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Full text of "Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung"

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MITTHEILÜNGEN  DES  INSTITUTS 


FÜR 


OESTEEEEICHISCHE 


GESCHICHTSFORSCHUNG. 


UNTER  MITWIEKUNG   VON 


OSWALD  REDLICH  unü  FRANZ  WICKHOFP 


REUiaiKT    VOM 


E.  MÜHLBACHEK. 


XX.  BAND. 


INNSBRUCK. 

VERLAG  DER  WAGNER'SCHEN  UNIVERSITÄTS-BUCHHANBLÜNG. 
1899. 


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DRUCK  DEK  WAGNERISCHEN  UNIV.-BüCaDKüCKEREI  IN  INNSBRUCK. 


Inhalt  des  XX.  Bandes. 


Seite 
Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.     Eine  rechtsgeschichtliche  Erörterung. 

Von  WilhelmSickel 1 

Beiträge  zu  Böhmens  Geschichte  und  Geschichtsquellen.  Von  A.  B  a  c h  m  an  n  39 
Ein   unbeachtetes    Register   König  Iriedrichs  IV.    (III.)    1440 — 1442.     Von 

JohannLechner         .         .         .                  .         .         .         .         .         .  52 

Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum«.     Von  Arthur  Levinson         .  69 

Die  Fuldaer  Piivilegienfrage.     Von  M.  Tan  gl 193 

Henricus  Italiens  und  Henricus  de  Isernia.     Von  J.  Novak                .         .  253 

Urkundenstudien  eines  Germanisten.  Von  EdwardSchröder  .  .  361 
Die  Königskrönung  Wratislavs  von  Böhmen   und    die  angebliche  Mainzer 

Synode  des  Jahres  1086.  Von  H.  Spangenberg  .  .  .  .  382 
Die    europäischen    Mächte    in    der    Beurtheilung    Friedrichs    des    Grossen 

1746—1757.     Von  FerdinandWagner 397 

Zur    Geschichte    der    polnischen    Frage    1814    und    1815.     Von    August 

Fournier.         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .  444 

Bobbio,  Veleia,  Bardi.     Topographisch-historische  Excurse.     Von   Julius 

Jung        .         .         .         .         .         .         .         .         .  .         .         .521 

Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.    Von  Victor  Thiel  567 

Einige  Relationen  über  die  Armada  1588.     Von  BrunoStübel      .         .  619 

Kleine  Mittheilungen: 

Zur    Lebensgeschichte    Johann's    von    Gelnhausen,     Registrators    der 

Kanzlei  Kaiser  Karl's  IV.     Von  Ferd.  Tadra     .         .         .  100 

Das  religiöse  Testament  K.  Ferdinands  I.     Von  F.  Mencik       .         .  105 
Die    Einfühnmg    des    Gregorianischen    Kalenders    in    Salzburg.      Von 

Andr.  Mudrich 107 

Der  üngarntribut  unter  Heinrich  I.     Von  G.  Caro      .         .         .         .  27b' 

Der  Friczentag.     Von  M.  Vancsa 282 

Zu  dem  Poststundenpass  von  1500.     Von  Aloys  Schulte                  .  284 
Das  angebliche  Gebet  Gustaf  Adolfs  bei  seiner  Landung  auf  deutschem 

Boden  26.  Juni  1630.     Von  Dr.  Bruno  Stiibel         .         .         .  476 

Zwei  unbekannte  Arbeiten  des  Georg  Hoefnagel.    Von  H.  J.  H  e  r  m  a  n  u  480 


IV 

Seite 
Eine    unbekannte    Urkunde    für    das    Kloster    Waldhausen.     Von    B. 

Hammer  1       .         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .       631 

Kaiser  Maximiliau's  11.  Erklärung  vom  18.  August  1568  über  die  Er- 

tlieilung  der  Religions-Concession.     Von  Victor  Bibl        .         .       635 

Jiiteratur  und  Notizen: 

Adalbert  hl.,  Zur  Geschichte  des  (R.  F.  Kaindl)  641.  —  Beiträge 
zur  alten  Geschichte  und  Geographie,  Festschrift  zu  Ehren  von 
Heinrich  Kiepert  178.  —  Biermann  Geschichte  des  Protestantismus 
in  Oesterreich-Schlesien  (B.  Bretholz)  136.  —  Böhmen,  Mähren 
und  Oesterreichisch-Schlesien,  Die  historische  periodische  Literatur 
von  (B.  Bretholz)  147.  506.  —  Boye  ün  roi  de  Pologne  et  la 
couronne  ducalle  de  Lorraine  (W.  I^ippert)  678.  —  Brandenburg 
Moritz  von  Sachsen.  L  Bis  zur  Witteuberger  Capitulation  (H. 
Kretschmayr)  674.  —  Cartellieri  Ein  Donaueschinger  Briefsteller 
358.  —  Collection  de  textes  pour  servir  ä  l'etude  et  ä  1' enseig- 
nement  de  l'histoire  (A.  Cartellieri)  301.  —  Dalton  Lasciana  nebst 
den  ältesten  evang.  Synodalprotokollen  Polens  1555—1561  (Bei- 
iräge  zur  Geschichte  der  evangelischen  Kirche  in  Russland  III) 
(J.  Bidlo)  342.  —  Ehses  Festschrift  zum  elf  hundertjährigen  Jubi- 
läum des  deutschen  Campo  Santo  in  Rom  178.  —  Erben  Qiiellen 
zur  Geschichte  des  Stiftes  und  der  Herrschaft  Mattsee  (S.  Herz- 
berg-Fränkel)  492.  —  Festgaben  zu  Ehren  Max  Büdingers  177.  — 
Ficker  Untersuchungen  zur  Erbenfolge  der  ostgermanischon  Rechte 
Bd.  3  Abth.  2  (0.  Opet)  288.  —  Ders.  Bd.  4  Abth.  1  (0.  Opet)  484. 
Fischer  Der  Erbschaftsvergleich  Kaiser  Rudolf  IL  520.  —  Fried- 
jung Der  Kampf  um  die  Vorherrschaft  in  Deutschland  1859  bis 
1866  (v.  Zwiedineck)  142.  —  Glagau  Die  französische  Legislative 
und  der  Ursprung  der  Revolutionskriege  (H.  Schütter)  346.  — 
GoU  Cechy  a  Prusy  ve  stfedoveku  (B.  Bretholz)  331.  —  Günther 
Der  Feldzug  der  Division  Lecourbe  im  Schweizerischen  Hochgebirge 
(0.  Criste)  352.  —  Güterbock  Der  Friede  von  Montebello  und  die 
Weiterentwicklung  des  Lombardenbundes  359.  —  Hammer  Die 
Bauten  Herzog  Siegmunds  des  Münzreichen  von  Tirol  692.  —  Ders. 
Literarische  Beziehungen  und  musikalisches  Leben  des  Hofes  Herzog 
Siegmunds  von  Tirol  692.  —  Hartmann  Iter  Tridentinum  519.  — 
Hoplen  Maximilian  IL  und  der  Reformkatholizismus  (Steinherz)  335. 
—  Inania-Sternegg  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte  Bd.  III  Th.  1 
(K.  Schalk)  663.  —  Katalog  der  Bibliotheks-Abtheilung  des  k.  u.  k. 
Kriegsarchives  (J.  Donabaum)  356.  —  Kauftnann  Die  Geschichte 
der  deutschen  Universitäten  2.  Bd.  (R.  Thommen)  329.  —  Kehr 
Ausgabe  der  Papsturkunden  bis  Innocenz  III.  357.  —  Kupelwieser 
Die  Kämpfe  Oesterreichs  mit  den  Osmanen  vom  Jahre  1526  bis 
1537.  689.  —  Lange  Die  Annales  Pisani  und  Bernardo  Maragone 
•  360.  —  Lenel  Die  Entstehung  der  Vorherrschaft  Venedigs  an  der 
Adria  359.  —  Lentner  1.  Die  Stadt  Bozen  in  Feindeshand. 
2.  Die  Franzosen  in  Brixen.  3.  Die  Weibei*wacht  zu  Villanders. 
4.  Der  Separatfriede  von  Sähen  520.   —  Lippert   Socialgeschichte 


Böhmens  in  vorhussi tischer  Zeit  2.  Bd.  (B.  Bretholz)  663.  —  Maire 
Manuel  pratique  du  bibliothecaire  (J.  Donabaum)  355.  —  Mayer 
Die  französisch-spanische  Allianz  in  den  Jahren  1796 — 1807. 
1.  und  2.'Theil  (Schütter)  350.  —  Michael  Geschichte  des  deutschen 
Volkes  seit  dem  dreizehnten  Jahrhundert  bis  zum  Ausgang  des  Mittel- 
allers  1.  Bd.  (0.  Redlich)  313.  —  Millenniumsfeier  zu  Ehren  des 
Paulus  Diaconus  518.  —  Mittelschulprogramme  österreichische  für 
1898  (S.  M.  Prem)  497.  —  Müller  Die  Gefangenschaft  des  Johann 
Augusta  und  seines  Diakons  Jakob  Bilek  519.  —  Müller-Mann 
Die  auswärtige  Politik  Kaiser  Ottos  II.  687.  —  Murko  Deutsche 
Einflüsse  auf  die  Anfänge  der  böhmischen  Romantik  (S.  M.  Prem) 
138.  —  Neudegger  Geheime  Raths-  und  Hofexpeditious-Reformation 
in  Oesterreich  unter  Kaiser  Mathias  690.  —  Neuwirth  Der  Bilder- 
cyklus  des  Luxemburger  Stammbaumes  aus  Karlstein  und  Der 
verlorene  Cyklus  böhmischer  Herrscherbilder  in  der  Prager  Königs- 
burg (A.  Horcicka)  494.  —  v.  Oechelhäuser  Die  Miniaturen  der 
Universitätsbibliothek  zu  Heidelberg  2.  Th.  (Riegl)  353.  —  Regesta 
episcoporum  Constantiensium  517 — 1496  (E.  v.  Ottenthai)  490. 

—  Reusens  Elements  de  Paleographie  (M.  Tangl)  661.  —  Salvemini 
La  Dignitä  Cavalleresca  nel  comune  di  Firenze.  (H.  v.  Voltelini) 
123.  —  Scherer  Uebersicht  der  Judengesetzgebung  in  Oesterreich 
vom  10.  Jahrh.  bis  auf  die  Gegenwart  688.  — •  Schlitter  Correspon- 
dance  secrete  entre  le  comte  A.  W.  Kaunitz-Rietberg,  ambassadeur 
imperial  ä  Paris,  et  le  baron  Ignaz  de  Koch,  secretaire  de  1'  im- 
peratrice  Marie-Therese  1750—1752  (W.  Lippert)  683.  —  Schneller 
Tridentinische  Urbare  aus  dem  13.  Jahrh.  mit  einer  Urkunde  aus 
Judicarien  1244—1247  (J.  Lechner)  325.  —  Schuster  Fürstbischof 
Martin  Brenner  (J.  Loserth)  124.  —  Schwerdfeger  Eine  Denkschrift  des 
Grossherzogs  ^nachmaligen  Kaisers)  Franz  Stephan  von  Lothringen- 
Toscana  aus  dem  Jahre  1742.  691.  —  de  Segur  Le  royaume  de 
la  Riie  St.  Honore.    Madam  Geoffrin  et  sa  fille  (W.  Lippert)  678. 

—  Städtewesen  deutsches,  Neuere  Literatur  über  VIII  (K  Uhlirz) 
113.  —  Starzer  Die  Verwaltung  der  innerösterreichischen  Länder 
von  1564  bis  zur  Gegenwart  690.  —  Stern  Geschichte  Europas 
seit  den  Verträgen  von  1815  bis  ziun  Frankfurter  Frieden  von 
1871  (Schlitter)  136  —  Stockhorner  von  Starein  Die  Stockhorner 
von  Starein.  Versuch  der  Darstellung  der  Geschichte  dieses  Ge- 
schlechtes (A.  Starzer)  686.  —  Susta  Zur  Geschichte  und  Kritik  der 
Urbarialaufzeichnungen  (J.  Lechner)  327.  —  Tangl  Das  Itinerar 
Herzog  Leopolds  VI.  im  J.  1217.  689.  —  Tille  Uebersicht  über  den 
Inhalt  der  kleineren  Archive  der  Rheinprovinz  179.  —  Vancsa 
Bibliographie  zur  niederösterreichischen  Landeskunde  691.  — 
Wahrmund  Die  constitutiones  curiae  Romanae  688.  —  Waldner 
Nachrichten  über  die  Musikpflege  am  Hofe  zu  Innsbruck.  I.  Unter 
K.  Maximilian  I.  von  1490—1515.  692.  —  Wiclif-  und  Husliteratur, 
Neuere  Arbeiten  zur  (J.  Loserth)  670.  —  Wolfram  und  Bonnardot 
Les  voeux  de  1'  epervier.  Kaiser  Heinrichs  VII.  Romfahrt  360,  — 
Zdekauer  La  vita  privata  dei  Senesi  nel  dugento  (H.  v.  Vol- 
telini) 123. 


VI 

Seite 

Jahresbericht  über  die  Herausgabe  der  Monumenta  Germaniae  historica  1898  180 
Neununddreissigste   Plenarversammlung    der    histor.    Kommission    bei    der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 181 

Sechzehnte  Jahresversammlung  der  Gesellschaft  für  rheinische  Geachichts- 

kunde ^^^ 

Erste  Jahi-esversammlung  der  histor.  Commission  für  Hessen  und  Waldeck  185 

Dritte  Hauptversammlung  der  königl.  Sächsischen  Commission  für  Geschichte  186 

Emil  Michael  und  seine  Antikritik  (0.  Redlich) 692 

Personalien       .         .         .         .         .         .         •         •                  •         •         •  1°^ 


Nekrologe 


189 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen. 

Eine  rechtsgeschiclitliche  Erörterung. 

Von 

Wilhelm   Sickel. 


Eine  staatsrechtliche  Betrachtung  der  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen 
wendet  sich  einer  Seite  des  Ereignisses  zu,  welche  von  geringerer 
Wichtigkeit  ist  als  die  Ursachen  und  die  Wirkungen,  allein  bei  einer 
Wahl,  die  alle  anderen  an  historischer  Bedeutung  übertrifft,  ist  auch 
das  Rechtsgeschäft  für  sich  einer  besouderen  Erwägung  werth.  üeber- 
dies  bietet  dasselbe  wohl  noch  ein  weiteres  Interesse.  Es  dürfte  die 
Sicherheit  in  der  Behandlung  der  Gesammteutwicklung  erleichtert 
werden,  wenn  es  gelingt  das  rechtliche  Wesen  jenes  Vorgangs  zu 
bestimmen.  Der  ursprüngliche  Rechtsgedanke,  der  Wille,  welchen  wir 
dem  Thun  und  Lassen  der  einzelnen  an  dieser  Handlung  betheiligten 
Personen  auf  ihrem  damaligen  Standpunkt  anzuweisen  haben,  wird 
schwerlich  ohne  Rückwirkung  auf  die  Erkenutniss  der  Vorbereitungen 
und  der  Ergebnisse  bleiben  und  vielleicht  das  eine  oder  andere  trüge- 
rische Gebilde  von  diesem  Tummelplatz  der  Hirngespinste  verscheuchen. 

Die  richtige  Feststellung  des  Gegenstandes,  dem  Karls  Kaiser- 
krönung gegolten  hat,  ist  die  erste  Voraussetzung  für  ein  zutreffendes 
ürtheil. 

Es  ist  die  Meinung  vertreten,  dass  dem  Fürsten  die  Benennung 
Imperator  aber  mit  ihr  kein  Recht  zukommen  sollte.  Der  König  der 
Franken  und  der  Langobarden  und  der  Patricius  der  Römer  habe  kein 
neues  Land  und  für  sein  bisheriges  Herrschaftsgebiet  keine  neue  Gewalt 
erhalten.  Nur  eine  Aenderung  sei  erfolgt  und  diese  habe  in  einem 
neuen  Titel    bestanden;    Karl    habe    von    einem    römischen  Imperator 


Mittheilungen  XX. 


1 


2  Wilhelm  Sickel. 

nichts  als  den  Namen  gehabt  i).  Der  kaiserliche  Name,  welchem  bis 
auf  diese  Zeit  der  Besitz  der  kaiserlichen  Gewalt  entsprochen  hatte, 
würde  zur  Einführung  einer  Titulatur  benutzt  wordeu  sein,  die  Karl, 
wenn  er  gewollt  hätte,  sich  auch  selber  habe  geben  können  2).  Ob  er 
die  an  keinen  Staat  gebundene  und  beliebiger  Vervielfältigung  fähige 
Auszeichnung  nur  für  seine  Person  empfing  oder  ob  auch  seine 
Erben  oder  spätere  Beherrscher  seiner  Länder  sie  bekommen  sollten, 
sagen  die  Anhänger  des  Imperatortitels  gewöhnlich  nicht. 

Diese  Schriftsteller  trauen  der  Zeit  eine  grosse  Selbständigkeit  zu, 
eine  Unabhängigkeit  von  der  Geschichte,  welche  noch  niemals  einen 
derartigen  titularen  Imperator   gesehen   hatte  3).     Wenn  der  Occident, 


1)  Maimbourg,  Decadence  de  1' empire  apres  Charlemagne.  ed.  1686  S.  10. 
Le  Cointe,  Annales  eccles.  Franc.  VI,  1676,  S.  734.  741.  Öpittler,  Werke  IX,  1836, 
S.  199.  Luden,  Gesch.  V,  1830,  S.  5.  6.  La  Farina,  Storia  d'  Italia  II,  1846,  S.  48. 
Vgl.  K.  Hase,  KG.  §  143,  Vorlesiangen  §  82.  Dieser  Ansicht  nähern  sich  auch  die 
Schriftsteller,  welche  einem  Fürsten,  der  die  Macht  eines  Imperators  habe  und  den 
Beruf  eines  Imperators  erfülle,  einen  passenden  Titel  geben  lassen.  —  Nicht 
zugänglich  waren  mir  Guyon,  Etablissement  de  1' empire  d' Occident  1752  und 
Hery,  Couronnement  des  empereurs  par  les  papes  1853. 

2)  Hauck,  Kirchengesch.  Deutschlands  II,  1890,  S.  101  vgl.  11,  105.  III,  230. 
Karl  hat  auch  nicht  bewiesen,  wie  er  über  seine  Krönung  durch  Leo  dachte, 
als  er  seinen  Sohn  sich  selbst  krönen  Hess  (so  Hauck  II,  103).  Denn  er  hat  ihn 
als  Imperator  gekrönt,  kraft  des  erworbenen  Kaiserrechts;  gegen  die  Selbst- 
krönuug  Ludwigs  s.  Waitz  III,  260,  1.  Ranke,  Weltgesch.  Vb,  241.  Nach  Härtens 
(unten)  52  ist  die  Entscheidung  unsicher;  Brunner,  Rechtsgesch.  II,  89,  26  hält 
sich  an  Thegan.  Die  Zustimmung  des  Reichstags,  für  deren  Anwendbarkeit  Dahn, 
Urgesch  III,  1083,  Deutsche  Gesch.  II,  358.  359,  Könige  der  Germanen  VIII«,  59 
eintritt,  geht  von  der  Annahme  der  Schöpfung  eines  neuen  Imperiums  aus. 
Endlich  hat  Härtens,  Die  neuesten  Controversen  über  die  Römische  Frage  unter 
Pippin  und  Karl  1898  S.  45  zuletzt  die  Vermuthung  wiederholt,  Karl  habe  sich 
nach  fränkischem  Herkommen  als  Kaiser  krönen  wollen,  als  ob  eine  etwaige- 
formähnliche  Handlung  in  der  Erbmonarchie  für  die  Erwerbung  eines  fremden 
Imperiums  dienlich  sein  könne.  Kommt  es  doch  nicht  auf  die  Form  der  Hand- 
lung sondern  auf  den  Rechtsgrund  oder  hier  auch  auf  den  Zweck  der  Handlung  an. 

3)  Die  Behauptung  z.  B.  von  Spanheim,  De  collatione  imperii  in  Carolum 
§  8,  Opera  II  (1703)  Sp.  563  f.,  dass  Könige  des  Occidents  vor  800  Imperatoren 
hiessen,  hat  Leroux,  Revue  histor.  XLIX,  245  ohne  besseren  Beweis  erneuert. 
Sein  Gewährsmann  Wailly,  Paleographie  (1838)  I,  348.  II,  65  lässt  ihn  mit  dem 
Siegel  Pipinus  imperator  im  Stich.  Denn  das  einzige  Siegel  Pippins  (Th.  Sickel, 
Acta  Karol.  I,  349.  Mühlbacher,  Regesten  Nr.  7.)  ist  ohne  Umschrift,  Mühl- 
bacher a.  0.  LXXXII.  Dass  Karl  vor  800  Imperator  genannt  sei  oder  sich 
genannt  habe,  hat  Wailly  a.  0.  I,  270  gleichfalls  nicht  dargethan,  vgl.  Waitz 
III,  188,  2.  Für  ein  Königreich  kann  freilich  Imperium  gesagt  werden,  und  diese 
Bezeichnung  hat  z.  B.  Alcuin  von  Karls  Herrschaft  schon  798—800  gebraucht, 
Mon.    Germ.,    Epist.    IV,    241,    23.    292,    26.    310,    31.    331,   7.  336,    21.    26,   vgl. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  o 

der  bereits  ein  kirchliches  Gemeinwesen  bildete  und  dessen  politisches 
Selbstbewusstseiü  sich  iu  Karl  verkörperte,  einen  Imperator  für  sich 
haben  wollte,  um  hinter  dem  Orient  nicht  zurückzustehen,  so  würde 
nur  ein  Kaiser  von  gleicher  Art  wie  der  iu  Constantinopel  einen 
solchen  Dienst  haben  leisten  können.  Dass  Karl  als  auswärtio-er 
Honorar-Imperator  sich  Regenten  des  römischen  Reiches  nannte  und 
die  byzantinische  Regierung  argwöhnte,  er  ti-achte  nach  der  Allein- 
herrschaft; dass  er  seine  Bezeichnung  Patricius,  die  doch  kein  Titel 
war  sondern  eine  Herrschaft  bedeutete,  nachdem  er  Imperator  ge- 
worden war,  nicht  mehr  für  angemessen  hielt;  dass  er  als  titularer 
Kaiser,  indem  er  seine  königlichen  ünterthanen  einen  neuen  Unter- 
thaneneid  für  den  Imperator  schwören  Hess,  etwas  anderes  dachte, 
als  dass  sein  Imperium  das  sei,  was  es  bisher  immer  gewesen  war, 
dass  es  ein  Staat  sei,  diese  und  andere  Thatsachen  müssten  aus  einer 
Benennung,  welche  die  Staatsverfassung  nichts  anging  sondern  nur 
Ehre  und  äusseres  Ansehen  brachte,  erklärt  werden  können.  Nach 
einem  Rechte,  kraft  dessen  Rom  dieses  eine  Mal  eine  solche  Ransf- 
erhöhung  verliehen  hätte,  darf  man  ebenso  wenig  fragen  als  nach  der 
ßefugniss  eines  fremden  Monarchen,  den  Namen,  welchen  allein  der 
Beherrscher  des  Römerstaates  trug,  aus  eigener  Macht  zu  nehmen  oder 
von  Unberechtigten  sich  geben  zu  lassen. 

Eine  andere  Auffassung  erblickt  in  dem  Werke  einen  doppelten 
Act,  die  Schaffung  eines  neuen  Imperiums  und  die  Kreirung  seines 
ersten  Imperators.  Hier  ist  es  ein  sachlicher  Zweck,  auf  den  die 
Handlung  geht;  die  Handlung  selbst  ist  von  einziger  Art. 

Eine  neue  Schöpfung  würde  die  Errichtung  eines  Westreichs  auch 
in  dem  Falle  sein,  dass  das  antike  occidentalische  Imperium,  als  dessen 
Fortsetzung  die  italischen  Ostgothen  ihren  Staat  betrachtet  hatten  i), 
die  Voraussetzung  oder  eine  der  Voraussetzungen  für  den  Entschluss 
ausgemacht  hätte.  Diese  Vergangenheit,  die  mehr  oder  weniger  deut- 
liche Erinnerung  an  eine  Zeit,  in  welcher  das  römische  Reich  sieh 
weiter  nach  Westen  erstreckte  als  im  J.  800,  würde  ein  Beweggrund 
aber  nicht  der  Rechtsgrund  für  Karls  Kaiserwahl  sein.  Wenn  in  der 
That  der  Zustand  im  J.  476,  in  welchem  nicht  das  römische  Reich 
im  Westen  sondern  ein  besonderer  Kaiser  im  Westen  aufgehört  hatte, 
wieder  hergestellt  werden  sollte,    so  müsste  die  Absicht  nicht  die  ge- 


Mommsen  zu  seinem  Jordanes  S.  190  und  Cassiodor  S.  548  f.,  aber  der  Besitzer 
eines    solchen    imperium    hat    nicht    den   Xamen    Imperator    erhalten    oder    ge- 
nommen.   Vgl.  de  la  Borderie,  Bibl.  de  l'ec.  des  chartes  V,  5  S.  263—266.  413. 
1)  Mommsen,  Neues  Archiv  für  Geschichtskunde  XVI,  60. 

1* 


^  Wilhelm  Sickel. 

wesen  sein  ein  Reich  für  sich,  ein  jedes  Recht  des  östlichen  Kaisers 
ausschliessendes  Imperium  zu  schaffen,  sondern  die,  das  Gesammtreich 
in  der  Weise  zu  vergrössern,  dass  dem  Kaiser  de»  Occideuts  eine  Ver- 
waltung mit  rechtlicher  Selbständigkeit  aber  ohne  Aufhebung  der 
Reichseinheit  zuertheilt  würde.  Waren  die  Betheiligteu  hingegen  ge- 
sonnen neben  dem  östlichen  Imperium  ein  eigenes  Reich  im  Abend- 
lande zu  begründen,  so  würden  sie  die  Idee  des  einen  untheilbaren 
römischen  Reichs  bereits  im  J.  800  aufgegeben  und  ein  Kaiserreich 
ohne  Beziehung  zu  dem  bestehenden  für  durchführbar  gehalten  haben. 
Dieses  occidentalische  Imperium  würde  nicht  eine  „Wiedergeburt" 
sein,  durch  welche  das  occidentalische  Römerreich  auflebte,  sondern 
ein  neues  Reich,  welches  seine  Gründer  vermittelst  einer  politischen 
Idee  mit  dem  alten  in  Verbindung  setzten,  ohne  doch  das  jüngere 
Imperium  zu  einem  rechtlichen  Abkömmling  des  antiken  zu  machen. 
Einen  Anhalt  für  diese  Behauptung  hat  eine  Legende;  Renovatio 
imperii  Rom.  geboten,  mit  der  sich  Karl  selbst  als  Erneuerer  des 
untergegangeneu  occidentalischen  Reiches  hingestellt  habe.  Die  In- 
schrift gehört  jedoch  nicht  Karl  dem  Grossen  sondern  einem  späteren 
Karolinger  dieses  Namens  an  i)  und  sollte  nicht  eine  Wiederaufrichtung 
des  antiken  Westreichs  als  Aufgabe  des  karol in gi sehen  Imperiums 
bezeichnen. 

Die  Historiker,  welche  anerkennen,  dass  der  Imperatorenname 
kein  Titel  war,  der  sich  ohne  Imperium,  ohne  Herrschaft  über  Land 
und  Leute  übertragen  Hess,  sind  über  das  Territorium  des  neuen 
Reiches  nicht  einig.  Sie  ziehen  sehr  verschiedene  Grenzen.  Sie  ge- 
währen dem  Imperium  den  Kirchenstaat  2)  oder  sie  fügen  die  beiden 
karoliugischen  Königreiche  hinzu  ^) ;  auch  die  westgothischen  und  die 
angelsächsischen  Länder  geben  sie  ihm  oder  sie  bemessen  den  Umfang 


')  Ein  Siegel  Karls  IL,  auf  den  auch  Leibniz,  Annales  800  §  12,  ed.  Pertz 
I,  212  die  Inschrift  bezog,  nach  Du  Gange  ed.  Favre  I.  774  und  Grandmaison. 
Melanges  Havet  1895  S.  117;  für  ein  Siegel  Karls  III.  Tb.  Sickel  a.  0.  I,  263, 
vgl.  Waitz  III,  198,  4.  Auf  diese  Legende  berufen  sich  z.  B.  Pagi,  Grit.  800 
Nr.  10.  Carli,  Antichitä  ital.  III,  252.  Hegewisch,  Karl  1791  S.  261.  269. 
Phillips,  Deutsche  Gesch.  II,  1834,  S.  258.  Höfler.  Kaiserthum  u.  Papstthum  1862 
S.  30.  DöUinger,  Vorträge  III,  97.  Gregorovius,  Rom  ^11,  1889.  S.  490.  Thijm. 
Karl  1868  S.  285  f.     Mombert,  Charles  1888  S.  366.    Wells  (unten  S.   12)   215  f. 

2)  Conriug  unten  S.  15,  1.  Severinus  de  Monzambano,  De  statu  imperii 
Gei-manici  1667  c.  I  §  12.    Vgl.  Pichler,  Gesch.  der  kirchl.Trennung  I,  1864,  S.  153. 

8)  Pustel  de  Coulanges.  Las  Transforraations  de  la  royaute  pendant  1'  epoque 
caroling.  1892  S.  318  beschränkt  Karls  Kaiserthum  aufsein  bisheriges  Herrschafts- 
gebiet. Dieser  Gruppe  gehören  ausser  Sugenheim,  Gesch.  des  d.  Volkes  I,  1866, 
S.  401.  405  auch  Schriftsteller  in  der  nächsten  Anm.  an. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  5 

nach  dem  des  Westreiehs  zur  Zeit  seiner  grössten,  seiner  letzten  oder 
irgend  einer  anderen  Ausdehnung  1) ;  oder  das  Eeichsgebiet  soll  der 
Occident  sein,  soweit  ihn  der  Papst  zu  einer  kirchlichen  Gemeinschaft 
vereinigte,  so  dass  der  neue  Imperator  für  den  päpstlich-römischen 
Erdkreis  bestimmt  gewesen  sei  2).  Nachdem  die  Schriftsteller  ein  Land 
für  das  Imperium  gefunden  haben,  vergessen  sie  meist,  dass  sie  ihrem 
Imperium,  wenn  es  die  Eigenschaft  des  rÖDiischen  Imperiums  d.  h.  die 
eines  Staates  haben  sollte,  auch  eine  Verfassung  geben  müssen,  oder 
ihr  Imperium  würde  nicht  einen  Staat  sondern  ein  politisches  Pro- 
gramm bedeuten,  für  welches  sie  ein  bestimmtes  Gebiet  nicht  nöthig 
hätten.  Allerdings  hätte  die  als  kaiserlich  bezeichnete  Staatsgewalt 
in  den  von  Karl  regierten  karolingischen  Besitzungen  eine  andere 
sein  können  als  ausserhalb  derselben,  die  übrigen  Staaten  hätten  fort- 
bestehen könueo,  wären  jedoch  einer  höheren  staatlichen  Gewalt 
unterstellt  worden  ^).    Dieses  weite  Bereich  soll  nicht  etwa  ein  späterer. 


')  Bünau,  Teutsche  Reicbs-Historie  II,  1732,  S.  544.  Muratori,  Annali 
d'Italia  (1744)  800  (zum  Theil  von  Ottolenghi,  Dignitä  imperiale  di  Carlomagno 
1897  S.  97  abgeschrieben).  M.  J.  Schmid,  Gesch.  der  Deutschen  III,  1783,  S.  37. 
Pütter,  Entwickelung  der  Staatsverfassung  des  Teutschen  Reichs  I,  1786,  S.  58. 
Sismondi,  Hist.  de  la  chute  de  V  empire  romain  II,  1835,  S.  142.  DöUinger, 
Kircheng.  ^I,  410.  II,  1  ;  Vorträge  I,  58.  Dönniges,  Das  deutsche  Staatsrecht  1842 
S.  2.  Lehuerou,  Hist.  des  institut.  caroling.  1843  S.  351.  357.  358.  367.  Eich- 
horn, Rechtsgesch.  P,  1843,  S.  528.  Phillips  a.  0.  II,  253.  256.  260  und  Reichs- 
und Rechtsgesch.  *  1859  S.  190.  Daniels,  Deutsche  Reichs-  und  Staatenrechts- 
gesch.  I,  1859,  S.  98.  Balbo,  II  Regno  di  Carlomagno  in  Italia  1862  S.  130. 
Laurent,  Hist.  du  droit  des  gens  « V,  1864,  S.  132.  138.  Gerard,  Hist.  des 
Francs  d'Austrasie  ^  H,  1865,  S.  194,  Glasson,  Hist.  du  droit  de  la  France  II, 
1888,  S.  406.  Freeman,  Historical  essays  1871  S.  147.  Zöpfl,  Deutsche  Rechts- 
gesch. MI,  1872,  S.  186.  Zeller,  Hist.  d'Allemagne,  Fondation  de  1' empire  1873 
S.  8.     Calamassi,  L' Italia  nelP  etä  di  mezzo  I,  1890,  S.  110. 

2)  Leo,  Gesch.  von  Italien  I,  1829,  S.  234  vgl.  231.  233.  Ficker,  Das 
deutsche  Kaiserreich  2 1862,  S.  39  vgl.  21.  25.  36.  Hergenröther,  Kirchengesch. 
"I,  1879,  S.  507  t.  vgl.  Hergenröther,  Photius  I,  1867,  S.  258.  Kurth,  Les  origines 
de  la  civil,  mod.  II,  1886,  S.  307.  Kraus,  KG.  ^1896  §  77.  Brunner,  Rechtsg.  I,  192. 
II,  93  f.  Genelin  und  Scherer  im  Staatslexicon  der  Görres-Gesellschaft  III,  1894, 
S.  461.  669.  Knöpfler,  Kirchengesch.  1895  S.  253.  E.  Michael,  Gesch.  des  deutschen 
Volkes  I,  1897,  S.  268  f.  Vgl.  auch  Giesebrecht,  Kaiserzeit  «I,  122  f.  129. 
Eicken,  Mittelalterliche  Weltanschauung  1887  S.  192  f.  Kampers,  Kaiserpro- 
phetien  1895  S.  36  und  Kaiseridee  1896  S.  48.      Dümmler  S.  8  Anm.  3. 

■•')  Vgl.  z.  B.  Leo  a.  0.  I,  234.  Phillips,  Deutsche  Gesch.  II,  260,  der  1853 
Vermischte  Schriften  II,  438  Karl  »die  Rechte,  welche  theoretisch  dem  griechi- 
schen Kaiser  über  den  Occident  zugestanden  hatten*,  zuerkennt,  vgl.  Waitz  III, 
201.  Hegel  (unten  S.  8,  2)  I,  219.  H.  Weber,  Die  Kaiseridee  1891  S.  49.  52. 
Glasson    a,    0.     Hergenröther,    Kirchengesch.,    Kurth,    Kraus,    Knöpfler,  Genelin, 


g  Wilhelm  Sickel. 

durch  den  Umschwimg  in  den  Anschauungen  und  in  den  Verhält- 
nissen selbst  gereifter  Gedanke,  sondern  der  Inhalt  der  Handlung 
am  25.  December  800  gewesen  sein. 

Wir  erfahren  von  keinem  Zeitgenossen,  dass  die  Eömer  die  Ab- 
sicht gehabt  haben  ein  neues  Reich  zu  errichten  und  zu  diesem  Zweck 
eine  Verfügung  über  auswärtige  Staaten  zu  treffen,  oder  Karl  der 
Ansicht  gewesen  sei  als  Kaiser  ausserhalb  des  römischen  Reiches  zu 
gebieten ;  dass  der  Gedanke  eines  irgendwie  begrenzten  abendländischen 
Imperiums  den  Wählern  oder  dem  Gewählten  am  25.  December  vor- 
geschwebt habe.  Auch  in  Constantinopel  wusste  man  nichts  davon, 
dass  man  in  Rom  ein  neues  Reich  für  sich  ohne  erhebliche  Verluste 
für  das  byzantinische  Reich  habe  schaffen  wollen,  man  nahm  dort 
Karl  als  einen  Mitherrscher,  von  dem  das  Erstreben  der  Alleinherr- 
schaft zu  gewärtigen  war.  Man  könnte  freilich  einräumen,  dass  an 
die  Entstehung  eines  westeuropäischen  Imperiums  ebenso  früh  wie  an 
Karls  Kaiserwahl  gedacht  worden  sei  i),  ohne  zuzugeben,  dass  beide 
mit  einander  in  das  Dasein  getreten  sind  oder  jenes  Imperium  durch 
diese  Handlung  unmittelbar  in  das  Leben  gerufen  ist.  Denn  beide 
Pläne  könnten  erst  nacheinander  und  sowohl  durch  verschiedene  Per- 
sonen als  durch  besondere  Rechtsvorgänge  verwirklicht  sein.  Das 
westliche  Imperium  wäre  in  diesem  Falle  eine  Folge,  vielleicht  eine 
beabsichtigte  Folge,  aber  nicht  ein  Bestandtheil  der  römischen  Hand- 
lung gewesen. 

Karl  hat  im  ersten  Jahre  seines  Kaiserthums  seine  Königswürde 
nicht  aufgegeben.     Er    hat   darauf  seine  Königreiche   dem   römischen 


Michael  in  voriger  Anm.  Bninner  II,  93  f.  Etwa  auch  Maassen,  Neun  Capitel 
über  freie  Kirche  1876  S.  128  vgl.  127.  129.  137.  Weber,  Wetzer  und  Weite's 
-Kirchenlexicon  VIP,  40  f.  Lancizolle,  Die  Bedeutung  der  Kaiserwürde  1856  S.  12 
verneint  »bestimmte  Rechte«.  Held,  Das  Kaiserthum  ein  Rechtsbegriff  1879 
S.  24  f.  hat  andere  Gesichtspunkte.    Vgl.  noch  Rauke,  Die  Päpste  I',  15. 

')  Vgl.  Ranke,  Weltgesch.  Vb,  189.  214.  Waitz  III,  201.  Dahn,  Deutsche 
Gesch.  II,  259.  Langen,  Gesch.  der  röm.  Kirche  von  Leo  I.  bis  Nicolaus  I.  1885 
S.  776  führt  nur  ,z.  B.«  Theophanes  472,  30.  473,  1  (ed.  de  Boor)  an,  wonach 
Rom  im  J.  800  unter  fränkische  Herrschaft  kam  und  Leo  Karl  zum  Imperator 
der  Römer  krönte,  und  ferner  Einhard,  Vita  Karoli  c  27,  dass  Karl  seine  ganze 
Regierungszeit  hindurch  die  Herstellung  der  alten  Autorität  der  Stadt  Rom 
wünschte.  Diese  Argumente  Langens  widerlegen  sich  selbst.  Hingegen  ist  erst 
im  11.  Jahrh.  geschrieben  (SS.  XV,  211  Z.  40)  Vita  Willelmi  Gell.  c.  16,  Mabillou 
IV  a,  76:  cum  rex  primo  imperii  sui  anno  Romae  moraretur  et  imperialem  ad 
primam  gloriam  restauraret  dignitatem  (801).  Dass  Karl  auf  Grund  seines 
Kaiserthums  »Italien  sammt  Sicilien  als  zum  Westreicb  gehörig  in  Anspruch 
genommen«  habe,  hat  Waitz  III,  200  ebenso  wenig  dargethan  als  lll,  640  seinen 
Anspruch  auf  eine  kaiserliche  Gewalt  über  das  Abendland. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  »r 

Imperium  eingefügt  i)  und  ohnedem  würde  sein  Imperium  nicht  lebens- 
fähig gewesen  sein,  allein  er  hat  es  auf  Grund  des  erworbenen  Kaiser- 
rechts getbau.  Die  Römer  haben  ihn  nicht  zum  Kaiser  der  Franken 
und  der  Langobarden  und  mithin  auch  nicht  zum  Imperator  der 
Könige  des  Westens  gemacht.  Der  Unabhängigkeit  der  abendländi- 
schen Staaten  ist  er  nicht  entgegengetreten;  in  dieser  Richtung  hat 
er  seine  imperiale  Gewalt  nicht  bethätigt  und  hierbei  nicht  etwa  auf 
eine  Herrschaft  verzichtet,  zu  der  ihn  Rom  ermächtigt  und  deren 
Geltendmachung  es  ihm  überlassen  hatte.  Eine  solche  Denkweise  wird 
durch  Eiuhards  Darstellung  ausgeschlossen.  Karl,  so  erzählt  sein 
Biograph,  hat  die  Freundschaft  fremder  Fürsten  und  Völker  gewonnen. 
Alonso  IL,  König  von  Gallicien  und  Asturien,  war  ihm  verbündet; 
Könige  der  Schotten  waren  ihm  ergeben ;  Harun  al  Raschid  war  mit  ihm 
so  nahe  befreundet,  dass  er  ihm  die  Grabstätte  des  Heilands  abtrat; 
auch  die  Kaiser  von  Coustantinopel  suchten  ein  Freundschaftsbündniss 
mit  ihm  nach  -).  Mit  jenen  westlichen  Fürsten  hat  er  demnach  ebenso 
wie  mit  den  östlichen  als  mit  gleichberechtigten  Monarchen  verkehrt, 
und  die  Ehrerbietung,  welche  ihm  Alouso  und  die  schottischen  Häupt- 
linge erwiesen,  ist  durch  die  Kaiserwürde  nicht  verursacht  oder  ver- 
ändert worden.  Als  Kaiser  hat  er  gemeinsam  mit  dem  Papst  einen 
vertriebenen  König  von  Northumbrien  in  seine  Herrschaft  wieder  ein- 
gesetzt, jedoch  nicht  um  eine  kaiserliche  Oberhoheit  auszuüben,  son- 
dern um  einen  gestürzten  Fürsten  für  seine  Anhänglichkeit  zu  be- 
lohnen 3).  Wenn  er  die  römische  Kirche  schützte,  eine  Kirche,  die 
nicht  nur  innerhalb  sondern  auch  ausserhalb  seines  Reiches  war,  so 
wurde    er    durch    ihre    Beschützung    noch    nicht    Herrscher   in    ihrem 


1)  Vgl.  Freeman,  Essays  145,  Chief  Periods  of  History  1886  S.  105.  108. 
109  f.  Nach  Waitz  1843,  Abhandlungen  I,  10  »ging«  Karls  Königreich  in  dem 
Imperium  .auf*,  wodurch?  Durch  die  Handlung  am  25.  December  800?  Vgl. 
Waitz  III,  204  f.  223.  ßrunner  II,  94.  Simson,  Karl  11,  352  sieht  jedoch  deut- 
lich, dass  Karls  Imperium  noch  806  mit  dem  Königreich  in  »keinem  organischen 
Zusammenhang  stand*.  Dass  Karl  seine  Reiche  niemals  als  Theil  seines  Imperiums 
betrachtet  habe,  glauben  Le  Cointe  a.  0.  VI,  735  und  Pichler  a.  0.  I,  153.  üeber 
die  Vereidigung  auf  den  Kaiser  802  Leibniz  a.  0.  800  §  22  S.  216,  Nitzsch, 
Gesch.  des  d.  Volkes  I,  1883,  S.  220.     Vgl.  Floril.  Casin.  V,  1894,  S.  44. 

^)  Einhard,  Vita  Karoli  c.  16,  auf  dessen  Darstellung  läch  z,  B.  Phillips, 
Deutsche  Gesch.  IL,  260  und  Pertile,  Storia  del  diritto  italiauo  -I,  1896,  S.  171 
stützen.  S.  dagegen  Palgrave,  The  Fase  of  the  English  commonwealth  I,  1832, 
S.  484.  Laurent  a.  0.  V,  137.  üeber  Alonso  Ann.  regni  Francorum  798, 
S.  102—105  ed.  Kurze.  Vita  Hludowici  c.  8  SS.  II,  611  und  Synode  von  Oviedo 
811?  c.  1,  Espana  sagrada  XXXVII,  295,    vgl.  Hefele,  Conciliengesch.  ^lY,  509. 

3)  Palgrave  a.  0.  I,  484  f.  Hampe,  Quidde's  Zeitschr.  f.  Geschichtswissensch. 
XI,  352—359  gegen  Bryce,  The  Holy  Roman  Empire  8  1889  S.  67. 


g  Wilhelm  Sickel. 

Machtgebiet.  Soweit  er  eine  internationale  Hegemonie  geführt  hat, 
hat  sie  nicht  auf  seinem  Kaiserthum  beruht  und  weder  eine  staatliche 
Einheit  der  römischen  Christen  erstrebt  noch  fremde  Fürsten  in  reichs- 
angehörige  abhängige  Fürsten  verwandeln  wollen.  Von  einer  im  J.  800 
erworbenen  Weltherrschaft  im  Occident,  von  einem  Anspruch  auf  staat- 
liche Herrschaft  hat  er  und  seine  Zeit  keine  Kenntniss  gehabt  ^). 

Die  Gelehrten,  welche  sich  zu  der  Ansicht  von  der  Errichtung 
eines  neuen  Imperiums  bekennen,  müssen  von  seiner  rechtlichen  Be- 
gründung gänzlich  absehen  und  die  Handlungen  Leos  III.,  der  Römer 
und  Karls  lediglich  als  politische  Machtäusserungen  auffassen :  das 
Ereigniss  am  25.  December  800  würde  nur  ein  politisches  und  nicht 
auch  ein  rechtliches  Ereigniss  sein.  Denn  dass  Karl  ehemalige  Länder 
des  Reiches  besass,  berechtigte  ihn  so  wenig  als  andere  Herren  solcher 
Gebiete,  den  Römerstaat  als  seinen  Staat  zu  beanspruchen,  und  sein 
römischer  Patriciat,  der  uoch  mehr  ins  Gewicht  fiel,  gab  ihm  kein 
besseres  Recht,  er  hatte  mit  der  Reichsordnung  nichts  zu  thun.  Dem 
kaiserlichen  Rom  stand  es  nicht  zu  eigenmächtig  aus  seinem  Staate 
auszutreten  oder  eine  imperatorische  Gewalt  über  das  Ausland  zu  er- 
theilen,  über  Territorien,  die  seit  Jahrhunderten  vom  Reiche  frei  waren, 
oder  über  Staaten,  die  bloss  zum  Theil  aus  einer  Ablösung  vom  Römer- 
reiche hervorgegangen  waren.  Rom  durfte  nicht  einmal  für  sich  allein 
einen  Imperator  creiren  und  selbst  der  Kaiser  in  Constantinopel  hatte 
die  Erde  nicht  zu  vergeben. 

Die  Vertheidiger  dieser  Ansicht  spielen  mit  dem  Worte  Recht, 
wenn  sie  in  einer  Zeit,  die  an  der  Idee  des  römischen  Reiches  fest- 
hielt, dem  mächtigsten  Manne  die  ihm  gebührende  kaiserliche  Würde 
zusprechen  2) ;  wenn  sie  das  Recht  Karls  auf  die  Macht  der  Thatsacheu 
gründen  3),    auf  die   räumliche  Grösse  seiner  Herrschaft    und    auf  die 

1)  Schon  vor  800  heisst  Karl  wegen  seiner  thatsächlichen  Wirksamkeit  Herr 
der  Welt,  z.  B.  dominus  terrae  im  Sinne  des  Alterthums  um  794,  Paulinus, 
Libellus  sacrosy Ilabus  c.  1,  Opera  ed.  Madrisius  1737  S.  1,  vgl.  Giannoni,  Pauli- 
nus II.  von  Aquileja  1896  S.  13.  97  und  Du  Gange  III,  175.  Pütter,  Specimen 
iuris  medii  aevi  1784  S.  164  fF.  caput  orbis,  Europae  venerandus  apex,  Poet, 
lat.  I,  368,  95  f.  über  den  Verfasser  Wattenbach,  « I,  176  f.  arbiter  orbis,  um  790 
Paulus  Diac,  Poet.  lat.  I,  69  =  Wiegand,  Das  Homiliarium  Karls  1897  S.  16  vgl. 
68  f.  rector  populi  christiani,  mächtiger  als  Papst  und  Kaiser;  mundo  talem 
tribuit  (Christus)  rectorem,  Alcuin  799  Ep.  174.  177,  Epist.  IV,  288,  23  f.  293, 
32  f.  lato  regnator  in  orbe,  Alcuin  800,  Carm.  XLV,  73,  Poet.  lat.  I,  259. 

2)  Hegel,  Städteverfassung  von  Italien  I,  1847,  S.  216.  218.  219. 

«)  Waitz  III,  195  f.  vgl.  188.  190.  201.  Folgerichtig  verneint  er  195  f., 
sowohl  ein  Recht  der  Römer  und  des  Papstes  als  die  Bedingtheit  durch  die 
byzantinische  Anerkennung.     Vgl.  Dümmler,  Ostfräuk.  Reich  ^i,  11. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen. 


9 


von  ihm  geübte  universale  d.  h.  über  die  Grenzen  seiner  Länder 
hinausreichende  ßethätigung  seiner  Machtfülle.  Karls  Kaiserthum  sei 
nur  die  Form  für  einen  gegebenen  Inhalt,  sein  Walten  sei  das  eines 
Kaisers  gewesen,  deshalb  sollte  seine  thatsächliche  Herrschaft  zum 
Ausdruck  dieser  Thatsächlichkeit  eine  kaiserliche  Herrschaft  heissen; 
so  sei  die  Wirklichkeit  mit  dem  Gedanken  des  römischen  Kelches  in 
Einklang  gebracht  ^).  Hier  wird  die  schaffende  Kraft  an  die  Stelle 
des  Rechts  gesetzt,  während  doch  die  Mittel  um  einen  Staat  hervor- 
zubringen nicht  das  Recht  vertreten  und  ihre  Anwendung  kein 
Rechtsact  ist.  Was  in  der  Peterskirche  am  25.  December  geschehen 
wäre,  bliebe  eine  Aeusserung  der  Macht,  eine  freie,  der  rechtlichen 
Betrachtung  entzogene  politische  Schöpfung.  Wenn  demnach  im 
J.  800  ein  neuer  Staat  errichtet  worden  ist,  so  ist  er  nicht  aus  dem 
römischen  oder  einem  anderen  Rechte  zu  erklären:  er  hat  überhaupt 
keinen  Rechtsgrund. 

Von  dieser  Anschauung  ist  auch  eine  rechtliche  Begründung  der 
Wahl  des  Kaisers  nicht  zu  verlangen.  Die,  welche  das  neue  Reich 
schufen,  standen  auf  demselben  Boden  wie  die,  welche  ihm  ein  Ober- 
haupt gaben ;  Karl  hätte  die  Reichsgewalt  ebenso  erworben,  wie  dieses 
Reich  entstanden  ist,  durch  eine  freie  That  des  Willens  und  nicht 
durch  Ausübung  eines  Rechts. 

Einige  Geschichtsforscher  nehmen  an,  dass  es  im  J.  800  um 
einen  Staat  zu  thun  war,  stellen  jedoch  in  Abrede,  dass  ein  neuer 
Staat  gegründet  werden  sollte.  Sie  erklären  die  römische  Handlung 
aus  der  Absicht  für  das  römische  Reich  wieder  in  Rom  Kaiser  zu 
creiren,  nachdem  die  Byzantiner  (in  den  Augen  der  Römer)  der  Füh- 
rung des  Reichsregiments  unwürdig  geworden  wären  2). 

Ein  solches  Urtheil  erkennt  an,  dass  jene  Menschen  am  Ausgang 
des  8.  Jahrhunderts,  die  doch  eine  gelinge  Freiheit  des  Denkens  be- 
sassen,  die  an  das  Vorhandene  gebunden  waren,  auf  dieser  ihrer  Ent- 
wicklungsstufe  an   eine    andere  Institution   als   an  das    ihnen    gegen- 


»)  Dahn,  Urgesch.  III,  1016.  1028.  1047.  1052.  1065.  1068.  1074.  1075.  1076; 
Deutsche  Gesch.  II,  355  ft. ;    Könige  VIII,  ^58  f.     Vgl.  LancizoUe    a.  0.  S.  10  f. 

2)  Grotius,  De  iure  belli  ac  pacis  II,  9,  11.  Palgrave  a.  0.  I,  492.  Pichler 
a.  0.  I,  150  f.  152.  Döllinger,  Vorträge  III,  120  ff.  138.  ßryce  a.  0.  58  f.  vgl. 
Freeman  a.  0.  105.  106.  107,  Historical  essays  1871  S.  144:  Bury,  Later  Roman 
Empire  II,  1889,  S.  507  und  Dümmler,  Karl,  Allgemeine  deutsche  Biographie 
XV,  140.  Gregorovius,  Rom  ^H,  480  f.  488  f.  kann  man  bei  seiner  an  Wider- 
spüchen  reichen  Darstellung  auch  hierfür  citiren.  Für  die  Uebertragung  auf  die 
karol.  Dynastie  Döllinger  a.  0.  III,  133.  Gregorovius,  Rom  *Il,  489,  gegen  sie 
Pichler  a.  0.  I,  154,  auch  Phillips,  Vermischte  Schriften  II,  442.  Lapötre, 
L'Europe  et  le  S.  Siege  I,  330.     Vgl.  Mühlbacher  (unten  S.  15,  2)  S.  581. 


10  Wilhelm  Sickel. 

wärtige  Imperium  nicht  gedacht  und  dasselbe  auch  nicht  für  einer  Ver- 
doppelung fähig  gehalten  haben,  aber  sie  muthet  den  Römern,  die  ja 
das  antike  Imperium  fortbestehen  lassen  wollten,  eine  Verfassungs- 
änderung zu,  welche  ihren  Beschluss  wenigstens  soweit  ausserhalb  des 
Rechts  stellen  würde.  Es  wäre  zwar  das  alte  Reich,  um  das  es  sich 
im  December  800  handelte,  aber  dieses  Reich  sollte  nicht  nur  einen 
neuen  Imperator  sondern  auch  eine  neue  Successionsordnuug  erhalten, 
eine  Nachfolge,  welche  sämmtlichen  Reichsbürgern  die  Befugniss 
Kaiser  zu  wählen  zu  Gunsten  einer  Familie  genommen  oder  das 
geltende  Wahlrecht  aller  auf  die  Römer    eingeschränkt    haben  würde. 

Ein  jeder  Kaiser  war  bisher  für  seine  Person  Kaiser  gewesen, 
auch  der  Verwandte  eines  früheren  Herrschers,  das  Mitglied  einer 
„Dynastie",  von  denen  keine  ein  allein  berechtigtes  Geschlecht  ge- 
wesen war  1).  Ein  erbliches,  ein  an  das  Haus  der  Karolinger  ge- 
bundenes Kaiserthum  hätte  die  Einführung  eines  neuen,  dem  römischen 
Gemeinwesen  fremdartigen  Rechtssatzes  bedeutet.  Wohl  setzten  die 
Römer,  indem  sie  einen  Imperator  creirten,  einen  Gewalthaber  ein, 
welcher  kraft  Kaiserrechts  Mitregenten  ernenneu  durfte;  sie  mochten, 
da  Karl  einem  an  die  Vererbung  der  Staatsgewalt  gewöhnten  Ge- 
schlechte und  Volke  entstammte,  Aenderungeu  in  der  Succession  er- 
warten und  vielleicht  ahnen,  dass  die  karoliugische  Dynastie,  welche 
keine  Individualsuccession  kannte,  zu  einer  neuen  Ordnung  der  Be- 
setzung des  Imperiums  schreiten  werde,  aber  zu  entscheiden  hatten 
sie  darüber  nicht  und  in  keinem  Falle  waren  die  Männer  des  25.  De- 
cember befugt  das  Successiousrecht  von  den  Römern  auf  die  Frauken 
zu  übertragen.  Den  Römern  hätte  auch  die  Macht  gefehlt  ein  solches 
Vorhaben  zur  That  zu  machen  und  den  Machthaberu  hat  der  Wille 
gefehlt  andere  Kaiser  uicht  zuzulassen.  Kein  Karolinger  hat  sich  als 
alleinigen  Imperator  betrachtet  und  kein  Papst  wegen  Karls  Wahl  die 
Rechtmässigkeit  der  östlicheu  Kaiser  in  Frage  gestellt. 

Vielleicht  waren  die  Römer  befugt  einen  Kaiser  zu  wählen,  allein 
sie  würden  ihre  Berechtigung  unzweifelhaft  überschritten  haben,  wenn 
sie  diese  Befugniss  hinfort  ausschliesslich  für  sich  nehmen  wollten. 
Bot  ihnen  das  Wahlkaiserthum  die  Möglichkeit  einen  Kaiser  zu  creiren, 
so  haben  sie  diese  bestehende  Ordnung,  die  sie  benutzten,  uicht  zu- 
gleich verleugnet,  Dass  sie,  indem  sie  in  der  Weise  erkoren,  wie 
vormals  oft  erkoren  worden  war,  uicht  nur  wählen  sondern  auch  ein 


')  Vopiscus,  Tacitus  6,  8.  14,  1;  Probus  10,  8.  11,  3.  Trebellius  PoUio, 
Claudius  12,  3;  vgl.  Aelius  Spartianus,  Severus  20,  4  ff.  Mommsen,  Rom.  Staats^ 
recht  3  11,  1135  f.     Seeck,  Untergang  der  autiken  Welt  -I,   11.441. 


Die  Kaiserwahl  KarlB  des  Grossen.  1 1 

neues  Wahlrecht  schaffen  wollten,  haben  sie  nicht  ausgesprochen  oder 
durch  Anzeichen  kuudgethan.  Weder  die  päpstliche  Kaiserweihe, 
deren  die  drei  nächsten  karoliugischen  Kaiser  gewürdigt  worden  sind 
noch  die  mit  Karl  IL  beginnende  Creirung  des  abendländischen  Im- 
perators durch  Rom  gehen  auf  einen  Plan  aus  dem  J.  800  zurück, 
sie  sind  durch  besondere  unvorhergesehene  Umstände  verursacht  worden. 
Das  in  St.  Peter  zur  Anwendung  gekommene  Mittel,  die  blosse  Er- 
nennung Karls  zum  Kaiser,  wäre  überdies  untauglich  gewesen  einer 
derartigen  verborgenen  Absicht  eine  Grundlage  zu  geben.  Forderte 
doch  das  Imperium  keineswegs  die  Herrschaft  eines  einzigen  Impe- 
rators, sondern  Hess  die  Zahl  der  Kaiser  frei.  Wie  noch  immer 
mehrere  Rechtsgründe  für  die  Erwerbung  der  kaiserlichen  Gewalt  sich 
in  Geltung  befanden,  so  waren  auch  mehrere  Kaiser  neben  einander 
aus  verschiedenen  oder  aus  denselben  Rechtsgründen  möglich.  Eine 
in  Rom  vorhandene  Tendenz  zu  Roms  Gunsten  die  hergebrachte  Reichs- 
verfassung aufzuheben  ist  nicht  sichtbar,  üeber  eine  Generation  lang 
hat  Niemand  einen  Zweifel  geäussert,  ob  der  abendländische  Kaiser 
vermöge  seiner  römischen  Kaisergewalt  Mitherrscher  und  Nachfolger 
bestellen  dürfe,  ohne  diejenigen  zu  Rathe  zu  ziehen,  welche  Karl  er- 
hoben hatten.  Sollte  jene  Anschauung  von  dem  Vorzug  der  Römer 
auch  dem  politischen  Denken  der  Abendländer  weniger  fern  gelegen 
haben  als  die  Ertheilung  eines  Titels  oder  die  Gründung  eines  West- 
reichs, so  würde  es  dennoch  gleichfalls  unmöglich  sein  eine  derartige 
Verfügung  über  den  Staat  und  seine  Ordnung  rechtlich  zu  begründen. 
Soweit  diese  drei  genannten  Vorstellungen  den  Rechtsact  der  Kaiser- 
wahl Karls  betreffen,  lassen  sie  sich  nur  durch  den  Nachweis  wider- 
legen, was  Karl  am  25.  December  ^00  geworden  ist. 

Die  Thatsache,  dass  vor  der  römischen  Wahl  erwogen  wurde, 
ein  Imperator  fehle  dem  Reiche,  ein  Weib  stehe  ihm  vor  i),  legt 
Zeugniss  für  den  Gedanken  ab,  dem  von  Irene  regierten  Staate  einen 
Kaiser  zu  geben,  auf  dass  dieser  Staat  nicht  länger  ohne  Imperator 
bleibe.  Es  ist  hierbei  eine  unnütze  Frage,  ob  Irene  rechtmässige 
Kaiserin  war  oder  ob  die  Römer  ihr  die  Anerkennung  versagten,  die 
sie  auch  sonst  nicht  überall  gefunden  hatte.  Die  etwaige  Reichsvacanz 
Hesse  sich  erörtern,  wenn  nur  bei  unbesetztem  Throne  eine  Wahl 
statthaft  und  nur  ein  einziger  Beherrscher  des  römischen  Reiches 
möglich  gewesen   wäre.     Da  jedoch  die  Reichsverfassung  den  Reichs- 


')  Ann.  Lauresh.  801,  SS.  I,  38,  hera.  von  Katz  1889  S.  44.  Hieraus 
Chron.  Moiss.  801  SS.  I,  305.  Vita  Willehadi  c.  5,  SS.  II,  381  (aus  ihr  Helmold 
I,  3),  vgl.  Kurze,  Neues  Archiv  für  Geschiehtskunde  XXI,  26  f. 


12  Wilhelm  Sickel. 

angehörigeu  erlaubte  Kaiser  neben  regierenden  Kaisern  zu  wählen, 
so  machte  es  für  die  Römer  keinen  Unterschied,  ob  sie  die  Legitimität 
der  Herrscherin  unangefochten  Hessen  oder  bestritten.  Denn  ein  an 
sich  nichtiger  Beschluss  wäre  durch  eine  Reichsvacanz  nicht  gültig, 
ein  an  sich  gültiger  Beschluss  wegen  des  Vorhaudenseins  eines  recht- 
mässigen Kaisers  nicht  ohne  rechtliche  Kraft  gewesen.  Die  Weiber- 
herrschaft konnte  ein  Motiv  aber  nicht  die  Voraussetzung  einer  Wahl 
bilden  i).  Oft  waren,  wenn  unfähige  oder  unwürdige  Herrscher  die 
Krone  trugen,  neue  erkoren  worden,  von  denen  die  Wähler  glaubten, 
dass  sie  mehr  für  das  Gemeinwesen  sorgen  würden.  Wie  ein  Heer 
im  J.  813  an  Leo  die  Bitte  richtete  sich  des  von  dem  regierenden 
Michael  L  verwahrlosten  Reiches  anzunehmen,  so  durften  die  Römer 
Karl  auffordern  das  Reich  der  Christenheit  zu  retten,  nicht  weil  sie 
es  für  erledigt  sondern  weil  sie  es  für  schlecht  besetzt  hielten,  um 
ein  besseres  Regiment  herbeizuführen.  Die  Beweggründe,  aus  denen 
die  Wähler  zu  dem  oft  bewährten  Mittel  griffen,  konnten  sehr  ver- 
schieden sein;  die  Truppen,  welche  Leo  V.  erhoben,  mögen  weltlicher 
gedacht  haben  als  die  Römer,  denen  wir  eine  mehr  religiöse  Stimmung 
zutrauen,  allein  der  Wahlact,  welchen  die  Wähler  dort  wie  hier  vor- 
nahmen, war  der  nämliche,  die  Creirung  eines  Lnperators  ohne  Ab- 
setzung des  Regenten.  Dem  neuen  Kaiser  mussten  seine  Wähler 
anheimstellen,  was  er  mit  dem  auf  dem  Throne  befindlichen  Manne 
oder  Weibe  thun  wolle,  ob  er  sie  stürzte  oder  neben  sich  duldete. 
Das  wussten  die  Römer  so  gut  wie  die  Byzantiner.  Die  ungewohnte 
Regierung  einer  Frau  mochte  jedoch  die  Römer  in  ihrem  Vorhaben 
bestärken.    Eine  regierende  Kaiserin  hatte  es  in  dem  römischen  Reiche 


1)  Treues  Herrschaft  nennen  DöUinger  u.  0.  III,  149  und  Harnack,  Das 
karol.  und  das  byzant.  Reich  1880  S.  41  »Rechtsgruud«  für  Karl,  wobei  Döl- 
linger  111,  110.  123  erklärt,  dass  eine  Frau  nicht  herrschen  »konnte*;  die  Aus- 
gabe von  Grotius,  De  iure  belli  ed.  Cocceji  11,  53-2,  auf  die  er  sich  hierfür  S.  HO 
stützt,  ist  mir  nicht  zugänglich;  Grotius  II,  9.  11,  2  hat  die  Regierungsunfähig- 
keit der  Frauen  nicht  bewiesen;  auch  Freeman,  Essays  1871  S.  144  und  Chief 
Periods  1886  S.  107  hat  sie  nur  behauptet.  Die  Zeugnisse  in  der  vorigen  Anm. 
sprechen  überdies  nicht  von  einer  Reichsvacanz  sondern  von  dem  Fehlen  eines 
Imperators,  von  dem  femineum  Imperium;  Honorius  von  Autun,  Summa  gloria 
c.  30,  Mon.  Germ..  Libelli  de  lite  III,  78  erklärt  nur:  Romanum  Imperium  rectore 
carebat.  Für  die  .Erledigung  des  Thrones«  führt  DöUinger  III,  149.  154 
Sigebert  SS.  VI,  336  und  Gervasius  SS.  XXVU,  378  an,  welche  erhaltene  ältere 
Quellen  ausgeschrieben  haben.  Für  die  Vacanz  sind  auch  Palgrave  a.  0.  I.  490, 
Berthelot  bei  Lavisse  et  Rambaud,  Hist.  generale  1,  1893,  S.  367,  <-  ttolenghi 
a.  0.  98,  Wells,  Charlemagne  1898  S.  216;  gegen  sie  z.  B.  Schöpflin,  Commen- 
tationee  historicae  1741  S.  142  f.  und  Dahn,  Urgesch.  III.  1080.  Schöpflin  fol- 
f^ert,   dass  Karl   kein  Recht  erhielt,  weil  der  Thron  besetzt  wnr. 


Die  Kaiaerwahl  Karls  des  Grossen.  \^ 

noch  nie  gegeben  und  noch  im  J.  640  war  erklärt  worden,  das  Im- 
perium gehöre  Männern,  nicht  Frauen,  eine  Frau  vermöge  die  Keichs- 
geschäfte  nicht  zu  führen :  sie  können  fremde  Gesandte  nicht  em- 
pfangen noch  ihnen  Antwort  geben,  —  Gott  verhüte,  dass  der  Römer- 
staat dahin  komme.  Er  war  jetzt  dahin  gekommen  i).  Die  Römer 
hatten  freilich  von  der  Regeutin  in  Constantinopel  nichts  zu  besorgen, 
aber  sie  fühlten  sich  doch  als  Reichsangehörige  und  empfanden  den 
Mangel  eines  Kaisers  um  so  eher  wie  eine  Lücke  in  ihrem  politischen 
Leben,  als  die  zunehmende  Geschäftigkeit  ihres  Patricius  sie  beständig 
daran  erinnerte,  dass  ein  Kaiser  sie  nicht  regiere.  Selbst  in  Constan- 
tinopel gab  es  eine  Partei,  welche  lieber  einen  Kaiser  als  eine  Kaiserin 
wünschte,  und  einzelne  Byzantiuer  haben,  sobald  sich  Irene  der  Allein- 
herrschaft bemächtigt  hatte,  Karl  aufgefordert  die  kaiserliche  Gewalt 
zu  übernehmen  ^).  Nachdem  ein  Kaiser  gewählt  war,  verbanden  die 
Byzantiner  mit  dieser  herkömmlichen  Handlung  die  übliche  Erwartung, 
dass  er  zufolge  der  naturgemässen  Gesinnung  eines  römischen  Impe- 
rators Mitherrscher,  soweit  es  in  seiner  Macht  stehe,  nicht  leiden 
werde  3). 

Die  Römer,  welche  am  25.  December  Karl  Augustus  und  Impe- 
rator zuriefen,  haben  ihn  als  Imperator  der  Römer  gewollt,  sie  haben 
einen    anderen    als   den    römischen  Imperator    nicht    für    möglich  ge- 


')  Nicephorus,  Opuscula  ed.  de  Boor  1880  S.  28.  Eine  ähnliche  Erklärung 
von  Occidentalen  schon  bei  Priscus,  fr.  15.  Müller,  Fragm.  hist.  graec.  IV,  98. 
Irene  war  die  erste  Herrscherin,  sie  nannte  sich  Nov.  Coli.  I,  27  (Zachariä,  Jus 
graeco  —  rom.  III,  55)  ßao'.XEU?;  bei  Theophanes  473,  5  Tcup-aicuv  ßoatXtaaa.  Vgl. 
Rambaud.  Revue  des  Deux  Mondes  103,  818  f.  Ueber  Widerstand  gegen  ihre 
Herrschaft  Theophanes  465.     Zonaras  XV,  11,  22.  24.  XV.  12,  7. 

2)  Ann.  S.  Petri  Colon.  798,  SS.  XVI,  730,  ein  Facsimile  unserer  Stelle 
SS.  XVII  Tab.  III,  3.  Jaffe  et  Wattenbacb,  Ecclesiae  Colon.  Codices  1874  S.  29. 
nach  Krusch,  Studien  zur  Chronologie  1880  S.  195.  197.  200  im  J.  805  ge- 
schrieben. Mit  dieser  Stelle:  missi  venerunt  de  Grecia,  ut  traderent  ei  impe- 
rium,  stimmt  die  Angabe  bei  Symeon.  Hist.  de  regibus  §  62  ed.  Arnold  II,  64 
(Ann  Nordh.  800  SS.  XIII,  156)  aus  unbekannter  Quelle  überein.  Arnold  z.  d. 
St.  findet  hier  die  von  Ann.  regni  Franc.  802  mitgetheilte  Gesandtschaft  der 
Irene,  während  Pauli,  Forschungen  zur  deutschen  Gesch.  XII,  164  sie  auf  eine 
Tendenz  gegen  die  weibliche  Regierung  bezieht.  Waitz  III,  190,  2  bezweifelt 
diese  Nachricht,  Simson,  Karl  IL  239,  1  verwirft  sie.  Eine  Gesandtschaft  Irenes 
an  Karl  798  tantum  de  pace  fuit,  Ann.  regni  Franc.  798  S.  104 

s)  Einhard,  Vita  Karoli  c.  16:  qui  Imperium  eis  eripere  vellet,  valde  su- 
spectum  (imperatoribus  Constantinopolitanis).  Vgl.  Gasquet,  L'empire  byz.  et  la 
mon.  fr.  1888  S.  285.  02.  303.  Duchesne,  Les  premiers  temps  de  l'etat  pon- 
tifical  1898  S.  91  urtheilt,  man  habe  im  .1.  800  keine  bestimmte  Vorstellung  von 
dem  Act  gehabt,  S.  88  für  den  Occident  sei  er  anfänglich  nur  Titelfi-age,  für  den 
Orient  aber  eine  fränkische  Wiederbelebung  des  alten  römischen  Reiches  gewesen. 


14  Wilhelm  Sickel. 

halten.  Sie  bedurften  eines  Zusatzes  so  wenig  als  italienische  Ur- 
künden  aus  dem  J.  801,  in  welchen  Karl  schlechthin  Imperator  hiess 
oder  erwähnt  wurde,  er  sei  ad  Imperium  coronatus  ^).  Fränkische 
Quellen  haben  ihn  ausdrücklich  bei  diesem  Act  Imperator  der  Eömer 
genannt  -),  ohue  mit  der  volleren  Benennung  mehr  als  die  Römer  mit 
der  kürzeren  zu  besagen.  Dem  römischen  Berichte  und  den  fränki- 
schen Aufzeichnungen  schliessen  sich  byzantinische  Historiker  an. 
Indem  sie  von  der  Ansicht  ausgingen,  dass  es  sich  um  einen  Kaiser 
in  ihrem  Reiche  handle,  liaben  sie  ihm  dieselbe  Bezeichnung  wie  dem 
Kaiser  iu  Coustantinopel  gegeben  ^).  Dieses  Imperium  ist  Karl  an- 
geboten und  von  ihm  angenommen,  der  römische  Staat  in  diesem 
Sinne  sein  Staat  geworden.  Als  Imperator  Romanum  gubernans  Im- 
perium hat  er  Urkunden  und  Gesetze  ausgestellt^).    In  seiner  Kaiser- 


')  Vita  Leonis  III.  c.  23.  imperator  801,  Muvatori,  Antiq.  III,  1017.  Reg.  di 
Farfa  II,   169  f.  S.   140  f.,  wo  166,  S.  139  Karl  ad  imperium  coronatus  ist. 

-')  Ann.  i-egni  Francor.  801  S.  112,  wiederholt  in  Pauli  cont.  Rom.  801, 
Script,  rer.  Langob.  S.  202.     Chron.    Moiss.  SS.  I,  30^.    Vgl.  S.  28.  1. 

3)  Theophanes  473,  1,  der  ihn  später  zur  Verkleinerung  494,  21  ßaat/ia  tcüv 
<I>paYYt»v  nennt,  Zonarab  XV,  13,  14.  22;  spätere  Entstellung  in  ßaatAeu;  'Pw^fiq 
bei  Cedrenus  II,  28  und  Manasses  4515.  ßaacAsü?  Ttufj-aiiüv  heisst  der  byzant. 
Kaiser  bei  Theophanes  421,  7.  435,  15.  449,  4.  454,  1.  493,  5  und  sonst,  auch 
bei  der  Verkündung  493,  21  wie  Karl.  Dieser  Titel  aut  Münzen  seit  Michael  I., 
Sabatier,  Description  des  nionnajes  byzantines  I,  1862,  S.  75. 

*)  Die  Abdrücke  der  einzigen  Urkunde  Karls  aus  d.  J.  801,  beide  nach  dem 
Original,  haben  imp.  Romanoruni  gubernans  imperium,  Tiraboschi,  Storia  di 
Nonantola  II,  18  S.  34  und  Savioli,  Ann.  Bologn.  I,  b  lo  S.  22  (Mühlbacher  364). 
Das  italische  Gesetz  von  801  Capit.  I.  204,  27  hat  statt  Romanorum  Romanum, 
wie  auch  schon  italische  Frivp.turkunden  aus  diesem  Jahre,  z.  B.  Mem.  di  Lucca 
IV  b,  1  S.  3.  Vb,  296  f.  S.  173.  175.  Brunetti,  Cod.  dipl.  Toscano  11»,  56  S.  331 
und  so  lautet  der  Titel  in  dem  Diplom  von  802  für  Hersfeld  (Wenck,  Hess. 
Landesg  III  b,  18,  im  Anschluss  an  älteren  Sprachgebrauch,  Marini  S.  124.  133. 
]4.j)  und  seitdem  ständig,  auch  noch  in  der  einen  nach  der  Theilung  des  Reiches 
ausgestellten  Urkunde  von  813,  Kaiserurkunden  iu  Abbildungen  I,  5.  Vgl. 
Waitz  III,  241,  der  hier  auf  Karl  bezogene  Brief  bei  Roziere  III,  344  ist  nach 
Zeumer,  Formulae  S.  528  an  Ludwig  I.  gerichtet.  Das  imperium  in  Romania, 
welches  Karl  nach  der  Urkunde  eines  fränkischen  Grafen  von  813  im  J.  800  er- 
worben hatte  (bei  Mabillon,  Ann.  ed.  Lucae  III,  624.  Gallia  christ.  XIV,  instr.  18 
Nr.  12,  Mabille,  La  Pancarte  noire  de  S.  Martin  de  Tours  1866  S.  94  Nr.  LIV) 
kann  hier  nur  das  Römerreich  sein,  vgl.  Du  Gange,  Gloss.  graec.  1312,  gloss. 
lat.  VII,  209.  Die  gleichzeitigen  Ann.  Juvav.  mai.  800  SS.  I,  87,  nochmals  801 
SS.  III,  122  sagen:  Carolus  imperium  suscepit  Romanum  in  Roma;  ein  Chronist 
bei  Mommsen,  Chronica  II,  503:  factus  est  imperator  Romanorum.  Als  Erwerber 
des  Romani  imperii  erscheint  Karl  um  838  in  Mir.  Genesii  SS.  XV,  169,  26. 
Ludwig  II.  behauptet  871,  jedermann  wisse,  nos  successores  antiquorum  impera- 
torum  esse,  SS.  III,  522,  52. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  |P, 

titulatur  erscheint  immer  und  erscheint  nur  das  Römerreich  und  auch 
durch  seine  KaiserpoHtik  hat  er  bewiesen,  dass  er  überzeugt  war  im 
J.  800  Imperator  des  einen  ungetheilten  ßömerstaates  geworden  zu 
sein  und  nicht  etwa  ein  zweites  römisches  Reich  neben  dem  älteren 
empfangen  zu  haben.  Allerdings  ist  eine  gemeinsame  Ausübung  der 
Reichsgewalt  von  dem  östlichen  und  dem  westlichen  Kaiser  niemals 
auch  nur  dem  Namen  nach  bethätigt  worden,  Karl  hat  in  seinem  Titel 
den  Mitkaiser  so  wenig  erwähnt  als  dieser  ihn,  aber  der  Mangel  der 
materiellen  und  formellen  Gemeinsamkeit  deutet  nicht  auf  eiu  geson- 
dertes rechtliches  Dasein  zweier  Reiche,  sondern  es  entsprach  dem 
Kaiserbrauche,  dass  der  ältere  Kaiser  und  sein  Gegenkaiser  bis  zur 
Anerkennung  nur  den  eigenen  Namen  in  seinen  Schreiben  zuliess. 
In  unserem  Falle  ist  mit  der  Anerkennung  die  Reichstheilung  ver- 
bunden worden,  eine  Theilung  des  einen  Staates  in  zwei  Staaten,  die 
nicht  in  Rom  und  nicht  durch  die  Römer  sondern  an  den  Kaiserhöfeu 
durch  die  Kaiser  vollzogen  ist. 

Wenn  im  December  800  ein  Imperator  für  das  römische  Reich 
creirt  werden  sollte,  so  ist  eine  Untersuchung  möglich  und  noth- 
wendig,  ob  die  Römer  zu  denjenigen  gehörten,  welche  nach  der 
Reichsverfassuug  ermächtigt  waren  Kaiser  zu  wählen.  Das  für  die 
Beantwortung  der  Rechtsfrage  vorhandene  Material  ist  dem  im  8.  Jahr- 
hundert geltenden  römisch-byzantinischen  Staatsrecht  zu  entnehmen ; 
dieses  Recht  hatte  allein  zu  entscheiden,  ob  in  Rom  eine  rechtmässige 
Wahl  erfolgen  durfte.  Der  Ort  bot  kein  Hinderniss,  denn  wenn  auch 
die  Stadt  sich  dem  Einfluss  des  Imperators  fast  völlig  entzogen  hatte, 
so  hielt  sie  doch  staatsrechtlich  den  Zusammenhang  mit  dem  Imperium 
fest  ^).  Die  einzige  Bedingung  war,  dass  es  in  dieser  byzantinischen 
Stadt  Wahlberechtigte  gab;  von  ihrem  Vorhandensein  hing  zunächst 
die  Möglichkeit  einer  dortigen  Kaiserwahl  ab. 

Eine  Klasse  der  Wühler,  die  der  Reichssenatoren,  fehlte  in  Rom  -). 
Da  die  Männer,    deren  Gesammtheit    hier  Senatus    hiess,   jene  Eigen- 


«)  Theophanes  472.  30.  Zonaras  XV,  13,  17.  Vgl.  Florus,  Poet.  lat.  II,  5G1,  61. 
Chronica  Bened.  Casin.  S.  486,  20  ed.  Waitz.  So  auch  Pütter,  Entwickl.  der 
Staatsverf.  I,  59,  Döllinger  III,  105,  Gasqaet  a.  0.  281,  Maassen  a.  O.  136. 
Umgekehrt  Conring,  De  Germanorum  imperio  romano  1643  c.  7,  Opera  I,  52: 
Rom  hielt  sich  für  berechtigt  zu  wählen,  weil  es  sich  a  iure  caesaris  frei  fühlte. 

2)  Mühlbacher,  Deutsche  Gesch.  unter  den  Karol.  18Ö6  S.  204.  Der  senatus, 
welchen  Chron.  Anian.  801  8S.  I,  305,  31  in  freier  Ueberarheitung  seiner  Vorlage. 
Flodoard  um  938,  De  Christi  triuraphis  XI,  10  (Migne  135,  810),  im  12.  Jahrh. 
Gregorius  von  Catina,  Hist.  Farf.  c.  22,  u.  Roger  SS.  XI,  571.  XXVII,  138,  22  mit- 
handeln  lassen,  ht  nur  ein  bestimmter  Theil  der  römischen  Nobilität,  vgl.  S.  21  1. 


]^g  Wilhelm  Sickel. 

Schaft  nicht  besassen,  so  hatten  sie  auch  als  Senatoren  über  die  Herr- 
scherwürde nicht  zu  verfügen.  Indess  mit  den  Reichssenatoren  fehlten 
noch  nicht  Wahlberechtigte  überhaupt.  Die  Zeit,  als  der  Princeps, 
noch  auf  der  Stufe  eines  Magistrats,  nur  von  dem  Senat  erkoren 
wurde,  war  längst  vorüber  und  dem  jetzigen  byzantinischen  Senat, 
dem  Staatsrath  eines  Monarchen,  hat  keinesfalls  die  ausschliessliche 
Befusruiss    zugestanden    die    kaiserliche  Gewalt   im  Namen  des  Volkes 

O  eis 

zu  vergeben. 

Neben  dem  Senat  war  die  nächste  Wählerklasse  das  Heer  ge- 
worden. War  das  Reichsheer  in  Rom  vertreten  i)  ?  Dass  die  dortige 
Miliz  kein  stehendes  Heer  war,  würde  einen  Einwand  gegen  ihre 
Wahlberechtigung  nicht  begründen.  Denn  da  das  Wahlrecht  den 
Reichstruppen  gebührte,  so  war  es  nicht  an  eine  bestimmte  Formation 
der  Armee  gebunden,  etwa  an  diejenige,  welche  zur  Zeit  der  Ent- 
stehung des  militärischen  Wahlrechts  bestand,  und  von  deren  Fort- 
dauer abhängig,  sondern  folgte  es  den  Aenderungen  des  Heerwesens 
und  konnte  mit  ihnen  an  nicht  ständige  Soldaten  kommen.  Die 
militärischen  Neuerungen  in  Rom  waren  allerdings  örtliche,  sie  stamm- 
ten jedoch  hier  wie  in  anderen  italienischen  Städten  noch  aus  der 
Zeit,  als  diese  Bürgerwehren  dem  Reiche  dienten  und  ihre  Befehlshaber 
kaiserliche  Beamte  waren.  Dass  in  Rom  inzwischen  das  Amt  des 
dux,  des  Oberbefehlshabers,  eingegangen  war,  und  die  Wehrpflichtigen 
mehreren  gleichgestellten  Hauptleuten,  die  jetzt  duces  hiessen,  unter- 
geben waren,  beeinträchtigte  ihre  politische  Berechtigung  ebenso  wenig, 
als  sie  derselben  dadurch  verlustig  gingen,  dass  der  Papst  sie  ernannte 
und  sie  ihm  Gehorsam  schuldeten.  Denn  als  Wähler  befanden  sich 
Offiziere  und  Soldaten  nicht  im  Dienst,  weder  im  päpstlichen  noch 
im  kaiserlichen,  sondern  waren  sie  auf  Grund  der  Verfassung  Ver- 
treter des  gesummten  Heeres.  Wenn  diese  Kriegsleute  im  J.  800 
uoch  als  ein  Theil  der  römischen  Armee  gelten  durften,  so  würden 
sie  Wahlberechtigte  haben  liefern  können.  Müssen  wir  ihnen  ein 
Wahlrecht  absprechen,  so  standen  dennoch  einer  Wahl  in  Rom  recht- 
liche Hindernisse  nicht  entgegen. 

Das  Wahlrecht  war  nicht  mehr  auf  Senat  und  Heer  beschränkt, 
der  Volkswille,  auf  dem  die  Besetzung  des  Thrones  durch  Wahl  beruhte, 
brachte   sich   nicht   mehr    ausschliesslich   durch   diese  beiden  Wähler- 


1)  Verneint  von  Bellannin.  De  potestate  pontificis  temporali  c.  8  vgl.  De 
translatione  imperii  I,  10,  Opera  II,  161.  VI,  6'u9.  Die  Circusparteien  in  Constan- 
tinopel,  die  bei  Kaiserwahlen  nicht  nnthätig  geblieben  sind,  waren  auch  eine 
Stadtbürgerwehr.  Rambaud,  De  Byzantino  hippodromo  et  cireensibus  factionibus 
1870  S.  31  ff. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen. 


17 


gruppen  sondern  auch  freier,  unmittelbarer  zur  Geltung;  entweder 
so,  dass  Andere  an  der  Thätigkeit  von  Soldaten  oder  Senatoren  sich 
ohne  Unterschied  betheiligten,  oder  so,  dass  Volksleute  allein,  ohne 
derartige  Repräsentanten  des  Gemeinwesens,  vorgiengen.  Die  Aus- 
dehnung des  Wahlrechts  war  durch  den  Umstand  erleichtert,  dass 
Formen  für  die  Ausübung  nicht  vorgeschrieben  waren;  das  im  Ein- 
zelnen von  Fall  zu  Fall  wechselnde  Verfahren  gab  Raum  für  die 
Zuziehung  oder  das  eigenmächtige  Handeln  Anderer  als  der  älteren 
Volksvertreter.  So  war  die  Einschränkung  des  Wahlrechts  auf  die 
beiden  Klassen  oft  nicht  beachtet.  Es  waren  Wahlen  vorgekommen, 
bei  denen  Versammlungen  von  Reichsbürgern,  die  nach  der  älteren 
Ordnung  zur  Uebertragang  des  Imperiums  nicht  befugt  gewesen  waren, 
die  Herrschaft  angeboten  hatten,  ohne  dass  die  Wähler  oder  die  Ge- 
wählten gegen  die  Rechtmässigkeit  der  Wahl  Bedenken  oder  Dritte 
Einspruch  erhoben  hätten.  Wie  weit  die  freie  Volkswahl  im  J.  800 
zulässig  war,  lässt  sich  vielleicht  nicht  genau  bestimmen,  aber  falls 
unsere  Quellen  über  die  Stufe,  auf  der  sich  um  jene  Zeit  das  Wahlrecht 
befand,  keinen  vollen  Aufschluss  geben,  so  gewähren  sie  doch  wohl 
eine  hinreichende  Auskunft,  ob  eine  Volkswahl  in  Rom  statthaft  war. 
Für  die  Rechtsgültigkeit  einer  Volkswahl  spricht  es,  dass  ein  von 
Offizieren  in  der  Provinz  aufgestellter  Mann  im  J.  713  von  dem 
ganzen  Volke  von  Constantinopel  in  der  Sophienkirche  als  Kaiser  aus- 
gerufen wurde.  Das  gesammte  Italien,  welches  zu  Gregors  II.  Zeit 
die  Wahl  eines  Imperators  plante,  hat  gewiss  nicht  nur  aus  Reichs- 
senatoren und  Reichssoldaten  bestanden.  Michael  IL,  so  schreiben  die 
Jahrbücher  des  fränkischen  Reiches,  hat  durch  die  Stimmen  der  Bürger 
und  die  eifrige  Theilnahme  der  Prätorianer  das  Imperium  erhalten  i). 
Das  hier  und  sonst  gemeldete  Eingreifen  der  Truppen  hat  seinen  Grund 
nicht  bloss  in  dem  Recht  sondern  auch  darin,  dass  ein  Imperator  ohne 
militärische  Unterstützung  sich  nicht  zu  behaupten  vermochte,  während 
Karl,  der  zum  Schutz  seiner  kaiserlichen  Gewalt  sein  eigenes  Heer 
besass,  der  Hülfe  von  Reichssoldaten  nicht  bedurfte. 


')  Eine  Untersuchung  der  Geschichte  des  Wahlrechts  steht  nicht  zu  Gebote. 
Ich  nehme  von  einer  leicht  ausführbaren  Vermehrung  der  Angaben  Abstand, 
weil  wir  auf  diesem  Wege  unserem  Ziele  nicht  näher  kommen  würden.  Ausser 
den  drei  Mittheilungen  im  Text  —  Nicephorus  S.  49,  17—19,  Vita  Gregorii  II. 
c.  17  (omnis  Italia)  und  Ann.  regni  Franc.  821  S.  135.  —  vgl.  Julius  Capi- 
tolinus,  Gordiani  tres  c.  22,  5.  Sidonius,  Carm.  V,  387  mit  Maioriani  Nov.  I,  1. 
Zonaras  XIV,  5,  3.  Nicephorus  S.  27,  27.  28,  9.  46,  9.  12=  Theophanes  379. 
Theophanes  415,  8,  11.  Georgius  Mon.  in  ßyzantin.  Zeitschr.  VII,  295.  Mommsen, 
Chronica  III,  342.  Ludwig  II.  beruft  sich  871  auf  die  Wahlen  auch  a  populo, 
SÖ.  III,  523,  35. 

Mittheilungen  XX.  2 


l^  Wilhelm  Sickel. 

Unter  den  bei  den  Kaiser  wählen  Thätigen  erscheint  jetzt  öfters 
der  Patriarch  von  Constantinopel.  Im  8.  Jahrhundert  greift  er  zu- 
weilen mächtig  in  das  Wahlgeschäft  ein  und  im  J.  824  haben  ihn 
zwei  Kaiser  an  erster  Stelle  unter  denjenigen  genannt,  deren  Zu- 
stimmung sie  die  Krone  verdankten  ') ;  er  gehört  zu  den  von  den 
Reichsannalen  als  Reichsbürger  bezeichneten  Wählern  Michaels  IL  Ob 
ihm  das  Wahlrecht  als  Bürger  zukam  oder  ob  er  ein  besonderes 
Wahlrecht  als  Hofpatriarch  besass,  kaun  dahingestellt  bleiben;  für 
unsere  Aufgabe  genügt  die  Gewissheit,  dass  seine  Zustimmung  nicht 
wesentlich  war,  —  das  römische  Staatsrecht  hat  bei  der  Creirung  eines 
Kaisers  keinen  bestimmten  Reichsangehörigen  zu  einem  unentbehr- 
lichen Theilnehmer  gemacht  —  und  dass  der  Papst  ein  etwaiges  Vor- 
recht des  Hofgeistlichen  nicht  für  sein  kirchliches  Amt  fordern  oder 
üben  konnte. 

Da  zur  Zeit  der  Kaiserwahl  Karls  nicht  nur  Senat  oder  Armee 
als  legitime  Repräsentanten  des  Volkes  sondern  auch  das  Volk  unmit- 
telbar durch  beliebige  einzelne  Bürger  als  Vertreter  des  Volkes  wählte, 
so  konnten  die  Reichsbürger  in  Rom  dieselbe  Befugniss  wie  die  übrigen 
Bürger  im  Reiche  in  Ansprach  nehmen,  auch  wenn  die  frühereu 
Wahlen  in  der  alten  Hauptstadt  auf  Grund  eines  beschränkteren  Wahl- 
rechts geschehen  waren.  Diese  Römer  hatten  jetzt  um  einen  Imperator 
zu  creiren  keine  andere  Eigenschaft  uöthig  als  die  römische  Bürger 
zu  sein,  denn  kraft  des  allgemeinen  Staatsbürgerrechts  sollten  sie 
handeln.  Es  waren  nicht  etwa  die  Einwohner  Roms,  die  städtische 
Bevölkerung  in  diesem  Sinne,  noch  die  Inhaber  des  Stadtbürgerrechts, 
die  Mitglieder  der  Stadtgemeinde,  oder  die,  welche  den  Papst  erkoren, 
sondern  das  wahlberechtigte  Volk  ist  der  in  Rom  anwesende  Theil  der 
Bürgerschaft  des  Römerreichs  gewesen  '^). 

Stand  die  Competenz  zur  Creation  eines  Imperators  Männern  in 
Rom  zu,  so  erhebt  sich  die  Frage,  ob  die,  welche  dort  wählen  durften, 
im  J.  800  gewählt  haben,  ob  das  Reichswahlrecht  in  Wirklichkeit  zur 
Anwendung  gekommen  oder  die  für  ein  solches  rechtmässiges  Handeln 
gegebene  Voraussetzung  unbenutzt  geblieben  ist.  Wenn  Wahlberechtigte 


')  Mansi  XIV,  418  secundum  antiquuin  morem. 

2)  Das  Stadtbürgerreclit  meinen  wohl  Conriug  a.  0..  Severinus  de  Monzambano 
a.  0.  c.  I  §  12,  vergleiche  auch  Döllinger  III,  130  f.,  sicher  Kaufmann.  Deutsche 
Gesch.  II,  1881,  S.  327.  Die  Wähler  des  Papstes  sollen  auch  einen  Imperator 
wählen  z.  B.  nach  Carli  (S.  4,  1)  IV,  37  und  Herzog,  Kirchengesch.,  2.  Aufl.  von 
Koffmane  I,  1890,  S.  458.  Vgl.  Gregorovius,  Rom  *II,  483  f.  487.  der  jedoch  die 
Ausländer  zu  Mitwiihleru  macht  II,  488.  III,  18,  wie  wohl  auch  Palgrave  a.  0.  I.  490. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  -jn 

von  ihrer  ßefugniss  Gebrauch  machten,  so  ist  an  Karl  die  recht- 
mässige Aufiforderung  ergangen  Imperator  zu  werden;  erkoren  ihn 
hingegen  Unbefugte,  so  wollten  zwar  auch  sie  ihn  für  den  Römerstaat 
creiren,  aber  weil  sie  nicht  kraft  eines  Rechts  gehandelt  hätten, 
würde  Karl  ein  widerrechtlicher  Anmasser  der  kaiserlichen  Gewalt 
geworden  sein. 

Für  die  Rechtmässigkeit  einer  Kaiserwahl  war  ein  bestimmtes 
Verhalten  Wahlberechtigter  erforderlich,  aber  weder  eine  formelle  Ver- 
sammlung noch  ein  formeller  Bescbluss;  jede  zustimmende  Willens- 
erklärung genügte.  Eine  derartige  Freiheit  der  Wähler,  welche  ge- 
stattete den  Hergang  in  dem  einzelnen  Falle  ganz  nach  den  indivi- 
duellen Verhältnissen  zu  gestalten,  lässt  den  Verlauf  eines  Wahlgeschäfts 
oft  nur  ungenau  wahrnehmen,  ohue  dass  die  nicht  erkennbaren  Theile 
der  Verhandlungen  die  Einhaltung  der  Reichsordnung  in  ihren  wenigen 
wesentlichen  Stücken  zweifelhaft  machen  müssen;  das  Mangelhafte  in 
der  Erkenntniss  des  thatsächlich  Geschehenen  ist  nicht  nothwendig 
mit  einem  Mangel  in  dem  Verständniss  des  Rechtlichen  identisch. 
Wenn  sonach  unsere  üeberlieferung  nicht  mehr  zulassen  sollte,  den 
Hergaug  in  Rom  im  December  800  Schritt  vor  Schritt  zu  verfolgen, 
wenn  der  eine,  oder  andere  Act  undeutlich  oder  ungewiss  bliebe,  so 
kann,  so  lange  es  sich  hierbei  nur  um  Modalitäten  in  der  Handhabung 
der  Wahlberechtigung  handelt,  das  Wesentliche  des  Rechtsvorgangs 
noch  mit  Sicherheit  festgestellt  werden.  Zu  diesem  Zweck  brauchen 
wir  von  der  concreten  Gestaltung  vieles  nicht  zu  wissen ;  ob  jene  Ein- 
zelheiten so  oder  anders  gewesen  sind,  ist  für  die  rechtliche  Beur- 
theilung  nicht  erheblich. 

Die  Ausübung  des  Wahlrechts  konnte  so  erfolgen,  dass  Wähler 
auf  einer  Versammlung  einen  Imperator  erkoren  und  die  Verkündung 
der  Wahl  vertagten. 

Die  meisten  Chronisten  der  Zeit  haben  eine  Wahlversammlung 
iu  Rom  im  J.  800  nicht  erwähnt.  Allein  ihr  Schweigen  spricht  nicht 
sofort  gegen  eine  Zusammenkunft.  Ihre  kurzen  Mittheilungen  schliessen 
sich  hier  vielleicht  der  älteren  Historiographie  an,  welche  oft  für 
unnöthig  hielt  die  Reihenfolge  der  Ereignisse  —  die  Wahl  und  die 
Verkündung  —  aufzuzählen  sondern  vorzog,  einen  von  jenen  Vor- 
gängen zu  nennen,  der  gewöhnlich  den  anderen  zur  Voraussetzung 
oder  zur  Folge  hatte.  Dass  unsere  Berichte  grösstentheils  den  Wahlact 
übergingen,  würde  um  so  erklärlicher  sein,  als  ihnen  die  Feierlichkeit 
der  anderen  Handlungen  erwähnenswerther  erschien.  Unter  diesen 
Umständen  fallen  jene  Quellen  nicht  gegen  die  Richtigkeit  einer  Angabe 
ins  Gewicht,  welche  eine  besondere  Wahlversammlung  meldet. 

2* 


20  Wilhelm  Sickel. 

Ein  Zeitgenosse  hat  wenige  Jahre  nach  der  Kaiserwahl  erzählt, 
dass  die  nämlichen  Männer,  welche  Karl  zur  Berathung  über  die  wider 
Leo  erhobenen  Anschuldigungen  berufen  hatte,  einig  geworden  seien 
Karl  das  Imperium  anzubieten;  er  habe  es  auf  ihre  Bitte  über- 
nommen 1).  Die  Schriftsteller,  welche  aus  dieser  Quelle  geschöpft 
haben,  der  Verfasser  der  Chronik  von  Moissac,  ihr  üeberarbeiter  in 
Aniane  und  ein  Ungewisser  Biograph  Willehads,  erhöhen  durch  ihre 
Wiederholungen  die  Zuverlässigkeit  der  Angabe  nicht  noch  vervoll- 
ständigen sie  dieselbe  durch  ihre  Zusätze,  weil  bei  ihnen  eine  eigene 
Kenntniss  des  Hergangs  oder  die  Benutzung  sonstiger  verlorener  Ge- 
schichtswerke nicht  anzunehmen  ist  2).  Die  Glaubwürdigkeit  der  Nach- 
richt würde  auch  wohl  keiner  Unterstützung  bedürfen,  wenn  nur  ihr 
Sinn  unstreitbar  wäre.  Es  steht  jedoch  in  Frage,  ob  unser  Autor  die 
Männer,  welche  nach  Karls  Willen  zusammengetreten  waren,  nach 
Erledigung  der  ihnen  von  dem  Könige  gestellten  Aufgabe  nochmals 
und  selbständig  sich  versammeln  lässt,  um  über  einen  von  ihnen  selbst 
gewählten  Gegenstand  oder  einen  aus  ihrem  Kreise  gemachten  Antrag 
zu  berathen   und   zu   beschliessen  ^),    oder   ob  er  bei  einem  Rückblick 


•)  Ann.  Lauresh.  (oben  S.  11  Anra.)  verstehen  dem  Personal  nach  unter  der 
Wahlversammlung  den  von  Karl  veranstalteten,  zum  J.  800  beschriebenen  conven- 
tura  episcoporum  seu  abbatum  cum  presbiteris,  diaconibus  et  comitibus  seu  reliquo 
christiano  populo,  wofür  801  lautet:  visum  est  et  ipsum  apostolico  Leoni  et  uni- 
versis  s.  patribus  qui  in  ipso  concilio  aderant,  seu  reliquo  christiano  populo,  ut 
ipsum  Carolum  imperatorem  nominare  debuissent.  Diese  Sätze  hat  ein  Un- 
bekannter in  einem  der  ersten  Jahre  des  9.  Jahrh.  geschrieben.  Kurze,  Neues 
Archiv  XXI,  2ß.  Die  Vermuthung  Döllingers  III,  118,  dass  die  Versammlung 
von  anderen  Annalen  als  diesen  und  einigen  ihrer  Ableitungen  verschwiegen 
werde,  um  mehr  unmittelbare  Eingebung  Gottes  zu  zeigen,  halte  ich  auch  des- 
halb für  irrig,  weil  diese  Inspiration  nicht  an  die  Stelle  des  Beschlusses  ti'itt. 

2)  Die  Abweichungen  des  Chrou.  Moiss.  801  SS.  I,  305  und  der  Vita  Willehadi 
e.  5  SS.  II,  381  werden  auf  ein  erweitertes  Exemplar  der  Ann.  Lauresh.  zurück- 
geführt, Kurze  a.  0.  XXI,  27  f.  Nach  der  Darstellung  des  Chron.  Anian.  krönte 
Leo  cum  consilio  der  Versammlung,  woiür  jedoch  nachher  gesagt  wird,  dass  Leo, 
Bischöfe.  Priester.  Aebte,  der  Senat  der  Franken,  die  römischen  Edlen  und 
andere  Laien  (cum  reliquo  christiano  populo)  consilium  habuerunt  ut  Carolum 
S.  306  imperatorem  nominare  deberent,  so  dass  die  Betheiligten  nicht  als  ein 
Rath  des  Papstes  erscheinen. 

ä)  Die  Nachricht  ist  oft  ohne  Bedenken  benutzt,  z.  B.  von  Baxmann,  Politik 
der  Päpste  L  1868,  S.  316,  Bryce  a.  0.  50.  53,  Gasquet  a.  0.  Viollet,  Bist, 
des  Institutious  I,  1890,  S.  264,  SmoUe,  Die  erste  deutsche  Kaiserkrönung  1871 
S.  14,  Löher,  Kulturgesch.  der  Deutschen  II,  1892,  S.  176,  Kämmel,  Werdegang 
des  d.  Volkes  I,  1896,  S.  70.  Nach  Ranke  Vb,  184  ist  sie  zuverlässig.  Waitz  III, 
1860,  S.  176  hat  erklärt,  dass  sich  diese  Erzählung  »nur  auf  den  Vorgang 
im  Ganzen   beziehen    kann"';  in    der   2.    Aufl.  III.    195  hat  er  »kann*   in  »wird* 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  Ol 

auf  das  Ereigniss  nur  allgemein  die  Urheber  im  Auge  hat,  insbesondere 
die  in  St.  Peter  am  25.  Deeember,  ohne  an  einen  besonderen  Wahlact 
zu  denken. 

Zunächst  verdient  Beachtung,  dass  der  Gewährsmann  von  dem 
Coucilium  in  dem  persönlichen  Sinne  spricht,  dass  die  Mitglieder  die- 
selben waren  wie  die,  welche  Karl  versammelt  hatte.  Wie  wir  nun 
durch  unsere  zuverlässigste  Quelle,  die  Biographie  Leos  EL,  vernehmen, 
ist  am  25.  Deeember  in  der  Kirche  die  geistliche  und  weltliche 
Aristokratie,  welche  Karl  vereinigt  hatte,  wieder  anwesend  gewesen  i). 
Insofern  ist  die  Identität  der  Personen  in  der  That  vorhanden.  Allein 
es  kommt  nicht  auf  ihre  Gegenwart  sondern  auf  ihre  Thätigkeit  an. 
In  der  Kirche  haben  sich  nicht  diejenigen  insgesammt  betheiligt, 
welche  unser  Berichterstatter  beschliessen  lässt,  sondern  nur  ein  Theil, 
ein  bestimmter  Theil  von  ihnen.  Hier  haben  nach  sicherer  Ueber- 
lieferung  nur  Eömer  gehandelt,  während  bei  den  Berathschlagungen 
auch  Franken  nicht  bloss  zugegen  sondern  mitthätig  gewesen  sind. 
Wird  jener  engere  in  den  Aufzeichnungen  aus  diesen  Jahren  durch- 
gängig hervortretende  Kreis  der  Kömer  unserem  Chronisten  nicht 
unbekannt  geblieben  sein,  so  darf  sein  grösserer  Kreis  von  Personen 
wohl  auf  eine  besondere  Versammlung  bezogen  werden.  Seine  Mit- 
theilung, dass  diese  weitere  Vereinigung  die  üebernahme  des  Imperiums 
durch  Karl  gewünscht  habe,  Hesse  sich  insofern  aufrecht  erhalten, 
als  sie  den  Beschluss  gefasst  hatte,  welchen  ihre  römischen  Mitglieder 
zur  Ausführung  brachten;  sie  schriebe  den  Wählern  zu,  was  sie  be- 
werkstelligt haben,  das  Angebot,  das  sich  auf  sie  gründet.  Eine  der- 
artige, kaum  als  ungenau  zu  bezeichnende  Fassung  des  Berichts  mindert 
schwerlich  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  ihr  Autor  an  eine  Thatsache 
gedacht  habe,  an  die,  dass  jene  grosse  Versammlung  über  Karls  Wahl 
schlüssig  geworden  sei.  Es  liegt  allerdings  der  Einwand  nahe,  dass 
unserem    Erzähler    eine    solche  Ausnutzung    seiner   Darstellung    selbst 


abgeschwächt,  jedoch  die  Zustimmung  keines  Schrittstellers  anmerken  können. 
Sugenheim  a.  0.  I.  404  f.  lässt  Karl  die  Wahlversammlung  veranstalten  und 
Kaufmann  a.  0.  II,  327  ihn  sie  berufen.  Mühlbacher,  Deutsche  Gesch.  S.  205 
setzt  den  Bericht  auf  Rechnung  der  redseligen  Fama.  Ein  »Synodalbeschluss*  ist 
dieser  Beschluss  bei  Hauck  a.  0.  II,  101.  1  geworden.  Ein  formaler  Beschluss  des 
römischen  Volkes  in  seiner  Gesammtheit,  den  Dahn.  Urgesch.  111.  1083  vermisst, 
war  rechtlich  unnöthig. 

1)  Vita  Leonis  III.  c.  23:  omnes  iterum  congregati,  nämlich  die  nach  c.  21 
von  Karl  versammelten  Erzbischöfe,  Bischöfe,  Aebte,  omnis  nobilitas  Francorum 
atque  synclitus  Romanorum.  und  darauf  sacerdotes  seu  optimates  Francorum  et 
Romanorum,  c.  22  alle  jene  Geistlichen,  omnes  Frauci  im  Dienste  ihres  Königs 
lind  cuncti  Romani.     Dahn,  a.  0.  lässt  sie  zur  Aeclamation  bestellen. 


22 


Wilhelm  Sickel. 


fremd  gewesen  sein  würde.  Das  scheint  mir  jedoch  bei  dem  Verfasser 
der  Nachricht  auch  deshalb  nicht  der  Fall  gewesen  zu  sein,  weil  er  bei 
dieser  Gelegenheit  die  Beweggründe  der  Beschliessendeu  nennt.  Es 
sind  vielleicht  nicht  die  wirklichen  Motive,  aber  unser  Autor  gibt  sie 
nicht  als  eine  Erläuterung  des  Vorgangs  sondern  als  Erklärungen 
der  Berathenden  und  nur  dies  kommt  für  die  Wahlversammlung  in 
Betracht.  Indem  er  die  Aeusserungen  vor  die  Krönung  verlegt,  ohne 
dass  eine  andere  Zusammenkunft,  in  der  sie  ausgesprochen  sein  könnten, 
gemeldet  wird;  indem  er  sie  ferner  nicht  als  die  Motive  Einzelner, 
des  Einen  oder  des  Andern,  sondern  als  die  hauptsächlichen  Erwä- 
gungen der  Gesamratheit  hinstellt,  so  geht,  wenn  ich  nicht  irre,  seine 
Meinung  dahin,  dass  die  Aussprache  vor  dem  25-  December  auf  einer 
Versammlung  geschehen  ist,  welche  die  Wahl  Karls  beschlossen  hat. 
Kann  man  jedoch  auf  seine  Angabe  bei  der  Feststellung  einer  solchen 
Zusammenkunft  sich  nicht  verlassen,  so  ist  sein  Bericht  auch  gänzlich 
aus  den  Beweismitteln  für  eine  Wahlversammlung  auszuscheiden.  In 
diesem  Falle  bleibt  die  Frage,  ob  ihre  Abhaltung  aus  anderen  Gründen 
anzunehmen  ist. 

Eine  zu  Eom  vor  dem  25.  December  veranstaltete  Wahlversamm- 
lung muss  meines  Erachtens  aus  der  an  diesem  Tage  in  der  Peters- 
kirche ausgeführten  gemeinsamen  Handlung  erschlossen  werden.  Unter 
den  in  der  Kirche  betheiligten  Männern  befanden  sich  die  Vornehmsten 
der  Stadt,  Geistliche  von  hohem  Rang  und  mächtige  Laien,  Männer, 
welche  Achtung  genossen  und  Selbstgefühl  besassen.  Zu  ihnen  stand 
Leo  III.  nicht  in  dem  Verhältniss,  dass  er  sie  einzeln,  mündlich  oder 
schriftlich,  hätte  bestellen  können  auf  ein  von  ihm  gegebenes  Zeichen 
am  25.  December  von  ihm  vorgeschriebene  Worte  auszurufen,  und  es 
ist  auch  nicht  glaublich,  dass  sie  auf  seine  Anfrage  schlechthin  ihre 
Bereitwilligkeit  erklärten  in  der  von  ihm  vorgeschlagenen  Art  ihm  zu 
Diensten  zu  sein.  Eine  solche  Stellung  der  Acclamauten  wird  nirgends 
angedeutet.  Indem  Leos  III.  Biograph  bezeugt  und  beweist,  dass  auch 
diese  Männer  als  Constituenten  des  Imperators  gegolten  haben,  schliesst 
er  die  Annahme  aus,  dass  der  Papst  sich  lediglich  ihrer  Unterstützung 
für  seine  Handlung  versichert  habe.  Hatten  sie  an  der  Einsetzung 
Theil,  so  darf  wohl  die  Folgerung  gezogen  werden,  dass  diese  Einigung 
in  einer  gemeinsamen  Versammlung  erzielt  worden  ist  und  nicht  etwa 
durch  einzelne  Besprechungen  mit  diesen  vielen  und  verschiedenartigen 
Männern.  Führt  demnach  der  gemeinsame  am  25.  December  geäusserte 
Wille  auf  einen  früheren  gemeinsamen  Beschluss,  so  kann  dieser  nur 
darin  bestanden  haben  Karl  zum  Imperator  zu  wählen.  Denn  ein 
Uebereinkommen  ihn  als  Kaiser  auszurufen,  ein  üebereiukommen  unter 


Die  Kaiseiwahl  Karls  des  Grossen.  23 

Männern,  die  wählen  konnten,  sowohl  über  die  Person  des  Kaisers 
als  über  den  Tag  und  den  Ort  der  Verkündung,  eine  derartige  Ver- 
einbarung ist  nicht  eine  Handlung,  welche  eine  Wahl  vorbereitet, 
nicht  der  Beschluss  an  diesem  Tage  die  Wahl  eines  bereits  Bestimmten 
vorzunehmen,  sondern  ist  der  Wahlact  selbst.  Ein  anderes  Verhältniss 
dieser  übereinstimmenden  Willenserklärungen  zu  den  Erklärungen  in 
der  Peterskirche  ist  um  so  weniger  anzunehmen,  als  letztere  als  Ver- 
kündung bezeichnet  werden ;  ein  Ausdruck,  der  eine  vorgängige  Wahl- 
versammlung zwar  nicht  nothwendig,  aber  unter  den  in  Rom  gege- 
benen Verhältnissen  wahrscheinlich  macht.  Allerdings  ist  nicht  zu 
leugnen,  dass  Karl  als  Imperator  ausgerufen  werden  konnte,  ohne  dass 
die  Ausrufenden  in  einer  gemeinschaftlichen  Versammlung  deu  Be- 
schluss gefasst  hatten;  nur  können  sie  sich  nicht  dahin  verständigt 
haben,  ihn  durch  die  Verkündigung  zu  wählen,  sondern  diese  mehr 
oder  weniger  zahlreichen  Wähler  würden  durch  eine  anderweitig  er- 
klärte Zustimmung  eine  Wahl  getroffen  haben. 

Bezieheu  wir  die  Angabe  des  Annalisten  auf  eine  besondere 
Wahlversammlung  und  halten  wir  sie  für  glaubwürdig,  so  wird  das 
Personal  der  Versammlung  deutlich  sichtbar.  Wir  erblicken  Cleriker, 
vom  Papst  bis  zum  Diaconus  herab,  und  Laien,  unter  beiden  Ständen 
sowohl  Römer  als  Männer  aus  Karls  Begleitung.  Karl  selbst  war 
nicht  zugegen.  Wir  erfahren  jedoch  nicht,  wer  die  Zusammenkunft 
berief,  an  welchem  Tage  und  Orte  sie  stattfand,  ob  ein  Einzelner  sie 
leitete,  wer  ihr  den  Vorschlag  machte  Karl  zu  wählen  und  in  welcher 
Form  sie  diesen  Beschluss  gefasst  hat.  Auch  das  Mass  der  Betheili- 
gung Leos  ni.  lässt  sich  aus  dieser  Mittheilung  nicht  entnehmen.  In 
Coustantinopel  hat  man  ihn  für  den  Urheber  gehalten,  wenigstens 
schreibt  ihm  Theophanes  die  Entscheidung  zu;  er  habe  die  Erhebung 
Karls  bewirkt,  nicht  um  sein  eigenes  (sein  kirchliches  oder  sein  welt- 
liches) Interesse  wahrzunehmen,  sondern  um  dem  Könige  einen  Gegen- 
dienst für  seine  Wiedereinsetzung  zu  leisten  ^).  Der  Byzantiner  mag 
über  das  Motiv  nicht  gut  unterrichtet  sein,  aber  ein  Zeuge  für  Leos 
Einfluss  auf  die  Herbeiführung  der  Wahl  ist  er  auch  in  diesem  Falle. 
Den  von  anderen  Griechen  gegen  ihn  erhobenen  Vorwurf,  an  der 
Trennung  von  ihrem  Reiche  schuld  zu  sein  ^),  haben  wir  nicht  nöthig 


1)  Theophanes  473,  1.  475.  11.  Manasses  4514,  welcher  dasselbe  berichtet,  hat 
wohl  keine  andere  Quelle  als  Theophanes  benutzt.     Vgl.  Vita  Leonis  III.  c.  23. 

2)  Theophanes  494,  24  erzählt,  Nicephorus  habe  seinem  Hofpatriarchen  unter- 
sagt mit  dem  Papste  wegen  seiner  fränkischen  Botmässigkeit  zu  verkehren.  Unter 
Michael  I.  811  Mansi  XIV,  53  schreibt  der  Patriarch  an  Leo,  weil  er  sich  von 
der   griechischen    Kirche    getrennt   habe,    hätten   ihm    Einige   den  A^erkehr  mit 


24  Wilhelm  Sickel. 

im  Widerspruch  mit  sonstigen  Quellen  von  mehr  als  von  einem  that- 
kräftigen  Eintreten  Leos  für  die  Wahl  zu  verstehen;  vielleicht  gehen 
diese  Bemerkungen  auch  nur  auf  die  Wirkungen  der  Wahl.  Die 
Byzantiner,  welche  dem  Willen  Leos  das  Ergebniss  zuschreiben, 
äussern  sich  nicht  oder  doch  nur  unvollständig  über  das  Mittel,  wo- 
durch er  diese  Folgen  verursacht  hat. 

Franken  haben  bestimmte  Motive  für  die  Entscheidung  angegeben, 
menschliche  Motive  in  römischer,  politischer  oder  christlicher  Fassung; 
ein  päpstliches  Sonderinteresse  wird  nicht  genannt.  Ein  Weib  auf 
dem  Throne  eines  Staates,  den  sie  nicht  gegen  die  Ungläubigen  zu 
vertheidigen  vermochte;  das  Keich  der  Christen  in  Gefahr,  dieses 
römische  ßeich,  von  dem  ein  alter  Glaube  lehrte,  dass,  so  lange  es 
bestehe,  die  Christenheit  nichts  zu  fürchten  habe.  Hatte  sie  jetzt  nichts 
zu  fürchten,  als  sie  zum  ersten  Mal  ohne  Kaiser  war?  Die  Heiden 
werden  ihren  Spott  mit  diesem  Reiche  haben,  an  welches  die  Christen 
und  nicht  nur  die  in  Rom  so  grosse  Hoffnungen  knüpften.  Und 
doch  besass  die  Christenheit  einen  Mann  wie  Karl,  den  Herrn  in  der 
alten  Kaiserstadt  Rom,  die  er  freilich  nur  besitzen  konnte,  weil  er 
mehr  besass,  weil  er  Italien,  Gallien  und  Germanien  beherrschte  i). 
Diese  seine  Macht  konnte  seine  Wahl  haltbar  machen,  durch  sie  wurde 
es  möglich  einen  Kaiser  für  das  Reich,  dem  die  Wähler  angehörten, 
und  doch  nicht  zum  Nutzen  des  Ostens  sondern  des  Westens  zu 
creiren  und  damit  das  Römerreich  zu  vervollkommnen.  In  Karl 
waren  die  Voraussetzungen  eines  Imperators  im  Occident  für  eine  Zeit 
erfüllt,  welche  Christenheit  und  römisches  Reich  ohne  Rücksicht  auf 
die  Wirklichkeit  noch  gern  verband. 


ihm  zum  Vorwurf  gemacht.     An  dem  Vertrage  von  812  hat  sich  Leo  mit  seiner 
Genehmigung  betheiligt,  Ann.  regui  Franc.  812  S.  136. 

»)  Ann.  Lauresh.  801,  Chron.  Moiss.  u.  Anian.  801.  Notker  I.  26,  Jaffe  IV,  657. 
Lactantius,  Div.  instit.  VII,  25,  6  über  die  Sicherheit  der  Christenheit  durch  das 
Römerreich,  vgl.  Kampers,  Kaiserprophetien  S.  24,  Kaiseridee  S.  12  f.  178.  In 
diesen  gefährlichen  Zeiten,  schrieb  Alcuin,  bevor  Irene  die  Herrschaft  ergriffen 
hatte,  796  oder  797,  hat  Gott  Karl  dem  christlichen  Volke  geschenkt,  Ep.  121. 
Epist.  IV,  176,  15 ;  Christus,  äusserte  er  799,  nachdem  gubernator  imperii 
(Constantin  VI.)  depositus  sit,  Karl  rectorem  populi  christiani  disposuit.  Ep.  174 
S.  288.  Christlich-eschatologische  Vorstellungen  am  Ausgang  des  8.  Jahrb.  ver- 
muthet  Grauert,  Histor.  Jahrb.  XIX,  280  f.  in  einer  Stelle  des  Agnellus  c.  166 
S.  385,  die  kaum  genügenden  Anhalt  bietet.  Uebrigens  ist  das  politische  Dogma 
von  dem  Römerreich  als  letzter  Weltmonarchie  mit  der  Periodisirung  nach 
Weltaltern  vereinbar,  vgl.  Büdinger,  Die  üniversalhistorie  im  Mittelalter  (1898)  I, 
41  f.  II,  14.  17.  Wattenbach,  Geschichtsquellen*'  I,  205.  Sackur,  Sibyllinische 
Texte  1898  S.  10.  145  f. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen. 


25 


Diese  Darlegungen  bringen  die  Verhandlungen  nicht  zur  An- 
schauung. Auch  wenn  jene  Gründe  in  der  Versammlung  zur  Sprache 
gekommen  sein  sollten,  brauchen  sie  nicht  die  einzigen  oder  von 
sämmtlichen  Anwesenden  getheilt  zu  sein.  Die  Motive  können  bei 
der  byzantinischen  Partei  andere  gewesen  sein  als  bei  der  antibyzan- 
tinischen, bei  der  fränkischen,  bei  den  Autonomisten,  und  auch  ein- 
zelne Mitglieder  dieser  Gruppen  können  verschiedener  Meinung  und 
gleichwohl  darin  eines  Willens  gewesen  sein  Karl  zu  wählen.  Es 
deutet  auf  neue  Absichten,  dass  man  Karl  erkor,  auf  Beweggründe, 
die  bei  früheren  Kaiserwahlen  fehlten,  auf  die  Neigung  nicht  in  dem 
Bestehenden  zu  beharren  sondern  eine  neue  Zeit  zu  eröffnen,  allein 
wir  dürfen  die  Motive,  auch  wenn  wir  über  sie  einen  zuverlässigen 
Bericht  besässen,  nicht  für  das  Einzige,  nicht  für  das  Rechtliche 
halten.  Für  das  juristische  Wesen  des  Acts  ist  aus  den  mitgetheilten 
Erwägungen  nichts  zu  entnehmen  oder  doch  bloss  die  Alleinherrschaft 
Irenes  zu  verwerthen.  In  rechtlicher  Hinsicht  ist  das  Mittel  mass- 
gebend, über  welches  die  Versammelten  verfügt  haben  und  über  dessen 
Anwendung  sie  einig  geworden  sind:  sie  wollten  einen  römischen 
Kaiser  wählen  und  sie  wollten  Karl  als  diesen  Kaiser,  Sie  wählten 
ihn.  Nicht  eine  neue  Institution,  sondern  ein  neuer  Imperator,  das 
war  ihr  Wille.  Was  sie  thaten,  wussten  sie;  welche  Folgen  ihre  Hand- 
lung haben  würde,  wussten  sie  nicht  und  konnten  sie  nicht  wissen,  da 
nicht  sie  hierüber  zu  bestimmen  hatten  sondern  zunächst  dem  Kaiser 
überlassen  mussten,  welche  von  ihren  Plänen  er  verwirklichen  und 
welche  von  ihren  Hoffnungen  und  Erwartungen  er  nicht  erfüllen  werde. 
Es  ist  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich,  dass  irgend  ein  Zeit- 
genosse im  J,  800  eine  bestimmte  oder  die  richtige  Vorstellung  von 
der  Tragweite  der  Kaiserwahl  Karls  besessen  oder  auch  nur  voraus- 
gesehen hat,  dass  zuerst  eine  Vergrösserung  und  in  Folge  dessen  eine 
Theilung  des  Reiches  und  eine  Spaltung  der  Kirche  eintreten  werde. 
Selbst  Karl  hat,  als  er  die  Peterskirche  als  Imperator  verliess,  die 
Geschichte  seines  Imperiums  nicht  geahnt.  Allein  ihre  Unkenntniss 
der  Zukunft  bleibt  ohne  Belang  für  den  Willen  der  Römer  einen 
Kaiser  des  römischen  Reiches  zu  bestellen  und  für  Karls  Willen  dieser 
Kaiser  zu  werden. 

Für  die  Rechtsfrage  kommt  es  darauf  an,  ob  die  Versammlung 
von  Wahlberechtigten  besucht  gewesen  ist  und  diese  ihre  Zustimmung 
zu  Karls  Erhebung  erklärt  haben.  Für  beides  spricht  mehr  als  eine 
blosse  Vermuthung.  In  der  vornehmen  Versammlung  haben  römische 
Bürger  weder  unter  den  Geistlichen  noch  unter  den  Laien  gefehlt; 
unter  diesen  befanden  sich  Befehlshaber  der  Miliz  und  andere  Manu  er 


26  Wilhelm  Si  ekel. 

ohne  militärisclieu  Rang.  Sie  erscheinen  nicht  als  Zuhörer  oder  als 
Eathgeber  des  Papstes  sondern  als  gleichmässig  wollende,  als  gleich- 
berechtigte Mitglieder  einer  Versammlung,  an  deren  Beschluss,  soweit 
er  ein  Rechtsact  war,  sie  rechtlich  theilgenommen  haben  i).  Auch 
wenn  sie  etwa  den  Vorschlag  Leos  gebilligt  hätten,  würden  sie  recht- 
lich nicht  eine  Entschliessung  Leos  gutgeheissen  sondern  selbst  be- 
schlossen haben.  Man  mag  über  ihren  factischen,  ihren  politischen 
Werth  verschieden  urtheilen,  aber  da  nicht  nur  ihre  Anwesenheit 
sondern  auch  ihre  Betheiligung  an  dem  Beschluss  bezeugt  und  demnach 
auf  ihre  Zustimmung  Gewicht  gelegt  ist,  so  ist  diese  Bedingung  einer 
gültigen  Wahl  erfüllt  worden.  Denn  mehr  als  eine  formlose  Zustimmung 
Wahlberechtigter  ist  nach  dem  Reichsrecht  nicht  erforderlich  gewesen 
und  ein  verfassungsmässiges  Verhältniss  zwischen  ihnen  und  Dritten 
hat  das  römische  Staatsrecht  nicht  gekannt;  jedermann  konnte  die 
Wähler  in  Bewegung  setzen  und  beeinflussen.  Mehr  als  in  Coustan- 
tinopel  konnte  man  in  Rom  für  die  Rechtmässigkeit  einer  W^ahl 
nicht  verlangen. 

Die  Einhaltung  dieser  Ordnung,  deren  Beobachtung  der  kaiser- 
lichen Partei  nicht  die  geringste  Schwierigkeit  machen  konnte,  um 
ihr  Ziel  zu  erreichen,  entscheidet  noch  nicht.  Denn  wir  dürfen  nicht 
eine  Handlung  für  eine  Rechtsausübung  halten,  die  es  nur  sein  kann 
aber  nicht  sein  muss.  Mit  dem  Zugeständuiss,  dass  Wahlberechtigte 
gewählt  haben,  räumen  wir  noch  nicht  ein,  dass  sie  als  Staatsbürger 
gewählt  haben,  dass  sie  ihre  Wahlberechtigung  in  dem  Römerreiche, 
für  das  sie  wählen  wollten,  als  dessen  Mitglieder  bethätigten,  —  sie 
hätten  bei  diesem  Act  auch  auf  einem  anderen  Boden  stehen  können. 
Es  bedarf  eines  anderen  Beweises  als  ihres  Wahlrechts  dafür,  dass  sie 
.  sich  bewusst  waren  ein  Stimmrecht  als  Reichsbürger  auszuüben  und 
in  diesem  Sinne  als  Vertreter  des  gesammten  Volkes  den  Willen  des 
Volkes  haben  äussern  wollen,  aber  mit  welchen  Mitteln  vermögen  wir 
ihre  Gesinnungen  zu  erforschen?  Unsere  Quellen  gewähren  über  die 
Rechtsanschauungen  der  Wähler  keine  unmittelbare  Auskunft,  aber 
sie  lassen  erkennen,  dass  den  Römern  nicht  das  Bewusstsein  fehlte, 
dass  sie  Römer  wären,  dass  sie  für  das  römische  Rpich  eintreten 
dürften:  sie  zeigten  es  durch  die  Anordnung,  dass  sie  an  dem  Act  in 
St.  Peter  nur  Römer  betheiligten.  Mit  dieser  Massregel  erklärten  sie 
es  für  belanglos,  dass  au  der  Wahlversammlung  auch  Fremde  theil- 
genommen hatten,  wenn  auch  bei  den  Berathungen  über  die  Wahl 
ein  Gegensatz  zwischen  Ausländern  und  Reichsangehörigen  nicht  be- 
merklich geworden  sein  mag.  Hätten  die  Wähler  sich  als  Christen 
')  Oben  S.  20.     Vgl.  noch  Gasquet,  De  translat.  imperii   1879  S.  36  f. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  27 

oder  als  Abendländer  gedacht  oder  sonst  als  freie  Schöpfer  gefühlt, 
so  würden  sie  bei  dem  Act  in  St.  Peter,  der  überdies  keine  blosse 
Feierlichkeit  war,  auf  die  Eigenschaft  des  Römers  keinen  Werth 
gelegt  sondern  auch  Franken,  die  doch  an  socialem  Ansehen  ihnen 
nicht  nachstanden,  hinzugezogen  haben.  Die  Hervorhebung  der  Römer 
müsste  befremdeu,  wenn  wir  Grund  zu  der  Annahme  hätten,  dass  sie 
nicht  als  Römer  handelten.  Jene  Ausschliessung  der  Ausländer  wird 
nicht  anders  erklärt  werden  können,  als  dass  die  Römer  sich  in 
Geltendmachung  eines  römischen  Rechts  begriffen  glaubten,  wie  sie 
ja  auch  für  ihren  Staat,  der  die  Fremden  von  Rechts  wegen  nichts 
anging,  und  nicht  für  das  Frankenreicli  oder  einen  anderen  Theil 
des  Occidents  thätig  werden  wollten.  Indem  sie  sich  für  nothwendig 
und  die  Nicht-Römer  für  entbehrlich  hielten,  bewiesen  sie,  dass  sie 
eine  ihnen  nach  der  Verfassung  zustehende  Befugniss  ausüben  wollten. 

Die  Römer  waren  im  J.  800  noch  halb  antik.  Sie  besasseu  nicht 
nur  persönliches  sondern  auch  nationales  Selbstgefühl.  Sie  hatten 
weder  langobardisch  noch  fränkisch  werden  sondern  römisch  bleiben 
wollen.  Durch  ihre  Vergangenheit  bestimmt  und  von  ihren  alten  An- 
schauungen abhäugig,  hatten  sie,  von  denen  das  Reich  ausgegangen 
war,  die  Träger  des  politischen  Dogmas  von  der  Ewigkeit  des  Römer- 
staats, ihre  Gedanken  auf  das  Reich  gerichtet:  ihm,  ihrem  Reiche 
wollten  sie  einen  Imperator  geben.  Indem  sie  bei  ihrem  Thun  in 
allen  erkennbaren  Dingen  nach  den  ihnen  von  Alfers  her  bekannten 
Vorschriften  ihres  Reiches  verfuhren,  haben  sie,  —  dieser  Schluss 
scheint  mir  unabweisbar  —  wenn  sie  für  das  Reich  wählen  durften, 
auch  in  dem  Falle  auf  Grund  ihres  Reichswahlrechts  wählen  wollen, 
dass  sie  nicht  gedachten  dem  Osten  zu  helfen.  Denn  diese  Absicht 
war  mit  der  Anwendung  des  Wahlrechts  durchaus  vereinbar.  Sie 
konnten,  während  sie  sich  dieses  Mittels  bedienten,  aus  dem  antiken 
Vorstellungskreise  heraus  einen  Imperator  creiren  und  doch  ihre  be- 
sonderen Interessen  verfolgen  oder  erreichen. 

Wir  kommen  zu  demselben  Ergebniss,  wenn  wir  annehmen,  dass 
eine  Wahl  vor  dem  25.  December  nicht  stattgefunden  hat  sondern 
Wahl  und  Verkündung  zusammengefallen  sind.  Der  Unterschied  be- 
stände nicht  in  dem  Recht  sondern  in  der  Ausübimgsform  des  Rechts. 
Die  den  Römern  von  der  Reichsverfassung  gewährte  Befugniss  würde 
die  nämliche  sein,  wenn  sie  vorzogen  in  demselben  Augenblick  zu 
wählen  und  zu  verkünden,  als  wenn  sie  die  Acte  zeitlich  von  einander 
trennten.  Denn  in  beiderlei  Gestalt  durften  Imperatoren  creirt  werden. 
Die  Wähler  fühlten  sich  auf  dem  einen  wie  auf  dem  anderen  Wege 
innerhalb  des  Reiches  und  handelten  nach  dessen  Ordnungen. 


28  Wilhelm  Si  ekel. 

Am  25.  Deceraber  müssen  wir  sowohl  die  Kömer  als  Leo  III. 
berücksichtigen. 

Die  Römer  haben  ausgerufen:  Karl,  dem  Augustus  und  Imperator 
Leben  und  Sieg!  In  diesem  Zuruf  erblickt  unser  römischer  Bericht 
nicht  die  Begrüssuug  eines  Imperators,  sondern  die  Einsetzung  eines 
Imperators,  nicht  eine  Aeusserung  der  Freude  sondern  einen  Aus- 
druck des  Willens  i).  Einzelne  fränkische  Chronisten  sprechen  sich  nicht 
mit  gleicher  ünzweideutigkeit  aus,  sie  berichten  lediglich  den  Ausruf 
der  Kömer  ^).  Dass  jedoch  auch  Franken  die  Auffassung  theilten,  die 
Römer  hätten  nicht  dem  Kaiser  zugerufen  sondern  den  Kaiser  aus- 
gerufen, zeigen  diejenigen  Annalisten,  welche  die  ihnen  aus  der  Lite- 
ratur bekannte  technische  Bezeichnung  der  Verkündung  auf  die  rö- 
mische Handlung  angewendet  haben  3).  Sie  sind  Zeugen  der  Auffassung 


*)  Ab  Omnibus  constitutus  est  imperator  Romauorum,  Vita  Leonis  III  c.  23. 
Vgl.  Luden,  (oben  S.  2)  V,  3.  479.  constituere  in  demselben  Sinne  wie  Ann. 
regni  Franc.  813  S.  139. 

2)  Acclamare  (statt  des  gleichbedeutenden  exclamare  der  Vita  Leonis)  Ann. 
regni  Franc.  801  S.  112.  Chron.  Anian.  801,  Vedast.  801.  Ann.  Fuld.,  Maxim.  801 
SS.  I,  305.  XIII.  706.  I,  352.  XIII.  23.  conclamat  populus,  Poeta  Saxo  IV,  14. 
Jaffe  IV,  594.  Leo  III.  krönte,  tunc  populus  Romanus  clamavit,  Petrus  Bibl., 
Hist.  Fr.  801  SS.  I,  41  f.  Nach  der  Benediction  a  cuncto  Romano  augusto  est 
appellatus,  Benedictus  unten  S.  34  Anm.  2. 

3)  Die  Benutzer  eines  verlorenen  Geschichtswerks  haben,  indem  sie  dessen 
z.  ß.  durch  Chron.  Vedast.  a.  0.  überlieferten  Ausdruck  acclamare  durch  appellare 
ersetzten,  nicht  den  Sinn  ändern  wollen  sondern  den  Zuruf  als  Ausrufung  zum 
Imperator  verstanden.  So  die  noch  unter  Karl  schreibenden  Verfasser  der  Ann. 
Lauriss.  min.  800  (Berliner  Sitzungsber.  1882  S.  415)  und  der  Ann.  Lob.  801 
SS.  XIII.  230;  über  die  Quellenverhältnisse  Kurze.  Neues  Archiv  XXI,  31.  33. 
41  f.  Eine  andere  Ableitung  hat  nicht  minder  deutlich  per  electionem  Romani 
populi  Karl  das  Imperium  erwerben  lassen.  Vita  Willehadi  c.  5  SS.  II.  381.  In 
Fulda  hat  man  sofort  an  den  Rand  der  Ostertafel  geschrieben :  Karolus  a  Ro- 
manis est  appellatus  augustus,  Ann.  Fuld.  ant.  801  rec.  Kurze  1891  S.  138.  Von 
hier  mag  diese  Fassung  in  Hersfelder  Annalen  gekommen  sein,  aus  denen  sie  in 
die  Jahrbücher  Lamberts,  von  Weissenburg,  Quedlinburg.  St.  Alban,  Ottobeuern 
und  wohl  auch  in  Marianus  Scotus  übergegangen  ist,  Lampert  rec.  Holder-Egger 
1894  S.  20.  21.  SS.  III,  40.  II,  240.  V.  2.  549,  7;  aus  Fulda  stammen  ferner 
Ann.  capit.  Cracov.  801,  Neues  Archiv  XXIV,  257  und  Cod.  E  der  angelsächs. 
Chronik,  Pauli,  Götting.  gel.  Anz.  1866  S.  1416  f.  Wohl  eine  dritte  Quelle  mit  dieser 
Fassung  bieten  Ann.  Colon.  801  SS.  I,  97,  auch  bei  Jafie  et  Wattenbach,  Ecclesiae 
Colon.  Codices  1874  S.  127,  hieraus  Ann.  S.  Benign!  Div.  800  SS.  V,  38,  auf  die 
Ann.  Norm.  Rotom..  Utic.  Gemmet.  SS.  XXVI.  492  f.  —  die  Grundlage  der  Ann. 
Lund.  801  SS.  XXIX,  196,  aus  denen  Ann.  Colbaz.  800  SS.  XIX,  713  schöpften  — 
zurückgehen.  Diese  durch  von  einander  unabhängige  Zeitgenossen  bezeugte  Volkswahl 
hält  in  der  Geschichtschreibung  noch  lange  an,  ohne  dass  wir  die  Gewährsmänner 
kejincn.  z.  B.  bei  Folcwin,  Gesta  abb.  Bert.  c.  39  SS.  XIII,  613,  Ademar  von  Chabannes 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Orosseo.  29 

ausserhalb  Roms,  dass  die  Römer  einen  staatsrechtlichen  Act  vollzogen 
haben,  welcher  als  der  Rechtsgrund  für  Karls  Imperium  galt  ^).  Liessen 
sie  hierbei  Leo  III.  oft  unerwähnt,  so  wollten  sie  ihn  nicht  aus- 
schliessen  sondern  sie  begriffen  ihn  unter  den  Römern  ein  und  sie 
konnten  ihn  diesen  zurechnen,  weil  er  als  Römer  betheiligt  ge- 
wesen war '-). 

Die  Worte  der  Römer  sind  vollständig  erhalten  3).   Es  sind  Worte, 


II,  1  publ.  p.  Chavanon  1897  S.  68  und  bei  Symeon  a.  0.  Alle  Quellen  nennen 
als  Ausrufende  nur  Römer  mit  Ausnahme  der  Ann.  Lauriss.  min,  (aus  ihnen 
Ann.  Hildesh.),  welche  ihre  Vorlage  durch  die  Franken  erweitern  (s.  Waitz, 
Berliner  Sitzungsber.  1882  S.  408),  als  ob  mitrufende  Franken  mitwirkende 
Reichsleute  gewesen  wären.  Die  Ann.  Sith.  801  SS.  XIII.  37  geben  nur  die 
Proclamation  als  Kaiser  an  ohne  die  Römer  zu  erwähnen.  In  Ann.  regni  Franc. 
801  S.  112  und  Chron.  Moiss.  801  SS.  I,  305  ist  appellatus  natürlich  anders  ge- 
meint.   Vgl.  die  Ausdrucksweise  von  Liudprand,  Ant.  III,  26.  30.  35  S.  66.  67.  68. 

')  Für  eine  römische  Wahl  z.  B.  Grotius  II,  9,  11.  Severinus  de  Monzam- 
bano  c.  I  §  7.  Bünau  a.  0.  II,  544.  Pütter.  Staatsverfassung  I,  61  f.  Villari, 
Saggi  storici  e  critici  1890  S.  132.  Löher  a.  0.  II,  176.  Sohm,  Kirchengesch. 
8 1893  S.  6  f.  Lapotre  a.  0.  I,  235  vgl.  239,  vgl.  Bury,  Later  Roman  Empire  II, 
507.  Die  Acclamation  bedeutet  kein  rechtliches  Handeln  nach  Döllinger  III,  120. 
133  f.,  Bryce  a.  0.  53,  Hergenröther,  Kircheng.  ^I,  505,  Gasquet  283,  Berthelot  (oben 
S.  12)  I.  368.  Mühlbacher  a.  0.  S.  201.  Die  Franken  würden  schwerlich  geschwiegen 
haben  oder  verschwiegen  sein,  wenn  es  sich  um  die  Begrüssung  des  Imperators 
gehandelt  hätte.  War  es  hingegen  eine  Verkündung,  so  konnten  Wähler,  die 
in  der  früheren  Versammlung  gefehlt  oder  Karls  Wahl  nicht  zugestimmt  hatten, 
indem  sie  ihn  jetzt  mit  ausriefen,  ihn  mitconstituiren.  Jedoch  revoltirten  die 
Römer  nach  Laurent  a.  0.  ^V,  137  f.  Bryce  a.  0.  S.  54  anders  als  S.  43.  Gre- 
gorovius,  Rom  ■'II,  481.  Freeman,  Historical  essays  1871  S.  142.  Siegel,  Rechts- 
gescb.  §  66.  Hodgkin,  Charles  the  Great  1897  S.  198  (sie  hätten  aber  doch  ein 
Recht  gehabt  S.  199).  Ein  Hochverrath  des  Papstes,  Dahn,  Könige  VIII  •%  59, 
Für  legitimen  Ursprung  Leroux  (oben  S.  2,  3)  S.  242,  vgl.  Daniels  a.  0.  I,  98. 
Reumont,  Rom  II,  1867,  S.  135  ist  wohl  nach  Döllinger  III,  131  redigirt. 

2)  Baxmann  a.  0.  I,  316  wendet  sich  gegen  Döllinger  111,  143,  nach  welchem 
der  Papst  übergangen  sei,  weil  er  als  Vollstrecker  des  römischen  Volksbeschlusses 
gedacht  sei.  Als  Repräsentanten  des  Volkes  nehmen  ihn  Daniels  a.  0.  Pichler 
a.  0.  I,  154.  Sugenheim  a.  0.  I,  405.  K.  Müller,  Kirchengesch.  I,  1892,  S.  357 
Gregorovius  III,  18  und  Niehues,  Kaiserthum  und  Papstthum  II,  1887,  S.  7 
stellen  die  Wahl  der  Römer  und  die  Weihe  des  Papstes  so  neben  einander,  als 
ob  die  Erwerbung  des  Imperiums  rechtlich  beide  erfordert  hätte  oder,  wie 
Conring  oben  S.  15,  1  ohne  Begründung  behauptet,  zwei  Creatoren,  die  Römer 
und  der  Papst,  bestanden  hätten,  deren  keiner  allein  rechtmässig  wählte. 

8)  Vita  Leonis  III.  c.  23:  Karolo  püssimo  Augusto  a  Deo  coronato  magno 
et  pacifico  imperatore  vita  et  victoria !  Die  Ann.  regni  Franc.  801  S.  112  lassen 
püssimo  aus  und  fügen  nach  imperatori  Romanorum  hinzu.  Die  Worte  sind 
fast  dieselben  wie  in  zwei  römischen  Litaneien  auf  König  Karl  (783 — 794, 
Album    palöographique    1887   PI.  17.    799   oder   800,   Duchesne,    Lib.    pontif.  II, 


30  Wilhelm  Sickel. 

welche  in  verschiedener  Bedeutung  gebräuchlich  waren.  Der  Wunsch 
einer  langen  glücklichen  Regierung  konnte  einem  regierenden  Kaiser 
ausgesprochen  werden,  dieselben  Worte  waren  jedoch  auch  geeignet 
zu  einer  Verkündung  zu  dienen  ^).  Nicht  das  Wort  sondern  der  Wille 
ist  entscheidend,  auf  ihn  kommt  es  an.  Dass  die  Römer  ihre  Aus- 
rufung unter  diesen  Umständen  als  Creationsact  gemeint  haben,  be- 
zeugt das  Papstbuch  mit  der  Bemerkung,  dass  sie  Karl  zum  Kaiser 
bestellt  haben,  der  Zweck  ihres  Zurufs  mithin  das  Augebot  des  Im- 
periums gewesen  ist.  Dieselbe  Gesinnung  erhellt  aus  dem  appellare 
der  fränkischen  Quellen.  Eine  derartige  Begrüssung  konnte  so  gemeint 
sein,  dass  sie  Wahl  und  Verkündung  zugleich  bedeutete,  oder  so,  dass 
sie  eine  frühere  Wahl  rechtlich  kundthat.  Unsere  Ueberlieferuug 
fordert  nicht  diesen  Act  als  einen  unmittelbar  kundgemachten  Volks- 
beschluss  zu  fassen  und  sie  oder  die  Sachlage  lässt  ihn  eher  als  die 
Verkünduug  eines  früheren  Volksbeschlusses  verstehen.  Mögen  aber 
die  beiden  Bestandtheile,  aus  denen  sich  die  staatliche  Handlung  zu- 
sammensetzte, diesmal  getrennt  oder  verbunden  gewesen  sein,  in  jedem 
Falle  konnte  die  kaiserliche  Gewalt  nur  auf  Grund  einer  Verkündun«: 
erworben  werden,  erst  sie  gab  die  rechtliche  Möglichkeit  die  Wahl 
anzunehmen,  weil  erst  durch  sie  dem  Erkorenen  das  Imperium  auge- 
boten wurde.  Die  Verkündung  ist  daher  der  auf  Seiten  der  Wähler 
entscheidende  Act  gewesen  und  ihre  Hervorhebung  mit  einer  voraus- 
gehenden Wahl  im  Einklang. 

Welche  Stellung  Leo  III.  bei  der  Verkünduug  eingenommen  hat, 
ist  für  den  concreten  Hergang  von  untergeordneter  und  für  das  Recht 
von   keiner  Bedeutung.     Er    könnte    eine    besondere  Verkündung   ge- 


37  A.  33),  nur  die  wichtigsten  sind  geändert:  statt  rex  und  patricius  erscheint 
jetzt  Augustus  und  imperator.  Vita  et  victoria  wird  einem  Kaiser  gewünscht  im 
Lib.  diurn.  85  S.   110,  8  vgl.  60  S.  54,  3  f. 

')  Ueber  die  Verschiedeuartigkeit  der  Acclamationen,  welche  Wattenbach, 
Gesch.  des  Papstthums  1876  S.  50  nicht  beachtet  hat,  Bulengerus,  De  imperatore 
et  imperio  Romano  ed.  1618  S.  163  f.  Daremberg  et  Saglio.  Dictionnaire  des 
antiquites  1.  1877,  S.  19.  Ruggiero.  Dizionario  di  autichitä  romane  I,  1895, 
S.  73  f.  Die  formelhaften  Zurufe  der  Menge  bei  einer  Krönung  durch  den 
Patriarchen,  vor  ihr  oder  nach  ihr  (Coustantiu.  Porphyrog.,  Cerim.  I.  38.  91. 
92—94  S,  193,  5.  411.  423.  424.  429,  10.  432,  13  ed.  Bonn),  wie  früher  bei  der 
Verkündung  einer  Wahl  (z.  B.  Flavius  Vopiscus,  Tacitus  c.  7,  3),  sind  nicht  Aus- 
rufungen als  Kaiser.  Acclamationen  letzterer  Art  z.  B.  seitens  der  Senatoren 
bei  Julius  Capitolinus,  Maximus  et  Balbinus  c.  2.  3,  1.  Der  Zuruf  von  Wahl- 
berechtigten reichte  hin  um  die  Erwerbung  der  kaiserlichen  Gewalt  zu  ermög- 
lichen, z.  B.  salutatus  a  militibus  imperator,  Aelius  Spartianus,  Vita  Hadriani 
c.  6,  2.  So  sind  Nicephorus  I.,  Michael  I.,  Leo  V.  verkündet  und  also  auch 
gewählt,    ihre  kirchliche  Krönung  ist  nachgefolgt,    Theophanes  S.  476.  493.  502. 


Die  Kaiserwahl  Knrls  des  Grossen. 


31 


sprechen  oder  die  Worte  zuerst  gesagt  haben,  welche  nach  ihm  die  Römer 
wiederholt  hätten,  oder  er  hätte  sich  gleichmässig  au  dem  Ausruf  der 
übrigen  betheiligt  oder  seine  Zustimmung  nur  durch  die  Kröuungs- 
handlung  zum  Ausdruck  gebracht,  so  dass  seine  Betheiligung  au  der 
Wahl  oder  an  der  Verkündung  in  dieser  Verrichtung  mitgegeben  war. 
Sein  amtlicher  Biograph  scheint  an  das  letztgenannte  Verhalten  zu 
denken.  Indem  er  schreibt:  Leo  III.  hat  Karl  gekrönt,  die  Römer 
haben  ihn  als  Imperator  ausgerufen,  Alle  haben  ihn  eingesetzt,  nennt 
oder  meint  er  als  die  Rufenden  wohl  die  anderen  Römer  und  lässt 
er  als  constituirende  Willensäusserung  Leos  die  Krönung  gelten.  Ein 
fräukischer  Annalist,  welcher  ihm  eine  gleichartige  Betheiligung  au 
der  Ausrufung  wie  den  Römern  beilegt,  und  spätere  byzantinische 
und  abendländische  Historiker,  die  ihm  eine  besondere  Verkündung 
zutheilen  i),  können  die  Thatsache  nicht  verbürgen,  jener  Franke  nicht, 
weil  er  eine  Vorlage,  die  nach  anderen  Ableitungen  anders  lautete, 
frei  wiedergegeben  hat,  ohne  eigene  Kenntniss  von  der  Sache  zu 
haben,  und  diese  nicht,  weil  sie  die  sonst  übliche  Verkündung  durch 
den  Krönenden  hier  hinzugefügt  haben  mögen.  Schenken  wir  ihnen 
jedoch  Glauben,  so  würde  die  rechtliche  Beurtheilung  der  Mitwirkung 
Leos  unverändert  bleiben.  Er  würde  entweder  auf  Grund  einer  vor- 
gängigen Vereinbarung  zu  dieser  Verkündigung  berechtigt  und  ver- 
pflichtet gewesen  sein  oder  er  hätte  sie  als  üblichen  Bestaudtheil  der 
Krönung  vorgenommen.  Eine  rechtlich  wirksame  Verkündung  hatte 
die  Beziehung  auf  eine  gültige  Wahl  und  die  befugte  Vertretung  der 
creirendeu  Gewalt  zu  ihrer  Voraussetzung.  Die  rechtliche  Grundlage 
des  karolingischen  Imperiums  würde  übrigens  keine  andere  werden, 
wenn  dem  Zuruf  der  Römer  der  Sinn  einer  Ausrufung  als  Imperator 
nicht  zukäme  sondern  die  Handlung  des  Verkündens  ausschliesslich 
Leo  III.  zugeschrieben  werden  müsste.  Denn  die  Wahl  durch  die 
Römer  ist  nicht  davon    abhängig,    dass  sie  ihren  Gewählten  auch  mit 


•)  Ann.  Lauriss.  min.  800,  Berliner  Sitzungsber.  1882  S.  415,  unter  Karl 
geschrieben.  Zonaras  XV,  13,  14.  22,  Manasses  4515  und  ein  Aufsatz  in  Monu- 
menta  Graeca  ad  Photium  pertinentia  ed.  Hergenröther  186"9  Ö.  173.  Notker  I,  26 
S.  658.  Frutolf,  Chron.  uuiv.  bOl  SS.  VI,  169,  27  in  freier  Wiedergabe  der  Reichs- 
aunalen.  Die  Verkündung  schreiben  Leo  zu  Grotius  II,  9,  1 1  und  Zeller  (oben  S.  5,  1) 
S.  6  f.,  dieser  mittels  der  von  Vita  Leonis  überlieferten  Worte.  Spittler  oben 
S.  2  Anm.  1  lässt  ihn  diese  Worte  zuerst  rufen.  Nach  der  Reichsordnung  hat  ein 
Bischof,  welcher  einen  Gewählten  verkündete,  entweder  gemäss  dem  Willen  der 
Wähler  in  deren  Vertretung  die  staatsrechtliche  Verkündung  oder,  wenn  diese 
bereits  der  Krönung  vorausgegangen  war,  eine  unwesentliche  Feierlichkeit  vor- 
genommen. Vgl.  die  Verkünduug  des  Thomas  822,  Theophanes  cont.  S.  55,  1. 
Cedrenus  II,  78,  8.     Zonaras  XV,  22,  29. 


32  Wilhelm  Sickel. 

eigenem  Munde  verkündet  haben,  sondern  davon,  dass  das  Imperium 
durch  ihre  Willenserklärung  angeboten  ist.  Auch  wenn  sie  die  Ver- 
kündung zum  Zweck  des  Angebots  der  kaiserlichen  Gewalt  ausdrück- 
lich oder  stillschweigend  Leo  III.  überlassen  hätten,  würde  die  Wen- 
dung, dass  sie  Karls  Wahl  verkündet  haben,  insofern  richtig  sein,  als 
Leo  für  sie  verkündete. 

Von  den  besonderen  Geschäften  des  Papstes  ist  nur  die  Krönung 
sicher  überliefert  i).  Wenn  die  Wahl  in  Rom  in  staatsrechtlichem 
Sinne  zu  verstehen  ist,  so  ist  auch  die  Krönung  aus  dem  byzantini- 
schen Brauche  zu  erklären  und  zu  bestimmen;  sie  verhält  sich  zu 
Karls  Creirung  wie  eine  sonstige  Krönung  im  byzantinischen  Reiche 
bei  einem  von  dem  Volke  gewählten  Imperator.  Wie  die  Constanti- 
nopolitaner  durch  ihren  Patriarchen,  so  krönten  die  Römer  durch 
ihren  Papst.  Der  krönende  Bischof  war  nicht  der  creirende  Gewalt- 
haber; er  nahm  die  Krönung  nur  rechtmässig  vor,  wenn  die  reichs- 
rechtlichen Voraussetzungen  für  die  staatliche  Creirung  des  Imperators 
vorhanden  waren.  Mit  der  Anwendung  einer  allen  Römern  vertrauten 
Reichsordnung  kann  Leo  nicht  einen  Sinn  verbunden  haben,  der  ein 
neuer  gewesen  sein  würde  und  der  aus  dieser  blossen  Form  nicht  zu 
entnehmen  gewesen  wäre.  Dass  die  Römer,  welche  ihn  kröneü  sahen, 
nicht  besondere  von  den  byzantinischen  abweichende  Vorstellungen 
gehabt  haben,  etwa  die,  dass  der  krönende  Geistliche  den  Kaiser 
creire,  hat  das  Papstbuch  durch  sein  Zeugniss,  dass  der  Rechtsgrund 
für  die  Annahme  des  Imperiums  die  Willensäusserung  Aller  gewesen 
ist,  sichergestellt.  Mag  immerhin  nicht  Allen,  welche  den  Hergang 
sahen,  besprachen  oder  beschrieben,  die  zur  Anwendung  gekommene 
Ordnung  bekannt  gewesen  sein,  den  Männern,  auf  welche  es  am 
25.  December  800  ankam,  ist  sie  hinlänglich  bekannt  gewesen.  Keiner 
von  ihnen  konnte  zweifeln,  dass  die  Krönung  in  Rom  unter  diesen 
Verhältnissen  Leo  III.  zufallen  müsse,  aber  ein  jeder  wusste  auch, 
dass  er  nicht  die  ausschliessliche  Befugniss  besitze  dem  Herrscher  die 
Krone  aufzusetzen  und  dass  er  durch  diese  seine  der  byzantinischen 
Sitte  entsprechende  Betlieiligung  nicht  in  neue  Beziehung  zu  dem 
Imperator  trete. 

Wenn  ein  Reichsbischof  krönte,  so  war  der  Imperator  bereits 
bestimmt  aber  nicht  nothwendig  auch  verkündet.  Hier  konnte  mit  der 
Krönungshandlung  eine  Verkündung  verbunden  und  mit  der  Annahme 

')  Die  Bekleidung  mit  dem  Purpur  melden  Theophanes  473,  3  nnd  Symeon 
a.  Ü.,  dieser  ausserdem  die  Ueberreichung  eines  Scepters.  Beide  Handlungen 
Leos  glaubt  Pauli,  Forsch,  z.  deutschen  Gesch.  XII,  164  und  beide  verwerfen 
wohl  mit  Recht  Waitz  III,  191  und  Mühlbacher,  Deutsche  Gesch.  S.  201. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen. 


äs 


der  Krone  die  Annahme  der  Walil  erklärt  werden.  Am  25.  December 
hat  die  Krönung  der  Annahme  der  Wahl  gegolten.  Wie  vormals  welt- 
liche Wähler  dem  von  ihnen  Erkorenen,  zuweilen  wider  sein  Erwarten, 
ein  Purpurgewand  umgeworfen  oder  ein  Diadem  aufgenöthigfc  hatten  i), 
so  benutzte  jetzt  Leo  III.  die  Krone  um  Karl  zur  Annahme  der  Wahl 
zu  drängen,  ohne  dass  die  rechtliche  Sachlage  durch  die  Ueberraschung 
des  Königs  geändert  wurde.  Es  war  freilich  neu,  dass  ein  Reichs- 
bischof that,  was  früher  nur  Soldaten  oder  Senatoren  gethan  hatten, 
aber  es  war  doch  nur  die  neue  Anwendung  eines  allgemein  anwend- 
baren Rechts.  Niemand  hat  geglaubt,  dass  Leo  mit  dieser  Handlung 
über  das  Imperium  verfügen  wollte.  Zudem  diente  die  Krone  nicht 
der  Traditionssymbolik  sondern  der  Annahmeerklärung;  nach  römi- 
schem Staatsrecht  hat  der  Gewählte  die  kaiserliche  Gewalt  nicht  durch 
die  Krönung  erworben  sondern  der  Erwerbungsact  ist  ein  Act  seines 
Willens  gewesen  und  das  Tragen  der  Krone  eine  Annahmeform. 

Einige  Historiker  beschreiben  die  Krönungshandlung  so,  als 
ob  sie  eine  für  sieh  bestehende  voraussetzungslose  Handlung  gewesen 
wäre.  Sie  folgen  der  älteren  Historiographie,  welche  sich  oft  auf  eine 
Mittheilung  der  Krönung  beschränkt  hat.  Wie  diese  Vorgänger  ge- 
legentlich nur  berichteten,  ein  Bischof  habe  einen  Kaiser  gekrönt 
oder  ein  Kaiser  sei  gekrönt  worden  2),  so  erzählen  auch  sie,  dass  Karl 
gekrönt  wurde  oder  Leo  ihn  krönte.  Für  Theophanes  genügte  es  zu 
melden,  dass  Leo  die  Krone  aufgesetzt  habe,  weil  seine  Leser  den 
Sinn  einer  Krönung  kannten  3).  Andere  haben  nur  die  Krönung  ohne 
den  Krönenden  erwähnt  ^),  weil  der  Hergang  nicht  nur  äusserlich  dem 

')  Beispiele  sind  Decius  (Zosimus  I,  22,  1),  Maxentius  (Lactantius?  ,De 
mortib.  persec.  26,  3  vgl.  Socrates  L  2,  1),  Constantin  I.  (Paneg.  Constantino 
d.  c.  8  ed.  Bährens  S.  166),  Julian    Ammian  XX,  4.  17.  Herodian  11,  6,  16). 

2)  Leo  V.  GTEcpS-sl?  671Ö  N.  Ttatpidtp/oü.  Mansi  XIV,  17.  Occidentalische  Auf- 
zeichnungen, welche  von  einem  byzant.  Imperator  bloss  melden,  er  sei  gekrönt, 
ohne  Wahl,  Verkündung  und  den  Krönenden  zu  nennen,  bieten  Isidor  cont., 
Mommsen,  Chronica  II,  334.  347.  349.  355.  365 ;  addit.  ad  chron.  Bedana  das. 
III,  342.  Chronique  rimee  des  rois  de  Tolede,  ed.  p.  Taliban  1885  in  den  Ueber- 
schriften  der  Kap.  I— VII.  IX— XIII  u,  V.  1744  S.  50.  Lupus  Protosp.  913 
SS.  V,  53. 

3)  Theophanes  473,  1.  475,  11.  Manasses  4516:  Leo  krönte  nach  dem  Recht 
der  Römer.  Cedrenus  II,  28,  14.  Zonaras  XIV,  13,  14.  Mouumenta  Graeca 
ad  Photium  pertineutia  ed.  Hergenröther  1869  S.  156.  Die  Krönung  durch 
Leo  um  838  Mir.  Genesii  SS.  XV,  169.  25.  Petrus  Diac.  Epit.  Chron.  Casin., 
Muratori  SS.  II  a,  364  (aus  Anastasius  unten  S.  35,  3).  Johannes,  Gesta  ep,  Neapol. 
c.  48,  Script,  rer.  Langob.  S.  428,  7.     Chron.  Hildesh.  SS.  VII,  850,  18. 

4)  801  oben  S.  14  Anm.  1.  Um  810  Hist.  Langob.  cod.  Goth.  c,  9,  Script. 
rer.  Langob.  S.  10,  im  12.  Jb.  Albacrucius  das.  594,  44.     Ann.  Bawar.  brev.  801 

Mittheilungen  XX.  3 


54,  Wilhelm  Sickel. 

byzantinischen  geglichen,  sondern  auch  die  bisherige  Bedeutung  gehabt 
hatte.  Wahl,  Verküudung  und  Krönung,  diese  drei  Acte,  durch  welche 
der  römische  Staat  ein  Oberhaupt  zu  erhalten  pflegte,  konnten  in  der 
Geschichtschreibung  einander  vertreten,  deuu  in  der  Regel  ist  der 
Wahl  die  Verkündung  und  der  Verkündung  die  Annahme  und  die 
Krönung  gefolgt. 

Einzelne  Chronisten  der  Zeit  haben  den  Creationsact  gänzlich  aus 
den  Auo-en  verloren  und  an  seine  Stelle  eine  päpstliche  Benediction 
oder  Consekration  gesetzt.  Während  ein  älterer  Annalist  Karl  das 
ImperiuQi  mit  einer  Consekration  übernehmen  liess  i),  haben  Andere 
ausschliesslich  der  religiösen  Weibe  gedacht  -).  Auch  in  Constantiuopel 
ist  ein  Gebet  bei  der  Krönung  üblich  gewesen,  aber  wohl  niemals  war 
dasselbe  von  einem  byzantinischen  Historiker  in  dieser  alleinigen  Weise 
angegeben  worden.  Unsere  Gewährsmänner  vervollständigen,  falls  wir 
ihnen  glauben  dürfen,  unsere  Kenntniss  der  Krönungsfeier  durch  den 
vom  Papste  gesprochenen  Segen,  aber  sie  berichtigen  sie  nicht.  Sie 
verlefften  auch  nicht  die  Creation  in  die  kirchliche  Sanction  oder 
verwechselten  den  staatlichen  Act  mit  dem  sakralen,  als  ob  Leo  durch 
sein  Gebet  Karl  zum  Kaiser  gemacht  habe,  sondern  sie  meldeten  in 
ihrer  religiösen  Stimmung,  der  Papst  habe  seinen  Segen  über  den 
Kaiser  gesprochen.  Sie  theilten  jedoch  die  durch  Leo  III.  kraft 
bischöflicher  Gewalt  an  Karl  vollzogene  Consekration  kaum  vornehm- 
lich deshalb  mit,  weil  ihnen  djese  Sanction  durch  den  Vicar  des 
h.  Petrus  als  das  Erwähnenswertheste  bei  dem  Regierungsantritt  des 
ersten  karolingischen  Imperators  galt,  sondern  sie  wurden  vielleicht 
mehr  durch  den  Umstand  beeinflusst,  dass  sie  derartige  Benedictionen 
gewohnt    waren    in  der  Geschichte    ihrer  Könige    zu    lesen    und    auf- 


SS.  XX,  8.  Von  Michael  II.  sagt  Johannes,  Gesta  ep.  Neap.  c.  54.  Script,  rer. 
Langob.  S.  429,  21  =  Capasso,  Monum,  Neap.  I,  ]881.  S.  207,  dass  ihn  seine 
Wähler  diademate  coronarunt. 

1)  Ann.  Lauresham.  801,  hera,  von  Katz  Ö.  45,  danach  Chron.  Moiss.  u. 
Anian.  801  SS.  I,  305,  38.  306,  14  u.  Vita  Willehadi  c.  5.  Auch  Ann  Xant.  801 
SS.  II,  223,  ein  Auszug  aus  den  Reichsaimaleu,  haben  benedixit  ad  imperatorem 
sicut  mos  est  et  coronam  super  caput  eius  posuit. 

2)  ßenedicere,  Ann.  S.  Amandi  800  SS.  I,  14,  keine  selbständige  Quelle, 
Kurze,  Neues  Archiv  XXI,  45  f.  Benedictione  apostolica  accepta  Benedictus 
de  S.  Andrea  c.  23  SS.  III,  711  um  968.  Consecrare  Ann.  Juvav.  maj.  801 
SS.  III,  122.  fast  gleichzeitig.  Kurze  a.  0.  XXL  22.  Um  816  Erchanbert, 
Brev.  II,  328,  48,  nach  einer  Vorlage  geschrieben,  Kurze  a.  0.  XXL  31.  39. 
9.  Jahrh.  Addit.  ad  chron.  Bedana,  Mommsen.  Chronica  III,  345.  Chron.  brev. 
Alam.  SS.  XIII,  260,  35.  Später  sind  geschrieben  Ann.  S.  Bonifacii,  Chron.  Suev. 
univ.  (danach  Chron.  Wirzib.  u.  Ann.  Wirzib.  802).  SS.  III,  117.  XIII,  64,  6 
(=VI,  27.  II,  240),  Hist.  reg.  Franc,  c.  18  SS.  IX,  400,  Folcwin  c.  39  SS.  XIII,  613. 


i)ie  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  q^ 

zuzeichnen.  Mit  ihrer  einseitigen  Darstellung  haben  sie  ein  Urtheil 
über  das  Recht  auf  die  Herrschaft  bei  dem  Kaiser  so  wenig  als  bei  den 
Königen  abgegeben,  wohl  aber  ihre  hohe  Achtung  vor  der  Autorität 
des  Papstes  ausgedrückt. 

Die  Worte  Benediction  und  Consekration  können  eine  Salbung 
bedeuten,  aber  notwendig  ist  dieser  Sinn  nicht  i).  Die  Salbung  bedarf 
besserer  Beglaubigung.  Ihr  historisches  Interesse  liegt  darin,  dass  hier 
eine  Abweichung  von  der  byzantinischen  Sitte  zu  Tage  treten  könnte.  In 
Constantinopel  war,  soviel  wir  wissen,  im  8.  Jahrhundert  die  Salbung 
noch  nicht  eingeführt  ^).  Ob  Leo  III.  sie  angewendet  hat,  ist  fraglich. 
Die  Stelleu,  welche  sie  berichten,  beweisen  sie  nicht.  Der  einzige 
Zeitgenosse,  welcher  von  ihr  gesprochen  hat,  ist  ein  Byzantiner,  dessen 
Mittheilung  wahrscheinlich  aus  einer  Verwechslung  des  Vaters  Karl 
mit  dem  Sohne  Karl  zu  erklären  ist  ^).  Gegen  ihn  legt  die  Lebens- 
beschreibung Leos  III.  ein  gewichtiges  Zeugniss  ab.  Indem  sie  erzählt, 
der  Papst  habe  den  Kaiser  Karl  gekrönt  und  den  König  Karl  gesalbt, 
schliesst  sie  wohl  eine  Salbung  des  Kaisers  aus  *).  Die  seit  Ludwig  I. 
sich  mehrenden  Nachrichten  von  einer  Salbung  Karls  ^)  verdienen  keinen 


1)  So  Alberdiugk  Thijm,  Karel  de  Groote  1867  S.  537,  deutsche  Ausgabe 
1868  S.  351  t.  und  Mühlbacher,  Deutsche  Geschichte  S.  201.  Anderer  Meinung 
Waitz  III,  192  und  Bury,  Later  Roman  Empire  II,  506. 

2)  Bulengerus  a.  0.  S.  87  f.  Le  Quien,  Oriens  christianus  I,  1740,  S.  133. 
Gibbon  eh.  XLIX  n.  56,  von  Bury  in  seiner  Edition  V,  1898,  S.  269  nicht  ge- 
ändert. Balettas,  Photios,  Epistolai  1864  S.  533  mit  Beziehung  auf  eine  mir 
nicht  zugängliche  griechische  Arbeit.  Leber,  Des  ceremonies  du  sacre  1825 
S.  37.  Bury,  Later  Roman  Empire  II,  507.  Rambaud.  L'  empire  grec  au  X^.  s. 
1870  S.  34  erblickt  eine  Anspielung  auf  die  Salbung  in  der  Wendung  ypioxöa 
v.opio!)  (ßaadeoa),  z.  B.  bei  Rhalles  u.  Potles,  Syntagma  canonum  II,  467.  III,  44. 
VI,  124.  Ich  habe  diese  Bezeichnung  des  Kaisers  vor  dem  9.  Jahrh.  nicht 
bemerkt.  Alcuin,  Epiet.  307  S.  466,  21  nennt  den  Kaiser  Karl  christum  Domini, 
wie  die  Angelsachsen  ihre  Herrscher  bezeichneten,  786  das.  Epist.  3  S.  24,  2.  16. 

ä)  Theophaues  473,  2,  dem  Manasses  4517  f.  folgt  und  eine  andere  byzant. 
Schrift  in  Monumenta  Graeca  ad  Photium  pertinentia  ed.  Hergenröther  1869 
S.  164,  über  deren  Zeit  Hergenröther,  Photius  KI,  843  ff.  spricht.  Für  Verwechslung 
von  Vater  und  Sohn  Duchesne,  Lib.  pontif.  II,  38  Anm.  34  u.  Les  premiers  temps 
de  l'etat  pontifical  1898  S.  87.  Die  Glaubwürdigkeit  des  Theophanes  wird  m.  E. 
durch  die  um  874  verfasste  Version  des  Anastasius  ed.  de  Boor  S.  315,  1  nicht 
verstärkt,  wie  z.  B.  Alemannus,  De  parietinis  Lateranens.  c.  10  (in  Graevius, 
Thes.  VIII,  4  S.  29)  annimmt;  dass  er  Wort  für  Wort  übersetzte,  lässt  ihn  nur 
als  üebersetzer  gelten.    Lapotre  {oben  S.  9,  2)  I,  83.  234  erklärt  anders. 

4)  Vita  Leonis  III.  c.  23.  24  ist  durch  Duchesne's  Text  nicht  nur  aus  den 
Zeugnissen  für  die  Salbung  ausgeschieden  sondern  zum  Gegenzeugniss  geworden. 

6)  Eine  karol.  Genealogie  SS.  II,  309,  25:  consecravit  et  unxit  ad  impera- 
iorem.  SS.  XIII,   245,  28  ist  moderne  Fälschung,   s.   Wattenbach,    Neues  Archiv 


36  Wilhelm  Sickel. 

Glauben,  da  die  Verfasser  den  Hergang  nicht  gekannt  noch  verlorene 
Quellen  benutzt  haben  und  in  Gefahr  waren  entweder  die  seit  816 
bei  der  päpstlichen  Kaiserweihe  unerlässliche  Spendung  des  h.  Oeles 
auf  die  staatliche  Kaiserkrönung  zu  übertragen  oder  vorauszusetzen, 
dass  im  J.  800  ein  Act  nicht  unterblieben  sei,  der  bei  den  Karolingern 
seit  ihrem  Königthum  in  beständiger  üebung  war.  Hiernach  scheint 
Leo  bei  seinen  kirchlichen  Verrichtungen  an  der  byzantinischen  Ge- 
wohnheit nur  zu  beten  und  nicht  auch  zu  salben  festgehalten  zu  haben. 
Hätte  er  jedoch  eine  Salbung  hinzugefügt,  so  würde  er  sie  aus  dem 
Gebrauche  im  karolingischen  Hause  entlehnt  haben,  um  dem  Imperator 
nicht  weniger  zu  geben  als  dem  König.  Samuel,  der  Ahnherr  der 
theokratischen  Revolutionäre,  welcher  vermöge  göttlicher  Befehle 
Fürsten  berief  und  verwarf,  hat  Leo  IIL  am  25.  December  nicht  vor 
Augen    gestanden  i).     Weder    war    das  Papstthum   auf  der   damaligen 


XI.  631.  Um  837  Thegan  c.  1  SS.  II,  590  mit  denselben  Worten  wie  die  Ge- 
nealogie, bietet  jedoch  schwerlich  eine  selbständige  Nachricht  sondern  hat  wahr- 
scheinlich cum  consecratione  der  Ann.  Lauresh.  mit  Rücksicht  auf  816  cap.  17 
S.  594  so  überarbeitet,  vgl.  Bernays,  Zur  Kritik  karol.  Annalen  1883  S.  47. 
und  ist  nach  Wattenbach  "  I,  209,  1  von  dem  Verfasser  jener  Genealogie  benutzt 
worden,  vgl.  Simson,  Forsch,  zur  d.  Gesch.  X,  338.  Leo  IV.  ep.  37,  Neues  Archiv 
V,  390  f.  (Jaffe  2618)  bezeichnet  Lothar  I.  als  more  predecessorum  vom  Papst  ge- 
salbt; hatte  er  die  Salbung  nur  eines  Kaisers  im  Sinne,  so  würde  er  Karl  mit 
einschliessen,  allein  derartige  Aussprüche  darf  man  nicht  in  dieser  Weise  beim 
Worte  nehmen.  Ludwigs  II.  Behauptung  871  SS.  III,  522,  45  gilt  zwar  Le  Cointe 
a.  0.  VI,  747  u.  Alemannus  a.  0.  als  wichtiges  Beweismittel  für  Karls  Salbung, 
aber  wenn  er  den  Hergang  nicht  entstellen  wollte,  so  erschien  er  ihm  in  einem 
entstellten  Lichte.  Aus  dem  11.  u.  12.  Jahrb.  Johannes,  Chron.  Venet.  SS.  VII, 
13,  41  :=  Monticolo,  Cronache  Veneziaue  1890  S.  100,  11.  Marianus  Scotus  SS.  V 
549,  1.  Frutolf,  Chron.  univ.  SS.  VI,  169,  29  =  Franc,  irap.  bist.  brev.  SS.  X^ 
137,  7.  Petrus  Diac.  a.  0.  MS.  E  der  angelsächsischen  Chronik  (Saxon  Chronicles 
ed.  Plummer  1892  S.  59)  hat  wohl  nach  den  normannischen  Annalen  SS.  XXVI, 
492  f.  sacrare ;  vgl.  oben  S.  28  Anm.  3 ;  derselbe  Ausdruck  in  der  unechten 
Papsturkunde  bei  Pflugk-Harttung,  Acta  pontif.  II,  55  S.  26  {JaflF6  2504). 

