie stellen von ihm
entworfene Concepte dar, welche er dem Cardinal vorgelegt hat, und
welche dann von diesem wirklich ausgefertigt uud abgesandt sein
können. In ersterem Falle würden die Briefe nicht für die Stimmung
bei der Curie, sondern nur dafür Zeugnis ablegen, dass Heinrich von
Isernia, der Notar Ottokars, an gute Aussichten seines Herrn bei der
Bewerbung um die deutsche Krone geglaubt hat, was sich auch sonst
erweisen lässt2). Ich verzichte darauf an dieser Stelle auf die Frage,
welche dieser beiden Alternativen anzunehmen ist, näher einzugehen,
*) Die Beweisführung Dolliners rechnet noch nicht mit den uns jetzt be-
kannten Thatsachen, 1. dass der Papst erst zwischen dem 21. und 2b". Sept. Bo-
logna passirt hat (vgl. Kaltenbrunner, Mittheil, aus d. Vatikan. Archiv I, S. 45.47)
und 2. dass Heinrich schon am 3. October als Notar Ottokars in dessen Lager
vor Oedenburg nachweisbar ist (Emier, Reg. Bohemiae II, 339 n. 837 ; vgl. Ab-
handlungen der böhm. Gesellschaft der Wissenschaften 6. Folge IX, S. 27. 3.6.)
2) Vgl. in seinem Aufsatz bei Emier Reg. II, 1136 n. 2605 die Worte : ,in quo
neinpe non falleris, rex regum eximie, qui habenas Boemie moderaris, quem
rolum imperii solium prestolatur et fortüna cesarea suis desiderat fascibus deco-
sare«. Vgl. dazu auch die Stücke Emier H, 1148 n. 2625. 2626.
Mittheilungen XV. 5
6ß B r e s 8 1 a u.
indem ich mich begnüge, darauf aufmerksam zu machen, dass die sehr
wichtigen Formularbücher, die unter dem Namen des Heinrich von
Isernia und des Heiuricus Italicus gehen l), dringend einer genaueren
Untersuchung auf ihre Entstehung und Glaubwürdigkeit hin bedürfen,
einer Untersuchung, welche sich auf den ganzen Inhalt derselben und
auf alle Handschriften, namentlich auch auf die neuerdings von Ulanowski
aufgefundene der Krakauer Universitätsbibliothek beziehen muss. Die
isolirte Behandlung einzelner Stücke daraus, wie sie mehrfach versucht
worden ist, wird nur in besonders günstig gelegenen Fällen zu sicheren
Ergebnissen führen können.
Bei solcher Untersuchung wird sich dann vielleicht auch über ein
anderes Stück aus der Formularsammlung des Iserniers ein festeres
Urtheil gewinnen lassen, das mit den hier besprochenen Verhand-
lungen Ottokars mit Gregor X. und Karl von Anjou gleichfalls zu-
sammenhängen könnte. Es gibt sich als einen aus Bologna nach
Böhmen erstatteten Bericht über Vorgänge an der römischen Curie,
der etwa in den Sommer 1273 gehören kann -). Der Berichterstatter
(Heinrich selbst) meldet, dass Karl von Anjou ,,eleccionem de impera-
tore prece viribus pretio" zu verhindern suche. Dann fährt er fort:
„cuius (Karoli) nuper filio nata domini regis Boemie suadente papa
tradi debet uxorios in amplexus, matrimonio, quod cum filio lantgravii
contraxerat, in irritum auctoritate apostolica revocato". Dass eine
Verbindung zwischen einer Tochter Ottokars und dem Sohn des Land-
grafen Albrecht von Thüringen, Friedrich dem Freidigen, verabredet ge-
wesen sein muss, ist sicher 3), und so könnte man vermuthen, dass auch
1) Vgl. darüber Emier, Abhandl. der böhm. Gesellschaft der Wissenschaften
a. a. 0. S. 54 ff.; Ulanowski, Mittheil, des Instituts VI, 421 ff.; Zeitschr. f.
Gesch. und Alterth. Schlesiens XVI, 251 f. XXI, 394 ff. Die in dem letzteren
Aufsatz erwähnte polnisch geschriebene Publication Ulanowskis ist mir nicht
zugänglich gewesen, ebensowenig die czechisch geschriebenen Untersuchungen
Tadras über böhmische Formularbücher (vgl. Mittheil. XIV, 515), von denen ich
nicht weiss, ob sie sich auch auf die oben erwähnten Schriften beziehen.
2) Dolliner S. 11; Emier, Reg. II, 1139 n. 2609.
3) Vgl. zuletzt Grauert im Hist, Jahrb. XIII, 119. 122. Da Friedrich 1269
den Böhmenkönig seinen Schwiegervater nennt, muss die Verbindung damals be-
reits bestanden haben. Mit ihr hat Wegele, Friedrich der Freidige S. 64 N. 2
eine in dem Formularbuch des Heinricus Italicus überlieferte Urkunde in Be-
ziehung gesetzt (Voigt, Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen XXIX, 167
n. 181), welche sich als ein Ehevertrag Ottokars für seine Tochter und eines
Landgrafen von Thüringen für seinen Sohn H. darstellt. Wegele hat mit un-
zweifelhaftem Recht — ea lassen sich noch andere durchschlagende Gründe da-
für anführen — die Meinung Voigts zurückgewiesen, dass hier Ottokar I. gemeint
sei, dessen Tochter Agnes die zweite Gemahlin Heinrich des Erlauchten war. Aber
Zur Vorgeschichte der Wahl Rudolfs von Habsburg. 67
das, was hier über eine Lösung dieser Verbindung durch den Papst
und über eine von ihm geplante Ehe zwischen Ottokars Tochter und
Karls Sohn gesagt wird, nicht ganz aus der Luft gegriffen sei. Gerade
nach dem, was wir oben über die Verhandlungen Ottokars mit Gregor
und Karl ausgeführt haben, ist es an sich nicht unwahrscheinlich,
dass man am päpstlichen Hofe in einem gegebenen Moment auf den
— bekauntlich nicht ausgeführten — Plan gekommen ist, zwischen den
Königen von Böhmen und Sicilien, deren Stellung zu der deutschen
Wahlfrage eine so verschiedene war, durch eine dynastische Ver-
bindung einen Ausgleich herbeizuführen.
Ich beschränke mich darauf, diese Erwägungen, die sich an un-
seren Bericht knüpfen lassen, zu weiterer Prüfung und Erörterung
denen vorzulegen, welche sich näher mit der Geschichte jener Zeit
beschäftigen. Ganz abgesehen davon aber bleibt das bestehen,
dass uns durch jenen Bericht eine wichtige Aufklärung sicher und end-
giltig gegeben worden ist : dass Ottokar die deutsche Königskrone nicht
verschmäht, sondern zu Aufang des Jahres 1278 eifrig danach ge-
strebt hat, steht fortan ausser Zweifel, und schon durch diese Auf-
klärung ist uns von einer Stelle, wo man nicht danach suchen
konnte, ein wichtiger Beitrag zur Vorgeschichte der Wahl Kudolfs
von Habsburg gekommen.
auch auf Ottokar II. passt dieses Stück nicht. Denn 1269 war dessen älteste
Tochter Kunigunde (geb. 1265) vier Jahre alt; in unserer Urkunde aber lässt man
Ottokar sagen, dass das heiratsfähige Alter seiner Tochter seinem Vaterherzen
bereits schlaflose Sorgen bereitet habe, bis, nachdem er alle Lande wegen eines
würdigen Gatten für sie durchforscht habe, seine Wahl auf den Sohn des Land-
grafen von Thüringen gefallen sei (dum nubilis etas . . filie nostre sollicitudinis
paterne stimulo insompnes urgeret pectoris nostris curas, et omnes provincias dig-
num, quem suis iugaremus thalamis, exquirens curiosius percurreret, in filio
tandem . . domini Thuringeusis lancravii residens conquievit). Uebrigens steht
der erste Theil desselben Stückes auch in der Kolmarer Hs. (Cod. dipl. Moraviae
VII, 979), nur wird hier statt des Landgrafen von Thüringen der Herzog Albrecht
von Braunschweig genannt, und diesen Namen bietet wiederum in der Königs-
berger Hs. ein ganz anders lautender Heirathsvertrag (Voigt a. a. o. S. 167
n. 182 ; noch andere Fassung bei Palacky, Formelbücher S. 302). Ohne die oben
S. 66 erforderte Gesammtuntersuchung lässt sich auch über diese Stücke ein end-
giltiges Urtheil nicht gewinnen.
5*
Die Entstehung der pfälzisch -österreichischen
Convention vom 3. Januar 1778.
Von
Adolf Unzer.
Das Herzogtum Bayern, das Flussgebiet des Inns und der Isar
bis zum Lech hin zu erwerben war lange das Ziel österreichischer
Staatskunst.
Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eröffnete sich dem
Wiener Hof eine neue Aussicht dies Ziel zu erreichen. Der Kurfürst
von Bayern Maximilian Joseph war kinderlos; auch sein Oheim, Herzog
Clemens (f 1770) hatte keine erbberechtigten Nachkommen. Mit ihm
erlosch die bayerische oder wilhelminische Linie des Hauses Witteisbach ;
als der natürliche Erbe galt Karl Theodor, Herzog von Sulzbach,
seit 1742 Kurfürst von der Pfalz und Chef der pfälzischen oder
rudolphinischen Linie.
Frühzeitig hatte der österreichische Staatskanzler Fürst Kaunitz
seinen Blick der bayerischen Successionsfrage zugewandt; im zehnten
Band der Geschichte Maria Theresias hat Arneth, die Mitteilungen Beers
in Sybels historischer Zeitschrift *) ergänzend, die frühesten Phasen
dieser wichtigen Staatsaction mitgeteilt.
Im Dezember 1772 fanden in Wien geheime Beratungen über die
bei Maximilian Josephs Tod zu ergreifenden Massregeln statt, an denen
der österreichische Directorialgesandte bei dem Reichstag zu Kegensburg,
Freiherr von Borie, der Reichsvizekanzler Fürst Colloredo, der Geheime
Referendarius in der Beichskanzlei Freiherr von Leykam und als Ver-
treter der Staatskanzlei der Freiherr von Binder theilnahmen ; der
Kaiser selbst hatte auf eine Anregung Bories hin die Beratungen an-
') Bd. 35 S. 88 ff.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 69
geordnet. Es wurde beschlossen, dass bei dem Ableben des bayerischen
Kurfürsten sofort die Besitzergreifung von Ober- und Niederbayern,
sowie der Landgrafschaft Leuchtenberg als erledigter Reichslehen im
Namen von Kaiser und Eeich erfolgen solle ; Borie am Reichstag, Graf
Hartig in München erhielten die nötigen Vollmachten und Anweisungen.
Nur ungern hatte Kaunitz diesen Beschlüssen von unberechen-
barer Tragweite zugestimmt; weit lieber wäre es ihm gewesen, wenn
man die Angelegenheit noch in dem bisherigen Ruhezustand belassen
hätte. Es war nicht anzunehmen, dass von anderer Seite jetzt schon
diese offenbar noch lange nicht spruchreife Frage ernsthaft angeregt
werde; der König von Preussen hatte sie zwar im September 1772
dem auf Urlaub gehenden kaiserlichen Gesandten gegenüber berührt,
als aber van Swieten im Februar 1773 mit eingehenden Weisungen
versehen nach Berlin zurückkehrte, schien Friedrich sie bald wieder
aus den Augen zu verlieren; näher liegende Verhältnisse nahmen seine
Aufmerksamkeit in Anspruch. Die von Kaunitz dringend anempfohlene
Geheimhaltung und Vorsicht bei Ausführung der gefassten Conferenz-
beschlüsse wurde indes gewissenhaft beobachtet. Der Wiener Hof ver^
mied es sorgfältig, die bayerische Erbfolge zu erwähnen; es kam ihm
besonders darauf an, den Verdacht zu beseitigen, als ob die von
preussischer Seite ihm zugeschriebene Vergrösserungsbegierde wirklich
vorhanden sei.
Weniger vorsichtig in der Geltendmachung von Ansprüchen auf
Teile der einstigen Verlassenschaft Maximilian Josephs war Kursachsen.
Die verwitwete Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen, die Mutter des
seit Dezember 1763 regierenden Kurfürsten Friedrich August III, war
eine Schwester Maximilian Josephs; sie und die zweite Schwester, die
Markgräfin von Baden, konnten berechtigte Ansprüche auf das bayerische
Allodium erheben. Schon frühzeitig wurde zwischen Dresden und Mann-
heim darüber verhandelt; im November 1774 überreichte der sächsische
Gesandte am Hofe Karl Theodors, Graf Riaucour, eine Denkschrift;
doch, wie es scheint, erst seit Anfang 1776 wurde diese Angelegenheit
etwas lebhafter betrieben, ohne dass sie indes auch nur einen Schritt
vorwärts kam, da man in Mannheim hoffte, durch ein Uebereinkommen
mit Oesterreich die sächsischen Ansprüche gänzlich beseitigen oder
doch stark einschränken zu könnnen. Nur insofern trat eine Aende-
rung ein, als die Kurfürstin- Mutter am 1. Mai 1776 in Zweibrücken
eine Cessionsacte l) unterzeichnete, worin sie ihre Ansprüche auf die
bayerische Allodialerbschaft an ihren Sohn, den regierenden Kurfürsten
Datirt vom 20. April.
70
U n z e r.
abtrat. Die von den pfälzischen Staatsmännern wiederholt als Vorwand
zur Verzögerung der Unterhandlungen benützte angebliche Meinungs-
verschiedenheit zwischen Mutter und Sohn über die Lösung der Allo-
dialfrage konnte nun nicht mehr ins Treffen geführt werden. Als un-
mittelbar danach, am 7. Mai 1776, die Markgräfin von Baden in
München starb, war Maria Antonia bezw. ihr Sohn der einzige Allo-
dialerbe. — Der Grund, weshalb Sachsen die Verhandlungen lebhafter
in Angriff nahm, erhellt aus der Correspondenz des Grafen Riaucour
mit dem Minister Grafen Sacken in Dresden. Man hatte vernommen,
dass von pfälzischer Seite eine Vereinbarung mit dem Wiener Hof
gesucht werde, dass der pfälzische Minister der Auswärtigen Angelegen-
heiten, der hochbetagte Freiherr von Beckers die Hauptrolle dabei
spiele; es hiess sogar, er habe es auf sich genommen, sich öffentlich
desavouiren zu lassen, wenn die Verhandlungen bekannt würden. Doch
erfuhr man wieder nicht lange danach durch einen Bericht des kur-
pfälzischen Gesandten in Wien, Freiherrn von Eitter, vom 26. Sep-
tember 1775, den Riaucour sich zu verschaffen wusste, dass wenigstens
zu jener Zeit die beiden Höfe von einer Verständigung sehr weit ent-
fernt gewesen waren ; ja, Ritter hatte sogar die Besorgnis ausgesprochen,
dass Oesterreich mit anderen Staaten entweder bereits einig sei oder
nahe vor einer Verständigung stehe über die Teilung der bayerischen
Erbschaft. — Ritter hat hier offenbar eine Gefahr zu sehen geglaubt,
die in Wirklichkeit nicht vorhanden war; wenn er aber berichtet:
„Kaunitz und Colloredo erschöpfen die ohndurchdringlichste politique;
Wörter und Sylben werden gleichsam abgewogen und über die ohn-
zähligemal angegebenen und stathaft bestrittene Hindernisse immer
neue Verzögerungen erfunden," — so entspricht dies Verhalten voll-
kommen dem System, das Kaunitz anempfohlen hatte, nämlich grösste
Zurückhaltung zu bewahren.
Da ich im Bayerischen Geheimen Staats-Archiv zu München Berichte
Ritters aus der Zeit vor Dezember 1777 nicht gefunden habe, möge
es mir gestattet sein, an dieser Stelle einige Angaben über den Inhalt
der anderen von Riaucour erlangten und nach Dresden gesandten
Depeschen Ritters zu machen.
Mit unsäglicher Mühe war es danach Anfang October 1775 dem
kurpfälzischen Gesandten gelungen, durch Vermittlung des Freiherrn
von Hochstetten, eines Beamten der Geheimen Staatskanzlei, eine lange
Liste zu erhalten mit einem Verzeichnis aller derjenigen Ortschaften,
die in Folge eines angeblich zwischen Oesterreich und Preussen ge-
schlossenen Vertrags an den Wiener Hof fallen sollten. Nach dieser
Aufzählung wäre allerdings von der Oberpfalz und Niederbayern nur
Die Entstehung der pfälzisch-östevv. Convention v. 3. Jan. 1778. 71
wenig, von Oberbayern nicht viel der österreichischen Begehrlichkeit
vorenthalten geblieben. Es scheint indes, dass Kitter mit dieser Liste
von dem Sekretär des Fürsten Kaunitz, der sie ihm überbrachte, ge-
täuscht worden ist; vielleicht enthielt sie nur das Verzeichnis aller
derjenigen Ortschaften, auf die der Wiener Hof aus irgend einem
Grunde einen Anspruch erheben zu können glaubte. Sacken wenig-
stens meinte, als ihm Eiaucour die Liste einschickte, sie sähe aus wie
der Index eines Werkes, in dem die österreichischen und die kaiser-
lichen Ansprüche erst begründet werdeu sollten; vielleicht gehöre sie
zu der vom Kaiser angeordneten Ausarbeitung einer umfassenden Denk-
schrift über die aus der bayrischen Hinterlassenschaft zu erwerbenden
Gebiete.
Von einer kritischen Beurteilung des ihm zugestellten Verzeich-
nisses war aber Kitt er weit entfernt. Er klagt entsetzt über die
wienerische Verstellungskunst, über die Ungeheuerlichkeit der öster-
reichischen Entwürfe, die über die schlimmsten bisherigen Vermutungen
noch weit hinausgingen. Alle seither gepflogenen Unterhandlungen
seien also nichts als Blendwerk gewesen; aber auch jeden weiteren
Schritt sieht er als nutzlos und verloren an, solange Kaunitz und
Colloredo am Ruder sind und das Uebergewicht über die Gegenpartei
behaupten ; nur von der Zukunft oder dem Spiele des Zufalls lasse sich
eine Aenderung der Sachlage erhoffen. — Gerade diese Stimmung aber
wird es wohl gewesen sein, die Kaunitz mit der Mitteilung jener Liste
an Ritter herbeizuführen beabsichtigte: er wollte Ruhe haben vor den
Anwürfen der ruhelosen Politik des Freiherrn von Beckers. Ein weiterer,
als geheim bezeichneter Bericht Ritters an Beckers vom 27. Februar 1776
lässt vermuten, dass der Minister in Mannheim die übermittelten Allarm-
nachrichten mit kritischerem Auge betrachtete als der Gesandte, dass
er bessere, zuverlässigere Mitteilungen verlangte ; aber vergeblich setzte
Ritter alle seine Vertrauensmänner in Bewegung: nichts erfuhr er als
„ zweideutige, elende und längst bekannte Sachen". Dagegen ver-
sicherte ihm Hochstetten, auf dessen Angaben er sich verlassen zu
dürfen glaubte, von Neuem, die ganze bayerische Erbschaft sei schon
im vorigen Jahre zwischen dem kaiserlichen und dem preussischen Hof
durch einen Partagetractat völlig geordnet worden.
Wie schon angedeutet, glaubte Riaucour das, was er von einem Öster-
reich! sch-preussischen Einverständnis in der bayerischen Angelegenheit
vernahm ; er behauptete sogar, dass dabei Sachsen die Grafschaft Cham
und eine hübsche Geldsumme zugewiesen sei. Aber gleichzeitig kam
ihm doch auch wieder mancherlei zu Ohren, was damit nicht überein-
stimmte: er hörte, Beckers habe dem Wiener Hof den jenseits des
72 Unze r.
Inns zwischen dem Erzherzogtum Oesterreieh und dem Erzbistum
Salzburg gelegenen Teil von Bayern angeboten und erwarte die Ant-
wort darauf. Dem König von Preussen sollten Jülich-Berg zufallen
gegen Abtretung der Markgrafschaften Ansbach und Baireuth an Kur-
bayern. Eine gewisse Bestätigung dieser ihm von dem Obersthofmeister
der Kurfürstin von der Pfalz, dem Fürsten Galean gemachten Mit-
teilungen sah Eiaucour in den häufigen Besprechungen des zu vor-
übergehendem Aufenthalt in Mannheim eingetroffenen kaiserlichen
Gesandten, des Landkomthurs Freiherrn von Lehrbach, mit dem Kur-
fürsten und Beckers. Bald hiess es, der Kaiserhof habe dem pfälzi-
schen seine Unterstützung in der bayerischen Suecessionsfrage in sichere
Aussicht gestellt und verlange nur die Theilnahme des Kurfürsten
Maximilian Joseph ; zugleich aber tauchte das Gerücht auf, dass Frank-
reich Ansprüche an die bayerische Hinterlassenschaft zu erheben gedenke.
Der französische Gesandte in Mannheim, Odunne stellte Letzteres be-
stimmt in Abrede, deutete aber Riaucour an, dass sein Hof zwar die
Beseitigung der obwaltenden Differenzen sehnlich wünsche, um dadurch
einem sonst unvermeidlichen Kriege vorzubeugen, dass er indes auch
die Ausführung allzuweit gehender Pläne des Wiener Hofes verhindern
werde. Es wurde ferner erzählt, Beckers habe den Herzog Karl von
Zweibrücken als den präsumtiven Nachfolger Karl Theodors zu gewinnen
gesucht für das Zusammengehen mit Oesterreieh durch das Versprechen
des goldenen Vliesses sowie eines hohen Banges in der k. k. Armee, der
Herzog habe aber kühl ablehnend geantwortet.
Beckers, dem das Bekanntwerden der Unterhandlungen überaus
unangenehm war, suchte sie vergebens als einen grossen Betrug dar-
zustellen, den seine Gegner ins Werk gesetzt hätten. Auch Karl
Theodor leugnete, als die Kurfürstin- Witwe von Sachsen bei einem
kurzen Aufenthalt in Mannheim (11. bis 13. April 1776) ihn über die
angebliche geheime Unterhandlung in der bayerischen Erbfolgesache
befragte, diese rundweg ab.
Es ist mit dem mir vorliegenden Aktenmaterial nicht möglich
festzustellen, was den Anlass gegeben hat, dass Anfang Mai 1776 von
pfälzischer Seite die Regelung der Jülich-Bergischen Erbfolge-Garantie
gleichzeitig mit einer Verständigung über die künftige bayerische Suc-
cession angeregt wurde. Auf diese Anregung hin beantragte der
Staatskanzler Fürst Kaunitz in einem Vortrag vor der Kaiserin-Königin
am 9. Mai 1776, dass man angesichts der Bewegungen anderer Höfe
und besonders des kursächsischen Hofes nicht länger unthätig bleibe ;
doch empfahl er zuerst an die Jülich-Berg'sche Angelegenheit heran-
Die Entstehung der piälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 73
zutreten und dabei unter der Hand zu erkunden, wie Kurpfalz über
die bayerische Erbfolge denke.
Denn mindestens ebenso sehr wie die vielleicht noch ferner Zu-
kunft vorbehaltene bayerische Frage beschäftigte die pfälzischen Staats-
männer die Sicherung der Herzogthümer Jülich und Berg für das
Haus Sulzbach.
In dem Allianzvertrag zwischen Preussen und Frankreich vom
5. Juni 174! hatte König Friedrich sich verpflichtet für sich und seine
Nachfolger in aller Form seinen Ansprüchen auf die Erbfolge in den
Herzogtümern Jülich und Berg zu entsagen zu Gunsten des Hauses
Sulzbach; dagegen hatte ihm Frankreich den Besitz Niederschlesiens
mit Breslau garantirt. Der Vertrag mit Kurpfalz, in dem jener Ver-
zicht thatsächlich erfolgte, wurde am 24. Dezember 1741 abgeschlossen,
im Januar 1742 ratifizirt; Kurpfalz übernahm darin ebenfalls die
Garantie für Niederschlesien. Am 31. Dezember 1742 kam die Sulz-
bach'sche Linie nach Karl Philipps Tod und dem Erlöschen der Neu-
burger Linie mit Karl Theodor in den Besitz der Kur und der Pfalz
am Khein; auch die Gemahlin, die Karl Theodor sich wählte, war
eine sulzbach'sche Prinzessin. Nun nahm aber Kurpfalz im sieben-
jährigen Krieg gegen Preussen Partei, freilich erst nachdem von Seiten
des Wiener Hofs ihm die Erbfolge in Jülich-Berg gewährleistet worden
war und Frankreich die Verpflichtung übernommen hatte, im künftigen
Friedensschluss Preussen zur Erneuerung des Verzichts zu veranlassen.
In der That bestimmte denn auch Artikel 18 des Hubertsburger
Friedensvertrags: Der König von Preussen wird die 1741 mit dem
Kurfürsten von der Pfalz über die Nachfolge in Jülich-Berg geschlossene
Convention erneuern unter denselben Bedingungen, unter denen sie
abgeschlossen worden ist » Von preussischer Seite war bisher aber
noch kein Schritt zur Erfüllung dieses Versprechens gethan worden;
und auch Karl Theodor wagte nicht, nachdem im Herbst 1763 Beckers
als pfälzischer Gesandter in Berlin vergeblich versucht hatte mit Um-
gehung Frankreichs die Erneuerung des Verzichts zu erhalten, aber-
mals bei Preussen die Frage anzuregen, da er durch die dagegen zu
gewährende Garantie Niederschlesiens in Wien Anstoss zu erregen
fürchtete; noch weniger wollte er um die französische Befürwor-
tung seines Wunsches bitten, die Friedrich zur Bedingung gemacht
hatte.
Diese Angelegenheit also gedachte Kaunitz in den Vordergrund
zu stellen; es entsprach das seinem Grundsatz, die bayerische Frage
möglichst lang in undurchdringliches Geheimnis gehüllt zu lassen. Da
aber doch allerlei in die Oeffentlichkeit gedrungen war von dem An-
74 Unze x.
suchen des pfälzischen Hofes in Wien, machte Lehrbach dem Grafen
Kiaucour Anfang Juni 1776 Mitteilung davon; er erzählte auch, dass
Graf Colloredo auf der Durchreise in Mannheim sich bereit erklärt
habe, seinen Vater, den Eeichsvizekanzler für die pfälzischen Wünsche
günstig zu stimmen; dass Graf Pappenheini sich schon grosse Hoff-
nung gemacht habe, mit den Verhandlungen in Wien betraut zu
werden ; die Aussichten zum Ziel zu kommen seien nicht schlecht
gewesen, aber das Geheimnis sei nicht gewahrt worden, die Grafen
Sickingen, der eine pfälzischer Gesandter in Paris, z. Z. auf Urlaub in
Mannheim, der andere leitender Minister in Mainz hätten eigene Politik
getrieben und hinter Lehrbachs Kücken Vorschläge nach Wien ge-
schickt; der Kurfürst von Mainz habe sich eingemischt und beschwert,
dass man ihm von den ersten Eröffnungen keine Kenntnis gegeben
habe; das Ergebnis von diesem Allen sei dann aber gewesen, dass
man in Wien anderer Meinung wurde; jetzt würden schwerlich der
Kaiser und die Kaiserin-Königin sich auf Unterhandlungen über die
bayerische Erbfolge einlassen 1).
Diese Eröffnung hatte die gewünschte Wirkung: Kiaucour glaubte,
dass die Verhandlungen in Wien wirklich abgebrochen seien, aber er
war überzeugt, dass Beckers bei nächster Gelegenheit eine neue An-
knüpfung suchen werde. Gegen Ende Juni teilte ihm Odunne mit.
Beckers beabsichtige sich im Lauf des Juli nach Wien zu begeben;
die Unterbringung seines Sohnes im Theresianum und seiner Tochter
in einem Kloster gebe den äusseren Anlass zur Reise, der Hauptzweck
aber sei zweifellos die Stimmung am Kaiserhof in Sachen der bayeri-
schen Erbfolge zu erkunden 2). Vierzehn Tage später wusste man
freilich, dass Beckers Reise doch nicht stattfinden werde ; ihr Unter-
bleiben in Verbindung mit einem ungewohnten Eifer des pfälzischen
Ministeriums wegen Eröffnung der Unterhandlung mit Kursachsen
schien die Mitteilungen Lehrbachs zu bestätigen. Man erfuhr, dass
der Kurfürst selber Mitte Juli sich dem Marquis d'Antici gegenüber
geäussert habe, der Faden der Unterhandlung mit Wien sei gänzlich
abgerissen ; und Lehrbach antwortete, wie der vielwissende Odunne dem
Grafen Riaucour erzählte, auf Beckers Versuch seine Vermittlung am
Wiener Hof in der bayerischen Erbfolgefrage in Anspruch zu nehmen,
ablehnend: er habe keine Weisung sich in diese Angelegenheit einzu-
mischen 3). Von Lehrbach konnte Riaucour allerdings über die bayeri-
') Riaucour an Sacken. Schwetzingen 8. Juni 1776. Orig. Dresdener Archiv.
2) Riaucour an Sacken. Schwetzingen 25. Juni 1776. Orig. Dresdener Archiv.
8) Riaucour an Sacken. Schwetzingen 9., 13, Juli; 10. September. Orig. —
Sacken an Riaucour. Dresden 15. September. Concept. Dresdener Archiv.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 75
sehe Erbfolge nichts erfahren; war Kaunitz auch entschlossen, dieser
Frage jetzt näher zu treten, so beschränkte er doch die Zahl der Mit-
wisser des Geheimnisses so viel als nur irgend angängig. Da tauchte
abermals der Plan einer Reise Beckers nach Wien auf; als der französi-
sche Gesandte am 22. September dem Kurfürsten seine bevorstehende
Abreise nach dem königlichen Hoflager zu Fontainebleau ankündigte,
teilte ihm Karl Theodor die Absicht seines Ministers mit und fügte
hinzu, er habe dem greisen Staatsmann die schon lange erbetene Er-
laubnis nicht versagen können, indes werde Beckers keine politischen
Aufträge erhalten. Trotz dieser bestimmt gegebenen Versicherung
konnte Odunne seine Missbilligung des ganzen Reiseplanes nicht un-
terdrücken, denn er kannte den ränkevollen Leiter der pfälzischen
Politik viel zu gut, um nicht zu wissen, dass er selbst ein ausdrück-
liches Verbot von Geschäften zu sprechen entweder unbeachtet lassen
oder zu umgehen wissen werde. Der Gesandte stellte dem Kurfürsten
vor, wie unzeitgemäss diese Reise sei, sie werde in Dresden, Berlin
und München Argwohn erregen und den schon seit längerer Zeit um-
laufenden Gerüchten neue Nahrung geben ; Karl Theodor jedoch meinte,
diese Gerüchte würden verstummen, sobald man sehe, dass Beckers
sich nur mit seinen Familienangelegenheiten beschäftige.
Zwei Tage darauf hatte sich die Lage vollkommen geändert. Als
Riaucour am 24. September wie jeden Abend in der Hofgesellschaft
erschien, sagte ihm der Minister, er habe sich nach eingehender Er-
wägung des Aufsehens, das sein Vorhaben hervorgerufen, und des
Verdachts, den man in Dresden und an anderen Höfen unter den
gegenwärtigen Verhältnissen schöpfen könne, entschlossen, seine Reise
auf das nächste Frühjahr zu verschieben. Die Besorgnis vor Intriguen
seiner Feinde bei Hofe, die seine Abwesenheit benützen könnten, um
ihm Unannehmlichkeiten zu bereiten, habe gleichfalls zu diesem Ent-
schluss beigetragen 1).
Es lag natürlich im Interesse Beckers sowohl als der pfälzischen
Politik, das Unterbleiben der Reise, das übrigens der Minister selbst
von vorneherein mit Rücksicht auf sein Alter und seinen Gesundheits-
zustand als nicht ausgeschlossen bezeichnet hatte, darzustellen als
hervorgegangen aus Beckers eigener Entschliessung. Gewiss hat diese
keinen geringen Anteil an der Verschiebung gehabt. Lehrbach, der
nach Riaucours Bericht die Mitteilung von der bevorstehenden Reise
bei einem kurzen Aufenthalt in Schwetzingen scheinbar kühl und
') Riaucour an Sacken. Schwetzingen 24. September 1776. Orig. Dresdener
Archiv.
7ß U.n 2 e r.
gleichgiltig aufnahm, hatte wohl auch schon im Juni von dem Reise-
plan Kunde erhalten und darauf bei Kaunitz angefragt, wie er sich
dazu stellen solle. Die Antwort lautete vermutlich, er müsse suchen,
die Ausführung des Vorhabens zu hintertreiben. Jetzt, da die Absicht
wirklich ausgeführt werden sollte, stellte Lehrbach dem pfälzischen
Minister die Unannehmlichkeiten vor, denen er sich aussetzen werde :
die Gefahr liege nahe, dass seine Gegner ihn durch immer neue In-
structionen recht lange von Mannheim fernzuhalten und ihn allmäh-
lich aus dem Ministerium des Auswärtigen zu verdrängen suchen
würden. Dass gerade der Freiherr von Hompesch mit seiner Vertre-
tung beauftragt sei, müsse ihm doch die Augen öffnen, denn dieser,
mit dem Finanzdepartement längst nicht mehr zufrieden, werde sicher-
lich, mit allen Mitteln die vorübergehend eingenommene Stellung zu
behaupten suchen. — Die Vorstellungen machten den gewünschten
Eindruck; Beckers erkannte die Berechtigung der geäusserten Besorg-
nisse an und gab die Reise auf; doch versprach er, da ihm Zerstreuung
not thue, den kaiserlichen Gesandten in Frankfurt zu besuchen l).
So berichtet Lehrbach. Dagegen meldet Riaucour, indem er Odunne
als Gewährsmann anführt, der Kurfürst habe von Beckers bestimmt
die Verschiebung der Reise gefordert 2). — Ganz klar sehen wir hier
nicht, denn Lehrbach sowohl wie Odunne sind bei ihren Berichten in-
teressirt; ersterer hatte den Minister durch Schilderung persönlicher
Nachtheile, letzterer den Kurfürsten durch Darstellung der politischen
Unzuträgliehkeiten zum Aufgeben des Planes zu bestimmen gesucht;
jeder will sich den Erfolg zuschreiben.
Bei seinem Ausflug nach Frankfurt traf Beckers bei Lehrbach den
Geheimen Reichsreferendarius Baron Leykam, der von seinen Gütern
im Westpfalischen nach Wien zurückreisend im Hause des Gesandten
abgestiegen war. Während des Zusammenseins vom 25. bis 28. Sep-
tember brachte der pfälzische Staatsmann die bayerische und die
Jülich-Berg'sche Erbfolge zur Sprache, doch wich Leykam vorsichtig
jeder Erörterung aus und vermied es, sich in Abwesenheit Lehrbachs
auf politische Gespräche einzulassen. Es liegt kein Grund vor, an der
Richtigkeit dieser Darstellung, wie sie Lehrbach in einem Berieht an
Kaunitz vom 3. Oktober 1776 gibt, zu zweifeln; umso weniger, als
auch Beckers in Mannheim zugibt, er habe keine Gelegenheit gehabt
mit Leykam sich zu besprechen.
') Lehrbach an Kaunitz. Frankfurt a M. 3. Oktober 1776. Orig. H. H. u.
St. A. Staatskanzlei. Berichte aus dem Reich 183.
2) Riaucour an Sacken. Schwetzingen 28. September 1776. Orig. Dresdener
Archiv.
Die Entstellung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 77
Dennoch rief dieser Ausflug, der intime Verkehr mit Lehrbach,
die gleichzeitige Anwesenheit des Reichsreferendarius grosses Aufsehen
hervor: sogar der sonst so besonnene Sacken war fest überzeugt, dass
man in Frankfurt sich über wichtige Dinge unterhalten und einen
bösen Plan geschmiedet habe l). Weniger Bedeutung legten Beckers
Collegen im Ministerium dem Besuch bei; sie billigten ihn auch
keineswegs, da er nur neuen Anlass zu Verdacht und Argwohn gab,
ohne irgend welchen Nutzen zu bringen; denn wenn Leykam der
kurfürstlichen Regierung Eröffnungen zu machen gehabt hätte, wäre
er zweifellos nach Mannheim gekommen. Dieser Ansicht neigte schliess-
lich auch Riaucour zu ; schon die Uneinigkeit innerhalb des pfälzischen
Ministeriums machte einen Erfolg der Becker'schen Intriguen wenig
wahrscheinlich. Trotzdem Hess er nicht nach in seiner Wachsamkeit;
die wiederholten Beratungen Beckers mit dem kaiserlichen Gesandten,
so oft dieser am pfälzischen Hofe erschien, entgingen ihm nicht; er
wandte sich an Freiherrn von Oberndorff, kurfürstlichen Minister des
Innern, um, wenn möglich, über den Inhalt der Unterredungen etwas
zu erfahren ; indes Oberndorff legte ihnen kein Gewicht bei, nach seiner
Meinung verhandelte der Wiener Hof nur zum Schein; in Wahrheit
beabsichtige er die Dinge in dem bisherigen Zustand der Ungewiss-
heit zu lassen, um bei Eröffnung der bayerischen Erbfolge im Trüben
fischen zu können 2)
Wie es nun auch um die Verhandlungen stehen mochte, so viel
stand überall fest, dass Beckers in Wien als ein brauchbares und
williges Werkzeug der österreichischen Politik angesehen wurde; der
Kaiserhof selbst gab dies deutlich zu erkennen dadurch, dass bei Ge-
legenheit des Aufschubes der Reise der Minister im Namen und Auf-
trag der Kaiserin-Königin aufgefordert wurde, seinen Sohn nach Wien
zu schicken, Ihre Majestät werde für ihn sorgen und auch sich der
Tochter annehmen; es hiess ferner, dass dem Schwager Beckers, dem
Geheimen Rat von Huber eine Reichshofratsstelle in Aussicht gestellt
worden sei, dass aber Beckers auf eine noch vorteilhaftere Anstellung
für ihn im Reichsdienst rechne. Da Lehrbach persönlich von dem
Kurfürsten die Erlaubnis erbitten musste, dass der junge Beckers nach
Wien gehen dürfe, erregte diese Angelegenheit nicht geringes Aufsehen ;
die nicht der österreichischen Partei angehörigen Mitglieder der Re-
gierung wunderten sich, dass Karl Theodor die Augen noch immer
») Sacken an Riaucour. Dresden 8. Oktober 1778. Concept. Dresdener Archiv.
2) Riaucour an Sacken. Schwetzingen 8., Mannheim 22. Oktober 1776. Orig.
Dresdener Archiv.
7$ U n z e r.
nicht aufgehen wollten über die vollkommene Abhängigkeit seines
leitenden Staatsmannes vom Wiener Hof 1).
In Mannheim hatte man in der That Grund zu glauben, dass der
Kaiserhof auf eine Vereinbarung über die bayerische Erbfolge keinen
grossen Wert lege. Lehrbach vermied auf diese Frage einzugehen,
während er im Geheimen freilich scharf beobachtete, wie man am
pfälzischen Hofe darüber dachte. Er konnte berichten, dass der Kur-
fürst grössere Ergebenheit als je für die Kaiserin-Königin zeige und
des Allerhöchsten Schutzes sich würdig zu machen beflissen sei; eine
Denkschrift, die Ritter in der Jülich-Berg'schen Successionsangelegen-
heit überreichen solle, werde dieser Gesinnung Ausdruck geben.
Gleichzeitig mit dieser Ankündigung äusserte Karl Theodor von Neuem
den Wunsch, dass auch die bayerische Erbfolge bald geregelt werde,
da der Gesundheit Maximilian Josephs nicht mehr zu trauen sei. Wäh-
rend aber Lehrbach dort den Kurfürsten in seiner günstigen Stimmung
zu bestärken suchte, wurde er hier schweigsam und wich näheren
Erörterungen aus 2)
Im Laufe des November übergab Ritter die in Aussicht gestellte
Erklärung der Staatskanzlei; sie wurde gut aufgenommen, doch ver-
langte man, dass entweder seitens der regierenden Kurfürstin von der
Pfalz, die eine Prinzessin von Sulzbach und als solche unmittelbar an
der Jülich-Berg'schen Erbfolge beteiligt war, wie von dem Herzog von
Zweibrücken als Sohn einer sulzbach'schen Prinzessin, gleichlautende
Schriftstücke eingesandt würden, oder dass diese Fürstlichkeiten in
besonderen Schreiben an die kaiserlichen Majestäten unter Bezugnahme
auf die Erklärung des Kurfürsten die Allerhöchste Verwendung in der
fraglichen Angelegenheit nachsuchten. Offenbar hatte dies Verlangen
wieder nur den Zweck Zeit zu gewinnen ; Kaunitz wollte wahrschein-
lich erst die Ansicht des französischen Hofes vernehmen, bevor er mit
Kurpfalz sich auf die eine und die andere Frage einliess. Es ist beach-
tenswert, dass trotz der ersten Anregung Ritters im Frühjahr 1776
bisher noch keine Schritte von Seiten der Wiener Staatskanzlei ge-
schehen zu sein scheinen, um die Stimmung an anderen Höfen zu
erkunden.
Beckers geriet durch die Forderung des Wiener Hofes in Ver-
legenheit; am 4. Dezember schrieb er an den in Mainz weilenden
Lehrbach, er wisse nicht, wie er sie, soweit sie den Herzog von Zwei-
') Riaucour an Sacken. Mannheim 9. November 1776. Orig. Dresdener Archiv.
2) Lehrbach an Kaunitz. Frankfurt a/M. 27. und 30. Oktober 1776. Orig.
H. H. u. St. A.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 79
brücken betreffe, erfüllen solle, denn die Umgebung dieses Fürsten,
vielleicht sogar er selbst, seien nicht so gesinnt, dass auf die not-
wendige Geheimhaltung gerechnet werden könne. Er bat, der Gesandte
möge nötigenfalls seinen Einfluss bei dem Herzog geltend machen, um
das Bekanntwerden des Geheimnisses zu verhüten; auch wünschte er
sich mit ihm zu besprechen. Lehrbach versprach in seiner Antwort, er
werde sein Möglichstes thim, um die Sache zu einem guten Ende zu
führen, doch könne er erst nach Neujahr wieder nach Mannheim
kommen; er verzögerte absichtlich sein Erscheinen, um vorher neue
Instructionen aus Wien einholen zu können. Nicht lange danach er-
hielt er ein weiteres Schreiben von Beckers (vom 13. Dezember) mit
dem Vorschlag, dem Herzog von Zweibrücken solle einstweilen keine
Mitteilung gemacht werden, man wolle ihn vielmehr erst nach erfolgter
Verständigung zwischen Mannheim und Wien zum Beitritt auffordern.
Schwierigkeiten erwartete man von dieser Seite nicht, denn der Herzog
hatte erklärt, er werde sich in allen das pfälzische Haus betreffenden
Angelegenheiten dem Willen des Kurfürsten fügen 1).
An den europäischen Höfen, die nicht unmittelbar bei der baye-
rischen Erbfolge beteiligt waren, war, wie gesagt, von Seiten des
Wiener Hofes noch ebenso wenig eine Anregung zur Erörterung jener
Frage erfolgt, wie bei den Nächstbeteiligten Bayern, Pfalz und Sachsen ;
denn die bisher gepflogenen Verhandlungen waren von Kurpfalz aus-
gegangen. Jetzt hielt indes Kaunitz den Zeitpunkt für gekommen,
die Stimmung der französischen Kegierung zu erforschen; die Reise
Kaiser Josephs nach Paris, die in den ersten Tagen des Jahres 1777
angetreten werden sollte, bot eine günstige Gelegenheit. Er verfasste
mit gewohnter Gründlichkeit eine Denkschrift2), welche dem Kaiser
als Instruction dienen sollte, vorausgesetzt, dass er Neigung habe bei
seinem Aufenthalt in Versailles sich auf politische Gespräche oder gar
diplomatische Verabredungen einzulassen. Dies Aktenstück ist durch-
aus vertraulicher Natur, sein Inhalt daher von um so grösserer Be-
deutung. Es ist keineswegs allein die bayerische Erbfolgefrage, die
darin behandelt wird, sie nimmt auch nicht den grössten Raum ein;
doch kommt das, was auf sie Bezug hat, allein für diese Untersuchung
in Betracht.
») Lehrbach an Kaunitz. Mainz 10. u. 13. Dezember. Orig. H. H. u. St. A.
— Lehrbach an Beckers s. d. et 1., Extract, von Riaucour nach Dresden geschickt,
Mannheim 21. Dezember 1776. Dresdener Archiv. Loa 2628 — des Geh. Rats
Grafen von Riaucour Abschickung vol. XXX.
2) Sie ist datirt vom 22. Dezember 1776; veröffentlicht von A. Beer im
Archiv für Osten-. Gesch. Bd. 48. 1872.
80
U n z e r.
Von vornherein lässt Kaunitz keinen Zweifel darüber, dass die
von dem Wiener Hof geltend zu machenden Ansprüche auf bayerische
Gebietsteile, obwohl an sich gewichtig und einleuchtend, doch noch
keineswegs als unanfechtbar bezeichnet werden könnten, denn man
wisse ja nicht, ob nicht Pfalz etwa stichhaltige Einwendungen und
begründete Gegenansprüche vorzubringen vermöge. Andererseits habe
aber auch kein einziger Staat ein Interesse daran, dass Österreich sich
durch einen Zuwachs an bayerischem Gebiet vergrössere; im Gegen-
teil sieht er es als sicher an, dass verschiedene Höfe die äussersten
Mittel anwenden werden, um diese Machterweiterung zu verhindern.
Ein schwerer und höchst gefährlicher Krieg gilt ihm als nahezu un-
vermeidlich, falls Oesterreich den Besitz Bayerns behaupten wolle;
eine Verständigung mit Preussen und Russland könne zwar zu dem-
selben Ziele führen, aber man werde dann dem verhassten preussi-
schen Nachbar einen gleichwertigen Gebietszuwachs gönnen müssen.
Die Ansprüche des Erzhauses, so legt die Denkschrift dar, er-
strecken sich nicht auf ganz Bayern, sondern nur auf Niederbayern.
Oberbayern kann dagegen als verfallenes Lehen in Sequester genommen
und dann auf Grund der Reichsgesetze für den Unterhalt des jeweili-
gen Kaisers bestimmt werden. Hierzu sind Verhandlungen mit dem
Reich, sowie mit verschiedenen deutschen und fremden Höfen erfor-
derlich; da diese aber unabsehbare Weiteruugen herbeiführen können,
so wird es am zweckmässigsten sein jetzt, da die Erbfolge bereits viel-
fach erörtert wird und man gar nicht mehr in der Lage ist die In-
teressenten an Verabredungen untereinander zu hindern, aus der bis-
herigen Unthätigkeit herauszutreten und die ganze Frage durch eine
Vereinbarung mit Kurpfalz aus der Welt zu schaffen. Zweck dieser
Vereinbarung soll sein, die beiderseitigen Ansprüche festzustellen und
anzuerkennen, dann aber sogleich dem Erzhaus ein Aequivalent zu
bestimmen für Niederbayern, auf das es begründete Ansprüche macht ;
auch will der Kaiser alsdann auf die Einziehuug der heimgefallenen
Reichslehen verzichten. Zu dem auf dieser Basis zu schliessenden Ver-
trag wird die Zustimmung Frankreichs und anderer unparteiisch den-
kender Höfe leicht zu erhalten sein, während der König von Preussen
ganz aus dem Spiel gehalten wird. Am meisten erwünscht wären nun
für Oesterreich als Aequivalent die zwischen Inn und Donau gelegenen
bayerischen Besitzungen, sowie die Oberpfalz mit Neuburg und Sulz-
bach; für die letztgenannten beiden Herzogtümer könnte vielleicht
ein Teil der österreichischen Vorlande abgetreten oder die Zahlung
einer massigen Geldsumme an Sachsen wegen seiner Allodialansprüche
übernommen werden.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 8|
Diese Abrundung des österreichischen Länderbesitzes verschafft dem
Erzhaus zugleich eine Vermehrung seiner Einkünfte, besonders wichtig
aber ist, dass die Zustimmung des Reichs und der fremden Höfe kaum
bezweifelt werden kann. In jeder Beziehung ist also dieser Plan vor-
teilhaft und auch einem etwaigen Austausch des ganzen Herzogtums
Bayern gegen die Niederlande vorzuziehen. — Soweit die Denkschrift.
Unter den fremden Mächten, deren Zustimmung für das Gelingen
des Kaunitz'schen Planes wichtig war, stand Frankreich obenan. Als
Garant des Westpfälischen Friedens hatte der Nachfolger Ludwig XIV.
die Möglichkeit sich bei jeder Gelegenheit in die Angelegenheiten des
Deutschen Keichs einzumischen ; aber auch als Verbündeter Oesterreichs
konnte er verlangen, dass ihm von so weittragenden Plänen frühzeitig
Mitteilung gemacht werde. Mit dieser Mitteilung nun gedachte Kaunitz
den Kaiser zu beauftragen, zugleich sollte er die Verhandlungen über
Frankreichs Einwilligung in Gang bringen.
Gewiss bedauerte es der Staatskanzler aufs Tiefste, als der Kaiser
seine Keise bis zum Frühjahr hinausschob; eine Gelegenheit zur An-
knüpfung, wie sie günstiger kaum gedacht werden konnte, ging dadurch
verloren; denn die Eröffnungen an den Versailler Hof abermals um
ein Vierteljahr zu verzögern, den Kurfürsten von der Pfalz noch länger
hinzuhalten schien bedenklich; so musste der regelmässige diplomati-
sche Weg betreten werden, um die Unterhandlung einzuleiten.
Der Vertreter des Kaiserhofes in Frankreich war ein langjähriger
Vertrauter der Kaiserin-Königin, Graf Mercy-Argenteau, dem auch der
Staatskanzler unbedingtes Vertrauen schenkte. An ihn erging bald nach
dem Aufschub der Keise des Kaisers der Befehl, bei der ersten günsti-
gen Gelegenheit die bayerische Erbfolge zur Sprache zu bringen. Ein
Gespräch mit dem Minister des Auswärtigen, Grafen Vergennes über
die Erbfolge in Jülich-Berg bot bald den gesuchten Anknüpfungs-
punkt; Mercy sprach den Wunsch aus, dass gleichzeitig mit jener
Frage ein Uebereinkommen wegen der bayerischen Succession getroffen
werde; der König von Preussen habe dieserhalb dem Wiener Hof
bereits böse Absichten angedichtet und auch andere Staaten entfalteten
schon eine emsige Thätigkeit, während man in Wien bisher den Fall
als noch zu fern liegend angesehen habe, um Vorkehrungen zu treffen.
Indes scheine es jetzt an der Zeit zu sein, mit der Sprache herauszu-
rücken und zugleich dem Verbündeten Mitteilung zu machen.
Längst schon hatte das Versailler Cabinet den über den Rhein
herüber dringenden Gerüchten von Verhandlungen zwischen den an
der bayerischen Erbschaft Beteiligten Aufmerksamkeit geschenkt; der
französische Gesandte in Mannheim, Odunne war durch vortreffliche
Mittheilungeu XV. Ö
g2 U n z e r.
Verbindungen im Stande, manche wertvolle Nachricht nach Versailles
gelangen zu lassen und seine Haltung beweist, dass das französische
Ministerium, bevor es officiell durch Mercy von dem Stand der Dinge
Kenntnis erhielt, seine Ansicht sich bereits gebildet hatte. Doch hielt
es Vergennes nicht für zweckmässig, Mercy seine eingehende Bekannt-
schaft mit der Frage zu verraten: er schützte mangelhafte Kenntnis
der deutschen Reichsverfassung vor, um die sofortige Beantwortung zu
umgehen. Der Botschafter legte ihm nun dar, dass die Frage mit
Hilfe des Keichslehenrechts, der Bestimmungen des Westpfälischen
Friedens und der kaiserlichen Wahlkapitulation leicht und einfach zu
lösen sei; danach habe Kurpfalz nur Anspruch auf die fünfte Kur-
würde und auf die Oberpfalz ; alles Uebrige sei Lehen und zwar Reichs-
lehen, das mit Zustimmung des Reichs entweder neu vergeben oder
als ein beständiges Domanium für den jeweiligen Kaiser verwendet
werden müsse, — oder aber Lehen der Krone Böhmen und anderer
Staaten. Ganz so einfach schien der Sachverhalt dem französischen
Minister indes doch nicht zu sein; er entgegnete, seiner Ansicht nach
träten beim Erlöschen einer Linie die Agnaten aus der andern Linie
sofort als Erben ein; auch müsse man auf die Hausverträge Rücksicht
nehmen. Mercy versetzte schlagfertig, der Eintritt der Agnaten sei
nur möglich, wenn sie die Mitbelehnung empfangen hätten; was aber
die Hausverträge betreffe, so seien sie nur gültig, soweit sie die Rechte
Dritter nicht schädigten — vorausgesetzt, dass sie in Folge der
Bestätigung durch Kaiser und Reich überhaupt reichsrechtliche Giltig-
keit besässen.
So bestimmt Mercy auch die Einwände des Ministers zurückwies,
so wenig vermochte er ihn zu überzeugen; er hielt es schliesslich bei
der sichtlichen Verstimmtheit Vergennes für ratsam, zunächst sich mit
den gemachten Andeutungen zu begnügen „ und das hiesige Ministerium
nicht auf einmal allzu schüchtern machen zu sollen, massen es solcher-
gestalten den ganzen Umfang unserer Ansprüche nicht einsiehet und
uns gleichwohl keiner Verschlossenheit beschuldigen kann."
Entsprach schon die Aufnahme dieser einleitenden Eröffnungen
den Wünschen des Wiener Hofes durchaus nicht, so zeigten die Aeusse-
rungen des französischen Botschafters in Wien, der sich damals gerade
in Baris auf Urlaub befand, dass Oesterreich mit seinen bayerischen
Plänen bei Frankreich auf starken Widerstand stossen werde. Baron
Breteuil machte gegen Mercys Vorbringen dieselben Einwendungen wie
Vergennes, und als der Vertreter Maria Theresias die Agnatenerbfolge
und die Gültigkeit der Hausverträge auch ihm gegenüber nur bedingt
zugeben wollte, erklärte er, mit solchen Grundsätzen werde man das
Die Entstellung der pfälzisch*österr. Convention v. 3. Jan. 1778. g$
ganze deutsche Reichssystem umstürzen. In seinem Bericht an Kaunitz
bemerkte Mercy, es gebe nur zwei Arten der Erklärung für die Hal-
tung der französischen Staasmänner: entweder sei die bayerische Erb-
folgefrage schon von andrer Seite in Oesterreichfeindlichem Sinne
augeregt worden oder die leitenden Grundsätze seien in Paris durch-
aus verschieden von denjenigen, die man in Wien befolge 1).
Aber noch eine andere Erfahrung machte Mercy, die ihm eben-
falls peinlich war: immer deutlicher zeigte sich das Bestreben Ver-
gennes alle wichtigeren diplomatischen Verhandlungen von Versailles
weg an die fremden Höfe zu verlegen, wo sie von den französischen
Gesandten geführt werden sollten. Als der pfälzische Gesandte Graf
Sickingen mit dem Minister über die Jülich -Berg'sche Trage sprechen
wollte, erhielt er den Bescheid, Breteuil, der bald nach Wien zurück-
kehre, sei mit den nötigen Weisungen versehen; fast ängstlich wich
Vergennes jedem Zusammentreffen mit dem kaiserlichen Botschafter
aus, das zu eingehenden Auseinandersetzungen Gelegenheit geboten
hätte.
Am 24. März trat Breteuil die Rückreise nach Wien an; seine
Instruction legt Zeugnis ab von der in den französischen Regierungs-
kreisen herrschenden Verstimmung gegen den Kaiserhof *). Das gemein-
same Vorgehen Mercys und Sickingens in der Jülich-Berg'schen An-
gelegenheit hatte nämlich in Paris den Verdacht erweckt, als ob bereits
seit längerer Zeit Verhandlungen zwischen Mannheim und Wieu im
Gange seien, die man vor dem Alliirten geheimgehalten habe. Ja,
man glaubte sich zu dem Vorwurf berechtigt, Oesterreich habe bisher
stets nur seine eigenen Interessen verfolgt, selbst wenn sie zu denen
des Bundesgenossen im Gegensatz standen; es habe sogar nach alter
Gewohnheit bei den meisten Unterhandlungen Frankreichs im Aus-
land, zumal an den deutschen Höfen, dessen Absichten bald offen,
bald insgeheim bekämpft. Doch gestand die Instruction auch wieder
zu, dass seit dem bedrohlichen Vorgehen der Russen auf der Krim
darin eine bedeutsame Veränderung zum Besseren eingetreten sei und
zwar wesentlich durch die freimütige Eröffnung des österreichischen
Ministeriums über alle wichtigeren Fragen der internationalen Politik,
die dann den Anstoss zu einem Meinungsaustausch und zu lebhafterem
diplomatischen Verkehr gegeben habe. Die Frage nun, welche zur
Zeit der Reise Breteuils im Vordergrund des Interesses stand, war die
') Mercy an Kaunitz. Paris 19. Februar 1777. Orig. H. H. u. St. A. Frank-
reich. Correspondenz 208.
-) Instruction für Breteuil vom 2. März 1777. Recucil des Instructions t. I.
Autriche p. 501 ft'.
6*
g4 Unze r.
orientalische ; an ihrer Lösung war Oesterreich als Nachbar Russlands
und der Türkei nahe beteiligt. Das Verhältnis zu Preussen trat für
die Wiener Staatsmänner hinter jene brennende Frage kaum für einen
Augenblick zurück. Erst in dritter Linie kam das Interesse Oesterreichs
an der Succession in Jülich-Berg und an der bayerischen Erbfolge.
Ueber diese Punkte hatte der Wiener Hof dem Grafen Vergennes durch
Mercy seine Ansicht aussprechen lassen ; Breteuil sollte die Antwort
darauf überbringen.
Die für uns vorwiegend in Betracht kommende bayerische Erb-
folgefrage erfährt in dieser Antwort eine sehr kurze Abfertigung, sie
wird bezeichnet als eine noch im Stadium theoretischer Erörterungen
befindliche Angelegenheit, über die das französische Ministerium weitere
Aufklärungen erwarte, bevor es eingehender dem König berichten und
dem Botschafter Weisung geben könne. Vergleicht man diese knappe
Erwähnung mit der ausführlichen Besprechung der Jülich-Berg'schen
Succession in Breteuils Instruction, so ergibt sich, dass Vergennes nicht
o-ewillt war sich mit den dürftigen Andeutungen Mercy s vom Februar
zu begnügen, dass er aber auch keineswegs die Kegelung der bayeri-
schen Erbfolge für besonders dringlich hielt. Offenbar war ihm das
Aufwerfen dieser Frage in dem gegenwärtigen Augenblick, da die Auf-
merksamkeit Frankreichs ebenso sehr von den Vorgängen in der Krim
wie in den amerikanischen Colonien in Anspruch genommen wurde,
recht unbequem. Im Ganzen genommen war man aber doch zufrieden,
dass der Kaiserhof sich endlich einmal offen und vertrauensvoll an
seinen Alliirten gewendet hatte; deshalb wurde Breteuil angewiesen,
durch freimütige Aussprache, wenn möglich, die Anknüpfung einer
vertraulichen Corresponuenz herbeizuführen und so allen bisher recht
zahlreichen Missverständnissen vorzubeugen.
So also lagen die Dinge, als Kaiser Josef in den letzten Tagen
des März 1777 die Reise nach Frankreich antrat. Schon in ruhigen
Zeitläuften hätte dieses Ereignis die Blicke von ganz Europa auf sich
gelenkt; um wie viel mehr musste dies der Fall sein in einem Augen-
blick, da im Osten und im Westen des Weltteils schwere Gewitter-
wolken am politischen Himmel den Ausbruch blutiger Kriege anzu-
kündigen schienen, da im Innern des deutschen Reichs in Folge des
Scheiterns der Kammergerichtsvisitation die Spannung zwischen
Katholiken und Protestanten einen bedenklich hohen Grad erreicht
hatte !
Es scheint fast, als habe man in Versailles Kenntnis gehabt von
der Kaunitz'schen Denkschrift vom Dezember des Vorjahrs und von
dem Zweck, den sie verfolgte. Schon hatte Joseph die französische
Die Entstehung der plälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 177S. 85
Grenze überschritten, da verfasste auch Vergennes eine Instruction für
seinen jungen, noch unerfahrenen Monarchen, um ihn zu warnen vor
den Fallstricken seines hohen Gastes. Da man Joseph die Absicht zu-
schrieb den Einfluss seiner Schwester, der Königin Maria Antoinette
zu vero-rössern und durch sie den Herzog von Choiseul und den Baron
Breteuil ins Ministerium zu bringen, war der Ton der Denkschrift
ziemlich gereizt. Auch in ihr missbilligt der Minister aufs Schärfste
die Art, wie die Allianz von Oesterreich bisher missbraucht worden
sei. wie der Wiener Hof das Vertrauen der deutschen Fürsten auf
Frankreichs Beistand bei der Verteidigung ihrer Eechte zu unter-
graben gesucht habe. Er legt die Ungleichheit der Vorteile dar, welche
die Allianz ihren Theilnehmern biete und warnt davor, neue Ver-
pflichtungen zu übernehmen, etwa des Inhalts, dass Frankreich im
Notfall Oesterreich mit allen seinen Mitteln unterstütze. Das Ziel des
Wiener Hofes könne bei solchen Forderungen immer nur die Ver-
nichtung Preussens sein; gerade dieser Staat sei aber das letzte Boll-
werk gegen den österreichischen Ehrgeiz, das Frankreich in seinem
eigenen Interesse aufrecht erhalten müsse. Eben dieses Interesse Frank-
reichs verbiete auch eine Vergrösserung der österreichischen Macht, die
selbst bei der Hingabe der Niederlande oder Vorderösterreichs als
Aequivalent zu unermesslichem Schaden Frankreichs ausschlagen werde.
Die Bewahrung des bestehenden Zustandes in Mitteleuropa, die Erhal-
tung des Gleichgewichts der Mächte wird von Vergennes als der lei-
tende Gedanke der französischen Politik hingestellt.
Doch die Besorgnisse des Ministers vor gefährlichen Plänen Josephs
erwiesen sich als unbegründet; der Kaiser kam nach Frankreich, um
seine Schwester wieder zu sehen, seinen Schwager und den französi-
schen Hof kennen zu lernen; die Absicht Politik zu treiben lag ihm
fern. Und so ist auch wahrscheinlich die bayerische Erbfolgefrage bei
seinem Aufenthalt in Versailles gar nicht einmal ausführlich erörtert
worden x).
Während der Abwesenheit Josephs von Wien wurden in der
Staatskanzlei alle Vorbereitungen getroffen, um nach der Rückkehr
des Monarchen die Entscheidung über die weitere Behandlung sowohl
der Jülich-Berg'schen als der bayerischen Erbfolge herbeizufühen. Ein
lebhafter Meinungsaustausch mit dem pfälzischen Hofe hatte bereits
') Vergleiche Riaucours Schreiben an Stutterheim. Mannheim 7. Juni 1777.
ürig. ; on pretend au reste qu' il sera tres-difficile d' approf'ondir si 1' Ernpereur
a parle d' affaire en France et que tout ce qu'on avance lä-dessus rt'est fonde
que aur des conjectures incertaines. Dresdener Archiv.
<^q Unze r.
wesentlich zur Klarstellung der beiderseitigen Ansprüche beigetragen.
Die Antwort des Wiener Ministeriums auf die pfälzische Anregung in
der Jülich-Berg'scheu Angelegenheit vom November 1776 hatte, wie
erwähnt, entgegenkommend gelautet; Kurfürst Karl Theodor hatte
daraus Anlass genommen in seinem Dankschreiben den Wunsch aus-
zusprechen, „dass Sie ebenmässige gewübrigste Neigung zu der Ihro
nicht weniger am Herzen liegenden friedlichen Berichtigung über die
eventuale bayerische Erbfolge Sich zu getrösten haben niögten". Als
auch hierauf eine günstige Antwort erfolgte, erklärte Karl Theodor,
dass er in beiden Angelegenheiten sein ganzes Vertrauen auf den
Wiener Hof setze (am 14. Februar 1777) und wies seinen Gesandten
Freiherrn von Eitter an sich in diesem Sinne zu äussern *) ; einen
unzweideutigen Beweis dieser Gesinnung gab dann Beckers, indem er
dem Freiherrn von Lehrbach einen Auszug aus der sehr umfangreichen
Denkschrift des pfälzischen Staatsrats von Cuntzmann übermitteln liess,
worin die Ansprüche des Kurfürsten auf die bayerische Erbschaft dar-
gelegt und rechtlich begründet wurden, die zugleich aber auch die
Mittel und Wege angab, wie Kurpfalz in den Besitz des Erbes gelan-
gen könne. Das alleinige Heil sieht der Verfasser jetzt, nachdem er
früher anderer Ansicht gewesen war, in rückhaltlosem Anschluss an
den Kaiser; schon die Klugheit gebiete dies Verhalten, denn die
kaiserlichen Ansprüche auf die unmittelbaren Reichslehen seien be-
gründet und ihre Geltendmachung werde zu den grössten Unbequem-
lichkeiten für Kurpfalz führen ; auch könne der Wiener Hof sehr zum
Nachteil von Pfalz die kursächsischen Ansprüche auf das Allodium
unterstützen. Die Denkschrift empfiehlt einen Gebietsaustausch: Karl
Theodor erhält die Reichslehen, die im Besitz der bayerischen Linie
gewesen sind, und gibt dafür das Land jenseits des Inns ganz oder
zum Teil an 0 esterreich ab. Der Wiener Hof soll auch versprechen,
sich in Berlin für die Erneuerung der preussischen Garantie wegen der
sulzbach'schen Nachfolge in Jülich-Berg zu verwenden. — Es war das
Programm, der Operationsplan des kurpfälzischen Hofes, den Beckers
dem kaiserlichen Gesandten überlieferte 2).
') Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Dankschreiben Karl Theodors mit
dem Schreiben vom 14. Februar, die erwähnte günstige Antwort mit der auf die
Anregung vom November 1776 erfolgten identisch ist ; die Akten, denen ich hier
folge, drücken sich nicht deutlich aus. Uebrigens scheint mir die Frage, ob ein
oder zwei Schreiben ergangen sind, von nur geringer Bedeutung zu sein.
2) Lehrbach an Kaunitz, Mainz 4. März 1777, sendet den ihm zugesandten
Auszug, der »von einer vertrauten Person in grosser Eile ohne Jemandes Vor-
wissen angefertigt worden* sei. H. H. u. St. A.
Die Entstehung der pfälzisck-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. §7
Da an der Aufrichtigkeit Karl Theodors und seines leitenden
Staatsmannes nach einer so weitgehenden Eröffnung nicht mehr zu
zweifeln war, beantragte Kaunitz am 15. März in einem der Kaiserin-
Königin gehaltenen Vortrage, dem Kurfürsten nun auch diejenigen
Ansprüche mitzuteilen, welche das Erzhaus Oesterreich an die bayeri-
sche Erbschaft zu haben glaube ; dadurch erwidere man das Vertrauen
und beuge zugleich nachteiligen Uebertreibungen vor, an denen es
die Gegner schwerlich fehlen lassen würden. Mit dieser Aufgabe wurde
Binder, der treue Gehülfe des Staatskanzlers, betraut; er übergab
Kitter zwei Denkschriften, deren eine den Nachweis führte, dass die
bayerischen Lande nach dem Erlöschen des wilhelminischen Mannes-
stammes als eröffnete Reichslehen zu betrachten seien, während die
andern die österreichischen Ansprüche auf einige Teile Bayerns
darlegte1). Mündlich machte Binder dazu die Bemerkung: „dass nur
das vertrauliche kurfürstliche Benehmen das kaiserliche Ministerium
bewogen hätte über einen Gegenstand so offenmütig zu Werke zu
gehen, welchen man ansonsten bis auf den sich ergebenden Fall
beruhen und dem diesseitigen Gerechtsamen günstig glaubenden Schick-
sale zu überlassen gemeinet gewesen wäre " -).
Die pfälzische Antwort auf diese Eröffnung liess lange auf sich
warten ; erst Anfang Juli übergab Ritter eine Widerlegung der beiden
Aufsätze. Die Behauptung, dass das Fehlen der gleichzeitigen Investi-
tur der rudolphmischen Linie den Rückfall der bayerischen Lande an
das Reich nach sich ziehe, liess man in Mannheim nicht gelten ; man
suchte zu beweisen, dass allein das Recht der gemeinsamen Abstam-
mung entscheide und dass demnach das Herzogtum Bayern an Kur-
pfalz fallen müsse. Nicht so bestimmt sprach man sich über die An-
sprüche von Kaiser und Reich auf die Neoacquisita und über die
österreichischen Ansprüche aus3). Gegen die hier vorgebrachten Ein-
wendungen richtete sich eine Erwiderung der Staatskanzlei; dem wei-
teren Notenwechsel gingen mündliche Besprechungen mit Ritter zur
Seite ; dabei machte der Gesandte auch einmal den Vorschlag, Oester-
reich möge die ganze bayerische Erbschaft einschliesslich der Öberpfalz,
sowie die Herzogtümer Neuburg und Sulzbach nehmen und dafür ein
angemessenes Aequivalent geben, doch zog er sich durch seinen Ueber-
') Vergl. Beer in der hist. Ztschrft, Band 35 S. 96 und Arneth, Maria
Theresia Bd. 10, S. 296.
2) Denkschrift Ritters. Wien 14. Januar 1778. ürig. Bayer. Geh. St. A.
K. schw. 329/32.
3) Kaunitz Vortrag vor Maria Theresia vom 23. August 1777. Orig. H. H.
u. St. A. Vorträge 176.
88
Unze r.
eifer einen scharfen Verweis seines Vorgesetzten zu. da von einer
Abtretung der Überpfalz. Xeuburgs und Sulzbachs niemals die Bede
sein könne, sondern nur von der Hingabe Ober- und Niederbayerns.
- weit -waren die Verhandlungen gediehen, als Kauuitz der Kaiserin -
Könioön den entscheidenden Vortrag vom 23- August hielt.
Obwohl man in Wien und Mannheim über alle Verhandlungen,
die auf die bayerische Erbschaft Bezug hatten, das grösste Geheimnis
walten Hess, drangen doch mancherlei Gerüchte in die Oeffentlichkeit.
Gegen Ende Mai erfuhr Biaucour. dass die Differenzen Kursachsens
mit dem böhmischen Lehenshof wegen der Grafschaft Schoenburg
Beckers Anlass gegeben hätten ein Abkommen über die bayerische
Erbschaft in Wien anzuregen — übrigens ein Lieblingsplan dieses
Ministers — und dass man österreichiseherseit? jetzt nicht mehr die
frühere Abneigung gegen diese Begehung zu zeigen scheine: bald
wurde ihm Niederbayern oder das Land östlich des Inns als dasjenige
Gebiet bezeichnet, welches auf Grund eines kürzlich getroffeuen Ab-
kommens an Oesterreich fallen sollte l). Gar manche Anzeichen sprachen
für die Richtigkeit dieser Angaben ; Lehrbach wurde am kurfürstlichen
Hoflager zu Schwetzingen zuvorkommender als je empfangen und auch
an den üblichen vertraulichen Besprechungen mit Beckers fehlte es
nicht, als er vom 21. bis 26. Mai sich in Mannheim aufhielt. Auch
die Beise. die er fast unmittelbar danach zu dem Herzog Karl von
Zweibrücken unternahm (31. Mai bis 3. Juni), um sein Beglaubigungs-
schreiben zu überreichen, konnte so gedeutet werden, als ob er die
Zustimmung des nach Karl Theodor nächsten Erbberechtigten zu einer
Vereinbarung einholen wolle. Aber der Schein trog: Lehrbach spielte
in dieser Angelegenheit nur eine untergeordnete Bolle, die Verkand-
hingen über die Begehung der baverischen Erbfolge wurden in Wien
geführt. In Mannheim war davon höchstens ganz im Allgemeinen die
Bede, in Jaegersburg. dem herzoglichen Jagdschloss, vielleicht über-
haupt nicht. Trotzdem ist Lehrbachs Besuch durchaus nicht ohne
Bedeutung, insofern nämlich als der Gesandte die VermittleiTolle
übernommen hatte zwischen den augenblicklich auf gespanntem Fuss
mit einander stehenden Höfen von Mannheim und Zweibrücken; es
gelang ihm durch offene Aussprache mit dem Herzog eine Wieder-
annäherung zu erwirken, die bald nachher zu vollständiger Aussöhnung
fohlte - '). Da der Herzog bisher eine starke Hinneignng zu Erank-
J) Riaucour an Stutterheim. Mannheim 27. u. 31. Mai 1777. Orig. Xr. 43
u. 44. Dresdener Archiv.
- Lehrbach an Kaunitz. Mainz 7. Juni, Mannheim 17. Juli 1777. Orig.
H. H. u. St. A.
Die Entstehung der plillzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 39
reich o-ezeigt hatte, von wo er beträchtliche und bei seiner leicht-
sinnigen Finanzwirtb schaft kaum zu entbehrende Hilfsgelder erhielt,
das französische Ministerium aber den österreichischen Ansprüchen auf
Bayern nicht günstig gesinnt war, konnte die Versöhnung mit Kur-
pfalz, das sich dem Wiener Hofe in die Arme geworfen hatte, zugleich
als eine Annäherung an diesen gelten, und die Gefahr, dass Frank-
reich sich des Herzogs zur Durchkreuzung der österreichischen Pläne
bedienen werde, war dadurch verringert. — Noch mehrmals tauchten
im Laufe des Sommers 1777 Gerüchte von Verabredungen zwischen
Pfalz und Oesterreich in Mannheim auf, indes stellte sich jedesmal
bald heraus, dass sie wenig Wahrscheinlichkeit besassen.
Am 1. August, dem Tage, da Joseph von seiner Reise wieder in
die österreichische Hauptstadt zurückkehrte, hatte Kaunitz bereits bei
der Kaiserin-Königin in Anregung gebracht, dass der pfälzische Ge-
sandte Freiherr von Bitter bei seinem Hofe um die Erlaubnis nach-
suche, sich zu persönlicher Berichterstattung und Empfangnahme von
Weisungen nach Mannheim begeben zu dürfen; er begründete seinen
Antrag damit, dass die Vorbereitungen und Ausarbeitungen weit genug
vorgeschritten seien, um demnächst der Allerhöchsten Beurteilung
und Entscheidung vorgelegt zu werden *). Maria Theresia gab ihre
Einwilligung, Ritter fragte in Mannheim an und erhielt umgehend die
erbeteue Erlaubnis.
Auf Grund der inzwischen beendeten Vorarbeiten trug nun der
Staatskanzler am 23. August die bayerische Erbfolgefrage in ihrer
geschichtlichen Entwicklung seiner Monarchin vor, er legte die augen-
blickliche Sachlage dar und knüpfte daran eine Reihe von Fragen,
deren Beantwortung für das weitere Verhalten des Wiener Hofes ent-
scheidend werden musste; er verfehlte indes nicht jedes Mal gleich
diejenige Antwort hinzuzufügen, welche seiner Ansicht nach die einzig-
richtige war. Den wesentlichen Inhalt hat Arneth in seiner Geschichte
Maria Theresias mitgetheilt 2) ; ich begnüge mich die von Kaunitz
gefundenen Ergebnisse aus den vielseitigen Ueberlegungen kurz zu-
sammen zu fassen. Der Staatskanzler rät nichb den Tod Maximilian
Josephs abzuwarten, um Oesterreichs und des Kaisers Rechte geltend
zu machen, sondern vorher und zwar möglichst bald eine Convention mit
dem pfälzischen Hofe abzuschliessen. Darin soll Karl Theodor die
Ansprüche des Erzhauses auf Niederbayeru und Mindelheim aner-
kennen, wogegen Oesterreich die pfälzische Besitzergreifung Ober-
') Vortrag Kaunitz' vom 1. August 1777. H. H. u. St. A.
2) Band 10. Seite 297—301.
90 Unze r.
bayerns, allenfalls auch der Neoaquisita zuzulassen verspricht. Dem-
nach werde der Vertrag nichts anderes enthalten als eine wechselseitige
Anerkennung der beiderseits herabgeminderten und in Uebereinstim-
mnng gebrachten Kechtsansprüche auf die bayerische Erbschaft; trete
Karl Theodor dann mehr Gebiet ab, als er durch die Convention ver-
pflichtet sei. so werde er — aber nur dafür — ein Aequivalent er-
halten ; doch müsse dies späterer Vereinbarung vorbehalten bleiben.
Diese Regelung auf Grund der beiderseits anerkannten Ansprüche zieht
Kaunitz als die einfachste jeder anderen Lösung der Frage vor, weil
dabei kein Aequivalent erforderlich ist. Die Schwierigkeiten, die sich
der Beschaffung eines passenden Ausgleichsobjectes bei der Abtretung
von Oberbayern, Oberpfalz, Sulzbach und Neuburg oder auch nur bei
der Ueberlassung des Herzogtums Oberbayern an Oesterreich entgegen
stellen, hält er für so gross, dass er von diesen Plänen abzusehen
empfiehlt 3). Auf Grund dieser Darlegung erbat und erhielt Kaunitz
die Erlaubnis der Kaiserin, die auf den Abschluss einer Convention
abzielenden Verhandlungen mit Kurpfalz fortzusetzen ; auch der Kaiser
gab seine Zustimmung.
Alle rechtlichen und politischen Bedenken, welche gegen die An-
sprüche des Hauses Oesterreich auf die bayerische Hinterlassenschaft
etwa vorgebracht werden konnten, fasste der Staatskanzler in einem
weiteren Vortrag (vom 24. August) zusammen; bei der schriftlichen
Ausarbeitung findet sich die Bemerkung : „ Auf hohen Befehl Niemandem
zu communiziren * 2). Offenbar wollte er seinen Antrag rechtfertigen.
in einem Vergleich einen Theil der Ansprüche aufzugeben, anstatt auf
dem Eecht in vollem Umfang zu bestehen. Auf seinen Wunsch wurde
nun auch die Reichskauzlei von der bevorstehenden Unterhandlung in
Kenntnis gesetzt und zwar geschah dies durch ein kaiserliches Schreiben
an den Fürsten Colloredo, worin Joseph unter Einschärfnng strengster
Verschwiegenheit befiehlt sich mit der Staatskanzlei in Verbindung zu
setzen 3).
Nachdem Maria Theresia die von Kaunitz vorgeschlagenen Grund-
sätze genehmigt und ihm die Fortführung der Verhandlung mit Ritter
völlig überlassen hatte, waren noch weitere wichtige Entscheidungen
zu treffen, nämlich ob man Frankreich von der Unterhandlung Kennt-
nis geben, wann und in welchem Umfange dies geschehen solle. Eine
vorläufige Mitteilung allgemeiner Art war ja schon im Februar durch
') Vortrag Kaunitz' vom 23. August 1777. H. H. u. St. A.
-') Vergl. Beer, hist. Ztschr. Bd. 35 S. 99/100.
s) Der Kaiser an Colloredo 2. September 1777. Beer, hist, Ztschr.Bd. 35 S. 100.
Die Entstehung der piälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 91
Mercy gemacht worden ; Vergennes hatte aber damals , wie er-
wähnt, die Besprechung der bayerischen Frage zu vermeiden ge-
sucht und den Wiener Hof an ßreteuil gewiesen. Bald nach der
Rückkehr des Botschafters nach Wien, die am 9. April erfolgte,
hatte dann Kauuitz mit ihm eine Besprechung über die bayerische
Erbfolge gehabt und darin ausgeführt, Oesterreich böten sich zwei
Wes-e zum Ziel: entweder warte es den Tod des Kurfürsten
Maximilian Joseph ab oder es regle vor dem Eintritt dieses Ereignisses
die ganze Angelegenheit durch eine Vereinbarung mit Kurpfalz. Die
Ende Mai erteilte offizielle Autwort des Botschafters hatte sich darauf
für den Weg des Vergleichs ausgesprochen und die Mitwirkung Frank-
reichs zur Herbeiführung eines Arrangements angeboten. Mit Dank
waren die Anzeichen einer entgegenkommenderen Stimmung in Wien
begrüsst worden und Mercy hatte Weisung erhalten, im Namen der
Kaiserin diesem Dank für die freundschaftlichen Eröffnungen Breteuils
Ausdruck zu geben und die Zusicherung zu erteilen, dass der Wiener
Hof sich mit dem französischen Ministerium über alle ferneren Mass-
nahmen in vertrauliches Einvernehmen setzen werde 1). Nachdem in-
zwischen die Vorverhandlungen mit Ritter stattgefunden hatten, während
deren keine weitere Eröffnung in Versailles erfolgt war, beantragte
jetzt der Staatskanzler, die französische Regierung sogleich rückhalt-
los von der geplanten Unterhandlung zu benachrichtigen und die
wegen der Jülich-Berg'schen Garantieerneuerung doch notwendige
Ministerialäusserung an Kurpfalz als Anlass und Anknüpfungspunkt zu
bezeichnen, wie dies Vergennes selbst als zweckmässig empfohlen
habe. Für ihn war die Annahme massgebend, dass Karl Theodor sich
ohne Einwilligung des französischen Ministeriums überhaupt wohl
kaum auf Vereinbarungen von solcher Tragweite wie die geplanten,
einlassen werde; er hoffte aber auch, dass Kurpfalz die österreichi-
schen Vorschläge eher annehme, wenn sie vorher in Versailles ge-
billigt worden seien. Zugleich konnte er dann, Frankreichs Zustim-
mung sicher, etwaigem Widerspruch von andrer Seite zuversichtlicher
entgegen sehen. Indes wollte er den französischen Hof doch nicht
mehr als das Nötigste erfahren lassen; Mercy sollte nur darlegen,
welche Ansprüche Oesterreich auf Niederbayern, Mindelheim und die
böhmischen Lehen geltend mache und wie es gegen deren Anerkennung
auf pfälzischer Seite das Recht der gemeinsauien Abstammung und die
daraus zu ziehenden Folgerungen zulassen wolle.
') Mercy an Kaunitz. Paris — das Datum fehlt, da von der Depesche nur
der erste Bogen vorhanden ist — wohl 22. Juni 1777; präsentirt Wien 29. Juni.
Orig. H. H. u.. St. A. Frankreich 208.
92 Unze r.
Am 21- September erhielt Eitter die Antwort der Staatskanzlei
auf sein Memoire vom 22. Mai wegen der Erneuerung der preussisch-
pfälzischen Convention von 1741 über die Jülich-Berg'sche Erbfolge l),
kurz darauf verliess er Wien und begab sich nach Mannheim; etwa
Mitte November gedachte er auf seineu Posten zurückzukehren. Er
durfte dem Kurfürsten mitteilen, der Kaiserhof werde, sobald Kurpfalz
die Grundzüge der Vereinbarung augenommen und die österreichischen
Ansprüche auf Niederbayern uad Mindelheim anerkannt habe, nicht
abgeneigt sein „in ein der beiderseitigen Convenienz angemessenes
Arrangement oder Austausch dieser Forderung nach ihrem Wert ein-
zugehen. " Auch mit anderen Versprechungen waren Kaunitz und Collo-
redo nicht sparsam gewesen, als Ritter sich bei ihuen verabschiedet
hatte ; besonders erwünscht musste Kurpfalz das Versprechen der beiden
Staatsmänner sein hinwirken zu wollen auf die „vorteilhafteste Be-
handlung", d. h. natürlich auf die möglichste Einschränkung der
sächsischen Allodialforderungen, und auch die zur Schau getragene
Neigung, die böhmischen Lehen an Kurpfalz zu vergeben, war nicht
gering anzuschlagen12).
Während der Anwesenheit Ritters in Mannheim trat dort ein
Ereignis ein, welches für das Schicksal der Unterhandlung in gewissem
Sinne verhängnisvoll wurde: am 31. Oktober starb plötzlich der pfälzi-
sche Minister Freiherr von Beckers, die Seele der Oesterreich-freund-
lichen Politik und eigentlich auch deren einziger Vertreter innerhalb
des Ministeriums. Da er die Verhandlungen mit dem Wiener Hof ohne
Zuziehung der übrigen Minister und nur mit Hülfe seines Schwagers,
des Geheimen Rates von Huber geführt hatte, war ausser dem Kur-
fürsten Niemand in den Stand der Dinge eingeweiht. Auf die Wahl
eines gewandten Nachfolgers, der zugleich den Beifall des Kaiserhofes
hatte, kam daher viel an, und doch gestatteten die Verhältnisse keine
lange Erwägung; rasche Besetzung des erledigten Ministerpostens war
notwendig, wenn nicht die Ränke der Sickingen'schen Partei einen
ungünstigen Einfluss ausüben sollten. Schon am 2. November betraute
Karl Theodor seinen Oberst-Stallmeister, den Staats- und Conferenz-
minister Freiherrn von Vieregg mit der einstweiligen Leitung der
auswärtigen Angelegenheiten. Wenngleich Vieregg nichts von Ge-
schäften verstand und deshalb den Auftrag nur ungern annahm, war
seine Wahl keine schlechte; die Persönlichkeit des Neuernannten war
') Kaunitz an Ritter. Wien. 21. September 1777. Copia. Beilage zur
Weisung des Staatskanzlers für Mercy v. 5. Januar 1778. H. H. u. St. A. Frank-
reich. Correspondenz 211.
2) Ritters Denkschrift vom 14. Januar 1778. Bayer. Geh. St. A.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 93
bisher nur wenig hervorgetreten und hatte an dem fortwährenden
Ränkespiel innerhalb des Ministeriums keinen, wenigstens keinen
nachweisbaren Anteil; er besass das Vertrauen des Kurfürsten und
erfreute sich der Gunst des Wiener Hofes. Als ein glücklicher Zufall
ist es zu betrachten, dass der geschäftskundige Ritter gerade zur Hand
war; von einer kurzen Reise an den zweibrück'schen Hof zurück-
kehrend erhielt er den Auftrag, gemeinsam mit Vieregg die hinter-
lassenen Papiere Beckers durchzusehen. Der kaiserliche Gesandte
Freiherr von Lehrbach benützte jede Gelegenheit, Karl Theodor auf
Ritter aufmerksam zu machen; man hatte in Wien schon längst den
Plan gehabt, bei dem Abgang des mehr denn achtzigjährigen Beckers
diesem Diplomaten die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu
verschaffen. Solange freilich die bayerische Erbfolgefrage ungelöst, der
Gegenstand geheimer Unterband lungen der beiden Höfe war, musste
Ritter seinen Posten in Wien behalten ; sobald aber die geplante Ver-
einbarung zu beiderseitiger Zufriedenheit getroffen war, stand Ritters
Berufung an die Spitze der Geschäfte nichts mehr im Wege.
Unmittelbar nach seiner Ernennung zeigte Vieregg durch einen
Secretär den in Mannheim residirenden Vertretern der fremden Mächte
an, dass er bis auf Weiteres die Leitung der auswärtigen Angelegen-
heiten übernommen habe ; Lehrbach, der abwesend war, benachrich-
tigte er schriftlich. Ueberall zeigte er grossen Eifer, aber der völlige
Mangel an Geschäftskenntnis Hess sich nur langsam überwinden;
längere Zeit besorgte Ritter die Geschäfte und Vieregg gab nur den
Namen her. Unter diesen Umständen stand es von vornherein fest,
dass der Nachfolger Beckers keine Aenderung in der pfälzischen Politik
herbeiführen werde.; sobald die ersten und grössten Schwierigkeiten
überwunden waren, erhielt Ritter von dem Kurfürsten den Auftrag
in einem Schreiben nach Wien die dort durch Beckers Tod etwa wach-
gerufenen Besorgnisse zu zerstreuen und zu erklären, dass die baye-
rische Angelegenheit in gutem Gange sei.
Gegen Ende des Monats November war Vieregg soweit eingear-
beitet, dass Ritter an die Rückkehr auf seinen Posten denken konnte;
am 29. unterzeichnete Karl Theodor die Vollmacht für ihn zu Ver-
handlungen mit den Beauftragten des Kaisers und der Kaiserin-Königin,
sowie zum Abschluss einer Convention oder auch mehrerer Conven-
tionen x). Nach kurzem Aufenthalt in München traf Ritter, der, wie
•) Gedruckt in der »Vollständigen Sammlung von Staatsschriften zum
Behuf der bayerischen Geschichte etc.« Bd. 3. S. 5 bis 7.
94 U n z e r.
hier bemerkt werden mag, seit einem Jahre auch Bayern am Kaiser-
hof vertrat, am 13. Dezember iu Wien ein.
Inzwischen war Lehrbach in das Geheimnis eingeweiht worden.
Kaunitz hatte es für sehr wünschenswert gehalten, dass nach Ritters
Abreise eine zuverlässige Persönlichkeit in Mannheim sei, die den Kur-
türsten in seiner guten Gesinnung befestige und Intriguen der pfälzi-
schen Partei vorbeuge; sein Antrag Lehrbach mit dieser Aufgabe zu
betrauen hatte den Beifall Maria Theresias gefunden und am 23. No-
vember war aus der Staatskanzlei eine ausführliche Weisung an den
Gesandten ergangen 1). Er erhielt dadurch Kenntnis von der Rechts-
frage, von den bisherigen Massnahmen und von dem augenblicklichen
Stand der Dinge, sowie von den fernerhin noch erforderlichen Vor-
kehrungen. Zwei kurze Abhandlungen über die Rechte von Kaiser
und Reich und über die Ansprüche des Erzhauses dienten zur Ergän-
zung der Instruction; vermutlich waren es dieselben, die Binder im
März dem Freiherrn von Ritter übergeben hatte. Dieses inbaltreiche
Schreiben war gerade noch so zeitig in Mannheim angekommen, dass
Lehrbach wenigstens noch eine längere Unterredung mit Ritter haben
konnte, bevor dieser sich auf den Weg machte.
Von dem Augenblick an, da Ritter wieder in Wien anlangt, er-
öffnet sich in den Berichten dieses Diplomaten eine Quelle von höchstem
Wert für die Geschichte des bayerischen Erbfolgestreites; während bis
dahin die für die Vorgeschichte der pfälzisch- österreichischen Conven-
tion zweifellos hochwichtigen Depeschen des Gesandten von Wien nach
Mannheim im Geheimen Staatsarchiv zu München nicht vorhanden zu
sein scheinen, liegen sie von Mitte Dezember 1777 an ausnahmslos
im Original vor; und überdies sind auch die Reskripte des Kurfürsten,
sowie die Weisungen Viereggs an Ritter von da ab nahezu vollzählig
erhalten.
Am 14. Dezember meldete Kaunitz der Kaiserin die erfolgte An-
kunft des pfälzischen Gesandten und suchte eine Audienz für ihn nach ;
er fügte hinzu, nach Ritters Aeusserungen scheine der Mannheimer
Hof zu einer Verständigung über die beiderseitigen Ansprüche bereit
zu sein, doch dürften sich über die Art und den Inhalt derselben noch
wichtige Anstände ergeben -). Huldvoll wurde Ritter am IG. von
Maria Theresia, danach von dem Kaiser empfangen. In diesen Audienzen,
sowie in den Besprechungen mit Kaunitz und Colloredo gewann er den
lj Kaunitz an Lehrbach. Wien 23. November 1777. Conzept. H. H. u. St. A.,
Staatskanzlei, Weisungen ins Reich 29.
-) Vortrag Kaunitz vom 14. Dezember 1777. H. H. u. St. A.
Die Entstehimg der pfälzisch- österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 95
Eindruck, dass man mit etwas Nachgiebigkeit hüben und drüben wohl
zu einem beide Teile befriedigenden Ergebnis gelangen werde 1).
Da traf am 19. die Nachricht ein, dass Kurfürst Maximilian Joseph
von Bayern erkrankt sei und dass die Krankheit wohl als Kinder-
pocken sich entwickeln werde. Die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit
einer unmittelbar bevorstehenden Eröffnung der bayerischen Erbschaft
musste ins Auge gefasst werden. Ueberzeugt, dass die geplante Ver-
einbarung das beste Mittel sei, einfach und rasch die Frage zu lösen,
forderte der Staatskanzler nach eingeholter Erlaubnis den pfälzischen
Gesandten auf, sogleich von seinem Hofe sich die Ermächtigung zur
Abtretung von Niederbayern und Mindelheim zu erbitten. War erst
diese Cession vertragsmässig festgestellt, so konnte Kurpfalz bei ein-
tretendem Todesfall in München von seinem Anteil Besitz ergreifen,
während dies sonst der Kaiser zu thun hatte. Gleichzeitig erging an
den kaiserlichen Gesandten in München, Grafen Hartig uud an Borie
in Regensburg der Befehl, von den geheimen Vollmachten zur Besitz-
ergreifung Bayerns eintretenden Falls keinen Gebrauch zu machen -).
Ritter war beim Eintreffen der Münchner Nachrichten zunächst
nicht .ohne Sorge gewesen, der Kaiser möge, vor die Entscheidung-
gestellt, doch den zwar gefahrvollen, aber im Falle des Erfolges lohnen-
den Weg der Einziehung Bayerns einschlagen. Auf seine Anfrage
hatte er jedoch die beruhigende Versicherung erhalten, dass die kaiser-
lichen Majestäten nach wie vor zu einer freundschaftlichen Verein-
barung bereit seien, doch dürften pfälzischerseits keine den bisherigen
mündlichen Verabredungen zuwiderlaufende Massregeln ergriffen werden.
Einen Beweis für die Aufrichtigkeit dieser Versicherung erhielt er als-
bald in Gestalt jener Aufforderung, sich eiligst die Ermächtigung zur
Abtretung von Niederbayern und Mindelheim zu verschaffen; die Ant-
wort, die er am 20. überreichte, enthielt die Bedingungen, unter denen
Karl Theodor abschliesseu wollte 3). Der Kurfürst erkannte den An-
spruch Oesterreichs auf Niederbayern nur für den sog. Straubingischen
Teil des Herzogtums an, der 1426 nach dem Tod des Herzogs Johann,
Grafen von Holland, von Kaiser Sigismund an Herzog Albrecht von
Oesterreich verliehen, 1429 aber an die anderen niederbayerischen
Herzöge gegeben worden war; er sprach die Erwartung aus, dass man
ihm nichts Unbilliges zumuten werde. Wie nun somit in der Con-
') Ritter an Vieregg. Wien, 17. Dezember 1777. Orig. Bayr. Geh. St. A.
2) Vortrag Kaunitz' vor Maria Theresia. 19. Dezember 1777. H. H. u. St. A.
3) Prornernoria Ritters. Wien 19. Dezember 1777. Copia. Bayr. Geh. St. A.
K. schw. 329/32.
96 Unze r.
vention der Anteil des Erzhauses an der bayerischen Erbschaft bestimmt
angegeben wird, so verlangt Karl Theodor die Aufzählung aller Kur-
pfalz zustehenden Rechte und zufallenden Teile, und zwar entweder
in der Convention selbst oder in bündigen Nebenerklärungen. Vor
Allem will er das Erbrecht des pfälzischen Hauses auf Grund der Ab-
stammung von dem ersten Erwerber ausdrücklich au erkannt wissen;
dauach sollen einzeln als dem kurpfälzischen Erbteil zugehörig auf-
geführt werden: Ganz Oberbayern; das nicht-Straubingische Nieder-
bayern; die Neoaquisita und zwar sowohl Reichslehen als Allo-
dialgüter ; die böhmischen Lehen in der Oberpfalz sammt den dortigen
Neuerwerbungen Leuchtenberg, Sulzburg und Pyrbaum. Der Wiener
Hof muss sich ferner verpflichten an einer billigen Regelung der
Allodialansprüche Dritter mit zu wirken; Kaiser und Reich haben
allen weiteren Ansprüchen an Bayern zu entsagen. — Da alle diese
Punkte bereits in der ersten Convention entschieden werden sollten,
drängte Ritter auf schleunige Herbeiführung eines Einverständnisses
darüber. Für die zweite Convention stellte er die Bereitwilligkeit des
Kurfürsten in Aussicht, entweder einzelne Bezirke oder auch den
ganzen Complex der ihm zufallenden bayerischen Erbschaft, nötigen-
falls sogar einschliesslich der „ in dortigen Gegenden liegenden Herzog-
tümer und Güter" auszutauschen „gegen andere annehmliche eigens
zusammenhängende Territoria und Lande", die den Wert der abzu-
tretenden Gebiete erreichen; er sprach den Wunsch aus, dass der
Wiener Hof mit einem billigen Austauschvorschlag hervortrete. Ge-
wissermassen einen Protest gegen das Verlangen, des Staatskauzlers,
dass keine den mündlichen Verabredungen zuwiderlaufenden Schritte
geschähen, enthält der Schluss der Denkschrift, welcher die Unver-
bindlichkeit aller dieser vorläufigen Verhandlungen, so lange nicht
ein bindender Abschluss erfolgt sei, für beide Höfe ausdrücklich zur
Bedingung macht.
Ritter selbst war vollkommen davon überzeugt, dass nur durch
eine uneingeschränkte Vollmacht zu sofortigem Abschluss unermess-
lichem Schaden vorgebeugt werden könne; ohne zu erwähnen, dass
Kaunitz diesen Wunsch kundgegeben habe, bat er in seinem Bericht
an Vieregg *), man möge ihn von der in seiner Instruction enthaltenen
Verpflichtung, den Conventionsentwurf vor der Unterzeichnung nach
Mannheim einzusenden, für den Notfall befreien ; auch möge der Kur-
fürst im Voraus die Genehmigung des von seinem Gesandten abge-
') Ritter an Vieregg. Wien. 20. Dezember 1777. Orig. Bayr. Geh. St. A.
Die Entstehung der pfalzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 97
schlossenen Vertrags, wie dieser auch lauten werde, zusichern. Er
begründete dieses allerdings ganz ungewöhnliche Verlangen mit der
ausserordentlichen Gefahr, welche durch eine Verzögerung herbeige-
führt werden könne, wenn plötzlich der Kurfürst von Bayern sterbe
oder wenn etwa unvorhergesehene Ereignisse am Wiener Hofe ein-
träten, bevor der Vertrag unterzeichnet sei. — Zu diesen gefürchteten
Ereignissen, deren Zeitpunkt sich nicht vorausbestimmen Hess, gehör-
ten, wie Kitter später einmal sagte, der Tod der Kaiserin, Colloredos
oder Kaunitz'. — Nur der sofortige Abschluss könne, falls Maximilian
Joseph jetzt sein Leben beschliesse, Kurpfalz davor bewahren, dass
die Ansprüche von Kaiser und Reich und die des Erzhauses gemein-
sam zur Geltung gebracht würden; nur so werde man die Interven-
tion des Kaisers vermeiden und erreichen könuen, dass beide vertrag-
sehliessende Teile die ihnen zufallenden Gebiete ungehindert besetzen.
Der Gesandte fügte noch die Mahnung hinzu, Karl Theodor möge sich
auch nach dem Eintreffen der Todesnachricht aus München ruhig halten
und keinen Schritt zur Besitzergreifung thun, bis die Convention ab-
geschlossen vorliege. Dafür glaubte er aber auch bei genauer Befol-
gung seiner Ratschläge den günstigsten Erfolg der Verhandlungen
prophezeien zu dürfen: ganz Europa werde überrascht und erstaunt
sein, wenn eine Frage, die einen allgemeinen Brand zu entzünden
gedroht habe, in grösster Ruhe gelöst sei; unsterblichen Ruhm aber
würden der Kurfürst und sein Minister davontragen.
Mit der Beantwortung der Ritterschen Note beeilte sich Kaunitz
trotz des gegebenen Versprechens nicht allzu sehr; wahrscheinlich hat
er inzwischen den pfälzischen Einwand gegen die Ansprüche auf ganz
Niederbayern einer Prüfung unterziehen lassen ; erst am 26. Dezember
hielt er der Kaiserin Vortrag darüber. Es war für den Fortgang der
Verhandlungen von grosser Wichtigkeit, dass der Staatskanzler, seine
bisherige Forderung einschränkend, sich nunmehr mit dem Straubin-
gischen Anteil des Herzogtums Niederbayern begnügen wollte; damit
war der bedeutendste Differenzpunkt beseitigt. Dagegen riet er der
Kaiserin, die Neoaquisita nicht hinzugeben, sondern einstweilen ihre
Verwendung für deren Neuverleihung bei Kaiser und Reich zu ver-
sprechen; die Frage der böhmischen Kronlehen, die dem pfälzischen
Hause nur ex nova gratia verliehen werden könnten, sollte überhaupt
erst bei der zweiten Convention erörtert werden, ebenso wie die Be-
richtigung der Allodialansprüche ; über diese zweite Convention wollte
er sich aber erst äusseru, wenn die erste ins Reine gebracht sei.
Maria Theresia gab den Vorschlägen des bewährten Beraters ihre
Zustimmung; es dauerte aber wieder drei Tage, bis Ritter in den
Mittheiluugen XV. 7
gg U n z e r.
Besitz der österreichischen Antwort kam 1). Denn Kaunitz suchte
ängstlich den Schein zu vermeiden, als ob sein Hof ein übergrosses
Verlangen nach dem Abschluss trage. Freilich lauteten auch die
Nachrichten'.über das Befinden des bayerischen Kurfürsten günstig
und mit der Besorgnis schwand der Anlass zur Eile. Die Antwort,
ebenfalls als Promemoria bezeichnet, datirt vom 29. Dezember; sie
bildet die Grundlage der Convention vom 3. Januar 1778.
Eitter, hocherfreut, dass die Beschränkung auf das Straubingische
Gebiet zugestanden war, gab der Hoffnung Raum, dass einige Be-
sprechungen mit den österreichischen Staatsmännern genügen würden,
um auch die andern Punkte zur Zufriedenheit seines Herrn zu ordnen
und völliges Einverständnis zu erreichen. Die Verzögerung durch das
Neujahrsfest mit seinen Feierlichkeiten machte ihm keine Sorge; der
Kurfürst von Bayern war, wie man allerwärts glaubte, wieder ausser
Lebensgefahr 2).
Aber die Dinge kamen anders, als man gedacht hatte. Am Neu-
jahrstag um 5 Uhr Nachmittags traf in Wien die Nachricht ein, dass
Kurfürst Maximilian Joseph am 30. Dezember gestorben sei. Eitter,
von Colloredo sogleich in Kenntnis gesetzt, geriet in die grösste Ver-
legenheit, denn in einer wenige Stunden vorher eingelaufenen Depesche
Viereggs war ihm die erbetene Ermächtiguug zum sofortigen Abschluss
der Convention verweigert worden. Die günstigen Nachrichten aus
München hatten wohl auch in Mannheim einen beruhigenden Einfluss
ausgeübt, man hielt dort die Lage nicht mehr für kritisch, und der
Minister wagte es nicht, dem Widerstreben des Kurfürsten gegen die
Bevollmächtigung Ritters entgegenzutreten. Selbst für den schlimmsten
Fall rechnete Karl Theodor auf die Loyalität der Kaiserin-Königin und
des Kaisers, die gewiss vor dem Eintreffen der pfälzischen Antwort
auf den von dem Gesandten einzuschickenden Conventionsentwurf
keine gewaltsamen Massregeln ergreifen würden3). Ritter eilte nach
erhaltener Mitteilung sofort zu Colloredo und Kaunitz; er gab ihnen
die Versicherung, dass sein Hof sich durch den Eintritt des gefürchteten
») Promemoria an den Freiherrn von Ritter. Wien. 29. Dezember 1777.
Copia. — Bayr. Geh. St. A.
-') Ritters Postskript zu Depesche Nr. 7 vom 1. Januar 1778, geschrieben
am 31. Dezember 1777, wie aus den Worten: ,le grand gala de demain . . .«
hervorgeht.
3j Vieregg an Ritter. Mannheim. 27. Dezember 1777. Concept. Bayr. Ges.
St. A. — K. schw. 329/32.
l)ie Entstehung der pfä]zisch>österi\ Convention v. 3. Jan. 1778. C|<)
Ereignisses nicht in seinen seitherigen Absichten irre machen lasseni
dass er auch sonst keinen Schritt thun werde, der nur im Entferntesten
den Verdacht eines Gesinnungswechsels gestatte. Schwer genug mag
ihm die von Vieregg anbefohlene Eröffnung geworden sein, dass Karl
Theodor sich sofort nach Eintritt des Todesfalles nach Bayern begeben
werde, allerdings nicht um förmlich von dem Herzogtum Besitz zu
ergreifen, sondern um die Ordnung aufrechtzuerhalten und den Intriguen
der in München erwarteten Kurfürstin-Witwe Maria Antouia von
Sachsen entgegenzutreten. Indes nahmen die Minister seine Mitteilun-
gen freundlicher auf als er erwartet haben mochte ; sie gaben ihm ver-
traulich zu verstehen, es liege nur an ihm, durch unverzüglichen Ab-
schluss der Vereinbarung die Folgen des vertragslosen Zustandes zu
vermeiden. Jetzt erst erfuhr der Gesandte, welches Schicksal über
Bayern gekommen wäre, wenn nicht der pfälzische Hof sich so ent-
o-eo-enkommend gezeigt hätte; man erzählte ihm nicht ohne Absicht,
dass nur durch seine Denkschrift vom 19. Dezember die einstweilige
Suspendirung der dem kaiserlichen Gesandten in München und dem
österreichischen Vertreter in Regensburg früher gegebenen Vollmach-
ten zur Besitzergreifung des ganzen Herzogtums bewirkt worden sei;
dagegen werde die Besitzergreifung des Straubingischen Gebietes für
das Erzhaus ungesäumt erfolgen. Er sah sich vor die Alternative ge-
stellt: Annahme oder Ablehnung der Convention; nahm er au, so konnte
sein Herr alles nicht- Straubingische Gebiet, dazu die Lehen, Allodial-
güter und Neoaquisita in Besitz nehmen, ohne, zunächst wenigstens,
Widerspruch bei Kaiser und Reich oder bei der Kaiserin-Königin zu
finden; — lehnte er ab, dann nahm der Wiener Hof den ursprüng-
lichen Plan wieder auf, österreichische Truppen besetzten sofort im
Namen des Kaisers die bayerischen Lande ; Karl Theodor musste sich
mit der Oberpfalz begnügen, die nach den Bestimmungen des West-
pfälischen Friedens an Kurpfalz zu fallen hatte. Wenn Ritter noch
schwankte, welche Wahl er treffen sollte, so wurden auch seine letzten
Bedenken verscheucht durch die Erklärung der kaiserlichen Minister,
dass man, wenn Karl Theodor die Convention abschliesse, nicht nur
nichts gegen seine Reise einzuwenden habe, sondern seinen Aufent-
halt in München sogar gern sehe ; Maria Theresia werde ihn dann bei
der Besitzergreifung unterstützen und Fürsprache beim Kaiser ein-
legen, dass er dasselbe thue; — denn gerade die Nichtbefolgung des
Rats, keine eigenmächtigen Schritte zu thun, hatte in ihm die grösste
Besorgnis wachgerufen. So entschloss er sich denn auf eigene Ver-
antwortung zu handeln und, dem Drängen des Wiener Hofes nach-
gebend, die Convention abzuschliessen ; nur bedang er sich aus, dass
7*
100 U n z e r.
zu ihrer Gültigkeit die Katification des Kurfürsten erforderlich sein
solle i).
In diesem Entschluss konnte ihn die Aufregung nur bestärken,
die sich der Wiener Hof kreise beim Eintreffen der Nachricht bemäch-
tigte, der Kurfürst von der Pfalz habe sogleich nach dem Tode Maxi-
milian Josephs durch ein Patent Besitz von ganz Bayern ergriffen.
Mau kannte den Zusammenhang der Dinge nicht, man wusste nicht,
dass das Patent ohne Auftrag Karl Theodors von der bayerischen
Landesregierung auf Grund des pfälzisch-bayerischen Faniilienvertrags
von 1774 erlassen worden war: man beschuldigte begreiflicherweise
den pfälzischen Hof der Hinterhältigkeit, ja fast des Wortbruchs. Die
Verstimmung machte sich auch in den Verhandlungen bemerkbar : als
Kitter an dem von Kaunitz ihm vorgelegten Conventionsentwurf einige
Abänderungen vorgenommen wissen wollte, erklärte man ihm, das sei
nicht mehr zulässig, nach den Vorgängen in München müsse der Ver-
trag wie er sei auf der Stelle unterzeichnet werden 2).
So blieb denn kein Ausweg übrig: am 3. Januar 1778 setzte
Kitter seinen Namen unter die Conventionsurkunde ; ein Courier machte
sich sofort auf den Weg, um die Genehmigung des Kurfürsten einzu-
holen. Man zweifelte in Wien gar nicht an der alsbaldigen Ratifi-
cation und Kaunitz sprach dem pfälzischen Gesandten sofort nach der
Unterzeichnung im Auftrag des Kaisers die Erwartung aus, dass der
Kurfürst den bayerischen Behörden das bescheidenste und entgegen-
kommendste Betragen gegen die einrückenden österreichischen Truppen
zur Pflicht mache und von dieser Verfügung den Befehlshaber des
Occupationskorps, Feldmarschall-Lieutenant Baron von Langlois in
Linz in Kenntnis setze.
Die zwischen Kaunitz und Ritter vereinbarte Convention vom
3. Januar 1778 beraubte Karl Theodor eines wohlhabenden und stark
bevölkerten Gebietes, sicherte ihm dagegen den ungeschmälerten Besitz
des grösseren Restes von Bayern für die Zukunft dadurch, dass das
Erzhaus allen weiteren Ansprüchen ausdrücklich entsagte und das
pfälzische Erbrecht anerkannte. Auch die Herrschaft Mindelheim fiel
an Oesterreich, das darauf eine alte Anwartschaft geltend machen
konnte. Die Neuverleihung der beträchtlichen böhmischen Kronlehen
in der Oberpfälz wurde Karl Theodor in Aussicht gestellt, ja sogar
ihm Hoffnung auf Ueberlassung des Oberhoheitsrechtes gemacht, da-
gegen unterblieb die Erwähnung der von der wilhelminischen Linie
*) Ritter an Vieregg. Wien. 1. Januar 1778. Orig. Bayr. tieh. St. A.
8) Bitters Denkschrift vorn 14. Januar 1778.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 1()1
in Bayern neuerworbenen Reichslehen. Damit jedoch über diesen
letzten Punkt keine Missverständnisse einträten, gab Colloredo im
Namen des Kaisers den Rat, der Kurfürst möge keine eigenmächtigen
Schritte thun und die nach geschehener Ratification erfolgende Willens-
äusserung des Kaisers abwarten 1).
Waren diese Bestimmungen, die Hoffnungen erweckten ohne Ge-
währ für ihre Erfüllung zu bieten, schon geeignet Anlass zu Missver-
ständnissen zu geben, so galt dies noch viel mehr von der Bestim-
mung, dass über die genaue Abgrenzung des ehemals straubingischen
Gebietes die von pfälzischer Seite aus den bayerischen Archiven
vorzulegenden urkundlichen Beweise entscheiden sollten. Ritter mag
wohl geglaubt haben, es solle dadurch die Beeinträchtigung eines Teils
durch den andern verhütet werden, — wo sollten die erforderlichen
Beweisurkunden anders sein als in den bayerischen Archiven ? — auf
österreichischer Seite hat aber bei dieser Forderung doch wohl, wie
der Verlauf der Occupation zeigt, das Bestreben mitgewirkt von dem
preisgegebenen Teil Niederbayerns das eine oder andere Rentamt mit
einzuziehen in der richtigen Voraussetzung, dass der verlangte Beweis
für die Zugehörigkeit zum nicht-Straubingischen Gebiet schwer zu
führen sein werde. Je mehr Bezirke aber der Wiener Hof besetzen
Hess, um so mehr Tauschobjecte bekam er in die Hand für die zweite
Convention.
Die weitere Entwicklung der Dinge hing nun davon ab, ob Karl
Theodor den Vertrag annahm oder verwarf. Bis zur Entscheidung
hierüber, die innerhalb vierzehn Tagen nach erfolgter Unterzeichnung
der Convention fallen musste, verschob Maria Theresia auch den Ein-
marsch ihrer Truppen in das ihr zufallende Gebiet; sie that dies aus
Rücksicht auf des Kurfürsten bekannte Empfindlichkeit in allen Dingen,
die seine wirkliche oder vermeintliche Würde berührten. Selbst der
optimistische Ritter hielt es für ratsamer, eine vielleicht überflüssige
Note zu übergeben, als auch nur die kleinste Vorsicht ausser Acht zu
lassen: am 4. Januar legte er in einem Promemoria dar, dass sich die
österreichische Anerkennung des pfälzischen Besitzstandes selbstver-
ständlich auch auf die dem Sulzbach'schen Hause bereits gehörigen
Gebiete erstrecke, und bat mit Rücksicht auf die zerstreute Lage dieser
Besitzungen um ganz besondere Aufmerksamkeit seitens des kaiserlich-
königlichen Kommissars und der ihn begleitenden Truppen -).
J) Ritter an den Kurfürsten. Wien. 4. Januar 1778, Orig. Bayr. Geh. St. A.
K. schw. 329/32.
-) Orig. H. H. u. St. A. — St. K. Bayern 49.
102 li n z e r.
Am 6. Januar traf der Courier mit Ritters Depeschen und der
Convention in München ein. Karl Theodor war auf die Todesnach-
richt hin noch in der Neujahrsnacht, begleitet von Vieregg, von
Mannheim abgereist und am 2. Januar Vormittags in der bayerischen
Hauptstadt angelangt 1). Die Mitteilung, mit welcher der pfälzische
Legationssekretär von Hammerer ihn hier empfieng, überraschte ihn
peinlich; er mochte sich aber doch wohl erinnern, dass er gelegent-
lich der Beratungen über den bayerisch -pfälzischen Familienvertrag im
Jahre 1774 ein Patent eigenhändig unterschrieben hatte, welches bei
Maximilian Josephs Tod sofort veröffentlicht werden sollte, um zu
verhindern, dass eine dritte Partei sich in den Besitz der Erbschaft
setze. Jetzt freilich konnte diese Voreiligkeit, wie Karl Theodor das
völlig korrekte Verfahren des bayerischen Ministeriums nannte, die
bedenklichsten Folgen nach sich ziehen. Deshalb beauftragte er Vier-
egg, dem Gesandten in Wien ausdrücklich die Versicherung zu geben,
dass der Entschluss zu einer Vereinbarung mit dem Kaiserhof uner-
schütterlich feststehe ; man möge den Vorgängen in München, an denen
er keinen Teil habe, keine Bedeutung beilegen. Bemerkt zu werden
verdient hierbei, dass Vieregg um diese Zeit von dem wirklichen Zu-
sammenhang der Besitzergreifung noch nicht unterrichtet war: er
glaubte, sie sei auf Grund einer alten Vollmacht für Hammerer er-
folgt, die man um Aufsehen zu vermeiden und das Geheimnis der
Unterhandlung zu wahren, nicht widerrufen habe 2). Karl Theodor
hatte also noch keine Zeit — oder vielleicht nicht den Mut? — ge-
funden, seinen leitenden Staatsmann in das Geheimnis der Abmachun-
gen von 1774 einzuweihen.
Ein grosser Trost war für den Kurfürsten die Ankunft des Frei-
herrn von Lehrbach ; der kaiserliche Gesandte, der auf seiner Deutsch-
Ordens-Kommende Ellingen den ihm bewilligten Urlaub verbrachte,
hatte sich auf die Kunde von Maximilian Josephs Tod sofort nach
München auf den Weg gemacht; er wurde am 3- Januar in Audienz
empfangen. Als er dabei auf das Besitzergreifungspatent und die
darin angeführten Hausverträge von 1766, 1771 und 74, deren Existenz
seinem Hofe gänzlich unbekannt sei, zu sprechen kam, geriet Karl
Theodor in grosse Verlegenheit und sprach sein Bedauern aus, dass
seine eilige Herreise die Publication des Patentes nicht habe verhin-
*) Der Direktor der Slaatskanzlei Geh. Rat von Stengel und der greise
Freiherr von Zedtwitz folgten unmittelbar danach. Unger, kursächs. Resident,
an Stutterheim. München 4. Januar 1778. Conzept. Dresdener Archiv. Loc. 3463
Depeches ecrites en cour 1778.
2) Vieregg an Ritter. München. 3. Januar 1778. Conzept. Bayr. Geh. St. A
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. JQo
dern können. Das Vorhandensein der Hausverträge suchte er mit den
sächsischen Ansprüchen an das bayerische Allodium zu rechtfertigen ;
sie hätten dem Kaiser zur Bestätigung vorgelegt werden sollen.
Schliesslich beteuerte er, dass keine Gesinnungsänderung stattgefunden
habe noch auch stattfinden werde, und ersuchte den Gesandten, da-
rüber an seinen Hof zu berichten.
Wenige Stunden nach Eingang der Wiener Depeschen begab sich
Lehrbach — am 6. Januar — zu dem Kurfürsten. Dieser hatte bereits
mit dem bisherigen Leiter der bayerischen Politik, dem Obersthof-
meister Grafen Seinsheim und dem bayerischen Geheimen Kanzler
Freiherrn von Kreittmayr das Vertragsinstrument einer Durchsicht
unterzogen, da der hierzu seiner Stellung nach berufene Freiherr von
Vieregg mit den speciell bayerischen Verhältnissen gar nicht bekannt
war. Er verhehlte Lehrbach nicht, dass der Inhalt der Convention ihn
in arge Verlegenheit setze ; das abzutrennende Gebiet erstrecke sich
vielfach weit in sein Land hinein; statt dass man allen Anlass zu
Streitigkeiten für die Zukunft beseitige, schaffe man so eine Fülle
neuer Streitpunkte. Auch könne er den Vertrag nicht sofort, wie man
es von ihm verlange, unterzeichnen, da dies auf die gerade versammel-
ten Landstände des Herzogtums den ungünstigsten Eindruck machen
werde. Indes versprach er sich die Frage reiflieh zu überlegen, die
einschlägigen Akten beibringen zu lassen und dann seine Antwort zu
erteilen. Am Abend des 6. fand eine lange Beratung über die durch
den Abschluss geschaffene politische Lage statt, an der ausser dem Kur-
fürsten, Vieregg und den beiden bereits eingeweihten bayerischen
Ministern auf Lehrbachs Empfehlung der Geheime Archivarius Graf
Zech theilnahm. Es wurde, einem Vorschlag Kreittmayrs folgend,
beschlossen, dem Kaiserhof die Oberpfalz, Neuburg und die bayerischen
Ansprüche auf einige in nürnbergischem Besitz befindliche Aeinter an-
zubieten, um durch diese Abtretungen das Herzogtum Bayern ungeteilt
zu erhalten. Als Lehrbach am folgenden Vormittag bei Seinsheim, der
ihn um eine Unterredung gebeten hatte, erschien, erhielt er den Be-
scheid, der Kurfürst wolle vorläufig abwarten, ob der Wiener Hof sich
nicht zur Annahme eines anderen, für ihn günstiger gelegenen Land-
strichs und zum baldigen definitiven Abschluss mit Verzicht auf
spätere Austauschungen bereit finden lasse. Seinsheim und der gleich-
falls anwesende Kreittmayr betonten die notwendige Rücksicht auf die
Landstände und baten den Gesandten, er möge auf eine Herabminde-
rung der Ansprüche seines Hofes hinwirken 1).
') Lehrbach an Kaunitz. München. 9. Januar 1778. Orig. H. H. u. St. A.
St. K. Bayern 49.
104 u n z e r-
Eine Depesche Viereggs setzte Eitter von den Conferenzbeschlüssen
in Kenntnis; ein Eeskript des Kurfürsten befahl dem Gesandten darauf
zu dringen, dass man nicht mit bewaffneter Hand an so schwierige
Fragen herantrete, sondern sich vielmehr zur Annahme eines passen-
den Aequivalentes verstehe *). Beide Schreiben gingen jedoch, da Lehr-
bach die Absendung des Couriers verzögerte, erst am 9. Januar ab.
Kitter sah inzwischen ungeduldig der Antwort aus München ent-
gegen. Die am 5. einlaufende Depesche Viereggs gab ihm neuen Mut,
sie erklärte ihm das bis dahin gänzlich unbegreifliche Besitzergreifungs-
patent wenigstens einigermassen, wenngleich er peinlich berührt wurde
durch die Bemerkung, dass die bayerische Landesregierung es nicht
für notwendig gehalten hatte, ihn in seiner Eigenschaft als bayeri-
scher Gesandter von einem so bedeutungsvollen Schritt in Kenntnis
zu setzen. Die bereits eingetretenen Folgen der Nachricht waren frei-
lich nicht mehr rückgängig zu machen, doch liessen sich wenigstens
weitere nachteilige Massregeln durch schleunige Klarstellung des Sach-
verhalts verhindern. Am 2. Januar schon hatte der Kaiser sieben
Bataillone und das Dragoner-ßegiment Prinz Coburg zum Einmarsch
in Bayern bestimmt, dem F.-M.-L. Baron von Langlois die Leitung des
Unternehmens übertragen und Tags darauf ihm eine Instruction sowie
den Befehl erteilt, das bayerische Gebiet bis zur Linie Haag- Wald-
münchen zu besetzen, das Hauptquartier nach Straubing zu legen 2).
Die Nachricht von der thatsächlichen Besitzergreifung ganz Bayerns
durch das Patent vom 30. Dezember hatte alsdann Anlass zu einer
beträchtlichen Verstärkung des Occupationskorps gegeben; man hatte
ausserdem dem Gesandten erklärt, wenn die Katification verweigert
werde, werde der Kaiser sofort ganz Bayern einziehen und den Kur-
fürsten wegjagen. Noch am Abend des 5. begab sich Kitter zu den
kaiserlichen Ministern und teilte ihnen den Zusammenhang der pfälzi-
schen Besitzergreifung mit; am folgenden Tage hatte er Gelegenheit,
bei der Notifikation des Regierungsantritts Karl Theodors dem Kaiser
gegenüber das unerschütterliche Festhalten seines Hofes an der bis-
herigen Politik zu beteuern 3). Seine Versicherungen blieben nicht
ohne Wirkung, aber bald begann man sich zu wundern, dass noch
immer keine Antwort aus München anlangte, während sich allerlei
Gerüchte verbreiteten, die auf die Absicht bewaffneten Widerstandes
1) Vieregg an Ritter. München. 8. Januar. Conzept. Bajr. Geh. St. A. —
Karl Theodor an Ritter, von demselben Datum, gedr. Arnetb, Maria Theresia.
Bd. 10. S. 797/8.
2) K. K. Kriegs-Archiv. 1778. Cab.-A.
3) Ritter an Vieregg. Wien. 10. und 11, Januar 1778. Orig. Bayr. Geh. St. A.
Die Entstehung der pfälzisck-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. 105
der pfälzischen bezw. bayerischen Kegierung schliessen Hessen. In der
Audienz, die Kitt er am 11. Januar bei der Kaiserin zur Uebergabe des
Notificationsschreibens hatte, gab Maria Theresia ihr Missvergnügen
offen kund und drohte mit folgenschweren Repressalien, wenn jene
Gerüchte sich bewahrheiteten und die Convention verworfen würde;
dagegen stellte sie die freundschaftlichste Unterstützung des Kurfürsten
in Aussicht für den nach Ratification des ersten zu schliessenden
zweiten Vertrag. Diese Austauschconvention in Angriff zu nehmen
erklärten sich jetzt auch die Minister bereit, die bisher nur geringen
Eifer dafür gezeigt hatten. Aber auch sie konnten dem Gesandten
ihre Ungeduld, ihre Besorgnis nicht verhehlen, denn von Lehrbach
fehlte ebenfalls jede Nachricht über die Aufnahme des Vertrags vom
3. Januar. Der Gedanke lag nahe, dass die bayerische Partei, in
deren Mitte der schwache Kurfürst mit seinem unerfahrenen pfälzi-
schen Ratgeber sich befand, sich sei es aus böser Absicht, sei es um
ihres Sondervorteiles willen der Vereinbarung widersetzte, und man traf
ja mit dieser Vermutung ziemlich das Richtige. Auch Ritter dachte
wohl, dass die bayerischen Minister ihre Hand im Spiel hätten; nicht
ohne Grund hatte er vor ihnen gewarnt, aber er musste sich fragen,
auf wessen Hülfe man rechnete, wie man überhaupt in München sich
die weitere Entwicklung der Dinge vorstellen mochte. Von Frankreich
war doch nichts zu erwarten, Breteuil, durch Kaunitz von den Inhalt
der Convention in Kenntnis gesetzt, meinte, Kurpfalz habe gar nichts
Besseres zur Erhaltung der Ruhe in Deutschland thun können. Aber selbst
wenn der Versailler Hof anders dachte, so würde Bayern gewiss seinen
Beistand teuer bezahlen müssen: die wieder ins Leben gerufenen An-
sprüche des Hauses Orleans würden dann zu denjenigen Oesterreichs
und Sachsens noch hinzutreten. Eher konnte man auf Preussens König
zählen ; aber welchen Preis hätte man diesem durch seinen politischen
Egoismus bekannten Fürsten erst zahlen müssen !
Alle diese Erwägungen der Kaiserin und der Minister sowie die
Ergebnisse seines eigenen Nachdenkens legte Ritter nieder in einer
Depesche an Vieregg vom 11. Januar. Noch aber war der Courier
nicht abgegangen, als das kurfürstliche Reskript und des Ministers
Weisungen vom 8. und 9. in Wien eintrafen. Auf der Stelle fügte
er der Depesche eine Nachschrift bei. Gegenüber der Klage, dass die
Convention eine Zerreissung Bayerns bedeute, stellt er die Behauptung
auf, die österreichische Besitzergreifung des straubingischen Anteils sei
vorübergehend, reine Förmlichkeit und habe nur den Zweck dem
Publikum Sand in die Augen zu streuen; die Regelung des Besitz-
standes sei überhaupt der zweiten Convention vorbehalten. Dringend
106 Unzer.
mahnt er, dass der Kurfürst an Stelle des bayerischen Ministeriums
seinen eigenen Kuhm und seine Würde zu Rate ziehe und entschlossen
Partei ergreife, — sonst sei Alles verloren; auch so schon werde die
Einbusse an Vertrauen kaum mehr wieder gut zu machen sein. Wenig-
stens hätte man ihm, meint er, die Ratification zuschicken sollen für
den Vertrag, wie ihn der Kurfürst vorschlage, wenngleich man sich
mit diesen Vorschlägen ganz von dem bisher verfolgten Weg der
Unterhandlung entferne; da hätte der Wiener Hof wenigstens nicht
an der Absicht einer Verständigung zweifeln können, wie er es jetzt,
nicht mit Unrecht, thue.
Man erkennt beim Lesen dieser Behauptungen den Diplomaten
nicht wieder, der sich selbst einer dreissigj ährigen Erfahrung rühmt.
Unmöglich kann Ritter geglaubt haben, Oesterreich werde das rechte
Innufer wieder fahren lassen : seit Jahren wusste Jedermann, dass der
Wiener Hof den Besitz dieses wichtigen Stromlaufs anstrebe. Und weiter, war
es denkbar, dass man in Wien in der bestimmten Weigerung bayeri-
sches Gebiet abzutreten etwas anders als eine verblümte Verwerfung
des Vertrags gesehen hätte ? Das Bedenklichste aber war, dass seine
Aeusserungen in München eine ganz falsche Auffassung wachrufen
mussten, die der Sache des pfälzischen Hofes schwerlich von Nutzen
sein konnte.
Am folgenden Tag, den 12. Januar, übergab Ritter den kaiser-
lichen Ministern das Reskript des Kurfürsten in Abschrift — auch
Lehrbach hatte in München eine Abschrift erhalten; — in einer Begleit-
note empfahl er dessen Inhalt den Majestäten zur Beherzigung l). In
höchster Ungeduld, schwankend zwischen Furcht und Hoffnung suchte
er zu erkunden, wie wohl die Antwort lauten möge; doch die ver-
traulichen Mitteilungen, die man ihm machte, gaben keine Hoffnung,
und der mündliche Bescheid, den Kaunitz ihm Abends erteilte, recht-
fertigte selbst die schlimmsten Befürchtungen. In Allerhöchstem Auf-
trag erklärte ihm der Staatskanzler, dass der Kaiser und die Kaiserin
entrüstet seien über die Verzögerung der Ratification und über die
neuen Vorschläge ; auch er persönlich in seiner Eigenschaft als Minister,
der jederzeit aufrichtig und vertrauensvoll die Unterhandlung geführt,
habe Grund sich gekränkt zu fühlen. Er Hess durchblicken, dass er
in den neuen Vorschlägen nur ein Mittel sehe Zeit zu gewinnen,
damit das pfälzische Regiment in dem besetzten Gebiet festen Fuss
fassen und zugleich erfahren könne, wie die fremden Höfe über die
<) Promemoria Ritters. Wien 12. Januar 1778. Orig. H. H. u. St. A. St. K.
Bayern 49.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. |Q7
Frage dächten, — wenn nicht sogar die Absicht vorliege, mit diesen
zum Nachteil Oesterreichs Verabredungen zu treffen. Aber der Kaiser-
hof wolle sich nicht vor ganz Europa lächerlich machen lassen ; Lehr-
bach werde sofort angewiesen, den Kurfürsten vor die Alternative zu
stellen: Annahme der Convention wie sie ist — oder Ablehnung. Er
fügte noch hinzu, die Verwerfung sei unter den gegenwärtigen Um-
ständen für Oesterreich vorteilhafter als die Annahme, denn Alles stehe
zu sofortiger Besitzergreifung bereit, die Patente seien gedruckt, die
Truppen an der Grenze marschfertig; und komme es nun wirklich
zum Einmarsch, so werde man auch vor den Thoren Münchens nicht
Halt machen.
Ritter sah sein Werk, die Convention vom 3. Januar, auf deren
Abschluss er bisher mit stolzer Befriedigung geblickt hatte, aufs Ernst-
lichste gefährdet, und doch konnte er kaum etwas zu ihrer Erhaltung
thun. Es galt zunächst nur Zeit zu gewinnen, denn der Kurfürst
hatte ja ausdrücklich erklärt die Convention annehmen zu wollen, wenn
es unbedingt nötig sei. Deshalb beantragte Ritter, die Kaiserin-
Königin möge den Einmarsch noch einige Tage aufschieben ; man er-
widerte ihm aber, das sei nicht mehr möglich; nur soviel wurde zu-
gestanden, dass die einrückenden Truppen noch nicht als Reichstruppen
auftreten sollten. Die Veröffentlichung der Manifeste versprach Kaunitz
noch sechs bis sieben Tage aufzuschieben, damit ein Courier von
Ritter nach München abgehen und von dort mit der Entscheidung
wieder zurückkehren könne. Aber die Vorlage eines anderen Ver-
tragsentwurfs, über den man sich verständigen könne, schlug er ab
mit der Bemerkung, sein Hof habe weitere Vorschläge nicht zu machen.
Tief erschüttert berichtete Ritter dies Alles an Vieregg, er mahnte,
keinen Augenblick zu verlieren, da die gewährte Frist zweifellos nicht
verlängert werde. Aber er zog auch für seine Person die Consequen-
zen aus der ihm unbegreiflichen Haltung seines Herrn, der den par-
teiischen Münchener Ratgebern mehr Vertrauen zu schenken schien,
als dem langjährigen erprobten Vertreter am Kaiserhof: er bat, man
möge die kurfürstliche Entschliessung durch eine mit annehmbaren
Vorschlägen und mit Vollmachten zur Unterhandlung und zum Ab-
schluss versehene Vertrauensperson nach Wien senden; er selbst sei
zu mutlos und eingeschüchtert, um die Verantwortung noch länger auf
sich zu nehmen l).
Kaunitz hatte kaum, wie man etwa glauben könnte, übertrieben,
als er Ritter sagte, auch die Besitzergreifungspatente für das ganze
') Ritter an Vieregg. Wien. 12. Januar 1778. Orig. Bayr. Geh. St. A.
108 Inzer.
bayerische Land seien schon in Bereitschaft; am 12. Januar, da der
Staatskanzler jene Mitteilung machte, befahl Kaiser Joseph dem Reichs-
vizekanzler *), alle Instructionen und Patente anzufertigen, die zur
Besitzergreifung Bayerns im Namen des Reichs bis zur Ausgleichung
aller strittigen Ansprüche auf die Succession erforderlich seien; am 14.
sollten sie durch einen Courier befördert werden.
In München hoffte man wirklich, dass der Wiener Hof die neuen
Vorschläge annehmen und sich mit den angebotenen oberpfälzischen
Gebietsteilen begnügen werde. In dieser Stimmung traf Karl Theodor
die Meldung des Rentamts Straubing, der Einmarsch der kaiserlichen
Truppen stehe unmittelbar bevor ; sie erregte die grösste Bestürzung ;
der Kurfürst liess Lehrbach rufen und bat ihn um seine Vermittlung,
damit der Kaiser diesen Schritt doch wenigstens noch kurze Zeit auf-
schiebe ; das Land werde sonst in die grösste Notlage geraten, er selbst
aber, der Kurfürst, werde die von den Landständen geforderten Geld-
bewilligungen nicht erhalten 2). An Ritter erging eine eilige Weisung,
von dem Kaiserhof noch die Erfüllung dieses kleinen Wunsches zu
verlangen und dabei immer wieder die reinen Absichten der pfälzi-
schen Regierung hervorzuheben 3). Als einen neuen Grund für den
Aufschub der geplanten Besetzung sollte er die Besorgnis anfuhren,
der König von Preussen werde in ihr einen Gewaltakt erblicken und
die Gelegenheit wahrnehmen, um Kurpfalz in Jülich-Berg einen Streich
zu spielen, überzeugt, dass der Wiener Hof nichts dagegen sagen
werde.
Die Depeschen Ritters vom 10., 11. und 12. Januar zerstörten
nun aber rasch alle Illusionen, denen man sich hingegehen hatte.
Karl Theodor war schmerzlich betroffen, dass alle seine Vorstellungen
gegen den Truppeneinmarsch vergeblich gewesen waren, besonders aber
durch die Bemerkung, dass man ihn allen Ernstes im Verdacht feind-
seliger Gesinnung und schlimmer Absichten gegen die kaiserlichen
Majestäten gehabt habe. Man darf es dem schwachen Fürsten wohl
glauben, dass er nicht im Entferntesten an Widerstand gegen Oester-
reich oder an die Einmischung einer fremden Macht gedacht hat. Zum
Beweis seiner stets gleich gebliebenen Gesinnung hinsichtlich der
bayerischen Erbfolge that er den entscheidenden Schritt : am 14. Januar
setzte er seinen Namen unter die von Ritter geschlossene Convention.
') Joseph au Colloredo. Wien. 12. Januar 1778. Orig. H. H. u. St. A.
Bavarica 49.
2) Lehrbach an Kaunitz. München. 12. Januar 1778. Orig. H. H. u. St. A.
3) Vieregg an Ritter. München. 12. Januar 1778. Conzept. Bayr. Geh. St. A.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1777. 109
Es ist Karl Theodor gewiss nicht leicht gewesen, den schönsten
und fruchtbarsten Teil des ihm nach Maximilian Josephs Tod zuge-
gefallenen Herzogtums abzutreten; er selbst sagt in dem Rescript an
Ritter, dass er um der Ruhe Deutschlands und Europas willen den
Vertrag mit gänzlicher Aufopferung seines Interesses ratificirt habe.
Dafür hegte er aber auch die Hoffnung, dass der Kaiser und die
Kaiserin-Königin nun ihre Versprechungen erfüllen und sich bei der
zweiten Convention für die gebrachten Opfer erkenntlich erweisen
würden 1).
Der Kurfürst und sein Minister erwarteten, dass die Annahme
der Convention genügen werde, den in Wien entstaudenen Argwohn
gänzlich zu zerstören, sie glaubten nunmehr Alles gethan zu haben,
um die Reinheit ihrer Absichten darzuthun; in ihren eigenen Herzen
aber lebte noch lange eine gewisse Bitterkeit fort, wie sie die Ent-
rüstung über einen so ungerechten Verdacht wachgerufen hatte. Be-
sonders Vieregg gab diesem Gefühl sowohl Lehrbach als Ritter gegen-
über ungescheut Ausdruck. Wenn seinen in der Erregung niederge-
schriebenen Zeilen Glauben geschenkt werden darf, so war er bereits
seines Amtes überdrüssig, da er bemerken musste, wie seine Politik
der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit eine Wirkung hatte, die der im In-
teresse seines Herrn gewünschten gerade entgegengesetzt war. Bei
alledem war man aber ängstlich besorgt, dem Kaiserhof keinen An-
lass zu begründeten Klageu zu geben. Da die Anerkennung Karl
Theodors als Inhaber des Herzogtums Bayern auf dem Reichstag
noch nicht erfolgt war — sie hieng ja, wenigstens nach österreichischer
Auffassung, von der Annahme der Convention ab — unterliess man
die Beisetzung jeglichen Titels in der Ratin cationsforrnel. Man beeilte sich
Aufklärung zu geben über die so sehr beargwöhnte Sendung von Cou-
rieren nach Paris und Berlin: sie hatten die Notification von Karl
Theodors Regierungsantritt dorthin getragen; man suchte Ritter und
durch ihn den Staatskanzler zu beruhigen über den Anteil einzelner
dem Wiener Hofe nicht völlig genehmer Personen an den politischen
Geschäften.
Während Vieregg für seine Person Ueberdruss an der Leitung
der Geschäfte kundgibt, mahnt er mit eindringlichen Worten Ritter
zu tapferem Ausharren auf seinem schwierigen Posten. Er versichert
ihn des uneingeschränkt fortdauernden Vertrauens seines Herrn, er
spricht ihm in dessen Namen sein Bedauern aus über die Unannehm-
») Karl Theodor an Ritter. München. 14. Januar 1778. Conzept. Bayr,
Geh. St. A.
\\0 U n z e r.
lichkeiten, denen er unter den herrschenden Verhältnissen ausgesetzt
sei, und sucht seinen Mut wieder aufzurichten durch die Aussicht,
dass auch der Wiener Hof ihm in kürzester Frist das alte Vertrauen
bezeigen werde.
Mit der ratificirten Conventionsurkunde, die in Wien gegen das
von Maria Theresia unterzeichnete zweite Exemplar ausgetauscht wer-
den sollte, mit den Weisungen für Ritter und mit zwei kurfürstlichen
Schreiben an die Kaiserin und an den Kaiser versehen, verliess noch
am 14. Januar der Courier die bayerische Hauptstadt. Wenn er seine
Reise auch noch so sehr beschleunigte : vor dem 16. Nachmittags, also
vor Ablauf von zweimal vierundzwanzig Stunden konnte er nicht in
Wien eintreffen. Mit bleierner Langsamkeit schlichen diese Stunden
für Ritter dahin. Offenbar suchte er durch Schreiben seiner inneren
Unruhe Herr zu werden. Vom 14. Januar ist datirt die , gründliche
Geschichtserzehlung und daraus erhellende Rechtfertigung des Be-
tragens des Freyherrn von Ritter, in der Behandlung über die Baye-
rische Erbfolge mit dem K. K. Hofe", die er an Vieregg sandte. An
diesem Tage erhielt er die Weisung vom 12. wegen des bevorstehen-
den Eimnarschs kaiserlicher Truppen in Bayern; er machte die anbe-
fohlenen Vorstellungen, doch ohne Erfolg. Dabei musste er wieder
die schlimmsten Anschuldigungen seines Hofes anhöreu, ohne ihuen
mit voller Ueberzeugung entgegentreten zu können, glaubte er doch
selbst bereits, dass Karl Theodor ein anderes politisches System ange-
nommen habe. Die Verweigerung der Ratification im kritischsten Augen-
blick erschien ihm als ein untrügliches Zeichen dafür, dass die bis-
herige Politik der Verständigung mit dem Kaiserhof aufgegeben sei.
Nur die bayerischen Staatsmänner konnten diesen Umschwung be-
wirkt haben, sie, die von all dem Vorhergegangenen nichts wussten;
zu ihrer Belehrung hatte er die Denkschrift vom 14. Januar bestimmt,
vorausgesetzt, dass sie sich überhaupt belehren lassen wollten. Denn
er mochte wohl selbst einigen Zweifel an dem Erfolg hegeu, nachdem
Kaunitz ihm seinen Verdacht mitgeteilt hatte, dass eine förmliche
Verschwörung zwichen dem jüngst verstorbenen Beckers und dem Baron
Zedtwitz auf pfälzischer, dem Ministerium in München auf bayerischer
Seite bestanden habe bezw. noch bestehe , von der wahrscheinlich
Vieregg gar nichts wisse, die möglicher Weise sogar dem Kurfürsten
ÖD Ö O o
unbekannt geblieben sei. Zugleich aber wollte er durch die „Gründ-
liche Geschichtserzehlung- sein Verhalten in der bayerischen Succes-
sionsverhandlung klarstellen und rechtfertigen gegenüber den Männern
des neuen Systems, denen er zu weichen entschlossen war. Er erbat
sich als Nachfolger auf seinem augenblicklich so wichtigen Posten
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 3. Jan. 1778. \ \ \
einen Mann, der vollständig eingeweiht sei in die Grundsätze der nun-
mehr zu befolgenden Staatsweisheit, für sich selbst einen ehrenvollen
Ruhestand 1).
Endlich am 16. Januar schlug ihm die Erlösungsstunde. In aller
Frühe hatte er noch einem Bericht au Vieregg verfasst über den stets
wachsenden Verdacht gegen Karl Theodor, der durch das zweideutige
Auftreten des Geheimen Staatsrats von Cimtzmaun in Mannheim bis zu
einem gewissen Grad gerechtfertigt werde, da erhielt er aus der Staats-
kanzlei die Nachricht, ein Courier Lehrbachs habe das bevorstehende
Eintreffen der Ratification gemeldet; zugleich liess ihm Kaunitz sagen,
er sei überzeugt, dass die kaiserlichen Majestäten sehr zufrieden mit
dieser Wendung der Dinge sein würden. Der kaiserliche Gesandte in
München berichtete nämlich, der Kurfürst habe ihn am 14. in der
Frühe rufen lassen und nach einer langen Unterredung die Rati-
ficirung des Vertrages versprochen. Ritter nahm die Gelegenheit wahr
hervorzuheben, wie die augekündigten Schreiben Karl Theodors an die
Majestäten uuzweideutige Beweise der Aufrichtigkeit und Staudhaftig-
keit der Gesinnung seien, und forderte dagegen die Rückkehr des alten
Vertrauens von österreichischer Seite, damit das begonnene grosse
7 ~ o
Werk zu einem erspriesslichen Abschluss geführt werden könue -).
Endlich um 7 Uhr Abends traf der Courier mit der ratificirten
Convention ein. Ritter teilte der Staatskanzlei sogleich den Inhalt
des kurfürstlichen Rescripts und der Weisungen Viereggs mit; Tags
darauf, am 17., überreichte er den Majestäten die Schreiben seines
Herrn und empfieng die Versicherung freundschaftlichster Gesinnung
und erneuten vollständigen Vertrauens. Der Kaiser sowohl wie die
Kaiserin sprachen überdies den lebhaften Wunsch nach baldigem Ab-
schluss der zweiten Convention aus, damit alsdann nichts mehr die
innige Freundschaft der beiden Höfe trüben könne. Wegen des unbe-
gründeten Verdachts, über den sich Karl Theodor in seinem Schreiben
beklagte, entschuldigte sich Maria Theresia; sie äusserte zu dem Ge-
sandten: „Wir müssen nun auf das Engste zusammenhalten und ins-
künftige für einen Mann stehen." Jetzt vollzog sie auch die Rati-
fication und noch an demselben Tage wurden die Vertragsurkunden
ausgetauscht.
Man teilte Ritter nun die drei Patente mit, welche inzwischen
erlassen worden waren : am 12. Januar hatte Maria Theresia die Ein-
ziehung von Mindelheim, am 15. diejenige der böhmischen Lehen in
') Ritter von Vieregg. Wien. 14. Januar 1778. Orig. Bayr. Geh. St.-A.
*) Ritter an Vieregg. Wien. 1*J. Januar 1778. Orig. Nr. 14, Bayr. Geh. St.-A.
112 Unzer.
der Oberpfalz sowie des ehemals straubingischen Teiles von Nieder-
bayern angeordnet. Colloredo sprach dem Gesandten sein Bedauern
aus, dass in Folge der Eatificationsverzögerung an den Grafen Hartig
in München bereits ein Manifest abgegangen sei wegen der Besitz-
ergreifung der erledigten Reichslehen, das nicht mehr widerrufen wer-
den könne. Dies war in der That am 14. geschehen ; man sandte an
diesem Tage an F.M.L. Baron Langlois zwei Packete; das eine sollte
er an Hartig abschicken, sobald ihm die Gewährung der Ratification
aus München gemeldet werde; traf aber die Nachricht ein, dass die
Convention verworfen sei, so ging das andere Packet an Hartig ab.
In dem letzeren befanden sich Instruction und Vollmacht für Hartig
zur Besitzergreifung des ganzen Herzogtums Bayern und andrer
reich slehenbarer Lande, Güter und Gerechtsame, sowie das gedruckte
Manifest, welches diese Massregel den Landesbewohnern ankündigte.
Das erste Packet, das abgesendet wurde, enthielt die Instruction für
den k. k. Commissär bei der Einziehung der erledigten Reichslehen
mit Ausnahme des Herzogtums Bayern, die erforderliche Vollmacht,
ferner Bemerkungen über einzelne Lehen und das gedruckte Patent.
Obwohl die Aktenstücke am 14. von Wien abgingen, trugen sie sämmt-
lich das Datum des 16. Januar l).
War nun auch die Einziehung der erledigten Reichslehen nicht
mehr zu hindern oder rückgängig zu machen, so liess der Kaiser doch
dem Kurfürsten auch jetzt wieder die Neuverleihung derselben in Aus-
sicht stellen, wenn sie als eine Belehnung ex nova gratia, also nicht
mit Berufung auf den bisherigen bayerischen Besitz, schriftlich erbeten
und von der Kaiserin -Königin befürwortet werde.
Das Aufrücken des pfälzischen Hauses in die fünfte Kurwürde
beim Erlöschen der bayerischen Linie war bereits durch den West-
fälischen Frieden bestimmt worden. Colloredo liess jetzt Karl Theodor
auffordern, die dazu nötigen Schritte beim Kaiser zu thun, dagegen
wurden noch keine Bestimmungen getroffen über die Führung der
herzoglichen Stimmen Bayerns ; dies sollte erst geschehen, wenn die Ver-
ständigung zwischen beiden Höfen vollständig sei , also vermutlich
erst nach Abschluss der zweiten Convention, die ja möglicher Weise
das ganze Herzogtum mitsammt der herzoglichen Stimme dem Erz-
hause überlieferte.
Die Stimmung am Wiener Hof war, seitdem die Annahme der
Convention durch Karl Theodor feststand, wie umgewandelt. Ritter
berichtet 2), dass die bisher ungünstige Meinung über eine ganze Reihe
J) H. H. u. St.-A. Bavarica 49. Successionssachen 1778.
2) Ritter an Vieregg. Wien. 17. Januar 1778. Orig. Bajr. Geh. St.-A.
Die Entstehung der pfälzisch-österr. Convention v. 8. Jaii. lit8. \]$
von Personen einer gerechten, ja geradezu optimistischen Beurteilung
gewichen sei; man äusserte sich höchst anerkennend über Vieregg;
man schenkte Lehrbach wieder das alte Vertrauen ; man erklärte, dass
Graf Seinsheim stets in hoher Achtung gestanden habe und auch hin-
fort sich derselben erfreuen werde. Hatte man bisher mit Begünstigung der
sächsischen Allodialansprüche gedroht, so versprach man jetzt, sich zu
verwenden, dass Sachsen eine mehr entgegenkommende Haltung be-
obachte, man riet Karl Theodor freundschaftlich in dieser Frage nichts
zu übereilen. Es war die Ansicht Maria Theresias und weiter Kreise
der österreichischen Hauptstadt, dass nun die bayerische Erbschafts-
angelegenheit so gut wie geregelt sei.
Mittheilunsren XV,
Der Herzog von Keiclistadi
Ein Beitrag zu seiner Geschichte.
Von
Hanns Schütter.
Als der Stern Napoleons noch im vollen Glanz erstrahlte, als der
Sohn der Kevolution, welcher sich zum Imperator aufgeschwungen
hatte, noch die Geschicke Europas nach seinem eigenen Ermessen
lenkte, da glaubte er, sich als das einzige Werkzeug zur Aufrechterhal-
tung der von ihm geschaffenen Ordnung betrachten zu müssen, und
unmöglich schien es ihm, dass die Welt ohne ihn bestehen könnte.
„Ich werde vielleicht zu Grunde gehen", sagte er im Jahre 1813 zu
dem Fürsten Metternich, „aber meinem Falle folgt der Untergang der
Throne und der ganzen Welt f)".
Der Ausgang des Feldzuges von 1814, in welchem Napoleon bei
verhältnissmässig beschränkten Mitteln die grösste militärische Begabung
an den Tag gelegt hatte, offenbarte so recht den Hauptfehler, an
welchem die Pläne des Gewaltigen kraukten: dass er stets zu ver-
gessen pflegte, dass es denn doch eine Grenze gebe, über welche hin-
aus die menschlichen Kräfte nicht reichten. Napoleon hat es nie
verstanden, mit natürlichem Masse zu rechnen und so kam es, dass
die Menschenmaschineu, welche er bis zur Ueberanstrengung in Be-
wegung gesetzt, endlich den Dienst versagten. Die Gewohnheit, Fähig-
keiten und Mittel seiner Gegner zu unterschätzen und zu verachten, trug
auch nicht wenig dazu bei, seinen Fall zu beschleunigen. So hatte er bei
Gelegenheit der Allianz von 1813 nicht so recht daran glauben wollen,
dass unter Verbündeten der Geist der Einheit walten könnte, und sie
l) Aus Metternich s nachgelassenen Papieren II. 287,
JÖer Herzog von Reichstadt. H5
selbst zur Erreichung eines gleichen Zieles einträchtig zu wirken ver-
möchten.
Das Glück, der Grundstein seiner Macht, begann zu wanken und
das Staatengebilde, welches er sich nach einem verzerrten und über-
triebenen Ideale des Reiches Karl des Grossen zu erschaffen gedachte,
fiel bereits während des Entstehens dem einheitlichen Zusammenwirken
der Verbündeten zum Opfer. „Das weitläufige Gebäude, welches er
errichtet hatte, — scbrieb Metternich im Jahre 1820, — war ausschliess-
lich das Werk seiner Hände und er selbst der Schlüssel zu diesem.
Aber so riesenhaft es auch war, so entbehrte es doch einer wesent-
lichen Grundlage, und das Material, aus welchem er es gebildet, bestand
nur aus Besten anderer Gebäude ; vieles war faul, anderes ohne Halt. Der
Schlüssel zu dem Gewölbe wurde weggenommen und das Gebäude stürzte
zusammen. Das ist in wenigen Worten die Geschichte des fran-
zösischen Kaiserreiches — von Napoleon erdacht, entworfen und ge-
schaffen existirte es einzig und allein in ihm, — mit ihm muste es
auch zu Grunde gehen 1)u.
Scheinbar ergeben in sein Schicksal beschäftigte Napoleon sich
mit der Ausarbeitung der Abdankungsurkunde, welche er am 6. April
1814 seinen Generalen vorlas. Sie hatte folgenden Wortlaut: „Nach-
dem die verbündeten Mächte proklamirt haben, dass Kaiser Napoleon
das einzige Hindernis für die Wiederherstellung des Friedens in
Europa sei, erklärt jener, seinen Eiden getreu, dass er für sich und
seine Erben auf die Throne von Frankreich und Italien verzichte,
weil es kein persönliches Opfer, selbst das seines Lebens nicht aus-
geschlossen, gibt, welches er dem Interesse Frankreichs nicht zu
bringen bereit ist2)". Der Minister des Auswärtigen, Caulaincourt
und die Marschälle Ney und Macdonald überbrachten dieses Schrift-
stück den Verbündeten. Es hatte den Vertrag von Fontainebleau
zur unmittelbaren Folge, welcher Napoleon den Kaisertitel und die
Souverainetät der Insel Elba zusicherte. Der fünfte Artikel dieses
Vertrages bestimmte das Schicksal Marie Louisens und des jungen
Prinzen; er lautet wie folgt: „Die Herzogthümer Parma, Piacenza
und Guastalla kommen als volles Eigenthum und souverainen Besitz
an J. M. die Kaiserin Marie Louise; sie werden an ihren Sohn und
dessen Nachkommen in direkter Linie erblich übergehen. Der Prinz,
ihr Sohn führt fortan den Titel: Prinz von Parma, Piacenza und
Guastalla 3)".
') Aus Metternichs nachgelassenen Papieren I, 290, 291.
-') Martens, Supplement au recueil des principaux traites. (Göttingue
1817) V, 696. s) Martens V, 697.
8*
\\Q Schütter.
Bevor noch Napoleon daran gegangen war, die Urkunde auszu-
fertigen, welche seine Abdankung enthielt, beschäftigte er sich auf
das lebhafteste mit dem bevorstehenden Schicksal seiner Gemalin und
seines Sohnes. „Man gewähre meiner Familie die Mittel des Unter-
haltes, rief er aus, das ist Alles, was ich verlange. Was meinen Sohn
betrifft, so wird er Erzherzog sein, was für ihn vielleicht besser ist
als der Thron Frankreichs ; denn — falls er ihn bestiege, wäre er auch fähig,
diesen sich zu erhalten? Für ihn wie für seine Mutter würde ich Tos-
kana wünschen l)". Als Caulaincourt darauf erwiderte, dass im besten
Falle die verbündeten Souveraine sich dazu entschliessen würden, dem
jungen Prinzen Parma zuzusprechen, rief Napoleon aus: „Wie! zum
Tausch gegen das Kaiserthum Frankreich nicht einmal Toskana ! 2)"
Aber nicht einmal Parma erhielt der König von Kom als Ersatz
für die verlorene Kaiserkrone.
Auf dem Wiener Congresse wurde der fünfte Artikel des Vertrages von
Fontainebleau zum Gegenstand eines erbitterten Streites, als die vormalige
Königin von Etrurien in entschiedener Weise für die Erbrechte ihres Sohnes
auf Parma eintrat. Napoleons Flucht von Elba, durch welche er als
eidbrüchig sich aller Rechte begeben hatte, veranlasste den Congress
jenen Vertrag für null und nichtig zu erklären, so dass man auf diesen sich
nicht mehr berufen konnte, um die Forderungen Spaniens abzulehnen
Da es auch die italienischen Fürsten mit banger Sorge für die Sicher-
heit ihrer Staaten erfüllt hätte, wenn der früheren Vereinbarung ge-
mäss, der Sohn Napoleons dereinst in Parma zur Regierung gelangt
wäre, so wurde französischer Seits vorgeschlagen, dieses Herzogthum
seinem vormaligen Herrn zurückzuerstatten, Marie Louisen hingegen mit
den Einkünften der pfalzbayerischen Güter in Böhmen, nebst dem
Fürstenthume Lucca, welches nach ihrem Tode an Toskana fallen sollte,
schadlos zu halten.
Am 9. Juni eröffnete jedoch der Congress dem spanischen Bevoll-
mächtigten, dass er sich nur bereit erkläre, dem Infanten Karl Ludwig
statt der Herzogthümer Parma, Piacenza und Guastalla das Fürs-
tentum Lucca abzutreten und 500.000 Francs jährlicher Rente zu
gewähren; aber in ihrer Eigenschaft als Vormünderin ihres Sohnes
verweigerte die Exkönigin von Etrurien die Annahme eines solchen
Ausgleiches, was zur Folge hatte, dass Marie Louise die Herzogthümer
erhielt, ohne sie auf ihren Sohn vererben zu können.
Diese Beschlüsse, welche Graf Neipperg ihr überbrachte, betrübten
l) Thiers, Histoire du Consulat et de 1' Empire XVII, 754.
'-') Thiers ibidem.
Der Herzog von Reichstadt. 117
die Erzherzogin auf das tiefste. Noch hatte sie sich der Hoffnung
hingegeben, dass die Mächte sich dazu verstehen könnten, ihrem Sohnei
eingedenk der Opfer, welche sie Beide für die Ruhe Europas gebracht,
einigen Ersatz für das Verlorene zu bieten. „An mir liegt mir gar
nichts, "schrieb sie am 20. Oktober 1816 ihrem Vater, aber an der
Zukunft meines Sohnes ! l)M Aufgefordert ihre Willensäusserung be-
kannt zu geben, richtete sie am 24. November folgenden Brief au
Kaiser Franz : „Ich verhehle es Ihnen, mein teuester Vater, keines-
wegs, dass ich nur mit schwerem Herzen jenen Anordnungen mich
füge, welche die Zukunft meines Sohnes betreffen. Nach den unge-
heueren Opfern, welche ich in dieser Hinsicht dem Frieden Europas
bereits gebracht, war ich nicht auf ein weiteres gefasst. Um Ihnen
jedoch eine neue Bürgschaft meiner kindlichen Liebe zu liefern und
um zu beweisen, wie sehr ich meine eigenen Interessen dem allge-
meinen Wole unterordne, willige ich unter bestimmten Bedin-
gungen ein, jene Vorschläge anzunehmen, welche dahin lauten, meinem
Sohne, wenn er auf die Erbfolge in den Parmesanischen Staaten ver-
zichte, die passendste und vortheilhafteste Stellung unter öster-
reichischer Regierung zu bieten.
Indem ich alle meine Wolfahrt in Ihre Hände, mein erlauchter
Vater, lege und vollständig überzeugt bin, dass die Zärtlichkeit für
Ihre Tochter und die heiligen Pflichten, welche ihr und Ihnen, als
dem Vormund ihres Sohnes, in gleicher Weise auferlegt sind, Sie ver-
mögen werden, für diesen alles das zu erstreben, was am schicklichsten
und ehrenvollsten erscheint, willige ich ein und genehmige, dass man
nach folgenden Grundsätzen die Verhandlungen mit den dabei be-
theiligten Mächten eröffne:
1. Die Erbfolge in Parma kann nach meinem Tode auf die früher
dort regierende Linie der Bourbons übergehen.
2. Mein Sohn, der Prinz Franz Karl wird, sobald die Ver-
handlungen, welche die Erbfolge betreffen, geschlossen
sind, ohne Verzug in den Besitz der in Böhmen gelegenen, gegen-
wärtig dem Grossherzog von Toskana gehörigen Herrschaften treten,
welche als die Pfalz-Bayerischen bekannt sind und diese werden meiner
Privatdomaine einverleibt.
3. Nur die Abtretung eines gleichwertigen Besitztums
in irgend einem andern Teile der österr eichischen Mon-
archie u. zw. unter denselben Bedingungen könnte mich zu
der oben erw ahnten Verzichtleistung bewegen, da ich fest entschlossen
') Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien.
1 1 g Schütter.
bin, mich von Niemandem in Form einer gleichwertigen Pension ab-
fertigen zu lassen. Es ist meine Mutterpflicht und mein ernster Wille,
noch zu meinen Lebzeiten zu erfahren, nicht nur d a s s, sondern auch
in welcher Art und Weise die Zukunft meines Sohnes ge-
sichert ist.
4. Um meinen Oheim, den Grossherzog von Toskana, für das
Opfer, welches er mir durch die Verzichtleistung auf die böhmischen
Güter bringt, zu entschädigen, willige ich ein, ihm nach meiner Be-
sitzergreifung, Zeit meines Lebens die Hälfte der Kevenuen rein zu
überlassen.
5. Mein Sohn, der Prinz Franz Karl, wird so lange als möglich
den Titel eines Herzogs von Parma führen, denn eine Aenderung wäre,
in Ansehung der Bande, welche meine Unterthanen an meine Person
knüpfen, von verderblichem Einfluss. Im Falle, als er dennoch seinen
Titel ändern müsste, wird man für ihn den schicklichsten wählen 1)u.
Kaiser Franz setzte sich mit Wärme dafür ein, dass die Ange-
legenheit seiner Tochter in zufriedenstellender Weise geregelt werde.
Als nun Fürst Metternich in der Lage war, Marie Louisen zu berichten,
dass die Pariser Unterhandlungen einen günstigen Verlauf nehmen,
da kannte die Dankbarkeit der glücklichen Mutter keine Grenzen. In
einem Briefe vom 13. August 1817 schrieb die Erzherzogin folgendes
an den Kaiser: „Sie haben mein Herz für vielen erlittenen Kummer
reichlich belohnt und es wird Ihnen ewig dafür dankbar bleiben. Ich
bitte Sie nun noch Ihr gutes Werk und Ihre guten gnädigen Absichten
für mein Kind zu vollenden. Geben Sie ihm bester Papa einen Namen
und ein Wappen, die ihn in den Eang eines nachgeborenen Prinzen
unseres Hauses versetzen und seine Lage für die Zukunft vollkommen
gründen. Gott wird Sie ewig dafür lohnen und mein und meines
Sohnes Gebet für Sie gegen den Himmel gerichtet werden. Er wird
sich durch seine Bildung Ihrer Gnade gewiss würdig machen" 2).
Aber zu ihrer höchsten Verwunderung und mit grossem Leidwesen
musste sie erfahren, dass der Pariser Vertrag vom 10. Juni 1817
zwar den Bourbons Parma zugesichert hatte, dass aber darin mit kei-
nem Worte ihres Sohnes gedacht ward. Dieser, welcher bis dahin
Herzog von Parma geheissen hatte, war nunmehr ohne Namen, ohne
Titel und ohne Gut. Nochmals wendete sich Marie Louise an Kaiser
Franz und empfahl ihren Sohn seiner so oft erprobten väterlichen
Gnade. „Auch der Namen und die Titel meines Kindes liegen mir
') Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien.
'-) Haus-. Hof- und Staatsavehiv Wien.
Der Herzog von Reichstadt. 119
sehr am Herzen, schloss sie ihren Brief, und ich hoffe Sie werden
unter den alten Hanstiteln gewählt werden, da ein neuer meine Hoff-
nung nicht erfüllen würde".
In den edlen Gesinnungen des Kaisers lag es ja selbst, seinem
Enkel Eang, Titel und Besitz zu geben und ihn für den Verlust der
Staaten zu entschädigen, welche ihm durch den Vertrag von Fon-
tainebleau zugesichert worden waren. Als Marie Louise von den Be-
mühungen ihres Vaters erfuhr, richtete sie am 5. März 1818 aus
Parma folgendes Schreiben an ihn: „Nur noch wenige Zeilen, liebster
Papa, durch die heutige Post, um Ihnen die Gefühle meiner Erkennt-
lichkeit auszudrücken für alles, was Sie die Gnade hatten für meinen
Sohn zn thun, und welches ich soeben durch einen Brief von Fürst
Metternich ersehen. Ich bitte Sie überzeugt zu sein, dass ich alles
was Sie für uns machen wollen, tief fühle und dass mir nur Worte
fehlen, Ihnen meine kindliche Dankbarkeit dafür auszudrücken. Aber
an eine Undankbare verschwenden Sie Ihre Gnade nicht und mein
immerwährendes Bestreben wird es sein, sowohl in der Nähe als
auch von ferne in das junge Herz meines Sohnes diese nämlichen
Gefühle einzuprägen, und ihm in ihnen immer den besten aller Gross-
väter und seinen Woltäter zu zeigen. Wie gerne hätte ich nicht für
ihn den Titel eines Herzogs von Mödling genommen, welcher
die schönsten Erinnerungen der Geschichte der alten österreichischen
Herzoge zurückruft; was mich davon abhielt, war das Unglück, dass
diese Herrschaft im Besitz des Fürsten Liechtenstein, und dieses so
merkwürdige"! alte Ritterschloss gerade einen Teil seines englischen
Gartens ausmacht — denn wäre es in Ihren Besitzungen ge-
legen, so wäre mir dieser Titel viel lieber als alle anderen ....
Nach diesem bleibt mir nichts mehr übrig zu wünschen, als dass'
mein Sohn mit der Zukunft ein guter und geistreicher Mann und
Ihnen ein treuer Diener möge werden 1)".
Da Franz I. seiner Tochter die Wahl Hess, den passendsten
Titel zw bestimmen, entschloss sie sich für einen, welcher aus den
böhmischen Herrschaften genommen werden sollte. Als der Kaiser
dies erfahren, benachrichtigte er sofort die Erzherzogin, dass er ge-
sonnen sei, ihrem Sohne den Titel eines Herzogs von Keichstadt zu
verleihen und ferner zu gestatten, dass er seinen Kang unmittelbar nach
den Erzherzogen, den Prinzen des kaiserlichen Hauses zu nehmen habe.
In einem Schreiben fvom 7. April 1818 dankte Marie Louise ihrem
kaiserlichen Vater in innigen Worten für diesen neuerlichen Beweis
') Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien.
120 Schütter.
seiner Liebe. „Nichts konnte mir in der Welt, versicherte sie ihm,
angenehmeres geschehen, da ich nun für die Zukunft meines Kindes
ganz beruhigt bin, und besonders da ich das Ziel aller meiner Wünsche
einzig und allein dem besten aller Väter, und nicht den übrigen
Monarchen von Europa verdanke, die sehr geschwind alle Opfer ver-
gessen haben, die ich dem allgemeinen Besten gebracht. Mir
war nie darum zu thun, dass mein Sohn regieren sollte, allein sein
Schicksal einmal unverbrüchlich festgesetzt zu sehen, war die heiligste
meiner Mutterpflichten, und Sie, liebster Papa, haben mir endlich die
so lange verlorene Kühe wieder geschenkt, so dass ich mit meinem
Loos vollkommen zufrieden bin . . . 1)".
Am 22. Juli desselben Jahres erliess Kaiser Franz das Patent,
welches die Stellung des Sohnes Napoleons für die Zukunft regelte.
Durch besondere Bestimmungen wurdem diesem die pfalz-bayerischen
Güter in Böhmen zum Eigenthume für sich und seine männlichen
Erben gegeben, doch sollten sie, im Falle des Aussterbens, an Oester-
reich zurückfallen 2).
') Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien.
2) Montbel, Le duc de Reichstadt (Paris 1832), 129, 130.
Kleine Mittheilungen.
Zur Biographie des ErzMsckofs Tagiuo von 3Iagdeburg
(1004 Februar 2 — 1012 Juni 9). Die Bearbeitung der Lebens-
beschreibung des Genannten für die Allg. Deutsche Biographie gibt
mir Anlass, meine in einzelnen Punkten von den Ergebnissen früherer
Forschung abweichende Meinung an dieser Stelle ausführlicher zu
begründen. Hirsch Jahrb. Heinrichs IL 1, 172 hält den Erz-
bischof für einen jüngeren Sohn aus adeligem Haus im Bereich der Frei-
singer Diöcese, der zuerst zu Pfründen an der Freisinger Domkirche
bestimmt gewesen sei. Er beruft sich auf eine bei Meichelbeck Hist.
Frising. la, 201 abgedruckte Urkunde, in welcher der presbyter etecclesie
Frisingensis aedituus Katolt seinen Besitz in dem bei Freising gelegenen
Zolling zu dem S. Benedicti- Altar widmet, mit der Bestimmung, dass
nach seinem Ableben der Priester Andricus1), der den Altardienst besorgt,
auf Lebenszeit den Nutzgenuss des Stiftungsgutes haben soll und dass
nach dessen Tod die Verwandten des Stifters, Jakob und Tagini, in
Nutzung und Dienst eintreten sollen. Den Vorrang hat der näher
verwandte Jakob, erst nach dessen Tod oder im Falle als er die For-
derungen des Stifters nicht erfüllen sollte, kommt Tagiui an die Reihe.
Für beide sind als nothwendig einzuhaltende Bedingungen vorge-
schrieben : die Erlangung der priesterlichen Würde, der Eintritt in das
Kanonikat des Freisinger Domstiftes und die persönliche Besorgung
des Altardienstes. Unter den Zeugen der Urkunde steht nach dem
') Wohl eine Person mit dem als magister scholae unter Bischof Gott-
schalk erwähnten Antricus vgl. Spect Gesch. des Unterrichtswesens p. 362. Altar
s. Benedicti will Roth Oertlichkeiten 306 auf Zolling beziehen, wie ich glaube
mit Unrecht, vgl. Rettberg Kirchengesch. 2, 261 über das Kathedralkloster S.
Benedict zu Freisinn.
\22 Kleine Mittheilung-en.
Grafen Uodalscalh ein Tagini, wohl der Vater des im Texte Genannten.
Des weiteren nimmt dann Hirsch im Anschlüsse an Meichelbeck Hist.
Frising. la, 202 und Chron. Benedictoburanmn p. 32 an, dass dieser
Eatolt eine Person sei mit dem gleichnamigen Vorsteher des Klosters
Benedictbeuern, als dessen Nachfolger in dem Chronicon Benedicto-
buranum (Mon. Germ. SS. 9, 219) ein Tagino erwähnt wird: et ipse
nobilis et non plus rexit nunc locum quam dimidium annum. Mo-
guntiacensis archiepiscopus est constitutus. Berichtigt man den Irr-
thum des Chronisten, wie das schon Meichelbeck Chron. Benedictobur.
33 vorgeschlagen hat, indem man statt Moguntiacensis richtig Magde-
burgensis schreibt, so ergibt sich die Identität des in Katolts Urkunde
und im Chron. Benedictoburanum genannten Tagino mit dem gleich-
namigen Erzbischof von Magdeburg. Hirsch setzt dann 2, 231 ßatolts
Tod auf den 31. August 1003 an, so dass also Tagino unmittelbar
vor seiner Erhebung zum Erzbischof die Propstei von Benedictbeuern
innehatte, die für ihn allerdings nichts anderes war, als eine von
Regensburg aus verwaltete Pfründe. Taginos Bild hat sich in Bene-
dictbeuern so wenig eingeprägt, das die Chronik ihn sogar Erzbischof
von Mainz werden lässt.
Das Ergebnis zu dem Hirsch durch diese ganz einleuchtende Be-
weisführung gelangte, ist von Kiezler Gesch. Baierns 1, 411 und auch
von Janner Gesch. der Bischöfe von Kegensburg 1, 420 angenommen
worden. Janner weiss uns in Fortbildung dieser Ansicht zu berichten,
dass Tagino Ratolts „Neffe" war und dass dieser seinen Neffen für die
Mutterdiöcese zu gewinnen suchte. Trotz der verlockenden Aussicht
auf die Freisinger Altarpfründe wurde aber Tagino in die Schule
Wolfgangs nach Regensburg geschickt. Janner verkehrt auch das
zeitliche Verhältnis, indem er den Ratolt ..unserem Tagino" in der
Vorsteherschaft zu Benedictbeuern nachfolgen lässt und damit den
chronologischen Schwierigkeiten zu denen die Aufstellung seines Ge-
währsmannes führt, aus dem Wege geht.
Erscheint nämlich die von Hirsch beliebte Verknüpfung und Anord-
nung der einzelnen Nachrichten bei der Gleichheit der Namen für
den ersten Blick durchaus annehmbar, so stellen sich doch bei ein-
dringender Untersuchung mehrfache Bedenken ein. Das schwer-
wiegendste darunter ist wohl die Wahrnehmung, dass die von Hirsch
gebotene Darstellung sich weder mit dem zeitlichen Ansatz der Ur-
kunde Ratolts noch auch mit andern Angaben über Taginos Leben
verträgt. Der von Meichelbeck aufgestellte Satz: Certe Tagino illi ac
nostro (sc. Magdeburg, et Benedictoburano) uti nomen ita etiam tem-
pus exacte respondent, steht mit den Quellen nicht im Einklang. Man
Zur Biographie des Erzbischofs Tagino von Magdeburg (1004 —1012). 123
hat nämlich übersehen, dass die Urkunde, welche den Ausgangspunkt
der Untersuchung bildet x), zur Zeit und auf Kath des Bischofs Gott-
schalk von Freising ausgestellt worden ist. Dessen Vorgänger Abraham
ist nun am 7. Juni 994 gestorben und Ratolts Verfügung kann also
erst nach diesem Tage stattgefunden haben. Damals war aber der
spätere Magdeburger Erzbischof schon vicedominus in Regensburg und
vertrauter Gefährte des h. Wolfgang, der ihn zu seinem Nachfolger
ausersehen hatte. Dass ein Mann in so hoher kirchlicher Würde, ge-
ehrt durch das Vertrauen seines Bischofs und die Freundschaft des
zur Nachfolge im bairischen Herzogthum berechtigten Prinzen, nicht
für die persönliche Ableistung eines Altardienstes in Freising und zwar
erst an dritter Stelle und unter der Bedingung des Eintrittes in das
Freisinger Kanonikat vorgemerkt werden konnte, ist wohl klar und
genügt an und für sich, die Identität des Freisinger Tagino und des
Regensburger Vicedoms auszuschliessen, ganz abgesehen davon, dass
im andern Falle ja gewiss die kirchliche Würde Taginos erwähnt
worden wäre, und dass der in der Urkunde Ratolts erwähnte Tagini
nicht einmal die priesterlichen Weihen gehabt zu haben scheint.
Mit dieser Urkunde fällt aber auch der Beweis für des Magde-
burger Erzbischofs südbairische oder Freisinger Abstammung. Wir
vermögen ihr zudem einen guten Beleg für seine Regensburger Her-
kunft entgegenzustellen in einer wenig beachteten Urkunde, die uns
in dem unter Abt Ramuold angelegten 2) Theile des Liber trad. s. Em-
merami f. 37' (alt 33') überliefert und darnach bei Pez Thes. lc, 109
n° 53 abgedruckt ist. Es wird uns in derselben berichtet: qualiter
quidam nobilis Tagini dictus offerens filium suum Tagininura ad. s.
Emmerami servitium, tradens pro ipso hobas duas ad Tollunhovun cum
duobus mancipiis, eiusdem loci fratribus regularibus serviendum, eo
tenore ut quarndiu praedictus eius filius sub regulari stipendio inibi
necessaria habuerit, locum non mutet, sin autem sustentationi demitur
plenariae, praedictum praedium in jus haereditarium retrahatur. Be-
richtet uns nun Thietmar 5 c. 42 auf Grund persönlicher Mittheilungen
Taginos, dass Bischof Wolfgang von Regensburg „in vice filii a puero
nutriens eundem iam adultum bonis suimet omnibus prefecissef, so
wird an der Identität dieses dem Kloster S. Erameram übergebenen
Knaben mit dem spätem Erzbischof nicht zu zweifeln sein. Dass der
Vater zum Regensburgischen Adel gehörte, beweist sein Vorkommen
') Sie ist nach Meichelbeck noch abgedruckt worden von Karl Roth, Oert-
lichkeiten des Bisthums Freising 305 n° 710 und vom Grafen Hundt im Oberbayr.
Archiv 34, 300 n° 145.
2) Vgl. Bretholz in Mittheil. XII, 16.
124 Kleine Mittheilungen.
als Zeuge in mehreren Urkunden vornehmer Leute für S. Emmeram.
So fand ich ihn in einer Urkunde der Herzogin Judit (Bret-
holz in Mitth. XII, 43 und einer andern ebenda p. 45) , ferner
in der des Grafen Udalrich (Pez Thes. 1, 99 n° 28), der des nobilis
Timo (ib. 105 n° 45), endlich in den Urkunden, in welchen Hadmar
von Laichliug und unus nobilium heroum Lieoparto nomine Familien-
angehörige unter Widmung eines Gutes an S. Emmeram übergeben
(ib. 103 n° 41 und 105 n° 45). Auch unter den Nachfolgern Ra-
muolds finden wir den Namen Tagiui in Urkunden, so in Pez Thes.
1, 114 n° 65; 128 n° 104. Von diesem Kegensburger Edeln scheide
ich nun den Freisinger, der, gleichfalls vornehmen Standes, in Ur-
kunden aus der Zeit der Bischöfe Abraham und Gottschalk vorkommt,
Meichelbeck Hist. Frising. 1* n° 1138, 1139, 1153. Hundt a. a. 0. 283
n° 80, 303 n° 151, 152. Die Gleichheit des Namens ist ohne Be-
lang, wir kennen auch sonst gleiche Namen hervorragender aber deut-
lich zu scheidender Personen in beiden Sprengein und andererseits ist
der Name Tagini im bairischen Lande überhaupt l) und auch im Frei-
singer Gebiete üblich gewesen, ja wir finden unter B. Abraham sogar
einmal ein mancipium Tagini angeführt (Hundt a. a. 0. 270 n° 34).
Ich erwähne noch, dass der Abt Peringer von Tegernsee (nach 1003)
Grund hatte, sich über einen Tagininus zu beklagen, der dem Kloster
einen Zehnten zu Ezinhusun entzog (Pez Thes. 6, 142 n° 3) und dass
der Bruder des Bischofs Gerold von Freising (1220 — 1230) Tagino
hiess (Meichelbeck Hist. Frising. la, 398).
Lösen sich somit durch die Trennung der beiden Tagini die
Schwierigkeiten, welche Meichelbecks und Hirsch' Darstellungen her-
vorrufen, so bleibt noch die zweite Frage zu erledigen, ob der
Regensburger oder der Freisinger oder etwa gar ein dritter Tagini
des Rectors Ratolt Nachfolger in Benedictbeuern war. Eine befriedi-
gende Antwort wird uns dadurch erschwert, dass die Chronologie der
Vorsteher dieses Klosters im 10. und zu Anfang des 11. Jahrhunderts
ganz unsicher ist (vgl. Hirsch a. a. 0. 2,231), da uns im Chronicon
Benedictoburanum nur die Tage, nicht aber die Jahre ihres Ablebens
überliefert sind. Spätere Klostertradition, auf die aber schon Meichel-
beck nicht viel gegeben hat, setzt den Tod Ratolts in das Jahr 1009,
den seines Vorgängers in das Jahr 997. Aus der Erzählung des Chroni-
con erfahren wir nur, dass Ratolt zur Zeit Bischofs Gottschalk das
Vorsteheramt bekleidete. Hirsch hat sich denn auch an diese Ansätze
') Auch der bekannte Passauer Dekan Tagino unter Bischof Diepold (1172
bis 1190) gehört hieher. Förstemann Personennamen col. 326 weist auf den
Zusammenhang mit Thegan hin.
Zur Biographie des Erzbischofs Tagino von Magdeburg (1004— 1012). 125
nicht gehalten uud verlegte, da er der Ueberzeugung war, der Regen-
burger Tagino sei auf Katolt gefolgt, des letzeren Tod in das Jahr
1003. Starb dieser am 31. August, so blieben eben noch fünf Monate
bis zur Erhebung Taginos auf den erzbischöflichen Stuhl. Lassen wir
aber den Regensburger ganz aus dem Spiele, dann bleibt Ratolts
Todesjahr ganz im Unsichern, beziehungsweise würde auch gegeD die
Annahme von 1009 kein Bedenken obwalten.
Wir haben nun für Taginos Vorsteherschaft kein anderes Zeugnis
als die vorhin angeführte Stelle aus dem Chronicon. Wäre es denn
nicht möolich, dass der Gleichlaut des Namens schon die alten Mönche
von Benedictbeuern zu einer ähnlichen Combination verführte, wie sie
sieben Jahrhunderte später der gelehrte Archivar des Klosters vorschlug?
Der Mönch der diesen Abschnitt des Chronicon in dem ersten Lustrum
der Sechziger Jahre des 11. Jahrh. schrieb, wusste wohl, dass es ein-
mal einen Erzbischof Tagino gegeben hatte, aber gar fest war seine
Kenntnis deutscher Kirchengeschichte doch nicht, da er ihn nach Mainz
versetzte. Ich lege dieser Stelle umso weniger Gewicht bei, als der
wirthschaftliche Zustand des Klosters zu jener Zeit nicht derart war,
dass der von Haus aus begüterte Vertraute des Königs Heinrich in
der Vorsteherschaft eine begehren swerthe Pfründe hätte erblicken können.
War doch Tagino erst im J. 1002 zum Abt oder Propst des bei der
alten Kapelle auf dem Königshofe zu Regensburg von Heinrich II.
und Kunigunde errichteten Kollegiatstiftes bestellt worden! Und die
seltsame Art in der das Rectorat von Benedictbeuern aus verwandt-
schaftlichen Rücksichten vergeben wurde, liesse es viel wahrscheinlicher
erscheinen, dass Ratolt seinem Verwandten, dem Freisinger Tagino,
die Nachfolge zuwendete. Konnten wir also schon der ersten An-
nahme Meichelbecks und Hirsch' nicht beipflichten, so werden wir
auch berechtigt sein, die weitere Folgerung, Erzbischof Tagino sei im
J. 1003 Rector von Benedictbeuern gewesen, abzulehnen.
Ich möchte übrigens gleich bei diesem Anlasse darauf hinweisen,
dass mir die Identität des Freisinger aedituus und des Rectors Ratolt
nicht so sicher verbürgt zu sein scheint, als man gemeinhin annimmt.
Mit vollem Recht können die Vertheidiger dieser Ansicht auf die auf-
fallende Uebereinstimmung der allerdings oft gebrauchten Namen Ratolt
und Tagino hinweisen, sie können anführen, dass der Rector im Chronicon
Benedictobur. als ex castello Frisingensi nobilis vir, der aedituus in den
Urkunden als nobilis clericus bezeichnet wird, dass das von dem Rector
Ratolt an das Kloster geschenkte Gut Wacreinna nach Meichelbecks
Deutung im engern Freisinger Bezirke lag, wo auch der aedituus be-
gütert war, aber all dies dürfte zu einer sichern Entscheidung nicht
126 Kleine Mittheilungen.
genügen, wenn wir unser Augenmerk nochmals der schon -wiederhotl
herangezogenen Urkunde zuwenden.
Sie entbehrt der Datierung und gewährt uns auch sonst keinen
Anhaltspunkt, um ihren zeitlichen Ansatz innerhalb 'der Regierungs-
zeit Gottschalks (994 bis 6. Mai 1005) mit Hilfe des zugänglichen
Materiales genauer zu bestimmen, da sie nicht in einer Reihe von
Traditionen überliefert, sondern mit zwei andern Urkunden . Ratolts
auf den dem Cozroh-Codex zum Schlüsse angefügten Pergamentblättern
eingetragen ist l). Doch werden wir sie mit Recht an den Anfang der
Regierung Gotschalks setzen dürfen, wie ja auch Andricus nicht als ma-
gister scholae bezeichnet wird. Vollends muss man früherem Ansatz bei-
pflichten, wenn man Identität des aedituus und des Rectors annimmt.
Liest man nun die Urkunde ganz unbefangen, so gibt sie sich als
Willensäusserung eines Mannes der Ursache hatte, an seinen Tod zu
denken und für diesen Fall eine Stiftung, die ihm am Herzen lag, zu
begründen. Wäre ihm noch eine längere Lebensdauer in sicherer
Aussicht gestanden, so würde er wohl dem Andricus sofort irgend eine
Zuwendung gemacht haben, wie er ja in jungen Jahren für das sacrarium
Sorge getragen hat. In der That muss Ratolt zur Zeit der Ausstel-
lung der Urkunde schon in höherem Alter gestanden haben. Er war
ein Sohn des ehemaligen bischöflichen Vogtes Ratolt -) und schloss
als diaconus bereits mit dem Bischof Lantbert (Aug. 937 bis 19. Sept. 957)
ein Tauschgeschäft ab 3), unter B. Abraham bekleidete er schon das
Amt des custos ecclesie oder aedituus. Rücken wir auch die erste und
die letzte Urkunde so nahe als möglich zusammen, so liegen doch
zwischen beiden 37 Jahre, er muss also im Anfange Gottschalks zum
mindesten sechzig Jahre alt gewesen sein. Ob nun der auf seinen
Tod bedachte Mann in solchem Alter geneigt war, seine bequeme
Stellung mit der Leitung eines entlegenen, aus gänzlichem Verfall
emporzuhebenden, mit Weltpriestern besetzten Klosters zu vertauschen,
ob ihm die körperliche Kraft gegönnt war, als Rector noch von schwerer
Krankheit zu genesen und den Gebrauch der gelähmten Füsse wieder
zu erlangen, wie uns erzählt wird4), das sind Fragen, die allerdings
') Fol. 398, 399 vgl. Roth Oertlichkeiten 301 nü 707, 302 n° 708, 305
n° 710, Roth bemerkt, dass unsere Urkunde n° 710 von anderer Hand und mit
anderer Tinte geschrieben ist, als die beiden anderen Urkunden.
2) Hundt in Abh. de hist. Cl. der k. bair. Akademie 14b, 22. Sein Bruder
und Vogt hie8s Dietricus. 3) Meichelbeck Hist, Frising. 1*> n° 1084.
4) Chron. Benedictobur. SS. 9, 219 praedium suum in Wacreinna dedit ad
altare s. Beuedicti, postquam in ecclesia s. Benedicü ante altare illius ambulare
gressum recipiebat.
Zur Biographie des Erzbischofs Tagino von Magdeburg (1004—1012) 127
nicht den Ausschlag geben, aber doch nicht schlankweg von der
Schwelle gewiesen werden können und die immerhin zu vorsichtiger
Erwägung mahnen.
Ich wende mich nach dieser Abschweifung zu einer andern Frage,
die für die Lebensgeschichte des Erzbischofs Tagino von Belang ist.
In der Vorrede zur neuen Schulausgabe Thietmars v. Merseburg (1889)
hat der Herausgeber F. Kurze die Behauptung aufgestellt, Eb. Tagino
habe eine Chronik verfasst, die von den Anfängen der Stadt Magdeburg
bis zum J. 1004 reichte und Thietmars Quelle war. Kurze hat dann
diese Behauptung in Mittheil. Ergänzungsband 3, 397 ff. ausführlicher
begründet und da auch den Wortlaut dieser Chronik aus Thietmars
Werk herauszuschälen versucht. Auf die quellenkritische Frage brauche
ich mich hier nach den gegen Kurze gerichteten Bemerkungen Watten-
bachs in der sechsten Auflage der Geschichtsquellen I, 352 um so weniger
einzulassen, als im Neuen Archiv 17, 631 ein derselben gewidmeter Auf-
satz F. Simsons angekündigt wird. Ich begnüge mich an dieser Stelle nur
auf Taginos persönliche Thätigkeit einzugehen. Die Hauptstelle auf
welche Kurze seine Beweisführung stützt, ist Thietmar Chr. 5, c. 44.
Dieser berichtet da über Taginos Ordination zum Erzbischof und fährt
dann fort: Et quia is (sc. Tagino) ut scriptura eius testatur, ab solo
ordinandus apostolico, huc (sc. Komam) venire propter instantem ne-
cessitatem non potuit, ibidem (sc. Merseburg) sacri crismatis delibucione
tercium implevit numerum x). Eben diese scriptura eius soll die Chronik
Taginos sein. Dieser Auslegung hat schon Wattenbach2) widersprochen
und auch ich kann derselben nicht beipflichten. Kurze hat vor allem
den Beweis nicht erbracht, dass Thietmar scriptura in der viel all-
gemeinern , dem MA. aber nicht geläufigen Bedeutung unseres
„Schrift" gebraucht. Es wäre dann auch auffallend, dass Thietmar
nur an dieser Stelle die Chronik erwähnt, sonst aber sich auf die
mündliche Erzählung Taginos beruft. Ferner würde Thietmar, wenn
er eine von Tagino verfasste „ Schrift " hätte erwähnen wollen, sein
geliebtes suimet verwendet haben, wie er das z. B. auch 6 c. 60 thut:
eo quod in epistola suimet hunc iniuste apud papam incusaret. End-
lich ist uns ja der Inhalt der scriptura angegeben in den Worten ab
solo ordinandus apostolico. So sehe ich denn mit Wattenbach in der
scriptura nichts anderes als eine päpstliche Verbriefung über ein Ehren-
vorrecht der Magdeburger Erzbischöfe, das auch im J. 1027 vom
') Vgl. dazu Uhlirz Geschichte des Erzbist. Magdeburg p. 114.
2) Neuausg. der Uebersetzung Thietmars p. IX in (xeschichtschreiber der
deutschen Vorzeit.
128 Kleine Mittheilungen.
Papste Johann XIX. beurkundet, aber nur in seltenen Fällen wirk-
lieb geübt worden ist j). Dass diese Verbriefung nicht erst Tagino,
sondern schon seinem Vorgänger erteilt worden war, ist selbstverständlich.
Das Wort eius besagt weiter nichts, als dass die Urkunde sich im
Besitze des Erzbischofs befand und von ihm vorgewiesen wurde.
Wenn dann Kurze weiter von den sächsischen Annalen- und
Chronikenschreibern, welche eine notitia über die Translation der Re-
liquien des h. Mauritius wörtlich oder gekürzt aufgenommen haben, ver-
langt, dass sie in derselben die Erwähnung Regensburgs hätten streichen
sollen, da doch für sie nur die Ankunft der Reliquien in Magdeburg
Interesse haben konnte, so ist das eine so absonderliche kritische
Forderuüg, dass sie ihre Widerlegung in sich selbst findet. Wir
brauchen uns daher auch auf die aus der Nichterfüllung gezogene
Folgerung, dass derjenige, der diese notitia zuerst seinem Werke ein-
verleibte, ein Interesse an Regen sburg sowohl als an Magdeburg gehabt
haben muss, dass das aber nur bei Tagino zutrifft, nicht weiter ein-
zulassen und können nach dem Gesagten auch an der a. a. 0. S. 405
gegebenen Schilderung des schriftstellerischen Verfahrens Taginos vor-
übergehen.
Wien. K ühlirz.
Rückdatirung in Papsturkunden. In den Papierregistern des
Gegenpapstes Clemens VII. begegnet eine Neuerung, die sich in den
Registern der früheren Avignonesischen Päpste nicht findet und auch
bei den späteren römischen Päpsten nicht wiederkehrt. Der Datirung
der Bullen ist vielfach das Datum der Expedition und dann von neuer
Hand das der Aushändigung an die Partei beigefügt. Dass dies nicht
etwa lediglich der Laune eines Registrators entsprang, sondern einen
tieferen Grund hat, beweist der meist bedeutende Zeitabstand zwischen
Datirung und Expedition. Im ersten Band an. I. pars 1 fehlen Ex-
peditionsvermerke bis f. 607. Auf f. 607' erscheint zum erstenmale:
Dat. Fundis VI. kal. dec. anno I. P. Bosquerii und darauf: Expedita IX.
kal. mai. anno nono. Po. de Curte. Tradita IL kal. mai. anno nono-
3) Jaffe-Löwenfeld Reg. pont. n° 4084. Sagittarius in Boysen Allg.
Mag. I, 288 : interdieimus ut nullus tuus successor ab alio aliquo consecretur, nisi
a Romano pontifice vel a suo misso, seu cui ipse praeeeperit. Grosfeld, De
archiepiscopatus Magdeb. orig. p. 56 hat allerdings Thietmars Bericht angezwei-
felt und Usinger in Hirsch Jahrb. I, 278 diese Bedenken getheilt. doch glaube
ich dasB die oben gegebene Darstellung zu Recht besteht. Vgl. Uhlirz Gesch.
des Erzbistums Magdeburg 58 Anm. 3.
Rückdatirung in Papsturkunden. 129
Ja. de Firmitate. Die Eintragungen schreiten nun bis f. 638 genau
chronologisch nach den Expeditionsvermerken fort, wobei diese vom
9. bis zum 15. Pontificatsjabr steigen, während die Briefe durchaus
aus dem 1. Pontificatsjabr datiren. Dieselbe Erscheinung wiederholt
sich beim nächsten Band an. I. p. 2: bis f. 604 keine Aushändigungs-
vermerke, von da an steigend vom 9. bis zum 15. Pontificatsjahr. Bei
den folgenden Bänden 3 — 5 vermisste ich ähnliche Vermerke, dagegen
tauchen sie an. I. p. 6 bereits von f. 234' an auf; der späteste ist
f. 526 : Dat. Fundis VI. kal. dec. anno primo. Expedita III. id. augusti
anno sexto decimo K. de Valle. Tradita XVII II. kal. septembr. anno
sexto decimo. Siffredus. Die Erklärung liegt wohl nicht darin, dass
die betreifenden Briefe 8 — 15 Jahre in der päpstlichen Kanzlei liegen
geblieben sind, sondern in ganz anderen Ursachen. Das Streben, sich
auf möglichst frühe Provisionsbullen berufen zu können, führte bei den
Parteien dazu, in den Suppliken nicht nur um die Gunst selbst, sondern
auch um Ausfertigung unter einem fingirten früheren Datum zu bitten 1),
während die Lage des Papstthums nach 1378 in Rom so gut wie in
Avignon zu weitestgehenden Zugeständnissen drängte, um das Obödienz-
gebiet zu erhalten und zu mehren. Begreiflicherweise war der Rang
vom ersten Pontificatsjahr der allbegehrte, und dies prägt sich bei
Clemens VII. deutlich genug darin aus, dass die Papierregister aus
dem ersten Pontificatsjahr 16 Bände umfassen, während die der fol-
genden Jahre 2 — 15 ganz ständig 3 — 4 Bände zählen. Wenn Ex-
peditionsvermerke erst mit dem 9. Pontificatsjahr auftauchen, so ist
dies wohl nicht so zu deuten, dass der Unfug erst damals angieng,
sondern dass man von da an an der Curie das wahre Zeitverhältnis
in den Geschäftsbüchern in Evidenz hielt 2). So werden denn die
massenhaften Rückdatirungen seit Clemens VII. anderen schlimmen
Wirkungen des Schismas beizuzählen sein, und es ist wohl mehr als
blosser Zufall, dass nunmehr auch in Rom unter Bonifaz IX. und
') Vergl. Bresslau UL. 1, 872.
2) Ottentkai, Regulae Cancellariae, Clemens VII. No. 131 : Sanctissimus . .
dominus noster Clemens . . papa VII. kal. martii pontificatus sui anno IX. or-
dinavit, quod si de cetero super quibuscunque gratiis beneficialibus vel aliis con-
tingat in cancellaria sue sanctitatis aliquas litteras sub bulla expediri, . . . primo
in bulla per unum es lectoribus scribatur in plica littere post taxam dies mensis
per kal. non. vel idus et deinde in registro scribatur dies mensis
et annus modoconsimili ethuiusmodi littere de dicto regest r o
tradantur parti. Der Expeditionsvermerk ist, wie wir daraus ersehen, nur in
den Registern vollständig; in den Originalen fehlt wohlweislich die Jahresangabe,
durch deren Beifügung die Täuschung sofort offenkundig geworden wäre. Die
Verfügung ist von Benedict XIII. Reg. Canc. No. 83 wiederholt.
Mittheiluugen, XV. 9
i on Kleine Mittheilungen.
Johann XXIII. in den Kanzleiregeln eigene Verfügungen für den Fall ge-
ti offen werden, dass die Partei eine „data anterior" wünscht1). Die Sache
ist für die Frage der Bedeutung und Verwertung der Papstbriefe, mag
man nun den Originalen oder der Registerüberlieferung nachgehen,
von Wichtigkeit. Man wird von etwa 1378 an besonders den aus den
jeweiligen ersten Pontificatsjahren datirten Expectanzbriefen mit Miss-
trauen begegnen und sich hüten müssen, aus ihnen vorschnelle Schlüsse
für die Chronologie der in ihnen genannten Personen zu ziehen, um-
somehr als die Beifügung des Aushändigungsvermerkes, der uns rasch
darüber belehrt, dass der Petent nicht 1378 in Fondi sondern erst 1393
in Avignon an der Curie weilte, in der Folgezeit wieder unterblieben ist.
Der Misbrauch scheint erst seit dem Schisma grössere Dimensionen
angenommen zu haben; ob er aber in bescheidenerem Mass und ver-
einzelten Fällen nicht viel weiter zurückreicht, dürfte noch sehr zu
beachten sein. Die Kanzleiregeln schweigen darüber und Registerver-
merke fehlen; es mangelt also vorderhand an festen Anhaltspunkten.
Bedenklich scheint immerhin, dass etwa seit Clemens VI. der
Registerbestand an Gratialbriefen aus dem ersten Pontificatsjahr den
Umfang der übrigen im Durchschnitt um die Hälfte überragt, ein
Misverhältnis, das durch den naturgemäss gesteigerten Geschäftsgang
zu Beginn des Pontificats nicht immer und nicht ausreichend erklärt
werden dürfte.
Wien. M. Tangl.
i) Reg. Canc. Bonif. IX. No. 18, Jon. XXIII. No. 36. Martin V. Reg. 29
untersagte die Expedition sub data anteiiore.
Literatur.
Diplomi imperiali e reali delle cancellarie d'Italia
Pubblicati a facsimile della R. Societa Romana di Storia patria. 1. Liefe-
rung: 15 Facsiniiles mit Text (Notizie e trascrizioni , 8°, 32 p.
Roma 1893.
Jeder, der sich mit der diplomatischen Seite der deutschen Kaiser-
urkunde zu befassen hat, wird nach den von H. v. Sybel und Th. v. Sickel
herausgegebenen »Kaiserurkunden in Abbildungen« langen müssen. Sie sind
ein gnindlegendes Werk, das eine Menge neuer Gesichtspunkte eröffnet
und eine Fülle von Anregungen bietet. Wie kaum anders möglich, sind
allerdings nicht alle Mitarbeiter ihrer Aufgabe vollauf gerecht geworden
und die Bearbeitung der einzelnen Partieen ist nicht immer eine gleich-
massige. Aber das gebotene Material ist fast durchwegs ein ausserordent-
lich wertvolles , es ist eine Illustration der Entwicklungsgeschichte der
deutsehen Kaiserurkunde bis zum Schluss des Mittelalters. Ein Mangel,
der in den gegebenen Verhältnissen seine Erklärung und Entschuldigung
findet, macht sich wol fühlbar. Es ist nur Material aus den deutschen
und österreichischen Archiven und Bibliotheken gegeben und auch das
nicht gleichmässig für alle Perioden. Vereinzelte Stücke nur — aus
Italien 8, aus der Schweiz 3 — sind von auswärts dazugekommen.
Um so willkommener ist die vorliegende Publication. Soll sie auch
nur bis zu den Hohenstaufen reichen, so wird sie doch Gelegenheit haben,
nicht nur manche Beisteuer zur Lehre von der deutschen Kaiserurkunde,
sondern auch — etwa für Friedrich II. — manche notwendige Ergänzung
zu liefern. Und was mehr ist, sie wird auch für die Zeit, da Italien ein
selbständiges Keich bildete, eine Lücke auszufüllen haben.
Wie Th. v. Sickel der geistige Urheber und wissenschaftliche Leiter
der »Kaisenirkunden in Abbildungen« war, so sind auch die Diplomi
imperiali e reali seiner Anregung und energischen Mitarbeit zu danken.
Gerade für Italien war eine derartige Sammlung ein dringendes Bedürfnis.
Besitzt nunmehr Deutschland seine »Kaiserurkunden in Abbildungen«, so
war, wenn man von England mit seinen auch auf diesem Gebiet gross-
artigen Facsimilesammlungen absieht, in Frankreich durch die Eeproduc-
9"
132 Literatur.
tionen französischer Königsurkunden seit den Karolingern in den Facskniles
de 1' Ecole des ckartes, im Musee des archives depart. und Album paleo-
graphique ziemlich ausreichende, wenn auch nicht systematische Vorsorge
getroffen. In Italien besass man, wie auch die Facsimilesammlungen für
paläographische Zwecke (Collezione fiorentina, Archivio paleografico italiano)
erst denen der anderen Länder nachfolgten, für Königsurkunden kaum die
eine und andere Reproduktion, wie im Codex Langobardiae, einige mehr
für Privaturkunden, wie im Codex dipl. Cavensis, in moderner Gestalt und
mit den Mitteln der modernen Technik , welche wissenschaftlichen An-
forderungen allein noch Genüge leisten. Der R. Societä di Storia patria
in Rom, die auch durch andere Publicationen — das Registrum Farfense,
die Monumenti paleografici di Roma — einen hervorragenden Platz sich
errungen hat, gebührt das Verdienst, durch die Uebernahme auch dieser
Publication Italien jetzt eine Facsimilesammlung zu geben, welche seiner
archivalischen Schätze würdig zu werden verspricht. Dem Unternehmen
hat auch der kürzlich verstorbene Secretär der Gesellschaft, Guido Levi,
seinen Eifer gewidmet. Ermöglicht wurde dasselbe noch durch die För-
derung M. Amaris, dessen einflussreicher Vermittlung es gelang, die Schwie-
rigkeiten zu beheben, welche sich durch die Archivreglements einer Ver-
sendung der Urkunden entgegenstellten, und die Genehmigung zur Ueber-
schickung nach Rom zu erwirken.
So konnte aus den italienischen Staatsarchiven ein reichhaltiges Ma-
terial zur Auswahl der Musterstücke nach Rom geschafft werden. Auch
das Archivio comunale in Verona stellte seine Urkunden zur Verfügung
und diesem Beispiel dürften wol auch andere comunale Anstalten, die
im Besitz wertvoller Archivalien sind, wie die Bibl. Quiriniana in Brescia,
folgen. Aber auch dann ist es nur ein Theil, wenn auch ein ganz an-
sehnlicher Theil der archivalischen Schätze Italiens, der zur Auswahl und
Verwertung herangezogen werden konnte. Während in Deutschland und
mehr noch in Frankreich auch die Archive der bischöflichen Kirchen an
den Staat übergingen, blieben diese in Italien bestehen ; in den bischöf-
lichen und Capitelarchiven — ich erinnere nur an jene von Piacenza,
Parma, Reggio, Modena, Lucca — sind besonders für die ältere Zeit archi-
valische Schätze aufgespeichert, die gewiss manches interessante Stück
hätten beisteuern können, wenn ihre Benützung für diesen Zweck zulässig
gewesen wäre.
Die erste Lieferung enthält 1 1 Karolinger Diplome, bearbeitet von
Th. v. Sickel, je ein Stück von Heinrich III., Heinrich V. und Friedrich 1.,
bearbeitet von Carlo Cipolla, und zum Schluss eine derzeit im Privatbesitz
befindliche Urkunde Berengars I. Schon hier bieten sich genug Belege
für die Bedeutung, welche die italienische Sammlung neben der deutschen
für sich beanspruchen darf. Von Karl dem Grossen ist das einzige Diplom
mit der Recognition des Blado gegeben. Von Lothar I. zwei Diplome aus
dessen italienischer Zeit, die zeigen, dass das Urkundenwesen auch in der
äusseren Form ganz identisch ist mit dem der kaiserlichen Kanzlei, dass
seine Kanzlei auch von dieser eingerichtet wurde. Von den nach mancher
Richtung hin beachtenswerten Urkunden Kaiser Ludwig IL werden hier
die ersten Facsimiles veröffentlicht. Von Heinrich V. ist eine Gerichts-
urkunde beigestellt. Mit dem Diplom Berengars I. tritt die Sammlung
Literatur. 133
in ein noch brachliegendes Gebiet, die Zeit des nationalen Königtums,
wenn man die sechs Jahrzehnte der Unabhängigheit von dem fränkischen
und deutschen Reich untentlicher eig nicht nationalen Königen so be-
zeichnen darf. Hier ist noch so gut wie alles zu thun und hier wird
die wissenschaftliche Beai'beitung, falls sie nicht in altbewährter Hand
liegt, ihre Probe zu bestehen haben.
Den Facsimiles ist auch hier ein erläuternder Text beigegeben. Für
ihn konnte der Text der » Kaiserurkunden in Abbildungen« Muster sein.
Er bestrebt sich noch durchaus der Kürze und wird sich wol auch von
der ermüdenden Weitschweifigkeit und Herbeischlepp ung nebensächlicher
Dinge fernhalten, in die manche der Erläuterungen in den späteren Liefe-
rangen der »Kaiserurkunden« — ich verweise nur auf jene von Schum
— versinken. Als Fortschritt betrachte ich es auch, dass in der ita-
lienischen Sammlung der ganze Urkundentext abgedruckt ist. Es ist un-
nötig zu bemerken, dass die Erläuterungen, welche Th. v. Sickel den Karo-
linger Diplomen beifügt, den diplomatischen Meister dieser Epoche bekunden.
Die Reproduction der Facsimiles (Lichtdruck von Martelli in Rom)
ist im ganzen recht gelungen, reicht aber doch nicht an die Vollendung
der Technik und die Reinheit der Ausführung heran, welche, der eng-
lischen Lichtdrucke zu geschweigen, die »Kaiserurkunden in Abbildungen«
oder die Heliogravüren von Duj ardin in Paris auszeichnen.
Wien. E. Mühlbacher.
Müller Moritz, Die Kanzlei Zwentibolds, Königs von
Lothringen. (895 — 900). Inaug. - Dissertation. Bonn, P. Haupt-
mann, 1892. 8°, 98 S.
Von Zwentibold sind uns 28 Diplome, davon 7 im Or. erhalten,
bekannt (Mühlbacher 1904 — 1931). Was aus diesen mit Sicherheit für die
Kanzleiverhältnisse unter diesem König zu gewinnen war, hat die bisherige
Forschung, insbesondere Sickel und Mühlbacher, zur Genüge festgestellt.
Gleichwohl hat es der Verf. der vorliegenden Schrift unternommen, sie zum
Gegenstand einer monographischen Behandlung zu machen.
Vorerst wird ein Abhub der einschlägigen Partien aus Dümmlers
Gesch. des ostfränk. Reiches mit stellenweiser wörtlicher Entlehnung des
dort Gesagten, unnötiger Weise mit Quellencitaten aufgeputzt, als » geschicht-
licher ueberblick« geboten.
Auf S. 24 kommt der Verf., nachdem er dankenswei'te Textverbesse-
rungen gegeben, endlich zur eigentlichen Sache. In der Anordnung des
Stoffes weicht er von dem hergebrachten Schema derartiger diplomatischer
Untersuchungen ab, nicht zum Vortheil der klaren Uebersicht über das
Ganze.
Was zunächst die Dictatuntersuchungen betrifft, so wird man gewiss
dem Verf. gerne zustimmen, wenn er sagt (S. 29), »dass bei den DD.
Zwentibolds an eine einheitliche fassung im strengsten sinne des wortes
nicht zu denken sei* und dementsprechend »mathematische genauigkeit*
in der Beweisführuug nicht erwartet werden könne. Allein eben der Um-
stand, dass unter Zwentibold »eine bunte mannigfaltigkeit des ausdrucks«,
134
Literatur.
eine sehr freie Behandlung des Formulars mehr als früher zu Tage tritt,
worauf schon Sichel aufmerksam gemacht hat, hätte den Verf. davon ab-
halten sollen, allzusehr in's Detail zu gehen, und vielmehr eine Beschrän-
kung auf das Wesentliche rathsam erscheinen lassen. Indem der Verf. des
Weiten und Breiten auf 30 S. all' die verschiedenen Varianten in den
einzelnen Formeln wiedergibt, kommt es dazu, dass man den Wald vor
lauter Bäumen nicht sieht und auch ihm der Blick für die wirklich
sicheren Unterscheidungsmerkmale im Dictat verloren geht.
Mit Sicherheit lässt sich jedenfalls nur das Dictat der beiden meist
genannten Notare Egilbert und Waldger feststellen. Hätte nun der Verf.
kurz die diesen beiden eigenen Dictamina in ihren wirklich charakteristi-
schen und zugleich unterscheidenden Merkmalen vorgeführt *), so wäre der
Sache damit jedenfalls mehr gedient gewesen, als mit den vielredenden
und doch nichts besagenden Ausführungen über Arengen, Motive (!) S. 40,
die verschiedenen Arten der Petitio S. 42, oder die im Contexte auftreten-
den »Beiwörter« S. 46. Kaum gerechtfertigt ist es auch, dass der ein-
zigen von Albericus unterfertigten Urkunde (M. 191l) zwei ganze Druck-
seiten gewidmet werden.
Dagegen hätte es sich vielleicht empfohlen, die als Vorlage dienenden
Formeln, welche jetzt in der Zeumer'schen Ausgabe so bequem zu benützen
sind, nicht ganz unberücksichtigt zu lassen.
Richtig, wenn auch nicht neu ist es, dass der Verf. sich gegen die
Annahme zweier verschiedene Kanzleien (trierische und kölnische) ent-
scheidet.
Nicht glücklich ist die vielverheissende Ueberschrift zu § 5 gewählt:
»die amtsthätigkeit der notare«. Der Verf. sucht hier nach dürftigen
Bemerkungen über die chronologischen Merkmale der Urkunden die neben
jenen beiden früher erwähnten Notaren des weiteren nur vereinzelt auf-
tretenden Namen Gozbertus, Hunger, Franco als » corruptelen « zu erweisen.
Die Gleichsetzung von Franco und Waldger an (S. 64) entbehrt jeder wissen-
schaftlichen Begründung.
Was der Verf. auf Grund von 7 Or. auf 8 S. über »die Schreiber«
sagt, ist im wesentlichen kaum mehr als das vonSickel bereits Gefundene.«2)
Ob es nothwendig war, für diese wenigen Stücke einen Waldgerus A, B, C,
ja auch noch einen Egilbertus A zu construiren, ist mehr als zweifelhaft.
Dem Verf. hat augenscheinlieh das bekannte Chiffrensystem zu gut gefallen ;
wenigstens fühlt er das Bedürfniss, diese nunmehr doch allbekannte Sache
in einer längeren, aus Bresslau UL. abgedruckte Note des näheren zu er-
klären (S. 73).
J) Als solche betrachte ich insbesondere: die Einleitung der Arenga (rela-
tivisch bei Egilbert, hypothetisch bei Waldger), den Uebergang zum Context (dort
durch quia, hier durch qualiter), die apprecatio (bei Waldger in der erweiterten
Form »in dei nomine feliciter amen« gegenüber dem einfachen »feliciter amen«
des Egilbert) ; ferner, was der Verf. nicht hervorhebt, die verschiedene Einleitung
des Beurkundungsbefehls (einfach verbal bei Egilbert, mit einem Causaladverb
seitens Waldger), endlich aber das »propria« in der corroboratio, welches Wakiger
gebraucht, das bei Egilbert aber fehlt.
-') Text zu KU. in Abbild. S. 200.
Literatur 135
Auf den letzten 10 S. hören wir endlich unter dem Titel »Erz-
kanzler und erzcapellan* etwas von dem, was die Ueberschrift der Ab-
handlung ankündigt, den Kanzleiverhältnissen. Von den 28 DD. Zwenti-
bolds sind 20 advicern Ratpodi archicancellarii u. 6 adv. Herimanni archi-
capellani recognoscirt ; eines entbehrt der Recognition überhaupt, in einem
andern wird nur der Notar genannt.
Sickel hatte sich diese Sachlage ursprünglich so zurecht gelegt, dass
er annahm, es sei bei der Einsetzung Zwentibolds zum König von Lothringen
die Kanzlei desselben derart eingerichtet worden, dass Hermann von Köln
als Erzkapellan an deren Spitze trat, »unter ihm aber der Trierer Erzbischof
Radbod mit dem Titel archicancellarius stand«. Bresslau ist entgegen dieser
Auffassung, für die Gleichberechtigung beider eingetreten, da »Ratpod nie
einfach cancellarius, sondern nur archicancellarius oder summus cancel-
larius genannt wird, und niemals die Recognition Ratpodus advicern
Herimanni vorkommt«. Eine Erklärung für die abweichende Recognition
adv. Herimanni archicap. hat sodann Mühlbacher geboten , indem er im
Anschlüsse an die Urkunde über Oeren (M. 1907) auf einen Zwist zwischen
Zwentibold und Ratbod schloss, in Folge dessen Ratbod für kurze Zeit
(M. 1916 — 1920) seines Erzkanzleramtes enthoben worden und an seine
Stelle der Kölner getreten sei.
Mit Recht erklärt sich der Verfasser für die Bresslau'sche
Auffassung im Sinne einer Gleichberechtigung beider Erzbischöfe. Wenn
er aber auf Grund einer längeren Polemik gegen die Richtigkeit der
Mühlbacher'schen Theorie von dem Zwiste zwischen Zwentibold und Ratbod,
für welchen ein sicherer Beweis nicht erbracht werden könne, eine Er-
klärung jener Recognition (adv. Herimani archicap.) in der Weise versucht,
dass dieselbe »lediglich, sei es durch ein missverständniss, sei es durch
die willkür des dictators Egilbertus eingeführt worden sei*, so kann man
dazu nichts anderes sagen, als dass sich in dieser unmöglichen Erklärung1)
wiederum die harmlose Auffassung des Verf. über Kanzleigebarung in
bedenklicher Weise bethätigt.
Wie immer man über die Richtigkeit jener Annahme eines Zwistes
oder einer Verstimmung 2) zwischen Zwentibold und Ratbod auch denken
mag, die Thatsache, dass in einer geschlossenen Reihe von 5 DD. nicht
wie sonst adv. Ratpodi archicanc, sondern adv. Herimanni archicap. re-
cognoscirt wird, zwingt uns zu dem Schlüsse, Ratbod müsse aus irgend
einem Grunde während dieser Zeit von der Leitung der Kanzlei zurück-
') Etwas anderes bringt der Verfasser auf S. 67 zu Wege. Aus
den letzten Jahren Zwentibolds (899 und 900) ist nur je eine Urkunde erhalten.
Die letzte (M. 1931) weist er nun auch in das erstgenannte Jahr so zwar, dass
nach seiner Ansicht vom Beginn 899 kein Diplom Z. mehr nachzuweisen wäre.
Wie erklärt er nun dies? Es lässt sich vermuthen, dass 899 bei der zweiten
Belagerung von Durfos die von den Ann. Fuld. berichtete körperliche Misshand-
lung Ratbolds durch Zwentibold erfolgt sei. „So leuchtet von selbst ein*, heisst es
nun, »weshalb der erzkanzler nicht länger seines amtes warten wollte und da-
her regelrecht ausgestellte Urkunden vom beginn 899 ab nicht mehr vorkommen«.
2) Von einer solchen spricht doch auch Sickel in seiner letzten diesbe-
züglichen Aeusserung KU i. A. S. 200.
136 Literatur.
getreten sein. Und noch ein anderes Moment, das der Verf. in diesem
Zusammenhange allerdings nicht berücksichtigt hat, fällt hiebei schwer ins
Gewicht. Der Umstand, dass Egilbert, den wir von früher her (M. 1905)
nur als Notar kennen, nun in den DD. dieser Reihe, welche er unterfer-
tigte, — es sind deren 4 — plötzlich als cancellarius auftritt, kann nicht
zufällig sein, wir ersehen daraus, dass man, da der Erzkapellan Hermann
die officielle Leitung der Kanzlei übernahm, nun einen der Notare als
Kanzler mit der thatsächlichen Führung des Kanzleigeschäftes betraute.
Die Ausführungen des Verf. über die Urk. für Trier (M. 1907 be-
treffs Oeren) S. 78 — 88 wären wol besser in einen Excurs zu verweisen
gewesen. Er sucht darin diese Urk. entgegen der bisherigen Auffassung
als Fälschung zu stempeln. Ref. vermag, ohne hier darauf des näheren
eingehen zu können, sich weder in diesem Punkte, noch auch hinsichtlich
der bei zwei weiteren DD (M. 1911 u. 1931) versuchten anderen Datirung
der Ansicht des Verf. anzuschliessen. Die Neuausgabe der Karolinger DD.
in den Mon. Germ, wird hinreichend Gelegenheit bieten, auf diese Ein-
zelheiten zurückzukommen.
Konnten wir uns also im allgemeinen mit derArbeitsweise und den
Ergebnissen des Verf. nicht befreunden, so mögerj diese Mängel darin eine
Entschuldigung finden, dass es eine Erstlingsarbeit ist, die als Disser-
tation noch dem Druckzwange unterlag. Anderseits ist das Interesse, das
der Verf. dem Gegenstande als solchem entgegenbringt, sowie der Fleiss,
mit dem er sich in all' die Einzelheiten vertieft hat, rühmend hervor-
zuheben.
»Die einrichtung der kanzlei Zwentibolds darzulegen«, was nach des
Verf. eigenen Worten »die aufgäbe der vorliegenden arbeit« war, konnte,
wie bereits bemerkt, von vornherein, da diese Verhältnisse ziemlich plan
liegen, kaum einen Erfolg verheissenden Vorwurf für eine diplomatische
Specialuntersuchung bilden. Aber es hätten sich doch auch noch neue
Gesichtspunkte finden lassen. Mit Rücksicht auf die Eigenart der behan-
delten Zeit wäre es für die diplomatische Forschung vielleicht nutzbrin-
gender gewesen, wenn der Verf. den Einfluss einerseits des westfränki-
schen Kanzleigebrauches, andererseits der chartae pagenses auf das Urkun-
denwesen unter Zwentibold näher verfolgt und festgestellt hätte, wofür
eben Sickel seinerzeit doch schon einen deutlichen Fingerzeig gegeben hat x).
Mit diplomatischer Kleinigkeitskrämerei ist an sich nichts geholfen, sie ist
nicht danach angethan, das Ansehen der Wissenschaft zu heben und birgt
mindestens die Gefahr in sich, den Wert solcher Untersuchungen in den
Augen Fernerstehender als einen sehr problematischen erscheinen zu lassen.
Wien. A. Dop seh.
Osnabrücker Geschichtsquellen, herausgegeben vom histo-
rischen Verein zu Osnabrück. Band I: Die Chroniken des Mitte 1-
i) ßeitr. z. Dipl. VI, Sß. d. Wiener Akad. 85, 378 und Text zu KU. in
Abbild. S. 201.
Literatur. 137
alters bearbeitet von Dr. F. Philip pi und Dr. H. Forst. Osna-
brück in Comru. der Rauclihorst'sclien Buchhandlung 1891. 8°, LIV und
208 S. und 2 Tafeln.
Der historische Verein von Osnabrück hat den dankenswerten Be-
schluss gefasst, die historischen Quellen seines Bezirkes neu herauszugeben.
Der vorliegende erste Band enthält die Chroniken des Mittelalters
und zwar: 1. Osnabrücker Annalen von 772 — 1110, welche Philippi aus
Notizen Ertmans zusammengestellt hat; sie dürften einer alten Ostertafel
entstammen und bilden fast nur einen Osnabrücker Bischofskatalog.
2. Geschichtliche Aufzeichnungen aus dem S. Johannisstift zu Osnabrück,
Notizen von lokaler Bedeutung für das 13. — 16. Jahrhundert aus einem
verlornen Todtenbuch dieses Stiftes. 3. ßeimchronik der Bischöfe von
Osnabrück bis 1454 reichend, der erste Versuch einer zusammenfassenden
Geschichte dieses Hochstiftes, verfasst vor 1480; für die ältere Zeit auf
einem alten Bischofsverzeichniss fussend, von selbständigem Wert erst seit
Ende des 14. Jahrh. 4. Ertwini Ertmanni Cronica sive catalogus ep. Osna-
burgensium, eine bereits von Meibom im 2. Bd. seiner SS. herausgegebene
Chronik. 5. Die Bruchstücke der sogenannten Ann. Iburgenses, Wieder-
abdruck der beiden im Besitz des Vereins für Geschichte und Alterthümer
Westfalens befindlichen Pergamentblätter s. XII. (M. G. SS. 16, 234—238),
welche die Jahre 816 — 841 und 1072 — 1085 umfassen, dazu einige
Notizen Ertmans welche gleicher Provenienz sein mögen.
Jedem Stück ist eine zweckentsprechende Einleitung vorausgeschickt.
Am ausführlichsten ist naturgemäss das umfänglichste und wichtigste Stück,
die Chronik Ertmans (gleich n° 3 und 5 von Forst bearbeitet) behandelt.
Wir ei-halten hier dankenswerte Aufschlüsse zur Biographie des etwa 1430
gebornen. 150 5 verstorbenen langjährigen Bürgermeisters von Osnabrück,
Erwin Ertman, welchen sein reger historischer Sinn zum eigentlichen Be-
gründer der historischen Literatur an diesem Bischofsitze machte. Mit
mehr Spüreifer als historischer Kritik sammelte und verwertete er, was er
an altern geschichtlichen Aufzeichnungen in seiner Vaterstadt fand, was
ihm an westfälischen und andern Chroniken unter die Hände kam, was
ihm seine amtliche Stellung aus dem bischöflichen und dem städtischen
Archiv zugänglich machte. Seine Chronik fand daher auch grosse Ver-
breitung und eine Fortsetzung, sie ist in mindestens zwei Recensionen und
mehreren Handschriften erhalten, deren Verhältnis? Forst mit grossem
Scharfsinn darzulegen versucht hat.
Die Fragmente der Ann. Iburg. hat Scheffer-Boichorst als Ableitung
der verlornen Paderborner Annalen in Anspruch genommen. Forst erhebt
dagegen Widerspruch, der in manchen Punkten Beachtung verdient, ohne
dass mir aber die Annahme des jüngsten Herausgebers plausibel erschiene,
dass nämlich die Ann. Patherbrunn. ihren Wortlaut den Ann. Iburg., Hal-
tung und Auffassung dagegen der im entgegengesetzten Lager stehenden
Kölner Quelle entnommen hätten.
Die Ausgabe macht günstigen Eindruck, wenn man auch Anwendung
des Petitdruckes nach dem Muster der Mon. Germ, und einen vollständi-
geren Nachweis wünschen möchte, ob und wo die zahlreichen von Ertman
138 Literatur.
benutzten Documente gedruckt seien. Die Reproduction der Ann. Iburg,
in Lichtdruck ist sehr gelungen; das Kegister jedoch ist nach einzelnen
Stichproben welche ich gemacht, nicht ganz vollständig.
Innsbruck. E. v. Ottenthai.
Bretholz Berthold, Geschichte Mährens. I. Band. 1. Abth.
(Bis 906). Brunn 1893. Winiker. XII, 120 S. 8.
Die Geschichte Mährens, welche einst im Auftrage des mährischen
Landes-Ausschusses B. Dudik begonnen hatte, musste von Anfang an als
ein verunglücktes Unternehmen betrachtet werden. Denn bei dem Ein-
gehen in das kleinste Detail, welches der gelehrte Verfasser für gut hielt,
musste man sich darüber klar sein, dass wohl nur der geringste Theil des
Werkes vollendet werden würde. In der That hat Dudik bis zu seinem
im Jahre 1890 erfolgten Tode dasselbe nur bis zum Jahre 1350 fort-
geführt, obwohl dasselbe einen Umfang von 12 (!) Bänden erreicht hat.
Der Landes-Ausschnss Mährens hat jetzt die Aufgabe, eine Geschichte dieses
Landes zu schreiben, einer jungen tüchtig geschulten Kraft übertragen,
welche dieselbe nach ganz anderen Grundsätzen ausführen will und die
Geschichte der Markgraf schaff bis zum Ausgange des Mittelalters in einem
Bande, die der Neuzeit in zwei weiteren Bänden behandeln will.
Bis jetzt liegt nur die 1. Abtheilung vor, welche die älteste Ge-
schichte Mährens bis zur Katastrophe von 906 umfasste. Niemand wird
erwarten, dass der Verf. in einer Periode, wo das Quellenmaterial dürftig
und lückenhaft und deren wichtigste Partie, die Zeit Rastislaws und Swa-
topluks und der Christi anisirung des Landes, vielfach und eingehend er-
forscht worden ist, wesentlich Neues werde bieten können. Aber man muss
anerkennen, dass derselbe das Wichtige vom Unwesentlichen richtig zu
scheiden und klar und geschmackvoll zu schreiben versteht, so dass der
vorliegende Abschnitt als eine im besten Sinne populäre Arbeit bezeichnet
werden kann. Wir wünschen daher, dass diese rüstig vorwärts schreite
und dass wir endlich eine auch wissenschaftliche Anforderungen befriedi-
gende Geschichte eines Landes erhalten, welches bisher mehr als eine
andere österreichische Provinz einer solchen entbehrt.
Wien. A. Huber.
Die Knechtschaft in Böhmen. Von Julius Lippert,
(Bohemia, Jänner und Februar 1890). Joh. Peisker, Die Knecht-
schaft in Böhmen. Prag, 1890. 82 Seiten 8°.
Der bekannte Kulturhistoriker J. Lippert trat mit einer Studie über
die Soci algeschichte in Böhmen in einer Reihe von Artikeln auf, welche
als Vorläufer eines grösseren Werkes anzusehen sind. Er beschäftigte sich
mit df* Frage, in welchem Umfang man eine Klasse der Unfreien in
Böhmen annehmen kann. Das Resultat seiner Forschung war, dass es in
Böhmen eigentlich keine freien Leute gab, sondern das ganze Volk eine
Masse von Knechten bildete, welche der Landesfürst sammt und sonders
verschenken oder verkaufen konnte. Diese Behauptung war wirklich neu
Literatur. 139
und befremdend zugleich, denn vor kaum vierzig Jahren hatte Palacky
gerade das Gegentheil behauptet, nämlich, dass das böhmische Volk keine
Knechtschaft gekannt hatte. Um die Ehre des böhmischen Historiographen
und zugleich die dadurch angeblich angegriffene Ehre des böhmischen
Stammes zu retten, trat Peisker mit einem kleinen Büchlein auf, welches
als Antwort auf die Artikel Lipperts zwei Monate hernach erschienen ist.
Peisker eilte mit der Antwort aus dem Grunde, um dadurch, wie er sich
(S. 81) selbst ausdrückt, rechtzeitig zu verhindern, dass die Lehre Lipperts
in die deutsche Sociologie eindringe, denn dann könnte, meint er, die
Kulturgeschichtsforschung auf Irrwege geleitet und in ihrem Fortschritte
auf viele Jahre gehemmt werden. »Man bedenke nur, ruft er aus, was
es für die Sociologie bedeutet, unter der arischen Völkerfamilie ein einziges,
uranfängliches Knechtevolk entdeckt und sogar urkundlich nachgewiesen zu
sehen. Auf dem ganzen Erdenrund gab und gibt es kein Volk, von
welchem das Gesagte in einer so allgemeinen Ausdehnung je gegolten hätte«
(S. 56). ünermüdet, fast athemlos eilt er seinem Ziele entgegen, um nur
schneller seinen Gegner hinzustrecken.
Wir hätten uns an Peiskers Stelle die grosse Mühe erspart und Peisker
selbst hätte sich vielleicht auch etwas beruhigt, wenn er nicht so rasch
mit der Antwort geeilt hätte. Denn wahrlich, wie kann man von einer
so radicalen Knechtschaft sprechen. Wozu möchte dann der Fürst sich
die Mühe geben und Urkunden ausstellen lassen, dieselben auch eigenhändig
zu bekräftigen, wenn er ein Gut Jemandem schenkt. Aber er schenkt es ja
zum ewigen Eigen und das noch dazu in Anwesenheit der Barone und
sogar mit deren Zustimmung. Wozu sässe er denn zu Gerichte um die
Grundstreitigkeiten zu entscheiden, wenn es keinen eigentlichen Ei gen -
thümer gegeben hätte? Wie wäre es denn möglich, dass dieser Unterthan,
selbst dem Landesfürsten ein Grundstück streitig machen und bei Gericht
sein Recht suchen könnte. Solche Rechtszustände sind bei keinem Volke
zu finden und Böhmen bildet, wie Peisker richtig bemerkt, keine »Oase«,
keine Ausnahme! Die Theorie Ls. ist zu wunderlich, als dass sie für die
deutsche Sociologie gefährlich sein und selbe auf Irrwege leiten könnte.
Der Alarm Peiskers ist also überflüssig gewesen.
Es ist nur zu bedauern, dass von Männern eimster Arbeit solche
Wundertheorien heutzutage dem gelehrten Publicum aufgetischt werden.
Aber die Thatsache steht nicht vereinzelt da. So trat z. B. ein pol-
nischer Gelehrter (Professor Sza^nocha) 1858 mit einer Theorie auf,
welche besagte, dass der ganze polnische Adel skandinavischer Herkunft
sei und die autochthone Bevölkerung geknechtet habe. Diesen Ge-
danken spinnt noch weiter ein zweiter polnischer Gelehrter, der hochver-
diente und gründliche Herausgeber vieler polnischer Quellen, Prof. der
Krakauer Universität Piekosinski und hat sie in seinem Buche »Die Ver-
teidigung der Befehdungstheorie « zu begründen gesucht. Der polnische
Adel ist nach ihm aus den fremden Eroberern entstanden, welche das
Volk geknechtet hatten. Szajnocha's und Piekosinski's Theorie ist natürlich
nicht durchgedrungen, dem Prof. Szajnocha autwortete damals der böhmische
Gelehrte Zap ziemlich scharf. Er sagte, die polnischen Etymologen wirken
wahre Wunder ... es scheine dies schon in der polnischen Luft zu liegen.
Wir würden auch die apologetische Abhandlung von Peisker an dieser
•^40 Literatur.
Stelle nicht besprechen, wenn er dabei nicht andere wichtige Fragen berührt
hätte, welche sein Buch wertvoll machen. Gestützt auf die Arbeiten von
Lamprecht über die Wirtschaftsgeschichte Deutschlands beweist er, dass
der Landesfürst nur das Rodeland (terra) nicht aber den erblichen Boden
(hereditas) verschenken konnte, dass wenn der Fürst Bauernfamilien ver-
schenkte, er nicht ihre Personen sondern ihre Zinsen verschenkte, was zum
richtigen Verständnis der Urkunden von Bedeutung ist. Er beweist, dass
es bei den Slaven keine absolute Feldgemeinschaft wie z. B. die russische
Mir-communion gab, (die russische Mir- Verfassung ist neueren Datums), dass
der Boden der Familie als einer Einheit gehörte, innerhalb welcher ein
einzelnes Familienmitglied kein freies Verfügungsrecht besass, dass aber
der Landesfürst ein höheres Verfügungsrecht über den Gesammtboden des
Landes hatte. Also Zustände, wie sie auch heute in ähnlicher Form be-
stehen. Besonders aber gewinnt seine Abhandlung an Werth dadurch,
dass er nach Meitzens Vorbild sich dem Kartenstudium zuwendet. Und da
kommt er auch zu dem Resultate, dass Böhmen einst in unabhängige
Stainmfürstenthümer zerfiel. Der Gedanke ist zwar nicht neu. Den An-
gaben der böhmischen Chronisten Cosmas und Dalimil folgend haben
mehrere Gelehrte jene ursprüngliche Theilung Böhmens zu ergründen
gesucht. Die Grenzen des Gebietes von Slavnik, dem Vater des hl. Adalbert,
giebt Cosmas selbst an. Nun versucht Peisker darzulegen, wie im Süd-
westen von dem Slavnik'schen Gebiete ein neues Gebiet mit Polletitz als
Mittelpunkt, welches er Zachlum nennt, dem böhmischen Kernlande all-
mählich einverleibt wurde, wie sich also durch Ausrodung der Wälder die
böhmische Grenze und mit ihr die Landespforte immer weiter nach Süden
verschoben hatte. Er erklärt auch richtig die Namen einiger Ortschaften
und wenn wir auch an jeden concreten, von ihm angeführten Fall nicht
unbedingt, glauben möchten (z. B. bei dem Namen Preseka muss man nicht
immer an eine Landespforte denken, denn auch in einer einzelnen Schlacht
konnte der Weg schon mitten im Lande schnell durch einen Verhau ge-
schützt werden), so ist doch die Idee richtig und im grossen und ganzen
scharfsinnig durchgeführt und derAutor zeigte darin ein unleugbares Talent.
Dies ist umsomehr anzuerkennen, als manche von den böhmischen Gelehrten,
welchen solche Abgrenzung der Gebiete politisch gefährlich schien, dies
rundweg leugneten.
Wenn wir aber die Details seiner Abhandlung rühmend hervorheben
mussten, dürfen wir auch nicht das Hauptergebnis seiner Untersuchung
ungeprüft lassen. Er kam natürlich zu demselben Schluss wie Palacky,
dessen Apologie er eigentlich schrieb, nur betont er es schärfer. Auf S. 32
sagt er: die Auffassung, dass die alten Böhmen eine geknechtete Be-
völkerungsklasse nicht kannten, ist unanfechtbar. In denselben
Fehler nun, welchen P. seinem Gegner vorhielt, dass dieser nämlich an
einen Ausnahmsfall glaubt, verfiel auch Peisker selbst, trotzdem er
anfangs selbst bekennt, dass die vergleichende Kulturgeschichtsforschung
es bereits zur Gewissheit erhoben, dasss alle Kulturvölker eine ganze
Reihe ähnlicher Entwicklungsstufen haben durchlaufen müssen. Nach ihm
ist also Böhmen doch ein sonderbares Land, in welchem es keine Knecht-
schaft gab.
Im Laufe seiner Polemik erklärt er eine Stelle, in welcher von einer
Literatur. ]^
Verschenkung einer Familie durch den Herzog die Rede ist und sagt (S. 60):
»Der Fürst schenkt also darin keinen Originarier sondern eine Familie,
bestehend aus einer Anzahl unfreier Ministerialen'1. Es also gab doch
Unfreie. Peisker möchte an Stelle des Wortes Familie das Wort snrrdones
oder andere ähnliche sehen, um sich von dem Vorhandensein der Knecht-
schaft überzeugt zu kalten, denn die Ausdrücke familia, servus etc. be-
deuten bei ihm eine höhere Klasse, wahrscheinlich Halbi'reie. Aber wir
müssen noch bemerken, dass er das Wort Ministerialen bei der Ueber-
setzung des Ausdruckes familia eigenmächtig hinzusetzt, es ist blos
darunter eine Familie der Unfreien, also Knechte gemeint, die der Herzog
zu Dienstleistungen an die Kirche schenkt. Wenn in den böhmischen Ur-
kunden der Ausdruck smrdo und andere zur Bezeichnung der Knechtschaft
dienende Worte nicht vorkommen, sondern durch servus, mancipia, ser-
vitus wiedergegeben werden, so hätte sich Palacky, besonders aber Peisker
dadurch nicht bestimmen lassen sollen zu sagen : in Böhmen gab es keine
Knechtschaft! Eine geknechtete Bevölkerungsklasse gab es doch bei an-
deren slavischen Stämmen, wie wir jetzt genauer wissen, warum sollte es
diese bei den Böhmen nicht gegeben haben. Die Ausdrücke smrdo, rab finden
sich in den slavischen alten Sprachdenkmälern. Dass aber die ältesten
böhmischen Quellen nur den Ausdruck servus, servitus etc. kennen, das
möchten wir anders erklären und zwar, dass die böhmische Kanzlei deutsche
oder slavische Elemente nicht so bald aufkommen Hess und sich, wie es
auch durch andere Beispiele erhärtet werden könnte, nur der lateinischen
Ausdrücke bediente. Dies gilt auch von den böhmischen Chronisten. Als
König Bfelislav I. seinem Volke ein neues Gesetz in Gnesen verkündete,
sagte er nach der Erzählung Cosmas II 4 : nolo ut violator huius rei se-
cundum ritum nostrae terrae in servitutem redigatur sed potius . . .
redigatur in Ungariam. Wir wissen nicht, wie diese Stelle Peisker erklären
würde, aber wie immer auch Palacky und Andere die böhmische servitus
erklären mögen, so bedeuten die oben angeführten Worte doch nichts
anderes als den Verlust aller persönlichen Rechte, was als ritus terrae
galt. Palacky und Peisker halten sich jedoch an die Urkunden und Rechts-
denkmäler. Palacky erklärt, dass die Leibeigenschaft, wie wir sie in
Deutschland finden, in Böhmen nicht vorkam, dass ferner zwischen den
böhmischen Leibeigenen und den böhmischen Zinsbauern nur der Unter-
schied bestand, dass es dem Leibeigenen nicht freistand seinen Herrn zu
verlassen. Sonst wäre also der Leibeigene dem Zinsbauer gleichgestellt,
durfte also nicht als eine Sache behandelt, nicht verkauft werden. Aber
daran wird doch Peisker selbst nicht glauben. Zeugnisse dafür haben wir
genug! Also der rechtliche Abstand zwischen dem Leibeigenen und dem
Zinsbauer muss doch grösser gewesen sein. Hierzulande, behauptet ferner
Palacky, finden wir keine Spur von Verträgen, wem die Kinder von Leib-
eigenen zufallen sollten, wenn Vater und Mutter verschiedenen Herren
gehörten, wie solche in Deutschland ziemlich zahlreich erhalten sind. Des-
gleichen gibt es, fährt Palacky fort, in Böhmens und Mährens Vorzeit kein
Beispiel von dem Wergeide, wodurch ja besonders die Ständeunterschiede
bezeichnet wurden. Ganz richtig, Vertrüge und Spuren des Wergeides sind
uns nicht erhalten, aber das beweist doch nicht, dass es keine echte Leib-
eigenschaft hier gab. In Polen sind uns auch keine derartigen Verträge
|42 Literatm'.
bekannt; nichtsdestoweniger bestand dort die Leibeigenschaft und dies
beweisen unter Anderem auch einige wenn nur wenige polnische Urkun-
den, welche den Loskauf der Leibeigenen betreffen (manumissio). Spuren
davon finden wir aber auch in Böhmen und zwar um nicht weit zu suchen
in derselben Kede, welche Cosmas dem Herzoge Bfetislav in den Mund legt.
Der Herzog sagt weiter: et nequaquam liceat ut pretio se redimat.
Diesen Worten liegt zu Grunde die Idee von der redemptio de Servitute. Und
wenn es in Polen eine regelrechte Leibeigenschaft gab, warum sollte die-
selbe nicht auch in Böhmen zu Hause gewesen sein. Somit können wir
unsererseits an die exceptionelle Stellung Böhmens in Bezug auf das Nicht-
vorkommen der Leibeigenschaft nicht glauben. Wir befürchten auch nicht,
dass die Theorie verheerend auf die s lavische Sociologie einwirken
könnte. Eigentlich behauptet Peisker nicht dasselbe wie Palacky. Er hat
sich von seinem Meister zu weit entfernt und vorausgewagt, denn er
leugnet rundweg jede Knechtschaft. Wie in vielen anderen wichtigen Fragen
ist auch in dieser der grosse böhmische Historiograph der Wahrheit näher
getreten. An der oben angeführten Stelle sagt er: »Die Leibeigenschaft
konnte in Böhmen nicht Wurzel fassen, sie schwand immer mehr. « Besser
könnten wir auch heute diese Frage nicht formuliren. Weder sein Patriotis-
mus noch seine Gelehrsamkeit diktirten ihm diese Worte, sondern sein
historischer Instinkt. Er gerieth dadurch in Widersprach mit seiner offen
aufgestellten Theorie, aber die Wahrheit liegt latent in jenen Worten. Die
Aufgabe Peiskers wäre gewesen den Ursachen dieser Erscheinung nachzu-
gehen und nachzuweisen, warum die Knechtschaft in Böhmen sich nicht
so stark entwickelte wie in Deutschland. Dies bezieht sich auch auf Polen.
Lemberg. W. Milkowic.
Ueber die Chronik Cosmas' von Prag. Von W. Regel.
(Sonderabdruck aus dem Journal des russ. Ministeriums für Volksauf-
klärung in Petersburg. 1890).
Die politischen und kirchlichen Verhältnisse des böhmisch-mährischen
Reiches der älteren Zeit waren Gegenstand oftmaliger literarischer Kämpfe
vornehmlich zwischen böhmischen und deutschen Gelehrten. Auf böhmischer
Seite haben seit Dobner alle bedeutenden Historiker diese Verhältnisse mit
Vorliebe behandelt, wie Palacky, Hanus, Dudik, Komarek, Kalousek, Tomek
u. a. Aber erst die „deutsche Attaque" rief eine für die Wissenschaft
fruchtbare Thätigkeit hervor. Männer wie Dümmler, Wattenbach, Giese-
brecht, Büdinger, Zeissberg, und in der allerneuesten Zeit Loserth be-
schäftigten sich mit dem Gegenstande in erschöpfenden und scharfsinnigen
Untersuchungen. Es ist nur natürlich, wenn die Kritik immer mehr gegen
den Vater der böhmischen Geschichte (Cosmas) und dessen Chronik ihre
Angriffe richtete, Loserth namentlich hat die grosse Abhängigkeit dieser
Chronik von ihren Quellen nachzuweisen gesucht. Aber bei allen die äl-
tere böhmische Geschichte betreffenden Fragen handelt es sich nicht allein
um die richtige Werthschätzung dieser Chronik, sondern in fast gleichem
Masse um die Kritik der Annalen und Privilegien, besonders um die Echt-
heit des für das Prager Bisthum sehr wichtigen Privilegs v. J. 1086. Die
eine Partei suchte nun die Bedeutung der Cosmas'schen Chronik auf das
Literatur. 143
richtige Niveau zurückzuführen und verwarf das Privileg von 1086 als
ein Spurium. Die anderen vertheidigten die Chronik und die Echtheit
des genannten Privilegs. An diesem literarischen Streit waren aber auch
andere Länder interessirt, zunächst Polen. Wir übergehen die polnischen
Schriftsteller der älteren Zeit wie Bandtkie und andere, welche gelegent-
lich auch diese Frage berührten und erwähnen nur die einzige kleine Ab-
handlung von A. Lewicki ,,Wratyslaw IL Krölem czeskim" im Gymn. Pro-
gramm Przemysl 1876, wenn sie auch, was ihren wissenschaftlichen Werth
in unserer Frage betrifft , kaum erwähnt zu werden verdient (vgl.
auch die Kritik von Swiezawski in Bibl. Warszawska 1877). Der Autor
stellt sich auf die Seite derer, die das Privileg von 1086 verwerfen.
Nun wird jeder Eingeweihte auch eine Stimme aus dem russischen
Lager gerne vernehmen, die wir auch registriren wollen (obgleich sie
nicht die erste ist) l), um auch unsere Bemerkungen daran zu knüpfen.
Der Aufsatz umfasst 83 Seiten Octav; es ist daher begreiflich, dass
die Menge all' dieser Fragen, deren jede einen besonderen Aufsatz er-
heischt, hier nur oberflächlich gestreift werden konnte. Der Autor be-
rührt sie auch nacheinander und die übersichtliche kurze Zusammenfas-
sung des einschlägigen Materials sammt den reichlichen Citaten macht
diesen Aufsatz zu einem bequemen Repertorium. Zuerst bespricht er den
mythologischen Theil der in Cosmas Chronik enthaltenen böhmischen Ge-
schichte. Der Autor bringt nichts Neues, wiederholt nur kurz das schon
Gesagte und leider auch die von Anderen schon begangenen Fehler. Wir
sind nämlich zunächst der Meinung, dass man erstens versäumt hat die
Vergleichung aller Mythen der benachbarten Völker durchzuführen und dass
ferner dabei die Philologie vielleicht das erste Wort zu sprechen hätte.
So wie wir dem Namen des von Cosmas genannten Berges Rip keine
weitere Bedeutung beilegen möchten als die eines Berges überhaupt (hrib
bedeutet ja noch heute bei einigen westlichen slavischen Stämmen den
Berg, wie es schon von einigen Gelehrten hervorgehoben worden ist), so
möchten wir auch die Sage von Krok nur im Zusammenhange mit dem
ähnlichen polnischen, richtiger kroatischen Sagenkreise erklärt wissen. Der
Autor wie andere vor ihm waren bemüht den Angaben des Cosmas folgend
die genannten Ortschaften ausfindig zu machen und wie schwer es auch
war, so war man doch unermüdlich in der Aufstellung immer neuer Hypo-
thesen. Wir für unseren Theil möchten zuerst fragen, ob die Angaben
von Cosmas der Wahrheit entsprechen und nicht auch sie vollständig in
das Fabelreich gehören. Zur Begründung dessen, dass die bisherige Rich-
tung der Kritik der Cosmas-Forscher in Bezug auf den mythologischen
Theil auf falscher Fährte war, wollen wir ein Beispiel anführen und zwar
ein solches, welches augenscheinlich nicht verdächtig sein kann. Cosmas
erzählt unter anderm von dem angeblichen Grabhügel der Tochter Kroks
Kazi und fügt hinzu: eius usque ho die cernitur tumulus oder wenn er
von der Fussbekleidung des Fürsten Przemysl spricht, äussert er sich : et
servantur (coturni) Wissegrad in camera ducis usque hodie et in
sempiternum. Noch eine dritte ähnliche Stelle wollen wir anführen.
') Der Autor selbst hat darüber schon früher geschrieben.
^44 Literatur.
Zu der Erzählung von dem Grabhügel des Tyr fügt er hinzu : unde et h o d i e
noruinatur militis acermni bustum Tyr. (Anklänge an Aeneide Virgils 1. XII)
In allen diesen Angaben erblickt man den historischen Kern der Sage
und ruft topographische Kenntnisse zu Hilfe, um diesen Angaben Platz einzu-
räumen. Und doch hat man die fabelnde Manier der mittelalterlichen Chronisten
nicht gehörig gewürdigt. Zur Erklärung dieser Stellen könnten wir belehrende
Beispiele aus den deutschen Chroniken anführen, beschränken uns aber auf
das polnische Gebiet als mit böhmischer Geschichte zusammenhängend.
Eine ähnliche Rolle wie in Böhmen die Cosmas'schen Grabhügel und
Przernysl' Fussbedekung spielten in Polen jene Insignien, welche Otto III.
dem polnischen Könige Boleslaw I. bei dessen Krönung schenkte, wie
die Vita s. Adalberti und die Chronik des sogen. Gallus erzählen (ab-
weichend davon Dlugosz). Das Schwert des h. Mauricius sollte nach der
Angabe des Letzteren in der Kathedrale zu Posen aufbewahrt gelegen sein,
andere Quellen berichten aber : diese Insignien iacent in armario ecclesie
Cracoviensis usque in hodiernum diem ad memoriam posterorum recondita.
Mon. Pol. hist. IV 365.
Solche bestimmte Angaben der Chronisten geben gewöhnlich Ver-
anlassung zu Nachforschungen und besonderen Abhandlungen. Auch hier
war es der Fall (vgl. Jcibczynski Wiadamoso histor. o mieczu przechowanym
w archikatedrze Poznanskiej w Roczniku tow. n. pozn. l). Ebenso rief
auch die Geschichte von dem Schwerte Boleslaw I., szczerbiec genannt,
eine Reihe von Aufsätzen hervor. Auch bei diesen Angaben gebrauchen
die Quellen die Ausdrücke hodie servantur, hodie monstran-
tur etc., sie finden sich aber nur in den jüngeren Quellen. Bei diesen
Beispielen möchten wir nicht unbedingt die Thatsache der Schen-
kung selbst bezweifeln, sondern das spätere Vorhandensein dieser In-
signien und die Angabe des Aufbewahrungsortes in Frage stellen. Dass
die mit aller Bestimmtheit angeführte Angabe : hodie servatur, monstratur
uns nicht irreführen darf, beweist zur Genüge eine ähnliche Stelle der
grosspolnischen Chronik. In dem Capitel , worin die aus Deutschland
nach Polen verpflanzte Waltersage erzählt wird, heisst es: huius itaque
Helgundae sepulcrum in Castro Wysliciensi omnibus cer-
nere cupientibus in petra excisum usque ad praesens de-
monstratur (Mon. Pol. h. II 513). Könnten wir nun auf Grund des
Gesagten die Angaben Cosmas, die man geschichtlich verwerthen wollte,
ernst nehmen? So spüren wir auch, wenn wir die oben angefühlten
Stellen von Cosmas lesen, nichts als den Hauch der Fabel! Wenn das
Alles wahr sein sollte, was Cosmas angibt, so fragen wir, warum haben
denn die Cosmas-Forscher noch eine Stelle seiner Chronik nicht mit der-
selben Pietät untersucht. Wir meinen die Stelle lib. I. zum J. 1021, wo
von der Brautentführung die Rede ist. Aus einem Kloster entführt Bfe-
tislav gewaltsam seine Braut. Das Klosterthor war mit einer Kette ver-
sperrt, die er nun mit seinem Schwert durchhaut haben soll und zwar
mit einem Schlage. Mox exempto gladio, sagt er nun, ut festucam prae-
cidit acuto, quae usque hodie cernitur Sectio fortissimi ictus
pro testimonio. Wir wissen zwar nicht, ob Jemand auch über diese
Stelle „Untersuchungen" angestellt hat, jedenfalls aber verdient sie neben
den anderen ähnlichen auf gleiche Linie gestellt zu werden.
Literatur. 145
Sogar die Stelle bei Cosmas: quae usque hodie in Pragensi
ecclesia honorifice habentur et dicunturparamentas. Adal-
b e r t i, auf welche unser Autor besonderes Gewicht legen zu müssen glaubt,
möchten wir nicht so unbedingt gelten lassen. Es ist bekannt, dass man
in allen grösseren Städten Europas im Mittelalter verschiedene Reliquien
zu zeigen pflegte, wie z. B. in Deutschland in Andernach, Aachen, Trier,
Köln u. s. w., um durch solche visibilia signa das Volk beim Glauben
fester zu halten und auch den Euhm der Metropolen zu erhöhen. Dürfte
hier nicht ein ähnlicher Fall sein?
Darum halten wir uns für berechtigt zu sagen, dass der mytho-
logische Theil der Cosmas Chronik von der Forschung überhaupt und auch
von unserem Autor nicht erklärt worden ist.
Hierauf bespricht der Verf. die beglaubigte Geschichte Böhmens, die
er von Borivoj begonnen wissen will, vornehmlich die kirchlichen Verhält-
nisse in Böhmen und Mähren. Hier untersucht er besonders die Quellen ,
aus denen Cosmas schöpfte. Ausser Annales Fuldenses, Eegino, Vita s.
Adalberti führt er als solche an: necrologium bohemicum, welches er für
einen Auszug aus einem alten Necrolog der S. Veit -Kathedrale hält, Ca-
talogi episcoporum, die man bei der Kathedrale geführt haben muss, und
Annales. Unter diesen letzteren nennt er Annales Pragenses, Ann. Mo-
guntini und polnische Annalen. Da die Prager Annalen eine Compilation
aus dem 13. Jahrh. sind, so sucht er die alten Prager Annalen zu re-
construiren. Er stellt sie zusammen aus den Ann. Bohemici, Mellicenses
und aus den polnischen Annalen. Ferner reconstruirt er die Mainzer Com-
pilationen nach Vorgang von Waitz, wobei der Autor nicht klar genug
bei seiner Untersuchung vorgeht. Denn wenn er glaubt, dass z. B. die
Notiz zum J. 968 Polonia cepit habere episcopum oder zum J. 1001:
Poloni ceperunt Pragam . . . und andere in Krakau entstanden sind, so
möchten wir das entschieden bezweifeln. Ebenso irrt er, wenn er z. B.
die Notiz zum J. 894: Bofivoy, dux bohemorum baptizatur a Methudio
episcopo Moraviae und andere als den Kern der alten Prager Annalen an-
sieht. In der Heimat pflegt man die Namen der Landesfürsten und an-
derer berühmten Persönlichkeiten gewöhnlich ohne Prädicat zu setzen.
Man schreibt daher in Polen: obiit Dubravka, obiit Boleslaus rex mag-
nus etc. und im Auslande setzt man das Prädicat hinzu z. B. : obiit Bo-
leslaus dux Boemorum. Daher möchten wir solche Nachrichten lieber als
fremde betrachten. Ganz ähnlicher Natur sind ja die Eintragungen der
Necrologe. Nur von den Brüdern fremder Häuser sagt man z. B. : obiit
Bi monachus domus s. Trinitatis, die Namen der eigenen Conventualen
aber werden nur einfach notirt : obiit B. abbas oder o. M. monachus, höch-
stens setzt man hinzu: domus huius. Wir berühren diese Frage, weil
auch andere, die sich mit der Untersuchung der böhmischen und polnischen
Annalen befassten, nicht vorsichtig genug dabei waren. Bei der Ver-
gleichung der Cosmas-Chronik mit jener Eeginos führt er noch einige
Stellen als verwandte an, welche Loserth entgangen sind, verwirft aber die
zu weit gehende Skepsis des letzteren besonders in Bezug auf Stellen,
welche über Boleslav IL und Emma handeln und von Loserth als ganz der
Chronik Eeginos entnommen bezeichnet wurden.
Sodann bespricht unser Autor die kirchlichen Verhältnisse Böhmen-
iüttheilungen XV. 10
146
Literatur.
Mährens, die ursprüngliche Zugehörigkeit Böhmens zu dem mährischen
Bisthum, die Gründung des Prager Bisthums, welche er in das J. 974
setzt und vertheidigt die Echtheit des Privilegs für das Prager Bisthum
vom J. 1086. Ueber die Gründungs-Privilegien der Prager Kirche hat
der Autor früher schon eine Abhandlung geschrieben ; als Vorlage des ge-
nannten Privilegs bezeichnet er das Privilegium ecclesiae Moraviensis vom
J. 880 und lässt es 983 entstehen. In der Untersuchung aller dieser
Fragen ist unser Autor wenig selbstständig; es scheint jedoch, dass ihn
nur Rücksicht auf den ihm zu Gebote stehenden Eaum von eingehenderer
Erörterung zurückhielt. Darum sind auch seine Behauptungen nicht recht
motivirt und wenig überzeugend.
Lemberg. W. Milkovic.
Finke, Heinrich. Ungedrnckte Doniinikanerbriefe.
Paderborn, F. Schöningh, 1891; 8°, IV und 176 S.
Das Buch hat zunächst wol als Quellenpublikation zu gelten, obgleich
F. bei der blossen Veröffentlichung der Quelle nicht stehen geblieben ist,
sondern in der anziehend geschriebenen Einleitung selbst praktisch ver-
deutlicht hat, wie reich die Ausbeute ist, die sie zu gewähren vermag.
Gegen dieses Verfahren, das zwar von der Regel abweicht, wird in diesem
Falle um so weniger etwas einzuwenden sein, als F. sich nicht darauf be-
schränkt hat, eine deutsche Paraphrase der oft recht widerhaarigen lateini-
schen Briefe zu bieten, sondern sich bemühte, durch Heranziehung anderer
Quellen eine möglichst gerundete Darstellung der von ihm gewählten Ver-
hältnisse und Personen zu geben. Dies ist dem Verf. auch sehr wol ge-
lungen und ich finde an seinen Auseinandersetzungen nichts zu berichtigen.
Ebenso ist die Ausgabe der Briefe selbst mit sehr anerkennens-
werter Sorgfalt gemacht worden. Namentlich scheint mir die oft recht
schwierige Frage der chronologischen Bestimmung der zahlreichen undatier-
ten Briefe überall wol erwogen und zutreffend gelöst. Deshalb wird man
dem Verf. auch an jenen Stellen Vertrauen schenken dürfen, wo die
Gründe für einen von ihm gewählten Ansatz nicht angegeben und nicht
leicht erkennbar sind wie z. B. bei n° 86.
Mit den Verbesserungen kommt man über Einzelheiten, und auch
deren sind es nur wenige, nicht hinaus. Unter dem Provinzial in n° 40
und 42 kann nur Wolfram verstanden sein, den F. ohnehin S. 18 Anm. 2
als Vorgänger Ulrichs (1272 — 77) namhaft macht und der auch durch
eine Urkunde von 1271 Juli 11 sicher bezeugt ist1). Diese Urkunde
konnte freilich dem Verf. so wenig bekannt sein wie die andern Urkunden,
die aus dem erst im Druck befindlichen zweiten Band des Basler ÜB. an-
geführt werden. In n° 84 ist ziemlich zweifellos Heinrich der Name des
Provinzials, da Ulrich 1277 vom Generalkapitel nach Paris geschickt wurde,
') LB. Basel 2, 41 n° 73: iidera fratres (Predicatores) de voluntate et iussu
fratvis Wolframmi, tunc provincialis Theutonie, qui presens tunc temporis existe-
bat, quatuor librarum uBualis monete redditus emerunt.
Berichte. 147
um dort Vorlesungen zu halten1), und Heinrich zu 1286 Juni 6 und 18
als Provinzial sicher nachweisbar ist 2). Mit Rücksicht auf den Stil möchte
ich ihm auch noch den Brief n° 85 zuteilen, während für n° 86 Hermann
wol richtig angenommen sein dürfte, dessen Wahl durch die eben ange-
führten Urkunden von 1286 Juni auf die zweite Hälfte dieses Jahres ein-
gegränzt wird 3).
Aehnliches gilt von der Zeitangabe des Todes des Priors Ulrich (F.
S. 22) mit Beziehung auf die Urkunde von 1277 April 10, die ihn noch
handelnd einführt 4).
In n° 30 muss es mit Beziehung auf den vorhergehenden Brief statt
Konstanz richtiger heissen Lausanne, in Folge dessen auch der zweite Teil
der Anmerkung eine andere Fassung erhalten müsste. Immerhin kann
man an dem von F. gewählten Adressaten festhalten, da er sich als Ordens-
angehöriger, dessen Interesse bei dem in jenen Briefen behandelten Ge-
genstande leicht ins Spiel kommen konnte, von selbst empfiehlt.
In n° 70 hätte der Ausdruck terminieren, der nicht jedem Leser
gleich verständlich ist, billig durch »Spenden sammeln ersetzt* werden
können. In n° 25 hiesse es statt »Elekt« besser »Erwählter* und in
n° 5 verzichtete man gern auf das Wort »Gleichförmigmachung«. Unwill-
kürlich wird man dabei an Wustmanns Elegie auf die deutsche Sprache
erinnert. In n° 24 ist baldekinus nicht bloss mit Tuch zu übersetzen, son-
dern genauer mit Altardecke. In n° 33 ist loica wol nur Druckfehler
für laico. Unrichtig ist die Auflösung des handschriftlichen JHS mit
Jhesus, wie in n° 105 und n° 128, statt mit Jesus. In n° 102 ist die
bloss urkundliche Form Ottenbach durch die moderne Form Oetenbach zu
ersetzen 5). Der in n° 98 genannte und auch auf S. 35 angeführte Kuno
von Ygesdorf ist wenigstens an letzterer Stelle jedenfalls in einen Kuno
von Jegenstorf 6) zu verwandeln und der ebendort vorkommende M. de
Yfetal (Yfetai ist Druckfehler) sollte wenigsiens im Register als M[arcb-
wardus] de Ifental 7) erscheinen. Dieses Register ist überhaupt sehr
verunglückt und der Vorwurf der Nachlässigkeit bei dessen Herstellung
kann dem Verf. nicht erspart werden. Statt einzelne Korrekturen anzu-
bringen halte ich es für zweckmässiger, dasselbe vollständig u. zw. in der
vom Verf. gewählten Form zu ergänzen s).
•) S. d. Anm. zu n° 81 S. 104.
-) ÜB. Basel 301 n° 528 und n° 530: ego frater Henricus fratrum onlinis
Predicatorum per Theuthoniam prior provincialis etc.
s) Vgl. Finke 8. 28 Anm. 2.
4) ÜB. Basel 2, 128 n° 223 : frater Vlricus prior et servus fratrum ordinis
Predicatorum per Theutoniain.
5) Vgl. Eegister im ÜB. Zürich 2 s. v. Oetenbach.
fi) Vgl. Register in ÜB. Zürich 2, und Fontes rerum Bernensium 1 s. v.
Jegisdorf = Jegenstorf w. Burgdorf.
7) Ifental ehemalige Burg nw. Soloturn. Siehe ÜB. Basel und Zürich unter
Ifental. Markwart von I. ist nachweisbar zu 1279 und 1294 Font. rer. Bern.
3, 270 n° 288 und 3, 583 n° 591.
s) Agnes, Ericis filia 19. — Alemannia 59 A. 159. — Alexander IV.
36 A. — Andreas, St. basilica 61 A. —Argentina 106, 106 A. 149 A. cives 122;
conventus 45, 161 A. prior, subprior et lector 123 A. s. auch Erbo, Johannes;
St. Marx 109 und nicht St. Maria, das ganz zu entfallen hat. — Augustensis, Augs-
10*
^48 Literatur.
Dieser bedauerliche Mangel kann jedoch den guten Eindruck, den das
Buch im allgemeinen macht, nicht verwischen, sondern man wird trotz-
dem dasselbe zu den erfreulichsten Erscheinungen der historischen Literatur
der zwei letzten Jahre rechnen dürfen.
Basel. R- Thommen.
The Absolution Formula of the Templars, von H. Ch.
Lea, Sonderabdruck aus Papers of American Church Ristory Society
Bd. V, 22 S. (p. 37—58).
Eine Studie des bekannten amerikanischen Kirchenhistorikers, des
Geschichtsschreibers der Inquisition, die an einem einzelnen Punkt, in
Bezug auf die Beicht- und Absolutionspraxis und -Formel der Templer,
die Berechtigung der gegenüber dem Templerorden vorgebrachten, in der
Bulle „Faciens misericordiam« zusammengestellten Anklagepunkte prüft
(vgl. Art. 24 — 29 und wieder 107 — 1 1 1). Dieser Punkt, obgleich schein-
bar untergeordneten Charakters, ohne unmittelbaren Zusammenhang mit
dem Hauptvorwurf wegen Ketzerei und so auch in das ursprüngliche Ver-
zeichnis der Anklagepunkte, das der Verhörinstruktion für die Inquisitoren
zu Grande gelegt wurde, vom Sept. 1307 noch nicht aufgenommen, son-
dern erst hinterdrein beigefügt (warum? darüber vgl. meine Analyse der
Anklageakte in »Schuld oder Unschuld des Templerordens«, S. 343 ff),
ist darum von besonderer Wichtigkeit, weil er das Verhältniss des
Templerordens zu der Entwicklung d er katholischen Lehre
bürg 114, 118. — Bamberg s. Heinricus. — Basilea 60, 104; lector 106. — Bela,
rex üngariae 18. — Bern 28 A. 29, 31, 107; fratres 31. — Bisnntina provin-
cia (Besan9on) 149. — Bordeaux. Generalkapitel 81 A. — Brema s. Gerhard,
Hildebold. — Chur 30. — Clemens IV. 8 A. — Clingental 60 st. 66. — Columbaria
94 A. 100, 106 A. 149, 157; prior 111. — Korinth 41. — Cremesa (Krems) 157.
Florenzia 4 A. — Freiburgensis lector ]57 s. Dietrich. — Frisonicuui lac 137
st. 127. — Gamundia (Gmünd) 113. — Gerhardus, eps. Bremensis 62. — Gis-
lingen = Geislingen. — Hagenowe (Hagenau ) 108 — 110. — Hannibaldus 8.
Annibaldus. — Heinricus, eps. Bauibergensis 72 A. — Herbipolis, concilium
92 f. — Hermaimus de Minda 87—119, 121—128, 157. — Hildeboldus, eps.
Bremensis 62. — Humbertus 149. — Jegenstorf Kuno von — 98. — Ifental
M. de — 98. — Jerusalem 35 A. — Iring 25. — Johannes fr. 122 A. ; de Alba
122; de Argentina 122 A; eps. Lausannensis 28 A. 30; eps. Tusculanus 159. — Jutta
19. — Lucerna 94. — Ludewicus, rex Francorum 11 A. 36 A. — Ludewicus.
filius eiu3 36 A. — Martin IV. 123 A. — Mediolnnum, capitulnm 9, 20 n<> 2 A.
41. — Moguntina (Mainz) provincia 123 A. — Munio 122 A. 148 A. — Nurero-
berch s. Winkler. — Otto 14 st. 4. — Ottobonus 38 st. 58. — Paris 59. — Pa-
taviensis Klostergründung 40 st. 30. — Predicatores 4, 72, 91; magister ord. 59;
prior provincialis Teutoniae 94 A. 126, 159; sorores 4. — Prenzlavia 16 A. —
Ratispona 117; cives 142; begine et begarde 142; sorores s. crucis 147. — Renus
156. — Roma 103, 148—149 A. 154 A. Lateran 4; s. Clemens, Martin, Sixti 60-
rores. — Rostock 71. — Scoti 72. - Sletstat 161 s. Hermann st. Johannes. — Teu-
tonia 77, 88, 128, 140, 145, 149, 155, 159. — Teutonici fratres 136. —
Thidericus de Friburg 155 A. — Thuricensis 100. — Traiecti s. H. — Viterbo 6. —
Ygesdorf. s. Jegenstorf. — Winkler Ott von Nürnberg 72 A. — Wormacia 97.
— Zofingen 94, 98, 103. f.; prior 106; plebanus 132. — Zülpich 27.
Literatur. • 14<)
in der seinem Sturz vorausgehenden Periode, im 13. Jahrh., besonders
deutlich illustrirt. Es geschieht dies, indem einerseits die Entwicklung
der katholischen Lehre in Bezug auf Beicht und Absolution im 12. und
13. Jahrhundert, andererseits die templerische Praxis auf Grund der ver-
schiedenen Schichten ihrer Regel wie der Zeugenaussagen aus dem Prozesse
näher untersucht und miteinander verglichen wird.
Das Ergebnis ist, dass die Templer, wenn sie auch keineswegs bei der
Bestimmung ihrer ursprünglichen Kegel strenge stehen geblieben sind,
sondern vor allem die Ausbildung der Absolutionstheorie auch bei ihnen
die Absolution im Capitel durch dessen Vorsitzenden zu Gunsten der
Privatabsolution durch den Priester in den Hintergrund gedrängt hat u. zw.,
was zu beachten ist, auch hier sehr zum Schaden der strengeren Ordens-
zucht, daher von älteren Ordensangehörigen wie dem Visitator von Frank-
reich (um 1300) Geraut de Villiers einmal bitter gerügt (vgl. die Aus-
sage von Robert le Brioys Mich. I, 448), — doch dem Orden im all-
gemeinen nicht, wie vielfach geschehen ist, eine Neigung, geistig seiner
Zeit vorauszueilen, sondern vielmehr eine gewisse Unfähigkeit, mit der
geistig-kirchlichen Entwicklung der Zeit Schritt zu halten, somit ein über-
triebener Conservatismus Schuld zu geben ist. Dies ist nichts, was einen
verwundern könnte, da, wie auch Lea bemerkt (p. 46), »die Templer offen-
kundig Krieger und nicht Theologen oder Kanonisten waren*, oder, wie
wir sagen möchten, die Entwicklung des Ordens mit den Anforderungen,
welche die Lage des hl. Landes an ihn stellte, frühzeitig das mönchische
Element zu Gunsten des militärischen völlig in den Hintergrund drängte.
Hieran änderte auch die Einführung eines eigenen Ordensklerikats durch
die Bulle »Omne datum Optimum« nichts, da dieser Ordensklerikat, wie
auch in dieser Studie Leas wieder hervorgehoben wird, Dank der aus-
drücklichen Vorsorge des Ordens auf das innere Leben desselben, die
Ausbildung seiner Verfassung, so gut wie ohne Einfluss und auch der Zahl
nach jederzeit sehr gering blieb, so z. B. weit hinter dem Verhältnis, das
im Hospitaliterorden bestand, zurückblieb.
Das Ganze ist durchaus im Einklang mit der Auffassung von dem
Orden und seiner Entwicklung, die ich schon in der in dieser Zeitschrift
erschienenen Studie über die »Templerregel* wie in meiner eben heraus-
gekommenen »Schuld oder Unschuld des Templerordens* zum Ausdruck
gebracht habe (vgl. dort neben der Analyse der Anklage-Artikel insbe-
sondere die Anmerkung 3 zu p. 460). Wie dort gesagt ist, so wird die
ganze Rolle, welche diesem Punkt in der Anklageliste zukommt und seine
Behandlung in den Verhören (zumal der englische Prozess dreht sich ja
grossentheils, in seiner zweiten Phase, fast um nichts als um diese schein-
bar minutiöse Frage)* verständlich nur für den, der daran denkt, wie eben
während der dem Prozess vorausgegangenen Periode die Lehre von der
Absolution des Priesters, im Zusammenhang mit der Transsubstantiations-
lehre, ausgebildet worden war und welche Rolle sie in den kirchlichen und
politischen Parteikämpfen der jüngsten Vergangenheit, zumal gegenüber
dem Kaisertum gespielt hatte*. Die Kehrseite davon ist, dass, womit Lea
seine Studie schliesst »die Einfügung dieser Anklage in die Bulle ,Faciens
misericordiam' durch die Schärfe, mit der dieser auf theologische Subtili-
täten aufgebaute Punkt, über den die Scholastik in ihrer Debatte noch
-[ 50 Literatur.
keineswegs im reinen war, vorgebracht und behandelt wurde, das B e-
wusstsein von der Unstichhaltigkeit der weiter gehenden
Anklagen verrät«. L. Gmelin.
Franz Kummer, Die Bischofswahlen in Deutschland
zur Zeit des grossen Schismas 1378 — 1418 vornehmlieh in
den Erzdiözesen Köln, Trier und Mainz. Leipzig, Verlag v.
Gustav Fock, 1892. 8°, 183 S.
Das Buch stellt sich die Aufgabe zu untersuchen, ob und in wel-
chem Masse in Deutschland der Niedergang der päpstlichen Macht während
des Schismas von den Kapiteln einerseits und der weltlichen Macht an-
dererseits benützt wurde, um einen Theil des verlorenen Einflusses auf
die Besetzung der Bischofsstühle zurückzugewinnen. Der Verf. gelangt zu
dem Ergebnis, dass dies in einzelnen Fällen thatsächlich glückte, dass man
aber von keiner Seite zielbewusst vorgieng, dass man sich mit dem fak-
tischen Erfolg in concreten Fällen begnügte, ohne eine Eevision der
durch die Päpste des 13. Jahrh. und Johann XXII. verrückten Eechts-
grundlage auch nur anzustreben, dass auch das Konstanzer Concil dies-
bezüglich mit sehr bescheidenen Erfolgen sich zufrieden gab.
K. gibt in einem einleitenden Kapitel eine gedrängte Uebersicht über
die Entwicklung der Bischofswahlen vom Wormser Concordat bis 1378,
(S. 1 — 15), untersucht dann für die Zeit von 1378 — 1418 jede einzelne
Wahl in jedem der drei rheinischen Erzbisthümer und innerhalb derselben
in jedem Suffraganbisthum (S. 16 — 145) und fasst zum Schluss die Er-
gebnisse in einer allgemeinen Darstellung (S. 146 — 157) und einer Tabelle
(S. 160 — 183) zusammen.
Die mit grossem Fleiss durchgeführte Arbeit berichtigt vielfach die
Daten bei G-ams, sie bringt interessante Aufschlüsse über das wechselnde
Obödienzgebiet der römischen und avignonesischen Päpste und beleuchtet
das Interesse der päpstlichen Kammer an der Besetzung der Bischofs-
stühle.
Minder gut ist die Darstellung gerathen; sie entbehrt der Klarheit.
Die leitenden Gesichtspunkte verlieren sich vielfach in unwesentlichem
Detail, von dem sich auch die zusammenfassende Darstellung am Schluss
nicht frei zu machen vermag.
Ein Thema wie das von K. behandelte, bietet nicht nur historisches,
sondern mindestens ebensoviel canonistisches Interesse. Der letztere Stand-
punkt ist nun bei K. entschieden zu kurz gekommen 1), ohne dass ich
dem Verf. daraus einen zu harten Vorwurf machen möchte. Auch der
!) Hieher rechne ich, um nur eine Einzelheit zu erwähnen, wenn K. S. 99
von dem »Cardinalcollegiuui, in dessen Kreise im Beisein des Papstes über die
Biathumsbesetzungen berathen zu werden pflegte1, spricht. Es ist dies das Con-
sistorium, der Staatsrath der Päpste, in dessen ausschliesslichen Wirkungskreis
die Bisthumsprovisionen damals längst fielen. Wenn man auf dem Gebiet ar-
Literatur. 151
zünftige Canonist wird die Frage nach dem Rückdämmen des päpstlichen
Einflusses bei den Bischofswahlen nicht befriedigend lösen können, so lange
nicht die nothwendige Vorfrage nach der allmäligen Ausbildung des päpst-
lichen Provision srechts gründlich beantwortet ist. Das ist nun aber keines-
wegs der Fall; denn die Zusammenstellung bei Hinschius (Kirchenrecht
3, 125 ff.), auf die sich auch K. im einleitenden Kapitel stützt, gibt
wohl allgemeine Gesichtspunkte, ist aber keineswegs abschliessend. Es
wäre hoch an der Zeit, auf dem von Schwemer (Innocenz III. und die
deutsche Kirche während des Thronstreits von 1198 — 1208, Strassburg
1882) glücklich und mit Geschick betretenen Wege fortzuschi'eiten ; nur
dürfte man sich dabei nicht mit den aus der politischen Geschichte ge-
wonnenen Gesichtspunkten begnügen ; man müsste sich vielmehr auch mit
der Fassung der päpstlichen Provisionsbullen etwas näher befreunden und
der allgemeinen Abforderung des Obödienzeides, sowie dem Aufkommen
des Zwangs zur »visitatio liminum apostolorum« nachgehen. Das waren
ja doch die Mittel, durch welche die Kurie den Episcopat immer stärker
an sich fesselte.
Ist diese Frage einmal erledigt, dann wird für das Weitere das Buch
K.'s stets eine willkommene Vorarbeit bilden.
Wien. M. Tangl.
Otto Hüttebräuker, Der Minoritenorden zur Zeit
des grossen Schismas. Berlin, Speyer & Peters, 1893. 8°, 93 S.
Die Schrift behandelt die Entstehung der sog. Observanz innerhalb
des Franciscanerordens. Johann de Valle gründete i. J. 1334 das erste
Kloster dieser Richtung. Auf diese Gründung hatte Angelo Clarino, ein
Führer der Spiritualen, Einfluss gehabt; sie wurde aber bald zerstört.
1368 nahm Paolo de Trinci den Gedanken wieder auf. Von manchen Seiten
wurde diese Richtung begünstigt. Ein Gegensatz zu der Mehrheit des
Ordens, der Communität, stellte sich erst gegen das Ende des Jahrhun-
derts heraus, nachdem die Observanten schon viele Klöster besassen. Seit
1431 hielten sie eigene Generalcapitel ab, aber erst seit 1461 fanden auch
keine gemeinsamen Capitel mehr statt. Dies ist die Entwicklung der Reform in
Italien. In Frankreich entwickelte sich dieselbe ganz selbständig und wurde
vom Constanzer Concile geschützt. Auch in Spanien und Portugal fand
diese Richtung viele Anhänger, während sie in Deutschland und England
sehr gering vertreten war. Der Grundsatz der Observanten war stricte
Befolgung der Regel, während die Spiritualen hauptsächlich das Armuths-
ideal hervorgekehrt hatten. Auch waren die Observanten überhaupt ge-
mässigter und hielten sich von joachimitischen Ideen fern. Unter Sixtus V.
trat die vollständige Trennung ein.
Im Anfang gibt der Verf. eine Uebersicht über die Verfassung des
Ordens am Ausgange des 14. Jahrh. ; am Schlüsse behandelt er die Stel-
beitet, dann darf man einen derartigen Begriff nicht unischreiben, sondern muss
das Kind beim rechten Namen nennen.
152 Literatur.
lung des Ordens zu den Zeitströmungen. Das Ergebnis ist, »dass der
Orden durch seine innere Reform und die Verschiebung seiner Beziehungen
zum Papstthum einen gewaltigen Aufschwung erfuhr« (9l) und dass »das
religiöse Leben des 15. Jahrh. in erheblicher Weise unter dem Eindrucke
jener Reform stand« (92). Seite 71 findet sich ein Irrthum über Ma-
thias Döring; derselbe war zur Zeit des Basler Concils schon Provincial
und nicht mehr Professor in Erfurt.
Melk. 0. Holzer.
P. Albert, Matthias Döring, ein deutscher Minorit
des 15. Jahrhunderts. Stuttgart, Ochs, 1892. 8°, VIII und 194 S.
Eine gute Schrift über einen interessanten Mann.
Matthias Döring wurde am Ausgange des 14. Jahrh. zu Kyritz in
der Mark Brandenburg geboren; frühzeitig trat er in das Franziskaner-
kloster seiner Vaterstadt. Im Jahre 1422 kam er an die Universität Er-
furt; zwei Jahre nachher wurde er daselbst Doctor und Professor der
Theologie. Unter seinen theologischen Werken fand die Vertheidigung der
Postille seines Ordensgenossen Nicolaus von Lyra die grösste Verbreitung.
1427 wurde Döring zum Provincial der sächsischen Ordensprovinz ge-
wählt und gab in Folge dessen die Professur auf. 1432 wurde er als
Vertreter seiner Ordensprovinz Mitglied des Concils zu Basel ; dieses be-
traute ihn im folgenden Jahre mit einer Mission an den König Erich von
Dänemark. Beim Ausbruch des Schismas schloss er sich an den Gegen-
papst Felix V. an und wurde 1443 von der Partei seines Ordens, die
Felix anerkannte, zum General gewählt. Sechs Jahre hindurch suchte er
diese Würde zu behaupten und leistete erst darauf Verzicht, als Felix V.
zurücktrat. (1449) 1455 nahm er theil an dem Generalcapitel seines
Ordens in Assissi. 1461 wurde er auf sein dringendes Verlangen seines
Amtes enthoben; er zog sich nach Kyritz zurück, wo er im J. 1469 starb.
Die vorliegende Schrift zerfällt in vier Abschnitte. Die beiden ersten
enthalten die Biographie Dörings, der dritte behandelt Döring als den
Fortsetzer der Chronik des Dietrich Engelhus, der vierte endlich ist der
Schrift Confutatio primatus papae gewidmet. Der Verfasser sucht nämlich
nachzuweisen, dass diese um das Jahr 1443 entstandene Streitschrift,
welche auf dem Defensor pacis des Marsilius von Padua beruht, ein Werk
Dörings sei ; in der That wird man sich den Gründen, die Albert anführt,
nicht verschliessen können.
Das meiste Interesse hat für uns das Geschichtswerk Dörings ; eigent-
lich sind es Memoiren von 1420 — 1464 reichend. In denselben zeigt
sich der Verfasser als heftiger und rücksichtsloser Parteimann. Wie er
in den allgemeinen Angelegenheiten der Kirche unentwegt zum Basler
Concil und den Grundsätzen desselben hielt, so war er innerhalb seines
Ordens ein standhafter Vertreter der laxeren Richtung gegen die strenge
Observanz. Von diesem Standpunkt ist das abfällige Urtheil aufzufassen,
das er über hervorragende Männer seiner Zeit wie Julian Cesarini, Nicolaus
v. Cusa, Johann v. Capistran fällt. Ueber kirchliche Zustände äussert sich
Literatur. 153
Döring mit grossem Freimuth, so z. B. über das Ablasswesen (S. 100),
mit welchem, wie Albert hervorhebt (S. 110), in jener Zeit allerdings
mancher Misbrauch getrieben wurde. Mit Recht jedoch nimmt der Verf.
Döring in Schutz gegen den Vorwurf, den Woker erhoben hat, dass der-
selbe nämlich von der katholischen Lehre abgewichen sei l) ; dafür lässt
sich kein Beweis erbringen (S. lll). »Matthias Döring ist uns ein lehr-
reiches Beispiel von der Stärke der innerhalb der Kirche sich bewegenden
oppositionellen Strömung, wie sie in Deutschland noch vor der Mitte des
15. Jahrh. Platz gegriffen« (S. 193). Insoferne diese oppositionelle Strö-
mung von Bedeutung ist für die Erklärung der Reformation, ist diese
Schrift auch ein dankenswerther Beitrag zur Vorgeschichte derselben.
Die einschlägige Literatur hat der Verfasser sehr ausgiebig benützt.
Die Behauptung, dass Georg v. Podiebrad eigentlich Girzick geheissen
habe und von geringen Eltern gewesen sei (S. 101, Anm. l), ist unrichtig.
Georg entstammte dem Geschlechte der Boczek (Palacky Gesch. Böhmens
IV, I, 118 Anm.).
Melk. 0. Holzer.
Beschreibung des Oberamts Ehingen und des Ober-
amtes Keutlingen. Herausgegeben vom k. statistischen Landes-
amt. Stuttgart 1893.
In den während der Jahre 1824 — 1885 erschienenen Beschreibungen
sämmtlicher württembergischer Oberämtor findet der Historiker ein reiches
Material zur Geschichte der einzelnen Orte und Adelsgeschlechter des
Königreichs, sowie zur Kulturgeschichte des ganzen Landes. Die Fort-
schritte auf dem Gebiete der Geschichtswissenschaft, die Durchforschung
des geh. Haus- und Staatsarchivs in Stuttgart, sowie der meisten Stadt-
archive bewirkten es, dass die älteren dieser Oberamtsbeschreibungen ver-
alteten und eine neue Bearbeitung derselben der Wunsch aller Geschichts-
freunde wurde Das kgl. Statistische Landesamt ist nunmehr diesem
Wunsche entgegengekommen und hat die 1826 und 1824 erschienenen
Beschreibungen der Oberämter Ehingen und Reutlingen in zweiter Folge
zur Ausgabe gebracht.
Es sind zwei gar verschiedene Arbeiten, welche in diesen neuen
Oberamtsbeschreibungen den Freunden vaterländischer Geschichte geboten
wurden. Während die Beschreibung des Oberamts Ehingen für ihren
historischen Theil in Julius Hartmann einen trefflichen Bearbeiter fand,
haben am historischen Theil der Oberamtsbeschreibung Reutlingen nicht
weniger als 2 1 Mitarbeiter mitgewirkt. Die natürliche Folge hiervon war,
dass, während die Oberamtsbeschreibung Ehingen ein gediegenes Werk aus
einem Guss ist, die Oberamtsbeschreihung Reutlingen neben einigen treff-
lichen Arbeiten auch recht mittelmässige Leistungen enthält und es allein
den Bemühungen Paul v. Stalins, des Referenten für den geschichtlichen
Theil, zu danken ist, dass der Eindruck, den der Leser von dieser Ober-
amtsbeschreibung erhält, nicht ein ganz unbefriedigender ist.
') Pastor Gesch. der Päpste 1, 361 Anm. 1 eignet sich das Urtheil Wokers an.
154 Literatur.
Es sei gestattet, das bisher Gesagte weiter auszuführen. Am meisten
Interesse erweckt natürlich die Geschichte Reutlingens, der alten Reichs-
stadt; um so mehr ist es zu bedauern, dass das, was die neue Oberamts-
beschreibung hierüber bietet, im Grossen und Ganzen ein Auszug aus
Gayler's 1840 erschienenen Denkwürdigkeiten der ehemaligen freien Reichs-
stadt Reutlingen ist, indem der Bearbeiter es verschmäht hat, die reichen
Schätze des Stuttgarter Staatsarchivs und der drei Reutlinger Archive (des
Stadtarchivs, Kirchenpflege- und Armenpflegearchivs) einer gründlichen Durch-
forschung zu unterziehen. Hätte er die> gethan, so wären von ihm nicht
wichtige Punkte in Reutlingens Geschichte übersehen worden. So weiss
er z. B. nichts von den im Jahre 1748 und 1749 vorgefallenen Unruhen.
1 1 Zunftmeister wurden damals von ihren Zünften gewaltsam abgesetzt,
desgleichen am »Bürgermeistertag* sieben Rathsherren, denen man zu
grosse Nachgiebigkeit gegen gewisse Forderungen der benachbarten, würt-
tembergischen Orte vorwarf. Erst das Einrücken von 330 Mann schwäbi-
scher Kreismiliz stellte die Ruhe wieder her. Ferner kennt derselbe nicht
Reutlingens Fehde mit dem aus dem Armagnakenkrieg her bekaunten
Hans von Rechberg von Hohen-Rechberg. Im Jahre 1454 raubte derselbe
dem Reutlinger Spital etliches Vieh und um dieselbe Zeit verwüstete er
das dem Reutlinger Bürgermeister Becht gehörige Dorf Mähringen. Des-
halb klagten dann Reutlingen und die mit ihm verbündeten Städte beim
Kaiser. Grund der Fehde war übrigens, dass Hans einen Widersacher der
Städte, Heinrich von Isanburg in sein Schloss aufgenommen hatte. Hier
sei auch noch bemerkt, dass die O.-A.-Beschreibung S. 2011 die irrige
Angabe 1499 als Todesjahr des Hans von Rechberg (statt 13. Nov. 1464),
welche sich im grossen Rittersaal des Schlosses Lichtenstein findet, wieder-
giebt, ohne auf deren Unrichtigknit hinzuweisen, (der 1499 t Hans von
Rechberg zu Ravenstein ist nicht der gefeierte Kriegsheld). Uebrigens
rufen auch manche neue Aufstellungen in dieser Geschichte Reutlingens
grosse Bedenken hervor. Schwerlich gieng die Gründung der Stadt von
den Grafen von Achalm aus, welche erst seit 1024/1039 in den Besitz der
Burg, nach der sie sich nannten, gelangten. Ein um 1030 gegründetes
Dorf wird nicht leicht schon um 1210, d. h. nach 180 Jahren städtische
Freiheiten erlangt haben. Ein so rapides Wachsthum von Ortschaften
kennt das Mittelalter nicht, sondern erst die Neuzeit, namentlich in Amerika.
Reutlingen wird vielmehr, begünstigt durch seine Lage, schon frühzeitig
als Dorf bestanden haben. Ebenso beweist eine Registraturbemerkung,
welche von einer Mariencapelle, gelegen im Marchthaler Hof, redet, nichts
gegen G. Bosserts scharfsinnige Annahme, dass die Mariencapelle, welche
von dem Kloster Marchthal erbaut wurde und demselben reiche Einkünfte
verschaffe, die spätere Marienkirche sei. Dem Registratur waren eben
einfach Marchthals Beziehungen zur Marienkirche unbekannt. Für das
Vorhandensein solcher Beziehungen spricht u. a., dass 1339 Pfaff Albrecht
der Munche (d. h. offenbar ein Marchthaler Mönch) Pfleger »unser Frawen
Kelhun« war, sowie die Analogie von Schwäbisch Hall, wo das Stift Kom-
burg das Patronat hatte.
Am meisten hat unter der fehlenden, gründlichen, urkundlichen
Forschung die Geschichte Reutlingens im 14. Jahrh. gelitten. Der Verf.
hat es verschmäht, die gleichzeitige Geschichte anderer schwäbischer Reichs-
Literatur. 155
städte gründlich zu durchforschen, aus derselben Analogien für Reutlingen
abzuleiten und für letztere an einzelnen urkundlichen Angaben Stützpunkte
zu gewinnen. Die Thatsache, dass unter König Adolf von Nassau der
königliche Vogt von Reutlingen nicht mehr genannt wird, das Schult-
heissenamt nicht, wie bisher mit Gliedern patrizischer Familien, sondern
1294 mit Freiherr Rumpold von Greiffenstein besetzt und zum ersten Male
1294 ein Bürgermeister namens B echt genannt wird, deutet entschieden auf
eine Aenderung der städtischen Verfassung und zwar zu Gunsten der Zünfte
hin, welche, wie auch anderswo, lieber zum Schultheissen einen Landadligen als
einen Patrizier wollten. Wenn dann unter König Adolfs energischerem Nach-
folger Albrecht I. als Schultheiss wieder ein Patrizier Rüdiger Bondorfer
1302 erscheint, auch der 1297 genannten 8 Zunftmeister nicht mehr Er-
wähnung geschieht, so ist man doch wohl berechtigt, eine Wiederherstel-
lung der patricischen Verfassung anzunehmen. Diese wird sich bestimmt
so lange behauptet haben, als Reutlingen zu den Anhängern Friedrichs
des Schönen, dem die ritterbürtigen Patricier besonders zugeneigt waren,
zählte. Zwischen April und November 1330 trat dann die Stadt zu Lud-
wig den Bayern über, welcher vielfach die durch die Zünfte ins Leben
gerufene Ordnung begünstigte. Auch in Reutlingen scheint das patricische
Regiment zum zweiten Male beseitigt worden zu sein, übrigens blieb dem
patricischen Element wohl in Folge eines Compromisses zwischen beiden
Parteien in der am 12. December 1342 vom Kaiser bestätigten Verfassung
ein erheblicher Einfiuss eingeräumt. Ueber alle diese Verfassungskämpfe
geht der Verfasser der Geschichte Reutlingens einfach stillschweigend hinweg.
Noch manches andere könnte man zur Geschichte Reutlingens nach-
tragen, was dem Verfasser bei ernstlichem Willen, auch die urkundlichen
Schätze hervorzuziehen, sicher nicht entgangen wäre. So sei noch bemerkt,
dass auf die Reutlinger Reichssteuer 1323 Johann von Bernhausen und Herr-
mann von Haldenberg 1360 Graf Rudolf von Hohenberg angewiesen wurden.
Ist somit die Geschichte Reutlingens ein nach manchen Seiten hin misslun-
gener Theil der Oberamtsbeschreibung, so zählt dagegen die geschichtliche
Entwicklung des Gewerbes im Bezirk zu den besten Parthien des Werks,
an der wenig auszusetzen ist, höchstens nachzutragen, dass 1509 Abt Georg
von Zwifalten dem Papierer Jacob Hirter gestattete, eines der drei Räder
der dem Kloster gehörigen Schleifmühle in eine Papiermühle umzuwandeln.
Auch kommt schon 1367 ein Grautucher- Zunftmeister vor, uud irrt daher
die Oberamtsheschreibung I, 278, die die Tucherzunft erst nach der Re-
formation erscheinen lässt. Ebenso ist der Abschnitt: »hervorragende
Männer aus dem Bezirk« eine fleissige, gründliche Arbeit. Nur ver-
misst man Johannes Ruperti , geboren in Pfullingen , welcher nach
Sulger II, 6, im Jahre 1393 Abt von Zwiefalten wurde und am 10. Okt.
1398 starb, und Nikolaus Schradin (t um 1531), welcher nach E. v. Mü-
linen Prodomus einer schweizerischen Historiographie S. 124, aus Reut-
lingen stammte. Auch fehlt bei Jakob Noa Epp (l. 496) das Geburts-
datum (geb. 22. Mai 1808) und Todesdatum (t 8. Nov. 1884 in Stutt-
gart), und hätte citirt werden müssen »der Muselmann aus Schwaben,
Reutlingen bei B. G. Kurz, 1831*. Hans Staygmayer ist nicht, wie I, 483
angenommmen wird, eine fingirte Persönlichkeit, sondern erscheint urkund-
lich 1486 als Hennslin Staygmayer der Beck.
156 Literatur.
Von den Ortsbeschreibungen nehmen diejenigen von Pfullingen, Go-
maringen, Betzingen, Ohmenhausen, Wannweil, Genkingen, Gross- und
Kleinengstingen, Holzelfingen, Undingen und Willmandingen, welche alle
auf gründlichen archivalischen Forschungen beruhen, eine hervorragende
Stelle ein und bleibt nur weniges zu denselben zu bemerken. Die älteren
Herren von Pfullingen sind gewiss nicht, wie 1. 472 behauptet wird,
eines Stammes mit dem Geschlecht von Pfullingen, das einen Skorpion
(oder Krebs) im Wappen führte. Vielmehr beweist der Umstand, dass
Walter von Pfullingen, der zu den älteren Herren von Pfullingen gehörte,
das gleiche Wappen mit den Remp von Pfullingen führte, dass die älteren
Herren von Pfullingen und die Rempen eines Stammes sind, wofür auch
die gemeinsamen Vornamen (Burkhard und Walter) sprechen. Zur Orts-
beschreibung von Ohmenhausen ist nachzutragen, dass 1385 Mäcz die
Umenhuserin Bürgerin in Bottenburg am Neckar war und dass ein Ge-
schlecht Ohmenhäuser noch heute in Weil im Schönbuch fortblüht, wohl
die Nachkommen des 1415 zu Breitenstein (O.-A. Böblingen) genannten
Benz Umenhuser. Bei Gross- und Kleinengstingen ist noch zu bemerken,
dass am 29. August 1312 ein Heinrich Engstinger als Bürger in Tübin-
gen genannt wird. Gross-Engstigen gelangte wohl erst durch Bertold an
Neuffen Grafen von Achalm, der noch daselbst richterliche Gewalt aus-
übte, zwischen 1198 — 1219 an den Bischof von Chur. Auch war Kloster
Weissenau in Gross-, nicht Klein-Engstingeu begütert. Aus Holzelfingen
stammte auch einer der Pioniere des Deutschtums in Kamerun, der Lehrer
Friedrich Flad, geb. 26. Aug. 1866, gestorben Januar 1891 (vgl. Württ.
Generalanzeiger, 12. Februar 1891, Nr. 35 S. 1 — 2).
Nicht weniger, als jene 10 resp. 11 Ortsbeschreibungen, sind gelun-
gen die Geschichten der Herren von Lichtenstein und von Greiffenstein.
Nur hätte bemerkt werden sollen, dass nicht nur die Herren von Höllstein,
sondern auch die Herren von Meldungen eines Stammes mit den Herren
von Lichtenstein waren , und dass Freiherr Ludwig von Greiffenstein
11. Mai 1495 starb.
Weniger befriedigt wird der geschichtskundige Leser sein von der Be-
schreibung und Geschichte der übrigen Orte des Oberamts, unter welchen die
von Ober- und Unterhausen entschieden die beste ist , wenngleich
Verwechslungen mit dem Zollernschen Hausen sehr nahe liegen. Wenn
trotz der geringen Beachtung, welche die Bearbeiter dieser Ortsbeschreibun-
gen, mit Ausnahme dessen von Ober- und Unterhausen, dem urkundlichen, in
den Archiven aufgespeicherten Material geschenkt haben, der Leser dennoch
gar manches neues findet, so ist dies ohne Zweifel das Verdienst Paul
v. Stalins, dessen kundige Hand ergänzte, wo irgend zu ergänzen ihm
möglich war.
Wie ganz anders tritt die Oberamtsbeschreibuug Ehingen dem Leser
entgegen! Nicht nur wurden benutzt das Stuttgarter Archiv und manche
Privatarchive, auch die einschlägige Literatur wurde fleissig herangezogen.
Dabei zeichnet sich die Arbeit durch Uebersichtlichkeit und Klarheit aus
und hat der Verfasser es verstanden, gegenüber den confessionellen Con-
flicten, unter denen dieser Bezirk so schwer gelitten hat, strengste Ob-
jectivität zu bewahren. Nur Weniges ist nachzutragen. Bei der Erwäh-
nung der Harscher von Allmendingen hätte auch das hervorragendste Glied
Literatur. 157
dieser Familie genannt werden können. Es war dies der um den 24. Juni
1475 gestorbene Hans Harscher, Kath des württ. Hofes, dessen Grabdenk-
mal in Urach stand und dem man nachrühmte : » ein hartnäckiger, gestrenger
Herr, wankte er niemals in seinen Beschlüssen aus Furcht, oder irgend
einer andern, weniger gerechten Ursache. Nie ergriff ihn Verzagtheit. * Doch
mag eben die knappe, concise Form, deren Julius Hartmann sich bei der
Oberamtsbeschreibung befleissigte, Grund gewesen sein, dass er » dieses
Mannes Namen nicht erwähnte. Unter den aus Ehingen stammenden geist-
lichen Würdenträgern sei noch nachzutragen Walter von Ehingen, Guardian
der Barfüsser in Reutlingen (1277).
Trotz dieser — übrigens ganz unbedeutenden — Ausstellungen, bleibt
die neue Oberamtsbeschreibung Ehingen eine schöne Bereicherung der ge-
schichtlichen Literatur. Falls man auch die andern Oberamtsbescheibungen
in gleich trefflicher Weise einer Umarbeitung unterzieht und man nicht
in den bei der Oberamtsbeschreibung Eeutlingen gemachten Fehler ver-
fällt, zu viele Mitarbeiter heranzuziehen, sondern, wie bei Ehingen, die
Arbeit einer einzigen, tüchtigen Hand anvertraut, wird das Erscheinen
eines jeden neuen Bandes mit Freuden begrüsst werden und dem Würt-
temberger Lande der Ruhm erhalten bleiben, in seinen Oberamtsbeschrei-
bungen etwas zu besitzen, um was das Ausland es beneidet.
Stuttgart. Th. Schön.
Herbert, Der Haushalt Hermannstadts zur Zeit
Karls VI., im Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde.
Neue Folge. Band 24 (Jhrg. 1892) Seite 83—229 und 438—518.
Selten dürfte heutzutage Jemand, der den Beruf zu einer historischen
Publication fühlt, so unvorbereitet und ungeschickt an die Arbeit gehen,
als der Verfasser vorliegender Abhandlung. Nicht schulmässig erlernte
Kritik ist es, die man an dem Verfasser allein vermisst, sondern das
nothwendigste Verständnis. Wenn es heute als pädagogisch feststehend an-
zunehmen ist, dass man bei Betrachtung von Zuständen und Einrichtun-
gen der Vergangenheit von der Gegenwart, über die man sich doch volle
Klarheit verschaffen kann, ausgeht, ein Grundsatz der beispielsweise beim
geographischen Unterrichte — wo es sich zwar nicht um Vergangenes und
Gegenwärtiges sondern um Ferner- und Näherliegendes handelt — damit
befolgt wird, dass man nicht wie einst mit den fremden Weltteilen, sondern
mit der Karte des Ortes, wo sich die Schule befindet, beginnt; so kann
man wol erwarten, dass der Verfasser, als er daran gieng den Stadthaus-
halt Hermannstadts im 18. Jahrhundert zu erforschen, sich zur Orien-
tierung zunächst mit dem des vergangenen Jahres beschäftigt hätte, wo-
bei er vor allem den Gesichtspunkt gewonnen hätte , dass es sich
bei Feststellung eines Gemeindehaushalts doch zunächst und in erster
Linie um die ordentlichen, gewöhnlichen mit dem Wesen eines
städtischen Gemeindewesens in organischem Zusammenhange stehenden
Bedürfnisse und deren Befriedigung und die Thätigkeit der mit
der Durchführung der aus denselben sich ergebenden Einnahmen und
Ausgaben betrauten Gemeinde-Fachorgane und nicht um das ausser-
158 Literatur.
ordentliche, nur durch bestimmte zufällige Verhältnisse veranlasste
handelt.
Um auf den vorliegenden Fall zu kommen hätte in einer Einleitung
die staatsrechtliche Stellung Hermannstadts im Rahmen der politischen
Verhältnisse kurz erörtert, die Organisation der Stadtverwaltung nament-
lich mit Rücksicht auf die Finanzverwaltung erläutert und in Folge dessen
die Stellung des » Stadthannen«, des obersten Wirtschaftsbeamten in den Vor-
dergrund gestellt werden müssen. Wie zu erwarten, nahmen in der That auch
die Stadthannen-Rechnungen, die schon um das Jahr 1350 beginnen, den ersten
Platz unter den im städtischen Archive befindlichen Rechnungen ein
(Zimmermann, Das Archiv der Stadt Hermannstadt, 6 7 ff). Die staats-
rechtliche Grundlage für das gesammte politische Leben in Siebenbürgen
für die Zeit, die Gegenstand der Betrachtung ist, ist das Leopoldinische
Diplom vom 4. Dezember 1691, der Staatsgrundvertrag zwischen Sieben-
bürgen und Oesterreich, der von den nachfolgenden Fürsten dieses Hauses
bei dem Antritt ihrer Regierung vor der Huldigung der Stände immer
feierlich beschworen wurde (Hauptinhalt dieses Diploms in Teutsch, Ge-
schichte der Siebenbürger Sachsen 1. Auflage 1858, 627). An der Spitze
der Stadtverwaltung in Hermannstadt stand der Bürgermeister, die beiden
wichtigsten Aemter neben demselben waren das des Stuhlrichters und das
des Stadthannen (Villicat); die Besetzung dieser Aemter erfolgte durch
Wahl der Communität aus den Mitgliedern des Senats auf dem Rathause.
(Den Vorgang bei den Wahlen am 4. Januar 1721 schildert Herbert im
Archiv N. F. 17, 354). Die Communität oder Hundertschaft, nicht auf die
Zahl von 100 beschränkt, war ein äusserer Rath, der bei Abgängen durch
den 1 2gliedrigen inneren Rath (senatus oder magistratus) aus der Bür-
gerschaft ergänzt wurde. Der innere Rath ergänzte sich durch Cooptirung.
Statt solcher wenigstens in den allgemeinsten Grundzügen orientirender
Angaben beginnt die vorliegende Abhandlung mit den Bürgermeister-
Rechnungen *), welche, wie ich aus dem Verzeichnisse der Archivalien
ersehe und wie zu erwarten ist gar nicht existieren, sondern aus den
Rathsprotokollen construirt sind, und zwar beginnend mit den Ausgaben,
die ohne Motivirung eines Einteilungsgrundes willkürlich in 12 Gruppen
zusammen gefasst sind. Nach 11 Zeilen »dieser« Einleitung beginnt der
Gegenstand mit Titel »I. Die landesfürstlichen Steuern« also einer
Ausgabe, die nicht aus den zunächst liegenden inneren Bedürfnissen des
Gemeinwesens, sondern aus dessen staatsrechtlicher Stellung zur Provinz
und zum Reiche entspringt, wogegen die Hauptsache, die Rechnungen
des Stadthannen erst auf Seite 438 als eine Art Annex folgen.
Nachdem ich auf das völlig Verkehrte der Disposition, wie ich glaube,
hinlänglich hingewiesen, bleibe kurz darauf aufmerksam zu machen, dass
die Behandlung des Einzelnen ganz auf der Tiefe der Grund einteil ung
steht. Statt das Material in Tabellen zusammenzufassen, die erläutert
werden, reihen sich Rechnungs-Excerpte endlos in erzählender Form. Stücke
l) Der Bürgermeister als Finanzorgan ! etwa sowie der Minister-Präsident,
insoferne er das oberste Organ der ganzen Verwaltung ist, was ja auf alle Ressorts
ausgedehnt werden kann und man dann nur mehr von der Thätigkeit eines Ein-
zigen sprechen müsste.
Literatur. 159
aus lateinischen Acten bilden die Nachsätze deutscher Vordersätze. Unter
»Ertrag des Stadtbräuhauses* gehen die Acten gleich selbst in den Text
über (Seite 219 bis 233) und so fort.
Hätte diese Publication nur localhistorisches Interesse für Vereins-
mitglieder eines hist. Vereins, brauchte man sich über den Geschmack der-
selben den Kopf nicht zu zerbrechen ; die Arbeit, natürlich in anderer Art
durchgeführt, könnte aber ein wertvoller Baustein für vergleichende Finanz-
geschichte sein und von diesem Standpunkt ist zu bedauern, wenn der
Autor seinen Excerpierfleiss nicht einer besseren Einsicht unterordnet und
nur mit grösster Mühe Brauchbares mit riesiger Papierverschwendung zu
Tage schafft. K. Schalk.
Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des
Allerhöchsten Kaiserhauses, herausgegeben unter Leitung des
Oberstkämmerers Sr. k. u. k. apost. Majestät Ferdinand Grafen zu
Trauttmansdorff- Weinsberg vom Oberstkämmerer- Amte. (Redacteur:
Dr. Heinrich Zimerrnan). Vierzehnter Band. Mit 41 Tafeln und
174 Textillustrationen. Prag, Wien, Leipzig. F. Tempsky und G. Freytag
1893. 392 und CCLXII S. 4°.
Seit die Mittheilungen des Institutes im 9. Bande S. 153 — 157 eine
Besprechung der Bände V — VIII des Jahrbuches von Fr. Wickhoff gebracht
haben, sind weitere fünf Bände (IX — XIV) dieser einzig dastehenden vor-
nehmen Publikation erschienen. Indem Eef. heute nur den für das Jahr 1893
herausgegebenen XIV. Band zur Anzeige bringt, behält er sich vor; in
einem der nächsten Hefte auch auf den Inhalt der früheren Bände in Kürze
zurückzukommen.
Der Löwenantheil am 1. Theile dieses Jahrganges fällt der Malerei zu,
da vier Abhandlungen ausschliesslich und eine noch zum Theile mit Kunst-
werken der Malerei sich beschäftigen, während zwei weitere Abhandlungen
kunstindustriellen Erzeugnissen gewidmet sind und ein Aufsatz ganz und
ein anderer zum Theile mit Gegenständen der kleinen Plastik sich befassen.
Chronologisch vorgehend, müssen wir zuerst der Arbeit von Franz
Wickhoff über »Die Ornamente eines altchristlichen Codex
der Hofbibliothek« (S. 196 — 213) gedenken. Sie handelt über den
Codex 847, welcher zwei verschiedene Handschriften enthält: das Frag-
ment eines griechischen Evangeliariums und die lateinische Abhandlung
des Eufinus über die Segnungen der Patriarchen. Beide gehören jedoch
einer Zeit und einer Kunstschule an, was die Schrift und dasselbe System
von Ornamenten beweisen. Der eigentlichen Besprechung des Codex schickt
der Verf. eine Einleitung voraus, worin er einen Typus geschmückter Co-
dices als Kinder- respective Schulbücher reicher vornehmer Leute und
einen andern Typus als Prunkbücher vornehmer Damen in, wie mir scheint,
ganz zutreffender Weise nachzuweisen sucht. In diesen ältesten künstlerisch
ausgeschmückten Büchern gehen nun Schrift und Bild vollständig getrennt
nebeneinander her, nicht wie später in den Miniaturcodices der irischen
und karolingischen Periode und des späteren Mittelalters, in denen Schrift
und künstlerischer Schmuck insbesondere durch die Initialornamentik enge
1(3() Literatur.
mit einander verbunden sind. Es können sich also diese nicht aus den
ersteren herausgebildet und entwickelt haben. Für sie muss es andere
Uebergangsglieder gegeben haben. Ein solches Binde- und Uebergangs-
glied, wenn auch nicht aus dem Beginne der Entwicklung dieses Stiles der
Buchausstattung, so doch das älteste bekannte Beispiel dieser Bichtung,
das sich uns erhalten hat, geschmückt mit den einfachsten Ornamenten
der altchristlichen Kunst, bietet der genannte Wiener Codex aus dem 6.
oder aus dem Beginne des 7. Jahrb., von dem der Verf. eine genaue Be-
schreibung, besonders des ornamentalen Schmuckes desselben, der haupt-
sächlich in der Ausschmückung der Canonestafeln des Eusebius besteht,
gibt. Er geht dann auf die Entwicklung dieser Ausschmückung näher
ein und weist die darin verwendeten Motive nach. Er erläutert endlich
die Ornamente der Zier- oder Titelblätter der Handschriften und erörtert
die einzelnen dafür aus älteren Kunsterzeugnissen entlehnten Vorbilder.
Das lineare Flachornament erscheint bereits durchaus durchgeführt, aber
bei aller Durchbildung gehört der Codex doch noch den Zeiten der Ver-
suche an, denn noch ist das Ornament nicht in die Schriftseite selbst
eingedrungen, noch hat es sich mit der Schrift nicht verbunden und
sie beeinflusst, wie eben später die Initialornamentik. So wurde einem
wichtigen Denkmale altchristlicher Buchausschmückung durch den Verf.
der ihm in der Entwicklung dieser Kunstgattung zustehende Platz in prä-
ciser Weise zugewiesen.
Gleichfalls mit Denkmälern der Buchmalerei, doch einer viel späteren
Zeit, beschäftigt sich die Abhandlung von Julius v. Schlosser: »Die
Bilderhandschriften Königs Wenzel I«. (S. 214 — 317). Nach
einer kurzen orientirenden Einleitung, die sich insbesondere über die von
König Wenzel angelegte Bibliothek verbreitet, gibt der Verf. als ersten
Theil seiner Arbeit eine »Beschreibung der Miniaturen in den (neun)
Handschriften König Wenzels*, worunter die sogenannte Wenzelsbibel der
Wiener Hofbibliothek den ersten Platz einnimmt. Aber es ist unrichtig,
wenn der Verf. in der Ueberschrift von einer Beschreibung der Miniaturen
spricht, denn die Miniaturen der Wenzelsbibel weiden eben nicht beschrie-
ben, sondern in knappen Schlagworten einfach nur aufgezählt. Wo Minia-
turen fehlen, werden die vorhandenen Vorschriften für den Maler wörtlich
mitgetheilt. Etwas eingehender beschrieben erscheinen nur die Miniaturen
einiger anderer Codices, dafür aber fehlt wieder bei anderen, wie bei
Willehalm von Oranse, sogar eine vollständige Aufzählung derselben. Dieser
Theil hat also eine ziemlich ungleichmässige Behandlung erfahren und ist
keineswegs abschliessend. Im zweiten Theile behandelt der Verfasser die
»Randverzierungen« (Drolerien) dieser Handschriften. Er erklärt sie
für den wichtigsten Gegenstand der Untersuchung und in der That sind
sie in mehrfacher Richtung höchst merkwürdig und interessant und bieten
der Forschung schwierige Probleme zur Lösung. Zunächst werden fünf
Gruppen von Emblemen ausgeschieden und jede einzelne für sich betrachtet.
Es sind dies: 1. Das Bademädchen, 2. die männliche Figur (König Wenzel
selbst), im Bade bedient oder am häufigsten als Gefangener vorgeführt,
3. die Schärpe der Bademagd, 4. der Eisvogel und 5. der wilde Mann.
Ausserdem kommen in den Drolerien noch allerlei wirkliche Thiergestalten,
dann aber auch phantastische Thier- und Menschengebilde vor. Den
Literatur. 161
Grundaccord der Darstellungen aber bilden immer die beiden Buchstaben
W und E, theils allein vorkommend, tbeils in den verschiedensten Varia-
tionen untereinander oder mit den übrigen Darstellungen verbunden. Ausser
den Emblemen finden sich dann in den Darstellungen noch Devisen auf
Spruchbändern vor, welche einzeln beschrieben und erklärt werden. Der
Verf. weist dann das Vorkommen dieser Allegorien und Symbole der
Handschriften auch an anderen gleichzeitigen Denkmälern nach, wodurch
der Eisvogel in der Schleife geradezu als ein Symbol König Wenzels sich
ergibt. Aus diesen Figuren und Symbolen in den Handschriften geht nun
hervor, dass es sich in diesen Darstellungen um eine erotische Allegorie,
um ein Liebesverhältnis zwischen König Wenzel und der Bademagd, auf
welche die Initiale E bezogen werden muss, handelt. Dieses Liebesver-
hältnis wird unter dem Bilde der Fesselung und des Kerkers dargestellt,
was auch in der mittelalterlichen Dichtung, wofür der Verfasser eine An-
zahl Belegstellen erbringt, sehr häufig zum Ausdruck kommt. Auch der
Eisvogel und die wilden Männer fügen sich in diese Allegorie sehr wohl
ein, ebenso entspricht es ganz dem Brauche der höfischen Poesie des
Mittelalters, dass die Geliebte nur mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnet
erscheint, desgleichen werden für die übrigen Darstellungen in den Dro-
lerien Parallelen erbracht. Hierauf geht der Verf. auf die Darstellung des
Liebesverhältnisses König Wenzels mit der Bademagd Susanna, wie sie in
der späteren böhmischen Literatur vorkommt , über und gedenkt kurz
der Beurtheilung, die diese Erzählung in der kritischen Geschichtslitera-
tur gefunden hat. Er erklärt die Erzählung Häjeks nicht einfach als
Fälschung, sondern als die Aufzeichnung einer in der Volksphantasie ent-
standenen und allgemein bekannten Sage und erörtert, daran anschliessend,
das damit im Zusammenhange stehende Privileg Wenzels für die Prager
Baderzunft und das Prager Badewappen. Er zeigt dann, dass die Wenzels-
bibel nur für König Wenzel und seine zweite Gemahlin Sophie von Baiern
geschrieben sein kann, denn aus allem dem, was dargelegt wurde, geht
zur Evidenz hervor, dass die männliche Figur eben König Wenzel selbst
ist, dass ferner die vorkommende weibliche Figur, meistens als Bademagd
dargestellt, eben auch niemand anders ist als Wenzels Gemahlin, und dass
endlich die Initiale E nichts anderes als den Anfangsbuchstaben ihres
Nebennamens Euphemia, dessen allein sie sich sogar in Urkunden bedient,
vorstellt. Weiters sucht er nun die Frage zu beantworten, was Wenzel
wohl bewogen haben mag, seine Königin in der ungewöhnlichen Weise
einer Bademagd darstellen zu lassen und versucht es wahrscheinlich zu
machen, dass auch das Bademädchen nur eine Allegorie sei, hinter welchem
sich vielleicht die mittelalterliche Sirene verbergen könnte. Zugleich spricht
er eine Vermuthung aus, wie König Wenzel zu dieser Allegorie gekommen
sein mag und sucht diese durch Parallelen glaubhaft zu machen. Damit
aber scheint mir der Verf. über das Ziel hinausgeschossen zu haben, denn
meines Erachtens ist es überflüssig, in der Gestalt der Bademagd noch
eine Allegorie zu suchen. Mit der Erbringung des Beweises, dass es nach
den Anschauungen der Zeit und des Bestellers nicht für anstössig galt,
seine Geliebte oder Frau nackt darzustellen, ist auch schon die unge-
zwungene Lösung dieser Darstellungen gegeben. Freilich bleibt es dabei
immerhin noch unaufgeklärt, warum gerade Badescenen in so wechsel-
Mittheilungen XV. 11
X62 Literatur.
voller Weise gewählt wurden. Vielleicht hat ein besonderes Ereignis
zwischen ihnen, das mit dem Badeleben im Zusammenhange stand, das
sich aber unserer Kenntnis bis nun entzieht, zu diesen Darstellungen Ver-
anlassung gegeben. Im dritten Theile der Abhandlung werden »Die Maler
König Wenzels und ihre Kunst« besprochen. An der Ausschmückung der
Codices haben sich mehrere Maler betheiligt. Nur zwei, Frana und
N. Kuthner, nennen sich in der Wenzelsbibel selbst mit ihren Namen, die
übrigen bleiben unbekannt. Ihre Leistungen sind sehr verschieden. Allein
eine Scheidung und Auftheilung der Miniaturen auf die einzelnen Maler
hat der Verf. nicht versucht, nur im Allgemeinen charakterisirt er ihre Ar-
beiten, bespricht die Vorschriften für die Maler und das Verhältnis der
ausgeführten Bilder zu diesen, erörtert gleichfalls nur ganz allgemein das
Verhältnis der Bilder zum Text und zu älteren typischen Darstellungen,
weist den französischen Einfluss, der in ihnen sich zeigt, nach und schliesst
mit der Charakterisirung der Ornamentation. Als Anhang ist das »Orakel
aus der Wiener Handschrift der alfonsinischen Tafeln« beigegeben und ein
»Verzeichnis der Abbildungen im Texte« bildet den Schluss dieser sehr
reichhaltig und für das Verständnis des Dargelegten entsprechend illustrir-
ten Abhandlung, die, abgesehen von einigen Ungleichmässigkeiten und Un-
vollkommenkeiten, mit zu den besten dieses Jahrganges zählt.
Gleichfalls über Miniaturgemälde doch wieder einer etwas späteren
Zeit handelt Eduard Chmelarz in seinem Aufsatze: »Eine französi-
sche Bilde rhandschrift von Boccaccio 's Theseide« (S. 318 bis
328.) Der Verf. gibt zuerst eine gedrängte Inhaltsangabe des langathmi-
gen Gedichtes, bespricht dann das Liebesverhältnis Boccaccio's zu Maria,
der natürlichen Tochter des Königs Robert von Neapel, das zur Abfassung
des Gedichtes die Veranlassung gegeben hat, und gedenkt kurz der Urtheile
über den literarischen Werth des Gedichtes. Hierauf beschreibt er die in
der Wiener Hofbibliothek befindliche Handschrift der französischen Ueber-
setzung (Cod. Nr. 2617) und sucht den Uebersetzer zu ermitteln, ohne zu
einem Resultate zu gelangen. Auch die vornehme französische Dame,
welcher das Buch gewidmet ist, bleibt unbekannt, denn die ausgesprochene
Vermuthung, dass es Jeanne de France, die Tochter Karl VII., sei, er-
scheint durch gar nichts gestützt. Nicht besser ist es mit der Eruirung
der Namen der Maler bestellt, welche die 14 Miniaturen in unserer Hand-
schrift hergestellt haben. Auch sie entziehen sich unserer Kennt-
nis. Der Verf. theilt die um 1470 entstandenen Bilder zweien französi-
schen Miniatoi-en zu, von denen der eine ein ganz ausgezeichneter Künstler
Foucquet' scher Richtung war , der in seinen sieben Miniaturen eine
grosse Aehnlichkeit mit jenen im Roman: »Cuer d'amours espris« von
König Rene dem Guten zeigt. Von geringerem Werthe sind die sieben
Bilder des zweiten Künstlers. Sämmtliche Miniaturen sind durch gute
Heliogravüren wiedergegeben.
Mit Erzeugnissen der Tafelmalerei beschäftigt sich die umfangreiche
Arbeit von Fr. Kenner: »Die Port rätsammlung des Erzherzogs
Ferdinand von Tirol« (S. 37 — 186). Der Verf. leitet die Abhand-
lung mit einer Uebersicht über die Bestandtheile der Sammlung, aus denen
sie sich zusammensetzt, ein. Er charakterisirt dann den Erzherzog Fer-
dinand als Sammler insbesondere von Bildnissen und erzählt, wie dieser
Literatur. Iß3
zum Entschlüsse kam, eine einheitliche, nach bestimmten Gesichtspunkten
angelegte Portriitsammlung zu schallen, und wie er diesen Entschluss in
den Jahren 1578 — 159 0 durchführte, nachdem er einen früher in Angriff
genommenen Plan mit einem etwas grösseren Formate fallen gelassen hatte.
Hierauf schildert er durchaus auf Grund authentischer Quellen, von wo-
her und durch welche Vermittlung der Erzherzog eben in der genannten
Zeit von 157 8 bis 1590 sich die Bildnisse nach und nach verschaffte,
und wie unterdes auch in Innsbruck oder Ambras an der Herstellung der
Sammlung gearbeitet wurde. Dass die über 900 Bildnisse umfassende
Sammlung nicht über die aus den erzählenden Quellen gewonnene Zeit
von 1578 bis 1590 hinausgeführt worden war, wird auch auf Grund
einiger biographischer Daten der in der Porträtsammlung vertretenen Per-
sönlichkeiten gezeigt. Weiters werden kurz die Umstände erwähnt, die es
uns erklärlich erscheinen lassen, dass der Erzherzog in verhältnissmässig
kurzer Zeit eine so zahlreiche und ansehnliche Sammlung zusammenbringen
und herstellen lassen konnte. In einem besonderen Kapitel werden die
Quellen untersucht, welche für die Herstellung der Bildnisse, falls solche
eben nicht von Zeitgenossen herrühren und nach dem Leben gemalt sind,
als Grundlage dienten. Ueber drei Viertel (7 00 Stücke) der Sammlung
können als authentische Porträte angesehen werden, und nur nicht ganz
ein Viertel (200 Stücke) sind theils Phantasiebildnisse, theils zweifelhaft.
Der wissenschaftliche Werth der Sammlung ist darum kein geringer. Mit
wenigen Worten wird dann der Kunstwerth der Sammlung gestreift.
der Auswahl der Persönlichkeiten, deren Bildnisse in die Sammlung Auf-
nahme gefunden haben, gedacht und die alte Anordnung der Sammlung
erörtert, worauf noch die Schicksale der Sammlung nach dem Tode des
Erzherzogs erzählt werden. Mit Angaben über ältere Publikationen der
Sammlung und mit einigen Bemerkungen über ihre dermalige Aufstellung
schliesst der Verf. diese allgemeine Einleitung, die vieles Neue bietet und
über den Gegenstand eine recht gute Uebersicht gewährt.
Von der gesammten, gegenwärtig 1080 Stücke zählenden Sammlung
sind 941 Stücke in die dermalige Aufstellung in der 11. Abtheilung der
kunsthistorischen Sammlungen aufgenommen und 139 Stücke wurden ins
Depot hinterlegt. Davon werden in diesem Bande des Jahrbuches die
2 21 habsburgischen Bildnisse und 19 Porträte von Fürsten jener Häuser
und Länder, welche mit dem Erzhause theils durch verwandtschaftliche,
theils durch territoriale Beziehungen in nächster Verbindung standen —
und das sind Burgund und Lothringen, Böhmen, Ungarn und Siebenbür-
gen — eingehend beschrieben und ausführlich besprochen. Sie sind sämmt-
lich im Saale XVI auf Tafel C vereinigt. Dazu kommen die mit Einschalt-
nummern bezeichneten Porträte späterer Erwerbung und der im Depot
befindlichen Bilder. Der ins Einzelne gehenden Beschreibung und Be-
sprechung dieser Bildnisse schickt der Verf. eine eigene, auf sie bezüg-
liche Einleitung voraus. Er weist darin zuerst den Maler nach, der die
ältesten 142 österreichischen Bildnisse geschaffen. Es war dies der erz-
herzogliche Hofmaler Anton Waiss, auch Anton Boys genannt, der sie in
der Zeit von 1584 bis 1587 gemalt hatte, nachdem er schon früher
(1579 — 1584) mit einer ähnlichen Arbeit, nämlich mit der Herstellung
des jüngeren Stammbaumes von Ambras, beschäftigt gewesen war. Die
LI"
164 Literatur.
Bildchen wurden von ihm nach einem älteren, jetzt verschollenen Stamm-
baum, von dem sich noch zwei Copien, eine im Schlosse Tratzberg, die
andere im kunsthistorischen Hofmuseum (ehemals in Ambras) erhalten
haben, copiert. Der Verf. bespricht hierauf im Allgemeinen das Verhältnis,
in dem die erhaltenen Stammbäume, insbesondere der von Tratzberg und
der jüngere Ambrasser, zu einander stehen und geht dann auf die Frage
nach dem ikonologischen Werth der beiden letzteren Stammbäume und
unserer kleinen Bildnisse näher ein und hebt jene Merkmale hervor, welche
die Benützung alter authentischer Vorlagen durchscheinen lassen oder auch
die Spuren solcher zu verwischen geeignet sind. Dabei wird besonders
auf die Haltung der Personen, welche oft der Gruppierung in den Stamm-
bäumen nicht entspricht, auf die Behandlung der Barte, auf das Costüm
und endlich auf das Physiognomische hingewiesen, um ältere wirkliche
Porträte als Vorlagen und somit die Originalität vieler Bildnisse glaubhaft
zu machen. Eine Verminderung ihres ikonologischen Werthes haben diese
Bildnisse schon durch den Maler des Originalstammbaumes erfahren, der
seine Vorlagen im Sinne des 15. Jahrh. modernisirt und egalisirt hat.
Ebenso erfolgte dann durch die Malweise und den Geschmack des Copisten
Anton Waiss eine noch weitere Entfernung der Bildnisse von ihrer ur-
sprünglichen Vorlage, so dass dieser Theil im Ganzen nur einen geringen
ikonologischen Werth besitzt. Anders steht es mit den 55 Bildnissen der
nachmaximilianischen Zeit, die durchaus auf authentische Vorlagen, welche
theilweise noch nachgewiesen werden können, zurückgehen. Auch diese
Einleitung ist wissenschaftlich werthvoll und entspricht ganz wohl ihrem
Zwecke.
Was endlich die Beschreibungen der Bildnisse selbst und die ihnen
beigegebenen Nachweise anbelangt, so sind die ersteren entsprechend und
genau und die letzteren meist werthvoll. Doch hätten die biographischen
Daten, die bei den historisch hervorragenden und bekannteren Persönlich-
keiten meistens nichts als ein Compendium der allerwichtigsten und darum
auch allgemein bekannten historischen Daten geben, füglich weggelassen
werden können. Die Angaben über den genealogischen Zusammenhang der
Personen nebst den Geburts- und Todesdaten hätten vollständig genügt.
Uebrigens schadet ein Zuviel in dieser Richtung nichts. Dn Ganzen kann
man die Publikation dieser Bildnisse nur willkommen heissen und sich
auch mit der Art derselben — abgesehen eben von der etwas grossen
Weitschweifigkeit durch die Beigabe der biographischen Daten — einver-
standen erklären. Dem Verf. aber gebührt unser Dank für seine mühe-
volle und saubere Arbeit.
Die Abhandlung: »Gian Marco Cavalli im Dienste Maxi-
milians des Ersten« (S. 184 — 195) von Robert von Schneider fällt
zum Theil ins Gebiet der Malerei, zum Theil in jenes der kleinen Plastik.
Der Verf. weist in vollständig zutreffender Weise nach, dass die Präge-
stöcke für »einen Teston, ausgeprägt in Gold und Silber, der auf der
vorderen Seite die nach rechts gewandten Köpfe Maximilians und der
Bianca Maria zeigt, auf der Kehrseite die heilige Jungfrau, auf Wolken
thronend, wie sie dem Jesuskinde die Brust reicht, umgeben von sieben
geflügelten Engelsköpfen « von dem Mantuaner Goldschmiede Gian Marco
Cavalli i. J. 1506 zu Hall in Tirol hergestellt wurden, und dass die erste
Literatur. 165
Skizze hiezu die Akademie der schönen Künste in Venedig in einem mit
dem Namen des Leonardo da Vinci versehenen und von Ivan Lermolieff
dem Ambrogio de Predis zugesprochenen Blättchen besitzt, auf dem das
Christkind und zwei Porträtköpfe, ein männlicher und ein weiblicher, ge-
zeichnet sind.
Ganz den Erzeugnissen der Medailleurkunst ist die Arbeit von Karl
Domanig: »Aelteste Medailleure in Oesterreich« (S. 11 — 36)
gewidmet. Die Meister, deren Leben Domanig skizzirt und deren Arbeiten
er beschreibt, waren fast sämmtlich an der Münze zu Hall in Tirol thätig.
Dem Bernhard Beham, dem Aelteren, (1435 oder 1436 — 1507) weist der
Verf. eine Medaille mit dem Bildnisse des Erzherzogs Sigismund, dem
Benedict Burkart aber zwei im Jahre 1507 entstandene Medaillen auf
Herzog Albrecht IV. von Baiern und seine Gemahlin Kunigunde, der
Schwester des Kaisers Maximilian I., zu. Den Versuch, dem Ulrich Ursen-
thaler (gest. 1561), über dessen Thätigkeit ziemlich ausführliche Nach-
richten vorliegen, einzelne Arbeiten seiner Hand zuzutheilen, macht der
Verf. nicht. Hingegen werden 2 Medaillen des Hans Beham (gest. 1535)
und 4 Medaillen des Thomas Beham (gest. 1551) näher beschrieben. Aber
die Zutheilung der einzelnen Stücke an all' diese Meister ist noch durch-
aus eine unsichere und meist nur rein vermuthungsweise. Ziemlich aus-
führlich sind die Nachrichten über das etwas bewegte Leben Bernhard
Behams des Jüngeren (gest. 1547) und auch die ihm zugewiesenen Arbeiten
sind theilweise durch urkundliche Nachrichten begründet. Er war zuerst
in Hall und dann in Ungarn thätig. Durch seine Beziehungen zum
Mantuaner Medailleur Gian Marco Cavalli während des Aufenthaltes des-
selben in Hall wurde er direkt von der italienischen Kunstweise beeinflusst.
Von ihm werden zwei Stücke beschrieben. Im Anschlüsse daran werden
drei Medaillen mitgetheilt, die der Verf. nur ganz allgemein der Haller
Schule zuspricht, ohne sie einem der genannten, dort thätig gewesenen
Meister namentlich zuzutheilen. Von den Medaillen des Goldschmiedes
Ludwig Neufarer, der zwischen den Jahren 1545 und 1562 für den könig-
lichen Hof in Wien und Prag gearbeitet hat, werden 10 im kunsthistori-
schen Hofmuseum befindliche Stücke näher beschrieben. Die datirten
Medaillen dieses Meisters fallen in die Zeit von 1532 bis 1547. Dem
Nürnberger Hans Krug (gest. 1528), der Münzmeister zu Kremnitz war,
konnte der Verf. bestimmte Werke nicht zuweisen. Anders verhält es sich
wieder mit einem späteren Nürnberger Meister: Joachim Deschler (geb.
um 1500, gest. um 157l), der auch in Oesterreich eine ausgebreitete
Thätigkeit entfaltete. Er war ein fruchtbarer und vielseitiger aber zu-
gleich auch ein hervorragender Künstler, der Schule gemacht hat. Seine
Arbeiten müssen den bedeutendsten Erzeugnissen der Medailleur-Kunst
beigezählt werden. Von ihm beschreibt der Verf. 45 Stücke, die sich
sämmtlich im Besitze des kunsthistorischen Hofmuseums befinden.
Eine ganz besondere Art kunstindustrieller Erzeugnisse behandelt
Th. Frimmel in seinem Aufsatze: »Die Ceremonienringe in den
Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses« (S. l
bis 10). Von den beschriebenen 6 bischöflichen Amtsringen werden 4
mit mehr oder weniger sicheren Gründen auf die Päpste Nikolaus V.,
Pius II., Paul IL und Sixtus IV. zurückgeführt, einer steht mit Ferdinand I.
16(3 Literatur.
von Neapel in Beziehung, während für 2 sichere historische Anhaltspunkte
für ihre Entstehung nicht ermittelt werden konnten. Ein hervorragend
kunsthistorischer Werth kommt den beschriebenen Ringen, die sämmtlich
durch entsprechende saubere Abbilduigen veranschaulicht werden, nicht zu.
Nur erwähnt seien schliesslich die »Nachträge« zur Arbeit über
die »Augsburger Waffenschmiede, ihre Werke und ihre Be-
ziehungen zum kaiserlichen und anderen Höfen« (S. 329
bis 345) von Wendelin Boeheim und der Nekrolog über den hervor-
ragenden Aegyptologen der Wiener Hofsammlungen, »Ernst R. v. Berg-
mann« von Alexander Dedekind (S. 346 — 350).
Der zweite Theil des Jahrbuches, der der Veröffentlichung von kunst-
historischem Quell enmateriale gewidmet ist, bringt den Beginn der Pub-
likation der »Inventare aus dem Archivo del Palacio zu
Madrid«, hg. von Rud. Beer (S. I — LXX. Nr. 9705), und zwar enthält
dieser Band einen Theil des in den Jahren 1598 — 1607 angelegten »In-
ventars der Schatzkammer Königs Philipp II.« im Auszuge, in-
dem alle jene Rubriken des Inventars abgedruckt werden, die sich auf
Kunst- und kunstgewerbliche Gegenstände beziehen und demnach in das
Programm der Quellenpublikationen des Jahrbuches fallen. In dem dies-
falls abgedruckten Theile erscheinen 1066 Kunstobjekte angeführt, ja sie
werden sogar meistens ziemlich eingehend und ausführlich beschrieben.
Die Veröffentlichung dieser Inventare, über deren Entstehung und Anlage
uns eine kurze Einleitung des Herausgebers entsprechend orientirt, ver-
spricht für die Kunst- und Kulturgeschichte überhaupt, insbesonders aber
für die Kulturgeschichte Spaniens und für die Geschichte einzelner Kunst-
objekte von grosser Bedeutung zu werden. Man denke nur daran, welch'
ausserordentliche Menge von Kunstschätzen aller Art und darunter viele
ersten Ranges unter den ersten kunstsinnigen spanischen Habsburgern aus
fast ganz Europa nach Spanien gebracht worden waren. Die Kunstfor-
schung kann dieses Unternehmen um so freudiger begrüssen, als es sonst
wohl noch sehr lange Zeit gedauert hätte, bis diese Inventare durch eine
entsprechende Publikation allgemein bekannt und zugänglich geworden
wären.
An diese Inventar- Ausgabe schliesst sich die Fortsetzung der von
David von Schönherr herausgegebenen »Urkunden und Regesten
aus dem k. k. Statth alterei- Archive in Innsbruck« (S. LXXI —
CCXIII, Nr. 9706 — 1 1207). Sie umfassen die Jahre 1565 — 1587, stammen
also aus der Zeit der Regierung des Erzherzogs Ferdinand, dieses ausser-
ordentlich kunstsinnigen Sammlers und eifrigen Förderers der Kunst an
seinem Hofe. Die Publikation bringt daher vieles, sowohl für die all-
gemeine wie auch insbesondere für die tirolische Kunstgeschichte wichtige
Quellen-Material. Besonders reichhaltig sind die Nachrichten über die in
Tirol und am Hofe des Erzherzogs beschäftigten Kunsthandwerker, aber
auch zur Biographie und Geschichte der Arbeiten von hervorragenden und
allgemein geschätzten Künstlern enthalten die Regesten viele wichtige
Nachrichten. Namentlich seien hervorgehoben die Nachrichten über den
Bildhauer Alexander Colin und über die verschiedenen Hofmaler des Erz-
herzogs Ferdinand, unter welchen Joh. Bapt. Fontana, Francesco de Tertiis
(Terzio), Heinrich Teufl u. A. hervortreten..
Notizen. 167
Bndlich bringt dieser Jahrgang noch »Urkunden und Regesten
aus dem Stadt- Archive zu Wiener-Neustadt« aus den Jahren
1338 bis 1478, hg. von Josef Mayer (S. CCXIV— CCXL, Nr. 11209
bis 11495), welche hauptsächlich Nachrichten von lokalgeschichtlichem In-
teresse enthalten und namentlich für die Handwerksgeschichte von Wiener-
Neustadt von Bedeutung sind.
Eine ausserordentliche Erleichterung für den wissenschaftlichen Ge-
brauch des Jahrbuchs bilden die für jeden Theil besonders gearbeiteten
genauen Register.
Klagenfurt. S. Laschitzer.
Notizen.
Als Vorarbeit zur geplanten Ausgabe der Placita in den Monumenta
Germaniae veröffentlichte R. Hübner ein Regestenwerk: Gerichts Ur-
kunden der fränkischen Zeit (1. Abth. Weimar 1 8 9 1 ; 8°, 118 S.;
2. Abth. W. 1 893 ; 8°, 258 S. ; Sonderabdr. aus der Zeitschrift der Savigny-Stif-
tung. Bd. 12, 14, germanist. Abth.). Es ist eine Arbeit ungewöhnlichen und mit
Anspruchslosigkeit gepaarten Fleisses und tüchtigster Sachkenntnis. Sie
wird dem Rechtshistoriker dieselben Dienste leisten, wie dem Historiker
die Regesten Böhmers, erst durch sie ist ein Ueberblick über das process-
rechtliche Material gewonnen und dessen allseitige Verwertung, wenn nicht
ermöglicht, doch mindestens ausserordentlich erleichtert. Bei den engen
Beziehungen zwischen Rechtsgeschichte und Diplomatik wird auch der
Diplomatiker sich der Arbeit zu Dank verpflichtet fühlen. Die erste, die
Gerichtsurkunden aus Deutschland und Frankreich bis zum Jahre 1000
umfassende Abtheilung enthält (ohne Nachträge) 614 Nr., die 2. Abthei-
lung, Gerichtsurkunden aus Italien bis 1150, 1063 Nr. Dem rechtsgeschicht-
lichen Zweck entsprechend weicht die Formulirung des Regests von der
gewöhnlichen ab. Präcis und klar, bei dem oft verwickelten Rechtsgang
und dem verschiedenartigen Inhalt der Gericktsurkunden ein bedeutender
Vorzug, lässt sie die rechtlich wesentlichen Momente bestimmt hervortreten,
die Terminologie und die Behandlung des Stoffes zeigt den sattelfesten
Fachmann. Nicht unberechtigt auch dem Rechtshistoriker gegenüber dürfte
der Wunsch sein, dass bei den Drucken auch ihre handschriftliche Quelle
angegeben und die Filiation der Drucke beachtet worden wäre. Einzelne
Versehen sind bei einer so umfassenden Arbeit unvermeidlich, sie schmälern
ihren Wert nicht. Die aufgewandte Sorgfalt bezeugen auch die Berich-
tigungen und Nachträge. Zu diesen wird wol noch das eine und andere
kommen, wie die Urkunde Berengars und Adalberts für Casauria 960
Mai 27, B. 1439. Beiden Abtheilungen sind orientirende Uebersichten
und ein Quellenverzeichnis beigegeben. E. M.
Ganz unerwartete und wertvolle Funde von Kaiserurkunden machte
E. Freiherr v. Oefele in einem Fascikel, der Krkundenabschriften aus Eich-
stätt aus den Beginn des vorigen Jahrb. enthielt, und in einem wenig
Iß3 Notizen.
späteren Archivrepertorium. Leider sind nur zwei derselben im vollen
Wortlaut erhalten. Sie wurden vom Finder unter dem Titel Unedirte
Karolinger Diplome in den Sitzungsber. der phil. hist. Commission
der Münchener Akademie 1892 S. 121 — 136 veröffentlicht. Das eine
Diplom Ludwigs des Deutschen von 831 Jänner 8, ein Seitenstück zur
fast gleichzeitigen Besitzbestätigung für Niederaltaich (Reg. d. Karol.
n° 1302), bietet für die Besiedlung der Ostmark nach der Niederwerfung
der Avaren neue Daten. Ludwig bestätigt dem Kloster Herrieden (sw.
Ansbach) das mit Genehmigung Karls des Grossen in Besitz genommene,
aber nicht urkundlich verbriefte Land und die dort erbauten Orte Bielaa
Medilica und Grunanita — also Bielach und Melk, die hier zum ersten
Mal genannt werden (vgl. Kämmel, Die Anfänge deutschen Lebens in
Oesterreich 247); Grunanita hängt wol mit dem Grunzwitigau an der
Traisen (Kämmel 252) zusammen. Die 2. Urkunde von Arnolf 899
März 1 1 , Restitution des eingezogenen Eigenguts an Poppo, hat geschicht-
liches Interesse ; es kann nur der Markgraf Poppo von der Sorbenmark
aus dem Geschlecht der Babenberger sein, der 892 infolge der von ihm
veranlassten unglücklichen Heerfahrt gegen Böhmen abgesetzt und durch
Einziehung der Lehen bestraft worden war (Reg. d. Karol. n° 1824a, b).
Die Texte beider Urkunden sind stark verderbt. Eine grössere Anzahl von
jetzt verlorenen Diplomen — 12 Karolinger, 2 von Otto I, je 1 von
Konrad II. und Heinrich III. — verzeichnet das Archivrepertorium. Es
gibt nur Regesten, aber dazu das vollständige Eschatokoll. Sie sind von
Frh. v. Oefele in dem Aufsatz Vermisste Kaiser- und Königs-
urkunden des Hochstiftes Eichstätt (Münchener Sitzungsber. 1893
S. 288 — 30 1) publicirt. Auch hier ist das eine und andere Stück von
weiterem Interesse; so eine Schenkung Ludwigs d. D. an den Slovenen-
fürsten Priwina und 2 Schenkungen Ludwigs d. K. von 907 an seine
Mutter Ota, die darauf hinweisen, dass die Reichsregierung doch das Be-
dürfnis fühlte, die schmählich behandelte Königin-Mutter für andere ent-
zogene Güter zu entschädigen. Beide Publicationen sind mit sorgfältigen
Erläuterungen versehen. E. M.
Pascikel II der Indices chronologici ad Antiquitates Ita-
liae M. Ae. et ad opera minor a 0 A. Muratorii (vgl. Mittheil.
11, 50l) umfasst in Nr. 1222 — 2458 die von Muratori publicirten Ur-
kunden aus der Zeit von 900 — 1295 und gewinnt dadurch an Bedeutung,
dass er auch die neueren Drucke nach Muratori einbezieht.
R. Parisot, Deux diplomesinedits pour la collegiale Ste
Marie-Madeleine de Verdun (Extr. des Annales de 1' Est, 7e annee
1893; 8°, 11 p.,) veröffentlicht eine Urkunde Heinrichs III. von 1056
Jänner 23 und Heinrichs IV. von 1062 Okt. 14 nach den Originalen im
Municipalarchiv zu Reims (Collection Turbe), von denen die erste nur
durch ein von Wolfram (Jahrb. der Gesellschaft für lothring. Gesch. l, 156)
publicirtes französisches Regest, die zweite nur durch ein Bruchstück bei
Clouet (Hist. de Verdun, darnach Stumpf n° 261 la) bekannt war, mit Bei-
gabe diplomatischer Erörterungen und der topographischen Daten.
Notizen. 169
Als Festgabe zum Rossi - Jubiläum veröffentlichte Ludo Moritz
Hartmann eine Urkunde einer römischen Gärtnergenossen-
schaft vom Jahre 1030 (Freiburg i. B. 1892; 4°, 19 S.) Die aus
dem Archiv von S. Maria in Via lata stammende Urkunde bietet zwar
manches Interesse, doch an diesen vereinzelten Fall knüpft der Herausgeber,
ohne das bekannte Quellenmaterial zu erschöpfen, weitgehende Folgerungen
über eine ausgebildete, sich mit der alten deckende Zunftorganisation zu
Anfang des 11. Jahrb. in Rom, deren Unhaltbarkeit bereits anderweitig
(Götting. Gel. Anz. 1892 S. 723 f.) nachgewiesen wurde.
Von Leist's Urkundenlehre ist eine zweite Auflage erschienen
(Leipzig, Weber 1893). Der Verf. sagt in der Vorrede, er habe eine Reihe
von Aenderungen und Verbesserungen vorgenommen, »allerdings aber, um
es gleich hier zu sagen, ohne allzugrosse Engherzigkeit, da Aenderungen
und Verbesserungen mit dem Fortschreiten der Wissenschaft von Zeit zu
Zeit immer wieder werden eintreten müssen«. In der That, es wurden
eine Reihe von Werken und Ergebnissen der Forschung, die seit 1882 zu
verzeichnen sind, verwertet — aber das Buch selbst in seiner ganzen An-
lage, in dem unverhältnismässigen Ueberwiegen von Palaeographie und
Chronologie, mit dem Charakter des vielfach zufällig Zusammengestellten,
mit der oft mangelnden Scheidung und Darstellung des Wesentlichen und
seiner Entwicklung — das Buch ist das alte geblieben und was Uhlirz
in den Mittheil, des Instituts 4, 122 ff. in dieser Hinsicht über die erste
Auflage gesagt hat, gilt auch jetzt noch für die zweite. 0. R.
In der Festgabe »Aus dem Theresianum« zur 42. Philologenversamm-
lung in Wien (1893) handelt August Engelbrecht über Das Titel-
wesen bei den spätlateinischen Epistolographen und dehnt
seine früheren derartigen Studien an den Briefen des Ruricius (Patristische
Analecten, Wien 1892) auf Symmachus, Ambrosius, Hieronymus, Au-
gustinus u. s. w. und besonders auch auf die Papstbriefe aus; er erörtert
eingehend das Aufkommen ceremonieller Titulaturen im Briefstyl des
4. Jahrh. und ihre Ausbildung im 5. Jahrh. und gibt zum Schlüsse eine
lehrreiche Uebersicht der gefundenen Titel und Epitheta ornantia. 0. R.
Der 26. Band der Atti della R. accademia delle scienze di
Torino enthält drei kurze aber wertvolle Abhandlungen von Cipolla.
Die erste betrifft eine in dem Cod. n° 1 5 der Capitelbibliothek zu Vercelli
erhaltene Aufzeichnung über die Schenkungen Karl III. an die Kirche von
Vercelli. Wenn auch diese Notiz nicht unbekannt war, wie C. anzunehmen
scheint und auch im N. Archiv 17, 451 zu lesen ist — sie ist in den
Wiener Sitzungsber. 92, 400 von Mühlbacher gedruckt worden — so hat
doch erst C. wahrscheinlich gemacht, dass hier der Auszug eines verlorenen
D. Karl III. vorliege, welches mit dem im J. 999 der Kanzlei Otto III.
vorgelegten und in D. 323 erwähnten Präcept Karls identisch sein dürfte.
Bei der schlechten Ueberlieferung der Diplome für Vercelli wird volle
Sicherheit freilich weder hierüber zu gewinnen sein, noch über die Glaub-
würdigkeit der Urkunde Karls. C. tritt für die Echtheit derselben ein, ohne
auf Löwenfelds Annahme, dass die Urkunde eine Interpolation erfahren
1 70 Notizen.
haben könnte (Leo von Vercelli 11), einzugehen. Entscheidend wäre das
Alter jener Aufzeichnung, über welches sich C. nicht bestimmt äussert;
stammt dieselbe aus dem 9. Jahrb., wie nach Fickers Urtheil Mühlbacher
angibt, dann erscheint die Echtheit des D. Kai-ls gesichert. — Zwei wei-
tere Aufsätze behandeln das Itinerar Konrad II. im J. 1026. Von
Stumpf 1943 für Fruttuaria hat C. eine Copie gefunden, welche die bis-
her unbekannte Datirung bietet und aus welcher hervorgeht, dass Konrad
am 20. Dez. 1026 mit der Belagerung von Ivrea beschäftigt war. Die
Annahme Bresslaus, der König wäre im Sommer 1026 von Ravenna der
Küste entlang bis nach Pescara vorgedrungen, scheint mir durch C's. sorg-
fältige Erörterung der DD. Stumpf 1910 — 1912 stark erschüttert; zwei
derselben datiren von Peschiera am Gardasee, die dritte St. 1911, in wel-
cher von einem früheren Aufenthalt des Königs in Bei-gamo gesprochen
wird, ist ohne Grund mit jenen beiden verknüpft worden, ihr actum lautet:
in Episcoparico, wie schon Lupus im C. D. Bergom. gedruckt hat. C.
verzichtet auf Erklärung dieses Namens; in einem Original würde seine
Erklärung allerdings Schwierigkeiten machen, da aber das in der Stadt-
bibliothek zu Bergamo befindliche Schriftstück nach Bresslaus Urtheil nur
als Copie gelten kann, so ist doch eine Verderbung des Namens nicht
ausgeschlossen, etwa so, dass Episcoparico durch irrthümliche Annahme
und Auflösung einer Kürzung aus Eparico entstanden, und dass hiemit
Ivrea gemeint sein könnte. Ich spreche diese Vermuthung mit um so
grösserer Zurückhaltung aus, als sich Bresslau (N. Archiv IS, 703) vor-
behalten hat, auf das auch im Ar eh. stör. Lombardo (18, 157; 19, 5 und
37 7) von Cipolla und Pagani erörterte Itinerar des Jahres 1026 im Zu-
sammenhang zurückzukommen. W. Erben.
In der Abhandlung Die Anfänge des Klosters Selz (Zeitschr.
f. Gesch. des Oberrheins N. F. 7, l) sichtet W. Erben nach einleitenden
Abschnitten über die Erwerbungen Adelheids, der zweiten Gemalin K. Otto I.,
und ihrer burgundischen Brüder im Elsass und über die mit einem grossen
Theil dieser Güter zu Ende 991 von Adelheid durchgeführte Gründung
und Ausstattung des Klosters Selz in scharfsinniger Weise das weitere ur-
kundliche Material: die drei Ausfertigungen von DO III. 159, eine Bulle
Papst Johanns XV. von 995 Apr. 4, deren Echtheit durch Vergleich mit
Bullen desselben Papstes für St. Maurice in Wallis und Hinweis auf Ein-
wirkungen von Seite der Reichskanzlei mit Erfolg erwiesen wird, endlich
angebliche Urkunden K. Heinrichs III. (Stumpf 2401), eine interpolirte
Copie von DO III. 88 und das gefälschte DO III. 430, welche alle zu Ende
des 1 2. Jahrb.. in Selz fabricirt wurden, um als Waffe gegen die Zehent-
ansprüche benachbarter Klöster zu dienen. 0. R.
Die Diplomatisch-kritische Untersuchung der Berner
Handfeste von Prof. Dr. B. Hidber in der »Festschrift zur VII. Saecu-
larfeier der Gründung Berns 1191 — 1891« tritt wie die ebendort befind-
liche Abhandlung A. Zeerleder's »Die Bern er Handfeste« für die
Echtheit dieser Urkunde K. Friedrichs IL vom 15. April 1218 in der
überlieferten Fassung ein und H. vermuthet, die jetzt allein noch vor-
handene Copie sei 1365 angefertigt worden, um dem Kaiser Karl IV. zur
Bestätigung vorgelegt zu werden. H. berücksichtigte nicht die gegen die
Notizen. 171
Echtheit der Urkunde vorgebrachten Gründe Fickers in Eeg. imp. V n. 935
und F. Philippi's, Zur Gesch. der Eeichskanzlei unter den letzten Staufen 74.
Wir können auf die Bemerkungen G. Meyers von Knonau in der Histor.
Zeitschrift 70, 268 f. verweisen. 0. K.
In den Sitzungsber. der Münchener Akademie histor. Classe 1892,
3, Heft (S. 443 — 536) hat H. Simonsfeld über Fragmente von
Formelbüchern auf der Müncbener Hof- und Staatsbiblio-
thek dankenswerthe Mittheilungen gemacht. Diese elf Bruchstücke bilden
jetzt den Cod. lat. 29095, sie entstammen den verschiedensten Werken:
der Ars dictandi des Guido Faba, einer aus Orleans stammenden, doch
nicht mit der Ars dictandi Aureliacensis, die Rockinger edirte, identischen
Sammlung, der Summa notariae des Johannes von Bologna, dann (n. 4
und 6) einer österreichisch-bairischen Briefsammlung, die mit der von Pez
Thesaurus Anecd. 6b edirten im Zusammenhang steht, der aus päpstlichen
Archivalien schöpfenden Formelsammlung des Riccardus de Pofis, Formel-
büchern aus der Zeit und Kanzlei Rudolfs von Habsburg (n. 8, 9), end-
lich dem Formelbuch aus Böhmen, von dem aus andern Fragmenten zu-
erst Wattenbach in Forschungen 15 Mittheilung gemacht hatte. In den
Beilagen edirt S. eine Reihe von Stücken, unter denen hervorzuheben
wären: ein Schreiben über das Ende der Bedrängnisse der Salzburger
Kirche (S. 50 1), das S. vermutungsweise zu 1275 setzt und auf Ottokar
von Böhmen bezieht, das aber wol eher zu dem Streit Herzog Albrechts
von Oesterreich mit Erzbischof Konrad, vielleicht zu Anfang 1287 gehört;
S. 509 Verleihung einer päpstlichen Scriptorstelle (aus Richard de Pofis);
S. 509 ff. Schreiben Urbans IV. und Clemens IV. an K. Ludwig von
Frankreich, an Karl von Anjou über die Gefangennahme des Patriarchen
von Aquileia durch den Grafen Albert von Görz (1267) x) u. a. ; Schreiben
K. Rudolfs über seine Berufung zur Kaiserkrone (fällt nach 1275 Febr. 15,
der Schlussatz sehr bemerkenswert: Con firmatos namque in regno
Romano a sanctissimo patre nostro vocatos nos sciat(is) veraciter
ad recipiendum . . imperii dyadema); endlich S. 528 ff. Schreiben von
und über Wok von Rosenberg, Hauptmann in Steiermark (1260 — 1262)
und mehrere Schreiben von und an König Ottokar von Böhmen. Die
Arbeit mahnt übrigens wieder recht daran, wie viel noch in Bezug auf
Bearbeitung und Verwertung der Formelbücher der zweiten Hälfte des
13. und ersten des 14. Jahrhunderts zu thun ist. 0. R.
Eine kleine Abhandlung von Dr. Hans Pischek, Zur Frage nach
der Existenz einer mittelhochdeutschen Schriftsprache
im ausgehenden 13. Jahrhundert (Jahresber. d. Staats-Realschule
in Teschen 1892) schlägt den Weg ein zur Lösung dieser Frage die
deutschen Urkunden König Rudolfs v. Habsbur? heranzuziehen.
') Darauf bezieht sich auch ein Schreiben in dem von P. Konrad Eubel
veröffentlichten Register band des Cardinalgrosspönitentiars
Bentevenga, eine auf das kirchliche Busswesen bezügliche Sammlung von
Urkunden aus der Zeit von 127!» bis 1289 (Mainz 1890), die aber auch eine Reibe
für politische und Culturgeschichte beachtenswerter Documente enthält, interes-
sant auch als Registerband eines Cardinais.
\12 Notizen.
Das bemerkensweite Ergebnis ist, dass in Rudolfs deutschen Urkunden
keine einheitliche, allen gemeinsame Sprache, sondern nur Dialecte herrschen
und dass diese Dialecte abhängig erscheinen vom Empfänger der Urkunde.
Der Schluss aber, den P. aus diesen Thatsachen zieht, dass »nahezu alle
(deutschen) Originale vom Empfänger verfasst und nicht aus der Kanzlei
hervorgegangen sind« darf zunächst nur in der Beschränkung angenommen
werden, dass die Textirung ein Werk der Empfänger war, allein es ist
eine ganz andere Frage, welche durch die sehr summarischen Bemerkungen
des Verf. keineswegs erledigt ist, ob auch die Ausfertigung dieser Urkun-
den — bis auf das Siegel — vom Empfänger herrührt. Dass dies wirk-
lich nicht selten und nicht etwa bloss bei deutschen Urkunden vorge-
kommen, hat schon Herzberg-Fränkel in Kaiserurk. in Abbild. Text 2 1 2
gesagt, zur Entscheidung im einzelnen Falle bedarf es aber der Unter-
suchung der gesammten Merkmale an Originalen und besonders auch des
Vergleiches von Stücken derselben Provenienz. 0. R.
Von der Gründungsurkunde der Prager Universität
handelt V. J. Noväcek in der Zeitschrift des böhm. Museums (Pra-
meny zakläd. listiny univ. prazske. Separatabdruck S. 1 — 14). Angeregt
durch eine Bemerkung von Denifle (Die Universitäten d. Mittelalters bis
1400 S. 587) hat er alle bis zum J. 1348 ausgestellten ähnlichen Grün-
dungsurk. verglichen und ist zu dem Resultate gekommen, dass auch diese
U. kein selbständiges Dictat der kaiserlichen Kanzlei ist; schöne und red-
nerische Wendungen haben auch hier, wie die ganze Gelehrsamkeit der
mittelalterlichen Notare , ihre Quelle in dem Formelbuche. Die U.
wurde aus drei Formeln der Sammlung des Petrus de Vinea (Ausgabe des
Germ. Philaletes Amberg 1609 lib. III. Nr. 10 — 12) compilirt. Auch
diese drei Formeln handeln über Gründungen von Universitäten (und zw.
der in Neapel und Salerno nach Huillard-Breholles und Böhmer-Ficker). Im
Texte sind alle vier Urkunden nebeneinander abgedruckt, die U. Karls IV.
nach dem Original der deutschen Prager Universität. V. Kr.
Die vielfach neuen Aufschlüsse, welche die nun vollendete Ausgabe
des Registrura Clementis V. für die Finanzverwaltung der Curie brachte,
werden von Dr. Leo König in dem Buch »Die päpstliche Kammer
unter Clemens V. und Johann XXII«. (Wien, 1894, 87 S.) in
sorgfältiger und verdienstvoller Weise verwertet. Dagegen wäre der Name
Johanns XXII. vom Titel des Buches besser fortgeblieben ; denn für diesen
ungleich bedeutenderen Papst wird nicht einmal das im Verhältnis zu
Clemens V. ohnedies spärliche gedruckte Material vollständig herangezogen.
Mit wenigen zusammenhanglosen Notizen lässt sich die Geschichte der
päpstlichen Kammer unter Johann XXII. nicht abthun, und man wird
daher auch die Entscheidung über die von K. aufgeworfene Frage, ob
und inwieweit die Finanzverwaltung unter Clemens V. einen Fortschritt
gegen die frühere und eine wesentliche Vorstufe für die spätere Zeit bildet,
bis zu dem Zeitpunkt vertagen, da man über das Früher und Später selbst
besser unterrichtet sein wird, als dies bisher und auch bei K. der Fall ist.
Im ersten Abschnitt (Introitus Camerae) stören mehrfache Unklarheiten
und Unrichtigkeiten. Von grossem Intex-esse ist der dritte Abschnitt (Ver-
Notizen. 173
gleich der Einnahmen und Ausgaben). Man ersieht daraus, dass unter
Clemens V. das Einnahmenbudget jenes der Ausgaben durchschnittlich andert-
halb- bis zweimal überragte. Die Grundlage für diese glänzenden finan-
ziellen Erfolge, das Provisions- und Reservationswesen der Curie, findet in
K. einen warmen Vertheidiger. Anders dachte jener Curiale, der dem von
Kirsch (Hist. Jahrb. 9, 301 ff.) besprochenen Consistorialtaxbuch den
Schreiberspruch anfügte: »We illi, per quem scandalum venit«. T.
Die Arbeit von Ludwig Lewinski, Die Brandenburgische
Kanzlei und das Urkundenwesen während der Regierung
der beiden erstenHohenzoller 'sehen Markgrafen 1411 — 1470
(Strassburg, Heitz 1893) gibt eine eingehende Darstellung aller in Frage
kommenden Einrichtungen und Verhältnisse und bietet so einen erwünsch-
ten Beitrag zu der noch ergiebiger Bearbeitung harrenden Diplomatik des
späteren Mittelalters. — Von Formulatur der Urkunden, statt von Formular
zu sprechen (S. 68 ff), ist wol ein wenig glücklicher Ausdruck. 0. R.
Nachdem Dr. Renward Brandstetter sich schon in zwei früheren
Abhandlungen mit Mundart und Schriftsprache in Stadt und Landschaft
Luzern beschäftigt (vgl. Geschichtsfreund der V Orte 45. und 46. Bd.),
folgte im 47. Bande des Geschichtsfreundes (l 892) eine weitere über Die
Luzerner Kanzleisprache von 1250 — 1600. B. versteht darunter
das in den Schriftdenkmälern Luzerns geschriebene Idiom, unterscheidet
drei Perioden der Entwicklung, bis seit dem 17. Jahrhundert das Neu-
hochdeutsche eindringt und schildert eingehend die ganze Entwickelung.
B. fusst durchaus auf dem originalen archivalischen Material, denn nur
ein sehr kleiner Theil der Drucke ist auch für den Sprachforscher ver-
wendbar. Gerade dies ist ein Punkt, um dessentwillen die Beachtung
derartiger Arbeiten x) für jeden Herausgeber dringend geboten ist. Denn
wenn wir Historiker Urkunden u. s. w. herausgeben, soll es doch so ge-
schehen, dass auch dem Sprachforscher damit gedient ist — oder soll
denn alles doppelt gedruckt werden? Eine Verständigung der Historiker
vor allem mit den Germanisten muss in dieser Beziehung einmal gefunden
werden, denn die Weizsäcker'schen Editionsgrundsätze haben gerade von
germanistischer Seite Widerspruch erfahren (vgl. z. B. Wackernell in Zeit-
schr. f. deutsche Philologie 15, 369 ff) 0. R.
Wie das Baumwollenpapier, ist nun das Baumbastpapier, das auch
lange genug in der Lehre vom Schriftwesen spuckte, endgiltig abgethan.
In den Studien über angebliche Baumbas tpapiere (Sitzungsber.
der phil. hist. Classe der Wiener Akademie Bd. 126) theilt Julius
Wiesner das Ergebnis seiner mikroskopischen Untersuchung der »unan-
gezweifelt baumbastpapierenen « Handschrift der Wiener Hofbibliothek mit,
welche deren Material als zweischichtigen Papyrus erweist, und führt
') Vgl. z. B. die Abhandlung von Willy Scheel, Jaspar von Gennep
und die Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache in
Köln, Westdeutsche Zeitschrift Ergänzungsheft 8 (Trier 1893).
174 Notizen.
den naturwissenschaftlichen Nachweis, dass ein eigentliches Baumbastpapier
technisch unmöglich ist und daher nie existirt haben konnte.
Einen interessanten Beitrag zur Kenntnis der Geheimschriften liefert
der Vortrag von L. v. Bockinge r, Ueber Geheimschriften-
schlüssel der bayerischen Kanzlei im ]ß. Jahrhundert
(München 1891, 8°, 68 S. mit 30 S. lithographirter Beilagen). Es sind
hier so ziemlich alle Systeme vertreten , Yertauschung der Buchstaben,
Ziffern, das Kreuzalphabet, eigentliche Chiffera. Im ganzen sind es etwa
100 eigene Geheimschriften, welche die baierischen Kanzleipapiere aus
dem Iß. Jahrh. bieten.
Von H. Grotefend's trefflichem Handbuch der Zeitrechnung
des deutschen Mittelalters und der Neuzeit ist nun der erste
Theil des 2. Bandes erschienen, der die Kalender der Diöcesen Deutsch-
lands, der Schweiz und Scandinaviens enthält. Mit vollem Becht sieht
G. in der Veröffentlichung der vollständigen Kalender den sicheren Unter-
grund für Arbeiten oder Forichungsbedürfnisse auf engeren Gebieten und
für vergleichende Zusammenstellungen. Der zweite Theil des Bandes soll
den Schluss der Kalender (romanische Diöcesen), das alphabetische Heiligen-
verzeichniss und einen Anhang von Tafeln bringen. 0. B.
Gustav Bilfinger, der Verfasser des Werkes über den »Bürgerlichen
Tag« und mehrerer die altorientalische und antike Zeitmessung behandeln-
der Arbeiten, veröffentlichte nunmehr ein Buch über Die mittelalter-
lichen Hören und die modernen Stunden. Ein Beitrag zur
Kulturgeschichte (Stuttgart. Kohlhammer 1892). Ein verdienstliches Werk
über eine lange vernachlässigte Materie. Der Verf. bespricht die populäre
Tageseintheilung im Ausgang des Mittelalters in Italien, Frankreich, Eng-
land und Deutschlands, die Verschiebung der Hören, die Essenszeit im
Mittelalter, dann in einem zweiten Theile die Einführung der modernen
Stunden, die Entwicklung der Uhren, die italienisch-böhmische, türkische
Stundenrechnung, die »halbe Uhr*, die Nürnberger und Basler Uhr und
ihre eigenthümlichkeiten. Eine Eeihe landläufiger , aber irrthümlicher
Ansichten und Angaben erfahren hier ihre Eichtigstellung. 0. K.
Im Eranos Vindobonensis (Wien 1893) theilt S. 93 ff L. M. Hart-
mann eine in Nepi nördl. Born ausgestellte Notariatsurkunde (Verpach-
tung) vom December 92] mit, welche neben ihrer barbarischen Latinität
auch deshalb bemerkenswerth ist, weil sie eine Datierung mit imperatore,
consolu aufweist und so das nunmehr späteste Beispiel der Datirungs-
weise nach dem Consulat bietet. 0. K.
In der Zeitschr. f. Gesch. des Oberrheins N. F. 8, 706 bemerkt
Bau mann, dass man die Bezeichnung Ewiger Abend für den 31. De-
zember im Allgäu noch im Iß. Jahrhundert gekannt hat. 0. B.
In der Notice sur les sceaux Carolin giens des archives
de la Haute Marne (Joinville 1892; 8°, 20 p.) bietet Alphonse
Notizen. 175
Roserot in Chaumont einen dankenswerten Beitrag zur Kunde der Karo-
linger Siegel. Von Interesse ist der nähere Nachweis des zweiten Siegels
Ludwigs des Frommen seit 834, das dem ersten nachgeschnitten ist, aber
eine Variante in der Umschrift enthält; es ist auch bereits von Sickel
(Acta Kar. 1,352) besprochen und darnach in den Regesten der Karolinger
(S. LXXXII) erwähnt. Ausser diesem wird noch ein bisher unbekanntes Siegel
Karls III. nachgewiesen (n° 4 der Abbildungen). Zu S. 20 darf ich wol
bemerken, dass n° 3 das von mir (Reg. der Karol. LXXXII1) verzeichnete
2. Siegel Karls III. ist. Ein anderer Typus desselben Siegels (n° 2) ist
zu schlecht erhalten, um ihn bestimmt classificiren zu können. Dazu
kommen noch 2 Siegel westfränkischer Karolinger (Karlmanns u. Lothars)
von denen das letztere schon mehrfach beachtet wurde. Die kleine Schrift
zeigt scharfe Beobachtung und volle Vertrautheit mit dem Stoff und selbst
der deutschen Literatur. Beigegeben ist eine Tafel mit photographischer
Abbildung der Gypsabgüsse. E. M.
In weiterer Ausführung der in dieser Zeitschi'ift 12, 257 f. gegebenen
Mittheilungen gibt J. v. Schlosser in der Abhandlung Typare und
Bullen in der Münz- Medaillen- und Antikensammlung des
a. h. Kaiserhauses (Jahrbuch der Kunstsammlungen des a. h. Kaiser-
hauses Bd. 13) eine eingehende Darstellung mit zahlreichen Abbildungen
der sphragistisch wertvollsten Stücke jener Sammlung, des Typars
Rudolfs I. von Habsburg, des, wenn echt, ältesten uns erhaltenen Original-
typars eines deutschen Königs, des Bullenstempels Clemens III und anderer
mittelalterlicher Siegelstempel, sowie einer Anzahl von Bullen von (Karl IV.,
des Concils von Basel, von Maxmilian I. u. s. w.
Im Zusammenhang mit seinem verdienstlichen, im österreichischen
Herrenhaus eingebrachten Antrag zur Einleitung einer Organisation des
österreichischen, staatlichen Archivwesens hat Freiherr v. Helfert auch
eine Schrift über »Staatliches Archiv wesen* verfasst , die auf
Grund gedruckten und zahlreichen dem Verf. zur Verfügung gestellten
amtlichen Materials in allgemeiner Uebersicht das Archivwesen der euro-
päischen Staaten bespricht. In gedrängter Kürze wird über allgemeine
Organisation, Archivbestände, Aufbewahrung, Sicherheit, Archivbeamte,
Archivtechnik, Zusammenhang und inneren Verband der Archive, Archiv-
dienst, wissenschaftliche Forschung und Einsichtnahme für andere Zwecke,
Veröffentlichungen, und Scartirung (Auscheidung von Acten) Bericht er-
stattet. Das österreichische Archivwesen ist hiebei mit Absicht ausser
Betracht gelassen — aber die Zusammenstellungen der Schrift bilden
einen wirksamen Hintergrund, um daran abzunehmen, was die Organi-
sirung unseres Archivwesens noch zu wünschen übrig lässt. — Frh.
v. Helferts Arbeit steht an der Spitze des soeben erschienenen 2. Bandes
der Mittheilungen der dritten (Archiv-) Section (Wien 1893),
die von der k. k. Centralcommission f. Kunst- und histor. Denkmale her-
ausgegeben werden und deren l.Bd. die Archivberichte aus Tirol 1. Theil
enthält. In diesem 2. Bd. findet sich ausserdem: Bericht über die An-
legung eines historischen Gerichts-Archivs für Deutsch- Tirol
im neuen Gerichtsgebäude in Innsbruck von Alois Frhr. v. Mages ; Be-
176 Notizen.
rieht über das in den Archiven der Stadt Brunn befindliche kunst-
historische Quelleninaterial von Dr. Wilh. Schräm; Auszug aus einem
vom Eeg. Rath Wussin erstatteten Berichte über die Archive von
Garsten und Gleink; Eigenhändige Lebensnachrichten des mährischen
Malers J. Chr. Handke von Dr. Wilh. Schräm. 0. R.
Der akad. Historiker-Club in Innsbruck hat »zur Erinnerung an die
vor vierzig Jahren begonnene Lehrthätigkeit Fickers« eine kleine Fest-
schrift (Innsbruck, Selbstverlag des Vereines 1893) hei-ausgegeben, die
eine Würdigung Fickers als Lehrer und ein vollständiges Verzeichnis
der Schriften und Werke desselben enthält. 0. R.
Heinrich Brunner hat sich den Dank weiter Kreise erworben,
indem er eine Sammlung seiner rechtsgeschichtlichen Abhandlungen her-
ausgab, unter dem Titel Forschungen zur Geschichte des deut-
schen und französichen Rechtes (Stuttgart, Cotta 1894). Der
Band gliedert sich in die Abschnitte : 1 . Zur Geschichte des Lehnwesens
(Die Landschenkungen der Merowinger und Agilolfinger, Der Reiterdienst
und die Anfänge des Lehnwesens, Zur Gesch. des Gefolgswesens) ; 2. Zur
Geschichte des Processrechtes (Zeugen- und Inquisitionsbeweis, Herkunft
der Schöffen, Wort und Form im altfranzös. Process, Zulässigkeit der An-
waltschaft im französischen, normannischen und englischen Recht) ; 3. Zur
Geschichte des Strafrechtes (Abspaltungen der Friedlosigkeit, Duodecimal-
system und Decimalsystem in den Busszahlen, Ueber absichtslose Misse-
that); 4. Zur Geschichte des Privatrechtes (Die fränkisch-romanische Ur-
kunde als Wertpapier, Zur Gesch. des Inhaberpapiers, Die Erbpacht der
Formelsammlungen von Angers und Tours, Ueber den german. Ursprung
des droit de retour, Zur holländischen Rechtsgeschichte). Die Aufsätze in
den Festgaben für Heffter, Mommsen, Beseler, Waitz und Gneist mussten
— leider — ausgeschlossen bleiben. 0. R.
Die Gesellschaft für deutsche Erziehung s- und Schul-
geschichte gibt seit 1891 Mittheilungen (Berlin, Hoffmann & Comp.)
heraus, die von dem Schriftführer Dr. K. Kehr bach, dem hochverdienten
Begründer der Monumenta Germaniae Paedagogica, redigirt werden und
den Zweck haben, eben dieses grosse Unternehmen und sein Weiter-
schreiten, sowie deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte überhaupt zu
fördern. Wie die Gesellschaft und ihre Ziele, besonders die Begründung
eines Archivs und einer Bibliothek von allen erreichbaren handschrift-
lichen und gedruckten Materialien zur deutschen Schulgeschichte, auf das
lebhafteste zu begrüssen und zu unterstützen sind, so verdienen auch diese
Mittheilungen der Gesellschaft allseitige Förderung. Sie sollen zu einem
Mittelpunkte für die deutsche Unterrichtsgeschichte werden und es wäre
sehr zu wünschen, dass möglichst viele derartige Arbeiten und Veröffent-
lichung von Materialien eben in diesen » Mittheilungen « untergebracht
würden, anstatt in Local- und Provincialblättern oder Zeitschriften zerstreut
und dann vergessen und übersehen zu werden. Von Wichtigkeit und Be-
deutung kann ja — wie überhaupt in der Historie — auch das kleinste
werden, wenn es in den rechten Zusammenhang gebracht wird. So sei
Notizen. 177
denn ausdrücklich auf jene Quellen hingewiesen, deren Sammlung § 2 der
Gesellschaftssatzungen erstrebt und deren Bekanntmachung und Erforschung
die » Mittheilungen « dienen: Schulordnungen jeder Art, Bestallungsurkunden,
Eidesformeln, Stundenpläne, Visitationsprotokolle, Eechnungen, Quittungen,
Schulacten aller Art; Schulbücher; Biographien, Tagebücher u. s. w. von
pädagogischem Werte, bildliche Darstellungen, Schulkomödien, -Reden,
pädagogische Gutachten, Tischzuchten u. s. w. Ueberdies findet sich ja
in allen möglichen sonstigen Quellen Material zur Unterrichts- und Er-
ziehungsgeschichte. Die zwei ersten Jahrgänge der »Mittheilungen« (1891,
1892) bringen eine Fülle verschiedenartigster Beiträge, deren mannig-
faltiger Inhalt durch die jedem Bande beigegebenen sehr verdienstlichen
Namen- und Sachregister in übersichtliche Ordnung gebracht und so jedem
Benutzer leicht zugänglich gemacht ist. Auf einzelne Aufsätze sei noch
eigens hingewiesen, so Voigt Das erste Lesebuch des Triviums in den
Kloster- und Stiftsschulen des Mittelalters (Bd. 2, 42), Schrauf Eine Schul-
ordnung K. Rudolfs II. für Wien (Bd. 1, 215), Hannak Ein Beitrag zur
Erziehungsgesch. K. Maximilians I. von 1466 (Bd. 2, 145), Loesche Die
Bibliothek der Lateinschule in Joachimsthal (Bd. 2, 207), Sattler Zur Er-
ziehung des Königs Maximilian IL von Bayern (Bd. 2, 143). 0. R.
Die Mittheilungen aus dem Stadtarchiv von Köln er-
scheinen seit 1892 unter Leitung Joseph Hansens, des Nachfolgers
Höhlbaums am Kölner Stadtarchiv, und sollen im alten Geiste und in der-
selben trefflichen Weise fortgesetzt werden. Die unter der neuen Leitung
erschienenen Hefte 20 — 23 schliessen sich den früheren ebenbürtig an.
In Heft 20 bespricht H. Keussen »Die Rotuli der Kölner Universität«
— es sind von diesen für die Geschichte der Universitäten besonders wich-
tigen Aktenstücken 6 aus der Zeit von 1389 — 1431 — und gibt einen
vollständigen Abdruck des Zweitältesten Rotulus mit 143 Nummern und
den Nachweisen der Bittsteller aus den Matrikeln; J. Hansen publicirt
im Anschluss an seine auf dem vatikanischen Material beruhende Arbeit
über den Erzbischof Gebhard Truchsess von Köln (Publik, des k. preuss.
hist. Instituts im Rom 1. Bd.) aus einer Kopie im Kölner Stadtarchiv den
» Informationsprocess de vita et moribus des Kölner Erzbischof Gebhard
Truchsess« (1579); der Aufsatz »Chroniken und verwandte Darstellungen
im Stadtarchiv « von K e us s e n und Hansen verzeichnet den Bestand des
Archivs an derartigen handschriftlichen Aufzeichnungen, Korth die Kölner
Archivalien im Nachlass von A. Fahne (auf der Fahnenburg in Düssel-
dorf), 105 Stücke von 1219—1748 nebst verschiedenen Schreinssachen.
Die folgenden Hefte beginnen die Aufgabe »neben der Fortsetzung und
dem Abschluss der Uebersichten, deren Veröffentlichung begonnen ist, eine
andere grosse Abtheilung des Archivs, die Aktenmassen der städtischen
Verwaltung, in erster Linie der finanziellen, neu zu erschliessen 1). .In
Heft 2 1 gibt L. Schwörbel eine Uebersicht über » die Rechnungsbücher
4) Seitdem hat bereits die selbständige Veröffentlichung von Acten zur
Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln
im 14. und 15. Jahrh. begonnen und es ist 1893 ein 1. Bd. bearb. von Walther
Stein erschienen.
Mittheilnngen, XV. 12
{78 Notizen.
der Stadt Köln von 1351—1798« und in Heft 23 (1893) R. Knipping
eine genaue Stückbeschreibung dieser, wie er mit Recht betont, ungemein
wichtigen Stadtrechnungen. — In Heft 21 publicirt K. Höhlbaum in-
teressante »Aussagen und Urtheile über den Kölner Aufruhr von 1525 * ;
Keussen und Knipping geben Nachricht über den für das Kölner
Stadtarchiv erworbenen Theil des Nachlasses Kessel (hauptsächlich Archi-
valien der alten Abtei St. Martin und der Pfarrkirche St. Brigitta in Köln ;
darunter eine unbekannte Urk. K. Adolfs von 1292 Aug. 5 und eine Bulle
P. Johann XXII. von 1316 Nov. 29). — Heft 22 ist angefüllt mit den
von Keussen bearbeiteten Auszügen aus den stadtkölnischen Kopien-
büchern von 144J — 1444 und dem Brief-Einlauf des 14. und 15- Jahr-
hunderts (zunächst 1320 — 1400), ein ungemein reichhaltiges Material. —
Heft 23 bringt Ergänzungen aus dem Urkunden- Archiv der Stadt Köln,
von 1018 — 1400 reichend und besonders von Bedeutung, weil in sie die
aus der früheren Abtheilung »Köln und das Reich« (Papierurkunden des
14. Jahrh.) stammenden Stücke aufgenommen wurden. — An kleineren
Mittheilungen enthält Heft 21 »Entwurf einer niederrheinisch-westfälischen
Kriegsverfassung vom J. 1591« (mitgeth. von Höhlbaum), »Kreutters topo-
graphische Sammlung« (von Keussen); Heft 22 »Der literarische Nachlass
des kölnischen Historiographen Stephan Broelmann« (von Knipping);
Heft 23 »Zur ältesten Geschichte des Jesuitenordens in Deutschland (von
Hansen).
Jahrgang 1- — 4 (1890- — 1892) des Jahrbuches der Gesellschaft
für lothringische Geschichte und Alterthumskunde (Metz,
G. Scriba) reihen sich dem ]. Bande des unter glücklichen Auspicien be-
gonnenen Unternehmens (vgl. Mittheil. 11, 510) würdig an nnd bieten,
vielfach neues Material verwertend, für die Geschichte Lothringens und
über dieses hinaus eingehende und vielseitige Specialforschungen. Der
Römerzeit gehören zwei Aufsätze im Bd. 2 an, der von A. Eberhard,
Les voies romaines de Metz ä Treves, die archäologische Untersuchung von
0. A. Ho f f m a n n , » Antonia, die Gemahlin des Drusus und die Büste der
Clytia«, welche die Annahme vertritt, dass die berühmte Büste der Clytia
im britischen Museum eine Porträtbüste der Antonia ist, sowie der an-
ziehende Vortrag von Wichmann über Decempagi-Tarquinpol (Bd. 4b).
G. Wolfram gibt (Bd. 2) die Fortsetzung der Regesten der in den Metzer
Archiven beruhenden Kaisei-- und Königsurkunden von 948 — 1399 (mit
zahlreichen Emendationen der älteren Drucke und dem Abdrucke von drei
unedirten Kaiserurk. von Friedrich IL 1215 und 2 von Karl IV. 1356),
sowie einen Nachtrag zu den Regesten der Papsturkunden (1130 — 1328)
und in Bd. 4a Nachricht über die höchst wertvolle Erwerbung der Archi-
valien der alten Metzer Familie de Heu für das Metzer Bezirksarchiv (u.
a. 5856 Urkunden vom 1145 an). Ausser einer ausführlichen Biographie
des Bischofs Adalbero von Metz (929 — 962) liefert Wichmann noch
eine diplomatische Untersuchung über Adalberos Schenkungsurkunde für
das Arnulfskloster und ihre Fälschung (mit Facsim.) mit dem Nachweis,
dass von derselben noch das unzweifelhafte Original vorliegt, die bisher
bekannte und erweiterte Fassung aber Fälschung des 12. Jahrh. ist. In
den »Neuen Untersuchungen über das Alter der Reiterstatuette Karls des
Notizen. 179
Grossen* vervollständigt Wolfram seine frühere Beweisführung (vgl. Mit-
theil. 11, 343), dass die Statuette ein Werk der Renaissance sei, gegen
die von Clemen erhobenen und keineswegs geschickten Einwände. Mehr
oder minder auf ungedrucktem Material beruht eine sorgfältige Abhand-
lung von Günther Voigt über Bischof Bertram von Metz (1180 — 1212)
in Bd. 4b (erster Theil über die äussere Thätigkeit des Bischofs), sodann
die von W. Wieg and bearbeiteten vatikanischen Regesten zur Geschichte
der Metzer Kirche in Bd. 4 (zunächst von Honorius III. bis Alexander IV.),
weiter die Aufsätze von P o i r i e r über die alte Pfarre St. Simplice in Metz
(Bd. 4b), von V. Chatellain, Histoire du comte de Crehange (so. Metz,
bis zum Frieden von Luneville eine Enclave des deutschen Reichs (Bd. 3
und 4b) von N. van Werveke, Les relations entre Metz sous la regne
de Wencezlas, roi du Romains et duc de Luxembourg (1383 — 1419 Bd. 3)
von 0. Winckelmann, Beiträge zur Geschichte der staatsrechtlichen Be-
ziehungen Lothringens zum Reich im 16. Jahrh., mit einem Nachtrag von
Wolfram, Die lothringische Frage auf dem Reichstage von Nürnberg
und dem Tage von Speier (Bd. 2), die ausführliche Darstellung der Ver-
hältnisse und Kämpfe Lothringens gegen Karl von Burgund von Heinrich
Witte (Bd. 2, 3, 4a) und Beiträge zur Geschichte der Herrschaft Bitsch
1506 — 1606 (Bd. 4a). Dazu kommt u. a. die Publication des Stadtrechtes
von St. Avold (aus dem Ende des 16. Jahrh.), hrg. von H. v. Hammer-
stein (Bd. 3) und zweier Privilegien für die Juden im Bistum Metz
(1422, 1603) von N. Richard (Bd. 2). — Für die Geschichte der Kunst
ist, neben Aufsätzen über die ehemalige Deutschordenskapelle in Hund-
lingen von H. Lempfried (Bd. 2), über die Kreuzkapelle in Forbach
von M. Besler (Bd. 3) und über die Kleinalterthümer des römisch-
mittelalterlichen Museums in Metz von 0. A. Hoffmann die Abhandlung
von C. Wahn, Die ehemalige Pfarrkirche St. Georg in Metz (mit Grund-
riss und Abbildungen Bd. 3) und besonders die von Wolfram über die
älteste Kathedralkrrche zu Metz (um 581 vollendet) von Interesse. — Be-
sondere Aufmerksamkeit ist auch wieder der Sprachkunde von Lothringen
zugewandt. In dem Aufsatz Zur Geschichte des Deutschthums in Loth-
ringen (mit einer Karte der Sprachgrenzen Bd. 2) bespricht Hans Witte
die deutsche Sprache in der bischöflich metzischen Kanzlei, die Urkunden-
sprache in den der Sprachgrenze nahe gelegenen Ortschaften, die Stellung
der Metzer Bischöfe zum Deutschthum, die deutsch - französiche Sprach-
grenze im ausgehenden Mittelalter bis zur Wende des 16. Jahrh. J. Graf
weist (Bd. 2) die germanischen Bestandteile des Patois-messin nach, in
Bd. 4b sind ältere Lieder im Patois-lorrain-messin mitgetheilt. N. Hou-
pert gibt (Bd. 2) als Anhang zu seinem Vortrag über das deutsche Volks-
lied in Lothringen verschiedene Proben des in seiner Urwüchsigkeit und
Frische erhaltenen deutschen Volksliedes.
Es gibt unstreitig wenige local-historische Gesellschaften, denen eine
geschichtliche Ueberlieferung von solcher Mannigfaltigkeit und solcher über
den Ursprungsort weit hinausreichenden Bedeutung zu Gebote steht, wie
dies bei dem historischen Verein von St. Gallen der Fall ist.
Auch wird man bereitwillig zugeben, dass der Verein diesen Umstand
von Anfang an zu würdigen gewusst, und es daher vorgezogen hat seine
12*
180 Notizen.
„Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte" viel mehr für die Veröffent-
lichung von alten und ältesten wertvollen historischen Denkmälern als
von Abhandlungen oft zweifelhaften Wertes zu benützen. Bedauerlich bleibt
dabei nur, dass mit diesem Editionseifer auch eine gewisse Systemlosigkeit
gleichen Schritt hält, ein Uebel, mit dem freilich die meisten, auch grösseren
historischen Gesellschaften behaftet sind. Das letzte Heft der „Mitteilungen"
(Band 24 oder 3. Folge 4. Bd. l. Hafte — sehr bequem zu citiren!) ver-
einigt wieder zwei ganz verschiedene Quellen, nämlich die Vita beati Galli
in der Bearbeitung von Walahfrid Strabo hrg. von E. T h u 1 i und einen
ersten Theil der Vadianischen Briefsammlung hrg. von E. Arbenz. Der
Abdruck der Vita wird mit dem Hinweis auf eine bezügliche Anregung
Dümmlers gerechtfertigt. Ich muss es dahin gestellt sein lassen, ob er
auch von der Ausgabe selbst befriedigt wäre. Damit soll jedoch kein
Zweifel in die Genauigkeit des hergestellten Textes der Vita ausgesprochen
sein. Beigegeben ist ein hübsch ausgeführtes Facsimile der St. Galler
Handschrift der Vita (9. Jht.). Warum aber nur in halber Grösse des
Originales? — Höheres Interesse beansprucht die zweite Publikation. Dass
man den Entschluss gefasst hat, den Briefwechsel Vadians trotz seiner etwas
beklemmenden Stofffülle ganz zu veröffentlichen, wird bei allen Forschern
auf dem Gebiete des Humanismus unbedingte Anerkennung finden. Auch
den für die Ausgabe angenommenen Grundsätzen wird man beipflichten
dürfen. Offenbar will man zunächst alle an Vadian gerichteten Briefe
bekannt machen. Ich schliesse das, da es in der Vorrede nicht gesagt
ist, daraus, dass die mitgetheilte Serie keinen einzigen von Vadian ge-
schriebenen Brief enthält. Auf alle Fälle wäre die Anwendung dieses
Princips nur zu billigen. Erst wenn dieser Teil der Correspondenz voll-
ständig vorliegt, lässt sich der Umfang derselben ganz überblicken und
sind die nöthigen Anhaltspunkte für die Nachforschung nach den jeden-
falls sehr zerstreuten Briefen Vadians selbst gegeben. Auch die spätere
Benützung würde durch diese Theilung unzweifelhaft erleichtert. Mit den
sonstigen vom Hrsg. beliebten Einzelheiten — Anbringung von Begesten
und erläuternden Anmerkungen, — wird man sich ebenfalls einverstanden
erklären können. Dem Unternehmen, das in guten Händen liegt, ist also
nur rascher Fortgang und allseitige Förderung zu wünschen. R. Th.
Ein höchst dankenswertes Werk ist das im Auftrage der allgem. ge-
schichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz von J. L. Brandstetter
bearbeitete Repertorium über die in Zeit- und Sammelschriften
der Jahre 1812 — 1890 enthaltenen Aufsätze und Mitteilungen
schweizergeschichtlichen Inhalts (Basel 1892). Ein l. Theil
bietet das Verzeichnis der Zeit- und Sammelschriften, der 2. Theil das
systematische Verzeichnis der Abhandlungen und Mittheilungen. Dies letz-
tere theilt sich in vorrömische Zeit, römische Zeit, Mittelalter und Neu-
zeit. Diese dritte grösste Gruppe ist wieder geschieden in : 1 . Geschichte,
2. Personengeschichte, 3. Ortsgeschichte, 4. Kirchengeschichte, 5. Quellen
zur Geschichte, 6. Hilfswissenschaften zur Geschichte, 7. Verfassungs- und
Rechtsgeschichte, 8. Kunst und Altertum, 9. Wissenschaft und Unterricht,
10. Sprachgeschichte, 11. Literaturgeschichte, Theater und Musik, ^.Kultur-
geschichte, 13. Kritik historischer Werke, 14. Reisen, 15. Naturchronik,
Notizen. 181
Lebensmittelpreise, 16. Feuersbrünste, 17. Chronik der Gegenwart, 18. Re-
gister, Totenschau, 19. Biographieen und Necrologe. Ein 3. Theil enthält
das Verfasserregister. Wird man auch mit der Eintheilung nicht überall
einverstanden sein können und wirkt bei den alphabethischen Namen-
registern das Vorausstellen der Vornamen wenig übersichtlich, da man ja
doch nach dem Geschlechtsnamen sucht, so sind das kleine Mängel gegen-
über dem grossen und offenbaren Nutzen eines solchen Werkes und der
überaus sorgsamen Bearbeitung. 0. R.
Erwünschte Beleuchtung der verschlungenen, noch vielfach dunklen
Frage nach den Quellen der Pöhlder Chronik und der mit ihr verwandten
ostsächsischen Quellen, des Annalista Saxo, der Magdeburger Geschichts-
werke u. s. w. bildet die tüchtige, scharfsinnige und besonnene Unter-
suchung von H. Herre: Ilseburger Annalen als Quelle der
Pöhlder Chronik (Leipzig in Comm. der Hinrichs'schen Buchhandlung,
1890). Theils anknüpfend, noch mehr aber im Gegensatz zu den An-
sichten von Waitz, Scheffer-Boichorst, Bernheim, Heinemann und anderen
verficht Herre mit guten Gründen die Behauptung, dass die bisher etwas
überschätzten (verlorenen) Rosenfelder Annalen keine Quelle der Annales
Palidenses waren. Auf Grund einer Vergleichung der übereinstimmenden
Nachrichten des ganzen Quellenkreises wird vielmehr dargelegt, dass die
Pöhlder Jahrzeitbücher für die Jahre 1138 — 1164 vornehmlich auf einer
einzigen und einheitlichen Quelle beruhen, welche in staufischer Gesinnung
und von sächsischem Standpunkt aus geschrieben war. Als die Heimat
dieser 1125 — 1164 gleichzeitig (?) geführten Annalen wird das Kl. Ilsen-
burg angenommen, dessen Geschichte daher eingehend erzählt wird. Herre
bezeichnet seine Untersuchungen als Theil einer grösseren Arbeit über die
Pöhlder Chronik; nach der gegebenen Probe wird dieselbe ein wichtiger
Beitrag zur sächsichen Historiographie werden, wenn sich auch nicht alle
Aufstellungen Herre's, oder doch nicht in vollem Umfange aufrecht erhalten
lassen sollten. E. v. 0.
B. Kugler berichtet im Verzeichnis der 1892 — 93 von der philos.
Facultät Tübingen ernannten Doctoren über Eine neue Handschrift
der Chronik Alberts von Aachen und gibt deren Varianten.
Ein dankbares und wichtiges Gebiet behandelt die noch von Weiz-
säcker angeregte Arbeit von Victor Menzel, Deutsches Gesandt-
schaftswesen im Mittelalter (Hannover, Hahn 1892). In klarer
Gliederung des Stoffes bespricht M. nach einer Einleitung über Ursprung,
Klassen und Acten der Gesandten die Acten deutscher Gesandtschaften
im Mittelalter, diplomatisches Verfahren und Ceremoniell, Personal, Dauer,
Beförderung, Gesandtschafts-Kosten und Gesandtschaftsrecht. Die ersten
beiden Abschnitte scheinen uns die wertvollsten uud fruchtbarsten des
Buches zu sein; die Erörterungen über die Negociationspapiere und -belege
und über Hilfspapiere der Gesandten wird sich auch die Urkundenlehre
zu Nutzen machen müssen. Dass bei einer Arbeit auf so weitem Gebiete
gar manches Material unbenutzt geblieben, ist ja natürlich, aber doch
manchmal bedauerlich; die verhältnismässig reichen Quellen z. B. über
\%2 Notizen.
die vielen Gesandtschaften Rudolfs von Habsburg hätten dem Verf. in gar
vielen Puncten seiner Darstellung willkommene und bessere Belege bieten
können. Unmittelbar den Gegenstand berührende Vorarbeiten jedoch hätte
der Verf. nicht übersehen sollen, so die Geschichte des Institutes der
missi dominici von V. Krause (Mittheilungen der Instituts 11, 193 ff.),
die ihn vor der Auffassung der Köni^sboten als Gesandten bewahrt hätte,
und den Aufsatz von Schaube Zur Entstehungsgeschichte der ständigen
Gesandtschaften (Mitth. d. Inst. 10, 501 ff). 0. ß.
In der Schrift Die Fabel von der Bestattung Karls des
Grossen (Aachen 1893; 8°, 82 S.) begründet Theodor Lindner
nochmal im einzelnen und allseitig den schon früher von ihm erbrachten
und, wenn auch hie und da aus Anhänglichkeit an die poetische Tra-
dition mit einigem Widerstreben, so doch jetzt ziemlich allgemein aner-
kannten Nachweis, dass Karl der Grosse nicht, wie die bekannten Berichte
über die Eröffnung des Grabes durch Otto III. besagen, auf dem Thron
im vollen Ornat sitzend, sondern in einem Sarge bestattet worden ist.
Ausser einer eingehenden und scharfsinnigen Kritik des gesammten Quellen-
materials, deren wesentliche Ergebnisse zur Genüge gesichert sind, bringt
die Schrift auch ein Gutachten des Professors der Anatomie in Halle a. S.,
H. Welcher, über »Das Verhalten der frischen Leiche« (S. 40), welches
die Beisetzung der Leiche Karls — er starb am 28. Jänner um 9 Uhr
vormittags und wurde noch am selben Tage, bei der kurzen Tagesdauer
also wenige Stunden später, des Seelengottesdienstes wegen vielleicht schon
vormittags, bestattet — in sitzender Stellung als ausgeschlossen erscheinen
lässt. Die Argumentation bezieht auch den Gebrauch der Beerdigungen
im früheren Mittelalter und die sehr wenigen Fälle ein, welche sich für
Beisetzung auf einem Thron anführen Hessen, und gibt hier dem an sich
späteren Bericht Thietmars über die Bestattung des Bischofs Sigmund I. von
Halberstadt eine allerdings kühne, aber immerhin noch die annehmbarere
Deutung. Die Frage darf jetzt wohl als endgiltig gelöst betrachtet werden.
Der Einwand, den Grauert in einer Besprechung der Schrift Lindners
(Hist. Jahrbuch 14, 302 f.) erhebt, dass, wofür er auch nur eine sehr
späte Nachricht anführt, griechische Geistliche auf einem Sessel sitzend
bestattet wurden wie auch in neuester Zeit ein Patriarch von Konstan-
tinopel, wird kaum einen Belang für sich beanspruchen, abgesehen davon,
dass für eine derartige Bestattung der griechischen Kaiser sich kein be-
stimmter Beleg findet. Wie sollte man in jener Zeit und bei den häufig
sich reibenden Gegensätzen zwischen lateinischer und griechischer Kirche
in Aachen dazu gekommen sein, entgegen dem abendländischen Beerdigungs-
brauch die Bestattungsweise griechischer Geistlicher oder überhaupt eine
griechische oder orientalische Ausnahmsart bei der Beisetzung des
grossen Kaisers zum Muster zu nehmen? E. M.
Eine Arbeit, die vor allem den Wunsch anregt, dass sie anderweitig
Nachahmung finde, ist die von Hermann Ludwig von Jan, Das
Elsass zur Karolingerzeit (Freiburg i. B. 1892; 8 °, 56 S., Sonder-
abdruck aus der Zeitschr. f. die Gesch. des Oberrheins N. F. Bd. 7). Auf
gründlichen Quellenstudien und genauester Ortskenntnis fussend bietet sie
Notizen. 183
in übersichtlichster Form ein alphabetisches Verzeichnis aller in der Ka-
rolingerzeit genannten Ortschaften des Elsasses mit den Quellenbelegen,
eine Zusammenstellung der alten Namensformen und der begüterten
Kirchen sammt einer Karte. Fraglich mag nur die Berechtigung zur Ver-
wertung der Fälschungen eben für die Karolingerzeit selbst erscheinen,
da es sich in vielen Fällen doch auch um späteren Besitz bandelt. E. M.
Heinrich Finke, Konzilienstudien zur Geschichte des
1 3. Jahrhunderts: Ergänzungen und Berichtigungen zu Hefele-Knöpfier
» Conciliengeschichte * Band V und VI. (Münster Begensberg 1891). Die
Concilienstudien enthalten zwei Abhandlungen: »Neue Aktenstücke zur
Geschichte des Lyoner Konzils von 1274* und »Das Mainzer Provinzial-
konzil von 1261*. Die erstere stützt sich auf eine Handschrift des Osna-
brücker Bathsgymnasiums ; die Actenstücke hat F. am Schlüsse der Schrift
edirt. Die zweite Abhandlung untersucht die Statuten des Mainzer Concils
von 1261 und kommt zu dem Besultat, dass dieselben zum grössten Theile
aus den Statuten der Synode von Fritzlar (1244) entnommen sind. Die
»Ergänzungen und Berichtigungen* erstrecken sich auf die Concilien-
geschichte des 13. Jahrhunderts und enthalten manche wichtige Nummern
so z. B. 1, 43, 58. 66. (im Ganzen 78 N.) Anderes hätte der Verf.
vielleicht weglassen können; von Bedeutung sind im Allgemeinen doch
nur jene Concilien, deren Statuten uns bekannt sind. 0. H.
In der Zeitschr. des böhm. Museums beschäftigt sich Noväcek mit dem
Aufenthalte Karls IV. an dem päpstl. Hofe zu Avignon im
J. 1365. (Karla IV. pobyt pfi dvofe dvofe papezskem r. 1365. Sep.-Abdr.
S. 1 — 20.) Der Verf. schildert eingehend die Eeise des Kaisers und den
Aufenthalt desselben in Avignon und stellt das Itinerar Karls vom 1 0. April
bis 9. Juni 1365 fest. Ueber den Inhalt der Verhandlungen mit dem
Papste (welche das Uebersiedeln desselben nach Born bezweckten), bietet
auch diese Abhandlung keinen endgiltigen Aufschluss. Dafür enthält sie
eine Menge neuer und interessanter Details über das Leben an dem päpst-
lichen Hofe während eines so ausserordentlichen Besuches. Als Quelle
der Schilderung dienten Nachrichten des Chronisten Neplach (Böhm.
Geschichtsquellen III. S. 482 ff.), der über die avignonesischen Begebenheiten
von einem Augenzeugen unterrichtet wurde, und die Libri introitus
et exitus des Vatican. Archivs (No. 310. ann. pontif. Urb. V. III.).
Excerpte aus diesen (No. 1 — 24) sind als Beilage abgedruckt. Von der
Krönung mit der Arelatischen Krone meint der Verf., es sei keine leere
Ceremonie ohne Bedeutung gewesen, sondern ein vorbedachter Akt, welcher
in Verbindung mit einigen eben damals angeführten Beformen, einen
engeren Anschluss des genannten Königreiches an das röm. Beich und das
Verhindern einer allmähligen Verschmelzung mit Frankreich anstrebte. V. Kr.
Ad. Novacek theilt in den Sitzungsber. der k. böhm. Gesellsch. d.
W. 1893 eine Keihe von Vemeschriften aus dem Egerer Archiv
mit, welche die Ausdehnung der Vemegerichtsbarkeit auch auf das nord-
westliche Böhmen im 15. Jahrhundert erweisen. 0. B.
184 Notizen.
Die Verfassung Genuas in seiner mittlem Epoche, d. h. während der
Zeit, in welcher die Compagna (Stadtgenossenschaft) nicht mehr Consuln
aus ihrer Mitte zur Geschäftsleitung berief, sondern um die innere Euhe
nicht zu gefährden, einen auswärtigen Edeln als Podestä erwählte, be-
handelt eingehend Georg Caro, Studien zur Geschichte von
Genua 1. Die Verfassung Genuas zur Zeit des Podestats
(1190 — 1257). Strassburg Heitz 1891, 169 S. Mit Eecht betont der
Verfasser, dass gerade aus dieser Zeit relativer Euhe, in welcher historische
Quellen aller Art so reichlich fliessen (ausser gedruckten konnte er noch
die reichen handschriftlichen Sammlungen Wüstenfelds benutzen), am besten
geeignet sei das Dunkel der altern Zeit zu erhellen und die Ursachen
bioszulegen, welche zum Umsturz von 1257 und zu den langdauernden
Kämpfen zwischen den Nobili und Populani führten. Zu rügen ist die
Ausstattung wegen des augenverderbenden kleinen Druckes. E. v. 0.
F. C. Carreri, der sich schon vielfach mit der Geschichte des merk-
würdigen friaulischen Burgortes Spilimbergo beschäftigt hat, beabsichtigt
gemeinsam mit Vincenzo Joppi einen »Codice diplomatico Spilimbergese «
herauszugeben, welcher für die Geschichte Friauls gewiss recht wichtig
werden wird und viele Beiträge zur eigenthümlichen Entwicklung des Adels
und Feudalwesens in dieser Grenzgegend erwarten lässt. Aus den Vorbe-
reitungen Carreris zu diesem Unternehmen entstand der Aufsatz: Del buono
governo spilimbergese (Arch. Veneto 37, parte II, und separat, 47 S.)
— so betitelt, da der Verfasser ein unbedingter Verehrer mittelalterlicher
Zustände ist. Carreri theilt in diesen »note storiche« allerlei Interessantes
aus seinem reichen Schatz friaulischer Documente mit, z. B. ein Verzeichnis
des Silberschatzes einiger H. v. Spilimbergo von 1367; mit Eecht merkt er
p. 26 an, dass es ein eclatanter Beweis für die Erhaltung der deutschen
Tradition im Haus der Spilimbergo sei, wenn 1401 Eudolf v. Walsee
dem Wenzel v. Sp. die österreichischen Güter in Pordenone durch eine
deutsche Urkunde in Pacht gibt. Um all' diese Mittheilungen in frucht-
baren Zusammenhang zu bringen, fehlt es dem Verfasser freilich an der
Kenntnis und Erkenntnis der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte. E. v. 0.
Die Eestauration des Stadthauses von Portogruaro gab E. Degani,
dem eifrigen Localhistoriker des westl. Friaul den Anlass, in anziehender
Form die Geschichte jener Stadt bis zur Occupation durch die Venetianer
zu erzählen (II Comune di Portogruaro, sua origine sue vicende
1140 — 1420). Portogruaro war der bedeutendste Ort des vielleicht un-
bedeutendsten Suffragans des Patriarchen vonAquileja; die Stadt ist trotz
allerlei Streitigkeiten stets in bestimmtester Abhängigkeit von diesem
Herren geblieben. Danach kann man ihre Wichtigkeit bemessen. Nie
hat sie bedeutende Ereignisse erfahren. Und doch ist ihre Geschichte
nicht uninteressant, weil wir ihre Gründung verfolgen können. Sie ver-
dankt ihr Leben dem deutsch-venetianischen Handel, der soweit als mög-
lich die Flussläufe benutzte. Indem Bischof Gervinus im J. 1140 die
Portulani von allen Abgaben ausser der Maut und dem Grundzins für
die Häuser befreite, machte er die unmittelbare Umgebung seines bisch.
Schlosses zum Stapelplatz für die Schiffahrt auf dem Lemene. Nach einer
Notizen. 185
interessanten fiscalischen Stadtbeschreibung von 1339 zählte Portogruaro
damals 314 Häuser (p. 131). Wie so vielfach in Friaul scheint auch
hier Analogie mit deutschen Verhältnissen obzuwalten ; dass das alte
Stadtarchiv längst schon in Flammen aufgegangen (p. 109), las st leider
den Uebergang zu italienischen Bräuchen auch in der Stadtverwaltung
nicht deutlich verfolgen. E. v. 0.
Vincenzo Joppi Di Cividale delFriuli e dei suoi ordi-
namenti amministrativi, giudiziari e militari (Udine 1892)
bespricht nach einer Uebersicht über die Geschichte Cividales die 1891
von Emilio Volpe edirten, 1307 — 1309 aufgezeichneten Ordinamenta seu
Statuta Civitatis Austrie und die daran sich schliess enden weiteren Sta-
tuten, sowie eine Reihe älterer und jüngerer Documente, die für straf-
und civilrechtliche Verhältnisse Cividales von Wichtigkeit sind und die er
im Anhange abdruckt. Die Urkunden reichen von 1205 bis 1416, es be-
finden sich darunter auch vier der Patriarchen Raimund und Ottobonus
von Aquileja von 1280, 1281, 1296 und 1313. 0. R.
Von M. Baltzer ist zur Säcularfeier der Vereinigung Danzigs mit
der preussischen Monarchie (7. Mai 1893) ein wertvoller Beitrag er-
schienen: Zur Geschichte des Danziger Kriegswesens im 14.
und 1 5. Jahrhundert (Programm des Gymnasiums zu D. Ostern 1893).
Das Danziger Stadtarchiv bot hiezu in den Berichten der Feldhauptleute
ein besonders anziehendes Material, die Bedeutung der Stadt verleiht der
Studie mehr als localgeschichtlichen Wert. B. bespricht in knapper, aber
stets reich belegter Darstellung die Wehrpflicht der Bürger, Stellver-
tretung, Theilnahme der Schiffer und Zünfte am Krieg, Dauer des Dienstes
und Controlle, Soldtruppen der Stadt, Dienst zu Ross und zu Fuss, Schutz-
waffen, Angriffswaffen, Belagerungsgerät, Feuerwaffen, Rüstkammer und
Marstall, Verwaltung und Disciplin, Lagerung, Wachen und Spielleute,
Banner, Kampfes Vorbereitungen und Angriff, Verwundete und Gefangene.
Am Schlüsse gibt der Verf. ein Register der vorkommenden technischen
Ausdrücke. 0. R.
Im Jahrbuch für Schweizer Geschichte 1893 Bd. 15 veröffentlichte
Aloys Schulte eine Abhandlung Gilg Tschudi, Glarus und
Saeckingen, die nicht verfehlt hat, in Glarus eine gewisse Aufregung
hervorzurufen. Sie tritt nämlich den Nachweis an, dass eine Reihe von
Urkunden, die für die ältere Geschichte von Glarus von grundlegender
Bedeutung sind, durch Aegydius Tschudi, den bekannten schweizerischen
Geschichtschreiber des 16. Jahrh. zum Theil ganz erfunden, zum Theil
verfälscht wurden, um sein Geschlecht und andere als edle und freie im
Lande Glarus schon seit den ältesten Zeiten hinzustellen und seiner
Familie auf Grund dieser Documente im Jahre 1559 von K. Ferdinand I.
den Adel bestätigen zu lassen. Mit dem Gelingen dieses Nachweises
muss auch die bisherige Ansicht fallen, der Canton Glarus habe eine
wesentlich aristokratische, von den benachbarten Thalgemeinden z. B. Uri
verschiedene Ständeverfassung besessen. Dieser negative Theil der Beweis-
führung erhält, wie wir glauben, überzeugende Kraft durch den zweiten
|g6 Notizen.
positiven Abschnitt, der auf Grund bisher unbenutzter Archivalien des
Klosters Saeckingen zeigt, dass das ganze Glarner Land Grundeigentum
des Frauenstiftes Saeckingen war, dass dementsprechend die Bevölkerung
aus sehr wenigen Ministerialengeschlechtern, ihrer Masse nach aber aus
bäuerlichen Unfreien bestand, an deren Spitze die Meier des Klosters stand.
Weitere Ausführungen beschäftigen sich in mannigfach anregender Weise
mit dem Meieramt in Glarus, mit der Vogtei über Saeckingen und Glarus
und den Habsburgern, mit dem Kelleramt und den Klostereinkünften in
Glarus. In zwei Excursen endlich handelt Seh. über die Anfänge des
Klosters Saeckingen (hl. Fridolin und hl. Hilarius) und über die Be-
sitzungen dieses Klosters. — Fällt so auf Gilg Tschudi ein tiefer Schatten,
so betont Seh. ausdrücklich und mit Recht, dass ihm noch genug des
verdienten Ruhmes übrig bleibt. 0. R.
Moritz Stern veröffentlichte in den letzten Jahren eine Reihe von
Schriften zur Geschichte der Juden: Die israelitische Bevölkerung
der deutschen Städte I. Ueberlingen am Bodensee (l890), wo seit
dem Beginn des 13- Jahrhundert Juden nachweisbar sind, II. Kiel (1892)
seit Ende des 17. Jahrhunderts. Die Quellenkunde zur Geschichte der
deutschen Juden (Kiel 1892) gibt in diesem 1. Theil eine dankens-
werte Zusammenstellung der Zeitschriftenliteratur. Die letzte Publication
bilden Urkundliche Beiträge über die Stellung der Päpste
zu den Juden (Kiel 1893, 1. Heft), aus zahlreichen Archiven, besonders
dem vaticanischen, zusammengetragen. Das älteste Stück ist eine Bulle
Papst Gregors X. von 1272 Oct. 7 (in der Cardinalliste hätte das rich-
tige Ancherus der Copie nicht in Antonius geändert werden sollen); das
nächste ein umfangreiches Document Graf Eduards von Savoyen von 1329,
die Mehrzahl der Stücke entstammt dem 15. und 16. Jahrhundert. 0. R.
Die österr. Leo-Gesellschaft beabsichtigt ein Unternehmen Quellen
und Forschungen zur Geschichte, Literatur und Sprache
Oesterreichs und seiner Kronländer unter der Leitung der Pro-
fessoren J. Hirn und J. E. Wackernell in Innsbruck herauszugeben.
»Sie sollen Abhandlungen und Ausgaben enthalten, Biographien einzelner
Persönlichkeiten und zusammenfassende Darstellungen kleinerer Perioden
oder grösserer Zeiträume.« Als erste Publicationen werden erscheinen
eine Ausgabe der altdeutschen Passionsspiele aus Tirol von J. E. Wacker-
nell (bereits im Druck) und Briefe der Grossherzogin Magdalena von
Florenz an ihren Bruder Erzh. Leopold von Tirol (1618 — 1632) von J. Hirn.
Die Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg bringt in
ihren zwei letzten Jahrgängen (36. und 37. Bd., 1892, 1893) einige sehr
bemerkenswerte Arbeiten. T. v. Sartori- Montecroce bietet eine ein-
gehend, sorgsam und gut gearbeitete Abhandlung über Die Thal- und
Gerichtsgemeinde Fleims und ihr Statutarrecht (Bd. 36). Das
Thal Fleims, bis zu Anfang dieses Jahrhunderts eine politische Gemeinde
und heute noch eine Wirtschaftsgemeinde, auf italienischem Gebiet, war
ein ganz besonders interessanter Gegenstand rechtshistorischer Bearbeitung.
Im Anhang veröffentlicht der Verf. das bisher noch nie edirte Statut von
Notizen. 187
Fleims in der allein erhaltenen italienischen Fassung von 1533/34 und
gibt eine sehr verdienstliche Bibliographie der italienisch -tirolischen Sta-
tuten überhaupt — ein Verzeichnis, das zu einer Sammlung und Heraus-
gabe dieser Statuten gleich den deutschen Weisthümern geradezu heraus-
fordert. — Zwei andere Arbeiten sind dankenswerthe Beiträge zur Historio-
graphie des 15. Jahrhunderts. V. Schaller (leider 1892 allzufrüh ge-
storben), Ulrich II. Putsch, Bischof von Brixen und sein
Tagebuch (1427—1436) (Bd. 36 S. 225 ff., Nachtrag S. 568). Nach
einer sorgfältig gearbeiteten Biographie des politisch, literarisch und für
Kunst sehr thätigen Bischofs Ulrich II. von Brixen veröffentlicht Seh. dessen
im Innsbrucker Statth. Archive in Autograph vorhandenes Tagebuch, eine
eigenartige, unmittelbar anmutende, und für die tirolische Geschichte jener
Zeit hervorragende Quelle; bisher war sie nur in Auszügen Sinnachers
bekannt, aber zu wenig beachtet gewesen. — Leben und Schriften
des Doctor Johannes Hinderbach, Bischofs von Trient
(1465 — i486) behandelt Victor v. Hofmann - Wellenhof (Bd. 37
S. 203 ff.). In sorgsamer Weise sind alle Nachrichten über das Leben
des aus Hessen stammenden, am Hofe K. Friedrichs III. emporgekommenen
Humanisten und — freilich wenig glücklichen — Diplomaten gesammelt.
Hinderbach zählt zu den nicht zahlreichen Männern, die schon um die
Mitte des 15. Jahrhunderts in Deutschland die humanistische Eichtung
mit Erfolg vertraten und pflegten ; auch als Bischof von Trient förderte
er wissenschaftliche und künstlerische Bestrebungen *). Seine Fortsetzung
der von Aeneas Sylvius verfassten Geschichte K. Friedrichs III. bespricht
der Verfasser eingehend und würdigt dann Hinderbachs Thätigkeit als
Glossator, in der sich seine grosse Belesenheit und Geschichtskenntnis so
recht kundgibt. Im Anhang ist Hinderbachs von der Universität Padua
i. J. 1452 ausgestelltes Doctordiplom mitgetheilt. 0. E.
In dem von S. M. Prem trotz der Kürze der Zeit, die zur Ver-
fügung stand, trefflich redigirten Buche : Kufstein, Festschrift zur Feier
der vor 500 Jahren erfolgten Erhebung des Ortes zur Stadt (Kufstein
1893, jetzt im im Verlag von C. Gerolds Sohn, Wien) finden wir im
ersten geschichtlichen Theile einige bemerkenswerte Arbeiten. Michael
Mayr behandelt Die Freiheiten der Stadt Kufstein auf Grund
des im Innsbrucker Statth. -Archiv vorhandenen Materials und druckt im
Anhang die ältesten der Stadt verliehenen , bisher unedirten Freiheiten
von Kaiser Ludwig d. B. 1339 Juni 30 und Herzog Stephan III. von
Baiern 1393 Jan. 7 ab. — K. Th. Heigel handelt Ueber Namen
und Wappen der Stadt Kufstein (im Indiculus Arnonis Caofstein,
wahrscheinlich mit ahd. choph = Kopf, Bergkuppe zusammenhängend).
— Eine Studie von E. S i n w e 1 über Hans von Pinzenau, den be-
kannten Vertheidiger Kufsteins im Jahre 1504, unterzieht dessen Haltung
und Tod einer sorgsam abwägenden Beurtheilung. — G. Frh. v. Maretich
') Vergl. auch die zum Theil auf handschriftlichem Material beruhende
Studie von Anton Zingerle, Der Humanismus in Tirol unter Erzh.
Sigismund d. Münzreichen, Festgruss aus Innsbruck an die 42. Philologen-
Versammlung, Inusbruck 1893.
188 Notizen.
schildert eingehend Die Veste Kufstein zur Zeit des zweiten
schmalkaldischen Krieges (1552) 1). — Nach weiteren Beiträgen
über das moderne Kufstein und moderne Kufsfceiner schliesst ein inter-
esianter Aufsatz von F. v. Wieser, Die Hechtseekarte des Peter
Anich den ersten Theil der hübsch ausgestatteten Festschrift. Den
zweiten Theil bildet ein » Dichter kränzcken«. 0. K.
Auf die wichtige Arbeit von Alfons Dopsch, Entstehung und
Charakter des österreichischen Landrechtes, deren Ergebnis,
dass das Landrecht unter König Ottokar in den ersten Monaten des
Jahres 1266 entstanden sei, schon vielfache Zustimmung gefunden hat,
werden wir an anderer Stelle zurückkommen.
Aus einer bisher unbeachtet gebliebenen Handschrift des gräfl. Her-
bersteinischen Archives in Graz hat Arnold Luschin v. Ebengreuth
unter dem Titel Herbersteiniana im 24. Bd. der Beitr. z. Kunde
steierm. Geschichtsquellen (1892) beachtenswerte Ergänzungen der von
Karajan in Fontes rer. Austr. SS. 1 herausgegebenen Selbstbiographie Sig-
munds v. Herberstein ans Licht gebracht. Die Grazer Hs. ist nach
1562 entstanden und war, wie eine Beihe anderer handschriftlicher und
gedruckter Werke des berühmten Freiherrn dazu bestimmt gegenüber den
zahlreichen Verlan mdungen der Neider und Feinde den eigentlichen Grund
von Einfiuss und Ansehen der Herberstein darzuthun. Die Hs. umfasst
die Jahre 1508 — 1562, die bedeutendste Ergänzung bietet sie über die
Sendung Herbersteins an König Christian von Dänemark im Jahre 1516
wegen Entfernung der Düveke. 0. R.
Die erste Abtheilung der Nachträge zum 3. Bande von J. R.
v. Aschbachs Geschichte der Wiener Universität von Wenzel
Hartl und Dr. Karl Sehr auf (Wien 1893) enthält auf Grund sorgsamer
Durchforschung besonders des Wiener Universitätsarchivs und der Hof-
bibliothek eingehende Nachrichten über eine Reihe der Universität Wien
in der Zeit von 1520 bis 1569 angehöriger Lehrer; es werden behandelt :
Johann Aicholz aus Wien, Mediciner; Lambert Auer aus Rattenberg in
Tirol, Jesuit und Theolog; Xathanael Balsman aus Torgau, Professor der
Poesie ; Johann Alexander Brassicanus, bekannter Humanist, und seine
Brüder Johann Ludwig, Philolog und Jurist, und Sebastian; endlich der
berühmte Jesuit Peter Canisius in seiner Wirksamkeit als akademischer
Lehrer in Wien. 0. R.
Die Liste der von Wattenbach (Geschichtsquellen 5. A. 2, 470) ver-
zeichneten Fälschungen ist durch ein neues Stück bereichert worden, durch
den von Zappert 1857 im 21. Band der Sitzungsberichte der Wiener Aka-
demie veröffentlichten »ältesten Plan« der Stadt Wien, der nach 1043
und von 1147 entstanden sein sollte. Den palaeographischen Nachweis für
die Fälschung führt in erschöpfender und scharfsinniger Weise die Ab-
') Von demselben Verf. andre Arbeiten zur Geschichte Kufsteins in der
Zeitschr. des Ferdinandeums 1892 und 1893.
Notizen. 189
handlung von R. Schuster, Zapperts »Aeltester Plan von Wien«
(Sitzungsber. der Wiener Akademie Bd. 127). Zappert ist auch der Fälscher
des althochdeutschen »Schlummerliedes«, dessen Unechtheit Jaffe längst dar-
aethan hat. Das angebliche Original des ältesten Plans von Wien galt als
verschollen und wurde erst im vorigen Jahre in der Wiener Hofbibliothek
wieder ausgeforscht. Hier wie beim » Schlummerlied « scheint der Beweg-
errund literarische Eitelkeit gewesen zu sein: durch dieses wollte er die
Funde von Waitz und Karajan, durch jenen Camesina übertrumpfen, der
ein Jahr früher die älteste Ansicht Wiens von 1483 herausgegeben und da-
zu einen Stadtplan reconstruirt hatte. Trotz der verdächtigenden Schwierig-
keiten, die Zapperts ältester Stadtplan nach vielen Seiten bot, wagte man
doch nicht, ihn als Falsificat zu verwerfen. Er ist jetzt definitiv beseitigt.
Der Abhandlung ist ein Facsimile der beiden Zappert'schen Fälschungen,
des ältesten Stadtplans und des Schlummerliedes bei gegeben. E. M.
In der Oesterreich. Vierteljahresschrift für das Forstwesen 1893
Heft 1 veröffentlicht Dr. Tr übrig eine Studie über Heinrich Wuest
gemeiner Waldmeister zu Hall in Tirol 1511 — 1520, die ein
weiteres Interesse beanspruchen darf, weil in ihr auf Grund archivalischen
Materials die tirolische Forstverwaltung zur Zeit Maximilians I. in Kürze
skizzirt wird und weil der Verf. zeigt, dass diese Forstverwaltung ihrer
Zeit weit vorausgeeilt war, dass die Errichtung von Waldordnungen in
Tirol ihre Heimat hat und die ältesten Waldordnungen aus Tirol stammen.
0. R.
Die Archives de 1' Orient latin, welche nach dem Tode ihres Leiters
und Mäcens, des Grafen Paul Riant, eingegangen waren, erscheinen jetzt
unter dem Titel: Revue de l'Orient latin, Paris 1893 (Leroux) von
Neuem. Wir heben vorläufig die saubere Studie von Delaville le Roulx,
dem gründlichen Palaeographen und verdienten Forscher auf dem Gebiete
der Johannitergeschichte , über den Orden von Montjoye hervor, welcher
bisher so gut wie unbekannt war und nun aus spanischen Archiven, be-
sonders durch Confirmationsbullen Alexander III., Urban III. und Innocenz III.
uns näher bekannt wird. R- Röhricht.
Von der in Mitth. des Instituts 11, 507 angezeigten Geschichte
der Benedictiner Abtei Muri-Gries von P. Martin K i e m ist der
2. Bd. (Stans 1891) erschienen, der die Geschichte von 1596 bis in die
Neuzeit führt. Die am 1 . Bande gerühmte Sorgfalt und Liebe der Behand-
lung ist vom Verf. auch diesem Schlüsse des Werkes gewimet. 0. R.
Zwölfte Plenarsitzung der badischen historischen
Commission.
Karlsruhe im Oktober 1893. Die zwölfte Plenarsitzung der badi-
schen historischen Commission wurde am 23. und 24. Oktober in Karls-
ruhe abgehalten. Auch in diesem Jahre führte wegen Verhinderung des
Vorstandes Geh. Hofraths Prof. Winkelmann durch Krankheit, der Secretär
Archivdirektor Dr. v. Weech den Vorsitz.
J90 Berichte.
Seit der letzten Plenarsitzung ist der Kominission ein hochgeschätztes
ausserordentliches Mitglied, Prof. Karl Hartfelder durch den Tod entrissen
worden. Der Vorsitzende widmete dem Dahingeschiedenen Worte ehrenden
Andenkens.
An der XII. Plenarsitzung nahmen ausser dem Vorsitzenden theil die
ordentlichen Mitglieder: die Geh. Hofräthe Prof. Schröder und Erdmanns-
dörffer aus Heidelberg, die Prof. v. Simson und Schulte aus Freiburg, Geh.
Rath Wagner und Archivrath Obser aus Karlsruhe, Archivrath Baumann aus
Donaueschingen und Archivdirektor Prof. Wiegand aus Strassburg, sowie
die ausserordentlichen Mitglieder Prof. Köder aus Kastatt, Prof. Maurer
aus Mannheim und Universitätsbibliothekar Prof. Wille aus Heidelberg.
Die ausserordentlichen Mitglieder Geh. Kath Prof. Knies aus Heidelberg,
Geistl. Kath Prof. König und Geh. Hofrath Prof. Kraus aus Freiburg und
Prof. Bücher aus Leipzig hatten ihr Ausbleiben entschuldigt.
Seit der letzten Plenarsitzung ist erschienen:
Obser K. Politische Korrespondenz Karl Friedrichs von Baden.
III. Band (1797—1801).
Fester R. Kegesten der Markgrafen von Baden und Hachberg. 2. u.
3. Lieferung.
Brandi K. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Abtei
ßeichenau IL Band. Die Chronik des Gallus Öhm.
Krieger A. Topographisches Wörterbuch des Grossherzogtums Baden.
Erste Abtheilung.
Badische Neujahrsblätter. Drittes Blatt 1893. Erdmannsdörffer B.
Das badische Oberland im Jahre 17 85. Keisebericht eines österreichischen
Kameralisten.
Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Neue Folge. VIII. Band,
nebst den Mittheilungen der Badischen Historischen Kommission No. 15.
Mittelalterliche Quellen-, insbesondere Regestenwerke.
Von den Regesten der Pfalzgrafen am Rhein, bearbeitet von A. Koch und J. Wille,
wird noch im Laufe dieses Jahres die Schlusslieferung des 1. Bandes (bis
1400 mit Register nebst Nachträgen und Einleitung) ausgegeben werden.
Den 2. Band wird Dr. Wille allein bearbeiten. — Das Manuskript zu der
von Dr. Müller bearbeiteten Schlusslieferg des 1. Bandes der Regesten zur
Geschichte der Bischöfe von Konstanz, und der Lieferung des 2. Bandes,
bearbeitet von Dr. Cartellieri in Karlsruhe, sowie zur 4. und 5. Lieferung
der Regesten der Markgrafen von Baden und Hachberg, bearbeitet von
Dr. Fester in München, sind längst druckfertig, doch stellten sich der
Drucklegung durch anderweitige Inanspruchnahme der Wagner'schen Uni-
versitätsbuchdruckerei zu Innsbruck Hindernisse entgegen. Für 1894 ist
ihr Erscheinen gesichert. Dr. Fester hat im Herbst 1893 die Archive zu
Würzburg, Coblenz und Frankfurt besucht. — In der Bearbeitung der
Quellen und Forschungen zur Geschichte der Abtei Reichenau, von denen
noch ein dritter, die Lehenbücher behandelnder Band in Aussicht genommen
ist, wird eine längere Unterbrechung eintreten müssen, weil der Bearbeiter,
Dr. Brandi in München, durch andere Arbeiten im Auftrage der bayerischen
Historischen Kommission für die nächste Zeit ausschliesslich in Anspruch
genommen ist. — Von dem Codex diplomaticus Salemitanus, dessen Her-
ausgabe die Kommission unterstützt, wird die 3. Lieferung des 3. Bandes
Berichte. 191
(bis zum Schlüsse des 15. Jahrb.) in den nächsten Wochen ausgegeben
werden. Diese Lieferung ist unter Mitwirkung des Archivdirektors v. Weech
durch Dr. Peter Albert in Karlsruhe bearbeitet worden. — Die Veröffent-
lichung der Stadtrechte und Weistümer des Oberrheins wird im nächsten
Jahre durch die Bearbeitung der Stadtrechte von Ueberlingen ihren An-
fang nehmen. — Für das nächste Jahr beabsichtigt Prof. Schulte die in-
folge seiner Berufung an die Universität Freiburg im Jahre 1893 nicht
möglich gewesene archivalische Reise zur Sammlung der Urkunden und
Akten zur Geschichte des Handelsverkehrs der oberitalienischen Städte mit
den Städten des Oberrheins im Mittelalter auzutreten.
Quellenpublikationen zur neueren Geschichte. — Von der
Politischen Korrespondenz Karl Friedrichs von Baden ist der 4. Band (bis Ende
1803 oder Anfang 1804) in der Bearbeitung begriffen; der Druck kann im
Laufe von 1894 beginnen. — Ein abermaliger mehrmonatlicher Aufenthalt in
Korn hat auch im Jahre 1893 den Archivdirektor v. Weech abgehalten, die
Sammlung der Korrespondenz des Fürstabtes Martin Gerbert von St. Blasien
in erheblicherem Masse zu fördern. Er hat aber die Absicht, sich im
Laufe des Jahres 1894 nach dem Stift St. Paul in Kärnten zu begeben,
um die dort aufbewahrte Korrespondenz des Fürstabtes durchzuarbeiten.
Bearbeitungen. Von dem Topographischen Wörterbuche des Gx-oss-
herzogtums Baden, bearbeitet von Archivrath Krieger, ist die 2. Liefernng
nahezu druckfertig, eine 3. wird 1894 vollendet werden. — Prof. Gothein
in Bonn hofft, dass der Druck des 2. Bandes der Wirtschaftsgeschichte
des Schwarzwaldes und der angrenzenden Gaue in der zweiten Hälfte 1894
beginnen kann. — An der Sammlung für Herausgabe der Siegel und
Wappen der badischen Gemeinden und der Wappen der Territorien, aus
denen das heutige Grossherzogtum Baden zusammengesetzt ist, wird unaus-
gesetzt fortgearbeitet. — Von dem Obei'badischen Geschlechterbuch, dessen
Bearbeitung der Königl. preuss. Major a. D. Kindler v. Knoblach über-
nommen hat, liegt das Manuskript für die 1. Lieferung druckfertig vor.
— Die dem Dr. A. Rössger in Stuttgart übertragene Studie über die
Herkunft der romanischen Einwanderung in Baden in den Jahren 1685 ff.
wird in unserer Zeitschrift veröffentlicht werden.
Periodische Publikationen. Von der Zeitschrift für die Ge-
schichte des Oberrheins, Neue Folge, befindet sich das 1. Heft des 9. Bandes
unter der Presse. Die Mittheilungen der badischen historischen Kommission
werden auch fernerhin die Verzeichnisse der Archive und Registraturen der
Standes- und Grundherren, Gemeinden und Pfarreien u. s. f., von denen
nur noch verhältnismässig wenige der Durchforschung hai-ren, veröffent-
lichen. — Im Neujahrsblatt für 1894 behandelt Archivrath Dr. Baumann
die Territorien des Seekreises im Jahre 1800.
Personalien.
Ernannt wurden: J. Loserth zum ordentl. Professor für allgemeine
Geschichte an der Universität Graz, E. v. Ottenthai zum ordentl. Pro-
fessor für allgemeine Geschichte an der Universität Innsbruck, S. Herz-
berg-Fränkel zum a. o. Professor für allgemeine Geschichte an der
192 Personalien.
Universität Czernowitz, Osw. Redlich zum a. o. Professor für histor. Hilfs-
wissenschaften und Geschichte des Mittelalters an der Universität Wien,
0. Weber zum a. o. Professor für neuere Geschichte an der deutschen
Universität in Prag; A. v. Kärolyi zum Sectionsrath und zweiten Vice-
director, K. Sehr auf zum Sectionsrath, J. Paukert zum wirkl. Staats-
archivar, A. v. Györy zum Concipisten 1. Classe und V. Kratochwil
zum Concipisten 2. Classe am k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in
Wien ; F. v. P a p e e zum Custos an der Universitätsbibliothek in Lemberg ;
K. Eieger zum Landesschulinspector für Jsiederösterreich ; A. Starzer
zum Official des Statthalterei- Archivs in Wien; M. Mayr zum Cor-
respondenten der k. k. Central-Commission f. Kunst- u. histor. Denkmale.
Es habilitirten sich an der Universität Wien A. D o p s c h und an der
Universität Czernowitz R. F. Kaindl für österreichische Geschichte.
M. Vancsa trat als Conceptspractikant bei dem Archiv des k. k.
Finanzministeriums, J. Mantuani als Volontär an der Hofbibliothek in
Wien ein.
Den XIX. Curs des Instituts (1891 — 1893) absolvirten als ordent-
liche Mitglieder:
Ambros Wilhelm R. v.
Klicman Ladislav.
Mantuani Josef.
Teige Josef, Dr. iur.
Vancsa Max, Dr. phil.
als ausserordentliche Mitglieder:
Äldäsy Anton, Dr. phil. (1891 — 92).
Criste Oskar, k. u. k. Oberlieutenant.
Gernet Alexis v., Dr. phil. (1891 — 92).
Hammerl Benedict Johann 0. S. B. (1892 — 93).
Kaindl Raimund Ferdinand, Dr. phil. (1892 — 93).
Kienast Andreas, k. u. k. Oberheutenant.
Müller Alfons Maria 0. Pr. (1892—93).
Rollmann Manes 0. Pr. Provincial der österr. Dominikanerprovinz
(1891—92).
Wagner Friedrich.
Als Thema der Hausarbeiten wählten:
Ambros : Das Zollwesen im fränkiseken Staate.
Klicman: Studien über die Vorläufer des Husitentums.
Mantuani : Ueber die Malerei der Ottonenzeit.
Teige: Ueber die Anfänge der Landtafel in den böhmischen Ländern.
Vancsa: Das Auftreten der deutschen Sprache in der Königsurkunde
(1240—1313).
Criste: Der Beitritt Oesterreichs zur Coalition im Jahre 1815-
Kienast: K. Friedrich IL von Preussen und Ungarn bis zum Hubertus-
burger Frieden 1762.
Neu aufgenommen wurden: 5 ordentliche und 8 ausserordentliche
Mitglieder.
Alfonso Ceccarelli
und seine Fälschungen von Kaiserurkunden.
Von
A. Riegl.
Im 16. Jahrhundert herrschte unter den vornehmen Familien Italiens
eine krankhafte Sucht, ihre Anlange in möglichst frühe Zeit hinauf-
zuschieben. Am liebsten wollte man den Zusammenhang mit irgend
einer der altrömischenFamilien herstellen ; wo dies nicht angieng, Hess
man den Ahnherrn im Gefolge Karls des Grossen oder Otto's I. aus
Frankreich oder Deutschland eingewandert sein. Dieser geistigen
Modekrankheit hat die historische Forschuug zweifellos manches Wert-
volle zu verdanken : es lässt sich ja denken, welch mächtiger Ansporn
damit gegeben war, um die verborgensten Archive zu durchspähen
und bislang unbekannt gebliebenes Material an das Licht der Oeffent-
lichkeit zu zieheu. Anderseits liegt es auf der Hand, dass selbst die
eifrigste Suche dasjenige, was man wünschte, kaum in höchst vereinzelten
Fällen zu Tage fördern konnte. Die Versuchung lag somit nahe, die
Beweise, die sich aus den alten Schriftquellen nicht beibringen Hessen,
auf dem Wege der Fälschung zu beschaffen. Findige Köpfe und ge-
wandte Hände fanden sich wie zu allen Zeiten, so auch damals, um
eine Schwäche der zeitgenössischen Gesellschaft auszubeuten. Der be-
rüchtigste aber unter den genealogischen Fälschern, welche das 16. Jahr-
hundert in Italien hervorgebracht hat, war der römische Arzt Alfonso
Ceccarelli *) aus Bevagna.
Ceccarelli's Fälscherthätigkeit fällt in die Siebziger- und die ersten
Achtziger-Jahre des 16. Jahrhunderts. Erst unter Gregors XIII. Re-
') Er selbst sclmeb sich auch Ciccarelli.
Mittheilungen XV. 13
194 R i e g 1.
gierung wurde ihm das Handwerk gelegt. Den Anstoss zu seiner In-
haftnahme und dem Prozesse, der mit seiner Hinrichtung endigen sollte,
gab zwar nicht eine seiner genealogischen Fälschungen, die ja bloss
der Eitelkeit Einzelner schmeichelten, aber Niemandem materiellen
Schaden bringen konnten. Er hatte sich vielmehr von diesem harm-
loseren Gebiete, auf dem er hauptsächlich nur für die Geschichts-
forschung schädlich werden konnte, schliesslich auf das weit gefähr-
lichere der Fälschung von Besitzurkunden gewagt. Die Fälschung
eines Fideicoinmisses war es, um derentwillen man ihm den Prozess
machte ; dadurch wurden aber naturgemäss auch diejenigen unter seinen
Klienten aufgescheucht, denen er zu uralten Ahnen verholfen hatte.
So wurde gerade einer von diesen, Alberico Cibo Fürst von Massa, der
allerdings aufgeklärt genug gewesen war, den Schwindler noch recht-
zeitig zu durchschauen, zum Hauptbelastungszeugen wider Ceccarelli.
Auf solche Weise kamen auch viele von den historischen Fälschungen
Ceccarelli's an's Licht, und bei dem Aufsehen, das der Verlauf des
Prozesses in den gelehrten Kreisen Koms hervorgerufen haben mochte,
stünde zu erwarten, dass man gegenüber den in Umlauf gesetzten
Fälschungen vorsichtiger geworden wäre. Aber die verhältnissmässig
geschickte Art, in welcher diese an verschiedenen Orten aufbewahrten
und erst allmählig und in weitabliegenden Werken veröffentlichten
Urkunden unter Benützung echter Documente fabricirt waren, sowie
der Umstand, dass Ceccarelli zugleich ganze Autoren fälschte, durch
deren Angaben er den Inhalt und somit die Echtheit der von ihm
gefälschten Urkunden zu stützen suchte, bewirkten, dass die Machwerke
dieses Mannes eine Zeitlang eine förmliche Verwirrung in der Ge-
schichtschreibung angerichtet haben.
Noch zu Lebzeiten Ceccarelli's Hessen sich durch seine Fälschungen
täuschen : Francesco Sansovino x) und Giovanni Batt. Lorenzo 2). Im
Jahre 1642 zählt Leo Allacci in einer Schrift, mit der wir uns noch des
Näheren beschäftigen werden, folgende Opfer auf: Petrus Riguardatus sive
Recordatus in Historia mouastica; Monaldus Monaldeschus de Cervaria in
Commentariis historicis 3) ; Ferdinandus Marra, Chronologia familiarum,
Neapoli 1641 apud Octavium Bertranum ; Joannes Petrus Crescentius Ro-
1) Faraiglie illustri <T Italia, Venedig 1609, (zuerst erschienen 1582).
2) Storia della famiglia degli übaldini, Florenz 1580. Nach Gamurrini IV, 1.
3) Monaldo Monaldeschi, Corninentari bist, della cittä d' Orvieto, Venedig
1584. _ Dieser Fall erscheint dadurch besonders bezeichnend, dass M. selbst
gefälschte Urkunden von Ceccarelli erworben hatte und sein Buch zu einer Zeit
erschienen ist, da der Fälscher bereits entlarvt war.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 195
manus, in Corona Nobilitatisltaliae, Bononiae 1G39, in 4° x) ; Hieronymus
Marafiotus in Chronicis et antiquitatibus Calabriae, Patavii 1601 in 4° 2).
In welche Verlegenheit Ceccarelli's weitverbreitete Fälschungen einen
gewissenhaften Forscher bringen konnten, erhellt in drastischer Weise
aus einem Histörchen, das derselbe Allacci zum Besten gibt. Giugurta
Tommasi, der im J. 1625 den ersten Band seiner Geschichte von
Siena vollendet hatte, war bei seinen bezüglichen Untersuchungen
mehrfach auf gewisse problematische Autoren gestossen, und wandte
sich diesbezüglich um Autklärung an Adriano Politi, der damals in
Rom lebte. Dieser gab sich nun alle erdenkliche Mühe, um über die
fraglichen Schriften Authentisches zu ermitteln. Er durchsuchte alle
Bibliotheken : „ Vaticanam, Culumnensem, Jesuitarum, Mureti et Car-
dinalis Montis Regalis libris recens auctam", — ja er verschaffte sich
sogar zu den Bibliotheken des Serafino und Cesare Valentini „tum
novis tum veteribus libris, iisque iunumeris et admodum curiosis prae-
divites" Zutritt, ferner zog er Fulvio Orsini und Petrus Ciacconius
„rerum harura peritissimos viros", überhaupt alle pädagogisch und
literarisch gebildeten Leute zu Rathe: Alles fruchtlos. Politi begriff
nicht, dass in Rom — in hac urbe, in quam locis ex omnibus viri
praestantes ingeniis et doctrinarum omni genere exeulti, tum Greci cum
Latini turmatim conveniunt — irgend welche authentische Autoren un-
bekannt sein könnten. Erwäge man hiezu die barbarische und unele-
gante Sprache, in der die zur Prüfung übersandten angeblichen Ge-
schichtsquellen abgefasst wären, ferner den Umstand, dass darin be-
glaubigten Autoren wie Apollodor, Plinius, Athenäus, Eusebius v. Cä-
sarea, ganz unbekannte Werke zugeschrieben würden, so müsse man
zu dem Schlüsse gelangen, dass es sich hiebei nur um eine Fälschung
handeln könne. Politi's diesbezügliche Vermuthung richtet sich auch
direkt auf Ceccarelli: medici illius qui ob similes inventiones laqueo
vitam finiit, fraudem esse et commenta.
Um dieser Verwirrung und Unsicherheit ein Ende zu bereiten,
entschloss sich, etwa 50 — 60 Jahre nach Ceccarelli's Tode, Leo
Allacci3), Charakter und Umfang der Fälschungen Ceccarelli's fest-
') Crescenzi, Corona della nobilta d' Italia, Bologna 1639—1642.
2) Ferner finden sich Urkundenfälschungen Ceccarelli's als echt aufgenommen
bei Clementini, Raccolto istorico di Rimino (Rimini 1617); Salvetti, Trattato overo
raccolto ist. di casa Pepoli ms. saec. XVII. in Cod. Magliaheccli. XXVI. 29 zu
Florenz.
3) Leo Allacci stammte aus einer griechischen Familie, und war im J. 1586
auf Scios geboren. Im J. 1600 trat er in das Collegio dei Greci in Rom ein,
war dann eine Zeitlang bischöflicher Generalvicar auf Scios, kehrte aber wieder
13*
196 R i e g 1.
zustellen. Das Material hiezu lieferte ihm Felix Contelorius, der
Präfekt des vatikanischen Archivs *), der ihm die auf dem Vatikan in
Verwahrung gebliebenen Akten des Fälschungsprocesses zur Verfügung
stellte. Allacci scheint übrigens nicht Ceccarelli allein, sondern auch
anderen Fälschern nachgespürt zu haben. Wenigstens ergibt sich
aus verschiedenen Andeutungen , uud namentlich aus dem Titel
der auf Ceccarelli bezüglichen Druckschrift, dass Allacci ein Buch
über Apokryphen im Manuscript fertiggebracht hat. In Druck ist
dasselbe wenigstens zur Gänze niemals erschienen, doch dürfen wir
annehmen, dass aus demselben nicht blos die Broschüre die sich mit
Ceccarelli befasst und von der es ausdrücklich gesagt ist, sondern auch
die fast 20 Jahre später erschienene Schrift: Johannes Henricus Hot-
tingerus fraudis et imposturae convictus circum Grecorum dogmata,
Romae 1661, entnommen wurde. Der Bericht über Ceccarelli's Process
erscheint beigebunden zu dem Buche: Leonis Allatii in antiquitatum
Etruscarum fragnienta ab Inghiramio edita animadversiones. Additur
eiusdem animadversio in libros Alphonsi Ciccarelli et
auctores ab eo confictos. Romae apud Mascardum MDCXLII.
Sumptibus Joannis Antonii Bertani 2). In 12°. Die Schlussparthie des
Buches S. 255 — 360 ist dem Prozesse Ceccarelli's besonders gewidmet
und trägt einen eigenen Titel: Leouis Allatii de Alphonso Ciccarello.
Ex opere eiusdem Leonis non edito de libris apocryphis.
Aus dieser Schrift erfuhr nun die gelehrte Welt Italiens die Namen
derjenigen Autoren, deren Fälschung unzweifelhaft ein Werk Cecca-
relli's war. Ughelli wies in der Geschichte der Bischöfe von Perugia3)
ausdrücklich auf die zur Zeit der 1. Auflage eben im Erscheinen be-
nach Rom zurück, wo er Medicin studirte und am Collegio dei Greci Griechisch
lehrte. Im J. 1622 wurde ihm die Ueberf'ührung der Heidelberger Palatina nach
Rom anvertraut. Im J. 1632 ward Allacci Bibliothekar des Cardinais Francesco
Barberini, 1661 unter Alexander VII. Gustos der Vaticana als Nachfolger des
Lucas Holstenius, als welcher er im J. 1669 im Alter von 83 Jahren verstarb. —
Kurze Notiz über sein Leben und Katalog seiner Werke in der Raccolta d' opus-
coli scientifici e filologici, Venedig 1744 p. 267.
*) Von der Hand Contelori's finden sich auf Manu Scripten Ceccarelli's in
der Vaticana häufig Randbemerkungen, die diese Schriften als Fälschungen bezeich-
nen. Im Besonderen hat er — nach Allacci's Bericht — die Schrift Ceccarelli's
»de familiis Bononiensibus« als eitle Erfindung entlarvt und gebrandmarkt.
*) So lautet der Titel des auf der Bibl. Casanatensis zu Rom verwahrten
Exemplars, das bei diesen Untersuchungen benützt worden ist. Der Katalog der
Werke Allacci's in der obcitirten Raccolta verzeichnet das Buch als erschienen
»Pars. 1640«.
•'•) Italia sacra ed II. 1, 1160.
Alfonso Ceccarelli und Beine Fälschungen von Kaiserurkunden. J<J7
griffene Schrift Allacci's hiü. Auch Gamurrini i), der kurz nachher
seine genealogischen Untersuchungen veröffentlichte, war dadurch ge-
nöthigt und in die Lage versetzt den Fälschungen Ceccarelli's vor-
sichtig aus dem Wege zu gehen. Gleichwohl Hess er sich doch ge-
legentlich verleiten einen echten Kern als zu Grunde liegend zu ver-
muthen und noch weniger darf es uns verwundern, dass er einmal
(I. 863) eine von Ceccarelli gefälschte Urkunde Lothar's III für die
Buoncompagni (Stumpf Reg. 3281) für echt gehalten hat. Immerhin ist
ihm das Verdienst zuzuerkennen, dass er als erster eine Urkunde (Kon-
rads IL für die Monaldeschi) ausdrücklich als Fälschung Ceccarelli's
erklärt und zu dem Zwecke vollständig abgedruckt hat 2), damit man an
dem Beispiele andere von demselben Fälscher fabricirte Urkunden leichter
erkennen könne. Trotzdem fanden sich noch im 18. Jahrhundert Ver-
theidiger dieser Fälschungen. So hat Soldani in seiner Historia monasterii
S. Michaelis de Passiniano (S. 63 ff.) eine Anzahl Urkunden für die
Markgrafen von Monte Santa Maria für echt erklärt, die schon Ga-
murrini 3) verworfen hatte ; und Gamberto 4) soll nach Soldani 5) sogar
für die Echtheit des berüchtigtsten Hauptautors Ceccarelli's, des noch öfter
zu erwähnenden Fanusius Campanus, eingetreten sein. Die aufklärende
Schrift Allacci's hat offenbar bei ihrem Erscheinen nicht jene allge-
meine Verbreitung in Italien gefunden, um eine Fortsetzung der Täu-
schungen für immer unmöglich zu machen. Dies ist erst geschehen
seitdem Tiraboschi in seinem allverbreiteten Werke 6) die Resultate
von Allacci's Schrift zur allgemeinen Kenntniss gebracht hat.
Noch leichter als bei den Autoren konnte man bei Urkunden
Ceccarelli'scher Mache einer Täuschung anheimfallen. Allacci machte
zwar die Namen der gefälschten Autoren bekannt, nannte auch eine
Anzahl von Familien, für welche Ceccarelli Urkunden gefälscht hat,
aber der volle Umfang dieser Fälschungen lässt sich aus Allacci allein
J) Tstoria genealogica delle famiglie nobili Toscane I— V (Florenz 1668
bis 1685).
-') A. a. 0. I. 233.
3) A. a. o. T. 160.
4) Specchio della veriiä, Venedig 1719. — Ueber weitere Verwirrungen, die
durch Ceccarelli's Fälschaugen angestiftet wurden, vgl. auch Beltrani's Biographie
des Feiice Contelori, im Archivio della Societä Romana di storia patria 3, 37.
5) A. a. 0. 74.
fi) Storia della letteratura XII. 1507; vgl. V. 317, VI. 662, X. 122. Ueber
Ceccarelli handelt Tiraboschi auch in den Riflessioni sugli Scrittori genealogici,
Padua 1789. Bezeichnend für die geringe Verbreitung von Allacci's Schrift ist
der Umstand, dass Tiraboschi dieselbe nirgends aufzutreiben vermochte, bis man
endlich von Rom aus eine Abschrift derselben besorgte.
198 R i e g 1.
noch nicht ersehen. Aus den von Allacci publicirten Prozessakten x)
ergibt sich nur das in ganz allgemeinen Ausdrücken abgefasste Ein-
geständnis des Angeklagten, Privilegien laugst verstorbener Kaiser ge-
fälscht zu haben ; eine einzige solche Fälschung wurde von ihm im
Einzelnen zugestanden, nämlich diejenige der Constantinischen Schenk-
ung durch Kaiser Theodosius 2). So blieb man mangels bestimmter
Angaben im Dunkeln, welche die von ihm fäbricirten und in die
Familienarchive von halb Italien eingeschmuggelten Fälschungen seien.
Wie schon erwähnt wurde, ist selbst der vorsichtige Gamurrini in
einem solchen Falle der Täuschung unterlegen. Kein Wunder daher,
dass man auf der kaiserlichen Kanzlei in Wien ebenfalls in die Falle
gieng und z. B. im J. 1699 von Leopold I. fünf von Ceccarelli ge-
fälschte Kaiserurkunden für die Markgrafen von Monte Santa Maria
bestätigt wurden. Auch Urkunden für die Lottieri, Carpegna, und
Savelli, nicht minder Fälschungen Ceccarelli's, sind aus ähnlichen An-
lässen in das k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv gelangt. Ander-
seits hat noch in unserem Jahrhundert Acquacotta 3) eine Urkunde als
Fabrikat Ceccarelli's bezeichnet.
Als man nun in der Diplomata- Abtheilung der MG. bei der Bear-
beitung der Spuria Otto's I. angelangt war, stiess man auf eine
ganze Anzahl von Fälschungen, die auf Ceccarelli zurückzugehen
schienen. Das nur wenig variirte, sehr charakteristische, für das 10. Jahr-
hundert aber vollständig unmögliche Formular der als unzweifelhafte
Fälschungen Ceccarellis erwiesenen Urkunden kehrt nämlich oft wört-
lich wieder in einer ganzen Anzahl anderweitiger Fälschungen, die
noch nicht mit Ceccarelli in Verbindung gebracht worden waren. Es
schien daher wünschenswerte sich aus dem etwa auf dem Vatican noch
vorhandenen Processmaterial und vor Allem aus der (in Wien nicht
vorfindlichen) Schrift Allacci's einen möglichst weiten Ueberblick über
die Fälschungen Ceccarelli's auf urkundlichem Gebiete zu verschaffen.
In diesem Zusammenhang wurde mir, als ich mich im Anfange des
Jahres 1884 an das Instituto austriaco di studi storici nach Kom be-
gab, u. a. auch der Auftrag zu theil, Nachforschungen über den Um-
fang von Ceccarelli's Fälscherthätigkeit anzustellen. Ich entledigte
mich desselben, in dem ich einestheils einen ausführlichen Auszug aus
1) Das Verhörsprotokoll mit den Eingeständnissen Ceccarelli's im Einzelnen
scheint Allacci nicht zu Gesicht bekommen zu haben, sondern nur die Verthei-
digungsschrift des Fälschers, worin dieser das Eingestandene zu beschönigen sucht.
2) Von Grauert veröffentlicht im Jabrb. der Görres-Gesellschal't IV, 611.
3) Mernorie di Matelica ; lapidi e documenti, Ancona 1839, 19 n° 8.
Alfonso Ceccarelh und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 199
Allacci's Buche anfertigte, anderseits das auf der vatikanischen Bib-
liothek verwahrte Processmaterial, insbesondere die behufs Schuldbe-
weises saisirten Manuscripte Ceccarelli's, durchsah und soweit darin
Urkundliches erwähnt erscheint, excerpirte. Beides wurde in Form
eines einheitlichen Berichtes gebracht und der Leitung des Istituto
in Wien eingesandt. Dr. Adolf Fanta, der damalige Bearbeiter der
Spuria Otto's L, unternahm es sodann auf Grund seiner eigenen
diplomatischen Ermittlungen und des aus Korn beschafften Ma-
terials, das er in einigen Punkten auch nach der literarhistorischen
Seite ergänzt hatte, eine Abhandlung über Alfonso Ceccarelli und
seine Urkundenfälschungen für diese Zeitschrift abzufassen, wurde
aber leider an dem Abschlüsse derselben durch seinen vorzeitigen Tod
verhindert. Nun ergieng seitens der Redaction die Aufforderung an
mich, den Aufsatz druckfertig zu stellen. Dieser Aufforderung glaubte
ich trotz des verhältnismässig langen, seit meinen bezüglichen Unter-
suchungen verflossenen Zeitraumes, während dessen ich mich sehr
fernabliegenden Arbeitsgebieten widmete, gleichwohl nachkommen zu
sollen, zumal Prof. v. Ottenthai in freundlicher Weise die Revision
beziehungsweise Ergänzung der diplomatischen Erörterungen Fantas,
welche ich an ihrer Stelle wörtlich einschalte, übernommen hat.
Das Meiste, was man bisher über Ceccarelli's verbrecherisches Trei-
ben wusste, verdankt man der Vermittlung Leo Allacci's. Beim Process
spielten die bei Ceccarelli beschlagnahmten Manuscripte eine Haupt-
rolle, und darunter insbesondere sein Briefwechsel mit Alberico Cibo,
Fürsten von Massa. Man fand nämlich bei Ceccarelli einerseits die
Briefe Cibo's, anderseits die Concepte der Briefe Ceccarelli's, die heute
mit andern Stücken im Cod. Ottobon. 3053 zusammengebunden sind;
übrigens scheint Cibo die Originalbriefe Ceccarelli's selbst dem Richter
zur Verfügung gestellt zu haben. Dieser Briefwechsel, sowie die
Vertheidigungschrift (Liber Supplex) Ceccarelli's au die Richter
sind die Hauptquellen, aus denen Allacci seinen Bericht geschöpft
hat. Ueber Ceccarelli's Privatleben erfahren wir aber von Allacci
äusserst wenig; hier tritt namentlich ein die Jahre 1578 — 1580
umfassendes kurzes Notizbuch Ceccarelli's ergänzend ein, das im Cod.
Vatic. 6158 fol. 115 — 125 erhalten ist. Dieses scheint Contelori dem
Allacci nicht zur Verfügung gestellt zu haben, denn sonst würde letz-
terer wohl Gebrauch davon gemacht haben. Auch die Briefsamm-
lung im obcitirten Cod. Ottob. 3053 ist von Allacci nicht benützt
worden.
„Claudii et Trapeiae (sie) filius, Ceccarellus sive Ciccarellus " : in
200 R i e g 1.
diesen Worten erschöpft sich alles, was Allacci über des Fälschers Her-
kunft zu sagen weiss ; ausserdem nennt er Bevagna als seinen Geburts-
ort. Von seinen Familienverhältnissen erfahren wir blos, dass er eine
Frau Namens Imperia Ciccola besessen habe, der er einmal eine scherz-
hafte Grabinschrift l) weihte, was Allacci zum Beweise des witzigen
und launigen Geistes des Mannes anführt. Endlich weiss Allacci,
dass Ceccarelli's ursprünglicher Beruf der ärztliche gewesen sei. Einiges
Licht über die Verhältnisse in Ceccarelli's Elternhause verbreitet da-
gegen einmal ein Originalbrief des Vaters Claudio an seinen Sohn
Alfonso, datirt aus Bevagna zum 8. Nov. 1581, und erhalten im Cod.
Ottob. 3053 f. 116, mitten unter Stücken aus dem Briefwechsel mit
Cibo. Aus diesem Briefe geht hervor, dass der Vater ein Ehrenmann
gewesen sein muss , dem die traurigen Familienverhältnisse genug
Kummer und Sorge machten. In minder günstigem Lichte erscheint
die Mutter, der die Schuld an dem Missrathen eines anderen Sohnes
zugeschrieben wird. Aber auch mit Alfonso's Treiben, das er also
gekannt zu haben scheint, war der Vater durchaus nicht zufrieden;
nachdem er ihn wegen etlicher älterer Schulden an fremde Leute ge-
mahnt hat, sagt er des weiteren: ,,et dirö quel che assai volte ho
detto, che le vostre vigilie, fatighe e stenti si risolveranno in fumo
et in niente, ma voi volete cosi et cosi habbiate. "
Ganz wesentliche Aufschlüsse über Ceccarelli's Privatverhältnisse
gewinnen wir ferner aus seinen oberwähnten Memoiren. Dieselben
umfassen die Jahre 1578, 1579 und 1580, die er zugleich das 46o
47. und 48. seines Lebens nennt. Da er überdies hiebei das Jahr in
der 2. Hälfte des Februar umsetzt, so gewinnt es Wahrscheinlichkeit,
dass er in der zweiten Hälfte des Februar 1532 geboren wurde. Jedem
Jahre sind astrologische Betrachtungen vorausgeschickt, was bei einem
Arzte und dem damaligen Stande der Heilkunde nicht verwundern
darf. Angaben über sein körperliches Wolbefinden, über etwaige Er-
krankungen, ihre Dauer und die Mittel, mit denen er sich geheilt hat,
folgen darauf. Von seinem Vater ist mehrfach die Kede, von dessen
Erkrankung und einem für Alfonso offenbar ungünstigen Testamente,
das der erstere im J. 1580 gemacht hat. Wir erfahren ferner von
Verwandten, von einer im J. 1578 verstorbenen Tochter Felicitas, und
einem ungehorsamen Sohne Pannonius, dem er im J. 1579 das Haus
verbieten musste. Von seiner Frau geschieht keine Erwähnung, umso-
l) Alphonsus Ciccarellus Mevanas, civis Romanus ac multarum civitatum
Italiae Patricius beneineritus, Eques et comes Palatinus Imperiae Ciccolae conjugi
incomparabili etc.
Altbnso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 201
mehr dagegen von Liebschaften, die ihn mehr als einmal in finanzielle Be-
drängnisse brachten. Die Genauigkeit im Einzelnen, in welcher die bezüg-
lichen Aufzeichnungen geführt sind, wird nur übertroffen von derjenigen,
mit der er seine „literarischen" Honorare eingetragen hat. Im Jahre 1579
betrugen diese letzteren ein ganz stattliches Sümmchen; daneben muss
er aber auch ärztliche Praxis ausgeübt haben. Im J. 1580 hatte er
einen vornehmen Patienten im Bischof von Savona, den er auch nach
Grottaferrata begleitete. Ueberdies scheint er im Hause einer römischen
Dame ständiger Leibarzt gewesen zu sein, denn als er im August 1580
erkrankte: si ammalö tutta la casa della signora. Diese Herrin,
zu der er doch nur als Arzt in Diensten stehen konnte, war nach
einem von Bulifon überlieferten, weiter unten noch zu erwähnenden
Briefe vom 14- April 1581 eine Signora Ersilia, a Pasquino.
Die vornehmste Wichtigkeit besitzen diese Memoiren für uns da-
durch, dass er darin eine Reihe von Adeligen anführt, von denen er
Honorare bekommen hat. Wofür, können wir uns denken; es wird
aber gelegentlich auch ausdrücklich gesagt, und zum Ueberflusse ge-
steht er gleich im ersten Jahre (1578) die Nachmachung älterer Schrift-
stücke direkt ein. So mochte Ceccarelli mit diesen Memoiren dem
Richter selbst ein vernichtendes Beweismaterial an die Hand gegeben
haben. Aber auch die übrigen Notizen geben in ihrer Gesammtheit
ein so deutliches Bild von Charakter und Lebensführung des Mannes:
von seinen Passionen, seinen Geldnöthen, die ihn gelegentlich sogar
in das Schuldgefängnis brachten, und der daraus entsprungenen Nö-
thigung Geld zu verdienen, — dass ich dieselben unter blosser Hin-
weglassung der astrologischen Bemerkungen in extenso wiedergeben
zu sollen glaube.
Ciccarellis Memoiren, Cod. Vat. 6158, f. 115 — 125.
Liber Revolutionum mei Alphonsi ineipiendo ab Anno domini 1578 et anno
aetatis meae 46.
Revolutio anni 46 aetatis meae (1578). v
Iste annus fuit mihi in lucro medioeris, immo feci multas expensas inutiles
et multa expendidi in meretrice quadam juvene captus amore eius in ultima quarta
anni, et eam ingravidavi a die 8. Xbris usque ad 16. eiusdem mensis anni 1578.
Fuit annus totus sanus per gratiam dei, et semper commedi cum appetitu
et medioeriter usus sum coitu et in prineipio anni habui malum in^oculis et brevi
fui curatus.
Multa scripsi manu propria, quod habita sunt et tenen-
tur pro a n t i q u i s. Ex quibus plura lucratus sum et c o m p i 1 a v i
plura opuscula, quae hueusque lucratus sum de scriptis , per rae sunt
seudi 25 '), seudi 19.
') Wol von den Herren de Matelica, von denen Ciccarelli im Briefe an Cibo
vom 21. Jan. 1579 25 Aureos erhalten zu haben behauptet.
202 R i e g 1.
In mense augusti etiam ingravidavi mulierem Margharitam, cum qua pluries
usus sum coitu.
In mense octobris mortua est sora Veronica, quae est soror carnalis inei patris.
In mense 7bris Claudius pater meus ex casu ab alto multa passus est, et
stetit in fine mortis, tarnen evasit per gratiarn dei.
In fine anni die 15 februarii mortua est Felicita(s) filia mea, cuius animam
deus reponat in sinu suo propter eius misericordiam.
In mense Xbria mortuus est patruus meus carnalis d. Franciscus spetiosus
v. z. D.
Revolutio anni aetatis mee 47 (1579). De mense martii illa mulier gra-
vida fecit abortum.
In mense februarii Pannonius filius meus incepit esse mihi contrarius et
inobediens adeo quod coactus fui expellere eum et relinquere ut domum rediret.
In die S. Andree 1579 recevei in dono dall'abbate di S. Gre-
gor io d. 50. perche gli feci l'historia di casa Conti e de piu del
mese di gennaro 1 580 scudi X. et piü del mese di febraio
scudi 20. Item dal Sr Livio Lotthiero per certa scrittura do-
natali midonö scudi 12 nel mese di gennaro 1580.
Nel mese di novembre 1579 mi furono donati scudi 20 dal ves-
covo della Ripa (einem Buoncompagni).
Nel mese di febraio die 15, 1580 mi furono donati scudi 25 dal
Sr. Berardino Savelli con promissione di darmene piü assai delle altre
volte.
In questo anno sono stato sano tutto di corpo senza havere havuto mai
male alcuno per gratia di dio.
Revolutio anni aetatis mee 48 (1580).
Nel mese di marzo il Sr Berardino Savello mi donö scudi 12
d i p a o 1 i.
Nel medesimo mese il vescovo di Savona mi donö 25 scudi di paoli per
la cura della sua infirmitä; nel mese di aprile mi donö scudi 15 di paoli. Alli
25 di marzo andai col sopradetto vescovo di Savona a Grottaferrata et ci stetti
17 giorni et me ne partei per ritornare a casa per vedere mio padre ammalato
et mi partei di Roma alli 15 di aprile.
Ritornai da casa qui in Roma alli 20 di maggio. Ma mentre stttti a casa
patei molto per conto del testamento fatto da mio padre et di altri fastidii,
non dimeno fui ben visto et accarezzato da ognuno. Ritornato a Roma da li ad
un di stetti male per il male delle renelle tre giorni et guari colla gratia di dio
pigliando una medicinetta et facendo cbristieri ; poi stetti assai bene per 1' estate
et alli 4 di agosto mi ammalai del male del castrone, mi sanguinai, pigliai si-
roppi et presi medicina et in sei giorni mi curai. Et con me si ammalö tutta
la casa della signora.
Ristorato e vivendo innanzi et dopo ho fatto molte fatiche et da nessuno
sono stato rimunerato et d' ogni cosa ho visto il contrario.
Per la securtä fatta a pirro ci fui prigione un mezzo giomo alli t! di ottobre.
Et pigliando il termine di pagamento quella donna la pagai capo di un mese
che furono A. 19 sensa le spese. Alli 25 di ottobre Pieragostino di Roscio per
la securtä fattali per 76 scudi mi lassö suo berede et subbito morse delli
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserkunden. 203
quali robbe ne pato molti fastidii. Si come faccio ancora per la pigionc della
poetina.
Unter dem Personale des Vatikans scheint Ceccarelli auch einen
Verwandten besessen zu haben; wenigstens gab er einem Tomus VI
variarum lectionum (Cod. Vat. 6215), der sich unter seinen saisirten
Manuskripten befand, die Aufschrift: ex originali extante apud D.
Odoardum Ceccarellum capellae pontificiae musicum. Es ist dieser
Umstand vielleicht nicht unwichtig, weil Ceccarelli sich dieses Ver-
wandten zur Einschmuggelung von gefälschten Autoren in den Vatikan
bedient haben konnte.
Zur allgemeinen Charakteristik des Mannes möge auch eine Anek-
dote beitragen, die uns Allacci von ihm überliefert hat. Dass Cecca-
relli den Aberglauben seiner Zeit durch astrologische Charlatanerien
ausgenützt hat, mössten wir annehmen, selbst wenn es Allacci nicht
ausdrücklich berichten würde. Um mit einer seiner Weissagungen
für alle Fälle sicher zu gehen, verfiel er einmal auf folgenden Schwindel.
Bei einer Papstwahl (bei welcher, wird nicht gesagt), richtete er an
jeden älteren Cardinal, der als Papabile galt, ein anonymes Schreiben
worin er ihm zuverlässig die Wahl prophezeite ; doch knüpfte er daran
die strenge Mahnung, ja Niemandem davon Mittheilung zu machen
bis ihm nach vollzogener Wahl Jemand ein Erkennungszeichen brächte
von der gleichen Beschaffenheit, wie ein dem Schreiben beigelegtes.
So hoffte er auf jeden Fall von dem künftigen Papste etwas heraus-
zuschlagen.
Höchst charakteristisch für die Art und Weise, wie sich der Fälscher
mit seinen Angeboten an die ihm geeignet scheinenden Vornehmen
herandrängte, ist ein Brief von ihm an einen Francesco Mercanti,
datirt aus Rom vom 14. April 1581, und abgedruckt in Bulifons Brief-
sammlung *). Mercanti hatte ihn — was für den weitverbreiteten
Ruf des vermeintlichen Chronikenbesitzers und Dokumentensammlers
bezeichnend ist — im Namen der Herren Cavalcanti um eine
Chronik gebeten, in welcher vom Ursprünge dieses Hauses die Rede
wäre. Ceccarelli gibt in dem citirten Briefe vor, er hätte die Chronik
dem Signor Monaldo geliehen, es stünde übrigens nichts ■Wesentliches
von den Cavalcanti darinnen. Er besitze aber unter vielem Anderen
eine handschriftliche Chronik, worin nach der im J. 1103 verfassten
Geschichte des Piero Canigiano viel von den fiorentinischen Geschlech-
0 Lettere memorabili, istoriche politiche ed erudite, raccolte da Antonio
Bulifon I. Pozzuoli 1693, S. 129. Es ist dies derselbe Brief, in welchem er seine
oben gedachte Adresse (a Pasquino) angibt.
204 R i e g 1.
terii die Rede wäre. Der Ahnherr der Medici habe hienach im J. 806
eine Dame aus dem Hause Cavalcanti heimgeführt. Hierauf fährt er
fort: e son certissimo, che se Sua Altezza sapesse 1' origine di Casa
de' Medici, pagherebbe un buon beveraggio, perche in mano mia si
ritrovano gran cose. Si che V. S. puö farmi favore in varii modi e
mi puö ajutare e balzarmi innanzi, che io le prometto, che ho cose
alle mani, che ognuno ne resterä stupito. Aspetterö 1' aviso suo quanto
prima, perche sono ricercato da molti altri, se voglio dar questa cronica,
ma porgendomisi questa occasione ne o voluto scrivere a. V. S. per
intentar meglior fortuna u. s. w. — Dass die Medici in die Falle ge-
gangen wären, ist kaum anzunehmen ; für das Vorgehen des Fälschers
ist aber die Geschichte gewiss charakteristisch.
Am besten unterrichtet sind wir über die Negociationen, die Cecca-
relli mit Alberico Cibo, Fürsten von Massa geführt hat und die
sich durch einen Zeitraum von 7 — 8 Jahren hinzogen. Beim Prozesse
hat der bezügliche Briefwechsel, allem Anscheine nach, eine sehr wich-
tige Bolle gespielt, und da darin mehrfach die von Ceccarelli fabricirten
Autoren ausdrücklich erwähnt sind, hat Allacci darüber so viel mit-
getheilt, als er nur aus den Akten erfahren konnte. Wir befinden uns
in noch glücklicherer Lage, da uns überdies der Cod. Ottob. 3053 zur
Verfügung steht, den Allacci aus irgend eiuem Grunde nicht einsehen
konnte. Dieser Sammelband enthält nämlich nicht blos Concepte von
Ceccarelli's Briefen an Cibo, wogegen Allacci die wahrscheiulich von
Cibo zur Verfügung gestellten Originalbriefe benutzt hat, sondern auch
eine Anzahl von Briefen Cibo's von deren Inhalt Allacci nichts be-
kannt ist. Ich glaube mir diesen Umstand so erklären zu sollen, dass
aus den bei Ceccarelli saisirten Briefen Cibo's die für die Rechtssache
wichtiger scheinenden ausgesucht und den Prozessakten beigelegt wor-
den sind: diese Briefe kennt daher auch Allacci. Dagegen wurden
die minder wichtigen zusammen mit den Briefconcepten Ceccarelli's und
einigen anderen Schriften desselben in ein Convolut gebracht, das Allacci
von Contelori, gleichgiltig aus welchem Grunde, nicht vorgelegt worden
ist. Aus einem dieser Briefe Cibo's (Fol. 96) ersehen wir, wann der
Verkehr zwischen beiden Männern anhob und was die erste Veran-
lassung dazu gegeben hat. Vom 13. Juni 1574 ist dieser früheste
Brief Cibo's datirt, in welchem er sich bei Ceccarelli wegen einer
Stelle im Procopius anfragt, die angeblich von den Ahnen Cibo's han-
deln solle. Zu dieser Zeit müssen also Ceccarelli's genealogische Ent-
deckungen bereits Aufsehen erregt haben, da selbst ein so aufgeklärter
Mann wie Cibo sich an ihn wendete. Auf Fol. 98 folgt das undatirte
Concept eines Briefes Ceccarelli's, womit er dem Fürsten eine Schrift
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 205
„Simulacro di casa Cibo" *) überreicht. Der Schreiber unterzeichnet
sich hiebei bombastisch : Alfonsus Ciccarellus de Bevagua Filosofo eccmo
trovatore delle grandezze del mondo et tribuno delle Delitie dell' alma
natura. Cibo war aber nicht so leichtgläubig wie Andere, und ant-
wortete in einem Brief, den Allacci einsehen konnte, er habe keine
Spur von den bei Ceccarelli citirten Autoren linden können, und auch
der Cardinal Sirletti habe diesen Umstand für höchst bedenklich ge-
funden. Scipio Ammirato, den er ebenfalls darum befragte, habe bei
der Nennung der Autoren allein schon lachen müssen. Schliesslich
forderte der Fürst Ceccarelli auf anzugeben, wo sich die von ihm ci-
tirten Autoren aufbewahrt fänden ; bevor er dieselben nicht selbst zu
Gesicht bekäme, vermöchte er Ceccarelli's Ausführungen keinen Glauben
zu schenken.
Ceccarelli erwiderte hierauf am 24. März 1576 (das Concept hie-
zu auf f. 118) in einem ausführlichen Schreiben, das für die Kon-
statirung der von ihm gefälschten Autoren von grosser Wichtigkeit
ist und daher auch von Allacci ausführlich mitgetheilt wurde. Gegen
Sirletti's Kaisonnement wendet er vor allem ein, dass man demzufolge
auch den Plinius und den Plutarch und viele heilige Schriften des
Alten Testaments als unecht verdammen müsste, weil die Autoren, aus
denen dieselben schöpften, seither verloren gegangen sind. Gleich-
wohl stünde es mit seinen Autoren und zwar mit dem Fanusius Cam-
panus und dem Corellus 2) diesbezüglich sogar besser, als mit jenen
') Im später noch zu erwähnenden Index der Schriften Ceccarelli's führt Allacci
auch das Simulacro an; oh er die Schrift gesehen, lässt sich nicht entscheiden;
heute scheint sie auf der Vaticana nicht vorhanden zu sein. Noch eine zweite
Schrift, betitelt »dejubilaeo* hat Ceccarelli dem Fürsten bald, nachdem die Beziehun-
gen zwischen ihnen begonnen hatten, übersandt, und zwar angeblich um dadurch
ihre Drucklegung herbeizuführen. Der Fürst zeigte die Schritt mehreren in diesen
Dingen erfahrenen Männern, und besonders dem Jesuiten Ramirez, der manches
darüber zu bemerken hatte. Ceccarelli äusserte sich darauf zum Fürsten, er wolle
dem Ramirez nichts erwidern, da er sich sonst in die Notwendigkeit versetzt
sähe, wiederum einen ganzen Traktat zu schreiben; er könnte sich dessen uinso-
mehr enthalten, als die Schrift in allem und jedem von der hl. Inquisition appro-
birt worden sei. Auch habe ihm der Cardinal Sirleti nahegelegt, er möge das
ihm gewidmete Exemplar das mit zierlichen Buchstaben geschrieben war, zum
ewigen Gedächtnisse in der vatikanischen Bibliothek hinterlegen. — Allacci er-
zählt die Geschichte an der Stelle, wo er in seinem Verzeichnisse von Ceccarelli's
hinterlassenen Schriften den Traktat , de jubilaeo« erwähnt; geschöpft hat er sie
aus einem Briefe Ceccarelli's an Cibo vom 20. Sept. 1575, wozu sich das Concept
im Cod. Ottob. 3053 Fol. 108 erhalten hat.
') Jacobus Corellus de Colonia, Historia de cardinalatu, ist ein von Ceccarelli
206 B i e g 1.
unbezweifelten Schriften, denn sie existirten noch in „Mundi Biblio-
theca". Damit bewegte sich Ceccarelli allerdings in einem Cirkel,
denn diese Mundi Bibliotheca, die er in einer Geschichte des Hauses
von Santa Croce (siehe weiter unten) einem Henricus Barcellius de
Agrigento zuschreibt, ist selbst nichts anderes gewesen, als eine Fälschung
Ceccarelli's. In der Vertheidigung seiner Autoren fährt er aber fort:
die gelehrtesten Männer von Rom hätten sich zu ihren Gunsten er-
klärt. „Sed quod magis est, se certiorem esse redditum ab episcopo
Lutevano in Gallia, in Diegi Mendozae bibliotheca et in bibliotheca
D. Gulielmi a Choul in montibus Delfinatus Praefecti"' — risum teneatis
amici , bemerkt dazu Allacci — „multos ex illis quos ipse allegat,
reperiri'*. Von Aufbewahrungsorten seiner Autoren nennt er: für
den Fanusius Campanus und den Corellus die Bibliothek des Giacomo
Baoncampagni 1). Der Liber de notabilibus et memorabilibus mundi
von Johannes Selinus befände sich in Archivio arcis capitolinae. Die
übrigen angezweifelten Autoren verwahre er in eigenem Besitze.
Seine erdichtete Geschichte des Hauses Cibo scheint Ceccarelli von
Anbeginn mit gefälschten Urkunden gestützt zu haben. In einem un-
datirten Briefconcept (f. 91) heisst es nämlich: de piü gli dico che io
ho un libro antico dove sono molti privilegii de papi et de imperatori2),
libro notabilissimo et ce sono alcuni privilegii in favore di casa Cibo,
et questo basti per hora. Zwischen den Zeilen hat er dann hinzu-
gefügt: di Carlo magno et di Ottone impp. Ob er diesen Brief wirk-
lich abgeschickt hat, ist mir zweifelhaft. Wahrscheinlich hat er, durch
die Zweifelsucht des Fürsten angesichts des „Simulacro" bewogen, der
Urkunde, mit der er den Fürsten zu beschwindeln gedachte, von vorn-
herein einen vertrauenerweckenden Geleitbrief mitgeben wollen. Zu
dem Zwecke fingirte er die Geschichte eines im Hause des Stadtcaplans
zu Tosella bei Todi erfolgten Urkundenfundes 3), die einigermassen an
ein ähnliches, in unserem Jahrhunderte vorgefallenes Geschehnis er-
innert. Das Concept dieses Briefes (f. 92) ist datirt vom 5. Sept. 1578;
Allacci gibt einen ausführlichen Auszug aus dem ihm vorgelegeneu
oft citirter Autor aus seiuer eigenen Fabrik. Weitere von Ceccarelli gefälschte oder
wenigstens von ihm erdichtete Autoren sind : Johannes de Virgilio, Timocrates
Arsenius, Hermes trimegistos (de orbium proportione), Filarius Epidaurus, Pietro
Baccarino (Chronik von Italien).
•) Für diese Familie hat Ceccarelli nachweislich getälscht.
-) Von diesem »liber privilegiorum* wird noch die Rede sein.
s) Vielleicht hat er die Auffindung in der That mit Einverständnis des Stadt-
caplans in Szene gesetzt.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 207
Origiualbriefe, der zum 5. üecember 1578 datirt ist. Es heisst darin
unter Anderem:
Diebus elapsis l) in oppido quodani Tuderti, Thoscella dicto, in Eusebii
dicti oppidi Capellani aede in capsa antiqua niulti vetusti libri, contractus, scrip-
turae et privilegia in charta pergamena reperta sunt: ipse a Francisco Ciotto
Mevanate, mihi amicissimo, certior factus illuc me subito contuli et multa ibi
comperi imperatorum et summorum pontificum privilegia2), inter
ea erat unum Ottonis primi Imperatoris Guidoni Cibo scriptum
cuius tibi exemplar transmitto ; et aliud Honorii papae II. familiae Montimarti,
quae nun Corbaria dicitur, in quo subscribitur : Ego Uldaricus Cibo Genuensis,
presbyter cardinalis ss. Joannis et Pauli. Et haec omnia privilegia ab eodem
Eusebio, cum ipsi maria et montes promisissem, extorta penes me habeo et licet
mihi magna nonnulli pollicerentur, non ea tarnen a me sibi impetrarunt. Si
quid ex his tuo usui esse poterit, tantum mihi indicato.
Nun glaubte sich Ceccarelli genügend gesichert, um das Privileg
selbst dem Fürsten überreichen zu können. Die Antwort des Fürsten
auf das Geschenk mag dem geldbedürftigen Fälscher zu lange ausge-
blieben sein, deun um Weihnachten desselben Jahres hat er einen
Brief an Cibo concipirt, der auf f. 123 vorliegt und die Befürchtung
ausdrückt, dem Fürsten könnten Bedenken gegen die Echtheit des
Diploms aufgestiegen sein: gli dico che non dubiti che non sia antico
quel privilegio, perche e stato trovato fra molti altri che ho et da
molti sono stati pigliati per degna memoria della loro nobiltä, et solo
vostro e col sigillo il quäle ha avuto il Sr. Fulvio Orsino. Zum
Schlüsse sagt er mit gewohnter Ungenirtheit : Et poiche e il natale,
colla risposta aspetto la mancia. In der That hatte der Fürst in-
zwischen bei Sachverständigen Umfrage gehalten, ob der Echtheit der
Urkunde zu trauen sei. Ein Bischof Anatolius erklärte es für viel
jünger, als die Zeit, aus der es stammen sollte. Noch eine ganze Keine
anderer gravirender Einwürfe — ad fastidium usque scribentis, sagt
Allacci — machte Cibo in seiner Antwort Ceccarelli gegenüber geltend,
und hierauf erfolgte ein ausführliches Vertheidigungsschreiben des
Fälschers, das uns gleichfalls doppelt, im Original bei Allacci und im
Cod. Ottob. 3053 f. 93 erhalten ist. Das frische nichtalterthümliche
Aussehen der Urkunden — offenbar einer der Gründe für Anatolius'
Diagnose — erklärt er durch die sorgfältige Art der Aufbewahrung;
es wäre nichts Verwunderliches dabei: cum in sacri palatii bibliotheca
scripturae et libri alii manuscripti repositi sint ante nongentos et mille
J) Im Concept heisst es: nel principio del mese passato, mehrmals um-
gebessert.
-) Im Concept nennt er 12.
208 R i e g 1.
annos descripti qui nunc temporis exarati videntur. Dass die Cibo'schen
Privilegien gerade in Todi gefunden seien, brauche auch nicht zu ver-
wundern; ursprünglich wären sie im Archiv von Orvieto aufbewahrt
gewesen und erst nach Niederbrennung dieser letzteren Stadt nach
Todi gerettet worden. Auch die Privilegien vieler anderer Familien,
z. B. der Rangona, wären auf diese Weise nach Todi gekommen.
Uebrigens habe sich daselbst auch Bonifaz IX. aus dem Hause der
Cibo zeitweilig aufgehalten. In Rom habe man die Privilegien unbe-
denklich für alt gehalten, die Ottoni von Matelica hätten eine darunter
befindliche Bulle, die von der Schenkung von Matelica handelt, sogar
in ihrem Rechtsstreite vor Gericht vorgelegt; für eine Copie dieser
Bulle hätten ihm die Ottoni *) 25 Golddukaten gezahlt 2). Es möge da-
her auch Cibo das ihm von Ceccarelli übersandte Privileg mit nota-
rieller Beglaubigung versehen lassen und im Familienarchiv seines
Hauses reponiren. ,,Annon jam tenes subdolas Ciccarelli technas? ruft
er pathetisch aus.
Der Fürst war aber weder von der Echtheit der Urkunden, noch
von derjenigen der im Simulacro genannten Autoren zu überzeugen;
auch nicht durch einen eigenen Geschichtsschreiber Namens Filippo
Scaglia, den Ceccarelli nachträglich für ihn gefälscht zu haben scheint:
wenigstens nennt Ceccarelli denselben in der Einleitung zu seiner
Historia di casa Monaldesca, die im J. 1580 in Druck erschienen ist,
als im Archiv des Alberico Cibo befindlich. Wann der endgiltige Bruch
eingetreten ist, bleibt ungewiss. Ein Briefconcept Ceccarellis vom
4. März 1581 oder 1580 3), (f. 105) lässt noch ein leidliches Verhält-
nis erkennen. Da aber vom Fürsten schlechterdings nichts heraus-
zuschlagen war 4), entschloss sich der Fälscher endlich zu einem Ab-
sagebriefe an denselben. Zwei Concepte liegen hiefür vor. Das erste
(f. 111) ist in sehr scharfen Ausdrücken abgefasst, die das herbe Maass
der Enttäuschung des Fälschers deutlich erkennen lassen: er droht
dem Fürsten für dessen rinocerotica opinione mit nichts Geringerem
') Denen allerdings die Bulle von grösstem Werthe war, da sie eben damals
die Herrschaft über Matelica einbüssten.
2) Eine Entlohnung von 50 Ducaten führt mit Berufung auf Actenstücke
Acquacotta in den Mem. di Matelica p. 55 an.
3) Die ohnehin schwer leserliche Schrift ist durch das zum Schutze über-
geklebte Papier — wie es auf der Vaticana bei brüchig gewordenen Handschriften
Brauch ist — nahezu unleserlich geworden.
4) »E Ciccarelli nugamentis antiquissimain suam stirpem inquinari magis
quam illustrari* äusserte sich der Fürst schliesslich in einem Briefe, wie Allacci
mittheilt.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von .Kaiserurkunden. 209
als mit der gänzlichen Todtschweigung seines Hauses. Doch besann
er sich später eines Besseren — wusste man doch nicht, wozu es gut
sein konnte — und entwarf ein zweites Concept (f. 120), das in mas-
sigeren Ausdrücken abgefasst war.
Der Handel mit Cibo schloss also für Ceccarelli mit einem ent-
schiedenen Verlustsaldo: ho fatto molte fatiche e da nessuno sono
stato rimunerato et d' ogni cosa ho visto il contrario, sagt er in seinem
Eesume über das Jahr 1580, und mag dabei ganz besonders die an
Cibo's Ahnenglorifizirung verschwendete Liebesmühe im Auge gehabt
haben. Ausser Cibo weiss Allacci — wohl auf Grund der bei Cecca-
relli vorgefundenen Briefe — nur noch Einen zu nennen, der dem
Fälscher durch seine Neugierde hinsichtlich der Autoren unbequem
geworden ist. Es war dies der damalige Bischof von Novara, der
einen von Ceccarelli gefälschten Katalog der Bischöfe von Novara be-
sass und in den mailändischen Bibliotheken keine Spur von den in
jenem Kataloge citirten Autoren finden konnte. Ceccarelli zieht zu-
erst die Antwort hinaus, äussert sich dann ausweichend und wider-
spruchsvoll, sagt bald, er hätte den Autor in eigener Verwahrung, bald
er würde ihn nur gegen Deponirung einer Geldsumme zu Händen be-
kommen, bald wollten ihn die Fürsten, denen er ihn geliehen, nicht
mehr herausgeben ; endlich beruft er sich auch auf unbestimmte Aus-
sagen Anderer.
Weit zahlreicher aber waren diejenigen unter Ceccarelli's Kund-
schaften, die seine Machwerke in Treu und Glauben als echt entgegen-
nahmen und den vermeintlich kundigen Vermittler belohnten.
Inwieferne dies seitens der Familie Santa Croce der Fall war,
lässt sich zwar nicht mit Bestimmtheit sagen. In einer Handschrift der
Barberina (XXXII. Q2) findet sich an eine echte Selbstbiographie des Cardi-
nais Prosper von Santa Croce angefügt : Alphonsi Ciccarelli de origine anti-
quitate nobilitate illustrissimae domus Sanctacruciae. Beides hat G. B.
Adriaui edirt in den Miscell. di storia italiana, Torino 1868 Vol. V, 465
bis 476. Die Vorfahren der Familie lässt Ceccarelli unter dem Namen „Des-
creutetii" (Des Creutes =Kreuz = Crux) aus Deutschland eingewandert sein.
Weiters weiss er eine Menge Namen des 9. und 10. Jahrh. zu nennen,
und citirt hiefür als Gewährsmänner den Fanusius Campanus, Johannes
de Virgilio, Jacobus Corellus, Heinricus Barcellius und sogar einen
Hermes Trimegistos. Zum Schlüsse sagt er: accipe cardinalis amplissime
geniales honores et tuae illustrissimae domus honores, quae mihi
hucusque nota sunt. Dies lässt darauf schliessen, dass Ceccarelli
bereit war noch weitere Nachrichten zu finden. Der Cardinal scheint
Mittrheilungon XV. 14
210 Riegl.
aber keinen Werth darauf gelegt zu haben, denn wir begegnen keinem
Diplom das für die Santa Croce gefälscht wäre. Erwägt man näm-
lich, dass Ceccarelli für alle die leichtgläubigeren Adeligen, deren eine
ganze Anzahl wir schon aus seinen Memoiren (S. 201 f.) kennen,
zugleich Diplome gefälscht hat, so drängt sich der Schluss auf, dass
er bei den Santa Croce mit seinen Anerbietungen keinen Erfolg ge-
habt hat. In der Liste von Cardinälen dieses Hauses nennt er u. a.
einen Alexander Santacrucius romanus, lebend zur Zeit Heinrich's I. ;
vielleicht hat er ihn einmal in einem gefälschten Diplom dieses Königs
als Zeugen verwendet.
Sehr reiche Früchte trug dem Fälscher seine Thätigkeit für die
Familie der Conti. Im J. 1579/80 erhielt er nach den Memoiren
von dem Abt von S. Gregorio in mehreren Raten zusammen 80 Scudi.
Es war dies das Honorar für eine von Ceccarelli verfasste Historia
della nobilissima et antica casa Conti Romana, die uns im Codex Ottob.
2611 erhalten ist1). Ceccarelli hat hier zwei falsche Urkunden auf-
genommen: eine Ludwig's II. für sieben Söhne des Faustus de Coini-
tibus (Rom 871 Juni 28) und eine Friedrich's II. für Benedikt Conti
(Monte Malo 1220 November 24), deren Originale sich nach seiner
Angabe bei dem Abte Hieronymus Conti von S. Gregorio befanden.
Doch will ich gleich hier bemerken, dass sich für die Conti noch drei
andere Urkunden in hinterlassenen Schriften Ceccarelli's vorgefunden
haben, und zwar Otto's I. für Johann und Ludwig Conti (Viterbo 902
November 10), Friedrichs I. für Alexander Conti (Mailand 1162 April 10)
und Heinrich's VI. für Petrus, Ubertus und Guido Conti, (Bari 1196
September 20). Offenbar erschien der Abt von S. Gregorio dem Fäl-
scher als so geeignetes Ausbeutungsobjekt, dass er ihm nach Abliefe-
rung der ,, Historia" seines Hauses noch drei weitere Urkunden ange-
hängt hat.
In demselben Jahre 1579/80 bekam Ceccarelli auch von dem Herrn
Livio von Castell Lothieri 12 scudi per certa scrittura donatali.
Diese „scrittura" liegt uns noch vor; es ist die Urkunde Otto's I. für
Rainerius Lothieri (Viterbo 962 August 19). Von dieser Urkunde be-
finden sich zwei Abschriften im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien.
Die eine ist eine gleichzeitige kalligraphische Ausfertigung eiues am
20. December 1580 auf Verlangen des Herrn Attilius Lothieri ange-
fertigten notariellen Transsumptes, welche Meiller 2) benützt hat, die
') Für die Urkunden-Citate im Einzelnen verweise ich ein für allemal aut
das am Schlüsse dieser Abhandlung befindliche Gesammtverzeichnis der von Cec-
carelli gefälschten Diplome. '-') Oesterr. Notizbl. 11. 373.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 2il
zweite eine notariell beglaubigte Abschrift vom 9. Mai 1699. Fran-
cesco Maria Lothieri bewarb sich nämlich im Jahre 1699 um die Be-
stätigung dieser Urkunden und auf diese Weise kamen die Abschriften
nach Wien. Die Bittschrift, welche damals eingereicht wurde, besagt,
dass auch andere Herrscher das Privileg Otto 1. bestätigt hätten. Die
Namen der Herrscher nennt die Bittschrift nicht. Im vierten Buche
des Fanusius Campanus wird aber wirklich eine Urkunde Konrads II.
für die Lothieri erwähnt und eine zweite Friedrichs I. für Sinolph
Lothieri (Mailand 1162 März 23) befindet sich vollständig eingerückt
in dem Cod. Ottob. 3053. In letzterer Urkunde werden neben der
Urkunde Otto I. auch solche Otto IL, Otto III. und Heinrich IL er-
wähnt uud wir müssen uns daher die Möglichkeit offen halten, dass
diese Fälschungen von Ceccarelli auch wirklich ins Werk gesetzt
wurden.
Am 15. Februar 1580 bekam Ceccarelli von Bernardino Savelli
25 scudi „con promissione di darmene piü assai delle altre volte",
und wirklich erhielt er noch 12 scudi im März. Wofür er diese
Summe bekommen, sagt Ceccarelli nicht. Aber es ist uns eine Ur-
kunde Otto I. für Virginius Sabellus (Aachen 964, August 10, BO.Keg. 361)
erhalten, die sich den Urkunden Otto I. für die Conti und Lothieri
ganz zur Seite stellt. Die Urkunde, welche jetzt im Haus-, Hof- und
Staatsarchiv zu Wien bewahrt wird, ist uns noch in der Gestalt er-
halten, wie sie aus der Fabrik Ceccarelli's hervorgieng. Sie will als
Original erscheinen und ist mit Ausnahme der scheinbar von anderer
Hand herrührenden Kanzlerunterschrift mit rother Tinte auf grobem
Pergament geschrieben. An der Plicatura hängen noch die aus rother
Seide und Silberfäden geflochtenen Siegelschnüre. Ein Siegel aber fehlt
jetzt. Diese Urkunde erwähnt Ceccarelli wirklich in seinem dreibän-
digen Werke über den römischen Adel 1). Er beschreibt sie als ein
privilegio di Ottone primo imperatore quäle e scritto a lettere rosse
e si trova in mano dell ill1110 Cardinale Savello. Aber für die Savelli
fälschte er auch noch andere Urkunden : so eine Heinrich's VI. und
und eine Friedrich'« IL (Rom 1221 Januar 18), welche er in dem-
selben Werke erwähnt. Von letzterer Urkunde hat sich auch das
Fabrikat Ceccarellis im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien erhalten.
Es ist mit gewöhnlicher Tinte unverkennbar von derselben Hand ge-
schrieben wie das oben erwähnte Exemplar der Urkunde Otto's I; ein
Siegel ist nicht mehr vorhanden. Die verlängerte Schrift beider Ur-
kunden lässt auf Vorlagen von Urkunden Otto's IV. und Friedrich's II.,
') La serenissima nobilta dell1 ahua citta di Koma, Cod. Vat. 4909—4911.
14"
212 Riegl.
von denen Ceccarelli gewiss, wie wir noch sehen werden, einige ge-
sehen haben muss, schliessen. Die Contextschrift dagegen ist rein ge-
künstelt; es ist dies eine Fantasieschrift, die sich Ceccarelli selbst zu-
recht gelegt und die nie bestanden hat. Im grossen und ganzen
herrscht der maiuskle Charakter vor, darunter stark verschlungene
Minuskelbuchstaben. Am ehesten lässt sie sich noch mit der unter
Hadrian VI. an der römischen Curie aufgekommenen sogenannten scrit-
tura Liegese vergleichen.
In seinem obenerwähnten Werke über die römischen Adelsfamilien
erwähnt Ceccarelli ausser den bereits angeführten Urkunden auch die
Otto's I. und Otto's IV. für die Carpegna, die Konrad's II. für Tancred
Monaldo, Otto's I. für die Familie Ottoni (Ludwig und Peter de Ponte)
und endlich die Karls des Grossen für die Markgrafen von Monte
Sta Maria. Er selbst bemerkt einmal x) : Tutti questi privileggi stanno
in mano delli sopradetti et io gli ho visti in mano loro con sigilli et
autentichi in ogni modo.
Otto I. für die Carpegna lehnt "sich ganz an die schon ange-
führten Urkunden desselben Herrschers für die Conti, Lothieri und
Savelli an. Clementini, welcher das Archiv der Carpegna zu Scavolino (an
der Marechia) benützen konnte, geht auf das Fabricat Ceccarellis selbst
zurück. Uns liegt sie in einem Transsumpt vom Jahre 1692 vor, in
dem sich auch die bisher nur im Extrakt bekannte Urkunde Otto's IV.
befindet (im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien). Der Transsumpt
beschreibt die Urkunde Otto's I. folgender Massen : in prisca membrana
et integra pergamena seu membrana descripti ac aureo sigillo cordulis
sericis ac rubris decore muniti dependentis. Diese Abschrift scheint
erst 1749 nach Wien gekommen zu sein, als es sich um die Erbnach-
folge in den Besitzungen der Carpegna handelte und es ist damals in
den Akten vermerkt, dass nur jene zwei Kaiserurkunden für die Car-
pegna existirten. Trotzdem muss aber eine dritte vorhanden gewesen
sein und zwar eine Heinrich's II; denn Ceccarelli führt einmal einen
Namen aus der Zeugenreihe derselben an. Eine Urkunde Otto I. für
das Geschlecht der wie die Carpegna zu ßimini gehörigen Grafen
Guidi di Bagno erwähnt Clementini mit wenigen Worten, die aber
genügen, um auch hier mit ziemlicher Sicherheit eine Fälschung Cec-
carelli's zu erkennen.
Ausgebreiteter scheint seine Thätigkeit für die Monaldeschi
gewesen zu sein. In seinem Nachlasse befand sich eine Geschichte
von Orvieto, in welcher er die Monaldeschi oft zu erwähnen hatte.
') La serenissima nobilta dell' alma cittä di Roma, Cod. Vat. 4M08 S. 29fi.
Alfoiiso Ceecarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 21o
Auch eine Geschichte dieses Hauses hat er verfasst l) , doch finden
wir in seinem Tagebuche nicht verzeichnet, was er dafür bekommen.
Dieses Werk enthält zwei Urkunden: Die eine Friedriche II. (Böhmer-
Ficker Reg. 450) ist echt, aber die zweite Otto's IL für Ludwig Mo-
naldeschi (Stumpf Reg. 463) eine Fälschung, welche auch im Fanusius
Campanus erwähnt wird. Doch schon bei der Geschichte des Hauses
Conti haben wir gesehen, dass er noch nachträglich Urkunden für
dieses Haus gefälscht hat, die in der „Geschichte" natürlich noch
nicht enthalten sein konnten. Ebenso lassen sich auch für die Monal-
deschi noch andere Urkunden ausser den genannten nachweisen: so
eine Otto's III (Stumpf Reg. 1170a) und die bereits erwähnte Kon-
rad's IL, die Gamurrini als Muster zur Kennzeichnung der andern
Fälschungen Ceccarelli's abgedruckt hat.
Ceecarelli hat aber auch an manche Adelige angebliche Privilegien
ausgehändigt, die gar nicht für das Haus derselben ausgestellt waren.
So erfahren wir aus Gamurrini, dass er das Privileg Konrads II. für
die Monaldeschi für die Genealogie der Ubertini (Grafen von Chatig-
nano) verwerthete und da genügte es in die Zeugenreihe einen Albertus
Ubertinus comes Florentii pincerna hineinzubringen. Das Privileg
scheint sich auch wirklich im Besitze der Ubertini befunden zu
haben. Sicher können wir ein solches Verfahren des Fälschers gegen-
über den Orsini nachweisen. Fälschungen Ceccarelli's für diese Fa-
milie seheinen nicht vorhanden zu sein. Aber er erwähnt selbst ein
privilegio di Federico primo imperatore fatto a casa Malatesta d' Ari-
mini il quäle si trova in mano dell' illmo Arrigo Orsino marchese di
Stimigliana; fra gli altri testimoni ce si legge questo di casa Orsino,
il quäle era marescalco dell' imperio : Julius Ursinus marescalcus imperii
nel fine di detto privileggio che questo fü 1' anno della salute 1186.
Eine Urkunde Otto's III. für die Malatesta wird im Fanusius Cam-
panus erwähnt; ob Ceecarelli diese Fälschung wirklich ins Werk ge-
setzt hat, bleibt freilich unentschieden. Wahrscheinlich konnte er die
beiden Fälschungen bei dem Hause, für welches sie bestimmt waren
nicht anbringen und desshalb hat er wenigstens die eine bei den Or-
sini, für welche sie ja auch einen Werth hatte, verwerthet. Daraus
erklärt sich auch, dass Clementini, der Lokalgeschichtsschreiber von
Rimini, von diesen Urkunden keine Kenntnis hatte.
Fünf Urkunden fälschte Ceecarelli endlich für die Markgrafen
von Sta Maria del Monte. An der Spitze steht die Karls des
Grossen für Arimbert, priueeps der Baronie Burbonia (Böhmer-Mühl-
') Dell' historia di Casa Monaldesca, Ascoli 1580.
214 Riegl.
bacher Keg. 371); es folgt die Ludwig's II. für den Markgrafen Karl
von Thuscien, die sich mit der Fälschung Ludwig's IL für die Conti
nahe berührt , die Berengars IL für Uguccio de Colle von 917,
Friedrichs I. für Uguccio de Colle, Sohn des Philipp und endlich Hein-
richs VII. für die Markgrafen Kigoue und Ghino von 1312 December 12;
alle die Urkunden werden bei Fanusius erwähnt. Soldani, der die
Echtheit dieser Urkunden vertheidigt x), bemerkt, dass die Originale
derselben nach dem Tode des Markgrafen Cerbone an die Herrn
Del Nero gekommen seien; er selbst war auf Copien angewiesen. Alle
diese Urkunden wurden im Jahre 1699 von Leopold I. bestätigt2).
Dies sind die Namen der vornehmsten Familien, für welche Cec-
carelli in besonders intensiver Weise als Urkundenfälscher thätig war.
Natürlich ist damit die Zahl seiner Kundschaften überhaupt weitaus
nicht erschöpft; aus der am Schlüsse dieser Abhandlung beigefügten
Gesammtliste der von Ceccarelli gefälschten Diplome — soweit wir
sie bis jetzt zu übersehen vermögen — ergibt sich noch eine reiche
Anzahl weiterer Namen. Insbesonders für Bologneser Familien muss
er sehr stark beschäftigt gewesen sein, da er denselben ein besonderes
Buch gewidmet hat, wie wir an der Hand Allacci's noch erfahren
werden.
Den Aulass zur endlichen Verhaftung Ceccarelli's bot, wie schon
erwähnt wurde, eine von ihm begangene Fälschimg von Besitzurkunden.
Freilich wurden daun sofort auch seine genealogischen Fälschungen
in die gerichtliche Untersuchung einbezogen, da er durch dieselben
allein schon der professionsmässigen Urkundenfälschung überwiesen
erschien. Ceccarelli hat sich im Laufe des Prozesses zu theilweisen
Geständnissen herbeigelassen, nicht ohne das Eingestandene mit Ent-
schuldigungsgründen zu beschönigen. Zu diesem Zwecke verfasste er
eine Selbstvertheidigungsschrift, die Allacci Liber supplex nennt,
und in die ihm von Contelori Einblick gewährt wurde. Die Einge-
ständnisse selbst waren in den Verhörsprotokollen enthalten, auf die
sich Ceccarelli im Liber supplex beruft: in actis pleraque continentur
quae ipse confessus sum. Ob Allacci diese Protokolle selbst eingesehen
hat ist zweifelhaft; ich konnte sie ebensowenig wie den Liber supplex
selbst auf der Vaticana zu Stande bringen. Die Eingeständnisse sind
im Liber supplex mit einer einzigen das Theodosianum 3) betreffenden
') Soldani a. a. 0. 72.
2) Soldani a. a. 0. 105 Anm.
3) Diese Fälschung will Ceccarelli nur im Interesse der Wahrheit begangen
haben.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 215
Ausnahme von der schon auf S. 198 die Rede gewesen ist, bloss in
allgemeinen Ausdrücken gehalten. So gestand er ein, Privilegien
längstverstorbener Kaiser gefälscht zu haben; mit Eücksicht auf die
Wichtigkeit dieses Eingeständnisses bringe ich dasselbe hier vollständig
zum Abdruck.
Allacci S. 281:
Confessus praeterea sum nonnulla meiinperatoruin demortuoruni
privilegia composuisse: id vero molitus sum ad decorem familiarum,
namque cum inter legendum reperissem praedictas familias multis a dictis im-
peratoribus gratiis fuisse cohonestatas , ea ad aliorum exemplar con-
scripsi, quemadmodum multi alii historici fecerunt, quippe familiis nobilibus
atque iUustribus pertractantes multa composuerunt privilegia: qualis est Fran-
ciscus Rosieres in stenimatibus Lotharingie, Wolfgangus Lazius in Lib. de trans-
migratione gentium, Franciscus Sansovinus in suis Historiis, Scipio Ammiratus,
Lucas Contilis, et alii scriptores et historici, ideoque neque ipse reprehensionem
mereor, neque notam falsitatis subeo, quoniam non id peregi contra veritatem,
sed pro veritate in favorem nobilium et illustrium familiarum neque in praeju-
dicium imperii.
An anderer Stelle (S. 283) gesteht er die Fälschung von Trans-
sumpten ein.
Confessus sum nonnullas genealogias ad modum transsump-
torum confecisse: eas ex autorum approbatorum libris aliisque scripturis
erui ; idque ideo feci, quod in aliis etiam me vidisse recordor, mente non mala; sta-
bilire enim fulcireque veritatem cum veritate non est alienum a iure, quoniam non
fit contra veritatem neque in praejudicium alienum, sed in honorem familiarum
illustrium.
Endlich hat er die Fälschung der Geschichte vieler Adelsfamilien
und italienischer Städte unumwunden zugegeben, leider ohne Nen-
nimg von Namen im Einzelnen.
Den im Liber supplex geltend gemachten Entschuldigungsgründen
scheinen die Richter keine Giltigkeit zuerkannt zu haben, da sie den
Fälscher dem Schaffet überantwortet haben. Ein urkundliches Datum
hiefür ist aber nicht überliefert. Da sich von Ceccarelli's Thätigkeit
über das Jahr 1581 keine sicheren Spuren mehr finden, und der Pro-
zess nach Allacci's Mittheilung in die Zeit Gregor' s XIII. gefallen ist,
so mag die Hinrichtung in der That, wie einige spätere Autoren be-
richten im J. 1583 stattgefunden haben l). Auch über die Art des
Todes war zu Allacci's Zeit nichts Bestimmtes mehr zu erfahren. Nach
einer Version, für die sich Allacci auf Adriano Politi als Gewährsmann
beruft, wurde er, nachdem ihm die Hand abgeschlagen worden, am
') Dieses Jahr nennt Fumagalli Istit. dipl. IL 405 ausdrücklich als das Jahr
der Hinrichtung; über die Todesart ist daselbst nichts gesagt; auch Soldani a.
a. 0. 73 lässt im J. 1583 das Todesurtheil über Ceccarelli gefällt sein, woraus
er sogar eine Stelle zu citiren weiss.
216 R i e g 1.
Pfahle erdrosselt und sodann verbrannt. Aber auch eine zweite Ver-
sion, nach welcher der Fälscher enthauptet worden wäre, wird von
Allacci erwähnt und als Gewährsmänner hiefür Jacobus Grimaldus,
opusculura de sacrosancto Veronicae sudario et lancea, und Ughelli's
Italia sacra l) citirt.
Da Allacci sich bei dieser seiner Arbeit zum Hauptzwecke gesetzt
hatte, die Autorenfälschungen Ceccarelli's ihrem vollem Umfange nach
festzustellen, hat er es sich zu diesem Behufe besonders angelegen sein
lassen, ein möglichst vollständiges Verzeichnis der Ceccarelli'schen
Schriften zusammenzubringen. Dasselbe liegt uns vor in drei Indices, die
Allacci am Schlüsse seines Berichtes abgedruckt hat. Ich gebe im
Nachstehenden den Inhalt dieser Indices, soweit mir derselbe bei der
Durchsicht in Kom für den mir gestellten Zweck kopirenswerth er-
schien. Alle daiin genannten Schriften, die mir in Rom zugänglich
gewesen sind, wurden von mir eingesehen und das auf Urkunden be-
zügliche Material hieraus excerpirt. Die darin vorgefundenen Citate, Ee-
gesten, Abschriften einzelner Kaiser-Urkunden sind in dem am Schlüsse
dieser Abhandlung beigefügten Gesammtverzeichnisse der dem Cecca-
relli bisher nachgewiesenen Fälschungen von Kaiserurkunden auge-
führt. In der Aufzählung der Schrifteu folge ich der Anordnung
Allacci's, und füge zur besseren Orientierung laufende Nummern bei.
Allacci's Bemerkungen gebe ich im lateinischen Text, um dieselben
von meinen eigenen Zusätzen in einer jeden Zweifel ausschliessenden
Weise zu trennen.
Index primus scriptorum ipsius Ceccarelli, sive typis editoruin sive
manuscriptorum ; adduntur etiam ea, quonim apud eundem Ciccarellum vel alios
raentio aliqua extat.
1. De Clitumno flumine celeberrimo, editum cum opusculo * de
tuberibus1 1564. — Das Exemplar auf der Bibl. Casanatensis (Alpkonso Cicca-
rello a Maevania physico auctore) enthält keine Urkunden, wohl aber Citate aus
einigen der von ihm gefälschten Autoren, wodurch bewiesen erscheint, dass die
bezügliche Thätigkeit des Mannes bis in die Sechszigerjahre zurückreicht. Viel-
leicht darf man auch die Vermuthung ableiten, dass Ceccarelli zuerst mit der
Fälschung von Autoren, und erst später mit derjenigen von Urkunden be-
gonnen hat.
2. Dell' his toria di Casa Monaldesca, libri cinque. In Ascoli
appresso Gioseppe degli Angeli 1580. Addidit dell" origine d' Orvieto (vgl. S. 212 f.).
Diese Druckschrift scheint allein weitere Verbreitung gefunden zu haben, da sich
ein Exemplar derselben auch auf der Wiener Universitätsbibliothek vorfindet.
3. Relatum est mihi eundem typis edidisse Originem et historiam
familiae Boncompagnae. Ipse eam nondum vidi. — Auch ich nicht; dass
') A. a. 0. I, llb'O.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälscliungen von Kaiserurkunden. 217
der Fälscher iür die Boncompagni thätig war, ist schon durch seine Memoiren
bezeugt.
Et haec quidem ipsius edita sunt ; non edita vero :
4. La serenissima nobilitä del Talma cittä di Roma, tomi tre.
Conservantur in Bibliotheca Vaticana num. 4909, 4910, 4911. — Existiren daselbst
noch unter den gleichen Nummern, und bilden nächst dem Fanusius Campanus
die reichste Fundgrube für die Constatirung von Ceccarelli's Urkundenfälschungen.
5. De historicorum ordine et collectione secundum tempora
quibus floruerunt, seu Bibliotheca Historiarum. Sunt praecipue nomina auctorum
classicorum, inter quos miscet auctores a se compositos. In eadem bibliotheca
num. 5312. — Erhalten daselbst unter der gleichen Nummer. Enthält keine Ur-
kunden im Einzelnen, aber in einer eingeschobenen Liste »Historici, chronicae
et libri manuscripti qui sunt in mea bibliotheca* nennt er auf S. 24 a einen
»Liber privilegiorum pontificum imperatorum et regum pertinentium ecclesiae
cathol. Rom. et variis civitatibus. familiis et particularibus1, worüber noch weiter
unten die Rede sein wird.
6. Scala et ordine dell'historie d'Orvieto, in eadem biblioth.
num. 5311. — Daselbst erhalten unter der gleichen Nummer. Handelt vornehm-
lich von den Familien der Filippeschi und Monaldeschi. Zu dem Kapitel über
einschlägige Kaiserdiplome, das ausdrücklich in Aussicht genommen war, ist er
nicht mehr gekommen, da dem Fälscher zur Vollendung dieses Werkes nicht
mehr Zeit gelassen wurde.
7. Historia ecclesiastica ecclesiae Mediolanensis, in eadem
biblioth. n° 5310. — Erhalten daselbst unter der gleichen Nummer; enthält einen
Bischofskatalog mit kurzen historischen Notizen ').
8. Variarum lectionum volumen, ex eiusdem autographo descrip-
tum in eadem biblioth. num. 6215. — Diese Abschrift daselbst unter der gleichen
Nummer erhalten, enthält nichts Urkundliches.
9. De origine civitatis Tipherni tractatus, quem scripserat anno
1573, mense Junii. Apud abbatem Ferdinandum Ughellum. In der That heisst
es in Ughellis Italia sacra I. 1517: De origine civitatis Tipherni tractatum scripsit,
mendaciis innumeris refertum, Alphonsus Ciccarellus, quod M. S. extat apud me«
— Daher auch auf der Vaticana nicht vorfindlich.
10. Geniturae diversorum plurimae, in unum iäscem redactae,
in archivo Vaticano, quas antea in volumen redegerat Alphonsus ipse, in plerisque
addito discursu sub hoc titulo :
11. Nativitates seu geniturae plurium magno rum et illust-
rium virorum, dominorum cardinalium etc. Apposuit suam, uxoris et filiorum,
in vatic. num. 6156, quemadmodum et
12. num. 6158 continentur eiusdem nativitates heroum mundi. -
Von diesen von Allacci im engeren Zusammenhange aufgezählten Handschriften
ist die erste (Nr. 10) unauffindbar. Im vatikanischen Archiv wurde mir die Aus-
kunft, dass alles auf Ceccarelli's Prozess Bezügliche seinerzeit an die Bibliothek
abgeliefert worden wäre ; auf dieser letzteren ist aber Nr. 10 nicht vorhanden.
Aehnlich steht es mit Nr. 11, denn Cod. Vat. 6156 enthält bloss Pergament-
handschriften des 13. und 14. Jahrh., was umso bedauerlicher ist, als die »Na-
l) Ist hierin der S. 209 erwähnte von Allacci hier nicht registrirte Katalog der
Bischöfe von Novara enthalten ? 0.
218 Riegl.
tivitates« nähere Nachrichten über Ceccarelli's Familienverhältnisse enthalten zu
haben scheinen. Dagegen ist Nr. 12 noch unter der gleichen Nummer auf der
Vaticana vorhanden und enthält auf f. 115- 125 die auf S. 201 f. abgedruckten
Memoiren.
13. Scripturae variae et privilegia, ab eodem composita, ibid.
num. 6253. — Diese Handschrift enthält nur einen alten Computus und astro-
logische Bemerkungen Ceccarelli's; da auch Allacci diese letztern als dem ur-
kundlichen Theile vorangehend verzeichnet hat, so gewinnt es den Anschein,
dass die Scripturae et privilegia — für uns bedauerlicher Weise — seither los-
getrennt und vernichtet worden sind.
14. Historia di Casa Farnese, meminit ipse in historia Monaldesca l).
— Also von Allacci nicht gesehen, ebensowenig von mir.
15. Simulacro della casa Cibo. — Mir unbekannt geblieben.
Ego vero ipsius vidi, praeter ea quae diximus supra, conservari in bibliotheca
Vaticana et Archivo :
16. Yitam Gregorii Nazianzeni, ad Gregorium XIIL divisam in
partes 4. — Mir unbekannt geblieben.
17. De origine, benedictione etc. agnorumDei, Sirletti gewidmet,
— habeturque in bibliothecis Altempiana, Aniciana et Gabrielis Naudaei.
18. Historia della nobilissima e antica casa Conti Romana,
erhalten im Cod. Ottob. 2611. vergl. S. 210.
19. De Pisa Etruriae civitate eteius o r i g i n e. — Mir unbekannt
geblieben.
20. De familiis Bono ni ens ib us. Item: Accarambona, Alteria, Aqua-
viva, Benvenuta, Benzonia, Boccamazza, Caesarina, de Centelles Hispana, Caesia,
Cincia, Corbaria, Crescentia, Monte Martia, Mottina Genuensi, Mutia Passara
Sabella. Sanctacrucia, Sumbura, Ubertina Florentiae. Discursus de his familiis a
Ciccarelli inulto abhinc tempore vidit et examinavit acerrimi vir ingenii, Felix
Contelorius archivo apostolico praefectus, et veluti ex apochryphorum auctorum
pena depromptos, nulloque firmo nixos fundamento reiecerat et damnaverat. —
Diese Schrift scheint wichtig, weil sich in der That für mehrere der oben ge-
nannten Familien gefälschte Diplome nachweisen lassen, und daher auch auf die
übrigen der gleiche Rückschluss verstattet ist. Mir ist dieselbe unbekannt ge-
blieben.
21. Quamplurimas item de variis familiis illustribus ipsius nota-
tionis autographas in eodem archivo Vaticano conservatas et virorum in illis in-
signium series, ex auctoribus potissimum ab eo confictis concinnatas, quibus ut
ingenue fatear, vera etiam quae de ilhs familiis apud probatos auctores reperiun,
tur, in controversiam vocat. — Mir unbekannt geblieben.
22. Sumiuarium operis d e Regno catholico S. Romanae Ecclesiae-
— in 7 Theilen, handelte zumeist von der Constantinischen Schenkung und ent-
hielt im 6. Theil einen Abschnitt: de aliis donationibus factis ecclesiae et pon-
titicibus ante et post donationem Constantini. — Mir unbekannt geblieben.
23. Meminit etiam Ciccarellus quae tarnen ipse non vidi: de historia
familiarum illustrium totius orbis. — Mir ebenso unbekannt geblieben
wie Allacci.
») Im Index der angeblich von ihm benützten Autoren nennt Ceccarelli da-
selbst in der That eine »Historia di casa Farnese di Alfonso Ceccarelli«.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 219
24. De jubilaeo. — Ueber diese Schrift vgl. das auf S. 205 Anm. 1 Ge-
sagte. Mir ist dieselbe unbekannt geblieben.
25. Syntagmata etiam de Etruria meditabatur. — Näheres weiss Allacci
ebensowenig wie ich zu sagen.
Dann folgt Index secundus continens libros manuscriptos Ciccarelli quos
ipse dicit conservari in sua bibliotheca.
Eine lange Liste, welche hier abzudrucken .Raumverschwendung
wäre. Uns interessirt daraus nächst dem famosen Fanusius Campanus
bloss der Liber privilegiorum pontificum imperatorum et
reg um pertinentium ecclesiae romanae variis civitatibus familiis et
particularibus, den wir schon in Index I. n° 5 citirt fanden. Wenn
dieses Buch sich erhalten hätte, wäre es für uns natürlich von grösster
Wichtigkeit. Auf dem Vatikan war es aber nicht zu finden, und es
muss sogar angenommen werden, dass es auch Allacci nicht zu Gesicht
bekommen hat, da laut Ueberschrift im Index II. nur solche Schriften
Platz fanden, die sich nach Aussage Ceccarelli' s in seiner Bib-
liothek befanden. Es ist daher nicht einmal zu entscheiden, ob Cecca-
relli sich in der That ein solches Urkundenbuch angelegt oder das-
selbe bloss fingirt und zu besitzen vorgegeben hat x).
Der Fanusius Campanus ist jener Autor, den Ceccarelli zur
Beglaubigung der von ihm erdichteten genealogischen Geschichten in
der Regel als Hauptquelle citirt hat. Gelebt haben soll er um das
Jahr 1443. Das Exemplar, das gemäss Index IL Ceccarelli im eigenen
Besitze behalten hat, ist auf die vatikanische Bibliothek gekommen;
es ist dies der Cod. Vat. 8251, dessen erste 88 Folien die fünf Bücher
des Fanusius enthalten. Die Schrift ist eine absichtlich entstellte und
scheinbar verblasste, offenbar um den Schein der Alterthümlichkeit zu
erwecken 2). Da man auf der vatikanischen Bibliothek diesen Fanusius
ebenso wie alle anderen Manuskripte, deren Blätter von der Tinte an-
') Diesen Liber privilegiorum meint wohl Ceccarelli, wo er in einem Brief-
concept an Cibo (S. 206) von einem Libro antico spricht ; das Buch sollte also
ähnlich wie der Fanusius Campanus als aus früheren Zeiten stammend, gelten.
-) Dieses Fanusius- Exemplar scheint Allacci im Auge gehabt zu haben bei
der Beschreibung die er in dem 1. Theile seines Buches, der dem auf Ceccarelli
bezüglichen Theile vorausgeht, auf S. Ü0 — 92 von einem Autographurn des Cecca-
relli gibt. Allacci, der sich in jenen erstem Theile vielfach über paläographische
und diplomatische Dinge : Buchstabenformen, Schreibstoffe, Siegel u. dgl. ver-
breitet, berichtet a. a. 0. auch über eine Unterredung die er einmal mit Flora-
vante Martinelli gehabt haben soll. Letzterer setzte ihm hiebei des Weiteren
auseinander, wie arg es damals die Fälscher in der Nachmachung von Schriftzügen
trieben, und zum Beweise dessen wird eben ein Manuscript von CeccarelH's Hand
mit folgenden Worten beschi-ieben : Liber is, ut videtur, atramento jam
evanescente et marcescentibns ac in extremo juncturis etiam quibus colli-
gantur, laceris paginis, quod eadem fraude factum est, satis antiquus. Literarum
220 R i e g 1.
gegriffen erscheinen mit durchsichtigem Papier überklebt hat, so ist
das Lesen desselben dermalen zum Theil ausserordentlich erschwert;
es ist daher leicht möglich, dass mir bei meiner Durchsicht der 88 Folien
manche auf Urkundliches bezügliche Stelle entgangen ist und daher in das
Gesammtverzeichniss der Ceccarelli'schen Kaiserdiplomfälschuugen am
Schlüsse dieser Abhandlung nicht aufgenommen werden konnte. In
den Büchern I. IL und V. scheinen überhaupt keine Kaiserurkunden
erwähnt zu sein. Dagegen konnte ich zahlreiche bezügliche Erwäh-
nungen in den Büchern III. und IV. registriren; es sind durchwegs
nur einfache Citate von Kaiser und Empfänger, aber keine einzige
Urkunde in extenso wiedergegeben, sondern mit Bezug auf den Wort-
laut auf den oben erwähnten Liber und das (sofort zu erwähnende)
Compendium privilegiorum verwiesen.
Ausser dem aus Ceccarelli's Eigenbesitz in die Vaticana gelangten
Exemplar des Fanusius scheinen vom Fälscher noch mehrere andere
in Umlauf gesetzt worden zu sein. Sicher befand sich ein Exemplar
im Besitze der Boncompagni: es wird uns dies von Ceccarelli selbst
an nicht weniger als drei Stellen gesagt L).
Ein anderer Codex des Fanusius befand sich im Besitze von Petrus
Ciacconius, der ihn angeblich von Ceccarelli selbst erhalten hatte und
dem Sansovino zur Benützung weiter gab. Nach diesem ebenfalls
mit gekünstelten Buchstaben geschriebenen Codex sollte der Fanusius
am Anf. des 17. Jahrh. gedruckt werden, wie wir aus einem Briefe
des Marcus Welser an Pignoria von 1606 erfahren; doch ist es dazu
nicht gekommen 2). Im J. 1609 befand sich derselbe Codex nach einem
Briefe des Lorenzo Pignoria bei Alessandro Tassoni in Modena. Auf
der Ambrosiana hat Fumagalli 3) ein Exemplar gekannt, und das gleiche
t'ormae variae nee ab eodem calarno nisi introspiciantur, legentiuui oculis obji-
ciuntur ; plures in eo exscribendo operam impendisse, ipso primo aspectu dices :
ast ubi censoria virgula oculum fixeris, fraus in propatulo fit. Und nachdem er
noch berichtet, von welchem Erfolge die mannigfaltigen Fälschungen Ceccarelli's
begleitet waren, sagt er: et dum illius auctoris ut supra diximus volumina tarn-
quam oracula apud vulgum lectitantur, divina Providentia factum est, ut auto-
graphum hoc tandem aliquando in bibliothecam Vaticanam conservandum de-
portaretur.
«) Im Briefe an Cibo vom 24. März 1576 (vgl. S. 205) : in bibliotheca Bon-
compagni ; in der Einleitung zur Historia della casa Monaldesca : nella libreria
e archivio dell' ecc. signor Giacomo Boncompagno Generale di S. Chiesa ; endlich
nach einer Aussage des Ceccarelli bei Allacci im Index : in bibliotheca Jacobi
Boncompagni, Sorani JDucis.
2) So bemerkte Fanta aus mir unbekannter Quelle.
3) Istituzioni diplom. II. 406 ; auch die Schrift dieses Codex war auf den
Schein der Alterthümlichkeit berechnet.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 221
bestätigt Soldani *), der ausser diesem und dem bei den ßoncampagni
verwahrt gewesenen, noch ein weiteres Exemplar im Besitze der Mark-
grafen Del Monte (wie die Boncampagni eine ehemalige Kundschaft
Ceccarellis) erwähnt2). Und letzteres wird nach Gamurrini 3) wiederum
bestätigt von Giovanni de Barbiano, Istoria di alcune famiglie illustri
d' Italia, der daraus eine Stelle citirt hat.
Index tertius continens catalogum scriptorum quos Ciccarellus
suis in operibus ad corroboranda quae dixit adducit, non quidem om-
nium, sed eorum qui numquam fuerunt, vel quorum potissimum opera
jam non extant, vel suspectam esse fidem in operibus quae laudantur
existimant viri probi. Hier erscheint u. a. verzeichnet ein Compen-
dium privilegiorum ducum principum comitum et mar-
chionum Italia e. Dasselbe ist mit dem früher erwähnten Liber
privilegiorum nicht zu verwechseln.
Befand sich dieser angeblich im Besitz Ceccarelli's selber, so jenes
in der vat. Bibliothek. Bei Fanusius Campanus, wo das Compendium
öfter citirt wird, heisst es (III. 5) bei Erwähnung eines Kaiserdiploms für
die Monaldeschi: Otho secundus imp. concessit Privilegium . . . . ut
continetur in compendio privilegiorum ducum principum comitum et
marchionum Italiae quod est in bibliotheca Vaticana. Ferner
heisst es ebenda am Anfange des 6. Capitels: Dominus Eleutherius 4)
hinc inde in suis eferaeridibus facit mentionem de istis familiis privi-
legiatis et allegat dictum compendium privilegiorum.
Wie es mit der Existenz dieses Compendiums beschaffen war, ist
ebensowenig auszumachen, wie es hinsichtlich des Liber privilegiorum
möglich war. Allacci sagt davon : dicunt asservari in bibliotheca Yati-
cana. Gesehen hat er also das Compendium nicht; es fragt sich nun,
ob er das Gerücht von seiner Existenz in der Vaticana von Zeitgenossen,
etwa von Beamten der vatikanischen Bibliothek oder anderweitigen
damit vertrauten Personen gehört hat. oder ob er es auf Grund von
Ceccarelli's eigenen obcitirten Angaben aus Fanusius mitgetheilt hat.
Mir scheint letzteres das Wahrscheinlichere, und neige ich zur Ansicht,
dass das Compendium gar nicht existirt hat und Ceccarelli bloss zur
Beglaubigung seiner Erd ichtun gen auf eine angeblich im Vatikau ver-
i) A. a, 0. 74.
2) A. a. 0. (53.
s) A. a. 0. I. IGO.
4) Eleutherius Mirabellius, Ephemerides totius Ytaliae, einer der fingirten
oder gefälschten Autoren Ceccardllite.
222 R i e g 1.
wahrte Quelle hingewiesen hat. War dasselbe aber in der That vor-
handen, dann muss es Ceccarelli auf irgend eine Weise x) in die vati-
canische Bibliothek eingeschmuggelt haben.
Haben wir somit aus Allacci's Bericht, Ceccarelli's Memoiren,
Briefen und gefälschten Autoren eine Fülle von Anhaltspunkten ge-
wonnen, die uns zahlreiche auf unsere Tage überkommene Kaiser-
diplome als unzweifelhafte Fälschungen Ceccarelli's erscheinen lassen,
so sind wiederum aus diesen letzteren innere Kriterien zu gewinnen,
mittels welcher sich selbst solche Urkunden, die wir mit Hilfe jener
schriftlichen Nachrichten nicht mit aller Bestimmtheit mit dem ge-
nannten Fälscher in Verbindung zu bringen vermögen, dennoch als
Machwerke von seiner Hand erweisen lassen. Die diplomatische Un-
tersuchung der von Ceccarelli gefälschten Kaiserurkunden hat Dr. Adolf
Fanta ganz selbständig durchgeführt und auch das Ergebnis derselben
endgiltig redigirt; ich kann daher nichts Besseres thun, als dasselbe
im Nachstehenden wortwörtlich zum Abdruck bringen.
„Ich will hier — sagt Fanta — vorerst die Urkunden Ottos I.
besprechen und habe vorderhand nur die im Auge, welche bisher voll-
ständig bekannt sind ; es sind das die Urkunden für Udalrich Carpegna,
Kainer Lothieri, Ludwig und Peter de Ponte (Ottoni), Guido Cybo.
Virginius Savelli und eine bisher ungedruckte für Johannes und Ludwig
Conti. Alle diese Urkunden werden bei Ceccarelli erwähnt und dass
sie aus dieser Fabrik hervorgegangen sind, zeigt wohl am besten der
Umstand, dass sie bis auf kleine, unwesentliche Differenzen und den
natürlich verschiedenen Namen der Personen und Besitzungen gleich-
lautend sind. Selbst die Zeugenreihe ist überall dieselbe. Wir finden
einen Egenulfus Magdeburgensis princeps, der nur in der Urkunde für
die Savelli durch einen HildebertusMaguntinus archiepiscopus ersetzt wird,
dann die Namen Guillelmus Misnie pall., Johannes alme Urbis prefectus,
marchio Edegarus Uüom., wobei die wohl für pallatinus und Uuor-
maciensis gebrauchten Abkürzungen, wenn man von einzelnen falschen
Deutungen der Copisten absieht, überall wieder erscheinen; der comes
Eucherius fehlt nur in der Urkunde für die Savelli und der Cesar
Fliscus Lavanie comes et dapifer nur in den Urkunden für Lothieri
und Cybo, während er in der Urkunde für die Conti durch Marcus
Alterius Komanus dapifer ersetzt wird. Die Urkunde für die Savelli
nennt im übrigen noch einige andere Zeugen. Kleine charakteristische
Eigenthümlichkeiten des Dictats, so das oft erscheinende presens et
8) Vielleicht durch jenen Üdoardo Ceccarelli (S. 203).
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunclen.
223
successura posteritas (statt presens etas et succ. post.), will ich, nach-
dem die wörtliche Uebei-einstinimung constatiert ist, nicht weiter be-
rühren, aber auf den Umstand möchte ich noch hinweisen, dass alle
diese Urkunden mit Ausnahme der für die Savelli in der zweiten
Hälfte des Jahres 962 in Viterbo ausgestellt sein sollen. Können wir
nun annehmen, dass Ceccarelli zufällig eine Menge gleichlautender
Urkundenfälschungen, die von andern herrühren, zu Gesicht bekommen
habe? So weit die von ihm ei'wähnten Urkunden Otto I. erhalten
sind, zeigen sie die unverkennbaren Merkmale einer gemeinsamen Ab-
stammung und der Fälscher kann somit nur Ceccarelli sein. Nun aber
finden sich auch zwei andere Urkunden die er nicht erwähnt, die aber
zweifellos aus derselben Fabrik hervorgegangen sind: die Otto I. für
die Gonzaga (Böhmer- Ottenthai Reg. 333), über welche wir, da ihre
wörtliche Uebereinstimmuug mit den anderen Urkunden gleich auf-
fällt, nichts weiter bemerken wollen, und das noch uugedruckte Frag-
ment einer Urkunde für Johann Pepoli (BO. Reg. 338). Der knappe
Auszug, deu Salvetti (siehe S. 195 Aum. 2) giebt, genügt hier, um
mit Sicherheit eine Fälschung Ceccarelli's zu erkennen.
BO. Reg. 338.
Otho primus divina favente de-
mentia imperator augustus generoso
viro Johanni Pepulo Bononiensi. At-
tendentes grata servitia ipsius
damus et instituimus in rectum
feudum et legale dominium pro
se et pro suis heredibus in perpe-
tuum castrum Britenoris cum Om-
nibus curtis suis omnique di-
strictu et lionore et decla-
ramus illum comitem.
BO. Reg. 325.
. . . Otto primus divina favente de-
mentia Romanorum imperator et sem-
per augustus . . . considerantes quo-
que idonea et grata servitia ip-
sius . . . donamus et . . . concedimus
in rectum et legale feudum
sibi et suis successoribus cum omni
eorum districtu et lionoribus
vgl. BO. Reg. 335
grata servitia considerantes
norem declaramus et . .
ho-
lst aber die Urkunde Otto I. für Johanu Pepoli eine Fälschung
Ceccarelli's, so muss dies auch von den mit ihr theilweise wörtlich
übereinstimmenden Urkunden Otto's II. und Friedrich's I. (Stumpf
Reg. G47 und 3857) für dasselbe Haus gelten, wie sich das übrigens
auch daraus ergiebt dass diese beiden Urkunden grösstentheils wörtlich
mit den auch sonst bekannten Fälschungen Ceccarelli's, die auf den
Namen Otto's IL und Friedrich's I. lauten, übereinstimmen.
Offenbar hat sich Ceccarelli mit Hilfe der Urkunden Ottos IV
einen Schimmel aufgesetzt, welchen er für alle die Fälschungen, die er
Otto I. beilegte, verwendete. Ebenso hatte er für alle auf den Namen
Ottos II. lautenden Urkunden ein eigeues Formular, das zwar ein an-
224
R i e g 1.
deres ist, als das für Otto I., aber doch vielfach daran anklingt und
ganze Sätze desselben wiederholt. Dasselbe gilt von den Urkunden
Friedrichs I. Die Fälschungen Ceccarelli's sind deshalb immer leicht
zu erkennen. In diesen Formularen herrscht im wesentlichen der
Kanzleistil der spätstaufischen Periode, speciell der Ottos IV., vor. Bei
dem für die Urkunden Ottos I. verwendeten Schimmel können wir
sogar mit ziemlicher Bestimmtheit die Quelle nachweisen. Abgesehen
davon, dass die im übrigen ganz frei erfundene Zeugenreihe vielfach
an die Urkunden Ottos IV. anklingt, stimmt auch das ganze Protocoll
und Eschatocoll mit dem der Urkunden dieses Herrschers überein. Von
einer eingehenden Vergleichung der Urkunden Ottos I. mit denen
Ottos IV. will ich hier absehen; ich will nur darauf verweisen, dass
beispielsweise die bei Böhmer-Ficker Reg. 423, 435, 441, 449, 46i»
verzeichneten Urkunden mit unserm Formular vielfach übereinstimmen.
Die Urkunde, welche, wie ich glaube, von Ceccarelli für sein Formular
benützt wurde, ist die Ottos IV. für Monaldo Monaldeschi (BF. Reg.
450). Zur Vergleichung drucke ich hier beide neben einander ab,
wobei ich bemerke, dass ich für das Formular Ottos I. die Urkunde
für die Carpegna zu Grunde lege.
Formular Otto I.
In nomine sancte et indi-
vidue trinitatis. Otto primus
divina favente dementia imperator
augustus. Quoniam pio semper
assensu imperialis benign i-
tas desideriis benemerentium
occurrere consuevit etdignis
honoribus a maiestate munificen-
tie nostre proficiscentibus eos lo-
cupletare, ut eorum fidelitas a d
serviendum imperio semper pa-
rata sit et plerique ad huiusmodi
obsequia exhibenda animentur: in-
specta hac consideratione ad
universorum imperii fidelium
presentis (e t a t i s) et p o s t e r i t a-
tis successure notitiam duxi-
mus proferendum quod nos
considerantes circumspectam f i d e m
(quod nos propter singularem
fidem) ac sinceram dilectionem (de-
votionem) ... (quas erga nostrarn
g e r i t maiestatem) . . . (considerantes
quoque idonea) et grata ser-
Böhmer-Ficker Eeg. 450.
In nomine sanctae et in-
dividuae trinitatis. Otho quar-
tus dei gratia Koni, imperator et
semper augustus. Desideriis
benemerentium pio semper
assensu imperialis benig ni-
tas consuevit occurrere et
dignis eos munificentiae sue
beneficiis locupletare; quotiens
enim devotis premia impendimus in
sua corroboramus fidelitate et pleros-
que ad serviendum imperio ac
nobis invitamus. Qua saue consi-
deratione habita ad universo-
rum imperii fidelium prae-
sentis aetatis et posteri-
tatis successurae notitiam
duximus proferendum, quod
nos propter multam fidem ac
devotionem quam erga nostram
gerit celsitudinem dilectus fidelis
noster Neapoleon Rainaldi de comite
Munaldo adtendentes quoque ido-
nea et grata s e r v i t i a ipsius quae
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden.
225
vitia), que imperio in profligandis
. . . Saracenis . . . laudabiliter exhibuit
ac in posterum deo adiuvante
nobis et imperio poterit ex-
hibere... ex innata nobis de-
mentia eidem et omnibus eius
successoribus (heredibus) c o n f i r m a-
mus (in rectum et legale feu-
dum) ...cum omnibus districti-
bus etbonoribus (districtu et
bonore) . . . tarn intra quam
extra et cum universis iusti-
ciis et rationibus eorum im-
perio attinentibus statuen-
t e s etc.
iam pridem in partibus Apuliae nobis
laudabiliter exhibuit ac deinceps do-
mino adiuvante nobis et im-
perio poterit exhibere ex in-
nata nobis dementia eidein
Napoleoni et suis heredibus dona-
mus et in perpetuum concedimus
et confirmamus in rectum et
legale feudum... omnique
districtu et honore suo tarn
intra quam extra et cum uni-
versis iusticiis etrationibus
suis imperio attinentibus . . .
statuentes etc.
Den Schluss der Urkunde will ich gar nicht hieher setzen ; dt- nn
die weitere Uebereinstimmung ist eine womöglich noch grössere. Der
Schluss also, dass Ceccarelli für sein Formular die eben angeführte
Urkunde für die Monaldeschi benützt hat, ergibt sich von selbst uud
die Sache wird nur um so wahrscheinlicher, als Ceccarelli die Ur-
kunde Ottos IV. in seinem Werke über die Geschichte der Monal-
deschi x) abgedruckt hat.
Ein anderes Formular benützte Ceccarelli für die Urkunde Ottos IL,
wie man aus den auf den Namen dieses Herrschers lautenden Fäl-
schungen für die Monaldeschi, Pepoli und Monmarto ersehen kann.
Denn sowohl dieses, als auch dasjenige, welches er für die Urkunden
Friedrichs I. benützte, berührt sich in vielen Punkten mit dem For-
mular für die Otto I. beigelegten Urkunden. Dass aber Ceccarelli
auch für die Urkunden Friedrichs I. eiu besonderes Formular benützte,
zeigt der im Wesentlichen übereinstimmende Wortlaut der Urkunden
für die Conti, Lothieri und Marioni mit der für Uguccio de Colle. Mit
diesen Urkunden stimmen aber auch die in Stumpf Reg. 3932 und
3966 verzeichneten Urkunden, welche Ceccarelli, soweit wir constatieren
konnten, nirgends erwähnt. Müssen wir also auch diese Urkunden
als seine Fälschungen erklären, so kann uns in dieser Behauptung
auch nicht der Umstand irre machen, dass Soldani beide Urkunden
angeblich nach einem Transsumt von 1223 abdruckt. Schon Ficker
hat mit Recht geltend gemacht, dass der Transsumpt selbst gefälscht
sein müsse. Der hier konstatirte Zusammenhang der Urkunden mit
Ceccarelli lässt an dieser Thatsache keinen Zweifel aufkommen. Cec-
') Dell' historia di casa Monaklesca S. 13.
Mittheilungen, XV.
15
226 R i e g 1.
carelli selbst hat das Geständniss (S. 215) abgelegt, mehrere Trans-
sumte von Kaiser Urkunden gefälscht zu haben.