')  Die  Inspirationen,  welche  Vita  Leonis  III.  c.  23  (dei  nutu  atque  Petri) 
den  Acclamanten  zuschreibt,  schliessen  weder  lange  ßerathungen  noch  eine 
frühere  Wahl  aus.  sie  haben  hier  keine  besondere  Bedeutung  sondern  gehören 
zu  der  Darstellungsform  wie  bei  einer  Papstwahl,  das.  c.  2,  mit  dem  Lib.  diurn. 
82  S.  88  fast  übereinstimmt,  ein  Formular,  nach  welchem  auch  Vita  Hadriani  I. 
geschrieben  ist,  Th.  Sickel,  Neues  Archiv  XVIII,  117  ff.,  vgl.  noch  Lib.  diurn.  60 
S.  51  t.  Auch  bei  Kaiserwahlen  glaubte  die  Zeit  an  Gottes  Leitung,  z.  B.  824 
oben  18  Anm.  1,  unbeschadet  der  Anwendung  der  Reichsordnung.  Gegen  pontificis 
consilium  bei  Einhard,  Vita  Karoli  c.  28  kann  auch  nutu  dei  des  Chron.  Anian. 
SS.  I,  305,  39  nicht  aufkommen.  Jene  beinahe  formelhaften  Aeusserungen  des 
Glaubens  haben  für  Karls  Kaiserkrönung  m.  E.  unrichtig  gewerthet  Phillips, 
Deutsche  Gesch.  II,  258,  Rettberg,  Kirchengesch.  I,  430.     Eichhorn  a.  0.  I,  527. 


Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.  37 

Stufe    seiner  Entwicklung    fähig    die   kaiserliche  Gewalt   zu  verleihen, 
noch  Leo  III.  fähig  eine  solche  neue  Eiehtung  zu  beginnen  1). 

Von  Karls  Verhalten  in  der  Peterskirche  am  25.  December  800 
wissen  wir,  dass  er  die  Erklärung  die  Wahl  anzunehmen  abgegeben 
hat;  ob  nur  dadurch,  dass  er  die  Krone  nicht  ablehnte,  oder  ob  auch 
auf  andere  Weise,  wird  nicht  gemeldet.  Auch  über  seine  Auffassung  des 
Erwerbungsacts  liegt  kein  Zeugniss  Yor  -),    Dass  er  alsbald  den  Kaiser- 


LancizoUe  a.  0.  S.  7  f.  Leo,  Vorlesungen  über  die  Gesch.  des  deutschen  Volkes 
I,  510.  Waitz  III,  195.  Oman,  Europe  476  918  (1893)  S.  374  u.  A.  Entfällt  diese 
Begründung  einer  Verleihung  des  Kaiserthums  durch  Leo  um  so  mehr,  als  das 
officiöse  Papstbuch  ihn  nicht  inspiriren  lässt,  so  kann  umgekehrt  in  der  Titu- 
latur a  deo  coronatus  nicht  mit  Löher  (oben  S.  20,  3)  II,  176  eine  Gegenauffassung 
Karls  gefunden  werden.  Gottes  Vorsehung  erblickten  die  Zeitgenossen  überall, 
auch  die  kaiserliche  Würde  verlieh  er.  einerlei,  wer  die  Krone  aufsetzte,  ob  der 
Imperator  sich  selbst,  ein  Kleriker  oder  ein  Laie,  und  ob  ihn  das  Volk  wählte, 
der  Hen-scher  ernannte  oder  ein  anderer  Weg  auf  den  Thron  führte.  Maassen 
(oben  S.  6)  136  f.  nimmt  an.  Karl  habe  der  Krönung  durch  Leo  die  Bedeutung 
beigelegt,  wie  wenn  der  Hofpatriarch  einen  Kaiser  krönte,  S.  153:  er  habe  nie 
anerkannt,  dass  Leo  allein  ihn  zum  Kaiser  machte. 

»)  Der  nach  800  geborene  Agnellus  c.  94  S.  338.  18  schreibt:  Romanorum 
percepit  a  Leone  papa  Imperium.  Nicolaus  863  erklärt,  die  Päpste  hätten  den 
Karolingern  Königthum  und  Kaiserthum  gegeben,  Mansi  XV,  298  (JafFe  2722), 
auf  die  päpstliche  Handlung  gründet  auch  Johannes  VIIL  878  das  karolingische 
Imperium,  Migne  126,  768.  770  (Jaffe  3137.  3139).  Ludwig  II.  stellt  871  Leo  IH. 
als  einen  Samuel  hin,  leitet  jedoch  zugleich  das  Kaiserthum  seines  Hauses  von 
den  Römern  ab,  SS.  III.  523.  Durch  Leo  Karl  (Ann.  Einsidl..  801  SS.  III,  145 
um  966)  imperator  effectus  est,  sumit  coronam,  Flodoard  oben  S.  15  Anm.  2,  der 
nach  Wido  I,  6,  Libelli  I,  539,  15  imperatorem  constituit.  Diese  erst  nach  800 
aufgekommene  Ansicht  ist  nur  insoweit  haltbar,  als  sie  ein  Urtheil  über  die  her- 
vorragende Mitwirkung  Leos  bei  der  Kaiserwahl  Karls  enthält,  sie  wird  jedoch 
oft  in  einem  anderen  zu  der  angenommenen  Kaiseridee  passenden  Sinne  vor- 
getragen; s.  z.  B.  Bellarmin,  De  translatione  imperii  I,  12.  Opera  VI,  614  f. 
Döllinger,  Kirchengesch.  ^H,  1.  Phillips,  Verm.  Schriften  II,  441  f.  Hergen- 
röther.  Katholische  Kirche  u.  christlicher  Staat.  Neue  Ausg.  1873  S.  259  f  u. 
Kirchengesch.  2 1,  505.  593.  H.  Weber  (oben  S,  5,  3)S.  49.  Kurth  a.  0.  II,  308.  Grisar, 
Leo  III.,  Wetzer  und  Weite's  Kirchenlexicon  2  VII,  1776.  Michael  a.  0.  I,  268  f. 
Ketterer,  Karl  d.  Gr.  u.  die  Kirche  1898  S.  80.  Vgl.  auch  Laurent  a.  0.  V  2, 
132.  VI,  29.  Viollet  a.  0.  I,  266.  Biyce  a.  0.  S.  49  f.  Calamassi  a.  0.  S.  110. 
Duchesne,  Les  premiers  temps  de  1' etat  pontifical  S.  90.  Mühlbacher  sagt 
Deutsche  Gesch.  S.  204.  der  Papst  habe  die  Kaiserwürde,  die  noch  eine  rein 
weltliche  »Institution*  war.  nicht  verleihen  können,  und  Regesten  XLIV,  dass 
Leo  »eine  rechtlich  formlose  Thatsache  schuf*. 

")  Einhard,  Vita  c.  16.  28.  29  spricht  nur  von  der  Annahme  der  Würde. 
Hauck  a.  0.  II,  103.  3  schreibt  Karl  »einen  Moment  des  Zögerns<^  zu  auf  Grund 
einer  Urkunde,  über  deren  fehlerhafte  Ueberlieferung  des  Titels  er  sich  aus 
Th.  Sickel.  Acta  I,  263.  II,  283  oder  Mühlbacher,  Reg.  363  hätte  unterrichten 
können;    das  Diplom   gehört   übrigens  in  Karls  Königszeit,   Jaksch,  Oesterreich. 


3g  Wilhelm  Si ekel. 

namen  führte  und  mit  ihm  Anspruch  auf  das  römische  Imperium 
erhob,  liefert  keinen  Beweis,  dass  er  von  der  Gültigkeit  der  römischen 
Handlung  überzeugt  gewesen  ist.  Anderseits  ergeben  seine  Ver- 
handlungen mit  Constantinopel  bezüglich  seines  Imperiums  keinen 
Grund  zu  der  Annahme,  dass  er  an  der  Kechtmässigkeit  seiner  Kaiser- 
würde gezweifelt  habe.  Derartige  Unterhandlungen  haben  viele  Gegen- 
kaiser mit  dem  regierenden  Imperator  angeknüpft,  nicht  weil  sie 
illegitim  blieben,  bis  der  ältere  Kegent  sie  als  Mitherrscher  anerkannte, 
sondern  um  mit  ihm  ihren  Frieden  zu  machen.  Wir  erfahren  nicht, 
dass  Byzanz  die  Nichtigkeit  der  römischen  Handlung,  mit  der  allein 
sein  Einspruch  sich  rechtlich  begründen  Hess,  behauptet  oder  Karl  die 
Kechtmässigkeit  seines  Imperiums  von  einer  kaiserlichen  Bewilligung 
bediugt  gedacht  habe.  Die  Anerkennung  hat  nicht  als  Rechtsgrund 
des  karolingischen  Imperiums  gegolten.  Auch  hier  bewährt  sich,  dass 
Karls  Kaiserwahl  auf  Grund  des  römischen  Rechts  erfolgt  ist  und 
dass,  was  sie  von  früheren  Wahlen  unterscheidet,  nicht  von  juristischer 
sondern  von  politischer  Art  gewesen  ist. 


Mittheil.  II,  445  f.  Döllinger.  Vorträge  I,  58  findet  in  der  Datirung-  nach  dem 
Consulat  801.  Capit.  I,  204,  31  Karls  Auffassung,  dass  die  Römer  ein  Wahlrecht 
ausgeübt  hätten,  allein  diese  Datirung  ist  eine  äusserliche  Anwendung  der  rö- 
mischen Datirungsweise,  welche  auch  die  päpstliche  Kanzlei  befolgte,  Lib  diur- 
nu8  7  S.  7.  14.  Rom.  Synoden  721,  745,  Mansi  XII.  261.  Epist.  III,  319,  12.  Jaffe 
1048.  2001.  2144.  2157.  2160  f.  2168.  2174.  2251.  2265.  2270  f.  2274.  2276.  2278. 
2286. 2291  f.  2342.2346.2395.2510.2544.2551.2606.2666.2718.3022.3033.3104.3109. 
3389.  3429.  3533.  Hier  ist  die  Kurie  byzantinischer  als  die  karolingische  Kanzlei 
gewesen.  In  Italien  zählen  so  auch  Privaturkunden,  6.  Jahrh.  Marini,  Papiri  75. 
122  S.  117.  187.  857  Regest.  Sublacense  1885  Nr.  87  S.  133,  desgleichen  Catal. 
lombard.,  Script,  rer.  Langobard.  S  512.  In  Deutschland  habe  ich  diese  Datirung 
unter  Karl  bei  Meichelbeck,  Hist.  Fris.  I^,  286  S.  154  gefunden.  Zur  obigen 
Capitularien-Stelle  s.  Bresslau,  Urkundenlehre  I,  830.  839,  auch  Waitz  III, 
242,  1.  Vgl.  Justinian,  Nov.  140.  144.  149.  Nov.  Coli.  I.  4.  6.  13.  Zachariä 
III,  10.  14.  31.  Nicäa  787  Mansi  XII,  991.  1051.  1114.  XIII,  1.  157.  204.  364  f. 
413;  Constantinopel  869  das.  XVI,  309.  357.  397.  Mommsen,  Neues  Archiv  XVI. 
55.  Rühl,  Chronologie  1897  S.  187  f.  Dass  Karl  gefühlt  habe,  er  j,sei  nicht  in 
aller  Form  Rechtens  Kaiser,  so  lange  ihm  die  Anerkennung  des  oströmischen 
Reiches  fehlte*,  ist  die  Ansicht  Kaufmanns  a.  0.  II,  328;  »die  einzig  legitime 
Form  der  Erwerbung  der  Kaiserwürde«  sei  die  byzantinische  Anerkennung  ge- 
wesen, Dahn,  Urgesch.  III,  1079,  von  der  Schöpflin  (oben  S.  12)  143  f.  die  Er- 
werbung des  Imperiums  datirt.  Eine  auf  den  Namen  Pascha  is  l.  unter  Benutzung 
einer  echten  Urkunde  dieses  Papstes  gefertigte  Urkunde  datirt  nach  einem  (fal- 
schen) Imperator  Constantinopoleos  und  fügt  das  Signum  Ludwigs  I.,  Romanorum 
Augusti,  hinzu,  Gray  Birch,  Cartularium  Saxonicum  I,  363  S.  503. 


Beiträge 
zu  Böhmens  Geschichte  und  Geschichtsquellen. 

Von 

A.  Bachmann. 


I.  Studien  zu  Cosmas. 

A.  Handschriften  und  Ausgaben. 

Seit  F.  Palacky  in  der  „Würdigung  der  alten  böhmischen  Ge- 
schichtschreiber"  S.  4  ff.  (Neue  Ausgabe  Prag  1869)  die  bis  dahin 
(1829)  vorliegenden  Ausgaben  von  Cosmas  böhmischer  Chronik  und 
das  handschriftliche  Materiale  übersichtlich  mittheilte,  wurde  sie  im 
J.  1851  von  R.  Köpke  in  den  Monumentis  bist.  Germ.  Sc.  IX,  18, 
nicht  völlig  correct  abgedruckt  bei  Migne,  Patrologiae  cursus  com- 
pletus,  und  nochmals  von  J.  Emier  in  den  Fontes  rerum  Bohemicarum 
Bd.  II,  Prag  1874,  ediert.  Aber  so  wie  dem  ersteren  der  neu  zur 
Verfügung  stehende  reichere  Apparat  mangelte,  so  untei-liessen  er  und 
Eraler,  sieh  allseitig  die  hinlängliche  Einsicht  in  die  sichern  Grund- 
sätze seiner  wissenschaftlichen  Verwertung  zu  verschaffen,  für  die  doch 
manche  Ausgaben  der  Monumenta  Gerraaniae  h.  und  anderswo  die 
Muster  boten.  Beider  Editionen  sind  nicht  durchaus  geeignet,  sowohl 
anderen  Benutzern  wie  für  die  nachfolgenden  Studien  die  durchaus 
verlässliche  textliche  Stütze  zu  bieten.  Doch  kann  es  sich  hier  nur 
darum  handeln,  Einiges  über  die  Cosmashandschriften  an  sich  und 
die  Herstellung  eines  möglichst  sichern  Textes  in  Kürze  zu  bemerken. 

Nur  nebenher  sei  festgestellt,  dass  die  Einleitung  zu  Fontes  rer. 
Bohem.  betreffs  der  bereits  Koepke  bekannten  Codices  kaum  etwas 
Neues  bietet;  hat  doch  Emier  selbst  die  ungenaue  Angabe  Koepke's 
über   die    Provenienz   der    Leipziger   Handschrift:    Liber  beate   Marie 


40  A.  Bachmann. 

virginis  in  Huysborg  (soll  heissen:  Liber  monasterii  b.  M.  i.  H.)  nach- 
geschrieben. Auch  sonst  ist  die  Abhängigkeit  Emiers  von  Koepke  nur 
allzu  gross.  Obwohl  ferner  Emier  den  von  K.  vermissteu  ehemaligen 
Carlshofer  Codex  (6)  vor  sich  hatte  und  ihm  nicht  verborgen  blieb, 
dass  er  in  seinen  Lesungen  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  der  so 
wichtigen  Leipziger  Handschrift  (A)  aufweist,  wurde  dieses  Verhältnis 
nicht  untersucht.  Die  üebereinstimmung  von  A  und  6  erstreckt  sich 
nämlich  nicht  blos  auf  einige  Lesungen  (nekterä  cteni),  sondern  geht 
recht  weit,  wie  eine  kurze  Musterung  des  Apparates  lehrt.  Schon  aus 
ihr  ergeben  sich  geradezu  zwingende  Gründe  dafür,  dass  die  von 
Koepke-Emler  lediglich  auf  das  Vorkommen  czechischer  Glossen,  also 
auf  ein  äusserliches  Moment,  gegründete  Scheidung  in  zwei  Eeeen- 
sionen  nicht  aufrecht  zu  erhalten  ist.  Diese  Gründe  erhalten  ihre 
Unterstützung  bei  näherer  Betrachtung  des  Verhältnisses  zwischen  A 
und  der  Dresdener  Handschrift  (4)  mit  ihrer  Wiener  Copie  (4  a)  i). 
Gerade  aber  die  Leipziger  und  die  Dresdner  Handschrift  repräsentiren, 
neben  der  verlorenen  Strassburger  (7)  unsere  älteste  üeberlieferung 
des  Cosmas  (XÜ.  Jahrb.).    Ein  Blick  auf  das  Alter  der  Handschriften: 

1125  Archetyp 

12.  Jahrh.     Cod.  Lips.  (A)     Dresd.  (4)     Argent.  (?) 

(Annal.  Saxo) 

13.  Jahrh.  Bud.  (l)          Holm.  (3) 

14.  Jahrh.  Prag.  (2) 

Carl.  (6) 

Vindob.  (4  a) 

15.  Jahrh.  Eaud.  (2  a)     Vindob.  (3  a)     Brun.  (5)     Prag.  (8) 

Fürst.   (2  a) 

16.  Jahrh.  Monac.  (7  a) 

wird  leicht  erkennen  lassen,  dass  nicht  die,  überdies  unvollständige, 
Bautzener,  was  K.  u.  E.  geglaubt  haben,  sondern  die  Leipziger,  Dresdner 
und  Strassburger  Handschrift  schon  ihres  Alters  wegen  bei  einer  Edition 
zunächst  zu  beachten  sind.  Dieser  äussere  Vorzug  wird  unterstützt  durch 
die  Beschaffenheit  des  Textes,  namentlich  der  Leipziger  Hdsch.  Dieselbe 
ist  nicht  so  correct,  wie  K.  u.  E.  zu  glauben  scheinen ;  sie  weist  Schreib- 
fehler und  wirkliche  Irrungen  in  grösserer  Zahl  auf.  Dieselben  sind 
zum  Theil  noch  vom  Schreiber  selbst  getilgt,  zum  Theil  von  einer 
Hand   des  14.  Jahrh.  corrigirt;    mehrere   sind   auch  stehen  geblieben. 


')  Daneben  kommt  vor  allem  die  Stellung  von  7  (Strassb.  Hdsch.  des 
12.  Jahrh.)  in  Betracht.  Die  Bemerkung  dieser  Hdsch.  zu  I.  15:  Interea  defi- 
ciente  nostra  materia,  quam  nemo  illius  temporibus  hominum  .  .  .  memoriae 
commendavit,  rursus  ad  nobilia  facta  Romanorum  imperatorum  recurramus, 
worauf  hier  alles  bis  9ü7  fehlt,  und  vieles  Andere  kommt  hier  sehr  in  Betracht. 


Beiträge  zu  Böhmens  Geschichte  und  Geschichtsquellen.  ^\ 

Dafür  übertriflFt  A  alle  übrigen  Handschriften  weit  durch  getreue 
Ueberlieferuug  der  Eigennamen.  Auch  Emier  hat  dies  bereits  erkannt 
und  deshalb  (Einl.  S.  XIII)  erklärt,  dass  er  die  Eigennamen  nach  A 
geben  werde.  Aber  wir  vermissen  dabei  die  nötige  Umsicht  und 
Consequenz.  So  bietet  Emier  gleich  im  Prologus  ad  Severum :  Severo 
statt  A  Seuero ;  praefat.  ad  Gervasium :  E(ml.)  Gervasium  für  A  Gerua- 
sium,  E  Odalrici  für  A  Odaldrici  7  Uldaldriei,  E  Borivoy  für  A  Boriuoy 
(in  beiden  Fällen  ist  die  Angabe  zudem  in  den  Varianten  irrig); 
lib.  I  cap.  3 :  E  Stybeczne  für  A  Stibrcne  (Schreibfehler  für  Stibecne, 
richtig  Ztbecne  4,  4  a) ;  vgl.  I  4 :  A  Stebecna,  4,  4  a  Ztebua ;  I  9 :  E  Wltaua 
statt  A  Wlitaua;  vgl.  I  2:  E  Wlitavam— A  Wlitauam;  I  9,  10: 
E  Gostivit — A  Gostiuit;  I  14:  E  Odram— A  Ogram,  die  einzig  richtige 
Lesung,  da  es  sich  um  die  Westgrenze  des  Reiches  Swatopluks  handelt, 
zu  dem  wie  unmittelbar  zuvor  bemerkt  ist,  das  regnum  Boemie  gehört; 
E  Zuatopulch— A  Zuatopulck;  I  19:  E  Viti— A  Witi;  I  20:  E  Hein- 
ricus — A  Heinrichus,  Henricus;  E  Luduicus,  Bawariensis,  Liudulfo — 
A  Ludvicus,  Bauuariensis,  Ludolfo ;  I  22:  E  Georgii — A  Georii;  I  23: 
Henrici — Heinrici;  I  27:  E  Slavnic,  Suria,  Switawa — A  Slauuic,  Surina, 
Suitaua;  I  29:  E  Lubecz,  Bobrazlav,  Caslav — A  Lubic,  Dobrazlau, 
Caslau;  I  33:  E  Kracov— A  Kracou;  I  34:  E  Wirsovici — A  Wrisouici 
(4,  4  a  Wrssouici;  I  36:  E  Zizi,  Drevic,  Oudalricus — A  ZiZi,  Dreuic, 
Ovdalricus;  I  42:  Wrisowici — Wrisouici;  II  1 :  E  Wratizlav — A  Wra- 
tizlau;  II  14:  Spitignev — Zpitigneum;  II  15:  E  Mztis — A  Mstis 
II  16:  Spitignev — Spitigneu;  II  17:  Braeizlavi — ßracizlaui;  II  19 
E  Koyatae — A  hatte  bereits  ursprünglich  Koyate  nicht  Kovate;  II  37 
A  lässt  mit  vollem  Recht  Zelza  weg,  da  zwischen  Eger  und  Zedlitz 
(bei  Carlsbad)  an  Mies  nicht  zu  denken  ist,  sobald,  wie  dies  in  der 
Urkunde  der  Fall,  die  geographische  Reihenfolge  eingehalten  wird; 
u.  s.  w.  Es  sind  dies,  wie  man  sieht  nur  aus  einem  Theil  der  Chronik 
und  Handschrift  gewonnene  Beispiele. 

Aber  A  war  auch  sonst  für  den  Text  heranzuziehen,  wobei  frei- 
lich die  Handschrift  sorgsamer  verglichen  werden  musste,  als  dies  ge- 
schehen ist.  So  bietet,  von  den  genannten  Versehen  und  unwesentlichen 
Verschreibungen  abgesehen,  A  in  I  1  Z.  12  v.  o.  richtig  cum  statt 
eum;  I  9  richtig  sempiternum  nicht  sempiterrum ;  I  18:  efticit  (Z.  14 
V.  0.  auf  S.  31)  nicht  effecit ;  ebdt:  Egid  nicht  Eggid;  I  20:  Weri- 
nuri  nicht  Werinari;  ebenso  ist  S.  35  Anm.  15  irrig;  I  23  bietet  A 
transmittitur  literis ;  S.  38  ist,  was  von  A  gilt,  in  Anm.  4  von  1  be- 
richtet, ebenso  S.  41  in  Anm.  16;  I  33  hat  A  richtig  Tritri  nicht 
Triti;  II  2  ist  continentes  bei  A  bereits  corrigiert;  II  4  hat  A  richtig 
avortivant,    proffligari    und  nicht  avorcivaut,    proafligari;    II  8  richtig 


42  A.  B  a  c  h  m  a  n  n. 

legis  nicht  regis  (Anm.  14) ;  11  9 :  Boemi  pugnare  nicht  Boemi  puguare, 
Kamb  nicht  Kanb ;  I   11 :  Okardo  nicht  Occardo  u.  s,  w. 

Noch  viel  grösser  ist  die  Anzahl  der  Stellen,  an  denen  die  Le- 
sungen von  A  allein  möglich  oder  doch  besser  sind,  als  die  der  bis- 
herigen Ausgaben.  Es  würde  über  unser  Ziel  hinausführen,  sollte  die 
lange  Reihe  der  bezüglichen  Fälle  an  dieser  Stelle  erörtert  werden. 
Ein  künftiger  Editor  wird  hier  sorgsam  Umschau  halten  müssen. 

Und  ähnlich  steht  es  mit  den  Lesungen  von  Namen  und  sonstigem 
Texte  bei  4,  der  einst  für  das  Kloster  Sazawa  gefertigten  prächtigen 
und  sorgfältigen  Abschrift  von  Cosmas  Chronik  und  seines  ersten 
Fortsetzers.  Ich  begnüge  mich  hier  zu  constatiren,  dass  die  Ansetzung 
des  Ablebens  Boleslaws  I.  auf  972  auf  i)  einem  Versehen  des  Schrei- 
bers dieser  Handschrift  beruht,  wie,  wer  diese  einsieht,  leicht  er- 
kennen wird. 

B.  Die  böhmische  Ursage. 

An  Stelle  zusammenhängender  Darstellung  der  Geschichte  Böhmens 
bis  gegen  Ende  des  9.  Jahrh.  bringt  Cosmas,  lib.  I,  cap,  i — 13,  was 
er  der  Tradition  entnehmen  konnte.  Er  habe,  sagt  er,  , keine  Chronik 
finden  können",  um  sich  über  die  Ereignisse  der  Vorzeit  zu  unter- 
richten (Vorr.  an  Mag.  Gervasius,  Font.  II  3).  Er  stellt  es  aber 
auch  der  Entscheidung  des  Lesers  anheim,  das,  was  er,  Cosmas,  über 
jene  alte  Zeit  berichtet,  zu  glauben  oder  zu  verwerfen  (c.  13,  p.  26: 
et  quoniam  haec  antiquis  referuntur  eveuisse  temporibus,  utrum  sint 
facta  an  ficta,  lectoris  judicio  relinquimus). 

Es  sind  vier  verschiedene  Sagenstoffe,  die  Cosmas,  immerhin  in 
gewisser  historischer  Anordnung,  zu  einem  Ganzen  verknüpft:  1.  die 
Boemus-Czechsage,  2.  die  Krok-Libussa-Pfemyslsage,  3.  die  Sage  vom 
Mägdekrieg,  4.  die  Neelansage.  Das  Princip  ihrer  Anordnung  bei  Cosmas 
ist  leicht  zu  erkennen:  Boemus-Czech,  der  zuerst  mit  den  Seinen  das 
jungfräuliche  Land  besiedelt,  gibt  den  Boemi  (Czechen)  inmitten  des 
Landes  den  Namen  (Boemi,  ihr  Land  Boemia)  '^).  Den  Zuständen  des 
goldenen  Zeitalters  folgt  Gewaltthat  und  Streit,  die  zu  schlichten  Krok 
erlesen  ist.  Beginn  einer  Herrschergewalt  in  der  provincia  Boemia, 
in  der  Kroks  jüngste  Tochter  Libussa  und  deren  Gemahl  Pfemysl 
nachfolgen.  Zu  Pfemysls  Zeit  erhebt  sich  Krieg  zwischen  unbotmässigen 


')  Den  löbl.  Directionen  der  Univ.-  und  kgl.  Bibliotheken  zu  Leipzig  und 
Dresden  sage  ich  für  die  freundliche  Zusendung  ihrer  so  wertvollen  Cosmas- 
handscliriften  auch  an  dieser  Stelle  den  ergebensten  Dank. 

2)  lieber  den  Namen  s.  seit  Dobrowsky  K.  Zeuss,  die  Deutschen  und  ihre 
Nachbarstämme  641,  Anm.  *  und  oftmals,  zuletzt  F.  Lunjak,  Gelehrte  Schrift  der 
Universität    Kasan  Nr.  2    und  Hoschek    im  Casopis    raatice  Moravsk6  15,  21.")  it. 


Beiträge  zu  Böhmens  Geschichte  und  Geschichtsquellen.  43 

Mädchen  auf  Diewin,  die  selbst  den  Kampf  nicht  scheuen,  und  den 
Männern  der  Burg  Hrasten  (Wyschehrad),  der  zuletzt  Freundschaft  bringt. 
Aus  der  Zeit  von  Pfemysls  Nachkommen,  deren  Namen :  Nezamysl, 
Mnata,  Vogen,  Unezlav,  Crezomysl,  Neclan,  Gostiuit  überliefert  sind, 
ist  nichts  bekannt  als  der  Zusammenstoss  der  Boemi  mit  den  Luczani 
(Saazern)   zu  Neclans  Tagen,    den  Held  Tyr  zu  Gunsten  der   „Boemi" 

entscheidet.     Mit  Gostiuits  Sohn  Bofivoj  beginnt   —  nach  Cosmas  

die  beglaubigte  Zeit  der  böhmischen  Geschichte  (nunc  ea,  quae  vera 
fidelium  relatio  commendat,  noster  stilus  .  .  ad  exarandum  .  .  .  se 
acuat;  cap.  13). 

Schon  aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  man  es  hier  wesentlich 
nur  mit  dem  Sagenschatze  eines  der  vielen  einst  das  Land  bewohnenden 
slavischen  Stämme  und  Stämmchen  zu  thun  hat,  mit  den  historischen 
Traditionen  der  Czechen  in  der  Mitte  des  Landes,  ursprünglich  an- 
sässig in  dem  —  auch  geographisch  als  gewisse  Einheit  gekenn- 
zeichneten —  Gebiete  westlich  der  Moldau  von  Einflüsse  der  Mies 
angefangen  und  von  dem  Unterlaufe  dieses  Flusses  bis  nördlich  an  die 
Egermündung,  westwärts  bis  zu  den  Pürglitz-Kakonitzer  Waldungen. 
(Vgl.  J.  Lippert,  die  tschechische  Ursage  und  ihre  Entstehung,  Prag 
1890;  den  Combinationen  und  Vermutungen  L.s  vermag  ich  aber  nicht 
immer  zu  folgen).  Aber  auch  dieses  Gebiet  erweist  sich  bereits  als  eine 
Zusammenfassung  mehrerer  Stämmchen  in  uralter  Zeit.  Auch  ihm  gehören 
die  erwähnten  Sagenstoffe  nicht  gleichmässig  an.  Ihr  Bericht  ist  bald 
enger,  bald  weiter,  wornach  vor  allem  sich  auch  ihr  historischer  Wert 
bestimmt.  Es  gilt  hier  den  Versuch,  diesen  nach  den  Untersuchungen 
K.  J.  Erbens,  Öasopis  ceskeho  musea  1857,  268  ff.,  390  ff.,  A.  ßrandls, 
Casopis  matice  Moravske  1873,  33  ff.  und  Lipperts  selbständig  fest- 
zustellen, wobei  ich  für  Mehreres  auf  meinen  Aufsatz  „Die  Erbauung 
der  Prager  Burgen",  Beil.  zur  Bohemia  1893,  n.   117,  verweise. 

Die  Entstehung  und  Tendenz  der  Boemus-Czech.sage  gilt  allein 
der  Deutung  dieses  Namens,  wie  sich  ähnliche  Sagen  überall,  auch 
gleich  in  der  Krok-Libussasage,  mit  ermüdender  Einförmigkeit  wieder- 
finden. Böhmen  hat  seinen  Namen  vom  ersten  Bewohner  Boemus- 
Czech.  Was  aber  sonst  von  ihm  berichtet  wird,  entljehrt  durchaus 
der  individuellen  Züge.  Sowie  wir  die  Quellen  für  die  Geschichte  der 
Ausbreitung  des  Menschengeschlechtes  und  Cosmas  geographischer  und 
physischer  Beschreibung  Böhmens  kennen  (die  Bibel,  Virgil,  Paulus 
Diaconus,  ßeginos  Chronik;  vgl.  Koepke  und  Emier,  Aumerk.  zu  lib.  I, 
cap.  1 — 2;  sie  lassen  sich  noch  vermehren),  so  entspricht  der  Bericht 
über  die  Besitzergreifung  des  bisher  unbewohnen  Landes  eben  dem 
natürlichen  Hergänge  solchen  Ereignisses  und  der  beweglichen  Phau- 


44  A.  Bach  mann. 

tasie  des  Erzählers.  Die  nachfolgende  Schilderung  der  Zustände  ist 
ebenso  wieder  nichts,  als  freie  Ausmalung  paradiesischer  Einfalt  und 
Einfachheit  der  ersten  Bevölkerung  Böhmens  mit  directer  Benützung 
von  ßoetius,  De  consolatione  philosophiae  II  5,  und  Anlehnung  an 
Ovids  Zeichnung  des  goldenen  Zeitalters.  Darüber  hinaus  wird  man 
in  der  Czechsage  und  ihrer  Anknüpfung  an  den  Rzip  (Georgsberg  bei 
Eaudnitz)  höchstens  die  Erinnerung  an  die  erste  slavische  Besiedlung 
des  centralen  Hügel-  und  Hochlandes  Böhmens  erblicken  dürfen,  die 
am  leichtesten  von  der  reichgesegneten  Niederung  zwischen  der  unteren 
Eger  und  der  Elbe  aus,  der  planities  Boemiae  (Annal.  Moiss.  ad  a.  805), 
erfolgen  konnte. 

Kaum  deutlicher  offenbart  sich  der  historische  Kern  der  böhmi- 
schen Amazonensage,  die  ihrem  Alter  nach  zunächst  in  Betracht  kommt, 
da  sie  auf  dem  ältesten  Markgebiete  des  Czechengaus  in  den  ersten 
Anfängen  und  engsten  Verhältnissen  spielt.  Der  Kampf  zwischen  den 
Jünglingen  und  Jungfrauen  von  den  Burgen  Hrasten  auf  dem  rechten 
und  Diewin  auf  dem  linken  Moldauufer  versetzt  uns  in  jene  graue 
Vorzeit,  in  der  selbst  das  rechte  und  das  linke  Moldauufer  noch  ver- 
schiedeneu, einander  feindlichen  Stämmchen  angehören.  Eben  die  Sage 
zeigt  uns  die  allerersten  Anfänge  einer  Eeichsbildung :  die  Verbindung 
der  kleinen  Stammgebiete  inmitten  des  Landes  zu  beiden  Seiten  des 
Flusses,  deren  tief  im  Walde  auf  steilen  Uferhöhen  gelegene  Schutz- 
burgen Hrasten  und  Diewin  (vgl.  Dowana  i),  Theben)  waren.  Das 
hohe  Alter  der  hier  berührten  Ereignisse  erhellt  auch  daraus,  dass 
zu  Cosmas  Zeit  nicht  blos  der  Hrasten  und  Diewin  verlassen  und 
verödet  sind,  sondern  dass  auch  die  Entstehung  der  Burgen,  die  an 
ihre  Stelle  getreten  sind,  des  Wyschehrad  und  Prags,  bereits  wieder 
in  das  Dunkel  der  Sage  gehüllt  ist. 

Die  Hereinziehung  der  Amazonensage  selbst  ist  allein  durch  den 
Namen  Diewin  (devina  ^=  devce,  device,  das  Mädchen)  veranlasst ;  sie 
wurde  später  noch  weiter  phantastisch  ausgeschmückt  (s.  schon  Dalemil 
cap.  VIII — XV)  und  ist  sachlich  ohne  Belang.  Dass  aber  die  siegenden 
Jünglinge  vom  Hrasten  aus  den  Kampf  führen  und  dieser,  resp,  der 
Wyschehrad,  als  der  Sitz  Pferaysls,  des  Anführers  der  Männer,  gilt, 
auf  dem  selbst  später  uoch,  als  der  Stamm  und  seine  Fürsten  zu 
grösserer  Macht  emporgestiegen  waren,  des  Ahnherrn  Bauernschuhe 
verwahrt  werden,  wird  zur  Annahme  berechtigen,  dass  die  Vereinigung 
der  centralen  Stämmcheji  von  rechten  Flussufer,  von  Wyschehrad- 
Hrasten  aus,    erzwungen   wurde.     Dieses  rechtsmoldauische  Gebiet  er- 

')  Annal.  Fuld.  ad  a.  869.  '  _     ]  '  ' 


Beiträge  zu  Böhmens  Geschichte  und  Geschichtsquellen.  45 

scheint  denn  auch  später,  als  die  Pfemysliden  zu  Landesherrn  geworden 
waren,  so  recht  als  Hausgebiet  der  fürstlichen  Familie,  als  unbedingt 
sicherer  Besitz,  der  eben  deshalb  zur  Apanagierung  der  jüngeren  Fürsten 
(z.  B.  Boleslavs  I.  neben  Weuzel,  Boleslavs  II.  neben  Boleslav  I.) 
verwendet  wurde. 

Eeicher  an  historischem  Gehalt,  auf  einem  weiteren  geographischen 
Gebiete  sich  abspielend,  aus  späterer  Zeit  stammend  zeigt  sich  die 
Libussasage,  wobei  aber  die  Figur  des  Kroko  und  natürlich  auch  die 
mehrfachen  Nameudeutungssagen  (Krokow,  Libussin,  Kazin,  Tetin) 
kaum  in  Betracht  kommen.  Die  Kroksage  ist  offenbar  vorböhmischen 
Ursprungs,  wie  die  Vergleichung  mit  der  polnischen  ürsage  zeigt, 
und  entbehrt  überdies  bei  Cosmas  wieder  jedes  individuellen  Zuges. 
Die  Burgstätten  Libussin,  Kazin,  Tetin  mögen  die  Erinnerung  an  die 
ältesten  oder  doch  bedeutendsten  Sippen  des  Czeehenstämmchens  selbst 
oder  seiner  unmittelbaren,  zuerst  bezwungenen  Nachbarn  erhalten. 

Trotzdem  erfordert  die  Libussa-Pfemyslsage  erhöhte  Wertschätzung. 
Bleibt  es  Thatsache,  dass  wichtigere  staatliche  Umwälzungen,  von 
Niemandem  in  ihrem  Verlaufe  verzeichnet,  sich  in  der  Erinnerung 
culturell  unentwickelter  Bevölkerungen  wohl  erhalten,  aber  nach  deren 
kindlich  einfachen  Art  und  Auffassung  allmählich  zu  Eigenschaften, 
Geschicken,  Leistungen  Einzelner  abklären,  dass  sie  personificirt  werden, 
so  mag  uns  in  der  Erzählung  von  Libussa  und  Pi-emysl  die  Geschichte 
eine  der  wichtigsten  Etappen  der  Entstehung  des  czechischen  Einheits- 
staates in  Böhmen  angedeutet  sein.  Das  centrale  Czechen-Reich  ist 
geschwächt  —  es  ist  die  Herrschaft  von  Frauen  eingetreten  — ,  und 
getheilt  —  drei  Schwestern  üben  die  einzelnen  Gewalten,  die  Vater 
Krok  in  der  ganzen  Provinz  vereint  besessen:  da  zwingt  des  Volkes 
Unmuth  zur  Anerkennung  der  Oberherrschaft  eines  einfachen,  aber 
klugen,  kraftvollen  Mannes  weit  von  der  unteren  Bila  in  Nordwest- 
böhmen her,  der  aber  seinen  Herrschersitz  in  die  Mitte  des  ihm  nun 
botmässigen  Czechenstammes  und  Reiches  verlegt  —  Libussa  heiratet 
den  Pfemysl,  der  dann  auf  dem  Wyschehrad  einzieht.  Dürfen  wir  so 
in  der  Sage  den  Reflex  der  historischen  Vorgänge  erkennen,  durch 
die  das  centrale  und  ein  Theil  des  nordwestlichen  Böhmen  unter  einem 
Fürstenhause  —  dem  des  nördlichen  Stammes  —  zu  einem  Reiche 
zusammenwuchsen,  so  fällt  der  Verzicht  auf  die  Deutung  der  Details 
der  Sage  nicht  schwer.  Doch  veranlasst  wohl  die  Vereinigung  der 
Fürstenthümer,  die  ungleich  weitere  Ausdehnung  der  neuen  „Boemia" 
westlich  der  Moldau  naturgemäss,  dass  die  Residenz  hinter  dem  Strome^ 
die  ja  ohnehin  für  die  geänderten  Verhältnisse  nicht  mehr  genügen 
mochte,    aufgegeben    wurde.     Eine    neue    geräumigere    Burg   entsteht, 


AQ  A.  Bachmann. 

gewissermassen  das  Wahrzeichen  der  entstehenden  Einheit  und  Zukunft 
Böhmens,  Prag  am  linken  westlichen  Flussufer,  in  unmittelbarer  Nähe 
des  Diewin-  und  Wyschehradberges  (Gründuugssage  von  Prag,  unmit- 
telbar an  Libussa-Pfemysl  anknüpfend). 

Wie  die  Sage  vom  Mägdekrieg  die  Vereinigung  der  centralen 
Gaue  Böhmens,  die  Libussa-Pfemyslsage  die  Verbindung  des  erwei- 
terten Czechengebietes  mit  dem  Fürstenthum  an  der  unteren  Bila  unter 
der  Herrschaft  der  Dynasten  des  letzteren  sinnbilden  mag,  so  führt  uns 
endlich  die  Erzähluug  —  kaum  noch  Sage  —  von  Neclau  und  Wlastislaw 
von  Saaz  mitten  hinein  in  die  Kämpfe  um  die  Herrschaft  über  das 
ganze  westlichen  Land. 

Auch  anderswo  in  heutigen  Böhmen  hatte  die  Reichsbildung  begonnen : 
neben  dem  centralen  Reiche  der  Pfemysliden  ist  im  Osten  das  grosse 
Fürstenthum  der  Slawnike  i),  ist  auch  im  Westen  ein  Reich  ent- 
standen, das,  auf  der  Verbindung  von  fünf  Stämmchen  im  Saazer 
Gebiete  begiündet,  sich  südwärts  bis  an  die  obere  Mies  und  den 
Böhmerwald,  nordwärts  bis  in  die  Nähe  von  Biliu  und  Leitmeritz  — 
doch  wohl  bis  an  den  Grenzwald  dieser  Gebiete  —  ausdehnt  2).  Zwischen 
dem  kriegerischen  Luczanen  (=  Saazer)-Fürsten  Wlastislav  und  dem 
Herzoge  der  Czechen  (Boemi)  kommt  es  zum  Entscheidungskampfe, 
als  der  Saazer  auch  dieses  Gebiet  zu  unterwerfen  sich  anschickt  (cor 
ducis  est  elevatum,  ut  mente  feroci  exardesceret  omnem  Boemiam 
ad  obtineudum).  Aber  unterstützt  von  den  Bilinern  und  Leitmeritzern 
erringen  die  Czechen  auch  da  den  Sieg.  Wlastislav  fällt  im  Kampfe. 
Sein  Söhnlein  wird  bald  darauf  ermordet.  Jetzt  erst,  nachdem  auch 
noch  innerer  Zwist  das  Saazer  Fürstenthum  geschwächt  hat,  wird  es 
mit  dem  Czechenlande  (Boemia)  vereinigt  und  ist  damit  dessen  üeber- 
gewicht  wenigstens  in  der  Mitte  und  im  Westen  des  Landes  ent- 
schieden. 

Auch  diesen  Krieg  (bellum  quod  referente  fama  audivimus)  hat 
Cosmas  mit  mannigfachen  Fabeleien  ausgeschmückt,  die  jedoch  den 
sicheren  historischen  Hintergrund  nicht  mehr  zu  verdecken  vermögen. 
Ueber  eine  besonders  interessante  Figur,  den  sagenhaften  Kriegshelden 
Tyro,  handle  ich  au  anderer  Stelle  ^). 

C.  Cosmas  Meldung  über  die  Taufe  Bofivojs  durch 
den  hl.  Method. 


')  Cosmas  lib.  I  cap.  27. 

2)  Cosmas  lib.  I  cap.  10—13. 

3)  Einen  historischen  Kern  vermuthet  Lippert  noch  in  der  Ludmilasage. 
Dem  steht  aber  im  Wege,  dass  die  Verehrung  L.s  und  damit  der  Anlass  zur 
Legendendichtung  nicht  vor  dem  2.  Viertel  des  12.  Jahrh.  da  ist. 


Beiträge  zu  Böhmens  Geschichte  und  Geschichtsquellen.  47 

Was  W.  Wattenbach  vor  nahezu  einem  halben  Jahrhunderte 
äusserte;  „Ueber  die  Geschichte  der  mährischen  Apostel  Cjrill  und 
Method  ist  schon  sehr  viel  geschrieben  und  fast  über  jeden  einzelnen 
Punkt  sind  lebhafte  Fehden  geführt  worden"  1),  gilt  noch  vielmehr 
heute  und  namentlich  hinsichtlich  des  Verhältnisses  Methods  zu 
Böhmen  2).  Es  liegt  hier  fern  und  mangelt  durchaus  Ort  und  Zeit,  um 
die  ganze  Keihe  der  einschlägigen  Fragen  zu  behandeln.  Aber  auf 
Ursprung,  Bedeutung  und  Gewicht  der  Angabe  bei  Cosmas  I  10: 
Gostiuit  autem  genuit  Borziuoy,  qui  primus  dux  baptizatus  est  a  veue- 
rabili  Metudio,  episcopo  in  Morauia,  sub  temporibus  Arnolfi  impera- 
toris,  et  Zuatopluk  eiusdem  Morauiae  regis,  soll  hingewiesen  werden, 
da  mau  vielfach  diese  späte  Melduug  als  glaubwürdig  hinnimmt,  ja 
E.  Dümmler  nach  schweren  Bedenken  (De  Bohemiae  cond.  Carolis 
imperantibus,  p.  17  ff.),  gegen  die  sich  W.  Tomek  in  der  Apologie 
der  ältesten  böhmischen  Geschichte,  Sitzb.  der  kgl.  böhm.  Ges.  d. 
Wiss.  1863,  11.  Folge,  Bd.  13,  S.  25  ff.  mit  grosser  Lebhaftigkeit 
aussprach,  nun  doch,  Gesch.  d.  ostfränk.  Reiches  III  ^  340,  Anm.  1, 
sie  nach  den  Ausführungen  Wattenbachs  (die  slaw.  Liturgie  in 
Böhmen  S.  221  ff.)  gelten  lässt.  Dazu  muss  nun  kaum  noch  wieder- 
holt werden  (s.  Tomek,  Apologie  27  mit  R.  Koepke,  Mon.  Ger.  bist. 
Sc.  IX  10),  dass  die  bezüglichen  über  die  Taufe  Bofivojs  gebrachten 
Meldungen  der  Annales  Bohemici  (s.  nun  Font.  rer.  Bohem.  II  380) 
wie  der  Hradischter  Aunalen  (ebdt.  386 — 387)  für  diese  Frage  nicht 
in  Betracht  kommen,  da  sie  eben  nur  Auszüge  aus  Cosmas  dar- 
stellen. 

Im  wesentlichen  wird  für  eine  Einwirkung  Methods  auf  die 
Christianisirung  Böhmens  hervorgehoben,  dass  1.  die  äusseren  Verhält- 
nisse eine  solche  nicht  ausschliessen  2.  Cosmas  seine  directe  Angabe 
sehr  wohl,  sei  es  aus  seinen  schriftlichen  Quellen,  sei  es  aus  der 
lebendigen  Tradition  der  Prager  Kirche  schöpfen  konnte,  3.  dass  für 
ihn  kein  Grund  vorlag,  eine  solche  Nachricht  zu  erdichten.  Ersteres 
ist  zuzugeben.  Da  seit  dem  Friedoi  von  Forchheim  oder  besser  der 
Zeit  der  Verhandlungen,  die  zu  ihm  führten  (873)  Deutschland  es  aufgab, 
sich  in  die  inneren  Verhältnisse   des   mährischen  Reiches  zu  mischen. 


')  W.  Wattenbach,  Beiträge  zur  Geschichte  der  christlichen  Kirche  in 
Böhmen  und  Mähren  Wien  1849,  1. 

2)  K.  L.  Goetz,  die  Geschichte  der  Slavenapostel  Constantinus  (Kyrillus) 
und  Methodius,  Gotha  1897,  wo  sich  die  sonstige  Literatur  findet.  Vgl.  die 
verschiedenen  Besprechungen  dieser  Arbeit,  ferner  für  die  slav.  Lit.  noch  J.  Emier 
im  Öas.  cesk.  musea  55,  G.  Polivka  im  Athenäum  III,  Prag  1886,  9  fl'.  und 
W.  Wondräk  im  Öasopis  cesk^ho  musea  71,  324  ff. 


48  A.  Bach  mann. 

also  auch  die  Ansprüche  der  baierischen  Bischöfe  gegen  Method  zu 
unterstützen,  und  da  anderseits  der  hl.  Stuhl  seine  Verfügungen  be- 
treffs der  Unabhängigkeit  der  pannonisch-mährischen  Kirche  von 
Salzburg  aufrecht  erhielt,  so  ist  ein  Hinübergreifen  der  Thätigkeit 
Methods  nach  dem  mit  Mähren  seit  874  oder  bald  darauf  politisch 
verknüpften  Böhmen,  und  ist  noch  leichter  die  Taufe  böhmischer  Häupt- 
linge durch  den  Erzbischof  (zw.  873 — 885)  möglich.  Aber  Method, 
der  nach  dem  Frieden  zunächst  in  Pannonien  wirkt  und  erst  später 
nach  Mähren  geht  (nach  Fürst  Kozels  Tode),  findet  dort  Widerstand 
au  Fürst  Swatopluk  uud  den  nicht  slavischen  Geistlichen.  Seine  Wirk- 
samkeit ist  voller  Kämpfe  und  Hindernisse,  so  dass  uns  directe  Belege 
für  seine  Amtsthätigkeit  sogar  in  Mähren  selbst  mangeln.  Ein  Hin- 
übergreifen nach  Böhmen  hätte  unstreitig  die  Rechte  der  Regensburger 
Kirche  (seit  845)  berühi-t:  es  liegt  aber  keine  Einsprache,  keine  Be- 
schwerde von  dieser  Seite  vor,  während  Salzburg  und  Passau  ihre 
Ansprüche  auf  Pannonien  und  Mähren  entschieden  wahrten  und  eben 
diese  Verwahrungen  auch  für  Regensburg  den  nahezu  zwingenden 
Anlass  zur  Erhaltung  seiner  Rechte  auf  Böhmen  bilden  mussten,  falls 
solche  wirklich  verletzt  waren.  So  bleibt  es  diesbezüglich  bei  einer 
leeren  äusseren  Möglichkeit. 

Die  schriftlichen  Vorlagen,  auf  die  sich  Cosmas  —  er  schreibt 
ca.  1120  —  für  diese  Zeit  beruft,  sind:  das  Privilegium  der  Mährischen 
Kirche,  ein  ,epilogus  (Moraviae  atque)  Bohemiae"  und  eine  „vita  vel 
passio"  des  hl.  Wenzel.  Aus  ihnen  könne  sich  unterrichten,  wer 
wissen  wolle,  „qualiter  gratia  dei  semper  praeveniente  et  ubique  sub- 
sequeute  dux  Boriuoj  adeptus  sit  sacramentum  baptismi,  aut  quomodo 
per  ejus  successores  his  in  partibus  de  die  in  diem  sancta  processerit 
religio  catholicae  fidei,  vel  qui  dux,  quas  aut  quot  primitus  ecclesias 
credulus  erexit  ad  laudem  dei  (lib.  I,  cap.  15;  Font.  II  28)- 

Dass  Cusmas  keine  weiteren  Quellen  besessen  hat,  glauben  wir 
ihm  gern:  seine  unglaubliche  Unkenntnis,  bes.  der  Chronologie,  seine 
Versehen  auch  betreffs  viel  späterer  Dinge  sind  nur  so  zu  erklären. 
So  weiss  er  für  die  Zeit  v.  895 — 928  gar  nichts,  dann  erzählt  er 
Wenzels  Ermordung  zu  929,  wesentlich  nach  Gumpold,  um  für  die 
Zeit  Boleslavs  I.  wieder  nahezu  nichts  melden  zu  können :  De  actibus 
autem  ducis  Bolezlai  nichil  aliud  dignum  relatione  reperire  potui,  nisi 
unum  —  es  betrifft  die  Ausführung  des  Gelöbnisses  Wenzels  betreffs 
der  St.  Veitskirche  (I  c.  18),  wozu  noch  (cap.  19)  ein  Geschichtchen 
über  die  Art  kommt,  wie  Boleslav  sich  bei  seinen  Grossen  Gehorsam 
verschaffte.  Auch  für  die  Zeit  Boleslavs  11.  (967—999)  sind  die  Pri- 
vilegien des  St.  Georgsklosters  und  der  Prager  Kirche,  dürftige  sonstige 


Beiträge  zu  Böhmens  Geachiclite  und  Geschichtsquellen.  49 

Auf  Zeichnungen  über  dieselben  vom  engsten  Gesichtskreise  aus  gegeben, 
und  die  Schicksale  Bischof  Adalberts  Cosrnas  deutlich  erkennbaren,  für 
die  Landesgeschichte  wieder  nur  zu  spärlich  fiiessenden  Quellen  i). 

Für  die  Meldung  über  Bofivojs  Taufe  bleiben  wirklich  nur  die  ge- 
nannten drei  Quellen,  von  denen  die  eine,  die  Vita  St.  Wenceslai,  uns 
bekannt  ist  und  darüber  nichts  besagt. 

Aber  auch  das  Privilegium  ecclesiae  Moraviensis,  leider  verloren, 
hat  wohl  diese  Nachricht  nicht  enthalten.  Die  x^nführung  eines  solchen 
Vorkommnisses  im  Privileg  hätte  doch  nur  den  Zweck  haben  können, 
irgend  welche  Kechte  oder  Ansprüche  der  mährischen  Kirche  auf 
Böhmen  zu  stützen.  Dass  solche  aber  nicht  da  waren  und  auch  nie- 
mals erhoben  wurden,  vielmehr  umgekehrt  die  böhmische  Kirche  die 
Zugehörigkeit  des  Landes  Mähren  zu  ihrem  Sprengel  behauptete,  be- 
weist eben  Cosmas  selbst  in  seiner  Darstellung  des  böhmisch-mähri- 
schen ßischofsstreites  (lib.  II  cap.  22  ff.,  27  ff.).  Für  die  Ansprüche 
des  Prager  Bischofs  wurde  sogar  die  Stiftungsur künde  seiner  Kirche 
derart  interpolirt,  dass  das  Land  Mähren  in  seinen  Sprengel  fiel  (addita 
regione  Moravia).  Hier  war  für  Cosmas,  der  ja  das  privileg.  ecclesiae 
Morav,  vor  sich  hatte,  wiederholt  der  dringende  und  zwingende  Anlass 
da,  sich  bei  Beurtheilung  des  Streites  auf  das  mährische  Privileg  zu 
berufen,  wenn  es  etwas  über  die  Beziehungen  Mährens  zu  Böhmen 
enthielt.    Es  ist  nicht  geschehen. 

So  bleibt  als  Quelle  für  jene  Meldung  nur  der  epilogus  Moraviae 
et  Boemiae.  Wir  haben  ihn  als  jene  historische  Darstellung  an- 
zusehen, der  auch  der  Bericht  über  Swatopluk  von  Mähren  und  die 
sonstigen  wenigen  Angaben  des  Cosmas  über  diese  Zeit  angehören 
werden,  für  die  eine  andere  Provenienz  nicht  nachgewiesen  ist  -). 
Schon  die  äusseren  Umstände  sprechen  dafür,  dass  er  nicht  wohl  vor 
der  Wiedergeburt  Mährens  und  seiner  Vereinigung  mit  Böhmen  ent- 
standen sei,  d.  h.  nicht  vor  dem  3-  Jahrzehnt  des  11.  Jahrh.  Seinen 
späten  Ursprung  erweist  aber  vor  allem  die  Berichterstattung  über 
„König"  Swatopluk:  Inmitten  seiner  Heere  sei  er  verschwunden  und 
nicht  mehr  zum  Vorschein  gekommen;  aus  Reue  über  seine  Frevel- 
thaten  gegen  Kaiser  Arnulf  —  die  ßeichsannalen    melden  das  gerade 

1)  Vgl.  schon  Palacky,  Würdigung  24  f. 

-)  Hierher  gehören  die  Notizen  aus  Reginos  Fortsetzung;  sie  finden  sich 
bereits  in  den  ältesten  Handschriften  und  sind  also  wohl  von  Cosmas  selbst 
eingefügt,  dagegen  aus  dem  epilogus  die  Meldung  über  die  Tributpflicht  der 
Böhmen  (lib.  II  cap.  8):  Talern  enim  nobis  legem  instituit  Pippinus,  magui  Caroli 
filius  etc. ;  sie  gilt  eigentlich  zunächst  für  die  Mährer.  die  Pipin  793 — 6  zugleich 
mit  den  Avaren  unterwarf.  Die  Tributpflichtigkeit  der  Böhmen  rührt  von  Pipins 
älterem  Bruder  Karl  her.     Einhard,  Vita  Gar.  cap.  15. 

Mittheilungen  XX.  4 


50  A.  Bach  mann. 

Gegentheil  noch  gelegfentlich  seines  Ablebens  —  geht  er  in  ein  Kloster, 
wo  er  sich  erst  vor  seinem  Tode  zu  erkennen  gibt  (Cosmas  lib.  1,  14). 

Alles  ist  hier  bereits  vom  Dämmerlichte  der  Sage  übergössen 
und  dem  Stande  der  Thiitsachen  unangemessen.  Nicht  anders  wird 
es  aber  auch  mit  der  Angabe  über  Bofivojs  Taufe  durch  Method  und 
zur  Zeit  Swatopluks  stehen,  die  895  beide  nicht  mehr  am  Leben  waren ; 
nach  den  Annal.  Fuld.  (cont.  Katisp.)  ad  a.  895  auch  Bofivoj  selbst  nicht. 
Und  sehen  wir  uns  um,  wo  wir  sonst  Meldungen  finden,  „qualiter 
dux  Borivoj  adeptus  sit  sacrameutum  baptismi,  so  begegnen  wir  einer 
solchen  nur  in  der  jüngsten  mährischen  Legende  über  Method  (aus 
dem  14.  Jahrb.,  aber  nach  Olmützer  Aufzeichnungen;  s.  in  Font.  rer. 
Bohem.  I,  100  ff.).  Und  die  ganze  Erzählu Lg  ist  wesentlich  identisch  mit 
jener,  die  eine  Bekehrung  heidnischer  Slaven  durch  den  Edlen  Jngo 
(Conversio  Bagoar.  et  Carantan.)  und  die  Wenzels  von  Böhmen  erzählt. 

Aber  kann  die  Thatsache  nicht  doch  bestehen,  durch  die 
böhmisch-mährische  Tradition  dem  Epilogus,  und  durch  ihn  Cosmas 
überliefert  sein?  Bezüglich  der  böhmischen  Tradition,  auf  die  wirk- 
lich Tomek,  Apologie  30,  und  neuerdings  Kalousek  im  Athenäum  III, 
Prag  1888,  2  ff.  hingewiesen  haben,  hat  schon  Höfler,  Bonifatius  und 
die  Slavenapostel  Konstantinus  und  Methodius,  Prag  1887  (Sep.  aus 
den  Mittheil,  des  Ver.  für  Gesch.  d.  Deutschen  in  Böhmen,  XXV.  Jahrg., 
Heft  3)  nach  dem  Homiliar  eines  Prager  Bischofs  aus  dem  11.  Jahrh. 
(s.  F.  Hecht,  Prag  1863)  und  den  Aufzeichnungen  des  St.  Georgs- 
klosters, der  ältesten  Stiftung  der  pfemyslidischen  Familie,  das  Nötige 
dargethau;  diese  Traditionen  wissen  zwar  von  Set.  Emmeran  und 
anderen  deutschen  Glaubensboten,  aber  von  Cyrill  und  Method  nichts 
(ebdt.  S.  49  ff.).  Ebenso  lässt  sich  für  die  Existenz  einer  slavischen 
Liturgie  in  Böhmen  die  sog.  russische  Legende  von  hl.  Weuzel  (s.  Tomek, 
Apol.  35)  nicht  anführen.  Sie  ist  eben  nicht  „fast  gleichzeitig", 
sondern  aus  viel  späteier  Zeit :  sicher  ist  hier  bereits  Gumpold  benützt, 
wie  ich  an  anderer  Stelle  zeigen  werde,  und  ist  vor  allem  an  entschei- 
dender Stelle  interpolirt.  Denn  der  zwischen  die  Angaben:  „So 
sprach  dieser  „rechtgläubige"  Bischof  und  auf  sein  Gebet  fieng  der  Knabe 
an  mit  der  Gnade  Gottes  zu  gedeihen"  und  „es  brachte  ihn  aber  Fürst 
Wratislav  nach  Budec,  und  der  Knabe  fieng  an  in  den  lateinischen 
Büchern  zu  lernen  und  lernte  gut"  eingeschobene  Satz:  Und  seine 
Grossmutter  Ludmila  liess  ihn  in  slavischen  Büchern  lernen,  und  er 
folgte  seinem  Lehrer  und  lernte  alles  gut  und  rasch,  weist  so  sicher 
auf  spätere  Bearbeitung  hin  —  slavischer  Elementarunterricht  im 
beginnenden  10.  Jahrh.!  —  wie  der  weiter  unteu  nachfolgende  Satz: 
Und  Gott  sandte  dem  Fürsten  Wenzel  solche  Gnade,  dass  er  an  fieng 


Beiträge  zu  Böhmens  Geschiclite  und  Geschiclitsquellen.  51 

die  lateinischen  Bücher  zu  verstehen  wie  ein  Bischof  oder  ein 
Geistlicher.  Der  Fabulist  und  Interpolator  erzählt  nochmals  von 
dem  gereiften  Fürsten,  was  zweimal  vom  Knaben  Wenzel  berichtet  wurde. 
Auch  sonst  fehlt  es  nicht  an  Widersprüchen  und  Ungereimtheiten,  so 
wenn  erst  berichtet  wird,  dass  Wenzel  und  sein  Bruder  Boleslav  zur 
Zeit  des  Ablebens  ihres  Vaters  noch  klein  waren,  weshalb  die  Mutter 
die  Verwaltung  übernahm  und  auch  noch  führte,  als  Boleslav  in  das 
Bunzlauer  Theilfürstenthum  eingewiesen  ward  und  die  Schwestern  ver- 
heiratet wurden,  während  es  gleich  darauf  heisst,  Wenzel  sei  beim 
Tode  seines  Vaters  bereits  18  Jahre  alt  gewesen;  von  dem  ungenannten 
Bischof  oder  den  Bischöfen,  die  da  in  Böhmen  auftreten,  nicht  zu 
reden.  „Der  Nimbus  wie  der  altslavischen  so  überhaupt  der  östlichen 
Legenden  verliert  sich"  eben  mehr  und  mehr  (s.  Snopek  im  Sbornik 
histor.-krouzku  „Vlast"  1896),  und  erst  eingehendere  handschriftliche 
Forschungen  und  wo  möglich  neues  Material  werden  beigebracht 
werden  müssen,  ehe  man  auch  nur  eine  sichere  Grundlage  für  ihre 
Kritik  erlangt  ^).  Eben  bis  dahin  auch  entbehren  sie  selbst  für  die 
Beurtheilung  anderer  Fragen  der  genügenden  Beweiskraft. 

Anderseits  hat  Cosmas  die  Meldung  über  die  Taufe  Bofivojs  ge- 
wiss nicht  selbst  ersonnen,  sondern  wirklich  aus  dem  Epilogus  Mora- 
viae  et  Bohemiae  entlehnt.  Dieser  aber  mochte  sie  bieten,  um  der  neu 
gewonnenen  Verbindung  zwischen  Böhmen  und  Mähreu  eine  weitere 
historische  Basis  zu  leihen,  eine  Basis,  so  wenig  verlässlicb,  als  die 
Angaben  richtig  sind,  die  sich  daneben  über  Fürst  Swatopluk  finden. 
Wenn  nicht  als  Ergebnis  einer  —  nahe  liegenden  —  Combination  des 
Verf.  des  Epilogus,  so  doch  sicher  als  durchaus  sagenhaft  —  gleich 
den  Meldungen  über  „König  Swatopluk"  wird  man  die  Angabe  über 
die  Taufe  B.s  durch  Set.  Method  bezeichnen  dürfen. 


•)  Vgl.  Ild.  Veith  in  den  Studien  und  Mittheil,  iius  dem  Benedictinerorden 
XVIII,  1897,  383. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  FriedriclislV.  (III.) 

1440—1442. 

Von 

Johann    Lechner. 


G.  Seeligers  Arbeit  über  die  Registerführung  am  deutschen 
Königshof  bis  1493  ^)  gewährt  uns  erfreulichen  Einblick  in  den 
heutigen  Bestand  der  deutschen  Reichsregister  bis  1493;  er  führt  uns 
in  feinsinniger  Untersuchung,  deu  Werdegang  einer  Urkunde  bis  zur 
Buchung  verfolgend,  in  den  königlichen  Kanzleiräumen  von  eiuem 
Beamten  zum  andern  und  entrollt  uns  so  ein  fassbares  Bild  vom 
ganzen  Beurkundungsgeschäft.  Auch  die  landesherrliche  Register- 
führung der  Könige  lässt  er  nicht  unberücksichtigt  und  hebt  für  die 
Zeit  K.  Friedrich  IV.  (III.)  eine  beklagenswerthe  Lückenhaftigkeit  2) 
in  dem  bekanuten  Material  dieser  Art  von  Verwaltungsbüchern  hervor. 
Das  erste  dort  verzeichnete  Urkundenregister  der  österreichischen 
Kanzlei  K.  Friedrichs,  cod.  D  70  im  Archive  des  k.  u.  k.  Reichs- 
finanzministeriums setzt  im  jetzigen  Zustande  mit  Juni  1443  ein;  das 
Abbrechea  inmitten  eines  Satzes  und  die  mit  303  beginnende  neuere 
FoliiruDg  —  bemerkt  der  genannte  Forscher  —  lasse  D  70  als  Frag- 
ment eines  grösseren  Registerbandes  erkennen,  der  auch  , Regesten 
aus  dem  Anfang  der  vierziger  Jahre,  vielleicht  noch  aus  der  herzog- 
lichen Periode  Friedrichs  III.  enthielt"  3).  Durch  den  8.  Bd.  der 
Tabulae  codicum  manuscriptorum  in  bibliotheca  palatina  Vindobonensi 
asservatorum    (Wien    1893)    kam    als    erwünschter    Zuwachs    zu    dem 


')  Mitth.  d.  Instituts  3.  Erg.-Bd. 
2)  A.  a.  0.  S.  311. 
•')  S.  295  f. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  Friedrichs  IV.  (in.)  1440—1442.         53 

Seeliger  bekannten  Bestände  der  landesherrlichen  1)  Register  cod.  14.109 
(suppl.  1632)  an  den  Tag.  Mit  Studien  zur  Geschichte  und  Verfassung 
des  k.  Kammergerichts  vor  1495  beschäftigt,  verdanke  ich  den  Hin- 
weis einer  gütigen  Mittheilung  Prof.  0.  Redlichs.  Der  Codex  schien 
mir  einer  eingehenderen  Besprechung  würdig,  da  er,  ein  Zeugnis  der 
landesfürstlichen  Thätigkeit  Friedrichs  in  seinen  ersten  Königsjahren, 
für  alle  diesem  Herrscher  unterstehenden  Länder  berechnet  ist,  be- 
rechnet für  den  Ernestinischen  Hausbesitz  wie  für  die  von  Friedrich 
als  Vormund  regierten  Herrschaftsgebiete  des  tirolischen  Leopoldiuers 
Sigmund  und  des  Albertiners  Ladislaus  2).  Cod.  14.109  ist  ein  Orio-inal- 
register;  ein  nur  für  ihn  berechneter  Index  und  schmäleres  Format 
lassen  den  Band  nicht  als  zweites  Fragment  zu  D  70  gelten,  dem  er 
zeitlich  mit  Offenlassung  einer  Lücke  vom  April  1442  bis  Juni  1443 
vorangeht. 

Ein  dunkelgrüner  moderner  Einband  mit  weissem  Lederrücken 
umschliesst  221^)  meist  ^)  beiderseits  beschriebene  Papierblätter 
(29'5 :  20),  von  denen  die  ersten  acht  einem  gleichzeitigen  Index  &) 
dienen,  dessen  Hand  in  den  ßegesteu  nicht  anzutreffen  ist.  Die  Ein- 
tragungen rühren  im  allgemeinen  von  einem  Schreiber  her,  der  nur 
selten  und  in  kleineren  Partieen  von  einer  zweiten  (f.  34^),  164 — 169, 
218—219')  und  einer  dritten  Hand  (f.  90',  91,  92',  114',  161,  163', 
193,  199')  abgelöst  wird;  er  behält  sich  aber  auch  dann  häufig  die 
Herstellung  der  üeberschriften  vor  und  gestattet  sich  Verbesserungen  '). 


')  Das  »Registratursbuch*  daselbst  als  »tabulae  cancellariae  Friderici  III. 
Rom.  imperatoris  1440—1442  cum  indice*  charakterisirt,  gehört  nicht  in  die 
Gruppe  Historia  Germaniae  generalis,  sondern  zur  Historia  Austriae  vgl.  unten 
S.  55. 

2)  Anders  die  bei  Seeliger  besprochenen  drei  allg.  österr.  Registerbände: 
Seeliger  296  u.  298;  vgl.  unten  S.  54. 

^)  Ein  Blatt  war  schon  urspr.  ausgeschnitten  worden. 

■1)  Schiiftfreie  Seiten  kennzeichnen  zuweilen  das  Ende  von  jetzt  nicht  mehr 
unterscheidbaren  Lagen. 

5)  Den  vorhandenen  Reichsregistern  Friedrichs  III.  fehlen  Indices,  während 
solche  auch  bei  vier  andern  österr.  Registern  anzutreffen  sind.     Seeliger  347. 

")  Nach  der  dem  heutigen  Blätterbestande  entsprechenden  modernen 
Foliirung. 

^)  Mit  Jacob  Widerl,  dem  damaligen  Registrator,  vermag  ich  den  Schreiber 
wegen  der  im  Register  zutagetretenden  Flüchtigkeit  der  Schrift  im  Gegensatz 
zur  Sorgfalt  der  Registratursvermerke  auf  den  Originalen  nicht  mit  Sicherheit 
zu  identificiren.  Die  beiden  anderen  Schreiber,  deren  Hände  man  auch  sonst 
in  Kanzleierzeugnissen  unten  K.  Friedrich  antrifft,  scheinen  damals  nur  in  ihrer 
freien  Zeit  zur  Buchungsarbeit  herangezogen  worden  zu  sein,  waren  also  nicht 
speciell  in  der  Registratur  beschäftigt. 


54  Johann  L  e  c  li  n  e  r. 

Eine  weitere  Haud,  in  der  ich  die  des  Kanzleivorstandes  vermuthe, 
ist  durch  Correcturen  im  Iudex  und  in  den  üeberschriften  vertreten. 
Das  nach  Folien  geordnete  Inhaltsverzeichnis  belehrt  uns,  dass  ur- 
sprünglich 266  Blätter  mit  Kegistereiutragungeu  gefüllt  waren,  von 
denen  1 — 54  (einschl.)  verloren  sind:  Jene  Stücke,  welche  jetzt  die 
Reihe  der  Buchungen  eröflFneii  und  nach  der  modernen  Bleistift- 
zählung das  Foliura  9  bilden,  verzeichnet  der  Index  zu  f.  55.  Diesem 
anfänglichen  Bestände  trägt  eine  neuere,  etwa  dem  16.  Jahrhdt.  zu- 
zuweisende Foliirung  Rechnung,  die  mit  ,55"  anhebend  bis  ,266" 
fortfährt.  Der  Abgang  dieses  Theiles  hängt  damit  zusammen,  dass 
nach  Ausweis  des  Index  f.  1 — 54  eine  Sonderabtheilung  für  Lehen- 
briefe aus  allen  von  K.  Friedrich  verwalteten  habsburgischen  Landen 
war.  Eine  Scheidung  nach  territorialen  Gesichtspunkten  wurde  hier 
ebensowenig  wie  im  folgenden  Theile  i)  angestrebt,  über  die  zeitliche 
Folge  der  Lehenbriefe  gewährt  uns  das  Inhaltsverzeichnis  keinen  Auf- 
schluss.  Sonst  ist  der  Codex  vollständig  in  den  Umfange  erhalten, 
den  er  bei  Anlegung  des  voranstehenden  Index  hatte;  dieser  wird 
unmittelbar  nach  Vollendung  der  Buchungen  in  einem  Zuge  ge- 
schrieben worden  sein ;  denn  von  den  im  Register  als  nachträglich 
cassirt  oder  ob  sonstiger  Gegenstandslosigkeit  durchstrichenen  Stücken 
lässt  er  einen  Theil  von  vornherein  unbeachtet,  andere,  offenbar  später 
getilgte  sind  zwar  verzeichnet,  aber  nachträglich  gestrichen.  Eines 
muss  noch  hier  hervorgehoben  werden,  worauf  mich  die  Betrachtung 
der  chronologischen  Folge  der  Eintragungen  geführt  hat:  der  Codex 
ist  verbunden.  Die  erst-  und  die  letztregistrirten  Urkunden  gehören 
auffallenderweise  derselben  Zeit  an.  Der  erhaltene  allgemeine  Theil 
des  Registers,  aus  dem  nur  die  Lehenbriefe  grundsätzlich  ausgeschieden 
sind,  entbehrt  im  heutigen  Zustande  scheinbar  jeglicher  Aufschrift  -). 
Wohl  aber  fällt  uns  eine  solche  auf  f  59  in  die  Augen :  Incepit 
anno  XL'"o.  Hie  heben  sich  an  corfirmaciones  schedenbriefe  unngelt- 
briefe  saczbrief  und  ander  brief  u.  s.  w.  3)  ausgenomen  die  lehen- 
brief,  die  vor  an  disem  register  vermercket  sind.  Da  die 
vorangegangenen  Lebenbriefe  verloren  sind,  so  haben  wir  hienach  in 
f  59  den  Anfang  des  allgemeinen  Theiles  des  Registers  zu  sehen. 
Dazu  gesellt  sich  als  äusserlicher  Hinweis  die  für  Schreiber  bezeichnende 


')  Vgl.  unten. 

2)  So  bezeichne  ich  die  den  einzelnen  Abschnitten  vorangesetzten  zusammen- 
fassenden Inhaltsangaben  zur  Unterscheidung  von  den  Ȇeberschriften*  der  ein- 
zelnen Eintragungen. 

Sj  Die  vollständige  Aufschrift  folgt  unten  S.  56. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  Friedriclis  IV.  (III.)  1440 — 1442.  55 

Erscheinung,  dass  f.  59  und  die  nächstfolgenden  Blätter  eine  viel 
sorgfältigere  Schrift  mit  sonst  im  Codex  meist  fehlenden  Eandlinien 
zur  Abgrenzung  des  Schriftfeldes  zeigen.  Den  Folien  9 — 58  (einschl.) 
wird  durch  die  Datirungsfolge  ihr  Platz  am  Schlüsse  des  Bandes  zu- 
gewiesen. Wie  ist  diese  Verwirrung  entstanden  ?  Seeliger  ^)  gibt  uns 
die  Antwort:  „ —  für  eine  Beantwortung  mancher  Fragen  ist  die 
Kenntnis  nicht  unwichtig,  dass  nicht  bloss  grössere  Codices,  sondern 
auch  dünnere  Heftchen  den  Zwecken  der  Kegistrirung  anfangs  dienten". 
Wenn  wir  statt  Heftchen  den  Ausdruck  Lagen  -)  gebrauchen,  so  können 
wir  sagen,  dass  bei  der  in  der  Kanzlei  vorgenommenen  Vereinigung 
derselben  zu  einem  Codex  die  drei  letzten  Lagen  vorgebunden  wurden : 
eine  Störung  der  Ordnung,  die  dem  die  Ueberschriften  in  Form  eines 
Index  zusammenstellenden  Schreiber  entgehen  konnte,  weil  er  an  den 
Eintragungen  nicht  selbst  betheiligt  und  daher  auch  mit  ihnen  nicht 
vertraut  war.     So  der  äussere  Zustand  d^r  Handschrift. 

Das  Kegister  als  Verwaltungsbuch;  Anordnung  der 
Eintragungen.  Das  territoriale  Erstreckungsgebiet  für  unseren 
Band  bilden  alle  der  Centralverwaltung  Friedrichs  in  den  Jahren 
1440 — 1442  unterstehenden  Länder.  1.  Die  sog.  „niederen  Lande" : 
Steiermark,  Kärnten,  Krain  mit  Zubehör.  2.  Die  , oberen  Lande" : 
Tirol  mit  dem  schwäbischen  Besitz  3),  welche  Ländergruppen  zusammen- 
genommen das  leopoldinische  Hausgebiet  ausmachten,  als  dessen  „un- 
getheilte  Erben"  sich  damals  trotz  der  vorangegangenen  „Auszei- 
guugen"  noch  alle  drei  Fürsten,  Friedrich,  Albrecht  und  der  unter 
Friedrichs  Vormundschaft  stehende  Sigmund,  betrachteten  ^).  3.  Das 
vom  König  als  Gerhab  verweste  österreichische  Erbe  seines  unmündigen 
Vetters  Ladislaus.  Bei  Friedrichs  hartnäckigem  Streben,  „die  Länder- 
theilungen  in  Oesterreich  ganz  zu  beseitigen  und  dieKegierung  aller  habs- 
burgischen  Besitzungen  in  der  Person  des  Aeltesten  zu  concentriren  ^)", 
mag  es  vielleicht  nicht  bedeutungslos  sein,  dass  wir  in  diesem  Register 


•)  S.  341,  wo  auch  eine  Reihe  voa  Beispielen  angeführt  sind. 

2)  Im  späteren  Mittelalter  waren  für  Papiercodices  meist  solche  zu  6—7 
Doppelblättern  gebräuchlich ;  beschmutzte  und  leer  gelassene  Seiten  innerhalb 
des  Buches  lassen  das  Ende  von  mehreren  Lagen  erkennen.  Ob  sie  geheftet 
waren,  ist  in  unserem  Falle  nicht  mehr  zu  entscheiden. 

')  Obwohl  die  Vorlande  durch  den  Haller  Vertrag  (5.  Aug.  1439)  für  die 
nächsten  drei  Jahre  Hz.  Albrecht  VI.  zur  Regierung  mit  voller  Gewalt  übergeben 
worden  waren;  Chmel,  Mater.  I,  56  no  XXXVII. 

*)  Vgl.  Zeissberg,  Der  österr.  Erbfolgestreit  nach  dem  Tode  des  K.  Ladis- 
laus Posthumus  (1457 — 1458)  im  Lichte  der  habsburg.  Hausverträge.  Arch.  für 
österr.  Gesch.  58,  56  und  an  anderen  Stellen. 

*)  Alf.  Huber,  Geschichte  Oesterreichs  3,  52. 


56  J  0  h  a  n  n  L  e  c  h  n  e  r. 

noch  alle  drei  österr.  Ländergruppen  ungesondert  nebeneinander  ver- 
treten sehen,  dass  nicht,  sei  es  aus  verwaltungsrechtlichen,  sei  es  aus 
verwaltungfstechuischen  Gründen  eine  Scheidunar  nach  territorialen 
Gruppen  durchgeführt  ist.  Dagegen  zeigen  die  diesem  Bande  zeitlich 
zunächststeheuden  drei  allgemeinen  Registercodices,  vs^elche  die  Jahre 
1443 — 1478  umfassen,  .eine  bemerkenswerthe  Beschränkung  auf 
Innerösterreich "  i),  die  sog.  niederen  Lande,  obwohl  Sigmund  seinem 
Vetter  Friedrich  die  Verwaltung  seines  Herrschaftsgebietes  auf  weitere 
sechs  Jahre  vom  Juli  1443,  dem  Ende  der  Vormundschaft,  an  ge- 
rechnet übertragen  hatte. 

Schon  die  Aufschrift  zu  dem  allgemeinen  Theil  des  Registers,  die, 
wie  erwähnt,  an  die  Spitze  des  Bandes  gehört,  lässt  dieses  Verhältnis 
erkennen:  Hie  heben  sich  an  confirmaciones  schedenbriefe  unngelt- 
briefe  saczbrief  und  ander  brief,  die  in  dem  furstentume  Osterreich 
Steir  Kernden  und  Krain  und  auf  der  graffschaflft  Tirol  und  andern 
lannden  ^)  aussgeben  werden  ausgenomen  die  lehenbrief,  die  vor  an 
disem  register  vermercket  sind.  Und  thatsächlich  befinden  sich  unter 
Urkunden  für  österreichische,  steirische,  kärntnische,  krainische  Em- 
pfänger auch  solche,  die  Verhältnisse  in  Tirol  und  den  Vorlauden 
zum  Gegenstande  haben;  z.  B.  f.  103  für  die  lewt  auf  dem  Riten, 
f.  59  für  die  tumbherrn  von  A marin  in  Elsass  in  Friedrichs  Eigen- 
schaft als  graflf  ze  Pfirtt  und  lanntgraff  in  Elsass,  f.  171 — 173'  unter 
der  Aufschrift  , Tirol"  je  eine  landesherrliche  Privilegienbestätigung 
für  Capitel  und  Stadt  in  „Beifort"  u.  a.  i\llerdings  treten  die  Ur- 
kunden für  tirolische  Empfänger  an  Zahl  bedeutend  zurück,  wie  denn 
überhaupt  Friedrichs  Regierungsthätigkeit  für  Tirol  in  den  zwei  Jahren 
nach  der  Uebernahme  der  Vormundschaft  eine  sehr  geringe  gewesen 
zu  sein  scheint  3).  Eine  Scheidung  der  Urkunden  etwa  nach  Fürsten- 
thümern  ist  nicht  vorgenommen.  Wohl  aber  eine  solche  nach  Inhalts- 
arten, so  zwar,  dass  die  Lehenbriefe  ausgesondert  und  der  Gesammt- 
heit  der  anderen  vorangestellt  wurden ;  doch  begegnen  wir  auch  in  dem 
allgemeinen  Theil  des  Registers  einzelnen  Leheubriefen,  ebenso  wie 
sich  in  die  Lehenabtheilung  einzelne  Urkunden  anderen  Inhalts  aus 
Nachlässigkeit  des  Schreibers  eingeschlichen  haben. 

Auch  die  Betrachtung   der   chronologischen  Anordnung  der  Ein- 
tragungen   zeitigt   ein   interessantes  Ergel)nis.     Nach  Beseitigung   der 


»)  Seeliger  296. 

'■')  Damit  können  in  diesem  Zusammenhange  nur  die  Vorlande  gemeint  sein. 

')  Vgl.  Albert  Jäger,  der  Streit  der  tiroler  Landschaft  mit  Kaiser  Friedrich  III. 
wegen  der  Vormundschaft  über  Herz.  Sigmund  v.  Oesterreich  von  1439 — 1446, 
Arch.  f.  österr.  Gesch.  49,   142. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  Friedrichs  IV.  (111.)  1440—1442.         5? 

gestörten  Lagenfolge  machen  wir  folgende  Beobachtung:  die  ßeo-ister- 
eintragungen  beginnen  auf  f.  59  mit  October  1440  und  schreiten,  in 
den  Datirungsangaben  selten  mehr  als  um  eine  Monatsläuge  diffe- 
rirend,  in  verhältnismässig  guter  zeitlicher  Ordnung  bis  an  das  Ende 
des  J.  1441  fort;  den  Schluss  des  Bandes  bilden  Schadlosbriefe  aus 
den  Anfangsmonaten  des  J.  1442,  denen  sich  auf  f.  9  S.  etwa  10  Ur- 
kunden 1)  verschiedener  Art  aus  derselben  Zeit  anreihen,  um  mit  dem 
April  1442  das  jüngste  Datum  zu  erreichen.  Damit  hat  die  fort- 
schreitende Folge  ein  Ende,  es  beginnt  eine  rückläufige  Bewegung. 
Das  Register  greift  in  einer  ganzen  Reihe  von  Stücken  auf  den  No- 
vember und  December  1441  zurück,  um  dann  mit  geringen  Unter- 
brechungen in  einem  grossen  Sprung  nach  rückwärts  in  den  Juli  und 
Juni  1441  zu  gelangen.  Da  auf  diese  eine  Erklärung  heischende 
Thatsache  bei  der  Vorlagenfrage  zurückzukommen  sein  wird,  sei  es 
gestattet,  eine  üebersicht  der  Datirungen  dieses  Registertheiles  (f.  9—58) 
unter  Beiseitelassung  der  Gegenbriefe  und  undatirten  Stücke  zu  geben. 

Datirungsfolge  f.   9 — 58: 


1442 

I 

15 

Eeun 

1441 

XII 

6 

Brück  a.  d.  M. 

1441 

XII 

30 

» 

— 

XII 

9 

» 

— 

XII 

30 

» 

— 

XII 

9 

» 

1442 

II 

6 

Brück  a.  d.  M. 

— 

XII 

13 

» 

— 

I 

11 

Reun 

— 

XII 

12 

» 

— 

II 

6 

Brück  a,  d.  M. 

— 

XI 

30 

Wi-. -Neustadt 

— 

II 

28 

Salzburg 

— 

VII 

16 

Wien 

— 

in 

29 

Innsbruck 

— 

VII 

15 

» 

— 

III 

26 

» 

1440 

XI 

23 

Neustadt 

— 

IV 

9 

» 

1439 

XII 

1 

Perchtoldsdorf 

— 

IV 

23 

Augsburg 

1441 

XII 

16 

Wien 

144J 

XI 

1 

Graz 

— 

VII 

17 

» 

— 

XI 

18 

» 

— 

VII 

7 

» 

— 

XI 

22 

» 

— 

VII 

7 

» 

— 

XI 

22 

» 

— 

vn 

7 

» 

— 

XII 

2 

3> 

— 

VII 

7 

5> 

— 

XII 

2 

» 

— 

711 

19 

» 

— 

XI 

25 

» 

— 

vn 

19 

^ 

— 

XII 

2 

» 

— 

VII 

23 

Graz 

— 

XII 

2 

» 

— 

VII 

23 

» 

— 

XI 

29 

» 

— 

XII 

14 

Brück  a.  d.  M. 

— 

XI 

25 

» 

1442 

I 

19 

Reun 

— 

XII 

1 

» 

— 

I 

19 

» 

— 

XI 

26 

» 

— 

I 

18 

» 

— 

XII 

3 

» 

1441 

VI 

6 

Wien 

• 

— 

VI 

6 

» 

')  Wobei  natürlich  die  Gegenbriefe  auszuscheiden  sind. 


58  J  o  h  a  n  n  L  e  c  h  u  e  r. 

Kegistrirungsform;  Unterfertigungen.  Uebersehriften 
gehen  regelmässig  den  Eintragungen  voran.  Diese  selbst  geben  meist 
den  vollen  Wortlaut  der  Urkunde  wieder,  nur  gewöhnlicb  mit  Weg- 
lassung des  Namens  und  Titels  des  Ausstellers  Frisdrich.  Urkunden- 
arten von  ganz  ständigem  Formular,  wie  Präsentationen,  Caplanats-, 
Familiaritätsbriefe  u.  a.,  zu  deren  Ausfertigung  mau  in  der  Kanzlei 
in  der  Regel  nicht  einmal  eines  Conceptes  bedurfte,  sind  in  einfacher 
Aktform  verzeichnet.  Die  Buchungen  behalten  die  Sprache  der  Ur- 
kunden bei,  deutsche  Briefe  sind  deutsch,  die  wenigen  lateinischen  in 
Latein  registrirt.  Die  Datiruug  fehlt  nicht  selten  i),  bei  Gleichheit 
derselben  heisst  es  datum  ut  supra. 

Einer  grossen  Zahl  von  Stücken  sind  Unterfertigungen  beigefügt, 
unter  denen  die  Form  „ad  mandatum  domini  regis"  überwiegt  und 
durch  das  ganze  Register  nachweisbar  ist.  An  Häufigkeit  kommt 
dieser  Form  am  nächsten  jene  mit  der  Nennung  des  Kanzlers  ^) :  ad 
mandatum  domini  regis  Conradus  praepositus  Wiennensis  cancellarius, 
nicht  selten  gekürzt  zu  rex  cancellarius  oder  gar  zu  cancellarius. 
Zuweilen  sind  Relationsvermerke  damit  verbunden,  welche  besagen, 
dass  die  königliche  Gewährung  nach  einer  berathenden  Besprechung 
mit  den  genannten  Personen  erfolgt  ist: 

f  138:  ad  mandatum  domini  regis  Conradus  praepositus  Wien- 
nensis cancellarius  Conrado  de  Kreig  ^)  magistro  curie  referente. 
(1441  V.  3). 

f.  119':  ad  mandatum  domini  regis  Johanne  comite  de  Sch[aum- 
berg]  *)  et  magistro  Cunrado  referentibus  (1440  III.  10). 

f  127':  ad  mandatum  domini  regis  Conrado  de  Krey  magistro 
curie,  Johanne  de  Neitperg  ^)  et  Walthero  Zebinger  ^)  referentibus. 
(1441  III.  24). 

Weit  spärlicher  vertreten  ist  die  speci fisch  österreichische  Unter- 
fertiguugsform :  commissio  propria  domini  regis;  sie  kommt  nur  in 
dieser  Verbindung  vor.  Zum  erstenmale  tritt  sie  in  unserem  Register 
bei  einem  Briefe  d^^°  1441  I.  9  auf  und  lässt  sich  dann  durch  das 
ganze  Register  vereinzelt  blicken.    Andeutungsweise  sei  hier  eine  Ver- 


')  Vgl.  unten. 

*)  Conrad  Propst  von  St.  Stephan  in  Wien. 

•'')  Als  Hofmeister  1439 — 1446  nachweisbar.  Seeliger  Hofraeisteramt  130. 

■*)  War  1437  bis  vor  1439  Mai  30  österr.  Laudmarschall  vgl.  Wretschko, 
Das  österr.  Marschallamt.  189. 

^)  Auch  sonst  um  diese  Zeit  in  des  Königs  vertrauter  Umgebung  nach- 
weisbar, z.  B.  am  11.  Sept.  1442  als  Urtheiler  im  kgl.  Kammergericfit,  vgl. 
Chmel  RR.  Anhang  25. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  Friedrichs  IV.  (III.)  1440—1442.  59 

muthung  geäussert,  auf  die  ich  in  anderem  Zusammenhange  zurück- 
kommen werde:  die  Form  commissio,  soviel  ich  sehe,  bis  zur  Tren- 
nung der  Kanzlei  in  eine  für  das  Eeich  und  eine  andere  für  die 
Hauslaude  i)  nur  in  Verbindung  mit  propria  nachweisbar,  scheint  mir 
bis  zum  genannten  Zeitpunkte  ebenso  wie  die  auch  schon  unter  Sigis- 
mund  auftretende  Unterfertigung:  ad  mandatum  domini  regis  pro- 
prium und  in  gleicher  Bedeutung  mit  dieser  einfach  die  besondere 
Antheilnahme  des  Königs  an  der  Handlung  auszudrücken  noch  ohne 
Beschränkung  etwa  auf  die  Erblande  des  Herrschers.  Dass  man  mit 
der  ünterfertigung  commissio  etc.  propria  gegenüber  ad  mand.  etc. 
cancellarius  einen  bestimmten  Sinn  verband,  zeigt  sich  f  199'  (1441 
XI.  1),  indem  ad  mandatum  etc.  getilgt  und  durch  commissio  etc. 
propria  ersetzt  ist.  Erst  mit  dem  Aufkommen  zweier  gesonderter 
Kanzleien  am  Hofe  K.  Friedrichs  ward  commissio  zur  Fertigungsform 
speciell  für  landesfürstlich  österreichische,  mandatum  für  Eeichs- 
angelegenheiten  differenzirt.  Mit  dem  Zusatz  propria(um)  drückte 
man  in  beiden  Kanzleien  auch  fürderhin  den  höheren  Grad  königlicher 
Betheiligung  aus.  Eine  gütigst  gewährte  Durchsicht  der  bisherigen 
Sammlungen  der  Reichstagsakten  ergab,  dass  commissio  auch  späterhin 
noch  in  Schreiben  an  Reichsstände  gebraucht  wurde,  wenn  sie  den 
König  selbst  oder  Personen  seines  Hofes  betrafen. 

Vorlagen  und  Zeitpunkt  der  Eintragungen.  Weil  die 
bisherige  Forschung  ergeben  hat,  dass  nicht  einmal  ein  und  dieselbe 
Kanzlei  innerhalb  eines  beschränkten  Zeitraumes  einer  bestimmten 
Uebung  gefolgt  ist,  glaubte  ich  dieser  Frage  auch  bei  dem  hier  zu 
besprechenden  Register  jiicht  aus  dem  Wege  gehen  zu  dürfen.  Es 
handelt  sich  bekanntlich  im  allgemeinen  um  zwei  Möglichkeiten: 
Registrirung  nach  dem  ausgefertigten  Original  oder  nach  einem  mehr 
minder  unvollkommenen  und  daher  nicht  die  erforderliche  Sicherheit 
bietenden  Concept.  Für  die  Beurtheilung  der  im  Folgenden  vorzu- 
bringenden Kriterien  mag  es  von  Nutzen  sein,  wenn  wir  uns  von  den 
Merkmalen  der  beiden  Vorlagen  arten  —  soweit  sie  für  diese  Unter- 
suchung in  Betracht  kommen  —  ein  Bild  zu  machen  versuchen-). 


1)  Seeliger  3486  ggtzt  den  Amtsantritt  des  Erzbischofs  Jacob  v.  Trier  auf 
den  24.  Juni  1442. 

2)  Als  Material  dienten  mir  an  Originalen  jene  des  "Wiener  H.  H.  und 
Staatsarchives  (Repert.  I)  durch  eigene  Einsichtnahme,  sowie  des  Grazer  Landes- 
archivs auf  Grund  freundlichst  zur  Verfügung  gestellter  genauer  Regest-Notizen 
des  H.  Dr.  Steinherz;  an  Concepten  fehlt  es  für  diese  Jahre  im  Wiener  Staats- 
archiv, es  konnten  jedoch  mit  einigem  Rechte  solche  der  landesfürstlichen  Kanzlei 
aus  dem  J.  1478  herangezogen   werden,   wie  sie  im  Cod.  129  des  Wien.  Staats- 


QQ  JohannLechner. 

Die  Originale  aus  Friedrichs  ersten  Königsjahren  tragen  rechts 
unter  dem  Texte  oder  auf  dem  Bug  von  zweiter  Hand  in  der  Eegel 
—  nicht  immer  —  eine  ünterfertigung,  der  ßegistratursvermerk  fehlt 
während  dieser  drei  Jahre  mehr  als  zwei  Drittheilen  der  mir  zugäng- 
lichen Urkunden ;  wo  er  sich  findet,  besteht  er  in  folgender  am  Kücken 
des  Originals  in  sorgfältiger  Schrift  angebrachten  Notiz:  K*^  Jacobus 
Widerl.  Die  übergrosse  Mehrzahl  der  Concepte  zeigt  Nachtragung  der 
Kanzleifertigung  und  der  Datirung  und  zwar  von  anderer  Hand. 
Auch  Gegenbriefe  erscheinen  von  den  gleichen  Concipisten  aufgesetzt 
und  lassen  die  ersterwähnten  Merkmale  der  anderen  Concepte  erkennen. 
Fast  alle  im  Cod.  129  gesammelten  Concepte  sind  durchgestrichen,  zum 
Zeichen,  dass  die  Reinschrift  bereits  vollzogen  ist.  Bei  einer  Anzahl 
derselben  findet  sich  am  ßande  der  Vermerk:  RK  Es  ist  noch  deut- 
lich zu  erkennen,  dass  neben  einzelnen  Folien  auch  Doppelblätter  und 
ganze  Lagen  zur  Aufnahme  der  Concepte  dienten,  so  dass  es  oft  ge- 
radezu unmöglich  war,  —  Registrirung  nach  Concepten  vorausgesetzt  — 
die  Stücke  einzeln  i)  der  Registratur  zu  übermitteln,  dass  also  serien- 
weise Registrirung  auch  vorgekommen  sein  muss. 

Einmal  liest  man  bei  einem  mit  R*^  versehenen  Concept  den  Ver- 
merk non  emanavit,  das  non  nachträglich  gestrichen.  Ursprünglich 
schliessen  die  Concepte  meist  mit  Geben,  Geben  mit  urkund,  datum  und 
da  kann  man  beobachten,  wie  bei  einer  Reihe  fortlaufender  Stücke  von 
derselben  Hand  und  Tinte,  die  aber  verschieden  ist  von  der  des  Con- 
cipisten, der  Datirungsvermerk  ut  supra  hinzugefügt  ist.  Notizen  wie  fiat 
clausa,  fiat  aperta,  cum  sigillo  appendenti  u.  a.  gehören  auch  in  die  Con- 
cipistensprache.  Ja  es  kommt  sogar  vor:  commissio  ut  infra.  Andrer- 
seits ist  es  doch  wieder  nicht  selten  unterlassen  worden,  Unterfertigung 
und  Datirung  oder  eines  von  beiden  nachzutragen.  Solche  Kenntnis 
von  der  Beschaffenheit  der  beiden  möglichen  Vorlagenarten  voraus- 
geschickt, wenden  wir  uns  zunächst  mit  unserem  fragenden  Anliegen 
an  den  Codex  selbst,  um  im  Anschlüsse  daran  die  Originale  zum 
Vergleiche  mit  den  Registereintragungen  heranzuziehen. 


arehivs,  jetzt  2  Bde.  4»,  handlich  vorliegen.  Der  Sammelband  von  Concepten 
trägt  auf  dem  als  Umschlag  verwendeten  Stücke  eines  pergamentenen  Notariats- 
instruments von  gleichzeitiger  Hand  folgende  Aufschrift:  Gemain  notin  allerlay 
hanndlung  angefangen  zu  Weichnachten  anno  etc.  LXXVIIlo  und  geendet  Jacobi 
anno  (!)  eiusdem.  Auszugsweise  veröffentlicht  von  Chmel  im  Arch.  f.  österr.  Gesch. 
3,  77 — 157  mit  Fortsetzungen  im  Notizenblatte  des  Arch.  f.  österr.  Gesch.  2  und 
Mon.  Habsb.  1  2.  Vgl.  über  diesen  Gegenstand  neben  Seeliger  an  verschiedenen 
Stellen  auch  Steinherz  in  Kaiserurkunden  in  Abbildungen,  Text  474  f. 
')  Vgl.. Seeliger  34:V. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  Friedrichs  IV.  (III.)  1440 — 1442.  (jl 

Einen  Fingerzeig  gibt  uns  das  verhältnismässig  häufige  Fehlen 
der  Datirung  ^),  Für  solche  Eegesten  kann  nur  ein  Coneept  oder 
eine  Notiz  in  Aktform  vorgelegen  haben,  da  nicht  anzunehmen  ist, 
dass  der  Kegistrator  die  in  dem  Original  vorgefundene  Datirung  in 
so  vielen  Fällen  ausgelassen  hat.  Wenn  bei  Gegenbriefen  das  Datum 
fehlt  und  wir  ausserdem  wisseu,  dass  auch  solche  häufig  in  der  Kanzlei 
selbst  concipirt  wurden,  so  wird  das  nicht  anders  als  durch  Buchung 
nach  einem  Coneept  erklärt  werden  dürfen.  Unterfertigung  und  Datirung 
erweist  sich  fast  ausnahmslos  als  mit  dem  sachlichen  Theil  gleich- 
zeitig und  von  derselben  Hand  eingetragen.  Diese  Thatsache  spricht 
an  sich  noch  nicht  für  die  eine  oder  die  andere  Art  der  Vorlage. 
Etwas  genauer  lässt  uns  die  trotzdem  an  zwei  Stellen  -)  erfolgte 
Naehtragung  der  Datirung  und  Kanzleiunterfertigung  blicken.  Bei 
einigen  anderen  Stücken  ^)  ist  nur  die  Unter  Fertigung  nachgetragen, 
sichtlich  dem  Vermerk  des  Originals  nachgezeichnet. 

In  diesem  Zusammenhang  verdient  auch  der  verhältnismässig 
häufig  auftretende  —  meist  von  dem  gewöhnlichen  Registerschreiber 
herrührende  —  Vermerk  immutata  est  Erwähnung;  iu  der  Regel  sind 
es  Geldangelegenheiten,  bei  denen  es  sich  um  Aeuderung  der  Zahlen 
handelte.  So  sind  z.  B.  f.  125  bei  einer  Schuldverschreibung  zwei 
Correcturen  in  den  Zahlen  von  derselben  Hand  vorgenommen  worden: 
Hiess  die  Stelle  ursprünglich:  siben  tausent  gülden,  darunder  zwey 
tausent  ungrischer  gülden,  so  wurden  nachträglich  die  Zahlen  je  um 
eine  Einheit  erhöht  *).  Kamen  solche  Aenderungen  immerhin  auch  in 
den  Originalen  vor,  so  spricht  ihre  verhältnissmässige  Häufigkeit  für 
Coucepte  als  Vorlagen  der  betreffenden  Stücke.  Im  Unklaren  lassen 
uns  Bemerkungen,  wie  non  est  subscripta  (f.  188)^)  item  duplicatas 
recepit  literas  (f.  104)  ^) ;  item  [litera]  consimilis  N.  N.  (Empfänger- 
name) f.  117  6)  sub  longiori  titulo    (f.   179'),    in  eadem   forma   directe 

')  Gänzlicher  Mangel  an  Datirungsangaben  ist  an  folg.  Stellen  zu  be- 
merken :  f.  13  (bei  drei  Regesten  in  Aktform)  f.  2-3  (bei  einem  Gegenbrief)  f.  28' 
(Gegenbrief)  f.  47',  49',  61',  66,  bei  4  Briefen  f.  116—118  (jetzt  gedruckt  bei 
Wretschko  Marschallamt  S.  254 — 258  als  Nr.  37^40  vergl.  Wretschko  ebenda 
Anm.  154)  f.  120',  132  (Gegenbrief). 

2)  Soviel  ich  sehe  nur  f.  53  (von  derselben  Hand)  und  161  (geschrieben  von 
Hand  3,  die  Nachtraguugen  besorgt  vom  gewöhnlichen  Schreiber). 

s)  Z.  B.  f.  118',  f.  136,  160'. 

*)  Oder  auf  f.  190,  wo  68  »wehrliche  Gesellen*  in  78  simmutiert«  wurden 
und  auch  das  Datum  einer  Aenderung  verfiel. 

5)  ünterfertigungen  trugen  eben  Concepte  wie  Originale  vgl.  oben. 

^)  Auch  diese  beiden  Arten  von  Notizen,  die  scheinbar  eine  Kenntnis  der 
ausgefertigten  Originale  voraussetzen,  sind  bereits  auf  Concepten  nachweisbar. 
Vgl.  Seeliger  325/326. 


g2  JohannLechnei'. 

ut  supra  f.  198'  anstatt  der  vollen  Datirung.  Dagegen  scheint  mir  eine 
Beifügung  von  zweiter  Hand,  wie  addatur  semper  ungeverlich  ^)  eher 
dafür  zu  sprechen,  dass  die  mit  „semper  ungeverlich"  ausgedrückte  Ver- 
wahrung vom  Concipisten  als  zum  ständigen  Formular  gehörig  nicht 
speciell  verzeichnet,  als  dass  sie  von  dem  in  der  Regel  sclavisch  copi- 
renden  Eegisterschreiber  aus  seiner  Vorlage  weggelassen  worden  wäre. 
Auch  die  doppelte  Registrirung  eines  vollständig  gleichlautenden 
Briefes  2)  deutet  auf  Registrirung  nach  Concept  hin,  auf  welchen 
eben  die  erfolgte  Buchung  nicht  regelmässig  vermerkt  wurde  ^).  Eine 
befriedigende  Antwort  gibt  auf  unsere  Frage  ein  Gerichtsbrief  des 
herzoglich-landesfürstlichen  Hofgerichts  '*),  der  fünf  Registerseiten  um- 
fasst,  so  zwar,  dass  die  ersten  vier  von  dem  gewöhnlichen  Schreiber, 
die  letzte  von  des  sog.  dritten  Hand  ^)  herrühren.  Das  Regest  davon 
schliesst  folgendermassen :  So  hab  derselb  von  Tierstein  in  0)  unpillich 
beladen  und  im  sey  der  yetzgeraelt  Schekh  darumb  nicht  schuldig  zu 
antwurtten  und  sind  das  die  vorgemelten  7)  stukch  und  guter  nach 
ynnhaltung  der  laduug  von  erst.  Damit  bricht  die  Eintragung  dieses 
Briefes  ab  und  unter  Freilassung  eines  Raumes  von  drei  Zeilen  hat  wieder 
der  erste  Schreiber  die  Datirung  hinzugefügt  und  am  Rand  bemerkt: 
Meylinger  adhuc  habet  pfeuda  in  una  notuia.  Dieser  Sachverhalt 
besagt:  In  der  Vorlage  waren  die  Lehengüter  nicht  genannt,  aber 
eine  Aufzeichung  (notuia)  ^)  über  die  hier  zu  erwähnenden  stukch  und 
guter  hat  Meylinger,  also  wohl  ein  anderer  Kanzleibeamter.  Wir 
können  hier  zwei  verwandte  Vorlagenarten  deutlich  erkennen:  1.  ein 
Concept,  2.  ein  Notizzettel,  enthaltend  die  Namen  der  betreffenden 
Güter.  Auf  eine  solche  Notiz  in  Aktform  ist  auch  f.  119  Bezug  ge- 
nommen ^)  in  dem  Regest  eines  Schuldbriefes  für  den  Söldnerhaupt- 
mann Sigmund  Rotter,  und  um  jeden  Zweifel  zu  beheben,  ist  ein 
derartiges  Notizblättchen  zur  Registrirung  von  Schadlosbriefen  für 
Söldnerführer  mit  Angabe  der  Namen,  der  Anzahl  der  Pferde  und  des 
Datums  als  f.  187  dem  Codex  beigebunden. 


1)  Bei  einem  nur  in  Aktform  registrirten  Scliadlo abrief  f.  199'. 

-)  f.  136  u.  156',  hier  durchgestrichen,  also  ohne  Absicht  vorgenommen. 

3)  Immerhin  wäre  hier  auch  doppelte  Art  der  Vorlage,  das  einemal  Concept, 
das  zweitemal  Original,  möglich.     Vgl.  Seeliger  356. 

*)  f.  112'— 114'. 

6)  Vgl.  oben  S.  53. 

*)  Seinen  Gerichtsgegner. 

')  Auch  im  Vorausgehenden  nicht  namentlich  augeführt. 

8)  Notuia  bezeichnet  auch  ein  Concept  überhaupt. 

^)  Sigmunden  dem  Roter  unserm  hauptmann  zu  Czwetl  mit  XXXI  pferden 
geraisiger  gesellen  etc.  ut  in  notuia  schuldig  worden  u.  s.  w. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  Friedrichs  IV.  (III.)  1440—1442.  ßß 

Weiters:  f.  58  ist  des  maister  Haunseu  von  Hamelburg  pfarrer  zu 
Potenstain  confirmacion  über  sein  freihait  seiner  Kirchen  d*^"  1441  VI  6  ^) 
von  dem  regelmässigen  Schreiber  zu  registriren  begonnen,  von  der  zweiten 
augenscheinlich  noch  sehr  ungeübten  Hand  fortgesetzt  worden.  Vor 
der  Inserirung  der  Vorurkunde  lässt  dieser  zweite  Schreiber  uach  den 
Worten :  und  lautt  der  brieff  von  wort  zu  wort  als  hernach  geschribeu 
stet  einen  Raum  von  etwa  6  Zeilen  frei  und  fährt  dann  erst  mit  dem 
inserirten  Brief  fort:  Wir  Albrecht  u.  s.  f.  Ebenso  geht  er  nach 
Schluss  dieser  Verleihung  vor,  bevor  er  den  Rest  des  Textes  der  von  K. 
Friedrich  ertheilten  Bestätigung  folgen  lässt:  des  haben  wir  etc.  In 
dem  freien  Räume  wiederholt  der  die  Abschrift  revidirende  erste 
Schreiber  sowohl  nach  geschriben  stet  die  Worte  Wir  Albrecht,  ut 
infra  mit  einem  Verweisungszeichen,  um  anzudeuten,  dass  nichts  fehle, 
wie  auch  an  der  zweiten  Stelle:  des  haben  wir  etc.  ut  infra  mit  dem 
gleichen  Zeichen.  Dieses  rein  äusserliche  Moment  dürfte  zur  Ver- 
muthung  berechtigen,  dass  dem  Abschreiber  ein  die  Vorurkunde  nicht 
wiederholendes  Concept  vorgelegen  hat;  seine  üngeübtheit  ermöglicht 
es  uns,  ihm  hinter  den  Vorhang  zu  blicken.  Zum  Schlüsse  der  sich 
aus  den  Eintragungen  selbst  ergebenden  Kriterien  sei  noch  folgenden 
Falles  gedacht,  der  Registrirung  nach  Concept  nahelegt:  Bei  einem 
Mandat  Friedrichs  (f.  136)  an  die  minnsmaister  zu  Wienn,  das  sy  be- 
sichten  die  wag  und  eilen  d'^°  1441  II.  26  ist  eine  ganze  Stelle  -) 
von  gleicher  Hand  nachgetragen  und  zugleich  auch  nachgetragen  die, 
wie  es  scheint,  dem  Original  nachgezeichnete  Kanzleifertigung:  com- 
missio  domini  regis  propria,  Ist  diese  Beobachtung  und  deren  Er- 
klärung richtig,  so  entspricht  dieser  Vorgang  ganz  den  Normen  der 
beiden  Kanzleiordnungen  Maximilians  I, :  Eintragung  ins  Register  nach 
Concept,  nachträgliche  Vergleichung  der  Buchung  mit  dem  ausgefer- 
tigten Original. 

Der  Vergleich  der  mir  zu  geböte  stehenden  Originale  mit  den 
Registereintragungen  hat  ergeben,  dass  diese  als  zuverlässig  zu  be- 
zeichnen sind,  dass  aber  Vollständigkeit  nicht  erzielt  und  auch  nicht 
angestrebt  worden  ist.  Registrirt  wurde  eben  das,  was  für  den  Landes- 
fürsten selbst  von  speciellem  Wert  war,  sowie  jene  Briefe,  deren 
Aufnahme  die  Parteien  sich  angelegen  sein  Hessen  ^).  Für  die  Vor- 
lagenfrage   beschränke    ich    mich    hier    auf   die  Mittheilung   einer  die 


1)  So  nach  der  Angabe  :  ut  supra. 

2)  Und  welicher  damit  unrecht  erfunden  wirt,    das   derselb   gepusset   werd 
als  das  vormalen  auch  beschehen  ist. 

8)  In  erster  Linie  durch  Zahlung  der  Taxen. 


g4  Johann  Lectner. 

Buchung  nach  Concept  schlagend  erweisenden  Beobachtung.  Ein 
Schuldbrief  K.  Friedrichs  für  den  Bischof  von  Passau  d^o  1441  VII  19  ^\ 
in  seinem  vollen  Wortlaut  nur  mit  Kürzung  des  EingangsprotokoUes 
und  der  Datirungsformel  registrirt,  trägt  von  gleicher  Hand  und  Tinte 
den  gleichzeitig  eingetragenen  Unterfertiguugsvermerk :  ad  mandatum 
domini  regis  Conradus  praepositus  Wiennensis  cancellarius.  Das  Ori- 
ginal dazu  befindet  sich  im  Wiener  Staatsarchiv,  trägt  aber  auffallender- 
v^^eise  keine  ünterfertigung ;  aus  einem  unserer  Einsicht  entrückten 
Grunde  -)  war  es  unterlassen  worden,  die  bereits  ins  Concept  ein- 
getragene Kanzleifertigung  auch  am  Original  anzubringen.  Das  Ori- 
ginal trägt  keinen  Registratursvermerk.  Bemerkenswert  ist  auch, 
dass  der  Schuldbrief  als  cassirt  zwei  schräge  Einschnitte  trägt  und 
so  ins  Staatsarchiv  kam,  dass  aber  das  Regest  nicht  gestrichen  ist. 
Wir  können  daher  für  unseren  kurzen  Zeitraum  das  Ergebnis  dahin 
formuliren,  dass  in  der  Regel  Coucepte,  zuweilen  einfache  Notizblätter, 
in  Ausnahmsfällen  Originale  als  Vorlagen  für  die  Regesten  dienten. 
Man  wird  sich  vor  Augen  halten  müssen,  dass  es  sich  nicht  nur  dort 
so  verhält,  wo  es  uns  noch  zu  beurtheilen  möglich  ist,  sondern  in 
zahlreichen  andern  Fällen,  deren  Controle  uns  benommen  ist.  Als 
Zeitpunkt  der  Eintragungen  ergibt  sich  aus  dem  Gesagten  der  Zustand 
der  noch  unvollendeten  Beurkundung.  Unser  Resultat  fügt  sich  voll- 
kommen in  die  von  Seeliger  nachgewiesene  sonstige  Uebung  am 
deutschen  Königshofe  vor  1493  ein,  es  stimmt  auch  mit  dem  beleh- 
renden Bilde,  das  uns  die  beiden  von  demselben  Forscher  gedruckten 
Kanzleiorduungen  Maximilians  I.  von  1494  ^)  und  1498  ^)  vom  Re- 
gistrirungsvorgaug  darzubieten  in  der  Lage  sind;  naturgemäss  haben 
wir  in  ihnen  vorwiegend  den  in  Gesetzesform  gebrachten  Niederschlag 
des  bereits  seit  Jahrzehnten  gebräuchlichen  Geschäftsbetriebes  &)  zu 
erkennen.  Es  verdient  hervorgehoben  zu  werden,  dass  der  Registraturs- 
vermerk auf  den  Originalen  keineswegs  das  Original  als  Vorlage  be- 
dingt, dass  derselbe  vielmehr  nur  besagen  will,  das  Stück  sei  über- 
haupt ins  Register  eingeschrieben  worden  ^). 


')  f.  51—53. 

-)  Wahrscheinlich  einfach  aus  Versehen. 

3)  Archiv.  Zeitschr.  13,  3. 

*)  Seeliger  Erzkanzler  200,  202  —  205  als  Theil  der  Hofordnung. 

^)  Vgl.  Seeliger  314. 

8)  Vgl.  Kanzleiordnung  v.  1498,  Seeliger  Erzkanzler  203.  Selbst  Originale 
mit  dem  Zeichen  vorgenommener  Registrimng  sucht  man  vergeblich  in  den 
Büchern,  vgl.  Seeliger  358^. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  Friedriclis  IV.  (HI.)  1440 — 1442.  65 

Werden  demnach  für  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Stücke 
Concepte  als  Vorlagen  gedient  haben,  so  wirkt  dagegen  einigermassen 
beruhigend  die  Erkenntnis,  dass  man  zum  Theil  wenigstens  eine 
Kevision  nach  den  Originalen  angestrebt  hat  und  dass  uns  auch  An- 
zeichen gegeben  werden,  die  auf  ein  Unterrichtetsein  des  Eegistrators 
von  dem  späteren  Schicksal  der  gebuchten  Urkunden  vor  und  nach 
der  Aushändigung  schliessen  lassen  i). 

Bei  drei  Eintragungen  sieht  man  am  Rande  ein  3  (=  con),  das 
wohl  als  Collationsvermerk  mit  dem  Original  aufzufassen  ist  und  umso 
bezeichnender  erscheint,  als  zwei  von  den  drei  Stücken  könisfliche 
Schuldbriefe  betreffen;  namentlich  in  fiscalischeu  Angelegenkeiten  hatte 
die  Kanzlei  dafür  zu  sorgen,  dass  die  Zahlen  und  anderen  Modalitäten 
mit  denen  des  auszugebeuden  Originals  übereinstimmten.  Gerade  bei 
dieser  und  ähnlichen  Urkundenarten  trafen  wir  auch  nicht  selten  die 
Notiz   immutata,    welche    gleichfalls  in  diesen  Zusammenhang   gehört. 

Kenntnis  von  dem  Geschicke  bereits  ausgehändigter  Briefe  ver- 
rathen  von  anderer  Hand  oder  wenigstens  Tinte  nachgetragene  Ver- 
merke wie:  expeditus  est  omnino,  expeditus  est  bei  landesherrlichen 
Schuld-  und  Schadlosbriefen,  stets  verbunden  mit  Streichung  der  Re- 
gisterein tragung;  damit  wird  gesagt,  dass  der  Empfänger  befriedigt, 
die  Urkunde  durch  Tilgung  der  Schuld  oder  Ersetzung  des  etwaigen 
Schadens  gegenstandslos  geworden  sei.  Dies  hatte  die  Einlösung  des 
Briefes  zur  Folge.  Von  den  elf  (f.  118' — 122)  registrirten  Schuld- 
briefen an  Söldnerhauptleute  wegen  rückständiger  Soldzahlungen  haben 
zehn  den  Vermerk  expeditus  est,  einer  blieb  ungetilgt  und  vermerklos. 

Zwei  Stadien  in  der  Geschichte  eines  Schadlosbriefes  (f.  184') 
lassen  folgende  Randbemerkungen  im  Register  erkennen:  non  est 
deprecata  neque  litera  est  presentata  adhuc  (nicht  vom  Schreiber  der 
Eintragung  stammend);  dieselbe  zweite  Hand  tilgte  diese  Notiz  und 
ersetzte  sie  mit  etwas  dunklerer  Tinte  durch :  expeditus  est,  gleichzeitig 
auch  das  Stück  durchstreichend. 

Besagt  die  erste  Bemeikung,  um  Schadenersatz  sei  nicht  gebeten, 

aber  auch  der  Schadlosbrief  nicht  rückgestellt  worden,  so  erfahren  wir 

j   aus  der  zweiten,  dass  inzwischen  der  Empfänger  befriedigt  worden  ist ; 

infolge  dessen  und  zum  Zeichen  dafür  verfällt  das  Regest  der  Tilgung 

{  aus  dem  Register. 

Ausgerüstet  mit  der  Erkenntnis,  dass  Concepte  die  regelmässige 
Grundlage  für   die  Eintragungen    bildeten,    wollen    wir   auf  die  Dati- 

1)  Die  Kenntnisnahme  von  Aenderungen  der  Urkunden  nach  ihrer  Buchung 
sowie  die  Richtigstellung  derselben  im  Register  wird  in  der  Ordnung  von  1498 
Art.  in  9  ausdrücklich  vom  Registratur  verlangt. 

Mittheilungen  XX.  5 


6g  J  0  h  a  n  n  L  e  c  li  n  e  r. 

rungsfolge  der  Urkunden  von  f.  9 — 58  zurückkommen.  Verwirrung 
und  doch  wieder  Ordnung  in  der  Unordnung  zeigt  sich  dem  Beobachter. 
Einen  Hauptgrund  für  die  chronologische  Unordnung,  der  zumeist  das 
verspätete  Auftreten  einzelner  Briefe  erklären  wird,  bildet  bekanntlich 
die  zeitliche  Verschiedenheit  von  Expedition  und  Datum  i) ;  die  Keiheu- 
folge  des  Datums,  in  dem  wir  den  Zeitpunkt  der  königlichen  Ge- 
währung oder  des  Beurkundungsbefehls  zu  sehen  haben,  musste  durch 
die  ungleiche  Behandlung  der  einzelnen  Geschäfte  in  der  Kanzlei  ge- 
stört werden,  was  dann  auch  ein  zeitlich  verschiedenes  Anlangen  der 
Concepte  in  der  Eegistratur  zur  Folge  hatte.  Auch  Neuausfertigungen 
und  Kückdatirungeu  stellten  als  Ausnahmsfälle  ihren  Theil  bei.  Wenden 
wir  diese  Erklärungsgründe  auf  unsere  Datirungstabelle  an,  so  wird 
sich  die  Aufeinanderfolge  der  ersten  elf  Kegesten  durch  Annahme  ver- 
schiedenartiger Expedition  leicht  erklären  lassen.  Die  ganze  Reihe  der 
folgenden  Datirungen  unserer  Uebersicht  —  nur  drei  unmittelbar  auf- 
einanderfolgende vom  Januar  1442  mit  dem  gemeinsamen  Ausstellungs- 
ort Renn  au-geuommen  —  charakterisirt  sich  durch  aulfallendes  Rück- 
schreiten als  Nachtrag.  Wenn  wir  auf  eine  Urkunde  d'^"  Augsburg 
1442  IV.  23  unmittelbar  14  Regesten  aus  dem  November  und  De- 
ceniber  des  vorhergehenden  Jahres,  alle  zu  Graz  ausgestellt,  folgen 
sehen,  dann  gleich  au  diese  anschliessend  fünf  Regesten  vom  De- 
cember  1441  aus  Brück  und  wenn  sich  endlich  nach  einer  Unter- 
brechung durch  sechs  Urkunden  stark  differirenden  Datums  9  Briefe 
sogar  vom  Juli  1441  anreihen,  so  wird  man  das  Zusammentreffen 
dieser  offenbaren  Nachträge,  welche  die  verschiedenartigsten  Verbrie- 
fungen für  verschiedene  Empfänger  enthalten,  kaum  auf  andere  Weise 
annehmbar  erklären  können  als  durch  die  Vermuthung,  dass  die  Con- 
cepte zwar  in  ziemlich  guter  chronologischer  Folge  in  die  Registratur 
gekommen,  dort  aber  aus  irgend  einem  Grunde  ungebucht  liegen  ge- 
blieben waren :  also  stossweise  Registrirung  ''^).  Sicherlich  ist  das  ein 
Ausnahmsfall  ^),  aber  er  mag  auch  sonst  vorgekommen  sein,  wo  wir 
ihn  nicht  mehr  so  gut  controliren  können.  Auf  solchen  Buchungs- 
vorgang dürften  auch  hindeuten  Aufschriften  wie:  Actum  iu  Grecz 
anno  XLI«  oder  Hie  sind  vermercket  der  solduer  sold  enhalb  Tuuaw 
und  die  geltschuldbrief  in  auch  darumb  gegeben,  die  einer  ganzen 
Reihe  von  Regesten  nicht  gleichen  Datums  vorangestellt  sind. 


')  Vgl.  Seeliger  341. 

2)  Vgl.  Chmel  Reg.  Rep.    Eiul.   VII    und    Th.    Linder,    das   ürkundenwesen 
Karls  IV.  und  seiner  Nachfolger  (1346— 1437)  162,  167;  dagegen  Seeliger  3433. 

3)  Vgl.  Kanzleiordnung  v.   1498.  Art.  III  9:    Item    der  registrator  sol  auch 
solicli  copejen  .  .  .  von  stund  an  registriren  in  das  puech. 


Ein  unbeachtetes  Register  König  Frieclrichs  IV.  (III.)  1440 — 1442.         67 

Hoife  ich  mit  vorstehender  Untersuchung  der  historischen  Ver- 
wertung des  Registers  vorgearbeitet  zu  haben,  so  sei  mit  den  unten 
mitgetheilten  urkundlichen  Aufzeichnungen  ein  kleiner  Beitrag  zur 
Erhellung  der  Dienstverhältnisse  am  landesfürstlichen  Hofe  K.  Friedrichs 
gegeben.  Es  sind  drei  Notizen  über  Eide,  die  uns  nur  in  dieser  Form 
bekannt  sind,  da  der  gesprochene  Eid  überhaupt  nicht  immer  Ur- 
kundeugestalt  angenommen  hat. 

I.  enthält  die  Formel  des  von  Meister  Hanns  von  Meirs  absfelearten 
Eides,  als  er  von  dem  zur  Krönung  ins  Reich  ziehenden  König 
Friedrich  zum  Verweser  der  österreichischen  Kanzlei  bestellt  ward. 
Der  Eid  des  Verwesers  ist  unmittelbar  im  Anschlüsse  an  die  Notiz  über 
das  von  den  12  ständischen  Anwälten  geleistete  Jurament^)  eingetragen. 
Die  beiden  Notizen  folgen  im  Register  auf  die  den  Anwälten  aus- 
gestellte Vollmachtsurkunde  Friedrichs  d^^   1441  VII.   16  % 

I. 

Eid  des  Kanzleiverwesers  für  das  Land  Oesterreich  Hanns  von 
Meirs,  Pfarrers  zu  Gars. 

[Wien  1441  Jidi  17]% 
Cod.  14109  der  Wiener  Hofbibliothek  f.  41'. 

Item  maister  Hanns  von  Meirs  gelubde  *).  Daz  ich  mit  dem  insigel  ^) 
und  mit  den  registern,  die  mir  von  meines  gnedigen  herren  kunig  Fridrichs 
wegen  geantwurt  werden,  all  Sachen  nach  rat  der  an  weit  auf  die  ver- 
schreibung  den  vier  partyen  gegeben,  zu  nucz  und  frumen  desselben  meins 
gnedigen  herrn  kunig  Fridrichs  und  des  lannds  Osterreich  underhalb  und 
ob  der  Enns  handel  und  darczu  auch  das  6)  trewest  raten  und  rates  ge- 
haim  versweigen  wil  trewlich  und  angeverde. 

II. 

Formel  des  dem  ösferr.  Kammermeister  Hanns  üngnad  auferlegten 
Eides. 

[1441  Äug.—Sept.J  '). 
Ebenda  f.  192. 

Item  des  kamermeisters  Hannsen  Ungnaden  ayde. 
Ir  werdet  unserm  gnedigisten  herren  dem  romischen  kunig  von  erst 
globen  und  darnach  swei'n,    daz  ir  das  kamermaisterampt  in  allen  Sachen 

1)  Gedruckt  bei  KoUar,  Analecta  II  979  — •  wie  es  scheint  —  aus  einer 
Abschrift  aus  dem  Original  (ex  publ.  actorum  commeiitariis  civ.  Vind.) ;  dem 
Original  (H.  H.  8t.  Arch.  in  Wien)  hängt  die  Eidesformel  nicht  mehr  bei  vgl. 
Chmel  Reg.  Frid.  n«  315. 

2)  Facs.  Kaiserurkunden  in  Abbildungen  XL  7. 

8)  Anno  domini  etc.  quadragesimo  primo  an  sant  Alexientag  legten  die 
Anwälte  nach  Ausweis  des  Registers  (f.  41')  ihren  Eid  ab;  am  selben  Tage  wird 
auch  der  Kanzleiverweser  vereidigt  worden  sein. 

4)  Vgl.  Kollar  Anal.  IL  980. 

*)  Es  war  ein  neues  landesfürstliches  Siegel  angefertigt  worden. 

®)  Folgt  auf  d.  Zeile  trewlich,  aber  gestrichen. 

')  Die  vorhergehende  Urkunde  trägt  das  Datum  des  29.  August,  die  nach- 


gg  Jo  han  n  Lechner. 

nach  notdürfften  getrulicli  verweset  und  ausrichtet  als  darzu  gehöret ;  des- 
selben unsers  gnedigisten  herren  hie  gegenwurtigen  frumen  trachtet  und 
schaden  wendet,  die  ansleg  seiner  rennt  und  nücz  zu  rechter  zyt  tut  und 
schaffet  ze  tun  und  sein  rennt  nucz  gulte  und  zynnse  auch  na  rechter 
zeit  zu  seinen  handen  inbringet  und  schaffet  inzebringen ;  in  den  gehrechen 
der  empter  und  amptleute  wenndung  tut  und  underkomet  nach  ewrm 
pestem  vex'steen;  und  von  ewrm  innemen  und  ausgeben  des  vorgenannten 
kamermaisterampts  raittung  tut,  wenn  die  an  ew  ervordert  wirdet  als 
ander  kamermaister  vorher  getan  habent  und  ze  tun  pflichtig  sind  ge- 
wesen alles  getrewlich  und  an  gewerde, 

III. 

Formel  des  dem  Kammerschreiber  Bernhard  Fuxperger  auferlegten 
Eides. 

[IUI  Aug.—Sept.J. 
Ebenda  f.  192/192'. 

Item  des  kamerschreibers  Wernharts  Fuxpergers  eyde. 

Ir  werdet  unserm  gnedigen  herren  dem  romischen  kunig  von  erst 
geloben  und  darnach  sweren,  daz  ir  das  camerschreiberampt  in  allen  Sachen 
nach  notdürfften  trewlich  verweset  und  ausrichttet,  als  darzu  gehöret, 
alles  innemen  ausgeben  und  raittung  gegen  dem  camermeister  aygentlich 
verschribet  und  was  ir  von  rennten  nüczen  gulten  und  zynnsen  einbringet, 
des  ir  fleissig  sein  sollet,  dem  camermaister  zu  unsers  herren  des  kunigs 
hannden  furbasser  antwurttet,  auch  mit  denselben  rennten,  nüczen,  gulten 
und  zinnsen  in  unsers  herren  des  kunigs  und  des  camermaister  gescheffte 
weder  durch  ausgeben  noch  innemen  nichts  hanndelt  noeht  i)  tut,  sunder 
demselben  camermeister  aller  hanndelung  innemens  und  ausgebens  geti-ewes 
anbringen  tut,  damit  er  die  furbasser  ze  verrayten  wisse,  unsers  egenannten 
gnedigen  herren  des  kunigs  gehaim,  wo  die  an  ew  gelangett,  verswiget, 
seinen  frumen  trachtet,  seinen  schaden  wendet  und  in  allen  Sachen  handelt 
und  tut,  als  ander  camerschriber  vorher  getan  habent  und  ze  tun  pflichtig 
gewesen   sind,  alles  getrulich  und  angeverde. 


folgende  des  4.  September.  Die  Daten  aufeinanderfolgender  Eintragungen  weichen 
hier  selten  um  mehr  denn  einen  Monat  von  einander  ab. 

•)  Vgl.  Schmeller  Wörterb.  1,  1715. 

Den  beiden  Directionen  der  Wiener  Hofbibliothek  und  des  Haus-,  Hof- 
und  Staatsarchivs  sei  für  ihr  liebenswürdiges  Entgegenkommen  besonderer  Dank 


Thomas  Ebeudorfers  „Liber  pontiflcum". 

Von 

Arthur  Levinson. 


Thomas  Ebendorfers  ,  Papstbuch "  ist  eines  der  umfangreichsten 
Werke  dieses  fruchtbaren  Autors.  Da  nicht  erwartet  werden  kann, 
dass  diese  Arbeit,  die  originaler  Angaben  entbehrt,  veröffentlicht 
werden  wird,  sie  jedoch  andererseits  auf  seine  Kenntnisse  in  der  histo- 
riographischen  Kunst  ein  bedeutsames  Licht  wirft,  so  mag  es  nicht 
unpassend  erscheinen,  auf  deren  Inhalt  und  die  Quellen  iu  Kürze 
einzugehen. 

1.  Die  Handschrift  des  Papstbuches  i). 
•Von  Ebendorfers  Papstbuch  gibt  es,  soviel  wir  bisher  wissen, 
überhaupt  nur  eine  Handschrift,  und  zwar  das  Original  in  Wien. 
Dieses  ist  nebst  einer  ßeihe  anderer  Schriften  Ebeudorfers  in  dem 
Codex  3423  der  Wiener  Hofbibliothek  enthalten.  Von  einer  Beschrei- 
buug  des  Codex  kaun  hier  abgesehen  werden,  da  sie  schon  zu  ver- 
schiedenen Malen  gemacht  worden  ist.  Das  Papstbuch,  mit  welchem 
Werke  auch  der  Codex  beginnt,  umfasst  im  Ganzen  134  Folien.  Fol.  1 : 
Tabula  ortus  et  occasus  summorum  Romanorum  pontificum  et  gesto- 
rum  secundum  alphabetum;  Fol.  1 — 3  alphabetisches  Verzeichniss  der 
Päpste  nach  Capiteln,  Fol.  3 — 15  Sachregister;  Fol.  15  —  134  Geschichte 


')  E.  selbst  hat  dem  Werke  an  keiner  Stelle  einen  besondern  Titel  gegeben, 
dagegen  hat  er  dasselbe  in  einer  andern  Schrift,  dem  »tractatus  de  scismatibus* 
namentlich  erwähnt.  Am  Schlüsse  dieses  tractatus  nämlich  heisst  es  zur  Ge- 
schichte des  Papstes  Calixtus  111.  E.  Fol.  llfi  »plura  de  hoc  pontifice  scripsi  et 
in  annalibus  Romanorum  pontilicum  calamo  lacius  depinxi*.  —  Der  entsprechendste 
Titel  wäre  wohl  derjenige,  welcher  von  späterer  Hand  sich  aut  dem  Einband- 
deckel des  Codex  befindet,  nämlich:  ^.liber  pontificum«. 


70  A  r  t  h  u  r  L  e  V  i  n  s  0  n. 

der  Päpste.  Der  Codex  zeigt  uns  auf  Papier  eine  gothische  Cursive. 
Jeder  Papstnameu  ist  nachträglich  durch  eine  Initiale  geschmückt; 
ebenso  ist  öfters,  wenn  über  eine  besonders  wichtige  Person  oder 
Sache  gehandelt  werden  soll,  dies  am  Rande  mit  rother  Tinte  vermerkt. 
Die  Tinte  wechselt  oft.  Auch  zeigt  die  Schrift  nicht  immer  den- 
selben Charakter.  Im  Ganzen  ist  dieses  Werk  viel  reiner  gehalten, 
besonders  am  Anfange,  und  nicht  so  durch  Randbemerkuugen  ver- 
unstaltet, als  wie  z.  B.  die  Kaisergeschichte.  Aber  dennoch  legen 
auch  hier  die  zahlreichen  Randbemerkungen  und  dem  Texte  selbst 
gewaltsam  eingefügte  oder  überschriebene  Stellen  ein  genügend  sicheres 
Zeugnis  davon  ab,  dass  auch  dieses  Werk  Ebeudoi-fers  mehreren 
Redactionen  unterworfen  war.  Fügen  wir  noch  hinzu,  um  dieses  Bild 
der  vorgenommenen  nachträglichen  Veränderung  zu  vervollkommen, 
dass  au  den  meisten  der  erwähnten  Stellen  die  Tinte  eine  andere  ist, 
Radirungeu  vorgenommen  und  ganze  Sätze  durchgestrichen  sind,  was 
als  besonders  auffällig  bei  Fol.  73 — 76  zu  Tage  tritt.  Aber  auch  für 
die  Thatsache,  dass  Ebendorfer  schon  während  der  Abfassung  Ver- 
ändeningeii  an  seinem  Werke  vorgenommen  habe,  sprechen  einige 
Stellen,  welche  mit  gleicher  Tinte  im  Texte  darübergeschrieben  siod. 
Wann  die  oder  diese  Redactionen  an  dem  Werke  vorgenommen  sind, 
darüber  wage  ich  keine  Vermutung  auszusprechen. 

II.  Abfassungszeit  des  Papstbuches. 
Während  bei  dem  analogen  Werke  Ebendorfer's,  der  Kaiserchronik, 
die  Zeit  der  Abfassung  neben  der  allen  Schriften  dieses  Codex  ge- 
meinsamen Eingaugsformel :  „Compleat  inceptum  virgo  Maria  meum", 
gross  und  deutlich  prangt,  fehlt  beim  Papstbuche  diese  wichtige  An- 
gabe gänzlich.  Aber  bestimmt  spricht  er  sich  über  die  Zeit,  in  der 
er  das  Werk  begonnen  hat,  in  der  Einleitung  mit  folgenden  Worten 
aus:  ,statui  ortus  et  occasus  suuimorum  pontificum  ipsorum  gesta  quae 
ex  variis  cronicis  et  historiis  et  Damasi  papae  et  aliis  carpere  potui 
pro  mea  etiam  informatione  describere  postquam  et  divorum  impera- 
torum  ad  vota  invictissimi  domini  Friderici  tercii  imperatoris  gesta 
usque  ad  hec  nostra  tempora  depiuxeram  cronicam  etiam  incliti  du- 
catus  Austriae  kathalogum  quoque  suorum  pontificum  similiter  usque 
ad  currentem  annum  1458  pro  viribus  exaraveram  nee  non  libellum 
de  scismatibus  ecclesie  ac  duo  passagia  generalia  continentem  eisdem 
brevi  stilo  depiuxissem  ratus  etc."  Im  Jahre  1458  also  hat  Ebendorfer 
sein  Papstbuch  begonnen.  Die  ganze  Partie  bis  zum  Jahre  1457  hat 
er  in  einem  Zuge  geschrieben;  von  da  ab,  bis  zum  Schlüsse  des 
Werkes,  d.  h.  bis  zum  Jahre  1463  folgt  eine  tagebuchartige  Fortsetzung. 


Tho7nas  Ebendorfers  »Liber  poutificum*.  71 

IIT.  Inhalt  des  Werkes. 
Den  Gedanken,  eine  Geschichte  der  Päpste  zu  schreiben,  hat 
Ebendorfer,  wie  er  selbst  in  der  Vorrede  sagt,  die  tiefe  Trauer  ein- 
gegeben, die  ihn  bei  Betrachtung  der  trostlosen  allgemeinen  Weltlage 
und  der  Zerfleischuug  seines  eigenen  geliebten  Vaterlandes  durch 
Bürgerkrieg  erfüllte.  Mit  einigen  ergreifenden  Worten  gibt  er  ein 
Bild  von  jener  sturmbewegten  Zeit,  von  den  äussern  und  Innern 
Kriegen,  durch  welche  die  ohnmächtige  Christenheit  zerrissen  wurde, 
die  vormals  so  mächtige  Mutter  Kirche  durch  den  gewaltigen  Ansturm 
der  Laienwelt  in  ihren  Grundfesten  erschüttert  wurde,  und  von  dem 
tiefen  sittlichen  Verfall,  der  jegliches  Alter  und  Geschlecht,  wie  eine 
tötliche  Seuche  heimgesucht  hatte.  Ebendorfer  wollte,  indem  er  seinen 
Blick  auf  die  Vergangenheit  lenkte,  Trost  gegenüber  den  Schrecken 
der  Gegenwart  suchen  und  zugleich  seinen  Schmerz  durch  die  Hiugabe 
an  eine  seinen  Geist  in  Anspruch  nehmende  Arbeit  lindern.  Nachdem 
er  dann  im  Folgenden  den  Zweck  der  Abfassung  angegeben,  spricht 
er  —  noch  immer  in  der  Einleitung  —  um  seiner  Aufgabe  näher  zu 
kommen,  von  dem  Namen  derjenigen,  deren  Geschichte  er  bringen 
will,  von  dem  Namen  „papa".  Es  liegt  diesem  so  zu  sagen  gelehrten 
Exkurse  ein  Briefwechsel  zwischen  Hieronymus  und  dem  Papste 
Damasus  zu  Grunde  ^),  aus  dem  hervorgeht,  welche  Kirchenfürsten  der 
damaligen  Zeit  auf  den  Titel  ^papa"  Anspruch  hatten.  Nur  der 
„episcopus  urbis  Romae",  wie  Damasus  selbst  sich  in  einem  Antwort- 
schreiben an  den  Hieronymus  nennt,  wird  von  Letzterem  „beatissimus 
papa"  und  mit  dem  Beiworte  „sanctitas  tua"  genannt,  während  z.  B. 
die  Aebte  diesen  Titel  niemals  erhielten.  Zu  seiner  Zeit,  bemerkt 
Ebendorfer,  sei  diese  alte  Selbstbenennung  „episcopus  urbis  Romae" 
aus  den  päpstlichen  Erlässen  verschwunden.  Ohne  dann  weiters  eine 
Eintheilung  seines  Werkes  nach  Büchern,  oder  nach  einer  sonstigen 
Methode  zu  geben  —  es  findet  sich  davon  auch  wirklich  in  der  ganzen 
Arbeit  keine  Spur  —  setzt  seine  Erzählung  gleich  bei  Christus  ein) 
dem  ersten  pontifex  nach  seiner  Ansicht.  Die  Episode  der  ersten  Papst- 
Märtyrer  schildert  er  natürlich  als  ächter  Sohn  seiner  Zeit  in  breiter 
Behaglichkeit.  Getreu  gibt  er  sämmtliche  Legenden  aus  seinen  Quellen 
wieder,  vergisst  dabei  aber  auch  nicht  päpstliche  Verordnungen  auf 
dem  Gebiete  des  Dogmas  zu  erwähnen.  Auf  die  Geschichte  der  Cäsa- 
ren wirft  er  nur  einen  Streifblick,  wo  sie  seinen  Zwecken  entspricht, 
um  die  stattliche  Reihe  von  Päpsten  und  Heiligen  anzuführen,  welche 
unter  ihrer  Regierung  den  Märtyrertod  erlitten.    Neuen  Erscheinungen 


»)  Migne,  Patrolog.  Lat.  22,  375. 


72  Arthur  Levineon. 

in  oder  auch  ausserhalb  des  Schosses  des  Kirche  widmet  er  seine 
besondere  Aufmerksamkeit,  so  besonders  dem  ersten  Auftreten  von 
Haeretikern:  ein  Gegenstand,  über  welchen  wir  von  unserm  Autor 
eine  besondere,  abgeschlossene  Arbeit,  den  „Tractatus  de  scisraatibus", 
besitzen.  Ebenso  versäumt  er  nie  die  Namen  der  Streiter  für  die 
Sache  des  wahren  Glaubens  rühmend  zu  nennen,  so  den  Hyrenaeus 
und  Apollonius,  die  Gegner  der  Kathaphrygeu.  Der  Festigung,  welche 
die  Kirche  unter  Silvester  und  durch  die  tiefe  Ergebenheit  seines 
grossen  Zeitgenossen  Constantin  erfahren,  gedenkt  er  in  ausgiebigster 
Weise.  Nicht  nur  dass  sämmtliche  Güter  und  Ländereien  der  angeb- 
liehen  Constantinischen  Schenkung  aufgezählt  werden,  mit  ermüdender 
Genauigkeit  führt  er  die  ansehnliche  Zahl  von  Kirchen  auf,  welche 
Rom  der  freigebigen  Hand  dieses  Kaisers  zu  verdanken  hatte,  ja  er 
gibt  uns  ein  vollkommenes  Bild  von  der  innem  Ausschmückung  eines 
jeden  Gotteshauses.  Gebühreud  hebt  er  auch  das  Concil  von  Nicaea 
hervor.  Wie  immer  berichtet  er  getreulich  die  Fabeln,  welche  sich 
an  die  grosse  Erscheinung  des  ersten  Leo  geknüpft  haben,  wird  aber 
auch  der  organisatorischen  und  schriftstellerischen  Thätigkeit  dieses 
Papstes  gerecht. 

Die  Darstellung  Ebendorfer's  wird  fesselnder  zur  Zeit,  wo  die 
Kirche  in  fortwährende  aktive  Berührung  mit  dem  Staate  kommt, 
zur  Zeit  des  grossen  Gothen  Theoderich.  Obgleich  Ebendorfer  auch 
an  dieser  Stelle  ziemlich  getreu  seine  Quelle  wiedergibt  —  für  diese 
Zeit  den  Liber  poutificalis  —  finden  sich  doch  persönliche  Bemerkungen 
genug,  um  daraus  die  Ansicht  unseres  Autors  über  den  Kampf  der 
katholischen  Kirche  und  ihres  Bundesgenossen,  des  griechischen 
Kaisers,  gegen  Theoderich  entnehmen  zu  können.  Vor  Beginn 
des  Kampfes,  so  z.  B.  als  vor  Theoderich's  Forum  das  Schisma 
zwischen  Simplicius  und  seinem  Mitbewerber  um  die  Tiara,  zu  Gunsten 
des  Ersteren  entschieden  wird,  erkennt  Ebendorfer  diese  glückliche 
Entscheidung  rühmend  an.  Dann  aber,  als  der  strenggläubige  Justinus 
von  Byzanz  den  Papst  Johannes  gegen  seinen  eigentlichen  Herren 
Theoderich  aufhetzt,  sieht  auch  unser  Autor  in  dem  Gothenkönige 
nichts  Anderes  als  einen  Ketzer  und  Tyrannen  der  Kirche  und  in 
seinen  Qualen  nach  dem  Tode  nur  die  wohlverdiente  Strafe  des  Himmels. 
Stets  behält  er  seinen  eigentlichen  StoÖ",  die  Kirchengeschichte,  im 
Auge.  So  bietet  ihm  die  berühmte  Belagerung  ßoms  durch  den  Gothen 
Witiges  eine  nicht  unwillkommene  Gelegenheit,  einen  Blick  auf  die 
Leiden  der  ewigen  Stadt  zu  werfen,  denen  sie  auch  in  spätem  Zeiten 
unterworfen  war.  Bei  der  Darstellung  von  dem  Zusammenbruche  des 
Gothenreiches   schildert  er  uns  auch    das  Intriguenspiel  am  Hofe  von 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum*.  73 

Byzanz.  Im  Gegensatze  zu  Theodora,  der  Herrseherin  im  Gebiete  der 
Känke,  erseheinen  der  Gothensieger  Belisar,  mit  seinem  geraden 
Charakter,  und  dessen  Nachfolger  Narses,  der  nur  der  Missgunst  und 
der  Sucht  nach  Herrschaftswechsel  der  Römer  hätte  weichen  müssen, 
unserem  Autor  als  wahre  Lichtgestalten. 

In  der  folgenden  Zeit  der  Langobardenherrscher  und  der  grie- 
chischen Exarchen  hören  die  Klagen  über  die  Unbilden,  welche  die 
Kirche  von  diesen  Gewalthabern  zu  erleiden  hatte,  nicht  auf.  Daneben 
die  wechselnden  Bilder  von  den  dogmatischen  Streitigkeiten  zwi- 
schen dem  Nachfolger  Petri  und  dem  Patriarchen  von  Constantinopel. 
Unter  Papst  Agatho  sind  drei  Ereignisse  erwähnenswert:  ,tria  tau- 
guntur  circa  hunc  pontificem  non  praetereuuda"  :  einmal  das  grosse 
Glaubensgespräch,  welches  auf  Veranlassung  der  Kaiser  Constantin 
Heraclius  und  Tiberius  Augustus  zu  Constantinopel  abgehalten  wurde 
und  durch  welches  zweitens  eine  zeitweise  Einigung  der  griechischen 
mit  der  römischen  Mutterkirche  erzielt  wurde,  ,inde  et  quo  iure  in- 
troducta  est  prensio  quae  vocatur  communia  et  minuta  servitia-  ist 
nach  ihm  der  dritte,  einer  Betrachtung  würdige  Punkt.  Das  Auftreten 
der  folgenden  Päpste  gegen  die  Bilderstürmerei  der  griechischen  Kaiser 
und  ihr  immer  gespannteres  Verhältnis  zu  den  langobardischen  Be- 
drängern, halten  unser  vollstes  Interesse  wach.  Sehr  ausführlich  nach 
seiner  Quelle,  dem  Papstbuche,  bringt  Ebendorfer  sodann  das  neue, 
weltbewegende  Ereignis:  die  Anlehnung  der  Kirche  an  die  junge  Macht 
der  Franken.  Von  der  Vorgeschichte  bis  zum  Eingreifen  Pipins  gegen 
die  Langobarden,  der  darauf  folgenden  Reise  Stephan's  IT.  nach 
Gallien  und  der  berühmten  Schenkung  des  ersten  fränkischen  Patricius, 
bis  zu  den  Siegen  des  grossen  Karl  für  die  Kirche,  lässt  hier  die 
Darstellung  nichts  an  Ausführlichkeit  zu  wünschen  übrig. 

Sarazenenkämpfe  der  Römer  und  die  üblichen  Kirchenbauten 
nehmen  das  ganze  Denken  und  Thun  der  nächsten  Päpste  ein.  Noch 
weniger  Interesse  bieten  die  folgenden  Blätter  der  Kirchengeschichte, 
da  die  Päpste,  wie  es  an  der  betreffenden  Stelle  heisst:  „parum  vixe- 
runt  ideo  sicut  pauca  gesserunt,  ita  de  eis  pauca  recitantur-. 

Die  folgende  Zeit,  in  welcher  sich  das  Eingreifen  der  Ottouen 
auf  die  tief  entsittlichten  Verhältnisse  in  der  ewigen  Stadt  weitend 
macht,  gibt  Ebendorfer  Veranlassung  in  beredte  Klagen  über  die  un- 
würdigen Päpste  und  hohen  Würdenträger  der  Kirche  auszubrechen. 
Die  Wundergeschichten  seiner  Quellen,  in  denen  von  den  Qualen  die 
Rede  ist,  welche  die  sündigen  Päpste  nach  ihrem  Tode  zu  erleiden 
hatten,  finden  sich  häufig  der  Darstellung  eingestreut.  Mit  Interesse 
verfolgt  er  an  der  Hand    seiner  Quellen  die  Vorläufer  der  gewaltigen 


"74.  Arthur  Levinson. 

Zeit  des  Investiturstreites,  Den  Kaisern  aus  dem  fränkischen  Hause 
sowohl,  als  auch  ihren  Schützlingen,  den  würdigen  Päpsten,  deren 
Wiege  auf  deutscher  Muttererde  stand,  lässt  er  volle  Gerechtigkeit 
widerfahren.  Schon  taucht  die  gewaltige  Persönlichkeit  Hildebrand's 
auf,  und  diesen  neuen  Stern  begleitet  unser  Autor  mit  grosser  Liebe 
auf  seiner  Ruhmeslaufbahn.  Bereits  unter  Leo  IX.  weist  er  mit 
richtigem  Verständnis  auf  den  heranwachsenden  Titanen  hin.  In  dem 
gewaltigen  Streite  zwischen  dem  nunmehrigen  Papste  Gregor  und 
seinem  Gegner  Heinrich,  hält  sich  jedoch  Ebendorfer  in  der  Schilderung 
nur  enge  an  seine  Quelle,  den  Biographen  Gregor's,  Petrus  Pisauus; 
von  einer  Kritik  findet  sich  keine  Spur.  Er  steht  ganz  auf  der  Seite 
des  Papstes;  in  dem  Kaiser  sieht  er  nur  den  tyrannischen  Gegner  der 
Mutter  Kirche,  gegen  welchen  ihr  grosser  Schirmer,  nach  dem  Vorgange 
des  hl.  Innocenz  uudAmbrosius  die  furchtbaren  Bannstrahlen  schleudert. 
Das  Ausklingen  des  grossen  Dramas,  Gregors  Ende  in  der  Verbannung 
zu  Salerno,  schildert  er  mit  dürren  Worten.  Der  neuen,  unter  ürban  II. 
beginnenden  Epoche  der  Kreuzzüge,  widmet  Ebendorfer  anfangs  nur 
wenige  Worte,  indem  er  den  Leser  auf  sein  besonderes  Werk  „Duo 
passagia"  verweist.  Bei  noch  einem  der  Päpste  dieser  Partie,  Paschalis, 
beruft  er  sich  auf  sein  anderes  Werk,  die  Kaiserchronik.  Während 
er  nämlich  dessen  Kämpfe  mit  Prätendenten  und  trotzigen  Baronen 
in  allen  ihren  Einzelheiten  schildert,  thut  er  das  um  so  viel  wichtigere 
Verhältnis  dieses  Papstes  zu  Heinrich  V,  ganz  kurz  ab.  Nur  die 
angebliche  Rede  Heinrichs  an  die  Römer  vor  seiner  Krönung  und  des 
Papstes  Erwiderung,  finden  sich  später  ausführlich.  In  dem  Getümmel 
der  Kreuzzüge  musste  die  eigentliche  Papstgeschichte  erklärlicher  Weise 
mehr  in  den  Hintergrund  treten.  Aber  auch  die  Kreuzzüge  selbst 
werden  nur  sehr  kurz  erzählt,  da  er  ihrer  schon  in  den  vorhin  er- 
■  wähnten  „duo  passagia"  gedacht  hat.  Zwei  Lieblingsfiguren  wendet 
Ebendorfer  während  dieser  Zeit  der  ersten  Kreuzzüge  sein  ganzes 
Interesse  zu,  dem  heil.  Bernhard  und  dem  Könige  Richard  Löwenherz, 
Die  Erscheinung  des  Ersteren  gehört  dem  Gegenstande  seiner  Dar- 
stellung insofern  an,  als  des  inuigen  geistigen  Verkehrs  zwischen 
Papst  Eugen  IIL  und  Bernhard  gedacht  wird.  Richard  begleitet  er 
auf  seiner  raschen,  aber  kurzen  Ruhmeslaufbahn  ;  in  der  Schilderung 
des  Confiiktes  zwischen  ihm  und  den  andern  Fürsten,  scheint  an 
einigen  Stellen  trotz  der  gewohnten  Kritiklosigkeit,  unseres  Autors 
Sympathie  für  den  euglischen  König  zum  Durchbruche  zu  gelangen. 
Ein  Ereignis  von  hervorragender  ßedeutuug,  die  Erwerbung  Unter- 
Italiens  durch  Heinrich  VI.,  erfährt  mit  Recht  die  vollste  Beachtung, 
da  dasselbe  den  italienischen  Boden,    die  Machtsphäre  der  Päpste  an- 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum*.  75 

geht.  Dagegen  zeigt  Ebendorfer  kein  Verständnis  für  den  gewaltigen 
Streit,  welcher  zwischen  Staufern  und  Weifen  entbrennt.  Er  bringt 
nur  das  Hin  und  Wieder  des  Schlachtenglücks  und  die  Betheiligung 
des  grossen  Papstes  Innocentius  III,  an  dem  leidenschaftlichen  Partei- 
getriebe. Die  gewaltige  Macht  dieses  Papstes  über  Könige  und  Völker, 
illustrirt  er  durch  die  bedeutsamen  Thatsachen :  Das  Interdict  über 
Prankreich  und  die  Intervention  in  dem  ehelichen  Drama  des  fran- 
zösischen Königs  Philipp  und  seiner  legitimen  Gemahlin  Ingeborg. 
Beginn,  Fortgang  und  das  Auskliugen  der  grossen  Staufer-Tragoedie, 
vermögen  nicht  das  Gleichmass  seiner  dürren  Erzählung  zu  stören. 
Nur  für  die  Bedeutung  des  grossen  Lyoner  Conoils,  des  Wendepunktes 
in  dem  Geschicke  Friedrichs,  zeigt  er  volles  Verständnis,  wie  die  be- 
treffende Stelle  zeigt :  „propter  quod  non  solum  divisum  est  regnum 
a  sacerdotio,  sed  et  sacerdotium  intra  se  confunditur  et  regnum  in 
suis  principibus  perniculose  dividitur".  Von  Innocenz  Nachfolger, 
Alexander  IV.,  erwähnt  er  das  wichtige  Dekret,  wonach  die  er  wählten 
Erzbischöfe  bei  Androhung  der  Suspension  binnen  sechs  Monaten  das 
„munus  consecrationis"  empfangen  mussten.  Einen  Fall  des  Wider- 
standes gegen  dieses  Dekret  sieht  unser  Autor  in  dem  Vorgange 
Philipps  von  Kärnthen,  Erwählten  von  Salzburg,  welcher  sich  dagegen 
sträubte  und  nach  längerer  Verwüstung  kirchlichen  Gebietes  vom 
Herzoge  von  Oesterreich  in  Krems  unschädlich  gemacht  worden  sei  (!). 
Unter  Papst  Gregor  X.  findet  die  allgemeine  Kircheuversammluug  zu 
Lyon,  auf  welcher  unter  Anderem  die  wichtige  Bestimmung  über  die 
Papstwahl  getroffen  wurde,  eingehende  Würdigung.  Von  verschiedenem 
Kriegsgetümmel  zu  dieser  Zeit  spricht  unter  Autor,  von  der  Wieder- 
eroberung Constantinopels,  von  einem  unglücklichen  Kampfe  der 
Florentiner  und  Lukaner  gegen  Siena.  Die  weltbewegenden  Er- 
eignisse hingegen  in  Deutschland,  das  Aufkommen  eines  neuen  Herr- 
scherhauses, werden  im  Hinweise  auf  die  Kaiserchrouik  nur  gestreift. 
Bei  der  Geschichte  der  Nachfolger  Gregors,  findet  sich  tagebuchartig 
kurz  eingestreut  zwischen  Unglücksfällen  und  Wundergeburten,  das 
wichtigste  Ereignis  jener  Zeit,  der  Schlachtentod  Ottokars  gegen 
Kudolf. 

Es  beginnt  bald  für  den  Kirchenstaat  eine  Zeit  der  furchtbaren 
Wirren.  Und  hier  wird  die  Sprache  unseres  Autors  wieder  beredt, 
man  merkt,  das  Unglück  der  Kirche  geht  ihm  nahe.  Den  Beginn 
dieser  unseligen  Verhältnisse  habe  Nicolaus  III.  durch  die  Einsetzung 
von  Senatoren  mit  zweijähriger  Amtsdauer  verursacht.  Die  schlimmen 
Früchte,  welche  den  Römern  aus  dieser  neuen  Würde  erwuchsen, 
hätten  sich  sogleich  nach  dem  Tode  dieses  Papstes  gezeigt.    Die  neuen 


Yg  Arthur  Le vi uso  11. 

Würdenträger  aus  den  Geschlechtern  der  Annibaldi  und  Orsini,  ver- 
übten alle  nur  möglichen  Gräuel  in  Kom  und  Umgebung.  Zur  Zeit 
des  nächsten  Papstes,  Martin's  IV.  werden  wir  in  die  Kämpfe  ein- 
geführt, welche  der  päpstliche  Johann  von  Epa  gegen  Guido  von 
Montefeltre  zu  liefern  hatte.  Dazwischen  brach,  durch  ein  Meer- 
ungeheuer augekündigt,  das  Rachegericht  über  die  Franzosen  auf 
Sicilien  herein,  die  sicilianische  Vesper.  Peter  v.  Aragonien,  den  das 
befreite  Land  sich  an  Stelle  Carl's  v.  Anjou  zum  Könige  gewählt, 
wurde  von  Martin  IV.  in  den  Bann  gethan  und  ihm  sein  Königreich 
Aragonien  abgesprochen.  Aber  diese  That  des  Papstes,  so  sagt  Eben- 
dorfer,  hat  in  Sicilien  wenig  gute  Früchte  gezeitigt :  nur  fortwährende 
Kriegswirren  sind  daraus  hervorgegangen,  wie  dies  zu  des  Verfassers 
Zeit  das  Leos  des  unglücklichen  Königs  Renatus,  welcher  von  Ferdinand 
V.  Aragonien  aus  Sicilien  vertrieben,  am  besten  zeigt.  Daran  schliesst 
Ebendorfer  ein  ansehnliches  Capitel  aus  der  Geschichte  des  Hauses 
Anjou,  wobei  die  Päpste  Clemens  V.,  Johannes  XXII.  und  Benedict  XII. 
eine  Rolle  mitspielten.  Er  schildert  uns  die  Besetzung  des  siciliani- 
schen  und  des  erledigten  ungarischen  Thrones  durch  Mitglieder  des 
Hauses  Anjou,  darauf  den  schändlichen  Mord,  durch  den  Johanna 
ihren  jungen  Gemahl  Andreas  des  sicilianischen  Thrones  und  seines 
Lebens  beraubte,  und  die  furchtbare  Rache,  welche  Ludwig,  der  Bruder 
des  Ermordeten,  an  den  Theilnehmern  jener  Schaudthat  und  dem 
unglücklichen  Lande  Apulien  nahm;  schliesslich,  wie  Papst  Bonifaz 
dieser  Schreckenszeit  ein  Ende  bereitet  habe,  indem  er  Ludwig  in 
einem  Briefe  inständigst  bat,  um  des  einzigen  Bruders  willen  nicht  so 
viel  unschuldiges  Blut  zu  vergiessen. 

Zu  Beginn  der  Päpste,  welche  mit  Clemens  V.  den  apostolischen 
Stuhl  nach  Avignon  verlegten,  bemerkt  Ebendorfer,  dass  mit  diesem 
■  Momente  viel  Schaden  und  Willkür  in  die  Kirche  drangen,  von  deren 
Ueberhandnehmeu  er  später,  auf  den  Verhandlungen  des  Basler  Concils 
hören  rausste.  Von  Clemens  V.  selbst,  berichtet  er  ohne  Kritik  dessen 
Theilnahme  an  dem  Processe  gegen  die  Templer,  mit  dem  Hinweise 
auf  seine  Kaiserchronik.  Auch  den  Streit  Johanu's  XXII.  mit  Ludwig 
dem  Baiern  und  die  literarische  Fehde  mit  Occam,  Marsiglio  und 
Johann  v.  Jandun  deutet  er  nur  an,  er  schildert  mehr  deren  Folgen: 
Ludwigs  verhängnisvolle  Rorafahrt  und  die  Aufstellung  eines  Gegen- 
papstes, in  Petrus  de  Corbaria.  Die  Zeit  Clemens  VI.  musste  seineu 
Blick  auf  Deutschland  richten,  wo  Schrecken  und  Verzweiflung  herrsch- 
ten durch  das  Auftreten  des  schwarzen  Todes,  das  Erscheinen  der 
Geissler  und  grosse  Erdbeben.  Unter  Urban  V.,  dessen  Bund  mit 
Carl    IV.    gegen    Mailand    und    vergebliche    Belagerung    dieser    Stadt; 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum*.  77 

dann  wieder  ein  Ereignis,  welches  unsern  Autor  besonders  interessiren 
rausste :  die  Gründung  der  Wiener  Universität  und  ihre  Bestätigung 
durch  den  Papst.  Unter  Urban  VI.  nahm  das  grosse  Schisma  seinen 
Anfang.  Ebendorfer  entrollt  hier  ein  düsteres  Bild  von  dem  Elende, 
welches  diese  verhängnisvolle  Spaltung  über  die  christliche  Welt  ge- 
bracht hat.  Dazwischen  wieder  eine  Nachricht  über  das  Heranblühen 
der  jungen  Wiener  Hochschule:  die  Freigabe  der  theologischen  Fakultät 
durch  diesen  Papst  unter  dem  regierenden  Herzoge  Albrecht  III.  Von 
den  beiden  nächsten  Päpsten  Bonifaz  IX.  und  Innocenz  VII.  weiss  er 
nur  Schlimmes  zu  melden:  Vertheilung  der  kirchlichen  Gnaden  und 
Würden  selbst  an  Räuber,  harter  Steuerdruck  ihrer  Unterthanen,  deren 
berechtigte  Klagen  durch  die  blutigen  Gräuelthaten  der  übermüthigen 
Nepoten  der  Päpste  unterdrückt  wurden. 

Wir  kommen  endlich  zur  letzten  Partie  des  Werkes,  einer  Zeit, 
in  welcher  unser  Autor  schon  gelebt  und  theilweise,  wie  an  den 
Concilsverhandlungen  selbst  thätigen  Antheil  genommen  hat.  Deshalb 
liegt  die  Frage  nahe,  ob  dieser  Theil  der  Papstgeschichte  von  histo- 
rischem Werthe  ist,  ob  dadurch  unsere  Kenntnis  der  Geschichte  ver- 
mehrt wird.  Diese  Frage  müssen  wir  verneinend  beantworten.  Die 
Nachrichten,  welche  Ebendorfer  uns  hier  bringt,  geben  Aufschlüsse 
über  sein  eigenes  Leben,  über  dasjenige  der  Päpste  aus  der  Zeit  des 
grossen  Schisma ;  aber  die  Kunde  hievon  hat  unser  Autor  schon  in 
seinen  andern  Werken  niedergelegt,  sodass  sie  nichts  Neues  bieten. 
Thatsachen,  welche  die  Verhandlungen  auf  den  Concilien  oder  gegen 
die  Böhmen  in  neuem  Lichte  erscheinen  lassen  könnteo,  finden  sich 
nicht.  Historiographischer  Wert  ist  dagegen  sowohl  diesem,  als  dem 
frühern  Theile  des  Werkes  nicht  abzusprechen:  denn  der  Verfasser 
begnügt  sich  nicht  mit  einer  dürftigen  Aufzählung  der  Ereignisse, 
sondern  macht  den  Versuch  sie  innerlich  zu  verknüpfen  und  die  Zu- 
sammenhänge unter  einem  bestimmten  Gesichtspuncte  darzulegen. 

IV.  Die  Quellen  der  Papstchronik  bis  zum  Jahre  1417^). 
Beim  Umfange    seines  Stoffes    darf   man    wohl    nicht   annehmen, 
dass  Ebendorfer   erst   als  er  an  die  Abfassung   des  Werkes   ging,    die 


1)  Bei  dem  reichen  Quellenmaterial  und  besonders  bei  dem  innigen  Connexe, 
in  welchem  einige  der  Quellen  zu  einander  stehen,  kann  ich  selbstverständlich 
nicht  für  die  Richtigkeit  aller  meiner  Untersuchungen  auf  diesem  Gebiete  ein- 
stehen. Auch  ist  es  mir  trotz  aller  Bemühungen  nicht  gelungen,  für  einzelne 
Mittheilungen,  meist  sagenhaften  Charakters,  in  den  Anfängen  des  Werkes  und 
sogar  für  ganze  kürzere  Partien  aus  dem  letzten  Theile,  die  entsprechenden 
Vorlagen  zu  finden.     Im  üebrigen  bin  ich  in  der  Lage  gewesen,  mit  Ausnahme 


78  ArthurLevinson. 

Quellen  gesammelt  habe ;  sondern  er  hat  ans  den  Auszügen  und  Notizen 
früherer  Jahre  das  Material  zusaramengetrag-en.  Für  diese  Annahme 
spricht  auch  die  Bemerkung  in  der  Einleitung:  er  habe  beschlossen 
das  Leben  und  die  Thaten  der  Päpste  „quae  ex  variis  cronicis  et 
historiis  et  Damasi  papae  et  aliis  carpere  potui",  zu  beschreiben. 
Auch  sonst  zeigen  einige  Wendungen,  wenn  er  bei  der  Nachricht 
einer  seiner  Quellen  über  ein  grosses  Schisma  unter  Papst  Sisinnius 
sagt:  ,sed  quäle  usque  non  didici"  oder  „nihil  me  legisse  memini", 
dass  er  nur  allmählich  die  einzelnen  Steine  zu  dem  Baue  seines  Werkes 
zusammengetragen  hat. 

1.  Martinas  Polonus.     (Martin  v.  Troppau). 

Benutzung  für  die  einzelnen  Zeiten.  Erste  Zeit  bis  auf  Felix  III. 
mit  Hauptquelle.  Von  Felix  III.  bis  Gregor  I.  und  dessen  Nachfolger, 
nur  zur  Vervollständigung  des  Liber  pontificalis.  Von  Bonifaz  IV.  bis 
Leo  V.  mit  Lib.  Pontif.  und  Vincenz  v.  Beauvais  abwechselnd.  Haupt- 
quelle wieder  von  Johann  XIV.  bis  Johann  XX.  Von  Innocenz  III. 
ab,  Martin  v.  Troppau  beinahe  selbständig  und  für  Ebendorfer  be- 
zeichnend, dass  er  auch  diese  Nachrichten  von  originalem  Werte  in 
sein  Werk  ausgiebig  aufgenommen  hat. 

Martins  Chronik  zieht  sich  durch  fast  alle  Theile  des  Werkes  bis 
zum  Jahre  1287,  als  benutzte  Quelle  hindurch.  Meistens  bildet  sie 
die  Hauptquelle  und  Grundlage  für  die  Darstellung  unseres  Autors 
und  wenn  man,  abgesehen  davon,  dass  für  einige  grössere  Perioden 
andere  Quellen  als  Ablösung  eingetreten  sind,  bedenkt,  dass  es  fast 
keine  Stelle  gil)t,  bei  welcher  nicht  wenigstens  diese  oder  jene  kleine 
Notiz  aus  diesem  Autor  entlehnt  ist,  so  kann  man  geradezu  den  Martin 
als  Hauptquelle  für  eine  so  gewaltige  Partie  des  Werkes  betrachten. 
Allerdings  für  die  erste  Zeit  der  Päpste,  bis  auf  Sylvester  I.  ungefähr, 
könnte  die  Behauptung,  dass  Martin  v.  Troppau  für  unseres  Autors 
Darstellung  leitend  gewesen  sei,  zum  mindesten  sehr  gewagt  erscheinen, 
da  wiederum  bei  der  Nachforschung  in  den  beiden  Hauptquellen  des 
Martin  v.  Troppau  für  diese  Epoche,  dem  Liber  pontificalis  und  Vin- 
cenz v.  Beauvais,  sich  dieselben  fast  gleichlautenden  Berichte  vor- 
finden. Aber  dennoch  wird  sich  jene  Annahme  nicht  abweisen  lassen. 
Es  sind  eben  doch  Momente  vorhanden,  welche  mich  zu  dem  Glauben 
hinneigen  lassen,  dass  Ebendorfer  für  die  vorhin  erwähnte  Zeit  nicht 
die  einzelnen  Quellen  des  Martin'schen  Quellenbündels  —  denn  zu  den 


dieser  versprengten  Quellen,  für  alle  Nachrichten  Ebendorfers  ausser  für  eine, 
welche  der  Zeit  des  Papstes  Martin  V.  angehört,  bis  wohin  der  Quellennachweis 
geführt  ist,  eine  Vorlage  zu  finden. 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum«.  nq 

beiden  Hauptquellen  kommt  noch  eine  ganze  Reihe  untergeordneter  — 
sondern  den  Martin  selbst  direct  für  die  Hauptdaten  benutzt  habe, 
während  des  Letzteren  Quellen  nur  zur  Vervollkommnung  seiner  Dar- 
stellung hinzugezogen  seien.  Die  Chronik  des  Martin  v.  Troppau 
bringt  nämlich  für  diese  Zeit  nur  Nachrichten  aus  dem  Liber  ponti- 
ficalis,  Excerpte  aus  dem  sehr  weitschweifigen  Vincenz  v.  Beauvais 
und  kürzere  Notizen  aus  anderen  Autoren,  wie  Bonizo,  Gilbert,  Richard 
und  Gervasius.  Geradezu  ein  Abbild  vom  Texte  dieser  Chronik  ist 
nun  das  Werk  Ebendorfers:  dieselben  längern  Berichte  aus  dem  Lib. 
pont.,  Excerpte  aus  dem  allzu  eingehenden  Vincenz  v.  Beauvais  und 
meist  anekdotenhafte  Züge  aus  Bonizo  und  andern  Autoren.  Daraus 
ergibt  sich  offenbar  die  Richtigkeit  unserer  Annahme,  dass  Martin 
V.  Troppau  für  diese  Zeit,  Hauptquelle  unseres  Autors  gewesen  ist.  Allein 
es  ist  noch  ein  prägnanterer  Beweis  vorhanden,  welcher  uns  bei  der 
oft  sehr  schwierigen  Entscheidung,  ob  Ebendorfer  bei  seiner  fast  wört- 
lichen Entlehnung  den  Martin  v.  Troppau  oder  dessen  gleichlautende 
Quellen  benutzt  hat,  fördert.  Martin  v.  Troppau  bringt  nämlich  aus- 
führlichere Nachrichten  von  originalem  Werte  sehr  selten,  und  durch 
dieses  Fehlen  des  besten  Charakteristikums  für  die  eigene  Autorschaft 
geräth  man  bei  Ebendorfer  ins  Gedränge.  Dagegen  finden  sich  ein- 
zelne Ausdrücke'oder  kurze,  eingeschobene  Sätze,  in  denen  sich  Martin  von 
seinen  Quellen  selbständig  und  frei  gemacht  hat.  Gerade  diese  Stellen 
nun,  weiche  Ebendorfer  zahlreich  genug  in  seine  Arbeit  übernommen 
hat,  könnten  durch  die  wörtliche  Uebernahme  beweiskräftig  dafür  sein, 
dass  unser  Autor  direct  den  Martin  v.  Troppau  benutzt  habe.  So 
Ebendorfer  22 -=  Gervasius  2,  17  M.  G.  S.  S.  XXII,  412.  Bei  einer 
andern  Stelle  ist  es  nur  ein  Wort,  welches  Ebendorfer,  der  bis  dahin 
einer  Quelle  (Liber  pontificalis)  gefolgt  ist,  plötzlich  aus  einer  andern 
Quelle  (Bonizo)  hinzufügt,  und  dieses  ist  ausschlaggebend :  Ebendorfer 
Fol.  23.  Martin  v.  Troppau  (M.  G.  S.  S.  XXII,  412).  Anastasius 
ap.  Muratori  III,  2,  97.  Auch  die  beiden  Fortsetzungen  des  Martin 
V.  Troppau,  hat  Ebendorfer  gekannt  und  einge  ehen.  Die  erste  Con- 
tinuatio  stark  benutzt,  ohne  dass  dieselbe  Hauptquelle.  Die  Zweite 
hingegen,  von  Nicolaus  III.  bis  Honorius  IV.  reichend,  bis  zum  Ende 
einfach  abgeschrieben;  ja  in  dieser  Zeit  überhaupt  keine  andere  Quelle. 
—  Die  Benutzung  der  Quelle  ist  dabei  stets  eine  fast  wörtliche.  Selbst 
in  denjenigen  Theilen,  wo  Martin  v.  Troppau  selbständig  ist,  und  in 
den  Fortsetzungen  desselben,  hält  sich  Ebendorfer  noch  strenger  an 
den  Wortlaut  seiner  Vorlage:  so  z.  B,  Ebendorfer  Fol.  101  =  M.  G. 
S.  S.  XXII,  441.  Nur  hier  und  da  erlaubt  er  sich  Veränderungen, 
Umstellungen  der  Worte   oder  Kürzungen  aus  der  ausführlichen  Dar- 


gQ  Arthur  L  e  v  i  n  s  o  n. 