So können wir also sechs Urkunden Friedrichs I. als Fälschungen
Ceccarellis erklären. Damit ist aber die Zahl seiner Fälschungen auf
den Namen dieses Herrschers noch lange nicht erschöpft. Alle diese
Urkunden sollen nämlich im März oder April 1162 bei der Belagerung
von Mailand ausgestellt sein. Ceccarelli gebrauchte also auch hier,
sowie bei den Urkunden Ottos I. mit Vorliebe ein bestimmtes Datum
für alle seine Fälschungen. Ich möchte daher auch nicht daran zwei-
feln, dass die bei Sansovino (a. a. 0. Fol. 381) erwähnte, angeblich
bei der Belagerung von Mailand ausgestellte falsche Urkunde für Jo-
hannes Pallavicini ein Fabrikat Ceccarelli's sei. Ist dies aber richtig,
so werden wir auch die weiteren, von Sansovino ebenda erwähnten
Urkunden für die Pallavicini und zwar die Ottos II. für Adalbert
Pallavicini und die Friedrichs I. für Otto und Friedrich, Söhne des
Berthold von Borgo S. Donnino von 1175 für Fälschungen Ceccarellis
erklären müssen. Andererseits berechtigt uns der Umstand, dass die
Urkunde Friedrichs I. für die Marioni in Gubbio sicher auf Cecca-
relli zurückgeht, dazu die von Sansovino zu den Jahren 801 und 962
citirten Urkunden für dasselbe Geschlecht demselben Fälscher zuzu-
schieben, umsomehr, als auch das Datum 962 ganz gut zu den Fäl-
schungen Ottos I. stimmt und die einzige uns vollständig vorliegende
Urkunde Karl des Grossen auch vom Jahre 801 4a^r^ ist-
Zum Schlüsse will ich noch die Urkunden Ottos IV. und Fried-
richs II. erwähnen. Auch diesen liegt ein gemeinsames Formular zu
Grunde, wie ich aus der Vergleichung der mir in vollständigen Abschriften
vorliegenden Urkunden Ottos IV. für die Carpegna und Friedrichs II.
für die Conti und Savelli ersehen kann. Bei den Urkunden früherer
Herrscher ist die Fälschung immer leicht zu erkennen, nicht so bei
den Urkunden Ottos IV. und Friedrichs II.; ist doch das Formular
derselben unzweifelhaft echten Urkunden dieser Zeit entlehnt, sie fügen
sich daher bisweilen ganz gut in das ltinerar ein. Doch werden in
diesen Urkunden gewöhnlich die früheren Fälschungen citivt, und
schon dadurch kann es nicht zweifelhaft sein, aus welcher Fabrik sie
hervorgegangen sind. Von den Fälschungen auf den Namen anderer
Herrscher liegen mir nur einzelne Urkunden in vollständigen Drucken
oder Abschriften vor; doch nehme ich an, dass Ceccarelli auch für
diese sein besonderes Formular hatte. Ich will hier nur eine Urkunde
Lothars III. (für die Boncompagni Stumpf Beg. 3281) näher er-
wähnen, die Gamurrini (I. 363) für echt gehalten hat. Doch will ich
nicht diese Behauptung Gamurrini's widerlegen, denn es kann gar
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 227
nicht zweifelhaft sein, dass wir es auch hier mit einer Fälschung zu
thun haben. Gamurrini aber sagt, dass die Urkunde auch in einer
sehr alten Chronik erwähnt werde. Welche Chronik hier gemeiut ist,
kann ich nicht sagen; die Angabe Gamurrinis muss aber auf einem
Irrthum beruhen. Denn hier getraue ich mich aus dem Dictat allein
auf Ceccarelli zu schliesseu. Mir stehen zwar keine andern Ur-
kunden des Fälschers auf den Namen Lothars III. zu Gebote; aber
die Berührungspunkte des Dictates mit dem in andern Fälschungen
dieses Mannes sind ganz auffallend; ich erwähne nur die sincera fides
et grata obsequia que imperio et nobis exhibuit et in posterum ex-
hibiturus sit, die Verbindung von locupletare et decorare, die Phrase
nobilis civitas, die dictrictus et honores tarn intra quam extra im-
perio attinentes, das gleiche Protokoll und Eschatocoll. Endlich kommt
dazu, dass der (von Ceccarelli erfundene) Fanusius die Boncampagni und
diese Urkunde selbst erwähnt, dass sich ein Manuscript des Fanusius
nachweislich in der Bibliothek der Boncampagni befand und Cecca-
relli sogar eine Geschichte dieses Hauses geschrieben haben soll."
Zum Schlüsse lasse ich ein Verzeichniss derjenigen Kaiserdiplome
folgen, die sich auf Grund der im Vorstehenden beigebrachten, theils
äusseren, theils inneren Kriterien, als Fälschungen Ceccarelli's erweisen
lassen. Das Verzeichniss ist in allem Wesentlichen ebenfalls schon
von Adolf Fanta zusammengestellt worden.
1. Kaiser Theodosius bestätigt die Konstantinische Schenkungs-
urkunde (vgl. S. 198).
2. Karl der Grosse für Arimbert princeps der Baronie Burbonia,
Rom 801 December 21. — Böhmer-Mühlbacher Reg. 371. — Er-
wähnt als im Besitze des Mons. del Monte befindlich bei Ceccarelli
La sereniss. nobiltä im Cod. Vat. 4910, p. 242, erwähnt bei Fanu-
sius III, 23.
3. Karl der Grosse für die Marioni in Gubbio, Sansovino 342' cit.
zum J. 801.
4. Karl der Grosse für die Cjbo, erwähnt Ceccarelli in einem Briefe
an Alberico Cybo als im libro antico befindlich (Cod. Ottob. 3053
f. 9l). Mit diesem Privileg scheint aber Ceccarelli nicht herausge-
rückt zu sein.
5. Karl der Grosse für die Este, erwähnt Fanusius III, 15.
6. Karl der Grosse für die Mailänder Patrizier Licinius Lignanus,
Johannes Stampa, Farulfus Siconi, erwähnt Fanusius lib. IV.
7. Karl der Grosse für die Rudolfini in Narnia, erwähnt Fanusius
lib. IV.
8. Karl der Grosse für die Ubaldini, soll sich nach Gamurrini 4, 1
in Giovanni Battista di Lorenzo, Storia della famiglia degli Ubaldini
(Florenz 1588) befinden.
15.
228 ft i e g 1
9. Ludwig II. erhebt Julius, Evander, Cesar, Nicolaus, Johannes und
Stephan die Söhne des Faustus de Comitibus Romanis zu Grafen und
schenkt ihnen die Städte Tusculum, Fondi, Segni, Frosinone, Supino,
Anagni und Ceccano. Eom 871, Juni 28. Copien in Ceccarelli
Histor. della casa Conti im Cod. Ottob. 2611 f. 51 und Varia scripta
Alfonsi Ceccarelli im Cod. Ottob. 3053 f. 121. Abschrift von Riegl
im Apparat der Diplomata-Abtheilung.
10. Ludwig IL für Markgraf Karl von Tuscien (Del Monte Sta Maria).
Rom 873, BM. Reg. 1225; erwähnt im Fanusius III, 23.
11. Be rengar I. für Uguccio de Colle (Del Monte Sta Maria). Rom
917, Juni 27. Soldani, Storia di S. Michele di Passiniano 77 aus
neuerer Copie; erwähnt Fanusius III, 23.
12. Otto I. für Johann Pepoli zum J. 950. Böhmer-Ottenthal Reg. 338-
13. Otto I. für Udahich Carpegna. Viterbo 962 Aug. 17. BO. Reg. 324.
Cit. bei Ceccarelli La serenissima nobiltä Cod. Vat. 4909 p. 294.
14. Otto I. für Rainer Lothieri. Viterbo 962, August 19. BO. Reg. 325.
Cit. bei Ceccarelli La serenissima nobiltä Cod. Vat. 4909 f. 294.
15. Otto I. für Johannes und Ludwig Conti. Viterbo 962 November Kl.
BO. Reg. 332. Copie in Ceccarelli's La serenissima nobiltä im Cod.
Vat. 4911 p. 130; erwähnt ebenda Cod. Vat. 4909 p. 294.
16. Otto I. für Walter Gonzaga. Viterbo 962, November 13. BO.
Reg. 333.
17. Otto I. für Guido Cybo. Viterbo 962, December 7. BO. Reg. 335.
Cit. in Ceccarelli, La serenissima nobiltä, Cod. Vat. 4909 p. 294.
18. Otto I. für Ludwig und Peter de Ponte (Ottoni). Viterbo 962,
Dec. 10. BO. Reg. 336. Cit. in Ceccarelli, La serenissima nobiltä
Cod. Vat. 4909 p. 294.
19. Otto I. für Ubaldinus Ubaldini, 2. Febr. 962 — 1. Febr. 963. BO.
Reg. 337.
20. Otto I. für die Marioni in Gubbio. Sansovino 342 cit. zum J. 962.
21. Otto I. für Virginius Sabellus. Aachen 964, Aug. 10, BO. Reg. 361.
Regest bei Ceccarelli, La serenissima nobiltä Cod. Vat. 4911 p. 27.
22. Otto I. belehnt den Guido Tedesco mit der Grafschaft Modigliana in
der Romagna. Clementini Raccolto ist. di Rimino 1, 251. Guido
Tedesco ist der sagenhalte Stammvater der Grafen Guidi di Bagno,
der späteren Herren von Casentino.
23. Otto I. für die Este, erwähnt Fanusius III, 15.
24. Otto I. für die Gregorii in Interamna. Cit. bei Ceccarelli, La serenis-
sima nobiltä Cod. Vat. 4909, p. 294.
25. Otto I. für die Malaspina, erwähnt Fanusius III, 7.
26. Otto I. für die Sala zu Ferrara, erwähnt Fanusius lib. IV.
27. Otto I. für Orvieto, erwähnt Fanusius lib. IV.
28. Otto IL für Ludwig Monaldeschi. Orvieto 975 Februar 23. Stumpf
Reg. 643; erwähnt Fanusius III, 5.
29. Otto IL für die Ubaldini. Orvieto 975, Febr. 23. Stumpf Reg. 643a.
30. Otto IL für Udo Pepoli. Montefiascone 975, April 6. Stumpf
Reg. 647.
31. Otto IL belehnt Adalbert Pallavicini mit Castel Pelegrino, Gusa-
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 220
lechio, Val di Mugella und Fortiliera und ernennt ihn zum Mark-
grafen. Keg. bei Sansovino 3S0; zum Jahre 981.
32. Otto IL für Pharulphus-Monmartus. Kom 983 April 17. Stumpf
Reg. 835a.
33. Otto II. für die Calcagnini in Ferrara, erwähnt Fanusius lib. IV.
34. Otto II. für die Este, erwähnt Fanusius III, 15.
35. Otto IT. für die Lothieri, erwähnt in n° 77.
36. Otto II. für die Malaspina, erwähnt Fanusius III, 7.
37. Otto II. für die Scaligeri, erwähnt Fanusius III, 22.
38. Otto II. für Orvieto, erwähnt Fanusius lib. IV.
39. Otto III. für Robert Raugone. Sansovino 86 cit. zum J. 989 nach
dem von Ceccarelli gefälschten Johannes Virgilius, Historia del regno
cattolico. Nach Crescenzi Corona della nobiltä II p. 504, der sich
auf Virgilius und Johannes Selinus beruft, scheint die Urkunde die
Ernennung zum capitaneus enthalten zu haben.
40. Otto III. für die Monaldeschi 998. Stumpf Reg. 117()a.
41. Otto III. für die Lothieri, erwähnt in n° 77.
42. Otto III. für die Malatesta, erwähnt im Fanusius 1. III c. 14.
43. Heinrich IL für die Camaldoli; inter festes alios nominantur etiam
isti: M. Valore di M. Nicola de Colonensis de Roma, M. Giovanni di
M. Jacopo degli Mutoli de Roma, Pagelo di M. Orsino degli Orsini
da Roma; cit. von Ceccarelli, La serenissima nobiltä Cod. Vat. 4909
p. 294.
44. Heinrich IL erhebt den Friscus de Frischi (Fiesco) zum Grafen
von Lavagna und zum Statthalter vcn Ligurien und dessen Bruder
Obizo zum Statthalter in Toscana. Sansovino 318 Reg. zum J. 1007.
45. Heinrich IL für die Carpegna; inter alios festes nominantur: Anti-
mus Mutius Rom. dapifer. Cit. in Ceccarelli, La serenissima nobiltä
Cod. Vat. 4911 p. 91.
46. Heinrich IL für die Farnese, erwähnt Fanusius III, 6; ist wahr-
scheinlich bei Gelegenheit der Verfassung der Historia di casa Farnese
von Ceccarelli fabricirt worden.
47- Heinrich IL für Lothieri, erwähnt in n° 77.
48. Heinrich IL für die Montemarti, erwähnt Fanusius III, 6.
49. Heinrich IL für die Mugnari, erwähnt Fanusius III, 6.
50. Heinrich IL für die Nigromontorii, erwähnt Fanusius III, 6.
51. Konrad IL für Tancred Monaldo. Rom 1027 April 24. Stumpf
Reg. 1937. Cit. Ceccarelli la serenissima nobiltä. Cod. Vat. 4909
p. 294 und 4911 p. 91.
52. Konrad IL für die Ardiccioni, erwähnt Fanusius lib. IV.
53. Konrad IL für die Carenii, erwähnt Fanusius lib. IV.
54. Kon r ad IL für die Farnese, erwähnt Fanusius III, 6; vgl. n° 40.
55. Konrad IL für die Lodicieri, erwähnt Fanusius lib. IV.
56. Konrad IL für die Lothieri, erwähnt Fanusius lib. IV.
57. Konrad IL für die Montismarti, erwähnt Fanusius III, 6.
58. Konrad IL für die Nigromontorii, erwähnt Fanusius III, 6.
59. Konrad IL für die Mugnari, erwähnt Fanusius III, 6.
60. Konrad IL für die Pineti, erwähnt Fanusius lib. IV.
61. Konrad IL für die Simoncelli, erwähnt Fanusius lib. IV.
230 Riegl.
62. Heinrich III. für die Campiliae, erwähnt Fanusius III. 6.
63. Heinrich III. für die Marsciani, erwähnt Fanusius III, 6.
64. Heinrich III. für die Montismarti, erwähnt Fanusius III, 6.
65. Heinrich III. für die Roccaviani, erwähnt Fanusius III, 6.
66. Heinrich IV. für Can Grande, erwähnt Fanusius III, 13.
67. Heinrich V. für die Saregha, Sansovino, 334 cit., wahrscheinlich
Fälschung Ceccarelli's.
68. Lothar in. für Rudolf de Draconibus (Bonconrpagni). 1133. Stumpf
Reg. 3281. Nach Gamurrini I. 363 auch von Fanusius erwähnt.
69. Lothar III. für die Cianchiani, erwähnt Fanusius III, 6.
70. Lothar HI. für die Montismarti, erwähnt Fanusius III, 6, pag. 66.
71. Lothar III. für die Roccaviani, erwähnt Fanusius III, 6.
72. Lothar III. für Soane, erwähnt Fanusius III, 6.
73. Lothar IH. für die Grafen von Titignano, erwähnt Fanusius III. 6.
74. Friedrich I. für Pepoli, Lodi 1159 Mai 23. Stumpf Reg. 3857.
75. Friedrich I. für Porcarius filius Rolandi de Rubeo seu de Platis
(Familie Piatoni) 4. April 1159 Lodi, Crescenzi Corona etc. II, 94
unvollst.
76. Friedrich I. für Uguccio de Colle (Del Monte Sta Maria). Vor Mai-
land 1162 März 13. Stumpf Reg. 3932.
77. Friedrich I. bestätigt dem Sinolf Lothieri die Verleihungen der
drei Ottonen und Heinrichs IL Vor Mailand 1162 März 23. Copie
in den Manuscripten Ceccarelli's im Cod. Ottob. 3053 f. 227, er-
wähnt in La seren. nobilitä Cod. Vat. 4909 S. 294 f. Abschrift von
Riegl im Apparat der Diplomata-Abtheilung.
78. Friedrich I. für Julius de Marionibus. Vor Mailand 1162 April 7.
Stumpf Reg. 3939a.
79. Friedrich I. bestätigt dem Alexander de Comitibus die Urkunde
Otto I. (vgl. n° 15). Vor Mailand 1162 April 10. Copie bei Cecca-
relli La serenissima nobiltä Cod. Vat. 4911 p. 132. — Abschrift
von Riegl im Apparat der Diplom. -Abth.
80. Friedrich I. für Ludwig Balio, Herzog von Schwaben. Cagli 1162
Sept. 7. Stumpf Reg. 3966.
81. Friedrich I. bestätigt dem Johannes Pallavicini die Verleihungen
Ottos IL (vgl. n° 31) und fügt neue hinzu. Sansovino f. 381 Reg.
zum Jahre 1162 quando prese Milano.
82. Friedrich I. bestätigt den Brüdern Otto und Friedrich, Söhnen
des Berthold von Borgo S. Donino (Pallavicini) die Verleihungen
Otto II. und belehnt sie mit andern Besitzungen. Sansovino 381
Reg. zu 1175.
83. Friedrich I. für die Malatesta, als Urkunde im Besitze des Herren
Arrigo Orsino marchese di Stimigliana cit. von Ceccarelli La sere-
nissima nobiltä Cod. Vat. 4909 p. 287 mit dem Zeugen Julius Ur-
sinus marescalcus imperii zum Jahre 1185; wiederholt S. 294 f. In
der Historia ecclesie Mediol. Cod. Vat. 5310 f. 27 und 41 erwähnt
Ceccarelli noch Bernardus Oldradus de Mediolano camerarius als Zeu-
gen, und setzt die Urkunde zum Jahre 1181.
84. Friedrich I. bestätigt den Ottoni die Urkunde Otto I. (vgl. n° 18).
Sansovino f. 35 Reg. zum J. 1185.
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 231
85. Friedrich I. erhebt die Aligeri zu Rieti in den Ritterstand. Reg.
bei Fanusius lib. IV.
86. Friedrich I. für die Giramonti in Ferrara Fanusius lib. IV.
87. Heinrich VI. bestätigt dem Petrus, Ubertus und Guido de Comi-
tibus eine Anzahl von Städten und Schlössern. Bari 1196 Sept. 20.
Copie in Ceccarelli, La serenissima nobiltä Cod. Vat. 4911 p. 133.
— Abschrift von Riegl im Apparat de Dipl.-Abth.
88- Heinrich VI. für Savelli. Ceccarelli La serenissima nobiltä Cod.
Vat. 4909 S. 294 nennt daraus den Zeugen Johannes almae urbis
prefectus.
8 9. Heinrich VI für Ricardus de Camino erwähnt Fansius III, 13.
90. Otto IV. für die Ottoni bestätigt die Verleihung Otto I. (vgl. n° IS,
84). Sansovino 35 Reg. zum J. 1209, der sie wohl nicht mit Böhmer-
Ficker Reg. 306 verwechselt hat, da in letzterer Urkunde die Ottoni
nicht erwähnt werden.
91. Otto IV. für Vernelius Carpegna. Der Transsumpt von 1699 im
Haus-, Hof- und Staatsarchiv nennt unter den Zeugen Dyopicidus
dux Spoleti, Federicus marchio de Baden, comes de Faraponte und
fügt hiezu : La data del sudetto privileggio e fatta in S. Ginese
l'anno 15 del suo imperio. Vgl. BF. Reg. 455 und Clementini Rac-
colto istorico di Rimino 1,357, der wohl das Fabrikat Ceccarelli's
selbst gesehen und daraus das Incarnationsjahr 1211 angiebt. In
La serenissima nobiltä Cod. Vat. 4909 S. 294 sagt Ceccarelli: in
privilegio Ottonis IV. imp. pro familia de Carpinea inter testes no-
minatur Albertus Capisucchus de Roma camerarius, den der Trans-
sumpt nicht verzeichnet.
92. Friedrich II. bestätigt dem Benedict de Conti die Schenkungen
Friedrichs I. (vgl. n° 79) und Heinrich's VI (vgl. n° 87). Bei Rom
am Monte Malo 1220 November 24. Copien in Ceccarelli La serenis-
sima nobiltä Cod. Vat. 4911 p. 135 (erwähnt auch Cod. 4909, 294 f.)
und Historia di casa Conti Cod. Ottob. 2611 p. 48. — Abschrift von
Riegl im Apparat der Diplom. -Abth.
93- Friedrich IL bestätigt dem Giacomo Savelli die Schenkungen seiner
Vorgänger. Rom 1221 Januar 18. BF. Reg. 1272. Fabrikat Cecca-
relli's im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien. Erwähnt in La
serenissima nobiltä Cod. Vat. 4911 S. 27.
94. Friedrich II. Brief an Odoardus Saxonicus 1206 Juni 28 mit Aufzählung
vieler Edlen, die er angeblich bei der Belagerung von Spoleto gefangen
genommen. Copie von Ceccarelli Cod. Ottob. 3053 233. Nach RiegFs
Berichte vom J. 1884 »von so handgreiflicher innerer Unwahrschein-
lichkeit, dass ich mich der Mühe des Copierens überhoben glaubte«.
95. Friedrich IL für die Benati in Monfalcone, erwähnt Fanusius lib. IV.
96. Adolf (Athaulfus) für Matheo Visconti. 1260 (!) erwähnt Fanusius
III, 13.
97. Albrecht I. imperator für Matheo Visconti. 1294, erwähnt Fanusius
III, 13.
98. Heinrich VIT. für die Familie Del Monte St;l Maria. 1312 Decem-
ber 12. Soldani S. 87, erwähnt Fanusius III, 2 3.
232 R i e g 1.
99. Ludwig der Baier für die Sala in Ferrara. Erwähnt Fanusius IV.
100. Wenzel für die Catanei. Erwähnt im Fanusius IV.
101. Sigismund für die Gonzaga. Erwähnt im Fanusius III, 21.
102. Friedrich III. verleiht dem römischen Geschlechte der Cesarini das
Recht, den kaiserlichen Adler im Wappen zu führen. Wiener-Neu-
stadt 20. Mai 1405. In Ceccarelli's La serenissima nobiltä Cod. Vat.
4910 S. 168; Abschrift von Riegl im Apparat der Dipl.-Abth. —
Ceccarelli beschreibt a. a. 0. das angebliche Original: et detto pri-
vilegio e scritto in carta pergamena con un arme miniato d' oro in
mezzo coli' aggiunta dell' aquila sopra all' arme cesarino et con un
sigillo grand di cera zaura et in mezzo rossa et nel sigillo ci e
1' aquila con due teste et attorno lettere et quattro armi picciole : et
questo si ritrova presso S. S. Illma.
103. Friedrich III. erhebt die Brüder Pamphili von Gubbio in den
erblichen Grafenstand, womit gewisse Befugnisse in der Besetzung
von Kanzleistellen verbunden erscheinen. Wien 15. Sept. 1461. An-
geblicher Transsumpt vom 27. Okt. 1501, in Ceccarelli's Varia scripta,
im Cod. Ottob. 3053 f. 232. Abschrift von Riegl im Apparat der
Dipl.-Abth.
Damit ist die Liste der von Ceccarelli gefälschten Kaiserdiplome
gewiss nicht erschöpft. Auch finden sich in seinen hinterlassenen
Manuscripten mehrfach Stellen, die eine bezügliche Urkundenfälschung,
zwar möglich aber nicht zwingend nothwendig erscheinen lassen. So
z. B. im Fanusius IV. wo wir u. a. lesen : Carl d. Grosse adelte einmal
in Florenz gleichzeitig sieben Familien: die Siguranni, Fighineldi,
Sisanti, Uberti, Lamberti, Ormanni und Area; ferner wurden die
Familie de Nerlis, die Grafen Gandolandi und Sandonati, und die
Edlen von Bessa mit Privilegien ausgestattet „vom Grafen Ugo von
Luxemburg, Statthalter von Etrurien im Namen Kaiser Ottos". In
La serenissima nobiltä dell' alma cittä di Roma, Cod. Vat. 4911
S. 167 — 169 gibt er ferner aus einem seiner fingirten Autoren,
Johannes Petrus Scriniarius, eine Serie von au geblichen Zeugen aus
Diplomen von Karl dem Grossen angefangen bis auf Otto IV., be-
schränkt sich aber dabei auf die Nennung der Namen des Kaisers
und der Zeugen. Am Schlüsse sagt er daselbst: ista privilegia cum
suis sigillis partim aureis et partim cereis conservantur in archivio
capitolino cum multis aliis scripturis.
Von Königsdiplomen, die Ceccarelli in seinen Schriften erwähnt
und daher vermuthlich gefälscht hat, finde ich in meinen Auszügen
erwähnt folgende zwei unteritalischen: ein Privileg Roger's I. für
das Haus Pierleonis in La serenissima nobilitä Cod. Vat. 4911
S. 3 und eines Ferdinande von Sizilien und Neapel vom J. 1469,
ebenda S. 14. Endlich geht aus zahlreichen Citaten hervor, dass
Alf'onso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaisennkunden. 233
Ceccarelli auch Papstbullen und Privaturkunden gefälscht hat; daraufhin
bleibt das auf der Vaticana befindliche Material erst noch zu unter-
suchen, da meine Nachforschungen im J. 1884, die das Substrat da-
vorstehenden Abhandlung geliefert haben, bloss den Zweck verfolgten,
den Umfang der Ceccarelli'schen Eingriffe in das Gebiet der Kaiser-
urkunden nach Möglichkeit festzustellen. Was aber diesen letzteren
Zweck betrifft, so glauben wir ihn, trotzdem das vorstehende Ver-
zeichnis von 103 Fälschungen nicht als absolut vollständiges gelten
kann, dennoch insofeme erreicht zu haben, als wir der inneren und
äusseren Anhaltspunkte genug vorgelegt haben, um etwa neu auf-
tauchende Kaiserdiplome von Ceccarelli's Mache als solche auch so-
fort zu erkennen.
Nachwort. Der Beweis für den Zusammenhang dieser vielen
Fälschungen und für die Ausdehnung der dunklen Thätigkeit Cecca-
relli's ist durch die Arbeiten von Kiegl und Fanta vollständig erbracht.
Dass die Fälschungen auf den Namen Otto's I. für die Pepoli, Car-
pegna, Lottieri, Cibo, Gonzaga, Ottoni, Savelli, Conti auf eine Quelle
zurückgehen, hatte ich bereits erkannt, als ich zu Anfang der 80 ger Jahre
die italienischen Kaiserurkunden Otto's I. als Mitarbeiter der Diplomata-
abtheilung untersuchte. Gerade aus Mangel genügender Nachrichten über
Ceccarelli musste ich damals diese Forschungen unabgeschlossen meinem
Nachfolger, dem verewigten Fanta zurücklassen ; später für die Kaiser-
regesten habe ich meine Wahrnehmung theils selbständig, theils in
Kenntnis des Kiegl-Fanta'schen Materiales weitergeführt. Ich glaube
das hier anführen zu sollen, weil das wesentlich übereinstimmende
Ergebnis, zu dem wir in getrennter Arbeit und von verschiedenen
Ausgangspunkten beginnend, gekommen sind, dadurch noch gesicherter
erscheinen dürfte.
Meine Untersuchungen hatten sich naturgemäss auf die'^Zeit der
sächs. Kaiser und speciell auf jene Otto's I. beschränkt; ähnliches war
auch bei Fanta der Fall. Für die folgenden Epochen mangelten uns
beiden die volle Kenntnis des zerstreuten und noch ungedruckten
Materials. Daher wird die vorausgeschickte Liste der Ceccarelli-Fäl-
schungen für die späteren Zeiten noch vielfacher Ergänzungen fähig
sein, soweit nicht Kiegl's Bericht die solide Grundlage bildet. Auch
die Aufzählung der Ceccarelliana aus der Ottonenzeit war bei Fanta
nicht ganz vollständig : die Urkunden für die Ubaldini (n° 19 und 29)
schob Riegl erst auf Grund meiner Kaiserregesten ein. An der Sach-
234 R i e g 1.
läge kann kein Zweifel sein. Vollständiger Text ist nur von n° 29 be-
kannt. Zur Charakterisirung dieser Urkunde wird es genügen anzu-
führen, dase sie das gleiche Datuni und viele derselben abenteuerlichen
Zeugen mit St. 643 für die Monaldeschi gemein hat, welch letztere
Urkunde Fanta mit Kecht als Ceccarelli-Fälschung betrachtet. Die
angebliche Verleihung Otto's 1. ist nur aus St. 643 bekannt. Da
dieses Citat sehr ausführlich und präcis ist, habe ich es im Gegensatz
zu den mehr vagen Erwähnungen der sub n° 20. 22. 23-27 des Ceccarelli-
Index gegebenen Regesten unter die Urkunden Otto's eingereiht, obwol
ich überzeugt bin, dass Ceccarelli niemals die entsprechende voll-
ständige Urkunde auf den Namen Otto's I. fabricirt habe, sondern
wie z. B. bei den Lottieri (n° 77) versuchte er auch hier die „mancia"
für das Diplom dadurch hinaufzuschrauben, dass durch solche Hin-
weise auf frühere Privilegien das Alter und Ansehen des Hauses
noch höher , seine Rechte und Besitzungen noch begründeter er-
scheinen mussten.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich überhaupt einem Missverständ-
niss entgegentreten, das aus der beigegebenen Liste der Ceccarelli-
Fälschungen entstehen könnte. Etwa die Hälfte dieser Nummern sind
nur aus kurzen und meist undatirten Erwähnungen in Ceccarelli's
Schriften oder Werken, welche erweislich aus Ceccarelli geschöpft haben,
bekannt. Im Grosstheil dieser Fälle wird es auch beim einfachen
Citat geblieben sein, für welches die vollständige Urkunde hinzu zu
fälschen Ceccarelli sich vorbehalten haben wird, falls die betreffende Familie
zahlungsbereit war oder ihn durch ihre Zweifelsucht in die Enge trieb;
vgl. was oben S. 210 und 213 von den Fälschungen für die S. Croce
und Malatesta gesagt ist. Die Anzahl der citirten Urkunden ist also
jedenfalls viel grösser als jene der ausgeführten Fälschungen.
Zu den Verdiensten Fanta's gehört besonders der Nachweis, dass
das echte Diplom Otto's IV. für die Monaldeschi BF. Reg. 450 die
Vorlage für die Fälschungen auf Otto I. abgab. Fanta selbst bemerkt,
dass dann für die Fälschungen auf den Namen anderer Herrscher wieder
verschiedene andere Muster benutzt wurden. Ich glaube weitergehen
und auch für die Fälschungen auf Otto I. Kenntnis noch anderer
echter Königsurkunden annehmen zu sollen.
Während in diesem Fälschungscomplex Titulatur, Arenga und der
folgende Context bis zur abschliessenden Poen- und Corroborations-
formel, endlich die Datirungsformel sich engstens an BF. 450 an-
schliessen, finden sich in zwei Punkten Abweichungen vom Kanzlei-
gebrauche Otto's IV. überhaupt. In Reg. 332. 333. 335. 336. 361
Alfonso Ceccarelli und seine Fälschungen von Kaiserurkunden. 235
ist das Monogramm angebracht: es ist das richtige Namens-
monogramm Otto's L, am besten gezeichnet im „Or. * n° 361 und
in der Copie ersten Grades n° 336. Das kann weder aus dem Titel-M,
Otto's IV. abgeleitet, noch frei erfunden sein. Ferner haben Keg. 324
und 361 die übereinstimmende Recognition: Ego canc. Witfridus ar-
chieps. Colon, et totius Italiae archicanc. recognovi cum (con) signo
meo, worauf im Or. n° 361 ein Recognitionszeichen folgt. BF. 450
hat überhaupt keine Recognition (und wohl deshalb auch die andern
Fälschungen auf Otto I. nicht), aber die obige Formel entspricht der
Zeit Otto's IV. überhaupt nicht; auf seinem ital. Zug ist regelmässig
der Hofkanzler Bischof Konrad von Speier in Stellvertretung des
Erzbischofs von Köln als des Erzkanzlers für Italien genannt; oder
ausnahmsweise, wie BF. 333 nur Konrad allein, aber dann natürlich
nur mit dem Kanzlertitel. Das Recognitionszeichen war damals
längst vergessen.
Nun entspricht diese Formel freilich der Zeit Otto's I. ebenso-
wenig: der Erzkanzler bediente sich damals nicht des erzbischöflichen
Titels, und seit Apr. 962 bestand ein eigener italienischer Erzkanzler;
am allerwenigsten nannte sich je ein Kanzleibeamter Kanzler und Erz-
kanzler zugleich. Das deutet entschieden auf ein Missverständniss.
Dagegen gab es wirklich einen cancellarius Wigfridus auf Otto's erstem
Zug nach Italien 951 — 952. Sollte Ceccarelli die Recognition: Wig-
fridus canc. adv. Brunonis archicanc. recognovi vor sich gehabt, gleich
andern italienischen Copisten „Brunonis" niissverstanden und durch die
die geläufige Phrase archieps. Colon, et totius Italiae archicanc. er-
setzt haben?
Beweisen kann ich das allerdings nicht, aber Haltpunkte finden
sich für eine solche Vermuthung. Das in der Kanzlei Otto's I. ge-
bräuchliche Recognitionszeichen ist von Wigfrid allerdings nur aus
den für Deutschland bestimmten Reg. n° 201. 207 bekannt und in
n" 361 jedenfalls sehr verständnisslos übernommen. Das Monogramm
in diesem Or. dagegen stimmt vollständig mit dem speciell von Wigfrid
gebrauchten (mit rautenförmigen 0, vgl. die Abbildungen M. graph. III,
2 und Kaiserurk. in Abbild. III, 20). Ich erwähne dann noch die
Datirung. In Reg. 324. 325. 332. 333. 335. 336 aus August— Dec. 962
ist überall a. ine. 962, a. regni et imperii 26 angegeben, also Zählung
nach Königsjahren, während die italienische Kanzlei Otto's I. damals nach
Jahren der kaiserlichen Regierung unter Beseitigung der königlichen
datirt. Die von Wigfrid in den letzten Monaten des ersten italienischen
Aufenthaltes Otto's (Jan. und Febr. 952) gesohriebnen Urkunden tragen
dagegen die Daten : a. ine. 952, a. r. 16. Ceccarelli wollte Urkunden
230 R i e g 1.
nach dem ihm wohl bekannten Zeitpunkt der Kaiserkrönung geben.
Zählte er von einem solchen Muster um 10 Jahre weiter, damit er
diesen Termin erreichte, so kam er auf a. regni 26, der zwar in Wirk-
lichkeit für die von ihm gegebenen Tage des J. 962 nicht mehr
stimmt, da a. r. Ottonis mit August 8 umsetzt, sich aber unter dieser
Voraussetzung gut erklärt.
Damit hoffe ich die zu Keg. n° 324 gemachten Aeusserungen ein-
gehender begründet zu haben. E. v. Ottenthai.
Die Finanzverwaltimg Oesterreichs 1749 — 1816.
Von
Adolf Beer.
Die Finanzverwaltung des österreichischen Staates seit dem Re-
gierungsantritte Maria Theresia's hat bisher eine auf archivalischen
Studien fussende Darstellung nicht gefunden. Das bekannte Buch von
Adam Wolf (Oesterreich unter Maria Theresia. Wien, 1855), worin die
reformatorische Thätigkeit der Eegierung Maria Theresias in vielen
Zweigen der Verwaltung geschildert wird, beruht zumeist aufgedruckten
Quellen. Zur Zeit seines Erscheinens eine höchst anerkennenswerthe
Leistung, entspricht es gegenwärtig den Anforderungen nicht mehr
Das Werk von Hock (Der österreichische Staatsrath, eine geschicht-
liche Studie. Wien, 1877 ff.) enthält eine Bereicherung unserer Kennt-
nisse, erweist sich aber bei kritischer Prüfung namentlich über die
theresianische Zeit als unzureichend und vielfach ungenau. Arneth
hat in seinem Werke über Maria Theresia auch die Verwaltung in den
Kreis seiner Darstellung gezogen, ohne jedoch in allen Punkten einen
Einblick in die bedeutsamen Gründe jener Veränderungen zu ge-
währen, welche sich unter der grossen Herrscherin vollzogen haben.
Die ungemein fleissigen Arbeiten von d' Elvert (Zur österreichischen
Verwaltungsgeschichte mit besonderer Rücksicht auf die böhmischen
Länder. Brunn , 1880, und Zur österreichischen Finanzgeschichte.
Brimn, 1881), lassen manches zu wünschen übrig. Nur über die Justiz-
verwaltung besitzen wir ein Buch, (Geschichte der obersten Justizstelle
in Wien 1749 — 1848 von Fried, v. Maasburg 2. Aufl.) durchweg auf
handschriftlichem Material ruhend und den Anforderungen entsprechend.
Bei meinen Studien über die Staats- uud Volkswirtschaft Oester-
reichs seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde mir die Lückenhaftigf-
238 ß e e Jf.
keit unserer bisherigen Kenntnisse über die Entwicklung der öster-
reichischen Verwaltung klar. Diese auszufüllen setzt sich die gegen-
wärtige Arbeit über die Central-Finanzverwaltung zur Aufgabe, wobei
in erster Keihe die reichen Schätze des Hofkamraer-Archivs, sodann
aber auch das Hof- und Staatsarchiv, sowie das Archiv des Ministeriums
des Innern benutzt wurden. Bei der innigen Verbindung der Finanzen
mit der politischen Verwaltung inusste auch letztere an geeignetem
Orte berücksichtigt werden. Leider konnte trotz aller Bemühungen
Vollständigkeit nicht erzielt werden. Mehr als 100 Fascikel wurden
durchforscht, ohne über manche wichtige Massregel lückenlose Beleh-
rung zu bieten, ohne mit den Gründen voll bekannt zu machen, die
bei den oftmaligen Aenderungen des Wirkungskreises der Behörden
massgebend waren. In vielen Fällen war es zweifellos das persönliche
Eingreifen der Betheiligten, welches ausschlaggebend war, um kaum
eingeführte Einrichtungen wieder über Bord zu werfen, ohne abzu-
warten, ob dieselben sich bewährt haben. Die österreichische Finanz-
verwaltung kam in diesem Zeiträume nicht zur Buhe, nicht allein durch
fortwährende Organisationen und Keorganisationen, sondern auch durch
den oftmaligen Wechsel des Beamtenpersonals. Erst mit der Ernen-
nung Stadion's zum Finanzminister, dem organisatorische Talente, wie
Pillersdorf und Kübek, zur Seite standen, erhielt die Finanzverwaltung
jene Einrichtung, welche bis zum Jahre 1848 im Wesentlichen auf-
recht geblieben ist.
Doch muss bemerkt werden, dass ich die in den Ländern vorge-
nommenen Veränderungen der Verwaltungen zurückstellen musste, um
die Arbeit nicht zu umfangreich werden zu lassen. Bei der Auswahl
am Schlüsse aus der amtlichen Correspondenz der Monarchen aufge-
nommener Stücke musste ich mir ebenfalls Beschränkungen auferlegen.
I.
Maria Theresia fand bei ihrem Kegierungsantritte eine Central-
behörde für die Finanzen in der Finanzconferenz vor, welcher die Hof-
kammer und die Ministerialdeputation insoferne untergeordet waren,
als alle wichtigen Angelegenheiten von der Conferenz berathen und
die etwaigen Anträge dem Kaiser zur Beschlussfassung unterbreitet
wurden. Eine der ersten Massnahmen der neuen Herrscherin war die
Aufhebuug dieser Conferenz und die Uebertragung der gesammten
Leitung der Finanzen an den Grafen Starhemberg, der gleichzeitig
auch Ministerial-Deputationspräsident war. Nach dem Tode Starhem-
berg's wurde Graf Philipp Kinsky zum Präsidenten der Ministerial-
hie Finanzverwaltnug Oesterreichs 1749—1816. 239
bancodeputation ernannt und diese am 18. September 1746 zu einem
Hofmittel erklärt, oder mit einem andern Worte, dieselbe wurde nun-
mehr eine unabhängige Centralstelle, die Vorträge an die Monaich eu
erstatten konnte.
Eine durchgreifende Veränderung in dem gesammten Verwaltungs-
organismus trat 1749 ein, einmal durch die Trennung der Justiz von
der Verwaltung, sodann aber auch durch die Schaffung einer Central-
behörde für die politischen und finanziellen Angelegenheiten, welche
den Titel „Directorium in publicis et cameralibus" erhielt. Graf Fried-
rich Wilhelm Haugwitz wurde zum Präsidenten ernannt, da dessen in
den letzten Jahren gemachten Vorschläge für das Heer und die Ver-
zinsung der Schulden durch eine mit den Ständen auf 10 Jahre zu
treffende Vereinbarung die Billigung der Kaiserin und durch seine
Bemühungen auch Annahme in den verschiedenen Ländern gefunden
hatten. Der Gedanke war wol nicht neu, und das Verdienst des Grafen
Haugwitz bestand vornehmlich darin, dass er sich einer schwierigen
Arbeit unterzogen hatte, indem, als er Hand ans Werk legte, weder
die Höhe der Schulden noch die anderen erforderlichen Ausgaben,
ebenso wenig aber auch die zur Verfügung stehenden Einnahmen be-
kannt waren, und das gesammte Materiale, worauf mit Sicherheit ein
Finanzplan entworfen werden konnte , erst mühselig herbeigeschafft
werden musste.
Die Trennung der Justiz von der Verwaltung war unstreitig eine
grosse That, welche die Rechtspflege in günstiger Weise beeinflusst
hat. Dagegen hat sich die Vereinigung der politischen und finanziellen
Angelegenheiten nicht als förderlich erwiesen. Wol bestand die Hof-
kaminer mit einem beschränkten Wirkungskreise fort, der in den näch-
sten Jahren noch weiter eingeengt wurde. Auch die Ministerialdepu-
tation behielt die Leitung des Bancoinstituts und die Verwaltung jener
Gefälle, welche derselben zur Sicherstellung überwiesen waren: die
neu geschaffene Centralstelle wurde dennoch durch die Ueberfülle der
ihr anvertrauten Geschäfte erdrückt. Durch Schaffung von Kommis-
sionen mit einem selbstständigen, bestimmt umschriebenen Wirkungs-
kreise, denen die Befugnis eingeräumt wurde, unmittelbar der Kaiserin
Vorträge zu erstatten, suchte man der Ueberbürdung abzuhelfen. Der
Staatshaushalt gerieth in dem nächsten Jahrzehnt vollständig in Un-
ordnung. Ueber die Höhe der Einnahmen und Ausgaben herrschte
volle Unklarheit, und während des dritten schlesischen Krieges trat
die Unbeholfenheit des Directoriums als Finanzbehörde in auffälligster
Weise hervor.
Für die oberste Leitung der ungarischen Finauzverwaltung be-
240 B e e i*.
stand die köuigl. ungarische Kammer, seit 1749 Hofkammer genannt
früher der allgemeinen österreichischen untergeordnet, später mit einem
gewissen selbständigen Wirkungskreise. In prinzipiellen Fragen wurde
das Gutachten der österreichischen Hofkammer oder des Directoriums in
publicis et cameralibus während dessen Bestandes abgefordert. Der
ungarischen Hofkammer unterstanden die von Maria Theresia zu Ofeu,
Szegedin, Arad und in der Zips errichteten Kammerämter. Die Ver-
waltung der ungarischen Krön- und Kammergüter, das Salz- und
Bergregale, die Judentaxen, die Post, das Dreissigstgefälle gehörten
zum Wirkungskreise der österreichischen Centralstelle. Für Sieben-
bürgen bestand in Wien eine mit der polititschen Verwaltung betraute
Kanzlei; im Lande war die oberste Verwaltungsbehörde des Landes-
gubernium ferner zugleich die oberste Gerichtsbehörde. Die Finanz -
angelegenheiten besorgte das siebenbürgische Thesauriat.
Nach Errichtung des Directoriums war eine einheitliche Verwal-
tung des Finanzwesens nicht vorhanden. Es gab hiefür 1761 drei
Centralstellen : dem Directorium in publicis et cameralibus waren die
Contributionen, und die anderen direkten Steuern, sowie das „deutsche
Cainerale" zur Verwaltung anvertraut; das Münz- und Bergwesen,
sowie das ungarische Camerale unterstand der Hofkammer, endlich
hatte der Wiener Stadt-Banco eine selbstständige Verwaltung unter
einem eigenen Präsidenten. Selbst gleichartige Gegenstände wurden
von verschiedenen Centralstellen verwaltet. So unterschied man zwischen
verpfändeten und rückverpfändeten Gefällen, diese unterstanden dem
Directorium, jene der Bancodepufation. Jede Centralstelle hatte nicht
blos die Verwaltung der zu ihrem Wirkungskreise gehörigen Ange-
legenheiten zu besorgen, sondern auch alle etwaigen Ausgaben zu be-
streiten und darüber Rechnung zu legen. Alle diese Stellen waren
von einander unabhängig und erschwerten natürlich eine zweckmässige,
von gleichartigen Gesichtspunkten ausgehende Verwaltung. Bei Fragen
verwickelter Natur traten wol Commissionen zusammen, welche zu
berathen und Vorschläge zu erstatten hatten, allein die verschiedenen
von einander oft abweichenden Gesichtspunkte der Mitglieder, welche
blos die einseitigen Interessen ihres Ressorts zur Geltung zu bringen
suchten, machten es der Monarchin nicht gerade leicht, eine Entschei-
dung zu treffen.
Längst hatte sich das Bedürfnis einer einschneidenden Aende-
rung fühlbar gemacht. Die Schwerfälligkeit der Finanzverwaltung
trat während des Krieges augenfällig zu Tage. Wie Bartenstein in
einer Denkschrift tief klagend bemerkte, kannte mau weder die Höhe
der Einnahmen noch der Ausgaben genau; seiner Schilderung nach
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 241
herrschte grosse Unordnung. Unmittelbar nach Schaffung des Staats-
rates wurde deshalb auch die Reform der Finanzverwaltung in Er-
wägung gezogen. Ueber die Notwendigkeit einer Trennung der
politischen Verwaltung von jener der Finanzen waren die meisten
Mitglieder des Staatsrathes einig. Nur Graf Haugwitz verfocht die
Beibehaltung des Wirkungskreises des Directoriums in dem von ihm
geschaffenen Umfange. Das wesentlichste Verdienst um Klärung der
Ansichten erwarb sich Kaunitz, der in einer meisterhaften Denkschrift,
die sich auf alle Fragen der Verwaltung erstreckte, in erster Linie
aber jene der Finanzen beleuchtete, auf die bisherigen vielen Gebre-
chen aufmerksam machte. Die Erblande , legte er dar , seien noch
niemals in einer vollkommenen Verbindung unter sich gestanden, sie
hatten ihre besondere Regierung und Verfassung. Eine nicht ganz zu
missbilligende Eifersucht war bei den Ständen und Stellen der „ Antrieb
sich abgesondert und ihre Privilegien aufrecht zu halten". Der Sou-
verän wurde in diesem Vorurtheile erzogen und „von seinen Bedienten
unterhalten". Das Unternehmen einer Vereinigung schien theils zu
gefährlich, theils zu hart, der Nutzen wurde nicht eingesehen bis die
Kaiserin die so heilsame als herzhafte Entschliessung gefasst habe,
eine Verbesserung des bisherigen Staatssy stein s zu unternehmen und
die Theile mit dem Ganzen zu verbinden. Kaunitz hatte hiebei die
Reformen im Jahre 1749 im Auge; allein man sei, wie er bemerkt,
von der reinen Verfassung wieder abgegangen. Man habe mit einan-
der verknüpft, was nicht zu verbinden gewesen wäre. Seine Forderung
geht auf Trennung der Finanzverwaltung und zwar der Einnahmen
von den Ausgaben und dieser wieder von der Rechnungslegung. Mit
vollem Rechte wies er darauf hin, dass z. B. „der Banco die Ver-
Avaltung der grössten und schönsten Cameralgefälle in Händen habe
ohne Oberaufsicht, ohne Controlle". Es waren dies die sogenannten
an die Bank verpfändeten Gefälle, welche ihr zur Sicherstellung der
von ihr aufgenommenen Anlehen übergeben wurden, während die
anderen Gefälle, die un verpfändeten, der Hofkammer unterstanden.
Die Schaffung eines Directoriums in publicis et cameralibus hatte sich
durchaus nicht als vortheilhaft erwiesen. Der Wirkungskreis desselben
war von jenem der Hofkammer nicht scharf abgegrenzt. Für eine
grosse Anzahl staatlicher Belange wurden Commissionen ins Leben
gerufen, deren Vorstände unmittelbar an die Kaiserin Vorträge er-
statten konnten. Niemand, bemerkt Kaunitz treffend, habe sich in
der Monarchie befunden, der mit der Sorgfalt für die Totalität und
die allgemeine Wohlfahrt des Staates beladen gewesen wäre; vor Allem
sei aber auf das „Universale" das Augenmerk zu richten, dann erst
Mittheilungen XV. IG
242 B e e r.
auf das „Partikulare", indem dieses, wenu es auch an sich namhaft
und beträchtlich wäre, niemals für erspriesslich gehalten werden kann,
wenn dasselbe dem Ganzen zum Nachtheil gereiche. Kaunitz weist
darauf hin, dass es an guten Gezetzen und Verordnungen nicht fehle,
die aber nicht gehalten werden, „das Wiener Gebot sei schon längst zum
Sprichworte geworden" und es wäre weit besser, keine Verordnungen zu
erlassen als solche, die nicht befolgt werden. Es gebe überflüssige
Bedienungen, Pensionen und Besoldungen; die Ehrentitel und Stellen
haben sich vom geheimen Rath bis auf den letzen Bedienten so sehr
gemehrt, dass dadurch ihr Ansehen vermindert worden sei und junge
Cavaliere damit anzufangen suchen, womit sie endigen sollen : mit der
geheimen Rathswürde.
Die Arbeit ist überhaupt ein glänzendes Zeugnis wahrhaft grosser
staatsmännischer Auffassung. Lassen sich auch mancherlei Einwen-
dungen im Einzelnen erheben, in allen wesentlichen Punkten befür-
wortet Kaunitz Einrichtungen, die erst in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts in diesem Umfange in dem staatlichen Leben sich
durchgerungen haben. In vielen Fragen eilt er seiner Zeit voraus. So
betont er es, dass die Staatswirthschaft den wichtigsten Gegenstand des neu
zu errichtenden Systems abzugeben habe und dieselbe nicht in allen
Stücken nach der Privatwirtschaft beurtheilt werden dürfe, da bei
dieser die Regel stattfinde, dass die Ausgaben nach den Einnahmen
abzumessen seien, hingegen bei einer gut eingerichteten Staatswirth-
schaft die Einkünfte nach den nöthigen und nützlichen Ausgaben be-
stimmt werden müssen. Mit Entschiedenheit wendet er sich gegen
die Geheimnisthuerei des Banco-Instituts, weil vermeintlich das edelste
Kleinod des Credits keiner Gefahr auszusetzen sei, eine Ansicht, die
bei den Berathungen von dem Staatsrathe Stupan energisch vertreten
wurde. Seine Bemerkungen über die zu ergreifenden Massnahmen zur
Hebung von Handel und Industrie sind gegen die engen Gesichts-
punkte gerichtet, die in dem damaligen Commerzdirectorium ihre Ver-
treter hatten, und zeigen einen mit den wirthschaftlichen Verhält-
nissen vertrauten Mann, sei es , wenn er auf die Notwendig-
keit statistischer Tabellen hinweist, oder wenn er eine Centralbe-
hörde befürwortet und überhaupt für die Erleichterung des Verkehres
eintritt x).
Das Ergebnis der eingehenden Berathungen war die Schaffung von
!) Votum des Staatakanzlers vom 20. Nov. 17G1, Nachtragsvotum vom De-
zember 1761.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 243
drei Finanzpräsidenten 1). Das Directoriuru in publicis et cameralibus wurde
in eine politische Verwaltungsbehörde umgestaltet und der bisherige
Bancodeputationspräsident, seit 1759 zugleich Hofkammerpräsident,
Graf Kudolf Choteck, der bisher auch mit dem Commerzoberdirectorium
betraut gewesen war, wurde zum obersten Kanzler der böhmisch-öster-
reichischen Hofkanzlei, welchen Namen von nun an die Centralstelle
führen sollte, ernannt2). Ausschlaggebend fürdie Ernennung desselben war
wahrscheinlich der Umstand, dass man sich zur Schaffung einer selbst-
ständigen Behörde für Handelsangelegenheiten entschied und die Selbst-
ständigkeit der Bancodeputation wesentlich einschränkte. Zum Präsi-
denten der Hofkammer, mit welcher bereits seit 1759 das Münz- und
Bergwesen vereinigt war, wurde Graf Johann Seyfried Herberstein
ernannt, bisher an der Spitze der Landesbehörde in Krain. Die allge-
meine Hofkammer hatte auch das ungarische Camerale, sowie die
') In dem Handschreiben vom 23. Dec. 1761 an die drei Finanzpräsidenten
wird gesagt, dass das ganze Finanzwesen einer dreifachen Verwaltung unterstehen
soll : Hof kammer, Caisse generale und Rechenkammer. Arneth VII S. 26 bezeichnet
die deutsch-erbländische Creditsdeputation als eine selbstständige Centralbehörde,
der die Stadtbank untergeordnet wurde, was unrichtig ist. Hatzfeld führte anfangs
den Titel : Teutsch-erbländischer-Credits-Deputations- und Stadt wienerscher Banco-
präsident. Handschreiben an Hatzfeld, 23. December 1761 ; in demselben wird
auch bemerkt: Die Kaiserin erkenne wol, dass die Vereinigung aller Einkünfte
in eine C'assa ein grosses und wichtiges Werk sei, allein dies lasse sich nicht auf
einmal noch ohne nothwendige Vorbereitung zur Vollkommenheit bringen; man
müsse mit aller Sorgfalt vorgehen, besonders aber fürdenken, dass dem Credit
kein Abbruch geschehe. Der Stadtbanco sei daher bei seiner Verfassung zu be-
lassen, jedoch für denselben, sowie über die deutsch. -erb! ändische Creditsdepu-
tation nur ein Präsident gesetzt, damit durch Vereinigung des doppelten Prae-
sidii unter ein Capo das Fundament gelegt werde, worauf eine vollkommene
Union zu begründen sei und wohin alle übrigen Credit-Cameral- und Contri-
butionalfonde sobald als möglich nach und nach einzuleiten seien. — Die An-
sicht des Staatskanzlers hatte nicht den Sieg davon getragen, jene Stupan's, wie
es scheint, Eindruck gemacht. Stnpan hatte beantragt, dass die k. k. Hofkam-
mer auf dem alten Fuss hergestellt, bei derselben die Haupt-, Militär- und
Cameralcassa aufgerichtet, in diese aber alle Einkünfte des Staates einfliessen
und von ihr alle Hof-, Militär- und Civilerfordernisse bestritten werden sollen.
Die Hof kammer hätte für die Einkünfte, die Contröle generale aber als Central-
finanzdirection für die Ausgaben zu sorgen, das Universal-Militär- und Cammeral-
zahlamt wäre zu instruiren, keine Zahlungen zu leisten, die nicht durch die
Contröle generale angewiesen seien; Bancocassa und Schuldencassa seien nicht
mit den übrigen Staatseinkünften zu vermischen, da sonst eine Schwächung des
Credits zu befürchten wäre (16. Febr. 1761). Kaunitz dagegen sprach sich für
eine Einbeziehung des Banco, sowie für eine Vereinigung aller Fonds aus. (Vo-
tum 27. November 1761).
-) Da Ihrer Majestät Augenmerk bei Hofstellen sei dasjenige, was seiner Natur
16"
244 Beer.
bisher vom Directoriurn in publicis et cameralibus übertragenen deut-
schen Cameralangelenheiten zu besorgen. Graf Carl Friedrich Hatzfeld,
der als Beisitzer der Kepräsentation und Kammer in Prag Gelegenheit
o-ehabt hatte, sich mit den wirthschaftlichen und finanziellen Verhält-
nissen des Landes bekannt zu machen und später eine Zeit lang als
böhmischer Appellationspräsident thätig war, wurde zum Präsidenten
der Ministerialbancodeputation und bald darauf der Generalcassen-
direction ernannt. Zum Präsidenten der Rechnungskammer wurde
Graf Zinzendorf, ein Günstling des Grafen Kaunitz, bestimmt 1). Die
Finanzpräsidenten erhielten 12000 fl. Gehalt 8).
Die im Jahre 1761 beschlossene Neuordnung beruhte auf einer
Dreitheilung: Verwaltung, Geld und Rechnung. Der Hofkammer wurde
die Oberaufsicht, Direction und Verbesserung aller sowol „freien, als
verschuldeten Cameral- und Contributionsgefälle" übertragen. S.e hatte
daher für die Herbeischaffung der Staatseinnahmen zu sorgen und die
Ausgaben anzuordnen, welche für den öffentlichen Staatsauf wand sich
als notwendig erwiesen. Die gesammten Einnahmen des Staates sollten
der allgemeinen Cassa zufliessen, welche von nun an alle Zahlungen
zu leisten hatte, ohne jedoch ausser der ihr anvertrauten Besorgung
der gesammten öffentlichen Credite in die Verwaltung einzugreifen.
Endlich wurde die Rechenkammer errichtet, welche mit der Prüfung
der empfangenen und ausgegebenen Gelder betraut wurde, demnach
die allgemeine Controle über die beiden anderen Centralstelleu zu
führen hatte 3).
Wie sehr die Kaiserin die grosse Tragweite der Neuorganisation
erfasst hatte, geht aus vielen Handschreiben jener Tage hervor. Die
Grundsätze, worauf die Reform beruhte, erschienen ihr als die rich-
tigen und in der ersten Zeit war sie jeder auch der geringfügigsten
Aenderung abhold und fortwährend bemüht, die Schwierigkeiten, welche
nach nicht unter die Oberverwaltung gehört, von einander zu trennen und dasjenige,
was von gleicher Eigenschaft ist und beisammen bleiben kann, untereinander zu
verbinden, so sollen die Politica von der obersten Justiz abgesondert bleiben
und die oberste politische Stelle nicht mehr mit Cameral- und commissariatlichen
Geschäften vereinigt sein. V^iener Zeitung 11. Januar 1762.
1) Für das bisher dem Directoriurn in pub. et cameralibus anvertraute Militär-
Oeconomiewesen wurde eine eigene unmittelbare Commissariat- und Proviant-
Hofcommisbion unter dem geh. Rath Joh. von Chotek gebildet.
2) Handschreiben vom 25. Febr. 1762. Die 100/0 betragende Arrha wurde
ihm vergütet.
3) Die kaiserl. Resolution vom 23. Dezember 1761 abgedruckt Ludwig und
Karl Zinzendorf s Selbstbiographie, herausgegeben von Pettenegg, Wien 1879, S. 86.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 174!» — 1816. 245
der Durchführung entgegenstanden, zu beseitigen. Die Befugnisse der
neugeschaffenen Centralstellen mussten erst genau abgegrenzt werden,
was nicht ohne Beibungen erfolgt zu sein scheint, denn die Kaiserin
sieht sich genöthigt, Ziel und Aufgabe der einschneidenden Umge-
staltung darzulegen und den Wirkungskreis der Behörden zu um-
schreiben l). Trotzdem erfolgte die vollständige Vereinigung der Finanz-
verwaltung bei der Hofkammer nicht. Das Contributionale blieb bei
der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, der Banco behielt die Ad-
ministration der verpfändeten Gefälle und die Hofkammer blieb daher
auf das Bergwesen und auf die unverpfändeten deutschen und unga-
rischen Cameral- Einnahmen beschränkt. Die Militärkassen wurden
durch eine kaiserliche Entschliessuug den allgemeinen Cassen entzogen,
das Schuldenwesen wieder unter Oberdirection des Kaisers verwaltet2.)
Die Bestrebungen des Grafen Herberstein die in der Verwaltung der
') Vergl. das am 8. März 1762 präsentirte Handschreiben der Kaiserin. Wie
sehr die Kaiserin auf der strikten Durchführung beharrte, geht auch daraus her-
vor, dass Graf Seyfried Herberstein in einem Vortrage vom 12. Februar 1762 bat,
den gegenwärtigen Zustand noch ein Jahr lang zu belassen und die Kassen so-
wie die Buchhaltung des Münz- und Bergwesens nicht alsogleich den neuen Be-
hörden überweisen zu müssen, da er allzu kurz im Amte sei und daher noch
nicht in der Lage sei, sich mit den Verhältnissen des Münz- und Bergwesens
bekannt zu machen. Die Kaiserin gieng jedoch nicht darauf ein. Ich habe
bereits Meine, nach reifer Ueberlegung gefassten Beschlüsse, lautet die Ent-
schliessung, ganz deutlich bekannt gemacht und beharre unabänderlich, dass
Meine Kammer sich künftig blos und allein mit der Oberaufsicht und Admini-
stration aller Meiner Gefällen beschäftigen und das Kassa- und Rechnungswesen
abgesondert bleiben solle.
■) Durch Handschreiben vom 24. September 1763 wurde Graf Hatzfeld von
der Kaiserin verständigt, dass ,Ihro Maj. der Kaiser die Administration der neuen
Schuldencassa zu übernehmen belieben wollen« ; sdie von denen administrirenden
Stellen einzubringenden Gelder und Fonds d" araortissement, so der erwähnten
neuen Schuldencassa gewidmet sind, die Finanzoperationen so damit zu machen,
die Art diese Gelder so damit zu verwenden, und er selbsten wird, insoweit es
diese Cassa betrifft, der Disposition und Anordnung Ihro Majestät des Kaisers
gänzlich untergeben sein«. Die Aufsicht über die Staatsschulden führte bis zu
seinem Tode Kaiser Franz, der sich überhaupt um die Ordnung des Staatshaus-
haltes, namentlich aber um das Münzwesen die grössten Verdienste erworben hat.
Die einflussreiche und vom Erfolge gekrönte Wirksamkeit dieses Mannes ist bis-
her noch nicht gehörig gewürdigt worden. Eine grosse Anzahl von Schriftstücken,
eigenhändig in französischer Sprache geschrieben, gewährt einigen Aufschluss
über die unter seiner Mitwirkung durchgeführten Reformen namentlich auf dem
Gebiete des Münzwesens. Auch widmete er in Zeiten der Noth nicht unbedeu-
tende Summen für Staatszwecke. Nach seinem Tode erhielt Hatzfeld das ganze
Staatsschuldenwesen. (Handschreiben an Hatzfeld 21. Oct. 1765.)
24(3 Beer.
Bancodeputation stehenden Gefälle der Hofkamrner zu überweisen,
blieben ohne Erfolg 1).
Der Präsident der Bancodeputation war angewiesen, die Sitzungs-
protokolle ausnahmslos dem Kammerpräsidenten zu übersenden, damit
dieser entweder zustimme oder etwaige Erinnerungen mache. In letz-
terem Falle sollte eine Zusammentretung der beiden Präsidenten statt-
finden, und wenn eine Einigung stattfand, wurde blos das Protokoll
zur Approbation der Kaiserin überreicht, kam aber ein Beschluss nicht
zu Stande, musste ein gemeinschaftlicher Vortrag erstattet und die
verschiedenen Ansichten dargelegt werden. Die Bancodeputation war
nicht berechtigt, in der Administration eines Gefälles ohne Einver-
nehmung der Hofkammer eine Veränderung vorzunehmen. Viertel-
jährlich mussten die Ausweise über die Einnahmen der Hofkammer
vorgelegt und am Jahresschlüsse der Kechnungskammer ordentliche
Rechnung gelegt werden 2).
Differenzen zwischen den Finanzstellen und der böhmisch-österrei-
chischen Kanzlei über die Frage, welche Behörde in reinen Cameral-
sachen Verordnungen an die Gubernien zu erlassen habe, machten
sich bemerkbar. Die Hofkanzlei hatte bereits in einem Vortrage vom
5. October 1762 auf die Verwirrung aufmerksam gemacht, wenn
an die der Hofkanzlei allein unterstehenden Landesgubernien und
Stände kaiserliche Befehle oder gar Normalien ohne ihr Vorwissen
gelangen, und gleichzeitig die Bitte gestellt, dass die Finanzstellen
mit der Hofkanzlei diesbezüglich concertiren sollen. Dem entsprechend
erfolgte auch eine kaiserliche Entschliessung am 19. October 1762.
Allein damit war die Angelegenheit nicht abgethan, und die Hof-
kanzlei wendete sich abermals in derselben Angelegenheit an die Mo-
narchin. In einem Vortrage vom 24. November 1764, worin sie be-
merkte, „sie wolle ganz gerne geschehen lassen, dass in puris Carne-
ralibus die Finanzstellen auch unmittelbar an die Länder-Dicasterien,
allein doch niemals an die Stände expediren mögen", wurde in
Anspruch genommen, dass bei Erlässen, welche die Publica politica
betreffen, die Unterschrift des Hofkanzlers notwendig sei. Durch Hand-
schreiben vom 14. März 1764 an den Grafen Herberstein verfügte die
Kaiserin: „Nachdem bey den Landes-Gubernien zeithero ein so an-
deres Missverständniss aus Veranlassung der abgelofenen Resripten
und Verordnungen sichergeben", so habe sie zu künftiger Hindan haltung
1) Vergl. Handschreiben vom 31. März 1762.
2) Handschreiben an den Grafen Heiberstein ohne Datum , praes. den
20. Februar 1762.
Die Fiuanzvenvaltung Österreichs 1749—1816. 247
derlei Anstössigkeiten zu resolviren befunden, „dass von den Finanz-
Stellen weitershin zwar an die unterhabende Aemter in den Ländern
die Befehle und Verordnungen wie zeithero ausgefertiget, dahingegen
von nun an keine Resripten oder Anordnungen an die Landes-Gu-
bernien ohnuiittelbar von ihnen erlassen, sondern alles, was von ihnen
au solche zu ergehen hat, durch die Böhmisch-Oesterreichische Cauzley
auf dem Fuss, wie solches unter dem vormaligen Directorio geschehen
und von dem Commercien-Rath auch noch gegenwärtig beobachtet
wird, jedesmal expedirt, sofort die Expeditionen nebst dem obersten
Canzler zugleich von dem Präsidenten der betreffenden Finanzstelle
mit unterfertigt werden sollen. Wornach also von der Cammer der
Verhalt zu nehmen ist, allermassen die Rechen-Cammer und Cassen-
Direction in der nämlichen Gleichförmigkeit untereinstens anweise'1 1).
Aehnlich ein Handschreiben an Hatzfeld vom selben Tage.
Graf Hatzfeld wurde in seinen Bestrebungen nach Schaffung einer
einheitlichen Finanzverwaltung von dem Präsidenten der Hofrechen-
karnmer, Grafen Ludwig Zinzendorf, unterstützt. In einem gemein-
schaftlichen Elaborate befürworteten sie die strikte Durchführung der
einmal angenommenen Grundsätze und bekämpften den Einfluss der
l) Eine ähnliche EntSchliessung der Kaiserin war auf einen von Hat-feld
am 21. Mai 1764 erstatteten Vortrag erfolgt, dahin gehend: »um die Anstössig-
keiten bei der Correspondenz mit den Länderstellen zu beheben, haben die Stellen
zur genauen Richtschnur zu nehmen, dass sie die Schranken der ihnen einge-
räumten Activität nicht überschreiten und jene Geschäfte, welche in mehrere
Departements einschlagen, gemeinschaftlich concertiren, und gleichförmig expe-
diren, auch wenn von den Länder-Stellen die Berichte unrecht dirigirt werden,
solche ohne mindesten Aufenthalt der betreffenden Stelle brevi manu zu schicken,
und ein gleiches auch in dem Fall beobachten sollen, wenn von Mir ein Vortrag,
oder eine Auskunft von einem Präsidenten, oder Stelle anverlanget würde, das
Geschäft aber gänzlich , oder zum Theil in ein anderes Departement ein-
schlagte.
So viel die Rescripta selbst, und die Verordnungen an die Länder- Gubernia
anbetrift, da hat zwar de Regula die Canzley allein die Expeditiones zu erlassen,
weilen aber auch verschiedene Anordnungen von den Finanz-Stellen dahin ge-
machet werden müssen, so will Ich hiebey künftig beobachtet wissen, dass solche
jedesmal der Canzley zur vorläufigen Einsicht hinüber gegeben, und hernach erst
mit der vorhin angeordneten Mitunterschrift des Obristen Canzlers, und respective
Vice-Kanzlers expediret werden sollen, wohingegen jene Finanz- Expeditionen,
welche allein die Bergbau- und münzämtliche Manipulation, das Buchhalterey-
oder Cassa-Weesen betrefen, folglich mit dem Publico-politico oder Provinziali,
keinen Zusammenhang haben, von den Finanz-Stellen temers an die Gubernia zu
erlassen sind, nur die Montanistica in Kärnten, und Crain ausgenommen, wo die
Anordnungen gerade an die Aemter abgehen mögen«. Gleichlautend ein Hand-
schreiben an Herberstein 27. Mai 1764.
248 B e e r-
Hofkanzlei iu Finanzangelegenheiten. Da sich die gesainniten Con-
tributionen bei dieser Centralstelle bestanden und auch die übrigen
Auflagen in einem grösseren oder geringeren Zusammenhange mit den
ständischen Angelegenheiten waren, so konnte von den Finanzstellen
ohne Zuthun der Kanzlei strenge genommen keine Verfügung ge-
troffen werden. Langsamkeit und Verzögerung der Geschäfte, unnö-
thige Schreibereien waren die Folge. In dem Vortrage wurde der
Kaiserin dargelegt, dass die böhmisch-östen eichische Hofkanzlei ihrer
Natur nach nichts als eine politische Stelle sei, welche sich von jeher
in dem Besitze des ständischen Vertrauens zu erhalten gesucht und die
Klagen der Stände Allerhöchstenorts geltend gemacht und unterstützt
habe. Von ihrer Mitwirkung hingen alle wichtigen Finanzangelegen-
heiten ab. Für das Contributionale, die Erbsteuer, die Schulden- und
Interessensteuer sei sie die eigentlich administrirende Stelle und daher
erklärlich, dass aus einer solchen Einrichtung kein Vortheil für die
Finanzen erwachsen könne. Wol finden zwischen den verschiedenen
Centralstellen Zusammentretungen statt, allein der Vollzug der zu
treffenden Massnahmen werde dadurch gehemmt. So z. ß. sei die
Publication des Fleischkreuzerpatentes bereits vor einem Jahre von
der Kaiserin genehmigt worden, aber in Oesterreich ob der Enns bis
vor wenigen Wochen die Veröffentlichung verweigert, in Kärnthen bis
zur Stunde hintertrieben worden. Ein Fehler der Organisation be-
stünde auch darin, dass bei Absonderung der Cameral- nnd Bancal-
gefälle Einkünfte einerlei Gattung sich unter einer verschiedenen Ver-
waltung befinden. Die ungarischen Mauthgefälle werden ungemein
schlecht administrirt. Die Vereinigung derselben mit der Hofkammer
wäre ebenfalls notwendig und für die Wohlfahrt der deutschen Erb-
lande von Wichtigkeit. Nur durch Vereinfachung der Verwaltung
könnte eine Besserung erzielt werden. „Alle in verschiedenen Händen
befindlichen Gegenstände einer Art sollen so viel möglich in einer
Hand vereinigt, die Administration sämmtlicher Gefälle müsse von
einer Centralbehörde besorgt werden", die Cassadirection sowie die
Bancodeputation und die Hofkammer sollen wol in ihrer bisherigen
Verfassung verbleiben, oder einem Präsidenten untergeben werden. Die
Eechenkammer sei aufrecht zu erhalten, jedoch dahin zu beschränken,
dass sie auf die Vollziehung der Geschäfte nicht hemmend einwirke,
Während durch die Ende Dezember 1761 getroffene Organisation drei
Finanzpräsidenten geschaffen wurden, sollten daher künftig nur zwei
die gesammte Finanzverwaltung besorgen: ein Hofkammerpräsident,
dem die Administration des Contributionale und sämmtliche Cameral-
gefälle, die Direction des Banco und der Generalcasse zu übergeben
Die Vinauzverwaltung Oesterreichs 1749—1816'. 949
seien, und der Präsident der Kechenkaminer. Die Au tragsteiler griffen
zur Begründung dieses Antrages auf die Einrichtung vor 1703 zurück,
darauf hinweisend, dass bis dahin das gesammte Finanzwesen unter
Einem Präsidenten gestanden habe. Die bei den Berathungen bekämpfte
Vereinigung der Bancodeputation mit der Hofkammer unter einem
Präsidenten, indem dadurch der Kredit des Banco geschädigt werden
dürfte, wurde mit dem Hinweise widerlegt, dass Graf Rudolf Chotek
diese beiden Präsidien vereinigt hatte. Es fragte sich nur, ob eine
Kraft im Stande sei, die grosse Last zu bewältigen. Hatzfeld und
Zinzendorf beriefen sich auf die Hofkammer-Instruction vom Jahre
1717, worin angeordnet war, dass die weniger wichtigen Agenden
ohne Mitwirkung des Präsidenten in verschiedenen Kommissionen be-
sorgt werden sollen; nur sollte der Hofkammerpräsident allwöchent-
lich in eiuer Plenarversammlung die wichtigen Dinge berathen lassen.
Jeder Kommission — es wurden deren vier in Vorschlag gebracht —
sollte ein Vicepräsident vorstehen, der Plenarversammlung die Be-
schlussfassung vorbehalten bleiben über alle Angelegenheiten, worüber
zwischen zwei Stellen ein Widerspruch bestehe, ferner über jene, die
in das Ressort mehrerer Ceutralstellen gehören, endlich über alle wich-
tigen Angelegenheiten, die bei den gewöhnlichen Rathssitzungen in
Abwesenheit des Präsidenten nicht zum Abschluss gebracht werden
können.
Die Kontribution sei, insolange die Bewilligung der Stände nicht
erfolgt sei, ein Gegenstand der politischen Stelle, die Eintreibung
und Erhebuug jedoch stehen einzig und allein dem Finanzminister
zu. Die Postulirung und Bewilligung der Contribution hätte die
Kammer im Einverständnisse mit der Rechenkammer bekannt zu
geben und das gemeinschaftliche Protokoll zur Allerhöchsten Ent-
Schliessung vorzulegen, die Kanzlei hätte dieselbe den Ständen zu
übermitteln und die Bewilligung einzuholen, etwaige Anstände der-
selben wären durch gemeinsame Berathung zu beheben und abermals
eine EntSchliessung zu erbitten, die Eintreibung der bewilligten Kon-
tribution bliebe ausschliesslich der Kammer überlassen und durch die
Gubernien zu besorgen. Dasselbe gelte von der Erbsteuer, von der
Interessen- und Schuldensteuer, von sämmtlichen ständischen Admini-
cularfonds und Supererogaten : das ständische Kreditwesen, wofür das
Aerar zu haften habe, solle den Finanzstellen zugewiesen werden und
die Kanzlei damit nichts zu thun haben, nur sei ihr zu gestatten,
Anzeige bei der Kaiserin zu machen, wenn sie erführe, dass dem
ständischen Kredit zu nahe getreten werde. Das ständische Domestical-
Schuldenwesen habe der Kanzlei zu verbleiben, die Finanzstellen seien
250 Beer.
jedoch von dem Stande desselben zu unterrichten. Keinem Lande
wäre die Vermehrung der Domestical - Schulden ohne Einverneh-
mung der Finanzstelle zu gestatten. Verwaltung, Berechnung und
Revision der ständischen Kassen seien ein gemeinschaftlicher Gegenstand
der Kanzlei und der Finanzstellen und es sei noth wendig, sämmtliche
ständischen Buchhaltereien der Rechenkammer zu subordiniren. Ueber
die Proportion der Länderkontribution nebst dem Exaequatorio und
Rectificatorio müsse die Kanzlei bei ihrer Kenntnis der verschiedenen
Länder, sowie über die Proportion derselben gegen einander, von dem
Erträgnis der Herrschaften, Güter und Gründe, worauf diese Abgaben
gebaut sind, am verlässlichsten unterrichtet sein, es wäre folglich
nützlich, dies der Kanzlei zu überlassen; da jedoch unendlich daran
gelegen sei, dass kein Land beschwert werde, so solle ein Hofrath der
Rechenkammer beigezogen werden. Ständische Gravamina verblieben
der Kanzlei, die Untersuchung derselben sei jedoch eine gemeinschaft-
liche Angelegenheit der Stellen. Die ständischen Privilegien, insolange
sie das Aerar nicht direkt oder indirekt betreffen, unterstünden der
Kanzlei, im letzteren Falle aber sind die Finanzstellen einzuvernehmen x).
Die in dem Vortrage vom 11. September 1764 gemachten Vor-
schläge über die Einrichtung der Fiuanzstellen erregten bei der Kai-
serin einige Bedenken und sie beauftragte ihren geheimen Cabinets-
sekretär Neny, dieselben dem Grafen, Hatzfeld zur Kenntnis zu
bringen. Drei Punkte waren es namentlich, die sie nicht befriedigten:
die Beibehaltung der Generalcassadirection, die nicht genügsame Ein-
schränkung der Controlle der Rechenkammer, endlich dass der böhmi-
schen Kanzlei allzu viel Einfluss auf die ständischen Angelegenheiten
belassen worden sei. Die Beibehaltung der Cassadirection sei unnöthig
und die Geschäfte könnten von der Hofkammer besorgt werden, die
Controlle der Rechenkammer verursache viele Weitläufigkeiten, endlich
gebe der Einfluss der böhmischen Kanzlei auf die ständischen Ange-
legenheiten zu vielen Verzögerungen Anlass.
In seiner im November übersehenen Erläuterung bemerkte Hatz-
feld, die Aufhebung der Cassadirection sei nicht angerathen worden,
weil man sich „zum Endzweck gesetzt", diese Abänderung auf eine
solche Art einzuleiten, dass sie bei dem in- und ausländischen Pub-
likum kein allzugrosses Aufsehen erwecke, mittlerweile sei jedoch der
l) Allerunterthänigste Vorschläge über die Einrichtung des Finanzwesens
und Verbesserung des gegenwärtigen Finanzsystems vom 11. September 1764
unterzeichnet Graf v. Hatzfeld und Graf v. Zinzendorf. Die Arbeit ist das Werk
Zinzendorfs. Vergl. die Note im Anhange.
Die Finanzvorwaltung Oesterreichs 1749—1816. 251
Antrag auf Aufhebung der Generalcassadirection gestellt worden durch
Vereinigung derselben mit der Hofkammer unter einem Präsidenten.
Wenn diese erfolgt sei, können die sämmtlichen Centralstellen durch
ein Handschreiben angewiesen werden, alle Cassenangelegenheiten an
die Hofkammer zu leiten, wodurch sich stillschweigend diese Aufhebung
ergeben würde. Eine Einschränkung der Rechenkammer konnte damals
von Hatzfeld aus dem Grunde nicht beantragt werden, da er gemein- ■
schaftlich mit dem Präsidenten den Vortrag an die Kaiserin erstattet
hatte, aber er beschwichtigte die Herrin, dass eine Einschränkung
insoferne erfolgt sei, indem die Mitwirkung der Rechenkammer nur
auf ganz wichtige Dinge und Pensionsertheilungen sich erstrecke. Die
administrirende Stelle hätte sich künftig an die Rechenkammer zu
wenden, so oft sie von der Buchhalterei ein Gutachten über „ zukünftige
Dinge " abzufordern nöthig haben werde. Die Mitwirkung der Kanzlei
bei den ständischen, die Finanzen betreffenden Angelegenheiten ziehe
allerdings eine gewisse Langsamkeit nach sich, „allein ein so grosses
Werk und die Einrichtung einer aus so vielen und mit verschiedenen
Privilegien versehenen Staaten zusamuiengesetzten Monarchie könne
unmöglich zu letzter Vollkommenheit gebracht werden", und man könnte
nur dadurch Abhilfe schaffen, wenn man der Hofkammer das ständische
Finanzwesen „privative" überweisen würde, aber eine derartige Ver-
einigung würde den Ländern oder den Finanzen gefährlich sein. Denn
denke der Minister allzu sehr auf Vermehrung der Einkünfte, so sind
die Länder einer nicht geringen Bedrückung ausgesetzt, sei hingegen
dieser Minister von den Privilegien der Stände übermässig einge-
nommen, so erleiden die Finanzen Abbruch, wogegen, wenn die Kanzlei
und die Kammer die ständischen Angelegenheiten gemeinschaftlich
besorgen, so werde die Kanzlei alles beibringen, was das Wohlsein
der Länder erheische und die Kammer werde auf „Erhebung der
Finanzen* bedacht sein. Dem Staatsrathe werde es dann nicht schwer
fallen, ohne Vorurtheil das Wohl der Länder mit jenem der Finanzen
zu vereinbaren und dem beiderseitigen Eifer dieser Stellen durch eine
Allerhöchste Entscheidung Schranken zu setzen ; die Vollstreckung der
Allerh. Entscheidung müsse jedoch der Kammer überlassen bleiben.
Hatzfeld befürchtete nämlich, wenn eine gemeinschaftliche Berathung
mit der Kanzlei nicht eintreten würde, „ Beschwernisse ■ bei der Durch-
führung der von der Kammer angeordneten und selbst Allerhöchsten
Orts gebilligten Massnahmen, denn die Stände sehen die Kanzlei als
eine sie vertretende Stelle an, diese würde dem Ansuchen der Stände,
eine beschlossene Massregel zu hintertreiben, wenn sie an der Ent-
scheidung keinen Antheil hätte, Folge geben. Sollte jedoch der Be-
252 B e e r-
schluss gefasst werden, die Kanzlei von der Mitberathung über das
ständische Finanzwesen auszuschliessen, dann schlug Hatzfeld vor, die
betreffenden Agenden theils der Hofkammer, theils der obersten Justiz-
stelle zu übergeben und zwar die Wegreparationssachen, die ökonomi-
schen Angelegenheiten der Städte, das Commerciale, die Publica und
Politica der obersten Justizstelle zu überweisen x).
Die in dem Vortrage Zinzendorf's und Hatzfeld's in Anregung
gebrachten Fragen wurden in einer ausserordentlichen Commission
unter dem Vorsitze von Kaunitz berathen. Die vorgebrachten Be-
denken, namentlich aber der Einwand, class die Ueberweisung so vieler
Geschäfte an eine Person eine Ueberbürdung zur Folge haben dürfte,
wurden von Hatzfeld widerlegt ; „ es handle sich in der Hauptsache
darum, einen gleichen Esprit einzuführen, und er berufe sich diesfalls
auf den Staatsrath, welcher derzeit oftmals in einem und demselben
Geschäfte von den Stellen zwei verschiedene Vorschläge erhalte, wo-
durch die Beurtheilung, wie die Sachen in der That beschaffen seien,
nur erschwert werde, so dass man zuletzt nicht wisse, worauf eigent-
lich eingerathen werden solle; er gedenke daher einen solchen Geist
einzuführen, damit die Cameralia und Bancalia so, als wenn sie von
einer und derselben Stelle verhandelt würden, tractirt werden ". lieber
die Beibehaltung der bisher bestehenden Commissionen als Schulden-,
Interessen-, Steuer-, Tabak- und Stempelcommission konnte sich Hatz-
feld nicht aussprechen, bevor er von den näheren Geschäften Einsicht
genommen haben werde. Kaunitz war der Ansicht, dass keine Com-
mission ihre Protokolle und Anträge an die Kaiserin unmittelbar ge-
langen lassen solle, sondern dieselben an die Hofkammer abzugeben
habe, welche sodann ihr Gutachten darüber zu erstatten hätte 2).
Graf Hatzfeld erreichte das Ziel seiner Wünsche. Die Kaiserin,
lautete eine Zuschrift vom 15. Mai an ihn und an den Grafen Herber-
stein, habe den Entschluss gefasst, „die Hofkammer mit dem Banco
unter einem Präsidenten zu vereinigen derart, dass der Banco in seinen
') Erläuterung des Bancodeputations- und Generalcassa-Directionspräsidenten
über die demselben im Namen Ihro Majestät durch den geheimen Cabinets-
secretär von Neny eröffnete Zweifel über den gemeinschaftlichen Vortrag vom
11. September 1764, die Errichtung der Finanzstellen betreffend, übergeben, circa
im Monate November 1764.
*) Protokoll der ausserordentlichen Commission unter Vorsitz des Fürsten
Kaunitz 1. Mai 1765: Hatzfeld bemerkte, dass die weitschichtige Correspondenz
mit den Stellen Verzögerung und Arbeit erheische ; ein beträchtlicher Theil der
Geschäfte entfalle ohnehin durch Verpachtung der hierländiscben Mauten und
des Handgrafenamtes, wenngleich die Hungarica und die übrigen Cameralanlicgen-
heiten zuwachsen.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 253
Verrichtungen abgesondert bleibe und in Zukunft Graf Hatzfeld beiden
Centralstellen vorzustehen habe". Die Generalcassadirection werde mit der
Hofkammer ebenfalls vereinigt, jedoch sei dieselbe von einem Rath „son-
derheitlich" zu besorgen. Die Verwaltung der Staatsschulden verbleibe
abgesondert und sei wie bisher fortzuführen. Die Vereinigung der
gesammten Finanzverwaltung werde von nun an der Hofkammer
derart übertragen, dass nicht nur das Contributionale uud die übrio-en
die Länder betreffenden Angaben, sondern auch alle Ländergeschäfte,
welche in das Finanzwesen einschlagen, von der Hofkammer allein
besorgt und zur Execution gebracht werden, der vereinigten könio-1.
böhmischen und österreichischen Hofkanzlei aber werde unbenommen
sein, wenn sie zum Besten der Länder etwas zu erinnern finde, ihr
diensam erachtende Vorstellungen vorzulegen, ohne dass dies in der
Execution einen Verzug zu veranlassen habe.
In der am 18. Mai 1765 unter dem Vorsitze von Kaunitz ab-
gehaltenen Commissionssitzung trat Graf Hatzfeld mit Entschieden-
heit für die Uebertragung der Contributionen von der Hofkanzlei an
die Hofkammer ein, da sich die erstere allzu gefügig den Ständen
gegenüber erweise. Hatzfeld erstrebte überhaupt eine Concentration
der Finanzverwaltung und beantragte daher, alle damit im Zusammen-
hang stehenden Angelegenheiten der Kammer zu überweisen, so z. B.
auch den Bau der Strassen. Die politische Stelle sollte nur beurtheilen
dürfen, wo neue Strassen zu bauen räthlich sei, die Verwenduno- des
Wegegefälles und der Fonde sei jedoch Sache der Hofkammer, „da
diese wenigstens die Präsumption für sich hätte, von der diesfälligen
Oekonomie mehr Einsicht als die politische Stelle zu besitzen." *). Hatz-
feld wies auch darauf hin, dass in In u erÖsterreich, wo das Strassen-
wesen zur Ingerenz des Banco gehörte, besser als sonst irgendwo ge-
führt werde. Von andern Mitgliedern wurde mit Schärfe hervorgehoben,
dass keine Anordnung die Besorgung des Contributionswesens von
Seite der Kanzlei verfügt habe.
Graf Rudolf Chotek erklärte sich entschieden gegen die Ueber-
tragung der auf die Contribution bezüglichen Angelegenheiten an die
Holkammer. Alle „Neuigkeiten" der Regierungsform, setzte er in
einem Vortrage vom 14. Juni 1765 auseinander, besonders wenn da-
durch das Alte völlig umgekehrt werde, seien verhasst und es sollte
niemals dazu geschritten werden, als wenn ein offenbarer Nutzen oder
l) Commissionsprotokoll vom 18. Mai 1765 unter dem Vorsitz von Kaunitz.
Anwesend waren : Haugwitz, Blumegen, Hatzfeld, Zinzendorf, Borie, Binder, Stu-
pan und König.
254 ^er.
eine absolute Notwendigkeit solches einrathen. Von der neuen Ein-
richtung des Contributionswesens sei kein Nutzen zu erwarten, es wäre
daher besser gewesen, die Sache beim Alten zu belassen. Er erblickte
auch in den neuen Massnahmen eine Aenderung der Verfassung l).
Die Berathungen kamen erst im September zum Abschlüsse. Hatz-
feld drang jedoch mit seinen Anträgen durch. Nur die Verhandlung
der Postulate mit den Ständen blieb auch künftighin der böhmisch-
österreichischen Kanzlei überlassen, sie sollte sich jedoch in die Kam-
merpostulate nicht mischen und die einlaufenden Berichte der königl.
Commissäre jedesmal an die Kammer senden. Die das Contributions-
wesen betreffendes Angelegenheiten sollten von nun an durch Com-
niissäre an die Stände übermittelt, alle übrigen Anforderungen — „An-
sinnen" heisst es in der k. Erschliessung — aber durch Iiescripte an die
Länderstellen erlassen werden, um den Vollzug zu bewirken, eine Verfü-
gung, die bereits früher getroffen und nun erneuert wurde, wodurch der
Wirkungskreis der Stände eine wesentliche Beschränkung erfuhr 2).
Seit 1765 bestanden daher zwei Finanzpräsidenten, der eine hatte
die gesammte Verwaltung, der andere die Controle zu besorgen. Graf
Hatzfeld hatte das ersehnte Ziel erreicht; ihm waren Hofkammer,
Bancodeputation und Generalkassedirektion anvertraut und nach dem
Tode des Kaisers Franz wurde ihm durch Handschreiben vom 21. Ok-
tober 170:") auch das Schuldenwesen übergeben. Bezüglich der Ge-
schäitsbehandlung wurde verfügt, dass für die Verwaltung der un-
vcrpfäudeten Kammer-Gefälle und der verpfändeten Gefälle, welch'
letztere bisher von dem Banco besorgt wurden, je eine selbständige Com-
mission bestellt werden sollte. Die Uebelstände waren damit jedoch
nicht ganz beseitigt; es ergaben sich oft vielfache Schwierigkeiten,
die Verwaltung nach gleichen Normen einzurichten. In Folge dessen
wurde die Verfügung getroffen, alle Gefälle nach ihren Gattungen
ohne Kücksicht darauf, ob ihre Verwaltung bisher der Hofkammer
oder dem Banco anheimgestellt war, unter die Hauptdirektion des Hof-
kammer- und Bancopräsidenten zu vereinigen.
Für sämmtliche Geschäfte wurden cominissionelle Verhandlungen
'I Ich kann hiebei, heisst es in dem oben erwähnten Vortrage, mit Still-
schweigen nicht übergeben, wie schmerzlich es den treu gehorsamsten Ständen
gesamniter Erblanden nach so vielen überstandenen Drangsalen und so standhaft
erwiesenen allerunterthänigsten Treu und Devotion zu Gemüth dringen müsse,
wenn sie nunmehr erfahren sollen, dass sie in dem wesentlichen Theil ihrer Ver-
fassung eine Veränderung leiden und in ihren treu devotesten Bewilligungen
cameraliter dirigirt werden sollen.
-) Kaiser!. Kntschl. auf Protokoll 1. und 20. Mai und 9. und 14. Sep-
tember 1"(!5.
Die Finanzverwaltung Oosterroichs 1740—1816. Qgg
veriiigt. Nur das Credit- und Cassawesen, soweit es wichtige Ange-
legenheiten betraf, blieb ausschliesslich der Entscheidung dv* Finanz-
rainisters — denn diesen Titel führte nunmehr der Präsident — vor-
behalten, aber die Mitwissenschaft eines Vicepräsidenten forderte die
Kaiserin, weil dieser in Abwesenheit des Chefs die Geschäfte zu führen
hatte. Jeder Comtnission stand ein Director vor. Die Geschäfte sollten
in Sitzungen zur Verhandlung kommen. Dem Vorsitzenden wurde
ausdrücklich das Recht zuerkannt, seine Meinung zu äussern, sowie
er für alle den Commissionen zugewiesenen Angelegenheiten die Verant-
wortung zu tragen hatte. Auf den Protokollen sollten die Namen
der anwesenden Käthe, sowie die Referenten augegeben werden. Die
Kaiserin rügte es, dass auch jene Käthe namhaft gemacht werden, die
abwesend seien, dieser wider die Ordnung laufende Fehler sei zu ver-
meiden -). Die Protokolle mussten nach Unterfertigung durch den Di-
rektor dem Finanzminister zur Approbation vorgelegt werden. Bei
den Hauptsessionen oder Gesammtsitzungen hatte der Finanzminister
den Vorsitz zu führen. Dieselbe fanden zweimal wöchentlich am Mon-
tag und Freitag statt. Bei denselben hatten die Directoren und die
vortragenden Käthe, über deren Agenden Beschlüsse gefasst werden
sollten, zu erscheinen. Die Protokolle mussten von 14 zu 14 Tagen
,,nach Hof" gesendet werden. Dem Referenten blieb es freigestellt,
seine etwa abweichende Ansicht beizufügen. Bei Angelegenheiten, wo
Gefahr im Verzuge war, konnte der Direktor oder der betreffende
Hofrath dem Minister Vortrag halten, um seine Zustimmung einzu-
holen, aber in der nächsten Plenarsitzung musste hievon Melduno- ov-
macht und die verfügten Massnahmen zu Protokoll gegeben werden.
Kamen Fragen zur Verhandlung, die andere Centralstellen berührten,
so musste von Seite derselben ein Correferent bestellt werden.
So wohl erwogen auch die Normen waren, welche für die Ver-
waltung nach eingehender Berathung beschlossen wurden, befriedigt
waren die massgebenden Kreise nicht. Mit Josef war ein treibendes
Element zum Einflüsse gelangt, und auch die Kaiserin besass nicht
die erforderliche Ruhe und klagte fortwährend über die Langsamkeit
der Verwaltung, über die Vielschreibereien der Behörden. Mit Un-
geduld erwartete sie von jeder Massregel sogleich Abhilfe, welche erst
die Zeit und andauernde Arbeit bringen konnten. Die Anzahl der zu
erledigenden Schriftstücke aus den verschiedeneu Zweigen der Ver-
waltung nahm ihre Kraft stark in Anspruch, zum Theil durch sie
') Protokoll einer gemeinsamen Zusammentretung vom 14. September I7IJ5.
") Kais. Entschl. auf Protokoll vom IS. Juni 1766.
256 B e e r.
veranlasst. Ihre Anforderungen an die Behörden waren nämlich nicht
selten schwer zu erfüllen. Sie klagte über die Behelligung mit unbe-
deutenden Dingen und heischte dennoch übe* Kleinigkeiten Auskunft.
Die Sitzungsprotokolle selbst über die unscheinbarsten Verwaltungs-
angelegenheiten wurden ihr vorgelegt. Sie setzte ihre Erschliessung
bei und war unbefriedigt, wenn eine Centralstelle im eigenen Wir-
kungskreise über geringfügige Dinge Entscheidungen traf, ohne ihre
Willeüsmeinung .eingeholt zu haben. Die Verwaltung gelangte nie
zur Kühe und die Erprobung einer zweckmässigen Weisung wurde
nicht abgewartet, wenn von berufener oder unberufener Seite irgend
ein Tadel ausgesprochen wurde.
Seit 1761 hatte man sich unaufhörlich mit der Organisation der
Centralstellen beschäftigt, deren Wirkungskreis wiederholt geregelt l).
Anfangs 1768 wurden neue Gutachten gefordert, wie die Vielschreiberei
gehindert, die Langsamkeit bei Erledigung der Geschäfte behoben wer-
den könne, in welch' zweckmässiger Weise die Vertheilung der Agen-
den erfolgen, eine Erweiterung der Geschäfte der Länderstellen zur
Entlastung der Centralstellen stattfinden könne 2). Neue Untersuchungen
und Erhebungen fanden statt. Treffend bemerkte Graf Rudolf Chotek
in einem Vortrage vom 22. November 1768, „er vermöge nicht zu
verhalten, dass die so oftmaligen Neuerungen und ansinnende Ver-
besserung der Dicasterial-Einrichtungen eben nicht die beste Wirkung
nach sich ziehen." Der oberste Kanzler kam jedoch den Weisungen
der Herrin nach, erstattete Vorschläge „über die bessere Auseinander-
setzung der zAvischen der obersten Justizstelle und der Kanzlei vor-
fallender agendorum" und machte die richtige Bemerkung, dass der
Kaiserin „alle neuen Gesetze und Generalien und über sonatige wich-
tigere und ausserordentliche Zufälle die zu schöpfen kommende Reso-
lutionen vorläufig in Uuterthänigkeit vorzutragen, die daraus fliessen-
den Verfügungen aber von den Stellen ohne weiters zu veranlassen
wären." Der Staatsrath beschäftigte sich mit den von den Central-
stellen abgegebenen Gutachten iu der Sitzung vom 6. Dezember 1768
unter dem Vorsitze des Fürsten Starhemberg ; die anderen Theil-
nehmer waren: Staatsminister Blümegen, die Staatsräthe Borie, Binder,
Stupan, Gebier. Der Staatsrath sprach sich in allen wesentlichen
Punkten für die Anträge Chotek's aus. Eine wesentliche Aenderung
') Vergl. das Handschreiben vom 26. August 1765 und die Vertheilung der
Agenden im Anhange.
2J Vergl. die Handschreiben vom 28. Februar 1768, März und 28. October
1768 im Anhange.
Die Finanzverwaltung Oesterreiclis 1749 — 1816 257
in dem Wirkungskreise der Hofstelle trat nur durch die Schaffung
einer Wirtschaftsdeputation ein, wovon noch die Rede sein soll, ferner
wurden hinsichtlich der Abgrenzimg der Geschäfte der Justizstelle und
der Hofkanzlei einige Aenderungen getroffen. Auch die Finanzverwal-
timg und die Hofrechenkammer behielten den ihnen eingeräumten
Wirkungskreis, und für die Geschäftsbehandlung wurden durch kaiser-
liche Handschreiben einige belangreiche Weisungen erlassen J).
Eine Beschränkung der Eiuflussuahme der Finanzstelle fand durch
Handschreiben vom 28. October 1768 statt, indem das Montanisticum
und die Agenden des Banates der unmittelbaren Leitung des Finanz-
ministers entzogen wurden, und zwar, wie es in dem Handschreiben
heisst, weil derselbe mit andern Geschäften überhäuft sei, sodann aber,
weil für die Verwaltung dieser Angelegenheiten besondere Eigen-
schaften und Kenntnisse nothwendig seien. Zur Besorgung derselben
wurden zwei Commissionen eingesetzt und dem Finanzminister bloss
die Oberleitung eingeräumt. Die Commissionen mit einem Vicepräsi-
denten an der Spitze hatten demselben alljährlich einen Operations-
und Erfordernisaufsatz zur Einsicht zu überreichen, wobei es ihm frei-
stand, etwaige Bemerkungen zu machen. Ebenso sollten auch die an
die Kaiserin zu erstattenden Vorträge durch seine Vermittlung weiter
befördert werden, damit er den Stand der Dinge daraus entnehmen
und in seinem Einbegleitungsvortrage eventuell seine Erinnerungen
machen könne 2). Die Verwendung der Ueberschüsse blieb den Hof-
kammerpräsidenten überlassen.
Die getroffenen Massnahmen über die Abgrenzung der Wirkungs-
kreise der Centralbehörden kamen nach einigen Jahren in Gefahr über
den Haufen geworfen zu werden.
Die Veranlassung gab eine Bemerkung der Kaiserin, dass sie mit
Missfallen beobachtet habe, wie ungeachtet aller bereits zur Beschleu-
nigung der Geschäfte gemachten Anordnungen bei der Erledigung der-
selben eine solche Langsamkeit obwalte, dass selbst in minder wich-
tigen Dingen nicht jene Behendigkeit platzgreife, welche das wahre
Wohl des Staates erfordert. Bei genauerer Ueberlegung habe sie ge-
funden, dass hauptsächlich drei Umstände die Ursache wären: einmal
die Absonderung der politischen und Commercialstellen von den Fi-
nanzen, sodann die allzu gehäuften Berichterstattungen der Länder an
die Hofstellen nebst der vielfältigen Begutachtung der letzteren an die
') Vergl. die Handschreiben vom 24. December 1765, sowie die kais. Ent-
Schliessung auf den Vortrag vom 27. März 1769.
2) Kais. Entschliessung auf Vortrag vom 22. November 1768.
Hittheihiugeu, XV. 17
258 B e e r-
Kaiserin und endlich die Vertheilung der böhmischen und österreichi-
schen Erblau de unter zu zahlreiche Gubernien. Hatzfeld erhielt zu-
gleich den Auftrag, im Geheim gutachtlich „an Handeu zu lassen",
wie die politischen und Finanziellen unter einer Directiou zusammen-
gezogen werden könnten, wie die Hof- und Läuderstellen, ohne sie
in eine allzu grosse Unabhängigkeit zu versetzen, von der allzu häu-
figen Erstattung von Vorträgen und Berichten entledigt werdeu könnten,
und endlich, auf welche Art die Ländergubernien einiger Provinzen
unter Ein Gubernium zu ziehen wären.
Hatzfeld kam am 5. Februar 1771 der Aufforderung der Kaiserin
nach. Er verwies darauf, dass im J. 1765 Hofkammer, Ministerial-
bancodeputation und Generalcassadirection einer Person anvertraut
wurden, indem man den Bancopräsidenten zum Hofkammerpräsidenten
ernannte, und dieser sodann sämmtliche Angelegenheiten der drei
Stellen besorgte, ohne dass in dem Zuge der Geschäfte sich die ge-
ringste Abänderung ergeben habe; man begnügte sich lediglich, ohne
eine Kundmachung zu erlassen, die Weisungen der Cassadirection unter
dem Namen der Hofkammer hinauszugeben und die Gubernialpräsi-
denten durch ein Privatschreiben zu belehren, dass sie künftighin alle
über Geldsachen, sowie über das gesammte Finanzwesen zu erstatten-
dem Berichte, an die Kammer einzuseuden hätten. In gleicher Weise
meinte der Hofkammerpräsident, könnte auch jetzt vorgegangen wer-
den. Sobald es der Kaiserin gefällig sein werde, die Geschäfte eines
Obersten Kanzlers, Hofkammer- und Bancopräsidenten Einer Person
zu übertragen, so sei diese Vereinigung vollbracht; es bedürfe keiner
Kundmachung an die Länder. Nur einige wenige Agenden, welche
bisher die Hofkanzlei zu besorgen hatte, sollten seiner Meinung nach
der obersten Justizstelle übergeben werden, unter diesen auch die Uni-
versitäts- und Studiensachen. Im Verlaufe seines weiteren Vorschlages
beantragte er, dass die Geschäfte dieser vereinigten Centralstelle in Zu-
kunft in zwei Hauptdepartements ihre Erledigung finden könnten, wäh-
rend gegenwärtig dieselben von sechs Stellen besorgt würden und zwar
von der Kanzlei, dem Commerzienrathe, der Hof kammer, der Hof kaminer
in Montanisticis, der Hofkammer in Banaticis und Domänenwesen,
endlich von dem Banco. Endlich beantragte Hatzfeld auch die Auf-
hebung der Rechenkainnier. Ferner machte er den Vorschlag, dass
der Finanzminister dem Staatsrathe beiwohne und seine Meinung bei-
füge ; er werde hiedurch auch in Kenntnis von den ungarischen, sieben-
bürgischen und illyrischen Geschäften gesetzt, wodurch er bei Besor-
gung der deutschen Erblande eine grosse Erleichterung habe ; er werde
das Militärwirtschaf tswesen, welches mit den Finanzen einen nicht
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 259
geringen Zusammenhang hat, kennen lernen und werde in der Lage
sein, jene Anstäude, welche bei der Beurtheilung seiner Vorträge im
Staatsrathe sich äussern, zu erörtern, wodurch alle Erläuterungsvorträge
erspart, mithin eine schleunige Erledigung erzielt werde. „Die Kai-
serin erhalte die gründliche Kenntnis seines Fleisses, seiner Geschick-
lichkeit, da er gleichsam über Alles und Jedes ex arena werde Rede
und Antwort geben müssen -. Die Beiziehung zum Staatsrathe sei
auch das einzige Mittel, wodurch er die untergebenen Vicecapi (Vice-
präsidenten) in jener Subordination erhalten könne, ohne welche die
Besorgung vieler Geschäfte unmöglich falle; die Weitschichtigkeit der-
selben sei so gross, dass er deren Erledigung unmittelbar selbst nicht
bestreiten könne; die ihm untergeordneten Personen werden auch
dadurch verhindert, sich gegen den Finanz minister aufzulehnen, und
wenn es ja geschehen sollte, würde es ihm leicht fallen, ihre Schein-
gründe mündlich zu vernichten. Die Beiziehung zum Staatsrathe sei
so nothwendig, dass die Ausführung des Vorschlages unmöglich werde,
wenn dieses nicht geschehe, und sich wohl schwerlich jemand finden
dürfte, der sich der Aufgabe zu unterziehen das Herz hätte.
Die kaiserliche Entschliessung auf diesen Vortrag Hatzfeld's vom
5. Februar 1771 lautete: „Die angetragene Vereinigung habe nicht
stattzufinden, sondern Hatzfeld werde die Oberaufsicht über das Poli-
ticum und Camerale anvertraut, jedoch 2 abgesonderte Dicasterien und
die Geschäfte seien durch eiuen vorzulegenden Plan wohl abzutheilen ".
Es erfolgte sodann die Ernennung Hatzfeld's zum Obrist - Kanzler,
Keopold Kolowrat's zum Kanzler; Graf Wrbna wurde Vicepräsident
und mit der Leitung der Bancodeputation und des Commercienrathes
betraut.
Was die Vereinigung der damaligen Ländergubernien anbetrifft,
so konnte Hatzfeld eigentlich nur die Vereinigung von Mähren mit
Schlesien, ferner von Krain, Görz und Gradiska in Antrag brin-
gen, während er bei den übrigen Landesstellen die Beibehaltung
derselben befürwortete. Bezüglich Böhmens machte er allerdings die
Bemerkung — die sich schon in einem Vortrage Rudolf Chotek's vom
Jahre 1764 findet — dass das Gubernium eine grosse Strecke Landes zu
besorgen habe und zu wünschen wäre, dass, sowie der König von
Preussen bei der Eroberung des Herzogthums Schlesien anstatt eines
drei Landesgubernia gebildet habe, das Königreich Böhmen wenigstens
in zwei Theile könnte abgetheilt werden, allein dies könnte wohl ohne
sonderbare Zerrüttung des ganzen Landes nicht geschehen, und er
glaube daher, dass es bei der dermaligen Verfassung zu verbleiben
habe.
17'
260 Beer.
Hatzfeld erörterte auch die Frage, ob das Münz- und Bergwesen
in den einzelnen Ländern, sowie die Bancaladministration den politi-
schen Länderstellen unterzuordnen wäre, allein er sprach sich dahin
aus, dass er nicht glaube, dass dies mit dem wahren Nutzen der Kai-
serin vereinbarlich sei. Denn was das Bergwesen anbelangt, so sei
sicher, dass von den früheren Landesfürsten demselben „ausnehmende
Vorzüge" eingestanden worden seien, andererseits die Grundherren
verhalten werden, dem Bergwesen auf ihren eigenen Gründen viele
Freiheiten und Vorzüge zu gestatten, wodurch dasselbe in allen Län-
dern, besonders aber von den Obrigkeiten mit schelen Augen ange-
sehen werde, welchem Beispiele die meisten Gubernia zu folgen pflegen
aus dem Irrwahne, dass die Freiheiten, besonders jene, welche sie auf
den Gründen der Obrigkeiten auszuüben berechtigt sind, den Landes-
einwohnern schädlich fallen, und daher diejenige Unterstützung dem
Bergwesen verweigern, die ihm gebühre. Die Streitigkeiten, welche
zwischen der Bergbehörde und der politischen Stelle sich ergeben, zu
begleichen, würde in Wien leichter sein als bei den Gubernien, welche
sehr oft dem Bergwesen abhold seien. Auch könnte er nicht einrathen,
dass die Gefälle des Banco der Obsorge der politischen Stelle anver-
traut werden sollten; ihre Regie sei von einem ausserordentlichen
Detail, welches die Gubernia nicht bestreiten könnten; sie erfordere
Kenntnisse, welche die Glieder der politischen Landesstellen nicht be-
sitzen. Man müsse bedacht sein, „diese Gefälle in den genauesten
Bezug zu setzen", wogegen jedoch die meisten Gubernien als einen ge-
meinen Grundsatz aunehmen, dass der genaue Bezug der Cameral-
gelälle mehr vermieden als gesucht werden müsse. Die Verminderung
des Ertrages würde die Folge sein, wenn die Bu,ncalämter den Guber-
nien unterstellt würden. Die Erfahrung lehre, dass alle Gefälle, welche
von den politischen Stellen verwaltet werden, nicht in dem Erträgnis
wachsen, sondern von Jahr zu Jahr herabgehen. Aus diesem Grunde
habe man ja verschiedene Gefälle, welche als ständische gewissermassen
durch die politischen Stellen administrirt worden sind, dem Banco in
Eegie gegeben, und der grössere Ertrag habe erwieseü, dass diese
Massregel vortheilhaft gewesen sei.
Da Graf Hatzfeld zum Obersten Kanzler der böhmischen und
österreischen Hofkanzlei ernannt und ihm zugleich das Präsidium der
Bancodeputation und Hofkammer belassen worden war, erhielt er eine
ähnliche Stellung, wie Graf Haugwitz, ja in gewisser Hinsicht eine
noch umfassendere, da neben Haugwitz noch ein Bancodeputations-
präsident bestand, der zugleich Commerzdirector war, während Hatzfeld
alle diese Aemter vereinigen sollte. Graf Hatzfeld fühlte jedoch nach
Die Finanz Verwaltung üesterreichs 1749 — 1816. 261
kurzer Zeit, dass seine Kraft zur Bewältigung dieses umfassenden
Wirkungskreises nicht ausreiche, und beantragte daher eiue ganz neue
Geschäftseintheilung. Einerseits sollten einige Agenden der Justiz-
behörde überwiesen werden, z. B. Unterrichtsangelegenheiten und
Cultussachen, anderseits an die Spitze der verschiedenen Departements
Vizepräsidenten mit einer ziemlich ausgedehnten Befugnis zur Er-
ledigung der Geschäfte gestellt und ihm persönlich bloss in den wich-
tigsten Fragen die Entscheidung vorbehalten werden. Im Staatsrathe
wurde über die Vorschläge des Grafen Hatzfeld eingehend verbandelt.
Nur zwei Gutachten verdienen Erwähnung, da in den anderen bloss
die Einzelheiten der Anträge bemängelt und modificirt wurden. Er
habe, legte Binder dar, von einem so erfahrenen Minister wie Hatzfeld
etwas ganz Anderes und Vollkommeneres als die gegenwärtige Aus-
arbeitung erwartet. Bei der Errichtung des gegenwärtigen Systems
habe man sich vor Allem an den Grundsatz gehalten, dass eine syste-
matische Ordnung die Seele der Geschäfte sei, daher nur eine solche
Hintheilung und Besorgung derselben den allgemeinen Beifall verdiene,
welche dasjenige, was seiner Natur und Eigenschalt nach zusammen-
gehört, mit einander zu verbinden sucht, hingegen dasjenige, wobei
sich ein wesentlicher Unterschied ergibt, von einander trennt und ab-
sondert. Aus diesem Grunde wurden die Publica und Politica aller
deutschen Erblande von dem Justiz- und Finanzwesen abgesondert
und letzteres in drei Departements : Administration, Cassa und Schulden,
dann Rechnungswesen abgetheilt. Zur Erzielung einer noch grösseren
Einfachheit wurden später Administration, Cassa und Schulden in
Einem Departement vereinigt. Man habe das unter dem Directorium
der Hofkammer und dem Banco zerstückelte Tabak-, Mauth- und Salz-
gefälle unter einer Administration vereinigt und ohne dem Bank-
institute zuwiderzuhandeln die Gefälle derselben und jene der Kammer
von denselben Räthen besorgen lassen. Die nunmehrigen Anträge
Hatzfeld's laufen auf das Gegentheil hinaus, da er die Publica, Politica
und Cameralagenden ohne allen Nutzen zusammenziehen wolle. Es
sei kein Grund, warum die mit so vieler Mühe vereinigten Finauz-
gefälle und Agenden der Kammer und des Banco wieder getrennt
werden sollen. Dieser Vorschlag übersteige seine Begriffe. Mit Ent-
schiedenheit sprach sich Binder jedoch gegen die Forderung Hatzfeld's,
in den Staatsrath aufgenommen zu werden, aus, da dessen Wesenheit
in der Grundregel bestehe, „ dass kein membrum zugleich judicem und
partem vorstelle, noch ein solches Uebergewicht bekommen solle, so
der nöthigen Freimüthigkeit der Stimmen nachtheilig sein könnte".
Auch gegen den die Rechenkammer betreffenden Vorschlag erklärte
262 Beer.
sich Binder. Graf Hatzfeld, meinte er, wolle sich allein die Direction
aller inländischen Geschäfte zueignen und dadurch die Gewalt eines
solchen Premierministers überkommen, der von allen Controllen befreit
sich nur die Oberdirection der Verwaltung sichert. Die Aufrechter-
haltung der Kechenkammer bei dem S3rsteni des Grafen Hatzfeld sei
um so noth-w endiger *). ,
Mit Binder in voller Uebereinstimmung befand sich Kaunitz. Das
nach so vielen Berathungen angenommene S}'stem. so lautet das Gut-
achten des Staatskanzlers, sei so wohl bestellt und derart beschaffen,
dass dasjenige, was zu seiner Vollkommenheit noch erwimschlich sein
dürfte, durch Verbesserungen in einigen Theilen leicht bewirkt werden
könnte, ohne dass es nöthig wäre, das ganze selbst anzugreifen und
umzukehren. Die Kaiserin habe jedoch ihr besonderes Vertrauen auf Graf
Hatzfeld gesetzt, ihn mit Belassung seiner bisherigen Hofkammer- und
Bancodeputationspräsidentenstelle zum Obersten Kanzler und Commerz-
präsidenten ernannt, folglich in den wesentlichsten Punkten die nun-
mehr in Vorschlag gebrachten neuen Einrichtungen im Vorhinein zu
entscheiden geruht, man möge daher die Vorschläge Hatzfeld's geneh-
migen, zwei ausgenommen: seine Beiziehung zum Staatsrath, sodann
die proponirte Modification der ßechenkammer. Man möge lieber den
Staatsrath ganz aufheben als den Wünschen des Grafen Hatzfeld
Rechnung tragen. Die Aufrechterhaltung der ßechenkammer mit ihrer
Censur, Revision, Buchführung, Controlle und Verfassung als einer
independenten unmittelbaren Hofstelle sei nothwendig und es sei Alles
anzuwenden und vorzukehren, was zur Erreichung ihrer endlichen
Vollkommenheit dienlich sein würde, denn das Institut der hiesigen
ßechenkammer lasse sich in keinem Stücke mit jenem der nieder-
ländischen vergleichen.
Die Kaiserin vertagte die Entscheidung. Mit dem Plane Hatzfeld's
war sie eigentlich einverstanden, da sie in der Zusammenziehung aller
Theile unter einer Aufsicht das einzige ßettungsmittel erblickte; ihrem
Befehle Folge leistend, hatte er sein neues System entwickelt, aber
das Hindernis für die Genehmigung der Anträge lag in der Forderung,
in den Staatsrath berufen zu werden, wogegen sich die einflussreichsten
Mitglieder desselben ausgesprochen haben *). Erst nach Monaten er-
1) Das Votum vom 20. August 1771.
2) Durch Erschliessung vom 1. September 1771 forderte die Kaiserin von
Hatzfeld »über die Frage, wie die Recbenkammer künftig gestellt sein sollte,
das besonders verbeissene Gutachten«, bis dahin bleibe ihr Entschluss ausgesetzt:
die »Anmerkungen* der Staatsräthe wurden ihm mitgetheilt, ,um nach reifer
Erwägung seine weitere Erläuterung abzufassen« ; sie gedenke das ganze
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 263
folgte die Entscheidung. Graf Hatzfeld weigerte sieh sein neues Amt
als Oberstkanzler anzutreten, wenn die Rechenkammer nicht vorher
aufgehoben sei J). Josef hatte schon seit Monaten einige Aenderungen
iu dem Geschäftsgange des Staatsratlies gefordert, nach seiner Rück-
kehr aus Böhmen legte er der Kaiserin seine Vorschläge vor. Graf
Hatzfeld sollte als Nachfolger Starhemberg's in den Staatsrath be-
rufen werden, Binder und Blümegen aufhören, Mitglieder desselben
zu sein, letzterer zum Obersten Kanzler ernannt werden. Binder
konute neben dem Grafen Hatzfeld nicht in dem Staatsrathe belassen
werden, da er in dem Kampfe zwischen Hatzfeld und Zinzendorf für
die Anträge des letzteren mit Ueberzeugung und Entschiedenheit ein-
getreten war 2),
Am 15. December wurde die Erschliessung der Kaiserin ver-
kündigt. Graf Carl Friedrich von Hatzfeld und Gleichen wurde zum
diria'irenden Minister in inländischen Geschäften ernannt und seine
bisherigen Stellen wurden folgendermassen vertheilt: Erster Kanzler
wurde Heinrich Cajetan von Blümegen, Präsident der Hofkammer und
Ministerialbancodeputation, sowie des Commercienrathes Graf Leopold
von Kolowrat ; als Vicepräsidenten wurden demselben Graf Wrbna bei
der Hofkammer und Bancodeputation, Freiherr von Reischach beim
Commercieurath beigegeben, Binder wurde als wirklicher und geheimer
und erster Rath an die Hof- und Staatskanzlei versetzt, endlich die
Freiherren Franz Carl von Kresse], von Qualtenberg und Johann
Friedrich von Löhr als wirkliche Staatsrathe in inländischeu Sachen
berufen. Mit geringen Modifikationen waren daher die Anträge Josefs
durchgedrungen 3).
Gleichzeitig erfolgte eine Einschränkung des Wirkungskreises der
Hofkammer.
Das Contributionale nebst der Erbschafts- und Schuldensteuer, sowie
der geistliche Fortificationsbeitrag wurde von der Hofkammer wieder
abgetrennt und der HofKanzlei überwiesen, desgleichen die Verwaltung
des Banats. Die Staatswirtschaftdeputation 4), sowie die Cominission für
Geschüft im Staatsrathe einverständlich mit ihm in nochmalige Erwägung
zu ziehen.
') Promemoria Zinzendorfs 20. Oct. 1771.
2) Vergl. Handschreiben vom 30. November 1771 an Hatzfeld, welches nur
erklärlich ist, wenn diese Verhältnisse berücksichtigt werden, bei Arneth, IX., 304*
3) Vergl. Josefan Maria Theresia, 27. Nov. 1771 bei Arneth, M.Theresia uud
Josef I, 353. Die Notifikation erfolgte durch Handschreiben vom 17. Dec. 1771.
4) Handschreiben an Blümegen 17. December 1771 ; an Leop. Kollowrat vom
selben Tage.
264 'Beer
Proviantirungsangelegenheiten sollten unter Vorsitz des Obersten
Kanzlers bleiben 1). Eine Erweiterung ihres Wirkungskreises erhielt
dagegen die Finanzstelle durch die Aufhebung der galizischen Hof-
kanzlei, welche nach der Erwerbung der polnischen Gebiete für die
gesammte Verwaltung ins Leben gerufen worden war. Die Besorgung
der Geschäfte der „recuperirten" Königreiche Galizien und Lodomerien,
„als welche zu dem Complex der deutschen Erblande gezählt werden,
wurde den Hofstellen der übrigen Erblande unterstellt". Die politi-
schen und commerziellen Angelegenheiten wurden daher der böhmisch-
österreichischen Hofkanzlei übertragen, ebenso auch die directen
Steuern; das Salz-, Münz-, Mauth- und Domänenwesen erhielt die
Hofkammer zugewiesen 2).
Für die Angelegenheiten der illyrischen Nation wurde eine be-
sondere Commission, die illyrische Deputation, eingesetzt und mit dem
Präsidium der jüngere Bartenstein betraut. Die übrigen Centralstellen
hatten Mitglieder in die Sitzungen zu entsenden. Von der Hof-
kammer wurden zwei Mitglieder von Maria Theresia dazu ausdrücklich
bestimmt3). Im J. 1777 wurde die illyrische Deputation aufgehoben
und die Agenden derselben den Hofstellen der betreffenden Länder,
dem Hofkriegsrathe. der ungarischen Hofkanzlei und jenen Hofstellen,
welchen die banatischen Angelegenheiten unterstanden, übestragen i).
Obgleich zu wiederholten Malen Normen über den Wirkungskreis
der verschiedenen Hofstellen erlassen wurden, fehlte es an Keibungen
zwischen denselben nicht. Die Hofkammer beklagte sich darüber, dass
von Seite der Hofkanzlei Erledigungen in Huldsachen ausgehen, und
ersuchte die Kaiserin, derselben den Befehl zukommen zu lassen, dass
in allen Geldangelegenheiten hierüber ein Einvernehmen mit der
1) Durch Handschreiben vom 6. Juni 1772 wurde verfügt, dass die den
Banat betreffenden Angelegenheiten zu theilen seien ; die publica politica und
Contributionalia sammt Fundis, endlich die Inpopulationsgeschäfte seien von der
böhm.-österr. Hofkanzlei zu besorgen, das Montanisticum, Salz-, Maut- und Cassa-
wesen von der Hofkammer.
2) Handschreiben an Kolowrat vom 27. April 1776 und eine Zuschrift an
denselben vom 30. April 1776, mit der Aufforderung über die Vertheilung der
Referate unter die Räthe die Appropation der Kaiserin einzuholen. Von den Mit-
gliedern der galizischen Hof kanzlei sei von der Kammer Koczian, zu übernehmen,
die anderen der öaterr. Kanzlei zuzuweisen.
3) Handschreiben an Hatzfeld 13. December 1765. Die Beiordnung zweier
Mitglieder der Hofkammer aus dem Grunde ,da das Camerale mit den illyrischen
Angelegenheiten einigen Nexum habe*. Fekete und Feshtics wurden dazu ernannt.
4) Amtsdecret des Obersthofmeisteramtes an den Hofkammerpräsidenten
Grafen Kolowrat, 2. December 1777.
Die Finanz Verwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 265
Kammer zu pflegen sei. Eine hierauf bezügliche Weisung war bereits
früher ergangen, die Kaiserin Hess sich aber bestimmen, ihre frühere
Entschliessung einzuengen und anzuordnen, dass die von der Kanzlei
erstatteten Vorträge im Original dem Kammerpräsidenten vorzulegen
sind i).
II.
Der Wirkungskreis der Rechenkammer wurde durch eine kaiser-
liche Erschliessung festgestellt. Die Kaiserin hatte durch Hand-
schreiben vom 8. März 1762 einen gemeinschaftlichen Vortrag über die
Abgrenzung der neu geschaffenen Finanzstellen gefordert, nach ein-
gehenden Beratungen erstatteten die Präsidenten am 10. April ihre
Anträge. Die Rechenkammer, verfügte die Kaiserin, hat iu die Ver-
waltung nicht einzugreifen, noch auch deren Manipulation zu erschweren,
oder den schleunigen Vollzug zu hemmen, sondern müsse sich an der
Beobachtung der Controlle und zwar der Einnahmen und Ausgaben,
dann der Rechnungsrevision begnügen „ allermassen, wenn die Rechen-
Kammer gleich anfänglich in das Individuale und in die Manipulation
der administrirenden Stellen eingehen wollte, sie die Universal-Cogni-
tion haben und mit so vielen von allen Bestreitungen gründlich in-
formirten Räthen besetzet werden müsste, auch andurch in der Haupt-
sache die unmittelbare Directum in dem gesammten Finanzwesen
erlangen, hieraus aber die Hauptabsicht unterbrochen werden würde,
dass die Rechenkammer die Controle general und alle Rechnungen
aufnehmen, censuriren und justificiren solle, welche Controle general
nicht mehr statt hätte, da ferne die eröffnete Rechenkammer zum
voraus mit operirete und Alles individualiter berichtigte, weilen sie
alsdann ihre eigenen Facta in der Rechnung nicht mehr censuriren
könnte". Auf die Ablieferung der Rechnungen in der vorgeschriebenen
Zeit, die Prüfung derselben durch die Buchhaltern hatte sie ihre Auf-
merksamkeit zu richten, doch war ihre Thätigkeit keine bloss rech-
nungsmässige, denn ausdrücklich war verfügt, „dass die Buchhaltern
sich nicht mit der Calculation zu begnügen oder bloss unnöthige For-
malitätsausstelluugen zu machen habe, sondern auf die wesentliche
') Vortrag am 18. Januar 1777. Das eigenhändige Marginal lautet: , einige
resolutions waren schonn eher ergangen andere aber allein von der Cantzley er-
kenntnuss dependirn sonsten höreten alda alle gratialia auff. was nicht meine
intention ist, habe also resolvirt das es wie jetzo wegen deren Vorträge zu bleiben
hat, nicht aber eher zu expediren als in dem wöchentlichen sessionstage ihme
Cammerpräsident das original vorgelegt hat*.
266 B e e r-
Beschaffenheit der Gefälle und ihrer Bestreitung das Absehen nehme,
sowie ob das angestellte Personale nicht übermässig oder allenfalls gering
sei, ob jeder seine Schuldigkeit verrichte" u. dgl. m. Sie sollte die
Ursachen der Zunahme oder Abnahme der Gefälle ins Auge fassen, so
z. B. ob der Consum des Salzes oder die andern Aufschläge in Stadt
und Land proportionirt seien, welche Gefälle bessere Erträgnisse brin-
gen und welchen Einnuss darauf die Verwaltung habe, überhaupt die
Vermehrung der Einnahmen sowie die Verminderung der Ausgaben zum
Gegenstande ihrer Studien machen. Ausdrücklich waren die Gegenstände
bezeichnet, über welche die Wolmeinuug der Rechenkammer von den an-
dern Centralbehörden abgefordert werden musste, so bei Aenderungen
in dem Mauth- und Tarifwesen, bei Errichtung neuer Salzsud- und Berg-
werke, bei allen die Verwendung der Gefälle betreffenden Fragen, bei Er-
richtung neuer Gebäude, Schaffung neuer Dienstellen, Erhöhung der Be-
soldungen, Verleihung von Pensionen und Gnadengaben, endlich bei
Ausgaben, die in dem von der Monarchie genehmigten Generaletat
nicht enthalten waren oder für welche kein bestimmter Verlagsfond
vorhanden wäre. Die Bemerkungen mussten allerhöchstenorts vorge-
legt werden. Auch auf die Prüfung der Voranschläge für das Heer
sollte sich der Einnuss der Rechenkaminer erstrecken. Vor der Ra-
tification der von dem Militärcommissariat abgeschlossenen Contrakte
hatte die Rechenkammer „ihre Erinnerungen" zu machen. Bei den
auf bestimmte Zeit gewährten Pensionen oder Gnadengaben hatte sie
Erkundigungen einzuziehen, ob die betreffenden Personen noch leben
und sich in dürftigen Umständen befinden l).
Die das Rechnungswesen betreffenden Angelegenheiten umfassten
die Rechnungscensur, die Buchführung und die Vorschreibung der
Rechnuno-smethode. Die Buchhaltereien wurden daher den verwal-
tenden Stellen entzogen und einer unabhängigen, mit keiner Ver-
waltung sich befassenden Stelle, der Hofrechenkammer, zugewiesen,
allein trotzdem mussten die Buchhaltereien nach wie vor den admi-
nistrirenden Stellen alle Arbeiten, welche diese forderten, liefern Der
Präsident Graf Zinzendorf wendete seine volle Sorgfalt der Rechnungs-
methode zu, welche in der That einer gänzlichen Umformung bedurfte.
Bei keiner Buchhalterei befand sich ein ordentliches Hauptbuch, bei
den ständisch- ärarischen Creditcassen gab es nicht einmal Oeditbücher.
Ueber die Empfänge und Ausgabeu der Staatshauptcassen wurden von
den Cassenämtern ungleichförmige, aus unordentlichen Strazzen ebenso
l) Erschliessung auf einen gemeinschaftlichen Vortrag der Grafen Hatzfeld,
Heiberstein und L. Zinzendorf vom. 22. Mai 1762.
Die Finanzverwaltung Oesfeerreichs 1749 — 181»)'. 267
unordentlich verfasste Rechnungen gelegt, die oft erst 3 oder 4 Jahre
nach Ablauf des Rechnungsjahres zu Stande kamen. Bei dem Banco
führte man zahlreiche Bücher in doppelten Posten, die gar nicht ab-
geschlossen werden konnten. Bei den Gefällen war die alte Rech-
nungsart im Gauge, nach welcher Empfang und Ausgabe in Rechnung-
gestellt werden musste, wenn auch weder eines noch das andere wirk-
lich berichtigt worden war und erst am Ende der Rechnung wurde
mittelst eines sogenannten Liquidationsausweises dargelegt, was bei
der Einnahme oder Ausgabe ausständig gebliebeu war, eine Methode,
die zur Deckung mannigfaltiger Malversationen den Mantel hergab.
Von einer „auf ein gemeinschaftliches Centrum gerichteten Buch-
führung" , um die Uebersicht des Finanzstaudes zu gewähren,
war keine Spur, ja sogar bei der Ungleichheit und Unvollstän-
digkeit der Rechnungsformen nicht einmal die Möglichkeit dazu vor-
handen. Um jenen vielfältigen und wesentlichen Gebrechen abzuhelfen,
die Verrechnung des Brutto und Netto der Finanzen richtig abzuson-
dern, eine Gleichförmigkeit allenthalben einzuführen und in eine solche
Form zu bringen, dass es möglich würde, eine Centralhauptrechnung
über die ganze Finanzverwaltung von Jahr zu Jahr zu verfassen und
ebenso auch einen Centralvorschlag der in dem folgenden Jahre zu
erwartenden Staatseinnahmen und zu bestreitenden Ausgaben zu liefern,
war eine Reihe von Vorkehrungen nöthig l).
Durch die der Rechenkammer zugewiesene Generalcontrole ab
ante erhielt dieselbe den Charakter einer Finanzstelle und musste
daher von allen Unternehmungen der verwaltenden Stellen in Kenntnis
gesetzt werden und in allen wichtigen Angelegenheiten zu Rathe ge-
zogen werden. War sie mit den zu ergreifenden Massnahmen der
administrirenden Behörde nicht einverstanden, so hatte ihr Widerspruch
einen vorläufigen Aufschub zur Folge, bis die kaiserl. Genehmigung
erfolgte. Der Präsident der Rechenkammer suchte auch in den näch-
sten Jahren den ihm zugewiesenen ausgedehnten Wirkungskreis voll-
ständig zu erhalten, obgleich manigfache Versuche gemacht wurden
den Wirkungskreis einzuengen. Nur wurde durch ein Handbillet vom
26. Juni 1762 verfügt, dass die Rechenkammer nicht befugt sei, von
den manipulirenden Aemtern unmittelbare Berichte abzufordern.
In dem Vortrage vom 11. September 1764, welchen Hatzfeld und
Zinzendorf über die Vereinigung der Finauzstellen erstatteten, wurde
') Diese Darstellung ist zum Theil wörtlich einem ausgezeichneten Schrift-
stücke entnommen, welches im J. 1805 über Auftrag des Kaisers von dem da-
maligen Hofrath und Director des Staatsreehnungscontrolle, Augustin Veit v, Schitt-
lersberg ausgearbeitet wurde.
268 Beer.
die Erweiterung des Wirkungskreises der Rechenkammer vorgeschlagen.
Derselben sollten auch alle ständischen Buchhaltereien, desgleichen auch
die Buchhalter des Stadt wienerschen Oberkammeramtes untergeben
werden. Die Notwendigkeit, lauteten die Darlegungen, von den
ständischen Domesticalausgaben, von der Verwaltung ihrer Admini-
culargefälle, von der Manipulation ihres Domesticalcredites eine ge-
nauere Kenntnis zu erlangen, erweise sich theils aus der Beträchtlich-
keit dieser in den verschiedenen Ländern einige Millionen jährlich be-
tragenden Gegenstände, theils aus der unrichtigen und unvollständigen
Wissenschaft, welche man bisher davon gehabt, der Unordnung end-
lich, worin sich das ständische Kechnungswesen bisher befunden, und
zum Beleg dafür dienen die in den gesammten österreichischen Län-
dern sich ergebenden so häufigen Bankerotte der ständischen Cassa-
beamten. Durch die Unterordnung aller dieser Buchhaltereien unter
die Rechenkammer würde die Wurzel aller Missbräuche auf einmal ab-
geschnitten. Da die Kaiserin aus landesfürstlicher Macht, den
Unterthan, welcher jederzeit die Last der ständischen Ausschreibungen
zu tragen habe, gegen die aus den übermässigen ständischen Domesti-
calausgaben auf ihn fallende Bürde zu schützen, ferner die Ausgaben zu
reguliren allerdings berechtigt sei, so könne eine solche Verfügung
keineswegs als ein Eingriff in die ständischen Privilegien angesehen
werden und um so weniger zu Klagen Anlass geben. Bei diesem Vor-
schlage werden die Stände nur als eine admiuistrirende Stelle ange-
sehen, deren Administration die Kaiserin der Beurtheilung einer dritten
unabhängigen Stelle zu unterwerfen geruhe. Die neue verbesserte Rech-
nungsmethode solle überall im Einverständnisse mit den administriren-
den Stellen eingeführt werden. Der Rechenkammer wäre die Besetz-
ung der sämmtlichen Buchhaltereien in den Ländern anzuvertrauen;
in Siebenbürgen und in den Vorlanden sei dies bereits der Fall. So
lange die Rechenkammer die Berechtigung zur Besetzung aller Stellen
nicht habe, werde eine bessere Ordnung schwerlich eingeführt werden
können. Nur von Seiten dei ungarischen Hofkammer könne ein
Widerspruch besorgt werden, aber daselbst befinde sich das Rechnung-
wesen in der grössten Unvollkommenheit und sei die Durchführung
des Vorschlages am allernoth wendigsten. Auch bei den Aemtern in
Ungarn und Siebenbürgen wäre es nothwendig, das Rechnungswesen
in eine bessere Ordnung zu bringen, um durch die Einsicht in die in-
dividuelle Reparation der Contribution, desgleichen in die Provinzial-
und Domesticaleinkünfte, sowie in die Ausgaben der Comitate und Di-
strikte von den inneren Kräften dieses weitläufigen Königreiches und
Fürstentums eine genaue und hinlängliche Kenntnis zu erlangen.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 26Ö
Am 20. Mai 1765 beschäftigte sich die bereits erwähnte ausser-
ordentliche Commission unter dem Vorsitze des Staatskanzlers mit der
Erörterung der Frage, ob die neu eingeführten Kechnungsmo dalitäten
beizubehalten seien. Graf Hatzfeld, damals im vollsten Einverständ-
nisse mit dem Grafen Zinzendorf, ergriff zuerst das Wort und sprach
sich entschieden dafür aus. Das neue Rechnungsformulare könne und
müsse um so gewisser beibehalten werden, da es „den Rechnungs-
beamten alle Erleichterung, dem Allerh. Aerar aber alle nur menschen-
mögliche Sicherheit verschaffe, Ordnung und Accuratesse zur Grund-
lage habe, alle früheren Fehler aus der Wurzel behoben werden". Dort,
wo dasselbe noch nicht eingeführt sei, möge „staffelweise" vorgegangen
werden, und zunächst sei bei den Bancalcassen die Einleitung zu treffen
sodann bei den Münz- und ßergwerkscassen. Einstimmig sprach sich
die Commission für die Einführung der neuen Rechnungsmethode bei
allen staatlichen Aemtern aus, wo dieselbe bisher aus Mangel an ge-
eigneten Persönlichkeiten noch nicht Eingang gefunden hatte. Nur
über die Frage, ob es räthlich und erspriesslich sei, die sämmtlichen
ständischen und städtischen Buchh altereien der ßechenkamuier zu
unterstellen, giengen die Ansichten auseinander. Das Recht des Landes-
fürsten, in die städtischen Einnahmen und Ausgaben Einsicht zu
nehmen, sei zweifellos, die Notwendigkeit für Kriegszeiten begründet,
denn „Alles sei alsdann an dem Einfluss des Geldes und daran gelegen,
dass man wisse, wie viel von den ausgesprochenen Prästationen von
Woche zu Woche eingeflossen wäre. Erst durch diese Massregel würde
die Berechnung des Vorspann- und Schlafkreuzers, der Rekrutirungen,
überhaupt aller ständischen Supererogaten mitten im Kriege von Monat
zu Monat möglich, während man dermalen erst lange darnach auf
veraltete, verfälschte und unrichtige Atteste liquidiren müsse". Be-
sonderen Nachdruck legte Zinzendorf in seiner lichtvollen Darstel-
lung auf die Unterstellung der ungarischen Locumtenential- und
Cameralbuchhaltereien unter die Rechenkammer, welche das einzig
wahre Mittel sei, zur Kenntnis der inneren Kräfte des Königreiches
und der Missbräuche, die sich bei den Comitaten eingeschlichen, zu
gelangen. Allein diese Ansicht fand getheilte Aufnahme. Selbst Kaunitz
bezweifelte die Berechtigung des Landesfürsten, über das Eigenthum
der Stände Rechnungsführer zu bestellen, die von den Ständen bezahlt
weiden sollen. Die Stände würden auf diese Weise unter Curatel ge-
stellt, was ihnen doch nicht zugemuthet werden könne. Freiwillig
würden sich die Stände nicht fügen, besonders jene nicht, die keiner
üblen Gebahrung beschuldigt werden können, da sie Einsicht zu neh-
men nicht verweigern. Wenn man aber par droit des canons durch-
270 Beer.
setzen wolle, so scheine ihm Alles überflüssig, sobald man kein Be-
denken trage, die hergebrachten Verfassungen und Privilegien über
den Haufen zu werfen. Blümegen bemerkte, die Visitationen können
ungehindert vorgeuommen werden , jedoch durch den ordentlichen
Canal, nämlich durch Deputirte des stäudischen Ausschusses oder durch
den Landeshauptmann, welcher zugleich laudesfürstlicher Repräsentant,
mithin homo principis et honio statuum ist. Er sehe nicht ein, warum
man mehr Zutrauen auf die ßuchhaltereibeamten als auf den Landes-
hauptmann selbst setzen wolle. GrafHaugwitz hob hervor, dass in Schle-
sien die ständische Buchhalterei mit der königlichen vereint sei. Er
habe als Präsident des Landes seinerzeit diese Union auf gütlichem
Wege mit den schlesischen Fürsten und Ständen, die von allen erb-
ländischen die stärksten Privilegen haben, erwirkt, da er ihnen die
unnöthigen Kosten einer doppelten Buchhalterei begreiflich gemacht
hätte.
Dem gewichtigen Einflüsse des Fürsten Kaunitz ist es wahr-
scheinlich zuzuschreiben, dass die Anträge der Commission durch-
drangen l). Die kais. Entschliessung verfügte, die neue Rechnungsform
bei allen Cassen und Administrationen ehebaldigst zu Stande zu brin-
gen; die Untergebung der ständischen und städtischen Buchhaltereien
an die Rechenkammer könne noch ausgesetzt bleiben; vor allen Dingen
sei an baldige Einführung der neuen Rechnungsform bei den ständi-
schen Buchhaltereien zu arbeiten und ,,aus der Erfahrung wahrzu-
nehmen ob dadurch der Endzweck erreicht und die Untergebung
an die Rechenkammer nämlich vermieden werden möge". Den Ständen
sei zu erkennen zu geben, wenn bei Einführung der neuen Rechnungs-
form Anstände erregt werden wollten, sich die Kaiserin alsdann ver-
anlasst sehen dürfte, die ständischen Buchhaltereien der Rechenkammer
zu subordiniren.
Die Verwaltungsbehörden eifersüchtig auf ihren Wirkungskreis setz-
ten in der nächsten Zeit ihre Bemühungen fort die Einflussnahme der
Rechenkammer zu beschränken. In der That gelang es, die Kaiserin zu
') Eine Rechenkammer, heisst es in einem Vortrage des Fürsten Kaunitz
vom 10. Oct. 1765, war etwas Neues, und die Perspective einer controle generale
führte natürlicher Weise die Abneigung aller Hof- und Länderstellen mit sich.
Hiemit vereinigte sich noch die zum Theil schon eingeführte neue Rechnungs-
methode, welche den allgemeinen Aufstand, den Hass und das Missvergnügen der
Rechnungsofficialen um so mehr erweckte, da deren Eigenliebe nothwendig be-
schädigt werden musste, dass sie nach langjährigen Dienstjahren erst was Neues
erlernen und unter einer strengeren Aufsicht stehen sollten. Kaunitz wies auf
die Unzulänglichkeit des Personals hin und bezeichnete die Vermehrung desselben
als nothwendig.
Die Finanzverwaltung- Oesterreichs 1749 — 1816. 271
bestimmen, einige Abänderungen bei der Eeelienkammer anzuordnen
Durch Handschreiben vom 15. März 1768 wurde verfügt, dass bei der
Abfassung der Instructionen für die den administrirenden Stellen
unterstehenden Aemter die Rechenkammer nur insolerne mitzuwirken
hätte, als dieselben in die Kechnungsmethode einschlagen. Von nun an
sollte sie auch in der Regel nur in folgenden Fällen von den Verwaltungs-
tellen zuRathe gezogen werden: Bei Abänderungen in der Rechnungsart,
bei allen neuen Einrichtungen oder wichtigen Abänderungen der be-
stehenden oder bei Verpachtungen wichtiger Gefälle, deren Ertrag
6000 fl. erreicht, sowie bei Aufhebung solcher Pachtungen, bei Käufen
und Verkäufen der Realitäten, deren Werth sich auf 6000 fl. belief',
bei Abänderungen der Tarife, bei Verfassung des jährlichen Finanz-
systems, Liquidirung alter Forderungen, überhaupt bei allen Credit-
operationen, bei Rückzahlung der Schulden und Aufnahme neuer Dar-
lehen, endlich bei Uebertragung der Schulden von einem Creditfonde
auf den andern. Ein besseres Verhältnis zwischen den Verwaltung-
stellen und der Hofrechenkammer war durch diese Entsehliessuno- der
o
Kaiserin nicht herbeigeführt und im J. 1771 war es namentlich Graf
Hatzfeld, der den Vorschlag machte, die Hofrechenkammer in eine
von den administrirenden Stellen abhängige Behörde nach Art der
Rechenkammer in Brüssel umzugestalten 1).
Es ist schon erwähnt worden, dass Hatzfeld in seinem Elaborate vom
5. Februar 1771 sogar die Beseitigung der Rechenkammer beantragte.
Durch die Errichtung der Rechenkammer, legte er dar, seien alle Buch-
haltereien von den administrirenden Stellen abgezogen worden, was
das Uebel mit sich brachte, dass alle Auskünfte eine Verzögerung der
Geschäfte herbeiführten, indem man gleichsam nur bittweise dieselben
durch die Buchhaltern erhalten habe und besonders in wichtigen
Dingen Monate verstrichen seien, ehe die administrirende Stelle in
den Stand gesetzt wurde, entweder die Angelegenheit zu berichtigen
oder ihren Vorschlag zu erstatten. Die Verschiedenheit der Denkungs-
art der Hofkammer von jener der Rechenkammer verursache über-
dies noch andere Verzögerung. Die Einrichtung des Schulden wesens
könne zum Beweise der Wahrheit dienen. Dieses wichtige Werk sei
5 Jahre lang herumgetrieben worden, bis es endlich vor wenigen
Monaten seine Entscheidung erhalten habe. Die Einführung der neuen
Rechnungsart war der Hauptgegenstand der Rechenkammer und die
Censur der Rechnungen wurde nur als ein Nebenwerk angesehen. Das
Bucbhalterei-Personale hatte von dieser neuen Rechnungsart keinen,
') Vorträge vom 5. Februar, b. Mai und 17. September 1771.
272 Beer.
wenigstens keinen hinlänglichen Begriff. Man sah sich daher ge-
zwungen, eine Menge junger Leute aus den Piaristenschulen zu nehmen
und diesem Werke zu widmen. Diese hatten von jenen Gegenständen,
bei welchen diese Rechnungsart eingeführt werden sollte, keine Kennt-
nis, mithin wurde der Vollzug unendlich erschwert, weil überhaupt
die Begriffe von der Contalibität und denjenigen Gefällen, bei welchen
man sie in Vollzug setzen wollte, sehr selten in einer Person sich
vereinbart fanden. Es wurden daher diese jungen Leute mit nicht
geringen Unkosten verschickt, um die Wesenheit der Gefälle kennen
zu lernen, was aber in kurzer Zeit nicht bewirkt werden konnte. Es
sei daher nich zu verwundern, dass unrichtige Abschlüsse und Aus-
züge erfolgt sind, wie z. B. bei der Stadt Wien, dem Handgrafenamte
u. s. w. Wenn also die neue, mit der Kanzlei vereinbarte Einanz-
stelle in Stand gesetzt werden sollte, gründlich und mit jener Schleu-
nigkeit zu wirken, wie es das Beste des Staates erfordert, so sei
die Aufhebung der Rechenkamnier unbedingt nothwendig. Man
werde ohne dieselbe die in dem Rechnungswesen etwa noch vorfin-
denden Gebrechen verbessern und bei den übrigen Buchhaltereien jene
Normen einführen können, welche mit Zufriedenheit der Kaiserin bei
der Directorialbuchhalterei zur Zeit des Directoriums beobachtet wor-
den; die Rechnungscensur werde in ordentlichen Gang gebracht
werden, ohne dass man dazu den kostbaren Schwall von Leuten,
welcher sich bei der Rechenkammer und den Buchhaltereien befindet,
nöthig haben werde. Auch Ersparnisse könnten dadurch herbeigeführt
werden. Nur der einzige Einwand könnte gemacht werden, dass da-
durch die Controle gegenüber der administrirenden Stelle gänzlich
beseitigt würde. Wenn man aber betrachte, dass diese Controle von
keinem Nutzen war, so falle dieser Einwurf hinweg.
Der Vorschlag Hatzfeld's wurde nicht blos von dem Grafen Zin-
zendorf auf das entschiedenste bekämpft, sondern auch der Staatsrath
sprach sich dagegen aus *). Auch Graf L. Kolowrat trat nach seiner
Ernennung zum Hofkammerpräsidenten für eine Einschränkung der
Befugnisse der Rechenkammer ein, bemängelte namentlich die 1768
für bestimmte Fälle eingeräumte Controle ab ante , wornach die
administrirenden Stellen das vorläufige Einvernehmen mit der Rechen-
kammer zu pflegen angewiesen waren. Dem Antrage Kolowrats ent-
sprach die Monarchin durch das Handschreiben vom 2. März 1772
an den Hofkammerpräsidenten. „Damit künftig", heisst es daselbst,
„die administrirenden Stellen durch diese Vernehmungen in ihren
') Vorträge vom 6. Aug. und 18. October 1771 von Ziuzendorf.
DieFinanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 273
Amts-Handlungen keiner dingen aufgehalten werden, und damit auch
die Rechen-Kaimner selbst um so füglicher erkleken können mit den
unter habenden Buchhaltereien die obliegende Rechnungs-Censur und
anderweite Ausarbeitungen zu bestreiten:
„ So habe beschlossen, dass künftig auch in diesen noch vorbe-
haltenen Fällen, denjenigen allein ausgenommen, wo es um eine neue
Einrichtung, oder Abänderung der Rechnungsart zu thun ist, diese
Controle ab ante gänzlich aufgehoben, folglich von den administriren-
den Stellen hirunter ohne vorläufige Vernehmung der Rechen-Kammer
in ihren Amts-Handlungen fürgegangen werden solle".
„Es wird jedoch wie die Anordnung allschon bestehet, fortan ge-
nauest darob zu halten seyn, damit von jeglicher der administriren-
den Stellen die jeweilige zur Vormerkung gehörige Veranlassungen
der Rechen-Kammer unnachbleiblich mitgetheilet werden, weilen sie
allein dadurch im Stand gesetzt wird, sowohl die Rechnungs-Censur
als auch die Haupt-Controle im Finanzwesen der Ordnung nach zu
vollbringen".
„Zu gleicher Zeit habe auch der Rechnung-Kammer nochmals ein-
gebunden, die verlässliche Verfügung zu treffen, damit von den sämt-
lich unterhabenden Buchhaltereien, und Beamten den administrirenden
Stellen, wie auch deren Hofräthen die anverlangende Auskünfte, und
Behelfe ohne Anfrage unweigerlich jedesmal ertheilt, auch sonsten in den
vorkomenden Ausarbeitungen, wo die Buchhaltereien zu intervenireu
haben all benöthigter Bey stand auf Verlangen geleistet werden solle."
Der Rechenkammerpräsident versuchte es nun in dem nächsten
Jahre die ihm entzogene Generalcontrole wieder zu erhalten, die Folge
jedoch war, dass die Kaiserin endlich den Rathschlägen der Verwal-
tungsstellen nachgab und die Hofrechenkammer durch Handbillet vom
20. Januar 1773 aufhob l). Seitdem befanden sich die Buchhaltereien
und das Rechnungswesen von der Verwaltung in vollständiger Ab-
hängigkeit, obgleich der neue Chef der Hofrechenkammer die Stel-
lung eines Präsidenten beibehielt. Unter dem Präsidium des Grafen
Khevenhüller wurden die Buchhaltereien später wieder von den ad-
ministrirenden Stellen grösstentheils unabhängig gemacht und eine
Hofrechenkammer als unmittelbare Hofstelle wieder hergestellt.
III.
Für die Handelsangelegenheiten bestand seit 1746 ein Commerz-
directorium, zuerst unter dem Fürsten Kiusky und nach dessen Tode
seit 1749 unter dem Grafen Rudolf Chotek, der gleichzeitig Banco-
') Vergl. den Vortrag des Hof kammerpräsidenten Kolowrat v. 12. Januar 1773.
Mittheihuigen XV. 18
274 ßee r.
deputationspräsident war. Am 17. December 1 753 wurde Chotek durch
Uhlfeld verständigt, dass das Commerzdirectorium zu einer mit dem
directorio in publicis et cameralibus vereinigten unmittelbaren Hof-
stelle erklärt worden sei. Durch Schaffung des Commerzdirectoriums
wurde der Versuch gemacht, die Handelsfragen der gesammten öster-
reichischen Länder nach einheitlichen Gesichtspunkten zu entscheiden,
weshalb auch den Sitzungen Mitglieder der ungarischen Behörde bei-
gezogen wurden ; bei Gegenständen, welche die italienischen und nieder-
ländischen Gebiete betrafen, war die Mitwirkung des niederländischen
und italienischen Käthes erforderlich. Nachdem diese beiden Hofstellen
aufgehoben und mit der Geheimen Hof- nnd Staatskanzlei im Jahre
1757 vereinigt worden waren, fielen die Gutachten der Staatskanzlei
auch in commerziellen Fragen ins Gewicht. Die Eegulirung der Mauten
und Zölle gehörte bis 1749 zum Wirkungskreise der politischen Stelle,
nur mussten Mitglieder der Bancodeputation und der Hofkammer den
Berathungen zugezogen werden, seitdem wurden die darauf bezüglichen
Angelegenheiten dem Commerzdirectorium übertragen im Einvernehmen
mit den anderen Centralstellen 1). Die Wiener Commercial- und Manu-
facturgeschäfte wurden durch Verordnung vom 4. Januar 1754 dem
Commercien - Directorium unterstellt und zwar jene Fabriken, welche
Flachs, Wolle, Seide, Leder und Mineralien verarbeiten. Zur Besorg-
gung dieser Angelegenheiten wurde dann eine selbstständige soge-
nannte „Delegirten-Commission" eingesetzt. Die von den Kreishaupt-
leuten und Obrigkeiten erstatteten Berichte sollten von nun an un-
mittelbar an das Directorium eingesendet werden 2)
Bei den Beratungen über die neue Verwaltungsorganisation hatte
Kaunitz Schaffung einer selbstständigen Centralstelle für die wirtschaft-
lichen Fragen angeregt.
Durch Handschreiben an Bartenstein vom 27. Januar 1762 theilte
die Kaiserin ihren „höchsten Entschluss" mit, dass der Commerzienrath
künftig „von allen anderen Hofstellen abgesondert und mit einem
eigenen Präsidenten und bei keinen anderen Stellen angestellten
Käthen besetzt werden solle". Er, Bartenstein, werde ad interim
das Präsidium übernehmen, nachdem die Kaiserin in seine diesfallsige
Kenntnis und die ihm beiwohnende, ihr wohlbekannte Geschicklich-
keit das gnädigste Zutrauen setze. Gleichzeitig wurden ihm auch die
Mitglieder bekannt gegeben 3). Bartenstein machte die Kaiserin in einem
J) Ueber Chotek vergl. meine Abhandlung in den Mittheilungen Bd. XIV.
2) Cod. aust. V. 829.
3) Graf Philipp Sinzendorf, Baron Toussaint, Baron Reischach, Graf Palfy,
von Mygind ; Secretäre i Gebier, Schell, Degelmann.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 275
Vortrage vom 1. Februar 1762 darauf aufmerksam, dass mit dem ihm
zugewiesenen Personale die Geschäfte nicht erledigt werden könnten,
worauf die kais. Erschliessung erfolgte, dass es sich blos um die Be-
sorgung des Commerzwesens ad interim handle, sie werde sich näch-
stens bezüglich der vollständigen Bestellung eines Commerzienrathes
entscheiden l). Bereits am 16. März 1762 erfolgte die Anzeige, dass
die Kaiserin ihres Dienstes befunden habe, „dero Commerzien-Haupt-
stelle in der selber bisher allermildest eingeräumten Activität zu be-
lassen und im Verfolg dessen unter dem Namen eines Commercien-
rathes als eine unmittelbare Hofstelle zu bestätigen und zu erklären1*.
Die demselben zugewiesene Aufgabe sollte darin bestehen: „wie das
Wachsthum der inländischen Cultur, die Erhebung der Manufacturen, die
Emporbringung des Commercii mithin die wesentliche Wohlfart dero
getreuesten Erblande und Unterthanen zu befördern sei". Zum Prä-
sidenten wurde der Repräsentation- und Kammerpräsident, wie auch
Landeshauptmann ob der Enns, Graf von Andlern- Witten ernannt2).
Die Mautämter blieben der Banco-Deputation unterstellt und der Com-
mercienrath hatte auf die Verwaltung Anfangs gar keinen Einfluss.
Ja, die Mautämter weigerten sich, ihm Auskünfte zu ertheilen. Man
getraue sich nicht eine Aenderung zu beantragen, heisst es in einem
Protokolle vom 1. März 1765, „und den Bauco zu schmälern1', da der
„in das Grosse gehende Nutzen der Handlung noch keine Gewissheit
habe". Das einzige Ergebnis der Berathung, wie dem Uebelstande ab-
zuhelfen sei, war eine Erschliessung der Kaiserin, die Mautämter an-
zuweisen, der Commerzstelle und der Intendenza zu Triest Auskünfte
zu ertheilen. Eine Erweiterung erhielt später der Wirkungskreis des
Commerzienrathes durch die Uebertragung der Verwaltung der Staats-
fabriken, welche bisher von der Bancodeputation verwaltet worden
waren. Nach der Aktivirung des Commerzienrathes hatte die Kaiserin
ein hierauf bezügliches Gutachten gefordert 3), aber erst einige Zeit
') Nur wurde ihm gestattet Doblhof ,pro nunc auf das Comnierciale anzu-
weisen« und Nefi'zer, der Jahre lang in Zollangelegenheiten eine gewichtige Rolle
hatte, zu verwenden.
-) Graf Andlern erhielt 8000 fl. Gehalt, mit dem Zusätze der Kaiserin ,exi-
gire keinen Staat oder sonstigen Aufwand«- Wirkliche Käthe cum voto : Baron
Reischach, von Doblhof junior, v. Degelmann, v. Mygind ; »die Ernennung zweier
Handelsleute will vorbehalten, von der ungarischen und der siebenbürgischen
Hofkanzlei sind nur in jenen Fällen zwei Hofräthe zuzuziehen, wenn Angelegen-
heit derselben vorkommen«.
s) An den Grafen Herberstein den 6. Mai 1762. Auch sollte in Erwägung
18*
276 Beer.
später, als mau einen genauen Einblick in die ungenügende Verwal-
tung der Bancodeputation gewonnen hatte, wurde die Zuweisung au
die Handelsbehörde beschlossen, die jedoch der Aufgabe sich ebenso-
wenig gewachsen zeigte.
Am 4. Mai 1765 verständigte die Kaiserin den Grafen Andlern, dass
sie den Beschluss gefasst habe, das „Commercialeu mit der böhmisch-
österreich. Hofkanzlei zu vereinigen. Auf Vortrag vom 27. Mai verfugte
sie, dass der Commercienrath als abgesonderte Stelle, jedoch unter
der Oberdirection des jeweiligen Obersten Kanzlers zu stehen habe
und den Länderstellen bekannt zu machen sei. dass die Aenderung
deshalb beliebt worden sei, um den Commercialangelegenheiten, welche
in das „Provinciale" einschlagen, eine desto geschwindere und ergie-
bigere Beförderung und Unterstützung zu verschaffen1). Graf Rudolf
Chotek, damals Oberster Kanzler, machte jedoch Vorstellungen und
sprach sich mit dem Hinweise auf Ungarn entschieden dagegen aus,
welches, wenn der Kanzlei die commerciellen Angelegenheiten über-
wiesen würden, auch eine selbstständige Entscheidung in Handels-
sachen in Anspruch nehmen würde. Der Hofcommercienrath habe die
Fragen, welche ,,das Universale betreffen", in Betracht zu ziehen. Die
gezogen werden, , ob es niebt Einträglicher für Mein Aerarium und den Staat
wäre, diese Fabriken an privatos zu überlassen1.
') Meine Willensmeinung ist, dass zwar die böbraiscb-österreich. Kanzlei und
der Commercienrath abgesonderte Stellen verbleiben, jedoch beide unter der Ober-
direction und dem Praesidio eines zeitlichen Obrist-Kanzlers stehen, mithin auf
die nämliche Art, wie es dermalen mit der Hofkammer und dem Banco geschieht,
nur in Ansehung der Oberdirection vereinigt werden sollen; woraus dann von
selbst folget, dass
ad Ium weilen keine vollkommene Union der zweyen Stellen bewürket wird,
ferners besondere Sessionen gehalten werden, der Oberdirection aber unbenohmen
seyn solle, nach Beschaffenheit der Umstände die Räthe und Referenten einer
Stelle in die andere zu ziehen ;
ad Ildum hat der Commercienrath seinen eigenen Präsidenten, der jedoch
unter der Oberdirection eines jeweiligen Obrist-Kanzlers stehen soll, beizubehalten,
wornach es dann von der Benennung des Andlern zum Kanzler zugleich abkommt ;
gleichwie hingegen der Commerienrath nur als eine dem Praesidio des Obrist-
Kanzlers, nicht aber der Kanzley und deren Vicepraesidio untergebene Stelle an-
zusehen, so wird auch der Vicekanzler einigem praesidio bey dem Commercio
sich nicht zu unterziehen, sondern in Abwesenheit des Obrist-Kanzler und des
Praesidenten der erste Rath vom Commercienrath solches zu vertreten haben;
ad Illtium sin(j hienach auch die agenda und das Personale der beiden Hof-
stellen abgesondert zu lassen, und auf gleiche Art hat
ad IVtum der Commercienrath seine dermalige Benennung annoch beizu-
behalten ;
ad Vtum Ist den Hof- und Länderstellen nur so vieles bekannt zu machen,
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749— 1817. 277
Kaiserin änderte nun ihre EntSchliessung insoferne, als sie verfügte,
dass Pässe, Flaggenpatente u. dergl. Urkunden unter dem Namen des
Commercienrathes ausgestellt, von dem Obersten Kanzler jedoch unter-
fertigt werden sollen, ohne „diese Qualität" beizusetzen i).
Eine von Maria Theresia dem Grafen Chotek übergebene Denk-
schrift über die Aufgaben eines Hofcommercienrathes, deren Verfasser
nicht genannt war und die wahrscheinlich von Josef herrührte2), gab
den Austoss zur Schaffung einer neuen Körperschaft. In einem Hand-
schreiben vom 28. October 1768 an Chotek bezeichnete die Kaiserin die
Mängel, die nach ihrer Ansicht bei der bisherigen Behandlung der Ge-
schäfte von Seite des Hof-Commercienraths sich herausgestellt hatten.
In einer Denkschrift, allerunterthänigste Erinnerungen betitelt, weist
dass Ich, um den Commercial-Angelegenheiten, welche in das Provinciale ein-
schlagen, eine desto geschwindere und ergiebigere Beförderung und Unterstütz-
ung zu verschaffen, für gut befunden habe, den Commercienrath der Oberdirection
uud dem Praesidio eines zeitlichen Obrist-Kanzlers zu übergeben, im Uebrigen
aber annoch bei seiner bisherigen Verfassung zu belassen.
Hiernach wird also in die Ausübung der Oberdirection ohne weiteren An-
stand von nun an angetreten werden können. (Vortrag der böhmischen und
Österreich. Kanzlei, unterzeichnet Rudolf Graf v. Chotek, 27. Mai, rep. 14. Juni 1765.
') Vortrag, 5. Juni 1765 nnd kais. EntSchliessung. Das Handschreiben der
Kaiserin an Rudolf Choteck, 14. Juni 1765. Ein Handschreiben vom 14. Juni
verfügte, dass nach , Jubilation* des Andlern vorläufig Lichnowsky als erster Rath
des Herrenstandes das Geschält zu führen habe.
-) Die Anmerkungen lauten; Unter allen Theilen der Regieruug erfordert
jene des Commercienwesens die meiste Beförderung und Behendigkeit sowohl in
Ansehung der Entschliesungen als in dem Vollzuge selbst.
Bis auf einige Generalsätze, die unveränderlich bleiben müssen, ist alles
Uebrige in dem Commercienwesen plötzlichen Veränderungen unterworfen. Durch
längere Ueberlegungen eines Commercienrathes können zum öfteren die günstig-
sten Gelegenheiten aus Händen gelassen werden und für stets verloren gehen.
Das politische Commercium erfordert ausserdem :
Imo Die wichtigste Combinirung aller Theile der Bedürfnisse sowohl als des
Ueberflusses, eine genaue Nachforschung, wie erstere mit den geringsten Kosten
und das Entbehrliche am vortheilhaftesten an Mann gebracht werden möge.
IIdo Eine gründliche Kenntniss des Wechsels und wie solcher mit den besten
Nutzen des Staates einzuleiten.
IIluo Eine Kenntniss der Transporten, wie allenthalben die Versendungen
zu veranstalten , was für Schwierigkeiten oder Erleichterung bei selben zu
Wasser und Land sich vorfinden, was in Ansehung der Assecurationen zu be-
trachten u. s. w.
lVt0 Eine nicht geringere Kenntniss aller inländischen Erzeugungen, ihrer
Verarbeitung, wie solche hier und bey dem Ausländer zu geschehen pflegt, der
Gattungen, an welchen es dem Staate anuoch gebricht, und wie der Abgang
278 Beer.
Chotek darauf hin, dass es bisher an dem nöthigen Personale fehlte.
An den Berathungen nahmen nämlich auch Mitglieder der böhmisch-
österreichische u Hofkanzlei theil, wenn es sich um Angelegenheiten
handelte, welche auch das Politische betrafen. Eine Scheidung der
Agenden sei nothwendig und jeder Stelle sollten nur „jene eigen ver-
bleiben , die ohne besorgliche Vermischung keinen Zusammenhang
leiden": „die publico-politischen sollen der Kanzlei, die eigentlichen
Commercialia dem Handelsdepartement verbleiben1'. Zu den letz-
teren wurden gerechnet: Die Besorgung des Manufacturstandes aller
deutschen Erblande, insoweit nicht allgemeine Anordnungen erforder-
lich seien, „die in das politicum mit einschlagen", der Privathandel
mit demselben Vorbehalt, die Correspondenz mit den Consessen, die
Ertheilung von Pässen für die Einfuhr verbotener Waaren, Cassa-
angelegenheiten der Commerialfonde, die Verwaltung der Küste sowohl
in politischer als ökonomischer Hinsicht, das Seewesen und die Schiff-
fahrt, die Ertheilung der Flaggeupatente, Anstellungen von Consulen
u. dgl., die Aufsicht über die zur Beförderung des Handels bestimmten
Unternehmungen, die Schiffbarmachung der Flüsse, Herstellung von
Kanälen, Austrocknung von Sümpfen u. dgl. ; allein auch bei diesen
dem Handelsdepartement zugewiesenen Angelegenheiten, meinte Chotek,
können sich Fälle ereignen, die zu einer allgemeinen Veranstaltung
den Anlass geben, wo daher ein innigerer Zusammenhang mit der
Kauzlei hergestellt werden müsse, insoweit diese die ganze Staatswirt-
schaft besorge; mit andern Worten, Chotek forderte, dass allgemeine
Normen und Verfügungen nicht selbstständig von der Commerzabthei-
lung erlassen werden sollen, sondern dieser blos die Durchführung
zu ersetzen und wie die rohe ausser Land begebende Materialien im Lande selbst
zu verarbeiten.
Vt0 Eine genaue Lokalkenntniss der Gegenden und Ortschaften, was für
Vortheile besonders in Beziehung aut eine so andere Fabrik oder Manufactur
daselbst anzutreffen.
Vlt0 Eine Kenntniss der fremden Waaren und welche sonderheitlich con-
venireten, um gegen solche das Enthehrliche hintanzugeben, wovon sodann diese
mit dem besten Nutzen weiters wiederum zum Verschleiss zu bringen. Eudlich
VI!11'0 Die Kenntniss fremder Staaten und Nationen, mit welchen vortheil-
hafte Commercien-Tractaten zu schliessen, was für Waaren denselben besonders
conveniren und von dorther wiederum bezogen werden könnten ?
Wenn man den Umfang dieser Kenntnisse betrachtet, wird man anerkennen,
dass keiner Bingen das Geschäft eines Commercienrathes ausmachen, welcher
wöchentlich ein- oder zweymal sich versammelt und dem in den Sessionen kaum
die Zeit erklecket, die Vorträge anzuhören und die vorkommende viele Angelegen-
heiten zu Erledigung zu bringen.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 279
oder die eigentliche Verwaltung zu überlassen sei; eine Vereinigung
unter eiuem Chef sei herzustellen; damit aber die ,,Obrist-Kanzley"
nicht mit allzu vielen, öfters nur mechanischen Verrichtungen beschäf-
tigt werde, sei das Präsidium einem Vicepräsidenten zu übertragen,
und der Kanzler hätte sich nur jene Angelegenheiten vorzubehalten,
die eine kaiserliche Entschliessung erheischen. Ferner sollten die Be-
rathungen in selbstständigen Sitzungen der Hof kanzlei in allen den
Handel und die Staatswirtschaft betreffenden Angelegenheiten statt-
finden. Die Staatswirtschaft, heisst es in dem Vortrage Choteks, und
das Commercium in den dentschen Erblanden, wenn auch die Ober-
aufsicht über beide für eine wesentliche Beschäftigung der Kanzlei
angesehen wird, ist mit dem Camerali und dessen Stelle in mehreren
Stücken, sonderlich aber in dem die Zölle und Mauten vertretenden
Bancali so sehr verflochten, dass ohne übereinstimmenden Vorgang
sowohl in Ansehung der Grundsätze als der Befolgungsart schwerlich
etwas Erspriessliches zu hoffen sei. Eine gleiche Beschaffenheit habe
es mit den ungarischen Erblanden, dem Grossfürstenthum Siebenbürgen,
dem Temesvarer Banat und den dem Militär in Politicis übergebenen
Landesbezirken. Sei zwischen diesen und den deutschen Erblanden
bezüglich der erwähnten Gegenstände kein systematischer Zusammen-
hang, sehe sich jedes Land und die ihm vorgesetzte Stelle für einen
eigenen Staatskörper an, der seinen Diensteifer nur darin setzt, dem
anderen einen Vorzug zu benehmen und sich beizulegen, mit einem
Wort immer nur der wirkende und niemals der leidende Theil sein
zu wollen, so werde sich das Gleichgewicht niemals festsetzen lassen.
Aus diesem Grunde schlage er vor, dass die Kanzlei in Commerz- und
Staatswirtschaftssachen als eine Deputation anzusehen wäre, wie eine
dergleichen schon in Sanitätssachen bestehe , bei welcher die Vor-
fallenheiten aller Länder dergestalt wenigstens quo ad normalia et
generalia zu verhandeln wären; dass daselbst ein Rath von jeder Stelle,
nämlich von der Hofkammer, der Ministerialbancodeputation, der Re-
chenkammer, der ungarischen und siebenbürgischen Hof kanzlei, nöthigen-
falls auch von dem Hofkriegsrathe allemal zu erscheinen, den erfor-
derlichen Vortrag zu machen und die Expedition zu veranlassen hätte.
Sei dieser Rath mit den Ansichten der Deputation einverstanden, so
wäre nicht zu gestatten, Allerhöchstenorts dagegen eine Vorstellung
zu machen und damit den Vollzug aufzuhalten; wenn aber der Bei-
sitzende oder die nach Wichtigkeit der Sache besonders abgeordneten
Räthe verschiedener Meinung wären, so müsste die Allerhöchste Ent-
scheidung erbeten werden.
Bezüglich der Erhebung der Population, des Verhältnisses des
280 B e e r-
Nahrungstriebes in den verschiedenen Gewerben oder der Manufactur-
tabellen, der verschiedenen und hauptsächlichsten Erzeugnisse der
Bodeucultur, welche ihren Einfluss theils auf die gemeine Lebensnoth-
durft, theils auf den Urstoff zu Manufactur und Handlung haben,
endlich bezüglich der Commercialtabellen, welche die Bilanz zwischen
dem Activ- und Passivhandel angeben sollen, sprach sich Chotek da-
hin aus, dass niemand die Nutzbarkeit dieser Tabellen misskenne,
allein es werde zu überlegen sein, ob die Fassionen zur Erhaltung des
Bevölkerungsstandes mit jenem wegen der Schuldensteuer zu verein-
baren, ob es thunlich, nebst dem Gewerbetriebe auch den Manufactur-
stand mit Verlässlichkeit zu erheben oder ob die mühsame und un-
verlässliche Verfertigung besonderer Tabellen über den letzteren er-
spart werden könne, wem die Besorgung der Beschreibung obliegen,
durch welche anreizende Mittel die genaue Vollstreckung erzielt wer-
den solle, damit wegen des täglichen Verbrauches der Produkte nicht
eine überflüssige und daher unnütze Arbeit geschehe, und da das Journal
für die Commerztabellen nichts anderes sei, als die Einführung einer
verlässlichen Verrechnungsart bei den Mautämtern, so müsste zu über-
legen sein, ob diese Rechnungsart einzuführen oder den Beamten
eine üoppelrechnung zu halten zuzumuthen sei. Die vorgeschla-
genen Tabellen haben nur dann einen Nutzen, wenn sie sich auf
die ganze Monarchie erstrecken, die Verfassung der Länder sei aber
so verschieden, dass darauf Rücksicht zu nehmen sei; die Erörterung
aller dieser Umstände werde daher das Geschäft der vorgeschlagenen
Deputation sein und könne durch eine vorläufige Aeusserung nicht er-
schöpft werden.
Die kaiserliche Genehmigung dieser Vorschläge erfolgte. Der
neuen Körperschaft, Deputation in Staats- und Wirtschaftssachen ge-
nannt, fiel die Aufgabe zu, alle das Commercialwesen überhaupt die
Verbesserung der innerlichen Staatswirtschaft betreffenden Angelegen-
heiten der gesammten deutschen und ungarischen Erblande wenigstens
in Bezug auf die Normalien und Generalien in gehörigem Zusammen-
hang zu behandeln *) Graf Rudolf Chotek wurde zum Vorsitzenden
der Wirtschaftsdeputation bestimmt. Die verschiedenen Hofstellen
hatten an den Sitzungstagen, wofür der Donnerstag festgesetzt wurde,
so oft es sich um Angelegenheiten handelt, die mit ihrem Ressort in
einem Zusammenhang stehen , sich durch ein Mitglied vertreten zu
lassen und eventuell Vorträge zu erstatten. Ausdrücklich wurde ge-
fordert, dass, im Falle die Präsidenten, die nach Thunlichkeit selbst
') Resolution der Kaiserin de accepto 31. Dec. 17(38.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1806". 281
den Sitzungen beizuwohnen haben, am Erscheinen verhindert werden,
ein Hofrath zu entsenden sei, und zwar müsste er mit einer Instruc-
tion versehen werden, um seiue Stimme abzugeben; eine Entschuldi-
gung, als wäre er dazu nicht ermächtigt, würde nicht angenommen
werden; wenn eine Stelle gegen das abgegebene Votum des abgesen-
deten Käthes oder gegen einen Beschluss der Deputation Erinnerungen
anzubringen hätte, so sei diese der Kaiserin binnen drei Tagen zu
eröffnen. Die Protokolle mussten der Kaiserin von acht zu acht
Tagen, am Schlüsse des Jahres ein Ausweis über die gesammte Gestion
vorgelegt werden, „allermaassen das Verdienst derjenigen, die sich auf
eine ausnehmende Art vor andern verwenden", besonders belohnt wer-
den solle.
Der Commercienrath wurde nunmehr auf die eigentliche Verwal-
tung der Manufacturen und des Privathandels beschränkt ; ferner wurde
ihm die Verwaltung des Litorales, des Seewesens und der Schifffahrt
die Ertheilung der Flaggenpatente, die Anstellung der Consulen, die
Schiffbarmachung der Flüsse, die Herstellung der Canäle, Austrocknung
u. dffl. m. übertragen. Der Commercienratli blieb dem Obersten Kanzler
unterstellt, ihm zur Seite stand für die „mechanischen Verrichtungen"
ein Vicepräsident. Alle jene Angelegenheiten, welche die Allerhöchste
Entschliessung erheischten, blieben ausdrücklich dem Obersten Kanzler
vorbehalten.
Im Jahre 1771 wurde das „Commerciale" der Hofkammer über-
wiesen und der Leitung eines Vicepräsidenten unterstellt l), 1776 aber-
mals mit der Hof kanzlei vereinigt. Der damalige Vicepräsident Baron
Beischach wurde gleichzeitig Kanzler 2). Die Commerciencasse sollte
') Handschreiben an Kolowrat 17. Dec. 1771.
2) Handschreiben an ßlümegen, 2. Januar 1776; an den Hofkammerpräsi-
denten vom gleichen Tage mit der Bemerkung, dass »gewiss nicht Misstrauen
auf seine Person den Anlass gegeben habe, da er bis jetzo selben (den Com-
mercienrath) zu Meiner vollkommen Zufriedenheit geführet hat«. Die Kaiserin
erwarte seine Vorschläge, heisst es in dem Handschreiben an Blümegen, diese
sind einstweilen die Sätze, die Ich festgestellt habe: alle nur möglichen Frei-
heiten im Handel und in der Erzeugung in allen Ländern, Aufhebung der Inten-
denza in Triest, Untergebung aller Polizei und Iudizialges chatte an die Landes-
hauptniannschaft in Görz; Fiume, Buccari, Buccarizza und Portore an Ungarn.
Zengg und Carlopago an das Militär. Interessant sind die Bemerkungen über
die Fiume betreffende Entscheidung in einem Protokolle vom 17. Jänner: Diese
Stadt habe immer zur krainischen Landesstelle gehört und einen zu dem Herzog-
thum gehörigen »Gezirk« avisgemacht; es dürfte also die Abreissung desselben als
eines Theils einer zum römischen Reiche gehörigen deutschen Provinz wie Krain
sei, und die Einverleibung zur Krone Ungarns bedenklich sein, und zu Weite-
282 B e e r-
überall von dem Commereiali geführt werden, nur die jährlieh von
der Kaiserin bewilligten Anweisungen seien auszubezahlen, während
bisher ein bestimmter Fond hiefür festgesetzt war. Die ungarischen
Angelegenheiten wurden den ungarischen politischen und Cammeral-
behörden übertragen. Zwei Jahre später wurde auch die Aufsicht
über die Navigationsarbeiten als „ein Publikum1' der böhmisch-öster-
reichischen Hof kanzlei übergeben, welche die Notwendigkeit und den
Nutzen dieser Arbeiten zu ermessen und hiernach die jeweiligen An-
träge zu machen hätte x).
Um das Handelswesen in den einzelnen Königreichen und Län-
dern in einen besseren Stand zu setzen, wurde bereits 1700 in Nieder-
österreich und im Lande ob der Enns eine Hofkommission angeordnet,
später wurde in Böhmen eine Commerzdeputation ins Leben gerufen ; die
Mitglieder waren Anfangs unbesoldet und ihnen die Aufgabe zugewiesen
auf die „Emporbringung der Commereien" bedacht zu nehmen. Seit
1749, nachdem einige Jahre zuvor das Commercien-Oberdirectorium
für die gesammten österreichischen Länder geschaffen worden war,
wurden in den einzelnen Ländern Commerzconsesse oder Commerz-
commissionen gebildet 2).
Im Jahre 1753 wurde ein Manufacturscollegium in Prag errichtet,
welches 1757 mit dem Commerzconsesse vereinigt wurde und den
Namen Consessus in commerciaiibus et manufacturisticis führte. Zum
Präsidenten wurde der ßepräsentations- und Kammerrath, zugleich
oberster Münz- und Bergmeister in Böhmen, Graf Franz Josef v. Pachta
ernannt. Ausser 11 Assessoren, die ernannt wurden, sollten auch
2 Kaufleute den Sitzungen beigezogen werden, für die besonderen
rungen mit gedachtem römischem Reiche, welches diese Abtrennung für ein Avul-
sum lmperii ansehen dürfte, unfehlbar führen. Fiume sei an Görz, sowie Triest^
zu übertragen. Die kaiserl. Entschliessung wiederholte die Weisung, fügte nur
hinzu, dass die Linzer Fabrik, welche bisher von dem Commercienrath verwaltet
worden war, von der Hof kammer noch zwei Jahre zu besorgen, sodann an Kauf-
leute zu überlassen sei.
!) Kaiserl. Entschliessung vom October 1778.
?) Rescript vom 10. März 1749. Da nun die Deputationen die nöthige Zeit
zur Vorbereitung und Ausarbeitung der auf das Commercielle bezüglichen Agen-
den in ihren Deputations-Consessen nicht leicht finden dürften, so sollen sie nach
kaiserlichem Befehl zwei oder höchstens drei Personen, welche in Commerzange-
legenheiten besonders bewandert und durch andere Geschäfte nicht allzusehr ab-
gezogen sind, zu einem Particular-Consess zu dem Ende zusammensetzen, damit
diese den Commercialdingen obliegen und ihre ausgearbeiten Vorschläge zur wei-
teren Berathung an die Deputationen abgeben sollen. Ausführliche Instruction
am 15. März 1749 von Chotek erlassen.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 283
Comniercial- und Manufactursgeschäfte der Prager Städte war die
Mitwirkung von 3 königl. Richtern dieser Städte bei den Sitzungen
erforderlich l). Nach Errichtung des Commercienrathes wurde auch
an die Organisation der Consesse in den übrigen Ländern geschritten.
Denselben sollten drei Mitglieder aus dem Kaufmannsstande beige-
zogen werden 2). In Mähren wurde das bisherige „Manufacturamt"
aufgehoben und dem Concesse die Besorgung der darauf bezüglichen
Angelegenheiten übertragen 3). In Niederösterreich wurde Graf
Philipp Sinzendorf zum Präsidenten ernannt 4). Die Länderstellen wur-
den zur jährlichen Berichterstattung „in Corurnercialibus" aufgefordert
und angewiesen, von den Consessen einen Ausweis zu fordern, über
die in dem betreffenden Jahre getroffenen Veranstaltungen und Vor-
kehrungen, ferner darüber zu berichten, welche Fabrication in dem Lande
zu vermehren, welche Gattungen fremder Waareu zu verbieten, welche
inländischen Erzeugnisse zum Verschleiss neu einzuleiten seien u. dgl. m.
(3. November 1763). Die Consesse waren verpflichtet, alljährlich Ta-
bellen über die im Lande befindlichen Manufacturen einzusenden,
einerseits, um hierauf gestützt sodann die nothwendigen Weisungen
über die Förderung des einen oder des anderen Industriezweiges zu
erlassen, vornehmlich aber, weil man in Wien selbst das Bedürfnis
empfand, sich zu unterrichten, obgleich nicht selten selbst die Länder-
consesse von dem Stande der Industrie in dem eigenen Lande keine
Kenntnisse besassen. Die Handelsleute, lautet eine Zuschrift an sämmt-
') An die Repräsentation und Kammer, 20. October 1757.
2) Kaiserl. Entschliessung auf Vortrag des C. R., 12. Juli 1763.
3) An das Landesgubernium in Mähren 14. Nov. 1763. In Mähren be-
standen eigentlich drei Stellen, die sich mit Handelsangelegenheiten zu be-
schäftigen hatten: das Manufacturamt, die Lehenbank und der Consess. Ueber
das Manufacturamt. heisst es in einem Bericht des mährischen Concesses vom
14. Mai 1763, es sei leider mit solchen Subjekten versehen , welche weder
die wahren Commercialgrundsätze noch die erforderliche Uebung und Erfahrung
besitzen, was sehr viele Unordnungen und die Abneigung des ganzen Landes
nach sich ziehe. Am 14. Nov. 1763 erfloss die Weisung an das Landesguber-
nium, dass dem Graf Schlick das Präsidium des Commercialconsesses anvertraut
sei. Auch sollen erfahrene Handelsleute beigezogen werden.
4) Die andern Mitglieder waren : Graf Carl Zinzendorf, Friese, Graf Lam-
berg, Schmerling, Pillowitz, Motter, Laube, Martini, Kessler. Als Grund, wess-
halb bei Besetzung der Posten bei den Commercialconsessen keine reiche Aus-
wahl vorhanden sei, wird angegeben : da das Vorurtheil noch zu frisch, dass die
Commercialwissenschaft ausser dem Handelsstande die Hauptbeschäftigung eines
Menschen und dessen Fortkommen schwerlich ausmachen könne. Vortrag von
Andlern- Witten 2. Oct, 1764.
284 B e e r.
liehe Commercialconsesse , verlangen für diesen oder jenen Artikel
Pässe unter dem Vorwande, dass solche in den Erblanden nicht er-
zeugt werden; die Commercialconsesse, auch wenn sie darüber ver-
nommen werden, vermögen keine verlässliche Auskunft zu ertheilen,
inwieweit dem Gesuche zu willfahren sei, weil ihnen die Gewerb-
schaften der übrigen Kronländer und deren Erzeugnisse nicht einmal
dem Namen nach bekannt seien *). Die in einzelnen Ländern be-
stehenden „Zunftcommissionen'' wurden aufgehoben und die Agenden
den Consessen übertragen a). Die Consesse wurden angewiesen, ihr
Augenmerk darauf zu richten, dass nur nützliche und im Lande nicht
vorhandene Manufacturen eingeführt werden und zwar solche, zu wel-
chen das Kohprodukt im Lande vorhanden sei, damit das bare Geld
in den Erblanden erhalten bleibe und nicht für solche Waaren, die
darin bequem verfertigt werden könnten, ausfliesse. In manchen Er-
lässen begnügte man sich nicht mit diesen allgemeinen Andeutungen,
sondern bezeichnete auch jene Industrien, deren Förderung angezeigt sei3).
Auch in den Ländern jenseits der Leitha wurden Commercialconsesse
errichtet, so in dem Banate 1759 durch Dekret vom 10. Sept. erst
1770 aktivirt, in Siebenbürgen durch Handschreiben vom 6. Januar
1769 „um daselbst die Handelschaft und Manufacturen sammt der
Agricultur besser einzurichten"4). Seit 1772 wurden die Consesse
beseitigt, zunächst in Böhmen, um daselbst mit dem dortigen Guber-
nium vereinigt zu werden (18. Mai 1772), einige Monate später in
Görz und Kärnten, in Krain, Oberösterreich, Tirol und Vorderöster-
reich (10. Sept. 1772.) 5)
1) An sämmtliche Concesse, 23. Juli 1767.
2) 17. April 1769 an d. Consess in Böhmen.
s) Circulare für Böhmen, 26. Juni 1769; 28. August 1769 für Mähren.
4) Durch Handschreiben vom 13. Juli 1769 an R. Chotek verfugte die Kai-
serin : da die von der siebenbürgi sehen Commission erstatteten Commercialpro-
tokolle nicht in behöriger Art verfasst sind, so hat er ein Formular von einem
hiesigen Protokolle des Commercien-Consessus zugleich aber ein Formulare von
denen über wichtige Punkten zu erstattenden Berichten an die siebenbürgische
Commission zu übergeben, damit sich hiernach auch in Siebenbürgen gerichtet
werden möge.
5) Der Antrag bezüglich Böhmens wurde durch Protokoll vom 13. Febr. 1772,
bezüglich der anderen Länder einige Monate später gestellt. Die Sitzung fand
unter dem Vorsitze des Grafen Leop. Kolowrat statt und wurde da Protokoll am
14. Juli der Kaiserin vorgelegt.
,Ich begnehmige überhaupt das Einrathen der Commission , dass näm-
lich der böhmische Commercialconsess mit dem Gubernio vereinbart, dessen
Agenda sohin gedachtem Gubernio übertragen und künftighin allda in einer
besondern Commission, wie es mit der Polizei und Sicherheit gehalten
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749— 1816. 285
Auf Vorschlag des Grafen Josef Kinsky wurden in den Com-
mercialkreisen Böhmens, wie man die an Sachsen grenzenden Be-
zirke nannte, Manufactursinspectoren bestellt. Die denselben ertheilte
Instruction, nach dem Vorbilde der von Friedrich II. für Glatz erlas-
senen entworfen, gieng dahin, Reisen in den ihrer Obsorge unter-
stellten Bezirke vorzunehmen, die daselbst befindlichen Fabriken und
Manulactnren zu untersuchen, die Anzahl der Fabrikanten, Commercial-
haudwerke, Meisterschaften und Künstler anzuzeigen, die Menge der
jährlich erzeugten Fabrikate , sowie die Verleger und Handelsleute,
auch wohin der Verschleiss gehe, namhaft zu machen. Vornehmlich
sollten sie sich angelegen sein lassen, die Natur- und Industrieerzeug-
uisse anzugeben, ob und wie die Cultur derselben vermehrt und ver-
bessert worden sei, ob in den Bezirken die Woll- und Flachsspinnerei
genügend belegt, wie dieselbe eventuell einzuleiten und zu vermehren, ob
die Gespinnste durch die eigenen oder durch die benachbarten Weber-
schaften verarbeitet werden, wo sich die Woll- und Garnmärkte befinden,
n. dgl. m. Bei den Bleichen hatten sie zu erheben, ob auf sächsische
oder schlesische Art gebleicht werde, mit welchem Materiale dies ge-
schehe, ob nicht etwa schädliche Mittel gebraucht werden und welche
Verbesserungen vorgenommen werden könnten, in welcher Weise die
Erzeugung feiner, dann gezogener und gefärbter Leinwände und Tisch-
wii*d, unter dem Vorsitz des bisheiügen Commerien-Praesidis Grafen Kinsky und
Bevziehung der in dem Protokoll angetragenen Räthe tractiret, sofort auch nach
dem Einrathen das Commercial-Personale unter jenes des Gubernii eingetheilt
werden soll, nur allein ist nöthig, dass ein eigener Rath, welcher annoch zu be-
nennen sein wird, der dieser Commission nicht beysitzt, derselben Berichte und
Protokolle bey dem Gubernio referire. Wegen der Correspondenz-Einleitung mit
dem Commercienrath, sowie wegen Vereinigung der Commercienconsessen in den
übrigen Ländern mit den Länderstellen gewärtige das versprochene Gutachten
Die Aufhebung des Webergroschen kann nach dem Einrathen der Commission
sogleich veranlasst werden. (Protocollum commissionis extraordinariae 13. Febr.,
rep. 14. Mai 1772, betreffend die Vereinigung des böhm. Commei-zconsesses mit
dem dortigen Landes-Gubernio.)
Die zweite Resolution der Kaiserin lautet : Die Vereinigung der Commercien-
Consesse mit den Länderstellen hat auf dem Fuss und in der nämlichen Art,
wie solche in Böhmen schon eingeführet worden, auch in den übrigen Ländern
ohne Unterschied zu geschehen. Bey Mähren hingegen wird mir über die Eigen-
schaft, Einhebungsart und Erträgniss des Gewerbsbeytrages der besondere Vor-
trag von dem Commercien-Rath abzustatten und zugleich anzuzeigen sein, wan,
warum und auf was Art dieser Beytrag eingeführt werden. Das Protokoll vom
30. Juni 1772 (unter dem Vorsitz von Leopold v. Kolowrat, gegenwärtig: Reischach,
Mannagetta, Doblhoff-Dier, v. Egger, Hofsecretär Paradis) beschäftigt sich mit
der Frage über die Vereinigung der übrigen Commercien-Concesse mit den Landes-
stellen nach dem Muster von Böhmen.
286 B e e r-
zeuge, so wie auch die Spitzen-, Schnüren- oder Bandfabrikation ge-
hoben und emporgebracht werden könnte 1). Sie hatten genaue Nach-
richt von dem Flachsbaue und von den Garnpreisen zu geben, in Er-
wägung zu ziehen, ob und wo die Wollen-, Zeug und auch Cotton-
fabrikation eingeleitet und erhoben werden könnte, genaue Unter-
suchungen über die Tuchmacherei und Walkerei anzustellen, ob mit
Füllerde oder Seife gewalkt werde, ob die Tuchmacher das Fett aus
der Wolle und dem Loden bringen, ob sie der Woll- und Farbmischuug
kundig seien, ob die genügende Anzahl der Wollsortirer und Färbereien
vorhanden sei und wo neue anzulegen wären, wohin die böhmischen
Tücher Absatz finden, welche Tuchmeisterschaften sich auf die feineren
Gattungen mit spanischer Wolle verlegen wollen, überhaupt sollten
sie von allen in ihren Bezirken befindlichen Commercialfabrikaten Cal-
culationen entwerfen und bemerken, ob dieselben im Preise den Frem-
den gleichstehen und ob nicht etwa bessere verschafft werden könnten.
Sie hatten anzuzeigen, woher die Ungleichheit rühre und wie dieselbe
etwa abzustellen, ob der Spinn-, Weber- und Appretirungslohn im ge-
hörigen Verhältnisse stehe. Sie sollten Beobachtungen über den Handel
in ihren Bezirken anstellen und hervorheben, ob der Activ- und Passiv-
handel dem Lande vortheilhaft oder schädlich sei, jene Kaufleute nam-
haft machen, welche sich den Verschleiss der Landesmanufacturen
angelegen sein lassen; ob die Fabrikanten den Vertrieb ihrer Erzeug-
nisse selbst besorgen; und sich auch darüber gutachtlich äussern, ob
und wie der Handel überhaupt, besonders nach Aussen für das inlän-
dische Manufacturwesen vorteilhafter gemacht werden könnte. Sie
hatten ihr Augenmerk hauptsächlich auf die benachbarten fremden
Lande zu richten, dieselben zu bereisen, den Vortheil, welchen dieselben
»egen die heimischen Gebiete in der Erzeugung sowohl als im Handel
und Wandel haben, anzeigen, die Schleichwege bemerken, auf welchen
verbotene Waaren ein- und ausgeführt werden, in welchem Stande
sich die Commercialstrassen befinden, wo dieselben herzustellen nütz-
lich sei, ob aus der mautämtlichen Manipulation dem Handel und
Wandel Beschwerde erwachse, sich die Verbreitung der Spinnerei so-
wol auf dem Lande als auch in den Städten besonders angelegen
sein lassen, die Dominien dazu aneifern, den erforderlichen Unterricht
durch geschickte Lehrmeister ertheilen lassen, denselben die nöthigen
Hilfsmittel als z. B. Spinnräder, verschaffen und dafür sorgen, dass
l) Die Hinzufügung der »feinen Leinwände und Tischzeuge, der gefärbten
Leinwände, der leinenen Schnüre oder Barchet« hatte die Kaiserin in ihrer Ent-
schliessung auf den Vortrag ausdrücklich gefordert.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 287
die Gespinnste entweder den Verschleiss erhalten oder von einer
Fabrik verlegt werden, diese letztere aber die Gespinnste in der ge-
hörigen Qualität und Feine überkomme. Alle Jahre sollte Bericht
erstattet werden, in welchen Orten die Spinnerei sich vermehrt oder
vermindert habe, nicht minder hatten sie auf die Vermehrung der
Kunst- und Feinweberei, sowie der Wollen-, Zeug- und Cotonfabri-
kation an den entsprechenden Orten Bedacht zu nehmen und dahin
zu streben, sowol geschickte Fabrikanten und Appreteure aus den be-
nachbarten Landen unter den ausgemessenen oder vorzuschlagenden
Begünstigungen herüberzuziehen, denselben das nöthige Unterkommen,
und die Anstellung bei einer Landesfabrik zu verschaffen, damit die
eigenen Unterthanen von denselben die bessere Manipulation nach und
nach erlernen *). Denselben sollte alljährlich zur Bestreitung der Un-
kosten ein Beitrag aus dem Commercialfonde angewiesen werden, den
neu einzuführenden Manufacturen das erforderliche fremde Materiale
aus der ersten Hand und zum wolfeilsten Preise verschafft werden, das
heimische Rohprodukt durch nützliche Proben verbessert, das mangelnde
z. B. Erdfarben und Farbwurzeln im Laude erzeugt und zubereitet,
folglich die ganze Circulation des Geldes so viel möglich erhalten
werden 2).
In Böhmen waren 1770 fünf Landesinspectoren thätig, der tüch-
tigste war wol Josef Schreyer, der sich auch literarisch einen Namen
gemacht hat und der von dem Grafen Josef Kinsky wegen seiner
schutzzöllnerischen Richtung geschätzt und vielfach verwendet wurde.
Auch Lieblein erwarb sich Verdienste. Die Inspectoren wurden ange-
wiesen ihren Wohnsitz nicht in Prag, sondern in ihren Kreisen zu
nehmen 3). Auch in den andern Ländern wurden Inspectoren bestellt.
Im Jahre 1772 wurden die Commercialgeschäfte den Kreishauptleuten
übertragen und denselben die Weisung ertheilt, sich die Emporbrin-
') In dem der Kaiserin unterbreiteten Protokolle vom 4. Juni 1762, worin
der Vorschlag gemacht wurde, derartige Landesmanufacturs-Inspectoren zu ernennen,
heisst es, dass es hauptsächlich darauf ankomme, die Vortheile den Nachbarn
abzugewinnen, geschickte Fabrikanten anzulocken. Hierauf wurde daher bei der
Anstellung ein besonderes Gewicht gelegt.
*) Protokoll vom 4. Juni 1772. Instructions-Puncta für die k. k. Land-
inspectoren in commercialibus in dem Königreiche Böhmen, der Kaiserin durch
den Vortrag vom 21. Juli 1762, rep. am 26. Aug. 1762 überreicht. Die Anzahl
der Landesinspectoren in commercialibus wurde später vermehrt. Jeder derselben
erhielt 1200 fl., sie hatten aber in Folge der kaiserl. Erschliessung die Reise-
und Zehrungskosten bei ihren Visitationen zu bestreiten. Auch verlangte Maria
Theresia, dass sie sich die besten Bücher und »Commercialjournale« anschaffen.
8) 28. Januar 1773.
288 Bee r.
gimg des Commercialis und dessen nützliche Einleitung besonders
pflichtgemäss angelegen sein zu lassen. Die bisherigen Commercial-
Inspectoren und Manufactur-Commissarien wurden den Kreishaupt-
leuten zur Aushilf beigegeben und führten nunmehr den Titel Kreis-
commissäre; neue Inspectoien sollten künftig nicht ernannt werden1).
Denn die Kreisämter, welche in dem Handschreiben Maria The-
resia's an Rudolf Chotek vom 28. October 1768 als die wichtigsten
Bedienstuugen des Staates bezeichnet werden, sollten zur Besorgung
der Staatswirtschaft herangezogen werden 2). Jeder Kreishauptmann
sollte alljährlich seinen Kreis bereisen und über die vorgefundenen
Gebrechen berichten, die das Polizeiwesen und den Nahrungsstand
betreffenden Anordnungen als Richtschnur dienen. Die Kaiserin hatte
von Chotek über die Art und Weise der Besetzung der Kreishaupt-
leute ein Gutachten gefordert. Chotek setzte in seinem Vortrage aus-
einander, dass es allerdings diensam sein werde, den Kreisämtern die
Aufsicht und Unterstützung der Landescultur und der Polizeiangelegen-
heiten aufzutragen und ihnen eine besondere Instruction zu geben,
allein er fügte hinzu, dass zunächst die Gebrechen bei der Personal-
bestellung der Kreishauptleute behoben werden müssten. Früher habe
man hiezu in dem Kreise possessionirte Persönlichkeiten ausgewählt,
weil sie die Schwäche und Stärke ihres Bezirkes am besten kennen
und auch mit ihrem geringen Gehalte auskommen können, das Wol
des Kreises besser als auswärtige berücksichtigen werden, allein später
sei ein Verbot erlassen worden possessionirte Kreishauptleute in dem-
selben Kreise, wo sie angesessen, anzustellen. Ein weiteres Gebrechen
bestehe in der geringen Rücksicht, welche auf die Kreishauptleute so-
wohl in honorifico als utili genommen werde, den Verdienteren möge
») An das Gubernium in Böhmen 18. Mai 1772.
2) In Böhmen (seit 1627) und Mähren bestanden die Kreishauptleute bereits
vor dem Regierungsantritt Maria Theresias; in Krain wurden erst 1748 drei Kreis-
ämter ins Leben gerufen, und zwar in Laibach für Oberkrain, in Adelsberg für
Innerkrain und in Rudolfswerth für Unterkrain ; Oberösterreich erhielt vier Kreis-
hauptleute. Sie wurden dem Herren- und Ritterstande entnommen und mussten
in den zwei ersten Jahrzehnten in dem Kreise begütert sein. (Instruction vom
26. Juli 1748; Verordnung vom 6. Oct. 1753 in der Sammlung österr. Gesetze
V. 806). Die Kreisämter waren eine landesfürstliche Behörde, dem ständischen
Einflüsse entzogen, von ihnen sollte > überhaupt Alles was zur Beibehaltung guter
Polizey erforderlich fürgekehrt, nicht minder auch jenes, was sonst in das Pub-
licum zuschlägt, durch selbe besorgt werden«. Die städtischen Behörden und
zum Theil auch die herrschaftlichen Aemter waren ihnen untergeordnet. Ueber
die Kreisümter vergl. den schönen aber allzu idealisirenden Aufsatz von Kern :
Geschichtliche Vorträge und Aufsätze. Tübingen 1875 S. 176 fg.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 289
daher der Geheimrathscharakter wie dem Obergespan in Ungarn
beigelegt und bei erledigten höheren Stellen auf die Tüchtigen Rück-
sicht genommen werden.
Die Commercial-Kreisinspectoren hatten sich jedoch nicht überall
der Unterstützung der Kreishauptleute zu erfreuen. Die Verordnungen
wurden entweder gar nicht oder erst nach Verlauf von mehreren
Monaten publicirt. Zum Theil lag allerdings auch der Fehler an den
Stadträthen und obrigkeitlichen Administratoren, und die Unterthanen
wurden öfters zu Strafen verurtheilt, ohne das Gesetz gekannt zu
haben, zum Theil geriethen aber auch die Verordnungen in Vergessen-
heit und wurden nicht ausgeführt, oder die Kreishauptleute und Landes-
ältesten kümmerten sich um den Vollzug nicht und begnügten sich ledig-
lich damit, die ihnen übermittelten Decrete abschriftlich im Kreise ver-
theileu zu lassen. Auch kam es nicht selten vor, dass man den
Inhalt der Patente und Decrete nicht erfasste. Wenn sich die Kreis-
inspectoren beschwerten, so zogen sie sich den Hass und die Feindschaft
der Kreishauptleute zu und diese wiesen die Bittschreiben der Kreis-
inspectoren um Assistenz ab. Die Kreishauptleute sahen auf die In-
spectoren, wie berichtet wird, mit Verachtung herab, betrachteten die
Einrichtung als „ein Unding und unbeständiges Wesen'1, zogen dieselben
zu den Verhandlungen nicht hinzu. Der Iglauer , Hradischer und
Olmützer Kreisin spector beschwerten sich, dass das Commerciale nie
aufkommen könne, weil einzelne Kreishauptleute sich darüber äusserten,
diese Einrichtung könne nicht lange dauern, das Teufelswerk werde
bald abgethan sein i). Derartige Aeusserungen machten bei dem Pub-
likum Eindruck und veranlassten Aufstände und Widersetzlichkeiten
gegen die Kreisinspectoren.
IV.
In allen Zweigen der Verwaltung tritt das Streben zu Tage, Ord-
nung zu schaffen und die bureaukratischen Formen strenger und
straffer herauszubilden. Nicht selten wurden der Kaiserin Vorträge
erstattet ohne irgend eine Zeitangabe. Sie findet, dass daraus Irrungen
entstehen können, da man nicht wissen könne, welche Entschliessungen
die früheren oder späteren seien ; kein Vortrag sollte daher früher als
') Unter den Kreishauptleuten, welche in dieser Beziehung sich am ener-
gischesten gegen die Inspectoren aussprachen, werden der Iglauer Kreishanptmann
Baron Werner und dtr Prerauer v. Beer besonders genannt. Der Iglauer Kreishaupt-
mann wird als der gefährlichste Verhetzer gegen das Commerzwesen geschildert,
Mittheilungen XV. 19
290 Bee r.
an dein Tage der Abgabe an das kaiserliche Cabinet datirt werden 1).
Wie sehr der Gegenstand die Monarchin beschäftigte, geht daraus her-
vor, dass sie bereits einige Tage später anordnete, es sei auch ersicht-
lich zu macheu, waun die in einem Vortrage behandelteu Gegenstände
im Rathe vorgekommen seien, auch habe der Präsident zu bemerken,
an welchem Tage er die kaiserl. Entschliessung, welche nicht, wie es
gegenwärtig der Fall ist, datirt war, empfangen 2). Auf den Vorträgen
und den der Kaiserin überreichten Protokollen sollten die anwesenden
Räthe und anderen Theilnehmer der Sitzungen augegeben werden 3).
Die Referenten hatten ihren Namen beizusetzen4). Seit 1765 wurdeu
alle Normalresolutionen der Kaiserin in ein Buch in chronologischer
Ordnuug eingetragen uud der Beschluss gefasst, eine Sammlung der
allerhöchsten Entschliessungen in den Jahren 1748 — 1764 zu ver-
öffentlichen 5). Die Finanzstellen hatten alljährlich über ihre Thätig-
keit einen Bericht zu erstatten. Um aber über die einzelnen Länder
einen Einblick zu gewinnen, wurde seit 1769 auch noch vorgeschrieben,
dass von jeder Bancogefällsadministration, von den Hauptbergwerks-,
Münz- und Salzämtern eine „historische Nachricht" über das abge-
laufene Jahr verfasst und in den ersten acht Tagen des Monats Januar
vorgelegt werden soll 6). Dieselbe sollte alles enthalten „was Er-
spriessliches durch den Verlauf des Jahres eingeleitet worden". Schrift-
stücke aus der Registratur an Hofräthe und Secretäre auszugeben,
sollte nur gegen Empfangsschein gestattet sein7), eine Weisung, die
später oft wiederholt wurde, aber den beabsichtigten Erfolg nicht hatte.
Denn die Entlehner bescheinigten wohl, die betreffenden Acten erhalten
zu haben, stellten sie aber oft nie zurück und manchmal gelangten
die Registraturen Jahrzehnte nach dem Tode des Empfängers durch
Zufall in den Besitz der Schriften. Ungemein werthvolle Actenstücke
sind rettungslos verschwunden und nur die Empfangsscheine der Ent
J) An den Grafen Herberstein, 27. März 1762.
2) An den Grafen Herberstein, 11. April 1762.
s) Kaiserl. Entschliessung auf den Vortrag vom 21. Februar 1769.
4) An den Grafen Herberstein, 6. Dezember 1762, an Hatzfeld vom selben
Tage. Ich habe wahrgenommen, dass die Referenten denen Vortragen, welche sie
zu verfassen haben, ihre Namen beyzusetzen öfters unterlassen. Ich verordne
dahero, dass von denen die Referaten zu verfassen habenden Räthen jedesmalen
a tergo, wie sonsten gewöhnlich wäre, der Name beygesetzet werde.
Maria Theresia.
5) Beschluss der Finanzstellen vom 14. Sept. 1765.
6) Handschreiben an den Grafen Hatzfeld, 31. October 1769.
7) 17. Februar 1769.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1740 — 1816. 291
lehner machen den Forscher auf die vorhandene Lücke aufmerksam.
Auch das Kanzleipersonale nahm dienstliche Arbeiten nach Hause,
was mancherlei Missbräuche zur Folge hatte, zu wiederholten Malen
zwar abgestellt wurde, jedoch, wie es scheint, nicht mit besonderem
Erfolge. Die Verfertigung von Abschriften zum eigenen Gebrauch von
Seiten der E-äthe wurde gerügt, und, wenn nicht die Erlaubnis des
Präsidenten eingeholt worden war, mit Dienstentlassung bedroht 1). Die
Annahme von Geschenken wurde den Beamten verboten. Wieder-
holt erflossen Weisungen, diesen Misbrauch zu beseitigen 2). Gegen
Malversationen sollte unnachsichtlich vorgegangen werden 3). Der
Verkehr mit den auswärtigen Ministern, d. h. mit den Gesandten der
Höfe wurde der Staatskanzlei übertragen, und seit Kaunitz die Ge-
schäfte übernommen hatte, den Verwaltungsbehörden wiederholt ein-
geschärft, dass keine der Stellen sich unmittelbar mit den auswär-
tigen Ministern einlasse 4). Die Betheiligung an Handels- und
Industrieunternehmungen war untersagt. Als die Kaiserin Kennt-
nis erlangte, dass der Landeshauptmann in Krain Graf Auersperg und
Graf Brigido in Triest Actien der Temesvarer Compagnie besitzen,
forderte sie , dieselben anzuweisen , sich derselben zu entledigen 5).
Beamte, die Schulden hatten, sollten mit Arrest bestraft werden, und
wenn sie binnen 14 Tagen die Mittel zur Bezahlung derselben sich
nicht verschaffen, aus dem Dienste entlassen werden G).
Das Vorrecht des Adels für die höheren Bedienstungen erhielt
sich während der Regierung Maria Theresias. Graf L. Zinzendorf
sprach sich über die Eignung derselben wegwerfend aus. Eine Klasse
der Räthe, heisst es in einem Votum, bestehe aus Cavalieren, die ge-
') Handschreiben an die Hofkaramer vom 11. November 1774.
2) Handschreiben an Bartenstein, 1. Mai 1766, an die Hofkammer 11. No-
vember 1774.
3j Handschreiben vom 11. Februar 1774. Eine kaiserl. Entschliessung auf
den Vortrag vom 25. Juli 1768 an den Grafen Zinzendorf lautet: es sei nöthig,
dass über die in diesem Vortrage entdeckte unordentliche Gebahrung beim Cassen-
wesen ungesäumt zwischen Rechenkammer und Bancodeputation eine Zusammen-
tretung stattfinde, bei welcher von Seite der Rechenkammer jene Vorsichten an
die Hand gegeben werden sollen, die derselben zur Bestellung und steten Bei-
behaltung einer guten Ordnung in dem Cassawesen nöthig erscheinen. Wo Ueber-
einstimniung zwischen den Stellen vorhanden sei, haben die betreffenden Normen
augenblicklich ins Leben zu treten, wo jedoch differirende Meinungen vorliegen,
zur Entscheidung binnen 10 Tagen zu bringen.
4) Handschreiben, 28. August 1762.
6) Vortrag, 4. Juli 1767.
8) Weisung vom 11. December 1764.
19"
292 Beer.
meiniglich nicht von hier sich entfernen und weder von der Theorie
noch von der Praxis Kenntnis haben. Auch Josef äusserte sich wieder-
holt in ähnlicher Weise. Für die Neuorganisation der Behörden wurde
der Nachweis juridischer und später cameralistischer Studien gefordert.
Nach Errichtung des Lehrstuhls für die Cameral- und Polizeisachen
an der Wiener Universität (1763) bestimmte das Rescript vom 31. Oct.
1763, dass jene, welche die Vorlesungen mit gutem Fortgange besucht
haben, vor andern Bewerbern zu landesfürstlichen Diensten zugelassen
werden sollen. Kenntnis der Polizei Wissenschaft wurde durch Hof-
decret vom 11. Juni 1766 zu kreisamtlichen Stellen, später zu allen
politischen, landesfürstlichen, ständischen und städtischen Diensten ge-
fordert 1). Bei Besetzung der Concipisteu stellen, lautet eine im No-
vember erlassene Weisung an die Länderstellen, seien nur jene in An-
trag zu bringen, die nebst dem juridischen Studium zugleich auch in
den Polizei- und Cameral wissen schaffen hinlängliche Kenntnis er-
worben haben.
Bezüglich der Personalien drang Maria Theresia darauf, dass die
ihr erstatteten Vorschläge ein klares Bild über die betreffenden Per-
sönlichkeiten liefern sollen. Ausdrücklich forderte sie, dass nicht blos
Religion und Geburtsort, sondern auch die etwa geleisteten Dienste
in Tabellen ersichtlich gemacht werden, wol der Anfang der späteren
Conduitenlisten, welche über die Beamten geführt wurden '-). Sie ver-
langt, dass ihr die Finanzstelle eine derartig ausgefüllte Tabelle über
das bereits dienende Personal übergebe, was auch geschah. „Ich habe
beschlossen", lautet eine Entschliessung vom 2. Oct. 1767, „dass von
nun an, bei Ersetzung deren bey meinen Hofstellen in Erledigung
kommenden Bedienungen nicht allein die Religion und der Geburts-
orth, deren vorgeschlagen werdenden Persohnen, sondern auch, wo
selbe lezters gedienet haben, angezeiget werden solle. Er hat sich also
die Erfüllung dieser Meiner Gesinnung sowol bey sich ereignenden
Fällen gewärtig zu halten, als auch die Ausfüllung der anliegenden
Tabelle respectu des dermahl unter ihm dienenden Personalis zu be-
wirken, und Mir dann Ehestens vorzulegen". Auf den Vortrag vom
4. November 1767 schrieb sie eigenhändig: „So offt ein neuer aufge-
nohmen wird es beyzusezen und wo er ehender gedienet'1. Eine spätere
Weisung verfügte, Niemanden anzustellen, der nicht der katholischen
Religion zugethan war, nichtkatholische Beamte mit oder ohne Ge-
halt zu entlassen. Der Präsident der Hofkammer für Münz- und
*) Hofdekrete vorn 3. November und 7. December 1770,
2) Kaiserl. Entschliesbung vom 2. October 1767.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 293
Bergwesen wies in einem Vortrage darauf hin, dass mehrere der be-
reits angestellten Beamten der reformirten oder lutherischen Keligion
angehören und mit Genehmigung der Kaiserin in kaiserl. Dienste ge-
treten seien; künftig werde er trachten, dem Wunsche der Kaiserin
nachzukommen l). Die Besoldung der Beamten war reichlich bemessen,
mit Gewährung von Personalzulagen an verdiente Personen kargte die
Kaiserin nicht, in derartigen Fällen fügte sie nicht selten eigenhändig
eine schmeichelhafte Bemerkung bei. Bis 1772 wurde für jede Er-
höhung der Gehälter eine kaiserl. Entschliessung gefordert, seitdem er-
hielt der Hofkammerpräsident die Befugnis alle Erhöhungen die 150 fl.
nicht übersteigen zu bewilligen und nur alle drei Monate ein Ver-
zeichnis vorzulegen und die Gründe anzugeben 2). In den letzten Jahr-
zehnt ihrer Eegierung drang sie darauf die Beamtenzahl nicht zu ver-
mehren; wegen der „so hoch gestiegenen ßeköstung der Salarialsta-
tuum" sollte auf Zulagen und Vermehrung der Beamten „nicht leicht-
lieh" angerathen, bei ausserordentlichen und besondern Umständen
halbjährig besondere Vorträge erstattet werden 3). Von Jahr zu Jahr
sollte ein Ausweis vorgelegt werden, „um was für ein Quantum die
allseitigen Besoldungen gegen den Statum des vorhergegangenen Jahres
vermehret worden 4)". Den in öffentlichen Aemtern und im k. k.
Dienste stehenden Räthen und Beamten wurde verboten, an privaten
und öffentlichen Pachtungen, Handlungscompagnien, Geschäften oder
Fabriken theilzunehmen 5). Gegen lässige Beamte wurde unnachsicht-
liche Bestrafung und Entfernung aus dem Amte eingeschärft. Unbe-
begründete Angebereien wurden nicht selten gerügt, bisweilen auch
bestraft. So z. B. verfügte die Kaiserin in einem Handschreiben, dass
„Prie wegen seiner gegen die beiden Triestiner Intendanzräthe Lopresti
und Schell vorgebrachten unbegründeten Beschuldigungen zu einer
Geldstrafe von 500 fl. in Gold condemniret sei."
Ausdrücklich wird von der Kaiserin gefordert, den Kanzlisten den
') Der Vortrag unterzeichnet L. Kolowrat und Franz Graf Kolowrat. Die
Kaiserin schrieb auf diesen Vortrag eigenhändig: bin in allem verstanden das
vor jetzo nichts zu ändern doch beständig das haupt augenmerk zu richten, keine
andere als katholische in diensten besonders die Decret und jurament ablegen
anzustellen wären. Vortrag 5. Mai reprod. 10. Mai 1780.
2) Akt der Hofkammer vom 20. Feb. 1772.
3) Handschreiben vom 9. Juli 1773, nochmals eingeschärft 12. August 1774
an den Grafen Kolowrat, letzteres mit dem eigenhändigen Zusätze: »solle noch
weniger Schulden zu zahlen oder Vorschuss zu geben einrathen.*
4) Obiges Handschreiben vom 9. Juli 1773.
6) Circular vom 28. März 1776.
294 Beet.
Besuch des Gottesdienstes zu ermöglichen. An Sonntagen und an den
nicht dispensirten Feiertagen sollten sich daher bei den Centralstellen,
sowie bei den Behörden in den Ländern nur ein oder zwei Kanzlisten
abwechseld einfinden, die jedoch „dienstgebührend" dem Gottesdienste
beigewohnt haben müssen; die übrigen sollten von dem Dienste ganz
befreit bleiben. „Die Capi haben darauf die geflissentliche Absicht zu
tragen, damit in derley Tagen die Beamten dem Gottesdienste beizu-
zuwohnen und das heilige Wort Gottes anzuhören nicht verabsäumen".
An den dispensirten Feiertagen hatten sich die Kanzlisten erst um
10 Uhr einzufinden, ,, damit sie keinen Anlass nehmen mögen, hier-
wegen von Besuchung des Gottesdienstes sich zu eutschlagen *)*'.
Die der Kaiserin in den sonntäglichen Audienzen überreichten
Bittgesuche wurden Tags darauf den betreffenden Centralstellen zuge-
sendet. Noch in derselben Woche sollte ein Vortrag oder eine Aus-
kunft erfolgen, mindestens die Ursache etwaiger Verzögerung ange-
geben werden 2). Später bürgerte sich der Unterschied zwischen sig-
nirten und ohne kaiserliche Unterschrift übermittelten Schriftstücken
ein. Auch erbat sich Maria Theresia nicht selten ein Gutachten, in-
dem sie auf einem Zettel ihre Präsidenten aufforderte, eine Angelegen-
heit, die ihr am Herzen lag, zu untersuchen und zu begutachten. Nach
dem Tode ihres Gatten suchte sie sich des Schreibgeschäftes zu ent-
schlagen; sie war älter und bequemer geworden, vergass auch manch-
mal ihren Namen den Bittgesuchen beizusetzen, aber sie forderte, dass
ihre Behörde sich mit der Prüfung des Anliegens beschäftigte, und
ihr Unmuth loderte auf, wenn aus dem Grunde, weil sie ein Gesuch
nicht gezeichnet hatte, die betreffende Behörde einen Vortrag zu er-
statten verweigerte und die Bittsteller damit abfertigte, dass die kaiser-
liche Signatur fehle. Ein Handschreiben an den Grafen Schlick ist
so charakteristisch, dass eine wortgetreue Wiedergabe nicht fehlen soll :
„Unmöglich kann allzeit Zetul schreiben, auch nicht allzeit die Memo-
rials signiren, weil selbe nicht aufhalten will. Wenn aber was Im-
portantes, oder was einen Dritten interessiren kunte, vorkommt, so
sind alle Präsidenten und ßäthe nach ihren Pflichten schuldig ohne
*) Handschreiben an den Grafen Hatzfeld, 16. Dezember 1766.
2) An den Grafen Herberstein, 15. November 1762, an Lichnowski 11. Sep-
tember 1766. Unter Haugwitz wurde monatlich ein Ausweis der Kaiserin vor-
gelegt. Auf einen Vortrag vom 30. Januar 1756 schrieb Maria Theresia eigen-
händig: Placet und solle nur gantz eigenhändig gantz succinct alle Monath ein
protocoll eingeben, von allen memorialien die dis Monath zu ihm gekommen und
was vor Bescheyd darauf gegeben worden und a parte von denen auf welchen
noch keine Antwort gegeben.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749— 1816. 295
ermahnt zu werden, den Vortrag zu machen und nicht denen Parteyen
zu antworten, dass, wan ihre memorials nicht signirt sind, verbotten
ist ein Vortrag: dises wird nirgends wo gefunden werden, und wenn
auch eine solche Resolution wäre, so versteht sich eine solche auf
Betlereyen, Dienstanstellungen, nicht aber wo einem Dritten ein Scha-
den geschehete. Diese Entschuldigungen seynd wider die Befehle
und wider die Pflichten, da allen Parteyen, wie Mir solle gedient
werden" ]).
Ueber die Art und Weise, wie Maria Theresia die Geschäfte er-
ledigte, hat Helfert eine eingehende Darstellung gegeben, die nur in
einigen wenigen Punkten der Ergänzung bedarf. Man muss zwei
Perioden unterscheiden: jene vor Einsetzung des Staatsraths und die
Zeit seit 1762. In der ersteren hatte der jeweilige Vertrauensmann
der Monarchin auf die Abfassung der kaiserlichen Entschliessung
Einfluss, namentlich wenn es sich um eine Entscheidung hochwichtiger
Massregeln handelte; oft wurden auch die Ansichten mehrerer Personen
eingeholt, ehe die Kaiserin eine Entschliessung fällte. Später war es
der Staatsrath, bei dem die Geschäftsstücke zusammenliefen und dessen
Anträge in der Regel genehmigt wurden. Nicht selten forderte die
Kaiserin nochmals ein Gutachten der betreffenden Centralstelle oder
ordnete eine specielle Berathung an. Die kaiserlichen Entschliessungeu
erfolgten entweder auf den Vortrag oder auf das vorgelegte Protokoll
der commissionellen Berathung oder durch Handschreiben an die
Minister. Die der Kaiserin übermittelten Schriftstücke trugen in
einzelnen Fällen die einfache Ueberschrift „Nota" oder „allerunter-
thänigste Nota", wenn die Kaiserin über eine Verhandlung eine noch-
malige Auskunft verlangte, oder „Promemoria" ; bei Protokollen, welche
über mehrere Angelegenheiten handelten, wurde sodann am Schlüsse
die kaiserliche Entschliessung entweder durch die Formel: ich geneh-
mige diese Anträge, zusammengefasst oder sie erfolgte über jeden ein-
zelnen Punkt, wenu z. B. verschiedene Ansichten in den Protokollen
dargelegt wurden und eine Einigung nicht zu Stande gekommen war. In
früheren Jahren, als das Schreiben der Monarchin nicht so beschwer-
lich fiel, schrieb sie am Rande eines jeden Punktes der nicht selten
umfangreichen Protokolle ihre Ansicht, sei es durch einfaches „placet",
„verstanden", „placet in totum" oder auch grössere Entscheidungen,
namentlich dann, wenn sie bereits eine Weisung ertheilt hatte, auf
deren Durchführung sie beharrte, indem sie in mehr oder minder
ausführlicher Weise die Gründe, welche sie dazu bestimmten, hinzu-
') Handschreiben an den Grafen Schlick, 25. Juni 1766.
296 Bee r.
fügte. Mit welcher Aufmerksamkeit sie die ihr vom Staatsrathe vor-
gelegten Eesolutionen las und erwog, geht aus den beigefügten hand-
schriftlichen Zusätzen hervor. Bis zum Jahre 1768 wurden die Ver-
träge unmittelbar an die Kaiserin gerichtet und trugen dem ent-
sprechende Ueberschriften. Durch Handschreiben an den Grafen
Hatzfeld vom 14. Dezember 1768 verfügte die Kaiserin, dass künftig
die „Kesolutiones über die erstatteten Vorträge auch von dem Kaiser
ergehen werden, so sollen die Vorträge generaliter gestellt und im
Kopfe blos die Worte „Eure Majestät'' vorangesetzt und also im Con-
textu fortgefahren werden". Die kaiserl. Entschliessungen und Ver-
fügungen wurden bis 1762 allen Stellen, welche durch dieselben be-
rührt wurden, durch Handschreiben mitgetheilt, jene Centralbehörde,
ausgenommen, welche den Antrag gestellt und den Vortrag oder das
Protokoll sammt der darauf erfolgten Entscheidung zurückerhielt.
Später wurde die Anordnung getroffen, dass die Kaiserin nur der-
jenigen Stelle ihre Willensmeinung zu erkennen geben wird, die den
Vortrag erstattet habe und die sodann verpflichtet sei, das Schrift-
stück, Vortrag sammt Entschliessung, allen übrigen Hofstellen, welche
der Gegenstand betreffen konnte, mitzuth eilen 1).
Einige Entschliessungen der Kaiserin in Person alangelegenheiten
sind charakterisctisch und verdienen mitgetheilt zu werden. In einem
Vortrage vom 20. October 1765 beantragte Graf von Hatzfeld, dem
Freiherrn v. Neffzern das Keferat „in contributionali"' zu belassen und
Grünwalder zum Hofrath zu ernennen. Die Kaiserin schrieb eigen-
händig: „placet wan es zur mehreren ruh dieses gutten diener ge-
reichen thut". Graf Hatzfeld beklagte sich in einem Vortrage vom
2. Dezember 1766 über einen Beamten Namens Meyer, der die Wei-
sungen überschritten hätte, und ersuchte die Kaiserin, ihn in seine
Schranken zu verweisen, Maria Theresia schrieb eigenhändig auf den
Vortrag: „ich bin daran schuld weillen mich gegen meyer nicht ex-
plicirt und selbst confundirt was schone ehender befohlen und erst
letzthin resolvirt worden ein so verdienter mann als meyer müsste
billig schmertzen eine solche anthuung die nicht ihme zu machen er-
laube zu empfangen". Als der verdienstvolle bei der Intendenza in
Triest angestellte Kath Eaab nach Wien mit einem Gehalt von 5000 fl.
und die Zusicherung eines Hofquartiers versetzt werden sollte, erhob
derselbe Vorstellungen, dass er in Triest mit 3000 fl. bei 7 Kindern
leichter leben könne, als mit 5000 fl. in Wien, und er erbat sich da-
her einen Gehalt von 5500 fl. und Uebersiedlungskosten. Die Kaiserin
{) Handschreiben an den Grafen Herberstein, 31. Juli 1762.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 297
schrieb auf den Vortrag vom 19. Dezember 1769 eigenhändig: „wir
schneiden tieff in das Tuch, nehmen die besten leut in ländern weeg
machen sie dardurch unglücklich und den unsrigen beutel lehr so wohl
raab als krössl wären besser und lieber in ihren platzen wegen modesti
aber accordire keines weeg 3000 fl. nur 2000 fl. ist dis grad genug
vor ein avocat die niemahls gern in stellen sehe approbire wan es
sein muss die 5000 fl. und wenn ein quartier wird vacant sein auch
die 400 fl." Durch Note vom 21. Mai 1769 wurde der Antrag ge-
stellt Lopresti von seinen Dienstleistungen zu entheben und ihm den
Hofrathscharakter zu verleihen. Die Kaiserin schrieb auf das am
23. Mai herabgelangte Schriftstück eigenhändig: der jetzige Charakter
ist vor ihm Gnad genug, also pure zu entlassen. Auf ein Protokoll
vom 1. Juni 1773, worin über die Pension der Familie des schwer
erkrankten Lauben angefragt wurde, schrieb Maria Theresia: „wann
Gott mit ihm disponirte ihr und ihrer Tochter zusam 600 fl., jeder
300 ist eine grosse Gnad die wenig andere versichert seyn'\
Seit Herstellung des Friedens war die Regierung bestrebt Ord-
nung in den verworrenen Staatshaushalt zu bringen. Das Staats-
erfordernis sollte alljährlich von den Finanzpräsidenten mit Zuziehung
der Aemter geprüft und nach erfolgter kaiserlicher Genehmigung der
Caisse general zur Richtschnur und Bedeckung mitgetheilt werden.
Keine Ausgabe dürfe gemacht werden, die nicht genehmigt worden
sei l). Die grössten Verdienste , die Voranschläge übersichtlich zu
machen und dadurch einen klareren Einblick in die dem Staate zur
Verfügung stehenden Beträge zu gewähren, erwarb sich Graf L. Zinzen-
dorf, dessen Thätigkeit geradezu Staunen erregt. Im März 1762 er-
folgte eine kaiserliche Weisung ein „Staatsinventarium" anzufertigen,
da sonst weder in dem Credit, noch in dem übrigen Finanz- und Ad-
ministrationswesens etwas Grosses und Vollkommenes zu Stande ge-
bracht noch eine richtige Bilance zwischen den Einnahmen und Aus-
gaben gezogen werden könnte. Kaunitz bestärkte die Monarchin in
dieser Ansicht; die Einnahmen und Ausgaben befinden sich in grosser
Dunkelheit, lautet ein Votum vom 18. Juli 1762, bis zur Stunde wisse
Niemand worin diese bestehen2).
') Weisungen an Hatzfeld und L. Zinzendorf, später an Kolowrat.
-) In einem Handschreiben vom 4. Aug. 1766 fordert sie unter anderem die
298 Bee r.
In den nächsten Jahren richtete die Kaiserin zu wiederholten
Malen Anfragen an die Finanzbehörde, wie es mit dem Staats-Inven-
tarium stehe, und sie begrüsste es mit Freude, als ihr der erste um-
fassendere Staatsvoranschlag vorgelegt wurde. Auch wurde grössere
Ordnung dadurch in die Finanzverwaltung gebracht, dass auch die
Militärverwaltung in strengerer Weise als bisher an ihren „Bedürf-
nisaufsatz" gebunden wurde. Die Voranschläge des Kriegscommissari-
ats wurden von dem Präsidenten der Hofrechenkammer geprüft. Die
Grundsätze, wornach bei Abfassung des Staatsvoranschlages vorge-
gangen werden sollte, wurden durch kaiserl. Entschliessungen bestimmt.
Bei den Staatseinnahmen sollte eher „eine geringere als eine allzu
hohe, doch minder verlässliche Summe" angesetzt werden. Die Frage,
ob der Amortisationsfond als ordentliche oder als ausserordentliche
Ausgabe anzusehen sei, wurde dahin entschieden, dass der ganze Be-
trag im Ordinariuni zu erscheinen habe, die ausserordentlichen Aus-
gaben jedoch nicht zum „Current-Erfordernis" gehören und durch An-
lehen bestritten werden können. Aus der Staatsbilanz sollte eine ge-
naue Uebersicht gewonnen werden können, ob das Erfordernis durch
die anzuhoffenden Einnahmen bedeckt sei. Längstens in den ersten drei
Monaten eines jeden Jahres sollte die Staatsbilanz fertig sein, spä-
testens Anfangs Februar vorgelegt werden 1).
Die Finanzstellen hatten, wie bereits erwähnt, alljährlich einen
Ausweis ., ihrer Gestion vorzulegen".
Finanzpräsidenten auf »den Stand, wie die sämnitlicken Einkünfte des Staats
sich gegen die allseitigen Bedürfnisse verhalten, ins Klare zu setzen«, und die
Ausarbeitung ihr zu überreichen.
2) Kaiserliche Erschliessung auf einen Vortrag, womit das Staatsinven-
tarium für 1769 vorgelegt wurde:
Die Hauptabsicht, wegen welcher Ich die alljährliche Vorlegung der sog.
Staatsbilanz angeordnet habe, besteht darin, damit Ich gleich bey dem Anfang
des Jahres die verlässlichste Kenntniss erhalte, inwieweit die Erforderniss durch
die sicher anzuhoffende Einnahme bedecket sei, auf dass in dem Falle, da sich
ein Deficient äusserte, noch zu rechter Zeit auf die Mittel fürgedacht werden
möge, wie entweder die Ausgabe für das eintreffende Jahr in einigen Rubriken
vermindert oder die Einnahmen um soviel es nöthig vermehrt werden könne.
Zu Erreichung dieses heilsamen Endzweckes hat demnach die Rechenkammer
gedachte Staatsbilanz längstens in den ersten drei Monaten eines jeden Jahres
zu Stande zu bringen und Mir solche folglich auf das späteste mit Anfang des
Monates Februarii vorzulegen, wobei jedoch künftighin der speculative Theil,
dessen dermalige mühsame und auf den wahren Nutzen der Finanzen abzielende
Ausarbeitung zu meinem ausnehmenden Vergnügen gereicht, dem Staats-Inven-
tario nicht einzuverleiben, sondern zu Verfassung dessen sich mehrere Zeit zu
Die Finanzverwaltung Österreichs 1749 — 1816. 299
Die Kaiserin und Josef legten auf die „Historischen Nachrichten",
welche die Bergwerks-, Münz- und Salzämter alljährlich zu erstatten
hatten, grossen Werth und forderten wiederholt grössere Ausführlich-
keit. Damit die "Aemter um so sicherer den Anforderungen entsprechen,
hatten die Finanzstellen ein Formulare zur Darnachachtung zu ent-
werfen. Welche Wichtigkeit derartigen Arbeiten beigelegt wurde, geht
auch daraus hervor, dass dieselben auch dem Grossherzog von Toscaua
Leopold übermittelt wurden, damit er eine vollkommene Einsicht in
den Zustand des gesammten Finanzwesens gewinne.
Mit grosser Aufmerksamkeit studierte die Kaiserin die ihr vorge-
legten Rechnungsabschlüsse, welche in der That alljährlich eine grössere
Vollkommenheit erhielten. „ Zu Meinem grössten Wohlgefallen gereichet
es", schrieb sie auf einen Vortrag vom 16. Dezember 1777, ,, womit ihr
der Rechnungsabschluss für das vorige Jahr vorgelegt wurde, wenn
man mit diesem Ausweis des Staatsvermögens durch die geflossene
Bearbeitung der Finanzstellen von Jahr zu Jahr zu einer mehreren
Vollkommenheit gelanget. Ich versehe Mich auch gnädigst, dass künftig
annoch die Stücke, die gegenwärtig ermangeln, benanntlich der Ab-
schluss über die galizische Einkünfte und Ausgaben, der Ausweis der
Bruttoerträgnisse aller Cameralgefälle, die unter der Cameralregie stehen,
der Abschluss des Montanistici, der Ausweis über das Betten- und
Militärverpflegswesen, das ökonomische Monturwesen, das Fortificatorium,
das Zeugswesen, der Abschluss der Ständecassen von Breisgau, Ungarn
und Siebenbürgen, der Abschluss über die Wegeassen und endlich jener
über das Jesuitenvermögen versprochener Massen bey den Haupt-
abschlüssen zugleich erscheinen mögen*'.
Es dauerte Jahre ehe die Rechnungsabschlüsse annähernd dem
Voranschlage entsprachen. Die Erklärung liegt wohl zumeist darin,
dass die Einnahmen der wichtigsten Steuern geringe Steigerung auf-
wiesen, um den oft unvorgesehenen Aufwand bedecken zu können.
Denn jährlich traten Anforderungen an die Finanzstelle heran, wofür
Vorsorge zu treffen durch die laufenden ordentlichen Einnahmen schwer
ja unmöglich war. Die Königskrönung Josefs, die zweite Vermählung
desselben, die Verheirathung der Prinzessinnen heischten grosse Be-
träge, die schliesslich nur durch Credit beschafft werden konnten.
Auch die allzu grosse Freigebigkeit Maria Theresias brachten Verlegen-
heiten; nicht selten drang sie auf minutiöse Sparsamkeit, wäh-
lassen und wenn er auch erst einige Monate nach Einreichung des Staats-Inven-
tarii zu Stand gebracht werden könnte, solcher alsdann unter blosser Beziehung
auf gedachtes Staats-Inventariura Mir in separato einzureichen und sogleich auch
der administrirenden Stelle mitzutheilen seyn wird.
300 Beer.
rend sie grosse Summen für Pensionen einzelner Personen anwies.
Mit vollen Händen spendete sie, wenn die Noth in einzelnen Ländern
dringend Lindernng heischte, und ihr Unmuth loderte auf, wenn ihren
Weisungen nicht allsogleich Folge gegeben wurden. Der Finanzminister
hatte nicht selten seine liebe Noth mit seiner Herrin.
VI.
Bereits als Mitgregent hatte Josef einer Centralisation der Behör-
den das Wort geredet und nach dem Tode seiner Mutter nahm er
diesen Plan wieder auf. Seine Absicht war ursprünglich nicht blos
auf eine Vereinigung der politischen und finanziellen Geschäfte ge-
richtet, sondern auch die Justizgeschäfte sollten der Hof kanzlei über-
geben werden und die Appellationsgerichte von den Landesstellen in
den verschiedenen Ländern besorgt werden. Dem Staatsrathe gelang
es, die Unabhängigkeit der Justiz zu vertheidigen *), und Josef be-
gnügte sich, die gesammte politische Verwaltung, Handel und Finanzen
einer Centralstelle zu überweisen, welche den Titel „Vereinigte böh-
misch-österreichische Hofkanzlei, Hofkammer und Ministerial-Banco-
deputation" führte. Für die Verwaltung des Zollgefälles wurde für die
deutschen und ungarischen Länder die Zollregie geschaffen, seit 1786
Bancalgefällendirection genannt, nachdem ihr die Verwaltung der
meisten indirecten Steuern zugewiesen wurde. Die Cameralgegen-
stände, sowie das Münz- und Bergwesen in Ungarn, Siebenbürgen
und dem Banat wurden der ungarischen Hof kanzlei übertragen (24. Mai
1782), die siebenbürgische Hof kanzlei mit der ungaris chen als ungarisch-
siebenbürgische Hof kanzlei vereinigt 2).
Ein leidenschaftlicher Gegner der Vielschreiberei hatte er bereits
in einer seiner Mutter überreichten Denkschrift Vorschläge zur Ver-
einfachung des Geschäftsganges gemacht. Graf Kudolf Chotek, dem
Maria Theresia die Arbeit Josefs, ohne den Verfasser zu nennen, über-
mittelt hatte, sprach sich über dieselbe nicht gerade günstig aus.
Einige Monate nach seinem Regierungsantritte kam er jedoch auf
seinen vor Jahren ausgesprochenen Gedanken zurück. Mit der Aus-
arbeitung über die Abkürzung der Geschäftsaufsätze wurde Sonnen-
fels durch ein Handschreiben des Kaisers vom 1. März 1781 betraut.
Eine umfangreiche Arbeit desselben bildete bereits am 7. Mai 1781
') Hock a. a. 0. S. 112.
2) 11. August 1782; Justizgesetzsammlung No. 50 und 67.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 301
den Gegenstand der Berathung unter dem Vorsitz des obersten Kanzler's
Grafen v. Blümegen. Die hierauf bezügliche Verordnung wurde am
2. Januar 1782 erlassen *).
Die schon von Maria Theresia erlassenen Normen über die Con-
duitelisten wurden von Josef erneuert und verschärft. In einem Hand-
schreiben vom 28. December 1780 machte er die Behörden darauf
aufmerksam, dass die schon vormals üblich gewesene Einrichtung der
Eingabe jährlicher Conduitenlisten für den Dienst von wesentlichem
Nutzen sein könne. „ Die Vorgesetzten werden auf diese Weise stufen-
weise die genauere Kenntnis von dem unterstehenden Personale er-
halten, wenn nach dem Befund der schuldigen Wahrheit für das Beste
des Staates dergleichen Nachrichten von den unteren Aemtern an die
Behörden in den Ländern und von diesen wieder an die Hofstellen,
sodann dieselben auf Verlangen zu meinen Händen selbst gelangen
werden". Er übermittelte gleichzeitig Formulare der beim Hofkriegs-
rathe für die Civil- und Kanzleiparteien eingeführten Conduitelisten,
mit der Aufforderung, dieselben zu adaptiren und ein entsprechendes
Formulare zu entwerfen. Zahlreiche Weisungen an die Behörden
zeigen, dass sich der Kaiser auch in den nächsten Jahren fortwährend
damit beschäftigte. Bei den Gerichten wurden am 5. Januar 1781
Conduitetabellen angeordnet, eiuige Wochen später auch den Beamten
der Verwaltungsbehörden eingeschärft. Strengere Normen wurden in
den nächsten Jahren erlassen. Keine persönliche Rücksicht sei zu
nehmen; die Aussteller seien dafür verantwortlich zumachen; alljähr-
lich bis Ende October sollen die Conduitelisten aus den Ländern bei
der vereinigten Hof kanzlei einlangen ; dieselben seien geheim und unter
eigener Sperre des Präsidenten aufzubewahren. Zur Verminderung
von Schreibereien wurden gedruckte Formulare mit 15 Rubriken über-
geben 2). Am 8. März 1787 erfolgte eine Weisung, es sei auch in
den Conduitenlisten eine gewissenhafte Beschreibung der Leibes- und
Geistesuntauglichkeit zur normalmässigen Behandlung oder wegen Un-
fleisses, Unverträglichkeit, übler Aufführung etwa zur Entlassung ge-
eigneter Individuen anzuzeigen, jedoch dürfe mit der Entlassung solcher
') Gegenwärtig waren bei der Berathung der Hof kanzler Heinrich v. Auers-
perg, der Vicekanzler Graf Josef v. Auersperg, der General der Cavallerie Graf
v. Carameli, von Seite der Hof kanzlei Hofrath Frh. v. Stupan, von Seite des Hof-
kriegsrathes von Türkheim, ferner ein Mitglied der Obersten Justizstelle und der
Hofkammer; Sonnenfels fungirte als Referent.
2) An sämmtliche Länderstellen, 17. November 1785. Die Angabe bei Hock
Staatsrath S. 131, dass die Berichte erst am 4. Febr. 1786 als strengstes Präsi-
dialgeheimnis erklärt worden seien, ist unrichtig.
302 B e e r-
Beamten, die über eine, höchstens zweimalige Ermahnung, sieh nicht
bessern, nicht etwa bis zu Ende des Jahres, d. h. bis zur Wiederein-
sendung der Conduitenlisten zugewartet werden, sondern es sei allso-
tjleich zu deren Entlassung zu schreiten und der Hofstelle Bericht
darüber zu erstatten.
Leopold kehrte zu den Einrichtungen seiner Mutter zurück. Die
auf den Handel, sowie auf die Finanzen bezüglichen Angelegenheiten,
die Contributionen ausgenommen, wurden von der politischen Hof-
stelle losgelöst und die Hofkammer, mit der Bancodeputation ver-
einigt, wiederhergestellt, zum Präsidenten Graf Johann Chotek mit
Rücksicht auf seine „geprüften Kenntnisse" ernannt1). Das Münz- und
Bergwesen wurde einer selbständigen Behörde übergeben und Graf
Kolowrat zum Präsidenten derselben ernannt, das ungarische Münz-
und Bergwesen wie unter Maria Theresia der allgemeinen Hofkammer
zugewiesen -), ebenso auch die siebenbürgischen Cameralia und Mon-
tauistica 3) ; Nur die ungarischen Commercialia verblieben der un-
garischen Hofkanzlei. Ueber jene Gegenstände jedoch, die mit den
deutschen Erblanden in einer innigen Verbindung stehen, sollte jeder-
zeit mit der allgemeinen Hofkammer Einvernehmen gepflogen wer-
den i). Die von dem Kaiser geforderte Trennung der Cameralagenden
von den politischen in Ungarn und Siebenbürgen stiess jedoch auf
Schwierigkeiten und Leopold sah sich genöthigt, einen bestimmten
Zeitpunkt für die Durchführung festzusetzen 5). Der Hofkammer wurde
auch die oberste Leitung aller Staatskassen dergestalt unterstellt, dass
der Präsident bei allen Verwendungen und Anschaffungen niemals
einseitig, sondern immer mit Vorwissen der Stelle oder in Fällen, wo
strenges Geheimnis erfordert wird oder Gefahr im Verzuge haftet,
wenigstens nicht ohne Mitwissen des Vicepräsidenten und des Re-
ferenten vorzugehen hätte, mithin hätten ihrer drei für jede Hand-
') Der Antrag der Hofkammer, dieselbe oberste Finanz- und Commerzstelle
zu nennen, lebnte der Kaiser in seiner Entschliessung auf den Vortrag vom
20. Februar 1791 ab: , die von ibm vorgeschlagene Denomination gründe sich zu-
gleich auf die Gesetze des römischen Reiches1. Die Ernennung Kolowrat's erfolgte
am 30. Januar 1791 ; die Ernennung Chotek's war schon am 25. Januar erfolgt.
2) Handschreiben an Pälfl'y, 22. April 1791.
3) Zwei Handschreiben aus Florenz, 23. April 1791 an Chotel und Teleky
zugleich mit der Weisung, dass »die Trennung des Cameraiis im Lande von dem
Gubernium sowie die Organisation des Thesauriats so bald möglich erfolge*.
4) Entschliessung auf die Note der Hofkammer vom 31. März 1791.
s) Handschreiben Prag 30. September 1791 an Chotek und nochmalige
Weisung vom 14. October 1791, worin der 1. Nov. 1791 als Zeitpunkt festge-
stellt wurde. Weitere Vorstellungen werde er nicht annehmen, fügte er hinzu.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 303
lung zu haften. Die Finanzstelle sollte von den Chefs der übrigen
Hofstellen, wenn es sich um Schaffung eines neuen Amtes, um Ge-
währung einer Besoldung oder Pension handelt, unterrichtet werden.
Der Antrag des Hofkammerpräsidenten, dass die Chefs der übrigen
Hofstellen ohne Beistimmung der Finanzstelle keine Anträge an den
Kaiser zu stellen hätten, wurde von ihm abgelehnt, da, wie er sich
ausdrückte, ihre Activität mit Anstand nicht so weit eingeschränkt
werden könne. Das Contributionale , dessen Perception, Aenderung
oder Modificirung gehörte in den Wirkungskreis der Kanzlei, jedoch
mit der Finanzstelle sollte ein Einvernehmen erfolgen x).
Die unter Maria Theresia erlassenen Verfügungen über die Formen
der Geschäftsbehandlung lebten wieder auf. Bereits am 2. März 1791
hatte der Kaiser in einem Handschreiben die Weisungen gegeben, dass
bei jenen Geschäften, die sowohl auf die politische als auf die Finanz-
stelle einen wechselseitigen Einfluss nehmen, ,,alle weitschichtige und
die Erledigung nur verzügernde Correspondenzen zu vermeiden seien
und die vorhin mit gutem Erfolg unter der Regierung seiner Höchst-
seligen Frau Mutter bestandene und wöchentliche Concertationen
zwischen der politischen und der Finanzstelle wieder eingeführt werden
sollen". Wöchentlich habe eine gemeinschaftliche Berathung stattzufin-
den und die darauf bezüglichen Gegenstände sollten durch Protokolle
oder durch gemeinschaftliche Vorträge zur Entschliessung des Kaisers
vorgelegt werden. Am 1. August 1792 wiederholte er diesen Auf-
trag. „Nun sind bereits 5 Monate verstrichen'1, heisst es in dem Hand-
schreiben an Chotek, „ohne dass Ich von dieser Meiner Anordnung den
mindesten Erfolg sehe. Ich gewärtige demnach, dass derselben ohne
weitere Verzögerung Folge geleistet und sogleich das Erforderliche
zur schleunigsten Vollziehung meiner Gesinnung zwischen dem Hof-
kammerpräsidenten und dem Obersten Kanzler fürgekehrt werde".
Nur Currentien durften, ohne in einer Kathssitzung vorgetragen
zu werden, selbständig erledigt werden. Als solche wurden, von dem
Monarchen ausdrücklich bezeichnet : „ solche Exhibita, die lediglich ad
acta gehen, oder die ohne Erinnerung wieder remittirt werden oder
an eine untere Behörde um Bericht geschickt werden". Alle übrigen
Stücke mussten ausnahmslos in der Rathssitzung vorgetragen werden.
Jeder Beisitzer hatte jedoch die Pflicht, im Falle er mit dem Antrage
des Referenten nicht einverstanden war, auch seine Meinung zu äussern
') Vortrag vom 4. Januar 1791, die Organisirung der neuen Finanzstelle
und Commerzhofstelle betreffend, ferner eine französische Note vom 27. Januar
1791 an den Grafen Chotek.
304 B e e '•
und die Aufnahme derselben ins Protokoll zu fordern. Bei eigener
Haftung hatte er nachzufragen, ob dem Folge gegeben worden sei,
und eventuell an den Kaiser die Anzeige zu erstatten 1). Auch den
Länderstellen wurde ein ähnlicher Vorgang vorgeschrieben.
Die kaiserlichen Entschliessungen mussten in ein Resolutionsbuch
eingetragen werden, welches während der Sitzung auf dem Rathstische
liegen sollte und sodann dem Referenten, in dessen Departement sie ein-
schlagen, zur Darnach ach tung oder etwaiger Erledigung zugewiesen
werden. Dieser hatte sodann die Pflicht, an dem nächsten Sitzungs-
tage die herabgelangte Anordnung öffentlich vorzutragen, in das Re-
solutionsbuch eigenhändig den Tag, wann der Vortrag erfolgt sei, ein-
zuschreiben und eine gleiche Vormerkung auf dein Stück des Originals
zu bewerkstelligen 2).
Ueber die von dem Kaiser signirten Bittschriften musste dem-
selben Vortrag erstattet werden, ebenso auch über jene welche nicht
signirt an die Hofkammer gelangten, „wenn die Bitte billig und be-
gründet und entweder nicht schon abgeschlagen war oder den be-
stehenden Normalien zuwiderlief". Die anderen Bittschriften sollten
von der Hofstelle erledigt und den betreffenden Parteien der Bescheid
ertheilt werden, um dieselben über die getroffene Verfügung oder die
Unthunlichkeit des Gesuches zu belehren „und von öfterer Hofbehel-
ligung und unnützen Zudringlichkeiten abzuhalten1'. Ueber die Er-
*) Handschreiben an Chotek, 11. Januar 1792.
2) Handschreiben vom 13. Januar 1792 an Chotek. Da alle Geschäfte, heisst
es sodann weiter, bey der Stelle in gewisse Branchen eingetheilt, und zu dieser
oder jener Branchs eigene Referenten bestellet sind, so müssen auch alle Ge-
schäfte, die bey ihrer Hofstelle vorkommen, von den betreffenden Referenten
behandelt und in dem gewöhnlichen Rathsprotokolle aufgeführt werden, mithin
hört die Führung der sonst etwa üblichen Nebenprotokolle von selbst auf, nur
für jene Gegenstände allein, die ihre Beziehung privative auf den Chef haben,
oder wo die Wichtigkeit der Sache die vorläufige geheimste Verhandlung erfor-
dert, kann, sowie Ich es bereits in Meiner Verordnung vom 1. Jänner puncto 1
erklärt habe, die Führung eigener Mir von Monat zu Monat vorzulegenden Pro-
tokolls noch statt haben und ebenso müssen aus der nämlichen Ursache die
Finanzgegenstände, sowie bisher, auch fernerhin insbesondere verhandelt und der
Gang dieser Geschäfte Mir in den vorgeschriebenen Creditsprotokollen insbeson-
dere vorgelegt werden ; auch will Ich gestatten, dass, wenn wider Vermuthen,
das Hofstellen-Capo eine Ahndung gegen seine Person erhielte, solche in dem
Rath nicht dürfe vorgetragen werden, endlich aber
um die Aufsuchung und Ausfindigmachung der Acte desto mehr zu er-
leichtern, so rauss die Fürkehrung getroffen werden, dass alle Meine Original-
resolutionen oder Handbillete, sobald als sie vorgetragen und darüber expedirt
worden ist, in die betreffende Registratur zu Aufbewahrung sogleich abgegeben
werden.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749— 1816. 305
ledigung der Bittschriften hatte sich die Hofkammer in den Kaths-
protokollen auszuweisen l). Bei günstigen Entscheidungen sollten die
Parteien verständigt werden, dass dieselben auf Befehl des Kaisers oder
mit seiner Bewilligung erfolgt sind 2). Bei abweisenden EntSchlies-
sungen des Kaisers in Parteiangelegenheiten sollten die unteren Be-
hörden auch mit den Beweggründen bekannt gemacht werden 3).
Unter Franz I. war die Finanzverwaltung stetem Wechsel unter-
worfen und erhielt erst seit 1824 jene Einrichtung, die sich bis zum
Kevolutionsjahre 1848 erhielt. Die von seinem Vater verfügte Organi-
sation wurde beseitigt und die Josefinische Einrichtung wieder her-
gestellt. Die Geschäfte der Hofkanzlei, Hofkammer und Ministerial-
bancodeputation und Commerzstelle wurden einem Directorium über-
wieseu 4). Durch Handschreiben vom 2. September 1797 wurde dieser
Stelle abermals die Leitung der Finanzen entzogen und eine selbständige
Behörde geschaffen unter dem Grafen Saurau, dem auch die Handels-
angelegenheiten der sämmtlichen deutschen uud ungarischen Erbstaaten
zugewiesen wurden 5). Die gegenwärtigen Staatsverhältnisse, heisst
es in dem Handschreiben vom 2. Sept. 1797 an Lazansky, machen
die Finanzverwaltung zu einem so wesentlichen Gegenstande meiner
Sorgfalt, dass ich es für meinen Dienst nöthig finde, die Finanz-
geschäfte von den politischen zu trennen. Bereits am 14. October
1797 wurde Graf Saurau, der bisher bloss mit der provisorischen
Führung betraut war, zum wirklichen Finanzminister und Hofkammer-
') Handschreiben an (Jhotek, 25. October 1791.
J) Handschreiben an Chotek, 11. Januar 1792.
8) Handschreiben an Chotek, 27. Januar 1792.
4) Durch Handschreiben vom 13. November 1792 wurde verfugt die
österreichische Hof kanzlei mit der das ungarisch - siebenbürgische Camerale
besorgenden Hotkammer in die engste Verbindung zu setzen; der Vicepräsi-
dent und die Hofräthe der ungarischen Nation, denen die Besorgung der
ungar.-siebenb. Camerale anvertraut ist, haben bei Verhandlung der deutsch-erb-
lündischen Publicorum mitzustimmen. Die Benennung Kanzlei habe aufzuhören
und diese Stelle den Titel zu führen : Directorium in Cameralibus der hungariseh-
siebenbürgischen und deutschen Erblande, wie auch in publico-politicis dieser
letzeren. Eine einige Tage später erfolgte kais. Entschliessung besagte, dass die
Benennung »Directorium« zu verbleiben habe, jedoch könne der Vorsteher den
Titel „Obristkanzler* beirücken. Zum »Vorsteher' wurde als Oberstministerial-
Director Graf Kolowrat ernannt, Directorialhofkanzler für die publica - politica
Oberstburggraf Rottenhann, 2 Kameralviceprüsidenten : für die ung.-sieb. Geschäfte
Majlath, für die deutsch - österreichischen Degelmann. Die Geschäfte sollen in
sechs Provin^ialdepartements, jedes aus zwei Senaten bestehend, erledigt werden.
Rescript vom 17. November 1792.
•r') Rescript vom 7. September. 1797.
Mittheilungeu, XV. 20
806 B e e r.
Präsidenten ernannt. Nur die Erbschaftssteuer verblieb der politischen
Behörde, weil die Eingänge als ein Fond den Ständen zur Schulden-
tilgung zugewiesen waren, doch sollte die Finanzstelle Einsicht in die
Protokolle erhalten x). Eine Einschränkung der Finanzstelle erfolgte
durch Handschreiben vom 10. Mai 1800, indem die wichtigen Credits-
angelegenheiten und das Schulden wesen überhaupt einer geheimen
Hofcommission überwiesen wurden. Graf Saurau behielt bloss das
Bancale, Camerale und Commerciale. Mit der Leitung der neuen
Commission wurde der erste dirigirende Minister Graf Kolowrat be-
traut. Im April 1801 erfolgte abermals eine Vereinigung der Hof-
kammer Banco-, und Commerzstelle mit der böhmisch-österreichischen
Hofkanzlei unter dem Obersten Kanzler Grafen Lazansky. Der bis-
herige Finanzminister Graf Saurau wurde zum Botschafter in St. Peters-
bürg ernannt 2). Die Bancalgeschäfte sollten von einer eigenen, dem
Obersten Kanzler untergeordneten Deputation besorgt, die Finanz-
und Creditgegenstände. welche bisher von einer Finanzhofcommission
behandelt worden waren, von der neuen vereinigten Hofstelle abge-
sondert und hiefür eine besondere geheime Creditcommission unter
der Leitung des dirigirenden Staatsministers Grafen v. Kolowrat er-
richtet werden. Bereits nach kurzer Zeit, im Jahre 1802 erfolgte die
Trennung der Hof kammer vou der Hofkanzlei 3). Graf Carl Zichy
wurde zum Präsidenten der Hofkammer, Ministerialbancodeputation,
Finanz- und Commerzhofstelle ernannt, demselben auch die monta-
nistischen Angelegenheiten zugewiesen, eine Organisation, welche bis
zum Jahre 1814 Bestand hatte. Eine Erweiterung erhielt der Wirkungs-
kreis der Hof kammer durch die Zuweisung der Finanz- und Cameral-
gegenstände der venezianischen Staaten, sowie Dalmatiens und AI-
•) Protokoll vom 6. September 1797.
2) Die Verständigung an die Behörden erfolgte am 30. April.
s) Am 2. März 1802 richtete der Kaiser Franz an Lerbach folgendes Hand-
schreiben : Sie werden Ihre freimüthige Aeusserung über nachfolgenden für das
Beste des Staates höchst wichtigen Gegenstand, wenigstens über diejenigen Punkte
desselben, wovon Sie Kenntnis zu haben glauben, unmittelbar an mich gelangen
lassen und hiebei ohne Rücksicht auf wen immer einzig und allein nur Ihr Ge-
wissen und Pflicht vor Augen haben, auch hierüber das strengste Stillschweigen
beobachten. Beiliegend eine Abschrift der 1801 erlassenen Handschreiben, betref-
fend die Errichtung eines Conferenzministeriums. Lehrbach schlug nun vor: eine
politische Hofstelle und ihr alle politischen und geistlichen Gegenstände der ge-
sammten Monarchie, Italien inbegriffen, zu übertragen, Ungarn und Siebenbürgen
eingeschlossen, und dieser Stelle wie früher alle Geschäfte der Ministerialbanco-
deputation, der Hofkammer, im Münz- und Bergwesen sowie im Commerzwesen
zu überhagen, ferner eine oberste Justizstelle, Ungarn und Siebenbürgern jedoch
ausgenommen, endlich eine Polizeihofstelle. (Vortrag vom 12. März 1802).
Die Finanzverwaltung Österreichs 1749 — 1816. 307
baniens, welche bisher von der italienischen Hofkanzlei besorgt wurden.
Nur bei Angelegenheiten, die zugleich auch in den Wirkungskreis
anderer Hofstellen einschlugen, wurde das Einvernehmen mit den-
selben zur Vorschrift gemacht. Der Kaiser behielt sich in diesen
Gebieten auch die Besetzung der „mindesten Dienstplätze " — die in
den andern Ländern den Behörden überlassen war, — vor. Die Nach-
folger des Grafen Zichy waren Josef Graf Odonell 1808 — 1810,
Graf Wallis 1810—1813. Nach dem Rücktritte von Wallis wurde
das Finanzdepartement provisorisch mit Cabinetsschreiben vom 17. April
1813 an Ugarte, damals Obersten Kanzler, und nach einigen Monaten
an Stadion übertragen. Nach zweijähriger provisorischer Verwaltung
wurde Stadion mit Handschreiben aus Belluno vom 16. April 1816 zum
Finanzminister ernannt 2). Der Finanzminister musste sich seinen
Wirkungskreis förmlich erst erobern. Um die Einrichtung der mit
der Monarchie wieder vereinigten Provinzen zu beschleunigen, war
mit Handschreiben vom 31. Juli 1814 eine Centralbehörde unter dem
Namen Organisirungshofcommission gebildet und derselben mit Aus-
nahme der höheren Finanz-, Credits- und Cassengegenstände, dann
der Justizgeschäfte alle Angelegenheiten dieser Provinzen übertragen
worden 3). Die Abgrenzung der Wirksamkeit der neuen Behörde und
der Finanzhofstelle sollte erst nachträglich erfolgen. Zwischen der
Creditcommission und der Organisirungscommission wurde bald eine
Verständigung erzielt, allein diese erstreckte sich natürlich nur auf
einen Theil der finanziellen Angelegenheiten, und Stadion hielt es für
notwendig, alle mit den Finanzen in Zusammenhang stehenden An-
gelegenheiten für das Finanzministerium in Anspruch zu nehmen 4).
Die kaiserliche Entschliessung trug den Anforderungen des Finanz-
ministers Rechnung. Die Organisirung und Verwaltung aller indirecten
Abgaben und Gefälle, so lautet ein Cabinetsschreiben an den Grafen
Lazanzky vom 14. December 1814, in den neu acquirirten Provinzen
sei an die Hofkammer und Bancodeputation zu übertragen und dieser
') Handschreiben vom 22. Mai 1803; Protokoll vom 5. Febr. 1803.
2) Stadion erhielt 24.000 fl. Gehalt, 18.000 fl. Tafelgeld, Wohnung im Münz-
hause, Fortbezug einer Personalzulage von 6000 fl. bei der Staatskanzlei.
3) Der Wirkungskreis erstreckte sich über die illyrischen Provinzen, den
villacher Kreis, Gürz und Krain ausgenommen, welche am 1. Aug. 1814 dem
innerösterreichischen Guberniuum zugewiesen wurden, ferner über die venetianischen
Provinzen, die Lombardei, Tirol und Vorarlberg und über die eventuell mit der
Monarchie zu vereinigenden Länder. Baldacci war mit Handschreiben vom
23. Juli 1814 von der Besorgung der Tiroler und Vorarlberger Geschäfte enthoben
worden. Das Präsidium der Centralorganisirungskommission erhielt Graf Lazansky.
4) Vergl. den Vortrag Stadion's vom 16. November 1814 im Anhange.
20*
308 Bee r.
Hofbtelle auch in den neuen Provinzen der nämliche Wirkungskreis
einzuräumen, der ihr in den übrigen Provinzen zusteht. Lazanzky
überging aber in seiner Zuschrift das Commerzwesen gänzlich. Stadion
sah sich noch einmal genöthigt, einen Vortrag an den Kaiser zu er-
statten und die Ansicht zu begründen, dass das Commerzwesen von
dem Wirkungskreise der Bancodeputation nicht zu trennen sei.
Erst im Jahre 1816 erhielt die Finanz Verwaltung eine Organi-
sation, welche sie bis zu dem im Jahre 1824 erfolgten Tode Stadions
beibehielt. Dem Finanzminister wurde die Finanzgesetzgebung und
die gesammte Leitung der höheren Creditsoperationen übertragen,
während die Hofkammer bloss mit der Verwaltung betraut wurde,
und zwar gehörten zu den unmittelbaren Geschäftsgegenständen des
Finanzministeriums: alle auf die zur Herstellung der Geldcirculation
sich beziehenden Geschäfte, alle Creditoperationen, die Leitung der
Creditinstitute, insoferne es sich nicht um die blosse Vollziehung und
Ausführung der schon festgesetzten Grundsätze handelt, die Dispo-
sition über die Hauptreservekasse, über die ausserordentlichen Fonde,
über die Militärdotation, insolange das Präliminar nicht festgesetzt
war, die Bearbeitung der Staatsvoranschläge, die Verhandlungen über
die Grundsätze und die Bestimmungen der Grund-, Erwerb-, Personal-
und Classensteuer. Das Ministerium konnte jedoch auch eine Einsicht
in die von der Hofkammer angefertigten und durch das Ministerium
an den Kaiser erstatteten Vorträge nehmen. Die Hofkammer selbst
war in drei Senate eingetheilt: den Gefällssenat, den Cameralsenat
und den montanistischen Senat 1). Die verschiedenen selbständigen
Abtheilungen der Hofkammer, nämlich die geheime Creditshofcommission
und Ministerialbancodeputation, die Commerzhofstelle, die Hofkammer
für Münz- und Bergwesen wurden der unmittelbaren Leitung des
Hofkammerpräsidenten und der obersten Aufsicht des Finanzministers
unterstellt. •
Im Jahre 1816 wurde neuerdings ein Hofcommercienrath ins
Leben gerufen 2). Stadion war es, der in einem Vortrage vom 28. Juni
') Aus einem Umlaufschreiben des Präsidenten der Hofkammer Chorinsky
an die Vicepräsidenten und Referenten. Die Allerh. Entschliessung ist durch
Handschreiben aus Triest vom I. .Mai 1816 erfolgt. Die Centralorganisirungs-
Commission wurde durch Cabinetsschreiben vom 20. Dec. 1818 mit der Hof-
kanzlei vereinigt, und diese sollte nunmehr , Vereinigte Hofkanzlei1 benannt
werden.
2) Bereits im Jahre 1805 lag ein Vorschlag Herberts vor, Commercium und
Montanisticum zu einer Hofstelle zu erheben (Vortrag vom 22. Juli). Das Schrift-
stück kam 1808 unerledigt zurück.
Die Finanzverwaltimg Oesterreichs 1749—1816. 309
1816 den Antrag stellte, eine Hofcommission zur Regelung der
Commerzangelegenheiten der gesammten Monarchie ins Leben zu rufen.
Der Zuwachs der Provinzen, setzte er dem Monarchen auseinander,
durch welchen die Grenzen der Erbstaaten sich weit ausgedehnt und
die Küste des Meeres erreicht haben, hätte in den commerciellen
Verhältnissen der Monarchie wesentliche Veränderungen hervorgerufen
und in dem Handelsinteresse der einzelnen Provinzen eine Verschieden-
heit erzeugt, welche sich in den Ansichten und Meinungen der Indi-
viduen und Körperschaften in den mannigfachsten Formen ausspreche.
Daher rühren die Bitten, Klagen und Beschwerden, welche von vielen
Seiten an den Monarchen herantreten. In Staaten, wo das Prohibitiv-
system angenommen sei, könne die Einwirkung der Staatsverwaltung
auf die commerciellen Verhältnisse nicht aufgegeben werden, allein
diese Einwirkung müsse auf richtigen Grundsätzen der National -
Oekonomie fussen und mit beständiger zusammenhängender Rücksicht
auf das wahre Interesse des Handels und der Industrie geleitet werden.
Besonders in den österreichischen Staaten sei die umfassendste und
tiefste Einsicht mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit nothwendig,
weil vielleicht in keinem Staate von Europa die Interessen der ein-
zelnen Bestandtheile bezüglich der Richtung des Handels und der
Industrie so entgegengesetzt und verschieden seien und ihre Vereinigung
für den Zweck des ganzen Staatskörpers so grossen Schwierigkeiten
unterliege. Eine sichere Grundlage der Commerzleitung werde nur
dann gewonnen werden, wenn die Principien der Handelspolitik in
eine concentrirte Behandlung genommen und mit Rücksicht auf die
Neugestaltung der Dinge festgesetzt werden.
Nach dem Vorschlage Stadions sollte diese Hofcommission ge-
trennt von der currenten Leitung der Gewerbe-, Fabriks- und Handels-
gegenstände sich vornehmlich damit beschäftigen, die Verhältnisse
des Haudels und der Industrie in ihren Beziehungen gegen einander
und gegen fremde Staaten zu erforschen, um sich eine klare, voll-
ständige Kenntnis und Uebersicht zu verschaffen. Sodann hätte sie
die Vorschläge zu erstatten , wie die verschiedenen commerciellen
Interessen der einzelnen Theile der Monarchie zu vereinigen und welche
Grundsätze das Handelssystem des gesammten Staatskörpers be-
folgen solle, ferner die Regulirung des Mauthsystems im Allgemeinen,
sowie die Zolltarife in Antrag zu bringen. Die Commission sollte be-
rechtigt sein, Handelsleute und Fabrikanten von den bedeutenderen
Handelsplätzen und Fabriksplätzen der Monarchie zu berufen, um ihre
Ansichten, Wünsche und Vorschläge über Verbesserungen in den An-
stalten zur Belebung des Handels und der Industrie zu vernehmen.
310 Beer.
Zum Präsidenten wurde Stahl ernannt, der diese Stelle bis zur Auf-
hebung der Hofcommerzcommission bekleidete x).
VII.
Unter Josef IL wurde der Wirkungskreis der Hofrechenkamnier
erweitert. Die Buchhaltereien in den einzelnen Ländern wurden der-
selben unterstellt, von ihr sollten bei Erledigung von Stellen die Vor-
schläge erstattet werden 2). Auch die ständischen und städtischen
Buchhaltereien wurden ihr untergeben, ebenso auch die beiden Rechen-
kammern in den Niederlanden und der Lombardei, wo das in den
deutschen Erbländern bestehende verbesserte Rechnungssystem einge-
führt werden sollte. Auch die Leitung und Aufsicht der Buch-
haltereien in Ungarn und Siebenbürgen wurden ihr übertragen. Zum
Präsidenten der Ho frech enkammer wurde der bisherige Gouverneur
von Triest ernannt, der am 12. April 1782 um 12 Uhr Mittags den
Eid ablegte. Graf Carl Zinzendorf, dessen Thätigkeit schon in seinen
früheren Stellen bewunderungswürdig war, hat sich auch auf dem
neuen Posten grosse Verdienste erworben. Die unter seiner Leitung
gelieferten Arbeiten zeichnen sich durch Reichhaltigkeit und Sorgfalt
in den Details aus. Jetzt erst gewann man ein klares Bild über die
dem Staate zur Verfügung stehenden Hilfsquellen. Das Ziffernmaterial
ist übersichtlich geordnet. Carl Zinzendorf hat das von seinem Bruder,
dem Grafen Ludwig Zinzendorf, begründete Werk vielfach ergänzt.
Das Rechnungswesen der gesammten, dem Habsburger Scepter unter-
stehenden Länder befand sich daher nunmehr unter einer einzigen
gemeinschaftlichen Leitung, allein schon unter Leopold IL wurden in
dieser Richtung abermals Aenderungen vorgenommen. Die Brüsseler
und Mailänder Rechenkammer, die Hof- und Staatskanzlei, das unga-
rische und siebenbürgische Camerale und andeie Buchhaltereien wurden
dem Wirkungskreise der Rechenkammer entzogen. Unter Franz II.
wurde sie im Jahre 1792 zum zweiten Male aufgehoben, und an ihre
Stelle trat nun eine dem Directorium in Publicis, politicis et came-
ralibus subordinirte Staats-Hauptbuchhaltung 3), die eigentliche Controle
wurde dem Staatsrathe übertragen ; indess rang sich die Meinung wieder
durch, dass die zur Controle der Verwaltung bestimmten Buchhaltereien
unter einer unabhängigen Hofstelle stehen müssten. Graf Strasoldo's
1) Vergl. meine Handelspolitik im 19. Jahrhundert erstes Capitel.
2) An die Buchhaltereien, 30. Januar 1782.
s) Cabinetsbefehl vom 23. November 1792.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 311
Entwürfe drangen zwar nicht durch, die Controle von den Admini-
strativbehörden vollständig unabhängig zu machen, aber sie hatten
doch die Schaffung einer selbständigen Behörde, der obersten Staats-
controle, zur Folge. Prokop Graf Lazansky wurde zum Präsidenten
der obersten Staatscontrole ernannt. Unglücklicher Weise, heisst es
in einer vorliegenden Arbeit, hatte die neue Hofstelle, in ihrem eigenen
Chef den thätigsten Gregner, und eben jene Hand, welche ihr eine
vollkommene Ausbildung hätte geben sollen, arbeitete an ihrer Zer-
störung. Im Sommer 1796 legte er einen Organisirungsplan vor, dem
der Kaiser jedoch nicht ganz zuneigte, sondern erst die Begutachtung
von Seite der Beamten verlangte l). Als Lazanzky zum obersten
') Kais. Resolution auf den Vortrag ddo. 17. August 1796, das Staatsrech-
nungswesen betreffend. Da das Staatsrechnungswesen für Meinen Dienst sowohl,
als für das Wohl vieler Tausende in Verrechnung stehender Beamten von der
grössten Wichtigkeit ist, so finde ich für nöthig zu verordnen, dass Sie den mir
vorgelegten Entwurf, so wie er ist, den sämtl. Hofbuchhaltern (mit Ausnahme
des Hof kriegsbuchhalters) den Kammeral- und Finanz-Referenten bei dem Direc-
torio und dem 1. Vice-Präsidenten B Degelmann um ihre freymüthige schrift-
liche Aeusserungen durch den Weg der Circulation zustellen und Mir diese mit
ihrer Wohlmeinung spätestens in 3 Monaten vorlegen, worüber Ich sodann mit
ihrer Zuziehung, und mit dem hiezu nöthig findenden Personen eine Conferenz
abhalten werde, So viel es aber insbesondere die Hof kriegsbuchhaltung betrifft,
ist hieran bei den gegenwärtigen Umständen eine Abänderung nicht thunlich.
Die von Lazansky überreichten Grundsätze zur Organisirung der Buchhal-
tereyen und der Staatskontrole enthalten im Wesentlichen folgende Anträge :
^tens Dass die Provinzialbuchhaltereyen mit den administrirenden Länder-
stellen, und die Hofbuchhalterey mit der Hofstelle vereinigt, und die kontro-
lirende Hofstelle als selbständig ganz behoben werden sollte.
2tens £)ass jeder administrirenden Stelle ein im Rechnungswesen erfahrenes
Buchhalterey-Individuum als Rath beyzugeben wäre, welcher nebst einem zu be-
sorgen habenden Beferat auch über die Ordnung und Fleiss des Buchhalterey-
Personals zu wachen hätte, in Ansehung dieser Geschäfte ganz von einem Staats-
minister abhängig zu machen wäre, und die Befugniss haben müsste in allen
Fällen, wo ungeachtet seiner Erinnerung der Chef der Stelle etwas gegen die
Vorschriften unternehme, dem Minister davon die schriftliche Anzeige zu machen.
3tens Dass die Zentralbuchhalterey dem Staatsrath untergeordnet, und deren
Leitung einem Staatsminister anvertraut werden sollte.
4tens Dass die Buchhaltereyen künftig keine Rechnungskonfizienten mehr
seyn, sondern detailirte Rechnungen zur Zensur erhalten sollten.
5tens Dass die Zensur aller solcher Rechnungen von den Landesbuchhal-
tereyen zu besorgen, und daraus? nur summarische Eingaben an die Hofbuch-
halterey einzusenden wären.
ßtens Dass die Hofbuchhalterey aus solchen Eingaben die Handlungen der
Provinzialbuchhaltereyen zu übersehen und zu beurtheilen hätte, ob diese die
Control gegen den Rechnungsführer nach ihrer Pflicht beobachten, ob sie die
nemliche Control gegen die Landesstelle ausüben, dass sie die notbwendigen Er-
312 Beer.
Directorialminister befördert wurde (21. August 171)7), sucht er den
Wirkungskreis derselben so viel als möglich einzuschränken. Die
gegen seine Reformanträge von sachkundigster Seite vorgebrachten
Bemerkungen drangen nicht durch. Zur Organisirung der Buchhalte-
reien wurde eine Commission unter dem Vorsitze des Hofrathes von
Schotten, der interimistisch das Präsidium der obersten Staatscontrole
leitete, mit Beiziehung des Hofrathes Eder und des Gubernialrathes
Grafen von Herberstein zusammengesetzt. Dieselbe überreichte in den
nächsten Jahren ihre auf die Verbesserung des Rechnungswesens, so-
wie auf die Regulirung der obersten Staatscontrole und der Buch-
halterei abzielenden Vorschläge, welche zum Theil genehmigt, zum
Theil einer weiteren Prüfung unterzogen wurden, zum Theil auch
unausgeführt blieben. Die mit den Organisirungsarbeiten betraute
Commission wurde durch kaiserliche Erschliessung vom 26. August
1801 aufgelöst, und auf Grund eines Vortrages des Erzherzogs Carl
über die Reform der Staatscontrole wurde die Errichtung einer contro-
innerungen mache , wenn Anweisungen vorkommen , welche gegen die Vor-
schriften lauten. Dass endlich die Hofbuchhalterey bey dem geringsten bey
einer Rubrik vorkommenden Verdacht das Detail darüber von der Provinzial-
buchhalterey abfordern und solches prüfen sollte.
7tens Das8 auch die Centralbuchhalterey so verfasste summarische Eingaben
von der Hofbuchhalterey erhalten sollte, aus welchen erstere die Verwaltung
eines jeden Gefälls durch Vergleichung mit den leztern Jahren oder mit Durch-
schnittssummen zu prüfen im Stande wäre. Die Zentralbuchhalterey müsste
nicht allein die Einsicht des Nettoertrages, sondern auch den Bruttoertrag von
jedem Gefäll haben, und diesen nicht nur zu einer gewissen Zeit des Jahrs, son-
dern immer fortwährend bekommen, weil der hauptleitenden Zentralstelle daran
gelegen wäre zu wissen, ob ein Gefäll steige oder falle, und in welcher Provinz,
und aus welchen Ursachen sich solches ergebe.
8tens Dass dieser Geschäftsgang im Rechnuugsfache keinen Zweifel unter-
liegen könne, weil der Gang der Administrazion der politischen Geschäfte ganz
der nemliche sey.
9tens Da dieser Rechnungsgang nun durch ein Jahr bey sehr komplizirten
Rechnungen einer Oekonomie zu bewerkstelligen möglich gewesen wäre, so werde
es auch von jeder andern Verrechnung möglich seyn.
10tens Bey zweckmässiger Verwendung der Buchhaltereyen zur Zensur und
Kontrol sollen sie der administrirenden Stelle zu jeder Stunde in der möglichst
kürzesten Zeit alle Auskünfte ertheilen, und selbe in so weit kontroliren, dass
sie über alle Geldanweisungen, welche ihr ante expeditionem per videat zu-
kommen, die nöthigen Erinnerungen machen, wenn bey solchen etwas gegen
die Vorschriften vorkömmt*.
Das Gutachten des Hof buchhalters Meyner, eines tüchtigen Beamten, im
Auszuge bei Lichtnagel, Geschichte des österr. Rechnungs- und Controlwesens.
Graz 1872. S. 156 fg.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1759—1816. 313
lirendeu Hofstelle abermals zur Sprache gebracht. Mehrere Com-
missionen wurden unter dem Vorsitze des Erzherzogs abgehalten,
und sodann die Allerh. Entschliessung erlassen , dass vom Mili-
tärjahre 1802 angefangen alle Buchhaltereien an die Chefs der
Hofstellen angewiesen werden, das Centraldepartement dem dirigiren-
den Staatsminister Grafen von Kolowrat, die Länder und Gefälls-
buchhaltereien aber den Läuderstellen unterzuordnen seien, damit eine
Vereinfachung des Rechnungswesens auf diese Weise zu Stande ge-
bracht werde. Der seit 1761 festgehaltene Gesichtspunkt einer Tren-
nung der Verwaltungsbehörde von der Rechnungslegung wurde über
Bord geworfen. Nach drei Jahren trat abermals eine Aenderung ein.
Hofrath Augustin Veit von Schittlersberg wurde aufgefordert einen
Vorschlag auszuarbeiten, „wie eine unabhängige und bündige Staats-
controle oder ein Rechnungsdirectorium herzustellen wäre, welches
— ohne die Aktivität der Hof- und Länderstellen zu lähmen oder
zu hemmen — alle Branchen der Comptabilität nach einheitlichen
Principien zu leiten und zu überwachen hätte, damit der Zweck einer
richtigen Staats-Haushaltung möglichst vollkommen und mit thun-
lichster Schonung des Aerars erreicht werden könnte 1)tf. Die von
ihm entworfenen Grundsätze erhielten die kaiserliche Genehmigmnff
und blieben in dem Zeiträume von 1805 — 1866 mit unwesentlichen
Aenderungen, bis zur Schaffung eines obersten Rechnungshofes im
Jahre 1866 in Kraft*).
Grössere Anmerkungen.
I. (Zu S. 237 fg.)
J. G. Megerle von Mühlfeld hat die Eeihenfolge der Hofkammerprä-
sidenten von dem Zeitpunkte der Errichtung der k. k. Hofkammer zu
Innsbruck 1498 bis 1828 zusammengestellt. (Abgedruckt üst. Archiv 1830.)
Einige Irrthümer mögen Berichtigung finden. Paul Freiherr von
Krausenegg war schon 1610 Präsident, nicht erst 1611. Auf den „Hof-
kammerdirector" Gundacker von Polhaim, der seit 1615 in dieser Eigen-
schaft der Hofkammer vorstand, folgt der in dem Verzeichnisse von Me-
gerle übergegangene „Hofkammerdirector" Vincenz Muschinger im Jahre
1622, der jedoch nur kurze Zeit diese Stelle bekleidete; 1623 erscheint
Anton — nicht Johann, wie Megerle angibt — Abt zu Kremsmünster
als Hofkanimerpräsident bis 1680.
Als Maria Theresia zur Regierung kam, war Franz Gottfried Graf
von Dietrichstein Hofkammerpräsident seit 1719. Auf Vortrag vom 2. Sep-
') Das Handschreiben an den Grafen Zichy 7. Februar 1807.
2) Hierüber sehr ausführlich Lichtnage] a. a. 0.
314 B e e r.
teinber 1743 wurde verfügt, dass die Hofkanzlei in allen das Aerar be-
treffenden Angelegenheiten mit der Hofkammer das Einvernehmen zu pfle-
gen und gemeinschaftlich Vortrag zu erstatten habe. Im Jahre 1745
wurde das Bancalität-Collegium aufgehoben. Die beiden Generalcassen,
nämlich die Cameral- und die Militärcasse sollten durch zwei Oberdirec-
toren besorgt werden und durch die Hofkammer ihre beiderseitigen Legi-
timationen empfangen, an dieselbe wöchentlich die Cassa-Extracte über-
geben. Der Director der Bancalität, Peter Anton Freiherr v. Prandau,
wurde wegen seiner „der Kaiserin und ihren Vorfahren Leopold, Josef
und Carl sowohl bei der Hofkammer, als bei der Bancalität geleisteten
langen und erspriesslichen Dienste" zum Vicepräsidenten der Hofkammer
ernannt, In einem Acte vom 14. September 17 45 ist von einer Restau-
rirung des Hofkammerwesens die Rede, worin diese jedoch bestand, ist
nicht ersichtlich.
Beiliegend ein Status
Der von Uns Bestättigt- und Neu-Bestelten Hof-Cammer.
Besol-
dung
Prsesident
Vice-Prsesident . . .
Räthe desHerrnstandes
Räthe desRitterstandes
Graf v. Dietrichstein
Und ex speciali für seine Person allein,
Beynebst
Baron v. Prandau
Graf Carraffa
Graf Cavriani
Graf Gaisruckh
Baron Schmidlin, zu dem Bergwerks-Con-
silio
Baron Wisenhütten
Graf Esterhasy
Zuanna, zu dem Bergwerkhs-Consilio .
Saffran
Koch
Pistrich
Sumerau
Grieblpauer
Kempf zu dem Bergwerkhs-Collegio .
Nagy • • •
Luchsenfeid, so beynebst expediren solle
14000
6000
8000
4000
4000
4000
4000
3000
4000
5000
5000
5000
5000
4000
4000
4000
5000
4000
Ueber die Berathungen, welche zur Schaffung des Directoriums, d. h.
zur Vereinigung der gesammten politischen und cameralistischen Agenden
bei einer Centralstelle führten, sind wir bisher nicht genau unterrichtet.
Im Jahre 1748 wurde verfügt, dass die wichtigsten Politica und Publica
unter der Direction der kaiserlichen Majestäten besorgt werden sollen.
Dieser Berathungskörper führte den Namen » Conferenz in Internis oder Hof-
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 315
deputation«. Die auf die Verhandlungen mit den Ständen bezüglichen An-
gelegenheiten, welche zur Abschliessung der Decennal-Eecesse führten,
kamen hier zur Berathung , und in dem am 2. Mai 1749 erlassenen
Handschreiben wird speciell hervorgehoben, dass „die unter des Kaisers Maje-
stät und Liebden und meiner Direction angefangene Besorgung deren wich-
tigsten Landes-Politicorum ihre gute Wirkung gehabt, die bisher ver-
driesslichen Collisiones der Stellen vermieden, alles schleunig expediert und
sowohl das Militare und Contributionale, als auch das Camerale in eine
solche Ordnung gebracht worden, worin es in vorigen Zeiten noch nie
gewesen." Diese Äusserung bezieht sich auf die finanzielle Neuerung oder
wie die Bezeichnung lautet, auf „das Militär und Cameral Hauptfinanz-
Systema", woran, wie es scheint, seit 1747 gearbeitet wurde und wobei
Haugwitz der tonangebendste Rathgeber war. Die Tendenz war dahin ge-
richtet, „das Militare von dem Camerali und beide wiederumb von dem
Cameralschuldwesen gänzlich zu separiren, mithin jedem Theil wie seine
Einkünfte , also auch Ausgaben besonders anzuweisen". Das von den
Ständen bewilligte Quantum militare war an das Generalkriegscommissariat
monatlich abzuliefern. Die für das Cameralschuldwesen bestimmten Be-
träge flössen der Cameralschuldcassa zu. Die Cameralrechnungen wurden
bisher nach dem Solarjahre abgeschlossen: künftighin sollte der Abschluss
wie beim Militare vom 1. November bis 31. October erfolgen. (Weisung
nach Böhmen und Mähren vom 23. August 1748). Die bisherigen Dar-
stellungen über diese wichtige Angelegenheit sind unvollständig und ein-
seitig. Namentlich der Gegensatz zwischen Harrach und Haugwitz wurde
ungebührlich betont. Harrach hat, soweit ich bisher aus den Acten ent-
nehme, während der Jahre 1747 und 1748 in entscheidender Weise mit-
gewirkt und viele auf die Verhandlung mit den Ständen bezügliche Vor-
träge sind von ihm erstattet und von der Kaiserin mit zahlreichen Rand-
bemerkungen versehen worden. Bei welcher Gelegenheit jene scharfe Aeus-
serung Maria Theresia's über Harrach fiel, von der Arneth, IV. S. 22
berichtet, ist nicht ersichtlich. Das Handschreiben vom 2. Mai 1749,
worin die Trennung der Justiz von der Verwaltung ausgesprochen wird,
ist an Harrach gerichtet, wornach es bei der Besorgung der Publicorum
und Politicorum bei der Conferenz in Internis unter dem Vorsitze der
kaiserlichen Majestäten zu verbleiben habe. Nur sollen die Vorarbeiten
in einem Consessu unter Haugwitz als » Präsidentens praesidio des direc-
torii in publicis et cameralibus geschehen und wöchentlich vorgetragen
werden*. In einem Anhang (abgedruckt bei Maschek von Maasburg S. 303)
sind die Agenden der Conferenz in Internis aufgezählt. Von einer Auf-
hebung der Kanzleien ist da keine Rede, wohl aber in einem Handschreiben
an Ulfeid vom 3. Mai 1749, welches sonst mit jenen an Seilern und
Harrach gleichlautend ist. Die Mitglieder des Consessus waren: v. Saffran,
v. Doblhoffen, v. Kannegieser, v. Cetto, v. Stupan, von Kranischstätten
und Freih. v. Neumayer. Sie erhielten den Titel geheime Referendare und
Hofräthe, jeder hatte ein Land zum Referat zugewiesen (Vortrag von Haug-
witz 4. Mai 1749). Am 20. Mai wurde die Neuordnung den anderen Hof-
stellen mitgetheilt. Die Oberleitung der Hofdeputation scheint Graf
Harrach behalten zu haben. In einer Specification des Besoldungsstatus
des Directoriums in Publicis et Cameralibus ist der Gehalt von Har-
316 Beer.
räch mit 30.000 fl., jener von Haugwitz mit 8000 fl. angegeben. Am
4. Juni 1749 starb Harrach und nun wurde Haugwitz die leitende Per-
sönlichkeit in allen politischen und finanziellen Fragen. Von einer Hof-
deputation oder Conferenz in internis findet sich in den Acten seitdem
keine Erwähnung. Aus Acten des Jahres 17 54 ist zu entnehmen, dass
Haugwitz 24.000 fl. bezog, der Kanzler Johann Carl Chotek 16.000 fl.,
der Vicekanzler Bartenstein 8880 fl.
Noch vor Schaffung des Directoriums in publicis et cameralibus, nach-
dem die Recesse mit den Ländern bereits grösstentheils abgeschlossen
waren, wurde der Wirkungskreis der Hofkammer eingeschränkt. Die neue
Organisation bestand darin, dass den directe von der Kaiserin dependi-
renden Deputationen in den einzelnen Ländern das festgesetzte Universal-
Systema in Vollzug zu bringen, übertragen wurde. Das Schuldenwesen
wurde von nun an lediglich der Schuldencassa-Direction unterstellt, die
Hofkammer hatte keinen Einfluss darauf. Ueber jene Angelegenheiten,
die das Militare mixtum und das Camerale betrafen, waren die Berichte
und Anträge unmittelbar an die Kaiserin zu senden, die sich vorbehielt,
nach Befund sich von der Hofkammer Vortrag erstatten zu lassen und
derselben ihre Entschliessung mitzutheilen. Die Hofkammer hatte die Auf-
gabe, die Deputationen zu überwachen, dass sie den ihnen ertheilten In-
structionen in allem genau nachleben, das Cameralwesen bestens befördern,
besonders aber, dass die in dem Cameral-Systema festgesetzten Ausgaben
niemals überschr-itten, Weisungen und Verordnungen an die Deputationen
nur im Namen der Kaiserin ausgefertigt werden, mit dem Unterschiede,
„dass Expeditiones, so Resolutiva et Decisiva enthalten, der eigenhändigen
Unterschrift der Kaiserin bedürfen, Informativa und Praeparatoria von dem
Hofkammerpräsidenten zu unterschreiben sind«. Ferner bestimmte die Kai-
serin, dass, da der geheime Rath, Kämmerer und Präses des königlichen
Amts im österreichischen Antheil von Schlesien, Friedrich Wilhelm Graf
von Haugwitz von dem Universal-System und den davon abhängenden
Cain er al- Systeme der Länder die beste Kenntniss habe, demselben die
Expeditionsconcepte für die in den Ländern bestellten Deputationen vor
deren Ausfertigung mitgetheilt werden sollen. An die Hofkammer, den
9. September 1748-
Am 19. Sept. 1748 einging eine Instruction an die Cassadirection fol-
genden Inhalts :
Das General-Schuldenwesen wurde in Betracht gezogen und ,,umbso
viele Treuhertzige Credits-Partheyen in aufrechten Stand zu erhalten, als
den so sehr darniederliegenden Credit wieder empor zu bringen, und in
seine gemessene Ordnung auch Richtigkeit zu setzen, als hiemit die Justitz
befördert und ein Gott höchst wohlgefälliges Werk verrichtet wird, und
von dem Wohlstand und Befestigung des Credits aber das allgemeine Wee-
sen so vielen Nutzen schöpffet, und die Monarchie Selbsten am besten er-
halten, und unterstützet werden kann'; werde eine Direction unter allei-
niger Aufsicht und Dependenz der Kaiserin errichtet, zu Mitgliedern der-
selben ernannt: v. Prandau und v. Koch. Für die Schuldenscasse sind
Fonds bestimmt. Sollte die monatliche oder vierteljährige Bezahlung
stocken, so ist dies sogleich der Kaiserin anzuzeigen. Die Gelder sind
Die Finauzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 317
unverweilt monatlich oder vierteljährig anherzuziehen, damit die Casse
im rechten Stande sei und das Publicum Zutrauen gewinne. Keine Be-
zahlung an Capital oder Interesse darf ohne General- und Specialverord-
nung der Kaiserin geleistet werden. In die Bitte der Markgrafschaft
Mähren, dass die Capitalszahlungen nicht jährlich, sondern monatlich ab-
gestossen werden mögen, wurde eingewilligt. Monatlich ist ein verläss-
licher Extract zu überreichen. Von der Casse sind die Kechnungen mit
den Belegen vierteljährig an die Direction abzugeben , um dieselben zu
prüfen und der Kaiserin Bericht zu erstatten.
In Folge der am 2. Mai 1749 erlassenen Handschreiben wurde den
Deputationen, die Anfangs Juni zur Durchführung des „Hauptfinanzsystems"
bestimmt wurden, der Character » einer königl. Eepräsentation und Kammer"
beigelegt und die gesammte Verwaltung an dieselben übertragen. Die
Statthalterei in Prag wurde aufgehoben, die in der uralten Landesverfas-
tung gegründete Obrist-Land-Ofhziere in ihrer Activität beibehalten ; sie
sollten unter der Direction die Oberstburggrafen jene mixta besorgen,
welche in Wien der Obristen-Iustizstelle übertragen waren, sowie jene An-
gelegenheiten, welche die Landesordnung der Statthalterei überwies. Diese
„Mixta" wurden in Mähren von dem königl. Tribunal, in Schlesien von
dem königl. Amte, in N.-Oesterreich, Steiermark und Tirol von den Re-
gierungen, in O.-Oesterreich von der Landeshauptmann schaft besorgt.
Leider lassen uns die vorhandenen Schriftstücke im Stiche, um die
seit 1749 bis 1761 in der Finanzverwaltung vorgenommenen Aenderungen
genau kennen zu lernen. Das Directorium hat nur allmälig sämmtliche
Cameralangelegenheiten an sich gezogen, der Wirkungskreis der Hof kammer
schrumpfte immer mehr zusammen, so dass ihr nur die auf den Hofstaat und
die ungarische Camerale bezüglichen Angelegenheiten verblieben. Das Universal-
Cameral-Zahlamt wurde dem Directorium 1751 übergeben (Rescript an die
Stellen vom 29. Januar 1 75 1). Zwei Jahre später wurde demselben auch
eine Einflussnahme auf die Handelsangelegenheiten eingeräumt, indem das
Commerzdirectorium als eine mit dem Directorio in publicis et cameralibus
vereinigte unmittelbare Hofstelle erklärt wurde. (An Haugwitz, 17. De-
zember 1753, unterzeichnet Uhlfeld). Auch das Münzwesen, wofür im Jahre
1745 eine Hofkammer unter Ferdinand Graf Königsegg-Erps errichtet wor-
den war, wurde dem Directorium unterstellt. Graf Königsegg-Erps wurde
am 13. März 1755 zum Hofkammerpräsidenten ernannt. Im Jahre 1758
verständigte die Kaiserin durch Handschreiben vom 4. August den ge-
nannten Hofkammerpräsidenten, sie habe in wohlbedächtiger Erwägung,
dass das Directorium in publicis et cameralibus mit so wichtigen neu zu-
getretenen als häufigen anderweiten Geschäften überbürdet sei, den Ent-
schluss gefasst, das Münzwesen dem Präsidenten der Ministerial-Banco-
deputation und des Commerzdirectoriums Grafen Rudolf Chotek zu über-
weisen, die Cameralia Transsilvaniae, die Banatica Publica und die Ca-
meralia verbleiben dem Directorium in publicis et cameralibus. Graf
Rudolf Chotek, seit 1749 Bancodeputationspräsident, wurde Ende December
1759 gleichzeitig zum Hofkammerpräsidenten ernannt (Handschreiben an
Chotek vom 27. Dec. 1759 bei Wolf: Aus dem Hofleben Maria Theresias
S. 70; an Brandau vom 29. Dec. 17 59) und gleichzeitig die Verfügung
getroffen, dass Commercialsachen des Banats unter der Aufsicht der Hof-
318 Beer.
kammer zu stehen haben. Die Vereinigung der Präsidentschaft der Mini-
sterial-Bancodeputation und der Hofkammer unter Chotek war nur eine
äusserliche ; das Stadtbanco blieb auch künftig unter einer besondern Ver-
waltung. Ein Jahr darauf wurde zur Verfassung eines Haupt-Finanz-
Systematis und Besorgung der gesammten kais. königl. Schulden eine Hof-
Comrnission eingesetzt. Eine kais. Entschliessung vom 14. Dec. 1760
lautet: »Die Commission hat mit genauer Untersuchung deren Einnahmen
und Ausgaben durch alle Eubriquen fleissig fortzufahren, um in allen
Branchen klar zu sehen, somit hieraus abnehmen zu können, in wie weit
der Bilan auslange, wie die Einnahmen bestehen, und wie die Ausgaben
die Einnahmen übersteigen.
»Weiters hat diese haubtsachlich was bey dem Empfang zu verbessern,
und was bey denen Ausgaben zu erspahren seye ? zum Augenmerck zu
nehmen, diesfalls in die Specifica, oder durch alle Eubriquen einzugehen,
und dahero die Ersparungs-Entwürffe respectu deren Besoldungen, Pen-
sionen, und anderweiten überflüssig befindenden Ausgaben umständlich zu
verfassen, und successive herauf zu geben.
»Zum Unterhalt des Militär- Staats solle ein quantum von 14 Mil-
lionen pro fundamentum genohmen werden; das Militär Würthschaffts-
Weesen werde besonders überlegen, und ausarbeiten lassen;
»In Ansehung deren Einnahmen, derenselben Meliorirungen, und wegen
deren Erspahrungen, oder Verminderung derer Auslagen, wird dasjenige,
was die Commission selbsten nicht wissen kann, sowohl bey denen Capi
deren über die fonds bestellten Administrationen als bey denen Capi deren
Stellen, und Aemteren zu erhohlen und ausfindig zu machen seyn; übri-
gens aber stehet der Commission frey, alle Käthe und Beamte von Stellen,
so Sie zu eruirung dieses wichtigen Geschäffts nöthig findet, auszuwählen,
und von denen Stellen zu verlangen; Die Ausarbeitungen sind Mir her-
auf zu geben. Ueber den weiteren Inhalt des Protocolls aber halte Mir
bevor Meine Entschliessung seiner Zeit zu ertheilen«. Die Mitglieder dieser
Commission waren: Bartenstein, Prandau, Toussaint, die Hofräthe Saffran,
Stupan, Neny. Die grösste Thätigkeit entfaltete Bartenstein, dessen Ar-
beiten umfassend waren.
II. (Zu S. 241).
Ueber die Gründung des Staatsrats: Hock, der österreichische Staats-
rat^ Wien 1868. S. 1 fg. und Arneth Maria Theresia VII S. 1 fg.
Die Mitglieder des durch Patent vom 17. Dec. 1760 (Cod. A. V 115)
gegründeten Staatsraths waren: Kaunitz, Haugwitz, Daun, mit dem Titel
eines Staatsministers, ferner drei Staatsräthe: Heinrich Cajetan Graf von
Blümegen, bisher Landeshauptmann in Mähren mit dem Titel Minister,
der bisherige Reichshofrath Freiherr von Borie, Stupan von Ehrenstein.
Als Referendar wurde der bisherige Staatssecretär der Kaiserin, König von
Kronburg, ernannt. Durch Handschreiben 3. Juni 1762 wurde verordnet,
dass die Staatsräthe den Hofräthen vorzugehen haben. Bios Staatsrath,
nicht Hof- und Staatsrath sollen sie betitelt werden.
Im Jahre 1766 wurden Starhemberg, Binder und Pergen zu Mit-
gliedern des Staatsrathes ernannt. Die beiden erstgenannten Männer ent-
falteten in den nächsten Jahren eine rege Thätigkeit; ihre Gutachten sind
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. ;}!<)
zum grossen Theil ausgezeichnete Arbeiten. Starhemberg bekundete in
Finanzfragen einen klaren Blick und in dem Streite zwischen Hatzfeld und
Zinzendorf nahm er für den letzteren Partei ; er wurde auch von der Kai-
serin zu wiederholten Malen zum Leiter von Commissionen , die über
wichtige Angelegenheiten zu berathen hatten, gewählt. Binder bekundete
eine geradezu staunenswerthe Vertrautheit mit allen bedeutsamen Fragen,
einen von Voreingenommenheit ungetrübten Blick und staatsmännische
Begabung in der Beurtheilung schwieriger , die innere Organisation be-
treffender Probleme x).
Wenn der Staatsrath jene Erwartungen nicht erfüllte, die bei seiner
Gründung vorschwebten, so liegt die Erklärung in der Form der Geschäfts-
behandlung. Anstatt ihn auf principielle Fragen zu beschränken, wurden
ihm die meisten Vorträge der Centralstellen zur Begutachtung überwiesen,
über welche die Kaiserin ein Gutachten forderte, ehe sie eine Entschei-
dung fällte. Eine collegiale Behandlnng fand in der Eegel nicht statt,
sondern die betreffenden Stücke wurden bei den Mitgliedern im Umlauf
gesetzt, die sodann ihre Meinung beifügten. Die in Antrag gebrachte
kaiserliche Entschliessung wurde sodann beigefügt. Bis 1765 ist König
der Verfasser, später Blümegen, seit 1771 Hatzfeld. Gesammtsitzungen
des Staatsrathes fanden bei divergirenden Gutachten der Staatsrathsm.it-
gliedar unter dem Vorsitze der Majestäten statt, worüber sodann kurze
Protocolle abgefasst wurden, die nicht immer einen genügenden Einblick
in die bestimmenden Gründe der endgiltigen Entscheidung gewähren und
den Eindruck erwecken, dass bereits vor dem Sitzungstage der Versuch
gemacht wurde, die differirenden Meinungen zu begleichen.
Mannigfache Vorschläge zur Abänderung des Geschäftsganges des
Staatsrathes wurden seit 1762 gemacht. Stupan hat bereits Anfangs Ja-
nuar 1762 in einer Denkschrift auf die Mängel der Geschäftsbehandlung
aufmerksam gemacht. Eine Aenderung trat nicht ein. Bald darauf for-
derte die Kaiserin einen Vorschlag, wie der Ueberhäufung mit Geschäften
gesteuert werden könnte 2). Hatzfeld und Zinzendorf wiesen in ihrem Vor-
trage vom 11. September 1764 auf die Notwendigkeit hin, den Staats-
rath zu entlasten In diesen Vortrage heisst es : die zu grosse Ueberhäu-
fung des Staatsrathes mit Geschäften sei ebenfalls als ein Gebrechen der
gegenwärtigen Verfassung anzusehen. Der Staatsrath stelle den allge-
meinen Mittelpunkt vor, bei welchem alle wichtigen Angelegenheiten zu-
sammenfüessen ; derselbe habe zugleich alle Hofstellen zu übersehen, die
verschiedenen Meinungen derselben zu vereinbaren und Alles zum allge-
meinen Besten der Monarchie einzuleiten. Um aber diesen so wichtigen
Endzweck erfüllen zu können, seien vornehmlich zwei Dinge erforderlich,
einmal, dass der Staatsrath von allen wichtigen Geschäften die nöthige
Wissenschaft erlange, sodann aber zweitens, dass derselbe mit Kleinig-
keiten nicht zu sehr überladen werde, weil demselben die Möglichkeit,
sich mit wichtigen Gegenständen zu beschäftigen, genommen werde. Josef
») Dem Urtheile Ameth's IX. 294: »Durch die erwähnten Ernennungen war
dem Staatsrathe kaum irgend welche Verstärkung zu Theil geworden % kann ich
auf Grund meiner Studien in staatsrechtlichen Acten nicht bestimmen.
2) Vgl. Hock, Staatsrath S. 19.
320 B e e n.
und Kaunitz vertraten später dieselbe Ansicht. Die Geschäftsführung des
Staatsraths wurde mit der Zeit sogar eine noch verwickeitere, da die Gut-
achten desselben den Leitern der Centralstellen übermittelt wurden, um
ihre Gegenbemerkungen anzubringen, die sodann wieder die Runde bei den
Mitgliedern des Staatsrathes machten und manchmal auch wieder neue,
abermalige Gutachten zur Folge hatten. Die Anträge der einen Central-
stelle wurden der anderen mitgetheilt, mit deren Ressort sie in einem
gewissen Zusammenhange standen und jede suchte für ihre Auffassung die
gewichtigsten Gründe ins Feld zu führen. Sodann wurden auch ausser-
ordentliche Commissionen aus Mitgliedern des Staatsrathes und der Cen-
tralstellen mit der Berathung wichtiger Angelegenheiten betraut. Hierin
liegt die Erklärung für die namentlich seit der Mitte der Sechziger-Jahre
sich verzögernde Entschlussfassung der Monarchin, der die Energie und
Entschlussfreudigkeit früherer Jahre abhanden gekommen war; hierin auch
der sich immer mehr vertiefende Gegensatz zwischen ihr und ihrem Sohne
und Mitregenten, dessen rasche Auffassungsgabe sich mit den Zögerungen
der Mutter nicht befreunden konnte und dessen Unmuth aufloderte, wenn
seine Rathschläge nicht schnell genug Gehör fanden. Josef hat in einer
Denkschrift ausführlich die staatsräthliche Organisation besprochen, welche
die Kaiserin an Kaunitz überwies, der seine Schöpfung vertheidigte 1).
Josef schlug einen Rath mit den Präsidenten sämmtlicher Centralstellen
vor, dessen Sitzungen unter dem Vorsitze der Monarchen stattfinden sollten.
Erst nach zwei Jahren fanden umfassende Berathungen statt. Die »Capi«
der Centralstellen sowie Fürst Starhemberg wurden aufgefordert, Gutachten
über eine entsprechendere Gestaltung der Verwaltungsgeschäfte abzugeben.
Auf die Behandlung der staatsräthlichen Agenden hatten dieselben geringen
Einfiuss: nur war der Beschluss von Wichtigkeit, dass die „wichtigsten
Geschäfte« künftig unter dem Vorsitze der Majestäten berathen werden
sollen, allein der Staatsrath wurde fortwährend mit vielen unbedeutenden
Angelegenheiten behelligt2). Ein neues Statut wurde am 12. Mai 1774
erlassen.
III. (Zu S. 262.)
Am 22. Nov. 1771 wurde an die Länderstellen eine Weisung er-
lassen, die einen Einblick gewährt, wie Hatzfeld die Geschäfte behandelt
wissen wollte.
Ihro Kaiser-Königl : Apostol: Majt: haben dero Dienstes zu seyn be-
funden, zu mehrerer Beschleunigung der Geschäften Dero politische und
Finanzstellen unter eine Direction zusammen zu ziehen, und zu vereinbaren,
und anmit, theils durch Vorschrift einer kürzeren, und bündigeren Mani-
pulation, theils durch Entledigung der Hof- und Länder-Stellen von denen
bisherigen allzuhäufigen Berichts- und Vortrags-Erstattungen denen all-
seitigen Agendis einen geschwinderen Trieb zu verschaffen.
Gleichwie nun zu dieser Vereinigung durch die Ernennung Dero Hof-
') Die Denkschrift Josefs bei Arneth : Maria Theresia und Josef IL Band III.
jene von Kaunitz vom 18. Febr. 1766 im Archiv für österreichische Geschichte
Band 58 S. 98.
2) Josef an Leopold, 29. Oct, 1772 bei Arneth I S. 383.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 321
kammer- und Ministerial - Banco-Deputations Präsidentens zum Obersten
Kanzler, und Kommerzien Präsidenten mit Beylassung ersterer bishero
begleiteten Präsidien der erste Schrit bereits geschehen; Also ist auch
weiters zu vollständiger Erreichung dieser Allerhöchsten Absicht aller-
gnädigst resolviret, und anbefohlen worden, dass von nun an, ohne jedoch
eine Publication in die Länder zu verlassen, alle Agenda, welche bishero
von der Hof-Kanzley, der Hofkammer, dem Kommerzien - Eath, und der
Ministerial-Bco-Deputation separatim besorget worden, hinfüro unter einem
in der Person Dero Obersten Kanzlers Hofkammer, Ministerial Bco Depu-
tation und Kommerzien-Präsidentens, als dirigirenden Ministers vereinigten
Praesidio in zwey haupt-Departements abgetheilet, und in das Erste alle
diejenige Gegenstände, welche mit der Kanzley, und der Kammer einen
Zusammenhang haben, gleichwie jene, welche zwischen dem Kommerzien-
Rath, und dem Mautwesen in Verbindung stehen, nebst dem bishero ca-
meraliter besorgten Hungarischen, Siebenbürgischen, Banatischen, Tyro-
lischen, und V: Oeu Maut- und Salzweesen, in das zweite Departement zu-
sammengefasset, und somit einer Seits die Hofkanzley mit der Hofkammer,
wie dagegen der Kommerzien-Rath mit der Ministerial-Banco-Deputation
in ein Departements, und zwar deren jedes unter einem bey solchen be-
sonders den Vorsitz führenden nachgeordneten Capo vereiniget, dabey jedoch
nach ausdrücklicher Massgebung der Allerhöchsten Resolution der der-
malige modus expediendi gänzlich beybehalten, und solchergestalten die
publica politica & contributionalia in Namen der Kanzley, die Cameralia in
Namen der Kammer, die Bancalia in Namen der Banco-Deputation, und
die Commercialia in Namen des Kommerzien - Raths fernershin ausgefer-
tiget werden sollen; Gleichwie dann auch die Berichte aus denen Ländern,
und die Anbringen der Partheyen ihren bisherigen Zug an die betrefende
Hofstellen nach Verschiedenheit der für deren jede ausgemessene Agen-
dorum, zu behalten haben.
Es wird zu schleunigerer, und bündigerer Besorgnuss der verschie-
denen agendorum hinführo alle vorkommende Geschäfte nach ihrer Eigen-
schaft auf viererley Art abzuthun seyn, als die einen durch das Current-
Protocoll, die zweyten durch das Consilium, bey welchen der Vorgesetzte
Minister gegenwärtig zu seyn nicht verbunden ist, die dritten, bey wel-
chen die Gegenwart des Minister erfordert wird , und endlich die vierten,
welche in pleno, mithin in Gegenwart aller nachgeordneten Capi, und ver-
schiedenen Räthen von beyden Departements vorzunehmen seyn werden.
In das Current-Protocoll der Hof-Kanzley so, wie in jenes der Hof-
kammer gehören die in denen Beylagen sub B : et C : specificirte mindere
blos durchlaufende Geschäfte, oder sogenannte currentia, als z: B:, welche
die weitere Vernehmung der Länder- oder anderen Hofstellen erforderen,
oder blosse Anzeigen ad Statum notitiae, Befolgung des angeordneten, oder
lediglich restitutionem communicati enthalten, oder sonst durch die aller-
höchste Resolutiones, oder vorhergegangene Conclusa Consilii, oder auch
nach ihrem ordentlichen Lauf schon ihre ausgewiesene Bestimmung haben,
oder auch als ein ordinarium anzusehen sind.
Was die Art des Current-Protocolls zu führen anlanget, ist ferner
auf dem nemlichen Fuss fortzufahren, wie es anjetzo beobachtet wird. Die
Mittheilungen XV. 21
322-
Beer.
zweyte Art, die Geschäfte zu erledigen, hat im Rath zu geschehen, bey
welchem der dirigirende Minister beständig beyzusitzen nicht verbunden ist.
In diesem wird alles zu erledigen seyn, was die Executionen der
schon bestehenden, oder noch weiters fest zu sezenden Anordnungen be-
tritt, keinen allerhöchsten Ort zu erstattenden Antrag bedarf, und wie
gleich folget, nicht besonders für die Gegenwart des dirigirenden Mini-
sters vorbehalten ist.
Dahingegen wird in Gegenwart des dirigirenden Ministers vorzu-
nehmen seyn.
lm0: All dasjenige, was durch einen Vortrag an lhro Majestätt zu
gelangen hat.
2io: alle allerhöchste Resolutionen.
;itin: alle Regulativa, welche entweder dem Publico, oder denen Be-
amten zur Richtschnur zu dienen haben.
Als da sind Abänderungen in der Manipulations-Art, oder in denen
politischen, Cameral- oder Commercial-Einrichtungen , Vermehrung oder
Verminderung der Giebigkeiten, Commercial-Verbothe, und deren Auf-
hebung.
4t0: All dasjenige, was seiner Wichtigheit halber die Gegenwart des
dirigirenden Ministers erfordert, als Errichtung beträchtlicher Gebäude,
Verpachtung der ganze Länder betreuenden Gefällen, die Errichtung neuer
Strassen, Veräusserung, oder Ankauf beträchtlicher Realitäten, und der-
gleichen.
5to: Strittigkeiten mit anderen Hofstellen.
6to: jene Handlungen, welche fremde der hiesigen Bothmässigkeit
nicht unterworfene Staaten betreffen.
Ad plenum aber gehören lediglich jene Geschäfte, welche die gemein-
schaftliche Ueberlegung beyder Haupt - Departements, oder eines derselben
mit dem Münz- und Bergweesen Departement erfordern, als die Verrufung,
Erhöhung, oder Abwürdigung der Münzen, die Lossprechung der Berg-
arbeiter von allgemeinen Anlagen, die Auflegung der Kopfsteuer auf die
7bürgisch: Salz- Arbeitern, und Schifknechte und dergleichen.
Zu Erledigung aller dieser Geschäften werden bey dem einen, wie
bey dem anderen Haupt-Departement alle Wochen, um denen Referenten
mehrere Zeit zur Arbeit übrig lassen, nur zwey Raths-Sessiones, nemlich
Montag, und Donnerstag, und zwar in der Behausung des dirigirenden
Ministers, damit derselbe sich von einer Session in die andere, zu Be-
handlung der wichtigen Materien begeben möge, zu halten, welche Don-
nerstag nicht zur Erledigung haben gebracht werden können, folgenden
Freitag volkommen zu beendigen seyn.
IV. (Zu S. 280.)
Die kais. Entschliessung auf den den Vortrag Chotek's, worin der
Antrag auf Schaffung einer Wirthschaftsdeputation gestellt wurde, lautet:
Der von ihme sehr wohl überdachte Vorschlag, wie die Besorgung der
Staats-Wirthschaft mit dem Commerciali zu vereinbaren, ist Meiner Ge-
sinnung vollkommen gemäss und verdient, dass ich ihme Meine besondere
Zufriedenheit hiemit zu erkennen gebe. Nach dieser entworfeneu Grund-
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läge wird nunmehr auch das nähere Detail, wie dieses Departement von
nun an in die wirkliche Activität zu setzen und seine Operationen anzu-
fangen hat, demnächstens zu fassen und zu Meiner weiteren Begnehmi-
gung zu überreichen seyn, wobey denn insonderheit auch die nachstehende
Punkten zur Nachahmung zu nehmen;
Imo dass nebst andern vorzüglich die Protocolla der Agricultur-Ge-
sellschaften in denen Ländern, dann alle Normalien in Maut -Sachen oder
wo es dabey auf eine Abänderung in der Manipulation ankommt, bey
dieser Deputation voi'genommen,
Ildo dass die Räthe, welche von Seiten anderer Stellen den Zusammen-
tretungen beywohnen, hierwegen mit der gehörigen Instruction versehen
und keine Entschuldigung, als wären sie zur Abgebung ihrer Stimme nicht
begwaltet, angenohmen,
IIItl0 dass zu denen Sessionen der Deputation der Donnerstag jeder
Woche Vormittag von 10 Uhren bestimmt und solches der dabey zu in-
tei-veniren habenden Stellen behörig angedeutet,
IVto dass, wenn gleichwohl eine Stelle gegen das abgegebene Votum
ihres Raths oder sonsten gegen den ihr mitgetheilten Schluss der Depu-
tation noch einige erhebliche Erinnerungen anzubringen hätte, solche läng-
stens binnen drey Tagen der Deputation und von dieser Mir zu Meiner
Entscheidung eröffnet werden sollen, um den Vollzug des beschlossenen
allenfalls nicht länger auszusetzen,
Vto dass die Expeditionen bey den betreffenden Stellen dem ausge-
fallenen Schluss gemäss ausgeführt und die Abschrift jedesmal der Depu-
tation zur Einsicht abgegeben, endlich
VIto dass anfänglich von diesem Departement die Protocolla von 8
zu 8 Tagen zu Meinen Händen vorgeleget und sodann mit Ende des Jahres
über die geführte Gestion der ganze Ausweis Meiner Einsicht unterzogen
werden solle , allermassen ich die Verdienste derjenigen, die sich auf eine
ausnehmende Art bey diesem Departement vor andern verwenden, auch
besonders zu belohnen bedacht seyn werde.
Die Ausarbeitung, was den kreisämtlichen Instructionen wegen der
Aufsicht auf die Landescultur und das Commercienwesen beyzufügen wäre,
wird von der neu bestellten Deputation am ersten vorzunehmen seyn.
An den Grafen Hatzfeld erliess die Kaiserin am 7. Januar 1769 fol-
gendes Handschreiben :
Ich habe unter dem Praesidio Meines böhmisch-österreichischen ob-
risten Kanzlers und Commerz-Präsidenten Grafen Rudolph Chotek ein be-
sonderes Departement mit der Benennung einer Deputation in Staats-
Wirthschalts-Sachen zu bestellen befunden, wo unter der Vereinigung mit
dem Commerciali alle das Commerzien- Wesen und überhaupt die Verbes-
serung der innerlichen Staats-Wirthschaft betreffenden Anliegenheiten re-
spectu Meiner gesammten teutschen und hungarischen Erblande wenigst
quoad normalia et generalia vorgenommen und in dem behörigen Zusam-
menhang verhandelt werden sollten. Gleichwie nun hiebei nach Mass, als
es um ein so andere Vorkehrungen in den verschiedenen Ländern und
Administrations-Zweigen zu thun ist, die betreffende allseitige Stellen unum-
gänglich zu interveniren haben; als geht auch Meine Willensmeinung da-
hin, dass bey den wöchentlich am Donnerstag Vormittags abhaltenden
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324 See r.
Sessionen der ersagten Deputation, so oft es erforderlich und von dem
Praeside der Deputation solches verlanget werden wird, ein TJath von
diesen betreffenden Stellen, benanntlich von dem Hofkriegsrath der hun-
gari sehen und siebenbürgischen Kanzley, dem Banco, der Kammer, dann
der Rechen-Kammer erscheinen, in den ihm zukommenden Materien den
Vortrag machen, und sodann auch nach den in den betreffenden Punkten
ihm mittheilenden Protocolls-Extracten die Expedition bey seiner Stelle
zu veranlassen haben soll.
Die nähere Eintheilung wird ihm von Seiten des Chotek ohnehin noch
bekannt gemacht werden, indessen will ihm hievon vorläufig zu dem Ende
die Nachricht geben, um nach der bey der Kammer und dem Banco der-
malen bestehenden Eintheilung dahin die Veranlassung zu treffen, damit
jedesmal die Praesides der Commission selbst, somit die vorkommenden
Materien und ihr Departement einschlagen, nach Thunlichkeit den Zu-
sammentretungen der Deputation beywohnen, oder allenfalls, soweit solches
nicht thunlich fallen sollte, einen Rath und zwar allezeit von einem jeden
Departement den nämlichen dazu benennen und abschicken sollen.
Wobei dann noch zum Verhalt zu nehmen ist:
Imo dass allenthalben diese Käthe behörig instruirt zu erscheinen
haben, allermassen keine Entschuldigung, als wären sie zu Abgebung ihrer
Stimme nicht begwaltet, angenommen werden würde.
IIdo dass, wenn gleichwohlen eine Stelle gegen das abgegebene Vo-
tum ihres Kaths, oder sonst gegen den ihr mitgetheilten Schluss der De-
putation noch einige erhebliche Erinnerungen anzubringen hätte, solche
längstens binnen drey Tagen der Deputation und von dieser Mir zur
Kenntnis gebracht werden sollen.
Die Concurrenz der Kammer bey denen Sitzungen der Kreisämter will
nach seinem Einrathen hiemit aufgeben, dagegen wird die in denen Böh-
mischen Landen eingeführte Beobachtung der Creis-Amts-Eenovationen, da
hierdurch die Creishauptleute umsomehr aufmerksamer in ihrer Dienst-
Obliegenheit erhalten werden, auch ferners nicht ausser Acht zu setzen,
sondern von drey zu drey Jahren diese nämliche Renovation, doch ohne
einige weitere Taxentrichtung vorzunehmen und bey dieser Gelegenheit
über das Verhalten eines Jeden der Creis-Hauptleute die gewisse Infor-
mation von den Länderstellen einzusenden seien, mit Bemerkung derjeni-
gen, bey denen allenfalls die Stellen zu Amotion eine gegründete Ursache
voll obhanden zu 'seyn finden. Die Kanzley hat anbey noch in Ueber-
legung zu nehmen, und Mir ihre Gutmeinung zu eröffnen, wie eine gleich-
förmige Beobachtung auch in den österreichischen Landen, soweit sie allda
noch nicht bestehet, künftig einzuführen wäre.
Gegen das Handschreiben vom 7. Januar 1769, worin die Bildung
der Wirthsebaftsdeputation mitgetheilt wurde, erhob Graf Hatzfeld einige
Bedenken mit dem Hinweise auf das unter dem 24. December 1768 sta-
tuirte Normale, wonach die nunmehr in besondere Commissionen einge-
theilten Cameral- und Bancal-Deputationen dreimal in der Woche, nämlich
am Dienstag, Donnerstag und Samstag jede insbesondere zusammentreten
und ihre Agenda behandeln müssen, es daher gänzlich unthunlich sei, dass
ein Commissions-Director oder Rath den am Donnerstag haltenden Staats-
Wirth3chafts-Deputations-Sessionen beiwohne; da jeglicher Commissions-
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 325
Director oder Rath nur von jenen Geschäften die wahre Kenntniss und
Unterricht hat, welche in seiner Commission behandelt werden, so sei er
ausser Stand, das Referat bei der Wirthschafts-Deputation im Namen des
Banco oder der Kammer überhaupt zu führen. Es gebe dermalen noch
einige Räthe, welche von den meisten Gefällen eine Kenntniss haben, weil
vordem die Geschäfte bei der Kammer sowohl als bei dem Banco in einer
Session behandelt worden, und die Referenten nach den Ländern bestellt
waren, daher ein jeder Referent mehrere Gefälle zugleich zu respiciren
hatte; für das künftige könnte er jedoch nicht Bürge sein, da nach der
dermaligen Eintheilung jeder Referent nur Ein Gefälle zu besorgen hätte,
folglich von den übrigen eine Kenntniss nicht erlange. Um dem Allerh.
Befehl nachzukommen, wäre nur das einzige Mittel, wenn mit der der-
maligen Verfassung des Finanzwesens zu vereinbaren wäre, dass bei jeder
Commission und zugleich bei den Departements in Montanisticis und Ban-
naticis ein Referent bestellt, zugleich aber auch gestattet würde, dass an-
statt der allwöchentlich dreimal am Dienstag, Donnerstag und Samstag zu
haltenden Sessionen nur zweimal am Mittwoch und Samstag zusammen-
getreten würde.
Diekais. Entschliessung auf diesen Vortrag vom 10. Januar 1769 lautet:
Meine Willensmeinung in dem an ihn erlassenen Billet ist dahin
gegangen, dass, so oft bey der Staats- Wirthschafts-Deputation eine Materie
vorkommen würde, die mit der Besorgniss der ihm unterstehenden ver-
schiedenen Departements einen Zusammenhang hat, er auf die hievon durch
den Grafen Chotek erhaltene Anzeige den Praesidem oder einen Rath eines
jeden derjenigen Departements, in deren Agenda das objectum delibera-
tionis einschlagt, zu der Deputations-Session abzuschicken habe. Da nun
dieser Fall ein jedes Departement nicht allwöchentlich und die sämmt-
liche Departements sehr selten an einem Tage betreffen werde, so ist nicht
abzusehen, wie sich die nur zuweilen ereignen könnende Abwesenheit eines
oder andern Praesidis oder Raths die Abhaltung des Pleni bey der Kammer
oder der besonderen Sessionen bey denen ihr unterstehenden Deputationen
so leicht verhindern können. Sollte jedoch er Kammer-Präsident, für gut
erachten, dass statt der wöchentlich drei Commissions-Sessionen nur zwey
oder statt der zwey Zusammentretungen in Pleno nur eine gehalten würde,
so wäre allerdings geneigt, diesen Antrag zu begnehmigen, da es ohnehin
erwünschlich wäre, dass die Praesides und Räthe der verschiedenen Depu-
tationen zu so viel Rathssitzungen nicht über die Notwendigkeit ange-
halten würden, und ihnen mehrere Zeit zur Vorbereit- und Ausarbeitung
derjenigen Geschäfte, die bey den Sessionen behandelt werden, überlassen
werden möge.
Da am 19. Januar 1769 heisst es in einem Vortrage von Hatzfeld
vom 13. Januar 1769 die erste Zusammentretung der neuen Staats-
Wirthschafts-Deputation stattfinden wird, in welche viele Gegenstände der
Hofkammer und Ministerial-Banco-Deputation einschlagen, so erbittet sich
Graf Hatzfeld von der Kaiserin die Erlaubnis, jener selbst mit Beiziehung
des Hofraths Baron v. Neffzer beiwohnen zu dürfen.
Darauf antwortet die Kaiserin in einer eigenhändigen Marginalnote :
»Dises stehet ihme alzeit frey zu selben zukommen oder nicht und
werde alzeit vill ruhiger meine resolutionen geben wo er dabey ist.*
326 Beer.
V. (Zu S. 30 J.)
Die Aufgabe der obersten Finanzverwaltung soll darin bestehen, dass
sie die Staatsbedürfnisse ausmittelt, und ihre Sicherstellung bewirkt, in-
dem sie verhältnismässige Beiträge von den Mitgliedern der bürgerlichen
Gesellschaft in Anspruch nimmt, und sowohl für ihre Aufbringung, als
für die gehörige Verwendung zu den abgesehenen Zwecken Sorge trägt.
Diese verschiedenen Verrichtungen stehen in dem engsten und un-
mittelbarsten Zusammenhange. Sie lassen sich weder von einander trennen,
noch zwischen zwey oder mehreren Behörden theilen, ohne dass zugleich
das erste Princip einer zweckmässigen Finanzverwaltung, welches aus der
genauesten Uebereinstimmung der Bedürfnisse mit den Bedeckungsmitteln,
auf der vollständigsten Einheit und Gleichförmigkeit in den Disposizionen,
und auf einer klaren und leichten Uibersicht beruhet, verlegt würde.
Sollte die Finanzverwaltung blos die öffentlichen Bedürfnisse mit den von
einer andern Behörde gewählten und aufgebotenen Mitteln der Bedeckung
vergleichen und zusammenstellen, so würde sie zu einem buchhalterischen
Departemente herabgewürdiget. Hätte sie dagegen nur über die vorhan-
dene Baarschaft nach dem ihr mitgetheilten Bedarfe zu disponiren, ohne
auf die Sammlung der erforderlichen Baarschaft selbst Einfluss zu nehmen,
so würden sich ihre Funkzionen auf eine blosse Kassemanipulation be-
schränken, zu der es wohl keines eigenen Verwaltungszweiges bedarf.
Wenn sie endlich das Geschäft der Aufbringung oder Verwendung der
Bedeckungsmittel mit einer zweiten Bekörde theilen sollte: so würde keine
von beiden mehr die Verantwortlichkeit für die Sicherstellung der Staats-
bedürfnisse auf sich nehmen können; es würden Reibungen und Lähmun-
gen unvermeidlich seyn, weil es unmöglich ist, beiden einen nach festen
Grundsätzen streng geschiedenen Wirkungskreis zuzuweisen; es würden
kreuzende Disposizionen und widersprechende Entscheidungen erfolgen,
weil nicht zu erwarten ist, dass zwey Behörden in allen Fällen nach einem
Geiste, und nach gleichen Grundsätzen vorgehen; es würde endlich alle
Evidenz aufhören, und die in den Disposizionen über die Geldmittel des
Staats so nothwendige Schnelligkeit und Bestimmtheit gestöret werden — .
Ich würde eher wünschen, dass Euere Majestät der Central-Cominission
die Leitung aller finanziellen Angelegenheiten in den neuerworbenen Pro-
vinzen, die Sicherstellung des dort vorfallenden Staatsaufwandes mit be-
griffen, ohne allen Vorbehalt übertragen, und es würden gewiss daraus
geringere Nachtheile entspringen, als aus einer getheilten Leitung. Allein
abgesehen davon, dass dann doch zwey Finanzbehörden in der Monarchie
bestehen würden, während in einem wohlgeordneten Staate nur ein Mittel-
punkt für die Angelegenheiten der Staatshaushaltung existiren soll, halte
ich auch jede Vereinigung nnd Vermengung der finanziellen Verwaltung
mit der politischen für absolut schädlich, und der Bestimmung beyder
Verwaltungszweige zuwiderlaufend. Die politische und die finanzielle Ver-
waltung sind ihrer Natur, und ihren Zwecken nach so wesentlich von
einander verschieden, dass nur bey einer sorgfältigen Trennung ihrer
Funkzionen beide Behörden auf eine Art wirksam seyn können, welche
für den Staatsverein wohlthätig wird. Während die politische Verwaltung
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 327
die moralische und intellektuelle Veredlung der Nazion, die festere Ver-
schlingung der Bande des bürgerlichen Vereines, die Begründung innerer
Ruhe und Ordnung, und die Bewahrung und Vermehrung des Privat-
wohlstandes zum Zwecke hat, hat es die Finanz Verwaltung dagegen nur
mit den öffentlichen Bedürfnissen des Staates und mit den Mitteln ihrer
Bedeckung zu thun. Die politische Verwaltung ist insofern berufen, die
Kontrole der Finanzadministration zu bilden, als sie darüber zu wachen
hat, dass durch die letztere nicht das Privatvermögen auf eine Art in
Anspruch genommen werde, wodurch es erschöpft werden könnte. Allein
sie soll weder in die Funkzionen der Finanzverwaltung lähmend eingreifen,
noch selbst daran Theil nehmen. Im ersten Falle würde sie Kläger und
Richter zugleich werden, und im letzteren nicht mehr das Amt einer un-
befangenen Controlle ausüben können.
Nach dieser Andeutung der Gesichtspunkte, von welchen ich ausge-
gangen bin, erlaube ich mir, zur Entwickelung der Grundsätze zu schreiten,
nach welchen die Bezeichnung der Grenzlinien für die Wirksamkeit der
Organisirungs-Commission und der Finanzhofstelle zu geschehen hätte.
Da die Finanzverwaltung für die Sicherstellung der gesammten Staats-
bedürfnisse durchaus auf allen Punkten, nach welchen ihre Bedeckung
nothwendig wird, zu sorgen hat, so wird es unerlässlich, dass auch alle
Ei'trägnisszweige und Einnahmsquellen in den mit der Monarchie ver-
einigten Provinzen unter ihren unmittelbaren Einfluss gesetzt werden.
Euere Majestset dürften daher festsetzen, dass an den daselbst bestehenden
Erträgnissen, sie mögen aus was immer für einer Quelle entspringen, ohne
Zuratheziehung und Beistimmung der Finanzhofstelle keine Aenderung er-
folge, und dass den Finanzen für den daraas fliessenden Entgang in jedem
Falle in anderen Wegen der Ersatz verschafft werde. Es könnte der
Central-Commission dabey unbenommen bleiben, wenn sie einzelne Ein-
nahmszweige für die Kontribuenten drückend oder für den Nazionalwohl-
stand nachtheilig findet, nach vorläufiger Rücksprache mit der Finanz-
verwaltung auf ihre Umstaltung oder auf die Milderung harter Bestimmungen
anzutragen.
Es ist jedoch nicht genug, dass die Zuflüsse zur Bestreitung des
öffentlichen Aufwandes im Verhältnisse zu den Staatsbedürfnissen sistemi-
sirt seyen, sondern es ist eben so nothwendig, dass auch für die Auf-
bringung und Einhebung dieser Zuflüsse gehörig gesorgt werde. Da keine
Behörde ein näheres Interesse haben kann, dass die sistemisirten Beiträge
richtig eingehen, und da ihr nur bey dem richtigen Einfliessen dieser
Beiträge, für die Sicherstellung des Staatsbedarfes die Haftung auferlegt
werden kann: so muss ich ehrerbietigst darauf antragen, dass ihr auch
die eigentliche Verwaltung aller Erträgnisse, die Sorge für ihre Einhebung
und Evidenzhaltung ausschliessend übertragen werde. Die Landesbehörden
hätten sich daher künftig hierin blos nach ihren Weisungen zu benehmen,
und alle periodischen Uebersichten über den Ertrag der einzelnen Ein-
nahmszweige, sowie alle Anträge zu Nachsichten oder Befreiungen an sie
zu leiten. Sollte die Central-Commission, zumal bey den direkten Ab-
gaben, aus politischen Rücksichten zu Gunsten einzelner Bezirke oder
Steuerpflichtigen auf Nachsichten einzuschreiten sich bewogen finden, so
könnte sie dem unbeschadet, Euerer Majesta-t ihre Anträge vorlegen»
328 B e e r-
So wenig die Finanzverwaltung im Stande ist, die Bedürfnisse des
Staates sicher zu stellen, wenn ihr nicht die Sistemisirung und Ver-
waltung aller Erträgniszweige überlassen ist, ebensowenig vermag sie für
die gehörige Bedeckung zu sorgen, wenn die in den öffentlichen Cassen
vorhandene Baarschaft nicht ausschliessend unter ihre Disposition gesetzt
wird. Es müssen nothwendig Kreuzungen und Verlegenheiten daraus ent-
stehen, wenn zwey Behörden gleichzeitig über Kassemittel disponiren, und
die Erfahrung hat gelehrt, dass sie wirklich entstanden sind. Während
ich auf die vorhandenen Kassevorräthe in den venezianischen Provinzen
rechnete, und der italienischen Armee- davon zum Theile ihre Bedeckung
zudachte, erhielt ich von dem Fürsten Reuss kürzlich die Anzeige, dass
diese Verräthe durch andere Dispositionen, die mir unbekannt blieben,
erschöpft worden seyen. Ich sah mich auf solche Art einer Hilfe beraubt,
welche ich mit Recht in dem Anschlag der Bedeckungsmittel einbezogen
hatte, und das Militär, welches ich auf diese Bedeckungsquelle verwies,
ohne meiner Schuld einer Verlegenheit preisgegeben.
Damit aber, wenn die öffentlichen Kassen ausschliessend der Dispo-
sizion der Finanzverwaltung vorbehalten bleiben, die öffentlichen politischen
Anstalten nicht aus Mangel an den nöthigen Zahlungsmitteln aufliegen
können, hätte die Central-Commission als oberste politische Behörde einen
Voranschlag der Summen zu entwerfen, welche zur Bestreitung der Aus-
lagen bey dem Gottesdienste, bey dem öffentlichen Unterrichtswesen, und
zum Behufe anderer politischer Anstalten nothwendig sind. Dieser Vor-
anschlag wäre nach vorläufiger Rücksprache mit der Finanzhofstelle Euerer
Majestaet zur Sankzionirung vorzulegen, wonach bey den Landeskassen auf
die nach dem Voranschlage nöthigen Summen der Kredit eröffnet, und
die ratenweise Erfolgung derselben angeordnet werden würde.
Um Ordnung, Evidenz und strenge Oekonomie in die Verwendung
der Landeserträgnisse zu bringen, wird es übrigens vor allem unverschieb-
lich die Willkühr der Landesbehörden in der Bestreitung von Ausgaben
zu beschränken. Ich überzeuge mich aus den Kasseständen, welche zu
meiner Einsicht gelangen, dass in einigen der neuerworbenen Provinzen
bedeutende Summen einfliessen. Allein sie werden immer wieder eben so
sehneil durch beträchtliche Local-Auslagen erschöpft.
Es kann den neu gebildeten Landesbehörden leider dermal noch nicht
das Vertrauen geschenkt werden, dass sie dabey richtigen Grundsätzen
folgen, und mit kluger Sparsamkeit vorgehen.
Ich sehe mich daher zu dem Antrage gezwungen, dass den Länder-
stellen daselbst die Befugniss genommen werde, ausser sistemisirten Be-
soldungen, Pensionen und Provisionen andere Zahlungen selbst anzuweisen,
und dass sie verhalten werden, über alle im Verlaufe eines Monats vor-
fallenden Zahlungen vor dem Eintritte desselben, Voranschläge an die
Finanzstelle einzusenden, vor deren Genehmigung keine Zahlung zu er-
folgen hätte.
Diese Einleitungen scheinen nun um so nothwendiger, als diese Pro-
vinzen die einzigen Quellen zur Bedeckung des sehr bedeutenden Bedarfes
an klingender Münze sind ; diese Einleitungen sind überhaupt unerlässlich,
wenn die Finanzverwaltung die Haftung dafür übernehmen soll, dass sich
in der Bedeckung des öffentlichen Aufwandes in den neuen Bestandtheilen
Die Finanz Verwaltung Oesterreich* 1749 — 1819. 329
der Monarchie keine Lücke ergebe, und wenn man überhaupt von dem
Wunsche ausgeht, Einheit, Evidenz und Ordnung in die Leitung der
finanziellen Angelegenheiten daselbst zu bringen. Ich darf mich wohl
einer näheren Erörterung darüber enthalten, wie wünschenswert]! die Er-
reichung dieser Zwecke für die Finanzverwaltung unter allen Umständen
seyn muss, und wie sehr sie zumal gegenwärtig zum dringenden Be-
dürfniss wird, wo durch eine so auffallende Verschiedenheit in den Geld-
und Münzverhältnissen zwischen diesen Provinzen und den älteren Be-
standteilen der Monarchie eine Scheidewand gezogen ist, welche jede
Unterstützung der ersteren aus dem Mittelpunkte der Finanzen für die
Dauer unmöglich macht: wo nur die angestrengtesten, mit harmonischer
Übereinstimmung und mit dem ununterbrochenen Ueberblicke aller Hilfs-
mittel geleiteten Bemühungen hinreichen können, die ausgebreiteten Be-
dürfnisse des Staats zu befriedigen.
Wenn auf solche Art alles — was auf die Einnahmen und Ausgaben
des Staates — mit Ausnahme derjenigen, welche zum Behufe politischer
Anstalten gemacht werden — alles was auf das öffentliche Schuldwesen,
auf die Kassegebahrung, auf das Münzwesen Bezug hat, als zur Wirksam-
keit der Finanzverwaltung gehörig angesehen, dagegen alle nicht unter
diesen Abtheilungen begriffenen Angelegenheiten ausser ihren Einfluss
gesezt werden; so wird zugleich jeder Anlass zu Verwickelungen, und zu
Eingriffen in den gegenseitigen Wirkungskreis gehoben. Es bleibt mir
dann nur noch der Wunsch übrig, dass bei jeder Landesstelle in den
neuen Provinzen für alle diese Gegenstände, welche das finanzielle Inter-
esse berühren, ein Vereinigungspunkt gebildet, und dass sie einer, oder
nach Erforderniss zwey Geschäftsabtheilungen ausschliessend zugewiesen
werden. (Aus dem Vortrage Stadions vom 16. November 1814).
Aeusserung des Staats- und Konferenz-Ministers Grafen von Stadion
zu dem Konferenzprotokoll vom 3. Dezember 1814 wegen der zu be-
stimmenden Gränzlinie der Wirksamkeit zwischen der Central- Organi-
sirungs-Hofkommission und der geheimen Kreditshof kommisäion , dann
wegen der Leitung der finanziellen Angelegenheiten in den neuen Provinzen
überhaupt. Wien, den 12. Dezember 1814.
Ich habe mir vorbehalten, meine schriftlichen Erläuterungen zu dem
Konferenzprotokolle nachzutragen, falls die Konferenz bei meinen Anträgen
Bedenken finden sollte, weil es mir von der grössten Wichtigkeit zu seyn
scheint, dass dieser Gegenstand in ein vollständiges Licht gesetzt werde,
ehe er zur höchsten Entscheidung Euerer Majestät gelangt. Ich muss
mir vor Allem erlauben, die Definizion zu bestreiten, welche von den
minderen Stimmen über die Funkzionen des Finanzministeriums aufgestellt
worden ist. Nicht die blosse Nachweisung der Staatsbedürfnisse und die
Anweisung der disponiblen Geldmittel zur Bedeckung derselben, wie hier
angeführt wird, sondern die konzentrische Uebersicht und Oberleitung aller
Erträgnisszweige und Bedeckungsmittel zur ununterbrochenen und voll-
ständigen Sicherstellung des nöthigen Staatsaufwandes bilden den Inbegriff
der Verrichtungen des Finanzministeriums. Weder die Bankodeputazion
noch die Hofkammer im engeren Sinne, und nicht die Kreditskommission
machen das eigentliche Centrum der Finanzverwaltung, sie sind durchaus
blosse Abtheilungen, welche über einen mehr oder minder ausgebreiteten
330 B e e r-
Zweig des Finanzwesens die unmittelbare Leitung besorgen. Sie müssen
jedoch insgesammt von den Finanzministerium den Impuls erhalten, denn
nur von diesem können die Disposizionen im Grossen, insofern sie das
Staatshaushaltungswesen berühren, ausgehen, sowie sie auch nur dort
wieder in ihren letzten Eesultaten zusammentreffen. Schon hieraus ergiebt
sich, dass eine Trennung dieser Branchen oder einzelner Bestandteile
ihrer Wirksamkeit von den Funkzionen des Finanzministeriums nicht denk-
bar ist, ohne dieses in der Erreichung seiner Bestimmung zu paralysiren.
Es ist wahr, dass — wie Staatsrath Hauer anführt — in verschiedenen
Staaten die Verwaltung einzelner Gefälle besonderen Direkzionen über-
tragen ist. Allein weit entfernt, diese Direkzionen ausser den Einfluss
des Finanzministeriums zu setzen, sind sie vielmehr in solchen Staaten
unter die unmittelbare und ausschliessende Leitung desselben gesetzt.
Diese Verfassung lässt sich daher nicht als ein Argument für den Antrag
anwenden, nach welchem ein Theil der Staatsgefälle unter die Leitung
einer selbstständigen, von dem Finanzministerium gänzlich getrennten Hof-
stelle gebracht werden soll. — Es ist mir keineswegs entgangen, dass
auch in den deutschen Provinzen die direkten Steuern von den poli-
tischen Behörden verwaltet werden : allein abgesehen davon, dass erst
nachgewiesen werden müsste, ob diese Einrichcung sich auch als nützlich
bewährt, scheint mir gerade in dem als Motiv dieser Errichtung ange-
führten Umstände der ständischen Verfassungen und des ständischen Ein-
flusses auf die Einhebung der direkten Steuern, ein triftiger Beleg zu
liegen, dass in den neu erworbenen Provinzen, in welchen keine Stände
vorhanden sind, eine ähnliche Einrichtung überflüssig und unbegründet
seyn würde. Ueberdiess werden Euere Majestät Sich gnädigst erinnern,
dass, als man im Jahre 1811 den Grund zu einer neuen Ordnung in den
Finanzen legen wollte, mein damahliger Vorgänger im Finanzministerium
es nothwendig fand, auch die Einhebung der direkten Steuern unter
seinen unmittelbaren Einfluss zu setzen, wesshalb dieser Gegenstand mit
Uebergehung der politischen Hofstelle bei der unter seine Leitung ge-
stellten Central-Finanzhofkommission verhandelt wurde. Unter den der-
mahligen Verhältnissen durfte eine ähnliche Massregel kein geringeres
Bedürfniss und nicht minder begründet seyn. Unstreitig sind aber die
Nachtheile, welche aus einer getrennten Oberleitung der indirekten
Abgaben oder Gefälle entspringen, noch weit auffallender und bedenk-
licher. Sie sind grösstentheils von der Stimmenmehrheit der Konferenz
mit solcher Sachkenntniss dargestellt worden, dass ich mich jeder näheren
Erörterung darüber enthalten kann. Ich werde bloss bei den Anträgen
verweilen, mit welchen die minderen Stimmen diesen Nachtheilen zu be-
gegnen glaubten.
Graf Lazanzky meint nämlich, das Geschäft der Organisirung der Ge-
fälle könne füglich von der kurrenten Finanzverwaltung getrennt werden,
und stehe mit dem politischen Eiurichtungsgeschäfte in so engem Zu-
sammenhange, dass es gleichzeitig und bei einer und derselben Behörde
behandelt werden soll. — Allein was ist wohl die Organisierung von
Gefällen anderes, als die Sistemisirung der Zuflüsse, welche der Staats-
schatz im Wege der Gefälle erhalten soll, und wer kann diese Sistemi-
sirunsr und das Verhältniss dieser Zuflüsse zu den Bedürfnissen der
Die Finanzverwaltung Oesterreiehs 1749 — 1816. 33 J
Finanzen richtiger beurtheilen und angeben als das Centrutn der Finanz-
verwaltung? Euere Majestät haben in dem beiliegenden Konferenzvorakte x)
aus eigenem Antriebe befohlen, dass die neuerworbenen Provinzen »nach
ihren Kräften und im Verhältnisse zu den Lasten der deutschen Provinzen
zu den Bedürfnissen der Monarchie beitragen sollen.« Schon aus dieser
Erklärung, und aus der wiederholt ausgesprochenen Willensmeinung Euerer
Majestät, dass diese Länder nach einem gleichen Massstabe wie die älteren
Bestandteile der Monarchie belegt werden sollen, geht hervor, dass ihre
Beiträge nur im Zusammenhange mit den Bedürfnissen des ganzen Staats
und mit dem, was die übrigen Provinzen leisten, bemessen werden können.
Alle diese Behelfe befinden sich aber ausschliessend im Besitze der Finanz-
verwaltung. In Beziehung auf den zweiten Theil der Behauptung des
Gr. Lazanzky über den Zusammenhang zwischen den politischen und finan-
ziellen Einrichtungen muss ich übrigens auf die Bemerkung zurückkommen,
dass beide Verwaltungen ein ganz verschiedenes Objekt für ihre Wirk-
samkeit haben, indem die erstere die Rechte und das Wohl der Privaten
gegenüber dem Staate beschützt, die letztere aber den Staatsschatz in seinen
Rechten und in seinem Interesse vertritt. Es ist wahr, dass sie sich zu-
weilen in ihren Funkzionen berühren müssen, allein eben so berühren
sich auch die Funkzionen des auswärtigen Ministeriums und jene des
Kriegsdepartements, ferner das letztere und die politische Verwaltung.
Der Vereinigungspunkt für die verschiedenen Funkzionen der Staatsgewalt
kann sich aber in jedem Staate nur in der Person des Souveräns, oder
in der als sein Organ konstituirten obersten Centralbehörde finden. Wenn
ferner Or. Wallis und Gr. Lazanzky glauben, der gestörte Verband zwischen
dem Finanzministerium und der von ihm losgerissenen Gefällsleitung werde
durch die Gefällsreferenten, welche auch bei der Centralkommission diese
Angelegenheiten leiten, wieder hergestellt, und könne durch die Zuweisung
des Vizepräs. Gr. Herberstein zur Organisirungskommission noch mehr be-
festiget werden: so scheint mir in dieser Ansicht ein grosser Irrthum
zu liegen. So sehr ich es für nothwendig halte, das Geschäft der höheren
Finanzleitung nicht mit der Leitung der Gefälle und mit der ausführen-
den Finanz Verwaltung zu vermengen, und nur das erstere den unmittel-
baren Einwirkungen des Finanzministeriums vorzubehalten, so muss doch
nach meiner innigsten Ueberzeugung zwischen beiden stäts ein ununter-
brochener Zusammenhang und das Verhältniss von Unterordnung bestehen.
So wie die Gesichtspunkte für die Benützung der Erträgnisszweige des
Staats und für die Aufbringung seiner Bedürfnisse nur unmittelbar von
dem Finanzministerium ausgehen können, so kann auch weder der einzelne
Referent, noch ein Vizepräsident oder Stellvertreter des Hofkammer-
prräsidiums, insofern er als Mitglied einer dem Minister fremden Hofstelle
abstimmt, als das Organ des Finanzministeriums angesehen werden. Könnte
ich auch zugeben, dass dieser Abgang durch häufigen Schriftenwechsel
zwischen der Finanzverwaltung und der Behörde, welche einen Theil ihrer
Funkzionen an sich gezogen hat, ersetzt werden könne, so würde es doch
in die Augen springen, dass ein schlapper Geschäftsgang und schädliche
Stockungen in dem Einrichtungsgeschäfte selbst die unvermeidliche Folge
') Kaiserl. Erschliessung vom 31. Juli 1814.
332 B e e r-
davon seyn würden. Ich habe mich, seitdem Euere Majestät mich* zur
Oberleitung der Finanzen zu berufen die Gnade hatten, bereits damit be-
schäftiget, eine feste Grenzlinie zwischen den Geschäften, auf welche das
Finanzministerium unmittelbaren Einfiuss zu nehmen hätte, und zwischen
denjenigen, die zwar ohne unmittelbares Einschreiten des Finanzministeriums
jedoch nach seinem Impulse und in stätem Zusammenhange mit seinen
Operazionen zu behandeln wären, zu entwerfen. Ich würde Euerer Majestät
meine Ansichten hierüber bereits unterzogen haben, wenn nicht meine
eingetretene Krankheit mich daran verhindert hätte. Euere Majestät
werden Sich aus denselben überzeugen, dass *ich das Finanzministerium
von allen jenen Gegenständen zu entledigen wünsche, welche meine Auf-
merksamkeit von dem höheren Interesse der Finanzen ablenken und die-
selbe hindern die wichtigsten Resultate finanzieller Erscheinungen ununter-
brochen im Auge zu behalten. Diess darf mich jedoch nicht abhalten,
alle jene Angelegenheiten für die Finanzverwaltung zu vindiciren, ohne
welchen eine konzentrische Leitung, Einheit in den Operationen und Er-
zielung von Evidenz nicht denkbar ist. Die Nachtheile, welche daraus
entspringen, wenn zwei verschiedene Behörden über eine und dieselbe
Kasse disponiren, haben sich bereits durch die Erfahrung so sehr bewährt,
dass ich mich jedes Beweises darüber enthoben glaube. — Je grösser die
Bedürfnisse des Staats sind, je schwerer die Aufgabe der Finanzverwaltung,
und je dringender es ist, zu einem Zustande fester Ordnung in dem
Finanzwesen zurückzukehren, um so nachdrücklicher muss ich Euere
Majestät auch bitten, der Behörde, welcher die Lösung dieser Aufgabe
obliegt, und welche Euere Majestät dafür verantwortlich machen, kein
Hilfsmittel zu versagen, auf welches sie einen so hohen Werth legt, und
welches ihr nach dem Ausspruche der, aus Männern von langjähriger Er-
fahrung im Fache der Finanzen bestehenden Stimmenmehrheit der Kon-
ferenz unentbehrlich ist. Ich muss daher bei dem dringenden Wunsche,
dass Euere Majestät meine Anträge ohne Vorbehalt gnädigst zu genehmigen
geruhen, ehrfurchtsvoll beharren. Ich erlaube mir nur noch beizufügen,
dass sowie bereits Gr. Herberstein selbst erklärt hat, dass er das ihm
nach dem Antrage des Gr. Wallis zugedachte Vizepräsidium bei der
Organisirungskommission ohne Abbruch der ihm gegenwärtig obliegenden
Geschäfte nichts übernehmen konnte, ich gleichfalls überzeugt bin, dass,
da er dermal nach der höchsten Intention Euerer Majestät die Leitung
der verschiedenen Sekzionen der Finanzhof stelle, den Vorsitz bei den Be-
rathungen und die Geschäfte der Eevision besorgt, eine dem Dienst höchst
nachtheilige Stockung in dem Geschäftsgange bei dieser Stelle unvermeidlich
seyn würde, wenn er seine Zeit künftig zwischen diesen Geschäften und
jenen der Organisirungskommission theilen sollte.
Aus der amtlichen Correspondenz.
I.
Wien, 31. October 1745.
Lieber Graf Dietrichstein!
Es ist Euch ohnedeme bewusst, dass Ich zu desto genauerer und
besserer Besorgung deren Berg- Werks und dess Münz- Wesens aller Meiner
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 333
Erb-Landen unter dem Praesidio und der Direction des Grafen von
Königsegg-Erps eine Hof-Commission als ein Eigenes und Independentes
Collegium resolviret habe. Aus beyliegender Abschrift meines gnädigsten
Hand-billets an ob-gedachten Grafen werdet Ihr das mehreren ersehen,
inwieweit eines Theillss dieses Collegium alss ein pars camerae zu con-
sideriren und auf was Weys und Art selbiges andern Theillss eine eigene
und independente operirende Hof-Commission seye. Auch von Münz-Wesen
nichts und kein Land, von denen Berg- Werken aber keine andern, als die
böhmischen allein, excipiret und demnach die banatisch-, mährisch- und
schlesische so wohl alss alle andere ohne Ausnahme deren Eisen-Berg-
Werke zu dieser Commissien gehörig seyen, und nachdeme Mein Dienst
erfordert, dass selbige ungesäumt in Activität komme, so sollet Ihr ohne
Zeitverlust alle nöthige Befehle expediren lassen und selbe nach Erfor-
dernuss unter Meiner Unterschrift oder Hof-kammer-Räthl. Fertigung be-
förderen, dessenhalben denen Land-Kammern, Administrationen, Kassen,
Buchhaltereien, Kanzleyen, Ober- und anderen Beamten das Nöthige zu
intimiren und alle und jede Berg- Werks und Münz- Beamte an ihme, Grafen
v. Königsegg-Erps und die unter seinem Praesidio errichteten Hof-Com-
mission anzuweisen.
Uebrigens erwarte Ich von Eurem und gesammter Hof-Kammer Dienst-
Eifer dass Eueres Orts dieser neuen Hof-Commission all-möglicher Beystand
und Vorschub werde gegeben, ihr keine Informationes entsaget, weder
Schwürigkeit gemachet, und in denen Fällen, wo Concertirungen und ge-
meinschaftliche Referata erforderlich, mit der zu Meinem Dienst nöthigen
gutten, Einverständnuss werde zu Werke gegangen, in der Hof-Kammer
Kanzley aber die von dieser Commission dahin kommende von dem Grafen
v. Königsegg-Erps und dem Secretario unterschriebene Concepten ohne
Verspättung und schieinigst geschriben und expediret werden, damit sie
bey Zeitten so wohl (wan es erforderlich) zu Meiner alss stätts zur Com-
missions-Unterschrift und zu der Post befördert werden. Und wegen der
starken Correspondenz welche ihme dies zuziehet, werdet Ihr auch die
Befehle an das Post-Amt besorgen, damit er Graf Königsegg von dem
Brief-Porto frey gehalten werde.
Verbleibe Euch mit k. und k. Gnaden wohl beygethan
Maria Theresia.
Eigenhändig hinzugefügt :
Wie stehet es mit dem haubtbuch vicedomb und rechnung einrichtung
dis alles wird indessen wohl ausgemachet seyn.
IL
Lieber Graf Kinsky!
Nachdeme die Erfahrung bishero gezeiget, wie nöthig es sey, dass zu
Einführ- und Fest-Stellung eines Universal-Commercii in Meinen gesammten
Erblanden eine stäte unerlässliche und fördersahme Obsorg sowohl in
deliberando als expediendo getragen seye, folglich zu solchen End ein
ganz besonderes von Mir unmittelbahr dependirendes Directorium stabi-
liret werde, welches gleichwie bishero die das Commercium respicirende
Materien sparsim bey allen Hof- und Land -Mitteln sehr different trac-
tiret worden und dahero niemahlen der rechte Endzweck ein Universal-
334 ßee v.
Commercium einzuführen erreichet noch ein dahin abzielendes einförmiges
Systema gefasset werden möge, fürohin universaliter alle in diese Sphaeram
einlaufende Materien conjunctim und allein tractiren solle, als habe Ich
diessfall in Euch Mein Vertrauen gnädigst gesezet und bin dahero ge-
wollet, dass unter Euerem Praesidio das Universal-Commercial-Directorium
constituiret und darzu die Assessores aus Meinen Hof-Stellen und zwar
von der hungarischen Kanzley der Fekete, von der böhmischen der Kanne-
giesser, von der österreichischen der Doblhoffen und von der unter Euerem
Praesidio ohnehin stehenden Ministerial-Banco-Deputation der Schwandner
zugezogen, Euch aber dabey frey stehen solle, allen insgesammt oder auch
nur einen oder den andern zu dieser oder jener Session pro re nata an-
sagen zu lassen.
Die vorhin in den Ländern angestellten Commercien-Collegia und
Commissiones werden dadurch nicht aufgehoben, sondern vielmehr in ihrer
Activität bestätiget und behalten vor wie nach ihre Relation und Dependenz
zu denen Hof-Kanzleyen; alle von diesen Commercien-Collegiis oder auch
sonsten von anderwärts her bey denen Hof-Stellen in re commerciali ein-
laufende Relaliones Bericht und Anbringen aber sollen sodann wegen des
Zusammenhangs gesammter Länder und einzuführen intendirenden Uni-
versal-Coinmercien von denen Hofräthen in das unter Euch angestellte
Direktorium Mitgebrachte daselbst vorgetragen, darüber delibiriret pro re
nata entweder ein Schluss gefasset oder aber die Sach Mir referiret und
Meine Resolution erwartet werden. Die Expeditiones können darüber so-
dann gleichwie von Euch an die Zoll- und Mauth-Aemter also von denen
Hof-Kanzleyen an die Dicasteria deren Länder und Commercien-Collegia
erlassen, von gedachten Hof-Stellen aber wegen des allgemeinen Zusam-
menhangs in Manufactur- und andern Commerz-Sachen nichts vorgenohmeu
noch expediret werden, welches nicht vorhero in denen General- Commer-
cien-Directorien berathschlaget und resolviret worden, wie denn auch die
in Commerciali über die von Euch gefassten Resoluta von denen Kanz-
leyen abfassende Expeditionen Euch vorläufig ad revidendum vorgezeiget
werden sollen und gleichwie vorhin besagter Maassen alle das Commer-
cium respicirende Materien künftighin bey Euch vorgenohmen und berath-
schlaget werden sollen, also habt Ihr auch insonderheit und
Imo an die bessere Einrichtung deren Mäuthen und Aufschlägen wo-
durch dem Handel und Wandel so vieler Schaden besonders in Oesterreich
und in Mähren respectu des hungarischen Commercii zugezogen worden,
alsobald die Hand anzulegen;
IId0 eine beständige Obsorg auf die Producta und Manufacta deren
Länder und den damit nutzlich einzuleiten kommende Barato zu tragen;
und gleichwie
HItio die Navigable-Machung deren häufigen Flüssen womit die Natur
die Erblanden gesegnet und deren selben Conjunction auch die Erhaltung
und Reparation deren Commercial-Strassen dem Handel und Wandel den
grössten Vorschub geben werden kann, also wird auch darauf ein be-
sonderen Bedacht zu legen seyen.
jyto Verdienet das Commereium zu und aus dem Littorali austriaco
eine Haupt- Consideration, worüber und was alldorten sich vor Mängel be-
finden und was etwa nuzlich einzurichten seye? Vorhin ganze Deductiones
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 335
vorhanden seyend und gleichwie viele dieser Mängeln jedoch nur, insoweit
selbe in das Justiz- und Polizei-Weesen einschlagen, durch die österrei-
chische Hof-Kanzley und Commercien-Direction alsogleich abgestellet werden
können ; als wird hingegen über all dasjenige was allda und Innerösterreich
zu dem Commerciali gehöret, allein bey dem Euch anvertrauten Haupt-
Directorio zu deliberirn und zu Schlüssen seyen, allerrnaassen dann die
dortige Intendanza, wie solches hiemit geschiechet mit ihrer Dedendenz
lediglich an Euch angewiesen, mithin allein und unmittelbar ihre Rela-
tiones an Euch zu erstatten und von Euch ihr Verhaltungs-Befehl zu ge-
warten haben wird.
Vto Ist auch für die Einrichtung ordentlicher Commercial-Strassen
umb denen häufigen Zoll-Defraudationibus vorzubeugen, sobald nur immer
thunlich, vorzudenken, überhaupt aber und
VIto wird bey dem General-Commercien-Directorio über den Zusam-
menhang des erbländischen Commercii mit frembdem Nationen und die
dabey sich ereignende Anstände oder Vortheile zu berathschlagen seyn,
zu welchem End Wir dann die Ministros Fremder Puissancen , welche
des Commerciums halber hierorts was anzubringen haben oder einen
Commerzial-Tractat anstossen wollen, an Euch anweisen lassen werden,
um es nachgehends und conferencialiter vortragen zu lassen und zu resol-
viren. — Deine Ihr also in Allen wie nachzukommen schon wissen werdet
und Wir verbleiben etc.
Wien, den 6. April 1746.
III.
Lieber Baron Bartenstein!
Bey Einrichtung deren SteUen habe Ich den höchsten Entscbluss
gefasst, dass Mein Commercien-Rath künftighin von allen andern Hofstellen
abgesondert, und mit einem eigenen Praesidenten, so wie mit eigenen
bey keinem anderen Stellen angestellten Räthen besetzet werden solle ;
Ich gesinne dahero hinmit an Euch gnädigst, womit Ihi über die
Commercialgeschäfte, welche bishero unter dem Grafen Rudolph Chotek
dirigiret worden sind, bis dahin, als Ich den künftigen Commerc'.enrath
reguliren werde, ad interim das Praesidium, nach dem in euere diesfällige
Känntniss, in der Euch beywohnenden, Mir wohl bekannten Geschicklichkeit,
setzenden gnädigsten Zutrauen übernehmen, und führen, auch deren in dem
anschlüssigen Schemate begriffenen Räthen und Secretären provisorie zu
diesem Commercial-Departement Euch gebiauchen sollt. Mit kaiser-. königl-,
und Erz-Herzoglichen Gnaden Euch wohlgewogen verbleibend. Wien den
27. Jennei 1762.
Maria Theresia.
IV.
Handschreiben an Herberstein praes. 8. März 1762.
Ich habe verschiedentlich wahr genohmen, dass Meine nun angestellte
Vinanzpräsiedenten über die Execution des von Mir vestgesetzten neuen
Finanzsystematis sich nicht wohl vereinigen können; da nun die Ursache
dieser Umständen in dem bestehen dürfte, dass ein so andere) derenselben
sich noch keinen vollkommenen Begrif von denen Gränzen seinen Amts-
336 B e e r-
Verrichtung gemacht haben müsse, und vielleicht auf die alte Einrichtung
zu viel zurück gesehen werden wolle. So finde erforderlich Meines Dienstes
zu seyn. zu Behebung dieser difficultäl en denen dreien Finanz-Praesidenten
die hier anschlüssige das gefaste System erläuternde Punkten zu dem End
mitzutheilen , auf dass Sie hierüber sogleich zusammentreffen, die Gegen-
stände sammt und sonders genau erwegen, und Mir sodann ohnverschieb-
lich ihr gemeinschaftliches Gutachten erstatten solkn.
Allein bevor seze Ich voraus, dass das vor Mir entschlossene System,
von welchem, als einer in der Natur deren Sachen, und in der besten
Ordnung gewidmeten Einrichtung, die sich in alle Theile der Finanz- und
C r e d i t -Wesens erstreckt, Ich keineswegs abzugehen gemeinet bin, nicht
wohl möglich bestehen könne, wenn die für solches wohlgestelte Ilaupt-
Principia nicht genauest beobachtet und auf solche nicht in allen herfür
berechnenden Fällen sogleich zurückgesehen werden will, daher gegen,
wenn zu solchen recurriret wird, sich jeder noch so anstössig rechnender
Casus entwickeln muss.
Kraft dieser Grundsätzen ist die Verwaltung deren Gefällen, die Geld-
einnahme, und Ausgabe, dann die Verrechnung, so ehedeme mit einander
vereiniget waren, und unter einer Direction stunden, abzusondern, von
Mir beschlossen wordeu, wodurch also das gesammte Finanzwesen ein
andere Gestalt erhält, und was die Cammer vor diesem allein war, sich
nunmehro in die drey Finanzstellen eingetheilt befindet, dergestalten, dass
diese drey von nun an die vorherige Agenden der Cammer abgesonderter
zu verrichten habe; woraus sich von selbsten folgert, dass die Cammer
sich in ihren Amts-Handlungen alleine mit der Administrirung aller Meiner
Gefällen zu beschäftigen, somit diese zu vermehren, und die auf das Höchste
gebrachte bey Kräften zu erhalten habe; dass ferner alle Einkünften der
Monarchie in die Caisse generale einfliessen, und hinwiederumen alle Aus-
gaben derselben durch solche bestritten werden müssen, und dass end-
lichen von der Eechenkammer, als der Controlle generale ohne Ausnahme
in all dasjenige frey und independent zu besorgen seye, was von deren
gesammten bishero von denen Stellen abhängig gewesenen Buchhaltereyen
bewirket worden.
Weiters hat die bereits aufgetragene Verfertigung des so genannten
Staatsinventarii eine deren vorzüglichsten Bsechäftigungen der dreyen
Finanz - Praesidenten zu sein, da ohne solchen weder in Credit, noch in
dem übrigen Finanz- und Administrationswesen etwas Grosses als Voll-
kommenes zu Stande gebracht, weder eine richtige Balance zwischen den
Staatseinnahmen und Ausgaben gezogen werden kann. Ich sehe solchem-
nach als die dringlichste Notwendigkeit an, womit dieses so wichtige, als
weitläufige Werk zu seiner baldigen Richtigkeit und Endschaft gebracht
werde, und übertrage dahero hiemit die zu Erreichung dieses Endzweckes
bishero unter dem Praesidio des Rudolph Chotek niedergesetzt gewesene
Finanz-Commission an die drey Finanz-Praesidenten, welche eine vollstän-
dige Nachricht, wie weit die^e gekommen, einzuziehen, mit dieser Arbeit
in öfteren Zusammentretungen fortzufahren und sich hiebey nach denen
an die ernannte Commission ergangenen abschriftlich beischliessenden Ver-
ordnungen zu richten haben.
Maria Theresia.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 337
An den Grafen Herberstein praes. 31. März 1762.
Mir liegt einestheils nichts mehreres als die Aufrechterhaltung des
Banco-Credits am Herzen, anderseits aber vermag Ich in Zurücktretung
auf das erste Banco-Institutum des Mir und Meiner Camer wegen Meiner
dem Banco verpfändeten Cameral- Gefälle zukommenden Compossessrechts
in der Administrirung derenselben Mich keineswegs zu begeben ; Ich habe
dahero nach reifer Erwägung, wie theils ein und das andere in seine
Kraft und Wirkung gesetzt werden könne, zum Theil hingegen jene Be-
schwerlichkeiten , welche sich bey der Auf- und Einsicht der Banco-
Gefällen- Administration jetzt, oder künftig ergeben dürften, gehoben wer-
den mögen, kein ausländlicheres Mittel vorgefunden, als dass der Camer-
Präsident qua compossessor allen in Banco-Gefälls-Administrations-Sachen
gehalten werdenden Banco-Eaths-Sessionen ordentlich mit etwelchen seinen
Hof-Camer-Käthen beywohne, was Er bey denen allda verhandlet werden-
den Gefälls - Anliegenheiten Meines dienstes zu seyn findet, erinnere, und
so oft die Meinungen des Camer-Präsidentens mit jenen des Banco-Präsi-
dents nicht conform wären, ein so andere Mir zu Meiner Entscheidung
vorgeleget, weiters jede Expedition von dem Camer - Präsidenten ehevor
vidirt und alsdann von dem Banco-Präsidenten expedirt werden solle.
Nachdem in Ihn sowohl als den Hatzfeld setzenden Vertrauen versehe
Mich zum Voraus, dass sich beide zur Beförderung Meines Dienstes, und
zu Erreichung obigen Endzweckes vollkommen gemeinschaftlich eingehen
werden; Er hat demnach mit Hatzfeld sogleich zusammenzutreten, und
verstatte Ich Ihm, dass Er Mir, wenn Er etwas gegründetes hierwegen
einzuwenden hat, bis Morgen Abends seine Gutmeinung schriftlichen er-
öffnen möge. Maria Theresia.
VI.
Nachdem an der Emporbringung des Commercii Alles gelegen und
ein jeder Staat darauf als auf einen seiner vornehmsten und wichtigsten
Gegenstände den sorgfälligsten Bedacht zu nehmen hat, und Ich auf dieses
so beträchtliche Object Mein vorzüglichstes Augenmerk richte, so hat der
Commercienrath nun allem bevor jene unverbesserliche dem dermaligen
Systemati ganz gemässe Grundsätze, welche im J. 1749 zu Erhebung
Meines teutsch-erbländischen Commercii und deren Manufacturen ange-
nohmen und dem Publico verkündigt, worden, zu seiner Kichtmass zu
nehmen und Mir vorzuschlagen, auf was Art und Weise und mit was
für einleuchtenden Begünstigungen derselbe nach diesem Fuss das Com-
mercium einzurichten, eine prompte Justiz einzuführen, dann was er zur
Beförderung Handels und Wandels in Ansehung deren Mäuthen, dann
wegen deren bishero arbitrarie ausgelegt — und exequirten Tarifen für
Ziel und Mass nehmen wolle, allermassen wenn nach diesen wirklichen
Grundsätzen, davon der Commercienrath die sammetliche Acta vorhanden
hat, gearbeitet und diese allenthalben in den Vollzug gesetzt werden, deren
gedeihliche Wirkungen sich von selbsten ergeben und in dessen Folge
die Inländeer ihre Industrie vermehren, die fremde Negocianten ihre Comp-
Mittheilungen XV. 22
338
Beer.
toirs in Meine Landen selbsten einlegen und dadurch die Manufacturen
und Commercien in wenig Jahren allgemein werden müssen. Es kommet
also alles darauf an, dass diese allschon bestehende heilsame Anordnungen
allenthalben in ihren Vollzug gesetzet werden, welches jetzo leichter als
vormalen geschehen mag, nachdem die Sachen allenthalben schon vor-
bereitet und zu endlicher Execution reif sind. Die Manufacturen sind
bereits in grosser Menge und fast in allen Gattungen eingeführt, das Volk
gewöhnet sich zur Industrie, der Willen zu denen Commercien erhebt sich
und die Fremden richten schon ihre Aufmerksamkeit auf diese veränderte
Gestalt der Sachen; Was also im J. 1749 nur zu wünscheu und schwer
zu erreichen gewesen, dieses kann nunmehro verlässig gehoffet und leicht
erlanget werden. Die schwere Last deren Mauthen ist der alleinige Ge-
genstand, welcher annoch zu überwinden ist; die Notwendigkeit dessen
ist schon 1749 erkennet worden, damahlen aber wäre die Ausführung
schwerer als jetzo, denn zu selbiger Zeit hätte eine gewisse Erträg-
niss für eine künftige Hoffnung hintangelassen werden müssen, der-
mahlen aber zeigt sich die Eückgabe dessen, was auf der einen Seite nach-
gelassen wird, sogleich wiederum auf der andern und die Hoffnung ist
bestens begründet, dass diese Rückgabe sich noch vervielfältigen wird,
nachdeme die in mittelst errichteten Manufacturen und das daraus ent-
springende Commercium nur auf diese Erleichterung warten, um sodann
sich allenthalben zu verbreiten. Deme kommet hinzu, dass die beglückte
Lage der Sachen sich in meinen teutschen Erblanden eben in der Zeit
darstellet, da in den meisten übrigen Landen die Manufacturen und Com-
mercien gehemmet sind und durch die mehrj ährige Hemmung von selbsten
einen anderweitigen Zug suchen, sofort sich dahin wenden, wo sie eine
Begünstigung finden. Der Commercienrath hat demnach zu allenthalbiger
Execution des ernannten anno 1749 erwählten Grundsätze ohnversichtlich
fürzuschreiten, und wenn auch was dazu nöthig, mit der Kanzley, Kammer
und Bancodeputation zu berichtigen, insonderheit aber wegen des Mauth-
wesens und deren Tarifen sich mit denen obbemeldeten Stellen angelegen
zu halten, damit dieses allenthalben in eine solche Ordnung gebracht
werden möge, dass dabey all denen Manufacturen und dem Commercio
schädliche Beschwerungen und Unannehmlichkeit behoben werden, wo so-
dann und wenn ein so anderes in das rechte Geleis eingeleitet seyn wird,
zu der so nöthigen als ersprieslichen Verbindung deren Commercien
Meiner Niederlanden mit denen teutschen zu Werk gegangen werden kann.
Im Uibrigen theile Ich ihme den beiliegenden Antrag wegen Erzeu-
gung des Abbatuchs in Meinen Landen mit und erwarte darüber seine
Gutmeinung, wornächst Altem bevor getrachtet werden muss, dass der
das Anerbieten machende Kaufmann behandelt werde, diese Tuchsorten-
fabrik in Kärnthen oder einer andern Meiner teutschen Provinz anzulegen.
VII.
An den Grafen Andlern, präs. 2. April 1762.
Es ist zwar vorhin mit allem Eifer behauptet worden, dass beim
Transito und übrigen Mauthwesen Alles in der Eegel sei, dermalen aber
zeigt sich das gerade Gegentheil. Das im Jahre 1749 allhier publicirte
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 339
Avertissement enthält allerdings die richtigsten Grundsätze, es ist aber
denen selben schnurgerade zuwider gehandelt worden. Um also bei ein
und dem anderen denen Gebrechen abzuhelfen, und den rechten Weg ein-
zuschlagen, so ist zwischen denen dreien Finanzstellen und dem Com-
merzienrath nicht nur über das Mauthwesen, sondern auch über die Art
der weiteren Ausarbeitung eine Concertation zu pflegen, und dabei die
wichtige Frage in Erwägung zu ziehen, ob und wieweit gleichförmige
Tarifen für alle meine Länder, Hungarn cum annexis provinciis, dann
Tyrol und die Vorlande ausgenommen, allwo ganz andere Massregeln ge-
braucht werden müssen, entwarfen und ob alle inländicche Mauthen ab-
geschafft, somit auf die äusserste Grenzen transferiret, auch wie alle Ge-
brechen bei der Manipulation und Eegie des ganzen Mauthwesens abge-
stellet und vollkommenere Einrichtungen zu Stande gebracht werden
könnten, massen nichts gewisseres ist als dass eine gute Regie oder
Fenne mixte oder andere Wege sehr namhafte Summen profitiret werden 1).
Maria Theresia.
VIII.
An den Grafen Herberstein praes. am 17. Juni 1762.
Ich habe den hiesigen Regierungs-Canzler, welcher die Fortsetzung
des Codicisa austriaci unternimmt, durch eine Behörde anweisen lassen,
mit jeder Hof-Stelle über jene Generalien, so sie betreffen, u. welche
publici juris gemacht werden können, die vorläufige Ueberlegung zu pflegen,
welches also in Ansehen jener Stücken, so das Camerale betreffen, zu
beobachten ist.
IX.
Eigenhändiges Handbillet an den Grafen Choteck.
Empfangen am 18. Dezember 1762.
Ich will, dass alle Mittwoch die verordnete Zusammentretung mit
den drey Finanz- oder anderen Stellen solle gehalten werden, und zwar
um 9 Uhr früh, die Präsenzen allezeit beyzusetzen, und das Protokoll
Mir allezeit davon abzugeben, hoffend, dass, nachdem der Tag benennet
ist, alle präparirt seyn werden und die Sachen endlich allda sollen aus-
gemachet werden, denn unmöglich die Sachen so lange gehen können
künfftig ä).
X.
An Grafen Hatzfeld den 20. Junii 1765.
Wehrend der Zeit Meiner Abwesenheit sind die an Mich erstattende
Vorträge alhier zu Händen des geheimen Secretarii Hölzel verschlossener
abzugeben, so, dass solche täglich bis abends dahin gelangen, allermassen
') An den Grafen Herberstein 5. April 1762.
2) Diese Verordnung hatte zu circuhren bey den Grafen Breuner, Johann
Chotek, Herberstein, Hatzfeld, Zinzendorf, Andlern.
22
340 Beer-
derselbe bereits angewiesen ist, dasjenige, was an Mich zu befördern
kommet, von Tag zu Tag bis Abends um 8 Uhren abzuschicken. Die
Aufschrift bei diesen verschlossenen Vorträgen ist von aussen gewöhn-
lichermassen an Mich zu stellen, doch werden diejenigen, wo etwa zu
Meiner besonderen und unmittelbaren Wissenschaft etwas anzuzeigen, oder
vorzustellen befunden wird, besonders einzumachen, und wird von aussen
noch die Anmerkung zu Meinen Händen beyzusetzen seyn. Wo übrigens
Meiner schon ergangenen Anordnung gemäss ist, dass in den Vorfällen,
bey welchen Periculum in mora obwaltete, und wo die Stellen für sich
fürzugehen sich nicht getraueten, an den Breüner sich gewendet werden
solle.
Maria Theresia accepi 21. Junii 1763.
XI.
Meine Willens Meinung gehet zwar dahinne, doch während meines
bevorstehenden Aufenthalts in Tyrol die hiesigen Stellen, so wie bishero,
operiren sollen. Da sich aber solche Vorfälle ereignen könnten, bei welchen
periculum in mora obwaltete, und wo die Stellen für sich fürzugehen sich
nicht getrauten ; so habe in solchen Fällen Meinem Obersten Justiz-Praesi-
denten die Besorgung hierüber aufgetragen, als welcher sodann die-
jenigen Eäthe, welche er hierzu nöthig findet, vorzuruffen, das erforder-
liche zu verfügen, und was geschehen, Mir schleunigst zu berichten haben
wird. Und falls sich etwann während meiner Abwesenheit solche Zufälle
ereignen sollten, in welchen der gedachte Breüner einer schleunigen Geld-
hülfe benöthiget wäre; so ist demselben das erforderliche auf seine An-
weisung ohne Vorschub zu verabfolgen.
Maria Theresia.
XII.
Zu mehrerer Beförderung der Expeditionen, sind in der Zeit meiner
Abwesenheit, die Kescripte oder Befehle in jenen Geschäften, die Meine
Unterschrift erfordern, ad mundum geschriebener, den mir einschickenden
Vorträgen beyzulegen, damit Ich solche, nebst der ertheilenden Reso-
lution auf den Vortrag, unterschriebener zurück schicken möge.
Grätz d. 8. Juliy 1765. Maria Theresia.
XIII.
An Graf Hatzfeld, den 26. August 1765.
Aus dem nebenfindigen Anschluss erseht er des Mehreren, wie Ich
die Eintheilung der agendorum zwischen der Kanzley und den Finanz-
stellen nach dem getroffenen gemeinschaftlichen Einverständniss zu be-
gnehmigen befunden. Hiernach wird also von Seiten der Finanzstellen
das gehörige Eichtmass zu nehmen und das weiters Nöthige annoch zu
verfügen seyn, damit dieses System mit dem Eintritt des nächstkünftigen
Militärjahres anzufangen zur allseitigen Beobachtung gebracht und forthin
auf das genaueste eingehalten werden möge. Zugleich will zur künftigen
Nachachtung noch festgesetzt haben, dass
Die Finaiizverwaltung Uesterreichs 1749 — 1816. 341
I.mo die Benennung der Länder-Capi und die Bestellung der Güber-
nien wie auch der Kreishauptleuten mittelst eines gemeinschaftlichen
Vortrages der Kanzley und der Kammer künftig zu geschehen habe,
dann dass
II.db besondere Senatus bey jedem Landesgubernio unter dem Vorsitz
des Landes-Capi mit 2 oder 3 Käthen anzustellen, welche das Contribu-
tionale und das Finanzwesen jeden Landes unter dem Namen des ganzen
Gubernii zu besorgen haben sollen. Im Uebrigen kann circa modum und
concertationem dann circa delectum personarum die nähere Einverständniss
zwischen denen Capi derer Stellen annoch gepflogen und ein so anders
nach geineinschaftl. Befund berichtigt werden.
Maria Theresia.
Dem Handschreiben vom 26. August 1765 beiliegend.
Jene Agenden, welche die böhmish-österreich. Hofkanzley mit der
Hofkammer zu concertiren hat, sind die folgenden: Die Postulirung und
Bewilligung der Contribution, die Festsetzung neuer Kectificationsprincipien
oder anderweitiger Bestimmungen der Länderproportion, wobey die Rechen-
kammer bezüglich der Berechnung mitzuconcurriren hat, desgleichen die
Rectificationsbeschwerden, wenn die Hofkanzley auf einen Nachlass, mithin
Abfall von dem Contributionsquantum anträgt, die Postulirung und Be-
willigung der geistlichen Quinquennalcollecte sollte auf dem Fuss wie es
mit den ständischen Postulaten gehalten wird, bleiben; die Ausmessung
des ständischen Status domestici, die Festsetzung der Anzahl der Personen
und der Gehalte, die Fälle einer sich äussernden Hungersnoth oder anderer
Landplagen insoferne es auf ärarische Vorschüsse ankommet, die Repara-
tions- und Strassenangelegenheiten, wenn die Kammer einen Beitrag zu
leisten hat, die Lehensangelegenheiten nach der Instruction der Hofkanzley,
die Fiscalitäten, Abfahrtsgelder, wenn es sich um Vermehrung oder Ver-
minderung der landesfürstl. Einkünfte oder um den Nutzen und Schaden
derselben handelt, das Postregale, insoweit es als ein Erbamt oder Lehen
anzusehen kommt, wurde der Kanzley zugewiesen; die Obsorge, damit das
Publikum mit einer guten Münze versehen und der Münzfuss aufrecht
erhalten werde, das Einvernehmen mit benachbarten Staaten, die Publi-
cation der von der Kammer mit der Kanzlei vereinbarten Patente wurde
der Kanzlei übertragen; städtische und ständische Anticipationen, welche
der Hof fordert, sollten auf die nämliche Weise, wie die Postulatsange-
legenheiten behandelt werden.
Folgende Agenda der Hofkammer hat dieselbe mit der böhmisch-
österreich. Hofkanzlei gemeinschaftlich zu concertiren: die Entwerfung der
Postulate, die Festsetzung der Executionsordnung zur Eintreibung der
Contribution, wogegen die Kammer die Art an die Hand zu geben hatte,
und solche nach dem mit der Hofkanzlei darüber gepflegten Einver-
ständniss den Länderstellen vorzuschreiben hatte; die in Cameralsachen zu
erlassenden oder abzuändernden Patente, welche die Kammer zu entwerfen und
der Hofkanzlei zur Einsicht mitzutheilen hatte, falls dieselbe einen Anstand
fand, durch eine gemeinschaftl. Zusammentretung behoben werden oder wenn
die Meinungen sich nicht vereinigen konnten, das Protokoll zur allerhöchsten
Schlussfassung vorgelegt werden ; die Ausübung von Gerichtsbarkeiten, die
342 B e e r-
Versetzung oder Veräusserung von landesfürstl. Gefällen an auswärtige
Fürsten und Partikularen, das Postwesen, wenn es sich um Errichtung
eines neuen Postcurses oder Postwagens, um Abänderungen der Stationen,
um Erhöhung oder Verminderung des Postportos und Postgeldes zu thun
handelt. Alle übrigen Angelegenheiten in dieser Richtung das Postwesen
betreffend hatte die Kammer allein zu besorgen.
Folgende Angelegenheiten werden ausschliesslich der Kammer über-
wiesen: alle Contributionsbegebungs- und Eintreibungsangelegenheiten,
insbesondere das jüdische Contributionswesen, die Eintreibung des Relui-
tionsquantums, wenn die ausgeschriebene Recrutirung von den Ländern
mit Geld reluirt werden könne, die Kriegs-, Feuer, Wetterschäden, Boni-
ficationsfälle ; wenn es auf einen Nachlass an dem Contributionale oder
Beitrage vom Aerar ankommt, sowol in Ansehung der gesammten Länder
als auch einzelner Unterthanen; die Hofkanzlei konnte jedoch in dieser
Richtung billige Vorstellungen machen ; die alten Kammerschulden-
angelegenheiten in Böhmen, die Besorgung des Proviantmaterials für das
Fuhrwesen und die Landesvorspann, sollte es sich jedoch hierbei um ein
vorläufiges Ansinnen an die Stelle handeln, so hat solches durch die Hof-
kanzlei sowie alle übrigen Postulate an die Stände zu gelangen; Einsicht
in die Regie aller den Ständen und der Stadt Wien eingeräumten Fonde
sowie in die ständische Cassa- Verwaltung, der Hofkanzlei waren jedoch
die Extracte oder Bilanzen einzuschicken, damit dieselbe von dem Activ-
und Passivstande eines jeden Landes sowie der Stadt Wien jederzeit in-
formirt sein möge und etwaige Vorstellungen machen könne; die Besorgung
aller zur Universalschuldencassa gehörigen Fonde, alle ständischen und
städtischen Anticipationen, welchen Namen sie haben, geistliche und welt-
liche Subsidien, das ständische Creditwesen, die Interessezahlungen u. s. f.,
alle diese Angelegenheiten waren jedoch der Hofkanzlei nach der Aus-
fertigung der betreffenden Erlässe mitzutheilen ; die Bonifiationen für ge-
leistete Artillerie- und Munitionsremonten, Recrutenproviant u. dgl. m.,
die Ausweisung an Ausmessung, Eintheilung und Rückzahlung der Super-
erogate, wobei es jedoch den Ständen frei stand, wenn sie sich von der
Kammer beschwert glaubten, in allen Fällen bei der Hofkanzlei Hilfe zu
suchen ; alle Angelegenheiten, welche die Erbsteuer, Pferdesteuer, Schulden-
steuer, Interessesteuer betrafen.
Die böhm.- Österreich. Hofkanzlei hat mit der Rechenkammer folgende
Agenden zu concertiren: die Pensionen und die Rectificirung des Be-
soldungsstatus, die Adjustirung der Reise- und Liefergelderparticularien,
die Bestellung geringerer von der Hofkanzlei abhängender Bedienstungen,
solange noch Pensionisten vorhanden, die nach der a. h. Vorschrift, wenn
sie die gehörige Tauglichkeit besitzen, vorzüglich anzustellen sind, die
Einsicht in die Rechnungen über die Administration des Religionsfondes
und der dahin gehörigen Intercalare.
Selbstständig konnte die Rechenkammer vorgehen in Landesange-
legenheiten, Respizirung des ständischen Rechnungswesens, Censurirung
und Adjustirung der ständischen Präliminarien, wovon jedoch die Hof-
kanzlei ebenfalls Einsicht zu nehmen hatte, Einrichtung der ständischen
Creditbücher sowie jener bei dem stadtwienerischen Oberkammeramte, die
Instruction bezüglich der landwirthschaftl. Cassarechnungen und sämmtl.
Die Finanzverwaltung Uesterreicha 1749 — 1816. 343
ständischen Buchhaltereien , das Kechnungswesen des stadtwienerischen
Oberkammeramtes, die Besetzung der sämmtlichen Gubernialbuchhaltereien
in den Ländern und aller bei denselben erledigten Stellen, die Eevision
der Eechnungen der landesfürstl. Städte und Märkte sowie das stadt-
wienerischen Oberkammeramtes, ebenso auch der milden Stiftungs- und
Fundationsrechnungen.
XIV.
An den Grafen R. Chotek 1. Januar 1766.
Ich habe den Entschluss gefasst, einen Commissarium eigens in die
Länder abzuschicken, und durch selben von Land zu Land den Befund
localiter einheben zu lassen, wie die in commerciali und Manufacturswesen
oder sonsten zum Behuf des Nahrungsstandes und der Population be-
stehenden Anordnungen allenthalben in Erfüllung gesetzet, nicht minder
in den politischen Anliegenheiten und überhaupt in Publicis die vor-
schriftmässige Ordnung eingehalten werde , wobey auch der nämliche
Commissarius auf sämmtliche Cameral-Gegenstände und dasjenige, was die
Rechenkammer in den Ländern erheben zu lassen diensam erachten würde,
die Rücksicht zu wenden und nach Anhandlassung dieser beyden Stellen
die Nachforschung zu halten haben wird.
Gleichwie es nun anvorderst auf eine diesem Commissario vorzu-
schreibende bündige Instruction ankommt, nach welcher er seine Operation
in jedem Land einzurichten hat, also wird die Kanzlei mit dem Com-
mercien-Rath, dann den beyden Finanzpräsidenten hierüber die gemein-
schaftliche Ueberlegung anstellen, den ausführlichen Instructionsentwurf
fassen und Mir zu Meiner Begnehmigung vorlegen, was sowohl quoad
commercialia et politica, als auch ex parte camerali und von Seiten der
Rechenkammer diesem Commissario mitzugeben sein wird.
Maria Theresia.
Hauptbeschäftigung desselben, heisst es in der Instuction, werde sein, das
Verhältniss der dermaligen Population mit der Agricultur und den möglichen
Industrial- oder Manufactursnahrungstrieb zu erheben, und in welchem Mass
einem oder dem Andern der Vorzug zu geben sei. Er soll die Popu-
lation in einem und dem andern District specifice erheben, solche gegen
den Acker- und Feldbau, diesen gegen die Viehzucht und beide gegen
den möglichen Industrial-Nahrungstrieb halten und also mittelst eines
politischen calculi die Ungleichheit sowohl als die künftighin zutreffende
Proportion und die Mittel, wie zu solcher zu gelangen, anzeigen, ohne zu
vergessen, dass es bei einem diesfälligen System nicht auf eine durchaus
gleiche arithmetische Proportion ankomme; ob und was für Nutzen aus
den bestehenden Ein- und Ausfuhrverboten erwachset oder für die Er-
weiterung der Manufacturen und der allgemeinen Nahrungsverdienste an-
zusehen sei, wie sich dieser Nutzen gegen die ansonsten mögliche Be-
völkerung, den Ackerbau und die übrige Cultur verhalte, und ob also zum
Nachtheil der letzteren die Manufacturen nicht allzu sehr begünstigt und
das Volk aus der gehörigen Proportion zu einer minder standhaften und
erträglichen Nahrung geleitet werden solle, ob die Verbote den Verschleiss
344 B e e r-
der Productonim ad extra dergestalt hindern, dass solche im Land nicht
zu gleichmässigem Nutzen gebracht werden können, für welche der be-
nachbarten Länder in dem commercio mutuo der Vortheil stehe, woher
der merkliche Unterschied in der Qualität und in den Preisen der fremden
und der Landesfabrikate entspringe, welche Manufactursgattung für jedes
Land besonders geeignet sei, wie das Commercium mutuum zwischen den
Erbländern erleichtert werden könne, ob nicht einige Verbotsgesetze vor-
handen, mit welchen die Absicht schon erreichet worden, und die also,
da derselben ratio aufgehöret hat, zu beheben sei, ob und in welchen
Gattungen die überwiegende Concurrenz der fremden Waaren, folglich die
Verminderung der innerlichen Circulationsmasse besser durch Mauth- als
durch Verbotsgesetze oder durch andere Mittel abzuhalten sei.
Eine gleiche Erwägung verdiene die Frage, wie in den Ländern die
Stände in bessere Begriffe über die gemeine Wohlfahrt und das Verhältniss
ihres gegenwärtigen Dominicals mit dem allgemeinen Nutzen zu setzen
seien. Bei einigen der Hauptfabriken in jedem Lande solle untersucht
werden, woher das Material genommen, wie die Manipulation beschaffen
sei, wohin der Verschleiss gehe u. dgl. m.
XV.
An d. Grf. Hatzfeld 16. Xbrs 1766.
Mir ist beigebracht worden, dass die Kanzlisten bey meinen Stellen
an den Sonntagen, und den nicht dispensirten Feuertägen forthin die
Kanzley zu besuchen angehalten würden, dergestalten zwar, dass sie da-
durch auch zum öftern verhindert wären, den Heilligen Gottes Dienst
beyzuwohnen, und ihrer Andacht abzuwarten. Wie nun meine Gesinnung
ist womit die Beamte von Erfüllung ihrer Eeligionspflicht keinen Dingen
abgezohen werden: also ergehet hiermit Meine Verordnung, dass von nun
an bey allen Meinen Stellen hier, und in den Ländern die Einleitung zu
treffen, womit an den Sontägen, und den nicht dispensirten Feuertägen
nur jedesmal ein oder zwey von denen Kanzlisten, die jedoch vorhero dem
Gottesdienst dienstgebührend beygewohnt haben müssen, wechselweis sich
einfinden, um die etwa vorfallen mögende mehr dringende Verrichtungen
besorgen zu können; die übrige sind an derley Tagen von Besuchung der
Kanzley gänzlich frey zu lassen, und haben vielmehr die Capi darauf die
geflissenste Obsicht zuwenden, damit an derley Tagen die Beamte dem
Gottesdienst beyzuwohnen, und das Heülige Wort Gottes anzuhören nicht
verabsäumen.
An denen dispensirten Feuertägen werden die Kanzley-Beamten sich
zwar in denen Kanzleyen ferners einzufinden, doch aber Vormittags jedes-
mal erst um 10 Uhr daselbst zu erscheinen haben, damit sie keinen An-
stoss nehmen mögen, hierwegen von Besuchung des Gottesdienstes sich
zu entschlagen.
Maria Theresia.
XVI.
Des Kaisers Maj. und Liebden haben mit Mir den vesten Entschluss
gefasst, nichts unversucht zu lassen, damit die allzu sehr überhand ge-
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 345
nommene Vielschreiberey, Langsamkeit bei dem Lauf der innländi sehen
Geschäfte, und nicht-Befolgung der ergangenen Befehlen aus dem Grund
gehoben, dass eine vollkommene Kenntniss, von der eigentlichen Be-
schaffenheit, Bevölkerung, Wohnungsstand, Wirtschaft und Staats -Bilance
unserer Erbländer verschaffet, und zugleich in Ansehung aller Unserer
Cameral- Gefälle eine solche Einrichtung getrofen werde, dass man von
ihrem Steigen und Fallen, und der eigentlichen Ursache zu jederzeit eine
hinlängliche Auskunft erhalten, und an deren Verbesserung ausgiebig ar-
beiten können.
Es hat also der Graf über die beykommende Fragen Mir sein Dafür-
halten baldmöglichst zu eröfnen, und Ich zweifle keineswegs, dass Er
Meine erwehnte Absichten zu befördern bestens beflissen seyn werde.
Maria Theresia.
An Grafen R. Chotek den 11. Feb. 1768.
Imo Wie die bisherigen Vielschreibereien und langsame Operationen
der Stellen abzustellen seyen.
jjdo wie der Inexecution der ertheilten Verordnungen abzuhelfen, und
Ihro Maj. eine bessere und sicherere Känntniss zu verschaffen sey, ob aller-
höchst Dero Befehle besonders in den Ländern vollzogen, oder nicht?
IIItio Was für Mittel annoch an Hand zu geben seyen, die Gefälle
überhaupt zu verbessern, und einträglicher zu machen.
iyto ob, und wie eine wirtschaftlichere und bessere Einrichtung in
der pereeption der Gefälle zu machen und die Unterthanen andurch zu
erleichtern seyen?
Vto Ob, und was für Ersparungen bei den Besoldungen, Pensionen
und andern Rubriken zu machen seyen?
yjto wie (jas dermalige Finanzsystema zu verbessern seye.
XVII.
Handschreiben an Grafen Hatzfeld, den 28- Febr. 1768-
Ihme habe Ich letzhin Meine Gesinnung schon eroefnet, das3 Ich
nichts unversucht zu lassen entschlossen, damit die allzusehr über Hand
genommene Vielschreiberey, Langsamkeit bey dem Lauf der innländischen
Geschäfte, und nicht Befolgung der ergangenen Befehle aus dem Grund
gehoben werden möge.
Da nun, um diese Absicht zu erreichen, anforderst auch die ganze
Manipulations-Art einzusehen seyn will, wie dermalen bey der Cammer
in allen ihren Abtheilungen nach der bestehenden Eintheilung der Agen-
dorum die vorkommende sämmtliche Geschäfte und zwar von der Zeit,
wo die Exhibita einlangen, bis zu ihrer Expedition verhandelt zu werden
pflegen, auch in was Art der Vollzug der ergehenden Anordnungen be-
sorget, und damit solcher nicht unterbleiben möge, invigiliret werde?
So wird er Mir darüber die gründliche Auskunft demenächstens vor-
zulegen, auch wenn respectu ein oder anderer Agendorum ein verschie-
dener Modus manipulandi beobachtet würde, solchen Unterschied zugleich
gehörig zu bemerken haben haben.
Maria Theresia.
346 B e e r-
Dasselbe Handschreiben am selben Tage auch an Chotek nur anstatt
Kammer: Kanzley sowohl als dem Commercienrath.
XVIIT.
Handschreiben der Kaiserin vom 28. October 17 68 an den Grafen Chotek.
Ihme ist Meine Entschliessung ohnedies schon bekannt gemacht wor-
den, dass Ich, um die Vielschreiberry bey den Stellen zu verkürzen und
die daraus entspringende Langsamkeit in der Operation zu beheben, all
thunliche Mittel angewendet wissen will.
In dessen Verfolg theile ihm hiernebenfindig diejenigen Vorschläge
mit, die sowohl von den Stellen selbst, als auch anderweit zur Erreichung
dieses Endzweckes an Hand gegeben worden ; Er wird darinn die behörige
Einsicht zu nehmen, und inwieweit ein- und das andere hievon sowohl
hier, als in den Ländern mit einer guten Wirkung adaptiret und einge-
führet werden könnte, nach Vernehmung der Behörde reiflich zu über-
legen, sofort darüber, auch was Erspiessliches nach Pflichten annoch an-
zugeben weiss, seine Gutmeinung weiters zu eröffnen haben. Sonder-
heitlich wird er nach Beschafenheit deren der Kanzley zugetheilten Agen-
dorum einen wohl eingerichteten Entwurf verfassen und Mir vorlegen,
wie die Activität der Länderstellen zu erweitern und was für Anliegen-
heiten namentlich ihrer Besorgung ohne Rückfrage zu überlassen, auch
was für Agenda wiederum der Hofstelle in der Art zu übertragen wären,
um für sich ohne Einholung Meiner Entschliessung fürgehen zu mögen.
Im übrigen haben Überhaupts die Stellen sich gegenwärtig zu halten,
damit die erstattende Vorträge mit Hinweglassung der überflüssigen Weit-
schichtigkeit, die zeithero zum öftern dabey bemerket worden, in der be-
hörigen auf das Wesentliche eingerichteten Schreibart abgefasset werden.
Maria Theresia.
XIX.
Handbillet vom 28. October 1768 an R. Chotek.
Mir ist über die allseitige Meinungen, so die Capi der Stellen über
die letztmals vorgelegte , das inländische Regierungssystem betreffende
sechs Fragen abgegeben, der geziehmende Vortrag erstattet worden, und
so viel es die seinem Praesidio unterstehende böheimisch-österreichische
Canzley, dann den Commercienrath belanget, habe Ich hierüber Meine
Entschliessung folgendermassen abzuschöpfen befunden.
Imo Kann es zwar überhaupt bey der Verhandlungsart, die bei der
Canzley dermalen eingeleitet ist, und nach welcher die Geschäfte allda
ihren guten Fortgang gewinnen, allerdings sein verbleiben haben, und
nach solcher fortan fürgeschritten werden. Gleichwie er jedoch in seiner
Beantwortung selbst hat einfliessen lassen, dass einige Agenda, in welchen
derzeit die Canzley nicht anders als concertanter mit der obristen Justiz-
stelle fürzugehen hat, annoch eine nähere Auseinandersetzung erforderten;
also wird er Mir über diesen Gegenstand den besonderen gutachtlichen
Vorschlag annoch eröffnen, wie zur Vermeidung alles überflüssigen Aufent-
halts nach seinem Befund künftig diese Ausmessung zu fassen wäre, und
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 347
ob nicht zum Theil derley Agenda, als die renovationes magistratuum, die
concessiones vemiae aetatis, die interpretationes privilegiorum, die Fidei-
commiss-Anliegenheiten, wo es um deren Errichtung zu thun ist, an die
Kanzley gänzlich übertragen werden könnten?
IIdo Ist die Besorgung der allgemeinen Staatswirthschaft unstreitig
als der wichtigste Gegenstand der politischen Stelle anzusehen und solle
vor andern das angelegenste Geschäft derselben ausmachen; Es ge-
höret hierzu eine so viel möglich verlässliche Einsicht der inländischen
Population, der Landescultur, der Viehzucht, der wirklichen Erzeugung in
allen Gattungen des Manufacturwesens und sämmtlicher Fabriquen, der
eigenen Bedürfnisse, und Consumtion in ein und dem andern, dann der
Commerzial- und Mauthtabeilen, aus welch Allem der wahre Stand der
Staatswirthschaft in ein so anderen behoben, das Passiv- und Activ-Com-
mercium, soweit der eigentliche Bilanz beurtheilt werden muss, um nach
dem Bestand ein und des andern zu weiteren nützlichen Verbesserungen
die Entwürfe fassen, sonderheitlich aber, wo man in dem Bilanz annoch
zurücksteht, auf die Abhülfe fürdenken und solchergestalten zu Vermehrung
der innerlichen Kräften von Zeit zu Zeit das Diensame anhandlassen zu
können.
Obwohlen bishero zu Verbesserung dieser innerlichen Staatswirthschaft
viel Nützliches allschon bewirket worden; so hat jedoch die politische
Stelle der Besorgung dieses höchst wichtigen Gegenstandes in derjenigen
Mass sich nicht unterzohen, dass daraus ein besonderes Geschäft sich ge-
macht, und dieses in den behörigen Zusammenhang behandelt worden wäre.
Die verschiedene Tabellen sind allbereits vorgeschrieben, die zu den
berührten Kenntnissen führen, und allenfalls, soweit es erforderlich zur
mehrerer Verlässlichkeit annoch gebracht werden können; nur hat es daran
noch gemangelt, dass aus solchen von der politischen Stelle das ganze
zusammengezohen, und mit den Betrachtungen, die sich aus dieser Combi-
nation des Ganzen ergeben, zngleich die nützlichen Verbesserungsvorschläge
von Zeit zu Zeit anhandgelassen worden wären.
Da Bäthe, die mit den anderweiten Politicis beschäftigt sind, ohn-
möglich diese Besorgung zugleich auf sich nehmen können, worzu mehr-
fältig besondere und genaue Nachforschungen erfordert werden, so dürfte,
um dieser Obliegenheit das volle Genügen zu leisten, allerdings nöthig
seyn:
Erstens, dass diese Besorgung von den übrigen Politicis in gewisser
Mass abgesondert, und hierzu einige dem Werk gewachsene Subjecta be-
sonders verwendet, dass hingegen
Zweitens mit dieser Abtheilung zugleich das Commerciale verbunden,
und nach seinem Zusammenhang unter Einer Besorgung vereinbaret werde,
da ohnehin das Commerzien-Weesen als ein Haupt-Branche der Staats-
wirthschaft zu betrachten kommet , und durch dieses Departement die
Anstalten zu den Verbesserungen wenigst in den mehrsten Theilen geleitet,
und zur Ausführung gebracht werden müssen.
Er hat Mir also seinen ausführlichen Vorschlag hierüber demnächstens
annoch zu eröffnen, wie er, um die besagte Absicht zu erreichen dieses
Commercial-Departement unter seinem Praesidio zu bestellen, und in die
behörige Activität zu setzen glaubte, wie sonderheitlich die Eäthe einzu-
348 B e e r-
theilen, dann, ob und was für Subjecta hierzu annoch erforderlich und zu
benennen wären?
Da übrigens auch sebr erhebliche Befrachtungen in deme sich er-
geben, dass dieses Commercialdepartement nicht wohl in der Form eines
ordentlichen Dicasterii bestehen möge, wie in den nebenfindigen Anmer-
kungen die Ursachen hievon mit mehreren enthalten sind ; so wird er bey
Abstattung seines Vorschlags auch hierauf gleichfalls seinen Bedacht zu
nehmen und darüber seine Gedanken zu eröffnen bedacht seyn.
Iljtio "Win ihme zu gleicher Zeit die von der Eechenkammer ver-
fasste Entwürfe, die obbemeldte Populations-, Cultur- und Commerzial-
Tabellen zu dem Ende andurch vorläufig mittheilen, auf dass solche von
der Kanzley und dem Commercienrath anforderst näher eingesehen, und
ob sie in ein und dem andern die diensame Kenntnisse zu verschaffen
hinlänglich sind, erwogen, sofort der Befund mit den etwa weiters zu
machenden Verbesserungsvorschlägen gutachtlich angezeiget werde.
IVto Nachdem die Kreis-Amter allerdings unter die wichtigste Be-
dienstungen im Staate zu zählen kommen, da denselben das Executivum
aller Anordnungen in den ihnen anvertrauten Creysen oblieget, auch durch
sie in allen Vorfällen die Facta erhoben, die Auskünfte an die Stellen
gegeben, auch, wo es nöthig, in dringenden Angelegenheiten auf der Stelle
Rath geschafft werden muss; so ist zu überlegen, ob nicht nützlich wäre,
dass künftig keine anderen zu wirklichen Creyshauptleuten angestellt
würden, als welche vorhero bey dem Landes-Gubernio durch einige Jahre
als wirkliche Käthe gedient und in den Geschäften daselbst die erforder-
liche Kenntniss sich erworben haben, auch dass hiernächst jedes Creys-
Amt mit zwey tüchtigen Adjuncten versehen würde, welche erst von
dortaus bey dem Gubernio als Räthe einzutreten hätten, und sodann nach
erworbener Fähigkeit zu den Kreisämtern zu befördern wären.
Er wird mir darüber gleichfalls seine Gutmeinung abzustatten, anbey
auch untereinstens in Erwägung zu nehmen und sich zu äussern haben,
was überhaupts, nachdeme wegen der wichtigen Besorgung der Staats-
wirthschaft in den Creis-Amts-Instructionen noch keine besondere Vor-
sehung enthalten, hierwegen in diesen Instructionen weiters annoch anzu-
ordnen und zum Verhalt der Creisämter worzuschreiben wäre? wobey von
nun an festzusetzen gedenke , dass von jedem Creishauptmann
alljährlich einmal der ganze Kreis ohnnachblei blich vi-
sitiret, und über den vorgefundenen Stand, oder die entdeckte Ge-
brechen die Relation an die vorgesetzte Stelle erstattet werden solle.
Im übrigen sehe für höchst nöthig an, dass von nun an von allen und
jeden dermalen wirklich bestehenden das Polizeiwesen und den Nahrungs-
stand betreffenden Anordnungen, insoweit sie zur Richtschnur zu dienen
haben, in dem behörigen Zusammenhang für jedes Land ein besonderer
Auszug gefasset und den Creishauptleuten zugefertiget werde, weshalben
er also in dem behörigen Weg das erforderliche ebenfalls zu veranlassen
wissen wird.
Maria Thei'esia.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 349
XX.
An Graf Hatzfeld, den 29. Dezember 1768.
Bey den Vernehmungen mit andern Stellen wird künftig die bey der
Rechenkammer eingeführte Indossirungsart als der kürzeste Modus corre-
spondendi zu beobachten seyn, dergestalten jedoch, dass wo es auf ein
Agendum der Kammer ankommt, diese jedesmal ihre Meinung der andern
Stelle zum voraus eröffnet, folglich in derley Fällen allein der bishero
üblichen Protokolls-Extracten oder Insinuatorum auch ferner sich gebrauchen
solle, welches also von nun zur Nachachtung zu nehmen ist, allermassen
hiernach auch die übrigen Stellen angewiesen worden.
Maria Theresia.
XXI.
Handschreiben an Grafen Hatzfeld, 31. October 1769.
Von Seite der Rechenkammer ist sich gegenwärtig zu halten, dass
bey der sich ergebenden ersten Erledigung einer Ratksstelle bey der
hungarischen Kammer, hierzu vorzüglich ein tüchtiges teutsches Subjectum
wiederum auszuwählen und Mir vorzuschlagen sey.
Maria Theresia.
XXII.
Handbillet an den Grafen Hatzfeld ddo. 4. Dec. 1769.
Der Kammer habe bereits unterm 24. Augusti abhin mitgetheilet,
was von Seiten der Obersten Justiz-Stelle zur künftigen Beobachtung in
Ansehung der Rechnungs-Processen vorgeschlagen worden.
Da nun, wie seit deme vorgekommen vermöge Meiner Resolution vom
11. Juny 1763 hierunter die Norma allschon bestehet, womit die Rech-
nungs-Führer, wenn sie bey der ersten und zweyten Rechnungs-Behörde
zum Ersatz condemniret worden, vor Ergreifung der Revision das be-
tretende Quantum zu erlegen schuldig seyn sollen, und ein gleiches auch
in Gefälls-Sachen, wenn es um einen Ersatz, oder Commissum zu thun ist,
sich ebenfalls allschon vestgesetzet findet, folglich jenes, worauf die Oberste
Justiz-Stelle zur Sicherheit meines serarii angetragen, in der That schon
erreichet wird. So habe es bey dieser bisherigen Norma fortan zu be-
lassen entschlossen, und will dessen die Kammer, da auch an die Rechen-
Kammer- und Oberste Justiz-Stelle das gleiche ergehet, zu ihrer Direction
andurch verständigen.
Maria Theresia.
XXIII.
An den Grafen Hatzfeld den 10. May 1770.
Da dermalen die allgemeine Seelen-Beschreibung gemeinschaftlich von
dem Militari, und politico vorzunehmen kommet, so wird in diese Con-
scription auch das sämmtliche Berg - Volk gleich andern mit einge-
350 B e e r-
zohen werden. Damit solches nicht etwa ein ungleiches Aufsehen erwecken,
und allenfalls zur Sorge den Anlass geben dürfte, dass einige aus dem
Bergvolk künftig zu Militär-Diensten genommen werden mögten:
So ist von Seiten des Montanistici den sämmtlichen Aemtern in
Meinen teutschen Erblanden ohne ein ordentliche Publication hierwegen,
zu veranlassen, lediglich bekannt zu machen, dass bei dieser Gelegenheit
das sämmtliche Bergvolk zwar beschrieben werden, doch aber von aller
Recrutirung fortan befreyet bleiben würde.
Maria Theresia.
XXIV.
An den Grafen Kolowrat, den 12. August 1774.
Bey den allenthalben so hoch gestiegenen Besoldungen und Personal-
Statibus will den Stellen mehrmalen zu ihrer Direction die Weisung ge-
geben haben, dass von nun an vor Verlauf eines Jahres weder auf einige
Zulage und ausserordentliche Besoldungsvermehrung eingerathen noch
irgendwo auf die Creirung neuer Stellen oder einige Vermehrung des Per-
sonalis einiger Antrag gestellet werden soll.
Solle noch weniger Schulden zu zahlen oder Vor schuss
zugeben einzurathen1).
XXV.
An die Hofkammer vom 8. August 1776.
Da unter denen noch in grösserer Anzahl quiescirenden Beamten ver-
schiedene wohl brauchbare Subjecta anzutrefen sind, so gehet Meine Ge-
sinnung dahin, dass diese Leute, in soweit sie die erforderliche Fähigkeiten
besitzen, und die Dienst - Erledigungen von Zeit zu Zeit sich ergeben,
allerdings wiederum untergebracht werden sollen, damit sie nicht ihren
Gehalt ohne einiger Dienstleistung fortan gemessen, und dadurch dem
Staat und dem serario für beständig zu Last fallen. Um also diese
Absicht zu erreichen, und zugleich denen bey der Stelle schon dienenden
Beamten durch die Wieder anstellung dieser Leute die Vorrückung nicht
ganz zu benehmen, ist von Seiten der Hof-Kammer diessfalls fürohin nachfol-
gende Vorschrift unfehlbar zu beobachten, dass nemlich von nun an bey der
ersten bey der Hof-Kammer oder Banco-Deputation sich ergebenden Apertur
eines aus denen quiescirenden zu dem erledigten Dienst tauglichen sub-
jectis angestellet, die zweyte erledigte Stelle aber durch die gewöhnliche
Vorrückung an ein Subjectum des schon angestellten Personalis verliehen,
und in dieser Art alternative so lang fortgefahren werden müsse, als brauch-
bahre Subjecta unter den quiescirenden Beamten vorhanden seyn werden.
XXVI.
Handbillet d. et acc. 25. April 1781.
Nachdem die Ministres nicht mehr allwöchentlich, wie es bisher üb-
lich gewesen, am Dienstag die Vorträge selbst überreichen, sondern nur
mit den gewöhnlichen Consignationen solche zu Meinen Händen gelangen
') Die durchschossenen Worte eigenhändig von der Kaiserin hinzugefügt.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 351
lassen, so würde es ein Zeitverlust seyn, wenn weiters alle auch ehender
zu Stand geschriebene Vorträge jedesmal bis zum Dienstag zurückbleiben
sollten, um auf einmal an diesem Tage vorgelegt zu werden.
Sie können also hiernach Ihr Eichtmass nehmen, dass künftig diese
Vorträge allsogleich so, wie sie in fertigen Stand gelangen, an allen Tagen
der Woche Mir ohne weiterm heraufgegeben werden mögen.
Joseph.
XXVII.
An die Hofkammer, den 24. December 1781.
Da in all denjenigen Anliegenheiten, worüber nicht besondere Vor-
träge zu Meinen Händen gelangen, der Inhalt der Rathsprotokollen allein
die Einsicht vei'schaffet, wie Meine jeweilige Anordnungen zum Vollzug
geleitet, wie die untere Stellen über die vorkommende Gegenstände be-
lehret", und wie Überhaupts die Behandlung der Geschäfte geführet werde;
So erfordert mein Dienst, diese Protokollen auf das bündigste, und
so viel es immer deren Kürze zulässt, auf das deutlichste einrichten zu
lassen. Zu diesem Ende will der Kammer zu ihrem künftigen Eichtmass
hierunter Folgendes mitgeben.
Primo. Müssen die den Conclusis vorausgehende Extracten zwar kurz,
aber dennoch immer mit Anführung des Wesentlichen von den Petitis ;
oder den vorkommenden Anträgen gefasset werden, auch die vorzüglichsten
Beweggründe des Einrathens angeführet, in den Conclusis aber alle Essen-
tialia ganz gleich lautend mit den erlassenden Resolutionen bemerket
werden.
Secundo. Solle jedem Eeferenten frey stehen, wenn Er es verlanget,
und Er mit dem Concluso nicht verstanden ist, sein separirtes Votum zur
Inserirung ad Protocollum abzugeben, und solches beylegen oder einschalten
zu lassen, welches jedoch, wie Mich dessen zu jeden versehe, niemals ohne
erhebliche Beweggründe verlanget werden wird.
Tertio. Ist allzeit auch auch das praesentatum eines jeden Exhibiti
bey jedem Numero in dem Protocollo richtig zu bemerken, welches eben
so mit den Suplicaten, als mit den Berichten der untergeordneten Behör-
den und Beamten in gleicher Art beobachtet werden muss.
Quarto. Sind auch alle Eesolutionen, und von Mir ergehende Be-
fehle, sie mögen über Vorträge, oder wie sonsten immer an die Hofstelle
oder den Chef erlassen werden, den Protokollen richtig einzuverleiben;
Bey jedem Eescripto ist jedesmal das Datum bey zusetzen, auch überall
in dem Concluso dasjenige in Kürze, aber richtig und quoad Essentialia
vollständig anzuführen, was, und wie über derley Eesolutionen und Be-
fehle expediret worden.
Besonders geheime Aufträge, die zuweilen an den Chef der Stelle
gelangen, haben wie bisher aus den Protokollen wegzubleiben.
Quinto. Exhibita, die lediglich ad instruendum an die untergeordnete
Behörden gehen, können zwar ferners, ohne Eintragung in die ordentliche
Eathsprotokollen expediret werden; Sobald aber ein Instructivum eine
besondere Anordnung, oder ein wie immer eine speciele Verfügung von
einiger Erheblichkeit enthaltender Befehl zugleich in der Expedition mit
352 B e e r-
einzufliessen hat, solle solcher jederzeit gleichförmig mit der erlassenden
Fxpedition dem Rathsprotocollo eingetragen werden.
Sexto. In den Fällen, wo von dem Praesidio bey Revidirung oder
überhaupt vor Ablassung der Expedition ein Beysatz oder eine Abände-
rung in wesentlichen Stücken nothwendig befunden würde, muss solches
jedesmal auch in den Protokollis gleich lautend abgeändert oder bemerket
werden.
Septimo. Ist fortan auch zuverlässlich darauf zu sehen, damit das
Datum Protocolli, wenn eine Sache referiret wird, mit dem Dato des dar-
über etwa zu erstattenden Vortrags richtig übereinstimmend befunden
werde.
Octavo. Haben die Praesidia sowohl, als auch jeder Referent sorg-
sam darauf den Bedacht zu nehmen, damit beständig die Conclusa in den
Protocollen, so wie es die gute Ordnung und bestehende Vorschrift, auch
die verlässliche Genauigkeit erfordert, richtig eingetragen werden; Sie
haben zu dem Ende nach aufhabender Obliegenheit über eine jede beob-
achtende Irrung oder Unrichtigkeit die Protokollsverfasser sogleich zurecht
zu weisen, bey erweisslicher Unterlassung aber selbst dafür zu haften.
Nono. Wird ingleichen auch den Praesidiis der Hofstellen obliegen,
zu Führung einer bündigen Controle, die von den Länderstellen einzu-
sendende Protocolla so einrichten und abfassen zu lassen, damit die Ab-
sicht ihrer Einsendung auf das verlässlichste erfüllet werden möge. Ein
jeder Referent soll sein Referat separirter in einer Ternion führen, und
die Rathsprotokollen von einer Session nicht zusammen gebunden werden.
Nach dieser Vorschrift ist demnach von nun an die genaueste Ach-
tung zu halten, und allen, die es betrifft, hiernach die gemässe Weisung
zu geben.
Joseph.
XXVIII.
Lieber Graf Choteck!
Da es sowohl für den Staat im Ganzen als für das Wohl eines jeden
insbesondere von der grössten Wichtigkeit ist, dass die Geschäfte, welche
Meinen Hof- und Landesstellen zur Besorgung anvertraut sind, mit aller
möglichen Verlässlichkeit und Genauigkeit behandelt, auch solche nach
Möglichkeit befördert werden, so finde Ich unumgänglich nöthig, um dieses
desto sicherer zu erzielen, nachstehende Massregeln festzusetzen und deren
pflichtmässige Beobachtung der Hofstelle auf das nachdrücklichste einzu-
binden.
Imo Muss sowohl bey den Hof- und Länderstellen ausser der Current-
Geschäfte, über deren Behandlung Ich nächstens der Hofstelle Meine weitere
Gesinnung eröffnen werde, nichts verfügt werden, was nicht vorher im
Rath selbst vorgetragen und behandelt worden ist. Es hat also von nun
an die Erstattung der Präsidialvorträge oder Noten, ohne dass die Gegen-
stände im Rath selbst durch den betreffenden Referenten vorgetragen
werden, gänzlich aufzuhören, den einzigen Fall ausgenommen, wo Ich über
ein oder andern Gegenstand nur die Meinung des Chefs allein hören will
und solches ausdrücklich anordne, oder wo ein Fall eintritt, der wegen
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749—1816. 353
der Wichtigkeit der Sache die geheimste Verhandlung, wie z. B. ein Cassa-
Abgang oder Gefälls-Defraudation, fordert, wo sodann der Präsident für
sich und auf seine Verantwortung zwar auch allein gegen dem solcher-
gestalt fürgehen kann, dass er hierüber mit umständlicher Anführung der
Sachen und mit Anmerkung des Tages der erlassenen Verfügungen ein
ordentliches Protokoll führe und Mir solches von Monat zu Monat
vorlege.
IIdo Müssen die an mich zu erstattenden Vorträge oder Noten alle-
mal in dem versammelten Rath wörtlich abgelesen, an der Meinung des
Referenten nichts geändert, die dafür, und dagegen angebrachten Gründe
mit Namhaftmachung der Räthe, so dieser oder jener Meinung beyge-
pflichtet haben, specifisch aufgeführt werden, dem Praesidio aber bleibt
immer frey, seine eigene, oder besondere Meinung dem Vortrag beyzurücken.
IIItio Alle Resolutionen, oder Handbilleten, worin nicht ausdrücklich
gesagt wird, dass sie lediglich dem Chef zum Nachverhalt dienen, sind an
dem nämlichen Tage, wo sie an die Hofstelle gelangen, in das sogenannte
Resolutionsbuch einzutragen, und bei selben auch der Tag, wo sie herab-
gelangt sind, ausdrücklich anzumerken.
IVto Sowie der Chef einen Elenchum über alle jene Gegenstände, die
in einem Rathstag vorgenommen werden, erhält, ebenso muss auch ein
jeder Rath über jene Gegenstände, die er im Rath vorträgt, mit einem
Elencho versehen seyn, welcher ihm von dem Kanzleipersonale zu ver-
fassen, von ihm aber selbst der Richtigkeit wegen zu unterfertigen seyn
wird. Bey diesem Elencho muss auf der Nebenseite von Stück zu Stück
ganz kurz bemerkt werden, was in dem Rath auf jeden Gegenstand ver-
fügt worden, insbesondere aber muss bey allen jenen Stücken, die an
eine Landesstelle oder sonstige untere Behörde um Bericht und Gutachten
gehen, in dem Rath selbst gleich eine dem Geschäft verhältnissmässige
Frist ausgemessen und bestimmt werden, und eben diese festgesetzte Frist
wird sodann auch in dem Elencho bey dem betreffenden Stück mit wenigen
Worten anzumerken seyn, insofern es aber um die Mittheilung eines
Gegenstandes von der Hofstelle an eine andere Hofstelle zur Aeusserung,
oder aber zur Amtshandlung zu thun ist, so wird sodann auf der be-
treffenden Seite des Elenchi das Datum, wann die Mittheilung beschlossen
worden ist, aufzuführen, und nach Thunlichkeit der Sache auch selbst der
Tag, wann die Expedition wirklich erfolgt ist, dem Elencho beyzurücken
seyn. Auf eben diese Art ist sich
Vto zu benehmen, wenn der Landes- oder andern Behörde ein Befehl,
Erlass oder eine Resolution mitgetheilt wird, wo also ebenfalls das Datum
des Rathsschlusses sowie der Expedition in margine des Elenchi angezeigt
werden muss. Ueberhaupt wird aber
VIto auch selbst der Referent dafür besorgt seyn, damit die Expe-
dition zur gehörigen Zeit an Ort und Stelle gelange, da ihm vorzüglich
an dem richtigen und schleunigen Vollzug des Geschäftes selbst gelegen
seyn muss, auch er als Mitglied der dirigirenden Hofstelle für die gute
Verhandlung und möglichste Beförderung des Dienstes mitzuhaften hat.
VIImo Um jedoch die Hofstelle von der eigentlichen Art, wie diese
Elenchi verfasst werden sollen, noch näher und praktischer zu unterrichten,
Mittheilungen XV. 23
354 Beer.
so will Ich derselben in der Anlage ein darnach eingerichtetes Formular
zur Einsicht und Anordnung mittheilen.
VIIIyo Wenn nun die Elenchi nach dieser Meiner Willensmeinung
von Referat zu Eeferat verfasst worden, so sind sie Mir jederzeit zwei
Tage nach dem Rathstag mit der Aufschrift von aussen Elenchi zu
überreichen, damit Ich sodann das weiters Erforderliche in Absicht auf
die allenfalls nöthige Nachsicht über den Gang der Geschäfte, sowie es
die Umstände erheischen, veranlassen möge.
IXno Auf eben die Art, wie Ich hieroben die Geschäftsbehandlung
für die Hofstelle ausgezeichnet habe, wird auch die nämliche Vorschrift
von ihr Hofstelle an die untergeordnete Landesstelle zu ihrer Nachachtung
zu erlassen seyn, und ebenso den Räthen der Landesstelle die Verfassung
eines Elenchi über alle an jedem Rathstag von dem Referenten vortragende
Gegenstände aufzutragen seyn, welche die Landesstelle nach abgehaltenem
Rath, von dem Referenten unterfertigt, längstens in zwey Tagen an die
Hofstelle einzusenden und diese Mir, wenn sie davon die Einsicht ge-
nommen, zu Meinem Gebrauch zu übergeben hat.
Xmo Da durch die Einsendung dieser Elenchen die Hofstelle von den
Handlungen der Landesstelle fast von Tag zu Tag informiret ist, und
jenes, was sie zur Beförderung des Dienstes dienlich findet, immer zur
rechten Zeit erinnern, betreiben, oder sonst veranlassen kann, so wird die
Hofstelle ihre weitere Aufmerksamkeit auch besonders dahin erstrecken,
womit von jener Behörde, von der sie über einen Gegenstand Bericht oder
Gutachten abgefordert, in dem festgesetzten Termin dieser Bericht er-
stattet, oder aber bey dessen Verstreichung die im Rückstand haftende
Behörde von ihr Hofstelle selbst zur Abgebung des Berichtes unter An-
weisung der Verzögerungsursachen mit Anberaumung eines kurzen Termins
und mit der Bedrohung der Suspension betrieben werde, sollte auch diese
zweite Betreibungsfrist fruchtlos verstreichen, so wird sodann gegen den
Saumseligen immediate mit der wirklichen Suspension ab officio et salario
fürzugehen seyn, und werden diejenigen, welche wegen dieser ihrer Saum-
seligkeit in Erfüllung ihrer Amtspflichten zum dritten Mal werden be-
treten werden, immediate als untauglich zu weiteren Staatsdiensten von
ihren Diensten entlassen werden.
Ich versehe Mich also, dass nach dieser Meiner Anordnung sich in
der Geschäftsbehandlung von der Hofstelle genau benommen und auch
von ihr ein obachtsames Auge darauf werde getragen werden, womit solche
von Seite der ihr untergeordneten Landesbehörde ebenfalls genau voll-
zogen werde.
Wien, den 1. Jänner 1792.
Leopold.
XXIX.
Lieber Graf Chotek!
Ich habe von den inbenannten Länderstellen die anliegenden Ver-
zeichnisse über jene Gegenstände empfangen, die schon vor längerer Zeit
an die Hofstelle eingesendet, die aber bis nun zu ihre Erledigung nicht
erhalten haben sollen.
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 355
Die Hofkammer wird Mir daher von Land zu Land mit Reprodu-
cirung der betreffenden Consignation des ehesten Punkt für Punkt an-
zeigen und sich ausweisen, welche dieser Gegenstände inzwischen wirk-
lich und unter was für einem Dato die Erledigung erhalten haben, dann,
was bey jenen Gegenständen, die bis nun zu ihrer Erledigung noch nicht
zugeführt worden, für Ursachen zu dieser Verzögerung unterwalten? wo
Ich übrigens allen Länderchefs unter einem auftrage, dass sie in Hinkunft
alle Monate alle die bey der Hofstelle ausständigen Berichte in ein Ver-
zeichniss bringen und Mir unmittelbar zusenden sollen.
Wien, den 1. Jänner 1792.
Leopold.
XXX.
Lieber Graf Chotek!
Da die von Mir zur Nachsicht der Geschäfte aufgestellten control-
lirenden Regierungsräthe auch öfters die Einsicht der an den Chef er-
lassenen Handbilleten oder andere Resolutionen nöthig haben, so werden
Sie das gehörige einleiten, damit diesen beeden Beamten nebst jenen
Acten, die sie einzusehen nöthig finden, auch alle jene Resolutionen oder
Handbillete, die sie verlangen, sie mögen im Rath schon vorgetragen und
expediret worden, oder aber beym Praesidio etwa selbst noch in Händen
seyn, in originali mit allen dahin Beziehung habenden oder sonst nebst
der gewöhnlichen vorhin abgebenden Specification nüthigen anderweiten
Acten zu ihrer Einsicht und Gebrauch so oft und vielmahl, als sie der-
selben bedürfen, unweigerlich mitgetheilt werden.
Wien, den 10. Jänner 1792.
Leopold.
XXXI.
Lieber Graf Chotek!
Die Hofstelle wird sich für die Zukunft zur Regel nehmen, dass, so
oft Parteien über erstattete Vorträge günstige Resolutionen erhalten, in
der an dieselben erfolgenden Verbescheidung jederzeit beyzurücken sey,
dass solches auf Meinen Befehl oder Bewilligung geschehe.
Wien, den 11. Jänner 1792.
Leopold.
XXXII.
Lieber Graf Chotek!
Da Mir zu vernehmen gekommen, dass bey derjenigen Verordnung,
die Ich wegen Motivirung der abweislichen Bescheide in Parteisachen habe
ergehen lassen, die Hofkammer bey der Intimation an die unteren Be-
hörden die Ursachen, warum Ich diese Anordnung festzusetzen für nöthig
befunden habe, hinweggelassen hat, es aber auch für die unteren Behör-
den zu Beförderung Meines Dienstes höchst nothwendig ist, dass auch
diese sich in den Geist Meiner Anordnungen setzen und hineindenken, so
23*
356 ß e e r.
wird die Hofkammer sogleich die Fürkehrung treffen, damit durch einen
Nachtrag die untern Behörden von den eigentlichen Beweggründen dieser
Meiner obgedachten Anordnung unterrichtet werden.
Wien, den 27. Jänner 1792.
Leopold.
XXXIII.
Lieber Graf Chotek !
Da Ich das Wohl des Staates mit dem Wohl der einzelnen Glieder
desselben zu verbinden, Mir als die theuerste Pflicht auferlegt habe, und
die geheimen anonymischen Anzeigen die Kühe und das Wohl eines jeden
Bürgers untergraben, so will Ich, dass künftig von einer bloss anonymi-
schen Anzeige kein Gebrauch zu machen, sondern dieselbe nur als eine
Skarteke zu betrachten sey, sollte es sich aber ereignen, dass Jemand für
wichtig genug hielte, zum Wohl des Staates verdächtige Handlungen und
deren "Urheber anzuzeigen, so ist so eine Anzeige, wenn selbe durch Bey-
setzung des Namens und Standes des Anzeigers bekräftiget ist, auf das
strengste zu untersuchen, und — wenn sie wahr befunden wird, auf den
Anzeiger bei sich ergebender Gelegenheit besondere Bedacht zu nehmen ;
denn so sehr der Verleumder zu verabscheuen ist, ebenso sehr ist der-
jenige zu schätzen, welcher durch zeitige Aufdeckung der Gefahr dem Uebel
vorbeugt, welches dem Staate durch übelgesinnte Menschen oder untaug-
liche und nachlässige Beamte zuwächst. Wornach sich die Hofstelle zu
benehmen, und die gleiche Richtschnur auch den ihr untergeordneten
Landesbehörden zur Nachachtung vorschreiben wird.
Wien, den 9. März 1792.
Franz.
XXXIV.
Lieber Graf Chotek!
Um die Geschäfte, die bey den Länderstellen haften, und besonders
jene, die, diesen von der Hofstelle zum Vollzug oder zur Berichtserstattung
aufgetragen worden, in schleunigeren Umtrieb zu setzen, wird die Hofstelle
die Verfügung treffen, dass jeder bei ihr angestellte Referent den vorge-
schriebenen Scontro über die aus seinem Departement bei den Länder-
stellen rückständige Belichte nicht nur allein auf das genaueste fortführen,
sondern dass sich dieser auch unter schwerer Verantwortung bei jeder
Rathssession äussere, ob die Landesstelle mit einigen und mit welchen
der abgeforderten Berichte über die zur Berichtigung des Geschäftes be-
stimmte erforderliche Zeit zurückbleibe oder nicht? Wenn der Referent
nichts ausständig zu seyn bemerket, so muss diese seine Aeusserung dem
Rathsprotokoll mit dem Beisatz, dass er es versichert habe nichts
auständig zu seyn, eingeschaltet werden; findet der Referent aber, dass
ein oder mehrere Berichte von der Landesstelle länger ausständig sind,
als es die Wesenheit der Sache erfordert , so hat er solches dem
Rath vorzutragen und zugleich die Art der Betreibung an Händen zu
lassen, welch ein so andres sodann dem Protokoll am Ende des betreffen-
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 357
den Beferatsheftes einzuverleiben und dabey umständlich a) das Geschäft,
über welches der Bericht ahgeftn*dert worden, b) das Datum Conclusi,
c) der Tag, wo die Verordnung abgegangen und d) wie oft der Bericht
betrieben worden, e) wie die Landestelle das Ausbleiben des Berichtes
entschuldigt, und endlich f) wie und auf was Art die Sache weiters zu
betreiben sey, aufzuzühren seyn wird.
Wien, den 11. Mai 1792.
Franz.
XXXV.
Lieber Graf von Choteck !
Um aber über ein Geschäft eine gründliche Entscheidung fassen zu
können, ist es nöthig, dass solches jederzeit mit allen für und dagegen
streitenden Gründen, folglich mit vollkommener Sachkenntniss Mir vorge-
legt werde. Aus diesem Grunde fliesset von selbst, dass wenn ein Ge-
schäft auch in jenes einer anderen Hofstelle einschlägt oder Bezug hat,
die Hofstelle, so den Vortrag zu erstatten hat, jederzeit vorher sich mit
der betreffenden Hofstelle einvernehmen und entweder mit dieser den Vor-
trag gemeinschaftlich erstatten oder aber dem erstattenden Vortrag die
Aeusserung und nach Inhalt der Umstände auch die Gegenäusserung der
anderweiten Hofstelle in originali beylegen soll, damit man nicht nach der
Hand mit Zeit- und Schreibereiverlust derlei Einvernehmungen zu veran-
lassen gezwungen wird; wornach sich also die Hofkammer in Zukunft
zn achten und besonders die Kammer mit der Kanzlei die vorgeschriebenen
wöchentlichen Concertationen genauer als es bishero geschehen, einzuleiten
beflissen seyn wird.
Ofen, den 4. Juni 1792. Franz.
XXXVI.
An den ersten dirigirenden Minister Grafen Kolowrat vom lo. Mai 1800.
In der Nebenlage überschicke ich Ihnen eine Abschrift des Protokolls
von der unter dem 8. ds. abgehaltenen geheimen Conferenz. Nach dem,
was dabei verhandelt wurde, werden Sie von selbst einsehen, von welcher
besonderen Erheblichkeit und grossen Dringlichkeit die gegenwärtig vor-
fallenden Finanzgegenstände sind und wie wenig räthlich es sei, dieselben
noch ferners auf die bisherige Art verhandeln zu lassen. Ebenso unräth-
lich ist es auch, der dermaligen Finanzcommission nur die minder wich-
tigen Finanzgegenstände zur Bearbeitung zuzutheilen, diejenigen aber,
welche von einer grösseren Bedeutung sind, einer anderen Hofcommission
anzuvertrauen. Ein solche Abtheilung und Zerstückelung der nämlichen
Geschäfte würde nur zu vielen Kreuzungen in der Sache Anlass geben
und dem Dienste höchst nachtheilig werden.
Es bleibt also nichts anderes übrig, als das Graf Saurau und das
ihm untergeordnete Personale künftig bloss die Cameralia, Bancalia und
Commercialia zu verhandeln habe, die Finanzgegenstände aber insgesammt
von dort ganz weggezogen und einer anderen geheimen Hofcommission zur
Leitung und Berichtigung übertragen werden.
358 B e e r.
Da Mir nun bekannt ist, dass Sie sieh durch eine vieljährige Erfah-
rung gründliche Kenntnisse in diesem Fache beigelegt haben und nebst-
dem von jeher Beweis von Ihrer Rechtschaffenheit und unermüdetem Eifer
für das allgemeine Beste zu geben nicht unterlassen haben, so weiss Ich
die Leitung der gesammten Finanzgeschäfte in keine besseren Hände als
in die Ihrigen zu legen.
Ich erwarte daher, dass Sie diese Leitung nebst der ferneren Besor-
gung der staatsräthlichen Geschäften auf sich nehmen, um Ihnen aber die
Besorgung der staatsräthlichen sowohl als der Finanzgegenstände so viel
möglich zu erleichtern, so gestatte Ich, dass Sie in Ansehung der staats-
räthlichen in minder wichtigen Gegenständen dem Baron Reischach die
Unterschrift übertragen und sich des Weiteren enthalten, zur Verhand-
lung der Finanzgeschäfte aber überlasse ich Ihnen, Mir einige Individuen,
welche die erforderlichen Kenntnisse in diesem Fache und die vollkom-
menste Rechtschaffenheit und Verschwiegenheit besitzen, zu dieser Arbeit
als Gehilfen für Sie vorzuschlagen, sowie auch sich zu äussern, wie Sie
diese Gegenstände zu behandeln und das hiezu erforderliche Personale zu
bestellen gedenken.
XXXVII.
Instruction für die vereinigte Hofstelle.
Es ist der vereinigten Hofstelle bereits aus dem Circular-Erlasse des
Obersthofmeisteramtes an sämmtliche Hofstellen bekannt, dass Ich für das
Beste der Monarchie nothwenclig gefunden habe, alle Zweige der Staats-
verwaltung mehr als bisher in Verbindung zu setzen und zur Erhaltung
dieses Zweckes einen Vereinigungspunkt zu bestimmen, in welchem alle
wichtigen Gegenstände der Monarchie zusammenlaufen, allda stets vor
Augen gehalten, gründlich übersehen, dann aus welchem allen vorhandenen
oder sich ergebenden Mängeln auf dem sichersten und kürzesten Wege
abgeholfen werden kann, dass Ich zu diesem Ende statt des vorhin bloss
für inländische Angelegenheiten bestandenen, nunmehr aber aufgehobenen
Staatsraths ein Staats- und Conferenzministerium errichtet habe, bey welchem
unter Meinem unmittelbaren Vorsitz die Geschäfte aller Departements in
dem letzten und obersten Centralpunkte zusammentreffen und geleitet
werden sollen.
In dieser Rücksicht sowohl, als auch in Hinsicht der Grundsätze,
wornach Ich den Geschäftsgang organisirt wissen will, treten nun manche
theils veränderte, theils ganz neue Verhältnisse, Modalitäten und Vor-
kehrungen ein, welche andere Vorschriften und Weisungen nothwendig
machen.
Zu diesem Ende werden der Vereinigten Hofstelle durch die gegen-
wärtige General-Instruction Meine Gesinnungen und Befehle näher zer-
gliedert und alle Verhältnisse und Modalitäten im Allgemeinen bestimmt,
wornach in Zukunft vorgegangen werden muss.
Bey der Errichtung des Staats- und Conferenzministeriums ist Mein
Zweck darauf gerichtet, den Geschäftsgang in der ganzen Monarchie auf
jenen Grad der natürlichen Ordnung zurückzuführen, wo Alles auf seinem
Die Finanzverwaltung Oesterreuhs 1749 — 181 . 35*. •
Platze steht, wo durch ein auf gehörige Grundsätze gestütztes System der
Responsabilisät der Oberen für die Untergebenen auch bey der vereinigten
Hofstelle in der Uebersicht der ihr untergebenen Länderstellen, Directionen,
Administrationen, Cassen und übrigen Behörden jene Gewissheit gewähret
wird, dass Meine Befehle überall genau und auf das schleunigste zum
Vollzug kommen, dass Ich in Stand gesetzt werde, die Stimme der sämmt-
lichen Geschäfte mit einem Blick übersehen zu können, wo die bisher
häufigen Anfragen und Vorträge über die geringfügigsten Sachen und
currenten Geschäfte durch allgemeine Bestimmungen, die als Regulativ zu
betrachten sind, von selbst aufhören, wo durch zweckmässige erschöpfende
Administrationsberichte der Stand der Geschäfte der ganzen Monarchie
immer in einer klaren Uebersicht erhalten, wo mit einem Wort Alles so
eingerichtet wird, dass die ganze Staatsverwaltung von selbst als ein
wohl eingerichtetes Uhrwerk , wenn sie einmal in Gang gesetzt ist,
fortläuft und ihren Endzwecken entspricht. Um diesen grossen Endzweck
zu erreichen, wird der vereinigten Hofstelle hiemit zur genauesten Be-
folgung mitgegeben :
jmo Die Beförderung des allgemeinen Wohles des Staates als die
Handhabung der Religion, der Sitten, der allgemeinen Ruhe, die Voll-
ziehung der Gesetze und Anordnungen; die Aufnahme der Bevölkerung,
der Erwerbszweige und des Handels; die Schützung jedes Standes und
einzelner Unterthanen; die richtige Einhebung aller Steuern und Abgaben,
die genaueste Wirtschaft in allen Zweigen der Staatsökonomie und die
beste Verwaltung der verschiedenen Staatsfonde sich als eigene Sache an-
gelegen seyn zu lassen.
IIdo Alle Verordnungen und Vorschriften, welche Ich ertheilen werde,
stets ohne allen Verschub an die Behörden, welche sie betreffen, zu be-
fördern, sie nicht nur dem Zwecke und der Bestimmung nach vereinzeln
und den untergeordneten Stellen zu ihrer praktischen Anwendung zu er-
läutern und vertheilen, sondern auch alle zur geschwinden und voll-
ständigen Befolgung derselben abzweckende Verfügungen treffen, die hierüber
gemachten Anfragen jedesmal ausführlich beantworten, die entstehenden
Zweifel lösen, die anscheinenden Widersprüche heben, jede falsche oder
übertriebene Anwendung der aufgestellten Grundsätze hindern, mit einem
Worte, die Hofstelle hat unter eigener Verantwortung alle ihre Bemühungen
dahin zu richten, dass der im Geiste Meiner Anordnungen liegende Zweck
vollständig erreichet werde. Insbesondere ist jeder Referent dafür ver-
antwortlich, wenn durch einen Fehler in der Vereinzelung der Verord-
nungen, Mangel an Bestimmtheit oder Vollständigkeit im Ausdruck der
Zweck der Verordnung vereitelt wird. Diese Verantwortlichkeit erhält
einen noch grösseren Grad von sträflicher Imputation für den Referenten,
wenn der eingeschlichene Fehler nicht auf der Stelle durch zweckmässige
Belehrung und bestimmte Erklärung verbessert wird und zum zweiten
Mal stattfinden soll.
IXltio jn allen Fällen, welche durch bestehende Verordnungen nicht
bestimmt sind, oder auf welche sich keine natürliche, ungezwungene An-
wendung der angenommenen Grundsätze machen lässt, kann die vereinigte
Hofstelle für sich nie entscheiden, sondern sie hat den angegebenen Fall
mit ihrem Gutachten Mir zur Entscheidung vorzulegen und diese, wenn
360 B e e r-
sie bloss individuell ist, zu vollziehen, wenn sie aber eine allgemeine
Vorschrift, sie zu generalisiren, den übrigen Hofstellen mitzutheilen, dann
darnach die betreffenden Unterbehörden anzuweisen.
jyto yon den dei- Hofstelle theils durch allgemeine, theils durch be-
sondere Verordnungen zugewiesenen Geschäften ist all dasjenige mittelst
Vorträge zu Meiner Kenntniss oder Entscheidung zu bringen, was auf das
Allgemeine einen Bezug oder Einfluss hat, und was der Hofstelle zu
entscheiden nach den bestehenden Vorschriften nicht zusteht, oder was nach
vorgekommenen einzelnen Fällen eine Abweichung von den angenommenen
Grundsätzen oder eine Aenderung der bestehenden Gesetze nothwendig macht.
Um jedoch die ohne Noth vermehrte Geschäfte und Schreibereien
zu vermindern und mehr Zeit zum Nachdenken und Beurtheilen wichtiger
Gegenstände zu gewinnen, will Ich der Hofstelle nebst den mittelst Meines
Handschreibens vom 27. Jänner 1800, dann vermittelst Meiner Ent-
schliessungen über die Note vom 4. März und über den Vortrag der
vorigen Hofstelle vom 6. Mai 1800 zur Entscheidung ohne Erstattung
der Vorträge zugewiesenen Gegenständen auch noch folgende überlassen.
A) Die Besetzung des Eait-Offiziers und übrigen Niedrigen bey den
Hofbuchhaltereien, dann der Raitrathsstellen bei den Landesbuchhaltereien,
wobey jedoch vorzüglich darauf gesehen werden muss, ob diese Ersetzungen
nach dem neuen Organisationsplan für die Buchhaltereien nothwendig
seyn werden, und in dem Falle, dass sie es seyn werden, ob sie durch
einen anderwärts entbehrlichen Buchhaltereibeamten oder Quiescenten
stattfinden können.
B) Die Ernennung aller Kreiscommissäre, wenn die Hofstelle den
Vorschlag der Länderstellen den Vorschriften gemäss und zur Genehm-
haltung geeignet findet, im entgegengesetzten Falle aber, nämlich, wenn
sie von dem Vorschlag der Länderstellen gegründete Ursache hätte abzu-
gehen, müsste Mir ein eigener Vortrag erstattet werden.
C) In Ehedispenssachen die Bewilligung des Recurses nach Rom,
wenn das Ordinariat darauf anträgt, jedoch immer nur gegen dem, dass
die Dispens unentgeltlich erfolge.
D) Die Anweisung der normalmässigen Pensionen und Provisionen,
ohne dass selbe, wie jetzt, Mir in eigenen Verzeichnissen zur Wissenschaft
angezeigt werden müsste.
E) Für geistliche Laibrüder, Frauen und Laischwestern der aufge-
hobenen Klöster, welche wegen Krankheiten, Alter oder Unbehülflichkeit
mit ihren aus dem Religions- oder Studienfond beziehenden Pensionen
nicht auslangen können oder einer zeitlichen Unterstützung unumgänglich
bedürfen, die Bewilligung der Pensionszulage bis auf den Betrag von
50 fl., dann Aushülfen ein für alle Mal auf 100 fl., ohne dass diese Be-
willigung Mir in einem Verzeichnisse angezeigt werden dürfte, doch muss
bei diesen Anweisungen stets auf die Kräfte des Fondes Rücksicht ge-
nommen werden.
Vto Soviel es nun das Verhältniss der Hofstelle gegen ihre unter-
geordneten Behörden betrifft, so folgt aus der Bestimmung dieser Be-
hörden die Nothwendigkeit, ihnen jenen Grad von Macht und Befugniss
einzuräumen, ohne welche eine leitende und vollziehende Gewalt in den
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 3(31
Provinzen nicht bestehen oder wenigstens ihrem Bereiche nie vollkommen
Genüge leisten kann.
Ich verordne daher, dass der Wirkungskreis der untergeordneten Be-
hörden nicht nur nicht beschränket, sondern nach Meinen im Eingang des
vierten Absatzes angeführten Entschliessungen erweitert und vorzüglich
denselben die Entscheidung solcher Gegenstände überlassen werden soll,
für welche die Normen und Vorschriften schon eine klare Bestimmung
geben und welche nur nach der Localität und Individualität der Verhält-
nisse entschieden werden können.
VIto Um vielfältige Anfragen über Gegenstände zu vermindern und
möglichst zu vermeiden, die entweder in den Normen nicht genau ent-
schieden sind, oder worauf bey deren Entwerfung gar kein Bedacht ge-
nommen wurde, oder welche einer Ausnahme würdig zu seyn scheinen,
hat die Hofstelle derley Anfragen genau zu beobachten, kritisch zu sondern
und zu classificiren, jede Classe auf allgemeine Grundsätze zurückzuführen,
nach diesen Grundsätzen allgemeine Bestimmungen zu entwerfen, und
wenn diese ausser Macht der Hofstelle liegen, Mir zur Bestätigung vor-
zulegen.
Vllmo j)a die nothwendige Ordnung der Geschäftsführung auf der
Manipulation beruht, so hat das Präsidium vorzüglich darauf zu sehen,
um die etwa nöthigen Verbesserungen anzubringen, damit die Manipulation
einfach, nicht mit unnöthigen Schreibereien oder Aufenthalt verbunden,
jedoch bündig und verlässlich sey und zum schnellen Betrieb der Ge-
schäfte das ihrige beitragen.
Ich verordne hiermit:
A) Dass alle Exhibita , welche einlangen , und alle Meine Ent-
Schliessungen (ausschliesslich derjenigen, welche ihrem Inhalte nach die
strengste Geheimhaltung erfordern) immer unverzüglich in das Protokoll
abgegeben, den Referenten zugetheilt und von denselben in der nächsten
Rathssitzung vorgetragen werden sollen. Dieses verstehe Ich auch von
den Dienstbesetzungsvorschlägen, welche seit einiger Zeit ein Gegenstand
der Präsidialverhandlung waren und nun bey den Hof- und Länderstellen
wieder im vollen Rath, d. i. im Beyseyn aller Räthe vorgetragen werden
müssten.
B) Da die Eidespflicht eines jeden Rathsgliedes mit sich bringt, ehr-
lich, unparteiisch, unbestechlich und verschwiegen zu seyn, so muss auch
in der Eröffnung der Meinung eine anständige Freiheit herrschen und
jedem Stimmführer überlassen werden, seine Meinung, wenn sie auch nicht
ein Beschluss des Raths-Collegii würde, in das Protokoll einschalten zu
lassen.
C) Die Referats-Gegenstände sind wie bisher in Currens und Relatum
zu theilen. Ueber die ersteren Mir eigene Protokolle vorzulegen, davon
will Ich die Hofstelle lossprechen, was hingegen die Relata betrifft, unter
welche auch Meine Entschliessungen und Anordnungen begriffen werden
müssen, diese sind Mir statt der bisher in Abschrift vorgelegten Proto-
kolle künftig in Urschrift besonders nach den Departements in eigene
Umschläge eingetheilt, worauf die Zahlen der inliegenden Stücke ge-
362 B e e r-
schrieben werden müssen, und zwar nach jeder Sitzung längstens binnen
8 Tagen unter sonst zu erfolgender nachdrücklicher Ahndung gegen die
saumseligen Referenten vorzulegen. Diese werden, wenn darüber nichts
zu erinnern vorfällt, mit dem Vidi Meines Staats- und Conferenzministers
Grafen Kolowrat der Hofstelle unverzüglich zurückgesendet werden, die-
jenigen Gegenstände, worüber eigene Vorträge erstattet werden wollen,
sind von Sitzung zur Sitzung in einem Verzeichniss ganz kurz aufzu-
führen und dieses ist Mir für Meinen Gebrauch zugleich mit den Relatis
zu überreichen.
Diese Gegenstände im Protokoll über die Relata weitläufig aufzu-
führen, ist also nicht nothwendig.
D) Für die Richtigkeit der Extracte aus den Exhibiten hat jeder
Referent zu haften und ist überhaupt darauf zu sehen, dass in denselben
in den Expeditionen und in den an Mich erstatteten Vorträgen alle un-
nöthige ermüdende Weitschweifigkeit vermieden, dagegen eine bündige,
kraftvolle, Jedermann verständige, Alles erschöpfende, bestimmte und rich-
tige Sprache geführt und viele, oft ganz unlesbare Correcturen, welche
nur Schleuderhaftigkeit zeigen, beseitigt werden.
E) Ueber die von Mir bezeichneten Bittschriften sind Mir alle Wochen
eigene Auskunftsbögen vorzulegen, worin aber nicht die, welche noch in
der Verhandlung sind, sondern bloss jene, worüber bereits die Nachrichten
eingeholt oder der Stand der Sache untersucht und erhoben wurde und
worüber die Entscheidung geschöpft werden kann, aufzuführen sind.
VIIIV0 Da Ich nicht selbst Alles prüfen, bis in das kleinste Detail
einsehen und untersuchen kann, sondern in die Stellen das Zutrauen setzen
muss, dass ihre Eingaben, Ausweise wahr und richtig und ihre Hand-
lungen dem vorgeschriebenen Zwecke gemäss sind, so folgt von selbst,
dass die Stellen auch in Rücksicht dieses notwendigen Zutrauens die Ver-
bindlichkeit und Verpflichtung haben müssen, für all dasjenige zu stehen
und zu haften, worin Ich Mich auf selbe verlassen muss.
Diese Verbindlichkeit ist jene Art von Responsabilität, welche schon
nach allgemeinen Begriffen eines wohl organisirten Departements auch ohne
alle positive Vorschrift jedem Staatsdiener obliegt, und welche Ich der
Hofstelle hiermit nachdrücklichst einbinden will und demnach festsetze;
A.) Dass das Präsidium für alle Handlungen der Hofstelle, sowie auch
für die eigenen, dann für den unverzüglichen richtigen Vollzug Meiner
Befehle und Anordnungen haften muss.
B) Dass dagegen jeder Departement-Referent nicht nur für die Wahr-
heit und Echtheit seiner Vorträge bis in das kleinste Detail dem Praesidio
zu haften hat, sondern auch für alle Folgen, die dem Aerario sowohl, als
dem Dienste aus falschen Massregeln, die durch seine Vorträge allenfalls
veranlasst worden, sich ergeben, stehen muss.
C) Dass alle Votanten in solidum dieselbe Obliegenheit behalten, in-
sofern die falschen Massregeln Missgriffe des Raisonnements sind und nicht
aus solchen praktischen Datis sich ergeben, welche bloss die Sachen des
Referenten sind.
D) Dass ebenso jede Nachlässigkeit des untergeordneten Beamten
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 18 lb'. 3(33
oder der untergeordneten Stelle, jedes Versehen, jeder Missgriff, den diese
begehen, und der unmittelbar Vorgesetzte, sobald er ihn immer nur wissen
konnte, nicht gerügt, selbst verbessert oder dem Praesidio nicht angezeigt
hat, als selbst eigene Handlung zugerechnet werden soll, dass also jeder
Vorgesetzte, Individuum oder Stelle, für jede Handlung seines Unter-
geordneten verantwox*tlich ist.
E) Dass, sowie Ich Mich an das Präsidium der Hofstelle und dieses
an ihre Referenten halten werde, die Hofstelle sich an die Landesstelle,
die Directionen und Administrationen u. s. w. und diese wieder an ihre
untergeordneten Behörden halten und sie auf gleiche Art für alle ihre
Handlungen, Eingaben, Berichte, Ausweise u. s. w. verantwortlich zu
machen haben.
F) Dass die Hofstelle diese Dienstverantlichkeit, wobey keine Ent-
schuldigung, keine Straflosigkeit stattfindet, ihren untergeordneten Stellen
nachdrücklich einzuschärfen und sich selbst zuzuschreiben hat, wenn aus
ihrem Versehen für sie oder ein Individuum derselben nachtheilige Folgen
entstehen sollten.
G) Die vorgeschriebenen Ausweise und Bilanzen über den Ertrag
der Gefälle, über den Stand des Fondes, über Pensionan u. s. w., die
Voranschläge und andere periodische Eingaben sind Mir immer in der
festgesetzten Zeit vorzulegen und im Falle, dass die unteren Behörden
mit ihren Eingaben zurückbleiben, wider diese die wirksamsten und ein-
greifendsten Mittel anzuwenden.
IXmo Um eine mehr genaue, zweckmässigere und leichtere Uebersicht
des Zusammenhanges der Geschäfte, des Gedeihens oder Rückgehens zu
erhalten, als nicht einzelne Eingaben liefern können, will Ich viertel-
jährige Administrations-Berichte einführen.
Ihr Zweck ist, dass in einer zusammenhängenden Uebersicht mit
Wahrheit, Deutlichkeit und Präcision aus dem ganzen Detail der während
dieses Zeitraums vorgekommenen Geschäfte allgemeine Resultate gezogen
werden; dass der wirkliche Zustand des Departements dargestellt und die
Uebersicht verschafft werde, ob die erlassenen Verordnungen gehörig be-
folgt sind? ob und welche Schwierigkeiten sich der Ausführung in den
Weg stellen? und inwiefern vorgeschriebene Modalitäten als Mittel zum
Zweck hinreichend sind und inwiefern die Finalabsichten erreicht werden
oder erreicht werden können? Dass die Hauptpunkte, auf welche eigent-
lick Alles ankörnt, mit kritischer Unterscheidungsgabe ausgehoben, über
alles unnütze Detail, welches als Folge allgemeiner Grundsätze sich von
selbst versteht, mit Stillschweigen hinweggegangen, mit einem Wort, dass
die allgemeine Uebersicht gewährt wird, welche ohne die Achtsamkeit zu
ermüden, ohne langweilig und schwankend zu seyn, auf sichere Resultate
fährt.
Diese Administrations-Berichte hat die Hofstelle von ihren unter-
geordneten Behörden von dem Militärjahre 1802 angefangen nach Aus-
gang eines jeden Vierteljahres längstens binnen drei Wochen zu ver-
schaffen, diese dann den betreffenden Referenten mitzutheilen, welche sich
unverzüglich in die Kenntniss desjenigen, was in ihr Departement ein-
364 B e e r-
schlägt, zu setzen, hiernach ihre Ausarbeitung zu machen und diese dem
Kanzlei- Director zu liefern haben. Des Kanzlei-Directors Pflicht wird seyn,
Alles, jedoch nach den besonderen Abtheilungen der Verwaltung, in Zu-
sammenhang zu bringen und dem Präsidium zur Bestätigung vorzulegen.
Diesem trage Ich insbesonders auf, unter eigener Verantwortung dafür
zu sorgen, dass die Hofstelle binnen drei Wochen ihre Ausarbeitung
liefern, dass alle sechs Wochen nach Ausgang eines jeden Militärjahres
Mir der Hauptadministrationsbericht von der Hofstelle überreicht werde.
Xmo Die Hofstelle hat diese Instruction sogleich unter ihren Mit-
gliedern in Umlauf zu setzen, genau zu befolgen und ihren untergeord-
neten Behörden hiernach die nöthigen Weisungen zu geben.
Uebrigens empfehle Ich derselben nachdrücklichst die schleunigste
Beförderung der Geschäfte, die Hintanhaltung und Verminderung der un-
nöthigen Schreibereien und die Sorge, dass die Beamten alle ihre Fähig-
keiten und Kenntnisse zum Besten des Dienstes verwenden, mit aller An-
strengung arbeiten, sich immer mehr auszubilden und dem Dienste nütz-
licher zu werden bestreben; sich untadelhaft als redliche, gut gesittete
Bürger betragen, gegen Parteien, mit welchen sie von Amtswegen zu
thun haben, sich wohl anständig, nicht ungesellig, hochmüthig oder un-
freundlich benehmen, die strengste Geheimhaltung beobachten, und in
Erfüllung der bürgerlichen Gesetze, sowie aller Meiner Anordnungen Meinen
Unterthanen mit gutem Beispiele vorangehen.
Franz *).
XXXVIII.
Lieber Graf Zichy!
Nach den vielfältigen Drangsalen, welche einen grossen Theil Meiner
Erbländer betroffen haben, und nach der langwierigen fast gänzlichen
Unterbrechung der gewöhnlichen Verwaltungsangelegenheiten wird es nun
doppelt nothwendig, alle Kräfte aufzubieten, damit, sobald es nur immer
geschehen kann, Ordnung hergestellt, der Geschäftsbetrieb in Gang ge-
bracht, das Wohl der Länder befördert und den Uebeln, welche die Kriegs-
ereignisse herbeiführten, abgeholfen werde.
Ich habe zwar noch selbst zur Zeit des Krieges und während den
Friedensunterhandlungen nichts zu verfügen oder vorzubereiten verab-
säumt, was Mir diesem Zwecke angemessen schien, allein erst izt, wo Ich
Meine Stellen wieder um Mich versammeln kann, ist der Zeitpunkt ein-
getreten, in welchem es möglich wird, alles dasjenige mit reifer Erwägung,
Thätigkeit, Nachdruck und in gehörigem Zusammenhange anzuordnen und
auszuführen, was dem Wohle Meines Volkes entspricht.
Bey Meinem festen Entschluss, dieses wichtige Ziel unausgesetzt zu
verfolgen, versehe Ich Mich zu der kräftigsten Mitwirkung derjenigen,
welche den wichtigen Beruf haben, ihrem Vaterlande als Beamte zu dienen.
Vorzüglich müssen sich die Hofstellen durch eine schleunige, ordentliche
') Wurde im Mai 1801 sämmtlichen Behörden und Länderstellen uiitge-
theilt
Die Finanzverwaltung Oesterreichs 1749 — 1816. 365
und gründliche Geschäftsbehandlung auszeichnen, sie müssen den
Länderstellen und andern verwaltenden Behörden zum Muster dienen,
sie müssen Mir getreue und erschöpfende Aufschlüsse über die ihrer
Leitung anvertrauten Zweige der öffentlichen Verwaltung geben ; sie müssen
über die genaue Vollziehung der Gesetze und Anordnungen ununterbrochen
wachen; sie müssen gegen pflichtvergessene oder ihrem Posten nicht ge-
wachsene Untergebene keiner Schonung Platz geben, sondern dem allge-
meinen Besten jede andere Bücksicht aufopfern ; sie müssen endlich mit
vereinten Einsichten und ganz nur von ihrem Pflichtgefühl geleitet, ihre
Aufmerksamkeit auf Alles verbreiten, was Nutzen schaffen oder Schaden
abwenden kann.
Ich behalte Mir vor hierüber in der Folge Meine Gesinnungen ausführ-
licher zu entwickeln und finde Ihnen für den gegenwärtigen Augenblick
nur noch folgendes zu bedeuten.
Der geänderte Umfang der Monarchie macht bei der Hofstelle einige
Departements ganz entbehrlich, und es werden auch in den Ländern Be-
amte überzählig, die nicht alle in dem Fürstenthum Salzburg werden
untergebracht werden könnnen. Durch die Verwendung dieser überzählig
werdenden Beamten und des brauchbaren Theiles der schon früher vor-
handen gewesenen Quiescenten lässt sich den wirklich überladenen De-
partements der Hofstelle, sowie jenen Unterbehörden, die nicht auszu-
langen vermögen, ohne einer stabilen Personalsvermehrung jene Hülfe
unverzüglich verschaffen, welche erforderlich ist, um die vorhandenen Bück-
stände in Baldem aufzuarbeiten und die neu einlangenden Geschäfte in
currentem Gange zu erhalten. Ich erwarte also zuversichtlich, dass dieses
geschehe, dass jeder Eeferent in der Begel von Sitzung zu Sitzung seine
Agenda vollständig aufarbeite, und wenn ja doch wegen eines stärkern
Zusammenflusses oder wegen Wichtigkeit oder Weitschweifigkeit der Gegen-
stände unvermeidlich werden sollte, mit einigen zurückzubleiben, darum
die Abschliessung des Baths-Protokolles nie aufhalten, sondern dasselbe
in solch einem Zeitpunkte abgeben wird, dass mir selbe jedesmal schleunigst
und zwar längstens binnen zwei oder drei Wochen vom Tage der abge-
haltenen Sitzung vorgelegt werden können.
In diesen Eaths -Protokollen haben von nun an alle bey der Hofstelle
vorgekommenen Gegenstände, sie mögen current oder meritorisch behandelt
worden seyn, in fortlaufender chronologischer Ordnung zu erscheinen, und
muss bey jenen, die nicht in Vortrag gebracht, sondern asservirt worden
sind, solches auf dem Umschlagbogen nebst kurzer Berührung der Ursache
der Aufbewahrung angemerkt, die Beproducenten aber müssen jedesmal
am Ende des Protokolls aufgeführt werden.
Bey jedem Extracte hat der Name des Extrahenten und bey der
Erledigung die Fertigung des Beferenten zu erscheinen. Nebst dem ist
auch noch das Datum, unter welchem das Stück expediret worden ist,
und der Name des Expedienten bey zunicken.
Für die richtige Anordnung mache Ich Sie strenge verantwortlich
und erkläre Ihnen bestimmt, dass, wenn wider besseres Vermuthen ein-
zelne Beferenten fortfahren sollten, mit Vorlegung ihrer Eaths-Protokollen
Monate und Quartale zurückzubleiben, Ich diese wesentliche Verletzung
366 B e e r.
der Geschäftsordnung und sträfliche Ausserachtlassung Meiner präcisen
Befehle auf das nachdrücklichste ahnden werde. Was Ich hier in An-
sehung der Geschäftsbehandlung und insbesondere der Raths-Protokollen
anordne, hat die Hofstelle mit den den Umständen angemessenen Modifi-
cationen auch auf ihre untergeordneten Behörden anzuwenden und mit
Beobachtung der hier aufgestellten Grundsätze das Nöthige einzuleiten,
damit allenthalben Ordnung und Thätigkeit in den Geschäften herrschen.
Wien, den 20. Jänner 1806.
Franz.
i€7
Kleine Mittheilungen.
Eine neue Urkunde K. Arnolfs und die Schlacht an der
Dyle 1). Bei den Arbeiten, welche ich gegenwärtig hier im Auftrage
der Mon. Germ. Hist. für die Herausgabe der Karolingerdiplome auszu-
führen habe, fand ich unter andern eine Urkunde König Arnolfs, die,
bisher unbekannt, auch sonst ein weiteres Interesse für sich in Arj-
spruch nehmen darf.
Dieselbe ist in einem Sammelbande (Cod. lat. ms. 17197) der
Pariser Nationalbibliothek erhalten und gehört dem Fonds Toul an
Die Kopie rührt von einer Hand saec. XVII her, welche uns eine
ganze Reihe von Diplomen desselben Fonds abschriftlich überliefert
hat (f. 155 — 160' der genannten Hs.) Auf der ersten Seite, da wo
diese Hand einsetzt, findet sich von derselben die Bemerkung: Tiltre
tire de 1' archive de la cathedrale de Toul. Dies so wie der Umstand,
dass das Monogramm stets und zwar richtig nachgezeichnet ist, ferner
aber Signum-, Eecognitions- und Datirungszeile regelmässig gegeben
werden, lässt mit grosser Wahrscheinlichkeit darauf schliessen, dass
diese Abschriften nach dem Original angefertigt wurden. Sie weisen
zwar einzelne Lücken im Texte auf, jedoch ergibt sich bei näherer
') Wie schon früher (vgl. Mittheilungen 2, 444) die Centraldirektion der
Monumenta Germaniae die Veröffentlichung der unedirten Diplome des alten
Apparates, so hat dieselbe jetzt die Publication der neuen Funde in unserer Zeit-
schrift in zuvorkommendster Weise genehmigt, um sie rascher wissenschaftlicher
Verwerthung zugänglich zu machen. Aus der unerwartet reichen Ausbeute an
unbekannten Karolinger Diplomen, welche die grossen handschriftlichen Samm-
lungen der Bibliotheque nationale in Paris lieferten, ist hier vorläufig nur eines
der geschichtlich interessanteren Stücke geboten. Die anderen unedirten Diplome
werden nach Abschluss der französischen Reise des Herrn Dr. Dopsch veröffent-
licht werden. E. M.
368 Kleine Mittheilungen.
Betrachtung, dass dieselben keineswegs etwa auf Leseschwierigkeiten
beruhen, sondern auf die bewusste Absicht des Schreibers zurückzu-
führen sind, den Text durch Auslassung rein formelhafter Theile der
Urkunde (Eingangs- und Schlusssätze) zu kürzen. Das Original wurde
allem Anscheine nach durchaus zuverlässig kopirt, wie denn bei dem
vorliegenden Stücke, ausser geringfügigen Verbesserungen der Ortho-
graphie, nirgends eine Emendation des Textes erforderlich schien.
Obwohl der Inhalt der vorliegenden Urkunde — einer Schenkung
— an sich wenig bedeutsam ist, so gewinnt dieselbe doch durch ihr
Datum und Actum ein erhebliches historisches Interesse. Die genaue
Uebereinstimmung sämmtlicher drei Jahresangaben bürgt dafür, dass
sie in das Jahr 891 zu setzen ist. Eben in dieses Jahr fällt, wie be-
kannt, der Feldzug Arnolfs gegen die Normannen , die siegreiche
Schlacht an der Dyle, durch welche die schmähliche Niederlage am
Geulenbach wett gemacht und die Ehre der deutschen Waffen wieder
hergestellt wurde.
Ueber die Chronologie dieser Vorgänge sind wir ebenso mangel-
haft unterrichtet, wie über das Itinerar des Königs während der zweiten
Hälfte des genannten Jahres.
Die Fuldaer Annalen, unsere wichtigste Quelle, berichten uns,
dass König Arnolf, um die Niederlage des ostfränkischen Heerbanns
am Geulenbach (am 25. Juni) zu rächen, mit einem Heer gegen die
Normannen, welche sich in Löwen an der Dyle verschanzten, gezogen
sei, dass er sie unvermuthet (ex inproviso) angegriffen und vollständig
geschlagen habe, dass „eodem loco die . . . kal. ..." — vor und
nach kal. ist in der Handschrift eine Lücke gelassen — eine Dank-
procession abgehalten worden sei und dass der König, durch Franken
nach Alamannien zurückgekehrt, das Weihnachtsfest in Ulm gefeiert
habe *). Regino am Prüm erzählt, Arnolf habe die Kunde von jenem
unglücklichen Gefecht von Geulenbach erhalten, als er an der äussersten
Grenze Baierns weilte, von Zorn entflammt habe er ein Heer ge-
sammelt und bald nach dem Uebergang über den Rhein an der Maas
ein Lager bezogen 2) ; er sei, da die Normannen nach einiger Frist
(interiectis diebus) ihre Beutezüge wieder aufnahmen, gegen sie vor-
gerückt und habe sie an der Dyle vollständig geschlagen ; nach diesem
glücklichen Erfolg sei er wieder nach Baiern zurückgekehrt. Ausser
diesen beiden Quellen liefern nur noch die Jahrbücher von St. Vaast
') M. G. Schulausg. von Fr. Kurze (1801) p. 119.
2) Congregato ex orientalibus segnis exercitu mox Rheno transuaisso circa
litora Mosae castra statuit. M. G. Schulausg. v. Fr. Kurze (1890) p. 137.
Eine neue Urkunde K. Arnolfs und die Schlacht an der Dyle. 3ß9
eine diese Ereignisse berührende Zeitangabe: die Normannen, welche in
Noyon überwintert hatten, seien im November nach Löwen aufge-
brochen x) und dort von Arnolf geschlagen worden.
Stellen wir zu diesen chronologisch dürftigen Quellennachrichten
die wenigen Daten, welche das urkundliche Itinerar bisher bot. Am
21. Juli 891 urkundet Arnolf zu Mattighofen in Oberösterreich, am
1. Oktober in Maastricht, am 9. Oktober an der Maas (iuxta Mosam
fluvium) ; eine weitere Urkunde vom 30. Oktober ist ohne Angabe des
Beurkundungsortes überliefert, die nächstfolgende Urkunde datirt vom
.21. Januar 892 aus Zusmarshausen zwischen Ulm und Augsburg 2).
Vor dem Erscheinen der neuen Ausgabe der Fuldaer Annalen
war die Lösung der Frage, an welchem Zeitpunkte der Sieg an der
Dyle erfochten wurde, von vorneherein auf eine falsche Fährte ge-
wiesen. Die alten Ausgaben, wie auch die von Pertz besorgte 3), er-
wähnten nicht, dass in der massgebenden Handschrift bei der Zeit-
angabe jener Dankesprocession auch vor kal. eine Lücke sich finde,
ihr Text: „Eodem in loco die kal. . . . letanias rex celebrare prae-
cepit" Hess nur die Deutung zu, dass die Procession und, wie man
annimmt, auch die Schlacht an dem ersten Tag eines Monats statt-
gefunden habe. Es konnte, da Arnolf am 1. Oktober in Maastricht
urkundet, nur der 1. September oder der 1. November in Frage
kommen. Gegenüber der früheren Annahme, welche den 1. September
vertrat 4), begründete E. Dümmler 5) den 1. November als Tag der
Schlacht und dieser Tag galt seit drei Jahrzehnten als gesichert. Auf
Grundlage des handschriftlichen Bestandes, der nicht mehr den ersten
Tag eines Monats aufdrängte, sondern dem Tag den Spielraum der
ganzen zweiten Hälfte eines Monats frei liess, hat der neueste Heraus-
geber der Fuldaer Annalen, Fr. Kurze, unter Berufung auf die Jahr-
bücher von St. Vaast sich für den November entschieden, so dass der
Monatsname December zu ergänzen wäre (die . . . kal. dec.) ; er meint,
') Nortnianni vero, qui Novionio hiemaverant, decreverunt Lovanio sibi se-
deui firmare ad hiemauduru illucque mense novernbris petunt iter. Ann. Vedast.
M. G. ÖS. 1, 527.
2) Mühlbacher Reg. n° 1812, 1814—1817.
») M. G. SS. 1, 408.
4) Pertz berief sich dafür auch auf Aventin Annal. Boiorum, in diesem Punkte
einen unzuverlässigen Gewährsmann. Einen anderen -Grund führte Iust. Lipsius
(1037) an, dass nämlich am 1. Sept. in Löwen bis auf seine Zeit öffentliche
Freuden- und Dankesfeste begangen wurden.
') Gesch. des ostfränkischen Reichs 2, 348 N. 13, 2. Aufl. 3, 349 N. 2;
darnach auch Mühlbacher Reg. n° 1816a.
Mittbeilungon, XV. 24
370 Kleine Mittheilungen.
dass die Schlacht bald nach den Iden, also Mitte November geschlagen
wurde 1).
Diesen bisherigen Annahmen und Erklärungen tritt in bestimmter
Weise die neugefundene Urkunde Arnolfs entgegen. Ihre volle Echt-
heit steht ausser Frage, gegen die Genauigkeit der Datiruug kann
kein Bedenken erhoben werden. Nach ihr urkundet Arnolf am 1. No-
vember in Nymwegen. Der 1. November als Schlachttag ist somit
ausgeschlossen. Aber auch der November überhaupt. Ein Blick auf
die Karte genügt, um die Sachlage klar zu stellen. Noch am 9. October
steht Arnolf an der Maas, wohl noch in der Nähe von Maastricht,
in gerader Linie (Luftlinie etwa 70 km.) östlich Löwen gegenüber.
Zweifelsohne vor der Schlacht: er blieb, wie nicht nur aus den Ur-
kunden, soudeim aus dem Bericht Eeginos erhellt, zögernd mehrere
Tage an der Maas stehen, bis die frischen Beutezüge der Normannen
ihn bestimmten rasch vorzugehen. Sie wurden von dem Angriff über-
rascht, er kam „unverinuthet-. Am 1. November ist Arnolf in Nym-
wegen am Rhein, in ganz anderer Richtung (nordöstlich von Löwen)
und fast in der doppelten Entfernung, als er an der Maas den Nor-
mannen gegenüber gestanden war. Es kann dies nur nach der
Schlacht gewesen sein. Der Bericht der Fuldaer Annalen gibt Raum
vom 16. October (XVII. kal. nov.) an. Zieht man in Betracht, dass
Arnolf bereits — vielleicht mit Rücksicht auf die ortslose Urkunde
vom 30- Okt. spätestens — am 1. November in Nymwegen war, so
ist die Annahme gerechtfertigt , dass die Schlacht an den ersten
Kaiendentagen des Novembers, also gegen den 20. October, stattge-
funden hat.
Die frühere Annahme des 1. September bedarf kaum noch einer
Widerlegung. Da Arnolf noch am 21. Juli jenseits des Inns war,
wäre es an sich mehr als unwahrscheinlich, dass während des August
das Heer aus Franken und Alamannien aufgebracht wurde , dass es
au die Maas rückte, hier noch stehen blieb und schon am 1. September
den Sieg erfocht. Die Angabe der Jahrbücher von St. Vaast, dass die
Normannen erst im November nach Löwen gezogen seien, wird durch
die anderen Berichte und die Urkunden als irrige gekennzeichnet
und fällt umso weniger ins Gewicht, als dieselben Jahrbücher sich
im Bericht von 891 noch eines anderen und schwereren Irrthums
schuldig machen, indem sie Arnolf schon früher, während er in Baiern,
meist in Regensburg weilte, einen ersten Zug gegen die Normannen
') L. c. 121 N. l.
Eine neue Urkunde K. Arnolfs und die Schlacht an der Dyle. 37 \
unternehmen und über die Scheide bis gegen Arras vordringen
lassen 1).
Hier die Urkunde.
König Amolf schenkt dem Priester Egwolf zwei Mausen zu Pontus (Po)it
s. Vincent). Nymwegen 891 Nov. 1.
K. s, XVII in cod. lat. 17197 f. 100 (A) Paris bibl. mit.
In nomine sanctae et individuae trinitatis. Arnolfus divina fa-
vente dementia rex. Oportet igitur regiam dignitatem erga [omnes
suam misericordiam quaerentes existere]a) beniguam, maxime tarnen
circa illos, qui prae ceteris se illius non differunt adhibere servicio.
Quapropter omnium sanctae dei ecclesiae nostrorumque praesentium
scilicet et futurorum coguoscat industria fidelium , qualiter nos pro
aeternae mercedis augmento et per interventum Eugilperonis capellani
et notarii nostri necnon Alberici vasallib) nostri cuidam presbitero et
dilecto oratori nostro Egwolf nominato in pago Tullensi0) in comitatu
Hugonis in loco qui dicitur Pontus super fluvium Mozellam constituto
mansos duos ex utraque parte eiusdem fluminis iacentes qui ad fiscum
nostrum Tundoluesdorf nuncupatum prius pertinebant, cum consensu
Otuncharii qui inde beneficiatus est, ad proprium concessimus cum
curtilibusd) et aedificiis et ancilla Weseldis nomine liberisque suis,
campis agris pratis pascuis silvis aquis aquarumque decursibus mo-
lendinis piscationibus viis et inviis exitibus ac reditibus quaesitis et in-
quirendis cultis et incultis mobilibus et immobilibus et cum universis
ad praefatos mansos rite aspicientibus. Jussimus quoque hoc praesens
muniminise) nostri praeceptum inde conscribi firmissime imperantes,
ut iam fatus presbiter uostris futurisque temporibus liberam secu-
ramque de his omnibus habeat potestatem tenendi donandi vendendi
commutandi et quicquid exinde voluerit faciendi absque ullius im-
pedimento. Et[ut] haec concessionis nostrae [auctoritas firmior habeatur
et per futura tempora a fidelibus nostris verius credatur ac diligentius
observetur] f, manu nostra subtus eam roborantes s) anulo nostro iussi-
mus insigniri.
') Dazu kommt hier die offenbare Verwirrung der Zeitangaben: circa au-
tumni vero tempora relicto Noviomo maritima petiere loca ibique toto aestivo
tempore inorati sunt. Vgl. Mühlbacher Reg. 1810A
a) Ergänzt nach der Arenga der Urk. Arnolfs Mühlbacher n° 1790, deren
Wortlaut sich noch am meisten nähert; der hier fehlende Nachsatz ,, maxime
tarnen . .« auch in Arenga ganz ähnlicher Fassung, Mühlbacher n° 1977, 1997.
b) vassali A. c) Tullense A. <*) curialibus A; das ganz ungewöhnliche
und ungehörige Wort offenbar Lesefehler. e) manuminis A. f) Ergänzt
nach einer der nächstliegenden von Engilpero recognoscirten Urkunden, Mühl-
bacher n° 1820. . ?) roboratas A.
24*
372 Kleine Mittheilungen.
Signum domni Aruolfi (M.) serenissimi regis.
Engil[pero] notariusa) [advicem Theotmari archijcapellani recog-
novi.
Datab) kal. nov. anno dorninicae incarnationis DCCCXCI, in-
dictione Villi, anno Christo propicio regni domni Arnolfi regis IIIIC),
actum Novioniaco; in dei nomine amen.
Paris. A. Dopsch.
Greheiinschrift. In einem Bündel des vatikanischen Archivs,
welches Anweisungen zum Chiffriren, Chiffrirtabellen und dergl. aus
dem 17. und 18. Jahrhundert enthält, fand ich auch zwei ältere Stücke
gleicher Art: das eine auf einem Pergamentblatte in gross 8°, das an-
dere auf einem viermal so grossem Pergament, beide zu Anfang des
15. Jahrh. beschrieben und dieselbe Geheimschrift bietend. Zu der
auf dem kleinen Blatte befindlichen Anleitung, welche ich unten folgen
lasse, habe ich nur wenig zu bemerken. In Florenz, Mailand, Venedig
war die eigentliche Chiffreschrift um 1450 schon eingebürgert, wes-
halb man wohl annehmen darf, dass sie auch an der Curie bereits
in Gebrauch war. Die früher gebräuchliche Geheimschrift, welche auf
der Vertauschung der Buchstaben beruhte, scheint nie besonders ent-
wickelt worden zu sein. Dafür spricht auch die Einfachheit dieses
Schlüssels, an dessen Verwendung in Kom wohl um so weniger zu
zweifeln ist, als auf dem grössern Pergamentblatt auch ein nach der-
selben Kegel angelegter Nomen clator geboten ist, und zwar sind hier
erst in Geheim- und dann in Klarschrift gerade diejenigen Länder-
uud Städtenamen, Würdenträger und Titulaturen verzeichnet worden,
welche in der Correspondenz der Curie mit ihren Agenten am häu-
figsten vorkommen. Auch einzelne dieser Namen weisen gleich der
Schrift auf die Anfänge des 15. Jahrhunderts hin.
Nota quod iste quinque littere vocales a. e. i. o. u. transferantur,
videlicet ultima pro prima et penultima pro secunda et econverso, pro
media vero que est i latinum ponatur y grecum sicut hie:
u. o. y. e. a.
a. e. i. o. u.
Alie autem littere, cassatis tribus ultimis videlicet c. 2. 9., scri-
bantur ultima pro prima, et econverso et sie de singulis, et quia nu-
a) notarii A. b) Datum A. c) nostri regni IUI A.
Geheimschrift. 373
merus ipsaruin aliarum litterarum est dispar, loco meclie littere que
est m., ponatur 9, sicut hie.
z. x. t. s. r. q. p. 11. 9. 1. k. h. g. f. d. c. b.
b. c. d. f. g. h. k. 1. ni. 11. p. q. r. s. t. x. z.
ßeatissime pater ego rex Sicilie ure uotifico u sanetitati
zoudy£Fyc)0 kudog ore goc fyxynyo ago ledysyxe l fulxdydudy
Kom. S i c k e 1.
Literatur.
Herroenegild R. v. Jirecek, Unser Reich vor zwei-
tausend Jahren. Eine Studie zum historischen Atlas der öster-
reichisch-ungarischen Monarchie. Mit einer Karte. Wien 1893. Com-
raissionsverlag von Ed. Hölzel.
Der Verf. ist der Ansicht, dass die Herstellung eines »historischen
Atlas der österreichisch-ungarischen Monarchie« für die Schulen eine drin-
gende Notwendigkeit sei. Mit dieser Studie will er ein Paradigma geben
sowol für die zu Grunde zu legende Kartenpartie, wie für die Erläuterung
derselben. Dabei ist das älteste bekannte Zeitalter zur Darstellung ge-
bracht, für das, wie der beigegebene Prospekt angibt, als Hauptquelle die
Geschichtsbücher Herodot's dienten.
Vor 2000 Jahren, d. i. im J. 106 v. Chr., würden wir uns aller-
dings nicht im Zeitalter des Herodot, sondern in dem der Cimbern- und
Teutonenkriege befinden und würde also eher die Behandlung dieser Zeit,
wie sie Müllenhoff im 2. Bande der »Deutschen Alterthumskunde* ge-
geben hat, zu Grunde zu legen sein; auch H. Kiepert's diesem Bande ein-
verleibte Karte: »Kelten und Germanen im IV. — I. Jahrhundert v. Chr.«
durfte nicht unberücksichtigt bleiben. Für die untere Donau verfügte
man damals bereits über die Erfahrungen, welche Alexander d. Gr. und
von seinen Nachfolgern namentlich Lysimachus von Thrakien, sowie An-
tigonos Gonatas von Makedonien im Kampfe gegen Triballer, Geten, Kelten
gemacht hatten. Andererseits gieng der Handelszug von Dyrrhachium und
Apollonia am adriatischen Meer quer durch die Balcanhalbinsel nach dem
heutigen Siebenbürgen, wie die dort gefundenen Münzen deutlich erweisen.
Hiebei bemerke ich, dass der Verf. Bosnien und die Herzegowina in seine
Darstellung nicht aufgenommen hat, trotzdem die Durchforschung dieser
Provinzen namentlich auch in Bezug auf die alten Verkehrsverhältnisse
neuerdings unter der Aegide des Hrn. Reichsfinanzministers v. Kallay die
erfreulichsten Fortschritte gemacht hat, also an Vorarbeiten *) kein Mangel
') Ich verzeichne dieselben : 1. »Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien
und derHerzegov:na\ Herausgegeben vom bosnisch-herzegovinischenLandesniuseum
Literatur. 375
ist. — Die Donaumündungen und die Pontusküste waren durch die
hellenische Colonisation schon früher gut bekannt geworden, und dafür
mag man immerhin Herodot's Schilderung zu Grunde legen ; für das Binnen-
land erscheint er schon nicht so gut unterrichtet, wie er denn den von
den Agathyrsen kommenden Maris (die Marosch) direkt in die Donau mün-
den lässt u. dgl. m. Dann kommen allerdings auch die Nachrichten in
Betracht, welche in die Ueberlieferung der Sagenzeit, wie sie saec. III/II
a. Ch. bei Apollonios Rhodios vorliegt, eingefügt sind. So z. B. in die
Argonautensage: darin wird der damaligen Tendenz entsprechend, die
geographischen Kenntnisse in dieser Weise einzukleiden, die Fahrt der
Argonauten den Istros hinauf beschrieben. Am Punkt, wo der Istros
(d. i. die Donau) den Savefiuss aufnimmt, verliessen sie den Donaulauf
und ruderten die Save hinauf, bis sie die Gegend des heutigen Laibach
erreichten. Hier verliessen sie den Fluss, welchen sie für den Istros
hielten und gelangten übers Karstgebirge ans Gestade und die Inseln des
heutigen Quarnero, wo Jason die kolchischen Begleiter des umgebrachten
Absyrtos tödtete: daher der Name der Insel Absyrtis. Diese quasigeo-
graphische Darstellung spukt noch bei Plinius nach ; wie auch die Ansicht,
dass der Istros sich nach zwei Richtungen hin gable, einerseits nach dem
Pontus, anderseits nach der Adria, sich lange erhalten hat. Von Bedeu-
tung ist die Schilderung des Apollonios von Rhodus für die Erkenntnis
eines alten Handelsweges, den auch Strabo beschreibt: von Aquileia nach
Nauportus (bei Oberlaibach) auf der Achse, von da zu Schiff nach Siscia
und weiter in die Donau. (Vgl. Corp. inscript. Lat. III p. 483). Die
Savemündung und die während der neuesten Regulierungsarbeiten (1893)
wieder eingehender untersuchten Stromschnellen der Donau (» scrophulae *
in römischer Zeit) waren Punkte, die sich Beachtung erzwangen.
Also Ueberlieferungen jener Art haben ihren Werth. Aber der Verf.
geht doch zu weit, wenn er die »Sagen der hellenischen Vorzeit' so aus-
führlich behandelt: 1. Die Kadmossage (weil Apollonios Rhodios die Grab-
stätte des Kadmos in die Rhizonische Bucht, beim heutigen Cattaro, ver-
legt). 2. Die Heraclessage (»der Sage folgend, war die Richtung des
Weges, welchen Heracles gegangen ist, durch Illyrien um das Adriameer
oder über dasselbe zum Poflusse hinüber*). 3. Die Hyllossage (»das an
der dalmatinischen Küste der Adria, in der Gegend des heutigen Zara
ansässige Volk der Hylleer leitete seine Abkunft von Hyllos her*). 4. Die
Argonautensage. 5. Die Antenorsage (nach Sophocles bei Strabo XIII
C. 608 und nach Livius B. 1 gründete Antenor bei den Henetern ein
neues Troia, vgl. Berger, Geschichte d. wissenschaftl. Erdkunde der Griechen
I. 23 f.; was eigentlich die Oesterreicher nichts mehr angeht, aber Herodot
in Serajevo. Redigirt von M. Hoernes. Erster Band. Mit 30 Tafeln und 760 Ab-
bildungen im Texte. Wien 1893 (bei Gerolds Sohn). 2. »Römische Strassen in
Bosnien und der Herzegovina« von Philipp Balliff, bos.-herzegov. Baurath. Her-
ausgegeben vom bosnisch-herzegovinischen Landesmuseum. I. Theil. Mit 24 Ab-
bildungen auf 12 Tatein und 1 Karte. Nebst einem Anhang über die Inschriften
von K. Patsch. Wien 1893 (bei Karl Gerold's Sohn). Beide Publicationen wur-
den der Wiener Philologenversammlung voriges Jahr (1893) vorgelegt. g Auch W.
Tomaschek hat in mehreren neueren Arbeiten Bosnien und die Herzegovina be-
handelt. Vgl. »Mittheilungen d. geograph. Gesellschaft in Wien" 1880 S. 497
bis 528, und 545—567; dann Sitzungsber. d. Wiener Akademie 1881.
376 Literatur.
nennt Heneter auch in Illyrien, und diese konnten, meint der Verf. S. 56,
von den Schaaren Antenor's zurückgeblieben sein. 6. Die Diomedessage
(Diomedes' Name spukt an der ganzen adriatischen Küste herum, auch an
einem Zipfel gegenwäi'tig österreichischen Gebietes : der Schlund des
Timaus wui-de nach Strabo's Zeugnis »Heiligthum des Diomedes« genannt).
7. Die Tyrrhenossage (wegen der Raeter).
Dann wird die alte Geographie vorgeführt: Pontos und Adrias; der
Istros (Müllenhoffs ausgezeichnete Studie über »die Donau«, jetzt dem
2. Bande der »Deutschen Alterthumskunde « S. 362 ff. einverleibt, scheint
dem Verf. nicht bekannt zu sein); die bei Herodot angeführten übrigen
Flüsse. Die Gebirgszüge : der Haemus ; das herkynische Waldgebirge ; die
Alpen. Hier vermisst man die Berücksichtigung der Bergwerksverhält-
nisse, die doch von entscheidender Bedeutung waren: die Goldgruben für
Dacien, Eisen- und Gold für Noricum, Silber und Gold für Dalmatien
(d. h. die heutigen Provinzen Bosnien und Herzegovina) ; Salz in Noricum,
in Dacien u. s. w. Nennt doch schon Herodot die »goldtragenden«
Agathyrsen, wie denn auch nach den Untersuchungen von G. Tegläs der
siebenbürgische Goldbau in jene Zeiten zurückreichen wird ; Polybius erwähnt
das Gold von Noricum; die in Bosnien gelegenen Bergwerke von Srbenica
(in römischer Zeit Domavia) sind neuerdings geradezu auf dem Wege der
historischen Forschung wieder in Aufnahme gekommen (vgl. Radimsky
in der oben erwähnten Publication von M. Hoernes S. 219 ff.) Nach dem
Namen von Hallstadt hat man sich gewöhnt eine ganze Periode zu be-
nennen. Warum sollen alle diese Punkte auf einer so wesentlich »prae-
historischen « Karte nicht verzeichnet werden? Der Verf. behandelt die
Völkerschaften Herodots: 1. Die Thrako-lllyrer (W. Tomaschek's Arbeiten,
worin Thraker und Illyrer strenge geschieden werden, scheinen dem Verf.
gleichfalls nicht geläufig zu sein). 2. Die Skoloten oder Skythen. 3. An-
dere Völkerschaften: die Neurer, die Agathyrsen; die Sigynner; die Raeter
(darunter »die Bechuni, die Ptolemaeischen Bewohner der westlich von
den Venetern gelegenen Gegend mit den Städten Vannia, Carraca, Bretena
(Brixen) und Anaunium (Nons)«. Eine etwas verwegene Geographie, die
zu der commentirten Ausgabe des Ptolemaeus von Ch. Müller I (1883)
p. 340 nicht stimmt; vgl. auch W. Tomaschek in der österr. Gymnasial-
zeitschrift 1885 S. 596, woraus zu ersehen, dass besagte Stelle unseren
besten Geographen Schwierigkeiten macht, deren sich der Verf. nicht be-
wusst ist) ; die Heneter ; die Kelten. Zuletzt werden die Verkehrswege,
keineswegs zureichend, besprochen, und in einem Anhang »Eridanos und
Bernstein«.
Die beigegebene Karte verzeichnet die genannten Völkerschaften,
Flüsse, Berge; Orte nur an der Küste, so dass man nach dieser Karte
die physische Geographie der dargestellten Landschaften studiren könnte,
ehe durch politische Veränderungen im grossen Stil historisch wichtige
Punkte, wie sie jenen Veränderungen entsprachen, geschaffen wurden.
Der Verf. stellt in seiner Einleitung eine Reihe von weiteren Einzel-
karten in Aussicht : das augustische Zeitalter ; zweites Jahrhundert n. Chr. ;
die Zeit der grössten Ausdehnung des römischen Reiches (Nebenkarte:
Vindobona). Dabei darf man fragen: warum können mindestens die zwei
letzteren Karten nicht zusammengeworfen werden? Die grösste Ausdeh-
Literatur. 377
nung hatte das römische Eeich für unsere Gegenden von Traian bis Au-
relian. Auch halte ich es für historisch irreführend, Vindobona in den
Vordergrund zu stellen, da doch Carnuntum während jener Zeit der wich-
tigste Punkt an der mittleren Donau war. Für eine solche Nebenkarte
bietet der von J. W. Kubitschek und S. Frankfurter herausgegebene
»Führer durch Carnuntum« (2. Aufl. Wien 1891, Lechner's Hof- und
Univ.-Buchhandlung) eine vortreffliche Vorarbeit. Will man Vindobona
miteinbeziehen, so wäre auf Kubitschek' s Studie »Vindobona* in den Xenia
Austriaca (Festschrift der österr. Mittelschulen zur 42. Versammlung deut-
scher Philologen und Schulmänner) I. Abth. : Classische Philologie und
Archaeologie S. 1 ff. Rücksicht zu nehmen. Weiter sollen zur Darstellung
gelangen: das Zeitalter der Völkerbewegungen; das VII. und VIII. Jahr-
hundert; das Zeitalter Karl's des Grossen (Nebenkarte: der Oriens. Was
damit gemeint ist, konnte ich mir aus der Mühlbacher's » Karolingern *
Lief. 7 beigegebenen Karte nicht klar machen). Zehntes Jahrhundert
(Nebenkarte : die Ostmark) : kirchlicher Zustand bei Abschluss der Christiani-
sirung und Vertheilung der Völker am Schlüsse des X. Jahrhunderts. —
Unser Urtheil lässt sich dahin zusammenfassen: das Unternehmen eines
»historischen Atlas« der österreichisch-ungarischen Monarchie ist wohl zu
billigen; für die einzelnen Karten müsste sich der Verf. jedenfalls des
Beistandes tüchtiger Fachmänner versichern, um nicht gelegentlich auch
in wichtigen Dingen fehl zu greifen.
Prag. J. Jung.
Georges Blondel, docteur en droit et docteur a lettres, pro-
fesseur agrege ä la faculte de droit de Lyon, Etüde sur la poli-
tique de l'empereur Frederic IL en Allernagne et sur les
transformations de la Constitution Allernande dans la
premiere moitie du XIIIe siecle. Paris, Alphonse Picard et
Juli, editeurs, 1892. XLVI, 440 SS.
Die Verfassungsgeschichte des fränkischen Reiches, aus welchem sich
in der Folge die nationalen Reiche abgesondert haben, bildet von jeher
das gemeinsame Arbeitsfeld für Franzosen und deutsche Forscher. In
dem vorliegenden Werke hat ein jüngerer französischer Gelehrter, durch
Lavine veranlasst, sich mit Deutschland, seiner geschichtlichen Entwicklung
und seiner gegenwärtigen Gestaltung vertraut zu machen, es unternommen,
ein Stück deutscher Vergangenheit, die Zeit, da die Landeshoheit in den
einzelnen Theilen des Reiches entstanden ist, vor Augen zu führen. Auf Grund
umfassender Quellenstudien und mit Benutzung der ansehnlichen, zumeist
deutschen Litteratur hat Herr Blondel, von welchem bereits 1891 eine
Studie über die ländliche Bevölkerung in Deutschland am Ende des Mittel-
alters erschienen, die Politik Kaiser Friedrichs IL in den deutschen Landen
und die Veränderungen, die das öffentliche Recht des Reiches in Folge
derselben in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfuhr, zum Gegen-
stand einer eingehenden Darstellung gemacht.
378 Literatur.
Bei dem Zweck dieser Anzeige, die Aufmerksamkeit unserer Forscher
auf das Werk zu lenken, werden wir, dem Gange der lichtvollen Dar-
stellung folgend, den von dem Verfasser behandelten; reichen Stoff zu ver-
anschaulichen suchen.
Um den Weg zu bahnen für ein richtiges Verständnis der Politik
Friedrichs, giebt das erste Kapitel zunächst einen kurzen Bericht über die
seit den Zeiten Heinrichs I. bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts statt-
gehabte Entwicklung der Eeichsverfassung, während hierauf die Jugend,
die Erziehung, der Charakter und in grossen Zügen auch die Regierung
des von den Geschichtsschreibern so verschieden beurtheilten Kaisers ge-
schildert wird.
Das zweite Kapitel betrachtet vom rechtlichen Standpunkte aus das
deutsche Königthum zu Beginn des 12. Jahrhunderts, wobei auf die
Königsmacht, den kaiserlichen Namen und die kaiserliche Würde, auf das
Verhältnis zur Christenheit und Kirche, weiter auf die Hof- und Erz-
ämter, sowie auf die Reichstage — die wichtigsten der unter Friedrich II.
abgehaltenen sind S. 46, 47 verzeichnet — eingegangen wird. Die ge-
setzgebende Gewalt äussert sich in leges oder constitutiones und in den
sententiae, unter welchen der Verfasser die Rechtssprüche des Königs und
die Weisthümer des Hofgerichtes unterscheidet. Der König ist der oberste
Richter und als solcher wird er selbst beziehungsweise ein ernannter
Stellvertreter allein (s. dagegen jedoch Ficker, Forschungen zur Reichs-
und Rechtsgeschichte Italiens I Nr. 163, III Nr. 602 und Wiener
Sitzungsberichte 128 Nr. 2. S. 10 Note 2) oder mit dem Rath und Urtheil
von Grossen des Reiches wirksam. Das Hofgericht entwickelt sich im 12.
Jahrhundert allmählig und erhält seine Regelung im Jahre 1235. Der
König war auch oberster Schutzherr des Reiches und als solcher mochte
er Burgen bauen und Befestigungen anlegen; einen Krieg aber konnte er
nur mit Zustimmung des Reichstages beschliessen und auf Grund eines
solchen Beschlusses mittelst der Fürsten und Grafen des Reiches das Heer
sammeln, um es anzuführen. Das Recht des selbständigen, unmittelbaren
Aufgebotes stand ihm bloss zu gegenüber den — unverliehenen — Reichs-
dienstmannen, den eigenen Lehnsleuten und den freien oder des Reiches
Städten. Die Hilfsquellen des Königthums bildeten die Reichsgüter, zu
welchen der Verfasser S. 68 auch die Besitzungen der Abteien im Gegen-
satz zu jenen der Stiftskirchen rechnet, dann die Hausgüter, welche das
Geschlecht der Staufen namentlich in Schwaben besass, soweit dieselben
nicht verpfändet waren , ferner die Einkünfte, welche die Ausübung der
Regalien brachte, daneben die freiwilligen Geschenke der Fürsten und
Hen-en, die Abgaben der Städte, die Tribute slavischer Völkerschaften
und die Judenschutzgelder.
Bei der nun folgenden Darlegung der Politik Friedrichs IL in Deutsch-
land, dessen Boden der Kaiser im Jahre 1212 zum erstenmale betrat,
glaubte der Verfasser das Verhalten gegenüber den weltlichen Lehnsträgern
abgesondert von dem gegenüber der Geistlichkeit und getrennt endlich
das Vorgehen gegenüber den Städten erörtern zu sollen, ohne indess den
Zusammenhang zu verkennen, der zwischen der Politik nach den unter-
schiedenen Riehtungen besteht.
Dem entwickelten Programme gemäss beschäftigt sich das dritte Ca-
Literatur. 379
pitel mit der Politik im Verhältniss zu den Lehnsträgern des Laienstandes,
und nachdem von diesen selbst eine Vorstellung gegeben worden, ferner
die wichtigsten Urkunden, in welchen die kaiserliche Politik zum charakte-
ristischen Ausdruck kam, nämlich die confoederatio cum principibus eccle-
siasticis von 1220, das statutum in favorem principum von 1231, der
Mainzer Landfriede von 1235 neben den Urkunden von 1212, 1216 und
1218 ihre Besprechung gefunden haben, wird namentlich an der Hand
des statutum im Einzelnen der Nachweis geführt, welche Schranken durch
den Kaiser der Wirksamkeit der königlichen Gewalt zumal in Betreff des
Marktverleihungsrechtes, wobei jedoch die dem § 4 gegebene Auslegung:
il enleve au souverain le droit de determiner les voies commerciales et
de regier la circulation dans 1' empire bedenklich erscheint, der Zollrechte,
des Münzrechtes, des Berg- und Salzrechtes, sowie des Geleitsrechtes für
die Zukunft gesetzt wurden. Im Verhältniss zu den in diesen Beziehungen
gemachten Zugeständnissen kann von solchen in Ansehung der Gerichts-
barkeit (§ 6 — 9 scheinen nur bestehendes Recht zu bestätigen) und in
Sachen des Heerbannes (§ 1 gedenkt bloss der Anlage von nova castra)
kaum die Rede sein, während allerdings der in dem statutum nicht er-
wähnte Wegfall der königlichen Bannleihe von grosser Bedeutung ge-
worden ist. Den Schluss dieser Erörterungen bilden die Fortschritte,
welche in Folge der Politik Friedrichs IL die Ausbildung der Landes-
hoheit in einzelnen Territorien erkennen lässt, unter Hervorhebung der
seit der zweiten Hälfte des 1 3. Jahrhunderts in den Fürstenthümern
aufgekommenen Theilungen, welche als ein deutliches Zeichen aufgefasst
werden, dass die Lehnsträger nunmehr als eigenberechtigte Herren sich
betrachteten.
Das vierte Capitel ist dem Verhältniss Friedrichs IL zu der Geistlich-
keit gewidmet. Nachdem deren Stellung im Anfang des 1 3. Jahrhunderts
besprochen worden, bildet die confoederatio, welche als eine dem Kaiser
für die Wahl seines Sohnes zum König abgewonnene Capitulation sich
darstellt, den Kern, an welchen sich die Ausführungen über die Stellung
des Kaisers zum Papste oder die Zwei-Schwerter-Theorie, über die Bischofs-
wahlen, das Regalien- und Spolienrecht, sowie über das freie Verfügungs-
recht der Bischöfe auf den Todesfall, über die Vogteien, über das Ledig-
werden des Gerichtes, der Zölle und der Münze in den bischöflichen
Städten zur Zeit eines ächten Hoftages und Anderes anschliessen. Eine
besondere Erörterung wurde zum Schlüsse den reichsunmittelbaren Abteien
zugedacht.
Neben den beiden, zuletzt besprochenen Capiteln ist von besonderer
Wichtigkeit, ferner das fünfte Capitel, in welchem das Verhalten des
Kaisers gegenüber den Städten auseinander gesetzt wird. Auch hier leitet
ein kurzer Ueberblick über die Entstehung der Städte, ihre Bewohner, die
besonderen Merkmale einer Stadt und die Arten der Städte die aus den
drei allgemeinen Gesetzen wie auch aus den für einzelne Städte getroffenen
Verfügungen erkennbare Politik des Kaisers ein. Gegen die königlichen
Städte anfänglich wohlwollend, später schwankend, hat sich dieselbe in
der Absicht, die Unterstützung der geistlichen Fürsten zu gewinnen, stets
feindselig gegenüber den bischöflichen Studien bethätigt. Wegen der
Einzelheiten verweise ich auf S. 301 — 3G4.
380 Literatur.
Um der Vollständligkeit willen wurde in einem sechsten Capitel auch
die rechtliche Lage der ländlichen Bevölkerung zu Anfang des 13. Jahr-
hunderts nebst der Verfassung der grossen Grundherrschaften in den
Bereich der Darstellung gezogen: mais il est difficile de dire quelle a
ete la politique de ce souverain ä l'egard des classes rurales de l'Alle-
magne; on ne peut meme affirmer qu' il en ait eu une, S. 373.
Ein letztes, das siebente Capitel beschäftigt sich vor Allem mit den
Hauptgedanken, von welchen sich Friedrich II. in seiner gegenüber Deutsch-
land befolgten, keineswegs selbständigen und schöpferischen Politik hat
leiten lassen. Der grosse Traum seines Lebens war, Deutschland, dem
er durch seine Geburt unter einem andern Himmel fremd gewesen und
stets fremd geblieben ist, mit Italien zu verbinden zu einem Eeiche, dessen
Sitz das durch ihn nach römisch-normannischem Zuschnitt einheitlich ge-
staltete und verwaltete Sicilien hätte sein sollen. So wenig jedoch dieses
Hirngespinnst zu verwirklichen war, so gefährlich wurde ihm andererseits
sein Sinnen gegenüber der Kirche, deren Vogt er gewesen, während er
ihr Meister sein wollte.
Den Schluss des Ganzen bildet die Betrachtung, dass nach der Re-
gierung Friedrichs II. und dem Untergang seines Hauses die einheitliche
Gewalt in der Hand des Königs gebrochen und eine Vielheit der Gewalten
im Besitze der Landesherren und Städte entstanden war. Dadurch wurde
eine Entwicklung der individuellen Kräfte möglich, aber eine Sammlung
derselben unmöglich und in Folge dessen blieb für geraume Zeit dem
Lande die Rolle vorenthalten, welche es bei seiner Lage, den Eigenschaften
seiner Bevölkerung und den grossen Erinnerungen zu spielen berufen war.
Angefügt sind dem Werke drei Beilagen, wovon die erste die Texte
der wichtigsten Verfassungsgesetze enthält, die zweite den Zweifel Philippis
an der Aechtheit der confoederatio cum principibus ecclesiasticis zurück-
weist und die dritte an der neuerlich vielbesprochenen Frage über den
Ursprung und die Entwicklung der Städteverfassung sich betheiligt.
Indem wir dem Verfasser für das uns gebotene Werk den wohlver-
dienten Dank und die Anerkennung ausdrücken, sehen wir mit Spannung
seinen weiteren Publicationen entgegen. Er verspricht uns demnächst
eine Studie über die Regalienrechte im Mittelalter. Ferner gedenkt er
später nachzuweisen, wie die Zeit nach Friedrich IL Licht verbreitet über
die partikulären Bestrebungen, welche ein besonderes Merkmal deutschen
Wesens bilden. Und hoffentlich wird auch das schöne Project zur Aus-
führung gelangen, dessen er an einer Stelle Erwähnung thut, eine Ver-
gleichung zwischen der Entwicklung der politischen Verfassung in Frank-
reich und Deutschland.
Wien. Siegel.
Niederosterreicliiscb.es Urkundenbuch, herausg. vom
Vereine für Landeskunde von Niederösterreieh. 1. Bd. Urkunden-
buch des aufgehobenen Chorherrnstiftes St. Polten-
Literatur. 381
1. Theil. 976—1367. Vorbereitet von Ä. V. Feigel, bearbeitet von
Dr. Josef La mpel. Wien, Seidel u. Sohn 1891, LXXXV und 845 S. 8°.
Der Verein für Landeskunde von Niederösterreich hat sich durch eine
Reihe von Werken und Unternehmungen, die auf seine Anregung ent-
standen, bereits manche Verdienste um das Stammland unserer Monarchie
erworben. Mit dem vorliegenden 1. Band eines niederösterreichischen Ur-
kundenbuches hat er auch jene Aufgabe ergriffen, die als eine der vor-
dersten für Provinzialvereine bezeichnet werden muss. Schon seit dem
Jahre 1876 brachten die Blätter des Vereines für Landeskunde »urkund-
liche Beilagen«, welche seit dem im Jahre 1885 gefassten Beschluss des
Vereines, die Herausgabe des St. Pöltener ÜB. in seine Hand zu nehmen,
ein bestimmteres Ziel verfolgten. Inzwischen hatte der Gedanke eines
einheitlich angelegten ÜB. von Niederösterreich in und ausser dem Vereine
Wurzel gefasst. Der Verein war zwar zunächst durch das St. Pöltener
UB. in Anspruch genominen, aber nebenher sollte doch ein alle Urkunden
des Landes zusammenfassender, rein chronologisch geordneter Codex diplo-
maticus in Angriff genommen werden, den man sich in dieser Gestalt
wenigstens bis 1246 geführt dachte; ein Werk, dessen Notwendigkeit
und Werth von allen Seiten anerkannt werden musste. So lauteten die
EntSchliessungen eines im Verein für Landeskunde im Jahre 1888 eigens
für die Herausgabe eines niederösterreichischen ÜB. eingesetzten Comites
(vgl. Vereinsnachrichten 1888 S. XV, 1889 S. VI).
Diese Absicht durfte mit Freuden begrüsst werden. Das Land unter
der Enns besitzt zwar Urkundenbücher von einer Eeihe seiner alten, be-
rühmten Stifter, die in den verschiedenen Bänden der Fontes rerum Austria-
caruin edirt sind, es besitzt für einzelne Klöster und Städte ältere Ge-
schichtswerke mit urkundlichen Beilagen, für Wien den Beginn einer
neueren Urkundensammlung. Aber viele dieser Werke sind veraltet und
ungenügend, sie erschöpfen alle zusammen keineswegs auch nur das Material
bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, sie erschweren durch die Zersplitte-
rung des Stoffes gar sehr jede Forschung, jedes Zusammenfassen. Was für
die Nachbarländer Oberösterreich und Steiermark durch einheitliche Samm-
lung des älteren urkundlichen Materials geschaffen ist, das entbehrt noch
Niederösterreich. Mit den Traditionsbüchern (von Klosterneuburg, Götweih
u. a.), die ja nicht unter die übrigen Urkunden aufgelöst werden dürfen,
liesse sich, so kann man sich's vorstellen, ein Band füllen. Zwei weitere
Bände könnten die eigentlichen Urkunden bis 1246 enthalten und so
endlich einmal die Acta der Babenberger im Zusammenhang vorführen,
ein dringender Wunsch, dessen Erfüllung durch die ausgezeichneten Regesten
Meillers wesentlich erleichtert würde. Dem könnte sich dann ein fernerer
Band mit den Urkunden etwa bis 1282 anschliessen. Damit wäre die
Grenze erreicht, wo der vollständigen Veröffentlichung des Urkundenstoffes
durch dessen wachsende Masse und verminderte Wichtigkeit allgemach ein
Halt geboten wird, wo zu gutem Theil eine auszugsweise Mittheilung des-
selben genügt, ja zur Uebersicht und Ausscheidung des Unwichtigeren von
grösstem Nutzen ist. Da könnte dann jene Art der Bearbeitung eintreten,
für die wir die letzten Bände des Fürstenbergischen Urkundenbuches als
Vorbild hinstellen möchten. Tritt irgend ein Object, ein bestimmtes
382 Literatur.
Verhältniss, ein Zustand zum erstenmale urkundlich auf, so werden an
diese erste Urkunde in kleinem Drucke und in Auszug alle jene Urkunden
der Folgezeit angeschlossen, die sich auf den gleichen Gegenstand, das
gleiche Verhältniss beziehen. Damit wird sehr viel Raum gewonnen und
ist zugleich die Unmasse spätmittelalterlichen Urkundenmaterials schon
übersichtlich und gruppenweise geordnet.
Solche oder ähnliche Gedanken mögen jenem Ausschusse vom Jahre
1888 vorgeschwebt haben. Leider sind nun nicht immer die Mittel den
Wünschen entsprechend. So wurde nun einmal das ÜB. von St. Polten
als erster Band von Acta Austriae inferioris ausgegeben, und weiterhin
dachte man, wenigstens zeitweilig, auf Grund gerade vorhandener Vorarbeiten
auf die Herausgabe eines ÜB. von Wiener Neustadt, des St. Nikolaus-
klosters in Wien, einer Sammlung der auf Niederösterreich bezüglichen
Salzburger Urkunden, der Traditionsbücher von Klosterneuburg (vgl. Ver-
einsnachrichten 1892 S. VI.) So verdienstlich nun alle diese in Aussicht
genommenen Urkundenwerke sein würden, so möchten wir uns doch die
Ansicht auszusprechen erlauben, dass auf diese Weise das Werk eines
niederösterreichischen ÜB. Gefahr läuft, ins ziellose und zufällige hinein
zu gerathen, dass minder Wichtiges in Angriff genommen wird, weil zu-
fällig jemand sich damit beschäftigt hat, während die wichtigsten Bestände
und Zeiten nach wie vor unbearbeitet liegen bleiben müssten. Es scheinen
uns doch die von jenem Ausschusse angedeuteten Gesichtspunkte den
einzig richtigen Weg zu weisen. Und wir hegen die feste Ueberzeugung,
dass es auch jetzt noch keineswegs zu spät sei, diesen Weg zu betreten.
Würde es ermöglicht, auf einige Jahre eine entsprechende Summe zu ver-
wenden, so könnte, da ja so mancherlei Vorarbeiten vorliegen, in ver-
hältnissmässig kurzer Zeit die Hauptarbeit gethan werden.
Diese im reinen Interesse für die Sache gemachten Bemerkungen
können uns natürlich nicht abhalten, das ÜB. von St. Polten mit aller
Anerkennung zu begrüssen. Nachdem seinerzeit Sectionsrath A. Felgel
noch auf Anregung Meillers sich zuerst mit dem Stoffe beschäftigt hatte,
übernahm Dr. Josef Lampel die Fortsetzung und Vollendung. Kein ge-
wissenhafterer und gründlicherer Bearbeiter hätte sich finden lassen. Liebe
zum Lande und zur Sache, Sachkenntniss und Beherrschung des Stoffes
vereinigten sich, um in diesem 1. Band des ÜB. von St. Polten eine treff-
liche und dankenswerthe Leistung zu liefern.
St. Polten ist das erste Kloster, das nach der bösen Ungarnzeit in
der Ostmark wieder auftaucht, im Jahre 976 wird es als dem Hochstift
Passau zugehörig von K. Otto II. bestätigt. Mit Passau blieben des Stiftes
und der Stadt St. Polten Geschicke in den folgenden Jahrhunderten eng
verbunden 1). Im Jahre 1058 wurde durch königliche Schenkung der Markt
zu St. Polten an das Stift gegeben und zur selben Zeit durch die Bischöfe
von Passau die Klosterstiftung vollendet, Bischof Altmann führte dann die
regulirten Chorherren ein. Passau hatte die Klostervogtei, übte sie von
1150 an selbst aus und verlieh sie im 13. Jahrhundert an den Herzog.
J) Vgl die schöne und lehrreiche Darstellung der städtischen Entwicklung
St. Pöltens von G. Winter in den Blättern des Vereins f. Landeskunde (1883j
17, 417 ff.
Literatur 3^3
Passau blieb der bedeutendste Grundherr im Ort, der zu einer bischöf-
lichen Stadt heranwuchs; im Jahre 1367 trat das Stift auch den Markt
zu St. Polten und sonstigen Besitz daselbst an das Hochstift ab (n. 573),
die grund herrliche Gewalt des Stiftes war damit so gut wie beseitigt. So
war die Bedeutung des Klosters mehrfach eingeschränkt, es wurde von
jüngeren Gründungen, wie Melk, Götweih, Klosterneuburg u. s. w. über-
flügelt. Das ÜB. des Stiftes gibt über diese Entwickelung reichliche Auf-
schlüsse. Eine Reihe bisher ungedruckter Stücke, die mit c. 1179 (n. 12)
beginnen, lässt das Wachsen des Klosterbesitzes genauer verfolgen, die
Päpste bestätigen ihn (neue Bullen Alexander III., Innocenz III., Inno-
cenz IV. u. s. w.), die Landesfürsten erweisen ihre Fürsorge und Gunst
(neue Urkunden der letzten Babenberger, Ottokars von Böhmen, dann zahl-
reiche der österreichischen Habsburger), dem Herzog Rudolf IV. verdankt
das Kloster nach einer verheerenden Feuersbrunst seine Wiederherstellung,
von ihm sind eine grosse Menge Urkunden in dem Bande enthalten, da-
runter (n. 441) eine »Nothfälschung«, wie sie Lampel nennt, die viel-
leicht mit Hilfe eines herzoglichen Kanzleibeamten hergestellt wurde, un-
echt, aber inhaltlich den Thatsachen entsprechend ist l). Natürlich sind
besonders die Bischöfe von Passau mit zahlreichen Stücken vertreten, von
denen ein grosser Theil hier zum ersten Mal edirt wird; das älteste
davon, eine Urkunde Bischof Diepolds von c. 1179, betrifft die Kirche zu
Brück a. d. Leitha, welche überhaupt für das Stift St. Polten von grosser
Wichtigkeit ward. Auch für Wien enthält der Band einige interessante
Sachen. Ein belehrendes Stück über Geltung und Beweiskraft von Ur-
baren ist n. 260 von 1332. Wie viel an Material für Topographie und
Ortsgeschichte von St, Polten und Umgebung, für die Kenntniss der Ent-
wickelung materieller Kultur in diesen Gegenden, für die Geschichte nieder-
österreichischer Adelsgeschlechter in dem Bande steckt, braucht kaum
eigens hervorgehoben zu werden.
Die Ueberlieferung des St. Pöltener Urkundenmaterials behandelt
Lampel in einer sehr gründlichen Einleitung. Originalurkunden beginnen
erst mit Ende des 13. Jahrhunderts, von den mehr als 300 Stücken bis
1500, die nachweislich noch 1725 vorhanden waren, ist heute nur mehr
ein Siebentel erhalten. Wie L. es höchst wahrscheinlich macht (vgl. Einl.
XIX. ff.), trägt der Chorherr und Geschichtsfreund Raimund Duellius die
Schuld an dem Verluste, indem er die Urkunden an sich nahm und sie
in das Archiv zurückzustellen unterlassen hat. Der Mangel an Originalen
wird durch vier Copialbücher ersetzt. In einer, wie uns bedünkt, allzu
minutiösen und allzu breit geführten Untersuchung bespricht nun L. das
älteste dieser Cartulare (Cod. 1077 des Wiener Staatsarchivs, gegen Mitte
des 13. Jahrhunderts begonnen. Bei gedrängterer Zusammenfassung wären
auch einige ganz interessante Erörterungen mehr hervorgetreten, so über
die Betheiligung eines ungarischen Schreibers am ältesten Bestände der
Handschrift (S. LVII ff.), über den von Bischof Otto von Passau (1254
bis 1265) geplanten Codex monasteriorum seiner Diöcese (S. LIX ff.), über
die Thätigkeit des Propstes Ulrich Feiertager von St, Polten (1359 — 1369,
') Eingehend handelt darüber Lampel in den Blättern des Vereins f. Landes-
kunde (1889) 23, 263 ff.
384 Literatur.
S. LXXVI f.). Und diese ganze Einleitung beschäftigt sich nur mit dem
einzigen Codex A, während von den drei andern Copialbüchern, die schon
durch diesen ganzen ersten Band des ÜB. hindurch benützt wurden, in
denen eine Menge von Urkunden allein erhalten blieb, gar keine Rede ist.
Allerdings soll darüber in der Einleitung zum 2. Band gehandelt werden
(vgl. S. LXXXV), aber es wäre doch wünschenswerth gewesen, wenn
dies an der richtigen Stelle gleich zu Anfang des Werkes geschehen wäre.
Die Edition selbst ist mit grosser Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit
durchgeführt. Vielfache sachkundige, erläuternde Bemerkungen begleiten
in erwünschter Weise den Text ; sie verrathen überall den Kenner der
Landesgeschichte. In Bezug auf die Edition selbst hätten wohl einzelne
etwas ungewohnte Eigenthümlichkeiten besser dem allgemeinen Brauche
angepasst werden können. So die Kennzeichnung von Emendationen durch
cursive Buchstaben, was ja wohl überflüssig ist, da doch in der Anmerk-
ung die Leseart der Handschrift angegeben wird. Mit cursiven Lettern
werden dann auch die Ergänzungen von Siglen und von fehlenden Worten
bezeichnet. Also Anwendung gleicher Bezeichnung für verschiedene Dinge.
In n. 94 ist dann wieder, um die verschiedenen benützten Texte zu schei-
den, das eine ergänzte Wort in eckigen Klammern, das andere in Cursiv-
druck gegeben. Allzu viel des Guten! Ebenso ist die Angabe von
Varianten der Copien, wenn das Original noch vorhanden, in den aller-
meisten Fällen überflüssig. In den deutschen Stücken (das älteste n. 123
von 1286 April 25) ist mit vollem Recht die Orthographie der Ueber-
lieferung genau gewahrt worden. Nur an einer Gruppe von Original-
urkunden (n. 286, 309, 311, 315, 316) hat L. es vorgezogen, die von
dem Schreiber angewandten ü und 1 mit ü und i' wiederzugeben; er druckt
also Rudolf, sün, ürchund, töd, was vom Benutzer gewiss als Umlaut auf-
gefasst wird, während der Schreiber mit seinem Zeichen sicherlich theils
die Dehnung, theils den Diphthong ue ausdrücken wollte, z. B. Ruedolf.
Fleissiges Augenmerk hat L. den Vorurkunden geschenkt und ihre
Benützung durch Kleindruck gekennzeichnet. Hie und da erhebt sich frei-
lich die Frage, ob denn nicht zu weit gegangen ist. N. 136 — 138 sind
Leibgedingreverse vom 3. Febr. 1291, die, wie es natürlich, nach der
gleichen Formel abgefasst sind; man darf da doch nicht einen derselben
nach der zufälligen Ordnung im Codex als Vorurkunde für die andern be-
trachten, sie gehen eben alle drei auf eine Vorlage, ein Concept, wie L.
selber sagt, zurück. Ganz dasselbe ist der Fall bei n. 376 und 377, bei
n. 414 und 415. Bei n. 260 und 285 ist die Uebereinstimmung doch
nur durch denselben Gegenstand begründet.
Aehnliche nicht ganz zutreffende Auffassung wäre bei n. 221 und
172 zu constatiren. Letzteres ist eine Urkunde Leutolds von Kuenring von
1303, in n. 221 erneuern im Jahre 1332 die Söhne Leutolds dessen Ver-
fügung. Gewiss ist n. 172 Vorurkunde für n. 221, aber gerade deshalb
ist es unrichtig, dieses letztere als Neuausfertigung der Urkunde Leutolds
zu bezeichnen — es ist eine ganz neue, andere Urkunde anderer Aus-
steller. Unzutreffend ist es, wenn L. in der Einleitung S. LXV von »um-
zweifelhaften Urkunden und nicht blos Notitiae« spricht und ebenda S. LIV
von n. 4 und 5 sagt, sie haben keineswegs als Urkunden zu gelten, son-
dern tragen lediglich die Form der Notitia. Notitia und Urkunde schliessen
Literatur. 385
sich ja doch nicht aus. Die erwähnten Stücke sind eben Notitiae in
Actform. Chartae paganae statt pagenses Einl. XXVII, Kanzell statt Kanzlei
Einl. XXXVIII, Zirkel statt Kota bei n. 46 sind wohl nicht ganz glück-
liche Wendungen.
Das Kegister ist, wie die ganze Edition, mit grüsster Sorgfalt gear-
beitet. Auch hier könnte man eher sagen, es ist manchmal des Guten
zu viel. Die Anführung von Seiten und Nummern der Urkunden ist ja
recht schön, aber gewiss würde sich jedermann mit der Nummer allein
zufrieden geben und es würde dadurch viel Platz erspart. Auch die An-
führung aller der unzähligen Stellen, an denen St. Polten als Stadt und
in denen das Stift genannt wird, ist doch wohl zu weitgehend ; ähnlich
bei den Worten Oesterreich, Wiener Münze. Die alphabetische Reihenfolge
ist, kaum zum Vortheil der Uebersicht, bei der Aufzählung der Bischöfe
und Domherren von Passau, der Pröpste, Chorherren u. s. w. von St. Polten
und andern Klöstern und auch sonst mehrfach verlassen. Ein Wort- und
Sachregister fehlt leider ; wenn einzelne Worte wie villicus , institor,
nachrichter u. s. w. in das Namenregister aufgenommen sind, so ist das
kein Ersatz, hier sucht sie niemand. Dagegen ist ein für Ortsnamen-
forschung verdienstliches Register der Zusammensetzungen und Ausgänge
mit Ach, Au, Bach u. s. w. am Schlüsse beigegeben.
Dem Bande sind vier Tafeln in Lichtdruck (Max Jaffe, Wien) zuge-
fügt, die in trefflicher Reproduction die Schriften des ältesten St. Pöltener
Copialbuches vom 13. bis Ende des 14. Jahrh. lehrreich vorführen. Druck
und Ausstattung des ganzen Werkes sind vorzüglich.
Von den 579 Stücken dieses Bandes gehören 420 dem 14. Jahr-
hundert an, darunter wieder beinahe 300 dem Vierteljahrhundert von 1340
bis 1367. Dieser massenhafte spätere Stoff, der sich nach 1367 gewiss
nicht mindert, ist fast durchaus von localer Bedeutung. Es hat sich dem
Herausgeber vielleicht selbst schon die Frage aufgedrängt, ob man in
vollständigem Abdruck solchen Materials auch weiterhin fortfahren solle.
Wir können diese Frage mit dem früher gebrachten Hinweis auf das
Fürstenbergische ÜB. beantworten. Die nothwendige Voraussetzung zu
einem solchen »abgekürzten Verfahren«, die vollständige Vertrautheit mit
dem gesammten Stoffe ist bei niemandem mehr vorhanden als eben gerade
bei Lampel.
Wien. Oswald Redlich.
Die historischen Programme der österreichischen
Mittelschulen für 1893.
Wir fassen unter diesem gewohnten Titel die Programmaufsätze ge-
schichtlichen, geographischen und verwandten Inhalts zusammen und stellen
jene deutschen Abhandlungen voraus, die auf bisher ungedrucktem Ma-
teriale beruhen: Anton Wolfradt, Fürstbischof von Wien
und Abt des Benedictinerstiftes Kremsmünster, Geheimer
Rath und Minister Kaiser Ferdinands II. Zumeist nach ar-
Mittheilungen, XV. 25
386 Literatur.
chivalischen Quellen bearbeitet von Alexander Hopf. II. Abtb. 2.
(Schluss, Oberrealscbule irn 6. Bez. in Wien). Die Darstellung der Thätig-
keit Wolfradts vom Mergentheimer Tage bis zum Tode Waldsteins, welcbe
hier geboten wird, bildet den wichtigsten Theil der ganzen Arbeit des
Verfassers. Für den Eeichstag zu Kegensburg (1630) bemühte sich Abt
Anton um die Aufbringung des Geldes zur Eeise des Kaisers und zum
Aufenthalte des Hofes dortselbst und suchte in München den bair. Kur-
fürsten von den Absichten des Kaisers (Wahl seines Sohnes zum röm.
König) zu »instruiren«. Die Furcht, Waldstein möchte den Eeichstag
wegen der Misstimmung der Stände gegen ihn verhindern, war gross,
wie das S. 6 — 7 aus dem Staatsarchiv in Wien abgedruckte Schreiben
Antons an den Kaiser vom 27. April 1630 bezeugt. Waldstein zog auch
nach Memmingen. Wolfradt trat für ihn beim Kurfürstencollegium
ein, welches die Entlassung des Feldherrn verlangte. Hier berichtigt der
Verf. die Ansichten Gindely's in mehreren Punkten. Wolfradt wurde Ende
1630 der Nachfolger des Cardinais Kiesel als Bischof von Wien, durfte
seine Abtei beibehalten und erhielt vom Kaiser noch den Eeichsfürsten-
stand. 1632 übernahm Waldstein in Znaim wieder das Commando auf
drei Monate. Um eine Verlängerung desselben zu erzielen, wurde der
Abt an Waldstein geschickt. Das Empfehlungsschreiben des Kaisers und
ein eigenhändiges Billet des Königs Ferdinand (beide vom 25. März 1632)
sind in den Anmerkungen abgedruckt. Die abschliessende Verhandlung
mit Wald stein führte dann Eggenberg in Göllersdorf, wozu Abt Anton
dem Friedländer ein Glückwunschschreiben sandte. Die beiden standen
auch später noch im Verkehre; am 17. Mai 1632 schrieb der Abt um
Schutz für das bedrohte . Baiern an Waldstein, am 22. und 25. Mai 1632
in Werbsachen, am 29. Mai 1632 wegen der Einnahme von Prag, am
26. Dec. 1632 in Privatangelegenheiten. Wolfradt verhandelte dann in
Leitmeritz mit dem Landgrafen Georg von Darmstadt, der am 22. März
1633 dort ankam, wie Hopf gegen Hurter und Krones festsetzt (S. 22),
die Verhandlungen betreffs des Friedens blieben jedoch erfolglos. Im
Jahre 1633 führte Waldstein den Krieg mehr als Diplomat denn als Feld-
herr. Für diese Zeit druckt H. ein Schreiben Wolfradts an Waldstein
(22. Aug. 1633) und dessen Antwort (12. Oct. 1633) aus dem Staats-
archiv ab, die bei Hallwich fehlen, dann Briefe Antons vom 19. Oct. und
24. Dec. 1633; der letzte Brief Waldsteins an Wolfradt ist aus Pilsen
vom 13. Febr. 1634 datirt. Wolfradt war dann an dem Zustande-
kommen des Prager Friedens betheiligt, erhielt vom Kaiser das Gut Möck-
mühl und wohnte 1636 der Krönung Ferdinands III. bei, dem er noch
seine letzten Dienste widmete. — Zur Geschichte der Schulver-
hältnisse St. Pöltens von der Mitte des 16. bis gegen Ende
des 18. Jahrh. von A. Herrmann (Gymnasium in St. Polten). Auf
Grund der Eathsprotokolle wird der Bestand einer deutschen (Stadt-) und
einer lateinischen (Kloster-) Schule in St. Polten um die Mitte des
16. Jahrh. erwiesen. 1562 — 82 bestand alda auch eine protestantische
humanistische Schule, die dann während der Gegenreformation verschwand.
Erst im 18. Jahrh. erstand wieder eine höhere lateinische Schule der
Piaristen, doch wurde die Anstalt 1777 nach Krems verlegt. Dafür kam
das Stiftsgymnasium von Melk hieher, das 1791 mit weltlichen Lehrern
Literatur. 3 g 7
besetzt und 1804 nach Melk zurück verlegt wurde. H. benützte hier eine
handschriftl. Geschichte des Melker Gymnasiums. Die Abhandlung ist
auch für die Zeitgeschichte von Wert. — Ein salzburgisches Re-
gister buch des 14. Jahrh. von W. Hauthaler (Gymnasium Bor-
romaeum in Salzburg; auch in den Xen. Austriaca IV, 1 — 52). Von Re-
gistern am Hofe der Erzbischöfe von Salzburg war bisher nichts bekannt;
ausser dem wichtigen Registrum Eberhardi (1403 — 1428) entdeckte H.
im Stiftsarchive zu St. Peter eine Handschrift aus der 2. Hälfte des
14. Jahrb., später überschrieben: Varia rescripta et literae Pilgrimi archi-
episcopi. Die Eintragungen umfassen die Zeit von 1364 — 1379 und
bieten wichtige Rechts- und Vertragshandlungen aus oder für die erz-
bischöfliche Kanzlei, davon 19 politischer Natur und theilweise gänzlich
unbekannt. Dadurch wird besonders die Geschichte des Erzbischofs Pil-
grim IL von Puchheim bereichert (S. 9 — 23). Den zweiten Theil der
wertvollen Abhandlung bilden Auszüge aus dem genannten Registerbuche
(163 Nummern). — Der Ci liier Erbstreit von A. Gubö (I. Staats-
gymnasium in Graz; auch in den Xenia Austriaca IV, 55 — 100). Verzeichnet
den Besitz der Grafen von Cilli beim Tode Ulrichs IL und erörtert dann
den Erbstreit zwischen der Witwe Ulrichs und Kaiser Friedrich III., Sig-
mund von Tirol, Albrecht VI., Ladislaus Posthumus u. a., der die Auf-
lösung des grossen Besitzes der Grafen herbeiführte. In dem Streite hatte die
Stadt Cilli schwer zu leiden, doch bewies sich Friedrich III. als Schützer
und Förderer derselben durch Verleihung von (4) Privilegien; 8 Ur-
kunden darüber (1458—1493) sind S. 34 fg. aus dem steiermärkischen
Landesarchiv zum erstenmal vollständig abgedruckt. G. benutzte zu seiner
tüchtigen Abhandlung auch das Richterbuch der Stadt Cilli (1457 — 1514)
in dem L.-Arch. zu Graz. — Einige Actenstücke zur Geschichte
Vorarlbergs im Zeitalter des deutschen Bauernkriegs von
H. Sander (Oberrealschule in Innsbruck). Bringt als actenmässige Er-
gänzung zu seiner Abhandlung im 4. Ergbd. der Mitth. des Instituts
297 fg. die Stücke: Schreiben des K. Max I. an den Abt in der Au bei
Bregenz über das Recht des Todfalls (ll. Aug. 1518) aus dem Bezauer-
archive; die (mittlere der drei) Beschwerdeschriften der Unterthanen im
Bregenzerwalde (1525), Abschiede für Bludenz und Montafon, für Sonnen-
berg, für Rankweil, Sulz, Jagdberg und Neuburg (sämmtliche vom 2. Juli
1525); die Entschuldigung der Bludenzer, Montafoner und Sonnenberger
wegen Rückführung der allgäuischen Gefangenen; Bittschrift der Stadt
Bregenz, der Hofsteiger und Alberschwender vom Febr. 1526 aus
dem Statth.-Arch. zu Innsbruck. — Weitere Notizen zur Geschichte
der königl. Stadt Mährisch-Neustadt im 17. und 18. Jahrh.
von Karl Klement (Gymnasium in Mähr.-Neustadt). Bringt auf Grund
der Acten der dortigen Magistrats-Registratur Ergänzungen zu seiner
Programmarbeit von 1890 über Ausdehnung und Entwicklung der Stadt,
bietet auch längere Auszüge aus dem interessanten Magistratsberichte vom
5. Aug. 1701 wegen der » Kamin-Steuer *.
Abhandlungen zur Geschichte und Cultur des Alterthums und zur Alter-
thumskunde : Der Todtencultus bei denaltenVölkern (Fortsetzung)
von M. Stadler v. Wolf fersgrün (Staatsgymnasium in Feldkirch).
Behandelt den Todtendienst und die Bestattungsceremonien bei den Baby-
25*
3g3 Literatur.
loniern und Assyriern, bespricht die religiösen Anschauungen über das
Leben nach dem Tode, die babylonischen Grabmäler und ihre Formen und
endlich die ass.-babyl. Gräberfunde (Fortsetzung folgt). — Schliemanns
Ausgrabungen und die homerische Cultur von A. Ludewig
(Privatgymnasiuni der Jesuiten in Feldkirch), mit Abbildung der Oberburg
von Tiryns nach der Ausgrabung im Jahre 1885, aufgenommen von W.
Dörpfeld (Plan). — Zur Geschichte des griechischen Mimus
von E. Hauler (Gymnasium im 2. Bez. Wiens) mit Biographien des
Epicharm, Phormis, Dinolochus als Mimographen der dorischen Komödie.
— Die Schlacht bei Marathon von Heinrich Schaner (Gym-
nasium in Mäbr.-Weisskirchen) mit Plan. Prüft den Bericht Herodots
und findet in Uebereinstimmung mit neueren Forschern, dass er im all-
gemeinen verlässlich, im besondern aber etwas übertrieben und traditionell
gefärbt ist. — Per quel vallico alpino scese Annibale in
Italia. Studio geografico di G. Constantini (it. Communal-Gym-
nasium in Triest), sucht zu erweisen, dass Hannibal längs der Isere und
des Are über den Mont Cenis nach Italien zog. — Ein griechischer
Heirathscontract vom Jahre 136 n. Chr. von K. Wessely (Gym-
nasium im 3. Bez. Wierjs) aus einem PapjTus, dessen Text S. 2 fg. (sammt
Uebersetzung) mitgetheilt wird. — Ein Beitrag zur Kenntnis der
griechischen Sepulcralalterthümer von J. Dorsch (Gymnasium
zu Kaaden in Böhmen) theilt fi Sepulcralepigrarnme zur Charakteristik des Ge-
genstandes mit. — Proben römischer Solinhandschriften von J. M.
Stowasse r (Privatrealschule Eainer im 3. Bez. Wiens). — Die Dictatur
desM.'Valerius im Jahre 253 von G. Schön (Gymnasium in Eied),
4 Seiten. — C. Jul. Caesar is commentariorum supplementa
quomodo inter se cohaerent I. von A. Daumann (Gymnasium zu
Braunau in Böhmen). — Cäsars Bürgerkrieg, das bellum Alex.
und bell. Africum und der Cod. Vindobonnensis 95 von A.
Polaschek (Gymnasium in Czernowitz). — Studien zu denAnnalen
des Tacitus von F. Zöchbauer (Gymnasium Theresianum in Wien).
— Unter den erhaltenen Handschriften der Germania des
Tacitus ist die Stuttgarter Handschrift die beste von J. Ho-
lub (Gymnasium zu Weidenau in Schlesien). — Prodigien, Wunder
und Orakel beim Historiker Zosimus von H. Piristi (Gym-
nasium Yincentinum in Brixen). — Vindobona von W. Kubitschek
(Gymnasium im 8. Bez. Wiens). In dieser tüchtigen Arbeit wird die Lage
der celtischen Gründung Vindobona, des Eömercastells auf dem heutigen
hohen Markte und der »Bürgerstadt« (an der Stelle beim heutigen Aspang-
bahnhof) auf Grund des Fundnetzes eingehend erörtert, eine Kritik der
geschichtlichen Quellen angestellt und die Geschichte der Forschung ge-
geben; den Anhang bilden übersichtliche Fundtabellen und ein Ver-
zeichniss der in Wien und in der nächsten Umgebung gefundenen In-
schriftsteine (58 S.). — Fundkarte von Aquileja von Heinrich
Maionica (Gymnasium in Görz), 58 S. mit hübscher, von G. Levi ge-
zeichneter Karte »Forma Aquileiae romanae«. Der sorgfältig gearbeitete
Text zerfällt in 2 Theile: 1. Einleitung, welche die Ergebnisse der bis-
herigen Erforschung Aquileja s bietet, 2. die Fundkarte, nach welcher die
Stadtmauern, die öffentlichen und privaten Bauten Aquilejas und die Strassen-
Literatur. 38<J
züge behandelt werden. — Jenseits der Khipäen: A. Die Fahrten
des Pytheas in der Ostsee. Mit einer Karte (von E. Pliwa). Ein
Beitrag zur Geschichte des Bernsteinhandels von G. Mair (Gymnasium
in Villach). Will der Behauptung Müllenhoffs gegenüber, dass der kühne
Massaliote über die Inseln im Mündungsgebiete der Eider nicht hinaus-
gekommen, beweisen, dass Pytheas in der Ostsee war und im Samlande
den Bernstein suchte und fand. Die Auslegung der in Frage kommenden
Berichte und die von M. angestellten Messungen haben viel für sich, doch
erscheinen manche etymolog. Deutungen als gewagt. Es wird noch einer
erneuten Prüfung der Frage bedürfen, wozu diese interessante und hübsch
geschriebene Abhandlung die Anregung bietet.