Stellung  des  M.  v.  T,:  so  E.  37  M.  G.  S.  S.  XXII,  418.  Auch  in  dem 
Theile,  wo  M.  v.  T.  bereits  selbständig  ist,  Stellen,  an  denen  Eben- 
dorfer  sich  beinahe  noch  mehr  Kürzungen  und  Veränderungen  erlaubt 
hat:  E.  100.  M.  G.  S.  S.  XXII,  440.  Noch  viel  seltener  Stellen, 
welche  inhaltlich  mit  M.  v.  T.  übereinstimmen,  aber  dem  Wortlaute 
nach  ganz  von  ihm  abweichen.  Eigenthümlich  für  unsern  Autor  ist 
es  und  gewährt  einen  trefflichen  Einblick  in  seine  Arbeitsmethode, 
dass  er  Nachrichten,  welche  er  als  ein  abgeschlossenes  Ganzes  aus 
Martiu  v.  Troppau  herübergenommen  hat,  erst  durch  in  der  Mitte 
eingestreute  Nachrichten  aus  andern  Quellen  zerreisst,  um  dann  am 
Schlüsse  die  begonnene  Erzählung  wieder  aufzunehmen.  So  E.  Fol.  19- 
Zuerst  ein  Stück  aus  Martin,  „hie  in  exilium  ...  in  maris  .  .  .  vidui 
quievit".  (SS.  XXII,  410).  Dann  aus  Liber  pontificalis  „martirio  coro- 
natus  .  .  .  anno  VIII  kal.  Dec,  Fortsetzung  aus  Martin:  „Sed  post 
multorum  anuoruni  .  .  .  honorifice  tumulatur".  Aehnlich  in  anderen 
Fällen. 

Auf  Eberdorfer's  Auffassung  hat  Martins  Chronik  mächtig  ein- 
gewirkt und  da  er  dessen  Nachrichten,  historischen  oder  sagenhaften 
Charakters  ohne  Kritik  aufgenommen,  so  hat  der  historische  Wert  seines 
Werkes  darunter  gelitten.  So  bringt  Ebendorfer  Fol.  76  nach  Martin 
(M.  G.  S.  S.  XXII.  431)  die  historisch  falsche  Nachricht:  „hie  papa 
(Leo  VIII.)  propter  malitiam  Romanorum  .  .  .;  obgleich  Vincenz 
V.  Beauvais,  die  gemeinsame  Quelle  Beider,  ganz  richtig  sagt:  „Ro- 
mani  vero  contra  iurameutum  ...'".  Zuweilen,  wenn  er  besonders 
auffallende  Nachrichten  aus  Martiu  v.  Troppau  bringt,  welche  er  bei 
keinem  andern  Autor  hat  finden  können,  äussert  er  einen  Zweifel,  so : 
Ebendorfer  55  nach  M.  G.  S.  S.  425  vom  Papste  Johann  V.  „hie 
dicitur  martirio  coronatus  .  .  ." ;  setzt  aber  gleich  hinzu  „sed  non 
reperio",  oder  etwas  später  vom  Sisinnius:  „huius  temporibus  .  .  . 
l'uisse  scisma  grande" ;  und  er  bemerkt  dazu  «sed  quäle  usque  non 
didici*.  Auch  die  zweite  Abtheilung  von  Martins  Chronik,  die  Kaiser- 
geschicbte,  ist  von  Ebendorfer  herangezogen.  Auch  hier  ist  er  ihm 
fast  bis  aufs  Wort  gefolgt.  Doch  bringt  er  Nachrichten,  welche  nicht 
in  den  Rahmen  seines  Werkes  hineinpassen.  Die  erste  Notiz  aus  den 
„imperatores"  bei  Ebendorfer  26  =  M.  G.  S.  S.  XXII,  449.  „Quidam 
dicunt  .  .  .  und  gleich  darauf  „quia  post  casum  .  .  .  laudabiliter 
rempublicam  gessit".  Häufiger  finden  sich  die  „imperatores" 
erst  an  Stellen  benutzt,  wo  M.  v.  T.  selbständig  wird.  So  Ebendorfer 
100  =  S.  S.  XXII,  471  und  E.  101  =  ib.  473.  Namentlich  erwähnt 
hat  Ebendorfer  diese  Quelle  im  Ganzen  vier  Mal.  Zahlreicher  sind 
die  Stellen,  wo  er  Martin  v.  Troppau  im  Auge  hat,  ohne  ihn  zu  nennen ; 


Thomas  Ebendorfers  ,Liber  pontificum*.  g| 

SO  E.  77  „ibidem  quaedam  Cronicae  post  hunc  (Gregor  V.)  ponunt 
Johanu  XVII. ;  oder  bei  den  Varianten  in  den  Angaben  der  Regierungs- 
dauer der  Päpste,  wo  er  sehr  häufig  ganz  allgemein  sagt  „secundum 
alios",  aber  die  betreffenden  Daten  auö  Martin  v.  Troppau  geschöpft  hat. 

2.  Vineentius  v.  Beauvais. 
Das  „Speculum  historiale"  dieses  bekannten,  fruchtbaren  Compi- 
lators  des  Mittelalters  hat  Ebendorfer  in  ausgiebiger  Weise  benutzt. 
Der  Umstand  aber,  dass  Vincenz  sehr  selten  Nachrichten  von  origi- 
nalem Werte  aufzuweisen  hat  und  andererseits  an  dem  Wortlaute 
seiner  Quellen  fast  nie  etwas  ändert,  macht  den  Quellennachweis  für 
Ebendorfer  schwierig.  Als  besonders  erschwerend  muss  hervorgehoben 
werden,  dass  V.  den  Liber  pontificalis  mit  seinen  verschiedenen  Bear- 
beitern in  sich  birgt.  Schon  die  Unmöglichkeit,  dass  unser  Autor  in 
den  engen  Eahmen  seiner  Papstgeschichte  die  ganze,  umfangreiche 
Darstellung  des  weitschweifigen  Dominikaners  aufnehmen  konnte, 
brachte  es  mit  sich,  dass  er  sich  auf  dürftige  Excerpte  Ijeschränkte. 
Solche  Excerpte  finden  sich  bei  der  grossen  Beliebtheit  dieses  Autors 
bei  vielen  Historikern  des  spätem  Mittelalters  und  es  ergibt  sich  nun 
die  Frage,  durch  wen  Ebendorfer  diesen  Chronisten  kennen  gelernt 
hat.  Verschiedene  prägnante  Erscheinungen  weiten  darauf  hin,  dass 
es  nur  der  früher  behandelte  Martin  v.  Troppau  sein  kann.  Es  finden 
sich  nämlich  im  Contexte  Ebendorfers  ausser  der  Basis  aus  Vincenz 
V.  Beauvais  noch  einzelne  Ausdrücke  und  ganze  Sätze  aus  Martin 
V.  Troppau.  So  Ebendorfer  24  =  M.  G.  S.  S.  XXII,  413  =  Vincenz 
V.  Beauvais  XI,  25  „hie  Urbanus  .  .  .  a  fidelibus  clam  revocatus" ; 
dann  aber  nur  Ebendorfer  =^  M.  G.  S.  S.  „dum  baptisationi  .  .  .  capite 
truncatur".  Dazu  kommt,  dass  Ebendorfer  Nachrichten  aus  Martin 
V.  Troppau  bringt,  welche  Letzterer  stückweise  aus  Vincenz  v.  Beauvais 
herausgerissen  hat  und  die  eine  völlige  Nichtbeachtung  der  Zählung 
nach  Capiteln,  ja  sogar  nach  Büchern,  wie  solche  sich  in  Vincenz 
Werke  findet,  erkennen  lassen.  Es  wäre  danach  sehr  merkwürdig, 
wenn  Ebendorfer  immer  nur  diejenigen  ausführlichen  oder  kürzeren 
Partien  aus  Vincenz  v.  Beauvais  herübergenommen  hätte,  welche  sich 
bei  Martin  v.  Troppau  finden.  Noch  schlagender  dafür,  dass  Eben- 
dorfer oft  aus  Martin  v.  Troppau  und  nicht  direct  aus  Vicenz 
v.  Beauvais  schöpft,  ist  eine  Stelle,  wo  Beide  —  Ebendorfer  und 
Martin  von  Troppau  —  fast  wörtlich  über  das  Concil  von  Ephesus 
berichten.  Der  Concilsbeschluss  aber:  „ut  beata  Maria  Theotocos  id 
est  mater  dei  appelletur"  (Ebendorfer  36  =^  M.  G.  S.  S.  418),  welchen 
Ebendorfer   und  Martin  v.  Troppau   schon  an   dieser  Stelle   anführen, 

Mittheilungen  XX.  6 


g2  ArthurLevinson.  ' 

birgt  eine  chronologische  Differenz  mit  ihrer  gleichlautenden  Quelle, 
dem  V.  V.  B.,  welcher  diese  Notiz  erst  für  das  spätere  Concil  von 
Chalcedon  zu  melden  weiss  (V.  v.  ß.  XX,  3  und  V.  v.  B.  XX,  35). 
Nach  dem  Vorausgeschickten  könnte  man  annehmen,  dass  Ebendorfer 
den  V.  V.  B.  selbst  sehr  wenig  eingesehen  habe.  Doch  schon  für  die 
erste  Zeit  finden  sich  einige  Stellen,  welche  direct  aus  V.  v.  B.  stammen 
und  von  Innocenz  IL  an,  besonders  aber  für  die  Kreuzzüge,  wo 
V.  V.  B.  selbständig,  ist  diese  Quelle  hervorragend.  Auch  ihm  ist 
unser  Autor  fast  immer  l)is  aufs  Wort  gefolgt.  Seine  Veränderungen 
sind  nur  Excerpte  des  V.  v.  B.,  so  E.  91  =  V.  v.  B,  XXVII,  7 
„quibus  temporibus  .  ,  .  Praemonstratenses".  Ebenso  E.  74  =  V  v.  B. 
XXIV,  58;  E.  92  =  V.  v.  B.  XXVII,  83.  Grössere  Veränderungen, 
bei  E.  93.  „Venit  ergo  Senonis  .  .  ,  Thomas  surgere  raandatus  est^ 
V.  V.  B.  XXIX,  14.  „Venit  .  .  .  iubente  Papa  surrexit".  Charakte- 
ristisch ist,  dass  Ebendorfer  auch  bei  der  Benutzuug  des  V.  v.  B. 
selbst,  wie  schon  vorher  bei  den  Excerpten  aus  Martin  v.  Troppau 
erwähnt  wurde,  so  zu  sagen  sprungweise  vorgeht.  So  bringt  er  die 
"Nachricht  über  deu  Fall  Edessas  und  die  Predigt  des  heil.  Bernhard 
zu  Speier  nach  V.  v.  ß.  XXVII,  83;  um  dann  der  berühmten  Zeit- 
genossen des  Papstes  Lucius  IL,  des  Petrus  Lombardus  und  Petrus 
Comestor,  nach  V.  v.  B.  XXIX,  1  zu  gedenken;  dann  kehrt  er  mit 
der  Geschichte  Eugens  III.  wieder  zu  V.  v.  ß  XXVII,  83  zurück.  — 
Nachrichten,  welche  aus  dieser  Quelle  stammen,  sind  für  die  erste  Zeit 
meist  sagenhaften  Charakters.  Für  die  späteie  Zeit  der  Kreuzzüge 
sodann,  folgt  Ebendorfer,  wie  schon  vorhin  erwähnt,  der  anziehenden 
Schilderung  des  Vincenz  v.  Beauvais,  indem  er  mit  richtigem  Ver- 
ständnis das  für  seine  Zwecke  Brauchbare  herausgeschöpft  hat.  Den 
Autor  selbst,  hat  Ebendorfor  nur  einmal  namentlich  erwähnt:  E.  78: 
,Post  hunc  (Johannes  XIV.)  ut  testatur  Vincentius  .  .  .;  sein  Werk 
bei  der  Geschichte  des  Papstes  Sergius,  nach  V.  v.  ß.  XXIV,  58,  wo 
es  heisst  E.  74:  „ut  in  specialo  libro  XXIV  narratur".  Einige  Male 
hat  er  diese  Quelle  mit  dem  unbestimmten  „secundum  aliquos"  gemeint, 
so  bei  Eugen  III.  (E.  92).  Hier  sei  noch  erwähnt,  dass  sich  in  ge- 
wissen Partien  des  Werkes  Autoreu  citirt  finden,  welche  gleichzeitig 
sehr  ergiebige  Quellen  für  V.  v.  B.  waren,  nämlich  Sigbert  v.  Gembloux 
und  Helinand.  Da  nun  bekanntlich  V.  v.  B.  fast  nie  etwas  au  dem 
Wortlaute  seiner  Quellen  ändert,  so  ständen  wir  vor  der  Frage,  ob  E. 
diese  beiden  Autoren  gekannt,  oder  die  Kenntnis  derselben  nur  dem 
V.  V.  B.  zu  verdanken  habe.  Der  Umstand  aber,  dass  sich  nur  Stellen 
aus  Sigbert  und  Helinand  finden,  welche  auch  im  V.  v.  B.  enthalten 
sind,    scheint    die  Sache    spruchreif  zu   machen.     Bezeichnend  für  die 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum*.  g3 

Art  der  Benützung  durch  Ebendorfer  sind  endlich  besonders  zwei 
Stelleu,  Ebeudorfer  ueunt  einmal,  wie  es  V.  v.  B.  immer  thut,  die 
Kreuzfahrer  kurzweg  „nostri" .  E.  94  ^^  V.  v.  B.  XXIX,  43  —  ein 
oflfeubarer  Anachronismus,  welcher  besouders,  da  er  nur  einmal  zu 
constatireu  ist,  sich  nur  durch  die  allzu  eifrige  Benutzung  der  unmit- 
telbaren Vorlage  erklären  lässt.  Ferner  findet  sich  die  persönliche 
Bemerkung  des  V.  v.  B.,  bei  den  Weissagungen  des  Abtes  Joachim, 
V.  V.  B.  XXIX,  40:  „super  his  autem  .  .  .  nos  .  .  .  iudicio  postero- 
rum",  mit  einem  kleinen  Zusätze  getreulich  bei  E.  wieder. 

3.  Der  Liber  poutificalis,  in  seinen  verschiedenen 

Bearbeitungen, 
a)  Anastasius  Bibliothecarius.  (Von  den  Anfängen  der 
Papstgeschichte  bis  auf  Stephan  VI.  885).  Stark  benutzt  und  für 
grössere  Partien,  Hauptqiielle.  Für  die  früheste  Zeit,  bis  auf  Silvester 
etwa,  nur  sekundäre  Quelle,  da  Ebendorfer  hier,  wie  wir  schon  ge- 
sehen, die  reichen  Excerpte  bei  Martiu  uud  Viucenz  schon  vorfand. 
Anastasius  Bibliothecarius  dient  nur  zur  Vervollständigung  uud  durch- 
gehends  aus  ihm  sind  nur  die  „ordinationes"  der  Päpste  entnommen, 
denn  Aufzeichnungen  darüber  finden  sich  niemals,  weder  bei  M.  v.  T., 
noch  bei  V.  v.  B.  Eine  directe  Benutzung  dieser  Quelle  durch  Eben- 
dorfer ist  am  leichtesten  an  solchen  Stellen  nachzuweisen,  wo  unser 
Autor  sich  nicht  mit  den  nackten  Thatsachen  in  den  Excerpten  be- 
gnügte, sondern  auf  die  ausführlichere  Darstellung  des  Originale 
zurückgrilf.  Andrerseits  maclit  die  Herübernahme  einzelner  Wörter 
an  den  betreffenden  Stellen  zur  Gewissheit,  dass  E.  beide  Quellen 
eingesehen  haben  muss;  so  einmal  den  Anastasius  Bibliothecarius  oder 
auch  Vincenz  v.  Beauvais  und  Martiu  v.  Troppau  E.  25  »hie  praecepit 
.  .  .  propter  stilum  veritatis  et  testimonium  ecclesiasticum  =^ 
M.  V.  T.  414  „propter  stilum  erroris",  bei  Duchesne  153  oder  V.  v.  B. 
XI,  60  „propter  testimonium  ecclesiasticum".  Ganz  anders  gestaltet 
sich  das  Verhältnis  Ebendorfers  zu  dieser  Quelle,  von  Silvester  an  bis 
zum  Ausgange  dieser  Periode,  bis  auf  Stephan  VI.  Hier  tritt  das 
officielle  Papstbuch  völlig  in  den  Vordergrund  und  E.  folgt  dessen 
eingehenden  Schilderungen  in  ermüdender  Treue.  Auch  diese  Vorlage 
hat  unser  Autor  meist  wörtlich  benutzt  und"  die  Nachrichten  derselben 
gibt  er  nicht,  wie  oft  die  des  Vincenz  v.  Beauvais  in  Excerpten,  son- 
dern völlig  ungekürzt  wieder,  Kürzungen  erlaubt  er  sich  dergestalt, 
dass  er  ganze  Abschnitte  seiner  Quelle  einfach  fortlässt,  um  dann 
später  wieder  einzusetzen.  So  E.  63—64  ^^  Duchesne  468,  Absatz  I — IV 
beginnt  die  Erzählung;  dann  lässt  er  Alles  bis  Absatz  X  fort,   bleibt 

6* 


g^  ArthurLevinson. 

eine  Zeit  lang  seiner  Quelle  treu,  um  sodann  wieder  abzuweichen. 
Absatz  XII — XIII  bei  Ducbesne  übersprungen  u.  s.  w.  Veränderungen 
an  dieser  Quelle  erlaubt  sich  E.  eigentlich  wenige.  Er  fasst  sich  etwas 
kürzer,  behält  aber  dieselben  Worte  seiner  Vorlage  bei,  so  für  Stephan  II. 
E.  62  ,Instabant  denique  Francorum  missi  ...  est  ambulandi"  = 
Duchesue  446.  Es  ist  für  Ebendorfers  Art  bezeichnend,  dass  er  zahl- 
reiche Ausdrücke  aus  dem  Liber  pontificalis  herübergenommen  hat, 
welche  in  sprachlicher  Hinsicht  anachronistisch  sind.  Bei  der  Coustan- 
tinischen  Schenkung,  nennt  er  mit  Anastasius  Bibliothecarius  ein 
cyborium  argeuteum  „battutile".  An  einer  andern  Stelle,  wo  er  von 
einer  Steuer  zur  Zeit  des  Papstes  Vitalian  spricht,  führt  er  nach  dieser 
Quelle  den  eigenartigen  Namen  dieser  Steuer  au.  (E.  50  ^  Duchesne 
344),  nämlich  „dyagrafa  seu  capita  atque  nauticatio".  Als  charakte- 
ristische, wenu  gleich  vereinzelt  dastehende  Stelle,  welche  aber  vielleicht 
dennoch  der  eben  geäusserten  Annahme  einige  Beweiskraft  zu  geben 
vermasf,  mö^e  folgende  gelten.  Um  die  Leiden  der  ewigen  Stadt  bei 
der  Belagerung  durch  Witiches  dem  Leser  so  recht  zu  veranschaulichen, 
greift  Anastasius  Bibliothecarius  zu  einem  rhetorischen  Mittel,  indem 
er  nämlich  die  Hauptworte  wiederholt.  Selbst  diese  Wiederholung 
nun  finden  wir  bei  E.  42  „tunc  omnes  possessiones  fisci  ...  et  quos 
fames  fames  et  quos  morbus  morbus  occidebat".  Namentlich  erwähnt 
hat  E.  diese  Quelle  an  drei  Stellen,  und  zwar  unter  dem  Namen 
„Damasus",  welcher  Papst  also  nach  ihm  Bearbeiter  dieses  Theiles  des 
Liber  pontificalis  gewesen  wäre.  Bei  der  Geschichte  des  Papstes  Da- 
masus nämlich,  heisst  es  am  Anfange  (E.  33)  „qui  licet  sequentia  .  .  . 
Innocentium  II  Im  Liber  pontificalis  findet  sich  weder  an  dieser  noch 
an  anderer  Stelle  irgend  eine  Erwähnung  der  Autorschaft  des  Dama- 
mus,  wohl  aber  bei  Vincenz  v.  Beauvais  XIV,  49  eine  kurze,  bezüg- 
liche Notiz.  Schon  früher  aber  thnt  E,  des  Damasus  Erwähnung  und 
zwar  bei  Papst  Dionysius  (E.  26)  und  dann  bei  Papst  Lucius  (E.  32). 
Im  Allgemeinen  hat  E.  diese  Quelle  im  Auge,  so  oft  er  von  dem  „cata- 
logus"   oder  ,catalogus  pontificum"   spricht. 

b)  Petrus  Guillelmi.  (Codex  Vaticanus).  Von  Sergius  II.  bis 
Alexander  IL  Diese  Abtheilung  des  Liber  pontificalis  ist  in  abwech- 
selnder Weise  benutzt.  Bald  nur  Ergänzung  zu  andern  Quellen,  nämlich 
für  die  Zeit  der  Päpste  bis  auf  Johann  XII.  und  Leo,  während  die 
Geschichte  der  Päpste  Johann  XIII.,  Benedict  VI.,  Johann  IV.,  Bene- 
dict VII.,  Leo  IX.,  Benedict  XL,  ganz  aus  Petrus  Guillelmi  stammt; 
die  dazwischen  liegenden  Päpste  nur  theilweise.  Veränderungen,  oder 
gar  Kürzungen,   welche  Ebendorfer  an  dieser  Vorlage  ausgeführt  hat, 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum«.  g5 

sind  selten.  Er  ist  derselben  bis  auf's  Wort  gefolgt,  so  E.  76== 
Muratori  SS,  rer.  Ital.  III,  p.  II  336,  und  hat  sogar  die  iu  dieser 
Partie  des  Papstbuclies  befindlichen  Reden  in  sein  Werk  aufgenommen. 
Als  Beispiel  möge  eine  Stelle  dienen,  wo  Petrus  Guillelmi  nur  Aus- 
hilfsquelle ist:  E.  79  =  Petr.  Guillelmi  ap.  Muratori  III,  p.  11,  355  = 
Martin  v.  Troppau  M.  G.  S.  S.  XXII,  433.  „Victor  II.  .  .  .  fornica- 
tionem  deposuit".  —  Namentlich  erwähnt  hat  Ebendorfer  diese  Quelle 
zwei  Mal,  An  erster  Stelle  lernen  wir  diesen  Verfasser  des  Liber  pon- 
tificalis  bei  E.  nur  durch  Vermittlung  kennen:  E.  78,  „Post  hunc 
(Benedict  IX.)  ut  testatur  Viucentius  ,  .  .  Nun  findet  sich  allerdings 
eine  derartige  Notiz  bei  Vincenz  v.  Beauvais,  bei  dem  augeblichen 
,Guilhelmi"  aber  gar  nicht.  Diese  aufiFallende  Thatsache  wird  dadurch 
erklärt,  dass  Ebendorfer,  wie  zuweilen  bei  der  Benutzung  des  Vincenz 
V.  Beauvais,  nicht  genügend  Aufmerksamkeit  auf  die  Benennung  der 
Quelle  in  demselben  verwendet  hat.  Es  ist  dies  nämlich  eine  selb- 
ständige Nachricht  des  Vincenz  v.  Beauvais  und  derselbe  hat  auch  zur 
Kenntnis  des  Lesers  sein  „Author"  vorangesetzt.  Vor  dieser  Stelle 
berichtet  Vincenz  v.  Beauvais  nach  Sigebert  und  noch  früher  aller- 
dings nach  unserm  „Guillelmus  in  cronicis«  und  Ebendorfer  hat  die 
Angabe  der  neuen  Quelle  übersehen.  Zum  zweiten  Male  wird  Guillelmus 
bei  Leo  IX.  genannt  (E.  77)  »ut  scribit  Guillelmus  in  cronicis  hie 
Leo  .  .  .  und  diese  Stelle  findet  sich  in  der  That  bei  Muratori  III  p.  II, 
345.  Wie  bei  andern  Quellen,  hat  unser  Autor  auch  den  Petrus 
Guillelmi  durch  ein  unbestimmtes  „alii  dicunt"  gemeint,  so  B.  77 
bei  Johann  XV.,  oder  in  negativer  Weise  bei  Papst  Bonus,  E.  76 
„.  .  .  sed  alii  .  .  .  omittunt  .  .  .", 

c)  Petrus  Pisanus,  (Von  Gregor  VII.  bis  Pascal  IL,  einzige 
Quelle).  An  keine  Vorlage  hat  unser  Autor  sich  so  enge  angelehnt, 
als  an  diese.  Selbst  der  Wortlaut  sämmtlicher  Bannbullen,  welche 
Gregor  VII.  über  Heinrich  IV.  und  andere  weltliche  sowohl,  als  kirch- 
liche Häupter  geschleudert  hat,  sämmtliche  Reden  für  die  Zeit  der 
Nachfolger  Gregors  sind  diesem  Biographen  Gregors  entnommen.  Dem 
Petrus  Pisanus  ist  Ebendorfer  fast  immer  bis  aufs  Wort  gefolgt  und 
trotz  der  Ausführlichkeit  desselben  hat  unser  Autor  wenige  Kürzungen 
vorgenommen.  Selbst  den  charakteristischen  kurzen  Stil,  welcher  uns 
bisweilen  bei  der  anziehenden  Schilderung  des  Petrus  Pisanus,  als 
I«]cichahmung  classischer  Latinität  entgegentritt,  hat  E,  beibehalten,  so 
am  Anfange  Pascals  IL  E,  83  ,ubi  dum  de  multis  agitur  ...  —  In- 
venitur,  trahitur,  de  fuga  arguitur  .  .  .  =  Watterich  11,  1 ;  oder  an 
anderer  Stelle,  wo  eine  rhetorisch-eigenthümliche  Ausdrucksweise  dieser 


gß  A  r  t  h  u  r  L  e  V  i  n  8  0  n. 

Quelle  unsere  Aufmerksamkeit  erregt.  E.  85  „dum  pater  in  domo 
moritur  ...  —  in  atrio  proclamatui"  ^=  Wattericli  II,  10.  Auffälliger 
Weise  findet  sich  diese  für  unseren  Autor  so  hervorragende  Quelle 
nicht  ein  einziges  Mal  bei  ihm  erwähnt.  Wendungen  jedoch,  welche 
Anachronismen  enthalten  und  persönliche  Bemerkungen  des  Petrus 
Pisanus  rein  sachlicher  Natur,  die  in  Ehendorfers  Werk  sich  wieder- 
finden, deuten  darauf  hin,  dass  auch  dieser  Theil  des  Papstbucher  selber 
vor  ihm  o;elegen  hat. 

d)  Pandulfus  Diaconus.  (Für  Gelasius  II.  und  Honorius  11.,  einzige 
Quelle).  Mit  der  grössten  Ausführlichkeit,  sind  die  gleichzeitigen  Aufzeich- 
nungen des  Pandusfus  Diaconus  von  Ebendorfer  aufgenommen.  Gleich 
bei  der  ersten  Ordination  des  Gelasius,  tritt  uns  in  der  langen  Keihe 
der  Ordiuirten,  auch  der  Name  des  Pandulfus  selbst  entgegen.  Auch 
diese  Quelle  hat  unser  Autor  ganz  wörtlich  benutzt  und  sich  nur  oft 
Kürzungen  au  Stellen  erlaubt,  wo  der  treu-päpstlich  gesinnte  Verfasser 
seinem  Grimme  gegen  die  Antipäpstlichen  in  allzu  langen  Tiraden 
Luft  gemacht  hat;  so  P]beudorfer  87.  »Quod  audiens  Fraiapane  .  .  . 
et  cathenis  inclusit-  ^  Watterich  II,  96.  Die  vorkommenden  Reden 
aber  haben  ungekürzte  Aufnahme  in  seine  Arbeit  gefunden,  Beispiel 
hiefür,  der  Schluss  der  Bede  der  Gelasius  an  seine  Cardiuäle.  E.  87 
„fugiamus  Sodomam  Egiptum  .  .  .  nieliora  tempora  venienf^.  Wie 
schon  aus  dieser  Stelle  ersichtlich,  findet  sich  die  oft  dichterische 
Sprache  des  Pandulf,  auch  bei  Ebendorfer  wieder.  Bei  der  Schil- 
derung des  Kampfes  zwischen  Fraiapane  und  den  Päpstlichen,  tritt  uns 
dies  anschaulich  entgegen.  E.  87.  -Et  dum  sie  iacula  ...  —  et  in 
suo  reduxit"  ^).  =-  Watterich  100.  Ebenso  findet  sich  bei  Ebendorfer  88. 
„Redieus  Romam  in  alta  .  .  .  dum  papa  secundus"  ^^  Watterich  117, 
eine  dichterische  Stelle  des  Pandulf  wieder. 

e)  Boso  Cardinalis.  (Von  Honorius  11.  bis  Hadrian  IV.\  Nur 
unter  Papst  Eugen  III.,  findet  sich  dieser  Quelle  entstammend,  der 
genealogische  Zusatz,  dass  Eugenius  „alias  Bernardus"  hiess.  Obgleich 
also  Ebendorfer,  wie  ich  nachzuweisen  hoffe,  ausser  diesem  einen  Falle 
den  Boso  gar  nicht  zu  Ratlie  gezogen  hat.  so  musste  doch  au  dieser 
Stelle  seiner  Erwähnung  geschehen,  da  der  Gedanken  sehr  nahe  lag. 
dass  unser  Autor,  wie  die  früher  behandelten  Bearbeiter  des  Liber 
pontificalis,  so  auch  den  ausführliehen  Berichterstatter  für  diese  Partie 
in  hervorragendeni  Masse  benutzt  habe.  Merkwürdiger  Weise  hat 
Ebendorfer  dies   nicht   gethan,    sondern  da  er  in  seiner    alten  Quelle. 


')  Die  Worte    von    ,hunc   bis    abscondit",    sind    direct    aus    dem  Distichon 
Pandulfs  herausgerissen. 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum*.  g7 

dem  Martin  v.  Troppau,  Excerpte  aus  Boso  Cardinalis  vorfand,  so  hat 
er  diese  benutzt.  Dass  dies  der  Fall,  lässt  sich  ebenso  wie  früher  bei 
der  Benutzung  des  Vincentius  v.  Beauvais,  durch  die  Thatsache  be- 
weisen, dass  nicht  nur  eine  wörtliche  Uebereiustimmung  dieser  Partie 
Ebendorfers  mit  Martin  v.  Troppau  vorhanden  ist,  sondern  auch  nur 
Stellen  aus  dem  Boso  sich  bei  Ebendorfer  finden,  welche  eben  Martin 
V.  Troppau  in  seinen  Auszug  aufgenommen  hat.  Ebendorfer  bringt 
nach  Martin  v.  Troppau  immer  nur  die  nackten  Thatsachen,  welche 
bei  Boso  stark  ausgeschmückt  sind.  z.  B.  E.  92  „hie  (Hadrian  IV.) 
dum  esset  Albinensis  ...  —  usque  ad  condignam  satisfactionem  etc.« 
Boso  Cardinalis  ap.  Watterich  323  =  Martin  v.  Troppau  ap.  M.  G.  S.  S. 
XXII,  436. 

4.  Eusebii  „Historia  ecclesiastica". 
Das  Werk  dieses  Autors  ist  von  Ebendorfer  in  seinem  ganzen 
Umfange  benutzt.  Die  Berichte  dieser  Quelle  weichen  gewöhnlich  für 
die  erste  Zeit  der  Päpste  von  denen  der  Andern  ab,  und  so  könnten 
wir  dieselbe  als  eine  für  sich  alleinstehende  betrachten;  was  denn  auch 
in  unseres  Autors  Werke  zum  Ausdrucke  gekommen  zu  sein  scheint, 
indem  die  Berichte  des  Eusebius  sich  meist  am  Schlüsse  seiner  Dar- 
stellung finden.  Meist  sind  es  nur  die  einfachen  Angaben  über  Ke- 
gierungsdauer  der  Päpste  und  römischen  Cäsaren,  welche  er  dieser 
Quelle  zu  verdanken  hat;  aber  auch  ausführlichere  Stellen  stammen 
aus  Eusebius.  So  die  Geschichte  der  häretischen  Secte  der  Cataphrygen 
(Eusebius  V,  17 — -18),  die  vom  jungen  Origenes,  die  Schilderung  der 
kirchlichen  Verhältnisse  vor  und  nach  der  grossen  Verfolgung  Diocle- 
tians.  Dem  Eusebius  ist  E.  fast  immer  bis  aufs  Wort  gefolgt.  Von 
den  zahlreichen  Fällen,  hier  nur  der  Eine  bei  der  Papstwahl  des 
Fabianus.  Ebendorfer  24  „hunc  tradunt  Anthero  defuncto  ...  —  super 
Zepheriuum«  =  Eusebius  VI,  21.  Als  einigermassen  auffallend  wäre 
noch  Folgendes  zu  erwähnen.  Vom  Papste  Anicetus  nämlich  erzählt 
Ebendorfer  mit  der  ausdrücklichen  Angabe,  dass  er  diesen  Bericht  aus 
Eusebius  geschöpft,  Etwas,  was  sich  gar  nicht  bei  Letzterem  vorfindet. 
Ebendorfer  22  „de  hoc  sie  scribit  Eusebius  ...  —  et  cui  Sother  suc- 
cessit"  =  Eusebius  IV,  19.  Wir  haben  schon  bei  Behandlung  früherer 
Quellen,  so  des  Vincenz  v.  Beauvais,  analoge  Fälle  kennen  gelernt. 
Wie  diese  specielle  Mittheilung  über  das  Martyrium  des  Anicetus  Ein- 
gang in  die  Darstellung  unseres  Autors  gefunden  hat,  kann  wohl 
schwerlich  festgestellt  werden,  da  auch  die  andern  Quellen  für  diese 
Zeit  keine  derartige  Notiz  enthalten.  Den  Eusebius  erwähnt  Ebendorfer 
fast  jedes  Mal  namentlich. 


33  ArthurLevinson. 

5.  Annales  St.  Rudberti  Salisburgenses. 
Diese  erste  heimisclie  Quelle  hat  Eberdorfer  von  Cölestin  III.  ab 
benutzt.  Allerdings  für  geraume  Zeit,  bis  auf  Cölestin  IV.  nämlich, 
bringen  auch  andere  österreichische  Annalen  die  Nachricliten,  welche 
wir  bei  ihm  finden;  so  besonders  Hermann  v,  Altaich,  für  den  die 
Annales  St.  Rudberti  eine  Hauptquelle  gewesen  sind.  Es  ist  daher, 
da  Hermann  an  dem  Wortlaute  seiner  Vorlage  niemals  etwas  geändert 
hat,  der  Quellennachweis  für  unsern  Autor  schwer  zu  führen.  Erst 
von  Cölestin  IV.  an  bis  auf  Gregor  X.  sind  die  Annales  S.  Rudberti 
einzige  Quelle  geworden  und  um  so  mehr  darf  man  wohl  der  Ver- 
muthuug  Raum  geben,  dass  dieselben  auch  für  die  gauze  Zeit,  von 
Cölestin  III.  bis  Gregor  X.  allein  massgebend  gewesen  sind,  als  alle 
Nachrichten,  welche  Hermann  v.  Altaich  oder  Andere  bringen,  sich 
bei  ihnen  finden.  Andrerseits  habe  ich  auch  eine  Stelle  gefunden, 
wofür  nur  Hermann  v.  Altaich  Vorlage  gewesen  ist.  Beim  ersten 
Zuge  Friedrichs  I.  nach  Italien  nämlich,  führt  Ebendorfer  die  Städte 
namentlich  auf,  welche  der  Kaiser  zerstörte.  Es  sind  dies:  Cremona, 
Mediolanum,  Placentia,  Bononia;  während  die  Annales  S.  Rudberti  nur 
sagen:  »aliquot  urbes".  Die  Nachrichten,  welche  unser  Autor  diesen 
Jahrbüchern  entnommen  hat,  beziehen  sich  meist  auf  deutsche  Ver- 
hältnisse, und  oft  finden  wir,  bei  der  Heimat  dieser  Quelle  leicht 
erklärlich,  Nachrichten  von  nur  localem  Salzburger  oder  erweitert 
österreichischem  Interesse.  Nebenher  eigentlich  ist  das  Verhältnis  der 
einzelnen  Päpste  zu  den  Staufern  geschildert,  und  der  organisatorischen 
Thätigkeit  der  Päpste,  welcher  bisher  von  unserm  Autor  soviel  Auf- 
merksamkeit gewidmet  wurde,  wird  nur  ein  einziges  Mal  gedacht  und 
zwar  bei  Alexander  IV.  Auch  an  diese  Quelle  hat  Ebendorfer  sich 
enge  gehalten  und  wenig  an  ihrem  Wortlaute  geändert.  Z.  B.  E.  99. 
„Quare  papa  Inuocentius  sententias  Gregorii  ...  —  et  forma  pacis 
penitus  est  turbata"  =Ann.  Salisb.  M.  G.  S.  S.  IX,  788.  Dagegen  hat 
er  öfters  stückweise  Nachrichten  aus  den  fortlaufenden  Annales  her- 
ausgerissen und  dieselben  dem  Rahmen  seiner  Erzählung  einverleibt; 
worunter  die  historische  Treue  seiner  Darstellung  zu  leiden  hatte.  So 
bringt  er  (E.  100),  mit  den  Annales  für  das  Jahr  1246  die  Wahl  des 
Landgrafen  von  Thüringen.  Dann  aber  folgt  bei  ihm  der  Kampf  des 
Mainzers  und  Kölners  gegen  Friedrichs  II.  Anhänger,  in  welchem  der 
Herzog  Walram  v.  Limburg  getötet  und  der  Kölner  in  die  Gefangen- 
schaft des  Grafen  von  Jülich  gerieth.  Diese  Schilderung  findet  sich 
bei  den  Annales  Salisburgenses  schon  für  das  Jahr  1242.  Ebenso 
auffallend    ist    es,    wenn  er  die  Wahl  Rudolfs  v.  Habsburg   erst  nach 


Thomas  Ebendorfers  ,Liber  pontificum*.  89 

dem  Concil  zu  Lyon  erfolgen  lässt,  während  die  Annales  dieses  Er- 
eignis richtig  vor  Abhaltung  desselben  setzen.  Erwähnt  ist  diese 
Quelle  von  unserm  Autor  nirgends. 

6.  Andreas  v.  Kegensburg. 
Die  Weltchronik  des  bekannten  Presbyters,  hat  Ebendorfer  in 
reichem  Masse  benutzt  und  zwar  beide  Abtheilungen  dieses  Werkes, 
die  Papst-  und  Kaisergeschichte,  wie  wir  denselben  Fall  schon  bei 
Martin  v.  Troppau  gefunden  haben.  Letzteren  Autor  übrigens,  hat 
Andreas  v.  Regensburg,  ein  Zeitgenosse  Ebendorfers,  vielfach  aus- 
geschrieben. Von  den  Anfängen  seines  Werkes  bis  auf  die  Geschichte 
Martins  V.,  wo  Ebendorfer  beginnt  selbständig  zu  werden,  hat  ihn 
diese  Vorlage  begleitet.  Bis  auf  Innocenz  IIL  ungefähr,  also  eine  lange 
Periode,  fliessen  die  Nachrichten  aus  Andreas  sehr  spärlich  und 
sind  meist  sagenhaften  Charakters,  Nur  hier  und  da  laufen  auch 
einige  Decrete  mit  unter,  welche  unser  Autor  bei  seinen  andern  Quellen 
nicht  hat  finden  können.  Dann  aber,  für  die  letzte  Zeit,  von  Gregor  X. 
an  und  dessen  Nachfolgern,  besonders  aber  für  Johann  XXIIL,  wird 
Andreas  eine  sehr  wichtige  Quelle.  Auch  an  den  Wortlaut  dieser 
Vorlage  hat  sich  Ebendorfer  meist  sehr  strenge  gehalten.  Von  den 
zahlreichen  Beispielen  hier  nur  eines:  E.  98.  „Tunc  quidam  abbas 
Cysterciensis  ...  —  Abbas  vero  civitatem  ingressus  invenit  papam 
defunctum"  =  Pez  525-  Doch  finden  sich  einige  wenige  Stellen,  wo 
Ebendorfer  sich  inhaltlich  an  Andreas  v.  Regensburg  gehalten,  aber 
dem  Wortlaute  nach,  da  ihm  die  Quelle  zu  weitschweifig  gewesen 
sein  mag,  erheblich  von  derselben  abgewichen  ist.  So  unter  Urban  V, 
Ebendorfer  1 10  =^  Pez  586.  Als  bemerkenswert  muss  erwähnt  werden, 
dass  sämmtliche  Stellen  bis  auf  Innocenz  IIL  hin  sich  bei  Ebendorfer 
entweder  am  Schlüsse  des  Textes  oder  am  Rande  und  zwar  stets  mit 
anderer  Tinte  nachgetragen  vorfinden.  Die  späteren  Nachrichten  des 
Andreas  v.  Regensburg  dagegen,  finden  sich  im  Texte  unseres  Autors 
vor  und  zwar  lässt  sich  an  der  Farbe  der  Tinte  keine  Verschiedenheit 
wahrnehmen.  Daraus  kann  man  wohl  den  Schluss  ziehen,  dass  diese 
Chronik  erst  sehr  spät  in  die  Häude  Ebendorfers  gekommen  sein  mag 
und  er  dann  nachträglich  erst  diese  Nachrichten  in  sein  Werk  auf- 
genommen hat.  Namentlich  erwähnt  hat  Ebendorfer  den  Andreas 
V.  Regensburg  an  keiner  Stelle,  doch  meint  er  ihn  jedenfalls  am 
Schlüsse  der  Geschichte  Johanns  XXIII.,  wo  es,  nachdem  von  der 
Gefangennahme  dieses  Papstes  gesprochen  ist,  heisst  (E.  116):  „unde 
quidam  non  ignotus  sie  metro  lusit:  Quimodo  summus  eram  ...  — 
Vertice  de  summo  mox  ego  papa  cado". 


90  •  Arthur  Levinson. 

7.  Johannes  v.  Victriug. 
Den  »Liber  certarum  historiarum"  und  zwar  in  seiner  ursprüng- 
lichen Gestalt,  hat  unser  Autor  nur  sehr  spärlich  herangezogen.  Es 
siud  nur  einige  Stellen  für  die  Geschichte  der  Päpste  ßonifaz  VIII. 
und  Johann  XXII.  Auch  hat  Ebendorfer  zum  Unterschiede  von  an- 
deren Quellen,  sich  sehr  wenig  an  den  Wortlaut  dieser  gehalten.  Ein 
Beispiel  hierfür:  E.  108  ^praefatus  tarnen  p.  antipapa  ...  —  ne 
novissima  fierent  prioribus  peyoribus"  =  Joh.  v.  Victr.  ap.  Boehmer 
fönt.  rer.  Germ.  I,  406 — 9. 

8.  Heinrich  v.  Rebdorf. 

Aehnlich  wie  die  vorgenannte  Quelle,  nur  in  zweiter  Linie,  hat 
Ebendorfer  die  ^Auuales  imperatorum  et  paparum"  dieses  Autors 
benutzt.  Hier  die  Nachrichten :  Für  Benedict  XIT. :  Erscheinen  eines 
Kometen,  Krieg  zwischen  England  und  Frankreich,  Einfall  von  Heu- 
schrecken-Schwärmen  durch  das  ganze  Gebiet  von  Ungarn  bis  zum 
Rhein.  (Ebendorfer  108  =  Boehmer  IV,  521).  Für  Clemens  VI.  1348, 
am  Tage  St.  Pauli,  Erdbeben  in  Deutschland,  durch  welches  die  Stadt 
Villach  zerstört  wurde;  1349,  Erdbeben  in  Apulien  und  Calabrien. 

Bei  dem  überwiegend  kirchlichen  Charakter  von  Ebendorfers  Werk 
ist  es  fast  selbstverständlich,  dass  wir  ausserdem  noch  die  heilige 
Schrift,  die  Kirchenväter  und  späteren  Kirchenschriftsteller  und 
schliesslich  die  Sammlung  der  Decrete  erwähnt  finden.  Aus  dem  alten 
Testament  finde  ich  nur  Jesaias  citirt;  ans  dem  neuen  das  Evangelium 
des  hl.  Johannes  und  zu  verschiedeneu  Malen  die  Briefe  des  hl.  Paulus 
an  die  Galater,  Ephcscr  und  Korinther.  Von  Kirchenvätern  einige 
Male  Augustinus  und  Atnbrosius  in  seinem  Werke  „de  officiis",  an 
einer  Stelle  Tertullian.  Vor  allen  Anderen  aber  ist  es  Hierouymus 
gewesen,  welchen  Ebendorfer  sehr  oft,  wo  er  auf  kirchliche  Verhält- 
nisse zu  sprechen  kommt,  benutzt  hat,  und  dessen  Ansichten  über  die 
Kirche  und  ihre  Didier  er  sich  zu  eigen  gemacht  hat.  An  solchen 
Stellen  pflegt  er  längere  Perioden  aus  des  Hieronymus  Werken,  be- 
sonders „de  viribus  illustribus",  aber  auch  der  „vita  Malchi«  wieder- 
zugeben. Von  Späteren  finde  ich  noch  erwähnt  Isidorus  und  den 
hl.  Benedict.  Wie  schon  bei  der  Inhaltsangabe  erwähnt  wurde,  hat 
Ebendorfer  häufig  die  Leser  auch  auf  seine  eigenen  Werke  hin- 
gewiesen. Es  ist  dies  leicht  erklärlich,  wenn  mau  bedenkt,  dass  die 
Papstgeschichte  das  Letzte  seiner  Werke  war,  welches  der  Greis  noch 
am  Abende  seines  Lebens  verfasste.  So  konnte  er  in  den  Fällen,  wo 
er  die  Leser  seines  ohnehin    umfangreichen  Werkes    nicht   allzu   sehr 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum«.  91 

ermüden  wollte,  oder  wo  die  Darstellung  Gebiete  berührte,  welche 
nicht  in  dessen  Rahmen  hiueinpassteu,  auf  seiue  anderen  einschlägigen 
Arbeiten  aufmerksam  machen.  Sämmtliche  grösseren  Schriften  hat 
Ebendorfer  bei  solchen  Gelegenheiten,  und  zwar  zu  wiederholten  Malen 
citirt;  am  häufigsten  wohl  den   „Liber  de  scismatibus"  i). 

Fassen  wir  zusammen,  was  über  die  Art  der  Benutzung  seiner 
Quellen  bei  Ebendorfer  zu  sagen  ist,  indem  wir  uns  auf  die  vorher- 
gehenden Untersuchungen  stützen,  so  können  wir  behaupten,  dass 
unser  Autor  sich  allerdings  eng  an  seine  Vorlagen  angelehnt  hat, 
aber  nicht  wie  so  viele  mittelalterliche  Schriftsteller  dieselben  ganz 
und  gar  sclavisch  ausgeschrieben  hat.  Mit  vielem  Verständnis  hat  er 
nur  das  für  seine  Zwecke  Verwendbare  herausgeschöpft,  und  die  Art, 
wie  er  die  Ergebnisse  seiner  Quellenforschung  zum  abgerundeten  Ganzen 
zusammengefügt  hat,  zeigt,  dass  ein  nicht  ungeschickter  Meister  die 
einzelnen  Steine  zu  seinem  Bau  herbeigeholt  hat.  Allerdings,  in  einem 
Hauptpunkte  ist  auch  er  nur  ein  Kind  seiner  Zeit  geblieben.  Das 
ausschlaggebende  Moment  der  historischeu  Forschung,  welches  einer 
späteren  Zeit  vorbehalten  bleiben  sollte,  die  Kritik  der  Quellen,  fehlt 
auch  ihm  gänzlich.  Gewöhnlich  gibt  er  die  Nachrichten  derjenigen 
Quelle,  welche  für  ihn  in  der  betreffenden  Partie  die  Leitende  gewesen 
ist,  ohne  irgendwelche  Bedenken  an  ihrer  Glaubwürdigkeit  wieder. 
Finden  sich  andere  Nachrichten  über  dasselbe  Ereignis,  so  besonders 
die  verschiedenen  Angaben  über  die  Regieruugszeit  der  Päpste,  welche 
er  immer  in  sein  Werk  aufgenommen  hat,  so  stellt  er  die  Angabe  der 
neuen  Quelle,  mit  einem  einfachen  „secunduni  alios"  daneben,  ohne 
sich  auf  weitere  Untersuchungen  einzulassen.  Seine  Zweifel  an  der 
Glaubwürdigkeit  entlehnter  Nachrichten,  drückt  er  meist  in  persön- 
licher Form  und  in  vorsichtiger  Weise  aus,  und  zwar  mit  Wendungen, 
wie  „nescio  si  vere,  non  tarnen  ut  arbitror,  ut  infidelitus  dicam".  Be- 
sonders häufig  bei  Päpsten  gleichen  Namens,  wodurch  die  Autorschaft 
von  Dekreten  zweifelhaft  wird,  durch  „nescio  au  fuit  huius  vel  secundi, 
sed  puto  ut  fuerit  tertii,  quae  dubito  ipsius  esse".  Doch  finden  sich 
auch,  allerdings  nicht  so  häufig,  stärkere  Zurückweisungen  der  fremden 
Nachrichten,  mit:  „quod  minus  videtur,  quod  falsum  videtur",  oder 
wieder  rein  persönlich,  wenn  er  auf  seine  bisherigen  Forschungen 
gestützt  sich  mit  der  betreffenden  Quelle  nicht  einverstanden  erklärt, 
mit:    „sed    non  reperio,    sed    quäle    usque  non  didici,    cuius    efficacem 


0  In  der  That  findet  sich  die  ganze  Partie  vom  Jahre  1300  ca.  an  bis  aut 
Calixt  III.  hin.  schon  in  dem  ^ Liber  de  scismatibus«,  und  zwar  wortgetreu 
wieder. 


92  Arthur  Levinson. 

rationem  non  habeo  exploratam,  nee  intellectus  eoriim  cum  qualitate 
sui  temporis  concordare  videautur".  Ganz  scliiofiF  iu  das  Gebiet  der 
Fabel  verwiesen  finde  ich  nur  ein  einziges  Mal  eine  Nachricht,  welche 
nach  dem  ^quidam  dicunt"  unseres  Autors  zu  schliessen,  unbestimmten 
Ursprunges  ist  und  die  er  mit  den  Worten,  "sed  historia  discordat", 
als  unhaltbar  bezeichnet. 

V.  Ansichten  Ebendorfers  über  die  Kirche  und  ihre 

Diener. 

Sind  wir  im  Vorhergehenden  den  Quellen  nachgegangen,  welche 
E.  für  seine  Arbeit  benutzt  hat,  so  erübrigt  uns  noch  den  Ansichten 
unseres  Autors  etwas  näher  zu  treten,  die  er  über  seinen  Stoff  zwischen 
der  Geschichte  der  einzelnen  Päpste  eingestreut  hat. 

Mit  dem  Zwecke  seines  Werkes   macht  er  uns  selbst  in  der  Ein- 
leitung   bekannt.     Hat    er    das    frühere    Werk,    nämlich    die    Kaiser- 
geschichte,   auf  Anregung   seines  Herrschers,  Friedrich  III.,    zu  dessen 
Unterweisung   über   die  Thaten    seiner  Vorgänger  auf  dem  Throne  in 
Angriff  genommen,    so  ist  er,    zum  Unterschiede    davon,    an    die  Ab- 
fassung einer  Geschichte  der  Päpste    aus    eigenem  Autriebe   und,    wie 
es  ebendaselbst  heisst   „pro  mea  informatione",  zur  eigenen  Belehrung 
herau  gegangen.     Während    das    erstere    Werk    vornehmlich    für    eine 
Person,    für  die  seines  hohen  Gönners   geschrieben    war,    ist   das  uns 
Vorliegende    für    einen    ganzen  Leserkreis    geschaffen,    aber   auch    für 
einen    ganz    bestimmten ,    für    seine    geistliche    Mitwelt.     Die   Art    des 
Stoffes  ist  von   selbst  diesem  Kreise    der  Leser    angepasst.     Gleichsam 
bei  der  Veröffentlichung    seiner  Arbeit    gibt   der  Autor   der  Hoffnung 
Raum,    dass   die  Geistlichen  Nutzen  aus  der  Lektüre  derselben  ziehen 
werden,  dass,  wie  jedes  Geschichtswerk,  auch  das  Seinige  vom  wahren 
Erfolge  der  Geschichtsschreibung,    der    sittlichen  Läuterung  der  Leser 
begleitet    sein    werde.     Durch  Schilderung   der  Tugenden   auch   seiner 
Helden,    so   hofft   er,    werden    die  Leser   zur   Nachahmuug    angeeifert 
werden,    durch  die  Fehler  vor  gleichem  Sündenfalle    bewahrt    werden. 
Sehen  wir  nun  näher  zu,    iu    welcher  Weise  unser  Autor  seinem 
gewaltigen  Stoffe  gerecht  geworden  ist!    Zunächst  könuen  wir  sagen, 
tritt  uns  aus  seiner  ganzen   Arbeit  ein  eminenter  Lehr-  und  Lerntrieb 
entgegen.     Für  alle  äussern    und   innern  Verhältnisse    der  Kirche  hat 
er  ein  stets    waches  Auge.     Er  verfolgt   ihre  Anfänge  von  den  Zeiten 
der  ersten  Christen  bis  zu  ihrer  höchsten  Machtfülle  und  bis  zu  seiner 
Zeit,    wo    dieselbe    wieder   ihrer  Schäden  wegen  durch  den  Sturm  der 
Laienwelt  in  Frage  gestellt  wird.    So  geht  er  mit  stets  regem  Interesse 
dem  innern  Aufbau  der  zukünftigen  Macht  nach,  wird  sich  und  seinen 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum«.  93 

Lesern  jeder  Neuerung  gerecht,  welche  die  einzelnen  Päpste  im  Schoosse 
der  Kirche  vorgenommen.  Vornehmlich  beschäftigt  er  sich  damit,  die 
Entwickelung  der  Hierarchie,  des  zu  seiner  Zeit  so  fest  gefügten  Baues 
in  den  einzelnen  Jahrhunderten  kennen  zu  lernen.  Bei  jedem  Papste, 
welcher  eine  neue  hierarchische  Würde  ins  Leben  gerufen  hat,  macht 
seine  Darstellung  eine  Abschweifung  vom  Thema,  um  die  Wandluno-en, 
welche  diese  Würde  bis  auf  seine  Zeit  erfahren,  zu  betrachten.  Bei 
solchen  Gelegenheiten  kommt  unseres  Autors  ganzes  reiches  Wissen 
in  der  Kirchengeschichte  zum  Vorschein.  Er  spricht  sich  in  aus- 
führlicher Weise  über  die  Bezeichnungen  der  betreffenden  Würde  zu 
den  verschiedenen  Zeiten,  über  ihre  äusserlichen  Abzeichen  und  ihre 
Competenzen  aus.  So  sehen  wir  vor  unsern  geistigen  Augen  die  ganze 
hierarchische  Stufenleiter  im  Wechsel  der  Zeiten  sich  erheben :  Zu 
den  Zeiten  der  Papst- Märtyrer  das  später  so  wichtige  Amt  der  Notare, 
zunächt  nur  dazu  berufen,  die  Namen  der  heiligen  Märtyrer  der 
dankbaren  Nachwelt  zu  überliefern,  ferner  die  Würde  des  Diakonates. 
Bei  dem  höchsten  dem  einflussreichsten  Amte  des  Cardinalates,  verweilt 
er  besonders  lange,  am  in  anschaulicher  Weise  zu  schildern,  wie  gerade 
die  Mitglieder  dieses  wichtigen  Collegiums  in  ihren  äussern  Abzeichen 
und  Eechten  ebenso  von  den  Persönlichkeiten  der  einzelnen  Päpste, 
wie  von  dem  Wechsel  der  Zeiten  abhingen. 

Was  die  Päpste  selbst  betrifft,  so  berichtet  er  au  verschiedenen 
Stellen  von  den  Gewohnheiten,  die  sich  bei  ihrer  Wahl  in  Laufe  der 
Zeiten  herausgebildet  hatten  und  von  der  feierlichen  Einholung  durch 
das  römische  Volk,  nachdem  die  Gewählten  mit  der  Tiara  und  den 
andern  Abzeichen  ihrer  Würde  bekleidet  wareu.  Dieselbe  Stelle,  es 
ist  die  Wahl  Pascals,  dürfte  für  den  Diplomatiker  nicht  des  Interesses 
entbehren.  Ebeudorfer  spricht  nämlich  hier  von  den  Rundschreiben 
der  Päpste  an  die  Christenheit.  In  den  ersten  Zeiten  der  Kirche, 
heisst  es  da,  kannte  man  überhaupt  diese  öffentlichen  Schreiben  nicht, 
sondern  erst  von  Gregor  I.  an  finden  sich  Erlässe,  die  mit  der  eigen- 
händigen Unterschrift  der  Päpste,  Presbyter  und  Diakonen  gezeichnet 
sind.  „Et  circa  subscriptiones  fiebat  circulus  in  cuius  peripheria  scri- 
bebatur  Christus  regnat  Christus  imperat  ^).  Die  „bullata  littera" 
kennt  die  Kirche  nicht  vor  Alerander  IL  und  zu  des  Autors  Zeiten 
bediente  sich  der  Papst  ihrer  nicht  vor  seiner  Krönung,  wie  es  die  Vor- 
schriften in  der  berühmten  .Clemeutina",  von  Papst  Clemens  erheischen. 

Auch  die  äussere  Bethätigung  ihrer  Macht  über  die  Seelen  der 
Gläubigen,    welche    die  Päpste    von    ihrer  potestas  ligandi  et  solvendi 


1)  Ebendorfer  83. 


g^  ArtiurLevinson. 

herleiten,  hat  sein  Interesse  erregt.  Bei  der  Geschichte  Gregors  VII., 
der  für  alle  Anhänger  seines  Schützlings,  Rudolfs  v.  Schwaben,  einen 
Generalablass  ihrer  Sünden  verkündet  hatte  stellt  er  fest  i):  „est  primus 
locus  ubi  ego  iuveuio  hanc  remissionem " .  Er  führt  dann  noch  einige 
Fälle  von  Ablassertheilimgeu  bis  zu  seiner  Zeit  an  und  zuletzt  die  bei 
seinen  Lebzeiten  gegen  Ladislaus  v.  Sicilien,  gegen  die  Böhmen,  zur 
Wiedervereinigung  der  griechischen  Kirche  und  die  vsriederholten 
Ablässe  gegen  die  Türken.  Dass  auch  aus  diesem  Rechte  der  Päpste, 
bei  eiuer  allzuhäufigen  Ausübung,  Unfug  und  Missbräuche  entstehen, 
gibt  er  am  Schlüsse  dieses  kleineu  Exkurses  zu  mit  den  Worten:  „post 
aunum  Jubilei  et  contra  Turcos  maltipliciter  indultae  sunt  huius  modi 
plenariae  remissiones  uude  multis  versae  sunt  in  abusum". 

Der  kirchliche  Mittelpunkt  der  Welt  ist  für  ihn  Rom,  nnd  die 
Frage,  welche  er  selbst  aufwirft,  ob  der  apostolische  Stuhl  überhaupt 
von  hier  an  eine  andere  Stätte  verlegt  werden  dürfe,  beantwortet  er 
entschieden  verneinend.  Wenn  der  Sitz  der  Päpste  verändert  wilrde, 
so  würde  dadurch  sich  auch  d.is  römische  Volk  ändern.  Denn  diese 
Beiden  seien  so  enge  mit  einander  verbunden,  dass  eine  Trennung  der 
Auflösung  römischer  Art  und  römischen  Namens  gleich  käme.  Aber 
Rom  dürfe  nicht  verlassen  werden,  weil  diese  Stadt  durch  die  Predigt 
und  das  Blut  des  Apostels  geheiligt  sei  und  die  ursprüngliche  Kirche 
von  Antiochia  auf  ausdrücklichen  Befehl  Gottes  hierhin  verlegt  sei, 
und  was  von  Gott  befestigt  worden,  dürfre  nur  wieder  von  Gott  ge- 
ändert werden.  So  würde  Jerusalem  immer  Jerusalem  sein,  und  eine 
Aenderung  würde  nur  nomen  non  numen  ändern. 

Jeden  Abfall  von  der  Mutter  Kirche  verdammt  er,  und  erzählt 
mit  behaglicher  Breite  die  Strafen,  die  zu  allen  Zeiten  die  abtrünnigen 
Ketzer  getroffen.  Deshalb  kommen  auch  die  Böhmen,  mit  denen  er 
selbst  als  Gesandter  des  Basler  Concils  zu  verhandeln  hatte,  schlecht 
bei  ihm  fort.  So  hat  er  für  den  Böhmenkönig  Georg  Podiebrad  nur 
Ausdrücke  von  tiefstem  Abscheu:  „e  cuius  manibus  adhuc  scillabat 
innocens  christianorum  cruor  et  sectam  dampnatam  Bohemorum  tam- 
quam  armiductor  in  scismate  fovebat".  Die  letzten  Worte  sind  gegen 
Papst  Calixt  gerichtet,  welchem  Ebendorfer  es  zu  schwerem  Vorwurfe 
macht,  dass  er  den  treulosen  König  in  einem  Schreiben  „katholischen 
und  allerchristlichsten  Fürsten"    nennt. 

Noch  verderblicher  als  die  Ketzerei,  und  von  den  schlimmsten 
Folgen  begleitet,  erscheinen  ihm  die  Spaltungen  im  Schoosse  der  Kirche, 
die  Schismen,  Wir  wissen,  dass  unser  Autor  diesen  Gegenstand  in 
einer  besonderen  Schrift    behandelt    hat:    aber  auch  in  diesem  Werke 


»)  lllbendorfer  82. 


Thomas  Ebendoi'fers  jLiber  pontificum*.  95 

schildert  er  in  düsteren  Farben  die  unseligen  Zustände,  welche  der 
ganzen  Christenheit  jedes  Mal  daraus  entständen,  wenn  die  Kirche 
durch  ein  Schisma  zerrissen  sei  1). 

Den  wichtigen  Beziehungen  der  Kirche  zum  Staate  widmet  Eben- 
dorfer  volle  Aufmerksamkeit.  In  einem  besonderen,  längeren  Ab- 
schnitte 2),  kommt  er  auf  die  grosse  Macht  zu  sprechen,  welche  die 
Kaiser  von  jeher  als  Beschützer  der  Kirche  in  kirchlichen  Fragen 
ausübten.  Den  Höhepunkt  dieser  Macht  bezeichnet  das  Beispiel  Ottos  L, 
welcher  den  unwürdigen  Papst  Johann  XII.  absetzte.  Und  diese  Ab- 
setzung findet  E.  ganz  gerechtfertigt,  indem  er  an  anderer  Stelle  '^), 
Isidor  als  Gewährsmann  citirend,  den  Machtspruch  des  Kaisers  in 
diesem  aussergewöhnlichen  Falle  vertheidigt,  der  auch  nicht  gegen  die 
Regel  des  hl.  Benedict  Verstösse.  Ueberhaupt  preist  er  die  Herrscher, 
welche  es  mit  dieser  Beschützerpflicht  der  Kirche  ernst  meinten  oder 
durch  Stiftungen  und  Privilegien  deren  Macht  hoben;  so  Constantiu 
und  Jubtinian.  Selbst  dem  grossen  Ketzer  Theoderich  lässt  er  Ge- 
rechtigkeit widerfahren,  indem  er  seine  zutrefiende  Entscheidung  in 
dem  Schisma  zur  Zeit  des  Symmachus  gebührend  hervorhebt.  Das 
Muster  eines  Fürsten  aber  scheint  ihm  Pipin  gewesen  zu  sein  in  seinem 
Verhalten  gegen  den  hülfesuchenden  Papst  Stephan  und  ihn  zeichnet 
er  uns  als  einen  Mann,  der  mit  allen  Tugenden  eines  Herrschers  ge- 
schmückt war^). 

Ebenso  wie  er  die  Verdienste  gerechter  Fürsten  gegen  die  Kirche 
mit  voller  Anerkennung  zu  würdigen  weiss,  so  verdammt  er  üeber- 
griffe  und  rohe  Willkür  der  weltlichen  Macht  gegen  die  Kirche  und 
ihr  Gut.  Ebendorfer  liebte  seine  Kirche,  uud  wir  können  behaupten, 
dass  die  leidenschaftliche  Sprache  der  zeitgenössischen  Quellen  gegen 
solche  Tyrannen,  an  der  er  Nichts  geändert  hat,  auch  die  Sprache 
seines  Herzens  war.  Sie  klingt  uns  am  heftigsten  wieder  gegen  die 
griechischen  Exarchen,  welche  statt  Beschützer,  Despoten  der  Kirche 
wurden,  gegen  die  Longobardenherrscher  und  später,  in  dem  grossen 
Streite  zwischen  Staat  und  Kirche,  gegen  die  Kaiser.  In  einem  un- 
vorhergesehenen, frühen  Tude  dieser  Tyrannen  vermag  sein  streng 
kirchlicher  Sinn  nur  die  wohlverdiente  Strafe  Gottes  zu  sehen.  „Nutu 
divino",  wie  es  oft  heisst,  wurde  die  Kirche  von  diesem  oder  jenem 
Qaälgeiste  befreit.  Besonders  auffallend  zeigt  dies  das  Beispiel  des 
Ladislaus,  Königs  v.  Sicilieu,  der  furchtbar  im  Kirchenstaate  hauste,  die 


')  Ebendorfer  Fol.  •Sil. 

2)  Ebendorfer  Fol.  51. 

8)  i^oendorfer  Fol.  75. 

*)  Ebendorfer  Fol.  Ü2. 


96  Arthur  Levinson. 

Peterskirche  sogar  zum  Pferdestalle  machte ;  dafür  aber  bald  nach  diesen 
Frevelthaten  in  schmachvoller  Weise  von  einer  Dirne  ermordet  wurde  i). 
Haben  wir  jetxt  unseres  Autors  Ansichten  über  die  Kirche  in 
ihren  innern  und  äussern  Verhältnissen  kennen  gelernt,  so  sind  für 
uns  von  erhöhtem  Interesse  seine  Urtheile  über  die  höchsten  geistlichen 
Würdenträger  und  endlich  die  Päpste  selbst.  Mit  wahrem  Schmerze 
erfüllte  es  ihn,  der  die  Kirche  und  seinen  Stand  aufrichtig  liebte, 
dass,  wie  es  in  der  Einleitung  heisst,  bei  der  allgemeinen  trost- 
losen Weltlage  „omues  quoque  laici  in  dedecus  cleri  laceras  linguas 
solvere  non  pertimescaut" .  Es  waren  die  Vorwehen  des  herannahenden 
Sturmes  und  Ebendorfer  musste  als  ein  Mann,  der  die  Wahrheit  achtete, 
den  schmähenden  Angriffen  der  Laieuwelt  gegen  den  Stand  Gottes 
tiefbetrübten  Herzens  beipflichten.  Was  Wunder,  wenn  er  einem  echt 
menschlichen  Triebe  folgend,  durch  den  Rückblick  auf  die  gute  alte 
Zeit  und  durch  das  Preisen  aller  Tugenden  früherer  Geschlechter  sich 
und  seine  Leser  aufrichten  wollte!  Hier  findet  er  alle  Eigenschaften 
des  wahren  Priesters  vereiuigt,  welche  nach  ihm  Hieronymus  in  einem 
Schreiben  au  den  Bischof  ßusticus  v.  Narbo,  so  trefflich  gezeichnet 
hat  2),  An  Stelleu,  wo  diese  einzelnen  Tugenden  gepriesen  werden, 
wimmelt  es  in  dem  ganzen  Werke.  Doch  kann  ich  hier  natürlich 
nur  einige  anführen,  wo  diesen  Gedanken  am  prägnantesten  Ausdruck 
verliehen  ist.  ISicht  genug  kann  er  die  Glaubenstreue  und  Stand- 
haftigkeit  der  ersten  Papstmärtyrer  erheben,  welche  freudig  für  die 
Kirche,  in  den  Tod  gingen;  während  „hew  hodie  non  solum  horremus 
penam  martirum  sed  etiam  vitam  beatorum"  3).  In  früheren  Zeiten 
lebte  noch  die  „humilitas".  Die  Päpste  hielten  es  nicht  unter  ihrer 
Würde,  die  Körper  der  Märtyrer  eigenhändig  zu  begraben,  wie  der 
Papst  Euticianus;  und  Benedict  III.  nahm  oft  an  den  Leichenbegäng- 
nissen niedrig  gestellter  Personen  theil,  er  achtete  dabei  den  Vorgang 
Christi  an  der  Leiche  des  armen  Lazarus.  In  der  höchsten  Noth  der 
Kirche,  zur  Zeit  der  schweren  Bedrängnis  durch  Aistulf,  trug  Stephan 
bei  der  feierlichen  Bittprocession  vor  allem  Volke  „yconiam  salvatoris" 
auf  eigenen  Schultern  ,haec  hodie  papae  vix  congruerent  sed  vide 
humilitatem"  *).  Vor  Allem  herrschte  damals  Armut  und  Einfachheit 
unter  den  Geistlichen.  Alle  ihre  Handlungen  zielten  nur  darauf  hin, 
das  Ansehen  und  die  Wohlfahrt  der  Kirche  zu  heben  und  Niemand 
dachte  daran  im  Dienste  der  Kirche  sein  eigenes  Interesse  zu  fördern. 


')  Ebendorfer  Fol.  115. 

2)  Ebendorfer  Fol.  21. 

3)  Ebendorfer  Fol.  18. 
*)  Ebendorfer  Fol.  61. 


Thomas  Ebendorfers  .Liber  pontificum*,  97 

Wie  die  Laien  weit  in  frommen  Stiftungen  dem  Drange  ihres  Herzens 
folgte,  so  bauten  die  dazu  eigentlich  Berufenen,  die  Päpste,  unzählige 
Kirchen  zur  Ehre  Gottes.  Und  diese  Kirchen  oder  Klöster,  konnten 
die  Päpste  ruhig,  im  Bewusstsein  ihrer  Pflicht  Prälaten  zur  Verwal- 
tung übergeben,  denn  sie  wussten,  ihr  Vertrauen  wurde  nicht  miss- 
braucht, da  von  denselben  nur  der  Nutzen  der  Kirche  im  Auge  be- 
halten wurde.  „Nunc  vero  ecclesiae  traduntur  personis,  ut  ex  eis 
impigwentur  et  lascivirent"  ').  Nicht  nur  aus  fetten  Pfründen,  wie  es 
hier  heisst,  bereichern  sich  die  Würdenträger  der  Kirche,  sondern  sie 
missbraucheu  auch  die  ehrenhafte  und  verantwortliche  Stellung  als 
Legaten  des  heiligen  Stuhles  an  fremde  Höfe  und  lassen  sich  ihre 
Dienste  theuer  bezahlen.  Früher  Hessen  sich  die  Legaten  nicht  be- 
schenken ;  aber  heute,  so  klagt  unser  Autor  an  einer  Stelle  2),  „vacui 
exiunt  de  curia  et  onerati  auro  et  equis  revertuntur  et  iocalibus;  dicti 
a  legendo  et  coUigeudo  quia  colligunt  flores  ad  odorem  et  fructus  ad 
decorem;  visus  est  quidam  legatus  qui  per  diem  capiebat  LXX  flores 
pro  expensis  prophanus  enim  auri  ardor  omnia  occupat".  Schätze 
aber  und  Gold  haben  der  Kirche  und  ihren  Dienern,  als  etwas  nicht 
Zukommendes  stets  nur  Unglück  gebracht;  wie  das  Beispiel  aller  Zeiten 
gezeigt  hat.  So  wurde  die  Lateraukirche  wegen  ihrer  Schätze  einst 
vom  Exarchen  Isaac  ausgeplündert,  das  prächtige  Silbergeschirr  auf 
den  Tafeln  einiger  Prälaten  lockte  Räuber  heran  und  das  Unheil, 
welches  in  letzter  Zeit  die  Schätze  Bouifaz  VIII.  und  Martins  V.  an- 
gestiftet haben,  ist  wohl  noch  Jedem  erinnerlich.  Wie  schon  das 
Beispiel  dieser  Letzteren  gezeigt  hat,  so  gehen  überhaupt  die  Päpste 
mit  schlimmen  Vorbild  ihren  Untergebenen  voran.  Wenn  sie  sich 
nicht  selbst  bereichern,  so  thun  sie  es  für  ihre  Sippe,  um  damit  ihren 
Nepoten  zu  Macht  und  Ausehn  zu  verhelfen.  Durch  dieses  Nepoteu- 
thum  werden  die  Schranken  von  Eecht  und  Sitte  vollends  durch- 
brochen. Nicht  mehr  werden  die  altehr  würdigen  Bestimmungen  Sil- 
vesters  über  Zeit  und  Alter  für  die  einzelnen  hierarchischen  Rang- 
stufen beachtet,  sondern  die  Päpste  setzen  sich  aus  schwächlicher 
Liebe  zu  unwürdigen  jungen  Leuten  und  ihrer  Familie  darüber  hinweg. 
Und  so,  klagt  er:  „citius  quidam  sunt  ad  dignitates  et  beneficia  ap- 
probati  quam  nati  vel  in  virtutibus  educati  sed  et  pleruraque  minores 
et  majores  ordines  ymo  episcopalis  ordo  et  pallium  uno  die  confe- 
runtur  '■^). 


1)  Ebendorfer  Fol.  67. 

2)  Ebendorfer  51. 

3)  Ebendorfer  Fol.  30. 
Mittheilungen  XX. 


98  •  Arthur  Levinson. 

Auch  der  Siun  der  Pilpste  ist  schon  stark  verweltlicht.  Ihre 
höchste  geistliche  Würde  der  Welt  zu  zeigen,  suchen  sie  sich  in  der 
Entfaltung  von  äusserem  Pomp  zu  überbieten.  Anstatt  wie  ihre  Vorgänger 
sich  nur  mit  der  Kenntnis  der  Canones  des  Kirchenrechts  zu  befassen, 
zum  Heil  ihrer  Seele,  sind  sie  jetzt  gross  in  der  Kenntnis  des  weltlichen 
Rechts  und  der  Politik,  .ütinam,  ruft  er  aus,  hodie  tales  eligerentur 
pontifices  non  comptus  aut  iuvenculus  vaniloquus  ad  spiritualia  non 
solum  ad  temporalia  aptus^^  i).  Heute  aber  gilt  nur  die  Macht,  nicht 
mehr  das  Recht,  und  wer  im  Vollbesitze  derselben  ist,  kann  ruhig 
sündigen;  es  findet  sich  kein  Richter.  Die  Zeiten  sind  vorüber,  wo 
ein  Leo  vor  dem  grossen  Karl  und  dem  römischen  Volke  sich  frei- 
willig von  falschen  Anschuldigungen  reinigte,  denn,  wie  Uebergriffe 
der  Prälaten  ungeahndet  bleiben,  so  werden  dadurch  auch  die  Unter- 
gebenen zu  Ungesetzlichkeiten  verführt  -). 

Nicht  nur  für  seine  eigene  Person,  sondern  auch  in  dem  Ver- 
hältnisse zu  seinen  geistlichen  Mitbrüdern  pocht  der  Höherstehende 
auf  seine  Macht.  Der  Bischof  unterdrückt  die  Rechte  seiner  Unter- 
gebenen, bei  den  Wahlacten  werden  die  dazu  berechtigten  niederen 
Kleriker  einfach  nicht  zugelassen,  und  wie  die  Prälaten,  so  verfahren 
die  Unterdrückten  in  ihrer  Machtsphäre.  „Utinam,  sagt  unser  Autor 
an  einer  Stelle,  praesidentes  in  ecclesia  verba  Jeronirai  attenderent 
praesidens  debet  sie  in  omnibus  servare  iustitiam  ut  hoc  sibi  tantum 
vendicet  quod  sui  iuris  esse  cognoscit  aliena  non  rapiat  aliena  non 
taiigat  equalem  se  ceteris  faciat  et  sicut  sine  inferioribus  in  ministerio 
non  vivit  ita  sine  eis  in  dispensatione  non  vivat"  ^). 

So  lernen  wir  aus  seinen  Ansichten  Ebendorfer  als  Menschen 
kennen  und  schätzen.  Er  ist  eine  tief  religiös  veranlagte  Natur  und 
in  ergebungsvollem  Vertrauen,  sagt  er  einmal  von  Gott  ,deus  autem 
cuius  Providentia  in  sua  dispositione  non  fallitur  cuius  et  nutu  vivi- 
mus  morimur  et  subsistimus  qui  mortificat  et  vivificat  aliter  quam 
crebro  homines  aestimant  ordinat  et  disponit".  Gott  lohnt  die  Guten 
und  straft  die  Bösen,  seinem  Auge  entgeht  Nichts;  was  von  ihm  fest- 
gesetzt ist,  daran  darf  von  schwachen  Menschen  nicht  gerüttelt  werden. 
Mit  dem  festen  Glauben  an  Gott  verbindet  sich  bei  ihm,  als  einem 
Kinde  seiner  Zeit,  besonders  furchtbaren  Ereignissen  gegenüber  das 
Gefühl  der  menschlichen  Ohnmacht,  welches  zum  Aberglauben  seine 
Zuflucht   nimmt.     So   künden  sich  für  ihn  Pest  und  Kriegsgetümmel, 


')  Ebendorfer  Fol.  53. 

2)  Ebendorfer  Fol.  67. 

3)  Ebendorfer  Fol.  90. 


Thomas  Ebendorfers  »Liber  pontificum*.  gg 

wie  sie  seine  Tage  in  so  reichem  Masse  aufzuweisen  hatten,  schon 
vorher  durch  absonderliche  Naturerscheinungen,  Verfinsterung  des 
Firmamentes,  Meteore  und  heftige  Erdbeben  an. 

Seiner  Kirche  ist  er  treu  ergeben  und  von  ihrer  Würde  tief  durch- 
drungen. Darum  preist  er  freudig  die  armen,  aber  glänzenden  Zeiten, 
wie  sie  die  ecclesia  primitiva  aufzuweisen  hatte.  Ebenso  schonuno-slos 
gerecht  aber  deckt  er  auch  die  Schäden  der  Kirche  der  spätem  und 
seiner  Zeit  auf  und  macht  besonders  die  Päpste  und  die  Mitglieder 
des  höhern  Cierus  dafür  verantwortlich.  Bei  einem  Manne,  von  dem 
wir  wissen,  dass  er  mit  den  Vätern  des  Concils  derselben  Meinung 
war,  dass  der  Papst  als  Privatperson  nicht  unfehlbar  und  dem  Ur- 
theile  des  Concils  unterworfen  sei,  darf  uns  eine  solche  Offenheit  nicht 
verwundern.  Mit  tiefem  Schmerze  erfüllte  ihn  die  Lauheit,  mit  der 
Geistliche  und  Weltliche  an  alle  kirchliche  Fragen  herangingen,  in 
einer  Zeit,  wo  der  katholische  Glauben  durch  die  Erfolge  der  Türken 
nach  der  Eroberung  Constantinopels  so  hart  bedrängt  wurde.  Im 
Gegensatze  zu  früheren  Zeiten,  wo  mau  um  die  Vertheidigung  des 
Glaubens  bedacht  war,  klagt  er,  zerfleische  die  Christenheit  sich  heute 
in  nutzlosen  inneru  Fehden. 

Vielleicht  hoffte  er,  durch  sein  Werk  und  unterstützt  von  Ge- 
sinnungsgenossen die  Schäden  der  Kirche  aufdecken,  und  durch  die 
dräuende  Gefahr  seine  Mitwelt  aus  ihrer  Theilnahmlosigkeit  zur  Bes- 
serung aufwecken  zu  können.  Aber  durch  einfache  Geschichtswerke 
konnten  die  Uebel,  an  welchen  die  Kirche  seit  Jahrhunderten  krankte, 
nicht  beseitigt  werden.  Hier  musste  die  Weltgeschichte  selbst  mit 
eisernem  Besen  das  Schadhafte  hinwegkehren,  und  eine  neue,  gereinigte 
Kirche  erstehen  lassen. 


Kleine  Mittheilungen. 

Zur  Lebensgeschichte  Johaun's  von  Grelnhausen,  Registrators 
der  Kanzlei  Kaiser  Karl's  IV.  Ueber  Johann  von  Gelnhausen,  dessen 
Leben  und  Schriften,  ist  bereits  oft  geschrieben  worden,  aber  manches 
Dunkel  ist  noch  immer  nicht  gelichtet.  Ausführlicher  hat  zuerst  To- 
maschek  (Oberhof  Iglau  S.  20  —  27)  über  J.  v.  Gelnhausen  gehandelt; 
was  später  Neues  über  seine  Lebensgeschichte  vorgebracht  wurde,  ist 
recht  wenig.  Einzelne  Behauptuugen  Tomaschek's  wurden  wohl  ange- 
zweifelt, so  namentlich,  dass  Johannes  von  Gelnhausen  und  Johannes 
von  Humpolcz  eine  und  dieselbe  Persönlichkeit  ist,  dass  in  Folge  dessen 
Johann  von  Gelnhausen  bereits  im  J.  1360  zum  Stadtnotar  von  Iglau 
gewählt  wurde  und  dass  der  von  ihm  geschriebene  Codex  auch  schon 
in  dieser  Zeit  oder  bald  hernach  —  längstens  bis  1366  —  entstanden 
ist.  Das  letztere  hat  namentlich  Prof.  Dr.  J.  Öelakovsky  (Zeitschrift 
„Prävnik",  Bd.  19,  S.  765  if.)  ausführlicher  behandelt  und  besonders 
die  Einwendung  erhoben ,  dass  einzelne  Aufzeichnungen  der  Geln- 
hausen'schen  Handschrift  erst  aus  späteren  Jahren  herrühren.  Auch  in 
der  Schrift:  „ 0  domäcich  a  cizich  registrech"  (S.  34 — 35)  befasst  sich 
Öelakovsky  mit  Johann  von  Gelnhausen.  Burdach  (Vom  Mittelalter 
zur  Reformation)  hält  sich  vollkommen  an  Tomaschek.  Ich  habe 
über  Geinhansen  in  meiner  Schrift:  „Kauceläfe  a  pisafi  za  krälu  z 
rodu  Lucemburskeho"  S.  38 — 39  und  an  anderen  Stellen  derselben 
einige  neue  Berichte  gebracht,  in  der  Ausgabe  der  „Summa  Cancel- 
lariae  Caroli  IV."  nur  das  notwendigste  —  soweit  es  nämlich  das  von 
ihm  verfasste  Formelbuch:  » Collectarius  perpetuarura  formarum"  betraf 
—  wiederderholt. 

Neulich  erschien  die  Schrift:  „Der  collectarius  perpetuarum  forma- 
rum des  Johann  von  Gelnhausen"  vou  H.  Kaiser  (Strassburg  1898)- 
In  derselben  wird  wohl  von  meiner  Ausgabe  der  , Summa"   Notiz  ge- 


Zur  Lebensgeschichte  Johann's  von  Gelnhausen,  Registrators  etc.        JQ^ 

nommen,  aber  die  erstere  Schrift  (Kanceläfe  a  pisafi)  ist  dem  Ver- 
fasser unbekannt  geblieben  i),  ebenso  die  Schriften  Öelakovsk^f's.  Die 
früher  vorgebrachten  Zweifel  bezüglich  der  Identität  des  Johann  von 
Gelnhausen  mit  Johann  von  Humpolcz  beachtet  Kaiser  gar  nicht,  viel- 
mehr wird  bei  ihm  das,  was  Tomaschek  nur  als  wahrscheinlich  be- 
zeichnet, zur  vollen  Gewissheit.  Tomaschek  sagt  z.  B. :  „Seine  (Johann 
V.  G.)  Familie  scheint  ihren  Wohnort  nach  Humpolecz  verlegt  zu 
haben"  und  weiter:  „In  den  Iglauer  Stadtbüchern  nennt  er  sich  selbst 
Johannes  de  Gumpolcz,  in  den  Formelbüchern  .  .  aber  consequent 
Johannes  de  Gelnhausen".  Nach  Kaiser  ,ist  die  Identität  des  Johannes 
de  Gumpolcz  mit  unserm  Gelnhausen  zweifellos;  sie  ergibt  sich  aus 
dem  Umstände,  dass  dieser  sich  in  den  während  seiner  Iglauer  Wirk- 
samkeit verfassten  Werken  mit  beiden  Namen  nennt".  In  Folge  dessen 
muss  Johannes  de  Gumpolcz  oder  de  Gelnhausen  zweimal  in  die  kai- 
serliche Kanzlei  eintreten  und  zweimal  aus  derselben  scheiden;  nach 
dem  ersten  Austreten  aus  derselben  (c.  1359)  wird  er  —  unter  dem  Namen 
Johannes  de  Gumpolcz  —  zuerst  Schulrektor  und  dann  Stadtschreiber 
in  Iglau,  wo  er  bis  etwa  1366  verblieben  sein  soll.  Einen  direkten 
Beweis,  dass  Gelnhausen  wirklich  vor  1360  in  der  kaiserlichen  Kanzlei 
gewirkt  hätte,  oder  dass  er  sich  hier  jemals  „Johannes  de  Gumpolcz" 
geschrieben  hätte,  bringt  weder  Tomaschek  noch  Kaiser;  beide  berufen 
sich  darauf,  dass  Gelnhausen  als  Iglauer  Stadtschreiber  selbst  auf  seinen 
Dienst  in  der  kaiserl.  Kanzlei  sich  beruft,  wobei  sie  aber  voraussetzen, 
dass  dies  im  J.  1360  stattfand,  was  jedoch  wieder  nur  durch  Identifi- 
cirung  mit  Joh.  de  Gumpolcz  geschehen  konnte. 

Dies  alles  ist  unhaltbar;  ich  habe  in  meiner  erwähnten  Schrift 
in  Kürze  bereits  darauf  hiu gewiesen  und  will  es  an  dieser  Stelle  etwas 
ausführlicher  begründen. 

„Johannes  de  Gumpolcz,  clericus  Pragensis  diocesis,  magister 
scolae  Iglaviensis",  der  1360  zum  Iglauer  Stadtschreiber  gewählt  wurde 
(Tomaschek  23),  und  „Johannes  de  Gelnhusen,  clericus  Mogunti- 
nensis  diocesis",  der  im  J.  1365  Notar  der  kaiserl.  Kammer  (nota- 
rius  thezauri)  war,  können  doch  unmöglich  eine  und  dieselbe  Persön- 
lichkeit gewesen  sein.  Man  weiss  ja,  wie  consequent  immer  die  Zuge- 
hörigkeit der  Cleriker  zu  ihrer  Diözese  betont  wurde.  Nach  Tomaschek 
wird  in  den  Stadtbüchern  der  Schreiber  von  Jahre  1360  nur  „Johannes 

')  Nur  so  kann  ich  mir  seine  Worte  (S.  9)  erklären:  »Uebrigens  bringen 
T.'s  kurze  Angaben  über  Johanns  Leben  durchaus  nichts  Neues,  eine  zeugt  viel- 
mehr von  direkter  Unkenntniss  der  Literatur"'.  Man  sollte  doch  vorsichtiger  mit 
solchen  allgemein  gehaltenen  und  nicht  begründeten  Vorwürfen  umgehen ;  Un- 
kenntniss der  Literatur  —  bes.  der  böhmischen  —  könnte  ich  gewiss  eher  dem 
H.  Kaiser  nachweisen. 


J02  Kleine  Mittheilungen. 

de  Gumpolcz"  genannt,  Humpolec  gehörte  tait  Prager  Diözese  und 
der  Beisatz  ,clericus  Pragensis  diocesis"  daher  natürlich.  Johannes 
de  Gelnhausen  wird  nie  clericus  Pragensis  diocesis  genannt,  sondern 
entweder  , Johannes  de  Gelnhusen  clericus  Moguntinensis  diocesis*  oder 
,J,  de  Gelnhusen  Moguntinensis  diocesis"  :  wo  bei  Johann  von  Geln- 
hausen der  Beisatz  clericus  Pragensis  diocesis  vorkommt,  da  ist  es  nur 
durch  Unterstellung  dieses  Namens  statt  des  wirklichen  Johannes  de 
Gumpolcz  entstanden.  Gesetzt  aber  den  Fall,  dass  Johann  von  Geln» 
hausen  —  wie  Tomaschek  uud  Kaiser  annehmen  —  wirklich  nach 
Humpoleez  in  Böhmen  übersiedelt  wäre  und  den  Namen  danach  ge- 
ändert hätte,  dann  könnte  er  doch  nur  aus  einem  „clericus  Moguntin. 
diocesis-  zum  „clericus  Pragensis  diocesis"  geworden  sein  —  obwohl 
auch  dies  ein  vielleicht  alleinstehender  und  kaum  denkbarer  Fall  wäre 
—  aber  nie  umgekehrt,  dass  er  früher  (1360)  „clericus  Pragensis"  und 
später  (1365)   „clericus  Moguntinensis  diocesis"   genannt  würde. 

Nicht  ohne  Bedeutung  für  die  endgiltige  Entscheidung,  dass  beide 
nicht  identisch  sein  können  —  wenn  man  es  auch  nicht  als  direkten 
Beweis  ansehen  will  —  ist  der  Umstand,  dass  in  späteren  Jahren 
(1379  — 1380)  ein  Johannes  oder  Henslinus  de  Gumpolcz  als  Kammer- 
schreiber (notarius  thezauri)  im  Dienste  des  Prager  Erzbischofs  und  dann 
wahrscheinlich  als  „notarius  cancellariae  archiep."  genannt  wird^),  und 
es  ist  recht  gut  möglich,  dass  derselbe  Johannes  de  Gumpolcz,  der  im 
J.  1360  Schulrektor  und  Stadtschreiber  in  Iglau  war,  später  (c.  1370) 
den  damals  nicht  ungewöhnlichen  Uebertritt  in  die  Dienste  des  Erz- 
bischofs machte.  ■;.•,  .:; 

üeber  die  anfänglichen  Kanzleibedienstungen  Johannes  von  Geln- 
hausen belehrt  uns  die  Bemerkung  in  dem  Iglauer  Bergrecht:  „Hy 
endet  sich  das  puch  von  den  pergrechteu,  das  maister  J.  von  Geiln- 
husen,  ettwan  underpergschreiber  auf  den  Kuttenberg  des  Peter  Schobers 
von  der  Iglau  Zeiten  und  grubeuschreiber  über  Sechsgruben  pey  her 
Thoma  Wolffels  Zeiten,  und  darnach  Kayser  Karls  Schreiber,  aus  latein 
zu  teutsch  gemachet."  Von  den  hier  genannten  Kuttenberger  Würden- 
trägern wird  Petrus  Schobronis  als  notarius  Montis  Chut.  in  den  Jahren 
1358 — 1363  öfters  genannt  (Öelakovsky,  Prävnik  19.,  768).  Johann 
von  Gelnhausen  war  also  anfänglich  als  Schreiber  in  Kuttenberg  be- 
schäftigt. 

Die  erste  urkundlich  erwiesene  Erwähnung  Johanns  von  Geln- 
hausen als  Schreiber   in  kaiserl.  Diensten  datirt  vom  J.  1365.     Unter 


1)  Meine  Schrift    »Kanceläfe  a  pisafi'    S.  124;    Emier,  Decem    registra  XI, 
Acta  jud.  consistorii  Prag.  IL  52. 


Zui"  Lebensgeschichte  Johanns  von  Gelnhausen,  Registrators  etc.         ^03 

den  Suppliken  Kaiser  KarVs  IV.,  die  während  seiner  Anwesenheit  zu 
ATignon  dem  Papste  überreicht  wurden,  befindet  sich  eine  Supplik 
dd.  5.  Juni  1365,  in  welcher  nebst  mehrereu  anderen  Persönlichkeiten, 
namentlich  Kanzleibeamten,  auch  unser  Johann  von  Grelnhauseu  ge- 
nannt und  der  päpstlichen  Gnade  anempfohlen  wird  und  zwar  heisst 
er:  , Johannes  de  Gelnhausen,  notarius  thezauri  d.  Imperatoris  per 
regnum  Boemiae,  clericus  diocesis  Moguntineosis".  Johann  von  G.  war 
also  bereits  Anfang  Juni  1365  in  kaiserlichen  Diensten. 

Da  nun  nicht  anzunehmen  ist,  dass  er  gleich  bei  seinem  Ein- 
tritt in  den  kaiserl.  Dienst  Aufnahme  in  die  Supplik  des  Kaisers  ge- 
funden hätte,  vielmehr  dass  er  bereits  durch  längere  Zeit  diesen  Dienst 
zur  Zufriedenheit  versehen  hatte,  so  muss  als  gewiss  angesehen  werden, 
dass  Gelnhausen  bald  nach  dem  J.  1360  den  kaiserl.  Dienst  aufgesucht 
hatte,  dass  er  zuerst  .subnotarius"  oder  „vicenotarius'*  oder  .scriptor 
camerae"  —  wie  die  niederen  Schreiber  genannt  wurden  —  und  vor 
1365  „notarius  thezauri*  geworden  und  als  solcher  in  die  kaiserliche 
Supplik  aufgenommen  wurde. 

Seit  1366  bis  etwa  1374  wird  er  sodann  als  Eegistrator  in  der 
kaiserlichen  Hofkanzlei  genannt,  die  er  zugleich  mit  dem  Kanzler 
Johann  von  Neumarkt  verliess.  Seitdem  war  er  in  Mähren  thätig, 
und  zwar  als  bischöflicher  und  als  städtischer  Notar.  lu  welche  Zeit 
seine  Thätigkeit  als  Iglauer  Stadtschreiber  fällt,  ist  eine  bisher  unge-: 
löste  Frage,  zu  deren  Beantwortung  eine  eingehende  Durchforschung 
der  Iglauer  Stadtbücher  und  der  ßechtsbücher  Johanns  von  Gelnhausen 
nothwendig  ist  i). 

Dass  es  Johann  von  Gelnhausen  während  seiner  Kanzleidienste 
nicht  glänzend  erging,  ist  daraus  zu  schliessen,  dass  sein  Name  mit 
kleiner  höheren  kirchlichen  Würde  und  der  damit  verbundenen  Pfründe 
verknüpft  ist  —  wirklich  ein  Ausnahmsfall  bei  einem  langjährigen 
Kanzleibeamten  jener  Zeit-)  — ,  vielleicht  war  eben  dies  die  Ursache, 
dass  er  vom  Kaiser  selbst  besoldet  wurde  (stipendiatus) ;  es  bezeugt 
dies  auch  der  in  die  vatikanische  Formelsammlung  aufgenommene  Brief 

')  Dieser  Artikel  war  bereits  im  Sommer  1898  geschrieben  und  der  Redaction 
d.  ßl.  eingeschickt  worden.  Inzwischen  ist  auch  K.  Burdach  (Besprechung  der 
Arbeit  Kaisers  in  der  D.  Literaturzeitung  v.  24.  Dec.  1898)  aut  anderem  Wege 
zu  demselben  Resultat  gelangt,  dass  Job.  de  Gumpolcz  und  Joh.  de  Gelnhausen 
zwei  verschiedene  Persönlichkeiten  sind ;  nach  den  neuesten  Forschungen  Burdachs 
sowie  des  Dr.  Telakovsky  (Casop.  C.  Mus.  Bd.  72)  ist  auch  die  Frage  bezüglich 
des  Iglauer  Aufenthalts  Joh.  v.  Gelnhausens  endgiltig  gelöst. 

*)  Man  könnte  daraus  sowie  aus  dem  Umstände,  dass  er  sich  in  späterer 
Zeit  nicht  »clericus«  sondern  gewöhnlich  »Joh.  de  Gelnhusen  Mogunt  dioc. * 
nennt,  schliessen,  dass  er  geheirathet  und  daher  keine  kirchl.  Beneficien  er- 
halten hatte. 


104  Kleine  Mittheilungen. 

mit  der  Bitte:  ^quatenus  humilis  et  fidelis  creature  vestre  Johaunis 
de  Gelnhausen  memoriani  habere  dignemimi,  ut  status  suus  in  aliquo 
emendetur*). 

Dass  sich  Johann  von  Gelnhausen  mit  Bücherabschreiben  und 
lUuminiren  bei  dem  Bischöfe  von  Olmütz  und  ehemaligen  Kanzler 
Johann  von  Neumarkt  beschäftigt  hätte,  wie  Kaiser  aus  einigen  Schreiben 
der  Caucellaria  Johannis  Noviforensis  schliesst  (S.  17),  ist  nach  dem 
blossen  Namen  , Johannes"  wohl  nicht  anzunehmen,  es  spricht  dagegen 
die  in  den  Briefen  des  ehemaligen  Kanzlers  —  wie  mir  scheint  — 
consequente  Benützung  des  Ausdrucks  „notarius  oder  protonotarius* 
für  Kanzleibeamte  und  „scriptor"   für  Bücherschreiber. 

üeber  die  Stellung  eines  ßegistrators  in  der  kaiserlichen  Kanzlei 
sind  theilweise  unrichtige  Ansichten  verbreitet;  auf  keinen  Fall  ist  die 
Meinung  begründet,  dass  die  ßegistratoreu  zu  den  niedersten  Kanzlei- 
beamten gehörten  2).  Vielmehr  finden  wir  Registratoren  mit  höheren 
kirchlichen  Würden  bekleidet  und  in  angesehenen  Stellungen  als  Ver- 
trauensmänner bei  hohen  Würdenträgern.  So  hatte  z.  B.  der  ße- 
gistrator  Johannes  Saxo  presbyter  Zwerinens.  dioc.  mehrere  kirch- 
liche Beneficien,  er  war  Mansiouarius  bei  der  Prager  Kirche  (diese 
Stelle  vertauschte  er  mit  dem  A  Itaristen  bei  St.  Nikolaus  in  der  Alt- 
stadt Prag),  erhielt  vom  Papste  die  Provision  auf  ein  Wysehrader  und 
bald  darauf  auf  ein  Bamberger  Canonicat,  war  auch  Pfarrer  in  Saharz 
Olomuc.  dioc.  und  canonicus  Lubucensis.  Im  J.  1355  wird  er  ,cor- 
rector  literarum  iniperialium"  genannt,  aber  noch  1373,  15.  Juli  heisst 
es  in  der  päpstlichen  Provision:  „Johanni  Saxoni,  qui  ut  asseris 
registrator  literarum  im  per.  existis  ed  per  sexdecim  annos  officium 
registri  huiusmodi  in  cancellaria  iraper.  legaliter  exercuisti  ac  diversa 
ecclesie  Komane  in  eadem  cancellaria  fecisti  obsequia  .  .  de  canonicatu 
ecclesie  Wormae.  non  obstaute  quod  paroch.  ecclesiam  in'Sahars  Olomuc. 
dioc.  obtines  .  .  providemus  etc."  (Heg.  Vatic).  Andere  Registratoren 
in  derselben  Zeit  waren :  Wilhelmus  Kortelangen  (1364 — 1378), 
vertrauter  Freund  des  Kanzlers  Johann  von  Neumarkt,  später  Cano- 
nicus  von  Olmütz,  Registrator   noch   in   der  Kauzlei  König  Wenzels. 


')  Auch  dieses  Schreiben  habe  ich  in  meiner  Schrift  i,Kanceläfe  a  pisafi* 
S.  39  benützt ;  es  ist  daher  die  Behauptung  H.  Kaisers  S.  18,  dass  das  Schreiben 
»bisher  noch  nicht  für  seine  (Johanns  v.  G.)  Lebensgeschichte  herangezogen  ist«, 
nicht  richtig,  üeber  die  Auffassung  und  Erklärung  des  Briefes  lässt  sich  frei- 
lich disputiren.  —  Ob  sich  das  Schreiben  Nr.  211  bei  Kaiser  S.  94  auf  unseren 
Johann  v.  G.  bezieht,  ist  sehr  ungewiss,  da  zu  derselben  Zeit  noch  ein  zweiter 
Johannes  (de  Ostraviai  als  bischöfl.  Notar  in  Olmütz  genannt  wird  (Codex  Morav. 
XI.  77);  jedenfalls  war  die  darin  enthaltene  Bitte  um  Beförderung  erfolglos. 

2)  Burdach  im  Centralblatt  f.  Bibliothekswes.  1891.  S.  165. 


Das  religiöse  Testament  K.  Ferdinands  I.  105 

Petrus  Tilonis  clericus  Wratislav.  dioc,  literarum  imp.  registrator 
et  signator  (1363 — 1370),  war  scholasticus  Lubuceusis  und  erhielt 
1365  die  päpstl.  Provision  auf  ein  Breslauer  Canonieat.  Johannes 
Lust  de  Nornberga  clericus  Bamberg,  dioc,  registrator  et  notarius 
(1354 — 1378),  erhielt  am  27.  April  1371  als  „literarum  imper.  registra- 
tor" die  Provision  auf  ein  Prager  und  am  28.  Februar  1374  ebenso 
die  Provision  auf  ein  durch  den  Tod  des  Bischofs  Guido  von  Oporto 
erledigtes  Alt  -  Bunzlauer  Canonieat.  In  anderen  Urkunden  aus  den 
J.  1370 — 1378  wird  er  als  , notarius"  bezeichnet.  Wenceslaus 
Gregorii  de  Genikow,  literarum  imp.  scriptor,  später  registrator 
(1371 — 1378)  war  Canonicus  bei  St.  Apollinar  und  auf  dem  Wysehrad 
und  erhielt  nebstdem  eine  Praebende  bei  St.  Egidi  in  Prag.  Ausser 
den  bereits  genannten  werden  in  denselben  Jahren  noch  als  Kegistra- 
toren  genannt:  Johannes  de  Gewiczko  (1369),  Johannes  de 
Cellis  (1370),  Petrus  de  Boleslavia  (1370),  Nicolaus  de 
Praga  (1371 — 1374).  Man  sieht,  dass  einerseits  die  Ausdrücke  „no- 
tarius, registrator,  corrector'^  abwechseln  und  dass  die  Stellung  dieser 
drei  Categorien  von  Kanzleibeamten  so  ziemlich  gleich  war,  und  weiter 
auch  dass  die  Zahl  der  jeweiligen  Kegistratoren  nicht  bestimmt  war. 
(Nähere  Belege  siehe  in  meiner  Schrift:  .Kanceläfe  a  pisafi«  S.  33 — 40). 

Ferd.  Tadra. 


Das  religiöse  Testament  K.  Ferdinands  I.  0.  H.  Hopfen 
hat  in  seinem  Werke:  „Kaiser  Maximilian  II.  und  der  Kompromiss- 
katholicismus"  ausführlich  über  das  Verhältnis  Maximiliaus  zu  seinem 
Vater  Kaiser  Ferdinand  I.  gehandelt.  Aber  auch  bei  ihm  vermissen 
wir  die  Erwähnung  eines  interessanten  Aktenstückes,  welches  die  Be- 
fürchtungen Kaisers  Ferdinands  I.  zum  Ausdruck  bringt,  wir  meinen 
den  Brief  Mat.  Zithards,  in  welchen  das  religiöse  Testament  des  Kaisers 
enthalten  ist. 

Das  Original  des  Briefes  Zithard's  an  Leonhard  den  Aelteren 
Freiherrn  Harrach  befindet  sich  sammt  einer  Abschrift  im  gräfl. 
Harrach'schen  Archive  iu  Wien.  Nach  diesem  hat  es  im  Jahre  1656 
Georg  Füll,  gräflich  Harrach'scher  Majoratssecretär  in  Brück  an  der 
Leitha  abgeschrieben,  welche  Abschrift  sich  bis  jetzt  iu  der  Handschrift 
der  k.  k.  Hofbibliothek  7574  fol.  377^—378*^  befindet.  Wahrscheinlich 
hat  man  die  Echtheit  dieses  Schriftstückes  angezweifelt,  und  darum  hat 
Niemand  auf  dasselbe  die  Aufmerksamkeit  geleitet. 

Matthias  Zithard,  Probst  von  Leitmeritz,  war  damals  Hofprediger 
und  wie  er  selbst  sagt,  Beichtvater  K.  Ferdinands  1,  Leonhard,  Freiherr 


106  Kleine  Mittheilungen. 

voD  Harrach  zu  Kohruu  war  seit  1562  Obersthofmeister  K.  Maxi- 
milians, zugleich  auch  sein  Oberstkämmerer,  welche  Würde  er  seit 
1562  bekleidete.  Geboren  im  J.  1514  studii-te  er  im  J.  1534  an  der 
juridischen  Facultät  in  Padua.  nach  dem  Ableben  seines  älteren  Bruders 
Joachim  (31.  März  1537)  kehrte  er  zurück,  wurde  im  J.  1546  öster- 
reichischer Kegimentsrath  und  im  J.  1560  Obersthofmeister  des  Erz- 
herzogs Karl.  In  den  ßeichsfreiherrnstand  im  J.  1554  erhoben,  er- 
richtete er  im  J.  1579  ein  Majorat,  welches  von  K.  Eudolf  II.  bestätigt 
wurde,  wurde  im  J.  1584  Eitter  des  goldenen  Vliesses.  Mit  Kaiser 
Maximilian  war  er  in  einem  regen  brieflichen  Verkehre  und  genoss  als 
Politiker  eines  hervorragenden  Ansehens.    Er  starb  am  27.  Juli   1590. 

Weilaudt  Kaysers  Ferdiuaudi,  hochloeblichister  und  ewig  wehrender 
(jedachtniss  bittlicher  Beuelch  von  Wort  zu  Wort  den  wollgebornen 
Herrn  H.  Leouardt  von  Harrach,  der  ietzigen  Kay.  Ma^  Maximilians 
Hoifmeisteru  betreffend,  mir  inn  seiner  letsten  christlichen  Beicht  grethan 
und  nachmals  winnig  Tag  vor  seinem  Absterbeu  repetirt  und  wider- 
holt Anno  1564  in  mense  Julio,  in  welchem  er  am  Tag  Jacobi 
(25.  Juli)  den  Abeudt  umb  7  verschiden  und  ghauz  christlich  ent- 
schlaöen. 

Lieber  Citharde!  Nachdem  ich  letzt  um  dem  Gwalt  des  Allmech- 
tigen  lige  uud  gwissers  nit  erwarten  kan,  dan  den  Todt,  für  den  ich 
mich  doch  uicht  fürchte,  uud  ich  euch  aber  die  ghancze  Zeit  auss  von 
CAver  Berüffung  her  an  meinem  Hoff  mein  Gwisse,  mein  Seel  und  alles 
Anligen  vertrawet  hab,  darinnen  Ihr  mir  auch  iederzeit  troestlich 
und  getrew  gwesen,  so  kan  ich  Euch  nit  bergen,  das  mir  hoehers  auff 
dieser  Welt  nit  angelegen,  auch  nichts  so  schwerlich  mein  Hercz  be- 
kümmert als  die  Eelimon,  das  ich  soro-,  es  mücht  dieselbiffe  nach 
vieler  Menschen  Hoffnung,  wenu  ich  dahin  gefaren  binn,  verendert 
werden  und  nit  mehr  catholisch  bleiben,  welches  dan  unserem  ehr- 
lichen uud  weit  beruerapten  Hau.sz  Oesterreich,  so  durch  bestendiger 
Wollhaltung  der  Eeligion  auffkommen  und  auffgestigen  ist,  zu  zeit- 
licher und  ewigen  Schanden  geraichen  würd,  uud  wolte  dise  Stund 
froelich  sterben,  wenn  ich  der  Sorgen  überhebt  mücht  sein.  Dweil 
ich  dan  weisz,  das  an  dem  von  Harrach  viel  gelegen  wirt  sein,  als 
der  umb  meinen  Sun  Maximilianum  als  Hoffmeister  inn  seiner  an- 
gehenden kayserlichen  Eegirung  wirt  stetig  sein,  und  ich  inn  für 
ein  frommen,  gotfürchtigeu,  auffrichtigen  catholischen  Mann  allzeit 
gehalten,  auch  das  Vertrawen  zu  im  gestalt,  so  wollet  in  nach 
meinem  Todt  von  meintwegen  bitten,  er  woll  vernunff'tiglich  und  fur- 
sichtiglich  mit  hoechsten  Fleisz  umb  Gottes  und  gemeiner  WoUfart, 
auch  Friden  und  Euhen  willen  drob  und  dran  sein,  das  die  cathohsche 


Die  Einführung  des  Gregorianischen  Kalenders  in  Salzburg.  XQJ 

Kelifirion,  wie  sie  von  unsern  Vorfaren  auff  uns  loblich  kommen,  inn 
unsern  Lenderen  gehalten  werde,  alle  buösen  Practiken  abgewendet 
und  allerley  Einfuerung  der  sectischen  Lehr  verhuetet  werde.  Ermanet 
in  durch  Christum  von  meiuer  letsten  Bitt  wegen  (auch  Andere,  die 
ihr  wisset),  das  er  fursichtig  inn  disen  hochwichtigen  Sachen  sey  und 
lasz  im  anders  uit  duncken,  dan  er  hoer  es  ausz  meinem  Mund  und 
inn  der  letsten  Stunden.  Des  wirt  im  Gott  sein  Gnad  reichlich  ver- 
liehen und  ich  will  für  die  gmeine  Sacli  der  Kirchen  und  LantschafFt, 
für  meinen  Kinderen  und  ihr  Regimenten,  auch  für  ihn  und  allen 
meinen  getrewen  Rethen,  aucli  ünterthanen  Gott  im  Himmell  getreu- 
lich bitten.     Disz  ist  mein  letstes  Bitten  au  den  von  Harracli. 

Matthias  Cithardus,  defuncti  piissimae  memoriae 

Ferdinandi  Caesaris  concionator  ac  confessor.  manu 

mea  propria. 

An  Herren    von    Harrach,    Ro^.  Kay''.  Mat.  Obristeu  HofFmayster. 

Von  der  Hand  des  Freiherrn  Leonhard  dem  Mittleren  Harrack 
(t  1597)  steht  noch  diese  Anmerkung  beigeschrieben.  Von  Herrn 
Citardo,  Ir.  M*.  hochseligister  Gedechtnuss  Kayser  Ferdinandt  Baicht- 
vatter,  ist  dise  Zedell,  darinnen  von  mein  Herrn  Vattern  seliger  Ge- 
dechtnuss Ir.  M*.  löstes  ßegeren  in  der  Beycht  entdeckt  unnd  commu- 
niciert,  so  beschehen  am  Tag  Jacoby  umb  7  Uhr  auff  den  Abendt, 
unnd  sollend  meine  Erben  dises  Testimonium  woll  auffbehalten. 

F.  Mencik.    '^ 


DieEiiiführuug  des  (xresoriaiiischcn  Kalenders  iiiSalzImrg, 

Als  Papst  Gregor  XIII.  in  seiner  Bulle  »Inter  gravissima"  die  seit 
Jahrhunderten  augestrebte  Reform  des  Juliauischen  Kalenders  ver- 
kündete und  den  Monat  October  1582  als  Durchführungstermin  für 
dieselbe  bestimmte,  war  das  Erzstift  Salzburg  nicht  unter  den  wenigen 
Ländern,  welche  diesem  Befehle  nachkamen.  Den  Grund  hiefür  finden 
wir  in  eiuem  Briefe  des  damaligen  Erzbischofes  Johann  Jacob  an  den 
Kaiser  Rudolf  II. i)  ausgesprochen:  der  päpstliche  Befehl,  schreibt  der 
Erzbischof,  sei  ihm  erst  kurz  vor  dem  zur  Veröffentlichung  des  neuen 
Kalenders  bestimmten  Termine  zugekommen,  so  dass  er  mit  der  Publi- 
cation  nicht  mehr  vorgehen  konnte,  daher  habe  er  sie  auf  den  Octo- 
ber des  nächsten  Jahres  verschoben.  Da  traf  iui  December  1582  die 
vom  7.  November  datirte  ,Coustitutio  super  observatione  calendarii 
nuper  editi  pro  iis,  qui  de  mense  Octobris  proxime  praeterito  illud 
observare  non  coeperunt"   in  Salzburg   ein,    in    welcher  der  Papst  be- 

»)  K.  k.  Reg.  Archiv  in  Salzburg:  Hotkam luer,  Consistor.   1582,  H. 


■iQQ  Kleine  Mittheilungen. 

fahl,  mit  Hintansetzuug  aller  Hindernisse  und  Entschuldigung  den 
neuen  Kalender  im  Februar  1583  einzuführen  und  zwar  in  der  Weise, 
dass  man  vom  10.  Februar  (Sonntag  Quinquagesima)  sofort  auf  den 
21.  übergehe  1).  Begleitet  war  sie  von  einer  Ordinatio  officii  für  die 
Oeistlichen. 

Der  Erzbischof  war  wohl  von  Anfang  an  betreffs  seines  Verhaltens 
nicht  im  Unklaren.  Dies  geht  deutlich  aus  dem  an  den  Bischof 
Christoph  von  Chiemsee  ausgegangenen  Schreiben  desselben  vom 
7.  December  1582  hervor,  in  welchem  er  seine  Absicht  dem  päpstlichen 
Befehle  Folge  zu  leisten  ausspricht  und  von  ihm  begehrt,  dasselbe  zu 
thun2).  Allerdings  war  ihm  auch  viel  daran  gelegen,  sich  früher  der 
Einwilligung  des  Kaisers  und  der  Erzherzoge  Carl  und  Ferdinand,  in 
deren  Ländern  sich  sein  Sprengel  theilweise  befand,  zu  versichern. 
Er  sandte  daher  seinen  Rath  Dr.  theol.  Georg  Stobeus  mit  dem  Auf- 
trage nach  Wien,  dem  Kaiser  seine  Absicht  betreffs  der  Publicirung 
des  reformirten  Kalenders  mitzutheilen  und  dem  apostolischen  Nuntius 
einen  Brief  zu  überbringen  3).  In  diesem  schreibt  er,  es  bleibe  ihm 
nichts  anderes  übrig  als  dem  päpstlichen  Befehle  zu  gehorchen,  er 
habe  es  jedoch  zur  Wahrung  der  nie  genug  gerühmten  Einheit  für 
notwendig  erachtet,  auch  die  Gesinnung  des  Kaisers  und  der  übrigen 
Fürsten  in  dieser  Sache  zu  erkunden.  Der  Gesandte  habe  den  Auftrag, 
dieselbe  beim  Kaiser  zu  betreiben,  der  Nuntius  möge  ihn,  da  die  Frist 
kurz  sei,  darin  unterstützen,  damit  wenigstens  für  die  ganze  salz- 
Iburgische  Kirchenproviuz  die  Bewilligung  der  Publication  vom  Kaiser 
und  den  Erzherzogen  Carl  und  Ferdinand  erwirkt  werde. 

Der  Nuntius  schickte  mit  seiner  Antwort  vom  9.  December  neuen 
Stils  ein  an  den  Erzbischof  gerichtetes  päpstliches  Breve  vom  13.  No- 
vember (n.  St.)  1582^),  in  welchem  die  Erwartung  ausgesprochen  war, 
der  Erzbischof  werde  die  päpstliche  Constitutio  genau  befolgen.  In 
dem  Begleitbrief  aber  erinnert  der  Nuntius  den  Erzbischof,  dass  der 
Papst  in  der  Constitutio  nicht  bloss  zur  Annahme  des  verbesserten 
Kalenders  auffordere,    sondern  dieselbe  anbefehle  (,de  Apostolicae  po- 

1)  Ibidem:  —  »Cum  perventum  fueiit  ad  diem  decimum  Februarii  anni 
millesimi  quingeutesimi  octuagesimi  tertii,  in  quem  cadit  Dominica  Quinqua- 
gesimae  secundum  antiquum  Calendarium  transitus  statim  fiat  ad  diem  vige- 
fiimum  primum  eiusdem  mensis  Februarii  omissis  decem  diebus  inter  diem  deci- 
mum et  diem  vigesimum  primum  Februarii  etc*. 

2)  K.  k.  Reg.  Archiv  in  Salzburg:  Archiv  X[I,  55. 
s)  Ibidem,  Hofk.  Consist. 

*)  Ibidem,  mit  dem  an  den  Kaiser  Rudolf  II.  gerichteten  fast  gleichlautend. 
Vgl.  Kaltenbrunner,  Polemik  über  die  gregor.  Kalenderreform  in  den  Sitzungs- 
berichten  der  Wiener  Akademie  87,  582. 


Die  Einführung  des  Gregorianischen  Kalenders  in  Salzburg.  1Q9 

testatis  plenitudine  statuimus,  praecipimus  ac  mandamus"),  ein  Befehl, 
den  ein  Kirchenfürst  am  wenigsten  misaehten  dürfe.  Das  Bedenken 
betreffs  der  Einheit  des  ganzen  Kirchensprengels  solle  ihn  nicht  ab- 
halten, dem  päpstlichen  Willen  wenigstens  dort  Geltung  zu  verschaffen, 
wo  das  in  seiner  Macht  liege. 

Daraufhin  schrieb  Erzbischof  Johann  Jacob  sofort  an  den  Kaiser, 
er  und  seine  Mitbischöfe  müssteu  sich  dem  Gebote  des  Papstes  fügen 
und  in  geistlichen  Dingen  vom  Februar  1583  an  sich  nach  dem  neuen 
Kalender  richten;  da  jedoch  die  salzburgische  Kirchenprovinz  auch  im 
Gebiete  des  Kaisers  und  seinen  Erblanden  sich  erstrecke,  bitte  er  ihn, 
denselben  in  eben  diesen  Gebietstheilen  publiciren  zu  lassen,  damit 
man  auch  in  weltlichen  Dingen  sich  nach  ihm  richte.  Da  der  Kaiser 
lange  nicht  antwortete,  Hess  der  Erzbischof  durch  den  Nuntius  in 
Wien  diese  Angelegenheit  betreiben,  aber  ohne  augenblicklichen  Erfolg. 
Auch  Erzherzog  Ferdinand,  au  den  der  Erzbischof  geschrieben  hatte, 
verhielt  sich  ablehnend,  bevor  der  Kaiser  sich  nicht  erklärt  habe.  Vom 
Erzherzog  Carl  war  bis  3.  Januar  keine  Antwort  eingetroffen.  Dagegen 
konnte  Johann  Jacob  dem  Bischöfe  Urban  von  Passau  berichten,  dass 
Herzog  Wilhelm  in  Bayern  „mit  der  Haltung  des  neuen  Kalenders 
fortschreiten  wolle",  und  dass  dessen  diesbezügliche  Befehle  an  die 
Pfleger  schon  unter  der  Presse  seien  i). 

Obwohl  unterdessen  vom  Nuntius  der  ablehnende  Bescheid  des 
Kaisers  auf  die  Bitte  des  Erzbischofes  eingelangt  war,  fuhr  dieser  doch 
fort  Anstalten  zu  treffen ,  welche  die  Einführung  der  Keform  im  Fe- 
bruar ermöglichen  sollten.  Besonders  war  er  darauf  bedacht,  durch 
praktisch  eingerichtete  Kalender  dem  Volke  den  Uebergang  zu  er- 
leichtern. Er  liess  daher  bei  Matthäus  Nenninger  in  Passau  nach  dem 
Muster  eines  lateinischen  etliche  tausend  Exemplare  deutscher  Kalender 
drucken  und  zwar  in  Form  eines  Tafelkaleuders,  auf  welchem  der  alte 
neben  dem  neuen  ersichtlich,  das  erzbischöfliche  Wappen,  die  Zeit- 
charaktere, die  Sonntagsevangelia  und  sonst  passendes  angebracht 
werden  sollte. 

Die  sicherste  Stütze  fand  Johann  Jacob  an  Herzog  Wilhelm  von 
Bayern.  Dieser  schreibt  ihm  am  13.  Januar  (a.  St.),  er  möge  sich 
betreffs  der  Zögerung  des  Kaisers  beruhigen,  die  Kurfürsten  würden 
diesem  Werke  nicht  zuwider  sein,  so  dass  er  die  Publication  in  seinem 
Erzstift  ohne   „sondere  zerrüttlichkeit  wohl  fürnemen"  könnte. 

Dann  ersucht  er  ihn  „Sie  wollen  Verordnung  thun,  damit  der 
Clerisei  E.  L.  Erzbisthums,    so   viel    sich   desselben  Chrisam   in   unser 

'    Ibidem, 


W(j  Kleine  Mittheilungen. 

rürstenthum  erstreckt,  geboten  werde,  sich  nach  Verscheinung  des 
10.  Februars  schiristkünftig  mit  Fasteu,  Beten,  Messlesen  und  Haltung 
des  Gottesdienstes  dem  neuen  Calender  gemäss  zu  halten  i).  Dement- 
sprechend erliess  der  Erzbischof  schon  am  31.  Januar  seine  Befehle 
an  die  Erzpriester  seines  bayrischen  Sprengeis.  Diesen  folgten  dann 
am  4.  Februar  die  inzwischen  fertiggestellten  Kalender^).  Die  Hof- 
kammer des  Erzstiftes  kam  erst  am  8.  Februar  1583  in  die  Lage,  über 
die  ihr  vom  Erzbischofe  vorgelegte  Frage,  ob  der  verbesserte  Kalender 
einzuführen  sei,  zu  berathen.  Sie  beschloss,  die  Einführung  desselben 
im  Erzstifte,  nicht  aber  in  den  in  Steiermark  und  Kärnten  gelegenen 
Theilen  der  Erzdiöcese  anzurathen.  Den  Pfarrern  und  Pflegern  seien 
Kalender  zu  überschicken  und  am  Sonntag  (d.  i.  am  K).  Febr.)  in 
der  Stadt  Salzburg  und  sonst  im  Erzstift  zu  verkünden) 3. 

Am  Jiächsten  Tage  erging  das  diesbezügliche  Mandat  des  Erz- 
bischofes  mit  folgendem  Befehle  an  den  Pfarrer  von  Kuchl  und  den 
Pfleger  zu  Golliug:  ,Ist  demnach  an  Dich  Pfarrer  unnser  Bevelch,  Du 
wellest  beyver Wortes  unnser  Mandat  die  drey  negsten  nacheinander 
volgenden  Feiertag  auf  der  Canzl  verkhünden  uund  demselben  zu  ge- 
leben Dein  Pfarrvolkh  ermonen,  auch  Du  solchem  für  Dein  Person  mit 
Vleiss  in  den  horis  canonicis  unnd  anndern  Khircheugebotten  nach- 
khommen.  Nit  weniger  wellest  Du  unnser  Pfleger,  solches  bey  unnsern 
Underthonen  Deiner  Verwaltung  zu  beschehen  verfüegen  unnd  alles 
Yleiss  was  welltlich  unnd  gerichtliche  Sachen  betrifi't,  geleben,  unnd 
damit  man  sich  desto  bass  darnach  zurichten  hab,  so  habt  Ir  hieneben 
2  lateinische  unnd  10  teutsche  neue  gedruckhte  Calender"  ^).  —  An 
demselben  Tage  erging  auch  derselbe  Befehl  an  den  Pfleger  zu  Mattsee  &) 
und  —  das  können  wir  als  sicher  annehmen  —  an  die  übrigen  Pfleger 
des  Erzstii^es)^, 


')  Archiv  des  f.  e.  bisch.  Consistoriums  in  Salzburg.  Dieser  Brief  scheint 
dem  was  Stieve  in  Sybel's  Hist.  Zeitschrift,  42.  Bd.  S.  135  über  die  Widerrufung 
der  Mandate  seitens  des  Herzogs  Wilhelm  sagt,  zu  widersprechen.  Jedenfalls 
ist  es  aufi'allend.  dass  er,  der  sonst  über  seine  in  dieser  Angelegenheit  gethanen 
Schritte  den  Erzbischof  unterrichtet,  nicht  mit  einem  Wort  die  Zurückziehung 
seiner  Befehle  erwähnt.  Auch  am  31.  Januar  beruft  sich  noch  der  Erzbischof, 
als  er  seine  Befehle  an  die  Geistlichkeit  des  bayrischen  Theiles  seiner  Erzdiöcese 
hinausgab,  auf  die  erfolgte  Publicirung  des  neuen  Kalenders  in  Bayern.  Dazu 
tommt  noch,  dass  Herzog  Wilhelm  einen  Brief  an  den  Erzbischof  Johann  Jacob 
»den  ersten  Martii  dem  neuen  Calender  nach  anno  etc.  83'  datirt. 

-)  Ibidem. 

3)  K.  k.  Reg.  Archiv  in  Salzburg:  Hofk.  Protokoll  v.  8.  Febr.   1582. 

*]  K.  k.  Reg.  Archiv :  Pfleg.  Golling,  Consistorialsachen. 

^)  Archiv  des  f.  e.  b.  Consist.  in  Salzburg. 

^)  Das  Mandat  selbst  fand  sich  nicht. 


Die  Einführung  des  Gregorianischen  Kalenders  in  Salzburg.  J^J^i 

Dass  diesem  Mandate  auch  thatsäclilich  entsprochen  wurde,  ersieht 
man  aus  den  Protokollen  und  Akten  der  Hofkammer  und  den  Proto- 
kollen des  Domcapitels,  in  denen  die  Daten  11. — 20.  Februar  nicht 
vorkommen.  Dagegen  datirt  der  Stadtrichter  in  Hallein  einen  Bericht 
„den  12.  Marty  nach  dem  neuen  reformierten  Calender 
a,o  33«  1).  Das  Domcapitel  beschliesst  in  seiner  Sitzung  vom  26.  Fe-^ 
bruar,  den  abwesenden  drei  Capitularherren  mitzutheilen,  „dass  die 
neuen  reformirten  Calender  beim  Erzstifft  angenommen  und  schon 
allberait  publicirt  sein,  nach  welchen  der  Gottsdienst  verrichtet, 
auch  hochermelts  Capitis  Statuta  darauf  dirigirt  und  gelendet  werden"  2). 

Dieser  Befehl  wurde  auch  nicht  zurückgenommen,  deun  der  Erz- 
bischof schreibt  am  11.  Oktober  1583  au  den  Bischof  von  Chiemsee, 
dass  er  schon  „hie vor  auf  der  päpstlichen  Heiligkeit  Befehl  in  seinem 
Erzbisthum  und  bayrischen  Chrisam"  den  neuen  Kalender  publicirt 
habe  ^). 

Der  Bischof  vou  Chiemsee,  welcher,  wie  oben  erwähnt  wurde, 
schon  am  7.  December  1582  vom  Erzbischof  Johann  Jacob  aufge- 
fordert worden  war,  den  neuen  Kalender  im  Februar  1583  einzuführen, 
entsprach  erst  am  24.  Februar  u.  St.  1583  diesem  Begehren  mit  einem 
Decret  au  die  Geistlichkeit  seiner  Diöcese,  „soweit  sie  sich  im  Herzog- 
thum  Bayern  erstreckt"  ^). 

Noch  in  demselben  Jahre  erfüllte  sich  der  Wunsch  des  salzbur- 
gischeii  Metropoliten  bezüglich  der  Einheit  in  seiner  ganzen  Kirchen- 
provinz, als  ihm  der  Kaiser  in  einem  Schreiben  vom  4.  September  a.  St. 
mittheilte,  er  sei  „entschlossen  als  Römischer  Kaiser  im  heiligen  Reich 
Deutscher  Nation  und  in  den  Königreichen  und  Landen  den  neuen 
Kalender  zu  gebrauchen  und  denselben  auf  den  October  des  laufenden 
Jahres  in  das  Werk  zu  richten"^).  Johann  Jacob  trug  daher  am 
1 1.  October  1583  nochmals  dem  Bischöfe  von  Chiemsee  auf,  dem  Willen 
des  Kaisers  entsprechend  „bei  seinem  Stift  und  Clerus  darob  zu  sein, 
dass  dem  neuen  Kalender  auch  in  den  Kirchen  allerdings  nachgelebet 
werde".  Dieser  Auttrag  bezog  sich  auf  jenen  Theil  der  Diöcese  Chiem- 
see, der  in  Tirol  gelegen  war.  Aehnliche  Weisungen  ergingen  wohl 
auch  an  die  übrigen  SufFragane,  deren  Diöcesen  sich  in  den  öster- 
reichischen Erblanden  erstreckten,  also  an  die  Bischöfe  von  Gurk, 
Lavant,  Seckau  und  Brixen. 


')  Hofkammer,  Salzburg  1582/4,  A. 

2)  Domcapitel  Protokoll  vom  26.  Febr.   1583. 

3)  »Archiv*  XII,  55. 
*)  »Archiv«  XII,  55. 
*)  Ibidem. 


W2  Kleine  Mittheilungen. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich  nun  mit  Sicherheit,  dass  der 
gregorianische  Kalender  in  der  Erzdiöcese  Salzburg 
und  in  der  Diöcese  Chiemsee,  soweit  beide  sich  im  Erz- 
stifte und  in  Bayern  erstreckten,  am  21.  Februar  1583,  in 
den  in  österreichischen  Erblanden  liegenden  Theilen 
aber  erst  am  15.  October  desselben  Jahres  eingeführt 
wurde. 

Mit  diesem  Ergebnis  stimmen  die  Angaben  Kaltenbrunners  (Polemik 
über  die  gregor.  Kalenderreform  in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener 
Akad.  87,  509  und  Augsburger  Kaleuderstreit  in  den  Mittheil,  des 
Instituts  1,  503)  nicht  ganz  überein.  Die  Verschiebung  der  Publi- 
cation,  die  Kaltenbrunner  für  die  ganze  Erzdiöcese  anzunehmen  scheint, 
konnte  sich  nur  auf  den  in  Tirol,  Kärnten,  Steiermark  und  Nieder- 
österreich gelegenen  Theil  derselben  beziehen.  Dementsprechend  wäre 
Stieve's  Zusammenstellung  der  für  die  Einführung  des  gregorianischen 
Kalenders  in  den  verschiedenen  Ländern  bisher  sichergestellten  Daten 
iu  Sybel's  Hist.  Zeitschr.  42,  135  und  die  von  Eühl  in  seiner  Chro- 
nologie des  Mittelalters  u.  d.  Neuzeit  S.  239  gegebene,  soweit  sie  das 
Erzstiit  Salzburg  betreffen,  zu  berichtigen. 

Salzburg.  Andr.  Mudrich. 


Literatur, 

Neuere  Literatur  über  deutsches  Städtewesen. 
VIII. 

84.  P.  Albert,  Geschichte  der  Stadt  Radolfzell  am 
Bodensee.  Im  Auftrag  der  Stadtgeraeinde  bearbeitet.  Mit  25  Ab- 
bildungen, 1  Plan  und  1  Karte.  Radolfzell  1896  Druck  und  Kom- 
missionsverlag von  Wilhelm  Moriell.     8°,  XXI-]- 666  SS. 

85.  Friedrich  Schäfer,  Wirtschafts-  und  Finanz- 
geschichte der  ReichsstadtUeberlingen  am  Bodensee  in 
den  Jahren  1550 — 1628  nebst  einem  einleitenden  Abriss 
der  üeberlinger  Verfassungsgeschichte.  Breslau  1893 
W.  Köbner.  8°,  XII  +  196  SS.  (Untersuchungen  zur  deutschen  Staats- 
und Rechtsgeschichte  hg.  von  Dr.  Otto  Gierke.     44.  Heft). 

86.  Max  Bär,  Urkunden  und  Akten  zur  Geschichte 
der  Verfassung  und  Vervs^altung  der  Stadt  Koblenz  bis 
zum  J.  1500.  Bonn  1898  H.  Behrendt.  8°,  XXII -f  266  SS.  (Publi- 
kationen der  Gesellschaft  f.  Rhein.  Geschichtskunde  XVII). 

87.  Friedrich  Lau,  Entwicklung  der  kommunalen 
Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt  Köln  bis  zum 
Jahre  1396-  Gekrönte  Preisschrift.  Bonn  1898  H.  Behrendt.  8°, 
XVI  -f  408  SS.  (Preisschriften  der  Mevissen-Stiftung,  gekrönt  und 
hg.  von  der  Gesellschaft  f.  Rhein.  Geschichtskunde  I). 

88.  Vinzenz  Lössl,  Das  Regensburger  Hansgrafen- 
amt. Ein  kleiner  Beitrag  zur  Kultur-  und  Rechtsgeschichte.  Stadt- 
amhof  1897  J.  u.  K.  Mayr  8°,  VIII  +  171  SS.  (Verhandlungen  des 
hist.  Vereins  von  Oberpfalz  und  Regensburg,  Band  IXL). 

Mittheilungen  XX.  8 


jj^^  Literatur. 

89.  Kon r ad  Beyerle,  Die  Koustanzer  Katslisten  des 
Mittelalters.  Hg.  von  der  Badischen  histor.  Kommission.  Heidel- 
berg 1898  C.  Winter.     8^  VII  +  252  SS. 

90.  Guillaume  Des  Marez,  Etüde  sur  la  prop riete 
foneiere  dans  les  villes  du  moyen-äge  etspecialement 
en  Flandre.  Avec  plans  et  tables  justificatives.  Gand  et  Paris  1898. 
8°,  XXV  -1-  392  SS.  mit  3  Stadtplänen.  (Universite  de  Gand.  Recueil 
de  travaux  publies  par  la  Faeulte  de  philosophie  et  lettres.  20*^  fascicule). 

Auf  eine  mehr  als  eilfhundertjährige  Ueberlieferung  kann  das  Städt- 
chen Radolfzell,  in  dessen  Bannmeile  J.  V.  v.  Scheflfel  sich  auf  anmutigem 
Hügel  sein  Sommerhaus  erbaut  hatte,  zurückschauen.  Während  dieses 
Jahrtausends  hat  sich  innerhalb  seiner  Mauern  vieles  ereignet,  was  der 
Beachtung  wert  erscheint.  Nicht  ohne  Nutzen  wird  man  von  dem  Ver- 
hältnisse der  Stadt  zu  ihrer  Herrschaft  Kenntnis  nehmen,  mit  Fug  und 
Eecht  darf  man  an  dem  Wachstum  der  städtischen  Selbständigkeit,  an 
den  Formen  und  Bildungen  der  bürgerlichen  Gesellschaft,  an  der  Lebens- 
kraft seine  Freude  haben,  die  in  diesen  kleinen  Gemeinwesen  waltet,  alle 
Ungunst  der  Zeiten  überdauert  und  in  unseren  Tagen  ein  ungemein 
rasches  Aufblühen  von  Handel  und  Gewerbe  bewirkt  hat.  Albert  hat 
sich  seiner  Aufgabe  mit  vielem  Fleisse,  der  namentlich  in  den  leider  an 
den  Schluss  gestellten  Anmerkungen  ersichtlich  wird,  entledigt;  Mängel, 
die  dem  Buche  anhaften,  hat  er  selbst  in  der  Vorrede  besprochen  und 
zum  Teile  entschuldigt;  dass  am  Schlüsse  fünf  Seiten  Nachträge  und  Be- 
richtigungen beizugeben  waren,  ist  zum  mindesten  ungewöhnlich.  Mit 
gutem  Verständnis  hat  der  Verf.  besonders  das  culturgeschichtliche  Moment 
und  die  historische  Ortsbeschreibung  berücksichtigt,  diesen  Dingen  kommen 
auch  die  zahlreichen  Abbildungen  vornehmlich  zu  Gute.  An  dieser  Stelle 
haben  wir  aber  vor  anderm  hervorzuheben,  dass  dem  Buche  ein  Facsimile 
der  vielberufenen  Markturkunde  vom  J.  1100  beigegeben  ist,  durch  welches 
den  verschiedenen  Verbesserungs-  und  Erklärungsversuchen,  die  bis  in  die 
letzte  Zeit  fortgedauert  haben,  wenigstens  nach  einer  Seite  der  Weg  verlegt 
wird.  Es  stellt  sich  heraus,  dass  die  von  mir  vorgeschlagene  Deutung 
(Mitt.  15,  502),  die  auch  von  A.  angenommen  wurde,  in  der  Hauptsache 
richtig  ist,  dass  aber  in  einem  nebensächlichen  Punkte  ein  Zweifel  be- 
stehen bleibt.  Ich  führe  den  betreffenden  Satz  nochmals  an:  pro  lege 
damus,  ut  nee  advocatus  nee  villicus  nee  aliqua  secularis  potestas  ipsum 
(d.  h.  den  famulus.  der  im  Marktgebiete  ein  Haus  gekauft  hat)  occasione 
allodii  (allodio  Hds.)  iudicio  fori  vocet  (vocetur  Hds.)  ad  presenciam  sui; 
nun  folgt  ein  Zeichen,  das  A,  für  vt  liest:  ut  jus  fori  ponat  vel  suscipiat. 
Doch  unterscheidet  es  sich  erheblich  von  den  sicheren  Schreibungen  des- 
selben Wortes  in  Z.  7,  10,  12,  14,  19  und  man  könnte  darin  ebenso  gut 
ein  mit  dem  folgenden  j  verbundenes  n  erblicken,  so  dass  auch  nee,  dessen 
übergeschriebenes  c  in  Folge  der  Verbindung  ausgefallen  ist,  zu  vermuten 
wäre.  Zu  Gunsten  dieser  Lesung  spräche  die  bessere  grammatikalische 
Fügung  und  das  leichtere  Verständnis,  während  bei  der  Annahme  von  ut 
das  Subjekt  des  damit  eingeleiteten  Satzes  nicht  erkennbar  ist,  eine  Zwei- 
deutigkeit auch  in  Alberts  Uebersietzung  (S.   39)  übrig  bleibt.     Hegel  hat 


Literatur.  ]^J5 

in  einer  kurzen  Ausführung  (N.  Archiv  23,  744)  als  Subjekt  den  famulus 
gesetzt  und  gegen  meinen  Vorschlag  eingewendet,  dass  bei  dessen  Annahme 
ius  fori  einmal  als  gerichtliches  Verfahren,  das  andere  Mal  als  Bussen 
verstanden  werden  soll.  Aber  eine  solche  Doppelbedeutung  des  Wortes 
ius  ist  nichts  Ungewöhnliches,  ähnliches  findet  sich  in  vielen  Gerichts- 
urkunden, in  denen  der  Richter  zuerst  »sein  Eecht*  verlangt,  dann  erst 
dem  Kläger  »sein  Recht*  zuspricht;  anderseits  ist  Hegel  selbst  genötigt, 
eine  gleichartige  Spaltung  mit  dem  famulus  vorzunehmen,  der  bei  ponat 
als  Kläger,  bei  suscipiat  als  Beklagter  gedacht  werden  muss.  Wie  man 
sich  übrigens  entscheiden  mag,  daran  dass  durch  die  urkundliche  Ver- 
fügung nicht  die  Ausdehnung  des  Marktrechtes  auf  die  Kirchenleute, 
sondern  der  Schutz  der  familia  gegen  dasselbe  bezweckt  werden  sollte, 
kann  auch  jene  andere  Auslegung  nichts  ändern. 

In  nimmer  rastender,  geräuschloser  Arbeit  sind  der  wissenschaftlichen 
Erforschung  der  Geschichte  unseres  Volkes  neue  Gänge  aufgeschlossen 
worden  und  es  ist  ein  schönes  Zeichen  gemeinsamer  Ueberlegung  und 
fruchtbarer  Wechselwirkung,  dass  seit  einer  Reihe  von  Jahren  die  Geschichte 
der  städtischen  Verwaltung  eingehende  und  ergebnisreiche  Bearbeitung 
gefunden  hat. 

Eine  der  frühesten  Untersuchungen  solcher  Art  ist  ebenfalls  einer 
Bodenseestadt,  dem  weinreichen  Ueberlingen  gewidmet  (85).  Die  ver- 
fassungsgeschichtliche Einleitung  wird  allerdings  nach  den  Forschungen 
der  letzten  Jahre  manche  Berichtigung  verdienen,  um  so  lehrreicher  und 
anregender  sind  dagegen  die  Ausführungen  Schäfer's  über  den  privaten 
und  städtischen  Haushalt.  Die  vornehmsten  Erwerbsquellen  bildeten 
Weinbau  und  Getreidehandel,  neben  denen  die  Gewerbsthätigkeit  sehr  weit 
zurücktritt,  sich  nur  als  ihr  Anhängsel  zu  erhalten  vermag.  Eingehend 
behandelt  der  Verf.  die  Massregeln  zum  Schutze  des  Weinbaus,  Art  und  Kosten 
der  Bebauung,  die  Ertragsfähigkeit  und  Preisbildung,  endlich  die  Markt- 
politik des  Rathes.  Recht  belehrend  sind  auch  die  Ausführungen  über  die 
Vermögensvei'teilung  in  der  Bürgerschaft  und  über  die  städtische  Finanz- 
verwaltung. Das  Ergebnis,  zu  dem  der  Verf.  gelangt,  ist  nicht  sehr 
tröstlich.  Trotz  der  ausserordentlich  reichen  Einnahmsquellen  und  günstigen 
Erwerbsgelegenheiten  fehlte  es  an  einer  sicheren  finanziellen  Grundlage 
sowohl  für  die  Stadt  wie  für  die  einzelnen  Bürger.  Engherzige  Handels- 
und Finanzpolitik  des  Rates,  Mangel  an  Sparsinn  in  der  Bevölkerung, 
deren  Leichtlebigkeit  durch  die  verhältnismässig  hohe  Bodenrente  und  die 
sichere  Aussicht  auf  eine  gut  dotirte  Spitalspfründe  unterstützt  wurde, 
brachten  bei  dem  ersten  Umschwung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
einen  Nothstand  herbei,  der  durch  die  schweren  Zeiten  des  dreissigjährigen 
Krieges  zu  vollem  Verderben  gesteigert  wurde,  eine  Wahrnehmung,  welche 
auch  in  anderen  Gegenden,  die  von  der  Natur  mit  ergiebigem  Ertrag 
edlerer  Früchte  bedacht  sind,  gemacht  werden  kann. 

Nach  dem  Muster  der  früher  besprochenen  Kölner  Actensammlung 
(vgl.  Mitth.  19,  17  7)  hat  Max  Bär  Urkunden  und  Acten  zur  Geschichte 
der  Stadt  Koblenz  veröffentlicht  (86).  Der  Titel  stimmt  nicht  ganz  mit 
dem  Inhalte  überein,  da  die  Urkunden  und  Acten  nicht  die  Hauptsache, 
sondern  nur  Beilagen  zu  verschiedenen  Abhandlungen  sind,  in  denen  sich 
der    Verf.    über    verfassungs-    und    verwaltungsgeschichtliche    Fragen,    das 

8* 


-j^-j^g  Literatur. 

Bürgerrecht  und  den  Markt  verbreitet.  Von  diesen  Ausführungen  dürfte 
wohl  die  erste  über  die  Entstehung  der  Stadtgemeinde,  das  Gericht  und  die 
Verwaltung  bis  zum  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  am  anfechtbarsten  sein 
(Vgl.  Mitth.  16,  536).  Dass  B.  wiederholt  aus  späteren  Dokumenten 
Rückschlüsse  auf  das  9.  und  10.  Jahrhundert  zieht,  kann  nicht  gebilligt 
werden.  Ganz  gewiss  können  in  Waldordnungen  und  Bürgerbüchern  aus 
dem  Ende  des  1 5.  Jahrhunderts  Verhältnisse  geschildert  werden,  die  lange 
vorher  bestanden  haben,  aber  ebenso  sicher  ist,  dass  oft  recht  altertümlich 
aussehende  Verbände  erst  im  spätem  Verlaufe  entstanden  oder  neu  ge- 
schaffen worden  sind,  weshalb  es  in  jedem  Falle  eines  besonderen  Beweises, 
und  wo  dieser  nicht  zu  erbringen  ist,  vorsichtiger  Zurückhaltung  bedarf. 
Bei  näherem  Zusehen  wird  man  sich  z.  B.  kaum  für  die  von  Bär  re- 
construirte  Markgenossenschaft  Koblenz,  Moselweiss,  Lützelkoblenz  und 
Neuendorf  erwärmen  können,  ich  halte  daher  auch  die  Fragestellung  auf 
S.  8  für  verfehlt.  Ihre  Mangelhaftigkeit  dürfte  auch  die  Ursache  davon  sein, 
dass  B.  selbst  in  den  Quellen  keine  Antwort  auf  sie  zu  finden  und  sie 
nur  »unter  starken  Einschränkungen  bejahen  zu  dürfen«  vermag.  Davon 
abgesehen  bietet  der  Herausgeber  manchen  Aufschluss,  es  sind  der  Ab- 
druck des  Gerichtsbuches  (S.  75  ff.),  die  Ausführungen  über  das  Bürger- 
recht (S.  120  ff.),  den  Markt  (S.  143  ff.)  und  das  Ungeld  (S.  156  ff.) 
als  von  allgemeinerem  Interesse  hervorzuheben. 

Eine  schöne  Frucht  der  planvollen  und  sorgfältigen  neueren  Quellen- 
publikationen zur  Geschichte  Kölns  wird  uns  in  dem  preisgekrönten  Buche 
Lau's  dargebracht  (87).  Die  Veröffentlichung  der  Schreinskarten  durch 
Höniger,  der  altern  Akten  durch  Stein,  der  Rechnungen  durch  Knipping 
sowie  eigene  archivalische  Studien  ermöglichten  es  dem  Verf.,  eine  ein- 
gehende, zuverlässige  Darstellung  der  Verfassungs-  und  Verwaltungs- 
geschichte Kölns  bis  zum  J.  1396  zu  liefern,  die  man  mit  aufrichtiger 
Anerkennung  annehmen  darf.  Die  Anordnung  des  Buches  ist  klar,  aus 
voller  Kenntnis  hervorgegangen,  die  Darstellung  einfach  und  sachgeraäss. 
Mehr  als  jede  andere  Stadt  bietet  Köln  der  städtegeschichtlichen  Forschung 
Anhalt  und  Erweiterung,  nicht  allein  wegen  der  üben-eichen  Fülle  des 
bis  in  die  früheste  Zeit  zurückreichenden  Quellenstoffes,  sondern  auch 
wegen  der  Vielfältigkeit  der  Verhältnisse.  Was  wir  in  verschiedenen 
Städten  vereinzelt  finden,  ist  hier  auf  einem  Boden  zusammengedrängt; 
nöthigt  die  Geschichte  Kölns  .ihren  Bearbeiter,  die  verschiedenen  Seiten 
des  städtischen  Lebens  gleichmässig  zu  beachten,  so  vnrd  der  allgemeine 
Gewinn  dadurch  hervorgerufen  und  gesteigert,  dass  man  hier  eben  die 
verschiedenartigen  Richtungen  in  ihrer  Wechselbeziehung,  ihrer  gegen- 
seitigen Einflussnahme  beobachten  kann.  Das  kommt  auch  in  Lau's  vor- 
trefflichem Buche  zum  Ausdruck.  Man  beachte  gleich  Anfangs  die  viel- 
gestaltige Gerichtsverfassung,  den  Einfluss,  den  sie  auf  die  politische  Ent- 
wickelung  genommen  hat.  Von  eigenartiger  Bedeutung  ist  auch  die 
Darstellung  des  Verhältnisses  der  Stadt  zu  dem  Erzbischofe,  dessen  Rechte 
und  Machtmittel  eingehend  gewürdigt  werden.  Mit  Recht  betont  Lau, 
dass  die  Loslösuug  der  Stadt  von  der  Landeshei'rschaft  nicht  so  sehr  durch 
den  Erwerb  landesfürstlicher  Gerechtsame  als  vielmehr  durch  Gegenuuter- 
nehmung,  also  in  einer  freiheitlichen  und  selbständigen  Entwickelung  er- 
folgte.   Man  kann  demnach  in  Köln  von  allem  Anfang  an  von  städtischen 


Literatur.  J[17 

Functionen  und  städtischen  Behörden  s]irechen,  als  deren  erste  wir  das 
SchöflFenkolleg  wahrnehmen,  neben  dem  die  Gemeindebehörden  der  Sonder- 
gemeinden bestehen.  Gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  bemerken  wir  den 
ersten  Versuch  einer  Katsbildung  in  der  vielbesprochenen  Eicherzeche. 
Lau  vermutet,  dass  dieses  »Amt  auf  dem  Bürgerhause ^^  das  Ergebnis  eines 
in  Folge  der  im  J.  1182  durchgeführten  Stadterweiterung  nothwendig 
gewordenen  Ausgleiches  zwischen  dem  SchöflPencolleg  als  der  rein  alt- 
städtischen Communalbehörde  und  den  reichen  Bürgern  der  neu  einzu- 
verleibenden Gemeinden  sei.  Das  ist  um  so  einleuchtender,  als  der  spätere 
Kat  ein  Concurrenzinstitut  gegenüber  den  Schöffen  ist,  man  sich  also  gut 
vorstellen  kann,  dass  diese  sich  Anfangs  viel  eher  dazu  herbeiliessen,  einen 
Teil  ihrer  Befugnisse  an  eine  ihnen  gesellschaftlich  nahe  stehende  Zeche 
abzugeben.  Man  müsste  dann  aber  annehmen,  dass  die  Zeche  schon 
längere  Zeit  vorher  bestanden  und  auch  Mitglieder  aus  den  Sonder- 
gemeinden aufgenommen  habe.  Ich  bemerke  übrigens,  dass  L.  etwas  zu 
rasch  über  die  Erklärung  des  Namens  hinweggeht,  Zeumers  Einwand 
(Waitz  Vfgg.  5^,  416)  wäre  doch  zu  beachten  gewesen,  wenn  auch  vieles, 
so  namentlich  der  Umstand,  dass  das  Bürgerhaus  als  domus  divitum  be- 
zeichnet wird,  zu  Gunsten  der  Uebersetzung  von  righir  als  reiche  spricht. 
Trotz  der  klugen  Politik  der  Schöffen  liess  sich  aber  die  Entwickelung 
nicht  ablenken,  zu  Anfang  des  1 .3.  Jahrhunderts  begegnet  uns  endlich 
der  Eat  und  nunmehr  gewinnt  er  Schritt  für  Schritt  an  Einfluss,  aller- 
dings nicht  wie  anderswo  im  Kampfe  gegen  die  Stadtherrschaft,  sondern 
im  Wettstreite  mit  den  altern  städtischen  Behörden,  den  Richtern  und 
den  Schöffen.  Lau  sieht  in  ihm  eine  demokratische  Einrichtung,  was 
mir  für  Köln  nicht  ganz  zuzutreffen  scheint,  denn  der  Kat  war  streng 
patrizisch,  der  demokratische  Zug  kommt  erst  in  dem  Aufsteigen  des 
weiten  Rates  zur  Geltung.  Sehr  verdienstlich  ist  auch  die  Ausführung 
über  das  Patriziat,  das  sich  auf  rein  wirtschaftlichen  Grundlagen  ge- 
bildet, Reichtum  von  längerer  Dauer  zur  Voraussetzung  und  deshalb 
weder  nach  oben  noch  nach  unten  einen  sozialen  Abschluss  gefunden 
hat.  Darin  wird  man  eine  wichtige  Vorbedingung  für  die  stete  Erneue- 
rung seiner  Lebenskraft  und  für  jene  bedeutsamen  Leistungen  auf  dem 
Gebiete  des  Handels  und  der  städtischen  Verwaltung  erblicken  dürfen, 
welche  ruhmvolle  Blätter  der  Stadtgeschichte  füllen.  Sehr  merkwürdig  ist 
auch  die  Auslösung  der  stetig  anwachsenden  agrarischen  Interessen  aus 
der  immer  städtischer  gewordenen  Verfassung  und  ihre  Vertretung  in 
besonderen  Bauernbänken.  In  recht  vorsichtiger  Darlegung  handelt  L,  von 
dem  andern  Räthsel  der  kölnischen  Geschichte,  der  Gilde  (S.  224  ff.);  er 
neigt  sich  am  meisten  der  Ansicht  Hegel's  zu,  wie  er  auch  in  dem  Ab- 
schnitte über  das  Bürgerrecht  (S.  229  ff.)  Hönigers  Ansichten  zurückweist 
(Vgl.  auch  Mitth.  17,  320,  324).  Ruht  natürlich  das  allgemeine  Interesse 
vornehmlich  auf  dem  der  Verfassung  gewidmeten  ersten  Abschnitte,  so  ist 
der  zweite  über  die  städtische  Verwaltung  von  nicht  geringerer  Bedeutung. 
Der  Verf.  beleuchtet  dieses  wichtige  Kapitel  nach  allen  Seiten  und  es  ist 
ihm  gelungen,  die  oft  recht  verwickelten  Verhältnisse  anschaulich  darzu- 
stellen. In  den  Beilagen  teilt  L.  eine  Anzahl  wichtiger  Urkunden  und 
Aktenstücke  mit,  an  deren  Spitze  ein  nachträglich  unter  Merlo's  nach- 
gelassenen Abschriften    aufgefundenes  Bruchstück  aus  dem  ersten  Faszikel 


;1^18  Literatur. 

•des  Schöffensclireines  von  1169  bis  etwa  1175  steht.  Ein  gutes  Register 
erleichtert  die  Benützung  des  schönen  Buches,  dem  es  zum  Vorteile  ge- 
reicht, dass  der  Verf.  es  »bei  der  wachsenden  Fülle  der  historischen 
Publikationen  und  Darstellungen*  für  seine  Pflicht  gehalten  hat,  »sich 
einer  recht  gedrängten  Darstellungsweise  zu  befleissigen*. 

An  das  Ufer  der  Donau,  in  das  reiche  Handelsleben  der  alten  Königs- 
stadt Eegensburg  führt  uns  Lössl's  verdienstliches  Buch  über  das  Eegens- 
burger  Hansgrafenamt  (88).  Nach  einer  kurzen  Einleitung,  in  der  L.  im 
Wesentlichen  sich  an  Köhne  anschliessend  und  ohne  rechte  Neigung,  sich 
auf  die  kritischen  Punkte  näher  einzulassen,  über  das  Vorkommen  des 
Hansgrafenamtes  handelt  (vgl.  dazu  jetzt  Morel  Les  juridictions  commer- 
ciales  au  moyen-äge  p.  108  ff-);  wendet  er  sich  der  Frage  nach  der  Ent- 
stehung desselben  in  Regensburg  zu.  Er  sieht  darin  eine  Abzweigung 
der  burggräflichen  Befugnisse,  wie  sie  sich  bei  der  Ausdehnung  und  Erwei- 
terung der  Handels  als  nothwendig  herausstellen  musste.  Der  Frage,  inwie- 
weit bei  der  Einrichtung  dieser  neuen  Beamtung  fremde,  etwa  nieder- 
ländische Muster  massgebend  waren,  tritt  L.  nicht  näher,  dagegen  lehnt 
er  Köhne's  Annahme  des  Zusammenhanges  mit  einer  Kaufmannsgilde  ab. 
Das  entscheidende  war  nun,  dass  in  Regensburg  sehr  früh  schon  die 
Wahl  des  Hansgrafen  der  Bürgerschaft  zugestanden  wurde.  War  ur- 
sprünglich der  Hansgraf  auf  die  Führung  der  Handels  fahrten  vornehmlich 
auf  der  Donau  beschränkt,  so  wurden  zunächst  seine  Geschäfte  durch  die 
strahlenförmige  Ausdehnung  des  Regensburger  Handels  vermehrt.  Als  die 
Bürgerschaft  die  Aufsicht  über  den  Marktverkehr  in  der  Stadt  erhielt,  so 
war  nichts  natürlicher,  als  die  Handhabung  dieses  Rechtes  an  den  von  der 
Bürgerschaft  bestellten  Hansgrafen  zu  übertragen,  und  als  der  auswärtige 
Handel  im  spätem  Verlaufe  immer  mehr  abnahm,  wurde  die  Wirksamkeit 
innei'halb  der  Stadt,  die  ihm  ursprünglich  versagt  war,  die  Hauptsache. 
Das  Hansgericht  erhielt  nicht  allein  die  Aufsicht  über  den  gesammten 
Handels-  und  Marktverkehr,  sondern  auch  über  die  gewerblichen  Ange- 
legenheiten, endlich  gewisse  Befugnisse  zur  Handhabung  der  Strassen-  und 
Sittenpolizei.  In  dieser  Umbildung  und  Erweiterung  liegt  die  Besonderheit 
des  Regensburger  Hansgrafenamtes.  Der  Vergleich  dieser  Entwickelung 
•  mit  der  des  Wiener  Hansgrafenamtes  zeigt  den  entscheidenden  Einfluss, 
welchen  das  Verhältnis  der  Stadt  zur  Landesherrschaft  auf  eine  in  ihrem 
Wesen  und  Anfange  gleichartige  Einrichtung  üben  konnte.  Ich  nehme 
Anlass,  meine  fi-üheren  Mittheilungen  über  die  Wiener  Hansgrafen  durch 
mehrere  Stellen  aus  den  Kämmereirechnungen  zu  ergänzen,  welche  uns 
über  die  Wirksamkeit  des  Hansgrafen  etwas  näher  unterrichten: 

1441  f.  27'  geschankcht  dem  hannsgraven  hie  nach  gescheft  der 
herren,  des  burgermaister  und  des  rats,  ain  res,  20  guld.  per  7  sh.,  facit 
25  Si"  .3  sh.  dn.  (Der  Hansgraf  Reinhard  Tettlinger  war  Hauptmann  der 
berittenen  Söldner  und  hat  sich  in  dieser  Eigenschaft  durch  Teilnahme 
an  mehreren  Kriegszügen  und  diplomatischen  Sendungen  Anrecht  auf  den 
Dank  der  Stadt  erworben,    1444  f.  46;   1445  f.  47';   1451   f.  73). 

1441  f.  109  von  vier  lagein  Malvasia  zu  tragen  und  zu  füren  von  dem 
hannsgraven  in  das  Rathaus,  die  man  ainem  von  Passau  genomen  hat,  35  dn. 

1452  f.  39'  von  hern  Niclasen  Teschler,  hannsgrafen,  8  lagl  Malvasia 
zu  der    stat    tail  per  4  U  31    dn.,    facit  35   'tt  dn.  —  von  hern  Niclasen 


Literatur.  119 

Teschler  3  lagl  Trumminer  zu  der  stat  tail  per  4  tt,  facit  1  2  U  dn.  —  von 
hern  Niclasen  Teschler  den  drittail  aus  aim  vas  Trumminer,  das  er  dem 
Aunpekchen    genomen    hat,    pringt    der    stat  tail  7   emer   ]  3  echterin  per 

2  S^  5  sh.  dn.,  facit  19  U  4  sh.  3  dn.  —  von  dem  Sambssen,  dieselb 
zeit  hannsgraf,  1/2  fuder  ungar.  wein,  hat  der  rat  gescbaflFt  zu  sand 
Jeronymus. 

1455,  f.  65'.  Erharten  von  Enzestorf,  des  hansgrafen  diener,  von 
der  wein  wegen  die  man  den  von  Merhern  genomen  hat,   60   dn. 

1456  f.  15'.  vom  bannsgrafen,  so  ainer  von  Freinstat  verfurt  hat  und 
der  stat  zu  iren  tail  ge Valien  und  noch  vorhanden  ist,  swebl  1  cent.  30  S^. 

1457  f.  20.  vom  bannsgrafen  ain  vessl  ungarisch  weins  pei  18  emmer, 
das  Steffans  Aichner  gewesen  ist,  und  ain  legi  weins,  bat  man  nach  ge- 
scheht des  rats  geben  gen  Sand  Jeronimus.  —  f.  60.  Ein  ander  ausgeben 
auf  ettlich  soldner,  die  dem  bannsgrafen  zuegeschaflPt  sind  worden,  dass 
nicht  ungriscb  wein  herein  komen,  61  S"  dn.  —  f.  140'.  Als  der  hanns- 
graf Micheln,  kramer,  ain  tunn  honig  genomen  bet,  ze  tailn  und  trink- 
gelt 60  dn.  —  f.  14l'.  Der  hannsgraf  hat  geantwurtt  der  stat  ain  vessl 
ungriscb  weins,  das  Steffans  Aichner  gewesen  ist,  demselben  Steffan,  die 
er  hie  verzert  bat,  3  sh.  dn.,  davon  zu  furn  5  sb.  dn.,  abzuladen  20  dn., 
ze  fülln  5  sb,  24  dn.,  facit  1  S'  6  sb.  14  dn.  —  Von  aim  leglein  weins, 
so  der  hannsgraf  der  stat  geantwurtt  bat,  zu  fulln  und  ze  tragen  etc.   7  3  dn. 

1458  f.  43.  Thoman  Ploden  mit  dem  hansgrafen  zu  reiten  von  wegen 
der  ungarischen  wein,  zerung   1    U   dn. 

146  5  f.  21'  drei  parchand  von  dem  hansgraven,  den  drittail  der 
stat  per   12   sh.  dn.,  facit  4  ^  4  sh.  dn. 

1466  f.   15    von  Petern  Rauscher,    hansgraven,    3    tt    landsafran   per 

3  ^  6  sb.  dn.,  facit  11  It  6  0  dn.  (Peter  Rauscher  wird  auch  1468  f.  8' 
und  1471  f.  33  erwähnt,  seine  Töchter  waren  die  Rumhartin  und  die 
Gemahlin  des  Andre  Fuchsperger,  verweser  des  halls  zu  Aussee). 

1475  f.  49.  Als  der  Flanns  mit  etlichen  der  burger  dienern  gen 
Purkbeinstorf  zum  rechten  von  des  bannsgrafen  wegen  geriten  ist,  verzert 
5   sb.   10  dn. 

1479  f.  7.  Umb  ainen  ochsen,  den  der  hannsgraf  der  stat  zu  irem 
tail  geben  hat.   4   guld.  ung.,  den  guld.  per   10  sb.,  facit  5   tt   40  dn. 

1481  f.  9.  Von  wegen  fünf  thonnen  honig,  so  der  hannsgraf  genomen 
und  verkauft  bat,  darumb  der  stat  zu  irem  tail  gevallen  sein  7  guld.  ung., 
den  guld.  per  10  sh.  10,  und  3  sb.  4  dn.,  facit  9  Si'  3  sh.  14  dn.  — 
Von  wegen  etlicher  messer,  so  auch  der  hannsgraf  der  stat  zu  irem  tail 
geben  hat,  44  guld.  ung.,  facit  56  ^  6  sh.  20  dn.  —  Von  wegen  ettlicher 
beytt,   so  auch  der  hansgraf  der  stat  zu  irem  tail  geben  bat,   25  ft  dn. 

1493  f.  3'.  An  mitticben  nach  Reminiscere  (6.  März)  enphangen  von 
hern  Sigmunden  Sibenburger,  statrichter,  von  wegen  etlicher  ochsen,  die 
der  hannsgraf  genomen  hat,  und  der  stat  zu  irem  tail  gebn  ist,  9  tt  dn. 
—  Von  Hannsen  Greslein,  bannsgrafen,  enphangen  von  wegen  ainer  lagel 
weinper,  so  Sigmund  Gwalczbofer  kauft  bet  und  nicht  recht  gewesn  ist, 
8  ^  dn.  —  enphangen  von  herren  Steffan  Een  anstat  Hannsen  Gressl, 
bannsgraven,  von  des  guts  wegen,  so  der  Geyr  von  Cbircbslag,  der  Weissen- 
pacber  aus  der  Neuenstat  und  der  Minster  von  Passau  verfurt  und  dafür 


120 


Literatur. 


in  die  hanns  geben  haben,  laut  des  Gressel,  hannsgrafen,  zedel  68  rh.  guld., 
daraus   der  stat  ain  drittail  geburt,   23   tt   dn. 

1507  f.  10.  An  mantag  vor  Unser  Frauen  tag  nativitatis  (6.  September) 
empliangen  von  Michels  Conrads  diener  von  Pescht  von  wegen  zwair  schef, 
so  er  in  Lincz  kauft  und  herabgefürt,  darumb  in  die  der  hannsgraf  ge- 
nommen hat,  und  im  mein  herren  iren  tail  vpidergeschafft  zu  geben  umb 
10  gülden  reinisch,  facit   10  S"  dn. 

1522  f.  76'.  Am  suntag  vor  sand  Matthias  tag  (23.  Februar)  dem  hanns- 
grafen,  so  er  auf  ungrisch  wein  ausgeben  hat,  l  8  ^  dn.,  geburt  gemainer 
stat  zu  irem  tail  auf  ir  wein  und  im  bezalt  6   ^  dn. 

1529  f.  6'.  Der  Hansgraf  belegt  ein  Mut  und  27  Metzen  Getreide, 
mit  denen  der  Fleischhauer  Lienbart  Staudinger  »fürkauf«  getrieben  hatte, 
mit  Beschlag;  das  Getreide  wird  von  dem  städtischen  Metzenleiher  ver- 
kauft und  die  Stadt  erhält  ein  Drittel  des  Eeinertrages. 

Eine  erhebliche  Lücke  in  der  Kenntnis  des  deutschen  Städtewesens 
wird  durch  die  von  der  Badischen  historischen  Kommission  geplanten 
Publikationen  zur  Geschichte  von  Konstanz  ausgefüllt  werden.  Als  erste 
Vorarbeit  erhalten  wir  die  von  Dr.  Konrad  Beyerle  zusammengestellten 
Konstanzer  Ratslisten  von  1246 — 1548  (89).  Da  ßatsbücher  erst  vom 
J.  1376  an  erhalten  sind  und  in  ihrer  Reihe  die  Jahre  1392 — 1415 
fehlen,  so  war  der  Verf.  für  längere  Zeit  auf  die  Urkunden  angewiesen. 
Man  wird  den  Grundsätzen,  welche  er  füi-  die  Verwertung  derselben  zu 
diesem  Behufe  aufstellt,  gerne  zustimmen,  sich  aber  gegenwärtig  halten, 
dass  namentlich  für  die  früheste  Zeit  einige  Unsicherheit  besteht  und  viel- 
leicht selbst  mit  Hilfe  des  gedruckten  Mateviales  nach  mancher  Richtung 
grössere  Vollständigkeit  hätte  erreicht  werden  können.  Aus  der  Einleitung, 
die  bei  etwas  ausführlicherer  Darstellung  an  Klarheit  und  Benützbarkeit 
sicher  gewonnen  hätte,  ist  namentlich  die  Geschichte  der  Ratsverfassung 
hervorzuheben.  Der  Rat  kommt  zuerst  im  J.  1215  auf,  zunächst  bleiben 
die  stadtherrlichen  Beamten  an  der  Spitze,  im  J.  1308  tritt  ein  Bürger- 
meister auf,  doch  vermag  das  Amt  lange  Zeit  hindurch  nicht  festen  Be- 
stand zu  gewinnen,  erst  mit  dem  J.  1371  beginnt  die  nicht  mehr  unter- 
brochene Reihe  der  Bürgermeister.  Der  Rat,  der  vierteljährlich  wechselte, 
bestand  ursprünglich  aus  10  Mitgliedern,  zu  denen  die  beiden  Beamten 
des  Stiidtherrn  kamen.  Wurde  bei  wichtigern  Angelegenheiten  der  frühere 
Rat  beigezogen,  so  liegt  darin  der  Ursprung  des  grossen  Rates.  Ln 
14.  Jahrhundert  begann  die  Vermehrung  des  Rates  und  finden  wir  die 
Anfange  einer  Vertretung  der  Zünfte.  Der  Gegensatz  dieser  gegen  die 
Geschlechter  beeinflusst  die  weitere  Entwickelung,  im  J.  1371  wurde  der 
Rat  zur  Hälfte  von  den  Geschlechtern,  zur  Hälfte  von  den  Zünften  besetzt, 
zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  aber  waren  die  Letzteren  im  Besitze  von 
zwei  Dritteln  der  Stellen.  Hand  in  Hand  damit  geht  als  recht  verderb- 
liches Auskunftsmittel  eine  stete  Vermehrung  der  Ratssitze,  so  dass  es 
endlich  deren  105  gab.  Durch  die  Verfassungsrevision  Kaiser  Sigmunds 
vom  13.  Dezember  1430  wurde  dieser  Uebelstand,  zugleich  aber  die 
üebermacht  der  Zünfte  beseitigt.  Maximilian  I.,  der  die  Stadt  seinem 
Hause  sichern  wollte,  brachte  aber  wieder  die  Zünfte  in  die  Majorität, 
da  er  die  Beziehungen  der  Geschlechter  zur  Schweiz  als  seinen  Absichten 


Literatur.  X21 

hinderlich  erachtete.  Ferdinand  I.  hob  endlich  im  J.  1549  den  Unter- 
schied zwischen  Geschlechtern  und  Zünften  hinsichtlich  der  Eatswahl  voll- 
ständig auf  und  ordnete  an,  dass  der  kleine  Bat  mit  20,  der  grosse  mit 
40  Personen  besetzt  werde  und  hiezu  die  Tauglichsten  aus  den  Geschlechtern 
und  der  Gemeinde  »ohne  underschid  der  anzahl^^  genommen  werden  sollten. 

Einer  der  wichtigsten  Fragen  ist  auf  Grund  eines  reichen  urkund- 
lichen Materiales  und  mit  sicherer  Schulung  Des  Marez  in  seinem  statt- 
lichen Buche  über  den  Grundbesitz  in  den  vlämischen  Städten  des  Mittel- 
alters näher  getreten  (9o).  Die  Erörterung  über  den  städtischen  Grund- 
besitz ist  in  der  deutschen  Literatur  nicht  nach  Gebühr  gepflegt  worden, 
beziehungsweise  hat  sie  sich  lange  in  den  von  Arnold  gewiesenen  Bahnen 
bewegt.  Das  Buch  des  Genter  Advokaten  ist  wohl  geeignet,  in  dieser 
Richtung  neue  Anregung  zu  geben  und  die  Forschung  kräftig  zu  beleben. 
Es  ist  in  vier  Abschnitte  geteilt,  von  denen  der  erste  über  die  Ent- 
stehung des  städtischen  Eigentums,  der  zweite  über  die  Stellung  des- 
selben im  öffentlichen  Rechte,  der  dritte  über  das  Verhältnis  zum  Privat- 
recht, der  vierte  über  Zins  und  Rente  handelt;  sie  entsprechen  also  im 
Wesentlichen  dem,  was  man  in  deutschen  Büchern  als  historischen  und 
dogmatischen  Teil  zu  scheiden  pflegt.  Wir  werden  für  unsern  Zweck 
vornehmlich  den  ersten  Abschnitt  zu  würdigen  haben,  in  dem  Des  Marez 
mehrere  fruchtbare  Gedanken  wenn  auch  nicht  zum  ersten  Male  aus- 
gesprochen, so  doch  in  Hinsicht  auf  ihre  Wirksamkeit  und  Brauchbarkeit 
eingehend  geprüft  hat. 