Mittelalter und neuere Zeit, Cultur- und Kunstgeschichte: Kaiserin
Adelheid, Gemahlin Ottos I. des Grossen, von Fr. Steffa-
nides (Oberrealschule in Böhm.-Leipa), eine hübsche Darstellung des
Lebens Adelheids auf Grund der gedruckten Quellen für Schüler der Ober-
classen (90 Seiten). — Rudolf von Habsburg im Spiegel deut-
scher Dichtung von E. Söffe (D. Oberrealschule in Brunn). — Jo-
hannes Hus und das Cons tanzer Concil von K. Steiger (nü.
Lehrerseminar zu Wiener-Neustadt), legt einleitend das Leben und Ge-
bahren des Hus vor dem Concile dar. Dann werden die Gründe der
Verhaftung mit Rücksicht auf den Geleitsbrief eingehend untersucht. Die
Verhaftung stehe mit dem Geleitsbriefe nicht im Widerspruche, da ihn
derselbe bloss vor thatsächlicher Gewalt, aber nicht vor dem rechtlichen
Verfahren des Concils schützte; Sigmund konnte auch nicht mehr ver-
sprechen als sicheres Geleite auf der Hin- und (eventuellen!) Herreise
und war Hus durchaus nicht von vornherein abgeneigt. Vergl. darüber
auch Hallische Beiträge zur Geschichtsforschung Heft 5. — Rudolf II.
als Dürer-Sammler von J. Neuwirt h (d. Staatsgymnasium in Prag-
Neustadt). Kaiser Rudolf II. war ein fieissiger Kunstsammler und hatte
schon um 1600 etwa 460 wertvolle Gemälde italienischer, niederländischer
und deutscher Meister beisammen, besonders aber Werke Albrecht Dürers.
Leider existirt davon kein Verzeichniss ; N. zählt nun nach den Angaben
des Malers Carel van Mander die wichtigeren »Dürer« auf und bespricht sie.
— Teplitzer Leben im 16. Jahrhundert von R. Knott (Gym-
nasium in Teplitz). — Der Egerländer Bauernhof in seiner
Einrichtung von J. Neubauer (Realschule in Elbogen), 16 S., Schluss
folgt. — »Der Stock im Eisen« der Stadt Wien von Alfr.
Burgerstein (Real-Obergymnasium im 2. Bez. Wiens) mit Abbildung,
34 S. — Die gothische Kirchenbaukunst in Kärnten von Fr.
G. Hann (Gymnasium in Klagenfurt). — Zur Geschichte einiger
Reichsstädte in den letzten Zeiten des Reiches von Eugen
Guglia (Realschule im 18. Bez. Wiens) liefert einzelne Beiträge zum
inneren Leben und zur äusseren Stellung einiger deutscher Reichsstädte
auf Grund der zeitgenössischen Litteratur und der Acten des eh. Reichs-
hofrathes in Wien. Nach der Eintheilung von Maurer bespricht G.
1. Städte mit vorherrschend aristokratischem Regiment: Frankfurt a. M.
(darüber W. Stricker im 261. Heft der Virchow-Holtzendorff'schen Samm-
lung!), Nürnberg und Ulm. 2. Städte mit vorherrschend demokratischem
Regiment: Worms, Nordhausen und Reutlingen. 3. Städte mit bürger-
390 Literatur.
lichera , aber nicht zünftigem Regiment in einer allg. Uebersicht und
kommt zum Schlüsse, dass die Verhältnisse nicht so elend waren, wie sie
die Historiker (Ranke ausgenommen!) zu schildern pflegen. — Politische
Meinungen und Stimmungen in Wien in den Jahren 1793
und 1794 von Adalb. Fäulhamraer (Gymnasium zu Salzburg).
Diese gediegene und schön geschriebene Abhandlung ergänzt die archi-
valischen Berichte durch litterarische Publicationen jener Zeit, in denen
zuerst Schreyvogel-West hervortritt, und verfolgt auf Grund derselhen die
Wirkung der französischen Revolution auf die Gebildeten und die Masse
des Volkes. Im Anhange ist ein Brief Schreyvogels aus Jena (30. Oct.
1794) abgedruckt. — Cipro nella storia medioevale del com-
mercio Levantino (Forts, folgt) von B. Mitrovic (städt. Oberreal-
schule in Triest). — Lussingrande, Cenni storici del M. Budinich
(naut. Schule zu Lussinpiccolo). Behandelt 1. die griechische Zeit, 2. den Ur-
sprung von Lussingrande (In einem Document von 1384 kommt zuerst
der Name Lossino vor) und die Uskoken, 3. Die Zeit von 1614 — 1797,
4. Von 1797 — 1815. Der Verf. benützte eine handschriftl. Chronik des
Notars Botterini und einzelne Documente aus öffentl. und privaten Samm-
lungen. — Einiges über das Ornament von J. Jonasch (Real-
schule in Marburg a. Drau), 14 Seiten mit histor. Uebersicht.
Zur Geschichte der Heimesage von P. Passler (Gymnasium
in Hörn). Der Verfasser sichtet und prüft, von der tirolischen Haimon-
und Thyrsussage ausgehend, das wissensch. Material mit grosser Gewandt-
heit und Umsichtlichkeit, gibt dann eine durchaus entsprechende Dar-
stellung der histor. Entwicklung der Sage und kommt zum Schlüsse: Ein
herber Mythus (von Heime, dem brudertödtenden Riesen, dem eine Thier-
gestalt zugrunde liegt) bildet den Ausgangspunkt dieser Sage, die mit
einer erbaulichen (mönchischen) Legende vom klosterstiftenden Helden ab-
schliesst. P. benützte von ungedrucktem Materiale das Mortuarium Wil-
thinense, Tschavellers Chronik von Wüten und eine mündliche Sage aus
Leiten bei Zirl. — Der falsche Demetrius in der Dichtung von
A. Popek (Gymnasium in Linz), Fortsetzung folgt.
Biographisches und Verschiedenes: Monge (geb. 1746 zu Beaune),
der Begründer der darstellenden Geometrie als Wissen-
schaft von F. J. Obenrauch (d. Landesrealschule in Brunn). — Aus
Goldonis Denkwürdigkeiten zur Geschichte seines Lebens
und seiner Bühnenwerke von H. Noe (II. Gymnasium in Graz). —
Adalbert Stifter. Beitrag zu seiner Biographie von Fr. Neumann
(d. Oberrealschule in Pilsen) mit Briefen. — MartinusBohemus. Zur
Geschichte des altern deutschen Dramas von Fr. Spengler. (Gymnasium
in Znaim). — Der gestirnte Himmel. Versuch einer Ueber-
setzung der Phaenomena Aratea des Rufus Festus Avienus
von Gr. Fischer und Fr. Köppner (Gymnasium zu Komotau). — Das
Titelwesen bei spätlateinischen Epistolographen von A.
Engelbrecht (Gymnasium Theresianum in Wien). — Aufgaben eines
zukünftigen griechischen Staatsrechtes von V. Thumser
(Gymnasium im 9. Bez. Wiens). — Geschichtliche Skizze über
die alten und neuen österr. -ungar. Münzeinheiten von F.
Villicus (Gremial-Handelsfachschule in Wien). — Zur Orientierung
Literatur. 391
über die Valutaregulierung in Oesterreich-Ungarn von J.
Spindler (d. Handelsacademie in Prag), 40 Seiten. — Giuseppe Tar-
isini (Geb. 1692 zu Pirano, berühmter Musiker) von Georg Benedetti
(Gymnasium in Pola), benützte einzelnes Ungedruckte aus dem bischöf-
lichen Archive in Triest. — Notizie storiche intorno ai pittori
Lampi von L. Eosati (Gymnasium in Trient).
Pädagogik und Schulgeschichte: Geschichtliche Analogien
von J. Bass (Realschule im 16. Bez. Wiens) für Schulzwecke, 32 S. —
Von Delphi nach C h a e r o n e i a. Eine Reiseerinnerung, der Gymnasial-
jugend gewidmet von J. Simon (Gymnasium in Cilli). — Charakte-
ristik des Pädagogen in der Sophokleischen Elektra von
L. Hayder (Gymnasium zu Sanok in Galizien). — Münzensammlungen
als Anschauungsmittel beim Unterrichte (mit einer Uebersicht
der Münzensammlung der Anstalt) von A. Plundrich (Gymnasium in
Stockerau. — D. G. Morhof und sein Polyhistor. Ein Beitrag zur
Lehre vom Bildungswesen von W. Eymer (d. Gymnasium in Budweis).
Daniel Georg Morhof, geb. 1639 zu Wismar, gest. 1691 zu Lübeck, suchte
im Sinne der polymathischen Bestrebungen seiner Zeit das Bildungswesen
besonders in seinem Werke Polyhistor (1688) universell zu behandeln. —
Charakter, Charakterbildung und der charakterbildende
Geschichtsunterricht von Rudolf Sinwel (städt. höhere Handels-
schule in Aussig a. Elbe), besonders beachtenswert die Ausführungen
S. 42 — 7 5. — Der Geschichtsunterricht in seiner erzieh-
lichen Bedeutung von Andreas Simeon er (Gymnasium zu Ungar.-
Hradisch in Mähren). — Zur Einführung in den Geschichts-
unterricht auf der Unterstufe der Mittelschule von V.
Grund (Realschule in Elbogen). — Grundzüge der Organisation
der k. k. Theresianischen Academie von H. Rak (Gymnasium
Theresianum in Wien). — Geschichte des Gymnasiums in Frei-
stadt in den ersten 25 Jahren seines Bestandes (1867 bis
1892), 1. Tbl. (Geschichtliches) von H. Hackel (Gymnasium zu
Freistadt). — Die Feier des 40 jähr igen Bestandes der
Landesunterrealschule in Waidhofen a. d. Ybbs (Realschule
zu Waidhofen a. d. Y.). — Zur Erinnerung an die Feier des
50jährigen Bestandes des k. k. Staats-Obergymnasiums in
Triest. Festrede des Prof P. Tomas in (d. Gymnasium in Triest) mit
Abb. der Anstalt. — Chronolog. Rückblick auf das erste De-
cennium des Bestandes der Lehranstalt und die Feier der Ein-
weihung des neuen Staats-Gymnasialgebäudes von J. de M. Wastl; Be-
schreibung des Gymnasialgebäudes (mit Bild) von H. Holze-
land (Gymnasium im 12. Bez. Wiens). — Zur Geschichte des
deutschen Communal-Untergymnasiums zu Gaya (in Mähren)
von L. Tertsch (Gymnasium zu Gaya). — Die Geschichte der
Entstehung der Anstalt von Fr. Grund (Gymnasium in Karlsbad).
— Uebersicht über die geschichtliche Entwicklung und
die Organisation der landwirths c ha ftl. Landesmittelschule
zu Neutitschein von K. G. Kolb (landw. Mittelschule in Keutitschein),
1. Geschichtliche Skizze (41/2 S.).
Geographie und verwandte Wissensgebiete: Rätoromanisches
ß92 Literatur.
aus Tirol von A. Unter forcher (Gymnasium in Eger), Fortsetzung
der Namenerklärungen (Nasus — Pratutium, 23 S.); zu »Pescol« im Abtey-
thal kommt Pescoller auch als Familienname vor. — Die Hofnamen
des Burggrafenamtes in Tirol von J. Tarneller (Gymnasium in
Meran), Fortsetzung des Hofnamenverzeichnisses: Algund (Degnei Ober-
plars) - Schennan. — Zum Umrisse Asiens von W. Schmidt (Gym-
nasium im 4. Bez. Wiens). Der hübsche Aufsatz, geschöpft aus dem
Unterrichte der 2. Gymnasialclasse, gibt das wieder, was in der Schule
vorgebracht wird, um das Kartenverständniss der Schüler zu fördern. —
Ueber das Orinoccosystem und dessen Erschliessung von
J. Kluibenschedl (Realschule in Bozen). — Ueber Klima, Pflanzen
und Thiergeographie Nordamerikas von B. Löffler (Gym-
nasium in Brüx). — Eishöhlen und Windröhren (Schluss) von
Eb. Fugger (Realschule in Salzburg). Der 3. Theil dieser interessanten
Abhandlung bringt (mit zahlreichen Abbildungen) eine Theorie der Wind-
höhlen und Eishöhlen, prüft die bisherigen Ansichten und sichtet die vor-
handene Literatur. Am Schlüsse finden wir ein Bild der Veränderung in
der Physiognomie der Windröhren und Eishöhlen am Untersberg während
eines Jahres. — Der geologische Aufbau der Gegend um Saaz
von G. Bruder (Gymnasium in Saaz) Schluss. — Die Basaltberge
bei Schlan und Winafic von AI. Sigmund (d. Untergymnasium in
Smichow bei Prag) mit Abb. — Die meteorologischen Verhält-
nisse von Eger im Jahre 1892 von 0. v. Steinhaussen (Gym-
nasium in Eger). — Die meteorolog. Verhältnisse von Weidenau
und Umgebung i. J. 1892 von J. Reidinger (Gymnasium in
Weidenau).
Aus slavischen Schulprogrammen: Die Rede des Demosthenes
gegen Aristokrates von M. Kusionowicz (Mowa Demostenesa
przeciw Arystokratesowi (Gymnasium in Bochnia). — Ueber Erziehung
und Unterricht bei den Griechen und Römern von M. S.
Milkovic (Ob uzgoju i nastavi kod starih Grka i Rimeljana, Gymnasium
zu Spalato). — Kaiser Tiberius im Lichte neuerer Forschung
von M. Litynski (Cesarz Tyberyusz w swietle nowoczesnych badan, p.
Oberrealschule in Lemberg). — Ueber Geschichte der Romani-
sierung der röm. Provinzen von B. Dolejsek (Dejini a zpüsob
pofimaneni provincii fimskych, b. Gymnasium in Ungarisch-Hradisch). —
Die ehemalige Collegiatkirche Allerheiligen zu Jaroslau
von Jg. Rychlik (Kosciöl Kollegiaty Wszystkich Swi^tych w Jaroslawiu,
Gymnasium in Jaroslau). — Eine Urkunde des Klosters Königs-
saal aus dem Jahre 1418 von V. Piskäcek (Listina klästera
Zbraslavskeho z r. 1418, Gymnasium in Raudnitz). — Tabor als Fest-
ung in der Vergangenheit von K. Thir (Hradiste Hory Tabor jako
pevnost' v minulosti L, b. Gymnasium in Tabor), 1. Theil mit 1 Plan. —
Ueber den Einfluss des Johann Vitefc von Zredno und des
Georg von Podiebrad auf die Wahl des Mathias Corvinus
zum ungarischen König. Nach archivalischen Quellen von G. Hes
(0 püsobeni Jana Viteze ze Zredna a Jifiho z Podebrad ve volbu Matyäse
Korvina za kräle Uherskeho. Na zaklade archivalnim, b. Gymnasium in
Neuhaus). Benützte mehrere böhm. Archive und die Staatsarchive zu
Literatur. 393
Dresden und Mailand und druckt ein Schreiben des Mathias vom 23. Jan.
1458 und des Georg von Podiebrad vom 2. März 1458 über die ungar.
Königswahl ab. Der Verweser des Königreichs Böhmen verspricht in
einem andern Schreiben Freundschaft und Bruderschaft und dem Mathias
seine Tochter (S. 22 fg. abgedruckt, datiert fer. V. post festum S. Doro-
thee 1458). Als Schriftprobe werden die beiden lat. Schreiben der Könige
und die letzte Seite des Chron. Hungarorum (1473) abgebildet. — Die
Adels- und Erbfamilien in der Stadt Jungbunzlau in den
Jahren 1471 — 1620 von F. Bares (Siechticke a erbovni rodiny v
meste Boleslava Mladeho v letech 1471 — 1620, b. Gymnasium zu Jung-
bunzlau). Stützt sich auf das Jungbunzlauer Archiv, die Landtafel- und
Kammergerichtsbücher, auf Auszüge aus dem Statth.-Archiv zu Prag und
auf Druckschriften des 16. und 17. Jahrh., bringt genealogische Tafeln
(auch Lobkowitz) und Grabinschriften. — Zur Geschichte der Hand-
werke in Schlesien von W. Prasek (K dejinäm femesel ve Slezsku,
b. Privatgymnasium in Troppau). — Franz Martin Pelcl von J.
Vycp älek (Frantisek M. Pelcl etc., Gymnasium in Reichenau). — Das
Leben des Kaspar Melchior Miaskowski (poln. Dichters aus dem
16. Jahrh.) von J. Wierzbicki (Zywot K. M. Leliwity Miaskowskiego,
p. Gymnasium in Wadowice). — Die Franzosen inPiseki. J. 1741
bis 1742 von J. Matzner (Francouzove v Pisku r. 1741 — 1742, b.
Realschule in Pisek). — Diplomatische Verhandlungen zwischen
dem Wiener- und dem russischen Hofe am Beginne des
siebenjährigen Krieges i. J. 1757 von Franz Zdrähal (Diplo-
maticke vyjednäväni mezi dvorem videnskym a ruskym na poöatku valky
sedmilete v r. 1757, b. Gymnasium auf der Neustadt in Prag), 11 S.
auf Grund des Gedruckten. — Die Bedeutung des gesetzgeben-
den Körpers in der Geschichte der französischen Revolu-
tion (Fortsetzung und Schluss) von J. Krystüfek (Vyznam sboru
zäkonodarneho v dejinäch revoluce francouske, b. Gymnasium in Bud-
weis). — Die Geographie in den oberen Classen der Mittel-
schule von Franz Werner (Zemepis ve vyssich tfidach skol stfed-
nich, Gymnasium in Prerau), Schluss. — Zum 60jährigen Bestand
der Anstalt von J. Topka (K sedesätilete rocnici trväni üstavu, b.
Realschule zu Rakonitz). — Die ersten 30 Jahre des Bestandes
unserer Anstalt. Ein monographischer Versuch über das k. k. Real-
und Obergymnasium zu Chrudim von Th. Rehof (Prvnich tficet trväni
naseho üstava. Pokus monografie c. k. realn. a vyss. gymnasia v Chru-
dimi, b. Gymnasium in Chrudim) mit Abb. der Lehranstalt. — Ge-
schichte der Schulen von Wittingau von A. Decker (Dejini
skol Tfebonskych, b. Gymnasium in Wittingau) mit einer stat. Uebersicht.
— Uebersicht der ersten 25 Jahre des Bestandes des böhm.
Staatsgymnasiums zu Brunn von Vlad, St'astnf (Rozhled po
prvnich pet a dväciti letech 1867 — 92 trväni c. k. v. gymnasia eeskeho
v Brne, b. Gymnasium zu Brunn). — Theophil Lenartowicz. Ein
Nachruf von J. Szafran (Teofil L. Wspomnienie posmiertne, Gymnasium
in Rzeszow).
Die Gletscher von R. Knaus (0 ledovcich, b. Realschule in
Prag - Karolinenthal). — Die Krim, ihre Naturschönheiten und Natur-
394 Literatur.
merkwürdigkeiten, nach eigener Anschauung und nach den neuesten
Quellen dargestellt von Em. Fait (Krym, jeho pfirodni kräsy a pamät-
nosti. Die vlastniho näzoru a nejnovejsich pramenü lici, b. Oberrealschule
in Eakonitz). — Teschen und das Teschener Gebiet in geogr.-
statist. Hinsicht von G. Harwot (Cieszyn i ziemia cieszynska pod
wzgladem geograficzno-statystycznym, Gymnasium in Przemysl). — Der
Granit-Syenit im südwestl. Mähren von J. Vyrazil (Zulovy"
syenit na jihozäpadni Morave, b. Oberrealschule in Brunn), 2 V3 Seiten. —
Der Palati n. Eine topographische Studie von L. Brtnicky (Palatin.
Pojednäni topograficke, b. Gymnasium in Königgrätz), 34 S. mit 1 Tafel,
Forts, folgt. — Geographisches Zeichnen von A. Vuöetic (Geogra-
fsko crtane, Gymnasium zu Ragusa). — Meteorologische Beobach-
tungen zu Reichenau im Jahre 1892 von J. Sallac (Vysledky
meteorolog. pozoroväni r. 1892 v Rychnove n. K., b. Gymnasium in
Reichenau). — Meteorologische Beobachtungen in Leitomischl
von E. Barta (Vysledky meteorologickeho pozoroväni v Litomysli, b.
Gymnasium zu Leitomischl).
Bielitz. S. M. Prem.
Zur Feststellung des Datums der Überreichung der „Sturmpetition" der protestantischen
Stände Oesterreichs an Ferdinand II. (1619).
Thatsächliche Berichtigung in Betreff des 11. Juni 1619.
In Bd. XIV. H. 2 S. 379 u. f. dieser Mittheilungen findet sich eine
Besprechung, unterz. A. Huber, des Werkes des Unterzeichneten über den
dreissigjährigen Krieg (Bd. I), in welcher unter anderen gesagt wird,
H. Gindely habe dargethan, dass die stürmische Audienz bei dem dam.
Könige Ferdinand IL am 5. Juni 1619 stattgefunden habe. Die frühere
Ansicht vom 11. Juni dagegen, die Herr v. Hurter und ich vertreten,
sei irrig.
Es handelt sich dabei nicht bloss um die Frage des Datums. Die
Frage desselben schliesst eine ungleich wichtigere ein, nämlich die, ob
die Bedrohung des dam. Königs Ferdinand IL in der Hofburg durch die
Sturmpetition der nicht-katholischen Landstände von N.-Oe. stattfand,
bevor oder während der Graf Thurn mit dem Böhmenheere im Ange-
sichte der Stadt Wien stand, vom 6. bis zum 12. Juni.
Die erste ausführliche Darstellung des ganzen Verlaufs hat das
Theatrum Europaeum im Jahre 1635 gegeben, Bd. I, 139 u. f. Es druckt
fast die ganze Sturmpetiüon ab mit Hinzufügung des Datums des elften
Juni 1619. — Londorp, Acta publica I, 619 fügt nicht ausdrücklich
das Datum hinzu. Aber der dort ganz wortgetreue Abdruck beginnt:
»Was Ew. K. Majestät uns den 9. Juni auf unsere den 8 ejd. übergebene
schriftliche Communication schriftlich geantwortet« u. s. w. — Die Ueber-
einstimmung der zwei von einander unabhängigen Quellenwerke in Betreff
des Datums liegt also seit 250 Jahren vor Augen.
In unserer Zeit erforschte zuerst wieder Herr F. v. Hurter das Archiv
der n.-ö. Landstände. Auf Grund des Ergebnisses berichtet er (Bd. VII,
554): »Am 11. Juni (iß 1 9) erschienen sechzehn unkatholische Landleute
N.-Oe.s stürmisch in des Königs Vorzimmer« u. s. w.
Literatur. 395
Dann kam H. Gindely. Er befragte nicht die angeführten gedruckten
Quellenwerke aus jener Zeit selbst. Er untersuchte auch nicht das in
dieser Angelegenheit wichtigste Archiv der n.-ö. Landstände in Wien. Er
ging nach Simancas in Spanien. Dort fand er einen Bericht des spani-
schen Gesandten in Wien, der die Tage vom 5. bis 12. Juni 1619 kurz
zusammenfasst. Hauptsächlich auf Grund dieses Berichtes stellte H.
Gindely die Ansicht auf: die stürmische Audienz habe am 5. Juni statt-
gefunden, also vor dem Erscheinen Thurns vor Wien am 6. Juni. Damit
würde das wesentliche Moment der Gefahr für den K. Ferdinand II, das
in der Anwesenheit Thurns mit etwa 10,000 Mann im jetzigen Bezirke
Landstrasse vor Wien lag, entfallen.
Es ist also die Frage, ob der Bericht des spanischen Gesandten in
unvereinbarem Widerspruche mit den Acten und Protokollen steht, auf
die H. F. v. Hurter seine Erzählung gründet. Herr Gindely selber hat
(Bd. II, 79 seines Werkes) die betr. Stelle jenes Berichtes spanisch ab-
gedruckt. Sie umfasst die Tage vom 5. bis 12. Juni summarisch, so
kurz, dass sie kaum eine halbe Druckseite füllt. Sie lautet deutsch:
»Die Lutherischen (Landstände) traten am 5. Juni in die Versammlung
der Katholischen und erklärten, dass nunmehr, wo man nicht habe überein
kommen können, sie die gemeinsame Casse und Verwaltung scheiden und
fortan nach eigenem Ermessen handeln würden. Von da begaben sie sich
zum Könige, um ihm eben dasselbe zu sagen, und gemäss dem, was ich
über Thurn vernommen, wird allgemein geglaubt, dass die Lutherischen
oder einige Personen ihn herbeigerufen haben, mit der Absicht ihn in
die Stadt einzulassen, und den König zu zwingen, Frieden zu machen
auf Grund der Bedingungen, die sie ihm setzen wollen. Aber Gott sei
es gedankt, dass zur selben Zeit, wo die Lutheraner vor dem Könige
redend standen, auf dem Burghofe 400 Reiter ankamen, und an die Stadt
eben so viele Infanterie, welche (Truppen) aus den benachbarten Be-
satzungen herbeigerufen waren. Darüber geriethen sie (die Deputation
der nicht-katholischen Landstände) in Verwirrung und redeten bescheidener. <L
Aus diesem summarischen Berichte, der, wie H. Gindely selber an-
gibt, die Tage vom 5. bis 12. umfasst, also erst am 12. niedergeschrieben
sein kann, folgt nicht eine Meinung des Gesandten, dass die stürmische
Audienz am 5. Juni stattgefunden habe. Der Bericht trennt nur, eben
weil er summarisch ist, nicht die Vorgänge der einzelnen Tage.
Eben darum hat der Unterzeichnete die Acten und Protokolle des
Archives der n.-ö. Landstände vom Juni 1619 durchgesehen, um genau
zu wissen, was von einem Tage zum anderen geschehen ist. Es ist ganz
richtig, dass, wie der Gesandte meldet, am 5. Juni die nicht-katholischen
Landstände den katholischen die Trennung ansagten. Es ist auch richtig,
dass sie dann zur Audienz gingen. Dann jedoch erfolgt in dem summa-
rischen Berichte des Gesandten ein Sprung vom 5. auf den 11. Er er-
wähnt nicht, was die eigentliche Sturmpetition vom 1 1 . ausdrücklich sagt,
dass die Petenten am 8. wieder zur Audienz gekommen sind, und am
9. eine schriftliche Antwort erhalten haben.
Ueberhaupt ist jeder einzelne Tag vom 5. bis zum 12. bedeutungs-
voll, und es ist dem Unterzeichneten eine besondere Freude gewesen, auf
Grund der Acten und Protokolle zu verzeichnen, was an jedem einzelnen
396 Literatur.
Tage geschehen ist, und hinzufügen zu können (S. 350): »Die charakter-
feste Haltung der katholischen Landstände von Niederösterreich ist ein
Moment, das in den geschichtlichen Darstellungen jener schweren Tage
selten nach Gebühr gewürdigt worden. Wie sie, ungeachtet der grossen
Worte, zügelnd auf die nicht-katholischen Landstände wirken musste, so
ermuthigend auf den König Ferdinand.«
Die schwerste Probe, welche der König zu bestehen hatte, fand statt
am 11. Juni 1619. Denn dieses Datum — es ist zu wiederholen —
trägt im Archive der n.-ö. Landstände die Sturmpetition, mit welcher die
Deputation der nicht-katholischen Landstände , sechzehn Mitglieder des
Herren- und Ritterstandes, in der Hofburg vor ihn traten. Während
Thurn mit dem Rebellenheere im Bezirke Landstrasse stand, harrend, dass
ihm ein Thor aufgethan werde, wie nach seinem Berichte nach Prag es
ihm versprochen war, forderte die Petition schriftlich und deren Träger
mündlich stundenlang von dem Könige Ferdinand die Einwilligung in
die Confoederation der nicht-katholischen Landstände von Niederösterreich mit
den böhmischen Rebellen, d. h. die Selbstvernichtung des Herrscherhauses,
den Zerfall der Länder desselben in eben so viele Adelsrepubliken. Der
Widerstand des Königs war die Rettung. Der 11. Juni 1619 ist ein
Tag des Sieges, errungen durch den König Ferdinand IL persönlich und
allein, gleichwiegend mit jedem anderen schwersten Schicks aistage der
Monarchie.
Penzing, im März 1894. Onno Klopp.
Replik.
Wir glauben zwar nicht, dass der Ruhm K. Ferdinands II. dadurch
geringer wird, wenn er die »Sturmpetition« der protestantischen Stände
Oesterreichs nicht am 11. Juni, wo Thurn mit seinem Heere vor Wien
stand, sondern schon am 5., wo derselbe der Stadt sich näherte, zurück-
gewiesen hat. Aber die Lösung der Streitfrage ist immerhin für den
Geschichtsforscher von Interesse und es wird daher wohl gerechtfertigt
erscheinen, wenn ich möglichst kurz und, ohne viele überflüssige Redens-
arten zu bringen, darauf eingehe.
Gindely (Geschichte des dreissigj ährigen Krieges 2, 78 N.) hat gegen
die frühern Historiker (auch noch Hurt er 7, 554), welche die Sendung
einer Deputation der protestantischen Stände an den König und die An-
kunft der von Krems herabgeschickten Reiter unter Saint-Hilaire auf den
1 1 . Juni 1619 verlegten, geltend gemacht, dass dieser Vorfall nach den
Berichten des sächsischen Gesandten vom 10. und 11. und des spanischen
vom 12. Juni sich schon am 5. Juni zugetragen haben müsse. 0. Klopp
hat in seinem Werke »Der dreissigj ährige Krieg« 1, 347 N. die frühere
Ansicht aufrechterhalten und thut dies mit Berufung auf die »Acten und
Protokolle des Archives der n.-ö. Landstände« auch jetzt noch, wobei er
den widersprechenden Bericht des spanischen Gesandten dadurch beseitigen
zu können glaubt, dass er sagt, derselbe sei nur summarisch und trenne
nicht die Vorgänge der einzelnen Tage. Den Bericht des sächsischen Ge-
sandten aus Wien ignorirt er ganz, ebenso den des venetianischen vom
Literatur. 397
8. Juni, auf den ich in meiner Recension ausdrücklich aufmerksam gemacht
habe und worin gemeldet wird, dass, während die Protestanten beim
Kaiser waren, »sopragionte nell' istesso tempo sopra la Piazza del Palazzo
quattro Cornette die Cavalleria di quelle chiamate da Crems«.
Obwohl nun kein unbefangener Forscher daran zweifeln kann, dass
der venetianische Gesandte Dinge, die uich erst am 11. Juni zutrugen,
nicht schon am 8. seiner Regierung berichten konnte, liess ich mir die
Mühe nicht verdriessen, auch meinerseits die Acten des Archivs der n.-ö.
Stände einzusehen, wobei mir Herr Archivdirector König in der liebens-
würdigsten Weise entgegengekommen ist. In diesem befindet sich ein
umfangreicher Band »Excerpte aus den n.-ö. Landtagsverhandlungen von
1600 — 1711 T. IL«, worin die Vorgänge vom 5. bis zum 11. Juni 1619
in (im Ganzen recht verlässlichen) Auszügen mitgetheilt sind. Zum 5. Juni
findet sich die »mündliche Erklärung« der drei der Augsburgischen Con-
fession zugethanen Stände unter und ob der Enns an die vier katholischen
Stände. Jene erklären, da die Katholischen (auf ihre Forderung der Bei-
stimmung zur Conföderation mit Böhmen) nur eine ausweichende Antwort
gegeben, deren Erledigung etliche Monate brauchen würde, so wollten sie
sich fortan in eine gemeinsame Berathung mit denselben nicht mehr ein-
lassen, was sie ihnen in offener Landstube andeuten, »wie sie sich denn
gleich jetzo zu Ihrer kgl. Maj. hinein gegen Hof verfügen« und dieser zu
Gemüthe führen wollen, wie nahe die Böhmen mit dem Kriegsvolk kommen
und in welcher Gefahr Ihre kgl. Majestät und das Land stehen. Sie ver-
wahrten sich zugleich, dass sie an allem hieraus entspringenden Unheil
keine Schuld haben wollen, und erklärten nochmals, dass sie sich von
den katholischen Ständen trennen und alle Landes- und andere Sachen,
das Verordnetenamt, die Kasse u. s. w. für sich allein vornehmen würden.
Zum 8. Juni ist wieder eine Petition der evangelischen Stände
an den König Ferdinand verzeichnet, die sie ihm am 9. durch ihren Aus-
schuss persönlich überreichten, worin sie um Abstellung der Tyrannei des
königlichen Kriegsvolkes in Böhmen bitten und sich wegen ihrer Wer-
bungen rechtfertigen, welche nicht gegen den König und zur Unterdrückung
der katholischen Religion, sondern nur zu ihrem Schutze vorgenommen
würden. Die vom Könige am 9. mündlich und dann auch schriftlich
ertheilte Antwort ist nicht vorhanden. Aber aus der Antwort, der Stände
vom 1 1 . ergibt sich, dass derselbe bemerkte, er sei zur Werbung des
Kriegsvolks von den Böhmen gezwungen worden und die österreichischen
Stände hätten keine Ursache, zu ihrer Sicherheit einige Defensive in die
Hand zu nehmen.
Diese mehrfach gedruckte Antwort der Stände vom 11. Juni ist nun
in den erwähnten » Excerpten « ausdrücklich als »Sturmpetition« bezeichnet
und dadurch konnten die älteren Forscher, welchen die Berichte des spa-
nischen und venetianischen Gesandten noch nicht vorlagen, um so leichter
irregeführt werden, als zum 25. Juni bemerkt ist, die »Verordneten«,
welche dem Könige geschrieben, die evangelischen Stände könnten zu dem
von ihm berufenen Landtage nicht erscheinen, hätten »auf das plötzliche
Erscheinen der Bucquoischen Reiter in der kaiserlichen Burg am 1 1 . Juni
hingewiesen«. Aber diese Excerpte sind, wie ihre Schrift zeigt, neuen
Ursprungs und die Concepte, aus welchen sie zusammengestellt worden
398 Literatur.
sind, enthalten weder bei der Antwort der Protestanten vom 11. Juni den
Ausdruck Sturmpetition noch bei der Eingabe vom 25. Juni das Datum
»11. Juni«. Im Gegentheile heisst es hier: »Dann erstlich befinden wir,
das Sy Evangl. Stände, da Sy bei Euerer Mt. vor wenig Wochen
in zimblicher Anzall gnedigste Audienz gehabt, durch den mit etlich Com-
pagnien Keutter, welche in wehrunder Audienz in völligem Spornstraich
mit aufgezogenen Eöhren und zum Angriff gehörigen armis auf den Burg-
platz geritten und daselbst so lange, als die Evangel. Stände darinnen
zu Hof, das ist bis gegen Abend verblieben, gehalten, fürgegangenen
ungewöhnlichen zuvor nie erhörten actum in solches Misstrauen gerathen,
das Sy bald drauf allhin nach einander verreist und von hinnen wegbe-
geben haben.«
Der Ausdruck »vor wenig Wochen« passt jedenfalls eher, wenn am
25. Juni nicht erst 14, sondern 20 Tage verflossen waren. Da nun fest-
steht, dass die protestantischen Stände sich am 5. Juni unmittelbar nach
ihrem Bruche mit den Katholiken »zu ihrer kgl. Maj. hinein gegen Hof
verfügt« haben, während bei der Antwort vom 11. Juni nicht bemerkt
ist, dass sie dem Könige durch eine Deputation überbracht worden sei,
so stimmen auch die ständischen »Acten«, auf die sich 0. Klopp stützt,
mit den Berichten der in Wien weilenden Gesandten überein und der
5. Juni als Tag der »Sturmpetition« ist sicher gestellt.
Wien 21. März 1894. A. Huber.
Entgegnung von Dr. Jean Lulves.
Eine in den Mittheilungen des Instituts f. österr. Geschichtsforschung
Bd. XIV, Heft 3, Seite 516, von Wl. Milkovic veröffentlichte Anzeige
meiner Schrift über »Die Summa cancellariae des Johann von Neumarkt«
behauptet von ihr, dass sie vollständig auf einigen Arbeiten F. Tadras
fusse, in denen dieser eine genauere Untersuchung über das genannte
Formelbuch durchgeführt habe, sogar auf den (sie !) in böhmischer Sprache
geschriebenen, was deshalb hervorzuheben sei, »weil der Verfasser in der
Note S. 5, ich weiss nicht aus welchem Grunde, diese Zumuthung von
sich fern zu halten bemüht ist, indem er ausdrücklich sagt, dass diese Arbeit
Tadras, weil in böhmischer Sprache geschrieben, unberücksichtigt bleiben
musste. *
Auf diese Behauptungen, die auffallender Weise des nothwendigen
Beleges entbehren, habe ich zu erwiedern :
Von den, mir wenigstens, bekannten beiden »Untersuchungen« Tadras
bot die eine, nämlich der Abdruck der zweiten Hälfte der späteren und
nach einer — von mir in Leipzig nachgewiesenen — Vorlage entstan-
denen Klagenfurter Handschrift, betitelt: Cancellaria Johannis Noviforensis
episcopi Olomucensis (1364 — 1380) im Archiv für österr. Geschichte
Bd. 68, S. 1 — 158, für meine Handschriftenvergleichung und Eedactionen-
feststellung so gut wie nichts, weder im Text noch in Tadras Einleitung
und Anmerkuugen. Die Ausgabe ist von mir eingehend besprochen wor-
den (S. 28 — 30, 106 nnd 109), einzelne Angaben der dort publicirten
Briefe, welche ich in meinem einleitenden biograpischen Kapitel als Quellen-
Literatur. 399
stellen für die sechs letzten Jahre des Kanzlers verwerthen konnte, sind
natürlich nach diesem Drucke, statt nach der älteren Handschrift citiert.
Die andere Arbeit: Jan ze Stredy im Casopis Musea Kralovstvi Ces-
keho 60, habe ich hingegen wegen meiner gänzlichen Unkenntnis des
Czechischen überhaupt nicht benutzen können, musste sie aber lediglich
des Handschriftenverzeichnisses wegen, da mich Tadra selbst privatim auf
dasselbe aufmerksam gemacht hatte, einmal, wie es das ausdrückliche Citat
S. 20, Anm. 1 lehrt, heranziehen; besagtes Verzeichnis war mir nur
durch die lateinische Wiedergabe der Handschriftenmarken entzifferbar, bot
mir aber ausser einem Codex in Raigern nur bereits aus Katalogen etc.
bekannte Stücke. Dieses Citat steht ausserhalb der von mir gegebenen
Biographie Johanns von Neumarkt (Kap. II), auf die allein sich
jene Bemerkung bezieht, welche ich bei der Aufzählung der dorthin ge-
hörigen Litteratur gemacht habe: »Unberücksichtigt musste dagegen bleiben:
F. Tadra, Jan ze Stredy « etc. ; wohl verstanden fehlt bei mir der Zusatz
im obigen Citat, »weil in böhmischer Sprache geschrieben«. — Schon
allein die Erwähnung von fünf nicht hergehörigen Handschriften in dem
genannten Verzeichnisse Tadras beweist, dass er auch nicht in dem mir
im Uebrigen gänzlich unbekannt gebliebenen, czechischen Aufsatze die von
mir durchgeführte, unmittelbare Vergleichung der bis dahin zumeist nicht
einmal durchgezählten und foliirten Handschriften vorgenommen hat.
Replik.
Für jemand, der in die Sache eingeweiht ist, würde schon die obige
Entgegnung allein genügen, um sich zu überzeugen, dass der Vorwurf, den
ich dem Verfasser gemacht, thatsächlich ein berechtigter sein muss. Hat
er ihn etwa gründlich widerlegt? Ich glaube, dass mit der blossen Be-
tonung des Umstandes, dass Herr L. der böhmischen Sprache nicht mächtig
ist, der von mir erhobene Vorwurf nicht widerlegt werden kann, und dass
er die böhmisch geschriebene Abhandlung Tadras wenigstens in einer Be-
ziehung benützt hat, das gesteht er selbst. Da meine Anzeige des Schrift-
chens, einer Dissertation, sich kurz fassen musste, will ich nun das Ge-
sagte im einzelnen ei'härten.
Der Erste, welcher mit der Summa Cancellariae Johannis Novif. ein-
gehender sich befasst hat, ist F. Tadra. Von Tadra zunächst konnte Herr
L. sich darüber Orientiren, welche und wie viel Handschriften der Summa
Johannis es gibt und wo sich dieselben befinden. Diese Nachrichten fan-
den sich in der böhmischen Abhandlung x) Tadras vor. Dieselbe musste
also für ihn den Ausgangspunkt bilden. Ob nun Herr L. diese Nach-
richten aus der Abhandlung selbst geschöpft oder dieselben privatim, wie
er jetzt erst andeutet, von Tadra in Erfahrung brachte, ist nebensächlich.
Der Recensent konnte nur die Verwandtschaft beider Abhandlungen con-
statiren. Ich habe auch meine Worte, dass seine Abhandlung auf den
Arbeiten Tadras fusse, so verstanden, dass dieselben ihm zum Ausgangs-
') »Sogar auf den" — statt der — »in böhmischer Sprache geschriebenen«
in der Recension ist, wie das dabei stehende Citat beweist, ein einfacher Druck-
fehler.
400 Literatur.
punkt dienten. Dass Herr L. etwas Neues gebracht uud fleissig gear-
beitet hat, das habe ich ja gesagt. Jetzt aber verhält sich die Sache
anders. Weniger die wenn auch versteckte Benützung der böhmischen Ab-
handlung Tadras, sondern die Antwort des Autors zeugt gegen ihn. Wes-
halb? Die deutsche Abhandlung Tadras, »bot« ihm, wie er sich äusserte,
»so gut wie nichts«, die böhmische nur so viel, dass er »durch die la-
teinische Wiedergabe der Handschriftenmarken« das Verzeichnis der Hand-
schriften entziffern konnte. Herr L. will also Tadra fast gar kein Ver-
dienst zugestehen und seine Abhandlung als eine ganz selbstständige Ar-
beit hinstellen. Wer sich je mit Handschriften beschäftigt hat, weiss, wie
viel Mühe es kostet, dieselben zu finden und zusammenzustellen. Wenn
schon für nichts anderes, so sollte sich Herr L. auch nur für die blosse
Zusammenstellung und den Nachweis der Handschriften Tadra zu Dank
verpflichtet fühlen. Aber es geht noch um etwas anderes. Aus der deut-
schen Abhandlung Tadras, die ihm angeblich » so gut wie nichts « geboten
hatte, hat Herr L. — er wird es hoffentlich nicht bestreiten wollen —
einiges auch über die Biographie Johanns von Neumarkt und über die
Klagenfurter Handschrift erfahren. Sei es, dass es so gut wie nichts ist,
aber wie steht es mit dieser »lateinischen Wiedergabe der Handschriften-
marken«? Wir lesen z. B. bei Tadra auf S. 289: Eukopis kapitalniho
archivu v Praze oder Rukopisy vefejne knihovny pra^ske oder auf S. 292:
Rukopis c. k. dvorni knihovny videnske etc. Kann Jemand, dem das
Böhmische gänzlich fremd ist, »entziffern«, was hier citirt wird? Ich über-
setze diese Stellen absichtlich nicht, damit jeder der böhmischen Sprache
Unkundige an sich selbst erproben kann, ob ihm eine ähnliche Entziffe-
rung gelingt, wie selbe Herrn L. gelungen ist. Aber Herr L. ist auch
sonst ein Meister in der Entzifferung. Auf S. 12 und 14 citirt er Jelinek,
Geschichte der Stadt Leitomischl. Es ist das nur in böhmischer Sprache
geschriebene Werk »Historie mesta Litomysle«, von dem keine deutsche
Uebersetzung existirt. Was soll man dazu sagen ? Versteht Herr L. nicht
böhmisch, so sind seine Citate blos fingirte, weil er das Buch nicht gelesen
haben kann. Oder er hat diese Citate irgendwo abgeschrieben und bringt
sie mit dem, was sie belegen, als eigene Waare zu Markte.
Das ist aber noch nicht alles. Der Gedankengang des zweiten Ka-
pitels erinnert an die Abhandlung Tadras. Dieser z. B. tritt gegen die
Ansicht auf, als ob Johann von Neumarkt Praemonstratenserabt gewesen
sei und dasselbe thut auch Herr L. und er führt dieselben Belege an.
Oder wenn Tadra z. B. auf S. 89 sagt: „Jan ze Stfedy dostav se takto
kn dvoru kralovskemu, mel cestu k dalsimu postoupeni otevfenou«, so
»entziffert« es Herr L. auf S. 8 ganz richtig: »Einmal in die Kanzlei
aufgenommen, durfte er die Erreichung höherer geistlicher Würden und
Aemter erhoffen«. Gegen diese Entzifferung habe ich nichts einzuwenden,
sie ist in der That staunenswerth. Doch genug. Der Beweis dürfte
erbracht sein, dass mein Vorwurf nicht unbegründet war und dass das
Verdienst Tadras doch etwas mehr zu betonen gewesen wäre, als es Herr
L. auch noch in seiner Antwort zu thun für gut befunden hat.
Lemberg, am 10. März 1894. Wl. Milkovic.
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GOLDMÜNZEN FRIEDRICHS E.
Heliogravüre v M Frankenstein ,Wie
Mittheilungen des Instituts 15. Bd. Zu Winkelmann Ueber die Goldprägungen K. Friedrichs II.
HO/
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. für
das Königreich Sicilien und besonders über seine
Augustalen.
Von
E. Winkelmann.
Einleitung.— 1. Die Einführung der Augustalen. — 2. Beschreibung derselben. Das
Bild des Kaisers. — 3. Die Stempel der Augustalen. — 4. Ihr Gewicht. — 5. Ihr
Goldgehalt. — 6. Die halben Augustalen. — 7. Ausprägungen nach 1231. — 8. Der
Tarenus auri; Vorgeschichte. — 9. Die Tari Friedrichs II. — 10. Gewicht und Gehalt
der Tari. — 11. Die Regales Karls von Anjou. — 12. Bisherige Werthbestimmuno-en
der Fridericianisehen Goldmünzen. — 13. Heutiger Metallwerth der uncia auri.—
14. Metallwerth des Tari und der uncia tarenorum. — 15. Verkehrswerth des
Tari. — 16. Metallwerth und Verkehrswerth des Augustalis. — 17. Verhältniss
der uncia tarenorum und der uncia augustalium, — 18. Prüfung und Bestätio-uno-
der bisherigen Ergebnisse. — 19. Schlussbetrachtungen und Tabellen.
Mancherlei ist schon über die Augustalen Kaiser Friedrichs II o-e-
schrieben worden, jene von ihm für sein Königreich Sicilien geschla-
genen Goldmünzen, die sich vor gleichzeitigen anderer Länder durch
ihre verhältnissmässig hohe künstlerische Ausstattung und ihre erfolg-
reiche Nachahmung der Antike auszeichnen. Aber abgesehen von einem
Aufsatze von L. Blancard in Marseille l) ist das Meiste — und ich
nehme davon nicht aus, was ich selbst vor 30 Jahren in meiner Ge-
schichte Kaiser Friedrichs IL und seiner Reiche 1, 382 aus diesem An-
') L. Blancard, Des monnaies frappees en Sicile au XIII. siegle par les su-
zerains de Provence, in der Revue numismatique. Nouv. serie. T. IX (1864), 212 ff.
294 ff. Aber Bl. spricht hier von den Augustalen nur insofern, als er ihrer als
Unterlage für seine Ausführungen über die Münzthätigkeit Karls von Anjou
bedarf.
Mittbeilungen XV. 26
402 Winkelmann.
lasse bemerkte — ziemlich unbefriedigend l) und man wird nicht be-
haupten können, dass schon ein wirklicher Einblick in das Wesen, sei
es dieser Prägung, sei es überhaupt der sicilischen Goldwährung unter
jenem Herrscher genommen worden sei. Die Schuld davon mag ja
zum Theil daran liegen, dass die Ueberlieferung selbst nur weniges
bietet; denn wir haben an chronikalischen Hilfsmitteln im Grunde
nichts als eine allerdings gleichzeitige, aber kurze Nachricht über die
Einführung der Augustalen bei Eichard von S. Germano und von ur-
kundlichen Quellen auch nur fünf Stücke, nämlich
1) eine wohl noch der staufischen Zeit angehörige Zusammen-
stellung der in den Münzstätten von Brindisi und Messina beobach-
teten Geschäftspraktiken, von der der erste, hier fast allein in Be-
tracht kommende Theil bei Blancard a. a. 0. p. 225, das Ganze aber
bei Winkelmann, Acta imperii I, 766 gedruckt ist — im Folgenden
als Münzerordnung citirt 2) ; und vier Münzverordnungen Karls I. von
Anjou;
2) von 1266 Nov. 5 bei Del Giudice, Codice diplomatico I, 197;
3) von 1271 Jan. 24 bei Minieri Riccio, II regno di Carlo I di
Angiö negli anni 1271 e 1272, p. 8,
4) von 1271 Mai 7, daselbst p. 17, endlich eine
5) von 1273 Jan. 21 im Arch. stör. Ital. Ser. 3 T. XXII, 10.
Unter diesen Umständen kann man nur dann hoffen weiter zu
kommen, wenn es möglich wird, die Untersuchung auf recht zahl-
reiche Exemplare der Augustalen selbst zu stützen, die allerdings trotz
ihrer Einziehung durch König Karl I. nicht allzu selten sind, aber
doch an keinem Orte sich in solcher Zahl finden, dass mit ihnen allein
sich ein gewisser Abschluss erreichen Hesse 3). Ich wäre desshalb auch
gar nicht im Stande gewesen, an diese Untersuchung heranzutreten,
1) Bianchini, Della storia delle finanze del regno di Napoli. Ed. IL (Palermo
1839), führt öfters irre. Die Schrift von Valeriani, Ricerche critiche sull'Ago-
staro di Federigo II. (Bologna 1819) war mir auch jetzt nicht zugänglich.
2) In meiner Ausgabe hatte ich für sie angiovinischen Ursprung vermuthet,
wegen mancher Uebereinstimmung mit einer Verordnung Karls I. von 1273. Aber
diese Uebereinstimmung beweist nichts, da Karl damals noch sein Münzsystem
ganz dem Friedrichs II. angeschlossen hatte, so dass nichts hindert, entweder für
jene Ordnung geradezu staufischen Ursprung anzunehmen oder sie, auch wenn
sie angiovinisch, d. h. aus der Zeit vor der wirklichen Einführung der Regalen,
sein sollte, trotzdem unbedenklich für die Verhältnisse der staufischen Zeit zu
verwerthen.
3) Die meisten scheint Neapel zu haben : nämlich 7 ganze und 4 halbe Au-
gustalen, s. Catalogo del Museo nazionale di Napoli. Medagliere III, 1 nr. 1127
bis 1137.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 403
wenn nicht meiner Bitte um Mitteilung von Abdrücken und genauen
Gewichtsangaben von ganzen und halben Augustalen und den eben-
falls unter Friedrich IL wie seinen Vorgängern und Nachfolgern üb-
lichen Goldtareni überall mit der grössten Bereitwilligkeit entsprochen
worden wäre, ausser von Petersburg, von wo ich trotz weitgehender
Verheissungen in Betreff des dort vorhandenen anscheinend sehr reichen
Materials schliesslich doch nichts erhielt. Es ist daher nur eine ein-
fache Pflicht der Dankbarkeit, wenn ich derjenigen gedenke, die sich
mir in jener Beziehung hilfreich erwiesen: der Herren Beamten des
k. Münzkabinets zu Berlin, Dr. Toeche ebendort, Archivrath Dr. Bau-
mann in Donaueschingen (fürstlich Fürstenbergische Sammlungen),
Dr. Davidsohn in Florenz (betr. das Museo archeologico daselbst), Di-
rektor Dr. Pertsch in Gotha (Frieclenstein'sche Sammlungen), H.Grueber
in London (Brit. Museum), Dr. Kiggauer in München (k. Münzkabinet),
Museumsdirektor Comm. de Petra in Neapel (Musei di antichitä), Di-
rektor Dr. Essenwein in Nürnberg (Germ. Museum), Museumsdirektor
Comm. Salinas in Palermo (Museo nationale), H. Prou in Paris (Bibl.
nation.), Senator Baron Carutti di Cantogno in Turin (R. Medagliere) *)
und Dr. v. Schlosser in Wien (k. k. kunsthist. Sammlungen). Auch meinen
Kollegen, den Herren Geheimrath Dr. Knies und Professor Dr. Leser,
bin ich für mancherlei Auskunft über mir ferner liegende Verhältnisse
verpflichtet und ebenso meinen Kollegen H. Professor Dr. v. Duhn,
der ausserdem wiederholt seine wirksame Vermittlung an auswärtigen
Stellen eintreten liess. Herr Dr. Fester, Docent in München , hatte
die Freundlichkeit, mich öfters durch Nachschlagen in der dortigen
Bibliothek zu unterstützen.
So konnte ich denn, abgesehen von einem Augustalis im Origi-
nale, der als Gabe eines Freundes zur Förderung dieser Untersuchung
in meinen Besitz gekommen ist, über Abdrücke und Gewichtsangaben
von 36 ganzen, 15 halben Augustalen und 11 Goldtarenen verfügen,
wohl über mehr, als irgend jemand vorher beisammen gehabt hat. Dazu
kamen die Abbildungen von Augustalen bei Huillard-Breholles , Re-
cherches sur les monuments des Normands etc. dans l'Italie meridio-
nale pl. XXXI, dann auf dem Titelblatte von desselben Historia diplo-
matica Friderici IL T. I und bei Salazzaro, Monumenti T. II. tav. 4 2).
') Das königliche Münzkabinet daselbst hat jedoch von Friedrich II. nur
eine Silbermünze. Auch der Sammlung in Florenz fehlen Augustalen und ebenso
soll es bei der des Vaticans sein.
2) Hier etwas zu gross gerathen. Die Abbildung in Ambrosoli's Numisma-
tica (Milano 1891) p. 140 ist ganz undeutlich.
26"
4Q4 Winkelmann.
Das waren die Hifsmittel, die mir für die folgende Untersuchung
über Friedrichs II. Goldprägungen in Sicilien zu Gebote standen. Es
sind von ihr nur die Münzen mit kufischen Inschriften !) aus nahe-
liegenden Gründen ausgeschlossen worden.
1. Durch die Einführung der Augustalen erlitt das von den
Normanen und zum Theil noch aus viel früherer Zeit überkommene
Münzsystem des Königreichs Sicilien eine wesentliche Veränderung.
Aber sie wird allein von dem gleichzeitigen Annalisten Kyccardus de
S. Germano, Mon. Germ. Script. XVIII, 365 berichtet, bei dem es zum
December 1231 heisst: Nummi aurei, qui augustales vocantur, de man-
dato imperatoris in utraque sycla Brundusii et Messane cuduntur. Er
erzählt dann p. 368 zum Juni 1232 weiter, dass damals die nova mo-
neta auri, que augustatis dicitur, durch einen kaiserlichen Boten in
S. Germano zur Ausgabe gelangte und zwar auf Grund eines kaiser-
lichen Erlasses, der sub pena personarum et rerum vorschrieb, ut qui-
libet nummus aureus recipiatur et expendatur pro quarta uncie. Figura
augustalis erat habens ab uno latere caput hominis cum media facie
et ab alio aquilam.
Die „distributio" selbst dürfte kaum mehr in derselben Weise ge-
schehen sein, wie die der ersten von Friedrich II. nach seiner Rückkehr
ins Königreich 1222 geprägten Silberdenare. Damals hatte er es noch in
das Belieben der Unterthanen gestellt, sich die neue Münze einzu-
tauschen2), und dem nur durch das Gebot nachgeholfen, dass eine
andere ferner nicht gebraucht werden dürfe 3). Jetzt aber wurde ein
anderer, unmittelbarer zum Ziele führender Weg eingeschlagen, wenn
wir nämlich den Bericht Ryccards aus der Verordnung Karls I. vom
7. Mai 1271 ergänzen dürfen, die sich ausdrücklich auf den Gebrauch
seiner Vorgänger beruft4). Ein besonderer Beauftragter des Kaisers
brachte darnach, ausgerüstet mit einem Mandate desselben, in jeden
Stadt- und Landbezirk einen verhältnissmässigen Betrag der neuen
Münze, der dort zu dem bestimmten Preise zu übernehmen war. In-
*) Vgl. über diese: II medagliere Arabo-Siculo, illustrato dal Marchese V.
Mortillaro (Palermo 1863) und Arnari, Storia dei Muselmani III, 810 ff.
2) Winkelmann, Acta imp. I, 763: d. Imperator faciebat distribuere mone-
tam ipsam per regnum iuxta voluntatem bominum.
3) Rycc. de S. Germ. Cbronica priora ed. Gandenzi p. 108.
4) Im Auszuge bei Minieri, II regno p. 18: es sollen so viele Münzen ge-
schlagen werden, quanta posse essere sufficiente per distribuivsene in tutte le
cittä e terre del reame, come fu praticato da' loro predecessori.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 405
nerhalb der Gemeinde wird dann der Gesarnmtbetrag in ähnlicher
Weise auf die Einzelnen umgelegt worden sein, wie es mit der Reichs-
steuer, der collecta, zu geschehen pflegte.
Mehr weiss man über die Einführung der Augustalen nicht und
es bleibt dunkel, ob sie glatt oder mit Schwierigkeiten vor sich ging.
Dass solche befürchtet wurden, scheint die Drohung mit der pena per-
sonarum et rerum anzudeuten.
2. Die ßeschreibnng, die Kycc. de S. Germ, von der neuen
Münze gibt, ist zwar sehr summarisch, aber an sich nicht unrichtig.
Die Augustalen im Durchmesser von 2 Centimetern zeigen, und von
den halben Augustalen, deren Rycc. gar nicht gedenkt, gilt das Gleiche,
auf der einen Seite einen natürlichen Adler mit geöffneten Flügelu,
dessen Kopf nach rechts (vom Beschauer) gewendet ist, und mit der
von einem Perlkranze umfassten uud durch die Füsse des Adlers ge-
theilten Umschrift + FRIDE | RICVS. Auf der anderen Seite findet
sich die ebenfalls nach rechts gekehrte Büste des Münzherrn, der mit
einem auf der rechten Schulter durch einen Ring zusammengehaltenen
Pallium so bekleidet ist, dass der Hals und der mit Reifen ge-
schmückte rechte Arm frei bleiben ; der Kopf trägt einen Blätterkranz,
den im Nacken eine flatternde Schleife schliesst; die Umschrift, eben-
falls getheilt und ebenfalls von einem geperlten Kreise umfasst, lautet
hier IMPROM | C6SARAV6 *).
In diesen Bestandteilen der Darstellung stimmen alle mir zu-
gänglich gewesenen Stücke üherein, bis auf eins in Wien, das auch
darin eigenartig ist, dass es nur einen Durchmesser von 1, 75 Centi-
metern hat, also, da sein Gewicht dem Durchschnittsgewichte der
übrigen ziemlich gleich ist, wohl etwas dicker als diese geprägt wor-
den ist. Nur auf diesem einen Exemplare ist der Kopf des Adlers nach
links (vom Beschauer) gekehrt, auch in Fridericus das unciale £ ver-
wendet und der übrigens ziemlich kräftig gearbeitete Kopf des Kaisers,
statt mit einem Kranze, mit einem Zackendiadem geschmückt.
Es kann beiläufig zweifelhaft sein, welche Seite als Haupt- oder
Vorderseite zu gelten hat. Wenn von der Zeit des Rycc. an, wie es
scheint, stets die Kopfseite als die vordere angesehen wurde, so möchte
dem doch entgegenstehen, dass erst die Adlerseite den Namen des
Münzherrn bringt. Kopf und Namen, sonst auf einer Seite vereinigt,
sind hier in ganz ungewöhnlicher Weise auf beide Seiten vertheilt
worden. Dass die Zeitgenossen dies als etwas ungehöriges empfanden,
ist daraus zu schliessen, dass Karl von Anjou, als er die Augustalen
') Man beachte den Wechsel von E und £ in beiden Umschriften.
4()ß Winkelniann.
durch seine Regalen ersetzte, wieder in die hergebrachte Weise ein-
lenkte. Weil aber der Namen des Münzherrn erst die eigentliche Ge-
währ für den Ursprung der Münze gibt und weil das dem Namen
vorangesetzte Kreuz anzeigt, dass die Umschrift mit dein Namen be-
ginnt, behandle ich im Folgendeu die Adlerseite als Vorderseite der
Augustalen, obwohl es im Grunde gleichgiltig ist, wie man sich ent-
scheidet.
Die Augustalen sind anziehend durch das in der Darstellung des
Adlers und des Kopfs des Kaisers sich aussprechende Streben nach
Natur Wahrheit und durch die damit zusammenhängende, ebenso un-
verkennbare Anlehnung an die Antike. Woher aber die letztere? Mir
scheint die neue Prägung in engster Verbindung mit der ihr unmittel-
bar vorangegangenen Gesetzgebung Friedrichs II., den berühmten Con-
stitutionen von Melfi, zu stehen, die im August 1231 veröffentlicht
und selbst auch Augustales genannt1) wurden. Wie sich in diesen Con-
stitutionen das sehr bestimmte Bewusstsein des Kaisers ausspricht, als
solcher der Nachfolger der Cäsaren und die Quelle des Rechts zu sein,
obwohl das Gesetzbuch nur für das Königreich Sicilien Giltigkeit hatte,
so erscheint er auch auf den Münzen, die ebenfalls nur auf das Kö-
nigreich berechnet waren und ausserhalb desselben im Imperium keinen
Kurs haben sollten und, soviel mir bekannt ist, auch nicht gehabt
haben, nicht etwa als Kaiser und König von Sicilien, sondern
schlechtweg nur als Imperator Romanorum Cesar Augustus, so wenig
das auch zu den zwischen ihm und dem Papstthume bestehenden Ab-
machungen über das Verhältniss des Königreichs zum Kaiserreiche
stimmen mochte. Die Sprache der Constitutionen, die Ausstattung der
Augustalen und die Benennung beider, sind aus einer und derselben
Wurzel entsprungen, eben aus der von Friedrich II. aufs Lebhafteste
erfassten Idee des Kaiserthums. Die Stempel Schneider der letzteren
haben sich demgemäss, und sicherlich nicht ohne Wissen und Willen
des Kaisers2), um ihn darzustellen, Münzen der römischen Kaiserzeit
zum Vorbilde genommen, wenn ich auch in der Münzkunde dieser
Zeit zu unbewandert bin, um mit Bestimmtheit sagen zu können, ge-
rade welche. Wenn aber für die Gestaltung der Kopfseite der Augu-
stalen vielleicht Kaisermünzen des ausgehenden dritten Jahrhunderts,
insbesondere des Probus oder des Diocletian 3) , als Vorlage gedient
») Rycc. d. S. Germ, zu 1232 Febr.
2) Der Kaiser schreibt 1238, als neue Denare geschlagen werden sollten:
Sub quibus imaginibus hec nova pecunia cudi debeat, Henricus de Morra, magne
curie noster magister iusticiarius, plene per curiam nostram venit instructus.
8) Vgl. Collection de M. le Vicomte de Ponton d' Amecourt nr. 580 ff. 6 14 fi.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs IL 407
haben möchten, rücksichtlich des Adlers weiss ich eine solche anch
nicht einmal zu vermuthen.
Denn auf römischen Münzen erscheint der Adler nicht, wohl
aber, worauf mich mein Kollege v. Duhn verwies, sehr häufig auf
denen der Ptolemaeer , und da diese sich nach seiner Mittheilung
zahlreich in Unteritalien und Sicilien finden, wäre an sich die Möglichkeit
uicht abzustreiten, dass sie die Aufnahme des Adlers in den Stempel
der Augustalen veranlasst haben könnten, um so mehr, als der Adler
sich zugleich als Symbol der von Friedrich IL stark betonten kaiser-
lichen Würde empfahl.
Trotzdem kann ich mich nicht für jene Herleitung des Adlers aus
den Münzen der Ptolemaeer erklären. Sie würde nur dann als zweifel-
los gelten können, wenn der Adler der Augustalen auch nur annä-
hernd dem der Ptolemaeer ähnlich wäre. Das ist aber durchaus nicht
der Fall : er ist nicht blos überhaupt anders stilisirt als dieser *), son-
dern er ist auch stets von Vorne, nicht wie dieser von der Seite dar-
gestellt. So müssen wir denn wohl vorläufig dabei bleiben, dass
der Adler seine Aufnahme in die Augustalen nicht der direkten Nach-
ahmung einer bestimmten Münze, sondern einem besonderen Befehle
des Kaisers und seine vortreffliche Gestaltung der Beobachtungsgabe
der kaiserlichen Stempelschneider verdankt, die dadurch ihrer Befä-
higung ein rühmliches Zeugniss ausgestellt haben. — Uebrigens kommt
der Adler mit geöffneten Flügeln auch schon auf einigen sicilischen
Silber- und Kupfermünzen Friedrichs vor, die vor seiner Kaiserkrö-
nung, zwischen 1209 und 1220 geschlagen sind 2), und ebenso auf
vielen Goldmünzen von ihm mit kufischen Inschriften, unter diesen
sogar paar Mal zweiköpfig 3).
Besondere Aufmerksamkeit wird sich aber natürlich stets auf den
Kopf des Kaisers richten und die Frage wird aufgeworfen werden
müssen, ob wir denn hier wirklich die Züge des grossen Fürsten vor
uns haben oder ob wenigstens eine annähernde Aehnlichkeit von den
Stempelschneidern erreicht ist. Böhmer meinte in der Einleitung zu
seinen Regesta imperii 1198 — 1254 p. XXXV: „Das Brustbild, welches
sich auf seinen goldenen Augustalen findet, ist allerdings gleichzeitig,
') Man sehe die schönen Abbildungen zu dem Catalogue of Greek coins in
the British Museum. (VI:) The Ptolemies.
2) Catalogo del Museo Nazionale di Napoli. Medagliere III. Parte I Nr. 1 1 23
bis 1126.
3) Ibid. Nr. 1078. 1079. Ich finde nicht, dass diese merkwürdige Erschei-
nung bei den bisherigen Erörterungen über den Ursprung des zweiköpfigen Adlers
beachtet worden ist.
4o> Winkelmann.
aber der Autike nachgebildet, und in eiuer Zeit, welche das Portrait
noch wenig oder gar nicht kaunte. ohnedies von zweifelhaftem Werth".
Vielleicht niüsste man noch weiter gehen und jene Frage ohne Wei-
teres verneinen; ich selbst habe sie auch früher verneint, und zwar
vor Allem aus dem einfachen Grunde, weil Eyccard de S. Germano,
der nicht bloss im Dienste des Kaisers stand, sondern bei dessen
öfterem Aufenthalte in S. Germano ihn auch häufig genug gesehen
haben inuss, unmöglich von dem Bilde auf den Augustalen den be-
fremdenden Ausdruck , caput hominis ■ gebraucht haben könnte, wenn
er in demselben die Züge seines Herrn wiedererkannt hätte. Dazu
kommt ein Zweites. Der arabische Geschichtsschreiber Yafei sagt nach
dem Berichte eiues Schaff ners der Moschee Omars, der den Kaiser
1229 in Jerusalem begleitet hatte, dass dieser kahl gewesen sei l):
auf den Augustalen aber erscheint er zwar bartlos, jedoch mit reichem
Haupthaar, so dass wenigstens in dieser Beziehung hier, wenn auch
Dicht eine Idealisirung, so doch eine gewisse Verschönerung stattge-
funden hätte, wie solche in gleichem Falle wohl auch in neuerer Zeit
für zulässig gehalten wird, die aber immerhin die Aelmlichkeit zu be-
einträchtigen geeignet ist. Indessen ist es fraglich, inwiefern jene An-
gabe des Mohammedaners überhaupt Glauben verdient, der, indem er
(und ebenso Hassan ibn Ibrahim 2) den Kaiser auch noch roth und
kurzsichtig nennt, ihn offenbar als einen äusserlich unbedeutenden
Menschen hinstellen will. Nun ist das zwar auch die Ansicht des
Kicobaldus Ferrariensis :i) : Fuit Fr. non procerus, obeso corpore, sub-
rufus, und wohl nach ihm auch die des Benvenutus von Imola, bei
dem es von Friedrich heisst: fuit stature communis, facie letus, co-
lore subrufus, habens membra quadra. Aber Ricobald schrieb erst am
Ende des Jahrhunderts und Benvenutus ist durch hundert Jahre von
Friedrich getrennt, beide können also nicht gegen den Minoriten Sa-
limbene aufkommen, der den Kaiser 1238 sah und mit folgenden
Worten schildert: Pulcher homo et bene formatus, sed medie stature
fuit. So bleibt am Ende von jenen ungünstigen Urtheilen über seine
äussere Erscheinung nichts übrig, als dass er nur von mittlerem
Wüchse, vielleicht auch roth (blond) war, worauf es aber hier nicht
weiter ankommt. Die Kahlköpfigkeit, wenn sie vorhanden war, müsste
Salimbene aufgefallen sein.
Während der Ausdruck des Annalisten von S. Germano dazu zu
•) Böhmer p. XX VIII.
•) Michand VII, 810.
| Muratori, Script. IX, 132.
Ueber die GoldprSgoBgen Kaiser Friedrichs 11. [mm
nöthigen scheint, jede Aehnlichkeit des Bildes der Augustalen mit dem
wirklichen Aussehen des Kaisers zu läugnen. gibt es doch auch einige
Anhaltspunkte zur Behauptung des Gegentheils l).
Den ersten Anhaltspunkt bietet der Umstand, dass alle für die
Augustalen gebrauchten Stempel unverkennbar dieselben Züge zeigen,
nur mit den Abweichungen, die sich aus der subjektiven Auffassung
und dem verschiedenen Grade der Befähigung der einzelnen Stempel-
schneider ergeben, so dass sie z. B. bald jugendlicher und gerundeter,
bald schärfer und magerer erscheinen.
Zweitens kommt eine einst im Besitze Danieles, dann in dem Fr.
von Baumers 2) befindliche Gemme in Betracht, die in Baumers Hohen-
staufen Bd. III am Schlüsse des sechsten Buchs und anscheiuend ge-
treuer auf dem Titelblatte von Huillards Hist. dipl. T. I, und darnach oben
auf Seite 4«»1 abgebildet ist. Daniele hatte sie im vorigen Jahrhun-
dert nach dem damals noch vorhandenen Kopfe jener Bildsäule des Kaisers
herstellen lassen, die dieser an dem von ihm 1234 nach seinen eigenen
Plänen begonnenen Brückenthore von Capua nebst den Bildsäulen des Pe-
trus de Vinea und des Thaddeus de Suessa augebracht hatte 8j. Je länger
ich nun die Abbildung dieser vielleicht etwas idealisirenden Gemme mit
dem Kopfe des bei Huillard daneben gestellten Augustalis vergleiche, um
so mehr drängt sich mir jetzt die Verwandtschaft zwischen ihnen auf
und ich denke, es wird auch anderen so gehen. Von untergeordneter,
aber doch nicht ganz zu unterschätzender Bedeutung ist es, dass der
Kaiser auch auf der Gemme das Zackendiadem trägt, das ihm der
Stempelschneider des Wiener Augustalis gegeben hat.
Drittens sind auch die Siegel Friedrichs heranzuziehen. Zwar hat
die Vergleichung eines Profilbildes, wie Münzen es zeigen, mit der auf
den Sigeln allein vorkommenden Vorderansicht immer etwas misslicli--.
und ich bin deshalb weit davon entfernt, darauf Gewicht zu legen,
dass mir persönlich die Züge des Siegelbilds mit denen des Münzbild>
übereinzustimmen scheinen. Grösseres Gewicht lege ich dagegen darauf,
') Das Medaillon an der Faeade der Kirche von Andria, das Huillard ange-
zogen hat (vergl. die Abbildung Huillard. Recherches pl. XXVIII. XXIX). kann
gar nicht in Betracht kommen. Denn es ist ganz ungewiss, wen es darstellen
soll, und die Faeade selbst rührt erst aus der Renaissance her. H. W. Schulz,
Denkmäler der Kunst Unteritaliens I, 150.
2) Vgl. Raumer, Hohenstaufen (1. Ausg.) Bd. IU. Vorrede S. YIII. Wo sie
jetzt ist, weiss ich nicht.
sj Rycc. de S. Germ. p. 372 a. 1234 (c. April) vgl. B.-F. nr. 2041». Den
Kopf der Statue sollen erst die Soldaten Murats abgeschlagen haben. Vergl.
Schulz, Denkmäler II, 167. Salazzaro, Monum. I, 55. Huillard-Breholles, Hist.
dipl., Introduct. p. 549 not.
410 Winkelmann.
dass überall, auf den Augustalen, auf der Gemme und auf den Sie-
geln, der Kaiser völlig bartlos ist : es kann kein Zweifel sein, dass
man sich wenigstens in dieser Beziehung an die Wirklichkeit ge-
halten hat.
Ist es nun denkbar, dass die Verfertiger der verschiedenen Stempel
zu den Münzen nicht blos sammt und sonders zufällig auf dieselben
Züge verfielen, sondern sich ebenso zufällig darin auch mit dem, doch
wahrscheinlich nicht in ihrer Mitte zu suchenden Urheber der Bild-
säule von Capua begegneten? Da liegt es doch näher, dass sie alle
einem und demselben Vorbilde folgten. Und wenn dem so ist, kann
dieses Vorbild ein anderes gewesen sein als die wirkliche Persönlich-
keit des Kaisers? Man mag bereitwillig einräumen, dass einige ihr
nicht ganz gerecht geworden seien — auf manchen Stempeln ist der
Kopf von einer gewissen Härte — , oder dass andere sie mehr oder
minder idealisirt haben, aber so weit möchte ich darum doch nicht
gehen, dem Produkte ihrer künstlerischen Thätigkeit alle und jede
Naturwahrheit abzustreiten. Vielmehr scheint mir daran festgehalten
werden zu müssen, dass bei den Augustalen Portraitähnlichkeit beab-
sichtigt und von den im Durchschnitte befähigten Stempelschneidern
auch einiger Massen erreicht worden ist. Allerdings muss ich aber
auch bekennen, dass es mir bei dieser Auffassung ein psychologisches
Räthsel bleibt, wie Rycc. de S. Germ, auf seinen in jedem Falle son-
derbaren Ausdruck „caput hominis" gekommen sein mag.
3. Dass nicht nur ein Stempel sondern mehrere, unter Fest-
haltung des allgemeinen Typus, für die Ausprägung der Augustalen
zur Verwendung kamen, ist natürlich und wird durch eine genauere
Betrachtung der einzelnen Prägestücke bestätigt, die vielfach kleine
Abweichungen von einander aufweisen : in der Gestaltung des Adlers
und besonders seiner Flügel, in den Linien des Kaiserbildes, in der
Grösse und Sperrung der Buchstaben und in der Verwendung von
Punkten und Punktkreisen in den Umschriften. Nach diesen Merk-
malen und namentlich nach den Interpunktionen, die leichter fassbar
sind als die anderen, habe ich die für die Augustalen gebrauchten
Stempel zu sondern versucht und im Folgenden aufgezählt. Es er-
giebt sich dabei u. a., dass häufig bei den Prägungen Vorder- und
Rückseite mit Stempeln geschlagen wurden, die ursprünglich nicht zu-
sammengehörten, so dass dadurch eine grosse Mannigfaltigkeit in der
äusseren Erscheinung der Münze zu Stande kam. Das aber ist selbst-
verständlich, dass mit dieser Aufzählung die Zahl der wirklich ge-
brauchten Stempel schwerlich erschöpft sein dürfte, und andrerseits
bin ich selbst keinerwegs davon überzeugt, dass in der Zutheilung der
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs It. 411
einzelnen Augustalen an diesen oder jenen Stempel nicht hie und da
auch ein Versehen untergelaufen ist. Indessen man wird in dieser Be-
ziehung, wenn es wirklich der Fall sein sollte, wohl Nachsicht walteu
lassen, in der Erwägung, dass jene Scheidung nicht das Ergebniss un-
mittelbarer Vergleichung der Originalmünzen ist und sein konnte,
sondern sich nur auf Abdrücke stützt, die nicht immer deutlich waren
und auch sonst oft viel zu wünschen übrig Hessen oder beschädigt an
mich gelangten l). Wo mir aus einem Kabinette mit den Abdrücken
auch die Nummern der Stücke mitgetheilt wurden, habe ich diese ange-
führt, wo das aber nicht geschah, und das war bei der Mehrzahl der Fall,
die einzelnen Stücke zur Unterscheidung selbst nummerirt, bei jedem
aber auch in Klammern gleich sein Gewicht angemerkt 2). Da diese
Angaben jedoch durchaus nicht auf eigenen Wägungen fussen, muss
ich die Verantwortung für dieselben ablehnen, habe aber allerdings
keinen Grund, ihre Genauigkeit zu bezweifeln.
Ich glaube also, bei den mir bekannt gewordenen Augustalen
folgende Stempel unterscheiden zu können, indem ich nur noch darauf
hinweise, dass, wenn rücksichtlich einzelner Elemente der Darstellung
nichts bemerkt ist, von diesen das oben von den Augustalen über-
haupt Gesagte Geltung hat:
I. Vorderseite: Adler, nach rechts vom Beschauer gekehrt. Um-
schrift: -f FRIDE | RICVS (ohne Punkt).
Rückseite: Büste des Kaisers mit Blätterkranz, rechts gekehrt.
Umschrift: -IMPROM- | -CeSARAVG-
München 3 (5,30), Paris Nr. 999 (5,28), Wien 4 (5.25).
IL V: wie in I, aber das schliessende S etwas geneigt.
R.: AV6 gesperrt.
Gotha (5,26), Wien 1 (5,25). — Nach letzterem Nr. 1 der Tafel.
') Das trifft leider besonders die aus dem Museum zu Neapel, von dessen
7 Augustalen (die meisten, die eine Sammlung zu haben scheint) überdies mir
nur sechs in Abdrücken zur Verfügung standen.
*) Letzteres konnte bei den Augustalen in Neapel nicht geschehen, weil
mir von dort her zwar sehr genaue Gewichtsangaben sämmtlicher Stücke mit-
getheilt wurden, aber nicht, auf welchen Abdruck sich die einzelne Angabe be-
zog. Jene mögen deshalb nach den Museumsnummern hier besonders aufgeführt
werden.
Nr. 1127 . . Gr. 5,263 Nr. 1130 . . Gr. 5,188
Nr. 1128 . . Gr. 5,263 Nr. 1131 . . Gr. 5,263
Nr. 1129 . . Gr. 5,260 Nr. 1132 . . Gr. 5.288
Nr. 1133 Gramm 5,288.
412 Winkelmann.
III. V.: wie II.
R. : wie 1.
London 1 (5,796?), München 2 (5,30), Neapel zwei Exemplare, Palermo
1 (5,30).
IV. V.: wie II, dazu aber rechts und links vom Kopfe des Adlers
über jedem Flügel ein starker Punkt.
R.: wie I. In AVG ist das A heruntergezogen.
London 2 (5, 248), Nürnberg (5,29) , München 1 (5,32) , Palermo 2 (5,30),
Palermo 3 (5,27). — Nach letztem Nr. 2 der Tafel.
V. V.: wie I.
R,: wie IV.
Berlin 3 (5,29).
VI. V.: wie IL
R.: oIMPBOM (ohne Punkt dahinter) | -C6SARAU6 (ohne Punkt)-
In Cesar ist AR gesperrt.
Berlin 4 (4,28), Donaueschingen 1 (5,28), Donaueschingen 2 (5,25), Neapel
vier Exemplare, Paris Nr. 1000 (5,24), Toeche in Berlin (4,936),
Winkelmann (5,265). — Vgl. Nr. 3 der Tafel nach Berlin 4 und Nr. 4
nach Donaueschingen 2.
VII. V.: wie II.
R.: wie VI, doch mit Punkt hinter ROM-
München 4 (5,30).
VIII. V.: wie I.
R,: oIMPROM (ohne Punkte) | oCGSARAVG (ohne Punkt).
Berlin 2 (5,28).
IX. V.: wie IV.
R.: -IMPROM (ohne Punkt) | -CGSARAÜG (ohne Punkt). SAR
etwas gesperrt.
Berlin 1 (5,30), Wien 2 (5,25). — Abbildungen bei Huillard-Breholles und
Salazzoro, bei letzterem zu gross, s. o. S. 403.
X. V.: sonst wie I, doch ist das C unverhältnissmässig gross. Ueber
dem rechten Flügel des Adlers ein schwacher Punkt.
R.: wie IV.
Wien 3 (5,25).
XI. V.: ein I, doch C grösser.
R.: oIMPROM- | -C6SARAU6- — G zusammengedrückt.
Wien 5 (5,25)
XII. V.: wie II.
R.: -IMPROM (ohne Punkt | -CGSARAVG- Das S geneigt und
heruntergezogen; AVG gesperrt, C sehr klein.
Wien 6 (5,25).
XIII. V.: wie IL
R.: wie XI; aber CGSAR sehr gesperrt.
London 3 (5.504), 4 (5,504).
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 413
XIV. Ganz eigenartig; hat nur 1,75 Centimeter Durchmesser, während
die übrigen 2 Centimeter haben.
F.: Der Adler kehrt den Kopf nach links (vom Beschauer) und
hat weiter geöffnete Flügel als sonst. Zwischen dem Kopfe
und dem linken Flügel des Adlers ein starker Punkt. Um-
schrift kleiner als sonst:
-f FRID6 | RICVS-
Der Schlusspunkt und das unciale 6 an dieser Stelle kom-
men nur bei diesem Stempel vor.
B.: Der wie gewöhnlich nach rechts (vom Beschauer) gekehrte
Kopf des Kaisers ist höher herausgearbeitet als sonst und
trägt ein Zackendiadem, daher keine Schleife im Nacken.
Die Büste reicht nur bis wenig unter der Schulter. Die Um-
schrift ist in ihrem zweiten Theile sehr klein und undeutlich :
•IMPROM (ohne Punkt) | (ohne Punkt) C6SARAV6'
Wien 8 (5,22). — Darnach Nr. 5 der Tafel.
Irre ich nun nicht, so sind bei den 36 Exemplaren von Augu-
stalen, deren Beschreibung ich zu geben vermochte, also 6 Stempel
für die Vorder- oder Adlerseite und 1 1 für die Rück- oder Kopfseite
in Anwendung gekommen und es ist vorauszusetzen, dass in Wirklich-
keit die Zahl der überhaupt gebrauchten Stempel eine noch grössere ge-
wesen sein wird, wie sich wohl bei Vergleichungen mit noch anderen
Exemplaren herausstellen dürfte.
4. Während den Kunsthistoriker vorzugsweise das Gepräge der
fridericianischen Goldmünzen interessiren wird, kehrt sich das Interesse
des Historikers und des Volkswirthschaftlers mehr den Fragen nach
ihrem Gewichte, ihrem Goldgehalte und ihrem aus beiden sich er-
gebenden Werthe zu.
Zum Verständnisse der folgenden Erörterungen ist vorauszu-
schicken, dass in Unteritalien und Sicilien wenigstens schon unter den
Normannen, dann aber auch unter ihren Nachfolgern überhaupt, auf
dem Festlande bis 1818, auf der Insel sogar bis 1864, folgendes Gewichts-
system bestand:
1 Pfund (libra) = 12 Unzen
1 Unze = 30 Tari (tareni)
1 Tari = 20 Gran,
und dass das Münzsystem sich nicht nur in den Namen, sondern auch
in Wirklichkeit dem anschloss. Die vor der Einführung; der Augu-
stalen und halben Augustalen allein ausgeprägte Goldmünze, der
Tarenus auri, war also in der That V30 Unze *), während die Unze
') Vgl. Faraglia, Storia dei prezzi in Napoli p. 24: L'oncia ad pondus,
414 Winkelmann.
selbst niemals zur Ausprägung gelangte, sondern von Alters nur eine
Kechnungsmünze war und solche auch in der staufischen Zeit und weiter-
hin blieb, ebeuso wie der Gran, der schon seiner Kleinheit wegen gar
nicht in Gold gemünzt werden konnte.
Der Augustalis sollte nun nach dem kaiserlichen Einführungs-
edikte, von dem Rycc. de S. Germ, leider nur einen dürftigen Auszug
giebt, ein Viertel ünze (= 7 l/2 Tari) gelten und dafür von Jedermann
sub pena personarum et rerum angenommen werden. Diese Andro-
hung hatte ihren guten Grund, da sich befürchten liess, dass die Pri-
vaten sich wenigstens aufänglich gegen die Aufnahme der neuen
Münze sträuben würden l) , deren wirkliches Gewicht — abweichend
von dem gewohnten Goldtari — weit hinter dem angenommenen zu-
rückblieb. Es betrug nämlich nicht 7 1/2, sondern nur 6 Tari, wie wir
aus der Verordnung Karls vom 5. Nov. 1266 erfahren, durch die er
für den Augustalis, aber mit Beibehaltung aller Verhältnisse desselben,
seinen Regalis einführte. Dem entsprechend wog der halbe Augustalis
nicht 3 Tari 15 Gran, sondern nur 3 Tari2).
Wurde nun diese gesetzliche Feststellung des Gewichts auf
sechs Tari, die höchst wahrscheinlich auch schon in dem kaiserlichen
Einführungsedikte von 1232 gestanden hat, bei der Ausprägung der
Augustalen wirklich innegehalten? Um darauf antworten zu können,
muss zunächst ermittelt werden, wie viel ein Tari selbst nach heuti-
gem Systeme wog. Wir sind nicht berechtigt, dem heute noch in Si-
cilien bei Goldschmieden u. a. üblichen Pfunde vou 317,37 Gramm
und der Uuze von 26,45 Gramm 3), wonach ein Tari — 0,88 Gr. sein
würde, ohne Weiteres auch für das dreizehnte Jahrhundert Giltigkeit
beizulegen.
Die 36 Augustalen, von denen ich Gewichtsangaben habe4),
come si e detto, corrispondeva esattamente all' oncia moneta (solche gab es nicht)
percio il tari era la trentesima sua parte, come peso e come valore di moneta.
') Dass kein wirklicher Grund zur Beunruhigung vorlag, werden wir später
sehen. Doch mag schon vorgreifend hier bemerkt werden, dass der Augustalis
genau so viel Feingold enthielt als 7'/2 Goldtari.
'J) Del Giudice, Cod. dipl. del regno di Carlo etc. I, 197: quilibet regalis
sit in pondere tarenorum sex et medius regalis tarenorum trium . . . . , prout
augustales et medii augustales olim erant dicte tenute et ponderis.
3) Mittheilung des H. Comm. Ant. Salinas. — Nach Bleibtreu, Münz-, Mass-
und Gewichtskunde S. 305 hatte das alte neapolitanische Pfund — 320,76 Gr.,
das sicilische Handelspfund nach S. 560 dagegen nur 317,552 Gr.
4) Das Exemplar des H. Dr. Toeche mit seinen 4,93 Gr. ist bei diesen Be-
rechnungen deshalb ausgelassen, weil es ersichtlich in ganz ungewöhnlichem Grade
minderwert big geworden ist.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 4^5
schwanken in ihrem Gewichte zwischen 5,796 und 5,188 Gr., also
um mehr als V2 Gr. oder ein Zehntel, während die Schwankungen
im Gewichte der deutschen Doppelkronen 2% Tausendstel nicht über-
steigen dürfen. Als mittleres Gewicht ergab sich für sie 5,297 Gr. *).
Ist es in einigen Stücken erheblich überschritten, so bleibt doch die
Mehrzahl hinter demselben zurück und man kann wohl annehmen,
dass das Plus bei jenen nur auf Zufälligkeiten zurückzuführen ist.
Aber jenes Durchschnittsgewicht ist in der That nicht als das ur-
sprüngliche zu betrachten, mit dem der Augustalis in der Regel aus der
Münzstätte hervorging. Um dies zu erhalten, muss jenem noch etwas
zugesetzt werden als Ersatz dessen, was der Münze durch Abnützuuo-
u. s. w. verloren gegaugen ist. Wenn es zutreffend ist, dass, wie
Blancard will, etwa ein Procent von dem heutigen Gewichte auf jenen
Abgang zu rechnen ist 2) , würde sich das Durchschnittsgewicht der
Augustalen um 0,053 Gr., also auf 5,350 Gr. erhöhen und diese den
6 Tari entsprechen, die sie bei ihrer Ausgabe wiegen sollteu.
Hieraus müssten folgende Gleichsetzungen gefolgert werden :
der Tarenus 5,350 = 0,891 Gr.
6
die Unze 0,891 X 30 = 26,730 „
das Pfund 26,730 X 12 = 320,760 „
Dieses Ergebniss kaun jedoch auch noch nicht als unbedingt richtio-
gelten und auch so dürfen wir noch nicht hoffen, das ursprüngliche o-e-
setzliche Gewicht des Augustalis vollständig genau gewonnen zu haben,
da einerseits jener Zuschlag mehr oder minder willkürlich ist und an-
drerseits die Berechnung zwar auf verhältnissmässig zahlreichen Wä-
gungen, aber doch eben nur auf solchen der zufällig zu meiner Kennt-
niss gekommenen Exemplare beruht. Wenn wir aber diese bei der
Rechnung gar nicht zu vermeidenden Fehler mit in Anschlag bringen,
werden wir kaum daran zweifeln können, dass zur Zeit der Staufer
die im Königreiche Sicilien übliche libra etwas grösser war als die, deren
') Cherrier nimmt nach den Wägungen der beiden Pariser Exemplare 5,2G
Gramm an ; Huillard, Recherches 166 lässt die Unze 21,20, den Augustalis 5,30 Gr.
wiegen und Blancard p. 218 gibt als mittleres Gewicht des letzteren ohne nähere
Begründung 5,22 Gr. an. Wenn er ferner als Durchschnitt des dem Augustalis
nachgebildeten angiovinischen Regalis 5,27 Gr. (die Unze solcher Regalen also
mit 21,08) ansetzen zu dürfen glaubt, so ist auch das bedenklich, weil sich die
Berechnung auf zu wenige Exemplare der Regalen, nämlich nur auf drei, stützt.
2) Bei den Goldmünzen des deutschen Reichs ist die Grenze der Abnützung,
bei welcher sie noch als vollwichtige zu behandeln sind, auf 5 Tausendstel des
Normalgewichts festgesetzt.
416 Winkel mann.
man sich noch jetzt dort gelegentlich bedient. Ich halte es in hohem
Grade für wahrscheinlich, dass sie nichts anderes als noch das alt-
römische Pfund von 325,44 Gr. war, aus dem sich dann weiter nach
unten als gesetzliches Gewicht ergeben würden
für die Unze 325,44 = 27,12 Gr.
12
für den Tari 27,12 = 0,904 „
30
Ist dies freilich nur eine Hypothese, so wird sie doch dadurch
unterstützt, dass, wie schon hier bemerkt werden mag, der Goldtari
Friedrichs IL wirklich diesem für ihn ermittelten gesetzlichen Gewichte
entspricht, d. h. dass er wirklich 1|30 Unze wog, insoweit Genauigkeit
bei so kleinen Mengen mit den damaligen mangelhaften technischen
Hilfsmitteln überhaupt zu erreichen war. Aber dasselbe gilt — immer
unter der Voraussetzung, dass die normännisch-staufische libra nichts
anderes als das römische Pfund war — auch von dem Augustalis.
Wir dürfen auch bei ihm wohl von Uebereinstimmung zwischen seinem
gesetzlichen Gewichte von 6 Tari (6 X 0,904) = 5,424 Gr. und seinem
wirklichen mittleren Gewichte von 5,350 Gr. reden, indem letzteres
nur um 0,074 Gr. hinter jenem zurückbleibt. Der Unterschied i&t
jedenfalls zu klein, als dass eine absichtliche Gewichtsminderung an-
zunehmen wäre, und die Mangelhaftigkeit der Wagen reicht vollständig
zu seiner Erklärung aus.
In dieser Beziehung wenigstens erwuchs also den Unterthanen
des Kaisers aus der erzwungenen Aufnahme der neuen Münze kein
Schaden, da der Augustalis wirklich 6 Tari wog, und, wenn er für
V4 Unze Gold oder 7V2 der ausgemünzten Tari angenommen werden
musste, es sich noch fragen wird, ob nicht sein Goldgehalt diese an-
scheinende Verkürzung der Unterthanen an seinem Gewichte ausglich.
5. Der sicherste Weg zur Ermittlung des Goldgehalts der Au-
gustalen wäre ja der, dass Jemand von den beati possidentes ein Exem-
plar der wissenschaftlichen Analyse opfere. Da dies aber schwerlich
geschehen dürfte, bleibt nichts übrig als der Versuch, mit Hilfe der
geschichtlichen Ueberlieferung zum Ziele zu gelangen, und diese ist
glücklicher Weise, was diesen Punkt betrifft, beredter als in Bezug
auf die Einführung der neuen Münze.
In der oben (S. 402) erwähnten, ihrem Inhalte nach jedenfalls
auch für die staufische Zeit giltigen Münzerordnung heisst es l) :
!) Winkelniann, Acta imp. I, 766. Uebrigens scheint schon Garanipi dieses
Stück gekannt und benützt zu haben, wie ich aus den von Faraglia. Storia dei
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 417
Augustales auri, qui laborantur in predictis siclis (non Brindisi
und Messiua), fiunt de caratis viginti et medio, ita quod quelibet libra
auri in pondere tenet de puro et fino auro uncias x. tarenos vii y2 ;
reliqua vero uncia una et tareni viginti duo et medius sunt in quarta
parte de ere et in tribus partibus de argento fino, sicut in tarenis.
Man verwendete also für die Augustalen 20V2karätiges Gold d. h.
eine Legirung, die unter 24 Theilen aus 20 % Theilen Feingold und
3Y2 Theilen anderer Metalle bestand1), oder was dasselbe besagt, eine
Mischung, in der auf das Pfund von 12 Unzen 10 Unzen 7% Tari
Feingold und t Unze 22 Va Tari zwölf löthigen Silbers (d. h. solchen
Silbers, das zu einem Viertel mit Kupfer versetzt war) kamen.
Diese Legirung war besser als die bei den Goldtari gebrauchte (s.
u.), aber die Thatsache, dass sie von der herkömmlichen abwich, wird
neben dem Mindergewichte der Augustalen wesentlich dazu beigetragen
haben, dass sich anscheinend der Verkehr nie recht mit dem neuen
Zahlungsmittel befreundet hat und dass man fortfuhr, in der herge-
brachten Weise nach Goldunzen und Goldtari zu rechnen. Die kai-
serliche Regierung selbst verfuhr nicht anders. Die Schuldverschrei-
bungen, die Friedrich II. in den Jahren des Kampfes und der Finanz-
noth seit 1239 für auswärtige Bankiers machte2), sind samnit uud
sonders auf Goldunzen und Goldtari ausgestellt und die Steuern, die
er im Königreiche ausschrieb, sind ebenfalls stets in Goldunzen an-
gesetzt 3). Und ebenso ging es unter seinen Nachkommen : eine ausser-
ordentliche Steuer, die anfangs 1266 für Sicilien ausgeschrieben wurde,
wurde in Goldunzen, Tari und Gran erhoben 4).
Uebrigens lassen sich jene Angaben des dreizehnten Jahrhunderts
über den Goldgehalt des Augustalis mit leichter Mühe in Grammen
umsetzen. Jeder Augustalis, der mit dem normalen mittleren Gewichte
von 5,350 Gr. die Münze verliess, enthielt zunächst
5,350 X 20 V2 = 4,57 Gr. Feingold,
24
während der verbleibende Best von 3Va Karat = 0,78 Gr. zu drei
Vierteln = 0,585 Gr. aus Feinsilber und zu einem Viertel = 0,195 Gr.
prezzi (Napoli 1878) p. 25 nach Fusco, Intorno ad alcune monete Aragonesi (Nap.
1846) p. 18 citirten Stellen über das Metall der Augustalen und Tari schliesse.
') Es ist also zwar beinahe, aber doch nicht ganz genau, wenn Blancard
p. 217 sagt, dass die Augustalen */- Feingold enthielten.
2) Winkelmann, De regni Siculi adrainistratione p. 31.
3) Vgl. Winkelmann, Acta inip. I, 630 (1238). 6Gf! (1241 ?). 712 (1248V).
«) BFW. nr. 14277.
Mittheilungen XV. 27
418 Winkelmaim.
aus Kupfer bestand l). Da nun vier Augustalen eine uncia augustalium
ausmachen sollten, erhielt man in ihr 18,28 Gr. Feingold.
6. Neben den Augustalen sind auch halbe Augustalen in
Umlauf gebracht worden, wie die auf uns gekommenen Exemplare be-
zeugen. Bei Kycc. de S. Germ, da, wo er die Einführung jener er-
zählt, ist allerdings von ihnen ebenso wenig die Rede, als in der stau-
fischen Münzerordnung; aber sie werden sowohl in staufischen als an-
giovinischeu Mandaten gelegentlich erwähnt. Dafür jedoch, dass sie
gleichzeitigen Ursprungs mit den ganzen Augustalen sind, spricht alle
Wahrscheinlichkeit, vor Allem die völlig gleiche äussere Ausstattung,
obwohl natürlich in kleinerem Massstabe (Durchmesser 1,60 Centi-
meter). Sie zeigen also auch auf der Seite, die ich für die Vorderseite
ansehe, den Adler mit der durch seine Fänge getheilten Umschrift
t FK1DE || KICVS und auf der Rückseite die gleich gestaltete Büste des
Kaisers mit der ebenfalls getrennten Umschrift IMPROM l| CeSARAVG.
Ihre Bedeutung für den Verkehr mag noch geringer gewesen sein
als die der Augustalen und namentlich die Konkurrenz der von Alters
her üblichen Goldtari wird sie nicht recht haben aufkommen lassen,
um so weniger als ihr Werthverhältniss zu dieser allein wirklich ver-
breiteten Goldmünze (3 Tari 15 Gran) ein möglichst unbequemes war.
Daher kommt es denn wohl auch, dass, wenn die Zahl der uns erhal-
tenen Augustalen nicht gerade eine sonderlich grosse zu nennen ist,
die der halben noch viel kleiner ist, wenigstens der mir bisher zu-
gänglich gewordenen. Denn ich kenne deren nur fünfzehn und zwar
aus Berlin 2, Donaueschingen 1, Gotha 1, London 2, München 1,
Neapel 4, Nürnberg 1, Palermo 2 und Paris 1. Diese schwanken in
ihrem Gewichte, das unten den einzelnen Exemplaren beigesetzt ist,
zwischen 2,60 und 2,70 Gr., also erheblich weniger als die ganzen
Augustalen, und vertheilen sich auch nur auf zwei Stempel, bei deren
Beschreibung ich mich kurz fassen kann, da die halben Augustalen,
wie gesagt, nur verkleinerte Kopien der ganzen sind und für sie alles
zutrifft, was von diesen im Allgemeinen zu sagen war.
I. V.: Adler, nach rechts vom Beschauer gekehrt. Umschrift ohne
alle Punkte: -f FRIDE | R1CVS
R: Büste des Kaisers, rechts gekehrt. Umschrift: -IMPROM- |
CGSARAU6-
Berlin 1 (2,66) Berlin 2 (2,64), Donaueschingen 3 (2,67), London 1 (2,656),
London 2 (2,656), Neapel Nr. 1134 (2,613), Nr. 1135 (2,613), Nr. 1136
(2,633), Nr. 1137 (2,638), Nürnberg (2,63), Palermo 1 (2,65), Paris
Nr. 1001 (2,60). — Vgl. Nr. 6 der Tafel nach Palermo 1.
J) Zur Vergleichung mag angeführt werden , dass ein deutsches Zwanzig-
markstück 7,168 Gr. Feingold auf 7,695 Gr. enthält.
Üeber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 419
iL V.: sonst wie I, aber rechts und links vom Kopfe des Adlers
sind Punkte angebracht und RICVS ist sehr gesperrt.
R. : sonst wie I ; doch ist die Schrift kleiner, SAR auseinander
gezogen und 6 so eingeengt, dass kein Raum für einen
Schlusspunkt bleibt.
Gotha (2,60), München (2,70), Palermo 2 (2,60).— Nach letzterem Nr. 7 der Tafel.
Als jetziges Durchschnittsgewicht des halben Augustalis ergiebt
sich aus diesen Stücken 2,654 Gr. und als sein ursprüngliches Gewicht
wenn wir auch hier etwa ein Procent auf die Abnützung rechnen,
2,680 Gr., mithin sogar eine Kleinigkeit mehr, als die Münze sowohl
als Hälfte des Augustalis eigentlich haben musste, nämlich '■' '' —
2,675 Gr., als auch wegen ihrer Gleichstellung im Gewichte mit 3 Tari,
die König Karl bezeugt. Denn wenn wir von dem aus dem Münz-
gewichte des ganzen Augustalis gefolgerten Gewichte des Tari mit
0,891 Gr. ausgehen, hätte der halbe Augustalis auch nur 2,673 Gr.
zu wiegen gebraucht. Freilich stellt sich das Verhältniss etwas anders,
wenn wir der Vergleichung den aus dem römischen Pfunde abgelei-
teten Tari mit seinen 0,904 Gr. zu Grunde legen, indem darnach das
normale Gewicht des halben Augustalis 2,712 Gr. hätte sein müssen,
also etwas mehr, als er anscheinend bei seinem Ausgange aus der
Münzstätte durchschnittlich zu haben pflegte. Aber auch in diesem
Falle ist der Unterschied (0,032 Gr.) viel zu klein, als dass an eine
absichtliche, von fiscalischen Erwägungen eingegebene Gewichtsmin-
derung zu denken wäre, und alles in allem, wir haben ein Recht zu
der Behauptung, dass auch der halbe Augustalis vollwichtig die Münze
verliess.
Wie die Ausstattung, so war auch der Goldgehalt des halben Au-
gustalis dem des ganzen vollkommen gleich. Wir müssen das schon
deshalb annehmen, weil die Münzerordnung über denselben gar nichts
zu bemerken hat und weil auch Karl I. in seinen Verordnungen in Betreff
der ganzen und halben Regalen, die den ganzeu und halben Augustalen
entsprechen sollten, zwischen ihnen rücksichtlich des zu verwendenden Gol-
des keinen Unterschied macht1). Beide sollten in Gehalt und Gewicht sein,
wie die Augustalen uud halben Augustalen zur Zeit des verstorbenen
Kaisers 2).
7. Hat der Kaiser nach 1231 noch öfters Ausprägungen seiner
neuen Goldmünzen vorgenommen ? Ich möchte diese Frage weder be-
') Del Giudice, Cod. I, 197 von 126G: videlicet quod quelibet libra regalium
et mediorum regalium contineat de auro puro in pondere uncias aun 10 et ta-
renos 7 et medium.
2) So noch 1273 ian. 21 Arch. stör. Ltal. Ber. 3 T. XXII, 10.
27*
42(1 Winkelmann.
jähen noch verneinen. Die Ueberlieferung lässt uns in dieser Beziehung
vollständig im Stich und die Thatsache, dass verschiedene Stempel für
jene Münze gebraucht worden sind, verträgt sich sowohl mit der An-
nahme, dass sie alle gleichzeitig für die Prägung des Jahres 1231 ge-
braucht wurden, als auch mit der entgegengesetzten, dass sie zu Prä-
gungen verschiedener Jahre dienten. Wollte man aber diejenigen Au-
gustalen, deren Stempel künstlerisch vollendeter sind, früheren Jahren,
uud die, welche in dieser Hinsicht zurückstehen, den späteren Jahren
des Kaisers zuweisen, etwa als ob nun in Folge der politischen Be-
drängniss, wie das sonst wohl vorkommt, auf das Aussehen der Münzen
weniger Gewicht gelegt worden wäre, so lässt sich mit gleichem Rechte
auch das umgekehrte Verhältniss behaupten und mit der Erwägung
begründen, dass Geschicklichkeit und Fertigkeit der Stempelschneider
doch mit den Jahren gewachsen sein muss. Am ersten würde auf wie-
derholte amtliche Prägungen geschlossen werden können, wenn die
mittleren Gewichte der einzelnen Gruppen sich in einer absteigenden
Liuie bewegten ; denn dann Hesse sich wohl annehmen, dass die durch-
schnittlich gewichtigeren Stücke aus früheren und die leichteren aus
späteren Prägungen hervorgegangen seien, das heisst, dass die Finanz-
noth zur Verringerung des Gewichts geführt habe. Aber die Unter-
schiede jener Durchschnittsgewichte sind nicht gross genug, um aus
ihnen eine solche Folgerung zu ziehen, und sie wird zu Gunsten der
anderen Annahme, dass die Gewichtsunterschiede nur auf mangelhafter
Technik bei der Ausbringung der einzelnen Stücke beruhen, vollends
fällen gelassen werden müssen, wenn wir berücksichtigen, dass der
Nachfolger der Staufen im Königreiche gar nichts davon weiss, dass
es schwerere und leichtere Augustalen oder solche von besserem und
schlechterem Goldgehalte gab. Er kennt nur Augustalen und halbe
Augustaleu von einem gesetzlichen Gewichte und Gehalte.
Meines Wissens kann für die Annahme mehrfacher Ausprägungen
nur eins angeführt werden, nämlich dass es in der Münzerordnung
heisst: Augustales auri, qui laborantur in predictis siclis, fiuntu. s. w.
Hier weist das Praesens allerdings auf eine noch fortdauernde An-
wendung der angegebenen Vorschriften hin und diese selbst würden
ohnedem keinen rechten Sinn haben.
Aber wenn auch der Kaiser selbst auf die weitere Ausprägung
von Augustalen und Halbaugustalen verzichtet haben sollte, so ist da-
mit noch nicht erwiesen, dass überhaupt keine mehr stattgefunden
haben könnte. Denn aus der Münzerordnung erfahren wir die inter-
essante Thatsache, dass auch Privaten die Möglichkeit eingeräumt war,
in den Münzstätten von Brindisi und Messina Gold auf ihre Rechnung
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 421
prägen zu lassen und zwar unter der Bedingung, dass sie für die
Unze ausser den auf 4V2 Gran berechneten Herstellungskosten noch
15 Va Gran an den Fiscus entrichteten, offenbar als Ersatz des Ge-
winnes, den er bei eigener Prägung gemacht haben würde. Beide Ab-
gaben zusammen betrugen also 20 Gran, oder 1 Tari d. h. ungefähr
3 V3 Procent '). In wie weit von dieser Erlaubniss Gebrauch gemacht
wurde, wissen wir nicht; es dürfte jedoch nicht ganz selten geschehen
sein, da der Kaiser in einem Erlasse vom 19. Juli 1238 bei der Be-
stellung von Aufsehern über die Münzstätten darauf gesehen haben
will, dass es Leute seien, qui nulluni partecipium cum mercatoribus
habeant -). Betrügerische Manipulationen konnten namentlich dann
stattfinden, wenn die Privaten , wie es nach der Münzerordnung ge-
stattet war, selbst das zur Prägung Nöthige lieferten, statt es zu be-
zahlen.
8. Eine äusserst merkwürdige Erscheinung ist es, dass die alte sici-
lische Goldmünze, der tarenus auri (Tari) nicht nur bei der Einfüh-
rung der neuen fridericianischen Goldmünzen im Umlaufe als gesetz-
liches Zahlungsmittel belassen wurde und sich erhielt, sondern sogar
seinerseits, wie aus den viel häufigeren Erwähnungen der Goldtari zu
schliessen ist, ihre Einbürgerung hinderte. Das Werthverhältniss des
Goldtari zum Augustalen war äusserst unbequem (1 : 7 V2) un& das zum
halben Augustalis (1 :33/4) noch mehr; das für die Tari verwendete Gold
war, wie wir sehen werden, schlechter als das der Augustalen, aber
die Macht der Gewohnheit wirkte stärker als alle Vortheile, die die
Neuerung mit sich brachte, so dass eben nichts anderes übrig blieb,
als das Bedürfniss des Verkehrs durch fortgesetzte Ausprägungen der
bis 1231 allein in Gebrauch gewesenen Goldmünze zu befriedigen, und
das geschah nicht nur unter Friedrich, sondern auch noch unter Karl I.
Der Namen des tarenus stammt von dem im neunten Jahrhun-
derte durch die Mauren eingeführten dirhem oder trihm (Plur. trahi),
der den Werth eines Drittels des byzantinischen Solidus hatte 3), und
') Winkelmann, Acta imp. 1, 766 : Consuevit curia recipere pro qualibet
uncia tarn tarenoruin quam augustalium, que laboratur in predictis siclis, grana
1 5 V2 • Verumtamen mercator, qui facit laborari aurum suum in siclis ipsis, preter
grana lö'/o debet solvere alia grana 4 '/a pro qualibet uncia, quam laborari facit
in siclis, pro expensis, que fiunt in labore uncie cuiuslibet etc. Wenn, wie wir
weiterhin sehen werden, vor Grana 15'/2 wahrscheinlich ,tarenum unum et' aus.
gefallen sein sollte, würden die Privaten im Ganzen nicht 1 Tari, sondern 2 Tari
d. h. c. 62/3 Procent zu zahlen gehabt haben. 2) Das. 1, 687.
s) Amari, Storia dei Musulmani 11,458. Vgl. Faraglia Storia dei prezzi in
Napoli p. 23 mit Berufung auf das mir nicht zugängliche Buch von Schiavo,
11 tari d'oro.
422 Winkel mann.
die uorrnanuischen Herrscher Siciliens übernahmen die Münze von ihren
Vorgängern. Nun ist meines Wissens über den Goldgehalt dieser Tari
bisher nichts bekannt geworden, das Gewicht jedoch war schon da-
mals yso Unze 1). Indessen das thatsächliche Gewicht der von den
Normannen in Sicilien, aber auch in Salerno geschlagenen Goldtari
stellt in der Tabelle bei Engel, Numismatique et sigillographie des
Normands de Sicile p. 62 eine so ununterbrochene Abstufung von
2.42 bis 0,28 Gr. dar, dass die Scheidung derselben in viertel, halbe»
einfache und mehrfache Tari eine Unmöglichkeit sein dürfte und die
Annahme unabweislich ist, diese Münzen seien für gewöhnlich nicht
gezählt, sondern zugewogen worden2). Indessen die in Salerno geschla-
genen Tari schwanken allein zwischen 0,83 und 0,90 Gr., so dass dies
als das ungefähre Normalgewicht des Goldtari für jene Zeit anzusehen
sein wird
Wie stand es nun mit Gewicht und Gehalt der unter Friedrich II.
geprägten Goldtari? Die Beantwortung dieser Frage wird wiederum
durch den Umstand erleichtert, dass Karl I. beides, ja sogar das Ge-
präge des fridericianischen Tarenus beibehielt und sich darüber wie-
derholt in seinen Verordnungen geäussert hat 3).
9. Von tareni Friedrichs II. d. h. solchen, die ihm unzwei-
felhaft angehören oder auf seinen Namen geheu, sind mir allerdings
nur wenige bekannt geworden. Doch wird daraus nicht auf ihre Sel-
tenheit geschlossen werden können, denn ich muss bekennen, dass ich
mich nach ihnen erst umsah, als sich meine ursprünglich auf die Au-
gustalen beschränkte Untersuchung weiter ausdehnte. Immerhin ist
es auffällig, dass jedes jener Stücke einen besonderen Stempel vertritt,
wenn auch die Darstellung auf der Rückseite ihnen im Allgemeinen
gemeinsam ist, nämlich ein Kreuz aus einem langen Fussbalken und
einem gegen das obere Ende desselben angebrachten kurzen Quer-
balken mit der rechts und links davon vertheilten Beischrift :
•) Faraglia a. a. 0. Wenn er aber p. 24 sagt, sie seien »d'oro sottilissimo*
gewesen, so ist das von Vorne herein wenig wahrscheinlich.
'■>) Engel p. 64 betrachtet das von Wilhelm IL mit Knechtschaft und Güter -
einziehung bedrohte .rädere* der Münzen als Hauptgrund für das Schwanken
im Gewichte der normannischen Tari, muss aber zugeben, dass er nur selten
Spuren davon an den Münzen selbst habe bemerken können.
3) 1271 Jan. 24 Minieri, 11 regno p. 8 in einem ungenauen und leicht irre-
führenden Auszuge; 1271 Mai 7 das. 18; 1273 Jan. 21 Arch. stör. Ital. Ser. 3
T. XXII, 10: Tareni .... (sint) in ea tenuta et modo, in quibus consueverunt
fieri temporibus retroactis (vorher imperatoris) in forma et cuneo consueto. De
auro vero, quod in sicla laborabitur, quelibet libra de puro auro contineat un-
cias 8 et tarenos 5, sicut consuevit hactenus contineri.
Lieber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 423
IC
NI
xc
KA
Die Hauptunterschiede dieser Seite liegeu in der Gestaltung des
Kreuzes, der Grösse der Buchstaben und der Form des Abkürzungs-
zeichens, ob — oder — « — . Die Darstellung der Vorderseite ist nian-
uichfaltiger. Auch das ist bemerkenswert!!, dass die Mehrzahl jener
Stücke nicht nur stark durch den Umlauf gelitten hat, sondern auch
schon von Vorneherein verprägt ist d. h. der Stempel ist nicht genau
in der Mitte des zur Prägung bestimmten Goldklümpchens aufgesetzt
worden, das Münzbild daher nur unvollständig zum Ausdrucke ge-
langt. Die grosse Verschiedenheit des Gewichts endlich macht es un-
zweifelhaft, dass die vorliegenden Stücke nicht die gleiche Werthein-
heit darstellen können, dass sie vielmehr theils einfache, theils mehr-
fache Tari sein sollen. Ich führe sie deshalb hier nach der Abstufung
ihres Gewichts auf:
I. V.: In der Mitte ganz klein Fr. Doppelte Umschrift zwischen
drei Kreisen ; von der inneren glaube ich SGL zu erkennen ;
die äussere ist verprägt uud unleserlich.
R.: Kreuz mit der üblichen Beischrift. Abkürzungszeichen — .
Umschrift theilweise erhalten, aber unleserlich.
Donaueschingen 4 (Durchmesser 1,35 C. — Gewicht 3,74 Gr.)
IL V. : In der Mitte FR gross. Umschrift zwischen zwei Kreisen ver-
prägt; zu erkennen AV6 . . . M(P).
R.: Kreuz mit grosser Beischrift. Abkürzung durch — . Keine
Umschrift.
Donaueschingen 5 (Dm 1,20 C. — Gew. 3.28 Gr.) — Vgl. Nr. 12 der
Tafel. Da das Stück trotz seines Gewichts klein ist , wird es ver-
hältnissmässig dick sein.
III. V.: Adler, winzig klein. Umschrift unleserlich.
R,: Kreuz mit Beischrift. Abkürzung durch — . Keine Umschrift.
Gotha (Dm. 1 C. — Gew. 1,86 Gr.) — schlecht erhalten.
IV. V.: Adler, gekrönt, links (vom Beschauer) gekehrt, gaDz roh.
Umschrift verprägt: . . . ICVS . . .
R. : Kreuz mit Beischrift. Abkürzuug durch -«— . Keine Umschrift.
Donaueschingen 6 (Dm. 1 C. — Gew. 1,66 Gr.)
V. V.: Adler, anders als vorher, links gekehrt, gekrönt, ganz roh.
Ein Punkt über jedem Flügel. Umschrift verprägt : ERIC.
R : Kreuz mit Beischrift. Abkürzung durch — « — . Umschrift
verprägt.
Donaueschingen 7 (Dm. 1 C. — Gew. 1,43 Gr.).
VI. V.: Adler innerhalb eines Kreises, rechts (vom Beschauer) ge-
kehrt, ungekrönt. Zu den Seiten des Halses -S- (?) und 0.
424 Winkelmann.
R, : Kreuz mit Beischrift. Abkürzungszeichen — .
Wien 2 (Dm. 1 C. — Gew. 1,37 Gr.) — vergoldetes Kupfer, also Fäl-
schung, aber doch wohl nach achtem Vorbilde. — Vgl. Nr. 11
der Tafel.
VII. IT: Adler innerhalb eines Kreises, links gekehrt. Ueber dem
Kopfe ein Punkt. Zu den Seiten des Halses 0 und Y.
R. : Kreuz, an dessen Fussende rechts und links ein dicker Punkt
mit Beischrift. Der oberste Theil der Darstellung ist abge-
schliffen.
Wien 1 (Dm. 0,95 C. — Gew. 1.35 Gr.). — Vgl. Nr. 10 der Tafel.
VIII. V.: Adler innerhalb eines Kreises, rechts gekehrt. Umschrift
verprägt : HO 111 .
R. : Kreuz, an dessen Fussende rechts und links ein Punkt, mit
Beischrift, ohne Einschliessungsring. Abkürzung durch — .
Wien 3 (Dm. 1 C. — Gew. 1,32 Gr.).
IX. V.: Adler, ganz klein und äusserst roh. Doppelte Umschrift
zwischen Kreisen, verprägt und verschliffen.
R. : Kreuz mit Beischrift innerh. eiues Kreises. Abkürzung durch — .
Donaueschingen 8 (Dm. 1 C. — Gew. 1,32 Gr.).
X. F.: In der Mitte •*;! Umlaufend zwischen zwei Kreisen undeut-
liche Zeichen. Verprägt.
R. : Kreuz mit Beischrift innerhalb eines Kreises. Abkürzung
durch — .
Donaueschingen 9 (Dm. 1 C. — Gew. 1,25 Gr.). — Vgl. Nr. 9 der Tafel.
XL V.\ Adler, nach rechts gekehrt, gekrönt, gauz roh. Ueber jedem
Flügel ein Punkt. Umschrift verprägt: .... ICVS.
R. : Kreuz mit Beischrift, innerhalb eines Kreises. In der Mitte
des Schafts noch ein Knauf. Abkürzung durch — « — .
Donaueschingen 10 (Dm. 1 C. — Gew. 0,93 Gr.). — Vgl. Nr. 8 der Tafel.
Wenn einst die Taristücke Friedrich II. mehr beachtet werden
sollten, die bisher wegen ihrer groben Arbeit und über die Augustalen
einiger Massen übersehen worden sind, werden sich ohne Zweifel noch
viel mehr für sie verwendete Stempel herausstellen und bei den grossen
Abweichungen, die schon die hier aufgeführten vorweisen, wird ange-
nommen werden können, dass der Zahl der Stempel auch die Zahl
der Prägungen entspricht. Aber davon sind wir weit entfernt, ja es
wird wohl überhaupt nie gelingen, die einzelnen Prägungen zeitlich
bestimmen zu können. Nachweisbar ist nur eine, die vom September
1221, die zu Amalfi stattfand1). Die Stücke nun, auf denen KOM
l) Rycc • de S. Germ. p. 342 : tareni novi cuduntur Amalfitani. Im folgen-
den Jahre wurden sie zu Gunsten von in Brindisi geschlagenen (Silber-)Denaren
eingezogen, mit denen dann mehrfach gewechselt wurde.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrich II. 425
oder AV6 erkennbar ist, sind dadurch schon der Zeit nach 1220 zu-
gewiesen. Jedoch rücksichtlich der übrigen mag höchstens vermuthet
werden, dass der Stempel I mit FR auf der Vorderseite, bei dem nichts
bestimmt auf das Kaiserthum weist, den früheren Jahren Friedrichs,
vielleicht sogar noch der Zeit vor seiner Berufung nach Deutschland
(1212) angehört, die mit dem Adler aber, und das sind die meisten,
wahrscheinlich aus den Jahren nach seiner Kaiserkrönung, vielleicht
sogar erst nach 1231 stammen, das heisst aus denselban Jahrzehnten,
in welchen der Adler auch auf den Augustalen Platz fand. In welche
Periode der Stempel X mit der Rosette zu setzen sein möchte, bleibt völlig
ungewiss ; ich vermuthe aber, in Friedrichs Jugendjahre, da die Rosette
auch schon auf Münzen seiner normannischen Vorgänger vorkommt *).
Schliesslich ist nicht einmal sicher, ob alle Taristücke, die Fried-
rich beigelegt werden, und selbst die, deren Gepräge auf ihn hinweist,
wirklich von ihm herrühren. Denn Karl von Anjou ging in seinem
Anschlüsse an das fridericianische System soweit, dass er für die Tari
nicht nur, wie schon bemerkt ist, bei dem Gewichte und dem Gehalte,
das die Tari innerhalb desselben hatten, blieb, sondern sich auch nicht
bedachte, seinen Tari dasselbe Gepräge zu geben, und das sogar noch
im Jahre 1273 2).
10. Welche von den oben angeführten Münzen wird nun der
einfache tarenus auri Friedrichs IL sein? Dass auch unter
Friedrich wie unter den Normannen, unter denen es sogar so kleine
Goldstüke wie 1/4 oder l/3 Tari gegeben zu haben scheint, Theile des
Tari oder, was dasselbe heissen würde, gewisse Summen von Granen
zur Ausprägung gelangten, lässt sich nicht erweisen 3). Jene Münzen
können also nur entweder einfache Tari oder mehrfache sein. Aber wo
ist die Grenze zwischen ihnen ? Die Entscheidung scheint deshalb sehr
misslich, weil die meisten Stücke schlecht erhalten, stark abgenützt
oder auch beschnitten sind und weil andererseits aus der Rohheit der Ar-
beit, die sehr von der der Augustalen absticht, zu schliessen ist, dass
die Münzer auch auf die Genauigkeit des Gewichts keine allzu grosse
Sorgfalt verschwendet haben werden.
Letzteres aber ist thatsächlich wenigstens bei dem einfachen Taro
nicht der Fall gewesen. Denn ob wir davon ausgehen, dass der Au-
1) Engel, Numismatique Tab. VI nr. 16.19.
2) in forma et cuneo consueto, s. o. S. 422 Anm. 3. Abbildungen von Tari
Karls auf Taf. III der Ann. de la Soc. franc. de nuniism. T. XV.
3) Wenn einmal 1241 (Winkelmann, Acta I. 534 Z. 9) von tareni auri 200
minus quarto die Rede ist, so ist damit nicht gesagt, dass das Viertel ausge-
prägt war; es kann auch nur ein bequemerer Ausdruck für 5 Gran sein.
426 Winkel mann.
gustalis 6 Tari wiegen sollte, und aus seinem Gewichte als Gewicht-
tari '^° =0,891 Gr. folgern, oder ob wir die Unze als ein Zwölftel
des altrömisch-sicilischen Pfunds mit ihren 27,12 Gr. zum Ausgangs-
punkte nehmen und darnach den Gewichtstari als ihren dreissigsten
Theil auf 0,904 Gr. bestimmen, so oder so ist wohl kaum ein Zweifel
daran möglich, dass das fridericianische Goldstück von 0,93 Gr. (Stempel
XI) ein zufällig gut gemessener tarenus auri sein sollte. Wird diese Ent-
scheidung durch jene salernitaner Stücke der normannischen Zeit im Ge-
wichte von 0,83 — 0,90 Gr. unterstützt, so darf ich andrerseits für sie
auch auf die Zustimmung Blancards hoffen, der in seiner schätzens-
werthen Abhandlung S. 224 eine kleine Goldmünze Karl I. von
0,86 Gr. im Marseiller Cabinete ebenfalls für den eigentlichen Tari
hält x). Karl aber hat sich, wie erwähnt, auch im Gewichte der Tari
ganz der Praxis Friedrichs II. angeschlossen, so dass die Deutungen
jenes Goldstückes des Kaisers und dieses von Karl sich gegenseitig
stützen. Mit anderen Worten: der fridericianische Goldtari war voll-
wichtig; er war im Gegensatze zu den Augustalen, die nur 6 Tari
wogen, aber für 7V2 ausgegeben wurden, auf das volle Gewicht aus-
gebracht, welches ihm nach seinem Namen und nach der Stellung
des Tari im herrschenden Gewichtssysteme zukam; er wog wirklich
einen Tari.
Man könnte einwenden, dass in diesem Falle ja der Kaiser von
der Prägung der Tari nicht nur keinen Vortheil, sondern unmittel-
baren SchadeD gehabt haben müsste, insofern die Unkosten der Prä-
gung ungedeckt blieben. In der That ist das aber, wie sich in an-
derem Zusammenhange zeigen wird, nicht der Fall gewesen und es
wurde nicht nur jener Aufwand gedeckt, sondern obendrein ein nicht
ganz unbeträchtlicher Gewinn erzielt und zwar, was vorgreifend gleich
hier bemerkt sein mag, vermöge des für die Tari verwendeten Goldes,
das freilich nicht Feingold sein konnte, aber noch stärker legirt war
als das der Augustalen.
Während nach Obigem über den einfachen Tari wohl kaum noch
Streit entstehen wird, ist rücksichtlich der anderen ganz in der Weise
der Tareni gestalteten, aber schwererem Goldmünzen Friedrichs II.
nicht so leicht eine Entscheidung darüber zu treffen, was sie darstellen
sollen. Blancard hat, entsprechend seiner, wie ich glaube, begründeten
Auffassung von jenem kleinen Goldstücke Karls, unter zwei anderen
desselben, ebenfalls in Marseille, das eine mit 1,70 Gr. als Doppeltari,
') Huillard-Breholles, Recherches p. 166 nimmt für den Tari nur ein Ge-
wicht von 0,706 Gr. an.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 427
das andere mit 4,10 Gr., das jedoch stark abgenützt ist und deshalb
von ihm in seinem ursprünglichen Bestände auf 4,30 geschätzt wird,
als 5 Tari bezeichnet. Das leuchtet ein. Aber bei den jedenfalls ein
Mehrfaches des Tari darstellenden Münzen Friedrichs ist, ebenso
wie bei den der Normannen, die Abstufung des Gewichts eine so unregel-
mässige, dass man an einer reinlichen Scheidung derselben wohl ver-
zweifeln möchte. Unter Berücksichtigung sowohl der unzureichenden
Werkzeuge und einer gewissen Liederlichkeit der Müuzraeister als auch
der Abnutzung und der Beschneidung kann man vielleicht das Stück
mit 3,74 Gr. auch noch als 5 Tari gelten lassen, aber kaum mehr
das von 3,28 Gr.: höchstens könnten es 4 Tari sein. Wenn ferner
das von 1,66 Gr. allenfalls als Doppel hingehen mag, ist solche Wer-
thung bei denen von 1,52 — 1,43 Gr. schon bedenklicher und bei denen
mit 1,35 — 1,25 wohl geradezu unmöglich. Oder sollten etwa auch
1 V2 Taristücke geschlagen worden sein ? Die einfachste Erklärung aller
dieser Unregelmässigkeiten wird doch die schon oben angedeutete sein, dass
man auf Genauigkeit des Gewichts bei den Mehrfachen des Tari auch zur
Zeit Friedrichs keinen sonderlichen Werth legte, weil sie, wie zur Nor-
mannenzeit, gewogen worden sein werden : nicht darauf kam es bei
den eineinen Stücken so sehr an, ob sie wirklich 2, 3 oder 5 Tari
waren, als vielmehr darauf, einen wievielsten Theil sie nach ihrem
Gewichte von der uncia tarenorum auri ausmachten. Die einfachen
Tari dagegen mochten trotzdem auf Treu und Glauben von Hand zu
Hand gehen, eben weil sie verhältnissmässig genau adjustirt waren.
War das bei den Mehrfachen des Tari nicht der Fall, so wird darum
doch nicht anzunehmen sein, dass bei ihnen eine absichtliche Verrin-
gerung des Gewichts stattgefunden habe, weil dies allem widersprechen
würde, was sich aus unserer Betrachtung der Goldprägung Friedrichs über-
haupt ergibt. Man mag einräumen, dass gerade hier bei den Tari zu
einer solchen Verringerung, wenn einmal aus dem fiscalischen Münz-
rechte Kapital gemacht werden sollte, eine starke Verlockung gegeben
war, eine um so stärkere, je grösser wahrscheinlich die Masse gerade
der Goldtari war, die entweder die Regierung selbst schlagen musste,
oder Private, wie es ihnen gestattet war, für ihre besonderen Bedürf-
nisse schlagen Hessen. Aber eben das lässt sich nicht erweisen, dass
eine derartige Ausnützung der Goldprägung im Allgemeinen und
der Tari im Besonderen beabsichtigt war oder versucht wurde. Dass
sie ihre Kosten einbringen musste, war selbstverständlich, und dass
sie auch noch auf einen gewissen Gewinn berechnet war, ist begreif-
lich; aber es wird sich zeigen, dass dieser in so zu sagen durchaus
428
W i n k e 1 m a n n.
legaler Weise erzielt wurde, überdies wahrscheinlich der herkömm-
liche war.
Was endlich das unter Friedrich, vielleicht auch schon unter den
Normannen, für die Tari verwendete Gold betrifft, so ist schon be-
merkt worden, dass es schlechter war als das der Augustalen. Denn
es war, wie wiederum die Münzerordnung berichtet l. nicht , wie bei
diesen, 20 l/2karätig, sondern es hatte nur 16V3 Karat, das heisst, ein
Pfund = 12 Unzen des zu den Tari verwendeten Münzgoldes enthielt
nur 8 Unzen 5 Tari Feingold, dagegen 3 Unzen 25 Tari zwölflöthigen
Silbers oder solchen Silbers, das wie bei den Augustalen zu drei Vier-
teln aus Feinsilber und zu einem Viertel aus Kupfer gemischt war.
Karl I. gab dann den von ihm geschlagenen Tari denselben Gold-
gehalt 2).
Daraus lässt sich denn auch der Gehalt des einzelnen Tari er-
mitteln. Unter der Voraussetzung, dass sein Durchschnittsgewicht
(V30 Unze) für die Zeit Friedrichs — und für die Karls gilt dasselbe —
0,90 Gr. war, enthält er an Feingold Ä X 16 % = 0,6125 Gr.,
während der Kest von 0,29 Gr. sich zu 3 Vierteln aus Feinsilber =
0,22 Gr. und zu einem Viertel aus Kupfer = 0,07 Gr. zusammensetzt.
Der Goldgehalt des einzelnen Tari aber gibt uns ohne Weiteres auch
den der so überaus häufig erwähnten, nur gewogenen, nie gemünzten
uncia tarenorum auri als 30X0,6125 = 18,37 Gr. — ein Betrag, der
dem der uncia augustalium mit 18,28 Gr. Feingold so nahe kommt,
dass man schwerlich irre gehen wird, wenn man annimmt, dass zwi-
schen ihnen gerade in Bezug auf den Gehalt an Feingold völlige
Gleichheit beabsichtigt war. Anders konnte es ja auch nicht sein, da
der Augustalis den Werth von 1% Tari, die aus 4 Augustaleu be-
stehende uncia augustalium also denselben Werth wie 30 Tari oder
eine uncia tarenorum haben sollte. Und wir dürfen wohl sagen, jene
Gleichheit ward nicht blos beabsichtigt, sondern auch in Wirklichkeit
erreicht, insofern der in der Berechnung hervortretende kleine Unter-
schied sich zur Genüge aus der Mangelhaftigkeit der Berechnung selbst
erklärt und namentlich daraus, dass für die Gewichtsbestimmimg des
Tari zu wenig Material vorlag, diese selbst also nur als annähernd genau
') Acta, imperii 1,766: Aurum tarenorum, quod laboratur tarn in sicla
Brundusii quam in sicla Messane, est caratis 16 et tercia, ita quod quelibet libra
auri unciarum 12 tenet de puro et fino auro uncias 8 tarenos 5; relique vero
uncie auri 3 et tareni 25 sunt in quarta parte de ere et in tribus partibus de
argento novo.
2) S. o. S. 422 Anm. 3.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 429
gelten kann, wenn auch vorläufig schwerlich eine genauere zu er-
zielen sein möchte.
Augustalen, Halbaugustalen und Goldtari von dem in den obigen
Ausführungen festgestellten Gewichte und Gehalte waren also im Kö-
nigreiche Sicilien neben einander während der letzten zwanzig Jahre
Friedrichs II. und unter seinen Nachfolgern im Königreiche Konrad I,
(IV, 1251—1254), Konrad II. (Konradin, 1254—1258) und Manfred
(1258 — 1266) l) die gesetzlichen Zahlungsmittel in Gold, während
allerdings sowohl die Kegierung als auch der Privatmann bei grösseren
Beträgen nach wie vor mit Vorliebe nach der ungemünzten Gold-
unze rechnete, kleinere aber für gewöhnlich nicht in Augustalen, son-
dern in Goldtari und noch kleinere in den ebenfalls nicht gemünzten
Gran auszudrücken pflegte. Das war also auch das System der Gold-
rechnung, das Karl von Anjou bei der Eroberimg des Königreichs im
Jahre 1266 vorfand und das er sich, wie schon öfters zu bemerken
Gelegenheit war, zusammen mit der ganzen Verwaltungsordnung Fried-
richs vorläufig so vollständig aneignete, dass er nur die Augustalen
in Regalen umtaufte.
11. Die Einführung der Regal es und halben Regales geschah
durch die schon öfters angezogene Verordnung Karls vom 5. November
1266 2), in der, nachdem Gewicht, Gehalt und Umlaufswerth derselben
im Einzelnen festgesetzt ist und zwar so, dass sich in diesen Bezie-
hungen vollständige Gleichheit mit den zur Einziehung bestimmten
Augustalen und halben Augustalen ergibt, am Schlüsse zusammenfas-
send nochmals betont wird, prout augustales et medii augustales olim
erant dicte teuute et ponderis et expendebantur hactenus per quanti-
tatem predictam 3). Insofern wäre also über diese angiovinische Neue-
rung nichts weiter zu bemerken.
Aeusserlich aber sind die Regalen von ihrem Vorbilde sehr ver-
schieden, weil dessen imperialistische Gestaltung von einem Könige selbst-
') Auf den Namen der beiden ersten scheint, wenn wir uns an die reiche
Sammlung des Museo nationale zu Neapel (s. Catalogo III, 1, 11) halten, überhaupt
kein Gold geschlagen zu sein. Von Manfred ist nur eine Goldmünze da, nach
ihrer Beschreibung zu urtheilen, ein Tari oder ein Mehrfaches desselben.
-) Del Giudice, Cod. I, 197. Vgl. über die Neuerung ausser Blancard auch
Sambon in Ann. de la Soc. franc. de numism. XV, 221 ff. mit Tab. III und Fa-
raglia Storia, dei prezzi p. 26, der aber den Goldgehalt mit dem Gewichte der Rega-
len verwechselt zu haben scheint. Es hatte übrigens auch schon unter den Norman-
nen Goldmünzen gegeben, die Regales hiessen, s. Huill. Breh., Hist. dipl. II, 520.
3) Aehnlich in der Verordnung von 1273, Arch. stör. Ital. Ser. 3 T. XXII,
10: in tenuta et pondere, in quibus facti fuerunt augustales et medii augustales
tempore quondam imperatoris.
430 Winkelmann.
verständlich ebenso wenig beibehalten werden konnte wie der Name *•). Ihre
Vorderseite (ich folge einem mir aus Gotha mitgetheilten Exemplare von
5,3 Gr. Gewicht) ~) zeigt die rechts gerichtete Büste des Herrschers mit
dem von einer Agraffe auf der Schulter zusammengehaltenen Königs-
mantel und mit einer mittelalterlichen Krone, unter der eine Art Haube
bis in den Nacken reicht; dazu die durch die Büste getheilte von
einem Perlenrande umgebene Umschrift
• + KAROL || D6I : 6RA •
Die Rückseite trägt nicht den kaiserlichen Adler, sondern einen
mit Lilien besteckten Schild, dessen drei Ecken in die in der Mitte
des oberen Schildrandes beginnende Umschrift hineinragend sie in drei
Stücke zerlegen:
+ R||EX:SI|j CILI|| G •
Der sofortigen Ausprägung der Regalen scheinen Hindernisse in
den Weg getreten zu sein, unter denen wohl die chronische Geldnoth
des Königs, die durch den folgenden Angriff Konradins noch erhöht
wurde, obenan stehen mochte. Noch im Februar 1269 wurde der Sold
für Aufgebotene in Augustalen angesetzt 3). Die wirkliche Prägung der
Regalen begann erst 1271 4), bis zu Ende des Jahres war sie vollendet.
Die Umgestaltung der sicilischen Goldwährung durch die gegen
1278 erfolgte Einführung von ganzen und halben Goldcarolinen 5) zu
erörtern, das liegt ausserhalb der Aufgabe, die ich mir gestellt hatte
Nur das Eine mag noch bemerkt werden, dass die Augustalen keines-
wegs rasch durch die Regalen verdrängt wurden. Wir haben eine
Verordnung Karls von 1278, in der er die Ausfuhr rohen oder bear-
beiteten Edelmetalls verbietet und nur die der Carolenses aurei et ar-
gentei et medaliae (d. h. halbe Carolinen) ipsorum et Augustales ge-
stattet G), so dass von letzteren damals noch ziemlich viele im Umlauf
gewesen sein müssen. In demselben Jahre wird amtlich eine Zahlung
von 300 Goldunzen in Augustalen angewiesen7); sogar noch 1283
') Anders bei den Tari, s. o. S. 425.
2) Blancard p. 218 nimmt, wie oberwähnt, 5,27 Gr. als Durchschnitt an;
er stützt sich unter Einrechnung der Abnützung auf drei Exemplare : in Wien
von 5,15 — in Paris von 5,20 und in Marseille von 5,22 Gr. Das erste soll sehr
schlecht, das letzte gut erhalten sein.
s) BFW. 14435.
4) Verordnung 1271 Mai 7. Minieri, 11 regno p. 18.
s) Blancard in Revue numism. Nouv. Ser. IX, 221. Schon 1271 waren Silbei--
carolinen (Carolenses argenti) eingeführt worden, von denen 60 den Werth einer
Goldunze haben sollten, das Stück also gleich % Goldtari. Das. p. 229.
e) Das. p. 227.
7) Syllabus monum. 1, 170.
Üeber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 431
zahlte die königliche Kammer unterschiedslos Carolenses und Augu-
stalen aus x) und 1284 schärfte der König neuerdings ein, dass der
Augustalis für 7V2 Tari angenommen werden müsse2). Doch mag
es wohl sein, dass, wie Blancard vermuthet, für die Regalen selbst
noch gelegentlich die uiissbräuchliche Bezeichnung Augustalen weiter
gebraucht wurde, und das dürfte nicht auffällig sein, da beide dem
Wesen nach durchaus dasselbe bedeuteten.
12. Wenn ich nun den Versuch mache, auf dessen Erfolg ich bei
dieser Untersuchung eigentlich das Hauptgewicht lege, nämlich den
Werth der fridericianischen Goldmünzen und zwar sowohl ihren
Metallwerth als ihren Umlaufswerth zu bestimmen, so geschieht
dies hauptsächlich zu dem Zwecke , um auf diesem Wege endlich
einmal einen festen Anhalt zur Beurtheilung der wichtigsten Ein-
zelheiten in Friedrichs Steuer- und Finanzwesen, der Besoldungsver-
hältnisse seiner Beamten und seiner viel bewunderten und viel ge-
schmähten Verwaltung überhaupt, endlich auch des Handels und Ver-
kehrs Unteritaliens für diese Zeit zu erlangen. Denn alle die zahl-
reichen Nachrichten, die wir über diese Dinge besitzen, schweben
vollständig in der Luft, so lange ein fester Massstab zur Vergleichung
des damaligen Münzwerths fehlt. Wie weit aber gehen die Schätzungen
jener Münzen und vor Allem auch der Unze, auf der alles beruht, bis
jetzt auseinander!
Huillard-Breholles, Recherches sur les monuments, Append. II,
giebt dem Goldtari einen inneren Werth von 2,55 Fr. und für seine
Zeit einen solchen von 3,70 Fr., mithin der Unze als dem dreissigfachen
den Werth von 76Va bez. 111 Fr. — Cherrier, Histoire de la lutte (2 ed.)
IT, 32 dagegen, der das aus den zwei Augustalen in Paris abgeleitete
mittlere Gewicht derselben mit 5,26 Gr. zu Grunde legt, schätzt die
Unze als das Vierfache des Augustalis, den Gramm zu 3 Fr. berech-
nend, nur auf 63,12 Fr. und Andere kommen ihm ziemlich nahe. So
Amari, La guerra II, 402 mit dem Ansätze von 61,50 Fr. und Blan-
card in seinem oft angezogenen Aufsatze S. 223 mit dem von 62,76 Fr.
und es verlohnt sich zu sehen, wie gerade dieser Forscher dazu ge-
langt ist, da er allein von allen Genannten richtig erkannt hat, dass
vor Allem auch der Goldgehalt berücksichtigt werden muss.
Indem nach seiner Berechnung die Unze Regalen — und für die
Augustalen müsste nach Obigem ganz dasselbe gelten — 21,08 Gr.
wog (s. o. S. 415 Anm.), setzt er die nach seiner nicht ganz genauen
Annahme darin enthaltenen
*) Faraglia, Storia dei prezzi p. 27 n. 3.
2) Das. n. I.
432 Winkelmann.
18 Gr. Feingold . . . = 62,— Fr.
2,31 Gr. Silber = 0,51 ,
0,77 Gr. Kupfer = 0,004 „
Zuschlag für den höheren Silberwerth . . = 0,25 *
insgesammt also die Unze Regalen [■'.. = 62,76 Fr.
Indessen wir können Blancards Ergebniss nicht als überzeugend
betrachten, weil das von ihm angenommene Durchschnittsgewicht des
Regalis (Augustalis), die Grundlage der ganzen Rechnung, nicht mit
dem von uns aus viel zahlreicheren Wägungen ermittelten und, wie
wir deshalb bis auf Weiteres glauben müssen, richtigeren überein-
stimmt, der Unterschied aber immerhin ziemlich beträchtlich ist. Dazu
kommt noch, dass er auch der Augustalenunze ein Gewicht von 30 Tari
gibt, was ein Irrthum ist. Denn der Augustalis sollte wohl den Werth
von 74 Unze haben, aber nur das Gewicht von 6 Tari oder */fi Unze,
und das ist auch von den Anderen, die sich in dieser Beziehung ge-
äussert haben, übersehen worden.
13. Es ist von Vorneherein zu erwarten, obwohl es bisher nicht
beachtet wurde, dass der Werth derUnze, die aber immer nur eine
Rechnungsmünze war, möglicher Weise doch sehr verschieden gewesen
sein kann, je nachdem man eine uncia auri (puri, fini) oder eine uncia
augustalium oder eine uncia tarenorum meinte. Während unter der
ersten Reingold verstanden wurde, bezogen sich die beiden anderen
auf eine Legirung, und zwar war diese bei ihnen nicht eine gleich
starke. Dieser Unterschied wird also überall, wo von der Unze als
Geldwerth die Rede ist, wohl zu berücksichtigen sein, wenn man nicht
in Irrthümer verfallen will, die unter Umständen eine ziemliche Trag-
weite haben können.
Den heutigen Metallwerth der sicilischen uncia auri zu bestimmen,
macht keine Schwierigkeit, nachdem das Gewicht einer Unze über-
haupt auf 27,12 Gr. festgestellt werden konnte. Da nach dem Satze
von 1392 Mark für das Pfund (500 Gr.) Feingold, zu welchem die
deutsche Reichsbank solches zu kaufen verpflichtet ist, ein Gramm
heute den Preis von 2,78 M. hat, ist der heutige Metallwerth dieser
Unze 75,19 M.
Die Werthe der beiden anderen Unzen zu berechnen, ist zwar
etwas umständlicher , aber ebenfalls nicht schwierig, weil die dazu
nöthigen Elemente, das Gewicht und der Gehalt der Tari und der
Augustalen, schon oben gegeben werden konnten. Es muss aber hier
gleich nochmals darauf hingewiesen werden, dass der Gehalt an Fein-
gold bei der 30 Tari wiegenden uncia tarenorum sich dem Gehalte
an Feingold bei der nur 24 Tari wiegenden uncia augustalium so
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs IL 433
nahe kommend erwiesen hat, dass wir wohl Grund haben, von Ueber-
einstimmung zwischen ihnen zu reden 1).
14. Beginnen wir mit der Feststellung des Metallwerths des
Tari, als der älteren Münze, und der uncia tarenorum.
Rechnen wir nun das Pfund Feingold wieder zu 1392 M. und
das Pfund Feinsilber zu dem augenblicklichen (24. Nov. 1893), aller-
dings sehr unsicheren Marktpreise von 48 M. und gestatten wir uns
den Werth des bischen Kupfers im Tari (0,07 Gr.) ganz ausser Be-
tracht zu lassen, so würde sich für den Tari ergeben
0,6125 Gr. Gold im Werthe von 1,70 M.
0,22 , Silber „ . „ 0,02 M.
und als heutiger Metallwerth = 1.72 M. 2)
Die aus 30 solcher Stücke gebildete uncia tarenorum die 30 ■ 0,61 =5
18.37 Gr. Feingold enthielt, hätte darnach einen inneren Werth von
51,60 M. 2) gehabt. Aber das kann nicht die Geltung gewesen sein,
zu der die Regierung sie, und entsprechend den einzelnen Tari. in den
Verkehr brachte, da sie sonst nicht auf ihre Kosten gekommen wäre,
geschweige denn aus der Prägung irgend einen Gewinn gezogen hätte.
15. Ein günstiger Zufall verhilft uns auch zu den für die Be-
rechnung des Verkehr swerths der Tari nöthigen Faktoren.
Wir besitzen eine äusserst interessante Zusammenstelluno- der
Vortheile, die Friedrich II. aus jeder Silberprägung seiuer letzten Jahr-
zehnte gezogen hat 3). Eine solche in Betreff seiner Goldprägungen
fehlt allerdings meines Wissens, aber es liegt in der uns schon so oft
förderlich gewordenen Ordnung für die Münzstätten von Brindisi und
») S. oben S. 428.
a) Huillard p. 166 schrieb dem Tari ein Gewicht von nur 0,706 Gr. zu,
setzte aber seinen inneren Werth auf 2,55 Fr. an — viel zu hoch, indem er
wahrscheinlich nicht berücksichtigte, dass das Gold eben nicht Feingold ist. -
Blancard p. 223, der für die uncia tarenorum ein Gewicht von 25,85 Gr. an-
nimmt, berechnet ihren Werth in folgender Weise :
17,60 Gr. Feingold .... 60,62 Fr.
6,20 Gr. Feinsilber .... 1,37 Fr.
2,05 Gr. Kupfer 0,01 Fr.
Höherer Silberwerth . . 0,68 Fr.
Zusammen . 62,68 Fr.
Nach Blancard ist also die uncia tarenorum der uncia regalium gleichwertig,
die er auf 62,76 Fr. berechnet hatte. Der angiovinisehe Tari aber, und für den
staufischen gilt ganz dasselbe, würde nach ihm einen Werth von 2.0.9 Fr. dar-
stellen — ein Ergebniss, mit dem sich das meine nahezu deckt.
3) Herausgegeben von Blancard in Revue numism. Nouv. Ser. IX, 305 und
mit Besserung einiger Lesarten Winkelmann Acta 1,763.
Mittheilungen XV. 28
434 Winkelmann.
Messina wenigstens die kurze Angabe vor J), dass der Regierung selbst
eine uncia tarenorum auf 28 Tari 2/3 Gran, eine uncia augustalium auf
27 Tari 18 Gran zu stehen kam (valet), worunter doch wohl eben
uichts anderes als der Preis des Metalls selbst zu verstehen sein wild.
Der ihr aus der Münzung einer uncia tarenorum — auf die Augustalen
wird später zurückzukommen sein — erwachsende Vortheil betrug
darnach 1 Tari 19 V3 Gran oder, du die Unze 600 Gran hatte, circa
6-/3 Procent, oder, wenn wir dafür den zunächst allein bekannten
Metallwerth des Taro einsetzen: 3.38 Mark. Es ist nun sehr auffällig,
dass nach derselben Münzerordnung der Fiscus sich bei Ausprägungen
sowohl von Augustalen als von Tari für Rechnung der Privaten (s. 0. S. 421)
den ihm entgehenden Gewinn augeblich nur mit 15 V2 Gran vergüten
Hess, also bei den Tari mit weniger als der Hälfte dessen, was er aus
eigener Münzung gezogen haben würde. Ich vermuthe deshalb, dass
an der betreffenden Stelle: „tarenuni unum grana 15 Va" zu lesen ist.
Das würde nach dem Metallwerthe 3 M., nach dem Verkehrswerthe
3,20 M. ausmachen, so dass der mittelbare Verlust des Fiscus in
diesem Falle unbedeutend gewesen sein würde.
Was die Unkosten betrifft, so weiss man wieder aus der Münzerord-
nung, dass sich der Fiscus, wenn er für Rechnung der Privaten münzte,
dieselben mit 4V2 Gran auf die Unze ersetzen Hess (s. 0. S. 421). Man
kann annehmen, dass er bei Prägung für sich selbst schwerlich mehr
aufgewendet haben wird. Jene 4V2 Gran des für die Tari verwendeten
Golds hatten einen Werth von 38,7 oder sagen wir der Einfachheit
halber 39 Pfennigen.
Nun lässt sich auch angeben, welches der mindeste Preis war, zu
dem die uncia tarenorum von der Regierung für den Verkehr be-
rechnet worden sein wird. Denn es betrug
ihr Metallwerth . . . 51,60 M.
der Gewinn an ihr . . 3,38 M.
die Unkosten . . . 0,39 M.
mithin ihr Verkehrswerth . 55,37 M.
und der des einzelnen Tari als des dreissigsten Theils dieser Unze
darnach -^- = 1,84 V2 M., endlich der des nicht gemünzten Gran,
nach dem aber häufig genug gerechnet wurde, wieder als des zwau-
zigsten Theils des Tari, ungefähr 9 Pfennige.
16. In ähnlicher Weise werden sich auch die W'erthe der Au-
gustalen, nämlich ihr Metallwerth und der ihnen amtlich beigelegte
Werth, ermitteln lassen.
') Winkehnann 1,767 Z. 3f).
Lieber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 435
Lassen wir nun wieder als Preis für das Pfund Feingold 1392 M.,
für das Pfund Feinsilber 48 M. gelten, während die sehr kleine im
Augustalis enthaltene Menge Kupfers auch hier wieder füglich ver-
nachlässigt werden kann, so wird sich sein Metallwerth aus folgenden
Posten zusammensetzen :
4,57 Gr. Feingold . = 12,72 M.
0,585 „ Feinsilber . = 0,50 „
0,195 „ Kupfer . = 0,00 „
5,350 Gr. zusammen = 13,22 M. i)
Da ein Augustalis 6 Tari wog, hätte ein Tari vom Golde des-
selben den Werth von 2,20 M., ein Gran den von 10 Pf. gehabt.
Solche wurden jedoch nicht ausgemÜDzt und können deshalb hier
ausser Betracht bleiben. Das aber stellt sich schon hier mit Bestimmt-
heit heraus, dass das Publicum dadurch, dass der Augustalis uur 6 Tari
wog, während er 7 V2 Goldtari (s. u.) gelten sollte, jedenfalls nicht ge-
schädigt wurde. Denn der Werth seines Goldes kam dem der 7 1/2 Gold-
tari durchaus gleich, die auch 0,61 X 7 V2 =4,57 Feingold enthielten.
Der Augustalis wurde allerdings nicht zu jenem Werthe ausge-
geben, konnte es auch nicht, sondern, wie es bei Kycc. de S. Germ,
vielleicht im Anschlüsse an den Wortlaut der kaiserlichen Einführungs-
verordnung von 1232 heisst, pro quarta uncie. Daraus ist zwar
nicht ersichtlich, welche Art von Unze gemeint war, ob ein Viertel
der Unze Feingold = 18,80 M., was ganz ungeheuerlich gewesen wäre,
oder einer vollwichtigen Unze von dem für die Augustalen verwendeten
Münzgolde — in welchem Falle der Augustalis für 16,52 M. ausge-
geben sein würde — oder endlich einer Unze der Tari. Letztere kann
aber in der That allein gemeint sein, denn erstens gab es ja keine
andere Goldmünze, die mit den Augustalen in Gleichung hätte gestellt
werden können, und zweitens sagt Karl I. in seiner Verordnung von
1266 unter ausdrücklichem Hinweise auf das unter seinen staufischen
Vorgängern Uebliche : quilibet (regalis) pro tarenis septem et medio ex-
pendatur. Nun konnte der Augustalis aber natürlich nicht zu dem Werthe
umlaufen, den das Gold der l1/2 Tari hatte, sondern zu dem, den sie
im Verkehre hatten oder zu dem sie von der Regierung ausgegeben
wurden, und es ergibt sich mithin, da der Verkehrswerth des ein-
zelnen Tari 1,84 1/2 M- betrug, dass dem Augustalis amtlich ein Um-
laufswerth von 13,84 M. (bei 13,22 M. Metallwerth) beigelegt war.
Die uncia augustalium, die durch 4 solcher Goldstücke gebildet wurde,
') Es ist also viel zu hoch gegritt'en, wenn Huillard, Recherches p. 16*6 den
inneren Werth des Augustalis auf 19 Fr. schätzt.
28*
436 Winkelmanil.
sollte demnach 55,36 M. gelten *), während ihr innerer Werth sieh nur
auf 4 X 13,22 = 52,88 M. belief.
17. Zwei Umstände fordern bei diesem Ergebnisse zu besonderer
Betrachtung auf. Der eine ist die vollständige Uebereinstimmung des
der uncia augustalium und der uncia tarenorum. gegebenen Verkehrs-
werths (55,36 M.) welche der schon vorher betonten Gleichheit ihres
Gehaltes an Feingold (18,28 und 18,37 Gr.) trotz ihrer verschiedenen Le-
o-iruno- entspricht ; der andere ist der nicht unbeträchtliche Unterschied
zwischen Metallwerth und Verkehrswerth bei beiden.
Was jene Uebereinstimmung des Goldwerths betrifft, so konnte
sie natürlich dem Verkehre nur förderlich sein. Aber bei der Ver-
schiedenheit in der Güte des für beide Münzsorten verwendeten Golds
hat sie nur auf künstliche, um nicht zu sagen, auf gewaltsame Weise
erreicht werden können, nämlich eben dadurch, dass die uncia augustalium
um ein Fünftel leichter angesetzt wurde als die uncia tarenorum. Sie
woo- eben nicht 30 wie diese, sondern nur 24 Tari und es war nur
eine von dem amtlich dem Augustalis zuerkannten Werthe hergeholte
Fiktion, wenn sie trotzdem als uncia bezeichnet wurde. Im anderen
Falle, wenn man der Augustalenunze das Gewicht von 30 Tari gleich
der o-ewöhnlichen Unze gegeben hätte oder, was dasselbe bedeutet,
wenn nicht vier, sondern füuf Augustalen auf sie gerechnet worden
wären, wäre die Ungeheuerlichkeit herausgekommen, dass ihr Metall-
werth grösser gewesen wäre, als ihr Verkaufswerth, der seinerseits da-
durch festgelegt war, dass der Augustalis eben ein Viertel der Tari-Unze
gelten sollte. Eine Unze von 30 Tari des Augustalengolds (5 X 13,22)
hätte den Werth von 66,10 M. gehabt, während eine Unze von vier
gemünzten Augustalen im Verkehre nur 55,36 M. galt.
Die zweite Wahrnehmung ist vielleicht noch auffälliger. Während
der Unterschied zwischen Metallwerth und Verkehrswerth sich bei der
uncia tarenorum auf 3,77 M. belief, betrug er bei der uncia augusta-
lium nur 2,48 M. Die kaiserliche Regierung begnügte sich bei ihr mit
einem viel kleineren Gewinne. Das ist bei der auf anderen Verwal-
tungsgebieten deutlich genug hervortretenden Fiscalität derselben so
überraschend, dass vielleicht nicht Jeder von der nächstliegenden Er-
klärung befriedigt sein wird, nämlich dass ohne solche Einschränkung
eben die höchst wünschenswerthe Gleichheit im Verkehrs werthe der
beiden Unzenarten nicht hätte erzielt werden können.
•) Von Allen, die sich mit der Schätzung des Augustalis befasst haben, hat
Huillard a. a. 0. sich also am Weitesten vergriffen, indem der Umlaufswerth der
Augustalenunze nach ihm (s. o. S. 431) sich auf 111 Fr. gestellt hätte.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs II. 437
18. Mit nicht geringer Freude ist es deshalb zu begrüssen, dass
sich hier die Möglichkeit einer Prüfung der bisherigen Ergeb-
nisse auf ihre Richtigkeit bietet. Noch erwünschter wird es freilich
sein, wenn die Probe schliesslich stimmen sollte.
Diese Gegenrechnung wird durch die beiden Angaben der Münzer-
ordnung ermöglicht, dass der Regierung das Metall jeder Unze der
Augustalen auf 27 Tari 18 Gran zu stehen kam J), also ihr 2 Tari
2 Gran abwarf — das wäre etwas mehr als bei den Goldtari, näm-
lich 7 Pro cent — , und dass sie sich bei Privatprägungen 4V2 Gran
für ihre Unkosten auf die Unze ersetzen Hess. Aber die auf diese
Angaben sich stützende Rechnung scheint zunächst keineswegs zu einer
Bestätigung unsers früheren Ergebnisses zu führen. Es betrügen näm-
lich darnach im Tarigelde:
das Metall zur Unze Augustalen . 52,88 M.
41/2 Gran Unkosten . . . 0,39 „
2 Tari 2 Gran Gewinn . . 3,88 „
so dass " 57,15 M.
und nicht 55,36 M. der geringste Werth gewesen wäre, zu dem die
Regierung die uncia augustalium in den Verkehr hätte bringen können.
Dieser Widerspruch lehrt, dass irgendwo ein Fehler in unseren
Voraussetzungen steckt ; es fragt sich nur, an welcher Stelle : ob in
dem vorher aus dem Metallgehalte berechneten Umlaufswerthe der
Augustalen oder in jenen Angaben der Münzerordnung in betreff von
Gewinn und Unkosten bei ihrer Ausprägung, auf welchen diese zweite
Berechnung beruht. Da nun ersteres durch die völlige Uebereinstim-
mung des Goldgehalts und Umlaufwerths der uncia augustalium mit
dem der uncia tarenorum ausgeschlossen zu sein scheint, die schwerlich
eine zufällige sein wird, sondern vielmehr sachlich geboten war, kann
ich mir deshalb jene Abweichung der beiden Rechnungsergebnisse nur
durch die Annahme erklären, dass sich in die Zahlenangaben der
Münzerordnung selbst irgend ein Fehler eingeschlichen hat, sei es
durch Schuld des Abschreibers, sei es schon durch ein Versehen des-
jenigen, von dem sie herrühren. Die Differenz würde z. B. gänzlich
schwinden, wenn wir annehmen dürften, dass in der Angabe der
Summe, auf welche der Regierung die uncia augustalium zu stehen
kam, statt 27 (XXVII) 28 (XXVIII) Tari 18 Gran zu lesen wäre.
Dann würde dem entprechend ihr Gewinn nicht 2 Tari 2 Gran,
sondern nur 1 Tari 2 Gran betragen und wir gelangen zu folgender
Aufstellung :
') S. 0. S. 434.
438 Win
k(
slmann.
Metall
52,88 M.
Unkosten .
0,39 „
Gewinn
2,03 „
und die Gesamnitsumme von .
55,30 M. i
den 55,36 M. zusammen, die sich uns auf anderem Wege als der von
Amtswegen der uncia augustalium beigelegte Kurswerth ergeben hat.
Ja noch mehr: nun deckt sich auch die durch die erste Methode er-
mittelte Differenz von 2,48 M. zwischen dem Metallwerth und dem
Kurswerth der Unze Augustalen mit den 2,42 M., die nach der Kor-
rektur der Münzerordnung als Summe von Gewinn und Unkosten bei
einer solchen Unze in Ansatz zu bringen sind. Es scheint mir des-
halb keinem Zweifel zu unterliegen, dass die Lesart der Münzerordnung
in der That einer Besserung in jenem Sinne bedarf *), mit deren Voll-
zug dann alles in die beste Ordnung kommt.
19. Wie sehr die kaiserliche Kegierung bestrebt war, die Ver-
breitung der Augustalen und ihre bereitwillige Aufnahme bei den
Unterthanen zu befördern, sie diesen gewissermassen zu empfehlen,
lässt sich schon aus der Thatsache erkennen, dass sie für sich bei
dieser Münzsorte einen kleineren Gewinn beanspruchte als bei den Tari
und dass sie der uncia augustalium, wie wir sahen, nur denselben ge-
setzlichen Werth im Verkehre beilegte wie der alten uncia tarenorum,
obwohl ihr Metallwerth um 1,28 M. höher war als der der letzteren.
Und nicht oft genug kann betont werden, dass wenn der einzelne
Augustalis im Gewichte nur 6 Goldtari gleichkam, aber für 71/2 ge-
nommen werden musste, die Unterthanen auch dadurch nicht zu Scha-
den kamen, indem sein Mindergewicht durch die bessere Beschaffenheit
seines Goldes vollständig ausgeglichen wurde. Denn mit bemerkens-
werther Geschicklichkeit hat man es, wie gesagt, einzurichten gewusst, dass
der Augustalis genau so viel Feingold enthielt als die 7 % Tari, denen
er gleich gewerthet war (0,61 X 7 V« = 4,57) und ebenso die uncia
augustalium von 24 Tari Gewicht genau so viel als die uncia tareno-
rum, die doch 30 Tari wog 2). Aber die Macht mehrhundertjähriger
') Dass noch an einer anderen Stelle, rücksichtlich dessen, was sich die
Regierung bei Privatprägungen für den ihr entgehenden Gewinn zahlen Hess, an
der Münzerordnung eine Korrektur wahrscheinlich nothwendig ist, ist S. 434
bemerkt worden. Aber selbst dann, wenn für die Unze Augustalen nicht 15J/2 Gran,
sondern 1 Tai-i ]5'|2 Gran zu zahlen waren, wie wir das für die Unze Tari ver-
mutheten, in unserm Gelde = 3,20 M., hätte die Regierung allerdings mehr er-
halten, als ihr aus eigener Prägung erwachsen wäre.
2) Nach unserer Berechnung enthielt der Augustalis für 12,72 M. Feingold,
und die 7l\2 Goldtari für 12,75, also gleich viel. Wegen der Unzen s. 0. S. 435.
Ueber die Goldprägungen Kaiser Friedrichs IL 439
Eingewöhnung in ein Münzsystem ist eine gewaltige und eben des-
halb wird Kaiser Friedrich IL, als er neben die altgewohnte Münze
eine neue zu seiner besonderen Verherrlichung bestimmte setzen wollte,
trotz jenen Ausgleichungen im Jahre 1232 die strengen Strafan-
drohungen für nöthig erachtet haben, um ihre Annahme bei seinen
Unterthanen zu erzwingen.
Der Versuch, die Augustalen im Königreiche sozusagen heimisch
zu machen, hätte gelingen können, wenn gleichzeitig die Goldtari aus
dem Verkehre gezogen worden wären, musste aber nothwendig schei-
tern, wenn jene mit diesen in Konkurrenz gebracht wurden. Zwei
gesetzliche Zahlungsmittel neben einander, deren Einheiten im Werth-
verhältnisse von 1 : 7 % standen, das war an sich ein Unding ! Dazu
kam dann noch die verwirrende Ueberlülle der Münzsorten. Man ver-
setze sich nur in eine Lage, in der, ganz abgesehen von den gewiss
noch in grossen Massen vorhandenen Theilstücken des Tari aus der
normannischen Zeit, der Tari selbst zu 1,84 M. und seine Mehrfachen
zu etwa 3,68.7,36 und vielleicht auch zu 9,20 M. neben den halben
Augustalen zu 6,92 M, und den ganzen zu 13,84 herliefen. In diesem
Wettbewerb aber zog die neue Münze den Kürzern. Trotzdem dass sie
manches für sich hatte, namentlich auch, dass sie nicht erst gewogen
zu werden brauchte, und obwohl die staatliche Autorität ihr mit voller
Wucht zu Hilfe kam, hat sie sich doch nie recht einzubürgern ver-
mocht und sie ist schon ein Vierteljahrhundert nach dem Tode Fried-
richs, nachdem auch noch Karl von Anjou mit ihr einen Versuch ge-
macht hatte, wieder aus dem Verkehre verschwunden, ohne eine an-
dere Spur zu hinterlassen als die Exemplare, die sich aus der Ein-
ziehung durch diesen König gerettet haben. Innerhalb ihrer Gültig-
keitsdauer aber kann sie kaum eine andere Wirkung gehabt haben,
als dass auch die Goldwährung des Königreichs in Verwirrung 1) ge-
') Neben den drei Arten von Unzen, nach denen für gewöhnlich bei Gold
gerechnet wurde, der uncia auri, der uncia tarenorum und der uncia augustalium,
kommen noch andere Bezeichnungen für die Goldunze vor, von denen es mir
zweifelhaft ist, inwiefern sie sich mit jenen decken. Ich entnehme die Beleg-
stellen dem ersten Bande meiner Acta imperii. Die uncia auri ad pondus ge-
nerale, die 1241 (p. 669,7) oder ponderis generalis, die noch unter Karl 1274
(p. 595,2) bei Besoldungen von Beamten in Anwendung kam, dürfte die gewöhn-
liche im Gewichte von 27,12 Gr. gewesen sein. Aber es werden auch leichtere
und schwerere Unzen Gold gegenübergestellt, wie z. B. wenn 1241 oder 1242
gegen einen Beamten Untersuchung verfügt wird , ob er inaiori pondere aurum
reeepit ef minori postea curie solvit (p. 670, 25). Es scheint fast , als ob die
leichtere in Anwendung kam, wenn die Regierung Zahlungen zu machen, die
schwerere aber, wenn sie solche zu empfangen hatte. Wenn eine Pacht an sie
440
W i n k e 1 rn a n n
stürzt wurde, die allerdings etwas anderer Art war als die, der die
sicilische Silberinünze durch ihre heillose Verschlechterung unter Kaiser
Friedrich II. überliefert wurde.
Zum Schlüsse mögen hier um der bequemeren Uebersieht willen
die hauptsächlichsten Rechnungsergebnisse der Untersuchung tabella-
risch zusammengefasst werden. Von allgemeinerer Bedeutung aber und
im Besonderen für die Beurtheilung der Verwaltung Friedrichs II. ist
die Erkenntniss nicht ohne Werth, dass er bei der Einführung der
Augustalen keine flscalischen Nebenzwecke verfolgt und dass er selbst
in den Zeiten grösster Bedrängniss die Goldwährung ceines König-
reiches unangetastet gelassen hat.
I. Die Gold münzen:
Tarenus
Mittleres Gewicht bei der Prägung . . 0,90 Gr.
davon Feingold ...... 0,61 „
Metallwerth überhaupt .... 1,72 M.
Verkehrswerth ...... 1,84 „
Augustalis
5,35 Gr.
4,57 „
13,22 M.
13,84 „
II. Die Rechnungsmünze:
Ilncia auri (puri) tarenornm augustalium
Gewicht . 30 Tari= 27,12Gr. 30Tari= 27,12 Gr. 24 Tari = 2 1 ,69 Gr.
davon Feingold „ 18,37 Gr. 18,28 Gr.
Metallwerth 75,19 M. 51,60 M. 52,88 M.
Verkehrswerth ,, 55,37 „ 55,36 „
(p. 669,43) ad maius pondus zu entrichten ist, dürfte dies mit der uncia auri ad
pondus curie gleich bedeutend sein, nach der 1242 (p. 676,12) der mit Beschlag
belegte Kirchenschatz von Girgenti abgeschätzt wurde. Endlich, wenn 1218 (p. 123)
eine Schenkung gemacht wird in uncie auri bonorum tarenorum Sicilie ad pon-
dus Baroli, kann daraus doch nur geschlossen werden, dass es ausser den voll-
wichtigen Tari auch noch schlechtere gab und dass die ersteren damals in Bar-
letta geprägt wurden. — Uebrigens wenn es uns befremdet, dass die uncia au-
gustalium um ein Fünftel leichter war als die uncia tarenorum und statt 30 nur
24 Tari wog, so ist daran zu erinnern, dass nach der Münzerordnung (p. 766,43),
die Unze Silber ihrerseits um ein Zehntel schwerer war, als die Unze Gold, also
33 Tari wog.
Verzeichniss der Münzabbildungen:
1. Augustalis,
Stempel
IL
7. Halber Augustalis,
Stempel II.
2.
s
IV.
8. Tarenus auri,
XI.
3.
4.
»
VI.
9. l'|2 Tari?
10. Doppeltari ?
X.
VII
5. s
»
XIV.
11.
VI.
6. Halber
Augustalis,
»
I.
12. Viertari?
II-
K. Sigmund und Polen 1420—1436.
Von
Jaroslaw Goll.
I. Die Kandidatur Wladislaws 1420—1421.
Die Wechselbeziehungen Polens und Böhmens zur Hussitenzeit,
während der Kegierung Wladislaws und Witolds, sind kein neues
Thema. In grösserem Zusammenhang haben es behandelt Palaeky,
Caro und Tomek. Tomeks Geschichte von Prag (Dejepis Mesta
Prahy), das Hauptwerk der böhmischen historischen Literatur nach
Palaeky, ist eigentlich eine Geschichte von Böhmen, die, indem sie
die Hussitenzeit erreicht, an Breite und Tiefe zunimmt. Hier ist oft
eine an Einzelnheiten reichere Erzählung als bei Palaeky zu finden
und nicht selten auch eine schärfere Kritik. Tomek verfügte über eine
grössere Menge von Quellen; zum Theil sind es die von Palaeky selbst
gesammelten Urkundlichen Beiträge (2 Bände, 1872 und 1873). Der
vierte Band der Geschichte Prags (1420 — 1434), wohl der bedeutendste
des jetzt bis zu Ende des Mittelalters reichenden Werkes, ist im Jahre
1879 erschienen. Auch C. Grünhagens Hussitenkämpfe der Schlesier
1420—1435 (Breslau 1872) sind hier zu nennen.
Von den polnischen Autoren hat A. Prochaska seine Thätig-
keit fast ausschliesslich diesem Gegenstande gewidmet. Seiner ersten
Arbeit, welche die Beziehungen Böhmens und Polens bis zum Jahre
1423 (Abhandlungen der Krakauer Akademie VII, VIII, 1877 u. 1878)
behandelt, folgten kleinere Aufsätze (theil weise gesammelt in den
Szkice Historyczne 1884) und auch eine Monographie über Witolds
letzte Jahre (Warschau 1882). Denselben Gegenstand, die ersten Jahre
der Hussitenkriege (1420—1423), hat mit A. Prochaska fast gleich-
zeitig StanislawSmolkain dem Warschauer Ateneum 1878 in An-
griff genommen; eine zweite Ausgabe seiner Abhandlung hat später
der Verfasser in den zweiten Band seiner „Szkice" (Warschau 1883)
aufgenommen.
442 Jaro slaw Goll.
Dazu kommen die Quellenausgaben der letzten Jahre, vor allem
der von A. Prochaska als VI. Band der von der Krakauer Akademie
herausgegebenen Monum. Medii Aevi Hist. publicirte Codex Epi st o-
laris Witoldi (1882). In derselben Sammlung finden wir auch einen
Codex epistolaris seculi XV. (3 Bde. 1876, 1891 und 1894); von
dem Herausgeber des zweiten und dritten Bandes A. Lewicki besitzen
wir ausserdem ein wichtiges Hilfsbuch, einen IndexActorum sec. XV.
(Mon. XI, 1888) und eine Monographie über die letzten Jahre Witolds
und Wladislaws unter den Titel: Der Aufstand Swidrygellos (Powstanic
Swidrygielly Abh. der Akad. XXX, 1892), wohl eines der besten Werke
der neuesten polnischen historischen Literatur.
Wie diese Uebersicht zeigt, sind die erzählenden Arbeiten der
Quellen publikation theilweise vorangegangen, ein Umstand, der eine
neue Behandlung des Gegenstandes rechtfertigen und vielleicht ver-
langen könnte. Aber nicht dies allein. Wie so oft in der historischeu
Literatur, so sind auch hier mehr Fragen aufgeworfen worden, als es
dann möglich war befriedigend zu beantworten ; wir möchten nicht
nur viel, sondern alles wissen, mehr als vielleicht die Menge und Be-
schaffenheit der Quellen , die wir besitzen, gestattet. Dabei ergaben
sich mannigfache Differenzen der polnischen Autoren untereinander
(z. B. zwischen Prochaska und Smolka) oder auch Caro gegenüber,
die weniger die Thatsachen als ihre Erklärung und Auffassung betrafen.
Was waren die Motive der handelnden Personen, der Fürsten und
ihrer Kathgeber, was die Ziele ihrer Politik, welche Parteien standen
einander gegenüber? Und weiter: welchen Antheil hatten an all dem
die Strömungen der Zeit, welchen die hussitischen Ideen und ihre Pro-
paganda ausserhalb der böhmischen Länder, namentlich in Polen?
Man sprach von Panslavismus, von kirchlichen Unionsgedanken . . .
Warum haben die hussitischen Böhmen Wladislaw und Witold die
Krone angeboten, und haben diese — wie soll man nur sagen — mit
dieser Frage gespielt oder es ernst genommen ? Lauter Fragen , die
berechtigt sind und beantwortet werden wollen . . . Indes die folgen-
den Untersuchungen verfolgen keine so hohen Ziele.
Die Feststellung der Thatsachen in ihrer Abfolge ist gewiss
nicht das letzte und höchste Ziel historischer Arbeit, aber feststehende
Thatsachen bilden doch die Grundlage für alles übrige, was dann
noch folgen mag ... Ist diese Grundlage hier überall fest genug ge-
wesen und sollte das neue Quellenmaterial nicht vor allem zu dieser be-
scheidenen, aber doch nothwendigen Aufgabe verwendet werden? Ihr
sollen diese Untersuchungen vor allem gelten, ohne gerade jenen höhern
Fragen überall ängstlich auszuweichen.
K. Sigmund und Polen 1420— 1436". 443
Es hat einmal einen Wissenden gegeben, wenigstens wusste er
viel zu erzählen. Dieser Wissende ist Johannes Dl ugosz gewesen.
Ist aber sein Wissen auch verlässlich? Wird das reichere urkundliche
Material, das in den letzten Jahren hinzugekommen ist, seine Erzäh-
lung bestätigen, ergänzen oder — wenigstens theilweise — aufheben?
Was auch die literaturgeschichtliche Bedeutung des Dlugosz sein mag
(sie ist nicht gering), für uns bildet seine Polnische Geschichte, da
wo sie seine eigene Zeit erreicht und schon etwas früher, eine Quelle,
aus der vor allem Thatsachen geschöpft werden sollen. Für viele ist
sie die Hauptquelle gewesen, auch für diejenigen, welche dann die
Thatsachen in ihrer eigenen Erzählung in einem andern Lichte er-
scheinen Hessen.
Unter den Neueren besitzt Dlugosz einen Feind. Es ist Caro. Ist
diese Feindschaft gerechtfertigt oder gebührt jenem eine Geuugthuung ?
Es ist Zeit, die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Dlugosz wieder
aufzunehmen. Die Resultate der bisherigen Untersuchungen über ältere
Theile des Werkes, die vor seiner Zeit liegen, sind nicht allzu günstig *).
Dlugosz hielt vieles für erlaubt, was den bekannten Vorschriften des
Cicero nicht selten widerstreitet. Unparteiisch ist ja die Geschichts-
schreibung jenen Vorschriften zum Trotz so oft nicht gewesen ! Aber
auch hier muss die erste Frage lauten : sind die Thatsachen , die wir
von ihm erfahren, glaubwürdig, auch da, wo wir keine Mittel zur
Kontrolle besitzen ? Das allgemeine Urtheil, ob wir einem Schriftsteller
Glauben schenken oder versagen sollen, kann sich nur als Resultat
einer Induktion einstellen. Zu ihr mag das Folgende Beiträge bringen.
Wie die Böhmen an Stelle Sigmunds dem König von Polen die
Krone angeboten haben und was da alles geschah, das erzählt Dlugosz
sehr umständlich; durch nahezu anderthalb Jahre verfolgt er jene
Unterhandlungen, bis sie erfolglos verlaufen. Hier haben wir eine
Reihe von Thatsachen: wie viel können wir davon behalten, wie viel
sollen wir verwerfen?
Magister Johannes Hus war ein loyaler d. h. seinem König und
der Dynastie ergebener Bürger, ein guter Böhme und dabei ein Freund
der Polen. Er hat es schmerzlich empfunden, als K. Sigmund, in dem
er seinen künftigen Herrn, den Erben der Krone nach K. Wenzel,
erblickte, mit K. Wladislaw in Feindschaft gerieth. Im Jahre 1410
') Das neueste Werk (M. Bobrzyiiski und St. Sraolka: Jan Dlugosz. Krakau
1893) kann ich nur nachträglich berücksichtigen. Hier findet sich ein für den
»polnischen Livius« geradezu vernichtendes Urtheil (S. 167): wir hätten keine
Sicherheit, ob er auch da, wo er als Zeitgenosse sehr gut informirt war, nicht
absichtlich Falsches berichte; allerdings nur selten und ausnahmsweise.
444 Jaroslaw Goll.
hat Sigmund Poleu zu Guusten des Deutschen Ordens den Krieg er-
klärt, ohne diesen dadurch vor der „grossen" l) Niederlage von Tan-
nenberg zu bewahren, aber doch nicht ganz ohne Erfolg. Die Kriegs-
erklärung hat dazu beigetragen, dass sich die Sieger, Wladislaw und
Witold, zum Abschlüsse eines Waffenstillstandes (Dez. 1410) und bald
darauf des Friedens von Thorn (Febr. 1411) bewegen Hessen. Die
Versöhnung mit Sigmund liess aber bis 1412 auf sich warten. Hus
hat sie mit Freuden begrüsst und diesem Gefühl in einem an den
König von Polen gerichteten Schreiben Ausdruck gegeben. Bis un-
längst haben wir nur dies eine Schreiben gekannt2); im Jahre 1891
ist ein zweites bekannt geworden3). Schon zu Ende des Jahres 1410
oder zu Anfang des folgenden hatte Mag. Hus jene Versöhnung her-
beigewünscht und dabei dem König Wladislaw zu dem Siege zwar
gratulirt, aber ihn auch für den Abschluss des Waffenstillstandes be-
lobt . . . Hus gab sich der Hoffnung hin, von beiden Herrschern in
seinen reformatorischen Bestrebungen gefördert zu werden.
Wie so oft, vordem und später, hat sich die Opposition gegen
die Kirche an den Staat und seine Kegenten angelehnt, auch wenn
sie, wie Sigmund, dem Bilde eines christlichen Herrschers nicht voll-
ständig entsprachen. Neben dem Glauben an die eigene Sache war
es doch auch das Vertrauen zu dem König, das wenige Jahre später
Johannes Hus nach Konstanz führen sollte, um dort alsbald dem bit-
tersten Gefühl der Enttäuschung zu weichen. Den „ polnischen Herren *
dagegen, deu Gesandten K. Wladislaws, — die polnischen Prälaten
haben wie die anderen Hus als Ketzer verurtheilt — hat dieser noch
vor seinem Lebensende Worte des Dankes gewidmet dafür, dass sie
sich seiner im Verein mit den böhmischen Herren angenommen hatten.
Dass sie es im Auftrage ihres Königs gethan, ist in unsern Ouellen
nicht bezeugt.
Im Hussitismus sind zwei Elemente zu unterscheiden, das religiöse
und das national-politische. In der älteren Literatur wird das erste
oft einseitig berücksichtigt, in der neueren dagegen das zweite nicht
selten noch einseitiger hervorgehoben. Zum Wesen des Hussitismus
gehört jedenfalls das Religiöse; national gesinnt waren auch die Ka-
tholiken. Die Erstarkung des nationalen Selbstbewusstseins ist älter
1) Die Quellen sprechen überall von der „grossen Schlacht1, die neueren
[Schriftsteller von dem »grossen Kriege«.
2) Palacky Documenta Mag. J. Hus pag. 3.0.
3) W. Nedoma hat dieses Schreiben aus einer Handschrift, die, schon Do-
browsky bekannt, später unbenutzt blieb, in den SB. der k. böhm. Gesell-
schaft der Wiss. 1891 veröffentlicht. Vgl. auch Cod. Ep. sec. XV., III.
K. Sigmund und Polen H20— 1436. 445
als der Hussitismus ; es steigert sich das 14. Jahrhundert hindurch
Der Böhme fühlte sich als Böhme dem Deutschen gegenüber und da-
bei auch als Slave. Neuere Geschichtschreiber (mit Vorliebe auch
Palacky) sprechen oft von dem Panslavismus der Hussitenzeit ; eigent-
lich bestand derselbe — und anders konnte es auch nicht sein — in
Sympathien zu den Poleu, dem einzigen slavischen Volke, mit den
das böhmische seit jeher im Wechselverkehr stand. Auch an die Eib-
slaven und das Schicksal, das ihnen die Deutschen bereitet, haben sich
die Verfasser hussitischer Manifeste erinnert, ohne zu wissen, wie oft
in den gegen sie geführten Kriegen die Böhmen mitgeholfen hatten *)
Die Freundschaft der Böhmen und Polen ist — ich wiederhole
es nach anderen — von der Prager Universität ausgegangen, um sich
alsbald in weiteren Kreisen zu verbreiten. Der Deutsche Orden hat
in seinen Kriegszügen gegen die heidnischen Lithauer neben Gästen,
die „um Gottes willen" kamen (K. Johann von Böhmen hat sich drei-
mal an ihre Spitze gestellt), auch gezahlte Söldner verwendet. Und
so blieb es noch, als im 15. Jahrhunderte die Kriege gegen das mit
dem nicht mehr heidnischen Lithauen verbundene Polen begannen. Im
Jahre 1410 haben Böhmen auf beiden Seiten gekämpft, obgleich K.
Wenzel sich damals für den Orden erklärt hatte. Bei denjenigen, die
nach Polen zogen, haben gewiss ihre nationalen Sympathien mitge-
wirkt; ältere Traditionen, die bis auf die Zeiten Pfemysl Ottokars2)
zurückreichten, und die besseren Finanzen des Ordens hätten sie viel
eher diesem zuführen sollen. Aber so mächtig war der neue Zug,
dass der König einschreiten musste, da sein Hof zu veröden drohte 3).
Als dann im Jahre 1414 Wenzel seine Gunst den Orden entzog und
ein Verbot für alle seine Länder erliess, ihm zu Hilfe zu ziehen, übri-
') Dabei werden die alten Preussen zu den Slaven gerechnet.
2) Ueber seinen zweiten Kreuzzug s. meinen Aufsatz in Casopis Matice
Moravske XV (1891), in dem gezeigt wird, dass die Meinung, der König habe
damals Olmütz zu einem Erzbisthum für die böhmischen oder sogar für die
böhmischen und österreichischen Länder erheben wollen, auf unrichtiger Inter-
pretation der Quellen beruhe. Ottokar hat sich damals mit anderen Plänen ge-
tragen. Das ursprüngliche Ziel seines zweiten Kreuzzuges (1267 — 1268) war Li-
thauen. Dort sollte »der Thron Mindowes wiedererrichtet werden* und Olmütz
seine ßisthümer erhalten. Die Kurie ist auf diese Pläne nicht eingegangen.
3) C. David bringt in seiner Preuss. Chronik VIII, 202 die Inhaltsan-
gabe eines gleichzeitigen Schreibens (Juni 1410) von Prag: »Dazu ... in einem
andern Tage und Briefe schreibt derselbe Commendator (von Thorn), dass aus
Böhmen so viele Hofleute in Polen verriten wären, dass auch des Römischen
Königs Hof merklicher dadurch abgenommen und verringert worden, welches
den der König . . . endlich verbieten lassen , sonst wäre noch mehr Volk in
Polen verreiset.*
446 Jaroslaw Goll.
gens ohne überall Gehorsam zu finden, kamen Gäste und Söldner noch
zahlreicher als im Jahre 1410 nach Polen. Von dem mährischen Lan-
deshauptmann Lacek von Krawaf hat der Hochmeister damals einen
besonderen Absagebrief erhalten.
Zwischen polnischen und ungarischen Magnaten bestanden bereits
seit längerer Zeit Freundschaftsbeziehungen, die auch auf das Ver-
hältniss der beiden Nachbar reiche, Polens und Ungarns, zu einander
einwirkten ; neben ihren Königen unterhielten die polnischen und un-
garischen Herren ziemlich selbstständige diplomatische Beziehungen.
An den Kriegszügen gegen die Türken pflegten auch unter Sigmund
Polen theilzunehmen ; von nun an sollten sich auf den preussischen
Schlachtfeldern Polen und Böhmen begegnen. Herr Zawisch von
Garbo w, der als Typus vieler seiner Standesgenossen gelten darf l), ist
später (1423) von Sigmund in einem Schreiben an K. Wladislaw tref-
fend als „niiles utriusque nostrum " bezeichnet worden. Er ist im
Jahre 1408 mit jenem nach Bosnien, im Jahre 1410 mit diesem nach
Preussen gezogen; im Jahre 1414 sollte er nach Böhmen und Mähren
kommen, um daselbst Söldner zu werben . . . Später hat er K. Sig-
mund auf einem seiner unglücklichen Züge nach Böhmen begleitet und
ist bei Deutschbrod in hussitische Gefangenschaft gerathen. . . Es ist
derselbe Zawisch von Garbo w der an der Spitze der polnischen Herren
stand, die im Jahre 1415 ihre Stimme zu Gunsten des Mag. Johannes
Hus erhoben. Auch ohne besondern Befehl des Königs ist diese Inter-
vention begreiflich, indem sie den freundschaftlichen Beziehungen ent-
sprach, die die Theilnahme an dem preussischen Krieg im Jahre 1410
und 1414 zwischen dem Adel beider Nationen herbeigeführt hatte.
War doch Hus zu seinen Lebzeiten ein Liebling des böhmischen Adels.
Uebrigens galt jene Intervention nicht seiner Lehre, sondern seiner
Person ; die qualvolle Haft des kranken Magisters sollte durch end-
liche Gewährung eines Verhörs abgekürzt werden.
Mag. Johannes Hus hat an Wladislaw von Polen zwei Schreiben
gerichtet ; in dem älteren spricht er den Wunsch aus, den König per-
sönlich kennen zu lernen. Dieser Wunsch ist nicht in Erfüllung ge-
gangen. Aber sein Freund Hieronymus von Prag durfte im J. 1412
nach Krakau und zu Hofe kommen . . . Anderes wissen wir nicht:
Wladislaw mag von Hus gewusst, er mag von ihm, namentlich vor
seiner Verurtheilung, eine günstige Meinung gehabt haben ; aber mehr
darf aus den angeführten Thatsachen nicht gefolgert werden. Hus
') A. Prochaska Szkice Historyczne (Krakau und Warschau 1884)
151—203.
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 447
selbst hat im Jahre 1412 seine gegen den päpstlichen Ablass gerich-
tete Schrift auch nach Polen geschickt, also daselbst Freunde besessen
und gesucht. Geheime Anhänger und Gönner hatte er nach K. Sig-
munds Aussage bei seinem Tode ausserhalb Böhmens, wie in andern
Ländern, so namentlich auch in Polen. Aber noch heute gilt, was
J. Caro in seiner Geschichte Polens (III, 511) sagt; wir haben keine
genügenden Mittel den Umfang der Verbreitung zu bemessen, die das
Hussitenthum in Polen gewonnen hat. Für die Jahre von 1415 bis
1420 hören wir viel mehr von der Gefahr, die droht, als von dem
wirklich bereits erfolgten Einbruch der hussitischen Ketzerei. Wenn
demnach diejenigen, die im Jahre 1420 Wladislaw von Polen die böh-
mische Krone anboten, mit seiner Hinneigung zur hussitischen Lehre
und der Verbreitung des Hussitismus gerechnet haben sollten, so haben
sie (darin ist Caro *) beizupflichten) schlecht gerechnet. Von wem ist
aber die polnische Kandidatur zuerst aufgestellt worden und ist die
Thatsache überhaupt gut bezeugt, dass wir ihr so frühzeitig, bereits
im April 1420, begegnen ?
In Böhmen ist die Verbrennung des Hus noch mehr als dem
Koncil K. Sigmund zur Last gelegt worden und dies hat ihn beinahe
die Krone gekostet. Bis an sein Lebensende musste er um sein Erb-
recht kämpfen. Unter den Hussiten hat sich gegen ihn ein Hass fest-
gesetzt, der bei allen ihren Parteien zu finden war, obgleich nicht bei
allen in gleichem Masse ; am stärksten ist er wohl bei Johannes Zizka
gewesen. Dagegen hat der utraquistische Hochadel so lange als mög-
lich an Sigmund festgehalten. An seiner Spitze stand nach dem Tode
K. Wenzels (August 1419) Czenko von Wartenberg, der Oberst-
burggraf. Er hat dann einigemal die Partei gewechselt, dem Zwange
der Verhältnisse folgend. Zuerst ist er im April 1420 von Sigmund
abgefallen. Und bald darauf wäre Wladislaw die böhmische Krone
angeboten worden.
Von der Senduug des Werner vonRankow, einer sonst, wie
es scheint, uns gänzlich unbekannten Person, berichtet eine einzige
Quelle, die Polnische Geschichte des Johanne s Dlugosz. An sich
ist die Thatsache nicht unmöglich ; ihre Annahme oder Verwerfung
acheint aber von der Glaubwürdigkeit des Berichterstatters abzuhängen.
Und da gebieten die Ergebnisse der bisher an seinem Werke geübten
Kritik ein gewisses Mass des Misstrauens, so dass wir uns nur ungern
seiner Führung allein überlassen möchten. Palacky ist ihm ohne Be-
denken gefolgt, dagegen ist bei Tomek von der Sendung Werners
*) III, 517.
448 Jaroslaw Goll.
nichts zu finden; Caro l) äussert sich skeptisch . . . Die Frage ist
nicht ohne Interesse; es gilt nicht dem Gesandten, sondern dem Ab-
sender. In ihm wäre der Urheber der polnischen Kandidatur zu finden.
Dlugosz erzählt2): In opidum Kowalye Wladislao, Poloniae rege,
ex Brzeszcze divertente, Czenkonis de Warthemberg et Ulrici de Ro-
zenberg caeterorumque Bohemiae baronum nuntius Wernerus de Ran-
kow advenit, qui literis credentialibus exhibitis, exponit et quaeritur
. Es folgt die Inhaltsaugabe seiner Rede: K. Sigmund habe in
Breslau die böhmischen Barone beleidigt, als er ihrer Bitte, die Re-
gierung von Böhmen zu übernehmen (de suscipiendo Regno Bohe-
mico) Bedingungen entgegensetzte — fractionem videlicet muri in ci-
vitate Pragensi et omnium armorum traditionem. . . . Dies haben wir
aber nicht lange vorher ausführlicher gehört. Dlugosz lässt nämlich
nach Breslau ausser Czenko von Wartenberg auch Ulrich von Rosen-
berg und andere Herren, so wie die Prager Konsuln kommen. Auf
ihre Bitte, die von ihnen (die Barone werden dabei nicht ausgenommen)
fussfällig vorgetragen wird, lautet die Antwort des Königs, er wolle
seinen Einzug in die Hauptstadt des Landes durch die Bresche, die
man in der Stadtmauer legen solle (velut triumphator — bemerkt da-
bei Dlugosz), halten, ausserdem hätten die Prager alle Waffen abzu-
liefern ... So weit Dlugosz. Wenn wir dagegen unseren verläss-
lichen Gewährsmann, Lorenz von Brzezowa3) befragen, so er-
fahren wir, dass dies allerdings geschehen ist, aber vorher und später
und dabei doch nicht genau so, wie Dlugosz berichtet. Die Barone
hatten es nicht nöthig, Sigmund erst als König anzuerkennen oder
sich seine Gnade zu erbitten; anders die rebellischen Prager. Ihre
Gesandten haben den König zu Ende des Jahres 1419 in Brunn, be-
vor er nach Breslau kam, knieend um Gnade gebeten und auch Ver-
zeihung erlangt; doch sollten sie vor allem die Ketten, welche die
Strassen der Stadt sperrten, niederlegen . . . Und dieses Gebot des
l) III, 517. Die ganze Stelle lautet: „Wenn es in der That wahr sein sollte,
was der polnische Berichterstatter mittheilt, dass schon gegen Ende des Monats
April 1420 unter der Hand beim König Wladyslaw Jagiello angefragt worden
sei, ob er die Krone von Böhmen anzunehmen geneigt wäre, so müssen entweder
die Böhmen sich einer unrichtigen Beurtheilung des Königs und der polnischen
Verhältnisse überlassen haben, oder die Sache mag vielmehr von einer Seite aus-
gegangen sein, die nicht sowohl die Förderung, als eher die Unterdrückung des
Hussitenthums gewünscht hat.« — Palacky^ u. a. halten Czenko von Warten-
berg für denjenigen, von dem die Sache ausgegangen ist.
2l Opera omnia IV, 261.
s) MeineAusgabe inFontes rerum bohemi caruinV (1893)S.353 u. 3G9.
K. Sigmund und Polen 1420 — 1436. 449
Königs ist dann auch erfüllt worden. Später, als sich das Unwetter
von allen Seiten zusammenzog und Czenko von Wartenberg von Sig-
mund abgefallen, aber auch wieder zu ihm zurückgekehrt war, im
Mai 1420 in Kuttenberg, lagen abermals die Prager vor dem König
auf den Knieen um Verzeihung für alles bittend, was, seitdem sie ihn
in Brunn begrüsst, geschehen war ; er möge nach Prag (sie selbst
bieten es an) „ non solum valvis apertis, sed et muribus ruptis " kommen.
Und erst jetzt bekommen sie die Bedingung zu hören , sie sollen die
Ketten, aber auch alle Waffen abliefern . . .
Ich weiss nicht, warum Dlugosz dies alles nach Breslau verlegt
und ob er dieses Gemenge von Wahrem und Falschem irgendwo vor-
gefunden hat oder ob es von ihm selbst herrührt; jedenfalls ist sein
Bericht unhaltbar und damit fällt auch Werners Kede in Kowali. Dlu-
gosz hat an dieser Stelle sich selbst ausgeschrieben. Die Freiheit der
antiken Historiker selbstverfasste Rede einzuflechten , die als Beispiel
so viel Unheil in der historischen Literatur angerichtet, nimmt er auch
für sich in Anspruch. Hier haben wir ein Beispiel. Werners Kede
ist demnach zu streichen. Aber mit ihr noch nicht alles übrige.
Dlugosz ist 1415 geboren. Die eigene Erinnerung konnte ihm
hier noch nichts bieten, wohl aber die Erinnerung anderer. Indes hat
er hier wahrscheinlich auch eine schriftliche Quelle vor sich gehabt,
Werners Credenzbrief. Er selbst macht uns darauf aufmerksam:
nach Vorweisung seines Credenzbriefes (literis credentialibus exhibitis)
habe der Gesandte den König so und so angeredet. Dieser Quelle
konnte er auch die Absender entnehmen, Czenko von Wartenberg,
Ulrich von Rosenberg und „andere Herren", die aber nicht genannt
werden. Dies sind auch die Aussteller jenes Manifestes vom 20. April
1420 ), des Absagebriefes an Sigmund, nur dass in diesem noch die
Prager hinzutreten. In dem Credenzbriefe sind sie wohl nicht erwähnt
worden, denn Dlugosz lässt Werner nur im Namen der Barone sprechen.
Hat aber ihr Gesandte den König in Kowali gefunden, so ist es zwi-
schen dem 18. und 25. Mai (das ergiebt sich aus Wladislaws Itinerar)
gewesen und dies stimmt ganz gut mit dem Gange der Ereignisse in
Böhmen überein. Am 15. April ist Herr Czenko von Breslau nach
Prag gekommen, am 17. hat er sich den Pragern angeschlossen, am
7. Mai den Bund wieder gelöst und die Prager Burg der königlichen
Partei übergeben. Anfang Mai" mag Werner seine Reise nach Polen
augetreten haben.
l) Archiv Cesky 111,210. Auch hier werden nur Czenko und Ulrich nament-
lich aufgeführt und ihnen , andere Herren'' (jini päni) hinzugefügt.
llittheilungen XV. .)[)
450 Jaroslaw Goll.
Warum sich Czenko von Wartenberg nach seinem Abfalle von
Sigmund nach einem anderen Könige umgesehen, ist unschwer zu er-
rathen. Mit dem legitimen König sollte nicht das Königtum fallen-
Und wer sonst wäre geeigneter gewesen Sigmund zn verdrängen und
zu ersetzen als Wladislaw von Polen? Abgesehen von den nationalen
Sympathien, die Freundchaft zwischen ihm und Sigmund hatte soeben
in Breslau ihr Ende gefunden. Herr Czenko war in Breslau gewesen,
er kannte die Lage der Dinge, wie sie sich soeben gestaltet hatte, er
wusste, dass fortan mit der Feindschaft der beiden Könige gegen ein-
ander zu rechnen wäre.
Wie einst (1410) K. Wenzel, so hat sich im Jahre 1420 Sigmund
auf den Boden der früheren Verträge gestellt und Samogitien dem
Deutschen Orden zuerkannt.
Die Zeitgenossen Karls IV. Olgerd und Keistut haben in brüder-
licher Eintracht Lithauen gegen den Orden vertheidigt und dem Fort-
schritt seiner Herrschaft ein Ziel gesetzt. Dann nach Olgerds Tode kam
der innere Zwiespalt, in den der Orden hineingezogen wurde und ein
vertragsmässiges Anrecht auf Samogitien, die Brücke zwischen Preussen
und Livland, gewann. Jagello und Witold haben es beide dem Orden
angeboten für die Hilfe, die er dem einen gegen den anderen leisten
sollte, und auch, nachdem ihr Zwiespalt aufgehört hatte, haben beide
durch den Vertrag von 1404 das Recht des Ordens anerkannt.
Der Orden hat dann Samogitien bis 1410 wirklich besessen . . . Aber
Lithauen wollte Samogitien trotz der Verträge wiedergewinnen, der
Orden dagegen auf Grund derselben behaupten. Der Krieg im
Jahre 1410 ist ein Krieg um Samogitien . . . Inzwischen hatte
für Lithauen und Polen eine neue Zeit begonnen ; durch ihre Union
war ein polnisch-lithauisches Keich entstanden. Es stand unter zwei
Herrschern, dem König und dem Grossfürsten; jener war der Ober-
herr, dieser die bedeutendere, mächtigere Persönlichkeit. In der aus-
wärtigen Politik überwogen die lithauischen Motive. Jetzt ging auch
der lange Friedensstand zwischen Polen und dem Orden, der auf dem
Frieden von Kaiisch (1343) begründet war, zu Ende . . . Der Friedens-
vertrag von Thorn (1411) hatte Samogitien nur für die Lebenszeit
Wladislaws und Witolds dem Orden abgesprochen; nach ihrem Tode
sollte es diesem ausgeliefert werden. Der kurze Krieg vom J. 1414
schloss mit einem Waffenstillstand; den Frieden sollte im Jahre 1420
der Schiedsspruch Sigmunds bringen. Indem er ihn fällte, griff er auf
den Friedensvertrag von Thorn zurück. Und wie sollte er anders?
Sigmund war Römischer König, der künftige Kaiser. Die Traditionen
seiner Stellung* geboten ihm den Orden zu schützen. Und das hatten
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 451
auch die deutschen Fürsten von ihm verlangt l) ; um diesen Preis haben
sie ihm in Breslau Hilfe gegen seine böhmischen Bebellen zugesagt
und dann geleistet. Und auch auf die päpstliche Kurie musste Rück-
sicht genommen werden ; ihre wechselnde Gunst hatte sich diesmal
dem Orden zugewendet.
Den Polen hat Sigmunds Schiedsspruch eine grosse Enttäuschung
bereitet. Wladislaw und Witold, besonders der Grossfürst, sind für
die nächsten Jahre seine Feinde geworden.
Man hat mitunter den Breslauer Schiedsspruch als einen Fehler
Sigmunds bezeichnet. Mit Recht oder Unrecht — was möchte dieser
Vorwurf anderes bedeuten, als dass ohne diesen Fehler die Kandidatur
Wladislaws und dann Witolds unmöglich gewesen wäre? . . . Hat aber
nicht Sigmund trotzdem wie von den deutschen Fürsten, so auch von
Wladislaw von Polen im Jahre 1420 Hilfe gegen die Hussiten er-
halten? Es lohnt sich vielleicht, auf die Behauptung, dass es so ge-
wesen sei, näher einzugehen.
Wohl darf man sagen, König Sigmund sei doch besser gewesen
als sein Ruf. Wenigstens scheinen auch für ihn bei den Historikern
bessere Tage zu kommen. Wir besitzen bereits ein zusammenfassen-
des Urtbeil, das nicht gar so ungünstig lautet 2) und auch von ein-
zelnen Vorwürfen ist er hie und da entlastet worden. Diese Vorwürfe
sind oft alten Ursprungs ; wohl der schwerste ist bei Aeneas Sylvius
zu lesen: wäre Sigmund mit dem Heere, das er gegen die Türken ge-
sammelt hatte, sofort nach Wenzels Tode nach Böhmen gezogen, er
hätte das ganze hussitische Unheil im Keime erstickt. „At dum ille
Turcos lacessere parat, Bohemiam amisit et Huugariam non defendit" . . .
Diesen Vorwurf hören wir auch von Dlugosz (IV, 234); er hat ihn
von Aeneas Sylvius übernommen und K. Wladislaw bei seiner Zusam-
menkunft mit Sigmund, die nicht lange nach Wenzels Ableben statt-
fand (September 1419), in den Mund gelegt. Jener Vorwurf kehrt
hier als ein Rathschlag wieder, den der König von Polen seinem Freunde
giebt, dieser aber zu seinem Schaden nicht annimmt. Wir können
getrost die billige Weisheit auf ihre Quelle zurückleiten und die ganze
Stelle bei Dlugosz streichen, aber nicht den Rath allein, sondern mit
ihm auch die Anerbietung Wladislaws, seinem Freunde zu dem Feld-
zuge nach Böhmen, zu dem er ihn drängt, Hilfstruppen zu stellen. In
') Vgl. die Schreiben der Kurfürsten an K. Sigmund (1419) Reichstags-
akten VII, 375 und 397. Das erste Schreiben enthält eine Bitte, das zweite
eine sehr entschiedene Forderung zu Gunsten des Ordens.
2) Th. Lindner Deutsche Gesch. unter den Habsb. und Luxemburg, II.
29*
452 Jaroslaw Goll.
der Folge bat sich Sigmund nie auf diese angebliche Anerbietung,
sondern nur auf ihr bisheriges Freundschaftsverhältniss berufen, wenn
er von Wladislaw Hilfe gegen seine böhmischen Kebellen verlangte.
Hat sie dieser im Laufe des Jahres 1420 doch nicht gewährt?
Auf Lorenz von Brzezowa, der unter den Angehörigen aller mög-
lichen Völkerschaften, die er bei der Belagerung von Prag aufzählt,
auch die Polen nicht auslässt, ist in diesem Falle nichts zu geben; wo
alle kamen, durften sie auch nicht fehlen. Jedenfalls wären es frei-
willige Kreuzfahrer, aber nicht königliche Hilfstruppen gewesen. Diese
hat Sigmund „aus dem Lager von Prag" verlaugt, aber nicht erhalten.
Auch seine abermalige Bitte, die er nach seiner zweiten Niederlage im
November 1420, nicht ohne Vorwürfe, an den ehemaligen Freund
richtete, ist unerhört geblieben. Und eigentlich ist dieses Schreiben
mehr Vorwurf, als Bitte *). Sigmund wusste schon längere Zeit, was
ihm von Polen drohe.
Es ist nöthig, nochmals auf Werners Empfang in Kowali (Mai
1420) zurückgreifend, den Faden der Begebenheiten, wie ihn Dlugosz
weiterspinnt, zu verfolgen. Nicht er, sondern die Neueren sprechen von
geheimer Unterhandlung, von Anfragen „unter der Hand; in der Quelle
tritt Werner ganz offen auf. Er verkündet, die böhmischen Barone
hätten Wladislaw bereits zu ihrem Herrn und König gewählt und ihre
feierliche Gesandtschaft werde demnächst (paucis post diebus) anlangen ;
nur möchte er, der Gesandte, im Voraus seinen Willen und seine Mei-
nung hören . . . Eine solche Wahl hat aber in Böhmen nicht statt-
gefunden, also hat sie Werner in Kowali nicht verkündet, er hat aber
auch die Ankunft der Gesandten nicht angezeigt: ein Grund mehr,
seine ganze Ansprache zu verwerfen. Und damit fällt auch die Ant-
wort des Königs, die — übrigens ganz vernünftig — eine definitive
Entscheidung erst nach der Ankunft der angemeldeten Gesandtschaft
verspricht. Ein Keichstag beräth dann im Voraus, was zu thun und
zu lassen wäre, und alsbald kommt die angekündigte und erwartete
Gesandschaft. Sie wird von Wladislaw in Wolborz — nach dem könig-
') Sigmund beklagt die Lockerung der bisherigen Freundschaft und dass
Wladislaw ihm die Hilfe, zu der er auf Grund derselben gleichsam verpflichtet
war, nicht gewährt habe : et inde fraterna nobis subsidia, que quasi cuiusdam
debiti nomine sorciuntur, subtraxit Vestra Fraternitas (Codex Witoldi S. 499).
E. Brandenburg K.Sigmund undFriedrich 1. vonBrandenburg (Berlin
1891) S. 103 und 107 missversteht den Ausdruck, wenn er behauptet, Wladislaw
habe die gewünschten Hilfstruppen bewilligt, später aber die Polen aus dem
Kreuzheere abberufen.
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 453
liehen Itiiierar wäre es um den 1. August 1420 gewesen *) — em-
pfangen, (IV, 266). Mit Hynek de Walsten — es ist Herr Hynek von
Waldstein, auch von Goldstein oder Kolstein genannt — an der Spitze
besteht sie aus 6 Mitgliedern. Das Exordium der Ansprache mit In-
vektiven gegen Sigmund stimmt dem Inhalte nach mit hussitischen
Manifesten 2) überein. Dann folgen Erwägungen, die vortrefflich der
Lage der Dinge, wie sie sich in Folge des Breslauer Spruches gestaltet,
entsprechen : jetzt haben die Böhmen und Polen denselben Feind —
Sigmund! Der König erklärt, vor allem müsse Witold gehört werden
und Herr Hynek mit einem anderen Boten begiebt sich zu ihm nach
Lithauen, während die übrigen in Nepolomice bei Krakau verbleiben;
und hier erhalten sie von K. Wladislaw, ohne .dass wir von Witold
weiter hören, eine ganz bestimmte abweisende Antwort (November
1420) und werden verabschiedet . . .
In Dlugoszs Erzählung hängt alles sehr pragmatisch zusammen
und alles hätte sich so, wie er erzählt, ereignen können. Die „innere"
Kritik, wenn sie es nicht gar zu genau nimmt, könnte ihm nicht viel
anhaben ; käme ihr nicht die „ äussere ■ zu Hilfe, also der Zufall, dass
noch andere Quellen sich erhalten haben, wir müssten für immer das
von Dlugosz Gehörte nacherzählen. Und es ist auch lange nacher-
zählt worden — abermals ein Gemenge von Wahrem und Falschem.
Beides zu scheiden ist erst Prochaska (1877) und Tomek (1879) ge-
lungen, während Palack^ sich mit Bedenken gegen Einzelnes begnügte3).
Bei? Dlugosz fliessen zwei Dinge zusammen : eine kurze Eeise des Hynek
von Kolstein nach Polen im Sommer 1420 und der lange Aufenthalt
der grossen Gesandschaft daselbst, die aber Böhmen erst zu Ende dieses
Jahres verlassen hat.
Von Hyneks Eeise im Sommer 1420 wissen wir wenig4). Seine
Sendung galt der Königsfrage 5) ; er hat dem König wahrscheinlich
') E. Brandenburg 105.
2) Und zwar aus dem Jahre 1421 ! Unter anderen wird schon jetzt Sigmund
vorgeworfen, er hätte die böhmische Königskrone mit sich nach Ungarn ent-
führt. Bekanntlich hat der König Böhmen erst im J. 1421 verlassen. Und den-
noch lässt Prochaska den Hynek v. Kolstein im Sommer 1420 alles nachsprechen,
was er bei Dlugosz findet.
3) Schon 0. Grünhagen (Hussitenkämpfe der Schlesier 41) und noch mehr
Bezold (K. Sigmund und die Reichskriege gegen die Hussiten 1,60) sind im
Jahre 1872 dem wahren Sachverhalt ziemlich nahegekommen.
4) Die Reise ergibt sich aus der Verbindung einer Stelle in Brezowas Chronik
S. 447 mit Palacky Urkund. Beitr. I S. 45.
5) Brzezowa a. a. 0.
454 Jaroslaw Groll.
die vier Artikel vorgelegt l), er ist damals vielleicht auch nach Li-
thaueu zu Witold gekoniuien 2). Dies ist alles. Es geht eben uicht au,
wie es meist geschieht, dasjenige, was Dlugosz von der anticipirten
grossen Gesandtschaft erzählt, auf ihn zu übertragen. Erst mit dem
2. Februar 14*^1 gewinnen wir bei dem polnischen Historiker festen
Boden (IV, 271). Damals befand sich wirklich Hynek von Kolstein
mit anderen in Lithauen, in Worany; hier wurden sie von Wladislaw
und Witold empfangen. Auch ohne Dlugosz möchten wir es aus ur-
kundlicher Quelle 3) erfahren. Dlugosz erzählt allerdings auch hier
alles umständlich, als ob er dabei gewesen wäre. Er weiss zu viel.
In Worany (so lautet diese Erzählung) wird die Krone erst dem
König, dann, nachdem er abgelehnt, dem Gross fürsten
augeboten und von diesem angenommen... Es wäre dies ein Spiel
mit aufgedeckten Karten gewesen, wenn Witold diese Antwort gegeben
hätte. Nicht aus Liebe zu den Böhmen, sondern aus Hass gegen Sig-
mund (in odium Sigismundi) möchte er sich dazu entschli essen ; nur
müssen jene sich der Kirche vollständig unterwerfen und von den vier
Artikeln, von der „Pest" ihres Irrthums lossagen. . . Dann geschieht
lange nichts. Erst im August 1421 kommen nach Lublin zum Land-
tage der König und sein Vetter, aber auch die Böhmen (IV, 274).
Die angeblich im November 1420 in Nepolomice, im Februar 1421 in
Worany ertheilte Antwort ist vergessen. Vorausgesetzt, dass die Böhmen
sich mit der Kirche versöhnen wollen, wird einer von beiden, Wla-
dislaw oder Witold, die Krone annehmen, doch wenn auch Sigmund,
der ihrer drei besitzt, sich derselben freiwillig entäussert ; aber auch
gegen seinen Willen, wenn nur der Papst einwilligt4). Und so wer-
den die Gesandten verabschiedet ... In all dem ist viel Dichtung und
etwas Wahrheit.
Wahr ist, dass dem König Wladislaw von Polen in Worany
J) Palacky Italienische Reise 61.
2) S. S. 464, 1. Anm.
3) Palacky ÜB. 1,92. Allerdings gehört diese „Zuschrift an die Prager aus
Krakau" nicht erst in den Monat Mai 1421.
4) In eo casu (wo Sigmund abdankt) posset alter ex nobis (Wladislaw oder
Witold) vestris anuere preeibus et regni Bohemiae suseipere regimen. Sed et vobis
errores . . . deserentibus, etiam in eventum, quo Sigismundus rex difficilem se
in cedendo monstraret, non dubitamns (sede tarnen apostolica consulta et con-
sentiente) . . . vestrum regnum aeeeptare. — Dies wäre eine zweifach bedingte,
unbestimmte (Wladislaw oder Witold) Zusage gewesen und Caro (111,524) hat
den Sinn dieser Antwort kaum richtig wiedergegeben, wenn er sagt: »Auf den
im Sommer 1421 in Lublin abgehaltenen Reichstage soll er (Witold) den Böhmen
K. Sigmund und Polen 1420— 143G. 455
die höhmische Krone angetragen worden ist und dass er sie in Lublin
abgelehnt hat. Dies erfahren wir aus einem Schreiben, das Wla-
dislaw im Juli 1422 an die deutschen Kurfürsten gerichtet hat und
in dem wir lesen : J) ... Equidem diffiteri non possumus, . . . quod
nuncii Bohemorum ad nostram venerant presenciam, offerentes uobis
regnum cum corona Boemie et ad sua nos postulantes presidia; quos
in primis sprevimus auspiciis (in Worany) et tandem importuue a
nobis hec per eos exigentibus in convencione generali tocius milicie
nostre (in Lublin), quam tunc pro eisdem principaliter negociis in
ununi conduximus, iterum nos ardue pro recepcione et subsidiis suis
petiverunt . . . Nos vero . . . desideria eoruni, prout ante, contempsi-
mus ... * Warum verdient aber das königliche Schreiben den Vorzug
vor Dlugoszs Erzählung ? Allerdings enthält er nicht lauter Wahrheit :
Sigmund Korybut ist im Jahre 1422 nach Böhmen als Witolds Statt-
halter nicht ohne Wissen und Willen Wladislaws, wie hier behauptet
wird, gekommen. Aber der König hatte kein Interesse zu läugnen,
was sich ohnehin nicht abläuguen Hess (diffiteri non possumus), —
dass die Böhmen zuerst ihm die Krone angetragen haben. Dass er
sie in Lublin abgelehnt hat, beweist der weitere Verlauf. So geschieht
es schliesslich auch bei Dlugosz, d. h. Wladislaw nimmt die Krone
nicht an, aber es geschieht anders. Eigentlich wären die Böhmen,
wenn Dlugosz Recht hätte, in Lublin arg betrogen worden.
Auf Grund dessen, was der Landtag beschlossen (vigore recessuum
Lublinensis diaetae IV, 275) begeben sich bei Dlugosz im Namen des Königs
und des Königreiches Johannes von Tarnow und Zbigniew Olesznicki
zu Sigmund nach Ungarn, wo sie jedoch, statt die Abtretung Böhmens
zu fordern, die Unterwerfung der Hussiten durch die Vermittlung oder,
wo nöthig, mit Beihilfe der Polen anbieten. Aber nicht umsonst. Was
sie fordern, ist Kriegshilfe gegen den Deutschen Orden, eventuell —
wer sollte es glauben ! — die Abtretung Schlesiens. Sigmund antwortet
mit einem Gegenantrag. Er bietet Wladislaw — der König ist ge-
rade Witwer — seine Tochter und Erbin oder lieber Wenzels Witwe
Sophie — mit Schlesien als Mitgift an ! Ob dafür die Polen gegen
die Hussiten Hilfe leisten sollten, ist in Dlugoszs Erzählung nicht ge-
sagt. Die Heirath des königlichen Witwers wird hier zur Hauptsache,
der dann die Unterhandlungen in den nächsten Monaten gelten ....
eine vollkommen abschlägliche Antwort gegeben haben.« Aber mit Recht trägt
er Bedenken (vgl. auch E. Brandenburg 130) hier Dlugosz sich anzuschliessen,
wie es Prochaska und auch Tomek thun.
') CW. pag. 1069.
^^ß Jarpslaw Goll.
Die Abordnung Tamowskis und Olesznickis ist eine auch sonst be-
kannte Thatsaclie. Aber Caro (IV, 525) kann sich auch hier nicht
zum Glauben an das Ganze, das aus , trübster Quelle" komme, ent-
schliessen, solange nicht „urkundliche Beweismittel" gefunden wer-
den. Und deunoch lässt er dann von seiner Strenge etwas nach: viel-
leicht habe eine Fraktion des politischen Adels, namentlich Zawisoh
von Garbow, den Plan gefasst, durch die Heirath des "Königs und für
die Beihilfe gegen die Hussiten Schlesien zu gewinnen; und auch
Witold habe sich diesen Plan gefallen lassen.
Urkundliche Quellen über die Unterhandlungen mit Sigmund nach
dem Landtag von Lublin sind nun vorhanden, obgleich nicht in reich-
lichem Maasse, jenes Schreiben Wladislaws an die deutschen Kurfürsten
und ein zweites jüngeren Datums (April 1423) 1). Aus anderen,
ebenfalls urkundlichen Quellen wissen wir, dass von 1420 an zwischen
Sigmund und Wladislaw Unterhandlungen gepflogen wurden, die die
Giltigkeit oder Abänderung des Breslauer Schiedsspruchs betrafen und
durch die der Ausbruch des zwischen Polen und dem Deutschen Orden
drohenden Krieges aufgehalten wurde. Die deutschen Kurfürsten hatten
den Spruch, so wie er lautete, gefordert, jetzt bestanden sie auf seiner
Giltigkeit 2) . . . Jene beiden Schreiben aus den Jahren 1422 und 1423
belehren uns aber, dass die Polen nach dem Lubliner Landtag ihre
Cooperation gegen die Hussiten in der That angetragen haben. Um
welchen Preis ? Dies wird in ihnen nicht gesagt, aber der ganze Ver-
lauf der Dinge seit 1420 macht es sehr wahrscheinlich, dass sie die
Aufhebung oder Abänderung des Breslauer Schiedspruchs gefordert
haben 3) ; dann wäre aber auch begreiflich, warum Sigmund ihren An-
trag abgelehnt hat. Die Ablehnung selbst ist in jenen Schreiben be-
zeugt. So wäre denn auch hier der Verlauf viel einfacher gewesen,
als in Dlugoszs Erzählung : ihr gegenüber mag Caros Forderung auch
weiterhin gelten 4). Auch Dlugosz hat jene Fragen nach Motiven und
Zielen der polnischen Politik, welche die Neueren so sehr beschäftigen,
gekannt und er hat sie in seiner Art beantwortet — in den Reden,
») a. a. 0. 585.
2) Reichstagsakten VIII, 10—13.
3) Vgl. auch das Schreiben des Hochmeisters an K. Sigmund v. Juni 1421
CW. 19 über Unterhandlungen, die bereits vor dem Landtag ihren Anfang ge-
nommen haben und bei denen Zawisch von Garbow thätig war. Die Hauptfrage^
von der alles abhängt, ist immer die, wem schliesslich Samogitien zufallen
werde.
4) E. Brandenburg (S. 133—134), der hier dem Dlugosz keinen Glauben
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 457
die er die handelnden Personen halten lässt. Weder Protokolle über
die Sitzungen des königlichen Rathes und schriftliche Aufzeichnungen
der Ansprachen und Erwiderungen, noch mündliche Tradition, auch
nicht Memoiren anderer, sind seine Quellen gewesen.
Gewiss hat Witold in Worany den Böhmen nicht ins Gesicht ge-
sagt, er sei geneigt, die Krone „in odium Sigismundi" anzunehmen.
Und doch hat Dlugosz auf diese Art das Grundmotiv seiner und auch
der polnischen Politik nicht unrichtig gekennzeichnet. Nur ist es
kein grundloser Hass gewesen.
Die nationalen Sympathien haben auch in diesen Jahren fortge-
dauert, sofern sie, wie bei Dlugosz, Abscheu gegen die böhmische
Ketzerei nicht erstickte; das Hussitenthum hat unter den Polen in
seinen antiklerikalen Tendenzen, selbst in seinen religiösen Elementen
Freunde gefunden : die polnisch-lithauische Politik jener Jahre ist aber
vor allem überall durch das Verhältniss zum Deutschen Orden be-
stimmt worden. Zwei so entfernte Länder wie Böhmen und Samogitien
sind dadurch in Verbindung gebracht worden. Man wäre versucht zu
behaupten, das Schicksal des letzteren sei auf den böhmischen Schlacht-
feldern entschieden worden.
II. Die Kandidatur Witolds.
Mit der den Böhmen in Lublin ertheilten Antwort (Aug. 1421)
ist die Kandidatur Wladislaws endgiltig abgethan. Aber an seine
Stelle tritt Witold, der Grossfürst von Lithauen.
Wenn in dem königlichen Schreiben an die Kurfürsten vom
Jahre 1422 behauptet wird, erst nachdem der König sie abgewiesen,
hätten sich die Böhmen an Witold gewendet, so ist es nicht ganz
schenkt, behauptet dennoch, Wladislaw habe durch seine Gesandten K. Sigmund
ein Bündniss vorgeschlagen, wonach er dem Römischen König mit aller Macht
gegen die Hussiten helfen, dieser aber hinwiederum Polen gegen den D. Orden
bis zu dessen völliger Vertreibung unterstützen solle. Und zwar soll dies ein
Schreiben Sigmunds an den Hochmeister v. 2. Oct. 1421, das Voigt VII, 396 er-
wähne, beweisen. Aber bei dieser Beweisführung ist übersehen worden, dass
dieses Schreiben nach dem Regest in CW. 573 erst dem nächsten Jahre (1422)
angehört.
458 Jaroslaw Goll.
richtig. Es ist die Verninthuug aufgestellt worden, diese hätten bei
Anbietung der Krone von vornherein an den Grossfürsten gedacht
und die Unterhandlungen mit dem Könige nicht ernstlich gemeint l) :
aber auch dies stimmt mit den Quellen und dem ganzen Verlauf der
Dinge doch nicht überein. Wahr ist, dass die Verhandlungen mit den
Grossfürsten noch vor dem Abschluss der mit dem König geführten
begannen. Ueber ihren Verlauf wissen wir nicht viel.
Es gibt auch da Fragen, die zu Vemiuthungen, da bestimmte
Antworten nicht möglich sind, Anlass gegeben haben. Neuere sprechen
mitunter von Parteien, in die sich die Polen damals getheilt hätten;
bei Dlugosz und in den urkundlichen Quellen sind sie nicht zu finden.
Nur in dem oft. erwähnten Schreiben des Königs vom Jahre 1422
finden wir die Nachricht, die böhmischen Gesandten selbst hätten um
die Berufung des Landtags, der dann in Lublin zusammentrat, gebeten,
„credentes, ut coram illa multitudine, quam sibi putaverunt affavere,
votis eorum deberemus acclinari" — eine Andeutung, wo es damals
Freunde der Böhmen trotz oder gerade wegen des Hussitismus ge-
geben haben mag. Im Rathe des Königs, in den entscheidenden Kreisen
hören wir nicht von ihnen. Witold mag da seine Freunde und An-
hänger gehabt haben, obgleich wir auch davon für diese Zeit nichts
bestimmtes wissen 2) : für das, was er wollte, hat er den König durch
seinen persönlichen Einfluss gewonnen 3).
König Wladislaw bewahrte seiner lithauischen Heimath treue An-
hänglichkeit bis an sein Lebensende. Dort pflegte er regelmässig einen
Theil des Winters als Witolds Gast zu verbringen und sich dabei dem
Jagdvergnügen hinzugeben. Es wurde zu Schlitten gejagt, denn in
Lithauen war wie für Krieg so für Jagd der Winter die rechte Zeit,
wenn Sumpf und See zufroren . . . Als der König in diesem Winter
kam, stand der Entschluss des Grossfürsten bereits fest, was aber noch
fehlte, war seine Einwilligung. Zu Ende des Jahres 1421 sollten die
') Caro III, 517, 518. Neuerdings wieder gebilligt von Brandenburg 104.
2) Vgl. Smolka 199. Was da vom Schlüsse des Jahres 1420 gesagt wird, gilt
auch vom Jahre 1421 ; wenigstens haben wir keinen Grund etwas anderes anzu-
nehmen. Dass der Kanzler Jastrzebiec ein entschiedener Anhänger Witolds, auch
in der Königsfrage, wie sie sich im Laufe des Jahres 1421 entwickelte, gewesen
sei, ist nicht bewiesen.
3) Darüber belehrt uns das Schreiben des Komthurs von Dünaburg vom
2. Jan. 1422 (CW. 539), dessen Diener soeben aus Lithauen zurückgekommen
war. Was er brachte, hatte er von Monwid, dem Kapitän von Wilna vernommen.
Die , Ketzer « baten Witold, »dat er her bescherner und er her wesen wolde.
Dis wolde Witovt sik eer gerne underwinden und wolde er her wesen, dis en
wil de Koninck von Polen nicht steden. «
K. Sigmund und Polen 1420 — 1430'. 459
Unterhandlungen ihren Abschluss finden ; böhmische Gesandte, wahr-
scheinlich ein Best der grossen Gesandschaft, die sich nach Polen be-
reits zu Anfang des Jahres begeben hatte, befanden sich in Lithauen.
Damals oder bald darnach ist die fehlende Einwilligung des Königs
hinzugekommen.
In Böhmen ist der erste Antrag, wie wir wissen, von Czenko von
Wartenberg ausgegangen ; er ist der Urheber der polnischen Kandi-
datur gewesen. Seinen Plan haben dann die Prager und ihre Ver-
bündeten wieder aufgenommen.
Die Verbündeten Prags, mit deren Hilfe die Hauptstadt im Som-
mer 1420 die grosse Belagerung glücklich bestanden hat, sind die be-
waffneten „Gemeinden" (communitates) gewesen. Vom Süden sind die
Taboriten, vom Nordwesten die Schlaner, Launer und Saatzer, vom
Osten des Landes die Orebiten gekommen, mit einer Ausnahme unter
Anführern ritterlichen Standes. Die böhmischen Herren standen da-
mals noch bei Sigmund. Hynek Kruschina von Kumburg, der Anführer
der Orebiten, hatte sich wieder zurückgezogen. Nur Herr Hynek von
Kolstein hat sich an der Verteidigung Prags betheiligt. Im Auftrage
der Hauptstadt und ihrer Hilfsgenossen ist er dann nach Polen ge-
gangen. Seine Sendung ist wahrscheinlich von den zwölf Hauptleuten
beschlossen worden, die von Prag und den Gemeinden gewählt, die
Vertheidigung der Stadt geleitet hatten; einer von ihnen ist sicherlich
(ausdrücklich ist es nicht bezeugt) Johannes ZiZka gewesen.
Die böhmischen Herren hatten während der Belagerung Prag
mit K. Sigmund versöhnen wollen ; aber ohne Erfolg. Sie harrten
auch dann bei dem König aus und haben in der Schlacht vor dem
Wyschehrad (1. November 1420) für ihn gekämpft und geblutet. In der
Reihe seiner Gegner standen damals ausser Hynek von Kolstein, der
zurückgekommen war, Hynek Kruschina (er führte den Oberbefehl) und
Viktorin Bocek, der Vater des späteren Königs Georg von Podebrad.
Von diesen Verbündeten Prags aus dem Herrenstande ist wohl nicht
lange nach der Schlacht der Antrag ausgegangen, eine Gesandschaft
nach Polen zu senden und K. Wladislaw die Krone anzutragen. Am
14. November hat die Versammlung der Prager Gemeinde mit ihnen
und anderen berathschlagt und den Antrag gebilligt trotz des Wider-
spruchs, der von Nikolaus von Hus ausgieng, dem zweiten — neben
Zizka — Häuptling der Taboriten, der mit einer geringen Anzahl der-
selben nach Prag gekommen war und in der Schlacht mitgefochten
hatte. Nicht Zizka, wie Dlugosz fälschlich behauptet :), sondern er
') IV, 267.
4(30 Jaroslaw G o 1 1.
ist ein Gegner dieser Kandidatur gewesen; ihn und nicht jenen Laben
die Zeitgenossen für des höchsten Ehrgeizes fähig gehalten, der nach der
Krone trachtet. Damals erklärte er, nur ein König-Landsmann möchte
der Gesinnung der Taboriten entsprechen 1). Er war demnach kein
Gegner des Königthums ; auch stand er, wenn er so dachte , wie er
sprach, kaum allein. Ein Dichter, wenn das Wort erlaubt ist, hat da-
mals seinen Landsleuten zugerufen an Stelle des verhassten Sigmund,
„dieses Gezüchtes aus deutschem Samen", einen König zu wählen, „der
Treue, Liebe zum Lande hätte". Er hatte wohl einen Herrscher ein-
heimischer Abstammung im Sinne 2).
Als Kandidaten der Taboriten dürften wir aber Nikolaus von Hus
keineswegs betrachten. Die Zeit der ersten enthusiastischen Erregung
war noch nicht vorüber ; in Erwartung des himmlischen Reiches auf
Erden dachten diejenigen, bei denen die chiliastische Schwärmerei (und
solche gab es auch unter den Taboriten) noch anhielt, an keinen ir-
dischen König. Nikolaus von Hus gehörte nicht zu ihnen . . . Mit
seinem Widerstand gegen die polnische Kandidatur drang er nicht
durch; Hynek von Kolstein besiegte ihn mit Hilfe des abwesenden
Zi2ka, indem er der Versammlung die frühere Vereinbarung, der zu
Folge er selbst nach Polen gegangen war, vorlegte: Johannes Zifcka
hatte dieselbe mit dem Insiegel der Taboriten bekräftigt . . . Die Ab-
sendung der Gesandschaft wurde am 14. November 1420 beschlossen,
aber erst am Ende des Jahres ausgeführt. Diese Verzögerung hat
wohl Nikolaus von Hus bewirkt. Aber ein Unfall — er stürzte vom
Pferde — hat ihn dann auf das Krankenlager geworfen; er starb am
24. Dezember 1420 und Tags darauf trat die grosse Gesandtschaft die
Reise an. Sie bestand aus zwei Angehörigen des Herrenstandes, Hynek
von Kolstein und Alsso von Riesenburg, dem Ritter Johannes Hlas
von Kamenic und einer Anzahl von Prager Bürgern; zu ihr gehören
auch die Magister Johannes Kardinal und Peter Payne, der Englän-
1) Die Erzählung des Lorenz von Brzezowa (S. 447) lautet : Item feria V
post Martini congregata communitate Pragensi curn Crussina, Boczkone et Hyn-
kone, dominis ac regni baronibus, concludunt, ut legacio soleinpnior, quam ante
missa fuerat, ad regem Polonie pro acceptando regno et legis dei defensa expe-
diatur, quam quidem legacionem Nicolaus de Hus inpedire volens dixit, nun-
quam fuisse voluntatis Thaboritarum, ut alium quam regnicolam in regem eli-
gant. Et cum per sigillum Thaboritarum, quod Ziska cum Pragensibus et aliis
communitatibus unanimi assensu litere super hoc confecte inpresserat, pro mit-
tenda legacione ad regem Polonie fnit per dominum Hynkonem deductum, Nico-
laus Hus per amplius predictam legacionem impedire non valuit, sed tacens re-
murmuravit . . .
2) Palacky, Gesch. v. B. III. 177 und Dejiny III, 1 S. 428"
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 4(31
der (Englis) *) ; die Taboriten, obgleich Zizka sich damals in Prag be-
fand, waren in ihr nicht vertreten.
Der Beschluss, der also zur Ausführung gelangte, hatte gelautet,
der König von Polen sei zu ersucheu, die Krone und die Verthei-
digimg des „göttlichen Gesetzes" zu übernehmen. Der Antrag war also
an eine Bedingung geknüpft. Was aber bestimmt verlangt wurde, er-
fahren wir verlässlich nicht. Erwartete und verlangte man etwa, K.
Wladislaw werde die vier Artikel annehmen und selbst Hussite wer-
den? Keinesfalls wollten diejenigen, die ihm die Krone anboten, einen
König gewinnen und dafür ihren Glauben aufgeben. So viel steht
sicher: im Jahre 1421 ist in Krakau über den Glauben verhandelt
worden. Die beiden Magister, die mit der Gesandschaft gekommen
waren, wollten die vier Artikel in einer akademischen Disputation er-
klären und vertheidigen ; dazu haben sich aber die polnischen Bischöfe
und die Universität nicht herbeigelassen 2). Und dennoch wurde jenen
Gehör gegeben. Es geschah wahrscheinlich, wie zehn Jahre später
(1431), in einer Versammlung von polnischen Prälaten und Magnaten,
so wie Mitgliedern der Hochschule, wohl in Anwesenheit des Königs
und in seiner Burg. Damals ist von den hussitischen Magistern das
stolze Wort vernommen worden : nicht um belehrt zu werden, sondern
um andere zu belehren, seien sie gekommen3).
Während die Gesandten in der Fremde weilten, winkten in der
Heimath dem Utraquismus neue Siege, so dass König Sigmund sich
erst nach Mähren und dann nach Ungarn zurückzog. Der katholische
') Tomek IV, 128. — Den Alsso von Wrestow und Riesenburg finden wir
nur bei Dlugosz. Seine und des Lorenz von Brzezowa Angaben hat Tomek aus
anderen Quellen ergänzt. Wenn Dlugosz (IV, 266) sagt, die Gesandten seien ,a
Kruschina et Boczkone caeterisque Bobemiae baronibus destinati« gekommen, so
bat er vielleicht diese Namen einem Credenzbrief entnommen.
*) Dass die von Palacky (Italienische Reise S. 108) mitgetheilte »Intimacio
Hussitarum « und die ablehnende Antwort des Rektors nicht der Disputation
des J. 1431 vorangegangen ist (Caro IV, 24), geht schon darum hervor, dass 1431
wohl Payne, aber nicht auch Johannes Kardinal in Krakau sich befand.
3) Palacky ÜB. 1,325. Im Jahre 1424 sollte eine ,Audiencia* stattfinden:
die Polen vermittelten. Und da erinnerten die Räthe K. Sigmunds daran, die
Böhmen seien schon früher ohne Erfolg , gehört« worden; erst vor Prag (d. h.
während der Belagerung im Sommer 1420) und dann in Krakau : secundo ha-
buerunt (audienciain) eciam in Cracovia coram dominis prelatis, baronibus regni
Polonie ac magistris et doctoribus universitatis Cracovie. Wozu nochmals sie
hören ? . . . . Timendum est, ne sint tante pertinacie, ut pocius confidant nos
docere quam doceri. Quem ad modum dixerunt in audiencia prehabita Cracovie,
quia cum confunderentur per catholicos, dixerunt, quod venerant informare et
non informari.
462 Jaroslaw Goll.
Landfriedensbund des Pilsner Kreises musste einen Waffenstillstand
eingehen; im Nordwesten und im Osten des Landes schien der Kelch
zur Alleinherrschaft gelangen zu sollen. Kuttenberg, die zweite Stadt
Böhmens, war gewonnen. Im Juni 1421 räumte die königliche Be-
satzung die bis dahin vertheidigte Prager Burg . . .
Diese Erfolge trug Prag mit seinen Verbündeten davon. Es hatte
die Führung: auch Zifcka und die Taboriten standen in einer gewissen
Unterordnung. Man kann sagen, dass Prag die Kegentschaft führte,
gleichsam an des Königs statt, der noch fehlte . . . Nach der Nieder-
lage, die Sigmund unter dem Wyschehrad erlitten hatte, nahm auch die
Anzahl der Herren fortwährend zu, die sich von ihm lossagten und
Prag anschlössen; auch Czenko von Wartenberg sah sich dazu ge-
nöthigt. Im Lager von Jaromef (Mai 1421) hat er bekannt, „ gegen
Gott und die Prager Gemeinde" gesündigt zu haben, und hat „Gott
und die Prager Gemeinde um Verzeihung" gebeten. Die erbetene Ver-
zeihung ist ihm durch den Mund des Johannes von Seelau, des „Pre-
digers", verkündet worden, der, indem er zwischen den hussitischen
Parteien eine mittlere Stellung einnahm, sie damals beherrschte, ein
Demagog und doch zugleich ein Staatsmann *).
Von der Stadt Prag ist auch die Berufung des Landtags ausge^
gangen, der in der ersten Juniwoche 1421 zu Öaslau zusammentrat.
Er umfasste alle diejenigen, die sich zum Kelche bekannten oder be-
kehrten. Es kam der Erzbischof Konrad, es kamen böhmische Herren
wie Ulrich von Kosenberg, die sich eben erst von Sigmund lossagen
sollten, obgleich zwischen dem genannten Herrn und den Taboriten
bereits vor längerer Zeit ein Waffenstillstand verabredet worden war,
es kam eine Anzahl mährischer Herren mit ihrem Landeshauptmann an
der Spitze 2). Es kamen aber auch Gesandte K. Sigmunds. Was er
durch sie anbot, war eine vorläufige Gewährung der vier Artikel und
ein Waffenstillstand zwischen den beiden grossen Parteien des Landes,
was er verlangte, seine allgemeine Anerkennung als König und Erb-
herr. So viel erreichte er nicht; was aber erfolgte, war auch nicht
dasjenige, was schon im Zuge war und dem ganzen Verlauf der Dinge
seit seiner Niederlage im November 1420 entsprochen hätte, nämlich
der definitive Abfall aller, die die vier Artikel hielten und annehmen
') Dies ist eigentlich die Auffassung Palackys. Tomek sieht überall nur
den Demagogen.
2) Es ist Wilhelm von Pernstein gewesen (Brezowa S. 985). Wenn bei Pa-
lacky und Tomek an seiner Stelle Peter von Straznic als Landeshauptmann von
Mähren erscheint, so ist es durch den fehlerhaften Test von Brzezowas Chronik
zu erklären ; nur eine Handschrift hat das Richtige.
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 463
und die Ausrufung eines anderen Königs. Der Beschluss der böh-
mischen Stände, der diese eudgiltige Lossagung für alle Zukunft aus-
sprach, wurde nämlich durch die Einschaltung einer Klausel gemildert,
die weitere Unterhandlungen mit Sigmund doch nicht ausschloss *),
den Mährern aber eine Frist bewilligt, in der sie zur Verwahrung ihrer
Ehre den König absagen sollten a). Dies alles war doch eine Kon-
cession von Seiten derjenigen, die Sigmund schon früher den Gehorsam
gekündigt hatten, und stand auch nicht im Einklang mit der Kandi-
datur Wladislaws von Polen, ein Widerspruch, der durch die Erklä-
rung der böhmischen Herren, die Beschlüsse des Landtages sollten der-
selben keinen Eintrag thun3), nur verdeckt, aber nicht ausgeglichen
wurde. Der Anschluss des Hochadels, der bevorstehende Beitritt der
Mährer hatten eine neue Situation geschaffen. Aber der weitere Fort-
gang war doch ein anderer, als man hätte erwarten können.
In Caslau wurde für Böhmen eine Kegentschaft von 20 Mitglie-
dern eingesetzt, die an des Königs statt die Regierung führen sollte 4).
Aber Prag Hess sich dadurch aus der Stellung, die es einnahm, nicht
verdrängen. Es stand bereits in Unterhandlungen mit Witold und
setzte dieselben auch nach dem Landtage fort und ohne Rücksicht
darauf, dass die Unterhandlungen mit Wladislaw noch nicht abge-
schlossen waren.
Hynek von Kolstein war vielleicht schon im Jahre 1420 mit Wi-
told iu Berührung gekommen5); im Jahre 1421 hat er wahrschein-
lich bald nach der ersten ablehnenden Antwort Wladislaws (in Worany)
von den Pragern besondere Aufträge erhalten; im Juni, unmittelbar
') Palacky Gesch. v. B. III, 223. Als spätere Einschaltung verräth sich diese
Klausel dadurch, dass sie den Artikel in zwei Theile spaltet, deren Zusammen-
hang noch zu erkennen ist. Die Klausel selbst ist nicht neu, da wir sie bereits
in der Urkunde des Erzbischofs vom 21. April (ÜB. I, 79) finden.
2) Die mährische Urkunde s. Archiv C. VI, 398; in ihr wird die sofortige
Annahme der vier Artikel und der Abfall von Sigmund in der Frist von sechs
Wochen zugesagt.
s) Diese Erklärung, die in den Beschluss nicht aufgenommen wurde , hat
nach Lorenz v. Brzezowa gelautet: quod ea, que in hac aguntur congregacione
legacioni pro rege Polonis ac Vitoldo facte in preiudicium esse non debent.
4) Lorenz von Brzezowa (S. 486) kennzeichnet die Stellung, die den Regenten
zugedacht war, mit den Worten : qui sede vacante regni regia negocia prout rex
potestatem habeant pertractare ; nach Toinek (IV, 177) unrichtig und im Wider-
spruche mit dem Landtagsbeschluss und mit den Verhältnissen, die dann ein-
traten. Das zweite ist wahr; aber den Regenten war doch eine höhere Stellung
zugedacht, als sie dann thatsächlich einnehmen.
6) In dem gleich zu besprechenden Schreiben der Prager heisst es, mit Wi-
told sei »per crebros nuncius et legatos" unterhandelt worden;
464 Jaroslaw Goll.
nach dem Landtage, ist er zurückgekommen 1). Eine aunalistische Auf-
zeichnung meldet uns den Tag — es ist der 10. Juni — an dem er
und ein anderes Mitglied der grossen Gesandtschaft, der Prager Bürger
Mikesch Hrdonka. in der Hauptstadt anlangten. Mit ihm war aber ein
Gesandter Witolds, Wyszek Raczjnski, gekommen. Was er brachte,
sagt eine andere Quelle 2).
') In dem von Palacky (ÜB. I, S. X) erwähnten Formelbuch der Kanzlei der
Stadt Prag findet sich ein Credenzbrief der Prager für Hynek von Holstein an
Wladislaw und der Anfang eines anderen an Witold (Gedruckt von Pelzel in den
Abhandl. der B. Gesellsch. d. VViss. 1786). Sie gehören wahrscheinlich in das
Jahr 1421 und sind Hynek v. Kolstein nachgesandt worden, nachdem er bereits
von dem König und, vorausgesetzt, dass der zweite Credenzbrief mit dem ersten
gleichlautend war, auch von dem Grossfürsten empfangen worden war (qui, ut
accepimus, se Vestre Clemencie representavit obtutibus).
2) Der überaus wichtige Liber Cancellariae Stanislai Ciolek,
dessen Ausgabe wir J. Caro verdanken (Archiv f. öst. Gesch. B. 45 (1. Theil) und
52 (2. Theil), enthält (I, N. 52) ein Schreiben der Prager an Witold. Wie auch
bei anderen Stücken des Formelbuches ist die Benützung durch den Mangel des
Datums, das hier aber bereits vom Herausgeber ergänzt wurde, durih den oft
fehlerhaften Text und in diesem Fall auch durch den schwulstigen Stil (man hat
das Schreiben oft als »poetisch* bezeichnet) einigermassen erschwert. Es sei ge-
stattet die wichtigsten Stellen hier zu citirtn und zugleich einige Emendationen
vorzuschlagen, wobei die bisherigen Lesarten in Klammern beigefügt werden
sollen) :
. . . dumque severo (? sero) seveque (seneque) necis officio pii prineipis . . .
(gemeint ist K. Wenzel) essemus orbati solacio et multiplieibus lacessiti iniu-
riis, incommodis afflicti bellorumque sudoribus fatigati, Vestre Magnificencie ve-
nerabilem personam . . . per crebros nostros nunecios et legatos requisivimus ob-
secrantes, quatenus celsi regalis solii Boemorum honoris et oneris dignaremini
suseipere nobilissimum dyadema pro tutela legis Christi eandem pye observan-
cium, quam revera ipse universorum dominus suo sanetissimo protulit ore, vita
practieavit et manu ac suorum diseipulorum (dolorum) predicacione solerti per
orbem terrarurn diffusam innotuit . . . Quibus utpote racionabilibus fidelium
votis . . . rite pensatis V. S. talis Celsitudo, prout relacione veraci et illaritate
plena omnium gaudiorum nobilis viri Wischconis Raczinsky . . . didieimus, cle-
menter annuit et se ad subeundum pondus tanti regiminis et regalis fastigii ob-
tulit graciose ad tutandum legem domini, regendum iuste et fortiter gubernan-
dum gentem inclitam Boemorum tamquam Christiane legis zelator preeipuus et
Boemie lingwagii prestantissimus fautor et fidelis protector, de cuius quidem . . .
proposito exhilarati, ... et plus, quam valemus edissere grati, ex animo V. S.
Excellenciam humiliter exoramus, eiusdem sincere voluntatis affectum desidera-
tum ad effectum (cod. des. affectum) maneipari dignemini . . . vestre (vestro)
virtutis victoriose (victoroso) brachium nostrum in presidium et auxilium susci-
tantes, ne rex ille . . . Sigismundus . . . confinia eiusdem regni nostri adierit et
dampna inferat gemebunda, scientes, quod adventu V. S. nedum nostrum (nos)
sed baronum et militarium plenus et fidelis consensus una cum toto regno, velud
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 465
Nicht unmittelbar hören wir Kaczynskis Botschaft; aber wir ver-
nehmen doch ihren Widerhall in einem Schreiben der Prager an Wi-
told. Was ist darin gesagt? Die Prager sind entschlossen, niemand
andern (also auch nicht Sigmund oder Wladislaw) als ihren Herrn
und König anzuerkennen, sie sind bereit bis zu seiner Ankunft Sig-
mund Korybut, dessen Sendung Baczyriski in Aussicht stellt, als Ver-
weser des Königreiches (gubernator regni) Gehorsam zu leisten . . .
Und was erwarten sie von ihrem künftigen Herrn und König? Die
Bestätigung ihrer und des Landes Kechte und Privilegien. Doch
steht diese Forderung nicht au erster Stelle. Der Schutz des Gesetzes
Christi (tutela legis Christi) ist und bleibt für sie die Hauptsache ;
und nicht allein die Freiheit (libertas), sondern auch die Beobachtung
(observancia) desselben d. h. durch Witold selbst, denn in ihm er-
blicken sie — nach einem damals beliebten Ausdruck — den „ zelator
legis Christiane precipuus "... Hat aber der Grossfürst in der That
durch seinen Boten dies alles so bestimmt zugesagt? Wenn wir schon
hier sein späteres Verhalten überblicken, so müssen uns darüber Zweifel
aufsteigen, ausser wir möchten annehmen, er habe die Prager wissent-
lich getäuscht. Zu diesem Vorwurf sind wir aber nicht berechtigt.
ad ortum fulgentis aurore tenebre fugabuntur, velud (et velud) ad christianissi-
muni, piissimum dominum exultabunt in plenitudine gaudiorum de pyetatis Vestro
clemencia non hesitantes, quin honor huiusmodi regni sub umbra alarum ve-
strarum . . . fideliter protegetur, vestreque pyetatis clemencia id ipsum regnuni
velnd quoddam viridarium electum inter agros cura (rura) reget precipua et dis-
ponet, geminis virtutis ac fidei nitore necnon legis divine in quatuor articulis
katholicis ac aliis veritatibus scripturarum sacrarum rite probatis consistenti(s) . . .
libertate et observancia decorabit, , . . nosque . . . circa consuetudines laudabiles,
iura et privilegia ac emunitates votaque alia V. S. tempore et loco oportuno
offerenda et explananda tenebit et conservabit graciose: parati enim sumus . . -
ducem Sigismundum . . . nobis pro gubernatore regni, ut ab eodeui domino
Viscone accepimus, dirigendum suscipere sibique omni subieccionis obediencia
subesse, vestrum . . . usque ad adventum nulluni alium preter Vestre Celsitu-
dinis Serenitatem pro domino et rege acceptando. — Das von Palacky aus dem
in der vorigen Anmerkung erwähnten Fomelbuch in ÜB. I. S. 121 abgedruckte
kurze Schreiben ist kein Auszug aus einem Passus des längeren (Caro LC. II, S. 96
Anm.), sondern eher der erste Entwurf, der aber nicht abgesandt worden ist. Er
enthält 1) bei aller Kürze mehr, da hier neben Raczyriski auch Kolstein genannt
wird, und 2) etwas anderes, denn während in dem längeren Schreiben gesagt
wird, Witold sei sper crebros nunccios et legatos* ersucht worden, die Regierung
von Böhmen zu übernehmen, lesen wir in dem anderen, er habe sich dazu bereit
erklärt, „ubi nulla meritorum nostrorum causa precesserat, nullaque noticia no-
stre subieccionis pervenit*. Was ist als wahr anzunehmen? Die Wahrheit liegt
wohl in der Mitte. Eine förmliche Anerbietung der Krone ist schon deswegen
kaum vorhergegangen, weil die Unterhandlungen mit Wladislaw noch dauerten.
Mittheilnngen, XV. 30
466 Jaroslaw Goll.
Wenigstens hat Witold weder damals noch später sich durch schrift-
liche Zusagen l) gebunden. Aber hat nicht sein Bote mehr gesagt, als
er sollte? Baczynski ist in der Folge selbst Hussite geworden; er hat
in Böhmen eine neue Heimat gefunden und sich hier schliesslich an
die Beste der Taboriten gehalten, die Sigmund auch nach Abschluss
der Kompaktaten nicht anerkannten: im Jahre 1437 hat er auf dem
hohen Galgen, der für Bohäc von Dubä auf dem Prager Marktplatz
errichtet ward, gleichzeitig mit ihm, nur etwas niedriger als er, sein
Leben geendet. Er mag sich und die Prager im Jahre 1421 getäuscht
haben, wenn seine Ankunft Erwartungen weckte, die dann nicht in
Erfüllung gehen sollten . . . Die hussitische Bewegung hat mitunter
noch viel später unerfüllbare Illusionen hervorgerufen ; ist doch Prokop
nach Basel gegangen in der Hoffnung, das Koneil werde für sich und
die Christenheit die vier Artikel annehmen.
Palacky^ erblickt in Johannes von Seelau und seinen Anhängern
diejenigen, die sich der „Berufung eines Königs aus der Fremde"
widersetzt hätten 2) ; er wäre demnach ein Gegner des Königthums
überhaupt und insbesondere der lithauischen Kandidatur gewesen. Aber
Hynek von Kol stein habe dennoch, nachdem die Hoffnung Wladislaw
zur Annahme der Krone zu bewegen geschwunden war, ohne grosse
Schwierigkeiten für dieselbe eine Partei gewonnen, sowohl unter dem
Adel als in Prag selbst . . . Den Andeutungen, die wir in den Quellen
o-efunden haben, möchte dies nicht entsprechen. Wahrscheinlich ist
Hynek der eigentliche Urheber der lithauischen Kandidatur gewesen,
da er in der Lage war, die Aussichtslosigkeit der polnischen frühzeitig
zu erkennen, oder vielmehr er und Witold selbst: aber ist jene nicht
gerade von Prag zuerst auf- und angenommen worden? Wohl ist der
Priester Johannes der Vertreter der Demokratie gewesen, aber diese
schliesst bekanntlich das monarchische Prinzip 3) nicht aus , und ist
1) ÜB. I, 287 (Witolds Schreiben an die Böhmen 1423).
2) In der böhmischen Bearbeitung seiner Geschichte III3, 2 S. 118. — Aehn-
lich Tomek (IV, 179), der aber meint, Johannes von Seelau hätte damals seine
wahre Gesinnung noch verborgen. Dies scheint allerdings ein anonymes Schreiben,
ein Stimmungsbericht vom April 1421 (Archiv Cesky III, 300) zu bestätigen, aber
wie ist dann das Schreiben der Prager zu erklären? Uebrigens haben Palacky
und Tomek das längere Schreiben in dem L. Canc. nicht gekannt.
3) In dem Schreiben der Prager gelangt es in der hier fortgelassenen Ein-
leitung zum kräftigen Ausdruck: Gott habe überall in den Ländern Könige ge-
setzt, Böhmen sei aber seit Wenzels Ableben verwaist. Sigmunds Erbrecht wird
demnach nicht anerkannt, während der Öaslauer Beschluss der Böhmen eigentlich
sagt, er habe sich desselben unwürdig gemacht (znehodnil). Bekanntlich ist Jo-
hannes von Seelau von Anfang an ein heftiger Gegner Sigmunds gewesen.
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 467
gleich seine Macht iu Prag im Juni noch nicht so gross gewesen, wie
sie es im Juli durch die Vereinigung der Alt- und Neustadt zu einer
Gemeinde werden sollte, so ist doch schwer zu glauben, jenes Schreiben
an Witold sei ohne sein Wissen oder gegen seinen Willen verfasst
worden. Eineu hussitischen König hätte sich wohl auch der Prediger
Johannes gefallen lassen 1). Ein eigentlicher Beweis dafür ist aller-
dings nicht möglich ; man kann nur Vermuthung gegen Vermuthung
stellen und abwägen. Auch der weitere Verlauf wirft für uns kein
genügendes Licht auf das zurück, was vorangieng, sondern vermehrt
nur die Schwierigkeiten der Forschung. Was zunächst folgte, erzählt
uns Lorenz von Brzezowa, doch in einer sehr ungenügenden Weise.
Auf Veranlassung Ulrichs von Rosenberg und Czenkos von Warten-
berg sollte am 17. August ein Landtag in Böhmisch Brod zusammen-
treten, was aber Johannes von Seelau zu hintertreiben suchte. Er war
voll Misstrauen gegen den Hochadel und namentlich gegen die beiden
Herren. Schon früher, bald nach dem Caslauer Landtag, hatte der
Priester Ambrosius, der in Königgrätz eine ähnliche Stellung wie Jo-
hannes in Prag einnahm, den Czenko von Wartenberg des Verrathes
angeklagt, weil ein Zug über die Grenze, nach Schlesien, unterblieben
war 2), jetzt erklärte der Prediger , jene Herren wären Verräther und
ungetreue Anhänger der Wahrheit 3) ; nicht mit Unrecht, denn beide
sind alsbald wieder Sigmund zugefallen . . . Johannes, von Anfang an des
Königs entschiedenster Gegner, mochte wohl befürchtet haben, der Land-
tag könnte einen ihm günstigen Beschluss fassen. Allerdings, war er
ein Feind der lithauischen Kandidatur, dann hat er mit dem Landtag
die Wahl Witolds vereiteln wollen 4). Indess ist der Landtag doch zu-
stande gekommen, und zwar zu Kuttenberg, und hat Anfangs September
beschlossen, den Grossfürsten als König anzuerkennen und durch eine
') Auch dies stimmt mit der mittleren Stellung überein, die Johannes zwischen
den Parteien einnahm, dass in dem Schreiben das »göttliche Gesetz* nicht auf die
vier Artikel beschränkt wird, sondern zu diesen »andere schriftgemässe Wahr-
heiten« hinzutreten.
2) Brzezowa 491. Vgl. Grünhagen 53.
s) pretactos dominos (ich beziehe mit Toniek dies auf die beiden früher
namentlich angeführten Herren) asserens fore traditores ac infideles nee veritati
sincere servientes (Brzezowa 509).
4) Tomek (IV, 196) vermuthet, es sei vielleicht eine Reorganisation der Re-
gentschaft durch den Landtag beabsichtigt worden und dies habe er nicht zu-
lassen wollen, während Palacky (Dejiny III, 2 S. 120) die Opposition des Predi-
gers gegen diesen mit der Kandidatur Witolds in Verbindung bringt: er habe
befürchtet, die Wahl eines Königs könnte eine Reaktion zu Gunsten eines Aus-
gleichs mit der Kirche herbeiführen.
30*
468 Jaroslaw Goll.
Gesandtschaft um baldige Uebernahme der Regierung zu bitten. Von
Bedingungen, von Forderungen wird dabei in der einzigen Quelle, die
wir besitzen, nicht berichtet 1).
Die Gesandschaft bestand ausschliesslich aus Angehörigen des
böhmischen! Ritterstandes mit Wilhelm Kostka von Postupic, der im
Jahre 1414 mit den Polen gegen den Deutschen Orden gefochten
hatte, an der Spitze; sie ist nach Ueberschreitung der Landesgrenze
in die Gefangenschaft des Herzogs Hans von Troppau und Ra-
tibor gerathen, ohne dass dadurch alle Verbindung mit Lithauen auf-
gehört hätte. Im Oktober 1421 kam eine Gesandschaft des Gross-
fürsten nach Prag; im November hat dann eine Versammlung der
Prager Geistlichkeit, die zu einem andern Zwecke berufen worden, be-
rathen und beschlossen, wie auf seinen Vorschlag, den wohl jene Ge-
sandschaft überbracht hatte, zu antworten wäre.
Der Vorschlag hatte auf Abhaltung einer Disputation (audiencia)
über die vier Artikel gelautet. Darauf war die im Prager Karolinum
tagende Versammlung einzugehen bereit. Nur wollten die Utraquisten
vor den Gegnern nicht etwa wie Angeklagte vor dem Richter, der das
Urtheil fällt, erscheinen; sie wollten disputiren, vertheidigen, beweisen,
überzeugen. Sollten sie unterliegen (ein Ausgang, den sie übrigens für
unmöglich erklären), so würden sie sich fügen; siegen sie, dann soll
zwar nicht die ganze Gegenpartei, wohl aber Witold selbst die vier
Artikel annehmen. Die Disputation sollte irgendwo in Böhmen, Polen
oder Lithauen stattfinden, den Massstab dabei das Evangelium und
die Praxis der ersten Kirche abgeben . . . 2).
') L. v. Brzezowa 510: . . . nichil aliud concluserunt, nisi quod barones
dirigant suam ad magnum ducem . . . ambasiatam, quod eum in dominum et
regni sui regem suscipiunt petentes, ne negligat regno Boemie appropinquare.
2) Von Witolds Gesandtschaft berichtet Brzezowa 516. Sie sollte die Böhmen
zu einem Zuge gegen Hans von Troppau aufordern. Palacky III, 2 S. 258 spricht
hier von dem lauen Benehmen der Prager und sucht die Ursache derselben in
Johannes von Seelau, der sich nicht ohne Terrorismus in der Hauptstadt der
Diktatur (so könnte man es bezeichnen) bemächtigt hatte. Unsere Quelle lässt
auch eine andere Erklärung zu: ex hac tarnen legacione nondum aliquid factum
est, sed capti nuncii Sigismundo ... per ducem Oppavie sunt presentati d. h.
ehe etwas geschah, waren schon die Gesandten ausgeliefert. — Das Schreiben des
Magister inLC.II, N. 54. In ihm ist statt reddendum abiectibus wohl »respon-
dendum obieccionibus « zu lesen. Die Utraquisten wollen nicht »stare sentencie dif-
finitive aut decreto dei et nostrorum emolorum, qui easdem veritates summas in
celum ponentes perperam et de effectu contempnunt. — Die für Basel giltige Ver-
abredung (ÜB. II, 282) sollte eine Abschwächung des hier eingenommenen Stand-
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 469
Es ist ein Unterschied zwischen dem Schreiben der Prager vom
Juni und der Antwort der Magister vom November 1421 : dort wird
die Annahme der vier Artikel dnrch Witold sofort, hier erst in der
Zukunft erwartet und von dem Ausgang einer Disputation abhängig ge-
macht. Die sonstigen Beschlüsse der Versammlung sind nicht im
Sinne des Predigers Johannes ausgefallen, obgleich er sich in seiner
Stellung auch dann behauptete; es ist aber möglich, dass in dieser
Frage die Parteien einträchtig waren . . . Nach dem Schreiben des Ma-
gister erhalten wir nur noch eine Nachricht : sie ist bereits erwähnt
worden: zu Ende des Jahres 1421 befanden sich böhmische Gesandte
in Lithauen, aber Witold hatte noch immer sein letztes Wort nicht
gesprochen.
Wir gelangen zu anderen Fragen und anderen Schwierigkeiten.
Was sind die Motive und Ziele von Witolds Politik gewesen? Eines
darf freilich mit grosser Bestimmtheit behauptet werden: den Aus-
schlag hat das Verhältniss zum Orden und zu Sigmund gegeben x).
Der von 1414 — 1420 währende Waffenstillstand wurde nach dem
Breslauer Schiedsspruch noch zwei Jahre (1420 — 1422) erhalten. Die
Vermittelung fiel dabei der päpstlichen Kurie und dem Kömi-
schen König zu, wobei Sigmund bis 1420 Polen, dann aber dem Or-
den näher stand ; zur Abänderung des Schiedsspruchs liess er sich nicht
bewegen 2). Und so war der Ausbruch des Krieges im Mai 1421 ganz
nahe ; damals hat der Grossfürst den Wyszek Eaczynski nach Prag ge-
sendet. Aber es gelang nochmals den Krieg abzuwenden, diesmal durch
Vermittelung des Kurfürsten Friedrich von Brandenburg, des früheren
treuen Dieners und nunmehrigen in Ungnade gefallenen Günstlings
Sigmunds, zu des Königs geringer Freude: er hätte lieber den Gross-
fürsten durch den Krieg beschäftigt gesehen und verlangte geradezu
vom Hochmeister die Kriegserklärung, wenn Wladislaw oder Witold
den Ketzern Hilfe gewähren sollten. Sigmund blieb noch immer
punktes bringen, da dort zu dem göttlichen Gesetze und der Praxis der primitiven
Kirche, die entscheiden sollen, noch die »concilia und doctores« hinzugekommen
sind.
J) In dem Schreiben an die deutschen Kurfürsten (Juli 1422 CW. 1068)
sagt der Grossfürst selbst, er habe Sigmund Korybut ,in displicenciam regis
Hungarie« nach Böhmen geschickt. Erinnert das nicht an das ,in odium Sigis-
lnundi« bei Dlugosz?
2) Schon mit Rücksicht auf die Kurfürsten (vgl. ihre Schreiben an den
Papst und die Kardinäle, Reichstagsakten VIII, 10 — 13), aber der König hätte
es damals nicht ungern gesehen, wenn der Orden selbst Samogitien aufgegeben
hätte, und der Hochmeister und seine Gebietiger waren zu diesem Opfer ent-
schlossen. (S. das Schreiben des Hochmeisters, Juni 1421 (CW. 519).
470 Jaroslaw Goll.
Mittler, wurde aber immer mehr zur Partei und Hess sich dennoch
nach dem Lubliner Reichstag zu weiteren Unterhandlungen mit Polen
herbei . . .
Auch die Kurie setzte ihre Vermittlungsversuche fort; vor Ende
des Jahres 1421 kam der Nuntius Antonio Zeno über die Alpen. K.
Sigmund war damit nicht zufrieden. Zwischen dem Römischen König
und dem durch sein Verdienst in seiner Einheit wiederhergestellten
Papstthum hatte sich alsbald die ihrer Vergangenheit entsprechende
Eifersucht gemeldet; dies zeigte sich auch in diesen Dingen, nament-
lich als es (nicht mit Unrecht) hiess, der Nuntius trete überall als
Freund der Polen auf. Die Sendung Sigmund Korybuts stand bevor ;
dies war kein Geheimniss mehr. Der Orden, so verlangte der König,
sollte vorbereitet bleiben.
Die Sendung Korybuts war das schliessliche Ergebniss der langen
Unterhandlungen. Und dabei hat Witold zwar nicht die Kurie, aber
doch den Nuntius für sich und seine Pläne gewonnen, obgleich dieser
nachträgliah den Auftrag erhalten hatte, ihn und Wladislaw von einer
Verbindung mit den Böhmen zurückzuhalten x). Der Kurie selbst hat
der Grossfürst in einem Schreiben vom 5. März 1422 „ das Programm
seiner böhmischen Politik " 2) vorgelegt. Das Schriftstück macht der
lithauischen Kanzlei alle Ehre; es zeigt die Meisterschaft des Stils in
dem, was gesagt, und noch mehr in dem, was verschwiegen wird.
Der Hussitismus wird durch Waffengewalt nimmermehr unter-
drückt werden können: wozu soll noch weiterhin christliches Blut ver-
gossen werden ? Davon geht Witold aus , den Scharfblick des Politi-
kers, der die Zukunft vorausberechnet, verrathend. Er will zwischen
den Böhmen und der Kirche vermitteln. Zu diesem Zwecke nimmt er
jene in seinen Schutz und wird Sigmund Korybut nach Böhmen
schicken. Die Kirche selbst (das verlangt der Grossfürst) möge für einige
Zeit ihre Sentenzen, namentlich die Verkündigung des Kreuzes gegen
die Böhmen aufheben und so Unterhandlungen zwischen ihnen und
der päpstlichen Kurie ermöglichen. Die Böhmen hätten versprochen
in den Schoss der Kirche zurückzukehren und sich dem Gehorsam des
päpstlichen Stuhles zu unterwerfen ; dies solle durch eine Gesandschaft
derselben an den Papst zustande kommen ; dazu hätten sie sich bereit
erklärt.
Unter welcher Bedingung? Das Schreiben Witolds spricht von
keiner. Sonder Zweifel — ein wohlberechnetes Schweigen, aber für
') Der Papst an Zeno, Dezember 1421 (Cod. Ep. sec. XV. II, S. 129).
2) Caro III, 529. — Das Schreiben Witolds an den Papst ÜB.. I, 186.
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 471
uns, die wir seinen Plänen nachgehen, eine nicht ganz leicht zu er-
gänzende Lücke. Indess liegt die Vermuthung nicht zu ferne, Witold
habe au keine bedingungslose Unterwerfung, die damals nicht einmal
von den gemässigtesten unter den Hussiten zu erwarten war l) , son-
dern an eine ähnliche Lösung des Konflictes der Böhmen mit der
Barche gedacht, wie später etwa die Kompaktaten bringen sollten; es
ist eben nicht unwahrscheinlich, dass derjenige, der die Nutzlosigkeit
des weiteren Kampfes erkannte, auch das schliessliche Ende desselben
voraussah.
Wenn die geplante Versöhnung der Böhmen mit der Kirche ge-
lungen wäre, Witold hätte dadurch (wie wir jetzt zu sagen pflegen)
einen „moralischen" Sieg über den Deutschen Orden davongetragen,
der sich eigentlich insoferne überlebt hatte, als es in seiner Nähe keine
Heiden mehr zu bekämpfen und zu bekehren gab (die letzten hatte
soeben der Grossfürst dem Christenthum gewonnen, die Samogitier,
dieselben, die trotzdem der Orden Lithauen wieder entziehen wollte).
er hätte sich auch um die Kirche verdient gemacht, nicht minder wie
wenn durch seine und Wladislaws Vermittelung die Union mit der grie-
chischen Kirche (er hatte sich früher, namentlich zur Zeit des Kost-
nitzer Konzils, damit Mühe gegeben 2) zustande gekommen wäre. Und
hat er dabei wirklich — das wäre das letzte und höchste Ziel seiner
böhmischen Politik gewesen — gleichsam als Lohn dafür die böh-
mische Krone ins Auge gefasst, etwa in der Art, wie Dlugosz inLublin
den Böhmen das Programm der polnisch - lithauischen Politik durch
die beiden Fürsten darlegen lässt? Dass er Samogitien bei Lithauen
erhalten wolle und deswegen sieh in die böhmischen Verhältnisse ein-
mische, das hat Witold den deutschen Kurfürsten offen gestanden 3);
Eine solche Erklärung in Bezug auf Böhmen (und wer sollte sie
erwarten ?) besitzen wir nicht ; aber der Papst verstand es so : fremdes
') Witold sagt zwar die Böhmen hätten per liier as et legationes ver-
sprochen, »qualiter . . . vellent ad sanctae et universalis ecclesiae gremium redire«,
aber damit kann auch nur das Schreiben des Magisters v. 12. Nov. 1421 gemeint
sein, in dem die Hoffnung ausgesprochen wird, die Folge der Disputation (eigent-
lich des Sieges der Utraquisten auf derselben) könnten sein .universalis ecclesie
unio et salus,. Später konnte Witold den Böhmen auch nichts bestimmteres
vorwerfen, als was wir in dem so unfreundlichen Schreiben, das er im J. 1423
an sie gerichtet hat, lesen: »promittebatis et spondebatis nobis, quam cito hoc
faceremus (gemeint ist die Sendung Korjbuts) , quod omnia ad unionem et ad
obedientiam et ad bonum finem deberent pervenire.« Das wäre eben nicht viel
gewesen.
-') Auf Vermuthungen und Hypothesen über einen Zusammenhang, in dem die
böhmische Politik Witolds mit diesen Bemühungen stehen sollte, gehe ich nicht ein.
8) CW. S. 1068.