Die  Untersuchung  nimmt  ihren  Ausgang  von  der  in  Gent  vor- 
kommenden Bezeichnung  vrij  huus,  vrij  erve  für  das  volle  Eigentum 
sowohl  an  dem  Hause  als  an  dem  Grunde,  welche  der  Verf.  als  eine  Ver- 
stärkung des  huus  ende  erve  nachweist,  dem  gegenüber  huus  ende  stede 
bei  geliehenem  Grunde  verwendet  wurde.  Die  deutliche  Hervorhebung  der 
Freiheit  wurde  nothwendig,  als  im  1 5.  Jahrhundert  die  ursprüngliche  Be- 
deutung des  Wortes  erve  sich  abschwächte,  es  ebenso  wie  haereditas  auch 
für  zinsenden  Grund  verwendet  wurde.  Wir  erhalten  also  vollständig  freies 
und  mit  Zins  belastetes  Eigen.  Für  die  Art  dieses  Zinses  ist  seine  Ent- 
stehung massgebend.  Der  Zins,  welcher  als  Preis  für  die  Erlaubnis  zur 
Ansiedelung  zu  entrichten  war,  muss  von  dem  hofrechtlichen  Grundzinse 
gesondert  werden.  Während  bei  dem  Grundzinse  städtischer  Ansiedler  der 
Boden  der  nicht  beeinträchtigten  Freiheit  des  neuen  Besitzers  folgt,  zieht 
die  hofrechtliche  Scholle  ihren  Bebauer  an  sich;  sind  beide  Zinse  formal 
als  Grundzinse  zu  betrachten,  so  ist  doch  das  thatsächliche  Verhältnis 
grundverschieden  und  dem  entsprechend  auch  die  weitere  Entwickelung 
eine  ganz  andere.  Jener  städtische  Zins  verschwindet  im  weiteren  Ver- 
laufe vollständig  und  es  entsteht  freies  Eigen,  das  keineswegs  Fortsetzung 
des  alten  allodialen  Eigens  sondern  eine  Neubildung  ist.  In  späteren 
Zeiten  wird  dieses  neue  Eigen  wieder  mit  Zinsen  belastet  oder  ver- 
einzelt in  Lehengut  verwandelt.  Wie  sich  nun  in  den  einzelnen  Städten  die 
Verhältnisse  gestalten,  dafür  lässt  sich  keine  allgemeine  Regel  aufstellen, 
hier  treten  als  massgebe  nd  die  erste  Form  der  Ansiedelung,  der  Character 
des  Bodens  auf  dem  sie  erfolgte,  ein.  Finden  die  neuen  Einwanderer 
ihre  Wohnstätten  innerhalb  eines  geschlossenen  hofrechtlichen  Besitzes,  so 
übt  natürlich    das  Hofrecht  seine  Wirkung  aus,  der  Uebergang  zu  freieren 


\  22  Literatur. 

Verhältnissen  erfolgt  nicht  plötzlich,  sondern  im  Wege  einer  Entwickelung, 
die  sich  rascher  an  grösseren  Orten,  langsamer  auf  dem  Lande,  rascher 
unter  weltlicher,  langsamer  unter  geistlicher  Herrschaft  vollzieht.  Anders 
steht  die  Sache,  wenn  die  Ansiedelung  ausserhalb  des  Hofrechtes,  auf 
einem  für  sie  ausgesonderten  Platze  vorgenommen  vpird,  in  welchem  Falle 
die  neuen  Bewohner  nur  von  ihren  Grundstücken  einen  Zins,  gegebenen- 
falles  eine  Abgabe  für  Kauf  und  Verkauf  zu  entrichten,  im  Uebrigen  keine 
Schmälerung  ihrer  persönlichen  Freiheit  zu  erfahren  haben.  Von  diesem 
Standpunkte  aus  erörtert  Des  Marez  auch,  die  Entstehung  der  freien  Leihe ; 
er  unterzieht  sowohl  Arnolds  Ansicht  von  dem  Uebergang  der  hofrecht- 
lichen  in  die  freie,  welche  neuerdings  in  allerdings  vorsichtiger  Be- 
schränkung auf  die  Form  von  dem  Freiherrn  v.  Schwind  vertreten  worden 
ist,  als  auch  Gobbers'  Construction  der  Zeitleihe  als  eine  Vorstufe  der 
Erbleihe  einer  zutreffenden  Kritik.  Mit  vollem  Eecbt  fasst  er  die  freie 
Leihe  als  ein  neues,  besonderen  wirtschaftlichen  Verhältnissen  ent- 
sprechendes Mittel  auf,  das  dort  notwendig  war,  wo  Grund  und  Boden 
ohne  Rücksicht  auf  den  Stand  des  zu  Beleihenden  ausgegeben  wei'den 
sollten.  Somit  teilt  sich  der  Besitz  innerhalb  einer  Stadt  in  hoirecbt- 
lichen  und  eigentlich  städtischen ;  von  diesen  untersteht  der  erstere  dem 
Hofrechte,  der  letztere,  der  sich  wiederum  in  freies  und  geliehenes  Eigen 
spaltet,  der  städtischen  Gerichtsbarkeit,  er  wird  die  Voraussetzung  des 
Bürgerrechts,  da  er  seinem  Inhaber  eine  bevorrechtete  Stellung  in  der 
Stadt  sichert.  Eingehend  handelt  der  Verf.  auch  von  der  Almende,  von 
der  Bildung  des  Burgfriedens  in  den  flandrischen  Städten  und  stellt  damit 
gute  Beispiele  dafür  auf,  wie  man  städtische  Topographie  für  die  histo- 
i'ische  Forschung  fruchtbar  machen  kann.  Methode  und  Ergebnisse  dieses 
Abschnittes  verdienen  für  deutsche  und  im  Besonderen  für  Wiener  Ver- 
hältnisse sorgfältige  Beachtung,  sie  dienen  auch  zur  Ergänzung  und  Er- 
weiterung der  von  Rietschel  (Markt  und  Stadt)  gemachten  Wahrnehmungen, 
erfordern  aber  ebenso  wie  des  Letztern  Buch  hinsichtlich  der  Ausführung 
über   »Kaufmannsgemeinden«   vorsichtige  Einschränkung. 

Durch  umsichtige  und  anregende  Behandlung  zeichnen  sich  auch 
die  dogmatischen  Kapitel  aus,  doch  ist  in  ihnen  Neues  von  besonderem 
Belange  nicht  vorgebracht  und  es  ist  zu  bedauern,  dass  dem  Verf.  die 
Schrift  des  Freih,  v.  Schwind  über  die  Erbleihe  entgangen  ist.  In  einem 
Schlussworte  hebt  Des  Marez  selbst  hervor,  was  seinem  Buche  noch 
zur  Vollständigkeit  fehle,  man  darf  hoffen,  dass  er  das  vortrefflich  Be- 
gonnene in  gleicher  Art  weiterführen  werde.  Rechte  Anerkennung  ver- 
dient, dass  er  sich  gegen  das  allzuviele  Systematisiei'en  ausspricht,  die 
Lebendigkeit  und  die  vielfachen  Formen  des  geschichtlichen  Lebens  er- 
kannt und  den  hohen  Wert,  der  gerade  in  dieser  Hinsicht  den  Urkunden, 
zukommt,  vollauf  gewürdigt  hat:  »Nous  avons  repousse  cette  methode, 
qui  n'  est  que  trop  souvent  celle  de  la  plupart  des  juristes  modernes,  et 
qui  consiste  ä  etudier  le  developpement  du  droit  dans  les  lois  et  les 
coutumes  ecrites«.  Karl  Uhlirz. 


Literatur 


123 


Lodovico  Zdekauer.     La    vita    privata    dei  Senesi   nel 
dugento.     Sieua  1896-  104  S.  8°. 

Im  vorliegenden  Büchlein,  das  auf  einen  in  der  Akademie  der  Rozzi 
gehaltenen  Vortrag  zurückgeht,  schildert  der  Verf.  in  geistreicher  und 
lebendiger  Darstellung  auf  Grund  des  jüngst  von  ihm  herausgegebenen. 
Constituto  del  Comune  di  Siena,  zahlreicher  Urkunden,  Ratsbeschlüsse 
und  Gerichtsprotokolle  das  Privatleben  in  Siena  während  des  ]3.  Jahrh. 
von  der  Taufe  bis  zum  Begräbnisse,  berührt  Erziehung,  Wohnung  und 
Wohnungseinrichtung,  Trachten  und  Kochkunst,  Sanitätswesen,  Aber- 
glauben, Strassenleben  und  öffentliche  Belustigungen,  das  Leben  der 
Frauen,  Eheschliessung  und  Hochzeitsgebräuche.  Das  13.  Jahrh.  ist  für 
die  toscanischen  Städte  eine  Zeit  reicher  Entwickelnng.  Die  ]iolitische 
Freiheit  zwar  ist  schon  im  12.  Jahrh.  erworben  worden,  nun  beginnen 
Industrie  und  Handel  einen  ungewohnten  Aufschwung  zu  nehmen;  es  be- 
reitet sich  der  Boden  vor,  auf  dem  sich  bald  die  Renaissance  in  Kunst 
und  Wissenschaft  entwickelt.  Auch  Siena  nimmt  Theil  an  diesem  Auf- 
schwünge, es  wird  ein  wichtiger  Geldplatz,  besorgt  zu  gutem  Theile  die 
Geldgeschäfte  der  römischen  Curie  und  treibt  Handel  bis  Frankreich  und 
England  hin.  Ein  solcher  Umschwung  wirkt  natürlich  auch  auf  die  Sitten 
des  gewöhnlichen  Lebens.  Sind  diese  zu  Beginn  des  13.  Jahrh.  noch  rauh  ja 
roh  und  einfach,  tritt  so  im  Verlaufe  als  Folge  des  Reichtums  Verfeinerung- 
und  Luxus  ein;  schon  erwachen  Poesie  und  Kunst,  die  bekanntlich  gerade  in 
Siena  zu  früher  Blüte  erwachsen  ist.  Von  besonderem  Interesse  ist,  was 
der  Verf.  über  das  Familienleben  und  die  Lage  der  Frauen  anführt.  Früh  ist 
hier  in  vermögensrechtlicher  Beziehung  die  langobardische  meta  durch  das 
System  der  Heimsteuer  und  Widerlage  verdrängt  worden.  Die  Ehe- 
schliessuug  erfolgt  auf  offenem  Markte  vor  dem  Notar.  Die  Beziehung 
der  Geschlechter  ist  noch  frei  und  roh;  interessant  ist  die  im  Anhang 
n.  2  gedruckte  Notariatsurkunde  über  eine  auf  fünf  Jahre  geschlossene 
eheliche  Verbindung.  Das  elterliche  Recht  gegenüber  den  Kindern  ist 
altertümlich  grausam.  Aussetzungen  der  Kinder  sind  ungemein  häufig 
und  nur  mit  geringer  Strafe  bedroht,  doch  sorgt  bereits  christliche  Barm- 
herzigkeit für  die  armen  Verlassenen,  für  Kranke  und  Aussätzige  durch 
Anlage  grossartiger  Stiftungen. 

Wien.  Hans  von  Voltelini. 


Gaetano  Salvemini.  La  Diguitä  Cavalleresca  nel 
comune  di  Firenze.  Fireuze  tipografia  M.  Kicci  1896  IV  und 
156  S.  8«. 

Der  Verf.  stellt  sich  zur  Aufgabe,  die  Entwickelung  der  Rittervvürde 
in  den  italienischen  Comunen,  insbesondere  in  Florenz  zu  verfolgen  und 
liefert  damit  einen  nicht  unwichtigen  Beitrag  zur  Geschichte  des  Adels 
und  der  adelsähnlichen  Auszeichnungen  im  späteren  italienischen  Mittel- 
alter, von  dem  man  nur  wünschen  müsste,  dass  die  neuere  deutsche 
Literatur  über  die  Stellung  der  ritterlichen  Klassen  und  das  Lehenswesea 


1^24  Literatur. 

mehr  Berücksichtigung  gefunden  hätte,  ein  Mangel  der  die  Darstellung 
■des  Verf.  namentlich  in  den  einleitenden  Partien  zum  Theil  als  veraltet 
erscheinen  lässt.  Die  italienischen  Städte  besassen  neben  ihrem  Fussvolke 
bedeutende  Eeiterei,  zu  deren  Bildung  nicht  nur  der  in  der  Stadt  an- 
gesiedelte und  eingebürgerte  Adel,  sondern  namentlich  die  wohlhabenden 
BürgerfamilJen  herangezogen  wurden,  wie  schon  Otto  von  Fi*eising  in  einer 
■oft  besprochenen  Stelle  bemerkt  hat  (Gesta  Frid.  II,  13).  Dieses  bürger- 
liche Eeitercorps  ahmte  die  Gebräuche  der  adeligen  Genossen  nach,  indem 
es,  wie  ja  Keiter  und  Kitter  im  früheren  Mittelalter  identisch  sind,  sich 
.als  eine  Truppe  von  Rittern  betrachtete.  Es  wurden  diese  Handelsleute 
nach  Otto  von  Freisingen  von  ihren  Städten  mit  dem  cingulum  militiae 
zu  Rittern  gemacht,  das  bekanntlich  das  Symbol  des  Rittertums  zu  jener 
Zeit  gewesen  ist.  Ebenso  kamen  später  Ritterschlag  und  die  eigentümliche 
Ritterwürde  in  den  Städten  in  Uebung,  und  nur  den  städtischen  Verhältnissen 
angepasst.  Die  Ritterwürde,  welche  auch  hier  nur  die  allgemein  damit 
verbundenen  höchstpersönlichen  Auszeichnungen  in  Kleidung  und  Waffen 
und  den  Titel  dominus  gewährt,  wird  von  der  Stadtgemeinde  verliehen. 
Auf  die  Herkunft  wird  nicht  mehr  gesehen,  seitdem  die  Herrschaft  der 
alten  Geschlechter  dem  Zunftregimente  gewichen  war.  Den  Ritterschlag 
ertheilt  ein  Ritter  als  Vertreter  der  Gemeinde,  die  kirchliche  Seite  der 
€erimonie  tritt  hier  ganz  zurück ;  der  Rittereid  umfasst  in  Florenz  nur  die 
Treue  gegen  die  Gemeinde  und  die  Parte  Guelfa,  deren  Entstehung  aus 
•der  alten  Rittergilde  der  Verf  in  einem  interessanten  Excurse  nachweist. 
Die  Ritterwürde  wurde  zwar  noch  wegen  tapferer  Kriegsthaten  verliehen, 
jemehr  jedoch  der  kriegerische  Geist  aus  der  Comune  wich,  um  so  mehr 
wurde  sie  zu  einer  rein  civilen  Auszeichnung.  Schon  früh  wird  sie  Ge- 
sandten ertheilt,  namentlich  aber  Leuten,  welche  das  Amt  eines  Podestäs 
oder  anderer  städtischen  Behörden  anstreben,  als  deren  Erfordernis  von 
alters  h«r  Ritterwürde  bestand.  Aber  auch  ein  auf  dem  Todbette  liegen- 
der Greis  und  ein  fünfjähriges  Kind  finden  wir  unter  den  florentinischen 
Rittern  des  1 4.  Jahrb.  Dabei  konnte  nicht  ausbleiben,  dass  sehr  viele 
■diese  Würde  erlangten,  denen  sie  nicht  anders  zu  Gesichte  stand,  come 
la  sella  al  majale,  um  ein  derbes  Wort  des  Boccaccio  zu  wiederholen,  und 
■dass  die  Ritter  zum  Gespötte  der  Juristen  und  Literaten  wurden.  Die  nicht 
von  der  Gemeinde  erlangte  Ritterwürde  bedurfte  nachträglicher  Anerken- 
nung, die,  wie  wir  erfahren,  dem  bekannten  Pippo  Spano  für  sein  von 
König  Sigismund  erlangtes  Rittertum  nicht  zu  Theil  wurde.  Interessant 
ist,  was  der  Verf.  über  die  Wandelung  der  Bedeutung  des  Wortes  miles 
"beibringt;  der  Titel  eques  auratus  ist  eine  Erfindung  Filelfos.  Im  Anhange 
linden  sich  die  dem  Verf.  bekannt  gewordenen  Notizen  über  die  florenti- 
nischen Ritter,  darunter  auch  eine  über  die  von  Kaiser  Friedrich  III. 
1452  Febr.    15  in  Florenz  creirten,  zusammengestellt. 

Wien.  Hans   von   Voltelini. 


Dr.    Leopold     Schuster,     Fürstbischof     von     Seckau,     Fürst- 
bischof  Martin    Brenner.     Ein  Characterbild  aus  der  steirischen 


Literatur.  12& 

Keformationsgeschichte.  Mit  dem  Porträt  Brenners  und  einer  Karte 
von  Steiermark.  Graz  und  Leipzig.  Verlag  von  Ulrich  Mosers  Buch- 
handlung (J.  Meierhoflf).  1898.  XVI  910  und  16.  SS.  8°. 

Das  vorliegende,  umfangreiche  Buch  gibt  viel  weniger  eine  Geschichte 
Martin  Brenners  als  vielmehr  der  Zeit  der  Gegenreformation  in  Inner- 
österreich, vornehmlich  in  Steiermark,  wie  sie  unmittelbar  nach  den  grossen 
Erfolgen  der  Protestanten  auf  dem  Generallandtage  in  Brück  (1578)  be- 
gonnen und  mit  einigen  Schwankungen  und  Unterbrechungen  in  der 
Hauptsache  schon  unter  Erzherzog  Karl  ü.  durchgeführt  wurde ;  denn  dass 
alle  principiellen  Massregeln  hiezu  schon  auf  den  Münchener  Conferenzen 
des  Jahres  1579  festgesetzt  wurden,  kann  heute  als  durchaus  gesichert 
gelten.  Der  Verf.,  dem  wir  schon  eine  Arbeit  über  Johannes  Kepler 
danken,  hat  dies  Werk  in  Angriff  genommen,  als  er  noch  Professor  der 
Kirchengeschichte  an  der  theologischen  Facultät  in  Graz  war,  und  so  er- 
schien auch  schon  vor  5  Jahren  ein  Theil  dieses  Werkes,  der  aber,  wenn 
wir  recht  berichtet  sind,  zurückgezogen  wurde,  um  erst  jetzt  wieder  mit 
dem  Ganzen  vereint  ausgegeben  zu  werden.  Das  vorliegende  Buch  ruht 
auf  umfassenden  Quellenstudien  in  den  Archiven  von  Graz  und  Innsbruck, 
Wien,  Salzburg  und  Kom  und  verschiedenen  Klosterarchiven  Steiermarks. 
Der  Verf.  empfand  es,  wie  er  selbst  sagt,  mit  Schmerz,  dass  das  Gebiet 
der  heimatlichen  Geschichte  so  völlig  brach  lag,  und  so  griff  er  denn  mit 
fester  Hand  aus  der  Reihe  der  Seckauer  Kirchenfürsten  jenen  heraus, 
»der  in  einer  der  wichtigsten  und  schwierigsten  Perioden  regierte  und 
daher  ein  besonderes  Interesse  erwecken  musste*.  »Das  ist  Martin  Brenner, 
der  wegen  seines  Glaubenseifers  den  Beinamen  , Apostel  der  Steiermark'^ 
erhalten  hat,  wegen  der  zermalmenden  Kraft  seiner  Rede  und  der  un- 
widerstehlichen Wirkung  seines  Unterrichtes  aber  auch  wie  einstens  der 
hl.  Hieronymus  ,malleus  haereticorum',  Ketzerhammer  genannt  worden 
ist«.  Da  es  nun  just  .300  Jahre  her  sind,  seit  dem  die  Tragödie  des 
innerösterreichischen  Protestantismus,  die  mit  dessen  nahezu  völliger  Ver- 
nichtung endete,  ihren  Anfang  nahm,  so  ist  das  Buch  zu  einer  Jubiläums- 
schrift geworden,  die  uns  in  vier  Abschnitten  ungleichen  Umfangs  und 
Werthes  Brenners  Jugend-  und  Studienjahre,  seinen  Aufenthalt  in  Salzburg, 
seine  Thätigkeit  als  Bischof  von  Seckau  und  Reformator  —  denn  auch 
die  Gegenreformation  wird  von  den  gleichzeitigen  katholischen  Quellen 
, Reformation'  und  zwar  die  » heilsame  ^"^  genannt  —  und  seine  Resignation 
und  sein  Abscheiden  darstellt.  Das  Leben  Brenners  bietet  dem  Verf.  den 
Faden,  an  dem  er  uns  eine  völlige  Geschichte  der  religiösen  Bewegung 
dieser  Zeit  vor  Augen  führt.  Indem  ich  nicht  anstehe,  das  vorliegende  Buch 
als  eine  der  bedeutenderen  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  derKirchen- 
geschichte  zu  bezeichnen,  den  Fleiss  in  der  Aufsuchung  des  einschlägigen 
Quellenmaterials  anerkenne,  kann  ich  mich  doch  weder  über  die  Tendenz  noch 
auch  infolge  dessen  über  die  Ergebnisse  des  Buches  befriedigend  aussprechen. 
Was  die  Tendenz  betrifft,  tritt  diese  an  vielen  Stellen  mit  aller  Deut- 
lichkeit hervor :  es  ist  eine  Apologie  jenes  Standpunktes,  den  in  den  letzten 
Jahren  Erzherzog  Karls  in  Graz  kaum  noch  Martin  Brenner  selbst  ganz  billigte 
und  der  nur  von  den  Jesuiten  und  der  starken  bairischen  Partei  am  Grazer 
Hofe  mit  aller  Kraft  festgehalten  wurde.   Indem  dieser  äusserste  Standpunkt 


126  Literatur. 

mit  Nachdruck  vertheidigt  wird,  wird  rait  den  Quellen  in  der  Manier 
Janssens  verfahren:  alles  was  zur  Bekämpfung  des.  gegnerischen  Stand- 
punktes irgendwie  dienlich  ist,  wird  in  sorgsamster  Weise  zusammen- 
getragen, was  dem  Standpunkt  des  Gegners  irgendwie  zu  gute  kommen 
kann,  bei  Seite  gelassen  und  dementsprechend  auch  manches  überschlagen, 
was  nicht  zu  Gunsten  der  katholisch-jesuitischen  Partei  im  Lande  spricht. 
Man  wird  sich  dann  nicht  wundern,  dass  die  Anklagen  gegen  das  angeblich  so 
gewaltthätige  Vorgehen  des  steirischen  Herren-  und  Ritterstandes  in  extenso 
mitgetheilt,  ihre  Vertheidigung  aber  zumeist  mit  einigen  ablehnenden  Worten 
abgethan  wird.  Das  geht  so  weit,  dass  selbst  Stellen  aus  den  katholischen 
Schriften,  in  denen  der  protestantische  Herrenstand  geradezu  der  Untreue 
an  seinem  Herrn  und  Landesfürsten  bezichtigt  wird,  ohne  irgend  ein  mis- 
billigendes  Wort  gegen  derlei  grundlose  und  schmachvolle  Beschuldigungen 
mitgetheilt  werden.  Und  doch  wird  jeder  —  auch  jeder  gu.t  katholische 
Geschichtschreiber  —  der  dies  umfangreiche  Actenmaterial,  auf  dem  sich 
die  Geschichte  des  i.  ü.  Protestantismus  aufbaut,  gelesen  bat,  gestehen: 
nie  hat  es  einen  seinem  Fürsten  treueren  Herren-  und  Ritterstand  gegeben 
als  diesen,  der,  wenn  er  einer  anderen  prot.  Confession  angehört  hätte,  als  der 
Augsburgischen,  die  Geschicke,  die  oft  genug  in  seinen  Händen  waren, 
zu  seinen  Gunsten  gelenkt  hätte.  Der  Zufall  wollte  es,  dass  ich  eben  in 
diesen  Tagen  mit  einem  Buch  vor  die  Oeffentlichkeit  trat,  das  dieselbe 
Zeitperiode  und  zum  Theile  wenigstens  den  gleichen  Gegenstand  behandelt, 
und  da  will  ich  denn  nur  unter  Hinweis  auf  dies  Buch  sagen,  dass  ich 
in  der  Darstellung  dieser  Dinge  wesentlich  zu  völlig  anderen  Ergebnissen 
gekommen  bin ;  das  war  ja  auch  kaum  anders  möglich,  da  ich  keine 
Apologie  sondern  eine  Geschichte  zu  schreiben  hatte,  die  einfach  den  Ver- 
lauf der  Dinge,  aber  auf  Grund  des  ganzen  im  Augenblicke  zugänglichen 
Actenbestandes,  erzählt,  ohne  durch  irgendwelche  Tendenz  ausser  der  streng 
wissenschaftlichen  »beirrt  oder  beengt  zu  sein.  Dem  Verf  standen  nahezu 
dieselben  Materialien  zu  Gebote  wie  mir;  da  dem  so  ist,  muss  man  sich 
wundern,  dass  den  so  wichtigen  Massnahmen  auf  den  Münchener  Con- 
ferenzen  ein  so  geringer  Raum  geboten  ist,  als  es  hier  auf  einer  oder 
zwei  Seiten  der  Fall  ist.  Nur  wer  die  Vorgänge  dieser  so  wichtigen 
Octobertage  1579  genau  kennt,  wird  ein  richtiges  Verständnis  für  alle 
kommenden  Ereignisse  gewinnen  können;  diese  Conferenzen  sind  in  ge- 
wissem Sinn  der  Stützpunkt  aller  Arbeiten  über  diese  Dinge;  aus  den 
Beschlüssen  dieser  Conferenzen  allein  kann  man  die  Methode  erkennen, 
die  nun  am  Grazer  Hof  eingeschlagen  wird,  und  indem  diese  Conferenzen 
mehr  nebenläufig  behandelt  werden,  wird  auch  das  Prinzipielle  verkannt, 
das  sich  in  dem  ganzen  Vorgehen  findet.  Ebenso  werden  die  Hilfskräfte, 
die  sich  dem  Landesfürsten  inner-  und  ausserhalb  seines  Landes  zur  Ver- 
fügung stellten,  nicht  genugsam  hervorgehoben  und  die  Sendung  Spaurs 
nach  Rom  fast  gar  nicht  berührt.  Auch  die  Art  und  Weise,  wie  hier  der 
schwere  Kampf  zwischen  der  katholischen  Partei  und  dem  grösstentheils 
protestantischen  Bürgerthum  in  Graz  und  den  zahlreichen  protestantischen 
Bürgern  in  den  übrigen  Städten  des  Landes  geschildert  wird,  vei'mag  ich 
als  eine  sachgemässe  nicht  zu  erkennen.  Der  Fehler  liegt  nach  meiner 
Ueberzeugung  daxin,  dass  die  eigentliche  Bedeutung  der  Brueker  Pacifica- 
tion  nicht  richtig  erfasst  ist:  denn  dass  die  sogenannte  Scbranzische  Auf- 


Literatur.  127 

fassung  von  der  Sache  nicht  die  richtige  sein  kann,  habe  ich  schon  vor 
Jahresfrist  in  diesen  Blättern  erwiesen.  In  allen  den  auf  die  Pazifikation 
bezüglichen  Theilen  findet  sich  der  schon  oben  betonte  Mangel  an  Ob- 
jektivität, und  mag  der  Verf.  in  dem  Vorworte  auch  noch  so  eifrig  ver- 
sichern, dass  er  fast  durchgehends  auf  Grund  der  Originaldocumente  die 
Wahrheit  möglichst  objektiv  klar  zu  stellen  und  die  irrigen  Darstellungen 
ohne  polemische  Bitterkeit  zu  berichtigen  bemüht  war*,  so  wird  doch  ein 
jeder,  der  die  Akten  gelesen  hat,  gestehen,  dass  hier  eine  wirkliche  Ob- 
jektivität nicht  vorhanden,  wohl  aber  kein  Mangel  an  polemischer  Bitter- 
keit ist,  wofür  ja  schon  die  eine  —  auffällige  Fussnote  —  auf  Seite  168 
»eine  bewusste  Unwahrheit*  Zeugnis  ablegt.  Wenn  man  aus  zusammen- 
hängenden Gruppen  von  Urkunden  einzelne  Sätze  herausreisst  und  sie  in 
einer  Weise  aneinander  reiht,  wie  dies  eben  einer  von  vornherein  beab- 
sichtigten Tendenz  entspricht,  so  kann  man  nicht  von  einer  objektiven 
Darstellung  reden.  Wenn  ich  meine  aus  dem  Studium  der  Akten  ge- 
wonnene Ueberzeugung  sagen  soll,  so  ist  es  die,  dass  jener  Mann,  dem 
dies  Buch  gewidmet  ist,  den  Gegnern  mehr  gerecht  geworden  ist  als  dies 
Buch  und  sein  Verfasser.  Freilich  hat  er  sich  auch  von  den  Jesuiten 
harte  Worte  sagen  lassen,  und  Erzherzogin  Maria  sagt  dann  wohl,  dass 
»die  Patres  mit  denen  Prälaten  fast  übel  zufrieden  sind*.  Es  ist  ja  be- 
zeichnend, dass  über  den  fi-eundlichen  Verkehr  Brenners  mit  der  Land- 
schaft so  gut  wie  nichts  gesagt  wird.  Es  gab  aber  viele  Punkte,  wo  die 
Prälaten  des  Landes  mit  dem  Herren-  und  Eitterstand  auch  gegen  den 
Landesfürsten  oder  richtiger  gegen  die  Jesuiten  zusammenstanden. 

Wenn  ich  das  vorliegende  Buch  ein  tendenziöses  genannt  habe  und 
somit  mit  der  ganzen  Darstellung  mich  nicht  einverstanden  erklären  kann, 
so  gibt  es  auch  im  Einzelnen  so  viele  irrige  Behauptungen,  dass  man  ein 
Buch  fast  von  gleichem  Umfange  schreiben  müsste,  wollte  man  sie  alle, 
wozu  man  bekanntermassen  immer  etwas  mehr  Eaum  braucht,  widerlegen. 
Dass  die  Prälaten  an  den  kirchlichen  Debatten  im  Landtage  nicht  theil- 
nahmen,  war  lediglich  ihre  Schuld;  die  Protokolle  weisen  es  aus,  dass  sie 
bitten,  man  möge  sie  »dieser  Sache  entheben ^■=;  sie  mussten  einigemal  von 
der  Regierung  förmlich  gezwungen  werden,  den  katholischen  Standpunkt 
des  Landesfürsten  in  öffentlicher  Sitzung  zu  vertheidigen.  Die  Herren 
und  Ritter  betonen  es  laut  und  nachdrücklich,  dass  die  Prälaten  kirchen- 
politischen Debatten  selbst  fern  bleiben.  Wie  kann  man  also  S.  244 
sagen,  dass  die  Prälaten  zu  den  Verhandlungen  dieser  religiösen  Streit- 
schriften nicht  zugezogen  wenigstens  nicht  zu  Worte  gelassen  wurden? 
Das  ist  völlig  unrichtig.  Der  Fürstbischof  von  Seckau  wurde  immer, 
falls  er  es  wollte,  angehört  und  kam  seiner  Stellung  nach  gleich  unter 
den  Ersten  zu  Wort.  Sprechen  durfte  er  allerdings  in  einer  Sitzung 
nur  einmal,  wie  eben  jeder  andere,  auch  jeder  Abt  und  Propst.  Dass 
ich  in  Bezug  auf  den  Propst  Peter  Muchitsch  auch  auf  Grund  der  ein- 
schlägigen Materialien  zu  einer  anderen  Ansicht  gekommen  bin,  als  der 
Verf.  (S.  244  ff.),  mag  man  des  Näheren  meinem  Buche  entnehmen:  ich 
will  hier  nur  anfügen,  dass  auch  der  Nuntius  von  ihm  nicht  erbaut  war 
und  selbst  in  seinem  Kloster  sein  Auftreten  einen  recht  beschränkten 
Beifall  fand. 


128  Literatur. 

Was  soll  man  nun  aber  sagen,  wenn  in  einem  Buche,  wie  es  das 
vorliegende  ist,  noch  immer  die  Hurter'sche  Behauptung  festgehalten  wird 
(S.  157),  dass  die  innerösterreichischen  Stände  am  Brucker  Tage  von  1578 
die  bekannte  Zusage  des  Erzherzogs  fälschten,  indem  sie  darin  die  Worte 
einfügten:  der  Erzherzog  verpflichte  sich  zu  dem  Bewilligten  für  sich  und 
seine  Nachkommen,  dass  Karl  dann  sich  zuerst  gegen  diesen  Zusatz 
mündlich  ver\7ahrte  und  ihn  dann  eigenhändig  wegstrich.  Die  letzten 
Forschungen  haben  bekanntlich  ergeben,  dass  hier  allerdings  eine  Fälschung 
vorliegt,  sie  trifft  aber  nicht  den  ehrenwerten  Herren-  und  Ritterstand 
sondern  den  weniger  gut  beleumundeten  Vizekanzler  Wolfgang  Schranz. 
Wenn  der  Verf.  in  diesem  Theile  seines  Buches  auf  die  Ergebnisse 
dieser  Forschung  nicht  mehr  hinweisen  konnte,  da  eben  dieser  Theil  schon 
1893  vollendet  war,  so  hinderte  nichts,  in  den  Noten  unter  den  Be- 
richtigungen darauf  zurückzukommen.  Schon  meine  Edition  der  Pacifica- 
tion  machte  die  Hurter'schen  Behauptungen  hinfällig  und  übrigens  sind 
sie  auch  schon  von  F.  M.  Mayer  mit  Eecht  gerade  in  diesem  Theil  an- 
gefochten worden.  Von  falschen  Behauptungen,  die  sich  sonst  in  dem 
Buche  finden,  will  ich  nur  einige  anfügen,  lür  die  ich  zufälliger  Weise 
das  Quellenmaterial  zur  Hand  habe;  S.  373  liest  man  als  Antwort  des 
Landesfürsten:  »Sie,  die  Verordneten,  sollten  aufhören,  das  Lied  von  der 
Öffentlichen  Ruhe  bis  zum  Ekel  zu  wiederholen,  denn  es  sei  eine  An- 
massung,  den  Fürsten  stets  daran  zu  erinnern,  als  kümmere  er  sich  nicht 
darum,  und  Fürsorge  für  Dinge  zu  heucheln,  die  sie  nicht  angiengen*. 

Da  ist  zunächst  zu  sagen,  dass  die  Verordneten  am  19.  September 
1598  eine  ausserordentlich  bescheidene  Bittschrift  an  den  Erzherzog  ein- 
reichten, in  welcher  sie  höchstens  das  Wort  von  ihrer  allein  seligmachenden 
Kirche  hätten  auslassen  sollen,  denn  es  war  zu  erwarten,  dass  sie  es  nicht 
mehr  so  ungerügt  gebrauchen  dürften,  wie  etwa  in  den  ersten  Tagen 
Erzherzog  Karls;  übrigens  hatten  sie  es  nicht  in  ihre  Bittschrifft  gesetzt, 
um  etwa  eine  Anzüglichkeit  gegen  die  Katholiken  vorzubringen.  Man 
bedenke  auch,  dass  man  mit  der  Einstellung  ihres  Kirchen-  und  Schul- 
regiments an  ihre  Existenz  griff  und  da  auch  vielleicht  ein  noch  schärferes 
Wort  erklärlich  gewesen  wäre ;  sie  Hessen  sich  aber  hiezu  nicht  hinreissen, 
sondern  klagen,  » dass  sie  das  Decret  seinem  ganzen  betrübten  Inhalt  nach 
mit  höchstem  Leid  und  schmerzlicher  Entsetzung  der  Länge  nach  ver- 
nommen haben*,  dass  ihre  Feinde  das  Ohr  des  Füi'sten  gewonnen  und 
dass  man  sie  um  ihren  edelsten  Schatz  des  allein  seligmachendeu  Wortes 
Gottes  und  sein  christliches  Exercitium  bringe;  sie  betonen,  wie  falsch  die 
Behauptungen  des  Grazer  StadtpläiTers  seien,  dass  man  seine  wiederholten 
Beschwerden,  dass  man  ihm  substantialia  et  essentialia  entziehe,  mit  Hohn 
und  Spott  erwidert,  weisen  auf  die  Zusagen  Karls  II.  hin,  niemandem,  der 
sich  zur  A.  C.  bekennt,  ein  »Härl  zu  krümmen«,  deuten  auf  die  Schäden 
hin,  welche  diese  Persecution  mit  sich  führen  müsse  u.  s.  w.  Wo  ist, 
fi-agen  wir,  hier  das  Lied  von  der  öffentlichen  Ruhe  »bis  zum  Ekel«  ge- 
sungen? Ja,  wo  sagt  Ferdinand  IL  den  Verordneten,  sie  hätten  das  Lied 
von  der  öffentlichen  Unruhe  bis  zum  Ekel  gesungen?  Nicht  ein  Wort 
davon  findet  sich  in  dem  Dekret  vom  23.  September  1598,  man  müsste 
denn    folgende  Stelle  als  die  rügende  Antwort    auf   das    »bis    zum  Ekel« 


Literatur.  129 

gesungene  Lied  bezeichnen:  »Dass  dann  schlüsslich  die  herrn  verordneten 
die  Sachen  mit  iren  bedroungen  und  fürbildung  der  vorstehunden  feindts- 
gefährlichkeit  gross  zu  machen  vermeinen,  müesten  es  gleich  J.  F.  D*. 
dahin  deuten,  dass  sy,  herrn  verordenten,  daramben  mit  dergleichen  für- 
komben,  weil  sie  sonst  hierunder  kein  fueg  und  ius  haben*. 

Eine  wirklich  objektive  Darstellung  hätte  vielmehr  gerechten  Grund 
gehabt,  eben  dies  Decret  des  Landesfürsten  mit  seinen  verschiedenen  an- 
züglichen oder  gerade  hohnvollen  Stellen  zum  Gegenstand  einer  Erörterung 
zu  machen. 

»Schon  am  folgenden  Tage  (24.  September),  lesen  wir  weiter,  reichten 
die  Verordneten  eine  neue  Vorstellung  ein  und  suchten  durch  Schmeichel- 
worte den  Zorn  des  Fürsten  zu  besänftigen*.  Ich  finde  in  der  ganzen 
Eingabe,  die  mir  wortgetreu  vorliegt,  kein  Schmeichelwort:  die  Verordneten 
richten  ein  Gebet  zum  Himmel,  dass  er  J.  F.  D*^.  zartes,  sanftmüthiges 
Herz  mit  seinem  göttlichen  Arm  also  regiere,  leite  und  führe,  damit  sie 
ihr  propositum  ändern.  Sie  rühmen  —  und  wohl  nicht  mit  Unrecht  — 
ihre  und  ihrer  Vorfahren  dem  Haus  Oesterreich  geleisteten  Dienste  und  er- 
warten, dass  das  Decret,  »so  uns  und  unseren  christlichen  Glaubens- 
genossen durch  Mark  und  Bein  dringt,  wieder  aufgehoben  werde,  denn 
an  dem  hänge  nicht  unser  Eock  und  unser  Hemd  sondern  unser  Seelen- 
heil. Sie  bitten  den  Fürsten,  sich  über  die  Concessionen  seiner  Vor- 
fahren unterweisen  zu  lassen«. 

»Die  Verordneten,  heisst  es  dann,  schickten  jetzt  die  lutherischen 
Stände  über  den  Fürsten*.  Hier  ist  zunächst  zu  sagen,  dass  der  Landtag 
den  Verordneten  die  Vollmacht  gegeben  hatte,  wenn  die  Nothdurft  es 
erheische,  sich  durch  eine  Anzahl  von  Herren  und  Landleuten  zu  einem 
grösseren  Ausschuss  zu  verstärken.  Das  sind  diese  »lutherischen  Stände* ; 
wie  man  sieht,  ist  dieser  Ausdruck  nicht  gut  gewählt  und  wird  leicht  zu 
Missverständnissen  Anlass  geben.  Wenn  also,  wie  Kepler  meldet,  trotz  der 
Ueberschwemmungen,  welche  damals  die  Eeise  hemmten,  doch  noch  30 
Mitglieder  zusammen  kamen,  so  ist  diese  Zahl  sehr  hoch:  an  dem  nicht 
minder  wichtigen  Winterlandtag  1580/1  nahmen  zuweilen  nicht  viel  mehr 
Mitglieder  theil:  jetzt  aber  war  doch  nicht  einmal  der  Landtag  ver- 
sammelt. 

Eine  der  oben  genannten  hohnvollen  Stellen  des  Dekrets  vom 
23.  September  hatte  bemerkt,  dass  »J.  F.  D*.  ungütlich  bezigen  werde, 
dass  sie  jemants  in  seinem  gewissen  betrangen  sollen,  alleweil  dasselbe 
J.  F.  D*.  mainung  gar  nicht  ist«.  Mit  Kecht  hebt  nun  eben  dieser  Aus- 
schuss hervor  —  aber  solche  Stellen  werden  ja  in  dem  vorliegenden 
Buche  nicht  erwähnt  — :  ^  Ob  aber  dises  nit  eine  gewissensbetrangnuss 
haisst,  wann  uns  die  religionsexercitia  in  unsern  gewohnlichen  kirchen  zu 
üben  eingestellt,  die  prediger  wider  ihrem  beruff,  ambt  und  gewissen 
ausgeschaflFt,  die  kinder  nit  getaufft  werden  und  wir  in  unserm  todbett 
kein  geistlichen  empfindlichen  trost  noch  das  hl.  abentmal  oder  zusamben- 
kunfften  zu  lob,  preis  und  der  ehre  gottes  nicht  haben  können,  das  geben 
wir  gott  im  himmel  und  E.  F.  D*.  gehorsamst  mit  betrüebtem  herzen  zu 
erkennen  ^^ 

Der  Satz  des  Verf.,  »dass  die  Jesuiten  beschuldigt  werden,  mit  keinem 
Siege  zufrieden  zu  sein,  der  nicht  mit  dem  Blut  der  Feinde  besiegelt  sei*^, 

MittheiluDgen  XX.  9 


jQQ  Literatur. 

findet  sich  nicht  in  der  Eingabe  vom  26.  September,  die  Stelle  lautet: 
»habens  die  gottselige  patres  nicht  brachio  seculari  wie  die  neuen  Ordens 
eingetrungenen  Jesuiten,  sondern  mit  predigen,  schreiben,  eifrigem  gebett 
verfochten,  dass  die  falsche  lehr  für  sich  selbs  zu  poden  gesunken  und 
sich  allgemach  verloren.  Die  vrai'hait  aber  des  seligmachenden  wortt 
gottes  lässt  sich  mit  menschen  gewalt  nicht  dämpfen  und  solle  die  ganze 
weit  den  köpf  darob  zerstossen-'. 

Aus  der  dritten  Eesolution  (vom  28.  September)  werden  einige  Stellen 
ausgehoben,  jene  Punkte  aber  nicht  beachtet,  wo  sich  diese  Resolution 
im  Unrecht  befindet.  Es  ist  zunächst  ein  altes  Herkommen,  dass  sich  die 
Verordneten  in  wichtigen  Fällen  durch  die  in  der  Nähe  der  Hauptstadt 
gesessenen  Hen-en-  und  Landleute  verstärken  und  gemeinsam  berathen; 
es  ist  ein  Eecht  des  Landtags,  solche  Sonderausschüsse  einzusetzen  und 
das  war  im  gegebenen  Falle  geschehen.  Das  Ausschuss  hatte  das  Recht 
im  Namen  des  Landtags  zu  sprechen,  was  der  Landesfürst  ihnen  abspricht: 
dieser  und  einige  andere  Punkte  wären  zu  beachten  gewesen:  man  könnte 
dann  nicht  die  Worte  gebrauchen  —  und  sei  es  auch  nur  die  der  Resolution 
—  sie  massten  sich  einen  neuen  Namen  an :  » Landschaft  der  A.  C. * 
Das  war  nebenbei  bemerkt,  gar  nicht  geschehen,  denn  die  Unterschrift 
unter  der  Eingabe  des  Ausschusses  lautete  ganz  richtig:  »N.  die  ver- 
sambleten  herrn  und  landleuth  in  Steyr  A.  C.  * 

Zum  Abzug  der  Prädikanten  —  als  ob  diese  Leute  zum  Unglück  auch 
noch  den  Spott  brauchten  —  wird  der  nicht  gerade  geschmackvolle  Satz 
des  Rosolenz  angemerkt:  Auf  solches  hin  erhebten  sich  diese  unnützen 
Vögel,  und  flog  jeder  in  das  Land,  wo  er  seines  Gelichters  Glaubens- 
genossen zu  finden  vermeinte,  und  gab  dieser  Abzug  den  Katholischen 
eine  grosse  Freude,  den  Lutherischen  aber  ein  sonderbares  Herzeleid. 
Rosolenz  wird  überhaupt  von  dem  Verf.  gern  citirt.  Ich  habe  schon  an 
anderer  Stelle  einige  Punkte  aufgedeckt,  wo  die  Nachrichten  des  Rosolenz 
durchaus  verlogen  sind,  dass  es  aber  in  seinem  gründlichen  Gegenbericht 
noch  mehr  solcher  Stellen  gibt,  hofi"e  ich  an  einem  anderen  Ort  zu  er- 
weisen, jedenfalls  ist  es  mir  aufgefallen,  Rosolenz  so  gelobt  zu  finden, 
wie  dies  hier  der  Fall  ist.  Es  ist  ja  freilich  wenig  bekannt  und  scheint 
auch  dem  Verf.  dieses  Buches  entgangen  zu  sein,  dass  die  steirisehe  Land- 
schaft trotz  der  schweren  Hand,  die  auf  ihr  lastete  und  ihr  die  Action 
gegen  den  Stainzer  Propst  nicht  eben  leicht  machte,  diesen  von  dem  Verf. 
so  gelobten  Mann  (S.  607)  zwang,  zu  revociren. 

Von  den  Prädikanten  wird  so  schlecht  als  möglich  gesprochen.  Dass 
es  mit  dem  katholischen  Klerus  bis  in  die  Spitzen  hinauf  nicht  besser 
bestellt  war,  hätte  doch  auch  hier  stark  betont  werden  müssen :  sie  waren 
nicht  selten  selbst  die  Ursache  schwerer  Irrungen.  Wenn  sich  nun  die 
Inwohner  eines  von  seinem  Pfarrer  gepeinigten  Ortes  wider  diesen  auf- 
lehnen und  ihre  Klagen  vorbringen,  so  werden  diese  von  dem  Verf.  des 
vorliegenden  Buches  nicht  gehört,  wohl  aber  erhält  ihr  Verhalten  dem 
Pfarrer  gegenüber  die  schwerste  Rüge,  ohne  dass  der  Leser  auch  nur 
mit  einem  Worte  die  Genesis  des  Zwistes  zwischen  Pfarrer  und  Gemeinde 
vernehmen  würde,  um  sich  sodann  auf  Grund  der  Aktenlage  sein  Urtheil 
bilden  zu  können.  Und  da  gibt  es  Fälle,  wo  selbst  ein  Martin  Brenner 
nicht  auf  Seiten  des  Pfarrers    steht.     Ich  will  statt  vieler  nur  einen  Fall 


Literatur.  J3| 

herausheben;  S.  314  liest  man:  der  Pfarrer  von  Oberwölz,  Martin  Lind- 
mayer, wurde  auf  dem  Heimwege  von  der  Filiale  St.  Pankrazen,  wo  er 
Gottesdienst  gehalten,  von  den  aufgehetzten  Bauern  auf  freier  Strasse 
überfallen,  misshandelt  und  fortgejagt,  um  die  Pfarre  einem  Kaplane  nach 
ihrem  Sinne  zu  übergeben*.  Gewiss  ein  tadelnswerthes  Vorgehen  der 
Oberwölzer.  Aber  hören  wir  auf  Grund  der  Akten,  die  der  Verf  des 
vorliegenden  Buches  nicht  kennt,  was  dieser  Oberwölzer  Pfarrer  für  ein 
Mensch  war:  »Wenn  Ihr,  ruft  dieser  Pfai-rer  von  der  Kanzel  herab,  Eure 
ketzerische  Eeligion  nicht  lasset,  will  ich  Euch  solche  Possen  spielen,  dass 
Ihr  Zeit  Eures  Lebens  daran  denken  sollet <^  Die  Gemeinde  klagt:  »da 
nun  das  Wetter  die  vier  Jahr  her  so  stark  geschlagen,  hat  er  vor  der  Kanzel 
gemeldet,  wie  die  Traidsäck  heuer  wenig  füllen  werden,  wissen  das  Nie- 
mandem Schuld  zu  geben  als  denn  allein  dem  Pfarrer*.  Er  ruft  ihr 
zu :  » So  lang  die  Welt  besteht,  hat  es  keinen  verdammteren  Ketzer  gegeben 
als  Martin  Luther*.  »Der  Pfarrer  verhält  sich  gegen  uns  mehr  zum  Rebell 
als  zum  Fried*.  »Vierzehn  Rohre  mit  Pulver  und  Blei  hat  er  zu  etwaigem 
Gebrauch  gegen  seine  Pfarrkinder  in  Bereitschaft*.  Man  wird  zugeben, 
dass  das  Anklagen  sind,  die  eine  energische  Untersuchung  verlangten,  und 
selbst  Martin  Brenner  sieht  sich  genöthigt  zu  erklären,  was  freilich  in 
dem  voiiiegenden  Buche  auch  nicht  zu  lesen  ist:  »Man  solle  beide 
Theile  hören*.  Gewiss,  das  ist  Gerechtigkeit;  dass  aber  in  dem 
vorliegenden  Buch  auch  der  zweite  Theil  gehört  wird,  das  ist  eben  nicht 
der  Fall.  Noch  eine  Aeusserung  Martin  Brenners  aus  Anlass  der  Land- 
tagsdebatte über  diesen  Oberwölzer  Fall  ist  interessant:  »Möchf  überhaupt 
bitten,  dass  solche  Sachen  in  Abwesenheit  der  Prälaten  vorgebracht 
werden  "^^  Ja,  aber  wenn  das  geschieht,  dann  sagt  man  dem  Landtag,  er 
habe  kein  Recht  gehabt,  als  Landtag  zu  sprechen,  denn  die  Prälaten  seien 
nicht  dabei  gewesen.  Dass  aber,  um  auf  unseren  Martin  Lindmayer  zu- 
rückzukommen, auch  die  streng  katholischen  Kreise  ihn  nicht  in  Schutz 
nehmen,  hätte  der  Verf.  immerhin  aus  einer  Aeusserung  des  Abtes  von 
Admont  ersehen  können :  Niemand,  nicht  einmal  St.  Peter  im  Himmel, 
könne  die  Oberwölzer  überzeugen,  dass  ihr  Pfarrer  kein  Zauberer  sei. 
Darf  man  sich  nach  alledem  wundern,  wenn  die  Bauern  ergrimmt  sind 
und  sich  dann  an  ihrem  Hirten  vergreifen? 

»Den  Oberwölzern,  sagt  der  Vei'f,  folgten  die  Pfarrinsassen  von 
St.  Peter,  vertrieben  ihren  katholischen  Pfarrer  Martin  Lorbeer  und  setzten 
einen  abgefallenen  Mönch,  Abraham  Mann,  ein*.  Ja  weiss  der  Verf.  auch 
den  Grund,  weshalb  dieser  Lorber  vertrieben  wurde?  Da  es  nicht  der 
Fall  zu  sein  scheint,  denn  den  Lesern  wird  hierüber  auch  nichts  mit- 
getheilt,  will  ich  auch  hier  die  nothwendige  Ergänzung  anfügen :  In  den 
Beschwerdeartikeln  der  Pfarrmenge  von  St.  Peter  unter  dem  Kammersberg 
liest  man:  »Wenn  einer  (ein  Protestant)  sein  Kind  bei  seinen  Glaubens- 
genossen zu  Tauf  bringt,  hat  man  etliche  nicht  allein  in  die  Gefängnuss 
gelegt,  bis  in  2,  3,  4  und  5  Gulden  gestraft*.  »Als  im  verflossenen 
Jahr  am  Montag  nach  Oculi  (l589  März  6)  die  Hofräth  allhier  gewest, 
haben  sie  der  Nachbarschaft  als  Peenfall  5  Dukaten  aufgelegt,  zwischen 
jetzt  und  Ostern  zum  päpstischen  Pfarrern  zum  Sakrament  zu  gehen. 
Wer  das  nicht  thäte,  dem  soll  in  dem  Stifte  die  Straf  abgefordert  und 
er  von  Haus  und  Hof  geurlaubt    werden*.     »Der  Pfleger  hat  uns  keinen 

9* 


;^3ä  Literatur. 

Schuldbrief  gefertigt,  läset  auch  keinen  in  das  Urbäri  schreiben,  wenn 
einer  ein  Heimbwesen  kauft,  noch  jemandem  sein  Erbgut  erfolgen,  denn 
allein  er  wolle  sich  geloben,  seines  Glaubens  zu  sein^^  »Er  hat  die 
armen  Keuschler  in  der  Hofmark  angetastet :  wenn  sie  das  Sakrament 
nicht  binnen  14  Tagen  (nach  seiner  Weise)  nehmen,  sollen  sie  aus  der 
Hofmark  ziehen  ^^ 

Man  wird  gestehen,  dass  nach  diesen  protokollarischen  Angaben 
die  Thatsache  der  Austreibung  des  Pfarrers  von  St.  Peter  und  jenes  von 
Oberwölz  in  einer  ganz  anderen  Beleuchtung  erscheint,  als  in  der  Dar- 
stellung unseres  Verf.;  dass  dieser  die  blossen  Thatsachen  mittheilt,  ohne 
auch  die  Begründung  irgendwie  leise  anzudeuten,  kann  von  historischem 
Standpunkte  aus  nicht  gebilligt  werden. 

Ganz  in  gleicher  Weise  Hessen  sich  alle  die  folgenden  Erörterungen 
über  die  Dinge  in  Mitterdorf,  Aussee,  im  Ennsthal,  Pettau,  Knittelfeld, 
Marburg  und  Villach  beleuchten.  In  allen  diesen  Fällen  ist  nur  eines 
Mannes  Eede  gehört,  und  in  keinem  kommt  die  Wahrheit  an  den  Tag. 
Es  mag  vielleicht  um  die  Tendenz  des  Buches  zu  beleuchten,  nicht  ohne 
Interesse  sein,  auch  von  diesen  Fällen  einige  zu  beleuchten.  S.  316  wird 
erzählt:  »Im  Jahre  1592  visitirte  Franciscus  Barbaras,  der  Coadjutor  des 
Patriarchen  von  Aquileja,  die  Diözese.  Als  er  nach  Villach  kam,  um 
auch  hier  zu  visitiren,  entstand  ein  grosser  Auflauf  in  der  Stadt  und 
wenn  es  nicht  Gott  und  der  beigegebene  1.  f.  Commissär,  Graf  Hans  von 
Ortenburg,  verhindert  hätte,  so  wäre  er  sicher  in  Stücke  gehauen  worden. 
Er  musste  ohne  Verzug  die  Stadt  verlassen  und  durfte  bei  Verlust  des 
Lebens  nicht  mehr  wagen,  sich  in  der  Stadt  blicken  zu  lassen.  Das 
Wappen  des  Patriarchen  riss  man  von  der  Kirche  herab  und  hängte  es 
an  das  »eiserne,  vergatterte  Narrenhäusel <■=.  —  Die  Quelle  —  auch  diesmal 
eine  sehr  trübe  —  ist  wieder  der  Revocant  Eosolenz.  Hätte  der  Verf. 
der  Sache  auf  den  Grund  gehen  wollen,  er  hätte  einen  ausserordentlich 
reichen  Quellenapparat  im  steiermärkischen  Landesarchiv  gefunden  —  so 
reich,  dass  das  Material  dem  Beai'beiter  fast  zu  viel  wird.  Was  ist  nun 
an  der  Sache?  Man  muss  auch  hier  beide  Theile  hören;  der  andere, 
von  dem  Verf.  nicht  gehörte  Theil  bezeichnet  das  Vorgehen  seiner  Gegner 
als  Landfriedensbruch,  denn  am  dritten  November  1592  > hat  herr  Johann 
Georg  von  Stadion  zuwider  der  Landschaft-Constitutionen,  der  1578  auf- 
gerichteten, 1591  bestätigten  Religionspacification  die  den  HeiTen  von 
Dietrichstein  mit  Vogt-  und  Lehenschaft  eigenthümlich  angehörige  St.  Jacobs 
Pfarrkirche  in  der  Stadt  ohne  einiges  vorhergehendes  gebräuchliches  Er- 
suchen trotz  des  Flehens  der  Bürgerschaft  und  ihres  geschehenen  Fuss- 
falls  mit  Hacken  und  Schlägeln  nit  allein  aufl^rechen,  einnehmen  vind  sie 
dem  dazumal  dagewesten  Patriarchen  von  Aglei  zu  seiner  Eeformation 
einzuräumen,  sondern  sie  auch  ihrer  gehaben  christlich  evangelischen 
Prädikanten  berauben  lassen*  ....  die  Sache  schien  den  Ständen 
Kärntens  nicht  mit  unrecht  so  wichtig,  dass  sie  »erstens  nicht  zur  Be- 
willigung greifen*,  zweitens  nicht  umhin  konnten,  den  Fall  in  Gemässheit 
der  Brucker  Uebereinkunft  den  beiden  Landen  Steiermark  und  Krain  an- 
zuzeigen. Am  8.  November  sagen  die  Verordneten,  es  sei  dies  Vorgehen 
offener  Landfriedensbruch;  man  hätte  dies  Vorgehen  umsoweniger  verhofft 
als  der  Bischof   von  Bamberg    in    diesem  Land    ebenso    wie  Dietrichstein 


Literatur.  -133 

nur  ein  Landmann  und  nicht  befugt  ist,  die  Landrechtsordnung  und  andere 
Landesfreiheiten  nach  seinem  Gefallen  aufzuheben.  Hätte  der  Patriarch  von 
Aglei  die  Landesfreiheiten  oder  auch  nur  die  Keligionspacification  gekannt, 
so  hätte  er  »das  hochverbotene  Faustrecht*  nicht  vorgenommen.  Dieser 
Friedensbruch  Verstösse  gegen  alle  Rechte  des  Landes,  beschwere  die 
Bürgerschaft,  die  nun  so  lange  friedlich  bei  der  Ä.  C.  gelassen  worden  sei. 
Hätte  der  Bischof  von  Bamberg  ein  Recht  auf  die  Kirche,  so  hätte  er 
mit  zulässigen  Mitteln  darum  ersuchen  müssen. 

S.  317  liest  man:  der  Pastor  Wilhelm  Zimmermann  und  die  Prädi- 
kanten  Balthasar  Fischer,  Philipp  Fels  (einen  solchen  gibt  es  gar  nicht; 
er  heisst  Felsinius)  und  Salomon  Eginger  gi-iffen  die  katholische  Religion 
und  die  katholische  Landesregierung  in  pöbelhafter  und  hochverrätherischer 
Weise  an.  Das  ist  nun  ganz  falsch.  Bevor  ich  aber  auf  die  Widerlegung 
eingehe,  sehe  ich  mich  genöthigt,  eine  allgemeine  Erörterung  voraus- 
zusenden. Man  nimmt  gemeiniglich  an,  dass  die  protestantischen  Prädi- 
kanten,  die  im  16.  Jahrhundert  in  Steiermark,  Kärnten  und  Krain  ein- 
zogen, ein  unglaublich  streitsüchtiges,  rechthaberisches  Volk  waren,  die  allen 
und  zunächst  ihren  eigenen  Glaubensgenossen  durch  ihre  unerträgliche 
Streitsucht  den  grössten  Schaden  zugefügt  haben;  dies  der  Grund,  wes- 
wegen gerade  die  Bedeutendsten  aus  ihnen:  ein  Jeremias  Hornberger,  Bern- 
hard Egen,  Salomon  Eginger  u.  a.  aus  dem  Land  verjagt  wurden,  ja  wir 
erfahren  aus  diesem  Buch,  dass  die  Steitsucht  dieser  Prädikanten  und 
ihre  unablässigen  Angriffe  auf  die  katholische  Religion  —  der  Streitsucht 
und  der  Schmähungen  der  Jesuiten  auf  öffentlicher  Kanzel  und  in  Gegen- 
wart des  ganzen  Hofes  wird  in  dem  vorliegenden  Buche  natürlich  nicht 
gedacht  —  Schuld  an  der  Einstellung  des  protestantischen  Kirchen-  und 
Schulministeriums  gewesen  sei.  Ich  muss  gestehen,  dass  ich  einstens, 
namentlich  durch  die  Ausführungen  F.  M.  Mayers  bewogen,  eine  ähnliche 
Meinung  hegte  —  die  Sache  liegt  aber  doch  anders.  Wenn  diese  Prädi- 
kanten gegen  einzelne  Dogmen  und  Einrichtungen  der  katholischen  Kirche 
zu  Felde  zogen,  so  erfüllten  sie  eine  Pflicht,  zu  der  sie  nach  ihren  Be- 
stallungsdecreten  verhalten  waren.  Die  steirische,  von  Chyträus  geschaffene 
Kirchenordnung  verpflichtete  die  Prädikanten,  nicht  bloss  die  Thesen  ihrer 
Lehre,  sondern  auch  die  Antithesen  der  Katholiken  ^)  zu  kennen  und  sie 
bei  besonderen  Gelegenheiten  auf  der  Kanzel  vorzutragen.  Da  wurde  nun 
begreiflicher  Weise  eine  jede  Antithese  als  eine  schwere  Beleidigung  der 
Katholiken  aufgefasst,  in  den  meisten  Fällen  denuncirt  und  gestraft.  Dass 
in  vielen  Fällen  die  Denunziationen  gar  nicht  begründet  wai*en,  focht 
wenig  an  ^).  Es  war  nur  natürlich,  dass  der  Prädikant,  der  die  Anti- 
thesen seiner  Pflicht  nach  vortrug,  dann  auch  den  Schutz  des  Landtages 
fand,  wenn  er  von  der  landesfürstlichen  Behörde  belangt  wurde.  Man 
liest  in  den  Verordnetenprotokollen :  ;» Hombergex's  muss  man  sich  an- 
nehmen, denn  zu  dem,  was  er  wider  das  Corporis  Christi  Fest  gepredigt, 
bekenne  sich  ganz  lauter  die  Landschaft;  es  sei  dem  Worte 
Gottes  gemäss  und  werde  von  den  A.  C.  Verwandten,  demnach  auch  von 
den    hiesigen    Predigern    also    gehalten,     gelehrt    und    geglaubt«.     Nach 

')  Näheres  darüber  in  meinem  Buche  die  Keformation  und  Gegenreformation 

in  den  innerösterr.  Ländern  im  16.  Jhdt.  S.  209,  322.  

2)  Ebenda  S.  322.  323.  ,  .     ': 


134  Literatui. 

alledem  wird  man  den  Satz  in  dem  vorliegenden  Buche  auch  nur  mit 
sehr  grossen  Einschränkungen,  zumal  da  auch  er  sich  auf  Rosolenz  stützt, 
für  richtig  ansehen  dürfen:  »An  allen  Enden  und  Orten  wütheten  und 
schrieen  die  Prädikanten  von  den  Kanzeln  wider  den  Papst,  vpider  die 
Bischöfe,  Cardinäle,  Prälaten  und  alle  Geistlichkeit  auf  das  höchste  und 
verschonten  auch  der  frommen  Obrigkeit  nicht  ....  In  der  Kirchen- 
ordnuDg  der  Protestanten  liest  man  unter  den  Antithesen:  die  Papisten 
nennen  die  Bibel  ein  Zankbuch,  sie  sei  dunkel  und  habe  Zweifelreden, 
da  es  doch  nur  an  einem  guten  Ausleger  fehlt.  Ihre  Kirche  binden  sie 
an  Rom,  nennen  sie  den  Pfeiler  und  die  Grundfeste  der  Wahrheit  und 
wenn  man  solche  ihre  Meinung  gründlich  abwägt,  führen  sie  die  Leute 
nirgends  anders  hin,  als  zum  Schrein  des  päpstlichen  Herzens.  Was  der 
Papst  sagt,  gilt  als  Sprache  des  Himmels«  ....  Diese  und  ähnliche 
Sätze  hatte  der  Prädikant  seinen  Gläubigen  seiner  Pflicht  gemäss  zu  predigen, 
wollte  er  nicht  als  lau  erscheinen.  Auf  diesen  Sachverhalt  aber  hätte  ein 
Buch,  wie  das  vorliegende  aufmerksam  machen  müssen,  weil  unter  diesen 
Umständen  unser  Urtheil  über  einzelne  Prediger  bei  den  Protestanten  anders 
lauten  wird.  Das  evangelische  Kirchenministerium  selbst  kam  ja  schliesslich 
zu  der  richtigen  Ueberzeugung,  dass  mit  der  allzuscharfen  Herausstreichung 
der  Antithesen  auf  Kanzel  und  Katheder  ihrer  Sache  wenig  gedient  sei, 
der  Hass  und  die  Verbitterung  wachse.  Daher  nahm  man  Anlass,  in  den 
Bestallungsdekreten  auch  diese  Vei'pflichtung  der  Prädikanten  zu  ändern. 
Man  gestatte,  weil  der  Gegenstand  wichtig  genug  ist,  wenigstens  einen 
aus  vielen  Fällen  hier  anzuführen.  So  lesen  wir  in  dem  Bestallungs- 
schreiben 1)  des  aus  Würtemberg  an  die  ev.  Pfarre  zu  Judenburg  berufenen 
Martinus  Gruel  (de  dato  Graz  9.  October  1597):  Wass  dieser  rainen  lehr 
da  cathechismi  zuwider,  (soll  er)  mit  gebürlicher  heschaidenhait,  sanff- 
mueth  und  rechtmässigem  ernst  straffen.  Und  weil  man  b  i  s  s  h  e  r  mit 
schlechtem  nutzen,  aber  zu  grosser  betrüebung  wahr- 
genommen, dass  die  unruebigen  Widersacher  alle  mitl  und 
weeg  suechen,  die  1.  f.  hohe  obrigkait  eusserist  wider  die 
confessores  veritatis  zu  verhötzen,  zu  welchem  end  sy 
vermüg  lang  practicierter  er  fahrung  neben  andern  iren 
griffen  aus  denen  evangelischen  predigen  allerlay  auf- 
zwacken, besonders  do  sy  und  ire  papistische  gräuel  etwas  acerbius 
mit  harten,  hässigen  und  an  ime  selbs  nicht  passenden  worten  und  in- 
vectiven  perstringiert  werden,  dasselb  aufziunutzen,  per  calumniam  zu 
verkheren,  crimina  laesae  maiestatis  und  mehrere  Verbitterung  der  höchsten 
und  hochen  obrigkait  dardurch  anzustiflften  sich  understehen:  so  will 
die  unvermeidenlich  höchst  notturfft  erfordern,  dass  er  und  die 
andern  ministri  ecclesiae  sonderliche,  gebürliche,  christ- 
liche modestiam  gebrauchen,  in  allen  iren  predigen  caute  et 
circumspecte  reden  und  handien  und  nach  der  lehr  des  apostels 
Pauli  fürsichtiglich  wandlen,  nicht  als  die  unweisen  sondern  als  die  weisen 
und  sich  in  die  zeit  zu  schicken  wissen,  denn  es  ist  böse  zeit,  damit 
auch  nicht  durch  acerbiores  insectationes  die,  so  auf  dem  gegenthail  noch 
sanabiles  zu  gewinnen  sein,  für  den  köpf  gestossen,  die  carbones  unnotter- 

')  L.  A.  Ref.  1597. 


Literatur.  J35 

ding  irritiert  und  den  calunmiatoribus  ursach  gegeben,  fernem  unrath 
anzutritten  und  also  sambt  iren  persouen  E.  E.  L.  mit  dieser  irer  khirchen 
und  rainen  ministerio  per  intempestivam  acerbitatem  unwiderbringlich  gfur 
zu  scbmerzlichen  Verlust  nicht  gesetzt  werde  .  .  .  Während  man  vordem 
in  der  grössten  Schärfe  nichts  sah  als  christlichen  Eifer  und  diesen  lobte, 
will  man  jetzt  zwar  auch  nicht  >das  liecht  undter  ainen  schäfl'el  stellen«, 
aber  doch  noch  lieber,  dass  das  Wort  Gottes  »wie  ein  gülden  apfel  in 
silbern  schallen*  dargeboten,  also  »die  antithesis  oder  gegenlehr  nicht 
alzuhitzig,  sondern  modeste  und  als  vil  magnitudo  negotii  erleiden  kan, 
breviter  und  doch  nervöse  fürgebracht  und  redarguiert  werden  solle*, 
j>dardurch  dann  villen  caluumien  ansa  wirt  abgenomen,  die  hohe  obrigkait 
desto  weniger  inflammiert  etc.  .  .  .  das  also  ist  das  Ergebnis  der  bittern 
Erfahrungen,  die  das  Statut  von  1578  gezeitigt  hatte.  Nacheinander 
mussten  sie  aus  dem  Lande  ziehen:  die  Egen,  Hornberger,  und  wie  sie  alle 
heissen  und  noch  lange  vor  dem  Ende  (1598)  wurde  die  Drohung  laut, 
wenn  dieses  »Scalieren*,  d.  h.  die  Predigt  der  Gegenlehre  nicht  ein  Ende 
finde,  werde  man  dem  evang.  Exercitium  überhaupt  ein  Ende  machen. 
Wenn  sich  den  Ausführungen  dieses  Buches  zu  Folge  die  Gegenreformation 
in  verhältnismässig  milder  Form  vollzog,  so  ist  das  eine  Aufiassung,  über 
die  sich  sehr  streiten  lässt.  Mit  einem  Vergleich  dieser  Bewegung  mit 
ähnlichen  in  anderen  Ländern  hat  schon  Hurter  kein  Glück  gehabt:  in 
England  handelt  es  sich  in  derlei  Dingen  noch  um  ein  anderes  als  um 
kirchliche  Massnahmen.  In  Innerösterreich  wurde  die  Gegenreformation 
mit  einer  unerhörten  Wucht  begonnen  und  so  schneidig  durchgeführt, 
dass  die  geschlagene  Partei  kaum  zur  Besinnung  kam.  Es  finden  sich 
Zeugnisse,  nach  denen  schon  in  den  kritischen  Augusttagen  mit  einer  Art 
wilder  Energie  verfahren  wurde.  Oder  ist  es  anders  zu  deuten,  wenn 
bereits  am  26.  August  1598  an  den  Kärntnischen  Landesvizedom  Hart- 
mann Zingl  von  Küeden  der  Befehl  ergeht,  den  lutherischen  Prädikanten 
Yon  St.  Veit,  Georg  Wehe,  falls  er  sich  über  die  Frist  von  3  Tagen  hinaus 
im  Lande  betreten  lasse  »auf  dem  nechsten  paumb  ohn  alles  weitere  be- 
rechten henken  und  sich  davon  durchaus  nichts  hindern  zu  lassen*.  Auch 
an  sonstigen  Verstössen  und  Irrthümern  fehlt  es  nicht:  die  Bitte  um 
Prediger,  die  Gottes  Wort  ohne  Menscheuzusatz  (nach  Luther)  verkünden, 
wurde  und  namentlich  von  den  Steiermärkern  schon  auf  dem  Augsburger 
Generallandtag  1526  gestellt.  Die  Vorgänge  auf  der  Salzburger  Synode 
waren  nach  einem  grossen  im  steiei'm.  Landesarchiv  befindlichen  Akten- 
faszikel zu  schildern.  Zur  Haltung  Ungnads,  bezw.  zu  seinem  Sturz, 
bietet  sein  von  mir  (S.  5  75)  mitgetheilter  Brief  vom  3.  Mai  15  57  die 
wichtigsten  Behelfe.  Ich  getraue  mich  nicht  zu  sagen,  dass  Ungnad  schon 
1540  ganz  Lutherisch  war,  noch  1557  lehnt  er  diese  Bezeichnung  von  sich 
ab.  Er  steht  eben  die  längste  Zeit  auf  der  Linie  Maximilians  IL  Falsche 
Angaben  finde  ich  über  die  Brüder  Hofmann,  über  die  Motive  des  Abgangs 
Georg  Khuens;  nie  hat  es  (wie  S.  146  behauptet  wird)  1578  in  Graz 
einen  Superintendenten  Chyträus  gegeben.  Kobenzl  wird  einmal  (S.  150) 
Graf,  ein  andermal  zum  Jahre  1578  (S.  155)  Freihei-r  genannt;  Freiherr 
wurde  er  auch  erst  1581.  Die  Thätigkeit  Malaspina's  in  Graz  scheint  mir 
nicht  entsprechend  gewürdigt,  unrichtig  ist,  was  von  dem  massvollen  und 
klugen  Auftreten  der  Jesuiten  (ohne  Einschränkung)  gesagt    wird,    ebenso 


jgg  Literatur. 

die  Angaben  über  die  Abberufung  Marbach's,  über  den  Huldigungslandtag 
1592  und  noch  manches  andere.  Trotz  alledem  enthält  das  Buch  aber 
doch  eine  Fülle  von  schätzenswerthen  Angaben,  die  es  für  einzelnes  als 
eine  Fundgrube  (freilich  nicht  die  einzige)  für  unsere  Kenntnis  mancher 
wichtiger  Ereignisse  erscheinen  lassen,  und  ich  wäre  der  letzte,  der  trotz 
der  obigen  allgemeinen  und  besonderen  Bemängelungen  diesen  Sachverhalt 
verkemien  wollte. 

Graz,  Pfingsten   1898.  J.  Loserth. 


G.  Biermann,  Geschichte  des  Protestantismus  in 
Oesterreich-Schlesien.  Mit  Unterstützung  der  Gesellschaft  zur 
Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und  Literatur  und  des 
Vereines  für  Geschichte  Mährens  und  Schlesiens.  Prag.  1897. 
VI +  223  S.  8«. 

Das  Buch  B.'s  ist  aus  einer  vor  mehreren  Jahrzehnten  verfassten 
»Geschichte  der  evangelischen  Kirche  Oesterr.-Schlesiens.  mit  besonderer 
Eücksicht  auf  die  der  Gnadenkirche  vor  Teschen^  erwachsen,  indem  der 
Verf.  die  Ergebnisse  seiner  späteren  Forschungen  auf  diesem  Gebiete,  die 
er  anlässlich  seiner  beiden  grösseren  Arbeiten  »Gesch.  des  Herzogthums 
Teschen«  (l863  und  1894)  und  »Gesch.  der  Herzogthümer  Troppau  und 
Jägerndorf«  (l874)  zu  machen  Gelegenheit  hatte,  mit  jener  eisten  Studie 
verband.  Die  Darstellung  zerfällt  in  drei  grosse  Abschnitte.  Der  erste  bis 
1620  reichend,  zeigt  das  Vordringen  des  Protestantismus  im  Neissischen, 
Troppauischen  und  Teschni sehen  Gebiet  und  den  Widerstand,  der  sich  ihm 
hier  von  Anfang  entgegenstellte.  Der  zweite  Abschnitt  behandelt  die 
Entwicklung  in  dem  Zeitraum  von  1620 — 1781,  in  welchem  wiederum 
das  Jahr  170  7,  da  durch  die  Altranstädter  Convention  »die  Bestimmungen 
des  westphälischen  Friedens  in  Bezug  auf  die  evangelischen  Schlesier 
erneuert  und  ihnen  trotz  päpstlicher  Einsprache  die  so  heiss  ersehnte 
Eeligionsübung  zuerkannt  wurde*,  einen  bedeutsamen  Einschnitt  macht. 
Das  Jahr  1781,  mit  welchem  der  dritte  und  letzte  Abschnitt  einsetzt,  ist 
das  Jahr  des  Josephinischen  Toleranzpatentes,  es  beginnt  die  Zeit  der 
»Duldung«,  der  seit   1848  die  der  »Gleichberechtigung«  folgte. 

Das  Buch  weist  alle  jene  Eigenschaften  auf,  die  wir  schon  früher 
an  den  Schriften  B.'s  anzuerkennen  Gelegenheit  hatten,  die  klare,  über- 
sichtliche Disposition,  eine  schöne  Sprache,  strenge  Sachlichkeit  bei  aller 
Vorliebe  für  seinen  Gegenstand  und  gute  Beherrschung  der  Literatur. 

Brunn.  Dr.  B.  B retholz. 


Alfred  Stern,  Geschichte  Europas  seit  den  Verträgen 
von  1815  bis  zum  Frankfurter  Frieden  von  187 L  1.  und  2.  Band. 
Berlin.     Wilhelm  Hertz  {Besser'sche  Buchhandlung)   1894.   1897. 

Das  Geschichtswerk,  das  Alfred  Stern  in  Angriff  genommen  hat, 
gliedert  sich  in  drei  Abtheilungen;    die    erste    soll  bis    1830,    die    zweite 


Literatur.  \^'J 

bis  1848,  die  dritte  bis  1871  reichen.  Nach  den  Ausführungen  des  Verf. 
liegt,  es  aber  keineswegs  in  seiner  Absicht  »den  Rahmen  so  weit  zu 
spannen,  wie  einst  Gervinus*.  Es  ist  ihm  vielmehr  darum  zu  thun,  die 
grossen  gemeinsamen  Grundzüge  zur  Anschauung  zu  bringen,  die  sich  in 
der  Geschichte  der  einzelnen  Völker  und  Staaten  Europas  bemerkbar  machen. 

In  der  That  ein  dankenswerthes  und  anregendes  Unternehmen,  zu 
zeigen,  dass  auch  im  19.  Jahrhundert  die  europäische  Menschheit  eine 
Gemeinschaft  bilde,  die  von  den  gleichen  politischen,  wirtschaltlichen, 
künstlerischen  und  wissenschaftlichen  Ideen  erfüllt  und  geleitet  sei.  Gerne 
vertrauen  wir  uns  der  Führung  eines  Geschichtsschreibers  an,  der  uns  die 
formenreiche  Landschaft  der  Historie  von  einem  höheren  Standpunkt  aus 
überblicken  lässt.  Ob  das  Gesammtbild  jedoch,  das  wir  gewinnen  sollen, 
in  allen  seinen  Theilen  ein  deutliches  sein  werde,  müssen  wir  —  so  weit 
die  zwei  ersten  Bände  in  Betracht  kommen,  die  erschienen  sind,  wohl  in 
Zweifel  ziehen.  Denn  gerade  in  den  Fehler,  den  er  zu  vermeiden  die 
Absicht  hatte,  ist  der  Verf.  gefallen:  viel  zu  breitspurig  sind  die  Aus- 
führungen über  die  einzelnen  Verhältnisse ;  sie  ermüden  nicht  allein,  sie 
benehmen  uns  auch  die  Möglichkeit,   die  wesentlichen  Momente  festzuhalten. 

War  es  denn,  um  nur  Eines  zu  erwähnen,  nothwendig,  uns  mit  den 
langatmigen  parlamentarischen  Verhandlungen  bekannt  zu  machen,  die  in 
Frankreich  über  die  Ausnahme-  und  Amnestiegesetze,  über  das  Budget 
u.  a.  gepflogen  wurden?  Ein  wahres  Dickicht  von  Debatten,  durch  das 
wir  dringen  müssen,  bis  wir  wieder  auf  freien  Pfad  gelangen.  Und 
auch  dieser  weicht  in  der  Folge  ab.  Durch  England,  Oesterreich,  Deutsch- 
land kommen  wir  wieder  auf  ihn  zurück,  um  abermals  eine  Zickzack- 
richtung einzuschlagen.  Wenigstens  in  dem  Rahmen  eines  einzelnen  Bandes 
sollte  die  Darstellung,  so  weit  sie  sich  auf  den  einen  oder  anderen  Staat 
bezieht,  keine  Unterbrechung  erfahren.  Was  diese  Staaten,  besonders 
Deutschland  betriiFt,  entnehmen  wir  bereits  den  zwei  uns  vorliegenden 
Bänden,  dass  der  Verf.  allzusehr  ihre  jetzige  Ausgestaltung  vor  Augen 
habe.  Den  Gang  der  Ereignisse  und  ihre  stete  Entwickelung  misst  er 
nach  dem  Bilde  ab,  das  er  sich  im  Sinne  der  modernen  Verhältnisse  ent- 
worfen hat.  Eine  deduktive  Methode,  die  vielleicht  am  Platze  ist,  wo  es 
sich  um  die  Geschichte  von  Staaten  handelt,  die  nicht  mehr  sind  —  aber 
Geschichte,  die  wir  miterleben  und  welche  noch  lang  nicht  abgeschlossen 
ist,  derart  zu  behandeln,  ist  wohl  ein  bedenkliches  Wagniss. 

Dagegen  muss  lobend  hervorgehoben  werden,  dass  Alfred  Stern  den 
wirtschaftlichen  und  sozialen  Fragen  besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet 
hat.  Sie  sind  es  so  recht  eigentlich,  die  dem  19.  Jahrhundert  sein  eigen- 
artiges Gepräge  geben  und  eine  Ideen-  und  Interessengemeinschaft  der 
europäischen  Völker  vorbereiten.  Auch  die  Grossmacht  > Presse*  wurde 
nicht  unberücksichtigt  gelassen. 

Es  würde  uns  zu  weit  führen,  wollten  wir  der  Darstellung  Sterns 
in  ihren  Einzelheiten  folgen.  Nur  soviel  sei  erwähnt,  dass  er  sich  im 
Gegensatz  zu  Treitschke  einer  für  Oesterreich  wohlwollenden  Gesinnung 
befleisst.  Der  Umstand,  dass  ein  nicht  österreichischer  Geschichtsforscher 
unserem  Kaiserstaate  verdiente  Gerechtigkeit  widerfahren  lässt,  muss  uns 
ja  um   so  angenehmer  berühren,  als  er  nur  in  seltenen  Fällen  eintritt. 

Wien.  Schütter. 


138  Literatur. 

Murko  Matthias,  Deutsche  Einflüsse  auf  die  Anfänge 
der  böhmischen  Romantik.  Mit  einem  Anhang:  Kolhir  in  Jena 
uii'd  beim  Wartburgfest.  (Auch  uuter  dem  Titel:  Deutsche  Einflüsse 
auf  die  Anfänge  der  slavischeu  Komantik  I.)  Graz,  Styria,  1897, 
374  +  Xll  S.  gr.  8°. 

Der  Verf.  dieses  für  die  vergleicheuile  Literaturgeschichte  überaus 
wichtigen  Werkes  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt,  in  eingehenden  Unter- 
suchungen zu  zeigen,  wie  von  den  Slaven  und  speciell  von  den  »Böhmen* 
deutsche  Beispiele  in  der  Literatur  nachgeahmt,  und  deutsche  Ideen 
herübergenommen  und  weiter  ausgebildet  wurden,  und  die  Verlagshandlung 
sagt  in  einer  Ankündigung  noch  ausdrücklich,  das  Buch  sei  auch  für 
weitere  Kreise  be.^tiiumt,  die  sioli  daraus  über  die  Entstehung  und  das 
Wesen  der  österreichischen  Nationalilätenkämple  unterrichten  wollen.  Ein 
sehr  zeitgemässes   Buch   also ! 

Die  romantische  Schule  in  Deutschland  knüpfte  direkt  an  die  Weimarer 
Classik  an  und  nahm  ihren  Ausgangspunkt  von  Goethes  »Wilhelm  Meister«, 
der  den  neuen  Dichtern  als  der  ästhetische  Kanon  ihres  Schaffens  galt, 
und  stellte  sich  erst  später  in  Gegensatz  zu  ilu-em  Vorbilde,  als  sie  eine 
träumelnde  katholisirende  Richtung  einschlug.  Die  älteren  Romantiker 
suchten  nun  ihren  Inhalt  in  der  reichen  Vergangenheit  des  Mittelalters 
und  stellten  sich  mit  ihren  socialpolitischen  Ansichten  an  die  Seite  Herders, 
der  den  bisher  wenig  beachteten  Slaven  das  Wort  redete  und  die  Deut- 
schen der  Unterdrückung  dieses  grossen  friedlichen  Volkes  anklagte.  Der 
deutsche  Kosmopolit  ist  es  gewesen,  der  zuci'st  systematisch  » Volkslieder "=■= 
als  Erzeugnisse  reinen  Volksthums  sammelte  und  herausgab.  Die  neue 
Richtung  hatte  aber  eine  günstige  Folge,  nämlich  das  Erwachen  der  ger- 
manistischen Studien  und  vor  allem  das  Auftreten  der  Brüder  Grimm.  Damit 
drang  gerade  in  der  Zeit  des  politischen  Druck(>s  durch  die  napoleonische 
Herrselialt  die  Schätzung  eigenen  Wesens  bei  den  Deutschen  mit  sieghafter 
Gewalt  durch  und  zeitigte  die  Begeisterung  der  Freiheitskriege,  in  der 
sich  die  Romantik  verjüngte.  Diese  neuere  Richtung  wird  durch  zwei 
Elemente  gekennzeichnet:  durch  den  patriotisclien  Selbstcultus  der  Nation 
(Teutonismus)  und  durch  das  Ilumanitätsideal  Herders,  das  der  Auf- 
klärungsepoche entstammte  und  hier  zur  sinngemässen  Anwendung  ge- 
Uingte.  Der  Ausgangspunkt  der  Romantik  ist  in  beiden  Zweigen  Jena; 
für  die  romantische  Schule  sind  die  Brüder  Schlegel,  für  die  jüngeren 
Romantiker  die  »Patrioten^*  massgebend,  und  der  extremste  Vertreter  der 
letzteren  ist  der  jenaische  Historiker  Luden,  der  der  weimarischen  Regie- 
rung und  dem  alten  Goethe  so  viel  Verdruss  bereitete.  Hier  holten  sich 
auch  die  Slaven  ihre  wissenschaftlichen,  poetischen  und  litterarischen 
panslavistischen  Ideen,  theils  indirekt,  theil  geradezu  direkt  durch  Safafik 
und  Kollär,  die  protestantischen  Slovakcn  und  späteren  Hauptvertreter  des 
literat'ischen  und  poetischen  Panslavismus. 

Die  deutschromantischen  Bestrebungen  wirkten  naturgemäss  auf  die 
zunächstliegenden  Slaven  ein,  auf  die  »Böhmen«.  Murko  nimmt  diese 
Bezeichnung,  welche  die  Cechoslaven  selbst  als  eine  deutsche  bekannt- 
lich vermeiden,  aus   j,  ofticiellen  *  Gründen  an  und  zeigt,  wie  diese  von  den 


Literatur.  139 

Deutschen  lernten  und  ihnen  die  nationale  Idee  abguckten.  Das  wich- 
tigste Kennzeichen  der  deutschen  Romantik,  die  Einkehr  in  das  phan- 
tastische Mittelalter,  fehlt  hier  jedoch,  da  die  Slaven  mit  Ausnahme  der 
Polen,  deren  mittelalterliches  Heldenthum  in  der  jüngsten  Malerei  ver- 
herrlicht wurde  (Matejko)  — ,  damals  keine  EoUe  spielten ;  man  musste 
sich  daher  auf  die  »graue  Vorzeit'^  berufen  und  die  Zeugnisse  aus  der- 
selben sammeln  (Volkslieder),  wofür  wiederum  Herder  als  Muster  diente. 
Dieser  Umstand  erscheint  mir  als  ausserordentlich  wichtig,  sonst  müsste 
man  auf  Grund  des  Buches  von  Murko  schlankweg  behaupten,  dass  bei 
den  Slaven  keine  einzige  grosse  Idee  selbständig  und  autochthon  sei. 
Während  die  älteren  poetischen  und  literarischen  Leistungen  der  Slaven  nach 
meinem  Empfinden  meist  nur  modische  Nachahmungen  sind,  erfassten  die 
Cechen  den  patriotischen  Gedanken  um  so  energischer  und  wandten  ihn 
mit  steigender  Rücksichtslosigkeit  an.  Es  ist  daher  nicht  richtig,  wenn 
Murko,  der  doch  S.  275  selbst  gesteht,  dass  der  romantische  Geist 
Deutschlands  dem  böhmischen  Volke  ursprünglich  nur  »äusserlich  auf- 
gepfropft <^  wurde,  zum  erstenmale  tür  die  patriotische  Schule  der  Böhmen 
und  anderer  slavischer  Völkerschaften  die  Bezeichnung  Romantik  wählt, 
richtiger  wäre  » Nationalismus '^S  selbst  bei  den  Polen,  die  jene  Bezeich- 
nung schon  längst  anwenden.  Die  Westslaven  giengen  in  die  slavische 
Vorzeit  zui'ück,  die  Polen  (Mickiewicz)  befassten  sich  mit  der  Neuzeit  und 
verhielten  sich  rein  retrospectiv  —  beides  uu romantisch  im  herkömmlichen 
Sinne.  Allen  gemeinsam  ist  aber  der  Deutsehenhass,  denn  der  Slave  sieht 
in  dem  Germanen  überall  nur  den  Unterdrücker  des  » Taubenvolkes  ■%  das 
mit  seinen  runden,  weichen  und  sanften  Gesichtszügen  (S.  1 44)  schon 
äusserlich  seine  Friedfertigkeit  verräth.  Diese  Germanophobie  ist  gewiss 
keine  einfache  Nachahmung  der  deutschen  Gallophobie !  Wir  finden  sie 
selbst  bei  den  Polen  ( Wallenrodismus).  die  aus  politischen  Gründen  am 
wenigsten  für  den  Panslavismus  schwärmen  und  die  Jahre  1831  und 
1863  nicht  vergessen  haben,  wenngleich  die  Satyre  »Petersburg«  von 
Adam  Mickiewicz  keine  Lieblingslectüre  der  jüngeren  Gener.'^tion  mehr 
bildet. 

Um  den  Slavismus  zu  begi-ünden,  musste  man  auf  eine  eigenartige 
hohe  Cultur  hinweisen  können:  daher  beginnt  die  Geschichte  der  böhmi- 
schen Literatur  mit  einer  Reihe  von  literarischen  Fälschungen,  die  dann 
in  einer  höchst  bemerkenswerten,  aber  wieder  nicht  originellen  Weise  aus- 
genützt wurden.  Ich  meine  die  wissenschaftlichen  Vergleichungen  mit 
antiken  Werken  und  andere  dilettantische  Bocksprünge,  die  sich  auch 
heute  noch  wiederholen;  so  hat  der  Gymnasiallehrer  Osfadal  in  einem 
Klattauer  Programm  1884  die  Grünberger  Handschrift  (>.  Libusas  Gericht«) 
mit  Homer  in  Parallele  gestellt.  Murko  verhält  sich  dagegen  ablehnend 
und  sucht  sich  so  viel  wie  möglich  auf  das  Sachliche  wissenschaftlich,  zu 
beschränken,  aber  da  und  dort  merkt  man  doch  den  nationalen  Slaven.  Er 
mildert  manche  Schärfe,  die  sich  in  den  politischen  Kämpfen  zeigt,  er  will  den 
Deutschen  nicht  unrecht,  seinen  Connationalen  nicht  wehe  thuu  und  drückt 
sich  deshab  olt  sehr  euphemistisch  aus.  Dass  Safafik  den  Baron  Hormayr, 
der  doch  in  seinem  ^  Archiv  ^'^  den  slavischen  Historikern  gerne  das  Wort 
Hess,  einen  »wüthenden  Deutschen*  nennt,  kommt  ihm  wohl  selbst  son- 
derbar vor,  wie  denn  M.   derartige  Uebertreibungen  als  Mann  der  ernsten 


^40  Literatui-. 

Wissenschaft  ablehnt.  Etwas  überraschend  kommt  aber  doch  S.  58  die 
Ifotiz  über  den  Justitiarius  Schneider,  der  plötzlich  statt  wie  bisher  deutsch 
-als  bnaidr  böhmisch  zu  dichten  anfieng  — ,  dass  dies  eine  » Eückkehr  zum 
eigenen  Volke  <^  gewesen  sei.  Ein  Euphemismus  ist  es  auch,  wenn  Hankas 
patriotische  Fälschungen  zwar  als  das  bezeichnet  werden,  was  sie  sind, 
-aber  hinzugefügt  wird,  sie  seien  culturhistorisch  und  poetisch  wertvoll, 
:» natürlich  mit  der  Einschränkung,  dass  man  sie  nicht  mehr  für  alt  und 
ganz  originell  ausgibt  "^"^  (S.  45).  Dahin  gehört  auch  die  vielleicht  nur 
unglücklich  stilisirte  Bemerkung  S,  97,  dass  die  Deutschen  in  der  böhmi- 
-schen  Oper  entweder  ihre  Muttersprache  oder  die  ihrer  Vorfahren  zu  hören 
bekamen :  es  gibt  in  Böhmen  und  in  Prag  denn  doch  nicht  lauter 
Deutsche,  die  eigentlich  nur  germanisirte  Cechen  sind?  Fast  wie  ein 
Vorwurf  nimmt  sich  ferner  eine  Stelle  S.  iß  aus,  dass  die  Cechoslaven 
schon  früher  culturell  weiter  gekommen  wären,  wenn  nicht  auch  die 
Deutschen  zurückgeblieben  wären  —  ganz  richtig,  nur  verschweigt  M.  hier 
wieder  die  Gründe  für  diese  Erscheinung.  Die  Niederlage  des  Husitismus 
am  weissen  Berge  hat  den  eechischen  Nationalismus  geistig  und  materiell 
schwer  geschädigt,  ergieng  es  denn  dem  deutschen  Volke  während  des 
grossen  Krieges  viel  besser?  Der  historische  Boden,  auf  dem  M.  baut,  ist 
zu  schmal  ausgemessen.  Dass  sich  im  18.  Jahrhunderte  die  Deutschen 
rascher  erhoben  als  die  Slaven  hat  wieder  seine  besonderen  Gründe. 
Unter  dem  ermunternden  Beispiele  der  »egoistischen*  Deutschen  erholten 
sich  auch  die  » Böhmen  *^S  aber  ihre  ersten  geistigen  Grössen  Jungmann 
und  Dobrovsky  waren  noch  wesentlich  Josephiner;  erst  mit  1820  lässt  M. 
die  böhmische  Romantik  beginnen,  als  die  politischen  Verhältnisse  für  die 
nationale  Wiedergeburt  des  eechischen  Volkes  günstiger  geworden  waren. 
Von  grösster  Wichtigkeit  für  alle  Slaven  gestaltete  sich  die  Thätigkeit 
Kopitars  in  Wien,  der  bereits  1810  nach  dem  Muster  Mosers  » Patriotische 
Phantasien  eines  Slaven*  anstellte  und  sich  nach  einer  serbokroatischen 
Volksliedersammlung  sehnte,  dann  auch  wirklich  den  »ganzen  Vuk  Karadzic, 
nicht  bloss  den  Sammler  und  Herausgeber  der  serbischen  Volkslieder, 
sondern  auch  den  Grammatiker  und  Lexikographen,  überhaupt  den 
Schöpfer  der  neuserbischen  Schriftsprache  und  Orthographie,  allein  ge- 
schaffen hat*  (S.  14).  Ein  so  schwerfällig  und  undeutsch  gebildeter 
"Satz  schreit  aus  der  sonst  gewandten  Darstellungsweise  Murkos  heraus ; 
trotz  dem  stattlichen  Druckfehlerverzeichnisse  S.  374  gibt  es  in  dem  Buche 
noch  allerlei  nicht  vermerkte  Versehen  (S.  15,  20,  42,  51,  56,  60,  84, 
^30,  118,  173,  177,  246).  Die  Talvj  (nicht  Talvy  S.  148)  hiess  nicht 
Jacobs,  sondern  T.  A.  L.  v.  Jakob,  Goethes  Autobiographie  sollte  stets 
mit  dem  richtigen  Titel  »Dichtung  und  Wahrheit'^   angeführt  sein. 

Die  Anlehnung  der  böhmischen  patriotischen  Schule  direkt  an  Goethe 
(und  an  die  jüngere  deutsche  Romantik  S.  6l)  ist  vielleicht  auf  die  Fest- 
stellung gdnz  bestimmter  Einflüsse  einzuschränken,  denn  die  Vorliebe  der 
Slaven  für  »Hermann  und  Dorothea*  entsprang  doch  nur  dem  mehr 
äusserlichen  Interesse  an  der  national  gefärbten  Schilderung,  die  dem 
Polen  Mickiewicz  als  Muster  für  seine  » Adelsgeschichte '^^  (Pan  Tadeusz) 
diente.  Goethe  hat  zwar  einmal  betont,  dass  alle  Literatur  national  sein 
müsse,  allein  er  widmete  dem  grossen  litthauischen  Romantiker  nicht 
bloss  die   goldene  Feder,    sondern  warnte  ihn  auch  vor  politischem  Chau- 


Literatur.  ]  4 1 

vinismus  (1829).  Interessant  ist  es  übrigens,  dass  die  vier  Verse  des- 
Olympiers »Im  Vaterlande  schreibe,  was  dir  gefällt«  (Hempel  2,  334) 
auf  Celakovsky  gehen.  Es  genügt  für  die  »böhmische  Romantik*  einfach 
der  Hinweis  auf  Herder  und  auf  beide  Eichtungen  der  deutschen  Romantik^ 
der  Einfluss  Goethes  erscheint  mir  als  ein  mehr  zufälliger  denn  a  priori 
bewusster.  Ein  unbefangener  Vergleich  zwischen  den  Slaven  und  ihren, 
literarischen  Vorbildern  lehrt,  dass  es  den  Deutschen  um  die  Sache  zu  thun 
war,  während  bei  den  ersteren  immer  der  politische  Gesichtspunkt  hervortritt. 
In  dieser  Richtung  hat  sich  auch  ihre  neuere  Literatur  entwickelt,  die 
sofort  in  den  breiten  Strom  nationaler  Politik  einmündete.  Es  ist  be- 
zeichnend, dass  bei  den  Cechen  alsbald  die  praktischen  Historiker  den 
Vortritt  erhalten;  Palack^  wird  der  »Vater  der  böhmischen  Nation '^^  und 
der  Geschichtschreiber  seines  Volkes.  Safafik,  der  Begi'ünder  des  wissen- 
schaftlichen Panslavismus,  forderte  bereits  1848  Dinge,  die  erst  in  den 
jüngsten  Tagen  zugestanden  wurden.  Ein  Buch,  das  wie  das  vorliegende 
nach  dem  Titel  nur  deutsche  »Einflüsse*  auf  die  Anfänge  der 
böhmischen  Romantik  aufsucht  und  zum  Schlüsse  (S.  274  fg.)  doch  auch 
die  socialen  und  politischen  Folgen  der  sogenannten  böhmischen  Romantik 
erörtert,  ist  eminent  politisch  und  modern,  daher  kann  der  Recensent 
selbst  in  einer  streng  wissenschaftlichen  Zeitschrift  die  Hindeutuiig  auf 
politische  Fragen  nicht  ganz  unterlassen.  Die  Cechen  thun  heute  genau 
dasselbe,  was  sie  früher  an  den  Deutschen  getadelt  haben,  und  der  Aus- 
spruch Fr.  Schlegels  (S.  4)  kann  jetzt  ebenso  gegen  sie  gewendet  werden, 
wie  ihn  die  Anfänger  der  j, böhmischen  Romantik*  einst  gegen  die  Deut- 
schen wandten.  Es  ist  überhaupt  eine  Art  tragischer  Ironie,  dass  alle 
Aussprüche  deutscher  Geister,  die  die  Slaven  für  sich  ausdeuten,  auch 
gegen  sie  benützt  werden  könnten.  Daher  sehen  wir  das  unerfreuliche 
Schauspiel :  erst  Freiheitsschwärmer,  dann  Reactionäre !  Ein  einzelnes  Bei- 
spiel bildet  ja  auch  Jan  Kollär,  der  »philosophische  Begründer  des  lite- 
rarischen Panslavismus*.  In  »Slävy  Dcera*  herrscht  Herders  Humanitäts- 
ideal in  subjectivirter  Gestalt  vor  —  die  übrigens  nichts  mit  Bjri'on  zu 
thun  hat  (S.  237)  —  und  in  seiner  Schrift  über  die  Wechselseitigkeit 
der  slavischen  Literaturen  finden  sich  freie  Ideen,  die  der  alte  Kollär 
nicht  mehr  kannte.  Er  gleicht  überhaupt  vielfach  Herder,  nur  war  er  dem 
Erweiterer  Lessing'scher  Ideen  gegenüber  ein  unkritischer  Kopf  Murko 
ist  hier  nahe  liegenden  Parallelen  aus  dem  Wege  gegangen ;  das  phan- 
tastisch-mystische, romantische  Element  aber  wird  ihm  bei  Mickiewicz 
deutlich  genug  entgegentreten.  Das  Entstehen  und  die  Charakteristik  des 
Austroslavismus,  der  an  Oesterreich  festhält,  hat  er  recht  glücklich  dar- 
gelegt. Allein  den  vollständigen  Föderalismus,  auf  den  bereits  der  Prager 
Slavencongress  hinwies,  hält  Refer.  bei  den  ethnographischen  Verhältnissen 
Oesterreichs  und  der  herrschenden  politischen  Weltlage  für  unmöglich, 
weil  er  die  Monarchie  nach  aussen  in  Ohnmacht  versetzen  müsste. 
Murko  verhält  sich  hier  mehr  referierend.  Das  Hauptgewicht  seines 
Buches  fällt  auch  nicht  auf  die  historische,  sondern  auf  die  literarhisto- 
rische Seite,  und  da  müssen  wir  unumwunden  bekennen,  dass  das  Werk 
Vorzüge  besitzt,  vor  denen  die  gemachten  Ausstellungen  schier  verblassen, 
denn  es  legt  erstens  und  im  Zusammenhange  zum  erstenmale  den  deut- 
schen Einfluss  auf  die  neuere  slavische  Poesie  mit  wissenschaftlicher  Schärfe 


142 


Literatur. 


dar  und  ergänzt  somit  die  allgemein  vergleichende  und  speciell  auch  die 
deutsche  Literaturgeschichte  nach  einer  sehr  wichtigen  Seite  hin.  Selbst 
in  Einzelheiten  fördert  es  manches  wertvolle  Eesultat  zutage.  Zweitens 
entwickelt  es  in  übersichtlichen  Capiteln  —  denen  allerdings  noch  Spuren 
ursprünglich  selbständig  gedachter  Abhandlungen  anhaften  —  die  deutsch- 
slavische  Nationalitätenfrage  im  engsten  Zusammenhange  mit  der  litera- 
rischen Entwicklung.  Den  Anhang  bilden  die  getreu  übersetzten  Erinne- 
rungen Kollärs  über  seinen  Aufenthalt  in  Jena,  die  wir  einer  Anregung 
Erich  Schmidts  verdanken  und  die  nun  allgemein  zugänglich  geworden  sind. 
Marburg  a.  Drau.  S.  M.  Prem. 


Heinrich  Friedjung.  Der  Kampf  um  die  Vorherrschaft 
in  Deutschland  1859  bis  1866.  Stuttgart,  Cotta  I.  Band  1897. 
IL  Bd.  1898. 

Ein  crewandter  und  geschmackvoller  Publizist  mit  historischer  Vor- 
bildung  und  einer  entschiedenen  Keigung  zur  Historie  war  gewiss  die 
geeignete  Persönlichkeit,  dieses  Werk  zu  liefern,  dessen  Erscheinen  ein 
wirkliches,  stark  empfundenes  Bedürfnis  befriedigt.  Der  deutsch-franzö- 
sische Krieg  war  so  rasch  auf  die  Auseinandersetzung  zwischen  Preussen 
und  Oesterreich  gefolgt,  Verlauf  und  Folgen  desselben  waren  so  interessant 
geworden  und  hatten  so  grossartige  Dimensionen  angenommen,  dass  man 
darüber  das  bischen  Köuiggi'ätz  fast  vergessen  und  die  Stellung  Oesterreich- 
Ungarns  ausser  Verband  mit  Deutschland  als  etwa  ganz  Selbstverständliches 
anzusehen  sich  gewöhnt  hatte.  Erst  als  sich  die  Welt  mit  der  Er- 
scheinung des  neuen  deutschen  Reiches  vertraut  gemacht  und  allmählig 
davon  überzeugt  hatte,  dass  sie  keine  vorübergehende  sein  werde,  als  sich 
die  inneren  Verhältnisse  des  jungen  Organismus  stetig  zu  festigen  und 
zu  beruhigen  begannen,  während  Oesterreich-Ungarn  in  dem  Eingen  um 
seine  Neugestaltung  in  die  heftigsten  parlamentarischen  Kämpfe  verwickelt 
wurde  und  die  seit  1866  wirkende  Kräfteverschiebung  immer  aufs  Neue 
die  Frage  nach  dem  Wesen  und  der  zweckmässigen  Verfassung  der  Mo- 
narchie aufwarf,  wendete  sich  die  Aufmerksamkeit  der  politischen  Kreise 
wieder  dem  Zeiträume  zu,  in  dem  die  erste  und  folgenreichste  Entschei- 
dung über  die  Geschicke  Europas  durch  die  preussische  Politik  hervor- 
gerufen worden  war.  Gleichzeitig  wuchs  auch  das  Interesse  für  die 
Persönlichkeit,  die  diese  Politik  geschaffen  und  getragen  hatte,  je  mehr 
sich  ihre  grossartige  Gestaltung  offenbarte.  Bismarcks  Werk  in  allen  Einzel- 
heiten kennen  zu  lernen,  seine  ersten  und  schwierigsten  Leistungen  in 
der  neuen,  durch  ihn  der  europäischen  Diplomatie  demonstrirten  Staats- 
kunst zu  verfolgen,  wurde  ein  lebhaftes  Verlangen  seiner  Bewunderer  und 
seiner  Hasser.  Und  so  ward  es  eine  dankbare  Aufgabe  des  Publizisten 
grossen  Stils,  die  Ereignisse  im  Zusammenhange  darzustellen,  durch  welche 
die  Auflösung  des  deutschen  Bundes,  der  Ausschluss  Oesterreichs  aus  dem 
Verbände  der  deutschen  Staaten  und  die  Begründung  der  preussischen 
Hegemonie   unter  denselben  herbeigeführt  wurde. 

Ob  diese  Aufgabe  schon  eine  historische  genannt  werden  kann,  dürfte 
zweifelhaft     sein.     Anfang    und    Ende     der    wissenschaftlichen    Geschieht- 


Literatur.  143 

Schreibung  tünd  nicht  leicht  zu  bestimmen;  die  Schwierigkeit  der  Kritik 
ist  ebenso  gross,  wenn  der  Beobachter  den  handelnden  Personen  noch 
sehr  nahe  steht,  als  wenn  alle  Handlung  und  Bewegung  erkennbarer 
Menschengnippen  sich  in  nebelhafte  Fernen  verliert.  Im  vorliegenden 
Falle  liegt  die  Schwierigkeit  vornehmlich  in  der  Beurtheilung  der  Vor- 
gänge auf  österreichischer  Seite.  Es  ist  in  dem  Wesen  der  österreichisch- 
ungarischen Monarchie  begründet,  dass  in  ihr  die  Dynastie  und  der  Hof 
zu  stärkerer  Wirkung  gelangen  als  alle  anderen  staatlichen  Elemente  und 
die  Hofpolitik  vor  der  Staatspolitik  geht.  Die  erstere  hängt  aber  so  sehr 
von  den  Entschliessungen  des  Monarchen,  von  den  intellectuellen  und 
Charakter-Eigenschaften  desselben  ab,  dass  sie  sich  einer  ernsten  Kritik 
bei  Lebzeiten  des  Monarchen  wohl  selbstverständlich  entzieht,  nicht  etwa 
wegen  der  Befangenheit  des  Kritikers  sondern  wegen  des  Mangels  aus- 
reichenden Nachrichtenmateriales.  Es  ist  noch  sehr  wenig  über  den  Kaiser 
Franz  Josef  aus  jenen  Kreisen  mitgetheilt  worden,  in  denen  man  Gelegen- 
heit hatte  und  hat,  ihn  kennen  zu  lernen,  sein  historisches  Bild  steht 
nicht  fest  und  ohne  dieses  kann  auch  das  Bild  seiner  Zeit  und  ihrer  Er- 
eignisse nicht  klar  und  deutlich  werden.  Für  die  psychologisch  indivi- 
dualisirende  Geschiehtschreibung  reichen  die  Quellen,  über  die  wir  in 
Oesterreich-Üngarn  sich  ]8.50  verfügen,  nicht  aus;  es  kann  also  eine 
österreichische  Geschichte  der  neuesten  Zeit  um  so  weniger  geschrieben 
werden,  als  auch  die  Entwickelung  des  österreichischen  Verfassungslebens 
noch  zu  keinem  Euhepunkte  gekommen  und  nicht  abzusehen  ist,  ob  die 
centralistische  oder  föderalistische  Tendenz  die  siegreiche  bleiben  wird. 

Friedjung  hat  sehr  gut  erkannt,  dass  die  offiziellen  Berichte  über 
den  Feldzung  von  1866,  die  Werke  des  preussischen  und  österreichischen 
Generalstabes,  viele  Fragen,  die  der  Geschichtsforscher  stellen  muss,  un- 
beantwortet lassen,  dass  namentlich  der  Zusammenhang  zwischen  den 
diplomatischen  und  militärischen  Kräften  vielfach  unaufgeklärt  ist;  er  war 
daher  redlich  bestrebt,  die  Lücken  der  vorhandenen  Mittheilungen  aus- 
zufüllen. An  Memoiren  und  inhaltsvollen  Biographien  stand  ihm  von 
österreichischer  Seite  nichts  zu  Gebote.  Er  sucht  die  Ursache  des 
Schweigens  der  Staats-  und  Kriegsmänner  »in  der  Geringschätzung  der 
öffentlichen  Meinung;  es  genügt  den  historischen  Persönlichkeiten,  ihre 
Stellung  bei  Hofe  und  innerhalb  des  regierenden  Adels  zu  behaupten; 
das  ürtheil  der  Aussen-  und  Nachwelt  gilt  für  nebensächlich*.  Hiezu 
kommt  noch  jener  beklagenswerte  Mangel  an  Freimuth  nach  oben,  der 
schon  so  viel  Unheil  in  Oesterreich  angerichtet  hat,  und  eine  ganz  ver- 
schrobene Auffassung  von  den  Pflichten,  die  der  «Dienst <'^  auferlegen  soll. 
Aus  den  zahlreichen  authentischen  Belegen  für  diese  Behauptung  wollen 
wir  nur  von  der  Thatsache  Erwähnung  thun,  dass  die  höchst  interessante 
literarische  Hinterlassenschaft  eines  in  Graz  verstorbenen  hohen  militäri- 
schen Würdenträgers,  der  1859  eine  einflussreiche  Stellung  im  Generalstabe 
bekleidete  und  1866  unmittelbar  vor  dem  Ausbruche  des  Krieges  mit 
einer  wichtigen  diplomatischen  Mission  betraut  war,  von  dem  Vertrauens- 
manne,  dem  sie  übergeben  worden  war,  schleunigst  vernichtet  wurde,  weil 
dieser  ebenso  vorsichtige  als  gutmüthige  Hen-,  der  sehr  wohl  geeignet 
gewesen  wäre,  das  in  seine  Hand  gegebene  historische  Material  zu  er- 
gänzen und  zu  vermehren,    den  Besitz    solcher    »Papiere*    für    unbequem 


]  ^^  Literatur. 

und  —  gefährlich  hielt.  Wiederholt  an  Männer  von  politischer  und  mi- 
litäribcher  Vergangenheit  gerichtete  Bitten,  das  Wissen,  das  mit  ihrem 
Hinscheiden  für  immer  verloren  gehen  müsse,  festzulegen  und  in  Archiven 
—  wenigstens  für  eine  spätere  Benützung  aufbewahren  zu  lassen,  wurden 
stets  mit  Stillschweigen  oder  Achselzucken  aufgenommen.  Um  so  höher 
sind  die,  wenn  auch  spärlich  fliessenden  Quellen,  die  Friedjung  eröffnet 
hat  zu  schätzen,  in  ihnen  liegt  der  grösste  historische  Werth  seines 
Werkes.  Er  hat  von  einer  Reihe  hoher  Offiziere,  die  1866  in  der  öster- 
reichischen Nordarmee  an  hervon-agender  Stelle  beschäftigt  waren,  so  von 
den  Feldraarschalleutenanten  Baumgarten,  Friedrich  v.  Fischer  und  Keuber, 
mündliche  Aufklärungen,  von  der  Witwe  des  Feldzeugmeisters  Benedek 
eine  Anzahl  hochzuachtender  Briefe  und  Aktenstücke  erhalten,  die  er  in 
einem  Anhange  nahezu  wörtlich  abdrucken  durfte;  Fürst  Bismarck  hat 
iViTTi  eine  Unterredung  gewährt,  deren  bedeutungsvoller  Inhalt  mit  er- 
freulicher Ausführlichkeit  wiedergegeben  ist,  von  den  Grafen  Recbberg  und 
Nigra  rühren  längere  Auseinandersetzungen  über  ihr  amtliches  Wirken  her. 
Moltkes  Kommentar  zu  den  Berichten  über  die  Schlacht  bei  Königgrätz 
ist  gewiss  eines  der  wichtigsten  Aktenstücke,  das  wir  nunmehr  über  die- 
selbe besitzen,  wenn  sich  auch  nicht  verkennen  lässt,  dass  der  preussische 
Feldherr  sich  dem  österreichischen  Forscher  gegenüber  ganz  besonders 
veranlasst  fand,  entlastend  für  die  österreichische  Heeresleitung  und  die 
Korpsführer  auszusagen.  Auch  die  Bekenntnisse  Blumenthals  können 
mehj-  gelten  als  so  manche  Rückblicke  theoretischer  Strategen,  »bei 
denen  dann  alles  mehr  Konstruktion  als  Thatsache  zu  sein  pflegt«, 
sie  eröffnen  uns  einen  Blick  in  die  Auffassung,  die  bei  den  Siegern  von 
1866  und  1870  über  das  Wesen  des  Krieges  vorwaltete,  und  gehen 
dadurch  noch  weit  über  das  Ziel  hinaus,  das  sich  Friedjung  bei  der  Ein- 
leitung der  UnteiTedung  gesteckt  hatte.  Ob  die  Ausnützung  des  k.  u.  k. 
Kriegsarchives  eine  nach  allen  Richtungen  erschöpfende  war,  lässt  sich 
ffecenwärtig  wohl  noch  nicht  feststellen,  immerhin  konnten  demselben 
einzelne  Stücke  von  Bedeutung  entnommen  werden. 

In  den  vorbereitenden  Studien,  die  Friedjung  mit  einer  höchst  an- 
ei  kennenswerthen  Vertiefung  und  Umsicht  betrieben  hat,  scheint  sein 
Interesse  für  die  militärischen  Dinge  das  politische  noch  übertroffen  zu 
haben,  der  kriegsgeschichtliche  Theil  des  Werkes  ist  daher  auch  mit  einer 
Breite  behandelt,  die  mit  dessen  Aufgabe  nicht  ganz  im  richtigen  Ver- 
hältnisse steht.  Es  soll  nicht  gesagt  werden,  dass  weniger  besser  gewesen 
wäre,  aber  es  drängt,  sich  dem  Leser  doch  die  Meinung  auf,  dass  er  mit 
mehr  Detail  über  die  einleitenden  Gefechte  und  selbst  über  die  Haupt- 
schlacht bedacht  wird,  als  er  erwai-tet  und  als  zum  Verständnis  der  End- 
ergebnisse nothwendig  ist.  Die  sehr  gelungene  Darstellung  der  Schlacht 
bei  Lissa,  die  an  sich  gewiss  dankbar  zu  begi'üssen  ist,  steht  mit  der 
Vorherrschaft  in  Deutschland  wohl  kaum  in  Beziehung.  Sie  brauchte  wohl 
nm-  erwähnt  zu  werden,  um  die  Stellung  Italiens  beim  Friedensschlüsse 
zu  kennzeichnen.  Dagegen  möchten  wir  das  Kapitel  des  ersten  Bandes 
, Organisation  und  Taktik  des  österreichischen  Heeres«  gewiss  nicht  ver- 
missen, es  gehört  zu  den  besten  Abhandlungen  über  die  Fortschritte  in 
der  Kriegführung  der  Neuzeit,  die  uns  bekannt  geworden  sind,  und  kann 
als  Beweis  dafür  dienen,  dass  man  ebensowenig  eine  Compagnie  komman- 


Literatur.  J45 

dirt  zu  haben  braucht,  um  sich  über  die  wesentlichen  militärischen  Fragen 
ein  Urtheil  bilden  zu  können,  als  man  Schauspieler  gewesen  sein  muss, 
um  eine  gute  Theaterkritik  zu  schreiben.  Mit  freudiger  Uebereinstimmung 
müssen  wir  uns  zu  den  Ansichten  bekennen,  die  Friedjung  über  den 
Krieg,  »diese  höchste  Anspannung  der  moralischen  und  physischen  Kräfte 
der  Staaten*  im  Allgemeinen  und  über  die  österreichische  Armee  —  wir 
würden  lieber  die  alte,  volksthümliche  und  richtigere  Bezeichnung  »Kaiser- 
liche AiTüee^*^  beibehalten  —  besonders  ausspricht,  sie  sind  so  zutreffend, 
dass  wir  sie  gerne  nur  als  Grundzüge  für  noch  erweiterte  Ausführungen 
ansehen  würden,  die  den  Inhalt  eines  selbständigen  Werkes  bilden  könnten. 
Der  Einfluss  der  österreichischen  Aristokratie  auf  die  Armee  wird  nach 
Gebühr  gebilligt  und  der  Hauptmangel  der  Führung  nachgewiesen,  die 
von  den  hochadeligen  Generalen  besorgt  wurde.  »Es  fehlt  an  Entschlossen- 
heit und  Wagemuth;  das  Gefühl  der  Verantwortlichkeit  für  die  Mannes- 
that  tritt  zurück  hinter  der  Berufung  auf  höhere  Befehle,  auf  das  Regle- 
ment; es  wird  System,  den  besiegten  General,  der  stets  mächtige  Verbin- 
dungen besitzt,  zu  entlasten  und  milde  zu  beurtheilen.  Das  ist  in 
aristokratisch  regierten  Staaten  Regel :  nicht  der  Mann  trägt  die  Ver- 
antwortung, sondern  das  Geschlecht,  das  ihn  vorwärts  schiebt  und  bei 
Unfällen  deckt*.  Den  Begriff  der  »aristokratisch  regierten  Staaten*  möchten 
wir  nur  auf  diejenigen  beschränkt  wissen,  in  welchen  die  hochmögenden 
Familien  dem  Monarchen  ihre  Dienste  aufdrängen  ohne  ihm  den  geringsten 
Theil  seiner  Verantwortlichkeit  abzunehmen.  Dies  ist  die  bequemste  und 
einträglichste  Form  aristokratischer  Regierung,  der  Regent  wird  durch  sie 
zum  Geschäftsführer  der  FeudalheiTcn  gemacht,  der  Staat  zum  Stellen- 
markt; in  den  Adelsrepubliken,  in  welchen  der  Bestand  der  Herrschaft 
der  grossen  Familien  von  der  Tüchtigkeit  ihrer  Functionäre  abhieng, 
herrschte  eine  ganz  andere  Zucht,  in  Venedig  waren  die  Köpfe  der  hoch- 
geborenen Kommandanten  nach  Unglücksfällen  zu  Land  und  zur  See  meist 
in  grösster  Gefahr,  dort  war  die  eigene  Familie  weder  geneigt  noch  be- 
rufen, die  Fehler  ihrer  Mitglieder  zu  decken,  sie  gab  Unschuldige  und 
Schuldige  der  Rache  des  geschädigten  Staates  preis. 

Auch  in  der  Erzählung  der  kriegerischen  Ereignisse  bekundet  Fried- 
jung grosses  Geschick,  Custozza  und  Lissa  bilden  den  Höhepunkt  der- 
selben ;  in  der  Schilderung  der  Schlacht  von  Königgrätz  scheint  uns  die 
Einheitlichkeit  des  Standpunktes  ausser  acht  gelassen  zu  sein,  der  Verf. 
interessirt  sich  zu  sehr  für  alle  Vorgänge  auf  östen-eichischer  Seite,  selbst 
für  ganz  nebensächliche,  er  beschäftigt  sich  ohne  Grund  mit  Muthmassungen 
über  die  Gedanken  und  Stimmungen  Benedeks,  für  den  er  eine  recht  selt- 
sam berührende  Theilnahme  an  den  Tag  legt.  Hiebei  verdrängt  die 
publizistische  Natur  des  Schreibers  ganz  und  gar  seine  historische;  denn 
der  Historiker  wird  sich  nicht  damit  abquälen,  die  seelischen  Vorgänge  in 
Personen  ergründen  zu  wollen,  deren  Unbedeutenheit  er  erkannt  hat,  der 
Publizist  thut  es,  weil  die  Personen  noch  populär  sind  und  deshalb  die 
Beschäftigung  mit  ihnen  actuell  erscheint.  Mit  einem  Benedek  hat  nach 
meiner  Ansicht  die  Kriegsgeschichte  wenig  zu  schaffen,  die  allgemeine 
Geschichte  noch  weniger.  Wer  fragt  heute  nach  den  Wurmser  und  Melas? 
Das  sind  und  bleiben  Typen,  man  kann  sie  nicht  künstlich  zu  Indivi- 
dualitäten  erheben.     Benedek  ist  der  Typus  des  österreichischen  Generals 

Mittheilungen  XX.  10 


146 


Literatur. 


der  Revolutionskriege,  die  insgesamt  wegen  ihrer  leicht  errungenen  Er- 
folge überschätzt  wurden.  Friedjung  überschätzt  auch  Kuhn  als  Strategen, 
dessen  Verdienste  nur  in  seiner  organisatorischen  Thätigkeit  als  Kriegs- 
minister liegen.  Der  Feldherr  Kuhn  war  eine  fable  convenue ;  es  hat  ihm 
und  Oesterreicb  zum  Segen  gereicht,  dass  er  dies  hohe  Kommando  nie  zu 
übernehmen  brauchte,  das  ihm  die  öffentliche  Meinung  in  der  Armee  für 
den  Fall  eines  Krieges  mit  ßussland  zugedacht  hatte,  —  die  Enttäuschung 
wäre  nicht  weniger  schmerzlich  geworden  als  1866  die  an  Benedek  er- 
lebte. Für  die  Beurtheilung  des  Feldzuges  von  1859,  an  dem  Kuhn  in 
erster  Linie  betheiligt  ist,  hat  Friedjung  nicht  alle  vorhandenen  Quellen 
mit  gleicher  Unbefangenheit  herangezogen,  er  hätte  namentlich  eine,  die 
allerdings  von  seinen  militärischen  Beratern  aus  standespolitischen  Gründen 
absichtlich  beseitigt  worden  sein  dürfte,  ohne  Vorurtheil  prüfen  sollen. 
Wo  der  Offizier  mit  seinem  Anathem  auftritt,  da  hat  der  Historiker  sein 
kritisches  Auge  am  tiefsten  eindringen  zu  lassen,  da  gibt  es  gerade  die 
interessantesten  Probleme  zu  lösen. 

Der    politische  Theil  des  Buches    kann    den  Anspruch  einer  auf  aus- 
gebreitete Literaturkenntnis  sich  stützenden,  anregend  geschriebenen  Zeit- 
geschichte   erheben,    die  frei  von  Tendenz  sich    aufs    ernstlichste    bemüht, 
allen  Stömungen  der  Zeit  gerecht  zu  werden    und    die  tieferliegenden  Ur- 
sachen   der    erzählten  Begebenheiten    aufzudecken.     Aus    den    bereits  ein- 
gangs dieser  Besprechung    erwähnten  Gründen    konnte    dieses  Ziel  jedoch 
nicht  immer  erreicht  werden,    die  einzelnen  Partieen  der  Darstellung  sind 
nicht  von  gleichem  Werte,    manche  konnten  gelingen,  manche  nicht.     Bei 
Napoleon  III.  konnte  die  historische  Forschung  bereits  ziemlich  weit  vor- 
dringen,  diese  Persönlichkeit  steht  nicht  nur  in  Umrissen  fest,    auch  ihre 
feineren  Züge  sind  bereits    deutlich    erkennbar;    Niemand  hat  eine  Pflicht 
oder  ein  Interesse,  von  dem,    was    man    überhaupt    über  ihn  sagen  kann, 
etwas  als  Geheimnis    zurückzubehalten.     Wir   finden  daher  auch  die  fran- 
zösische Politik,  die  während  des  zweiten  Kaiserreiches  ausschliesslich  die 
persönliche  des  Kaisers  war,  am  klarsten  auseinandergelegt.    Die  Wirkung 
der    Erzählung    aller    Irrthümer    und    Täuschungen,     die    der    kränkelnde 
Caesar  erfahren  musste,  und  der  verhängnisvollen  Niederlage,  die  ihm  Bis- 
marck  in  dem  neben  dem  militärischen    sich    abspielenden    diplomatischen 
Feldzuge    beibrachte,    äussert  sich  in  einer  kaum  zu  unterdrückenden  Re- 
gung von  Mitleid    mit    dem  Besiegten,    der    unter  den  zahlreichen  Opfern 
des    Jahres    1866    die    kläglichste  Rolle    spielte.     An  Oesterreich    vollzog 
sich  ein  hartes  Geschick,    das  vor  allen  anderen    seine    deutsche  Bevölke- 
rung zum  Verzicht  auf   nationale  Rechte    zwang,    deren  Wert    sie    erst   in 
ihrem  vollen  Umfange    kennen    lernte,    als  sie  für  immer  verloren  waren; 
der  Fluch    des    Metternich'schen    Systems    wirkte    unaufhaltsam    fort    und 
schlug  die  Staatsmänner  mit  Blindheit,  die  zu  seinen  Nachfolgern  berufen 
worden    waren.     Man    vermag  es  heute  kaum  zu  fassen,    dass    ihnen  Bis- 
marck    das    Angebot    Hardenbergs    von   1814,    die    Hegemonie    über    Süd- 
deutschland noch  einmal  vor  dem  Entscheidungskampfe  angeboten  hat  und 
dass    sie    es    zurückweisen    konnten.     Aber    gerade    deshalb,    weil    es    ein 
tragisches    Verhängnis    war,    das    über    uns    hereinbrach,    erscheint    unser 
Unterliegen  nicht    unwüi-dig,    nicht  ohne  einen  Schimmer  von  historischer 
Grösse.     Das  Schicksal  des  alten  Komödianten  an  der  Seine,  der  mit  den 


Literatur.  j^47 

Berufsgenossen  auf  dem  Thespiskarren  nicht  nur  die  Selbstüberschätzung, 
sondern  auch  den  gutmüthigen  Leichtsinn  gemein  hat,  lässt  neben  dem 
Mitleid  auch  das  Lächeln  nicht  unterdrücken. 

Als  einen  besonderen  Vorzug  der  Friedjung'schen  Darstellung  muss 
jeder  vorurtheilsfreie  Leser  den  Zug  von  patriotischem  Ernste  erkennen, 
der  sie  durchdringt.  Seine  Kritik  der  österreichischen  Zustände,  der  Fehler 
der  Diplomaten  und  Kriegsleiter  ist  strenge  und  scharf,  aber  gerecht  und 
wohlwollend.  Niemals  äussert  sich  in  ihr  hämische  Schadenfreude,  sondern 
nur  der  Schmerz  des  Mitbetroffenen,  der  seinen  Trost  nicht  in  der  Ver- 
hüllung der  Wahrheit  zu  finden  vermag.  Für  diejenigen,  die  darüber 
rechten  wollen,  gibt  es  überhaupt  keine  der  Erkenntnis  der  Wahrheit  zu- 
strebende Geschichtschreibung,  sondern  nur  historisch  ausgeschmückte 
Satzschriften  von  Parteienvertretern,  die  alle  Schuld  ihrer  Klienten  zu 
läugnen  und  auf  den  Gegner  zu  überwälzen  haben.  Die  Urtheilsfällung 
nehmen  sie  dann  allerdings  auch  für  die  Partei  in  Anspruch!  Friedjung 
will  Niemandens  Anwalt  sein,  er  klagt  nicht  an  und  richtet  nicht,  aber 
er  hat  den  Thatbestand,  der  dem  gewaltigen  Völkerprozesse  zu  Grunde 
liegt,  sorgsam  und  ehrlich  festzustellen  gesucht.  Dies  wird  seinem  Werke 
für  lange  Zeit  Bedeutung  verleihen  und  dem  Verf.  Achtung  sichern. 

Graz.  V.  Zwiedineck. 


Die  historische  periodische  Literatur  Böhmens,  Mährens 
und  Oesterr.-Schiesiens  1895—18971). 

Böhmen. 

L  Die  Publicationen  der  kgl.  böhm.  Gesellschaft  der 
Wissenschaften. 

1.  Sitzungsberichte  der  kgl.  böhm.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften. Classe  für  Philosophie,  Geschichte  und  Philologie.  Vestnik 
kräl.  ceske  spoleenosti  näuk.     Tfida  filosoficko-historicko-jazykozpytnä. 

Jalirgailg  1895.  Nr.  I.  Jaroslav  Goll,  Nektere  prameny  k  na- 
bo:^enskym  dejinäm  v  15.  stoleti.  (Einige  Quellen  zur  Keligions- 
geschichte  des  15.  Jahrhunderts).  Aus  einem  Liber  collec- 
taneus  Glacensis,  einer  Handschrift  der  alten  Gymnasialbibliothek  in 
Glatz,  welche  Prof.  Em.  Beck  im  Jahresbericht  des  kgl.  katholischen  Gym- 
nasiums in  Glatz  vom  J.  1892  beschrieben  hat,  werden  verschiedene 
interessante  Aktenstücke  theils  besprochen,  theils  mitgetheilt:  1.  19  Briefe 
über  Keligionssachen  aus  dem  Ende  des  15.  Jhd.  Der  erste  trägt  die 
Ueberschrift :  Epistola  mag.  Jacobi  Weydener  de  Nissa  ad  quendam  Jaco- 
bum  hereticum  de  secta  picardorum  in  Sternberg.  Die  Mehrzahl  der 
anderen  rühren  von  einem  Magister  Jakob  aus  Olmütz  her  und  beschäf- 
tigen sich  mit  dem  Haeretiker  Jakob  de  Zelcze.  Einer  ist  datirt  vom 
J.  1488.  2.  Ein  Verhör  der  »Brüder«  in  Glatz  vom  J.  1480.  3.  6  Briefe 
des  Hilarius  von  Leitmeritz  an  den  Propst  Michael  von  Glatz  aus  den 
J.   1461  — 1467.   4.  Die  Artikel  einer  Prager  Synode  von  Februar  1486.  — 


')  Vgl.  Mitth.  des  Instituts  17,  692  ff. 

10* 


J48  Literatur. 

Nr.  II.  Frant.  Kamenißek,  Pametn;f  spis  nejmenovanelio  pozorovatele 
0  pficinäcli  selskeho  pozdvi2eiii  v  Cechäch  r.  1775.  (Denkschrift  eines 
ungenannten  Beobachters  über  die  Ursachen  des  Bauern- 
aufstandes in  Böhmen  i.  J.  1775).  Diese  Denkschrift  ist  in  deut- 
scher Sprache  verfasst  und  führt  den  Titel:  Gedanken  eines  Landmanns 
bei  einer  Eeise  durch  sein  Vaterland  im  Königreich  Böheim  im  J.  1775, 
nehmlich  in  dem  Jahr,  als  die  unglückliche  und  verwüstende  Empörungen 
des  Bauernvolkes  im  Land  entstanden.  Das  Manuscript  befindet  sich  im 
mährischen  Landesarchiv.  —  Nr.  III.  Jindf.  Metelka,  0  mape  kard. 
Mikulase  Cusy  z  prostfedka  XV.  stoleti.  (Ueber  die  Karte  des  Kard. 
Nikolaus  Cusa  aus  der  Mitte  des  15.  Jahrh.)  Eine  eingehende 
Untersuchung  ihrer  Geschichte  und  ihrer  Bedeutung  nebst  einer  Eeproduc- 
tion  des  Exemplars  der  Weimarer  Hofbibliothek;  ein  zweites  Exemplar 
befindet  sich  im  Germ.  Museum  in  Nürnberg.  —  Nr.  IV.  Jindr.  Metelka, 

0  neznämem  dosud  vydäni  mapy  Islandu  Olaa  Magna  z  r.  1548.  (Ueber 
eine  bisher    unbekannte  Ausgabe  der  Karte  von  Island  des 

01  aus  Magnus  v.  J.  154S).  Sie  befindet  sich  in  einem  Kodex  der 
grossherz.  Bibliothek  in  Weimar.  Eingehende  Beschreibung  nebst  Kepro- 
duction.  —  Nr.  VI.  Fr.  Prusik,  Rukopisnä  Apateka  domäci.  (Ueber 
das  handschriftliche  Sammelwerk  »Haus-Apotheke*  aus 
dem  J.  174'.»).  Die  Handschrift  in  Prager  Privatbesitz,  geschrieben  von 
einem  Georg  Emanuel  Bartholomeus  oepl  in  böhmischer  Sprache  enthält 
ausser  dem  Haupttheil,  der  Apateka  domäci  u.  a.  noch  einen  Judeneid, 
ein  Gedicht  »Samsons  Klägers  ein  Brautlied,  einige  Kapitel  aus  der  Lebens- 
geschichte Adams,  wirtschaftliche  Nachrichten  und  Rathschläge  u.  a.  m.  — 
Nr.  XL  Jos.  Truhläf ,  Latinsky  panegyricus  Martina  z  Tisnova  o  pänech 
Tovaeovskych  z  Cimburka.  (Der  lateinische  Panegyricus  des 
Martin  von  Tisnov  über  die  Herren  Tovacovsk^  von  Cim- 
burg).  Ein  Gedicht  von  mehr  als  2000  Versen,  stellenweise  nicht  ganz 
ohne  historischen  Werth,  verfasst  wahrscheinlich  in  der  2.  Hälfte  des 
Jahres  1404,  abschriftlich  erhalten  in  einer  Handschrift  der  Troppauer 
Museumsbibliothek  Nr.  9  5  vom  J.  1485.  Die  wichtigsten  Partien  führt 
Truhläf  an,  etwa  den  8.  Theil  des  ganzen  Gedichtes.  Derselbe  Martin 
soll  auch  einen  Panegyricus  auf  den  Bischof  Prothasius  von  Olmütz  ge- 
dichtet haben.  —  Nr.  XII.  V.  J.  Noväcek,  Nekolik  listin  tykajicich  se 
kolleje  Karlovy  z  let  1367 — 1424.  (Einige  Urkunden  betreffend 
das  Karlscollegium  aus  den  J.  1367  —  1424).  13  wichtige  im 
vollen  Wortlaut  mitgetheilte  Stücke,  die  sich  dermalen  im  Landesarchiv 
in  Prag  befinden.  —  Nr.  XXI.  Ant.  Fr.  Rybicka,  Dodavky  a  oprävky 
k  studii  kulturni:  o  Öeskem  zvonafstvi.  (Nachträge  und  Correc- 
turen  zur  Studie  über  den  böhmischen  Glockengus s).  — 
Nr.  XXII.  Ant.  Fr.  Rybicka,  Seznamy  klenotü  a  ürocnich  platü  dekan- 
skeho  chrämu  Päne  v  Chrudimi  v  druhe  polovici  XV.  a  na  zacätku  XVI. 
stoleti.  (Verzeichnisse  von  Kleinodien  und  Einkünften  der 
Dekanskirche  zu  Chrudim  in  der  2.  Hälfte  des  XV.  und  zu 
Beginn  des  XVI.  Jahrh.).  Nach  dem  ältesten  Stadtbuch  von  Chrudim, 
dem  Liber  contractuum  L  vom  J.  1439.  —  Nr.  XXIV.  Öenek  Zibrt, 
Albrecht  Chanovsk^  z  Dlouhe  Vsi  a  Jan  Jenik  rytif  z  Bratfic  o  vyroÖnich 
obycejich,  poveräch  a  slavnostech  staroceskych.    (Albrecht  Chanovsk^ 


Literatur.  149 

und  Johann  Jenik  Kitter  von  Bratfic  über  altböhmische 
Sitten,  Gebräuche  und  Feste).  Die  Aufzeichnungen  des  Jesuiten 
Albrecht  Chanovskf  (1581 — 1645)  und  des  Ritters  Johann  Jenik 
(1755 — 1845),  beide  in  böhmischer  Sprache,  sind  bei  dem  sehr  ver- 
schiedenen Stand  der  beiden  Autoren  in  ihrer  Gegenüberstelliing  inter- 
essant. —  Nr.  XXV.  Adalbert  Noväcek,  Copialbuch  des  apost, 
Nuntius  Bertrand  de  Macello.  1366 — 1368.  Es  stammt  aus  dem 
Avignonesischen  Registerband  P.  Urbans  V.  anni  V.  pars  I,  f.  522 — 556 
und  enthält  die  wichtigsten  Urkunden,  die  sich  auf  die  Thätigkeit  des 
Nuntius  betreffend  die  Eintreibung  des  vom  Papste  1366  ausgeschriebenen 
Zehnts  von  dem  Jahreseinkommen  aller  geistlichen  Pfrünäen  in  Deutsch- 
land und  Böhmen  beziehen.  Das  Geld  sollte  mit  dazu  dienen,  die  durch 
das  Unwesen  der  Söldnerscharen  in  Italien  arg  gefährdete  Ordnung  wieder- 
herzustellen, eine  Vorbedingung  für  die  geplante  Rückkehr  des  Papstes. 
Unter  den  28  abgedruckten  Stücken  sind  Urkunden  von  P.  Urban  V., 
K.  Karl  IV.,   dem  Nuntius  u.  a. 

Jahrgang  1896.  Nr.  I.  Josef  Simek,  0  lekarniclch  a  lekafich 
kutnohorsk^ch  v  15.  a  16.  veku.  (Ueber  Apotheker  und  Aerzte 
in  Kuttenberg  im  15.  und  16.  Jahrh).  Die  urkundlichen  Nach- 
richten reichen  bis  ins  Jahr  1420  zurück.  —  Nr.  IL  Fr.  X.  Prusik, 
Urbaf  panstvi  Kacefovskeho  z  r.  1558.  (Ueber  das  Urbar  von  Ka- 
cerov  V.  J.  1558).  Es  befindet  sich  im  Archiv  des  Fürsten  von  Metter- 
nich-Winneburg  in  Plass  und  stammt  aus  der  Zeit,  da  der  Besitz  dem 
Ritter  Florian  Griespeck  v.  Griesbach  auf  Kacefov  gehörte.  —  Nr.  VI. 
Sava  Chilandarec,  Rukopisy  a  starotisky  Chilandarske.  (Ueber  Ma- 
nuscripte  und  alte  Druckwerke  des  Klosters  Chilandar). 
Es  ist  ein  von  Franz  Pastrnek  auf  Grund  des  Werkes  von  Sava  Chilan- 
darec zusammengestellte  Uebersicht  über  die  Bibliothek  des  Klosters  Chi- 
landar am  Berge  Athos,  mit  einer  kurzen  Einleitung  betreffend  die  älteren 
Nachrichten  über  diese  Bibliothek.  Nach  Sava  sind  daselbst  36  Pergament-, 
435  Papierhandschriften,  147  alte  Drucke  (saec.  XV — XVII).  Die 
Handschriften  vertheilen  sich  folgendermassen  auf  die  Jahrhunderte: 
XII.  Jhd.  1  Evang.,  XIII.  Jhd.  5  Evang.,  XIV.  Jhd.  33,  XV.  Jhd.  89, 
XVI.  Jhd.  95,  XVII.  Jhd.  161,  XVIII.  Jhd.  53,  XVIIII.  Jhd.  35  Hand- 
schriften. Pastrnek  stellt  fünf  Gruppen  zusammen :  1 .  Theologische  Bücher, 
2.  Schriften  der  h.  Väter,  3.  Historische  Schriften,  4.  Sammlungen,  5.  Varia 
und  führt  nun  die  einzelnen  Werke  übersichtlich  auf.  Mehrere  Jndices 
erleichtern  die  Uebersicht.  —  Nr.  VII.  Öenek  Zibrt,  Staroeeske  obyöeje 
a  povery  pivovarske.  (Ueber  altböhraische  Gebräuche  und 
Aberglauben  im  Brauwesen).  Z.  publicirt  den  Inhalt  einiger  hier- 
auf bezüglicher  Handschriften,  saec.  XVII.  und  XVHI ,  dermalen  in  der 
Bibliothek  des  Böhmischen  Museums  in  Prag  aufbewahrt.  Mehrere  dieser 
Gebrauchsanweisungen  und  Recepte  stammen  aus  alten  mährischen  Braue- 
reien. —  Nr  VIII.  Öenek  Zibrt,  Rychtäfske  prävo,  palice,  kluka.  (Dorf- 
richterrecht: der  Kolben,  die  Klucke).  Z.  verfolgt  das  Vor- 
kommen dieser  beiden  Dorfrichterzeichen  in  Böhmen  und  Schlesien  —  für 
Mähren  sind  keine  Nachrichten  bezeugt  —  im  Zusammenhalte  mit  ähn- 
lichen Erscheinungen  im  nordöstlichen  Europa  übei'haupt.  Im  Anschluss 
daran  bespricht  Z.  die  culturhistorische  Bedeutung  des  Stabes  und  Stockes, 


150  Literatur. 

insbesondere  als  Kriegsabzeichen,  und  bringt  einige  hiehergehörige  Abbil- 
dungen, darunter  Zizka  als  Anführer  seines  Heeres  mit  Stöcken  und  Stäben, 
sowie  Ewei  Tafeln  mit  ähnlichen  Abzeichen  verschiedener  Provenienz.  — 
Nr.  IX.  Gustav  Friedrich,  0  kanceläf i  a  listinach  markrabi  moravsk^ch 
Viadislava  a  Pfemysla.  1198 — 1239.  (Ueber  die  Kanzlei  und  die 
Urkunden  der  mährischen  Markgrafen  Wladislaw  und  Pfe- 
mysl.  1198 — 1239).  Eine  Detailuntersuchung  über  l.  Die  Geschichte  der 
Kanzlei,  2.  Die  Arten  der  Urkunden,  3.  Die  Ausfertigung  der  Urkunden, 
4.  Die  äusseren  Merkmale,  5.  Die  inneren  Merkmale,  6.  Die  Zeugen  und 
die  Datirung  der  Urkunden.  —  Nr.  XI,  Ferd.  Mencik,  Ueber  ein 
Wiedertäufergesangsbuch.  Die  Hs.  in  der  Wiener  Hofbibliothek, 
388  Bl.  in  4°  stammt  aus  der  Anabaptistengemeinde  in  Sobotist  bei 
Neutra,  geschrieben  1655;  die  darin  enthaltenen  97  Lieder  sind  bisher 
nur  zum  Theil  bekannt  gewesen.  —  Nr.  XII.  V.  J.  Noväcek,  Pameti 
Hynka  mladsiho  Bruntalskeho  z  Vrbna  o  vecech  vefejn^ch  na  Morave  a  v 
Opavsku  z  let  1610  a  1611.  (Denkwürdigkeiten  des  Hynek 
Bruntalsk;f  von  Wrbna  aus  den  J.  1610 — 1611).  Dieses  Glied 
des  bekannten  Adelsgeschlechtes  (geb.  1589,  gest.  1614),  Schwiegersohn 
des  berühmten  Karl  v.  Zierotin,  schrieb  als  Landrichter  in  Troppau  alle 
Ereignisse  des  öffentlichen  und  privaten  Lebens  nieder.  Nur  Fragmente 
seiner  Aufzeichnungen  sind  erhalten,  einige  im  böhmischen  Museum  in 
Prag.  Die  Stücke,  die  N.  bekannt  macht,  stammen  offenbar  aus  Wrbnas 
»Sammlung  der  Landtagsverhandlungen*. 

Jahrgang  1897.  Nr.  I.  Ferd.  Mencik,  IJmluvy  Videnske  z  r.  1725 
a  jejich  nasledky.  (Ueber  die  Wiener  Verträge  v.  J.  1725  und 
ihre  Folgen).  Die  Ausführungen  stützen  sich,  soweit  ungedrucktes  und 
unbekanntes  Material  in  Betracht  kommt,  auf  Gesandtschaftsberichte  und 
sonstige  Aufzeichnungen  im  Harrach'schen  Archiv  in  Wien.  Darauf  lassen 
wenigstens  einige  ganz  kurze  Anmerkungen  zum  Text  schliessen.  Friedrich 
Harrach  war  damals  kaiserlicher  Gesandter  am  königlichen  Hofe  in  Sar- 
dinien und  eben  die  Frage  des  Anschlusses  K.  Viktors  Amadeus,  sei  es 
an  den  Kaiser  sei  es  an  England-Frankreich,  das  Zaudern  des  Königs  und 
die  Bemühungen  Harrachs  stehen  so  ziemlich  im  Vordergrunde  der  Ab- 
handlung, die  überdies  die  diplomatischen  Verhandlungen  vom  Wiener 
Frieden  (April  17  25)  bis  zur  vollen  Entzweiung  des  Kaisers  mit  England 
zufolge  des  kaiserlichen  Memoiandums  als  Antwort  auf  die  englische 
Thronrede  und  bis  zu  der  gegenseitigen  Verabschiedung  der  Gesandten, 
Palms  aus  London,  St.  Saphorins  aus  Wien  und  Le-Heups  aus  Regenshurg 
(April  17  26),  darlegt,  —  Nr.  IL  Jaroslav  Bidlo,  Nekrologium  polske 
vetve  Jednoty  Bratrske.  (Nekrologium  des  polnischen  Zweiges 
des  Brüderuni  tat).  Die  Hs.  in  der  ßaczyfiskischen  Bibliothek  in 
Posen  bildet  eine  zeitliche  und  sachliche  Ergänzung  des  Nekrologs,  das 
Fiedler  in  den  FF.  rer.  Austr.  I.  5  (1863)  herausgegeben  hat,  sowie  der 
hiezu  von  Müller  im  Historick;^  Sbornik,  Jhg.  1S85,  S.  293  ff.  gelieferten 
Nachträge.  —  Nr.  III,  J.  V.  Simak,  Hospodäfska  instrukce  Desfourskä 
z  r.  1685,  (Instruction  für  Desfour'sche  Wirtschaftsbeamte 
V.  J,  1685).  Stammt  aus  dem  Schlossarchiv  zu  Rohosetz,  ist  in  böhmi- 
scher Sprache ;  beigegeben  ein  deutsches  Lohnverzeichnis  vom  selben  Jahr. 
—  Nr.    IV.    Josef  C  ihula,    Pomer  Jednoty  Bratfi  cesk;fch    k  Martinovi 


Literatur.  ;J5l 

Luterovi.  (üeber  das  Verhältnis  der  böhmischen  Brüder- 
unität  zu  Martin  Luther).  Der  Verf.  unterscheidet  zwei  von  einander 
streng  geschiedene  Perioden,  die  erste  von  1522 — 1524,  die  zweite  von 
1533 — 1542.  In  der  ersten  Periode  war  noch  Lukas  das  Haupt  der 
Unität,  er  selbst  habe  nicht  die  Absicht  gehabt,  mit  Luther  in  Verbindung 
zu  treten,  sondern  wurde  indirect  dazu  gebracht,  als  nämlich  Luther  von 
Personen,  die  nicht  zu  den  Brüdern  gehörten,  Sperata  und  Optat,  über 
die  Unität  unrichtig  informirt  worden  war.  Er  tritt  auch  der  Behauptung 
Gindelys,  als  ob  Lukas  die  isolirten  Brüder  dem  lutherischen  Bekenntnis 
zuzuführen  beabsichtigte,  entgegen.  Ein  anderes  Verhältnis  wird  dann 
nach  Lukas  Tode  durch  eine  jüngere  Partei,  an  deren  Spitze  immer  deut- 
licher Bruder  Augusta  tritt,  seit  dem  J.  1533  hervorgerufen;  sie  bahnen 
einen  regen  Verkehr  mit  Wittenberg  an,  veranlassen  die  Herausgabe  ihrer 
Schriften  unter  dem  Schutze  Luthers  und  versuchen  vor  allem  auf  diese 
Weise  die  Unität  zu  einer  anerkannten  Glaubensgenossenschaft  umzu- 
gestalten; allerdings  wie  bekannt,  vergebens.  Die  Ausfühningen  beruhen 
zum  Theil  auf  neuem  handschriftlichen  Material.  —  Nr.  VIII.  Herm. 
Jireöek,  Vlastni  jmena  v  ßukopise  Zelenohorskem.  (üeber  die 
Eigennamen  in  der  Grüneberger  Handschrift).  —  Nr.  IX. 
Kamil  Krofta,  0  pomeru  t.  zv.  kroniky  Tfebonske  k  Starym  letopisüm 
cesk;fm.  (Ueber  das  Verhältnis  des  Chronicon  Trebonense 
(Wittingau)  zu  den  Alten  böhmischen  Annale n).  Das  erstere 
von  Höfler  edirt  (FF.  rer.  Austr.  I.  Abth.,  2.  Bd.)  umfasst  die  Zeit  von 
1419 — 1439,  die  letzteren,  ,die  böhm.  Annalisten  des  XV.  Jhd.«,  wie 
sie  Palack^  benannte,  die  in  den  SS.  rer.  Bohem.  111.  edirt  sind,  bilden  eine 
Masse  verschiedener  unter  einander  mehr  oder  weniger  verwandter  Texte  von 
1378 — 1527.  Kr.  kommt  zu  dem  Resultat,  dass  die  von  Palackf  benannte 
Hs.  A  der  böhm.  Annalen,  die  in  böhmischer  Sprache  geschrieben  ist,  ebenso 
die  Grundlagen  mehrerer  anderer  böhmischer  Hss.,  als  auch  des  lateinischen 
Chronicon  Treb.  für  den  Theil  von  1419 — 1431  bilde.  Von  da  bis  zum 
J.  1439  soll  die  latein.  Chronik  selbständig  sein.  Der  Beweis  ist  nicht 
zureichend.  —  Nr.  XI.  Cenek  Zibrt,  Myslivecke  obyceje  a  povery  die 
sesti  rukopisü  starocesk;fch.  (Gebräuche  und  Aberglauben  bei 
den  Jägern  nach  sechs  altböhmischen  Handschriften).  Die 
Handschriften,  bis  auf  eine  im  Böhm.  Museum  (Sign.  I.  g,  22)  aus  der 
2.  Hälfte  des  17.  Jahrb.,  stammen  durchaus  aus  dem  18.  und  1 9.  Jahrh. 
und  befinden  sich  in  Privatbesitz.  Dem  Abdruck  der  Texte  geht  eine 
überaus  gründliche  aligemeine  Darstellung  dieses  Themas  voraus.  — 
Nr.  Xn.  'J.  V.  S  i  m  ä  k ,  Instrukce  kostelniküm,  vydanä  hejtmanem  Ho- 
berkem  na  panstvi  Svijanskem  z  r.  1645.  (Instruction  für  die  Ver- 
walter des  Kirchenvermögens  erlassen  vom  Hauptmann 
Hoberk  auf  der  Svijaner  Herrschaft  i.  J.  1645).  Enthalten  in 
einem  Register  von  Seelenmessstiftungen,  das  von  Tobias  Rovensk^,  Bürger 
von  Turnau  und  Herrschaftsschreiber,  im  J.  1644  auf  Befehl  Friedrich 
Hoberks  von  Hendersdorf,  damaligen  Hauptmannes  der  Herrschaft  Svijan 
angelegt  wurde.  Es  bildet  nebst  einem  Urbar  vom  J.  1624  den  bescheidenen 
Rest  des  einstmaligen  Svijaner  Archivs,  jetzt  in  Sychrov.  Beide  in  böh 
mischer  Sprache  geschrieben.  —  Nr.  XIII.  Arnost  Kraus,  Christe  ginädö 
a  Hospodine  pomiluj   ny.     (üeber    »Christe  ginädo*    und  »Hospo- 


152  Literatur. 

dine  pomiluj  ny*).  Kosmas  erzählt  bekanntlich,  dass  bei  der  Inthroni- 
sation des  ersten  Prager  Bischofs  Dietmar  im  J.  973  —  über  diese  Jahreszahl 
bestehen  Controversen  —  der  Klerus  »Te  deum  laudamus*  anstimmte,  der 
Herzog  und  die  Primaten  »  Christe  ginädo !  Kyrie  eleison  und  die  heiligen  alle 
helfen  uns,  kyrie  eleison  etc.  *  sangen  (resonabant),  während  das  niedere  Volk 
»Krlessu*  rief  (clamabant).  Andererseits  wird  behauptet,  dass  das  böhmische 
Kirchenlied  »Hospodine  etc.«  nach  den  einen  vom  h.  Adalbert  (c.  983),  nach 
andern  von  Cyrill  und  Method  herstamme.  Kraus  bespricht  mit  sehr  einge- 
hender Literaturkenntnis  zuerst,  wie  der  Gebrauch  eines  deutschen  Kirchen- 
gesanges in  Böhmen  in  jener  frühen  Zeit  von  den  verschiedenen  Gelehrten  der 
verschiedensten  Richtung  gedeutet  wurde,  er  prüft  die  Frage  der  Autorschaft 
des  »Hospodine«  auf  ihren  historischen  Wert  und  kommt  zu  folgendem 
Urtheil:  der  böhmische  Hof  sang  973  ein  deutsches  Kirchenlied,  weil  er 
ein  Lied  in  böhmischer  Sprache  noch  nicht  besass;  das  Volk  aber  musste 
sich  mit  dem  Eufe  » Krlessu  *  begnügen,  weil  es  mehr  nicht  singen  konnte ; 
die  Tradition  aus  dem  13.  Jhd.,  dass  das  böhmische  Lied  »Hospodine* 
aus  der  Zeit  des  h.  Adalberts  stamme,  ist  glaubhaft,  die,  dass  es  von 
Cyrill  und  Method  herrühre,  zu  verwerfen ;  Adalbert  lernte  den  Ruf  » Hos- 
podine«  auf  seinen  Fahrten  im  östlichen  Slavenlande,  Mähren,  Slovakei 
kennen  und  Hess  daraufhin  das  Lied  verfassen,  das  am  Ende  des  1 0.  Jahrh. 
in  Böhmen  beim  Volke  zur  allgemeinen  Geltung  gelangte.  »Der  Import 
eines  fremdsprachlichen  Liedes  nach  Böhmen  führt  allsogleich  den  Wunsch 
nach  einem  entsprechenden  in  der  eigenen  Sprache  hervor,  das  aber 
charakteristischer  Weise  unabhängig  von  jenem  auf  ganz  anderer  Grund- 
lage entsteht«.  —  Nr.  XIV a.  Vaclav  Schulz,  Osudy  mrtvoly  krale  ces- 
keho  Jana  Lucemburskeho  v.  16.  a  17.  stoleti.  (Die  Schicksale  des 
Leichnams  des  böhm.  Königs  Johann  v.  Luxemburg  im  16. 
und  17.  Jhd.).  Aus  drei  interessanten  Briefen  (l614,  Juli  21,  1630 
Januar  17,  1630  November  15),  die  in  Abschriften  mit  dem  Ms.  eines 
Werkes  Joh.  Friedr.  Scbannats  »Eifflia  illustrata«  aus  dem  Blancken- 
heim'schen  Archiv  ins  Böhm.  Museum  gelangten,  erfährt  man  als  Ergän- 
zung dessen,  was  Palack^  hierüber  sagte,  dass  der  Leichnam  von  1346 
bis  1542  in  der  Gruft  des  Marienklosters  in  Altmünster  ruhte.  1543 
brachten  die  Franzosen  den  Sarg  in  das  Franziskanerkloster  daselbst,  dort 
verschwand  der  Kopf  und  ein  Theil  des  rechten  Armes.  Nach  Karls  V. 
Frieden  mit  den  Franzosen  entstand  das  Benediktinerkloster  Neumünster; 
dahin  kam  der  Leichnam  im  J.  1592,  dessen  Abt  nach  den  fehlenden 
Theilen  forschte  und  das  Haupt  auf  der  Burg  Blanckenheim  des  Grafen 
Herrmann  v.  Manderscheid  und  Blanckenheim  fand.  Aber  erst  Erz- 
herzogin Isabella  setzte  die  Rückerstattung  dieser  Theil  e  beim  Grafen 
Johann  Arnold  durch.  Im  J.  1684  wurde  der  Leichnam  von  Neumünster 
in  Luxemburg  wieder  fortgeführt  und  ihm  erst  1838  eine  entspi-echende 
Gruft  vergönnt.  —  Nr.  XIV b.  Vaclav  Schulz,  Popis  velikeho  kfi^e 
zemskeho  z  r.  1480.  (Beschreibung  des  grossen  Krönuugs- 
kreuzes  v.  J.  1480).  Es  handelt  sich  um  das  wertvolle  Kreuz 
Karls  IV.  im  S.  Veitsdome  in  Prag,  das  sich  eine  Zeitlang  auf  Schloss 
Hradek  befand,  von  wo  die  mit  dem  Siegel  Zdeslavs  v.  Sternberg  be- 
glaubigte Beschreibung  aus  Anlass  der  Ueberführung  auf  die  Burg  Hasen- 
burg stammt.    —    Nr.  XV.  Antonin  Tomiöek,    Artikulove   soudni  z  ar- 


Literatur.  153 

cibiskupskeho  panstvi  Cerveno-Reöickeho  1626 — 1667.  (Gerichts- 
artikel von  der  erzbischöflichen  Herrschaft  Roth-Reöic 
V.  J.  1626 — 1667).  Neben  dem  Abdruck  der  böhmisch  geschriebenen 
»Instruction*  einige  kurze  Vorbemerkungen  von  J.  Kalousek  über  die  Hs., 
die  sich  im  Museum  in  Leitomischl  befindet.  —  Nr.  XXI.  V.  I.  Noväöek, 
Matrika  küru  literatskeho  v  Öäslavi  z  let  1539 — 1659.  (Die  Literaien- 
matrik  von  Caslau  aus  den  J.  1539 — 1659).  Das  Heftchen  von 
97  Blättern  im  Pfarrarchiv  zu  öaslau  enthält  1.  eigenhändige  lateinische 
Verschen  der  Mitglieder,  2.  Artikel  der  Bruderschaft  mit  einer  kurzen 
Geschichte  von  1539 — 1645,  3.  die  eigentlich  Matrik.  Sie  wird  sammt 
den  vorhergehenden  Theilen  ganz  abgedruckt.  —  Nr.  XXII.  Öenek  Zibrt, 
Staroceske  obyeeje  a  povery  mlynäfske.  (Ueber  alt  böhmische  Ge- 
bräuche und  Aberglauben  der  Müller).  Die  Ausführungen  zum 
Theil  nach  handschriftlichem  Material  s.  XVIII.  —  Nr.  XXIII.  J.  V. 
Novak,  Rektorskä  fec  M.  Rehofe  PraZskeho  r.  1476.  (Ueber  die 
Eektoratsrede  des  Magisters  Gregor  v.  Prag  i.  J,  1476).  Noväk 
sieht  sowohl  die  Einführungsrede  des  Dekans  Duchek  von  Melnik  als  die 
eigentliche  Rektoratsrede,  deren  Thema  die  zwei  Lebenswege,  der  der  Ehre 
und  der  der  Unehre,  bilden,  beide  lateinisch,  als  Belege  dafür  an,  das  aus 
ihnen  der  neue  Geist  des  Humanismus  noch  keineswegs  entgegenweht.  Die 
Reden  stehen  in  einer  Hs.  der  Olmützer  Studienbibliothek.  —  Nr.  XXVII. 
Hyn.  Kollmann,  0  koUektorech  komory  papezske  v  Cechäch  a  censu  vyse- 
hradskem  do  pocätku  stol.  XV.,  jako  vyklad  k  listine  koUektora  M.  Jana  zMoravy 
z  r.  1412.  —  S  dodatky  k  seznamu  notafü  ve  spise  Tadrove  »Kanceläfe 
a  pisafi  v  zemich  ceskych.*  (Ueber  die  Kollektoren  der  päpst- 
lichen Kammer  in  Böhmen  und  den  Wisehrader  Zins  bis 
zum  Anfange  des  15-  Jhd.  als  Commentar  zur  Urkunde  des 
päpstlichen  Kollektors  Johann  von  Mähren  aus  dem  J.  1412. 
—  Mit  Nachträgen  zum  Verzeichnis  der  Notare  in  Tadras 
Schrift:  Kanzler  und  Schreiber  in  den  böhmischen  Ländern). 
Die  Urkunde  —  es  wird  dies  besonders  betont  —  noch  vor  kurzem 
im  Wischehrader  Kapitelarchiv  gelangte  im  Febr.  1897  leihweise  aus 
Privatbesitz  in  das  Landesarchiv  in  Prag.  Es  ist  ein  Notariatsinstrument 
mit  Insertion  einer  Urkunde,  durch  welche  die  päpstliche  Kammer  den 
Prager  Kollektor  Johann  v.  Mähren  unterweist,  wann  er  die  empfangenen 
Papstzinsungen  abzuliefern  hat;  dd^  1411,  Dez.  16,  Rom.  Daran  schliesst 
K.  seine  allgemeinen  Ausführungen  über  die  päpstliche  Kammer,  über 
die  Kollektoren  mit  einer  Uebersicht  der  Kollektoren  in  Böhmen  bis  zum 
Anfange  des  1 5.  Jhd.  auf  Grund  des  gedruckten  Quellenmaterials,  über 
die  Abführung  des  Wischehrader  Zins,  der  früher  (seit  1061)  12,  später 
(schon  1197)  5  Schock  Grosch.  jährlich  betrug.  Weiters  bespricht  K. 
alle  Personen,  die  in  der  Urkunde  angeführt  werden,  den  Kollektor  Johann 
V.  Mähren  (t  um  142o),  Chwalek  v.  Smilkov  den  Kustos  des  Wischehrader 
Kapitels,  den  dortigen  Domherrn  Wilhelm  v.  Rozmital,  den  römischen 
Kardinal  Antonius  von  Chalant,  den  Passauer  Dekan  Wenzel  Thiem  päpst- 
lichen Notar  und  von  Hus  als  » Ablasskrämer  "^^  (venditor  indulgentiarum) 
bezeichnet,  Pax  de  Fantuciis  v.  Bologna  und  schliesslich  den  Notar 
Jakob  Budislai  v.  Kluk.  Dann  folgen  noch  die  schon  im  Titel  angekündigten 
Ergänzungen    zu  Tadra,    nicht    weniger    als  675  Namen.    —  Nr.  XXVIII. 


154  Literatur. 

Vincenc  Oehm,  Protokol  reformacni  koraraisse,  konane  r.  1628  v  krajich 
Bechynskem,  Prachenskem  a  Plzenskera.  (Protokoll  der  Reforma- 
tionscommission,  welche  im  J.  1628  in  Bechiner,  Prachiner 
und  Pilsner  Kreise  thätig  war).  Dieses  ausführliche  Protokoll 
stammt  aus  der  Schlosskapelle  Bfeznitz;  gleichzeitige  Hs.  von  57   Blatt. 

—  Nr.  XXIX.  Vaclav  Schulz,  Bohemica  knihoven  v.  Hamburce,  Kielu, 
Kodani  a  Rostoku.  (Bohemica  in  Hamburg,  Kiel,  Kopenhagen 
und  Rostock).  —  Nr.  XXX.  Adolf  Pater a,  Latinskä  pisen  o  Rohacovi. 
(Ein  lateinisches  Gedicht  über  Rohäc).  Johann  Rohä  cwurde  auf 
Befehl  K.  Sigmunds  mit  einigen  seiner  Leute,  nachdem  seine  Burg  Sion 
unter  der  Aufführung  Ptaceks  von  Pirkstein  eingenommen  worden  war, 
am  9.  September  1436  hingerichtet.  Das  Lied  unter  dem  Titel  »Historia 
de  quodam  raptore  Bohemie  Rohacz  nomine*  findet  sich  in  einer  Hs.  der 
Stadtbibliothek  in  Frankfurt  a.  M.  Nr,  62,  fol.  159,  die  Hs.  stammt  aus 
den  J.  1458/9.  Es  sind  39  Vierzeiler;  vgl.  auch  Pblack;f,  Gesch.  Böhmens 
III,    2,   S.   394,   Anm.   460. 

2.  Archiv  Cesky  cili  stare  pisemne  pamätky  ceske  i  moravske, 
sebrane  z  archivü  domäcich  i  cizich.  (Böhmisches  Archiv  oder  alte 
böhmische  Schriftdenkmale,  gesammelt  aus  einheimischen  und  fremden 
Archiven).     Redact:  Josef  Kalousek. 

Band  XIV  (1895).  Josef  Kalousek,  Dodavek  ke  sbirce  dopisii 
rodu  Rosenberskeho  do  r.  1526.  (Nachtrag  zur  Sammlung  der 
Korrespondenz  des  Hauses  Rosenberg  bis  zum  J.  1526). 
S.  1 — 323.  Die  Urkunden  sind  gesammelt  von  Rezek,  Marcs  und  Kalousek 
hauptsächlich  in  den  Archiven  von  Wittingau  und  Worlik.  Die  747  Stücke 
vom  J.  1411  angefangen  ergänzen  die  früher  von  Rezek  im  Archiv 
Bd.  VII — XII  veröffentlichten  Urkunden  über  denselben  Gegenstand  aus 
der  Zeit  von  1450 — 1526.  —  Frant.  Dvorsk;f,  Dopisy  kne^i  Simona  z 
Habru  a  Jana  faräfe  Nemecko-Brodskeho  o  rozdilech  ve  vife.  Z  let 
1528' — 1529.  (Korrespondenz  zwischen  dem  Priester  Simon 
von  Haber  und  Johann  dem  Pfarrer  von  Deutschbrod  be- 
treffend die  Glaubensunterschiede  aus  den  J.  1528 — 1529). 
S.  324 — 367.  Acht  Briefe,  einer  lateinisch,  die  anderen  böhmisch,  von 
denen  die  ersten  sieben  eine  Polemik  zwischen  einem  altgläubigen  Kalix- 
tiner  und  einem  böhmischen  Lutheraner  in  Glaubenssachen  enthalten.  Der 
letzte  Brief,  von  Simon  an  eine  dritte  Person  gerichtet,  beschäftigt  sich 
mit  der  mährischen  Sekte  der  Habrowaner.  Dem  Abdruck  der  Briefe  sind 
einige  Bemerkungen  über  den  historischen  Wert  derselben  von  Dvorskf 
und  Kalousek  vorangeschickt.  Die  Briefe  sind  der  Bibliothek  der  Kreuz- 
herren   mit    dem    rothen  Sterne  in  Prag    (Manuscript  Q.   27)    entnommen. 

—  V.  V.  Tomek,  Popis  odcizenych  statkü  duchovenstva  postoupenych 
komofe  krälovske  r.  1454.  (Register  der  der  Geistlichkeit  ent- 
fremdeten und  der  kön.  Kammer  abzutretenden  Güter  aus 
dem  J.  1454).  S.  368 — 379.  Es  handelt  sich  hier  um  jene  in  den 
Husitenkämpfen  von  K.  Sigmund  verpfändeten  geistlichen  Besitzungen,  für 
welche  die  späteren  Inhaber  keine  urkundlichen  Verschreibungen  besassen 
und  die  daher  der  königl.  Kammer  abgetreten  werden  sollten.  Das  Register 
befindet  sich  unter  der  Sign.  G.  XXV  in  der  Prager  Kapitelbibliothek.  — 
Josef  Kalousek,  Listiny  klästerü  Sedleckeho  a  Skalickeho  z  let   1357 — 


Literatur.  155 

1541.  (Urkunden  der  Klöster  Sedletz  und  Skalitz  aus  den 
J.  1357 — 1541).  S.  380—436.  Das  archivali sehe  Material  des  im  J.  1783 
aufgehobenen  Cistercienserklosters  Sedletz  und  des  mit  ihm  zuletzt  vereinigten 
Skalitz  bei  Kouf  im  befindet  sich  dermalen  zum  grössten  Theil  im  Schwarzen- 
bergischen  Schlossarchiv  zu  Worlik;  kleinere  Theile  hat  das  Statthaltereiarchiv 
und  das  böhm.  Museum  in  Prag,  die  Gymnasialbibliothek  zu  Chrudim  und 
die  Eealschule  in  Pardubitz.  Abgedruckt  werden  46  Urkunden,  die  sich  auf 
den  Güterbesitz  der  beiden  Klöster  beziehen;  die  Text«  sind  theils  latei- 
nisch, theils  deutsch,  theils  böhmisch.  —  V.  V.  Tomek,  Artikule  cechü 
Pra^sk^ch  z  15.  stol.  (Prager  Zunftartikel  aus  dem  15.  Jahrb.). 
S.  437 — 493.  Die  43  Urkunden,  durchaus  in  böhmischer  Sprache,  stammen 
bis  auf  eine,  die  dem  Prager  Statthaltereiarchiv  entnommen  ist,  aus  Prager 
Stadtbüchem,  die  theils  im  Stadtarchiv,  theils  im  Landtafelamt  daselbst 
aufbewahrt  werden.  —  Josef  Emier,  Listiny  archivu  nekdy  Olesnickeho 
nyni  ve  statnim  archivu  Vratislavskem  chovane  a  Cech  a  Moravy  se 
t^kajici.  (Die  Urkunden  des  einstmaligen  Archivs  in  Oels, 
dermalen  im  Breslauer  Staatsarchiv,  die  sich  auf  Böhmen 
und  Mähren  beziehen).  S.  493 — 560.  Dieser  Bestand  bildet  einen 
Theil  des  alten  Archivs  der  Herren  von  Kunstadt-Podiebrad,  das  ursprüng- 
lich in  Podiebrad  aufbewahrt  wurde,  später  unter  K.  Georg  nach  Lititz 
kam  und  erst  Ende  des  15-  Jahrh.  als  Hausarchiv  der  Fürsten  von 
Münsterberg  vermehrt  um  das  schlesische  Material  nach  Oels  gebracht 
wurde.  Eine  kurze  Einleitung  stellt  diese  Verhältnisse  klar.  Die  ver- 
öflFentlichten  72  Urkunden  umfassen  den  Zeitraum  von  1338 — 1414.  Die 
Stücke  von  Karl  IV.  fehlen  bei  Böhmer-Huber. 

Band  XY  (1896).  Ant.  Eezek,  Frant.  Mares  a  Jos.  Kalousek, 
Dopisy  rodu  Svamberskeho  z  let  1449 — 1526.  Z  archivu  Tfebonskeho  a 
Orlickeho  vydavaji.  (Korrespondenzen  des  Hauses  Schwamberg 
aus  den  J.  1449 — 1526.  Aus  den  Archiven  zu  Wittingau  und 
Orlik  herausgegeben).  S.  l  — 170.  280  Urkunden  und  Briefe  in 
böhmischer  Sprache.  —  Josef  Emier,  Listiny  archivu  nekdy  Olesnickeho 
nyni  ve  statnim  archivu  Vratislavskem  chovane  a  Cech  a  Moravy  se  t^'ka- 
jici.  S.  171 — 285.  Bildet  die  Fortsetzung  aus  dem  Bande  XIV  (s.  o.)  und 
enthält  die  Urkunden  Nr.  73  — 176  aus  der  Zeit  von  1415 — 1525.  — 
Josef  Kalousek,  Listiny  Zvikovske  a  Orlicke  z  let  1357 — 1549.  (Ur- 
kunden für  Zvikov  und  Orlik  aus  den  J.  1357 — 1549).  S.  286 — 
343.  Die  57  theils  lateinischen  theils  böhmischen  Stücke  beziehen  sich 
auf  die  genannten  Orte  und  die  dazu  gehörigen  Burgen  und  Güter;  sie 
befinden  sich  im  Schwarzenbergischen  Archiv  zu  Orlik.  —  V.  J.  Noväcek, 
Trutnovske  Desky  manske  z  let  1455 — 1539.  (Die  Trautenauer 
Lehenstafel  aus  den  J.  1455 — 1539).  S.  344 — 508.  Eine  Papierhs. 
von  100  Blatt  Kl.  Fol.  jetzt  aufbewahrt  im  Landtafelamt  in  Prag.  Die 
älteren  Aufzeichnungen  dieses  Lehenshofes,  dessen  Mittelpunkt  die  von 
K.  Pfemysl  Ottokar  errichtete  Burg  Trautenau  war,  scheinen  verloren  zu 
sein.  Im  J.  1539  erreichte  dieser  Lehenshof  sein  Ende,  nachdem  schon 
früher  der  grösste  Theil  der  Lehensinhaber  aus  seinem  Lehensverhältnis 
entlassen  worden  war.  Die  Eintragungen  sind  durchaus  in  böhmischer 
Sprache.  Nach  Aufhebung  des  Lehensamtes  wurden  dessen  Bücher  der 
Hoflehenstafel  übergeben  und  dort  die  Eintragungen  bis  z.  J.    1575   fort- 


j  5g  Literatur. 

gesetzt.  —  V.  J.  Novae ek,  V^pisy  z  knih  vinnicn^cii  z  let  1358 — 1576- 
(Auszüge  aus  den  Büchern  des  Weinbergamtes  von  1358 — 
1576).  S.  509 — 560.  Im  Prager  Stadtarchive  befinden  sich  78  Folianten 
verschiedenartiger  Amtsbücher  des  Weinbergamtes :  Libri  contractuum 
(1435 — 1754),  sententiarum  (l551 — 1750),  obligationum  (l549 — 1754), 
condictionum  et  inhibitionum  (1551  — 1755),  testimoniorum  (1591  — 1682), 
und  Protocollum  iudiciale  (1590 — 1726).  Ursprünglich  lateinisch  geführt, 
überwiegt  seit  Beginn  des  16.  Jahrh.  die  böhmische  Sprache,  und  erst 
im  2.  Drittel  des  17.  Jahrhunderts  tauchen  deutsche  Eintragungen  auf, 
die  dann  immer  häufiger  und  im  1  8.  Jahrhundert  ganz  allgemein  werden. 
Im  J.  17  83  wurde  das  Amt  eines  Bergmeisters  (magister  montium  vi- 
nearum)  vereinigt  mit  dem  des  Kammei-prokurators.  Die  Auszüge  in  dieser 
ersten  Fortsetzung  erstrecken  sich  erst  bis  zum  J.    1461. 

Band  XYI  (1897).  Frant.  Dvorsky,  Dopisy  Vilema  z  Pernsteina 
]4,S0 — 1520.  (Korrespondenz  des  Wilhelm  v.  Pernstein  von 
1480 — 1520).  S.  1  —  72.  —  Frant.  Dvorsky,  Listinäf  pana  Vilema  z 
Pernsteina  z  let  1304 — 1521.  (Urkundensammlung  des  Herrn 
Wilhelm  von  Pernstein  aus  den  J.  1304 — 152l).  S.  73  — 560. — 
Zu  den  vielen  urkundlichen  Publicationen,  die  sich  auf  das  Haus  Pern- 
stein beziehen  und  hauptsächlich  in  den  früheren  Bänden  des  Archiv  Cesky 
vorfinden,  wird  hier  eine  weitere  Masse  von  Urkunden-  und  Briefmaterial 
aus  den  verschiedensten  Archiven  geboten.  Als  bedeutendste  Quelle  für 
diese  Publication  boten  sich  dar  1.  der  Codex  Pernsteinensis  des  Brünner 
Franzensmuseum  2.  der  des  böhmischen  Museums  in  Prag,  und  3.  der  des 
Brünner  Stadtarchivs. 

IL  Die  Publicationen  der  k.  böhm.  Akademie  der 
Wissen  Schäften. 

1.  Vestnik  ceske  akademie  (Anzeiger  der  böhm.  Akademie). 
Red.  Prof.  J.  Solin. 

Jahrgang  IV  (1895).  Unter  den  Referaten  sind  für  unsere 
Zwecke  folgende  zu  erwähnen.  Spolecnosti  a  üstavy  polske  s  mmii.  jest 
Ceskä  Akademie  ve  spojeni  vedeckem.  (Polnische  Gesellschaften 
und  Institute,  mit  denen  die  Böhm.  Akad.  in  wissenschaft- 
lichem Verkehr  steht).  (Fortsetzung).  III.  Spolecnost  pf  atel  ved  v  Poznani 
(Gesellschaft  der  Wissens  freunde  in  Posen)  von  Eduard  Jeli- 
nek.  S.  110 — 116.  Gegründet  1857  zum  Zwecke  der  Förderung  der 
Wissenschaften  in  polnischer  Sprache,  mit  einer  bist,  und  einer  naturwiss. 
später  auch  einer  archaeol.  Section  und  einer  Zs.  ^ Jahrbuch*^.  Es  besteht 
eine  Bibliothek  und  ein  reiches  Museum.  IV.  Bibliotheka  Kornickä  u 
Poznane  (Die  Bibliothek  von  Kornik  bei  Posen)  von  Eduard 
Jelinek.  S.  271 — 275.  Angelegt  zu  Beginn  unseres  Jhd.  von  Titus 
Graf  Dziatynski  (geb.  1797),  der  in  Prag  Mathematik  und  Naturwissen- 
schaften studirte,  aber  viel  mit  den  damaligen  literarischen  Grössen 
Böhmens,  Hanka  u.  a.  verkehrte.  Die  Bibliothek  enthält  Hss.  u.  Bücher, 
auch  wurden  auf  Kosten  des  Grafen  Titus  verschiedene  literarische  Publi- 
cationen veranstaltet,  z.  B.:  die  »Acta  Tomiciana«.  Kornik  sammt  der 
Bibliothek  besitzt  heute  Graf  Wladislaw  Zamoysky.  —  Jifi  Polivka, 
Zpräva    o    studijni    ceste    do    klästeru    Fruskogorskych    a    dö    Belehi-adu. 


Literatur.  157 

(Bericht  über  die  Studienreise  in  das  Kloster  Fruskogorsky 
und  nach  Belgrad).  S.  154 — 168.  Zweck  der  Reise  war  die  Durch- 
forschung des  Hss.  der  Chronik  des  Hamartolus  und  anderer  bulgarischer 
und  serbischer  Schriftdenkmäler  in  Belgrad.  —  V.  Tille,  Seznam  cesk;f  ch 
rukopisü  c.  k.  studijni  knihovny  v  Olomüci.  (Verzeichnis  der  böh- 
mischen Hss.  in  der  Olmützer  Studienbibliothek).  S.  437 — 
449,   492  —  504. 

Jahrgang  V  (1896).  V.  Kratochvil,  Zpräva  o  nävsteve  kr. 
stätn.  a  mestsk.  archivu  ve  Vratislavi  a  zemskeho  archivu  v  Brne.  (Be- 
richt über  die  Studienreise  im  k.  Staatsarchiv  und  im 
Stadtarchiv  in  Breslau  sowie  im  Landesarchiv  in  Brunn). 
S.  471 — 482.  Zweck  der  Reise  war  die  Sammlung  von  Quellen  betreiF 
des  Streites  um  die  böhm.  Kanzlei  in  den  Jahren  1609 — 1619.  —  Ferd. 
Tadra,  Rukopis  formuläfe  »Summa  cancellariae^^  v  knihovne  klästera 
Drkolenskeho  z  r.  1388.  (Die  Handschrift  des  Formelbuches 
»Summa  cancellariae*  in  der  Bibliothek  des  Klosters  Drko- 
lensk^f  vom  J.  1388).  S.  125—127.  Eine  Hs.  die  Tadra  bei  der  Her- 
ausgabe der  » Summa  <^  anbekannt  war.  Auch  das  von  H.  Simonsfeld  in 
der  »Archiv.  Zeitschrift^^  1892  angezeigte  »Freisinger  Formelbuch  der 
Münchner  Hof-  und  Staatsbibliothek  ^<  ist  nach  T,  in  gewissem  Sinne  zu 
den  Mss.  der  Summa  zu  zählen,  von  welchem  Werke  nunmehr  18  Exem- 
plare bekannt  sind.  —  Jos.  T r u h  1  ä f ,  Oprava  a  Upozorneni.  (Berichti- 
gung und  Bemerkung).  S.  334 — 336.  Die  Berichtigung  zu  seinem 
Buche  »Humanismus  a  Humaniste  v  Cechäch  za  kräle  Vladislava  H. ^^ 
besteht  darin,  dass  Bohuslav  v.  Lobkowitz  wirklich  in  Ferrara  den  Doctor- 
grad  für  kirchliches  Recht  erlangt  hat;  die  Bemerkung  besteht  darin,  dass 
er  auf  die  vielen  Fublicationen  aus  älteren  Universitätsarchiven  hinweist, 
aus  deren  einer  eben  auch  die  Nachricht  über  Bolmslaus   entnommen  ist. 

Jahrgang  A^I  (1897).  Kliment  Cermäk,  Zpräva  o  studiich  pra- 
menü  mincovnictvi.  (Bericht  über  Quellenstudien  zur  Ge- 
schichte des  Münzwesens).  S.  1 — 2.  Berücksichtigt  wurden  die 
Münzregister  in  Kuttenberg,  Münzrechnungen  (l705 — 1720)  im  Punzi- 
rungsamt  in  Prag,  die  Sammlungen  des  Breslauer  Stadtarchivs,  des  Reichs- 
münzamtes und  des  Hofmuseums  in  Wien,  u.  a.  —  Josef  Truhläf, 
Paberky  z  rukopisü  Klementinskych.  (Nachlese  aus  den  Hand- 
schriften des  Klementinums  in  Prag).  S.  302 — 305,  470 — 474. 
Besprochen  werden:  1.  die  Reste  des  Archivs  des  utraquist.  Consistoriums 
V.  1470 — 1490;  2.  ein  Fragment  eines  altböhm.  Weihnachtsliedes  (Koleda) 
aus  dem  15.  Jhd. ;  3.  Neue  Spuren  der  Thätigkeit  des  Ulrich  Kfi2  von 
Teltsch;  4.  Drei  lateinische  Lectionare'  saec.  XV  mit  böhm.  Interlinear- 
version; 5.  Ein  Handbuch  eines  böhmischen  Humanisten  der  älteren  Zeit  i). 
—  V.  F 1  a j  s  h  a  u  s ,  Zpräva  o  ceste  do  ovedska  a  Ruska.  (B  e  r  i  e  h  t 
über  die  Reise  nach  Schweden  und  Russland).  S.  306 — 314. 
Enthält  u.  a.  Notizen  über  die  bisherigen  Forschungen  in  den  dortigen 
Bibliotheken,  Beschreibung  einzelner  Funde  an  böhmischen  Hss.  und 
Büchern. 


')  Diese   Nachlese    wird    im  Anschlüsse    an  die  Neukatalogisiriin-g  der  Hss. 
des  Klemeutinum  fortgesetzt. 


]^58  Literatur. 

2.  Rozpravy  eeske  akaclemie.  (Abhandlungen  der  böhm. 
Akademie). 

Jalir^aus- IV  (1895).  —  Nr.  l.  Alex.Frh.v.  Hei fert,  Gregor  XVI. 
und  Pius  IX.  Ausgang  und  Anfang  ihrer  Regierung.  Oct. 
1845 — Nov.  1846.  189  S.  Diese  »mit  Benützung  von  Metternich'sc^en 
Schriften  und  k.  k.  Botschaftsberichten  aus  Eom'^^  verfasste  Arbeit  greift 
in  ihrem  Beginne  zurück  bis  auf  die  Zustände  des  Kirchenstaates  während 
der  li/ajährigen  Regierung  P.  Pius  Vlll.  (t  1830  30./XI.).  Die  Re- 
gierung P.  Gregors  XVI.  wird  eingehender  dargestellt,  die  Parteiungen, 
die  ersten  Versuchen  von  Aufruhr  mit  dem  Putsch  von  Rimini  (Sept.  1845), 
dann  der  bedeutungsvolle  Besuch  des  Zar  Nikolaus  I.  in  Rom  (l3. — 17.  Dez. 
1845),  worauf  dann  noch  eine  genaue  Schilderung  der  Lebenweise  des 
Papstes  und  eine  Charakteristik  seines  Wesens  geboten  wird.  Ebenso 
gründlich  wird  dann  die  Zeit  des  Interregnums  und  die  Wahl  P.  Pius  IX. 
(1646  Juni  16)  vorgeiührt,  sowie  die  ersten  Monate  seiner  Regierung  bis 
zum  Ende  des  Jahres,  die  äusserlich  so  glücklich  verlief,  während  schärfer 
Blickende,  wie  der  kaiserliche  Gesandte  Graf  Lützow,  schon  damals  die 
Verschlimmerung  aller  Zustände  im  Kirchenstaate  und  die  grossen  Schwie- 
rigkeiten der  Lage  richtig  beurtheilten.  —  Nr.  3.  Josef  Pekäf,  Dejiny 
Valdstejnskeho  spiknuti.  1630 — 1634.  (Geschichte  der  Wald- 
steinischen Verschwörung.  1630 — 1634).  507  S.  Die  darstellen- 
den Werke  der  Wallenstein-Literatur  werden  hier  um  eine  umfangreiche 
und  sehr  eingehende  Arbeit  vermehrt,  bei  der  die  schöne,  sehr  lebhafte 
Darstellung,  die  Beherrschung  der  Literatur,  die  gründlichen  Detailunter- 
suchungen gewiss  Anerkennung  verdienen.  Was  die  Hauptgesichtspunkte 
der  Arbeit  selbst  betriflPt,  so  scheint  mir  die  Charakterisirung  der  »bis- 
herigen Lösungsversuche  des  Räthsels*,  als  ob  dieselben  zu  dem  Schlüsse 
gelangt  wären,  dass  Wallenstein  vor  allem  aus  politischen  Gründen  zu 
einem  gerechten  Frieden  hinzielte,  dass  seine  Politik  die  eines  deutschen 
Reichsfürsten  war  und  dass  für  ihn  gegenüber  diesen  idealen  Plänen  seine 
persönlichen  Aspirationen  bloss  Nebensache  waren  (S.  29),  den  thatsäch- 
lichen  Verhältnissen  doch  nicht  entsprechend;  man  vgl.  etwa  Huber,  Oest. 
Gesch.  Andererseits  erscheint  das  „  Ergebnis  "^■^  von  P.  Forschung,  das  er 
einmal  in  die  Worte  zusammenfasst,  die  seine  Stellung  zur  ganzen  Frage 
präcisiren,  dass  nämlich  Wallenstein  nicht  hohe  politische  Bestrebungen 
leiteten,  sondern  dass  »nur  persönliche  Motive ^S  »Beutesucht,  Rachsucht, 
Ehrsucht*  die  Triebfedern  seines  Handelns  waren,  überaus  scharf  und 
einseitig.  P.  legt  auch  auf  Wall.'s  Verhältnis  zu  Armin  ein  grosses  Ge- 
wicht, so  dass  er  einmal  sogar  sagt :  »  Die  Wallensteinfrage  ist  zum  grössten 
Theil  eine  Arminfrage*.  Psj-chologische  und  nationale  Erwägungen  spielen 
in  der  Arbeit  eine  grosse   Rolle. 

Jahrgang'  V  (1896).  —  Nr.  2.  Josef  Smolik,  Denary  üdeln^ch 
kni2at  na  Morave  XI.  a  XII.  stol.  (Die  Denare  der  mährischen 
Theilfürsten  im  XL  und  XIL  Jahrh.).  68  S.  u.  4  Tfl.  Behandelt 
das  mährische  Münzwesen  in  der  Zeit  des  11.  und  12.  Jahrh.  und  sucht 
zu  beweisen,  dass  die  drei  grossen  Theilfüx-stenthümer  ihre  eigenen  Münzen 
hatten  und  sich  durch  die  Prägung  der  Reversseite  deutlich  von  einander 
unterschieden.  Die  von  Olmütz  hatten  das  Bildnis  und  den  Namen  des 
h.  Wenzel,    die    von    Brunn    das    des    h.  Peter,    die    von    Znaim    das    des 


Literatur.  ^59 

h.  Nikolaus  als  des  Patrons  der  Hauptkirchen  in  jedem  Theile.  Die  ein- 
zelnen Typen  der  verschiedenen  Fürsten  werden  genau  beschrieben  und 
überdies  in  den  4  Tafeln  die  hauptsächlichsten  Exemplare,  abgebildet,  — 
Nr.  3.  Horacek,  Pocatky  ceskeho  hnuti  delnickeho.  (Die  Anfänge  der 
Arbeiterbewegung  in  Böhmen).  Das  Buch  war  mir  nicht  er- 
hältlich. 

Jahrgang  VI  (1897).  —  Nr.  1.  Karel  V.  Adämek,  Prispevky  k 
dejinäm  selskeho  lidu  z  okoli  Hlinska  v  XVIII.  veku.  (Beiträge  zur 
Geschichte  der  bäuerlichen  Bevölkerung  im  Gebiete  von 
Hlinsko  im  18.  Jahrhundert).  76  S.  Eine  auf  archivalischen  Studien 
beruhende  gründliche  Darstellung  der  Ursachen  und  des  Verlaufes  der 
Bauernbewegung,  der  Unruhen  und  ihrer  Niederwerfung  auf  den  Herr- 
schaftsgebieten Hlinsko  und  Eichenburg  im  Nordosten  Böhmens.  Neben 
dem  wirtschaftlichen  Moment  wird  auch  das  religiöse,  das  Hervortreten 
adamitischer  Sekten  in  diesem  Gebiet,  insbesondere  nach  dem  Toleranz- 
patent vom  J.  1781,  verfolgt.  Merkwürdigerweise  ist  in  der  ganzen 
Studie  auf  das  grundlegende  Werk  Karl  Grünbergs,  die  Bauernbefreiung 
in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien,  (l893,  1894)  keine  Rücksicht  genommen, 
durch  dessen  Berücksichtigung  A.'s  Arbeit  in  mehrfacher  Hinsicht  sich 
hätte  präciser  und  klarer  gestalten  lassen.  —  Nr.  3.  Josef  Smolik, 
Nalez  denarü  v  Chrästanech  u  Ceskeho  Brodu.  (Der  Denaren fund 
von  Chrastian  bei  Böhmisch  Er  od).  34  S.  Beschreibung  mit  drei 
Tafeln  Abbildungen  von  314  Stücken  des  330  Stücke  umfassenden  wert- 
vollen Fundes  von  Denaren  aus  der  Zeit  Boleslaws  II.,  und  III.,  Wladiwojs, 
Jaromirs  und  Udalrichs,  also  aus  der  Zeit  von  994 — 1037. 

3.   Historickjf  Archiv.     (Historisches  Archiv). 

In  den  Jahren  1895 — 1897  erschienen  folgende  Bände:  Band  6 
(l895).  Ferd.  Tadra,  Summa  canceUariae.  (Cancellaria  Ca- 
roli  IV.).     Vgl.  meine  Anzeige  Mitth.  XVII,  S.    198. 

Band  7  (1895).  Frant.  Dvorsky,  Listy  pani  Katefiny  z  Zerotina 
rozene  z  Valdstejna.  II.  Dopisy  z  roku  1634  a  1635.  (Briefe  der 
Frau  Katharina  von  Zerotin  geb.  von  Waldstein.  II.  Theil. 
Correspondenz  vom  J.  1634  und  1635).  368  S.  Bildet  die  Fort- 
setzung zum  I.  Theil,  der  den  3.  Bd.  dieser  Sammlung  bildet  und  im 
Literatui-bericht  d.  J,    1894,  Mitth.  XVH,  S.   695   angezeigt  ist. 

Band  8  (1896).  Ferd.  Tadra,  Soudni  akta  konsistofe  Pra^ske. 
Gast  III.  1392 — 1393.  1396 — 1398.  (Acta  iudiciaria  consistorii 
Pragensis).  XVII -|- 439  S.  Ueber  den  I.  Theil  dieser  Publication 
(=  Bd.  1  dieser  Sammlung),  der  im  J.  1893  erschienen  ist,  s.  die  Anzeige 
von  Franz  Marcs,  Mitth.  XIV,  S.  673.  Der  II.  Theil  enthält  die  Ein- 
tragungen bis  in  den  März  1387.  Von  da  an  ist  eine  Lücke  bis  zum 
Ende  des  J.  1391,  indem  die  Manuale  V — VIII  verloren  gegangen  sind. 
Das  IX.  mit  dem  Eintragungen  von  1392 — Nov.  1393  ist  erhalten,  das 
X.  und  XL  fehlen,  das  XH.  für  die  Jahre  1396 — 1398  Nov.  existirt. 
Eben  diese  beiden  Nr.  IX  und  XII  bilden  den  Stoff  des  III.  Theils.  Ein 
Fragment  vom  J.  1394  fand  Loserth  auf  dem  Deckel  einer  Gi'azer  Hs., 
Tadra  handelt  darüber  ausführlich  in  der  Einleitung. 

Band  9  (1896).  Max  Dvofäk,  Dva  denniky  dra.  Matiase  Borbonia 
z   Borbenheimu.     (Zwei    Tagebücher    des    Doctor    Mathias    Bor- 


IßQ  Literatur. 

bonius  von  Borbenheim).  VI -f- 165  S.  Borbonius  geb.  1566,  ein 
bekannter  Poet  und  Arzt  zuerst  in  Jungbunzlau,  dann  in  Prag,  wo  er 
auch  Mitglied  des  Stadtrathes  war  und  andere  Ehrenstellen  bekleidete, 
verlor  wegen  seiner  Theilnahme  am  Aufstande  im  J.  1621  sein  ganzes 
Vermögen.  Seine  schöne  Bibliothek  kam  wahrscheinlich  durch  Kauf  in 
den  Besitz  der  Lobkowitze  und  befindet  sich  heute  in  Eaudnitz.  Zu  ihr 
gehören  auch  einige  Manuscripte  B.'s,  darunter  zwei  Tagebücher,  das  eine, 
»Iter  Helveticum*,  schildert  seine  Reise  nach  Basel  im  J.  1.596  mit  seinen 
damaligen  Schülern  Johann  v.  Warteuberg  und  Sigmund  v.  Zastfizl, 
592  S.  in  8°;  das  zweite  Tagebuch  schildert  die  Schicksale  Borbons  vom 
J.  1622,  in  welchem  er  bis  3.  Juni  in  Haft  war,  nachher  bis  zum  6.  Juli 
in  Prag  blieb  und  sich  von  hier  nach  Teplitz  begab.  Diese  Tagebuch- 
notizen sind  in  einen  Kalender  eingetragen.  Beide  Tagebücher  sind  von 
allgemeinerem  historischeu  und  culturhistorischen  Interesse. 

III.  Mittheilungen  des  Vereines  für  Geschichte  der 
Deutschen  in  Böhmen.     ReHgirt  von  G.  Biermann  und   A.   Horcicka. 

Jalirgailg  XXXIII  (1895).  A.  Bachmann,  Neues  über  die 
Wahl  König  Georgs  von  Böhmen.  S.  1 — 16.  Das  zahh'eiche  neue 
Material,  das  in  den  letzten  zwei  Jahrzehnten  für  diese  Frage  zum  Vor- 
schein gekommen  ist  und  durch  welches  überdies  auch  ältere  bekannte 
Kachrichten  eine  andere  Bewertung  erlangten,  veranlassten  B.  die  Vor- 
gänge und  den  Verlauf  der  Wahl  K.  Georgs  auf  dieser  breiteren  Grund- 
lage nochmals  darzustellen.  —  Joseph  Neuwirth,  DHe  Junker  von 
Prag.  S.  17 — 93.  In  überaus  gründlicher  und  kritischer  Darstellung 
prüft  N.  alle  Streitfragen  und  Ansichten  bezüglich  dieser  Prager  Künstler- 
familie. Als  positives  Ergebnis  resultirt,  dass  die  „Junker  von  Prag* 
thatsächlich  bauverständige  Steinmetze  waren,  die  um  die  Wende  des 
14.  und  15.  Jahrh.  in  Prag  lebten,  und  auch  Arbeiten  für  den  Strass- 
burger  Dom  lieferten;  sie  galten  bei  Baumeistern  in  Regensburg  und 
Nürnberg  noch  bis  in  die  2.  Hfte  des  15.  Jahi'h.  als  Autoritäten.  Dagegen 
werden  die  Ansichten,  als  ob  sie  »Werkmeister«  des  Strassburger  Münsters 
gewiesen,  als  ob  sie  mit  Söhnen  des  Prager  Dombaumeisters  Peter  Parier 
identisch  wären  oder  mit  der  Eger'schen  Familie  in  Beziehung  stünden, 
als  unrichtig  und  unerwiesen  hingestellt;  ebenso  auch  die  Annahme,  als 
ob  sie  nebstbei  auch  berühmte  Maler  gewesen  und  dass  die  mit  ihrem 
Namen  signirten  Zeichnungen  zu  Erlangen  und  Dessau  wirklich  von  ihrer 
Hand  herrühren  und  schliesslich  auch  die  versuchte  Identifieirung  der 
Junker  mit  den  im  Buche  der  Prager  Malerzeche  genannten  Malern  namens 
„Panicz«  obwohl  dieses  Wort  nur  die  tschechische  Uebersetzung  von 
» Junker ^'^  bildet.  —  J.  M.  Klimesch,  Drei  Briefe  über  den  böh- 
mischen Bauernaufstand  i.  J.  1775.  S.  94 — 99.  Sie  stammen  aus 
dem  Archiv  des  Krumauer  Minoritenklosters,  sind  an  den  damaligen 
Guardian  gerichtet  und  beleuchten  die  Zustände  um  Königgrätz.  — 
W.  Katzerowsky,  Ein  Leitmeritzer  Stadtbuch  aus  dem 
XIV.  Jahrhundert.  S.  100 — 107.  Die  nicht  unwichtigen  lokalhistori- 
schen Nachrichten  reichen  von  1341  — 1562;  es  sind  zumeist  Rathsstatute, 
die  in  kui-zen  Regesten  mitgetheilt  werden.  —  J.  Neubauer,  lieber 
Egerländer  Tauf-  und  Heiligennamen.     S.    108 — 117.  —  Hein- 


Literatur.  \Q\ 

rieh  Gradl,  Deusche  Volksaufführungen.  Beiträge  aus  dem 
Egerlande  zur  Geschichte  des  Spiels  und  Theaters.  S.  121 
— 152,  217 — 241,  315 — 336.  Eine  überaus  reichhaltige  auf  verlässlichen 
Quellen  mannigfachster  Art  gestützte  Schilderung  zahlreicher  (96)  Spiele 
und  Vergnügungen,  zurückreichend  bis  ins  15.  Jahrh.  —  Vinc.  Goeh- 
lert,  Annjerkungen  über  die  Seelenbeschreibung  im  Kgr. 
Böhmen  i.  J.  1768.  Verfasst  von  dem  Gubernialrath  Jos. 
Frh.  von  Ceschi.  S.  153 — 171.  Die  erste  Volkszählung  in  Böhmen 
erfolgte  1753,  die  zweite  1762,  die  dritte  1768.  üeber  deren  Ergebnisse 
verfasste  Ceschi  einen  Bericht,  dessen  erster  Theil  sich  mit  der  Kritik  der 
Daten  beschäftigt,  während  der  zweite  Betrachtungen  über  ökonomische 
Verhältnisse  enthält,  wie  sie  in  Böhmen  vor  125  Jahren  bestanden.  Dieser 
nicht  unwichtige  Bericht  wird  hier  zum  grossen  Theil  abgedruckt.  — 
W.  Mayer,  Ein  alter  Foliant  im  Kladrauer  Stadtarchiv. 
S.  172-^180.  Es  handelt  sich  um  ein  »Register  der  Spitals-  und  Kaplan- 
stiftung der  Stadt  Kladrau*  von  1566 — 1616,  das  aus  dem  Grunde  nicht 
uninteressant  ist,  weil  der  Einband  des  Buches  mit  Medaillons  von  Martin 
Luth'^r,  Melanchthon,  Erasmus  und  Hus  geschmückt  ist.  Das  gibt  dem 
Verf.  Anlass  von  dem  Abt  Josef  des  Kladrauer  Benedictinerstiftes  1561 
— 1583.  der  die  Benützung  eines  solchen  Buches  nicht  beanständete,  zu 
sprechen,  woran  sich  eine  kurze  Inhaltangabe  des  Registers  anschliesst.  — 
Valentin  Schmidt,  Die  Fälschung  von  Kaiser-  und  Königs- 
urkunden durch  Ulrich  von  Rosenberg  IL  S.  181 — 202.  Eine 
Fortsetzung  aus  dem  vorigen  Jahrgang  (vgl.  Mitth.  XVII,  S.  699).  In 
diesem  2.  Theil  werden  11  Urkunden  K.  Sigmunds  von  1420  — 1437  und 
eine  K.  Ladislaws  vom  J.  1456  als  Fälschungen  nachgewiesen.  Vgl.  dar- 
über Mitth.  des  Instituts  19,  391.  —  J.  Loserth,  Aus  Grazer  Hand- 
schriften.    Kleine  Beiträge  zur   böhmischen  Geschichte.     S.   203 — 210. 

a)  Eine  Urkunde  auf  Benesch  von  Weitraühl,  wahrscheinlich  den  Vetter 
des    bekannten    Geschichtsschreibers      (t   1375)    bezüglich    vom    J.    1379. 

b)  Eine  Eintragung  aus  den  Acta  iudiciaria  des  Prager  Erzbisthums  vom 
J.  1394  (vgl.  oben  S,  159).  c)  Eine  interessante  Schilderung  des  Sieges 
der  Meissner  über  die  Husiten  bei  Brüx  am  5.  Aug.  1421  in  einem 
Briefe  eines  Meissner  an  einen  Freisinger  Domherrn.  —  J.  Schindler, 
S.  Wolfgang  in  Böhmen.  S.  211  —  215.  Der  Aufsatz  bespricht  die 
Ueberlieferungen  von  Wolfgangs  Anwesenheit  in  Böhmen,  kommt  aber 
zu  dem  Schlüsse,  dass  man  es  nur  als  sehr  wahrscheinlich,  nicht  als  un- 
bedingt gewiss  hinstellen  kann.  —  K.  Fr.  Rietsch,  Das  Stadtbuch 
von  Falkenau.  S.  242 — 263.  Stammt  aus  der  Zeit  von  1483 — 1528. 
Es  enthält  zunächst  Privilegien  der  Städte,  mit  deren  Rechten  Falkenau 
bewidmet  war,  dann  kurze  Aufzeichnungen  vom  Rechte  der  Stadt,  Zins- 
verzeichnisse, und  im  2.  Theil  die  Eintragungen  der  vor  dem  Stadtrathe 
geschlossenen  Rechtsgeschäfte.  Das  wichtigste  wird  wörtlich  abgedruckt.  — 
W.  Hieke,  Zur  Geschichte  von  Hohenelbe.  S.  264 — 275.  Be- 
schäftigt sich  hauptsächlich  mit  der  Gründungsgeschichte  des  Ortes.  —  Ad. 
Horcicka,  Das  Altarblatt  derDecanalkirche  zuElbogenaus 
dem  J.  1579.  S.  275 — 285.  Behandelt  den  gleichzeitig  abgedruckten  Vertrag 
des  Rathes  von  Elbogen  mit  dem  Maler  August  Cordus  über  die  Anfertigung 
des  Altarbildes  für  die  Pfarrkirche.  1577,  Sept.  6.  —  0.  N.,  Zwei  Hexen- 
Mittheilungen  XX.  11 


162  Literatur. 

processe  in  Braunau.  S.  285 — 292.  Sie  stammen  aus  dem  Brau- 
nauer  Stadtarchiv,  der  eine  vom  J.  1617  betrifft  ein  weibliches,  der  zweite 
von  1681  ein  männliches  Individuum;  im  letzteren  Falle  wurde  in  Braunau 
nicht  mehr  Tortur  angewendet,  —  August  Sauer,  Einige  Bemer- 
kungen zu  einer  im  Besitze  des  Vereines  befindlichen 
Autographensammlung.  S.  292 — 309,  354 — 378.  —  Rudolf 
Wolkan,  Zwei  geistliche  Gedichte  aus  Eger.  S.  310 — 312. 
Aus  der  Hs,  XVI.  G.  33  der  Prager  Universitätsbibliothek  saec.  XVI.  — 
Ottocar  Weber,  Ein  Capitel  aus  der  böhmischen  Finanz- 
geschichte. S.  336 — 354.  Es  handelt  sich  um  die  Contributions- 
leistung  an  den  Kurfürsten  Karl  Albrecht  von  Baiern  nach  der  Einnahme 
Prags  durch  die  verbündeten  Franzosen,  Baiern  und  Sachsen  am  26.  No- 
vember 1741  auf  Grund  von  Akten  im  fürstl.  Kinsk;^'schen  Archiv  in 
Prag.  —  Karl  Köpl,  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Fehde 
der  Schlicke  mit  der  Stadt  Elbogen.  S.  379 — 395.  Eine  Be- 
schwerdeschrift  des  Mathäus  Schlick  gegen  die  Elbogner  aus  dem  Statt- 
haltereiarchiv in  Prag  und  eine  Zuschrift  der  vertriebenen  Elbogner  Bürger 
von  Pilsen  am  2.  Januar  1487  an  die  Budweiser  gerichtet,  liefern  man- 
cherlei Aufklärung  über  dieses  Ereignis.  —  Rudolf  Wolkan,  Hohen- 
furter  Mariensequenz.  S.  395 — 399.  Aus  der  Hs.  Nr.  15  der 
Hohenfurter  Stiftsbibliothek  saec.  XIV — XV. 

Jahrffang  XXXIV  (1896).  Ottocar  Weber,  Die  Occupation 
Prags  durch  die  Franzosen  und  Baiern  1741  — 1743.  S.  1 — 92. 
Mit  neuem  handschriftlichen  Material,  Akten  aus  dem  Kriegsarchiv  in 
Wien,  Diarien  und  anderen  Aufzeichnungen  aus  Prager  Klöstern,  Akten  aus 
dem  Wiener  Staatsarchiv,  aus  dem  Statthalterei-,  Stadt-  und  fürstl.  Fer- 
dinand Kinsky'schen  Archiv  in  Prag  und  aus  dem  Moritz  Lobkowitz'schen 
Archiv  in  Raudnitz,  werden  die  Prager  Ereignisse  von  October  1741  — 
Januar  1743  in  folgenden  Paragraphen  dargestellt:  1.  Erstürmung  Prags, 
2.  Prag  unter  franz.-bair.  Herrschaft  vom  Nov.  1741 — Juni  1742,  3.  Die 
Belagerung  von  Prag  27.  Juni — 12.  September,  4.  Die  Zustände  in  Prag 
während  der  Belagerung,  5.  Das  Ende  des  J.  1742;  im  Anhang  die  Con- 
vention vom  26.  Dez.  1742  und  eine  Zusammenstellung  der  Lebensmittel- 
preise während  der  Belagerung  Prags  durch  die  Oesterreicher,  ersteres  aus 
dem  Staatsarchiv,  letzteres  Stück  aus  verschiedenen  handschriftlichen 
Quellen.  —  Joseph  Neuwirth,  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Klöster  und  der  Kunstübung  Böhmens  im  Mittelalter. 
S.  92 — 123,  225 — 247.  Unter  dem  Titel:  Zur  Geschichte  des 
Klosters  Bfewnow  bringt  N.  aus  einem  Cod.  der  Münchn.  Hofbibl. 
eine  aus  Oberaltaich  stammende  Notiz  über  die  Anzahl  und  die  Namen 
der  Mönche  in  Bfewnow  c.  1220 — 1238,  und  citirt  eine  Stelle,  die  in 
einem  Wessobr.  Codex  aus  einem  Bfewnower  Codex  abgeschrieben  wurde. 
Dann  folgt:  Der  Baubeginn  der  Stiftskirche  in  Sazawa,  den  N. 
auf  Grund  einer  Notiz  in  einer  Münchener  Hs.  auf  das  J.  1310  bestimmt. 
Ein  dritter  Beitrag  bespricht  einige  Hofkünstler  der  Luxemburger 
nämlich  den  Bogner  Karls  IV.  Ulrich  Glanast  von  Sulzbach,  den  Hof- 
goldschmied Karls  IV.  Hanusch  von  Kolin,  den  Hofmaler  K.  Wenzels  IV. 
Johann.  Zwei  Verzeichnisse  der  beim  Feste  der  Reliquien- 
zeigung    in    Prag    ausgestellten    Reliquien    stammen    aus    zwei 


Literatur.  \Q^ 

Münchener  Hss.  und  dürften  zwischen  den  J.  1368 — 1378  abgefasst  sein. 
Ein  Geleits-  und  Beglaubigungsbrief  für  einen  Sammler 
des  von  den  Husiten  theilweise  zerstörten  Augustiner- 
chorherrenstiftes Eaudnitz  aus  dem  J.  1421  steht  als  Formel 
im  Wolfenbüttler  Cod.  487  (Heimst.  352)  fol.  134.  Die  Rückerstat- 
tung verpfändeter  Kleinodien  und  Reliquien  an  das  Au- 
gustinerchorherrenstift Wittingau  im  J.  1461  wird  aus  einer 
Urkunde  Johanns  von  Rosenberg  erwiesen.  Ein  Fragment  eines 
Kirchenschatzinventares  des  Dominikanerklosters  in  Pil- 
sen aus  dem  14.  Jhd.  besitzt  der  Custos  des  nordböhm.  Gewerbe- 
museums in  Reicbenberg  Dr.  Pazaurek.  Die  Beziehungen  des  Karl- 
steiner Burggrafen  Benesch  vonWeitmühl  zum  Maler  Paul 
von  E  g  e  r  betitelt  sich  der  letzte  Aufsatz.  Einige  Briefe  des  Benesch 
von  Weitmühl  an  den  Bürgermeister  und  Rath  der  Stadt  Eger.  aus  den 
J.  1487 — 1495,  die  im  Egerer  Stadtarchive  liegen,  bieten  K  den  Anlass, 
der  Person  des  wohl  aus  Nürnberg  stammenden  Malers  Paul,  dem  die 
Ausführung  von  grösseren  Wandmalereien  im  Komotauer  Schlosse  zuge- 
dacht war,  nachzuforschen.  —  Anton  Rebhann,  Einige  der  wich- 
tigsten Ereignisse  aus  Oesterreichs  Geschichte  des  XVIII.  Jhds. 
im  Spiegel  zeitgenössischer  Dichtung.  S.  123 — 151.  Es  sind 
25  Gedichte,  die  sich  auf  Ereignisse,  wie  der  polnische  Erbfolgekrieg,  der 
zweite  Türkenkrieg  unter  Karl  VI.,  der  österr.  Erbfolgekrieg  und  der 
dritte  schlesische  Krieg,  sowie  auf  Personen,  wie  Karl  VI.,  Ludwig  XV., 
Maria  Theresia,  Karl  VII .  Friedrich  11.,  Fleury,  Eugen,  Seckendorf,  Kheven- 
hüUer  u.  A.  beziehen.  Der  Verf.  ist  unbekannt.  Sie  befanden  sich  in 
einer  Hs.  des  Komotauer  Stadtarchivs,  die  bei  der  Brüxer  Schwimm - 
Sandkatastrophe  19./20.  Juli  1896  in  der  Wohnung  Rebhanns  zugrunde 
gegangen  ist.  —  Ad.  Horcicka,  Die  zehnte  Wanderversamm- 
lung des  Vereines  f.  Gesch.  der  Deutschen  in  Böhmen. 
S.  152 — 219.  Ein  Bericht  über  die  Versammlung  in  Saaz  1. — 3.  Juni 
1896  nebst  Abdruck  der  daselbst  gehaltenen  Vorträge:  J.  Neuwirth, 
»Kunstleben  und  Kunstdenkmale  am  Südabhange  des  Erzgebirges  während 
des  Mittelalters <%  und  A.  Hauffen  »Die  vier  deutschen  Volksstämme  in 
Böhmen«.  —  W.  Mayer,  Stadt  Kladrauer  Urkunden.  S.  248 — 
268.  Theils  Inhaltangabe,  theils  vollständiger  Abdruck  der  daselbst  be- 
findlichen 22  Originalurkunden  von  1197  (dies  eine  Fälschung  vom 
J.  1233)  bis  1707.  —  Valentin  Schmidt,  Beiträge  zur  Agrar- 
und  Golonisationsgeschichte  der  Deutschen  in  Südböhmen. 
S.  268 — 271.  Bringt  1.  einige  Notizen  aus  dem  Cod.  ms.  Nr.  49  der 
Hohenfurter  Stiftsbibliothek  aus  der  l.  Hfte  des  15.  Jahrh.  über  die 
Grosse  einzelner  Güter  bei  Hohenfurt  und  ihre  Zinsungen,  2.  Abdruck 
einiger  Urkunden,  die  sich  auf  die  Neugründung  des  Dorfes  Kienberg 
durch  das  Stift  Hohenfurt  in  den  2.  Hfte  des  14.  Jahrh.  beziehen  und 
sich  in  einem  Ms.  Nr.  478  der  genannten  Bibliothek  befinden.  —  Rudolf 
Wolkan,  Geistliches.  Aus  einer  deutsch-böhmischen  Hand- 
schrift des  15.  Jahrh.  S.  272 — 276.  Aus  der  Hs.  4558  der  Wiener 
Hof  bibliothek.  —  Victor  Loewe,  Die  Wallenstein-Literatur. 
Dritte  Ergänzung  1628 — 1895.  Bibliographische  Studie. 
S.    277 — 315.     Der    Verf.    beginnt    mit    den    Worten:     »Die    vorliegende 

11* 


^IßJ^  Literatur. 

Arbeit  ist  eine  Fortsetzung  und  Ergänzung  der  von  Georg  Schmid  unter- 
nommenen und  bis  zum  J.   1884  in  diesen  Blättern  fortgeführten  Wallen- 
steinbiographie «.     Es  werden  unter  XII  Rubriken  die  Werke  Nr.   1559 — 
1865   angeführt,  mit  genauen  Titeln  und  darüber    erschienen  Rezensionen 
und  Anzeigen.     Ein  Register  zu  den  drei  Ergänzungen  in  Bd.  21,  23,   34 
dieser  Zs.  bildet  den  Schluss.   —   Anton  Schiesser,  Das  Verhältnis 
des  Domherrn  Franz    von  Prag    zu    den  Briefen    des    Cola    di 
Rienzo.     S.   315  —  318.     Weist    nach,    dass  dem  Domherren  Franz  nicht 
bloss    das  Schreiben  Colas    an  K.  Karl  IV.    aus  Rom,    sondern    auch   jene 
Briefe    zur    Verfügung    standen,    die    Cola    während  seines  Aufenthalts  in 
Böhmen  an  Karl,   an  den  Prager  Erzbischof  oder  an  Johann  v.  Neumarkt 
schrieb.   —   G.  Biermann,  Christian  d'Elvert.     Nachruf.    S.   318 
— 320.  —  Ottocar  Weber,   , Diarium«  über  die  Belagerung  und 
Occupation  Prags  durch  die  Preussen  im  J.  1744.  S.  321  —  370. 
Eine  neue  Quelle  neben  dem  bisher  allein  bekannten  x.  Diarium  Pragense« 
aus  einer  Abschrift  des  frstl.  Ferdinand  Kinsky'schen  Archivs  in  Prag.  — 
Karl  Köpl,   Glashütten  in  Prag.     S.   370—380.     Tritt  zunächst  für 
Horcickas  Annahme  die  Mares  zu  widerlegen  versuchte  ein,  dass   eine  der 
ältesten  Glashütten  in  Böhmen    (c.   1443)    ihren  Standort    in  Prag    hatte. 
und  bringt  sodann  einige  urkundliche  Notizen  über  den  missglückten  Ver- 
such gegenüber  den  Altstädter  Mühlen  eine  bereits  erbaute  Glasmühle  im 
J.  1 5  7 1    in  Gang  zu  bringen.     Nach  kurzem  Bestand  musste  sie  infolge  der 
Gegnerschaft  des  Rathes  ihre  Thätigkeit  einstellen.    —   Valentin  Schmidt, 
Geschichtliches    von    der    S tritschitzer     deutschen    Sprach- 
insel.    S.   380 — 400.     Der  Aufsatz  zeigt  uns  die  historische  Entwicklung 
dieser  einst  viel  umfangreicheren  Sprachinsel  und  erweist,   dass  die  Sprache 
der    Dörfer    daselbst    schon    im    13-   und    14.    Jahrhundert    deutsch    war, 
dass    nach    dem    dreissigjährigen  Krieg    eine  Neueinwanderung    theils  aus 
der    deutschböhraischen  Nachbarschaft,    theils    aus  Baiern    und  Oesterreich 
erfolgte.  —  A.  Marian,    Die  Papiermühle    in  Aussig.     Ein  Bei- 
trag zur  Stadtgeschichte.    S.   400 — 402.    Sie  wurde  1559  errichtet, 
1599  kaufte  sie  der  Rath  bereits  zum  zweitenmal,  verkaufte  sie  aber  bald 
darnach.     Die  Besitzer   von   lfi23    an    werden    nachgewiesen.   —   J.  Neu- 
wirth,    Goldenkroner    Grabdenkmale.     S,   402 — 404.     Die    erste 
stammt  aus  dem  letzten  Viertel  des   1 3.  Jhd ,  die  zweite  aus  dem  Anfang 
des    17.    Jhd.     —     Ad.    Horcieka,     Kunstgeschichtliche    Nach- 
richten   über    die  Kirchen    in  Aussig.     S.   404 — 406.     Eine    Zu- 
sammenstellung   des    wenigen,    was    sich  hierüber  im   »Urkundenbuch  der 
Stadt  Saaz"^   vorfindet. 

Jahrgang-  XXXV  (1896.  1897).  Hans  La m bei,  Plan  und 
Anleitung  zu  mundartlicher  Forschung  in  Deutsch-Böh- 
men. S.  ] — 21.  —  Joseph  Neuwirth,  Der  verlorene  Cyclus 
böhmische  Herrscherbilder  in  der  Prager  Königsburg. 
S.  22 — 82.  Die  Mitth.  des  Instituts  werden  darüber  besonders  berichten. 
—  Valentin  Schmidt,  Beiträge  zur  Agrar-  und  Colonisations- 
geschichte  der  Deutschen  in  Südböhmen.  S.  83 — 94.  Diese 
Fortsetzung  aus  dem  vorigen  Jhg.  behandelt  die  »Befreiung  vom  Todten- 
fall«  auf  der  Herrschaft  Rosenberg.  —  A  Horeicka,  Die  Geschichte 
der  Stadt  Aussig  von  der  Gründung  bis  zum  J.   1526.     S.   111 


Literatur.  165 

— 128.  Ein  anlässlich  der  11.  Wanderversammlung  in  Aussig  gehaltener 
Vortrag.  Der  zweite  daselbst  gehaltene  Vortrag  von  Ottocar  Weber, 
bebandelte  Die  Entwicklung  der  keramischen  Industrie  in 
Böhmen.  S.  128 — 144.  —  Ad.  Bacbmann,  Ueber  K.  Georg  von 
Böhmen  und  Gregor  Heimburg.  S.  144 — 152.  Die  kleine  Studie 
bespricht  Gregors  diplomatische  Stellung  am  Hofe  Geoi'gs  im  Anschluss 
an  die  entsprechende  Darstellung  in  desselben  Verfs.  » Keichsgeschichte  *.  — 
W.  Mayer,  Ein  berühmter  Egerer  Architekt.  S.  152 — 163.  Es 
handelt  sich  um  Balthaser  Neumann  (t  1753).  —  W.  Mayer,  Egerer 
Galeerensträflinge.  S.  163 — 175.  Belege  für  diese  im  17.  und 
18.  Jahrh.  in  Deutschland  und  den  Erbländern  als  poena  extraordinaria 
nicht  selten  zur  Anwendung  gekommene  Strafe  bieten  die  Egerer  Stadt- 
bücher. Zwei  solcher  Fälle,  1694  und  1716  werden  eingehend  ge- 
schildert. —  Valentin  Schmidt,  Das  Urbar  der  Herrschaft  Eo- 
senberg  von  1598.  S.  175 — 208,  273 — 304,  401—429.  Die  Pa- 
pierhs.  befindet  sich  im  Hohenfurter  Stiftsarchiv.  Das  Urbar  wird  hier 
vollständig  mitgetheilt,  allerdings  stark  überarbeitet,  so  dass  man  das 
ursprüngliche  von  den  Zuthaten  des  Hrsg.  nicht  zu  scheiden  vermag.  — 
A.  Bach  mann,  Beiträge  zur  Kunde  böhmischer  Geschichts- 
quellen des  XIV.  und  XV.  Jhds.  S.  209 — 222.  In  diesem  ersten 
Theil  werden  ki-itisch  untersucht  l.  Die  Compilatio  chronologica  1310 — 
1432,  2.  das  Chronicon  Procopii  notarii  Pragensis.  —  Ottokar  Weber, 
Die  Schlacht  bei  Kulm  und  Nollendorf.  S.  222 — 299.  Ein  in 
T  e  p  1  i  t  z  gehaltener  Vortrag  auf  Grundlage  der  bisher  bekannten  Literatur. 
—  Woldemar  Lippe rt,  Meissnisch-böhmische  Beziehungen 
zur  Zeit  K.  Johanns  und  Karls  IV.  S.  240 — 265.  Einige  neue 
Urkunden  aus  dem  Hauptstaatsarchiv  in  Dresden  und  dem  Wiener  H.  H. 
und  Staatsarchiv  geben  dem  Verf.  Stoff  1.  über  die  Fehde  des  Erzb, 
Arnest  von  Prag  und  des  Johann  von  Michelsberg  mit  dem  Burggr. 
Meinher  von  Meissen  und  dem  Mkgr.  Friedrich  dem  Ernsten  von  Meissen 
1344 — 1347,  2.  über  die  Uebergriffe  Eussos  von  Lutitz,  des  böhm.  Land- 
pflegers von  Eger,  gegen  markgräfliche  meissnische  Vasallen  im  J.  1354 
und  3.  über  B.  Nikolaus  den  Unterkämmerer  von  Böhmen  als  meissnischen 
Vasallen  im  J.  1361  nochmals  zu  handeln.  Unter  den  abgedruckten  Ur- 
kunden finden  sich  einige,  die  in  den  Huber'schen  Eegesten  K.  Karls  IV. 
fehlen.  —  Ferd.  Mencik,  Lieder  aus  der  Zeit  des  dreissig- 
j  ährigen  Krieges.  S.  265 — 270,  399 — 400.  1.  Lied  vom  Eückzug 
Baner's  von  Prag  im  J.  1639,  acht  Vierzeiler,  2.  Lied  über  Olmütz  im 
J.  1642,  24  Strophen  zu  sechs  Zeilen,  3.  Ein  Pamphlet  aus  dem  J.  1636 
gegen  den  Card.  Harrach,  21  Strophen  zu  6  oder  5  Zeilen.  Alle  drei 
stammen  aus  dem  Harrach'schen  Archiv  in  Wien.  —  Eudolf  Müller, 
Das  Todesjahr  der  Katharina  von  Eädern.  S.  270 — 272.  Ihre 
und  ihres  Gatten  Friedrich  v.  Eädern  (t  1600)  Herrschaft  über  Friedland 
und  Eeichenberg  bedeutete  für  dieses  Gebiet  »das  goldene  Zeitalter*.  Sie 
zog  nicht,  wie  bisher  geglaubt  wurde,  nach  der  Katastrophe  am  Weissen 
Berge  mit  ihrem  Sohne  in  die  Verbannung  nach  Polen,  sondern  war  wahr- 
scheinlich im  März  1618  gestorben;  1619  war  sie  sicher  schon  tot.  — 
A.  Pfibram,  Zur  Geschichte  des  böhmischen  Handels  und 
der  böhmischen  Industrie  im  Jahrhundert   nach    dem  west- 


jßß  Literatur. 

fäli sehen  Frieden.  S.  305 — 357.  Der  erste  dieser  Beiträge  be- 
schäftigt sich  mit  der  »Entstehung  des  böhm.  Commerzcollegiums^,  über 
das  seit  dem  Jahre  1698  verhandelt  wurde,  das  aber  erst  im  Jahre  1724 
definitiv  durch  kais.  Rescript  als  eine  königliche  Behörde  eingesetzt  wurde. 
Die  Darstellung  beruht  auf  reichen  archivalischen  Forschungen  besonders 
im  Archiv  des  Reichsfinanzministeriums.  —  J.  Loserth,  Zum  Einzug 
der  Erzherzoge  Ferdinand,  Karl,  Ernst  und  Mathias  in  Prag 
am  3.  August  1588.  S.  357 — 362.  Neun  Briefe  aus  einem  Fase,  des 
Innsbrucker  Statth.  Archivs,  der  sich  mit  den  Reisen  Erzh.  Ferdinands 
und  seiner  Familie  beschäftigt.  Die  Briefe  sind  gegenseitig  von  und  an 
Erzh.  Ferdinand,  Mathias,  Ernst  und  Wok  von  Rosenberg.  —  A.  Mari  an, 
Die  kaiserlichen  Richter  in  Aussig  1622 — 1783.  S.  363—375. 
In  Aussig  wurde  der  Kaiser-  später  Königrichter  erst  nach  der  Sehlacht 
am  Weissen  Berge  eingeführt.  Der  Aufsatz  zählt  auf  Grund  der  Stadt- 
bücher und  sonstigen  Archivakten  die  Reihe  derselben  mit  biographischen 
Notizen  und  Aufführung  ihrer  hervorragendsten  Amtsgeschäfte  auf.  — 
Rudolf  Müller,  Kunstgeschichtliches  aus  dem  Bezirk  Aussig. 
S.  375 — 388.  —  Rudolf  Wolkan,  Deutsche  Volkslieder  des 
16.  und  17.  Jhds.  aus  Böhmen.  S.  388 — 398.  —  A.  Horcicka, 
Eine  Dorf  Schulprüfungsordnung  aus  den  J.  1786.  S.429 — 430- 

IV.  ö  asop  is  musea  krälovstvi  ceskeho.  (Zeitschrift  des  böhmi- 
schen Museums).     Red.  Anton  Truhläf, 

Jahrgang  LXIX  (1895).  Jan  V.  Novak.  Labyrint  sveta  a  raj 
srdce  J.  A.  Komenskeho  a  jeho  vzory.  (J.  A.  Komenskys  »Laby- 
rinth der  Welt  und  Paradies  des  Herzens <"  und  dessen  Vor- 
bilder). S.  56 — 70,  190 — 211,  452—466.  Komenskfs  bedeutendstes 
Werk  wird  einer  gründlichen  Untersuchung  mit  Rücksicht  auf  seine  Ori- 
ginalität unterzogen,  über  welche  Frage  die  Ansichten  deutscher  und 
cechischer  Forscher  auseinandergehen,  und  die  Abhängigkeit  insbesondere 
von  Job.  Val.  Andreae  eingehend  dargelegt.  Andreae's  »Peregrini  in 
patria  errores*  ist  für  das  Labyrinth,  sein  »Civis  Chi-istianus  <^  für  den 
zweiten  Theil  des  Paradieses  Muster  gewesen,  wobei  übrigens  auch  noch 
andere  Werke  Andreaes  in  Betracht  konimen.  Ks.  Verdienst  bestehe  bei 
dieser  Schrift  nicht  in  der  Erfindung  des  Grundgedankens,  den  er  aller- 
dings entlehnt  hat,  wohl  aber  in  der  eigenartigen  Durchführung  desselben. 
—  Zikmund  Winter,  Oldficha  Prefäta  z  Vlkanova  pfe  o  dedictvi.  (Ul- 
rich Prefats  Erbschaftsstreit).  S,  114 — 117.  Ein  langwieriger 
Prozess  des  bekannten  böhmischen  Reisenden  wegen  der  Hinterlassenschaft 
seiner  Schwester,  beendet  im  J.  1563-  —  Jaroslav  Bidlo,  Cesti  emi- 
granti  v  Polsku  v  dobe  husitske  a  mnich  Jeronym  Prai;sk;f.  (Böhmische 
Emigranten  in  Polen  während  der  Husitenzeit  und  der 
Mönch  Hieronymus  von  Prag).  S.  118 — 128,  232—265,  424 — 452. 
Der  erste  Theil  behandelt  die  interessante  Frage  von  der  Emigration  von 
Katholiken  aus  Böhmen  nach  Polen  in  der  Husitenzeit,  von  welcher  der 
Chronist  Dlugos  zuerst  berichtet.  An  sieh  erscheint  sie  nicht  unwahr- 
scheinlich, da  sieh  in  jener  Zeit  an  der  Krakauer  Universität  thatsächlich 
eine  Anzahl  Pofessoren  cechischer  Nationalität  neben  solchen  deutscher 
und  polnischer  Abstammung  nachweisen  lassen.  Allein  schon  Dlugos 
Behauptung,  dass  Polen  der  alleinige  Zufluchtsort  der  katholischen  Böhmen 


Literatur,  167 

gewesen  sei,  ist  falsch,  denn  es  lassen  sich  nach  Bidlo  Emigranten  auch 
in  Deutschland  nachweisen,  am  sichersten  in  Leipzig.  Der  zweite  Theil 
der  Arbeit  ist  dann  ausschliesslich  der  Person  des  Mönches  Hieronymus 
von  Prag  gewidmet,  den  eben  Dlugos  in  jener  Nachricht  über  die  Emi- 
gration nach  Polen  besonders  hervorhebt.  Es  ist  dies  ein  Namensbruder 
des  bekannten  Freundes  und  Leidensgenossen  Husens,  aber  von  ganz  ent- 
gegengesetzter Gesinnung.  Eigentlich  hiess  er  Johann,  unter  welchem 
Namen  ihn  auch  Dlugos  anführt,  Hieronymus  nannte  er  sich  bei  seinem 
Eintritt  iu  den  Orden  der  Kamaldulenser.  Bidlo  liefert  eine  eingehende 
Biographie  dieses  » Mönchs  <^  Hieronymus,  wie  man  ihn  zum  Unterschied 
vom  »Magister*  gleichen  Namens  bezeichnen  kann.  Hiebei  erweist  sich 
Dlugos  Nachricht,  dass  dieser  Hieronymus  nach  der  Zerstörung  des  Straho- 
ver  Klosters  (kurz  nach  1420)  nach  Polen  gekommmen  und  dort  der  erste 
Abt  des  neu  gegründeten  Prämonstratenser  Klosters  in  Sandez  geworden 
sei,  als  falsch.  Das  betreffende  Kloster  wurde  nämlich  thatsächlich  1410 
errichtet  und  andererseits  kam  Hieronymus  nachweisbar  in  einer  so  frühen 
Zeit  nach  Polen,  da  an  die  Nothwendigkeit  einer  Emigration  aus  Böhmen 
noch  nicht  gedacht  werden  kann.  Schliesslich  gibt  Bidlo  eine  Uebersicht 
der  Schriften  dieses  Hieronymus,  deren  er  23  aufzählt;  als  wichtigste  be- 
zeichnet er  den  »Tractatus  contra  quattuor  articulos  Bohemorum*.  — 
V.  Reznicek,  Svatoväclavsti  rytifi.  (Die  S.  Wenzelsritter).  S.  129 
— 133.  Eine  Aufzählung  jener  Personen,  die  vom  Anfang  des  17.  Jahrh. 
bei  den  Krönungen  der  böhmischen  Könige  diese  Auszeichnung  erhielten. 
—  V.  Tille,  Povidky  o  poutich  na  onen  svet.  (Erzählungen  von 
Wanderungen  nach  dem  Jenseits).  S.  212 — 232.  Eine  Fortsetzung 
des  Aufsatzes  im  Jhg.  1894  (vgl.  Mitth.  XVII,  703).  —  Jindfich  Me- 
telka,  0  jedenäctem  zemfepisnem  sjezdu  v  Nemecku.  (Ueber  den 
11.  deutschen  Geographencongres  s).  S.  265 — 289.  —  Jan 
Tenora,  Z  mlad^ch  let  pana  Jifiho  z  Kunstatu  a  z  Podebrad.  (Aus 
Georg  von  Kunstadt  und  Podiebrad  Jugendjahren).  S,  290 — 
297.  Der  Aufsatz  behandelt  zunächst  die  Frage,  wer  des  jungen  Georg 
Vormünder  in  Mähren  und  Böhmen  gewesen  seien  und  tritt  der  Annahme 
Palack^s  und  Tomeks  entgegen,  als  ob  Georg  in  seiner  Jugend  auch 
»Heralt*  genannt  worden  sei  und  schon  an  dem  Brünner  Landtag  1435 
theilgenommen  habe.  Selbständig  handelnd  lasse  sich  erst  der  17iährige 
Georg  in  einer  Urkunde  vom  26.  Fehruar  1437  nachweisen.  —  Vaclav 
Vondräk,  K  otäzce  o  vlivu  cirkevni  slovanstiny  na  starou  cestinu.  (Zur 
Frage  des  Einflusses  des  altkirchenslavischen  Dialects 
auf  das  Altböhmische).  S.  301  —  314.  Auf  diese  polemisch  ge- 
haltene Arbeit  erfolgte  unter  gleichem  Titel  eine  Replik  von  Flajshans 
S.  487 — 498,  eine  Duplik  von  V.  Vondräk  S,  498 — 501  und  eine  Er- 
klärung von  J.  Polivka  S.  501 — 502.  —  A.  Podlaha,  Dodatky  a  opravy 
k  biografiim  starsich  spisovatelü  ceskfch  a  k  starsi  ceske  bibliografii. 
(Nachträge  und  Berichtigungen  zu  den  Biographien  der 
älteren  böhmischen  Schriftsteller  und  zur  älteren  böhmi- 
schen Bibliographie).  S.  314 — 325;  503 — 513.  Zahlreiche  kleinere 
und  grössere  Artikel,  darunter  eine  lateinische  Biographie  des  Marcus 
Marci  von  Landskron  geb.  1595  aus  den  »Annuae  coli.  Prag,  ad  S.  de- 
mentem  1656 — 1680*.  —  Frant.  Lepaf,    Doplnky   2ivotopisne  a  kniho- 


1  /»rt  Literatur. 

pisne  z  Balbinova  spisu:  Historia  collegn  öiczinensis  societatis  Jesu. 
(Biographische  und  bibliographische  Ergänzungen  aus 
Balbins  Schrift:  Historia  etc.).  S.  325 — 326.  —  Zikmund 
Winter,  Mistra  Bachäcka  kollejni  pocty.  (Die  Collegiumsrechnun- 
gen  des  Magisters  Bachäcek).  S.  387 — 423.  Das  Archiv  der 
Prager  deutschen  Universität  enthält  einen  Codex,  in  welchen  der  ge- 
nannte Magister  von  1605 — 1612  (l614)  die  Einnahmen  und  Ausgaben 
des  Wenzelskollegs  einzutragen  hatte,  dessen  Propst  er  war.  Interessant 
wird  aber  dieses  Eationar  durch  das  Verzeichnis  der  ausserordentlichen 
Einnahmen,  indem  es  sich  nämlich  zeigt,  wie  B.  durch  Verkauf  von 
Büchern,  Karten,  Traktaten,  Bildern  etc.  seine  Einnahmen  zu  vergrössern 
suchte.  Es  ist  dies  ein  eigenartiger  Beitrag  zur  Beurtheilung  der  Lage 
der  Prager  Universitätsprofessoren  in  jener  Zeit.  —  Jan  Em  1er,  Kniho- 
pisny  pfehled  literämi  cinnosti  prof.  Dr.  Jos.  Emlera.  (Bibliogra- 
phische Uebersicht  der  literarischen  Thätigkeit  Prof. 
Dr.  Josef  Emiers).  S.  479—485.  Aus  Anlass  seines  60.  Geburtstags 
am   10.  Januar   1896. 

Jahrgang  LXX  (1896).  Frant.  Pastmek,  0  pocätcich  slovanske 
filologie  V  Cechäch,  zvläste  o  Fortunätovi  Durichovi  a  jeho  pomeru  k 
Dobrovskemu.  (Ueber  die  Anfänge  der  slavischen  Philologie 
in  Böhmen,  insbesondere  über  das  Verhältnis  Fortunat 
Durichs  zu  Dobrovsky).  S.  67 — 80.  —  J.  V.  Simak,  Spor  o 
dedictvi  RoZmberske  1523 — 1528,  (Der  Streit  um  das  Eosenber- 
gische  Erbe  1523—1528).  S.  81  —  112,  308—322,  419—441.  Im 
Zusammenhang  mit  der  Zeitgeschichte  Böhmens,  dem  Ständekampf,  be- 
ziehungsweise dem  Kampfe  des  Adels  gegen  Städte  und  König  und  der 
Wahlbewegung  nach  dem  Tode  K.  Ludwigs,  erhält  dieser  Streit  eine  all- 
gemeinere Bedeutung.  Hervorgerufen  wurde  derselbe  dadurch,  dass  Peter 
von  Rosenberg,  seit  1493  Majoratsherr  oder  Regent  (vladäf)  des  Hauses, 
entgegen  der  Familienordnung  zunächst  1519  eine  Theilung  des  Rosen- 
bergischen  Besitzes  zwischen  sich  und  seinen  vier  Neffen  Johann,  Jost, 
Peter  und  Heinrich  erlangte  und  dann  in  seinem  Testamente  verfügte, 
dass  nach  seinem  und  seines  Neffen  Johann  Tode  sein  Besitz  nicht  an 
den  nächsten  Rosenbergischen  vladäf  übergehe,  sondern  unter  seine  na- 
mentlich angeführten  Freunde  vertheilt  würde,  unter  denen  Zdenko  Lew 
von  Rozmital  in  erster  Linie  stand.  Als  die  drei  jüngeren  Brüder  nach 
Peters  Tode  (1523)  dieses  Testament  nicht  anerkannten,  entstand  der 
langwierige  Streit  zwischen  der  Partei  der  Rosenberge  und  jener  des  über- 
mächtigen Lew.  Solange  Heinrich  von  Rosenberg  lebte  (t  1526)  stand 
die  Sache  der  Rosenberge  günstig.  Nach  seinem  Tode  wurde  Johann  das 
Haupt  des  Hauses,  der  Streit  verflachte  in  Geldprozesse,  die  schliesslich 
durch  Eingreifen  K.  Ferdinand  nicht  ohne  grosse  Opfer  der  Rosenberge 
erledigt  wurden.  Die  letzten  Ausgleiche  erfolgten  erst  im  J.  1531.  — 
Frant.  Bares,  0  prävu  hranicnem  v  nekdejsim  kraji  Boleslavskem. 
(Ueber    das  Grenzgericht    im    ehemaligen  Boleslaver  Kreis). 

S.   112 117.    Der  Aufsatz  bringt  einige  Rechtsfälle  aus  dem  XVI.  Jahrb., 

schildert  im  kurzen  Vorwort  den  Rechtsgang,  lässt  uns  aber  vor  allem 
über  die  Competenz  dieses  Gerichtes  sehr  im  unklaren,  indem  er  darüber 
bloss  bemerkt:  in  diesen  und  diesen  Fällen  einigten  sich  die  streitenden 


Literatur.  169 

Parteien  auf  Schiedsrichter;  »in  wichtigeren  Sachen  wurde  das  Grenzrecht 
eingesetzt*.  Eine  solsche  Institution  kann  wohl  nur  aus  ihrer  historischen 
Entwicklung  heraus  klargelegt  werden.  —  Karel  Hostas,  0  Klatovske 
rodine  Krystyanü  (Kfestanü)  z  Koldina.  (Ueber  das  Klattauev  G-e- 
schlecht  der  Christiane  von  Koldin).  S.  123  —  126.  Dem  Ge- 
schlecht entstammt  der  bekannte  böhmische  Eechtslehrer  Paul  v.  Koldin. 
Die  Notizen  über  die  Familie  entstammen  den  Stadtbüchern  von  Klattau. 
—  Dodatky  a  opravy  k  biografiim  starsich  spisovatolu  cesk;fch  a  k  starsi 
ceske  bibliografii.  (Nachträge  und  Berichtigungen  zur  Bio- 
graphie der  älteren  böhmischen  Schriftsteller  und  zur 
älteren  böhmischen  Bibliographie).  S*  126 — 144.  Z.  Winter 
spricht  über  Nikolaus  Albert  von  Kamenek,  der  1610  aus  Wittenberg  an 
die  Prager  Universität  für  hebräische  Sprache  berufen  wurde.  V.  J.  S  i  m  ä  k 
gedenkt  einer  Notiz  aus  den  Hoftafeln  Nr.  17,  Stück  83,  wonach  Nikolaus 
Konäc  von  Hodistkov  im  Auftrag  K.  Wladislaws  zuerst  Weinbergrechtsregister 
für  Prag  anlegte.  V.  J.  Novacek  bringt  zwei  Urkunden  aus  den  Prager 
Stadtbüchern  zum  Abdruck,  die  sich  auf  die  kaiserliche  Belohnung  Martin 
Kuthens  von  Sprimsberg  für  seine  Versificirung  des  Einzugs  K.  Ferdinands  I. 
in  Prag  1558  beziehen;  ferner  eine  > Donacio  certorum  librorum  et  x  sexag, 
pro  abbate  et  conventu  monasterii  s.  Karoli  in  Praga*  vom  28.  Sept. 
1395  aus  den  Prager  Libri  erectionum;  sowie  das  Testament  des  Wenzel 
von  Wfesowitz  vom  J.  1579  aus  der  Landtafel.  —  V.  Flajshans,  Boj 
0  rukopisy.  (Der  Kampf  um  die  »Handschriften*).  S.  195 — 282, 
349 — 385.  —  Vaclav  Vondräk,  K  otäzce  o  slovanskych  abecedäch.  (Zur  Frage 
über  die  slavischen  Alphabete).  S.  282 — 296-  —  Zikmund  Winter,  Karlova 
akademie  za  boufe  stavovske,  (Die  Karls-Universität  o.  Akademie 
während  der  ständischen  Wirren).  S.  385 — 419.  Schildert  deren 
Schicksale  von  1609  bis  zum  7.  November  1620,  dem  Tage  vor  der 
Schlacht  am  Weissen  Berge.  —  V.  J.  Noväcek,  Nekolik  novjch  zpräv 
0  Zikmundovi  Hrubem  z  Jeleni  a  rodine  jeho.  (Einige  neue  Nach- 
richten über  Sigmund  Gelenius  und  seine  Familie).  S.  472 
— 47  9.  Aus  der  Bibliothek  in  Basel  und  dem  Prager  Landesarchiv.  S.  G. 
ein  bekannter  Literat  (geb.  1497)  wurde  auf  Erasmus  Empfehlung  Ee- 
dakteur  in  der  Froben'schen  Druckerei  in  Basel  und  ist  der  Herausgeber 
vieler  klassischer  und  historischer  Werke.  —  Frant.  ilares,  Literärni 
püsobeni  klästera  Tfebonskeho.  (Die  literarische  Wirksamkeit 
des  Klosters  in  Wittingau).  S.  521 — 547.  Der  Aufsatz  verfolgt 
die  literarische  Thätigkeit  des  im  J.  1367  gegi'ündeten  Augustinerklosters 
in  Wittingau,  sowie  die  Ausbildung  seiner  Bibliothek  und  seines  Archivs 
bis  zur  Aufhebung  des  Klosters.  Ein  fleissiger  Abschreiber  im  Kloster 
war  Bruder  Udalricus  Crux  aus  Teltsch,  geb.  c.    1405,  gest.   1504. 

Jahrgang-  LXXI  (1897).  Zikmund  Winter,  Konec  samostatne 
university  Karlovy.  (Das  Ende  der  Selbständigkeit  der  Prager 
Karlsuniversität).  S.  3 — 35,  97 — 109.  Die  Schilderung  bezieht 
sich  auf  die  Zeit  unmittelbar  nach  der  Schlacht  am  Weissen  Berge.  Zu- 
nächst 1620  u.  1621  führt  die  Universität  noch  ein  Scheinleben  in  ihrer 
alten  Gestalt.  Die  Zahl  der  Lehrer  fällt  auf  vier,  die  Besitzungen  der 
Universität,  vor  allem  Dorf  Pocernitz,  gehen  verloren,  die  Geldlasten,  die 
j\Iilitäi-6inquartirungen,    die    persönlichen  Verfolgungen  der  Lehrer  werden 


;[70  Literatur. 

immer  unerträglicher,  Petitionen  an  den  Landeshauptmann  Grafen  von 
Liechtenstein,  an  den  Kaiser  bleiben  ungehört,  einen  Versuch,  den  Kur- 
fürsten von  Sachsen  um  seine  Intervention  anzugehen,  büssen  die  Pro- 
fessoren mit  dem  erniedrigenden  Befehl  ein  Entschuldigungs-  und  Eecht- 
fertigungsschreiben  dahin  zu  richten,  das  ihnen  von  Michna  gleichsam  in 
die  Feder  dictirt  wird;  mühsam  vdrd  der  Unterricht  trotzdem  noch  auf- 
recht erhalten.  März  1622  endlich  erfolgte  der  kaiserliche  Auftrag  an  die 
Professoren,  den  ernannten  Commissären  die  Privilegien  und  sonstigen 
Amtssachen  zu  übergeben.  Am  29.  April  resignirten  die  letzten  Glieder, 
der  Rektor  und  der  Prorektor  in  voller  Sitzung  der  Magister,  Scholaren, 
Bakalaren  auf  ihre  Aemter.  Die  Professoren  mussten  das  Colleg  räumen, 
die  Kommissäre  übernahmen  die  Leitung  der  Universität,  die  sie  dann 
am  14.  November  1622  den  Jesuiten  übergaben.  Der  erste  Jesuiten- 
rektor war  Simon  Sidecius.  Von  den  letzten  vier  Professoren  trat  der 
eine,  der  letzte  Rektor  Basilius,  zum  Katholicismus  über  und  avancirte 
dann  rasch  zum  Primas  der  Prager  Kleinstadt.  Die  Nachrichten  stammen 
zum  weitaus  grössten  Theil  aus  den  gleichzeitigen  Aufzeichnungen  im 
Amtsbuch  der  Universität.  —  Jan  V.  Noväk,  IJsudek  Jana  Amosa  Ko- 
menskeho  o  literatufe  staroklassicke.  (Ein  Urtheil  des  J.  A.  Comenius 
über  die  altklassische  Literatur).  S.  36 — 48,  109 — 121.  — 
K.  V.  Adämek,  Adamite  na  Hlinecku  v  XVHI.  a  XIX.  veku.  (Ada- 
miten  im  Gebiet  von  Hlinsko  im  18.  u.  19.  Jahrh.)  S.  48 — 64. 
Die  lange  verborgen  lebenden  Adamiten  treten  gestützt  auf  K.  Josefs 
Toleranzpatent  in  den  80er  Jahren  des  18.  Jahrh.  plötzlich  an  die  OefFent- 
lichkeit.  Die  wenigen  Nachrichten  über  ihr  dortiges  Vorkommen  entnimmt 
der  Verf.  Archivalien  der  Herrschaft  Richenburg  (vgl.  oben  S.  159).  — 
Ferd.  Mencik,  0  dvou  spisech  Husov;fch.  (Ueber  zwei  Schriften 
Husens).  S.  74—79.  Der  Verf.  weist  nach,  dass  die  bisher  nur  in 
böhmischer  Sprache  bekannte  Schrift  Husens  »Proväzek  o  tfech  pramenech« 
(Funiculus)  auch  in  lateinischer  Sprache  u.  zw\  wie  jene  in  einem  Texte 
aus  dem  16.  Jhd.  erhalten  ist  und  regt  die  noch  nicht  gründlicher  ver- 
folgte Frage  an,  ob  nicht  mehrere  bloss  in  böhmischer  Sprache  überlieferte 
Schriften  Husens  als  Uebersetzung  aus  dem  lateinischen  anzusehen  seien. 
Er  sucht  dieses  Verhältnis  sowohl  an  dem  »Funiculus«  wie  an  einem 
zweiten  "Werke  Husens  »Zrcadlo  cloveka  hfisneho«  nachzuweisen.  — 
A.  Pater a,  Zbytky  staroceske  legendy  »o  narozene  a  detinstvi  Krista 
Päna *  ze  XIV.  stoleti.  (Fragmente  einer  altböhmischen  Legende 
»Ueber  die  Geburt  und  Kindheit  Christi«  aus  dem  14.  Jhd.). 
S.  245 — 249.  Sie  wurden  abgelöst  von  einem  Deckel  einer  Hs.  des 
Franziskanerkloster  Schwaz  in  Tirol.  —  P.  Syrku,  Zpräva  o  ceskem 
rukopise  v  Bodleanske  knihovne  v  Oxforde.  (Nachricht  über  eine 
böhmische  Handschrift  in  derBibliothekBodley  in  Oxford). 
S.  249 — 25J1.  Ein  »Neues  Testament«  saec.  XV.  —  Ferd.  Mencik, 
Studenti  z  Cech  a  Moravy  ve  Witemberku  od  r.  1502  a2  do  r.  1602. 
(Wittenberger  Studenten  aus  Böhmen  und  Mähren  von 
]502  — 1602).  S.  250 — 268.  Extracte  aus  dem  Druckwerk  »Album 
academiae  Vitebergensis ^  von  Ed.  Foerstemann,  1.  Bd.  1841,  2.  Bd.  1894 
erschienen.  —  Cenek  Zibrt,  Zapisky  Jana  Jenika  z  Bratfic  v  bibliothece 
Musea    kralovstvi    Ceskeho.     (Die    Memoiren    des    Job.    Jenik    von 


Literatur.  ■['J^ 

Bratfic  (l756 — 1845)  in  der  Bibliothek  des  Böhmischen  Mu- 
seums). S.  305 — 323,  442  —  462.  Sie  bilden  eine  Ergänzung  jener 
Memoiren  und  Aufzeichnungen  Jeniks,  die  in  der  Neubergischen  Bibliothek 
in  Prag  aufbewahrt  werden.  Die  7  Theile  enthalten  zumeist  Bohemica 
aus  alten  Büchern  und  Handschriften  gesammelt,  viel  Material  zur  Ge- 
schichte der  Jesuiten  in  Böhmen  und  der  Zeit  nach  der  Weissenberger 
Schlacht,  zur  Adels-,  Kultur-  und  Literargeschichte  des  Landes.  Seine 
Aufzeichnungen  und  Extracte  beziehen  sich  aber  weiters  auch  auf  seine 
Zeit,  die  Eegierung  Maria  Theresias,  K.  Josefs,  Franz  I.  —  Vaclav  Von- 
dräk,  Novejsi  präce  o  cinnosti  slovanskfch  apostolü  sv.  Cyrilla  a 
Methodia.  (Neuere  Arbeiten  über  die  Thätigkeit  der 
slavischen  Apostel  des  h,  Cyrill  und  Method).  S.  324 — 352. 
V.  beginnt  mit  einem  kritischen  Referat  über  J.  Friedrichs  für  die  Ge- 
schichte der  Slavenapostel  so  bedeutungsvollen  Arbeit;  »Ein  Brief  des 
Anastasius  bibliothecarius  an  den  Bischof  Gaudericus  von  Velletri  über  die 
Abfassung  der  »»Vita  cum  translatione  s.  Clementis  Papae*^^  Eine  neue 
Quelle  zur  Cyrillus-  und  Methodiusfrage^''.  Doch  tritt  V.  den  Haupt- 
ansichten Friedrichs  durchaus  entgegen,  so  bezüglich  des  späten  Alters 
der  italischen  Legende,  in  der  Beurtheilung  der  Vita  Constantina,  der 
Briefe  P.  Stephans  V.  u.  P.  Johanns  VIll.  V.  steht  vielmehr  auf  dem 
Standpunkt  Lapötres  »L'Europe  et  le  S.  Siege  ä  l'epoque  caroUngienne. 
I.  partie:  Le  Pape  Jean  VIII.  872 — 882*,  dessen  Annahme,  dass  beide 
Briefe  echt  seien,  er  beistimmt.  »Lapötres  Schrift  macht  überhaupt  einen 
sehr  guten  Eindruckes  ist  das  Gesammturtheil.  Was  Karl  Goetz'  »Ge- 
schichte der  Slavenapostel  etc.*  anlangt,  so  führt  er  deren  Inhalt  und 
Goetz's  Beweisführung  ziemlich  genau  vor,  weicht  aber  auch  von  dessen 
Ansichten  besonders  was  die  Fälschung  des  Briefes  P.  Johanns  VIII.  be- 
trifft, beleutend  ab.  —  J.  V.  Präsek,  Benätcan  Marco  Polo  a  cesty 
jeho.  (Der  Venetianer  Marco  Polo  und  seine  Reisen).  S.  401 
— 415,  497 — 515.  Den  Anlass  zu  dieser  eingehenden  Darstellung  der 
Reisen  Polos  auf  Grund  der  verschiedenen  Editionen  von  Polos  Büchern 
bildete  wohl  der  Umstand,  dass  sich  in  der  Pi'ager  Museumsbibliothek 
eine  von  der  fremden  Literatur  bisher  nicht  beachtete  Uebersetzung  von 
Polo's  Milion  befindet,  eine  Abschrift,  die  nach  einer  böhmischen  Original- 
übersetzung, die  unter  K.  Georg  v.  Podebrad  in  Lettowitz  in  Mähren  her- 
gestellt sein  soll,  verfertigt  ist.  —  Josef  Cvrcek,  Archiv  Jednoty  bratrske 
V  Herrnhute.  (Das  Archiv  der  Brüder-Unität  in  Herrnhut). 
S.  415 — 441.  Bietet  eine  Geschichte  des  Archivs  und  genaue  Inhalts- 
angabe der  14  Hauptfolianten,  sowie  der  Drucke  u.  sonstigen  Archivalien. 
Vgl.  hiezu  A.  Glitsch,  Das  Archiv  und  die  Bibliothek  der  Brüdei'-Unität 
in  Herrnhut.  1877.  und  Dsl..  Versuch  einer  Geschichte  der  bist.  Samm- 
lungen der  Brüder-Unität,  1891.  —  Josef  Sakaf,  Solni  komora  v  T^ne 
nad  Vltavou.  (Die  Salzkammer  in  Moldautein).  S.  516 — 525. 
Die  Salzzufuhr  verursachte  schon  im  14.  Jahrh.  Zwistigkeiten  vornehmlich 
zwischen  Pisek  und  Moldautein.  Erst  unter  K.  Ferdinand  I.  kam  es  zu 
festen  Niederlagen  von  Gmundner  Salz  in  Budweis  und  in  Moldautein. 
Hiedurch  wurde  die  alte  Salzstätte  von  Prachatitz  schwer  geschädigt,  die 
aus  Baiern  über  Passau  ihr  Salz  bezog.  Der  Aufsatz  unterrichtet  über 
die  Einrichtung,    Zufuhr,    Niederlage,    die  Beamten    der  königlichen  Salz- 


172  Literatur. 

kammer,  über  den  Umfang  des  Geschäftes  bis  zum  J.  1747-  —  V.  J. 
Novacek,  M.  Adam  Rozacin  z  Karlsperka.  (S.  540  —  543).  Er 
war  Anfang  des  17.  Jhds.  Bürger  in  Schüttenhofen,  1613  Bürgermeister, 
von  ihm  hat  sich  im  dortigen  städtischen  Museum  ein  »Register  der* Ein- 
nahmen und  Ausgaben  von  und  für  die  Schüttenhofner  Unterthanen*  vom 
J.  1618  erhalten,  darin  u.  a.  ein  nicht  uninteressanter  Aufsatz  »Ueber  die 
Verwaltung  (spräva)  der  Unterthanen*.  —  Karel  Läbler,  Pisafi  pfi  obci 
Chrudimske  od  r.  1439  ai  do  r.  1664.  (Stadtschreiber  von  Chrudim 
von  1439 — 1664).  S.  544 — 547.  Ein  in  ein  »Liber  contractuum  ruber* 
(angelegt  um  1600)  eingetragenes  Verzeichnis  mit  späteren  Nachträgen. 
—  In  den  »kleinen  Beiträgen*  finden  sich  Notizen  über  »Jakob  Chimar- 
rhaeus'^''  Hofkaplan  K.  Eudolfs  II.  und  Vorstand  des  Chorus  musicus  in 
der  Hofkapelle,  einen  geborenen  Holländer  (S.  7  9  ff.) ;  über  » Ulrich  Prefats 
Testament  aus  dem  J.  1565*  (S.  82  ff.);  Verse  »Ueber  die  unglückliche 
Rebellion  und  den  Krieg  in  Böhmen  im  J.  1618*  von  Wenzel  Heinrich 
Patocka  d.  Ae.,  Kaiserrichter  in  Königinhof  um  das  J.  1677  (S,  268  ff.); 
Notizen  über  eine  fi^anzösische  Schrift  über  Zi^ka  a.  d.  J.  1685,  betitelt 
»Ziska  le  redoutable  aveugle  .  .  .*  (S.  385  ff.):  ein  interessanter  Brief 
des  Mag.  Sigmund  Podkostelsky,  Schulleiter  in  Laun  an  den  Rath  von 
Schüttenhofen,  in  welchem  er  sich  entschuldigt,  dass  er  die  Leitung  ihrer 
Schule  niedergelegt  habe,  vom  J.    1619    (S.   476   ff.). 

V.  Ö e s k y  c a s o p i s  historicky .  (Böhmische  historische  Zeit- 
schrift).    Hrg.  von  Dr.  J.  GoU  und  Dr.  A.  Rezek. 

Jahrgang"  I  (1895).  Heft  5  und  6.  Josef  Müller,  Mikuläs 
Rutze,  valdenskf  pfekladatel  Husovych  spisu.  (Nikolaus  Rutze,  ein 
waldensischer  Bearbeiter  der  Schriften  Hus').  S.  281 — 287. 
Er  lebte  Ende  des  15.  Jhd.  und  Anfang  des  16.  in  Rostock,  seinem  Ge- 
burtsort, 1485  wurde  er  Magister  an  der  dortigen  Universität.  In  Flacius' 
>Catalogus  testium  veritatis*  finden  sich  verschiedene  Nachrichten  über 
sein  Leben.  Unter  dessen  Schriften  nennt  Flacius  auch  »De  triplici  funi- 
culo*,  das  sich  als  eine  Bearbeitung  von  Husens  »Proväzek  tfipramenny« 
erweist,  allerdings  in  waldensischem  Sinne.  Eine  Nachricht  des  Predigers 
Martin  Reinhart  von  Eivelstat  macht  weiters  wahrscheinlich,  dass  Rutze 
oder  Rus  verschiedene  husitische  Handschriften  im  Original  oder  in  Ueber- 
setzungen  besass.  Wichtig  ist,  dass  Rutzens  Bearbeitung  vom  Ende  des 
XV.  Jahrb.,  die  sich  im  Druck  erhalten  hat,  älter  ist  als  der  älteste  Druck 
(1545)  des  Werkes  von  Hus,  daher  für  die  Textkritik  von  Belang.  — 
Josef  Susta,  Zavis  z  Falkenstejna.  (Zawisch  von  Falkenstein). 
S.  287 — 298,  384 — 392.  Im  3.  Capitel  dieser  aus  den  früheren  Heften 
fortgesetzten  Arbeit,  betitelt  »Zawisch  und  Kunigunde*  sucht  der  Verf. 
die  Beziehungen  beider  zu  einander  rein  aus  den  politischen  Verhältnissen, 
ihrer  Gegnerschaft  gegen  Otto  v.  Brandenburg  zu  erklären.  Erst  auf 
ihrem  Witwensitze  in  Grätz  bei  Troppau,  wohin  er  mit  vielen  anderen 
böhmischen  Adligen  gekommen,  habe  sie  ihn  kennen  und  lieben  gelernt. 
Die  weitere  Darstellung  des  Verhältnisses  Zawisch's  zum  K.  Wenzel,  seine 
Heirat  mit  Kunigunde,  das  Verhältnis  zu  den  Habsburgern,  die  Ehe  mit 
Elisabeth  von  Ungarn  ohne  wesentlich  neues  zu  bieten.  Den  >>Fall  Za- 
wisch's« (4.  Theil)  führt  der  Verf.  zurück  auf  seinen  Gegensatz  zur  jungen 


Literatur.. 


173 


habsburgischeu  Königin  Jutta    und    auf   die    natürliche  durch  Z's.  üeber- 
hebung  hervorgerufene  Gegnerschaft    gegen    einen  grossen  Theil  des  böh- 
mischen Adels.     Beim  tragischen  Geschick  Z's.   handelt  der  Verf.  von  der 
Unglaubwürdigkeit    der    Detailschilderung  im  Ottokar    und    über    die  Un- 
sicherheit   des    Datums     seiner    Gefangennahme.     —    Max    Dvofäk    jun. 
»Hrabata  Slikove  a  jich  archiv  v  Kopidlne.    (Die  Grafen  von  Schlick 
und    ihr    Archiv    in  Kopidlno)«.     S.   298—307.     Der  Aufsatz  ver- 
folgt   die    Lebensgeschichte    des    Hauses    Schlick    in    grossen    Zügen    und 
charakterisirt  hiebei  das  über  die  einzelnen  Perioden  vorhandene  Material. 
Besonders    wichtig    ist    die  Correspondenz  Heinrich  Schlicks,    des  Gegners 
Wallensteins,    mit    dem  Kaiser    und    anderen    Personen.     Die    wichtigsten 
politischen    Akten    werden    angeführt     und    registrirt.    —    B.    Bernau, 
Sedläckovy    »Hrady,    zämky    a    tvrze    eeske«.     (Sedläceks     »Burgen' 
Schlösser    und    Festen    in    Böhmen«).     S.  307  —  327.     Eine°ein- 
gehende    Würdigung    dieses     grossangelegten     und    mit    wissenschaftlicher 
Gründlichkeit  gearbeiteten  Werkes,    von  dem  bereits   10   Theile  erschienen 
sind,^denen  noch  etwa  6—7  folgen  sollen.  —    Hyn.  Kollmann,  Nekterä 
pfispevky  ke    smlouve    göllersdorfske    uzavfene  v  pficine    druheho    gene- 
ralatu  Valdstynova.     (Einige    Beiträge    zum    Göllersdorfer    Ver- 
trag,    geschlossen    aus    Anlass    des    2.    Generalats    Wallen- 
steins).    S.   347—371.    Der  Verf  stützt  seine  Ausführungen  auf  neues, 
von  Gindely  und  Schebek  in  dieser  Frage    nicht    benutztes  Material,    ins- 
besondere auf  die  Berichte  des  Gesandten  Nikolaus  Sacchetti  aus  Florenz 
(aufbewahrt    im    Staatsarchiv    in    Florenz).    —    Frant.    Mar  es,    Padelant§ 
diplomy  Eo2mberske.     (Die    gefälschten    Rosenberger    Diplome). 
S.   371 — 384.     Vgl.    darüber    Mitth.    des    Instituts    19,   391.    —    In    den 
»Miscellen«   stellt  B.  V.  Koneeuy  fest,   dass  bezüglich  des  ersten  Bischofs 
von  Leitomischl  in  den  Chroniken  und  Urkunden  keine  Uebereinstimmung 
herrsche,    und    neben    dem    allein    richtigen    Johann    v.    Klosterbruck    bei 
Znaim    auch    noch    der  bisherige  Abt  v.  Leitomischl    genannt    werde    und 
überdies  bei  einigen  Schriftstellern  die  Ansicht  ausgesprochen  sei,    als  ob 
der  Abt  Johann  v.  Leitomischl    auch  Abt    von  Klosterbruck    gewesen  sei. 
A.  Eezek    referirt    über    die    I{eue  Organisation    der    staatlichen  Archive 
Oesterreichs  nach  dem  Staatsvoranschlag  von   1896. 

Jahr^ail^  II  (1896).  Jaroslav  GoU,  Sv.  Frantisek  z  Assisi. 
(Der  h.  Franz  v.  Assisi).  S.  1  — lO.  Der  kurze,  schön  ge- 
schriebene Aufsatz  will  zeigen,  welcher  Natur  Franz  von  Assisi  war  und 
worin  er  seine  Aufgabe  sah;  er  legt  daher  ein  Hauptgewicht  auf  die 
erste  Entwicklung  der  »Bruderschaft«  und  betont,  dass  die  Gründung  des 
Franziskanerordens,  wenn  auch  nicht  gegen  seinen  Willen  geschah,  so  doch 
vieles  hiebei  ohne  sein  Zuthun  sich  ausbildete.  Den  unmittelbaren  Anlass 
zu  dieser  Studie  bot  Paul  Sabatier'  Buch  »Vie  de  S.  Fran9ois  d'Assise« 
(1894),  das  er  dahin  charakterisirt,  dass  es  eigentlich  Geschichte  und  Le- 
gende   zu    einem    kritischen  Gesammtbilde    vereinigen    wollte,    schliesslich 

aber  weder  eine  Geschichte  noch  eine  Legende  des  Heiligen    darstellt.  

Vaclav  Novotnf ,  Husüv  gleit.  (Husens  Geleit).  S.  10—24,  67— 
86,  146 — 171.  Der  Verf.  begann  seine  Arbeit  ohne  vorerst  P.  Uhlmanns, 
K.  Sigmunds  Geleit  für  Hus  und  das  Geleit  im  Mittelalter  (lS94)  zu 
kennen.     Er    kam    im    wesentlichen  zu  denselben  Resultaten    und    kürzte 


j^74  -Literatur. 

daher  seine  Ausführungen  in  jenen  Punkten,  in  denen  er  eine  Ueber- 
einstimmung  mit  U.  wahrnahm  und  führte  nur  die  etwaigen  Differenzen 
und  Ergänzungen  gegenüber  U.  weiter  aus.  —  J.  A.  Fridericia, 
Danskä  literatura  historickä  za  poslednlch  deset  let.  (Die  dänische 
historische  Literatur  in  den  letzten  10  Jahren  18.S5  — 1895). 
S.  24 — 30.  —  Josef  Cvreek,  Antonln  Brus  z  Mohelnice.  (Anton 
Brus  von  Müglitz).  S.  30 — 39.  Bietet  neue  Ergänzungen  zur  Lebens- 
geschichte des  im  Titel  genannten  Erzbischofs  von  Prag  geb.  1 ,5 1 8  in 
Müglitz,  gest.  1580.  —  J.  Polivka,  Correspondence  P.  J.  Safafika  s 
0.  M.  Bodjansk;fm  a  V.  J.  Grigorovicem.  (Correspondenz  P.  J.  Sa- 
fafiks  mit  0.  M.  Bodjansky  und  V.  J.  Grigorovic).  S.  87  —  91. 
Nachträge  zur  Ausgabe  der  Briefe  Saf.  mit  verschiedenen  Gelehrten.  — 
Florian  Horut  a  Zdenek  V.  Tobolka,  Johannes  Sleidanus  a  ceske 
povstäni  r.  1547.  (J.  Sl.  und  der  böhmische  Aufstand  vom 
J.  1547).  S.  91  — -94.  Im  Kampfe  des  Kurfürsten  Friedrich  v.  Sachsen 
und  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen  als  Mitglieder  des  Schmalkaldi- 
schen  Bundes  gegen  K.  Karl  V.  und  K.  Ferdinand  L,  den  Sleidan  im 
18.  u.  19.  Buch  seiner  Commentarii  schildert,  stellten  sich  die  böhmischen 
Stände  grösstentheils  auf  die  Seite  der  Gegner  des  Kaisers.  Sleidanus 
benützte  für  seine  Darstellung  die  noch  heute  erhaltenen  »Akta  aller 
Handlungen,  so  sich  zwischen  .  .  .  Herrn  Ferdinanden  .  .  .  und  etlichen 
Personen  aus  den  Herren,  Kitter  und  Burger  Stande  der  Krön  Behaim  des 
vergangenen  1547  Jahrs  verloffen^S  die  K.  P'erdinand  selber  veranlasste 
und  in  Druck  legen  Hess,  daneben  aber  auch  die  Registratur  des  sächsi- 
schen Kurfürsten,  heute  in  Weimar.  —  Jaroslav  Eott,  Relace  i  depese 
benätskych  vyslancuv  16.  stoleti  a  ceske  dejiny.  (Relationen  und 
Depeschen  der  Botschaften  Venedigs  im  16.  Jahrhundert 
und  die  Geschichte  Böhmens).  S.  94 — 105.  Beschäftigt  sich 
hauptsächlich  mit  der  Finalrelation  des  Sekretärs  Massaro  vom  5.  Octob. 
1523  und  mit  der  Rede  des  Gesandten  Orio  vom  22.  Dez.  1523  über 
Böhmen  enthalten  in  den  »Diarii^^  des  Marino  Sanuto,  und  mit  den  ersten 
beiden  Bänden  der  von  der  k.  Akademie  in  Wien  herausgegebenen 
»Dispacci^S  die  für  die  Geschichte  des  böhmischen  Aufstandes  vom  J.  1547 
eine  wichtige  Quellen  bilden.  —  Boh.  Navrätil,  Pfispevky  k  dejinäm 
arcibiskupstvi  Olomouckeho.  (Beiträge  zur  Geschichte  des  01- 
mützer  Erzbistums).  S,  135—146.  Eigentlich  bloss  ein  genauer 
Hinweis,  in  wie  mannigfacher  Hinsicht  d'Elverts  »Zur  Geschichte  des 
Erzbisthum-s  Olmütz*  unzulänglich  ist.  —  Ant.  Rezek,  Michajl  Ba- 
kiinin.  S.  171  — 180-  Im  Anschluss  an  die  Publication  „Michail  Ba- 
kunins  Sozial-politische  Briefwechsel  mit  Alex.  Iw.  Herzen  und  Ogarjow« 
in  Schümanns  »Bibliothek  russischer  Denkwürdigkeiten <^  verschiedene  auf 
das  Leben  und  schriftstellerische  Wirken  Bakunins  (f  187  6)  bezügliche 
Nachrichten.  —  Jas.  Susta,  Kriticke  pfispevky  k  dejinäm  Pfemysla 
Otakara  II.  (Kritische  Beiträge  zur  Geschichte  Pfemysl 
Ottokars  II.).  S.  203 — 209.  Der  erste  Beitrag  handelt  über  die  Theil- 
nehmer  an  der  Erhebung  gegen  den  König  im  J.  1276;  der  zweite  über 
das  ziemlich  wertlose  im  15.  Jhd.  entstandene  Gedicht  über  »K.  Pfemysl 
Ottokar  und  Zawisch«.  —  Jaroslav  Stastn;f,  Z  Athen.  (Aus  Athen). 
S.   209 — 224.     Beleuchtet    die    daselbst    bestehenden    fremdländischen  In- 


Literatur.  ;[75 

stitute  zu  archäologischen  und  historischen  Studien.  —  Josef  Müller, 
Jan  Slerka.  (Johann  Slerka).  S.  224 — 239.  Slerka  gehört  einem 
Eeste  der  um  Policka  herum  in  Böhmen  und  Mähren  lebenden  »Böhmischen 
Brüder*  an,  die  sich  daselbst  bis  ins  18.  Jahrh.  geheim  erhielten  und  erst 
im  J.  175.5  nach  dem  zweiten  schlesischen  Krisge  zuerst  nach  Ungarn, 
dann  nach  Schlesien  und  Polen  auswanderten,  um  in  der  Fremde  zugrunde 
zu  gehen.  Einige  seiner  Briefe,  die  in  der  Beilage  mitgetheilt  werden, 
lateinisch  und  böhmisch,  geben  hierüber  Aufschluss.  Vergebens  plante  S. 
die  zerstreuten  Beste  zu  einer  neuen  Gemeinde  nach  den  alten  Grund- 
sätzen zu  vereinigen.  —  Max  Dvofäk  jun.,  Process  Jifiho  z  Lobkovic. 
(Der  Prozess  Georgs  von  Lobkowitz).  S.  271 — 292.  Haupt- 
sächlich auf  Grundlage  eines  in  der  Beilage  aus  dem  Wiener  Staatsarchiv 
abgedruckten  Berichtes  K.  Rudolfs  an  Erzh.  Ferdinand  über  den  Process 
und  durch  Darlegung  der  Verhältnisse  am  Hofe  Rudolfs,  als  Lobkowitz 
daselbst  die  ganze  Macht  in  seinen  Händen  hatte,  sucht  D.  zu  erweisen, 
dass  es  sich  bei  diesem  Prozess  nicht  so  eigentlich  um  ständische  Kämpfe 
handelte,  in  welchen  Lobkowitz  unterlag,  somlern  um  Hofintriguen,  die 
Lobkowitz  selber  in  aller  erster  Linie  anzettelte.  —  Jaroslav  Vrchlicky, 
Posledni  poesie  Markety  Navarrske.  (Die  letzten  Poesien  Marga- 
rethens  von  Navarra).  S.  293 — 297.  —  Jaroslav  Rott,  Pfemysl 
Otakar  IL.  a  vefejne  mineni  jeho  doby.  (Pfemysl  Ottokar  IL  und 
die  öffentliche  Meinung  seiner  Zeit).  S.  297 — 308.  Eine  ver- 
dienstliche Zusammenstellung  zahlreicher  theils  gereimter  theils  prosaischer 
Charakteristiken  Ottokars  bei  gleichzeitigen  Schriftstellern,  die  wenigstens 
in  übertragenem  Sinne  als  »die  öffentliche  Meinung«  angesehen  werden 
dürfen.  —  Frant.  Hybl,  Pocätky  Minoritü  v  Cechäch  a  na  Morave.  (Die 
Anfänge  der  Minoriten  in  Böhmen  und  Mähren).  S.  335 — 
345.  Schon  in  einer  Urkunde  vom  4.  Februar  1230  (über  deren  Zuver- 
lässigkeit sich  aber  der  Verf.  nicht  äussert)  ist  die  Eede  vom  »ordo 
fratrum  Minorum  in  Olomucz«,  1232  sind  sie  in  Prag  bereits  im  eigenen 
Hause,  dort  entstanden  noch  zwei  andere  Convente,  dann  folgen  König- 
grätz  und  Leitmeritz,  Kaaden,  Brüx  und  noch  weitere  sechs  bis  zum 
J.  1300;  ferner  in  Mähren  ausser  Olmütz  noch  Brunn,  Znaim,  Iglau, 
Troppau  und  Jägerndorf'.  Auch  der  Orden  der  h.  Klara  hatte  schon  bis 
1300  in  beiden  Ländern  mehrere  Klöster  aufzuweisen.  —  Frant.  Mares, 
Pameti  Tfebonske  a  jich  spisovatel.  (Die  Denkwürdigkeiten  von 
Wittingau  und  ihr  Verfasser).  S.  346 — 358.  Geschrieben  von 
einem  Wittingauer  Bürger  Laurenz  Benedikt  Metzer  (nicht  Meyer,  wie 
man  bisher  annahm),  geboren  1603,  bilden  sie  wegen  ihrer  Unzuverlässig- 
keit  nur  eine  sehr  zweifelhalte  Quelle,  zeichnen  sich  aber  durch  schöne 
Sprache  aus  und  bieten  über  den  Verf.  selbst  sowie  über  das  Geschlecht 
der  Rosenberge  mancherlei  Nachrichten  von  Intei'esse.  Theile  derselben 
sind  schon  früher  edirt  worden.  —  Arnost  Kraus,  Meissnerüv  »Zizka*^^ 
(Meissners  »Zizka«).     S.   358  —  378. 

Jalirg'ang  III  (1897).  Frant.  Pastmek,  Nova  kniha  o  dobe 
cyrillo-methodejske.  (Neue  Bücher  über  die  Zeit  Cyrills  und 
Methods).  S.  1  — 12.  P.  bespricht  hauptsächlich  A.  Lapötre's  »L'Europe 
et  le  S.  Siege  a  l'epoque  carolingienne*,  wo  der  mährischen  Frage  und 
besonders  auch  den  einander    entgegenstehenden  Briefen  P.  Johanns  VIIL 


176  Literatur. 

und  Stephans  V.  wegen  Anerkennung  oder  Verwerfung  der  slavischen 
Liturgie  eingehende  Kritik  gewidmet  wird  und  die  Geschichte  der 
Slavenapostel  Konstantinus  und  Methodius  von  Karl  Goetz,  der  als  alt- 
katholischer Pfarrer  auf  einem  ganz  anderen  Standpunkt  steht,  als  der 
gelehrte  Jesuit.  —  Frant.  Jaros,  Antisemitismus  v  klassicke  literatufe. 
(Der  Antisemitismus  in  der  klassischen  Literatur).  S.  12 — 33. 
Aufgebaut  ist  diese  Studie  auf  der  Publication  Th.  Reinachs,  Textes 
d'auteurs  grecs  et  romains  relatifs  au  Judaisme.  1895.  —  Felix  Koneczny, 
Historiografie  polskä  V  poslednich  letech.  (Die  polnische  Geschichts- 
schreibung in  den  letzten  Jahren).  S.  34 — 43,  73 — 86.  Ein 
kritischer  Ueberblick  der  bedeutendsten  Erscheinungen  von  der  ältesten 
Zeit  bis  ins  18.  Jahi'h.  —  Jar.  Vrchlick}',  Messer  Brunetto  Latini, 
Dantuv  pfedchudce  a  ucitel.  (Messer  Brunetto  Latini,  Dantes 
Vorgänger  und  Lehrer).  S.  65 — 72,  133 — 146,  201 — 212,  265  — 
274.  Fr.  Drtina,  Francouzske  skolstvi  vyssi  za  doby  revoluce.  (Das 
französische  höhere  Schulwesen  zur  Zeit  der  Revolution). 
S.  86 — 92,  160—177,  222  —  241,  288—302.  —  Josef  Pekaf,  Spor  o 
Individualismus  a  kollektivismus  v  dejepisectvi.  (Der  Streit  zwischen 
Individualismus  und  Kollektivismus  in  der  Geschichts- 
schreibung). S.  146 — 160.  Ein  Referat  über  die  durch  Lamprecht 
hervorgerafenen  geschichtsphilosophischen  Fragen  und  in  gewisser  Be- 
ziehung eine  Stellungnahme  zu  denselben.  —  Lubor  N  i  e  d  e  r  1  e ,  P  a  1  a- 
ethnologie  Evropy.  S.  212  —  222.  Der  Anfang  eines  bealjsichtigten 
jährlichen  Referats  über  dieses  Gebiet.  —  Josef  Cihula,  Martin  Luther 
a  Cechove  podoboji.  (Martin  Luther  und  die  böhmischen  Utra- 
q nisten).  S.  274 — 288,  329 — 349.  Das  Verhältnis  Luthers  zu  Hus 
und  den  böhmischen  Religionsparteien  wird  hier  abermals  eingehend  dar- 
gestellt, ohne  dass  aber  der  Verf.  zu  anderen  Resultaten  gelangte,  als  die 
früheren  darüber  handelnden  Arbeiten,  besonders  Goll.  —  Jan  Krejci, 
Vliv  pomerü  cirkevnich  a  stätnich  na  literatui'u  staronemeckon.  (Der  E i n- 
fluss  der  kirchlichen  und  staatlichen  Verhältnisse  auf  die 
altdeutsche  Literatur).  S.  302 — 315.  —  Frant.  Machat.  Spo- 
lecenske  fädy  Novokftencu  na  Morave.  (Der  Communismus  der 
Mährischen  Wiedertäufer).  S.  349 — 358.  Im  wesentlichen  ein  kri- 
tisches Referat  über  J.  Loserths  »Doktor  Balthasar  Hubmaier*,  »der  Com- 
munismus der  Mähr.  Wiedertäufer  im  16.  u.  17.  Jhd. <<  und  »Der  Com- 
munismus der  Huterischen  Brüder  in  Mähren ^^  —  Gustav  Friedrich, 
Kodex  Tisnovskf.  (Der  Codex  Tischnovicensis).  S.  359 — 372. 
Es  handelt  sich  hier  um  den  Versuch  eine  von  Boczek  im  Codex  diplo- 
maticus  et  epistolaris  Moraviae  Bd.  I — V  öfters  angeführte  Quelle,  die 
thatsächlich  heute  nicht  mehr  auffindbar  ist,  als  eine  Fälschung  Boczeks 
zu  erweisen.  Der  Verdacht  wurde  auch  schon  früher  ausgesprochen. 
Friedrich  hat  allerdings  versucht,  alle  Anhaltspunkte,  die  für  eine  Fälschung 
sprechen  könnten,  zusammenzustellen ;  vollkommen  beweiskräftig  sind  diese 
Momente  aber  doch  nicht.  —  E.  Albert,  0  Prokopu  Divisovi.  (Ueber 
Prokop  Divis).  S.  37  2 — 375.  Bestimmung  des  Geburtsjahres  des  vor- 
franklinischen  Erfinders  des  Blitzableiters,  1698  März  26,  im  Gegensatz  zu 
Pelzls  Angabe  1696  Aug.  2  nach  dem  Album  des  Znaimer  Gjannasiums  und 
der  Senftenberger  Matrik.  —   Von  kleineren  Aufsätzen  sind  hervorzuheben. 


Literatur.  177 

Jar.  Vlcek,  Proti  revoluce  francouzske.  (Gegen  die  französische 
Eevolution).  S.  92  ff.  V.  weist  hin  auf  mehrere  böhmisch  geschriebene 
Brochuren  aus  dem  Ende  des  1 8.  Jhd.,  die  den  Ideen  der  französischen  Revo- 
lution entgegenzutreten  suchen.  —  Jos.  Teige  (S.  97)  bringt  den  Nachweis, 
dass  die  zumindest  interpolirte  Urkunde  K.  Ottokars  I.  dd»  1222,  Dez.  16, 
die  Hammerschmidt  im  J.  1700  abdruckte,  schon  1671  in  ein  Prager 
Kopialbuch  eingetragen  wurde.  —  J.  V.  Simäk  (S.  177  ff.)  berichtet 
über  das  neu  eingerichtete  Stadtarchiv  in  Türnau,  —  Ladislav  KHcman, 
(S.  246  ff.)  weist  gegen  Tadra  nach,  dass  Nicolaus  gen.  Efficax  von 
Luxemburg,  Notar  und  Rath  K.  Johanns  und  Karls  lY.,  und  Nikolaus  von 
Böhmen,  der  natürliche  Sohn  K.  Johanns,  Bischof  von  Naumburg  und 
Patriarch  von  Aquileja  nicht  identisch,  sondern  zwei  verschiedene  Personen 
sind.  —  Jaromir  Celakovsk^  (S.  249  ff.)  bringt  aus  dem  Landtafelamt 
den  Abdruck  des  Originals  des  Majestätsbriefes  K.  Friedrichs  von  der 
Pfalz  für  die  böhmischen  Stände  dd<^  1619,  Dezember  2,  Nürnberg.  — 
J.  Valchäf  (S.  375  ff.)  über  ein  Urbar  der  Malteserherrschaft  in  Ober 
Kralowitz,  angelegt  1697. 

Brunn.  Berthold  Bretholz. 


Notizen. 

Festgaben  zu  Ehren  Max  Büdingers  betitelt  sich  ein  statt- 
licher Band,  den  Freunde  und  Schüler  Büdingers  zu  dessen  siebzigstem 
Geburtstage  am  l.  April  1H98  dargebracht  haben  (Lmsbruck,  Wagner 
1898).  Der  mannigfache  Inhalt  spiegelt  die  fast  einzig  dastehende  Viel- 
seitigkeit Büdingers  als  Forscher  und  Lehrer  wieder.  Wir  können  uns 
hier  bloss  auf  die  Verzeichnung  der  Beiträge  beschränken;  sie  sind: 
J.  Krall,  Vom  König  Bokchoris;  Thomas  Friedrich,  Nineves  Ende 
und  die  Ausgänge  des  assyrischen  Reiches;  Heinrich  Swoboda,  Zum 
griechischen  Staatsrecht;  Adolf  Bauer,  Der  Brief  Alexanders  d.  Gr.  über 
die  Schlacht  gegen  Porus ;  Hans  W  i  r  z ,  Sallustius  in  Ciceronem,  ein  clas- 
sisches  Stück  Anticicero ;  Rudolf  v.  S  c  a  1  a ,  Doxographische  und  stoische 
Reste  bei  Ammianus  Marcellinus ;  Robert  v.  Nostitz-Rieneck,  Zum 
päpstlichen  Brief-  und  Urkundenwesen  der  ältestem  Zeit;  Karl  Dänd- 
liker.  Universalhistorische  Anknüpfungen  der  Zürfeher  Geschichte  vom  8. 
bis  13.  Jahrhundert;  G.  Meyer  v.  Knonau,  Der  Verfasser  des  »Liber 
de  unitate  ecclesiae  conservanda « ;  Oswald  Redlich,  Habsburg,  Ungarn 
und  Sicilien  und  ihre  ersten  Beziehungen;  Alfons  Dop  seh,  Zur  deut- 
schen Verfassungsfrage  unter  König  Rudolf  von  Habsburg;  P.  Schweizer, 
Habsburgische  Stadtrechte  und  Städtepolitik;  J.  Brunner,  Die  Ordnungen 
der  Schule  der  Propstei  Zürich  im  Mittelalter ;  R.  T  h  o  m  m  e  n ,  Eine  bischöf- 
liche Steuer  in  der  Diöcese  Konstanz;  M.  Tan  gl,  Die  päpstlichen  Re- 
gister von  Benedict  XII.  bis  Gregor  XL;  Karl  Uhlirz,  Zur  Kunde  öster- 
reichischer Geschichtsquellen;  Hans  v.  Voltelini,  Zur  Geschichte  des 
ehelichen  Güterrechtes  in  Tirol;  Th.  Fellner,  Ueber  einen  Widerspruch 
zwischen  dem  „Pactum  mutuae  successionis «  von  1703  und  der  prag- 
matischen Sanction  von  1713;  H.  Schlitter,  Verfassung  und  Verwaltung 

Mittheilungen  XX.  12 


j'i'g  Notizen. 

der  belgischen  Provinzen  beim  Regierungsantritt  Josephs  II.;  0.  Hun- 
ziker,  Pestalozzi,  französischer  Bürger;  Wilhelm  Oechsli,  Lebzeltern 
und  Capo  d' Istria  in  Zürich;  Alois  Riegl,  Kunstgeschichte  und  Uni- 
versalgeschichte; Franz  W  ick  hoff,  Ueber  die  historische  Einheitlichkeit 
der  gesammten  Kunstentwicklung". 

Die  »Beiträge  zur  alten  Geschichte  und  Geographie^S 
Festschrift  zw  Ehi-en  von  Heinrich  Kiepert  (Berlin  1898  bei  Reimer), 
enthalten  zwei  für  die  Organisation  Italiens  in  der  römischen  Kaiserzeit 
wichtige  Untersuchungen :  Th.  M  o  m  m  s  e  n  »  üie  italischen  Regionen  «  und 
j.  Bartsch  »Der  hundertste  Meilenstein^^  (mit  einer  Karte).  H.  Geizer 
gibt  »Geographische  Bemei"kungen  zu  dem  Verzeichnis  der  Väter  von 
Nikaea*^^,  im  Anschlüsse  an  die  Ausgabe  desselben:  »Patrum  Nicaeno- 
rum  nomina  latine,  graece,  coptice,  syriace.  arabice.,  armeniace  sociata 
opera  ediderunt  H.  Geizer,  H.  Hilgenfeld,  0.  Cuntz^^  Leipzig  bei 
Teubner  1H98.  Mit  einer  Karte,  zu  der  die  » Bemerkungen <^  für  die  Pro- 
vincialeintheilung  im  4.  Jahrhundert  wichtigen  Commentar  bilden,  während 
zugleich  die  Ueberlieferung  der  Bischofslisteu  und  der  ersten  Concilien 
überhaupt  kritisirt  wird  .Ausserdem  haben  W.  Tomaschek,  A.  v.  Do- 
maszewski.  0.  Benndorf,  mehrere  Theilnehmer  der  österreichischen 
Expedition  nach  Kleinasien,  so  Heberdey,  Kaiinka,  Kubitschek, 
u.  A.  Beiträge  zur  Geographie  beziehungsweise  Topographie  des  Orientes 
geliefert.  0.  Hirschfeld  behandelte  den  »Namen  Germani  bei  Tacitus 
und  sein  Aufkommen  bei  den  Römern*,  K.  Zangemeister  » Zur 
Geographie  der  Rheinlande  bei  Ptolomaeus  II,  9  §  9*,  E.  Hübner,  »Die 
Nordwest-  und  die  Südwestspitze  von  Hispanien*,  K.  Kretschmer  den 
»Globus  Johannes  Sthöner's  vom  J.  1520*.  Die  vorsichtigen  Erwägungen 
von  H.  Hirt  über  »die  sprachliche  Stellung  des  Illyrischen*  sind  für  die 
Ethnographie  der  Balkanhalbinsel  und  der  anstossenden  Landschaften  von 
Bedeutung.  J.  J. 

Die  Festschrift  zum  elfhundert  jähr  igen  Jubiläum  des 
deutschen  Campo  Santo  in  Rom,  dem  derzeitigen  Rector  Monsig- 
nore  De  Waal  gewidmet  von  Mitgliedern  und  Freunden  des  Collegiums, 
berausg.  von  Stephan  Ehses  (Preiburg  i.  B.,  Herder  1897)  brachte  ein 
reiches  Bündel  vielfach  wertvoller  Gaben  archaeologischen  und  geschicht- 
lichen Inhalts  zu  der  seltenen  Feier  der  alten  weitbekannten  Stiftung. 
Der  Inhalt  der  Festschrift  ist  folgender:  P.  Wehofer,  Das  KTPIE 
KAEHSON  bei  Epiktet  Diss.  II  7,  12.  P.  Kirsch,  Die  christlichen 
Caltusgebäude  in  der  vorkonstantinischen  Zeit.  L.  Jelic,  Anastasius  cor- 
nicularius,  der  Märtyrer  von  Salona.  Seb.  Merkle,  Prudentius  Ditto- 
chaeum.  Alb.  E  h  r  h  a  r  d ,  Die  Legendensammlung  des  Simeon  Metaphrastes 
und  ihr  uisprünglicher  Bestand.  H.  Grisar,  Das  römische  Pallium  und 
die  ältesten  liturgischen  Schärpen.  Bruno  Albers,  Hirsau  und  seine 
Gründungen  vom  Jahr  1073  an.  Stapper,  Die  Summulae  logicales  des 
Petrus  Hispanus  und  ihr  Verhältnis  zu  Michael  Psellus.  Fr.  X.  Glasr 
Schröder,  Zur  Geschichte  des  Archidiaconates.  H.  V.  S a u e r  1  ;i n d , 
Eine  Urkunde  der  Camera  apostolica  vom  Jahre  1218.  B.  M.  Reichert, 
Das  Itinerar  des  zweiten  Dominikanergenerals  Jordanis  von  Sachsen.    P.  M. 


Notizen.  179 

Baumgarten,  Die  Cardinalsernennungen  Cölestins  V.  im  September  und 
Oetober  1294.  C.  Eubel,  Die  während  des  14.  Jahrh.  im  Missionsgebiet 
der  Dominikaner  und  Franziskaner  errichteten  Bisthümer.  G.  Schmid, 
Itinerarium  Johanns  XXIII.  zum  Concil  von  Konstanz  1414.  J.  Schlecht, 
Sixtus  IV.  und  die  deutschen  Drucker  in  Eom.  K.  Miller.  Zur  Ge- 
schichte der  Tabula  Peutingeriana.  A.  Hackenberg,  Zu  den  ersten 
Verhandlungen  der  S.  Congregatio  Cardinalium  Concilii  Tridentini  Inter- 
pretum  (l564 — 65).  W.  E.  Schwarz,  Ein  Gutachten  des  bayr.  Kanzlers 
S.  Eck  gegen  die  officielle  Duldung  des  Protestantismus  in  Oesterreich 
(1568).  St.  Ehses,  Jodocus  Lorichius,  kath.  Theologe  und  Polemiker 
des  16.  Jahrh.  K.  Unkel,  Die  Kölner  Congregatio  ecclesiastica  für  die 
Eeform  der  Erzdiöcese.  A.  Pieper,  Instruction  und  Relation  der  Sen- 
dung des  Cardinais  Millino  als  Legaten  zuia  Kaiser  (1608).  Schnitzer, 
Urbans  VIII.  Verhalten  bei  der  Nachricht  vom  Tode  des  Schwedenkönigs. 
K.  M.  Kaufmann,  Altchristliches  vom  obergermanisch-rhätischeii  Limes. 
A.  Sauer,  Des  Macarius  Magnes  Homiliae  in  Genesim.  J.  A.  Endres 
und  A.  Ebner,  Ein  Königsgebetbuch  des  elften  Jahrhunderts. 

Dem  1.  Heft  der  Ueb  er  sieht  über  den  Inhalt  der  kleineren 
Archive  der  Rheinprovinz  von  Dr.  Armin  Tille  (vgl.  Mitth.  des 
Instituts  18,  209)  folgten  1897  und  1898  zwei  weitere,  welche  die 
Kreise  München-Gladbach-Stadt  und  Land,  Grevenbroich,  Bergheim,  Düssel- 
dorf-Stadt und  Land,  Bonn-Stadt  und  Land,  Eheinbacb  und  Euskirchen 
behandeln.  Der  Erfolg  dieser  rheinischen  Archivbereisung  kann  nur  aufs 
neue  die  Notwendigkeit  und  Erspriesslichkeit  zielbewusster  Fürsorge  für 
die  kleineren  Archive  bestätigen,  eine  Forderung,  der  Tille  auch  ge- 
legentlich der  Generalversammlung  der  deutschen  Geschichts-  und  Alter- 
thumsvereine  in  Münster  im  Oetober  1898  in  einem  Vortrag  Worte  ge- 
liehen hat.  Es  ist  doch  stets  aufs  neue  überraschend,  wie  reiches  und  ab 
und  zu  weit  zurückreichendes  Material  zum  Vorschein  kommt.  Und  wir 
lernen  dies  locale  Material  immer  mehr  in  seinem  Werte  schätzen  und 
verwei-ten.  Eine  Fülle  von  Weistümern  und  verwandten  Archivalien,  von 
Urbaren,  von  ßechnungsbüchern,  von  gerichtlichen  und  Verwaltungsacten 
dieser  nördlichen  Theile  der  Rheinprovinz  ist  doch  noch  trotz  mancher 
Verluste  vorhanden.  Die  Urkunden  reichen  verhältnissmässig  vielfach  ins 
13.  und  12.  Jahrhundert  zurück  (vgl.  S.  46,  57,  83,  96,  114,  131  S. 
166  ff.,  174).  In  dankenswerter  Weise  sind  eine  Reihe  von  Archivalien 
in  Privatbesitz  verzeichnet,  unter  denen  Familienarchive  wie  die  auf  Schloss 
Harff,  auf  Burg  Vilich  u.  a.  gerade  besonders  interessantes  Material  bieten. 
Die  Bearbeitung  ist  übersichtlich,  sorgfältig  und  verständnisvoll.  Die 
öfters  vorkommenden  Charakterisirungen  eines  Archivs:  »nichts  bemerkens- 
wertes-\  oder  »keinerlei  Archivalien  vorhanden«,  »keiaerlei  ältere  Archi- 
valien« wären  lieber  zu  vermeiden  und  durch  bestimmte  Angaben,  wie 
etwa:  moderne  Acten  seit  .  .  oder  ähnliches  zu  ersetzen.  Hie  und  da 
wären  genauere  Daten  erwünscht,  z.  B.  S.  166  über  das  Alter  einer  un- 
datirten  Urkunde  wahrscheinlich  des  12.  Jahrhunderts.  Zu  Kaiser-  und 
Papsturkunden  (in  der  Pfarre  Dietkirchen  bei  Bonn  befindet  sich  z.  B.  ein 
Original  Heinrichs  IL  von  1015)  wären  die  Nummern  der  Regesta  imperii 
und  pontificum  beizusetzen.  —  Eine  wichtige  Ergänzung  zu  dieser  »Ueber- 

12* 


180  Notizen. 

sieht  <^  bilden  die  vom  Historischen  Verein  für  den  Niederrhein  im  Ein- 
vernehmen mit  der  Gesellschaft  f.  Rheinische  Geschichtskunde  in  Angriff 
genommenen  Inventare  umfangreicherer  Archive  des  niederrheinischen  Ge- 
bietes. Dieselben  werden  in  den  Annalen  des  histor.  Verein  für 
den  Niederrhein  publicirt.  Im  59.  und  64.  Heft  der  Annalen  (l894, 
1897)  sind  bereits  eine  Eeihe  von  Stadtarchiven  in  sorgfältiger  und 
sehr  dankenswerter  Weise  bearbeitet.  Die  Inventare  sind  zum  Theil  auf 
Grund  früherer  Repertorisirungen  (z.  B.  von  Goerz)  hergestellt,  die  aber 
allenthalben  nachgeprüft  und  ergänzt  wurden.  Helt  59  bringt  die  Inven- 
tare der  reichhaltigen  Stadtarchive  von  Andernach,  Duisburg  und  Linz  a.  Eh., 
Heft  64  von  Kempen,  Goch,  Kaikar,  Rees,  Neuss  und  Düren.  In  Ander- 
nach, Duisburg  und  Rees  reichen  die  Urkunden  ins    1 2.  Jahrh.  zurück. 

0.  R. 


•    Monumenta  Germaniae  historica. 

Die  24.  Plenarversammlung  der  Central direction  der  Monumenta  Ger- 
maniae historica  wurde  vom  18.  bis  20.  April  1898  in  Berlin  abgehalten. 
Im  Laufe  des  Jahres  1897  —  98  erschienen  in  der  Abtheilung  Auetores 
antiquissimi :  Chronica  minor a  saec.  IV.  V.  VI.  VII  ed.  Th.  Momm- 
s  e n  III,  4  (A.  a.  XIII,  4)  ;  in  der  Abtheilung  Scriptores :  L i b e  11  i  de 
lite  Imperator  um  et  pontificum  saeculis  XI  et  XII  conscripti 
III;  in  der  Abtheilung  Leges:  Capitularia  regum  Francorum  II 
edd.  Boretius  et  Krause. 

In  der  Sammlung  der  Auetores  antiquissimi  ist  als  Abschluss 
des  3.  Bandes  der  kleineren  Chroniken  das  von  Dr.  Lucas  entworfene 
Register  hinzugekommen.  Da  hiemit  diese  ganze  Reihe  von  Quellen  ihr 
Ende  erreicht  hat,  hat  der  Herausgeber  über  dieselben  einen  zusammen- 
fassenden Bericht  erstattet.  Als  einen  Nachtrag  darf  man  die  kritische 
Handausgabe  von  Eugippius'  Vita  Severini  betrachten. 

Als  ersten  Halbband  der  Gesta  pontificum  Romano r um  hat 
Prof.  Mommsen  den  ersten  Theil  des  Liber  pontificalis  bis  715  bearbeitet. 
Die  Fortsetzung  soll  Prof.  Kehr  in  Göttingen  anvertraut  werden. 

In  der  Abtheilung  Scriptores  wird  der  4.  Band  der  Mero- 
wingischen  Geschichtquellen,  bearbeitet  von  Archivar  Kruseh  in  Hanno- 
ver, im  Herbste  druckte rtig.  Mit  dem  3.  Bande  der  Schriften  zum 
Investiturstreit  ist  diese  Unterabtheilung  vorläufig  abgeschlossen.  Eine 
Fortsetzung  bleibt  vorbehalten.  Prof.  Holder-Egger  setzte  den  Druck  der 
als  Handausgabe  erseheinenden  Monumenta  Erphesfurtensia  saec.  XII.  XIH. 
XIV.  fort.  Mit  weiteren  Vorarbeiten  für  den  31.  Band,  der  die  italieni- 
schen Chroniken  des  1 3-  Jahrh.  umfassen  soll,  wurde  Dr.  Eberhard  be- 
traut. In  dem  3.  Bande  der  deutschen  Chroniken,  den  Werken  Enikels, 
hg.  von  Prof.  Strauch  wird  der  Druck  wahrscheinlich  in  diesem  Jahre  zu 
Ende  geführt  werden.  Für  den  6.  Band,  die  österreichischen  Chroniken, 
hat  Prof.  Seemüller  in  Innsbruck  weitere  Handschriften  verglichen.  Für 
die  Sammlung  der  historischen  Lieder  und  Sprüche  ist  Dr.  Meyer  in 
Göttingen  in  der  Herstellung  der  Texte  begriffen. 


Berichte.  131 

In  der  Abtheilung  Leges  ist  der  2.  Band  der  fränkischen  Capitula- 
rien  durch  die  angestrengte  Bemühung  von  Zeumer  und  Werminghoff 
zum  Äbschluss  gebracht  worden.  Eine  Untersuchung  über  die  Quellen 
des  Benedictus  Levita  wird  Dr.  Seckel  als  Vorläufer  seiner  Ausgabe  ver- 
öffentlichen. Für  die  grosse  Ausgabe  der  Leges  Visigothorum  von  Zeumer 
beginnt  demnächst  der  Druck.  Die  für  die  neue  Bearbeitung  des  bairi- 
schen  Volksrechtes  erforderliche  Eeise  nach  Italien  musste  Prof.  v.  Schwind 
abei-mals  verschieben.  Für  die  karolingischen  Synoden  hat  Dr.  Werming- 
hoff das  gedruckte  Material  durchgearbeitet  und,  von  Hrn.  Müller  unter- 
stützt, mit  der  Vergleichung  von  Handschriften  begonnen.  Für  die  Samm- 
lung der  fränkischen  und  langobardi sehen  Gerichtsurkunden  ist  Prof.  Tangl 
in  Berlin  an  die  Stelle  von  A.  Müller  getreten.  Dr.  Schwalm  in  Göttingen 
wird  den  Druck  des  3.  Bandes  der  Constitutiones  regum  et  imperatorum 
bald   anfangen. 

In  der  Abtheilung  Diplomata  wird  der  Druck  der  Urkunden  Hein- 
richs II.  in  diesem  Jahre  bis  an  das  Ende  der  Texte  gelangen.  An  Stelle 
von  Dr.  Meyer  ist  neben  Dr.  Bloch  als  Mitarbeiter  Dr.  Holtzmann  ein- 
getreten. Für  die  Karolingerurkunden  wurde  das  Material,  namentlich 
durch  eine  Reise  von  Prof.  Dopsch  nach  Frankreich  und  Spanien  nicht 
unerheblich  vermehrt,  während  Prof.  Tangl  in  der  gleichen  Absicht  die 
Schweiz  besuchte.  An  Stelle  des  Dr.  Schedy  trat  Dr.  J.  Lechner  als  Hilfs- 
arbeiter ein.  Die  Vorarbeiten  für  den  ersten  bis  814  geplanten  Band 
sind  so  weit  gediehen,  dass  der  Druck  noch  im  laufenden  Geschäftsjahre 
voraussichtlich  beginnen  kann. 

In  der  Abtheilung  Epistolae  hat  der  seit  längerer  Zeit  ruhende 
Di'uck  des  2.  Bandes  des  Registrum  Gregorii  wieder  begonnen.  Der 
5.  Band,  welcher  die  karolingischen  Briefe  etwa  bis  zur  Mitte  des  9.  Jahrh. 
weiterführt,  dürfte  in  Jahresfrist  vollendet  werden.  Dr.  Hampe  ist  aus 
seiner  Stellung  als  Mitarbeiter  ausgeschieden.  Neben  ihm  arbeitete  seit 
dem  Herbst  Dr.  A.  von  Hirsch-Gereuth  und  neuerdings  ist  Hr.  Alfons 
Müller  als  zweiter  Mitarbeiter  eingetreten.  Während  die  Papsturkunden 
in  diese  Sammlung  keine  Aufnahme  finden  sollen,  werden  dagegen  die  in 
die  karolingische  Zeit  fallenden  Register  vollständig  abgedruckt  werden. 

In  der  Abtheilung  Antiquität  es  sind  für  den  2.  Band  der  Ne- 
crologia  Germaniae  mit  Hülfe  von  Dr.  Vancsa  in  Wien  die  Register  dem 
Drucke  übergeben  worden.  Ein  3.  Band  (Freising,  Brixen,  Regensburg, 
Passau)  ist  von  Reichsarchivrath  Baumann  in  München  in  Angriff  genommen 
worden.  Eine  besondere  Ausgabe  des  Xantener  Todtenbuches  beabsichtigt 
der  frühere  Mitarbeiter  Dr.  M.  Meyer  in  Münster.  Der  Druck  des  4.  Bandes 
der  Poetae  latini,  beat-b.  von  Dr.  P.  v.  Winterfeld,  ist  bis  zum  Drittel 
etwa  fortgeschritten. 


Historische  Kommission  bei  der  kgl.  bayer.  Akademie 
der  Wissenschaften. 

München,  im  Juli  1898.  Die  39.  Plenarversammlung  hat  in  der 
Pfingstwoche  am  3.  bis  .5.  Juni  stattgefunden.  Zum  Vorstand  der  Kom- 
mission  wurde  Hofrath  v.  Sickel,  zum  Secretär  Prof.  Heigel  gewählt.    Seit 


^go  Berichte. 

der  letzten  Plenarversammlung  sind  folgende  Publicationen  erfolgt:  All- 
gemeine deutsche  Biographie,  Band  42,  Lief.  4  und  5;  Band  43, 
Lief.  1  —  5;  Band  44,  Lief  1.  Briefe  und  Acten  zur  Geschichte 
des  16.  Jahrhunderts  5.  Band.  Beiträge  zur  Geschichte  Herzog  Albrechts  V. 
von  Bayern  und  des  Landsberger  Bundes  1556 — 1598,  von  Walter  Goetz. 
Jahrbücher  des  Deutschen  Reichs:  Kaiser  Friedrich  IL,  von  Eduard 
Winkelraann,  2.  Band  (1228 — 1233).  Geschichte  der  Wissen- 
schaften in  Deutschland,  18.  Band.,  3-  Abth.  ].  Halbband:  Ge- 
schichte der  deutschen  Rechtsv^rissenschaft  von  Ernst  Landsberg.  Deutsche 
Reichstagsacten,  11.  Bd.,  Deutsche  Reichstage  unter  Kaiser  Sigmund, 
5.  Abth.   (1433 — 1435),  hg.  von  G.  Beckmann. 

Der  von  Dr.  Harre  bearbeitete  10.  Band  der  Reichstagsacten 
älterer  Serie,  der  im  Wesentlichen  den  Romzug  Sigmunds  behandelt, 
ist  nahezu  fertig  gestellt.  Gleichzeitig  wird  Dr.  Beckmann  die  Arbeiten 
für  den  12.  Band  fortsetzen  Die  Arbeiten  für  die  Reichstagsacten 
der  jüngeren  Serie  haben  durch  Berufung  des  Herrn  Dr.  Bernays 
an  das  Strassburger  Stadtarchiv  eine  Unterbrechung  erfahren.  Der  Leiter 
des  Unternehmens,  Dr.  Wrede  in  Göttingen,  hat  vorerst  allein  die  Ar- 
beiten für  den  3.  Band  übernommen  und  hofl't,  um  Weihnachten  mit  dem 
Druck  beginnen  zu  können. 

Von  der  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland 
wird  mit  dem  Druck  der  Geschichte  der  Geologie  und  Paläontologie  von 
Geheimrath  v.  Zittel  in  München  bald  begonnen  werden  können. 

Die  Arbeiten  für  die  Chroniken  der  deutschen  Städte  nehmen 
unter  Leitung  des  Geh.  Raths  v.  Hegel  stetigen  Fortgang.  Prof.  Hertel, 
der  Herausgeber  des  Urkundenbuches  der  Stadt  Magdeburg,  hat  sich  bereit 
erklärt,  die  von  weil.  Dr.  Dittmar  begonnene  Ausgabe  der  Magdeburger 
Chroniken  bis  1550 — 1551  nach  neuem  Plane  zu  vollenden.  Die  Fort- 
setzung der  Lübecker  Chroniken  hat  Dr.  Koppmann  in  Angriff  genommen. 

Die  Jahrbücher  des  Deutschen  Reichs  unter  Otto  II.  und 
Otto  III.  hofft  Dr.  Uhlirz  schon  in  nächster  Zeit  fertig  zu  stellen.  Am 
3.  Bande  der  Jahrbücher  Heinrichs  IV.  wird  von  Prof.  Meyer  von 
K  n  0  n  a  u  fort  gearbeitet,  ebenso  von  Dr.  Simonsfeld  an  den  Jahrbüchern 
Friedrichs  I. 

Die  Allgemeine  deutsche  Biographie  hat  durch  den  Tod 
V.  Wegele's  den  zweiten  Redacteur  verloren;  Fi-eih.  v.  Lilien  cron  be- 
hält allein  die  Leitung.  Das  Werk  reicht  bereits  bis  X.  Dem  letzten 
Bande  sollen  sofort  die  Nachtragbände  und  das  Generalregister  folgen, 
mit  dessen  Ausarbeitung  Kanzleisekretär  Graap  in  Schleswig  bereits  be- 
schäftigt ist. 

Die  ältere  Bayrische  Abtheilung  der  Witteisbacher 
Correspondenzen  ist  zum  Abschluss  gekommen,  doch  behält  sich  die 
Commission  vor,  später  vielleicht  auch  Acten  für  die  innere  Geschichte 
Bayerns  unter  Albrecht  V.  herauszugeben.  Für  die  ältere  Pfälzische 
Abtheilung  der  Witteisbacher  Correspondenzen  liat.  Prof. 
V.  Bezold  archivalische  Reisen  nach  Kopenhagen,  Dresden,  Mai'burg 
und  Wiesbaden  unternommen.  Der  Abschluss  der  Materialsammlung  wird 
sich  noch  für  1898—99  erreichen  lassen.  Der  jüngeren  Bayrisch- 
Pfälzischen  Abtheilung  der  Witteisbacher  Correspondenzen 


Berichte.  \^-^ 

lioffte  der  Leiter  Prof.  S  t  i  e  v  e  fortan  seine  ungetheilte  Kraft  widmen  zu 
können.  Durch  die  Ernennung  Dr.  Chrousts  zum  Professor  in  Würz- 
burg wurden  seine  Arbeiten  unterbrochen,  doch  wird  derselbe  auch  ferner 
der  Commission  seine  Dienste  widmen ;  immerhin  wird  der  Druck  des 
11.  Bandes  einen  Aufschub  erleiden.  Dr.  Karl  May  r-D  eisinger  wurde 
zum  Secretär  der  k.  bayer.  Akademie  ernannt,  doch  gedenkt  auch  er  der 
Commission  seine  Dienste  nicht  gänzlich  zu  entziehen.  Es  müssen  noch 
die  Archive  in  Wien,  Innsbruck,  Nürnberg  und  Ulm  besucht  werden. 
Dr.  Altmann  hat  die  Durchsicht  der  Dresdener  und  bayerischen  Acten 
für  die  Jahre  1624 — lfi2  7  fortgesetzt.  Dr.  Hopfen  beabsichtigt  eine 
Eeise  nach  Brüssel.  Dr.  Freiherr  v.  Eglo  ff  stein  hat  seine  Arbeiten  in 
dem  Buche  »Bayerns  Friedenspolitik  von  1645 — 1647'^^  abgeschlossen 
und  wird  seine  Sammlungen  der  historischen  Commission  übergeben.  Um 
den  Fortgang  des  Unternehmens  nicht  zu  stören,  wollte  Prof.  Stieve  auch 
nach  dem  Verlust  so  wertvoller  Mitarbeiter  die  Leitung  des  Unternehmens 
nicht  aufgeben.  Fortan  sollten  Prof.  Chroust  und  Secretär  Mayr-Deisinger 
die  Bearbeitung  der  Jahre  1611  — 1613,  bezw.  16 1 8 — 1620  behalten, 
Stieve  selbst  die  Drucklegung  des  7.  und  8-  Bandes  vorbereiten  und 
gleichzeitig  ein  neuer  Mitarbeiter  die  Sammlungen  für  1 6 1 4 — 1618 
ergänzen. 

Endlich  wurde  von  iler  Commission  beschlossen,  ein  neues  Unter- 
nehmen ins  Leben  zu  rufen:  es  sollen  der  Veröffentlichung  würdige  Briefe 
der  Humanisten  zunächst  aus  dem  heutigen  Bayern  herausgegeben 
werden.  Prof.  v.  Bezold  erklärte  sich  bereit,  die  Kedaction  zu  über- 
nehmen. 


Gesellschaft  für  rheinische  Geschichtskunde. 

Seit  der  1 6.  Jahresversammlung  gelangten  zur  Ausgabe :  Geschicht- 
licher Atlas  der  Rheinpi'ovinz  5.  Lief.  Die  Eheinprovinz  im  Jahre  1789. 
Uebersicht  der  Kreiseintheilung,  von  Dr.  Fabricius,  1897.  6.  Lief. 
Erläuterungen.  2.  Band:  Die  Karte  von  1789  von  demselben,  1898. 
—  Das  Buch  Weinsberg,  Bd.  IH,  1578 — 1587,  bearb.  von  Friedr. 
Lau.  1897.  —  Urkunden  und  Acten  zur  Geschichte  der  Verfassung  und 
Verwaltung  der  Stadt  Koblenz  bis  zum  Jahre  15  00,  bearb.  von  Max  Bär. 
1897.  —  Entwicklung  der  kommunalen  Verfassung  und  Verwaltung  Kölns 
von  den  Anfängen  bis  zum  Jahre  1396  von  Friedr.  Lau  (Preisschriften 
der  Mevissen-Stiftung  1). 

Der  1 .  Band  der  W  e  i  s  t  h  ü  m  e  r  der  Eheinprovinz  befindet  sich 
unter  der  Presse;  Geh.-Rath  Prof.  Loersch  hofft  noch  in  diesem  Jahre  den 
Druck  abzuschliessen.  Der  Plan  der  unter  Leitung  von  Prof.  Lamp recht 
durch  Dr.  Koetzschke  in  Leipzig  bearbeiteten  Ausgabe  der  Werdener 
Urbare  ist  dahin  erweitert  worden,  dass  eine  grössere  Anzahl  von  Ur- 
kunden und  Eechnungen,  sowie  die  ältesten  Lehensregister  Aufnahme 
finden  sollen.  Der  Abschluss  der  Arbeit  ist  in  wenigen  Monaten  zu  er- 
warten. Die  Ausgabe  der  Urbare  von  S.  Pantaleon  in  Köln  durch  Dr.  Hil- 
liger ist  in  diesem  Jahre  noch  zu  erwarten. 


i[g4  Bericht«. 

Den  2.  Band  der  Jülich-Bergischen  Landtagsacten  I.  Ab- 
theilung wird  Prof.  v.  Below  während  des  laufenden  Jahres  der  Vol- 
lendung nahe  führen.  Wie  Geh.-Rath  Harless  berichtet,  hat  Dr.  Küch 
für  die  Ausgsbe  der  II.  Reihe  der  Jülich-Bergischen  Landtags- 
acten die  Bearbeitung  der  Landtags- Commissions-Verhandlungen  bis  1629 
und  ebenso  die  Durchsicht  der  politischen  Acten  fortgesetzt.  Als  Neben- 
frucht seiner  Forschungen  erschien  in  der  Zeitschr.  des  Düsseldorfer  Ge- 
schichtsvereins eine  Abhandlung  über  die  Politik  des  Pfalzgrafen  Wolfgang 
Wilhelm    1632 — 1636. 

Die  Bearbeitung  des  2.  Bandes  der  älteren  Matrikeln  der 
Universität  Köln  hat  durch  anderweitige  Inanspruchnahme  des  Her- 
ausgebers keine  wesentliche  Förderung  erfahren  können. 

Durch  den  Tod  d^s  Prof.  Menzel  ist  die  Arbeit  für  die  Herausgabe 
der  älteren  rheinischen  Urkuuden  ganz  in's  Stocken  gerathen. 
Ebensowenig  kann  an  eine  Herausgabe  des  l.Theiles  der  erzbischöflich- 
kölnischen  ßegesten  (bis  llOO)  gedacht  werden.  Doch  besteht  die 
Hoffnung,  dass  schon  demnächst  die  Weiterführung  der  Arbeit  energisch 
in  Angriff  genommen  weiden  kann.  Die  Arbeit  von  Dr.  Eichard 
Knipping  an  der  2.  Abtheilung  der  Regesten  (llOO — 1304}  galt  dem 
13.  Jahrhundert.  Der  Druck  wird  jedenfalls  im  Laufe  dieses  Jahres  be- 
gonnen werden.  Für  die  3.  Abtheilung  (1304 — 1414)  hat  Dr.  Moriz 
Müller,  wissenschaftlicher  Hülfsarbeiter  an  der  Aachener  Stadtbibliothek, 
die  Sammlung  des  gedruckten  Materials  beendet.  In  die  Bearbeitung  der 
Zunft  Urkunden  der  Stadt  Köln  ist  unter  Oberleitung  von  Prof. 
Gothein  Dr.   Heinr.  v.  Loesch  in  Köln  eingetreten. 

Von  dem  Geschichtlichen  Atlas  der  Rheinprovinz,  der 
unter  Leitung  von  Geh.-Rath  Nissen  von  Dr.  Fabricius  in  Darmstadt 
bearbeitet  wird,  ist  die  Karte  über  die  Kreiseintheilung  und  der  Erläute- 
rungsband zur  Karte  von  1789  erschienen.  Nahezu  fertig  ist  die  Ueber- 
sichtskarte  über  die  Territorien  von  1789.  Für  die  Kirchenkarten  sind 
die  Arbeiten  weit  vorgeschritten. 

Ueber  seine  unter  Leitung  von  Geh.-Rath  Ritter  ausgeführten  Ar- 
beiten für  die  Herausgabe  der  Acten  der  Jülich-Klevischen  Politik 
Kurbrandenburgs  (l610 — 40)  berichtet  Dr.  Löwe,  dass  nach  Er- 
ledigung der  die  auswärtige  Politik  behandelnden  Berliner  Archivalien, 
sowie  der  einschlägigen  Acten  der  Staatsarchive  zu  Dresden  und  Marburg 
die  Herausgabe  eines    1.  Bandes  in  Angriff  genommen  werden  kann. 

Ueber  den  Fortgang  seines  Verzeichnisses  der  Kölner  Inku- 
nabeln berichtet  Bibliothekar  Dr.  E.  Voulllieme.  Die  Zahl  der  bis 
jetzt  gesammelten  Drucke  beträgt  etwa  1150.  Von  der  Geschichte 
der  Kölner  Malersehule  von  Ludwig  Scheibler  und  Karl 
Aldenhoven  konnte  die  geplante  4.  Lieferung  noch  nicht  erscheinen, 
weil  der  erklärende  Text  noch  nicht  fertig  gestellt  worden  ist. 

Für  die  Ausgabe  der  Urkunden  und  Acten  zur  Geschichte 
des  Handels  und  der  Industrie  in  Rheinland  und  Westfalen 
hat  Prof.  Güthein  in  Mainz  und  in  Frankfurt  gearbeitet.  Arbeiten  in 
Paris  haben  nur  ein  ganz  geringes  Ergebnis  gehabt.  Der  2.  (Schluss-) 
Band  der  Kölner  Stadtrechnungen  des  Mittelalters  ist  durch 
Dr.  Knipping  im   Drucke  beinahe    abgeschlossen    worden.     Der  3.  Band 


Berichte. 


185 


des  Buches  Weinsberg  ist  erschienen.  Der  Druck  des  4.  Bandes  hat 
begonnen. 

Als  neues  Unternehmen  hat  der  Vorstand  auf  Antrag  von  Dr.  Sauer- 
land die  Sammlung  von  Regesten  zur  Geschiehte  der  Rhein- 
lande aus  dem  vatikanischen  Archiv  1294 — 1431  vornehmen  zu 
lassen  beschlossen. 

Die  Bereisung  und  Inventarisirung  der  kleineren  Archive  nahm  durch 
Dr.  Armin  Tille  ihren  Fortgang,  und  zwar  wurden  die  Kreise  Bonn 
(Stadt  und  Land),  Rheinbach  und  Euskirchen  erledigt,  deren  Archiv- 
inventare  im  Anhange  zum  Jahresbericht  gedruckt  vorliegen. 

Preis  aufgaben  der  Meviss  en- Stiftung. 

1.  Nachweis  der  im  Anfang  des  16.  Jahrh.  in  Köln  vorhandenen 
Strassen  und  Plätze,  sowie  aller  Befestigungen,  öffentlichen  Gebäude, 
Kirchen,  Kapellen,  Klöster  und  Wohnhäuser,  nebst  Entwurf  eines  mög- 
lichst genauen  Stadtplanes,  auf  Grundlage  der  gleichzeitigen  Pläne  und 
Ansichten,  der  Schreinsbücher  und  der  Urkunden.  Es  wird  der  Wunsch 
ausgesprochen,  die  für  das  16.  Jahrh.  festgestellten  Strassen,  Gebäude 
u.  s.  w.  nach  Möglichkeit  zeitlich  zurück  zu  verfolgen.  Frist:  .31.  Januar 
1899  Preis  4000  Mark.  —  2.  Darstellung  der  durch  die  französische 
Revolution  in  der  Rheinprovinz  bewirkten  agrarwirtschaftlichen  Verände- 
rungen. Frist:  31.  Januar  1901.  Preis  3000  Mk.  —  3.  Aufnahme  und 
Ausgestaltung  des  gothischen  Baustils  in  der  heutigen  Rheinprovinz  bis 
1350.  Frist  und  Preis  wie  bei  2.  —  4.  Die  Gaue  und  Grafschaften  im 
Umfang  der  heutigen  Rheinprovinz  sind  für  die  Zeit  von  der  zweiten 
Hälfte  des  9.  Jahrh.  bis  zum  Beginn  des  12.  Jahrh.  nach  Bestand.  Grenzen 
und  Verfassung  nebst  den  in  ihnen  nachweisbaren  Orten  festzustellen. 
Im  Zusammenhang  mit  der  Auflösung  der  Grafschaftsverbände  sind  die 
Anfänge  der  Bildung  und  Organisation  geistlicher  und  weltlicher  Terri- 
torien darzulegen.     Frist  und  Preis  wie  bei   2. 

Die  Arbeiten  sind  einzusenden  an  den  Vorsitzenden  der  Gesellschaft 
für  Rheinisch   Geschichtskunde,    Stadtarchivar  Prof.  Dr.  Hansen  in  Köln. 


Historische  Commission  für  Hessen  und  Waldeck. 

Die  erste  Jahresversammlung  hat  am  7.  Mai  1898  zu  Marburg  statt- 
gefunden. Der  Vorsitzende  Prof.  Frh.  von  der  Ropp  berichtete  über  die 
seit  der  Gründung  der  Commission  am  10.  Juli  1897  in  Angriff  ge- 
nommenen Arbeiten. 

1.  Fuldaer  Urkundenbuch.  Die  Bearbeitung  hat  Prof.  Tangl, 
jetzt  in  Berlin,  übernommen.  Er  beabsichtigt  einen  ersten  Band  bis  zur 
Zeit  des  Abtes  Marquard  (1150 — 1165)  hinabzuführen.  Die  sprachliche 
Controle  über  die  Namen  hat  Prof.  Schröder  übernommen.  Ebenso  wird 
er  zusammen  mit  Archivrath  Reimer  und  Oberbürgermeister  Antoni  für 
das  besonders  schwierige  Register  Hilfe  leisten.  Prof.  Tangl  hofft,  das 
Manuscript  für  den  l.  Band  bis  Ostern  1899  druckfertig  vorlegen  zu 
können. 

2.  Landtagsacten.  Die  Leitung  der  Ausgabe  übernahm  Prof. 
V.  Below.      Seit    dem    1.  Okt.    1897    ist  Dr.  Glagau    von    dem    mit    der 


1  gß  Berichte. 

Bearbeitung  der  hessischen  Landtagsacten  betraut  worden.  Er  hat  mit 
der  Aufarbeitung  des  marburger  Materials  seit  1509  begonnen  und  auch 
im  darmstadter  Staatsarchive  Umschau  gehalten.  Zum  Abschluss  der 
Sammlungen  werden  indessen  noch  Reisen  erforderlich  sein,  so  dass  ein 
Termin  für  die  Vorlage  eines  Bandes  sich  augenblicklich  nicht  angeben  lässt. 

3.  Chroniken  von  Hessen  und  Wal  deck.  Da  die  chronikali- 
schen Werke,  welche  Hessen  im  früheren  Mittelalter  hervorgebracht  hat, 
in  den  Mon.  Germ,  in  trefflichen  Ausgaben  vorliegen,  wird  die  Commission 
ihre  Thätigkeit  den  chronikalischen  Quellen  des  ausgehenden  Mittelalters 
und  der  Reform ationsperiode  widmen.  In  Aussicht  genommen  sind  zu- 
nächst die  Herausgabe  der  beiden  Chroniken  von  Gerstenberg,  die  hessische 
und  die  frankenbergische,  welche  Dr.  Diemar  in  Marburg  übernommen 
hat,  und  der  Historia  Gualdeccensis  von  Conrad  Klüppel  aus  Corbach, 
welche  Herr  Dr.  Pistor  bearbeitet. 

4.  Landgrafen-Regesten.  Die  Bearbeitung  hat  Geh.  Archivrath 
Dr.  Koennecke  übernommen.  Er  hofft  das  Manuscript  einer  1.  Liefe- 
rung bis  zur  Jahresversammlung  im  Jahre  1900  druckfertig  vorlegen  zu 
können. 

5.  Historisches  Ortslexikon.  Archivrath  Reimer  hat  die 
Herausgabe  auf  sich  genommen.  Er  gedenkt  in  Bälde  einige  Musterbeispiele 
drucken  und  vertheilen  zu  lassen,  um  namentlich  Lokalforscher  zur  Mit- 
arbeit und  Einsendung  von  Material  zu  veranlassen. 

Ferner  konnte  der  Vorsitzende  mittheilen,  dass  der  Vorstand  auf 
seinen  Antrag  zwei  weitere  Unternehmungen  in  Angriff  zu  nehmen  be- 
schlossen habe :  die  Herausgabe  von  städischen  Urkundenbüchern  und  die 
eines  hessischen  Trachtenbuches.  Der  Vorstand  hat  zunächst  ein  Urkunden- 
buch  der  wetterauer  Reichsstädte  ins  Auge  gefasst  und  die  Vorbereitung 
einem  Ausschuss,  bestehend  aus  den  Herren  Haupt,  Höhlbaum  und  Frhr. 
von  Gagern.  übertragen.  Ein  hessisches  Trachtenbuch  ist  durch  Geheim- 
rath  Prof.  Justi  angeregt  worden.  Er  hat  sich  erboten,  seine  langjährigen 
und  umfassenden  Sammlungen  zur  Verfügung  zu  stellen  und  die  Ent- 
wicklung der  Trachten  an  der  Hand  seiner  eigenen  Aufnahmen  zu  schildern. 


Königlich   Sächsische  Kommission  für  Geschichte. 

Am  T.Dezember  1S98  fand  die  diesjährige  (3.)  Hauptversammlung  statt. 

Von  den  Schriften  iler  Commission  ist  vor  kurzem  die  erste,  Anton 
Graff,  Bildnisse  von  Zeitgenossen  des  Meisters,  bearb.  von 
Dr.  Vogel  in  Leipzig,  ausgegeben  worden. 

Ln  Dsuck  weit  fortgeschritten  ist  die  Ausgabe  der  Berichte  des 
kur sächsischen  Rathes  Hans  v.  d.  Planitz  an  Friedrich  den 
Weisen  aus  dem  Reichs regiment  in  Nürnberg  1521  —  23,  bearb. 
von  Prof  Dr.  Virck  in  Weimar.  Ebenfalls  schon  unter  der  Pi-esse  ist 
die  Bearbeitung  der  Acten  und  Briefe  zur  Geschichte  des  Kur- 
fürsten Moritz  von  Privatdozent  Dr.  Brandenburg  in  Leipzig;  es 
steht  zu  hoffen,  dass  der  l.  Band  im  Herbst  1899  erscheinen  wird.  Von 
den  Grundkarten  des  Königreichs  Sachsen,  deren  Bearbeitung 
Archivratli  Er  misch    in   Dresden    leitet,    sind  bisher  zwei  Blätter   fertig- 


Berichte.  IgJ 

gestellt,  aber  noch  nicht  ausgegeben  werden.  Eine  Broschüre  von  Archiv- 
rath  Er  misch  mit  Erläuterungen  zur  Benutzung  der  Grundkarten  wird 
demnächst  gedruckt  werden.  Für  1899  kann  die  Vollendung  einer  weiteren 
Anzahl  von  Blättern  und  das  Erscheinen  aller  bis  dahin  fertig  gewordenen 
in  Aussicht  gestellt  werden.  Der  Elurkarteuatlas  des  Königreichs 
Sachsen,  bearb.  von  Dr.  E.  0.  Schulze,  ist  soweit  gefördert,  dass  das 
Heft  im  Manuskript  bis  Herbst  1899  eingeliefert  werden  wird.  Aehnlich 
steht  es  mit  den  Acten  und  Briefen  Herzog  Georgs  des  Bärti- 
gen, bearb.  von  Prof.  G e s s  in  Dresden,  mit  den  Acten  zur  Ge- 
schichte des  Bauernkrieges  in  Mitteldeutschland,  bearb.  von 
Archivar  Dr.  Merx  in  Magdeburg,  und  der  Geschichte  des  säch- 
sischen Finanzwesens,  bearb.  von  Dr.  Wuttke  in  Dresden.  Die 
Ausgabe  des  Lehensbuches  Friedrichs  des  Strengen  von  1349^ 
bearb.  von  Archivrath  Dr.  L i p p e r t  und  Dr.  Beschorner  in  Dresden 
wird  im  Manuskript  vermutlich  im  Sommer  1899  vorgelegt  werden  können. 
Ein  annähernd  Gleiches  gilt  auch  von  dem  Briefwechsel  der  Kur- 
fürstin Maria  Antonia  mit  der  -Kaiserin  Maria  Theresia,, 
bearb.  von  Archivratb  L  i  p  p  e  r  t  allein. 

Die  Publication  der  Hauptwerke  der  sächsischen  Tafel- 
malerei des  15.  und  in.  Jahrb.,  welche  in  den  Händen  des  Dr.  Flech- 
sig, Assistenten  am  Museum  zu  Braunschweig,  liegt,  ist  sehr  wesentlich 
gefördert  worden.  Es  ist  zu  hoffen,  dass  schon  1899  eine  Publikation 
ausgewählter  Werke  Lucas  Cranachs  erscheinen  werde. 

Die  Geschichte  der  sächsischen  Zentralverwaltung  ist 
in  die  Bearbeitung  von  Dr.  Treusch  v.  Buttlar  in  Dresden  über- 
gegangen; sie  soll  in  einem  Bande  abgeschlossen  werden,  in  dem  zu 
gleicher  Zeit  die  Entwickelung  der  Zentralverwaltung  der  nord-  und 
mitteldeutschen  Territorien  vergleichsweise  herangezogen  wird. 

Von  neuen  Aufgaben  ist  an  die  Commission  herangetreten  die  Her- 
stellung einer  historisch-geographischen  Beschreibung  der 
Bistümer  Merssen  und  Merseburg  im  Bahmen  einer  von  der  Con- 
ferenz  der  deutschen  Publikationsinstitute  angeregten  allgemeinen  histo- 
risch-kirchlichen Geographie  Deutschlands;  die  Aufgabe  ist 
Seminaroberlehrei  Dr.  Becker  in  Waidenburg  übertragen  worden.  Ferner 
ist  eine  umfassende  Geschichte  des  geistigen  Lebens  der  Stadt 
Leipzig  in  Aussicht  genommen  worden.  Sie  soll  zerfallen  in  eine  Ge- 
schichte der  Kirchen  uml  Schulen  Leipzigs  von  Rector  Prof.  Kämmel, 
eine  Literaturgeschichte  von  Prof.  Witkowski,  eine  Musikgeschichte  von 
Realgymnasiallehrer  Dr.  Rud.  Wustmann  und  eine  Kunstgeschichte, 
deren  Autor  noch  nicht  feststeht.  Gleichzeitig  würde  die  Commission  von 
sich  aus  eine  Wirtschafts-,  SozitJ-  und  Verfassungsgeschichte  Leipzigs  ins 
Auge  fassen.  Endlich  ist  die  Commission  an  eine  Bearbeitung  der 
Matrikel  der  Universität  Leipzig  von  1559  ab  herangetreten;  bis- 
dahin  ist  sie  bekanntlich  von  Prof.  Er  1er  in  Königsberg  im  Codex  dipl. 
Saxoniae  regiae  herausgegeben  worden. 


X88  Berichte. 

Die  historische  Commission  der  Provinz  Sachsen  hielt 
am  18.  und  19.  Juni  1898  in  Neuhaldensleben  ihre  24.  Sitzung  ab.  Nach 
■der  vom  Vorsitzenden  Geh.  Eeg.-Rath  Prof.  Lindner  gegebenen  Uebersicht 
ist  im  Verwaltungsjahre  1S97 — 98  der  2.  Band  des  Urkundenbuches  der 
Stadt  Erfurt  von  Stadtarchivar  Dr.  Beyer,  erschienen.  Die  Drucklegung 
des  3.  wird  in  gleicher  Weise  wie  die  von  Oberlandesgerichtsdirector  Bode 
in  Braunschweig  besorgte  Herausgabe  des  ,3.  und  4.  Bandes  des  Urkunden- 
buches der  Stadt  Goslar  (l301 — 137  0)  noch  in  diesem  Jahre  begonnen 
werden.  Das  Urkundenbuch  des  Hochstiftes  Merseburg,  bearb.  von  Prof. 
Dr.  Kehr,  kann  in  diesem  Winter  der  Oeffentlichkeit  übergeben  werden. 
Weiter  gefördert  sind  die  Arbeiten  an :  den  Urkundenbüchern  des  Klosters 
Pforte,  der  Stadt  Halle  und  Zeitz,  dem  Eichsfeldischen  Urkundenbuche, 
■dem  Druck  der  Chronik  des  Konrad  Stolle  sowie  den  Regesten  zur  Ge- 
schichte der  Herzöge  von  Sachsen-Wittenberg.  Der  Abschluss  des  Re- 
gisters zur  Erfüllter  Universitätsmatrikel,  wird  voraussichtlich  binnen  kurzem 
erfolgen. 

Als  neue  Unternehmungen  sind  in  Aussicht  genommen  eine  Regesten- 
sammlung zur  Geschichte  der  Stadt  Nordhausen  und  die  von  Dr.  Rosen- 
feld in  Magdeburg  begonnene  Herausgabe  der  Urkunden  des  Domkapitels 
Naumburg-  Zeitz . 

Als  Neujahrsblatt  für  1898  erschien  die  Abhandlung  von  Dr.  Liebe 
über  Dalberg  und  seine  Beziehungen  zur  Universität  Erfurt.  Im  Neu- 
jahrsblatt 1899  wird  Oberlehrer  Dr.  A.  Pick  über:  »Schiller  in  Lauohstädt 
im  Jahre   1803*  handeln. 

Von  den  Baudenkmälerbeschreibungen  ist  die  des  Kreises  Gardelegen 
von  Pastor  Parisius  und  Oberlehrer  Dr.  Brinkmann  erschienen.  Der  Vollen- 
dung nahe  ist  die  des  Kreises  Halberstadt.  Weitergeführt  sind  die  Ar- 
beiten über  die  Kreise  Schleusingen  und  Ziegenrück,  den  Kreis  Aschei's- 
leben  sowie  die  Bearbeitung  der  2.  Auflage  der  Bau-  und  Kunstdenk- 
mälerbeschreibung der  Grafschaft  Wernigerode. 

Die  vorgesf-hichtlichen  Arbeiten  Dr  Zschiesches  in  Erfurt  über  die 
Wallburgen  auf  der  Schmücke,  hohen  Schrecke  und  Finne  wei-den  mit 
beigefügter  Karte  in  nächster  Zeit  veröffentlicht.  Die  Wandtafel  vor- 
geschichtlicher Gegenstände  der  Provinz  Sachsen  für  Volksschulen  wird 
vielleicht  noch  in  diesem  Jahre  zur  Ausgabe  gelangen. 

Das  von  Prof.  Hertel  bearbeitete  »Wüstungsverzeichnis  des  Nord- 
thüringgaues  *  befindet  sich  im  Drucke.  Die  Bearbeitung  des  Wüstungs- 
verzeichnisses der  Kreise  Heiligenstadt,  Worbis,  Mühlhausen  (Stadt  und 
Land)  und  Duderstadt  ist  von  Geh.  Reg.-Rath  v.  Wintzingerode-Knorr 
vollendet  worden. 


Personalien. 

Hofrath  Th.  R.  v.  Sickel  ist  zum  Vorstand  der  Historischen  Com- 
mission in  München  gewählt  worden  und  wurde  durch  Verleihung  der 
Würde  eines  k.  k.  Sectionschefs  aussrezeichnet. 


Personalien.  j  g^ 

F.  Wickhoff  wurde  zum  corresp.  Mitglied  der  k.  Akademie  der 
Wissensch.  in  Wien  gewählt  und  zum  Mitglied  des  Curatoriums  des  Oesterr, 
Museums  f.  Kunst  u.  Industrie  sowie  des  k.  k.  Kunstrathes  ernannt. 

K.  Uhlirz  wurde  zum  Oberarchivar  der  Stadt  Wien  ernannt,  A.  v. 
Jak  seh    erhielt  den  Titel  eines  Landesarchivars  von  Kärnten. 

Ernannt  wurde  zum  ord.  Professor  E.  Freih.  v.  Schwind  an  der 
Universität  Graz  für  deutsches  Recht;  zu  ausserord.  Professoren  R.  Thom- 
men  an  der  Universität  Basel  für  Geschichte,  A.  Chroust  an  der  Uni- 
versität Würzburg  für  Geschichte  und  histor.  Hilfswissenschaften,  A.  Dop  seh 
an  der  Universität  Wien  für  Geschichte,  St.  v.  Krzyzanowski  an  der 
Universität  Krakau  für  Geschichte  des  Mittelalters  und  histor.  Hilfswissen- 
schaften, W.  Milkowicz  an  der  Universität  Czernowitz  für  Geschichte 
Osteuropas. 

Ferner  wurden  ernannt  J.  Donabaum  zum  Scriptor  an  der  Uni- 
versitätsbibliothek in  Wien,  W.  v.  Ambro s  zum  Concipisten  am  Archiv 
des  Ministeriums  f.  Cultus  u.  Unterricht,  J.  Herrmann  zum  Assistenten 
am  kunsthistor.  Hofmuseum,  J.  Tomaseth  zum  Beamten  der  Albertina, 
V.  Thiel  zum  Praktikanten  am  Statthaltereiarchiv,  K.  Huffnagl  zum 
Praktikanten  an  der  Bibliothek  des  Ministeriums  d.  Innern  in  Wien. 

Es  habilitirten  sich  H.  Kretschmayr  für  mittlere  und  neuere  Ge- 
schichte an  der  Universität  Wien,  G.  Friedrich  für  histor.  Hilfswissen- 
schaften an  der  böhmischen  Universität  in  Prag. 

Mitglieder  des  Istituto  Austriaco  di  studii  storici  in  Rom  sind  für 
1898 — 99:  Landeshistoriograph  B.  B retholz  (Brunn),  0.  Freih.  v.  Mitis, 
J.  Susta,  Privatdocent  R.  Wölk  an  (Czernowitz). 

Am  21.  Juni  1898  starb  Dr.  Ferdinand  Jancar  in  seiner  Vater- 
stadt Laibach,  krank  von  Rom  zurückgekehrt,  wo  er  als  Mitglied  des 
Istituto  Austriaco  im  Winter  1897  auf  1898  gearbeitet  hatte.  Von  1895 
bis  1897  hatte  er  als  ausserord.  Mitglied  die  Institutstudien  mitgemacht 
und  an  Eifer  wie  Befähigung  zu  den  besten  Hoffnungen  berechtigt. 


Alfons  Huber. 

Hat  unsere  Zeitschrift  die  traurige  Aufgabe  der  Todesanzeige  bisher 
auf  den  engen  Kreis  jener  beschränkt,  die  unserem  Institut  angehörten, 
so  ist  es  diesmal  eine  Pflicht  der  Dankbarkeit  und  Pietät  einem  Manne 
einen  Nachruf  zu  weihen,  der  seit  dem  Beginn  unserer  Zeitschrift  zu  ihren 
treuesten  und  hervorragendsten  Mitarbeitern  zählte,  dessen  Arbeiten  so 
vielfach  und  so  nahe  mit  den  auf  unserem  Institut  gepflegten  wissen- 
schaftlichen Disciplinen  sich  berührten,  der,  selbst  einer  der  bedeutendsten 
Geschichtsforscher  Oesterreichs,  den  Aufgaben  und  Bestrebungen  unseres 
Instituts  immer  volles  Verständnis,  immer  rege  Förderung  entgegen 
brachte. 

Alfons  Huber  ist  uns  am  23.  November  v.  J.  durch  einen  plötzlichen 
Tod  entrissen  worden.  Am  selben  Tage  hatte  ich  ihn  noch  gesehen  und 
gesprochen.  Noch  steht  das  Bild  der  letzten  Begegnung  lebhaft  vor  mir: 
dem  kräftigen  Manne  schien  noch  ein  langes  Leben,  seiner  vollen  Geistes- 


190 


Nekrologe. 


frische  und  SchaflPenslust,  die,  nachdem  sie  kaum  eine  Arbeit  bewältigt, 
ungeschwächt  an  neue  Aufgaben  gieng,  noch  eine  reiche  Wirksamkeit  be- 
schieden.    Eine  Stunde  später  sank  er  todt  auf  der  Strasse  nieder. 

Hubers  Lebensgang  war  schlicht  und  einfach  wie  der  des  deutschen 
Gelehrten  der  alten  Schule;  es  war  ein  Leben  rastloser  Arbeit  und  selbst- 
loser Hingabe  an  die  Wissenschaft;  was  er  erreichte,  dankte  er  der  eigenen 
Kraft.  In  kargen  Verhältnissen  als  Sohn  eines  Kleinbauers  am  14.  Oktober 
1834  zu  Fügen  im  Zillerthal  in  Tirol  geboren  kam  er  erst  im  Alter  von 
13  Jahren  zum  Studiren.  Nachdem  er  das  Gymnasium  in  Hall  absolvirt 
hatte,  bezog  er  1855  die  Universität  Innsbruck.  Erst  drei  Jahre  früher 
hatte  hier  unser  Altmeister  Julius  Ficker  seine  Wirksamkeit  begonnen, 
die,  ebenso  anregend  durch  die  methodisch-kritische  und  vielseitige  Schulung 
wie  anziehend  durch  dessen  Persönlichkeit,  der  historischen  Wissenschaft 
in  Oesterreich  an  der  kleinen  Hochschule  in  den  Bergen  eine  glänzende 
Bildungsstätte  eröffnete.  Huber  zählte  zu  den  ersten  Schülern  Fickers, 
fir  wurde  der  bedeutendste.  Schon  1859  habilitirte  er  sich.  Vier  Jahre 
später  wurde  er,  als  Ficker  an  die  juridische  Facultät  übertrat,  dessen 
Nachfolger  als  Professor  der  allgemeinen  Geschichte;  1870  übernahm  er 
die  Lehrkanzel  für  österreichische  Geschichte,  die  bisher  einer  unfähigen 
Lehrkraft  alten  Systems  überantwortet  gewesen  war;  1887  wurde  er  als 
Nachfolger  von  Ottokar  Lorenz  nach  Wien  berufen.  Was  ihm  während 
seiner  langen  akademischen  Laufbahn  an  Anerkennung  zutheil  wurde, 
dankte  er  dem  Vertrauen  seiner  Collegen,  der  Würdigung  seiner  wissen- 
schaftlichen Leistungen  von  competentester  Seite:  1876  und  1883  wurde 
er  zum  Rector  der  Innsbrucker  Universität,  1896  ausser  der  Tour  zum 
Dekan  der  philosophischen  Facultät  in  Wien  gewählt;  seit  1872  wirk- 
liches Mitglied  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  wurde  er 
1891  Secretär  der  philosophisch-historischen  Classe,  1893  Generalsecretär 
der  Akademie;  die  ungarische,  böhmische  und  baierische  Akademie  und 
eine  Anzahl  gelehrter  Gesellschaften  ehrten  ihn  und  sich  durch  die  Wahl 
zu  ihrem  Mitglied;  kürzere  Zeit  gehörte  er  als  Delegirter  der  Wiener 
Akademie  der  Centraldirektion  der  Monumenta  Germaniae,  zuletzt  noch  der 
historischen  Commission  in  München  an.  Aeussere  Auszeichnungen  sind 
ihm  mit  Ausnahme  eines  verspäteten  Titels  fern  geblieben;  er  hatte  sie 
nicht  nöthig  und  hat  auch  nie   darnach  verlangt. 