472 J ar osla w Go 11.
Gut wolle Witold gewinnen1) . . . Indess hier kann weder die Aussage
des Papstes, noch Witolds Schweigen entscheiden. Die Quellen über
seine Unterhandlungen mit den Böhmen sind ungenügend, aber es ist
doch vielleicht kein Zufall, dass in ihnen nicht ausdrücklich gesagt wird,
der Grossfürst, der selbst nur davon spricht, er „nehme sie in seinen
Schutz", habe die böhmische Krone angenommen. Er selbst hat den
Titel „postulirter König", den man ihm in Böhmen gab, nicht ge-
führt. Wahrscheinlich möchten auch reichlicher fliessende Quellen
dasjenige nicht vollends aufklären, was an sich zweideutig war. Viel-
leicht hat es Witold nicht für unmöglich gehalten, darüber hinaus,
was er um jeden Preis wollte, noch mehr zu gewinnen; aber er ist
mit der Vorsicht und Zurückhaltung vorgegangen, die der unsichere
Ausgang gebot, die aber auch als Unaufrichtigkeit erscheinen könnte.
Witold hat nicht die Billigung des Papstes abgewartet; als im
Mai 1422 sein Schreiben vom 5. März nach Kom gelangte, stand Sig-
mund Korybut bereits auf böhmischem Boden. Martin V. hatte aber
schon früher Kunde erhalten, was geschehen solle, und billigte es
nicht 2) ; das , Programm " Witolds verwarf er, als es ihm bekannt
wurde, entschieden, seine Ermahnungen mit Drohungen begleitend, das
Kreuz werde auch gegen die Helfer der Ketzer gepredigt werden . . .
Und so geschah es, dass auch der Papst seine bisherige neutrale Stel-
lung verliess und selbst Partei wurde. Er hat das Benehmen seines
Nuntius nicht gebilligt : der Krieg in Preussen sollte im Namen Gottes
beginnen 3). Zum Kriege gegen den Orden war auch Witold ent-
schlossen. Er und K. Sigmund sind die eigentlichen Gegner; von
ihnen gehen die Impulse aus, die die anderen, den Orden und Polen,
in Bewegung setzen. Ohne das Drängen Sigmunds hätte jener Sa-
mogitien wahrscheinlich ohne Krieg geopfert und K. Wladislaw, hätte
ihn nicht der Grossfürst zurückgehalten, die Unterhandlungen noch
weiter fortgesetzt . . . 4). Im Juli 1422 begann endlich der Krieg.
') S. das Schreiben des Papstes an Witold v. 13. April Cod. Ep. sec. XV,
II S. 144 (dominacionis ampliande cupiditate) und v. 21. Mai 1422 ÜB. 1, S. 206
(aliena per iniuriam occupans).
2) S. sein Schreiben vom 13. April a. a. 0. Dass Witolds Schreiben vom
5. März erst im Mai nach Rom überbracht worden ist, geht aus ÜB. I, 199
hervor.
s) cum nostra benediccione Martin V an K. Sigmund , Juni 1422 ÜB. I
S. 214.
4) S. namentlich das Schreiben des Mag. Martin an K. Sigmund, Thorn,
11. Juni 1422 (ÜB. I S. 210), das Brandenburgs (S. 140) Behauptung, Wladislaw
sei unzweifelhaft entschlossen gewesen, gleich nach Ablauf des Waffenstillstandes
(14. Juli) den Feldzug zu beginnen, widerlegt. Brandenburgs Darstellung wird
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 473
Bald darauf ist in Nürnberg der deutsche Reichstag eröffnet wor-
den; der Zug nach Böhmen und bald auch der Krieg in Preussen bil-
deten den Gegenstand seiner Berathuugen und Beschlüsse. Ohne zwi-
schen Wludislaw und Witold einen Unterschied zu machen haben die
Kurfürsten von jenem die Rückberufung Korybuts l) und die Fort-
setzimg der Unterhandlungen mit dem Hochmeister gefordert. Als
dann die Nachricht von dem Ausbruch des Krieges kam, wurde der
Beschluss gefasst, sich des Ordens anzunehmen. K. Sigmund versprach
Hilfe von allen Seiten, voll Dankbarkeit gegen den Orden, der sich
„ um des Reiches und der Kirche willen in den Krieg gesetzt habe. ■ a)
Der Friede von Thorn (1411) hat dem grossen Siege, den das
vereinigte Polen-Lithauen davongetragen hatte, nicht entsprochen, aber
die Folgen der grossen Niederlage, die der Orden erlitten, zeigten sich
auch in den folgenden Kriegen (1414 und 1422). Sie waren von
kurzer Dauer : die Ritter wichen der offenen Feldschlacht aus, sich auf
Vertheidigung der festen Plätze beschränkend . . . Bereits vor Mitte
August begannen die kaum abgebrochenen Unterhandlungen wieder,
wozu Witold selbst den Anstoss gab; er hatte den Krieg gewollt, er
wollte aber auch den Frieden. Der Vertrag wurde am Melnosee am
27. September, dem Tage des h. Stanislaus, des polnischen Patrons,
geschlossen; die Polen gewannen dabei nur ein nicht bedeutendes
Grenzgebiet. Vor dem Kriege hatten sie alte, nicht vergessene An-
sprüche, namentlich auf Pommern, ja selbst das Kulmerland geltend
gemacht; sie sollten sich noch lange gedulden. Der Krieg vom Jahre
1422, wie die beiden vorhergegangenen (1410 und 1411), ist zu Gun-
sten Lithauens geführt worden. Endlich war diesem der Besitz Sa-
man in der Regel billigen können, so weit sie sein Eauptthema betrifft, aber
nicht überall, wo böhmische und polnische Verhältnisse behandelt werden.
') Witolds Schreiben v. 5. März 1422 hat nach Rom der Kanoniker Martin
überbracht als sein und Wladislaws Gesandter. Durch ihn hat der König dem
Papste sagen lassen, wie dieser dann in seinem Schreiben v. 21. Mai (ÜB. 1,208)
erinnert, ,Serem Tuam non esse prohibiturum, quin in suo regno Polonie sti-
pendiarii in Boemiam profecturi conducantur nomine Alexandri ducis«. Wenn
der König es dann wieder und wieder in Abrede stellte, ohne Glauben zu finden,
so geschah nur das, was Martin V. ihm voraussagte : quod si fieri permiseris,
numquam persuadebis hominibus, te huius consilii expertem esse . . . Dennoch
hat Wladislaw neuerdings bei Brandenburg (S. 139) Glauben gefunden. Dass Wla-
dislaw zu Korybuts Sendung seine Einwilligung gegeben, steht demnach fest.
Ob die Nachricht, die der Hochmeister von Thorn erhielt (CW. S. 549), er habe
dieselbe, als es schon zu spät war, zurücknehmen wollen, auf Wahrheit beruhe,
ist schwer zu sagen.
2) K. Sigmund an den Hochmeister 3. Sept. 1422 Reichstagsakt. VIII, 215.
474 Jaroslaw Goll.
mogitiens gesichert und der Schaden, den vor Jahren der Streit der
Nachkommen Gedymins unter einander angestiftet hatte, wieder gut ge-
macht. Aber kaum geschlossen, war der Friede wieder in Frage ge-
stellt. Zwar kam die Kriegshilfe aus Deutschland zu spät und war
nicht ausgiebig genug, um den Krieg sofort wieder zu beginnen, aber
darin stimmten die deutschen Fürsten und K. Sigmund überein, dass
der Friede, der nicht habe geschlossen werden sollen, auch keinen
Bestand haben dürfe. Noch war er weder von dem Hochmeister rati-
ficirt, noch von dem Kömischen König anerkannt. Diesen schien da-
mals dasjenige näher anzugehen, was in Preussen geschehen war, als
das, was in Böhmen zu geschehen habe. Er war, so berichtete des
Ordens Gesandter von Nürnberg am 31. Juli 1422, „in keiner andern
sache so ernst und so bekümmert, also das sich des alle wundern*1).
Was der König damals insbesondere zu Gunsten des Ordens im Sinne
hatte, war ein grosser Bund gegen Polen, bestehend aus seinen Nach-
barn den Ungarn, den Schlesiern und dem Orden selbst. Aber Sig-
mund hatte von seinem Grossvater König Johann die Vielgeschäftig-
keit, von seinem Vater etwas von seiner diplomatischen Kunst geerbt.
Zu den Mitteln dieser Kunst gehört es ja, „zwei Eisen im Feuer zu
haben". Und so ist es oft bei ihm gewesen; er liebte es, zwei Pläne
gleichzeitig zu verfolgen, um dann nach Umständen den einen fallen
zu lassen, den anderen aber zu Ende zu führen. Der Komthur Ludwig
von Lanse, derselbe, der früher den Eifer Sigmunds so sehr gelobt
hatte, merkte schon im September, dass das Feuer nicht mehr so heftig
brenne, und wurde auch von Sigmund selbst von den mit Polen geführten
Unterhandlungen in Kenntniss gesetzt; man kann nicht sagen, dass
der König den Orden getäuscht hätte. Die diplomatisshe Verbindung
zwischen Polen und Sigmund war durch den Krieg nicht unterbrochen
worden. Um den 1. Dezember fanden Konferenzen polnischer und
ungarischer Magnaten statt, den Schluss bildete die Zusammenkunft
der beiden Könige in Kesmark im März 1423 . . . Bereits im Mai
1422 hatten die polnischen Barone den Ungarn geschrieben: „. . .Et
si . . . magnus dux Lithwanie nuper ducem Sigismundum Bohemiam
expediverit, hoc nescimus, cur hoc ipsum fecerit; forte propter terras
suas nativas et paternas, quas dominus rex vester . . . per sentenciam
suam nuper Wratislawie latani ab ipso alienare conatus est ... " In
diesen Worten ist der Zusammenhang der Dinge gut erkannt und klar
ausgesprochen, aber auch der Ausweg gezeigt, der dann eingeschlagen
worden ist. Sigmund gab den Breslauer Schiedspruch auf und er-
') a. a. 0.
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 475
kannte den jüngst geschlossenen Frieden an; was er gewann, war vor
allem die Abberufung Korybuts aus Böhmen. Die Kandidatur oder,
wenn man es so nennen will, das böhmische Königthum Witolds war
zu Ende. War dieses das Hauptziel seiner Politik, dann hat er eine
Niederlage erlitten, war es Samogitien, dann hat er erreicht, was er
wollte. Gewiss war es ein gewagtes Mittel, das der Grossfürst ergriff,
um zu diesem Ziele zu gelangen, und es fand ohne Zweifel bei vielen
polnischen Prälaten und Baronen keinen Beifall; aber man dürfte doch
nicht von einem Gegensatz zwischen Wladislaw und seinen Baronen
auf der einen und Witold auf der andern Seite sprechen, am wenig-
sten in der preussischen Frage *). Der Verlauf der Dinge pflegt in
der Wirklichkeit gar oft viel einfacher zu sein, als dann die Ge-
schichtschreiber sich vorstellen.
Korybuts Stellung in Böhmen ist durch die Wendung, die sich
erst vorbereitete und dann vollzog, unhaltbar geworden; an sich war
dieselbe zwar schwierig, aber nicht haltlos 2). Was man von Witold
erwartet hatte, erfüllte sich jetzt bei seiner Ankunft; Korybut empfing das
Sakrament unter beiderlei Gestalt und verpflichtete sich zur Verthei-
dignng der vier Artikel. Dadurch gewann er sofort die gemässigteren
Elemente. Aber auch Prag erkannte Sigmund Korybut an, obwohl
dort nach dem blutigen Ende des Predigers Johannes seine Partei
nochmals emporgekommen war; dann trat freilich in der Hauptstadt
ein Umschwung ein, durch den die demokratische Partei — diesmal
ohne Blutvergiessen — ihr Uebergewicht verlor (Mai 1421). Sigmund
Korybut konnte Feindschaft von zwei Seiten erwarten, von den Ge-
treuen K. Sigmunds und von den Taboriten. Doch bald wurde auch
ZiZka gewonnen, so dass er sich bereits im Juni 1422 mit ihm und
mit Prag verbündete. Einst hatte er sich für die polnische Kandidatur
') Diese Worte sind gegen Brandenburg gerichtet, der den Gegensatz, den
er gefunden, also erklärt (S. 147): »Wladislaw wollte den Krieg gegen den Or-
den, womöglich bis zu dessen Vernichtung, Witold aber wünschte seine Kräfte
zu der in Böhmen bevorstehenden Entscheidung aufzusparen.« Weiter sagt Bran-
denburg (S. 150), der Friede am Melnosee sei wesentlich ein Werk Witolds ge-
wesen, der durch ihn seine Hauptziele, den dauernden Besitz Samogitiens
und die Cassierung des Breslauer Spruches, erreicht und die Hände für seine
böhmische Unternehmung frei bekommen habe.« Von diesen weiteren Plänen,
für die Witold die Hände frei bekommen hätte, erzählen die Quellen ebenso
wenig, wie davon, dass er »alles in Bewegung gesetzt habe, um den Ausgleich
zu hindern« (S. 162). Grünhagen (S. 74), auf den sich Brandenburg beruft, äussert
sich weit »vorsichtiger«.
2) Weit ungünstiger beurtheilt Prochaska sowohl die Verhältnisse in Böhmen,
als auch das, was dort Sigmund Korybut gelang
47(3 Jaroslaw Goll.
ausgesprochen, ob er aber dann die Wahl Witolds gebilligt, erfahren
wir nirgends ausdrücklich; gewöhnlich gilt es als selbstverständlich,
obwohl uns die Quellen bei ihrem Schweigen keine bestimmte Be-
hauptung erlauben l). Mir scheint es immerhin beachtungswerth, dass
Zizka den Prinzen zwar als , Helfer und Regenten des Landes " aner-
kannte, aber ohne dabei Witold zu nennen 2), während sich Korybut
sonst, wenn auch nicht überall, als sein Statthalter bezeichnet und be-
zeichnen lässt . . . Freilich bereitete sich durch ZiZkas Anschluss an
Korybut ein Zwiespalt unter den Taboriten selbst vor 3). Bohuslaw von
Schwamberg, früher als einer der hitzigsten Vorkämpfer der Katho-
liken ein Gegner ZiZkas, jetzt ein den Eifer des Benegaten bekunden-
der Radikaler, so wie Johannes Hvezda, der einige Zeit in Prag neben
Johannes von Seelau eine ähnliche Stellung wie etwa der Podestä einer
italienischen Stadt eingenommen hatte, versuchten es, in der Haupt-
stadt die ehemalige Partei des Predigers wieder emporzubringen und
dadurch Korybut zu stürzen (1. October), aber ihr Versuch misslang
und der Prinz behauptete sich 4). Er hatte die Führung der Utraquisten
übernommen, auch Zizka, obwohl der Prinz ihn mit der Anrede „ Herr
Vater" zu ehren pflegte, trat hinter „dem Sohne" zurück.
') Wenn die Alten Annalen berichten (vgl. Bezold 1,62), Zizka und die
Prager hätten im Jahre 1421 den Kostka an den König von Polen geschickt, so
ist hier eigentlich alles unrichtig. — Nicht mit Unrecht bemerkt Prochaska VIII,
64, Zizka sei vielleicht kein Anhänger Witolds gewesen, weil an ihn sonst Sigmund
Korybut kaum ein ähnliches Mahnschreiben gerichtet hätte, wie an Ulrich von
Rosenberg (vgl. Bezold I, 69).
2) Palacky, Gesch. v. B. III, 2 S. 310. — Das in das Prager Stadtbuch ein-
getragene Schriltstück (Archiv C. III, 239) ist wohl kein Schreiben, sondern eher
die schriftliche Aufzeichnung bei Gelegenheit eines von Zizka mit den Pragern
eingegangenen Bündnisses, wobei wir uns jenen in der Hauptstadt anwesend
denken müssten.
3) Bezold (I, 66 und 67) lässt denselben zu bald beginnen. Die »anderen«
(S. 67 Anm. 2) sind nicht Anhänger Zizkas, sondern die südwestlichen Städte.
Nicht einmal die in der vorigen Anmerkung erwähnte Aufzeichnung beweist, dass
die Spaltung bereits eingetreten war. Sie trat wahrscheinlich erst im Oktober
eben dadurch ein, dass Schwamberg sich Prags bemächtigen wollte.
4) Der von Palacky Gesch. III, 2 S. 319 berührte Beschluss der grossen Ge-
meinde lautet: „Wenn jemand dem Grossfürsten, unserem geforderten Herren,
und dem Fürsten Sigmund, unseren von Seiner Hoheit geschickten Regenten, übel
nachreden oder die Absendungen, die von uns und anderen dem Gesetze Gottes
und uns anhängenden Gemeinden zu S. Gnaden öfters geschehen sind, schmähen
sollte, der soll hier nicht geduldet werden. « Man sieht daraus, was Schwamberg
wollte. Von der Theilnahme Hvezdas auf die Gesinnung des Prediger Johannes
zurückzuschliessen, liegt nahe; nur sind solche Rückschlüsse nicht immer zwin-
K. Sigmund und Polen 1420—1436. 477
Die Burg Karlstein behaupteten die Königlichen auch im Jahre
1422 und dieselbe sollte ihnen auch fernerhin verbleiben: es war da-
mals eben weit leichter feste Plätze zu vertheidigen , als zum Falle
zu bringen. Gegen das von Friedrich von Brandenburg geführte Keichs-
heer hat Korybut keinen Sieg davongetragen; aber man kann sagen,
dass ihm, ähnlich wie in Preussen dem Grossfürsten, frühere Sie^e
zum Nutzen gereichten, denn es war immerhin ein Erfolg, wenn der
Kurfürst, allerdings ein Freund Polens, zu Unterhandlungen sich ent-
schloss, wobei einige Barone der königlichen Partei als Vermittler auf-
traten. Es sollte ein Waffenstillstand geschlossen werden und während
der Waffenruhe eine „ Audienz" über die religiösen Streitfragen statt-
finden; man griff also auf ein früher von Witold selbst vorgeschla-
genes Mittel zur Verständigung zurück . . . 1). So weit reichte die
Uebereinstimmung auf beiden Seiten. Aber es zeigte sich alsbald,
dass auch die gemässigten Utraquisten an eine Versöhnung mit dem
„König von Ungarn" noch nicht dachten; die Waffenruhe sollte sich
auf ihn nicht erstrecken . . . Und darauf konnte und wollte Friedrich,
obwohl sein früheres Verhältniss zu K. Sigmund noch nicht hero-e-
stellt war, nicht eingehen . . . Bald darauf (November 1422) hören
wir von einem Zwiespalt zwischen „den Taboriten und den Prägern",
ohne die Ursache zu erfahren ; wahrscheinlich hing derselbe mit jenen
Unterhandlungen zusammen, wobei die Taboriten als die Unversöhn-
lichen anzusehen wären, die jeder Annäherung an den Gegner wider-
strebten. Jedoch jene Unterhandlungen misslangen und der Zwiespalt
hörte wieder auf . . . 2). Als das Jahr zu Ende gieng, war die Stellung
Korybuts nicht so ungünstig geworden, dass wir die Erklärung dessen,
was folgte, anderswo suchen müssten, als in den Ereignissen, die sich
') Der in dem Schreiben der hussitischen Herren an die Stadt Brüx (Be-
zold I, 146) vorkommende Beisatz hat nicht den Sinn, »dass mit dem Prinzen
auch nicht die geringste Vereinbarung getroffen sei« (a. a. 0. 119), sondern be-
sagt etwa soviel, als »er habe es an nichts fehlen lassen«. Die Unterhandlungen
fanden demnach mit seinem "Wissen und Willen statt. Wenn der Kurfürst schliess-
lich meinte, man habe ihn durch diese Unterhandlungen aufhalten wollen, „das
die Sach von dem Karlstein nicht geendet wurd«, so ist dies noch kein Grund
für uns mit Brandenburg (S. 154) von »Scheinverhandlungen« zu sprechen.
2) Wenigstens ist es damals zu dem erwarteten Kriege zwischen den Ta-
boriten (wohl Schwamberg und seinem Anhang) und den Pragern nicht gekom-
men (Bezold I, 128). Wohl heisst es in den Alten Annalen bereits im Oktober,
da wo von dem mißlungenen Anschlag Schwambergs berichtet wird: ,und von
dem Augenblick begannen die Taborschen mit den Pragern zu kämpfen.« Dies
ist aber nicht wörtlich zu nehmen. Wirklich sollten diese Kämpfe der Hussiten
unter einander doch erst im Jahre 1423 zum Ausbruch kommen.
478 Jaroslaw Goll.
ausserhalb Böhmens entwickelten. Er verliess am 24. Dezember die
Hauptstadt, aber damit noch nicht das Land; dies geschah erst im
März 1423. Hätten sich die zwischen den Polen und Ungarn, zwischen
Wladislaw und Sigmund gepflogenen Unterhandlungen zerschlagen, er
hätte wohl jeden Augenblick wieder hervortreten können. „Sigmund
Korybut", sagt Tomek, „ist aus seiner Stellung durch die Aenderung,
die in der Politik seines Oheims, des Königs und des Grossfürsten
eintrat, herausgerissen worden" 1).
') Anders Prochaska. Er ist der Ansicht, Korybut nabe sich von Prag
zurückgezogen , weil seine Stellung unhaltbar geworden war. Das Schreiben
Witolds an die Böhmen (ÜB. I. 286), das hier herangezogen wird, gehört in
einen andern Zusammenhang. — So weit wie Prochaska, ist Bezold nicht ge-
gangen, obgleich auch er über Korybuts Erfolge und Stellung ähnlich urtheilt.
w
Kleine Mittheilungen.
Hatten die Frauken ein Ordal des Flaniuiengriffs ? Einige
Stellen der Lex Kibuar. l) haben zu der Vermuthung Anlass gegeben,
dass das fränkische Recht eine von der sonst üblichen Art abweichende
Form des Feuerordals besessen habe, den Flammengriff, darin be-
stehend, dass der Beweisführer die Hand in ein Feuer habe halten
müssen, um aus ihrer etwaigen Verletzung seine Schuld zu consta-
tiren. Diese, zuerst wohl von Grimm 2) aufgestellte Theorie, ist von
zahlreichen Gelehrten acceptirt worden 3). Widerspruch hat sich da-
gegen erst in neuerer Zeit erhoben, ausdrücklich von Zeumer 4) und
Brunner 5), während Schroeder 6) seine Missbilligung durch vollständiges
Schweigen über ein solches Ordal zu erkennen giebt. Entscheidend
ist für die Controverse, welche Bedeutung in den citirten Gesetzes-
stellen dem Wort igneum zu geben ist, ob wir darunter thatsächlich
ignis oder eine Nebenform von aeneum, dem bei der sonst üblichen
Feuerprobe verwendeten Kessel, zu verstehen haben. Dass letzteres
zutrifft, dafür hat Brunner 7) bereits unter Heranziehung mehrerer
Novellen zum salischen Gesetz den Nachweis erbracht. Es dürfte sich
aber auch noch aus andern Gründen die Unzulässigkeit der entgegen-
gesetzten Annahme darthun lassen.
Zunächst ist auffallend, was freilich auch schon von Brunner
») 30, 1, 2. 31, 5. 2) Rechtsalterthümer 912.
3) Wilda, Ordalien (bei Ersch und Gruber) 455. {Siegel, Geschichte des
deutschen Gerichtsverfahrens 237. Dahn, Studien zur Geschichte der germanischen
(jottesurtheile 43. Sohm in den Anmerkungen zu den zitirten Bestimmungen
der 1. Rib. Glasson, Histoire du droit et des institutions de la France 3, 509.
4) Im Index rerum et verborum zur 1. Rib. et Chav. s. m. igneum und ignis.
6) Deutsche Rechtsgeschichte 2, 407.
e) Deutsche Rechtsgeschicbte 2. Aufl. 357 t. 7) 1. e.
480 Kleine Mittheilungen.
betont wurde, dass uns kein einziger Anwendungsfall dieses angeb-
lichen Ordals überliefert ist. Dann *) verweist allerdings auf eine Stelle
des Gregor von Tours 2). die jedoch ganz beweislos ist. Es handelt sich
dort um einen religiösen Streit eines Ketzers und eines Orthodoxen, in
dessen Verlauf der Kechtgläubige, um seinen Gegner auch durch ein
Wunder von der Wahrheit seiner Behauptungen zu überzeugen, seinen
Ring in ein Feuer wirft, und ihn dann, ohne sich zu verletzen, aus
den Flammen herausholt und glühend in der Hand hält. Das wesent-
liche ist hier das Herausnehmen und Halten des glühenden Gegen-
standes, nicht das Hineingreifen in die Flamme. Auch wäre aus
einem so gelegentlichen Vorgang der Schluss noch nicht erlaubt, dass
dabei ein auch sonst zur Anwendung gekommenes Ordal vorliege.
Ueber den Flammengriff schweigen sich ferner die Formulare für die
Gottesurtheile völlig aus, die sonst für jedes Ordal mannigfache Muster
überliefern.
Der Flammengriff ist ferner den übrigen arischen Völkern unbe-
kannt. Wilda 3) hat freilich auf das raup Stsprceiv der Griechen ver-
wiesen, das sich auch bei Iren und Indern findet4), und auch in
sagenhaften Berichten des späteren Mittelalters erwähnt wird 5). Allein
Flammendurchschreiten und Flammengriff sind zwei begrifflich ganz
verschiedene Ordale. Weil das eine bei den Franken verwandten
Völkern üblich, ist noch nicht anzunehmen, dass nunmehr auch das
andere bei ihnen selbst gegolten haben müsse.
Am stärksten dürfte jedoch gegen die Existenz des Flammengriffs
sprechen, dass eine die Ordalien aufzählende Quelle der fränkischen
Zeit dieses Gottesurtheils gar nicht gedenkt. Es ist dies die Streit-
schrift des Bischofs Agobard von Lyon: Liber de divinis sententiis
digestus u. s. w. ß) Nachdem Agobard bereits in einem früheren, sich
wesentlich gegen die Gundobada richtenden Werk das Ordal des
Zweikampfs angegriffen hatte 7), wendet er sich in dieser zweiten Ar-
beit gegen die Gottesurtheile überhaupt, die er jedoch nur bekämpft,
soweit sie sich nicht auf kirchliche Unterstützung berufen konnten.
Denn dass er die Gottesurtheile nicht in Bausch und Bogen verwarf,
lehren die einleitenden Worte seiner Schrift, in denen er als allein
zulässige Beweismittel Zeugen und Eid, dann aber auch den Trank
des bittern Wassers aufführt8), den nach der Vorschrift des alten
Testaments die des Ehebruchs beschuldigte Frau einzunehmen hatte,
') 43. 2) De gloria confessorum cp. 14. Irrthüuilich auch bei Schroeder
357 Anmerk. 51 zitirt, 3J 459. <) Grimm 935. 5) Grimm 912.
fi) Opera, ed. Mass. 1605, 287 f.
7) Ad imperatorem de duello 103 f. ft) Opp. 288.
Kleine Mittheilungen. 4g \
um sich von dem Verdacht frei zu machen 1). Eine gewisse Aehn-
lichkeit besitzt mit diesem Ordal das Gottesurtheil des geweihten
Bissens, Judicium offae, das wohl bereits dem heidnischen Recht eigen
war, jedenfalls durch das alttestamentarische Vorbild auch kirchliche
Sanktion erlangt hatte 2). Deshalb lässt auch Agobard dies Ordal
gauz unangefochten. Der gleiche Grund erklärt sein Schweigen über
das Losordal , das ebenfalls in mehreren Bestimmungen des alten
Testameuts seine Rechtfertigung zu besitzen schien 3), wenngleich es
auch wiederholt gerade von kirchlicher Seite heftigen Anfeindungen
ausgesetzt war 4).
Die fragliche Stelle, in der Agobard die kirchlich zu missbilligen-
den Ordalien anführt, hat folgenden Wortlaut 5) : Neque sanctus et
innocens vir Da~vid persecutori suo Saul diceret: „Si Deus te incitat
contra me odoretur sacrificio etc." Sed potius diceret: „Mitte unum
de tuis qui congrediatur mecum singulari certamine et probet me
reuni tibi esse si occiderit" : aut certe: „Jube ferrum vel aquas
calefieri, quas manibus illaesus attrectem : aut constitue 6) cruces ad
quas stans immobilis perseverem. ■ Offenbar soll hier eine erschöpfende
Aufzählung gegeben sein, wie sie der Plan der Arbeit, die sich
gegen alle kirchlich unzulässigen Gottesurtheile kehrt, durchaus ver-
langt. Dazu stimmt auch der Folgesatz: Cum autem nihil tale lex
divina vel etiam humana sanxerit 7), et vani homines nominent ista
Judicium Dei. Also gerade die nacherwähnten Formen werden als die
fälschlich unter die Gottesurtheile gezählten bezeichnet.
Agobard nennt demnach nur vier Arten : den Zweikampf, das
Ordal des heissen Eisens, den Kesselfang und die Kreuzprobe. Unter
Berücksichtigung des schon erwähnten Umstandes, dass er das Ordal
des Probebissens und des Loses von seinem Standpunkt aus fortlassen
musste, ergiebt sich hiernach für das fränkische Recht seiner Zeit die
Existenz von sechs Gottesurtheilen, unter denen sich der angebliche
Flammengriff nicht befindet.
Die Annahme, dass Agobards Aufzählung erschöpfend sei, scheint
allerdings damit widerlegt zu sein, dass sie des Wasserordals und des
Bahrgerichts nicht gedenkt, von denen das erstere zweifellos, das
>) Mos. 5, 12—31. 2) Wilda 482.
3) Jos. 7, 14 fg., 1 Sam. 14, 37 fg., Sp. 16, 33. 18, 18.
4) Wilda 480. Brunner 2, 414.
5) Opp. 288. 6) Constituo ist Druckfehler.
7) Das ist nicht ganz richtig. Die weltliche Gesetzgebung hatte die Gottes-
urtheile durchaus gebilligt.
Mitteilungen XV. 31
482 Kleine Mittheilungen.
zweite wenigstens nach Brunner x) ebenfalls schon in dieser Periode
in Uebung standen.
Allein das Wasserordal war unter Ludwig dem Frommen 829
modificirt oder sogar verboten worden 2). Agobards Schrift, die wohl
erst nach diesem Zeitpunkt verfasst ist — bis dahin dürfte seine
schriftstellerische Thätigkeit von der Vertheidigung seiner persönlichen
Verhältnisse in Anspruch genommen worden sein 3) — hatte daher
keine Veranlassung, sich auch gegen dies Gottesurtheil auszusprechen,
das sich in der Praxis allerdings wieder rasch einbürgerte. Das Bahr-
crericht endlich kommt erst im späteren Mittelalter als rechtliche In-
stitution vor, wenngleich es auch schon vorher in der Volkssitte ge-
herrscht haben mag4). Jedenfalls war seine gerichtliche Anwendung
unserer Periode fremd; also auch hier erklärt sich das Schweigen
Agobards , ohne die Vollständigkeit seiner Aufzählung in Frage zu
stellen.
Vermissen könnte man etwa das Ueberschreiten des brennenden
Holzstosses, wodurch Thietberga, die Gemahlin Lothars II. ihre Un-
schuld dargethan haben soll. Diese Nachricht entstammt jedoch erst
dem späten Mittelalter; zeitgenössische Berichterstatter nennen andere
dabei angewendete und bereits erwähnte Ordalien 5).
Bern. Otto Opet.
Zur Chronologie der Päpste. Beiträge zu der höchst unsichern
Chronologie der Päpste des 10. u. 11. Jahrhunderts liefern die römi-
schen Privaturkunden der Zeit, deren ich eine Anzahl in dem Ar-
chive von Sa Maria in Via Lata einsehen und abschreiben durfte. Die
Datirung dieser Urkunden darf überhaupt und speciell, was die Papst-
jahre angeht, als sehr zuverlässig angesehen werden, da die Verfasser
und Schreiber der Urkunden tabelliones nrbis Eomae und scriniarii
sanctae Komanae ecclesiae sind. Die Keihenfolge der chronologischen
Merkmale in der Datirung ist in der Regel: 1. Papstjahr; 2. Kaiser-
jahr (wenn ein Kaiser vorhanden ist) ; 3. Indiction ; 4. Monat ; 5. Tag.
Da wir die Indiction berechnen können und das Kaiserjahr durch den
Tag der Krönung bestimmt ist, kann man auf den Beginn des Papst-
jahres zurückschliessen.
*) Deutsche Rechtsgeschichte 2, 411.
2) 1. c. Anm. 58, 59.
8) Seine Streitigkeiten mit den Juden fallen in die Jahre 822—825. Aronius,
Regesten zur Geschichte der Juden 33 fg., ur. 84—97.
4) Lehmann, Das Bahrgericht (Abhandlungen zum 70. Geburtstag Konrad
von Maurers) 24. 5) Grimm 912.
Kleine Mittheilungen. 483
In einer Urkunde fehlt das Papstjahr; die Datirimg lautet: „Im-
p(erante) d(omi)n(o) n(ostro) Ottone a d(e)o coronato magno impera-
tore anno sextodechno, indictione duodecima mens(e) octuber die sep-
tima", d. h. 7. October 983. Im October 983 war Sedisvacanz, und da
in dieser Datirung kein Papst genannt ist, können wir mit Bestimmt-
heit sagen, dass Benedict VII. schon vor dem 7. October gestorben war.
Schon an anderem Orte habe ich gezeigt *), dass die Jaffe-Löwen-
feld'sche Berechnung des Todestages Benedict VIII. (11. Juni) und des
Regierungsantrittes seines Nachfolgers Johannes XIX. (Juni-Juli 1024)
nicht richtig sein kann, weil sie Datirungen von Privaturkunden wi-
derspricht, aus denen hervorgeht, dass Johannes XIX. nach dem
15. März, aber spätestens im Mai consecrirt worden sein muss. Ich
schlug vor, den Fuldenser und Weissenburger Nekrologien zu folgen,
die den Tod Benedicts VIII: VII id. Apr. ansetzen.
Würde man von diesem Todestage an die 11 Jahre 11 Monate
21 Tage, die Benedict VIII. nach den von Jaife-Löwenfeld angeführten
Katalogen regiert haben soll, zurückrechnen, so käme man auf ein
Datum, das dem von J.-L. angenommenen Regierungsantritte dieses
Papstes (22. Juni) widerspricht. Doch widersprechen diesem Datum
auch die ebenda und von Gregorovius angeführten Urkunden, nach denen
der Regierungsantritt vor dem 21. Mai zu setzen ist; ebenso die fol-
gende Datirimg einer Urkunde aus Sa. Maria in V. L. : „Anno deo
propitio pontificatus domni nostri Benedicti summi pontificis et uni-
versalis papae in sacratiss. sede b. Petri ap. primo indictione decima
(d. i. 1012) mense Madio die vicesima quinta." Es wird also wohl
die Salernitaner Urkunde Sergius IV. , die nach den Ausgaben ,,XV.
kal. Jul.u datirt ist, verlesen oder sonst nicht in Ordnung sein.
Rechnet man zu dem oben angenommenen Todestage Benedict VIII
die Regierungszeit Johannes XIX. nach dem von J.-L. angeführten Kataloge
hinzu, nämlich 8 Jahre und 6 Monate, und berücksichtigt man eine
Sedisvakanz, so kommt man für den Todestag Johannes XIX. aller-
dings auf die Zeit nicht lange nach Anfang October 1032 (statt Jan.
1033). Damit stimmt das Datum einer Sutriner Urkunde aus dem er-
wähnten Archive überein, aus dem hervorgeht, dass Benedict IX. spä-
testens im Dezember 1032 consecrirt worden sein muss — es lautet:
„Temporibus d. Benedicti noni pp. anno hoctavo mense decembrio in-
dict. [octjava" (d. i. 1039) — sowie eine von Jaffe-Löwenfeld selbst
angeführte Galletti'sche Urkunde, nach welcher der Regierungsantritt
Benedict IX. vor den 15. November 1032 fallen muss.
') Urkunde einer Römischen Gärtnergenossenschaft S. 15 Anni. 1.
31*
484 Kleine Mittheilungen.
Diese Daten werden nun bestätigt durch ein für die Geschichte
dieser Zeiten höchst werthvolles Document, das Obituarium des Klo-
sters SS. Cyriacus et Nicolaus. Es ist von F. Martinelli :) auszugs-
weise und sehr lückenhaft publicirt worden und befindet sich gegen-
wärtig in der Bibliotheca Yallicelliana. Vor kurzem hat die Societä
di Storia patria das Facsimile eines Blattes aus dem Codex veröffent-
licht 2) und bereitet nun, wie verlautet, auch eine Ausgabe vor. Das
Obituarium ist derart angelegt, dass auf jedes Datum des ganzen Ka-
lenders zuerst der betreffende Theil aus Bedas Martyrologium folgt und
dann noch von derselben ersten Hand nach der Kubrik OB (= obiit
oder obitus) vielfach Namen von verstorbenen Personen eingetragen sind,
die dem Kloster nahe gestanden waren. Dieselbe erste Hand hat auch
ferner noch zu jedem Tage regelmässig je 3 solche OB eingetragen und
Raum für nachträgliche Einschreibungen gelassen. Der Raum ist dann
von späteren Händen bis ins 14. Jahrhundert dazu benützt worden,
das Obituarium regelmässig fortzusetzen, so dass der ganze Codex eine
Geschichte der vulgär-römischen Schrift bildet, wie man sie sich nicht
besser wünschen kann. Die Zeit der meisten dieser späteren Hände
wird sich bestimmen lassen, da u. a. auch die Aebtissinnen des Klo-
sters an ihren Todestagen eingetragen sind und wir durch die im Ar-
chive von Sa Maria in V. L. aufbewahrten Urkunden des Klosters
SS. Cyriacus et Nicolaus imstande sind, die Todesjahre der Aebtiss-
innen annähernd zu bestimmen. Denn es ist unzweifelhaft, dass ge-
rade diese Todesfälle sogleich oder sehr bald eingetragen worden sind.
Durch dieselben Mittel kann man die Zeit der Anlage und der
ersten Hand bestimmen. Eine Prüfuug des Codex ergab mir nun,
dass die Aebtissinnen Agathe (III. id. Mai.), Sergia (V. id. Nov ) und
Boniza quae et Dulkyza (VI. id. Iun.) von der ersten Hand gleich bei
Anlage des Obituarium aufgenommen wurden. Diese Boniza I. wird
zuletzt im Jahre 1008 erwähnt; die beiden andern sind ihre Vor-
gängerinnen. Ihre Nachfolgerin Ermingarda wird zuerst im Jahre 1018,
zuletzt im Jahre 1043 erwähnt; ich habe die auf sie bezügliche Ein-
tragung unter kal. Febr. im Obituarium aufgefunden; doch ist diese
Eintragung schon von einer zweiten Hand besorgt worden. Diese spä-
tere Haud hat auch den Tod der Boniza II. eingetragen, die in den
Urkunden eine Zeit lang als Collegin der Ermingarda, aber nach dem
Jahre 1043 nur noch allein erscheint und der dann spätestens im
Jahre 1052 die Theodora gefolgt ist, deren Todestag (XV. kal. Jun.)
J) Primo Trofeo della Sma Croce eretto in Roma nella Via Lata. (Rom 1655).
2) Monumenti paleografici di Roma I (1884) n°. 5.
Kleine Mittheilungen. 485
aus dem Facsimile der Societä d. St. P. zu entnehmen ist. Das Obi-
tuarium muss demnach zwischen den Jahren 1008 und 1052, wahr-
scheinlich aber vor 1043 angelegt sein. Ein auf dem letzten Blatte
vor der prima manus zum August der Ind. VII gemachter Nachtrag
führt auf das Jahr (1024 oder) 1039.
Diese Feststellung ist für die Chronologie der Päpste desshalb von
Wichtigkeit, weil in dem Obituarium von erster Hand eingetragen ist
V. id. April „Donmus Benedictus j^p" und VIII. id. Novemb. „Donmus
Jons papa". Dass unter Benedict nur Benedict VIII. gemeint sein
kann, ist schon desshalb sehr wahrscheinlich, weil Benedict IX. nicht
als Papst gestorben ist; es wird fast zur Gewissheit, wenn man das
Datum des Obituarium mit dem oben berechneten vergleicht ; man
muss also die Angaben der Deutschen nach dem römischen Nekrolo-
gium um 2 Tage corrigiren. Das andere Datum stimmt mit der für
Johann XIX. angenommenen Todeszeit überein. An Johann XVIII.
kann man nicht denken. Es sind eben in das Obituarium bei seiner
Anlage die beiden letztverstorbenen Päpste eingetragen; beide Päpste
waren überdies aus dem Geschlechte der Grafen von Tusculum, mit
dem (wie mit dem der Crescentier) das Kloster in naher Beziehung
gestanden ist.
Nun sind wir imstande mit den obigen Berechnungen und den
Daten des Obituariums die Chronologie der Päpste der 1. Hälfte des
11. Jahrhunderts folgendermassen festzustellen, angenommen, dass die
Consecrationen auf einen Sonntag fallen müssen:
Sergius IV. gestorben vor 20. April 1012;
Benedict VIII.: 20. April 1012 bis 9. April 1024;
Johannes XIX.: Sonntag zwischen 12. Apr. und 10. Mai 1024
bis 6. November 1032;
Benedict IX.: 12. November 1032 bis 16. Juli 1048.
Rom. L. M. Hartmann.
Ein Siegel Stempel Kaiser Friedrichs II. Herrn Dr. Robert
Davidsohn in Florenz verdanke ich die Mittheilung, dass zu Ende des
vorigen Jahrs der Antiquar Kautschik daselbst im Besitze eines Siegel-
stempels Friedrichs II. war, der wenn echt, der älteste wäre, der von
einem deutschen Herrscher erhalten ist. Er soll in Rom gekauft, dort-
hin aber aus Palermo gekommen und neuerdings wieder an einen
römischen Marchese verkauft worden sein. Ein Abdruck, den mir
H. Davidsohn auf meine Bitte verschaffte, überzeugte mich, dass es
ein Stempel des Kaisers für sein Königreich Sicilien ist, und zwar
486
Kleine Mittheilungen.
einer, der wie sein Titel als König von Jerusalem zeigt, nach dem
Jahre 1225 gebraucht worden sein würde. Er entspricht also dem,
den Philippi Reichskanzlei S. 65 unter Nr. 6b beschrieben und (vor
der Hinzufügung des Jerusalemer Titels) auf Taf. VIII Nr. 3 ab-
gebildet hat; er ist aber keineswegs mit diesem identisch. Leider ist
die Abbildung bei Philippi zu undeutlich, um eine genaue Vergleichung
derselben mit meinem Abdrucke durchführen zu können. Um sie aus
einander zu halten, genügt aber schon der eine Umstand, dass jene
im Durchmesser 6,9 C., dieser jedoch 7,2 C. hat. Jene scheint von
einem Stempel herzurühren, der schon ziemlich abgenützt war, dieser
ist dagegen in allen seinen Theilen, in den Buchstaben, in der Dar-
stellung des Kopfs (bartlos), Gewands u. s. w., ungemein scharf, ob-
wohl die Siegelplatte selbst anscheinend die Spuren vielfacher Benützung
zeigen soll, und er lässt z. B. ohne Weiteres erkennen, dass das, was
Philippi als eine Art Brustschild bezeichnet, eine runde Agraffe ist, die
das Gewand unter dem Halse zusammenhält.
Die Umschrift des neuen Stempels lautet mit Auflösung einiger
Ligaturen :
+FRIDERIC VS • DI -GRA- ROM ANOl^ ■ IMPERATOR • ?SEP- AVG VST '7
REX-SICL
wozu dann noch
rechts und links
vom Throne im
Felde, nicht ganz
aufgeraderLinie,
hinzugefügt ist j
7REX— IERLM
Die Abkürzungs-
striche der Um-
schrift bestehen
in Verdickungen
der äusserenüm-
fassungslinie an (Von 7,2 auf 5,7 C. verkleinert.)
Stempelschneider gemacht hat, indem er auch an den Schluss von
IMPERATOR ein Abkürzungszeichen gesetzt hat wie bei ROMA NOR,
würde wohl auch kaum zur Verdächtigung ausreichen. Ebenso wenig
der Umstand, dass Abdrücke des Stempels an Urkunden sonst nicht
bekannt geworden sind, da es wohl denkbar ist, dass die verhältniss-
mässig geringen Unterschiede von dem durch Philippi beschriebenen
übersehen wurden. Auch dass zwei Stempel neben einander im Ge-
brauche gewesen sein müssten, könnte keinen Anstoss erregen. Aber
den betreffenden
Stellen.
Die Form der
Buchstaben, wie
überhaupt die
ganze Zeich-
nung, giebt mei-
nes Erachtens
keinen Anlass
zum Verdachte
gegen die Echt-
heit des neuen
Stempels und der
Fehler, den der
Kleine Mittheilungen. 437
es bedarf dieses Ausweges nicht einmal. Denn wenn Techniker nicht
etwa aus der Art des Stempelschnitts, die ich nicht zu beurtheilen ver-
mag, den neu aufgetauchten Stempel als Fälschung erweisen, steht
nichts der Annahme im Wege, dass wir in ihm gerade den Stempel
haben, den der Kaiser anfertigen liess, als der bisher für das König-
reich gebrauchte am 18. Febr. 1248 bei dem Ueberfalle von Vittoria
verloren gegangen war (s. BF. 3667.3670) — eine Annahme, die auch
erklären würde, dass Abdrücke dieses Stempels bisher nicht nachweis-
bar sind. Denn, so weit ich sehe , sind bisher überhaupt keine Ori-
ginalurkunden für das Königreich aus seinen letzten der Katastrophe
folgenden Jahren zum Vorschein gekommen , deren Siegel zur Ver-
gleichung herangezogen werden könnten.
Heidelberg. E. Winkelmann.
Literatur.
Neuere Literatur über deutsches Städte wesen. l)
III.
1. Georg v. Below, Zur Entstehung der deutschen
Stadtverfassung. Theil I, München, Druck von E. Oldenburg
1887. Sonderabdruck aus der Hist. Zeitschr. N. F. 22. Bd. 8°, 52 S.
2. Dasselbe. Theil IL, ebenda 1888, Sonderabdruck aus der Hist.
Zeitschr. N. F. 23. Bd., 8°, 55 S.
3. Derselbe, Die Entstehung der deutschen Stadtge-
meinde. Düsseldorf, Druck und Verlag von L. Voss u. C. 1889. 8°,
XI +126 S.
4. Karl Koehne, Der Ursprung der Stadtverfassung
in Worms, Speier und Mainz. Ein Beitrag zur Geschichte des
Städtewesens im MA. Breslau, Verlag von W. Koebner 1890. 8°,
XXIV 4- 423 S.
5. Schulte Alois, Ueber Keichenauer Städtegrün-
dungen, in Zeitschr. für Gesch. des Oberrheins N. F. 5 (1890),
137—169.
6. SohmRudolf, Die Entstehung des deutscheuStädte-
wesens. Eine Festschrift. Leipzig, Verlag von Duncker u. Humblot
1890. 8°, 102 S.
7. J. E. Kuntze, Die deutschen Stadtgründungen oder
Kömerstädte und deutsche Städte im Mittelalter. Leipzig,
Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1891. 8°, VII + 79 S.
8. Georg Kaufmann, Zur Entstehung des Städte-
wesens. Im Index lectionum der Akademie zu Münster für das Som-
mersemester 1891. 4°.
•) Nachfolgender Artikel wurde bereits anfangs März dieses Jahres der Re-
daction übergeben, konnte jedoch wegen Raummangels nicht schon im 2. Heft
erscheinen. ß- "••
Literatur. 489
9. Karl Lamprecht, Der Ursprung des Bürgerthums
und des städtischen Lebens in Deutschland. In Hist. Zeitschr.
N. F. 31 (1891), 385 ff.
10- Willi Varges, Stadtrecht und Marktrecht. In Jahr-
bücher für Nationalökonomie 3. Folge, 3 (1892), 670 ff.
11. Georg v. Below, Der Ursprung der deutschen
Stadtverfassung. Düsseldorf, Verlag von L. Voss u. Cie. 1892-
8°, XV + 145 S.
12. W. Varges, Die Entstehung der deutschen Städte.
In Zeitschr. für d. Kulturgeschichte 2 (1892), 319 ff.
Erst drängende Arbeit, dann lange, schwere Krankheit haben mich
mit meinem im siebenten Band der Mittheilungen begonnenen, im neunten
und zehnten fortgesetzten Literaturbericht in argen Rückstand gebracht.
Konnte ich erst vor wenigen Monaten an die Wiederaufnahme begonnener
Arbeit denken, und sie nur langsam zum Abschluss bringen, so glaubte
ich doch an jene ersten Berichte anknüpfen zu sollen, wenn auch in Folge
der langen Unterbrechung die Rezension einzelner Schriften recht verspätet
erscheint. Dieser Mangel wird aber vielleicht dadurch ersetzt, dass wir
einen Ueberblick über die Literatur mehrerer Jahre erhalten, welche für die
Gesammtauffassung wie für die Einzelforschung erheblichen Fortschritt be-
deuten, dass es uns im Zusammenhange leichter möglich sein wird, diese
Fortschritte nach Gebühr zu würdigen und ein unbefangeneres Urtheil zu
gewinnen, als es im Gewirr der Recensionen, im Lärm des wogenden
Kampfes möglich gewesen wäre.
Zwei Schriften v. Belows, der, mit einer Geschichte der deutschen
Territorien beschäftigt, als erste Frucht dieser Studien eine Geschichte der
landständischen Verfassung in Jülich und Berg veröffentlicht hatte, stehen
an dem Anfange einer literarischen Bewegung, welche die behagliche Ruhe
historischer Zeitschriften aufs empfindlichste gestört hat. Anstoss zu der-
selben gaben Angriffe v. Belows auf Nitzsch und einzelne Schüler des-
selben, Angriffe die ihrem Inhalte nach zum Theil berechtigt, ihrer Form
nach aber ganz gewiss unzulässig waren und die in diesem Betracht immer
mehr gesteigert wurden. Sie gaben Anlass zu einer heftigen und ausge-
dehnten Zänkerei, über deren literarische Aeusserungen wir kurz hinweggehen
dürfen, da sie sachliche Aufschlüsse zumeist nicht gewähren l). Es ge-
') Ohne irgendwie Anspruch auf bibliographische Vollständigkeit zu machen,
stelle ich etliche Titel zusammen: Köhne in seinem oben verzeichneten Buche
p. 360—388 Anhang I. Die Arbeiten v. Belows zur Geschichte der deutschen
Stadtverfassung. — v. Below gegen Köhne in Deutsche Zeitschr. für Geschichtsw.
4, 111 ff. — Köhne gegen Below ebenda 5, 139 ff. mit Replik Belows. — v. Be-
lows Exkurse gegen Höniger Lamprecht und Lövinson in Nr. 3 und 11. — Her-
mann Lövinson, Die Mindensche Chronik des Busso Watensted 1890. — R. Hö-
niger Professor Georg v. Belows Detailpolemik. Ein Nachwort zu dessen Ar-
beiten über städtische Verfassungsgeschichte. Berlin 1892. 69 S. — Historische
Zeitschrift 70 (1893), 378, Erklärung der Redaktion gegen Höniger. — v. Below
Der Höniger-Jastrow'sche Freundeskreis. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte. Düssel-
dorf 1892, 32 SS. — G. Schmoller Die Verwaltung des Mass- u. Gewichtswesens
490 Literatur.
nüge hier zu bemerken, dass namentlich die Frage über die wissenschaft-
liche Bedeutung von Nitzsch durch sie nicht die geringste Förderung er-
fahren hat und dass man es lebhaft beklagen muss, gerade den Namen
dieses edeln Mannes mitten in solchem Streit zu finden. Werth und Mangel
des ausgezeichneten Gelehrten lassen sich nicht durch Absprechen oder
Zustimmen feststellen, mehr als mancher andere moderne Historiker for-
dert Nitzsch zu ernster Erforschung seiner Persönlichkeit und seines Stre-
bens heraus, für dessen gerechte Würdigung er selbst die wertvollsten
Anhaltspunkte in seiner Eede beim Eintritt in die Berliner Akademie ge-
boten hat. Auch in anderer Beziehung verfehlen die Worte, mit denen v. B.
seine Abhandlung einleitet, ihr Ziel. Der Verfasser schreibt seiner Arbeit von
vornherein »wenigstens ein Verdienst« zu, die Herrschaft der Ideen von der
Bedeutung der Ottonischen Immunitäten und des Hofrechts für die städtische
Entwicklung gebrochen zu haben. Bestand denn wirklich nach Heuslers Buch
eine solche Herrschaft der hofrechtlichen Theorie ? Haben nicht schon Waitz
und Hegel in vielem den rechten Weg gewiesen? Eine andere »herrschende
Ansicht« — er liebt dies Wort, um möglichst viele herrschende Ansichten
von dem Throne, auf den aber doch nur er sie gesetzt hat, herabwerfen
zu können — soll die Zahl der möglichen Hypothesen für erschöpft an-
sehen und es auf den »statistischen Nachweis« ankommen lassen welche
Hypothese durch die meisten Einzelfälle gestützt werde. Er unter-
lässt aber zu sagen, wer denn diese allerdings nicht zu billigende »herr-
schende Ansicht« vertreten hat. Niemand ist es wohl beigefallen, die Zu-
lässigkeit allgemeiner Erörterung der streitigen Fragen zu verneinen , ja
Höniger hat sogar die Notwendigkeit derselben im Hinblick auf die Zer-
fahrenheit in der localen Forschung betont. Die Berechtigung des v. B.
gemachten Versuches war nicht anzuzweifeln; wenn es ihm aber gelang;
manche nebelhafte Vorstellung wegzuwehen und an vielen Punkten klarer
und bestimmter Richtung und Ziel der Forschung anzugeben, so ward ihm
dies doch nur möglich durch die Ergebnisse einer regen Einzelunter-
suchung und mehrerer ergiebiger Urkundenveröffentlichungen.
Wendet v. B. zuerst einer der wichtigsten Fragen, der nach dem
Stande der Bürger, sein Augenmerk zu, so hebt er mit vollem Rechte als
eine der Besonderheiten und Grundbedingungen städtischen Wesens die
im Mittelalter in Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft
17 (1893), 289 ff. — v. Below , Die Verwaltung des Mass- und Gewichtswesens
im Mittelalter. Eine Antwort an Herrn Prof. Dr. Schmoller. Münster 1893, 32 SS.
— Dazu eine ganze Anzahl von Rezensionen in verschiedenen Zeitschriften. Bei
der Lesung dieser Schriften kamen mir zwei Sätze ins Gedächtnis: While our
historians are practising all the arts of controversy, they miserably neglect the
art of narration (Macaulay's Essay on History). On ne peut etre ä la fois bon
controversiste et bon historien (Renan Etudes d'hietoire relig. pref. XII.). Vor
69 Jahren schrieb der gelehrte Mann, der Gaupps Büchlein Ueber Städtegrün-
dung in den Heidelberger Jahrbüchern 1825, Heft 5 und 6 rezensierte : »Schliess-
lich noch eine Bitte vielmehr als eine Bemerkung, nicht an den Verfasser allein,
sondern noch an recht viele andere Verfasser, Notizen nämlich von ganz sübjec-
tivem Werth nicht in die Darstellung einzuweben; sie sind jedem Leser, der kein
persönliches Interesse für den Autor hat (was doch immer nur bei sehr wenigen
der Fall ist) höchst lästig.« Wie müsste der gute Anonymus sich verwundern,
wenn er die neueren demselben Gegenstande gewidmeten Schriften zu besprechen
hätte.
Literatur. 49 ^
Entwickelung des Stadtrechtsgutes hervor, das heisst des Besitzes der ohne
Eintritt in ein Hofrecht erworben werden konnte und nicht dem Hofge-
richte, sondern dem aus dem öffentlichen Gerichte hervorgegangenen Stadt-
gericht unterstand. Mit klarem Blick hat er erkannt, dass die städtische
Entwickelung nicht aus dem Hofrechte heraus, nicht innerhalb desselben
sondern neben ihm sich vollzieht. Dieser. Satz wird auch dadurch nicht
beschränkt, dass in manchen Fällen die Bildung eines städtischen Gemein-
wesens innerhalb des Hofrechts vor sich gehen kann. Diese Scheidung
zwischen Stadtrecht und Hofrecht vermag v. B. namentlich an der Hand
des ersten Strassburger Stadtrechts, dieses seit Eichhorn stets für die
hofrechtliche Auffassung angeführten Weisthums, klar zu legen 1). Weniger
dürfte seine Deutung der Speirer Urkunden befriedigen 2). Auch die
daran sich anschliessende scharfe Ablehnung des hofrechtlichen Ursprungs
der Zünfte ist nicht schlechthin anzunehmen. Ganz unzweifelhaft ist ihm
darin Recht zu geben, dass von einer allgemeinen und für alle Gewerbe
giltigen Ableitung der Zünfte aus dem Hofrechte, von einer allgemeinen
Unterstellung der Handwerker unter dasselbe nicht die Rede sein kann.
Es läuft auch hier eine gleichartige, doppelte Entwicklung, es gab in den
Hofrechten Handwerker, es gab von Anfang an städtische Handwerker 3),
beide Klassen erscheinen auch in späterer Zeit genau getrennt.. Irgend-
welche allgemein giltige Scheidung etwa nach Gewerben erscheint mir un-
zulässig, hier waren die verschiedenen örtlichen Einflüsse massgebend;
nur eingehende örtliche Forschung kann da zu weiterem Ergebnisse führen
und dabei ist dann v. Belows Mahnung, den Ursprung der einzelnen Lei-
stungen und Verpflichtungen, die auf den Handwerkern ruhen, unbefangen
zu erforschen, recht zu beherzigen. Der an sich berechtigten Widerlegung
der verschiedenen Auffassungen von dem Einflüsse der ottonischen Privi-
legien auf die ständischen Verhältnisse ist in der Hauptsache zuzustimmen.
Mit scharfer Dialectik hat v. B. Widersprüche und Mängel aufgedeckt, die
an den Darlegungen Eichhorns, Arnolds und Heuslers haften, aber den
Kern der Sache hätte er wohl besser herausgeschält, wenn er sich die
Mühe genommen hätte, die ottonischen Privilegien selbst, nicht blos die
Aeusserungen über sie, zu betrachten. Darauf komme ich noch zu sprechen.
Auch seine Bemerkung, dass die Scheidung in bischöfliche, königliche und
landesherrliche Städte dem Wesen der Sache nicht entspricht, wird man
annehmen, da ja im Grunde die Bischöfe ebenso Landes(Stadt)herrn sind,
wie die Laien und Aebte; aber es ist für die geschichtliche Betrachtung
doch sehr wesentlich, dass in den bischöflichen Städten die stadtherrliche
Gewalt ganz eigens geartet war und dementsprechend auch die Abgren-
zung derselben gegenüber der Gemeinde sich verschieden gestaltet, uns
daher ein ganz verschiedenes Geschichtsbild vor Augen tritt.
J) Vgl. auch Baltzer in Gott. Gel. Anz. 1889, 622 ff., der den wichtigen
von B. nicht beachteten Punkt hervorgehoben hat, dass gerade die von der bür-
gerlichen Ackerfronde befreiten Handwerker zu gewissen anscheinend hofrecht-
lichen Leistungen verpflichtet sind.
2) Vgl. v. Below Ursprung 119 und dagegen Kolraar Schaube Die Entste-
hung der Stadtverfassung p. 71.
s) Schon das Edictum Pistense unterscheidet zwischen den Bäckern des
Grafen, Bischofs oder Abtes und denjenigen die für den Verkauf backen. Leeres
1, 493 § 20. *
4g2 Literatur.
In seiner zweiten Abhandluug ergänzt v. B. die mehr negative Kritik
der ersten, indem er die Merkmale der mittelalterlichen Stadt bestimmt
und einzeln beschreibt. Markt, Unimauerung, besonderer Gerichtsbezirk,
Bevorzugung der Bürger in Betreff der Lasten sind allerdings unerläss-
liche Attribute der mittelalterlichen Stadt, aber es ist doch zu beachten,
dass ihnen weder in logischer noch in materieller Hinsicht gleicher Werth
zukommt. Kann auch die Stadt des Marktes nicht entbehren, so ist dieser
doch nicht an die Stadt gebunden, kann auch an andern Orten abgehalten
werden und die Bevorzugung in Betreff der Lasten ist wohl eher eine
Folge als ein bedingendes Merkmal städtischen Lebens. So bleibt als
erstes wesentliches Merkmal die Befestigung, wie das schon der Sachsen-
spiegel und nach ihm Gaupp, Frensdorff, Planck u. a. betont haben, wo-
zu dann die Ausscheidung aus dem Landgericht, »als ein geschlossener
Rechtskreis mit gesonderter Gerichtsgewalt« hinzutritt 1). Ein Moment, die
Ausbildung einer eigenartigen Gemeindeverfassung, ist v. B. in dieser Ab-
handlung noch geneigt, in zweite Keihe zu stellen. Ausführlicher bespricht
der Verfasser entsprechend der vorragenden Wichtigkeit nur die Eigen-
schaft der Stadt als Gerichtsbezirk. Im Anschluss an andere Forscher be-
trachtet v. B. das Stadtgericht als öffentliches Gericht, das von dem Raths-
gerichte (städtischem Gemeindegericht) zu sondern ist. Wenn v. B. auch
in diesem Abschnitt den ottonischen Immunitäten »jede Bedeutung für die
städtische Entwickelung « abspricht und es schlankweg läugnet, dass durch
dieselben »besondere Stadtgerichtsbezirke« geschaffen wurden, so ist das
trotz allen scharfsinnigen Einwendungen nicht zuzugeben. Die Urkunden
für Speier und Strassburg (DO. I. 379 DDO. IL 94. 267), die Bannver-
leihungen an einzelnen Orten, die Exemtionen einzelner Orte, wie sie mit
Do. IL 200 beginnen, sind deutliche Beispiele für solche besondere Ge-
richtsbezirke. Dass die letzteren neuartigen Formeln gerade von Wormser
und Magdeburger Dictatoren eingeführt wurden, mag wohl ebensowenig
ein Zufall sein, als die Annäherung an italienische Vorlagen in manchen
Urkunden. Wenn v. B. meint, der Vogt habe ja doch über die Stadt
hinaus seine Gewalt geübt, so ist das richtig, aber nicht auf Vogt und
Grafen kommt es an, sondern auf den ministerialis comitis, auf villicus
oder scultetus. Nur das eine mag v. B. zugegeben werden, was ja schon
Gaupp gegenüber Eichhorn richtig gestellt hat, dass die Immunität an sich
keine Ausscheidung eines besonderen Gerichtsbezirkes bedeutet, und auch
darin mag man ihm zustimmen, dass in der ottonischen Zeit von einer
bewussten und allgemeinen Regelung dieser Verhältnisse nicht die Rede
ist, aber die ersten und zwar gar nicht vereinzelten Anfänge der spätem
Entwickelung sind für den nicht zu verkennen, der die zwei Baude der
neuen Diplomataausgabe aufmerksam durchforscht. Mit guten Gründen
lehnt v. B. die Ansicht Lamprechts von den Zendereien ab und schildert
übersichtlich den Organismus des Stadtgerichts, die Theilnahme der Bürger-
schaft an der Bestellung des Stadtrichters und das Verhältniss des Rates
') Planck Gerichtsverfahren 1, 21: Dis Stadt ist ihm (dem Sachsenspiegel)
ähnlich der Burg ein mit Erlaubnis des Landrichters befestigter, allenfalls kraft
königlicher Bewilligung mit Marktgerechtigkeit begnadeter Ort dessen Bewohner,
wie das Dorf, eine aus Burmester und Buren zusammengesetzte Gemeinde bilden.
Literatur. 493
zu dem öffentlichen Stadtgerichte, eine Sache die seit jeher zu vieler Ver-
wirrung Anlass gab, sich aber nach v. Belows Vorgang reinlich und sauber
darstellen lässt. Auch die Bemerkungen über das Stadtrechtsgut, die Ein-
schränkung der Kriegspflicht, über die öffentlichen und privaten Lasten
der Stadtgemeinde mögen bei der Einzelforschung Beachtung finden.
Ganz gewiss kommt beiden so lebhaft bekämpften Abhandlungen ein
methodischer Werth zu, mit scharfer Axt hat v. B. in dem wirren Ge-
strüpp sich verschlingender Irrthümer den Weg für die weitere Forschung
gehauen und für die Auswahl wie die Anordnung des Stoffes in Forschung
und Darstellung belangreiche Anregung gegeben. Daher mag die aphori-
stische Art seines Vortrags hingenommen werden, wenn sich auch nicht
verhehlen lässt, dass eine tiefer greifende Forschung die Ergebnisse manch-
mals ganz anders gestaltet, in allen Fällen besser begründet haben würde.
Diesen Mangel hat übrigens v. B. selbst erkannt und eingestanden, er
war denn auch bemüht, ihm in seinen folgenden Schriften wenigstens
theilweise abzuhelfen.
Ueber die beiden ersten in der Hauptsache kritischen Aufsätze hinaus
schreitet v. B. in einem selbständig erschienenen Buche (3) zur Kundge-
bung seiner eigenen Ansicht von der Entstehung der Stadtverfassung.
Nach seinem ersten Vorworte hätte man allerdings erwarten müssen, dass
v. B. die Zahl der vorhandenen Hypothesen um eine neue vermehren
würde, statt dessen beschränkt er sich darauf, die Ansicht v. Maurers auf-
zunehmen, schärfer zu umgrenzen und von der ihr anhaftenden Unklarheit
und Ungenauigkeit der Begründung zu befreien. War dabei v. B. insoferne
auf dem rechten Wege, als der eigentlichen Gemeindeverfassung über all
den schönen Ausblicken auf Reichsunmittelbarkeit, republikanische Verfassung
u. ä. viel zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, so hat er
meines Erachtens einen Fehler darin begangen, dass er schlechthin von
Entstehung der Stadtgemeinde aus der Landgemeinde spricht, deren einer
wesentlicher Bestandtheil unzweifelhaft die Almende ist, die bei der städti-
schen Entwicklung sehr zurücktritt, ja ganz fehlen kann, was natürlich
zu berechtigten Angriffen namentlich von Seite Schultes und Gotheins ge-
führt hat Dazu kommt, dass das Wort Landgemeinde an sich einen Ge-
gensatz zur Stadtgemeinde bezeichnet, dass man also von Landgemeinden
erst nach der Ausbildung der Stadtgemeinde sprechen sollte. Da
entsteht notwendigerweise eine Zweideutigkeit, indem v. B. bald von einer
Landgemeinde spricht, aus welcher sowohl die Stadt- als auch die spätere
Landgemeinde hervorgegangen sind, bald eben von dieser spätem Land-
gemeinde. Gibt es nun Anfangs allerdings nur Landgemeinden, da ja
auch das was man Städte nennt, in früherer Zeit den Dorfschaften gleich
zu achten ist *), so hätte es doch der Darstellung zu grösserer Klarheit
verholfen, wenn v. B. das Wort Gemeinde gebraucht und zwischen den
drei Theilen derselben, der eigentlichen Ansiedelung, der Feldgemeinschaft
und der Markgenossenschaft unterschieden hätte. Nur die erstere kommt,
wie ich glaube, wesentlich für die städtische Entwickelung in Betracht.
Folgen wir nach diesem grundsätzlichen Vorbehalt der Untersuchung
') Vgl. Waitz Vfgg. 2a, 415.
494 Beer.
v. Belows. Zuerst bespricht derselbe das Wesen und den Organismus der
alten Gemeinde und verneint die von Gierke dann neuerdings von Phi-
lippi l) verfochtene Ansicht, dass dieselbe ein Glied der öffentlichen Ver-
fassung sei, nimmt vielmehr im Anschluss an Sohm und Waitz eine au-
tonome Bildung an, der allerdings nicht lediglich agrarische Funktionen
zukommen, die aber unter dem Einfluss der sich bildenden Grundherr-
schaften nur in seltenen Fällen und in einzelnen Gebieten ihre Autonomie
bewahrt hat. Daran schliesst sich eine Uebersicht der Entwickelung in ein-
zelnen Orten, welche eben den Zusammenhang zwischen Stadt- und Land-
gemeinde deutlich machen soll. Ich kann mich an dieser Stelle nicht auf
alle Einzelheiten einlassen, nur eine Frage möchte ich eingehender be-
sprechen. Gegenüber v. B. meine ich, dass in Hameln das Burmesteramt
nicht eine anlässlich der Aufhebung des Schultheissenamtes eingeführte
Analogiebildung ist, sondern dass es hier von Anfang an bestanden und
die Kompetenz des alten Gemeindevorstehers behalten hat, während der
scultetus nichts anderes ist als der alte Centenar, dem auch das Amt des
hofrechtlichen villicus zugefallen war -). v. B. will nämlich zwei Urkun-
den des Jahres 1266 dahin deuten, dass sie die Aufhebung des Schult-
heissenamtes bezeugen, und da in einer derselben zum erstenmale der bur-
mester erwähnt wird, so ergibt sich ihm obige Auslegung. Schon Ilgen
Herford p. 29 hat sich gegen v. Belows Auffassung im Allgemeinen er-
klärt, ich will hier nur nachweisen, dass die Urkunden zu anderer Deu-
tung berechtigen. Noch in einer Urkunde von j 265 (ÜB. nr. 58) wird
Conradus scultetus Hamelensis erwähnt, in Urk. nr. 59 (1266) über die
Verpfändung eines Viertels der advocatia steht unter dem Zeugen Hein-
ricus de Eylenhusen dapifer (episcopi Mindensis) et schultetus Hame-
lensis, in Urk. nr. 60 vom selben Jahre schliesst Conradus miles dictus
scultetus Hamelensis einen Vergleich über drei Hufen in villa Affordhe,
in dieser Urkunde steht unter den als Zeugen angeführten cives der bur-
mester Gerwicus. Muss aus diesen Urkunden auf die Erwerbung des Schul-
theissenamtes durch die Stadt geschlossen werden V War der Truchsess in
der That Schultheiss von Hameln ? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass
man vor scultetus den Taufnamen weggelassen hat, wie man in Urkunden
auch schlechthin von einem advocatus, praepositus Wormatiensis spricht?
Ist dem dictus wirklich solche Bedeutung zuzuschreiben, dass man daraus
folgern darf, Conrad habe nicht das Amt inne gehabt, scultetus sei nur
mehr sein Zuname? Man liest doch auch dicti consules u. Ae. und in
spätem Urkunden von 1268, 1270 finden wir Conrad wieder ohne dictus
und neben ihm seinen Sohn einfach als Heinricus filius scultheti. Erst im
Jahre 1277 wird uns berichtet (nr. 79), dass die Stadt das officium scul-
theti in civitate (nicht in bonis praepositi) angekauft hat und erst vom
Jahre 1249 an finden wir den Heinricus Sculthetus unter den famuli oder
milites, ihn und seine Nachkommen als Lehensträger der curia scultheti
cum omnibus juribus et pertinentiis, die sie dann dem Kate weiterleihen,
bis dieser im Jahre 1327 die proprietas super officium scultheti (soweit
J) Hansische Geschichtsbl. 1889, 174 ff.
2) Vgl. Meinardus ÜB. nr. 37 (1260) collatio . . . villicationis quod dicitur
sculteitammet immediate pertinet ad (episcopura Mindensem).
Literatur. 495
er sie nicht schon hatte) cum curia infra oppidum Hamelense erwirbt. Dass
nun gerade in nr. 60 der burmester erwähnt wird, hat seinen Grund
darin, dass das bezeichnete Dorf zu jenen gehört, die an der Hameler Al-
mende Antheil hatten, deren Beaufsichtigung eben dem Burmeister zu-
stand. Man sieht, dass auch v. B. in den Fehler verfallen kann, die Ur-
kunden nicht unbefangen, sondern im Banne seiner Ansicht zu deuten.
In systematischer Anordnung bespricht nun v. B. die einzelnen Be-
ziehungen zwischen der altern Gemeinde und der Stadtgemeinde. Dass
ich in diesem Zusammenhange den ersten Abschnitt über die Stadt als
Markgenossenschaft nicht zu billigen vermag, geht aus früherem hervor.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass die alte Markgenossenschaft
neben der Bürgerschaft bestehen kann und besteht, dass die Stadt
nicht die freie Verfügung über die Almende hat, darin nicht allein
an die Zustimmung des Stadtherrn , sondern auch der vollberech-
tigten Markgenossen, der ervesaten, gebunden ist. Nicht alle Bürger
müssen Markgenossen sein, nicht alle Markgenossen Bürger. Erst nach
der Bildung einer Stadtmark im neuern Sinne, welche sich nach dem
Durchgang durch die Periode der Stadtherrschaft vollzieht, kann man wie-
der von der Stadt als Markgenossenschaft sprechen (Gierke 2, 659). Diese
neue Stadtmark aber, in welcher die alte Almende nur einen Theil bildet,
scheint mir eher eine Folge denn ein Ausgangspunkt städtischen Wesens zu sein.
Das grösste Gewicht legt v. B. auf die Kompetenz des Rathes oder
der andern kommunalen Organe in der Ordnung von Mass und Gewicht.
An diesen Kern setzt sich die gesammte Thätigkeit des Bathes für die
Handhabung des Gewerbe- und folglich auch des Zunftwesens an. Eben diese
Ordnung von Mass und Gewicht ist nun nach Below uralte Gemeindekompe-
tenz und wird so der Mittelpunkt seiner ganzen Beweisführung, ihr widmet
er sowohl in der Entstehung der Stadtgemeinde als auch in dem Ur-
sprung der deutschen Stadtverfassung ein eigenes Kapitel und die letztere
Schrift schliesst er mit den Worten: »Wenn jedoch jemand den Nachweis
erbringt, dass der mittelalterliche Staat sich eingehend mit sozialen und
wirthschaftlichen Fragen beschäftigt hat und namentlich, dass die Ordnung
von Mass und Gewicht Regal gewesen ist, so will ich mich gern in der
Hauptsache für besiegt erklären.« Um diesen Satz zu widerlegen, würde
man vor allem eine genaue Bestimmung dessen brauchen, was denn v. B.
unter dem Worte Regal versteht, in welchem Sinne er es gedeutet haben
will. Auf S. 60 erklärt er Regal gleich staatliches Recht und S. 59 stellt
er die Ordnung von Mass und Gewicht in Gegensatz »gegen Zoll-, Markt-,
Münz- und Geleitsregal u. s. w.« Er nimmt das Wort also einmal im
mittelalterlichen Sinne für die dem König zustehenden Befugnisse, dann
vermengt er Hoheitsrechte und nutzbare Regalien im neuern Sinne mit
einander. Bleiben wir bei seiner ersten Bestimmung, so fordert er den
Nachweis, dass die Ordnung von Mass und Gewicht »staatliches Recht«
gewesen sei und diesen Nachweis hat Schmoller zu führen versucht.
Die Art der Beweisführung Schmollers ist aber keineswegs in allen Punkten
zu billigen und v. B. hat gegen dieselbe ganz begründete Einwendungen
erhoben. Die verfehlte Auffassung, welche Schmoller von der Thätigkeit
der Geistlichkeit hat, führte ihn zu einer irrigen Auslegung der von ihm
citirten Stelle des Edictum Pistense und zu einer Ueberschätzung derBuss-
496 Literatur.
Ordnungen wie der Sendgerichte. Aber davon abgesehen ist sein Satz,
dass seit der karolingiscken Verfassung die Sorge für gutes Mass und Ge-
wicht ein Bestandtheil der öffentlichen Gewalt geworden war, unzweifel-
haft richtig. Er hätte dafür noch die von Knut und Wilhelm dem Eroberer
bestätigten Verordnungen der angelsächsischen Könige x) anführen können,
sowie die merkwürdige Anrede des Herzogs Boleslaus von Böhmen an
seinen Sohn 2) : Est aliquid, fili mi, quod Karolus rex sapientissimus et manu
potentissimus haud aequiperandus nobis hominibus valde humilibus, cum
filium suum Pipinum post se in solio sublimandum disponeret, cur terri-
bili eum sacramento constringeret, ne in regno suo subdola et grava ta-
xatio ponderis auf monetae fieret«. Cosmas betrachtet ebenso wie die
englischen Könige die Sorge für das Gewicht als Pflicht des Herrschers
und stellt sie auf eine Linie mit der Aufsicht über die Münze. Wie es
mit der Erfüllung dieser Pflicht bestellt war, das ist eine andere Frage,
v. Below, dem ja einzelne Beispiele für die Einflussnahme der öffentlichen
Gewalt auf diese Dinge bekannt waren, hat sich allerdings ein Hinter-
thürchen geöffnet, indem er einerseits darin nur willkürliche, sporadische
Ein- in seinem Sinne gesagt Uebergriffe der öffentlichen Gewalt sieht, anderer-
seits dort wo der Stadtherr ein regelmässiges Recht über Mass und Ge-
wicht übt, erklärt, derselbe handle nicht als Inhaber der öffentlichen oder
hofrechtlichen Gewalt, sondern als Gemeindeherr. Es ist nun eine sehr
schwere Sache zu scheiden, was der Herr als Grundherr, was er als Ge-
meindeherr thut, selbst wenn man der Entstehung p. 17 gegebenen Dar-
stellung folgen würde.
Prüfen wir zunächst den urkundlichen Beweis v. Belows. Urspr. 64
weist er darauf hin, dass in Städten, die zwei Stadtherrn, einen Landes-
und einen Gemeindeherrn haben, die Ordnung von Mass und Gewicht,
dem Gemeindeherrn zusteht, als Beispiele führt er an Straubing, Hameln
»und wie mir scheint Herford«. Nur bei ersterer Stadt ist ausdrücklich
von der Aufsicht über Masse und Gewichte die Rede und zwar steht sie
dem Augsburger Domcapitel als dem Grundeigentümer zu, welches auch das
Marktrecht, die niedere Geiichtsbarkeit und den Hofstättenzins innehat.
Weder in Herford noch in Hameln wird die Ordnung von Mass und Ge-
wicht erwähnt, in Herford hat das der Aebtissin gehörige Burggericht zu
entscheiden de venditionibus et emtionibus cibarioruni et censibus arearum,
wir haben also auch hier grundherrliche Rechte unter die man die Ord-
nung von Mass und Gewicht einreihen müsste. In Hameln dagegen hat
der Schultheiss die Aufsicht über den Verkauf der cibaria und eine Reihe
anderer Rechte, welche sehr an die Befugnisse erinnern, die der Graf von
Namur in Dinant durch seine Ministerialen ausüben lässt. Im Gegensatz
gegen Pirenne nimmt allerdings v. B. an, der Graf übe diese Rechte als
') Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen p. 192 Edgar III, 8 Be mynetum
and gemetum (Stubbs Sei. eh. 71) p. 224 Aethelred V, 24 false gewihta und wöge
gemeta p. 230 VI, 28, p. 232, VI, 32, letzteres wiederholt von Cnut II, 9 j p. 355
Wilh. III, 7 Et quod habeant per Universum regnum mensuras fidelissimas et
signatas et pondera fidelissima et signata sicut boni predecessores statuerunt.
2) Cosmae Chron. 1 c. 33 Mon. Germ. SS. 9, 55. Stadtgemeinde 63.
Literatur. 497
Gemeindeherr und zwar weil er den Brauhausbann hat :). Dabei über-
sieht er, dass gerade in den niederländischen Gebieten die Braugerecht-
same der öffentlichen Gewalt untersteht und von ihr verliehen wird, also
nutzbares Eegal ist. Vgl. DO. III. 85 Otto gestattet dem Bischöfe Notker
von Lüttich ut in loco Fossas nuncupato theloneum rnercatumque et mo-
netam et materiam cervise constitueret , DO. III 312 Otto schenkt der
bisch. Kirche zu Utrecht omnem districtum super villam Bomele et super
cuncta quae ad eandem villam pertinent, videlicet publicae rei subiecta,
theloneum vero monetam et negotium generale fermentatae cervisie , was
dann näher ausgeführt und am Schlüsse nochmals zusammengefasst wird
in den Worten: atque eundem districtum cum moneta, banno et theloneo
et totius publice rei functione. Beruft sich nun der Graf von Namur
wegen seines Rechtes über die Almende auf die potestas et justicia quam
tenet a rege, so werden wir doch in der allzubestimmten Ausscheidung
der gemeindeherrlichen Befugnisse sehr zur Vorsicht gemahnt. Dass auch
in Toul die Ordnung von Mass und Gewicht zum comitatus gehört hat,
glaube ich aus dem Umstände schliessen zu dürfen, dass der Graf, obwohl
ihm über beides die Verfügung entzogen ist, doch ein Drittel, der Bischof
zwei Drittel der Bussen erhält. Wenn aber der Bischof als Gemeindeherr
die Münze ausschliesslich sich und seinen Officialen vorbehält, die Masse
dagegen seiner städtischen Behörde, dem Villicus und den Schöffen überlässt,
so waren für ihn dabei kaum verfassungsgeschichtliche Erwägungen, son-
dei*n das practische Bedürfnis und sein eigenes Interesse massgebend.
Gegenüber den Belegen für den öffentlichen Character der Ordnung
von Mass und Gewicht finde ich vor Allem in Bezug auf die Annahme
der Gemeindekompetenz zwei Hauptfragen unbeantwortet: Hat denn die alte
Gemeinde wirklich ganz allgemein die Ordnung von Mass und Gewicht ge-
handhabt? v. B. bringt einen unmittelbaren Beweis nicht bei und sein
disjunktiver Schluss, diese Ordnung ist weder staatlich, noch grundherr-
lich, folglich muss sie Gemeindecompetenz sein (Urspr. p. 60), ermangelt
der Richtigkeit des Obersatzes. Aber selbst dies zugegeben müssten wir
weiter fragen: Wo findet sich eine ununterbrochene selbständige Thätig-
keit der Gemeinde bezw. ihrer Organe in diesen Angelegenheiten? v. B.
gibt zu, dass selbst in von ihm für unabhängig erklärten Gemeinden der
Gemeindeherr diese Rechte übt, der sich doch gewiss nicht als Organ der
Gemeinde betrachtet hat, und so finden wir denn auch, dass in der Regel die
Gemeindebehörde dieses Recht entweder usurpirt oder zugestanden erhält.
Die Frage ist also gar nicht, woher hat der Rath das Recht, sondern wo-
her hat es der Stadtherr? Und da werden wir keineswegs auf gleichar-
tige Verhältnisse stossen. Manche Bischöfe werden der Ueberlieferung aus
spätrömischer Zeit gemäss dies Recht in ihren Städten wohl von Anfang
an geübt haben, andere erlangten es durch die Uebertragung öffentlicher
Gewalt, die meisten Gemeindeherrn aber werden sich des Rechtes von selbst
angenommen haben, als an sie die Pflicht herantrat, für diese Angelegen-
heit bei wachsendem Verkehr und sich mehrender Bevölkerung vorzu-
sorgen. Damit soll keineswegs einer rein grundherrlichen Auffassung
') Vgl. auch Hist. Zeitschr. 64. 538 wo v. B seine Ansicht gegen Pirennes
Einwendungen aufrecht hält.
Mittheilungen, XV. 32
498 Literatur.
das Wort geredet sein, deren Unmöglichkeit v. B. Urspr. 60 dargethan
hat. Aber ebensowenig lässt sich die Sache im Sinne des Verfassers
deuten und verwerten, vielmehr wird, wie ich meine, die Untersuchung
auf den Ursprung der einzelnen stadtherrlichen Befugnisse zu richten sein.
Dagegen ist der Zusammenhang zwischen dem städtischen Gemeinde-
gericht und dem alten Burgericht zuzugeben, wenngleich auch hier vor
Veraligemeinung zu warnen ist, da das Burgericht neben dem städtischen
Gemeindegericht fortbestehen kann. So vermag ich die Behauptung v. B.,
er habe den Nachweis erbracht, dass die Gewalt der städtischen Kommunal-
organe aus der Landgemeindegewalt entstanden sei, nur bedingt und mit
aller Beschränkung hinzunehmen, v. B. hat nur die Gleichartigkeit ge-
wisser Erscheinungen und Einrichtungen der ältesten und der spätem Zeit
erwiesen, aber einen Beweis dafür, dass zwischen beiden ein ununter-
brochener Zusammenhang besteht, nicht erbracht. Nicht zum Vortheile
der richtigen Erkenntnis überspringt v. B. das zehnte und elfte Jahr-
hundert, er übergeht diese Periode der stärksten Entfaltung der Stadt-
herrschaft, aus der uns allerdings nur wenige urkundliche Zeugnisse vor-
liegen, die aber für irgendwelche Autonomie der Gemeinde gar keinen
Eaum zu lassen scheinen. Darauf aber kommt es, wie ich meine, vor Allem
an zu untersuchen , was wir in der spätem städtischen Entwickelung
auf ununterbrochene, wenn auch gehemmte Fortpflanzung alter Freiheit
zurückführen können und, was wir als Erwerb einer neuen Freiheit, als
selbständiges Erzeugnis zu betrachten haben.
Ganz deutlich liegt eine solche Neubildung in den beiden hauptsäch-
lichen Organen der Stadtgemeinde, Rath und Bürgermeister vor. Mit durch-
greifenden Gründen beseitigt v. B. die Ansichten von der Entstehung des
Rates aus den alten Gemeindevorstehern, dem Schöffenkolleg oder dem
Territorialrath, er lehnt es ab, für den Rath einen Anknüpfungspunkt zu
suchen und bemerkt treffend, dass es nicht auf die Form, sondern auf die
Rechtsgrundlage ankommt und in diesem Betracht ist der Rath Gemeinde-
vertretung, Kommunalorgan. Das kann man unbedingt annehmen, ohne
deshalb v. Belows Theorie zu theilen und ohne seinen Satz zu billigen,
dass der Rath seine Befugnisse von der Gemeinde empfangen hat. Nicht
anders verhält es sich mit dem Bürgermeister. In kleinern Orten bleibt
der (hofrechtliche) Gemeindevorsteher im Amte, in den eigentlichen Städten
aber tritt der alte Gemeindevorsteher zurück vor dem Rathe und wird
bestenfalls ein Mitglied desselben, während aus dem Rathe sich das neue
Amt des Raths- oder Bürgermeisters bildet. Da nun der alte Gemeinde-
vorsteher neben dem Bürgermeister seine Befugnisse fortbehalten kann,
so besteht von vorneherein weder ein äusserer noch ein innerer Zusammen-
hang zwischen beiden Aemtern.
Wesentlich polemischer Auseinandersetzung mit Sohm, Schulte, Go-
thein u. A. sowie der bessern Begründung der eigenen Ansicht ist die
vierte Schrift v. Belows (]]) gewidmet. Ich muss mir versagen, auf seine
Ausführungen des näheren einzugehen, und ich bemerke nur, dass er gegen
sich selbst die nothwendigen Folgerungen zieht und manches, was er in
seiner zweiten Abhandlung noch stark betonte, mehr zurücktreten lässt,
so vor allem den Markt, wobei er auch R. Schröders Deutung des Wortes
Weichbild ablehnt. Wie wir auf einzelnes schon Rücksicht nahmen, so
Literatur. 499
werden wir anderes bei der Besprechung der folgenden Bücher zu er-
wähnen haben.
Ganz im Gegensatze gegen v. B. hat Kühne in ortsgeschichtlicher
Einzelforschung die Frage nach der Entstehung deutschen Städtewesens zu
lösen versucht. (4.) Stellt er sich im allgemeinen auf Heuslers Standpunkt,
so ist es erklärlich, dass er eben die rheinischen Städte zum Gegenstände
gewühlt hat. Mit staunenswerthem Fleisse und grosser Belesenheit hat
sich K. seiner Aufgabe gewidmet und dafür verdiente Anerkennung ge-
funden, die ihm auch hier nicht vorenthalten sein soll. Aber dieses Ver-
dienst wird wesentlich geschmälert durch den Mangel an Beherrschung des
aus den entlegensten Ecken zusammengesuchten Stoffes, ein Mangel, der
sieh in der Anlage und der schwerfälligen Sprache um so emptindlicher
äussert, als es sich um einen oft und oft bearbeiteten Gegenstand handelt.
Aus diesem Mangel erklärt sich auch, dass der Verfasser Behauptungen
vorweg nimmt und verwertet, deren Begründung erst viele Seiten nachher
versucht wird, dass manchmal die These eines Kapitels gar nicht in diesem
selbst erwiesen, sondern am Schlüsse desselben der Leser wieder auf ein
folgendes vertröstet wird. K. hat jedenfalls dabei den guten Willen ge-
habt, den (hing seiner Untersuchung vor dem Leser klarzulegen, das ist
aber bei einem dicken Buche ein gefährliches Stück Arbeit, das unge-
wöhnliche Klarheit und hinreissende Kraft des Denkens wie der Beweis«
führung verlangt. Dazu hat K. eine Pflicht ausser Acht gelassen, die bei
einem so angelegten und mit allen Mitteln historischer Kritik ausgestat-
teten Buche unbedingt erfüllt werden muss, die volle Unbefangenheit der
Forschung. Der Satz, den er beweisen wollte, stand für ihn fest und
mnsste bewiesen werden, das führte ihn zu den bei solchem Verfahren
nothwendigen Fehlern , er doutet die Quellenstellen unter dem Zwange
seiner Ansieht und verwandelt im Verlaufe seiner Darstellung Vermuthung
in Gewissheit, ohne dass sich dafür eine wissenschaftliche Begründung er-
kennen lässt. Indem ich zur Rechtfertigung meines Urteils auf Kolmar
Schaubes ausführliehe und in manchem Betracht abschliessende Arbeit ver-
weise *), begnüge ich mich hier damit, eiu paar wichtigere Beweisführungen
Kühnes selbständig zu prüfen. »Nicht die Gemeinde der Altfreien, son-
dern die sich unabhängig von der alten ständischen Gliederung ent-
wickelnde Klasse der Kuulleute erringt die städtische Freiheit*, in diesem
Satze fasst K. S. 353 das Hauptergebnis seiner Arbeit zusammen und das
ist, denn auch von allen Schriftstellern, die dem Kaufmanne ausschlagge-
bende Hedeutung zuweisen, angenommen und nachgeschrieben worden. Zu
dieser massgebenden Stellung sind nun nach K. die Kaufleute gelangt:
durch genossenschaftliche Organisation, Erlangung öffentlicher Rechte für
dieselbe, durch Theilnahme am Rath der Bischöfe, durch Besetzung der
Sehöffenstühlo. Für die ersten beiden Funkte beruft er sich p. 37 vor-
nehmlich auf die seit jeher oft besprochene Urkunde (Wormser ÜB. 1, 50
nr. 58 circa LI 06), laut welcher B. Adalbert auf Bitten des Stadtgraten
Wernher aliorumque optimatum suorum eonsilio et persuasione 23 ge-
nannte piscatores einsetzt und ihnen folgendes Privileg ertheilt: Stirbt
einer, so soll sein Erbe das officium verwalten, fehlt ein Erbe, so erfolgt
') Vgl. Mittheil. 14, 143. Vgl. auch Rietzschel Die Civitas S. 88—90.
32*
500 Literatur.
die Verleihung des erledigten Amtes (selbstverständlich durch den Bischof
oder dessen Vertreter) urbanorum communi consilio. Auf Rath seiner Op-
timaten verfügt dann der Bischof, dass innerhalb eines begrenzten Ge-
bietes niemand ausser den 23 mit Fischen handeln dürfe, wird einer dabei
betreten, so werden die Fische konfisziert und inter urbanos equaliter ver-
theilt, der nicht berechtigte Verkäufer wird vor die Richter gestellt und
mit 3 Talenten gebüsst, wovon zwei dem Bischöfe, eines dem Grafen zu-
fallen. Zur Bekräftigung des Privilegs müssen die 23 alljährlich dem Bi-
schöfe und dem Grafen eine Gabe Fische überreichen. Das Privileg be-
zweckt kein unbedingtes Monopol, sondern ist in mancher Hinsicht zum
allgemeinen Nutzen beschränkt. Als Zeugen erscheinen der Propst Adal-
bert, mehrere Geistliche und 32 Laien ohne nähere Bezeichnung. Richtig
hat K. die piscatores als Fischhändler erklärt, aber ganz unbegründet ist
es, wenn er die urbani zu einem „ Gildeausschuss « und zwar zu dem Aus-
schuss der die ganze irgendwie handeltreibende Bevölkerung umfassenden
Kaufgilde, deren Existenz er eben aus unserer Urkunde erst erweisen
sollte, erhebt. Dieser Ausschuss erlässt nach Köhnes Auffassung eine Ord-
nung des Fischverkaufs, wozu er sich allerdings der Genehmigung des
Bischofs versichert. Dass nach dem Wortlaut der Urkunde die urbani in
die Privilegiumsertheilung gar nichts dareinzureden hatten, beirrt K. nicht.
Dagegen lässt er nunmehr eine schwere diplomatische Batterie auffahren.
Die Urkunde ist objectiver Fassung, entbehrt der Datirung, beides ist nie
in bischöflichen, oft dagegen in städtischen Urkunden noch des 13. Jahr-
hunderts der Fall. Die Urkunde ist demnach nicht aus der bischöflichen
Kanzlei hervorgegangen, ihre Form weist auf bürgerlichen Ursprung, ihr
Inhalt auf Gildekompetenz, also ergibt sich klar ihr »Gildeursprung«. Nun
lese ich auf der nächsten Seite des Urkundenbuches die einer ausschliess-
lich geistlichen Sache gewidmete Urkunde nr. 60 : Notum sit . . ., quod
Arnolfus beatae memoriae episcopus . . . tradidit, das ist doch auch ob-
jektiv. Es wird in dieser Urkunde von einer Handlung des Propstes von
S. Paul berichtet, die stattfand convocatis de civitate majoribus tarn cle-
ricis quam laicis quorum nomina in presenti continentur kartula. An der
Spitze dieser majores steht der Propst Adalpreht, ihm folgen Geistliche,
darunter auch die in nr. 58 Genannten, dann eine grössere Anzahl von
Laien, unter welchen wir wenigstens vierzehn der in nr. 58 Aufgezählten
finden. Also nicht auf die Kanzlei der unerwiesenen Gilde, sondern auf
die des urkundlich bezeugten Propstes werden wir geführt und die urbani
sind nichts anderes als die Bürger, unter welche eben die Fische vertheilt
werden sollten. Von einem Ausschusse ist ja überhaupt nicht die Rede,
da die Neubesetzung ausdrücklich communi consilio urbanorum vorge-
nommen werden soll und communi consilio bedeutet in keiner Verbin-
dung, so • oft es auch vorkommt, einen ständigen von einer grösseren Ge-
meinschaft bestellten Ausschuss oder Rath. Auf die Zahl der Bürger von
Worms lässt sich aus der Urkunde zwar nicht schliessen, da ja die Ver-
theilung nach einem bestimmten Turnus vorgenommen werden konnte,
doch ist zu beachten, dass in den drei Urkunden nr. 58 — 60 allein mehr
als 50 majores laici civitatis zusammengerechnet werden können. Hat
nun K. hier einen Gildevorstand entdeckt, so kommt es ihm nicht mehr
darauf an, auch in einer Urkunde von 1016 (nr. 45), mit der B. Burchard
Literatur. 501
dem Nonnenmünster Güter schenkt, die Worte et pene omnes urbani,
welche, wie sonst et alii quam plures, die Eeihe der Zeugen schliessen,
auf den »Gildevorstand« zu beziehen. Ebensowenig ist das Spiel gestattet,
das er mit dem Worte civis treibt. Wir besitzen mehrere Urkunden in
denen Cives de Wormatia (de Spira) als Aussteller oder als vertrag-
schliessende Partei auftreten, K. will an diesen Stellen cives gleichbedeu-
tend mit Schöffen haben, um daraus zu folgern, dass das (aus Kaufleuten
gebildete) Schöffenkolleg die Stadt repräsentirte. Im Text dieser Urkunden
wird dann aber das Wort civis so gebraucht, dass eine alleinige Beziehung
auf die Schöffen, welche übrigens in keiner der drei Städte zu so früher Zeit
bestanden, ausgeschlossen ist, wir müssten denn annehmen, die gar nicht nach-
weisbaren Schöffen hätten allein Handel getrieben (Speirer ÜB. nr. 23 und
Wormser ÜB. nr. 111) Si civis Wormaciensis (Spirensis) cum quibuscumque
mercimoniis venerit Spirae . . . oder sie hätten dem Bischof allein Geldsummen
gezahlt für Abschaffung von gerichtlichen Missbräuchen (Speierer ÜB. nr. 44).
Noch weniger lässt sich aus der von ihm angezogenen Urkunde (Stumpf
Acta Mag. 87 nr. 84) folgern, dass die Schöffen im Besitze des Stadt-
siegels waren. Sie ist von dem Propst Burcard von S. Peter in der
Mainzer Vorstadt ausgestellt : Ein Bürger Heriold unterlässt die Zinszah-
lung von dem ihm zu Erbleihe übertragenen stiftischen Hofe. Das Stift bringt
die Klage wegen versessenen Zinses an die judices civici, diese sprechen
dem Stifte die possessio zu, die Brüder beharren trotz Heriolds Wider-
stand fulti iudicum et burgensium testimonio auf ihrem Rechte, bis end-
lich Heriold sich aufs Bitten verlegt. Da sich für ihn Geistliche, der
Kämmerer Dudo und mehrere probabiles viri verwenden, lässt das Stift
Gnade für Recht ergehen und es kommt zu einem aussergerichtlichen Ver-
gleich, den der Propst beurkundet und mit dem Stadtsiegel bekräftigen
lässt. Als Zeugen finden sich weder Schöffen noch Richter, sondern der
Kämmerer und mehrere viri probabiles, darunter auch die im Texte Ge-
nannten. Also nicht die Schöffen, sondern der Kämmerer und die ihm bei-
gegebenen ehrbaren Bürger führen das Stadtsiegel. Indem ich mich mit
diesen Beispielen für Köhnes Methode begnüge, behalte ich mir vor, auf
seine Gesammtauffassung und Beweisführung im Zusammenhang mit an-
deren der Gilde- und Kaufmannstheorie gewidmeten Schriften einzugehen.
Im Pfarrarchiv zu Radolfzell verwahrt man ein im 15. Jahrhundert
angelegtes Kopialbuch des ehemaligen Choiiierrnstiftes , in welchem ein
junger Scholar die Abschrift einer Urkunde vom Jahre 1100 fand, laut
welcher der Abt von Reichenau Udalrich und der legitimus advocatus de
Ratolfiscella mit Zustimmung des villicus Burchard und der Chorherren,
auctoritate et praecepto Henrici imperatoris tercii den Markt in der villa
Ratolfi einrichtete. Der glückliche Finder theilte die Urkunde Alois Schulte
mit und dieser nahm von ihr Anlass, in einer klar und lebhaft geschrie-
benen Skizze seine Ansicht von der Entstehung der Städte darzulegen, in-
dem er als Seitenstück die bereits bekannte Urkunde des Abtes Eggehard
über die Errichtung des Marktes in Allensbach vom Jahre 1075 heran-
zog. Für Schulte ist das Marktrecht das allerwesentlichste, ja einzige
unterscheidende Merkmal der Stadt, die Urkunde von 1100 ist der
Akt , der Radolfzell zur Stadt macht , Marktgründungen im Sinne von
Radolfzell sind Stadtgründungen, so kommt er zu dem befremdlichen Titel
5Q2 Literatur.
seiner Abhandlung. Als Stützen für diese Behauptungen führt er in
der Hauptsache nur drei Urkunden an, die bekannte Aufzeichnung über
die Rechte des Grafen von Namur in Dinant und die beiden von ihm ver-
öffentlichten Stücke. Da er die erstere nur nebenher erwähnt und wir
uns mit ihr später noch eingehender zu beschäftigen haben, so können
wir uns jetzt darauf beschränken, die Auslegung, welche Seh. der Radolf-
zeller und der Aliensbacher Urkunde gibt, zu prüfen. Die Eadolfzeller Ur-
kunde ist anscheinend schlecht überliefert und daraus hat Seh. das Eecht
abgeleitet, »Verbesserungen und Konjekturen« anzubringen, welche aber in-
soferne Bedenken erregen, als sie einerseits aus der Auffassung Schultes
abgeleitet sind, andererseits aber diese erst begründen sollen. Ausser
Schulte haben auch andere sich an der Deutung der Urkunde versucht 1).
Stimme ich mit keinem so ganz überein, dass ich mich einfach auf ihn
berufen könnte, so versuche ich es lieber, meine Ansicht im Zusammen-
hange vorzulegen. Wir müssen vor allem fragen: Sind Verbesserungen
überhaupt nothwendig? kommen wir nicht ohne sie mit dem überlieferten
Texte aus? Dabei können wir von einzelnen Schreibfehlern und Nachläs-
sigkeiten absehen und uns auf die sachlich bedeutsamen Stellen be-
schränken. Der Anfang der Urkunde ist deutlich. Es wird ein Gebiet
für den Markt ausgesondert mit dem Rechte und der Freiheit, dass jeder-
mann cuiuscumque conditionis einen Theil des Grundes erwerben, frei zu
Allod besitzen und verkaufen kann, nur muss der Käufer dem Villicus
eine Quart Wein entrichten. Hoc etiam constituimus ut idem forum sub
nullo districtu constaret, sed iustitiam et libertatem Constantiensem quae
jus fori est, semper obtineret. Hier versteht Schulte unter districtus die
öffentliche wie die hofrechtliche Gewalt und leitet aus dieser Stelle die
Aussonderung eines besonderen Gerichtsbezirkes und die Bestellung eines
eigenen, mit öffentlicher Gewalt bekleideten Marktgerichtes ab. Schaube
und Sohm stimmen ihm darin zu, nur sind sie über die Kompetenz nicht
einig, da Schulte und Schaube diesem Marktgericht die niedere und die
hohe Gerichtsbarkeit übertragen, Sohm dagegen die peinliche Gerichtsbar-
keit dem Landgericht vorbehalten will. Sohm hat überhaupt herausge-
fühlt, dass es keinen Sinn gibt, zu sagen, der Markt unterstehe gar keiner
Gerichtsbarkeit, er ergänzt daher »keiner auswärtigen*. Gegen die Auslegung
dieser Stelle ist einzuwenden, dass uns nirgends gesagt wird, dass das iudicium
fori die ordentliche Gerichtsbarkeit dauernd und in allem Betracht auf-
hebt 2), ausdrücklich wird in der Allensbacher Urkunde betont, dass die
mercatores inter se vel inter alios (sc. mercatores) keine anderen als die ge-
bräuchlichen iudicia halten dürfen, deren Kompetenz wohl nicht viel ver-
schieden war von der in den Quedlinburger und Halberstädter Urkunden
beschriebenen. Dass dies iudicium fori auch über das ausgesonderte Gut
zu handeln hatte, beweist noch gar nicht die Aufhebung der andern Ge-
richtsbarkeit, gleiche Kompetenz ist mit dem Hofrechte vereinbar (vgl.
') Kolmar Schaube, Die Erklärung der Urkunde von 1100 betreffend die
Marktgründung in Radolfzell, in Ztschr. f. G. des Oberrheins N. F. 6 (1891), 296 ff.
dem Bresslau in N. Archiv 17, 236 zum Theil, Gothein Wirthschaftsgesch. des
Schwarzwalds 1, VII ganz zustimmt. Georg Küntzel, Zur Erklärung der Markt-
privilegien von Radolfzell und Allensbach ebenda 8 (1893), 373 ff. Kolmar Schaube,
Noch einmal das Radolfzeller Marktprivileg ebenda 626 p.
2) Vgl. auch Kathgen, Entstehung der Märkte p. 33.
Literatur. 503
Hofrecht Burchards v. Worms § 26) und kommt selbständig neben dem
ordentlichen Gericht vor 1). Neben diesem iudicium fori blieb die ordent-
liche Gerichtsbarkeit des advocatus und villicus fortbestehen, wir brauchen
gar nicht zu der künstlichen Scheidung zweier selbständigen, gleich kom-
petenten, öffentlichen Gerichtsgewalten, die wie selbst Schaube zugibt,
doch in der Hand der alten Beamten vereinigt waren, zu greifen. So kann
sub nullo districtu bezogen werden auf die Freiheit des Verkehrs 2) oder
auf die Freiheit des Besitzes, welche vorher und auch sonst als ius fori,
ius forense bezeichnet wird. Mit dieser Verfügung war in letzerem Falle
also eine Beschränkung des öffentlichen Gerichts nur insoferne verbunden,
als ihm die zuständige Gerichtsbarkeit über das neu geschaffene Erb und
Eigen entzogen wurde, dagegen bewirkte sie eine völlige Aufhebung
des Hofrechts für die aus demselben ausgesonderte Marktgemeinde. Daher
erklärt es sich, dass die folgenden Bestimmungen wesentlich dem Schutze
dieses Hofrechtes gegen spätere willkürliche Erweiterung des Marktrechts
dienen und bewirken sollen, dass die famuli ecclesiae bei ihrem Rechte
bleiben. Weil sie durch die neue Ansiedlung an Weide und Holznutzung
Einbusse erleiden, wird ihnen das Recht zugesichert ut in foro sub nullo
banno emant, vendant et nulli iudicum de vendicione pro iure fori re-
spondeant. Schulte meint, der Abt verzichte an dieser Stelle auf jedes
Bannrecht, d. h. auf die mit dem Worte Bann bezeichneten Monopolver-
käufe und Abgaben, wie ich glaube, mit Unrecht. Es handelt sich hier
nur um die Marktabgaben, welche eben die mercatores, nicht aber die
famuli entrichten sollen 3). Die judices hat Schaube für die von ihm kon-
struirten Marktrichter erklärt, Sohm versteht darunter die »auswärtigen
Richter«, Küntzel und wie es scheint auch Schulte, den advocatus und
villicus, was sich auch aus dem Zusammenhange ergibt. Küntzel aber über-
setzt die Stelle : die Hörigen sollen für das Marktrecht d. h. für die zu er-
theilende Erlaubnis keine Abgabe zu entrichten haben. Dem gegenüber halte
ich an der Bedeutung von respondere = gelten, entsprechen und pro = ge-
mäss fest 4) und betrachte den Satz nur als eine Ausführung und Folge des
sub nullo banno emant et vendant; es liegt das Hauptgewicht gar nicht
auf nulli iudicum sondern auf pro iure fori, nicht die Gewalt der iudices
überhaupt, sondern das ius fori wird ausgeschlossen. Im ersten Theile
des folgenden, die meisten Schwierigkeiten bereitenden Satzes scheinen
etliche Worte ausgefallen zu sein ; so wie Seh. ihn verbessert hat, gibt er
keinen Sinn, da man nicht weiss, was denn der Abt verbieten will. Besser
wäre es vielleicht nolumus im Texte beizubehalten und quod si in der
Bedeutung von quin zu nehmen : wir wollen es nicht verbieten, dass etwa
ein famulus ecclesie im Markte ein Haus kauft oder sonst irgendwie ein
Allod besitzt, (doch) stellen wir fest ut nee advocatus nee villicus nee
') Philippi, Zur Verfassungsgeschichte der westfäl. Bischofsstädte 21.
2) Vgl. Halberstädter ÜB. 1,2 nr. 3 ut in quodeumque mercatum nostra
vel antecessorum nostrorum auetoritate constitutum vel constituendum negotia-
tionis causa intraverint, sine contradictione et districtione judicum publicorum
vel quarumque iuridiciarum pevsonarum vendendi et emendi vel quolibet modo
commutandi sine theloneo perpetuain libertatem habeant facultatem.
8) Rathgen, Entstehung der Märkte p. 50.
4) Urk. von Dinant, Waitz Urk. p. 22 de perforatione seeundum quod jus suum
est, (rainisteriali) respondebitur, — ministeriali de omni foris facto respondebit.
504 Literatur.
aliqua secularis potestas ipsum occasione allodii iudicio fori vocet ad
presenciam sui, n(ec) ius fori ponat vel suscipiat. So bietet die Hand-
schrift diese entscheidende Stelle, an der Seh. vorzugsweise seine Emen-
dationen vorgenommen hat: vor iudicio schiebt er die Praeposition a ein,
liest das unsichere n mit einem Hacken darüber für nisi, wofür ihm
eigentlich sed noch lieber wäre, und nimmt statt ponat poscat an. Damit
kommt er zu dem Verbot, die famuli nicht dem Marktgerichte zu ent-
ziehen und schliesst daraus auf die Ausdehnung des Markt gerichtes über
die famuli, allerdings nur in Bezug auf Marktsachen und Marktrechtsgut.
Bresslau lässt Schulte's a fallen, nimmt aber nisi poscat an, Küntzel da-
gegen erklärt sich gegen letzteres , behält aber Schulte's a bei, während
Schaube mit vollem Eechte für die überlieferte Fassung eintritt, aber doch
insoferne fehlt, als er für ponat vel suscipiat als Subjekt nicht wie sich
aus dem Satzgefüge ergibt, nee advocatus nee villicus, sondern mit Schulte
und Bresslau famulus annimmt. Schulte könnte sich für seine Deutung
allerdings auf § 38 des ersten Strassburger Stadtrechtes berufen: mini-
stros . . . jus habet (scultetus) judicandi de ipsis, scilicet in causis perti-
nentibus ad mercaturam, si volunt esse mercatores, aber dagegen spricht
die Absicht des Eeichenauer Abtes, den Hofgenossen alle Vortheile zu
sichern und gleichzeitig den Hofverband abzuschliessen : quia nostrum est
ecclesiis et ecclesie hominibus . . . providere. So vermag ich den Satz
nicht anders zu übersetzen als : weder der Vogt noch der Meier noch eine
andere gerichtliche Gewalt soll einen famulus, wenn er etwa ein Allod im
Markte besitzt, durch das Mittel des Marktgerichts vor sich laden noch
das Marktrecht (Verfahren und Bussen in dem Marktgericht) setzen oder
empfangen1). Ganz ungezwungen verbindet sich damit der Schlusssatz:
Et si secularis potestas vel qualiscumque persona ipsum habet impetere,
ad presenciam famulorum ecclesie vocetur et omnis controversia et pul-
sacio, que in ipsum est, iudicio illorum terminetur. Also nicht Ausdeh-
nung, sondern Ausschluss des Marktgerichts folgere ich aus der Urkunde,
den Beamten soll die Möglichkeit benommen werden, mit Hilfe des Markt-
rechts das Hofrecht zu umgehen und auf diese Weise die Grundherrschaft
zu schädigen, die Hofgenossen zu belästigen. Bequem reiht sich die Urkunde
unter die zahlreichen Verfügungen ein, in denen die Herren ihre eigenen Leute
an dem Eintritte in das Stadtrecht oder einen andern Hofverband hinderten 2).
Mit dem Gesagten halte ich auch die Frage über die Notwendigkeit und
Zulässigkeit einer den Sinn des überliefei'ten Textes in sein Gegentheil
verkehrenden Verbesserung im Gegensatz zu Schulte entschieden.
Auch mit der anderweitigen Auslegung der Urkunde von Seite Schultes
vermag ich mich nicht überall einverstanden zu erklären. Auf S. 143
ö
lesen wir : » von Erwerb andern eigenen Besitzes in der Ackerfiur ist keine
Rede, der Kaufmann braucht ja auch keinen Ackerbesitz«. Wozu bedurften
dann diese Kaufleute der Nutzung an Weide und Wald? S. 147 hebt Seh.
als »wichtigen Umstand« hervor, dass der Abt nicht »verlangt, dass der
') Urk. von Dinant Waitz p. 23 non licet placitum alicui poni, dum ju-
sticie comitis audiri debent et reeipi. 8) So auch v. Below Urspr. 106. Die
famuli in Radolfzell waren also noch strenger vom Marktrechte abgeschlossen als
dies sonst der Fall war, sie standen gleich den rustici der Canoniker von Lüttich
und Mastricht vgl. Waitz Urk. p. 38 § 1—3.
Literatur. 505
neue Ansiedler irgend einem Stande angehört. Omnis homo cuiuscunque
conditionis ist ihm willkommen; . . . Frei oder unfrei? Darum kümmert
sich der Marktherr nicht*. Ganz richtig, nur ist das keine besondere
Eigenthümlichkeit des Markt- oder des Stadtrechts. Die Herren kümmerten
sich überhaupt nicht, woher ihre Leute kamen ; so eifersüchtig sie ihren
Hofverband abschlössen, so gerne nahmen sie fremde Hörige oder Freie
auf, herein Hessen sie jeden, hinaus keinen. Die Aschaffenburger Familia
zu Ebermannstadt setzt sich aus Leuten zusammen de quacumque gente
commanendum illuc convenirent, ganz so wie der Graf von Namur jeden
für sich in Anspruch nimmt, der sich in der villa ansiedelt cujuscum-
que antea fuerit 1). Daraus, dass nach der Urkunde vom Jahre 1267 die
fremden Herren der in der Stadt angesiedelten Eigenleute nur auf ein
Drittel des Nachlasses Anspruch hatten, vermag ich durchaus nicht zu
folgern, dass »mindestens eine gleiche Vergünstigung für die Eigenleute
der Keichenau bestanden haben muss«. Es handelt sich da gar nicht um
eine Vergünstigung für fremde Eigenleute, sondern darum, dass nicht
städtisches Gut in fremde Hände gelangte oder der fremde Herr durch
Erbgang in die städtische Gemeinschaft eintrat. Ganz unvermittelt stellt
Seh. den Satz hin, dass eben die Urkunde von 1100 der Akt sei, der
Kadolfzell zur Stadt macht. In der Urkunde selbst ist diese Absicht ja
nicht ausgesprochen und Seh. begründet sie nur damit, dass Kadolfzell
Anfangs des 13. Jahrhunderts als Stadt erwähnt wird, uns aber zwischen
dieser Zeit und dem Jahre 1100 keine Urkunde bekannt ist, welche die
Erhebung zur Stadt bezeugt. Muss denn überall eine solche Urkunde vor-
liegen? Wann wurden Köln, Worms, Mainz, Speier Städte?
Ohneweiters spricht nun Seh. auch bei der Allensbacher Urkunde von
einer Städtegründung und gestattet sich, von diesem Gedanken völlig be-
herrscht, manche Willkür in der Deutung derselben. Es spricht in leb-
hafter Phantasie davon, dass man Allensbach , dem Reichenauer Konkur-
renzmarkt gegen Konstanz, grosse Freiheiten zumass, indem man es Worms
uud Mainz an die Seite stellte. Das ist Uebertreibung 2), in der Urkunde
Ottos III. steht nur, wer den Markt stört, soll die gleiche Strafe zahlen
wie der Friedensbrecher und Münzfälscher in Mainz, Worms oder Kon-
stanz, eine recht einfache und selbstverständliche Sache, da des Königs
Praecept die gleiche Würde in sich hat, ob es für Mainz oder Allensbach
ausgestellt ist 3). Mit der Koncurrenz gegenüber Konstanz wird es kaum
so ernst zu nehmen sein, da die Reichenauer sich 80 Jahre lang Zeit Hessen,
bis sie die von Otto III. erhaltene Verleihung ins Leben führten, und so
wird wohl auch der Konstanzer Bischof gerade deswegen keine schlaflose
Nacht zugebracht haben. Versuchen wir es, ohne Voreingenommenheit und
ohne das Bestreben, in der Urkunde den Akt einer Städtegründung zu
erweisen, die Verfügung des Reichenauer Abtes zu erklären, so bemerken
wir als den auffälligsten Unterschied zwischen Radolfzell und Allensbach,
') Vgl. auch .Waitz Vfgg. 2 5, 313.
2) Vgl. die lehrreiche Anmerk. bei Bücher Entstehung der Volkswirtschaft S. 47.
») Dieselbe Formel des Notars Her. C. in DD. O. III. 311 (f. Graf Berthold-
Villingeu), 357 (f. Heimarshausen),' 364 (S. Maximin- Wasserbillich) , in anderen
Urkunden werden solche Vorbilder nicht erwähnt, .sondern nur der Königsbann
schlechthin verhängt DDO. III. 357, 372, vgl. Rathgen, Entstehung der Märkte p. 38.
506 Literatur.
dass an ersterem Orte ein bestimmtes Gebiet ausgesondert wurde, was in
Allensbach nicht der Fall ist: Omnibus eiusdem oppidi villanis mercandi
potestatem concessimus, ut ipsi et eorum posteri sint mercatores, exceptis
his qui in exercendis vineis vel areis occupantur. Schulte meint, dass im
Gegensatz gegen Badolfzell den Bauern überhaupt jede Antheilnahme am
Markt untersagt sei, Küntzel und Schaube erklären die Ausgenommenen
als die Eigenleute des Abtes, welche dessen eigene Güter bewirthschafteten.
Beide Erklärungen befriedigen nicht, die erste nicht aus dem von Küntzel
a. a. 0. zusammengefassten Gründen, die zweite nicht, weil von einer
Lösung des Hofverbandes für die mercatores gar nicht die Bede ist *) wie
denn auch die servi aecclesiae am Schluss der Urkunde als Zeugen er-
scheinen. Ich meine, die rechte Auffassung gewinnen wir, wenn wir uns
den tiefgreifenden Unterschied zwischen Aliensbach und Badolfzell ver-
gegenwärtigen, der eben darin besteht, dass man in ersterem die Grün-
dung des Marktes innerhalb des Hofrechts, in letzterem ausserhalb des-
selben vornahm. Die villani konnten Handel treiben, nur durfte dadurch
die Bewirthschaftung der Güter nicht vernachlässigt, der Ertrag der Grund-
herrschaft nicht verringert werden 2). Dagegen schützt sich der Abt ad
profectum monasterii sui, daher behält er auch seine grundherrlichen Bann-
rechte in vollem Umfange, sichert gerade diese durch den Königsbann auf
Grund des Braeceptes und erlässt den mercatores keine Abgabe, sondern
verpflichtet sich nur, von ihnen nicht mehr einzuheben als die Kaufieute
in Konstanz und Basel dem Bischof und Vogte leisten. In Aliensbach
trat auch keine Vermehrung der Bevölkerung, keine Neuansiedelung ein.
Nur die wirthschaftlichen Verhältnisse hätten eine Aenderung erfahren
können, wenn der Markt zu einiger Blüthe gediehen wäre, was aber nicht
geschah. Die Begelung dieser Verhältnisse blieb wohl der Hofgenossen-
schaft überlassen, selbstverständlich war es nicht beabsichtigt, dem mer-
cator den Ackerbau zu verbieten, wie ja die guten Aliensbacher überhaupt
keine Kaufleute geworden, sondern statt den Konstanzer Markt zu ver-
nichten, ruhige Ackerbürger geblieben sind 3). VoUends ist auch in dieser
Urkunde keine Bede von einer Aussonderung einer eigenen Gerichtsge-
meinde der Kaufleute, deren Gericht mit der hohen und niedern öffent-
lichen Gerichtsbarkeit betraut wurde. Die iudicia, die der Abt den mer-
catores erlaubte und doch gleich von Anfang an einschränkte, dürfen wir
ausschliesslich nur auf Marktangelegenheiten beziehen. Der Abt leitete
aus dem kön. Fraecept nur die Berechtigung ab , innerhalb des Dorfge-
bietes, das ja keineswegs mit dem Marktrechtsgebiet übereinstimmt, den
Königsbann für Frevel aUer Art anzusetzen 4), und nur insoferne als der
Markt innerhalb dieses Gebietes lag und die betreffende Vorschrift eben
durch die Gründung des Marktes und die Verstärkung der Verkehrssicher-
heit veranlasst war, besteht zwischen dem Markte und dieser Verfügung
') So auch Sohm p. 83.
2) Solche Vernachlässigung Hess sich 1187 ein juvenis Hermann aus Hugel-
heim zu Schulden kommen, der institoris officium gerens plus coluit forum quam
agrum. Höniger in Westd. Zeitschr. 1883, 241.
3) Below, Ursprung 30. Gothein, Wiithschaftsgesch. des Schwarzwalds 1, 140.
*) Vgl. eine ähnliche Abgrenzung des Banngebietes in Bingen DO. IL 306.
Literatur. 507
ein Zusammenhang. Mit keinem Worte aber wird gesagt., dass das iudi-
cium mercatorum mit diesem Königsbann ausgestattet worden sei.
Müssen wir nach diesen Betrachtungen die Bedeutung des Marktes
für die Entstehung der Stadt ßadolfzell und der überhaupt nicht nach-
weisbaren Stadt Allensbach gegenüber Schulte wesentlich einschränken, so
werden wir auch den allgemeinen Schlussfolgerungen, die Seh. aus beiden
Urkunden zieht, nicht zuzustimmen vermögen. Zwar das ist richtig, dass
die Kadolfzeller Urkunde uns erweist, wie die Gründung eines Marktes sich
neben dem Hofrechte vollzieht, aber gegen die Ueberschätzung des Marktes,
gegen die Identificierung des Marktrechtes mit dem Stadtrechte schlechthin
muss ich mich mit dem Hinweise auf die allgemeinen Einwendungen,
welche gegen die Marktrechtstheorie überhaupt erhoben worden sind, eben-
so aussprechen wie gegen die Unterschätzung der Befestigung. Gerade
diese bildet eines der hervorragendsten Einigungsmittel der Stadt, das
beweisen uns zahlreiche Urkunden und Nachrichten aus allen Zeiten, denen
wir die Radolfzeller Urkunde vom Jahre 1267, welche Seh. selbst anführt,
anreihen dürfen1). Seit jeher haben Handel und Verkehr Schutz und Frie-
den an gesichertem Orte gesucht, sei es, dass die Händler ihre Buden
auf einem befriedeten Platze, wie dem Eaume vor einer Kirche, aufschlugen,
sei es, dass in gefahrdrohender Zeit einsichtige Eegenten den Handel in
die befestigten Orte lenkten, wie das die angelsächsischen Könige und
Wilhelm der Eroberer 2), im Osten Deutschlands Heinrich I. verfügten. So
lege ich denn auch der Erörterung darüber, ob der Jahr- oder der Wochen-
markt grössere Bedeutung für die Entstehung einer Stadt gehabt haben,
kein Gewicht bei. Für die rechtliche Seite der Untersuchung ist das, wie
Sohm und v. Below bemerkt haben, gleichgiltig, und was das wirthschaft-
liche Moment betrifft, so wird sich eine einheitliche Formel nicht aufstellen
lassen, da hier die Verhältnisse einer Gegend, eines Ortes, die Wandlungen
im Laufe der Zeit durchaus verschiedene Bedingungen schufen und ver-
schiedene Wirkungen hervorriefen. Doch nehme ich dankbar als Abschlags-
zahlung das Zugeständnis Schultes an, dass der Jahrmarkt gar nichts zur
Städtebildung beiträgt, und in Bezug auf den Wochen-, Tages- und stän-
digen Markt erlaube ich mir die bescheidene Meinung zu äussern, dass
diese eine grössere geschlossene Ansiedlung voraussetzen, nicht hervor-
l-ufen, wenn sie auch dann ihr wirtschaftliches Aufblühen sehr begün-
stigen. Sehen wir von dem Handel mit Vieh und Ackerfrucht ab, der
doch als eine zufällige Erweiterung ,dem wieder verschwindenden Konflux
des Jahrmarktes' gleichsteht, so bleiben nur die Stände der Lebensmittel-
verkäufer und der für den täglichen Bedarf arbeitenden Gewerbe und Hand-
werker übrig, diese aber können ihr Geschäft nur mit einer verzehrenden,
nicht selbst erzeugenden, zahlreichen Bevölkerung treiben ; um einen solchen
Markt ertragreich zu machen, bedarf es also einer Bevölkerung von städti-
schem Charakter. Seh. hat seinen Vorsatz angekündigt, den Beweis für
seine Theorie »auf breitester Grundlage* zu führen, man darf wünschen,
dass es ihm inzwischen möglich geworden sei, die Hindernisse zu besei-
tigen, welche dem im Wege standen.
') Vgl. auch Bücher Entstehung der Volkswirtschaft S. 45.
2) Schmidt, G esetze der Angelsachsen p. 1 1 1 , 630, Stubbs Select Charters 7 p. 84.
508 Literatur.
Ich habe mich bei Schultes Schrift so lange verhalten, einerseits weil
dieselbe begründeten Anspruch auf eindringende Beurtheilung hat, ande-
rerseits weil sie einer der Grundpfeiler ist, auf denen S o h m das kunst-
volle Gebilde seiner Schrift (6) errichtet hat, der wir uns nunmehr zu-
wenden. Diese würdig ausgestattete Festgabe zum 50jährigen Doctorjubi-
läum G. W. Wetzells hat eine besondere Anziehungskraft, da sie das po-
litische, religiöse und wissenschaftliche Glaubensbekenntnis des gewaltigen
Denkers enthält und eine Formvollendung aufweist, welche ihr unter den
Forschungsdarstellungen letzter Zeit unstreitig einen ersten Platz anweist.
Mit bewunderswerther Meisterschaft hat Sohm den Stoff zurechtgehauen
und seiner Untersuchung zu folgen gewährt reizvollen Genuss und leb-
hafte Befriedigung. Begreiflich, dass seine Ergebnisse manchmal in wenig
durchdachter Form wiederholt wurden, dass man seine Autorität anführte,
um die eigene Meinung zu stützen, den Werth des Widerspruches zu ver-
ringern. Gegen solche Thätigkeit, die gewiss nicht im Sinne des Ver-
fassers geübt wird und die auch den Pflichten eines gewissenhaft urthei-
lenden Berichterstatters wenig entspricht, hat vor Allem Bernheim kräftige
Einsprache erhoben und diese auch durch eine scharfe Kritik der Auffas-
sung und Methode Sohm's begründet x). Heusler hat im Allgemeinen Sohm
zugestimmt, G. Schmoller in kurzem Bericht seines ehemaligen Strassburger
Kollegen Ansichten abgelehnt 2). Auf eine eingehendere Widerlegung sei
es der Gesammtauffassung, sei es einzelner Punkte haben sich v. Below,
Kuntze, G. Kaufmann, Willi Varges, Philippi u. A. eingelassen. Verweise
ich auf diese Schriften und Besprechungen, so wird es doch nicht über-
flüssig sein, nochmals unbefangen dem Gange der Untersuchung Sohm's
zu folgen , wobei wir uns darauf beschränken können , einzelnes was
bisher noch nicht eingehender erörtert worden, herauszuheben und an
diesen Stellen mit den begründeten Bedenken nicht zurückzuhalten. Steht
man nicht von vorneherein auf dem Standpunkt der Marktrechtstheorie,
so ist gegenüber Sohms Aufstellungen um so grössere Vorsicht am Platze,
da, wie wir gesehen haben, zwei Schriften, auf die er sich vornehmlich
stützt, die von Köhne und Schulte, nicht jene Beweiskraft haben, die
ihnen S. zuschreibt.
In der Einleitung führt S. den Leser im Gegensatz gegen die von
Gierke u. a. vertretene Anschauung, dass zur Entstehung der Städte mehrere
Ursachen in steter Wechselbeziehung zusammengewirkt haben, zu dem Satze:
»Immer, auch in der Rechtsgeschichte führt nicht Vielherrschaft, sondern
Einherrschaft zum Ziel«. Es gilt also den Punkt zu treffen, »bei dessen
Berührung wie durch Wunderkraft das helle Licht sich entzündet« und
dieser Punkt ist der Markt. Wie Schulte sagt auch S.: »Aus dem Markt-
recht ist das Stadtrecht hervorgegangen«. »Es kommt also darauf an, das
Marktrecht kennen zu lernen, um aus demselben das Stadtrecht zu be-
greifen. Es kommt ferner darauf an, das deutsche (!?) Marktrecht aus
dem fränkischen Keichsrecht, ja aus dem Grundgedanken des germanischen
Rechtes zu erschliessen«. So steht diese Untersuchung mitten in dem
Gange der andern Arbeiten Sohms und bildet ein prunkendes Glied in der
i) Deutsche Zeitschr f. Geschichtsw. 6 (1891), 257 ff
2) Heusler in Krit. Vierteljahrsschrift N. F. 14 (1891), 178 ff. Schmoller in
Jahrb. für Verwaltung 14 (1890), 267 ff.
Literatur. 509
kunstvollen Ketce seiner Schriften. Im ersten Kapitel handelt nun S. von
dem Weichbild. Es geht hier von R. Schröders Deutung des Wortes
Weichbild = Ortsbild = Stadtkreuz und von dessen Anschauung über das
Wesen des Marktkreuzes aus x). Stadtrecht ist Weichbildrecht d. h. das
Stadtrecht ist das Recht des Kreuzes, das Marktzeichen ist; die Stadt hat
das Eecht ständig ein Kreuz zu haben, während auf den Märkten des
platten Landes das Kreuz nur so lange steht, als der Markt dauert. Diese
Scheidung zwischen ständigem und unständigem Markt in dem Sinne, dass
der erste ausschliesslich den Städten eigen sein soll, ist sachlich nicht be-
gründet. Die Märkte im engern Sinne sind auch in Städten unständig
und andererseits kann es auch in Orten, die nie Städte waren, einen stän-
digen Markt, d. h. den Verkauf super fenestras und in Gewölben geben.
Die Marktrechtsverleihungen beziehen sich in der Hauptsache überhaupt
nur auf den unständigen Markt. Auch die Schilderung des Vorganges,
wie sich die Stadt im Rechtssinne aus dem Marktplatze heraus entwickelt
hat , wird man nicht billigen können. Sohm ist genöthigt bei
den alten Römerstädten anzunehmen, dass das Weichbildrecht sich nicht
von der Altstadt, sondern von der Neustadt aus verbreitet habe, während
er doch selbst die so bezeichnende Kölner Urkunde von 1154 anführt,
welche uns die Ausdehnung des ius civile von innen heraus veranschaulicht.
Eine feine Beobachtung hat er in Betreff der Verbindung des Marktes mit
den Martinskirchen gemacht, (S. 20) es Hessen sich den von ihm angeführten
Beispielen noch Halberstadt, Braunschweig, Erfurt, Minden und das Siegel
der Mainzer Bürger hinzufügen, doch kann von einem allgemeinen und
innern Zusammenhange wohl nicht die Rede sein, da ecclesiae forenses
auch anderen Heiligen geweiht sind. Es dürfte sich wohl um eine re-
gionale Besonderheit handeln, die erst ihrer Aufklärung harrt 2). Was
nun die Hauptsache betrifft, so nimmt S. allerdings, wie bemerkt, Schrö-
ders Auslegung des Wortes Weichbild an, will aber den ersten Theil
desselben nicht wie Sehr, allgemein als Ort, sondern mit Hinweis auf Wig-
haus als den befestigten Ort deuten, so dass er die Uebersetzung
Burgbild erhält. Er begeht denselben sprachlichen Irrthum wie einst
Gaupp und ist, wie dieser von einem Recensenten in den Heidelberger
Jahrbüchern 18 (1825), 82, so von W. Varges in D. Zeitschr. f. Ge-
schichtsw. 6 (l89l), 86 und Kuntze p. 47 berichtigt worden. Für den
zweiten Theil ist die Deutung auf unser Bild, wie sie übrigens auch Varge«
verficht, abzulehnen, ganz entschieden ist der auch von Kluge und Schulte
gebilligte Hinweis auf ein als selbständiges Wort verlorenes bilida =
Recht (Unbill) vorzuziehen. Wir erhalten also Weichbild = Ortsrecht 3) und
damit einen völlig synonymen Ausdruck zu dem bairisch-österreichischen
Burgrecht, in dem sich Burg als das älteste deutsche Wort für civitas er-
halten hat i). Beide stehen sich auch darin gleich, dass man sowohl von
J) Ich werde über die dieser Frage gewidmeten Schriften noch zu be-
richten haben.
2) Hinschius, Kirchenrecht 2, 281. Vgl. auch die Thesen des Gesarnmt-
vereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine auf der Versammlung
zu Stuttgart 1893 September.
8) So schon Wigand Gesch. v. Corvei und Höster 1, 228 und wenn auch
mit falscher Ethymologie Gaupp, Ueber deutsche Städtegründung p. 110.
4) Hess in Wiener SB. 11 (1S53), 7G5. Vgl. auch Rietzschel Civitas S. 95 f.
510 Literatur,
einem Weichbildrecht, als von einem Burgrechtsrecht spricht, eine Tauto-
logie, welche also nicht gegen bilida=Recht verwendet werden kann. Sind
nun das kräftigere Burgrecht und das farblose Weichbild einander wörtlich
gleich, so ist doch die Bedeutung nicht dieselbe. Ganz unzweifelhaft be-
ziehen sich Burgrecht - Weichbild = ius civile = ius fori auf eine und die-
selbe Sache, das Rechtsverhältnis des zu freier Leihe ausgethanen, zur
Tragung der städtischen Lasten verpflichteten Besitzes, aber Weichbild und
Marktrecht bezeichnen dann auch das ganze räumliche Gebiet dieses bür-
gerlichen Rechtes, während Burgrecht seine engere Bedeutung beibehält,
ja sich als Leihe- und Rentenrecht von dem Grundzins scheidet 1), für das
Rechtsgebiet aber in Bayem-Oesterreich das Wort Burgfriede gebraucht
wird. Daraus schliesse ich, dass eben jene engere gemeinsame Bedeutung
die ursprüngliche ist, was sich ja ganz gut erklärt, da jene Besitzart
, nicht ein rein privatrechtliches Verhältniss, sondern eine der Grundlagen
städtischer Gemeinwesen ist«2), eben der auf freier Erbleihe begründete
bürgerliche Besitz in frühester Zeit, wenn nicht das einzige so doch das
vornehmste ius civium war3). Burgrecht wurde auch niemals mit Stadt-
recht gleich gesetzt, die Urkundenformeln scheiden ganz bestimmt: als es
der Stadt Recht und Burgrechtes Recht ist. Von einer Beziehung zum
Markte ist in den drei ältesten und am meisten verbreiteten Benennungen:
ius civile, Weichbild, Burgrecht nichts zu erkennen, damit kann auch die
zum ersten Male in der Radolfzeller, dann in späteren schwäbischen Ur-
kunden, vereinzelt auch in Westfalen vorkommende Benennung ius fori
(Marktrecht) nicht jene Wichtigkeit beibehalten, die ihr S. zuschreibt. Es
ist doch auffallend, dass weder in der Radolfzeller noch in der Freiburger
Urkunde sich eine Beziehung des ius fori zu Marktangelegenheiten im
eigentlichen Sinne findet, sondern dass das Wort für jenes städtische Recht
am liegenden Gut gebraucht wird, das viel allgemeiner mit jus civile und
mit den entsprechenden deutschen Worten, deren sprachlicher Ursprung
jedenfalls in sehr frühe Zeit zurückreicht, wenn sie auch in Urkunden
verhältnissmässig spät vorkommen, bezeichnet wird. So erscheint mir denn
nicht ius fori, sondern ius civile als das Ursprüngliche und ich betrachte
das erstere nur als eine besondere Anwendung des allgemeinen Begriffes.
Aus dieser Auffassung ergibt sich auch die Unzulässigkeit der künstlichen
Auslegung, mit welcher S. zwischen einem Marktrecht im ursprünglichen
Sinne, das die Stadt einschliesst, und einem Marktrecht im Jüngern Sinne
scheidet, welches das ausserhalb der Stadt aber doch zu Stadtrecht lie-
gende Gebiet bezeichnen soll 4).
') Hess a. a. 0. Schwind Erbleihe p. 18.
2) Frensdorff, Lübek 12, der aber den allgemeinen Begriff == Stadtrecht als
ursprünglich annimmt.
3) Es ist in diesem Zusammenhange zu beachtent dass Radolfzell, wo eine
Aussonderung zu jus civile stattgefunden hat, wirklich Stadt geworden ist, wäh-
rend Aliensbach, trotzdem auch hier ein Markt errichtet wurde, es niemals so
weit gebracht hat.
4) Philippi vertritt in seiner neuesten Schrift (Zur Verfassungsgesch. der
westfäl. Bischofsstädte) p. 18 ft. die gleiche Auflassung des ius forense. Auf
seinen Versuch einer neuen sprachlichen Ableitung des Wortes Weichbild gehe ich
später ein. In Wien wird das Wort Weichbild nicht gebraucht, wie man aller-
dings nach dem Titel der von H. Schuster besorgten Ausgabe des Wiener Stadt-
rechtsbuches vermuthen könnte.
Literatur. 5 \\
Zu der falschen Auslegung des Wortes Weichbild gesellt sich bei S.
der andere Irrthum, das alte Wort Burg im späteren Sinne zu nehmen.
Die Stadt ist ein Markt, auch zu Zeiten, wenn kein Markt gehalten wird,
sie ist eine durch das Weichbild (Burgbild) bezeichnete Burg, auch wenn
sie durch keine Mauer geschirmt ist. Da das Weichbild (Markt- , Stadt-
kreuz) Zeichen des Königs ist und die daran angebrachten Leibzeichen des
Königs persönliche Anwesenheit veranschaulichen sollen, so ist die Stadt
als Markt eine Königsburg, in welcher der König weilt. Nun tritt als
wichtigstes Beweisstück die phantastische Fabelei des Sächsischen Weich-
bildrechtes ein (S. 29). Aus ihr, die auch R. Schröder und Kuntze mit
gleichem Behagen verwerthen, folgert S., dass die Verleihung des Weich-
bildrechtes Verleihung des königlichen Burgrechts ist. Ja, indem S. einen
Gedanken Schröders übertreibt, lässt er durch das Kreuz die Stadt sogar
für den König in Besitz nehmen, denn das Kreuz ist das Zeichen der
Frohnung, der missio in bannum, der Konfiskation. Abgesehen davon,
dass die Frohnung ein Strafexekutionsmittel ist und S. uns nicht darüber
aufklärt, wofür denn eigentlich die Strafe der Frohnung bei den Städten
erfolgt sein soll, wird hier vorausgesetzt, dass ein jedes Kreuz die Kon-
fiskation bezeichnet, und andererseits einem Kreuze doppelte symbolische
Bedeutung unterlegt, da das Marktkreuz sowohl die Anwesenheit des Kö-
nigs als die Frohnung durch denselben bezeichnen soll. Daher werden
alle Städte, da sie eben Märkte sind, als urbes regales als civitates (majores
und) publicae bezeichnet, auch wenn sie unter der Gewalt eines Stadtherrn
stehen. Ist schon die Beweisführung Sohms gewaltsam, so darf es uns nicht
wundern, dass die Probe nicht stimmt und dass die beiden Urkunden, die S.
für sich anführt, das nicht beweisen, was er will. In DO. I. 307 werden den
Kaufieuten von Bremen anlässlich der dem Erzbischof zugestandenen Errich-
tung des Marktes dieselben Eechte und der gleiche Schutz zugestanden wie
den institores ceterarum regalium urbium. Also muss nach Sohms Auf-
fassung auch Bremen als regalis urbs bezeichnet werden. Schon Frens-
dorff hat einmal darauf aufmerksam gemacht , dass ceteri im ma. Latein
eine sehr abgeschwächte Bedeutung, etwa wie das französische autres, hat
und wir brauchen daher den Ton gar nicht auf ceterarum zu legen, wie
Sohru, sondern auf regalium. Die Kaufleute von Bremen sind keineswegs
»trotz der Gewalt des Erzbischofs über den Ort Kaufleute einer Königs-
stadt«, sondern sie sind mit den Rechten königlicher Kaufleute begnadete
Händler eines erzbischöflichen Ortes. Dass ferner Worms in der oft be-
sprochenen Urkunde l) Heinrichs IL vom Jahre 1014 (Wormser ÜB. 1,32
nr. 42) zu den civitates publicae gerechnet werde, vermag ich ebenso
wenig zuzugeben. S. stützt sich darauf, dass H. D. die Einhebung des
Sechzigschillingbannes untersagt hat nisi in publicis civitatibus, während
nach dem Hofrecht Burchai-ds dieser Königsbann in Worms erhoben wurde.
Aus der ganzen Tendenz, dem Anlass der Urkunde geht aber hervor, dass
Heinrich IL nicht die Erhebung dieses Bannes überhaupt, sondern nur
die Erhebung durch die Grafen verbieten wollte, daher untersagt er nicht
den Bann an sich, sondern den Bann den die Grafen bisher mit Unrecht
erhalten hatten: Illos vero 60 solidos quos usque nunc iniusta et irra-
tionabili lege receperunt (sc. comites), omnino interdicimus nisi in publicis
') Vgl. auch Hegel in Allgem. Monatsschrift 1854, 164.
512 Literatur.
civitatibus. In diesen dürfen sie ihn nach Eecht und Gesetz erheben,
während in Worms ihn nur der Vogt für den Bischof weiterhin einheben
kann. Wir haben sonach keinen Grund, die bisherige Scheidung aufzu-
geben, und uns mit dem seltsamen Widerspruch abzuquälen, dass die Ver-
leihung des Marktbannes an einen Marktherrn gleichzeitig den Ausschluss
der kön. Beamten, die Verleihung des Begals und die Frohnung für den
König bewirkt haben soll.
Indem nun S. das Stadtrecht aus dem Burgrecht ableiten will, er-
klärt er zuerst den Stadtfrieden. S. geht dabei von dem Königshause aus,
das eben einen besonderen Frieden, den Königsburgfrieden geniesst, den
er von dem Frieden scheidet, den die Person des Königs mit sich trägt;
Verletzung des einen wie des andern wird mit Bann d. h. mit öffentlicher
Geldstrafe gebüsst. Treffen beide zusammen, d. h. wird ein Vergehen im
Königshause und in der Nähe des Königs begangen, so tritt die peinliche
Strafe ein. Obwohl in allen von Sohm und Brunner (Rechtsgesch. 2,42)
angeführten Stellen die persönliche Anwesenheit des Königs, sein wirkliches
Eigenthum vorausgesetzt wird, so führt Sohm doch seine im ersten Kapitel ge-
wonnenen, durchaus unbegründeten Vorstellungen ein. Durch das Kreuz des
Volksrechts, das Marktkreuz ist der König in der Stadt anwesend, daher
ruht nur die Strafe des Bannes auf dem Friedensbruch, durch das froh-
nende Kreuz des Amtsrechts ist aber die Stadt auch im Besitz des Königs,
daher die peinliche Strafe. So erhält S. ein Weichbild (Kreuzes-)Recht
nach fränkischem Volksrecht, ein anderes nach fränk. Amtsrecht. Beide
gerathen nun im ]2. Jahrhundert in Kampf, der damit endet, dass sich
das volksrechtliche Weichbildrecht aus der Stadt flüchten muss, während
in der letzten die peinliche Strafe für Friedensbruch durchdringt, ein
Vorgang, für den es allerdings eine etwas einfachere Erklärung gibt,
die Bernheim und Kaufmann entgegengestellt haben. Aus diesen Vor-
stellungen gewinnt nun S. die weitere Fiction, dass der Friede, den
die Kaufleute gemessen, darin begründet ist, dass sie zum Könige
reisen, wofür er dann eine Bestätigung darin findet, dass im 12. und
13. Jahrhundert die Verletzung der diesen ertheilten Schutzurkunden
als Majestätsbeleidigung geahndet wird. Die Wendung reus majestatis auf
die er sich beruft, ist nun aber keineswegs diesen Urkunden allein eigen-
thümlich, sie findet sich in Diplomen jeglichen Inhalts (vgl. aus dem
10. Jahrh. DO. I. 389, 401, DO. II. 221, DO. III. 80, 136) und findet ihre
Erklärung in der von Ficker Forsch, zur ital. Bechtsgesch. 1,79 darge-
stellten Entwicklung der Strafformeln. *) Gegen die Ansicht Sohms spricht
dann auch, dass dieser Friede den Kaufleuten keineswegs als Folge des
Königsfriedens von selbst zusteht, sondern ihnen erst durch besondere könig-
liche Verfügung verliehen werden muss, wir werden ihn daher als Ausfluss
des kön. Schutzes betrachten, unter dem die Kaufleute stehen (Brunner,
Bechtsgesch. 2, 47, 49). Wie Schröder will auch S. in dem Markt (Stadt)-kreuz
nur ein weltliches Symbol erblicken, das erst später seiner Form wegen Anlass
zu kirchlicher Deutung gegeben hat, eine Auffassung, gegen welche Kuntze's
Bemerkungen zu vergleichen sind. Daher haben nach seiner Auffassung
auch die Urkunden Unrecht, welche den Stadtfrieden als pax dei bezeichnen,
*) Vgl. auch v. Ottenthai Reg. Ottos I. n<> 514, 528.
Literatur. 51 3
und die feierliche Handlung mit der einst Bischof Arnulf von Halberstadt
die Vollendung und den Ausbau seiner civitas bekräftigte, bezeichnet S.
als etwas Nebensächliches, der treffliche Bischof und seine Städte regieren-
den und errichtenden Amtsgenossen, wie etwa der h. Ulrich, Burchard
von Worms, hatten freilich keine Ahnung, dass sie sich eigentlich gegen
die rechtsgeschichtliche Entwicklung vergiengen, wenn sie nach einer in
die spätrömische Zeit hinaufreichenden Uebung handelten.
Schreiten wir nun in der Untersuchung weiter, so kommen wir zu
zwei einander scheinbar widersprechenden Wahrnehmungen. Einerseits
machen sich die Folgen der irrigen Voraussetzungen immer deutlicher be-
merkbar, andererseits gelangen wir auf festeren Boden und hier vermag
S. alle Klarheit seines Denkens fördernd zu entfalten. So werden manche
Abschnitte auf unbedingte Zustimmung rechnen können und reiche An-
regung gewähren, soferne man nur von den vorgefassten Meinungen des
Verfassers sich freizuhalten weiss. Die Stadt ist kraft ihres Weichbild-
rechtes ein Asyl, ein Satz der sich in solcher bestimmter und allgemeiner
Fassung nicht behaupten lässt 1). Soweit wir sehen, ist dies Vorrecht
kein ursprüngliches, sondern ein auf Privileg begründetes und hat den Be-
stand eines besonderen Gerichtsbezirkes zur Voraussetzung, es ist auch
keineswegs den Städten allein eigen, sondern kommt jedem Gerichtsbezirke
zu. Sohm setzt das Ende einer langsamen Entwicklungsreihe als den An-
fang, ohne hiefür einen Beweis beizubringen, man müsste denn seine Frage
in Anm. 85 als solchen gelten lassen. Er geht auch ohne viel Aufhebens
zu machen über eine Konsequenz seiner Ansicht hinweg, die doch etwas
mehr zu denken gibt. Er muss zugestehen, dass, obwohl die Stadt
ständiger Marktplatz ist, zur Zeit des Marktes wieder ein besonderer Markt-
friede herrscht. Dieser gesteigerte Marktfriede, welcher das aus dem Stadt-
(Markt-)frieden abgeleitete Stadt- (Markt)gericht aufhebt, erklärt sich leicht,
wenn man Stadt- und Markt, Stadt- und Marktgericht auseinanderhält, bleibt
aber nach Sohms Auffassung ebenso unerklärt, wie die Wahrnehmung, dass sich
die Stadt nicht etwa aus der wirklichen Königsburg, wo eine solche vorhanden
war, sondern neben dieser (nach Sohm aus der fictiven) entwickelt hat. Aus
diesen widerspruchsvollen Voraussetzungen gelangt S. (p. 54) zu dem
Schlüsse, dass das Asylrecht ein besonderes Stadtgericht erzeugt und in
sich die Befreiung vom Landgerichte schliesst. Da nun dieses Stadtgericht
aber auch ein öffentliches ist so muss S. erst seine Entstehung ausser-
halb des Landgerichtes erklären. Dazu dient ihm nun die Immunität, für
welche er Heusler-Gierkes Ansicht in eine seiner Auffassung entsprechende
Form bringt. Die Stadt geniesst die Immunität des Königshauses d. h.
nach Sohm, sie ist wie dieses kraft öffentlichen Eechtes von der Ge-
walt des öffentlichen Gerichts ausgenommen und daher ist das besondere
Stadtgericht kein gewöhnliches Immunitätsgericht, sondern ein öffentliches
Gericht und sein Richter ist der Schultheiss, der Centenar der fränkischen
Reichsverfassung. Man sieht, ein künstlicher und umständlicher Beweis-
gang für eine seit langem bekannte Thatsache, ein Beweisgang den S.
wohl an keiner einzigen Stadt als wirklich eingehalten nachweisen könnte.
In keiner Weise hat er die bisherige Annahme, dass das Stadtgericht eine
») v. Below Urspr. B3. Varges in seinem angeführten Aufsatze.
Mitteilungen XV. 33
514 Literatur.
Fortsetzung des Landgerichtes sei, irgendwie erschüttert. Aus seiner Auf-
fassung ersteht aber noch ein schwerer Fehler, indem S. Stadt- und
Marktgericht schlechthin zusammenwirft, während wir zu einem klaren Ver-
ständnis nur gelangen können, wenn wir beide, bezw. das öffentliche
Stadtgei-icht und das Kathsgericht, sorgfältig auseinanderhalten, mögen
auch zu gewissen Zeiten und in manchen Städten beide in einei Hand
vereinigt gewesen sein *). An seine Darstellung der Leihe, welche uns
vielleicht in anderm Zusammenhang beschäftigen wird, knüpft S. die Fol-
gerung, dass die Handwerker in ihrer grossen Mehrzahl in den Städten
nicht zu Weichbildrecht sondern zu Hofrecht angesessen und daher auch
vom Bürgerrecht ausgeschlossen waren. Diese Ansicht ruht auf der durch-
aus unrichtigen Anschauung, dass das. Stadtreehtsgut die unmittelbare
Verleihung von Seite der Markthern zu Marktrecht als nothwendige
Bedingung seiner Eechtswirksamkeit voraussetze. Das Stadtrechtsgut
kann seine Eigenschaft nur duich Exemtion von Seite des Käthes
oder der andein zuständigen Behörden verlieren, eine area civilis soll
stets dem Stadtgerichte unterstellt bleiben, wie das deutlich in den Ur-
kunden von Hameln in Anwendung auf verschiedene Fälle betont wirda).
So macht es also gar nichts aus, wenn die Handwerker in Folge ihrer
Kapifalsnoth zumeist nicht auf eigenem, sondern auf geliehenem Grunde
in einem geliehenen oder mit Rechten belasteten Hause sassen, die Haupt-
sache war die, ob dieser Grund, dieses Haus bürgerlich oder herrschaftlich
war. Von einem Hofrechte auf städtischem Grunde kann keine Rede sein,
mochten auch eine noch so grosse Anzahl bürgerlicher areae in einer
Hand vereinigt sein. Eben der Entfiemdung der bürgerlichen Hinter-
sassen solcher weitergeliehener Stadtrechtsgüter soll die von S. (p. 6l)
augeführte Stelle des Augsburger Stadtbuches vorbeugen 3), während die
Stelle des Wiener Stadtrechtsbuches hier überhaupt nicht in Betracht
kommt, da es sich um ein herrschaftliches Hofrecht, das der Schotten,
handelt, das seine Selbständigkeit bis in die neueste Zeit gewahrt hat.
Jedenfalls aber genossen die Handwerker des Bürgerrechts, wenn sie auch
nicht im Vollbesitz der politischen Rechte waren, ihnen Rathsfähigkeit
entweder ganz abgesprochen oder nur in beschränktem Masse zugestanden
wurde. Dass allein Kaufieute unmittelbare Besitzer von Weichbildgut waren,
lässt sich nur in den als Kauforten gegründeten Städten erweisen, die doch
nicht allein massgebend sind, in allen andern Städten, mögen es noch so
') v. Below Urspr. p. 89 ff. Man vergl. die deutliche Scheidung in der
auch von Sohrn angeführten Urkunde für Medebach und in Herford.
'•Q Meinardus Ü.B. n° 21, 27, 75.
3) Den in dieser Hinsicht in Wien , durch Gewohnheit' eingerissenen Missbrauch
hat Herzog Rudolf iV. mit Urkunde vom 2. August 1360 abgestellt. Die be-
trettende Urkunde ist in den Rechten und Freiheiten 1, 149 n° b'2 fehlerhaft und
keinesfalls nach der Originalurkunde, sondern trotz der bestimmten Quellenangabe
nach Hormayr gedruckt. Horniayr hat das Eisenbuch benützt, in dem an der
entscheidenden »Stelle mehrere wichtige Worte weggelassen sind, im Original
steht: hingegeben und gevertigt wurden als mit herren der aigenschaft. Doch
wan wir rechter herre sein der aigenschaft und des grundes der
egenannten stat und der vorstetten. (Hechte und Freiheiten 1, 149 Zeile lü des
Textes). Dazu gehört dann die Urkunde vom 20. Juli 1360 n° 65 in der alle
Freiungen mit Ausnahme der Burg-, Schotten- und S. Stephan sfreiung abgethan
werden.
Literatur. 515
grosse Handelsstädte sein, treten die Grundbesitzer als die älteste, wich-
tigste und vornehmste Schicht der Bevölkerung auf1). Ebensowenig mussten
die ständigen Urt)ieil6nder im Stadtgericht Kaufleute sein, all das sind
Behauptungen, welche in den von den Einzelforschungen gewonnenen Er-
gebnissen keine Bestätigung finden.
Derselbe grundlegende Fehler der Vermischung von Stadt- und Raths-
gericht beeinflusst auch das folgende Kapitel über die Zuständigkeit des
Stadtgerichtes, hier muss S., da er die Kompetenz des Landgerichts für
peinliche Sachen anerkennt, einen Gegensatz zwischen Land- und Stadt-
gericht annehmen, der in diesem Sinne nicht vorhanden ist. Dagegen ist
es richtig, dass die IStadt keineswegs selbst die Gerichtsbarkeit erwerben muss,
dass vielmehr die Gerichtsherrlickeit über das Stadtgericht entweder dem
Stadtherrn oder einem eigenen Gerichtsherrn verbleiben kann.
Eine Fülle von Anregungen und zutreffenden Bemerkungen streut S.
in dem fünften und dem Schlusskapitel aus, lehrreich ist namentlich die
Darstellung der Ausbildung des Stadtrechts und seines Inhaltes. Wenn S.
den Rath auschliesslich aus der Marktverfassung ableiten will, so fehlt dafür
nach dem Gesagten ebenso die Grundlage wie für den pathetischen Schluss-
satz: »allein das Amtsrecht des germanischen Königthums hat machtvoll als
sein lebenskräftigstes, noch heute blühendes Erzeugnis der deutschen und der
ganzen abendländischen Entwicklung das deutsche Bürgerthum geschenkt.«
Der Versuch, so flüssige und lebendige Elemente wie Handel und
Verkehr, in den starren und abstrakten Vorgang eines Kampfes und Vor-
schreitens von Rechtsanschauungen zu zwängen, scheint mir um so mehr
verunglückt, als S. nicht an einer Stelle nachgewiesen hat, dass die von
ihm entwickelten Rechtsanschauungen im Bewusstsein der Zeitgenossen
gelebt haben. Wir gelangen somit in das gefährliche Kapitel von dem
Einflüsse des Unbewussten in der Geschichte und bevor wir dies Moment
für die Erkenntnis von Thatsachen verwenden, wollen wir doch lieber
versuchen, den Kreis des Bewussten möglichst zu erweitern und zu erhellen.
Im Gegensatz »gegen den Chor neuerer Schriftsteller nach Eichhorn«
hat Sohms romanistischer Universitäts-Kollege Kuntze (7) den Versuch
gemacht Eichhorns und Gaupps mit Savigny's Forschung zusammenhängende
Theorie von der Fortdauer römischer Einrichtungen, ja von der Vorbild-
lichkeit römischer Stadtverfassung für die deutsche neu zu beleben. Das
geschieht jedoch mit allzu geringer Kenntnis der letzteren und auch mit
geringer Wirkung. Es genügt auch dieser neuesten Schrift gegenüber auf
den entsprechenden Abschnitt im 2. Bd. von Hegels Ital. Städteverfassung,
ferner auf Brunn er Rechtsgesch. 2, 197 und Luchaire Les Communes
Francaises 1 2 zu verweisen. Den römischen Ursprung der Kölner Richer-
zeche und die Selzer libertas Romana hätte K. nicht mehr hervorholen
sollen. Doch ist die Schrift nicht ohne Verdienst, mit guten Gründen
hat K. manche schwachen Punkte in Sohms Beweisführung aufgedeckt und
ich möchte sein Urtheil um so mehr beachtet wissen, als er nicht im
Banne einer andern deutschrechtlichen Theorie befangen ist, und wesent-
lich nur den von Sohm selbst beigebrachten Quellenstoff kennt.
Eine Anzahl zutreffender Bemerkungen und methodischer Winke theilt
') Man vgl. die trefflichen Bemerkungen bei Stubbs Constit. History 1, 410.
33*
516 Literatur.
Gr. Kaufmann in einem knappen aber klar geschriebenen Aufsatze (8) mit.
Darauf näher einzugehen wird sich vielleicht Gelegenheit ergeben, wenn
K. seiner ersten Abhandlung, die nach einer allgemeinen, Gierkes Einfluss
aufweisenden Einleitung, dem Markte gewidmet ist, die beiden Fortsetz-
ungen über die Ummauerung und Innungen folgen lässt. Vorläufig ge-
nügt es, auf die Einwendungen, welche v. Below (ll) gegen einige Sätze
Kaufmanns erhoben hat, zu verweisen.
Eine mit vielem Eifer veranstaltete Sammlung der meisten in der Litera-
tur über unsern Gegenstand verbreiteten Irrthümer hat Lamprecht (9)
veröffentlicht in einem Aufsatze auf den ich noch in anderem Zusammen-
hange zurückzukommen gedenke, v. Below (Urspr. 135) hat sich ein-
gehend damit beschäftigt und die Art und Weise, wie L. sich seiner
Aufgabe entledigt hat, wird im ganzen wie im einzelnen zum mindesten
befremden.
Willi V arges hat in zwei Abhandlungen (10, 12) eine neue Ansicht
auf den Weg zu bringen versucht, zu der ihn wohl die neueren Forsch-
ungen über den Frieden anregten. Ganz gewiss kommt dem Frieden die
grösste Bedeutung für das städtische Wesen zu, aber für die von ihm
versuchte Ableitung des Stadtfriedens aus dem Königsfrieden, des Markt-
friedens aus dem Gottesfrieden, für die Art wie er den erstem mit der
Gründung von Festungen durch den König in Zusammenhang bringt, wird
man sich um so weniger erwärmen können, als die zu erwartende Be-
gründung der im ersten Aufsatze dargelegten Ansicht in dem zweiten
nicht gebracht worden ist. Auf die Gesammtdarstellung Varges' nochmals
im einzelnen einzugehen, ist nach dem bisher Gesagten überflüssig. Zu
tadeln sind mehrere schriftstellerische oder eigentlich nicht schriftstellerische
Gewohnheiten des Verfassers. Er citiert in den Anmerkungen sehr gerne
nicht nur seine bereits erschienenen Schriften in einer seltsamen Form
(vgl. »Meine Gerichtsverfassung von Braunschweig «), sondern auch seine,
demnächst erscheinenden Eecensionen und kündigt am Schlüsse der zweiten
Abhandlung wieder einen neuen Aufsatz an. Auf S. 328 lesen wir:
»Anders v. Below Urspr. S. 20, 134. Ich würde mich freuen, wenn v. B.
recht hätte«. Auch diese an sich reizende, fröhliche und zarte Art des
Verkehrs in der Anmerkung wird kaum als eine werthvolle Bereicherung
gelehrter Schreibart gelten können. Das selbstgefällige Verfahren in An-
merkung und Ankündigung ist nicht geeignet, den üblen Eindruck, wel-
chen der merkwürdige Stil der beiden Abhandlungen hervorruft, zu ver-
wischen. Die Ergebnisse zu denen Willi Varges kommen will, sind weder
so bedeutend noch so neu, dass ihre Veröffentlichung nicht durch eine
etwas sorgfältigere Form oder etwa gar durch längeres Verweilen in der
Pultlade des Verfassers hätte gewinnen können.
Der Vollständigkeit wegen erwähne ich am Schlüsse, dass Inama-
Sternegg und Amira übersichtliche Darstellungen des Gegenstandes in
Pauls Grundriss der germanischen Philologie (II. Bd., 2. Abth.) geboten
haben und dass v. Below einzelne Kapitel in den betreffenden Artikeln
des Handwörterbuches der Staatswissenschaften bearbeitet hat.
Wien. K. Uhlirz.
Literatur. 5^7
Herrn. Ign. Bidermann, (weiland) Professor an der Universität
zu Graz: Geschichte der österreichischen Gesammtstaats-
idee 1526—1804, 1. Abtheilung 1526—1705. VI, 174 S., 8°, 1867;
2. Abtheilung 1705—1740, VII, 361 S., 8°, 1889, Innsbruck, Wagner.
Eine eigenartige Arbeit. Die erste Abtheilung des B. Werkes ent-
hält 54 Seiten Text und 120 Seiten Anmerkungen und die zweite, die
Zeit von 1705 — 1740 umspannende Abtheilung, mit welcher der Ver-
fasser ursprünglich auch das Ende zu erreichen hoffte, umfasst 78 Seiten
Text und 283 S. Noten. In beiden Theilen nehmen also die Anmerkungen,
die häufig zu förmlichen Exkursen sich ausdehnen, mehr Eaum ein, wie
der zu knapp gehaltene Text und man kann sich wohl nicht darüber
wundern, wenn diese Ueberwucherung der Noten zu manchem Tadel An-
lass gab, da die Einheitlichkeit und die Uebersichtlichkeit der Darstellung
dadurch stark beeinträchtigt wird. Die Tadler hätten freilich bedenken
sollen, dass Bidermann kein wohl abgerundetes Buch schi-eiben, sondern
vor allem das verwaltungsgeschichtliche und staatsrechtliche Material zu
sammeln sich bemühte, welches zur Erhärtung seiner These von dem
hohen Alter der österreichischen Gesammtstaatsidee nothwendig schien.
Kecensent hatte anfänglich nur vor, den vor einigen Jahren erschienenen
zweiten Theil der Gesammtstaatsidee zu besprechen; weil aber in diesem
mit einem ergänzenden Bückblick auf die erste Abtheilung zurückge-
griffen wird und beide Theile des Werkes in so engem Zusammenhange
stehen, dass der eine ohne die Berücksichtigung des andern kaum zu be-
handeln ist, so hielt er es für angezeigt, auch die erste bis 1705 sich
erstreckende und trotz ihrer grossen Wichtigkeit noch nicht ausführlich
besprochene Partie in den Kreis seiner Erörterungen zu ziehen. Um den
Ausführungen B.'s gerecht zu werden, muss man sich die Zeit vergegen-
wärtigen, in der sie grösstentheils entstanden sind, und den ausgeprägten
politischen Standpunkt des hochverdienten, leider zu früh verstorbenen
Historikers in Anschlag bringen. Derselbe gehörte zur Gruppe derjenigen
Politiker und Staatsrechtslehrer, welche überzeugt sind, »dass lange vor
dem Jahr 1848 eine selbständige die Königreiche und Länder überragende
und sie beherrschende Centralgewalt zu Kecht bestand, die bei der Aus-
übung ihrer Befugnisse nur den Eingebungen des eigenen Willens und
Gewissens zu folgen brauchte und an die Zustimmung der Theilstaaten
oder einzelner Länder nicht gebunden war«. (Bid. Juristische Blätter 1877,
S. 221, Die rechtliche Natur der österr.-ung. Monarchie.) Dieser Anschau-
ung hatte B. in seiner Gesammtstaatsidee, indem er in ausführlichster
Weise die Thätigkeit der von ihm angenommenen Centralgewalt zu be-
leuchten trachtete, eine ordentliche wissenschaftliche Grundlage zu geben
sich bemüht und vielleicht dabei die Hoffnung gehegt, der erste Theil
seines im Januar des Jahres 1867 ausgegebenen Buches würde bei den
Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn nicht ohne Beachtuug bleiben. Der
Ueberzeugung des Verfassers entsprechend, wird darin schärfstens betont,
dass schon Ferdinand I. einen österreichischen Gesammtstaat zu bilden
vor hatte, dass dieser Habsburger wiederholt Versuche machte, einen öster-
reichischen aus Repräsentanten aller von ihm beherrschten Länder be-
stehenden Reichsrath um sich zu versammeln, endlich dass die von dem-
518 Literatur.
selben geschaffenen Centralstellen : Geheimraths-Collegium, Hofkammer, all-
gemeine Hofkanzlei (1527) und Kriegsrath (1556) gleich anfangs ihren
Wirkungskreis auf Ungarn und Böhmen ausdehnten. Selbst nach Fer-
dinands Tode soll trotz der Zerstückelung Oesterreichs in drei Herrschafts-
gebiete nach Bidermanns Meinung »das Bewusstsein der Zusammengehörig-
keit in den getrennten Reichsländern fortgedauert haben« (B. S. 24) und,
als die steierische Linie des Erzhauses zur Kaiserwürde gelangte und die
innerösterreichischen und tirolischen Lande wieder mit dem Hauptbesitze
vereinigte, sei die Gesammtstaatsidee dadurch selbstverständlich neuer-
dings gefördert worden. Als Beweis für das Vorhandensein dieser Idee
wird unter anderm angeführt, dass die ungarische und böhmische Hof-
expedition nach 1635 Bestandtheile der österreichischen Hofkanzlei waren
(B. S. 35) und unter Leopold I. der österreichische Hofkanzler die Be-
fugnis hatte, die um landesfürstliche Anträge sich drehenden Diätaltraktate
auf dem Pressburger Landtage zu leiten (a. a. 0. S. IL).
In Wirklichkeit gestaltete sich die staatliche Entwicklung in vielem
anders, als derjenige, welcher die Wandlungen und Veränderungen des
öffentlichen Lebens in Oesterreich mit zu centralistisch gefärbten Brillen
betrachtet, erkennen dürfte. Es ist richtig, Ferdinand I. berief ab und
zu Landtagsausschüsse der von ihm beherrschten Länder zu gemeinsamen
Berathungen, um eine kräftigere und ausgiebigere Unterstützung gegen
die immer weiter vordringende türkische Macht zu erlangen, aber von
einem österreichischen Reichsrath in unserm Sinne, der allseits bindende
Beschlüsse zu fassen das Kecht gehabt oder gar eine gesetzgebende Ge-
walt über alle Länder ausgeübt hatte, lässt sich gewiss nicht reden. Nur
von den unter Ferdinands I. Regierung am Hoflager errichteten Stellen:
Geheimer Rath, Hofkanzlei, Hofkammer und Kriegsrath kann mit Fug
und Becht gesagt werden, dass sie ein wirksames Mittel waren, die König-
reiche und Länder einander näher zu bringen und eine innigere Verbin-
dung derselben, von denen jedes einzelne bis dahin als eigene politische
Individualität sich gefühlt hatte, allmählig herzustellen. Doch es wäre
eine schiefe Auffassung zu glauben, die Verschmelzung der Länder sei
eine ursprünglich geplante gewesen und es habe schon dem ersten Ferdi-
nand der Plan vorgeschwebt, aus seinem Besitze ein einheitliches Staats-
gebilde zu machen; im Gegentbeil dieser Monarch war sich nie im Un-
klaren darüber, dass Ungarn und Böhmen selbständige, nach ihren eigenen
Gesetzen zu beherrschende Reiche seien, andererseits hielt er sich aber
für berechtigt, mit beliebigen selbstgewählten Rathgebern sich zu umgeben
und nach deren Rathschlägen, unbeschadet der Privilegien der Königreiche
und Länder, die Herrschergewalt auszuüben. In Folge der auch von
Ferdinands Nachfolgern eingehaltenen gleichen Regierungsmethode , mit
einigen Vertrauenspersonen , alle wichtigen nach Hof gelangenden An-
gelegenheiten zu berathen und zu erledigen, begann der Gedanke der
engeren Zusammengehörigkeit der auf so verschiedene Weise an das Haus
Oesterreich gekommenen Territorien sich Eingang zu verschaffen und immer
festere Wurzeln zu fassen. Freilich blieben Gegenströmmungen gegen die
hauptsächlich in der Umgebung des Herrschers hervortretenden Einheits-
bestrebungen nicht aus und die Stände der hervorragendsten Länder, die
damals überall mit dem Landesherrn in die Gesetzgebung und Verwaltung
Literatur. 5^g
sich theilen, kämpften energisch gegen eine ihre Gerechtsame schmälernde
Centralregierung. Der dreissigjährige Krieg brachte eine Klärung in die
Sachlage. In den böhmischen und österreichischen Ländern wurden die
ständischen Gewalten fast vollständig niedergeworfen , der Landesfürst
leitete von nun an nahezu als absoluter Herr ihre Regierung und
regelte, ohne sich viel um Privilegien zu kümmern und auf Vorstellungen
der Länder Rücksicht zu nehmen, deren Beziehungen zu einander. An
den Formen der ständischen Verfassung aber rüttelte man nicht und
schonte dadurch bis zu einem gewissem Grade die Eigenartigkeiten
der Länder. Nicht so glatt verliefen die Dinge in Ungarn. Trotz-
dem die ungarischen Stände die Befreiung des Landes von den Türken
in erster Linie den erbländiscken Kräften zu danken hatten, gelang es
nicht, sie zu einem festen Anschluss an eine gemeinsame Regierung in
Wien zu vermögen und Karl VI. war gezwungen, um seinem Hause die
weibliche Erbfolge zu sichern, sich damit zufrieden zu geben, dass zwar
von Seiten des ungarischen Landtages die Untrennbarkeit und Untheil-
barkeit des gesammten habsburgischen Besitzes feierlichst verbürgt, hin-
gegen aber ebenso unzweideutig gesetzlich festgestellt wurde: »Seine
königliche Majestät werde das ungarische Reich nie anders, als mit Bei-
behaltung der bisher geschaffenen oder in Zukunft zu schaffenden
eigenen Reichsgesetze beherrschen und regieren und die Regierungsform
anderer Provinzen in Ungarn nie einführen". (G. A. 1715. 3 §§1 und 2
und G. A. 1723. 3).
Der von Ferdinand I. aufgestellte Centralregierungsapparat machte
im Laufe der Zeiten verschiedene Veränderungen durch. Als das erste
und angesehenste Organ am Hofe erscheint der geheime Rath, der in den
wichtigsten Fragen der äusseren und inneren Politik den Fürsten zu be-
rathen hatte. Die höchsten Würdenträger wurden, je nachdem es sich
als nothwendig herausstellte , von Fall zu Fall in denselben berufen.
Ständige geheime Räthe ausser den obersten Hofchargen gab es ursprüng-
lich nicht und erst mit der Zeit bildete sich der geheime Rath zu einem
eigenen für sich bestehenden Collegium aus, das aus bestimmten Personen
zusammengesetzt war, täglich Sitzungen abhielt und in allen schwierigen
Angelegenheiten sein berathendes Votum abgab. Unter Ferdinand II. stand
der geheime Rath, welcher bereits acht ständige und drei ausserordent-
liche, in bestimmten Sachen zu den Sitzungen zu berufende Mitglieder
umfasste (Haus- Hof- und Staats-Arch.), im Höhepunkte seines Ansehens
und Einflusses. Die Bedeutung dieses wirklichen obersten Centralorganes
brachte es mit sich, dass jeder, der Verdienste geltend machen konnte,
die Aufnahme in dasselbe anstrebte und, da die Bewerber nur zu häufig
geneigtes Gehör fanden, erreichte der geheime Rath eine für die gedeih-
liche Behandlung der geheimsten Regierungsgeschäfte unverhältnismässig
grosse Anzahl von Mitgliedern. Leopold I. sah sich daher im Interesse eines
rascheren Geschäftsganges ungefähr um das Jahr 1659 in die Notwendig-
keit versetzt, eine kleine Zahl von geheimen Räthen als Conferenzräthe
zur Begutachtung der dringendsten Regierungssachen auszuscheiden (ge-
heime Conferenz) und selbst diese Hess er gewöhnlich nicht im Plenum,
sondern in Abtheilungen zu Dreien und Vieren Berathungen halten. Mit
den Ansichten des Verfassers über den Wirkungskreis der Hofkammer
520 Literatur.
und des Hofkriegsraths , welch' letzterer die am wenigsten bekämpfte
Prärogative des Herrschers, als des obersten Kriegsherren, zu wahren
hatte, ist Eeferent im Grossen und Ganzen einverstanden, nur in Betreff
des Verhältnisses der ungarischen Kammer zur Hof kammer kann ich die
Bemerkung nicht unterdrücken, dass B. zu sehr auf die von den Regenten
und der kaiserlichen Hofkammer zu wiederholten Malen mit grosser Schärfe
betonte Unterordnung der ungarischen Kammer Gewicht legt, während
den in verschiedenen ungarischen Gesetzartikeln des 17. und 18- Jahr-
hunderts ausgesprochenen Bestimmungen über die Unabhängigkeit der
ungarischen Kammer keine weniger geringere Wichtigkeit beigelegt
wird. Zu grösseren Meinungsverschiedenheiten gaben die Ausführungen
Bidermanns über die Stellung und Competenz der Hofkanzlei der öster-
reichischen Habsburger Veranlassung, weil in dem Falle am stärksten der
einseitige Standpunkt des Autors zu Tage tritt und die richtige Beur-
theilung dieses Hofmittels erschwert. Ausgehend von der Hofkanzleiord-
nung von 1528, wornach von einem obersten Kanzler alle Sekretäre, auch
die ungarischen und böhmischen, abhängen, suchte Bidermann den Nach-
weis zu führen, dass die 1528 einheitlich organisirte Kanzlei diesen
Charakter bis in die Zeit Ferdinands IL bewahrt habe und, um die Schwierig-
keiten noch zu vermehren, gibt er ihr, obgleich in den Quellen sich kein
Beleg dafür findet, die Bezeichnung: österreichische Hofkanzlei, ebenso
wie er deren Vorstand zum österreichischen Kanzler macht (S. S. 13, 31,
79 und 99). Er hat aber übersehen, dass diese einheitliche Führung der
Kanzleigeschäfte nur so lange Bestand hatte, als die mächtige Persönlich-
keit des Kardinals von Trient an der Spitze des geheimen Raths und der
Kanzlei sich befand. Nach dessen Tode wurde das Amt eines obersten Kanzlers
aufgelassen und einfache (bürgerliche) Vicekanzler, welche dem nach Gel-
tung und Macht strebenden Juristenstand angehörten, erhielten die Lei-
tung der königlichen Hofkanzlei. Diese hatten wegen ihrer Herkunft
naturgemäss geringeren Einfluss auf die Entschliessungen des Königs und
vermochten den Bemühungen der ungarischen und böhmischen Stände,
ihre Kanzleiexpeditionen von der Hofkanzlei unabhängig zu machen und
ihren Landeskanzlern unterzuordnen, keinen sehr nachhaltigen Widerstand
entgegenzusetzen. So kam es, dass aus der ungarischen und böhmischen
Hofexpedition sich besondere Kanzleien zu entwickeln begannen, die sicher-
lich unter Ferdinand IL in keiner Unterordnung zur Hofkanzlei mehr
standen und die Angelegenheiten ihrer Länder unabhängig von derselben
besorgten. Die fortgesetzten Bestrebungen der ungarischen und böhmischen
Stände, ihre Kanzleien am Hofe selbständig zu stellen, wird man um so
erklärlicher finden, wenn man sich erinnert, dass, nachdem Ferdinand I.
die Kaiserwürde erlangt hatte, die Reichskanzlei die vornehmste Kanzlei
wurde und der Reichsvicekanzler, den der Mainzer Erzbischof als Erzkanzler
mit Zustimmung des Kaisers zu ernennen hatte (Seeliger, Erzkanzler und
Reichskanzleien, S. 153), von nun an, als Stellvertreter des abwesenden
Erzkanzlers, ausser den Reichssachen nicht allein die österreichischen und
Hausgeschäfte versah, sondern auch im geheimen Rath eine einflussreiche
Thätigkeit entfaltete. Bidermann hat sich diese Dinge in seiner Weise
zurecht gelegt und angenommen, trotz der Reichskanzleiordnung von 1559
sei der »österreichische« Hofkanzler die Hauptperson am Hoflager ge-
Literatur. 521
blieben und habe so nebenbei das Amt eines Eeichsvicekanzlers bekleidet
und die Reichsexpedition geleitet. Auf die Irrigkeit dieser Auffassung,
wobei ich mich jetzt in Uebereinstimmung mit Seeliger (a. a. 0. S. 175)
und Huber (Geschichte Oesterreichs, 4, 213) befinde, habe ich im 8. Bande
dieser Zeitschrift hingewiesen und da den Beweis erbracht , dass der
Reichsvicekanzler der österreichischen Kanzleiexpedition, die einen Theil
der Eeichskanzlei bildete, vorgesetzt war und als Vorstand dieser beson-
deren Abtheilung alle Erlässe unterfertigte, welche in die Erblande gingen.
Erst unter Ferdinand II. trat ein bedeutungsvoller Umschwung in den
Kanzleiverhältnissen ein. Eine seiner ersten Regierungshandlungen war meines
Erachtens die Loslösung der österreichischen Kanzleiabtheilung von der Reichs-
kanzlei und die Errichtung einer selbständigen österreichischen Kanzlei an-
fangs mit einem Vicekanzler und später mit einem Hofkanzler an der Spitze,
eine Ansicht, welche ich gegen die Anschauungen Seeligers (a. a. 0. S. 177),
der diese Einsetzung einem der letzten Regierungsjahre Kaiser Mathias'
zuweist, demnächst erweisen zu können hoffe. Diese Massregel Ferdinands IL
darf man aber nicht als eine rein administrative auffassen, sie erscheint
mir vielmehr für die grosse Schwenkung in der habsburgischen Politik
symptomatisch zu sein, wodurch die Angelegenheiten des Hauses Oester-
reich in die erste und des römischen Reiches Sachen in die zweite Linie
rückten. Die österreichische Kanzlei wurde durch Ferdinand II. zur Haus-
kanzlei der deutschen Habsburger gemacht und erhielt die Expedition all'
der Geschäftsstücke zugewiesen, welche die österreichischen Länder und die
secreta des Erzhauses betrafen. Zu welch' grossem Ansehen dieselbe in kurzer
Zeit gelangt war, bezeugt ein Bericht des bairischen Gesandten vom
4. August 1627 an seinen Herrn, wo es heisst: So sieht man täglich
die exempla, was der österreichische Kanzler in Reichssachen dem Reichs-
hofrath vor Eingriff erzeigt, und gleichsamb alle Sachen ohne Unterschied
an sich zeucht, weniger nicht, als ob das Rom. Reich seiner Expedition,
sowohl untergeben, als die österreichische Erbland« (Gindely Waldstein
während seines erste Generalats 1, 264). Schon Ferdinand IL, der die
innerösterreichischen Länder wieder mit dem Hauptbesitz seiner Familie
vereinigte, hatte die österreichische Kanzlei in zwei Abtheilungen, in eine
nieder- und innerösterreichische getheilt, und, als Leopold I. im Erbgang
die tirolische und vorderösterreichischen Besitzungen erworben hatte, wurde
eine dritte, die oberösterreichische (tirolische) Expedition hinzugefügt, so
dass es drei österreichische Kanzleien gab, welche einen gemeinsamen
Kanzler hatten, aber fast unabhängig neben einander amtirten. Wenn
Bidermann diesem österreichischen Kanzler die Befugnis zuerkennt, »die
um landesfürstliche Anträge sich drehenden Diätaltraktate mit den un-
garischen Ständen zu leiten« (S. S.U., 65, 100, 104, 117), so begeht er
den Fehler, den Wirkungskreis des Kanzlers mit der Stellung zu ver-
mengen, die dieser als Vertrauensmann des Regenten einnahm. Ge-
wöhnlich schickten die habsburgischen Könige zu den ungarischen Land-
tagen Commissäre, welche als Vertreter des Monarchen seine Wünsche
vorzubringen und mit den Ständen über die königlichen Propositionen
zu verhandeln hatten und es kam häufig vor, dass sich unter diesen aus
den höchsten Würdenträgern des Reiches genommenen Vertrauensmännern
der österreichische Kanzler befand.
522
Literatur.
Ausser den Centralorganen in der vollen Bedeutung des Wortes, wie :
Geheimer Rath, Hof kanzlei und Hofkammer hatte Ferdinand I. im Jahre
1527 einen Hofrath in Justiz- und Parteiensachen, aber nicht für die
gesammten von ihm beherrschten Länder, sondern nur für das deutsche
Reich und die österreichischen Erblande eingesetzt und diesem die Auf-
gabe gestellt, alle Beschwerden der Unterthanen der genannten Gebiete, sie
mochten auf Justiz- oder Verwaltungsangelegenheiten Bezug nehmen, seiner
Beschlussfassung und, insoweit der König nicht persönlich eingriff, Ent-
scheidung zu unterziehen. In den Königreichen Ungarn und Böhmen
konnte nach einheimischem Rechte im Gegensatz zu dem in das deutsche
Recht eingedrungenen römischen Rechtsgrundsätzen eine Appellation an
den König nicht stattfinden und es war deshalb, abgesehen von politischen
Erwägungen, deren Einbeziehung in das Geltungsgebiet des Hofraths un-
möglich. Schwierig fällt es, die Beziehungen des Hofrathes zum geheimen
Rathe zu bestimmen. Ich halte noch heute daran fest, dass man sich
den Hofrath ausschliesslich als oberste Gerichtsbehörde in Justiz- und
Verwaltungssachen zu denken habe, hingegen im geheimen Rathe, der bei
der geringen Anzahl wirklicher Räthe öfter durch Mitglieder des Hofraths
eine Verstärkung erhielt, alles Politische verhandelt wurde (a. a. 0. S. 272).
Dem von Ferdinand I. geschaffenen Hofrath gibt Bid^-rmann den Beinamen
des erbländischen, obwohl er, wie bemerkt, nicht allein für die Erblande,
sondern auch für das römische Reich competent war und nimmt von
ihm an, dass er sogar nach der im Jahre 1559 erfolgten Neuorganisation
des Reichshofraths, als besonderer erbländischer Rath, bis zum Tode Fer-
dinands gewirkt habe (S. 79); Es ist das eine Annahme, die ich, wenn
gleich sie in dem Passus der Reichshofrathsordnung : »Alle und jede ....
Brieff und dergleichen . . . soll . . . unsers Vice-Cantzler annehmen ....
und Gelegenheit einer jeden Handlung entweders bei uns in unserem Ge-
heimen Rath anbringen oder aber in andern unsere Verordnete des Heil.
Reichs auch Hungarische Beheimisehe und österreichische Hof- oder Kammer-
räthe ausstheilen« (Uffenbach, vom keys. Reichs -Hoff-Rath S. 6), eine Stütze zu
finden scheint, nicht für gerechtfertigt halte. Da Rosenthal in seiner Be-
hördenorganisation Ferdinand I. sie billigt (Archiv für österr. Geschichte
Bd. 69 S. 78), so mögen hier die dagegensprechenden Gründe eine Stelle
finden: Für's erste ist im Auge zu behalten, dass nach der Reichshof-
rathsordnung der Reichshofrath ausdrücklich für das Reich und die öster-
reichischen Erblande bestimmt ist und wozu sollte weiter, müssen wir fragen,
denn gerade für die Jahre 1559—1564 ein eigener erbländischer Hofrath
bestellt gewesen sein? Ferner kennt eine im Jahre 155S angelegte, im
Jahre 1559 nach der Neueinrichtung des kaiserlichen Hofraths ergänzte Hof-
staatsordnung (Haus- Hof- und Staats-Arch.) — nur einen und zwar den
Hofrath des Kaisers, in welchem ausser dem neu hinzugekommenen Prä-
sidenten, dessen Namen in die Hofordnung von anderer Hand nachgetragen
wurde, als Räthe nebst einigen neuen die alten des früheren königlichen
Hofraths Sitz und Stimme bekamen (Vgl. Hofordnung von 1557 und 1559
H.- H.- und St.-A.). Nicht ohne Grund kann ich demnach die Behaup-
tung wagen, am Hofe Ferdinands bestand von jeher ein einziges Hofratns-
collegium, das merst für den Erzherzog- Statthalter, dann den deutschen
König und endlich den römischen Kaiser in Sachen, die aus dem Reich'
Literatur. 523
oder den österreichischen Landen bei Hof einlangten, Recht sprach oder
ihn in der Rechtsprechung unterstützte 1). Die aus der Reichshofraths-
ordnung von 1559 oben angeführte Stelle soll nach meinem Dafürhalten
lediglich besagen: Der Reichsvicekanzler habe als Vorstand der Hofkanzlei
die österreichischen Geschäftsstücke den im Reichshofrathe sitzenden öster-
reichischen Räthen zumReferiren zuzutheilen.
Der zweite Theil des Bidermann'schen Werkes beginnt, wie oben er-
wähnt wurde, mit einer ergänzenden Rückschau über die Regierung Leo-
polds I. und behandelt des Ausführlichen die Thätigkeit Josefs I. und
Karls VI. im Dienste der Gesammtstaatsidee, unterscheidet sich aber von
der ersten Partie dadurch, dass der Verfasser von den verschiedenen an-
deren Berührungspunkten, die sich zwischen den Ländern herausgebildet
hatten, fast ganz absieht, und das Schwergewicht auf die Schilderung des
Wirkungskreises der Central- Organe legt, weil in der Thätigkeit dieser
Behörden am deutlichsten die auf die Bildung eines Gesammtstaates ge-
richteten Bestrebungen der beiden letzten Habsburger hervorgetreten seien.
Dass die Centralstellen, welche man aber nicht nach Bidermanns Vorgang
(II. 16.) mit dem modernen Ausdruck Fachministerien bezeichnen darf,
da sie collegial organisirt waren, in gewissem Sinne ein einigendes Band
bildeten, soll nicht in Abrede gestellt werden, andererseits lassen sich
aus Bidermanns Buche zahlreiche Belege für eine den Königreichen und
Ländern trotz der grossen Wandlungen in den Zeiten des dreissigjährigen
Krieges verbliebene, nicht unbedeutende selbständige Stellung erbringen.
Die böhmische und die österreichische Ländergruppe stehen sich noch
immer als besondere, von einander getrennte Verwaltungsgebiete gegen-
über, noch immer bewilligt jedes einzelne Land die Contribution für sich
und sind zwischen einzelnen Provinzen des Habsburgischen Besitzes Zoll-
linien aufgerichtet. Von der sehr ausgedehnten Autonomie des König-
reichs Ungarn will ich nicht reden, auch nicht davon, dass seine privi-
legirte Eigenart des öftern feierliche Anerkennung gefunden hatte. Wie
selbst am kaiserlichen Hof das Verhältnis Ungarns zur Dynastie im Ver-
gleich zu den übrigen Erbländern als ein singuläres aufgefasst wurde,
dafür können wir einen merkwürdigen Beweis aus der von Arneth edir-
ten Correspondenz König Karls III. von Spanien — nachmals Kaiser
Karls VI. — mit dem Grafen Wratislaw liefern. In einem Briefe vom
4. Juli 1705 theilt dieser seinem Gönner Karl mit, dass der Kaiser (Joseph)
ihn zum böhmischen Kanzler und wirklichen Geheimrath ernannt und an-
befohlen habe, ihn » in die conferentzien der hungarischen, englischen und
holländischen oder anderen von diesen dependirenten Sachen zuziehen « (Archiv
für Kunde österr. Geschichtsquellen 16. Bd. S. 17). Daraus erhellt wohl,
dass so manche ungarische Angelegenheiten — es sind hier vermuthlich
die Verhandlungen mit den Insurgenten gemeint — nicht als res internae,
sondern nach Art der auswärtigen Sachen in einer kleinen aus einigen
geheimen Räthen zusammengesetzten Commission behandelt wurden. Je
') Vgl. dazu Huber a. a. 0. 4, 211 und Seeliger S. 180, welche meine An-
sicht von der Existenz nur eines Hofraths billigen.
524 Literatur.
aufmerksamer man die innere Ausgestaltung der habsburgischen Monarchie
verfolgt und je genauer man den mannigfaltigen Bestrebungen, eine festere
Verknüpfung der babsburgiscben Länder herzustellen , nachgeht , desto
unabweislicher drängt sich der Gedanke auf, das Verdienst, die wirkliche
Grundlage zu einer innigen Vereinigung und Verbindung des losen Länder-
bestandes geschaffen zu haben, gebühre doch vorzüglich Karl VI., der durch
die pragmatische Sanktion uud die in ihr enthaltene Festsetzung des
untrennbaren und untheilbaren Besitzes dem Gefühl der Zusammengehörig-
keit in der dem Scepter des Hauses Habsburg unterstellten Ländermasse
eine gesetzliche Weihe verlieh. Bevor ich über die Entwicklung der
Centralbehörden unter Joseph I. und Karl VI. im Anschluss an Bider-
manns Buch ein Bild zu entwerfen versuche, mag vorerst einleitend be-
merkt werden, dass schon unter Leopold I. die Erkenntnis von der mangel-
haften Organisation der Centralstellen aufgetaucht war, dass Anläufe ge-
macht wurden, Verbesserungen einzuführen und als Ergebnis verschiedener
Vorschläge die im Jahre 1697 eingesetzte, aus Vertretern der Hofkanzleien,
des Hofkriegsraths und der Hofkammer zu bestehen habende Deputation
anzusehen ist, welche die Aufgabe zugewiesen erhielt, über die genaue
Einhaltung des gerade neu eingerichteten Status politico-et oeconomico-
militaris sorgfältigst zu wachen, und nur solche Vorschläge zu erstatten,
die im Einklang mit dem neuen auf eine leichtere Einbringung der Con-
tribution und auf eine bessere Verflegung und Ausrüstung der Truppen
hinzielenden System sich befänden. Die mit Einrechnung von Ungarn
auf zwölf Millionen Gulden veranschlagte Contributionssumme sollte nach
dem Willen des Kaisers ausschliesslich für die Armada verwendet und in
die unter der Hofkammer stehende Generalkriegskassa abgeführt werden.
In der an die Deputation erlassenen Instruktion, ward auch verordnet,
dass diese sich zweimal in der Woche zur Berathung zu versammeln, ihre
Beschlüsse per maiora zu fassen und in wichtigen Sachen sich an den
Kaiser zu wenden habe (B. I. S. 39). Die grösste Unzufriedenheit hatte
in den letzten Kegierungsjahren Leopolds die schlechte Geschäftsführung
der österreichischen Hofkanzlei erregt, welche damals schon die Reichs-
kanzlei an Bedeutung übertraf, die Haus- und Familiensachen und einen
Theil der fremden Staatssachen, wie auch »alle Angelegenheiten, so sich
in den österreichischen Ländern ereignen, traktirte«, aber in den Händen
einer schwerfälligen, für so verschiedenartige Geschäfte ganz ungeeigneten
Persönlichkeit sich befand. Die Stellung des österr. Kanzlers hätte einen
Mann erfordert, der nicht minder in den Particularrechten der öster-
reichischen Herzogthümer, als in den Reichscapitulationen und der hohen
Politik zu Hause gewesen wäre.
Als Joseph zur Regierung gelangte, entliess er den österreichischen
Hofkanzler Bucelini und richtete, den vielen Schwierigkeiten Rechnung
tragend und, um eine grössere Raschheit in den Geschäftsgang zu bringen,
die Kanzlei in der Weise ein, dass er, ohne eine strenge Scheidung der
Agenden vorzunehmen, für den einen Vorstand zwei Kanzler bestellte
und die Besorgung der diplomatischen Correspondenz, die früher in ver-
schiedenen Kanzleien — österreichische, böhmische, Reichskanzlei und Hof-
kriegsrathtkanzlei — nach den Weisungen der geh. Conferenz vor sich
gieng, der geheimen österr, Hofkanzlei übertrug. Nur den Verkehr mit
Literatur. 525
dem osmanischen Reich vermittelte nach wie vor der Hofkriegsrath, an
den die diplomatischen Vertreter in Konstantinopel und die Commandanten
an den türkischen Grenzen über wichtige Vorkommnisse in der Türkei
Meldung zu machen und von welchem sie Verhaltungs-Massregeln zu er-
halten hatten. (Bid. S. 9 und Aktenconvolut. H.- H.- und St.-A.): In
die Anfangszeit der Josephinischen Regierung fällt ferner eine Ver-
stärkung des Wirkungskreises der Hofkammer und des Hofkriegsraths
durch die Zuweisung der bisher in der Regel im Wege der österreich-
ischen Hofkanzlei nach Hof- gelangenden und auf Grund allerhöch-
ster Weisungen erledigten Cameralia und Militaria der inneröster-
reichischen und tirolischen Länder an die genannten Hofstellen, wohin
sie ihrer Natur nach gehörten. Als Ferdinand I. die Hofkammer und den
Hofkriegsrath einsetzte, hatte ihn die Absicht geleitet, für das Camerale
und Militare Centralinstanzen aller seiner Länder zu schaffen, durch die
Theilungen aber war die tirolische und innerösterreichische Gruppe zu
einer beinahe vollen Selbstständigkeit gekommen und, wenn auch später
diese Gebiete wieder mit dem Hauptbesitz vereinigt wurden , so Hess
man, um die Empfindlichkeiten und Eigenartigkeiten zu schonen, deren
Behördenorganismus unberührt. Oberste Regierungsbehörden — von
den zeitweilig vorkommenden fürstlichen Gubernatoren sehe ich ab
— in Graz und Innsbruck waren die geheimen Räthe, auch geheime
Stellen genannt, welche den »persönlich diesen Ländern nicht beiwohnen
könnenden* Landesfürsten vertraten und die höchste Regierungsgewalt
daselbst mit der Einschränkung ausübten, dass sie in wichtigen und
schwierigen Fällen politischer, finanzieller und militärischen Art nach Wien
zu berichten hatten, von wo aus ihnen von Seite des gemeinsamen öster-
reichischen Hofkanzlers durch die innerösterreichische oder tirolische Ab-
theilung der geheimen Hofkanzlei die kaiserlichen Entschliessungen zu-
gingen. Grosse Selbständigkeit genossen diese geheimen Stellen in Justiz-
sachen; es war ihnen nämlich das Recht eingeräumt, alle civilen Streitig-
keiten als Revisionsinstanzen endgiltig zu erledigen und allein in Criminal-
sachen mussten sie die Gnadengesuche, die Recurse ad gratiam, bei Hof
vorlegen. Damit dass die Behörden der innerösterreichischen und tiroli-
schen Lande von Joseph I. der Hofkammer und dem Hofkriegsrath in
den entsprechenden Dienstzweigen direkt untergeordnet wurden, war ein
bedeutender Schritt zur Verwischung und Beseitigung der Eigenstellung
dieser Territorien gethan (S. 9. u. 10).
Die Hauptrolle am Hofe spielten auch unter Joseph I. die Ab-
theilungen (Commissionen) der geheimen Conferenz , von denen die
auswärtigen und Kriegssachen berathen und begutachtet zu werden pfleg-
ten. Es dürfte von Interesse sein, aus einem unlängst von Herrn
Dr. Schuster im Staats - Archiv aufgefundenen, von Bidermann nicht be-
benützten, an den Kaiser erstatteten Gutachten des österreichischen Kanzlers
Grafen von Sinzendorf de dato 2. Oktober 1706 die verschiedenen Com-
missionen der Conferenz kennen zu lernen: »Bei. E. M. angetretenen Re-
gierung, sagt in diesem Schriftstück Sinzendorf, ist die Sach' nachfolgen-
der Allergnädigsten Austheilung gemacht worden, dass Imu die Reichssachen
in einer Conferenz, wobei der Fürst von Salm als erster Minister, Graf
von Oetting als Reichshofrathspräsident, Graf von Windischgrätz, B. Seilern
526 Literatur.
als Hofkanzler und Graf von Schönborn als Eeichs vicekanzler erscheinen,
dirigirt werden sollen, in welcher auch meistens die polnischen, schwedi-
schen und dänischen Sachen traktiret werden. Engelland: Holland: Fran-
zösich : zu diesen Geschäften haben E. M. eine Conferenz verordnet, bestehend
in dem Fürsten von Salm, Grafen von Sinzendorf als Hofkanzler und Graf
von Wratislaw. Spanische: diese sind zwischen dem Fürsten von Salm,
Grafen von Waldstein, Duca di Moles und Baron von Seilern, als Hof-
kanzler traktirt. Eomanische : diese kommen vor in einer Conferenz, wobei
sich befinden : der Fürst von Salm, Graf Adam Martiniz , Moles, Seilern,
Grimani, welche Sachen aber Italien insgemein betreffen, dazu hat man
ged. Cardlen Grimani nit pflegen zu rufen. Militärische: die politico-mili-
taria, welche bei denen Armeen am Ehein und in Niederland zu beobachten,
werden meistens vom Fürsten von Salm, Gr. Sinzendorf, vom Kriegs-
präsidenten mit Zuziehung der Kammer oder Commissariats nach Beschaf-
fenheit deren Materien vorgenommen. Die Trappenallianz mit dem König
in Preussen, Kurfürsten von Pfalz, Pohlen als Kurfürsten zu Sachsen, und
anderen Kur: und Fürsten betr: kommet solches bissweilen in der Depu-
tation, sonsten aber in publica conferentia zwischen dem Fürsten von
Salm, Sinzendorf, Hofkammerpräsidenten. Kriegspräsidenten, und etlichen
anderen die extraordinarie dar zu berufen werden vor. Schweizer : Diese
haben unter Händen Fürst v. Salm und beede Hofkanzlere. Türkische :
Diese werden tractirt von dem Fürsten von Salm, Oettingen, Seilern, Hof-
kriegsrath. Ueber obbemelte werden auch kleine Conferenzen nach unter-
schiedlichen Vorfallenheiten sowohl für die ausser- als innlandische Sachen
und Angelegenheiten gehalten. Expeditiones : In Sachen, die innerliche
Eeichssachen so zu dem Eeichshofrath und an den Eeichstag gehören,
sollen durch die Eeichskanzlei : alle andere als die Spanische, Eomanische,
Venetianische, und von ganz Italien, in so weit selbige dero Staat und
Erzhaussachen angehen, wie auch jene, so die negotiationes, Tractaten und
Allianzen in Eeich mit Engelland, Holland, Schweden, Pohlen, Dänemark
betreffen, welche E. K. M. nicht als Kaiser, und mit und von wegen des
Eeichs schliessen, von der Hofkanzlei expedirt werden.« Fürst Sahn, Josephs
ehmaliger Erzieher und nachmaliger Obersthofmeister, war somit die erste
Persönlichkeit im Eathe des Kaisers, ohne deren Zustimmung, wie Wra-
tislaw in der angeführten Correspondenz öfter mit Unmuth hervorhebt,
nichts Wichtiges vorgenommen werden konnte. Aber die mangelhaften
politischen Kentnisse des Fürsten und seine herrische Art der Geschäfts-
leitung brachten eine solche Verwirrung, Unordnung und Ziellosigkeit in
der Behandlung der heikelsten Angelegenheiten hervor, dass Joseph sich
entschloss, der Commissionswirthschaft ein Ende zu machen und eine
ständige Conferenz mit einer festen Organisation und einem bestimmten
Wirkungskreise einzusetzen. Am 7. März 1709 wurde die erste Conferenz-
sitzung in Gegenwart des Kaisers gehalten und die Instruktion — Bider-
mann blieb sie unbekannt — verlesen, wornach die geheime, acht Eäthe
starke Conferenz sich zweimal in der Woche unter Vorsitz des Kaisers
versammeln, über die auswärtige Politik und die Eeichs- und Kriegs-
sachen (Feldzugspläne, Vertheilung der Armeen) berathschlagen sollte.
Ausserdem ordnete Joseph an, dass in seiner Abwesenheit die Conferenz
nicht unter Vorsitz des Obersthofmeisters — eine gegen den Fürsten Salm
Literatur. 527
gerichtete Bestimmung — sondern des ältesten geheimen Rathes abzu-
halten sei und dieser ihm die gefassten Beschlüsse zur Entscheidung mit-
zutheilen habe, (H. H. u. St. A.). Wie sehr die Verhältnisse am kaiser-
lichen Hol' seit Rudolfs und Mathias' Zeiten sich geändert hatten, zeigt
der Umstand, dass der Reichsvicekanzler, der früher als Sekretär und
Mitglied des geheimen Rathes den grössten Einfluss besessen hatte, in der
ständigen Conferenz mit Sitz und Stimme nicht betraut, sondern, weil
man es nicht für angezeigt hielt, einen Fremden in die arcana des Hauses
einzuweihen, im Verein mit dem Reichshofrathspräsidenten nur zu solchen
Conferenzsitzungen eingeladen wurde, in denen Reichssachen in Verhand-
lung standen. In derselben Entschliessung, welche die ständige Conferenz
ins Leben rief, wurde auch die Thätigkeit der Deputation berührt und
wir ersehen daraus, dass dieses von Leopold aufgestellte, wahrscheinlich
bald nach seiner Errichtung mit einer grösseren Competenz ausgestattete
Rathscollegium nunmehr aus dem Oberstkämmerer, den Vorständen der
Kanzleien, der Hofkammer und des Hofkriegsrathes bestand und die An-
gelegenheiten der Länder (Landtags Materien, Contributionen . . .) die Ca-
meralgegenstände und die finanzielle Seite der res bellicae, alles in Sitzungen
unter dem Vorsitz des Kaisers, in Erwägung zu ziehen hatte, kurz dass
diese Deputation eine Art Conferenz in internis vorstellte. Die Gegen-
stände der auswärtigen Politik berieth also in den letzten Regierungs-
jahren Josephs die geheime Conferenz, aus der freilich kaum nach ihrer
Schaffung für die allervertraulichsten Sachen die kleine oder spanische
Conferenz abgezweigt wurde, über die inneren Agenden verhandelte die
Deputation und, wenn Justizsachen der Erledigung harrten, wurde der
geheime Rath noch in seiner Gesammtheit einberufen. (B. S. 17 und
dazu Archiv. . . 16, S. 147 und Arneth, Prinz Eugen: S. 188 und 319 ff.).
Josephs Nachfolger Karl VI., hatte, als er noch in Spanien weilte,
auf die Regelung der österreichischen Finanzen sein Augenmerk ge-
lenkt, bald nach seiner Rückkehr unterzog er die Hofkammer einer Re-
organisation und setzte, um Ordnung in das Kassen- und Schuldenwesen
zu bringen, eine von der Hofkammer unabhängige Stelle ein, die Universal-
bancalität (1715), welche einen doppelten Zweck zu erfüllen bestimmt war.
Einerseits sollte sie die Centralkassa des Staates sein, durch die behufs
der Controle alle in Baargeld eingehenden Cameraleinkünfte (die Erträg-
nisse aus den Domänen, Regalien und indirekten Steuern) und Militär-
gefälle (die in direkten Steuern bestehenden Contributionen der Länder)
durchliefen und in Verrechnung gehalten wurden, andererseits war ihr die
Aufgabe zugedacht, als Creditinstitut zu dienen, weshalb sie einige Fonde
zugewiesen erhielt, um Geldgeschäfte machen d. h. Geld ausleihen und
aulnehmen zu können. Die Hofkammer hatte durch Errichtung der Ban-
calität eine grosse Einbusse in ihrem Agendenkreis erlitten ; denn es blieb
ihr lediglich das Anweisungsrecht auf die in den Kassen der Bancalität
befindlichen Staatsgelder und die Pflege und Verwaltung der Cameral-
fonde überlassen. Sie hatte, um es deutlich zu sagen, dafür zu sorgen, dass
keine Unterschleife in der Administration der Cameralgefälle vorkamen und die
Cameraleinnahmen nicht kostspielig verwaltet wurden und wirklich eingingen.
Grosse Hoffnungen und Erwartungen hatte man an diese neue Einrichtung ge-
knüpft, sie erfüllten sich aber nicht. Hofkammer und Bancalität lagen sich ge-
528 Literatur.
wohnlich in den Haaren, Competenzstreitigkeiten verwickeltster Art ent-
standen, weitläufige Erörterungen der beiderseitigen Wirkungskreise stellten
sich als nothwendig heraus und noch unter Karl VI. wurde die Ban-
calität auf die alleinige Thätigkeit als Centralkasse und Generalcontrol-
organ beschränkt. Die neue Anstalt vermochte nur kurze Zeit, dem Staate
Anleihen zu verschaffan, es war ihr nicht gelungen, — der Grund lag in
der Unzulänglichkeit ihrer Beservefonde — das Vertrauen der besitzenden
Klassen zu gewinnen und, wenn der Staat Geld brauchte, sah er sich
nach wie vor genöthigt, an die Wiener Stadtbank sich zu wenden, welcher
wegen ihrer vorzüglichen Leitung und guten Fundirung von In- und
Ausländern Capitalseinlagen zuflössen. (B. S. 27 ff.) x). Ueber Bancalität
und Hof kammer setzte der Kaiser im Jahre 1716 die geheime Finanzcon-
ferenz, die im Bange der geheimen Conferenz stehend, an bestimmten
Tagen in wichtigen Dingen unter Vorsitz des Monarchen — Sitzungen
zu halten und ihn in der Leitung und Ueberwachung des gesammten
Finanz- und Creditwesens zu unterstützen hatte.
Auf dem Gebiete der obersten politischen Verwaltung und Justizpflege
begegnen wir ebenfalls den reformatorischen Bestrebungen Karls VI. Die
noch unter Mathias als Schreiborgane thätigen Kanzleien hatten sich seit
Ferdinand IL unter fortwährender Ausdehnuug ihres Geschäftskreises zu
förmlichen Behörden ausgewachsen, welche nicht allein die oberste Ver-
waltung grösserer Ländercomplexe führten, sondern auch als richterliche
Instanzen wirkten und bei Bevisionsprozessen das gefundene Urtheil dem
Kaiser im geheimen Eath vorzutragen hatten. Zwar war von Joseph der
österreichischen Hof kanzlei eine bessere Verfassung gegeben , Karl ging
aber noch einen Schritt weiter, normirte den Wirkungskreis der böhmischen
und österreichischen Hof kanzlei, wie er sich entwickelt hatte, und machte
dieselben zu höchsten Begierungsdikasterien mit genau festgeset/en Be-
fugnissen. Nach der am 26. April 1719 erflossenen Instruktion bildete
die böhmische Hof kanzlei (B. führt die Instruktion nicht an , Copie
im Minist, d. Innern) ein einziges corpus dicasterium der Länder der
böhmischen Krone und sollte als letzte und vornehmste königliche und
landesfürstliche Stelle angesehen werden, die sich immer gegenwärtig zu
halten habe, dass der König »das obriste Haupt und Bichter sei«. Früher,
erfahren wir aus dieser Ordnung, waren die publica und judicialia uno
eodemque consessu vorgenommen worden ; Karl verordnete aber, aus dem
pleno cancellariae zwei Senate, einen für die publica und den zweiten für
die judicialia zusammen zu setzen. Die am 26. März 1720 nach dem
Muster der böhmischen Kanzleiinstruktion erlassene Ordnung für die öster-
reichische Hofkanzlei (Archiv d. M. d. I.) nennt diese die gemeine Hof-
kanzlei unserer deutsch-österreichischen Erblande, welche unsere erzherog-
liche Person und Autorität zu repräsentiren hat, und charakterisirt im
ersten Artikel die Thätigkeit der genannten Behörde mit folgenden Worten :
»Weilen bishieher bei erwähnter Kanzlei nicht allein die Haus- und frem-
den Staatssachen, sondern auch alle andern Angelegenheiten, die in unsern
österreichischen Landen vorkommen können, traktirt werden, so solle der
') Vgl. dazu Mensi: Die Finanzen Oesterreichs von 1701 — 1740.
Literatur. 529
erste Kanzler mit denen ihrne bereits zugetheilten zweien Eäthen die Haus- uud
Staatsachen unter sich haben, zugleich auch in dem praesidio bei der Kanzlei,
sooft er will und es ihme die Staatsgeschäften zulassen, auf herunter beschrie-
bene Art und Weise continuiren, dem änderten Kanzler aber mit denen übrigen
Räthen die Besorgung deren Provincialium, Judicialium et ea concernentium
überlassen «. Durch die neue Organisation der österreichischen Hof kanzlei hatten
die doch eine gewisse Art von Selbstständigkeit in Anspruch nehmenden" Ab-
theilungen derselben, die tirolische und inner-österreichische Kanzlei ihre
Sonderstellung verloren, es wurden die Expeditionen und Registraturen
wohl weiter getrennt geführt, aber die meritorische Behandlung der aus
den tirolischen und innerösterreichischen Ländern einlangenden Sachen
erfolgte in dem gleichen Senate , in dem die niederösterreichischen Ge-
schäftsstücke ihre Erledigung fanden (vgl. Maasburg Geschichte der obersten
Justizstelle). Nicht unwichtig erscheint es zu betonen, dass der die Ex-
pedition der auswärtigen Geschäfte unter sich habende Theil der öster-
reichischen Kanzlei schon damals in offiziellen Aktenstücken von der Hof-
kanzlei in internis unterschieden und als Staatskanzlei bezeichnet wurde.
Eine dankenswerthe Aufgabe würde es sein, das Anwachsen der Agenden
der böhmischen und österreichischen Hofkanzlei seit Ferdinand IL zu ver-
folgen, die steigende Bedeutung dieser Kanzleien zu schildern und zu zeigen,
wie die Macht Sphäre des Reichshofraths, der noch unter Mathias als oberste
Justizstelle der von ihm beherrschten österreichischen Erblande galt,
unter den folgenden Regierungen als judicielles Organ des Landesfürsten
sich immer mehr verringerte, bis er unter Karl VI. mit der Errichtung
eines eigenen judiciellen Senates bei der österreichischen Hof kanzlei voll-
ständig aufhörte. Ebenso wurde mit der Aufstellung eines judiciellen
Senates bei der böhmischen Kanzlei die Einflussnahme des Reichshofrathes
oder einzelner Räthe desselben auf die Entscheidungen von Prozessen, die
aus den Ländern der böhmischen Krone nach Wien kamen, gänzlich be-
seitigt. Als nämlich Ferdinand IL nach Niederwerfung des böhmischen
Aufstandes, um die Justizhoheii des böhmischen Königs sicher zu stellen,
in der verneuerten Lendesordnung festgsetzt hatte, dass sowohl in Leib-
und Lebens- als auch in Eigenfhumsprozessen eine Appellation an die
königliche Majestät zulässig sei, war es in Folge der geringen Richter-
zahl bei der böhmischen Kanzlei üblich geworden, zur Bearbeitung und
Erledigung von Prozessen Reichshofräthe heranzuziehen. Was für Stellung
der geheime Rath in Justizsachen einnahm, dürfte bei dem Mangel nahe-
zu jeglichen Aktenmaterials schwer aufzuklären sein ; das eine können
wir sagen, derselbe hatte unter Ferdinand IL und III. neben Führung
der auswärtigen Politik ein entscheidendes Wort in den wichtigsten Sachen
administrativer und judicieller Natur, er büsste dann unter Leopold durch
die geheime Conferenz auf dem Gebiete des Auswärtigen und durch die
Bestellung der Deputation auf dem der inneren Politik seinen Einfluss
ein und wurde bis zur Schaffung der obersten Justizstelle 1749 allein
als Beirath in jurisdiktioneller Beziehung verwendet. Man hat sich das so vor-
zustellen, dass der Herrscher, der als oberster lüchter in gewissen Fällen selbst
Recht sprach, die Referate über Prozesse, die an ihn gelangen musten, erst nach
Anhören des geheimen Rathes entschied. Nicht allein die Finanzbehörden
und die Hofkanzleien wurden unter Karl VLeiner Neugestaltung unterzogen,
Mitteilungen, XV. 34
530 Literatur.
auch die geheime Conferenz erhielt im Jahre 1721 eine neue Instruktion,
nach welcher der erste österreichische Hofkanzler als die Hauptperson im
Rathe des Fürsten anzusehen ist und nahezu, wie ein Minister der aus-
wärtigen Angelegenheiten, die Geschäfte betreibt. Zur Beleuchtung der
Stellung der Conferenz und des österreichischen Kanzlers in dieser mögen
einige Zeilen aus der Conferenzordnung hier Platz finden: »Demnach
die von meiner Hofkanzlei, resolvirt Karl, insonderheit besorgende Staats
und Hausgeschäften, dann auch die, so von meinem Hofkriegs, Spanischen
und Niederländischen Rath expedirt und beobachtet werden, wie denn
auch wenn einige von der Ungarisch- oder böhmischen Kanzlei vorhanden,
mich entschlossen habe, selbe in dem Lauf von zwei Wochen in meiner
Gegenwart dreimal (wenn aber die Reichskanzlei zweimal vorkommete,
diese auch nur zweimal als dann den Vortrag zu machen hätte) vorzu-
nehmen. Als ist folgendes zu beobachten, I.° es wird der erste Hofkanzler
einen Extrakt von dem ihme zukommenden Relationen, wie dann eben-
falls eine schriftliche Anmerkung von deme, was die fremden Ministri,
so an ihn angewiesen, demselben an und vorgebracht, und das ein so
wohl als das andere in der ob angeführten Conferenz beibringen und sein
mündliches Votum über derselben Enthalt zum ersten vortragen« (H. H.
und St. A.).
Damit bin ich mit meinen Ausführungen zu Ende gekommen. Es
soll aber nicht gesagt sein, dass ich das Bidermannische Buch etwa er-
schöpft hätte, was ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Mein Plan ging
dahin, zur leitenden Idee in Bidermanns Arbeit Stellung zu nehmen und
an dieser auf Grund der Verhältnisse, wie sie sich nach meiner Auffas-
sung thatsächlich gestaltet haben, Kritik zu üben. Die Absicht, das in
den Anmerkungen niedergelegte Material ausgiebig zu verwerthen, lag mir
vollständig ferne, es bedeutete das nichts Geringeres, als die innere Ge-
schichte von Gesammtösterreich auszugsweise zu bringen. Wenn ich auch
mit so manchen Ansichten Bidermanns nicht einverstanden sein konnte,
so drängt es mich doch auszusprechen , dass wir an dem Verewigten
einen der eifrigsten und unermüdlichsten Forscher auf dem Gebiete der
inneren österreichischen Geschichte verloren haben, dem wir für das ge-
waltige Quellenmaterial, welches er in seiner Geschichte der österreichischen
Geeammtstaatsidee, die leider ein Torso zu bleiben bestimmt ist, zum Ab-
druck bringt, nicht genug dankbar sein können.
Das Jahr 1740 bildet keinen natürlichen, sondern nur einen zufälligen
Abschluss in der Organisation der österreichischen Centralstellen und es
sei hier, um zu einem solchen zu gelangen, gestattet, hervorzuheben, dass
im Laufe der vierziger Jahre von Maria Theresia die einschneidensten
Veränderungen im Staatsorganismus vorgenommen worden sind. Im Jahre
1741 liess die Fürstin die geheime Finanzconferenz eingehen, weil sie ge-
funden hatte, dass der Hofkammerpräsident allein in finanziellen Fragen
sie besser berathen könne, als ein vielköpfiges Collegium, im Jahre 1742
wurde die Abtheilung: Staatskanzlei von der österreischischen Kanzlei ge-
trennt und zu einer eigenen Hof stelle gemacht, womit Maria Theresia den
Grund zur Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten durch einen
Vertrauensmann legte, und endlich drei Jahre später hob sie die Bancalität
auf und übergab die Centralkassenverwaltung und Coutrole der Hof kammer.
Literatur. 53 \
Als der eigentliche Wendepunkt in der inneren Geschichte Oesterreichs
ist das Jahr 1749 zu betrachten, in welchem die grosse Eegentin die
1697 aufgestellte Deputation ausser Wirksamkeit setzte, den geheimen
Eath als solchen des letzten Scheines einer Thätigkeit beraubte, die öster-
reichische und böhmische Kanzlei auflöste, die politische und Cameral-
verwaltung der böhmischen und österreichischen Länder oder, wie sie da-
mals genannt wurden, deutschen Erblande, im Directorüum in publicis et
cameralibus und in der Conferenz in internis vereinigte und schliesslich
für die Besorgung des Justizwesens dieser Länder die oberste Justizstelle
schuf. In demselben Jahre beseitigte Maria Therssia die Landes-Verwaltungs-
behörden in den böhmischen und österreichischen Ländern, die man als die
Träger und Bewahrer der Eigenartigkeiten der verschiedenen Ländergruppen
ansehen kann, setzte als Verwaltungsstelle für jedes Kronland eine Repräsen-
tation und Kammer ein, versah jede dieser Repräsentationen mit der gleichen
Instruktion und erstrebte damit, dass die politische Verwaltung in den deut-
schen Erblanden einheitlich geführt werden und die noch erhalten geblie-
benen Besonderheiten dieser Länder verschwinden sollten. — Zum Schlüsse
will ich darauf hinweisen, dass aus dem literarischen Nachlasse weiland
Professor Bidermanns in der von Grünhut herausgegebenen Zeitschrift für
das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart (IL Heft p. 339 ff. 1894)
von Dr. S. Adler ein Aufsatz unter dem Titel: »Die staatsrechtlichen
Wirkungen der österreichischen Gesammtstaatsidee « der Oeffentlichkeit über-
geben wurde, in welchem Bidermann nach fünf Gesichtspunkten die Be-
mühungen der österreichischen Herrscher, eine einheitliche die territorialen
Bestandtheile zusammenfassende Staatsgewalt aufzurichten, bis in die
neueste Zeit verfolgt und in zusammenhängender Weise zur Darstellung
bringt. Ich habe nicht vor, eine kritische Würdigung der letzten Arbeit
Bidermanns versuchen zu wollen, nur das eine möchte ich bemerken, dass
in derselben ein guter Theil des in den Anmerkungen der Gesammtstaats-
idee mitgetheilten Materials verarbeitet und die historisch - politischen An-
schauungen des Verstorbenen in voller Schärfe und Deutlichkeit zum Aus-
druck gebracht werden1).
Wien. Fellner.
Gross Karl, Lehrbuch des katholischen Kircheiirechts
mit besonderer Berücksichtigung der particuläreu Gestaltung desselben
in Oesterreich. Wien, Manz 1894 (XII und 426 S.).
Von den vielen Kirchenrechtslehrbüchern, welche die moderne deutsche
Literatur aufweist, haben sich trotz der vielfach trefflichen Darstellung nur
wenige und keines eigentlich allgemein an den österreichischen Hochschulen
einzubürgern vermocht. Mag eine solche Thatsache immerhin auch ein
gewisses Urtheil über den praktischen Werth der angewandten Lehrmethode
') Ueber die Entwicklung der Centralstellen wäre auch ein zu Ende des
Druckes dieser Recension im Österr. Staatswörterbuch erschienener Aufsatz von
Prof. Lustkandl einzusehen.
34 •
532 Literatur.
gestatten, so sind im vorliegenden Falle die Gründe grösstenteils nicht
in der Verfehltheit dieser zu suchen. Sie liegen vielmehr theils in der
zu grossen Ausführlichkeit der Darstellung und in der Heranziehung vielen
für den Hochschüler wie für den Practiker völlig überflüssigen historischen
oder dogmatischen Details. Auch erweist sich die Aufnahme des in
Oesterreich nicht gelehrten und practisch wenig hervortretenden akatho-
lischen Kirchenrechts als unnötkig, soweit es sich um ein nur für die
Zwecke der eben genannten Kreise bestimmtes Lehrbuch handelt und
nicht um ein wissenschaftliches Handbuch der gesammten Materie des
Kirchenrechts. Insbesondere ist es aber die fortschreitende particuläre
Gestaltung des kathol. Kirchenrechts in Oesterreich , welche, von der Ent-
wicklung in Deutschland seit den Reformen der Siebziger Jahre immer-
mehr sich entfernend, das Bedürfnis nach einem ihr allein Rechnung
tragenden Lehrbuche rege werden lässt. Dies fällt umsomehr ins Gewicht,
als der obligate Lehrplan unserer juridischen Hochschulstudien die mo-
derne selbständige Entwicklung der kirchenrechtlichen und confessionellen
Verhältnisse in Oesterreich, unser geltendes Kirchenrecht in Verbindung
mit der Darstellung der historischen Disciplin des canon. Rechtes be-
greiflicherweise besonders berücksichtigt sehen will. Endlich dürfte wohl
auch die mit kommendem Studienjahre ins Leben tretende Reform der
jurid. Studien, welche die Dauer der rechtshistorischen Studien facultativ
und die obligate Stundenzahl der ihnen entsprechenden Vorträge, nament-
lich der über Kirchenrecht, bedeutend und peremtorisch beschränkt, das
Bedürfnis nach einem kurzgefassten Lehrbuche steigern, welches dem nun-
mehrigen Studienplane und unseren speciellen österr. Verhältnissen ange-
passt ist. Allen diesen Anforderungen zu entsprechen strebt die vor-
liegende Publication an, die daher auch allein von diesem Gesichtspunkte
aus beurtheilt werden muss. Es muss daher befremden, dass derselben eine
jüngste Recension deswegen den Vorwurf der Einseitigkeit macht; dieser
wäre von österreichischem Standpunkte aus dann auch gegenüber den
meisten in Deutschland erschienenen Kirchenrechtsbüchern berechtigt.
Das vorliegende Lehrbuch begrüssen wir noch besonders darum, weil
es von einem unserer hervorragendsten Fachmänner ausgeht, der in ihm
eine mehr als fünfundzwanzigjährige academische Lehrerfahrung zu ver-
werthen in der Lage war. Die ganze Anlage, Methode und concise Durch-
führung des Werkes zeugt hievon. Der Verf. hat seine in der Vorrede
motivirte Aufgabe sehr glücklich gelöst. Der historische Stoff erscheint
überall auf jenes Mass beschränkt, das zum Verständnis des geltenden
Rechtes nöthig ist; alles für die Studierenden wie für den Practiker über-
flüssige Detail, Controversen und Polemik sind vermieden und der immer-
hin auch dann noch umfangreiche Lehrstoff in prägnanter Darstellung,
übersichtlicher Anordnung und leichtfasslicher Form wiedergegeben. Eine
wohldurchdachte Gliederung des Stoffes, klare Begriffsbestimmungen, kurze
Skizzen der geschichtlichen Entwicklung bei wichtigen Institutionen machen
das Werk für die Zwecke des Universitätsstudiums besonders geeignet.
Der Haupttext, der durch Quellencitate und Literaturbelege vöJlig ge-
nügend und entsprechend dem Zwecke des Lehrbuchs ergänzt ist, liest
sich sehr fliessend und entbehrt trotz der präcisen Form und Knappheit
des Ausdrucks nirgends des wissenschaftlichen Charakters der Darstellung
Literatur ggg
noch jener wohlthuenden Eleganz des Stils, die das Interesse des Lernen-
den und Laien an der vielfach trocken scheinenden Materie nicht ermüden
lässt. Besonders die wichtigen, anderwärts oft zu breit erörterten Kapitel
über das Verhältnis der Kirche zum Staate und ihre interconfessionelle
Stellung, über die allgem. Lehren des Eherechts und über die kirchl.
Strafgewalt müssen als sehr gelungene Partien des Buches bezeichnet
werden. Das österr. Particularkirchenrecht und unsere confessionelle Ge-
setzgebung ist erschöpfend berücksichtigt, was als Hauptzweck des Werkes
zugleich dessen Hauptwerth für uns bildet. Ein vorzügliches Sachregister
uud gediegene Ausstattung empfehlen die vorliegende Publication auch für
den äusseren practischen Gebrauch. Dieselbe wird sich rasch unter unserer
rechtsbeflissenen Jugend einbürgern, wird aber auch dem österr. Practiker als
sehr handliches und kurzgefasstes Kirchenrechtscompendium willkommen sein.
Innsbruck. W. v. Hör mann.
Th. Ortvay, Geschichte der Stadt Pressburg, h. durch
die Pressburger Erste Sparcassa. Autorisirte deutsche Ausgabe. I. Bd.
Von den ältesten Zeiten bis zum Erlöschen desArpaden-
h aus es. Mit 37 in den Text gedruckten Illustrationen, einem Ur-
kunden-Facsimile und 7 Tafeln. Pressburg, 1892, XVII u. 392 SS gr. 8 °.
Unter den Städten Westungarns behauptet Pressburg, die Uferstadt
der Donau, durch ein reiches Geschichtsleben innerhalb günstiger Be-
dingungen, die erste Stelle. Man könnte sie mit Fug und Kecht das
örtliche Bindeglied des Geschichtslebens Ungarns und Oesterreichs nennen,
da dessen Wechselströmungen in jeder Hinsicht, mag man Kriegs- oder
Fridenszustände in Anschlag bringen, Pressburg immer wieder berührten.
Wir müssen daher die Bearbeitung der Geschichte dieser Stadt durch
einen so gründlichen Fachmann, wie Ortvay es ist, um so mehr will-
kommen heissen, da es ihm der Patriotismus der »Pressburger Ersten
Sparkasse«, anlässlich ihres halbhundertjährigen Jubiläums, ermöglichte,
seine Monographie so ausführlich anzulegen, sich in behaglicher Detail-
forschung und Detailschilderung zu ergehen und dem Worte da und dort
das veranschaulichende Bild beizugesellen. Die Verdeutschung des Werkes,
das in seinem ersten Bande vorliegt, hat, wie das Vorwort bemerkt, der
Pressburger Stadtarchivar J. Batka übernommen, »völlig selbstlos und
rein aus Liebe zu seiner Vaterstadt« (S. VII). Auch sonst erfreute sich
Ortvay, o. Prof. der Geschichte an der k. ung. Bechtsakademie zu Press-
burg und Mitglied der ung. Akad. d. Wissensch., des vielseitigen Ent-
gegenkommens , und so konnte eine Stadtgeschichte unter wesentlich
anderen Vorbedingungen erstehen als jene waren, über welche seiner Zeit
(1823) Paul v. Ballus verfügte.
Ortvay hebt mit den prähistorischen Gegend- und Oertlichkeitsver-
hältnissen Pressburgs an und schlägt dann den Weg die geschichtlichen
Zeiten bis zur Begründung des Reiches der Magyaren ein. Auf diesem
Wege kommt er auf den Doppel-Namen der Stadt zu sprechen (S. 48)
und erörtert denselben auch an anderer Stelle (S. lll), wo von der Donau-
534 Literatur.
Ueberfuhr die Eede ist. Er untersucht die deutsche Benennung »Press-
burg* und die magyarische »Pozsony« in sehr umsichtiger Weise, ohne
sich von einer vorschnellen Namensdeutung gefangen zu geben. Bei diesem
Anlasse möchte Eeferent noch auf eine Namensform hinweisen, welche sich
als Umdeutschung von »Pozsony« herausstellt und durch die »Historia
Friderici«, continuatio Joh. Hinderbach (Kollar, Anal. Monum. o. ae.
Vindob. IL Col. 566) beglaubigt wird. Im Volksmunde habe Andreas
Baumkircher »Pasemeyer Spang i. e. comes« geheissen; Pasemey =
Posonium, Pasemeyer spang = comes Posoniensis.
Sehr ausführlich ergeht sich der Verf. in der Analyse der Ent-
scheidungsschlacht im Jahre 907 zwischen den Magyaren und dem bai-
rischen Heerbann. In der Verfechtung der Authenticität des Berichtes
Aventins (Ann. Boj. 1. IV. c. 19 — 21) geht er jedoch zu weit. Der
bairische Chronist hat da nicht bloss compilirt, sondern auch combinirt
und von Eigenem dazu gethan.
Eine ebenso sorgfältige als genaue Untersuchung wird der Press-
burger Schlossherrschaft (S. 7 Off.) und der P. Donau -Ueberfuhr, ferner
der Wödritz zu Theil (S. 111 ff.), um so die Grundelemente des Press-
burger Territoriums bioszulegen. Dann kommen die ältesten kirchlichen
Verhältnisse zur Sprache. Ortvay erklärt sich gegen die Annahme eines
» avarischen « Bisthums mit dem Sitze in Pressburg und ebenso vermeint
er die Identifizirung von » Vetvar « in der (gefälschten) Urkunde K. Eugens IL
für Lorch-Passau mit Pressburg, indem er darin »Vizivär«, d. i. > Wasser-
burg«, den avarischen Vorläufer Deutsch-Altenburgs, gewahrt.
Auf ungleich festeren Grunde stellt sich die Forschung nach den
Anfängen der » alten « Pressburger Probstei auf dem Schlosse. Die Probstei-
kirche in der Stadt erstand nach d. J. 1221.
Die Betrachtung des alten Strassennetzes und der Stellung Press-
burgs innerhalb desselben eröffnet den ausführlichen geschichtlichen Ex-
kurs über die Kriegszüge K. Heinrichs III. nach Ungarn, mit besonderer
Eücksicht auf Pressburg, wobei der Verf. Gelegenheit nimmt, manche ab-
weichende Anschauung zu vertreten. So gewahrt er beispielsweise in dem
»Verwandten« K. Stephan I. welchem K. Heinrich HI. die 1042 eroberten
Städte, darunter auch Pressburg, auf Fürbitte Gg. Bretislaws von Böhmen
und mit Zustimmung der Einwohnerschaft übergeben habe, — den Ar-
pädenprinzen Domoszlö und verficht in ihm einen Sohn des geblendeten
Vazul, während dem Verf. Andreas, Bela und Levente als Söhne Ladislaus
des Kahlen gelten. All dies bewegt sich freilich auf einem schlüpfrigen,
hypothetischen Boden.
In der Kritik der deutschen Auffassung der wechselvollen Ungarn-
kriege Heinrichs III. lässt es Ortvay an Schärfe nicht fehlen; um so em-
pfänglicher zeigt er sich für die Glaubwürdigkeit der ungarischen Ge-
schichtsquellen des XIII. und XIV. Jahrhunderts, deren sagenhafter und
begreifliche nationale Tendenz doch auch zu äusserster Vorsicht mahnen
soll. Immerhin muss gesagt werden, dass der Verf. die halben und die
Misserfolge der Kriegsführung Heinrichs III. seit 1051 darzuthun verstand.
Für die Geschichte der Ueberrumplung Pressburgs v. J. 1146 Hess
sich auch die Angabe der Ann. Austriae, so der Contin. Admont. heran-
ziehen, worin der >comites Herimannus und Liutoldus« als Führer des
Literatur. 535
Ueberfalles gedacht wird, was jedenfalls der Angabe im Chron. Marci be-
züglich des »miles Alemannus« Rapolt und der » industria « und »impro-
bitas« »Juliani comitis « gegenübergestellt zu werden verdient. — Ebenso
empfahl sich der genaue Bericht zum 28. Mai 1189 in den Ann. Colon,
mav. (M. G. XVII, 797) in Hinsicht des Aufenthaltes K. Friedrichs I. zu
Pressburg einer Berücksichtigung, da er einige Details, wie die Schenkung
des Riesenzeltes (tentorium operosum, quod portare vix poterant tria
plarsta) an den Kaiser und die Verlobung des staufischen Prinzen mit
der ungarischen Königstochter u. A. enthält.
Für die Geburt der heil. Elisabeth, Tochter K. Andreas II.
der Andechs - Meranerin Gertrude, in Pressburg (1207) tritt 0. als
Wahrscheinlichkeit ein. Inwieweit die Legende mit Recht oder Unrecht
Pressburg als Empfangsort der glänzenden thüringischen Gesandtschaft
bezeichnet, welche die jugendliche Königstochter abholte, und was sie an
Detail hierüber enthält, muss dahingestellt bleiben.
Bei dem Umstände, dass der Verf. stets von der allgemeinen Zeit-
lage ausgeht, erscheint es begreiflich, wenn er ziemlich ausführlich der
Mongolenzeit Ungarns gedenkt und hiefür Rogers »Carmen misera-
bile« und die Historia Salonit. des » Archidiaconus « (richtiger sollte dies
mit »Erzpriester* statt Dechant übersetzt werden) Thomas vorzugsweise
benützt, neben dem Briefe des Mönches Julian und dem »Liber de regnis
aliquarum nationum presertim barbararum« in dem Orig. Cod. der Grazer
Univ. Bibliothek, abgesehen von dem Urkundenmaterial der Zeit Belas IV.
Mit dem, was 0. über die Heimsuchung des Gebietes von Pressburg durcn
die Mongolen ausführt, kann man ganz einverstanden sein, ebenso müsseh
wir ihm beipflichten, wenn er Pressburg als Ort der verhängnissvollen
Zusammenkunft des flüchtigen Ungarnköniges mit Herzog Friedrich dem
Streitbaren bezeichnet. Anders steht es mit der Frage nach dem Zeit-
punkte der — allerdings vergeblichen — Belagerung des Pressburger
Schlosses durch den genannten Herzog , den nach dem Wortlaut der
Schenkungsurkunde Belas IV. Graf Oosmas mit Erfolg abwehrte (Fejer IV,
1, 390). Diese Frage erscheint bei Ortvay nicht gelöst.
Die Rolle Pressburgs in den Kriegen von 1246, 1254 (als Congress-
ort), 1260, 1262 (als Friedensort), 1271 — 1273, 1287, bis in die Tage
Andreas III. wird von Ortvay erschöpfend dargelegt. Die Apologie des
Magyarenthums — anlässlich der Polemik gegen die Reimchronik Otto-
kars (S. 308 — 313) wollen wir ihm zu Gute halten, da er in dem Haupt-
punkte — die Ursache der Unzufriedenheit der Steiermärker sei über-
haupt im Widerstreben gegen die Fremdherrschaft zu suchen, Recht haben
mag. Nur erscheint (S. 31 1) der Seitenhieb auf die modernen Aspirationen
gegen die magyarische Hegemonie nicht platzgerecht.
Wir müssen schliesslich als Vorzüge des Werkes Gründlichkeit, klare
Auffassung und Darstellung und einen richtigen Blick für das Allgemeine
und Einzelne anerkennen. Dem Texte schliessen sich drei Beilagen an,
von denen die I (353 — 372) die Obergespäne von Pressburg v. 1135 —
1298; die IL (363 — 386) »die Beurkundungen des Pressburger Capitels
aus der Arpadenzeit« (1230 — 1300) und die III. »die Pröbste und Dom-
herrn von Pressburg unter den Königen des Arpadenhauses« (387 — 391)
diplomatisch belegt und zusammenstellt.
536 Literatur.
Das Werk wird umfangreich werden, da der Verf. nach dem zu
schliessen, was bis jetzt vorliegt, eine Zeitgeschichte Ungarns mit be-
sonderer Eücksicht auf Pressburg zu liefern beabsichtigt. Dem deutschen
Lesepublikum kann das nur willkommen sein, da es hier ausnahmsweise
einer grossangelegten Ortsgeschichte Ungarns begegnet, welche magyarisch
und deutsch herausgegeben wird.
Graz. F. v. Krone s.
Geschichte des Keichsfreiherrlichen und Gräflichen
Hauses Leutrum von Ertingen. Von Gerhard Graf Leu-
trum von Ertingen. Zwei Bände. Stuttgart, Druck von W. Kohl-
hammer 1893.
Die Mehrzahl der Geschichten adliger Familien werden — ganz ab-
gesehen von der vielfach unkritischen Behandlung des Stoffes — kaum
das Interesse der Fachkreise wecken. Nur, wenn in einem solchen Werke
die Biographie eines aus der Familie hervorgegangenen , bedeutenden
Mannes sich findet, wird und muss der Historiker demselben seine Auf-
merksamkeit schenken. Aus diesem Grunde verdient der zweite Band
des vorliegenden Werkes, welcher die Lebensgeschichte des kaiserlichen
Generalfeldmarschalls Freiherrn Karl Magnus Leutrum von Ertingen (17 38)
enthält, eine genauere Betrachtung. Dadurch, dass Leutrum 1712 bis
1719 im Heere Königs Karl XII. von Schweden eine hervorragende Stelle
einnahm, sowie vom Landgrafen Karl von Hessen-Kassel zu mehrfachem
diplomatischen Missionen, so an den französischen Hof (1719 bis 1720,
und nochmals 1720 bis 1721), an den sardinischen Hof (1724) und an
den Wiener Hof (1724 bis 1727) verwandt wurde, war derselbe in der
Lage, zumal weil er ein scharfer Beobachter war, das Treiben an allen
diesen Höfen in seinem Tagebuche und seinen Briefen eingehend zu
schildern. Namentlich ersteres, welches zum ersten Mal hier publicirt
wird, ist von besonderem Werthe, da Leutrum in nahe, persönliche Be-
rührung mit König Karl XII. kam und dessen volles Vertrauen genoss.
Trefflich characterisirt er die Leute, die nach des Königs Tod das Ruder
des schwedischen Staates ergriffen, als solche, »so dess Königs Tode mehr
erfreut, alss betrübte*.
Noch interessanter' ist seine Schilderung des Pariser Hofes: »Der
Regent widmete den Geschäften einen geringen Theil des Tages, von einer
meist späten Vormittagsstunde bis 5 Uhr Nachmittags.« Vom leitenden
Minister Dubois heisst es: »man könne ihn mit einigen Raritäten oder
Antiquitäten gewinnen.« Ein anderes Mal meinte er von demselben: »er
ist ein schlimmer, falscher Mann, auf dessen Worte sich kein Mensch
verlassen kann, der heute so und morgen ganz anders spricht.« Auch
sonst gewährt die Leetüre des Buchs einen Einblick in das Treiben am
französischen Hofe, namentlich in die Bestechlichkeit der massgebenden
Persönlichkeiten.
Zweien Personen musste er 6000 Reichsthaler, einer Dame eine
goldene Repetiruhr und Stoff zu einem goldenen Kleide, im Ganzen 36.000
Reichsthaler »Schmiergeld« zahlen. Leider sah es in andern Ländern
Literatur. 537
nicht viel besser aus. Dein bekannten Monsieur de Eobethon zahlte er
4000 Eeiehsthaler, einen schwedischen Gesandtschaftssecretair gewann er
für 4 bis 500 Eeiehsthaler jährlich zum Verrath der Amtsgeheimnisse,
den Obermarschall des Markgrafen von Bayreuth bestach er durch ein
Pferd. Gegenüber dieser Käuflichkeit an hoher und höchster Stelle sticht
vortheilhaft ab Leutrums unwandelbare Treue gegen den einmal erwählten
Herren, die weder die Versprechungen des Herzogs von Holstein-Gottorp.
des Gegners des Hauses Cassel in Schweden, noch die Lockungen Frank-
reichs brechen konnten. Von nicht geringem, culurgeschichtlichen Inter-
esse ist die Schilderung von Leutrums Eeise an den sardinischen Hof.
Eine unbewusste Komik liegt in dem Ernst, mit welchem Leutrum dafür
eintritt, dass seinem Herrn der Titel »Serenitas« statt »celsitudo« seitens
des erst kürzlich zum König vorgerückten Herzogs von Savoyen ertheilt
werde. Ueberhaupt bietet das ganze Werk reiches Material zur Geschichte
der Etiquettestreitigkeiten , bekanntlich einer Specialität unserer deut-
schen Höfe.
Am meisten Interesse bietet für den österreichischen Leser Leutrums
Mission an den Wiener Hof. Auch hier glaubte Leutrum: »ohne Geld
und ohne Versprechung sei nichts auszurichten« und meinte: »man
solle ja nicht vergessen, für den Eeichsvizekanzler ein namhaftes Geschenk
— alles in allem 20,000 Gulden — mitzubringen«. Doch hat er sich
in diesem Punkt sicher geirrt und hat gerade der negative Erfolg seiner
Wiener Mission, gezeigt, dass die Mittel, mit denen er am Pariser Hof
und andern Höfen mit Erfolg gearbeitet hatte, Bestechung und Erkaufung
hoher Beamten *) in Wien nicht anschlugen. Hier wurden zwar den fürst-
lichen Häusern, welche zum Kaiser halten würden, grosse Länder und
grosse Würden in Aussicht gestellt, allein der Wiener Hof selbst wider-
stand allen Lockungen des gewandten, politischen Emissairs und, da der
Kaiser noch viele Hunderte bisher noch nicht verwendeter, aggregirter
Officiere hatte, ihm auch von allen Seiten Eegimenter und Truppen ohne
Entgeld angeboten wurden, so lehnte der Wiener Hof höflich, aber mit
Entschiedenheit das durch Leutrum übermittelte Angebot von 6000 hessen-
casselschen Soldaten gegen Subsidiengelder ab.
Das Scheitern dieser Mission hatte Leutrums Ausscheiden aus hessi-
schen Diensten zur Folge und ein glücklicher Stern führte ihn 1734 in
kais. Kriegsdienste. Seine letzte Thätigkeit in Italien und gegen die
Türken wird an der Hand des dem k. u. k. Kriegsarchiv entnommenen
Materials eingehend geschildert. Es wird dieser letzte, sehr anziehend
geschriebene Theil des Werkes manchen österreichischen Lesern gewiss
Freude machen.
Das ganze Werk zeigt ein fleissiges Studium der Archive (Karlsruhe,
Marburg, München, Stockholm, Stuttgart, Wien und mehrerer städtischer
und privater Archive). Der Verf. hat überall gesucht, Licht und Schatten
gerecht zu vertheilen. Von einseitiger Verherrlichung der verstorbenen
Geschlechtsgenossen hält sich derselbe fern. Ebenso ist das Werk trotz
des hie und da hervortretenden, streng protestantischen Standpunktes des
l) Er meinte auch: »man müsse sich an gewisse Leute, zumal an ein Paar
Damen wenden, mit ihnen Geld verspielen«.
ggg Berichte.
Verfassers frei von engherziger Confessionalität. Die Ausstattung ist
schlicht und vornehm x). Was der Benutzer allein vermissen dürfte an
dem sonst so trefflichen Werke, ist ein Personalregister zum zweiten Bande.
Doch da der Verf. das Werk für seine Verwandten, nicht für die gelehrte
Welt geschrieben hat, darf man ihm daraus keinen Vorwurf machen.
Stuttgart. Theodor Schön.
Ungarns Geschichtsliteratur in den Jahren 1890
bis 1893- II. Zeitschriften.
Im nachstehenden veröffentliche ich den II. Theil der Bibliographie
der ungarischen Geschichtsliteratur der Jahre 1890 — 1893. Wie ich schon
im ersten Theil dieser Bibliographie darlegte (vgl. Mitth. des Instituts 14,
68 1), umfasst der zweite Theil die Zeitschriftenschau a). Ich war
bestrebt die wichtigsten Zeitschriften Ungarns anzuführen, wobei ich jedoch
die in deutscher Sprache erschienenen nicht anführte. Trotz aller Mühe
konnte ich einiger Jahrgängen von Zeitschriften nicht habhaft werden,
wofür ich um gefällige Nachsicht bitte.
Archaeologiai ertesitö. (Archaeolog. Anzeiger.)
1891. I. Urzeit. Bella bespricht mehrere neue Oedenburger Funde,
ferner eine zu Varishegy gefundene Urne, und gibt Mittheilungen über
die Erdburg und den Urnenfriedhof zu Purgstall bei Oedenburg. — Darnay
über Funde in der Gegend von Sümeg und einen neuen Urnenfriedhof
bei Csabrendek. — Dömötör gibt Aufschluss über einen Bronzfund bei
Arad, Fenichel über die Hügelgräber bei Gyertyämos und Bedelö, sowie
über den Tumulus in der Gemarkung »la furcsi« bei Bedelö. — Kubinyi
spricht über die Fibula ; Lehoczky über Funde in den Komitaten Ung und
Bereg und über eine Niederlassung in der Urzeit bei Beregszäsz. —
Mihalik über einen zu Sonkäd gefundenen Bronzsäbel, über Niderlassungen
in der Urzeit im Liptauer Komitat und Denkmäler der Urzeit im Komitat
Ugocsa. — Münnich über Ziegelfunde aus der Urzeit in der Zips. —
Pinter über einen Bronzfund zu Dolyäny. — Recsei : Bronzfunde im Honter
und Neograder Komitat. — Keizner: über die Bäbeer Funde; Ausgra-
bungen bei Bäbe; ein Fund bei Szegedin. — Szäraz macht Mittheilungen
über die Egger'sche Antiquitätensammlung. — Tegläs: Niederlassungen
in der Urzeit bei Csuga und Magulicza; Ormamente und Steinwerkzeuge
aus der Niederlassung bei Homoröd. — Tomka: die Niederlassungen der
Urzeit im Sohler Komitat. — Vancsö: der Urnenfriedhof zu Nagyiratos.
— Wosinszky : Funde zu Käczegres ; Schmuckgegenstände der Gräberfelder
der Neolith Zeit bei Lengyel; praehistorische Fussgeschirre ; Ausgra-
bungen bei Gerjen.
IL Alterthum und Völkerwanderung. Bella: Piömische Grä-
') Werthvolle Beigaben sind zahlreiche Briefe im Wortlaut, darunter einer
des Prinzen Eugen an Landgraf Karl vom 28. Juni 1724, ein Schreiben Königs
Stanislaus an Leutrum vom Jahre 1720.
-) Die ursprünglich auch für den zweiten Theil bestimmte Aufzählung der
hervorragenderen selbstsändigen Werke wird als besonderer dritter Theil er-
scheinen.
Literatur. 539
ber auf dem Deäk-Platz in Oedenburg. — Grempler gibt Aufschlüsse über
verschiedene Funde. — Neudek: das Trajan-Denkmal in der Nähe von
Orsova gegenüber Ogradina. — Eadisics : Römische Fächer. — Söter :
Römische Funde in Russland. — Tegläs: Römische Bergwerke. — Szelle:
Ausgrabungen im Friedhof aus der Zeit der Völkerwanderung zu Bölcske.
— Wosinszky über eine Pfanne aus der Zeit der Völkerwanderung, ge-
funden zu Kaposvölgy. — Ferner eine Mittheilung über den Schatz aus
der Völkerwanderung im Komitat Szabolcs.
m. Mittelalter. Bojnicic: über einen kreuzförmigen Reliquien-
halter im Domschatze zu Agram. — Boncz theilt das Wappen des Bischofs
von Fünfkirchen, Sigismund Ernust de Csaktornya (von 1498) mit; ferner
spricht er über unbekannte Wappen auf ungarischen Goldschmiedewaaren.
— Köver gibt Beiträge zur Chronologie der ungarischen mittelalterlichen
Baukunst und über Anjou-Denkmäler in der Schatzkammer zu Dresden.
— Lissauer : Die Formen der slavischen Schläfenringe. — Mayer : Der
Pokal König Mathias' zu Nemetujhely. — Mihalik : Die Kirche zu Mäty-
falva und dessen Wappenbild. — Nagy: über die ungarischen mittelalter-
lichen Waffen. — Radisics : Alte kirchliche Goldschmiedegegenstände ; Reli-
quienschrein in dem National-Museum zu Neapel. ■ — Reizner : Gräber-
funde aus der ungarischen Heidenzeit ; Kirchen der Gegend Szegedins. —
Str^zgovszky : Eine Elfenbeinplatte in Relief aus dem Dom von Salerno.
— Szäraz: Das Antipendium der Königin Agnes. — Szendrei: Ungarische
Trachtenbilder in ungarländischen Wappen.
IV. Neuzeit. Dankö: Grabmal des Pressburger Domherrn Gaspar
Römer. — Fraknöi: Das Bildniss Mathias' Corvinus in Bresslau — Maj-
läth : Die Drahtpanzer des ungar. Nat.-Museums. — Mihalik : Der Siegel-
stock der Goldarbeiter und Färber der Stadt Schemnitz. — Myskovszky:
Die Sgrafitten des Fricsier Schlosses. — Ferner ein Artikel über alte
Pokale (sogen. » aldozö poharak «) in Ugocsa. — Bartalus : Ueber Höhlen
und Korbsteine (» kaptärkövek *) der Gegend Erlau's.
V. Numismatik. Hampel: Ein Münzschatz von Bregetium. —
Pich : Ueber zwei Thyatira Münzen, selbe wurden in Ungarn gefunden. —
Rethy: Unedierte Münzen der Arpaden und Anjouzeit. — Die Münzen des
Banus von Szöreny Nikolaus Redwitz. — Unedierte ungarische Münzen. —
M. J. : Antike Münzen in Ugocsa. — R. L. : Unedierter Denar König Bela IV.
1892. I. Urzeit. Bella: Neuere Purgstaller Funde ; über Petöhazaer
Funde. — Dömötör : Der Bronzfund zu Bräd. — Farkas : über die Szeg-
värer Steinzeit Funde ; über Szenteser und Csongräder Funde. — Jösa :
Niederlassung aus der Urzeit zwischen Rakamaz und Timar; über den
Bronzefund zu Piricse. — Könyöki: Funde zu Selypi. — Kubinyi: Bronz-
fund zu Krasznahorka. — Lehoczky : Funde im Komitat Ung ; über den
Bronzfund zu Danköfalva. — Mihalik: Die Festung »Belavära« aus der
Urzeit bei Bujänhäza. — Recsey : Denkmäler der Urzeit in der Gegend von
Gran. — Reizner: Die Gräberfunde in Szeged-Röszke. — Sändorfi: Ueber
die praebist. Niederlassung zu Csejthe. — Söter : Bronzefunde zu Mosony-
Szolnik und Mosony-Jeszehof. — Tegläs : Ueber das praehistorische Dacien.
— Wosinszky: Ausgrabungen in Gerjen. Die abaligeter Tropsteinhöhle
und die in der Nähe befindlichen Gräber der Römerzeit.
H. Alterthum und Völkerwanderung. Bella: Römischer
540
Literatur.
Grabstein. — Domaszewszky : Zwei unedierte römische tabellae honestae
missionis. — Farkas: Friedhof der Völker wanderungszeit in Märtely. —
Fröhlich: Die Gegend Acumincum's und der alte pannonische Limes. —
Kuzsinszky: Die Münzen des Ormoder Goldfundes; Römisch ir Friedhof in
Aquincum. — Lehoczky: TJeber den Ormoder Goldschatz. — Ornstein:
Ueber die Szamosujvärer Athene Statuette. — Väsärhelyi : Ueber Richtung
und Spuren der von Aquincum nach Bregetium führenden Römischen Strasse.
— Wosinsky : Ueber Erdburgen. — F. R. : Römischer Ziegel mit Inschrift
in Szamosujwär.
III. Mittelalter. Czobor: Sieben alte Goldschmiedewerke aus dem
Siebenbürg. Bisthum. — Decsenyi : Die röm. kath. Stefanskirche zu Nagy-
bänya. — Huszka : Die Mauerbilder der ev. ref. Kirche zu Mezötelegd. —
Jösa: Ueber das Grabfeld zu Käräsz. — Käräsz: Die Goldschmiedewerke
der Aachener ungarischen Kapelle. — Köver: Zur Frage des mittelalter-
lichen Drahtemails. — Nagy: Die ungarischen heidnischen Denkmäler des
Komitat Fejer. — Pör: Die Goldschmiedewerke des 14. Jahrhunderts in
der Aachener ungar. Kapelle.
IV. Neuzeit, lllesy: Beiträge zur Geschichte der Malerei der Press-
burger Schlosskapelle 1563—1570. — Mihalik: Siegel der Neusohler Gold-
schmiede; Siegelstock der Schuhmacher-Gilde von Korpona aus 1631. —
Siegel ungarischer Goldschmiedgilden des 17. und 18. Jahrhunderts. —
Tegläs : Ueber den Segesvärer Schatz. — K. B. : Ungarische Prunkgewänder
aus der Fraknöer Schatzkammer.
V. Numismatik. Kuzsinszky: Die Münzen des Oimöder Gold-
fundes. — Rethy : Beiträge zur Numismatik der Havaselver Wojvodenschaft.
— Väsärhelyi: Ueber den Münzfund zu Tinnye.
Budapesti Szemle. (Budapester Revue).
1890. Marczali: Ueber die Gründung des Deutschen Reiches (Nach
dem v. Sybel'schen Werke). — Könyi: Beust und Andrässy 1870 und
1871. — Moldovän: Die Wirkung der Reformation auf das rumänische
Volk in Siebenbürgen. Schildert die religiösen und literarischen Zustände
des rumänischen Volkes im 16. und 17. Jahrh. und den günstigen Ein-
fluss der Reformation. — Marczali: Die Mission Lonovics's nach Rom.
Dieselbe erfolgte 1840/41 anlässlich des Auftauchens der Frage der ge-
mischten Ehen. Der gehaltvolle Artikel wurde bei Beginn des kirchen-
politischen Streites in Ungarn veröffentlicht und bildet einen interessanten
Beitrag zur Geschichte der gemischten Ehen. — Salamon : Ueber nationale
Landwehr. Ein Beitrag zur Geschichte des Jahres 1848, zugleich eine
Beleuchtung des G. A. XXII: 1848.
1891. Stefan Görgey: Kossuth und Görgey. Behandelt das Zusam-
mentreffen Kossuth's mit Görgey 1849 August 11. Das Dunkel, das über
den in dieser Zusammenkunft verhandelten Fragen schwebt, vermag auch
dieser Artikel nicht zu lichten. — Könyi theilt die Ansichten Franz Deäk's
über die Siebenbürgische Union mit. — A. P.: Gesetzartikel XX. des
Reichstages 1847/48 »in negotio religionis«. — Horväth gibt eine lite-
raturhistorische Studie über das Verhältniss Pelbärt zur mittelalterlichen
Literatur. — Csänki spricht über die Renaissance unter König Mathias.
— Zichy veröffentlicht an den Grafen Stefan Szechenyi gerichtete Briefe.
Literatur. 541
— Marczali veröffentlicht ein Memorandum über das Tabakregale, welches
Graf Szechenyi an den Kanzler Georg Grafen Apponyi richtete; es stammt
aus dem Archiv des Grafen Apponyi, wo sich noch eine Reihe ähnlicher
von der Hand Szechenyi's herrührender Memoranden befinden.
1892. Zichy, dem wir schon eine Reihe von Werken und Artikeln
über Graf Szechenyi verdanken, spricht in diesem Jahrgang über die ver-
schiedenen an St. Szechenyi gerichteten Briefe, welche zur Lebensgeschichte
dieses hervorragenden Reformators von besonderer Wichtigkeit sind.
Katholikus Szemle (Katholische Revue).
1890. Recsei: Ein unbekannter, Peter Päzmäny gewidmeter ungari-
scher Kalender von 1634. Derselbe wurde von Recsei aus dem Einband
eines Codex der Kaschauer bischöflichen Bibliothek herausgeschält, und
vervollständigt einen schon früher auf dieselbe Weise gefundenen Kalender.
Die zwei Funde ergänzen sich und bieten ausser dem Kalender verschie-
dene Lebensregeln, astronomische und andere Mittheilungen und Nach-
weisungen. — Takäts behandelt in einer literaturhistorischen Studie ein-
zelne Abschnitte aus dem Kampfe um die Neologisirung der ung. Sprache.
1891. Cyrill Horväth: Die ungarische Nationalliteratur bis zur Re-
formation. Auf diese den ganzen Jahrgang hindurch laufende Abhandlung
sei hier bloss verwiesen. — Pör veröffentlicht die Biographie des Bischofs
von Agram, Stephan Kanizsai. Derselbe stammte aus dem Geschlecht der
Osl, und war ein Sohn des Zalaer Obergespans Lorenz L, welcher 1330
starb. Den Namen Kanizsai nahm Lorenz I. an, als er nach Eroberung
von Kanizsa diese Festung sammt dazu gehörigen Territorium von Karl I.
erhielt. Stephan Kanizsai war 1343 canonicus lector von Bäcs, 1347
Propst von Ofen, wurde dann mit der Legation an Innocenz VI. betraut,
um dem Papst zu bestimmen, dass er die Eroberung Dalmatiens durch
Ludwig I. nicht hindere. Als gewählter Bischof von Agram fiel er eine
Zeit lang in Ungnade beim König, wurde jedoch später wieder in Gnaden
aufgenommen und mit der Legation nach Frankreich betraut, um eine
Heirath zwischen dem zweitgebornen Sohn des französischen Königs und
einer Tochter Ludwig's von Ungarn zu vermitteln. Er starb wahrschein-
lich Ende 1375.
1892. Alexander Takäts veröffentlicht eine Studie über Clemens
Didak und dessen Verhältniss zur Familie des Alexander Kärolvi, des be-
rühmten Parteigängers Franz Räköczi II. Verf. skizzirt in grossen Zügen
die Familienverhältnisse Alex. Karolyi's und entwirft dann ein Bild des
Wirkens des Minoriten Didäk als Verbreiters der katholischen Religion,
hauptsächlich auf den Kärolyi'schen Gütern. — Töth theilt eine Studie
über die Anabapti3ten in Siebenbürgen und ihre Bekehrung durch den
Jesuiten Delpini mit. Die Sekte der Anabaptisten wurde in Siebenbürgen
durch Fürst Gabriel Bethlen angesiedelt, wo sie 1621 auftaucht. In Un-
garn werden sie 1546 zuerst erwähnt, von wo sie nach Siebenbürgen
kamen. Ihre Bekehrung in Siebenbürgen erfolgte unter Maria Theresia
seit dem Jahre 1763. Verf. benutzte bei seiner Arbeit auch archivalische
Quellen, hingegen Hess er die Publication Beck's in den Fontes rerum
Austriacarum II 41 über die Geschichtsbücher der Wiedertäufer, unbenutzt.
542 • Literatur.
Magyar-Zsidö Szemle. (Ungarisch- Jüdische Revue).
1890. Diamaut gibt die Geschichte des im Jahre 1736 gegründeten
Chevra-Kadisa Vereins in Trencsen. — Büchler: Beiträge zur Geschichte
der ungarischen-israelitischen Gemeinden in den Jahren 1830 — 1848.
1891. Büchler: Aus der Vergangenheit der Pester israelit. Gemeinde.
Behandelt die Ereignisse des Jahres 1831. — Kelen: Ueber die jüdische
Synode des Jahres 1650. Behandelt die auf diese Synode bezüglichen
Daten des Werkes des Engländers Brett, welches 1650 erschien. — Kohn:
Die Altofner israelit. Gemeinde gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Theilt auch Schriftstücke mit, welche die Gemeinde 1766 an die königl.
Kammer richtete. — Venetianer: Beiträge zur Rechtsstellung der Juden
in Oesterr.-Ungarn in dem 10. — 16. Jahrhundert. — Kohn: Zwei Urkunden
zur Geschichte der ungarischen Juden von 1422 und 15 28. Letztere
stammt von Königin Maria, Statthalterin Ferdinands I., worin die Königin
befiehlt, dass die aus Pressburg vei-triebenen Juden dorthin nicht zurück-
kehren dürfen. — Kohn: Eine Urkunde von 1539 zur Geschichte der
Juden. Ferdinand I. verlangt Ersatz für den Census, welchen die aus
Pressburg vertriebenen Juden zahlten. — ■ Klein: Zur Geschichte der Alt-
ofner israel. Gemeinde. Publicirt ein 1787 geschaffenes Gemeindestatut.
— Bücher: Aus der Vergangenheit der Irsaer isi\ Gemeinde. — Ferner
ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Szegedin.
1892. Polhik: Die ältesten Spuren der Juden in Oesterreich und
Wienerrieustadt. Schon Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrh. besassen
die Juden in Oesterreich einen Friedhof. Im übrigen kennzeichnet Verf.
die rechtlichen Verhältnisse der Juden in Wienerneustadt bis 1496. —
Diamant veröffentlicht Beiträge zum Leben des jüdischen Rabbi zu Olden-
burg aus dem 15. Jahrh. — Polläk publicirt zu seinem ebenangeführten
Artikel neun unedierte Urkunden aus dem Stadtarchiv zu Wienerneustadt.
Beigegeben sind Abbildungen der ältesten jüdischen Grabmäler.
Magyar Sion (Ungarischer Sion; erscheint in Gran, ist katho-
lischer Richtung).
1890. Suränyi: Geschichte des ungarischen königl. jus patronatus.
Ausdehnung und Ausübung des jus patronatus seit dem Konstanzer Konzil
bis Maria Theresia. Behandelt eingehend diese Frage ; ■ interessant sind
die Ansichten Peter Päzmäny's, die Verf. mittheilt : beneficia rex dat, donat,
confert; dem König von Ungarn steht nicht nur, wie andern Patronats-
herren das Präsentationsrecht zu, sondern auch die Ernennung und Ver-
leihung der Beneficien. Im Jahre 1635 Juni 16 führt Päzmäny in einer
Schrift aus, dass dem König von Ungarn das Recht zusteht, die Titular-
bischöfe in den Ländern, welche zu Ungarn gehörten, zu ernennen. Ueber
das Jus patronatus wird ein grösseres Werk von Wilh. Fraknöi vorbe-
reitet, dessen 1. Band noch dieses Jahr erscheinen dürfte. — Nogäll:
Stephan Vancsai, der erste ungarische Kardinal. Wurde 1252 zum Kar-
dinal ernannt; erwarb sich grosse Verdienste um die Wiederherstellung
Ungarns nach dem Tataren-Einfall.
1891. Knauz : Die Benediktiner- Abtei bei der Gran. Skizzirt die
Geschichte dieser Abtei, über welche derselbe Verf. ein grösseres Werk
veröffentlichte. — Kollänyi: Bilder aus der Zeit der heimatl. Reformation.
Literatur. 543
Kleinere Mittheilungen aus dem 16. und 17. Jahrh. — ßecsei: Original-
beitrag zur Geschichte der Reformation in Ungarn. Ein gegen den luthe-
rischen Superintendenten Böjthe von Seite seiner Gemeinde gerichtetes
Schriftstück, aus dem 16. Jahrh.
1892. Nogäll gibt eine Biographie des Erzbischofs von Gran Jo-
hann I. 1205 — 1223. — Halmos: Die Eröffnung des Pressburger Semi-
nars (1784 Juni l). — Kollänyi: Alte Geschichten aus dem Pazmaneum.
Interessante Beiträge zur Geschichte der inneren Verhältnisse des Instituts.
■ — Vargka: Die Südslaven und Papst Innocenz III. Behandelt eingehend
diese Verhältnisse ; der Artikel bildet ein Kapitel aus dem preisgekrönten
Werke des Verf.'s »Papst Innocenz III. und sein Zeitalter«.
Ludovica Akademia Közlönye (Organ derLudovicaHon-
ved-Academie).
In dieser Zeitschrift erscheinen vorwiegend Artikel militärischen In-
halts, doch kommen auch Artikel von geschichtlichem Interesse vor, zu-
meist in den Beilagen. Im Jahrgang 1890 besprach Szecsi die Warschauer
Militärrevolution im Jahre 1830. — Jahrgang 1891 brachte aus der Feder
Fülek's einen Artikel über Baron Franz Trenck, den Obersten der Pan-
duren. Behandelt das wechselreiche Leben Trenck's, welcher 1741, anläss-
lich des Ausbruchs des preussischen Krieges auf eigene Kosten 1000
Panduren ins Feld stellte. — Kälnay bespricht die Kämpfe der Keiterei
in dem österr.-preuss. Kriege 1866. — Im Jahrgang 1892 erschien eine
anonyme Abhandlung über Stephan Dobö, den heldenmüthigen Vertheidiger
der Festung Erlau, mit einem übersichtlichen BiLd der Belagerung der
Festung.
Kereszteny Magvetö (Christlicher Sämer; Organder Unitarier).
1890. Kanyarö: Unitarier in Ungarn im 16. und 17. Jahrh. Gibt
die Geschichte der Ausbreitung dieser Lehre, welche Ende des 17. Jahrh.
schon bis Gran sich verbreitete. — Jakab : Leben Georg Enyedi's. E. war
einer der hervorragensten unitarischen Schriftsteller aus dem 17. Jahrh.
— Vegh: Entstehung der Ravaer unitarischen Kirche. Die erste nach-
weisbare Spur datirt von 1693, jedoch existirte die Gemeinde schon viel
früher.
1891. Benczedi veröffentlicht einen Brief des Bischofs Valentin
Kadeczky von 1632 an die Geistlichen des Baranyaer Komitats. — Koncz
theilt einen Brief Val, Radeczky's (1616 — 1632) an Franz Komis von 1624
Oct. 9 mit. — Ferner finden wir einen Brief des Unitariers Adam Franc
aus London 1680, sowie Nachricht über ein zweites Exemplar des ältesten
unitarischerj Liederbuches von Franz David. — Jakab veröffentlicht unter
dem Titel »Noch einmal über Nicolaus Bogäthy Fazekas« interessante
Bemerkungen über das Werk Kohn's »Geschichte der Sabbathier«. —
Benczedi gibt das Verzeichniss der unitar. Seelsorger Toroczkö's seit 1538.
1892. Kanyarö spricht über den Aufenthalt Franz Dävid's, von
welchem auch das älteste Liederbuch der Unitarier stammt, in Debreczin.
— Gyalui gibt die Geschichte des Unitarier in Siebenbürgen Ende des
18. Jahrh. — Jakab veröffentlicht ein Diplom Gabriel Bethlen's von 1613,
womit er einen unitarischen Bischof bestätigt. — Zovänyi gibt Beiträge
zur Geschichte der holländisch-ungarischen Beziehungen der Unitatier. —
544 Literatur.
Kanyarö: Aus den Tagen der Verfolgung im 17. Jahrh. — Benczedi: Die
Schule von Toroczkö und deren Lehrer. — Endlich eine Abhandlung von
Kanyarö über Kalvin- Orthodoxie und unitarische Geschichtsschreibung.
Turul (Organ der genealogisch-heraldischen Gesell-
schaft).
1880. I. Grössere Abhandlungen. Bela Majläth publicirt Studien
über die Starnmfamilien des Comitats Liptö bis 1526. Er untersucht und
stellt fest die genealogische Verzweigung folgender Liptauer Stämme:
Sepere, Bogomer, Nachkommen Hauk Polku's, die des Zalök, Nachkommen
Serefel's. Auf die Fülle der Daten, besonders über die Besitzverhältnisse
dieser Familien kann leider nicht eingegangen werden. — Wertner unter-
sucht die Abstammung der Fürstenfamile Brankovics. Als ersten glaub-
würdigen Ahne weist er den vor 1354 verstorbenen Mladen ßassisaglics
nach, die Familie stirbt mit dem Metropoliten Georg Maxim 1516 aus. —
In weiteren Abhandlungen spricht Wertner über die Familie des Königs-
sohnes Alnios, Vater des nachmaligen König Bela IL, er gelangt zum Er-
gebniss, dass die Gemahlin Almos jene Predazläva war, die Tochter Szvje-
topolk's, welche für gewöhnlich als Frau König Koloman's angeführt wird,
und dass letzterer 1112 die Tochter Monomach Wladimir's Euphemia
heiratete. Ferner weisst W. nach, dass ein Schwiegersohn Ladislaus des
Hl. der Herzog Jaroslov von Russland war. — Soös behandelt die Legende
der Miczbän'schen Familie im 13. Jahrh. Nach derselben gebar die Gattin
Miczbän's (eigentlich hiess er Simon) sieben Kinder, von welchen die Fa-
milien Chapy, Zerdahelyi, Szechy, Soös, Bochkay, Zritthey abstammen. Die
Behauptungen und Ergebnisse Soös' weist dann Karäcsonyi als unwahr
zurück, und verweist die ganze Fabel, sowohl von den Kindern, als auch
von der Abstammung der angeführten Familien in das Reich der Erfin-
dungen. Karäcsonyi gibt weiter einen Artikel über die zweite Verzweigung
des Hauses Arpäd. Bekanntlich starb die erste Linie des Hauses mit
Emerich, Sohn Stephans aus. Die zweite Linie construirt K. als von dem
Oheim Stephan des Hl. abstammend. Er beweist, dass dieser, der Bruder
des Vaters von Geza, eigentlich Julius hiess, und erst in der Taufe den
Namen Michael erhielt. Von Julius -Michael stammte dann Vazul ab, und
von diesen Andreas L, Bela I. und Levente. — Szombathy schreibt über
die Familie Bay ; Bay über die Abstammung der Familie Ludänyi Bay. —
Anton Pör stellt die Abstammung der Familie Osl fest, und schildert ein-
gehend die Geschichte dieser Familie sammt ihren Nebenlinien.