Hubers  erste  noch  unter  der  Aegide  Fickers  entstandenen  Arbeiten 
über  »Die  Entstehungszeit  der  österreichischen  Freiheitsbriefe«  (l860) 
und  »Die  Waldstätte  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden  mit  einem  Anhang  über 
die  geschichtliche  Bedeutung  von  Wilhelm  Teil«  (Innsbruck  186l)  zeigten 
bereits  die  charakteristischen  Eigenschaften,  die  seine  Arbeiten  fortan  aus- 
zeichnen und  ihn  in  die  erste  Reihe  unserer  Geschichtsforscher  stellten: 
scharfe  und  eindringende  Kritik,  Beherrschung  des  Stoffes,  Knappheit  und 
Klarheit  der  Darstellung.  Selbständigkeit  und  Unbefangenheit  der  Auf- 
fassung. Als  Tirol  1863  das  fünfhundertjährige  Jubiläum  seiner  Ver- 
einigung mit  Oesterreich  feierte,  spendete  Huber  die  wertvollste  Festgabe, 
die  Geschichte  dieser  Vereinigung.  Eine  Ausweitung  dieser  Studien  bot 
seine  »Geschichte  des  Herzogs  Rudolf  IV.«  (l86  5),  des  Schöpfers  dieser 
Vereinigung.  Der  Nachlass  J.  Fr.  Böhmers  führte  ihn  aus  diesen  engem 
Grenzen    auf    das  Gebiet    der  Reichsgeschichte;    schon   1868    gab    er    den 


Nekrologe.  \\)i 

4.  Band  der  Fontes  rerum  Gernianicarum  mit  wichtigen  Quellen  des 
14.  Jahrh.  heraus,  bald  folgten  die  Regesten  Karls  IV.,  die,  für  jene  Zeit 
noch  jetzt  das  grundlegende  Werk,  1877  vollendet  wurden.  Neigung  und 
Lehrberuf  führten  ihn  wieder  ganz  der  österreichischen  Geschichte  zu. 
Er  übernahm  für  die  Sammlung  europäischer  Staatengeschichten  die  Ge- 
schichte Oesterreichs.  Mit  welcher  Gründlichkeit  er  an  das  Werk  gieng, 
erweisen  die  zahlreichen  kritischen  Vorarbeiten,  die  er  theils  in  unserer 
Zeitschrift  (Beiträge  zur  älteren  österr.  Gesch.  1  —  1  :j,  Die  steierische  Reim- 
chronik und  das  österr.  Interregnum  in  Bd.  4,  Studien  über  die  finanziellen 
Verhältnisse  Oesterreichs  unter  Ferdinand  I.  inErg.-Bd.  4),  theils  über  die 
ältere  Geschichte  Ungarns  und  Tirols  in  den  Schriften  der  Wiener  Aka- 
demie veröffentlichte,  die  in  schwankenden  Fragen  und  ungeklärten  Verhält- 
nissen festen  Boden  schufen.  Seine  »  Geschichte  Oesterreichs  *  zu  würdigen 
ist  unnöthig,  sie  ist  nicht  nur  als  die  beste  Geschichte  Oesterreichs,  die 
alle  frühei'en  weit  überragt,  sondern  auch  für  sich  als  eine  meisterhafte 
Leistung  anerkannt.  Das  Werk  ist  ein  Torso  geblieben;  der  fünfte  1896 
erschienene  Band  reicht  erst  bis  zum  westfälischen  Frieden,  das  zurück- 
gelassene Manuscript  bis  1670.  Wenigstens  waltet  über  dem  Werk,  das 
nun  auch  die  seltene  Ehre  geniesst  in  die  ungarische  Sprache  übersetzt  zu 
werden,  insofern  ein  freundliches  Geschick,  als  die  Fortführung  desselben 
bereits  in  berufener  Hand  liegt.  Neben  diesem  Hauptwerk  fand  Hubers 
Unermüdlichkeit  auch  noch  Zeit  für  andere  umfassende  Arbeiten:  1895 
erschien  als  Lehrbuch  für  das  in  die  juridischen  Studien  neu  eingeziiiimerte 
i^'ach  die  » Oesterreichische  Reichsgeschichte,  Geschichte  der  Staatsbildung 
und  des  österreichischen  Rechts  <S  die  auch  den  Lehrenden,  wenn  gleich  von 
ihrem  Zunftgeist  etwas  scheel  angesehen,  der  verlässlichste  Führer  ge- 
worden ist  und  demnächst  in  2.  Auflage  ausgegeben  werden  wird;  un- 
mittelbar darauf  veröffentlichte  er  aus  dem  Nachlass  Beidtels  in  sorgsamer 
Auslese  eine  » Geschichte  der  österreichischen  Staatsverwaltung  1740 — 1848* 
(2  Bde.  Innsbruck  1896,  1898);  1897  lieferte  er  als  Jubiläumsschrift 
die  »Geschichte  der  Gründung  und  der  Wirksamkeit  der  k.  Akademie  der 
Wissenschaften  während  der  ersten  fünfzig  Jahre  ihres  Bestandes*.  Seine 
letzte  Arbeit  war  die  Redigirung  einer  anderen  Festgabe,  der  »Geschichte 
der  Wiener  Universität  von   1848 — 1898*. 

So  schied  er  in  der  vollen  Rüstigkeit  des  Schaffens.  Schlicht  und 
klar  wie  seine  Darstellung,  unbedingt  verlässlich  und  ehrlich  wie  seine 
Forschung  war  auch  sein  Charakter,  In  ihm  einten  sich  Wissenschaft  und 
Charakter.  Um  so  tiefer  fühlen  wir  seinen  Verlust.  Gerade  die  Geschichts- 
forschung und  Geschichtschreibung  bedarf  ja  der  Charaktere,  wenn  sie 
ihrem  hehren  Beruf,  im  Dienste  der  Wahrheit  und  nur  in  deren  Dienste 
zu  stehen,  genügen  und  voll  genügen  soll.  E.  M. 


Unmittelbar  vor  Abschluss  des  Heftes  kommt  uns  die  Nachricht  zu, 
dass  einer  der  ältesten  aus  dem  Institut  f.  öst.  Geschichtsforschung  her- 
vorgegangenen Historiker  einem  langen  Leiden  erlegen  ist,  nämlich  Josef 
Emier,  Professor  der  histor.  Hilfswissenschaften  an  der  böhmischen  Uni- 
versität   zu    Prag,    der    am    16.  Februar    1899    starb.     Emier    wurde    am 


192  Nekrologe. 

10.  Jänner  1836  zu  Libau  (Kreis  Jicin)  geboren;  das  Gymnasium  absol- 
virte  er  in  Jiöin,  die  Universität  in  Wien,  wo  er  auch  dem  neu  gegrün- 
deten Institut  für  östeiTeichische  Geschichtsforschung  in  den  Jahren  1859 
bis  1861  als  ordentl.  Mitglied  angehörte.  Im  J.  1861  wurde  er  Supplent 
an  der  höheren  Realschule  zu  Prag,  war  bis  1864  auch  an  der  ßedaction 
der  ßieger'schen  ßealencyklopädie  (Slovnik  naucny)  betheiligt  und  kam 
1863  als  Adjunkt  an  das  böhmische  Landesarchiv,  dessen  Hauptbestand 
er  1863  bis  1864  zusammengebracht  und  geschaffen  hat.  Auf  Aufforderung 
Erben's  wurde  er  im  J.  1864  Adjunkt  am  Stadtarchiv  zu  Prag  und  im 
J.  187]  nach  dem  Tode  Erben's  Stadtarchivar.  Im  Wintersemester  1872 
bis  1873  begann  Emier  seine  Vorlesungen  über  historische  Hilfswissen- 
schaften an  der  Prager  Universität,  nach  deren  Theilung  er  auf  die  böh- 
mische Universität  übergieng,  wo  er  als  ordentlicher  Professor  seit  1887 
wirkte.  Als  Schriftführer  des  historischen  Vereins  (Historick^  spolek) 
führte  er  die  Vorarbeiten  zum  böhmischen  Codex  diplomaticus  und  die 
Redaction  der  »Fontes  rerum  bohemicarum*.  Seine  Hauptwei'ke  sind 
;>Regesta  diplomatica  nee  nou  epistolaria  Bohemiae  et  Moraviae*  3  Bde. 
bis  z.  J.  1346  (bis  heute  der  einzige  Ersatz  für  einen  Codex  diplomaticus 
Bohemiae),  »Reliquiae  tabularum  regni  Bohemiae  anno  1541  combustarum*, 
»Libri  confirmationum«  und  die  Ausgabe  der  fünf  Bände  der  »Fontes  rerum 
bohemicarum*.  Gross  ist  die  Reihe  seiner  Arbeiten,  die  in  den  »Abhand- 
lungen der  böm.  Gelehrtengesellschaft*,  »Archiv  cesk^*  (böhmisches  Ar- 
chiv), »Casopis  Ceskeho  Musea«  (Zeitschrift  des  böhm.  Museums)  und  in 
den  »Pamätky  archaeologicke  a  mistopisne*  (Archaeologische  und  topo- 
grafische  Denkmäler)  erschienen;  wir  heben  darunter  die  wertvolle  Arbeit 
über  die  Kanzlei  K.  Ottokars  II.  und  Wenzels  II.  besonders  hervor.  Mit 
Emier  ist  wieder  einer  der  tüchtigsten  Vorkämpfer  einer  kritischen  Ge- 
schichtsforschung in  Böhmen  gestorben.  Seine  Aufmerksamkeit  galt  in 
erster  Reihe  den  historischen  Hilfswissenschaften,  auf  welchem  Gebiete  er 
den  riesigen  Arbeitseifer  entfaltete,  der  auch  frühzeitig  seine  Gesundheit 
untergrub. 


Die  Fiildaer  Privilegienfrage. 

Von 

M.  Ta  ng  I. 


Gegenstand  der  folgenden  Untersuchung  ist  das  berühmte  Exeni- 
tionsprivileg,  das  Papst  Zacharias  dem  h.  Bonifatius  für  das  von  diesem 
gegründete  Kloster  Fulda  ertheilte,  und  die  Bestätigung  dieser  Ur- 
kunde durch  König  Pippin,  die  als  angebliche  Origiualausfertigung  im 
Staatsarchive  zu  Marburg  erliegt  und  die  stattliche  Keihe  der  erhal- 
tenen Königsurkunden  für  Fulda  eröffnet.  Durch  die  Prüfung  dieser 
vielleicht  schwierigsten  unter  allen  deutschen  Urkundengruppen  im 
vierten  Theile  seiner  „Beiträge  zur  Diplomatik"  i)  hatte  Sickel  in  der 
diplomatischen  Litteratur  seinerzeit  Epoche  gemacht.  In  glänzender  Unter- 
suchung hat  er  die  Echtheit  beider  Urkunden  verfochten,  die  vor  ihm 
liegende,  zum  Theil  sehr  weit  zurückreichende  Litteratur  zusammen- 
gefasst  und  abgeschlossen,  die  auf  ihn  folgende  bis  auf  den  heutigen 
Tag  beherrscht.  Ihm  trat  allein  Pflugk-Harttung  in  seinen  umfang- 
reichen „Diplomatisch-historischen  Forschungen"  ^)  entgegen,  aber  iu 
so  eigenartiger,  wiederholt  fehlgreifender,  nach  fernab  liegendem  aus- 
spähender und  dabei  oft  das  nächste  übersehender  Beweisführung,  dass 
er  ziemlich  allgemeine  Ablehnung  erfuhr  und  auch  dort  keine  Beach- 
tung fand,  wo  er  sie  in  der  That  verdiente. 

Seither  haben  sich  die  Grundlagen,  auf  denen  beide  Männer  ihre 
Forschung  aufbauten,  mehrfach  verändert.  Eine  für  die  Kritik  des 
Zachariasprivilegs  geradezu  ausschlaggebende  Quelle  hat  Sickel  selbst 
durch  seine  Liber  Diurnus-Forschung  in  neues  Licht  gestellt ;  die  diplo- 


')  Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie  (1864)  47,  5<  5  ff.,  besonders  597  ff. 

'')  Gotha  1879,  550  S. 

MittheiluDgen  XX.  13 


|()4  M.  Tan  gl. 

matisclie  uud  rechtsgeschichtliche  Aufhellung  der  fränkischen  Privat- 
urkunde ermöglicht  es,  dort  mit  bestimmten  Schlüssen  weiterzuschreiteu, 
wo  Sickel  uoch  auf  halbem  Wege  stehen  blieb,  Kaiser-  uud  Papstur- 
kunden liegen  in  den  Kegestenwerken  neu  verzeichnet  und  kritisch 
neu  gesichtet  vor,  die  Bonifatius-Briefe  sind,  von  neuer  Forschung  be- 
oleitet,  neu  herausgegeben,  an  die  Stelle  von  Rettbergs  einst  so  ver- 
dienstvoller, heute  aber  veralteter  Kirchengeschichte  Deutschlands  ist 
Haucks  neue  zusammenfassende  Darstellung  getreten.  Unter  solchen 
wesentlich  günstigeren  Umständen  wurde  anlässlich  der  Vorarbeiten 
zur  Ausgabe  der  Karolinger  Urkunden  in  den  Monumenta  Germaniae 
die  Neuuntersuchung  des  Pippiuprivilegs  und  seiner  Nachurkunden 
vorgenommen  ^).  Sie  hat  mich  zur  Neuaufrollung  der  ganzen  Frage 
und  zu  Ergebnissen  geführt,  die  von  denen  Sickels  und  Pflugk-Hart- 
tungs  im  einzelnen  wie  in  den  Schlussfolgerungen  mehrfach  abweichen. 
Indem  ich  diese  der  Oeffentlichkeit  übergebe,  verwahre  ich  mich  gegen 
den  Schein,  gegen  meinen  verehrten  Lehrer  irgendwie  ankämpfen  zu 
wollen.  Sein  bleibt  das  grössere  und  unvergängliche  Verdienst,  uns 
den  Weg  diplomatischer  Untersuchung  gewiesen  zu  haben. 


Die  NichtOriginalität  des  Pippin-Privilegs  für  Fulda,  Mühlbacher 
Nr.  12  (70)  -),  ist  durch  Sickel  (a.  a.  0.  S.  599  ff.)  endgiltig  erwiesen. 
Die  von  Herquet  3)  ausgesprochene  Hoffnung,  „es  werde  der  andert- 
halbhundertjährige diplomatische  Streit  über  die  Authenticität  unserer 
Urkunde  endlich  doch  zu  Gunsten  derselben  enden,  und  es  werde  ihr 
der  frühere  Kang  als  der  ältesten  unter  den  in  Deutschland  und 
Frankreich  uoch  erhaltenen  Original-Urkunden  König  Pippins  wieder 
eingeräumt  werden",  hat  sich  nicht  erfüllt,  eher  hat  sich  im  Gegen- 
theil  die  Basis,  auf  Grund  deren  Sickel  sein  Urtheil  fällte,  ein  wenig 
erweitert  und  gefestigt.     Sickel  hat  uns  in  dem  Kriterium  der  Eigen- 


')  Die  archivalisclie  Forschung,  soweit  solche  den  folgenden  Ausführungen 
zugrunde  liegt,  wurde  von  mir  in  Wien  als  Mitarbeiter  der  Monumenta  Germa- 
niae begonnen  und  später  in  Marburg  während  meiner  dortigen  akademischen 
Thätigkeit  fortgesetzt  und  erweitert.  Dem  Staatsarchivar  zu  Marburg,  Herrn 
Geh.  Archivrath  Dr.  Könnecke,  sowie  den  Herren  Archivrath  Dr.  Reimer  und 
Archivar  Dr.  Ribbek  spreche  ich  für  ihre  vielen  Bemühungen  und  ihr  liebens- 
würdiges Entgegenkommen  meinen  ergebensten  Dank  aus. 

-)  Ich  war  in  der  angenehmen  Lage,  für  meine  Untersuchung  wenigstens 
theilweise  bereits  die  Aushängebogen  der  Neuauflage  der  Karolinger  Regesten 
benützen  zu  können.  Ich  citire  daher  nach  dieser  und  füge  die  alten  Regest- 
nummern in  Klammern  bei. 

3)  Specimina  diplomatiun  monasterio  Fuldensi  a  Karolis  exhibitoriim,  Cassel 
1867,  Text  S.  10. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  19^ 

liäudigkeit  der  Recognition  ein  untrügliches  Merkmal  zur  Entschei- 
dung über  die  Originalität  der  Diplome  aus  «älterer  Karolingerzeit  ge- 
lehrt, dieses  Kriterium  aber  gerade  für  die  Zeit  Pippins  theilweise 
•eingeschräukt,  indem  er  für  die  Recognosceoten  Eins  und  Baddilo  aus- 
nahmsweise die  Eigenhändigkeit  des  Recognitionszeichens  allein  annahm. 
Die  Recognition  unserer  strittigen  Urkunde  „In  dei  nomine  Baddilo 
recognovit  et  (SR.)"  findet  sich  nur  noch  in  einem  erhaltenen 
Original,  dem  ebenfalls  für  Fulda  ausgestellten  Diplom,  Mühlbacher 
Nr.  102  (100)  ^).  An  der  Reinschrift  dieser  letzteren  Urkunde  hat 
ausser  dem  Coutextschreiber  und  dem  Recognoscenten  noch  der  Notar 
Hitherius  mitgewirkt  und  dieser  «einer  Mitwirkung  in  ganz  unge- 
"wöhnlicher  Weise  am  Schlüsse  der  Datumzeile  durch  die  Beifügung 
„In  dei  nomine  Hitherius  scripsit"  Ausdruck  verliehen.  Diesen  An- 
theil  des  Hitherius  an  der  Reinschrift  grenzte  Sickel  dahin  ab, 
dass  von  ihm  Signumzeile,  Datiruug  und  auch  die  Recognition  mit 
alleiniger  Ausnahme  des  von  Baddilo  eigenhändig  beigefügten  Re- 
cognitionszeichens herrühren.  Zu  dieser  Schriftbestimmung  wurde 
Sickel,  wie  ich  glaube,  durch  die  Vergleichung  mit  dem  Kopp'schen 
Facsimile  der  von  Hitherius  recognoscirten  Urkunde  Karls  d.  Gr. 
für  Murbach,  Mühlbacher  Nr,  143  (140),  Kopp,  Schrifttafeln  Nr.  6, 
verleitet.  Sickel  selbst  hat  sich  in  der  Vorrede  zur  Ausgabe  der 
Schrifttafeln  aus  dem  Kopp'schen  Nachlass  über  den  verschie- 
deneu Wert  dieser  Facsimiles  ausgesprochen ;  neben  ganz  vorzüg- 
lichen finden  sich  auch  minderwertige,  und  Tafel  Nr.  6  ist,  wie  ich 
mich  qai  der  Hand  einer  Photographie  derselben  Urkunde  überzeugen 
konnte,  wohl  die  schlechteste.  Von  Ungenauigkeiten  im  einzelnen  ganz 
abgesehen,  ist  der  Charakter  der  Hitheriusschrift  ganz  entstellt;  sie 
erscheint  unsicher  und  zitterig  und  in  dieser  Entstellung  der  Baddilo- 
Recognition  von  Mühlbacher  Nr.  102  allerdings  ähnlich,  während  sie 
uns  auf  den  photographischen  Reproductionen  sämmtlicher  von  Hithe- 
rius recognoscirter  Urkunden  als  eine  bis  in  alle  Einzelheiten  sich 
gleichbleibende  Schrift  von  gewandtem,  sicherem  und  ziemlich  schwung- 
vollem Zug  entgegen  tritt,  bei  der  an  eine  Identificirung  mit  Chrismon 
und  Text  der  Recognitionszeile  von  M.  102  nicht  gedacht  werden 
kann.  Die  Antheilnahme  des  Hitherius  an  dieser  Urkunde  beschränkt 
«ich  auf  Signumzeile  und  Datirung,  sichert  aber  auch  dadurch  durch 
den  Nachweis  der  bekannten  Hand  ganz  unabhängig  von  der  Recogni- 
tion die  Originalität  dieser  Urkunde.  Da  sich,  wie  ich  hier  nur  ueben- 


')  Beide  Urkunden  liegen  bei  Herquet  Spec.  Tat'.  1  und  3  in  photographi- 
«cher  Nachbildung  vor. 

13* 


196  •       ^I-  Tangl. 

bei  bemerke,  die  Frage  mit  dem  Recognoscenteu  Eius  auf  ganz  ähn- 
liche Weise  löst  i),  sind  wir  in  der  Lage,  Sickels  Grundsatz  von  der 
Eigenhändigkeit  der  ganzen  Recognitionszeile  als  Kriterium  der  Ori- 
ofinalität  zu  festigen  und  zu  verallgemeinern,  indem  wir  die  von  ihm 
für  die  Zeit  Pippius  angenommenen  Ausnahmefälle  streichen.  Unter 
dem  Xamen  Baddilos  liegen  uns  aber,  wie  schon  erAvähnt,  im  ganzen 
nur  zwei  Urkunden  von  grundverschiedener  Schrift  vor,  und  wir 
sind  daher  für  die  Entscheidung  der  Frage,  welcher  von  beiden  wir 
trauen  dürfen,  auf  das  argumentum  e  contrario  augewiesen.  Da  die 
Originalität  von  M.  102,  wie  wir  eben  sahen,  anderweitig  feststeht, 
dürfen  wir  in  der  hier  vorliegenden  Recognition  mit  Sicherheit  das 
Autograph  Baddilos  erblicken.  Zur  Vergleichung  mit  unserem  Pippiu- 
Privileg  steht  uns  nun  nicht  mehr  blos  ein  verschnörkeltes  Zeichen, 
sondern  die  ganze  Schriftzeile  zur  Verfügung,  und  diese  erweiterte 
Vergleichung  bestätigt  die  Verschiedenheit  der  Schrift  und  damit  die 
Xichtoriginalität  des  Pippin-Privilegs  erst  recht. 

Ein  Zweifel  kann  nur  darüber  bestehen,  ob  uns  in  dem  angeb- 
lichen Original  die,  sei  es  getreue  oder  mehr  oder  minder  verderbte, 
Abschrift  einer  echten  Urkunde  oder  aber  die  Urschrift  einer  Fäl- 
schung vorliegt.  Sicher  ist,  dass  es  dem  Schreiber  überraschend  gut 
gelang,  den  Schein  der  Originalität  hervorzurufen,  ungleich  besser,  als 
es  etwa  bei  der  ebenfalls  lange  für  Original  gehaltenen  Immunität 
Pippins  für  St.  Denis,  M.  108  (105)  (Kopp-Sickel,  Schrifttafeln  Xr.  4) 
der  Fall  ist.  Diese  volle  Beherrschung  der  Urkundencursive  der  äl- 
teren Karolingerzeit  nahm  Sickel  auch  zum  massgebenden  Anhalts- 
]iunkt  für  die  Altersbestimmung,  indem  er  erklärte,  dass  diese  Schrift 
von  so  ungekünstelter  Sicherheit  spätestens  auf  den  Ausgang  des 
8.  Jahrhunderts  hinweise"  -).  Ich  kann  diese  Ansicht  nicht  mehr 
ganz  theilen,  seit  ich  zur  Kenntnis  eines  aus  Fulda  stammenden 
Schriftstückes  gelangte,  das  Sickel  seinerzeit  noch  nicht  vorgelpgen  haben 
dürfte'^).  Von  der  Immunität  Ludwigs  d.  Fr,  vom  2.  Mai  816,  M.  613 
(593)  legte  man  sich  in  Fulda  entsprechend  der  Wichtigkeit,  die  mau 
der  Urkunde  beimass,  eine  Reihe  von  Abschriften  au.  Wir  besitzen 
heute  deren  fünf:  zwei  Nachzeichnungen,  eine  ziemlich  gleichzeitige 
und  leidlich  gut   gerathene,    und    eine   jüngere,    arg    misglückte,  zwei 

•)  In  M.  73  (71)  für  St.  Denis,  einem  sicheren  Original,  rührt  die  ganze 
Recognition  von  Eius,  in  den  unter  sich  gleichen  und  als  Originale  kaum  mehr 
aufrecht  zu  haltenden  Urkunden  M.  78  (76)  und  M.  89  (87)  für  denselben  Em- 
pfänger gar  nichts  von  Eius  her. 

2)  A.  a.  0.  599,  übereinstimmend  damit  auch  S.  617  (.vor  800«  geschrieben)^ 
etwas  verändert  S.  605  (»etwa  um  800*  geschrieben). 

*)  Sickels  Bemerkung  S.  629  A.  gestattet  keinen  sichern  Schluss. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  197 

uocn  dem  9.  Jahrhundert  angehörige  Kopien  in  schlichter  ßücher- 
schrift  und  endlich  eine  fünfte,  ganz  eigen  geartete:  Die  erste  Zeile, 
enthaltend  Invocatiou  und  Titel,  ist  in  schöner  Unciale  geschrieben, 
darauf  folgt  der  Kontext  in  prächtiger  Minuskel,  die  im  Schriftcha- 
rakter einzelnen  von  Delisle  aus  der  berühmten  Schreibschule  zu  Tours 
mitgetheilten  Proben  gleicht  i),  diese  aber  an  Schönheit  und  Regel- 
mässigkeit  noch  überragt.  Dabei  vereinigt  die  Schrift  in  sich  so  viele 
Kennzeichen  älterer  Karoliugischer  Minuskel,  dass  sie  nicht  nur  be- 
stimmt noch  in  die  erste  Hälfte  des  9.  Jahrhuj;iderts  gehören,  sondern 
dem  Original  selbst  möglichst  gleichzeitig  sein  muss  2).  In  vollem 
Gegensatz  zu  dem  bisherigen  weisen  Siguumzeile,  Recoguitiou  und 
Datirung  Urkundeneursive  auf;  dabei  zeigt  der  Schreiber  nicht  das 
leiseste  Bemühen,  die  Schrift  des  Recognoscenten  Durandus  nachzu- 
ahmen, sondern  bedient  sich  vollkommen  gewandt  und  sicher  seines 
eigenen  Könnens.  An  Entstehung  in  der  Reichskanzlei  zu  denken, 
verhindert  die  ganz  kanzleiwidrige  Namensform  ^Hlodouuichus*  und 
die  Wiedergabe  des  Chrismon  vor  der  Recognitionszeile  durch  „Sig." 
mit  verziertem  S.  Nimmt  mau  hinzu,  dass  das  wichtigste  der  Lexica 
Tironiana,  aus  denen  Schmitz  seine  „Commentarii  notarum  Tironia- 
niarum"  zusammenstellte,  ebenfalls  aus  Fulda  stammt,  so  gelangen  wir 
zum.  Ergebnis,  dass  um  das  Jahr  820  im  berühmten  Bonifatiuskloster 
eine  Schreibschule  blühte,  die  nicht  nur  in  der  Bücherschrift  mit  den 
besten  Mustern  wetteiferte,  sondern  auch  in  Schrift  und  Beglaubigungs- 
formen der  Reichskanzlei  guten  Bescheid  wusste.  Sickel  selbst  machte 
bereits  die  für  Pippin'sche  Zeit  allzu  korrekte  Sprache  als  verhältnis- 
mässig jüngeres  Element  geltend ;  vom  Standpunkt  der  äusseren  Merk- 
male tritt  die  Linirung  hinzu,  die  ich  in  Originaldiplomen  vor  Lud- 
wig d.  Fr.  nicht  nachzuweisen  vermag.  Auch  auf  Schreibfehler  ist 
bereits  hingewiesen:  ptitionibus  und  Peri^)  statt  petitionibus  und  Petri 
sind  nicht  allzuarg;  ähnliche  und  viel  schlimmere  Dinge  unterliefen 
den  Schreibern  der  Reichskanzlei  iu  Massen,  soweit  wir  ihr  Walten 
nur  zu  verfolgen  vermögen.  Ungleich  grössere  Wichtigkeit  misst  Sickel 

')  Memoire  sur  l'ecole  calligrapliique  de  Tours  au  IX*^  siecle;  besonders  T.  IV. 

2)  Zahlreiche  Cursivverbindungen,  offene  g,  e  und  r  mit  lang  gestreckten 
Zungen,  stark  verdickte  Oberschäfte,  sehr  mangelhaft  durchgeführte  Worttrennung 
{zusammen  geschrieben  :  memoratasunt,  divinavocatione,  successoreseius,  ibidemdeo, 
regerevaleant,  itaetipsum,  iureipsius);  die  Kopie  bildet  der  Schrift  nach  ein  hüb- 
sches Seitenstück  zu  Kaiserurk.  in  Abb.  XI.  ].  Vgl.  über  unsere  Kopie  auch 
Pflugk-Harttung  S.  249. 

3)  Diese  Lesung  muss  ich  gegenüber  Ptri  bei  Sickel  und  Pflugk-Harttung 
vertreten.  Dass  von  späterer  Hand  über  der  Zeile  ein  e  eingefügt  ist,  beweist 
nur,  dass  der  spätere  Corrector  sich  über  den  vorhandenen  Schriftbestand  nicht 
klar  war  und  den  unrichtigen  Buchstaben  ergänzte. 


198  M.  Tau  gl. 

der  Stelle  ,ob  horemi)  dei  et  veneratioue»  saucti  Petri''  bei.  Die 
jüngereu  handschriftlicheu  Ueberlieferungeu  und  sämmtliche  bisherige 
Drucke  verbesserten  dies  zu  honorem;  allein  dem  hält  Sickel  entgegen, 
dass  die  dadurch  entstandene  Fassung  ganz  unkanzleigemäss  ist.  Auf 
Grund  seiner  Vertrautheit  mit  Urkundensprache  und  Urkundenschrift 
zieht  er  es  vor,  einen  Lesefehler  anzunehmen;  er  hält  „horem"  ver- 
derbt aus  dem  kanzleigemässen  „amorem",  indem  ein  über  der  Zeile 
stehendes  und  mit  dem  folgenden  m  verbundenes  off-mes  a  zu  h  ver- 
lesen wurde  -).  Das  an  sich  kleinliche  Detail  ergäbe  die  wichtige 
Folgerung,  dass  wir  es  mit  der  Abschrift  einer  wenigstens  an 
dieser  Stelle  gleichlautenden  Vorlage  zu  thun  haben  und 
dass  diese  Abschrift  einer  Zeit  entstammt,  in  welcher  die  Vertrautheit 
mit  den  oft  recht  wüsten  Buchstabenverliindungen  der  merovingischen 
und  frühkaroliugischeu  Cursive  zu  entschwinden  begann.  Ich  werde 
im  späteren  Verlauf  der  Untersuchung  auf  eine  vielleicht  schlim- 
mere Verderbung  in  der  Zeugenreihe  zu  sprechen  kommen,  möchte 
hier  in  dieser  Frage  aber  doch  meine  Bedenken  geltend  machen.  Ich 
hielte  Sickels  Erklärungsversuch  dann  für  schlagend,  wenn  das  durch 
die  andere  Erklärung  entstandene  .honorem"  statt  .amorem"  that- 
sächlich  der  einzige  Verstoss  gegen  die  Sprache  der  Köuigsurkunden 
wäre.  Wenn  wir  aber  im  weiteren  eine  ganze  Eeihe  von  Kanzlei- 
widrigkeiteu  nachzuweisen  vermögen,  dann  scheint  es  mir  doch  näher- 
liegend, den  Mann,  den  wir  schon  zweimal  beim  Buchstabenauslassen 
ertappten,  in  diesem  Fall  das  Silbenauslassen  zuzumuthen,  abgesehen 
davon,  dass  bei  der  graphisch  gewiss  zulässigen  Deutung  von  horem 
^^  avuorem  noch  immer  die  Frage  auftauchte,  was  sich  der  Schreiber 
imter  dem  sinnlosen  horem  dachte;  in  diesem  Falle  war  es  nahelie- 
gend, dass  er,  vom  Verlesen  ausgehend,  zu  neuer  Deutung  vorzudringen 
Suchte  und  dabei  erst  recht  bei   „honorem"   anlangte. 

Ich  fasse  zunächst  die  Ergebnisse  aus  der  Schriftuntersuchuug 
zusammen.     Der  Schriftbefund  unserer  Urkunde  schafft  durchaus  keine 

»)  Selbst  die  Lesung  dieses  Wortes  ist  unsicher.  Sickel  und  Pfliigk-Harttung 
lesen  ,>horaeni*  allein  dazu  mangelt  der  zweite  Schaft  des  a.  Meines  Erachtens 
liegt  ein  auf  dem  Ausläufer  des  r  aufgesetztes  einfaches  e  vor  (vgl.  rege  in  der 
Signumzeile  des  ältesten  Fuldaer  Originals,  Kaiserurk.  in  Abbild.  I.  1  und  sonst 
oft,  obwohl  unser  Schreiber  diese  Verbindung  sonst  nicht  verwendet ;  vgl.  aber 
die  analogen  ne- Verbindungen  in  unserer  Urkunde  Z.  1,  5,  11  und  dagegen  die 
ganz  anders  gestaltete  Verbindung  rae  Z.  4  in  ,nostrae'.  Z.  4  und  6  in  ,prae- 
cepto*  und  »praecipientes"). 

*)  Wie  sehr  besonders  die  Cursivverbindung  »an"  dem  h  gleicht,  davon 
kann  sich  jedermann  an  der  Hersfelder  Urkunde  Karl  d.  Gr.  M.  176  (172),  KU. 
in  Abb.  I.  2  Zeile  6  und  8,  überzeugen ;  bei  am  =  h  müsste  das  Uebersehen  des. 
dritten  Schaftes  de.«  ni  hinzutreten. 


Die  Fuldaer  Privileprienirage.  199 

mit  dem  Jahre  800  abschliessende,  zuvei'lässige  Grenze,  er  lässt  ein  Ent- 
stehen der  Urkunde  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  9.  Jahrhunderts  eben- 
sogut, vielleicht  noch  besser  zu  und  harrt  hier  selbst  einer  aus  inneren 
Merkmalen  und  sachlichen  Gründen  zu  gewinnenden  näheren  Umgrenzung. 

Doch  gilt  es  noch,  bei  den  äusseren  Merkmalen  der  Urkunde 
zu  verweilen,  zunächst  beim  Siegel,  bezüglich  dessen  die  Beob- 
achtungen und  daran  sich  knüpfenden  Bemerkungen  Sickels  (a.  a.  0. 
S.  604 — 5)  einfach  zu  wiederholen  sind :  Es  sind  nur  mehr  Reste  vor- 
handen, die  aber  mit  Bestimmtheit  erkennen  lassen,  dass  wir  es  mit 
keinem  Pippinsiegel,  sondern  wahrscheinlich  mit  einem  Siegel  Karls 
d.  Gr.,  aber  einem  von  dem  gewöhnlichen  Typus  abweichenden  und 
daher  wohl  gefälschten,  zu  thun  haben.  Doch  war  das  Befestigen 
echter  Siesfel  auf  Nachzeichnungen  und  Fälschungen  und  umgekehrt 
das  Ersetzen  abgefallener  Siegel  von  Originalen  durch  unechte  ein  so 
verbreiteter  Unfug,  dass  , weder  ein  echtes  Siegel  eine  sonst  Verdacht 
erregende  Urkunde  schützen,  noch  ein  unechtes  eine  sonst  makellose 
verdächtigen  kann^.  Sollten  sich  aber  unabhängig  von  der  Siegel- 
frage gewichtige  Verdachtgrüude  gegen  die  Urkunde  erheben,  dann 
wird  die  Thatsache  der  Siegelfälschung  immerhin  als  Verstärkung  der- 
selben verwertet  werden  dürfen. 

Umso  wichtiger  wird  die  Datumzeile,  die  denn  auch  von  allen, 
die  sich  mit  der  Urkunde  bisher  befassten,  eingehend  erörtert  worden 
ist.  In  ihrer  heutiffeu  Fassung  lautet  sie:  Data  mense  iunio  anno  II 
regni  nostri;  actum  Attiniaco  palatio  publico;  in  dei  nomine  feliciter 
amen ;  allein  „11"  ist  mit  wesentlich  dunklerer  Tinte  über  starker 
Easur  geschrieben,  und  die  Lösung  der  Frage,  was  ursprünglich  unter 
dieser  Kasur  gestanden  hatte,  wird  geradezu  zu  einem  Angelpunkt  der 
ganzen  Untersuchung.  Dass  Schannat  „primo"  druckte  und  dies  Wort 
auch  in  seinem  Faesimile  wiedergab,  als  ob  früher  und  später  nie 
etwas  anderes  an  dessen  Stelle  gestanden  hätte,  war  nur  eine 
der  raehrtachen  Vergewaltigungen,  die  er  sich  seinen  Urkunden- 
texten gegenüber  zu  Schulden  kommen  liess.  Kopp  deutete  in  seinem 
Faesimile  (Schrifttaieln  Nr.  1)  an,  dass  ursprünglich  „nono"  dage- 
standen habe,  was  aber  Sickel  (a.  a.  0.  606)  -bei  genauester  Prüfung 
des  Schriftstückes  nicht  mehr  zu  erkennen"  vermochte;  er  stellte  nur 
fest,  dass  „ein  in  Buchstaben  ausgeschriel)enes  Zahlwort  ausradirt"  sei. 
Gegenbauer,  der  die  Stelle  mit  einem  chemischen  Reagens  bearbeitete^ 
bestätigte  aufs  bestimmteste  die  Le.sung  Kopps  ^).  Später  hat  dann 
Pflugk-Harttung    die    Rasur     ,auf   das    Genaueste-    untersucht-),    die 

')  Das  Kloster  Fulda  im  Karolinger  Zeitalter  1,  31. 
»)  Diplom.-hist.  Forsch.  238  f. 


200  ^1-  Tangl. 

Frage  selbst  aber  nur  verwirrt.  Zu  einem  bestimmten  Ergebnis  ge- 
laugte er  nicht;  die  von  ihm  vermuthete  Lesung  aber,  dass  ,VII  mo, 
X  mo  oder  XI  mo"  an  der  Stelle  gestanden  haben  dürfte,  ist  nicht 
nur  unrichtig,  sondern  unmöglich ;  eine  derartige  Verbindung  von 
Zahl  und  beigefügter  Endung  ist  für  die  ganze,  irgend  in  Betracht 
kommende  Zeit  einfach  ausgeschlossen. 

Auch  ich  habe  die  Urkunde  wiederholt  eingehend  geprüft  und 
kann  nur  mit  aller  Bestimmtheit  versichern,  dass  die  Lesung  von  Kopp, 
Herquet,  Gegenbauer  über  jedem  Zweifel  feststeht.  Die  eigentliche 
Easur  ist  keineswegs  so  gross,  wie  man  aus  dem  Flecken  auf  dem 
Facsimile  bei  Herquet  schliessen  möchte,  sie  erstreckt  sich  nur  über 
die  Mittellinie  der  Schriftzeile  und  hebt  sich  mit  ihren  Bändern  sehr 
scharf  ab.  Eines  ist  also  sicher:  es  war  ein  kurzes  Zahlwort  ohne 
Ober-  und  Unterlängen:  dadurch  allein  sind  schon:  primo,  secundo, 
quarto,  quinto,  sexto.  septimo,  decimo  sicher,  tertio  (tercio)  wahr- 
scheinlich ausgeschlossen.  Aber  auch  die  positive  Seite  der  Lesung 
kann  gar  nicht  zweifelhaft  sein:  „nono"  ist  als  ursprünglicher  Schrift- 
bestand noch  mit  voller  Sicherheit  zu  erkennen.  Mit  dieser  Behaup- 
tung weiss  ich  mich  nicht  nur  in  üebereinstimmuug  mit  Mühlbacher 
und  Dopsch  in  Wien  und  Könnecke  in  Marburg,  sondern  ich  darf 
den  Leser  einfach  bitten,  sich  an  der  photographischeu  Keproduction 
bei  Herquet  selbst  zu  überzeugen :  vor  dem  späteren  Zahlzeichen  stand 
n,  zwischen  den  beiden  Strichen  von  II  o  und  nach  der  Zahl,  noch 
deutlichst  sichtbar,  no.  Wenn  Pflugk  -  Harttung  .mo"  als  Endung 
sicher  stellte,  so  lag  der  Irrthum  darin,  dass  er  den  zweiten  Theil  der 
Bauchung  des  o  für  den  ersten  Schaft  vom  m  hielt.  Der  Schriftbe- 
stand  ist  heute  noch  so  klar,  dass  ich  den  langen  Streit,  aufrichtig 
gesagt,  nicht  ganz  begreife. 

Und  nun  die  Schlüsse :  Das  9.  ßegierungsjahr  Pippin's  i)  ist  nicht 
nur  zu  Bouifatius  als  Empfänger  und  Zeugen,  zu  den  Bischöfen  Bur- 
chard  und  Eoban  als  Zeugen,  zu  dem  Priesterti^l  des  indessen  längst 
zum  Bischof  von  Würzburg  beförderten  Megingauz  unverträglich,  die 
Sache  steht,  was  eben  Herquet  und  Gegenbauer  nicht  erkannten,  noch 
viel  schlimmer:  die  Datiruug  ist  nicht  nur  unmöglich,  sie 
ist  unoriginell,  sie  ist  dem  ersten  wirklichen  Original- 
diploni  Pippins  für  Fulda,  M.  No.  90  (88)  wörtlich  ent- 
nommen:    Data  in  mense  iunio  anno    nono    regnum  nostri;    actum 


')  Herquet  macht  S.  9  den  verzweifelten  Versuch,  die  Eintracht  der  direkten 
und  indirekten  Zeitmerkmale  dadurch  zu  retten,  dass  er  den  König  Pippin  in 
rührender  Pietät  nach  dem  9.  Regierungsjahr  seines  abgesetzten  Vorgängers,  des 
letzten  Merovingers  Childench  III.,  datiren  lässt  1 


Die  Fuldaei*  Privilegienfrage.  201 

Atiniago  palatio  publice.  Die  geringen  formellen  Abweichungen  be- 
lasten unsere  Urkunde  nur  noch  weiter;  sie  bestehen  in  der  Ver- 
besserung der  Latiuität  und  iu  der  Beifügung  der  unter  Pippin  nicht 
unbekannten  aber  in  dieser  Eegelmässigkeit  •  erst  später  festgestellten 
vollen  Apprecationsformel :  in  dei  nomine  felieiter  amen.  Wann  die 
Correetur  zu  II  erfolgte,  ob,  wie  Sickel  anzunehmen  geneigt  ist,  noch 
von  derselben  Hand,  oder,  wie  Pflugk-Harttung  meint,  später,  ist  für 
unsere  Zwecke  ziemlich  belanglos.  Keinesfalls  geschah  sie  in  einem 
Guss  mit  der  Niederschrift  der  Urkunde;  dagegen  spricht  die  tief- 
schwarze Tinte  des  Nachtrags.  Vorgenommen  wurde  sie  wohl  in  dem 
Augenblick,  als  man  sich  in  Fulda  des  Zwiespalts  mit  den  indirekten 
Zeitmerkmalen  bewusst  wurde.  Im  11.  Jahrhundert  war  sie  auf  alle 
Fälle  bereits  vorhanden,  da  sie  in  die  damals  entstandene  Eiuzelkopie 
nnd  weiter  in  den  Codex  Eberhard!  übergieng. 

Es  ist  der  erste  empfindliche  Stoss,  den  unsere  Urkunde  erhält 
und  dem  bald  weitere  folgen  werden. 

Ich  schreite  weiter  zur  Erörterung  der  Corroborationsformel  und 
der  Zeugen  Unterschriften.  Erstere  lautet :  et  tamen  hoc,  quod  ob 
amorem  dei  et  veuerationem  saneti  Petri  nostra  auctoritate  firmavimus, 
stabile  permaneat,  manu  nostra  roboratura  et  tam  auuli  nostri  inpres- 
sione  quam  fidelium  nostrorum  adstipulatione  subnixum.  Dass  sie  in 
dieser  Fassuug  ganz  aus  der  Art  schlägt,  hat  bereits  Sickel  klar  er- 
wiesen (a.  a.  0.  S.  607 — 608);  er  bezeichnet  sie  als  ,in  Königsur- 
kunden vereinzelt  dastehend'*  und  sieht  in  ihr  ,eine  Remiuiscenz  an 
das  in  den  Hausmaier  Urkunden  häufige  stipulatione  subnixa"  i).  Ge- 
wiss, es  ist,  noch  allgemeiner  gesprochen  und  auch  von  Sickel  schon 
erkannt,  die  ständig  wiederkehrende  Schlussformel  der  älteren  frän- 
kischen Privaturkunde  ^),  in  deren  Formen  auch  die  Hausmaier  zu 
Urkunden  pflegten;  Pippin  aber  hatte  mit  dieser  Reminiscenz  gründ- 
lich gebrochen,  und  zwar  nicht  erst  als  König,  sondern  bereits  als 
Hausmaier.  Es  ist  dies  für  die  Erkenntnis  des  zielbewussten  und  all- 
mäligen  Vordringens  zur  vollen  Königswürde  höchst  bezeichnend.  Wie 
er  sich  im  Gegensatz  zu  seinem  Vater  in  seinen  Urkunden  bereits 
regelmässig  des  pluralis  maiestaticus  bediente,  so  hat  er  auch  au  Stelle 
der  Corroborationsformel  der  Privaturkunden  jene  der  Königsurkunden 
aufgenommen  und  weitersebildet.  Die  Beglaubigung  der  Merovingischen 


')  Vgl.  über  diese  Formel  und  über  ihre  Scheidung  vom  römischrechtlichen 
Begriff  der  slipulatio  die  zugleich  grundlegenden  und  abschliessenden  Unter- 
suchungen Brunners,  Zur  Rechtsgesch.  d.  röni.  u.  germ.  Urk.  S.  220  ff. 

2}  Nach  diesem  Schema  sind  auch  die  meisten  älteren  Fuldaer  Privaturkunden 
aboefasst. 


202  M.  Tangl. 

Königsurkunde  erfolgte  durch  eigenhändige  Unterschrift  und  durch 
Besiegehmg;  aber  nur  erstere  wird  in  der  Corroborationsformel  ange- 
kündjcrt,  während  der  letzteren  keine  Erwähnung  geschieht.  Indem 
Pippin  diese  Beglaubigungsformen  aufgriff,  konnte  er  es  bei  der  Unter- 
schrift nur  in  sehr  beschränktem  Masse  thun;  an  die  Stelle  eigenhän- 
diger Naraensfertigung  trat  das  Handmai.  Der  erhöhten  Bedeutung, 
die  dadurch  das  Siegel  gewann,  entsprach  es  wohl,  dass  nunmehr  die 
Ankündigung  desselben  mit  in  die  Corroborationsformel  einbezogen 
wurde.  So  ist  zu  Beginn  des  Hausmaierthums  Pippins  jene  Grund- 
lage geschaffen,  die  in  der  späteren  deutschen  Königsurkunde  dauernd 
fortwirkte  i).  Eine  ,Kemiuiscenz''  an  früheren  Brauch  ist  nicht  nur 
nirgends  bezeugt,  sondern  bei  der  grundsätzlichen  Art  der  Neuerung 
wohl  ausgeschlossen.  Ich  halte  es  demnach  für  ganz  unmöglich,  dass 
unsere  Fuldaer  Urkunde  in  dieser  Form  aus  der  Kauzlei  Pippins  her- 
vorgegangen sein  könnte. 


1)  Vgl.  Bresslau,  UL.  1,  516 — 518.  Es  sei  gestattet,  den  Wandel  dieser  Dinge  an 
der  Hand  der  wenigen  Hausmaier-Urkunden  etwas  näher  zu  verfolgen :  Karl  M  a  r- 
tell:  M.  31:  Ego  etc.,  ganz  nach  dem  Schema  der  Privaturkunden,  Poenformel, 
stipulatione  subnixa.  keine  Zeugen.  M.  32.  Placitum.  M,  33,  nur  Regest:  et  suis 
manibus  aliorumque  episcoi^orum  ipsum  sub  divina  attestatione  roboravit.  M.  34: 
Ego,  dann  aber  Plural,  Poen,  stip.  subn.  Zeugen.  M.  35.  Placitum.  M.  36  :  undatirte» 
Mandat  lür  Bonifatius.  in  der  Sammlung  der  Bonifatius-Briefe  überliefert  (MG.  Ep. 
3.  270  Nr.  22),  zum  erstenmal  Corroboration  der  Königsurkunde:  Etut 
certius  credatur,  manu  propria  subter  firmavi  et  de  anulo  nostro  subter  sigilla- 
vimus.  (Wechsel  von  Singular  und  Plural:)  M.  ■  7 :  Reichenauer  Fälschung,  An- 
kündigung von  anulus  und  sigülum!  M.  38:  Ego,  Singular,  Poen,  stip.  subn., 
Zeugen.  M.  35.  40  nur  Regest.  M.  41 :  Ego,  aber  sonst  Plural,  Poen,  ohne  stip. 
subn.,  keine  Zeugen,  keine  Datirung.  Nachtrag:  de  ecclesia  Wesele  in  eodem 
pago  Sita  eadem  firmamus  et  anuli  nostri  sigillo  signamus.  Dies  gewiss  späterer 
Zusatz;  die  Urk.  scheint  auch  sonst  überarbeitet  und  verstümmelt.  Karl  mann: 
M.  44,  45:  Kapitulare.  M,  46,  47:  Acta-  deperdita,  davon  letzteres  für  Fulda, 
(über  dieses  unten  mehr).  M.  48  :  Fälschung  Eberhards  von  Fulda.  M.  49 : 
Actum  deperditum.  M.  50 :  Singular  und  Plural  wechselnd,  Poen,  factum  est 
astipulatione  subnixa  (gleiche  Form  wie  in  unserem  Pippin  Privileg !),  keine 
Zeug- n,  nur  der  Sohn  Drogo  als  consentiens.  M.  51:  Placitum.  M.  52:  plumpe 
fiilschung.  Pippin  als  Haus  maier:  M.  54:  ganz  in  den  Formen  der 
Königsurkunde,  manus  nostrae  subscriptionibus  infra  roborare  decrevimus. 
(Meroving.  Corroboration!).  M.  55:  Kapitulare.  M.  56:  Actum  deperditum.  M.  57, 
58,  59:  Placita.  M.  60,  Orig. :  manu  propria  subter  firmavimus  et 
anuli  nostri  impressione  signavimus.  M.  61 :  Et  ut  certius  posteri 
nostri  credünt,  li  a  n  c  c  h  a  r  t  a  m  m  a  n  u  p  r  o  p  r  i  a  subter  f  i  r  m  a  m  u  s  et 
anulo  nostro  fidel  it  er  sigi  Ilamus.  M.  62,  Mandat:  Et  ut  certius  cre- 
detur,  has  litteras  de  anulo  nostro  subter  eas  iussimussigillare. 
M.  63,  Mandat^  Et  ut  certius  credatur.  m  a  n  u  propria  s  u  b  t  e  r  firmavimus. 
et  de  anulo  nostro  sigill  a  vi  m  u  s. 


Die  Fuldaer  Pvivilegientrage.  203 

Das  führt  uns  weiter  zu  eleu  unserer  Urkunde  angefügten  Unter- 
schriften. Nach  dem  Vorgang  von  Sickel  und  Pflugk-Harttung  sind 
hier  wieder  drei  Einzelfragen  zu  behandeln :  Die  Zulässigkeit  von 
Zeugenführuug  in  einer  Pippinurkunde  überhaupt,  die  zeitliche  Verein- 
barkeit von  Namen  und  Titeln  und  die  ungewöhnliche  Bezeichnung^ 
der  Grafen  als   „praefecti". 

Zeugeuunterschriften  sind  der  Karolingischen  Köuigsurkunde  im 
allgemeinen  durchaus  fremd,  sie  finden  sich  aber  entsprechend  dem 
allgemeinen  Brauch  der  fränkischen  Privaturkunden  in  Urkunden  der 
Hausmaier.  Es  handelt  sich  daher  wie  bei  der  Oorroboration  so  auch 
hier  sehr  wesentlich  darum,  ob  der  Uebergang  unter  Pippin  ein  jäher 
oder  allmäliger  war.  Während  Sickel  (a.  a.  0.  S.  579)  die  Zulässig- 
keit der  Zeugenschaft  als  seltenen  Ausnahmefall  zuzugeben  bereit  ist, 
machte  Pflugk-Harttung  (S.  242)  ihm  gegenüber  geltend,  dass  die  einzige 
echte  Pippiu-Urkunde,  die  ausser  dem  Fuldaer  Privileg  noch  Zeugen 
aufweist,  M.  95  (93)  für  Prüm  nur  abschriftlich  überliefert  und  daher 
nicht  beweiskräftig  ist  ^).  Er  scheint  mir  dabei  diese  Urkunde  doch 
etwas  zu  niedrig  einzuschätzen.  Der  Fond  Prüm  gehört  zu  unseren 
glattesten,  von  Fälschung  fast  ganz  freien  Gruppen;  das  Chartular 
bringt  besonders  in  seinem  ursprünglichen,  dem  10.  Jahrb.  angehörigen 
Bestände  nicht  ganz  correcte  und  einwandfreie  aber,  soviel  wir  zu 
erkennen  vermögen,  von  groben  Auslassungen  und  Zusätzen  freie 
Texte  -).  Die  Vertheidiger  des  Fuldaer  Privilegiums  vermöchten  über- 
dies Gleichartigkeit  der  Rechtshandlung  zu  ihren  Gunsten  geltend  zu 
machen:  auch  bei  Prüm  handelt  es  sich  um  Klosterprivileg  und  Im- 
munität. Klosterprivilegien  aber  sind  gerade  jene  Urkundenart,  bei 
welcher  die  Zustimmung  der  Grossen  am  frühesten  erwähnt  wird  und 
wenigstens  in  einem  sicheren  Beispiel  aus  Merovinger  Zeit  auch  durch 
Unterschrift  zum  Ausdruck  kommt  ^).  Von  diesen  Gesichtspunkt  aus 
könnte  auch  die  Zeugenführung  in  der  Fuldaer  Urkunde  als  an  sich 
zulässiger  Ausnahmefall  gelten.  Schlimmer  ist  schon,  dass  sie  mit  der^ 
wie  wir  überdies  sahen,  höchst  kanzleiwidrigen  Ankündigung  der  Unter- 
schriften in  der  Corroboratiou  allein  dasteht^).     Entscheidend  ist,  dass 


')  Zeugen  finden  sich  sonst  auch  in  den  Fälschungen  M.  67  (()5)  für  Echter- 
nach  und  M.  93  (91)  für  Gorze. 

2)  Auch  bei  minder  günstigem  Urtheil  luOsste  man  bei  der  vollkommen 
zeitgemässen  Zeugenreihe  von  9  Bischöfen  noch  immer  eine  neben  der  Königs- 
ui-kunde  einhergehende  echte  Quelle  annehmen. 

•'')  Originaldiplom  Chlodovechs  II.  für  St.  Denis,  653  Juni  22,  MG.  DD. 
Merov.  Nr.  19;  vgl.  Bresslau  UL.  1,  694;  von  abschriltlich  überlieferten  Urk. 
gehören  hieher  noch  DD.  Merov.  Nr.  29,  31,  40. 

•*)  Die  Corroborationsforniel  in    der  Urkunde   für  Pilim    lautet :    Et   ut   hec 


204  ^^-  T^"k1- 

die  zeitliche  Einordnung  dieser  Zeugen  grössten  Schwierigkeiten  begegnet. 
Wir  haben  dabei  nochmals  festzuhalten,  dass  die  ursprüngliche  Datiruug 
auf  das  9.  Eegierungsjahr  Pippins,  also  das  Jahr  760  wies;  mit  ihm 
aber  sind,  wie  fechon  oben  erwähnt,  Boiiifatius  als  Empfänger  und 
Zeuge,  die  Bischöfe  Eobau  und  Burchard  von  Würzburg  als  Zeugen, 
Megingauz,  der  inzwischen  längst  Bischof  von  Würzburg  geworden 
war,  als  presbiter  unverträglich.  Kein  Zweifel,  dass  die  Erkenntnis 
dieses  Zwiespaltes  in  Fulda  die  spätere  Correctur  zn  „anuo  11"  her- 
vorrief, dadurch  aber  verstiess  man  ebenso  bestimmt  gegen  die  Be- 
zeichnung von  Pippins  jüngerem  Bruder  Karlmaun  als  „beatae  me- 
moriae",  das  einzige  indirekte  Zeitmerkmal,  das  sich  zu  760  in  aller- 
dings bestem  Einklang  befuuden  hatte. 

Lieber  Vorkommen  und  Bedeutung  von  „praefectus"  gelangt  Waitz 
zu  folgendem  Ergebnis^):  Praefectus,  sonst  in  höherem  Sinn  vom 
Maiordomus  gebraucht,  bezeichuet  in  den  Briefen  und  in  der 
vita  Bonifatii  ebenso  wie  bei  späteren  Autoren  den  Grafen.  Es 
sind  also  in  Fulda  bekannte  Quellen,  welche  die  hauptsächlichen  Beleg- 
stellen liefern,  und  zu  ihnen  gesellt  sich  ein  aus  Fulda  selbst  stam- 
mendes Zeugnis,  die  Fuldaer  Annalen  z.  J.  852  (ed.  Kurze  S.  43) : 
,ut  uullus  praefectus  in  sua  praefectura  .  .  .  alicuius  causam 
advocati  nomine  susciperet  agendam.  Diese  von  Waitz  gesammelten 
Belege  vermag  ich  um  ein  wichtiges  Beispiel  zu  vermehren;  es  findet 
sich  in  dem  Nachtrag  zu  einer  Fuldaer  Privaturkunde  vom 
9.  März  806,  Drouke  CD.  S.  119  Nr.  2i^8:  -Supradictus  Uuilliprah- 
tus  malo  conatu  i])sam  supradictam  rem  auferre  studuit,  sed  deo 
volente  atque  iustitia  dictante  coram  prefectis  nuntiisque  impera- 
toris  luerine  et  I  ufride  per  vim  cogatur  (!)  tradidit  quod  debuit".  Die 
Eintragung  steht  im  Fuldaer  Traditionscodex  f.  59'  von  erster  Hand. 
Sie  gibt  sich  zwar  als  Nachtrag  zur  Urkunde,  kann  aber  bei  dem 
Alter  des  um  das  J.  828  angelegten  Chartuhirs  selbst  zeitlich  nicht 
allzuviel  später  fallen.     Neben    der  strittigen  Pippinurkuude 


auctoritas  nostra  fivmior  habeatur  vel  in  perpetuum  melius  conservetur,  manu 
propria  decrevimus  roborave.  Aehnlich  in  den  angeführten  Merovinger  Urkunden. 
In  der  Corroboration  von  DD.  Merov.  Nr.  31  :  Et  ut  haec  emunitas  firmior  ha- 
beatur et  per  tempora  conservetur,  manus  nostrae  <ac  fidelium  nostrorum  tam 
episcoporum  quam  optimatum>  subscriptionibus  subter  eam  decrevimus  corro- 
borari,  halte  ich  das  in  Klammern  stehende  für  späteren  Einschub  in  die  sonst 
correcte  Meroviugische  Corroboration. 

1)  Deutsche  V.  G.    3.  Aufl.    •_>.  B.  2  Th.    S.  2b'    Anm.  2    und    2.  Aufl.    3.  B. 
S.  383  Anm.  3. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  205 

ist  dies  das  einzige  Zeugnis  für  das  Vorkommen  von 
praefectus^  comes  in  Urkunden  i). 

Zur  Erklärung  des  Vorkommeus  der  Zeugenunterschriften  hatte 
Pflugk-Harttung  unnöthig  weit  nach  der  angelsächsischen  Königsur- 
kunde ausgeholt  (S  242);  die  näher  liegende  fränkische  Privaturkunde 
genügt  dazu  ganz  ebenso,  das  „adstipulatioue  subnixuni"  der  Corro- 
baration  weist  bestimmt  auf  die  letztere,  und  gewichtige  Belegstellen 
für  den  Titel   „praefectus"   führen  direkt  nach  Fulda. 

Eines  ist  sicher,  dass  uns  in  unserer  Urkunde  weder 
die  Urschrift  noch  eine  getreue  Abschrift  einer  Pippin- 
Urkunde  vorliegt.  Die  von  Gegenbauer  vorgeschlagene  Erklärung 
durch  Annahme  eiuer  im  J.  760  unter  Beibehaltung  des  ursprüng- 
lichen Empfängers  und  der  ursprünglichen  Zeugenreihe  erfolgten  Neu- 
ausfertigung genügt  ebenso  wenig.  Die  Kriterien,  die  wir  vom  Stand- 
punkt des  Schriftbestandes  an  die  Originalität  eiuer  solchen  zu  stellen 
haben,  bleiben  sich  für  753  und  760  ebenso  gleich,  wie  die  Unmög- 
lichkeit der  Corroborationsformel.  Es  könnte  sich  daher  wieder  nur 
um  eine  überarbeitete  und  dabei  entstellte  Abschrift  einer  solchen 
Neuausfertigung  handeln,  und  wir  gewännen  nur  in  der  ohnedies  un- 
sicheren Ueberlieferung  ein  Glied  mehr,  noch  dazu  eines,  das  für  die 
ganze  Karolingerzeit  auch  nicht  durch  ein  sicheres  Beispiel  zu  be- 
legen ist. 

Ob  freie  Fälschung  oder  Veruuechtung  vorliegt,  kann  erst  die 
weitere  sachliche  Untersuchung,  vor  allem  die  des  in  der  Königsur- 
kunde seinem  wesentlichen  Wortlaut  nach  wiederholten  Zacharias- 
privilegs  lehren. 

Dass  Bonifatius  für  das  von  ihm  begründete  Kloster  Fulda  ein 
Privileg  von  Papst  Zacharias  erbeten  und  dieser  dem  Ansuchen  will- 
fahrt hatte,  geht  aus  dem  Schreiben  des  Papstes  an  Bonifatins  vom 
4.  November  751  mit  voller  Sicherheit  hervor^).  Es  ist  das  bedeutende 
Verdienst  Oelsners  s),  dass   er,  während   man  bis    dahin    kurzweg  von 


')  Aus  Freisinger  Urkunden  hat  Waitz  a.  a.  0.  das  ähnliche  »ijraeses^« 
nachgewiesen. 

2)  Mon.  Germ.  Epistolae  3,  370:  Igitur  et  hoc  petisti,  ut  monasterium  in 
vastissima  solitudine  et  in  medio  gentium  quibus  praedicas  constitutum  et  a  te 
fundatum  esse  atque  in  honore  Salvatoris  dei  nostri  dedicatum,  ubi  etiam  et 
monachos  sub  regula  beati  Benedict!  degere  ordinasti  illud  venerabile  monaste- 
rium nomini  tuo  privilegio  sedis  apostolice  muniri.  Quod  votis  tuis  acqui- 
escentes  ordinavimus  iuxta  desiderium  et  petitionem  tuam. 

3)  Jahrbücher  des  fränkischen  Reiches  unter  König  Pippin,  Leipzig,  1871. 
Excurs  V.  S.  487 — 488.     Die  Bulle  des  Papstes  Zacharias  für  Fulda. 


206  M-  Tan  gl. 

dem  Zachariasprivileg  zu  sprechen  pflegte,  die  zum  Theil  stark  von 
einander  abweichenden  Ueberlieferuugen  desselben  schied  und  geson- 
derter Beurtheilung  unterzog.  Pflugk-Harttuug  ist  ihm  auf  dieser 
Bahn  in  noch  weiterem  Masse  gefolgt  i).  Nach  ihm  theilen  sich  die 
Ueberlieferuugen  des  Privilegs  in  nicht  weniger  als  4  Gruppen,  die 
ich  im  folgenden  in  der  mir  richtig  scheinenden  Keihenfolge  aufzähle, 
indem  ich  gleichzeitig  Pflugk-Harttungs  Siglen  in  Klammern  beifüge : 

A  (C)  erhalten  in  einer  aus  dem  9.  Jahrhundert  stammenden  Hs. 
der  Bonifatiusbriefe  und  auf  sie  zurückgehenden  jüngeren  Abschriften. 
Mou.  Germ.  Epistolae  3,  374  Nr.  89,  Col.  2.  B  (A)  erhalten  in  ältester 
Ueberlieferuug  als  Insert  in  die  Pippinurkunde,  ferner  als  Einzelkopie 
saec.  X,  in  einer  gleichfalls  dem  10.  Jahrh.  angehörigen  Hs.  der  Boni- 
fatiusbriefe und  im  Cod.  Eberhardi  s.  XII.  I.  p.  6-  Mon.  Germ.  1.  c. 
Nr.  89  Col.  1.  C  (B)  erhalten  im  Othlohs  Vita  S.  Bonifatii.  Baronius, 
Ann.  eccl.  ad  a.  751  §  16 — 17.  D  (D)  erhalten  im  Cod.  Eberhardi 
I.  p.  63.  Dronke  CD.  Fuldensis  3  Nr.  4b.  Nach  Pflugk-Harttung  sind 
sämmtliche  Ueberlieferungen  durch  den  Ausfall  der  Klausel,  die  sich 
auf  die  Wahrung  der  Rechte  des  Diöcesanbischofs  bezog,  verun- 
echtet.  Die  Fälschung  setzt  er  noch  in  die  Zeit  des  Abtes  Sturm, 
S.  228  versucht  er  dann  unter  Zugrundelegung  des  seiner  Ansicht 
nach  relativ  zuverlässigsten  Textes  von  B,  Einfügung  der  eben  er- 
wähnten Klausel  und  Anreihung  einer  nur  in  C  erhaltenen  Datirunw 
die  Wiederherstellung  der  ursprünglichen  echten  Fassung. 

Indem  ich  ausdrücklich  anerkenne,  dass  Pflugk-Harttung  durch 
den  Hinweis  auf  die  verschiedenartige  Ueberlieferung  eine  auch  von  den 
neueren  Forschern  nach  ihm  zu  wenig  beachtete  Anregung  geboten 
hat,  muss  ich  mich  für  alles  weitere  doch  sogleich  von  ihm  scheiden. 

Zwei  von  den  vier  Ueberlieferungen  fallen  sofort  hinweg:  In  D 
wiederholte  Eberhard  von  Fulda  nur  die  Fassung  B,  vermehrt  um 
weit  über  ein  Dutzend  seiner  thörichten  Interpolationen.  C  bereichert 
den  Text  von  B  durch  Beigabe  einer  durch  ihre  Bestimmtheit  anfangs 
verblüflendeu  Datirung:  Data  pridie  nonas  Novembr.  imperante  domno 
augustü  Constantiuo  anno  XXXII  imperii  eins,  indictione  quinta."  Bei 
näherem  Zusehen  findet  man  aber  in  ihr  lediglich  eine  gute  alte 
Bekannte  wieder:  Es  ist,  nur  in  vereinfachter  und  darum  erst  recht 
unkanzleimässiger  Gestalt,  die  Datirung  des  oben  erwähnten  Zacharias- 
briefes  an  Bonifatius  vom  4.  Nov.  751,  welche  die  Handschriften  der 
Bonifatiusbriefe,  ohnedies  bereits  per  nefas,  auch  auf  die  angebliche 
Errichtungsbulle  des  Erzbisthums  Mainz  übertragen  hatten  ^).     Othloh 


>)  A.  a.  0.  S.  359  ff.  S.   198  ff. 

*)  Vgl.  über  diese  Urkunde  Loofs,  Zur  Chronologie  der  auf  die  fränkischen 


Die  Fuldacr  Privilegienfrage.  207 

aber  that  ein  übriges,  indem  er  sie  auch  für  das  Fuldaer  Privileg  er- 
borgte. Ihre  Bedeutung  für  die  thatsächliche  Einreihung  des  Privi- 
legs ist  ja  gar  nicht  zu  leuguen ;  wenn  Papst  Zacharias  am  genannten 
Tage  schreibt,  dass  er  auf  Bitten  des  Bonifatius  ein  Privileg  für  Fulda 
ertheilt  habe,  so  wird  dies  immer  ein  sehr  bestimmter  Anhaltspunkt 
für  die  Einreihung  desselben  bleiben ;  die  Datirung  aber,  und  zwar 
blos  auf  die  üeberlieferung  bei  Otioh  hin,  als  Bestandtheil  der  Ur- 
kunde zu  verwerten,  widerspricht  allen  Grundsätzen    der  Textkritik. 

Es  bleiben  also  als  wirklich  selbstständig  die  Fassungen  A  und  B. 
Ihre  üeberlieferung  und  ihr  Verhältnis  zu  einander  verdienen  aller- 
dings eingehendste  Beachtung. 

Beide  Fassungen  decken  sich  in  dem  sachlich  wichtigsten  und 
meistumstrittenen  Punkt,  indem  sie,  zugleich  in  vollkommener  Ueber- 
einstimmung  mit  der  ältesten  Privilegienformel  des  Liber  Diuruus 
(Nr,  32  der  Sickel'schen  Ausgabe),  der  einzigen  in  dem  ursprünglichen 
Bestand  des  Liber  Diuruus  überhaupt,  die  Exemtion  des  Klosters  ohne 
Vorbehalt  der  bischöflichen  Gerechtsame  aussprechen :  ,Et  ideo  omnem 
cuiuslibet  ecclesiae  sacerdotem  in  praefato  monasterio  ditionem  quam- 
libet  habere  hac  auctoritate  (aut  auctoritatem  B)  praeter  sedem  apo- 
stolicam  prohibemus*.  Hier  eben  verwarf  Pflugk-Harttung  beide  als 
verunechtet  und  nahm  für  seineu  Text  der  reconstruirten  echten 
Zachariasurkunde  bereits  die  Fassung  der  späteren  Fuldaer  Privilegien 
aus  dem  9.  Jahrhundert  in  Auspruch  (S.  228):  «Et  ideo  omnem  cuius- 
libet ecclesiae  sacerdotem  in  praefato  monasterio  dicionem  quamlibet 
habere  aut  auctoritatem  praeter  sedem  apostolicam  et  episcopum, 
in  cuius  dioecesi  vener abile  mouasterium  constructum 
esse  videtur,  cui  licentiam  concedimus  tantum  cum  oppor- 
tunitas  consecrandi  altaris  fuerit,  prohibemus". 

Die  älteste  und  wahrscheinlich  einzig  selbstständige  üeberlieferung 
von  A  bildet  eine  Handschrift  der  Bonifatius- Briefe  aus  dem  9.  Jahr- 
hundert (Cod.  Monac.  8112),  die  nach  einer  Notiz  vom  Jahre  1479 
der  Martinskirche  in  Mainz  angehörte  i).   Gerade  dies  könnte  von  ent- 


Synoden   des  h.  Bonifatius  bezüglichen  Briefe    der  Bonifazischen  Briefsammlung. 
Leipziger  Dissert.  1881  S.  50  ff. 

•)  Der  Tex  ist  gerade  in  dieser  ältesten  Quelle  heute  nur  höchst  unvoll- 
ständig erhalten,  da  das  Blatt,  das  den  Hauptinhalt  des  Privilegs  enthielt,  her- 
ausgeschnitten ist ;  nur  die  wenigen  Schlussworte  auf  fol.  54  zeugen  von  der 
Eintragung  des  Privilegs  und  zwar  in  der  charakteristischen  Uebereinstimmung 
mit  dem  Liber  Diurnus  als  Fassung  A.  Das  fehlende  Blatt  kann  übrigens  erst 
in  verhältnismässig  später  Zeit  herausgeschnitten  worden  sein,  da  jüngere  Ab- 
schriften noch  den  vollen  Wortlaut  bringen. 


208  M.  Tan  gl. 

scheidender  Wichtigkeit  sein.  Gelänge  es,  nachzuweisen,  dass  die 
Handschrift  auch  thatsächlich  in  Mainz  entstand,  dann  wäre  da- 
durch allein  eiue  feste  Stütze  für  die  Zuverlässigkeit  der  strittigen 
Stelle  gewonneu.  Denu  es  wäre  ausgeschlossen,  dass  man  die  Ur- 
kunde ausserhalb  Fuldas  ganz  gleichartig  wie  dort  selbst  verfälschte, 
am  wenigsten  in  Mainz,  das  dabei  selbst  in  erster  Linie  zu  Schaden 
kam.  Dieser  Beweis  ist  nun  allerdings  nicht  zu  erbringen ;  im  Gegeu- 
theil:  Nürnberger,  der  sich  bisher  am  eingehendsten  mit  unserer  Hs. 
beschäftigte,  ist  mit  grosser  Zuversicht  dafür  eingetreten,  dass  die 
Handschrift  in  Fulda  entstanden  und  erst  später  nach  Mainz  gelangt 
sei  1) ;  ja  er  glaubt  sogar,  den  bestimmten  Aulass  hiefür  zu  kenneu, 
indem  er  den  veränderten  Standort  der  Handschrift  mit  der  üeber- 
siedlung  des  Marianus  Scottus  von  Fulda  nach  Mainz  in  Verbindung 
bringt.  Dümmler  fand  seine  Beweisführung  „annehmbar  aber 
keineswegs  sicher"  ^).  Meines  Erachtens  ist  dies  Urtheil  bereits 
das  günstigste,  das  sich  überhaupt  fällen  lässt.  Die  Wechsel- 
beziehuugen  zwischen  Mainz  und  Fulda  waren  das  ganze  9.,  10. 
und  11.  Jahrhundert  hindurch  so  lebhafte,  dass  sich  für  einen 
solchen  Austausch  von  Handschriften  reichlich  Gelegenheit  bot.  Den 
exakten  Beweis  aber,  den  Nürnberger  für  seine  Vermuthung  anzu- 
treten versucht,  halte  ich  für  misslungen.  Er  selbst  muss  (S.  VI.)  zu- 
gestehen, dass  Otloh,  der  1062 — 1066,  also  mehrere  Jahre  vor  dem 
1069  erfolgten  Abgang  des  Marianus  nach  Mainz,  in  Fulda  schrieb, 
unsere  Handschrift  nicht  kannte ;  wenn  er  diese  Kenntnis  umgekehrt 
(S.  V.)  bei  Marianus  voraussetzt,  so  ist  anzunehmen,  dass  dieser  sich 
dieselbe  eher  in  Mainz  als  in  Fulda  erwarb;  denn  die  Stelleu,  aus 
denen  Nürnberger  darauf  schliesst,  sind  durchweg  Beifügungen  von 
zweiter  Hand.  (S.  V.)  Kurz,  wir  stehen  hier  vor  einem  „Nou  liquet", 
und  Vertheidiguug  und  Anfechtung  der  strittigen  Stelle  des  Zacharias- 
privilegs  können  nach  wie  vor  nur  von  historischen  und  kanonistischen 
Gesichtspunkten  aus  unternommen  werden.  Hier  aber  bleiben  die  Aus- 
führungen Sickels  und  Oelsners  vollkommen  aufrecht  bestehen.  Pflugk- 
Harttungs  Einwendungen  haben  trotz  der  anerkennenswerten  Sorgfalt, 
mit  der  sie  auf  breitester  und  nur  allzubreiter  Grundlage  aufgebaut 
waren,   ziemlich    allgemeine    Ablehunng  erfahren  3).     In  jüngster  Zeit 


<)  Die   haudschriftliche   Uebei-lieferung   der   Briefe    des   h.  Bonifatius,  Pro- 
gramm des  kath.  Gjminasiums  zu  Neisse,  1883. 

2)  Mon.  Germ,  Epistolae  3,  216. 

3)  Zustimmend   hat   sich,    soviel   ich    sehe,    nur    Heinrich  Hahn    verhalten^ 
Bonifaz  und  Lull.  Leipzig  1883,  S.  266—287. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  209 

hat  besonders  Hauck  in  seiner  Kirchengeschichte  Deutschlands  die 
Fragestellung  Pflugk-Harttungs  als  verfehlt  zurückgewiesen  i). 

Das  Walten  des  h.  Bonifatius  ist  nur  aus  der  steten  Beachtung 
seiner  angelsächsischen  Herkunft  richtig  zu  verstehen.  Christianisiruno-, 
Aufrichtung  der  Hierarchie  und  Klostergründung  hatten  sich  aber  auf 
englischem  Boden  von  Anfang  an  unter  dem  vorwaltenden  Einfluss  der 
römischen  Kirche  vollzogen.  Schon  anlässlich  der  Pallienverleihung 
von  634  finden  wir  York  und  Canterbury  in  viel  strammerer  Abhän- 
gigkeit vom  Rom  als  irgend  einen  der  fränkischen  oder  burgundischen 
Metropoliten  2),  In  diesen  Anschauungen  wuchs  Bonifatius  auf  und 
trug  sie  mit  sich  ins  Frankenreich.  Enger  und  unbedingter  Anschluss 
an  Rom  galt  ihm  als  das  einzig  Wahre,  und  das  Ziel  seines  Streben  s 
gieng  dahin,  diesen  Anschluss  nicht  nur  nicht  durch  etwaio-e  Zu- 
geständnisse an  die  im  Frankenreich  vorhandenen  Verhältnisse  schmälern 
zu  lassen,  sondern  ihn  womöglich  noch  über  die  bekannten  Vorbilder 
hinaus  inniger  zu  gestalten.  In  diesem  Sinne  hat  er  entgegen  allem 
Herkommen  in  die  Hände  Gregors  II.  den  Treueid  der  suburbicareu 
Bischöfe  abgelegt  3).  Ist  es  unter  diesen  umständen  so  erstaunlieh, 
dass  derselbe  Mann  für  seine  Klostergründung  die  gleiche  Rechts- 
stellung erstrebte,  dass  er  für  Fulda  das  Privileg  des  suburbicaren 
Klosters  erbat? 

Indem  aber  Papst  Zacharias  dem  Ansuchen  seines  Legaten  will- 
fahrte, unternahm  er  einen  bis  dahin  unerhörten  Eingrifi"  in  fränkisches 
Reichs-  und  Kirchenrecht;  er  legte  sich  durch  die  Privilegirung  eines 
auf  fränkischem  Boden  gegründeten  Klosters  ein  Vorrecht  bei,  das 
bisher  ausschliesslich  dem  König  und  Bischof  zugestanden  hatte.  Nocli 
grundsätzlicher   als    die  Fassung   des  Privilegs   verstiess   dessen  Er- 

')  2.  Aufl.  1,  S.  566  A.  3  »Diplomatische  Gründe  zu  dieser  Ergänzung 
(Wahrung  der  Rechte  des  Diöcesanbischofs)  gibt  es  nicht.  Die  historischen  aber 
halte  ich  nicht  für  durchschlagend.  Der  Ausgangspunkt  der  ganzen  Untersuchung 
Harttungs  scheint  mir  verfehlt;  er  beginnt  mit  der  Frage:  Was  ward  damals 
im  Frankenreich  durch  Privilegien  an  Benediktiner  Abteien  verliehen?  Gewiss, 
so  müsste  man  fragen,  wenn  Bonifatius  nur  ein  fränkischer  Bischof  gewesen 
wäre,  der  in  nichts  das  überschreiten  wollte,  was  im  Frankenreiche  üblich  war. 
Aber  das  war  er  nicht.  Man  muss  deshalb  mit  der  Frage  beginnen :  Welche 
Privilegien  für  Benediktinerklöster  kannte  Bonifatius  aus  England  und  Italien 
und  welche  mussten  ihm  für  sein  Kloster  wünschenswert  erscheinen'!'  Geht  man 
hievon  aus,  so  wird  das  Resultat  anders  lauten  als  bei  Harttung''. 

-)  Langen.  Gesch.  d.  röm.  Kirche  von  Leo  I.    bis   Nikolaus  L    S.  512  —  513. 

■^)  Mon.  Germ.  Epist.  3,  265  Nr.  16:  der  Eid  deckt  sich  vollkommen  mit 
der  Formel  75  des  Liber  Diurnus  (ed.  Sickel),  nur  dass  anstelle  des  Treugelöb- 
nisses  an  den  griechischen  Kaiser  das  Versprechen  eingefügt  ist,  mit  Bischöfen, 
die  entgegen  den  Satzungen  der  Väter  wirkten,    keine  Gemeinschaft  zu  pflegen. 

Mittheilungen  XX.  14 


210 


M.  Tani,'l. 


theiluiio'  an  sich  wider  die  bischöflichen  Gerechtsame.  Steht  aber 
die  Ertheilung  der  Urkunde,  wie  wir  sahen,  fest,  so  entfällt  auch  der 
Grund,  die  Fassung  derselben  als  uneingeschränkte  Exemtion  ernstlich 
zu  bezweifeln. 

Endlich  noch  eine  Erwägung:  Die  Fassung,  wie  sie  in  den  echten 
Fuldaer  Privilegien  des  9,  Jahrhunderts  seit  Gregor  IV.  auftritt:  „Et 
ideo  oranem  cuiuslibet  ecclesiae  sacerdotem  in  praefato  monasterio  di- 
cionem  quamlibet  habere  aut  auctoritatem  praeter  sedem  apostolicam 
et  episcopum,  in  cuius  diocesi  venerabile  mouasterium  constructum 
esse  videtur,  cui  licentiam  concedimus  tantum  cum  oportunitas  con- 
secrandi  altaris  fuerit,  prohibemus'',  bedeutet  eine  Compromissformel. 
Compromisse  aber  bilden  nicht  den  Ausgangspunkt  sondern  das  Ende 
aller  historischen  Entwicklung.  Erst  der  Vorstoss,  und  zwar  der 
grundsätzliche,  unbedingte  von  der  einen  Seite,  dann  Widerstand  unti 
Einspruch  von  der  andern,  schliesslich  der  Vergleich,  das  ist  der  durch- 
aus typische  Vorgang.  Privilegiruug  war  für  die  päpstliche  Kanzlei 
des  8.  Jahrhunderts  mit  Eximirung  gleichbedeutend.  Sobald  die  Be- 
denken, ob  ein  Privileg  ertheilt  werden  solle,  besiegt  waren,  konnte 
das  Wie  nicht  mehr  zweifelhaft  sein.  Erst  bei  späterer  Privilegien- 
erneueruno-  im  9.  Jahrhundert,  wurde  die  Compromissformel  fest- 
gestellt, die  erst  um  die  Mitte  des  10.  Jahrhunderts  unter  dem  Zusam- 
menwirken ausserordentlicher  Verhältnisse  neuerdings  dem  Zurück- 
greifen auf  die  volle  Exemtion  des  Zachariasprivilegs  Platz  machte. 

In  dem  von  Pflugk-Harttung  und  früheren  meist  angefochtenen 
Punkt  halten  demnach  beide  Fassungen  des  Zachariasprivilegs  der 
Kritik  gleich  gut  Stand.  "Es  gilt  noch,  den  stark  abweichenden  Schluss 
von  A  und  B  näher  zu  verfolgen.  Ich  reihe  zu  dem  Zweck  zunächst 
beide  Fassungen  in  Spaltendruck  aneinander  und  gebe  die  wörtlich 
übereinstimmenden  Stellen  durch  gewöhnlichen,  die  inhaltlich  sich 
deckenden,  aber  in  Satzbau  und  Wortlaut  auseinandergehenden  Theile 
durch  cursiven  und  das  völlig  Neue  der  einen  Fassung  durch  gesperrten 
Druck  wieder. 


A 

ut  profecto  iuxta  id  quod  subiecti 
apostolicis  privilegiis  consistunt,  in- 
coneusse  dotatus  permaneat. 


B. 

ut  profecto  iuxta  id  quod  subiectum 
apostolicae  sedi  firmitate  privilegü 
consistit,  inconcusse  dotatum  per- 
maneat, locis  et  rebus,  tarn  eis 
quas  moderne  tempore  tenet 
vel  possidet  quam  quae  fu- 
turis  temporibus  in  iure  ip- 
sius  monasterii  divin a  pietas 
voluerii    augere    ex    donis    et 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage. 


211 


stituentes 
paginam 
Omnibus 


Con- 
per  huius  decreti  nostri 
atque  interdicentes 
cuiuslibet  omnino  ecclesiae 
praesuUhus  rel  cuiuscumque  dignitati 
praeditis  potestatem  sub  anathematis 
interpositionem,  qui  ei  praesumpserit 
praesenti  constituti  a  nobis  praefati 
monasterii  indidti  quolibet  modo  exi- 
stere  tetnerator.     Bene  vale. 


oblationibus  decimisque  fi- 
delium,  absque  ullius  perso- 
nae  contradictione  firmitate 
perpetua  perfruatur.  Consti- 
tuimus  quoque  per  huius  decreti 
nostri  paginam,  ut  quicutique  cuius- 
libet aecclesiae  praesul  vel  quacunque 
dignitate  praedita  persona  hanc  nostri 
privilegii  cartam,  quam  auctori- 
tate  principis  apostolorum 
firmamus,  temerare  temptaverit,  ana- 
thema  sit  et  iram  dei  incurrens 
acetu  sanctorum  omnium  ex- 
torris  existat,  et  nihilominus 
praefati  monasterii  dignitas 
a  nobis  indulta  perpetualiter 
inviolata  permaneat,  aposto- 
lica  auctoritate  subnixa.  Bene 
vale. 

Der  Unterschied  der  beiden  Fassungen  ist  auch  sachlich  durch- 
aus nicht  so  ganz  nebensächhch,  wie  dies  noch  Weyl  annahm  i),  ob- 
-wohl  der  Schwerpunkt  für  die  Entscheidung  zu  Gunsten  der  einen 
oder  anderen  Fassung  durchaus  in  der  Form  liesft. 

A  deckt  sich  wortwörtlich  mit  Formel  32  des  Liber  Diurnus,  und 
^a  von  dem  ersten,  gleichlautenden  Theil  von  A  und  B  das  Gleiche 
gilt,  so  sollte  man  meinen,  in  dieser  getreuen  üebereinstimmung  das 
beste  Leumundszeugnis  für  A  erblicken  zu  dürfen.  Mit  vollem  Recht 
hatte  sie  daher  bereits  Oelsner  (a.  a.  0.  S.  488)  als  die  ^ursprüno-- 
lichere-'  bezeichnet.  Anders  Pflugk-Harttung  (a.  a.  0.  S.  212  if.).  Er 
sieht  in  der  Fassung  A  nicht  das  Ergebnis  verständiger  Benützung 
des  berühmten  Formelbuches  durch  einen  päpstlichen  Kanzleibeamten, 
sondern  mechanischen,  unverständigen  Abschreibens  durch  einen  sach- 
unkundigen Fälscher. 

Die  Formel  ist  unvollständig;  sie  bricht  mitten  in  der  Poenformel 
mit  „temerator-  ab  '^),  indem  sie  das  Weitere  bei  den  päpstlichen 
Notaren  als  selbstverständlich  voraussetzte  oder  ihrer  freien  Gestaltung 
iiberliess.  Der  Fälscher  aber,  der  nach  dem  Versagen  seiner  Vorlage 
überhaupt  nichts  mehr  weiter  zu  gestalten  wusste,  liess  sich  verleiten, 
gleich  ihr  mitten  im  Satze  zu  schliessen. 


')  Die  Beziehungen  des  Papstthums  z.  fränk.  Staats-  und  Kirchenrecht  unter 
d.  Karolingern  S.  124.  A.  1. 

*)  Lib.  D.iurn.  ed.  Sickel  S.  24  »temeratur  .  .«    nach    dem  Cod.  Vaticanus : 
-die  auf  den  Cod.  Claromontanus  zurückgehenden  Ausgaben  »temerator  etc.* 

14* 


212  ^-  Tang]. 

Dass  mau  in  Fulda  deu  Liber  Diurnus  zur  Hand  hatte  oder  die 
Möglichkeit  besass,  sich  seiner  in  irgend  "welcher  Ueberlieferungsform 
zu  Fälschungszwecken  zu  bedieneu,  glaubt  er  nach  Sickels  neuer 
Ausgabe  und  den  sie  begleitenden  kritischen  Arbeiten  vielleicht  wohl 
selbst  nicht  mehr  i).  Sickel  verwies  bereits  darauf,  dass  auch  das 
von  Ewald  im  Neuen  Archiv  7,  590  veröfientlichte  und  von  ihm 
Gregor  T.  zugeschriebene  Privileg  für  zwei  Klöster  bei  Benevent  eben- 
falls mit  „temerator"  schliesst.  Ich  gestatte  mir  aber  überdies,  noch 
ein  paar  weitere  Vergleichungsfälle  beizubringen:  Papst  Stephan  II. 
für  St.  Denis  JE.  Nr.  2331,  Paul  I.  für  S.  Salvatore  in  Brescia,  JE. 
Nr.  2350,  Johann  VIII.  für  Monte  Casiuo,  JL.  Nr.  3381. 

Die  Fassungen  dieser  Urkunden  sind  im  einzelnen  mehrfach  an- 
gefochten, gemeinsam  aber  ist  das  eine,  dass  alle  drei  gleich  dem 
Beneventauer,  dem  Fuldaer  Privileg  und  dem  Liber  Diurnus  mit  dem 
schönen  Wörtchen  ^temerator"  schliessen.  Die  Kenntnis  des  Liber 
Diurnus  und  ihr  Missbrauch  zu  Fälscherzwecken  scheint  sich  ganz 
unheimlicher  Verbreitung  erfreut  zu  haben!  Der  richtige  Schluss 
lautet  allerdings  ganz  anders:  Mag  die  berühmte  Formel  seinerzeit 
als  Torso  aufgezeichnet  uud  überliefert  worden  sein,  es  kann  kein 
Zweifel  obwalten,  dass  sie  im  8.  und  9.  Jahrhundert  durch  die  päpst- 
liche Kanzlei  ohne  weitere  Fortsetzung  hinausgegeben  wurde.  Der 
örtliche  und  zeitliche  Abstand  der  genannten  Empfänger  schliesst  es 
ganz  aus,  dass  man  in  Fulda  und  St.  Denis,  in  Beuevent,  Brescia 
und  Monte  Casino  römische  Muster  in  ganz  gleichartiger  Weise  niiss- 
brauchte. 

Pflugk-Harttung  gab  der  Passung  B  der  Vorzug,  uud  auch  die 
Herausgeber  der  Bonifatiusbriefe,  Jaffe  und  Dümmler,  scheinen  ihm 
beizustimmen,  indem  sie  ihr  im  Spaltendruck  die  erste  Stelle  zuweisen. 
Gegenüber  der  Fassung  A  bringt  sie  dadurch  eine  sachliche  Erwei- 
terung, dass  sie  den  päpstlichen  Schutz  auch  auf  die  Unversehrtheit 
des  gegenwärtigen  und  zukünftigen  Besitzstandes  und  der  Zehent- 
bezüge ausdehnt.  Die  Fragestellung  spitzt  sich  nun  dahin  zu,  ob 
unsere  Urkunde  in  der  Fassung  B  überhaupt  aus  der  päpstlichen 
Kanzlei  hervorgehen  konnte,  und  diese  Frage  ist  mit  aller  Bestimmt- 
heit zu  verneinen. 

Schon  Sickel  (a.  a.  0.  S.  624)  bemerkte,  dass  der  Stelle  ,locis 
et  rebus"  etc.  .das  gewichtige  Zeugnis  des  Liber  Diurnus  für  die  Ur- 
sprünglichkeit und  Echtheit  abgehe",  dass  ihre  Fassung   „geradezu  an 


')  Vgl.  über  tlas  »per  eum«  statt  »perte'  der  Adresse  Sickel,  Prolegomena 
zum  Lib.  Diiirri.  Wiener  SB.   117.  46  A.   1. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  213 

die  iji  den  köuigliclieu  Urkunden  übliche  erinnere".  Sickels  Be- 
obachtung war  durchaus  zutreffend.  Die  Stelle  vom  gegenwärtigen 
und  zukünftigen  Besitzstand  kehrt,  dem  Sinne  und  zum  Theil  sogar 
dem  Wortlaut  nach  übereinstimmend,  in  den  königlichen  Immunitäts- 
urkunden seit  Merovingerzeit  ständig  wieder.  Bereits  Markulf  (I.  3, 
ed.  Zeumer  MG.  Form.  43)  hat  sie  in  seiner  Iramunitätsformel  fest- 
gelegt:  „ut  in  villas  ecclesie  .  .  .  quas  moderno  tempore  aut 
nostro  aut  cuiuslibet  munere  habere  vidaetur,  vel  quae  deinceps  in 
iure  ipsius  sancti  loci  voluerit  divina  pietas  amphare,  uullus 
iudex  publicus"  etc.  Fast  gleichlautend  mit  dieser  Formel  ist  sie  denn 
auch  in  der  Immunitätsverleihung  Karls  d.  Gr.  für  Fulda  vom  24.  Sep- 
tember 774,  Mühlbacher  Nr.  172  (168)  angewandt;  ,ut  villas  ecclesi^ 
domini  Bonifacii,  quas  moderno  tempore  aut  nostro  aut  cuiuslibet 
munere  habere  videtur  vel  quas  deinceps  in  iure  ipsius  sancti  loci 
voluerit  divina  pietas  amplificare,  nullus  iudex  publicus"  etc.;  sie  findet 
sich  ebenso  wieder  in  der  angeblichen  Zehenturkunde  Karls  d.  Gr.  für 
Abt  Ratgar  von  Fulda  vom  22.  April  810,  einer  Urkunde,  die,  wie 
ich  noch  eingehend  zu  erörtern  haben  werde,  in  der  uns  überlieferten 
Gestalt  veruuechtet  ist,  aber  in  ihrem  dispositiven  Theil  eine  Zehent- 
verleihung an  Abt  Baugulf  wiedergibt.  Hier  wird  nun  auch  zum 
erstenmal  der  in  unserer  Fassung  des  Zachariasprivilegs  erwähnten 
,decimae  fidelium'^  gedacht.  Endlich  ist  noch  die  schon  zu  Eingang 
dieser  Abhandlung  citirte  Immunitätsverleihung  Ludwigs  d.  Frommen 
vom  2.  Mai  816  heranzuziehen,  weil  sie  im  Gegensatz  zu  den  bisher 
genannten  Urkunden  durch  den  Wechsel  zweier  synonymer  Ausdrücke 
die  wörtliche  Uebereinstimmung  mit  der  Zachariasurkunde  erreicht: 
,tenet  vel  possidet"  statt  „habere  videtur"  ^)  und  „voluerit  divina 
pietas  auger i"  statt  dem  unter  Pippin  und  Karl  d.  Gr.  ständigen 
ampliare  oder  amplificare.  Wir  sehen  also  in  dem  eingeschobenen 
Satz  eine  Formel  benützt,  die  in  Königsurkunden  heimisch,  in  Papst- 
urkunden aber  unbekannt  war. 

Doch  das  ist  gar  nicht  die  Hauptsache.  Fassung  B.  trägt,  wenn 
ich  so  sagen  darf,  die  Schutzmarke  ihres  Entstehuugsortes  mit  aller 
wünschenswerten  Deutlichkeit  au  sich.  Die  Ueberarbeitung  des  Zacha- 
riasprivilegs ist  vollkommen  nach  dem  Schema  der  fränkischen  Privat- 
urkunde erfolgt.  Traditionsurkunden  schliessen  nach  einer  Formel, 
die  im  wesentliclien  schon  bei  Markulf  festgelegt  '^)  und  an  der  Hand 
der  Fuldaer  Urkunden  von  der  Mitte  des  8.  bis  etwa  in  die  zwanziger 

')  Von  den  Forniulae   imperiales    hat  Nr.  4  (MGF.  290)   possidere    videtur, 
Nr.  11  possidet;  Nr.  29  tenet,  Nr.  12  und  28  tenet  et  possidet. 
»)  Markulf  II.  4  MGF.  77,  vgl.  auch  IL  S9  a.  a.  0.  S.  99. 


214  M.  Tan  gl. 

Jahre  des  9.  Jahrhunderts  zu  verfolgen  ist  i),  deu  dispositiven  Theil 
mit  der  Zuweisung  der  Schenkung  zu  immerwährendem  Besitz  und 
freier  Verfügung:  Dronke  G2  Nr.  105  ^ita  ut  .  .  .  de  supradieta  r& 
.  .  .  liberam  ac  firmissimam  in  omnibus  habeaut  potestatem " ,  gleich 
und  ähnlich  in  vielen  andern.  Urkunden,  die  einer  eigenen  Poenformel 
entbehren,  fügen  an  dieser  Stelle  die  Zurückweisung  fremden  Ein- 
spruches ein:  Dronke  67  Nr.  113  .firmissimam  et  ab  omni  homine 
ineontradietara  aeternitatique  subnixam  in  omnibus  habeant  potesta- 
tem", dafür  auch  „liberam  et  incontradictam  potestatem",  „  uullo  quod 
absit  contradiceute",    „nemine  contradicente*. 

Beachtung  verdient  eine  in  Fulda  selbst  ausgestellte  und  ge- 
schriebene Urkunde  aus  dem  J.  823  (Dronke  185  Nr.  412),  weil  sie 
die  wörtlich  gleiche  Fassung  mit  B  enthält:  „absque  uUius  per- 
sonae  contradictione".  In  der  vollen  Fassung  der  Schenkungs- 
urkunden folgt  darauf  die  Poenformel :  ,Si  quis  vero  .  .  .  contra  haue 
donationem  venire  temptaverit  (dafür  auch  „voluerit"),  iram  dei 
omnipotentis  incurrat  ^)    et  insuper  inferat  fisci  dicionibus  auri  uncias 

sed  (dafür  auch   ,et  tarnen"    und  einmal  Dronke  118  Nr.  225 

a.  805:  et  nihil ominus  sed)  presens  donatio  hec  omni  tempore  firma 
et  stabilis  permaneat,  stipulatione  subnixa". 

Ganz  nach  diesem  den  Fuldaer  Mönchen  geläufigen  Typus  ist 
unsere  Papsturkunde  überarbeitet:  Das  „ut  profecto"  leitet  zwei  von 
einander  ganz  unabhängig  dastehende  Sätze^ein,  den  aus  dem  Original 
entnommenen  der  Liber  Diurnus-Formel  und  darauf  den  aus  der 
Privaturkunde  entlehnten:  ,ut  profecto  .  .  .  locis  et  rebus  .  .  .  absque 
ullius  persouae  contradictione  firmitate  perpetua  perfruatur".  Zwischen 
eingeschoben  ist  der  aus  der  königlichen  Immunität  stammende  Satz 
,tam  eis  —  voluerit  augere".  Nun  folgt  die  Poenformel,  in  der  die 
Fassung  des  Liber  Diurnus  im  Sinne  der  Construction  der  entsprechen- 
den Formel  in  den  Privaturkundeu  und  unter  Einschiebung  der  stän- 
digen   Verba    derselben    umgearbeitet    ist  =*) :     „Constituimus    .    .    .    ut^ 

')  Zahlreiche  Beispiele  bei  Dronke.  CD.  Fuldensis.  Um  die  genannte  Zeit 
schliesst  die  durchaus  zuverlässige  Ueberlieferung,  die  das  älteste  Fuldaer  Char- 
tular  in  seiner  ursprünglichen  Anlage  bietet;  die  Fortsetzungen  aus  dem  9.  Jahrh. 
sind  nicht  bedeutend ;  die  anderen  Ueberlieferungen  kommen  nur  in  beschränkter 
Weise  in  Betracht ;  denn  die  ürkundentexte  bei  Pistorius  sind  mehrfach  ver- 
kümmert, die  des  Codex  Eberhardi  entstellt  und  unzuverlässig.  Einzelne  Bei- 
spiele finden  sich  immerhin  auch  aus  dem  späteren  Verlauf  des  9.  Jahrhunderts. 

-)  Dazu  vereinzelt  auch,  anklingend  an  die  Papsturkunde :  ,  et  ab  omni  loco 
sanctorum  excommunis  appareat*.     Dronke,  CD.  86  Nr.  154  u.  a. 

•'')  Häufung  der  Contradiktionsklausel  und  der  Poenformel  enthält  unter 
den  Privaturkunden,  soviel  ich  sehe,  nur  eine;  Dronke  192  Nr.  429  a.  824: 
»absque  ullius  contradictione  in  vestram  redeaut  potestatem.     Siquis    vero*    etc. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage. 


215 


quicunque teinerare    (aus    temerator    iu    A)    temptaverit, 

anathema  sit  .  .  .  .,  et  nihilomiuus  praefati  inoiiasterii  dignitas 
.  .  .  .  perpetualiter  inviolata  permaneat.  Das  der  Privaturkunde 
mechanisch  nachgeschriebene,  in  der  Papsturkunde  sinnlose  und  un- 
mögliche .apostolica  auctoritate  subnixa-  setzt  endlich  dem  Ganzen 
die  Krone  auf. 

Es  sei  mir  gestattet,  ehe  ich  weiter  schreite,  die  bisherigen  Er- 
gebnisse bezüglich  des  Zachariasprivilegs  kurz  zusammenzufassen : 

DieErtheilung  eines  Privilegiums  durch  P.Zacharias 
an  den  h.  Bonifa tius  für  das  Kloster  Fulda  steht  durch- 
aus fest.  Historische  und  kirchenrechtliche  Bedenken 
gegen  die  Exemtionsformel  lassen  sich  in  begründeter 
Weise  nicht  erheben.  Vom  diplomatischen  Standpunkt 
bedeutet  der  enge  Anschluss  an  Formel  XXXI I  des  L i b e r 
Diurnus  die  beste  Gewähr  für  die  Treue  der  Ueberliefe- 
rung,  so  dass  wir  allen  Grund  haben,  Fassung  A  als  das 
echte  Zachariasprivileg  für  Fulda  anzuerkennen.  Da- 
gegen liegt  uns  in  Fassung  B  eine  iu  Fulda  selbst  nach 
dem  Muster  der  fränkischen  Privat  Urkunde  und  in  t  heil- 
weiser Benützung  vou  Königsur künden  vorgenommene 
Ueber arbeit ung  vor. 

In  ganz  gleicher  üeberarbeitung  begegnet  uns  aber  die  Papst- 
urkunde bereits  in  der  angeblichen  Bestätigung  durch  Pippin,  und  das 
führt  uns  zu  dieser  Urkunde  zurück. 

Auch  hier  veranschauliclie  ich  zunächst  am  besten  durch  Spalten- 
druck das  Textverhältnis: 


Zacharias  B. 
et  ideo  omnem  cuiuslibet  aeccle- 
siae  sacerdotem  in  praefato 
monasterio  ditionem  qu.am- 
libet  habere  aut  auctoritatem 
praeter  sedem  apostolicam 
prohibemus,  ita  ut  nisi  ab  ab- 
bate  monasterii  fuerit  invi- 
tatus,  nee  missarum  ibidem 
üollemnitatem  quispiam  prae- 
sumat  omnimodo  celebrare,  ut 
profecto  iuxta  id,  quod  sub- 
iectum  apostolicae  sedi  fir- 
mitate  privilegii  consistit, 
inconcusse  dotatum  perma- 
neat, locis  et  rebus,  tarn  eis 
quas  moderne    tempore  tenet 


Pippin. 

praecipientes,  ut  nullup  sacerdo- 
tum  in  regne  uostro  diviuitus  nobis 
concesso  in  praefato  monaste- 
rio dicionera  aliquamsibi  vin- 
dieet  praeter  sedem  apostoli- 
cam, ita  ut  nisi  ab  abbate  mo- 
nasterii fuerit  invitatus,  nee 
missarum  ibidem  sollemnia 
quisque  celebrare  praesumat, 
sed  iuxta  id,  quod  subiectum 
constat  apostolicae  sedi,  fir- 
mitate  privilegii  inconcusse 
r  0  b  0  r  a  t  u  m  permaneat,  locis 
et  rebus,  tarn  eis  quas  mo- 
derne tempore  tenet  vel  pos- 
sidet  quam  quae  futuris  tem- 


216 


M.  Tanol. 


poribus  iuri  ipsius  monaste- 
rii  divina  pietas  augere  vo- 
luerit  ex  donis  et  oblationi- 
bus  decimisque  fidelium,  abs- 
que  ullius  personae  contra- 
dictione  t'irmitate  perpetua 
perfruatur.  Si  autem  quispiam 
huic  nostrae  auctoritatis  praecepto 
repugnare  voluerit,  sententiam  aposto- 
Hcae  distrietionis,  quae  in  privilegio 
expressa  est,  experiatur;  et  tarnen 
hoc,  quod  ob  amorem  dei  et  vene- 
rationem  sancti  Petri  nostra  auctori- 
tate  firmavimus,  stabile  p  e  r  m  a- 
n  e  a  t ,  manu  nostra  roboratum  et 
tarn  anuli  uostri  inpressione  quam 
fidelium  nostroi'um  adstipulatione 
subnixum. 


vel  possidet  quam  quae  futu- 
ris  temi^oribus  in  iure  ipsius 
monasterii  divina  pietas  vo- 
luerit augere  ex  donis  et  ob- 
lationibus  decimisque  fide- 
lium, absque  ullius personae 
contradictione  firmitate  per- 
petua perfruatur.  Constituimus 
quoque  per  huius  decreti  nostri  pa 
ginam,  ut  quicunque  cuiuslibet  aec- 
clesiae  praesul  vel  quacunque  dig- 
nitate  praedita  persona  hanc  uostri 
privilegü  cartam,  quam  auctoiitate 
pi'incipis  apostolorum  firmamus,  te- 
merare  temptaverit,  anathema  sit  et 
iram  dei  incurrens  a  cetu  sanctorum 
omnium  extorris  existat,  et  nihilo- 
minus  praefati  monasterii  dignitas 
a  nobis  indulta  perpetualiter  invio- 
lata  p  e  r  m  a  n  e  a  t,  apostolica  aucto- 
ritate  subnixa. 

Der  Zusammenhang  beider  Texte  steht  ausser  Zweifel,  zumal  da 
sich  die  wörtliche  Uebereinstimmimg  gerade  auch  auf  den  Satz  erstreckt, 
der  iu  der  Fassung  B  gegenüber  A  ganz  neu  auftritt.  Darauf  hat 
denn  auch  Oelsner  (a.  a,  0.  S.  488)  seinen  Erklärungsversuch  gebaut: 
,Der  Hauptsatz  der  erweiterten  Form  ,locis  et  rebus  tarn  eis  ...  . 
perfruatur"  ist  sicherlich  erst  aus  Pippins  Bestätigungsurkunde  von 
Späteren  in  das  päpstliche  Document  hinübergenommeu  worden-. 

Damit  wäre  der  Weg  zu  einer  harmlosen  Erklärung  gebahnt. 
Dass  man  in  der  königlichen  Kanzlei  bei  der  Bestätigung  der  Papst- 
urkuude  einen  von  der  Immuuitätsformel  her  geläufigen  Satz  einschob, 
bxauchte  nicht  aufzufallen,  und  auch  die  spätere  Uebernahme  der 
Stelle  in  die  erweiterte  Fassung  der  Papsturkunde  könnte  gutartiger 
Natur  sein.  Wie  leicht  mochte  das  Original  des  Zachariasprivilegs 
bei  der  wenig  widerstandsfähigen  ßeschaftenheit  des  Papyrus  mit  der 
Zeit  schadhaft  und  die  ohnedies  schwierige  Schrift  infolge  dessen 
stellenweise  unleserlich  geworden  sein,  so  dass  mau  sich  in  Fulda  in 
dem  Bestreben,  sich  einen  vollständigen  Text  dieser  so  wichtigen  Ur- 
kunde zu  sichern,  für  den  zweiten  Theil  mit  Ergänzung  und  Nach- 
hilfe aus  der  königlichen   Bestätigung  behalf. 

Ich  gestehe  gern,  dass  Oelsuers  Erklärungsversuch  auch  mir  be- 
stecheud    schien  i),    wenn    es    nur    um    diese    königliche  Bestätigungs- 

")  Er  ist  jetzt  in  cb-r  2.  Aufl.  von  Mühlbacbers  Regesten  Nr.  72  (70) 
wiederholt. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  217 

uijkunde  selbst  besser    stünde.     So  aber  rauss  ich  nur  ueuerdiuo-s  der 
schweren  Bedenken  gemahnen,  die  sich  gegen  diese  Urkunde  erhebeu : 
der  aus  einer    anderen  Pippinurkundo    erborgten,    später    verbesserten 
Datirung,    des   Widerspruchs    zwischen    directen    und    indirecten  Zeit- 
merkmaleu,    der  Zeugenführung,    der    in  Königsurkunden    durch    kein 
weiteres  Beispiel  zu  belegenden  Bezeichnung  der  Grafen  als   ^praefecti", 
des  unechten  Siegels,    der   kanzleiwidrigen  Corroborationsformel.     Der 
Zwischensatz  nach  „locis  et  rebus"   stimmt  allerdings  mit  könifflicheu 
Immunitäten,  aber  in  charakteristischen  Einzelheiten    mit  solchen  aus 
nachpippiuischer  Zeit;  der  nach  dem  Schema  der  Privaturkunde 
gearbeitete    Schlusssatz     „Et    tamen    hoc    stabile    permaneat 
fidelium   nostrorum  adstipulatione    subnixum"    verweist   gerade  so  gut 
nach  Fulda  wie  das  famose    ,apostolica  auctoritate  subnixa"    der  Papst- 
urkunde.    Wir    wollen    aber   doch    noch    einmal   den  Wortlaut  beider 
Urkunden    daraufhin    untersuchen,    ob  in  der  That  die  Pippinurkunde 
als  Quelle  für  Zacharias  B  anzusehen  ist,  oder  ob  sich  das  Verhältnis 
nicht  vielmehr   umgekehrt   stellt.     Die  Stelle   „locis  et  rebus *"    kommt 
in  die  Papsturkunde  ziemlich  unvermittelt  hineingeschneit;  es  mangelt 
die  Verbindung  zum  vorangehenden  coordinirteu   Satz   „ut  profecto  — 
permaneaf^,  als  welche  man  zum  mindesten  ein  .et"  erwarten  musste. 
In  solchen   Fällen    pflegen  sich  Entlehnungen    dadurch    zu    verrathen, 
dass    sie    ungeschickt    aus    dem    klaren  Zusammenhang    ihrer  Vorlao-e 
gerissen  sind.     Bei  uns  trifft  das  nicht  zu,  der  Eiuschub  fügt  sich  in 
der  Pippinurkunde  an  den  vorhergehenden  Satz    ,sed  iuxta  id  —  per- 
maneat''  gleich  gut  und  gleich  schlecht  und  vor  allem  ebenso  unver- 
mittelt   und    un verbunden  an,    wie  in  der  Papsturkunde.     Beide    ent- 
lehnen hier  gleichmässig  von  dritter  Stelle.     Die  Entscheidung  bringt 
meines  Erachtens   ein  kleines  Wörtchen    des    eingeschobenen,    an    die 
Immunitäten  anklingenden  Satzes.    Wo  immer  mau  Immunitätsformeln 
oder  -Urkunden  der  älteren  Zeit  nachschlägt,  begegnet  man  von  Markulf 
an  ganz  ständig  der  Fassung   „vel  quae  deinceps  in  iure  ipsius  sancti 
loci  voluerit  divina  pietas  ampliare  (amplificare,  augere)".    Dieses   „in 
iure"    findet  sich  auch  noch  stilgerecht  in  Zacharias  B,  während  es  in 
der  Pippinurkunde  zu   „iuri"    verderbt  ist.     Hat  man,   wenn  Oelsners 
Annahme  richtig  ist,  zuerst  in  der  Pippinurkunde  eine  ungebräuchliche 
Wortform  angewandt,  sie  dann  aber  bei  der  Benützung  für  die  Papst- 
Tirkunde  wieder  richtig  gestellt?     Wie    schwer    solche  Verbesserungen 
bei  einmal  verderbter  Vorlage  hielten,  zeigen  uns  am  besten  die  Nach- 
urkunden von  Mühlbacher  72  (70) :  Karl  d.  Gr.,  Mühlbacher  449  (439), 
tommt    weniger   in  Betracht,    weil    die  Eclitheit    zweifelhaft    und    die 
Ueberlieferung    im   Codex  Eberhardi    verderbt    ist;    Eberhard    schreibt 


218 


M.  Tano-l. 


.iure",  wohl  als  eigene  Verbesserung  des  vorgefundeneu  .mri",  jeden- 
falls olme  „in".  Entscheidend  aber  sind  die  beiden  folgenden  Bestäti- 
gungen :  Ludwig  d.  Fr.,  Mühlbacher  1004  (973),  wie  wir  sehen  werden,  echt 
und  in  guter  Kopie  des  9.  Jahrhunderts  überliefert,  ,iuri-  und  Otto  L 
MG.  DO  I.  55,  im  Original  erhalten,  iuris,  als  misglückteu  Verbesse- 
run o-sversuch.  Die  beiden  letzten  Fälle  sind  besonders  lehrreich,  indem 
sie  zeigen,  dass  selbst  die  Beamten  der  Reichskanzlei,  denen  die  ge- 
bräuchliche Form  doch  in  Fleisch  und  Blut  lag,  die  Richtigstellung 
entweder  nicht  versuchten  oder  iiicht  verstanden.  Die  Nutzanwendung 
auf  unsern  Fall  ist  ziemlich  eiufacli:  Indem  sich  die  Papsturkunde  von 
der  Verderbung  des  .in  iure"  in  der  Pippinurkunde  und  allen  ihren 
Nachurkunden  ferne  hPilt,  beweist  sie,  dass  sie  selbst  nicht  zu  diesen 
Nachurkunden  gehfut,  sondern  umgekehrt  die  Vorlage  für  sie  bildete. 

Die  Pippinurkuude  erleidet  dadurch  aber  einen  neuen,  entschei- 
denden Stoss.  Bedeutet  das  Ausschreiben  einer  Papsturkuude  durch 
eine  Königsurkunde  in  der  Diplomatik  der  Karolingerzeit  überhaupt 
ein  Unicum,  so  zeugt  die  Benützung  einer  verunechteten  Papsturkunde 
neben  anderen  Verdachtsgründen  bestimmt  auch  für  die  ünechtheit  der 
Pippinurkunde.  Indem  ich  somit  den  Gedanken  an  die  Echtheit  der 
Pippinurkunde  in  der  uns  vorliegenden  Fassung  endgiltig  fallen  lasse,  spitzt 
sich  meine  Fragestellung  dahin  zu:  hat  Pippin  das  Zacharias- 
privileg  überhaupt  in  irgend  welcher  Form  bestätigt? 

Zur  Entscheidung  dieser  Frage  hat  vor  wenigen  Jahren  Weyl 
einen  ganz  überraschend  neuen  Gesichtspunkt  beigebracht,  indem  er 
fand,  dass  man  das  Zachariasprivileg  am  Hofe  Pippins  einer  sorgsamen 
Prüfung  unterzogen,  die  zuweit  gehenden  Bestimmungen  desselben 
altö-elehnt,  das  mit  dem  fränkischen  Reichsrecht  vereinbare  aber  über- 
nommen  und  bestätigt  habe  i).  Es  handelt  sich  um  die  Stelle  ,ut 
sub  iurisdictione  sanctae  nostrae  cui  deo  auctore  deservimus  ecclesiae 
constitutum  nullius  alterius  eccle.siae  iurisdictionibus  submittatur",  die 


1)  Die  Beziehuugen  des  Papsttliums  zum  fränkischen  Staats-  uud  Kirchen- 
recht.  1892,  S.  174  ,Im  Gegentheil  ergiebt  sich  aus  einem  Einzelfalle  positiv, 
dass  der  Staat  das  auf  Erwerbung  eines  Jurisdictionsrechtes  gerichtete  päpstliche 
Bestreben  abgelehnt  hat:  das  Privilegium,  welches  Papst  Zacharias  auf  Bitte 
des  Bonifatius  im  Jahre  "51  für  das  Kloster  Fulda  gewährte,  besagt  nämlich 
unter  anderen.  Fulda  solle  unter  die  Jurisdiction  des  h.  Stuhles  gestellt  und  der 
Jurisdiction  keiner  anderen  Kirche  unterworfen  sein.  Dagegen  enthält  das  Privi- 
legium König  Pippins,  wiewohl  es  sich  sonst  im  Jnhalt  und  Wortlaut  dem  päpst- 
lichen Privilegium  anschliesst,  den  vorliegenden  Passus  nicht,  ein  Beweis,  dass 
derselbe  als  zu  weitgehend  der  staatlichen  Anerkennung  nicht  theilhaftig  werden 
sollte*. 


Die  Fuldaer  Piivilegienfrage.  219 

iu  der  Pippinurkuude  uiclit  wiederkehrt.  Verhielte  sich  die  Sache 
in  der  That  so,  dann  wäre  die  Echtheit  der  Pippinurkunde  über 
alle  diplomatischen  Bedenken  hinaus  sieghaft  erwiesen;  denn  aus  was 
immer  für  Beweggründen  die  Fälscher  gearbeitet  haben  mochten,  zur 
Verkürzung  eigener  Rechte  und  Ansprüche  hat  keiner  je  die  Hand 
gerührt.  Nur  schade,  dass  sich  Weyl  nicht  besah,  in  Avelchem  Theil 
der  Papsturkunde  die  fragliche  Stelle  steht,  und  von  wo  au  ilire 
Benützung  für  die  Königsurkimde  beginnt.  Die  Papsturkunde  scheidet 
sich  ihrem  Aufbau  nach  sehr  streng  in  die  Narratio  und  die  mit  „et 
ideo'^  beginnende  Dispositio.  Nur  letztere  enthält  die  eigentlich  rechts- 
verbindliche Entscheidung  des  Papstes  und  nur  sie  ist  iu  der  Königs- 
urkunde ausgeschrieben,  erstere  aber  ganz  natürlich  durch  eine 
selbständige,  durch  die  Fassung  der  Papsturkunde  unbeeinflusste  Nar- 
ratio ersetzt.  Die  strittige  Stelle  steht  aber  in  der  Narratio  der  Papst- 
urkunde, als  ziemlich  selbstverständliche  Definirung  des  Exemtions- 
begriffes.  Bei  der  Herstellung  der  Königsurkunde  aber,  gleichgiltig 
ob  sie  am  Hofe  Pippins  oder  in  Fulda  erfolgte,  hat  man  den  Passus 
weder  geprüft  noch  abgelehnt,  sondern  überhaupt  nicht  berücksichtigt. 
Weyl  aber  hat  durch  seinen  Einwurf  lediglich  Schutt  auf  den  Weg 
gefahren,  nach  dessen  Beseitigung  die  Bahn  für  Aveitere  Erwägung 
wieder  frei  wird.  Sickel  hat  (a.  a.  0.  S.  609)  zuerst  die  Behauptung 
aufgestellt,  dass  die  Pippinurkunde  mit  der  Zachariasurkunde  stehe 
und  falle,  und  der  Satz  ist  dann  von  Pflugk- Harttun g  und  anderen 
nachgeschrieben  worden,  zuletzt  noch  von  Hauck,  der  aber  daneben  (KG. 
Deutschlands  1,  567)  schon  die  Aeusserung  beifügte:  .Auffälliger 
ist,  dass  Pippin  das  päpstliche  Privileg  bestätigte".  Ich 
kann  ihn  nur  in  beschränktem  Masse  gelten  lassen,  indem  ich  die 
zwingende  Nothwendigkeit  durchaus  nicht  einsehe,  dass  Pippin  das 
Zachariasprivileg  bestätigt  haben  müsse.  Abt  Fulrad  von  St.  Denis 
erhielt  im  J.  757  von  Papst  Stefan  II.  als  Lohn  für  die  Beherbergung 
des  Papstes  im  Winter  753 — 54  und  für  die  wichtigen  Dienste,  die 
Fulrad  der  römischen  Kirche  in  Italien  geleistet  hatte,  ein  Privileg 
nach  Art  des  Fuldaers ;  aber  wir  hören  nichts  davon,  dass  Pippin  oder 
einer  seiner  Nachfolger  die  Urkunde  bestätigt  habe.  Sehr  bezeich- 
nender Weise  erstreckt  sich  die  Privilegienbestätigung,  die  Pippin 
am  23.  Sept.  768  für  das  Kloster  St.  Denis  ertheilte,  Mühlbacher  IGT 
(104),  nur  auf  Bestätigung  der  Privilegien  der  Bischöfe  von  Paris, 
das  neue  päpstliche  Privileg  scheint  Abt  Fulrad,  der  als  gewandter 
Höfling  und  kluger  Politiker  die  Anschauungen  seines  Herrn  sehr 
genau  kannte,  gar  nicht  zur  Vorlage  gebracht  zu  haben.  Auch 
die   Beschlüsse    des   Concils    von  Verneuil   vom  11.  Juli  755    athmen 


"220  ^^-  Tangl. 

das  Gegeutlieil  voa  exemtionsfreundlicher  Gesinnung  ^).  Wenn  daher 
der  b.  Bouifatius,  worau  ich  allerdings  nicht  zweifeln  möchte,  die 
Bestätigung  des  päpstlichen  Privilegs  beim  König  nachsuchte,  so  scheint 
es  mir  keineswegs  ausgemacht,  dass  er  bei  Pippin  in  diesem  Falle 
auch  Entgegenkommen  und  Zustimmung  zu  dem  päpstlichen  Eingriff 
in  fränkisches  Kircheurecht  fand. 

Doch  das  sind  zunächst  allgemeine  Erwägungen  und  Vermuthun- 
gen.  Wir  kehren  zu  unserer  Pippinurkunde  zurück  und  untersuchen 
ihre  individuellen  Bestandtheile  daraufhin,  ob  neben  den  beiden  noch 
im  Original  erhaltenen  Pippiuurkunden  für  Fulda,  Mühlbacher  Nr.  90 
(88)  und  102  (100)  noch  das  einstige  Vorhandensein  einer  dritten  mit 
Noth wendigkeit  anzunehmen  ist.  Des  bedenklichsten  Umstandes  wurde 
bereits  (o.  S.  200)  gedacht ;  das  angebliche  Privileg  entbehrte  einer  eigenen 
Datirung,  dieselbe  ist  von  M.  90  (88)  entlehnt.  Titel,  Signum-  und 
Recognitionszeile  (In  dei  nomine  Baddilo  recognovit  et  (SR.))  ent- 
scheiden nicht  sehr.  Sie  sind  kanzleigemäss,  waren  aber  einem  Fälscher 
im  Kloster  vollkommen  gleichlautend  in  M.  102  (100)  zugänglich,  das 
überhaupt  das  Vorbild  für  Format  und  Schrift  unserer  Urkunde  ab- 
gegeben haben  dürfte  ^). 

Vor  allem  aber  gilt  es,  die  zahlreichen  Zeugeunamen  zu  er- 
klären. Die  Spärlichkeit  ihres  Vorkommens  in  einer  Pippinurkunde 
wurde  bereits  oben  (S.  203)  betont,  ebenso  einzelne  chronologische 
Widersprüche;  aber  für  die  stattliche  Liste  müssen  Quellen  und  Vor- 
lagen irgend  welcher  Art  benutzt  sein.  In  diesem  Zusammenhang  ist 
zunächst  der  ersten  Urkunde  zu  gedenken,  die  Fulda  überhaupt  erhielt, 
der  Besitzzuweisung  des  Majordomus  Karlmann  zur  Klostergründung  v.J. 
744,  Mühlbacher  47  (46),  die  noch  in  den  Fuldaer  Urkuudenverzeich- 
nissen  des  11.  Jahrhunderts  angeführt,  in  den  Codex  Eberhardi  aber 
nicht  mehr  aufgenommen  ist.  Wir  sind  daher  auf  den  Auszug  in 
Eigils  Vita  Sturmi  c.  12  (MG.  SS.  2,  370)  angewiesen,  der  immerhin 
so  reichlich  ist,  dass  er  für  den  Rechtsinhalt  der  Urkunde  einen  aus- 
reichenden, und  selbst  für  gewisse  Schlüsse  auf  Form  und  Fassung 
der  Urkunde  einen  theilweisen  Anhaltspunkt  gewährt:  ,Quo  audito 
(die  vorgetragene  Bitte  des  Bonifatius)  rex  congregans  omnes  prin- 
cipes  palatü  sui  petitionem  episcopi  coUaudans  indicavit  atque  coram 
eis  episcopo    sancto    locum    quem    postulaverat    tradidit    dicens:    locus 


')  MG.  Cupit.  S.  34  f.  ('.  ')  und  10  sichern  gerade  die  Correction.sgewalt 
der  Bischöfe  über  die  Klöster  ihrer  Diöcese  m  bestimmter  Weise. 

-)  Man  vgl.  die  photogra.phisehen  Reproduktionen  beider  Urkunden  in 
Herquets  Specimina. 


Die  Fulclaer  Privilegienfrage.  091 

quidem  quem  petis  et  qui,  ut  asseris,  Eihloha  nuucupatiir,  in  ripa 
fluminis  Fuldae  quidquid  in  Lac  die  proprium  ibi  videor  habere,  totuin 
et  integrum  de  iure  meo  iu  im  domini  trado,  ita  ut  ab  illo  loco  uu- 
dique  in  eireuitu  ab  Oriente  scilicet  et  occidente  a  septentrione  et  me- 
ridie  marcha  per  quatuor  milia  passuum  tendatur.  Porro  rex  iussit 
cbartam  suae  traditiouis  scribi,  quam  ipse  propria  manu  firmavit". 
Pflugk-Harttung  bezeichnet  diese  Urkunde  (a.  a.  0.  S.  233)  als  die 
, wichtigste  aller  Fuldaer  Urkunden".  Mag  dieser  Ausdruck  auch  etwas 
überschwäuglich  sein,  so  lässt  sich  doch  nicht  leugnen,  dass  wir  den 
Verlust  dieser  Urkunde  lebhaft  zu  beklagen  haben,  indem  wir  dort  auf 
das  Gebiet  der  Vermuthung  gewiesen  sind,  wo  uns  ein  sicherer  Aus- 
gangspunkt so  noth  thäte. 

Die  Urkunde  war  für  Bonifatius  ausgestellt  und  trug  die  Nameus- 
fertigung  Karlmanus  in  der  Art  der  Hausmaierurkunde,  das  heisst  in 
der  typischen  Form  der  fränkischen  Privaturkunde,  verbunden  mit  der 
Rogationsklausel,  die  ja  den  in  der  Vita  Sturnii  ausdrücklich  erwähnten 
Beurkundungsbefehl  enthielt;  also  etwa:  Signuui  Karolomanno  maio- 
remdomus  qui  hanc  cartulam  traditionis  scribere  rogavit;  und  sie  tru»- 
wohl  nicht  nur  diese  Unterschrift  allein,  sondern  auch  die  Zeuo-en- 
fertigung  einzelner  der  Grossen,  in  deren  Anwesenheit  nach  dem  Zeugnis 
unserer  Quelle  die  Rechtshandlung  vor  sich  gegaugen  war.  Die  That- 
sache  der  Zeugenführung  und  wohl  auch  einzelne,  vielleicht  ge- 
wichtige Zeugennamen  waren  daher  dieser  Urkunde  zu  entnehmen. 
Betrachtet  man  aber  überhaupt  die  Zeugenreihe  der  Pippinurkunde, 
so  lässt  sich  bei  ihrer  Zusammenstellung,  zunächst  hinsichtlich  der 
geistlichen  Vertreter,  eine  ganz  bestimmte  Tendenz  nicht  verkennen. 
Es  sind  mit  einziger  Ausnahme  des  Priesters  Folcremmus,  über  den 
ich  keinen  Bescheid  weiss,  und  des  Bischofs  Cilimaunus,  auf  den  ich 
noch  zu  sprechen  komme,  die  vertrauten  Schüler  des  Heiligen,  die 
von  ihm  als  Bischöfe  in  den  neu  gegründeten  Sitzeu  bestellt  wurden; 
Burchard  Bischof  von  Würzburg,  für  den  die  Zeugenschaft  in  unserer 
Urkunde  das  letzte  und,  wie  wir  jetzt  wohl  überzeugt  sind,  etwas 
unsichere  Lebenszeichen  bedeutet  i),  der  Priester  Megingauz,  der  nach 
einer  bei  Eckhart,  Gommentarii  1,  524  überlieferten  Grabschnft 
noch  von  Bonifatius  selbst  zu  Burchards  Nachfolger  geweiht 
wurde,  Willibald  von  Eichstädt,  Eobau,  der  als  Chorbischof  den 
letzten  Zug  des  Bonifatius  uach  Friesland  begleitete,  damals 
zum    Bischof   von    Utrecht   bestellt    wurde    und    das    Martyrium    vom 


')  Die  letzte    sichere  Erwähnung  Burchards  liegt  im  Schreiben  des  Papstes. 
Zacharias  v.  J.  748,  MG.  Ep.  3,  362  Nr.  82  vor. 


222  ^^'  Tan  gl. 

5.  Juni  754  (55)  theilte  i),  Lull,  der  Nachfolger  des  Bonifatius  in 
Mainz  und  schon  zu  dessen  Lebzeiten  zum  Chorbischof  bestellt^).  Indem 
ich  nun  zu  den  Laien  übergehe,  fällt  mir  ausser  dem  oben  (S.  204) 
schon  gewürdigten  in  Königsurkunden  beispiellosen  und  auch  in  Privat- 
urkunden nur  aus  Fulda  belegbaren  Titel  praefectus  ^^  coraes  doch  noch 
das  Weitere  auf,  dass  die  Namen  der  Grafen,  nur  mit  theilweiser 
Aenderung  der  Namensformen,  in  gleicher  Reihenfolge  in  einem  Schreiben 
des  Papstes  Zacharias  an  Bonifatius  v.  J.  748  wiederkehren:  MG. 
Ep.  3,  364  Nr,  83:  Throando,  .  .  Liutfrido  .  .  .  Rantulfo  (in 
unserer  Urkunde  Hrunzolfi)  .  .  .  Roggoni  (Hroggonis)  3).  Die  drei 
titellosen  Laien,  Orentil,  Thacholf  und  Wiching,  sind  in  Fulda  bekannte 
und  in  den  Zeugenreihen  der  Fuldaer  Urkunden  wiederholt  begegnende 
Namen  ^).  Wir  gelangen  endlich  zum  räthselhaften  Bischof  Cilimann, 
mit  dem  noch  niemand  etwas  rechtes  anzufangen  wusste  ^).  Auch  ich 
kann  hier  nur  eine  ganz  uuerweisbare  Vermuthung  aussprechen.  Der 
Name  ist  in  dieser  Form  ein  ünicum,  er  ist  weder  deutsch  noch 
angelsächsisch  6),  und  in  den  Bischofslisten  der  Zeit  fahndet  man  nach 
einem  nur  halbwegs  ähnlich  klingenden  Namen  ganz  vergeblich. 
Meines  Erachtens  liegt  eine,  und  zwar  wahrscheinlich  arge,  Verderbung 
eines  aus  einer  Vorlage,  vielleicht  der  Karin] ann-Urkunde,  über- 
kommenen Bischofsnamens  vor.  Sieht  man  in  den  geistlichen  Zeugen 
den  Kreis  der  engeren  Anhänger  des  Bonifatius  vereinigt,  so  fehlen 
aus  der  Reihe  der  nächsten  Mitarbeiter  noch  zwei:  die  von  Bonifatius 
bestellten  Bischöfe  von  Erfurt  und  Büraburg.  Der  Name  des  ersteren 
ist  uns  überhaupt  nicht  sicher  überliefert:    Hauck  vermuthet,    dass  es 


')  Vgl.  über  ihn  Hauck.  KG.  Deutschlands-  1.  573. 

'^)  Die  Bischofswürde  Lulls  noch  zu  Lebzeiten  des  Bonifatius  ist  sichergestellt 
durch  Nr.  93  der  Bonifatiusbriefe  MG.  Ep.  3.  380,  von  Dümmler  in  das  Jahr 
753—54  gesetzt),  in  welchem  der  Heilige  den  Abt  Fulrad  von  St.  Denis  um 
Fürsprache  bei  Pippin  für  seine  Schüler  bittet,  besonders  auch  um  Anerkennung 
4es  »Chorbischofs*  Lull  als  seiaes  Nachfolgers  in  Mainz:  ,Ut  filiolum  meum  et 
corepiscopum  Lullura  .  .  .  in  hoc  ministerium  populorum  et  ecclesiarum 
componere  et  constituere  faciatis  praodicatorem  et  doctorem  presbiterorum  et 
populorum. 

s)  Wahrscheinlich  sind  es  vier  Grafen  der  östl.  Gaue.  Throand  ist  der 
Gründer  des  Klosters  Holzkirchen,  Dronke  CD.  33  Nr.  51. 

^)  Orentil  nachweisbar  zwischen  782—825.  Dronke,  CD.  Nr.  124,  230  (a.  806), 
323.  397,  463.  Thacholf.  a.  a.  0.  Nr.  507.  509.  577  und  iF.  Wiching  a.  a.  0. 
Nr.  232  in.  806)  300,  319.  378  und  fi'. 

*)  Pflugk-Harttung  a.  a.  0.  237  A.  3  rieth  auf  den  der  Namensform  und 
aucb  der  Beziehung  nach  allerdings  naheliegenden,  der  Zeit  nach  aber  völlig' 
unvereinbaren  Kilian  von  Würzburg. 

"i  Nach  gütiger  Mittheilung  Prot.  Brandls. 


Die  Fuklaer  Privilegienfrage.  223 

der  als  Theilnehnier  an  der  fränkischen  Synode  vom  April  742  ge- 
nannte Bischof  Dadanus  gewesen  sei  i),  während  Frühere  iu  diesem 
einen  Bischof  von  Utrecht  sahen.  Die  Möglichkeit,  unsern  Cilimann,  wobei 
noch  immer  Entstellung  des  Namens  wahrscheinlich  wäre,  hier  unter- 
zubringen, wäre  also  nicht  ausgeschlossen.  Die  andere  Möglichkeit 
wäre,  in  ihm  den  Bischof  Witta  von  Büraburg  zu  sehen,  der  in  den 
Handschriften  der  Kapitularien  und  Bonifatiusbriefe  in  mehrfachen 
und  zum  Theil  bereits  arg  entstellten  Namensformen  erscheint  als 
,Üuiutanus,  Huuitanus,  Huuinanus,  Guintanus,  Witztanus".  Die  An- 
nahme einer  weitergehenden  Verderbung  zu  Cilimannus  würde  zwar,  wie 
ich  zugestehe,  jede  paläographische  Wahrscheinlichkeitsrechnung  über- 
schreiten; allein  bis  zur  Unkenntlichkeit  reichende  Entstellungen  von 
Personen-  und  Ortsnamen  sind  eben  thatsächlich  zu  Hunderten  vor- 
gekommen. Wir  sehen  auch  bei  den  Zeugennamen,  dass  der  scheinbar 
individuellste  Theil  unserer  Urkunde  in  Fulda  entstehen  konnte,  ohne 
Benützung  einer  gleich  oder  ähnlich  lautenden  Pippinurkunde, 

Was  bleibt  nach  allen  bisherigen  Ausführungen  von  der  Pippin- 
urkunde überhaupt  noch  übrig?  Nichts  als  die,  wie  zugestanden 
werden  muss,  gewandt  stilisirte  aber  in  ihrer  Fassung  als  directe 
Anrede  der  Königsurkunde  ebenfalls  widersprechende  Narratio,  die 
überdies  durch  die  Unvereinbarkeit  des  Zusatzes  ,beatae  memoriae" 
zu  Karlmaiiu  mit  Bonifatius  als  Urkundenempfänger  die  Unmöglich- 
keit ihres  so  gearteten  Entstehens  in  der  Kauzlei  Pippins  deutlich 
verräth,  und  ein  paar  selbständige  Wendungen  zu  Beginn  der  Dispo- 
sitio,  von  denen  ich  das  „ob  horera",  wie  schon  erwähnt,  eher  für  ein 
verschriebenes,  unkauzleimäsbiges  „honorem"  als  für  ein  verlesenes, 
kanzleimässiges  „amorem"  halte,  während  die  Erwähnung  des  „con- 
sensus  episcoporum  ceterorumque  fidelium'"  entweder  mit  Rücksicht  auf 
die  anzufügende  Zeugenliste  frei  eingefügt,  oder  aber  der  verlorenen 
Karlmannurkunde,  dessen  Schenkung  ,in  Gegenwart  von  fränkischen 
Grossen"   erfolgte,  entnommen  wurde. 

Nach  allem  verwerfe  ich  die  Pippinurkunde  nicht  nur  iu  der  vor- 
liegenden Gestalt,  sondern  ich  sehe  auch  keine  Nöthigung,  an  ihrer 
statt  den  einstigen  Bestand  einer  echten  Königsurkunde  gleichartigen 
Inhalts  annehmen  zu  müssen  ^). 


')  KG.  Deutschlands  2  1,  505  Anm.  1. 

2)  In  diesem  Punkte  gehe  ich  über  Mühlbacher  hinaus,  der  in  der  Neu- 
auflage der  Regesten  Nr.  72  zwar  bereits  alle  Verdachtsgründe  gegen  die  Ur- 
kunde zusammenfasste,  aber  doch  zugestand,  daes  »der  wesentliche  Inhalt,  Be- 
stätigung  des    echten  Privilegs  des  Papstes  Zacharias,   auf  eine   gewisse  Glaub- 


224  M.  Tangl. 

Bei  dem  Fuldaer  Privileg  war  thatsächlich  Fäl- 
schung mit  im  Spiel,  deren  Tendenz  dahin  ging,  die  ein- 
seitige Privilegirung  des  Klosters  durch  den  Papst 
durch  nachträgliche  Schaffung  einer  königlichen  Pri- 
vilegienbestätigung zu  vervollständigen. 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus,  der  sich  uns  aus  der  bisherigen 
Untersuchung  aufdrängte,  betrachtet,  tritt  der  Streit  zwischen  Bischof 
Lull  von  Mainz  und  Abt  Sturm  von  Fulda  und  die  Parteistellung, 
die  Pippin  in  demselben  einnahm,  in  neues  und,  wie  ich  glaube,  erst 
in  das  rechte  Licht.  Unter  diese  seine  Lieblingsschüler  hatte  der 
Heilige  das  Erbe  seines  bischöflichen  Amtes  und  seines  mönchischen 
Ideals  getheilt.  Aber  schon  an  seiner  offenen  Bahre  entfachte  die 
Eifersucht  um  den  Besitz  der  Gebeine  des  Märtyrers  den  ersten  Streit, 
der  wenige  Jahre  später  zum  erbitterten  Entscheidungskampf  an- 
schwoll. Ueber  Veranlassung  und  Verlauf  des  Streites  besitzen  wir 
bekanntlich  nur  den  einseitigen  und  parteiischen  Bericht  Eigils  in  der 
Vita  Sturmi.  Nach  ihm  war  Lulls  Vorgehen  durch  Eifersucht  auf  die 
erfolgreiche  Missionsthätigkeit  Sturms  hervorgerufen.  Viel  wahrschein- 
licher drehte  sich  der  Streit  um  die  exemte  Stellung  Fuldas,  aus  der 
Sturm  bei  dieser  seiner  Thätigkeit  unter  dem  steigenden  Widerspruch 
Lulls  die  ersten  prciktischen  Folgerungen  zu  ziehen  suchte  i).  In 
diesem  Stadium  fand  Lull  Buudesgeuossen  im  Kloster  selbst;  drei 
Mönche  erschienen,  seiner  Unterstützung  sicher,  bei  Pippin  und  ziehen 
ihren    Abt    königfeindlicher    Gesinnung  ^).     In    doppelter    Weise    griff 


Würdigkeit  Anspruch  machen  könnte*.  Pflugk-Harttung  lässt  es  S.  223  ungewiss, 
ob  Pippin  eine  Bestätigung  des  Papstprivilegs  ertheilte. 

')  In  diesem  Sinne  Hauck,  KG.  Deutschlands  2,  54 — 55.  besonders  55  A.  2 : 
j,Sie  arbeiteten  in  seinem  ßisthum,  ohne  ihm  irgendwie  verantwortlich  zu  sein. 
Eben  strebte  man  die  unkontroUirbare  Thätigkeit  der  Wanderbischöfe  und 
fremden  Priester  zu  beseitigen;  durchbrach  nicht  das  Thun  der  Mönche  die 
Ordnung  im  Bisthum  in  weit  bedenklicherer  Weise?  Hier  war  ein  sachlicher, 
nicht  ein  persönlicher  Gegensatz  gegeben*.  Hahn,  Bonifaz  und  Lull.  S.  266  lässt 
es  noch  fraglich  erscheinen,  ob  sich  der  Streit  um  die  Immunität  des  Klosters 
vom  Sprengelbischof  drehte,  oder  ob  Lull  »als  Erbe  und  Lieblingsschüler  des 
Bonifaz  es  gewissermassen  als  seinen  Besitz  und  sich  zur  Verwaltung  desselben 
als  berechtigt  gehalten  habe*.  Allein  Bonifatius  selbst  wird  darüber,  dass  die 
patriarchalische  Stellung,  die  er  durch  seine  Persönlichkeit  und  vor  allem  auch 
als  Gründer  des  Klosters  einnahm,  auf  seinen  Nachfolger  in  Mainz  nicht  über- 
zugehen habe,  seine  beiden  Schüler  wohl  kaum  in  Zweifel  gelassen  haben ;  er 
hätte  sich  sonst  die  ganzen  Bemühungen  um  das  Exemtionsprivileg  sparen  müssen. 

-)  Vita  Sturrai  c.  16  MG.  SS.  2,  373  ,in  Lulli  episcopi  suffragium  confisi 
perrexerunt  ad  regem  et  beatum  virum  apud  illum  accusabant,  crimen,  nescio 
quod,  de  inimicitia  regis  obicientes  ei. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  225 

daraufhin  Pippin  ein,  indem  er  Sturm  nach  Juniieges  verbaunte  und 
das  Kloster  Fulda  an  Bisehof  Lull  von  Mainz  vergabte  i).  Gründlicher 
konnte  mit  der  Exemtion  Fuldas  nicht  aufgeräumt  werden!  Das  kühne 
Zuschreiten  Lulls  auf  das  ihm  vorschwebende  Ziel  erklärt  sich  nur 
dadurch,  dass  er  sich  in  der  Frage  der  Klosterpolitik  mit  seinem 
König  im  voraus  eines  Sinnes  wusste,  und  auch  Pippins  Partei- 
nahme wird  verständlicher,  wenn  er  bis  dahin  freie  Haud  hatte  und 
nicht  zunächst  seine  eigene  Privilegienbestätigung  zu  verleugnen 
brauchte.  Unbegreiflich  findet  Pflugk-Harttung  (a.  a.  0.  S.  260)  die 
Haltung  des  Fuldaer  Convents  in  diesen  und  den  folgenden  Kämpfen, 
wenn  er,  ein  päpstliches  Exemtionsprivileg  in  Händen,  davon  nicht 
Gebrauch  machte.  Ich  möchte  gar  nicht  zweifeln,  dass  Abt  Sturm  selbst 
gleich  zu  Beginn  des  Zwistes  mit  Lull  sich  auf  das  Zachariasprivileg 
berief.  Entscheidend  aber  war,  ob  der  König  dieses  Privileg  bestätigt 
und  damit  anerkannt  hatte  oder  nicht.  In  letzterem  Fall  konnte 
gerade  die  Geltendmachuug  eines  solchen  Privilegs  den  König  erst 
recht  reizen,  vielleicht  wesentlich  mit  zur  Verbannung  Sturms  und 
zur  Auslieferung  des  Klosters  an  Lull  beitragen. 

Lull  nützte  seine  neue  Stellung  sofort  in  vollem  Umfang  aus, 
ernannte  in  Fulda  einen  ihm  ergebenen  ünterabt  und  schaltete  frei 
über  das  Klostervermögen  -).  Als  jedoch  die  Fuldaer  Mönche  in  ihrer 
Treue  zu  ihrem  alten  Abt  verharrten,  den  ihnen  aufffedrunsfenen  aber 


•)  Vita  Stuvmi  c.  17  »Lullus  interim  obtiuuit  apud  Pippinum  regem,  munei'a 
iuiuste  tribuendo,  ut  monasterium  Fulda  in  suum  dominium  donaretur*.  Die 
Chronologie  dieser  Ereignisse  ist  durcli  üelsuer  (a.  a.  ü.  S.  516)  endgiltig  für 
die  Zeit  von  7f)3— 765  festgestellt.  Da  die  Verbannung  Sturms  in  demselben 
Jalir  763  erfolgte,  in  vsrelchem  während  des  Aquitanischen  Feldzugs  Thassilo 
von  ßaiern  das  Frankenheer  verliess  und  sich  damit  von  der  Oberhoheit  Pippins 
lossagte,  so  verdient  bei  der  bajuvarischen  Herkunft  Sturms  die  übereinstimmende 
Vermuthung  von  Oelsner,  Hahn  und  Hauck.  dass  Sturm  des  Einverständnisses 
mit  dem  Baiernherzog  beschuldigt  worden  sei,  allerdings  Beachtung. 

2)  In  diese  Zeit  fallen  die  beiden  Kaufverträge  mit  dem  Grafen  Leidrat, 
Dronke  S.  16  Nr.  26  und  S.  6  Nr.  8:  der  erstere  ist  datirt:  V.  kal.  Septembris 
anno  XH.  Pippini  regis,  der  letztere  IL  kal.  Septembris  anno  IL  Pippiui  regis. 
Indem  die  zweite  Urkunde  vom  »sanctus  Bonifatius  martyr"'  spricht,  dieser  aber 
im  zweiten  Kegierungsjahr  Pippins  (753)  noch  lebte,  zwingt  sie  zur  Verbesserung 
des  Datums,  und  die  Gleichheit  von  Aussteller,  Empfänger,  Ort,  Notar  und  zweien 
Zeugen  sowie  das  nahezu  gleiche  Tagesdatum  mit  der  ersten  Urkunde  sichern 
zugleich  die  Art  der  Emendation;  es  ist  bei  den  Regierungsjahren  einfach  eine  X 
zu  ergänzen.  So  bereits  Sickel  S.  635  A.  Da  Gegenbauer  (a.  a.  0.  S.  28)  um- 
gekehrt in  der  ersten  Urkunde  die  X  strich  und  die  beiden  Urkunden,  verleitet 
durch  Dronke,  irrig  zum  31.  August  755  (statt  753)  einreihte,  fällt  damit  die 
wesentlichste  Stütze  seines  Versuchs,  die  Verbannung  Sturms  in  die  Zeit  von 
758—760  zu  setzen. 

Mittheilungen  XX.  15 


226  ^^-  Tan  gl. 

verjagten  uud  sich  gegen  seine  Wiedereinsetzung  eiiimüthig  wehrten, 
da  lenkte  zunächst  Lull  ein,  indem  er  den  Mönchen  freie  Abtwahl  zu- 
gestand, und  bald  auch  der  König,  indem  er  Sturm  aus  Jumieges  an 
den  Hof  berief,  ohne  ihn  hier  jedoch  persönlichen  Verkehrs  zu  wür- 
digen. Es  folgte  nun  zunächst  bei  zufälliger  Begegnung  in  der  Pfalz- 
kapelle die  Aussöhnung  Pippins  mit  Sturm  und  bald  darauf  auf  die 
Bitten  der  Fuldaer  Mönche  die  Wiedereinsetzung  Sturms  in  seine 
Würde.  Bei  diesem  Anlass  geschieht  in  unserer  Quelle  der  Privile- 
gieufrage  zum  erstenmal  Erwähnung:  Vita  Sturmi  c.  19  (SS.  2,  375): 
.Post  uon  multum  temporis  spatium  rex  vocari  ad  se  Sturmem  iussit 
eique  monasterium  Fuldae,  quod  prius  habuit  ad  regendum,  commen- 
davit  absolutumque  ab  omni  dominio  Lulli  episcopi  ad  cenobium  Fuldae 
eum  cum  omni  honore  ire  praecepit,  et^)  cum  suo  privilegio. 
quod  beatus  Zacharias  {)apa  summus  apostolicae  sedis 
pontifex  dudum  sancto  tradidit  Bouifacio,  monasterium 
reger  et,  quod  Privilegium  usque  hodie  in  monasterio  fratres  conser- 
vatum  habeut;  quod  etiam  causam  suam  et  monasterii  de- 
fensionem  a  uullo  alio  quaereret  nisi  a  rege  imperavit. 
Accepta  a  doraiuo  rege  potestate  cum  privilegio  supradicto, 
quod  de  manu  regis  acceperat,  ad  suum  perrexit  coeno- 
bium-.  Die  Stelle  ist  mehrfach  und  widersprechend  gedeutet.  Haben 
wir  unter  der  Urkunde,  die  Sturm  nach  Eigils  Berieht  aus  den  Händen 
Pippins  entgegennahm,  eine  Papst-  oder  eine  Königsurkunde  zu  ver- 
stehen V  Für  letztere  entscheiden  sich  Oelsner  und  Gegenbauer;  sie 
sehen  in  ihr  eine,  und  zwar  nun  schon  die  zweite,  königliche  Bestä- 
tio-ung  des  Zachariasprivilegs,  Oelsner  ein  nicht  mehr  erhaltenes 
Diplom  2),  Gegeubauer  (a.  a.  0.  S.  29)  die  uns  im  Original  vorliegende 
iSeuausfertigung  des  nicht  mehr  erhaltenen  ersten  Privilegs.  Oelsner 
schafft  ohne  zwingenden  Grund  ein  nirgends  erweisbares  Zwischen- 
ghed,  Gegenbauers  Annahme  ist  vollends  hinfällig,  da  die  Anforderungen, 
die  wir  an  Originalität,  Echtheit  und  Kanzleimässigkeit  stellen  müssen, 
sich  für  753  oder  760  vollkommen  gleich  bleiben,  die  erhaltene  Pippin- 
urkunde  denselben  aber  für  jedes  beliebige  Kegierungsjahr  gleich 
schlecht  genügt.  Da  Sturms  Begnadigung  überdies  gar  nicht  in  das 
Jahr  760  fällt,  verliert  Gegenbauers  Erklärungsversuch  auch  noch  den 


')  Zu  erwarten  wäre  »ut". 

-)  A.  a.  0.  S.  391  iWenu  Eigil  erzählt,  dass  Sturm  dies  Privileg  von  der 
Hand  des  Königs  empfangen,  so  ist  damit  wohl  ein  neuer  Erlass  des  Königs 
gemeint,  in  welchem  jene  päpstliche  Bulle,  wie  einst  im  J.  753,  bestätigt  und 
bekräftigt  wurde  ....  Das  neue  Schreiben  Pippins  ist  freilich  nicht  mehr  vor- 
handen*. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  227 

letzten  Schimmer  von  Möglichkeit.  Mit  vollem  Recht  sind  dem  gegen- 
über Sickel  (a.  a.  0.  S.  633  f.)  und  Pflugk-Harttung  (a.  a.  0.  S.  261) 
■dafür  eingetreten,  dass  Sturm  damals  —  die  Richtigkeit  von  Eigils 
Bericht  vorausgesetzt  —  aus  den  Händen  Pippins  die  Zachariasurkunde 
erhalten  habe.  Wie  aber  war  sie  in  Pippins  Hände  gelaugt  i)  ?  Meines 
Erachten s  gibt  es  dafür  nur  zwei  Erklärungen:  die  ungleich  wahr- 
scheinlichere dürfte  die  sein,  dass  Lull  bei  Antritt  seiuer  Herrschaft 
vor  allem  auch  die  wichtigste  Urkunde  an  sich  nahm,  um  sie  dann, 
als  er  durch  die  Verhältnisse  zum  Verzicht  auf  seine  Ansprüche  ge- 
zwungen war,  mit  dem  Anrecht  auf  Fulda  überhaupt  dem  König  aus- 
zuliefern -) ;  viel  minder  wahrscheinlich  dünkt  mich  die  andere  Mög- 
lichkeit, dass  die  Gesandtschaft  des  Fuldaer  Couvents  bei  der  Bitte  um 
die  Kückberufung  Sturms  das  Privileg  an  den  Hof  brachte. 

Pippin  gab  die  Urkunde  zurück,  fügte  aber,  ohne  selbst  eine 
Urkunde  auszustellen  3),  den  sehr  bezeichnenden  mündlichen  Auftrag 
bei.  Recht  und  Schutz  fortan  nirgends  anders  als  bei  der  Person  des 
Königs  zu  suchen.  Auch  dieser  Satz  ist  verschiedenartig  gedeutet. 
Sickel  (a.  a.  0.  S.  635)  setzt  den  Ausspruch  in  Gegensatz  zum  Domi- 
nium Lulls,  von  dem  das  Kloster  für  alle  Folgezeit  befreit  sein  sollte, 
nach  Pflugk-Harttuug  (a.  a.  0.  S,  261)  machte  Pippin  Fulda  damit 
„aus  einem  bischöflichen  zu  einem  königlichen  Kloster-,  nach  Hauck 
(KG.  2,  56)  wahrte  er  seinen  königlichen  Standpunkt  gegenüber  der 
durch  päpstliches   und    königliches  Privileg   gewährleisteten    und    nun 


*)  Auch  Pflugk-Harttung,  S.  260  A.  2  bezeichnet  dies  als  »befremdlich*, 
ohne  einen  besimmten  Erklärungsversuch  auszusprechen. 

')  Uebergabe  der  Rechtstitel  des  Besitzes  zugleich  mit  dem  Besitze  selbst 
darf  wohl  als  allgemeiner  Rechtsbrauch  bezeichnet  werden.  So  wanderten, 
um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  die  gesammten  älteren  Urkunden  von  Krems- 
müuster  im  10.  Jahrhundert  nach  Passaii.  Wenn  das  Zachariasprivileg  durch 
einige  Zeit  in  Mainz  war,  dann  könnte  sich  aber  auch  die  Entstehung  der  jetzigen 
Münchener  Hs.  der  Bonifatiusbriefe  Nr.  8112  (s.  o.  S.  207  f.)  in  Mainz  sowie  die 
Aufnahme  der  echten  Fassung  unserer  Urkunde  in  dieselbe  erklären,  während 
man  in  Fulda  später  nur  die  Ueberarbeitung  kannte. 

3j  Dass  Eigil  ein  Urkunden  vonseite  Pippins  hier  nicht  im  Auge  hat,  geht 
deutlich  daraus  hervor,  dass  er  nur  von  einem  mündlichen  Auftrag  spricht, 
während  er  bei  Ei-wähnung  der  ersten  Besitzzuweisung  Karlmanns  M.  47  {46)  und 
der  Schenkung  Umstadts  durch  Pippin  M.  102  (100)  die  Niederschrift  der  be- 
treffenden Ui-kunden  ausdrücklich  hervorhebt.  C.  12  »porro  rex  iussit  chartam 
suae  traditionis  scribi*,  und  c.  21  »atque  per  conscriptam  chartam,  sicut  mos 
fuit,  firmaret.  Eigil  spricht  überhaupt  durchaus  nur  von  einem  Privilegium, 
dem  des  Papstes  Zaeharias,  was  ich  sehr  wesentlich  zu  Gunsten  meiner  Auf- 
fassung, dass  nur  dieses,  nicht  auch  eine  königliche  Bestätigung  desselben  be- 
standen habe,  in  Anspruch  nehme. 

15* 


228  M.Tang]. 

auch  thatsäclilich  wieder  in  Kraft  tretenden  Exemtion  i).  Eine  Wah- 
rung des  königlichen  Staudpunktes  sehe  auch  ich  in  dem  Auftrag, 
aber  nicht  eine  widerspruchsvolle  gegenüber  der  einstigen  eigenen 
Entscheidung,  sondern  eine  durch  nichts  prueiudicirte  gegenüber  dem 
päpstlichen  Privileg.  Die  schliessliche  Lösung  entsprach  auch  hier 
einem  Compromiss.  Pippin  gab  zwar  das  päpstliche  Privileg  heraus, 
brach  ihm  aber  in  einem  wesentlichen  Punkte  die  Spitze  ab,  indem 
er  anstatt  des  päpstlichen  Schutzes,  dem  Fulda  durch  Papst  Zacharias 
unterstellt  war,  den  königlichen  setzte. 

Von  dieser  Stelle  Eigils  nimmt  Pflugk-Harttung  (a.  a.  0.  S.  261  f.) 
auch  den  Ausgangspunkt  zur  Erörterung  über  Grund  und  Zeit  der 
von  ihm  angenommenen  Fälschungen.  Nach  ihm  hatte  Papst  Zacharias 
ja  kein  volles,  sondern  ein  durch  die  Wahrung  der  bischöflichen  Ge- 
rechtsame eingeschränktes  Exemtion  sprivileg  ertheilt.  Dieses  hatte 
sich,  wie  der  Erfolg  lehrte,  als  unwirksam  erwiesen,  und  so  gieng 
man  unter  dem  Eindruck  des  langen  und  gefahrvollen  Streites  mit 
Lull  daran,  sich  unter  Herbeiziehung  des  Liber  Diurnus  ein  oder  zwei 
entsprechend  überarbeitete  Zachariasurkunden  anzufertigen:  „Die  Ur- 
kunde, die  Eigil  sah,  wird  eben  die  überarbeitete  gewesen  sein,  und  sehr 
wohl  ist  es  möglich,  dass  schon  Sturm  sie  mitbrachte;  möglich  aber 
auch,  dass  sie  erst  in  der  nächsten  Folgezeit  in  Fulda  selber  erwuchs, 
es  nur  ein  gern  geglaubtes  Gerücht  war,  Sturm  habe  sie  bereits  au& 
der  geweihten  Hand  des  Königs  empfangen.  Sogar  auch  das  ist  zu- 
lässig, dass  Eigil  von  der  Art  ihrer  Entstehung  gewusst  hat  und  er 
ihre  Erwähnung  in  der  Vita  Sturmi  als  Sicherung  derselben  aufiassts .  .  . 
Aus  demselben  Bestreben,  aus  welchem,  unserer  Ansicht  nach,  das 
Diplom  des  Zacharias  und  vielleicht  die  betreffende  Darstellung  Eigils 
hervorgieng,  wird  auch  die  Bestätigungsurkuude  Pippins  entstanden  sein ". 

Ich  hatte  schon  oben  (S.  209  ff.i  auszuführen,  dass  ich  Pflugk- 
Harttuugs  Anschauungen  über '  die  Fälschung  des  Zacharias-Privilegs 
nicht  theile;  aber  eine  spätere  Ueberarbeitung  und  Verunechtung  an 
anderer,  von  ihm  für  echt  gehaltener  Stelle  nehme  auch  ich  an  und 
in  der  Annahme  der  Fälschung  der  Pippinurkunde  stimme  ich  ihm 
zu.  Auch  ich  habe  daher  meine  Ansicht  über  Art  und  Eutstehuugs- 
zeit  dieser  Fälschungen  zu  äussern  und  zu  begründen.  Ich  wende 
mich  zu  diesem  Zweck  den  Nachurkunden  zu,  erst  den  päpstlichen, 
dann  den  köuitjlichen. 


')  Mit  Recht  sielit  Hauck  in  der  bald  darauf  erfolgten  Gründung  Hersfelds 
duicli  Lull  ein  .Trutzfulda";  wenn  er  aber  weiter  aus  Dronke  46  Nr.  75  schliesst, 
dass  Lull  sich  später  dem  Kloster  Fulda  wieder  freundlich  erwiesen  habe,  so 
muss  ich  bemerken,  dass  ich  diese  Urkunde  für  eine  Fälschung  halte. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  229 

Bekanntlicli  wurde  das  Zacharias-Privileg  von  den  Päpsten  des 
y.,  10.,  11.  und  auch  noch  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts 
in  fast  ununterbrochener  Reihe  theils  vollkommen  gleichlautend,  theils 
mit  Zusätzen,  Veränderungen  und  auch  Einschränkungen  bestätigt; 
diese  Bestätigungen  folgen  sich  zu  gewissen  Zeiten  so  rasch,  dass  sie 
von  jedem  neuen  Abt  und  bei  jedem  neuen  Papst  eingeholt  wurden. 
Pflugk-Harttung  hat  ihrer  kritischen  Würdigung  einen  namhaften 
Theil  seines  Buches  (S.  359 — 513)  mit  wechselndem  Geschick  und 
Glück  gewidmet,  und  sich,  wie  ich  hervorheben  muss,  durch  umfassende 
Heranziehung  neuen  handschriftlichen  Materials  ein  bleibendes  Ver- 
dienst erworben.  Es  ist  hier  weder  meine  Absicht  noch  durch  den 
Zweck  meiner  Abhandlung  geboten,  ihm  auf  der  ganzen  langen  Reihe 
zu  folgen.  Es  genügt,  soweit  vorwärts  zu  schreiten,  bis  es  gelingt, 
festen  Boden  und  damit  auch  bestimmte  Rückschlüsse  für  die  uns 
beschäftigende  Frage  zu  gewinnen. 

Die  Ueberlieferung  dieser  ürkundenreihe  ist,  wie  schon  von  Ver- 
schiedenen hervorgehoben  wurde,  nicht  die  allerbeste.  Erst  mit  der 
Privilegienbestätiguug  durch  P.  Benedikt  VIII.  vom  Jahre  1024  setzt 
die  erste  Originalurkunde  ein,  im  10.  Jahrhundert  ist  noch,  was  Pflugk- 
Harttung  übersah,  die  Thatsache  der  Privilegienbestätigung  durch  Ma- 
rinus  IL  durch  ein  königliches  Origiualdiplom  (DO  I.  55)  gedeckt;  für 
alles  andere  sind  wir  auf  abschriftliche  ueberlieferung  angewiesen, 
darunter  für  einen  bedeutenden  Bruchtheil  auf  die  berüchtigten  Texte 
des  Codex  Eberhardi  i). 

Ehe  wir  an  die  Beurtheilung  des  einzelnen  schreiten,  wird  es  sich 
vielleicht  empfehlen,  uns  einen  allgemeinen  Grundsatz  für  die  Beur- 
theilung klar  zu  machen.  Wir  finden  die  Vorlagen  oft  mehr  oder 
minder  gründlich  und  wiederholt  wörtlich  ausgeschrieben.  Diese  üeber- 
einstimmuug  war  in  Rom  und  Fulda  gleich  sicher  zu  erreichen,  sie 
ist  daher  für  die  Wertschätzung  der  Einzelurkunden  ziemlich  belanglos. 
Das  Schwergewicht  fällt  durchaus  darauf,  ob  die  individuellen 
Theile  jeder  einzelnen  Urkunde  der  Kritik  stand  halten.  Von  diesem 
Gesichtspunkt  betrachtet,  ist  es  gerade  mit  den  nächsten  Nachfolgern 
des  Zacharias-Privilegs  mit  am  schlimmsten  bestellt. 


1)  Hier  ist  überdies  nocli  eines  zu  scheiden.  Es  war  bereits  bekannt  und 
ist  durch  Pflugk-Harttung  im  einzehien  erwiesen,  dass  sich  die  Texte  der  Papst- 
urkunden im  Cod.  Eberhardi  in  zwei  unmittelbar  aufeinander  folgende  Serien 
von  sehr  verschiedenem  Werte  gliedern ;  während  die  Eintragungen  der  Serie  I 
leidlich  zuverlässig  sind,  wimmeln  die  in  Serie  H  von  Interpolationen  und  freie  i 
Erßndungen.  Die  groben  Fälschungen  sind  nur  in  dieser  zweiten  Reihe  unter- 
gebracht. 


230  ^-  Tang]. 

Das  angebliche  Privileg  Stefans  II.  für  Sturm  JE -[-2319,  be- 
zeichnete Sickel  (a.  a.  0.  613  A.  -J)  als  unter  allen  Fuldaer  PapstbuUeu 
um  ihres  Inhaltes  und  Stiles  willen  am  meisten  verdächtig  uud  als 
ganz  zu  verw^erfen ;  letzteres  ist  denn  auch  von  der  bisherigen  Kritik 
mit  seltener  Einmüthigkeit  besorgt  worden.  Die  Urkunde  ist  nur  bei 
Ebeihard  und  nur  in  der  zweiten  Serie  mitten  in  schlechter  Gesell- 
schaft überliefert;  sie  will  an  Sturm,  aber  noch  bei  Lebzeiten  des 
h.  Bonifatius,  erlassen  sein,  wiederholt  die  Fassung  B  des  Zacharias- 
Privilegs,  vermehrt  durch  Zusätze,  deren  Quellen,  wie  Pflugk-Harttung 
(a.  a.  0.  S.  364)  nachwies,  bis  in  das  11.  und  12.  Jahrhundert  herab- 
reichen, und  deren  endgiltige  Redaction  wohl  erst  Eberhards  eigenes 
Werk  ist,  und  schliesst  mit  der  unrichtigen  und  für  Pai)sturkunden 
dieser  Zeit  unmöglichen  und  sinnlosen  Datirung:  „Data  YII.  kal.  Mai. 
indictione  XII,  Stephano  papa  IL  imperaute  Pippino  IL"  Wir  haben 
es  hier  mit  einem  Machwerk  plumper  Art  zu  thun,  das  in  späterer 
Zeit  und  ohne  echte  Vorlage  entstanden  ist. 

Nicht  viel  besser  steht  es  mit  dem  angeblichen  Privileg  Hadrians  I. 
für  Abt  Baugulf,  JE  -j-  2444,  das  ebenfalls  nur  in  der  zweiten  Serie 
des  Cod.  Eberhardi  überliefert  und  nach  dem  erst  seit  Gregor  IV.  be- 
stimmt nachweisbaren  Formular  gearbeitet"  ist,  indem  es  bereits  die 
Klausel  von  der  Wahrung  der  Rechte  des  Diöcesaubischofs  enthält; 
gegen  Ende  des  Coutextes  ist  der  specifisch  Eberhardische  Hospitale- 
Passus  eingeschoben;  den  Schluss  bildet  eine  bis  auf  das  unmögliche 
, actum  Lateranensi  palatio"  in  der  Fassung  ziemlich  kanzleigemässe, 
aber  unvollständige  Scriptum-  und  Datumzeile  .Scriptum  per  manuiii 
Romani  notarii  atque  scriuiarii  apostolice  sedis  mense  Julio,  indic- 
tione VII.  Actum  Lateranensi  palatio.  Datum  per  mauum  Stephani 
primiscrinii.  Die  Xamen  der  ])eiden  Beamten  lassen  sich  weder  in  Ur- 
kunden Hadrians  I.,  deren  Überlieferung  in  dem  Punkte  äusserst  dürftig 
ist,  noch  in  anderen  Papsturkunden  für  Fulda  nachweisen,  es  lässt  sich 
daher  weder  behaupten,  dass  sie  richtig,  noch  dass  sie  aus  einer  be- 
stimmten anderen  Urkunde  entlehnt  sind.  Pflugk-Harttung  lässt  es 
unentschieden,  ob  es  eine  echte  Urkunde  Hadrians  I.  für  Fulda  ge- 
geben hat.  Auch  ich  halte  mit  meinem  endgiltigen  Urtheil  vorläufig 
noch  zurück. 

Eberhard  reiht  in  seiner  famosen  zweiten  Serie  an  die  eben- 
genannte  Urkunde  das  Privileg  eines  Papstes  Gregor  an  Abt  Ratgar 
(802 — 817)  ^).  Während  der  Regierungszeit  dieses  Abtes  gab  es  aber 
keinen  Papst  Gregor.  Gegenbauer  (S.  72)  und  Pflugk-Harttung  (S.  368f.) 

1)  Genau  in  dieser  Fassung  abgedruckt  bei  Pflugk-Harttung  S.  367. 


Die  Fuldaer  Piivilegienfiage.  231 

suchen  hier  die  Erklärung  in  einem  Irrthum  Eberhards  und  nehmen 
als  seine  Vorlage  ein  Privileg  Leos  TU.  für  Ratgar  an,  JE.  -|-  2523.  Die 
Urkunde  ist  ganz  nach  Zacharias  B  gearbeitet,  ertheilt  gleich  diesem 
volle  Exemtion,  ist  von  Eberhard  wieder  mit  dem  schönen  Hospitale- 
Passus  verziert  und  schliesst  mit  ,  Scriptum  per  manus  Leonis  secun- 
dicerii  sedis  apostolice,  mense  Decembris,  indictione  V."*  Ein  Secun- 
dicerius  Leo  ist  nicht  weiter  nachweisbar.  Pflugk-Harttuugs  Urtheil 
über  diese  Urkunde  fällt  relativ  am  günstigsten  aus;  der  verderbten 
Fassung  ist  er  sich  zwar  voll  bewusst,  nimmt  aber  an,  dass  es  ein 
Privilegium  Leos  III,  für  Ratgar  gegeben  habe.  Als  Stützen  für  diese 
und  die  Hadrian- Urkunde  werden  die  Fuldaer  Urkundenverzeichnisse 
aus  dem  11.  Jahrhundert  angeführt,  welche  die  Reihe  der  für  Fulda 
ausgestellten  Papsturkunden  folgendermassen  beginnen  \):  „I.  Zacharias 
papa  sancto  Bonifatio.  IL  Stephanus  papa  Sturmi  abbati.  III.  Adriauus 
papa  Baugolf  abbati.  IV.  Leo  papa  Ritgero  abbati.  V.  Gregorias  papa 
Rabano  abbati."  Meines  Erachtens  ist  die  Stütze,  welche  diese  Auf- 
zählung den  drei  strittigen  Urkunden  verleiht,  für  alle  gleich  gross 
und  gleich  gering.  Wenn  sie  nach  dein  übereinstimmenden  Urtheil 
aller  Forscher  nicht  hinreicht,  um  auch  nur  die  Existenz  eines  echten 
Privilegs  Stefans  II.  zu  retten,  so  sehe  ich  nicht  ein,  weshalb  sie  für 
die  beiden  anderen  entscheidend  bcAveisen  soll.  Sind  bei  der  Urkunde 
Stefans  II.  die  formalen  Verstösse  ärger  und  handgreiflicher,  so  iehlen 
sie  bei  Hadrian  I.  und  Leo  III.  ebensowenig,  wenn  sie  auch  gemindert 
und  bei  den  Namen  des  Kanzleipersonals  nicht  sicher  erweisbar  sind. 
Dafür  sind  bei  den  letztgenannten  Urkunden  die  durch  das  Schwanken 
der  Exemtionsformel  entstehenden  sachlichen  Bedenken  grösser.  Es 
ergäbe  sich  folgende  Entwicklung:  Zacharias  und  Stefan  IL:  volle 
Exemtion,  Hadrian  L:  beschränkte  Exemtion,  Leo  IH. :  volle  Exemtion, 
Gregor  IV.  und  alle  folgenden  bis  auf  Mariiius  II. :  beschränkte  Exem- 
tion. Die  Unmöglichkeit  derselben  liegt  auf  der  Hand ;  entweder  hat 
die  Compromissformel  erst  mit  Gregor  IV.  eingesetzt,  dann  ist  sie  bei 
Hadrian  I.  zu  streichen,  oder  man  war  bereits  unter  Hadrian  dazu 
gelangt,  dann  ist  ihr  Fehlen  in  der  Urkunde  Leos  III.  zu  beanstanden. 
Letzteres  ist  die  Ansicht  von  Pflugk  -  Harttung,  für  die  er  auch  einen 
sprachlichen  Beweis  beibringt:  indem  der  spätere  ungetreue  Kopi^t  der 
Urkunde,  wohl  Eberhard  selbst,  die  Beschränkungsklausel  wegliess, 
vergass  er  auch  bei  dem  daran  sich  schliessenden  Satz  .ita  ut  nisi  ab 
abbate  monasterii  fuerit  invitatus"  etc.  die  zum  Verständnis  des  Satzes 
nothwendigen  Wörtchen    »ut"    und    .ab"  ^j.    Pflugk  -  Harttung    findet, 

')  Abgedruckt  bei  Pflugk-Harttung  S.  ?A9  ff. 

*)  Dass  es  bei  der  Wortfolge    »ab  abbate '^    einer   so  weit    ausholenden  Er- 


232  M.  '1  an  gl. 

dies  sei  „ausgiebig  zu  sehen«.  Nur  schade,  dass  er  s^ich  die  mit  der 
Klausel  ausgestattete  Hadrian  -  Urkunde  nicht  ausgiebig  genug  an- 
gesehen hat,  sonst  würde  er  gefunden  haben,  dass  die  Satzkonstruktiou 
in  ihr  durch  Auslassung  des  führenden  Verbums  „prohibemus*  noch 
ganz  anders  in  die  Brüche  gieng. 