IL Kleinere genealogisch-heraldische Aufsätze. H. G. D. schreibt über
den Wappenbrief der Eathold's ; F. über den des Peter Berekszöi aus dem
Jahre 1448; Cs. J. über dem Wappen der Familie Guthay. Wertner gibt
Beiträge zur Kenntniss des Genus Sos und Genus Bousch Bani. — Sväby
veröffentlicht das Armal der Telegdy's, von Ludwig XII. von Frankreich
der Familie ertheilt. — Nagy publicirt eine Urkunde König Karl IL;
Csergheö bespricht die ältesten Wappen der Familien Apaffy, Rhedey und
Wesselenyi. — Szendrei veröffentlicht eine Zusammenstellung der Wappen-
briefe im Borsoder Komitatsarchiv. — Csoma über dem Wappenbrief Georg
Vajday's, und über das Wappen des genus Hunt-Päzmän, Nagy über Jo-
hann Lazöi's Wappen. — Noszlopy publicirt eine genealogische Tafel der
Literatur. 545
Familie Berzsenyi von 1559. — Dudas handelt über Bäcs-Bodrogh's Ko-
mitatswappen. — Szendrei theilt den Siegelring Franz Wesselenyi's mit.
— Ausserdem finden wir kleinere Beiträge von H. G. D. über das Genus
Divek, von Csergheö, Szeremi und Csoma über verschiedene Grabmäler des
15. und 16. Jahrhunderts.
1891. I. Grössere Abhandlungen. Komäromy gibt eine längere
Studie über den Palatin Dözsa und die Familie Debreczeni. Er bespricht
eingehend die Familiengeschichte, die Besitzverhältnisse und das Wappen
derselben. — Csergheö stellt die eigentliche Form des Wappens des Genus
Guthkeled fest, von welchem Wappen er nicht weniger als 45 Variationen
anführt. — Majläth veröffentlicht familiengeschichtliche Studien aus der
Zeit bis 1526: über die Familie Palugyay de Kis-Palugya und Bodafalva,
über den Stamm Milath's, von welchem die Familien Fejerpataky, Anda-
häzy, Lipthay abstammen, ferner über die Nachkommen des Hongh, Stamm
der Familien Bobrovniczky und Kiswely. — ■ Sväby: Ueber Genealogie der
Grafen Sväby. — Szell weist nach, dass die Familie Török de Telekes
nur in einer Linie ausstarb, während Mitglieder der andern Linie noch
am Leben sind. — Nagy gibt Mittheilungen über Personennamen im Zeit-
alter der Arpaden und über die Abstammung der Osl, weist gegen Pör
nach, dass die Osl nicht südslavischen Ursprungs waren, sondern aus der
Gegend des Neusiedler Sees stammen. — Uecsenyi theilt die Wappenbriefe
des Königs Wladislaus II. mit, in dessen Zeit schon ein gewisser Verfall
der Heraldik zu beobachten ist. — Bärczay gibt Aufschlüsse über Ab-
stammung und Wappen seiner eigenen Familie. — Pör veröffentlicht einen
Artikel üher den Vajvoden von Siebenbürgen Ladislaus und über das
Genus Keän. In einem zweiten Artikel replicirt er gegen Nagy's oben
erwähnten Artikel übefr die Osl. — Wartner liefert Beiträge zur Genea-
logie der Czudar de Onöd. — Kis handelt über die Bogäthy, eine der
ältesten siebenbürgischen Familien. — Märki theilt unter dem Titel die
Döczy's in Arad einen Bruchtheil aus seinem grossen Werke Geschichte
des Komitats Arad mit.
II. Kleinere genealogisch heraldische Beiträge. Ueben den Vojvoden
von Siebenbürgen handelt ausser Pör's angeführten Artikel noch Puky,
der auch über die Familie Kinisy spricht. — Szendrei schreibt über den
Wappenbrief' der Leszteneri's von 1422, und über das Siegel der Stadt
Sohl. — üoby über das Wappen der Grafen Csäky. — Decsenyi über die
Abstammung des Bischofs Gosztonyi. — Karäcsonyi gibt einen Beitrag
zur ungarischen Onomastik, unter dem Titel Ajtony-Achtum. — Ghyczy
veröffentlicht den Wappenbrief Johann Dombay's von 1506. — Wertner
gibt Beiträge zur Gnnealogie der Drugeth von Turzö und der Podmanini.
— Ausserdem kleinere Beiträge zur Kenntniss der in einzelnen Archiven
verwahrten Wappenbriefe und verschiedener Grabmäler.
1892. I. Grössere Abhandlungen. Thallöczy spricht über
den Herzog Hervoja und dessen Wappen. Diese Abhandlung bildet die
historische Einleitung zu dem von der bosnischen Regierung edirten Missale
Glagoliticum. — Komäromy würdigt in einem längeren Artikel das Werk
Wertner's über die ungarischen Nationalitäten. — Csergheö veröffentlicht
eine Studie über die verschiedenen Familien Török. — Karäcsonyi und
Nagy polemisiren über die Aussprache des Namens Geiza. — Kärolyi
Mittheilungen, XV. 35
546 Literatur.
schreibt über die in der Bihäcser Hegend eingewanderten Wlachen und
ihr aus dem Ende des 16. Jahrh. stammendes Wappen. — Wertner
schreibt über die zwei alten Familien der Athinai und Wolfart, theilt
ferner eine Studie über die Franköi mit, sowie Beiträge zur Genealogie
der Körögyi, Tornai und Czudar. — Kis ergänzt die Abhandlung Koma-
romy's über die Szentpali, und spricht über die Kälnokys de Körispatak
als eine der alten siebenbürgischen Familien, ferner über die Familien
Mayläd, Perneszy und Basa. — Szombathy de Tirna und Beczkö. — De-
csenyi über die Genealogie und Wappen der Familie Erdelyi de Somkerek
von 1415. — Pör über einzelne genealogische Fragen aus dem 13. und
14. Jahrh. — Komäromy handelt über die Szentpali, Myskovszky und
Fejerpatakys, über verschiedene Siegel, ersterer über Siegel und Wappen
der Stadt Bartfeld, letzerer veröffentlicht die Siegel der Könige Ladislaus
des Hl., Kolomann und Bela IL — Thaly gibt Beiträge zur Genealogie
des Hauses Räköczi. — Csoma weist den Einfluss der italienischen Re-
naissance auf die ungarische Heraldik nach.
IL Kleinere genealogisch-heraldische Aufsätze. Radvänszky über das
Wappen des Zemlenyi anno 1418. — Ueber eine Privatwappenbriefver-
leihung durch Marchese Negrelli im Jahre 1698; Dudäs über Adels-
briefe im Komitatsarchiv von Bäcs-Bodrogk. — Lehoczky spricht über die
Dercsenyi, ein Artikel über die Familie Hofmann, Decsenyi über ungarische
heraldische Monumente in ausländischen Wappenbüchern, darunter über
eine ungarische Fahne in der Manesse-Handschrift. — Kabusius Kandra
spricht über die Debrei de genere Aba, gibt einen Beitrag zur Familien-
geschichte der Athinai's. — Zum Schlüsse erwähne ich eine Mittheilung
über Adelsverleihungen im 17. Jahrh. an die sogenannten Jobbagiones,
ungar. Landsleute, wobei ein interessantes Aktenstück veröffentlicht ist.
Szäzadok (Organ des ungar. hist. Vereins).
1890. Gerson Adam gibt Nachricht über einen von ihm entdeckten
altungarischen Kalender von 1630. — Hunfalvy bringt einen längeren
Artikel über die ungarischen National-Chroniken ; derselbe ist ein Bruch-
stück aus des Verf. grossem Werk »Die Geschichte der Rumänen4, ein
werthvoller Beitrag auch zur quellengeschichtlichen Literatur Ungarns,
welche ziemlich spärlich ist. — Jankö theilt die auf den Tatareneinfall
bezügliche Stellen chinesischer Geschichtsbücher mit. — Karäcsonyi han-
delt über die Bullen Papst Bonifas IX. Bespricht eingehend die Bullen-
publication der Monumenta Vaticana. — Komäromy bespricht eingehend
das Testament des judex curiae Stefan Bathory von 1603 Febr. 28. —
Von demselben Verf. noch eine zweite Abhandlung über Michael Thele-
kessy und dessen Leben 1576 — 1601. — Kropf spricht über Maximilianus
T^ansylvanus. — Märki über den Anfang des Mittelalters in Ungarn. —
Oväry macht Mittheilungen über die Regesta Angiov. in Neapel und be-
handelt auf Grund unedirter Urkunden die Heirath Wladislaus IL mit
Beatrix. — Pettkö theilt ein in ital. Sprache abgefasstes Memoire von
1624 über den Sturz Gabriel Bethlen's mit. Als Verfasser glaubt P. den
Kardinal Khlesl annehmen zu können. In der Original-Sprache veröffent-
lichte das Schriftstück Gindely in seinem Urkundenbuch zur Geschichte
G. Bethlen's. — Ebenfalls P. publicirt ein ungarisches Gedicht von 1670.
Literatur. 547
— Anton Pör handelt über Demetrius und Alexander de Lipocz und Nekcse.
Alexander war ein berühmter Streiter des 14. Jahrhunderts, der unter
Karls I. Fahne focht, Demetrius bekleidete 25 Jahre hindurch das Amt
eines Tavernicus regni. Sie entstammten dem Geschlecht der Aba, dessen
Stammort Lipocz zwischen dem Zempliner und Säroser Komitat war. —
Pör gibt weiter Beiträge zur Gesshichte Stefan Bogär und Martinus filius
Bogär; beide waren sogenannte »servientes«, Officiere der Nemetujvüri's.
— Räth macht Mittheilung über Johann von Aragonien, jüngsten Sohn
des Königs Ferdinand von Neapel geb. 1463. — Szadeczky handelt über
die Mitgiit der Erzherzogin Maria Christina, Gemahlin Sigismund Bätkory's.
— Ausserdem verdanken wir ihm noch Mittheilungen über das Archiv
der Familie Pechy, das grösstentheils dem 18. Jahrb.. angehört und mehr
für die Familiengeschichte als für die Landesgeschichte Werth hat. Ferner
über die öffentlichen Archive der Stadt Fogaras. — Szabö gibt eine Kritik
des Wortes Arpalice in den Gesta Hemgar des Anonymus. — Sz. S. zur
Geschichte des Palastes der siebenbürg. Fürsten zu Karlsburg aus dem
17. Jahrh. — Szendrei über das Familienarchiv der Kapi's. — Thaly
erstattet Bericht über die Konstantinopeler Forschungen aus der Räköczi-
Emigration. Ferner kleinere Artikel über die Gräber Thököly's und Ge-
nossen in der Gegend von Ismid und über das Leben des Valentin Ba-
lassa. — Wenzel schreibt über die Rolle der Familie Frangepän unter
den Anjou's, — Wertner weist nach, dass der Vojvode von Transylvanien,
Ladislaus, aus dem Genus der Borsa stammte. — Zsatkovics handelt über
die Geschichtsschreibung der ungarländischen Russen, welche im 17. Jahrh.
beginnt.
1891. Ueber das Fürstenthum Johann Kemeny's veröffentlicht Stefan
Domjän eine Studie, worin er die Regierung des Fürsten nach dem Reichs-
tag zu Bistricz behandelt. — Fest gibt eine längere Arbeit über das Ver-
hältnis der Usken d. i. Flüchtlinge zu Fiume im 16. und 17. Jahrh.
Neben der Adria waren übrigens unter dem Namen Usken die Mann-
schaften der Burg Zengg bekannt. — Fraknöi veröffentlicht seine Denk-
rede auf dem verstorb. Archaeologen Florian Römer. — Füssy behandelt
die Geschichte des Conventes zu Zalavar, einer der loca credibilia in Un-
garn. — Hodinka publicirt eine Studie über Bogdan Cbmielnicki nach dem
Werke Kostomarow's. — Jakab, Denkrede auf Baron Blasius Orkan. —
Jankö spricht über die Benyovszky-Literatur. — Kiraly veröffentlicht eine
Studie über die Markomannen-Kriege. — Komäromy über die Geschichte
des Räköczy'schen Schatzes in Munkäcz. — Kvacsala über Johann Heinrich
Bisterfeld. — Ortvay bespricht die Besitz Verhältnisse der Genus Ajtony
und Csanäd in Südungarn. — Pör über Lorenz Töth, magister taverni-
corum unter Karl I. — Schwarz über Bäder in Ungarn bis zum 16. Jahr.
— Wertner weist nach, dass Lambert comes zur ersten Frau eine Schwester
Ladislaus des Hl. hatte, deren Namen wir nicht kennen. — Zsilinszky
veroffentltcht eine Studie über die Obergespäne des Komitats Csongräd,
wobei er sich auch über die Entwicklung des Komitats Systems äussert.
1892. Bartalus spricht über den Ursprung der ungarischen »Palotäs«
Musik. — Berzeviczy schreibt über die Hoffman de Csatär und Szedikert,
besonders im 17. Jahrh. — Decsenyi referirt über seine italienischen
Forschungen. : — Fraknöi bespricht die Forschungen im vatikanischen
35*
54$ Literatur.
Archiv. — Huszka gibt ornamentalen Quellen Beiträge zur Urgeschichte
der Ungarn. — Jakab bespricht die Bezeichnungen der ungarischen und
polnischen Unitarier im 16. und 17. Jahrh. — Karacsonyi gibt eine Studie
über die ersten ungar. Erzbischöfe, welche auch ein werthvoller Beitrag
zur Kritik der Geschichtsquellen im 11. Jahrh. ist. — Kvacsala veröffent-
licht Beiträge zur Geschichte der ungarisch. -englischen Beziehuugen von
1620 — 1670. — Meltzl eine Studie über Gewerbe und Handel der sieben-
bürgischen Sachsen im 14. und 15. Jahrh. — Pauler spricht über die
Hartvik Legende, worin er gegen die Ausführungen Karacsonyi's in dessen
obangeführten Artikel polemisirt. — Petrof schreibt über die Jahresrech-
nung der russischen Annalen. — Pör bespricht die Gesandtschaft Lud-
wigs I. an den päpstlichsten Hof in Avignon i. J. 1346; ferner die Ver-
wandtschaft der Piasten mit den Anjou's. — Szamota veröffentlicht die
auf Ungarn bezüglichen Stellen russischer, serbischer und bulgarischer
Quellen. — Szentkläray kennzeichnet die öffentlichen Verhältnisse im Csa-
mäder Komitat nach der türkischen Herrschaft. — ■ Th. L. über Georg
ßäköczy IL und die walachischen Szemenyen d. i. die Leibwache der wa-
lachischen Wojvoden. — Thüry spricht über das Verhältnis des Geschichts-
schreibers Pecsevi zur ungarischen Literatur. — Veress gibt die Genea-
logie der walachischen Familie Nasturel. — Wertner schreibt über den
Palatin Lorenz, Sohn des Kemeny und desselben Nachkommen aus dem
13. Jahrh. — Zsilinszky setzt seine Studie über die Obergespäne des
Csongräder Komitats auch in diesem Jahrgang fort. — In diesem Jahre
feierte die ungar. -bist. Gesellschaft das 25jährige Jubiläum ihrer Grün-
dung. Das aus diesem Anlass erschienene Jahrbuch enthält ausser der
Eröffnungsrede des Gf. Szechen und der Geschichte der Gesellschaft aus
der Feder des Secretärs Alex. Szilägyi einen längeren Artikel von Kolo-
man Thaly, dem verdienstvollen Forscher der Geschichte Franz Räköczi's IL
Thaly berichtet über die Exhumirung der Leiche des Fürsten Bäköczy,
dessen Leichnam in der Klosterkirche St. Benoit zu Konstantinopel be-
graben ist. Die Exhumirung fand im Beisein Fraknöi's und Thaly's im
Jahre 1889 statt und hatte den Zweck, die Existenz der Leiche zu con-
statiren, nachdem von vielen Seiten Zweifel über das Vorhandensein der
Ueberreste erhoben worden waren.
Bekesvarmegyiregeszeti es mivelödestörteneti tärsulat
evkönyve. (Jahrbuch der archaeol. und literar - bist. Ge-
sellsch. des Komit. Bekes).
1890/91. Karacsonyi gibt die Geschichte der Stadt Bekes bis zu
Anfang des 18. Jahrh. und veröffentlicht ferner die Aufzeichnung des
Kammerdieners Gritti's, eines Italieners, welcher 1534 Gefangener in der
Burg Gyula war. — Von Kar. stammen noch zwei Artikel : Kleinere Mit*
theilungen zur Geschichte des Komitats Bekes, und altungarische auf das
Komitat Bekes bezügliche Briefe. — Krisztik gibt Beiträge zur Geschichte
der Klöster in Bekes.
1891/92. Csänki schreibt über das alte Szeghalom und Füzes Eyar-
mot, und theilt die Statistik der Bevölkerung und Besitzverhältnisse dieser
beiden Orte mit. — Karacsonyi charakterisirt das Leben der kleinen
Edelleute im Bekeser Komitat. — Krisztik theilt die Daten über die Ver-
Literatur. g^g
gangenheit des Komitates Bekes aus dem Bölöner Archiv mit; Sörös spricht
über die aus Bekes stammenden römischen Pilger; Karäcsonyi gibt eine
Eegestensammlung zur Geschichte Bekes bis 1711.
Szepesmggei törtenelmi tarsulat evkönyol. (Jahrbuch
des hist. Vereins der Zips.
1891. Pirhalla bringt den 3. Theil der Geschichte der Zipser Propstei,
von 1493 — ■ 1614. — Tm Jahrgang 1892 handelt Koloman Demkö über
die Chronik von Szepesszombat.
Alsötehermegy ei tört. reg. es term. tud tärsasag ev-
könyde (Jahrbuch des hist. -archaeolog. und naturwiss.
Vereins des Unter weissenburger Komi tat s.
1891. Czerni spricht über Ueberreste von Apulum. Zlamäl behan-
delt die Keisen Kaiser Josef II. mit Rücksicht auf die Stadt Karlsburg.
Bäcs-Bodroghvärmegyi tört. tarsulat evkönyve. (Jahr-
buch hist. Vereins des Komitats Bacs-Bodrog.)
1892. Erdujhelyi handelt über die taktische Bedeutung von Peter-
wardein. — Czirfusz gibt Bruchstücke aus Tagebüchern, während ein anon.
Artikel über die serbische Literatur des Komitats Aufschluss gewährt. —
Dudäs kennzeichuet die Gravamina des Komitats in den Jahren 1741 bis
17 51 und gibt ferner eine Zusammenstellung der Adelsbriefe im Komitats-
archiv, einen Artikel über Insurrection des Adels der Bäczka in 1779
und veröffentlicht einen Theil des Tagebuches Stephan Körmendy's der
1734 — 1739 Obernotär des Komitats war; das mitgetheilte Bruchstück
bezieht sich auf den russisch-türkischen Krieg 1737, — Grosschmied
schreibt über Graf Anton Grassalkovich senior. ; von demselben ferner ein
Artikel über den archaeolog. Fund von Kukula. — Jvanyi handelt über
die Festung Bodrog, über die Verordnung Josef IL betreffs der Regelung
der Bäcskaer Pfarren von 1787 Nov. 2, ferner über Aranyon und Futak. —
Von Erdujhelyi eine Abhandlung über den Process der Stadt Neusatz mit
Peterwardein betreffs der Pflastermauth aus der Mitte des 18. Jahr. —
Von Grosschmied über das Komitatshaus des Bäczer Komitats. - — D. Gy.
gibt alte städtische Siegel. — Köszeghy : Mittheilungen zur Geschichte der
inneren Verhältnisse des Komitats im 18. Jahrh. — Ferner noch Artikel
von Erdujhelyi über die Geschichte der serbischen Journalistik in Ungarn
und eine Liste der öffentlichen Funktionäre des Komitats von 1759 — 1768.
Hunyadmegyei törteneti es regeszeti tarsulat evkönyve
(Jahrbuch des hist. -arch. Vereins des Hunyader Komitats).
1890. Franz Sölyom-Fekete gibt Beiträge zur Geschichte der Orts-
namen des Hunyader Komitats. — Kiraly bespricht das Räkoser Mith-
raeum und das Begräbnis der Mithraeer; ferner schreibt er über die west-
lichen Grenzen und die Grenzenvertheidigung Daciens. — Darvai be-
spricht die Staatsformen des Vlachen.
Törtenelmi es regeszeti ertesitö. (Histor. -archaelog.
Anzeiger. Temesvar).
1890. Karäcsonyi: Ueber die Besitzungen der Propstei und des
Kapitels von Arad. Selbe lagen zumeist entlang des Flusses Maros. —
550 Literatur.
Dudäs über die Bronzzeit der südlichen Gegenden. — Pfeiffer gibt die
Geschichte des um 1750 gegründeten Gymnasiums und Klosters der Piaristen
zu Temesvar. — Milleker: Die Vergangenheit des Wersetzer griechisch-
nicht-unierten serbischen Bisthums. — Berkessi: Aufzeichnungen auslän-
discher Keisender im 18. Jabrh. über Temesvar und Südungarn. — -Milleker:
Ueber das röm. Castrum centum putei in der Nähe von Gross-Szurdok.
— Baröti: Ausweise der Banater deutschen Schulen im 18. Jahrh. ; Liste
des zum Bisthum Csanad angehörigen Dörfer von 1701; Bericht über die
1731 stattgefundene Conscription im Banat.
Ethnographia.
1890. Baröti: Zur Geschichte der deutschen Ansiedelungen im Banat. Unter
dem General Mercy in den Jahren 1717- — 1734.- — Märki: Zur Geschichte
der Zigeuner in Arad. — Tagänyi : Die Landesergreifung und Siebenbürgen.
1891. Blesy: Beiträge zur Geschichte des Aberglaubens in Ungarn.
Gibt Auszüge aus Protokollen von 1653, 1726 nnd 1730.
Erdelyi Muzeum Egylet (Museum-Verein Siebenbürgens).
1890. Anton Pör schreibt über Thomas Csör. Derselbe lebte um
1330 — 1360, bekleidete die Stelle eines königl. Oberthürhüters, war Ober-
gespan von Liptau und Crisien, ferner Commandant von Csökakö, Gesztes
und Alt-Ofen. — Pör: Bänk-ban's Melinda. Weist nach, dass die Frau
des Palatin's Baank eine Spanierin Namens Tota, die Hofdame Konstanzia's
von Aragonien, Gemahlin des Königs Emerich war. — Läzär: Beiträge
zur Verwaltungsgeschichte des Temeser Banats und Serbiens nach dem
Frieden von Passarowitz 1717 — 1739, auf Grund der Mittheilungen des
k. u. k. Kriegsarchivs. — Moldovän: Zur Geschichte der romanischen Leib-
eigenen. - — Revesz entwirft das Bild des Wirkens Alois Gritti's in Ungarn.
— Tegläs gibt Beiträge zur Geschichte Daciens um das Jahr 162. Spricht
über Julius Alex, staatlichen Unternehmer, gibt neuere Beiträge zur Epi-
graphik Daciens. — Wertner über Margarethe, Tochter Bela III., Gemahlin
Kaiser Isaak IL, nach dessen Tode sie Thessalonich verwaltete. — Der-
selbe : Arpaden und Nemanjiden, bildet ein Bruchstück zur Genealogie
der südslavischen Regenten.
1891. Gyalui gibt Beiträge zur Biographie des Bibelübersetzers
Nikolaus K. Tötfalusi. - — Jakob theilt das Tagebuch der Grenzbestimmungs-
kommission von 1741 mit. Enthält die Grenzenbeschreibungen zwischen
dem Reiche Mehmet Sultans und Karl VI. nach dem Krieg von 1739. —
Mika behandelt die Geschichte Brasso's und Siebenbürgen^ nach der
Schlacht zu Töldoar 1612 Okt. 16. — Pör schreibt über den Vojvoden
von Siebenbürgen Ladislaus 1291 — 1315. — Revecz: Johann von Neme-
tujvar, handelt über Abstammung, Geschichte u. s. w. dieser im 13. Jahrh.
eine grosse Rolle spielenden Familie. — Wertner: Ueber die Königin
»Synadene.« Weist nach, dass der Name der Gemahlin König Geza I.
unbekannt ist. Der Name Synadene ist bloss der Familienname; die
Königin war griechischer Abkunft.
Magyar Könyvszemle (Ungar. Bibliogr. Revue).
1890. Von Csontosi finden wir Artikel über die von ihm angestellten
Forschungen in Bibliotheken Oesterreichs und Polens. Ferner die Beschrei-
Literatur. 55 \
bung des Codex Diomedes Carafa's »De institutione vivendi ad Beatricem
reginam Hungariae. c Die Handschrift befindet sich in der kön. Bibliothek
zu Parma, Cs. gibt sowohl die Beschreibung der Handschrift, als auch den
Text. Ferner gibt Cs. einen Bericht über den Antwerpener bibliogr. Con-
gress im Jahre 1890. — Erdelyi spricht über eine Gedichtsammlung des
18. Jahrh. Dieselbe, » Virägos Kert * (Blumen-Garten) titulirt, enthält eine
Anzahl von Gedichten in lateinischer und ungarischer Sprache, Paspuille,
Anagramme u. s. w. — Fraknöi spricht über die neue Edition der Briefe
König Mathias Corvinus'. — Hellebrant liefert Nachträge zur altungar.
Bibliographie, wozu auch Horväth Beiträge gibt. — Hodinka kennzeichnet
die altslavischen Druckwerke, die in Siebenbürgen und Bumänien erschienen
sind. — Illesy schreibt über die Bibliothek der Kaschauer Domkircke zu
S. Elisabeth anno 1606 und theilt den Katalog mit. — Kemeny gibt
Beiträge zur Geschichte des Buchdrucks in Kaschau im 17. Jahrh. —
Läng : Ueber die ungar. medicinalwissenschaftlichen Fachschriften des ungar.
National-Museums. — Petrov schreibt über das Tetraevangelium des Jo-
hann Biegner, gedruckt zu Kronstadt 1561. Petrov entdeckte das Werk
in der Bibliothek des Klosters zu Csernekkegy bei Munkäcs. — Räth be-
spricht den Erstlingsdruck der Druckerei zu Tirnau von 1588, eine Ca-
nonensammlung ; ferner die ungar. gedruckten Ritualbücher bis zur Ein-
führung des röm. Rituals. — Schönherr gibt Beiträge zur Geschichte der
Schulen in Ungarn im M.-A. — Szell : Neuere Beiträge zur Bibel des
Georg Csipkes - Komaxomi. — Szilägyi : Zur Geschichte der Käroli'schen
Bibel. Sodann finden wir von Csänki, Fejerpataky und Koväcs Beiträge
zur Geschichte der ungar. Bibliotheken des M.-A., von Majläth einen Be-
richt über die Bibliothek des Nat.-Museums in den Jahren 1889 — 90,
ferner von Szilägyi einen Necrolog über den Historiker und Bibliographen
Karl Szabö. — Horväth theilt die Pragmatik der ital. Bibliotheken von
1885 mit. — Unter der Rubrik »Verschiedenes« finden wir kleinere Mit-
theilungen über verschiedene neuere Werke, Bibliotheken, naturgesckicht-
liche und andere Notizen. — Die Beilage enthält ein Verzeichnis der im
Jahre 1890 erschienenen Werke Ungarns und der auf Ungarn bezüglichen
Werke des Auslandes.
1891. Thalloczy schreibt über den von ihm entdeckten Corvin-Codex
in der Bibliothek der Dominikaner in Ragusa. — Barabäs, Csänki, Fejer-
pataky und Decsenyi geben Beiträge zur Geschichte der mittelalterlichen
Bibliotheken Ungarns. — Ferenczi gibt Beiträge zur altungarischen Bib-
liographie, ebenso Hellebrant. — Majläth bespricht die alten ungarischen
Einblattdrucke des ungar. Nationalmuseums. — Erdelyi theilt ein Werk
des Christoph Peichich, betitelt »Wurmland« von 1778 mit. — Majläth,
Horväth und Hellebrant geben bibliogr. Beiträge zu altung. Drucken. —
Csontosi berichtet über die Bibliothek der Familie Trivulzio in Mailand
und über die auf Ungarn bezüglichen Manuscripte derselben. — Ferner
von demselben ein Beitrag zur Geschichte zweier Corvincodices in Modena.
— Ein Artikel bringt die auf Ungarn bezüglichen Drucke der Marcus-Bib-
liothek zu Venedig. — Sodann finden wir Beiträge zur Geschichte der
Druckereien zu Krasso und Vizsolz im 16. Jahrh. — Ein Artikel
gibt Aufschlüsse über die auf Ungarn bezüglichen Handschriften der kön.
Bibliothek zu Hannover. — Decsenyi berichtet über eine Sammlung von
552
Literatur.
Briefen des Königs Mathias in der Bibliothek des Grafen Khuen - Heder-
Vary. — Sebestyen bespricht die Korrespondenz des Grafen Franz Szechenyi
in Bibliothekssachen. — Jakab spricht über die Original-Handschrift der
Vertheidigungsschrift des Michael Veresmarty, in welcher dieser seinen
Glaubenswechsel rechtfertigt. — Illesy handelt über zwei Werke Keresz-
tury's die »Nova Transylvanica, und »Talio«; letzteres erschien 1642. —
Decsenyi über den Wappenbrief des Copisten Bonfini's, Szilägy über das
Wörterbuch Stepan Szamosközy's von 1580. — Vermischte Nachrichten,
sowie Bibliographie ähnlichen Inhaltes wie oben angegeben schliessen auch
diesen Jahrgang *).
Hadtörtenelmi Közlemenyek (Kriegsgeschichtliche Mit-
theilungen).
1890. Pauler: Die russisch - griechischen Feldzüge König Geza II
H48 — 1166. — Gömöry: Die Belagerung Peterwardein 1694. Behandelt
dies Ereignis auf Grund einer osmanischen Quelle aus der Nationalbiblio-
thek in Berlin. Verf. dieser Quelle war Augenzeuge der Belagerung und
beleuchtet die Operationen der belagernden Türken. — Thüry spricht
über die Quellen der strategischen Principien des Nicolaus Zrinyi und
weist nach, dass dieselben in der Jugendzeit und im Mannesalter Zrinyi's
sowohl aus Theorie als auch aus Praxis sich bildeten. Neben un-
garischen historischen Werken las Zrinyi das Kudatku Bilik von 1069,
verfasst von Iuszuf. — Komärony: Die Empörung zu Fülek 1602. Kriegs-
gerichtliche Verhandlung gegen den Lieutenant Michael Balogh, der mit
anderen zusammen gegen Egidius Nagy, Vicekapitän in Fülek, eine Em-
pörung anzettelte. — Eugen Horväth-Rönai : Der schlesische Feldzug des
Herzogs Karl von Lothringen 1757; auf Grund bisher unedirten Materials
aus dem gräflich Nadasdy'schen Familienarchiv zu Nädasdladäny, wo ca.
100 Originalbriefe Karls sich befinden, welche auf den Zeitraum nach der
Schlacht bei Kolin bis zum Ende des Krieges Bezug haben. Es fehlen
die Relationen des Grafen Nädasdy an den Herzog von Lothringen, die
sich in dem k. u. k. Kriegsarchiv befinden dürften. — Fraknöi: Ueber
die Wahl König Mathias Corvinus. — Horväth: Die Feldzüge König
Mathias. — Csontosi: Ueber kriegswissenschaftliche Werke der Bibliothek
Mathias Corvinus. — Hazay : Ueber Verteidigung, Armeestärke und Krieg-
führung unter König Mathias' in Paris. Befindet sich in dem Musee
d' Artillerie. — Mangold: Die kriegswissenschaftliche Bibliographie König
Mathias. — Gömöry: Das Verhältnis des k. k. Hofkriegsratb.es zu den
Heerführern 1683 — 1693; auf Grund von Documenten des Kriegsarchivs.
— Huszär: Ueber die sogen, »schwarze Legion« des Königs Mathias. —
Märid: Mittelalterliche Kriegsgeschichte des Komitats Arad. — Olchväry:
Der erste Angriff Gabriel Bethlen's gegen Ferdinand IL — Thüry: Der
Feldzug von 1663 — 1664. Benützt das Werk von Rasid Etendi. — Kozics:
Der Feldzug Ludwig des Grossen nach Neapel. — Thaly: Zeitgenössische
Berichte über die Schlacht von Koroncza 1704 (auch Schlacht von Györ-
Szemere genannt). — Soös: Die Schlacht auf dem Marchfelde anno 1278.
— Gömöry: Die Belagerung Erlaus 1552. Auf Grund von Documenten
*) Jahrgang 1892 wird erst 1894 erscheinen.
Literatur. 553
des Kriegsarchivs. — Komaromy: Der siebenbürgische Feldzug Thököly's
i. J. 1668. — Barabäs: Das Kegulament des Königs Stephan Bäthory's
von Polen für die in der polnischen Armee dienenden ungarischen Husaren
1576 — 1586. — Ausserdem befindet sich in jeder Nummer eine Rubrik
für kleinere Editionen, sowie Bibliographie kriegsgeschichtlichen Inhalts.
1891. Thaly: Präsenzstärke und Kriegsausrüstung der Regimenter
Franz Räköczi's. Behandelt die Kavallerie und Fusstruppen. — Kiss : Ver-
theidigung der nationalen Unabhängigkeit gegen Heinrich III. — Thury:
Die Einnahme der Festung Sziget im Jahre 1566. Benützt das Werk
des Szeläniki Mustafa Effendi, das die Jahre 1563 — 1599 behandelt. —
Horväth: Nicolaus Zrinyi der Dichter als Feldherr. — Szendrei: Die Zeug-
häuser zu Karlsburg und Sarospatak im 17. Jahrh. unter Georg Räköczy I.
— Komaromy: Zur Geschichte der Hajduckenempörung 1607. Publicirt
Documente aus dem ungar. Landesarchiv, vornehmlich Familienschriften
der Tburzö's und Räköczy's. — Czimer: Die Belagerung Szegedins 1552.
— Majläth: Die Reliquien des Dichters Nicolaus Zrinyi in Vöttau. Be-
spricht die Waffensammlung der Familie Daun zu Vöttau, und einzelne
daraus für das ungar. Nationalmuseum erworbene Waffenstücke, die ehe-
dem Eigenthum des Dichters Nicolaus Zrinyi waren. — Horväth: Der
Feldzug von 1664 zwischen der Mur und Raab und die Schlacht St. Gott-
hard. — Milodänovits : Die hervorragenden ungar. Soldaten in den franz.
Revolutionskriegen. Bietet biographische Notizen auf Grund der officiellen
Editionen des Maria-Theresia-Ordens. — Thaly: Noch einmal über die
Schlacht von Koroncza und General Simon Forgäch. Gibt einen Nachtrag
zum Artikel gleichen Inhalts im Jahrgaug 1890, auf Grund der Relationen
des Baron Stephan Andrässy und Ladislaus Dobay. — Gömöry: Die Ein-
nahme der Festung Gran i. J. 1595. Mit Benutzung der Schriften des
k. u. k. Kriegsarchivs. — Karäcsonyi theilt Akten mit aus dem Processe
gegen Nelepeczy, angestrengt von Nicolaus Szekely wegen Ehrenbeleidigung
auf dem Landtag zu Czisien. — Kozics: Die Festung Raab in den Jahren
1594 — 1598. — Horväth: Der ungar. Unabhängigkeitskampf 1848 — 49.
Bubics : Die Theilnehmer an der Revindikation Ofens 1686. — Biblio-
graphie und anderes wie in Jahrgang 1890 1)-
Budapest. Anton Aid äs y.
Jahresbericht über die Herausgab e der Monumenta
Germaniae historica.
Die 20. Plenarversammlung der Centraldirection der Monumenta Ger-
maniae historica wurde in diesem Jahre in den Tagen vom 5. bis 7. April
in Berlin abgehalten. An der Theilnahme verhindert waren Prof. Bresslau
in Strassburg, Geh. Hofrath v. Rockinger in München und Prof. Scheffer-
Boichorst in Berlin. Anwesend waren Geheimerath Brunner und Dümmler,
Geheimerath v. Hegel aus Erlangen, Prof. Holder-Egger, Hofrath Maassen
und Prof. Mühlbacher aus Wien, Prof. Mommsen, Geh. Oberregierungsrath
v. Sybel, Geheimerath Wattenbach und als neues Mitglied Prof. Weiland
J) Jahrgang 1892 theile ich im nächstjährigen Referat mit.
554 Literatur.
aus Göttingen. Hofrath v. Sickel in Rom ist aus der Centraldirection
ausgeschieden.
Im Laufe des Jahres 1893/94 erschienen
in der Abtheilung Auetores antiquissimi : Cassiodori Senator is
Variae ed. Mommsen. Accedunt L Epistolae Theodoriciauae variae.
TL Acta synodorum habitarum Eomae 499. 501. 502. III. Cassiodori
orationum reliquiae ed. Traube (=A. a. XII);
in der Abtheilung Scriptores: Lampe rti Hersfeldensis opera
recogn. Holder-Egger. Acced. Annal. Weissenburg. als Handausgabe in 8°;
in der Abtheilung Leges : Capitularia regum Francorum t. II,
2 ed. Krause; Constitutiones et acta publica imperatorum
et regum ed. Weiland t. I;
in der Abtheilung Diplomata: Die Urkunden der Deutschen
Könige und Kaiser II, 2. Die Urkunden Otto des Dritten,
herausg. von Sickel;
in der Abtheilung Epistolae: Epistolae t. II, 1 Gregorii I Re-
gistri 1. VIII— IX ed. Lud. Hartmann;
von dem Neuen Archiv der Gesellschaft Band XIX, herausg. von
Bresslau.
In der Sammlung der Auetores antiquissimi ist durch das
Erscheinen der Variae Cassiodors (mit dem von Traube verfassten index
verborum) eine der seit langen Jahren am schmerzlichsten empfundenen
Lücken ausgefüllt worden. Der 2. Band der kleinen Chroniken, bringt in
seiner zweiten Hälfte die schwierigen Chroniken Isidors von Sevilla, der dritte
führt uns mit Gildas, Nennius und Beda nach Britannien hinüber und
wird voraussichtlich diese Eeihe abschliessen.
In der Abtheilung Scriptores hat Archivar Krusch die vormero-
wingischen Heiligenleben und Passionen sowie einen Theil der merowin-
gischen insoweit vorbereitet, dass der Druck des ersten dieser beiden
Bände im nächsten Herbst beginnen kann.
Für den 3. Band der Schriften zum Investiturstreit sind
einige weitere Vorarbeiten ausgeführt worden und namentlich hat Dr.
Dieterich für zwei Werke des sog. Honorius von Autun die Hss. von
München, Melk, Kremsmünster und Lüttich verglichen. Der 30. Folio-
band, von Prof. Holder-Egger herausgegeben und Ergänzungen für das
staufische Zeitalter enthaltend, ist jetzt wieder in Fluss gekommen und
wird ausser den grossen thüringischen Chroniken des 13. Jahrh. u. a.
auch die neu entdeckte Vita Paulinae Sigebotos und bisher unbekannte
Annalen von St. Afra und Ulrich in Augsburg bringen. Daneben sind
die Vorbereitungen für den 31. im Quartformat zu veröffentlichenden Band
italienischer Chroniken des 1 3. Jahrh. fortgesetzt worden und Dr. Simons-
feld in München hat dafür die Chroniken von Faenza des Tolosanus und
Petrus Cantinelli grossentheils vollendet. Von den Handausgaben
werden die Annales Einhardi und Laurissenses, bearbeitet von Dr. Kurze,
im nächsten Winter unter die Presse kommen, vollendet ist durch Prof.
Holder-Egger die neue Sonderausgabe von Lamperti Hersfeld, opera, die
mit den Annalen nicht nur die V. Lulli und die Auszüge aus der Hers-
felder Klostergeschichte sowie die verwandten Weissenburger Annalen ver-
bindet, sondern auch die umfassendsten Nachweisungen über den Sprach-
Berichte. 555
gebrauch Lamperts bietet. Für eine spätere Handausgabe der Erfurter
Annalen und des sog. Chronic. Ottenburanum wurde ebenfalls vorge-
arbeitet.
Für den I. Band der Deutschen Chroniken ist schon längst
eine Ergänzung im Werke, bestehend aus dem Annoliede, welches Prof.
Rödiger herausgiebt, und der Silvesterlegende, die Dr. Kraus in Wien
übernommen hat. Enikels Fürstenbuch, von Prof. Strauch in Halle be-
arbeitet, wird im Spätherbst druckfertig sein und mit dem Landbuch und
den Registern den 3. Band abschliessen. Prof. Seemüller in Innsbruck,
der verdiente Herausgeber Ottokars, hat seit kurzem sich der Aufgabe
gewidmet, einen weiteren Band mit österreichischen und bairischen Chro-
niken des 13. und 14. Jahrh. herzustellen. Als Ergänzung zu den Chro-
niken, aber als selbständige Sammlung, wird ferner eine Ausgabe der
politischen Sprüche und Lieder in deutscher Sprache bis 1500 geplant,
die Prof. Röthe in Göttingen mit Hülfe des Dr. Heinr. Meyer zu veran-
stalten gedenkt.
In der Abtheilung der Leges ist die Handausgabe der leges Visi-
gothorum, die der grösseren zur Grundlage dienen soll, soeben vollendet
worden und für diese werden sich nun weitere handschriftliche Studien,
zumal in Paris, anschliessen. Von dem durch Dr. Krause bearbeiteten
2. Bande der Capitularien ist das 2. Heft erschienen, gedruckt sind auch
bereits die Anhänge, Walahfrids Büchlein de exordiis et incrementis rerum
ecclesiasticarum und Hincmar de ordine palatii, doch wird das Schlussheft
(mit Register und Einleitung) vor nächstem Winter nicht zur Vollendung
kommen können. Hincmars sehr wichtige Schrift wird auch in einer
Sonderausgabe erscheinen.
Von den Reichsgesetzen seit dem Ende der Karolinger hat Prof.
Weiland den ersten stattlichen Band veröffentlicht, der von Konrad I. bis
auf Heinrich VI. (1197) herabreicht. Wie der Doppeltitel desselben an-
deutet, ist nach dem Vorbilde von Pertz der dürftige Stoff der Gesetze
vielfach durch andere Aufzeichnungen ergänzt worden und haben besonders
auch die Synoden eine eingehendere Berücksichtigung erfahren. An dem
2. Bande (bis 1273) wird bereits eifrig gedruckt und für die folgenden
bis zur goldenen Bulle wird durch Dr. Schwalm vorgearbeitet. Die als
Vorarbeit für eine künftige Ausgabe bestimmten Regesten der Gerichts-
urkunden sind durch Dr. Hübner in einem 2. Hefte zu Ende geführt.
Von den Urkunden des sächsischen Kaiserhauses ist endlich die
lange ersehnte zweite Abtheilung des zweiten Bandes, die Urkunden Ottos III.
nebst beachtenswerthen Nachträgen für seine beiden Vorgänger und den
Registern, ausgegeben worden. Hofrath von Sickel, durch seine Ueber-
siedelung nach Rom in dieser Arbeit, bei welcher ihm die Herren Erben
und Tangl Hülfe leisteten, vielfach gehemmt, hat damit seiner langjähri-
gen Thätigkeit für die Monumenta Germainiae einen rühmlichen Abschluss
gegeben und für eine ihrer wichtigsten Abtheilungen festen Grund gelegt.
Sein unmittelbarer Fortsetzer Prof. Bresslau, unterstützt durch Dr. Bloch,
beabsicht im nächsten Herbst mit dem Drucke der Urkunden Heinrichs II.
(und Arduins) sich anzuschliessen.
Nicht minder emsig ist an der erst später in Angriff genommenen
Abtheilung der Karolingerurkunden fortgearbeitet worden. Während Prof.
556 Literatur.
Mühlbacher in Wien mit dem Beistande von Dr. Tangl das deutsche Ma-
terial, welches ihm zu einem sehr grossen Theile zugesandt wurde, für
die Ausgabe durcharbeitete und überdies die Regesten der italienischen
Karolinger vorbereitete, befand sich sein Mitarbeiter Dr Dopsch seit An-
fang December in Frankreich, wo er bei systematischer Dui^chmusterung
der grossen handschriftlichen Urkundensammlungen des 16. bis 18. Jahr-
hunderts auf der Nationalbibliothek schon eine Reihe glücklicher Funde
gemacht hat. Ausserdem ist von ihm in Nancy die Sammlung Duchesne
benützt worden. Die Fortsetzung der Arbeiten in Paris, sowie der Besuch
der Archive der Departements wird sicher noch Monate erfordern. Die
Frage, ob und inwieweit die Urkunden der westfränkischen Karolinger
von 840 an einbegriffen werden sollen, darf in Erwartung der in Frank-
reich geplanten Ausgabe derselben vorläufig unentschieden bleiben.
In der Abtheilung Epistolae führte Dr. Hartmann den Druck des
Registrum Gregorii weiter, so dass das achte und neunte Buch als erstes
Heft des zweiten Bandes ausgegeben werden konnte. Inzwischen hat auch
der Druck des vierten Bandes der Epistolae angefangen, welcher der Zeit
Karls d. G. gewidmet ist und zu zwei Dritteln durch Alchvin ausgefüllt
wird. Er wird sicher 1895 erscheinen. Der sehr inhaltreiche dritte und
letzte Band der Regesta pontificum saec. XIII ist im Texte fertig gedruckt.
Die dazu gehörigen Register werden dem neuen Mitarbeiter Dr. Hampe
verdankt.
In der Abtheilung Antiquitates hat Prof. Herzberg-Fränkel, durch
seine Berufung nach Czernowitz längere Zeit in der Arbeit gestört, nun-
mehr wieder Hand an das Register des zweiten Bandes der Necrologia
Germaniae gelegt und für das Ende des Jahres den Wiederbeginn des
Druckes verheissen. Von dem dritten Bande der Poetae Carolini wird
durch Hern Dr. Traube, mit Beihülfe des Dr. Neff in München, ein letztes
Heft vorbereitet, für welches Johannes Scotus und Milo von St. Amand
bestimmt sind nebst Nachträgen und Register. Ein vierter Band soll
endlich den Stoff der karolingischen Zeit erschöpfen.
Bericht über die wissenschaftlichen Unternehmungen
der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde.
Seit der 12. Jahresversammlung gelangten zur Ausgabe:
1. Kölnische Künstler in alter und neuer Zeit. Johann
Jacob Merlos neu bearbeitete und erweiterte Nachrichten von dem Leben
und den Werken Kölnischer Künstler hg. von Dr. Eduard Firmenich-
Richartz unter Mitwirkung von Dr. Hermann Keussen. Mit zahlreichen
bildlichen Beilagen. Düsseldorf 1893. Zweite bis sechste Lieferung.
2. Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwal-
tung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert, bearb. von
Walther Stein. 1. Band. Bonn 1893.
Von den Kölner Schreinskarten befindet sich der Schluss des
2. Bandes unter der Presse. Die ersten 1 0 Bogen umfassen die Bürgeiv
Verzeichnisse und die Gildeliste. Dr. Hoeniger hofft in diesem Jahre die
Publikation abschliessen.
Berichte. 557
Die Arbeiten am 1 . Bande der Eb.einiscb.en Weistümer mussten
ruhen, da Geb. Justizrat Professer Dr. Loersch zur Kräftigung seiner Ge-
sundheit seit Herbst in Italien weilt und eine Hilfskraft nicht zur Ver-
fügung stand.
Von den Aachener Stadt rechnungen sind die ältesten Stücke
des 14. Jahrh. im Text festgestellt worden. Ausserdem wurden einige neu
aufgefundene Rechnungen des 14. und 15. Jahrh. von Stadtarchivar Pick
abgeschrieben.
Die Herausgabe der Rheinischen Urbare erfolgt jetzt unter Lei-
tung von Prof. Dr. Lamprecht in Leipzig in der Weise, dass der Niederrhein
an vier Stellen von verschiedenen aber nach gemeinsamer, gleichmässig
festgestellter Methode arbeitenden jungen Gelehrten in Angriff genommen
ist. Die Urbare der stadtkölnischen Grundherrschaften werden von Dr.
Hillinger in Leipzig, der stadtaachener Grundherrschaften von Kelleter in
Köln, der grossen ländlichen Grundherrschaften von Dr. Helmolt in Leipzig,
der kleinen ländlichen Grundherrschaften von Dr. Bahrdt in Göttingen
bearbeitet. Leider wird Dr. Helmolt zu Ostern aus dem Unternehmen
scheiden; an seine Stelle tritt Dr. Kötzschke I, bisher Gymnasiallehrer in
Dresden.
Ueber die Jülich-Bergischen Landtagsakten berichtet Geh.
Rath Prof. Dr. Ritter in Bonn. Der Druck des 1. Bandes hat begonnen und
soll im laufenden Jabre zu Ende geführt werden. Die Einleitung, welche
die landständische Verfassung in ihrer älteren Gestalt darlegt und die
zugleich eine Geschichte der Landtage vom Beginn des 15. Jahrhunderts
bis 1537 enthält, liegt vor. Die Ausgabe der Akten, beginnend mit
Dezember 15:37, schliesst sich an. Die Bearbeitung der Jülich-Bergischen
Landtagsakten II. Reihe hat Dr. Küch in Düsseldorf unter Leitung von
Geh. Archivrat Dr. Harless übernommen.
Von dem IL Bande der älteren Matrikeln der Universität Köln
liegt die Namenliste bis 1510 in Abschrift vor. Da seit den 20er Jahren
des 16. Jhdts. eine starke Abnahme des Besuchs stattgefunden hat, so ist
zu erwarten, dass die Abschrift der Matrikel bis 1559 und das Haupt-
register bis zum nächsten Jahre fertig gestellt werden kann; dagegen
dürfte die Erläuterung noch geraume Zeit beanspruchen. Aus den arti-
stischen Dekanatsbüchern und mehreren bisher unbekannten Rotuli der
Universität sind nachträglich wichtige Ergänzungen zu dem 1. Bande ge-
wonnen worden.
Für die erste Abtheilung der von Prof. Menzel bearbeiteten erzbischöf-
lich-kölnischen Regesten bis zum Jabre 1099 ist die Sammlung
der Urkunden, sowie der in diese Zeit fallenden Briefe, abgeschlossen. Eine
reiche Ausbeute an Briefen ergab ein Codex der Trierer Stadtbibliothek,
den schon Heinr. Jos. Floss (Die Papstwahlen unter den Ottonen) benutzt
hatte. Die Arbeit wird in diesem Jabre ihrer Vollendung entgegengehen.
Für die zweite Abiheilung (1099 — 1304) war Dr. Rieh. Knipping haupt-
sächlich damit beschäftigt, das reichhaltige und weit zerstreute chronikalische
Material zusammen zu tragen. Daneben wurde mit der Durchsicht der
Urkundenlitteratur und der Bearbeitung des schon vorliegenden Stoffes
fortgefahren. Bisher unbekannte Urkunden konnten noch dem historischen
Aiohiv der Stadt Köln, so wie dem Kirchenarchiv von St. Peter in Köln,
558 Berichte.
dem Klosterarchive von Grafenthal und den Stadtarchiven von Ahrweiler,
Duisburg, Goch, Kempen und Kaikar entnommen werden. Für die dritte
Abtheilung (1304 — 1414) war Dr. Moriz Müller thätig. Bis jetzt sind
mehr als 3000 Nummern zusammengebracht und im Hauptrepertorium
eingereiht. Voraussichtlich wird auch die vierte Abtheilung (1414 bis
1508) in diesem Jahre durch einen weiteren Hilfsarbeiter in Angriff ge-
nommen werden.
Von den älteren rheinischen Urkunden wurden im Jahre 1893
die Urkunden des Klosters Werden a. d. Ruhr und des Marienstiftes in Aachen
durch Prof. Menzel bearbeitet und mit der Bearbeitung der Urkunden von
St. Maximin, Echternach, Stablo, Prüm und des Erzstiftes Trier wurde
fortgefahren. Wenn noch etwa 60 Urkunden an zerstreuten Orten ver-
glichen sind, ist die ganze Sammlung, die sich über die Zeit von 314 — 1000
erstreckt, abgeschlossen. Spätestens zu Anfang des nächsten Jahres wird
der Druck beginnen können.
Die Stockung in der Ausgabe der Zunfturkunden der Stadt Köln
konnte aus dem in den früheren Berichten erwähnten Grunde nicht be-
seitigt werden.
Das Merlo'sche Werk »Kölnische Künstler in alter und neuer Zeit«
ist bis zum Artikel Kellerhoven erschienen: der Druck reicht bis zum
Buchstaben M. Dr. Lehrs in Dresden hat den Schluss-Abschnitt über die
ungenannten Monogrammisten eingesandt, womit das ganze Manuskript
druckfertig geworden ist.
Den Beginn des Druckes des IL Bandes der Akten zur Geschichte
der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahr-
hundert hat Dr. Walther Stein in Giessen für Pfingsten zugesagt.
Die Arbeiten für den Geschichtlichen Atlas der Rheinpro-
vinz sind von Dr. Wilh. Fabricius in Darmstadt eifrig gefördert worden. Die
politische und administrative Eintheilung der Rheinlande im Jahre 1789 liegt
in 7 Blättern theils im Reindruck, theils in der Zeichnung vor. Herr
Schulteis ist durch die Rücksicht auf seine Gesundheit veranlasst, vor-
läufig die Arbeiten an der Karte für das Jahr 1818 zurückzustellen.
Bei den Vorarbeiten für die von Geh. Rath Ritter geleitete Ausgabe der
Akten der Jülich-Clevischen Politik Kurbrandenburgs (1610
bis 1640) wurde zunächst der Zeitraum vom Fall der Festung Jülich bis zum
Xantener Vertrag (1610 Sept. bis 1614 Nov.), als der grundlegende vor-
zugsweise ins Auge gefasst. Der Leiter des Unternehmens suchte in Berlin,
Dresden und Düsseldorf eine Uebersicht über die in den dortigen Staats-
archiven enthaltenen Akten zu gewinnen. An der Hand der von ihm
angelegeten Verzeichnisse hat dann Dr. Löwe die Arbeit des Excerpierens
und Abschreibens begonnen.
Ueber die Quellen zua- ältesten Geschichte des Jesuiten-
ordens in den Rheinlanden (1543 — 1582) berichtet Stadtarchivar Dr.
Hansen: Im Laufe des Jahres 1893 wurden die Berichte der Kölnischen
Jesuitenniederlassung bis zum Jahre 1582, soweit ihr Inhalt historisch werth-
voll ist, für die Publikation vorbereitet. Ebenso wurden die Korrespondenzen
von P. Leonhard Kessel und P. Johannes Rhetius (1543 — 1570) bearbeitet.
Das Kölner Material, wurde durch Nachforschungen zu Trier, Coblenz, sowie
in der Kempisschen Bibliothek zu Kendenich ergänzt; die heute in der
Berichte. 559
Mainzer Stadtbibliothek aufbewahrten Akten des Jesuitenkollegiums zu
Mainz, wo früher das Archiv der rheinischen Jesuitenprovinz ruhte,
ergaben keine Beiträge für die Zeit bis 1582. Die Veröffentlichung des
Materials dürfte im nächsten Jahr erfolgen.
Zwei neue Veröffentlichungen sind von der Gesellschaft in Aussicht
genommen worden: Ein Katalog der im Rheinlande entstandenen Inkuna-
beln wird von Bibliotheks-Assistenten Dr. E. Voullieme in Bonn bear-
beitet. Da der Schwerpunkt der Arbeit in der Vollständigkeit der Biblio-
graphie liegt und andererseits diese selbst das Hauptmaterial für die Dar-
stellung der Entwicklung des Kölner Buchdrucks liefern wird, so hat
Dr. Voullieme damit begonnen ein sämmtliche bisher bekannten Drucke
enthaltendes Repertorium zusammenzustellen. 300 Nummern, der Kölner
Stadtbibliothek und der Berliner Kgl. Bibliothek angehörig, sind bisher
völlig bearbeitet worden. Schliesslich hat der Vorstand den Plan einer
von Prof. Dr. Gothein beabsichtigten Herausgabe von Urkunden und Akten
zur Geschichte des Handels und der Industrie in Rheinland und Westfalen
gutgeheissen.
Bericht der Kommission für die Denkmälerstatistik
der Rheinprovinz.
Seit der vorigjährigen Hauptversammlung wurde zunächst das dritte,
Stadt und Kreis Essen behandelnde Heft des 2. Bandes veröffentlicht.
Ihm sind die Sachregister und Künstlerverzeichnisse für den 2. Band,
beigegeben worden. Soeben erschien das erste Heft des 3. Bandes, welches
der Stadt und dem Kreise Düsseldorf gewidmet ist. Die weiteren Hefte
dieses Bandes (Remscheid, Barmen, Elberfeld, Lennep, Mettmann und So-
lingen) werden jedenfalls noch in diesem Jahre erscheinen.
Die Aufnahmen in den für den 4. Band bestimmten Kreisen Krefeld,
Gladbach, Neuss und Grevenbroich wurden fertiggestellt; auch die Berei-
sung dieser Kreise hat stattgefunden und Dr. Paul Clemen ist mit der
Ausarbeitung des Textes beschäftigt. Die Aufnahmen in dem 5. Band
überwiesenen Kreisen Bergheim, Euskirchen, Rheinbach, Bonn und Köln-
Land sind zum Theil bereits fertig gestellt worden. Die Bereisung wird
im Laufe dieses Jahres beginnen. Auch im Siegkreise, wie in den Kreisen
Mülheim am Rhein, Wipperfürth, Gummersbach und Waldbroel, die im
G. Band zur Bearbeitung gelangen, wurden Aufnahmen gemacht.
Ueber die Preisfragen der Mevissen-Stiftung vgl. Mitth.
des Instituts 14, 532.
Historische Landes- Commission für Steiermark.
II. Bericht. März 1893 — Februar 1894.
Die Vollversammlung vom 13. Mai 1893 hat in Folge der Unter-
stützung von Seite des steiermärkischen Hochadels den Beschluss geiasst,
die Erforschung und Darstellung der Familiengeschichte des steiermärkischen
Hochadels in Angriff zu nehmen. Es können hiebei Biographien von her-
560 Berichte.
vorragenden Männern aus der allgemeinen genealogischen Darstellung der
betreffenden Familie ausgeschieden und in den »Forschungen zur Ge-
schichte der Verfassung und Verwaltung der Steiermark«
als selbständige Werke behandelt werden. Auf Grund dieses Beschlusses
wird der Secretär Prof. v. Zwiedineck die Biographie des Staatsmannes
und Gelehrten Johann Wilhelm Eeichsgrafen von Wurmbrand in An-
griff nehmen und eine »Geschichte des Wappens der Steiermark«
von A. R. Anthony v. Siegenfeld in die »Forschungen« aufge-
nommen.
Der ständige Ausschuss genehmigte das Programm von Dr. Peisker
für die Erforschung der steiermärkischen Siedelungs- und Agr ar ge-
schieh te, dessen Bericht über die bisherigen Ergebnisse im Anhang mit-
getheilt wird, wie auch eine Zusammenstellung der Quellen zur Geschichte
der grundherrlichen Verwaltung und der Unterthanen-
Verhältnisse in Steiermark, welche Dr. A. Meli in Angriff nahm.
Archivs-Adjunkt Th. Unger legte einen ausführlichen Plan für eine
Bearbeitung der Münzen der münzberechtigten Familien und
aller andern Gepräge an Medaillen, Jetonen u. s. w. vor.
Weiter wurde beantragt eine dritte Reihe von Publicationen unter
dem Titel »Vorarbeiten zur steiermärkischen Verfassungs- und Verwaltungs-
geschichte« zu veranstalten, worüber in der nächsten Vollversammlung Be-
schluss gefasst werden wird.
Zur Förderung der Arbeiten der Commission wurden folgende Reisen
unternommen, über die der Bericht nähere Mittheilung bringt : v. Zahn
untersuchte in Agram die Handschriftensammlung der südslavischen Aka-
demie, die Bibliothek des Domcapitels, das erzbischöfliche Archiv und das
Landesarchiv, sodann das gräfl. Breuner sehe Archiv in Grafenegg
bei Krems; v. Krone s für die Geschichte der steirischen Landtage im
Mittelalter das Staatsarchiv, sowie die Hofbibliothek in Wien. v. Lu-
schin veranlasste nach gleicher Richtung Arbeiten in Görz und Lai-
bach; v. Zwiedineck arbeitete im Landesai-chiv in Klagen fürt und
im Wurmbr an d 'sehen Archiv in Steve rsberg und übernahm die
Ordnung des gräfl. Lamberg'schen Archivs in Feistritz.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrer-
Staaten, vornehmlich für die Geschichte Kaiser
Friedrichs IL1)
Von
Paul Richter.
IL Die Estoire d'Eracles.
Als Estoire d'Eracles bezeichnen wir mit zusammenfassendem,
etwas wunderlichem Ausdruck die französischen Fortsetzungen der la-
teinischen, bis zum Jahre 1184 reichenden Chronik des Wilhelm von
Tyrus 2). Gross ist die Zahl ihrer Handschriften , deren De Mas La-
trie 1840 bereits 40 3), 1871 mehr als 50, Graf Kiant aber 1881
schon 73 kannte 4). Der letztere macht ausserdem 3 lateinische,
3 spanische, 2 englische und je eine italienische und englische Ueber-
setzung namhaft. Dieser vielfachen Ueberlieferung entspricht ihre
mannigfaltige Gestaltung. Unsere Aufgabe erfordert zunächst hierüber
eine allgemeine Aufklärung.
1. Die Texte der Estoire tTEracles.
Der erste Fortsetzer des Wilhelm von Tyrus schrieb — und dies
ist zunächst wichtig — nicht in der Absicht, seine Arbeit mit der
1) Vgl. Mittheil. d. Inst. f. österr. Gesch. XIII, p. 255 ff.
2) Ueber die Vorgeschichte dieser Quellen, ihre ersten Publikationen u. s. f.
Vgl. De Mas Latrie, Chronique d' Ernoul et de Bernard le Tresorie1, Paris 1861
[cit. D. M. L. Chronique], p. I, XVI, und L. Streit, De rerum transmarinarum
qui Guil. Tyrius excepisse fertur Gallico auctore Specimen; Greifswald 1861
[cit. Streit], 7 f; über die verschiedenen Namen, besonders deren Verwendung
seitens der alten Autoren, vgl. Streit, 2 f., auch D. M. L. Chronique 478, Anm.
und 553.
3) D. M. L. Chronique XVII.
4) Arch. de 1' Or. lat. 1 (Paris 1881), 247 f.
Mitteilungen XV. 36
562 Richter.
seines Vorgängers unmittelbar zu verbinden, vielmehr begann er mit
einer neuen Darstellung der von jenem am Sehluss schon erzählten
Dinge, die der älteren Darstellung in mancherlei Einzelheiten wider-
sprach. Erst ein späterer Kornpilator verband die französische Ueber-
setzung des Wilhelm von Tyrus mit der französischen Fortsetzung:
vielfach wurde dieser auch nur ein Auszug aus der alten Chronik oder
o-ar nur ein kurzer Prolog vorausgeschickt 1). Das letztere geschah
aber bezeichnender Weise nur in solchen Handschriften, die blos diesen
ersten Theil der französischen Fortsetzungen enthalten.
Alle diese Handschriften mit der ersten Fortsetzung allein bilden
eine grosse Klasse, welche in der akademischen Ausgabe der Estoire
d'Eracles durch Hs. C vertreten wird. Neben derselben stehen als
Kepräsentanten einer zweiten Klasse 2 Hss., die der Uebersetzung der
lateinischen Chronik jenen ersten Theil der Fortsetzungen und diesem
noch weitere Fortsetzungen folgen lassen und bis zum Jahre 1248 in
ihrem Texte völlig übereinstimmen ; ihre spätere Beschaffenheit ist für
uns ohne Interesse. Es sind die Handschriften Eracles-Fontainebleau,
Hs. A und Eracles-Colbert 2), Hs. B.
Sie bieten für den ersten Theil der Fortsetzungen, also für den
Inhalt der Handschriftenklasse C, einen sehr viel ausführlicheren Text,
als eben die dieser Klasse angehörenden sehr zahlreichen Handschriften.
Aber nur für gewisse Theile. Für andere, mehr oder weniger ausge-
dehnte Partieen stimmen die Texte der beiden Handschriftenklassen
vollkommen überein. Für die Theile, in denen es nicht der Fall ist,
und die Klasse C sich durch einen kürzeren Text — deutlicher ge-
sagt durch kürzere Texttheile — von den Hss. A und B unterscheidet,
bestehen auch innerhalb der Klasse C Unterschiede. Denn der „kurze
Text" erscheint, je nach den Handschriften, in drei verschiedenen
Formen; zumeist zwar an denselben Stellen der Erzählung, aber na-
mentlich Hs. D der akademischen Ausgabe bietet unabhängig für sich
noch für andere, zahlreichere Theile kurze Texte.
Zwischen diesen beiden Handschriftenklassen steht eine Gruppe von
Handschriften, die sowohl der einen wie der anderen Klasse zugezählt wer-
den kann. Sie bietet für den ersten Theil der Fortsetzungen kurze Texte,
entsprechend dem allgemeinen Charakter der Klasse C, lässt aber ausser-
dem auch die späteren Fortsetzungen wie die Hss. A und B folgen. Die
i) Streit, 75, 76; D. M. L. Chronique, 493.
2) D. M. L. Chronique, 484: Venant du chäteau de Fontainebleau, aujourd'
hui 2634 Bibliotheque nationale; 486: X 8314—3, Fonds francais (Colbert 272),
aujourd'hui 2628.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 563
schon genannte Hs. D und Hs. G, von dem ehemaligen Besitzer Ga-
ston de Noailles als Eracles-Noailles bezeichnet, sind die Repräsen-
tanten dieser Zwittergruppe. Sie stimmen demgemäss unter einander
und mit Hs. C überein für den ersten Theil der Fortsetzungen, für
welchen sie sich doch zugleich wieder durch die besonderen Fassungen
der kurzen Texte von einander unterscheiden; sie stimmen aber auch
völlig mit Hs. A und Hs. B überein für die folgenden Theile bis 1248.
Die Handschriftenklasse C schliesst mit den Ereignissen des Jahres
1231: den neuen Feindseligkeiten der Sarazenen, welche die zweite
Expedition Friedrichs II. nach dem heil. Lande mit veranlassten, und
der Erhebung des Exkönigs Johann von Jerusalem zum Kaiser in
Konstantinopel x). In den Handschriften D und G, welche die chro-
nikalische Erzählung über 1231 hinaus fortführen, wiederholt sich
diese Berichterstattung bei Beginn der Fortsetzung, jedoch werden die
Begebenheiten in umgekehrter Folge erzählt, so dass die syrischen
Verhältnisse auf die konstantinopolitanischen Ereignisse folgen. Das
Verhältnis der Wilhelm'schen Originalchronik zu deren erster Fort-
setzung wiederholt sich hier, dass nämlich Schluss des Alten und An-
fang des Neuen nicht zusammenstimmen. Hier ist aber das Missver-
hältniss viel auffälliger, weil in der angeschlossenen Erzählung ein
Stoff, die cyprische Geschichte, ausführlich dargelegt wird, für welchen
in dem voraufgehenden, die kurzen Texte aufweisenden Theile jede
Voraussetzung und jeder Vorbericht fehlt. In Eracles-Fontainebleau
(Hs. A) und Eracles-Colbert (Hs. B) dagegen, welche für die Erzäh-
lung bis 1231 den ausführlichen Text bieten, herrscht die beste Zu-
sammenstimmung und Eiuheitlichkeit; es fehlen die Wiederholungen
in der Darstellung, und die Behandlung der cyprischen Geschichte er-
weist sich als einfache Fortsetzung früherer Erzählung.
Das Missverhältniss in der Gruppe Eracles-Noailles (Hs. G und
Hs. D) findet seine völlig ausreichende Erklärung. Es waren Hand-
schriften der Klasse C, bis zum Jahre 1231 reichend, und solche der
Klasse A und B, über 1231 hinausgehend und bis 1231 mit theil-
weise ausführlicherer Erzählung, im Morgenlande verbreitet. Irgend
jemand versuchte eine Handschrift der Klasse C mit Hülfe der letzt-
genannten Chronik in A bez. B weiter zu führen 2) und benahm sich
l) Vgl. Wilken , Gesch. der Kreuzzüge VI, 520 ; Kugler, Kreuzzüge, 295
und dazu Schaube, Eine bisher unbekannte Regentin des latein. Kaiserreichs in
Mittheil. d. Inst. f. österr. Gesch. F. 8, 593.
-) Im Abendlande diente zur Fortsetzung eine nur hier bekannte, kompi-
lierte Chronik, die sog. Roetelana, die von 1231 — 1261 reicht; vgl. Recueil des
hist. des crois. Aut, occ. t. 2, Pref. VI, X, u. Streit, 27 f.
36*
5ß4 Richter.
dabei so ungeschickt wie möglich. Es entging ihm nicht , dass das
12. Kapitel im 33. Buch der grösseren Chrouik dem Inhalt nach in
dem zu verlängernden Text noch enthalten war, das 13. Kapitel da-
gegen neue Thatsachen bot, er kümmerte sieb aber nicht darum, dass
auch der Inhalt der Kapitel 14 — 19 in seiner Handschrift schon ver-
treten war und fühlte sich dazu um so weniger veranlasst, als gerade
das 13. Kapitel einleitete: En ce point que li empereres se fu partis
de la terre de Surie et de Chypre . . . , also für die Anfügung treff-
lich geeignet schien. So kamen denn in der Handschrift die kon-
stantinopolitanischen und syrischen Ereignisse nochmals und ausführ-
licher zur Darstellung und fand die Erzählung cyprischer Geschichte
plötzlich ihren Platz, ohne vorher irgend berücksichtigt gewesen zu
sein.
Eine derartig compilirte Handschrift — Eracles-iN oailles, Hs. G —
musste zum Unglück die erste sein, welche als Fortsetzung des Wil-
helm von Tyrus aufgefunden und von Martene 1729 x) zum ersten,
dann 1824 von Guizot2) zum zweiten Male publicirt wurde. Guizots
für diesen Text vollkommen zutreffende Bemerkung, dass der Theil
von 1230—1275 nicht von derselben Hand wie der frühere herrühre,
und dieser letztere wiederum eine Fortsetzung erfahren habe 3), wurde
für allgemein gültig gehalteu und auch auf die anderen, später ent-
deckten Codices als ein selbverständlicher Satz angewandt.
Obgleich die Bearbeiter der akademischen Ausgabe der Estoire
d'Eracles4) bis 1248 den Text von Eracles-Colbert, Hs. B, zu Grunde
legten und unter demselben, als Haupttext, die kurzen Fassungen der
Hss. C, D und G (Eracles-Noailles) bis 1231, als Nebentexte abdruckten,
haben sie sich von jener irrthümlichen Auffassung nicht frei machen
können, und indem sie die erste Fortsetzung des "Wilhelm von Tyrus
eben mit dem 12. Kapitel des 33. Buches, zeitlich mit der Abreise
Kaiser Friedrichs aus dem Orient, begrenzten, haben sie ganz dasselbe
unkritische Verfahren wie der mittelalterliche Compilator der ersten
Handschrift der Gruppe Eracles-Noailles beobachtet. Weil dieser an
einer anscheinend trefflichen Stelle, bei dem 13. Kapitel, mit dem Ab-
schreiben seiner Vorlage begann und urtheilslos ein zusammenhän-
gendes Ganzes auseinander riss, glaubten die modernen Gelehrten an
derselben Stelle den Anfang eines neuen Werkes ganz allgemein an-
nehmen zu müssen, ohne sich die geringsten Gedanken darüber zu
*) In der C'ollectio amplissinia, t. 5.
2) In der Collection des Memoires relatifs ä 1' histoire de France t, XIX.
3) 1. c. p. VIII.
4) Recueil des bist, des crois. Aut, occ. t, 2. Paris 1859 [cit. Est. d'Er.]
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 565
machen, welches Verhältnis zwischen diesem neuen Werk und den
vorhergehenden Theilen in Eracles-Foutainebleau und Eracles-Colbert
obwalte. Ebenso nahm De Mas Latrie die Aufstellung Guizots an x)
und behielt sie für die Zukunft auch bei 2). Er that es — so stark
war die Macht von Guizots Vorgang und Autorität — wie wohl er
das wahre Sachverhältnis erkannte ; aber er verschluss sich selbst dem
freilich nicht ganz durchsichtigen Sinn seiner Ausführungen und trennte
das, was er die „umfangreiche Redaktion" für die Zeit bis 1231
nennt, von dem Theil, welcher der „ kurzen Redaktion" — in Era-
cles-Noailles — als Fortsetzung angeschlossen ist, d. h. er riss eine
wohl gefügte, in der akademischen Ausgabe zudem in fortlaufendem
Haupttext gedruckte Geschichtserzählung an der Stelle auseinander, an
der in einer willkürlich compilirten Handschrift der Eiss unverkenn-
bar war, welcher ganz verschiedene Bestandteile von einander schied-
Es ist und bleibt aber ein reiner Zufall, dass in der Handschriften-
gruppe Eracles-Noailles ein blosses Fragment als etwas Selbständiges
erscheint.
Diese Thatsache ist für das ganze Verhältnis der handschrift-
lichen Ueberlieferung der Estoire d'Eracles von entscheidender Bedeu-
tung. Kein Wunder, dass dasselbe in der akademischen Ausgabe völlig
missverstanden und total verwirrt ist. Der hier beliebten Classifica-
tion versuchte De Mas Latrie eine andere gegenüberzustellen *) ; in-
dem er aber die Entstehungszeit der Codices als Massstab wählte, ver-
zichtete er darauf, seine Eintheilung durch innere Gründe zu recht-
fertigen. Dagegen trägt die von Streit3) in scharfer, aber vollkom-
men berechtigter Polemik gegen die akademischen Herausgeber, vor-
geschlagene Klassification der nothwendigen Rücksicht auf die innere
Beschaffenheit der Handschriften in vollem Masse Rechnung.
Das allgemeine Verhältnis der Handschriften unter einander scheint
uns der Darstellung, wie wir sie gegeben haben, zu entsprechen und
völlig klar. Daneben aber erhebt sich eine Reihe schwieriger Fragen,
deren Lösung jedoch nicht unsere Aufgabe ist und die wir nur an-
deuten. Als erste und wichtigste : haben wir die erste und ursprüng-
liche Fortsetzung des Wilhelm von Tyrus in Eracles - Fontainebleau,
>) In seinem Essai de Classification des Continuateurs de 1' histoire des Croi-
sades de Guillaume de Tyr, in Bibl. de 1' Ecole des chartes, 1860, 5e serie, 1,
38—140, wieder abgedruckt in der Ausgabe der Chronique d'Ernoul, [vgl. S. 561,
Anm. ]], und nach diesem Abdruck citiert.
2) D. M. L. Chronique, 530; XVII.
3) Streit (vgl. S. 561. Anm. 2), 20, 26, 32, 43.
566 Richter.
bez. Eracles-Colbert, also in dem ausführlich gestalteten Text, zu sehen
oder in einer Handschrift mit dem kurzen Text? Für das erstere er-
klären sich in gewissem Sinne De Mas Latrie x) , und ohne jede Ein-
schränkung die akademischen Herausgeber, während für Streit jene
Handschriften durch Interpolationen entstellt und erweitert sind 2).
Wenn dieses der Fall ist, welche von den drei Formen des kurzen
Textes war die früheste ? Wie weit reichte ferner die erste Fortsetzung ?
Ist es in dieser Beziehung von Bedeutung, dass die Handschriften der
Klasse C mit der Abfahrt Friedrichs aus dem heil. Lande 1231 ab-
brechen, oder ist dies mehr zufällige Folge davon, dass der betreffende
Kedaktor mit der kürzenden Bearbeitung der ihm vorliegenden grös-
seren Chronik nicht weiter kam? Oder hat De Mas Latrie mit seiner
ansprechend begründeten Meinung Recht, dass zunächst die Fort-
setzung bis 1218 das Werk eines Mannes gewesen, dann bis 1227
und weiter bis 1231 fortgeführt sei? Gewähren die Namen, welche
mehr zufällig in einigen Handschriften genannt werden, wirklich einen
irgendwie sicheren Hinweis auf die Verfasser oder Redaktoren und
sind es nicht vielmehr blosse Schreiber ? 3)
Wir gehen allen diesen Fragen, soweit wir sie nicht im Vorüber-
gehen zu streifen haben werden, aus dem Wege ; nur mit der Ge-
schichtserzählung in Eracles-Fontainebleau bez. Eracles-Colbert haben
wir es nunmehr zu thun. Dass sie keinerlei Störung oder Missver-
hältnis in der Darstellung für die um 1230 liegenden Jahre aufweist,
war der allgemeinen falschen Auffassung gegenüber nur als Thatsache
zu konstatieren; wo aber haben wir einen Anfang und ein Ende zu
suchen ? Streit behauptet die Einheitlichkeit des Textes für die ganze
Zeit von 1205- 1248, vom 11. Kapitel des 30. Buches bis zum
62. Kapitel des 33. Buches4). Die Richtigkeit dieser Auffassung zu
erweisen, ist unsere nächste Aufgabe, welche durch die Ungewissheit,
ob diese Chronik ein Originalwerk oder eine Redaktionsarbeit darstellt,
in keiner Weise an Wichtigkeit einbüsst.
2. Die Einheitlichkeit der Estoire d' Eracles für die Zeit von
1205 — 1248.
Wenn Streit, um die Einheitlichkeit des fraglichen Theiles der
') Vgl. bes. Chronique 491 f.
2) Streit, 47.
3) Vgl. D. M. L. Chronique XXIV f., 492, ferner Streit; Guizot, Coli, des
mem. XIX Pref.; Est. d'Er. Pref.
4) Schon vor der Bekanntschaft mit Streits Abhandlung, die mir erst spät
zugänglich wurde, war für mich die Einheitlichkeit zum mindesten von der
Mitte des 31. Buches an gesichert.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 567
Estoire d' Eracles zu beweisen, sich u. a. darauf beruft v), dass Marinus
Sauudus und der cyprische Chronist Amadi denselben für ihre Ar-
beiten benutzt haben, so kann dies noch weniger in Betracht kommen,
als der Umstand, dass schon Philippe de Nevaire diesen Text wenig-
stens vom 9. Kapitel des 33. Buches an für seine Memoiren benutzt
hat 2). Nur der Nachweis, dass die in Betracht kommende Chronik
durchgängig den gleichen Charakter in äusseren Merkmalen wie in
der Composition trage, und dass sie sich so als ein Ganzes gegen die
früheren wie späteren Theile der Estoire d' Eracles abschliesse, kann
zum Ziele führen. Der Augenschein und die flüchtigste Lektüre lehrt,
dass wir es in der Geschichtserzählung der Estoire d' Eracles nach
1248 mit ganz anderen Elementen als vorher zu thun haben; nicht
gleich unmittelbar klar ist die Verschiedenartigkeit gegenüber den
Theilen vor 1205 und nmss erst aufgedeckt werden.
Hier fällt zunächst ins Gewicht, dass die ganze Chronik von
1205 — 1248 mit Hülfe der Annales de Terre sainte, worauf wir noch
zurückzukommen haben, geschrieben worden ist 3). Die Parallelstellen
der beiden Werke fehlen nur in seltenen Fällen, mitunter erscheinen
die Annalentheile an ausgezeichneter Stelle in der Chronik, am An-
fang oder Ende eines Kapitels oder Absatzes. In den bis 1205 rei-
chenden Theilen der Estoire sind dagegen die Parallelstellen zu den
Annalen nicht eben zahlreich, erscheinen nie in so auffallender Weise
und ohne stilistische Ueberein Stimmungen. Sind die Annalen, was ja
nicht ausgeschlossen ist, auch hier benutzt worden, so ist es nach
ganz anderer Methode geschehen als in unserer Chronik.
Verschieden ist auch hier wie dort die Gewohnheit, die Ereignisse
in der Darstellung zu verknüpfen und die Uebergangswendungen der
Erzählung zu gebrauchen. In den älteren Theilen wird die Art des
vortragenden Sängers, die Beziehung zu seinen Zuhörern immer fest-
zuhalten beobachtet, ist eine sehr überflüssige Breite und Umständ-
lichkeit des Ausdruckes beliebt. Phrasen wie: or (je) vos dirai-, or
nos vos lairons de parier de-, si vos dirons de-, kehren in oft lang-
weiliger Eintönigkeit wieder und sind ganz ohne Grund namentlich
an die Kapitelanfänge gestellt. Dergleichen Wendungen erscheinen in
der „Chronik von 1205u nur in Ausnahmefällen, wenn der Erzähler
sich wirklich einer neuen Materie zuwendet. Ihre Stelle vertreten, um
den einfachen Fortschritt in der Erzählung zu bezeichnen, die For-
») Streit, 35 ff.
«) Vgl. Mittheil. d. I. f. öst. Gesch. XIII, 271 f.
8) ib. 282.
5(5^ Richter.
mein: en ce point, en ce tens avint que — , apres ce ne tarda mie
granment que — , or retornerons a parier de — , il m' estuet retorner
por dire coment — , u. ä. Vollständig fehlen hier aber die in den
älteren Theilen überall vorkommenden höchst charakteristischen Re-
densarten, wie: je vos avoie oblie a dire, quant je vos parlai de . . .,
de — ; je vos avoie oblie a dire que — ; je vos avoie dit devant que
je vos diroie coment — ; oder gar die Wendungen: or vos lai-
rons a tant a parier de tant que poinz et höre en soit, oder
jusque a une autre fois par aventure que Ten en parlera *). Nur ganz
im Anfang unserer Chronik stossen wir zwei Mal auf ähnliche wort-
reiche Ausdrücke, 1. 30, c. 11, p. 304 — wo der neue Chronist mit seiner
Erzählung einsetzt, um in ihr den vorher behandelten Stoff nicht weiter
zu berücksichtigen — und 1. 31, c 3, p. 313; zugleich werden hier mit
den von dem alten Chronisten gebrauchten Phrasen die sonst übli-
chen Formeln dist li contes oder eist livre parole verbunden. Der Er-
zähler steht — so erklären wir — bei der Neuheit seiner Aufgabe
zu Beginn derselben noch im Banne der stilistischen Gewohnheit seines
Vorgängers und anderer Schriftsteller; sehr bald aber hat er sich von
dieser traditionellen Art frei gemacht und durchweg eigene Gewohn-
heiten angenommen.
Grundverschieden ist endlich die Composition in der mit dem
Jahre 1205, 1. 33, c. 11 beginnenden Chronik und in der früheren
Erzählung, welche die ganze Zeit von 1184 bis 1228 umspannt.
In dieser Berichterstattung sind leicht zwei Theile von einander
zu sondern. In dem ersten wird wirklich nur orientalische Geschichte
erzählt. Es gilt den Verlust Jerusalems und die sich daran knüpfen-
den welterschütternden Begebenheiten zur Darstellung zu bringen, die
Kreuzfahrt Friedrichs I., den Tod dieses „so grossen und mächtigen
Mannes, der da erschien, voll Ehrfurcht und Sehnsucht, das heilige
Land von Jerusalem wieder zu gewinnen" 2), endlich die Kreuzfahrt
des englischen und französischen Königs mit all ihren Folgen. In
dieser Fülle andrängenden Stoffes behandelt der Chronist die sicilisch-
normannische Geschichte nur in ihren Beziehungen zu Konstantinopel
und dem heiligen Lande 3) ; geht er auf die englisch-französischen Ver-
hältnisse nur ein, sofern sie nothwendig sind für das Verständnis des
») Vgl. Est. d'Er. 1. 23, c. 47; 1. 27, c. 17; 1. 28, c. 8, c. 10; 1. 30. c.
1. — Vgl. auch Mitth. d. Inst. f. öst. Gesch. XIII, p. 39; es scheint der im fran-
zösischen Orient vielfach gebräuchliche Stil der Erzählung gewesen zu sein.
2) Est. d'Er. 1. 25, c. 1, p. 139.
3) 1. c. 1. 24, c. 6—8, p. 113 ff.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 5ß9
von Philipp August und Kichard gemeinsam unternommenen Zuges *) ;
erzählt er uns von der Regieruug Kaiser Heinrichs und seiner Macht-
stellung in Italien und Sicilien, weil das ebenso nothwendig ist für
das Verständnis der orientalischen Dinge 2). So verfolgt er die Ge-
schichte des heil. Landes bis zum Abzug der deutschen Kreuzfahrer
aus Syrien im Jahre 1198, und knüpft noch daran die Erzählung von
dem gegen das Leben König Amalrichs unternommenen Anschlag
nebst dessen Folgen. Die Bemerkung, dass der infolge dieses An-
schlages in die Verbannung geschickte Raoul Tabarie erst nach dem
Tode König Amalrichs, 1205, zurückkehrte, gibt uns, vorausgesetzt
dass sie keinen späteren Zusatz darstellt, einen Fingerzeig für die Ab-
fassung dieser Chronik-Partie. L. 27, c. 11 p. 231, oder wahrschein-
licher c. 13, p. 234, bezeichnet den Abschluss des ersten Theiles der
französischen Fortsetzung.
Das zweite Stück der älteren Erzählung enthält, im Gegensatz zu
diesem eben charakterisierten Stücke, abwechselnd europäische und
syrische Geschichte. Die Kämpfe in Sicilien und Apulien, in deren
Erzählung Graf Walter von Brienne, Bruder des späteren Königs und
Kaisers Johann, einen hervorragenden Platz einnimmt, sodann der
Krieg zwischen den Kreuzzugsgenossen Philipp August und Richard,
endlich aus der deutschen Reichsgeschichte die Ermordung König Phi-
lipps und der Triumph Ottos — diese Dinge werden zunächst erzählt,
bis 1. 27, c. 21, p. 243. So gelangt der Chronist mit seiner Erzäh-
lung bis ins Jahr 1208. Es folgen die Kreuzzugspläne und Rüstungen
des Jahres 1200, als Einleitung für die Darstellung der Eroberung
von Konstantinopel. Dieses denkwürdige Unternehmen steht fortan im
Vordergrund des Interesses. Mehr nur als Episode der hierauf bezüg-
lichen Geschehnisse werden die Unternehmungen der, von dem Haupt-
heer sich absondernden französischen Kreuzfahrer von 1203 erzählt,
1. 27, c 24, 25, p. 245—249, und eingehender 1. 28, c. 5-12, p. 256 bis
63; ähnlich finden einige saracenische Verhältnisse 1. 28, c. 1, 2,
p. 250—252 ihre Stelle. Mit 1. 28, c 13, p. 264 wendet sich der
Chronist ausschliesslich dem Zuge nach Konstantinopel und den Ge-
schicken des neu gegründeten Kaiserreichs zu: die Entfernung des
vierten lateinischen Kaisers nach Rom , seine Rückkehr und sein Tod
in Achaja Ende 1227 oder Anfang 1228 schliessen diese Erzählung
mit dem Ende des 29. Buches, p. 295, ab. Dann kommt wieder
deutsche- Reichsgeschichte , der Kampf zwischen den beiden Präten-
») 1. c. 1. 25, c. 5—7, p. 143 fi.
») 1. c. 1. 26. c. 20, p. 205 ff.
570 Richter.
deuten Friedrich und Otto, in den ersten 10 Kapiteln des 33. Buches
zur Darstellung. Der Tod Otto's IV., Mai 1218, bildet den Abschluss
des zweiten Theiles der ersten Fortsetzung.
Bilden diese beiden, so verschieden gearteten Theile nicht eher
zwei besondere Fortsetzungen? Statt einer Beantwortung müssen wir
uns mit Andeutungen begnügen. Dagegen möchte die Thatsache spre-
chen, dass die hervorgehobenen stilistischen Eigenthümlichkeiten beide
Theile in gleich charakteristischer Weise auszeichnen. Andererseits hat
nach dem Abschluss des ersten Theiles, 1. 27, c. 13, p. 234, die Ar-
beit unzweifelhaft längere Zeit geruht. Der Erzähler spricht hier in
seiner umständlichen Weise die Absicht aus, mit der kurzen (durch-
aus in den Rahmen seiner ganzen Geschichtserzählung hineinpassen-
den) Darstellung der sicilischen Verhältnisse, bis zum Tode der Kai-
serin und Königin Constanze, aufzuhören und sich anderen Dingen
zuzuwenden *). Gleichwohl bleibt die Darstellung bei der sicilischen
Geschichte und wird zum zweiten Male in ganz ähnlicher Weise c. 17
abgebrochen 2). Walter von Brienne steht im Mittelpunkt derselben,
seine verwandtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse sind dem Er-
zähler ganz vertraut. Er hat für diesen offenbar als Bruder des Jo-
hann von Brienne, qui fu de Jerusalem roi et puis fu empereor de
Constantinople, si come vos orrez ca avant — solche Wichtigkeit. Ist
danach sicher dieser Theil der Fortsetzung nach 1229 geschrieben3),
so ist vielleicht der erste Theil verfasst, bevor Johann von Brienne
und dessen Familie für den Orient so wichtig, d. h. bevor er im
Jahre 1208 König von Jerusalem geworden war. Auffallend ist es
und zukünftig besonders zu berücksichtigen, dass es ziemlieh für jenen
ganzen zweiten Theil, vom 16. Kapitel des 27. Buches bis zum Ein-
setzen der mit 1205 im 11. Kapitel des 30. Buches beginnenden Chro-
nik, keine kurzen Texte giebt, sondern nur eine Textform überliefert
*) Est. d' Er. 1. 27, c. 13, p. 234. Ci en droit vos lairons a parier de la
terre de cesüe et dou roi Fedric qui enfes estoit , qui puis fu apelez en mains
lues li Enfes de Puille. — Wenn die Hss. D. G. diesen Satz nicht haben, so er-
kennt man die Feile des Redaktors. Dagegen hat ihn Hs. C, bietet also sicher
hier die ältere Form des kurzen Textes, vielleicht überhaupt die ursprünglichste
Form für diese Partie. Denn gerade der Nebentext, der doch mit der Erzäh-
lung von der Erhebung König Johanns zum Kaiser von Konstantinopel schliesst
(vgl. oben S. 563), spricht nicht wie es der Haupttext thut, die Absicht aus, die
bez. Ereignisse erzählen zu wollen (vgl. unten p. 572, Anm. 1).
2) Jci vos Jairons a parier de la terre de Calabre et de Cesile jusque a
une autre fois que point et bore sera.
3) In 2 Briefen Gregors IX., 1229, April 9, erscheinen die Verhältnisse in
Konstantinopel geregelt, Potthast, Reg. Pont. I, nr. 8370, 71.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 571
ist. Wir möchten vermuthen, dass der Verfasser oder Compilator des
2. Theiles zugleich den ursprünglich kürzer gefassten *) 1. Theil er-
weitert, ihm durch seine Ueberarbeitimg den gemeinsamen Stil aufge-
prägt und der so umgestalteten Chronik seine Erzählung angefügt hat.
Hier ist er aber mit ziemlicher Nachlässigkeit 2) und ohne einen con-
sequent verfolgten Plan zu Werke gegangen.
So undurchsichtig und complicirt die Composition in der, bez. in
den ersten Fortsetzungen ist, so klar und einfach ist sie in dem Werke
des neuen Chronisten. Den Inhalt der früheren Erzählung hat er sich
im allgemeinen wenigstens zu eigen gemacht, wie er denn auch für
den Anfang von ihrem Stil beeinflusst wurde. Den Zusammenhang
zwischen seiner eigenen und der von ihm fortgesetzten Darstellung
sucht er festzuhalten 3) und ebenso ist er bemüht, innerhalb seiner
Berichterstattung die Einzelheiten zu verknüpfen. Immer erscheint
eine Etappe der geschichtlichen Handlung als Fortsetzung einer vor-
her geschilderten, und bei dieser wiederum wird entweder auf die
später folgende ausdrücklich Eücksicht genommen, oder aus der Dar-
stellung geht hervor, dass dabei das spätere Ereignis bereits vorschwebte.
So wird schon rein äusserlich der Eindruck eines wohlverknüpften,
einheitlichen Werkes erzeugt. Nicht minder aber auch durch Plan
und Fortgang des Ganzen. Der Chronist geht aus von dem Tod König
Amalrichs im Jahre 1205. Dies Ereignis, mit seinen Nebenumständen
erzählt, ist ganz bewusster Weise, wie es scheint, an die Spitze des
Buches gestellt. Es bedeutet die äussere Trennung der beiden König-
reiche Jerusalem und Cypern ; aber trotz dieser äusseren Trennung
der beiden Staaten bleibt ihre innere Verbindung, durch die grossen
politischen Verhältnisse Europas, wie durch die seltsamen feudalen
Staatseinrichtungen bedingt, und damit ihre Interessengemeinschaft
bestehen. In diesem Dualismus äusserer Trennung, innerer Gemein-
schaft der beiden wichtigsten orientalisch-christlichen Staatswesen ver-
läuft ein grosser Theil der Geschichtserzählung unseres Chronisten.
Anfangs von Syrien zu Cypern, von Cypern zu Syrien hinüberblickend,
kommt er bald dazu, die cyprisch- syrische Geschichte in ihrer engen
') Vgl. Streit, 44 ff., wo die Ursprünglichkeit der kürzeren Fassung für
diesen Theil wenigstens sehr wahrscheinlich gemacht wird.
2) Vgl. Est. d'Er. 1. 27, c. 24, 2. Hälfte und 1. 28, c. 5 Anf. ; 1. 27, c. 10
Ende und 1. 28 c. 5 späterer Theil.
3) Vgl. Est. d'Er. 1. 31, c. 15, p. 308 und 1. 26, c. 21, p. 208; 1. 32, p.
359 und 1. 27, c. 14—16, p. 234 f., 1. 26, c. 20, p. 206; das nous avons
parle lässt natürlich nicht den Schluss zu, der Schreiber dieser Worte wolle sich
selbst als Verfasser jener früheren Erzählung bezeichnen.
572 Richter.
Verknüpfung zu behandeln. Ein anderer grosser Theil seines Buches
ist dem Kreuzzuge von 1217 und den wechselvollen Ereignissen vor
Darniette gewidmet. Weun diese und die cyprisch-syrischen Kämpfe
zwischen der meist französischen Adelspartei und dem deutschen Kaiser
von dem Erzähler mit besonderer Ausführlichkeit behandelt sind, so
beweist das doch nur die Wichtigkeit, welche die denkenden Zeitge-
nossen im Morgenlande diesen Geschehnissen beilegten. Denn einen
so hervorragenden Platz sie auch in der Darstellung einnehmen, so
erscheinen sie doch nur als freilich sehr begünstigte Episoden. Mög-
lichste Vollständigkeit in dem Rahmen seiner Geschichtserzählung
strebt der Chronist an; den Orient aber in allen seinen Beziehungen
zu schildern sieht er als seine Aufgabe an, der gerecht zu werden er
sich redliche Mühe giebt. Er sieht diese Beziehungen nicht nur in
Jerusalem und Cypern, in Antiochien und Damaskus, Babylon, Ar-
menien und Aegypten , sondern findet sie auch in den politischen Ver-
wickelungen des Abendlandes. Ist die Darlegung der aussersyrischen
Verhältnisse, anfangs an die Schicksale des in ganz Europa herum-
abenteuernden Königs Johann, dann au die Person des, mit den In-
teressen des heiligen Landes so enge verknüpften Kaisers Friedrich
gebunden, auch eine mangelhafte, so ist es doch erfreulich, sie ent-
deckt zu sehen, und ebenso erfreulich ist es, sie nicht anders als in
ihren Beziehungen zum Orient besprochen zu finden. Nirgend stösst
man auf eine grössere Partie, die aus dem Kahmen der orientalischen
Geschichte herausfallend, den Zusammenhang des Ganzen in empfind-
licher Weise stört. In ungehöriger Weise scheint nur einmal die
europäische Geschichte Berücksichtigung zu finden, 1. 32, c. 22, p. 362i
wo in einem sehr lückenhaften Bericht über den Kampf Ludwigs VIII.
gegen Kaimund von Toulouse eigentlich nur die Belagerung von
Avignon zur Sprache kommt. Vielleicht, dass auch dieser Kampf un-
serem Historiker als ein heiliger Krieg und Kreuzzug erschien und er
ihn deshalb seiner Erzählung einverleibte.
Somit zwingen äussere und innnere Gründe dazu, diesen, die
orientalische Geschichte von 1205 — 1248 behandelnden Theil der fran-
zösischen Fortsetzungen des Wilhelm von Tyrus für ein einheitliches,
nach festem Plan gearbeitetes Ganzes zu halten. Auch sind wir ge-
neigt, in ihm die originale Arbeit eines einzelnen Mannes zu sehen,
die kurzen Texte also, welche von 1. 30 c 12 an unsere, mit 1. 30,
c 11 beginnende Chronik bis 1. 33, c. 19 ohne Unterbrechung be-
gleiten, für die Arbeit späterer Redaktoren zu halten *). Nennen wir
unseren Historiker der Kürze halber „den Chronisten von 1205."
[) Bei genauerer Untersuchung dürfte sich herausstellen, dass der kurze
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 573
3. Untersuchung und Beurtheilung der Chronik von 1205 bis
1248.
Einen Theil der quellenkritischen Untersuchung haben wir im
vorhergehenden Abschnitt vorwegnehmen müssen; wir wenden uns
zur Erledigung der übrigen Fragen, zunächst derjenigen nach den
Quellen unserer Chronik.
Den Zusammenhang zwischen der Estoire d' Eracles und den An-
nales de terre sainte hat ßöhricht in seiner Ausgabe *) der letzteren
dargethan. Indem wir ihre Benutzung durch unseren Chro-
nisten nachweisen, lösen wir die Aufgabe, deren erster Theil in der
Untersuchung über Philipps Memoiren geleistet war -), und erweisen
die Priorität der Annalen gegenüber den in Betracht kommenden
Werken überhaupt.
Nur ausnahmsweise sind Nachrichten nicht in beiden Werken zu-
gleich belegt 3), während andererseits wörtliche Uebereinstimmungen
nicht allzu häufig sind 4). Seltener sind die Annalenstellen in der
Text eine Verkürzung und zugleich Ergänzung des ausführlichen darstellt. Man
vergl. die stilistischen Uehereinstimmungen in den Schlusspartien der kurzen Re-
daktion im Nehentext auf Seite 377 mit c. 16, p. 383 und c. 17, p. 384, und
das si comme 1' en dit in Hs. D. u. Hs. G., das auf die Darstellung des Haupt-
textes hinzuweisen scheint ; jedoch hat Hs. (J, welche die früheste Fassung der
kurzen Redaktion zu bieten scheint [vgl. S. 570 Anm. 1] diesen Hinweis nicht,
und es kann sich daher das si comme 1' en dit auch auf Hs. C beziehen. Nur
die eingehendsten Forschungen können diese Verhältnisse aufklären.
!) Arch. de 1' ür. lat. tom. II, Abth. Documents 427 ff. (cit. A. d. t. s).
2) Vgl. Mitth. d. Inst. f. österr. G. F. XIH, 282 f.
s) Die Randnotizen in Röhrichts Ausgabe der Annalen sind durch folgende
Fälle zu ergänzen: ad 1219, Tod Königs Leo von Armenien: 1. 32, c. 15, p. 347;
ad 1221, sämmtliche Angaben: 1. 32 c. 17 p. 352, c. 18 p. 354, c. 15 p. 347;
ad 1222, Gesandtschaftsreise nach Rom: c. 19, p. 355, armenische Dinge: c. 15
p. 348; ad 1223, Tod König Philipps von Frankreich: c. 20 p. 357; ad 1224,
Heirat Boemunds von Antiochia : c. 21 p. 361: ad 1225, Brautfahrt der Isabella:
c. 20 p. 357; ad 1226, kaiserliche Bevollmächtigte in Syrien: c. 24p. 364. Einige
dieser Parallelstellen weisen auch stilistische Uebereinstimmung auf. — Mit Un-
recht sieht R. wohl einen Parallelismus zwischen einer Annalennotiz ad 1242 über
christlich-muhamedanische Verwickelungen, und Est. d' Er. 1. 33, c. 56 p. 428
bis 430, wo der Einfall der Chowaresmier 1244 erzählt wird ; sowie einer andern
Notiz ad 1243 und Est. d'Er. 1. 33 c. 49 p. 419, c. 51, 52, p. 421, 22. Dieselben
Chronikpartieen sind auch als Parallelstellen für die Annalenberichte ad 1244 und
1239 richtig angegeben. In den Notizen für 1242 u. 1243 haben wir eine Be-
reicherung unseres Wissens zu sehen, cf. Wilken, VI p. 626 ff.
4) Vgl. beispielsweise Est. d'Er. 1. 31, c. 6, p. 316 und A. d. t. s. ad 1211 ;
1. 31, c. 13, p. 325 u.A. ad 1218; 1. 33, c. 10, p. 376 u. A. ad 1229; 1. 33 c. 60
p. 433, u. A. ad 1247. Zur letzten Stelle vgl. Mitth. XIII, 268, Anm. 5 ; die A.
574
Richter.
Chronikpartie von 1205—1218 zu belegen, weil hier die gesammte
aussersyrische Geschichte nur mit Auswahl behandelt wird. In un-
serer Chronik erscheinen sie in 11 Fällen am Anfang eines Kapitels,
in zweien am Schlüsse, 3 Mal am Anfang bez. Ende eines Absatzes l).
Dass unsere Chronik eine schlechte Quelle für ein Annalenwerk
war, geht schon daraus hervor, dass sie nur 7 Mal eine Jahreszahl
bietet, darunter in 6 Fällen mit Beifügung einer ganz genauen Da-
tieruno-. Die erste derartige Augabe am Schluss des 30. Buches, c. 17,
p. 310 bezieht sich auf die Ankunft des Johann von Brienne in Ac-
con, wo er verheiratet und König werden soll, und lautet: Et ce fu
en ud mecredi, la veille de Sainte Crois, en septembre, en l'an de
1' Incarnation de Notre Seignor Jhesu Crist MCC et VIII anz. Es sind
nur die aller wichtigsten Ereignisse, welche durch solche Datierung aus-
gezeichnet werden: der Beginn des Lateranconcils 1215, die Einnahme
von Damiette durch die Christen 1219, die Schlacht von Nicosia 1229,
welche die siegreichen Ibeliner wieder in den Besitz von Cypern setzte,
der schwere Schlag, der sie 1232 auf dem Felde von Casal Imbert
traf, der Unglückstag von Gaza 1244, der den letzten Verlust, welchen
die Christen an Jerusalem erleiden sollten, zur Folge hatte2). Am
Schlüsse des 32. Buches, c. 25, p. 365 ist zum 7. und letzten Male
das Incarnationsjahr ohne weitere Daten gegeben, wohl nur um des
Abschlusses willen für das Buch. Die zweite und dritte Datierung ist
benutzt, um durch Hinzuzählen von Monaten oder von Jahren eine
ungefähre Zeitbestimmung für je ein ferneres Factum zu gewinnen,
und einige Angaben im Anschluss an die erste Datierung lassen un-
zweifelhaft erkennen, dass sie sich auf dasselbe Jahr beziehen.
Häufiger erscheinen Zeitbestimmungen anderer Art, aber ohne
Jahresangabe und deswegen für einen Annalenschreiber wertlos; Mo-
natsnamen, Festtage überraschen namentlich in der Erzählung der
ägyptischen und cyprischen Vorgänge 3). Hier jedoch wären die auf
d. t. s. sind hier nicht zuverlässig: Herr von Arsur war damals Johann von
Ibelin, vgl. Mitth. XIII. 266.
i) Der erste Fall, dass Kapitelanfang einer Annalennachricht entspricht,
findet sich Est. d' Er. 1. 31, c 10 p. 321, zum Jahre 1217- unsere Chronik nimmt
mit 1. 30, c. 11, p. 304 ihren Anfang. — Diese Thatsache muss dafür geltend
gemacht werden, dass die Eintheilung der Chronik in Kapitel schon hei der
ersten Abfassung statt hatte, was für die Beurtheilung der Hss. und Texte nicht
unwesentlich ist.
2) 1. 31, C 8 p. 318 ; 1. 32, c. 14 p. 349 ; 1. 33, c. 10, p. 376 ; 1. 33, c. 31
p. 398; 1. 33, c. 57 p. 431. Dass die Jahreszahlen theilweise denjenigen der
Annalen widersprechen, ist wegen der handschriftlichen Ueberlieferung belanglos.
3) Dass die Est. d' Er. für die ägyptische Geschichte selbst abhängig ist, ist
für den vorliegenden Zweck gleichgültig.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 575
Keisen und Seefahrten bezüglichen Daten weniger der Kenntnis als
der Kombination des Erzählers zuzusehreiben, da ja die Termine für
diePassagien feststehende waren, die Kreuzfahrer im Frühjahr um dieOster-
zeit, im Herbst in den Monaten August und September im heil. Lande ein-
trafen, und entsprechend die Abfahrtszeiten von hier und von den
Westküsten geregelt gewesen sein müssen *). Wirkliche chronolo-
gische nicht einmal stets zuverlässige Kenntniss verräth daher der
Chronist ausser in den genannten 7 Fällen in noch etwa ebenso vielen
anderen 2).
Er war nicht der Mann, unserem Annalisten Anhaltspunkte oder
gar das volle chronologische Küstzeug zu bieten. Er vernachlässigt
dasselbe, es ist ihm gleichgiltig. In rein erzählenden Uebergäugen,
in ganz allgemeinen, unbestimmten Formeln liebt er es die Ereio-nisse
zu verknüpfen 3) ; die ganze Art der Darstellung scheint geradezu eine
Vorlage mit chronologischen Angaben, die dann leicht unberücksich-
tigt bleiben konnten, als Anleitung vorauszusetzen. Nachdem z. B.
1. 32, c. 14, p. 346 die Einnahme von Damiette durch die Christen
erzählt, und das Kapitel mit einer genauen Zeitbestimmung dieses
Ereignisses abgeschlossen ist, wird c. 15 die Erzählung armenischer
Geschichte durch die Phrase: en celui tens avint que . . . eingeleitet;
die ganze Fülle von Ereignissen, welche die Annalen für die Jahre
1219, 1221, 1222 verzeichnen, werden im Zusammenhange abgethan,
mitten in der Darstellung der ägyptischen Kämpfe, zu denen im selben
15. Kapitel noch zurückgekehrt wird. Haben die Annalen dem Chro-
nisten vorgelegen, so ist der Grund für diese Darstellung klar : er er-
zählte die Einnahme von Damiette gemäss der ersten Annalennotiz
für 1219, wurde sodann aber durch den Satz: et le prince Buemont
toli Antioce ä Ruppin son neveut etc. auf die armenischen Dinge, die
ja auch sachlich mit den ägyptischen zusammenhängen, hingewiesen
und erzählte sie nun in geordneter Folge, indem er, wie einige stili-
J) Vgl. Prutz, Kulturgesch. d. Kreuzz. Berlin 1883, 100. — Als Beispiele für
derartige Daten vgl. Est. d'Er. 1. 31, c. 13, p. 325 (Wilken, VI, 156, Anm. 46)T
1. 32, c. 12, p. 342 (Hoogeweg, der Kreuzz. von Damiette, in Mitth. d. Inst. f.
öst. G. F. VIII, ?05 ff.), 1. 33, c. 1, p. 366 (Röhricht, Beitr. zur Gesch. d. Kreuzz,
Berl. 1874, p. 26, Note 148).
2) Est. d'Er. 1. 31. c. 1, p. 311 f.; 1. 32, c. 4, p. 324; c. 7, p. 336; c. 10,
p. 34') ; 1. 33, c. 27, p. 392 ; c. 36, p. 402 ; vgl. dazu Wilken, VI, 60 f. ; Hoo-
geweg, 1. c. VIII, 206, 216, IX, 262. — Bei dieser Sachlage stellt Müller, der
Langobardenkrieg auf Cypern, 1229—1233 In-diss. Halle, 1890, p. 9 der Chrono-
logie des Chronisten ein gar zu gutes Zeugnis aus.
3) Vgl. oben S. 567 f..
576
Richter.
stische Anklänge darthun, das von den Annalen gebotene Material
zusammensuchte und verwertete. Ueberhaupt ist in den einzelnen
Fällen wohl zu erklären, wie die chronikalische Darstellung mit Hülfe
des annalistischen Materials entstanden ist, nicht aber — wenn man
nicht zu ganz unmöglichen Annahmen seine Zuflucht nehmen will —
wie dieses Material aus der Chronik zusammengetragen sein soll x).
Doch vermögen wir auch einen, so zu sagen, positiven Beweis
dafür beizubringen, dass die Annalen dem Chronisten vorgelegen haben.
Sie sprechen beide von der Heirat Friedrichs IL mit Isabella, der
Tochter des Königs Johann. Est. d'Er. 1. 32, c. 20, p. 357 erzählt:
li empereres envoia l'arce vesques de Capes, por esposer la
demoisele en lue del empereor .... li arcevesques de Cappes . . . li
mist l'anel ou doi. A. d. t. s. ad 1223 berichten: A. 1224 vint l'e-
vesquedePaude et aporta l'anel ä Ysabel, fille dou roi Johan,
de par Fedrix l'empereour. Der Zusammenhang beider Quellen ist ge-
rade an dieser Stelle und den dazu gehörigen Stücken unleugbar. Dass
aber die Annalen den kaiserlichen Gesandten Bischof von Patti nennen2),
die Chronik, und zwar in allen Handschriften, Erzbischof von Capua,
beweist, dass jene das zeitlich frühere Geschichtswerk waren und dem
Chronisten vorgelegen haben. Denn Bischof Jakob von Patti wurde
vor 1225, Sept. 25 auf den erzbischöflichen Stuhl von Capua be-
rufen 3). Der Chronist hat entweder — was wir ihm wohl zutrauen
können — gewusst, dass der in den Annalen genannte Bischof von
Patti später Erzbischof von Capua wurde, oder er folgte lediglich der
mündlichen üeberlieferung, welche nach der baldigen Würdenerhöhung
des mit so hoher Mission Betrauten, diesen nur noch in seiner neuen
Stellung kannte und seine frühere vergass : der Erzbischof von Capua,
nicht mehr der Bischof von Patti war es, der dem Kaiser die Braut
heimholte. Für ganz undenkbar halten wir es aber, dass der Anna-
list, als der spätere Schriftsteller, die Angabe seiner chronikalischen
Vorlage gemäss der lange vergangenen Sachlage verbessert haben, dass
er etwa 25 Jahre nach jener Brautfahrt noch von der früheren Würde
des Erzbischofs von Capua gewusst haben soll4).
Es ist für uns erwiesen, dass die Annales de terre sainte eine
J) "Vgl. abgesehen von der erläuterten Partie m 1. 32 c. 15, z. B. auch 1. 32,
c. 23 — c. 25 mit A. d. t. s, ad 1226 und 1227.
2) Auch in der Redaktion A und ebenso in dem Text der G. d. Ch. § 109,
p. 30.
s) Vgl. Est. d'Er. p. 357, Note e; Huill.-Breh. II, 522, Brief des Papstes
Honorius an Kaiser Friedrich mit der Nachricht der Berufung.
4) Die Chronik ist erst c. 1250 geschrieben, vgl. unten S. 581.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaat.en. 57^
Quelle der Estoire ä" Eracles waren ; etwa noch vorhandene Zweifel
mag in der folgenden Darstellung die Evidenz des Gresammt Verhält-
nisses beseitigen. Wir schauen nach anderen Hülfsmitteln unseres
Chronisten um und finden solche zunächst für die Geschichte der ägyp-
tischen Kämpfe.
Die Quellenliteratur zur Geschichte des sog. 5. Kreuzzuges ist
nicht gering. Von besonderer Wichtigkeit für die Kritik sind einige
kleine Schriften, auf die Eöhricht durch seine Ausgabe der Quinti
belli sacri scriptores l) zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Jo-
hannes de Tulbia schrieb de domino Johanne rege Jerusalem, ein
Anonymus den liber duelli christiani in obsidione Damiatae exacti,
Codagnellus verfasste die Gesta obsidionis Damiatae 2). Schon Eöh-
richt hatte angenommen, dass diese drei Quellen — freilich sind die
von ihm herausgegebenen Gesta nicht die von Codagnellus verfassten,
wie Holder-Egger nachgewiesen — auf einem gemeinsamen Grund-
stock, im heil. Lande entstau denen Aufzeichnungen und Tagebüchern,
beruhten. Holder-Egger hat neuerdings diese gemeinsame Quelle für
die Arbeit eines italienischen Klerikers aus der Umgebung des Kar-
dinallegaten Pelagius erklärt; daneben habe noch ein bisher unbe-
kannter Bericht mit eigenen Nachrichten existirt; aus ihm und den
Gesta Damiatae des Codagnellus habe ßeginus die in dem Liber de
temporibus et aetatibus enthaltenen Gesta obsidionis Damiatae kom-
piliert3). Nun sind Beziehungen des „Chronisten von 1205" zu diesem
Schriftenkreis unverkennbar. Mit Johannes de Tulbia, der — wie
auch Holder-Egger bemerkt hat — dem liber duellii im Allgemeinen
ganz nahe steht, ist die Verwandtschaft im Anfang auffällig 4) ; sonst
ist sie auch mit den Gesta zu konstatieren, aber, ihrem Charakter ent-
sprechend, nur selten und in sehr äusserlicher Weise. Folgende Stelle
ist namentlich zu vergleichen :
Gesta obsid. Dam. Est. d' Er. 1. 32, c. 4 Joh. de Tulbia, p. 122,
p. 77 § VI. p. 333. § X und Lib. duelli,
p. 145, § VII, ganz ähnlich:
Considerans vero rex
Egypti quod nee per
aquam, nee manendo
Perpendens autem | Quant li sotans Me-
Egiptiacus rex quod lec el Quemel vit que
Cristianorum exercitus li Crestiens creissoient
'. Publ. de la soc. de 1' Orient lat. Serie hist. II. p. 71 ff. (Genf 1879).
2) Vgl. Holder-Egger, Ueber die hist. Werke des Johannes Codagnellus aus
Piacenza N. A. XVI, 253 ff'. V. Die Gesta obsidionis Damiatae, p. 287 ff.
3) N. A. XVI, 300, 304. — Die Gesta des Reginus bei Muratori Script, rer.
Ital. VIII, p. 1084-1104.
<) Est, d'Er. I. 31, c. 14, p. 32G und Publ. de 1' Or. lat, II, 120 f.
Mitthoilnngpn XV. :',7
578 Richter.
ades, si dota moult, por
quei il vost essayer scm
poeir au lor. Et il avoit
grant aye que li califes
li avoit envoiee.
in sabulo eis nocerepo-
teramus, cogitavit nos
perdere u. s. f.
quotidie augebatur, plu-
rirnum est turbatus.
Tarnen cepit calide co-
gitare qualiter Cristia-
norum gentem posset
invadere et de Terra
Egipti penitus expellere.
Danach erzählen die Gesta sofort den Kampf vom 26. Oktober
1218, während die anderen beiden den Kampf vom 9. October an-
schliessen x) ; die Darstellung des zweiten Schlaehttages am 26. leiten
sie dann mit einem Satze ein, der dem zweiten oben citirten Satz der
Gesten entspricht. Die Estoire ihrerseits bringt eben diesen Satz an
derselben Stelle wie die Gesten, leitet aber eine Erzählung mit ihm
ein, in welcher — wie die hier geschilderte Heldenthat des Königs
Johann beweist — die Ereignisse des ersten und zweiten Kampftages
vermengt und auf den 9. Oktober fixiert sind. So verweist die Berück-
sichtigung des ersten Schlachttages auf Johannes de Tulbia und den
Liber duelli, das sonstige Verhältnis auf die Gesten. An anderer Stelle
wieder ist eine Beziehung zu Olivers Geschichtschreibung deutlich 2).
Wir vermessen uns über die Art dieses Zusammenhanges keines
Urtheils , für welches die Voraussetzungen fehlen : eine lückenlose
Kenntnis der Quellen und eine klare Einsicht in die Verhältnisse der
historia Damiatina des Oliverius Scholastikus. Es genüge die Erkennt-
niss, dass der Chrouist Quellen zu Rathe gezogen hat.
Andere Quellen haben ihm für die Geschichte des Occidents
vorgelegen. Wir betrachten den Inhalt von 1. 33, c. 42 und c. 43
p. 408 ff. Die italienischen Ereignisse nach der Eückkehr Fried-
richs II. aus Deutschland kommen zur Darstellung: der Kampf mit
den italienischen Städten 1237, worin die Schlacht von Cortenuova als
Hauptstück, die Berufung des Generalconcils nach Kom, der Zusam-
menstoss zwischen Pisanern und Genuesen und die Gefangennahme
der Prälaten 1241. Inmitten dieser Dinge, nachdem noch der gewalt-
same Tod des Mailänder Podesten Pietro Tiepolo erzählt ist, werden
wir plötzlich zur Schlacht von Gorgonzola im November 1245 geführt.
Dann fährt die Erzählung fort: „uach dieser Schlacht ging der Kaiser
daran, eine Stadt, welche zur Freundschaft Mailands gehörte und den
') Vgl. Hoogeweg, Mittheil, d. I. f. ösf. Gesch. VIII, 206, 209.
2) Vgl. Röhricht in Westd. Zs. X, 161 ff. — Auf den Zusammenhang der
früheren Theile der Estoire d' Eracles mit Oliverius hat, indessen ohne Erklärung,
Streit, p. 56 ff., hingewiesen. Für den ägyptischen Kreuzzug ist z. ß. zu ver-
gleichen: Est. d'Er. 1. 31, c. 12, p. 324 u. Röhricht, 1. c. p. 171.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 579
Namen Vincense1) führte, zu belagern": die aus der Belagerung
von Parma, Winter 1247/48, bekannten Ereignisse sind es, die wir
zu hören bekommen, der Bau der Belagerungstadt Vittoria, der prä-
sumierten Nachfolgerin von Parma, ihre Einnahme und Zerstörung
durch das Feuer der Belagerten. Mit dem Generalconcil in Rom wer-
den wir ebenso unvermuthet wieder ins Jahr 1241 zurückversetzt und
hier ziemlich ausführlich über den Zusammenstoss der Pisaner und Ge-
nuesen unterrichtet.
Es ist die zweifache Frage : wie kommt der Chronist auf den
Namen Vincentia statt Parma und was veranlasst ihn die italienischen
Ereignisse von 1245 — 1248 in eine Erzählung hineinzuzwängen, welche
die Geschichte von 1237 — 1241 behandelt? Eine Antwort gibt es
für beide Fragen.
Wir erinnern uns, dass im August 1240, auf dem Zuge nach
Bologna begriffen, der Kaiser die Stadt Faenza umschloss, dass er
dann, als sich die Belagerung wider Erwarten in die Länge zog und
ihn zur Ueberwinterung nöthigte, an Stelle des Sommerlagers um die
Stadt gewissermassen eine neue Stadt, mit Gräben und Befestigungs-
werken geschützt, aufbauen liess 2). Wie, wenn der Chronist diese
Belagerung, mit den Nebenumständen erzählt, in einer Vorlage ge-
funden? Dann ist erklärt, wie aus dem Namen Faenza die Bezeich-
nungen der Handschriften 3) entstehen und wie der Chronist auf die
von ihm behandelten Dinge verfallen konnte. Durch seine Vorlage
wurde er an die weniger weit zurückliegende, in den Umständen ähn-
liche Belagerung von Parma und die Ereignisse vorher erinnert; über
diese Dinge als Zeitgenosse unterrichtet hat er seine Erinnerungen mit
seiner Vorlage kombiniert und kam so zu den Unmöglichkeiten seiner
Darstellung. Diese Erklärung besteht die Probe, indem wir die Vor-
lage zu bestimmen suchen.
Die geschichtliche Darstellung für die Jahre 1237 — 1241 in den
Annales Piacentini Gibellini lässt den vollkommenen Parallelismus mit
der Estoire d' Eracles, wenn auch zum Theil viel ausführlicher als diese,
unzweifelhaft hervortreten, sobald man in der letzteren die Erzählung
von Gorgonzola, Vicenza und Vittoria durch die Belagerung von Fa-
enza ersetzt. U eberall möchte man erkennen, wie der chronikalische
Bericht aus dem der Annalen entstanden ist; auch stilistische An-
') Dies die Lesart von Hs. B ; A schreibt Vicence , D Pazina (?), G Vin-
cence.
2) Schirrmacher, Kaiser Friedrich II. III, 168 ff.
s) Dass alle Hss. entsprechende Lesai*ten haben, beweist, dass schon das
erste Ms. die aus Faenza verderbte Lesart gehabt hat.
37*
580
Richter.
klänge fehlen nicht l). In ähnlicher Folge und Verknüpfung, wie in
den Annales Placentiui und wie es für die Vorlage der Estoire zu ver-
niuthen steht, sind die Ereignisse in den viel umfangreicheren An-
nales Jauuenses erzählt. Der äussere Charakter lässt sie freilich als
Vorlage für den „Chronisten von 1205" weniger geeignet erscheinen,
und im Besonderen die Schilderung der Belagerung von Faenza ist
hier nicht so beschaffen, dass sie jenen Fehler des Chronisten leicht
hätte veranlassen können 2). Trotzdem ist ein Zusammenhang auch
dieser Annalen und der Chronik nicht von der Hand zu weisen.
Ein gewisser Parallelismus der beiden Quellen besteht für einige
Partieen in der Erzählung der verunglückten Prälatenfahrt von Genua
nach Kom 3). In dem Chronikbericht über das Concil von Lyon, 1245,
finden sich deutliche stilistische Anklänge an die entsprechende Er-
zählung der Genueser Annalen. Aus den Worten, welche der päpst-
liche Gesandte vor dem Kat in Genua — nach den von hier stammen-
den Annalen — gesprochen haben soll, hat unser Chronist einige er-
zählende Sätze zusammengeformt. Beispielsweise ist zu vergleichen:
An. Jan. p. 213.
dominus papa etc. mandat ut pro
deo armentur galee, in quibus sit
persona potestatis etc., qui veloci-
ter moveant, euntes apud Civitam
vetulam; quae cum ibi applicave-
rint, se parabit quam celatim
poterit nocte una etc.
Ueber den Aufenthalt in Genua geben beide:
Est. d'Er. 1. 33, c. 53 p. 423.
. . . pape InnoceDt le Quart etc.,
si manda a Jenoe que il li envoi-
assent galees priveement a la fois
do Tivre. Et quant eles i furent
venues, il se parti de Korne celee-
ment et vint la etc.
: 1. e.
En ce que il fu a Jenoe, il i
sejorna une piece etc.
: p. 215.
Et per dies plures requievit ibi-
dem iacens infirmus.
») Mon. Germ. SS. XVIII, p. 484: . . . Unde imperator valde indignatus
.... raandavit in Apuliam et fecit suspendere Comitem Petrum Depoluni filium
ducis Venecie quem detinebat carceratum. Est. d'Er. 1. 33, c. 42, p. 408: in
der Schlacht bei Gorgonzola wurde gefangen genommen le podeste de Milan, qui
estoit fil dou duc de Venise lequel li empereres fiat pendre en la cito de Trane,
sur une haute tor, qui sist sur le rivage de la mer.
2) Mon. Germ. SS. XVIII, 192: In qua obsidione ab omni latere eiusdem
civitatis facta permansit per menses . . . faciendo ibi construi domos et quam
plurimas mansiones; zu vergleichen mit Mon. Germ. XVIII, An. Plac. Gib. 484:
In proximo mense Octubris imperator credens ibi yemare statuit fieri fossata in
giro castris et spaldis et berteschis munita, et domos in ipso fieri fecit et in
publica Concione dedit fidanciam Omnibus etc.
3) Est. d'Er. 1. 33, c. 43, p. 4L1, 412 u. Ann. Jan. SS. XVIII, 194 ff.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 581
Für einen sehr summarischen Vorbericht der Exkommunikation
Friedrichs sind von dem Chronisten noch die Annalen, p. 216, 217
benutzt worden, wie einzelne stilistische Beobachtungen zeigen. Wo-
rauf er sich für die Episode aus den Concilsverhandlungen, die er zu
berichten weiss — das Auftreten des Kaiserlichen Bevollmächtigten
Peter de Vineis l) — stützt, ist nicht klar zu erkennen.
Ob der „Chronist von 1205u nun die Annalen von Genua in der
uns bekannten Gestalt oder in einem Auszug, ob er neben ihnen die
Annalen von Piacenza benutzt hat oder ob diese bereits in einer Ver-
arbeitung mit jenen ihm vorgelegen haben, oder ob endlich andere
schriftliche Aufzeichnungen auf irgend eine Weise die gemeinsame
Quelle aller gewesen sind — das sind Fragen, deren Entscheidung
dahingestellt bleiben muss. Genug, dass die Geschichtsschreibung ita-
lienischer Städte dem Historiker des Orients hat dienen müssen. Ge-
meinschaftliche Interessen in Handel und Politik hatten zwischen den
Seestädten Italiens und den Kreuzfahrerstaaten Kleinasiens, nament-
lich zwischen Genua und Cypern, eine enge Verbindung geschaffen:
sie zeigt sich auch wirksam bei der unscheinbaren geräuschlosen Arbeit
des Chronisten und unterstüzt sie durch die Früchte europäischer Ge-
schichtschreibung.
Die letzten Erörterungen zeigen, dass die Chronik ziemlich spät
geschrieben worden ist. Es liegt keinerlei Anlass vor, die Darstellung
der italienischen Kämpfe, für welche die Ereignisse des Jahres 1248
noch beigesteuert haben, für ein späteres Einschiebsel zu halten; diese
Darstellung selbst und die folgenden Theile, 1. 32, c. 42 — 62, p, 408
bis 435, wären also nach dem 18. Februar 1248 , der kaiserlichen
Niederlage vor Parma, geschrieben ä). Ja, der Chronist nimmt c. 54
noch auf den Tod Kaiser Friedrichs Bezug und auf den Einzug des
triumphirenden Papstes in die ewige Stadt (1251, April 19), nachdem
der Kaiser gestorben. Das letzte, wirklich zur Darstellung kommende
geschichtliche Ereignis ist die Kreuzesnahme Ludwigs des Heiligen
1247. Dies ist nicht zufällig und vermuthlich dadurch begründet, dass
die Annales de terre sainte, wovon noch die Kede sein wird, mit den
Jahren 1247/48 ein vorläufiges Ende erreichten 3). Die ganze Chronik
ist mit Hülfe der Annalen gearbeitet und zwar so, dass eine spätere
Interpolation einfach ausgeschlossen ist, die Arbeit an derselben ist
') 1. c. p. 424; nach allen anderen Quellen ist Thaddaeus de Suessa der
kaiserliche Gesandte und Mundwalt.
2) Schirrmacher, IV, 258.
») Vgl. Mitth. d. Inst. f. öst. Gesch. XIII, 270 f.
582 Richter.
also erst begonnen worden, nachdem die Anualen bis 1248 fertig ge-
stellt waren, vor 1248 hat der Chronist daher nicht zu schreiben an-
gefangen.
Aber er that es nach sorgfältiger Vorbereitung, die um so nöthiger
war, als er bis auf das Jahr 1205 mit seiner Berichterstattung zurück-
ging. Fleissige Erkundigung und reiches Eigenwissen haben ihm na-
mentlich für die cyprisch- syrische Geschichte Stoff zugeführt. Wo ihn
diese Quellen im Stich Hessen, hat er schriftliche zu Käthe gezogen.
Die Annales de terre sainte waren nicht nur als chronologisches Hülfs-
mittel, sondern auch wegen des zwar kurz gefassten, aber nicht selten
reichen Inhalts dankenswerth ; in ihrer Verwendung bekundet der
Chronist nicht wenig Geschick und Ueberlegung. Sein Verhalten zu
den sonstigen Quellen ist dunkel, wie diese selbst es sind. Wir müssen
uns begnügen, solche für die ägyptische und europäische, im beson-
deren italienische Geschichte, aufgedeckt zu haben; möglich, dass er
hier ein reiches Material vielartigen Ursprungs zusammengetragen und
verarbeitet hat. Wenig zuverlässig ist er in der Chronologie, die er
um so geringer achten mochte, als sie ihm in den Annalen als etwas
Bekanntes gegeben war. Und in der Behandlung europäischer Ver-
hältnisse gestattete er sich eine wenig gewissenhafte Freiheit und
Willkür. Sie gehörten für ihn, bei der Entfernung des Schauplatzes,
nicht mehr in dem Masse der Geschichte an, als die orientalischen
Zustände und Ereignisse; er betrachtete sie als Nebensache. Aber ge-
nug, dass er sie überhaupt berücksichtigte und nie anders, als es der
Plan des Werkes erlaubte.
Gerade die nicht orientalische Geschichtserzählung legt Zeugnis ab
von dem weit um- und überschauenden Blick unseres Chronisten; er
steht hier im schärfsten Gegensatz zu dem Memoirenschreiber Philipp,
für welchen es kaum etwas anderes giebt, als die kleine Welt Cyperns
und der syrischen Küste mit ihrem engen Horizont und ihren eigen-
süchtigen Interessen. Und ebenso übertrifft er diesen weit durch die
Ruhe des Urtheils und die Sachlichkeit seinem Stoff gegenüber ; er
schreibt seine Geschichte, kaum mehr beeinflusst von Parteilichkeit
und eigenen Bestrebungen, als es auch heute noch der Historiker von
gutem Willen ist 1). Dem deutscheu Kaiser steht er ohne besondere
Voreingenommenheit gegenüber; dem Feind seines Vaterlandes ist auch
') Vgl. Löher, Kaiser Friedrichs Kampf um Cypern, in Abhancll. d. bist.
Kl. der baier. Ak. d. Wiss. 142, 113, Anm. 1, 114, u. D. M. L. Chronique 504,
welche beide ein ganz unberechtigt scharfes Urtheil in entgegengesetztem Sinne
fallen.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 583
er Feind und deswegen geneigt Uebles nachzusagen, aber es fehlt jener
persönliche Hass, wie er bei Philipp hervorbricht. Wenn der Chronist
gegen Ende seines Buches c. 54, gelegentlich der Absetzung Fried-
richs, erzählt, wie ,,viel Volk sich gegen ihn wandte und zum Papste
hielt, und namentlich die ganze Geistlichkeit, welche gar grosse Macht
auf Erden hat" — klingt es nicht durch wie Mitgefühl mit dem Kaiser
und Empörung wider die „Pfaffen", denen er seit Damiette nicht wohl
will und Vorwürfe macht? l)
Wenn daher in der Darstellung cyprischer Dinge unsere beiden Ge-
währsmänner auseinandergehen, verdient der Chronist überall da unser
Vertrauen, wo Philipp, wie wir ihn kennen gelernt haben, zu Einsei-
tigkeit und Entsteilung veranlasst sein kann, und wo jener mit seinen
Nachrichten allein steht, können wir ihm unbedenklich Glauben
schenken, wenn nicht zwingende Gründe entgegenstehen.
Der Chronist schrieb sein Buch als Historiker in der Absicht auf-
zuzeichnen was geschehen war ; dass in seiner Geschichtserzählung die
cyprischen Kämpfe einen grösseren Raum einnehmen, ist in ihrer
Wichtigkeit für die orientalische Christenheit ebenso begründet, wie
die breite Darstellung des ägyptischen Kreuzzuges. Philipp schrieb
seine Memoiren, um der Sache seiner Freunde und auch seiner eigenen
zu dienen, als Theilnehmer an den wechselvollen Kämpfen um die
Herrschaft auf Cypern. Nur so, halb zufällig wurde er zum Geschicht-
schreiber, während den Chronisten Neigung und Anlage dazu trieb 2).
') Vgl. Est, d'Er. 1. 31, c. 15, p. 348.
2j Streit, p. 38, Anm. 3, glaubt in dem Chronisten den auch als Juristen
im französischen Orient bekannten Ritter Godefridus Taurus oder Tortus sehen zu
dürfen, der selbst in den Gang der Ereignisse handelnd eingriff (Est. d' Er. 1. 33
c. 40, D. M. L. Chipre, II 57, Anm. 1.) Er ist wohl zu identificiren mit einem
„toskanischen" Ritter Tor (G. d. Ch. § 113 p. 31) [so genannt vermutlich wegen
seiner Familienabstammung, da der Joffroi de Tor der Estoire in Syrien geboren
ist] und einem Toringuel genannten Ritter (G. d. Ch. § 152 p. 68, 69, § 155 p. 76.)
Diese letztere Identificirung ist wegen der Schicksale des Tor und der Rolle des
Toringuel in Philipps Reinekelied kaum von der Hand zu weisen. Nun hat Phi-
lipp den Theil der chronikalischen Erzählung, in welchem Tor als Mann von Be-
deutung und Einfluss genannt wird, wieder einmal unberücksichtigt gelassen,
Philipp dagegen wird in der Chronik überhaupt nicht genannt, während doch
Philipp und Tor in nahen persönlichen Beziehungen zu einander gestanden haben.
Wäre Tor wirklich der Verfasser der Estoire — was wir nicht glauben — , so
hätten wir ein merkwürdiges Beispiel literarischer Befehdung und in die Ge-
schichtschreibung hineingetragener Eifersucht vor uns. — Müller hätte in seiner
Darstellung des cyprischen Kampfes (cf. oben S. 575 Anm. 2) immer noch mehr
Zurückhaltung der Erzählung Philipps gegenüber beobachten dürfen.
584 K i c h t e r.
III. Die Annales de terre sainte.
Das Annalenwerk, welches beide, Chronist und Memoirenschreiber
als Hülfsrnittel für ihre historischen Arbeiten benutzt haben, soll im
folgenden besprochen werden. Wir müssen uns, aus Eücksicht auf
den zur Verfügung stehenden Raum damit begnügen, nur mehr Re-
sultate der Untersuchungen, als diese selbst in der nöthigen Ausführ-
lichkeit vorzulegen.
1. Ueberliefcrung der Annaleu in Texten und Nachschriften
und ihr allgemeiner Charakter.
In zwei Redaktionen, A und B, sind die Annales de terre sainte
bisher bekannt und von Röhricht herausgegeben 1). Von ihnen stellen
Annalen A in ihrem ganzen Umfange offenbar eine zum Theil sehr
lüderliche Verkürzung einer Vorlage dar, so dass höchstens Annalen
B den Anspruch erheben könnten, das Originalwerk zu sein. Jeden-
falls können für alle Werke, welche Anleihen bei den Annalen ge-
macht haben, nie die Annalen A wegen ihrer Aermlichkeit , sondern
höchstens die inhaltsreicheren Annalen B in Betracht kommen.
Zu diesen Schuldnern gehört, vielleicht als erster, „der Chronist
von 1205". Er behandelte das Entliehene wie etwas Eigenes sehr frei
und selbständig, so dass es nur ausnahmsweise seinen Ursprung ver-
räth. Ehrlicher verfuhr der Fortsetzer, welchen er fand und der das
34. Buch der Estoire d'Eracles, p. 436 — 481, für die Zeit von 1248
bis 1277 hinzufügte. Die Worte, mit denen er die Schlusserzählung
seines Vorgängers abbrach 2), scheinen auf seine chronologisch-anna-
listische Vorlage hinzuweisen, wie denn auch seine Darstellung im
Grossen und Ganzen ein annalistisches Gepräge trägt, bis auf die Par-
tieen aussersyrischer Geschichte. Er bringt aber, verbunden mit dem
den Annalen unzweifelhaft entnommenen Material, noch reichliche Nach-
richten annalistischer Form, die wir gerne als ursprüngliche Bestand-
teile für die Annales de terre sainte in Anspruch nähmen. Doch ver-
bietet das der Vergleich mit allen in Betracht kommenden, den An-
nalen nahe stehenden Texten. Es müssen dem Redaktor des letzten
Theiles der Estoire d' Eracles — denn mehr als ein Redaktor war sein
') Vgl. oben S. 573, Anm. 1.
2) 1. 33, c. 62, p. 435 : Nos lairons ores a parier dou fait d' Antiocke et
des Turquemans por ce que il nos covient porsivre la matiere de ce livre et
mener a ordre enei come les choses sont avenues en la terre de
Surie.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 5*^5
Urheber nicht — irgend welche Aufzeichnungen zu Gebote gestanden
haben, welche Todesfälle, Eeiseereignisse und sonstige Neuigkeiten des
Orients betrafen, und die er, zusammenhangslos und ohne Daten, wie
er sie fand, dem annalistischen Material mühelos einfügte. Hierbei
verkürzte er vielfach die Annalen und fügte wohl auch manches aus
eigener Kenntnis hinzu 1). Zu vermuthen ist, dass diese Aufzeichnungen
im Templerorden ihren Ursprung hatten, der Redaktor selbst vielleicht
in irgend welchen Beziehungen zu demselben gestanden hat2).
Nicht minder vorsichtig ist das in dem Liber secretorurn fideli-
um crucis des Marinus Sanudus enthaltene annalistische Material für
die Beurtheilung der Annalen zu verwerthen. Marinus verwendet die
Estoire und die Annalen neben einander, welch letztere doch in jener
schon so oder so gestaltet Verwendung gefunden hatten. Schreibt er
vorzugsweise die Estoire aus, so schliesst er sich doch auch nicht selten
an die Annalen enger an, nie aber hat er diese ganz ausser Acht ge-
lassen 3). Höchst geschickt verwebt er den, in seinem letzten Theil
so verschieden gearteten Text der Estoire, bestehend aus annalistischen,
eigenen und ihrem Ursprung nach dunklen Bestandteilen, mit seiner
annalistischen Vorlage. — Unter den Benutzern der Annalen ist ferner
der Autor der Gestes des Chiprois, als deren Bestandtheil uns Philipps
Memoiren erhalten sind, zu nennen 4). Er schrieb seine Chronik, wo
ihn eigene Kenntnis verliess, entschieden auf Grund der Estoire und
auch der Annalen, aber mit so freier Benutzung und Umgestaltung
des hier gebotenen Materials, dass er für die Erkennung der Annalen
kaum etwas übrig gelassen hat. Seine Arbeit bildete die leitende
Hauptquelle für den späten italienischen Chronisten Amadi, der da-
neben die Estoire, Marinus Sanudus und vielleicht unsere Annalen als
Hilfsmittel benutzte. Dieses Zusammenfliessen verschiedenster Bestand-
teile macht sein Buch für uns ebenso untauglich wie die Gestes des
Chiprois.
') Das Zusammenfliessen verschiedenartigen Materials ist besonders deutlich
zu erkennen bei einem Vergleich der Berichterstattung für die Jahre 1273, 1274,
1275 (Est. d'Er. 1. 34, c. 17, 20).
2) Vgl. die auffallend sorgfältige Datierung der zweiten Notiz für 1273,
während sonst nur die wenigen annalistischen Angaben der Vorlage gemäss da-
diert sind; vgl. ferner die Bearbeitung in 1. 34, c. 3, p. 445 gegenüber dem
Annalenbericht für 1260. — D. M. L. Chronique, 557, spricht von Beziehungen
zum Johanniterorden, ohne eine Begründung anzugeben.
3) lieber die Grundlage des Marinus bis 1231 vgl. Simonsteld, Studien zu
Marinus Sanudus den Aeltern, N. A. VII, 45 ff. 62, Anm.
4) Vgl. den Anhang.
586
Richter.
Aus den Eedaktioueu und den Texten, in welche die französischen
Ännalen hinübergegangen sind, lässt sich ihr allgemeiner Charakter
bestimmen. Sie beginnen mit dem Jahre 1095, sind anfangs sehr
kurz und verzeichnen oft nur ein Faktum für ein Jahr, werden mit
dem ausgehenden 12. Jahrhundert etwas reichhaltiger, ohne doch je
über das Aneinanderreihen von Notizen hinauszukommen, zeigen für
die 40er Jahre des 13. Jahrhunderts mitunter grössere Ausführlich-
keit, bis sie vom Jahre 1249 ab ein umfangreiches und werthvolles
Material überliefern, auch jetzt noch in kurzer und präciser Form,
weit entfernt von behaglicher Erzählung. Der erste Kreuzzug Lud-
wigs des Heiligen, und zwar von seiner Fahrt nach Aegypten an, be-
zeichnet diesen Wechsel der annalistischen Berichterstattung, der zu-
gleich auch mit dem Abschluss der Chronik von 1205 in der Estoire
d'Eracles zusammenfällt. Es werden die Annalen mit den Jahren
1247 — 1248 ein vorläufiges Ende erreicht und in dieser Gestalt zu-
nächst Verbreitung gefunden haben. Die ausführliche Berichterstat-
tung von 1249 an — für die Zeit von Ludwigs Kreuzzug vielleicht
auf Grund eines Itinerars geschrieben, später wenn nicht gleichzeitigen
so doch zeitgenössischen Ursprungs — nimmt ein plötzliches Ende
mit den Jahren 1273—1275, für welche eine bezw. drei und zwei
Notizen erscheinen. Danach haben die beiden uns erhaltenen Kedak-
tionen nichts mehr miteinander zu thun. In B folgt, nach einer Lücke
bis 1281, eine sonst nicht nachzuweisende annalistische Berichterstat-
tung bis 1290 ; in A schliessen sich auch sonst zu belegende Jahres-
berichte bis 1291 an, welche durchaus den dieser Kedaktion eigenen
Charakter unordentlicher und unzuverlässiger Bearbeitung tragen. Da-
nach ist klar, dass mit dem Jahre 1275 die Annalen abermals einen
Abschluss erfuhren, um später verschiedenartige Fortsetzungen zu
finden. Wir haben sie also in drei Theile zu scheiden, den ersten bis
1248, den zweiten bis 1275, den dritten bis 1291, und diese geson-
dert zu betrachten.
2. Die nicht überlieferten Annalenwerke.
Die Annalen von 1095—1248. Schon die Form mancher in dem
Gestentext der Memoiren überlieferten Nachrichten und ihre Verbin-
dung mit annalistischen Notizen lässt die Annahme zu, die Nach-
richten dem benutzten Annalenwerke zuzuschreiben *). Dass Philipp,
i) Vgl. mit A. d. t. s. ad 1226 G. d. Ch. § 118 u. § 119, wo auf die erste,
in den Annalen belegte Notiz noch fernere Notizen folgen, die auf die annali-
stische Vorlage zurückzugehen scheinen ; vgl. besonders die hier gegebene Nach-
Beiträge zur Historiographie iu den Kreuzfahrerstaaten. 587
oder seinem Interpolator l) in der That weder Redaktion A noch B
vorgelegen hat, beweist aber schlagend die Thatsache, dass in dem
Gestentext irrthümlicherweise zwei Mal dieselbe, von der Redaktion A
überhaupt nicht gebrachte, annalistische Nachricht erscheint, beide
Male nahezu gleichlautend, aber doch mit bemerkenswerthen Ab-
weichungen von der in Redaktion B überlieferten Form 2). Der Inter-
polator muss also in seiner Vorlage einen ähnlichen Wortlaut gefun-
den haben, wie er ihn beide Male anwandte; denn es ist ausge-
schlossen, dass er, um das zweite Mal sich selbst abzuschreiben, viele
Seiten in seinem Manuscript zurückgeblättert habe.
Man vergleiche ferner Marinus Sanudus lib. III, c. 9,10, p. 209 f.3)
mit Redaktion B ad 1219 und ad 1222 auf der einen 4), die Estoire
1. 33, c. 15, p. 347 mit Redaktion A ad 1219 und ad 1222 auf der
anderen Seite, und alle vier Quellen unter einander; so ergiebt sich,
dass Sanudus und B, ebenso Estoire und A sich nahe stehen. Den
engeren Zusammenhang der letzteren beiden lässt in diesem Falle
mehr die gemeinschaftliche Anordnung des Stoffes und die Art der
Berichterstattung vermuthen, in einem anderen Falle 5) die unverkenn-
bare sachliche Uebereinstimmung.
Wir erkennen also für diesen ersten bis 1248 reichenden Theil
zwei Annaleugruppen. Der einen gehören die Annalen A und der
rieht vom Tode des französischen Königs Ludwig mit der entsprechenden Nach-
richt über den Vater Philipp, A. d. t. s. ad 1223 und G. d. Ch. § 108.
') Vgl. den Anhang.
2) Vgl. M. d. I. f. ö. G. XIII p. 288 f. G. d. Ch. § 157, p. 77 ad 1229 : ... Et
le patriarche d'Antioche vint en Acre legat de la court de Rorne et apres ly fu
tolue la legation au patriarche par V emperere Federic, qui Tavoit acuse au pape,
dont il ala ä Rome, et ot ariere la legation en son patriarche perpetuaument,
u. G. d. Ch. § 204 p. 112 ad 1232: Et le patriarche Gerolt de Jerusalem fu acu-
ses ä Rome par 1' emperere Federic, et ly fu tolue la legation, dont il ala etc. ;
dagegen A. d. t, s. ad 1232: Et le patriarche Girot ala ä Rome, pour ce que
l'empereur Fedrik si 1' avoit acuse au pape, siqu'il perdi la legassion, et quant
il fu venus devant le pape, il li donna la legassion en son patriarche ä tous tens.
Die Gesten-Lesart an erster Stelle dürfte den älteren Wortlaut bieten, weil sie
in den Worten ... 1' avoit acuse au pape . . . mit Redaktion B übereinstimmt.
3) Bei Bongars, Gesta dei per Francos, Bd. II. Hanoviae, 1611.
4) Ann. B ad 1219: par l'atrait de Guillaume Forabel hat seine Parallel-
stelle bei Mar. San. c. 9, p. 209, und Ann. B. ad 1222: et ot tout le royaume
d' Ermenie bei Mar. San. c. 10, p. 210 — im Gegensatz zu Estoire u. Ann. A.
5) Ann. A. ad 1239: et fu pris le conte de Monfort et le conte de Bar
y fu mors etc. u. Est. d' Er. 1, 33, c. 45, p. 415. La fu pris Amauri li cuens de
Monfort et i fus ocis li cuens de Bar le Duc etc., gegenüber Ann. B: et furent
ocis le conte de Monfort et le conte de Bar etc.
588 Richter.
Text der Estoire an und so zwar, dass beide auf ein gemeinschaft-
liches, bereits abgeleitetes Annalenwerk zurückgehen ; dies sei Gruppe A.
Der zweiten, der Gruppe B, ist der Text der Gesten und des Marinus Sanudus
nebst Annalen B zuzuweisen; von ihnen ist der erste sicher nebenRe-
daktion B auf ein gemeinsames (vielleicht das ursprüngliche) Annalen-
werk, Marinus Sanudus möglicherweise auf Annalen B zurückzuführen.
Die Annalen von 1248 — 1275. Am deutlichsten zeigt sich das
Verhältnis der Texte in der Berichterstattung für das Jahr 1271 1).
In der Estoire werden zwei Kriegszüge der Kreuzfahrer erzählt, der
eiue gegen St. George 2), der andere gegen Burg Kakoun, jener mit
Verlusten für die Engländer auf dem anstrengenden Marsche verbun-
den, dieser von dem schönsten Erfolge begleitet. In Widerspruch da-
mit stehen die Annalenredaktionen, während ihr Zusammenhang mit
der Chronik doch unverkennbar ist. Sie vermischen offenbar die bei-
den verschiedenen Nachrichten und geben eine nicht blos unklare,
sondern völlig falsche Vorstellung von den Ereignissen. Das beweisen
andere, von unseren Quellen ganz unabhängige Berichte, und nament-
lich eine vertrauenswürdige englische Chronik giebt, im schroffsten
Widerspruche mit den Annalen, der Estoire Hecht 3). Bei ihr ist da-
her die richtige, also auch ursprünglichere Berichterstattung der An-
nalen zu suchen, während der Text der beiden Kedaktionen verderbt
ist. Also auch für diesen Theil bis 1275 stellen die Annalen B —
was für Annalen A von vornherein feststand — ebenso wenig das Ori-
ginal dar, wie für den ersten Theil. Die Entstellung des richtigen
Textes kann indessen von den beiden Redaktoren selbständig besorgt
sein, sie müssen nicht nothwendig eine Vorlage mit bereits verderbtem
Text benutzt haben. Die Aehnlichkeit der fraglichen Nachrichten er-
leichterte ihre Verwechslung und Verwirrung ungemein, zumal durch
einen schnell arbeitenden Redaktor oder Abschreiber von Annalen.
Der Redaktor von B aber ist bei seiner Ueberarbeitung von einem
Gesichtspunkt geleitet, dessen Befolgung auf der anderen Seite wohl
eine grobe Flüchtigkeit verschulden mochte. Er ist bemüht die ein-
zelnen Jahresangaben genau zu datieren und sie danach mit fast pein-
licher Gewissenhaftigkeit chronologisch zu ordnen. Namentlich lehr-
reich in dieser Beziehung ist ein Vergleich der Berichterstattung in
B mit den anderen Quellen für die Jahre 1266 und 1271. Ein Blick
') Est, d' Er. 1. 34, c. 14, p. 461 ; Ann. A. p. 454 j Ann. B. p. 455.
2) Nach Clermont-Ganneau, in Rec. cT archeol. Orient. Paris 1888, p. 273,
identisch mit dem zwischen Accon und Safed gelegenen St. George-de-Labaene.
3) Röhricht, La croisade du prince Edouard d' Angleterre im Arch. de l'Or.
lat. I. p. 623.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuztahrerstaaten. 589
auf den ersten Tlieil des Jahresberichtes von 1271 hei Marimis Sa-
nudus !) lässt erkennen, dass er inhaltlich den Annalen B, in der
Folge der Begebenheiten der Chronik nahe steht. Marinus hat also
nicht die Redaktion B, sondern Annalen von älterer Gestalt verwandt.
Blieb für den ersten Theil bis 1248 die Möglichkeit bestehen, dass
ihm die Redaktion B selbst vorgelegen habe, so halten wir uns nun-
mehr zu der Annahme berechtigt, dass er für seine ganze Arbeit ein
Annalenwerk benutzte, aus dem direkt oder mit irgend welchen Zwi-
schengliedern, auch Redaktion B geflossen ist.
Dass bei dem vorhin, p. 588, hervorgehobenen Widerspruch der Re-
daktion A mit der Estoire eine Art Einklang mit der Redaktion B
besteht, halten wir für einen, gerade in diesem Falle leicht möglichen
und erklärlichen Zufall. Denn auch für den Theil der Annalen bis
1275 ist ein engerer Zusammenhang zwischen der Estoire und den
Annalen A festzuhalten. Die Noth wendigkeit wird evident bei einem
Vergleich der verschiedenen Berichte für 1250 2). Hier legt Marinus
Sanudus, indem er mit Annalen B übereinstimmt, Zeuguis dafür ab,
dass ihre gemeinsame Vorlage sich merklich von dem Annalenwerk
unterschied, aus welchem die Texte der Estoire und der Redaktion A
entstanden — ein Zeugnis, das bei allen anderen Uebereinstimmungen
der letzteren beiden fehlt.
Obgleich der neue Chronist der Estoire, der mit dem Jahre 1248
seine Arbeit begann, sehr wohl ein anderes Annalenwerk benutzt haben
kann, so ist es doch nicht der Fall gewesen. Es ist nun daran zu erin-
nern, dass von den in Rede stehenden erzählenden Geschichtswerken
der bis 1248 reichende Theil der Estoire das älteste ist. Er ist nach
1248, jedenfalls vor der endgültigen Abfassung von Philipps Memoi-
ren, die vielleicht erst nach 1258 zu setzen ist 3), entstanden. Sind
unsere Aufstellungen richtig, so muss dem Chronisten schon bald nach
der Fertigstellung der Annalen bis 1248 ein Exemplar derselben in
irgend welcher Gestalt zugänglich gewesen sein ; dies oder ein ganz
entsprechendes Exemplar ist dann, sei es original, sei es mit Ueber-
arbeitung einer Vorlage, bis 1275 weitergeführt worden, so dass dem
i) Lib. III, pars XII, c. 11 p. 224.
-) Ann. B ad 1250, die zugleich, den Text des Marinus Sanudus 1. c. cap. 2,
p. 218 vertreten: ä VIII jors de fevrier, vint uns Bedoyns au roy de France, et
li enseigna ä passer le flun de Tenis pour aler ä la Massole. Dagegen Est. d'EJr.
1. 34, c. 1. p. 437: A. MCCL a VIII jors de fevrier passa le roi le flun de
Thenis a tot son ost, und Ann. A. En Tan MCC et L VIII jours en fevrier,
passa li roi Loeys le riviere de Tenis pour aler h le Messore.
3) Vgl. M. I. O.G. XIII p. 267.
590
Richter.
Fortsetzer der Chronik, als er nach 1275 seine Thätigkeit begann,
wiederum das Annalenwerk zur Verfügung stand. Diese Annalen (und
die Texte ihrer Benutzer) gehören mit Redaktion A für die ganze Zeit
bis 1275 zur Gruppe A. Die Quelle oder Quellen des Marinus und
der Kedaktion B ebenso zur Gruppe B. —
Für den letzten bis 1291 reichenden Theil der Annalen bildet
die Redaktion B ein Besonderes für sich. Sie erhielt für die Zeit von
1280 an eine selbständige Fortsetzung, die in kein Geschichtswerk
sonst übergegangen ist. Bis 1286 ausschliesslich wird französisch-
sicilisch-spanische Geschichte behandelt, man möchte die Entstehung
dieser Berichte im Abendlande vermuthen; von 1287 an bis 1290
tritt wieder syrische Geschichte in ihr Recht.
Die in der Regel ausführliche Erzählung in der Estoire d'Eracles
nimmt bald nach 1275 mit dem Jahre 1277 ein Ende *), beruht je-
doch unverkennbar auf dem in Annalen A vorliegenden Grundstocke.
Der Kompilator dieses Theiles, sei es der schon bisher thätige oder
ein anderer, wird dieselben Hülfsmittel wie für den Theil bis 1275
benutzt haben, also ein Annalenwerk der Gruppe A. Die Redaktion A
selbst bietet auch für den Schlusstheil bis 1291 einen verstümmelten
und unbrauchbaren Text. Dies wird unzweifelhaft klar bei einer Ver-
gleichung mit dem Text des Marinus Sanudus, z. B. für das Jahr
1280 2). Der bleibt, so lange die Estoire mit ihrem mannigfaltigen
Material benutzt werden konnte, von gleicher Ausführlichkeit wie bis-
her, von 1278 an aber wird er viel kürzer, zum Theil von auffallen-
der Dürftigkeit; es haben offenbar nur die Annalen ihr im Vergleich
zur Estoire geringes Material geboten. Befand sich die Fortsetzung
bis 1291 nur in den zur Gruppe A gehörigen Annalen — was nicht
unmöglich erscheint — , so müsste Marinus für diesen Theil seiner Er-
zählung ein Exemplar dieser Klasse sich beschafft haben.
Wie zahlreich die Annalenredaktionen oder -Handschriften, und
wie verschiedenartig in Einzelheiten ihre Ueberlieferung war, ist nicht
zu sagen; die Benutzung durch den „Chronisten von 1205" ermög-
licht indessen ein Urtheil über ihre frühzeitige Verbreitung und Be-
1) Nur eine einzige Hs. überliefert den Text bis 1277, vgl. Recueil, II, p.
XXI, 473 ; die zwei übrigen Hss, deren eine aus dem XV. Jabrbundert stammt
(vgl. Rec. II p. XXI), hören mit dem Jahre 1275 auf, doch rein zufällig, mitten
in der Erzählung; ein Schluss auf die Art der annalistischen Vorlage ist daher
unzulässig.
2) Mar. San. 1. III, c. 18, p. 228 und Ann. A. ad 1280: hier macht der
Text des Mar. San. bez. seiner Annalen-Vorlage den Bericht der Redaktion A
überhaupt erst verständlich.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 59 1
arbeitung. Es verbieten sich auch sichere Aufstellungen über die Ver-
wandtschaftsgrade der verschiedenen Texte. Es mag genügen, die
Wirkung und Verbreitung der orientalischen Annalisten im allge-
meinen aufgedeckt und gezeigt zu haben, dass die beiden überlieferten
Annalenredaktionen nur einen kleinen ßestandtheil der gesammten
annalistischen Literatur ausmachen. Und sie gewinnt einen weiteren
Umfang, wenn wir sie zu ihren ersten Anfängen rückwärts verfolgen.
Denn die ersten französischen Annalen gehen in ihrem älteren
Bestände, etwa für den Zeitraum eines Jahrhunderts von 1095 an, auf
ältere lateinische Annalen zurück. Diese sind mehrfach gedruckt, zu-
letzt von Köhricht in seiner Ausgabe der Annales de terre sainte, unter
deren Text, nach zwei Pariser Hss. Ein älterer Druck x) bietet in den
Pariser Hss. fehlende Notizen für die Jahre 1098, 1099, 1105, ent-
spricht jedoch im übrigen bis auf geringe Abweichungen dem jüngsten
Druck. Die Jahresberichte finden sich von 1098 bez. 1101 bis 1202, aber
nur in einer Zahl von 23 bez. 20. Die französischen Annalen dagegen
beginnen mit 1095 und für die Zeit von 1098 bis 1202 verzeichnen
sie 50 Jahresberichte, von ihnen drei für die Zeit von 1126 bis 1147,
für welche in den lateinischen Annalen keine Notizen überliefert sind.
Auch inhaltlich sind in 13 Fällen die französischen Jahresberichte
mehr oder weniger den lateinischen überlegen. Freilich ist diese Weiter-
bildung durch die französischen Annalen — denn eine Kückbildung der
lateinischen glauben wir nicht annehmen zu dürfen — nicht immer zu-
verlässig. Hat doch ein Mal der französische Kedaktor aus einer Nie-
derlage einen Sieg der christlichen Waffen gemacht 2). Dass der Jahres-
berichte in den lateinischen Annalen von vorneherein so wenige waren
ist wenig wahrscheinlich ; es dürften eher blosse Ueberbleibsel sein,
die durch irgend welche Zufälle der Ueberlieferung erhalten sind.
Rückblick.
Die Geschichtsliteratur, wie wir sie kennen gelernt haben, ist nicht
umfangreich nach der Zahl der ihr angehörigeu Originalwerke, aber
') Giovene, Kalendaria vetera Mss. Napoli 1828, p. 9, 10. Der Codex soll
aus dem Ende des XIII. oder Anfang des XIV. Jahrh. stammen, aber Abschrift
eines älteren Cod. sein. Er enthält u. a. eine Liturgie, wie sie in Jerusalem im
XII. Jahrh. Brauch gewesen wäre. — Die Bemerkungen über den Cod. p. 2 ff.
sind indes unzuverlässig.
2) Kai. vet. p. 9 (in ziemlicher Uebereinstimmung mit den Pariser Hss.) :
Anno MCXIII factum est bellum apud Tiberiadem, in quo non bene evenit no-
bis ; Ann. de terre s. B. : A mil et c et XIII ans fu faite la quarte bataille que
le roi B(audouin) desconfist les Sarrasins ä Tabarie. Vgl. Wilken, Kreuzzüge II
374, Kugler, Albert von Aachen, Stnttg. 1885, p. 391 f.
592
Richter.
so mannigfaltig wie nur möglich. Sie umfasst ein Annalenwerk, eine
Chronik — wir denken im besonderen an die „Chronik von 1205" —
und ein Memoirenwerk: die drei Hauptypen der Geschichtschreib ung
früherer Zeiten, der schriftlichen Primärquellen überhaupt, sofern es
keine Urkunden sind. Die Annalen haben zum Entstehen der Chronik,
diese zur Vollendung der Memoiren beigetragen. Alle drei wollen nur
Geschichte des heiligen Landes, der Geburt- oder doch Heimstätte ihrer
Verfasser, überliefern; Philipp aus Novara hat dabei die Hauptabsicht
selbst Erlebtes und Gebändeltes zu berichten.
Die Annalen umspannen die ganze Geschichte des heil. Landes,
sie unterscheiden sich in nichts von der gewöhnlichen Form schlich-
tester annalistischer Erzählung des rein Thatsächlichen ; ihre Verfasser
kennen wir weder, noch vermögen wir sie zu beurtheilen. In der
Chronik und den Memoiren tritt uns die Persönlichkeit der Verfasser
entgegen, nicht sehr deutlich die des Chronisten, in vollkommenster
Schärfe aber die des Memoirenschreibers. Personen und ihre Hand-
lungen, die politischen Verwickelungen und die Leidenschaften der
»Menschen erscheinen in ihrer Verflechtuug. In der Chronik tritt das
unpersönliche Element mehr hervor, wir hören vielfach nur von Ge-
schehnissen, deren Wurzel unsichtbar bleibt. Der Verfasser durchmisst
einen weiten Zeitraum und berücksichtigt mannigfaltige Verhältnisse
in seiner Erzählung. So dringt er nicht tief in das Wesen der Dinge
ein und hätte es wohl auch nicht häufig vermocht. In den Memoiren
wird ein weniger umfangreicher Zeitraum und der Stoff nach be-
stimmter Auswahl behandelt. Deswegen und weil der Verfasser mit
diesem Stoff vollständig vertraut ist, vermag er ihn ganz zu durch-
dringen. Aber die Persönlichkeiten sind für ihn Alles, völlig lässt er
sich von Gunst und Abneigung leiten, giebt sich ganz der Detailer-
zählung hiu, und verliert so die allgemeineren politischen Verhältnisse
aus dem Auge, schliesslich wird er zum offenkundigen Geschichts-
fälscher.
Unter den Persönlichkeiten, mit denen es diese Geschichtschrei-
bung zu thun hat, ist keine wichtiger als Friedrich II. Er steht für
grosse Theile der Chronik im Mittelpunkt der Erzählung, die Verhält-
nisse beherrschend ; seine Bedeutung für die Geschichte des heiligen
Landes wird sehr bemerkt, seine ganze Grösse vielleicht schon dunkel
geahnt ; bis an seinen Tod folgt ihm das Interesse des Schreibers. Für
Philipps Memoiren ist des Kaisers Leben und Wirken allein bestim-
mend; der durch sein Eingreifen in die orientalischen Verhältnisse
hervorgerufene Kampf der Personen und Interessen ist Gegenstand und
Anlass der Erzählung und erhält in ihr eiue eigenartige Beleuchtung.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 593
Wurde der Memoirenschreiber nur, weil er Genosse dieses Kampfes
war, zum Historiker, so mag auch der Chronist durch das Interesse
an den wechselvollen miterlebten Schicksalen die erste Anregung zur
Geschichtschreibung erhalten haben; auch ist es nicht zufällig, dass
Johann von Ibelin, Herr von Jaffa, ein thätiger Vorkämpfer der anti-
kaiserlichen Partei als Neffe des alten Herrn von Beirut, der Ver-
fasser der Assisen wurde und in ihnen eine Fülle von Erinnerungen
an jene Zeit widerstreitender Rechtsanschauungen, zusammenprallender
Principien und daraus erwachsener Ansprüche niederlegte. Aus dem
unmittelbaren Einwirken des deutschen Kaisers ist es zu erklären,
wenn wir wenige Jahrzehnte vor dem gänzlichen Untergang der Fran-
kenstaaten auf syrischem Boden, nur noch aus Trümmern aufspriessend
eine Literatur entstehen sehen, die zwar nicht umfangreich, aber
achtbar und werthvoll in vielen Beziehungen ist.
Anhang.
Die Memoiren Philipps und die spätere (xesehichtsclireifouns.
Die Memoiren des Philipp de Nevaire (aus Novara) sind schon
früh gekannt und beachtet worden ; sie haben eine ganze Geschichte.
Ihre ursprüngliche Gestalt kennen wir nicht. Im Anfang des
14. Jahrhunderts unternahm es ein Anonymus, in dem man nicht
ohne Grund einen gewissen Gerard de Monreal vermuthet J), eine Ge-
schichte des christlichen Orients mit besonderer Berücksichtigung Cy-
perns zu schreiben. Die Memoiren mussten dazu helfen. Sie erhielten
eine Art Einleitung in einem annalistischen Geschichtsabriss von den
Zeiten Adams, deren Schlusstheile schon den Anfang der Memoiren-
Erzählung vorwegnehmen — ausführlicher und mit einer Nuance ins
Objektive — und erhielten eine Fortsetzung vom Jahre 1242 an, mit
dem ihre Erzählung abgeschlossen hatte. Diese Fortsetzung, die eigent-
liche neue Chronik, umspannt die Zeit bis 1309, ist aber unvollendet
überliefert. Der Chronist wird die Memoiren mit geringen und dann
wohl meist zufälligen Veränderungen abgeschrieben haben. Nicht so
ein gewisser Johan le Miege, der im Jahre 1343 2) die ganze Chronik
— von dem Herausgeber Gestes des Chiprois genannt — abschrieb
und dabei die in ihr enthaltenen Memoiren durch die äusserlichste
') G. d. Ch. Preface, p. XXI.
2) G. d. Ch. § 235, 236, p. 138 und § 702, p. 334.
Mittheilungeu XV. gg
594 Richter.
und unverständigste Bearbeitung entstellte. Theile der Annalen J),
grosse Stücke oder einzelne Sätze und Satztheile aus der Estoire d'E-
racles interpolierte er; hierbei und bei anderen Gelegenheiten ging von
dem ursprünglichen Text manches verloren. Nur in dieser Gestalt
sind die Memoiren im Gestentext erhalten.
Dass dieser Abschreiber und nicht der Chronist der Gesten Phi-
lipps Buch überarbeitet, oder dass es gar von Haus aus die heutige
Gestalt nicht gehabt habe, beweist der Text des Italieners Amadi. Er,
der 1566 in unbekannten Verhältnissen gestorben ist, hat eine bis
1441 reichende Geschichte Cyperns geschrieben 2), für welche er, so-
weit es möglich war, die Gestes des Chiprois, gelegentlich auch die
Estoire d' Eracles verwandte. In seinem Gestentext aber lag ihm eine
unverderbte Fassung der Memoiren vor, sein Buch muss zu ihrer
Herstellung dienen 3). Die Annalen sind schon von Philipp benutzt
worden 4) , aber die rohe Interpolation in dem ersten Theil der Me-
moiren — mit welcher grösstentheils die annalistischen Nachrichten aus
dem einleitenden Theile des Gestentextes wiederholt wurden — ist das
Werk des banausischen Abschreibers 5). Desgleichen ist die Estoire
unzweifelhaft schon von Philipp benutzt worden, der schon bestehende
Zusammenhang aber von dem Abschreiber durch die roheste Interpo-
lation äusserlich und auffällig genug hervorgehoben G). Wo solche Ent-
i) Mittheil. d. Inst, f. österr. Geschtsf. XIII, 286 ff.
2) Chroniques d' Amadi et de Strambaldi, publ. p. M. Rene de Mas Latrie.
Premiere partie, Chronique d' Amadi. (Coli, de doc. inedits sur V hist. de France.
Premiere serie. Hist. polit.) Paris ] 891.— Vgl. Avertissement I, Anm. über Amadi's
Lebensverhältnisse.
3) Leider hat der Herausgeber des Amadi es nicht für seine Pflicht ge-
halten, das Verhältnis seines Textes zu dem der Gesten des genaueren festzu-
stellen, und sich im Grossen und Ganzen begnügt, die eine Hs. abzudrucken.
Einiges führt er zum Beweise an, dass Amadi — was nur zu erkennen, nicht zu
beweisen ist — nicht den Gestentext benutzt habe, wobei er einmal das Gegen-
theil von dem behauptet, was thatsächlich der Fall ist; vgl. zu p. V u. p. 174
Anm. 3, G. d. Ch. § 199, p. 108. — Für einige Hauptpunkte mag in aller Kürze
an dieser Stelle die Aufgabe des Herausgebers nachgeholt und zugleich verbes-
sernd nachgetragen werden, was in meinen früheren Aufstellungen mangelhaft
blieb. Es stand mir damals — durch die Güte R. Röhrichts — nur ein Theil
der Amadischen Chronik handschriftlich zur Verfügung. Die Annahme, dass
Philipp selbst die Annalen interpoliert habe (MIÜG. VIII, 286) und die andere,
dass Amadi neben dem Gestentext auch die Memoiren benutzte (ib. 295) ist gänz-
lich aufzugeben.
4) Vgl. zum Beweise besonders MIÖG. XIII p. 290 f.
5) Vgl. 1. c. p. 283 ff.
ß) Vgl. 1. c. p. 292 ff.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 595
Stellungen gemäss den früheren Ausführungen im Gestentext vorliegen,
hat Amadi die Memoiren Philipps zu vertreten 1). Auch sonst haben
diese naturgemäss gelitten; wo es deutlicher der Fall zu sein scheint;
sei hier unten notiert 2). Ebenso ist selbverständlich , dass auch
Amadi bei seiner Uebersetzung vielfach gekürzt hat; er kann nicht
den vollständigen Text der Philipp'schen Memoiren darstellen, sondern
nur die Wege weisen, ihn zu rekonstruiren.
Schon vor Amadi hat Marinus Sanudus die Memoiren Philipps in
seinem Liber secretorum fidelium crucis verwertet — wie er auch die
Estoire d' Eracles und die Annales de terre sainte benutzte — , als Schrift-
steller, nicht als Abschreiber oder Uebersetzer. Es ist möglich, dass
sie ihm schon als Bestandtheil der Gesten vorgelegen haben3); jeden-
falls erzählte er die Ueberfahrt des Kaisers nach Cypern und seinen
dortigen Aufenthalt nach Philipp. In c. 11, p. 211 ff. sind die §§ 126
bis 132, p. 38 — 46 der Gesten (Memoiren) theils in mehr oder weniger treuer
Uebersetzung, theils im kurzen Auszug enthalten. Mit den Schluss-
worten, die den cy prischen Dingen vor des Kaisers Abfahrt gewidmet
sind, kehrt er wieder zur Estoire zurück4), um ihr fortan, auch für
die cyprische Geschichte, ausschliesslich zu folgen. Philipps Erzählung
von der Behandlung der Geiseln durch Kaiser Friedrich überging er
mit Stillschweigen. Dass die verschiedenartigen Berichte seiner beiden
') Vgl. 1. c. 292—301.
2) Amadi, p. 147 im Vergleich zu G. d. Ch. § 158 p. 77 für die Ueherfahrt
Philangers; Am. p. 150 — G. d. Ch. § 160, p. 80 für die Rede des Herrn von
Beirut; Am. p. 161 — G. d. Ch. § 175, p. 92 für die Nachricht vom vorgeblichen
Tod des jungen lbelin; Am. p. 165 — G. d. Ch. § 184, p. 97 für die Nachricht
vom Kundschafterschiff und das Auftreten des Herrn von Beirut (während Am.
p. 165 — G. d. Ch. § 182, p. 96 die etwas ungeordnete Erzählung Philipps klarer
scheint wiedergehen zu wollen); Am. p. 166 — G. d. Ch. § 185, p. 98; Am. p. 193
- G. d. Ch. § 227, p. 131.
3) Vgl. G. d. Ch. p. XXIII. Der Zusammenhang zwischen Gesten und Ma-
rinus erscheint doch nicht zweifellos klar, sie können beide auf gleiche Quellen
oder auch die Gesten auf Marinus zurückgehen; vgl. dazu Simonsfeld im N. A.
VII p. 50: gehört vielleicht die fragliche Partie Mar. San. 1. III, pars XIII, c. 3 ff.
zu den Neuerungen der dritten, 1321 entstandenen Redaktion? nach 1309, viel-
leicht erheblich später sind die Gesten erst entstanden.
*) Est. d'Er. 1. 33, p. 369. — Vgl. Mar. San. 1. III, pars XI, c. 11, p. 211:
in partibus Romaniae (entsprechend Amadi und Bustron : sina alla Romania) ge-
genüber G. d. Ch. § 126, p. 38: jusques ä parties de maryne. — An gleicher
Stelle die Worte : uxoris enim suae iam defunctae avunculus fuerat beweisen,
dass Mar. die Memoiren ihrem grösseren, wenn nicht dem ganzen Umfange nach
gekannt hat, da sie vermuthlich auf G. d. Ch. § 110, p. 30 zurück gehen.
38*
596 Richter.
Vorlagen l) ihm Schweigen als das rathsaruste Auskunftsinittel er-
scheinen Hessen, ist immerhin der Erwähnung werth als ein Beweis
für sein besonnenes und ruhiges Urtheil. Er versagt dem Kaiser nicht
seine, wenn auch noch so zurückhaltend geäusserte Anerkennung 2) ;
er steht auf dem Standpunkt der päpstlichen Weltanschauung 3) und
hat sein Buch der Kurie gewidmet, ist aber doch bemüht gerecht zu
sein.
Die Benutzer des liber secretorum kommen, da er ihre einzige
Quelle ist, für uns nicht weiter in Betracht4).
Wichtig wurde das 16. Jahrhundert, in dem der mittelalterliche
Kampf zwischen Christenthum und Heidenthum, zwischen Orient und
Occident neu entflammte, für die cyprische Geschichtschreibung.
Amadis Chronik musste schon genannt und erörtert werden. Sein Zeit-
genosse und Sprachverwandter Florio Bustron schrieb ein anderes
Buch 5).
Er entstammte einer vornehmen Familie Cyperns; ein Sohn der
Renaissance sieht er in Philipp aus Novara den Idealmenschen seiner
Zeit, den uomo universale ; er ist stolz auf die Wissenschaft und fühlt
sich nicht wenig als Historiker. Unter den vielen Geschichtschreibern,
mit deren Namenkenntniss er prunkt, nennt er wohl die Gesti di Ci-
prioti in francese scritti da Filippo de Navarra (wie er auch Philipps
Buch, die materia delle nostre leggi municipali kennt), benutzt aber
hat er durchweg die Chronik des Amadi, welche er nicht nennt, und
daneben die Estoire d' Eracles, welche er eben so wenig nennt. Bald
!) Vgl. MIÖG. XIII. 275 ff.
2) Mar. San. c. 13. p. 214: tum multam affectionem ostendit ad Terrae sanctae
reniedium.
s) 1. c. c. 12 p. 212 : recte eniin ipsius contemnitur imperiuin qui superioris
sui noluit observare mandatum. Löher in Abh. der hist. Klasse d. k. bair. Akad.
XIV, 2, p. 113 fällt ein sehr scharfes Urtheil im entgegengesetzten Sinne.
4) Jordanus bei Muratori, Aut. Ital. t. IV. Excerpta ex Chronico Jordani,
p. 993 f. giebt für die cyprischen Dinge nur einen ganz kurzen Auszug, und
nicht anders das chronologische Werk De passagiis in terram sanctam, excerpta
ex Chronologia magna etc., ed. G. Mart. Thomas. Venedig 1879. Für diese Arbeit
ist Marinus Quelle, nicht umgekehrt; vgl. Est. d' Er. 1. 32, c. 20, p. 358: der
Kaiser fordert que il li deust saisir dou roiaume de Jerusalem et de toz les drois
de sa ferne, u. Mar. San. III, c. 10, p. 211 : ut regnum sibi cunctaque reginae
iura resignet; dagegen De pass. p. 13: ut cuncta sua regalia iura resignet. —
Vgl. Streit p. 36, Anm. 6; die hier gerügte Nachlässigkeit des Jordanus findet
sich auch in De pass.
6) De Mas Latrie : Chronique de 1' lle de Chipre par Florio Bustron, in Me-
langes historiques t. V. Paris 1886.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 597
vereinigt er sie beide durch Kombination, bald verschweigt er die eine
Tradition oder auch beide. Er mag immerhin auch einmal Philipps
Memoiren oder vielmehr den Gestentext zu Eathe gezogen haben,
Amadi ist aber durchaus die leitende Quelle. Sie gestaltet er um in-
folge seiner aus der Estoire geschöpften weiteren Kenntnis, aber auch
aus eigener Machtvollkommenheit. Ein treffliches Beispiel unter vielen
bietet die Schilderung der Schlacht von Agridi bei Nikosia am 15. Juni
1232 1). Sie verliert unter Bustrons Feder ganz den typischen Cha-
rakter der Kreuzzugsgefechte, den Philipps Darstellung unverkennbar
aufweist, und gewinnt völlig das Aussehen einer Schlacht aus Bustrons
Zeit, wobei mit den Personen und ihren Hollen in vollkommener
Willkür umgesprungen wird. So wissenschaftlich Bustron sein will,
so wenig ist er es ; wie andere Geschichtschreiber seines Zeitalters macht
er sich kein Gewissen daraus, die Dinge nach Belieben umzugestalten
und Falsches als wahr vorzutragen. Kanke hat die antikisierende
Manier der Kenaissance-Schriftsteller in den Keden der handelnden
Personen gekennzeichnet. Bustron schwelgt förmlich in Reden und
Briefen; gar schön hat er eine Kede des 13-jährigen Königs Henry er-
funden, doch wird sie nicht glaubwürdiger durch seine Versicherung,
„so jung wie der König war, hätte er diese Worte gesprochen'1 ä).
Auch sonst lässt er seiner Phantasie freien Spielraum und zeigt dem
Leser sehr anschauliche und ebenso unwahre Bilder. Die Erfindung
von Zahlenangaben 3), das Entwerfen von Schlachtenbildern, die Schil-
derung von Einzelgefechten4) ist seine Stärke.
In manchen Einzelheiten bedeutet Bustrons Darstellung einen Fort-
schritt gegenüber der früheren Geschichtschreibung — wo nämlich die
beiden älteren Hauptwerke zusammen benutzt worden sind — viel
häufiger aber einen empfindlichen Kückschritt durch die willkürliche
Entstellung der leitenden Quelle und durch vielfache Kürzungen, welche
namentlich die Schlusspartie geradezu verstümmeln. Diese Arbeit er-
hob sich in der Folgezeit zum Hange einer ersten Quelle.
Auf ihrem Grunde baute etwa 100 Jahre später der italienische
Dichter und Schriftsteller Loredano ein Phrasenwerk voll phantastischer
') G. d. Ch. § 189 p. 101 f. und Bustron, p. 94. Vgl. Heermann, Die Ge-
fechtsführung abendländischer Heere in der Epoche des ersten Kreuzzuges. Mar-
burg, 1888.
2) Bustron p. 83.
») Z. B. Bustron p. 79, p, 81. — G. d. Ch. § 149, p. 63 u. § 158, p. 78.
*) Vgl. Anm. 1 ; Bustron p. 62 — G. d. Ch. § 122 p. 36 ; Bustron p. 85 —
G. d. Ch. § 163, p. 83.
598 Richter.
Dichtung und bewusster Lüge 1). Dieses Buches bemächtigte sich nach
abermals 100 Jahren der Chevalier Dominique Jauna, ein Mann, aus-
gestattet mit den trefflichsten Grundsätzen über die Geschichtsschrei-
buug und einem gebührend hervorgehobenen Studium von Sprachen
und Handschriften 2). War aber schon das Bild, das Loredano von den
cyprischen Kämpfen entworfen hatte, verglichen mit dem des Bustron
überall verzeichnet, in den einzelnen Theilen hier verblasat und schwer
kenntlich, dort durch andere Beleuchtung greller und hervorstechender
— bei Jauna finden wir ganz etwas Neues und Fremdes; wer von
der Lektüre der Primärquellen oder auch nur Bustrons zu seiner Er-
zählung übergeht, findet des Staunens kein Ende über das, was sich
ihm hier bietet. Dieser „Historiker" des philosophischen 18. Jahr-
hunderts mit seinem Vertrauen in die eigene Klugheit und seiner
Ueberzeugung, durch das Licht der Vernunft ganz unabhängig von
der Ueberlieferung die Geschichte erkennnen und konstruiren zu können,
ist viel gefährlicher als Loredano, der redselige Phantast des 17. Jahr-
hunderts. Friedrich IT. aber trägt die Kosten dieser vagen Schrift-
stellerei.
Die spätere Geschichtschreibung muss sich kümmerlich mit den
trübsten oder ganz unvollkommenen Berichten behelfen 3). Erst die
moderne Forschung hat zunächst Amadi und Bustron 4), dann die Me-
moiren Philipps ans Tageslicht gezogen und für die Darstellung ver-
werthet. Aber noch die allerneueste Darstellung 5) hat sich nicht von
*) Cavalier Henrico Giblet: Historie de' re Lusignani, Bologna 1647, wieder
abgedruckt in Loredanos Werken, Venedig 1660. Das Versteckspiel in der Vor-
rede ist leicht zu durchschauen.
2) Er schrieb : Histoire generale des roiaumes de Chypre, de Jerusalem,
d' Armenie et Egypte etc. Leyden 1742.
3) Reichard in seiner „Vollständigen Geschichte des Königreichs Cypern",
Erlangen und Leipzig 1766, kennt Loredano, Jauna, Marinus Sanudus. So konnte
trotz des besten Willens und einer höchst anerkennenswerthen Kritik für die
Fridericianische Epoche Cyperns nicht viel herauskommen. Wilken in seiner „Ge-
schichte der Kreuzzüge" 1808 ff'. Bd. 6 erneuert in der Hauptsache die Darstel-
lung der Estoire d' Eracles und verwendet daneben Mar. San.
4) De Mas Latrie in seiner Histoire de l'ile de Chipre sous le regne des
Princes de la Maison de Lusignan, Paris 1861, verwendet Amadi, Bustron, Estoire
neben Urkunden. Ihm folgt Löher in „Der Kampf Kaiser Friedrichs IL um Cy-
pern-' in Abh. der bist. Kl. der K. baier. Akad. d. Wiss. XIV, 2, München 1878 ;
er will unparteiischer sein als die italienischen und französischen Darsteller, ist
aber für Philipps Erzählung ganz auf den Text des De Mas Latrie angewiesen.
5) Hans Müller: Der Langobardenkrieg auf Cjpern 1229—1233. Mit beson-
derer Berücksichtigung der Gestes des Chiprois des Phelippe de Novaire, 1890-
In-diss. Halle.
Beiträge zur Historiographie in den Kreuzfahrerstaaten. 599
der Hochachtung frei machen können, die der Erzählung Bustrons bei-
zulegen man sich gewöhnt hatte. Sie als ergänzende Quelle heranzu-
ziehen ist methodisch falsch. Entweder Bustron bietet in Ueberein-
stimmung mit Amadi eine Ergänzung des Gestentextes, dann ist allein
das Zeugnis Amadis beweisend, wofern man nicht auch bei ihm eine
unberechtigte Zuthat hier und da annehmen will; oder Bustron steht
allein, so beweist er gar nichts. Eine sehr bescheidene Bedeutung
gewinnt er nur, wenn er ohne Amadi den Gestentext bestätigt.
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard
von San Germano.
Von
A. Winkelmann.
1. Einleitung.
Im Jahre 1888 veröffentlichte Augusto Gaudenzi eine von ihm
in der Kommunalbibliothek von Bologna entdeckte neue Chronik des
Richard von San Germano l). Sie deckt sich zwar in dem von ihr be-
handelten Zeitraum (1208—1226) mit der zuletzt in den Monumente
Germaniae2) herausgegebenen Chronik in der Hauptsache, in Einzel-
heiten jedoch zeigen sich doch manche Unterschiede, die eine genauere
Prüfung recht wohl verdienen. Aus diesem Gesichtspunkte hat Gau-
denzi die Monumentenausgabe bei den einzelnen Jahren nochmals zum
Abdruck gebracht und so viel zur Erleichterung vorliegender Unter-
suchung beigetragen.
Jeder Chronik ist eine Vorrede vorausgeschickt, die uns ihren
Zweck klar macht. Die in den MG. gedruckte Chronik will alles be-
richten, „que ubique terrarum ac presertim in regno Sicilie gesta sunt
diebus meis 3) , und hat somit den Charakter einer sicilischen Reichs-
chronik. Dem entspricht auch, dass der Anfang dieser Chronik mit
dem Tode Wilhelms II., des letzten legitimen Normannenkönigs, von
Sicilien, (1189) gemacht wird. Die andere Arbeit ist direkt dem Auf-
trage des Abts Stephan von Monte Casino an Richard entsprungen
l) Societä Napoletana di storia patria. Serie I. Cronache. 1888.
*) M. G. XIX. p. 321 fi.
») M. G. XIX. 323, 12, 13.
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard von San Germano. QQ\
„ vestro iussu, cui teneor famulus oboedire ■ *) ; sie soll die Geschichte
der Zeit, des Königreichs Sicilien und besonders die Thaten seines Auf-
trao-o-ebers behandeln. Dadurch erhält diese Chronik den Charakter
einer Klosterchronik; sie will ganz offenbar eine Fortsetzung der mit
1212 aufhörenden Annales Casinenses 2) sein und hat sich als Anfang
den für ein Kloster immerhin recht wichtigen Besuch des Papstes In-
nocenz III. in Monte Casino genommen.
Einen weiteren Beleg für diese Annahme ist darin zu finden, dass
die dem Abt Stephan gewidmete Chronik mit 1226 aufhört, einfach
aus dem Grunde, weil sein Auftraggeber schon am 11. Juli 1227
starb3). Später, als Richard im Dienste Friedrichs II. stand4), nahm
er sein Werk wieder auf, änderte es um und fügte den Zeitabschnitt
1189—1208 und die Fortsetzung von 1226, 27 bis 1243 hinzu. Der
Tod wird wohl Kichard an der Vollendung dieses Werkes gehindert
haben. Darnach ist es nicht zu bezweifeln, dass die Klosterchronik
die frühere ist; ich bezeichne im Folgenden diese mit A, die jüngere
Keichschronik mit B.
2. Das urkundliche Material in A und B.
Zunächst fällt bei einem auch nur flüchtigen Vergleiche beider
Chroniken auf, dass A bei weitem mehr Aktenstücke gibt wie B. Eine
Zusammenstellung dieser zeigt, dass unsere Kenntnis von der Zeit
Friedrichs IL in vielen Punkten nicht unbedeutend erweitert wird, ja
dass gerade in ihnen der grosse Werth des Fundes Gaudenzis liegt.
Desshalb wird es wohl am Platze sein, ein Verzeichnis dieser Urkun-
den nach Art von Kegesten zu geben.
Urkunden im Wortlaut in A, in B ein kurzer Auszug.
1. (1212. Nach Juli 16.) König Alphons VIII. von Castilien berichtet
dem Papst Innocenz III. über den grossen Sieg der verbündeten Könige
von Castilien, Arragon und Navarra über die Sarazenen bei Navas de To-
losa. Gaud. p. 78. — Vgl. Schirrmacher, Geschichte von Castilien. Kap.
V. p. 277 ff.
2. 1213. Mai 18. Innocenz III. beruft ein allgemeines Konzil auf den
1. November 1215. d. Laterani, XV Kl. iuni, pont. nostri anno XVI.
Gaud. p. 81. — Vgl. Potthast, (F.) nr. 4706. Böhmer, Regesta imperii,
bearbeitet von J. Ficker und E. Winkelmann. (B. F. W.) nr. 6140. — Ri-
chard gibt dieses Stück unter 1212.
') Gaudenzi, 1. c. 71.
2) M. G. XIX. 320, 10.
s) Gaudenzi, 51.
4) Gaudenzi 1. c.
ß02 A. Winkelmann.
3. 1214. Juli 17. Innocenz III. ruft alle Christgläubigen zur Beschir-
mung des heiligen Grabes auf. d. Viterbii XVI. Kl. aug., pont. nostri a.
XVII. Gaud. p. 82. — P. nr. 4725. B. F. W. nr. 6141. — Bei Eichard
fälschlich unter 1213.
4. 1214. Juli 19. Innocenz III. fordert die Erzbischöfe und Bischöfe,
„cytra farum" auf, sein Rundschreiben betreffend die Beschirmung des
heiligen Grabes nach Kräften zu unterstützen, d. Viterbii XIIII Kl. au-
gusti, pont. nostri anno XVI. Gaud. p. 85. — Vgl. P. nr. 4727, ohne
diese Ausfertigung. — Bei Eichard fälschlich unter 1213.
5. (1215. November 11.) Rede des Papstes Innocenz III. bei der
Eröffnung des Lateranischen Konzils und genauer Bericht über den Ver-
lauf desselben. Gaud. p. 90. x) — P. nr. 5006. B. F. W. nr. 6177. a.
6. 1216. Juli 24. Honorius Ell. erlässt ein Eundschreiben über den
Tod seines Vorgängers und seine eigene Wahl. d. Perusii IX. Kl. au-
gusti, pont. nostri a. primo. — Eine bisher unbekannte Ausfertigung. —
B. F.W. nr. 6189. — „etsi ambulans in ymagine Dei homo". — Gaud. p. 95.
7. (1220. ante coronationem , November 22.) Friedrich LT.
gibt Satzungen pro ecclesiarum libertatibus 2). Gaud. p. 99. — B. F.
nr. 1203.
8. (1220. Zwischen Dezember 17 und 2l). Friedrich II. erlässt
auf einem grossen Hoftage zu Capua die „neuen Assisen" in 20 Kapiteln3).
Gaud. p. 101. — Dieses für die Verwaltungsgeschichte des Königreichs
Sicilien unendlich wichtige Aktenstück war bisher im Wortlaut nicht be-
kannt. Vgl. B. F. nr. 1260 b.4).
9. (1221. nach April 28.) Friedrich II. erlässt bei einem Hoftage
zu Messina neue Assisen wegen verschiedentlicher Misstände im Eeich 5).
Gaud. p. 104. — Auch hiervon hatten wir bisher nur einen Auszug in
Eichards Chronik B. Vgl. B. F. nr. 1325. a.
10. 1222. September 10. Friedrich II. befiehlt seinen Getreuen „a
Cruce Ordeoli usque ad fines regni'S den Bevollmächtigten Paganus Bal-
dinus magister Sicilie und notarius Eiccardus [von S. Germano?] bei der
Eegelung des Münz- und Marktwesens mit Eat und That zur Seite zu
stehen, d. apud Calatatrasi, X° Septembris, indictionis Xe. Gaud. p. 108.
— B. F. W. nr. 14678.
11. (1222.) Formel des Eidschwurs, den alle „a Cruce Ordeoli
usque ad flumen Tronti" leisten müssen. — Sie verpflichten sich von jetzt
ab, die neuen Brindisischen Denare zu keinem höheren Kurs als zu 41 So-
lidi auf die Unze anzunehmen, auf andere Münzen 40 Solidi auf die Unze
zu rechnen, in keiner Form Silber aus dem Lande zu schaffen und solche,
die Silber ins Ausland führen, sofort den Aufsichtsbeamten oder Kate-
panen zur Anzeige zu bringen. Gaud. p. 108. — B. F. W. nr. 14678.
1) Dieser Bericht stimmt in keiner Weise mit den bisher bekannten, viel-
fach gleichen Protokollen überein. Vgl. Winkelmann Friedrich II. 1. Aufl. p. 105.
— Otto IV. p. 513.
2) Gedr. mit Titel Huillard-Breholles. II. 3. M. G. Leg. H. 243.
3) Winkelmann, Friedr. II. p. 132.
*) — Friedr. II. Erläuterungen II. p. 525 ff.
5) Winkelmann, 1. c.
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard von San Germano. ß()3
12. (1222.) Statuten für die Einführung der neuen Brindisischen
Münze. — In jedem Orte sollen 4 oder 6 beeidigte Männer die Befolgung
obigen Schwures kontrolliren ; sodann werden die Strafen für die Ueber-
tretung des neuen Statuts angegeben. Gaud. p. 109. — B. F. W. nr.
14678. — Ueber diese für das Münzwesen in Sicilien wichtige Bestim-
mungen hatten wir bisher nur eine kurze Inhaltsangabe in der jüngeren
Chronik Eichards.
13. 1223. November 20. Friedrich II. befiehlt den Hintersassen von
Monte Casino zur Bekämpfung der Sarazenen in diesem Jahre einen Bei-
trag von 300 Unzen an den magister iustitiarius Heinricus de Morra aus-
zuzahlen, d. Cathanie, XX0 .Novembris XII indictione. Gaud. p. 111. —
B. F. W. nr. 146K.
14. 1224. Januar 27. Friedrich II. theilt den Justitiaren von Terra
Laboris, Petrus de Ebulo und Nicholaus de Cicala mit, dass der Klerus
zu keinen anderen Steuern und sonstigen Verpflichtungen herangezogen
werden dürfe als wie zu Zeiten König Wilhelms II. d. Cathanie, XXVII.
ianuarii, XII indictionis. Gaud. p. 114. — B. F. W. nr. 14687.
15. 1224. Juni 5. Friedrich II. erläset ein Generaledikt, wonach von
jetzt ab im Studium Neapolitanum alle Wissenschaften gelehrt werden
sollen, d. Siracusie, V° iunii, XIIe indictionis. Gaud. p. 112. — B. F.
nr. 1537. — Bisher ohne Datum bekannt x).
16. 1224. Juli 20. Friedrich II. meldet den Einwohnern von San
Germano, dass er auf die Vorstellungen des magister Petrus, magister Rof-
fridus und anderer hin den Befehl zur Schleifung der Stadtmauern zurück-
nehme und dem magister iustitiarius Heinricus de Morra diesbezügliche
Weisungen ertheilt habe. d. Siracusie XX0 iulii, XII indictionis. Gaud.
p. 114. — B. F. W. nr. 14690. — Dieses Stück, wie nr. 14, ist jetzt
erst durch die Chronik A bekannt geworden, ebenso auch
17. 1225 Mai 21. Friedrich II. beruft sämmtliche Prälaten zu sich
nach Foggia, (wo er sie dann fast einen Monat festhielt), d. Fogie,
XXI mai XIII indictionis. Gaud. p. 116. — B. F. W. nr. 14692.
18. 1225. Juli 30. Friedrich II. beruft die Getreuen Deutschlands
und Italiens nach Cremona auf Ostern 1226 (19. April) zur Beratung über
die Kreuzzugsangelegenheit, d. apud Sanctum Germanum penultimo Julii
XII indictionis. Gaud. p. 118. — B. F. W. nr. 14694. — Bisher unbekannt,
19. (1225. Oktober 21.) Papst Honorius III. erlässt ein Kundschreiben
an die Prälaten des Königreichs Sicilien, durch das er ihnen das Resultat
der Verhandlungen mit Friedrich über den Kreuzzug mittheilt. Gaud.
p. 119. — Vgl. B. F. W. nr. 6620. — Das Stück ist am Ende unvoll-
ständig. Durch diese Lücke in A fehlt uns wohl auch noch ein Schreiben
Honorius III. gegen die allzugrosse Nachgiebigkeit gegen die Sarazenen 2),
und der Anfang des Berichts über 1226.
20. 1226. März 26. Friedrich II. beschwert sich darüber, dass die
Mannen des Herzogthums Spoleto seinem Befehle, sich in Fano bei ihm
einzufinden, nicht nachgekommen sind, und erneuert diesen Befehl in
!) Gedr. Petri de Vinea Epp. 3, 11. Huill. 2, 450.
2) Chron. B. 1225. Letzter Abschnitt.
ß04 A. Winkel mann.
schärferer Weise, d. apud Fanum XXVI martii XIIII indictionis. Gaud.
p. 122. — B. F. W. nr. 14695. — Bisher im Wortlaut unbekannt.
21. (1226, c. März.) Honorius III. schreibt an Friedrich wegen ver-
schiedener Eingriffe, die er sich gegen die Rechte der Kirche zu Schulden
kommen liess. Gaud. p. 123. — B. F.W. nr. 6628. — Ohne Schluss. —
Durch Chronik A bekannt geworden.
Auf dieses Schreiben antwortet Friedrich II. in einem ebenfalls bis-
her nicht bekannten Briefe, dessen Anfang und Schluss fehlt :
22. (1226 nach März). Friedrich II. rechtfertigt sich auf die Be-
schwerden des Papstes und antwortet mit Gegenanklagen. Gaud. p. 124.1) —
B. F. W. nr. 14696.
Hiermit bricht Chronik A ab, offenbar, wie schon oben erwähnt,
wegen des Todes seines Auftraggebers 2).
Eine Uebersicht dieser Urkunden, von denen die Chronik B nur
den Auszug hatte, ergibt, dass von obigen 22 Stücken nicht weniger
wie 14, zum Theil äusserst wichtige, auch sonst im Wortlaute unbe-
kannt waren, und zwar nr. 8 — 20, nr. 22 (Aktenstücke Friedrichs) und
nr. 21, eine päpstliche Urkunde.
Wir haben hierzu noch eine Urkunde in A, welche Chronik B
gar nicht erwähnt:
23. 1210. Januar 14. Friedrich II. rechtfertigt sich in einem Schreiben
an den Abt Eoffrid von Monte Casino gegen den Vorwurf der Grausam-
keit gegenüber verschiedenen sicilischen Grossen, d. Messane XIIII ia-
nuarii XIII indictione. Gaud. p. 75. — B. F. W. nr. 14648 3).
Desgleichen haben wir nur einen Fall, in dem A einen ganz
kurzen Auszug gibt, und B sich dem Wortlaute nähert, und zwar bei
den Bestimmungen, die Papst Innocenz III. bei seinem Aufenthalte in
San Germano 1208 zur Ordnung des sicilischen Keiches erlässt. —
Gaud. p. 74.
In zwei Urkunden stimmen A und B überein:
24. 1213 April 26. Innocenz III. an den Sultan Sephedinus von
Damaskus und Babylon wegen Herausgabe des heiligen Landes, d. La-
terani, VI Kl. Maii, pont. nostri a. XVI. Gaud. p. 85.
25. (1214.) Auf Erkundigungen des Papstes bei dem Patriarchen von
Jerusalem, den Templern und Johannitern über die orientalischen Verhält-
nisse lief wohl 1214 — denn unter diesem Jahre sind beide Stücke über-
liefert — der in A und B gegebenen Bericht bei dem Papste ein. Gaud.
p. 86.
') Die von Facellus gegebene Antwort ein eigenes Machwerk aus B. F. W.
nr. 6630 „Miranda".
2) Wegen des weiteren sehr interessanten Notenwechsels mit Papst Hono-
rius III., dessen die .Chronik Erwähnung thut, verweise ich auf B. F. W.
nr. 6628. 6630.
s) In Chronik A unter 1209 erwähnt. Ueber das Datum ,Jan. 14.« vgl. B.
F. W. 1. c.
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard von San Germano. 605
Der Grund dafür, dass Richard von seiner Gewohnheit, in B keine
Urkunden zu geben, abwich, ist unschwer in dem allgemeinen In-
teresse jener Zeit an allen Dingen, die den Orient und das heilige
Land betrafen, zu erkennen. Derselbe Gesichtspunkt mag auch dabei
mitgewirkt haben, als Richard seine fünfzehnstrophige Cantilena über
den Fall von Damiette ebenfalls in B der Nachwelt überlieferte; in
seinem Stolze auf diese Dichtung mochte er wohl glauben, auch für
diese dauerndes Interesse in Anspruch nehmen zu dürfen.
In den meisten Fällen aber begnügt sich Richard in Chronik B
damit, von den in A gebrachten Urkunden und Aktenstücken den
wesentlichsten Inhalt zu geben. Welchen Grund hatte Richard hie-
für? Wie wir oben gesehen haben, war die Chronik A dem direkten
Auftrage des Abts Stephan von Monte Casino entsprungen und als Fort-
setzung der Annales Casinenses für das genannte Kloster bestimmt.
Die Ueberlieferung der Chronik B — ein Manuscript Richards — im
Archive des Klosters spricht dafür, dass Richard wohl schon von vorn-
herein ein Exemplar der Chronik B für das Klosterarchiv bestimmte
und so die Aktenstücke von A nur im Auszug zu geben brauchte,
da ja jeder Leser von B in Monte Casino die betreffenden Partieen
in A nachlesen konnte. Der Beweggrund für die Kürzung in B war
somit im wesentlichen Bequemlichkeit.
3. Abweichungen der beiden Chroniken in einzelnen
Punkten.
Weit schwieriger ist die Frage zu lösen, welche Gründe den Chro-
nisten bewogen haben mochten, in einzelnen Punkten von der ersten
Ausarbeitung abzuweichen, sei es dass er Angaben der Chronik A in B
wegliess oder veränderte oder dass er ganz neue Notizen einfügte.
War B, wie in der Einleitung dargelegt ist, nur dem historischen
Interesse Richards entsprungen, das die Ereignisse seiner Zeit der Nach-
welt überliefert wissen wollte, so hatte A noch den spezielleren
Zweck, die Thaten seines Auftraggebers oder Angelegenheiten des
Klosters Monte Casino zu berichten. So fällt es denn nicht weiter auf,
dass uns Richard in A vieles über Monte Casino erzählt, was er dann
in der „ Reichschronik ■ zu erwähnen nicht für wichtig genug hält. Be-
sonders tritt die Person des Abts Stephan hier sehr zurück. Es fehlt
z. B. die Erhebung seines Gönners zum camerarius von Monte Casino,
seine Gesandtschaft an König Friedrich wegen der Massregelung meh-
rerer Grossen des Reiches, wobei er allerdings auch das für die Ge-
schichte äusserst wichtige Rechtfertigungsschreiben Friedrichs (s. o. nr. 23)
(3Q6 A. Winkelniann.
weglässt. Fortfallen musste auch bei der Erwähnung von Stephans Erhe-
bung zum Abte die längere Erörterung über dessen Verdienste. Was
lag der Nachwelt daran zu erfahren, dass Stephan an diesem oder
jenem Tage als Abt seinen Einzug in Monte Casino hielt, oder dass
er von seiner Erhebung Friedrich Mittheilung machte, was Eichard wohl
später als selbstverständlich vorkam? In der „ Klosterchronik \ als für
Stephan selbst bestimmt, war der Bericht über das freigebige und
gastfreundliche Auftreten des Abtes während des Lateranischen Kon-
zils am Platze; in B wird Stephans Anwesenheit in Rom gar nicht
berührt. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass Richard in der Um-
arbeitung diesen Abt mit Stillschweigen übergangen habe; das konnte
er schon gar nicht bei der Bedeutung und Stellung der hoch angese-
henen Abtei Monte Casino im Königreich Sicilien, abgesehen davon,
dass Richard eben mit den Vorgängen seiner engereu Heimat viel zu
sehr verwachsen war, um von ihnen ganz zu schweigen. Aber so oft
Richard in B den Abt Stephan erwähnt, geschieht es stets in kurzer,
sachlicher Form; auch die Angabe seines Todes unterscheidet sich in
nichts von der seiner Vorgänger: in B ist ihm Stephan nur der Abt
des wichtigen Monte Casino, in A aber sein hoher Gönner.
In der gleichen Weise werden manche Ereignisse, die für das
Kloster wichtig waren und so auch in der „Klosterchronik" berichtet
werden, von dem Autor in B entweder ganz fort gelassen oder mit
wenigen Worten abgemacht. Insbesondere scheint Richard in B die
Erwähnung von Besuchen hoher Herrn in San Germ an o vermieden zu
haben, so z. B. die Ankunft Friedrichs II., des Königs Johann von Jeru-
salem, von Friedrichs Sohn Heinrich u. a. Bei anderen Ereignissen,
namentlich solchen, die auf das Kloster Bezug haben, gibt wohl A
die Daten, B aber gar keine genaueren Bestimmungen oder nur
den Monat, und das auch manchmal bei den aller wichtigsten Vor-
fällen, wie z. B. bei dem Vertrag von San Germano 1225.
Im übrigen sind die Verkürzungen in B nicht allzu zahlreich;
sie beschränken sich vielfach auf Provinzialvorgänge von geringerer
Bedeutung. So fehlt in B die Ernennung des Landulf von Aquino zum
iustitiarius der terra laboris (1220) ; wohl aber erscheint Richard die
Erhebung des Thomas von Aquino zu der höheren Stellung eines ma-
gister iustitiarius Apulie et terre laboris und wegen seiner späteren
bedeutenden politischen Rolle erwähnenswerth.
Andrerseits kommt es doch auch vor, dass der Chronist selbst
bei sehr wichtigen Ereignissen, wie z. B. bei dem Lateranischen Konzil
(1215), den ausführlichen Bericht in A in der Umarbeitung auf eine
ganz kurze Inhaltsangabe beschränkt.
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard von San Germano. 607
Manche Kürzungen in B scheinen einen ganz besonderen Zweck
gehabt zu haben ; es scheint nämlich, als ob Kichard in der jüngeren
Chronik dem König Friedrich gegenüber eine etwas andere, günstigere
Stellung eingenommen habe, als wie in Chronik A. Einzelne Beispiele
mögen diese Annahme stützen.
Wenn Richard in A berichtet, dass Abt Adenulf von Monte Casino
eine zum Königreich Sicilien gehörige Feste ,,auctoritate apostolica et
litterarum dicti regis Friderici" x) einschliesst, so finden wir in B statt
dessen ,,occasione mandati regis"2). — 1223 kehrt Friedrich II. nach
einer Zusammenkunft mit Honorius III. in Ferrentino nach Sora zu-
rück, in A ,,accepta pape licentia et cardinalium", in B ,,accepta a
papa licentia" 3). Richard wollte offenbar nicht, dass das Thun und
Lassen seines Königs von der Zustimmung der Kardinäle abhängig
gewesen zu sein scheine. — In B unternimmt Friedrich die folgen-
schwere Fahrt aus seinem Königreich nach Gaeta und seinen Zug nach
Deutschland (1212) ausdrücklich und der Sachlage entsprechend auf
Wunsch des Papstes („ab Innocentio papa vocatus *) 4). Diese in A
fehlende Notiz soll vielleicht zeigen, dass eigentlich die Kirche die
Urheberin aller folgenden Streitigkeiten sei. Richard steht hier schon
unter dem Eindruck der ungeheueren Kämpfe zwischen Kaiser und
Papst und sucht die Gründe für diese festzustellen. In ähnlicher Weise
gibt er in B bei dem Zuge Friedrichs durch Oberitalien 1212 den Zu-
satz „invitis Mediolanensibus" 5) : von seinem späteren Standpunkt
aus muss er auch die ersten Anzeichen von Feindschaft zwischen Mai-
land und Friedrich erwähnen. — Es wirft offenbar ein zu ungünstiges
Licht auf die Zustände des Königreichs Sicilien, wenn der Herzog Di-
pold noch 1217 seine Plünderungszüge noch dahin „inore solito" 6)
unternehmen kann; in B fehlt dieser bezeichnende Zusatz. — 1220
tritt der Abt von Monte Casino an Friedrich zwei Plätze ab, nach A
„licet invitus" 7), in B dafür „ad petitionem imperatoris" 8). — Das
Recht der Bestimmung über Erbauung oder Schleifung von Befesti-
gungen stand allein dem Landesherrn zu. Diesem scheint zu wider-
sprechen, dass in A Abt Stephan auf seinem Befehl („mandato abbatis
Stephani") die rocca Jani (1221) schleifen lässt. Der wahre Grund
aber lag in einem Edikte Friedrichs: es geschah nach B „iuxta edi-
tam Capue Constitutionen! de novis edificiis diruendis" 9) 10).
i) Gaud. p. 81. 2) Gaud. p. 78." 3) Gaud. p. 110. 4) Gaud. p. 77.
5) Gaud. 1. c. fi) Gaud. p. 97. 7) Gaud. p. 99. fl) Gaud. p. 100.
°) Gaud. p. 104. ,0) Ueber eine scheinbar nur formale Aenderung in ß
wird weiter unten gehandelt werden.
gQg A. Winkelmann.
Nicht gar selten sind auch Veränderungen oder Umstellungen der
berichteten Ereignisse. Hierbei stellt es sich heraus, dass Eichard bei
der Abfassung von B durchaus eine gewisse Kritik an seinem ersten
Werk geübt hat, allerdings aber, wie es sich später zeigen wird, ohne
irgendwie an der Anordnung im Ganzen zu rütteln.
In A erzählt Richard von Friedrichs erfolgreichem Zuge nach
Deutschland, dass er sich dann 1212 das Kreuz anheften Hess. *) Davon
war aber bisher nicht das Geringste bekannt 2) ; somit hat sich wohl
"Richard geirrt: er selbst gibt obige Angabe in veränderter Gestalt in
B statt unter 1212 unter dem richtigen Jahre 1215 3). Die Erneuerung
des Kreuzzugsgelübdes bei Gelegenheit der Kaiserkrönung 1220 kennt
A nicht, B berichtet ziemlich Genaues darüber.
Gelegentlich ist auch A besser unterrichtet. So werden bei dem
Vertrage zwischen Friedrich II. und dem Grafen Thomas von Celano
(1223) 4) in A Kirche und Deutschordensmeister als Vermittler genannt
„mediante Romana curia et magistro domus Teutonicorum" 5), in B nur
die römische Kurie : diese Notiz ist sicher ungenau, da die Vermittler-
stellung des Deutschordensmeisters im Vertrage unverkennbar ist, wenn
z. B. sich Friedrich verpflichtet „iuxta ordinationem magistri domus
Theutonicorum" das Privileg für den genannten Grafen auszustellen. —
Wir müssen hier, wie auch darin, dass Richard in B bei der Aufzäh-
lung der Kreuzfahrer gegen Damiette G) den wirklich am Zuge bethei-
ligten Herzog Leopold VI. (VII.) von Österreich 7) weglässt, Flüchtig-
keit der Umschrift annehmen. ■
Es sind nunmehr noch einige kleinere Differenzen zu besprechen ;
es geschieht dies ohne den Versuch einer chronologischen Ordnung. —
A.: 1210 sind als Anstifter des Zuges Ottos IV. gegen das Königreich
Sieilien Dipold und der Graf Thomas von Molise genannt8); B hat
statt des letzteren richtig Petrus de Celano 9). Bei diesem Angriffe
war das Gebiet von Monte Casino am meisten der Gefahr ausgesetzt;
um diese abzuwenden, bittet der Abt durch Gesandte an jenen Tho-
mas (d. h. Petrus) nach A, nach B an Otto IV. um Schutz. Eine Ent-
») Gaud. p. 82.
2) Winkelmann, Otto IV. p. 333, 334.
3) Winkelmann, 1. c. p. 392. Gaud. p. 90.
<) Huillard-Breholles II, p. 357. B. F. Dr. 1485.
ß) Gaud. p. 110. fi) Gaud, p. 97.
7) Röhricht,' Beiträge z. Gesch. d. Kreuzzüge, II. p. 372. v. Meiller, Regesten
z. Gesch. d. Hauses Babenberg. p. 123. nr. 154.
8) Gaud. p. 76.
°) Winkelmann, 1. c. p. 243 ff. A verwechselt hier Vater und Sohn : Thomas
tritt uns erst später als Parteigänger jenes Dipolds entgegen s. 1. c. p. 407.
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard von San Germano. QQQ
scheidung ist schwierig; das richtigste wird sein, beide Notizen zu-
sammen zu nehmen. — 1213 zieht Innocenz über die Sarazenen Er-
kundigungen ein, nach A bei den Templern und Johannitern, nach
B ausserdem noch bei dem Patriarchen von Jerusalem *), was eben-
falls eine Ergänzung ist 2),
Einige recht charakteristische Aenderungen sind bei dem Berichte
über den Zug nach Damiette zu bemerken, obwohl er sich sonst bei
diesem interessanten Gegenstand mehr an A hält. Der jedenfalls sehr
treffende, lobende Zusatz bei der Erwähnung des Sultans Sephedin
„utpote vir studiosus et callidus" in A 3) fehlt in B. — 1219 lässt
der Sultan die Mauern von Jerusalem niederreissen und befiehlt den
Sarazenen, die Stadt zu verlassen, um so die Christen den Plünderungen
herumziehender Horden preiszugeben: als Grund für diese Massregel
erscheint in B besser „ furore accensus ", in A „metus causa" 4).
In B steht Richard den landläufigen Sagen und Gerüchten skep-
tischer gegenüber : einen fabelhaften Bericht über das Herannahen des
Königs David oder, wie er sonst genannt ist, des Erzpriesters Johannes
nimmt er in B nicht mehr auf5). — Wir vermissen auch in B die
Bemerkung, dass bei dem Frieden mit dem Sultan Sephedin 1221 den
Christen das Kreuz Christi ausgehändigt worden sei („vera Christi
crux est, ut dicitur, reddita christianis'1 6) ; bedenklich stand er dieser
Nachricht gegenüber schon in A, wie das „ut dicitur" zeigt.
A gibt einen ganz genauen Bericht über das Lateranische Konzil
mit dem Zusatz „seriatim exponam, ego qui interfui et vidi Riccardus
huius operis auctor" 7). In B ist der Bericht ganz summarisch, weil
er wohl allgemein bekannt war, so dass jener Zusatz ihm überflüssig
erscheinen mochte. Bescheidenheit war es kaum, da er bei der Eiu-
schiebung seines Gedichts über Damiettes Fall weder in A noch in B
den Verfasser verschweigt. — Der Brief Innocenz an den Sultan Se-
phedin von 1213 stand in A irrthümlich unter 1214; A hebt diesen
Fehler nun besonders hervor „quod obmissum est in anno praeterito" 8).
B gibt denselben Brief, ebenfalls unter dem falschen Jahre, aber be-
zeichnenderweise ohne seinen Zusatz. Und gerade dies zeigt, dass die
Chronik B keine eigentliche Umarbeitung von A ist, sondern nur eine
in Einzelheiten veränderte und bezüglich der Aktenstücke verkürzte
Umschrift ist. Denn sonst müsste Richard auch das Rundschreiben
l) Gand. p. 86.
2J P. nr. 4720.
s) Gaud. p. 97. «) Gaud. p. 99. 5) Gaud. p. 111. «) Gaud. p. 105.
7) Gaud. p. 90. ") Gaud. p. 85.
Mittheilungen XV. on
610 A- Winkelraann.
des Papstes Inuocenz III. betreffend den Kreuzzug vom 17. Juli 1214
und die Ermahnung an die Bischöfe, obiges Schreiben zu unterstüzen,
wenigstens in B unter 1214 stehe, nicht auch wie in A unter 1213.
A erwähnt die Besetzung von Capua durch den Grafen Richard
von Aquila und die Aufgebung dieser Stadt („postniodum") unter 1208 :
in B sind richtig beide Nachrichten in die Jahre 1208 und 1209 ge-
trennt 1). — In B steht die Exkommunikation Ottos und die Capuas
und seiner übrigen Anhänger gleichzeitig unter 1210. Diese Nachricht er-
regte mannigfache Bedenken '-), die jetzt durch A gehoben sind, indem die
Bannsprüche vertheilt sind auf 1210 und 1211: Otto IV. wird am
18. November gebannt, da er es wagte, das Königreich Sicilien mit
Krieg zu überziehen. Die Bannung wird bekannt — trotzdem wagen
es die Geistlichen von Capua, vor dem Gebannten zu celebriren. Des-
halb wird zugleich mit der feierlichen Erneuerung des Bannes über
Otto und seine Parteigänger über Capua das Interdikt verhängt. —
Bei der unglücklichen Expedition des lateinischen Kaisers Peter von
Auxerre von Konstantinopel nach Durazzo 1217 wurde auch der Kar-
dinal Johannes de Columna gefangen genommen. Hierzu bemerkt
Richard in A sowohl unter 1217 wie unter 1218 seine Freilassung;
in B vermeidet er die Wiederholung und entscheidet sich für das rich-
tige 1218- — Umgekehrt ist nach A ganz richtig die Ankunft Fried-
richs in Apulien und die Weihnachtsfeier apud Apriciuam 3) in das
Jahr 1222 gesetzt4), während er nach B erst 1223 nach Apulien
kommt.
Nur zufällig ist es, nicht etwa der Absicht entsprungen, das Un-
bedeutende und Nebensächliche an das Ende eines Jahres zu setzen,
wenn Richard den Ausbruch einer Hungersnoth in Apulien in B an
das Ende von 1212 stellt, nicht wie in A in die Mitte der Erzählung,
denn die nicht weniger unwichtige Bemerkung „hoc anno (1216)
magna fertilitas fuit" steht in A wie in B mitten in dem Berichte.
4. Formale Aenderungen in der Chronik B.
Formale Verschiedenheiten sind in beiden Chroniken vorhanden;
ausführlich auf sie einzugehen, liegt nicht im geschichtlichen Interesse.
Indess sind manche dieser Aenderungen so auffallender Natur, dass
man sie doch näher ins Auge fassen muss.
') Gaud. p. 74. — Otto IV., p. 92.
2) — Otto IV., p. 249.
3J Gaud. p. 109.
4) B. F. iir. 1424.
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard von San Germano. Q\\
Schon verschiedentlich wurde auf die veränderte Stellung Richards
gegen Friedrich in der jüngeren Chronik aufmerksam gemacht. So
scheint auch Richard für das Kreuzzugsgelübde Friedrichs in B einen
milderen Ausdruck zu verwenden. Nach A verpflichtete sich Fried-
rich II. bei der Zusammenkunft mit Honorius III. zu Veruli (1222)
zu einem Kreuzzuge „iuramento prestito", nachB „data fide" 1). —
Bei der erneuten Unterredung in Ferrentino (1223) heisst es in A
.,iuravit (sc. Fridericus) pape publice usque ad bienium in terre sancte
subsidium transfretare", in B dasselbe, nur statt „iuravit" „promi-
sit"2). — Noch deutlicher tritt uns diese sicher nicht zufällige Unter-
scheidung bei dem Vertrage von San Germano entgegen. Ich stelle
beide Angaben neben einander: A. ,, — ea omnia (d. h. den Vertrag)
ipse imperator manu propria servaturum iuravit et cum eo iuravit
dux Spoleti predictus". B: ,, — promisit imperator se publice serva-
turum — et hoc ipsum Raynaldus diclus dux Spoleti iuravit in
anima sua" 3). Es hätte dieser Unterschied keine Beweiskraft, wenn
Richard stets in B den Ausdruck „iurare" vermieden hätte; das ist
aber keineswegs der Fall: Richard ersetzt nur bei Friedrich „iurare"
durch einen verwandten, aber doch nicht so bindenden, technisch
richtigeren Ausdruck ; sonst findet sich öfters „iurare, iuramentum etc."
Nicht ganz formal ist auch die Aenderung, dass Innocenz an Se-
phedin nicht „legati", wie in A, sondern nach B ,,nuncii" sendet4).
— Bei der Kreuzfahrt von 1218 betheiligen sich aus dem Gebiete von
Monte Casino „ruulti" nach A, in B „nonnulli" 5).
Aus der Zahl der rein formalen Aenderungen hebe ich hervor:
Friedrich geht nach rocca Magenulfi „uxorem suam (d. h. des Grafen
Thomas von Celano) trahens de rocca (Boiani)", in B „secum ducens".
— Statt des seltenen „in fato concessit" gebraucht er in B „mortuus
est. — Oder wenn in A kurz nach einander zweimal „ad urbem"
gesagt ist, finden wir in B den Wechsel „Romam" und „ad urbem". —
Der Ausdrucksfehler „expugnare" im Sinne von „angreifen" wird durch
das richtige „aggredi" ersetzt G). — Aehuliche Fälle Hessen sich noch
in grösserer Zahl zusammenbringen; es genügt aber um zu zeigen,
dass Richard in formaler Hinsicht entschieden in B zu bessern ge-
sucht hat.
5. Zusammenfassung. Zeit der Entstehung von A.
Das Resultat vorliegender Untersuchung ist kurz folgendes:
1. Der Hauptunterschied beider Chroniken besteht darin, dass A
') Gaud. p. 107. 2) Gaud. p. 110. s) Gaud. p. 118. 4) Gaud. p. 116.
5) Gaud. p. 98. *) Gaud. p 104.
39"
(312 A. Winkelmann.
eine grosse Zahl der allerwichtigsten Urkunden gibt, von denen mei-
stens nur der ganz kurze Auszug in ß bekannt war.
2. Die Chronik A als eine „Klosterchronik" ist genauer in allen
Ereignissen, die auf Monte Casino und Umgebung Bezug haben.
3. In der „Reichschronik" finden sich vielfach Verbesserungen,
gelegentlich aber auch Nachlässigkeiten der Umschrift, so dass es noth-
wendig ist, besonders bei unbedeutenderen Bemerkungen beide Chro-
niken zu benutzen.
4. Richard nimmt in B eine andere Stellung zu Friedrich ein; er
scheint sich zu bemühen, ihn in ein günstigeres Licht zu stellen.
5. B zeigt häufige formale Besserungen.
Aus allem folgt, dass für die Zeit von 1208 bis 1226 nicht eine
Chronik, A oder B, massgebend ist, sondern beide, die sich gegen-
seitig ergänzen ; für die Geschichtsforschung ist aber A wegen des ur-
kundlichen Materials ein grosser Gewinn.
Zum Schlüsse wird es am Platze sein, noch einige Bemerkungen
über die Entstehungszeit der Chronik A zu machen, wobei ich zu einem
etwas anderen Ergebnis komme wie Gaudenzi. Dieser spricht von einer
Publication oder Beendigung des nur verstümmelt überlieferten Werks. Das
letzte behandelte Jahr war 1226; Abt Stephan starb am 11. Juli 1227: so-
mit bleibt für die Publikation nur die Zeit 1226 bis Mitte 1227, da
Richard doch nicht gut nach dem Tode seines Gönners die Chronik
nebst Widmung veröffentlichen konnte. — Aber woher weiss denn
Gaudenzi, dass die Chronik veröffentlicht wurde als ein abgeschlossenes
Ganzes? Das Ende der Chronik mit 1226 und der Tod Stephans stehen
sicher in einem gewissen Zusammenhang, indem Richard durch das
Ableben des Abts an der Vollendung seines Werks gehindert wurde.
Nach der Vorrede wurde A durch Abt Stephan (Abt von Monte
Casino seit 1215) veranlasst. Riebard übernimmt die Aufgabe, schreibt
die Widmung und die Ereignisse vor der Erhebung Stephans und
konnte dann Jahr für Jahr die Chronik, oder besser gesagt die An-
nalen, bis 1226 fortgesetzt haben. Wir erhalten jedoch noch einen
kürzeren Zeitraum für die Arbeit Richards an der Chronik. 1215 setzt
Stephans Vorgänger Adenulf neben anderen Punkten auch *) ,,roccam
Jani, que tunc munita erat", in Vertheidigungszustand. Nun wurde
die rocca Jani erst 1220 entfestigt 2) ; somit kann wegen seines Zu-
satzes dieser Abschnitt nicht vor 1220 entstanden sein. Wir können
aber noch weiter kommen. Richard nahm in Monte Casino, begünstigt
von Abt Stephan, eine jetzt nicht mehr bestimmbare Stellung ein;
') Gaud. p. 89. 2) Gaud. Friedr. II., p. 135.
Das Verhältnis der beiden Chroniken des Richard von San Germano. Q]_3
seine Theilnahme an dem Lateranischen Konzil, seine genaue Kenntnis
von Urkunden aus dem Klosterarchive, u. a. lassen auf eine Art Se-
kretärstelle schliessen. Aus diesem Amte wird er als Notar in die
Dienste Friedrichs genommen. Indem ich mich in diesem Punkte Gaudenzis
Ansicht anschliesse, begegnet uns Richard als königlicher notarius zuerst
in der oben erwähnten Urkunde vom 10. September 1222 (s. o. nr.
10) : Friedrich IL gibt den Befehl der Ordnung der Markt- und Münz-
verhältnisse „Pagano Baldino ... et notario Riccardo fidelibus nostris,
quos pro servitiis nostris mictimus". Die Vorrede und der Anfang der
Chronik muss unter obiger Annahme zwischen 1220 und 1222 ent-
standen sein. Denn würde man, wie Gaudenzi, unter „promotio" seine
Ernennung zum Notar verstehen, so bliebe es unerklärlich, wie sich
Richard in der Widmung den ,,famulusu Stephans nennen könnte, und
warum er nicht hier seine Notarswürde ebenso angibt, wie in der Vor-
rede zu B „ego Riccardus de Sancto Germano notans notanda nota-
rius". Die „promotio" ist somit die Uebertragung irgend einer Stelle
in Monte Casino, die er vielleicht seinem Gönner Abt Stephan ver-
dankte; als Ausdruck des Dankes wäre dann die Chronik A zwischen
1220 und 1222 begonneü worden; sodann wurde sie fortgesetzt, aber
durch den Tod des Abts Stephan 1227 unterbrochen.
Nach diesem Jahr nahm Richard das Werk von Neuem vor und
gab ihm eine nach Umfang und Inhalt geänderte Fassung, die Chro-
nik B.
Zur Gründiingsgeschichte der österreichischen
Kriegsmarine.
Von
Karl Lechner.
Kaiser Karl VI. kann mit vollem Rechte als der Begründer des
österreichischen Handels und der Industrie angesehen werden, nament-
lich ist er es gewesen, der mit richtigem Blick die grosse Bedeutung
erkannte, welche die Hebung des Seehandels für das damalige öster-
reichische Litorale und den Gesammtstaat zur Folge haben musste. Um
diesen Zweck der Förderung der materiellen Wohlfahrt der Küsten-
gebiete zu erreichen, erliess er unter dem 2. Juni 1717 ein Patent,
in welchem er die freie Schiffahrt für alle Nationen beansprucht und
den festen Willen zum Ausdruck bringt, dieselbe mit allen Kräften zu
wahren. Zugleich wurde allen an der österreichischen Küste gelegenen
Hafenplätzen das Becht des Schiffsbaues und Handelsbetriebes einge-
räumt und den Schiffsinhabern bedeutet, dass sie von der k. k. Hof-
kanzlei das Schiffahrtspatent erhalten würden. Der Kaiser that bald
einen Schritt weiter, indem er durch ein Schreiben vom 21. August
1717 an den Triester Stadtrath den Auftrag ergehen Hess, sich darüber
zu äussern, wo man am besten Freihäfen errichten könnte. Es war
nur eine Pflicht der Selbsterhaltung, dass der Stadtrath durch Gabriel
v. Marenzi auf die günstige Lage Triests zu eineni solchen Vor-
haben hinweisen Hess, so dass durch Patent vom 18. März 1719 Triest
und Fiume wirklich zu Freihäfen erklärt wurden 1).
') Löwenthal, Geschichte der Stadt Triest (1857) 1, 154 folgd. v. Radics,
Kaiser Karl VI. als Staats- und Volkswirth (1886) 60 lässt irrthümlicher Weise
schon das Patent vom 2. Juni 1717 als Freihafenpatent gelten.
Zur Gründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. ß!5
Am 21. Juli 1718 war der Passarowitzer Frieden geschlossen wor-
den und kurze Zeit später wurde mit der Türkei ein Handelsvertrag
vereinbart. Der Zeitpunkt zur Gründung der orientalischen Compagnie,
die schon durch kaiserliches Patent vom 27. Mai 1719 mit dem Sitze
zu Wien ins Leben gerufen wurde, war daher güustig gewählt. Der
Kaiser stattete dieselbe mit grossen Privilegien aus und gab ihr vor
allem das Recht, in Wien, Belgrad oder wo die Compagnie sonst es
für gut erachten würde, Niederlagen, Magazine u. s. w. zu errichten,
wozu unter dem 20. Mai 1722 noch die Erlaubnis hinzukam, inTriest,
Fiume oder Buccari Schiffe von mehr als 60' Länge zu erbauen und
alles zu erzeugen, was zum Schiffsbetrieb nöthig sei, also Tauwerk,
Anker, Kanonen, Segeltuch; auch die Heranziehung von Schiffsbau-
meistern und Handwerkern aus Holland, Schweden , Hamburg etc.
wurde gestattet 1).
Diese Bemühungen des Kaisers zur Hebung von Oesterreichs See-
handel mussten mit zwingender Notwendigkeit zur Schaffung einer
Kriegsflotte führen, die denselben zu schützen vermochte. Den Plan
hiezu hatte Karl VI. schon lange gehegt, hatte er doch im spanischen
Successionskriege den Mangel einer Kriegsflotte empfindlich gefühlt.
Leider sind wir hierüber nicht genauer unterrichtet, denn aus Archiven
ist meines Wissens bisher nur wenig in die Oeffentlichkeit gedrungen
und die wichtigste Quelle, die Berichte der venetianischen Botschafter
am Wiener Hofe, weist für die Jahre von 1708 — 22 leider eine Lücke
auf. Aus dem vom erstgenannten Jahre, herrührend von dem Bot-
schafter Daniel Dolfin 2) geht hervor, dass schon Kaiser Josef I. den
Plan der Gründung einer Handelsflotte im Hafen von Buccari ins
Auge fasste und hiezu einen englischen Ingenieur berief; doch wussten
Dolfin und der englische Gesandte Georg Stepney das Project zu hin-
tertreiben. Ohne das Geld der Engländer und Holländer, schrieb Dolfin,
könne man überhaupt nichts anfangen. Die finanzielle Lage des
Staates am Ende des spanischen Successionskrieges und des ungari-
schen Aufstandes war aber eine höchst ungünstige. Wohl hauptsäch-
lich aus diesem Grunde konnte das Project der Gründung einer Kriegs-
flotte, das Baron Franz Anton von St. Hilaire im Jahre 1713 vor-
legte, nicht realisiert werden. Derselbe machte sich verbindlich, 20
vollständig ausgerüstete, bemannte und auf 6 Monate verproviantierte
Kriegsschiffe von 40 — 80 Kanonen für den durchschnittlichen Preis
1) Mayer, Die Anfänge des Handels und der Industrie in Oesterreich und
die orientalische Compagnie (1882) 38 folgd.
2) ed. Arneth in Fontes rerum Austriacarutu II 22, 20 folgd.
Q1Q Le ebner.
von 140 — 150.000 fl. per Schiff in Holland zu beschaffen. Diese Flotte
sollte insgesammt 1270 Kanonen führen und eine Bemannung von
9450 Köpfen zählen l). Es wäre das für jene Zeit eine ganz respec-
table Kriegsmacht zur See gewesen, die ohne Zweifel Oesterreichs An-
sehen im Mittelmeere mächtig gehoben hätte. Ob aber dadurch der
Kaiserstaat gegenüber den anderen seefahrenden mediterranen Mächten
„gewiss das Uebergewicht erlangt hätte", wie v. Eechberger dafür hielt,
mag doch noch dahingestellt bleiben. Nach einer dem Könige Lud-
wig XV. überreichten Beschreibung zählte nämlich Frankreich im Jahre
1725 im Mittelmeere 30 Galeeren und ausserdem dortselbst und im
offenen Ocean 70 Kriegsschiffe 2). Konnte auch Kaiser Karl VI: nicht
im entferntesten daran denken, Hilaires Projekt zu realisieren, so gab
er doch den Plan einer Marinegründung nicht auf. Während die Ar-
beiten von C. K e i c h a r d und Fr. Mares (letztere im 1. u. 2. Bande
dieser Zeitschrift), sich die Darstellung der politischen Bestrebungen
der Habsburger zur Gründung einer Kriegsflotte im 17. Jahrhundert
zur Aufgabe machten, will ich versuchen, an der Hand einer Kelation
zu zeigen, wie sich ein solcher Plan Karls VI. anliess und mit welchen
Verhältnissen man zu rechnen, beziehungsweise Hindernissen man hie-
bei zu kämpfen hatte.
Ich will zuvor noch bemerken, dass der Fürstbischof von Olmütz,
Cardinal Wolfgang Hannibal Graf von Schrattenbach, einem im
Cillier Kreise begüterten Adelsgeschlechte entsprossen, als Comprotector
der deutschen Nation seit 1714 in Born sich aufhielt, woselbst Graf
Johann Wenzel G alias als kaiserlicher Botschafter fungierte. Nach-
dem es der spanischen Partei am Kaiserhofe gelungen war, die Ab-
berufung des Feldmarschalls Grafen Wirich Daun von seiner Stellung
als Vicekönig und Generalcapitän des Keiches von Neapel im Jahre
1719 zu erwirken, kam Gallas an dessen Stelle, der sich in dieselbe
gar nicht einleben konnte, da er schon am 25. Juli genannten Jahres
mit Tod abgieng. Auf seinen Posten brachte die spanische Partei nun
den Cardinal Schrattenbach, der durch kaiserliches Decret vom 4. Au-
gust 1719 ad interim auf denselben berufen wurde und am 24. Au-
gust auf päpstlichen Galeeren in Neapel eintraf. Zufolge erwähnten
Decretes vom 4. August trat interimistisch an seine Stelle in Kom
Cardinal Giudice, der definitiv abgelöst wurde durch den Bischof von
Waitzen, Cardinal Michael Friedrich Grafen von Althan , den Neffen
des Favoriten Michael Gr. v. Althan 3).
') v. Rechberger, Gescbicbte der k. k. Kriegsmarine 1. 16 folgd.
2) Miscellaneenband in der fürsterzb. Bibliotbek in Kremsier.
3) Schrattenbacbs Correspondenzbücber Bd. XXIX. und VI.
Zur Gründungsgeschicbte der österreichische Kriegsmarine. 617
Aus Schrattenbaclis Correspondenz, die bis ins Jahr 1722 reicht
und in 42 Foliobänden im fürsterzbischöflichen Archive in Kremsier
erliegt1), stammen die Beilagen zu diesem Aufsatze. — Während seiner
Statthalterschaft wurden die neapolitanischen Schiffe ausgerüstet.
Die ganze damalige Organisation des neapolitanischen Königreichs,
das jetzt mitten im Kriege einem im diplomatischen Dienste am rö-
mischen Hofe emporgekommenen Manne zur Verwaltung überwiesen
war, scheint nur dazu geschaffen gewesen zu sein, durch eine Ueber-
fülle von Aemtern und Pfründen den einheimischen und spanischen
Adel und Klerus zu versorgen, so dass das Staatseinkommen im Hin-
blick auf die Steuerfreiheit dieser Stände, die nur freiwillige Beiträge
leisteten, und auf die Unregelmässigkeiten und Betrügereien der Be-
amten relativ nur ein ganz geringes gewesen sein kann. Zur Erhär-
tung dieser Behauptung mag erwähnt werden, dass nach den dem
Cardinal Schrattenbach unterbreiteten Uebersichten im Reiche von
Neapel (ohne Sicilien) im Jahre 1720 nicht weniger als 130 Princi-
pati, 152 Ducati, 198 Marchisati und 45 Contee gezählt wurden. Viel
zu zahlreich für das kleine Reich waren auch die geistlichen Pfrün-
den. Denn der Kaiser hatte 8 Erzbisthümer und 16 Bisthümer, der
Papst hingegen 11 Erzbisthümer und 105 Bisthümer zu besetzen, also
eine Gesammtzahl, die selbst für einen zehnmal grösseren Staat noch
immer zu hoch gewesen wäre. Der Vicekönig sollte ein Einkommen
von 6303 neapol. Ducaten per Monat beziehen, aber die materielle
Lage desselben scheint doch nicht allzu rosig gewesen zu sein; denn
obwohl Cardinal Schrattenbach ein sparsamer Herr gewesen seiu muss
in Rücksicht auf seinen Stand und seine Stellung, wie sich aus der
Correspondenz mit seinem Bruder Otto, dem die Oberleitung der Ver-
waltung der bischöflichen Güter der Olmützer Kirche oblag, deutlich
ersehen lässt, giengen doch bedeutende Summen an denselben zur Be-
streitung der Kosten seiner Stellung in Rom und Neapel ab. Daraus
ergibt sich, dass der Cardinal an steter Geldverlegenheit laborierte, be-
ziehungsweise, dass sein factisches Einkommen nicht dem stipulierten
Betrage entsprach. In einem Schreiben des Grafen Otto an den Bru-
der d. d. Brunn 21. Januar 1722 kommt die bezeichnende Stelle vor:
') Leider fehlen die zwei wichtigsten Bände (VII und VIII), die entweder
im Kriegsarchiv in Wien oder im Gräfl. Kalnokyschen Archive zu suchen sein
dürften und den sicilischen Krieg betreffen. Die letzte Gräfin Schrattenbach Isa-
bella, war mit Grafen Gustav Kalnoky vermalt, wurde die Mutter Sr. Ex. des
Ministers des Kais. Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten Grafen Gustav
Siegmund Kalnoky und starb 8. Okt. 1875. Im Jahre 1853 schenkte sie des Car-
dinais Schrattenbach Correspondenz dem f. e. Archive zu Kremsier.
(318 Lechner.
„Allhier spargiert man, Ihro Hochfürstl. Eminenz würden an Statt des
Cardinal Altheim in Rom bleiben. So es seyn solte, bitte, gnädigster
Herr, selbe wollen wegen des khaiserliclien adiuto sich auff ein sicheres
fondiren, undt nicht auff die Cammer anweisen lassen, weillen die
Hoffeammer so schlecht stehet, das die Herren Eathe khein Bessoldung
Jahr undt Tag haben" r).
In allen Centralstellen waren zu viel Leute, darunter viele ohne
jedes Gehalt, angestellt, die dalier auf unrechtmässige Weise sich ihren
Unterhalt erwerben mussten. So gab es z. B. bei der Giunta della
Vicaria, die in eine Criminal- und Civilabtheilung zerfiel, in ersterer
1 1 Maestri d' atti mit je 10 Schreibern für jede Kanzlei, in letzterer
14 Maestri d' atti mit je 7 Schreibern für jede Kanzlei; 19 Actuars-
kanzleien mit je 3 Schreibern und 46 Diener. Für die ganze Giunta
der Vicarie gab es eine Wache von 15 Justiz-Hauptleuten mit je eilf
Sbirren, die bezahlt wurden, vier weitere Hauptleute waren überzählig
und bezogen keinen Sold, wohl aber ihre Sbirren, deren jeder fünf
unter sich hatte. Ausserdem gab es noch sieben Caporali di Cata-
ratta mit je zehn Soldaten, die gar keinen Sold erhielten und bloss
von den Taxen für Zustellung der Executions- Acten an die Schuldner
leben mussten 2).
Unter solchen Verhältnissen ist es begreiflich, dass es mit der nea-
politanischen Kriegsmarine beim Ausbruche des sicilischen Krieges im
Sommer des Jahres 1718 nicht gut bestellt war. Die kaiserlichen
Truppen mussten zum weitaus grössten Theile auf fremden, namentlich
genuesischen Fahrzeugen, nach dem Kriegsschauplatz gebracht werden.
Und doch sollte gerade dieser Krieg Veranlassung zur Gründung einer
erbländischen Marine werden. Während nach v. Rechberger hiefür
erst das Jahr 1733 von Bedeutung gewesen sein soll, halte ich den
Ausbruch des sardinisch-sicilisehen Krieges 1717 — 20 für die eine, die
Gründung der orientalischen Compagnie für die andere Veranlassung,
dass der Kaiser seine bezüglichen Pläne zu verwirklichen trachtete. Ganz
abgesehen davon, dass der Reichskanzler Graf Sinzendorff und der
Marquis von Rialp bei jeder Gelegenheit dem Kaiser darin beistimmten
und ihn aufmunterten 3), musste es für den hochstrebenden Sinn Karl VI.
höchst peinlich sein, ganz von der Gnade der Engländer abhängig zu
sein, und deswegen hat er noch während des Krieges die Vermehrung
der maritimen Streitmacht durchzusetzen gesucht. Das geht aus der
') Schrattenbachs Correspondenzbücher Bd. XXXI, XXXII, XX.
*) ibid. Bd. XXXIV.
3) Arneth, Prinz Eugen von Savoyen 3, 36 folgd.
Zur Gründuugsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. (319
Beilage I deutlich hervor. Es sind seit circa 1720 mehrere Vorschläge
hiezu eingelaufen und es mögen wohl auch selbstsüchtige Motive hie-
bei wirksam gewesen sein. Letzteres ist bei dem Verfasser der an-
gezogenen Kelation sicher nicht der Fall gewesen, denn sonst hätte
derselbe nicht so ungeschminkt den wahren Zustand der ganzen Sach-
lage dem Kaiser dargestellt, da er doch wissen musste, dass Karl VI.
jeden Tadel in Flottenangelegenheiten als eine Kritik seiner Regierung
ansah. Und doch hat E. Deich manu das Vertrauen seines Kaisers
besessen, da er von diesem den Auftrag erhielt, als kais. Commissär
die Waldungen im Küstengebiete, in Neapel uud Sicilien in Augen-
schein zu nehmen, alle Golfe und Hafenplätze zu besuchen und über
deren Tauglichkeit zur Anlegung eines Kriegshafens sowie über die
vorhandenen Schiffe, deren Brauchbarkeit und Bemannung, genauen
Bericht zu erstatten. Wann dieser Auftrag ergangen ist, vermag ich
nicht genau anzugeben, ebenso wenig, aus welcher Marine Deichmann
berufen worden war und welchen Charakter er in der kaiserlichen be-
kleidete. Nach Kuchelbeckers „Allerneueste Nachricht vom Römisch-
Kayserl. Hofe nnd der Eesidenzstadt Wien 1730" stand er vordem in
dänischen Diensten und war damals von Deichmann „Admiral über
die Flotte der Adriatischen Seehäfen". In dem Protokoll der Hof-
Commerz-Commission vom 12. Juli 1731, das Mayer 1. c. 125 folgd.
nach den Aufzeichnungen des Franz von Reigersfeld, eines der vor-
nehmsten Mitglieder genannter Commission , aus dem Laibacher
Museal-Archiv mitgetheilt hat, wird der Herr v. Teichmann öfters ge-
nannt, jedoch ohne nähere Angabe seines Marine-Charakters, obwohl
deutlich hervorgeht, dass er einen höhern Rang bekleidete. In den
Verhandlungen der Marine-Conferenz vom 11. August 1734 l) wird
des Cavaliere Deichmann als eines Verstorbenen gedacht. Dass es sich
hier um eine und dieselbe Person handelt, steht ausser Zweifel; ich
vermuthe, dass Deichniann mit dem von Löwenthal zum Jahre 1725
als Viceadmiral angeführten „Engländer* Deigham identisch ist.
Dann dürfte seine Beförderung und seine Erhebung in den Adelstand
eine Folge seiner Relation gewesen sein, auf die ich nun übergehe.
Dieselbe ist in italienischer Sprache abgefasst und unmittelbar an
den Kaiser gerichtet. Der Band enthält 116 Seiten Text in Folio und
nachstehende Originalkarten, beziehungsweise Pläne: 1. Mappa del
Friuli; 2. Carta del Golfo di Trieste; 3. Carta della profonditä e si-
tuazione di Porto Re e Boucari; 4. Carta del Golfo di Napoli; 5. Mappa
della Situazione del Porto di Trani. Die Relation ist nicht datiert,
') v. Rechberger 1, Anhang p. 13.
(520 L e c h n e r.
doch lässt sich die Zeit der Abfassung bestimmen. In der Einleitung
sagt Deichmann, er habe die Relation nach Beendigung seiner In-
spectionsreise geschrieben und er beruft sich in derselben auf ein ihm
aus Neapel zugekommenes Schreiben vom 25. September 1723. Da-
nach muss die Relation Ende 1723 verfasst worden sein. Hiefür spricht
zu einem Theile auch der Umstand, dass die in derselben mehrfach
erwähnten Allegata nicht mehr beigeschlossen sind, woraus ich den
Schluss ziehe, dass dieselben vom Kaiser zurückbehalten wurden, als
er die Relation dem schon in seinem Bisthum weilenden Cardinal
Schrattenbach wohl zur Begutachtung übersandte, denn auf eine an-
dere Weise würde sich nicht wohl erklären lassen, dass sie in der f.
erzb. Bibliothek zu Kremsier fich findet. Aus dem Umstände, dass er
die Schiffe S. Carlo und S. Barbara zur Zeit seiner Besichtigung als
vor zwei Jahren erbaut bezeichnet, dies aber zu Beginn 1720 geschah,
würde sich 1722 als Zeitpunkt für den Beginn seiner Inspectionsreise
ergeben. Doch kann das nicht richtig sein, denn in Neapel überreicht
er das kaiserliche Creditivschreiben dem Cardinal Schrattenbach (den
Namen nennt er wohl nicht, aber es kann nur Schrattenbach sein),
der seit April 1721 wegen des bevorstehenden Conclave in Rom weilte
und nicht mehr nach Neapel zurückkehrte. Mit der Annahme, dass
Deichmann schon im Jahre 1721 seine Reise begann, würde auch gut
übereinstimmen, dass unter den in der Beilage VI vorkommenden
Schiffen auch der S. Leopoldo genannt wird.
Dass er seine ihm gewordene Aufgabe genau nahm und ein er-
fahrener Seemann war, ist aus seinem Berichte unverkennbar zu er-
sehen. Er gliedert denselben in 6 Capitel. Im I. äussert er sich über
den Zustand der für den Schiffsbau das nöthige Holz liefernden Wäl-
der, im II. über die Hafenplätze; das III. handelt über die vorhan-
denen Kriegsschiffe, die Zahl und Qualität der Matrosen. Im IV." legt
er sein Urtheil über die Marine zu Neapel nieder, im V. und VI. be-
spricht er die vorgefundenen Mängel, setzt auseinander, wie dieselben
vermieden werden können und hebt zum Schlüsse die Hauptpunkte
hervor, die er für die Gründung einer Handels- und Kriegsmarine für
besonders wichtig hält.
Hören wir nun seinen Bericht über die Waldungen. Deichmann
unterzog zunächst die Waldungen von Planina, die Eigenthum des
Grafen Cobenzl waren und aus welchen die orientalische Compagnie
Buchenholz für das Kriegschiff S. Elisabetta bezogen hatte, einer ge-
nauen Besichtigung. Er fand dort schönes Holz von guter Qualität,
besonders für Mastbäume , jedoch machte der Transport erhebliche
Schwierigkeiten. Von da begab er sich in die kaiserlichen Eichen-
Zur Gründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 621
forste von Lock im Görzischen. Trotz einer schon bedeutenden Menge
o-efällter Stämme fand er noch eine grosse Anzahl von solchen, die für
Kriegsschiffe speciell Deckbalken und Schiffsrippen abgeben konnten.
Weil jedoch ein Theil des Waldes alljährlich durch eine gewisse Zeit
unter Wasser stand, hielt er das Holz seiner Qualität nach nicht für
besonders gut, da ja die italienische Eiche einen trockenen Boden liebt.
Auch den kaiserlichen Forst von Pannowitz fand er reich mit
Eichen bestanden; derselbe hatte seiner Schätzung nach einen Um-
fang von l8/4 deutschen Meilen; um ihn der Länge und Breite nach
zu durchreiten, hatte er 5 Stunden benöthigt. Da jedoch hier das
Terrain stark wechselt, blieb nur der trockene und nicht felsige Theil
des Waldes übrig, der für den Schiffsbau gutes Eichenholz zu liefern
vermochte. Einschliesslich des dortselbst auf Rechnung der orienta-
lischen Compagnie schon gefällten Holzes konnten nach Deichmanns
Meinung immer noch so viel Stämme herausgefördert werden, dass sich
damit etliche Kriegsschiffe erbauen Hessen. Viele Bäume waren jedoch
schon üherständig, vielen anderen nach der Gewohnheit der Leute die
Krone abgehauen, so dass sie im Marke anfaulen mussten: das fand
Deichmann gerade dort, von wo das Holz am leichtesten fortgeschafft
werden konnte, besonders häufig. Dieser Unfug war damals im Kü-
stenlande überhaupt stark üblich, speciell bei den Tschitschen, so dass
Kaiser Karl VI. dagegen uud gegen das Anzünden der Wälder im
Jahre 1732 eine scharfe Verordnung erliess, die jeden mit der Todes-
strafe bedrohte, der sich einen derartigen Waldfrevel zu Schulden
kommen Hess. Zu Balken und Rippen konnte aus diesem Forste viel
Holz Verwendung finden, nicht aber zu Schiffsplanken wegen Mangels
der hiezu nöthigen Länge.
Der Wald von Senoschetz, Eigeuthum des Fürsten Porzia, hatte
für den Bau von Kriegsschiffen ersten Ranges nur wenig taugliches
Holz, jedoch eine bedeutende Menge von Stämmen für solche von 30
bis 40 Kanonen. Das Holz der dortigen Schwarzeiche war von aus-
gezeichneter Qualität. In diesem Forste hatte die orientalische Com-
pagnie an 800 Stämme auf ihre Rechnung fällen und zurichten lassen.
Beiläufig drei deutsche Meilen von Fiume lag der Staatsforst von
Bleto, der zu etwa % mit Buchen, zu Vs mit Eichen bestanden
war. Leider war mit diesem Walde gar übel gewirthschaftet worden.
Deichmann wunderte sich freilich nicht mehr darüber, dass dieser grosse
Forst keine grössere Anzahl von Stämmen in gehöriger Stärke auf-
wies, nachdem ihm von Seite der Förster eine Specification vorge-
wiesen worden war, aus der er entnehmen konnte, dass seit dem Jahre
1711 darin nicht weniger als 3535 der schönsten Stämme gefällt wor-
ß22 Lech n er.
den waren. Ueberdies war der orientalischen Compagnie das Kecht
zugestanden worden, noch weitere 3000 Bäume dortselbst zu schlagen.
Als Deichmann die Inspection vornahm, war dies bei 126 Stämmen
schon geschehen: sechs davon sollten zur Ausbesserung eines Schiffes
in Fiume dienen, während die restierenden 120 zu Fassdauben zer-
sägt worden waren. Wenn man auch noch die übrigen 2874 Stämme
abtreibe, sei nach seiner und der Forstinspektoren Ansicht der Wald
ruiniert, während man gerade jetzt allen Grund habe, eine weise Spar-
samkeit zu üben. Für den Bau von Kriegsschiffen konnte er nur mehr
eine geringe Anzahl von Bäumen in der nöthigen Stärke ausfindig
machen und er betont nachdrücklich, dass man mindestens 20 Jahre
zuwarten müsse, bis eine grössere Anzahl für einen derartigen Zweck
herangewachsen sein werde.
Von hier begab er sich nach Zengg, um die Waldungen der dor-
tigen Umgebung, besonders jene um S. Giorgio und Carlo pago
in Augenschein zu nehmen. Hiebei stiess er auf das erste Hindernis
(es sollten ihm noch mehrere begegnen), das uns beweist, dass trotz
aller dahin abzielenden Bestrebungen des Kaisers noch immer die Cen-
tralisierung der Verwaltung gar viel zu wünschen übrig Hess. Als
Deichmann nämlich für die von ihm einzuschlagende Koute der Be-
reisung dieser Waldungen vom Vice-Commandanten zu Zengg sich
einen Führer erbat, stellte sich heraus, dass dieser von der ihm über-
tragenen Aufgabe gar nicht benachrichtiget war, weshalb er erklärte,
ohne specielle Erlaubnis seines Vorgesetzten, des Generals Teuffenbaeh,
der Bitte nicht willfahren zu können. Deichmann hätte daher sofort
wieder umkehren müssen, wenn nicht der in Zengg anwesende Com-
missär Nelander ihn nach Carlopago zu begleiten sich erboten hätte,
da auch diesen seine Mission auf längere Zeit dorthin führte. Von
diesem wurde ihm nun noch die Aufklärung zu Theil, dass die ange-
zogenen Forste ohne evidente Lebensgefahr, d. h. wohl ohne genügende
Bedeckung überhaupt nicht zu bereisen seien. Deichmann musste da-
her sein Vorhaben aufgeben und sich damit begnügen, die von Land-
leuten zugeführten Baumstämme zu Carlopago zu untersuchen. Es war
Eichenholz von ausgezeichneter Qualität und von der ganz besonderen
Länge von 72 Fuss. Von hier reiste er nach Buccari zurück, um die
Wälder des kroatischen Küstengebietes zu besuchen. Damals wurde
gerade an dem Baue der Strasse nach Karlstadt gearbeitet1). Deich-
') Dieser Bau muss aus mir nicht näher bekannten Gründen arg ins Stocken
gerathen sein, da nach Mayer 1. c. 84 das Project, die Strasse über Fucine, Mar-
kopolje, Verbousko, Bosiljevo und Novigrad nach Karlstadt zu bauen, 1725 wie-
Zur Gründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 623
mann kam nur iy2 Meilen über Fucine hinaus und fand hier kein
Riehen-, sondern nur Buchenholz. Davon war allerdings so viel vor-
handen, dass er sich einen lebhaften Handel damit versprach, sobald
einmal die erwähnte Strasse ausgebaut sei, weil man in Karlstadt Säge-
mühlen herstellen könne, um von dort das fertige Holz in den Handel
zu bringen und zwar einerseits auf der Kulpa und Save ins Donau-
gebiet, andererseits wieder ans Meer nach ßuecarizza und Porto Re.
Zu beiden Seiten der neuerbauten Strassenstrecke lagen gewaltige Haufen
von gefällten Baumstämmen, von denen Deichmann einen Theil brauch-
bar fand; das für Schiffszwecke untaugliche Holz räth er zu Kohlen
zu brennen, von deren Erlös zum Theile die Kosten für den weiteren
Ausbau der Strasse hereinzubringen wären. Wohl von Fiume aus hatte
er auch einige nicht näher bezeichnete Waldungen von dem damaligen
österreichischen Istrien (Grafschaft Pisino-Mitterburg) einer Inspection
unterzogen und schickte dann einen Eilboten nach Triest mit der An-
frage, ob das für seine Ueberfahrt nach Neapel ihm vom Kaiser bestimm-
te Kriegsschiff S. Leopoldo schon unter Segel gehen könne ; er erhielt
jedoch zur Antwort, dass dies vor Ablauf von zwei Monaten oder zum
mindesten von sechs Wochen nicht möglich sei, weil das genannte
Schiff noch nicht auf dem Kiel liege und für seine Bemannung noch
manches vorzusorgen nöthig sei.
Um die Zeit nicht mit unnützem Zuwarten zu verbringen, reiste
Deichmann unverzüglich nach Neapel ab, ob zu Lande oder mit einem
andern Schiffe ist nicht zu ermitteln. Wahrscheinlicher dürfte das
letztere sein, da damals und bis in unser Jahrhundert hiefür in der
Regel der Weg von Triest oder Fiume zur See nach Manfredonia
eingeschlagen wurde.1) Dort angekommen überreichte er dem Vice-
König, Cardinal Schrattenbach, seine Vollmacht und erhielt von ihm
zur Antwort, er werde ihn rufen lassen, sobald er von dem Inhalt
derselben Einsicht genommen habe. Als Deichmann, der unterdessen
erkrankt war, nach einigen Tagen nachzufragen sich erlaubte und den
Cardinal hiebei um Unterstützung bat, um das dortige Marinewesen
gründlich kennen lernen zu können, wurde ihm bedeutet, dass der
Vice-König es für nothwendig erachtet habe, sich an den Kaiser zu
der aufgenommen werden, und Oberingenieur Weis die Ausführung des Baues
überwachen sollte. Mit einigen Tracenänderungen kam sie später wirklich zu-
stande.
J) Aus vielen Schreiben Schrattenbachs ergibt sich, dass dies damals der
gewöhnliche Weg war; als im Jahre 1802 Königin Karoline von Neapel nach
fast 2jährigem Aufenthalt in Wien wieder nach ihrem Reiche heimkehrte, wurde
auch die Route Triest-Manfredonia eingeschlagen.
624 Le ebner.
wenden, um mancherlei Aufklärungen üher das ihm überreichte
Schreiben zu erhalten. Selbst wenn das Schreiben des Cardinais
nicht mit der „Ordinari-Post", sondern durch eine reitende „Staffetta"
nach Wien gesendet wurde, musste doch eiue geraume Zeit vergehen,
bis eine Antwort einlief, weshalb Deichmann an den Vicekönig das
Ersuchen richtete, ihn auf einer Galeere nach Sicilien bringen zu
lassen, nm dort seines ihm gewordenen Auftrages sich entledigen zu
können. Bis zu seiner Rückkehr, hoffte er, werde der Cardinal die
entsprechenden Aufklärungen erhalten haben. Hiebei versprach ihm
Schrattenbach, für ihn einen erfahrenen Ingenieur zu bestimmen, der die
nöthigen Pläne jener Hafenplätze herstellen sollte, welche Deichmann
als für den kaiserlichen Dienst geeignet erachtete; einige Tage später
gieng ihm aber durch den Adjutanten des Vice-Königs die Meldung
zu, er werde den Ingenieur bei seiner Ankunft in Tarent antreffen.
Mit dieser Zusage segelte Deichmann auf der Galeere x) Padiona nach
Sicilien ab in der Absicht, nach Beendigung seiner dortigen Geschäfte
mit einer Galeere nach Tarent und Brindisi zurückzufahren. Daraus
sollte jedoch nichts werden. Denn kaum war er in Palermo ange-
kommen, als ihm der Commandant der Padiona die Eröffnung machte,
dass eeine ihm in Neapel gegebene Instruction ihn verpflichte, direct
von Palermo nach Messina zurückzukehren; finde er dort nicht einen
neuen Befehl vor, so sei er nicht weiter in der Lage, ihn zu begleiten.
Deichmann war daher gezwungen, geradewegs auf der genannten
Galeere wieder nach Messina abzusegeln ; dort angekommen fand
sich natürlich keine Instruction für deren Capitän vor, wohl aber
wurde er von diesem auf das Eintreffen einer solchen vertröstet. Um
nun nicht neuerdings zur Unthätigkeit gezwungen zu werden, segelte
Deichmann nach kurzem Aufenthalt auf einer Feluche 2) nach Neapel
zurück, in der Erkenntnis, dass, wenn er in Messina die vice-königliche
Antwort hätte abwarten wollen, die Zeit für die Fortsetzung seiner
Fahrt nach Tarent und Brindisi äusserst knapp geworden wäre, weil
unterdessen weitere 10 — 12 Tage für die Verproviantierung der Ga-
leere nöthig gewesen wären, die in der vorgerückten Jahreszeit nicht
ohne dringende Notwendigkeit einer Gefahr ausgesetzt werden sollte.
') Nach v. Rechberger, 1. c. 17. Anmerkung 3 waren Galeeren zweiniastige
Fahrzeuge von ungefähr 22 Klafter Länge und in der Mitte 3 Klafter Breite, an
beiden Seiten mit je 25-30 Rudern ä 4-6 Ruderknechten auf jeder Ruderbank und
führten 5 Geschütze.
2) Feluchen waren eine Art schmaler Brigantinen, hatten kein Verdeck, führ-
ten Segel und beiderseits 6 Ruder.
Zur Grund ungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 625
Diese Chicanen, deren Grund ich später klar zu legen suche,
führt Deichniann als massgebend dafür an, dass es ihm nicht mög-
lich gewesen sei, die Waldungen von Sicilien in Augenschein zu
nehmen; davon abgesehen, hätte es ihm auch die ausserordentliche
Hitze in diesem Lande unmöglich gemacht und hätte er hiezu mehrere
Monate verwenden müssen. Trotzdem wisse er recht gut, dass die
sicilischen Forste ein ausgezeichnetes Holz zum Baue von Kriegs-
und Handelsschiffen hervorbringen und es sei bekannt, dass der König
von Sardinien während der kurzen Dauer seiner Herrschaft über das
Land 2 Kriegsschiffe von 60 Kanonen und 2 Galeeren erbaut habe.
Nach den von ihm eingezogenen Erkundigungen fand sich das beste
Holz in den Wäldern um Capigi und Carogna, beide Orte etwa
8 Miglien vom Meere entfernt. x) Auch auf der Insel Pantellaria,
ungefähr 40 Miglien vom Cap Bon in Afrika und 80 Miglien von
Marsala entfernt, müsse sich eine grosse Menge tauglichen Schiffs-
bauholzes befinden, das von da sehr leicht transportiert werden könne-
Um über die Waldungen Siciliens doch genaueren Aufschluss zu er-
halten, hatte sich Deichmann an jene Leute gewendet, die seiner Zeit
dem Könige von Sardinien ihre Dienste geliehen hatten. Er Hess
sie durch den Präsidenten der Krondomänen, Marchese Francesco
Maria Cavallari, hierüber vernehmen und später in dessen Gegen-
wart durch den General Wallis, den früheren Commandanten von
Messina und damaligen Chef-General von Sicilien. Das Ergebnis
dieser Einvernehmungen, die der Eelation ursprünglich beigeschlossen
waren, hier aber nicht mehr vorliegen, lautete dahin, dass man mit
Leichtigkeit 6 Kriegsschiffe und 10 Galeeren erbauen könne, unge-
rechnet das Holz in entfernteren Gegenden im Innern des Landes
und auf der Insel Pantellaria.
Auch im Keiche von Neapel gab es genug Waldungen, die mit
dem besten Eichenholz zum Bau von Kriegsschiffen bestanden waren.
Auf sein Ansuchen erhielt Deichmann von der Giunta della Marina
die Auskunft, dass diese Waldungen in ihrer Gesammtheit eine Fläche
von 180 Miglien Länge und 150 Miglien Breite ausmachen^). Im
Arsenal zu Neapel fand er eine grosse Menge des trefflichsten Schiffs-
bauholzes vor; es liess sich dies auch an den bis dahin erbauten
Schiffen erkennen. Wegen seines misslichen Gesundheitszustandes
und weil eine persönliche Untersuchung der Waldungen viele Monate
in Anspruch genommen haben würde, niusste Deichmann von einer
Bereisung derselben abstehen. Daher liess er, um die Daten der
') Liegen auf der Nordseite Siciliens.
Mitt]ir>ilui)gen XV. 40
(326 L e c h n e r.
Giunta einer genaueren Prüfung unterziehen zu können, die Schiffs-
baumeister und das Forstpersonal durch den Ingeuieur Marinelli,
einen Mann von bestem Kufe und grosser Praxis, befragen und holte
ausserdem hierüber das Gutachten des Stadtrathes von Barletta über
die Waldungen der dortigen Umgebung ein und alle Angaben stimm-
ten in der Hauptsache mit denen der Giimta überein. Leider
sind auch diese der Relation angeschlossen gewesenen Allegata nicht
mehr hier.
Sowohl in Sicilien als auch in Neapel, berichtet Deichmann weiter,
baue man trefflichen Hanf. Nach den erhobenen Informationen über-
stieg die jährliche Durchschnittsernte in Sicilien 3260 Cantar a 300
sicilianische Pfund. Im vergangenen Jahre (also 1720!) war sie noch
weitaus reichlicher ausgefallen, und wäre der Boden besser cultiviert,
so könnte der Ertrag noch bedeutend gesteigert werden. Aber damals
lasen grosse Strecken des Landes brach, weil die Bewohner den Hanf
nicht leicht abzusetzen vermochten und daher wegen des unsichern
Ertrages andere Bodenproducte dem Hanfbau vorzogen. Den Hanf
im Gebiete von Neapel und Capua fand Deichmann von der besten
Qualität; die jährliche Fechsung veranschlagte man auf 28165 Cantar,
nicht eingerechnet jenen, den man in anderen Landstrichen im Reiche
von Neapel erzeugte. Ausserdem finde man Pech in genügender Menge.
Eisenminen, meint Deichmann, dürfte es wohl in Sicilien nicht mehr
geben, als man gerade damals im Betriebe hatte und die Erfahrung
müsse erst zeigen, ob das Eisen von brauchbarer Beschaffenheit sei.
Auch in Neapel waren viele Eisenbergwerke im Betrieb, jedoch will
sich Deichmann über deren Product des Urtheils entschlagen, weil
man daraus noch keine Kanonen gegossen habe. Diese Frage nennt
er überhaupt belanglos, weil der Kaiser in Niederösterreich Eisen von
bester Güte genug gewinne. Lebhaft tritt er vom wirthschafts-poli-
tischen Standpunkte dafür ein, dass man, mit allem erforderlichen Roh-
material im eigenen Lande wohl versehen, sich vom Auslande unab-
häugig machen solle, und wohl ganz mit Recht spricht er seine
Meinung dahin aus, dass sogar über den eigenen Bedarf hinaus noch
eine beträchtliche Ausfuhr erzielt werden könne.
Nachdem Deichmann in der angedeuteten Weise die Ergebnisse
seiner Beobachtungen und Erkundigungen über die Waldungen dar-
gelegt hat, geht er zu den Hafenplätzen über. Zunächst hatte er die
Küste von Friaul untersucht. In der Nähe von Aquileja fand er
nur 1 — 3 Fuss Wassertiefe, die gegen den Canal der Amfora hin sich
auf 6 — 8 Fuss absenkte, um an der Mündung desselben wieder nur
2 — 3 Fuss aufzuweisen. Die Ursache davon sieht er ganz richtig
Zur Griindungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. ß27
in den Geröll-, Sand- und Erdmassen, welche die Flüsse, besonders
der Isonzo mit der Wippach und dem Torre ablagerten. Bei Scirocco
(S. W.) oder Garbino (S, 0.), die gerade an dieser Küste heftig auf-
treten, werden diese Massen durch den Meeresschlamm gestaut und so
haben sich die Lidi gebildet und waren an der Mündung der Amfora
einige Inseln entstanden, welche den Eingang sperrten. Zwar fand
sich zwischen diesen und den beweglichen Sandbänken eine genügend
tiefe Durchfahrt, aber Wind und Fluten veränderten dieselbe so häufig,
dass man nicht selten den Weg nicht mehr benutzen konnte, den mau
tags vorher gefahren war. Ausserdem fand Deichmann bei diesen be-
weglichen Inseln nirgends einen brauchbaren Ankergrund. So sonder-
bar es auch erscheinen mag, betont er doch nachdrücklich, dass an
der ganzen Küste von Aquileja her gegen die Amfora niemand von
den Unterthanen des Kaisers den Fischfang betreibe und dass daher
auch niemand eine halbwegs genügende Kenntnis dieser Küste habe,
so dass man ganz auf die venetianischen Fischer, die allein mit den
Oertlichkeiten vertraut waren, als Lootsen angewiesen bleibe. Der
Grund der Amfora, meint er, Hesse sich vielleicht tiefer legen und die
Einfahrt erweitern, aber unmöglich schien es ihm, die Sandbänke, resp.
Inselchen zu beseitigen, weil dieselben immer wieder durch das An-
schwellen der Küstenflüsse neu gebildet würden. Daher könne man
für grosse Schiffe hier nie ein taugliches Fahrwasser herstellen.
An der Mündung der Amfora fand er an 50 venetianische Fischer
vor, die dort ihre Netze ausbesserten; den Ertrag ihres Fischfanges
verkauften sie zum Theil in Venedig. Weil nun das Fischerei-Kecht
dem Kaiser zustand und an die Venetianer um jährliche 120 fl. nur
in Pacht gegeben war, tritt er dafür ein, dass man dies den eigenen
Unterthanen um Aquileja überlasse. Denn dann bleibe das Geld im
Lande, und was weit wichtiger sei, man würde auf diese Weise die
Leute ans Meer gewöhnen und könnte sie dann zur Marine brauchen.
Da Deichmann nach ßuto bei Marano auf venetianisches Gebiet
nicht vordringen durfte, kehrte er nach Fiumicello auf friaulischem
Boden zurück und er faud hier den Grund gleichmässig 10 — 12 Fuss
tief bis gegen das offene Meer, wo die Wasaertiefe auf 6 Fuss sank.