Die  Urkunden  sind  einander  vollkommen  würdig,  alle  drei  sind 
sie  in  viel  späterer  Zeit  zurecht  gezimmert,  wobei  sich  das  Ungeschick 
der  Arbeit  gerade  auch  dadurch  verrieth,  dass  man  für  die  ältere  Ur- 
kunde das  spätere  und  für  die  jüngere  das  frühere  Formular  ver- 
wandte. Als  Quellen  für  die  Fuldaer  Privilegienentwicklung  in  der 
zweiten  Hälfte  des  8.  wie  zu  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  sind  sie  ein- 
fach zu  streichen.  Thatsächlich  klafft  zwischen  dem  ersten  und  lauge 
einzigen  Privileg  des  Papstes  Zacharias  und  dem  nächsten  sicher  be- 
zeugten Gregors  IV.  eine  Lücke  von  etwa  70  Jahren.  Wieso  dies  kam, 
wird  denjenigen,  der  die  Fährlichkeiten  des  ersten  Exemtionsversuches 
richtig  verfolgt  hat,  nicht  wundern.  Verhältnisse  und  Eechtsanschauung 
im  Frankenreich  Pippins,  Karls  d.  Gr.  und  auch  noch  der  ersten  Zeit 
Ludwigs  d.  Fr.  waren  weiteren  Exemtion sbestrebungen  eben  nicht 
günstig;  sehr  bezeichnend  fällt  der  nächste  sicher  feststellbare  Versuch 
bereits    in   die  Zeit   des    lieginnenden  Niederganges   der   Reichsgewalt. 

Wir  gelangen  also  weiter  hinunter  ins  9.  Jahrhundert,  betreten 
hier  aber  allerdings  zum  erstenmale  festen  Boden.  Nicht  nur  dass  uns 
die  nun  folgenden  Papsturkunden  von  Gregor  IV.  an  in  der  zuver- 
lässigeren ersten  Serie  bei  Eberhard  überliefert  sind,  wir  besitzen  sie 
überdies  in  von  Eberhard  unabhängigen  Einzelkopieu.  Da  Dronke  und 
Pfluffk-Harttuuo;  die  Zeitbestimmung  dieser  Abschriften  um  rund  zwei 
Jahrhunderte  vergriffen  und  sie  dadurch  in  ihrem  Werte  bedeutend 
herabminderten,  seien  diesen  Einzelkopien  einige  kurze  Bemerkungen 
gewidmet.  Erhalten  sind  uns  in  dieser  Ueberlieferung  die  Privilegien- 
bestätiguugen  Gregors  IV..  Leos  IV..  Benedikts  III.,  Nikolaus  I.  und 
Johanns  VIII. ;  sie  sind  von  wechselnden  Händen  geschrieben,  die  sämmtlich 
noch  dem  9.  (nicht  dem  11.)  Jahrhundert  angehören,  und  daher  der  Ten- 
denz vollkommen  entrückt,  in  der  zwei  Jahrhunderte  später  das  Sammeln 
und  Verzeichnen  der  Papsturkunden  in  Fulda  erfolgte.  Auch  der  stete 
Wechsel  der  Hände  ist  beachtenswert;  er  spricht  gegen  gleichzeitige  Ent- 
stehung aller  in  einem  Guss.  Die  Kopirung  scheint  in  allen  Fällen  bald 
nach  Erlangung  der  Urkunden  vorgenommen  worden  zu  sein,  um  bei 
der  Schwierigkeit  der  curialen  Schrift  die  Lesung  und  bei  der  geringen 

kläiuiig  zur  Auslassung  des  »ab"'  nicht  bedarf,    weiss  jeder,    der  sieb  einmal  im 
l.ebeu  mit  Textkritik  beschäftigt  hat. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  233 

Widerstandsfähigkeit  des  Papyrus  die  Erlialtuug  der  Urkunden  zu 
sichern.  Das  Privileg  Gregors  IV.  entbehrt  des  EsehatokoUs,  das  Leos  IV. 
führt  ein  unvollständiges  und  verderbtes;  erst  die  Kopien  der  Privi- 
legien Benedikts  III.  ^),  Nikolaus  I.  und  Johauns  VIII.  weisen  Scriptum- 
und  Datumzeile  auf.  Und  hier  sprechen  entscheidand  zu  Gunsten  der 
Überlieferung  einzelne  ganz  charakteristische  Fehler  und  Verderbungen, 
die  auf  das  Verlesen  einzelner  Buchstabeuverbindungen  der  päpsstlichen 
Cursive  oder  auf  falsches  Auflösen  typischer  Kürzungen  zurückzuführen 
sind  und  gerade  dadurch  auf  unmittelbare  Ableitung  dieser  Kopien 
aus  Originalen   schliessen  lassen. 

So  lautet  die  Datirung  im  Privileg  Nikolaus  I.:  „Datum  II.  idus 
Junias  per  manum  Tiberii  primicerii  sanctae  sedis  apostolicae  imperaute 
domno  piissimo  principi  (falsche  Auflösung  des  ständigen  pp.  —  per- 
petuo)  augusto  '^)  Lhudoauico  a  deo  coronato  magno  pacifico  impera- 
tore  anno  decimo  et  patricius  (missverstanden  aus  pc  eius  ^=^  post 
consulatum  eius  des  Originals)  anno  decimo,  indictione  septima  amen  3)". 
Ganz  ähnlich  steht  es  bei  dem  Privileg  Johanns  VIII :  „Datum  quinta 
nonas  octobrias  per  manum  Gregorii  uomenclmissi  et  apocrisiarii 
sanctae  sedis  apostolicae  (nomencl[atoris  |,  missi  et  apocrisiarii,  der 
Kopist  wusste  den  ihm  fremden  Titel  nicht  zu  ergänzen  und  benahm 
sich  eigentlich  sehr  correct,  indem  er  einfach  die  vorhandenen  Buchstaben 
wiedergab,  correcter  wie  Dronke,  der  nomencimissi  druckte)  reguante 
imperatore  (verderbt  aus  imperpetuum  ?)  domino  Jesu  Christo  *)  anno 
pontificatus  domno  Johannis  ^)  summi  pontiticis  et  universalis  papae 
et  epo  (et  episcopo  verlesen  aus  „tertio*^  ß)  der  Vorlage),  indictione 
nona".    (Indiction  9  und    an.  pontif.  3  stimmen  zum  3.  October  875.) 


*)  Es  ist  irrig,  wenn  Dronke  (S.  258)  und  Pflugk-Harttung  (S.  377)  be- 
Tiaupten,  dass  die  Datirung  dieser  Urkunde  auf  den  23.  Oktober  858,  also  auf 
ein  Datum  nach  Benedicts  III.  Tod  weise  und  deshalb  verdächtig  sei;  die  Indic- 
tion 6  entspricht  bei  der  in  Rom  damals  noch  ständigen  Umsetzung  mit  dem 
1.  September  dem  Oktober  857;  das  9.  Kaiserjahr  Ludwigs  II.  stimmte  aller- 
dings zu  858;  allein  die  Indiction  ist  als  das  Normaljahr  der  römischen  Curie 
für  diese  frühere  Zeit  ebenso  ausschlaggebend  wie  später  das  Pontificatsjahr ; 
möglich,  dass  man  im  September  857  irrthümlicher  Weise  mit  der  Indiction 
gleichzeitig  auch  das  Kaiserjahr  erhöhte. 

-)  Die  Kopie  der  Urk.  Benedicts  lll.  hat  an  dieser  Stelle  »pp.  aug. <' 

3)  Die  Benedict-Kopie  bringt  zum  Schluss  der  Datirung  ein  grosses,  ver- 
schnörkeltes a,  in  Nachahmung  der  Originale,  die  den  Wortschluss  der  Indictions- 
zahl  so  zu  gestalten  pflegten;  auch  unser  »amen*  scheint  nur  eine  Missdeutung 
eines  solchen  Schluss-a. 

♦)  Die  Urkunde  fällt  in  kaiserlose  Zeit  I 

*)  Ursprünglich  nur  io,  is  später  über  der  Zeile  hinzugefügt. 

^)  Dass   die    curiale  Cursivverbindung  te    von    minder  Kundigen  zu  et  ver- 


234  ^I-  Tan  gl. 

Unter  solchen  Umständen  bringen  wir  auch  dem  Inhalt  dieser 
Einzelkopien  ganz  andt-res  Vertrauen  entgegen,  als  den  unzuverlässigen 
Eberhard -Texten  i).  Alle  fünf  Urkunden  weisen  aber  in  der  Hauptsache 
dieselbe  Fassung  auf:  sie  wiederholen  Zacharias  B.  nur  ist  die  volle 
Exemtion  jetzt  aufgegeben,  den  Worten  , praeter  sedem  apostolicam " 
ist  nunmehr  ständig  die  Klausel  von  der  Wahrung  der  Rechte  des 
Diöcesanbischofs  angefügt.  Xik(daus  I.  setzte  noch  die  Forderung  zeit- 
weiser Berichterstattung  über  die  Klosterdisciplin  hinzu,  was  wieder 
gleichlautend  in  das  Privileg  Johanns  VIII.  übernommen  wurde. 

So  eröffnet  die  Urkunde  Gregors  IV.  die  nunmehr  fortlaufende,^ 
im  einzelnen  weitergebildete  aber  dem  Kern  nach  bis  gegen  die  Mitte 
des  10.  Jahrhunderts  unveränderte  Reihe  der  Fuldaer  Privilegien.  Für 
uns  ist  entscheidend,  dass  alle  diese  Urkunden  in  ihrem  Schlusstheil 
Zacharias  B,  also  gerade  jene  Fassung  wiederholen,  die,  wie  wir  sahen, 
in  dieser  Weise  unmöglich  aus  der  päpstlichen  Kanzlei  hervorgegangen 
sein  konnte.  Der  Kauzlei  Gregors  IV.  muss  daher  das  Zacharias- Privileg 
bereits  in  überarbeiteter,  verunechteter  Gestalt  vorgelegen  haben.  Die 
Datiruug  der  Gregorurkunde  ergäbe  darum  auch  den  ersten  festen 
terminus  ad  quem  für  die  Vornahme  dieser  Ueberarbeitung.  Nun  ent- 
hält die  Urkunde  auch  ein  Datum,  aber  nicht  in  der  undatirten  Einzel- 
kopie und  auch  nicht  in  der  aus  ihr  abgeleiteten  Eintragung  in  der 
ersten  Serie  Eberhards,  sondern  erst  in  Eberhards  zweiter  Serie,  wo 
die  Urkunde  mehrfach  entstellt  und  durch  .Datum  kal.  April,  indic- 
tione  VP  bereichert  wiederkehrt.  Das  stimmte  zum  1,  April  828,  und 
zu  diesem  Tag  ist  die  Urkunde  auch  in  Dronkes  Codex  diplomaticus 
und  iu  den  Papstregesten  eingereiht.  Woher  schöpit  Eberhard  seine 
Weisheit?  Wer  den  Unfug  kennt,  den  Eberhard  bei  einzelnen 
Karolinger  Urkunden  gerade  mit  der  Indiktion,  —  beiläufig  bemerkt^ 
seinem  Liebling  unter  den  Jahresaugaben,  —  treibt,  indem  er  die  Re- 
gierungsjahre durch  willkürlich  erfundene  Indiktionen  ersetzt,  der  traut 
diesem  unsichersten  aller  Urkundenko]nsten  gerade  hierin  nicht  über 
den  We«:.  So  willkommen  gerade  mir  ein  fester  Ausatz  hier  sein  müsste, 
SO  halte  ich  mich  doch  nicht  für  berechtigt,  von  ihm  Gebrauch  zu 
machen.  Es    ergibt    sich    also    nur    eine    sehr  dehnbare  beiläufige  Ein- 


lesen werden  kann,  ist  aus  verschiedenen  Beispielen  in  Pflugk-Harttuiigs  Speci- 
mina  chavtarum  Roman,  pont.  zu  ersehen  (vgl.  Taf.  6) ;  ebenso  ist  ein  Verlesen 
der  Cnrsivverbindung  fi  mit  folgendem  o  zu  po  denkbar. 

')  Ueberdies  sind  wir  über  die  Thatsache,  da^^s  damals  wiederholt  um  Pri- 
vilegienbestätigung nachgesucht  wurde,  noch  aus  anderer  Quelle  unterrichtet,  aut 
die  ich  bald  näher  einzugehen  habe. 


Die  Fuldaor  Privilegienfrage.  235 

reihung  zwischen  827    (Regierungsantritt  Gregors  IV.)  und  842  (Aus- 
scheiden Hrabans  aus  der  Abtwürde). 

Etwas  weiter  zurück  führen  uns  vielleicht  noch  Andeutuno^en  in  den 
kümmerlicheu  Bruchstücken  der  einstigen  Fuldaer  Briefsammluno-,  die 
Dümmler  aus  den  Citaten  der  Magdeburger  Centuriatoreu  gesammelt 
hat  1),  und  die  nicht  durch  die  vollen  Texte  ersetzen  zu  können^ 
uiemand  aufrichtiger  zu  bedauern  hat  als  der  Bearbeiter  der  älteren 
Fuldaer  Urkunden.  Als  Hrabans  Nachfolger  in  Fulda,  Abt  Hatto  (84  J 
bis  856)  daran  gieng,  die  Erneuerung  des  Privilegs  bei  Leo  IV.  sich  zu 
erbitten,  suchte  er  sich  zunächst  der  Beihilfe  des  mittlerweile  zum  Erz- 
bischof von  Mainz  vorgerückten  Hraban  zu  versichern  -).  Dieser  will- 
fahrte der  Bitte  3),  klärte  seinen  Vorgänger  aber  gleichzeitig  darüber 
auf,  dass  das  Ansuchen  um  Privilegienbestätiguug  in  Rom  ein  schwieri- 
ges und  unter  Umständen  sogar  gefährliches  Unternehmen  sei.  Als 
Beweis  dessen  theilte  er  mit,  wie  es  ihm  selbst  einst  bei  Paschal  I. 
ergieng:  Der  Papst  nahm  sein  Schreiben  wegen  des  Privilegs  äusserst 
übel,  liess  die  Mönche,  die  es  überbrachten,  einsperren,  rügte  Hraban 
vor  den  fränkischen  Bischöfen  und  war  nahe  daran,  ihn  sogar  zu  ex- 
communiciren  *).  Pflugk-Harttung  (S.  283)  findet,  „es  sei  mit  der  Stelle 
leider  nicht  viel  zu  machen",  doch  dürfe  man  wohl  entnehmen,  ,dass 
ein  Papst  auch  ungehalten  über  die  privilegiensüchtigen  Fulder  sein 
konnte'-.  Derselbe  Erklärungsgrund,  der  des  päpstlichen  Zornes  über 
die  ihm  zugemuthete  Privilegirung,  wird  von  Langen  ^)  und  Weiss  •>) 
viel  entschiedener  betont.  Ich  muss  gestehen,  dass  ich  den  hochsradigfen 
Zorn  seiner  Heiligkeit  nicht  recht  begreife.  Der  blosse,  bona  tide  unter- 
nommene Versuch  Hrabans,  seinem  Kloster  ein  Vorrecht  wieder  zu 
erringen,  das    es    schon    einmal    erhalten    hatte,    und    damit    eines    der 


ij  Ueber  eine  verschollene  Fuldische  Briefsammlung  des  neunten  Jahrhun- 
derts, Forsch,  z.  deutsch.  Gesch.  5,  369  ft'. 

'^)  Dümmler  a.  a.  0.  38f)  (Hatto)  a  Rabano  Maguntino  archiepiscopo  per 
litteras  petit.  ut  suis  litteris  ad  Romanum  pontificem  proprias  adiungere  non 
gravetur,  quo  facilior  suis  ad  pontificem  sit  aditus. 

3)  A.  a.  0.  385 :  Rabanus  in  epistola  sua  ad  Leonem  petit,  ut  monachis 
Fuldensibus  ad  pedes  suos  faciat  aditum,  ut  benedictionis  gratiam  percipere 
queant. 

•*)  A.  a.  0.  385  :  Paschalis  pontifex  eins  (sc.  Rabani)  epistolam  de  privilegio 
coenobii  Fuldensis  molesti.ssime  tulit  et  monachos  eam  offerentes  incarceravit 
ipsuraque  coram  episcopis  Franciae  vituperavit  et  parum  abfuit,  quin  Rabanum 
excommunicasset,    ut  ipse  testatur  in  epistola  ad  Hattonem  abbatera  Fuldensem. 

*)  Gesch.  d.  röm.  Kirche  von  Leo  I,  bis  Nikolaus  I.  S.  801. 

")  Die  kirchl.  Exemtionen  der  Klfister  bis  z.  Greg.  Cluniac.  Zeit,  Berner 
Diss.  Basel   1893  S.  43. 


93(3  ^^'  '^'^i^.?l- 

mächtigsten  Klöster  des  Frankenreichs  dem  römischen  Stuhl  zu  Füssen 
zu  legen,  soll  Paschal  I.  derart  in  Harnisch  gebracht  haben,  dass  er 
sich  zu  Gewaltmassregelu  gegen  die  Abgesandten  und  zu  Rüge  und 
Bannandrohung  gegen  den  Abt  hinreissen  Hess,  und  das  alles  aus  Vor- 
liebe für  das  Mönchthum,  die  er  als  ehemaliger  Mönch  hegte,  während 
doch  der  erste  Mönchpapst,  Gregor  d.  Grosse,  die  strittige  Privilegien- 
formel, wohl  auch  aus  Liebe  zum  Mönchthum,  geschaffen  hatte?  Ganz 
a,nders,  wenn  man  Grund  hatte,  die  bona  fides  zu  bezweifeln,  wenn 
Form  und  Fassung  der  vorgelegten  Urkunde  Verdacht  erregten,  wenn 
man  sich  infolge  dessen  zur  Annahme  berechtigt  hielt,  dass  Hraban  die 
Privilegienbestätigung  durch  unlautere  Mittel  zu  erschleichen  suche  ^). 
Ich  erinnere  daran,  dass  auf  Urkundenfälschung  allerdings  die  Strafe 
der  Excommunication  stand. 

Was  ich  hier  aussprach,  kann  natürlich  nur  eine  Vermuthung  sein, 
die  ich  aber  doch  nicht  ganz  von  der  Hand  weisen  möchte.  Sie  ergäbe, 
dass  schon  im  Jahre  823 ")  das  Zacharias  -  Privileg  in  der  verderbten 
Fassung  B  vorlag,  die  als  solche  zu  erkennen,  in  Rom  wohl  nicht 
schwer  halten  konnte,  vorausgesetzt,  dass  man  überhaupt  gesonnen 
war,  darauf  zu  achten  '^). 

Hraban  liess  sich  durch  den  missluugenen  ^Versuch  nicht  ab- 
schrecken; nachdem  er  den  kurzen  Pontifikat  Eugen  U.  hatte  ver- 
streichen lassen,  erneuerte  er  sein  Anliegen  bei  Gregor  IV.  und  dies- 
mal mit  Erfolg  ^),  Zu  diesem  Zwecke  scheint  er  sich  aber  zuvor  der 
Beihilfe  des  Erzbischofs  Otgar  von  Mainz  versichert  zu  haben.  Sollte 
dieser  aber  zustimmen,  so  konnte  dies  nur  gescheheu,  wenn  seine 
eigenen  Rechte  gebührend  gewahrt  wurden.  In  diesen  Zusammenhang 
bringe  ich  die  Erklärung  Hrabans  au  Otgar  ^),  dass  die  Mönche  ihrem 


')  Um  iiiclit  misverstanden  zu  werden,  bemerke  ich  gleich  hier,  dass  ich 
keineswegs  Hrabanus  Maurus  selbst  für  den  Fälscher  halte. 

2)  In  der  zweiten  Hälfte  822  wurde  Hraban  Abt  von  Fulda,  824,  und  zwar 
wahrscheinlich  schon  zu  Beginn  des  Jahres,  starb  Paschal  I. 

s)  Das  Vorgehen  Pasehals  1.  spricht,  wie  immer  man  es  deuten  mag,  auch 
ziemlich  sicher  gegen  die  Existenz  von  Privilegienbestätigungen  Stefans  H., 
Hadrians  I.  und  Leos  III.  Wenn  die  Bestätigung  des  Fuldaer  Privilegs  bereits 
zur  Uebung  geworden  war,  wenn  der  unmittelbare  Vorgänger  (der  einjährige 
Pontifikat  Stephans  IV.  kam  kaum  in  Betracht)  eine  solche  ertheilt  hatte,  wozu 
die  Aufregung  in  der  einen  oder  andern  Richtung? 

■*)  Wenn  meine  oben  dargelegte  Vermuthung  richtig  i«t,  so  spricht  sie  eher 
für  einen  späteren  Ansatz  der  Gregorurkunde ;  es  schien  jedenfalls  gerathen,  den 
unangenehmen  Vorfall  von  823  einigermassen  in  Vergessenheit  gerathen  zu  lassen. 

"•)  Dümmler,  a.  a.  0.  376:  Rabanus  in  epistola  ad  Otgarium :  .  .  si  quid 
autem  de  ecclesiasticis  atque  secularibus  uegotiis  agere  tentent,    hoc  cum  veatro 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  2oT 

Diöcesanbischof  nach  den  Satzungen  des  Kirchenrechts  unterworfen 
seien.  Ganz  im  Sinne  dieser  Erklärung  ist  meiner  Meinung  nach  im 
Zusammenwirken  beider  Männer  jene  Compromissformel  festgestellt 
worden,  welche  den  päpstlichen  Schutz  mit  den  Rechten  des  Bischofs 
in  Einklang  zu  bringen  strebte.  Sie  fand  die  Billigung  des  Papstes 
und  Aufnahme  in  das  neue  Privileg.  Als  Abt  Hatto  sich  später  ebenso 
nach  der  Unterstützung  des  nunmehrigen  Erzbischofs  Hraban  umsah, 
wiederholte  er  nur  das  Beispiel  seines  Vorgängers.  Fortan  war  ge- 
wonnenes Spiel;  es  genügte,  bei  der  jedesmaligen  Erneuerung  die  un- 
anfechtbare Originalurkunde  des  unmittelbaren  Vorgängers  vorzulegen, 
und  so  erfreute  sich  die  in  ihrem  Ursprung  höchst  uncuriale  „apoitolica 
auctoritas  subnixa"  zusammen  mit  der  Besitzklausel  aus  den  könig- 
lichen Immunitäten  in  den  Fuldaer  Privilegien  auf  zwei  Jahrhunderte 
hinaus  eines  unbehelligten  Daseins  i). 

Ehe  ich  zu  einem  abschliessenden  Urtheil  zu  gelangen  versuche^ 
habe  ich  zunächst  ebenso  die  Bestätigungen  der  Pippin  -  Urkunde 
vorzuführen.  Sehr  im  Gegensatz  zu  deu  päpstlichen  Privilegien  ist  ihre 
Reihe  nicht  lang.  Ausser  dem  schon  erwähnten  Diplom  Ottos  I.  (DO  I.  55), 
das,  weil  weit  nach  den  beglaubigten  Papsturkunden  fallend,  für  unsere 
Frage  ausser  Betracht  bleibt,  ist  die  Pippinurkunde  nur  zweimal  noch 
benützt,  in  einer  undatirten  Urkunde  aus  der  Kaiserzeit  Karls  d.  Gr., 
M.  449  (439),  und  in  einer  anderen  aus  den  letzten  Wochen  Lud- 
wigs d.  Fr..  M.  1004  (973).  Erstere  ist  nur  im  Codex  Eberhardi  über- 
liefert, letztere  ausser  bei  Eberhard  auch  im  P'uldaer  Rotulus  des  10.  Jh. 
und  in  einer  Einzelkopie  aus  dem  9.  Jh.  '^)  Bei  dieser  ungleich  zu- 
verlässiger überlieferten  Urkunde  haben  wir  einzusetzen. 

Nehmen  wir  zuerst  das  Protokoll  vor:  Invocation  und  Titel  sind 
korrekt,  die  Devotionsklausel  ,.divina  repropitiante  gratia"  entspricht 
der  letzten  Regierungszeit  Ludwigs  d.  Fr.  (834 — 840),  ebenso  kanzlei- 
gemäss  sind  Signum-  und  Recognitionszeile  (Hirminmaris  notarius  ad 
vicem    Hugonis    recognovi    et   subscripsi).  Für   Titel    und    Recoguition 


consensu  et  praecepto  faciant,  quod  aliter  hoc  fieri  non  decet,  cum  sacri  canones 
"hoc  praecipiant,  ut  monachi  per  unamquamque  provinciam  subiecti  eint  episcopo 
civitatis. 

')  Zuletzt  ist  sie  in  dieser  Fassung  von  Clemens  IL  bestätigt,  Dronke  S.  356 
Nr.  747. 

-)  Nach  meinem  Urtheil  ist  die  Kopie  nicht  nur  sicher  noch  im  9.  Jahrh. 
sondern  wahrscheinlich  bald  nach  840  entstanden  (offene  a  oder  geschlossene 
mit  schrägem  Schaft,  olFene  g,  die  ersten  Schäfte  von  m  und  n  nach  links  zu- 
gespitzt, die  s  nach  Art  der  Tourer  Schrift,  die  Oberschäfte  fast  durchaus  keulen- 
föi'mig  verdickt).  Das  Ludwig-Monogramm  ist  correct  wiedergegeben;  Dorsual- 
vermerk  s.  IX — X  :  Praeceptum  Hludonuici  imp.  pro  confirmatione  privilegii. 


238  ^^-  '^^'^""'• 

scheint    l)ei  Annahme   von    Fälschung   die  Quelle   rasch  gefunden:    sie 
stehen  gleichlautend  in  der   noch  heute  im  Original  vorhandenen  Ur- 
kunde Ludwigs  d.  Fr.  für  Fulda  vom  4.  Februar  836,  M.  954  (923)  ^). 
Also  zur  Datiruug:   Data  II.  non.  Mai.  anuo  XXVII.  Christo  pro- 
pitio    regni    nostri;    actum  in  Salz  villa  regia;    in  dei  nomine  feliciter 
amen  2).  Von  formeller  Seite  ist  die  Zählung  nach  Königs-  statt  nach 
Kaiserjahreu,  die  subjective  statt  der  objectiven  Fassung  und  das  Wegr 
lassen  der  ludiktiou  zu  beanstanden.  Umso  besser  genügt  sie  vom  sach- 
lichen Gesichtspunkt  aus.  Ludwig  d.  Fr.  hatte  auf  die  Kunde  von  der 
Empörung    seines   Sohnes   Ludwigs    des    Deutschen    nach    Ostern    840 
Aachen  verlassen  und  war  die  Lahn  aufwärts  in  Eilmärschen  nach  dem 
Osten  vorgerückt;  am  8.  April  war  er  in  Hersfeld;  von  hier  folgte  er 
seinem  flüchtigen  Sohne  noch  durch  Thüringen  bis  au  die  Grenze  der 
slavischeu  Gebiete,  wandte  sich  dann  nach  Südwesten  und  kehrte  nach 
mehrtägigem  Aufeuthalt    in  Salz    an    der   fränkischen  Saale    den  Main 
abwärts    nach  Frankfurt    zurück^).  In  dieses  Itinerar  fügt  sich  unsere 
Urkunde    aufs    beste    ein;    der  Aufenthalt    de.s  Kaisers  in  Salz  ist  uns 
überdies  noch  durch  eine  zweite,  ganz  anderer  Provenienz  entstammende 
Urkunde    für    den  Getreuen  Eckkard  vom  8-  Mai  840,  M.   1005  (974) 
bezeugt.  Gerade  die  Richtigkeit  dieser  nur  für  wenige  Tage  zutreffenden 
Itineraraugabeu  bürgt  am  besten  für  die  Echtheit  der  Datirung.  Doch 
auch   hier   scheint   die   Möglichkeit   der  Entstehung   im  Kloster  selbst 
naheliegend.   Den  wichtigsten  Bericht  über  den  ganzen  Zug  verdanken 
wir  den  Fulduer  Annalen :  hier  wird  erzählt,  da.ss  der  Kaiser  die  Bitt- 
tage   und    das    Himmelfahrtfest    zu    Salz    verbracht    habe  ^),    und    von 
letzterem  Tage    datirt    unsere  Urkunde.  Aus    dieser    heimischen  Quelle 
konnte  sich  also  der  Fälscher  seine  anscheinend  so  bestechenden  Itiuerar- 
au gaben  zurecht  legen  ^'),  und  wieder  scheint  unser  Mühen,  für  unsere 
Urkunde  nicht  nur  zutreffende,  sondern  vor  allem   originelle  Bestand- 
theile   nachzuweisen,  vergeblich.  Allein    so    steht  die  Sache  denn  doch 
nicht.  Eudolf  von  Fulda  erzählt  weiter  von  einer   mächtigen  Sonnen- 
finsternis, welche  die  Gemüther  der  Menschen  am  Vorabend  vor  Himmel- 

')  Kaiseruvk.  in  Abb.  III.  ß  (nur  vepropitiante  dementia  st.  gratia). 

2)  Im  Kotulus  fehlt  das  ganze  Eschatol<oll,  Eberhard  bringt  die  Datirung 
entstellt;  an  ,SaIz«  lugte  er  ein  b  an  und  liess  dadurch  Salzburg  als  den  wahr- 
scheinlichen Ausstellungsort  erscheinen. 

3j  Vgl.  Mühlbacher,  Gesch.  d.  Karolinger  S.  423  und  Reg.  1003—1007 
(972—976). 

4)  Ann.  Fuld.  ed.  Kurze  SS.  rr.  Germ.  S.  31  :  Ipse  vero  rebus  in  partibus 
Ulis  ordinatis  ad  Salz  villam  regiam  reversus  dies  letaniarum  et  ascensionis  do- 
luini  sollemnia  celebravit. 

^)  Urkunde    und   Annalen  bezeichnen  Salz  übereinstimmend  als  villa  regia. 


Die  Fuklaer  Privilegienfrage.  239 

fahrt  in  Schrecken  versetzte,  fügt  aber  dieser  Festangabe,  indem  er 
sich  um  eine  Woche  irrte,  ein  falsches  Tagesdatum  bei :  „IUI.  id.  Maii* 
statt  „III.  non.  Maii".  Weuu  demnach  eiu  Fälscher  diese  Quelle  benützte, 
so  würde  er  aller  menschlichen  Voraussicht  nach  auch  diese  irrige 
Tagesaugabe  übernommen  haben;  da  unser  Mann  aber  richtig  „II.  nou. 
Mai.''  schrieb,  müsste  man  rein  annehmen,  er  habe  Eudolfs  Angaben 
an  der  Hand  der  Ostertafel  oder  des  Kaiendars  nachgeprüft  und  richtig- 
gestellt. Das  ist  aber  wohl  ausgeschlossen;  das  ganze  Verhältnis  liegt 
vielmehr  umgekehrt:  Der  Bericht  des  Annalisten  gewährt  für  die  Ur- 
kunde eine  willkommene  Stütze;  seine  genauen  Angaben  über  den 
Aufenthalt  des  alten  Kaisers  erklären  sich  am  besten,  wenn  Abt 
Hraban,  wie  die  Narratio  der  Urkunde  versichert,  sich  thatsächlich 
damals  bei  Hofe  aufhielt  'j. 

Der  Text  unserer  Urkunde  beginnt  mit  der  Arenga  „Cum  peti- 
tionibus  servorum  dei  iustis  et  rationabilibus  divini  cultus  amore  fave- 
mus,  superna  nos  gratia  remunerari  confidimus",  die  häufig  begegnet, 
aber  durchaus  nicht  in  stereotyper  Fassung,  sondern  in  den  einzelnen 
Wendungen  nach  dem  Belieben  der  Notare  frei  gestaltet.  So  leitet  sie  auch 
die  schon  genannte  Urkunde  Ludwigs  d.  Fr.  für  Fulda  vom  4.  Fe- 
bruar 836,  M.  <J54  (923)  ein;  aber  nur  die  Grundformen  sind  die- 
selben, alles  andere  ist  verschieden.  Dagegen  herrscht  allerdings  nahezu 
vollkommen  wörtliche  Übereinstimmung  zwischen  unserer  Urkunde 
und  der  ersten,  allgemeinen  Immunität,  die  Ludwig  d.  Fr.  dem  Kloster 
Fulda  in  seiner  ersten  Regierungszeit  am  2.  Mai  816  verlieh,  M.  613 
(593) ''). 

Wird  dadurch  schon  Beuützuuo-  dieser  Urkunde  als  Vorlage  nahe 
gelegt,  so  bestätigt  sich  dies  auch  durch  das  Weitere.  Auch  die  Publi- 
cationsformel  und  der  Beginn  der  Narratio  sind  nahezu  wörtlich  aus 
ihr  entlehnt 3j.  Darauf  folgen  die  ersten  selbstständigen  Worte:  Abt 
Hraban  habe  die  Urkunden  Karls  d.  Gr.  und  Pippius  vorgelegt,  durch 
welche  die  beiden  das  dem  Kloster  durch  P.  Zacharias  verliehene  Privi- 
legium bestätigt  hätten.  Aber  schon  bei    der    zuletzt    genannten  Wen- 


')  Darauf  lässt  auch  noch  die  Vorrede  der  an  Bischof  Noting  von  Verona 
gerichtete  Schrift  Hrabans  de  praedestinatione  schliessen.  Dünimler,  Ostfränk. 
Eeich  -  1,  136  A.  2:  quando  ad  imperatorem  Ludovicum  in  transitu  expeditionis 
hostilis  in  pago  Logana  venisti  et  ibidem  mecum  locutus. 

2)  j)ei-  einzige  Unterschied  besteht  in  »muniri  non  diffidimus*  M.  613  (593) 
gegenüber  ;,remunerari  confidimus*  in  M.  1004  (973). 

')  Der  gleiche  Beginn  beider  Urkunden  verleitete  den  Corrector  der  Rotulus- 
eintragung  von  M.  1004,  alle  kleinen  Abweichungen  des  Beginnes  durch  die  Lese- 
arten von  M.  613  zu  ersetzen,  bis  er  bemerkte,  dass  er  nach  einer  andern  Ur- 
kunde verbesserte. 


240  ^I-  Tangl. 

düng  ,  Privilegium  Fuldeusis  monasterii  a  Zacharia  sauctae  sedis  apo- 
stolicae  praesule  datiim  sua  etiam  auctoritate  roboravit"  setzt  die  Be- 
nützung der  eigentlichen  Yorurkunde,  der,  sei  es  nun  echten  oder  un- 
echten, Privilegiurasbestätigung  Karls  d.  Gr.,  M.  449,  ein.  Wörtlich  nach 
dieser  Urkunde  ist  im  weitereu  Theil  der  Xarratio  der  Inhalt  dieser 
Bestätigung  und  in  starker  Anlehnung  an  sie  die  Bitte  des  Abtes  um 
erneuerte  Bestätigung  wiedergegeben.  Die  Gewährung  der  Bitte  und 
der  erste  und  wesentliche  Satz  dieser  Neubestätigung  erscheint  in  ganz 
selbststäudiger  Fassung,  über  die  wir  gleich  später  noch  zu  sprechen 
haben  werden;  mit  dem  Nachsatz  aber:  „sed  liceat  ei  rectoribusque 
illius  locis  et  rebus  ...  .  firma  perfrui  stabil itate "  beginnt  wieder 
das  wörtliche  Abschreiben  der  Vorurkunde,  das  nun  bis  zum  Schluss 
des  Contextes  anhält. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  nochmals,  wie  ein  Fälscher  vorgegangen 
sein  müsste,  wenn  ihm  die  Herstellung  der  Urkunde  in  der  uns  vor- 
liegenden Gestalt  gelungen  sein  sollte:  Erst  Invocation  und  Titel  mit 
dem  entscheidenden  Wort  der  Devotionsklausel  ^reprojütiante"  aus 
M.  954,  darauf  Arenga  und  Beginn  der  Narratio  aus  M.  613,  den 
wesentlichen  Inhalt  aus  M.  449,  die  Signumzeile  aus  M.  (313,  denn 
M.  954  entbehrte  einer  solchen,  die  Recognition  aber  aus  M.  954, 
endlich  Ort,  Jahr  und  Tag  aus  den  Fuldaer  Annalen  und  Korrektur 
des  Himmelfahrtsdatum  derselben  aus  der  Ostertafel.  So  hat  kein  Fälscher 
gearbeitet!  Viel  einfacher  gestaltet  sich  die  Sache,  wenn  wir  die  Ur- 
kunde als  verbürgt  hinnehmen.  Abt  Hraban  erscheint  bei  Hof  mit  der 
seinem  Kloster  vom  Kaiser  bereits  verliehenen  weltlichen  Immunität  und 
bittet  unter  Vorlage  der  Urkunden  Pippins  und  Karls  um  Bestätigung 
der  geistlichen  Immunität.  Diese  Bestätigung  erfolgt  in  der  Weise,  dass 
man  von  der  Fassung'  der  allgemeinen  Immunitätsurkunde  ausgeht  und 
an  der  Hand  der  letzteren  Bestätigung  zu  den  besonderen,  für  Fulda 
allein  giltigen  Bestimmungen  vorschreitet.  Was  in  unserer  Urkunde 
kanzleiwidrig  ist,  wie  etwa  die  Poenformel  und  die  in  die  Form  der 
Participialconstruction  gekleidete  Corroboration  ^manu  nostra  robora- 
tum  et  anuli  nostri  inpressione  signatum",  ist  durch  die  wörtliche 
Benützung  der  Vorurkunde  gedeckt  i)  und  hält,  sogut  wie  das  Protokoll 
und  die  eigenen  Zuthaten  an  der  Textgestaltung,  auch  der  strengsten 
kritischen  Nachprüfung  stand.  Ich  glaube  daher,  dass  Abt  Hraban 
nicht  nur  am  6.  Mai  840  von  Ludwig  d.  Fr.  die  Exemtionsbestätigung 
erhielt,  sondern  dass  uns  die  Urkunde  auch  durchaus  zuverlässig  über- 
liefert ist. 


')  Selbst  das  »regni    uostri«    der  Datiiuno-   könnte    vielleiclit   auf  die  Vor- 
urkunde zurückzuführen  sein. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  241 

Halte  ich  demnach  die  Pippinurkunde  für  unecht,  ihre  spätere 
Bestätigung  durch  Ludwig  d.  Fr.  aber  für  echt,  so  habe  ich  noch  die 
zwischen  beiden  liegende  Urkunde  Karls  d.  Gr.  zu  untersuchen,  um  dann 
den  Kreis  meiner  Beweisführung  schliessen  zu  können.  Dazu  ist  vor 
allem  nöthig,  dass  ich  einen  von  den  thörichten  Einschiebungen  Eber- 
hards von  Fulda  gereinigten  Textabdruck  von  M.  449  (439)  voranstelle  i) : 

In  nomine  patris  <(omnipotentis)>^)  et  filii  et  spiritus  saucti. 
Carolus  Serenissimus  augustus  a  deo  coronatus  magnus  pacificus  Im- 
perator Komanum^)  gubernans  imperium  qui  et  per  misericordiam  dei 
rex  Francorum  et  Longobardorum.  Omnibus  fidelibus  nostris  presen- 
tibus  et  futuris  notum  sit,  quia  vir  venerabilis  Katgerius  abbas  mo- 
nasterii  quod  vocatur  Fulda  ostendit  serenitatis  nostr^  obtutibus  auc- 
toritatem  domni  recolend^  memoria  genitoris  nostri  Pippini  regis  in 
qua  continebatur,  qualiter  petente  sancto  Bonifacio  archiepiscopo  et 
martire  Christi  Privilegium  Fuldensis  monasterii  a  Zacharia  sanct^ 
sedis  apostolic^  presule  datum  sua  etiam  auctoritate  roboraret,  ita  ut 
nuUus  episcoporum  ius  sibi  aliquod  in  eo  vendicaret,  sed  liceret  eidem 
monasterio  eiusque  rectoribus  locis  et  rebus,  tarn  eis  quas  eo  tempore 
teneret  quam  quas  futuris  temporibus  iuri^)  ipsius  monasterii  divina 
largitas  augere  voluisset  ex  donis  et  oblationibus  decimisque  fidelium, 
absque  ullius  persone  contradictione  firmitate  perpetua  perfrui.  <(Questus 
est  igitur  nobis  memoratus  abbas  quosdam  episcoporum  orientalium 
his  auctoritatibus  contentiouis  studio  contradicere  et  in  ecclesiis  mo- 
uasterio  subiectis  atque  inde  constructis  omnique  studio  procuratis 
potestatem  sibi  vendicare  earum  tantum  rerum,  qu^  a  fidelibus  divinis 
offeruntur  altaribus)>,  snggessitque  serenitati  nostr^,  ut  <(honorata 
apostolica  sede)-  paternam  <(quoque)'  auctoritatem  nostra  nihilominus 
preceptione  firmaremus.  Cuius  precibus  ob  «(honorem  sedis  apostolic^ 
et)>  paternq  venerationis  amorem  libentissime  annuentes  has  celsitu- 
dinis  nostr^  litteras  precipimus  fieri,  quibus  et  sedis  apostolic^  et  ge- 
nitoris nostri  confirmamus  decretum,  ut  supradictum  monasterium 
rectoresque  illius  locis  et  rebus,  quas  nunc  habent  vel  deinceps  deo  do- 
nante  habituri  sunt  ex  donis  et  oblationibus  decimisque  fidelium,  absque 
ullius  persona  contradictione  firma  stabilitate  perfruantur,  ita  tarnen  ut  de- 
eim^  ad  ^cclesias,    quas   in   propriis   locis  et  villis   possident,    a  servis 


1)  Cod.  Eberhardi  I.  f.  78.  Eberhards  Zutbaten  kennzeicbne  ich  durch  ge- 
brochene Klammern ;  durch  Petitdruck  sind  wörtliche  Entlehnungen  aus  der  Pippin- 
urkunde, durch  Sternchen  Auslassungen  gegenüber  dieser  Vorlage  angedeutet. 

a)  Auf  Rasur. 

b)  Romanorum  E. 

<=)  iure  E.  • 

Mittheilungen  XX.  16 


242  M-  Tangl. 

tautum  et  colonis  persolvantur,  quia  susceptio  hospitum  pauperuma) 
et  peregrinorum  semper  apud  eos^)  indesinenter  habetur.  Si  autem 
quispiam  huic  nostr^  auctoritatis  precepto  repugnare  voluerit,  sententiam  aposto- 
lic^  districtionis,  que  in  privilegio  <=)  expressa  est,  experiatur,  et  tarnen  d)  hoc, 
quod  ob  amorem  dei  et  venerationem  sancti  Petri  reverentiamque  patemam 
nostra  auctoritate  firmavimus,  stabile  permaneat,  manu  nostra  roboratum  et 
*  anuli  nostri  inpiessione  *  signatum.  <[esse  volumus)>. 

(M.)  Signum  Karoli  gloriosissimi  imperatoris. 

<(Ego)'  Suavis  e)  in  vice  <(domini)>  Erchenbaldi  <(cancellarii]>  subscripsi. 

luvocation  und  Titel  zeigen  die  kanzleigemässen  Formen  der  Kaiser- 
zeit Karls  d.  Gr.,  mit  der  sich  auch  die  Eegierungszeit  des  Abtes 
Katgar  fast  vollständig  deckt.  Da  die  Urkunde  einer  Datiruug  ermangelt, 
bleibt  als  nächster  Anhaltspunkt  nur  noch  die  Eecognition. 

Suavis  erscheint  sonst  nur  noch  in  einer  Urkunde  als  ßecognoscent, 
einem  heute  im  Münchener  Reichsarchiv  erliegenden  Originaldiplom 
Karls  d.  Gr.  für  den  Grafen  Bennit  vom  1.  Dezember  811,  M.  467 
(453),  durch  welches  dieser  eine  Rodung  zu  ,Waldisbecchi"  zwischen 
Werra  und  Fulda  zu  freiem  Eigen  erhielt.  Besitz  und  Urkunde  kamen 
später  zu  unbekannter  Zeit  an  Fulda;  sicher  ist  nur,  dass  Eberhard 
von  Fulda  um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  die  Urkunde  in  seine 
Sammlung  aufnahm,  und  dass  sie  noch  vor  Eberhard  in  eine  Schenkung 
auf  Lebenszeit  verfälscht  wairde  i).  Dass  die  Vergabung  an  Fulda  noch 
vor  840  stattfand,  —  und  nur  in  diesem  Falle  könnte  die  Recognition 
dieser  Urkunde  Quelle  für  unsere  Privilegienbestätigung  sein  —  ist 
nicht  wahrscheinlich,  denn  Graf  Bennit  hatte  Söhne  -).  Die  Recognition 
unserer  Urkunde   ist   daher   kaum    erst  aus  M.  467  geschöpft,  und  sie 


a)  Fehlt  E,  aus  der  Nachurkunde  ergänzt. 

^)  Von  gleicher  Hand  über  der  Zeile  nachgetragen. 

c)  privilegiis,  ii  auf  Rasur  E. 

d)  ut  E.  e)  Suavius  E. 

•)  Vgl.  über  die  Fälschung  Mühlbacher  in  Mitth.  d.  Instituts  f.  österr.  GF. 
3,  307.  Schannat,  Tradit.  Fuld.  107  druckt  die  Urkunde  aus  einer  Vorlage 
(»vetus  apographum'),  die  bereits  die  Fälschung  der  entscheidenden  Stelle,  aber 
nicht  Eberhards  weitere  Zuthaten  enthält. 

2)  S.  den  Stammbaum  bei  0.  v.  Heinemann,  Zur  Genealogie  und  Gesch.  d. 
Billungischen  Herzogshauses,  Zs.  d.  bist.  Vereins  f.  Niedersachsen  1865,  144 
Bei  der  bis  840  noch  relativ  günstigen  Ueberlieferung  der  Fuldaer  Urkunden, 
dürften  wir  in  dem  Fall  überdies  erwarten,  unter  den  Privaturkunden  Aufschluss 
über  die  Vergabung  an  das  Kloster  zu  finden,  vgl.  über  eine  solche  Schenkung 
Bennits  und  seines  Bruders  Billung  an  Fulda  Dronke,  Ant.  et  Tradit.  Fuld.  S.  98 
c.  41  Nr.  52.  Wahrscheinlich  hat  das  Fehlen  eines  Rechtstitels  später  dazu  Anlass 
gegeben,  durch  die  Umänderung  der  Kaiserurkunde  in  eine  Schenkung  auf  Lebens- 
zeit mit  der  Bestimmung  des  Heinifallrechtes  an  Fulda  einen  solchen  zu  schaffen. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  243 

gewinnt  in  dem  Masse  an  Wert,  als  es  sich  um  einen  aussergewöhn- 
lichen  aber  doch  sicher  bezeugten  Namen  handelt.  Doch  vergleichen 
wir  den  Inhalt  unserer  und  der  Pippinurkunde.  Vor  allem  fällt  die 
geringe  üebereinstimmung  in  der  Fassung  auf;  aus  dem  dispositiven 
Theil  sind  nur  wenige  Worte  übernommen;  in  zusammenhängender 
Weise  sind  nur  die  Poenformel  und  die  Corroboration  abgeschrieben, 
also  die  höchst  unkanzleimässigen  aber  für  den  Kechtsinhalt  unver- 
bindlichen Theile ;  man  begnügte  sieb  hier,  mit  der  „fidelium  nostrorum 
adstipulatio"  und  der  damit  zusammenhängenden  Zeugenführung  das 
AUeraustössigste  zu  beseitigen  ^),  Um  so  gründlichere  Veränderung 
erfuhr  der  Kechtsinhalt;  die  Pippinurkunde  hatte  in  ihrem  dispositiven 
Theil  den  wesentlichen  Inhalt  der  Papsturkunde  einfach  wörtlich 
wiederholt:  „praecipientes,  ut  nullus  sacerdotum  in  regno  nostro  divi- 
nitus  nobis  concesso  in  praefato  monasterio  dicionem  aliquam  sibi 
vindicet  praeter  sedem  apostolicam,  ita  ut,  nisi  ab  abbate  monasterii 
fuerit  invitatus,  nee  missarum  ibidem  sollemnia  quisque  celebrare  prae- 
sumat,  sed  iuxta  id,  quod  subiectum  constat  apostolicae  sedi  firmitate 
privilegii,  inconcusse  roboratum  permaneat,  locis  et  rebus  .  .  .  firmitate 
perpetua  perfruatur. "  Statt  dessen  heisst  es  in  der  Nachurkunde:  ,has 
celsitudinis  uostre  litteras  precipimus  fieri,  quibus  et  sedis  apostolice 
et  genitoris  nostri  confirmamus  decretum,  ut  supradictum  monasterium 
rectoresque  illius  locis  et  rebus  .  ,  .  firma  stabilitate  perfruantur*. 
Der  ganze  auf  die  kirchliche  Exemtion  bezügliche  Satz 
ist  -vollständig  weggefallen.  Wenn  nicht  in  der  Narratio 
unserer  Urkunde  bei  der  Darlegung  des  Rechtsinhaltes  der  Vorurkunde 
auch  erwähnt  wäre:  „ita  ut  nullus  episcoporum  ius  sibi  aliquod  in 
eo  vendicaret ",  so  könnte  aus  der  Karlurkunde  allein  niemand  schliessen, 
dass  überhaupt  ein  Exemtionsprivileg  zur  Bestätigung  vorlag.  Und 
dass  soll  ein  Fälscher  gemacht  haben'?  Eine  Fälschung,  deren  Tendenz 
einzig  und  allein  in  der  Bestätigung  des  Exemtion srechtes  liegen  musste, 
bätte  diese  dadurch  zum  Ausdruck  gebracht,  dass  sie  gerade  den 
Exemtionspassus  aus  ihrer  Vorlage  hinauswarf?  Das  allein  spricht  be- 
stimmtest dagegen,  dass  die  Karlurkunde  gleichzeitig  und  gleichartig 
mit  der  Pippinurkunde  im  Kloster  entstanden  sein  könnte;  es  spricht 
zugleich  gewichtig  für  die  Echtheit  der  Nachurkunde  2).  Ich  komme  in 
diesem  Zusammenhang   nochmals   auf   die    entsprechende  Fassung   der 


»)  Es  ist  sehr  bezeichnend,  dass  man  in  der  Reichskanzlei,  in  der  man  Be- 
deutung und  Herkunft  der  Stipulationsklausel  kannte,  sie  beseitigte,  während 
man  in  der  päpstlichen  Kanzlei  die  ,auctoritas  subnixa*  ahnungslos  nachschrieb. 

2)  Für  die  Echtheit  der  Urkunden  Karls  und  Ludwigs  tritt  auch  Sickel 
Ä.  625  f.  ein. 

16* 


244 


M.  Tangl. 


Ludwigurkunde  zurück:  in  ihr  ist  der  Exemtionspassus  zwar  nicht  ganz, 
übergangen,  aber  in  seiner  Fassung  einfach  der  Immunitätsformel  nach- 
gebildet : 

Immunitätsformel :  üt  nullus  iudex  publicus  vel  quislibet  ex 

iudiciaria  potestate ingredi   audeat   vel  ....    exigere  prae- 

sumat;  sed  liceat  meraorato  abbati  etc.  M.  1004:  „ut  nullus  epis- 
coporum  vel  quislibet  ex  iudiciaria  potestate  in  praedictum  mona- 
sterium  vel  in  res  ad  id  iuste  et  legaliter  pertinentes  ius  sibi  aliquod 
vindicare  praesumat;  sed  liceat  ei  rectoribusque  illius"   etc. 

Wir  sehen,  dass  man  in  beiden  Fällen  das  Exemtionsprivileg 
zwar  formell  bestätigte,  in  seinen  Wirkungen  aber  beträchtlich  ein- 
schränkte. Dies  spricht  entschieden  für  die  Echtheit  der  beiden  Nach- 
urkunden. Doch  so  leichten  Kaufes  kommen  wir  noch  nicht  wesf, 
M.  449  steht  durch  eine  auf  den  eben  besprochenen  Theil  unmittelbar 
folgende,  gegenüber  der  Pippinurkunde  neu  hinzugekommene  Stelle  in 
naher  Berührung  mit  einer  anderen  Urkunde  Karls  d.  Gr.  für  Fulda.. 


M.  448  (438) 
praeceptum  visi  fuimus  concessisse, 
ut  de  villis  aeclesiae  domni  Bone- 
fatii  s e r v i s  etiam  et  colonis  in 
illis  manentibus,  quas  moderne  tem- 
pore halbere  videtur  vel  quae  deinceps 
in  iure  ipsius  sancti  loci  divina  pietas 
voluerit  amplificare,  habeat  praedictus 
abbas  successoresque  eius  potestatem 
decimas  accipiendas  propter 
aedificia  perficienda  vel  restauranda 
luminariaque  eclesiarum  renovanda, 
et  ut  nobis  fidelibusque 
nostris  pauperibus  quoque 
et  peregrinis  tempore  sus- 
cepcionis  usus  necessarios 
possint  praebere,  secundum  id 
quod  sancte  regulae  propositum  adque 
mandatum  iubet,  monachos  in  sus- 
ceptione  hospitum  pauperumque  omni 
hora  semper  esse  parates. 

Das  Schwergewicht  liegt  auf  der  Stelle  „ita  tarnen  ut  decim^  — 
indesinenter  habetur",  die  in  M.  449  und  gleichlautend  damit  in  M.  1004 
einen  Zusatz  zur  Pippinurkunde  bildet.  Die  Beziehung  zu  M,  448 
wird  niemand  bestreiten ;  ebenso  sicher  lässt  sich  das  Quellenverhältnis 
bestimmen,  da  die  Stelle  von  der  Fremdenaufnahme  und  Armenpflege 
in  M.  449  gegenüber   M.   448    verkürzt,    die   von    den   Zehenten   aber 


M.  449  (439)  =  M.  1004  (973). 
confirmamus  decretum,  ut  supradic- 
tum  monasterium  rectoresque  illius 
locis  et  rebus,  quas  nunc  habent  vel 
deinceps  deo  donante  habituri  sunt 
ex  donis  et  oblationibus  decimisque 
fidelium,  absque  ullius  persona  con- 
tradictione  firma  stabilitate  perfruan- 
tur;  ita  tarnen  ut  decim^  ad  ^ccle- 
sias,  quas  in  propriis  locis  et  villis 
possident,  a  s  e  r  v  i  s  tantum  e  t 
colonis  persolvantur,  quia 
suseeptio  hospitum  paupe- 
rum  et  peregrinorum  semper 
apud  eos  indesinenter  habe- 
tur. 


Die  Fuldaer  Piivilegienfrage.  245 

verderbt  ist.  In  M.  448  wird  dem  Kloster  ganz  sinngemäss  zugestanden 
der  Zehentbezug  von  seinen  Höfen  und  den  auf  diesen  befindlichen 
Hintersassen.  InM.  449  hatte  schon  die  unglückliche  Anreihung  mit  „ita 
tarnen"  Verwirrung  geschafi'en,  und  im  weiteren  ist  der  klare  Sinn 
noch  zweifach  entstellt,  durch  das  ,ad  ecclesias*  und  mehr  noch  durch 
das  ^a  servis  tan  tum  et  colonis  persolvautur "  gegenüber  „ut  de  villis 
.  .  .  .  servis  etiam  et  colonis"  der  Vorlage  i).  Es  liegt  also  un- 
geschickte Benützung  vor.  M.  448,  das  auf  diese  Weise  für  diesen 
einen  Satz  als  Vorlage  für  M.  449  auftaucht,  ist  aber  in  der  uus 
heute  bekannten  Gestalt  eine  ofienkundige  Fälschung! 

Bei  der  ganz  widersprechenden  Beurtheilung,  welche  diese  Ur- 
kunde bisher  erfuhr,  bei  der  Wichtigkeit,  die  sie  für  unsere  Frage 
gewinnt,  muss  ich  hier  eingehender  über  sie  berichten,  um  dann  zu- 
gleich eine  Lösung  der  neu  sich  aufdämmenden  Schwierigkeiten  zu  finden. 
Gegenüber  Sickel,  der  die  Urkunde  „schon  äusserlich  betrachtet,  eines 
der  ungeschicktesten  Machwerke"  genannt  hatte,  trat  Pflugk-Harttuug 
(S.  243  fi".)  für  die  Echtheit  ein;  er  fand  die  Urkunde  ,in  klaren, 
sicheren  Buchstaben  geschrieben"  (in  Wahrheit  sind  sie  so  zitterig 
uud  unsicher  wie  möglich !).  Mühlbacher  hatte  sich  in  der  ersten  Auf- 
lage der  Regesten  auf  Grimd  des  unbedenklichen  Inhaltes  zugunsten 
der  Urkunde  ausgesprochen:  nach  Einsicht  des  angeblichen  Originals, 
von  dem  die  Photographie  bei  Herquet  (Taf.  VI.)  kein  ganz  ausreichendes 
Bild  gewährt,  änderte  er  diese  Meinung  und  urtheilt  in  der  Neu- 
bearbeitung wesentlich  ungünstiger.  Von  Originalität  kann  gar  keine 
Eede  sein,  es  liegt  eine  noch  dazu  ziemlich  kümmerliche  und  ungelenke 
Nachzeichnung  vor  '^).  Die  Bedenken  gegen  die  Urkunde  gipfeln  darin, 
dass  dem  Königstitel  Karls  d.  Gr.,  mit  dem  sich  auch  die  Signum- 
zeile deckt,  der  nur  der  Kaiserzeit  entsprechende  Abt  Ratgar  und  eine 
auf  das  Jahr  809  oder  810  weisende  Datirung  gegenüberstehen  3). 
Allerdings  steht  der  Abtname  über  Rasur,  unter  der  als  ursprüng- 
licher Name  „Baugulfo"  noch  mit  Sicherheit  zu  erkennen  ist,  und  die 
Datirung  trat  anstelle  einer  andern,  tiefer  stehenden,  aber  später  weg- 


1)  In  der  Auffassung  dieser  Stelle  weiche  ich  sowohl  von  Ausfeld,  Lambert 
V.  Hersfeld  u.  d.  Zehentstreit  zw.  Mainz,  Hersfeld  u.  Thüringen,  Marburger 
Diss.  1879  S.  19,  als  auch  von  Hauck,  KG.  Deutschlands  3,  731  A.  1  ab. 

2)  Von  den  zahlreichen  Oberschäften  gelang  kaum  einer  in  einem  Zug,  alle 
sind  in  Absätzen  hergestellt  und  angestückt. 

*)  Data  X.  kl.  mai.  anno  Christo  propitio  imperii  nostri  (ausgefallen !)  XLII 
in  Francia  atque  XXXV  in  Italia,  indictione  secunda;  actum  Aquisgrani  i.  d.  n.  f.  a. 
an.  42  in  Francia  stimmt  zu  810,  an.  35  in  Italia  und  Indiction  2  zu  809,  Aachen 
als  Ausstellung-sort  stimmt  zum  einen  wie  zum  andern. 


246  ^-  '^'a^gl- 

geschnittenen,  von  der  nur  noch  der  obere  Theil  des  Chrismon  und 
die  Spitzen  einzelner  Oberscliäfte  sichtbar  sind.  Einen  Angelpunkt 
für  die  Beurtheilung  dieser  Urkunde  bildet  demnach  die  Schriftbestim- 
mung ;  rührt  die  neue  Datirung  und  ebenso  die  Ersetzung  des  Namens 
Baugulf  durch  Katgar,  wie  Pflugk-Harttung  annahm,  von  anderer 
Hand  her,  dann  würde  sich  die  Beurtheilung  sehr  vereinfachen:  wir 
hätten  eine  Nachzeichnung  einer  wohl  sicher  echten  Urkunde  für  Bau- 
gulf vor  uns,  die  erst  später  zu  einer  solchen  für  Ratgar  verunstaltet 
wurde.  Dem  ist  aber  nicht  so:  auch  die  neue  Datirung,  sowie  die 
Aeuderung  des  Abtnamens  sind  von  derselben  Hand  geschrieben  i). 
Es  war  also  ein  und  derselbe  Mann,  der  aus  swei  zeitlich  und  wohl 
auch  inhaltlich  einander  fernstehenden  Urkunden  eine  Fälschung  auf 
den  Namen  Ratgars  zimmerte.  Sind  wenigstens  die  Einzelbestand- 
theile  zuverlässig,  und  ist  es  noch  möglich,  sie  ihrer  Provenienz  nach 
genau  zu  scheiden?  Die  Erwähnung  der  Zehenten,  die  hier  in  Ful- 
daer  Urkunden  zum  erstenmal  erscheint,  ist  aus  gleichzeitigen  Hers- 
felder Urkunden  mehrfach  zu  belegen.  Scheint  in  dem  „propter  aedi- 
ficia  perficienda  vel  restauranda"  die  aus  der  Bauwuth  des  Abtes 
Ratgar  entspringende  eigentliche  Tendenz  der  Fälschung  zu  liegen,  so 
ist  dem  entgegen  zu  halten,  dass  auch  Baugulf  bereits  eifrig  baute; 
und  andererseits  steht  die  nun  folgende  Stelle  über  die  „Susceptio 
hospitum"  in  vollem  Gegensatz  zu  dem,  was  uns  im  .Libellus  supplex" 
§  XIIL2)  über  Ratgars  ungastliches  Walten  berichtet  wird:  „Quod 
peregrinorum  susceptio  ....  non  uegligatur  sed  secundum  regulam 
et  secundum  prioruoi  nostrorum  consuetudinem,  quandoque  veneriut, 
misericorditer  suscipiantur."  Wenn  hier  Fälschung  oder  Umformung 
vorliegt,  so  kann  sie  nur  Ratgars  Gegnern  oder  Nachfolgern,  keines- 
falls ihm  selbst  zur  Last  fallen. 

Neues  Licht  fällt  auf  die  Frage  durch  eine  Mittheilung  in  Bod- 
manns  „Rheingauischen  Alterthümern",  (Mainz  1819,  S.  872):  „Auch 
theilen  wir  darüber  (über  das  Hospitalitätswesen  in  den  mittelalter- 
lichen Klöstern)  eine  auf  einer  langen  Pergamentrolle  im  Fulder  Archive 


>)  Kennzeichen  dafür  sind  die  o  mit  lang  gezogenem  Anstrich,  die  eigen- 
artigen Verbindungen  von  f  mit  dem  folgenden  Buchstaben  (vgl.  infra  und  feli- 
citer  der  Datirung  mit  zahlreichen  gleichartigen  Formen  des  Contextes),  die 
stark  eingekerbten  e  und  das  gleiche  Kürzungszeichen.  Die  Angabe  Fickers, 
Beiträge  z.  UL.  2,  264,  dass  im  Worte  »indictione«  die  Tinte  wechsle,  ist 
irrig.  Auf  der  Kückseite  der  Urkunde  ist  eine  Notiz  radirt;  sie  lautete  aber 
geradeso  wie  die  stehen  gebliebene:  Karoli  de  decimis  Ratgario  abbati  con- 
cessum. 

2)  Brower,  Antiq.  Fuld.  214  MG.  Epist.  4.  550. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  247 

befindliche  i)  uralte,  noch  ungedruckte  Note  über  dergleichen  Zehenten 
hier  aus  der  zum  Tlieil  unleserlichen  Urschrift  mit:  De  deeimis.  In 
concilio  quondam  Aquense  habito    disputaverunt   episcopi   propter   de- 

cimas  que ratiouabiliter  redderentur.     Sic   illis  visum  fuerat 

cum  plus  episcopis  deberentur,    quam  cetere  alicubi  aeccles e; 

ergo  contentionem  tunc  iuxta  equitatis  normam  bone  memorie  vir  Ca- 

rolus  Imperator  cum  ceteris  fidelibus  p nis  solatium  prebendo 

Baugulfo  scilicet  abbati  monachisque  suis  in  coenobio  sancti  Boni- 
facii  martiris  deo  militantibus  cum  auctoritat  ....  ivilegii  beati  Zacharie 
pape  et  precepti  piissimi  genitoris  nostri  Pippini  ratiouabiliter  coram 
omni  concessit  sinodo  publice  atque  decrevit  causam,  quod  iustum  non 
esset,  ut  predictus  abbas  ceterique  post  ipsum  abbates  et  fratres  in 
eodem  loco  sancto  degentes  ullo  modo  in  suis  villulis  et  servis  et  co- 
lonis  in  illis  habitantibus  et  ad  se  pertineutibus,  ut  deeimis  propter 
hospites  pauperes  videlicet  et  propter  edificia  luminariaque  aecclesiarum 
renovanda  debeant  privari.  Quodcirca  ipse  Carolus  inperator  secundum 
potestatem  divinitus  sibi  concessam  palam  determinavit  in  preseutia 
totius  synodi,  ut  prefati  sancti  loci  videlicet  Bonifacii  et  monachi  supra 
statutam  atque  necessariam  prebendam  haberent  decimas  ex  suis 
villulis,  und peregrinis  atque  pauperibus  tem- 
pore susceptionis  ad  usus  uecessarios  possint  .  .  .  .inis- 
trare  secundum  id,  quod  sanctae  regulae  propositum  at- 
que mandatum  iubet  mouachos  in  susceptione  hospitum 
atque  pauperum   omni  hora   paratos  esse,  noviterque   cotidie 

supervenientes atque   idoneum    Christi  vice   illis   prebere    olis- 

quium. 

Hirmiumarus  uotarius  ad  vieem  Hugonis  recognovi  et  scrip  i. 

Data  IL  non.  mai.  anno  XXVII.  Christo  propitio  regni  Karoli 
imperatoris;  actum  Aquisgrani   palatio ;  in  dei  nomine    feliciter  amen. 

Die  Aufzeichnung  ist  eine  Fälschung,  und  zwar  eiue  viel  ärgere 
als  M.  448.  Sie  lässt  den  Bericht  über  eiue  unter  dem  verstorbenen 
(„bone  memorie")  Kaiser  Karl  abgehaltene  Synodalverhandlujg  über 
die  Zehentfrage  in  eine  Urkunde  Karls  d.  Gr.  ausklingen,  zu  der  sie 
Recoguition  und  Datirung  von  der  uns  wohlbekannten  Privilegien- 
bestätigung Ludwigs  d.  Fr.  in  der  Weise  entlehnt,  dass  sie  aus  Re- 
gierungsjahreu  Ludwigs  solche  Karls  macht  und  statt  des  unbedeutenden 
Salz  —  für  einen  Fälscher  recht  bezeichnend  —  die  Kaiserpfalz  Aachen 


')  Ich  zweifle  nicM,  dass  darunter  der  Fuldaer  Rotulus  saec.  X.  zu  ver- 
stehen ist,  auf  dessen  jetzt  verlorenen  Anfangsblättern  die  Eintragung  gestanden 
haben  konnte.  Die  Lücken  sind  genau  nach  dem  Bodmann'schen  Di'uck  wieder- 
gegeben. 


248  M-  Tangl. 

einsetzt  ^).  Dies  gibt  auch  einen  festen  Anhaltspunkt  für  die  Zeit- 
bestimmung; die  Aufzeichnung  kann  erst  nach  840  erfolgt  sein.  Sie 
aber  kennt  noch  eine  Zehenturkunde  Karls  d.  Gr.  für  Abt  Baugulf 
und  citirt  aus  ihr  die  von  mir  durch  gesperrten  Druck  hervorgehobenen 
Worte  fast  wörtlich  gleichlautend  mit  M.  448.  Es  fällt  auf,  dass  ein 
und  dieselbe  Urkunde  in  zwei  von  einander  unabhängigen  üeber- 
arbeitungen  jedesmal  mit  erborgtem  Datum  erscheint;  das  würde  dafür 
sprechen,  dass  die  echte  Urkunde  beiden  ohne  Datirung,  als  beschädigtes 
Original  oder  undatirte  Kopie,  vorlag.  Als  gegen  Ende  der  Regierung 
Ludwigs  d.  Deutschen  der  Zehentstreit  wieder  losbrach  -),  legte  mau 
Wert  darauf,  von  der  Beweiskraft  dieser  wichtigen  Urkunde  vollen 
Gebrauch  machen  zu  können;  zu  dem  Zweck  wurde  eine  Nachzeich- 
nung nach  Art  eines  Originals  angefertigt  und  mit  der  wahrscheinlich 
einem  Placitum  aus  Ratgars  Zeit  entnommenen  Recognition  und  Da- 
tirung versehen  ^) ;  dementsprechend  musste  dann  auch  Baugulfs  Name 
im  Text  weichen.  So  erkläre  ich  mir  das  Zustandekommen  von  M.  448- 
In  dieser  verderbten  Form  wurde  die  Urkunde  dann  875  durch  Ludwig 
d.  Deutschen,  M.  1468,  und  8.^0  durch  Ludwig  IlL,  M.  1526,  bestätigt. 
Kehren  wir  nunmehr  wieder  zu  unserer  Privilegienbestätigung 
zurück,  so  sehen  wir,  dass  die  Benützung  des  einen  Satzes  von  M.  448 
keineswegs  Bedenken  zu  erregen  braucht;  es  lag  eben  die  echte,  an 
Baugulf  verliehene  Lrkunde  vor,  die  Ratgar  neben  dem  Pippinprivileg 
ebenso  beibrachte,  wie  später  Hraban  neben  der  Privilegienbestätigung 
Karls  die  Immunitätsurkuude  von  816.  Damit  entfällt  auch  dieser 
Zweifel,  und  wir  haben  nur  noch  kurz  über  die  nähere  Einreihung 
innerhalb  der  möglichen  Zeit  von  803 — 814  zu  sprechen.  Dafür  bieten 
sich  nur  drei  Anhaltspunkte:  entweder  die  Datirung  von  M.  448,  also 
der  22.  April  809 — 810,  als  ein  Zeichen,  dass  Abt  Ratgar  damals  bei 
Hof  war,  und  zu  diesem  Zeitpunkt  reiht  Mühlbacher  die  Urkunde  ein. 
oder  die  Datirung  von  M.  467  (453)  (811.  Dez,  1),  als  der  einzigen 
noch  von  Suavis  recognoscirten  Urkunde  oder  das  Jahr  812,  in  dem 
Ratgar  im  Streit  mit  den  Mönchen  an  den  Hof  zog  ^). 

')  Diese  Urkunde  ist  auch  dazu  benützt,  das  Zachariasprivileg  in  die  Dar- 
stellung hinein  zu  verweben. 

2)  Vgl.  M.   1462. 

3)  Dies  die  Vermuthung  Bresslaus,  UL.  1,  282  A.  ß,  dem  ich  mich  hierin 
anschliesse.  Heidebert  erscheint  nur  noch  einmal  als  Recognoscent  in  einem 
Placitum  für  St.  Denis  vom  8.  März  812,  M.  469  (455)  und  zwar  übereinstimmend 
mit  M.  448  in  der  in  Diplomen  kanzleiwidrigen  Form  »Ego  Eldebertus«,  während 
sich  die  Placita  hierin  wie  auch  in  Schrift  und  Austattung  den  Privaturkundeu 
nähern. 

■*)  Annal.  Lauris.  Min.  MG.  SS.   1,  121. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  249 

Zwischen  809  und  812  dürfte  demnach  die  Pippinurkunde  zum 
erstenmal  vorgelegt  und  bestätigt  worden  sein.  Wann  ist  sie  selbst 
entstanden  ? 

Im  J.  774  verlieh  Karl  d,  Gr.  dem  Kloster  Fulda  die  Immunität 
und  in  gesonderter  Urkunde  das  Recht   der   freien    Abtwahl,    M.  172, 
173  (168,  169).     Letztere  Urkunde  ist  nach  der  merovingischen  Formel 
des  Klosterprivilegiums  (Markulf  I.  2)  abgefasst,  enthält  aber  bedeutend 
weniger   als  diese;  während  Sickel  (a.  a.  0.  S.  571)  als  typischen  In- 
halt der  Privilegien  dreierlei  feststellte:    1.  der  Bischof  hat   kein  An- 
recht auf  das  Klostergut,    2.    der  Bischof  darf  das   Kloster   nur   über 
Aufforderung  des  Abtes  und  nur  zur  Vornahme  der  ihm  vorbehaltenen 
geistlichen  Handlungen  betreten  und  soll  das  Kloster  bei  solchen  Ge- 
legenheiten nicht  bedrücken,    3.  freie  Abtwahl,  wird  hier  nur  letztere 
zugestanden,  die  sich  die  Mönche  im  Streit  mit  Lull  seinerzeit  abgetrotzt 
hatten.     Sickel  (a.  a.  0.  628)  schliesst   aus    dem  Wegbleiben   fast  des 
ganzen  disponireuden  Theils,  dass  dies   aus  dem  Grund  geschehen  sei, 
weil  die  betreffenden  Formein  für  Fulda  nicht  passten,  das  nicht  mit 
einem  bischöflichen  Privileg  herkömmlichen,  sondern  mit  einem  päpst- 
lichen  Privileg   besonderen    Inhalts    ausgestattet   war.     Aber   um   wie 
viel  näher  lag  es,  dass  die  Kanzlei,  statt  zu  der  Markulfischen  Formel 
zu  greifen,  mit  der  sie  dem  besonderen  Fall  gegenüber  doch  ihr  Kreuz 
hatte,  sich  der   dem   besonderen   Fall   so   schön    Rechnung   tragenden 
Pippinurkunde  bediente,    —  wenn   sie    schon   bestanden   hätte!     Dass 
Eigil  in  der  Vita  Sturmi  nur  von  dem  Zacharias-Privileg  allein  spricht, 
obwohl  er  der  Stellungnahme  Pippins  in  der  Frage  gedenkt,  ist  bereits 
erwähnt.     Die  nächste  Nachricht  ist  uns  wieder  in  den  Auszügen  aus 
der    verlorenen    Fuldaer    Briefsammlung    als    Bruchstück    aus    einem 
Schreiben  Hrabans  an  den  Abt  Hatto,  leider  ausserhalb  jedes  näheren 
Zusammenhanges,  überliefert  i) :   „Inter  eum  (sc.  Bernwolfum  episcopum 
Herbipolensem)    et   Riculfum    Moguntinum    episcopum    et    Bongulfium 
Fuldensem  abbatem    ortum   est   dissidium    propter   chartam   quandam, 
quam  aliqui  Bonifacium  a  pontifice  accepisse  affirmarunt ;  tandem  causa 
in  praesentia  Caroli  et  episcoporum  in  synodo  tractata  Bervvolffus  dam- 
natur   propter    illicitam    ordinationem    in    Fuldensi    coenobio    factam". 
Die  Regierungszeit  der  drei  Männer  2)    lässt  die   Einreihung   zwischen 
787  und    800   zu.     Die   Nachricht   böte,    wenn   zuverlässig,    das   erste 
bestimmte  Zeugnis,   dass   Karl  d.  Gr.   vom  Zachariasin-ivileg   Kenntnis 
genommen  und  in  dessen  Sinne  entschieden  habe. 

')  Dümniler  a.  a.  0,  S.  385. 

«)  Richulf  V.  Mainz    787—813,    Bernweif  v.  Würzburg  785—800    und   Bau- 
gulf  V.  Fulda  780—802. 


250  M.  Tang]. 

774  war  nach  meiner  Ansicht  die  Pippinurkunde  noch  nicht  vor- 
handen., c.  810 — 812  ist  sie  bestätigt;  in  der  Zwischenzeit  muss  sie 
entstanden  und  muss  die  Papstnrkunde  umgearbeitet  worden  sein. 
Spricht  die  Erfahrung,  dass  Fälschungen  weitaus  überwiegend  zu 
augenblicklichem  Bedarf  hergestellt  wurden,  dafür,  dass  auch  in 
unserem  Fall  der  Zeitpunkt  der  Entstehung  nicht  allzu  weit  vor  dem 
der  Verwertung  fiel,  so  dürften  die  eigenthümlichen  Verhältnisse,  die 
in  Fulda  unter  Eatgar  herrschten,  noch  weiter  zur  Stützung  dieser 
Vermuthung  beitrageu.  Zerfahrene  Verhältnisse,  Streit  mit  äusseren 
oder  inneren  Feinden,  bildeten  ja  so  häufig  die  Grundlagen,  aus  denen 
Fälschungen  erwuchsen. 

Die  ungemessene  Baulust  des  Abtes  nahm  die  materiellen  Hilfs- 
mittel des  Klosters  aufs  äusserste  in  Anspruch,  und  er  musste  deshalb 
auf  die  Erhaltung,  Ausnützung  und  Vermehrung  derselben  nachhaltigen 
Wert  legen.  Daraus  erklärte  sich  das  Hineintragen  des  ganz  fremden 
besitzrechtlichen  Moments  und  der  Zeheuten  in  die  Papsturkuude. 
Katgars  Amtsthätigkeit  war  erfüllt  von  Streitigkeiten  mit  den  Mönchen, 
die  zum  Theil  leidenschaftliche  Formen  annahmen  und  in  ihrer  Be- 
deutung weit  über  die  Klostermauern  hinausgriffeu.  Dadurch  lag  die 
Gefahr  fremder  Einmischung  —  (809  und  812  kam  zur  Schlichtung  des 
Streites  Erzbischof  Richulf  vou  Mainz  im  Auftrag  Karls  d.  Gr.  nach 
Fulda!)  1)  —  ebenso  nahe,  wie  der  Wunsch  des  Abtes,  sich  gegen  solche 
Eiugriife  möglichst  zu  wahren  -).  Rom  bot  in  jenen  Tagen,  ganz 
abgesehen  von  der  weiten  Entfernung,  kaum  sichere  und  ausreichende 
Hilfe;  diese  war  nur  von  dem  mächtigen  Frankenherrscher  zu  erwarten. 
Trugen  die  unzufriedenen  Mönche  ihren  „Libellus  supplex"  mit  der 
köstlichen  Miniatur,  die  den  verhassten  Abt  als  wildes  Einhorn  in  die 
friedsarae  Schafherde  seiner  Mönche  fahren  liess  3),  zur  Kaiserpfalz,  so 
brächte  Abt  Ratgar  das  päpstliche  Privileg  und  die  frisch  geschafifene 
königliche  Bestätigimg  durch  Pip]>in  ebendahin.  Dass  sich  Ratgar 
kräftigen  Rückhalts  beim  alten  Kaiser  erfreute,  geht  daraus  hervor, 
dass  ihn  dieser  gegen  die  Angrifie  der  Mönche  hielt,  während  ihn 
Ludwig  d.  Fr.  im  Jahre  817  absetzte.  Auch  in  der  Privilegienfrage 
erreichte  er  seineu  Zweck,  wenn  auch,  wie  wir  sehen,  lange  nicht  voll- 
ständig.    Ganzen  Erfolg  hatte  er  nur  in  der,  wie  die  gleichzeitige  Vor- 


')  Vgl.  die  zusammenhängende  Darstellung  dieser  Verhältnisse  bei  Simson. 
Ludwig  d.  Fr.  1,  371  if. 

■-')  Die  Streitigkeiten  drehten  sich  nach  dem  Libellus  supplex  vielfach  gerade 
um  geistliche  Fragen;  gegen  einen  Einspruch  des  Bischofs  auf  diesem  Gebiet 
sollte  die  Geltendmachung  der  Exemtion  dienen. 

s)  Brower,  Antiq.  Fuld.  212;  die  Miniatur  y.  90. 


Die  Fuldaer  Privilegienfrage.  251 

läge   der   Bauguifischen   Zehenturkunde   beweist,    allerdings    wichtigen 
und  dringenden  Besitz-  und  Zehentfrage  i). 

Noch  ist  eines  zu  erledigen :  Selbst  einem  so  harmlosen  Urkunden- 
benützer  wie  Dronke  fiel  es  auf,  dass  die  Erneuerung  der  Bestätigung 
bei  Ludwig  d.  Fr.  erst  im  J.  840  eingeholt  wurde  2).  Wie  kam  es, 
dass  man  die  Urkunde  Karls  d,  Gr.  durch  30  Jahre  ungenützt  liegen 
Hess?  Wie  konnte  vor  allem  Abt  Katgar  selbst,  dem  doch  am  meisten 
daran  liegen  musste,  die  günstige  Gelegenheit  der  Immunitätsverleihung 
vom  J.  816  vorübergehen  lassen,  ohne  gleichzeitig  um  die  Privilegien- 
bestätigung anzusuchen?  Dass  er  sie  nicht  erhielt,  ist  sicher;  dass  er 
sie  aber  gar  nicht  anstrebte,  möchte  ich  bezweifeln.  Ich  glaube  sogar, 
in  dieser  Immunitätsverleihung  einen  Hiuweis  auf  Ablehnung  eines 
weitergehenden  Ansinnens  zu  finden.  Sickel  legte  dar,  dass  in  den 
Immunitätsurkunden  Ludwigs  d.  Fr.  wiederholt  ein  Hinweis  auf  andere 
Klöster  erscheint,  und  dass  einzelnen  dieser  Berufungen  eine  besondere 
Bedeutung  zukommt  ^).  Ein  solcher  Hinweis  steht  auch  in  der  Im- 
munität Ludwigs  d.  Fr.  für  Fulda,  M.  613  „sicut  cetera  monasteria 
infra  Imperium  nobis  divinitus  concessum  sub  nostra  subsistunt  de- 
feusione  et  immunitatis  tuitione".  Dass  die  Klausel  nicht  in  dem  Sinn 
wörtlich  zu  nehmen  ist,  als  ob  die  Immunität  wirklich  schon  ein  allen 
Stiftern  gemeinsames  Vorrecht  gebildet  habe,  hat  Sickel  a.  a.  0.  S.  314 
selbst  betont.  Bei  Fulda  will  er  eine  specielle  Bedeutung  nicht  an- 
erkennen, während  ich  sie  umgekehrt  sehr  bestimmt  in  Anspruch 
nehmen  möchte,  in  dem  Sinne,  dass  der  Kaiser  Königsschutz  und  Im- 
munität nur  in  der  im  Reiche  auch  sonst  einzig  üblichen  Form  er- 
theilte,  die  Anerkennung  einer  besonderen,  darüber  hinausgehenden  Aus- 
nahmestellung aber  ausschloss.  Zur  Politik  Ludwigs  d.  Fr.  würde  ein 
solches  Vorgehen  sehr  wohl  stimmen.  Wir  wissen,  dass  er  sich  in 
seinen  ersten  Regierungsjahren  in  sehr  bestimmter  Opposition  gegen 
die  Regierungshandlungen  aus  der  letzten  Zeit  seines  grossen  Vor- 
gängers befand,  üeberdies  trug  er  sich  damals  mit  dem  Plan,  Einheit 
in  die  Klosterorganisation  seines  Reiches  zu  bringen,  welcher  Vorsatz 
auf  dem  Aachener  Concil  vom  Juli  817  zur  Ausführung  kam  und  der 
es  sehr  erklärlich  macht,  dass  der  Kaiser  die  Sonderstellung  eines 
dieser  Klöster  ablehnte. 


')  Ich  erinnere  nochmals  an  die  schon  oben  S.  204  hervorgehobenen  That- 
sache,  dass  dies  ausser  der  Pippinurkunde  einzige  urkundliche  Beispiel  von 
praefectus  =  comes  gerade  in  diese  kritische  Zeit  (bald  nach  806)  fällt. 

2)  CD.  Fuld.  233  Anm.  zu  Nr.  526. 

8)  Beiträge  z.  Diplomatik  V.  5  f.  SB.  d.  Wiener  Akad,  49,  313  f. 


252  ^^'  'r^^^^- 

Auch  hier  war  es,  wie  bei  den  päpstlichen  Privilegien,  Hraban 
vorbehalten,  eine  Lösung  der  schwebenden  Frage  zu  finden.  Der 
Augenblick  dazu  war  von  ihoi  meisterhaft  gewählt.  Ludwig  d.  Fr. 
befand  sich  auf  der  Heerfahrt  gegen  den  abtrünnigen  Sohn,  jeder 
Anhänger  aus  den  Ostreiche  musste  ihm  da  willkommen,  jedem  musste 
er  verpflichtet  sein ;  nicht  am  wenigsten  dem  mächtigen  Abt  von  Fulda, 
der  zu  den  bewährten  Anhängern  der  Keichseinheit  zählte.  Wenn 
Hraban  damals  zu  Salz  die  Bitte  um  Privilegienbestätigung  stellte, 
war  ein  Ablehnen  kaum  möglich.  So  erklärt  die  Verschiedenheit  der 
Zeitumstände  zur  genüge,  dass  der  Kaiser  in  seinen  letzten  Lebenstagen 
gewährte,  was  er  zu  Beginn  seiner  Regierung  verweigert  hatte. 

Das  Privileg  Pippins  wurde  nur  einmal  noch,  diesmal  aber  aller- 
dings in  vollem  Umfang,  durch  Otto  I.  bestätigt,  als  es  Fulda,  wieder 
durch  kluge  Ausnützung  ausserordentlich  günstiger  Zeitumstände,  ge- 
lang, sich  auch  die  uneingeschränkte  kirchliche  Exemtion,  wie  sie  dem 
h.  Bonifatius  vorgeschwebt  hatte,  wieder  zu  erringen  und  nunmehr 
dauernd  zu  bewahren. 


Henriciis  Italiens  und  Henricns  de  Isernia. 

Von 

J.    Noväk. 


Die  Namen  Henricus  Italiens  und  Henricns  de  Isernia  sind  für 
die  Quellenkritik  des  13.  Jahrhunderts  von  nicht  geringer  Bedeutung. 
Sie  hängen  mit  dem  Ursprung  zweier  nicht  nur  für  die  böhmische, 
sondern  auch  für  die  allgemeine  Geschichte  wichtigen  Sammlungen 
zusammen,  die  unter  dem  Titel  „Das  urkundliche  Formelbuch  des 
königlichen  Notars  Heinricus  Italicus"  ^)  und  „Codex  epistolaris  Primis- 


')  Ueberliefert  in  folgenden  Hss. : 

1.  Codex  des  kgl.  Staatsarchivs  zu  Königsberg  Nr.  281  *  aus  dem  14.  Jh., 
grösstentheils  herausgegeben  von  Job.  Voigt  im  Archiv  für  Kunde  Osten-.  Ge- 
schichtsquellen Bd.  29. 

2.  Codex  der  Capitelbibliothek  zu  Prag  K  33.  aus  dem  14.  Jh.,  grössten- 
theils herausgegeben  von  Jos.  Emier  in  Reg.  Bohemiae  2.  Bd. 

3.  Codex  der  fürstbischöfl.  Bibliothek  zu  Klagenfurt  MS  XXXI  b  12  fol. 
156 — 175  aus  dem  14.  Jh.,  beschrieben  und  theilweise  edirt  von  Ferd.  Tadra  in 
den  Abhandl.  der  kgl.  böhm.  Ges.  der  Wissenschaften  Folge  VII.  Bd.  2. 

4.  Codex  der  Privatbibliothek  von  J.  E.  A.  Fenwick  und  Fitz  Roy  Fenwick 
in  Cheltenham  Xr.  303,  geschrieben  von  einer  Hand  des  Anfanges  des  14.  Jhs. 
und  unter  dem  Titel  »Statuta  regui  Bohemiae*  von  Karl  Hampe  entdeckt.  Neues 
Archiv  f.  ä.  D.  Gesch.  22,  231.  Ist,  wie  Hampe  bereits  darauf  hinwies  und  wie 
ich  mich  im  Vorjahr  nach  genauer  Collationirung  überzeugt  habe,  die  directe 
Vorlage  der  nächstgenannten  Wiener  Handschrift. 

5.  Codex  des  k.  u.  k.  Staatsarchivs  in  Wien  Nr.  196  aus  dem  18.  Jh.  unter 
dem  Namen  »Liber  a  missiouibus  regum  per  mauus  Zdenkonis  de  Trebecz  grössten- 
theils edirt  von  Emier  in  Reg.  Bohemiae  2.  Bd. 

6.  Codex  der  Stadtbibliothek  zu  Colmar,  theilweise  herausgegeben  von 
L.  Hugot  in  Cod.  dipl.  Moraviae.  Bd.  VII.  Abth.  III.  S.  949  f. 

Die  drei  letzten  Handschriften  sind  spätere  durch  anderes  Material  vermehrte 
Redactionen.     Von   den  Fragmenten   führe   ich  hier  nur  an  die  Handschrift  der 


^54  J-  Noväk. 

lai  Ottocari  II."  i)  bekannt  sind  und  ein  nicht  zu  unterschätzendes 
historisches  Material  enthalten. 

Die  Briefsammlung  Ottokars  II.  enthält  eine  Reihe  von  wert- 
vollen politischen  Briefen,  von  welchen  viele,  wie  namentlich  die  aus 
der  Zeit  des  Krieges  zwischen  ihm  und  Rudolf  ein  allgemeines  Inter- 
esse verdienen.  Das  Formelbuch  Heinrich  des  Italieners  ist  wieder  für 
die  innere  Entwickelung  der  Verfassung  und  der  socialen  Verhältnisse 
Böhmens  sehr  wichtig.  In  ihm  spiegelt  sich,  wenn  auch  oft  in  matten 
Farben,  die  grossartige  wirtschaftliche  Umwälzung,  die  im  13.  Jahr- 
hundert in  Böhmen  stattfand  und  in  der  gewaltigen  Persönlichkeit 
Pfemysl  Ottokars  II.  ihren  stärksten  Ausdruck  findet,  wieder.  Berufung 
deutscher  Colonisten,  hastige  Gründung  von  Städten.  Ausbreitung  des 
Mittelstandes  und  der  Geldwirtschaft  in  dem  auf  Naturalwirtschaft 
basirenden  Staate  lassen  in  diesen  Quellen  deutlich  ihre  Spuren  er- 
blicken. Man  kann  hier  in  einem  Vollbild  die  neue  Staatsörgauisation 
in  jeder  Abzweigung  der  Verwaltung  verfolgen.  Um  so  wertvoller  für 
uns,  dass  man  es  hier  mit  einer  officielleu  Kanzleisammlung  zu  thun  hat, 
in  welcher  sich  bei  einer  grossen  Zahl  von  Stücken  der  directe  Zu- 
sammenhang mit  der  königlichen  Kanzlei  nachweisen  lässt,  während  gegen 
die  übrigen  vom  diplomatischen  Standpunkt  nichts  einzuwenden  ist. 
Ganz  anders  bei  der  Briefsammlung  Heinrichs  von  Isernia.  Hier  ist 
bei  der  Mehrzahl  der  Briefe  die  Fiction  augenscheinlich  und  bei  den 
übrigen  findet  man  in  der  Form  und  im  Style  keine  Aehnlichkeit  mit 
dem  wirklichen  Nachlasse  der  königlichen  Kanzlei.  Also  jene  authen- 
tisch, diese  mindestens  sehr  verdächtig. 

Und  diese  beiden  heterogenen  Sammlungen,  sollen  nach  der  all- 
gemeinen Annahme  der  Geschichtsschreibung  von  einem  und  demselben 
Autor  herrühren.  Henricus  Italiens  und  Henricus  de  Isernia  sollen 
identisch  sein. 


Hof-  und  Staatsbibliothek  zu  München  Nr.  22303,  beschrieben  und  theilweise 
edirt  von  Ferd.  Tadra  in  den  Sitzungsber.  der  kgl.  böhm.  Ges.  der  Wissenschaften 
philos.  histor.  Classe  1885,  S.  82  t. 

•)  Ueberliefert  in  folgenden  Hss. : 

1.  Codex  der  Hofbibliothek  in  Wien  Nr.  3143  aus  dem  15.  Jh.,  theilweise 
herausgegeben  von  Th.  DoUiner,  Codex  epistolaris  Primislai  Ottocari  IL  Wien  1803. 

2.  Codex  der  fürstbischöfl.  Bibliothek  zu  Klagenfurt  MS  XXXI  b  12  aus  dem 
14.  Jh.  beschrieben  von  Ferd.  Tadra  in  den  Abhandlungen  der  kgl.  böhm.  Ges. 
der  Wissenschaften  Folge  Vll,  Bd.  2,  S.  3—6. 

3.  Codex  der  k,  k.  Universitätsbibliothek  in  Prag  XII  B.  12.  gefunden  von 
Ferd.  Tadra  und  in  derselben  Abhandlung  angeführt.  S.  3,  Anm.  2. 

4.  Codex  der  k.  k.  Universitätsbibliothek  zn  Krakau  Nr.  439  aus  dem  15.  Jh. 
beschrieben  und  theilweise  herausgegeben  von  B.  Ulanowski  in  Mitth.  des  Instituts 
6,  421   f.  und  in  »Scriptores  rerum  Polonicarum«  XII.  S.   1  f. 


Henricus  Italicus  und  Henricus  de  Isernia.  255 

Für  die  historische  Kritik  ist  es  vou  eminenter  Wichtigkeit,  in  dieser 
Frage  Klarheit  zu  schaffen,  denn  es  ist  davon  die  Beurtheiluug  und 
Verwertung  dieser  Quellen  abhängig,  indem  die  Autheuticität  der  ersten 
Kategorie  durch  die  Fictionen  angeblich  desselben  Autors  in  der  zweiten 
Kategorie  ziemlich  herabgesetzt  wird  und  umgekehrt  auf  die  Brief- 
sammlung hiemit  der  Schein  der  Glaubwürdigkeit  von  der  officiellen 
Sammlung  übergeht.  Dieser  Umstand  führte  mich  dazu,  diese  Frage 
noch  einmal  zu  untersuchen. 

Die  Literatur  über  dieses  Thema  ist  nicht  gross  i).  Dolliner,  welcher 
in  der  oben  angeführten  Publication  das  Leben  Heinrichs  von  Isernia 
beschreibt,  wirft  ihn,  wie  aus  dem  Absätze  VI  seiner  Biographie  erhellt, 
mit  dem  Protonotar  nicht  zusammen,  beschäftigt  sich  aber  nicht  näher 
mit  dieser  Frage. 

Palacky  hält  in  seinem  bahnbrechenden  Werke  ,üeber  Formel- 
bücher" 2)  Heinrich  von  Isernia  für  identisch  mit  Heinrich  dem 
Italiener,  widmet  aber  dieser  Sache  keine  grössere  Aufmerksamkeit. 
Gegen  die  Meinung  Palacky's  stellt  sich  Voigt  in  der  Einleitung  zu 
seiner  Ausgabe  der  Königsberger  Handschrift  und  betrachtet  die  beiden 
Verfasser  als  verschiedene  Persönlichkeiten,  ebenso  H.  Jiretek  in  seinem 
Artikel  ,Dva  Vlachove'  v  Cechäch'^  (zwei  Italiener  in  Böhmen)  3).  In 
diesen  beiden  Abhandlungen  wird  aber  häufig  unbrauchbares  Material 
mit  ungenügender  Kritik  den  Ausführungen  zugrunde  gelegt.  Auch 
Lorenz  unterscheidet  den  Protonotar  Heinrich  von  Isernia  *),  aber  dass 
auch  er  wie  die  beiden  früher  genannten  Autoren  der  Sache  zu  wenig 
auf  den  Grund  gegangen  ist,  beweist  am  besten  die  vorzügliche  Ab- 
handlung Jos.  Emiers,  dem  es  gelang,  solche  Gründe  für  die  Identität 
Heinrichs  von  Isernia  mit  dem  Protonotar  Heinrich  vorzuführen,  dass 
man  diese  Behauptung  allgemein  angenommen  und  seit  der  Zeit  die 
Frage  als  abgethan  betrachtet  hat^). 


')  Es  hat  sie  gründlich  Jos.  Emier  in  seiner  Abhandlung  ,Die  Kanzlei 
Pfemysl  Ottokars  II.  und  Wenzels  IL*  Prag  1878  Seite  29  Anm.  zusammengestellt: 
auch  in  den  Abh.  der  böhm..  Ges.  d.  Wiss.  VI.  Folge  Bd.  9. 

2)  Abh.  der  kgl.  böhm.  Ges.  d.  Wiss.  V.  Folge  Bd.  2. 

^)  In  dem  »Öasopis  musea  kr.  Ceskeho*  (Ztschr.  d.  böhm.  Museums,  Bd.  44, 
Seite  130  ff.). 

*)  Deutsche  Geschichte  im  13.  und  14.  Jh.  Bd.  I,  S.  392—395. 

5)  Bresslau,  Handbuch  der  Urkundenlehre  1,  645  Anm.  2  hält  es  nunmehr 
für  erwiesen,  dass  die  Xamen  Henricus  Italicus  und  Henricus  de  Isernia  einem 
Träger  angehören.  Vgl.  auch  Ferd.  l'adra  in  den  Abh.  der  kgl.  böhm.  Ges.  der 
Wiss.  VII.  Folge  2.  Bd.  S.  1  und  Sitzungsber.  der  kgl.  Ges.  der  Wiss.  philos. 
hist.  Classe  Jg.  1889  S.  82. 


256 


J.  Noväk. 


Der    spätere    Protonotar    Heinrich,    der    sogenannte    Heuricus^ 
Italiens,  über  dessen  frühere  Schicksale  uns  nichts  bekannt  ist,  er- 
scheint zuerst  als  königlicher  Notar  in  der  ünterfertigung  einer  Schen- 
kungsurkunde   Ottokars    IL,    gegeben    im    Lager   bei    Oedenburg    am 
3.  October  1273  für  das  Kloster  Imbach  i). 

Im  Jahre  1274  am  25.  November  ^)  sehen  wir  ihn  schon  in  einer 
Urkunde  für  Melnik  als  Protonotar  und  Pfarrer  zu  Gors  (Oesterreich 
unter  der  Enns)  unterfertigt.  Diese  Titulatur  bleibt  ihm  bis  zum  Tode 
des  Königs,  und  er  betheiligt  sich  an  der  Ausstellung  fast  aller  Ur- 
kunden für  Böhmen  und  Mähren  bis  zum  30.  Juni  1278  ^).  Nach  den. 
weiteren  Ausführungen  Emiers  war  er  schon  im  Jahre  1274  Prager 
und  Olmützer  Domherr,  denn  am  1.  Jänner  folgenden  Jahres  wird  ihm 
.Pragensi  atque  Olomucensi  canonico"  von  dem  Decan  und  dem 
Capitel  von  Wysehrad  die  erste  Praebende,  die  frei  wird,  zugesagt  *). 
Wir  sehen  in  ihm  also  in  den  letzten  sechs  Jahren  der  Regierung 
Ottokars  nicht  nur  den  Leiter  der  böhmisch -mährischen  Kanzlei,  son- 
dern auch  einen  hohen  geistlichen  Würdenträger. 

Nach  dem  Falle  seines  Herrn  im  Kriege  gegen  Piudolf  von  Habs- 
buro-  1278  scheinen  auch  die  glücklichen  Tage  des  Protonotars  gezählt 
gewesen  zu  sein.  Er  wurde  am  14.  September  1278  laut  einer  Nach- 
richt der  böhmischen  Annalen  5)  auf  den  Befehl  der  Königin  Kuni- 
o-unde  verhaftet,  in  seinem  Hause  beraubt  und  erst  am  29.  September, 
nachdem  der  Bischof  von  Prag  das  Interdiet   über  die  Stadt  verhängt 


1)  Reg.  Bobemiae  2  Nr.  837  ^per  manus  Henrici  notarii  nostri«  (Vgl.  Emier 
Kanzlei  S.  27.)  Die  falsch  datirte  Urkunde  vom  26.  März  1273  führe  ich  nicht 
an,  weil  sie,  wie  Emier  (Kanzlei  S.  27  Anm.  1)  bewiesen  hat,  in  das  Jahr  1278 
o-ehört.  Die  Vermutung  H.  Jireöek's  in  seinem  Artikel  .Dva  Vlachove  v  Cechäch« 
Tzwei  Italiener  in  Böhmen),  dass  Heinrich  schon  im  Dienste  Wenzels  I.  war,  hat 
keine  sichere  Grundlage,  da  sie  auf  einer  Urkunde  des  Wiener  Codex  des  Zdenko 
von  Trebecz  basirt,  welcher  von  fingirten  Namen  wimmelt;  die  Urkunde  hat 
J.  Voigt  in  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  des  Formelbuches  Arch.  f.  österr. 
Gesch.  29,  8,  in  ganz  unkritischer  Weise  edirt  und  benützt.  Den  richtigen 
Inhalt  gibt  die  Königsberger  Handschrift  (S.  150-151)  und  der  ist  folgender: 
König  Wenzel  (IL)  schenkt  seinem  Vicekanzler  P.  für  die  Dienste,  die  er  seinem 
Vater  P(femysl)  und  seinem  Grossvater  .  .  (Wenzel  I.)  geleistet  hat,  ein  Dorf.  Die 
Namen  Henricus  Italicus  und  Sawissius,  sowie  des  Dorfes  Holubitz,  und  die 
Aenderung  des  Königsnamen  W.  in  0.  sind  willkürliche  Abänderungen  des 
Zdenko  von  Trebecz,  so  dass  diese  Urkunde  für  die  Geschichte  des  Protonotars 
Heinrich  ganz  unbrauchbar  ist. 

2)  Emier  Reg.  Bohem.  2  Nr.  913. 

3)  Alle  diese  Angaben  bei  Emier,  Kanzlei  S.  27—29. 
*)  Emier  Reg.  Bohem.  2  Nr.  934. 

*)  Fontes  rer.  Boh.   IL  (Continuatio  Cosmae)  S.  302. 


Henncus  Italiens  nncl  Henricus  de  Isernia. 


257 


hatte,  freigelassen.  Vielleicht  hat  man  ihn  des  Hochverrathes  verdäch- 
tigt, sehr  wahrscheinlich  hängt  das  mit  den  späteren  Anschwärzungen 
seiner  Feinde  zusammen. 

Mit  dem  Titel  Protonotar  sehen  wir  ihn  zum  letztenmal  in  einer 
Urkunde  des  Landesverwesers  Otto  von  Brandenburg  vom  25.  Auo-ust 
1279.  Emier  meint,  dass  er  bald  darauf  gestorben  sei,  weil  man  ihn 
bei  der  Wahl  des  Olmützer  Bischofs  Theodorich  1281  am  26.  März 
nicht  mehr  unter  den  Olmützer  Domherren  findet,  und  da  auch  unter 
Wenzel  II.  im  Jahre  1283  als  Protonotar  ein  anderer  Mann,  der 
Magister  Welislaw,  erscheint  i). 

Ferd.  Tadra  gelang  es  in  der  Münchner  Handschrift  zwei  in- 
teressante Stücke  zu  entdecken  2),  aus  welchen  man  ersieht,  dass  der 
ehemalige  Protonotar  Heinrich  im  Jahre  1280  im  Dienste  der  Stadt 
Prag  war  und  mit  der  Verfertigung  der  städtischen  Contractbücher 
beauftragt  wurde.  Es  ist  wohl  begreiflich,  dass  er  einen  Ersatz  für  den 
verlorenen  Protonotardienst  suchte  :^).  Ich  habe  in  dem  Königsberger 
Codex  seines  Formelbuches  eine  Urkunde  gefunden^),  welche  beweist, 
dass  er  noch  um  das  Jahr  1284  unter  der  Regierung  Wenzels  IL  lebte, 
und  die  auch  erklärt,  warum  er  nicht  mehr  an  der  Spitze  der  böh- 
mischen Kanzlei  unter  diesem  Herrscher  stand.  Diese  Urkunde  bezieht 
sich  auf  die  Angriffe  seiner  Feinde,  welche  sehr  wahrscheinlich  mit 
der  früheren  Verhaftung  zusammenhängen.  Sie  bietet  auch  für  die 
Geschichte  der  Urkundenkritik  viel  Interesse. 

Der  Protonotar  Heinrich  war  bei  einer  mächtigen  Hofpartei  so 
verhasst,  dass  sie  ihn  um  jeden  Preis  beseitigen  wollte.  Welche  Partei 
es  war,  lässt  sich  wegen  Mangel  an  Quellen  schwer  constatiren.  Wenn 
ihn  Voigt  als  einen  Gegner  Zawisch's  von  Falkenstein  darstellt  s),  so  fusst 
diese  Behauptung  eben  auf  der  schon  früher  genannten  Urkunde e),  in 
welcher  alle  Namen  von  dem  Abschreiber  fingirt  wurden.  Da  es  den 
Feinden  Heinrichs    nach   dem  Falle  Ottokars    misslang,  durch  Gewalt- 

')  Emier,  Kanzlei  S.  28. 

2)  Sitzungsber.  der  kgl.  böhm.  Ges.  der  Wissenschaften,  Philos.  hiötor  Classe 
1885  S.  82—117,  Nr.  XVII  und  XVIII. 

3)  Unannehmbar  ist  die  Vermutung,  welche  Tadra  in  der  angeführten  Ab- 
handlung aufstellt,  dass  der  Protonotar  Heinrich  mit  dem  späteren  , Henricus 
notarius  civitatis«,  welcher  in  einer  Urkunde  vom  22.  November  1288  (Emier 
Reg.  ßom.  2  Nr.  1461)  vorkommt,  identisch  wäre.  Dagegen  spricht  der  Verkauf 
seines  Hauses  nach  seinem  Tode,  der  schon  am  25.  Februar  1287  stattfand. 
Vgl.  S.  260. 

*)  Königsberger  Cod.  S.  240-244.     (Vgl.  die  Beilage).  -- 

5)  Voigt,  Einleitung  S.  8. 

")  Vgl.  S.  256  Anm.  1. 

MittheiluDgen  XX.  j^ 


258  "'•  Noväk. 

mittel  denselben  zu  vernichten,  bedienten  sie  sich  am  Anfange  der 
Kegierung  Wenzels  II.  anderer  Mittel  zu  diesem  Zwecke.  Sie  verfassten 
eine  falsche  Urkunde  im  Namen  des  Landesverwesers  Otto  i),  in  welcher 
dem  Protonotar  solche  Verbrechen  in  die  Schuhe  geschoben  werden, 
dass  der  König  sofort  Eache  an  ihm  nehmen  wollte  und  nur  durch 
den  Rath  einiger  seiner  Grossen,  die  am  Hof  anwesend  waren,  von 
der  Uebereilung  abgehalten  wurde.  Heinrich  wurde  bald  von  der 
drohenden  Gefahr  durch  seine  Freunde  benachrichtigt,  da  er  aber  ein 
reines  Gewissen  hatte  und  mit  seinen  Feinden  offen  handeln  wollte, 
erwirkte  er  es,  dass  die  Urkunde  nicht  verheimlicht  wurde,  sondern 
dass  der  König  eine  öffentliche  Sitzimg  des  Hofes,  bei  welcher  unter 
anderen  auch  Magister  W(elislaw)  war,  über  sie  abhalten  Hess.  Hier 
erschien  auch  Heinrich  und  bat  den  König  um  Gehör;  dieser  wollte 
anfangs  nicht  darauf  eingehen  und  erst  auf  die  Ermahnung  seiner 
Mutter,  der  Königin  Kunigunde,  Hess  er  den  ehemaligen  Protonotar 
vor  uud  verhörte  ihn.  Dieser  wies  gleich  vor  allen  Anwesenden  auf 
die  Uuglaubwürdigkeit  der  Urkunde  hin  und  bat  den  König,  er  möge 
ihm  denjenigen  nennen,  der  die  Urkunde  vorgelegt  hatte.  Dieses  lehnte 
zwar  der  König  ab,  um  aber  der  Gerechtigkeit  genug  zu  thun,  setzte 
er  eine  Commission  von  einigen  Prälaten,  unter  welchen  auch  W(elislaw) 
war,  ein,  welche  über  die  ganze  Sache  richten  und  ül^er  die  Echtheit 
der  Urkunde  entscheiden  sollte.  Nachdem  diese  zusammengetreten  waren, 
untersuchten  sie  zuerst  das  Siegel,  das  Siegelbild,  den  Stil  und  den 
Inhalt  dieser  Urkunde,  verglichen  dieselbe  mit  anderen  Urkunden  und 
zogen  auch  viele  andere  Siegel  von  echten  Urkunden,  welche  der 
Markgraf  von  Brandenburg  Bürgern  von  Prag  ausgestellt  hatte,  heran, 
und  nachdem  sie  die  Peripherie  so  wie  die  Siegelbilder  sehr  vorsichtig 
und  achtsam  gemessen  hatten,  kamen  sie  zu  dem  Resultat,  dass  alle 
Siegel  der  echten  Urkunden  wie  im  Siegelbild  so  auch  in  der  ganzen 
Grösse  übereinstimmen,  wogegen  das  Siegel  derjenigen  Urkunde,  welche 
die  Verleumdungen  Heinrichs  enthielt,  durchaus  verschieden  war,  denn 
in  Umfang  und  den  anderen  Dimensionen  war  es  grösser  und  ebenso 
in  Bezug  auf  die  darauf  dargestellte  Figur.  Dann  untersuchten  sie 
auch  die  Formeln,  das  Dictat  und  den  Inhalt  der  verdächtigen  Urkunde 
sorgfältig,  und  nachdem  sie  gesehen  hatten,  dass  ihr  die  Datirung, 
mit  welcher  alle  übrigen  Urkunden  des  Markgrafen  Otto  versehen 
waren,  fehlte,  kamen  sie,  da  auch  andere  Merkmale  dies  bestätigten, 
zu  dem  Kesultate,    dass    diese  Urkunde  nicht  aus  der  Kauzlei  des  ge- 


')  Diese  ganze  Angelegenheit  wird  in  der  Urkunde  Wenzels  IL,    wo  er  die 
Ehre  des  Protonotars  Heinrichs  wiederherstellt,  geschildert.     Vgl.  die  Beilage. 


Henricus  Italicus  und  Henricus  de  Isernia.  259 

nannten  Markgrafen  herrühre,  sondern  dass  wie  das  Siegel,  so  auch 
<lie  Urkunde  gefälscht  sei. 

Dies  wurde  dem  Könige  gemeldet  mit  der  Bitte,  er  selbst  möge 
sich  durch  Messen  von  der  Wahrheit  des  ürtheiles  überzeugen,  und 
man  bat  ihn  dringend,  er  möge  den  Namen  des  Fälschers  angeben. 
Das  verweigerte  der  König  auf  Bitte  einiger  hochgestellter  Persön- 
lichkeiten (quas  DOS  exaudire  decebat),  erklärte  aber  in  feierlicher  Form 
den  ehemaligen  Protonotar  als  aller  Schuld  und  jedes  Makels  ledig 
und  befahl  den  Anklägern  unter  der  Strafe  der  Verbannung  ihm 
Oenugthuung  zu  leisten. 

Ich  habe  diese  Episode  näher  ausgeführt,  weil  sie  diplomatisch 
nicht  uninteressant  ist,  indem  sie  neben  der  Siegelkritik  seitens  des 
Papstes  Alexander  III.  1171  der  erste  uns  genau  beschriebene  Fall 
einer  auf  moderne  Art  durchgeführten  ürkundenkritik  im  Mittelalter 
sein  dürfte.  Diese  Geschichte  fällt  in  die  Jahre  1283  —  85,  und  zwar  da 
Wenzel  II.  erst  1283  am  24.  Mai  nach  Böhmen  kam  und  Kunigunde 
1285  am  9.  September  schon  starb,  sehr  wahrscheinlich  in  den  Winter 
1283  auf  1284,  in  die  Zeit  des  inneren  Kampfes  zwischen  der  Partei 
Zawisch's  von  Falkensteiu  und  der  Burkhart's  von  Janowitz. 

Die  Feinde  Heinrichs  erreichten  zwar  ihr  Ziel  nicht,  aber  sicher 
war  es  ihre  Arbeit,  dass  Heinrich  unter  Wenzel  II.  nicht  mehr  das 
Amt  des  Protonotars  bekleidete.  Vielleicht  war  es  eine  Entschädigung, 
wenn  er  vom  Könige  für  seine  früheren  Dienste  das  Bernanotariat  der 
Prager  und  Kaufimer  Provinz  erhielt  ^). 

Seine  Gegner  hörten  aber  auch  jetzt  noch  nicht  auf,  ihre  Angriffe 
gegen  ihn  zu  richten,  so  dass  er  sich  über  sie  bei  seinen  Mitdomherrn 
in  Wysehrad  in  einer  in  seinem  Formelbuche  erhaltenen  Urkunde 
heftig  beklagt  2),  Er  behauptet,  dass  dieselben  Feinde,  welche  damals 
die  falsche  Urkunde  verfertigt  haben,  um  ihn  zu  vernichten,  noch 
immer  bemüht  seien,  seine  Ehre  durch  verschiedene  Nachreden  bei  der 
hohen  Geistlichkeit  und  dem  hohen  Adel  zu  verdächtigen  und  dass  sie 
sogar  seinem  Leben  nachstellen,  und  wenn  er  einmal  geheim  oder 
öffentlich  ermordet  werde,  so  solle  man  es  wissen,  dass  das  die  That 
dieser  Menschen  war. 

Ueber  die  weiteren  Schicksale  des  Protonotars  Heinrich  ist  uns 
keine  Nachricht  mehr  erhalten.  Was  Voigt  und  Jirecek  über  seine 
weitere  Thätigkeit  erzählen,  das  basirt  auf  den  fingirten  Namen  des 
Codex  Zdenko's  von  Trebecz   und   hat    keine  Bedeutung.  Wir  besitzen 


»)  Voigt  S.  9,  Emier  Reg.  2  Nr.  2633,  Königsberger  Cod.  S.  165  b. 
2)  Emier  2  Nr.  2633. 

17* 


260  J.  Xoväk. 

eine  Kaufsurkunde  vom  25.  Februar  1287  ^),  die  auch  eiuer  dem 
Formelbuche  Heinrichs  beigefügten  Verkaufsurknnde  entspricht  ^),  in 
welchen  beiden  es  sich  um  den  Verkauf  eines  früher  dem  Protonotar 
Heinrich  gehörigen  Hauses  handelt.  Der  Probst  von  Prag  Ulrich  ver- 
kauft es  au  den  Bischof  Ulrich  von  Leitomischl.  In  der  Yerkaufs- 
urkunde  heisst  es  „domum  .  ,  .  quondam  magistri  H.  prothonotarii 
regni  Bohemie",  was  beweist,  wie  Emier  schon  zeigte  3),  dass  Heinrich 
damals  nicht  mehr  unter  den  Lebenden  war.  Wann  und  wie  er  ge- 
endet hat,  ist  uns  unbekannt. 

Von  dem  Magister  Heuricus  delsernia,  der  sich  auch  Italicus. 
Apulus,  Siculus,  de  Sicilia  nennt,  besitzen  wir  keine  anderen  Nach- 
richten als  diejenigen,  welche  seine  eigenen  Briefe  enthalten,  und 
solche,  welche  er  in  den  Aufschriften  der  einzelnen  Theile  seiner  Brief- 
sammlung niedergelegt  hat.  Die  erstereu  sind,  wie  ich  später  zeigen 
werde,  sehr  unsicherer  Natur,  wogegen  man  die  zweiten  als  eine  kurze 
Selbstbiographie  betrachten  kann  ^). 

Magister  Heinrich  stammt  aus  Isernia,  einer  Stadt  in  Süditalieu, 
und  wurde  als  ein  eifriger  Ghibelline  in  den  wirren  Zeiten  nach  der 
Vernichtung  der  Hohenstaufischen  Herrschaft  durch  Karl  von  Anjou 
proscribirt  und  seines  Gutes  beraubt,  musste  seine  Familie  verlassen 
und  in  die  Verbannung  gehen.  Er  wendete  sich  nach  Kom,  wo  er  auf 
kurze  Zeit  bei  der  päpstlichen  Curie  eine  Beschäftigung  fand,  bildete 
sich  dann  bei  dem  Magister  Peter  de  Prece  als  Khetor  und  Notar  aus^ 
hielt  sich  auch  in  Viterbo  und  Alatri  auf  und  scheint  in  sehr  be- 
drängten Verhältnissen  gelebt  zu  haben.  Als  sich  in  Italien  das  Gerücht 
verbreitete,  dass  der  Markgraf  Heinrich  von  Meissen  eine  kriegerische 
Unternehmung  nach  Italien  gegen  Karl  von  Anjon  vorbereite  und 
seineu  Neffen  Friedrich  zur  Wiedereroberung  Siciliens  schicken  wolle, 
eilte  Heinrich  nach  Meissen,  um  sich  der  ghibellinischen  Unternehmung 
anzuschliessen  und  nahm  seinen  Wohnsitz  in  Pirna.  Hier  erlebte  er 
eine  bittere  Enttäuschung,  er  überzeugte  sich  bald,  dass  alle  Hoffnungen, 
die  man  auf  den  Markgrafen  setzte,  nur  warme  Illusionen  der  ita- 
lienischen Ghibellinen  waren.  Auf  den  Rath  und  mit  den  Empfehlungen 
Peters  de  Prece,  mit  dem  er  in  Verbindung  blieb,  wendete  er  sich 
nach  Prag,  wo  er  von  dem  Landschreiber  gastfreundlich  aufgenommen 
wurde.  Um  sich  den  nöthigen  Lebensunterhalt  zu  schaffen,  eröffnete 
er  in  Wysehrad   eine  Schule   und   ertheilte   in   der  Logik,  Grammatik 


')  Emier  Regesta  2  Nr.   1398. 

»)  Ibid.  Nr.  •2634. 

s)  Emier,  Kanzlei  S.  28. 

*)  Vgl.  DoUiiier.  Codex  epistolaris,  Einleitung  Seite  L.V — V. 


Henncus  Italiens  und  Henricus  de  Isernia.  261 

lind  Ehetorik  Unterricht.  Im  Jahre  1271  kann  man  ihn  schon  sicher 
in  Prag  constatiren  i),  denn  er  spricht  über  die  Ereignisse  dieser  Zeit 
wie  ein  Augenzeuge.  Wir  können,  wie  Emier  richtig  vermutete,  wohl 
einen  geheimen  Faden  Ottokarianischer  Politik  in  dem  Umstände  er- 
blicken, dass  Heinrich  von  Isernia  im  Sommer  1273  von  Prag  nach 
Italien  abreist  und  in  Bologna  den  Papst  Gregor  X.,  der  nach  Lyon 
zum  Concil  reiste,  erwartet.  Emier  glaubt,  dass  er  als  Kenner  des 
Landes  und  der  Sprache  einer  politischen  Expedition  beigegeben  war, 
deren  Aufgabe  es  war,  sich  Sicherheit  darüber  zu  verschaffen,  wie  sich 
die  Curie  zu  einer  eventuellen  Wahl  Ottokars  zum  deutschen  König- 
verhalten  würde  ^). 

Nach  seiner  Eückkehr  aus  Italien  weilte  er  weiter  in  Prag,  wo  er  auf 
verschiedene  Weise  seinen  Unterhalt  sich  verschaffte.  Ueber  seine  Ver- 
hältnisse aus  dieser  Zeit  und  über  sein  angebliches  Notaramt  werde 
ich  noch  unten  sprechen.  Bis  zum  Jahre  1278  lässt  er  sich  in  Prag 
nachweisen.  Er  bespricht  sehr  eifrig  die  grossen  politischen  Ereignisse 
dieser  Zeit  in  seinen  Briefen.  Der  Ausbruch  des  Krieges  zwischen 
Kudolf  und  Ottokar  im  Jahre  1278  ist  die  letzte  grosse  Thatsache. 
die  sein  Gemüth  auf  das  Aeusserste  erregte  und  über  die  er  in  stür- 
mischer Weise  seinen  ganzen  Wortscliwall  ergossen  hat.  Von  da  an 
verschwindet  er  spurlos. 

Nach  dieser  biographischen  Uebersicht  werde  ich  die  Anhalts- 
punkte näher  untersuchen,  die  Emier  zur  Annahme  der  Identität  dieser 
beiden   Persönlichkeiten  geführt  haben. 

In  erster  Linie  ist  es  der  Name.  Dass  der  Name  Heinrich  beiden 
gemeinschaftlich  Avar,  hätte  kaum  Jemanden  zur  Annahme  der  Iden- 
tität geführt,  aber  der  L'rastand,  dass  auch  dem  Protonotar  der  Bei- 
name Italicus  beigegeben  wird,  war  sehr  verlockend.  Ich  bemerke  dabei, 
dass  ich  gegen  die  Ausführungen '"'),  dass  Henricus  de  Isernia  sich 
selbst  auch  Henricus  Italicus,  de  Sicilia,  Siculus,  Apulus  nannte,  nichts 
einzuwenden  habe.  Auch  der  Umstand,  dass  er  den  Namen  de  Isernia 
mehr  in  Briefen  an  seine  Landsleute,  die  anderen  mehr  im  Verkehr 
mit  seiner  Umgebung  in  der  Fremde  angewendet  hatte,  ist  in  Emiers 
Abhandlung  richtig  erklärt,  aber  das  alles  beweist  noch  nicht,  dass  er 


')  Dolliner  Einleitung  S.  V  behauptet,  dass  er  schon  1270  nach  Prag  kam. 
Er  stützt  sich  auf  einen  Brief,  den  er  dabei  anführt  und  in  das  Jahr  1270  ver- 
setzt. Die  Begebenheiten  dieses  Jahres  sind  aber  Heinrich  unbekannt,  und  diese 
Datirung  ist  auch  nicht  unanfechtbar.  Höchstens  in  den  Schluss  des  Jahres  1270 
könnte  man  seine  Ankunft  in  Prag  verlegen. 

2)  Yg\.  Reg.  imper.  VI  S.  1,  2. 

3)  Emier,  Kanzlei  Seite  33.  •     -.^    - 


262 


J.  Noväk. 


mit  dem  Protonotar  identisch  sei.  Selbst  wenn  in  dergleichen  Zeit  in 
Prag  zwei  Italiener,  die  sonst  denselben  Taufuamen  hatten,  auch  mit 
dem  Beinamen  Italiens  aufgetaucht  wären,  wäre  dies  bei  dem  im  Mittel- 
alter üblichen  Brauch,  Fremde  nach  ihrer  Heimat  zu  benennen,  kein 
hinreichender  Grund  um  sie  zu  einer  Person  zusammenzuwerfen. 

In  unserem  Falle  aber  kann  mau  constatireu,  dass  mit  dem  Zu- 
namen Italicus  die  beiden  Heinriche  nicht  gleichzeitig  bezeichnet  werden, 
sondern  dass  der  Protonotar  erst  dann  mit  dem  Epitheton  Italicus 
erscheint,  nachdem  der  andere  vom  Schauplatze  des  öffentlichen  Lebens 
in  Böhmen  vollkommen  verschwunden  ist,  erst  unter  Wenzel  II. 

Wir  besitzen  blos  drei  berücksichtigungswürdige  Fälle,  wo  der 
Protonotar  Heinrich  sich  selbst  so  nennt  oder  von  anderen  so  genannt 
wird,  und  zwar  erstens  in  der  Klageschrift,  in  welcher  er  sich  bei  den 
Wysehrader  Domherren  über  seine  Feinde  beschwert  i).  Dort  nennt 
er  sich  „ego  Henricus  Italicus  incliti  regis  Bohemie  notarius".  Dieses 
Stück  rührt  erst  aus  der  Zeit  Wenzels  IL  her,  da  hier  schon  die  ge- 
fälschte l^rkunde  erwähnt  wird '-). 

Der  zweite  Fall  ist  in  einer  Urkunde  des  Formelbuches  Heinrichs 
auch  erst  aus  der  Zeit  Wenzels  IL,  wo  dieser  König  Heinrich  das 
Bernanotariat  der  Prager  und  Kaufimer  Provinz  verleiht.  Dort  ist  auch 
die  Eede  von  den  Diensten  des  „dilecti  notarii  nostri  H.  Italici"  ^).  In 
dieser  Schenkung  den  Namen  Wenzel  in  Ottokar  umzuwandeln  und 
die  Schenkung  so  in  die  Zeit  dieses  Königs  zu  versetzen,  wie  es  Emier 
gethan  hat^),  ist  ein  entschiedener  Fehler,  denn  die  Königsberger 
Handschrift,  welche  gerade  in  Bezug  auf  die  Königsnamen  im  Ver- 
gleiche mit  anderen  und  speciell  auch  mit  der  Prager  Handschrift  die 
richtigen  Lesarten  besitzt  5),  weist  den  Namen  W(enzel  IL)  auf  im 
Gegensatz  zu  der  Prager,  die  mit  dem  Buchstaben  G.  den  König  an- 
führt. Emier  hat  auch  in  seinen  Regesten  ganz  richtig  die  l'rkunde 
dem  Könige  Wenzel  IL  zugeschrieben,  wogegen  er  in  seiner  Abhand- 
lung einen  der  wichtigsten  Beweise  der  Identität  darin  sieht,  dass  diese 
Verleihung,  in  der  angeblich  Ottokar  das  obgenannte  Bernanotariat 
seinem  Notar  Henricus  Italicus  geben  soll,  mit  den  Briefen  Heinrichs 


')  Voigt  Seite  9,  Emier  Reg.  2  Nr.  2633. 

»)  Vgl  Seite  259;  woraus  sich  auch  der  Umstand  erklärt,  dass  der 
frühere  Protonotar  damals  nur  in  der  Würde  eines  Notars  erscheint. 

s)  Voigt  S.  7,  Emier  Reg.  2  Nr.  2G29.  Königsberger  Cod.  S.  165  b.  Prager 
Capitel  Cod.  fol.  93  Nr.  195. 

•*)  Emier,  Kanzlei  S.  35. 

5)  Zu  diesem  Ergebnis  bin  ich  durch  das  Collationiren  dieser  beiden  Hand- 
schriften gekommen. 


Henricus  Italicus  und  Henricus  de  Isernia.  263 

Ton  Iserjiia  übereinstimmt,  in  welclien  dieser  sich  rühmt,  dass  er  vom 
Könige  Ottokar  als  Notar  aufgenommen  worden  sei.  Dieser  Beweis 
verliert  hiemit  ganz  seine  Stütze. 

Der  dritte  Fall,  wo  dem  Protonotar  Heinrich  der  Zuname  Italicus 
beigefügt  wird,  kommt  in  der  Prager  Capitelhandsehrift  am  Ende  seiner 
Formelsammlung  vor,  wo  man  liest  „Expliciunt  instrumenta  H.  Ytalici". 
"Wenn  man  auch  annimmt,  dass  in  der  Urschrift  des  Formelbuches 
diese  Worte  am  Schlüsse  standen,  so  waren  sie  schon  längst  nach  der 
Zeit  Ottokars  unter  Wenzel  II.  geschrieben,  denn  die  Sammlung  ent- 
hält auch  eine  grosse  Anzahl  Urkunden  dieses  Königs. 

Wenn  wir  in  der  Wiener  Handschrift  des  Zdenko  von  Trebecz  in 
der  Unterfertigung  der  Urkunden  Wenzel's  II.  öfters  lesen  ,datum  per 
manus  Henrici  Italici,  notarii  nostri"  oder  .Heurici  Apuli"  und  ähn- 
lich, so  hat  das  nichts  zu  bedeuten,  denn  hier  sind  es,  wie  Emier 
genügend  bewiesen  hat  ^),  ganz  willkürliche  Zuthaten  des  Abschreibers. 
Also  aus  der  Zeit,  wo  man  Heinrich  von  Isernia  in  Prag  con- 
statiren  kann,  findet  sich  kein  einziges  Beispiel,  dass  auch  der  Proto- 
notar mit  dem  Namen  Italicus  versehen  würde.  Im  Gegentheil  unter- 
zeichnet er  sich  in  allen  Originalurkunden  nur  als  Henricus  protono- 
tarius,  eventuell  notarius.  Dass  man  ihn,  einen  Italiener,  später,  als 
keine  Verwechslung  mehr  dabei  möglich  war,  Italicus  nannte,  ist  nichts 
eigenthümliches. 

Nicht  weniger  als  der  gleichlautende  Name  hat  auch  der  Inhalt 
der  Briefsammlung  Heinrichs  von  Isernia  zur  Zusammenwerfung  der 
beiden  genannten  Verfasser  beigetragen.  Es  lassen  sich  aus  dieser  Brief- 
sammlung so  auffallend  übereinstimmende  und  scheinbar  überzeugende 
Beispiele  herausnehmen,  welche  auch  von  Emier  zusammengestellt 
Avurden,  dass  sie  einem  jeden,  der  nicht  den  allgemeinen  Charakter 
dieser  Sammlung  ins  Auge  fasst,  einen  genügenden  Grund  zur  Identi- 
ficirung  der  beiden  Verfasser  bieten  werden. 

Hier  befinden  wir  uns  aber  auf  einem  sehr  unsicheren  Boden, 
denn  wir  sind  hier  grösstentheils  auf  blosse  Stilübungcn  angewiesen, 
wo  man  sehr  schwierig  die  Thatsache  von  der  Fiction  unterscheiden 
kann.  Gerade  an  den  Briefen,  welche  sich  auf  das  Leben  des  Ver- 
fassers beziehen,  kann  man  gut  sehen,  wie  viel  von  den  geschilderten 
Thatsachen  auf  Kechnung  des  Stilistischen  zu  setzen  ist.  Ich  werde 
hier  einige  Stücke  anführen,  wo  der  Isernier  Jemanden  über  sein  Be- 
finden benachrichtigt  und  ihm  seine  Familie  anempfiehlt. 


*)  Emier,  Kanzlei  S.  31. 


264  J"  Noväk. 

Auf  Fol.  91  11°  79  des  Codex  der  Wiener  Hof  bibliothek  Nr.  3143 
lesen  wir :  Quare  causa  dominacioni  vestre  grates  ^)  referens  iufinitas  suppli- 
citer  insto  et  instanter  supplico,  quatenus  personam  meam,  que  hactenus 
multe  turbacionis  imniersa  fluctibus  sterilis  erat  et  vacua,  modo  vero 
divini  graeia  muneris,  de  cuius  pleno  cornu  sumimus  onines,  fertilis  et 
potest  esse  pluribus  f ructuosa,  maxime  si  dominus,  cui  servio, 
pervenerit  ad  sperate  apicem  dignitatis.  vestiam  totaliter 
reputantes  sie  opinemini  vos  facere  posse  de  eadeni,  ac  si  vestris  esset 
serviciis  ex  debito  dedicata  -). 

Im  folgenden  Brief  n«  80  (Fol  91)  derselbe  luhalt  folgender- 
massen:  Noveritis  igitur  me  per  dei  graciam,  a  quo  provenit  omue 
bonum,  sospitate  vigere  corporea  et  fortunam  michi  sereno  arridere 
oculo,  que  hactenus  obliquo  me  respiciens  sidere,  erumpnosis  calami- 
tatibus  multisque  turbacionibus  molestabat,  qui  si  .  .,  cui  servio 
erectus  fuerit  in  sperate  fastig ium  dignitatis,  talis  ho- 
noris titulo  ero  preditus  et  dotatus,  qualem  nullus  pro- 
geuitorum  meorum  uliquatenus  est  adeptus^). 

In  der  nächsten  Nummer  81  (Fol.  92)  steht:  Vestre  innotescat 
igitur  probitati,  quod  michi  plena  iijgenti(sic)  ^)  sospitate  corporis  for- 
tuna  gratuiti  aspectu  luminis  eblanditur  et  votis  uostris  concurrere 
nititur,  que  hactenus  michi  afflicciones  innumeras  infligebat.  Nam 
parvi  distancia  temporis  iuteriecta  in  promocione  do- 
mini.  cui  famulor,  spero  me  talis  gradus  altitudiuem 
a  s  c  e  n  s  u  r  u  m ,  qualem  n  u  n  q  u  a  m  u  o  s  t  r  o  r  u  m  p  r  o  g  e  n  i  t  o  r  u  m 
attingere  voluerunt,  et  de  quo  amicis  aderit  leticia,  qua  se 
frequenter  exhilarent  uec  inimicis  detrit  tristicia  frequencius,  qua 
suspirent  ^). 

Im  folgenden  Briefe  Nummer  82  (Fol.  92)  lesen  wir:  Noveritis 
igitur,  me  supremi  dispensatoris  muuere,  qui  unicuique  fortuuas  et 
gracias  impartitur,  inxta  sue  arbitrium  voluntatis,  plena  vigere  cor- 
poris sospitate  et  in  curia  domiui  episcopi  honorifice  per- 
manere:  qui  si  ad  sperate  ascendat  culmiua  dignitatis, 
sciatis  indubitabiliter  me  magni  gradus  altitudinem 
a.scensur um,    et  spero  illius  honoris  tytulo    presigniri,  per  quem  et 


')  CoiT. ;  gratias. 

2)  Emier  Reg.  2  Xr.  2()25. 

3)  Ibid.  Nr.  2020. 
*)  Corr.  vigenti. 

5)  Emier  Reg.  II  2.-)68. 


Henricus  Italicus  und  Henricus  de  Isernia. 


265 


amicis  adesse  potero  et  prodesse   emulisque   omnibus   repeudere   fillea, 
que  immisericorditer  propinantur  '), 

Wenn  man  diese  vier  Briefe  vergleicht  und  näher  betrachtet,  mit 
welcher  Virtuosität  hier  viermal  dasselbe  in  andere  Form  und  andere 
Worte  gekleidet  wird,  so  kann  man  leicht  errathen,  zu  welchem  Zwecke 
sie  verfasst  wurden.  Es  verhält  sich  mit  diesen  so  wie  mit  vielen 
anderen  Briefen  Heinrichs.  Man  sieht,  dass  er  sich  oft  ein  bestimmtes 
Thema  wählte,  welches  er  in  den  verschiedensten  Variationen  be- 
arbeitete, es  waren  das  stilistische  Uebungen  für  seine  Schule. 

Aehnlich  sind  auch  die  vielen  Briefe,  in  denen  er  um  die  Gunst 
und  Fürbitte  höherer  Persönlichkeiten  bittet,  oder  andere  für  ihn  bitten 
oder  für  seine  Aufnahme  zum  königlichen  Notar  danken,  wobei  man 
immer  seinen  Stil  constatiren  kann.  Dass  man  aus  solchen  Quellen 
keine  bestimmten  historischen  Nachrichten  schöpfen  kann,  ist  ein- 
leuchtend. 

Wenn  also  Emier  auf  Grund  solcher  Quellen  zu  dem  Resultate 
kommt,  dass  Heinrich  im  Herbste  1273  vom  Könige  Ottokar  als  Notar 
aufgenommen  wurde,  so  kann  man  das  nicht  als  eine  sichere  histo- 
rische Thatsache  betrachten.  Und  wenn  er  den  Hauptgrund  der  Iden- 
tität in  der  üebereiu stimm ung  dieser  Thatsache  mit  der  Erscheinung 
sieht,  dass  am  3.  üctober  dieses  Jahres  zum  erstenmal  der  Name 
Henricus  uotarius  in  der  Unterfertigung  der  Königsurkunde  vorkommt^), 
so  werde  ich  zeigen,  dass  es  sich  hier  um  eine  chronologische  Unmög- 
lichkeit handelt.  Nach  seiner  eigenen  Erzählung  hat  Heinrich  von 
Isernia  im  Jahre  1273,  als  er  sich  auf  der  oben  erwähnten  Eeise 
befand,  den  Papst  Gregor  X.  in  Bologna  erwartet  3).  Hier  konnte  der 
Papst  nicht  früher  als  in  den  letzten  Tagen  des  September  eintreffen. 
Denn  auf  seinem  laugsamen  Weg  zum  Concil  nach  Lyon  über  Florenz, 
Sta.  Croce,  Modena  ^)  konnte  er  Bologna  nur  auf  dem  Wege  von  Sta.  Croce 
nach  Modena  passirt  haben.  Zum  letztenmal  urkundet  er  in  Sta.  Croce 
am  4.  September  5).  Hier  erkrankte  er  aber  und  blieb  hier  nach  der 
Nachricht  der  Annales  Piacentini  Gibellini  bis  zum  20.  September«'). 
Am  27.  September   kann   mau   ihn    bestimmt   schon  in  Modena  nach- 


1)  Emier  Reg.  II  2565. 

2)  Vgl.  Seite  256. 

s)  Emlcr  Reg.  2  Nr.  2609  ^me  jam  sanitati  pristine  restitutum  (besser: 
restituti,  nämlich  des  Paijstes)  summi  adventum  pontificis  Bononie  noveritis 
prestolari«. 

*)  Potthast  Reg.  2  Nr.  20747—20756. 

6)  Ibid.  Nr.  20756. 

«)  MG.  SS.  XVIII  S.  558. 


266  J.  Novi'ik. 

weisen  i).  Also  es  bleiben  nur  die  Tage  zwischen  dem  20.  und  26.  Septem- 
ber übrig,  in  welchen  ihn  Heinrich  in  Bologna  treffen  konnte  '^).  Von 
hier  also  kehrt  er  mit  den  Empfehlungen  der  Cardinäle,  um  als  Notar 
vom  König  Ottokar  aufgenommen  zu  werden,  frühestens  in  der  letzten 
Woche  des  September  zurück  und  soll  bis  zum  3.  October  folgende 
Leistung  gemacht  haben:  den  langen  Weg  vom  Fusse  des  Apennins 
bis  zum  Neusiedler  See  zurücklegen,  mit  den  Fürsprachen  sich  an  den 
König,  der  im  Kriege  mit  den  Ungarn  stand,  wenden,  von  diesem  als 
Notar  aufgenommen  werden  nnd  am  3.  October  eine  Urkunde  bei 
Oedenburg  unterfertigen.  Das  wäre  doch  zu  viel  verlangt  von  der 
nicht  so  übermässigen  Schnelligkeit  des  Mittelalters.  Das  als  einen 
Alibibeweis  au  zuführen,  wäre  richtiger,  als  daraus  auf  die  Identität 
schliessen  zu  wollen. 

Wenn  Emier  auch  den  Grund  anführt  =^),  dass  in  dem  Briefsteller 
Heiurichs  ein  Brief  vorkommt,  in  welchem  eine  mächtige  Persönlich- 
keit um  Fürbitte  für  Magister  Heinrich  den  Pfarrer  von  Gors  bei 
Kudolf  gebeten  wird^),  so  ist  dieser  eben  nur  eine  Stilübung,  durch 
welche  sich  Heinrich  beim  Protonotar,  zu  welchem  er,  wie  ich  später 
zeigen  werde,  im  dienstlichen  Verhältnis  stand,  einschmeicheln  wollte. 

Nachdem  ich  die  Hindernisse,  welche  im  Wege  stauden,  beseitigt 
zu  haben  glaube,  werde  ich  einige  directe  Gründe  anführen,  welche 
mich  zur  Unterscheidung  der  beiden  Verfasser  veranlassten.  Zunächst 
solche,  welche  man  aus  dem  Inhalt  selbst  schöpfen  kaun.  In  der  Brief- 
sammlung des  Iserniers  finden  wir  nämlich  Briefe,  welche  er  selbst 
an  den  Protonotar  Heinrich  richtet.  So  zum  Beispiel  diejenigen,  welche 
sich  in  den  Regesten  Emiers  unter  den  Nummern  2615,  2617  befinden. 
Die  beziehen  sich  auf  folgende  Geschichte.  Als  Heinrich  von  Isernia 
nach  seiner  Rückkehr  von  der  Reise  nach  Bologna  in  Prag  erkrankte, 
wurde  er  vom  Könige  dem  Kloster  Strahow  zur  Verpflegung  über- 
geben»).  Dort  vernachlässigte  man  ihn  aber  bald  sehr  und  entzog 
ihm  das  nothwendigste,  so  dass  er  das  Kloster  verlassen  musste.  In 
diesen  Briefen  wendete  er  sich  an  den  königlichen  Protonotar  Hein- 
rich, um  durch  seine  Vermittlung  über  die  Strahower  beim  König  seine 
Klage  vorzubringen  und  sich  an  ihnen  so  zu  rächen.  Wir  lesen  unter 
der  Nummer  2617:    „Ut   moneatur   H.   protonotarius   super   hiis,   pro 


>)  Potthast  Nr.  2075H. 

2)  Dass  der  Papst  über  Bologna  wirklich  reiste,  beweist  auch  die  Chronica 
di  Bologna  Muratori  SS.  XVIII  col.  285,  angeführt  auch  bei  Dolliner  S.  12. 
9)  Emier,  Kanzlei  S.  3f). 

")  Emier  Reg.  2  Nr.  2G32,  vgl.  Reg.  imper.  VI.  Nr.  870. 
!>)  Emier  2  Nr.  2614. 


Henricus  Italicus  und  Henricus  de  Isernia.  267 

quibus  eum  magister  H.  Ytalicus  rogaverat."  Emier  hat  hier  anstatt 
H.  den  Buchstaben  U.  substituirt,  weil  in  einer  „anderen  Formel  be- 
züglich derselben  Angelegenheit  der  Protonotar  Ulrich  ausdrücklich 
genannt  wird"  ^).  Diese  andere  Formel  kann  nur  die  unter  der  Num- 
mer 2618  seiner  Kegesten  sein,  hier  handelt  es  sich  zwar  auch  um 
Strahow,  aber  in  einer  anderen  Angelegenheit,  hier  handelt  es  sich  um 
die  neue  Abtwahl.  Zudem  wird  etwas  später  in  dem  angeführten  Briefe 
der  Name  Henricus  ausdrücklich  genannt  und  voll  ausgeschrieben 2). 
Endlich  befindet  sich  derselbe  Brief  auch  in  dem  Krakauer  Codex  3), 
der  von  der  Wiener  Handschrift  unabhängig  ist  und  weist  dieselben 
Anfangsbuchstaben  H.  und  den  Namen  Henricus  auf,  so  dass  man  hier 
die  gewaltsame  Substituirung  eines  anderen  Namens,  die  bei  der  An- 
nahme Emieis  nothwendig  war,  als  ganz  unrichtig  bezeichnen  muss. 
Dazu  weist  der  Codex  von  Krakau  noch  zwei  andere  Briefe  auf,  die 
Heinrich  von  Isernia  an  den  Protonotar  Heinrich  richtet,  einen  auf 
Fol.  218,  wo  er  den  magister  H.  in  seiner  Krankheit  tröstet  und  den 
anderen  auf  Fol.  2l3,  wo  er  dem  Magister  Heinrich  einen  gewissen 
Johann  zum  Dienste  auempfiehlt  und  über  die  ihm  selbst  gegebenen 
Aufträge  einen  Bericht  erstattet. 

Schon  diese  hier  angeführten  Schriftstücke,  in  denen  Heinrich 
von  Isernia  selbst  seine  Person  von  der  des  Protonotars  deutlich  unter- 
scheidet, müssten  zur  Verwerfung  der  Annahme  ihrer  Identität  ge- 
nügen, ich  habe  aber  noch  mehr  Gründe  anzuführeu. 

Vom  Protonotar  Heinrich  Avissen  wir,  dass  er  ein  Geistlicher  war, 
aus  dem  Briefsteller  des  zweiten  Heinrich  sieht  man  dagegen,  dass  er 
ein  Laie  gewesen.  Erstens  findet  man  in  seiner  Formelsammlung  viele 
Schreiben,  welche  sich  auf  seine  Frau  und  seine  Familie  beziehen,  so 
bei  Emier  Reg.  die  Nummern  2565,  2566,  2568,  2625,  2626  und 
viele  andere  nicht  edirte  im  Original,  so  dass  man  auch  bei  voller 
Berücksichtigung  dessen,  dass  es  sich  oft  nur  um  Stilübungen  handelt 
daraus  den  Schluss  ziehen  muss,  dass  der  Verfasser  verheiratet  war. 
Dass    das    Prager,    Olraützer    und  Wysehrader    Capitel    zu  ihrem  Mit- 


1)  Emier,  Kanzler  S.  34  Anm.  1. 

-)  In  diesem  Briefe  erzählt  Heinrich,  dass  man  ihm  im  Kloster  Strahow, 
als  er  sich  um  sein  Recht  meldete,  antwortete,  nicht  der  König  sondern 
nur  der  Herr  Henricus  habe  für  ihn  gebeten.  Wenn  man  dies  mit  dem  Briefe 
Nr.  2616  vergleicht,  wo  der  Isernier  sich  an  den  Protonotar  direct  mit  den 
Worten  wendet:  »quod  vosmet  ipse  pro  parte  vestra  deprecatus  fuistis  abbatem*, 
so  ist  es  selbstverständlich,  dass  es  sich  hier  um  niemand  anderen  als  um  den 
Protonotar  Heinrich  handelt. 

3)  Fol.  231.  .    . 


268  ■         J.  Xoväk. 

domherrn  einen  verheirateten  Mann  gewählt  hätte,  ist  nicht  denkbar, 
und  wenn  sich  schon  der  Fall  annehmen  Hesse,  dass  er  als  Fremder 
in  Prag  leicht  seine  Gattin  und  Kinder,  die  er  in  Italien  zurückliess, 
verleugnen  konnte,  so  hätte  er  sicher  über  sie  in  seinem  Formelbuche 
und  speciell  in  dem  in  Prag  verfassten  Theile  geschwiegen.  Zweitens 
ist  in  der  Wiener  Handschrift  ein  Brief,  der  noch  nicht  edirt  ist. 
enthalten  ^ ),  worin  sich  Heinrich  von  Isernia  in  einen  oiFenen  Gegen- 
satz zum  ganzen  damaligen  Clerus  stellt,  und  diesen  nicht  gerade 
liebenswürdig  ^harakterisirt.  Unter  dem  Titel  ,.Iuvectiva  contra  minores 
clericos.  mediocres  et  prelatos"  schreibt  er  dort  auch  folgende  Worte: 
Ordo  enim  heu  heu  quantum  doleo  clericalis  degenerat,  j^mmo  a  sancta 
nobili  et  inimaeulata  ]irimi  status  continencia  discors,  dissonus  et 
dehiscens,  eins  nee  sapit  regalam  nee  maneriem  profitetur.  Domiui 
ipsi  clerici  humilitatis  iupacieucia  humane  ac  rumose  (sie)  molem  ori- 
ginis  non  pensantes,  eqnis  uon  librantes  ponderibus  pondus  tarn  magui 
debiti,  cui  obnoxius  sunt  astricti  et  quod  debent  persolvere  tarn  grandi? 
obsequium  vectiqualis.  iram  indignacionis  divine  provocare  continuis 
excessibus  non  tinientes,  ampullosa  superbia  tumidi,  sue  religionis 
ignari,  salutis  immemores,  mandatorum  domini  contemptores  iufimos 
superciliose  despicere,  usus  in  abusus  convertere,  veudere  sacra,  pro- 
phanare  divina  aliquatenus  non  verentur  fastu  uefario,  irrito  gestu. 
exemplis  noxiis  et  sceleratissima  corruptela  etc.,  er  wirft  ihnen  noch 
mehr  Beschuldigungen  vor:  quin  ymo  tenacis  avaricie  limositate  viscati 
-et  morbidantis  invidie  sanie  putrescentes,  illos,  qui  eorum  in  serviciis 
servierunt,  suis  suffragiis  de  paupertatis  nolunt  eximere  laqueis  et  cum 
possint,  nolunt  aput  alios  ullatenus  promovere.  Et  cur  evagetur  oracio 
mea  lougius  per  campos  tantorum  facinorum,  quorum  in  lacu  prelati 
totaliter  sunt  dimersi.  Isti  sunt  Euffini  legittimi  filii,  Crassi  germani. 
•Tantali  coheredes,  isti  sunt  Mide  socii  etc.  Dass  diesen  Ausbruch  der 
Erbitterung  gegen  den  Clerus  kein  Geistlicher  geschrieben  hat,  ist 
augenscheinlich.  Die  letzten  Worte  bezieht  Heinrich  direct  auf  sein 
Verhältnis  zu  der  hohen  Geistlichkeit  in  Prag,  der  er  verschiedene 
Dienste  leistete  und  deren  Wohlthätigkeit  er  öfters  umsonst  in  Anspruch, 
genommen  hat,  wie  man  aus  manchen  seiner  Briefe  schliessen  muss. 
Weiter  lässt  sich  für  die  Nichtidentität  ein  Beweis  ex  silentio  er- 
bringen. Warum  hat  Heinrieh,  der  uns  als  ein  sehr  prahlerischer 
Mensch  entgegentritt,  der  keine  Gelegenheit  unterlässt,  um  seine  Person 
in  den  Vordergrund  zu  stellen,  der  über  seine  hohe  Stellung,  über  da» 
Notaramt   so    hochtrabend    spricht,    davon    kein  Wort  gesagt,    dass  er 


')  Cod.  Wien  Hofbibl.  Xr.  3143  fo].  73—74  ^'r.  35. 


Henricus  Italiens  und  Henricus  de  Isernia. 


269 


königlicher  Protonotar  ist.  Das  wäre  bei  ihm  wirklich  psychologisch 
unerklärlich.  Warum  ignorirt  er  in  seiner  Briefsammlung,  in  der  er 
so  viel  Interesse  für  politische  Ereignisse  zeigt,  so  vollkommen  den 
welterschütteruden  Fall  Ottokars,  die  Ereignisse  nach  dessen  Tode, 
unter  der  Brandenburger  Herrschaft  und  in  den  ersten  Jahren  Wen- 
zels II.  Warum  erzählt  er  kein  Wort  über  seine  eigenen  Verhältnisse 
in  dieser  Zeit,  wenn  er  identisch  sein  soll  mit  dem  Protonotar,  welchen 
gerade  jetzt  so  manche  bittere  Schicksalsschläge,  wie  die  oben  be- 
sprochene Gefangennahme  und  falsche  Anklage,  getroffen  haben? 

Von  allen  diesen  Ereignissen,  die  so  tief  den  ehemaligen  Proto- 
notar erregten,  finden  wir  in  dem  Nachlasse  Heinrichs  von  Isernia 
kein  Wort,  was  bei  ihm,  der  in  seinem  Briefsteller  seinen  Feinden 
nie  etwas  schuldig  bleibt,  unerklärlich  wäre,  wenn  die  geschilderten 
Angriffe  gegen  ihn  gerichtet  wären.  An  sich  wäre  dies  kein  genügender 
Grund  für  die  Annahme  zweier  Personen,  aber  neben  den  übrigen 
tällt  auch  er  in  die  Wagschale. 

Endlich    briugt   uns    die  innerste  Seite  der  beiden  Formelbücher, 
nämlich    der  Stil,    einen  ausschluggebenden  Beweis    für    die  Annahme 
von  zwei  Autoren.     Wenn    es    irgendwo    möglich    ist    nach    dem  Stile 
den  Urheber  zu  erkennen  und   von   anderen    zu    unterscheiden,  so  ist 
es  bei  Heinrich  von  Isernia  der  Fall.     Sein  Stil  sticht  auf  den  ersten 
Blick  auffallend  ab  von  der   schabloneumässigeu   Sprache  in  den  böh- 
mischen Urkunden    und  Briefen,    sowie    in    den  Formeln  des  Formel- 
buches des  Protonotars  Heinrich.  Seine  Rede  ist  voll  von  Tropen  und 
Figuren;  er  bemüht  sich  wo  möglich  alles  poetisch  auszudrücken.    Er 
liebt  es  in  schwülstiger  Art  wenig  mit  vielen  Worten  zu  sagen,  dabei 
ist  er   ungemein   erfinderisch   im  Aufsuchen  von  neuen  Varianten  und 
hat  einen  viel  grösseren  Wortschatz  als  seine  Zeitgenossen  in  Böhmen. 
Sein  Stil  ist  streng  nach  den  Regeln  der  Rhetorik  geordnet.  Wenn  er 
Gelegenheit    hat    Gemüthsäusserungen    Ausdruck    zu   geben,    versäumt 
er  nirgends,    sei  es  beim  Bitten,  Loben,    Tadeln    oder  Polemisiren,    in 
einer  übertriebenen  Art  und  Weise,  in  lauter  Superlativen  zu  sprechen. 
Ausrufe  der  Freude  und  des  Schmerzes  sind  bei  ihm  obligat.  Er  liebt 
es  häufig  Wortspiele  anzuwenden  wie  :   instanter  supplicans  et  suppli- 
citer  instans  —  ut  discernam  senciens  et  senciam  discernendo  —  racio 
cause   multiplicis   et   causa  multiplex   racionis  —  universaliter  siugulos 
et  singulariter   universos  —  dissone    secte    diversitas  et  discors    dissen- 
cientis  religio  —  bona   fide  consulimus  et  sano  consilio  suademus  etc. 
Manche  Worte  und  Phrasen,  die  sonst  recht  selten  vorkommen,  wieder- 
holen sich  bei  Heinrich  oft,  wie  perplexitas,  scaturigo,  hiatus,  conglu- 
tinare,    lolium  zizanie,    archivium  memorie,    armarium    pectoris,   proch 


270 


J.  X  0  V  ä  k. 


dolor  etc.  Im  ganzen  sind  seine  Construetionen  und  namentlich  die 
Wortfolge  richtiger,  als  es  in  der  gewöhnlichen  Kanzleisprache,  deren 
sich  auch  der  Protonotar  Heinrich  bedieute,  üblich  war.  Er  steht  dem 
classischen  Stil  viel  näher  als  seine  Umgebung  in  Böhmen. 

Ich  will  hier  zur  Veranschaulichuug  des  Unterschiedes  einige 
Beispiele  anführen.  Im  Folgenden  werde  ich  zwei  Stücke  ähnlichen 
Inhalts  gegenüberstellen,  nämlich  die  Klageschrift  des  Protonotars 
Heinrich  über  seine  Feinde  und  einen  Brief  Heinrichs  von  Isernia 
wo  er  sich  auch  gegen  eine  falsche  Anklage  wehrt. 


Der  ehemalige  Protonotar  Heinrich: 
»Quoniam  ut  ....  sanccionis 
testatur  auctoritas,  quod  quisque  ob 
cautelam  sui  corporis  fecerit,  iure 
fecisse  videtur.  idcirco  ego  Henricus 
Italicus,  incliti  regis  Bohemie  nota- 
rius  .  .  .  profiteor  coram  vobis  ve- 
nerabilibus  viris,  dominis  .  .  .  cete- 
risque  aliis  Wissegradensis  ecclesie 
canonicis  nunc  in  isto  capitulo  con- 
stitutis,  et  quod  per  plures  viros 
probos  et  honestos  probate  fidei  et 
opinionis  electe  sum  multociens  pre- 
monitus,  ut  cavere  michi  soUicite 
debeam  ab  illis,  qui  olim  litteras 
falsas  contra  me  fecerunt,  ut  dicti 
domini  W.  amitterem  graciam  et  in- 
super  infamarer,  quia  pro  certo  con- 
stat  eisdem  me  imminuentibus,  quod 
hiidem  ...  de  me  multa  menciuntur 
enormia  ad  interempcionem  fame  mee 
et  ut  amitterem  graciam  dicti  do- 
mini W.  per  predictas  falsas  litteras 
laborabaiit,  sie  adhue,  ut  amittam 
graciam  prelatorum  et  aliorum  do- 
minorum  ....  per  falsas  suggestio- 
ues  atque  dolosas  probaciones  nitun- 
tur  etc  1). 

Weiter  stelle  ich  jenem  Tlieile  derselben,  Klageschrift,  in  welchem  der 
Protonotar  über  seine  Verfolgung  spricht  wieder  einen  Brief  Heinrichs 
von  Isernia  gegenüber,  wo  auch  ein  ähnliches  Thema  besprochen  wird. 


Heinrich  von  Isernia. 

»Ax'guitur  fidei  facilis,  quam  de- 
tractoribus  adhibuit ;  item  et  ubi 
maneat  declaratur.  —  Si  verba  pru- 
dentis  Senece,  morum  optimi  exscul- 
ptoris,  diligenter  vestra  discrecio 
attendisset,  qui  libenter  ipsa  legitis, 
sed  ad  efi"ectum  non  redacitis,  ut  hie 
patet,  non  tarn  facile  condescendis- 
setis  de  me  obloquencium  fabulis 
detractorum,  qui  multa  sed  pocius 
infinita  collorantes  mendacia  falso 
contexunt  veri  palia  sub  facie  veri- 
tatis,  quorum  verba  veri  coloribus 
illita  multorum  decipiunt  oculos  so- 
phystico  in  colore.  Quibus  sie  ex 
natura  eorum  pessima  datum  et  in- 
situm  est  eis  hoc  vicium,  quod  si 
falsum  volunt  dicere,  non  laborant. 
Etc.  -^) 


Protonotar  Heinrich : 
»Et  quamvis  penitus  nesciam  cau- 
sam, quare  me  taliter  persequan- 


1)  Emier  Reg.  2  Nr.  2633. 


Heinrich  von  Isernia: 
»Quanto  indignationis  odio,  quan- 
tisque  persecucionum    molestiis 

2)  Ibid.  2563. 


Henricus  Italicua  und  Henricus  de  Isernia. 


271 


tur,  cum  nulla  remorclear  conscien- 
cia,  quod  eos  vel  verbo  vel  facto 
molestaverim,  tarnen  paratus  eis  sa- 
tisfacere  secundum  iusticiam,  si  me 
contra  ipsos  rite  probaverint  exces- 
sisse.  Nunc  autem,  cum  nee  dicant 
michi  causam,  in  quo  eos  offenderim, 
nee  per  aliquos  dicendo  transmittant 
et  a  persecucionibus  non  de- 
sistant,  non  possumus  ego  et  alii 
amici  et  domini  mei  opinari,  nisi 
quod  gratis  me  p  e  r  s  e  q  u  i  enituntur. 
Et  idcirco  rogo,  quod  indignum  vobis 
videatur  ymo  vobis  et  omnibus  sa- 
pientibus  tanto  videri  debet  indig- 
nius,  quanto  ipse  deus,  terreni  reges, 
legum  scriptores  hos,  qui  gratis  per- 
secuntur  alios  profundius  detestan- 
tur.  Quod  autem  me  gratis  per- 
secuntur  in  hoc  evidentissime  pa- 
tet,  quia  non  arguunt  me  nee  contra 
me  proponunt  etc.*  ^) 


iste  Pragensis  antistes  .  .  .  indesi- 
nenter  me  ac  inmerito  exacerbet, 
quibus  angustiarum  aculeis,  quibuf; 
contumeliis  me  hactenus  e x p r o- 
brarit,  et^exacuerit  in  blas- 
phemiis  linguam  suam,  iam 
satis  yestra  novit  serenitas,  satis  est 
vestro  eulmini  patefactum,  et  cupe- 
rem  quidem,  quod  amplius  ad  vestre 
maiestatis  aures  de  ipso  non  ascen- 
deret  clamor  mens,  nee  cogerer  pro 
talibus  vestre  inquietare  de  cetero 
excellencie  pietatem.  Sed  ecce,  quod 
invitus  dico,  et  refero  lacrimosus 
adhuc  patris  non  resedit  indignacio 
intricantis,  adhuc  indigne,  Deus  novit, 
concepte  adver  sus  filium  no- 
vercantis  ire'fervor  non  te- 
puit,  nee  aversus  est  adhuc, 
si  fas  est  dicere  fui'or  eins.  Nam 
non  videbatur  sibi  sufficere,  quod 
decanum  meum  probrosis  et  atro- 
cibus  lacessivit  iniuriis,  et 
tarn  in  archidiaconatus  mei  iuribus, 
quam  eciam  prepositure,  quam  a  sola 
vestri  muneris  gracla  recognosco  me 
habere,  indebite  aggravavit  etc.  *  '^) 

An  diesem  Beispiele  sieht  man  deutlich,  wie  arm  die  Sprache  des 
Protonotavs  gegenüber  dem  Wort-  und  Variantenreichthume  des  Stiles 
Heinrichs  von  Isernia  ist. 

Noch  eine  Stelle  der  Klageschrift,  wo  sich  der  ehemalige  Proto- 
notar  in  den  Schutz  des  Königs  und  aller  guten  Leute  stellt,  will 
ich  mit  einer  von  Heinrieh  von  Isernia  verfassten  Bitte  um  Schutz 
und  Hilfe  vergleichen. 


Protonotar  Heinrich: 
„Subiicio  me  insuper  proteccioni 
sedis  et  dicti  domini  W.,  dominorum 
episcoporum  Pragensis  et  Olomucen- 
sis,  vestre  atque  omnium  proborum 
virorum,  quicumque  in  tam  iusta 
causa  prodesse  atque  assistere  digna- 


Heinrich  von  Isernia: 
Sane  incunbentibus  michi  validis 
molestiis  et  turbinibus,  quos  iniqui- 
tatum  ftatus^'),  estu  sitibunde  cupi- 
ditatis  conciti,  generat^)  indefesse, 
ad  vos  pater  et  domine,  compellor 
non  irracionabiliter  nee  indevote  re- 


*)  Emier  2  Nr.  2633. 
2)  Ibid.  Nr.  2442. 
*)  Corr. :  flatus, 
t")  Corr. :  generant. 


272  J-  Noväk. 


buntur,  supplicans  vobis  oranibus, 
quöd  advertere  dignemini,  quante 
sint  superbio  illi,  de  quibus  sermo 
precessit,  et  in  curia  ut  in  terris  nun 
eorum  sed  dicti  domini  W.  me  ma- 
nere  non  paciantnr  et  quod  commi- 
nacionibus,  quas  multociens  intule- 
runt,  non  possunt  lacere  fuge,  iam 
satagunt,  ut  michi  dicitur,  morti 
dare«  i). 


cui'rere,  clamans  ad  vestre  probitatis 
industriam,  ut  involuto  procellarum 
fluctibus  michi  auxiliaris  opem  dex- 
tere  prebeatis.  Cessabit  enim,  si 
volueritis,  tumultuose  tempestatis 
acerbitas  et  tiimencium  inundacio 
fluctuum  residebit.  Et  quamvis  nul- 
luni senciara  michi  posse  meritum 
suiFragari,  ut  vestre  debeam  presi- 
dium  pietatis  exigere,  tamen  confi- 
dencia  de  vestra  benignitate,  quam 
habeo,  michi  spem  prebet  audacie  etc.  ^) 

Au  diesen  hier  augeführten  Beispielen  sieht  man  ganz  klar,  dass 
sie  unmöglich  von  einer  und  derselben  Person  herrühren  können.  Nicht 
nur  zwei  stilistisch,  sondern  auch  zwei  psychologisch  ganz  entgegen- 
gesetzte Individualitälen  sprechen  zu  uns  aus  diesen  Zeilen.  Der  Stil 
des  Protonotars  bewegt  sich  ganz  in  den  Grenzen  der  damals  üblichen 
Kanzleisprache  im  Gegentheil  zu  Heinrich  von  Isernia,  obzwar  er  in 
der  angeführten  Klageschrift  durch  den  formelhaften  Ballast  der  Ur- 
künde  in  seinen  Ausdrücken  nicht  gehemmt  war  und  seinen  Stil  frei 
entwickeln  konnte.  Wie  feurig  und  aggressiv,  voll  von  Ausdrücken 
des  höchsten  Zornes  gegen  die  Feinde,  wie  überfüllt  vom  Flehen  nach 
der  Hilfe  bei  den  Freunden  hätte  diese  Schrift  sein  müssen,  wenn 
Heinrich  von  Isernia  in  der  Lage  des  Protonotars  gewesen  wäre  und 
sich  gegen  solche  Verläumder  gewehrt  hätte. 

Noch  grössere  Stilverschiedenheit  findet  man,  wenn  man  das 
übrige  Material  aus  dem  Formelbuehe  des  Protonotars  Heinrich  mit 
den  Schriftstücken  Heinrichs  von  Isernia  vergleicht,  weil  es  eine  ganz 
gewöhnliche  Urkunden  spräche  aufweist.  Auch  alle  im  Namen  des 
Protonotars  Heinrich  unterfertigten  Urkunden  stehen  in  demselben 
stilistischen  Gegensatz  zu  dem  Briefsteller  Heinrichs  von  Isernia, 

Nach  diesen  Ausführungen  können  wir  also  wohl  als  bestimmtes 
Eesultat  aussprechen,  dass  der  Protonotar  Ottokars  IL  Heinrich,  auch 
Henricus  Italicus  genannt,  eine  von  Heinrich  von  Isernia  ganz  ver- 
schiedene Persönlichkeit  ist  und  dass  es  die  er^te  Aufgabe  bei  histo- 
rischer Benützung  der  von  ihnen  herrührenden  Sammlungen  sein  muss, 
den  Werth  dieser  Quellen  darnach  abzuschätzen,  ob  man  es  mit  dem 
Protonotar  Heinrich  oder  dem  Magister  Heinrich  von  Isernia  als 
Autor  zu  thun  hat. 


»)  Emier  Reg.  2  Nr,  2633. 
'■')  Ibid.  Nr.  2632, 


Henricus  Ttalicus  und  Henricus  de  Isernia.  273 


Beilage. 

Jubet  equitas  deposcit  racio  iusticia  suadente  precatur,  quod  hüs 
quorum  calumpniose  vel  falso  lesa  fuerit  opinio,  principum  testimomo 
succuratur,  ut  fame  splendor,  quem  zelus  emulacionis  iniqui  ^)  conatus 
fuerit  figmento  nubilare  raendacii,  tanto  formosius  elucescat,  quan- 
tum  calumpniosa  nequicia  suis  evoluta  latebris  apparet  deformior, 
clare  per  evidenciam  veritatis.  Noverint  igitur  universi  tenorem  presen- 
cium  perspecturi,  quod  nobis  in  civitate  nostra  presentate  fuerant,  (sic)^) 
quarum  tenor  per  omnia  talis  erat.  0.  dei  gracia  etc.  per  totum,  Hec 
autem  littere,  quia  veraces  prema  facie  videbantur  quedam  ^)  littere,  post- 
quam  nobis  fuerunt  exposite,  nos  adeo  provocaverant,  quod  ad  ulcionem 
de  dicto  H.  ^)  sumendum  nostra  indignacio  pronius  anhelasset,  nisi  fide- 
lium  nostrorum,  qui  presentes  aderant,  circumspecta  suasisset  prudencia, 
ut  lenta  gradu"^)  non  repentino  impetu  ad  vindictam  more  regio  procedere 
deberemus,  quorum  quidem  persuasioni  nobis  assensura  prebentibus  et  per 
aliquod  dies  nullam  facientibus  de  predictis  litteris  mencionem,  interim 
dicto  H.  dictarum  litterarum  presentacio  atque  tenor  innotuit  per  nonnul- 
los,  qui  earum  continenciam  audiverant  in  nostra  presencia  constituti. 
Ipse  autem  H.  tamquam  vir,  quem  reatus  alicuius  adversus  nos  meticulosa 
consciencia  non  mordebat,  nichil  penitus  metuit,  sed  instanter  et  in- 
concusse  permansit  et  non,  ut  dictarum  litterarum  occultetur  nego- 
cium,  sed  ut  publicaretur,  pocius  procuravit.  Nam  in  aures  tarn  cleri- 
corum  quam  laycorum  ut  lingua  interprete  sedulus  explanator  deduxit, 
easdem  nobis  presentatas  fuisse  litteras,  et  tandem  die  sabbati  proxime 
tunc  sequenti  rogatis  et  convocatis  dilectis  fidelibus  nostris  magistro 
W  .  .  .  .  ac  pluribus  aliis  de  familia  nostra,  una  cum  eis  nostram  pre- 
senciam  adiit  et  humiliter  supplicavit,  ut  sibi  prebere  audienciam  digna- 
remur,  cuius  profecto  peticioni,  licet  primitus  nollemus  annuere^  tamen 
monitu  domine  Ch.  0)  inclite  regine  Bohemie,  karissime  matris  nostre  in- 
ducti,  sibi  quietam  prebuimus  audienciam  et  attentam.  Idem  vero  H. 
postquam  multis  inductis  racionibus  cunctis  audientibus,  quod  dictis  litteris 
nulla  foret  adliibenda  credulitas,  nobis  satis  lucide  demonstravit  et  quod 
sibi  nunccium,  qui  eas  nobis  presentaverat,  diceremus  cum  instancia  postu- 
lavit;  quem  licet  nos  ipsi  manifestare  penitus  recusaremus,  nichilominus 
tamen  idem  H.  promptum  se  prebuit  et  paratum,  omnem  expurgacionem 
subire,  quamcumque  nostri  consiliarii  invenirent.  Quia  ergo  dignum  et 
iustum  erat,  ut  expurgacionem  offerenti  benignum    prestaremus    assensum, 


a)  CoiT. :  iniquae. 

^)  litterae. 

c)  In  der  Hs. :  qua  dum. 

')  Dass  es  sich  hier  um  den  ehemaligen  Protonotar  Henricus  Italicus  handelt, 
beweist  der  inhaltlich  enge  Zusammenhang  dieser  Urkunde  mit  einer  anderen 
(Emier  Reg.  2  Nr.  2633),  in  welcher  Heinrich  über  die  gegen  ihn  gerichtete 
falsche  Urkimde  spricht.    Vgl.  S.  259. 

^]  In  der  Hs. :  gradum. 

^)  Chunigundae. 

MittheiluiipeD  XX.  18 


274  J-  Novak. 

ne  videremur  uti  calumpnia  quam  tenemur  longius  profligare,  dilectis 
fidelibus  nostris  .  .  nee  non  et  W.  et  .  .  .  .  commisimus,  ut  sicut  gra- 
ciam  nostram  diligerent,  ita  expurgandi  modum  recipere  student  ydoneum 
et  dictum  H.  auctoritate  vel  absolverent  vel  dampnarent.  Ipsa  autem 
concessione  suscepta  eodem  die  stanti  in  ambitu  saucti  Francisci  in  civi- 
tate  Pragensi  sollempnem  super  huiusmodi  casum '^)  habentes  tractatum  et 
tarn  sigillum  quam  figuram,  stilum  atque  sentenciam  circumspeccius  exa- 
minantes,  facta  primo  collacione  dictarum  litterarum  et  alia  plura  sigilla 
aliarum  plurium  litterarum,  quas  suo  vero  sigillo  munitas  dictus  dominus 
marchio  Brandeburgen sis  multis  civibus  pragensibus  dederat  atque  trans- 
misevat,  et  eorumdem  sigillorum  tarn  circumferencias  quam  ymagines  pro- 
vide  atque  cum  diligencia  mensurantes,  invenerunt  omnium  sigillonim, 
quibus  littere  civium  pragensium  sigillate  fuerant,  respondere  in  figuris 
et  toto  corpore  equaliter  sibi  invicem  quantitatem,  illarum  vero  litterarum, 
que  dicti  H.  continebant  infamiam,  sigillum  tantummodo  invenerunt  penitus 
discrepare.  Nam  in  circumferencia  et  longius  aliis  erat  et  lacius  et  ymago 
stature  atqvie  quantitatis  erat  notabiliter  amplioris.  Deinde  dicti  prelati 
cum  exacta  diligencia  dictarum  litterarum  figuras,  dictamen  et  sentenciam 
attendentes,  prospicientes  eciam,  quod  data,  qua  (sie)  omnes  dicti  domini 
marchionis  littere  terminabant  et  consuevere  terminari,  carebant,  eas  de 
dicti  marchionis  non  emanasse  curia,  Mis  et  aliis  multis  hoc  asserentibus 
signis,  non  minus  a  parte  quam  veraciter  perpenderunt.  Quibus  quippe 
rebus  inventis  taliter  et  perceptis,  prefati  barones  atque  prepositi  nos 
adierunt,  et  quod  falsum  esset  sigillum  falseque  forent  littere,  omnes  ore 
uno  concorditer  asserentes  atque  quod  nosmet  ipsi  dicta^)  mensuraremus 
sigilla,  si  forsan  eos  fide  minus  facilem  se  preberemus,  ortantes,  ut  illum 
qui  nobis  dictas  presentaverat  litteras  notificaremus,  quod  dictus  H.  cum 
instancia  exigebat,  nos  monitos,  precipue  cum  esset  racioni  consentaneum. 
habuere.  Qui  dicti  barones  et  prelati.  quibus  dictum  commiseramus  nego- 
ciura  terminandum,  cum  a  nobis  eins  nomen  penitus  extorquere  non 
possent,  eo  quod  promiseramus  sibi,  suum  non  prodere  nomen,  et  in- 
super  quia  quedam  nobis  astantes  persone,  quas  nos  exaudire  decebat, 
ut  teneremus  ipsius  nomen,  suppliciter  exorabant,  auctoritate  nostra 
prius  prestita,  nobis  audientibus,  in  multorum  aliorum  nobilium  pre- 
sencia  in  instanti  dictum  H.  soUempniter  sentenciando  asseruerunt  esse 
de  hiis,  que  in  predictis  falsis  litteris  contra  ipsius  famam  scripta 
fuerant,  legittime  atque  racionabiliter  expurgatum  et  eum*^)  vel  eos,  qui 
dictas  composuerunt  litteras  contra  dictum  H.,  calumpniose  atque  ne- 
quiter  processisse.  Nos  autem  dictam  sentenciam  tamquam  veram,  ho- 
nestam,  racionabilem  approbantes  tenore  presencium  censuimus  atque  cen- 
semus,  ipsius  H.  famam,  dudum  retroactis  temporibus  testimonio  multorum 
nostrorum  fidelium  olym  per  patrem  nostrum  et  alios  approbatam,  tanto 
maiori  peilere  vigore  tantoque  prestancius  extolli  debere,  quanto  ex  pre- 
fata  calumpnia  quasi  per  ignem  examinacionis  transiens  inventa  est  In- 
tegra sinceritate  comspeccior  et  clarius  emicat  incorrupta,  et  quia  dignum 


^)  In  der  Hs. :  casu. 
t")  In  der  Hs.  :  dicto. 
<^)  In  der  Hs. :  tum. 


f 


Henricus  Italicus  und  Henricus  de  Iseruia.  275 


^)  Corr. :  approbata. 