Dieser Canal hatte also eine genügende Tiefe und wäre leicht noch
zu vertiefen gewesen für schwere Schiffe, aber an der Mündung waren
auch hier Untiefen, die sich bis auf 3 Miglien ins Meer hinauszogen
und nur einen Wasserstand von 4 — 3, ja selbst nur bis 2 Fuss auf-
wiesen. Daher sei auch hier jeder Aufwand vergeblich ausgelegt. Dann
kommt er auf den Golf und Hafen von Triest zu sprechen. Nach der
von ihm beigeschlossenen Aufnahme dieses Golfes ergibt sich, dass
40'
(328 L e c li n e r.
er die Tiefe sehr ungleichmässig fand, weshalb er auch erklärt, er
wüsste im ganzen Golfe keinen Ort ausfindig zu machen, der zur An-
legung eines Kriegshafens und zum Standort einer Marine die Eignung
besässe. Mit kundigem Blick erkannte er die Schwierigkeit der Be-
schaffung von Trinkwasser, das nur in grosser Entfernung von der
Stadt sich fand, und schon aus diesem Grunde tauge Triest nicht zu
einem Kriegshafen. Den Meeresboden gegen das Lazareth hin be-
zeichnet er als felsig und wenig tief. Arbeiten in derartig ungleichem
Niveau wie hier seien immer vielen unvorhergesehenen Zufällen aus-
gesetzt. Trotzdem hielt er dafür, dass man mit erheblichem Kosten-
aufwand doch etwas machen könnte; aber einen sichern Hafen für eine
Kriegsflotte könne man selbst mit dem grössten Aufwand an Kraft und
Geld nie und nimmer herstellen. Ausserdem lassen sich dort auf keine
Weise Werke aufführen, durch welche man eine feindliche Flotte hin-
dern könnte, alles was sie vorfinde, zu bombardieren und in Brand
zu stecken. Um den Handelsverkehr von Triest zu heben, hält er
für nöthig, den kleinen Hafen in bessern Stand zu setzen, ihn zu er-
weitern und zu vertiefen, so dass er für grössere Handelsfahrzeuge
brauchbar werde, jedoch könne er über die Beschaffenheit des Grundes
in demselben keine sichere Mittheilung machen, „essendo (il fondo)
ricolmo di sabbia e di fango. " Für Marciglianen *), Tartanen 2) und
andere kleinere Fahrzeuge könne man den Canal bei den Salinen,
nahe am Hafen, erweitern und hätte dann durch die genannten zwei
Arbeiten für den commerciellen Verkehr genügend vorgesorgt, ohne
dass hiezu besonders grosse Summen zu verwenden nöthig sei. Diese
Ansichten Deichmanns decken sich zum Theil mit dem Inspections-
bericht, den der Ober-Ingenieur Weis im Jahre 1721 erstattet hatte.
Die orientalische Compagnie hatte nämlich 1720 den Laibacher Bau-
meister Martinuci beauftragt, in Triest ein Lazareth und Magazine zu
erbauen. Der hiezu von der Stadt geschenkte Grund auf dem Campo
Marzo war jedoch schlecht, und Weis würde der Compagnie wohl
besser vorgeschlagen haben, den schon in der Ausführung begriffenen
Bau ganz zu sistieren, als denselben aus Ersparungsrücksichten bloss
möglichst einfach durchzuführen. 3) Die Compagnie scheint noch mehr
haben sparen wollen, denn Deichmann fand einmal das Arsenal halt
an die Stadtmauer gebaut vor und die Magazine aus Fichtenbrettern
hergestellt, so dass durch böswillige Hand der ganze Complex in Brand
') Handelsfahrzeuge, wie sie in Marseille üblich waren.
*) Fahrzeuge mit gespitztem Segel, mit 8 — 10 Rudern beidei-seits.
8) Mayer 79 flgde.
Zur Grandungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 629
gesteckt werden konnte. Der Untergrund war so nass, dass innerhalb
des Magazins das Wasser 2 l/a Fuss hoch stand, der Platz für das Arsenal
viel zu klein, um weitere Gebäude dort aufführen zu können.
Man hatte den Beschluss gefasst, ein anderes Magazin an der Strasse
zu erbauen, wo es jedoch viel zu sehr exponiert war. Er nahm auch
die Gegend um Pantaleone in Augenschein, also wohl den Platz
am Fusse dieses Hügels, und hielt denselben für weitaus geeigneter,
als irgend einen andern im Golfe von Triest, zur Anlage eines Kriegs-
hafens, die ihm freilich nur mit grossen Geldopfern durchführbar schien.
Damals baute man dort gerade das Kriegsschiff S. Leopoldo, das zu
inspirieren Deichmann hier der Auftrag zugieng. Die Stadt Triest
hatte damals noch kein einziges grösseres Handelsschiff, ihre grössten
Schiffe waren zwei Marciglianen und 8 — 10 kleinere Küstenfahrzeuge.
Matrosen konnte man beinahe nicht auftreiben, denn es gab nur solche,
welche auf Fahrzeugen voriger Gattung dienten und man hatte grosse
Mühe gehabt, für die Equipage des Kriegsschiffes S. Elisabetta 20 Ma-
trosen ausfindig zu machen. —
Ueber die Häfen von Buccari und Porto Re äussert sich Deich-
mann weitaus günstiger. Den von Buccari nennt er mit vollem Kechte
seiner natürlichen Beschaffenheit nach „veraniente perfetto" und hält
ihn für ausreichend zur Anlage eines Schiffsbauplatzes, auf dem 3 — 4
Schiffe gleichzeitig erbaut werden könnten, weil derselbe auch vor der
sonst im Hafen häufig auftretenden Bora geschützt werden könnte.
Er hält übrigens dafür, dass dieselbe den grosssen Schiffen im Hafen
nicht viel anhaben werde können, da er ohne besondere Mühe bei
starker Bora auf einem Kahn mit 6 Rudern wohlbehalten nach Bucca-
rizza gelangte. In Porto Re, das mit Buccari sozusagen einen Hafen
bildet, lasse sich derselbe leicht zur Aufnahme von 10 — 12 Kriegs-
schiffen tauglich machen, Baum für Magazine und sonstige Bauten sei
genug da und sei er einmal ordentlich in Stand gesetzt, so würden
die Schiffe vor der Bora und andern widrigen Winden gesichert liegen
können. Wie er den Hafen vorfand, vermochte er freilich nur etwa
4 Linienschiffe und 2 Fregatten zu fassen. Damals hatte Buccari mit
Fiume 22 Handelsschiffe verschiedener Grösse mit 260 Matrosen, von
denen zwei Drittel Ragusaner waren. Nach seinen Erkundigungen
Hessen sich aber aus diesem Küstenstriche noch an 3 — 400 Matrosen
aufbringen, jedoch nur solche, die in der Adria fuhren, die daher für
den Dienst auf Kriegsschiffen erst hätten ausgebildet werden 'müssen.
Zengg, der Hauptsitz der Morlacken, besass 39 grössere und
kleinere Handelsfahrzeuge mit einer Bemannung von 314 Matrosen,
welche Deichmann für den Dienst auf Kriegsschiffen für durchaus ver-
630
L e c k n e r.
5
wendbar erklärte. Dass er hiebei eine ganz richtige Beobachtung
machte, bezeugt das Urtheil des späteren Flottencommandanten Conte
Luca Pallavicini aus dem Jahre 1733, indem dieser die Bewohner
dieser Küstenstriches als „ naturellernent braves, intrepides et plus propres
au service de mer" nennt1). Leider hatte die Stadt keinen Hafen, so
dass bei widrigem Winde und im Winter ihre Schiffe in den vene-
tianischen Hafenplätzen auf der Insel Veglia eine Zuflucht suchen
mussten.
Den Hafen von Messina hielt Deichmann für den besten im
Mittelmeer wegen der vollkommenen Sicherheit der Schiffe vor Stür-
men. Für jene Zeit mag er Becht gehabt haben, ist er doch heute
noch ein wichtiger Zufluchtsort bei schlechtem Wetter, aber der beste
Hafen ist er nicht mehr. Einen erheblichen Uebelstand fand er in dem
Auftreten grosser Massen von Würmern an mehreren Orten desselben;
doch eruierte er 2 -300 Schritte vom Palaste des Vice-Königs entfernt
eine Stelle, wo sie nur ganz vereinzelt vorkamen. Ihr geringes Auf-
treten an derselben schreibt er dem Umstand zu, dass dort die
Cloaken einmündeten und er hebt hervor, dass der gleiche Uebel-
stand auch in Toulon gewesen sei, weshalb man dort die Cloaken
o-erade durch das Arsenal habe hindurchführen lassen und seit dieser
Zeit habe man Kühe vor den Würmern. Die Stadt Messina hatte da-
mals wohl in Folge der vorausgegangenen Kriegsereignisse, in denen
sie hart mitgenommen worden war, nur 7 Tartanen, 12 Paronen, d. h.
kleinere einmastige Fahrzeuge, und 23 Feluchen. Hingegen war dort
wie im ganzen Beiche von Sicilien kein einziges grosses Handels- oder
Kriegsschiff. Es lässt sich daher begreifen, dass Deichmann wegen
der exponierten Lage von Sicilien gegenüber den Barbaresken Staaten
entschieden für eine Abhilfe dieses Zustandes eintrat und zum min-
desten die Aufstellung eines stets armierten Kriegsschiffes beim Leucht-
thurme von Messina für nöthig erklärte. Nach den von ihm eingezo-
genen Erkundigungen schätzt er die in Sicilien verfügbaren Matrosen
auf circa 2000 Mann, nicht eingerechnet jene, die zur Zeit auf Han-
delsschiffen in Dienst standen. Als die erfahrensten sah man die von
den liparischen Inseln, von Scaletta und von Trapani an.
Palermo hatte damals keinen eigentlichen Hafen, sondern unter-
halb der Höhen von S. Bosalia war innerhalb des Golfes ein gut ge-
bauter und wohl erhaltener Molo von 360 Schritt Länge, durch den
die Schiffe hinter demselben vor widrigem Wetter geschützt waren.
Die Stadt besass damalt sieben Tartanen und zwanzig kleinere
Barken -) ; die übrigen Häfen Siciliens sowie die von Tarent und Brin-
0 v. Rechberger 1, 27. 2) Ein- oder zweimastige Scbiffe von grosser Breite,
Zur (-h-ündungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 631
disi konnte Deiclimann wegen der schon angedeuteten Haltung des
Vicekönigs nicht in Augenschein nehmen.
Auch Neapel hatte keinen Hafen uud er glaubte auch nicht,
dass irgendwo in der Nähe der Stadt ein passender Ort für eiuen sol-
chen sich werde finden lassen. Der Platz, der damals als solcher
diente, war durch einen Molo nur schlecht gesichert, so dass es immer
Unfälle gab. Der Grund nahe am Lande war mit Sand und Schlamm
angefüllt und dort einen sicheren Hafen anzulegen, hält er fast für
ein Ding der Unmöglichkeit. Das Arsenal war ein sehr beträchtliches
Gebäude, aber bloss eingerichtet für den Bau von Galeeren sammt
allem Zugehör, jedoch fand er dasselbe derart im Verfalle, dass es nur
mit grossen Kosten in seinen ursprünglichen Stand hätte gebracht
werden können. Daher will er von einer Wiederherstellung desselben
nichts wissen, da hiebei Nutzen und Auslagen in argem Missverhältnis
stünden. Es besass noch viel Eichenholz von bester Qualität, aber jede
Gebahrung dortselbst war gar übel, wie sich aus der Beilage II er-
o-ibt. die wohl als eine für Cardinal Schrattenbach bestimmte Auf-
zeichntiug eines höheren Arsenalbeamten anzusehen sein dürfte x). Die
Darsena konnte bei ihrer Grösse von 50X40 Schritten nur Galeeren
aufnehmen. Diese Angabe findet volle Bestätigung in einem Schreiben
des Cardinais an den Hofkriegsrath (Beilage III).
Baja hatte nur eine offene Rhede. In derselben war ein Platz,
Trullio genannt, wo zur Römerzeit ein Hafen sich befand, der jetzt
so versandet war, dass kein Schiff mehr eindringen konnte, abgesehen
davon, dass die Einfahrt nur 45 F. Breite hatte. Man könnte, meint
Deichmann, den Platz schon wieder herrichten, aber für die Errich-
tung der Marine würde derselbe doch nicht taugen, weil es einerseits
kein Süsswasser gebe, und weil andererseits die Luft durch das stehende
Wasser des Arverner Sees und andere Sümpfe völlig verpestet sei, so
dass die Anwohner selbst gezwungen seien, durch 5 — 6 Monate im
Jahre anderwärts Aufenthalt zu suchen. Der genannte See war nicht
ganz eine halbe Miglie von Baja entfernt uud hatte 42 F. Wasser-
tiefe. Seine Lage wäre zu einem Hafen ganz geeignet gewesen, wenn
nicht an der Verbindungsstelle mit dem Meere in einer Nacht durch
his 50' Länge, bis 100 Tonnen tragend, führten Munition oder Waaren und
löschten die Ladung grosser Fahrzeuge.
') Von Deichmann kann dieselbe nicht herrühren, da sie neben anderem
noch ungünstigere Angaben über den S. Leopoldo enthält, die er ganz sicher
nicht verschwiegen hätte, wenn sie ihm bekannt gewesen wären ; vielleicht «rar
Bolini der Verlasser derselben.
g32 L e c h n e r.
ein Erdbeben ein Hügel entstanden wäre. In so gefahrlicher Nähe
durfte man jedoch gar nicht daran denken, einen solchen zu errichten.
Auch in Pozzuoli gab es seit langer Zeit keinen Hafen, denn
von dem alten römischen waren nur noch einzelne Spuren von Bögen
übrig geblieben, deren äusserste bis zu 44 F. tief im Wasser fundiert
waren x). Das einzige Mittel, hier einen Hafen herzustellen, wäre die
Ausgestaltung dieser Reste zu einem starken Molo gewesen. Eine der-
artige Arbeit hätte jedoch wegen des gewaltigen Ansturmes der Wogen
trotz der immensen Kosten eines solchen Baues keine lange Dauer
versprochen.
Trano in Apulien, 6 Miglien von Barletta entfernt, hatte einen
genügend räumlichen Hafen zur Aufnahme einer grossen Anzahl von
Fahrzeugen, der sich für die grössten Handelsschiffe jener Zeit ver-
tiefen liess. Dass er auch für Kriegsschiffe tauglich gemacht werden
könnte, getraut sich Deichmann nicht mit Sicherheit zu behaupten,
obgleich er bis in den Hafen hinein einen Wasserstand von 5 Ellen
constatieren konnte, wie sich aus seiner Aufnahme ergibt. Jedenfalls
müsse man, meint er, im Auge behalten, dass in ganz Apulien kein
anderer Hafenplatz für Kriegsschiffe vorhanden sei, weshalb der Ver-
kehr vom österreichischen Litorale nach dem Reiche von Neapel
grossen Schwierigkeiten unterworfen bleibe, besonders in Kriegszeiten,
wo man grosse Transporte vorzunehmen habe. Er tritt daher dafür
ein, diesen Hafen in guten Stand zu setzen. Tar^nt und Brindisi, wo
er nicht selbst gewesen war, lässt er ausser Betracht, weil er der Mei-
nung sei, dass die Herstellungsarbeiten lange Zeit erfordern und der
Erfolg doch fraglich bleiben würde. Heutzutage sind die grossen
Kriegshäfen fast durchwegs nur Handelshäfen zweiten oder dritten
Ranges oder haben als solche fast nur locale Bedeutung. Es mag
dahin gestellt bleiben , ob Deichmann für seine Zeit gut daran that,
wenn er dafür eintritt, dass der Platz, wo der Kriegshafen errichtet
werden solle, auch zur Förderung des Handels geeignet sein müsse.
Als solchen Platz bezeichnet er Buccari-Porto-Re, in dem er unter
den Gründen für seine Ansicht den damals gewiss stichhältigsten an-
führt, dass die Lage in Rücksicht auf den Besitzstand Oesterreichs an
der Küste die beste von allen Orten sei, dass sie eine bequeme Ver-
bindung nach Neapel, auch für den Handel, biete und man hier die
Flotte jederzeit in der Hand habe. An Deutschland grenzend könne
von hier aus Neapel und Sicilien immer Hilfe gebracht werden, was
umgekehrt von Neapel aus nicht im gleichen Masse der Fall wäre. Zu
l) Trümmer dieses Molo sind noch vorhanden.
Zur Uründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. G3o
den Arbeiten, welche die Umgestaltung der beiden Plätze erheischte,
will er die Galeerensträflinge aus Neapel verwendet wissen, weil man
sie doch, ohne dortselbst von ihnen den geringsten Nutzen zu haben,
erhalten müsse und unter ihnen viele taugliche Arbeiter seien. Auf
diese Weise könne man bedeutende Kostenersparnisse machen.
Ich habe oben angedeutet, dass bei Pantaleone, wo damals der
S. Leopoldo erbaut wurde, Deichmann Befehl erhielt, diesen zu inspi-
cieren. Er inspicierte zunächst seine Bemannung, die aus 239 Ma-
trosen bestand, darunter freilich nur wenige, die diese Bezeichnung
verdienten, noch weniger solche, die auf einem Kriegsschiffe gedient
oder sonst ihr Metier gründlich erlernt hatten. Die Officiere hatten
keine Instruction und keine Kriegsartikel *), daher auch von einer
guten Disciplin und geordneten Ökonomie keine Rede sein konnte.
Die Inventare und das Schiffsregister waren in solcher Unordnung,
dass zu ihrer völligen Richtigstellung monatelange Arbeit nöthig ge-
wesen wäre. Einen grossen Uebelstand rief man dadurch hervor, dass
man jedem Matrosen unterschiedslos monatlich 5 neapol. Ducaten Löh-
nung zahlte, gleichviel ob er erst angeworben war oder schon eine
lange Reihe von Jahren im Dienste stand. Dass dieser Lohn allge-
mein bei der neapolitanischen Marine üblich war, geht aus der Bei-
lage VI hervor. Das Urtheil Deichmanns über das Kriegsschiff lautet
sehr ungünstig. Dasselbe war nach dem ursprünglichen Plane für eine
Bestückung von etlichen 40 Kanonen auszuführen gewesen, man hatte
es aber für etliche 50 gebaut. Hierüber befragt, gab der Schiffsbau-
meister (es muss dies der von Löwenthal 1, 166 angeführte Boyer
gewesen sein), zur Antwort, dass die orientalische Compagnie es so
befohlen habe und seine gegentheiligen Einwendungen daran nichts
zu ändern vermocht hätten. Daraus und aus Deichmanns ausdrück-
licher Angabe, dass der Kaiser das Schiff auf seine Rechnung ge-
nommen habe, ergibt sich die Thatsache, dass die genannte Compag-
nie auch das Recht erhalten haben muss Kriegsschiffe zu baueu, was
aus dem Privilegium von 1722 nicht zu erkennen ist. Wahrschein-
lich wollte die stets in Geldnöthen befindliche Gesellschaft auf solche
Weise wenigstens zum Theile sich die Mittel für ihren Handel ver-
schaffen.
») Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass auf Deichmanns Relation hin
die „See-Articuli und Kriegsgerichts-Instruction für die Marine Seiner kaiserlichen
nnd katholischen Majestät Carl VI." erlassen worden sind, die v. Lehnert (im
„Organ der militärwissenschaftlichen Vereine 1886, p. 4) „wahrscheinlich" aus dem
Jahre 1730 stammen lässt.
(334 Lechne r.
Seinem äusseren Baue nach bezeichnete er den 8. Leopoldo als
recht hübsch, aber erbaut war er aus dem schlechtesten Holze. Viele
Planken wiesen grosse Risse auf, die mit Pech ausgegossen worden
waren, da die Arbeit, neue einzufügen, mehr gekostet hätte, als das
Schiff ganz neu zu bauen. Auf der zweiten Batterie waren 7 Balken
unbrauchbar, tiefer unten im Schiffsinnern waren 3 Balken, welche
die erste Batterie stützen sollten, die mit 3 der Hauptrippen entweder
gebrochen oder angefault waren. Ausserdem waren viele Balken an
ihren Seiten durch Eichenbohlen verstärkt worden, unfraglich ein Be-
weis, dass sie entweder nicht die nöthige Stärke hatten oder dass man
sie nicht in richtiger Ordnung eingesetzt hatte. Den Hauptmast aus-
genommen, waren die anderen vom schlechtesten Holze. Dass dieses
neu erbaute Schiff so grosse Mängel aufwies, schreibt er dem Umstände
zu, dass man einmal überhaupt schlechtes Holz nahm und überdies
dasselbe nicht zu rechter Jahreszeit geschlagen habe; waren doch ein-
zelne Stücke so faul, dass sie beim Anschlagen klangen „como fossero
botti vuote", und dazu waren sie völlig wurmstichig. Die Bestückung
der ersten Batterie bestand, aus 24 Achtzehnpfündern, für welche der
Baum viel zu gering war, denn nach der Construction und Stärke der
Planken hätten es Zwölf pf linder sein müssen, während sie für Acht-
zehnpfünder viel zu eng waren. Nur die 2. Batterie, mit Sechspfün-
dern bestückt, war in den gehörigen Proportionen erbaut. Die Anker-
taue waren um 4 Zoll stärker als sie hätten sein sollen, so dass sie
nach seiner Meinung die Anker derart beherrschen werden, dass diese
ihren Zweck nicht erfüllen können. Als einen weiteren schweren
Fehler bezeichnet er den Vorgang, dass das Schiff von dem Zeitpunkt
an, wo es der Kaiser auf seine Rechnung übernahm, bis zu dem der
Inspection immer im Golf von Triest gelassen wurde, beschwert mit
seiner ganzen Belastung an Kanonen, Ankern, Tauwerk u. s. f., da
dies allen wirtschaftlichen Grundsätzen zuwiderlaufe. Auch das Kriegs-
schiff S. Elisabetta wurde von Deichmann in Triest einer Besich-
tisnm£ unterzogen. Den Bau des Schiffes fand er von kundiger Hand
durchaus in rechten Proportionen ausgeführt, aber hinsichtlich des
Materials wies es die gleichen Mängel auf wie der S. Leopoldo. Im
Schiffsinnern sahen 3 Balken genau so aus, als ob sie gebrochen
wären, und zwei Hauptrippen waren schon vollständig unbrauchbar;
über der zweiten Brücke waren 5, die nicht mehr lange halten konnten.
Ueber die Bestückung desselben macht er keine Angabe, nach Löwen-
thal (1, 165) führte es 60 Kanonen und diente noch unter Conte
Luca Pallavicini als Admiralschiff. Es ist wohl auch auf der
Zur Gründungsgeschiclite der österreichischen Kriegsmarine. 635
Triester Werfte erbaut worden, da das Holz dazu aus dem Walde von
Plauina genommen wurde J).
In Neapel besichtigte Deichmann die drei übrigen Schiffe, näm-
lich die S. Barbara, den S. Carlo und den S. Michele. Die beiden
erstem fand er ihrem Baue nach annehmbar, wenngleich ein tüchtiger
Schiffsbaumeister sie nicht gebaut zu haben schien. Auch diese zwei,
obwohl erst vor zwei Jahren erbaut 2), fand er im schlechtesten Zu-
stande. Deichmann sagt, dass er schon 40 Jahre alte Schiffe nicht
so rank gefunden habe wie die»e zwei. Der S. Michele aber war ohne
jede Symmetrie erbaut, so dass er ihn als vollständig unbrauchbar für
den Kriegsdienst bezeichnete. Es könnte nun leicht den Anschein haben,
dass er aus irgend einem Grunde ein zu hartes Urtheil fällte, beson-
sonders wenn man das überschwängliche Lob des Giov. Battista Bolini
über die Tüchtigkeit des S. Carlo damit vergleicht3); man darf aber
dessen amtliche Stellung nicht vergessen, die es ihm nahe legen mochte,
das unter seiner Präsidentschaft neu ausgerüstete Schiff hinsichtlich
seiner Brauchbarkeit besonders hervorzuheben. Dass Deichmann that-
sächlich leider nicht zu schwarz gesehen hat, beweist der Umstand,
dass im Januar 1733 der Bericht einlief, der S. Carlo habe nur mehr
wenig Werth und der S. Leopoldo sei überhaupt nicht mehr zu ge-
brauchen; sein Urtheil über letzteren findet eine glänzende Kecht-
fertigung durch den Ausspruch einer Sachverständigen-Commission :
„esta inservibile, porque ne tiene mas madera buena'1 4). Im Jahre
1736 bei Auflösung der Flotte standen von diesen Schiffen nur noch
die S. Elisabetta, der S. Carlo, (der bald versauk) und der S. Michele
in Verwendung 5). — Ueber die Equipage der 3 neapolitanischen Linien-
schiffe drückt sich Deichmann noch ungünstiger aus, als über die der
beiden österreichischen, da in derselben eine grosse Anzahl von Leuten
sich fand, welche bloss den Namen von Matrosen führten, aber gar
1) Wie das dritte auf der Triester Werfte erbaute Kriegsschiff hiess, ist
mir nicht bekannt; Löwenthal 1. c. spricht nämlich von 3 Linienschiffen und
2 Fregatten, die dort im Laufe der Jahre Boy er erbaut hatte.
2) Das trifft eigentlich für keines zu, denn die drei genannten Schiffe waren
nur Ende 1719 oder anfangs 1720 neuerdings seetüchtig gemacht worden, wie
sich für die S. Barbara ans der Beilage IV a und b ergibt, während in einem
später zu erwähnenden Schreiben Cfirdinal Schrattenbach sagt, alle 3 Schiffe
würden noch auf der Darsena faulen, wenn er sich nicht die Wiederausrüstung
hätte angelegen sein lassen. In Rücksicht auf die oben mitgetheilte Grösse der-
selben können diese 3 Schiffe nur Kriegsschiffe zweiten Ranges gewesen sein,
3) Beilage V.
•*) v. Rechberger 1, 25, 2G.
5) Löwenthal 1, 156.
(53(5 L e c h ii e r.
keine Eignung dazu besassen und auch nicht darau dachten, sich die-
selbe zu erwerben. Und dabei hatten diese Schiffe doch eiu für jene
Zeit horrendes Geld gekostet. Nach den ihm vorgewiesenen Rech-
nungen betrugen nämlich die Kosten für die S. Barbara 65099'22,
für den S. Carlo 64642'86 und für den S. Michele 40233'42 neapol.
Ducaten (ä 100 Gran = 2fl. rh.), wobei nicht eingerechnet war das
Bauholz, das aus den ärarischen Waldungen genommen wurde, die
Artillerie und sonstigen Waffen, Anker, Tauwerk etc. Diese Miss-
wirthschaft liess Deichmann den für die damaligen Verwaltungszu-
stände in Neapel charakteristischen Satz niederschreiben: „Confesso
ingenuamente, che nessuna nazione al mondo fabrica i
suoivascelli ad un prezzo si caro". Es stehen auch diese
Auslagen im Vergleich zu dem, was damit geleistet wurde, in gar
keinem Verhältnis zu jenen, welche sich im Marineproject vom Jahre
1713 finden und lassen deutlich erkennen, dass unzweifelhaft grosse
Unterschleife vorgefallen sein müssen.
Die Galeeren zu Neapel schienen ihm solid gebaut zu sein, aber
ihre Feuerwaffen, Säbel und anderes Kriegsmaterial bezeichnete er als
höchst mittelmässig. Ihre Bemannung stand das ganze Jahr hindurch
iu Dienst und wurde für diese ganze Zeit bezahlt, obwohl die Galeeren
nur circa 4 Monate im Jahre auf See waren. Sie schien ihm auch
numerisch zu schwach, der Sold für die Matrosen von 2 Ducaten
41 Gran monatlich (also ungefähr die Hälfte jenes für die Matrosen
der Linienschiffe) geradezu kärglich, um so mehr, als man den Monat
zu 45 Tagen rechnete.
Anschliessend an den Inspectionsbericht über die Schiffe zu Neapel
gibt Deichman jenen über die dortigen Marine- Verhältnisse über-
haupt. Waren damals die obersten Centralstellen in unserem Staate,
mehr als für eine geordnete Verwaltung gut war, zersplittert, so traf
dies in noch weit höherem Masse für die Marine von Neapel zu. Die
ganze Marineorganisation war in verschiedene Departements gegliedert
als da waren die Camera Reale, die Giunta Reale, das königliche
Marine Officierscorps, die Razionali di terra, das Justiz-Tribunal, das
Arsenal-Tribunal, das kgl. Munitions-Tribunal, lauter Behörden, welche
nur die Auslagen vermehrten und den Dienst des Kaisers herabzumin-
dern geeignet waren, weil deren gegenseitiger Wirkungskreis nicht genau
abgegrenzt war. Deichmann beantragt daher die Schaffung einer ein-
zigen Marine-Centralstelle, wie das auch bei anderen Nationen, wo das
Kriegswesen zur See wohl bestellt war, in Uebung stand. Er gestattet
sich, den Kaiser darauf aufmerksam zu machen, dass aus der der Re-
lation beigeschlossenen (hier aber nicht mehr vorhandenen) tabellarischen
Zur Gründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 637
Uebersicht die überaus grosse Anzahl der subaltern en Beamten auf-
fallen müsse, die auch zu zahlreich wären „per governare cinquanta
vascelli di guerra non che due ö tre e quattro galere, giacche nel corso
di dodici anni non ve ne (sono) stati di piü" 1). Demnach kann man
sich einen Begriff von der herrschenden Misswirthschaft machen und
erfährt andererseits, dass schon seit 1711 die angeführte Zahl von 3
Linienschiffen bestanden haben muss. Von den Officieren waren viele
durch Aemterkauf zu ihren Stellen gelangt, obgleich manche davon
unmittelbar kein Gehalt bezogen. Andere dienten ganz ohne Salarium
und hatten keinen anderen Nutzen, als den sie zufolge ihrer Amts-
stellung zu erpressen suchten, was natürlich die schlimmsten Conse-
quenzen zur Folge haben musste. Wie muss es da mit der mili-
tärischen Fähigkeit solcher Leute bestellt gewesen sein? Dazu kam
noch, dass die Camera- und Giunta-Keale nur verschiedene Namen
führten, aber sonst im Grunde genommen so ziemlich aus denselben
Personen zusammengesetzt waren zur Deckung des General-Eevisors,
der selbst in der Kammer keinen Sitz hatte. Die Rechnungen der
Giunta controllierte die Camera und die Befehle der Camera führte
die Giunta aus, wobei natürlich der Grundsatz des „manus manum la-
vat" galt und ein Theil des Marinefondes für die privaten Zwecke der
Mitglieder der genannten Körperschaften oder sonst zu andern Zwecken
verwendet wurde, als für welche er bestimmt war.
Deichmann hatte gemäss seines Auftrages auch das Marine-Regi-
ment, über dessen Stand die erwähnte und wohl im Kriegsarchiv be-
findliche Tabelle Aufschluss geben dürfte, einer Inspection unterzogen
und dabei 33 zugetheilte Officiere gefunden, die der Marine nur zur
Last fielen. Er hob mit grosser Offenheit hervor, dass der Fond der
Marine für diese selbst und nicht zur Erhaltung ganz überflüssiger
Beamten bestimmt sei. Daher müsse das ganze Regiment auf einen
andern Fuss gebracht werden, so dass es einen grössern Nutzen ver-
bürge und trotzdem weniger koste als bisher. So lange das nicht ge-
schehen sei, halte er es überhaupt für überflüssig, über diese Angele-
genheit weiter zu reden. Der Marine fiel auch die übergrosse Zahl
der Galeerensträflinge zur Last und er erklärte es mit vollem Rechte
entschieden für unbillig, das Geld des Kaisers dazu zu verwenden, um
damit alle Sträflinge und Uebelthäter in den kaiserlichen Landen zu
ernähren. Ebenso wird man ihm völlig beipflichten müssen, wenn er
*) Danach hat also Deichmann, wie schon früher, die z-wei zu Triest er-
bauten Schiffe S. Lcopoldo und S. Elisabetta, als Schiffe der erbländischen Ma-
rine angesehen.
638
L e c h n e r.
das in Neapel beliebte System, alle Käuber und Vagabunden der Stadt
zum Dienste auf den Kriegsschiffen und Galeeren des Kaisers zu ver-
urtheilen, einen offenkundigen Nachtheil nennt, da, ganz abgesehen
von der ökonomischen Seite, dies in politischer Hinsicht als unzu-
kömmlich sich herausstellen musste, weil auf diese Weise sich die
Meinung bildete, als seien die Matrosen bloss eine besondere Species
von Galeerensträflingen 1). Daher kam es auch, wie er weiter her-
vorhebt, dass kein Mann von Ehre als Matrose eintreten wollte und
alle vor dem kaiserlichen Dienste zurückschreckten, während doch sonst
in der gauzen Welt die Matrosen als Soldaten angesehen wurden und
den Kriegsdienst aufsuchten. Noch mehr wird man seiner Ansicht
darin beipflichten müssen, wenn er einen weiteren Uebelstand in der
Thatsache erblickt, dass die Officiersstellen und sonstigen Aemter bei
der Marine Leuten überantwortet waren, die durchaus nicht das Zeug
hatten, den ihnen auferlegten Verpflichtungen gerecht zu werden. Man
könne eben nicht im Handumdrehen aus einem Truppenoffizier einen
Commandanten eines Kriegsschiffes machen und dürfe auch die Stellen
von Schiffslieutenanten nicht an Personen vergeben, die entweder das
Meer nie gesehen oder wenigstens zur See noch nicht gedient hätten.
Eine nothwendige Folge davon müsse vor allem die sein, dass es an
einer ordentlichen Disciplin fehle. Man dürfe nicht einwenden, dass
sich diese Personen die erforderlichen Kenntnisse schon aneignen wer-
den , denn der Marinedienst sei ein derartiger, dass ihn einer in spä-
teren Lebensjahren nie mehr völlig erlerne, wenn er nicht von Jugend
auf für denselben erzogen worden sei. Dafür habe man wohl den
vollwichtigsten Beweis in der Thatsache zu erblicken, dass alle see-
fahrenden Nationen die Leute von Jugend auf für den Seedienst er-
ziehen lassen.
Auch unter den Kechnungsofficieren fand er nur wenige, die ihrem
') Dass Deichmann in einer Zeit, wo besonders die italienischen Seestaaten
und Frankreich die Galeerensträflinge auf ihren Flotten verwendeten, für deren
Beseitigung in unserem Kaiserstaate, in dem diese Strafe erst 1716 neuerdings
eingeführt worden war, aus militärischen Gründen eintritt, ist jedenfalls ein be-
achtenswertes Zeugnis für seine Erfahrungen. Leider sollte er damit nicht durch-
dringen, denn man verurtheilte auch weiterhin Leute aus allen erbländischen
Provinzen zu dem Dienste auf den Galeeren, so dass sie gar nicht Verwendung
genug finden konnten, weshalb zufolge Patentes vom 10. November 1728 nur
jene dazu verurtbeilt werden sollten, welche aus allen Erbländern auszuweisen
waren. Nach dem Verluste von Neapel und Sicilien überliess man sie an die
Venetianer, bis Maria Theresia die Galeerenstrafe 1762 ganz auihob. (In Ermang-
lung des diesbezüglichen Buches von Maasburg, Wien 1885 nach den Sections-
schriften der k. k. mähr.-schles. Ackerbaugesellsch. 27, 101 folgd.)
639
Amte gewachsen waren; daher waren ihre Bücher auch in derartiger
Unordnung getroffen worden, dass man sich von dem wirklichen Stande
der Marineverwal tun g absolut kein klares Bild zu verschaffen ver-
mochte. Man müsse, meint er, geradezu staunen, dass der Camera
und Giunta, denen doch die Oberverwaltung zustand, in dem langen
Zeitraum von 12 oder mehr Jahren nie der Gedanke gekommen sei,
nachzusehen, in welcher Ordnung man die Bücher führe und ob man
taugliche Beamte hiezu bestellt habe. Als unbedingt nöthiges Erfor-
dernis für eine geordnete und controllierbare Verwaltung stellt er eine
mindestens vierteljährige Kechnungslegung über Einnahmen und Aus-
gaben hin, was bisher nie geschehen war, woraus sich consequenter
Weise nur der Schluss ergeben könne, dass die vorgenannten Behör-
den entweder mit der Unordnung einverstanden oder nicht energisch
genug gegen dieselbe aufgetreten seien ; trotz der kaiserlichen Befehle,
die seit langer Zeit erflossen waren, habe mau nie eine ordentliche
Bilanz ausgewiesen. Solchen Missbräuchen könne nur durch Einsetzung
brauchbarer und durchaus verlässlicher Beamten abgeholfen werden. —
Um in dieser Angelegenheit klare Einsicht zu erlangen, hatte Deich-
mann von der Kammer einen genauen Ausweis über die Verwaltung
des Marinefonds verlangt. Er erhielt wohl etwas Aehnliches, aber leider
fehlt hier auch diese Beilage der Relation. Danach und nach seinen
eigenen Beobachtungen konnte er erklären, dass die Organisation der
Kammer durchaus gut und richtig war, er verlangte aber selbstver-
ständlich, dass man nach derselben in der Praxis aufrichtig
handle. Dann werde man es nicht mehr nöthig haben, sich durch
ein wahres Labyrinth von Schlichen und confusen Angaben zur Wahr-
heit hindurchzuarbeiten. Eine genaue, von Jahr zu Jahr die Ver-
waltung des Marinefonds darstellende Bilanz konnte er trotz allen
Drängens von der Giunta doch nicht erlangen. Man vertröstete ihn
von Tag zu Tag mit Versprechungen und übersandte ihm schliesslich
völlig werthlose Aufzeichnungen und Rechnungen der Giunta nnd des
Generalrevisors. Der Präsident der Giunta, Giov. Battista Bolin i, der
sich so lobend über den S. Carlo geäussert hatte, liess ihm zwar end-
lich eine Bilanz zugehen, welche ohne jede nähere Specificatiou die
Einnahmen der letzten drei Jahre enthielt, mit einem Begleitschreiben
vom 25. September 1723, in welchem er selbst erklärte, dass er eine
genauere Arbeit nicht habe beschaffen können. Auch der General-
revisor, Marchese d! Avellaua, bemerkte in seinem Rechuungsausweis,
dem er den Titel einer Bilanz zu geben beliebte, dass derselbe der ge-
naueste sei, den er bei dem Chaos, in welchem sich die Bücher be-
fänden, zu bieten vermöge. Deichmann theilt in seiner Relation des-
640
L e c h n e r.
selben eigene Worte mit: „II presente bilancio e il piü esatto, che si
e potuto fare di tutti li gasti (i. e. guasti) effettivi di questa rnarina,
rispetto alla gran confusione, che vi e nella medesima
sopra le libraiize de' generi, razioni, munizioni e paga-
menti: facendosi, come si fanno per la Giunta di Marina, e non si
soo-liono in molti anni passare in cassa militare lepartite
deo-li assegnamenti, ne anche le di altri pagarnenti. bi
fanno medesimanente per li Regj officj con una gran confusione
di scrittura et ultimamente si fanno per il s crivano dell'
Arsenale."
Man wird es Deichmann aufs Wort glauben, dass diese Aeusse-
rungen des Generalrevisors deutlich genug für seine Behauptungen
sprechen. Leider sind auch diese Ausweise hier nicht mehr vorhan-
deu. Nur zwei Beispiele hebt er aus denselben hervor, um dem Kaiser
zu beweisen, welchen Wert man auf derartige Kechnungslegungen
geben dürfe. Das erste betrifft die Kosten für den Schiffskörper des
S. Michele. Obwohl die Angaben aus den gleichen Büchern gezogen
und von denselben Personen gemacht wurden, divergierten die der
Giunta von denen des Generalrevisors um 800 Ducaten. Das zweite
geht das Marine-Regiment an. üeber dessen jährliche Erhaltungskosten
befragt, gab der Präsident der Giunta, Bolini, in dem schon erwähnten
Schreiben dieselben auf ungefähr 65.000 Ducaten an, der Generalre-
visor bezifferte sie in seiner Rechnungslegung mit 45.700 Ducaten und
der Oberst des Regiments, der doch wissen musste, was er jährlich für
dasselbe auf den Sold, die Montur, auf Werbegelder u. s. w. erhielt,
berechnete dieselben in einer gewissen Uebereinstimmung mit den An-
gaben des Generalrevisors mit circa 45.000 Ducaten. Im Hinblick auf
o
die Provenienz der Daten konnte Deichmann die Differenz der ge-
machten Angaben nicht begreifen und unterzog, um der Sache auf
den Grund zu kommen, die Bücher in der Schreibkanzlei des Arsenals
einer genauen Revision, wunderte sich aber bald nicht mehr, dass die
Daten nicht übereinstimmten, weil bei der confusen Buchführung auch
er nicht sich völlige Klarheit hierüber zu verschaffen vermochte, wes-
halb er jeden weiteren Versuch, einer derartigen Arbeit gänzlich
aufgab.
Nachdem so Deichmann, wie er sagt, nur flüchtig die Misstände
bei der Marine zu Neapel besprochen hatte, wandte er sich zu solchen,
die ihm sonst aufgestossen waren. Er erörtert zunächst den Schaden,
den die Waldungen durch die Art des Abholzens erlitten und tritt für
ein sofortiges Regulativ für die Wälder von Lock, Pannowitz und Bleto
ein, weil man gerade die Eichenwaldungen besonders schützen müsse,
Zur Gründmigsgeschickte der österreichischen Kriegsmarine. 641
wenn man eine Kriegsflotte schaffen wolle. Die Waldinspectoren,
wenigstens die zu Fiume, hatten keine genaue Instruction und be-
sichtigten die Forste nur einmal im Jahre. Kam ihnen der Befehl
zu, irgend jemandem zu erlauben, Holz zu schlagen, so wurde deu
Waldhütern einfach angezeigt, dass der oder jener eine bestimmte An-
zahl Stämme zu fällen befugt sei, aber man frug nicht, welchem
Zwecke das Holz dienen solle, daher die Leute nach ihrem Belieben
die besten Bäume auswählten und in jenen Theilen des Forstes sie
schlugen, aus welchen sie dieselben mit der geringsten Mühe fort-
schaffen konnten. Dadurch wurden die günstigst gelegenen Waldpar-
cellen abgetrieben, während an weniger günstigen Plätzen das Holz
überständig wurde. Zu Waldhütern verwendete man meistens Bauern,
die oft weit entfernt wohnten und daher nur selten in die Waldungen
kamen, so dass man Holz so ziemlich nach freiem Belieben stehlen
konnte, ohne befürchten zu müssen, hiebei erwischt und bestraft zu
werden. Deichmann räth daher eindringlich, die genannten Waldun-
gen wenigstens bis zu jenem Zeitpunkt möglichst zu schonen, bis zu
welchem man die Strasse zum Holztransport aus den kroatischen Wal-
dungen hinter Zengg, S. Giorgio und Carlopago fertig gestellt haben
werde. Er betont noch einmal, dass dort treffliches Schiffsbauholz zu
finden sei, ein besseres wie in Zengg habe er bisher überhaupt nicht
gefunden ; er wisse ganz wohl, dass der Bericht der dorthin geschickten
Forstdeputierten dahin laute, dass der Transport beträchtliche Summen
koste, so lange eine Strasse für die verschiedenen Arten von Fuhr-
werk nicht fertig gestellt sei; doch halte er dafür, dass hiezu einfache
Waldwege genügen, auf welchen man mittelst Schleifen das Holz bis
ans Meer schaffen könne. Die Holzschläger müssten das Holz für den
verlangten Gebrauch genau auswählen, weil man nur auf diese Weise
den Schaden vermeiden könne, den er auf den erwähnten Kriegs-
schiffen S. Leopoldo und S. Elisabetta gefunden habe. Er erklärt es
weiter für einen grossen Fehler zu meinen, dass solche Stämme zu
fällen seien, die mehrere Stücke von Werkholz für den Schiffsbau ab-
gaben, als solche, die nur ein einziges Stück herstellen Hessen, weil
doch unbestreitbar feststehe, dass ein Balken aus einem Stamme weit-
aus fester sei als ein solcher ; der durch Zersägen des Baumes ge-
wonnen wurde, auch wenn letzterer noch einmal so stark im Holze
wäre. Namentlich Schiffsrippen müssten stets von Natur aus und nicht
künstlich gekrümmt sein, wenn sie in den Batterien den Rückschlag
der Geschütze aushalten sollten, was gerade von den Schiffsbaunleistern
„de nostri vascelli" (also wohl wieder der zwei genannten Schiffe)
nicht beobachtet worden sei, deren Holz zumeist nicht an sich un-
Mittheihrageii XV. 41
(342 L e c h n e r.
brauchbar gewesen, sondern nur mit geringer Sorgfalt ausgewählt wor-
den sei.
Im dritten Capitel seiner Kelation hatte Deiehmann betont, dass
man die Galeeren nach ihrer jährlichen Fahrt in der Darsena abta-
keln, mit einem Dache versehen, die Matrosen beurlauben und die
Galeerensträflinge im Arsenal verwenden solle, wodurch man au Löh-
nung so viel ersparen werde, um einerseits die Anzahl der Matrosen,
die ihm zu gering erschien, sowie andererseits ihren Sold erhöhen zu
könneu. Er erklärt es für nothwendig, dass ein erfahrener Marine-
officier dieselben classenweise nach ihrer Brauchbarkeit einrolliere und
dass man die Matrosen über ihre Pflicht gehörig aufkläre. Schlimmer
war es, dass auch die Schiffscapitäue nicht die entsprechende Praxis
besassen, denn es fehlte ihnen die Uebung, eine Dienst-Pragmatik und
Kriegsartikel, ja Deichmann sagt geradezu: „non hanno verun lume
di cio, che appartenga alla buona condotta d'un vascello, ne tengono
alcun protocollo, in cui si registri cio, che conviene." Das ist ein
vernichtendes Urtheil. Die Vertheiluug der Lebensmittel gieug unter
grosser Unordnung durch Anweisungen auf kleineu Zetteln vor sich,
der Capitän führte weder ein genaues Verzeichnis über den Stand der
Munition, noch über den der Victualien, weil alles das einem ein-
fachen Schreiber überlassen blieb. Wie schou erwähnt, waren die vor-
handenen Inventare in heilloser Unordnung, manche Bedürfnisse kärg-
lich, andere im Ueberflusse vorhanden zum schweren Schaden des
Marinebudgets. Alles das rührte von dem Mangel eines stricten „Ke-
golamento" und der Unkenntnis dessen her, was für ein Schiff von
entsprechendem Hange erforderlich war. Die Stellung eines Comman-
danten eines Kriegsschiffes vergleicht Deichmann ganz zutreffend mit
der eines solchen einer Citadelle. Ohne seinen Willen und sein
Wissen dürfe man keine Befehle geben oder annehmen und nichts
verbrauchen. Darüber müsse ein genaues Journal geführt werden und
strenge sei zu fordern, dass jeder seiner Pflicht nachkomme. „Secondo
le ordinanze della Marina" x) sei es des Capitäns erste Pflicht, jede
') Welche mag er hiebei im Auge gehabt haben, da es für unseren Staat
damals solche noch nicht gab ? Sollte damit die von Kaiser Maximilian I. vom
8. Januar 1487, durch Karl V. und Philipp II. vermehrte und für die Marine-
gesetzgebung von Grossbritanien und Frankreich massgebend gewordene „Or-
donnance" gemeint sein, von der R. v. Lehnert 1. c. 32, 2 und 3 spricht? Oder
gab es solche für das Reich von Neapel ? Ich vermag darüber keinen Aufschluss
zu geben, da das möglicherweise nähere Angaben enthaltende Buch von Alia-
nelli, Delle antiche consuetudini e leggi marittime delle provincie napolitane
(Napoli 1871) mir nicht zur Verfügung stand.
Zur Gründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. ß43
Unordnung und jeden Betrug hintanzuhalten, nichts zu verheimlichen
und eine genaue Führung des Schiffsjournals über alle Vorkommnisse
zu beobachten. An guter Ordnung auf dem Schiffe, strenger Disciplin
gegenüber den Untergebenen erkenne man eben die Tauglichkeit eines
Schiffscommandau ten.
Hinsichtlich der Matrosen der Handelsschiffe hatte Deichmann die
Wahrnehmung gemacht, dass die im österreichischen Litorale herr-
schende Uebung, nur den Fremden einen Sold zu zahlen, hingegen die
Einheimischen am Gewinn participieren zu lassen, wegen der daraus
sich ergebenden Streitigkeiten nur den übelsten Erfolg hatte. Er be-
tont daher die Notwendigkeit der Lohnzahlung an alle, weil man
auch nur dann den Schmuggel hintauzuhalten vermochte, den sie bis-
her übten. Durch ausreichende Verpflegung und die drohende Ga-
leerenstrafe lasse sich dem vorbeugen, jedoch müsse eine für Schiffs-
rheder und Matrosen gleich bindende Vorschrift erlassen werden, da-
mit jeder genau seine Rechte und Pflichten kenne, wie dies auch in
anderen Staaten mit vollkommen geregeltem Seehandel der Fall sei.
Den Zahlmonat in Neapel mit 45 Tagen zu rechnen halte er für den
Dienst des Kaisers nur hinderlich, denn eine geordnete Oekonomie be-
stehe nicht darin, dass man den Zahlmonat verlängere und die Katio-
nen vermindere für jene, die sie für ihren Unterhalt brauchten, son-
dern darin, dass man jedem so viel gebe, dass er seiner Stellung ge-
mäss leben könne, dass man aber alle überflüssigen Aemter abschaffe
und nur taugliche Leute in dieselben berufe, welche Diebstähle und
andere Unzukömmlichkeiten hintan zuhalten oder gegebenen Falles
strenge zu bestrafen wüssten. Bei einem Unternehmen wie die Ma-
rinegründung sei, müsse man in erster Linie Rücksicht nehmen auf
den Dienst des Kaisers, dann aber auch auf die localen Verhältnisse
jener Gebiete, wo eine solche errichtet werden solle, wie dies ander-
wärts auch geschehen sei. Er hebt noch besonders hervor, dass seine
Vorschläge wegen Vermehrung der Kationen und Aufbesserung der
Löhne nur scheinbar eine grössere Belastung des Marinefonds ent-
halten, während in Wirklichkeit durch Beseitigung überflüssiger Stellen,
Streichung der unbefugten Rationen u. s w. sich gegenüber den bis-
herigen Ausgaben noch ein Ueberschuss ergeben müsse. Im Arsenal
zu Neapel fand er, dass die Kationen an Brod, Wein und anderen
Provisionen für Matrosen, Schreiber und zum Theile Beamte zu ihrem
entsprechenden Unterhalt nicht genügten, obwohl sie den Kaiser theuer
genug zu stehen kämen, weil gar viele sie erhielten, denen sie nicht
gebührten und man thatsächlich die Anzahl der sie geniessenden Per-
sonen gar nicht einmal kenne, ja nach Beilage II wurden Rationen
41"
ß44 L e c li n e r.
und Sold ausgezahlt auf den Namen von längst Verstorbenen. Von
den vielen subalternen Beamten bezogen manche gar kein Gehalt, ob-
wohl sie doch die Stellen kauften wie z. B. der Kations- und Muni-
tionschreiber, der Arsenalportier u. a. m. Man hätte meinen mögen,
es müsse doch jedermann klar sein, dass derjenige, der sein Geld zur
Erlangung eines Amtes auslegt, nicht nur dieses auf irgend eine wenn
auch unerlaubte Weise wieder hereinzubringen suchen werde, sondern
auch in seiner amtlichen Stellung den nöthigen Unterhalt sich ver-
schaffe. Wie solches angestrebt wurde, zeigt folgendes Beispiel. In
Cardinal Schrattenbachs Correspondenzbüchern Bd. XXXIV kommt ein
Bittgesuch des Marine-Kationsschreibers Domenico Galtieri (wahr-
scheinlich aus dem Jahre 1720) vor, worin er auf Grund der vielen
Verdienste, die er sich bei der sicilischen Expedition erworben, wobei
er viele Arbeiten, die nicht zu seinem Amte gehörten, besorgt zu haben
vorgibt und zwar natürlich ganz ohne Entgelt, den Cardinal um ein
Empfehlungsschreiben an den Kaiser bittet, damit ihm gegen Zahlung
von 300 Ducaten der Verkauf der alten Monturen oder der Ueber-
reste des Schiffszwiebackes gestattet werde. Der Mann schlug wenig-
stens noch den gesetzlichen Weg ein, dies Geschäft zu erlangen; wie
viele mögen aber durch Betrug zu dem Ihrigen zu kommen gesucht
haben !
Man wird Deichmann auch darin Kecht geben müssen, dass er
verlangt, alles Erforderliche im Arsenal selbst herzustellen, während
damals thatsächlich gar nichts erzeugt wurde, weil alles bis auf den
letzten Nagel herab den Lieferanten überlassen worden war. Das Un-
zweckmässige eines solchen Vorgehens liege darin, dass man erstens
alles theurer bezahlen müsse, weil ja doch der Lieferant seinen Gewinn
haben wolle und dass zweitens die gelieferten Waaren meist schlechter
seien, als solche in eigener Regie hergestellte, zum Schaden der Schiffe
und nicht selten zur Bedrohung des Lebens seiner Bemannung. Dieser
Uebelstand der Verpachtung erstreckte sich auf die Versorgung mit
Brod, Zwieback, Wein, Kleidung, Betten, kurz auf alle Marineartikel.
Dabei war es vorgekommen, dass man im Bedarfsfalle das Nöthige
nicht hatte und dass Lieferanten Concurs machten. Trotz aller Be-
fehle an die Kammer hatte man damals an Lieferanten gewährte Vor-
schüsse in der Höhe von 49516 Ducaten nach jahrelangem Zuwarten
nicht hereinbringen können. Wäre ein solcher Vorgang zweckentspre-
chend, so hätten ihn gewiss andere Seemächte schon angenommen,
was aber nicht geschehen sei. Auch die Zahl der Arsenalschreiber
fand er weitaus grösser als in den Arsenalen jener Mächte, die ein
starkes, wohl geordnetes Kriegswesen zur See hatten. Ihre Bücher
Zur Griindungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. (j45
bezeichnet er nur als zusammengebundene Blätter „ripieni cli scritture
e di note estremamente confuse", wahrend doch die Hauptbücher über
die täglichen Ausgaben und Einnahmen mit Bindfaden gebunden und
am Ende gesiegelt sein sollten, damit nicht Blätter herausgenommen
und durch andere ersetzt werden konnten, wodurch allein dem Irr-
thum und Betrug vorzubeugen war. Deichmann unterbreitet daher
dem Kaiser den Vorschlag, für die Buchführung der Munitions- und
Marinerechnungen eine genaue Dienstvorschrift zu erlassen, so dass
man jeden Augenblick eine ordentliche Bilanz ziehen könne.
Das Schlusscapitel, in welchem er seine Ansicht über die not-
wendigen Vorbedingungen einer Marine äussert, beginnt Deichmann
mit dem bedeutungsvollen Satze: „II fondamento, la base ed il so-
stegno piü stabile d' una marina non vi ha dubbio essere il Commer-
cio, che puö giustamente chiamarsi il vero seminario de mari-
nari". Da nun der Handel in den kaiserlichen Staaten noch nicht
eineu blühenden Stand erreicht hatte, durfte man sich auch nicht wun-
dern, dass die Matrosen nicht jene Eigenschaften besassen, die man
von einem Seemanne zu fordern berechtigt war. Schlimmer war es,
dass sie auch nicht auf Schiffen jener Staaten, wo sie ihr Handwerk
gründlich erlernen und an pünktliche Disciplin gewöhnt werden konnten,
Dienste nehmen wollten. Darüber die Leute aufzuklären erachtete er als
unerlässlich für die Schaffung einer Kriegsflotte, über deren Gründung
er seine Meinung in folgende Punkte zusammenfasste :
1. Der Marinedienst ist eine von jeder andern wesentlich ver-
schiedene Berufsart; daher ist die Bildung eines Marinecorps unerläss-
lich, das mindestens theilweise auf eigenem Fusse stehen muss. Weil
der Dienst ein militärischer ist, muss dasselbe seine eigene Justiz un-
abhängig von jedem anderen Tribunal besitzen, eigene Gesetze und
Kriegsartikel haben, denen die Offi eiere sammt ihren Familien, Dienst-
boten und die Matrosen unterstehen. Es müssen diese Gesetze ganz
ähnlich denen der Landtruppen sein, für jedes einzelne Marine-Depar-
tement im Detail ausgearbeitet werden, so dass jeder wissen kaun, Avas
er gegenüber seinen Kameraden und gegenüber dem Civil zu thun
und zu lassen hat.
2. Die Höhe des Marinebudgets muss genau fixiert werden, weil
sich erst darauf hin ein Flottenplan entwerfen lässt. Unbedingt nöthig
ist es, dass die hiefür angewiesenen Summen wirklich in Geld einge-
zahlt werden und die Verwaltung dieses Fonds strenge geregelt wird.
3. Muss eine endgiltige Entscheidung getroffen werden, wo ein
Kriegshafen zu errichten ist, in welchem die Schiffe nach ihren Fahrten
abzutakeln sind und sicher liegen können. Dadurch werden die Schiffe
646
L e c h n e r.
conserviert und erspart man bisher unnöthig ausgegebene Summen für
diverse Geräthe. In diesem Hafen müssen alle für die Marine erfor-
derlichen Baulichkeiten Platz finden, hier muss der Marine-Comman-
dant sein Domicil haben, damit er alles unter seinen Augen hat; hier
müssen auch die Schiffsconiniandanten und sonstigen Officiere wohnen,
auch wenn ihre Schiffe nicht armiert sind, damit sie die Abrichtung
der Untergebenen überwachen können.
4. Um die Unterthanen des Kaisers an militärische Disciplin und
an die Marineordnung zu gewöhnen ist weiter nothwendig, dass man
ein fremdes wohlerfahrenes Matrosen-Corps mit einer entsprechenden
Anzahl von Officieren I. u. II. Ranges für die verschiedenen Abthei-
lungen des Marineressorts aufnimmt, das imstande ist, den Anfängern
den rechten Weg zu ihrer Ausbildung zu zeigen. So hält man es bei
allen Seemächten, so lange dieselben noch keinen sichern und blü-
henden Handel besitzen und ohne einen solchen Grundstock von Leuten,
die ihr Handwerk gründlich verstehen, kann man eine Marine über-
haupt nicht errichten. Ueber die Werkstätten, das Arsenal, die Ma-
gazine etc. muss ein erfahrener Generalinspector bestellt werden, der
im Range dem Marine-Commandanten untersteht. Um von den Lie-
feranten sich unabhängig stellen zu können, müssen vollkommen kun-
dige Meister aller jener Handwerke in Dienst genommen werden, die
bei der Marine vorkommen. Das ist schon vom Gesichtspunkt der
politischen Ökonomie angezeigt, weil ein solches stabiles Arbeiter-
Corps in seinem eigenen Interesse den Dienst gut versehen wird
Selbstverständlich muss dieses Officier- und Marine-Arbeitercorps in
entsprechendem Verhältnisse zum jährlichen Budget stehen. Ausseror-
dentliche Auslagen von Bedeutung werden dadurch nicht erwachsen,
weil man ja ohnehin schon jahraus-jahrein 460 Matrosen für die vier
Kriegsschiffe *) unterhält, ohne die zahlreichen Beamten und Officiere
zu rechnen, die alle zusammen bisher doch nichts Brauchbares lei-
steten.
5. Damit einmal die eigenen Unterthanen zum Marinedienst ver-
wendet werden können, ist es durchaus angezeigt, sobald dies nur
irgendmöglich, eine Anzahl Knaben von solchen Familien, die über den
Seedienst unterrichtet sein können, aufzunehmen, wobei jedoch keiner
über 15 Jahre" alt sein darf, weil es fast unmöglich ist, in diesem Fache
es zur Vollendung zu bringen, wenn man nicht von Jugend an hiezu
abgerichtet worden ist. Ihren Aufenthalt haben sie am Standorte der
l) "War etwa der S. Michele nicht mit Equipage versehen, da er nur vier
Schiffe zählt?
Zur Grundungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 647
Marine zu nehmen, deren Comniandant über ihre Ausbildung sowie
über ihre Lehrer die Aufsicht hat.
Schliesslich richtet Deichmann an den Kaiser die ehrfurchtsvoll
Bitte um Verständigung darüber, wenn jemand über eines und anderes
entgegengesetzter Anschauung sei, damit er seinen Standpunkt schärfer
präcisiereu, beziehungsweise sich freimüthig zu derselben bekennen
könne, da es ihm nur um den Dienst des Kaisers zu thun sei.
Dass man an massgebender Stelle Deichmanns Relation wür-
digte, so weit die geringen Mittel dies erlaubten, geht mehrfach her-
vor. So hatte man im Arsenal zu Triest später thatsächlich Galeeren-
sträflinge als Handwerker beschäftigt, sowie Schiffsziinmerleute aus
Neapel und Fiume herangezogen x). Aus dem Protokoll der Hof-Com-
merz-Commission vom 12. Juli 1731 ergibt sich, dass ihm die von
ihm selbst vorgeschlagene Ausbesserung des kleinen Hafens von Triest
übertragen wurde und dass man seine Ansicht über den Werth und
die Brauchbarkeit der Häfen von Buccari und Porto Re wenigstens
theilweise acceptierte, denn in letzterem hat man thatsächlich Erwei-
terungsarbeiten vorgenommen, weil die Rede davon ist, dass dort nach
Deichmanns und des Obersten de la Merveille Anschauungen 25 — 30
Kriegsschiffe stehen könnten 2). Doch wollte der Letztgenannte später
nach Deichmanns Tode eine zu geringe Wassertiefe im Hafen von
Porto Re gefunden haben 3).
Es bleibt noch die Frage offen, warum ihm vom Vicekönig die
früher angedeuteten Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Darüber
dürften folgende Daten einiges Licht zu bringen vermögen. Nach
dem Tode des Grafen Gallas hatte seine Witwe sich an den Cardinal
Schrattenbach nach Rom um seine Hilfe gewendet und wahrscheinlich
durch 'seine Vermittlung ist die Ordre erflossen, dass Graf Karl Josef
Dietrichstein sie und ihre Familie sammt aller Equipage nach Oester-
reich zurückbringen solle. Am 9. December 1719 schreibt der letz-
tere von Manfredonia aus dem Cardinal, der unterdessen als Vicekönig
und Generalcapitän sein Vorgesetzter geworden war, in den achtungs-
vollsten Worten, dass er zur Weiterreise der genannten Gräfin erst
die Ankunft einer Fregatone abwarten müsse 4). Unterdessen hatte
Schrattenbach wohl infolge Auftrages des Hofkriegsrathes, da der in
Sicilien^ stehende General Graf Mercy durch die Verhältnisse gezwungen
') Löwenthal 1, 166.
2) Mayer 125 folgd.
s) v. Rechberger 1, Anhang pg. 13.
4) Correspondenzbücher Bd. XXXIV.
648
Lechner.
dies forderte, die im Hafen von Neapel liegenden Schiffe neu auszu-
rüsten unternommen und so auch die S. Barbara, deren Capitän Dietrich-
stein war, wieder seetüchtig machen lassen. Darüber beschwerte sich
nun der letztere von Wien aus (Beilage IV. a) in wenig schmeichel-
haften Worten, dass er 6 Jahre lang als Commandant vergeblich auf
die Ausrüstung seines Schiffes gewartet habe, die jetzt so rasch voll-
zogen worden sei. Obwohl nun das für den erst wenige Monate seines
Amtes waltenden Cardinal kein berechtigter Vorwurf sein konnte,
steckte in der Berufung auf die Gunst seines Hauses am kaiserlichen
Hofe (sein Bruder Graf Joh. Karl Dietrichstein war Hofkammerpräsident)
für denselben doch eine ziemlich unverhüllte Drohung; jedenfalls hatte
Schrattenbach nun einen Feind mehr, der es nicht unterlassen hat,
ihn am Wiener Hofe zu verdächtigen, obwohl er unterdessen den
S. Carlo und S. Michele auszurüsten sich hatte augelegen sein lassen.
Dietrichsteins Klagen müssen auf fruchtbaren Boden gefallen sein, wie
aus einem Schreiben Schrattenbachs an den Marchese de Kialp vom
27. December 1720 hervorgeht. Darin beruft er sich auf ein ihm vom
Kaiser am 3. November zugekommenes Schreiben und bemerkt, er habe
Grund zu glauben, dass der kaiserliche Hof vergessen habe, „che se
non fossero state le mie premure, sarebbero a questa hora li 3 vas-
celli (nämlich S. Carlo, S. Barbara, S. Michele) ancora nella Darsena
marcendosi siccome lo sono stati tanti anni prima della mia venuta
a questo governo." Er habe hiezu nicht die Ermunterung Dietrichsteins
nöthig gehabt, der die ganze Zeit über am kaiserlichen Hofe sich auf-
gehalten habe, sondern die Pflicht allein habe ihm geboten, den Dienst
seines Herrn und Kaisers im Auge zu haben. In seiner Antwort vom
18. Januar 1721 versichert ihn Rialp, der Kaiser habe in seinem
Schreiben keinen anderen Gedanken zum Ausdrucke bringen wollen,
als dass die Schiffe klar gemacht sein müssen für den Fall, dass man
sie brauche. Se. Majestät zweifle auch nicht, dass er mit allem Eifer
den S. Carlo ausgerüstet habe, weil man nicht wissen könne, was sich
in diesem Jahre noch ereigne; Rialp schrieb, er sehe ein, dass die
Marinesachen keinen Aufschub erleiden und hoffe, dass man einen
Ausweg finden werde, um der Marine-Delegation die hiefür nöthigen
Summen zuführen zu können ; im übrigen solle er gemäss kaiserlichen
Auftrages den Vorschlag zur Pensionierung Dietrichsteins erstatten.
Nicht weniger wehrte sich wohl auch die Marine- Giunta ; aus mehreren
Billets in spanischer Sprache ergibt sich, dass der Staats- und Kriegs-
secretär Marchese Cavanillas um Auskunft sich an den Cardinal
wandte, was Dietrichstein über die Giunta della Marina und über die
Matrosen vorgebracht habe. Unter dem 11. Februar 1721 dankt
Zur Gründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 649
Schratteubach dem Marchese de Rialp für seine Nachrichten und be-
merkt, dass die Giunta della Marina gegen Dietrichstein in anderer
Weise vorzugehen gedenke, abgesehen von der nach neuen Befehlen
ins Auge zu fassenden Pensionierung desselben 1). Nicht viele Wochen
später kam Deichmann als kaiserlicher Commissär in Marineangelegen-
heiten nach Neapel. Schrattenbach musste mit Beziehung auf das
Vorgefallene in ihm nur eine lästige Controle sehen und hat aus
Aerger hierüber den bureaukratischen Weg eingeschlagen und ihm
Hindernisse zu bereiten gesucht. Es ist dies begreiflich, da er doch
in einer Zeit, wo in Neapel die traurigste Finanzlage war, die Schiffe
wieder auszurüsten vermocht hatte.
Die neapolitanische Flotte bestand also um 1721 aus den Linien-
schiffen S. Carlo, S.Barbara (Capitän Graf K. J. Dietrichstein), S. Michele.
Was für ein Schiff die Kosa und die übrigen nach Beilage VI damals
noch in Mahon stehenden waren, vermag ich nicht anzugeben, ver-
muthe jedoch, dass es gewöhnliche Transportschiffe waren.
Da aber auch die beiden in Triest erbauten Linienschiffe S. Leo-
poldo (Capitän Furter) und S. Elisabetta derselben bald zugetheilt
wurden, zählte sie zusammen fünf Linienschiffe. Dazu kamen noch
vier Galeeren, von denen laut Schreibens des Vicekönigs vom 3. Mai
1720 damals nur zwei Dienste leisten konnten, während die andern
auf der Darsena zu Neapel einer Reparatur unterzogen wurden. Nur
von dreien kennt man die Namen. Die eine war die schon erwähnte
Padiona, die andere hiess S. Carlo, deren Capitän Lorenzo de Prado, der
in einer Bittschrift an den Vicekönig ersucht, den Grafen Mauleon als
Präsidenten der kgl. Kammer zu beauftragen, ihm, der Schulden halber
sich und seine Familie kaum mehr erhalten könne, seinen rückstän-
digen Sold von 660 Ducaten auszahlen zu lassen 2). Den Namen der
dritten, S. Giuseppe, erfahren wir aus der Bittschrift eines zu 7 Jahren
Galeerenstrafe verurtheilten Priesters, der auf derselben sie abzubüssen
hatte 3). Dazu kamen noch etliche (wahrscheinlich sechs) Tartanen.
Ausserdem gab es noch einige Fahrzeuge für den Dienst beim, Vice-
könig, wie aus einer nicht datierten Copie einer Bittschrift des Capi-
täns und der Matrosen der Brigantine, Feluche nnd Gondel desselben
hervorgeht, in der sie inständig um Auszahlung des rücksändigen
Soldes bitten 4). Wer die Würde eines Admirals oder „Generale delle
') Correspondenzbücher XXX, XXXI.
2) Da er monatlich 22 Ducaten an Sold beziehen sollte," schuldete man ihm
denselben für 2'/2 Jahre; Correspondenzbücher Bd. XXXIV.
3) ibid.
<) ibid.
650 L e c h n e r.
Galere" bekleidete, ist mir nicht bekannt, doch hat es nach der Bei-
lage IV. a einen solchen gegeben. Das blosse Hofarat eines Gross-
Admirals aber war wenigstens im Jahre 1720 nicht besetzt1).
Dass man bei Ausbruch des sicilischen Krieges trotz der Finanz-
calamität an eine rasche Vermehrung der Flotte dachte, ergibt sich
aus der Beilage VI. Danach war, wohl noch im Jahre 1718, der
Arsenaldirector zu Neapel, Capitän Sebastiano T ixi, nach Port
Mahon entsendet worden, um daselbst vier Schüfe zu besichtio-en, die
dann auch auf Grund seines Berichtes, unbekannt um welchen Preis,
käuflich erworben wurden, obwohl wenigstens zwei davon reparatur-
bedürftig waren. Doch konnten sie wegen des ausgebrochenen Krieges
nicht mehr nach Neapel convoyiert werden, weshalb dies erst anfangs
1721 (denn in diese Zeit muss das Concept des Auftrages fallen) ge-
schehen sollte. Da jedoch Deichmann von ihnen gar nie spricht und
auch sonst nie mehr ihrer Erwähnung geschieht, muss man anneh-
men, dass sie, nämlich der Principe d'Asturias, laKeale, S. Carlo, Giüno,
wahrscheinlich aus Geldmangel und weil ohnehin der Krieg: zu Ende
war, wieder verkauft, beziehungsweise der Kauf rücke-äng-icr gemacht
wurde. Nach den Namen zu schliessen, sind es erbeutete Schiffe der
Anjouvinischen Flotte gewesen; sie sind also von den Engländern zum
Kaufe ausgeboten worden, in deren Besitz Port Mahon war, wohin
und nach Gibraltar noch im November 1720 drei Bataillone kaiser-
licher Truppen zur Verstärkung der englischen Besatzung wegen der
Truppenansammlungen Spaniens unter Marquis de Leede abgegangen
waren 2).
Beilagen.
i.
Havendosi fatto 1' armisticcio per mare fra il Duca d'Anjou e le po-
tenze maritime, da che potrebbe forse derivare, che l'Amiraglio Bings
havesse prohibitione di prestare in avenire l'istessa assistenza, che per lo
passato alle nostre truppe militanti in Sicilia, e non potendo noi desi-
stere dalle gia incominciati operationi in quel regno sino a tanto, che
questo non sia intieramente sotto il nostro dominio, e ricercandosi a
c i ö ottenere non solo per iltransportodelle nostre truppe,
ma per altre indispensabili occorrenze un competente nu-
mero di vascelli, prevenghiamo la Vra Eccza in caso si dovesse dare
il sopradetto accidente coli' Amiraglio Bings, e per altro il Generale Mercy
non potesse aggiustare col nemico General Leede la conclusione de suoi
negotiati di pace di fare in modo, che piü presto sia possibile, si hab-
i) ibid. Bd. XXXI.
-') ibid. Bd. VI.
Zur Gründimgsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. £51
bia pronti li sopradetti vascelli, e di piü la Eecza Via mantenga
sempre una esatissima corrispondenza col Generale Mercycon assisterlo
con tutte le sue forze in tutto quelle- (che) possa cooperare a un felice
esito di questa difficoltosa e dispendiosa guerra etc.
Vienna 6. d'Aprille 1720.
(Copie eines Schreibens des Hofkriegsrathes an den Vicekönig. Correspon-
denzbücher XXX).
II.
Bavaglio di tutti gli disordini e furti si sono commessi e commet-
tino in grave pregiuditio si dell Eeal cos0 alario come del Reale servitio
nella Reale Darsena.
In primis. Nello officio mavitimo si estorgue summa considerabile
si di soldo come di rationi ; dell modo veramente (!) vi compariscono et
arrollati e figurati persone sotto varij nomi rollati, il che non sono di
servitio, mai anco nati in questo mondo.
Per secondo. Da un gran tempo a dietro esequitano presentemente
a usurparsi le paghe e razioni di persone da' molti anni giä morti et sono
pagate per vivi sotto varij protettioni e rispetti.
3°. Nella fabrica e costrottioni di vascelli e lateri (?). In primis per
la legniame se paga dal regla ezienna (?) il doppio di quello vi' vä et cosi
di ferramenti et ogni altri materiali in verbo dell peso.
4°. Nelli cuarnimenti delle navi e notabile il danno commesso, da
chi ha mai nizziato i maneggia (!) dello affare. Li particolaritä sono li
sequenti. La prima nella fabrica della nave S. Leopoldo et sua guarna-
tione si e fatto molto danno di molte migliara per la poca aecortezza, di
chi comandava, si fece uno cuarnimento, che era bastante e capace per
una nave di ottanta cannone, di modo che prima uscire dall Darsena si
volsero aecortare due volte 1' vele, et dismettere tutti li bozzellami et tutti
li capi fatti poco ne furno d' servitio per essere tutti materiali si come
li gumene. Doppo uscita dall' Darsena si volsero aecortare tutti li albori e
pendoni, quäle tutto si puö riconoscere dalli relationi (!) che si conser-
vano firmati di propie mani di chi comandava, et riconosceva il danno
stante la Eeale Ezienna (?) et anco li altri dui nave Sta Barbara e
S. Carlo farci fare l'inventario da persone esposte con persona esistenza
distinata, da V. A. Em. doversi brocura (?) tutto il mancamento delle robbe
che hanno riceuto, quäle ascendera a summa considerabile, et servirse dall
relatione e non dall libri dell' officio maritimo.
5°. Per la mancanza dell' albori per nave e galere, che questo in-
verno due galere non hanno possuto uscire come all presenza la nave
Sn Leopoldo per mancanza dell' albori , quando nella sira (?) di C o s e n z a
inCalabria vi e un bosco, che potrebbe providere di albori tutta la
Vropa, questi signori che comandano navi li vonno fare tagliare e por-
tare in Napoli; accio li bastimenti di S. M. Caes. Cattca, Dio Guardi, non
possono uscire per fare il Eeale servitio, quando non solo potrebbino pro-
vedere le nave e galere, ma provedere tutti li bastimenti dell Eegno, con
grand'avanzo dell' Eeal Ezienna (?) et quando ne fanno tagliare e portare
nella marina di Gurigliano (nach Beilage VI kann damit nur Corri-
652 L e u h n e r.
gliano gemeint sein), la le lasciano stare due 6 tre auni a fin che si am-
mariscono all' aqua esote (?) et poi li mandano a pigliare et quelli , per-
cbe sono marciti, la subbito si rompino, come ultinaamente sovesse, cbe
da molto tempo cbe si erano in detta marina, banno mandato a pigliaida,
et quelli si sono trovati marciti et pagate tutte le spese inutile.
6°. Li officiali dell' Officio Maritimo ogniun, cbe va assentarsi, si pi-
gliava otto e diece Carline per uno, quando essi sono pagati da S. M. et
per ogni altra scittura (?) cbe bisogniasse, vegnono da essi officiali com-
posti, quando doverebbino tenere la tabbella di quello cbe li spetta, et
per tale effetto tutti sfuggino.
7°. Per non fare pervenire all' orecbi di chi spessa il danno fatto e
faciendo, non vonno amettere sopra dette navi officiali vasalli di S. M.
Cesa e Catta, Dio guardi. Prima si e per non farli inteso di quello cbe si
fa, altra per fare stare sempre obbietati li vasalli et tenere sempre sotto
posto il Eegno all sbaniere, accio quando bisogniano, le nave (!) non pos-
sono uscire per lo Reale servitio, quando in Regno vi sono persone, cbe
sianno servito e possino servire per tutti li officij. Mä per il caso sopra-
detto non si voglino ammettere.
(Schwer zu entziffernde Copie in der Localsprache mit vielen grammatischen
Verstössen; Correspondenzbücher Bd. XXXIV.)
III.
Einem Concepte des Cardinais Schrattenbach, datiert Neapel den 1 3. De-
cember 1720 und gerichtet an den Hofkriegsratb betreffs des Streites über
die Besetzung des Torre di S. Vincenzo dortselbst, ist nachfolgender Passus
üder die dortige Darsena entnommen:
»In dessen Erwartung dann die Sachen in statu quo mit so weniger
Anstand gelassen werden können, als wehrender dieser Zeit in der Dar-
sena vor die darinnen befindl. Bastimenti wass widriges nicht zue be-
sorgen, indeme in gegenwartig ohngestimmer Saison ohne deme sich wenig
Schiffe zue Meer befinden, und, wie der obangezogene Abriss weiset, die
Darsena kein porto, sondern ein sehr kleiner Einfang ist,
welcher weegen weniger Tiefte dess Wassers grosse Schiffe
nicht traget, sondern allein vor die Squadra der hiesigen
Galeren, vor welche und andere wenige Tartanen und geringe
Kauffardey-S cbiffe sye gemacht worden, zur Sicherheit
dienen kan, massen die disseitige Kriegschiffe umb im Fahl der Noth,
wie dermahl mit dem von S.(anta) B.(arbara) geschibet, reparirt zue wer-
den, ohne völlig disarmirt zue sein, nicht hinein kommen, innfolglich in
gedachter Darsena von frembde dergleichen grosen Schiffen umb so weniger
ainiger Nachtheil vermuthet werden mag.*
(Correspondenzbücher Bd. X.)
IVa.
Illmo Sigre Ptne. Colmo.
Mi prendo la confidenza di riverire V. S. Illma come devo partici-
pandoli, col felice 9arrivo in questa corte il mio \ontinuato ben stare di
Zur Gründungsgeschichte der österreichischen Kriegsmarine. 653
mia salute, sperando, che in breve possi dare disbrico a mei affari , per
poter' ritornare a godere 1' amenitä di cotesto paese, ed assieme continuare
1' esercitio del mio impieco a dispetto de malevoli e' pochi amici di noi
altri Tedeschi, mentre ben saprä V. S. Illma, che subbito doppo la mia
partenza si pose al'ordine il mio vascello S. Barbara per farlo uscire
fuori della Tarzena, quando per sei anni di mia presenza non si sono
ritrovati i mezzi, il modo e la forma per farlo sortire, e di peggio,
mi si permette la licenza di partire sull' siguranza del Generale delle
Galere, che la mia persona non bisogniava per algun servitio del Pa-
trone, stante che detto vasciello non sarebbe uscito per questo anno ne
per l'altro, e mi permette amico sfogarmi con ella nel narrarli quel che
mi scrive il P. Galler, che avendo supplicato S. Emiza in mio nome di
farmi produrre dalla Secretaria autentica copia della licenza congessami,
in piedi del informazioni del detto Generale ; non ostante V ordine precise
dato da S. Ema, mio Kiveritismo Padrone, gl'officiali di detta Secretaria
non hanno voluta mai farla, con varii e finti protesti, a me p o c o m'im-
porta essendo in questa corte creduta piü la representa-
tione del conte d'Triechtestain, che ogni scrittura di questa
Secretaria; mi dispiace solo, che detto P. Galler per troppo amore e
cordiale amicizia nel' memoriale ave esposto, lo che io non mi son' sogniato,
e per non piü tediare V. S. Illma resto pregandola, conservarmi la Sua
buona cordialitä col riscontro di qualche suo riverito comando nel mentre
ponendomi alla obidienza di S. Emiza resto di V. S. 111 ma.
Vienna 14. Febrro 1720-
Devotissmo e obligmo Servire
Carlo Gioseppe Conte Dietrichstain.
(Original ; Correspondenzhücher Bd. XXXIII.)
1Y\
Ihro Eminenz
Hochgebohrner Eeichs-Fürst !
Gnädigster Herr! Eurer Hochfürstl. Eminenz wird gnädigst erinner-
lich beywohnen, dass das neu aussgerüstete hiesige Kriegsschiff
Sta Barbara die Ordre erhalten von Trapani nacher Genua abzufahren,
weillen ich nun nicht zweiffle, es werde solches allschon zu erwoehnten
Trapani arriviert seyn, also solle hierdurch Eure Eminenz gehorsambst be-
langen, mir eine Ordre an dessen Capitain-Leuth. gnädigst zukommen zu
lassen, auf dass gedachtes Kriegs-Schiff das aus der Lombardie gekommene
Getraydt nebst dem etwa sich bey den Herrn Prencipe d'Oria befindende
Geldt zu Genua lade, dass ebenmässig allda seyende Pulver aber hieher
convoijre, welche erhaltende Ordre sodann bemeltem Herrn Prencipe Doria
beyschlüssen wolte, im Fahl aber Eure Hochfürstl. Eminenz darwider einiges
Bedenckhen trageten, so bitte mir solches umb so mehrers gnädigst zu
erinnern, auf dass ich hierüber anderwärttige Dispositiones vürkehren möge.
Ansonsten solle auch zue gehorsamsten Nachricht geben, dass dise 2000
ß54 L e c h n e r.
Centuer Pulver 1260 Cantar abwerffeil werden, womit zu beharrlichen
Gnaden mich gehorsambst empfehle und ersterbe Euer Eminenz
unterthäniger undt gehorsamer diener
Neapel den 5ten Martii 1720. Eeichsgraff von Nesselrode1).
(Original; Correspondenzbücher Bd. XXXII.)
Aus einem Schreiben Schrattenbachs an Prinz Eugen vom 3. Mai 1720 geht
hervor, dass damals die S. Barbara noch in Genua lag (ibid. Bd. X).
Illmo Sre Sre PDe Collmo!
Prima di dare a V. S. Illma altre relationi, non posso ameno di parte-
ciparle le ottime qualita della nave S. Carlo, la quäle in questo
picciolo passeggio ha caminato a maraviglia, sperando che doverä essere
maggiore la sua velocitä, mentre procurerö di scandagliare piü a minuto
con la differenza de tempi l'intrinsecho della sua bontä, non potendosi in
cosi breve tempo e con pochi venti e calma misurarne il certo, e nel
progresso del tempo non mancherö di darne a V. S. Illma il piü distinto
ragualio per compimento del mio dovere e per la di Lei sodisfatione.
Partirä fra tre giorni la nave S. Barbara, che porta alli presidii
di Toscana il Sre Conte di Bonnevall, e scorta l'imbarcationi che vi tras-
portano le truppe di suo comando per poi rendersi altra volta qua, e se
non si muttano le dispositioni, passeranno nell' istesso tempo a Messina
queste due galer e con altre tartane con le truppe destinate collä,
per poi venire a cotesta capitale con il battaglione di Wallis essendo pre-
ciso, che senza perdita di tempo ritornino qua per terminare in questo
Regno- il postamento delle truppe nelle guarnigioni di mare.
Non ha risoluto tuttavia il Sre Conte Mercy, dove s'imbarcherä per
passare la Genova, onde non posso dire a V. S. Illma, per dove sarö
destinato, se non con altra occasione, con la quäle non mancherö di parte-
ciparle quello che succederä. Questo comandante Inglese con altri capi-
tani di navi da guerra, che hoggi apponto, hanno pransato meco, non
tralasciano di ammirare el odare la bontä e constructione della nave, in che
non fanno se non che giustitia; che e quanto devo dirle per hora, e con
tutto il rispetto mi raffermo inalterabile
Palermo li 3. Agosto 1720.
V. S. 111 :ma
Devot1110 et obligmo Servre
Fra. Giov. Batta Bolini.
(Original ; Correspondenzbücher Bd. XXXII.)
VI.
Per transportare le 4 navi comprate da Sua Mta a Porto Mahone :
cioe Principe d'Asturias, la Reale, S. Carlo, e Giüno a questo
porto si propongono alcuni capitoli per poterlo con maggiore facilitä e
minore Spessa effettuare.
•) General Nesselrode war als Oberster-Kiiegscommissär der sicilischen Ar-
mee zugetheilt.
Zur Grünclungsgeschiclite der österreichischen Kriegsmarine. ß55
Priroo. Sarebbe necessario, che doppo il viaggio di Sicilia e le in-
coinbenze colä de 3 vascelli, che stanno per partire da questo porto cioe
S. Carlo, Sta Barbara e S. Leopoldo questi passassero in Mahone,
si per portarvi il necessario per carenare li 4 vascelli colä comprati, come
la gente per ammarinarli, sino a che possano passare a questo porto,
et anche per il travaglio di consideratione che sara indispensabile per
renderle in istato e pronte per il sudetto viaggio.
2°. Si dovranno portarvi 200 marinari e 200 soldati di questa marina,
20 calafati, 12 maestri d'ascia, che con altri 100 marinari e 150 soldati,
che si levaranno colä ripartitamente d' medesimi nostri 3 vascelli, sara
bastante per condurle in Napoli sotto la scorta pero di questi.
3°. Se non riuscisse in questo mentre di potere qui reclutare li
sudetti 200 marinari, sarebbe a proposito di passare con li 3 vascelli
sudetti per Livorno ö Genova per vedere di avere il compimento del
numero sudetto, e quando mai non si potesse trovarli (ciö che non e da
credersi), si potrebbe spedire (in caso seguisse il libero comercio con la
Spagna) il capitano Furt er con la sua nave di S. Leopoldo a Mayorca,
mentre essendo egli naturale di quel paese, asserisce essergli molto facile
di riuscirsi ad averlo, con che si aquistarebbe un buon piede di marinaria.
4°. La spesa de sudetti marinari, calafatti e maestri d'ascia per
Ire niesi, che potrebbe dilatarsi l'accomodamento de 4 vascelli e il suo
transporto in Napoli, importarebbe cioe:
Per 200 marinari a raggione di duc. 5 l'uno per mesi tre De. 3000
20 calefati e 12 maestri d'ascia a ragg. di duc. 18 l'uno
per mesi 3 De. 1728
Oltre li generi, che sono in questo arsenale, e monitione
che possono haversi dallo partitarii , per carenare e
guarnire le sudette navi a segno di condurle qua, si
computa la spesa in denaro contante per comprarseli
computata la sartia in tutto De. 8000
De. 12728
Essendo tutto questo calcolo stato tirato con l'intervento del capi-
tano Sebastiano Tixi, capo maestro di questo arsenale, e che fü 2
anni fä alla recognitione in Mahone delle dette 4 navi, si
potra poi a conto piü minuto di specie in specie delle cosse necessarie
averne dall' istesso la relatione , che poi sara nella somma 1' istesso che
qui si e esposto.
5°. Siccome in questo arsenale non vi sono alberi, ne pennoni per
remediare le navi Principe d'Asturias e Eeale, sarebbe necessario,
che il Sre Amiraglio dasse ordine di lasciare provedere dalle 2 navi S.Elisa-
betta e la Eosa et altre, che stanno in Mahone, intendendosi
con lui ö d'abbonarglo il prezzo, ö di restituirglieli doppo l'arrivo delle
4 navi in questo porto.
Avendo perö il Sigre Preside Comiss0 D. Bonifacio d'Andra-
da assicurato, che verso la meta di questo mese devono essere calati alla
marina di Corrigliano molti alberi et antenne, che la gionta dell'ar-
senale ha fatto tagliare nella silva di Cosenza, si potrebbe mandare
imbarcationi bastanti alla detta marina de Corigliano per caricarle e trans-
(356 L e c h n e r.
portarli qua per potere da quella qnantita scielgere i] bisognevole per
transportaiie per a Mahone ' e percio vi varä una picciola nave da tras-
porto affine di rendere quelle 2 navi in stato di condurle in questo porto,
in caro che il Sigre Amiraglio non potesse condescendere all'altro prog-
getto gia detto di disalborare le altre 2 sue navi che stanno in Mahone
per servizio delli navi.
(Concept; Correspondenzbücher Bd. XXX.)
Kleine Mittheilungen.
Die Stellung der Lausitz als brandenburgisches Neben-
land zu den Bestimmungen der Goldenen Bulle. In den bis-
herigen Arbeiten über das Kurfürstenkollegium und die Goldene Balle
sind zwar die Erklärungen zu Gunsten des brandenburgische u Kur-
rechtes Markgraf Ludwigs des Kömers, die am 7. Januar 1356 von
den übrigen fünf Kurfürsten zu Nürnberg in Zusammenhang mit den
Berathungen über die im ersten Theile der Goldenen Bulle vorliegen-
den Beschlüsse urkundlich abgegeben wurden, l) wiederholt mit berück-
sichtigt wordeu, doch einen nicht unwichtigen Punkt dieser Urkunden
noch besonders zu besprechen, ist der Zweck der folgenden Zeilen,
nämlich die Stellung der kurfürstlichen Nebenlande zu der Bestim-
mung der Goldenen Bulle über die Untheilbarkeit der Kurlande.
In den betreffenden Erklärungen wird ausdrücklich hervorgehoben,
dass Ludwig der Römer in Besitz der Stimme und Kur bei der
Königswahl sei „und auch in besitzunghe und in gewer hat daz
iurstenthum der marke zu Brandenborgh und zu Lusitz,
daz kamerampt, die lande, manschaft und alle zugehorunghe, daruffe
die kure und die stimme eyns marggrafen zu Brandenborgh und zu
l) Bei Riedel II, II, 395, 396 sind die Urkunden der Kurfürsten Gerlach
von Mainz und Ruprecht des Aelteren von der Pfalz gedruckt, nicht aber, wie
Harnack, das Kurfürstencollegium bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Giessen
1883) S. 143 Anni. 3 angiebt, auch die des sächsischen Kurfürsten Rudolf; über
diese und die Erklärung Boemunds von Trier s. Huber, Regesten Karls IV.,
Reichssachen Nr. 257. An der hier angegebenen Stelle der Regesta Boica (her-
ausgeg. von Freyberg München 1837) VIII, 340 steht übrigens auch das Regest
der von Harnack vermissten Urkunde Erzbischof' Wilhelms von Köln vom selben
Tag und Ort. — Die obigen Textstellen sind nach der Urkunde Herzog Rudolfs
von Sachsen ;.bei Gerken, Codex diplom. Brandenburgensis (Stendal 1782) VII,
55 folg., gegeben.
Mittheilimgen XV. 42
ß58 Kleine Mittheüungen.
Lusitz begruntvestiget ist"; wer ihn um die Kur und Stimme bei
der Königswahl ansprechen wolle, der müsse zugleich Anspruch er-
heben „an daz furstenthum und die land der egenanten marke
zu Brandenburg und zu Lusitz, das kamerampt und die nian-
schaft und was darzu gehöret, und gewynne yme die an, als recht
ist, wanne wyr zu recht und zu urtheil funden haben, daz die kure
der stymme uf daz furstenthum und uf daz land der marke zu
Brandenburg und zu Lusiz und uff das egenante kamerampt
also gegrundfestiget sind, daz yr eynes ane daz ander nicht gesin mag,
sundern sie muezzen by eynander in aller anspräche zu vorlust und zu
gewynne blyeben". Stimme und Würde ist hier also nicht lediglich
an die Mark Brandenburg, sondern an Brandenburg und die Lau-
sitz geknüpft. Dies steht in Widerspruch mit der künftigen Ent-
wicklung der Herrschaftsverhältnisse in den Kurfürstenthümern und
vielleicht auch mit dem Wortlaut der Goldenen Bulle.
In Kapitel XX des ersten Theiles derselben, also in den Bestim-
mungen, die zu Nürnberg gleichzeitig mit den vorerwähnten Urkunden
vom 7. Januar 1356 entstanden und unter dem Datum des 10. Ja-
nuars 1356 veröffentlicht wurden, heisst es über die Beziehungen
zwischen Kurwürde und Kurland1): Cum universi et singuli prin-
cipatus, quorum virtute seculares principes electores
ius et vocem in electione regis Komanorum in cesarem
promo vendi obtiuerenoscuntur, cumiurehuiusmodinecnon
officiis dignitatibus et iuribus aliis eis et cuilibet eorum annexis
et dependentibus ab eisdem adeo coniuncti et insepar abil i ter
sint uniti, quod ius vox officium et dignitas, alia quoque
iura ad quemlibet principatuum eorundem spectantia cadere non
possint in alium preter illum, qui principatum ipsum
cum terra vasallagiis feudis et dominus ac eius pertinentiis univer-
sis dinoscitur possidere, presenti edicto imperiali perpetuo vali-
turo sanccimus ■ Hier sind also die Ländernamen nicht aufge-
führt, sondern es ist einfach auf dieselben, als bekannt, Bezug ge-
nommen; aber auch in den vorhergehenden Kapiteln sind die Kur-
lande nie besonders namhaft gemacht, nur die Fürsten selbst bind
mehrfach erwähnt, so Kap. I, IV, YII, XI, XXII2) als rex Boeraie,
comes palatinus Keni, dux Saxonie, marchio Brandemburgensis. In
den Zusatzbestimmungen, die am Ende desselben Jahres zu Metz be-
schlossen und als zweiter Theil der Goldenen Bulle am 25. December
') Vgl. Hamack, das Kurfürstencollegiuui, S. 232.
2) Harnack, a. a. Ü. S. 208 f., 216, 218, 224, 234.
Kleine Mitteilungen. (359
1356 veröffentlicht wurden, findet sieb nun zwar eine Stelle, die nicht
bloss die Fürsten selbst, sondern die Kurlande mit Namen nennt,
doch auch hier sind bloss die Hauptlande aufgezählt; es ist dies in
Kap. XXV *) über die Untheilbarkeit der Kurfürstenthürner : . . . deeer-
niraus igitur et hoc perpetuis temporibus valituro sanximus edicto,
quod exnunc in antea perpetuis futuris temporibus insignes et magni-
fici prineipatus, videlicet regnum Boemie, comitatus palatinus Reni,
ducatus Saxonie et marchionatus Brandemburgensis, terre districtus
homagia seu vasallagia et alia quevis ad ipsa speetaucia scindi dividi
seu quavis condicione dimembrari non debeant, sed ut pocius in sua
perfecta integritate perpetua maneant, primogenitus filius succedat
in eis ... "
In der Folgezeit hat man sich streng au diesen Wortlaut gehalten
und die Bestimmung dahin interpretirt, dass nur die genannten
Hauptlande selbst als untheilbar und in der Erstgeburt vererblich zu
betrachten seien, die übrigen Fürstenthümer und Herrschaften aber,
die ein Kurfürst zwar als Nebenlande, aber doch als selbständige Be-
sitzungen (als Reichslehen oder in anderer Weise) und nicht als in-
tegrirende Bestandtheile seines Kurlandes, inne hat, nicht davon be-
troffen würden. Es kommt nun darauf an, ob in der Goldenen Bulle
die vier genannten Gebiete wirklich nur in dem engen Sinne zu
fassen sind, oder ob sie bloss als pars pro toto hervorgehoben, die
Nebenlande aber in den „alia quevis ad ipsa speetantia" (oder Kap.
XX „prineipaturn cum . . . eius pertinentiis universis ", „ cum . . . per-
tinentiis ad ipsum speetantibus ") ausgedrückt sind. Wenn wir die
Stelle an und für sich betrachten, so ist zwar die engere Fassung
(lediglich das eigentliche Kurland) nicht auszuschliessen, denn auch
die terre brauchen nur auf dieses eine hinzudeuten, da der mittel-
alterliche Ausdruck terre, Lande, vielfach bloss Landestheile nach heu-
tiger Auffassung bedeutet; z. B. zum „Lande" Brandenburg als Ge-
sammtbegriff gehörten als solche „Lande" (im Sinne von Unterab-
theilungen) die Priegnitz, der Barnim, Teltow, Lebus, Sternberg u. s. \v.
Doch die kurfürstlichen Erklärungen für Ludwig vom 7. Januar 1350
weisen auf die weitere Fassung hin, dass als Kurfürstenthum über-
haupt der vollständige Besitz anzusehen sei,-) als Norm der status
') Harnack, S. 237 f.
8) Für die umfassendere Deutung (eigentliches Kurland nebst siimnitlicben
gegenwärtig damit verbundenen Nebenlanden) spricht auch der Schluss von
Kapitel XXV, Harnack S. 238, der die Versorgung der jüngeren Höhne und der
Töchter ganz in das Belieben des Erstgebornen, des Kurfürsten, stellt: , qui (der
Kurnachfölger) apud alios fratres et sorores se dementem et pium exhibebit,
42*
gßO Kleine Mittheilungen.
quo zu gelteu habe, demzufolge auch der Besitz der Lausitz1) als mit
erforderlich für rechtsgiltige Ausübung der brandenburgischen Kur zu
betrachten wäre. Ist diese Auffassung richtig — und sie wird dann
auch selbstverständlich für die andern drei weltlichen Kurfürsten-
thünier mit gelten — so wäre die ja gleich von Karl selbst,2) und
später von den Kurfürsten wiederholt3) beliebte Auffassung, dass Neben-
lande nicht eingeschlossen seien, nicht nur willkürlich, sondern direkt
continuo iuxta datam sibi a deo gratiam et iuxta suum beneplacitum et ipsius
patrinionii facultates, divisione scissione seu dimembracione principatus et per-
tinentiarum eius sibi modis Omnibus interdicta. « Hatten die Geschwister eines
jeweiligen Kurfürsten Anspruch zwar nicht auf das Kurland, aber doch auf Ab-
findung mittels entsprechender Antheile der übrigen Fürstenthümer und Herr-
schaften (z. B. bei Brandenburg auf die Lausitz, bei Sachsen auf die Pfalzgraf-
schaft Sachsen, die Burggrafschaft Magdeburg und die Grafschaft Brehna, bei
Böhmen auf die Oberlausitz und die unmittelbaren Besitzungen in Schlesien), so
hingen sie doch nicht lediglich von der Gnade ihres kurfürstlichen Bruders ab,
wie dies in vorstehender Bestimmung vorausgesetzt wird.
') Dass die Lausitz gegenwärtig — 1356 — an die wettinischen Markgrafen
von Meissen verpfändet war, wäre kein Hinderniss gewesen, da die Verpfändung
mit jederzeit freistehender Kündigung rechtlich ja nur als eine vorübergehende
Handlung zur Befriedigung finanzieller Bedürfnisse, nicht aber als endgiltige,
dauernde Entfremdung und Losreissung anzusehen war.
2) So, als er die Lausitz nicht bloss pfandweise, wie das unter den Wet-
tinern und Bolko von Schweidnitz der Fall gewesen war, von Brandenburg löste,
sondern sie 1368 vollständig und dauernd in Form eines wirklichen Kaufes (ohne
Wiederkaufsrecht) aus dem brandenburgischen Verbände herausnahm und 1370
in den Staatsverband der böhmischen Krone durch besondere Inkorporationsur-
kunde einfügte (näheres hierüber an anderem Orte) ; so ferner in seiner Erbthei-
lung unter seine drei Söhne, deren langvermisste Urkunde vor einem Jahre
Schlesinger in den Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in
Böhmen XXXI. (1893) S. 1 folg., bes. 6 veröffentlicht hat, denn hier riss er von
der Mark Brandenburg sogar ein unmittelbar zugehöriges Stück, das Land über
der Oder mit Küstrin, das niemals ein selbständiges Nebenland gewesen war, los
und gab es seinem jüngsten Sohne Johann von Görlitz.
8) Auch von kurfürstlicher Seite erfolgte schon wenige Jahre darauf eine
schroffe Verletzung durch die Theilung der brandenburgischen Länder zwischen
Ludwig dem Römer und Otto am 12. April 1364, wodurch nicht nur die
Lausitz von Brandenburg geschieden, sondern noch weitergehend die eigentliche
Mark Brandenburg selbst getheilt wurde, indem Otto zur Lausitz auch die Mark
über der Oder, das Land Lebus, und sogar Stücke der Lande Barnim und Teltow
erhielt (wurden doch selbst die äusserlich fast zusammengewachsenen Städte Cöln
und Berlin getrennt, erst eres bekam Otto, letzteres Ludwig). Diese Handlung ist
umso auffälliger, als ihr Karl selbst am 14. April 1364 seine Zustimmung er-
theilte, s. Riedel Supplementband S. 35 folg. Von späteren Beispielen sei nur
auf die Theilung unter die Söhne Joachims I. verwiesen, wobei für den jüngeren
Sohn Hans (von Küstrin) die Neumark von der Mark Brandenburg losgelöst wurde.
Kleine Mittheilungen. QQ\
unzulässig gewesen.1) Will man sich zu dieser schroffen Auffassung
nicht verstehen, so bliebe die Annahme übrig, dass zwar — wie dies
die Urkunden vom 7. Januar unwiderleglich darthun — bei den
ersten Berathungen zu Nürnberg die weitergehende Auffassung an-
genommen wurde, dass aber dann sich alsbald Gegenbestrebungen
geltend machten, zumal in dem bisherigen Text der Goldenen Bulle
selbst davon noch nicht bestimmt die Kede war. Als nun in Metz
die ergänzenden Berathungen stattfanden, drang die mildere Ansicht,
dass man sich nicht zu sehr um des Eeichsrechtes willen die Hände
binden dürfe, aus privatrechtlichen Gründen durch, in dem betreffen-
den Zusatzabschnitt Kap. XXV wurden nur die Namen der Haupt-
kurlande erwähnt, möglicherweise, um damit einer künftigen Regelung
dieses wichtigen Punktes nicht vorzugreifen; denn die neue Fassung
bot allenfalls Spielraum genug, sich für beide Möglichkeiten zu ent-
scheiden: zog man als erläuternden Präcedenzfall die kurfürstlichen
Erklärungen vom 7. Januar 1356 herzu, so war die umfassendere
Deutung im Recht; klammerte man sich eng an den Wortlaut, so
konnten die oft so unheilvollen Länderzersplitterungen, die aus der
privatrechtlichen Auffassung des Mittelalters vom fürstlichen Land-
besitz hervorgingen, zum Schaden der Gesammtheit, aber zum Vor-
theil der jüngeren Söhne auch fernerhin vorgenommen werden. Die
Praxis hat sich, wie erwähnt, für letzteres entschieden.
Dresden. Woldemar Lippert.
Das Itinerariiiin Martins V. von Constanz bis Rom (16. Mai
1418 — 28. Sept. 11'20.) Ueber die Reise Martins V. von Constanz
über Genf, Mantua und Florenz nach Rom geben die bisher bekannten
Quellen nur mangelhaften Aufschluss. Pastor (Päpste I. 2. S. 175)
verweist für die Fixierung der Daten auf den bis jetzt in seiner Ge-
samtheit der Herausgabe harrenden 1. Mandatenband Martins V. 2) im
Staatsarchiv in Rom, sowie die acta consistorialia des Consistorial-
archivs im Vatikan, aber hieraus lässt sich namentlich der Aufent-
halt an kleineren Orten nicht genau erweisen. Vereinzelte Angaben
') Dass eine solche Verletzung an und für sich nicht ausgeschlossen war,
lehren ausser den oben erwähnten ja andere Verletzungen, bez. Nichtbeach-
tungen von Satzungen der Goldenen Bulle, auf die schon viel hingewiesen ist,
wie bei Karls Lebzeiten selbst die Wahl seines Sohnes "Wenzel zum römischen
König, ferner die wohl regelmässige Uebertretung der Anordnungen über den
fremden Sprachunterricht der Kurprinzen.
2) Ist von Dr. Hayn kopirt. Der erste hier fehlende Fascikel der Mandata
Martini V. findet sich im Vat. Archiv: Div. cam. T. 4 (Martini T. 1.) f. 214 ss.
ßl^.; Kleine Mittheilungen.
finden sich ausser bei Muratori: Scriptores T. XIX auch in dem sel-
tenen Buch Garanipis: Saggi sul valore delle antiche monete ponti-
ficie, in dem eine ganze Keine vat. Urkunden benützt und gedruckt
sind, ohne hier gesucht zu werden. Genaueren Aufschluss über die
einzelnen Haltepunkte der für die damalige Zeit ungemein beschleu-
nigten Reise giebt uns die Datierung in den Supplikenbänden Mar-
tins V. Zur Benützung kamen namentlich : Suppl. Marcini V. auno 1.
per fiat. T. 9, 10, 11, nach der nunmehr durchgeführten Numerierung1):
T. 112, 113, 114 anno II. per fiat T. 2 = T. 117, daneben sind
einige Citate den Vat. Registerbänden, sowie einer im Vat. Archiv
erhaltenen Abschrift von Consistorialakten Martins (Arm. XII. Nr. 121),
einige auch den Div. cam. T. ß des vat. Archivs entnommen. Aus der
ganzen Art des Reisens übrigens sieht man klar, dass die Sorge für
das von Tag zu Tag mehr verödende Rom die Schritte des Papstes
beschleunigte.
Abreise von Constanz: 16. Mai 1418 Cf. Pastor: Päpste I. 2. f. 175.
Schaff hausen: 17. 18. Mai Arch. Vat. Introiti et exiti
Nr. 379. f. 2.
Baden: 19. Mai Arch. Vat. Suppl. 1 1 4. f. 195 v.
Lentzburg: 19. Mai S. 114 f. 200 v.
Aarau: 19. Mai S. 114 f. 248 v.
Ölten: 20. 21. Mai S. 114 f. 2 46. Arch. di Stato
Mand. T. 1. f. 4 v.
Solothurn: 22. Mai S. 114 f. 246 v.
Bern:2) 23. Mai— 3. Juni Arch. Vat, Arm. XII. Nr. 121,
f. 102.
Freiburg: 5. Juni S. 114. f. 120 v.
Lausanne: 9. Juni S. 114. f. 119 v.
Genf: 11. Juni Arch. Vat. arm. XII. Nr. 121
f. 102.3)
Cruseilles (Crusillie): 4. Sept. 141 8 S. 114. f. 169.
') Seit meinen Mittheilungen Hist. Jahrb. 1894 S. 252 ist wiederum eine
neue Numerierung zu verzeichnen.
2) 23. mensis Maii intravit terram Berne, die veneris 3. Junii discessit de
Berna. (S. 114. f. 199: 24. Mai. S. 114. f. 118: 2. Juni). Cf. Garampi 1. c. f. 77-
3) Die sabbati 11. Juni circa horam vesperarum intravit limitem Gehenne
in Sabaudia, 1. c. f. 108: die mercurii 7. Sept. fuit posita cedula translationis
eurie de Gebennis ad Mantuam. Der Papst war schon früher fort und zwar er-
folgte seine Abreise wegen Ausbruchs einer Epidemie sehr rasch. Arch. Yat.
Div. cam. T. 4. 1. 202. Der Kreuzzugsprediger Cataldinus de Boncompagnis er-
hält Schlussquittung, ohne dass seine Bücher in Ordnung waren: propter reces-
sum pape cum sua curia celerem et festinum. Div. cam. T. 5. f. 8: Der Skriptor
Nicolaue Niqueti hatte sich von Genf nach Avignon geflüchtet propter vigentem
mihi epidimiam. Die Gefahr, dass der Papst abermals seinen Wohnsitz in
Avignon aufschlagen möchte, war also vorhanden!
Kleine Mittheilungen. (3(33
Annecy (Annasiaci) : 5. — 9. Sept. S. 113. 1. 52 v. und 112 f.
137 v.
Talloires (in prioratu b. Marie o. s. B. alias
Clun. apud villam Tellueriarum vel bre-
vius: Tellueriis): 9. Sept. S. 112. f. 137 v.
Faverge (Fabricis) : 10. Sept. S. 1 14. f. 22 v.
Ugine (?) (Vesiaci, auch Nesiaci) : 10. Sept. S. 114. f. 108.
Tours (?) (Turnoni): 11. Sept. S. 112. f. 75.
Aiguebelle (Aquabelle): 12. Sept. S. 112. f. 256 v.
La Chambre (Camere): 12. Sept. S. 113. f. 226 v.
St. Michel (St. Michaele): 13. Sept. S. 112. f. 230 v.
Chateau Bourreau (?) (Burgetti): 14. Sept. S. 113. f. 246 v.
Lanslebourg: 16. Sept. Keg. Vat. 348. f. 107.
Gipfel des Mont Cenis *) (in cacumine mon-
tis Lancuburgii) : 16. Sept. S. T. 112. f. 281 v.
Susa (Secusie): 17. — 19. Sept. S. 112. f. 135. v.u. f. 245 v.
Turin (Taurini): 20. — 27. Sept. S. 112. f. 137 u. 114. f. 40.
Chivasso (Clavassi) : 28, 29. Sept. S. 112. f. 193 u. 114 f. 38 v.
Trino (Tridenti): 30. Sept. S. 113. f. 150.
Vercelli: 1. 2. Okt. S. 114. f. 181 u. 112 f. 135.
Novara (Novarie) : 3. Okt. S. 112. f. 180.
Vigevano (Vigleveni): 4. Okt. S. 112. f. 134.
Pavia (Papie): 6.— 11. Okt. S. 113. f. 43 v. u. 114 f. 20*.
Mailand: 12—19. Okt. S. 113. f. 83. u. f. 81.
Cassano: 19. Okt. S. 113. f. 53.
Chiari: 20. Okt. S. 114. f. 29 v.
Brescia: 23. Okt. S. 112. f. 138.
Mantua: 24. Okt. Eeg. Vat. 352. f. 197.
Der Aufenthalt in Mantua währte bis zum 6. Febr. 1419 (S. 117
f. 18).
Bereits am 30. Jan. 1419 teilt der Kämmerer mit, der Papst
habe sich zur Abreise entschlossen: Immediate post diem dominicam
5. Febr. angelo pacis comitante continuatis dietis dragendo versus
civitatem Florentiatn in eadem residentiam facere intendendo, nisi de
civitate Pisana post tempus videatur potius electio residentie cum
dicta sua curia faciende. Div. cam. T. 5 f. 7 v. Dieser Plan, in Pisa
') Hier nahten sich dem Papst mit ihrem Bittgesuch die beiden Einsiedler :
Bruder Johann, der auf der italienischen Seite des Mont Cenis hauste (in pede
scale montis Ceneysii a parte Secusie) und Br. Augustin von der franz. Seite
(domus appellate Lacadarb a parte Lancuburgii) und baten um einen Ablass für
die Errichtung von Unterkunftshütten : cum . . . propter ibidem confluentes valde
sit necessarium in dietis duobus locis habere reeeptaculum, cum ipsi montes
tempore hyemali valde sint variis (sie!) et tenebrosis (!) ob ventorum et gran-
dinum, turbidinum etc. habundantiam nimiam . . . evidenterque V. S. visis locis
dictorum montium in hoc ioeundissimo adventu et transitu Vestro poterit se in-
formare . . .
ßß4 Kleine Mittheilungen
längereu Aufenthalt zu nehmen, kam bekanntlich nicht zur Ausführ-
ung, der Papst eilte , nach Rom zu kommen. Seinen Weg nach Flo-
renz nahm er, um das unbotmässige Bologna zu umgehen,1) über
Ferrara, Kavenna und Forli.
Sermide: 7. Febr. 1419 S. 117. f. 98 v.
Ferrara2): 9.— 15. Febr. S. 117. f. 17 u. f. 148 v.
Ravenna : 17. Febr. S. 117. f. 92 v.
Forli3): 19 u. 20. Febr. S. 117. f. 223 v. u. f. 77.
Florenz: 27. Febr. S. 117. f. 38.
Der Aufenthalt des Papstes in Florenz währte bis zum 9. Sept.
1420. Der Befehl des Vicekämmerers betr. Verlegung der Kurie wurde
am 19. Aug. erlassen.
Translatio curie. Ludovicus . . . pape vicecamerarius.
De mandato smi . . . Martini pape V. nobis super hoc facto oraculo
vive vocis intimamus universis et singulis cortesanis et Romanam curiam
sequentibus, qualiter idem dominus noster pacis angelo comitante imme-
diate post festum b. virginis Marie, que erit dies nona mensis Septembris
proxime futuri, intendit ab hac civitate Florentina iter arripere versus
almana urbem cum eius curia, curiamque ipsam ex nunc dicta nona Sep-
tembris transfert ad ipsam urbem , et propterea omnes curiam ipsam
sequentes se ad iter accingant. Florentie 19. m. Aug. 1420. Div. cam.
T. 6. f. 168 v.
? (Apud pontem Arbie, Senensis dioc.):
12. Sept. 1420 Div. cam. T. 6. f. 204.
Acquapendente : 14. Sept. 1. c. f. 204.
Viterbo: 19. — 25. Sept. 1. c. f. 205.
Der Einzug des Papstes erfolgte dann am 28. Sept. 1420. Cf.
Pastor: Päpste I. 2. S. 177.
Giebelstadt-Würzburg. F. Miltenberger.
Zur Belagerung Wiens durch den Grafen Thurn (2. — 14.
Juni 1619). I. Nachdem ich in den „Mittheilungen des Instituts"
15, 394 ff. auf Grund der Akten der niederösterreichischen Stände dar-
zuthun gesucht hatte, dass die „Sturmpetition" der Protestanten Nie-
derösterreichs, welche durch das plötzliche Erscheinen von mehreren
hundert Reitern ein rasches Ende fand, nicht am 11., sondern wie
schon Gindely festgestellt hatte, am 5. Juni 1619 stattgefunden habe,
konnte ich durch die Güte des Herrn Generalmajors L. v. Wetzer,
1) Muratori Script. XIX. f. 92 : Non si sa il perche non volle poi passar per
Bologna, probabilmente rradriva sin d'allora de pensieri diversi contro quella
citta.
2) Muratori 1. c. f. 92. 8. Febr.
') Muratori 1. c. f. 93. 18. Febr.
Kleine Mittheilungen. 665
Directors des k. u. ■ k. Kriegsarchivs, einige in diesem vorhandene
Actenstücke (Concepte) benutzen, welche über die Massregeln Ferdi-
nands II. und die Lage desselben in den entscheidenden Tagen nicht
unwichtige Aufschlüsse geben. Es sind dies theils Befehle des Königs
an den Grafen Dampierre, welcher dem Grafen Buquoy, der mit seiner
Armee bei Budweis stand, Verstärkungen zuführen sollte und bereits
bis Krems gelangt war, theils Mittheilungen an Buquoy selbst.
1. Am 2. Jtmi meldet König Ferdinand dem Grafen Dampierre,
dass seit dessem Aufbruche von Wien nach Krems der Feind (d. h.
Graf Thurn, der am 29. Mai Laa in seine Gewalt gebracht hatte und
am 31. Mai von da gegen Wien aufgebrochen war) „mit aller seiner
heraus habenden Macht" heranziehe. Da der König in Folge dessen
Dampierres Kriegsvolk zur Defensive bedürfen könnte, so befiehlt er
ihm, all sein Volk an einem gelegenen Ort bei Krems zu vereinigen,
gutes Regiment zu halten, Bedrängnisse der armen Leute zu verhüten
und weiterer Befehle gewärtig zu sein. Auch sei es nothwendig, die
Schiffe in guter Bereitschaft zu halten, damit das Fussvolk, wenn man
es „ herunten " brauchte, auf dasselbe gesetzt und herab, oder wo man
es begehrte, geführt werden könnte. Da man auch die Tschaiken l)
herunten mehr als droben nothwendig habe, so sollte Dampierre sie
alsobald herabordnen.
2. Noch am nämlichen Tage meldet König Ferdinand dem Grafen
Dampierre, dass der Feind bereits in die 3000 Mann stark zu Ross
und Fuss zur Fischa (Fischamend) übers Wasser gesetzt und sich jetzt
daselbst befinde. Da nun der König der bei Dampierre befindlichen
Kriegsmacht zur Defensive des Landes bedürfe, wie ihn der Ober^t-
lieutenant Freiherr von Breuner näher referiren werde, so solle er
vom Fussvolk so viel, als sich ohne Gefahr thun lasse, aus den in
den Städten und Posten eingelegten Garnisonen herausnehmen wie
auch die Tschaiken herabordnen.
3. In einem eigenen Postscriptum vom nämlichen Tage trägt der
König dem Grafen Dampierre auf, die Ungarn zu Ross und Fuss nach
Budweis ins Lager des Grafen Buquoy zu führen, das übrige Volk
aber, was von Deutschen und Ausländern zu Ross und Fuss vorhan-
den, zu Wasser oder Lande, wie es am bequemsten sein würde, sammt
den Tschaiken herabzuordnen.
4. Ebenfalls am 2. Juni meldet der König dem Grafen Buquoy,
dass er den Grafen und Obersten Dampierre, der auf seinem Zuge nach
Budweis bereits bis Krems gekommen, zurückzurufen veranlasst wor-
') Ungarischer Ausdruck für Schiffe oder Boote.
6(30 Kleine Mittheilungen.
den sei, weil der Feind bereits in 3000 Mann stark zu Koss und Fuss
zur Fischa über das Wasser auf diese Seite gesetzt habe, weitere
Kriegsmacht folge und diese Macht, die bei 10000 Mann stark sein
soll, die Stadt Wien zu umringen Willens sein könnte. In einer Nach-
schrift theilt der König auch an Buquoy seinen Beschluss mit, dass
Dampierre alles ungarische Kriegsvolk ins Lager nach Budweis führen,
das bei ihm befindliche deutsche und ausländische Kriegsvolk aber zu
Lande und Wasser herabschaffen solle.
5. Am 6. Juni wird dem auf dem Douaustrom herab nach Wien
kommenden Befehlshaber und Knechten befohlen, dass 50 zu Kloster-
neuburg bleiben, die übrigen auf der grossen Donau herab der Brücke
und der neben derselben aufgeworfenen Schanze zufahren und bis auf
weitere Ordonanz sich aufhalten sollen.
6. Am 8. Juni wird vom Könige an Buquoy geschrieben , dass
noch alles in dem Status sei, wie es ihm in dem vor vier Tagen über-
schickten Brief! mitgetheilt wordeu, und habe sich während der Ver-
handlungen zwischen den katholischeu und unkatholischen Ständen
der Feind der hiesigen Vorstädte bemächtigt. Es lasse sich dahin an-
sehen, als ob er sich einer Belagerung unterfahren wollte, wozu er
gleichwohl (,,da nit sondere conspirationes wären") zur Zeit [zu schwach
sei] *), weil er nur des von Teuffenbach, 9 mährische, das von Thurn
3 böhmische geworbene und 2 böhmische Fändl Landvolk bei sich
habe, von Eeiterei in 2000 und fünf 2, 3 und vierpfündige Stuck. Er
(der König) habe solche Präparation in der Stadt thun lassen, dass er
hoffentlich wenig zu fürchten haben werde. Er habe von geworbenem
Volk 8 Fändl Knechte und 8 Compagnien Keiter ; morgen sollen wie-
der 200 Pferde unter dem Obersten Histerle geworben werden. Heute
sei zum erstenmale die Eeiterei zum Kecognosciren ausgezogen und
habe in 30 Feinde erlegt und gefangen gebracht. Er theile ihm dies
deswegen mit, damit er den ganzen Verlauf erfahre und versichert sei,
„dass Ich mich bei dieser Beschaffenheit keineswegs zum Verlieren (?)
sondern das euseriste zu thun gesonnen sey". Deswegen sei alles zur
Ausstehung einer Belagerung gerichtet, die unnöthigen Brücken ab-
geworfen und das Geschütz auf den Basteien plantirt. Bis jetzt werde
der Pass des Donaustromes erhalten, indem er an der äussersten Brücke
eine Schanze aufwerfen und mit 400 Mann bewachen lasse. Es seien
auch zu deren Versicherung stets auf dem Wasser vier Tschaiken un-
') Dies oder etwas ähnliches ist nach dem Zusammenhang zu ergänzen.
Kleine Mittheilungen. 6G7
garischer Nassadisten x), welche die Böhmen wohl einmal attakirt, aber
mit Verlust abziehen müssen.
Die Akten sind offenbar lückenhaft. Aber sie zeigen doch, dass
König Ferdinand II. schon am 2. Juni auf die Nachricht von der
Ueberschreitung der Donau durch die Böhmen dem Grafen Dampierre,
der mit Verstärkungen für Buquoy abgeschickt worden uud bis Krems
gekommen war, den dringenden Befehl ertheilt hat, alle nicht unga-
rischen Truppen zu Wasser oder Lande nach Wien zu senden. Dass
Dampierre mit der Ausführung dieses Auftrages, den er am 3. erhalten
haben dürfte, nicht bis zum 10. gewartet haben wird, ist wohl ausser
Zweifel und wird auch dadurch bewiesen, dass der König am 8. Juni
in Wien an geworbenem Volk 2800 Mann hat und sich vollkommen
sicher fühlt und am folgenden Tage weitere Verstärkung erwartet. Im
Angesichte einer solchen Besatzung hätten die protestantischen Stände
am 11. Juni gewiss nicht mehr gewagt, gegen den König eine dro-
hende Haltung einzunehmen. Diese Aktenstücke werden nicht bloss
durch die schon bei Gindely abgedruckten Depeschen des spanischen,
sondern auch durch die von ihm benutzten Berichte des sächsischen
Gesandten, welche nach einer vom genannten Forscher veranlassten
Abschrift im k. und k. Kriegsarchiv copiert und mir zur Benützung
überlassen worden sind, in wünschenswerther Weise ergänzt. Bei der
Wichtigkeit derselben theile ich dieselben in einem (fast wörtlichen)
Auszuge mit.
2. Juni: Das böhmische Kriegsvolk, welches nach dem Accordo
gegen Laa von dort abgeführt worden, habe sich Samstag (1. Juni)
zu Nacht bis auf zwei Meilen von hier befunden. Als dies gestern
früh dem Könige avisirt worden, sei ein solcher Schrecken entstanden,
dass das Volk aus den Vorstädten sich mit aller Habe in die Stadt
retiriert und man diese ganz habe sperren wollen. Weil aber andere
Nachrichten gekommen, dass sich das böhmische Volk „auf die Seiten
der Donau und nicht herwärts in die Stadt gewendet1', seien die übri-
gen Thore offen, und nur das Schotten- und Rothenthurmthor gesperrt.
Gestern Abend über Nacht seien 2 Fähnlein Knecht diesseits über die
Schiagbrucken und 1 Fähnlein in die Burg zur Garnison geordnet und
die Stücke auf die Basteien geführt worden. Gestern die ganze Nacht
über wie dato sei das böhmische Volk zu Fischau über die Donau ge-
führt worden, und verlaute, dass es bei 15000 Maun stark sei.
3. Juni: Gestern seien die Böhmen viele 1000 stark vier Meilen
unterhalb Wien zur Fischa ankommen; heute und gestern führe man
l) Naszadisten, die bewaffnete Bemannung der ungarischen Kriegsschiffe auf
der Donau.
668 Kleine Mittkeilungen.
Stücke auf die Basteien und seien alle Thore bis auf das Stubenthor
gesperrt.
10. Juni : Thurn sei, nachdem er sein Volk am 2. Juni und fol-
genden Tage bei Fischa, ohne Widerstand zu fiuden, über die Donau
gebracht, am 6. Juni so nahe an die Stadt Wien gerückt, dass man
zwischen 10 und 11 Uhr Mittags das böhmische Volk von der Burg
aus marschieren sehen konnte. Der König habe befohlen, auf die Ba-
steien und wo es sonst nothwendig, grosse Stücke zu führen, und ge-
wisse Orte mit Soldaten zu besetzen. Als „die beiderseitigen Stände"
in Unter-Oesterreich beim Könige in der Burg Audienz gehabt, „den
5. Juni", seien zuerst die Katholischen, dann die Evangelischen vor-
gelassen worden. Als die Evangelischen zwischen 10 und 11 Uhr vor
dem Könige waren, hätten sie erklärt, dass sie jetzt entschlossen seien,
sich von den Katholischen zu trennen und mit den Böhmen und an-
dern Conföderirten zu verbinden und zur Kechtfertigung allerlei Ur-
sachen eingewendet. Als der König ihnen beweglich zugeredet, seien
„geling" etliche Cornet, nämlich zwei in vollem Beiten auf den Burg-
platz kommen, (die, wie für gewiss berichtet, den vorigen Abend von
Krems ausgereiset) und 1 Fähnlein Knecht auf gemeldeten Platz ge-
führt und 1 Cornet beim Landhaus *) verordnet worden. „Diese Cornet
seind Kürassier gewesen". Durch solches Kriegsvolks Ankunft seien
die evangelischen Verordneten nicht wenig erschrocken, da sie schon
vor der Audienz durch eine ziemliche Anzahl Handwerker um Gottes
Willen gebeten worden, sich nicht nach der Burg zu begeben, da nicht
bloss Gefängnisse vorbereitet seien, sondern ihnen auch die Köpfe ab-
gerissen werden würden.
11. Juni: „Den 5. dito haben Ire kgl. Mt. die evangelischen Land-
stände zur Audienz erfordern lassen, welche auch erst umb 10 Uhr
erschienen, und haben biss nach 11 Uhr bey der Audienz verharret"?
wobei der König sie unter andern ermahnt, sich mit den katholischen
Ständen wegen der geringen Differenzen zu vergleichen und wegen des
vor Augen schwebenden Kuins des Landes zu einhelliger Berathung
der Landesnothdurft zu schreiten. Es haben sich aber die Evangeli-
schen entschuldigt, dass die Verzögerung nicht an ihnen, sondern an
den Katholiken liege, weil sich diese über ihre letzte Erklärung noch
nicht resolviert hätten, und den König gebeten, solche Kesolution selbst
ehist zu befördern. Dazu habe sich der König erboten , ihnen T aber
die ohne seinen Consens acceptierte Conföderation mit den böhmischen
Ständen in etwas verwiesen.
l) in der der Burg zunächst liegenden Herrengasse.
Kleine Mittheilunggn. 669
„Unter solcher wehrender Audienz, da ohne das albereit 2 Fand-
lein Knecht in dem Purg Platz gehalten, seind die 4 Cornet Floren -
tinische Reutter, ein tapfer Volgg, zu denen das Künftige auch täg-
lich solle complirt werden, ettwas ungestim mit einer furia durch die
Statt in die Burg marchiret, welches bey meniglich in der Statt ein
Schrekhen und Furcht verursachet, sonderlich weill die Stende etwas
lange vber Gewohnheit bey der Audienz aufgehaltten und dahero auss-
ieben worden, dass Ir. Mt. etliche von den Ständen in Arrest behalten
lassen, so aber nicht besehenen, sonder seindt nach 11 Uhr abgeschie-
den". Um 3 Uhr seien sie neuerdings zur Audienz erfordert worden,
aber erst des anderen Tages erschienen.
Dieser Tage sei Graf Thurn mit seinem Lager der Stadt näher
und bis St. Marx gerückt. Am 6. und 7. haben sie sich in die Vor-
städte einlosiert, besonders aber haben sie ein Lager in der Gänsweid,
wo sie sich verschanzt, geschlagen, gegenüber dem königlichen Volk
im Praeter. Sie schiessen Tag und Nacht, wenn sich einer sehen lässt,
auf einander. Die Königlichen haben 14 Musketiere gefangen. Die
Stadtthore bis auf das ßothenthurmthor seien geschlossen. Am 9. und
10., besonders am 10. Nachts sei das Schiessen im Prater wieder an-
gangen, daher man zu mehrerer Stärkung der Wachen diesen Abend
fast spat von einem Freifändlein, 500 Mann stark, das erst von Krems
herabgeführt worden, 400 Musketiere in die Stadt, 100 in den Prater
geordnet. Damit das böhmische Volk nicht mit Schiffen über die
Donau setzen können, hat man alle Zillen oder kleinen Schiffe auf der
Donau zerschlagen und senken lassen. Unserer kgl. Mt. Volk befinden
sich derzeit bei der Stadt 8 Cornet Reiter, 9 Fahnen Fussvolk und
4 Tschaiken Haiduken, zu denen, wie es heisst, die wälschen Kauf-
leute auf ihre Kosten ein Fähnlein Wallonen und Franzosen aufrichten
wollen. Die Studenten beider Universitäten wollen 2 Fähnlein auf-
richten, ihre Collegia selbst zu verwahren *). „Die Evangelischen aber
dürffen nicht mucken."
12. Juni: Der Anstand habe nicht lange gewehrt. Gestern und
heute habe das Schiessen wieder begonnen, was den König veranlasste,
von */a 12 die Nacht mit grossen und kleinen Stücken unter die Böh-
men zu schiessen. Die Reiter und Knechte machen auch 3 bis 4 mal
des Tags Ausfälle, bringen Beute und Gefangene zur Genüge herein.
') Der spanische Gesandte berichtet am 12. Juni: Hanse levantado a qui
ducientes cavallos y tres companias de infanteria de los burgenses y dado ar-
mas a cosa de 400 etudiantes y oy han llegado 500 infantes de fuera, con que
habra en todo cosa de 5000 hombres.
670 Kleine Mittheiluugen.
Gleich nach Eröffnung der Thore kommt Nachricht, dass der Graf
(Thurn) heut in der Nacht um 12 Uhr angefangen seinen Abzug zu
nehmen, dann die Keiterei nachgesetzt habe.
18. Juni: Am 14. d. zwischen 2 und 3 Uhr Früh sei der Graf
von Wien mit seinem Volk aufgebrochen und habe sich nach Schwe-
chat begeben. A. Hub er.
II.
Die Controverse über das Datum der stürmischen Audienz bei K.
Ferdinand im Juni 1619 veranlasst mich, die Aufmerksamkeit auf eine
Quelle zu lenken, welche über einzelne Vorkommnisse zu Wien in den
bewegten Junitagen des genannten Jahres willkommenes Licht ver-
breitet. Diese Quelle nennt sich ein Memorial zum Jahre 1G19.
Dieses Memorial liegt in einem Faszikel des Innsbrucker Statthalterei-
Archives (Leop. C. 41), in welchem Inventarien und Akten über den
Erbnachlass des 1618 verstorbenen Markgrafen Karl von Burgau ent-
halten sind. Dieser Naehlass, soweit er Liegenschalten betraf, sollte
nach dem Wunsche des K. Ferdinand als Pfandobjekt verwendet wer-
den, um zu den Küstungen gegen die böhmischen Aufständischen eine
ansehnliche Summe aufleihen zu können. Die Verhandlungen darüber
sollten in Wien geführt werden, wozu die tirolische Regierung, welcher
Burgau unterstand, den Kammerrath Leo Marquard Schiller v. Herdern
zu Grabenstein (später tirol. Kammerpräsident und geheimer Rath) ent-
sandte. (Instruktion für Schiller vom 23. Mai 1619). Schiller langte
in Wien am 29. Mai an, und trat die Rückreise von dort am 23. Juni
an. Er war unmittelbarer Zeuge der Dinge, welche innerhalb dieses
Zeitraumes in und um Wien vorgiengen. Um sich das Material für
eine Relation zusammenzutragen, schrieb Schiller das Memorial. Nicht
vielleicht gerade täglich, aber jedenfalls nach zwei bis drei Tagen
schrieb er sich dasjenige auf, was ihm als das Wichtigste von den
äussern Vorfällen und den gepflogenen Traktationen erschien. Die
einzelnen Sätze lesen sich wie tagebuchartige Aufzeichnungen und
tragen das deutliche Merkmal der Unmittelbarkeit an sich. Nur der
erste Absatz macht davon eine Ausnahme, indem er mehrere Einzel-
vorgäuge in eine Gesammtschilderung zusammenfasst, welche dem Me-
morialschreiber offenbar als Einleitung zu seinen folgenden Einzeldaten
dienen sollte. Schiller deutet darin an, dass die protestierenden Stände
auch die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Ausschreitungen
der nach Böhmen ziehenden Ungarn gegen Ferdinand ausnützten. Mit
dem 2. Juni, dem Tage, an welchem Thurns Truppen nach Fischamend
übersetzten, beginnt die Aufzeichnung dessen, was Schiller in Wien
selbst erfahren und gesehen hat. Ich gebe im Nachfolgenden den Text
Kleine Mittheilungen. G71
des Memorials, soweit er sich auf die politischen und kriegerischen
Vorgänge in und bei Wien bezieht. Die zahlreichen Stellen, worin
Schiller über seinen geschäftlichen Verkehr mit dem König, dessen
Ministern und Kammerleuten berichtet, übergehe ich, als nicht zur
Sache gehörig.
Memorial.
Als die catholischen und kezerischen ständt ain guette zeit zu Wien
beysamen gewest, haben sie sich in religionspuncten nit vergleichen kün-
den, darinnen doch Ire Maj. sich ser bemühet, und als etlich 1000 Hun-
gern merenteils zu ross vor der statt für auf Krembs in Böhamb gezogen
und dem armen landtraan grossen schaden und übertrang gethan, ist graf
von Thurn durch die kezerischen ständt ersuecht worden, inen zu hilff zu
khomen, darauf sie sich verlassen und vermählt, einer stattporten zu be-
mechtigen und den graffen herein zu lassen. Man vernimbt bald, dass der
graf bey Vischach über die Thonaw sezt, so darumben nit künde verwehrt
weiden, weiln man mit wenig volkh nit getraut und mit vielen die statt
nit umblassen könde.
Den 4. haben sich die ständt ser endtzweyt und getrent, und sein
die catholischen klainmüttig worden.
Aber den 5. gegen den könig erklärt, die durch die kezer begerte
conditiones kaineswegs einzugehn, ehender alles ausszustehn, entgegen sich
die kezer erklärt, mit den Böhmen zu halten ; und gleich als sie bey der
audienz, komen unfürsehens 5 cornet reitter auf den hof, darob sie sich
ser entsetzt ; wäre darüber auch bald lärmen in der statt worden, und
haben sich Ire Maj. selbigen und die vorige tag stättigs ohne frucht bemühet,
und ist diesen abendt das Böhamische volkh gar in die vorstätt komen,
und hat solches herzu zu dem 6. und 7. und 8. gewehrt, dass nians von
der bürg auss sehen mögen.
Den 7. haben die Böhemb ein schanz vor dem Stubenthor aufge-
worifen. In der stat sein die stuckh auf die pasteyen gezogen, fleissige
wachten zu ross und fuss bestellt und die fürnembsten platz und ordt
eingenomen und besezt, die ketten, dass man sie zu Verhinderung der reit-
terey nit fürziehen möge, abgekürzt worden.
Den 8. haben sich etlich Böhemische reitter etwas vermessen gar an
die statt gelassen, darauf etlich reitter aussgefallen und teils davon ge-
fangen hereingebracht.
Dergleichen ist auch den 9. beschehen und den 1 0. früe haben die
Böhamb in dem prater über das wasser sezen wellen, die sein von den
Heyduggen, so mit etlich Tschaiggen darin ligen, abgeschlagen und
etlich erlegt worden.
Graf v. Thurn solle mit den ständen übl zufriden sein, dass sie ine
also angefihrt. Selbigen abendt widerumben etlich Bömische Soldaten
gefangen, ist ab den pasteyen hinauss und darauf herein mit musgehten
geschossen worden.
Den 11. diss ist baiderseits mit schiessen, aussfallen und fangen con-
tinuirt worden. Den 1 2. dito ist durch das Böhamische volkh dem prater
starkh zugesezt worden, darinnen sich die gelegnen Soldaten sanibt den
Jägern starkh gewerdt, die schüff gesenckht, abgenomen und den feindt zu-
ß72 Kleine Mittheüungen.
rugg getriben. Selben vormittag haben sich etliche vom feindt gegen der Schloss-
und Kärnerpastey gar nahendt sehen lassen, darauf lang mit musgetten
o-egen ainander geschossen worden, ist auch letztlich mit stuckhen hinauss
und etlich der Böhamischen, auch ain Soldat auf der Schlosspastey er-
schossen worden. Nachmittag ists rüebiger gewest.
Den 13. morgens vor tags ist der feindt aufgebrochen und fortgezogen,
darauf selben und volgende tag etliche von der reitterey ausgefallen, beüt-
ten und gefangene bekhomen. Den 1 2. diss morgens sein die kuglen gar
in des königs anticamera gangen, als herr v. Brandis neben mir, auch
herr bischof von Bossna, hungerischer secretari und noch ir 2 under dem
fenster gestanden ist, gleich ober und zwischen unss ain kugl durchge-
flogen.
Wie kurz auch die meisten Bemerkungen Schillers sind, so sind
sie doch für manche Ereignisse jener Tage beachtenswerth. Schiller
spricht ausdrücklich davon, dass die protestantischen Stände Thurn zu
Hilfe riefen in der Hoffnung, ihm ein Stadtthor öffnen zu können. In
der Haltung der katholischen Stände in den Verhandlungen am 4. und
5. Juni wird ein auffallender Unterschied konstatirt. Am 4. Juni zeigen
sie sich kleinmüthig, am 5. dagegen entschieden.
Den 5. Juni bezeichnet Schiller als Augenzeuge, der selbst in der
Burg anwesend war, als den Tag, an welchem die Evangelischen jene
viel besprochene Audienz beim Könige hatten, die mit dem Erscheinen
der Reiter Saint-Hilaires ihr Ende fand.
Dass in den Tagen vom 7. bis zum 13. Juni die feindlichen Thät-
lichkeiten zwischen den Wienern und den Böhmen nicht geruht baben,
das bezeugt Schillers Aufzeichnung zu jedem einzelnen dieser Tage.
Innsbruck. Hirn.
Anonymes Schreiben ans dem Nachlasse des Herzogs toii
Reichstadt. Als man nach dem Ableben des Herzogs von Reichstadt
die Papiere dieses unglücklichen Prinzen einer genauen Durchsuchung
unterzog, fand man unter anderem auch das Concept eines Schreibens,
welches vermöge seines Inhalts einer besonderen Beachtung würdig
ist. Baron Marschal übersendete es am 10. September 1832 mit fol-
genden Zeilen an den Fürsten Metternich : „En examinant avec Ma-
dame Tarchiduchesse les papiers laisses par feu le duc de Reichstadt,
j'ai trouve les deux feuilles ci-jointes, qui peuvent etre de quelqn in-
teret ä raison de la personne qui les a ecrites et qui pourrait vou-
loir recueillir des renseignemens ulterieures " l.) Dem kaiserlichen Mi-
nister in Parma sovvol als auch dem Staatskanzler rnusste die Persön-
') K. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv.
Kleine Mittheilungen. (373
lichkeit, welche jenes Schriftstück verfasste, bekannt gewesen sein.
Leider ist es mir jedoch trotz aller Bemühungen nicht gelungen, etwas
Näheres darüber in Erfahrung zu bringen. Das Eiue erhellt aber
mit Sicherheit, dass wir es mit einem französischen Diplomaten zu
tun haben, welcher dem Bürgerkönig Louis Philippe nichts weniger
als Sympathie entgegenbrachte.
Das Schreiben2), welches ich hier mitteile, scheint entweder im
Winter 1831 oder im Frühjahr 1832 abgefasst worden zu sein.
Le prince de Metternich s' est exprime dans la conversation, que j'ai
eu ce matin avec lui de la maniere la plus desesperante sur 1' etat actuel
de la France, qu'il nornme un etat temporaire, le passage de 1' ordre ä
1' anarcliie.
La circonstance, la plus triste dans ce moment est indubitablement
la misere et la mefiance universelle, oü placer les nombreux fonds qui
sont dans tous les pays, comment soigner l'agriculture, et le souhait de
la paix generalement exprime n' est pas un garant assez sur, pour desarmer.
Toute fois la misere viendra au comble dans tous les pays, la France
a la tete, et Ton retournera ä la verite ! Louis Philippe est un lache
ambitieux, prive des talens, qui servent cette grande passion. Casimir
Perrier le mortel le plus energique, qui apres le grand homme du siecle
aye paru en France, ne peut sans parier du talent pas soutenir avec Na-
poleon une comparaison, parceque il doit se borner ä conduire le gouver-
nail au fort de la tempete , tandis que l'empereur lanca le navire, qu1 il
avait forme, sur l'ocean apaise.
Ni Napoleon IL ni Henry V. pourroit regner en ce moment-ci ; mais
ce dernier aurait toujours plus de base, si un jour l'anarchie venait a
eclater.
Si Napoleon avait encore vecu sur son rocher lorsque la revolution
de Juillet eclata, peut-etre la majorite des voies l'appellant au tröne com-
me l'unique sauveur, aurait il tranquillise la France; en verite le chemin
qu'il aurait du embrasser etait d'annoncer au souverain la ferme volonte
de retablir l'ordre, et de succomber s'il le fallait dans cette noble entre-
prise qu'il avait en vue durant toute sa vie.
Les meines grand es qualites, qui l'eleverent, l'ont perdu, ce noble
elan, cette insigne ambition. Sans son esprit de conquete il ne serait pas
entre en Russie ; sans la ferme conviction, qu'il ne pouvait rentrer en
France, que ceint de nouveaux lauriers, il aurait acquiesce au projet du
prince Metternich ä Dresde, de conserver la France avec ses frontieres
naturelles, mais alors une triste indecision et la passion de la gloire,
irresistible si eile l'emportait sur le genie immense qui planait ordinaire-
ment avec sang-froid sur les affaires, lui insprerent un refus qui le perdit.
Finalement sur son rocher il trouva dans l'attachement de peu de
personnes la reconaissance, que lui devaient les peuples, et expirant sur
le sol anglais il jeta un regard langoureux vers cette belle France, qu'il
aimait avec passion et ä laquelle il voulait apres l'avoir rendu dominatrice
2) Zwei Bogen Kleinquart, wovon das Eine in der Mitte durchrissen ist.
Mittheilungen XV. 43
(374 Kleine Mittheilungen.
de l'Europe, donner 1' Organisation la plus prospere, qu'il detailla ä Dresde
ä Metternich, lorsque ce prince en vain täche de rappeller sur l'horizon
Europeen l'aurore d'une paix, fondee sur son equilibre. Mais cet equilibre
devait etre assis sur des cessions, et des cessions suggerant un pas retrograde
ä l'empereur, le privait du fruit de son genie, seule base de son tröne,
des le moment qu'il avait renonce ä l'harmonie parfaite avec les autres
puissances.
Entre les compagnons d'infortune de l'empereur, le Pr. (prince)
estimait le plus Bertrand ä cause de son caractere ferme et sur, jusqu' ä
ce qu'il entre entierement dans le parti anarchique, cruel dementi d'une
carriere pure.
J'ai saisi cette occasion pour apprendre quelques particularites sur
les rapports, qui peut-etre existent avec eux et le duc de Reichstadt.
Plusieurs fois ils ont aspire ä ce que le prince m'assure de remettre au
jeune prince les marques de la sollicitude paternelle qui leurs sont confiees ;
le cabinet autricbien veut les lui faire parvenir sans leur intermediaire.
Le prince est decourage, departi de son Systeme, et convaincu que
l'enfantement dans lequel soupire le monde, durera encore biens des ans.
En ce moment-ci la guerre est refoulee dans ces idees par d'autres pensees.
Je tiens de sources, dont l'autencite est non equivoque, que l'em-
pereur Francois envisage lui meme toute guerre commencee ä cette heure
de la part des allies, comme injuste, et qu'il pleure la premiere lutte de
la revolution dans laquelle il avoue avoir ete enträine par l'experimente
Kaunitz. A ces motifs de conscience viennent le joindre la conviction de
S. M., que toute guerre actuellement entreprise serait impopulaire, et cette
croyance est ä une influence populaire que commence ä poindre ; dans son
cabinet est un immense grain pour la justice de notre cause.
L'empereur a un mepris personnel pour notre roi, et une grande
idee de la force de ses armees et de Celles de ses allies ; je sais que dans
une audience particuliere, que Mr de Tatticheff a eue dimanche passe, ce
ministre a remis ä S. M. une lettre de son monarque et l'assurance qu'au
premier ordre 150,000 bommes seraient prets ä s'elancer de la Vistule
sur la Seine.
Quand a l'armee Autrichienne je ne puis vous donner aucun detail,
car je ne la connais absolument pas; mais soyez sur de recevoir en un
mois des rapports circonstancies de ma part, qui vous informeront de sa
force reelle, de son equipement, de son Instruction et de l'esprit qui
l'animent.
Je sais qu' on lui destine en Italie pour cbef le G. Radetzky, qui
en 1813 — 1814 etait major-general du prince Scbwarzenberg. Selon le
jugement de cet babile capitaine, Radetzky a le doigt du genie, mais de
l'indecision.
L'armee du Rbin sera commandee par Bianchi. Le general Bianchi,
disgracie parcequ' il etait trop franc-parleur, a ete, il y a peu de temps
ä Vienne, et il a recu cette bonorable promesse de la part de l'empereur.
C'est le seul general, de toutes les coalitions, qui ont combattu notre
'patrie, qui aye deploye un brillant genie militaire. En 1815 chef de
larmee qui devait combattre Murat, il recut l'ordre du G. Frimont de se
tenir en Lombardie sur la stricte defensive, connaissant son adversaire, la
Kleine Mittheilungen. (375
bravour de son armee, se reposant sur son talent, jugeant de 1' ä propos
du moment, il enfreint cet ordre; la bataille de Tolentino decida du sort
de Naples, qui quinze jours apres tornbe dans son pouvoir. En ce mo-
ment-ci il est sur sa villa tout-pres de Treviso. Le seul reproche, qu' on
lui porte, est, de ne pas savoir employer la cavalerie.
J'ignore entiei*ement les plans, relativenient ä la disposition des ar-
mees; le G. Langenau employe a Bude les a trace ; je ne connais pas le
conseil de guerre, et je ne puis donc esperer encore de me les procurer,
toutefois il n'y a rien qui resiste ä de l'argent ou a l'arnitie. Les al-
lies ne peuvent etablir leurs plans que sur deux hipotheses, et dans
tous les deux cas nous serons vainqueurs , sauf que mes calculs ne me
trornpent, et suppose que le allies nous declarent la guerre. Car une coa-
lition a besoin de beaucoup de temps, pour se reunir, tandis que nous
sommes forts de notre volonte, de notre esqrit national, de la Sympathie
qu' ont pour nous les nations allemandes, et que nous avons des jambes
fran^aises.
Une des grandes erreurs de la cour de Vienne, dont je me suis
aper^u des mon arrivee, suite des anciennes habitudes est la supposition
de trouver un fort echo en France, en cas de guerre. C'est une croyance
dont ils reriendront bientöt.
Wien. Hanns Schütter.
43*
Literatur.
Neuere Literatur über deutsches Städtewesen.
IV.
13. Richard Schröder, Weichbild. In Hist. Aufsätze dem
Andenken an Georg Waitz gewidmet, Hannover 1886. S. 306 ff.
14. Die Rolande Deutschlands. Festschrift zur Feier des
25jährigen Bestehens des Vereines für Geschichte Berlins am 28. Ja-
nuar 1890. Im Auftrage des Vereins herausgegeben von Dr. jur. Ri-
chard Beringuier. Berlin 1890. Darin S. 1 — 36: Die Stellung der
Rolandssäulen in der Rechtsgeschichte. Von Dr. Richard
Schröder, Professor an der Univ. Heidelberg.
15. Sello, Die deutschen Rolande. In Forschungen zur
Brandenburg.-Preussischen Geschichte 3 (1890), 399 ff.
Bevor ich zur Besprechung der wichtigeren unter jenen Schriften
übergehe, welche der G-eschichte und der Verfassungsentwickelung einzelner
Städte gewidmet sind, will ich über zwei Abhandlungen Kichard Schröders
(13, 14.) berichten, die nicht allein des Gegenstandes wegen, den sie
behandeln, sondern auch deshalb eingehender Erörterung bedürfen, weil die
Ergebnisse derselben einerseits des Verfassers eigene und weit verbreitete
Gesammtanschauung beeinflu^st haben, andererseits von Sohm und andern
Forschern als Ausgangspuncte ihrer Arbeiten genommen worden sind.
Weichbild ist gleich Ortsbild und als dieses Ortsbild tritt uns vorzugs-
weise das Stadtkreuz entgegen. Dasselbe ist aus dem Marktkreuz hervor-
gegangen, es hat keinen religiösen Character, sondern ist das Wahrzeichen
des königlichen Bannes ; als eine Umformung dieses den König vertre-
tenden Kreuzes haben wir die Rolande zu betrachten. In diesen Sätzen
lässt sich Schröders Ansicht zusammenfassen. Unbestreitbar ist des Ver-
fassers Verdienst, mit beiden Untersuchungen die Aufmerksamkeit auf
sehr wichtige Fragen gelenkt, über Genglers verdienstliche Zusammenstellung
hinaus neue Belegstellen beigebracht und der Forschung mehrmals den
Literatur. 677
rechten Weg gewiesen zu haben. Zu bedauern ist aber, dass der Ver-
fasser selbst seiner Marktrechtstheorie zu Liebe einen Irrweg eingeschlagen
hat. Schon die Deutung des Wortes Weichbild = Ortsbild *) kann, wie
wir früher gesehen haben, nicht befriedigen, noch bedenklicher aber ist,
dass Schröder die ganz richtig erkannte Scheidung zwischen Markt- und
Stadtkreuz aufgegeben hat. Statt diese Scheidung in archaeologischer
Forschung genau durchzuführen, und festzustellen, ob zwischen beiden
Kreuzen irgend ein äusserer Zusammenhang besteht, begnügt er sich, mit
einem theoretischen Axiom über diese grundlegende Frage hinwegzueilen.
Da das Marktrecht die Vorstufe des Stadtrechts ist, so muss auch das
Marktkreuz älter als das Stadtkreuz sein (Weichbild p. 318). Nur unter
der Voraussetzung, dass die deutschen Städte aus Märkten entstanden sind,
konnte das Marktkreuz zum Stadtkreuz werden (Rolande p. 35). Man er-
kennt den methodischen Fehler dieser beiden Sätze, die aus einer uner-
wiesenen Voraussetzung einen Schluss ziehen und diesen wieder als Beweis
für jene Voraussetzung nehmen. Ich vermisse einen Beweis dafür, dass
das Marktkreuz im allgemeinen älter als das Stadtkreuz ist, und einen
Beweis dafür, dass ein Marktkreuz schon in sehr früher Zeit durch ein
Stadtkreuz ersetzt wurde. Die Stelle aus der Translatio s. Filiberti, welche
Schröder Rolande p. 1 0 anführt, kann ich als Beleg für den Bestand eines
Marktkreuzes nicht gelten lassen: Figitur crux in Signum longiuscule a
forinseca monasterii porta, quousque uterque sexus admitti debeat, causa
scilicet negotii, quia ibidem nundinae exercentur. Die Sachlage ist deut-
lich genug, es handelt sich gar nicht um ein Marktzeichen, sondern um
ein Zeichen zum Schutz der Klausur, die eben eines solchen in Folge
des Zusammenströmens von Personen männlichen und weiblichen Geschlech-
tes anlässlich des vor der Klosterpforte abgehaltenen Marktes bedurfte.
So bleibt uns als erster Beleg für das Marktkreuz nur die bekannte Ge-
richts-Urkunde Friedrichs I. vomJ. 1165, welche auf ein Privileg Lothars vom
Jahre 1130 zurückgeht, wir kommen damit ungefähr in dieselbe Zeit, aus
der uns auch der Bestand von Stadtzeichen urkundlich bezeugt wird.
Schon dieser zeitliche Zusammenhang macht eine genaue Untersuchung des
Aeusseren der beiden Kreuze und der Art ihrer Verwendung unerlässlich.
Ohne auf die Frage näher eingehen zu können, scheint mir doch das eine
zu betonen nöthig, dass das Marktkreuz oder die es vertretenden Zeichen anfangs
nicht dauernd stehen, sondern nur für die Zeit des Marktes aufgerichtet
werden, dass ferner diese Marktzeichen ihren Platz auf dem Markte haben,
während das Stadtkreuz auch anderswo stehen kann, sei es, dass mehrere
(zumeist vier) die Burgfriedensgrenzen bezeichnen oder dass eines an ir-
gend einem stark begangenen Orte (Brücken, Markt, Landstrasse) aufge-
stellt wird. Daraus dürfte doch das eine hervorgehen, dass es nicht zu-
lässig ist, beide Kreuze blos auf Grund eines dogmatischen Satzes zusam-
menzuwerfen. Zu dem könnte man den Satz : „Städte sind an Märkten
entstanden, daher ist das Stadtkreuz aus dem Marktkreuz hervorgegangen«
auch umkehren und sagen : Märkte sind in Städten entstanden, daher ist
*) Diese Deutung ist nicht erst von Haltaus auf den Weg gebracht, sondern
findet sich, wie Sello bemerkt hat, schon in der auch von Gengier angeführten
Schrift Gryphianders.
ß<7g Literatur.
das Marktkreuz aus dem Stadtkreuz hervorgegangen. Wie dieses ist es
ein Zeichen städtischer Gerichtsbarkeit, aber nicht wie das Stadtkreuz
der regelmässigen Gerichtsbarkeit des öffentlichen Stadtrichters, son-
dern der vom Stadtherrn auf Grund königlicher Vollmacht für den Markt
(nach Raum und Zeit) bestellten Gerichtsbarkeit des Rathes.1) Halten wir
beide Kreuze auseinander, so kommen wir auch besser mit dem geschicht-
lichen Verlaufe aus, als dies mit Schröders Annahme geschieht. Da soll
in unvordenklicher Zeit das Marktkreuz zum Stadtkreuz geworden, dann
aber erst wieder ein eigenes Marktkreuz errichtet worden sein; das ist
derselbe Widerspruch wie bei der Marktrechtstheorie überhaupt, der zu
Folge im grauen Alterthume der unständige Markt zum ständigen d. h.
zur Stadt geworden sein soll, worauf dann dem Herrn dieses ständigen
Marktes erst wieder im 9. und 10. Jh. das Recht zur Abhaltung eines
unständigen Marktes vom König verliehen werden musste.
Aber selbst wenn weitere Forschung die äussere Uebereinstimmung
beider Kreuze dartun würde, so wäre damit die innere Gleichheit noch
nicht erwiesen. Wird doch das Kreuz überhaupt für die verschiedensten
Zwecke als Symbol gebraucht, wofür man selbst in dem eng umgrenzten
Gebiete städtischen Wesens aus den von Schröder angeführten Belegen
lehrreiche Beispiele aufzählen kann. In Echternach standen vier Friedens-
kreuze an den Grenzen des Stadtgebietes, auf dem Markte aber eiu Kreuz
mit Galgen, Rad und Hand zum Zeichen dass ,der grontherr das hochge-
richte' hat; in Obernaula finden wir als Zeichen der Gerichtsbarkeit des
Landgrafen von Hessen den Diebstock mit Halseisen, als Zeichen der Zoll-
gerechtigkeit des Mainzer Erzbischofs ein Kreuz mit Schwert; in Zülpich
wird während der Dauer des Marktes das Banner des Erzbischofs von
Köln als Marktherrn, nach Schluss des Marktes aber ein Kreuz als Zeichen
der vierzehntägigen Zollgerechtigkeit des Abtes von Sinzig aufgerichtet.
Wenn man nicht behaupten will, dass der Zoll die Hauptsache beim Markte
sei, Marktherrlichkeit und Gericht nur nebenher in Betracht kommen, so
wird man diese Kreuze nicht unter den einen Marktrechtshut bringen
können, sondern sich bei der auch sonst begegnenden Thatsache beschei-
den müssen, dass für ein und dieselbe Sache verschiedene Symbole ver-
wendet werden und umgekehrt ein und dasselbe Symbol für verschiedene
Dinge gebraucht wurde. Die vielfältige Verwendung des Kreuzes kann
man aber nur aus der weihevollen Achtung, die diesem Zeichen seit den
ersten Jahrhunderten des Christenthums entgegengebracht und die immer
gesteigert worden ist, erklären. Nicht die Form an sich, sondern erst der
christliche Gedanke ist es, „der die Grundlage des Preises und des Schmuckes
des Kreuzes bildet". Mit diesen Worten hat Stockbauer unzweifelhaft den
Kern getroffen 2), und mag dieser christliche Gedanke in einzelnen Gegen-
den, in manchen Zeiten und bei manchem Gebrauche zurückgetreten sein
oder sich verflüchtigt haben, die kirchliche Gesinnung des Mittelalters
J) Wie wir später sehen werden, hat z. B. der Rath von Magdeburg die
Gerichtsbarkeit während der Messe auf dem der Grund- und Gerichtsherrschaft
des Erzbischofs unterstehenden Neuen Markt.
2) Stockbauer, Kunstgesdi. des Kreuzes 122, vgl. auch Zöckler, Das Kreuz
Christi 196. 167, 179 und namentlich die von ihm S. 165 angeführte Stelle des
heil. Hieronymus, auf welche sich auch Kuntze, Deutsche Städtegründ., 40 ff.
beruft.
Literatur. 679
bringt ihn doch immer wieder zu Tage. Nicht aus einer abstrahierenden,
theoretischen und antiquarischen Erläuterung, sondern aus dem Geiste der
Vergangenheit muss der Historiker den Wert dieses Symbols zu verstehen
suchen. Aus dieser Auffassung heraus wird man sich mit Schröders Schei-
dung zwischen dem weltlichen und christlichen Kreuz *) nicht befreunden
können, und weder die von Schulte angesprochene Kastatter Bäuerin 2),
noch die von Schröder (Rolande p. 15) herangezogene Stelle aus Ortnit
wei'den die in dem allgemeinen Verlauf der Kreuzesverehrung begründete
Anschauung erschüttern können. In dem erwähnten Gedichte bindet der
.Konstabel' einer muhammedanisch gedachten Stadt an den Mastbaum eines
einfahrenden Schiffes „einen vanen und ein kriuze, damit er si bewiste,
dass in fride waere bekant" ; da soll nun ,von einem christlichen Kreuze'
keine Eede sein können. Es liegt doch nur eine echt mittelalterliche naive
Verwendung des Gebrauchs der christlichen Pilgerschiffe vor, welche, wie
Sehr, selbst mit Berufung auf mehrere Stellen der Kudrun hervorhebt, „das
christliche Kreuz auf ihren Segeln*' führten. Oder gab es vielleicht auch
muhammedanische ,Konstabel von der stat' und muhammedanische Kreuze?
Nehmen wir diese Kreuze als das was sie sind und wofür sie auch
von denen, die sie errichteten, stets gehalten wurden, so werden wir auch
Schröders Vermuthungen über die Gründe, welche zur Ersetzung des Stadt-
kreuzes durch den Koland führten, wenn üherhaupt von einer solchen Er-
setzung die Rede sein kann, nicht bedürfen. Schon Sello hat deren innere
Unhaltbarkeit dargethan. Wenn Schröder meint, es habe zum Theil die
zunehmende Verfeinerung des Kunstsinnes mitgewirkt, so wird er durch
die von ihm einbegleiteten Abbildungen augenfällig widerlegt und, wenn
er meint, dass es das religiöse Gefühl beleidigte, das Zeichen Christi als
Träger weltlicher Symbole zu sehen, so wäre es gewiss sehr merkwürdig,
wenn sich dies religiöse Gefühl allgemeiner und häufiger nur in einem be-
grenzten Gebiete , nicht auch in dem doch unzweifelhaft ebenso kirchlich
gesinnten Süden und Westen Deutschlands oder in Frankreich geäussert
hätte, ganz abgesehen davon, dass gerade das gesteigerte religiöse Gefühl
die Verwendung des Kreuzes zu den allerverschiedensten Zwecken, selbst
bis zum rein äusserlichen und tadelnswerten Uebermass, ebenso wie im
7. Jahrhundert so auch heute noch im Gefolge hat 3). Damit gelangen
wir zur zweiten Schrift Schröders, die auf noch geringere Zustimmung An-
spruch hat, als die erste Abhandlung, der man wenigstens das Verdienst
vielfacher Anregung nicht bestreiten kann. Scharfe und auf guter Sach-
kenntniss begründete Kritik hat Sello (15.) daran geübt, es wird daher
genügen, auf dessen Darlegung zu verweisen, hier nur wichtigere Einzel-
heiten herauszuheben. Gewiss ist, dass die Rolande in einem Gebiete, das
sich wesentlich mit dem Vorkommen des Wortes Weichbild deckt, die
Stelle eines Stadtkreuzes einnehmen 4). In Weiterbildung seiner Theorie
J) Die er schon im Jahre 1885 vertreten hat, s. Zeitschr. für Kirchenrech^
21, 397.
2) Gott. Gel. Anzeigen 1891, 530.
3) Zöckler 167, 179.
4) Die orts- und landesgeschichtlichc Forschung wird testzustellen haben,
wie es sich mit dem angeblichen Vorkommen von Rolanden ausserhalb dieses
Gebietes verhält.
680
Literatur.
von der Entstehung des Stadtkreuzes aus dem Marktkreuz will nun Sehr,
nachweisen, dass auch die Eolande Marktzeichen sind, oder das Markt-
kreuz ersetzen. Er kommt zu diesem Schlusssatze auf dem so beliebten
Wege des disjunktiven Schlusses: die Rolande sind weder Gerichtszeichen
noch sind sie Stadtzeichen, folglich sind sie Marktzeichen.
Sie sind nicht Gerichtszeichen, weil sie sich an Orten finden, welche
die hohe Gerichtsbarkeit nie besessen haben und weil andererseits an
der Mehrzahl der Dingstätten sich kein Roland findet. Es liegt nun gar
kein Grund vor, die Rolande auf die hohe Gerichtsbarkeit zu beschränken,
und was das zweite Argument betrifft, so ergibt sich aus den Be-
schreibungen des Buches, wie sehr bei diesen Dingen der Kostenpunkt
ins Gewicht fiel, so dass von einem regelmässigen und notwendigen
Herkommen der Rolande gar nicht die Rede sein kann. Uebrigens könnte
das Argument ebenso gut gegen die Markttheorie verwertet werden, da
auch auf vielen Märkten kein Roland nachzuweisen sein dürfte. Noch
entscheidender als diese formalen Bedenken scheint es mir zu sein,
dass die Rolande oder Säulen zu Beigern, Brakel, Caibe, Halle, Perleberg,
Questenberg, Stendal unmittelbare Beziehung zum Gericht aufweisen, an-
dere sie nicht ausschliessen. Das zweite Trennungsglied des Obersatzes
ist allerdings zuzugeben, da sich Rolande auch an Orten finden, welche
nie Städte waren, aber daraus folgt noch nicht für sich allein, dass man
sie als Marktzeichen zu nehmen hat. Wenn nun die Rolande weder Markt-
zeichen noch Stadtrechtszeichen sind, für was hat man sie zu halten? Be-
stimmt beantworten lässt sich diese Frage heute noch nicht, nur einen
Hinweis möchte ich mir gestatten. Die meiste innere Berührung scheinen
sie mir nach den von Schröder und Sello beigebrachten Belegen mit der
croix de Beaumont zu haben und wir werden möglicherweise ihre Bedeu-
tung durch ein Moment zu erfassen haben, das weder Sehr, noch Sello
hervorheben, das aber gerade durch die geographische Verbreitung an die
Hand gelegt wird, die Ansiedlung nach Weichbildrecht, wobei eine Be-
ziehung zum Gerichte nicht ausgeschlossen wäre. Eine sichere Lösung
aller Fragen, die diese Bilder uns stellen, werden wir aber erst von einer
eingehenden erneuten Sammlung der erhaltenen Rolande und der Nach-
richten über die nicht mehr erhaltenen erwarten dürfen, wobei nament-
lich auf die Entstehung der einzelnen Bildsäulen das grösste Gewicht zu
legen ist, wie Sello richtig und bestimmt ausgesprochen hat. Eben
aus dem Mangel einer ausreichenden archäologischen Grundlage erklärt es
sich, dass wichtige Behauptungen Schröders in der Luft hängen und dass
er manchmal recht schlimm in die Irre gegangen ist. So meint er (S. 5)
dass in Erfurt einmal ein Marktkreuz gestanden habe, an dessen Stelle
im J. 1591 ein Roland gesetzt worden sei. Aus dem S. 130 abgedruckten
Berichte des Stadtarchivars Dr. Beyer geht aber hervor, dass das Kreuz
zur Erinnerung an die 1385 wegen Baufälligheit abgebrochene Martins-
kirche errichtet wurde und dass die im J. 1591 an Stelle dieses Kreuzes
aufgerichtete Bildsäule überhaupt für einen Roland nicht zu halten ist.
Die Säule in Brakel, welche eine Kugel und auf derselben eine Fahne
trägt, an deren Spitze eine Kugel mit einem Kreuze angebracht ist, will
Schröder dahin verwerthen, dass uns hier die Auffassung dieser Säulen
(und damit auch ihrer Nachfolger der Rolande) als Träger von Markt-
Literatur. ßgl
zeichen (Fahne, Reichsapfel, Kreuz) am unverkennbarsten entgegentritt.
Hören wir nun was uns auf S. 40 Herr Bürgermeister Witkop von Brakel
erzählt. Die Säule trug früher „ein Kerlchen" oder „Männeken" (also
Prangers äule), stand auch nicht mitten auf dem Markte sondern, vor dem
Hause des Gografen, in dem bis 1803 Gericht gehalten wurde. Anfangs der
20er Jahre wurde die Säule umgefahren, wobei das Männeken in Stücke
gieng. Nach etlichen Jahren wurde sie wieder aufgerichtet, aber ohne
Männeken und an einer andern Stelle, wo sie den Verkehr nicht mehr
behinderte. Da sich nun in Brakel kein Künstler fand, der ein Kerlchen
herstellen konnte, man aber die Säule nicht jedes Schmuckes bar dastehen
lassen wollte, so liess man die gegenwärtige Verzierung anbringen. Da
die Säule auch als „die getreulich bewahrte Form der Irminssäule" ge-
golten hat, so findet der Herr Bürgermeister es für nothwendig, zu ver-
sichern, dass der hiesige Maurermeister bei Anfertigung der Würfel und
der Kugel sicherlich nicht an die Irminsäule gedacht , von letzterer wahr-
scheinlich nie etwas gehört hat, und fügt zum Schlüsse die Bemerkung
an: „Es bleibt jedem überlassen, hieran Reflexionen über die Zuverlässig-
keit der Hypothese gelehrter Forscher und Alterthümler zu knüpfen."
Damit hat er auch Schröders Darlegung getroffen, wir dürfen wohl an-
nehmen, dass auch der Schlossermeister bei der Anfertigung der Fahne,
des Kreuzes und des Reichsapfels sich keine tiefen Gedanken gemacht hat.
Wenden wir uns nun von der Einleitung zur Veröffentlichung selbst. Sie
bietet Abbildungen von 27 wirklichen und vermeintlichen Rolanden oder
Marktzeichen und scheidet diese in eine Hauptgruppe, welche die eigent-
lichen Rolande nach ihrer geographischen Verbreitung vereinigt, und in
eine zweite kleinere, in welcher die nur im Volksmunde als Rolandssäulen
bezeichneten Standbilder zusammengestellt sind. Mag dieser Eintheilung
die Berechtigung nicht abgesprochen werden, so wird dagegen die Zu-
weisung der einzelnen Standbilder nicht immer Beifall finden. Das als
Roland gebrauchte Standbild Heinrichs des Löwen in Neuhaldensleben hätte
in die erste Gruppe gehört, oder man hätte auch die auf dem Friedhof
von Obermarsberg stehende Statue s. Rolandi, welche jedenfalls einen der
Gründer der Kirche darstellt, ausscheiden müssen. Ebenso hätten die Säule
von Brakel und das Standbild von Erfurt ihren Platz in der zweiten
Gruppe finden sollen. Den einzelnen Photographien sind Beschreibungen
und Nachrichten beigegeben, wie sie auf die von dem Verein ausgeschickten
Anfragen einliefen. Dieselben haben aber sehr verschiedenen Werth. Den
bereits erwähnten guten Berichten von Witkop und Dr. Beyer ist noch
die Darstellung des Staatsarchivars Dr. Prümer über Posen anzureihen, die
meisten der andern Mittheilungen dagegen treffen gar nicht die Haupt-
punkte der Forschung, sondern berichten oft nur über belanglose Aeusser-
lichkeiten. Eine Verarbeitung des gelieferten Materiales hat in keiner
Weise stattgehabt. Damit bin ich an einem heiklen Punkt angelangt, an
dem ich einer allgemeinen Erwägung Ausdruck verleihen möchte.
In keiner Weise sollen die gute Absicht und der redliche Wille,
welche die Herausgabe dieser Festschrift veranlasst haben, verkannt werden,
aber es ist unmöglich, darüber hinwegzusehen, dass der Herausgeber eine
jener seltsamen Methoden gebraucht hat, welcher sich auch ein immer
lästiger werdender Dilettantismus im Bunde mit der Schaulust eines weit
ßg2 Literatur.
reichenden literarischen Pöbels und mit der zum Schaden ernster und
redlicher Arbeit mehr und mehr auch in die Wissenschaft eindringenden
kapitalistischen Productionsweise gerne bedient. Als wesentliche Hilfs-
mittel dieser Methode dilettantischer Ausstellungs- und Bücherfabrikation
erscheinen der Fragebogen und der Fachgelehrte. Ist die Versendung der
Fragebogen, die ja selbstverständlich nie genügen, beendet und laufen auch
Antworten ein, deren Werth natürlich von dem guten Willen und der
Sachkenntnis der Angegangenen abhängt , dann wird der Fachgelehrte
herangezogen, als welcher in der Regel „eine erste Kraft" gewonnen
wird. Ihm wird nun beileibe nicht das ganze Material zur Verfügung
gestellt, sondern er ist ganz auf das Entgegenkommen des von dem Geld-
geber beauftragten Unternehmers angewiesen. Kann schon an und für
sich bei einer solchen zumeist ohne innere Nöthigung oft nur als lästige,
nicht zu vermeidende Verpflichtung übernommenen und an einen bestimmten
Termin gebundenen Gelegenheitsarbeit nicht viel herauskommen, so muss
es vollends zum schlimmen Ende führen, wenn der Fachgelehrte ohne
Kenntnis des gesammelten Stoffes bleibt, der Unternehmer oder Redacteur
aber den Widerspruch zwischen dem Fachmanne vorne und den Bericht-
erstattern rückwärts nicht beachtet. Da ist es kein Wunder, wenn die so
künstlich ausgeklügelte Maschine den Dienst versagt und nichts klappt.
Der offenkundige Misserfolg, den der Berliner Verein mit der vorliegenden
Festschrift zu tragen hat, soll aber nicht etwa ein Anlass zu hämischer
Schadenfreude und dünkelhafter Selbstbespiegelung, sondern eine ernste
Warnung und Mahnung sein. Solche Misserfolge sind vor allem deshalb
zu beklagen und zu vermeiden, weil durch sie das Vertrauen weiter Kreise
in die Zuverlässigkeit unserer Wissenschaft verringert wird, ein Umstand,
den wir nicht gering schätzen dürfen, da keine Wissenschaft, vor allem
aber nicht die Geschichtsforschung, dieses Vertrauens und der volksmässigen
Theilnahme entrathen kann.
Wien. K. U h 1 i r z.
Friedrich von Wyss, Abhandlungen zur Geschichte
des schweizerischen öffentlichen Rechts. Zürich, Orell Füssli.
VIII und 475 S. 8°.
Etwas verspätet kommen wir zu einer kurzen Besprechung dieses vor
zwei Jahren erschienenen Werkes. In dem würdig ausgestatteten Bande
hat der gewesene Professor des Rechts an der Universität Zürich drei ältere
zerstreute Untersuchungen in theilweise umgearbeiteter Form vereinigt und
damit allen denjenigen, die sich mit rechtshistorischen Studien auf schwei-
zerischem Gebiete beschäftigen, einen höchst schätzbaren Dienst geleistet.
Es sind grundlegende Arbeiten für die älteste eidgenössische Geschichte,
die ja ohne eingehende Erörterung rechtlicher Fragen nicht verstanden
werden kann.
Die erste Abhandlung über »die schweizerischen Landgemeinden in
ihrer historischen Entwicklung« (S. 1 — 160) erschien bereits vor 42 Jahren
im 1. Bande der Zeitschrift für schweizerisches Recht und fand schon da-
mals die Zustimmung der Fachgenossen. Für die zweite Bearbeitung stan-
Literatur. 533
den dem Verfasser die neueren Quellenpublicationen, vor allem Wartmanns
Urkundenbuch der Abtei St. Gallen zu Gebote. Die Recktszustände in der
ältesten Periode, der merovingischen und karolingischen Zeit bis in das
zehnte Jahrhundert, konnten schärfer beleuchtet werden, und die hier ge-
wonnenen Resultate haben trotz der Begrenzung des Forschungsgebietes
nicht nur lokale Bedeutung: sie fördern die Erkenntnis der rechtsgeschicht-
lichen Entwicklung auf dem ganzen alt-alamannischen Territorium. Eine
reiche, in den letzten Jahrzehnten erschlossene Quellenliteratur kam auch
den Untersuchungen über die Gemeindebildung in der zweiten Periode, vom
10. bis ins 16. Jahrhundert, zu statten; für die Waldstätte insbesondere
leistete dem Verfasser das sorgfältig angelegte Werk Oechslis über »die
Anfänge der schweizerischen Eidgenossenschaft« (Zürich 1891) treffliche
Dienste. Nur geringe Aenderungen erlitt die Darstellung in der dritten,
bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts reichenden Periode, während
in der vierten Periode von der Begründung der helvetischen Republik bis
zur Gegenwart auf die gesetzliche Regelung des Verhältnisses zwischen
Einwohner- und Bürgergemeinde in den verschiedenen Kantonen nament-
lich auf Grund der einschneidenden Bestimmungen der revidirten Bundes-
verfassung vom Jahre 1874 Rücksicht zu nehmen war.
Ebenfalls in der Zeitschrift für schweizerisches Recht (18. Bd., 1873)
ist die zweite Abhandlung: »Die freien Bauern, Freiämter, Freigerichte
und die Vogteien der Ostschweiz im spätem Mittelalter» (S. 161 — 335)
erschienen. Der neuen Ausgabe sind ergänzende Bemerkungen und Citate
beigefügt. Die Bedeutung dieser Arbeit liegt in dem genauem Nachweis,
dass in der ganzen Ostschweiz, in gebirgigen Gegenden wie auf dem
flachen Lande, neben einer vorwiegend unfreien Bevölkerung einzelne Ge-
meinden von freien Bauern bestanden, die unter eigenartigen Rechtsver-
hältnissen lebten, bis gegen das Ende des Mittelalters infolge der allge-
meinen Entwicklung auf schweizerischem Boden die Unterschiede zwischen
Freien und Unfreien sich verwischten. Ausser im Lande Schwiz, dessen
rechtliche Verhältnisse seit den Arbeiten Kopps schon vielfach untersucht
und leidlich klargestellt worden sind, gab es solche Verbände freier Leute
(vrie lüte, homines liberae conditionis) in der zürcherischen Grafschaft
Kiburg, im argauischen Siggental, in den Herrschaften Greifensee, Grü-
ningen und Regensberg, im Bezirke Affoltern zwischen Albis und Reuss,
wo der Name »Freiamt« im Munde des Volkes noch heutzutage fortlebt,
in der Landgrafschaft Turgau und in der Reichsvogtei St. Gallen, in der
rätischen Grafschaft Lags, in Unterwaiden, im Haslithal etc. Die freie Ge-
meinde in Schwiz aber unterschied sich von allen andern Vereinigungen
durch die grosse Zahl ihrer Genossen, durch die unermüdliche Verthei-
digung und Erweiterung ihres alten Rechts und durch die volle politische
Unabhängigkeit, die sie im Kampfe gegen das habsburgische Haus auf die
Dauer errang. Es ist ungemein lehrreich, an der Hand des Verfassers die
verschiedenen in den Quellen erwähnten Verbände mit ihrer Organisation
zu verfolgen und hierauf die Resultate zusammenzufassen, die sich aus den
einzelnen Erscheinungen für die Beschaffenheit des Standesverhältnisses
der freien Leute und für ihren Zusammenhang mit der allgemeinen rechts-
historischen Entwicklung ergeben. Immerhin bedürfen die merkwürdigen
Zustände in den rätischen Landschaften, für welche die durch Wagner
684 Literatur.
und v. Salis herausgegebenen Kechtsquellen des Kantons Graubünden neues
Material erschlossen haben, noch weiterer Aufhellung.
Die dritte Abhandlung: »Gsschichte der Entstehung und Verfassung
der Stadt Zürich bis zur Einführung des Zunftregimentes 1336* (S. 337
bis 475) ist aus Sah Vögelin, Das alte Zürich, 2. Auflage, Zürich 1890,
S. 101 — 230, mit unbedeutenden redaktionellen Aenderungen herüberge-
nommen worden. Ganz besonders diese Abhandlung darf eine über die lo-
kale Bedeutung hinaus gehende Beachtung in Anspruch nehmen. Sie ist
das sorgsam herausgearbeitete Resultat langjähriger Studien (vgl. des Ver-
fassers Untersuchung über die Eeichsvogtei Zürich im 17. Bande der Zeit-
schrift für Schweiz. Becht, 1872) und bildet einen höchst wichtigen Bau-
stein zur deutschen Städtegeschichte. Ich unterlasse es hier, ihre Ergeb-
nisse im einzelnen darzulegen und hebe nur den glücklichen Nachweis der
Richtigkeit einer schon früher von Dr. Konrad Stocker ausgesprochenen
Vermuthung hervor, dass das Recht von Konstanz als Mutterrecht für
Zürich und Schaff hausen anzunehmen sei, dass sich aber in der zweiten
Hälfte des Schaffhauser Richtebriefes auch selbständiges zürcherisches Recht
bemerklich mache. In völliger Uebereinstimmung mit Heusler (Verfassungs-
geschichte der Stadt Basel) und Hegel (Chroniken der deutschen Städte
IX, 963), anerkennt Fr. v. Wyss den Zusammenhang der von Bürger-
meister Rudolf Brun im Jahre 1336 eingeführten Zunftverfassung mit dem
Strassburger »Schwörbrief« vom 17. October 1334.
St. Gallen. Joh. Dierauer.
Summa deslrnerius. Mit einer Einleitung, herausgegeben von
HermannFitting. Berlin, J. Guttentag Verlagsbuchhandlung 1894.
(CIV und 334, 8°).
Quaestiones de juris subtilitatibus des Irnerius. Zur
zweiten Säcularfeier der Universität Halle als Festschrift ihrer juristi-
schen Facultät mit einer Einleitung herausgegeben von Hermann
Fitting. Berlin, J. Guttentag, 1894. (98 S. 4°).
Als die gelehrte Welt im Juni 1888 das Jubiläum von Bologna fest-
lich beging, feierte man das Auftreten des Bolognesen Irnerius, jenes
Mannes, der vor 800 Jahren seiner Vaterstadt den Ruf einer Mater stu-
diorum begründete. Eine wahre Fluth von Festschriften erschien aus
diesem Anlass, — nahezu zwei Dutzend derselben habe ich im XI. Band
dieser Mittheilungen S. 146 ff. angezeigt — um so mehr staunte man,
wie wenig man daraus über Irnerius selbst erfuhr. Die ältere Annahme
schrieb diesem Manne die unvermittelte Wiedererweckung der seit vielen
Jahrhunderten völlig erloschenen Rechtswissenschaft zu. Irnerius war nach
dieser Ueberlieferung der erste, der das in tiefe Vergessenheit versunkene
römische Recht wieder entdeckte, dessen Bedeutung erfasste, durch seine
Lehre Schule machte und dadurch für die Herrschaft des römischen Rechts
im Abendlande entschied. Sieht man indessen von Pescatore's Zusammen-
stellung der Glossen des Irnerius ab, so sind die meisten der erwähnten
Arbeiten dem Nachweis gewidmet, dass sich die Dinge anders verhalten
Literatur. 685
haben, als es die Tradition will: Schon vor Irnerius hat es an Lehrern
des römischen Rechts nicht gemangelt, schon vor seinem Auftreten gab
es Eechtsschulen in Italien, in denen römisches Recht gelehrt wurde, die
Glossenform war schon vor Irnerius üblich, ja Tamassia erblickte in der
Thätigkeit des Irnerius und der Glossatorenschule überhaupt nur die Fort-
setzung der byzantinischen Rechtschulen. — So fiel Blatt um Blatt aus
dem Ruhmeskranze, den die Vorzeit dem Irnerius als Begründer der
modernen Rechtswissenschaft ums Haupt geflochten hatte. Dabei blieb
allerdings unerklärt, was wohl die Mitwelt bewogen hat, Meister Ir-
nerius so laut zu preisen. Da man über den Mann und dessen verschol-
lene Werke nichts bestimmtes zu sagen wusste, so mussten allgemeine
Vermuthungen als Gründe herhalten, namentlich die Dankbarkeit der Glos-
satoren gegen Irnerius, der als erster zu Bologna römisches Recht mit Er-
folg gelehrt habe, u. dgl. m.
Fittings neueste Gaben verbreiten mit einem Male überraschendes
Licht in diesem Dunkel. Durch den Nachweis, dass uns eine Reihe von
Schriften des Irnerius erhalten ist, gewinnen wir zuerst ein unmittelbares
Bild vom ,, Lehrer11 Irnerius, erkennen wir in welchem Sinne dieser als
Wiedererwecker der römischen Jurisprudenz gefeiert wurde, begreifen wil-
den Einfluss, den das Auftreten dieses bedeutenden Mannes zu Bologna
auf die Zeitgenossen üben musste.
Die Würdigung des juristischen Inhalts der neu entdeckten Werke des
Irnerius wird von Berufeneren an andern Orten geliefert werden, hier
seien nur kurz die Ergebnisse mitgetheilt, soweit sie für den Historiker
schlechthin von Wichtigkeit sind. Vorerst einige Worte über die hand-
schriftlichen Grundlagen und über die Veranlassung, dass Fitting sich mit
denselben näher beschäftigte.
Bei den Vorarbeiten für die Herausgabe einer »Summa Codicis« in
provencalischer Sprache ergab sich für Fitting das Bedürfnis, das Verhältnis
dieser ums Jahr 1150 verfassten Summa zu den übrigen Summae Codicis
des 12. Jahrhunderts, insbesonders zu derjenigen des Rogerius festzu-
stellen. Da zeigte sich denn bald eine stätige Benutzung der letzteren,
namentlich in der zweiten Hälfte des Werkes vom Ende des 4. Buches
an. Nun hatte bereits der verstorbene W. M. de Ablaing gezeigt, dass
Rogerius für sein Werk eine ältere Arbeit (de Ablaing meinte des Glos-
sators Hugo) benützte, die nach ihrem gegenwärtigen Verwahrungs-
orte, der Bibliothek zu Troyes die »Summa Trecensis« genannt wurde und
die man auf Grund einer Vermuthung Savignys für eine von Placentinus
herrührende Ueberarbeitung der Summa des Rogerius gehalten hat. Da nun
die engere Verwandtschaft der Summa des Rogerius mit der provencalischen
gerade von da an zu beobachten war, wo ihre wörtliche Uebereinstimmung
mit der Summa Trecensis anfängt, so musste der Herausgeber des pro-
vencalischen Werkes vorerst die Frage klar stellen, ob der Verfasser dieser
Summa den Inhalt der Summa Trecensis durch Vermittelung des Rogerius
oder unmittelbar benützt habe. Damit war für Fitting der Anlass zu einer
eingehenden Untersuchung der Summa Trecensis gegeben und diese Be-
schäftigung führte ihn zur Ueberzeugung, dass diese Summa nicht von
Hu<*o, sondern von einem Grösseren, nämlich vom Vater der ganzen neueren
Rechtswissenschaft, von Irnerius herrühre.
ßgg Literatur.
Die wichtigste Grundlage der Fittingischen Ausgaben der Werke des
Irnerius ist Cod. 1317 der Stadtbibliothek von Troyes, wie es scheint ita-
lienischen Ursprungs, jedoch vom 12. Jahrhundert ab im Eigenthum der
Abtei von Clairvaux nachweisbar. Er enthält, abgesehen von ein paar
kleineren Stücken, auf S. 1 — 65 die Summa Codicis, S. 66 — 70 das von
Anschütz als Summa legis Langobardorum herausgegebene Rechtsbuch und
auf S. 71 — 83 die unvollständigen Quaestiones de juris subtilitatibus. Die
Summa Codicis findet sich ausserdem in einer erheblich jüngeren aber den-
noch dem 12. Jahrhundert angehörigen Pariser Handschrift der Bibl. na-
tionale (lat. 18230) und von einer Hand aus dem Anfang des 13. Jahr-
hunderts im Cod. 73 der Albornotiana des spanischen Collegs zu Bologna.
Die Quaestiones und ein kleines Stück über die aequitas sind uns aber
auch von einer Hand aus dem spätem 12. Jahrhundert in einer Hand-
schrift der Leidener Bibliothek überliefert, die wie es scheint, seinerzeit
dem ob seiner Eechtsgelehrsamkeit gerühmten Cardinalbischof von Porto
Romanus Bonaventura (t 1243) gehört hatte. Da weder die Summa noch
die Quaestiones den Namen ihres Verfassers nennen, so war zunächst der
Beweis der Autorschaft des Irnerius zu liefern. Fitting hat denselben
dank seiner ungemeinen Belesenheit in scharfsinnigster Weise erbracht.
Er zeigt vorerst das höhere Alter der s. g. Summa Trecensis gegenüber
der Summa des Rogerius, dann aber auch der provencalischen, an welcher
noch im Jahre 1149 gearbeitet wurde. Da selbst die älteste erhaltene
Handschrift, die nach dem Urtheile Schums aus einer ganz frühen Zeit des
12. Jahrhunderts stammt, nicht das Original sein kann, sondern infolge
ihrer Correcturen das Dasein zweier älterer Handschriften voraussetzt, so
muss die Summa den allerersten Glossatoren angehören, unter denen jedoch
nach den Ausführungen des Herausgebers nur Irnerius als ihr Urheber an-
gesehen werden kann. Fitting begnügt sich keineswegs mit dieser be-
stimmten Ausschliessung jedes andern möglichen Verfassers, sondern führt
noch eine grosse Menge entscheidender positiver Gründe für die Urheber-
schaft des Irnerius an, als: inhaltliche Uebereinstimmung der Summa
mit zahlreichen Glossen und den Authentiken des Codex, dio dem Irnerius
angehören und die Wiederkehr eines und desselben eigenthümlichen Sprach-
gebrauchs in allen dreien. Besonders wichtig aber ist, dass Ansichten des
Irnerius über streitige Fragen, soweit sie uns zuverlässig überliefert sind,
auch in der Summa vorkommen, und endlich, dass Stellen, welche Citate
aus der Summa sind, ausdrücklich dem Irnerius zugeschrieben werden.
Geringere Schwierigkeiten bot der Nachweis, dass auch die Quaestiones
dem Irnerius beizulegen seien, da feststeht, dass er ein Werk unter diesem
Titel geschrieben hat, die Uebereinstimmung der Quaestionen mit der
Summa ganz durchgängig ist und endlich in der Accursischen Glosse
mehrere der in den Quaestiones vertretenen eigenthümlichen Ansichten
ausdrücklich als die Meinungen des Irnerius bezeichnet werden.
Die Bedeutung der Summa und der Quaestiones für die juristische
Literargeschichte ist eine ganz ungewöhnliche. Zuvörderst wird durch
die Quaestiones die Frage, ob mit Irnerius für die moderne Welt die Rechts-
wissenschaft neu beginne, oder ob seine Leistungen durch eine ältere
mittelalterliche Rechtswissenschaft vorbereitet seien, endgiltig im Sinne
der zweitangeführten Ansicht entschieden. Dann aber zeigen sie uns den
Literatur. ßg7
Irnerius als Lehrer nicht bloss in Bologna, sondern auch in Rom und be-
kräftigen dadurch die Berichte des Accursius und Odofredus , laut deren
erst nach Zerstörung der Hochschule zu Rom (um 1084), der Hauptsitz
der Rechtslehre nach Ravenna und dann nach Bologna kam. Endlich ge-
statten uns diese Schriften ein unmittelbares Urtheil über die schriftstel-
lerische Thätigkeit des Irnerius, dessen Genialität uns ,in fast blenden-
dem Glänze« entgegentritt. Nichts schien fester zu stehen, als die That-
sache, dass die hauptsächlichste und weitaus wichtigste wissenschaftliche
Arbeit des Irnerius wie seiner ganzen Schule in der Glossierung des Cor-
pus juris bestanden habe. Jetzt erfahren wir auf einmal, dass dies we-
nigstens bei Irnerius nur eine vergleichsweise untergeordnete schriftstel-
lerische Thätigkeit war, welche völlig zurücktrat, gegen eine andere bisher
nicht einmal geahnte. Denn sein unvergängliches und unvergleichliches
Verdienst bestand einerseits in der wissenschaftlichen Vertiefung, die er
dem Studium des römischen Rechtes verschaffte, andererseits und vornehm-
lich darin, dass er der erste und zugleich grösste juristische Systematiker
des Mittelalters war.
Nicht so günstig als für den Gelehrten sind die Ergebnisse für den
Menschen Irnerius, den uns Fitting auf Grund der Schriften und anderer
Zeugnisse als einen von hohem Selbstgefühl erfüllten, hochbegabten Streber
schildert. So verlockend es wäre bei diesem Thema länger zu verweilen,
so muss ich doch den Leser, der sich dafür interessirt, auf Fittings Aus-
führungen unmittelbar verweisen, ebenso jenen, der sich über die in Rom
zur Zeit des Irnerius herrschenden Anschauungen vom Verhältnis der Stadt
zum römischen Kaiserreiche und der römisch-deutschen Kaiser zum römi-
schen Rechte belehren will. Die Universität Halle aber hat allen Grund
auf die Festschrift ihrer juristischen Fakultät stolz zu sein, in welcher
durch ihres Mitgliedes Fittings unermüdete Ausdauer, Fleiss und Belesen-
heit die gelehrte Welt mit so überraschenden und wichtigen Ergebnissen
der Rechtsforschung bekannt gemacht wird.
Graz. Luschin von Eb engreu th.
Urkundenbuch der Stadt Hildes heim. Im Auftrage des
6*
Magistrats zu Hildesheim herausgegeben von Dr. Kichard Doebner,
Geh. Staatsarchivar und Archivrath zu Berlin. 5. Theil. Stadtrechnim-
gen von 1379 — 1415. Hildesheim, Gerstenberg'sche Buchhandlung, 1893.
XIII, 713. 8°.
Der ursprüngliche Plan des Hildesheimer Urkundenbuches hatte mit
dem vierten, bis zum Jahre 1450 reichenden Bandes 1890 seinen Ab-
schluss gefunden. AVenn damals die Hoffnung ausgesprochen werden durfte,
dass die Unterstützung der kgl. Staatsregierung es ermöglichen werde, das
Werk fortzuführen, so hat sich diese jetzt erfüllt. Der vorliegende 5. Band
bringt Stadtrechnungen ; ein sechster Band gleichen Inhalts ist im Druck.
Vor allem ist freudig zu begrüssen, dass der Herausgeber in der Be-
handlung des Materials sich dem bewährten Vorbilde Koppmanns ange-
(jgg Literatur.
schlössen hat. Er theilt die Rechnungen im Allgemeinen in ihrem vollen
Wortlaut mit; die Auslassungen und Kürzungen, die er sich gestattet,
sind durch den sonst nicht zu bewältigenden Umfang des Materials ge-
boten und vollauf gerechtfertigt. Der vorliegende Band enthält Raths-
(Kämmerei-) Rechnungen aus den Jahren 1370 — 1415 (es fehlen die Auf-
zeichnungen aus den Jahren 1380. 1385- 1390. 1391. 1393. 1394. 1396.
1397. 1399. 1400), Schossregister aus den Jahren 1404 — 1415 (fehlend
1405. 1408- 1409) und Weinamtsregister von 1407 — 1415: ein über-
aus reiches Material für die äussere und innere Geschichte der Stadt und
der ganzen Gegend. Ein sehr conciser, aber doch klarer und übersicht-
licher Druck hat es ermöglicht, einen ungewöhnlich umfassenden Stoff
auf den fast 600 Seiten des Textes zu bewältigen. Gegen 120 Seiten
Register gestatten die vielseitigste kursorische Benützung. Die Editions-
arbeit ist, wie es von dem Herausgeber nicht anders zu erwarten war,
in jeder Beziehung mustergültig geleistet, und so wird es jedenfalls nicht
an ihm liegen, wenn etwa sein Wunsch nach wissenschaftlicher Verwerthung
des mitgetheilten Stoffes nicht in dem erhofften Umfange in Erfüllung
gehen sollte. Doch ist diese Befürchtung bei dem regen Leben, das auf
dem Gebiete norddeutscher städtegeschichtlicher Forschnng herrscht, gewiss
nicht am Platze.
Tübingen. D. Schäfer.
ßegestrum Bursae Hungarorum Cracoviensis. Das In-
wohner- Verzeichniss der ungarischen Studentenburse
zu Krakau (1493 — 1558). Aus der Original-Handschrift mitgetheilt
und erläutert von Dr. Karl Sehr auf, k. u. k. Haus-, Hof- und Staats-
archivar. Wien, 1893. 8° XXIII, 138 S.
Es ist bekannt, welche Bedeutung die Bursen im Universitätssleben
hatten nicht allein auf socialem Gebiete, sondern auch auf dem des Unter-
richts. In den Bursen pulsierte zu Zeiten eine mächtige Ader akademischer
Betriebsamkeit. Alles, was unsere Kenntnis dieser Institution fördert,
wird daher willkommen sein. Die vorliegende neue Ausgabe des Regestrum
Bursae Hungarorum Cracoviensis liefert einen bedeutungsvollen Beitrag zur
Personalstatistik des ungarischen Studententhums vom Ausgange des 15.
bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Mit jener Sorgfalt, die man in neuerer
Zeit bei der Herausgabe älterer akademischer Personalverzeichnisse anzu-
wenden pflegt — man denke beispielsweise an die Ausgabe der Kölner
Matrikel durch Keussen — hat auch Schrauf seine Aufgabe angefasst.
Es war dies hier umsomehr nöthig, als es galt, die nach einer ungenauen
Abschrift veranstaltete, daher für die Wissenschaft unbrauchbare Ausgabe
des Regestrum von J. F. Miller (Budae, 1821) durch eine correcte zu er-
setzen. Der Herausgeber unterrichtet in der Einleitung (S. III — XXIII)
über die Beschaffenheit des Inhaltes des Registrum, das er nach dem
Original der Krakauer Universitäts - Bibliothek veröffentlicht, namentlich
über die Art der Eintragungen, die nicht immer gleich sorgfältig geschahen.
Bemerkenswert!! ist u. a. der Umstand (S. XIX — XX), dass gewisse her-
Literatur. (389
vorragende Städte im Kegestrum nicht vertreten sind, so gerade solche
des nördlichen Ungarns. Das Regestrum wird mit einigen Urkunden auf
S. 1 — 46 abgedruckt. Nicht ohne Interesse sind die urkundlichen Be-
richte über die letzten Schicksale der Burse, wobei ein Anflug von Bitter-
nis und Gehässigkeit gegen die domini collegiati die Feder des Schreibers
stellenweise geführt zu haben scheint, und die über die innere Geschäfts-
gebarung der Burse, wodurch wir auch in ihre Wäsche- und Tellerwirth-
schaft einen Einblick erhalten, freilich nur ein bescheidener Ersatz für
den nicht mehr vorhandenen liber statutorum. Der Herausgeber bietet
dann eine Liste der Senioren (S. 47 — 48), der consiliarii (S. 49 — 50),
belehrt uns (S. 51 — 103) über den Studiengang der einzelnen Bursen-
mitglieder namentlich mit Zuhilfenahme des Album studiosorum universi-
tatis Cracoviensis und der Statuta nee non liber promotionum philosophorum
ordinis und beschliesst seine Arbeit (S. 105 — 138) mit einem index per-
sonarum nach Orts- Vor- und Familiennamen. Der Index ist, wie ich
mich wiederholt überzeugt habe, verlässlich, man wird allerdings bei manchen
Namen erst etwas weiter Umschau halten müssen, bevor man sie findet;
z. B. Dominicus Kystarchay steht unter Kis-Tarcsa, Blasius de Chepe ist
mit Eücksicht auf die Vorbemerkung (S. 106) beiC zu suchen und hier bei
Csepe zu finden, nur darf man sich nicht einfallen lassen, diese Vorbemerkung
z. B. auch bei Balthasar de Oberes Banya zu verwerten, der unter Körös-
bänya steht. Ich bin der Meinung, dass bei solchen Namenverzeichnissen
ein Mehr an Hinweisen und erläuternden Vorbemerkungen nicht schaden
kann.
Graz. FerdinandEichler.
M. Büdinger, Don Carlos' Haft und Tod insbesondere
nach den Auffassungen seiner Familie. Wien und Leipzig.
1891. VI und 317 S.
Trotz der tiefgehenden Forschungen von Gachard vermochte die Frage
nach dem Ende des unglücklichen Prinzen B. noch zu neuen Studien an-
zuregen. Trat dabei die politische Seite des Gegenstandes, als ohnehin
bereits vielfach erörtert, mehr in den Hintergrund, so schenkte B. umso-
mehr der psychologischen und pathologischen Entwicklung seine Aufmerk-
samkeit. Und dies mit um so grösserem Rechte, als dieselbe die eigent-
liche causa movens im Drama, einem Familiendrama im wahrsten Sinne,
war, gegen welche Entwicklung die politischen Momente überhaupt in den
Hintergrund treten. Indem die Forschung aber dies feststellt, entrückt
sie den Prinzen und alle damit zusammenhängenden Hauptpersonen einem
Felde, auf dem sich nur allzulange tendenziöse oder doch Sensationslust Ige
Geschichtsschreiberei breit gemacht hat. Allerdings steht der Aufstand
der Niederlande mit der , physiologisch unvermeidlichen Katastrophe« des
Prinzen in einem gewissen Zusammenhang, aber nicht so, dass etwa Don
Carlos als Vertreter eines andern Systems gegenüber seinem Vater anzu-
sehen wäre. Der Prinz ist durchaus der Mann » castilischer Ueberzeugungen.«
Auch Philipp II. hat, wie Bs. eingehendste Erörterungen dartun, nie daran
Mittheilungen XV. 44
390 Literatur.
gezweifelt, ebensowenig der Papst. Bei dieser Gelegenheit constatirt B.
Maximilians II. »gänzliche Uebereinstimmung mit König Philipps Gesichts-
punkten bei dem Strafbeschlusse gegen Flandern«, wenngleich der Kaiser
mitunter Aeusserungen tat, die das Gegenteil vermuten Hessen. Gleich-
zeitig hat der spanische König eine gutachtliche Meinung des päpstlichen
Stuhles zu Gunsten friedlicher Mittel in den Niederlanden schroff von sich
gewiesen.
Schritt für Schritt entrollt B. den traurigen Entfremdungsprozess
zwischen dem Vater und seinem kranken Sohne. Schon die Zusammen-
setzung des eigenen Hofstaates war nicht nach Carlos' Geschmack. Ganz
besonders steigt seine Aufregung, da sein »Doppelziel«: ein selbständiges
Herrrschaftsgebiet und die Heirat mit Anna von Oesterreich, »immer
unerreichbarer « wird. Es folgen seine Zornausbrüche gegen die Cortes,
Alba und Espinosa. Daneben stets fortschreitende körperliche Gebrechlich-
keit und zunehmender Schwachsinn, beides wieder gefördert durch zeitweilige
sexuelle Ausschreitungen. Der Hass gegen den Vater tritt immer stärker
hervor; aber er darf »überhaupt nicht mehr vom politischen Gesichtspunkte «
betrachtet werden.
Der König überzeugt sich immer mehr von der physischen und psy-
chischen Untauglichkeit des Sohnes zur Thronfolge. Alle Mittel, die zur
Heilung des Uebels versucht werden, erweisen sich als vergeblich. Die
»Form ihrer Anwendung« ist von der modernen Psychiatrie als »entspre-
chend bezeichnet worden«. Begreiflich, wenn so die Erreichung von Car-
los' »Doppelziel* in die weiteste Ferne zurücktrat. Der Vater kämpft einen
furchtbaren Kampf mit sich selbst. Sein Pflichtbewusstsein gegen Staat
und Kirche zwingt ihn, von der Folge des Unfähigen abzusehen. Daher
die Berufung der beiden Söhne des Kaisers nach Spanien. Aber den
Hereinbruch der Katastrophe beschleunigt die Krankheit des Prinzen selbst.
Dieselbe steigert sich zu Empörungsversuchen und Mordplänen gegen den
König, und insofern »berühren diese letzten Ausläufer« des Irrsinns noch
»das staatliche Gebiet«. Philipp verhängt die Haftnahme. Die Gefangen-
schaft, welche jeglichen Attributes überflüssiger Härte entbehrt, beendet
nach sieben Monaten des Prinzen unnatürliche Lebensweise.
Alle die zahlreichen Details über die Krankheitsgeschichte, über die
Sinnesart und über die Haft wie das Ende des unglücklichen Königssohnes
gewinnt B. aus der sorgfältigsten kritischen Vergleichung der Quellen,
unter denen die Gesandtschaftsberichte naturgemäss den breitesten Eaum
einnehmen. Allerdings sind auch die verlässlichsten dieser Berichte mit
Vorsicht zu benützen, denn bei der sorgfältigen Wahrung des Geheimnisses
von Seite des Königs waren auch die Gesandten am Madrider Hofe nicht
immer in der Lage, alsbald das Kichtige zu erfahren. Mitunter sahen diese
Herren wohl auch durch gefärbte Gläser. So wollte der sonst gut infor-
mirte Dietrichstein so lange nicht an die unheilbare Krankheit des Prinzen
glauben, als noch einige Hoffnung bestand, dass Carlos die Erzherzogin
Anna zur Gemahlin nehme. Zur Beurtheilung der kirchlichen und poli-
tischen Denkweise des Prinzen wird namentlich auch dessen erstes Testa-
ment einer eingehenden Analyse unterzogen. Einer eben solchen Prüfung
würdigt B. auch die königlichen Mittheilungen an befreundete Höfe über
Verhaftung und Tod des Sohnes. Bei dieser Zergliederung der einschlä-
Literatur. 691
gigen Korrespondenz macht B. gelegentlich auf anderweitige interessante
Einzelheiten aufmerksam. So sehen wir z. BM wie dem Erzherzog Ferdi-
nand die von Philipp geführte Titulatur eines Grafen von Tirol »als eine
Anmassung* erscheint, welcher der Erzherzog in seiner Bückantwort da-
durch eine Berichtigung zu Theil werden lässt, dass er den König anstatt
Graf von Tirol als Graf von Artois titulirt.
Dem Buche ist ein Bildnis des Prinzen in Photogravüre beigegeben.
Auf p. 234 ist anstatt »Albrecht III.« »Albrecht V.« zu lesen.
Referent kann seine Anzeige nicht scbliessen, ohne zu konstatiren,
dass der Verfasser, der bereits auf so verschiedenen und weitentlegenen
Gebieten unserer Wissenschaft Ausgezeichnetes geleistet, mit der vorliegen-
den Arbeit ein wahres Kabinetstück historischer Kritik geliefert hat.
Innsbruck. Hirn.
Spamers illustrirte Weltgeschichte, dritte völlig um-
gestaltete Auflage. Fünfter Band: Vom Beginn der grossen
Entdeckungen bis zum 30jährigen Kriege (mit 340 Textab-
bildungen und 40 Beilagen und Karten). Sechster Band: Vom
30jährigen Kriege bis zur Machthöhe Ludwigs XIV. (mit
457 Textabbildungen, sowie 36 Beilagen und Karten), bearbeitet von
Prof. Dr. Otto Kaemmel. Leipzig 1894, XII u. 752; XII und 768
SS. Lex. form.
Der rührige Spamer'sche Verlag hat mit seiner «Illustrirten Weltge-
schichte» keinen Fehlgriff gethan. Sie liegt nunmehr schon in dritter, er-
weiterter und wesentlich neu bearbeiteter Auflage fertig gestellt vor den
Augen des geschichtsfreundlichen Publikums. Die Neuzeit übernahm ein
Historiker von gutem Namen, dessen »deutsche Geschichte« Referent im-
mer wieder gern zur Hand nimmt. Die zwei stattlichen Bände, bei denen
mit Illustrationen aller Art wahrlich nicht gespart wurde, bewegen sich
in ihren zeitgeschichtlichen Grenzeu innerhalb der Jahre 1492 — 1618 und
1618 — 1699.
Kämmel Hess es an redlicher Mühe nicht fehlen, um den massen-
haften Stoff zweckentsprechend einzutheilen. Der I. (V.) Band ist in zwei
Zeiträume gegliedert, deren erster das Zeitalter der Entdeckungen und der
Reformation (S. 3 — 427), das zweite das der Gegenreformation und der
Religionskriege (S. 528 — 752) umfasst.
Das Zeitalter der Entdeckungen zählt 7 Abschnitte, liefert eine Skizze
der äussern und innern Zustände Spaniens und Portugals , behandelt die
Entdeckung Amerikas, die Eroberung von Mexiko, Peru und charakterisirt
die spanische Kolonialpolitik und die allgemeinen Folgen der Entdeckun-
gen. — Den Uebergang zur Geschichte der Reformation vermittelt die Be-
trachtung über den Höhepunkt der italienischen Renaissance auf allen Ge-
bieten, — anderseits die Erörterung der Zustände und Reformversuche
in Deutschland unter Maximilian I., des kirchlichen Wesens und des Ge-
gensatzes, in welchem zu ihm der Humanismus und der Volksgeist treten.
Die »deutsche Reformation und Karl V. bis 1532« wie der folgende Haupt-
44'
ßg2 Literatur.
abschnitt überschrieben erscheint, paart den Gang der kirchlichen Bewe-
gung mit den Franzosenkriegen mit der Erwerbung des böhmischen und
ungarischen Reiches durch die Habsburger. An die Geschichte der Ver-
wicklungen von 1532 — 1558, welche mit dem Augsburger Religionsfrie-
den und der Thronentsagung Karls v. schliessen, reiht sich die Skizze
über deutsche Wissenschaft, Literatur und Kunst zur Zeit der Reformation.
Der zweite Zeitraum umfasst 17 Abschnitte, die mit der »Neugrün-
dung der katholischen Kirche« anheben und die Geschichte der spanischen
Monarchie unter Philipp II. gegenüber Frankreich und den Osmanen, die
des westeuropäischen Protestantismus im Kampfe mit Spanien, die Huge-
nottenkriege, den niederländischen Aufstand gegen Spanien, den Anglica-
nismus und das Kalvinerthum in Schottland zum Gegenstande haben. Die
staatlichen und volkswirthschaftlichen Errungenschaften Englands und Hol-
lands, dem gegenüber der Verfall Spaniens in materieller Richtung und
seine Literaturblüthe, machen den Schluss.
Der IL (VI.) Band bietet zunächst (S. 3—138) den Schluss des
zweiten Zeitraumes und eröffnet den Ausblick in das Geschichtsleben der
nordischen Staaten: Skandinavien, Polen, Kussland im 16., 17. Jahrhun-
dert. Dann kommt Deutschland in seinen Zuständen nach dem Augs-
burger Religionsfrieden an die Reihe, die Kaiserzeit Ferdinand I. und Ma-
ximilians IL, das Wirrsal in Oesterreich-Ungarn unter Rudolf IL und seine
unzulängliche Bekämpfung durch die halben Massregeln K. Mathias, dessen
Ansehen auch in Deutschland nichts gewann.
Der dritte Zeitraum (S. 133 — 512) hat zunächst den dreissig-
jährigen Krieg zu seinem Gegenstände. Der Verlauf desselben wird in fünf
Abschnitten geschildert. Daran reiht rieh die Geschichte »Süd- und West-
Europas im Zeitalter des dreissigjährigen Krieges«, mit der Schilderung
der Kämpfe Spaniens, Frankreichs, der Niederlande und einer Betrachtung
des Geisteslebens in Spanien, Italien und der Errungenschaften Hollands
auf dem Boden des Handels, der Kolonialpolitik, des Gewerbes und der
geistigen Kultur. Dann folgt die „englische Revolution« in ihrer Vorbe-
reitung und entscheidenden Krise, Cromwells Protektorat und die Restau-
ration der Monarchie. Auch hier fehlt nicht ein Blick auf das geistige
Leben Englands.
Der vierte Zeitraum (S. 513—768) — »das Zeitalter der un-
umschränkten Monarchie« überschrieben — zählt drei Hauptabschnitte. Den
Reigen eröffnet Frankreichs Machthöhe uuter Ludwig XIV. (1661 — 1685).
Wir werden zunächst in die »Vollendung der Selbstherrschaft« eingeführt,
in die inneren Zustände und Machtmittel Frankreichs, dessen König den
Weg der »Raubkriege« — der „ Devolutionen « und „Reunionen* betritt,
anderseits das gesellschaftliche und geistige Leben Frankreichs zu einem
für Europa tonangebenden zu gestalten weiss.
Dann erschliesst sich uns „Deutschland und Nordosteuropa«. Das
»deutsche Reich und die Einzelstaaten« gehen voran, eine allgemein ge-
haltene Umschau, welche der deutschen Politik des grossen Kurfürsten das
Relief zu bieten hat. Schwedens Zustände unter Christian, die letzten
Wasas in Polen, der baltische Krieg Karls X., die Begründung der Selbst-
herrschaft in den nordischen Reichen — fügen sich an. Der Staat des
grossen Kurfürsten und der politische Gegensatz Deutschlands zu Frank-
Literatur. 593
reich und Schweden (1658 — 1679) bilden die Endglieder dieses Hauptab-
schnittes, während uns der dritte und letzte Oesterreich unter Leopold L,
das osmanische Reich, die ersten Türkenkriege (1662 — 1664), die Kuruz-
zengefahr und die grosse Entscheidung 1683 — 1699 vorführt.
Bei einem solchen Werke, welches riesige Stoffmassen sichten, durch-
sichtig gliedern und ebenso gemeinfasslich als anmuthend zum Zeitbilde
und historischem Porträt gestalten soll, darf nicht der Maasstab einer ge-
schichtlichen Monographie oder eines Lehrbuches zur Anwendung kommen.
Wenn mit der anschaulichen, lebendigen und gehaltvollen Schilderung
Achtung vor der geschichtlichen Wahrheit und Wärme der Ueberzeugung
Hand in Hand gehen, und der Fachmann — in seiner Vertrautheit mit
den wesentlichsten Errungenschaften der Forschung — überall zu Tage
tritt, — so hat das Buch seine Schuldigkeit und mehr noch gethan. Und
das gilt von Kämmeis Bearbeitung der neuen Geschichte in vollem Maasse.
Er verläugnet nirgends den Reichsdeutschen und Protestanten in der Be-
trachtung und Behandlung der Weltgeschichte, wird aber mit seinem Stand-
punkt nie aufdringlich oder geflissentlich ungerecht.
So weit es in dem Rahmen der Darstellung möglich war, bemüht
sich der kundige Verfasser auch, den führenden Ereignissen und Persön-
lichkeiten des habsburgisch-österreicbi sehen G-eschichtslebens gerecht zu
werden. Den meisten Anlass hiezu bot der Schlussabschnitt des vierten
Zeitraumes: »Oesterreich und der Südosten Europas (1658 — 1705)*.
Graz. Krones.
Geschichte der Gegenreformation in Böhmen von
Prof. Dr. Anton Gindely. Nach dem Tode des Verf. herausgeg.
von Dr. TL Tupetz. Leipzig 1894. Duncker und Humblot. (XI,
532 S. gr. 8.)
Das vorliegende Werk, dessen Abfassung Gindely so lange von der
Fortsetzung seiner »Geschichte des dreissigjährigen Krieges* abgehalten
hat, lag bei dessen Tode im wesentlichen vollendet vor. Nur die An-
ordnung der einzelnen Kapitel war manchmal zweifelhaft und musste vom
Herausgeber Landesschulinspector Dr. Tupetz selbständig vorgenommen
werden, der wohl das Richtige getroffen zu haben scheint. Sonst waren
nur geringe sachliche und stilistische Aenderungen nothwendig.
Das Werk behandelt nicht blos die Geschichte der Gegenreformation,
sondern auch die politische Reaction, besonders die Abänderungen der
Verfassung und die Entstehung wie den Inhalt der »vernewerten Landes-
ordnung« von 1627, und die Ausprägung der schlechten »langen« Münze,
welche neben den Erpressungen, Confiscationen und der Gegenreformation
dem Wohlstand Böhmens so tiefe Wunden geschlagen hat. Für alle
diese Fragen hat der Verfasser ein sehr reiches handschriftliches Material
benützt und es sind ihm nicht blos die öffentlichen, sondern auch wich-
tige Privatarchive wie das erzbischöfliche Archiv und das der Kapuciner
in Prag, das Archiv der Propaganda in Rom und verschiedene Adelsarchive
zugänglich gewesen. Wie sehr unsere Kenntnis der innern Geschichte
g94 Literatur.
Böhmens von 1621 — 1627 dadurch gewonnen hat, braucht wohl nicht
erst näher auseinandergesetzt zu werden. Es ist vielfach ein ganz neues
Bild, welches wir von den Vorgängen dieser Zeit erhalten. Der Verlauf
der Gegenreformation, für welche wir bisher fast ganz auf die »Historia
persecutionum «, also auf eine Parteischrift angewiesen waren, wird uns
erst jetzt klar gelegt und wir lernen die Anschauungen und ßathschläge
der Personen kennen, welche dafür besonders bestimmend gewesen sind.
Von hohem Interesse sind auch die Streitigkeiten, in welche die Jesuiten
mit dem Erzbischofe wegen der ihnen übergebenen Universität geriethen,
wobei sie, gestützt vom Kaiser, ihre Stellung behaupteten, obwohl der
päpstliche Nuntius, die Congregatio de propagancla fide, ja der Papst selbst
für den Erzbischof eintraten. Durch die Darstellung der Münzfrage wird
Gindelys eigene Darstellung in seinem »Waldstein* vielfach berichtigt;
namentlich Wallenstein erscheint nur als Nebenperson. Auch die Mit-
theilungen über die Entstehung der neuen Landesordnung sind von grosser
Wichtigkeit.
Doch können wir nicht verschweigen, dass die schwache Seite Gindelys,
die Vernachlässigung des gedruckten Materials, auch in diesem Werke zu Tage
tritt. Häufig hat er dasselbe allerdings in handschriftlicher Form benützt.
Aber manchmal ist doch in Folge dessen seine Darstellung lückenhaft ge-
worden. So sagt er S. 129 f., es sei leider nicht bekannt, wie ein den
böhmischen Theologen abverlangtes Gutachten über die Austreibung der
lutherischen Prediger gelautet habe, während man aus Caraffa, Commen-
taria (ed. 1630) p. 137 sq. und Relazione p. 249 sq. erfährt, dass die
Theologen in Uebereinstimmung mit dem päpstlichen Legaten sich gegen
die Duldung des lutherischen Gottesdienstes ausgesprochen haben. Caraffa,
Comment. p. 276 sqq. nennnt als Reformationscommission für Böhmen
neben dem Erzbischofe, Martinitz und Talmberg auch Christoph Wratislaw
von Mitrowitz, was durch die kaiserliche Instruction, welche im Anhange
p. 108 sqq. mitgetheilt ist, sichergestellt wird. Gindely S. 252 nennt
Wratislaw gar nicht und kennt auch nur die den Commissären vom Erz-
bischofe ertheilte Instruction. S. 71 wird gesagt, dass der Kaiser dem
General Tilly 20.000 Thaler und eine jährliche Pension von 1000 Thalern
geschenkt habe. Aus d'Elvert. Beiträge 3, 381 und 468 ergibt sieb,
dass letzteres wohl ein Druckfehler für 10.000, ersteres in 100.000 Thaler
(— Schock Groschen) zu berichtigen ist. Ein Versehen ist es, wenn es
S. 421 heisst, der Sohn Karls von Lichtenstein sei ohne männliche Nach-
kommen gestorben, während Karls Mannsstamm erst 1712 mit seinem
Enkel erlosch. Unbekannt ist, warum der Verf. seine Darstellung im all-
gemeinen mit dem Jahre 1627 schliesst und die Bauernaufstände des
Jahres 1628 nicht mehr behandelt hat. Ich kann übrigens trotz dieser
kleinen Ausstellungen nicht unterlassen, noch einmal meiner Freude über
das Erscheinen dieses Werkes Ausdruck zu geben.
Wien. A. Hub er.
Literatur. 695
Jahrbuch der kunst historischen Sammlungen des
Allerhöchsten Kaiserhauses, herausgegeben unter Leitung des
Oberstkämmerers Sr. k. u. k. Majestät Ferdinand Grafen zu Trautt-
mansdorff- Weinsberg vom Oberstkämmerer- Amte. (Redacteur: Dr. Hein-
rich Zimerman.) 15. Bd. Mit 31 Tafeln und 145 Textillustrationen.
Prag, Wien, Leipzig. Tempsky und G. Freytag 1894. 457 u. CCXV
SS. 4°.
Mit gewohnter Pünktlichkeit ist auch diesmal das Jahrbuch ausge-
geben worden. Die im ersten Theile enthaltenen Abhandlungen beschäf-
tigen sich mit Ausnahme jener von R. v. Schneider, die ein kunstarchäo-
logisches Thema bearbeitet, zur einen Hälfte mit Gegenständen der Ma-
lerei, zur anderen Hälfte mit Gegenständen des Kunsthandwerkes. Dies-
mal treten vorwiegend die Künstler der rudolfinischen Periode in den Kreis
der Betrachtung und Behandlung. Von den zehn Abhandlungen sind näm-
lich drei Hofkünstlern des Kaisers Rudolf IL gewidmet, während sich die
übrigen auf verschiedene andere Zeiträume vertheilen.
Zunächst einige Worte über die ausgezeichnete, klar disponirte und
den Gegenstand völlig erschöpfende, archäologische Arbeit: »Die Erz-
statue vom Helenenberg« von R. v. Schneider1) (S. 103 bis
123). Sie handelt über die künstlerisch schönste Erzstatue, die aus dem
Alterthume stammend, diesseits der Alpen zum Vorschein gekommen ist
und nun eine Zierde der kaiserlichen Hofsammlungen bildet. Die Abhand-
lung gliedert sich in drei Theile. Der erste Theil bringt zunächst die
Nachrichten über den Fund der Statue, dann werden ihre späteren Schick-
sale und ihr Bekanntwerden in Gelehrtenkreisen erzählt, und endlich wer-
den die verschiedenen Deutungen, die sie in der Literatur gefunden, kurz
verzeichnet. An der Spitze des zweiten Theiles steht eine genaue Be-
schreibung der Erzfigur und ihrer Erhaltung. Leider ist sie nicht intakt
auf uns gekommen, sondern eine barbarische Hand hat in roher Weise die
alte dunkelgrüne Patina von ihr entfernt und dabei auch die Feinheiten
in der Modellirung der zarteren Theile des Körpers vernichtet. An die
Beschreibung der Figur knüpft der Verfasser an, um aus einer sorgfäl-
tigen Vergleichung mit antiken Bildwerken gleicher oder ähnlicher Stel-
lung ihre richtige Deutung zu gewinnen. Er kommt zu dem annehmbaren
Resultate, dass die Statue »das Bild eines Siegers im Fünf kämpfe vor-
stelle, der in scheuer Ehrfurcht vor den Gott hintritt, ihm für den er-
rungenen Sieg zu danken.« Daran schliesst der Verfasser eine Unter-
suchung des künstlerischen Stiles der Statue und findet in ihr ein grie-
chisches Kunstwerk der polykletischen Schule. Im dritten Theile wird die
dieser Deutung scheinbar entgegenstehende, lateinische Inschrift untersucht
und erklärt, und es werden ferner die Gründe angeführt, welche dafür spre-
chen, dass die Figur im Tempel am Helenenberge den alten, norischen Kriegs-
gott Latobius, der in römischer Zeit dem Mars gleichgesetzt worden war,
*) Zugleich in einem nicht für den Buchhandel bestimmten Sep.-Abdr. als
„Festschrift zur Begrüssung der XLII. Versammlung deutscher Philologen und
Schulmänner in Wien" erschienen.
69(3 Literatur.
dargestellt haben dürfte. So hat die schöne und interessante Erzstatue
im Verfasser einen sachkundigen und scharfsinnigen Erklärer gefunden, so
dass die vielfach neuen Ergebnisse, zu denen er gelangt, wohl kaum eine
Ablehnung erfahren dürften.
Referent geht nun zu den Abhandlungen, welche sich auf Werke der
zeichnenden Künste und Malerei beziehen, über. Der Erklärung von Kunst-
blättern aus der Zeit des Kaisers Maximilian I. ist der Commentar zu
»Jost de Negkers Helldunkelblätter Kaiser Max und St.
Georg von Ed. Chmelarz (S. 392 — 397) gewidmet. Er fasst alles zu-
sammen, was über diese Holzschnittblätter, über ihre Entstehung und ihre
Technik zu sagen ist. Neues bietet der Aufsatz nicht. Die genaue Facsi-
mile-Reproduction dieser Kunstblätter ist aber sowohl wegen ihrer grossen
Seltenheit als auch des Umstandes wegen, dass sie zu den ersten Incu-
nabeln einer eigenartigen Technik des Holzschnittes und Druckes zählen,
wohl gerechtfertigt.
In dem Aufsatze von Th. Frimmel »Unveröffentlichte Ge-
mälde aus der Ambraser Sammlung« (S. 124 — 146) werden fol-
gende, zugleich durch gute Heliogravüren oder Lichtdrucke reproducirte
Bilder näher beschrieben und besprochen: 1. Bildniss des Kaisers Maxi-
milian I. von Ambrogio de Predis, 2. Bildniss der Bianca Maria Sforza,
3. Flandrische Landschaft von Jakob Grimmer, 4. Zwei italienische Land-
schaften von Paul Bril und 5. Eine Winterlandschaft von Hendrik Aver-
camp. Sie sind mit Ausnahme von Nr. 2 und einem Bilde von Nr. 4 mit
den Signaturen der betreffenden Künstler versehen und waren auch sämmt-
lich schon in der Literatur bekannt. Ebenso waren auch schon von an-
dern richtig bestimmt das Bildniss Maximilians I. und die beiden italieni-
schen Landschaften von P. Bril. Nur die Zuweisung der flandrischen
Landschaft an Grimmer und der Winterlandschaft an Avercamp rührt vom
Verfasser her. Aber auch diese hat er nicht hier, sondern schon früher
in anderen Aufsätzen zum erstenmal ausgesprochen. Das einzig sachlich
Neue, das diese Bilder betrifft und im vorliegenden Aufsatze zuerst aus-
gesprochen erscheint, ist die Angabe, dass das an zweiter Stelle genannte
Bild eine »tirolische Copie nach einem Mailänder Originale« sei. Auch
erklärt der Verfasser das Bild bestimmt als Bildniss der Bianca Maria
Sforza, was vor ihm Sacken nur vermuthungsweise hingestellt hat. Abge-
sehen von den ergänzenden Beschreibungen der Bilder, die sehr detaillirt
und genau sind, kann man aber die Art der Commentirung derselben in
den ihnen beigebenen Aufsätzen nichts weniger als musterhaft bezeichnen.
Im Grossen und Ganzen machen sie auf den Ref. den Eindruck, als hätten
sie dem Verf. nur eine passende Gelegenheit dargeboten, seine auf Reisen
vor den Bildern und in der Arbeitsstube aus der älteren und neueren
Literatur gemachten Notizensammlungen über die genannten Meister so
ziemlich ohne Wahl und Qual zu verwerthen. Ein solches aus alten Ka-
talogen unterschiedslos zusammengelesenes, antiquarisches Sammelsurium,
wie es der Verf. unter anderem über Bilder des P. Bril leistet, ist ohne
wissenschaftlichen Werth. Auch die meist apodiktisch ohne jede Begrün-
dung vorgebrachte Zuweisung von Bildern an den einen oder anderen
Meister kann wohl für eine zusammenfassende, kunstgeschichtliche Darstel-
lung, aber nicht für Einzeluntersuchungen passen. Das ist die von der
Literatur. (397
Wissenschaft abgethane Methode der dilletirenden Kunstkenner, die für die
von ihnen ausgesprochenen Zuweisungen von Kunstwerken selten andere
Gründe ins Feld zu führen wissen, als ihre eigene Autorität. Für Ver-
öffentlichung wenig oder noch gänzlich unbekannter, guter, alter Bilder durch
genaue und gute Reproduktionen wird die Wissenschaft immer Dank wissen.
Sind die Bilder signirt, die Signaturen bekannt und walten gegen die
Signirung keine Bedenken vor, so genügt als Commentar schon eine ge-
naue, ergänzende Beschreibung. Aber ein künftiger Biograph wird es auch
stets dankbarst entgegennehmen, wenn der Commentator wirklich neues,
unbekanntes Material, sei es zur Biographie, sei es zum Werke des Künst-
lers, bietet, mag er es nun in der Form von einfachen Notizen oder in
der Form eines Aufsatzes bringen. Ebenso können auch unsignirte Bilder
einfach nur mit ei'gänzenden Beschreibungen veröffentlicht werden, um für
weitere Forschungen eine Grundlage zu bilden. Entschliesst sich der Her-
ausgeber aber, sie bestimmten Meistern zuzusprechen, so wird er diese seine
Zutheilungen stets auch ausführlich und erschöpfend begründen müssen.
Die Gründe für solche Zutheilungen können entweder nur allein aus einem
genauen und eingehenden, vergleichenden Studium des Werken des Mei-
sters geschöpft sein, oder sie können noch durch erzählende Quellen unter-
stützt werden. Aber immer wird es dann nothwendig sein, von dem Werke
des Künstlers so viele Bilder (eventuell auch Zeichnungen) als möglich
zur Vergleichung heranzuziehen. In den vorliegenden Commentaren wird
man jedoch wenig Spuren von solchen aus der Composition und Malweise
der Meister gezogenen Begründungen für die Zutheilungen der Bilder fin-
den können. Wohl wird eine Reihe von Bildern, die der Verf. von dem
einen oder andern Meister gesehen, angeführt, und es werden auch un-
signirte Bilder dem einen oder andern Meister bestimmt zugetheilt; wor-
auf der Verf. aber diese autoritativen Aussprüche basirt, erfahren wir
meist nicht. Zu rühmen ist der Bienenfleiss , mit dem der Verf. kunst-
historische Notizen sammelt, und die Reichhaltigkeit seiner Zettel Sammlung.
Fr. Kenner setzt seine im 14. Bande begonnene Studie über »die
Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol*
(S. 147 — 259) fort, indem er die deutschen Bildnisse derselben einer ein-
gehenden Beschreibung und Würdigung unterwirft. Eine allgemein orien-
tirende Einleitung geht voraus. Die Sammlung besteht aus 168 Num-
mern. Zwei grössere Reihen treten unter ihnen hervor: die eine die bai-
rischen mit 47 Stücken, die andere die sächsischen Fürstenbildnisse mit
48 Stücken umfassend, während die hessischen mit 9 Stücken und die
hohenemsischen Bilder mit 7 Stücken zwei kleinere Reihen bilden. Die
brandenburgischen Bildnisse stammen der Mehrzahl nach aus dem 18. Jahr-
hundert. Ungefähr ein Drittel der Bilder sind Einzelerwerbungen. Für
circa 100 Bilder konnten die Maler, welche die Originale geschaffen hatten,
mehr oder weniger sicher nachgewiesen werden, auch die Copisten mancher
Bildnisse blieben nicht unbekannt. Ferner wird dargelegt, dass es nicht
ganz bedeutungslos sei, ob die Inschriften lateinisch oder deutsch abge-
fasst, ob sie in Gold, Silber oder in weisser oder gelber Oelfarbe herge-
stellt seien. Die Beschreibungen und Nachweise für die einzelnen Bilder
sind in der gleichen, sorgfältigen Weise angefertigt, wie im ersten Theile,
der die habsburgischen Bildnisse behandelte, auch die beigefügten Bio-
698 Literatur.
graphien sind in derselben Weise abgefasst. An die Spitze der Sammlung
sind die Bildnisse der Kaiser und Könige gestellt, ihnen folgen jene der
Kurfürsten und Herzoge: Pfafr, Baiern, Würtemberg, Baden, Hessen,
Sachsen, Brandenburg, Preussen, Nassau- Oranien und Schlesien. Die übrigen
Bildnisse sind unter der Collectiv-Bezeichnung » Celebritäten « zusammen-
gefasst und alphabetisch angeordnet (98 — 168). Der Hauptwerth dieser
Bildniss-Sammlung liegt in ihrer ikonographischen Bedeutung, denn von
71 Nummern sind die Originale bereits in Verlust gerathen, und von
einer Anzahl der dargestellten Persönlichkeiten existiren keine anderen
authentischen Bildnisse als diese. Zudem sind dann noch mehrere der
Originalbildnisse von hervorragenden Künstlern des 16. Jahrhunderts her-
gestellt. Eine besondere Beachtung verdienen die sächsischen Fürstenbild-
nisse, da sie von Lucas Cranach d. J. gemalt sind und Copien jener säch-
sischen Fürstenbilder darstellen, die derselbe Künstler für den Fürstensaal
der Augustusburg geschaffen hat, die aber im siebenjährigen Kriege zu
Grunde gegangen waren. In einer besonderen Einleitung (S. 176 — 18ü)
wird über diese Bildnisse ausführlich berichtet. Viele Bilder sind in guter
Auswahl theils im Text als Zinkotypien, theils auf besonderen Tafeln als
Heliogravüren der Abhandlung beigegeben.
Mit einem der hervorragendsten Maler aus dem Künstlerkreise am
Hofe Kaiser Rudolfs II. beschäftigt sich Berthold Haendcke in seiner Ab-
handlung: »Josef Heintz, Hofmaler Kaisers Rudolf II.« (S. 45
bis 59). Der Verfasser versucht anf Grund der wenigen handschriftlichen
Nachrichten und der Signaturen auf seinen authentischen Werken eine
Skizze vom Lebenslaufe des Künstlers (1564 — 1609) zu entwerfen, in die
er zugleich eine Beschreibung und Würdigung des grössten Theiles der
ihm bekannt gewordenen Gemälde und Handzeichnungen einflicht. Die
Arbeit, im Grossen und Ganzen recht verdienstvoll, macht auf den Ref. theil-
weise den Eindruck des Unfertigen, indem nur die in den wenigen öffent-
lichen Hauptsammlungen befindlichen Werke herangezogen erscheinen und
selbst auch noch für einige in Wien befindliche Werke, bezüglich welcher
während der Arbeit Lücken wahrgenommen wurden und Zweifel aufge-
taucht waren, Prof. Wickhoff eintreten musste. Daher erscheint auch das
zum Schlüsse bezüglich einiger Gemälde und Zeichnungen berührte Ver-
hältniss zum Sohne des Künstlers, dem jüngeren Josef Heintz, leider nicht
vollständig klargelegt. Auch vermisst man eine eingehende und zusam-
menhängende Charakterisirung der Mal- und Zeichenweise des Künstlers ;
nur gelegentlich bei Beschreibung der einzelnen Bilder findet man zerstreut
diesbezügliche Bemerkungen. Endlich erscheint seine Stellung unter den
Malern seiner Zeit überhaupt und im rudolfinischen Künstlerkreise insbe-
sondere nicht bestimmt genug präcisirt. Im Anhange gibt der Verfasser
ein Verzeichniss der ihm bekannt gewordenen (l9) Gemälde und (40)
Handzeichnungen des Künstlers. Von den letzteren werden mehrere als
zweifelhaft bezeichnet.
Wendelin Boeheim bringt den Schluss seiner im 13- Bande des Jahr-
buches begonnenen Arbeit über »Die Zeugbücher des Kaisers Ma-
ximilian I.« (Seite295 — 39l), welche theilweise das Gebiet der zeichnen-
den Künste, theilweise aber das des Kunsthandwerkes berührt und daher
an dieser Stelle besprochen werden soll.
Literatur. 699
Nach einigen Notizen über die Lage des Wiener Zeughauses gibt der
Verfasser zunächst eine kurze Beschreibung der Manuscripte Nr. 10815
und 10816 der Wiener Hotbibliothek, welche Darstellungen der Waffen
und des Kriegszeuges des Zeughauses in Wien enthalten sollen. Dann
erst lässt er die genaue Beschreibung des 2. und 3. Bandes der Zeug-
bücher — den 1. Band hatte er bereits im 1. Theile seiner Arbeit be-
handelt — folgen. Diese beiden Bände enthalten Abbildungen der Aus-
rüstungen von folgenden Zeughäusern und zwar der 2. Band von Wien
(g. 305 — 339), von Osterwitz in Kärnten (S. 340 — 355), von Graz (S. 355
bis 364) und von Görz (S. 364 — 368), der 3. Band von Breisach (Seite
369 — 38G-) und von Lindau am Bodensee (S. 380 — 388). Zum Schlüsse
sucht Boeheim den Innsbrucker Maler Wolfgang Reisacher als den Meister
der Zeichnungen der Zeugbücher nachzuweisen. Aber die vorgebrachten
Gründe ergeben kaum mehr als die Möglichkeit und im besten Falle nur
einige Wahrscheinlichkeit für diese Annahme. Mit Angaben über das Schick-
sal, welches die Zeugbücher im Laufe der Zeit erfahren haben, schliesst
der Aufsatz. Für die Geschichte der Waffen und des Kriegswesens in der
Maximilianischen Periode sind diese Zeugbücher von grosser Wichtigkeit,
daher eine ausführliche Publikation derselben der Wissenschaft zum Nutzen
gereicht. Obwohl die Beschreibung des Inhaltes der drei Bände sehr ins
Detail geht, entspricht die Publikation den streng wissenschaftlichen An-
forderungen doch nicht in jeder Beziehung. Noch weniger genügt die Be-
schreibung der anderen Codices. Auch mangelt der Abhandlung klare An-
ordnung und Uebersichtlichkeit, und unter langathmigen Weitschweifig-
keiten sucht man vergebens nach logisch klaren und präcisen Deduktionen.
Endlich ist auch der Stil keineswegs musterhaft.
Die vier weiteren noch zu besprechenden Abhandlungen sind ganz
der Geschichte der Kunstindustrie gewidmet.
Einen werthvollen und in seinen ikonographischen Ergebnissen in-
teressanten Beitrag zur Geschichte der mittelalterlichen Kunstübung liefert
Jul. v.Schlosser in seiner Abhandlung : „Elfenbeinsättel des aus-
gehenden Mittelalters" (S. 260 — 294). Ausgehend von dem in der
kaiserl. Waffensammlung aufbewahrten „Sattel Königs Wenzel L", der im
ersten Theile der Arbeit eine eingehende Beschreibung und Besprechung
und eine vorzügliche, bildliche Reproduction erfährt, gibt der Verfasser
im zweiten Theile eine nach geographischen Gesichtspunkten angeordnete
Zusammenstellung und mehr oder weniger ausführliche Beschreibung der
anderen ihm bekannt gewordenen (20) „Prunksättel". Im dritten Theile
geht er dann auf das „Ikonographische" der auf diesen Sätteln vorkom-
menden, eigenartigen, höchst interessanten Darstellungen näher ein. Nach-
dem er die Beschreibungen derartiger Sättel, welche in der mittelalter-
lichen Literatur sich vorfinden, theils vollständig mitgetheilt, theils nur er-
wähnt hat, bespricht er kurz die in den Darstellungen verwendeten „Stoffe
aus der Legende", handelt dann über die „Darstellungen romantischer Stoffe"
und über die „Darstellungen aus dem höfischen Minneleben" und erklärt
endlich in ausführlicher und grosse Sachkenntnis und Belesenheit zeigen-
der Darlegung die in den Darstellungen zum Ausdruck kommende „Ero-
tische Allegorik". Im vierten Theile fasst er schliesslich noch kurz zu-
sammen, was über das „Stilistische" dieser kunstindustriellen Erzeugnisse
700 Literatur.
gesagt werden kann. Obwohl bei der grossen Zerstreutheit und Eigenar-
tigkeit des Materials, wie der Verfasser selbst zugesteht, gewiss noch der
eine oder andere derartige Prunksattel auftauchen wird, so dürfte doch
an den Ergebnissen der verdienstvollen Arbeit sich kaum etwas Wesent-
liches ändern.
Der nach einer zeitgenössischen Beschreibung gearbeitete Aufsatz von
Eud. Beer: „Die Galeere des Don Juan de Austria bei Le-
panto" (S. 1 — 1 4) ist in mehrfacher Beziehung interessant. Schon die Idee, ein
Kriegsschiff künstlerisch auszuschmücken, ist originell. Dazu kommt dann
das Bestreben, den geistigen Inhalt dieses künstlerischen Schmuckes mit
der Bestimmung des Schiffes durch meist allegorische Darstellungen in
Einklang zu bringen. Ausserdem aber wird der grosse Kunstsinn des
Königs Philipp II. von Spanien durch dieses Werk in ein besonders helles
Licht gestellt. Leider gibt das publicirte Schriftstück nicht eine Be-
schreibung der fertigen künstlerischen Ausschmückung des Schiffes , son-
dern nur eine Kritik des für diese aufgestellten Programmes, aber trotz-
dem ist es immerhin noch interessant genug, dass die Publikation des-
selben vollauf gerechtfertigt erscheint.
Eine hervorragende Arbeit sowohl rücksichtlich des Gegenstandes, den
sie behandelt, als auch rücksichtlich ihrer Durchführung ist die Abhand-
lung über „Paulus vanVianen" (S. 60 — 102) von Heinrich Modern.
Der Verfasser beherrscht den Gegenstand vollständig, und man sieht es
der Arbeit an, dass sie mit besonderer Liebe zur Sache und mit gutem
Verständniss für dieselbe abgefasst ist. Schon die Eintheilung des Stoffe-
ist eine übersichtliche und klare. Der Verfasser stellt vorerst alles zu-
sammen, was die Lebens Schicksale des Künstlers betrifft. Fliesst das bio-
graphische Quellenmaterial auch nur spärlich, so erhalten wir doch ims
merhin einen im Grossen und Ganzen genügenden Einblick in die äussern
Lebensverhältnisse Pauls van Vianen. An die Lebensskizze schliesst der
Verfasser die Beschreibung und Würdigung der Werke des Meisters. Er
beginnt mit Recht mit den Gold- und Silberarbeiten desselben, denn auf
ihnen beruht die Kunstbedeutung unseres Meisters, geht dann auf die
Medaillen über und schliesst mit der Erörterung seiner Thätigkeit als
Maler. Paulus van Vianen erscheint als einer der hervorragendsten und
bedeutendsten Meister des Künstlerkreises am Hofe Rudolfs II. in Prag.
Seine Spezialität war die Treibarbeit in Silber, und in der That hat er
hierin wie auch in anderen Goldschmiedearbeiten Grosses geleistet, so dass
er nicht nur unter den Goldschmieden seiner Zeit sondern aller Zeiten
überhaupt eine erste Stelle einnimmt und neben Benvenuto Cellini gesetzt
werden kann. Ausser den beiden Hauptwerken, dem Nereidenkrug und
der Trionfikanne in den kaiserl. Hofsammlungen, die eine besonders ein-
gehende Beschreibung und Würdigung und eine reiche und ausgezeichnete,
bildliche Wiedergabe finden, werden vom Verfasser auch die anderen ihm
bekannt gewordenen Goldschmiedearbeiten in verschiedenen öffentlichen und
privaten Sammlungen mehr oder weniger ausführlich besprochen, so unter
anderen zwei Schüsseln in München, zwei getriebene Silberreliefs bei Na-
thaniel von Rothschild in Wien, zwei andere, dem Fürsten Fürstenberg
gehörige, in Heiligenberg, eines bei Baron Günzburg in Petersburg, die
Diana-Actäonschale der Prinzessin Wied u. s. w. Es folgt dann eine Liste
Literatur. 7Q^
der nur in alten Inventaren und Katalogen genannten Werke, die vor-
läufig als verschollen gelten müssen. Weiters bespricht dann der Verfasser
die Thätigkeit Pauls van Vianen als Medailleur. Auch dieser Theil der
Arbeit bringt sehr viel Neues. Dem Verfasser ist es gelungen, 14 Me-
daillen als Werke dieses Künstlers nachzuweisen. Unter ihnen befinden
sich ein paar, die den besten Arbeiten auf diesem Kunstgebiete an die
Seite zu stellen sind.
Zum Schlüsse weist der Verfasser überzeugend nach, dass Paulus van
Vianen auch als Maler sich bethätigt und mehrere Selbstbildnisse ge-
schaffen hat, wovon eines in der Münchener Pinakothek, ein anderes in
der Amsterdamer Galerie sich befinden. Diese vorzügliche Arbeit ist wohl
geeignet, dem Künstler, der von seinen Zeitgenossen die vollste Anerken-
nung gefunden hatte, dann aber im Laufe der Zeiten fast in Vergessen-
heit gerathen war, nun auch bei der Nachwelt wieder zu seinem Eechte
zu verhelfen und ihm seinen wohlverdienten Euhm wieder zu verschaffen.
Nicht eine vollständige und erschöpfende Biographie wie Modern über
Paul van Vianen bietet uns C. Alhart von Drach über ,,Jost Burgi,
Kammeruhrmacher Kaiser Rudolf IL", sondern er bringt nur
„Beiträge zu seiner Lebensgeschichte und Nachrichten über Arbeiten des-
selben" (S. 15 — 44). Aber schon diese enthalten viele neue und schätzens-
werthe Detailnachrichten über das Leben und die Arbeiten dieses ge-
schickten und seinerzeit hochangesehenen Uhrmachers und gelehrten Ver-
fertigers von mathematischen und astronomischen Instrumenten. Ihm ver-
danken wir nebst Verbesserungen im Uhrenbau auch noch auf dem Ge-
biete der Mathematik die Ausbildung der Decimalbruchrechnung und die
Aufstellung von Logarithmen. Gerade dieser letztere Umstand hat viel
mehr als seine kunstfertige Geschicklichkeit dazu beigetragen, dass sein
Name in unseren Tagen wieder neuen Klang erhielt. Der Aufsatz beruht
der Hauptsache nach auf den im königl. preussischen Staatsarchiv zu Mar-
burg in Hessen vorhandenen Aktenstücken und beleuchtet dem entspre-
chend hauptsächlich auch nur des Meisters Thätigkeit im hessischen Dienste.
Seine Beziehungen zum hessischen Hofe und seine Arbeiten für denselben
werden unter gleichzeitiger, vollständiger Publikation der betreffenden Ur-
kunden eingehend geschildert. Dabei werden allerdings auch manche an-
dere Nachrichten über ihn insbesonders auch über seinen Aufenthalt am
Hofe des Kaisers Rudolf II. zu Prag mitgetheilt. Ohne die Verdienstlich-
keit der Arbeit in Bezug auf das, was wir sachlich aus ihr über Burgi
und seine Arbeiten für unser Wissen Schätzenswerthes erfahren, irgendwie
schmälern zu wollen, möchte Referent nur rücksichtlich der Form die Be-
merkung zu machen sich erlauben, dass seines Erachtens der Aufsatz eineu
viel besseren Eindruck machen würde, wenn die mitgetheilten Aktenstücke
dem Aufsatze als Anhang angeschlossen oder noch besser, wenn sie gleich-
zeitig im zweiten Theile als Quellenmaterial publicirt worden wären.
Ein vom Redacteur des Jahrbuches H. Zimerman geschriebener
Nachruf an „Quirin Ritter von Leitner", dem Vorgänger in der Re-
daktion und Mitbegründer des Jahrbuches, schliesst den I. Theil dieses
Jahrganges. Sowohl der Mensch wie auch der Gelehrte wird uns in seinen
vortrefflichen Eigenschaften mit einer massvollen und darum um so an-
sprechenderen Wärme vor Augen geführt. Unter den um die Kunstsamm-
702 Literatur.
lungen des österr. Kaiserhauses verdienten Männern wird Leitner immer
als einer der ersten genannt werden müssen. Ehre seinem Andenken!
Der zweite Theil dieses Jahrganges bringt die Fortsetzung der ,. Ur-
kunden und Kegesten aus dem k. u. k. Re ichs-Finanz-Archiv"
von Franz Kreyczi (S. I— XLVIII, Nr. 11469 — 11801), die Jahre 1569
bis 1619 umfassend, dann Nachträge und Fortsetzung der „Urkunden
und Regesten aus dem k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv
in Wien" von Dr. Hans von Voltelini (S. XLIX— CLXXIX, Nr. 11802
bis 12604) für die Zeit von 1498 — 1600. Sie enthalten wieder viel in-
teressantes Qnellenmaterial zur Gelehrten-, Kunst- und Handwerksgeschichte
des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts. Die Publikation von Dr. Albert
Starzer: „Ein Münzkatalog Königs Ferdinand I. in der Va-
ticanischenBibliothekzuRom" (S.CLXXXIV— CLXXXIX, Nr. 12605)
wird vom Redacteur H. Zimerman mit einer Vorbemerkung (Seite
CLXXX — CLXXXIV) einbegleitet, in der er alles, was aus den bisher publi-
cirten Akten über die numismatischen Sammlungen Maximilians I. und
Ferdinands I. zu erfahren ist, kurz zusammenfasst und die Zeit der Ab-
fassung des veröffentlichten Münzkataloges auf die Jahre 1553 bis 1558
bestimmt.
Als Beilage sind diesem Bande des Jahrbuches 30 Lichtdrucktafeln
beigegeben, welche genaue Reproduktionen der ersten 30 Seiten der kost-
baren, auf Purpurpergament geschriebenen Handschrift der „Wi en er Ge-
nesis" aus dem 4. Jahrhundert enthalten. Die 22 übrigen Seiten und
die Erläuterungen zu denselben von Wilhelm R. v. Hartel und Franz Wick-
hoff werden im nächsten Bande des Jahrbuches erscheinen, bei dessen An-
zeige Referent über dieselben das Nähere berichten wird.
So stellt sich auch dieser Jahrgang des Jahrbuches durch seinen
reichen, interessanten und in den Resultaten zum grössten Theile auch
neuen Inhalt, durch die vornehme und splendide Ausstattung in Bild und
Druck und durch die sorgfältige Redaction würdig an die Seite seiner Vor-
gänger.
Klagenfurt. Simon Lasehitzer.
Luginbühl R., Aus Philipp Albert Stapfers Brief-
wechsel (Quellen zur Schweiz. Geschichte. Bd. 11 und 12) CXL1I,
440 und 522 W. Basel, 1891, A. Geering, 8°.
Die bisher erschienenen Besprechungen dieses umfangreichen Werkes
sind durchaus empfehlend gehalten und im wesentlichen kann auch diese
Anzeige sich ihnen in demselben Sinne anschliessen. Da der Herausgeber
die Bedeutung der Briefsammlung selbst schon hinlänglich gekennzeichnet
hat, kann ich mich auf wenige Bemerkungen beschränken.
Was die Hauptsache betrifft, die Wiedergabe des Textes der Briefe,
so verdient sie das Zutrauen, das der Herausgeber für diesen Theil seiner
Arbeit in Anspruch nimmt, so weit man wenigstens nach blosser Durch-
lesung und ohne Vergleichung urtheilen kann. Auch die Anmerkungen,
deren einige für Benutzer eines solchen Werkes wohl überflüssig sind
(Vgl. z. B. S. 126 nr. 2 und 3., S. 177 nr. 2 u. a.) und die Register
Literatur. 703
sind mit anerkennenswerter, vom Herausgeber selbst genügend gewürdigter
Sorgfalt gemacht worden.
Für verfehlt aber halte ich es, dass auch die Einleitung als Sammel-
stelle von Briefen, wenn auch nur in Form von Auszügen und Regesten
benützt wurde (S. VIII — XXX und XXXII — CII). Dadurch ist der zusam-
mengehörige Stoff zertheilt und die Uebersicht erschwert worden, beson-
ders, da bei diesen Auszügen auch die chronologische Eintheilung einer
andern, zum Theil alphabetischen hat weichen müssen. Das Richtige wäre
wohl gewesen, diese Regesten, wenn man sie schon nicht unter die an-
dern Briefe einreihen wollte, am Ende der ganzen Sammlung zu vereinigen.
Dann wären sie zweifellos auch im Register berücksichtigt worden, was
jetzt leider nicht der Fall ist.
Indem ich schliesslich nicht unterlassen will, darauf hinzuweisen, dass
diese Briefsammlung eine Reihe wichtiger Ergänzungen, zumeist durch L.
selbst erhalten hat x), erwarte ich mit dem Herausgeber, der sich um die
Geschichte, vorab um die Geschichte seiner Heimat unstreitig verdient ge-
macht hat, dass die Forschung über seinen Helden nunmehr in der That
abgeschlossen ist.
Basel. R- Thommen.
Fünfunddreissigste Plenarversarnnilung der histo-
rischen Kommission bei der kgl. bayer. Akademie der
Wissenschaften.
München im Juni 1S94. Die Plenarversammlung hat am 17. 18.
19. Mai stattgefunden. Der Vorstand der Kommission, Wirkl. Geh. Rath
v. Sybel, war durch Unwohlsein auch diesmal gehindert, die Reise nach
München zu unternehmen. Daher übernahm der Sekretär, Prof. Cornelius,
die Leitung der Verhandlungen, an welchen ausser ihm folgende Mitglie-
der Theil nahmen: Wirkl. Geh. Rath v. Arneth aus Wien, Klosterpropst
Freih. v. Liliencron aus Schleswig, Hofrath v. Sickel aus Rom, die Geh.
Regierungsräthe Wattenbach und Dümmler aus Berlin, Geh. Rath Wegele
aus Würzburg, Geheimer Rath v. Hegel und Prof. v. Bezold aus Erlangen,
Geheimrath v. Maurer, Geh. Hofrath und Reichsarchivdirektor v. Rockinger,
Oberkonsistorialrath Preger, Oberbibliothekar Riezler, die Professoren Stieve,
Heigel, Lossen von hier; ferner das ausserordentliche Mitglied Prof. Quidde
von hier.
Im Laufe des verflossenen Jahres sind die Mitglieder der Kommission
Prof. Hermann Baumgarten zu Strassburg und Prof. Georg von Wyss zu
Zürich gestorben.
l) A. v. Humboldt et Ph. A. Stapfer in der Denkschrift d. hist. und anti-
quar. Ges. Basel zum Bundesjubiläum 1891, S. 135 ff. — Briefe von J. G. Zim-
mermann u. s. w. an Stapfer im Archiv d. histor. Vereins des Kantons Bern 13,
63 ff. —Briefe von Stapfer in der Argovia 22, 3 ff. Nachträge zum Briefwechsel
St. mitüsteri 181 1 — 1830 in Auszügen im Anzeiger f. Schweiz. Geschichte 6, 458 ff.;
Lettres inedites de Bonstetten ä St. par M. Th. (iodet in Bibliotheque univer-
selle et Revue Suise III. per. GO. vol. 1393.
704 Literatur.
Seit der letzten Plenarversammlung sind folgende Publikationen durch
die Kommission erfolgt:
1. Allgemeine deutsche Biographie. Bd. XXXVI und Lieferung 1 des
Bd. XXXVII.
2. Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe. Bd. I: Die Reichstags-
akten unter Kaiser Karl V. I. Bd.
3. Die Recesse und andere Akten der Hansetage von 1256 — 1430.
Bd. VII.
4. Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich IV. und Hein-
rich V. Bd. IL
Die Hanserecesse gehen ihrer Vollendung entgegen. Der Heraus-
geber Dr. Koppmann, Archivar der Stadt Rostock, vorübergehend durch
Krankheit und andere Arbeiten gehindert, wird binnen kurzem die Arbeit
an dem 8. Band wieder aufnehmen.
Die Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich IV. und
V. werden von Prof. Meyer von Knonau fortgesetzt. Dr. Uhlirz arbeitet
fortdauernd an den Jahrbüchern unter Otto IL und III. Prof. Winkel-
mann ist, nachdem er 1889 den 1. Band der Jahrbücher unter Fried-
rich IL hatte erscheinen lassen, theils durch Krankheit, theils durch die
Verzögerung im Fortgang der Böhmer-Ficker'schen Reichsregesten an der
Fortsetzung des Werks gehindert worden. Jetzt aber, nachdem er die
Regestenarbeit durchgeführt hat, gedenkt er mit aller Kraft wieder an die
Geschichte Friedrichs H. zu gehen.
Von der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland
sind nur wenige Bände noch im Rückstand. Zunächst ist die Geschichte
der Geologie von Professor v. Zittel zu erwarten. Die Geschichte der
Physik liegt in den Händen des Prof. Karsten, der, von langer und
schwerer Krankheit genesen, von neuem mit Eifer dieser Aufgabe sich
widmet. Die Vollendung der Geschichte der Rechtswissenschaften von Prof.
Landsberg steht über einige Jahre in Aussicht.
Von der Allgemeinen deutschenBiographie sollen im näch-
sten Etatsjahr ausser den noch fehlenden Lieferungen des 37. Bandes zwei
weitere Bände erscheinen. Die Herausgeber, Freiherr v. Liliencron und
Geheimrath Wegele, halten ausserdem noch drei Bände und zwei Bände
Nachträge erforderlich, um das ganze Werk zum Abschluss zu bringen.
Ein Namensverzeichnis aller behandelten Personen ist in raschem Fort-
gang begriffen.
Von den Chroniken der deutschen Städte, unter Leitung des
Geheimen Raths v. Hegel, wird Bd. XXIII demnächst erscheinen. Derselbe
ist der vierte Band der Chroniken der Stadt Augsburg, bearbeitet von
Dr. Friedrich Roth, und enthält die Chronik des Clemens Sender, die im
Anschluss an die Chronik des Hektor Mülich (bis 1487) bis 1536 reicht;
daneben noch andere Fortsetzungen der Mülich'schen Chronik von Deiner,
Walther und Wilhelm Rem. Clemens Sender, Mönch zu S. Afra in Augs-
burg, ist Gegner der Reformation. Auf der entgegengesetzten Seite steht
die „ Chronica neuer Geschichten« von 1514 bis 1526, die für den nächst-
folgenden Augsburger Band bestimmt ist. — Die Herausgabe des neuen
Bandes der westfälisch-niederrheinischen Chroniken, der eine Verfassungs-
geschichte der Stadt Soest von Archivar Dr. Ilgen in Münster, chronika-
Literatur. 7 05
lische Aufzeichnungen aus Soest und Duisburg bringen wird, ist dadurch
verzögert worden, dass Dr. Ilgen noch weitere Forschungen im Stadtarchiv
von Soest und im Düsseldorfer Provinzialarchiv anstellte. Der Druck wird
im nächsten Herbst beginnen können.
Für die Keichstagsakten der älteren Serie sind die gewohnten
Arbeiten fortgesetzt worden. Es wurde vorzugsweise auf die Herstellung
des 1 0. und des 1 1 . Bandes Zeit und Mühe verwandt. So hat die Reise,
die Dr. Beckmann im vorigen Herbst nach Düsseldorf, Köln, Aachen, Lüt-
tich, Brüssel, Frankfurt, Mainz, Marburg, Giessen, Darmstadt, Würzburg,
Nürnberg machte, neben der allgemeinen Orientierung ganz besonders die
Lücken im Auge gehabt, welche frühere Reisen für die Jahre 1430 bis
1440 gelassen hatten. Die beiden Bände sollen die Zeit von 1432 bis
1437 umfassen; nur muss im 10. Band um der Romzugsfrage willen noch
in die Jahre 1426—1431 zurückgegriffen werden. Der 10. Band schliesst
mit der Kaiserkrönung Sigmunds im Mai 1433, die Verhandlung zwischen
Kaiser und Papst bis zur Rückkehr Sigmunds und der Kurfürstentag zu
Frankfurt im September 1433 wird dem 11. Band zugewiesen, der bis
1437 reichen soll. Der 10. Band, bearbeitet von Dr. Herre, kann vor-
aussichtlich im gegenwärtigen Sommei*, der 11., bearbeitet von Dr. Beck-
mann, ein Jahr später fertig gestellt werden. Aber der Herausgeber, Prof.
Quidde, glaubt die Veröffentlichung nicht beginnen zu dürfen, ehe nicht
die dem Concil gewidmeten Manuscripte der Pariser National bibliothek und
des British Museum ausgebeutet sind. Nach Ausführung beider Arbeiten
und einer Nachlese in Mailand, Venedig und Florenz, wird der 10- Band
fertig gestellt werden und im nächsten Jahre sein Druck beginnen; ein
Jahr später der des 11. Bandes.
Die Reichstagsakten der jüngeren Serie sind nach dem Tode
des Prof. v. Kluckhohn unter die Leitung des Dr. Wrede, der von An-
fang in hervorragender Weise an dem Unternehmen betheiligt gewesen ist,
gestellt worden. Ausserdem ist Dr. Bernays vollständig in den Dienst
der Reichstagsakten getreten. Vorerst hat Dr. Wrede das Register zu dem
1. Band abgefasst und im August diesen Band erscheinen lassen. Darauf
wurde die Redaktion des 2. Bandes in Angriff genommen, der die Zeit
von der Kaiserwahl bis zum Schluss des Wormser Reichstags umfassen
wird. Dr. Bernays wird in einer darstellenden Einleitung die Zeit von
der Wahl bis zum Ausschreiben des Reichstags behandeln. Darauf folgen
die Akten des Reichstags, in Gruppen geordnet nach den Verhandlungs-
gegenständen, jede Gruppe durch eine kurze Uebersicht eingeführt. Hier-
auf wird eine Präsenzliste gegeben, mit möglichst genauem Nachweis über
Ankunft und Abreise der einzelnen Fürsten. Dann folgen, chronologisch
geordnet, die Correspondenzen, namentlich die Bi-iefe der Gesandten von
Strassburg, Frankfurt, Augsburg, und des venetianischen Gesandten Con-
tarini. Die Depeschen des Nuntius Aleander werden nur in aller Kürze
Berücksichtigung finden, da sie an andern Orten veröffentlicht sind. Da-
gegen lässt sich der Wiederabdruck der grossen Reichsgesetze nicht ver-
meiden. Derselbe wird dadurch von besonderem Nutzen sein, dass die
verschiedenen Fassungen festgestellt werden sollen, welche diese Ordnun-
gen nach einander durchgemacht haben, und nachzuweisen versucht wer-
Mittheilungen, XV. 45
70ß Literatur.
den soll, was davon wörtlich aus früheren ßeichsgesetzen übernommen ist.
Bis zum Herbst wird hoffentlich der zweite Band druckfertig sein.
Die ältere Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Kor-
respondenzen erwartet ihren Abschluss und die Beendigung des Drucks
des 3. Bandes der Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir erst im J. 1896,
da der Herausgeber, Prof. v. Bezold, durch seine Wahl zum Prorektor der
Universität Erlangen verhindert war, die Vorarbeiten zu Ende zu führen.
Für die ältere Bayerische Abtheil ung der Witteisbacher
Korrespondenzen, unter Leitung des Professors Bossen, sind Dr. Brandi
und Dr. Götz fortdauernd thätig gewesen. Dr. Brandi hat seine Vorar-
beiten für den 4. Band der Beiträge zur Beichsgeschichte fortgesetzt und
mit einem vierwöchigen Aufenthalt in Wien abgeschlossen; der Druck des
4. Bandes hat begonnen. Derselbe wird die Sammlung v. Druffeis in dem
von diesem den früheren Bänden gegebenen Umfang bis Ende 1554 führen.
Für 1555 und 56 wird sich die Publikation auf Briefe und Akten zur
Geschichte der bayerischen Politik und des Heidelberger Bundes be-
schränken und damit dem Unternehmen des Dr. Götz die Hand reichen,
der für die Geschichte des Landsberger Bundes seit 1556 fortgefahren
hat, die Münchner und Nürnberger Archivalien durchzuarbeiten, und dann
die Archive von Augsburg, Innsbruck, Wien zu besuchen gedenkt.
Die j ünger eB ay er i seh -Pfälzische Abtheilung der Witt els-
bacher Korrespondenzen, die Briefe und Akten zur Ge-
schichte des 30jährigen Kriegs, unter Leitung des Prof. Stieve,
verdankt dem Aufenthalt des Dr. Mayr-Deisinger in Simancas vom April
bis September 1893 die schönsten Ergebnisse. Das von ihm gewonnene
Material gewährt bedeutsame Auskunft über die deutschen Verhältnisse
und Persönlichkeiten der Zeit, höchst überraschende Aufschlüsse über die
spanische Politik in deutschen Angelegenheiten, und stellt die handelnden
Staatsmänner auf spanischer Seite, die Gesandten, vor allen den einfluss-
reichen und geistig hervorragenden Baltasar de Züniga, dann den Erzher-
zog Albrecht, Begenten der Niederlande, und den Bischof Philipp Christoph
von Speier in das volle Licht der Geschichte: ein um so höher anzu-
schlagender Gewinn, je deutlicher die Forschung jenes Gelehrten, der früher
Gelegenheit gehabt hat, dieselben Simancas-Papiere zu benutzen, sich als
leichtfertig und irreführend herausstellt. Der Frühling 1894 brachte eine
andere höchst erfreuliche Gabe durch die Güte des Landhofmeisters von
Preussen, Burggrafen Richard Friedrich zu Dohna-Schlobitten, der die Pa-
piere seines Familienarchivs mit hochherzigem Vertrauen in die Hände der
Kommission gelegt hat. Die Kommission ist diesem Gönner zu lebhaftem
und ehrerbietigem Dank verpflichtet. Aus der umfangreichen Korrespon-
denz der fünf damals lebenden Brüder Dohna empfangen die ersten Jahr-
zehnte des 17. Jahrhunderts an vielen Stellen willkommene Aufschlüsse
und eine energische Beleuchtung.
Der Druck des 6. Bandes der »Briefe und Akten«, der den Anfang
der Jahre 1608 — 1610 enthält, die der Herausgeber, Prof. Stieve, selbst
zu besorgen übernommen hat, sollte schon im Jahre 1893 begonnen wer-
den, ist aber durch die unerwartete Auffindung der lange vergebens ge-
suchten bayerischen Akten zum Jülicher Erbstreit und ihre Verarbeitung
verzögert worden. Er hat im Februar 1894 begonnen und wird seitdem
Literatur. 707
rasch gefördert. Die Masse der Stoffe machte es nothwendig, die für den
österreichischen Hausstreit gesammelten Papiere auszuscheiden. Auch nach
dieser Erleichterung werden zwei Bände nicht genügen, sondern Band VI,
VII und VIII den Jahren 1608 — 1610 gewidmet werden. Der Heraus-
geber hofft im kommenden Etatsjahr den 6. Band und den Anfang des 7.
gedruckt vorlegen zu können.
Die übrige Zeit haben die Mitarbeiter -des Prof. Stieve, Dr. Chroust
und Dr. Mayr-Deisinger, auf die Portsetzung ihrer gewohnten Arbeiten,
der erste für die Jahre 1611 — 1618, der andere für die Jahre 1618 bis
1620 verwandt. Dr. Chroust hat zunächst für die Jahre 1611 — 1613 die
bayerischen, Kurpfälzer und Pfalz-Neuburger und die von Berlin mitge-
theilten Ansbacher Akten bearbeitet. Er wird demnächst nach Wien gehen.
Dr. Mayr hat die Bearbeitung der bayerischen und Kurpfälzer Akten des
Münchner Staatsarchivs fortgesetzt. Prof. Stieve hat die Archive zu Coblenz,
Düsseldorf, Dresden besucht und dort die Akten aufgezeichnet, deren Mit-
theilung seiner Zeit erbeten werden soll.
Zur Literatur über deutsches Städtewesen.
Herr Dr. Uhlirz widmet in seinem in dieser Zeitschrift S. 488 ff. er-
schienenen Aufsatze : » Neuere Literatur über deutsches Städtewesen « auch
meinen Arbeiten eine eingehende Besprechung. Ich spreche ihm für seine
Erörterungen, die mir ausserordentlich werthvoll sind, meinen aufrichtigen
Dank aus. Es sei mir jedoch gestattet, gegen eine einzelne Behauptung
an dieser Stelle etwas einzuwenden. U. meint nämlich, dass ich manches
als »herrschende Ansicht" bezeichnet habe, was diese Bedeutung nicht ge-
habt habe, und belegt diese Aeusserung u. a. mit folgenden Sätzen: »Be-
stand denn wirklich nach Heuslers Buch eine solche Herrschaft der hof-
rechtlichen Theorie? Haben nicht schon Waitz und Hegel in vielem den
rechten Weg gewiesen?*
Ich gebe den letzteren Satz bereitwilligst zu. Ich habe eben das-
selbe von Waitz und namentlich von Hegel ja auch früher ausdrücklich
betont. Aber ich behaupte: die von Hegel an der hofrechtlichen (von
Nitzsch formulierten) Theorie geübte energische Kritik war vor dem Er-
scheinen meiner Aufsätze zu sehr in Vergessenheit gerathen. Und zwar
ist derjenige, der dies hauptsächlich verursacht hat, — Heusler gewesen,
welcher (»Ursprung der deutschen Stadtverfassung« S. 6) über Hegel das
völlig unmotivierte, aber leider keineswegs wirkungslos gebliebene Urtheil
fällt: »dass H. vielfach als Autorität für deutsche Städtegeschichte gilt,
dafür vermag ich schlechterdings keine Erklärung zu finden«, und insbe-
sondere auch über jene Hegel'sche Kritik sich absprechend äussert, da-
gegen die Verdienste von Nitzsch sehr erhebt. Nach Heusler hat dann
vor allem Schmoller durch seine Rede »Strassburgs Blüte und die volks-
wirthschaftliche Revolution im 13. Jahrhundert« einen förmlichen Nitzsch-
kultus eröffnet und dabei besonders die Bedeutung des Hofrechts hervor-
gehoben. So ist es gekommen, dass der richtige Weg verlassen wurde
und dagegen die hofrechtliche Theorie von Nitzsch die Herrschaft erlangte.
Als Beleg führe ich an (andere Belege s. in Quidde's Ztschr. 5, S. 150 ff.
45*
708 Literatur.
und Gott. Gel. Anz. 1891, S. 758 ff.), dass Lamprecht in den preuss.
Jahrbüchern 49, S. 496 (wiederabgedruckt in seinen Skizzen zur rhein.
Gesch.) mit Ausnahme von Köln (für welche Stadt Hegel die Ansicht von
Nitzsch widerlegt hatte) »in den übrigen* Städten »nur homogene Be-
völkerungen von hofhörigen Leuten« bestehen Hess und über die Bedeu-
tung der Ministerialen ebenso urtheilte wie Nitzsch und Schmoller. Dabei
will ich noch nicht einmal darauf Werth legen, dass selbst nach Hegel
das Hofrecht noch immerhin eine grössere Rolle in den Städten gespielt
hat, als ich zugegeben habe und zugeben kann. Ganz besonders aber be-
hauptete die hofrechtliche Theorie die »Herrschaft« in Bezug auf die Er-
klärung der Entstehung des Handwerkerstandes. In irgend einer Form
hat vor mir jeder, der sich über diese Frage äusserte, die Theorie von
dem allmählichen Aufsteigen der städtischen Handwerker aus der Hörig-
keit zur Freiheit vorgetragen. Und gerade gegen diese Theorie habe ich
mich in dem betr. Aufsatze gewandt, sie als »herrschend« bezeichnet. Ich
glaube, wenn irgendwo, so war es hier berechtigt, von einer »herrschen-
den« Theorie zu sprechen. G. v. Below.
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schaftliche Darstellung einerseits, der relativ hohe Preis der Bücher
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Bücherfreund als geeignet erscheinen, obwohl sich das Interesse an diesen
Fächern gewiss nicht auch in breiteren Schichten läugnen lässt. Gerade
diesem heute allgemein anerkannten Bedürfnisse soll die „Illustrierte Biblio-
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Von Dr. Heinrich Otto.
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Zur Benachrichtigung der Abonnenten der „Mitth. d. Inst,
f. österr. Gesch.-Forschung !"
Soeben ist erschienen
das 3. Heft des 111. Ergänzungsbandes
der
Mittheilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung.
Mit diesem Hefte ist der III. Ergänzungsband abgeschlossen.
Inhalt des 3. Heftes:
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Sickel. — Die Zuverlässigkeit der rechtsgeschichtlichen Angaben der Hrafn-
kelssaga von Otto Opet. — Die Grafschaft des Hegaus von G. Tumbült.
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