18* 


Kleine  Mittheilungen. 

Der  Ungarutribut  unter  Heinrich  I.  Allbekannt  ist  die  Er- 
zählung des  Geschichtsschreibers  der  Sachsen  Widukind  (I  38),  wie 
Heinrich  den  Kampf  mit  den  Ungarn  wieder  aufzunehmen  beschloss. 
Er  legte  dem  versammelten  Volke  dar,  dass  der  Frieden  im  Innern  des 
Eeichs  hergestellt  und  die  Feinde  an  den  Grenzen  bezwungen  seien, 
es  bleibe  nur  übrig  die  Waffen  gegen  die  Ungarn  zu  kehren.  „Bisher 
habe  ich",  so  sprach  der  König,  „euch,  eure  Söhne  und  Töchter  be- 
raubt und  ihren  (der  Ungarn)  Schatz  gefüllt;  jetzt  sehe  ich  mich  ge- 
zwungen die  Kirchen  und  deren  Diener  zu  berauben,  da  wir  keine 
andere  Habe  mehr  besitzen  als  die  blossen  Körper.  Was  sollen  wir 
also  thun?  Soll  ich  den  Schatz  nehmen,  der  dem  Dienst  Gottes  ge- 
weiht ist,  und  ihn  den  Feinden  Gottes  geben,  um  uns  zu  erlösen, 
oder  soll  ich  die  Verehrung  Gottes  durch  Spenden  erhöhen,  damit  wir 
lieber  durch  ihn  erlöst  werden,  der  in  Wahrheit  unser  Schöpfer  ist 
und  Erlöser"  ?  Darauf  rief  das  Volk,  es  wolle  durch  den  lebendigen 
und  wahren  Gott  erlöst  werden,  und  es  versprach  dem  König  Hülfe 
gegen  den  furchtbaren  Feind  mit  zum  Himmel  erhobener  Eechte.  Als 
später  Gesandte  der  Ungarn  zu  Heinrich  kamen,  um  die  gewohnten 
Gaben  zu  fordern,  wurden  sie  von  ihm  abgewiesen  und  mussteu  mit 
leeren  Händen  heimkehren. 

Ich  möchte  nun  versuchen,  diese  Erzählung  wieder  einmal  einer 
näheren  Prüfung  zu  unterziehen.  Der  König  überliess  also  dem  Volke 
die  Entscheidung  über  die  Politik,  welche  er  künftig  gegen  die 
Ungarn  einschlagen  sollte,  und  zwar  stellte  er  zwei  Möglichkeiten  auf: 
1.  Weiterbezahlung  des  Tributs  (und  Frieden),  2.  Verweigerung  des 
Tributs  (und  Krieg).  Dass  Heinrich  persönlich  den  Krieg  wünschte, 
also   die  Annahme    des    zweiten  Vorschlags,    daran    lassen    seine   vor- 


Der  Ungarnti'ibut  unter  Heinrich  I.  277 

angehenden  Ausführungen  keinen  Zweifel,  und  wirklich  geht  das  Volk 
auch  auf  den  Wunsch  des  Königs  ein.  Die  Folge  der  Annahme  des 
«rsten  Vorschlags  würde  gewesen  sein,  dass  der  König,  um  die  zur 
Befriedigung  der  Ungarn  erforderlichen  Summen  aufzubringen,  den 
„thesaurum  divinis  officiis  sanctificatum"  angreift.  Indem  aber  das 
Volk  den  zweiten  Vorschlag  annimmt,  erklärt  es  sich  damit  einver- 
standen, dass  er  „cultui  divino  pecunia  honorem"  zufügt,  also  eine 
Schenkung  an  die  Kirche  macht. 

Widukind  berichtet  ferner  (I  39):  Als  König  Heinrich  siegreich 
aus  dem  Ungarnkriege  zurückgekehrt  war,  gab  er  Gott  die  Ehre  des 
Sieges  und  bestimmte  den  Tribut,  den  er  den  Feinden  zu  geben 
pflegte,  für  den  Dienst  Gottes,  zu  Almosen  an  die  Armen.  Die  auf 
der  Volksversammlung  in  Aussicht  gestellte  Schenkung  an  die  Kirche 
hat  also  —  nach  Widukind  —  wirklich  statt  gefunden,  und  zwar  in 
der  Weise,  dass  ihr  der  bisher  an  die  Ungarn  gezahlte  Tribut  über- 
wiesen wurde,  behufs  Vertheilung  an  die  Armen. 

Es  ist  nun  wohl  versucht  worden,  die  Erzählung  Widukinds  vom 
Ungarnkriege  und  Ungarntribut  Heinrichs  als  auf  «sagenhafte  Tradi- 
tionen, vielleicht  gar  ein  altes  Lied"  zurückgehend,  gänzlich  zu  ver- 
werfen (Brückner,  Studien  z.  Gesch.  d.  sächs.  Kaiser,  Baseler  Diss. 
1889,  S.  16,  Lamprecht,  Deutsche  Gesch.  B.  2,  S.  125  f.  übergeht  die 
Tributzahlung  völlig) ;  aber  Widukind  schrieb  ja  nicht  viel  über  dreissig 
Jahre  nach  den  Ereignissen,  die  für  sein  Heimatsland  von  der  aller- 
grössteu  Bedeutung  waren.  Sollte  die  recht  junge  Ueberlieferung,  aus 
der  er  schöpft,  nicht  wenigstens  einige,  dem  thatsächlichen  Hergang 
der  Dinge  entsprechende  Züge  aufbewahrt  haben  ? 

Längst  bekannt  sind  die  Acten  einer  Synode  vom  1.  Juni  932 
(M.  G.  Constitut.  I,  2  ff.),  die  zu  Erfurt  abgehalten  und  von  Bischöfen 
aus  allen  Theilen  des  Reichs,  mit  Ausnahme  Bayerns,  besucht  worden 
ist.  Die  Synode  „war  von  dem  König  mit  dem  Rath  seiner  Grossen 
berufen",  so  interpretirt  Waitz  (Jahrb.  Heinr.  I  3.  S.  145)  mit  Recht 
die  Anfangsworte  des  Actenstücks  (congregata  est  aput  Erphesfurt .  .  . 
synodus,  ut  rex  sapientissimus  cum  cousilio  primatum  suorum  decrevit), 
er  hat  aber  nicht  die  noth wendige  Folgerung  daraus  gezogen,  dass 
nämlich  der  Synode  eine  Versammlung  der  Grossen  vorangegangen  sein 
muss,  auf  der  eben  die  Berufung  der  Synode  beschlossen  wurde,  und  er 
hat  von  den  Beschlüssen  der  Synode  einen,  sonst  kaum  beachteten,  wohl 
hervorgehoben  (S.  146  f.),  aber  nicht  näher  erläutert.  Jedermann,  so 
lautet  dieser  Syuodalbeschlusss  (M.  G.  1.  c.  S.  5),  soll  am  Montag  vor 
Maria  Himmelfahrt  (13.  Aug.)  dem  Bischof,  zu  dessen  Sprengel  er 
gehört,    einen  Denar   oder   den  Wert  eines  Denars,    in  welcher  Sache 


278  Kleine  Mittheilungen. 

er  will,  darbringen,  und  jener  (sc.  der  Bischof)  erwäge,  wie  er  am 
besten  zum  Seelenheil  der  Spender  das  Almosen  verwende,  und  wenn 
ein  Unfreier  so  arm  ist,  dass  er  den  Denar  nicht  zahlen  kann,  so  soll 
sein  Herr  denselben  für  ihn  geben,  und  ein  jeder  soll  am  Sonntag 
vor  dem  bestimmten  Tage  nach  Vermögen  Almosen  spenden  i).  Es 
wurde  also  eine  allgemeine  Abgabe  eingeführt,  und  zwar  eine  Kopf- 
steuer, von  der  weder  Freie  noch  Unfreie  ausgenommen  waren.  Die 
Abgabe  betrug  1  Denar  pro  Kopf  und  konnte  in  bar  oder  in  Natu- 
ralien entrichtet  werden.  Erheber  und  zugleich  Empfänger  der  Ab- 
gabe waren  die  Bischöfe,  der  Zweck  der  Abgabe  ist  ein  religiös- 
kirchlicher, den  Bischöfen  bleibt  es  überlassen,  wie  sie  das  Empfangene 
verwenden  wollen.  Dass  die  Abgabe  jährlich  zu  entrichten  ist,  wird 
nicht  gesagt;  man  müsste  also  annehmen,  dass  es  sich  um  eine  ein- 
malige Massregel  handelt. 

Wie  kamen  nun  die  zur  Synode  versammelten  Bischöfe  dazu  eine 
Kopfsteuer  der  gesammten  Bevölkerung  aufzuerlegen?  Dass  sie  dies 
aus  eigener  Machtvollkommenheit,  ohne  vorherige  Bewilligung  durch 
den  König  und  die  Grossen  thaten,  ist  schlechterdings  undenklmr,  und 
es  muss  ja  auch  der  Erfurter  Synode  eine  Zusammenkunft  des  Königs 
mit  den  Grossen  vorangegangen  sein.  Nichts  liegt  also  näher  als  die 
Annahme,  dass  auf  diesem  Tage  beschlossen  wurde,  eine  aligemeine 
Kopfsteuer  zu  Gunsten  der  Kirche  zu  erheben,  ein  Beschluss,  dem 
sodann  die  Bischöfe  auf  der  Synode  zugestimmt  hätten,  und  der  dem- 
gemäss  in  die  Synodalacten  überging. 

Weswegen  der  Kirche  eine  so  aussergewöhnliche  Schenkung  zufiel, 
wie  sie  in  der  Ueberweisung  der  Kopfsteuer  lag,  wird  in  den,  übrigens 
nur  bruchstückweise  erhalteneu  Acten  nicht  angegeben.  Da  dürfte 
es  doch  aber  sehr  nahe  liegen,  den  Bericht  AVidukinds  zur  Erklärung 
heranzuziehen,  nach  dem  der  König  vorschlug  und  die  Volksversamm- 
lung beschloss  der  Kirche  eine  Schenkung  zu  machen,  um  den  gött- 
lichen Beistand  für  den  Krieg  mit  den  Ungarn  zu  erlangen. 

Einer  solchen  Identificirung  der  von  Widukind  erwähnten  Schen- 
kung und  der  nach  den  Erfurter  Beschlüssen  an  die  Kirche  fallenden 
Kopfsteuer  stehen  scheinbar  gewichtige  Gründe  entgegen.  Nach 
Widukind  beschloss  eine  Versammlung  des  Volks  über  die  Schenkung, 


»)  Et  in  secuuda  feria  ante  assumptionem  s.  Marie  uuusquisque  episcopo, 
in  cuius  est  parrochia,  denarium  sive  unius  denarii  pretium  in  qualicunque 
velit  re  presentet,  et  ille  cogitet,  quomodo  optime  in  illorum,  qui  hoc  obtuleriut, 
salutem  dispenset  elemosinam.  Et  si  servus  tarn  pauper  est,  ut  denarium  ne- 
queat  persolvere,  dominus  eins  pro  eo  reddat,  et  unusquisque  in  dominico  die 
ante  eandem  t'eriam,  prout  valeat,  elemoBinis  se  redimat. 


Der  Ungarntribut  unter  Heinrich  I.  279 

nach  den  Acten  müsste  der  Beschluss  von  einer  Versammlung  der 
Grossen  und  der  Erfurter  Synode  ausgegangen  sein.  Nach  Widukind 
vollzog  der  König  die  Schenkuug  erst  nach  dem  Siege  über  die  Un- 
garn (lö.  März  933,  vgl.  Waitz,  Jahrb.  S.  157),  nach  den  Acten 
würde  die  Kopfsteuer  bereits  am  13.  Aug.  932  erhoben  worden  sein. 
Demgegenüber  ist  jedoch  zu  bedenken,  dass  urkundliche  Genauigkeit 
bei  einem  Schriftsteller  wie  Widukind  überhaupt  nicht  vorausgesetzt 
werden  darf.  Der  Zeitraum,  der  ihn  von  den  dargestellten  Ereignissen 
trennt,  ist  nicht  gross  genug,  als  dass  man  erwarten  dürfte,  nur  un- 
glaubwürdige Sagen  bei  ihm  zu  finden,  aber  dreissig  Jahre  genügen 
immerhin,  um  eine  Ueberlieferung  in  den  Einzelheiten  erheblich  zu 
entstellen,  wenn  auch  richtige  Grundzüge  übrig  bleiben,  üebrigens  ist 
der  Unterschied  zwischen  der  allgemeinen  Volksversammlung  Widu- 
kinds  (convocato  omni  populo)  und  dem  Reichstag  nebst  Synode  der 
Acten  in  Wirklichkeit  kaum  vorhanden,  Widukind  wendet  eben  nicht 
die  technischen  Ausdrücke  an.  Auch  die  chronologische  DiflFerenz  lüsst 
sich  nicht  zu  hoch  anschlagen.  Widukind  gibt  überhaupt  keine  be- 
stimmten Daten;  wann  die  Ereignisse  geschehen  sind,  die  er  darstellt, 
scheint  er  nicht  recht  zu  wissen,  es  kann  sich  da  sehr  leicht  ein  Irr- 
thum  eingeschlichen  haben.  Es  wäre  aber  auch  möglich,  dass  trotz 
des  Erfurter  Beschlusses  die  Kopfsteuer  erst  nach  dem  Siege  über  die 
Ungarn  für  religiöse  Zwecke  verwandt  wurde.  Die  Bischöfe  könnten 
bei  ihrer  Erwägung,  wie  der  Ertrag  der  Abgabe  zum  Heil  der  Spender 
zu  verwenden  sei,  sich  für  Aufbewahrung  entschieden  haben,  um  Mittel 
in  der  Hand  zu  behalten,  eventuell  die  Verheerung  ihrer  Diöcese  durch 
die  Ungarn  abzukaufen.  Nach  dem  Siege  des  Königs  fiel  dieser  Grund 
natürlich  weg,  und  wurde  nunmehr  der  Ertrag  der  Abgabe  zu  Almosen 
an  die  Armen  verwandt. 

Wie  dem  auch  sein  möge,  aus  der  Gleichset/.uug  des  Geschenks' 
an  die  Kirche  bei  Widukind  und  der  Kopfsteuer  der  Acten  folgt  noth- 
wendigerweise,  dass  diese  nach  dem  Erfurter  Beschluss  vom  1.  Juni 
932  der  Kirche  zufallende  Abgabe  in  früheren  Jahren  erhoben  worden 
ist,  um  als  Tribut  den  Ungarn  gegeben  zu  werden.  Die  Erhebung 
solcher  allgemeiner  Abgaben  war  zu  dieser  Zeit  keineswegs  unge- 
bräuchlich. Bereits  Waitz  (Deutsche  Verfassungsgesch.  VIII,  393  n.  5) 
hat  aus  den  Worten  Widukinds  (I  38)  „vos  hucusque,  filios  filiasque 
vestras  expoliavi"  geschlossen,  dass  das  V^olk  zur  Bezahlung  des  Tributs 
an  die  Ungarn  beitragen  musste.  Die  Stelle  bei  Liudprand  (V  33),  die 
er  (ibid.)  anführt,  zeigt,  dass  der  Erhebungsmodus  für  Ungarntribute 
in  Italien  ganz  ähnlich  gewesen  ist  wie  in  Sachsen,  und  sie  gewährt 
zugleich  die  Möglichkeit,    die  Worte  Widukinds    noch    etwas    schärfer 


230  '      Kleine  Mittheilungen. 

zu  interpretireu.  Als  der  üngarnkönig  Taxis  mit  einem  grossen  Heere 
nach  Italien  kam  (i.  J.  947,  vgl.  Düramler,  Jahrb.  Otto  I,  S.  170), 
erzählt  Liudprand,  gab  ihm  Berengar  „10  modios  nummorum",  die 
aufgebracht  waren  »ex  eclesiarum  ac  pauperum  collectione",  und  zwar 
ging  die  Beisteuer  des  Volks  in  der  Weise  vor  sich,  dass  jedermann, 
Männer  und  Frauen,  Erwachsene  und  Kinder,  einen  „uummus"  gab, 
(in  omni  enim  utrius  sexus  homo,  tamque  ablactatus  quam  lactens, 
pro  se  nummum  dedit).  Berengar  erhob  jedoch  die  Abgabe  (zur  Zahlung 
au  die  Ungarn)  nicht  aus  Fürsorge  für  das  Volk,  sondern  um  (für  sich) 
einen  Haufen  Geld  zusammenzubringen.  Die  Münzen,  die  er  vom 
Volke  empfangen  hatte,  vermischte  er  mit  Kupfer  und  machte  so  aus 
wenigen  10  Scheffel,  (die  er  den  Ungarn  gab).  Den  Best  der  Bei- 
steuer des  Volks  und  alles,  was  er  von  deu  Kirchen  empfangen  hatte, 
behielt  er  für  sich.  Ob  die  Falschmünzerei,  die  Berengar  getrieben 
haben  soll,  wirklich  statt  fand,  oder  ihm  von  Liudprand  unter  Ent- 
stellung der  Thatsachen  boshafter  Weise  angedichtet  wurde,  ist  für 
unsere  Zwecke  gleichgültig;  jedenfalls  dachte  Liudprand,  ein  in  solchen 
Dingen  wohl  unterrichteter  Zeitgenosse,  dass  die  Zahlung  eines  Tributs 
an  die  Ungarn  nicht  gut  anders  als  in  Edelmetallen  vor  sich  gehen 
konnte.  Ferner  unterscheidet  er  die  Beisteuer  der  Kirchen  uud  die- 
jenige des  Volk.s,  nur  von  letzterer  verwandte  Berengar  einen  Theil 
zur  Befriedigung  der  Ungaru,  den  Rest  uud  die  erstere  ganz  behielt 
er  für  sich. 

Kommen  wir  nun  auf  die  Rede  zurück,  die  nach  Widukind  König 
Heinrich  vor  der  Volksversammlung  hielt,  so  weist  der  Ausdruck 
„aerarium  eorum  (sc.  der  Ungarn)  replevi"  unzweideutig  darauf  hin, 
dass  der  sächsische  Tribut  in  Edelmetallen  entrichtet  worden  ist,  nur 
unter  dieser  Voraussetzung  ist  es  auch  erklärlich,  dass  dem  Volke 
.pecunia"  (Geld)  nicht  übrig  geblieben  ist;  nicht  als  ob  Sachsen  gänz- 
lich verarmt  wäre,  aber  die  im  Umlauf  befindlichen  Mengen  von  Edel- 
metallen sind  in  die  Kassen  der  Ungarn  abgeflossen.  Die  Auflage  für 
die  Kirche  freilich  kounte  noch  sehr  wohl  entrichtet  werden,  sie 
brauchte  ja  (nach  den  Erfurter  Synodalacten)  nicht  in  baar  bezahlt 
zu  werden,  sondern  es  war  für  sie  die  Ablösung  der  Baarzahlung  durch 
Naturalien  (Getreide  oder  Vieh)  gestattet.  Dass  den  Ungarn  mit  Na- 
turalien nicht  gedient  war,  liegt  auf  der  Hand,  zum  Transport  in  die 
Feme  eigneten  sich  dieselben  weit  weniger  als  Gold  oder  Silbermünzen 
bezw.  Barren;  um  so  besser  waren  sie  zur  Verwendung  im  Lande 
selbst  brauchbar.  Wenn  ferner  der  König  in  seiner  Rede  bei  Widu- 
kind die  Beraubung  des  Volks  in  Gegensatz  stellt  zu:  „nunc  templa 
templorumque  ministros,   ut  expoliem,  cogor",  so  wäre  daraus  zu  ent- 


Der  Ungarntribut  unter  Heinrich  I.  281 

nehmen,  dass  in  Sachsen  nicht  wie  in  Italien  zur  ZahUmg  des  Ungarn- 
tributs zweierlei  Leistungen  entrichtet  wurden,  eine  Kopfsteuer  vom 
ganzen  Volke  und  ausserdem  eine  Abgabe  von  den  Kirchen,  sondern 
dass  nur  eine  Kopfsteuer  bestand,  die  Kirchen  aber  von  besonderen 
Abgaben  frei  blieben. 

Den  „thesaurum  divinis  officiis  sanctificatum"  wird  man  als  kost- 
bare Kirchengeräthscliafteu  l^etrachten  müssen,  welche  der  Entschluss, 
den  Ungarntribut  zu  verweigern,  vor  der  Einschmelzuug  bewahrte. 

Gegen  die  völlige  Entblössung  Sachsens  von  Edelmetallen  könnte 
die  Angabe  Widukinds  (I  08)  sprechen,  dass  die  eine  Schaar  der  Un- 
garn beim  Einfalle  in  das  Land  „andivit  de  sorore  regis,  .  .  .  quia 
vicinam  urbem  inhabitaret,  et  multa  pecunia  ei  esset  auri  et  argenti" 
(vgl.  Brückner  S.  13).  Indessen  sagt  Widukind  nicht,  dass  die  Nach- 
richt, welche  den  Ungarn  zukam,  auf  Wahrheit  beruhte,  ferner  würde, 
selbst  wenn  dies  der  Fall  wäre,  ein  Ausnahmefall  nicht  gegen  die 
allgemeine  Armuth  sprechen,  und  wenn  wirklich  Widukind  bei  der 
Rede  in  der  Volksversammluutr  eine  rhetorische  Uebertreibung:  be- 
gangen  haben  sollte,  so  darf  man  ihm  dies  in  Anbetracht  der  Situa- 
tion nicht  gar  zu  sehr  verargen.  Vielleicht  folgte  er  nur  allzu  getreu 
yerscliiedeiieii  „Liedern",  die  von  der  drückenden  Kopfsteuer  und 
der  drohenden  Belastung  der  Kirche,  sowie  von  dem  vergeblichen 
Sturm  der  Ungarn  auf  die  schätzereiche  Burg  der  Schwester  des  Königs, 
nicht  ganz  übereinstimmende  Nachrichten  gaben.  Jedenfalls  geht  es 
nicht  an,  wegen  eines  nicht  geschickt  genug  verdeckten  Widerspruchs 
die  ganze  Erzählung  vom  Ungarntribut,  die  doch  auf  genauer  Kennt- 
nis von  Zuständen  beruhen  muss,  wie  sie  schon  Widukind  zur  Zeit, 
als  er  sein  Werk  schrieb,  nicht  mehr  vor  Augen  sah,  in  Bausch  und 
Bogen  zu  verwerfen. 

Die  Frage,  ob  zum  Ungarntribut  nur  Sachsen  oder  das  ganze 
Reich  beitragen  musste,  wird  sich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden 
lassen.  Nach  der  herkömmlichen,  besonders  auf  Widukind  I  32  be- 
ruhenden Auffassungsweise  bezog  sich  der  von  Heinrich  i.  J.  924  mit 
den  Ungarn  geschlossene  neunjährige  Waffenstillstand,  der  die  Ver- 
pflichtung zur  Tributzahlung  enthalten  haben  soll,  nur  auf  Sachsen. 
Der  Beschluss  der  Erfurter  Synode  betreffs  der  Kopfsteuer  galt  jeden- 
falls für  das  ganze  Reich,  nur  dass  die  Bayern,  deren  Bischöfe  zu 
Erfurt  nicht  anwesend  waren,  auf  einem  mit  einer  Synode  verbun- 
denen Landtage  zu  Dingolfing  nachträglich  auch  ihrerseits  eine  Kopf- 
steuer zu  Gunsten  der  Kirche  zu  erheben  beschlossen  (s.  die  Acten 
des  Dingolfinger  Landtags  vom  1.  August  oder  16.  Juli,  M.  G.  Leges 
III  482,  vgl.  Waitz  S.   148  f.).  Dei"  Inhalt  des  Dingolfinger  Beschlusses 


282  Kleine  Mittheilungen. 

weicht  nicht  sehr  erheblich  von  dem  des  Erfurter  ab.  Die  Abgabe 
beträgt  einen  Denar  pro  Kopf  der  Bevölkerung  und  darf  auch  in  Natu- 
ralien entrichtet  werden,  Einnehmer  sind  die  Pfarrer,  Zahlungstermin 
ist  der  Palmsonntag  (7.  April  933),  am  Gründonnerstag  (11.  April) 
haben  die  Pfarrer  den  Ertrag  der  Abgabe  ihren  Bischöfen  zu  über- 
geben, die  denselben  zur  Herstellung  zerstörter  Kirchen  verwenden 
sollen.  Als  Almosen,  als  fromme  Gabe  für  das  Seelenheil  der  Spender 
und  ihrer  Angehörigen,  wird  die  Kopfsteuer  auch  hier  aufgefasst;  eine 
allgemeine  Reichssteuer  konnte  sich  aus  dem  Ungarntribut  nicht  ent- 
wickeln. Als  der  Zwang,  Abgaben  vom  ganzen  Volke  zu  erheben^ 
wegfiel,  erhielt  nicht  der  König  sondern  die  Kirche,  und  zwar  nur 
einmal,  in  etwas  veränderter  Form  sowie  unter  ausdrücklicher  Beto- 
nung des  gottgefälligen  Zwecks  den  Ertrag  der  Umlage  bewilligt. 

Somit  lässt  sich  die  Vermuthung,  die  Waitz  (S.  148)  nicht  ge- 
radezu bestritten  hat,  dass  nämlich  auf  der  Erfurter  Synode  bereits 
der  Kampf  gegen  die  Ungarn  ins  Auge  gefasst  wurde,  recht  wohl 
erhärten.  Die  damals  gefassten  Beschlüsse  zeigen  die  religiös  ange- 
regte Stimmung,  die  beim  Herannahen  des  gefährlichen  Krieges 
herrschte,  und  bestätigen  den  sagenhalt  gefärbten,  aber  in  den  Grund- 
zügen getreuen  Bericht  Widukinds,  während  die  Sonderstellung,  welche 
Bayern  unter  Herzog  Arnulf  im  Reiche  einnahm,  durch  den  Paral- 
lelismu.s    der  Dingolfinger   zu  den  Erfurter  Beschlüssen  zu  Tage  tritt. 

G.  Caro. 


Der  Friczentag".  In  einem  aus  dem  Jahre  1705  stammenden 
Repertorium  des  niederöst.  Landesarchivs  fand  ich  eine  Urkunde  vom 
Jahre  1295  (Nr.  28:  Rueger  der  Riedmacher  versetzt  seine  Badstube 
zu  Loch  [Laa  a.  Wieuerberge]  für  6  Mark  Silber  Chalhoch  von  Ebers- 
dorf) mit  dem  Datum  „Montag  nach  St.  Vrizentag"  versehen.  In  der 
Eile  einer  blos  übersichtlichen  Zusammenstellung  schlug  ich  in  Grote- 
fends  bekannten  Handbuch  .Zeitrechnimo;  des  deutschen  Mittelalters  und 
der  Neuzeit"  I,  Bd.  (Hannover  1891)  nach  und  fand  hier  auf  Seite  70 
wörtlich  folgendes:  „Friczentag.  Helwig  gibt  ein  Beispiel  „Geben  an 
sand  Friczentag  1359"  (Hausarchiv),  erklärt  es  für  Friedrich,  weiss  aber 
kein  Datum.  Es  ist  Feiczentag  zu  lesen.  Veit  =^15.  Juni."  Trotz  der 
apodiktischen  Sicherheit  dieser  Erklärung  wurde  ich  stutzig,  schon  aus 
dem  einfachen  Grunde,  weil  mir  eine  Form  „Feiczen"  als  eine  Mi- 
schung der  starken  Declination  (Veits)  und  der  schwachen  (Endung — en) 
ein  sprachliches  Unding  zu  sein  schien.  Ich  suchte  zunächst  das  Ori- 
ginal der  eingangs  erwähnten  Urkunde  des  niederösterr.  Landesarchivs. 


Der  Friczentag.  283 

Das  Datum  des  Originals  lautete:  „des  nech&teu  montags  noch  saut 
brizen  tage".  Der  Verfasser  des  Repertoriums  hatte  einfach  ein  etwas 
schräg  nach  links  gestelltes  Cursiv-Minuskel-b  mit  Vorstrich,  jedoch 
ohne  Schlinge  als  Majuskel  V  verlesen  und  der  Brizentag  war  der  Tag 
des  hl.  Briccius  d,  r.  13.  November.  Ich  forschte  nun  auch  nach 
Helwigs  Beleg  (Helwig,  Zeitrechnung  zur  Erörterung  der  Daten  in 
Urkunden  für  Deutschland.  Wien  1787,  S.  26).  Trotzdem  er  die 
Urkunde  nicht  näher  bezeichnete,  gelang  es  meinen  Bemühungen  im 
k.  u.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  in  Wien,  denn  dieses  versteht 
Helwig  unter  ,  Hausarchiv ",  das  Original  aufzufinden  (Repertor.  III). 
Es  ist  ein  Lehenbrief,  worin  die  Brüder  Achaz  und  Georg  von  Paeulik 
Jansen  dem  Sternisch  und  seinen  Erben  ein  Gut  zu  Widozzlowicz 
(=  Witoslavitz  in  preuss.  Schlesien,  Reg,  Bez.  Oppeln)  verleihen.  Hier 
lag  die  Sache  jedoch  nicht  so  einfach,  denn  die  Datirung  lautet  wirk- 
lich: „der  (nämlich  „der  briet")  geben  ist,  do  nach  Christes  gepurd 
ergangen  waren  dreuczehen  hundirt  iar  darnac  in  dem  newen  und 
fumfczigisten  iar  an  sand  friczen  tag".  So  viel  steht  nach  dem  Ori- 
ginal fest,  dass  Grotefends  Erklärung  ganz  hinfällig  ist.  Will  man 
nun  keinen  Schreibfehler  annehmen,  so  glaube  ich,  dass  nichts  im 
Wege  steht,  den  Friczentag  nach  Helwigs  Vorgang  als  den  Tag  des 
heil.  Friederich  oder  Fritz  —  ein  Diminutivum,  welches  gerade  in  jenen 
Gegenden  Deutschlands  gang  und  gäbe  gewesen  ist  —  zu  deuten.  In 
der  That  führt  auch  Emier  in  seinem  chrouologischen  Werke  „Rukovet 
Chronologie  kfestanske  zvläste  ceske"  (Prag  1876),  welches  hauptsäch- 
lich die  Urkunden  und  Literatur  der  böhmisch-mährisch-schlesischen 
Länder  und  ihrer  Nachbargebiete  berücksichtigt,  Friedrich  unter  den 
Heiligeunamen,  nach  welchen  eine  Datirung  üblich,  —  allerdings  ohne 
Belegstellen  —  an.  Alle  andern  chronologischen  Werke,  sowie  auch 
Grotefends  Kaiendarien  (II.  Bd.  seiner  „Zeitrechnung"  s.  o.)  lassen  in 
dieser  Frage  im  Stiche.  Eine  neue  Schwierigkeit  macht  nur  die  Fest- 
stellung des  Tages.  Im  Wiener  Staatsarchiv  hat  man  (vermutlich 
Josef  Helwig  selbst,  welcher  als  Official  dieses  Archivs  im  Jahre  1799 
starb)  die  Urkunde  dem  5.  März  zugewiesen.  Ein  Blick  in  einen 
österreichischen  Kalender  des  vorigen  Jahrhunderts  zeigt  uns,  dass 
damals  wirklich  Friedrich  am  5.  März  gefeiert  wurde;  gegenwärtig 
steht  Friedrich  im  protestantischen  Kalender  auf  diesem  Datum,  im 
katholischen  einen  Tag  später,  auf  dem  6.  März.  Es  ist  aber  wahr- 
scheinlich, dass  in  unserem  Falle  die  Datirung  nicht  nach  dem  Abt 
Friedrich  von  Hirschau  (gest.  1070)  anzunehmen  sei,  sondern  nach 
dem  Bischof  Friedrich  von  Utrecht,  welcher  im  Jahre  838  als  Märtyrer 
fiel  und  von  jeher  als  der  Hauptheilige  dieses  Namens  galt.    Er  allein 


234  Kleine  Mittheilungen. 

erscheint  auch  bei  den  Bollandisten  (Juli  IV,  460)  und  bei  Mabillon 
(Acta  Sanctorum  Saec.  TV,  2,  590).  Für  ihn  entscheidet  sich  auch 
Emier  a.  a.  0.  Sein  Tag  ist  der  18.  Juli. 

Wien.  M.  Vancsa. 


Zu  dem  Poststundenpass  von  1500.  In  dieser  Zeitschrift  11, 
494  K  hat  Oswald  Redlich  vier  Poststundenpässe  aus  den  Jahren  1496 
bis  1500  veröffentlicht,  von  denen  namentlich  der  letzte  zu  den  wich- 
tigsten Quellen  der  Geschichte  der  ältesten  deutschen  Posten  zählt. 
Die  Benutzung  dieses  wertvollen  Dokumentes  für  meine  Geschichte 
des  Handels  und  Verkehrs  zwischen  Westdeutschland  und  Italien  führte 
mich  in  einem  Punkte  zu  einer  wesentlichen  Abweichung  in  der  Be- 
stimmung der  genannten  Postorte,  und  diese  Differenz  betrifft  gerade 
einen  für  die  Geschichte  der  Postwesens  sehr  wichtigen  Ort,  so  dass  ich  es 
für  nothwendig  halte,  meine  Meinung  geltend  zu  machen.  Die  Ab- 
weichung betrifft  den  Ort  Hausen,  den  Redlich  und  von  Wieser  in  dem 
Dorfe  Hausen  südöstUch  Pforzheim  suchten,  während  meines  Erachtens 
das  Dorf  Rheinhausen  Speyer  gegenüber  gemeint  ist  und  damit  sich 
dieser  Ort  schon  1500  als  wichtigste  Poststation  des  Oberrheins  er- 
weisen lässt. 

Die  einzelneu  Boten  der  Strecke  Mecheln— Innsbruck  schrieben 
ihre  Vermerke  über  üeberuahme  oder  Abgabe  der  Packete  unter- 
einander. Doch  hat  schon  Redlich  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
das  nicht  streng  innegehalten  wurde.  Der  Poststundenpass,  von  dem  ich 
durch  Collega  Redlichs  Freundlichkeit  ein  Facsimile  erhielt,  besteht 
aus  einem  einmal  gefalteten  halbeu  Bogen.  Noch  ehe  die  zweite 
Seite  vollgeschrieben  war,  wurde  die  dritte  begonnen.  Das  hatte 
seinen  suten  Grund,  der  Bote  Wolf  zu  Hausen  wollte  für  einen  weit 
späteren  Boten  eine  Instruktion  zugeben  und  machte  diese  auch  durch 
ein  grosses  Kreuz  kenntlich. 

Das  führte  zu  der  Verwirrung.  Schon  in  Hausen  schrieb  der 
andere  Bote  seinen  „  Leitvermerk "  au  die  falsche  Stelle  und  erst  die 
beiden  nächsten  Einträge,  die  übrigens  von  einer  Hand  herrühren, 
kehrten  auf  die  zweite  Seite  zurück.  Der  Abdruck  bei  Redlich  hat 
diesen  chronologischen  Faden  nicht  gewählt,  sondern  folgt  der  Blatt- 
folge, verbindet  übrigens  damit  die  ganz  richtige  Aufklärung  über  die 
Einschiebung. 

Der  Irrthum  von  Redlich  und  von  Wieser  liegt  darin  begründet, 
dass  sie  zwei  Einträge  auf  dieselbe  Stunde  beziehen,  während  genau 
12  Stunden  dazwischen  liegen. 


Zu  dem  Poststundenpass  von  1500.  oopc 

Der  Eintrag  des  Jörg  von  Hausen  besagt,  dass  er  die  Post  zu 
Hausen  zwischen  10  und  U  Uhr  am  Samstag  angenommen  habe,  der 
Michels  mit  der  Schramme  aber,  dass  er  seinerseits  die  Post  am  Samstag 
Nachts  zwischen  10  und  U  ühr  erhalten.  Bezögen  sich  beide  An- 
gaben auf  dieselbe  Stunde,  so  müsste  Michael  die  ganze  Strecke  von 
Hausen  bis  Plochingen  geritten  sein,  wo  er  seine  Post  an  Hans  v.  Ulm 
abgab. 

Der  Gang  der  Postboten  ist  vielmehr  folgender: 


Ä  05  ~ 


> 


3  .  - 

-I  :=  5 


o  ^ 

>  ^  >• 

=>  =>  ä 


286 


Kleine  Mittheilungen. 


N:ich  meiner  Berechnung  reiten  die  Posten  —  sehen  wir  von  der 
Üeberfahrt  über  den  Ehein  bei  Kheinhausen  ab  —  demnach  zwischen 
5-6  und  7*5  Kilometer  in  der  Stunde  i),  während  bei  Kedlich  auf  der 
Strecke  von  Speyer  bis  Hausen  bei  Pforzheim  meistens  bei  Tag  nur 
eine  Geschwindigkeit  von  5-2  Kil.  erzielt  ist  und  die  folgende  Strecke 
von  Hauseu  bis  Plochingen  bei  finsterer  Nacht  von  Michael  mit  der 
Schramme  mit  einer  Geschwindigkeit  von  7-9  Kilometer  abgejagt  wurde. 
Hausen  bei  Pforzheim  ist  ein  kleines  Dorf,  das  an  keiner  der 
späteren  Poststrassen  liegt,  vor  allem  ist  es  unerfindlich,  woher  hier 
zu  dem  Postsack  ein  für  Antoni  Welser  schleunigst  zu  bestellender 
Pack  kommen  sollte.  Gauz  anders  ist  die  Lage  von  Rheinhausen,  das 
bis  zum  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  das  wichtigste  Postamt  am 
Rheine  war,  das  eine  Zeit  lang  von  Gliedern  des  Hauses  der  Taxis 
selbst  verwaltet  wurde.  Es  lag  an  der  Stelle,  wo  die  Poststrasse  den 
Rheiu  und  damit  die  wichtigste  Verkehrsstrasse  durchschnitt.  Hier 
wurden  auch  später  die  Fluss  auf-  und  abwärts  bestimmten  Sachen  ab- 
gegeben und  von  dort  kommende  hier  auf  die  Post  geleitet,  wie  das 
für  Anton  Welser  bestimmte  Packet. 

Unter  den  Stationen  nimmt  Rheinhausen  auch  in  dem  Stunden- 
zettel eine  besondere  Stelle  ein.  Es  fehlt  jede  Nachricht,  wie  das  Post- 
felleisen von  Speyer  nach  Rheiuhausen  kam,  nur  hier  ist  das  der  Fall, 
nur  hier  sind  zwei  Postboten  vorhanden,  der  eine  gibt  Direktionen 
^n  das  Postamt  Söflingen  und  der  andere  fügt  der  Meldung  der  An- 
nahme der  Post  hinzu  „und  hab  eyn  post  hayn  abgefurt\  Heisst  das 
nicht:  und  habe  ich  eine  Post  heimwärts  (d.  h.  nach  Mechelu)  ab- 
gefertigt? In  späterer  Zeit  trafen  sich  die  von  beiden  Seiten  kom- 
menden Boten  in  Rheiuhausen  2),  sollte  das  schon  1500  der  Fall  ge- 
wesen sein?     Kaum  ist  ein  Zweifel  zulässig. 

Mit  andern  Worten :  Rheinhausen  war  schon  1500  der  wichtigste 
Posten  auf  der  langen  Postroute  zwischen  Brüssel  und  Innsbruck,  was 
es  später  geblieben  ist,  der  Poststundenpass  von  1500  gibt  also  noch 
mehr,  als  sein  Finder  und  erster  Interpret  in  ihm  vermutete.  —  Es 
ist  auch  irrig,  wenn  Redlich  glaubte,  in  Hausen  südöstlich  Pforzheim 
habe  sich  die  Post  getheilt,  die  eine  sei  nach  Augsburg,  die  andere 
nach  Innsbruck  geführt.  Gerade  der  Innsbrucker  Zug  nimmt  das  nach 
Augsburg  an  die  Welser  bestimmte  Packet  bis  Söflingen  bei  Ulm  mit, 
der  Zug  sollte  an  das  kaiserliche  Hoflager  gehen,    das  im  Augenblick 

>)  Ich  habe  den  Weg  Rheinhausen— Knittlingen— Entzweihingen— Cannstatt, 
die  spätere  Poststrasse,  die  ich  als  benutzt  annehme,  mit  der  von  Redlich  be- 
rechneten Route  über  Pforzheim  als  gleich  lang  angesetzt. 

2)  vgl.  Rübsam  bist.  Jahrb.  13,  45  Kachweis  für  1597. 


Zu  dem  Poststundenpass  von  1500.  287 

in  Augsburg  war,  er  kam  nach  Innsbruck  anstatt  nach  Augsburg,  die 
eigentliche  Post  verfehlte  also  den  König,  sie  hätte  in  Söflingen  die 
Route  verlassen  und  das  Welsersche  Packet  begleiten  müssen  und  der- 
artige üebelstäude  mögen  dazu  geführt  haben  die  Post  später  statt  über 
Memmingen  über  Augsburg  zu  führen.  Der  ganze  Postzug  legt  nur 
auf  die  Endstationen  Wert,  er  meidet  die  Städte.  Aber  das  Hess  sich 
nicht  aufrecht  erhalten,  wäre  die  Post  über  das  grosse  Augsburg  ge- 
leitet worden,  so  hätte  das  Postfelleisen  keine  Irrfahrt  nach  Innsbruck 
gemacht. 

Aus  dem  schlichten  von  den  rauhen  Händen  von  Postreitern  ge- 
schriebenen Dokumente  geht  also  hervor,  dass  1500  ein  regelmässiger 
Postenzug  zwischen  Mecheln  und  Innsbruck  bestand  und  dass  an  dieser 
Eoute  Rheinhausen  der  wichtigste  Posten  war,  wie  auch  Augsburg 
bereits  sich  geltend  macht.  Des  Weiteren  zeigt  das  Dokument,  dass 
die  ursprünglich  nur  für  den  Dienstverkehr  eingerichtete  Relaiskette 
schon  1500  gelegentlich  dem  Nutzen  anderer  diente  und  gerade  diese 
Aufklärung  ist  für  die  Geschichte  der  Entstehung  des  Postwesens  d.h. 
der  Umwandlung  solcher  rein  dynastischen  Zwecken  dienenden  Relais- 
ketten in  gemeinnützige  Verkehrsanstalten  ausserordentlich  wichtig, 
in  diesem  Sinne  ist  der  Poststundenpass  von  1500  geradezu  das  älteste 
Dokument  für  die  Geschichte  des  deutschen  Postwesens. 

Bi"eslau.  Aloys  Schulte. 


Literatur. 

Julius  Ficker,  Untersuchungen  zur  Erben  folge  der 
ostgermanischen  Rechte.  Bd.  3  Abth.  2.  Innsbruck,  Wagner- 
sche  üniversitätsbuchhandlung  1898. 

In  der  vorliegenden  Abtheilung  seiner  umfangreichen  Untersuchungen 
zur  Kechtsgeschichte  sucht  Ficker  den  Nachweis  für  seine  fast  überall  mit 
Widerspruch  aufgenommene  Behauptung,  dass  die  älteste  germani- 
sche Erben  folge  ihren  Ausgangspunkt  von  lediglich  ein- 
seitigem Erbrecht  der  Mutterseite  genommen  habe,  mittelst 
eingehender  Darlegung  der  hiefür  wesentlichen  erbrechtlichen  Bestimmungen 
des  westfränkischen  Eechtes  zu  erbringen.  Mit  Kücksicht  auf  die  Unsicher- 
heit und  Dürftigkeit  der  älteren  Quellen  schildert  F.  dabei  regelmässig 
zunächst  die  spätere  Gestaltung  der  Kechtsverhältnisse,  um  dann  an  der 
Hand  der  hierbei  gewonnenen  Ergebnisse  den  vorausgehenden  Entwicklungs- 
gang zu  ermitteln. 

Der  erste  Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  der  Beerbung  des  Vaters 
(S.  244 — 290).  Im  Gegensatz  zum  späteren  Kecht,  das  jeden  parens  nach 
rein  elternrechtlicher  Folge  durch  seine  sämmtlichen  Kinder  nach  Kopf- 
theilen  beerbt  werden  lässt,  begründet  die  älteste  Folge  durch  den  Einfluss 
des  mütterlichen  douaire  oder  Widums  beim  Vorhandensein  von  Kin- 
dern aus  mehreren  Ehen  des  Vaters  eine  ungleichmässige  Vertheilung  der 
väterlichen  Hinterlassenschaft  unter  diese  Kinder.  Der  Widum,  den  die  Frau 
als  Gegenleistung  für  ihre  unbeschränkt  bis  zum  Tode  des  Mannes  währende 
Hingabe  von  letzterem  empfieng  —  regelmässig  umfasste  das  douaire  die 
Hälfte  desjenigen  liegenden  Guts,  was  der  Mann  am  Hochzeitstage  bereits 
besass  und  bis  zu  seinem  Tode  durch  Beerbung  seiner  Vorfahren  erlangte,- 
das  s.  g.  Stockgut,  —  war  nicht  nur  der  Frau,  sondex'n  auch  den  von 
ihr  ehelich  geborenen  Kindern  verfangen;  verheiratete  sich  der  Mann 
zum  zweiten-  oder  drittenmale  u.  s.  w.,  so  konnte  der  für  die  Glieder  der 
neuen  Ehefamilie  bestimmte  Widum  daher  nur  von  dem  um  den  Betrag 
des  früheren  Widums  verringerten  Vatervermögen  genommen  werden,  den 
Kindern  späterer  Ehen  mithin  regelmässig  lediglich  ein  kleinerer  Widum 
als  den  Kindern  aus  früherer  Ehe  verfangen  sein.  Erst  in  den  widums- 
fi'eien  Rest  des  väterlichen  Vermögens  fand  dann  eine  gleichmässige  Erbfolge 


Literatur.  289 

aller  vorhandenen  Kinder  statt,  denen  —  von  dem  verfangenen  Widum  ab- 
gesehen—  bei  Lebzeiten  des  Vaters  keinerlei  Erbanwartschaft  zu- 
gestanden hatte.  Mit  dieser  letzten  Behauptung  tritt  F.  zur  herrschenden 
Auffassung  in  Gegensatz.  Allein  nicht  nur  der  spätere  Quellenbestand  lässt 
deutlich  erkennen,  wie  sich  erst  an  der  Hand  des  römischen  Pflichttheils- 
rechts  die  Auffassung  eines  Wai-terechts  ausbildete;  die  unbefangene  Wür- 
digung der  früheren  Ueberlieferungen  kann  ebenfalls  nur  zu  dem  Ergebnis 
führen,  dass  die  Sitte  zwar  regelmässig  das  Thun  eines  Vaters  nicht  billigte, 
der  sein  freies  Verfügungsrecht  dazu  benützte,  um  seinen  Kindern  die 
Hinterlassenschaft  zu  entziehen,  dass  aber  die  Rechtsordnung  —  ausser  in 
einigen  nichtfränkischen  Anordnungen  gegen  Erbentrug  (die  nach  Schlegel 

1,  203  citirte  Stelle  der  Grägäs  findet  sich  bei  Finsen  1  a,  247)  und  in 
vereinzelten  westfränkischen  Schenkungsbeschränkungen  —  solchem  Vorgehen 
gegenüber  versagte.  Die  Unbilligkeit,  welche  diese  Theilung  nach  Widums- 
recht  für  die  Kinder  aus  mehreren  Ehen  enthielt,  ihre  Unvereinbarkeit 
mit  der  lehenrechtlichen  Folge  veranlasste  die  nachträgliche  Einführung 
des  Satzes,  dass  Widum  und  Erbschaft  nicht  zugleich  beansprucht  werden 
dürften.  On  ne  peut  6t re  heritier  et  douairier.  Einzelne  Rechte 
gelangten  sogar  zur  Aufhebung  der  Widums Verfangenschaft  für 
die  Kinder,  die  nunmehr  das  Recht  auf  kopfgleiche  Nachlassvertheilung 
erhielten  —  eine  Gestaltung,  die  schliesslich  die  allgemein  herrschende  wurde. 

Die    Beerbung    der    Mutter,    deren  Darstellung    den  Inhalt    des 

2.  Abschnittes  bildet  (S.  290 — 342),  hat  sich  dagegen  nach  F.  stets  in 
der  Weise  vollzogen,  dass  das  Muttergut  unter  die  sämmtlichen  ehelichen 
Kinder,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  sie  einer  einzigen  Ehe  oder  einer  Mehr- 
heit von  Ehen  ihrer  Mutter  entstammten,  kopfweise  vertheilt  wurde.  Den 
Nachweis  für  die  Ursprünglichkeit  dieses  nach  den  späteren  Quellen 
zweifellos  beobachteten  Theilungsmodus  findet  F.  einmal  darin,  dass  ge- 
Avisse  dem  westfränkischen  verwandte  Rechte  neben  ungleicher  Theilung 
nach  dem  Vater  kopfgleiche  Theilung  nach  der  Mutter  bieten,  demnach 
auf  ein  ihnen  und  dem  westfränkischeu  Recht  gemeinsames  Urrecht  zu 
schliessen  gestatten,  das  ebenfalls  eine  kopfgleiche  Vertheilung  des  Mutter- 
guts unter  die  Kinder  eintreten  Hess ;  dann  aber  stützt  F.  seine  Annahme 
von  der  Ursprünglichkeit  dieser  kopfgleichen  Theilung  auch  noch  darauf, 
dass  Gesichtspunkte,  die  zu  ungleicher  Theilung  nach  dem  Vater  führten, 
wie  das  Erstgeburtsrecht,  die  Zurücksetzung  der  Tochter, 
auf  die  Folge  nach  der  Mutter  gar  keinen  Einfluss  äusserten,  dass  endlich 
—  dies  allerdings  nur  in  verwandten  Rechten  —  das  Recht  zur  Ab- 
findung der  Tochter  durch  Aussteuer  nur  für  den  Vater  und 
für  das  Vatergut  anerkannt  ist,  was  wiederum  zur  Zurücksetzung  der 
Tochter  nur  rücksichtlich  dieses  Gutes  Veranlassung  gab,  während  das 
Muttergut  unter  Söhne  und  Töchter  kopfweise  zu  theilen  ist.  —  F.  ver- 
kennt allerdings  nicht,  dass  im  Gebiet  des  westfränkischen  Rechts  sich 
vereinzelt  auch  Normen  finden,  die  eine  kopfgleiche  Theilung  des  Mutter- 
gutes unter  die  Kinder  ausschliessen.  Dahin  gehören  die  Coutumes  von 
Lorris  und  Orleans,  nach  denen  das  gesammte  liegende  Ehegut  für  die 
Kinder  der  betreffenden  Ehe  verfangen  ist,  woraus  eben  ungleiche  Theilung 
nach  der  Mutter  folgt.  Allein  hier  handelt  es  sich  wohl  um  Bestim- 
mungen,   die    von    fremdem  Recht    beeinflusst    sind,     etwa    einer    nieder- 

Mittheilungen  XX.  19 


290 


Literatur. 


lothringisch-ostfräntischen  Bevölkerung  ihre  Entstehung  danken.  Eine 
weitere  Ausnahme  wird  ferner  häutig  durch  das  Maritagium  oder 
Mariage,  rlas  Heirathsgut  der  Mutter,  hervorgerufen,  das  den 
Kindern  der  ersten  Ehe  vorbehalten  war.  Hier  liegt  jedoch  die  Nicht- 
ursprünglichkeit  der  durch  diese  Umstände  erzeugten  kopfungleichen 
Theilung  des  Mutterguts  klar  zu  Tage:  das  Mariage  übt  diese  Wirkung 
nur  beim  Lehnsadel,  also  in  einer  Bevölkerungsschicht,  deren  Sonder- 
recht sich  erweislich  erst  in  späterer  Entwicklung  ausgestaltet  hat.  — 
Wie  für  den  Vater,  so  bestand  auch  zu  Gunsten  der  Mutter  ursprünglich 
deren  unbeschränkte  Verfügungsfreiheit  über  ihr  Vermögen; 
höchstens  die  Sitte  missbilligte  willkürliche  Benachtheiligung  der  Kinder 
durch  Rechtsakte  der  Mutter.  Gewisse  Beschränkungen  führte  das  Edikt 
von  156  0  ein;  vereinzelt  wurde  auch  wohl  die  Verfangenschaft  des  Mutter- 
guts zu  Gunsten  ihrer  sämmtlichen  Kinder  angeordnet. 

Der  dritte  Abschnitt  (S.  .342—392)  gelangt  zu  dem  Ergebnis,  dass  das 
douaire  der  späteren  Zeit  eine  Fortentwicklung  der  volks- 
rechtlichen dos  darstelle,  die  deshalb  von  F.  als  der  ältere  Widum 
bezeichnet  wird.  Die  dos  ist  nach  F.  das  Kennzeichen  der  germa- 
nischen Ehe.  ihre  Zusage  oder  Gewährung  das  entscheidende  Merkmal 
für  den  ehelichen  Charakter  einer  geschlechtlichen  Verbindung,  eine  Annahme, 
die  durch  die  fränkischen  Formeln  (Zeumer  288  ff.)  und  die  gleichzeitige 
kirchliche  Literatur,  namentlich  die  Angabe  des  Hincmar  Ep.  22.  (Migne 
126,  132),  im  vollsten  Umfang  bestätigt  wird.  Die  herrschende,  jedoch 
von  Mitteis,  Reichsrecht  S.  286  angezweifelte  Ansicht  geht  freilich 
dahin,  dass  das  Erfordernis  der  dos  für  den  Bestand  der  rechten  Ehe  auf 
römische  Einwirkung  zurückgehe,  dass  nämlich  eine  458  erlassene  No- 
velle Majorian's,  die  eine  ohne  dos  eingegangene  Ehe  zur  illegitimen 
Verbindung  erkläre,  die  fränkische  Auffassung  von  der  Nothwendigkeit 
der  dos  hervorgerufen  habe.  F.  widerlegt  jedoch  diese,  namentlich  von 
B  r  u  n  n  e  r  vertretene  Annahme  aufs  überzeugendste :  es  sei  zunächst  inner- 
lich unwahrscheinlich,  dass  eine  für  Römer  erlassene  Norm,  die  zudem  bereits 
nach  5  Jahren  durch  Severus  wieder  aufgehoben  worden  sei,  gerade  bei 
den  Franken  ihre  Geltung  weiter  behalten  habe;  es  komme  ferner  in 
Betracht,  dass  die  römische  Novelle  den  Ausdruck  dos  im  römischen 
Sinne,  also  für  die  von  der  Frau  dem  Mann  zugebrachte  Zu- 
wendung verwende,  die  fränkische  dos  aber  eine  ganz  andere  Be- 
deutung, nämlich  die  einer  der  Frau  vom  Mann  gemachten  Zu- 
wendung habe ;  dass  endlich  auch  andere  Germanenstämme,  wie  Westgothen 
und  Skandinavier,  den  Bestand  der  ehelichen  Verbindung  ebenfalls  von 
einer  der  fränkischen  dos  entsprechenden  Leistung  abhängen  Hessen.  — 
Trotz  der  wesentlichen  Uebereinstimmung  von  douaire  und  fränkischer  dos 
bestehen  zwischen  beiden  Instituten  andrerseits  zahlreiche  Verschieden- 
heiten, die  jedoch  von  F.  durchweg  auf  die  im  Lauf  der  Zeit  nothwendig 
eintretende  Fortentwicklung  der  ursprünglichen  Grundlage  zurückgeführt 
■werden.  Die  steigende  Bedeutung  des  Immobiliarbesitzes 
erklärt  z.  B.,  dass  an  die  Stelle  des  alten  Fahrniswidums  die 
Bestellung  des  douaire  an  Liegenschaften  tritt;  die  erleichterte 
Möglichkeit  der  Abschätzung  der  letzteren,  dass  das  gesetzliche  dou- 
aire in  einem  in   jedem  Einzelfall  nach  dem  Bestand  des   Grund- 


Literatur.  29 1 

eigenthums  des  Mannes  geregelten  Betrage  angesetzt  wird,  währen d 
der  alte  Fahrniswidum  nach  einem  feststehenden  Betrage  in 
Fahrnis  angesetzt  war.  Die  ältere  Gestaltung  des  Widum  weist 
a.llerdings,  wie  die  eingehende  Erläuterung  von  Capit.  1  §  7,  Capit.  .5  §  4 
darthut,  Eigenthum  der  Frau  auf,  während  ihr  später  am  douaire 
blosse  Zucht  gebührt.  Die  Umwandlung  wird  jedoch  von  F.  in  zu- 
treffender Weise  darauf  zurückgeführt,  dass  der  bei  Wiederverheirathung 
der  kinderlosen  Wittwe  oder  bei  erblosem  Tode  ihrer  Kinder  eintretende 
Uebergang  der  in  den  wertvollen  Immobilien  bestellten  dos  an  die  Sippe 
der  Frau  als  unbillig  empfunden  wurde,  dass  man  der  Beseitigung  dieser 
Unbilligkeit  zunächst  durch  vertragsmässige  Abmachung  bei  der  dos-Be- 
stellung  vorzubeugen  suchte,  bis  sich  endlich  als  Niederschlag  solcher 
Heirathsverträge  das  gesetzliche  douaire  als  blosses  Nutzniessungsrecht 
dei-  Frau  am  halben  oder  gedrittelten  Stockgut  des  Mannes  herausbildete. 
—  Die  alte  dos  konnte  nach  dem  Tode  der  Mutter  von  den 
Kindern  sofort  beansprucht  werden ;  das  douaire  behielt  der  über- 
lebende Vater  regelmässig  bis  zum  Tode  in  Besitz,  nachdem,  eben- 
falls zunächst  durch  die  Sitte,  die  Anschauung  herrschend  geworden,  dass 
der  Vater,  der  das  Muttergut  mindestens  bis  zur  Volljährigkeit  seiner 
Kinder  als  deren  Vormund  verwaltet  hatte,  auch  über  diesen  Zeitpunkt 
hinaus  die  Nutzung  für  sich  geltend  zu  machen  befugt  sei.  So  erlangt 
das  douaire  allmählich  den  Charakter  eines  den  Kindern  ver- 
fangenen Vater  gutes,  das  jedoch  in  der  kopfgleichen  Theilung  unter 
die  Kinder  der  Ehe,  ohne  Berücksichtigung  der  Erstgeburt  und  ohne 
Zurücksetzung  der  Tochter,  wie  dies  bei  Vererbung  sonstigen  Vatergutes 
der  Fall,  seinen  Ursprung  als  Muttergut  erweist.  —  Die  Verfangenschaft 
des  in  der  Hand  der  überlebenden  Mutter  befindlichen  Widums  geht  da- 
gegen auf  Capit.  1  §  7  zurück,  das,  wenn  »dedit*  zu  »filiis  suis* 
gezogen  wird,  und  letzteres  nicht  gleich  »filii  sui*  zu  verstehen 
(B ehrend  1.  Sal.  2.  Aufl.  S.  134  Z.  2  n.  2l),  die  Auffassung  ergiebt, 
dass  die  dos  schon  bei  der  Verheirathung  den  zu  erwartenden  Kindern 
geschenkt  war,  um  ihnen  nach  dem  Tode  der  Mutter  zuzufallen,  die  Verfangen- 
schaft demnach  unabhängig  von  Wiederverheirathung  der  Mutter  ausspricht. 
Die  Verfangenschaft  von  dos  oder  douaire  erklärt  auch  den  Mangel  eines 
Wartrechts  der  Kinder:  die  unbeschränkte  Verfügung  der  Eltern 
über  ihr  Vermögen  konnte  selbst  zu  Ungunsten  der  Kinder  unbedenklich 
gestattet  sein,  da  die  Verfangenschaft  letzteren  ohnehin  einen  bedeutenden 
Theil  des  Elternguts  sicherte. 

Im  Anschluss  an  die  von  ihm  dem  Widum  gegebene  Bedeutung  als 
Kennzeichen  der  rechten  Ehe  untersucht  F.  im  vierten  Abschnitt  (S.  393 
bis  419)  die  Entstehung  der  Ehe  bei  den  Westfranken.  Während 
die  herrschende  Ansicht  die  germanische  Ehe  auf  Fraueukauf  oder 
Frauenraub  gründet,  entscheidet  sich  F.  als  Ausgangspunkt  für  die  von 
ihm  als  Widum  sehe  bezeichnete  Gestaltung.  Danach  verkauft  die  Frau 
sich  selbst  um  den  Widum  dem  Mann  zur  Gewährung  ausschliesslichen 
Geschlechtsverkehrs  bis  zum  Tod  eines  der  Gatten,  indem  sie  am  Widum 
Eigenthum  erhält  und  nach  dem  Versterben  des  Mannes  dessen  Erben 
gegenüber  volle  Unabhängigkeit  besitzt.  Den  Nachweis  für  das  Zutreffen 
dieses  Ausgangspunktes  erblickt  F.  in  dem  Umstand,  dass  die  vom  Mann 

19* 


292  Literatur. 

behufs  Ehebegründung  zu  entrichtenden  Geldleistungen 
nach  den  fränkischen  Quellen  durchweg  nicht  den  Gewalthabern 
der  Braut,  sondern  letzterer  selbst  zukommen.  Für  den  Widum 
ergibt  sich  die  Richtigkeit  dieser  Behauptung  ohne  weiteres  aus  seinem 
Fälligkeitszeitpunkt:  wäre  er  Zahlung  an  den  Gewalthaber,  so  müsste 
seine  Entrichtung  dem  Eheabschluss  vorausgehen,  während  er  doch  erst 
bei  Auflösung  der  Ehe  beansprucht  werden  darf.  Den  gleichen  Charakter 
wie  der  Widum  trägt  auch  die  arrha,  auch  sie  gebührt  lediglich  der 
Braut  selbst,  nicht  deren  Verwandten,  die  höchstens  als  Vertreter  der 
Braut  (»pro  nepte  sua  orfanola*  nimmt  die  Aebtissin  bei  Greg.  Tur.  10, 
42  die  arras  an)  beim  Empfang  der  arrha  betheiligt  sind.  Allerdings  werden 
auch  Zahlungen  des  Bräutigams  an  die  Brautverwandten  er- 
wähnt —  aber  sie  erfolgen  nicht  als  Kaufpreis  des  Mädchens  oder 
des  Mundiums  über  dasselbe,  sondern  es  sind  Leistungen,  um  die 
Gewalthaber  der  Braut  zur  Gewährung  ihres  rechtserheb- 
lichen Ehekonsenses  zu  veranlassen,  demnach  wegfallend,  wenn 
dieser  Konsens  von  den  Angehörigen  freiwillig  ertheilt  wird.  Dass  dieses 
Einwilligungsrecht  mit  einer  Uebertragung  des  Mundiums  nicht  das  ge- 
ringste zu  thun  hat,  beweist  die  gleiche  Behandlung  des  Sohnes, 
der  zur  Eingehung  einer  rechten  Ehe  ebenmässig  des  Elternkonsenses  be- 
darf, wie  die  F.'s  Angaben  noch  ergänzenden  Quellenzusammenstellungen 
in  meinem  weiteren  Beitrag  zur  Frage  der  fränkischen  Weibermunt, 
M.  I.  ö.  G.  Ergbd.  5  S,  A.  S.  14  f.  darthun.  Darum  fehlt  auch  dem  frän- 
kischen Recht  eine  technische  traditio  puellae,  werden  die  Braut- 
leute in  einer  für  beide  vollkommen  übereinstimmenden  Weise  zusammen- 
gegeben. Durchaus  zutreffend  bezeichnet  F.  daher  die  dos  als  ein  der 
Braut  für  das  ,se  donner*  vom  Bräutigam  gegebenes  pre- 
tium.  —  Von  dieser  Bedeutung  des  Widums  ausgehend  gelangt  F.,  indem 
er  für  die  Begründung  seiner  Resultate  auf  spätere  Detailmitersuchungen 
verweist,  zu  der  Annahme,  dass  die  Vorstufe  des  Ehebegriffs,  d.  h. 
der  geschlechtlichen  Verbindung  zweier  freier  Personen,  bei  welcher  das 
Weib  in  die  volle  Gewalt  eines  ihrer  Sippe  fremden  Mannes  gelangt,  ohne 
ihre  Freiheit  zu  verlieren,  eine  als  rechte  Friedelschaft  (vom  alt- 
nordischen frilla  =  amica,  concubina)  zu  bezeichnende  Art  der  f r  e  i  e  n  Ehe 
gebildet  habe,  die,  wie  die  rechte  Ehe,  unter  Zustimmung  etwaiger  Ge- 
walthaber, freiwillig  von  Mann  und  Weib  eingegangen  wurde,  aber  jedem 
Kontrahenten  die  Möglichkeit  beliebiger  Aufgabe  des  Verhältnisses  beliess. 
Gegen  Zusicherung  der  später  als  Widum  auftretenden  Vermögensvortheile 
mochte  sich  dann  die  Friedel  bereit  finden,  für  die  Lebenszeit  des  Mannes 
auf  ihre  Freiheit  zu  verzichten  und  sich  mit  einer  der  zur  Hausfrau  er- 
hobenen ancilla  gleichen  Stellung  zu  begnügen.  Wurden  derartige  Ver- 
einbarungen üblicher,  so  konnte  sich  leicht  die  Anschauung  herausbilden, 
dass  die  undotirte  Hingabe  einen  Schimpf  für  das  Weib  und  seine  Sippe 
darstelle,  dass  die  der  Gewalt  des  Mannes  unterworfene  Frau  auf  höhere 
Ehre  als  die  freie  Friedel  Anspruch  erheben  dürfe.  Derartige  Verände- 
rungen in  der  sittlichen  oder  rechtlichen  Beurtheilung  sind  durchaus  nicht 
ungewöhnlich.  Zu  dem  von  F.  gegebenen  Beispiel  der  allmählichen  Höher- 
schätzung des  unfreien  Ritters  gegenüber  dem  freien  Bauern  können  etwa 
meine  Ausführungen,    a.  a.  0.  S.    10,    die  Bemerkungen  v.  Halb  an' s  in 


Literatur  293 

der  Zeitschrift  für  Sozial-  und  Wii-thschaftsgeschichte  Bd.  6  S.  92  er- 
gänzend herangezogen  werden.  —  Am  Schluss  dieses  Abschnitts  erläutert 
F.  die  taciteischen  Nachrichten,  Germ.  cap.  18,  über  die  Bräutigamsgaben, 
die,  wie  im  späteren  fränkischen  Kecht,  der  Braut  selbst,  nicht  deren  An- 
gehörigen gebühren.  Die  Verfangenschaft  der  dos  zu  Gunsten  der 
zu  erwartenden  Kinder  (»accipei-e  se  quae  liberis  inviolata  ac  digna  reddat«) 
stimmt  ebenfalls  mit  dem  droit  coutumier  übereiru;  am  auffallendsten  — 
und  nach  F.  wohl  unbedenklich  zu  dem  Schluss  berechtigend,  dass  Tacitus 
Schilderung  die  rechtlichen  Verhältnisse  gerade  solcher  civitates  betreffe, 
aus  denen  sich  der  westfränkische  Stamm  gebildet  habe  —  ist  aber  der 
Umstand,  dass  die  dos  zum  Uebergang  auf  die  Schwiegertochter 
bestimmt  ist  (»quae  nurus  accipiant ^'=),  wie  dies  in  ganz  gleicher  Weise, 
ohne  dass  ein  dazwischen  liegendes  Zeugnis  vorhanden,  vereinzelt  nach 
späteren  westfränkischen  Quellen  gilt. 

Im  folgenden,  Mutterrecht  überschri ebenen  Abschnitt  (S.  419 — 444) 
untersucht  F.,  ob  die  nach  seiner  Annahme  über  die  Entstehung  der  Ehe 
den  Kindern  zukommende  Stellung  im  fränkischen  Recht  auch  thatsächlich 
von  ihnen  inne  gehalten  wird,  mit  anderen  Worten,  ob  Spuren  vorhanden 
sind,  die  auf  einstige  Herrschaft  des  Mutterrechts  bei  den  Franken  zu 
schliessen  gestatten.  F.  bejaht  diese  Frage,  indem  er  sich  im  wesent- 
lichen dabei  auf  zwei  Momente  stützt.  Das  eheliche  Kind  stehe  ursprüng- 
lich nur  zur  Mutter  und  zu  deren  Sippe  in  vermögensrechtlicher  Zugehörig- 
keit, wie  aus  der  Gestaltung  des  Widums  und  dem  ursprünglichen 
Mangel  des  Kindeserbrechts  nach  dem  Vater  hervoi'gehe.  Die 
1.  Sal.  setzt  freilich  im  tit.  .59  ein  solches  Erbrecht  voraus.  Aber  ihre 
Erbentafel  bildet,  wie  F.  zutreffend  betont,  nicht  den  Beginn  der  frän-" 
kischen  Rechtsentwicklung;  und  andere  Bestimmungen  desselben  Gesetzes, 
die,  wenn  stets  ein  Erbrecht  nach  dem  Vater  bestanden  hätte,  die  Kinder 
in  erster  Reihe  berücksichtigen  müssten,  erwähnen  statt  ihrer  die  Ge- 
schwister oder  sonstige  Rückenerben  des  Vaters,  und  erweisen  damit  aller- 
dings, dass  eine  der  Gesetzesredaktion  voraufgehende  Periode  das  Kindes- 
erbrecht nach  dem  Vater  nicht  gekannt  haben  dürfte.  —  Zu  Gunsten 
ehemaliger  Herrschaft  des  Mutterrechts  spricht  nach  F.  ferner  der  Um- 
stand, dass  die  Standesverhältnisse  noch  im  späteren  Recht  ver- 
einzelt nach  der  Mutter  geregelt  sind  (noblesse  maternelle), 
namentlich  aber  die  Fassung  von.  1.  Rib.  58  §  9,  15,  16,  durch  die  aus-^ 
drücklich  nur  die  Nachkommenschaft  der  Mutter  von  deren  capitis  dimi- 
nutio,  nicht  im  entsprechenden  Fall  auch  die  Nachkommenschaft  des  Vaters 
von  desf>en  Standesminderung  ergriffen  wird. 

Während  die  Nachkommenfolge  unter  den  E r bschaft sbes tan d- 
theilen  keinen  Unterschied  macht,  tritt  beim  Mangel  an  Deszendenz  eine 
Verschiedenheit  der  Erbfolge  ein,  je  nachdem  der  Nachlass  Fahrnis 
"bezw.  Gewinnland,  Acquet,  Acquisitum,  Comparatum,  d.h. 
Grundeigen,  das  der  Erblasser  auf  anderm  Wege  als  durch  Beerbung  der 
aufsteigenden  geraden  oder  der  Seitenlinie  erwarb,  oder  Erbland, 
Propre,  Hereditas  parentum  d.  h.  Grundeigen,  das  der  Erblasser 
durch  eine  derartige  Beerbung  erwarb,  umfasst.  Der  sechste  Abschnitt, 
gemeine  Rücken  folge,  (S.  444 — 463)  behandelt  den  von  F.  als  ge- 
meine Folge  bezeichneten  Erbgang  der  Aszendenz  und  der  Seiten- 


294  Literatur. 

Verwandtschaft  in  Fahrnis  und  Gewinnland.  Für  die  Aszen- 
d e n z  gilt  nach  der  überwiegenden  Masse  der  Coutumes  volles  Vor- 
fahren recht.  Der  Nachlass  gelangt  beim  Fehlen  von  Nachkommen  zu- 
nächst an  die  Eltern,  beim  Vorversterben  derselben  an  die  Grosseltern  und 
eventuell  an  die  höheren  Aszendenten,  unter  Ausschluss  aller  Seitenver- 
wandten, insbesondere  auch  der  Geschwister,  und  zwar  mit  kopfgleicher 
Theilung  unter  die  Mitglieder  der  erbberechtigten  Aszendentengruppe.  Da 
die  ostfränkischen  Rechte  die  gleiche  Regelung  aufweisen,  ist  F.  geneigt, 
das  volle  Vorfahrenrecht  bereits  auf  das  älteste  fränkische  Recht  zurück- 
zuführen, eine  Annahme,  die  freilich  mit  dem  Text  des  Titels  de  alodis, 
1.  Sal.  59,  insofern  in  Widerspruch  tritt,  als  hiernach  »si  pater  et 
mater  non  superfuerint*  nicht  die  weitere  Aszendenz,  sondern  die 
Geschwister  zu  Erben  berufen  sind.  Allein  wenn  ^»filii*  im  merovingi- 
schen  Latein,  wie  allgemein  anerkannt  ist,  so  neuerdings  bei  Schröder 
D.  R.  G.  3.  Aufl.,  S.  329  und  333,  die  gesammte  Deszendenzzu  be- 
zeichnen vermag,  so  ist  nicht  von  vorn  herein  die  von  F.  behauptete  Möglich- 
keit abzulehnen,  dass  auch  unter  »pater  et  mater«  die  gesammte 
Aszendentenreihe  verstanden  werden  kann;  um  so  wahrscheinlicher 
wird  diese  Vermuthung  durch  ein  allerdings  weit  späteres  Zeugnis,  Livre 
de  Jostice  et  de  Plet  10,  g  §  2  (»Li  droiz  apele  toz  peres  et  meres  jus- 
ques  au  tierz  genol,  c'est  au  tierz  ael),  das  immerhin  für  die  Rechtssprache 
eine  derartige  Ausdrucksweise  zu  bekunden  scheint.  —  Fehlen  Nachkommen 
und  Vorfahren,  so  sukzediren  die  Seitenverwandten  nach  der  Gradesnähe 
in  Fahrnis  und  Gewinnland.  Ob  dabei  Voll-  und  Halbgeburt  ursprüng- 
lich gleichgestellt  war,  ist  bei  den  abweichenden  Bestimmungen  der  späteren 
Quellen  nicht  mehr  mit  Sicherheit  zu  ermitteln ;  F.  entscheidet  sich  für  die 
ursprüngliche  Gleichstellung,  die  allerdings  für  die  karolingische  Periode 
durch  die  langobardischen  Quaestiones  ac  monita  §  4  bezeugt  wird,  eine 
Quelle,  bei  deren  Benützung  für  die  Ermittlung  des  fränkischen  Rechts 
indess  grösste  Vorsicht  geboten  ist. 

Die  Darstellung  wendet  sich  der  Folge  in  das  Er  bland  zu,  die 
sich  durch  zwei  Besonderheiten,  das  Nichtsteigen  des  propre  od  er- 
de r  hereditas  parentum  und  das  Fall  recht  auszeichnet.  Der  7.  Ab- 
schnitt (S.  463 — 518)  beschäftigt  sich  mit  dem  letzteren,  worunter  die 
Geltung  des  Satzes  zu  verstehen  ist.  dass  für  die  Folge  beide  Elternsippen 
auseinandergehalten  werden,  der  Ait,  dass  von  der  einen  Seite  ererbtes 
Gut  an  den  Freund  dieser  Seite  zui-ückfällt,  (paternapaternis,  mater  na 
maternis).  Das  Fallrecht  reicht  nach  F.  in  die  Anfänge  der  fränkischen 
Rechtsentwicklung  zurück  —  trotz  des  anscheinenden  Widerspruchs  der 
1.  Sal.,  die  das  Erbrecht  theils  nur  der  mütterlichen,  theils  nur  der  väter- 
lichen Seite  anerkennt.  Denn  die  Coutumes  erkennen  das  Fallrecht  durch- 
gängig für  alle  Bevölkerungsclassen  und  alle  Güterarten  an,  theilweise 
sogar  bis  zu  der  Consequenz,  dass  beim  Fehlen  von  Erben  der  berechtigten 
Seite  kein  Uebergang  auf  die  Erben  der  anderen  Seite  erfolgt,  sondern  der 
Fiskus  als  Erbe  eintritt.  Eine  solche  Uebereinstimmung  des  späteren  Rechts 
gestattet  aber  in  Verbindung  damit,  dass  sich  das  Fallrecht  auch  in 
anderen  westgermanischen  und  in  ostgermanischen  Rechten  findet,  nach  F. 
lediglich  den  Schluss,  dass  der  Satz  paterna  paternis  u.  s.  w.  bereits  im 
ältesten  Recht  geherrscht  haben  müsse.  Eine  Stütze  erhält  diese  Auffassung, 


Literatur.  295 

die  beide  Elter nseiten  als  ausser  jeder  vermögensrecht- 
lichen Verbindung  stehend  erachtet,  durch  1.  Sal.  62  §  2,  wonach 
die  der  väterlichen  bezw.  mütterlichen  iElternseite  an  sich  zustehende 
Wergeidquote  dem  Fiskus  zufällt,  wenn  auf  der  betreffenden  Seite  »nullus 
parens  non  fuerit*  wohl  auch  durch  die  Bestimmungen  über  den  reipus, 
1.  Sal.  44,  die  ebenfalls  einen  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  Eltern- 
seiten des  verstorbenen  ersten  Mannes  ablehnen  dürften.  —  Der  umfang- 
reichste Theil  dieses  Abschnittes  ist  der  Untersuchung,  welche  Art  des 
Fallrechts  als  die  dem  westfränkischen  Eecht  ursprüngliche  zu  be- 
zeichnen ist,  gewidmet.  Die  Coutumes  unterscheiden  nach  der  herrschen- 
den Auffassung  ein  einfaches  Fall  recht,  bei  welchem  alles  Gut  der 
Eltemseite  an  den  nächsten  Verwandten  der  Seite  fällt,  der  Herkunft  des 
Guts  über  Vater  und  Mutter  nicht  weiter  nachgegangen  wird,  Coutumes 
de  simple  cöte;  ein  unbeschränkt  fortgesetztes  Fallrecht, 
wobei  der  Herkunft  des  Guts  bis  auf  den  ersten  nachweisbaren  Besitzer 
nachgegangen  und  das  Gut  dem  nächsten  Angehörigen  des  Grosseltern- 
Viertels  oder  Urgrosseltern- Achtels,  von  dem  das  Gut  herrührt,  zuge- 
sprochen wird,  Coutumes  de  cöte  et  de  ligne;  endlich  ein  Stamm- 
recht, wonach  das  Gut  nur  den  Nachkommen  des  ersten  Erwerbers  zu- 
fällt, Coutumes  soucheres.  F. 's  eingehende  Untersuchung  gelangt  je- 
doch zu  dem  Ergebnis,  dass  ein  unbeschränkt  fortgesetztes  Fall- 
recht den  westfränkischen  Quellen  unbekannt  ist,  indem  der  als  an- 
geblicher Beweis  seiner  Existenz  verwendete  Ausdruck  Cöte  et  Ligne  ledig- 
lich tautologisch  die  einfache  Hälftung  der  Sippe,  also  einfaches  Fallrecht 
bezeichnet.  Von  den  restirenden  Arten  des  Fallrechts  erweist  sich  das 
Stammrecht  als  eine  spätere  Bildung,  die  zunächst  für  die 
Ausübung  des  Näher  rechtes  massgebend,  erst  im  16.  Jahrhundert 
auf  die  Erbenfolge  Anwendung  gefunden  hat.  So  ergibt  sich  denn  das 
einfache  Fallrecht,  das  nur  die  beiden  Eltemsippen  auseinanderhält 
und  das  Erbgut  lediglich  auf  jeder  Seite  ebenso  nach  der  Nähe  des  Grades 
vererben  Hess,  wie  Fahrnis  und  Gemeingut  in  der  Gesammtsippe  vererbte, 
als  Ausgangspunkt  der  Entwicklung  im  westfränkischen  Recht. 
Im  Gegensatz  zur  Rückenfolge  der  späteren  Quellen,  die  völlige  Gleich- 
stellung beider  Seiten  aufweist,  ergeben,  wie  der  8.  Abschnitt  Mutter- 
rechtliche Rückenfolge  (S.  519 — 54 1)  darzulegen  sucht,  die  ältesten 
Bestimmungen  des  salfränkischen  Rechts  ein  Erbrecht  nur  der  Mutter- 
seite. Es  handelt  sich  dabei  im  wesentlichen  um  die  Frbentafel  des 
tit.  59,  die  Normirung  des  reipus  im  tit.  44  und  die  Anordnungen  über 
die  chrenecruda  im  tit.  58  der  1.  Sal.  Was  zunächst  die  Erbenfolge 
des  erstgenannten  Titels  betrifft,  so  entspricht  die  Aufzählung  der  Erben 
des  kinderlos  Verstorbenen  —  Mutter,  gleichmuttrige  Geschwister,  soror 
matris  —  allerdings  dem  mutterrechtlichen  System  —  bis  auf  das  Fehlen 
des  Mutter bruders,  der  mit  der  Mutterschwester  auf  einer  Linie 
stehend  behandelt  werden  müsste.  F.  erklärt  dies  Fehlen  damit,  dass  der 
Ausdruck  »soror*  an  dieser  Stelle  die  Geschwister  beiderlei  Ge- 
schlechts umfasse,  eine  Bedeutung  von  soror,  die  sich  auch  in  der 
1.  Burg.  14  §  2  finde.  Es  lässt  sich  erwarten,  dass  F.'s  Auslegung  auf  hef- 
tigen Widerstand  stossen  wird,  zumal  die  angebliche  Parallelstelle,  wie  mein 
Weibererbrecht  S.  57   ergibt,  auch  bei  einer  soror  im  sonst  üblichen  Sinn 


296  Literatur. 

erklärenden  Interpretation  eine  angemessene  Auslegung  finden  kann. 
Grösseres  Gewicht  ist  wohl  dem  andern  von  F.  hervorgehobenen  Umstand 
beizulegen,  dass  die  Coutumes  den  Ausdruck  ventre  für  Vollge- 
schwister  und  auch  für  die  Ehe  verwenden,  dass  avunculus,  der 
Mutterbruder,  in  der  Form  oncle  Bezeichnung  auch  des  Vater bruders 
geworden  ist,  dass  also  thatsächlich  der  F.'schen  Auslegung  von  soror  ent- 
sprechende Fälle  von  Doppelbedeutung  nachweisbar  sind.  Vielleicht  hätte 
hier  auf  die  Bildung  unseres  heutigen  Ausdrucks  »Geschwister*  selbst  hinge- 
wiesen werden  können,  der  ja  bei  unzweifelhafter  Ableitung  von  Schwester 
ebenfalls  Bruder  und  Schwester  umfassen  kann.  Allerdings  ist  »ge- 
swistirgit*  in  dieser  Bedeutung  erst  für  das  13.  Jahrhundert  bezeugt, 
Schmeller  2.  Aufl.  2.  Sp.  651;  allein  das  würde,  angesichts  unserer 
mangelhaften  Kenntnis  des  Althochdeutschen,  nicht  ausschliesen,  dass  ein 
ähnlicher  Ausdruck  nicht  schon  in  den  Zeiten  der  salischen  Gesetzesredaction 
bestand,  den  ein  des  Lateinischen  nicht  ganz  kundiger  Franke  dann  leicht 
mit  soror  wiedergeben  mochte.  Jedenfalls  bildet,  was  vielleicht  auch  zu 
Gunsten  dieser  Möglichkeit  spricht,  auch  das  Altnordische  durch  systkin 
den  Bruder  und  Schwester  umfassenden  Gesammtbegriflf  mittelst  einer  von 
der  soror  entnommenen  Ableitung.  —  Grössere  Bedeutung  als  den  immerhin 
manchem  Zweifel  Kaum  lassenden  Bestimmungen  der  salischen  Erbentafel 
misst  F.  der  IXormirung  des  reipus  bei.  Es  handelt  sich  hier,  wie  nach 
F.'s  älteren  Ausführungen  nunmehr  wohl  allgemein  angenommen  ist,  um 
Zahlungen  ausschliesslich  an  Verwandte  des  verstorbenen 
Mannes  der  Witwe,  nicht  um  Zahlungen  an  Verwandte  der  Witwe. 
Streit  besteht  indess  darüber,  wer  unter  diesen  Mannesverwandten  zum 
Empfang  des  reipus  berechtigt  ist.  Nach  Brunner,  der  die  Witwe  be- 
züglich ihrer  Wiederverheiratung  vom  Consens  der  Sippe  ihres  verstorbenen 
Mannes  abhängig  sein  lässt  und  den  reipus  für  Nachahmung  einer  im 
Jahre  371  von  Valentinian  getrofi'enen  Einrichtung  erachtet,  haben  die- 
jenigen Mannesangehorigen,  deren  Erbrecht  durch  die  Wiederverheiratung 
der  Witwe  keine  Einbusse  erlitt,  auf  den  reipus  Anspruch.  F.  macht  da- 
gegen eine  Reihe  von  Gegengründen  geltend,  die  wohl  als  zutreffend  be- 
zeichnet werden  müssen.  Gegen  die  römisch  recht  liehe  Ableitung 
des  Institutes  spricht  schon  die  innere  UnWahrscheinlichkeit,  dass 
die-  Franken  Verhältnisse  des  Familienrechts,  bei  dem  doch  im  höchsten 
Masse  nationale  Einflüsse  wirksam  werden,  nach  fremdem  Vorbild  geregelt 
hätten;  Valent inian's  Gesetz  bezieht  sich  ferner  auf  Ver- 
wandte der  Witwe,  während  der  reipus  lediglich  Verwandte 
des  verstorbenen  Mannnes  der  Witwe  betrifft.  Irrig  ist  weiter 
die  Annahme,  dass  die  Witwe  des  Consenses  der  Mannes- 
verwandten zur  Wiedervereh  elichung  benöthigt  habe;  ein 
derartiges  Verlobungsrecht  findet  sich  allerdings  im  sächsischen 
und  la ngobardischen,  nicht  aber  im  fränkischen  Recht,  das 
übereinstimmend  für  seine  älteste  wie  für  die  coutumiere  Epoche  jede  Weiber- 
munt  ablehnt.  Hier  dürften  meine  Ausführungen,  weiterer  Beitrag  S.  1 5  f., 
102  f.,  die  F.'schen  Auseinandersetzungen,  die  sich  auch  über  die  Berech- 
tigung seiner  Methode,  den  älteren  Rechtszustand  aus  den  übereinstimmen- 
den Angaben  späterer  Quellen  zu  erschliessen,  eingehender  aussprechen, 
durch    einzelnes    aus    den  Urkunden    gewonnene  Material    ergänzen,    bezw. 


Literatur.  goy 

durchweg  bestätigen.  Endlich  erklärt  die  Brunner'sche  Theorie  nicht  die 
eigenthümliche  Wahl  der  reipus-Empfänger,  die  nur  Mutter- 
magen, den  nepos  sororis  filius,  nicht  den  nepos  fratris 
filius,  den  Sohn  der  Nichte,  nicht  den  Sohn  des  Neffen,  den 
consobrinus  von  Mutterseite,  nicht  auch  den  von  Vater- 
seite, trifft.  F.  erblickt  im  reipus  eine  zwecks  Abwendung  der  von 
den  Genannten  dem  zweiten  Manne  drohenden  Fehde  erfolgte  Zahlung. 
Nach  ursprünglicher  Auffassung  habe  die  dos  die  Frau  zur  Treue  auch 
über  den  Tod  des  Gatten  hinaus  verpflichten  sollen;  wer  die  Witwe  heiratete, 
zog  sich  daher  die  Feindschaft  der  Gattensippe  zu,  deren  Meidung  wohl  in 
ältester  Zeit  nur  durch  Rückgabe  des  Widums,  später  durch  eine  kleinere, 
schliesslich  bis  zum  reipus  herabgesunkene  Zahlung  erkauft  worden  sei. 
Hat  der  reipus  diese  Function,  so  leuchtet  die  Angemessenheit  der  Wahl 
der  reipus-Empfänger  ohne  weiters  ein:  es  sind  dann  die  nach  Mutter- 
recht nächsten,  zur  Fehdeübung  geeigneten  Verwandten  des  verstorbenen 
Mannes,  unter  denen  der  Oheim  wegen  seines  höheren,  ihn  meist  bereits 
kampfunfähig  machenden  Alters  zurückgesetzt  erscheint.  —  Da  der  reipus 
immer  einem  Mann  zukommen  soll,  der  selbst  nicht  Erbe  des  verstorbenen 
Gatten  der  Witwe,  sondern  durch  näherstehende  Erben  ausgeschlossen  war, 
gewährt  die  Aufzählung  der  Empfänger  zugleich  Aufschluss  über  die  Ge- 
staltung der  Erbenfolge.  Darnach  ergibt  sich  ein  Erbrecht  nur  der 
Mutterseite.  Lediglich  die  durch  Weiber  mit  dem  Erblasser  zusammen- 
hängenden Verwandten,  nicht,  wie  bei  der  späteren  Vererbung  der  materna 
alle  dem  Erblasser  durch  die  Mutter  Blutsverwandten,  sind  zur  Erbschaft 
berufen.  Die  Nennung  des  Bruders,  die  sich  mit  dieser  Auffassung 
nicht  verträgt,    erklärt    sich    nach  F.  als    ein    unter  dem  Einfluss   späterer 

Umgestaltung  der  Erbenfolge    eingetretener    Redactionsmissgriff.  

Auch  für  die  chrenecruda  hat,  wie  F.  annimmt,  der  älteste  Text  ledig- 
lich ein  Erbrecht  der  Muttermagen  anerkannt.  Die  älteste  Handschri°ft 
unterstützt  diese  Behauptung  allerdings  nicht;  aber  es  sei  nicht  ausge- 
schlossen, dass  nicht  eine  jüngere  Handschrift  gelegentlich  die  ursprüng- 
lichste Fassung  enthalte.  Für  die  chrenecruda  treffe  das  für  die  Hand- 
schriften der  zweiten  Familie,  wo  die  Nennung  der  Vaterseite  offensichtlich 
erst  später  hinzugefügt  sei,  zu ;  denn  dass  in  irgendwelchem  späteren  Text 
eine  bereits  die  Vaterseite  berücksichtigende  Fassung  wieder  im  Sinn 
mutterrechtlicher  Gestaltung  folgerichtig  umgestaltet  worden  sei,  wäre 
geradezu  undenkbar.  —  Endlich  verweist  F.  auf  Bestimmungen  des  Metzer 
Rechts  und  der  Coutume  von  Bourgogne,  die  als  Reste  der  mutter- 
rechtlichen Rücken  folge  gewisse  sonst  nicht  erklärliche  Bevor- 
zugungen der  Mutterseite  bieten. 

Die  Umwandlung  des  einseitigen  Erbrechts  der  Mutter- 
sippe zu  einer  beide  Elternseiten  umfassenden  Erbenfolge 

sucht  der  neunte  Abschnitt :   Zweiseitige  Rückenfolge  (S.  541 564), 

klar  zu  stellen.  F.  weist  zuerst  nach,  wie  sich  neben  dem  »materna  ma- 
ternis«,  das  auf  rein  mutterrechtlicher  Grundlage  erwuchs,  mittelst  des 
droit  de  retour,  dieses  altgermanischen  Bestandtheils  des  Schenkrechts, 
auch  das  »paterna  paternis«,  und  damit  das  das  Erbgut  ergreifende  Fall- 
recht auszubilden  vermochte.  Hatte  nämlich  der  Vater,  woran  ihn  seine 
eigenen  mutterrechtlich  Blutsverwandten  nicht  zu  hindern  im  Stande  waren, 


298  Literatur. 

dem  Kind  Erbland  geschenkt,  so  fiel  letzteres  mit  dem  kinderlosen  Tode 
des  Kindes  als  Schenkgut  an  den  Vater  oder  dessen  Erben  zurück.  Als 
derartige  Schenkungen  so  häufig  geworden  waren,  dass  der  Schenkungs- 
wille des  Vaters  präsumirt  wurde,  gelangte  das  seiner  Provenienz  nach  in 
väterliches  und  mütterliches  geschiedene  Erbland  beim  kinderlosen  Tode 
eines  Erblassers  nun  regelmässig  an  beide  Elternseiten,  so  dass  schliess- 
lich unter  Ausserachtlassung  der  abweichenden  causa  des  Kückfalls  gleich- 
massig  auf  beiden  Seiten  ein  Erbrecht  der  väterlichen  und  der  mütter- 
lichen Seite  anerkannt  wurde.  —  Die  Entstehung  des  Erbrechts 
der  väterlichen  Seite  an  Fahrnis  und  Gewinngut  bringt  F.  mit 
dem  Charakter  dieser  Vermögensbestandtheile  als  ehelichen  Gemeinguts 
in  Verbindung,  der,  wie  das  später  weitverbreitete  Schlüsselrecht, 
d.  h.  die  Befugnis  der  Witwe,  unter  Verzicht  auf  jenes  Gemeingut  die 
Schuldenhaftung  abzulehnen,  beweise,  dem  ehelichen  Comparatum  von  jeher 
habe  beiwohnen  müssen.  Bei  unbeerbter  Ehe  sei  je  die  Hälfte  des  Gemein- 
guts dem  Ueberlebenden  und  den  Eückenerben  des  Verstorbenen  zugefallen; 
bei  beerbter  Ehe  musste  es  dann  als  unbillig  empfunden  werden,  dass 
die  Kinder,  die  meist  selbst  bei  Schaffung  des  Comparatum  mitgeholfen, 
vom  Vatertheil  des  Gemeingutes  ausgeschlossen  seien:  die  allmählich  zum 
Recht  gewordene  Sitte  habe  bezüglich  dieses  Gutes  schon  frühzeitig  auch 
ohne  ausdrückliche  Vergabung  das  Erbrecht  der  Kinder  nach  dem  Vater 
anerkannt,  die  Zulassung  eines  solchen  Erbrechts  aber  nothwendig  bald 
die  Folge  gehabt,  dass  nunmehr  zum  Ausgleich  auch  umgekehrt  ein  Erb- 
recht des  Vaters  am  Comparatum  der  Kinder  anerkannt  worden  sei.  War 
aber  einmal  im  engsten  Kreis  die  mutterrechtliche  Auff'assung  durch- 
brochen, den  Kindern  gesetzliches  Erbrecht  auch  nach  dem  Vater  und  diesem 
nach  ihnen  zuerkannt,  so  musste  das  auch  zur  schrittweisen  Gleich- 
stellung der  Vatermagen  mit  den  Muttermagen  beider 
Seiten  führen,  wie  sie  zunächst  wohl  die  Normirung  des  achasius 
bekundet.  Die  Erbentafel  des  Titels  de  alode  1.  Sal.  lässt  sich  freilich  mit 
einer  derartigen  Entwicklung  nicht  vereinigen.  F.  macht  deshalb  auch 
keinen  Versuch,  den  Wortlaut  des  Textes  damit  in  Einklang  zu  bringen, 
sondern  erklärt  die  Abweichungen  der  einzelnen  Handschriften,  deren  keine 
den  wirklichen  Grundtext  enthalte,  aus  dem  Bestreben,  der  ursprünglich 
rein  mutterrechtlichen  Satzung  gegenüber  angesichts  der  thatsächlichen 
Verhältnisse  die  Vatermagen  mehr  zu  berücksichtigen,  ein  Ziel,  dessen  Er- 
reichung die  Ueberarbeiter  des  Gesetzes  in  willkürlicher  Weise  durch  un- 
genügend überdachte  Einschiebsel  und  Abänderungen  zu  verwirklichen  ge- 
sucht hätten.  Eine  folgerichtige  Gestaltung  biete  dagegen  1.  Rib.  5  6,  deren 
Inhalt  genau  dem.  was  auch  später  Rechtens  gewesen,  entspreche. 

Der  folgende  Abschnitt  (S.  564 — 590)  befasst  sich  mit  der  zweiten 
Eigenthümlichkeit  der  Rückenfolge  in  das  Erbland,  dem  Nichts  feigen 
(dem  Ausschluss  des  remonter)  des  propre.  Darunter  ist  im  all- 
gemeinen der  Satz  zu  verstehen,  dass  Erbland  nicht  auf  die  Eltern  oder 
deren  Aszendenz,  sondern  auf  die  Seitenlinie,  auf  Geschwister  oder  sonstige 
nähere  Seitenverwandte  vererbt ;  vereinzelt  bezeichnet  remonter  indess  nicht 
bloss  den  Anfall  an  Vorfahren,  sondern  auch  an  Oheime  oder  irgendwelche 
mit  dem  Erblasser  nicht  auf  gleicher  oder  niederer  Querlinie  stehende 
Blutsfreunde,  also  an  alle  oberen  Verwandten.    Die  unter  den  französischen 


Literatur,  299 

Juristen  seit  dem  16.  Jhdt.  herrschende  Auffassung  wirft  das 
Nichtsteigen  mit  dem  Fallrecht  zusammen;  F.  weist  jedoch  in 
eingehender  Darlegung  nach,  dass  diese  Annahme  nur  für  den  häufigsten 
Fall,  das  Ueberleben  der  Eltern  zutrifft,  nicht  aber  bei  Ueberleben  eine» 
der  Grosseltern,  indem  die  etwa  überlebende  Vater -Mutter  nicht  wegen 
des  Fallrechts,  wohl  aber  wegen  des  Nichtsteigens  vom  Vater -Vater  -  Gut 
ausgeschlossen  ist.  Unzutreffend  wird  ferner  das  Nichtsteigen  neuerdings 
auf  lehenrechtlichen  Ursprung  zurückgeführt ;  denn  die  Lehenfolge 
hat  sich  gerade  umgekehrt  der  allodialen  angepasst.  die  Erblichkeit  der 
Lehen  übei'haupt  zu  einer  Zeit  ausgebildet,  in  welcher  das  Nichtsteigen 
bereits  zur  Geltung  gelangt  war. 

Der  11.  Abschnitt,  Erbrecht  der  Weiber  (S.  590 — 607),  erörtert 
die  Frage,  ob  der  im  ältesten  Text  der  1.  Sal.  angeordnete  Ausschluss 
des  Weibes  von  der  terra  über  das  Nichtsteigen  des  Erblandes  Auf- 
schluss  gewährt.  Das  scheint  zunächst  zuzutreffen:  denn  nach  mutterrecht- 
licher Auffassung  waren  nur  Weiber,  Mutter  und  Muttermagen,  erbberech- 
tigt, so  dass,  wenn  an  diese  kein  Land  kommen  sollte,  schon  damit  jedes- 
Steigen  der  terra  ausgeschlossen  war,  sich  daher  annehmen  Hesse,  dass 
beim  Uebergang  zum  Vaterrecht  dem  Vater  und  den  Vatermagen  kein 
grösseres  Recht  als  der  Mutter  und  den  Muttermagen  zugestanden  worden 
sei,  also  auch  nur  die  väterliche  Seitenverwandtschaft  Erbberechtigung  auf 
das  Land  gewonnen  habe.  Allein  der  Annahme  einer  solchen  Entwicklung 
stehen  die  grössten  Bedenken  entgegen.  Zunächst  spricht  der  Gesetzestext 
von  terra  überhaupt,  nicht  von  Erbland,  während  das  fränkische  Recht 
das  Land  als  solches  niemals  einer  besonderen  erbrechtlichen  Regelung 
unterwarf,  sondern  eine  rechtliche  Verschiedenheit  nur  zwischen  Erbland 
und  Gewinnland  anerkannte.  Selbst  wenn  aber  terra,  wie  dies  die  späteren 
Rezensionen  durch  den  Zusatz  Salica  wohl  auszudrücken  beabsichtigen, 
mit  Erbland  identisch  wäre,  widerspräche  dem  hiernach  angeordneten  Aus- 
schluss der  Weiber  vom  Erbland  der  Umstand,  dass  die  Urkunden,  worauf 
ich  schon  in  meinem  Weibererbrecht  S.  25  f.  aufmerksam  machte,  uns  un- 
zähligemal  Weiber  gerade  im  Besitze  von  Erbland  bezeugen.  Dass 
jedenfalls  die  Weiber  nicht  schlechtweg  ausgeschlossen  sein  sollen,  ergibt 
der  Zusatz  »qui  fratres  fuerint«  zu  dem  für  die  terra  als  erbberechtigt 
bezeichneten  virilis  sexus,  der  nach  F.  als  Gegensatz  zu  entfernteren 
proximiores  männlichen  Geschlechts  aufzufassen  ist.  Danach  bestimmt 
das  Gesetz  Ausschluss  der  Weiber  durch  Männer  gleichen 
Grades,  durch  Männer,  welche  ihre  Brüder  sind.  Bestätigung  findet  diese 
Auslegung  in  den  Formeln,  in  denen  der  Vater  den  Töchtern  neben  Söhnen 
Erbrecht  am  elterlichen  Allod  zugesteht,  und  in  den  Bestimmungen  über 
das  Vizinenrecht,  edict.  Chilp.  §  .3,  das  —  für  Rottlaud  —  die  Weiber 
ebenfalls  nur  hinter  gleichgx-adigen  Männern  zurückstehen  lässt.  Ueberaus 
interessant  ist  dabei  die  Verweisung  auf  die  luxemburgischen  Coutumes 
von  Muno,  die  noch  1698  ganz  entsprechende  Verhältnisse,  wie  sie  das 
Edict  regelt,  bieten.  Auch  die  mittelalterlichen  französischen  Coutumes 
kennen  die  auf  das  Gebiet  des  Lehenrechts  beschränkte  Zurücksetzung  der 
Weiber  nur  durch  gleiehgradige  Männer  an.  Selbst  diese  Erklärung  der 
1.  Sal.,  die  das  Weib  nur  in  begrenzter  Weise  bei  der  Erbfolge  in  das 
Land  hinter  den  Männern    zurücktreten    lässt,    muss    jedoch    auffallen,    da 


300 


Literatm-. 


einerseits  das  spätere  Recht  bei  allem  freieigenen  Gut  volle  Gleichstellung 
der  beiden  Geschlechter  aufweist,  andererseits  aber  auch  die  langobardischen 
quaestiones  ac  monita  §  4,  sowie  karolingische  und  merovingische  Formeln 
die  gleichmässige  Vertheilung  des  Nachlasses,  des  beweg- 
lichen und  unbeweglichen,  zwischen  gleichg  radigen  Männern 
und  Weibern  voraussetzen.  Als  Erklärung  des  hienach  zwischen  den 
thatsächlichen  Verhältnissen  und  der  gesetzlichen  Anordnung  waltenden 
Widerspruchs  nimmt  F.  an,  dass  die  Normen  der  1.  Sal.  nicht  im 
ganzen  salischen  Gebiete  Geltung  gehabt  hätten,  dass  vielmehr 
das  Recht  der  einzelnen  Bevölkerungstheile  ein  regional  abweichendes  ge- 
wesen sei,  so  dass  die  Redactoren,  aus  Unkenntnis  des  nicht  in  ihrem 
nächsten  Bereich  herrschenden  Rechts,  die  nur  in  räumlich  beschränktem 
Gebiet  sich  findende  Zurücksetzung  der  Weiber  durch  gleichgradige  Männer 
irrthümlich  als  Recht  des  ganzen  Frankenstammes  proclamirt  hätten. 

Nachdem  sich  die  Regelung  des  Weibererbrechts  für  das  Nichtsteigen 
des  Erblandes  als  irrelevant  herausgestellt  hat.   sucht  F.  im  1 2.  Abschnitt, 
Anfänge    des    Nichtsteigens    (S.  617 — 617),  die  wirklichen  Gründe 
für    die  Entstehung    dieser  Eigenthümlichkeit    der  Erbfolge  in  das  Propre 
zu  ermitteln.  Er  weist  zunächst  darauf  hin,  dass  bei  rein  mutterrechtlicher 
Folge  jede  Veranlassung    für  Nichtsteigen    fehlt,    indem    dabei    von  einem 
auf  Mutter  oder  Muttermutter  steigenden  Erbland  des  Kindes  eben  gar  nicht 
die  Rede  sein  konnte.     Erst    mit  Anerkennung  des  Kindes  als  Erben  des 
Vaters,    der    sich    bald  die   Anerkennung  des  Vaters  als  Erben  des  Kindes 
anschloss,  konnte  sich  im  Kindesnachlass    von  der  vorverstorbenen  Mutter 
herrührendes  Erbland   finden,  das  nunmehr  an  sich,  unter  Ausschluss  der 
gleichmuttrigen  Kindesgeschwister,  auf  den  Vater  übergegangen  wäre.  Der 
Vermeidung    dieses  Erfolges    diente    das  Fallrecht,    das  das  gleiche  Ergeb- 
nis,   wenn    das  Erbrecht    von  Grosseltern  in  Frage  kam,    so  lange  zu  er- 
zielen vermochte,  als  die  Abweichung  von  der  mutten-echtlichen  Folge  sich 
auf  die  Anerkennung  des  wechselseitigen  Erbrechts  von  Vater  und  Kindern 
beschränkte,     im    weiteren    Kreis    aber    noch    ausschliesslich    Mutterrecht 
herrschte.     Dann  gab  es  doch  auf  jeder  Seite    nur    einen    erbberechtigten 
Grosselterntheil,  hier  die  Mutter-,  dort  die  Vater  -  Mutter,   für  deren  Aus- 
schluss, dieser  vom  väterlichen,  jener  vom  mütterlichen  Erbland,  das  Fall- 
recht  genügte.     Mit  Ausdehnung  des  Erbrechts   auf  die  Vater- 
magen   beider    Seiten     stellte    sich  dagegen    das    Bedürfnis    des 
Nichtsteigens  ein,  um  im  Interesse  namentlich  der  Geschwister,  dann 
-überhaupt  der  frühern  Miterben,   den   als  unbillig  empfundenen  Anfall  des 
von  einem  Grosselterntheil    der  Seite    herrührenden  Landes    an  den  über- 
lebenden Grosselterntheil  zu  verhüten.     Indem  der  Satz  vom  Nichtsteigen 
des  Erblandes  sich  hiernach  als  Ausnahme    nur    von  einer  Grundlage  aus 
entwickeln  konnte,   bei  welcher  im  allgemeinen  der  Vorzug  der  Aszendenz 
vor  der  Seitenlinie    anerkannt    war.    bestätigt    sich  die  F.'sche  Auslegung 
der    salischen    Erbentafel,     wonach  Geschwister    erst   beim    Fehlen 
von  Vorfahren  erbberechtigt  waren.     Auch  das  Nichtsteigen  kann, 
wie  F.  an    einzelnen  Beispielen    dai'legt,    im  weiteren  Kreis    unbillige  Er- 
gebnisse liefern,    bei  der  geringen  praktischen  Erheblichkeit  solcher  Fälle 
ist  das  jedoch   meist  unberücksichtigt  geblieben. 

Der  Schlussabschnitt,  Ergebnisse  (S.  617 — 63l),  erörtert  zunächst  die 


Literatur.  '601 

für  das  Zutreffen  der  F.'schen  Methode,  das  Urreclit  unter  Ausgehen  von  den 
späteren  Quellen  zu  ermitteln,  sprechenden  Gründe,  wesentlich  in  Ueber- 
einstimmung  mit  den  in  früheren  Theilen  dieses  Werkes  gemachten  Aus- 
führungen. Daran  schliesst  sich  eine  kurze  Zusammenfassung  der  für  die 
Entwicklung  des  westfränkischen  Kechts  gewonnenen  Ergebnisse,  die  den 
Werdegang  des  Erbrechts  von  seinem  rein  mutterrechtlichen  Ausgangs- 
punkte bis  zu  seiner  coutumieren  Gestaltung  schildert. 

Wie  F.  mehrfach  hervorhebt,  stützt  sich  auch  in  dieser  Abtheilung 
seines  Werks  ein  grosser  Theil  der  Ausführungen  auf  die  Resultate  ander- 
weitiger noch  nicht  publicirter  Untersuchungen,  deren  baldiges  Erscheinen 
die  reiche  und  ungeschwächte  Arbeitskraft  des  Verfassers  jedoch  in  sichere 
Aussicht  stellt.  Erst  an  der  Hand  dieser  weiteren  Veröffentlichungen  wird 
die  Kritik  die  Fähigkeit  zur  angemessenen  Würdigung  der  bisherigen 
Darlegungen  F.'s  gewinnen,  während  zunächst  die  Beschränkung  auf  eine 
möglichst  erschöpfende  Wiedergabe  des  Gedankenganges,  wie  sie  vorstehen- 
des Eeferat  zu  liefern  versuchte,  als  das  Gebotenste  erscheint.  Für  nicht 
wenig  Einzelpunkte  dürfte  allerdings  auch  das  jetzt  beigebrachte  Material 
die  Richtigkeit  der  F.'schen  Behauptungen  erweisen,  so  für  den  ursprüng- 
lichen Mangel  eines  Erbrechts  des  Vaters  und  der  Vaterseite,  für  das  Fehlen 
des  Warterechtb.  für  die  Uebereinstimmung  der  Coutumes  de  simple  cöte 
mit  den  Coutumes  de  Cöte  et  de  Ligne,  für  das  fränkische  Verlobungs- 
recht, für  die  Umgestaltung  der  dos  zum  douaire  u.  s.  w.  Und  andere 
Ausführungen,  namentlich  über  die  rechte  Friedelschaft  als  Vorstufe  der 
rechten  Ehe,  tragen  soviel  innere  Wahrscheinlichkeit  in  sich,  dass  sie  auch 
ohne  erschöpfenden  quellenmässigen  Nachweis  auf  allgemeinste  Beachtung 
Anspruch  erheben  dürfen. 

Bern.  Otto  Opet. 


Collection  de  textes  pour  servirä  l'etude  etären- 
seignementderhistoirei). 

Im  Jahre  1886  that  sich  eine  Anzahl  französischer  Gelehrter,  Mit- 
glieder des  Institut  de  France,  Professoren  der  Universität  und  der  Fach- 
schulen, zusammen,  um  die  Veröffentlichung  wichtiger  Geschichtsquellen 
in  die  Hand  zn  nehmen.  Die  französische  Geschichte  sollte  vornehmlich 
berücksichtigt,  die  auswärtige  aber  damit  nicht  grundsätzlich  ausgeschlossen 
werden.  Die  in  Aussicht  genommenen  Quellen  gehörten  allen  Gattungen 
an,  Annalen,  Chroniken,  Biographien,  Urkundensammlungen  zur  Geschichte 
einzelner  Perioden  oder  bedeutsamer  Einrichtungen.  Unter  den  Männern, 
die  mit  der  Leitung  des  Unternehmens  betraut  wurden,  finden  sich  A.  Giry, 
H.  Jalliffier,  Ch.-V.  Langlois,  E.  Lavisse,  H.  Lemonnier,  A.  Luchaire^ 
A.  Molinier,  M.  Prou,  M.  Thevenin,  A.  Thomas. 

Bis  jetzt  (April  1899)  sind  27  Bändchen  erschienen,  die  von  der 
Verlagshandlung  Alphons  Picard  sehr  gefällig  ausgestattet,  einen  ausgezeich- 
neten Eindruck  machen  und  der  Aufmerksamkeit  der  deutschen  Historiker 
empfohlen  sein  mögen.    Register  und  Lihalts Verzeichnisse,  Einleitungen  und 

')  Vgl.  Mittheilungen  d.  Inst.  (1890)  11,  173  die  Besprechung  der  Briefe 
Gerberts,  die  das  6.  Bändchen  der  Sammlung  bilden. 


302 


Literatur. 


Erläuterungen  dienen  der  Bequemlichkeit  des  Benutzers    und    berechtigen 
zu  dem  Urtheil,  dass  der  Hauptzweck  der  Herausgeber,  billige  und  hand- 
liche Ausgaben  zu  bieten,    erreicht  ist.     Was    den    inneren  Wert    der    ge- 
leisteten   Arbeit,     die    Zuverlässigkeit    des    kritischen    Apparates    und    die 
Richtigkeit  der  angewandten    methodischen  Grundsätze    anlangt,    so    muss 
gesagt    werden,    dass    die  Sammlung    nicht    gleichmässig  ist.     Neben  ein- 
zelnen sehr  guten  finden  sich  minder  gelunge  Bändchen,    und    man  muss 
hoffen,  dass  die  von  der  deutschen  Kritik  mehrfach   geäusserten  Bedenken 
zu  vorsichtigerer  Auswahl  der  Mitarbeiter  Anlass  geben.     Die  Mängel  ge- 
hören   meist    dem    Gebiete    der    Hilfswissenschaften    an.     Dem    Historiker 
leistet  die  Sammlung    auch    so,    wie  sie  ist,    sehr    schätzenswerte  Dienste, 
weil    es    bisher    in    Frankreich    nichts    in    der    Art    der  Scriptores  Kerum 
Germanicarum  in  usum  scholarum  gab,  und  es  darum  ungemein  schwierig 
war,    im  Studierzimmer  aus  den  Quellen  selbst  eine  lebendige  Anschauung 
zu  gewinnen.     Man    wird    daher    alles  in  allem  dem    noch   jungen  Unter- 
nehmen sicheren  Fortgang    und    immer  bessere  Erfolge  wünschen.     Kach- 
stehend wird  der  Inhalt  der  bisher  ausgegebenen  Bändchen  kurz  besprochen 
iind  dabei  das,  was  den  deutschen  Forscher  näher  angeht,  besonders  her- 
vorgehoben.   Die  Eeihenfolge  der  Aufzählung  schliesst  sich  soweit  möglich 
•an  die  Abfassungszeit  der  Quellen  an. 

Gregoire    de    Tours.     Histoire    des    Francs,    tome  I,  li^Tes 
1 — VI;  texte  du  manuscrit  de  Corbie,   accompagne  d'un  fac-simile,    public 
par    H.  Omont.     1   vol.  in-8   (XXXII— 235   p.) ;    tome  II,  livres  VII — X, 
texte  du  manuscrit  de  Bruxelles,    Bib.  Roy.  de  Bruxelles  9403,  avec  index 
•alphabetique  public  par  Gaston  Collen.  In-8  (VII— 241  p.).   1886.   1893. 
Les  deux  volumes :    12  fr.  50  ^).  —  Die  Bearbeiter  haben  im  Avertissement 
des  ersten  Bändchens  das  Bedürfnis  gefühlt,    ihr  Unternehmen    zu    recht- 
fertigen, nachdem  Wilhelm  Arndt  auf  Grund  langjähriger  Arbeit  im  Jahre 
1885   in    den  Scriptores  Eerum  Merovingicarum  Band   1    einen    kritischen 
Text  Gregors  gegeben  hatte.    Eine  solche  Rechtfertigung  wäre  kaum  noth- 
wendig  gewesen,  da  jede  der  beiden  Ausgaben  ihren  besonderen  Wert  und 
ihren  eigenen  Benutzerkreis  hat.     Jedenfalls  wird  man    sich    freuen,    dass 
das    Werk    des    Geschichtsschreibers    der    Franken    so    bequem    zugänglich 
ist.     Die    beigegebene    Handschriftenprobe    zeigt    eine    sonst    nur    in    Ur- 
kunden   übliche    Minuskel.     Der    zum    Abdruck    gebrachte    Text    schliesst 
sich    eng    an    die    Handschriften    an.     In    Anmerkungen     findet    man    die 
Verbesserungen     eines      Zeitgenossen.      Gregors     eigene      Zusätze     unter- 
scheiden   sich    von    dem     Zusammenhange,     in     dem    sie     stehen,     durch 
kleineren  Druck.     Ein    übersichtliches  Verzeichnis    der    Handschriften    (die 
1,  VI  angekündigte  ausführliche  Beschreibung  der  ältesten  ist  unterblieben) 
und  Ausgaben  behält  auch  neben  dem  inzwischen    erschienenen  Abschnitt 
•der    neuen  Auflage    von    Potthasts    Wegvpeiser    seinen    Wert.     Das    alpha- 
betische Register  führt  für  jeden  Namen   sämmtliche  Formen  auf,  eine  Ein- 
richtung, die  namentlich  Geographen  und  Philologen  zu  gute  kommt.    Die 
Kapitelzahlen    der  Arndt'schen  Ausgabe    sowie    die  Seitenzahlen    der  alten 


')  Die  angegebenen  Preise  sind  die  Ladenpreise:  Abnehmer  der  ganzen 
Pteihe  —  einige"  Bändchen  sind  eiüzeln  nicht  mehr  zu  haben  —  erhalten  Yer- 
_günstigungen. 


Literatur.  303 

Ruinartschen  sind  vermerkt,  um  vergleichende  Studien  zu  erleiclitern.  Kurz 
man  darf  wohl  sagen,  dass  die  Bearbeiter  keine  Mühe  gescheut  haben, 
um  durch  ihre  Veröffentlichung  der  Forschung  ein  wirklich  brauchbares 
Hilfsmittel  darzubieten. 

La  chronique  de  Nantes  (570 — 1049),  publice  avec  une  in- 
troduction  et  des  notes  par  Rene  Merlet.  1  vol.  in- 8  (LXXII-16.5).  1896 
5  fr.  50.  —  In  den  Jahren  105  0 — 1053  schrieb  ein  ungenannter  Dom- 
herr von  Nantes  auf  Antrieb  seines  Bischofs  unter  Benutzung  des  Dom- 
arcbivs,  alter  Annalen,  Briefe  und  Heiligenleben  eine  Chronik  der  Bischof- 
stadt, worin  er  Thatsache  an  Thatsache  reihte,  nicht  ohne  hier  und  da 
kritisches  Verständnis  zu  bewähren.  Sein  Werk  ist  seit  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunders  völlig  verschollen  und  die  Wahrscheinlichkeit  es  wieder 
aufzufinden  nur  gering.  Gerade  um  jene  Zeit  aber  wurde  glücklicher- 
weise der  grösste  Theil  der  Chronik  von  Pierre  Le  Baud  in  dessen  Histoire 
de  Bretagne  aufgenommen  und  auf  diese  Weise  der  Nachwelt  erhalten. 
Mit  Hilfe  der  Uebersetzung  und  einer  Anzahl  anderer  Bruchstücke,  über 
deren  Wert  und  Eigenart  genaueste  Rechenschaft  gegeben  wird  —  vgl. 
auch  die  Stammtafel  der  Handschriften  und  Ausgaben  S.  XXIII  ■ —  hat 
Merlet  den  vorliegenden  Text  hergestellt.  Die  lateinische  und  die  franzö- 
sische Fassung  sind  nebeneinander  abgedruckt.  In  der  Einleitung  ver- 
breitet sich  der  Bearbeiter  über  die  ihm  allem  Anschein  nach  seit  lange 
vertrauten,  sonst  weniger  bekannten  Verhältnisse  der  bretonischen  Land- 
schaft und  entwirft  ein  anschauliches  Bild  der  Umwelt,  aus  der  die  Chronik 
erwuchs.  Was  über  die  letzten  Zeiten  der  Karolinger,  die  verheerenden 
Einfälle  der  Normannen  berichtet  wird,  namentlich  aber  die  sagendurch- 
wobene  Erzählung  der  episch  verherrlichten  Kämpfe  Ottonischer  Kaiser  mit 
Frankreich  ist,  wenn  nicht  immer  für  die  Kenntnis,  so  doch  für  die 
spätere  Auffassung  der  Ereignisse  wertvoll. 

Liber  miraculorum  Sancte  Fidis,  publie  d'  apres  le  manus- 
crit  de  la  Bibliotheque  de  Schlestadt  avec  une  introduction  et  des  notes 
par  A.  Bouillet.  1  voL  in-8  (XXXVI— 290  p.).  189  7.  7  fr.  50.  — 
Kaum  zwölf  Jahre  alt,  erlitt  die  hl.  Fides  im  Jahre  303  zu  Agen  an  der 
Garonne,  ihrer  Geburtsstadt,  den  Märtyrertod.  Ihre  wunderthätigen  Ge- 
beine gelangten  durch  Diebstahl  in  das  Kloster  Conques  (departement 
Aveyron),  wo  sie  auf  die  Pilger  aller  Länder  eine  sehr  bedeutende  An- 
ziehungskraft ausübten.  Bernhard,  Domscholaster  in  Angers,  gieng  in  den 
Jahren  1013  bis  1020  dreimal  nach  Conques,  um  die  berühmten  Wunder 
zu  schauen  und  schrieb  darüber  einen  Berieht,  den  er  seinem  hochge- 
feierten Lehrer  Fulbert,  seit  1007  Bischof  von  Chartres,  widmete.  Von 
dem  uns  in  zahlreichen  Handschriften  vorliegenden  Liber  miraculorum 
Sancte  Fidis  verfasste  er  aber  nur  zwei  Bücher.  Die  beiden  anderen  fügte 
noch  im  11.  Jahrhundert  ein  Mönch  von  Conques  hinzu.  Wie  er  schon 
im  Titel  sagt,  hat  der  Herausgeber  nicht  eine  kritische  Ausgabe  geben, 
sondern  die  beste  aus  dem  Schlettstadter  Priorat  der  hl.  Fides  stammende 
Handschrift  abdrucken  wollen,  worüber  man  mit  ihm  rechten  kann  i).  Die 
anderen  Handschriften  beschreibt  er  und  fügt  auch  eine  Uebereinstimmungs- 


»)  Vgl.  im  Lit.  Centralblatt  1898  Nr.  35,  1301—1305,  die  Besprechung  von 
H.  H.,  der  sehr  zahlreiche  Vorschläge  zur  Verbesserung  des  Textes  macht. 


304  Literatur. 

tafel  der  Kapitel  bei.  Abweichungen  von  dem  zu  Grunde  gelegten  Text 
berücksichtigt  er  nur  dann,  wenn  sie  bedeutend  sind.  Erzählungen,  die 
sich  in  der  Schlettstadter  Fassung  nicht  finden,  lässt  er  in  einem  Anhang 
folgen.  Der  Inhalt  der  Wundergeschichten  geht  vornehmlich  den  Kultur- 
historiker an.  Bernhard  und  sein  Fortsetzer  entwerfen,  ohne  es  im  ge- 
ringsten zu  beabsichtigen,  ein  sehr  gelungenes  Bild  von  den  sozialen  Zu- 
ständen Südfrankreichs,  besonders  der  Landschaften  Rouergue,  Quercy, 
Auvergne  und  Languedoc.  Der  Herausgeber  hat  dankenswerter  Weise 
seinem  Register  Sachbezeichnungen  wie :  Guerres  des  seigneurs,  Maladies 
dangereuses  gueries,  Prionniers  delivres  u.  s.  w.  einverleibt  und  damit  die 
bequeme  Verwerthung  der  einzelnen  Angaben  ermöglicht. 

Ademar  de  Chabannes.  Chronique  publice  d' apres  les  manus- 
crits,  par  Jules  Chavanon.  1  vol.  in-8  (LI — 234  p.).  1897.  6  fr.  ,50.  — 
Ademar  von  Chabannes  (nicht  Chabanais),  1034  gestorben,  widmete  sein 
ganzes  Leben  der  Abschrift  und  Abfassung  von  Büchern,  immer  in  dem 
heissen  Bemühen,  Ruhm  und  Ehre  des  heiligen  Martialis  von  Limoges  zu 
erhöhen.  Einzelne  Theile  seines  Geschichtswerkes  waren  längst  bekannt, 
aber  auch  die  letzte  und  bisher  beste  Ausgabe  von  G.  Waitz  in  den  Mon. 
Germ.  Scriptores  Bd.  IV  nicht  vollständig.  Chavanon  hat  die  ganze 
Chronik  abgedruckt,  aber  die  Entlehnungen  durch  kleineren  Satz  kenntlich 
gemacht,  freilich  ohne  die  Quellen  selbst  zu  nennen.  Sie  zerfällt  in  drei 
Bücher,  die  bis  zum  Jahre  1028  reichen,  aber  erst  im  dritten,  Kapitel  16 
beginnt  Ademars  selbstständige  Leistung  mit  Ereignissen  der  Jahre  830 
bis  841.  Am  besten  gelungen  ist  ihm  die  Charakterschilderung  Herzog 
Wilhelms  III.,  des  Grossen,  von  Aquitanien  (t  1030),  des  Freundes  und 
Schwiegervaters  des  Kaiser  Heinrich  III.  (3,  4l).  Seine  Erzählung  bietet 
die  wichtigste  Grundlage  für  die  Geschichte  Aquitaniens  im  1 0.  und 
11.  Jahrhundert.  Auf  die  sonst  nicht  bekannten  Nachrichten  des  ersten 
und  zweiten  Buches  macht  der  Herausgeber  in  der  Vorrede  S.  XIII  und 
XIV  besonders  aufmerksam.  Ademar  benutzte  dort,  wo  seine  geschriebenen 
Vorlagen  ihn  im  Stiche  Hessen,  mündliche  Mittheilungen  seiner  Zeitgenossen 
mit  vielem  Geschick,  so  dass  er  den  Eindruck  grosser  Glaubwürdigkeit 
hervorruft.  Chavanon  hat  sich  vielfach,  namentlich  in  der  Würdigung  des 
Chronisten,  an  Waitz  angeschlossen,  einiges  verbessert  und  mit  vollem 
Recht  auf  die  Realien  erhebliche  Mühe  verwendet.  Eine  bequeme  Inhalts- 
übersicht in  französischer  Sprache  geht  dem  Texte  voraus.  Im  Anhang  folgen 
kleine  Bruchstücke  des  dritten  Buches  aus  der  Pariser  Handschrift  mss. 
lat.  n^.  (il90  der  Nationalbibliothek,  in  denen  Leopold  Delisle  die  eigen- 
händige Niederschrift  einer  früheren  Fassung  nachgewiesen  hat  (Notices  et 
extraits  des  mss.    1896). 

Endes  de  Saint-Maur.  Vie  de  Bouchard  le  Venerable, 
comte  de  Vendöme,  de  Corbeil,  de  Melun  et  de  Paris  (X®  et 
XP  siecles),  publice  avec  introduction  par  Ch.  Bourel  de  La  Ronciere. 
1  vol.  in-8  (XXX-45)  1892.  2  fr.  25.  —  Was  Mabillon  und  spätere  über 
den  Ursprung  des  Gi-afen  Burkhardt  gesagt  haben,  und  was  dann  in  die 
gebräuchlichen  Nachschlagewerke  übergegangen  ist,  muss  auf  Grund  der 
Einleitung  berichtigt  werden.  Die  Grafen  von  Vendöme  stammen  weder 
von  den  Anjou  noch  von  den  Beaugency  ab,  wie  der  Herausgeber  durch 
geschickte    Verwertung    der    kanonisch    verbotenenen  Verwandtschaftsgrade 


Literatur.  3()5 

zeigt.  Er  meint,  der  Ahnherr  des  Geschlechts  sei  wohl  ein  durch  Königs- 
gunst emporgekommener  Kriegsheld  gewesen.  Burkhardt  II.,  genannt 
Vetulus  oder  Venerabilis,  wird  zuerst  in  der  Mitte  des  10.  Jahrhunderts 
genannt.  Als  getreuer  Eathgeber  und  Freund  Hugo  Kapets,  der  seine 
Dienste  durch  bedeutende  Schenkungen  belohnte,  erwarb  er  Ruhm  und 
Ansehen.  Er  war  der  letzte,  der  sich  königlicher  Graf  von  Paris  nennen 
durfte.  Durch  seine  Stellung  bei  Hofe  bildete  er  gewissermassen  einen 
Uebergang  von  dem  früheren  Pfalzgrafen  zu  dem  späteren  Seneschall. 
Eeiche  Gaben,  die  er  der  Kirche  zuwandte,  sicherten  ihm  ein  dankbares 
Andenken.  Im  Jahi-e  1006  zog  er  sich  weltmüde  in  die  Abtei  Saint- 
Maur-des-Fosses  zurück,  wo  er  1007  (Mabillon  ohne  Quelle:  1012)  starb. 
Im  Jahre  1058  beendete  ein  Mönch  dieses  Klosters,  Odo,  seine  Vita  domni 
Burchardi  venerabilis  comitis.  Zu  einer  Zeit,  wo  die  Mönche  von  den 
Gewaltsamkeiten  der  weltlichen  Machthaber,  namentlich  ihres  Vogtes 
Wilhelm  Graf  von  Corbeil,  viel  zu  leiden  hatten,  sollte  die  Persönlichkeit 
ihres  verstorbenen  Wohlthäters  den  Zeitgenossen  zur  Nachahmung  näher 
gebracht  und  empfohlen  werden.  Die  Vita  wurde  damit  zu  einer  erbaulichen 
1  e  c  t  i  0 ,  die  übrigens  unter  die  best  geschriebenen  Werke  des  Jahrhunderts 
gehört.  Der  Herausgeber  hat  die  zuverlässigsten  Handschriften  zum  ersten 
Male  benützt  und  durch  ihre  glückliche  Vergleichung  in  seiner  Einleitung 
auch  für  die  Diplomatik  Hugo  Kapets  und  Roberts  des  Frommen  einen 
Beitrag  geliefert.  Ira  Anhang  giebt  er  den  Text  der  durch  ihr  Alter  bemer- 
kenswerthen  coutumes  von  Vendöme,  zwar  nicht  nach  der  Urschrift  in 
Cheltenham,  aber  nach  einer  modernen  Abschrift  davon.  Recht  lehrreich 
sind  in  der  Vita  die  Schilderungen  des  Klosterlebens,  die  erkennen  lassen, 
wie  nothwendig  die  Cluniacensische  Reform  war:  zur  Zeit  Hugo  Kapets 
lebt  Abt  Manhard  unter  Hunden  und  Falken,  froh,  das  Gewand  St.  Bene- 
dikts mit  kostbarer  Kleidung  vertauschen  zu  können. 

Hariulf.  Chronique  de  l'abbaye  de  Saint-Riquier  (V^ 
siecle-1 104),  publice  par  Ferdinand  Lot.  1  vol.  in-8  (LXXIII — 362  p.). 
1894.  10  fr.  —  Lot  hat  sich  mit  peinlichster  Sorgfalt  und  rastlosem  Fleiss 
der  undankbaren  Aufgabe  unterzogen,  aus  Abschriften  und  Drucken  die 
Chronik,  deren  Urschrift  1713  durch  Feuer  untergieng.  herzustellen.  Vor 
allem  ist  die  weit  ausholende  Einleitung  hervorzuheben,  die  alles,  was  mit 
Hariulf  irgend  in  Beziehung  steht,  eingehend  darlegt,  ohne  freilich  in 
einigen  sehr  dunkeln  Fragen,  so  z.  B.  der  nach  dem  Antheil  des  Mönches 
Saxowelus,  das  letzte  Wort  sprechen  zu  können.  Dort  wo  der  Heraus- 
geber unter  den  mündlichen  Quellen  Hariulfs  die  Gesänge  über  Garmund 
und  Isenbart  behandelt,  hätte  er  vielleicht  auf  die  von  Delisle  entdeckte 
Chronik  des  Anonymus  von  Bethune  hinweisen  können  (Notices  et  extraits 
des  mss.  34,  1.  Theil  189l)  —  Hariulf  wurde  um  1060  in  Ponthieu 
geboren,  in  der  Abtei  Saint-Riquier  erzogen,  am  22.  Okt.  1105  in  Alden- 
borg  (Oudenbourg)  als  Abt  inthronisirt  und  starb  daselbst  am  19.  April 
1134.  Seine  Werke  sind  ziemlich  zahlreich:  Heiligenleben,  Wunderbe- 
schreibungen, Gedichte,  Grabschriften,  ein  römischer  Reisebericht.  Die 
Chronik  umfasst  die  Geschichte  von  Centulum  —  dieses  der  alte  Name 
von  Saint-Riquier  —  von  der  Gründung  im  7.  bis  zu  den  letzten  Jahren 
des  11.  Jahrhunderts.  Besonderen  Wert  haben  darin  die  Mittheilungen 
über  die  Beziehungen  der  Aebte  zu  Karl  dem  Grossen    und  Ludwig    dem 

Mittheilungen  XX.  20 


306  Literatur. 

Frommen  sowie  die  Urkunden,  deren  Urschriften  1131  in  einem  Brande 
vernichtet  wurden.  Als  störend  macht  sich  bei  der  Benützung  die  sehr 
erhebliche  Menge  der  Zusätze  und  Berichtigungen  bemerkbar,  9  ganze 
Seiten  (S.  323  —  331),  wenn  sie  auch  andererseits  beweist,  wie  viel  Wert 
der  Herausgeber  auf  thunlichste  Verbesserung  seines  Werkes  legte.  In 
1 1  Anhängen  gibt  er  die  Belege  für  die  Ausführungen  der  Einleitung. 
S.  318  wird  eine  schon  gedruckte  Urkunde  Karls  des  Grossen  wiederholt. 

Galbert  de  Bruges.  Histoire  du  meurtre  de  Charles  le 
Bon,  comte  de  Flandre  (ll27 — 1128),  suivie  de  Poesies  contem- 
poraines  sur  cet  evenement,  publ.  avec  introduction  et  notes  par  H.  Pi- 
renne.  (CXL— 204  \\).  1891.  6  fr.  —  Am  2.  März  1127  wurde  Karl 
der  Gute  von  Dänemark,  Graf  von  Flandern,  in  Brügge  aus  Privatrache 
ermordet.  Das  Ereignis  rief  überall  das  grösste  Aufsehen  hervor.  Der 
gräfliche  Notar  Galbert  aus  Brügge,  der  in  näheren  Beziehungen  zum 
Stifte  des  hl.  Donatian  daselbst  stand,  begann  gleich  nachher  auf  Wachs- 
tafelu  ein  Tagebuch  zu  führen,  das  er  später  umarbeitete.  Der  uns  vor- 
liegende Text  nimmt  eine  Mittelstellung  zwischen  der  ersten  flüchtigen 
Xiederschrift  und  der  endgiltigen  Fassung  ein.  Er  schliesst  mit  dem 
Siege  Dietrichs  von  Elsass  über  Wilhelm  von  Normandie.  Der  Hauptwert 
des  Berichtes  liegt  in  seiner  ungekünstelten  Schmucklosigkeit  und  natür- 
lichen Frische.  Der  Herausgeber  hat  alles  gethan,  um  den  Leser  in  die 
Eealien  einzuführen.  Die  Anmerkungen  zeugen  von  vorzüglicher  Kenntnis 
der  flandrischen  Geschichte.  Besonders  dankenswert  sind  die  Stamm- 
tafeln der  Grafen  von  Flandern  von  1067 — 11 68  und  des  Propstes  Ber- 
tulf, des  Hauptschuldigen  an  dem  Morde,  sowie  die  lateinischen  Gedichte 
des  Anhangs.  Der  Text  beruht  auf  Handschriften,  die  Köpke  in  den 
Scriptores  12,  561  nicht  heranzog.  Ueberdies  benutzte  dieser  die  Aus- 
gabe der  Acta  Sanctorum  im  fehlerhaften  Abdruck  Langenbecks. 

Pierre  Dubois.  avocat  des  causes  ecclesiastiques  au  bailliage  de 
Coutances,  sous  Philippe  le  Bei.  De  Kecuperatione  terrae  sanctae, 
traite  de  politique  generale,  publie  d'apres  le  manuscrit  du  Vatican,  par 
Ch.-V.  Langlois.  (XXIV — 144  p.).  1891.  4  fr.  —  Eine  merkwürdige 
Gestalt,  dieser  Peter  Dubois:  1250 — 60  nahe  bei  Coutances  in  der  Nor- 
mandie  geboren,  1300  daselbst  königlicher  Advokat,  sein  Leben  lang  von 
keinem  anderen  Wunsche  erfüllt  als  dem,  durch  seine  zahlreichen  politischen 
Mugschriften  die  Aufmerksamkeit  des  Königs  auf  sich  zu  ziehen  und  in 
dessen  Eath  einzutreten,  erreicht  er  dieses  Ziel  nicht  und  stirbt,  den  Zeit- 
genossen ziemlich  unbekannt,  als  Bailli  der  Gräfin  Mathilde  von  Artois 
bald  nach  1321.  Unter  seinen  Schriften  —  eine  davon  sollte  nach  dem 
Tode  König  Albrechts  Philipp  den  Schönen  bewegen,  die  Kaiserkrone  durch 
Papst  Klemens  V.  zu  erlangen  —  ist  die  vorliegende  die  bedeutendste. 
Der  Herausgeber  hat  aus  den  anderen,  namentlich  aus  der  ungedruckten 
Summaria  doctrina  .  .  .  ahreriationis  guerrarum  ac  litiiim  regni  Francorum^ 
wertvolle  Stellen  ausgehoben  und  in  die  Anmerkungen  gesetzt.  Die 
Abhandlung  De  recuperatione  wurde  zwischen  1305  und  1307  verfasst. 
Die  Kreuzzugspläne  sind  in  Wirklichkeit  für  den  Verfasser  nur  ein  Vor- 
wand, um  nationale  und  internationale  Reformen  zu  entwickeln.  Immer 
wieder  trägt  er  seine  Auffassung  lebhaft,  aber  häufig  unklar  vor.  Er 
empfiehlt    allgemeine  Friedensvereinbarungen,  Abschaffung    des    Coelibates, 


Literatur.  307 

Verbesserung  der  Mädchenschulen,  Zurückweisung  aller  päpstlichen  Ueber- 
griffe,  und  äussert  niclit  selten  Gedanken,  die  ihn  als  Voiiäufer  der  Re- 
naissance und  der  Reformation  erscheinen  lassen.  Eindruck  machte  er 
damit  bei  dem  Könige,  der  Naturen  vom  Schlage  Nogarets  vorzog,  nicht. 
Er  war  und  blieb  ein  einflussloser  Träumer.  In  der  Geschichte  der  poli- 
tischen Theorien  wird  man  ihm  einen  ehrenvollen  Platz  nicht  versagen. 
Mit  Hilfe  des  beigegebenen  Sachregisters  kann  man  sich  rasch  über  Ein- 
zelheiten unterrichten.  So  sind  z.  B.  in  §  1.3  die  Bemerkungen  über  die 
Kaiserwahl  im  deutschen  Reiche  lehrreich.  In  §  116  zeigt  er,  dass  er 
über  die  Unterredung,  die  König  Albrecht  und  Philipp  der  Schöne  im 
Dezember  1299  zu  Vaucouleurs  hatten,  weitverbreitete  Irrthümer  theilt. 
Es  hiess  nämlich,  Albrecht  habe  die  Rheingrenze  und  anderes  zugestanden, 
um  die  Kaiserwürde  in  seinem  Hause  erblich  zu  machen.  Für  das  An- 
sehen, das  Deutschland  damals  noch  genoss,  spricht  eine  Stelle  aus  der 
doctrina  ahreviationis :  Xon  apparet  nee  occurrit  scriptori,  qualiter  regni 
Alemannie  subiectio  alias  quam  propter  convencionem  posset  adquiri, 

Annales  Gandenses,  nouvelle  edition  publ.  par  Frantz  Funck- 
Brentano.  (XLVIII — 132  p.).  1896.  4  fr.  25.  —  Die  Quelle  war  schon 
drei  Mal  gedruckt,  zum  letzten  Male  von  Lappenberg  in  den  Scriptores 
16,  .555,  dessen  Ausgabe  nur  noch  mit  grosser  Vorsicht  zu  brauchen  ist. 
Der  Titel  Annales  Gandenses  ist  genau  genommen  ganz  ungeeignet,  da 
von  Gent  nicht  mehr  die  Rede  ist  als  von  Lille  oder  Brügge.  Sie  reichen 
von  1296 — 1310  und  bringen  so  vielen  treflPlichen  Stoff,  dass  sie  die  her- 
vorragendste Chronik  ihrer  Zeit  genannt  zu  werden  verdienen.  Der  Verf., 
ein  ungenannter  Minorit  französischer  Nationalität  aus  Gent,  der  im  April 
1308  zu  schreiben  anfieng  und  vor  Juni  1337  seine  Fortsetzung  beendete, 
gab  sich  redliche  Mühe,  die  Wahrheit  von  Augenzeugen  zu  erfahren.  Den 
Franzosen  ist  er  feindlich  gesinnt,  weil  diese  das  Patriziat  der  flandrischen 
Städte  begünstigten,  während  er  den  Zünften  anhieng.  Der  Herausgeber 
hat  in  der  Einleitung  S.  XXXI  ff.  die  geschichtlichen  Bedingungen  der 
Erzählung  mit  der  ihm  eigenen  eindringenden  Gelehrsamkeit  klargelegt, 
inzwischen  aber  über  alle  diese  Dinge  ein  umfangreiches  Werk  ver- 
öffentlicht: Les  origines  de  la  guerre  de  Cent  ans.  Philippe  le  Bei  en 
Flandre.  Paris  1896.  Das  Wesentliche  ist,  dass  während  die  reichen  und 
blühenden  Städte  Flanderns,  mit  denen  sich  damals  nur  Florenz  und  Ve- 
nedig vergleichen  Hessen,  durch  innere  Kämpfe  zwischen  den  maiores  und 
minores  zerrissen  wurden,  der  Graf  von  Flandern,  der  erste  Vasall  der 
Krone,  nur  unwillig  die  Suzeränität  des  Königs  von  Frankreich  ertrug, 
und  der  Streit  der  Avesnes  mit  den  Dampierre  dem  Könige  willkommene 
Gelegenheit  zur  Einmischung  bot.  Der  Einfluss  des  deutschen  Reiches,  zu 
dem  der  Hennegau  gehörte,  trat  immer  mehr  zui'ück.  —  Das  Register  ist 
ganz  besonders  praktisch  und  entlastet  die  Anmerkungen.  Zum  Schluss 
des  Prologus,  wo  der  Verf.  sagt,  er  fange  das  Jahr  immer,  wie  auch 
Ostern  falle,  am  25.  März  an,  ist  Grotefend,  Zeitrechnung  1,  141  zu  ver- 
gleichen. 

Chronique  Artesienne  (l295 — 1304),  nouvelle  edition,  et 
Chronique  Tournaisienne  (1296 — 1314)  publiee  pour  la  premiere 
fois  d'apres  le  manuscrit  de  Bruxelles  p.  F.  Funck-Brentano.  (Avec  une 
carte  inedite  du  Comte  de  Flandre  au  XIIP  siecle.)   1899.  (XXIV — 127  p.). 

20* 


308  Literatui. 

— -  Die  Chronik  von  Artois  wurde  1863  im  4.  Bande  des  Coi-pus  Chro- 
nicorum  Plandriae  nach  der  Abschrift  eines  paläographischen  Anfängers 
sehr  schlecht  gedruckt.  Der  Verf.  stammte  wohl  aus  Atrecht  selbst  und 
schrieb  vermutlich  gegen  Ende  1304.  Die  einzige  erhaltene  Handschrift 
aus  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  ist  leider  unvollständig.  Das 
Werk  verdient,  abgesehen  von  seinem  sehr  wertvollen  geschichtlichen  In- 
halt, wegen  der  schriftstellerischen  Kunst  des  Verfassers  einen  Ehrenplatz 
in  der  französischen  Literatur  und  zeugt  von  der  geistigen  Blüte  Atrechts. 

Die  Chronik  von  Tournai  war  bisher  ungedruckt.  Sie  Avurde  erst 
um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  in  kurzen,  ziemlich  zusammenhanglosen 
Abschnitten,  aber  nach  guten  Quellen  verfasst.  Einzelne  Nachrichten 
darin  finden  sich  sonst  nirgends.  F.-B.  gibt  die  Theile  des  Werkes,  die 
der  Regierungszeit  Philipps  des  Schönen  entsprechen,  in  Anmerkungen  zu 
der  Chronik  von  Artois  und  zwar  in  der  Weise,  dass  durch  die  Vereini- 
gung der  Bruchstücke  das  Ganze  hergestellt  werden  könnte.  Gleichfalls 
in  Anmerkungen  werden  Stellen  aus  dem  Geschichtsspiegel  Ludwigs  van 
Velthem  in  französischer  Uebersetzung  geboten. 

Die  Erläuterungen  sind,  wie  bei  der  hervoiTagenden  Sachkenntnis  des 
Herausgebers  nicht  anders  zu  erwarten,  sehr  gut.  Die  Ausbeute  für  die 
deutsche  Geschichte  ist  gering.  Neben  der  Erwähnung  deutscher  Söldner 
kommt  eigentlich  S.  34  nur  die  Notiz  in  Betracht,  die  der  Hochzeit  Rudolfs, 
des  Sohnes  König  Albrechts,  und  Blankas,  der  Schwester  Philipps  des 
Schönen,  zu  Ende  Mai  1300  gedenkt.  Vgl.  dazu  Eschlei-,  Die  Heirat 
zwischen  Herzog  Rudolf  IIL  und  Bianca,  Programm  Wiener-Neustadt  S.  17 
und  Funck-Brentano,  Philippe  le  Bei  en  Flandre  S.  325  und  344. 
Darnach  ist  Seemüller  in  der  Ausgabe  Ottokai-s  von  Steiermark  S.  991, 
Anm.  3  zu  berichtigen.  —  Von  allgemeineren  Gesichtspunkten  aus  er- 
scheint das  Verhältnis  Frankreichs  zu  Flandern,  wie  es  sich  nunmehr  um 
die  Wende  des  13.  Jahrhunderts  aus  den  Quellen  ergibt,  für  Deutschland 
sehr  bedeutsam,  wenn  auch  nicht  gerade  ei'freulich.  Denkt  man  etwa 
daran,  wie  Kaiser  Friedrich  I.  in  den  Krieg  des  Grafen  Philipp  von  Flan- 
dern mit  Philipp  IL  August  eingriff,  so  offenbart  sich  nur  allzu  klar  die 
Einbusse  an  thatsächlicher  Macht,  die  das  deutsche  Reich  in  100  Jahren 
an  der  Westgrenze  erlitt. 

Textes  relatifs  a  l'histoire  du  Par lerne nt  depuis  les 
origines  jusqu'en  1314,  publies  par  Ch.-V.  L  a n g  1  o i s.  (XXXVI — 
248  p.).  1888.  6  fr.  50.  —  Die  Ursprungsgeschichte  der  Curia  regis, 
die  im  13.  Jahrhundert  den  Namen  Parlament  annahm  (Nr.  XXII  zu  1239: 
pallamentum) ,  umfasst  die  Zeit  vom  Regierungsantritt  der  Kapetingischen 
Dynastie  bis  zum  Ende  der  Regierung  Philipps  des  Schönen.  L.,  der  die 
Absicht  ausspricht,  in  einem  anderen,  bis  heute  aber  nicht  erschienenen 
Werke  ^)  seine  theoretische  Auffassung  über  die  Entstehung  des  Parlamentes 
YOi'zutragen,  macht  in  der  auf  gründlichster  Sachkenntnis  beruhenden  Ein- 
leitung Mittheilungen  über  die  Quellen  der  Parlamentsgeschichte  im  ^littel- 
alter,  namentlich  die  älteren  Archivverhältnisse  und  stellt  dann  mit  kurzen 
erläuternden  Zusätzen  die  einschlägige  Literatur    zusammen.     Eines  seiner 


1)  Ueber    die   inzwischen   herausgekommenen  Veröffentlichungen    von  Guil- 
hermoz  und  Aubert  vgl.  Mittheilungen  d.  Inst.  (1898)  19,  365. 


Literatur.  309 

"wesentlichen  Ergebnisse  würde  kurz  gefasst  folgendermassen  lauten:  alle 
Kegister  gehen  auf  den  rötulus  parlamenti  als  den  gemeinsamen  Ahnherrn 
zurück.  Aus  diesem  haben  sich  die  Olim,  dann  die  Juges,  endlich  die 
Registres  du  Greffe  entwickelt.  Damit  wurde  der  rotulus  entbehrlich  und 
konnte  fortfallen.  In  dem  Bändchen  werden  nach  zeitlicher  Folge  alle 
diejenigen  Actenstücke  und  Chronikenauszüge  (z.  B.  aus  Joinville)  ange- 
führt, die  juristischen  und  typischen  Wert  haben  und  infolgedessen  Ein- 
richtung, Geschäftsgang-  und  Bereich  der  Curie,  ihre  ganze  Wirksamkeit 
nach  innen  und  aussen  klar  erkennen  lassen.  Die  meisten  Texte  waren 
schon  gedruckt,  aber  fehlerhaft  und  zudem  schwer  zugänglich.  Die  neue 
Ausgabe  dient  vor  allem  rascher  und  sicherer  Einführung.  Beigegeben 
sind  Verzeichnisse  der  Parlamente  von  1255 — 1314,  der  Beamten  und 
der  Kunstausdrücke.  Für  die  Anfänge  der  Curia  im  12.  Jahrhundert 
VFÜrden  vielleicht  den  Briefstellern  und  Formularbüchern  brauchbare  Notizen 
zu  entnehmen  sein.  Vgl.  Cartellieri,  Philipp  August,  2.  Buch  Beil.  S.  91. 
Les  grands  traites  de  la  guerre  de  Cent  ans,  publ.  par  E. 
Cosneau.  (VII — 187  p.).  1889.  4  fr.  50.  —  Es  gibt  kein,  wissenschaft- 
lichen Ansprüchen  genügendes  Werk  über  den  lOOJährigen  Krieg  zwischen 
Frankreich  und  England,  der  Frankreich  von  der  seit  Philipp  August 
mühsam  erklommenen  Machtstellung  herabstürzte,  ohne  dass  von  deutscher 
Seite  die  Gunst  der  Lage  irgend  wie  zu  einer  nationalen  That  ausgenutzt 
wurde.  Die  neueste  und  wohl  auch  beste  Zusammenfassung  ist  die  von 
A.  Coville  im  dritten  Bande  der  Histoire  generale  von  Lavisse  und  Eam- 
baud  1).  Der  Grund  dieses  Mangels  liegt  darin,  dass  man  wohl  weiss, 
wie  ungeheuer  umfangreich  die  einschlägigen  ungedruckten  Archivalien  des 
Public  Record  Office  in  London  sind.  Ehe  diese  nicht  verwertet  oder  we- 
nigstens systematisch  untersucht  sind,  kann  von  einer  eindringenden 
Kenntnis  der  Dinge  kaum  die  Eede  sein.  Der  Herausgeber  hat  sich  mit 
Recht  auf  das  Erreichbare  beschränkt  und  damit  ein  Hilfsmittel  geschaffen, 
das  etwa  in  Deutschland,  wo  man  der  Einzelheiten  w^eniger  bedarf,  als 
Gerippe  der  diplomatischen  Geschichte  des  Krieges  überhaupt  gelten  kann. 
Die  aufgenommenen  Verträge  sind  die  von  Bretigny  (l360)^),  Troyes 
(1420),  Arras  (1435),  die  Waffenruhen  von  Paris  (l396)  und  Tours  (1444), 
der  Vertragsentwurf  von  London  (1359).  In  Anhängen  folgen  erläatemde 
Actenstücke.  Die  Texte  sind  sorgfältig,  soweit  möglich  nach  den  Ur- 
schriften, hergestellt.  Einem  jeden  geht  eine  knappe  Uebersicht  über  die 
vorbereitenden  Verhandlungen  und  Ereignisse  voraus.  In  Tours  wird 
1444  (S.  162.  187  Nr.  2)  König  Friedrich  III.  als  Bundesgenosse  Englands 
und  Frankreichs  genannt.  ^i-iw  : - 


')  Beiläufig  bemerkt,  hat  dieses  trotz  einzelner  Mängel  treffliche  Werk  in 
Deutschland  nicht  die  Verbreitung  gefunden,  die  es  verdient.  Es  bietet  die  ein- 
zige auf  der  Höhe  der  Zeit  stehende,  geschmackvoll  geschriebene  Geschichte 
Frankreichs  mit  bibliographischen  Nachweisen,  die  es  gibt.  Man  muss  sie  sich 
freilich  aus  zahlreichen  Bänden  (bis  jetzt  ihrer  zehn,  die  mit  der  Mitte  dieses 
Jahrhunderts  abschliessen)  zusammenstellen. 

2)  Im  Moyen-äge  10  (1897),  1—35  veröffentlichen  Ch.  Petit- Dutaillis  und 
dessen  Schüler  P.  Collier  einen  lesenswerten  Aufsatz  über  die  französische  Diplo- 
matie und  den  Vertrag  von  Bretigny,  aus  dem  hervorgeht,  dass  die  französischen 
Unterhändler  viel  feiner  und  gewandter  waren  als  die  englischen  und  diese  hin- 
einlegton. ■  •-   -----         .  - , -i-u  .^;  .^  :, 


3 10  Literatur. 

L' ordonnance  Cabochienne  (Mai  1413),  publiee  avec  une  in- 
troduction  et  des  notes,  par  A.  Coville.  (XII — 202  p.).  1891.  5  fr.  50.  — 
In  dem  Bürgerkrieg,  der  seit  der  Ermordung  Herzog  Ludwigs  von  Orleans 
im  Jahre  1407  Frankreich  zerriss,  standen  sich  die  Armagnaken  und  die 
Burgunder  gegenüber.  Der  Friede  von  Auxerre  vom  22.  August  1412 
wurde  mit  grosser  Freude  aufgenommen.  Allgemein  war  das  Bedürfnis 
nach  Eeformen.  Die  radikalen  Handwerker  in  Paris  und  die  Fleischerzunft^ 
seit  lange  von  dem  Burgunderherzog  verwöhnt,  bemächtigten  sich  unter 
der  Führung  des  Schinders  Caboche  der  Gewalt  und  erzwangen  am  22.  Mai 
1413  eine  Verordnung,  die  am  26.  und  27.  Mai  feierlich  in  einem  Lit 
de  justice  verkündet  wurde.  So  entstand  die  Ordonnance  Cabochienne,  ein 
ganzes  Verwaltungsbuch  von  258  Bestimmungen,  das  hauptsächlich  darauf 
hinzielte,  die  Zahl  der  Beamten  zu  vermindern  und  die  Einkünfte  der 
Krone  einer  scharfen  Prüfung  zu  unterwerfen.  Aber  die  Durchführung 
erwies  sich  in  dieser  stürmischen  Zeit  als  unmöglich.  Die  Armagnaken 
gewannen  die  Oberhand,  und  am  5.  September  wurde  die  Ordonnance 
wieder  aufgehoben.  Schon  daraus  erhellt,  dass  sie  nur  einen  bedingten 
Wert  hat,  als  Zusammenfassung  von  Wünschen,  deren  Verwirklichung 
nicht  gelang.  Leider  hat  sich  der  Herausgeber  darüber  nicht  weiter  ge- 
äussert, da  er  das  schon  in  seiner  1888  erschienen  Doktorarbeit:  Les 
Cabochiens  et  l'Ordonnance  de  1413,  gethan  hatte  und  wohl  eine  Wieder- 
holung vermeiden  wollte. 

Documents  relatifs  ä  l'administr ation  financiere  en 
France,  de  Charles  VII  ä  Fran^ois  I^""  (1443 — 1523),  avec  intro- 
duction,  publ.  par  G.  Jacqueton.  (XXXII — 324  p.).  1891.  8  fr.  50. — 
Die  vom  Herausgeber  gewählte  Periode  war  einmal  bisher  wenig  bekannt. 
Dann  zeichnet  sie  sich  in  hervorragender  Weise  durch  Einheitlichkeit  aus,, 
grenzt  sich  deragemäss  auch  vortrefflich  gegen  die  frühere  und  die  spätere 
Entwickelung  ab.  Die  Einnahmen  der  Krone  zerfielen  damals  in  ordent- 
liche und  ausserordentliche:  jene  stammten  aus  den  Domänen  im  weitesten 
Sinne,  bei  diesen  unterschied  man  wieder  Salzsteuer  (gabeile),  Verbrauch- 
steuern (aides)  und  Grundsteuer  (taille).  Wie  dann  die  Einziehung  geschah,, 
wie  sich  die  Befugnisse  der  höheren  und  niederen  Beamten  gestalteten, 
wie  gewisse  Landschaften  eigentümliche  Einrichtungen  ausbildeten,  muss 
man  in  der  höchst  inhaltreichen  und  durchaus  klaren  Einleitung  des  Her- 
ausgebers nachlesen ;  sie  kann  als  knappster  Umriss  einer  Finanzgeschichte 
innerhalb  der  bezeichneten  Jahre  angesehen  werden.  Die  nach  den  besten 
Quellen  abgedruckten  Texte  gehören  zwei  Gattungen  an,  königliche  Ver- 
ordnungen einerseits  und  lehrhafte  Abhandlungen  aus  dem  16.  Jahrhun- 
dert andererseits.  Unter  den  ersteren  wird  man  Nr.  1 1,  .  1495/1  ättü^ 
eine  Art  ministeriellen  Rundschreibens,  wie  man  heute  sagen  würde,  be- 
achten. Unter  den  letzteren  ist  Nr.  19,  le  Vestige  des  Finances  betitelt, 
der  Aufmerksamkeit  würdig,  da  darin  ein  für  angehende  Kanzleibeamten 
berechnetes  Handbüchlein  vorliegt. 

Documents  relatifs  aux  rapports  du  clerge  avec  la 
royaute,  de  1682  ä  1705  publies  par  L.  Mention.  La  Regale, 
l'affaire  des  franchises,  l'edit  de  1695,  les  Maximes  des  Saints,  le  Janse- 
nisme  de  1705.  (V — 186  p.).  1893.  4  fr.  50.  —  Den  Beziehungen  der 
gallikanischen  Kirche  zu  Papsttum     und  Königtum  kommt  eine  weit  über 


Literatur.  y  J^  1^ 

Frankreich  hinausreichende  Bedeutung  zu.  Unter  Ludwig  XIV.  war  die 
Lage  die,  dass  die  Geistlichkeit  zwar  mit  ihm  dem  Papsttum  Widerstand 
leistete,  dafür  aber  in  eine  drückende  Abhängigkeit  von  dem  mindestens 
ebenso  unduldsamen  Königtum  geriet.  Die  Actenstücke  über  diese  Dinge 
sind  ungemein  zahlreich,  in  unhandlichen  älteren  Sammlungen  zerstreut. 
Es  ist  daher  mit  Dank  zu  begrüssen,  dass  diese  Auswahl  getroffen  worden 
ist.  Ein  zweites  Bändchen  ist  angekündigt  und  wird  von  1705 — 1789 
reichen,  d.  h.  von  der  Bulle  Vnigenitus  bis  zur  Eevolution.  Der  Inhalt 
des  vorliegenden  gliedert  sich  in  fünf  Gruppen.  1.  Freiheiten  der 
gallikanischen  Kirche,  12  Actenstücke  von  1682 — 1693,  darunter 
Nr.  4,  die  berühmte  Declaration  du  clerge  de  France  sur  la  jmissance 
ecclesiastique  vom  19.  Mai  1682,  die  aber  1693  widerrufen  wurde.  Die 
Auseinandersetzung  der  beiden  Parteien  über  die  Grenzen  von  Staat  und 
Kirche  sind  gerade  heute  besonders  zeitgemäss.  Bei  den  Verweisen  auf 
ältere  kirchliche  Schriftsteller  hätte  der  Herausgeber  die  neuen  Ausgaben 
berücksichtigen  können.  Wer  in  der  zugehörigen  mittelalterlichen  Literatur 
nicht  genau  Bescheid  weiss,  kann  ohne  zeitraubendes  Suchen  nicht  leicht 
nachschlagen.  Und  gerade  die  zum  Beweise  angeführten  Stellen  aus  Ivo 
von  Chartres,  dem  hl.  Bernhard,  Innocenz  III.,  Bonifaz  VIII.  u.  s.  w. 
haben  ihren  eigenen  Wert.  —  2.  Quartier  fr  eiheit  in  der  Stadt 
Rom,  4  Actenstücke  von  1687  und  1688.  S.  104  beginnt  ein  für  die 
allgemeine  Politik  Ludwigs  XIV.  sehr  lehrreicher  Brief  von  ihm  an  den 
Papst  vom  6.  Sept.  1688-  Der  Ton  ist  sehr  entschieden.  Lenkt  der  Papst 
nicht  ein,  so  wird  der  König  Gegenmassregeln  ergreifen.  Im  Anschluss 
an  die  neue  Veröffentlichung  von  Max  Immich,  Zur  Vorgeschichte  des 
Orleans'schen  Krieges  erscheint  besonders  eine  Stelle  (S.  1 1  o)  bemerkens- 
wert. Der  König  droht  dem  Papste,  ihn  nicht  mehr  als  Vermittler  im 
pffälzischen  Erbfolgestreite  anzuerkennen.  Er  werde  schon  selbst  dafür 
sorgen,  dass  seiner  Schwägerin  (der  Lise  Lotte)  gegen  die  gewaltsamen 
Uebergriffe  des  Kurfürsten  von  der  Pfalz  ihr  Eecht  werde.  —  3.  Erlass 
von  1695  über  die  geistliche  Gerichtsbarkeit.  —  4.  Theolo- 
gische Steitfrage  über  Fenelons  im  Januar  1697  erschie- 
nenes Buch,  Maximes  des  Saints,  10  Actenstücke  von  1697 — 1699, 
bis  zu   Fenelons   Widerruf.  —  5.  Der  Jansenismus  im  Jahre   1705, 

4  Actenstücke  über  die  Verdammung  von  5  Sätzen,  die  im  Augustinus 
des  Jansenius  enthalten  waren.  Technisch  steht  die  Ausgabe  nicht  ganz 
auf  der  Höhe.  Den  Ueberschriften  sollten  immer  die  Daten  beigegeben 
und  diese  im  Inhaltsverzeichnis  wiederholt  sein.  S.  152  Nr.  6  ff.,  ein 
Brief  Ludwigs  an  den  Papst,  trägt  gar  kein  Datum !  Gelegentlich  ist  auch 
die  fortlaufende  Bezifferung  der  Actenstücke  fortgefallen  (S.   83.    104). 

Les    grands    traites    du    regne    de    Louis  XIV,    publies    par 
Henri    Vast,    fasc.  I.    (XIV — 187   p.).    1893.    4  fr.   50;    fasc.    IL    1898. 

5  fr.  60.  —  In  dem  ersten  Bändchen  haben  die  folgenden  Verträge  Auf- 
nahme gefunden:  der  westfälische  Friede  (24.  Okt.  1648);  die  Abtretung 
des  Elsass  an  Frankreich,  einmal  durch  Kaiser  und  Reich,  dann  durch 
Kaiser  Ferdinand  III.  und  die  österreichischen  Erzherzöge  (gleichen  Datums) ; 
der  Rheinbund  (l5.  Aug,  1658)  zwischen  Ludwig  XIV.  und  mehreren 
deutschen  Kurfürsten  und  Fürsten;  der  pyrenäische  Fiiede  (7.  Nov.  1659), 
zwischen  Frankreich    und    Spanien    auf    der    Fasaneninsel    an    der    Grenze 


312  Literatur, 

beider  Länder  geschlossen,  sammt  der  zugehörigen  Heiratsabrede  zwischen 
Ludwig  XIV.  und  der  Tnfantin  Maria  Theresia.  Im  zweiten  Bändchen 
stehen:  der  Aachener  Friede  (2.  Mai  1668)  zwischen  Ludwig  XIV.  und 
Karl  IL  von  Spanien;  die  Nymweger  Verträge,  nämlich  der  Friede 
zwischen  Ludwig  XIV.  und  den  Generalstaaten  (lO-  Aug.  1678);  der 
Handelsvertrag  zwischen  denselben  (gleichen  Tages),  der  Friede  zwi- 
schen Ludwig  XIV.  und  Karl  IL  von  Spanien  (l7.  Sept.  1678)  und  der 
Friede  zwischen  Kaiser  Leopold  und  Ludwig  XIV.  (.5.  Febr.  167  9); 
der  Friede  von  Saint-Germain  zwischen  Ludwig  XIV.  und  dem  grossen 
Kurfürsten  (29.  Juni  1679):  der  ebenda  von  denselben  abgeschlossene 
geheime  Vertrag  (25.  Oktober  1679);  der  Regensburger  Waffen- 
stillstand zwischen  Kaiser  Leopold  und  Ludwig  XIV.  (l5.  Aug.  1684); 
der  Waffenstillstand  zwischen  Ludwid  XIV.  und  Karl  IL  von  Spanien 
(gleichen  Datums) ;  der  Friede  von  Turin  zwischen  Ludwig  XIV,  und 
Viktor  Amadeus  IL  von  Savoyen  (29.  Juni  1696);  der  geheime  Vertrag 
zwischen  denselben  (gleichen  Ortes  und  Tages),  der  Friede  von  Ryswyk 
zwischen  Ludwig  XIV.  und  den  Generalstaaten  (20.  Sept.  1697);  der 
Handelsvertrag  zwischen  denselben  (gleichen  Ortes  und  Tages) ;  der  Friede 
zwischen  Ludwig  XIV.  und  Wilhelm  ILL  von  England  (20.  Sept.  1697 
gleichen  Ortes);  der  Friede  zwischen  Ludwig  XIV.  und  Karl  IL  von 
Spanien  (gleichen  Ortes  und  Tages) ;  der  Friede  zwischen  Kaiser  Leopold 
und   Ludwig  XIV.   (30.  Okt.    1697,   gleichen   Ortes). 

Dem  Abdruck  eines  jeden  Vertrages  gehen  voraus  eine  übersichtliche, 
zum  Theil  auf  ungedruckten  Quellen  beruhende  Einleitung  über  die  vorberei- 
tenden Verhandlungen,  eine  Bibliographie  der  Drucke  wie  der  einschlägigen 
Archivalien  und  Darstellungen,  sodann  Bemerkungen  über  die  Urschriften. 
Schon  daraus  erhellt,  welch  erhebliche  wissenschaftliche  Arbeit  in  den 
beiden  W^erkchen  steckt.  Die  Texte  werden  nach  den  Urschriften  in  der 
Ursprache  gegeben.  Am  Anfang  des  ersten  Bändchens  macht  der  Heraus- 
geber sehr  wertvolle  Mittheilungen  über  die  archivalische  Ueberlieferung 
der  diplomatischen  Briefwechsel  des  Zeitraumes  überhaupt,  über  die  Unter- 
händler, die  unterfertigenden  Gesandten,  die  grossen  diplomatischen  Xach- 
schlagewerke.  Unter  dem  Text  finden  sich  zahlreiche,  sehr  willkommene 
Anmerkungen  zur  Erläuterung  von  Einzelheiten.  Nicht  nur  der  Historiker, 
sondern  von  allem  auch  der  Politiker,  der  sich  rasch  über  die  europäische 
Geschichte  des  17.  Jahrhunderts,  des  grossen  Jahrhunderts  der  französi- 
.schen  Staatskunst,  unterrichten  will,  wird  gern  zu  der  Sammlung  greifen, 
—  deren  Fortfühi'ung  während  des  18.  Jahrhunderts  hoffentlich  nicht  lange 
auf  sich  warten  lässt.  Im  Inhaltsverzeichnis  dürften  die  Daten  der 
Verträge  nicht  fehlen.  Auf  S.  9  müsste  bei  dem  Hinweis  auf  die  Quellen- 
kunde von  Dahlmann-Waitz  deren  neueste  Auflage  von  Steindorff  kennt- 
lich gemacht  werden.  Der  Titel  des  bekannten  Werkes  von  Lünig  wird 
einige  Male  nicht  richtig  deutsch  abgedruckt,  ebensowenig  der  Titel  des 
Buches  von  Knaff,  2.  Bd.  S.  43  Anin.  5.  S.  34  Z.  3  des  Textes  von  unten 
muss  es  heissen  ßinche,  Courtrai.  S.  166  Z.  5  v.  u.  ist  zu  lesen  Klopp. 
Die  deutschen  Geschichten  Erdmannsdörffers  und  Zwiedinecks  v.  Südenhorst 
durften  bei  den  bibliographischen  Angaben  nicht  fehlen. 

^Die  Reihe  der  Schriften,  deren  Veröffentlichung  künftig  erfolgen  soll, 
ist  zu    lang,    um    hier  Aufnahme    zu    finden.     Es    mag   genügen,    auf   die 


Literatur.  313 

Ankündigungen  des  Picard'schen  Verlages  zu  verweisen  und  nur  diejenigen 
Titel  auszuheben,  die  für  Deutschland  besonders  in  Betracht  kommen: 
Spanheim,  Kelation  de  la  cour  de  France  sous  le  regne  de  Louis  XIV.; 
Vie  de  Louis  le  Pieux  par  l'Astronome;  Flodoard,  Annales;  Gesta  Inno- 
centii  III.  Für  später  sei  es  gestattet,  die  Aufmerksamkeit  des  leitenden 
Ausschusses  auf  Guido  von  Bazoches,  den  Anonymus  von  Laon  (ßecueil 
13,677;  18,  702.  MG.  SS.  26,  442)  und  vor  allem  auf  des  Gervasius 
von  Tilbury  Otia  imperialia  zu  lenken.  Gervasius  war  ja  geborener  Eng- 
länder, aber  sein  langer  Aufenthalt  in  Arles  machte  ihn  zum  Franzosen. 
Sein  genanntes  Werk  ist  eine  Art  Encyclopädie  aus  dem  Anfang  des 
13.  Jahrhunderts  und  zeichnet  sich  unter  anderem  durch  die  starke  Be- 
rücksichtigung der  Geographie  aus.  Für  grössere  Auflagen  der  Bändchen 
müsste  Sorge  getragen  werden.  Schon  jetzt,  12  Jahre  nach  dem  Er- 
scheinen der  ersten,  fehlen  einige  oder  erfahren,  ganz  im  Widerspruch  zu 
den  Absichten  der  Herausgeber,  im  Antiquariat  eine  über  ihren  Wei-t 
hinausgehende  Preiserhöhimg.  —  Möchte  der  Sammlung  ein  gedeihlicher 
Fortgang  beschieden  sein! 

Heidelberg.  A.  Carte  liier  i. 


Emil  Michael  S.  J.,  Geschichte  des  deutscheu  Volkes 
seit  dem  dreizehnten  Jahrhundert  bis  zum  Ausgang  des 
Mittelalters.  1.  Band.  Deutschlands  wirtschaftliche,  gesellschaft- 
liche und  rechtliche  Zustände  während  des  dreizehnten  Jahrhunderts. 
Freiburg  i.  B.  Herder  1897.  XLVI  und  344  S.  8'^  (2.  und  3.  unveränd. 
Auflage  1897). 

Emil  Michael  hat  ein  grosses  Werk  begonnen,  eine  Geschichte  des 
deutschen  Volkes  im  späteren  Mittelalter  im  Umfange  von  sechs  bis  sieben 
Bänden.  Der  Inhalt  dieses  ersten  Bandes  ist  aus  dem  oben  stehenden  Titel 
ersichtlich,  ein  zweites  Buch  soll  die  religiös-sittlichen  Zustände,  Erziehung 
und  Unterricht,  Wissenschaft  und  Mystik,  ein  drittes  die  deutsche  Kunst 
des  13.  Jahrb.  schildern,  dann  erübrigt  noch  die  Darstellung  der  poli- 
tischen Geschichte.  Eine  ähnlich  ausführliche  Behandlung  wird  jedenfalls 
auch  für  das  14.  und  die  erste  Hälfte  des  15.  Jahrh.  beabsichtigt  sein, 
bis  zu  dem  Zeitpunkt,  »wo  Janssen  begonnen  hat*.  Dem  Andenken  an 
Janssen  ist  Michaels  Werk  gewidmet,  es  schliesst  sich  bis  auf  die  Lettern 
und  die  kleinsten  Aeusserlichkeiten  Janssens  Vorbild  an.  Es  schliesst  sich 
ihm  aber  auch  an  in  der  eingehenden  Schilderung  der  Culturzustände.  Es 
ist  ein  unbestreitbares  Verdienst  Janssens  in  seinem  Werke  der  Cultur 
einen  so  breiten  Raum  verschafft  zn  haben,  die  Darstellung  der  Zustände 
geradezu  an  die  Spitze  als  Grundlage  seiner  Geschichte  des  deutschen 
Volkes  gestellt  zu  haben.  So  ist  es  auch  Michael  sicherlich  als  Verdienst 
anzurechnen,  dass  er  mit  den  Culturzuständen  des  13.  Jahrh.  sein  Werk 
beginnt.  Wer  die  Geschichte  eines  Volkes  schreibt,  wird  sie  in  solcher 
Eichtung  zu  schreiben  haben. 


314  Literatur. 

Es  ist  nun  Pflicht  einer  ernsthaften  Kritik  zu  prüfen,  ob  dieser  Ver- 
such in  der  That  das  bietet,  was  er  bieten  will  und  soll,  ein  möglichst 
wahres  Bild  der  deutschen  Zustände  jener  Zeit.  Ist  dies  der  Fall,  dann 
sehen  wir  eine  hochbedeutsanae  Aufgabe  glücklich  gelöst.  Denn  wer  wollte 
nicht  dem  Verf.  beistimmen,  wenn  er  in  seinem  Vorwort  das  1.3.  Jahr- 
hundert in  wirtschaftlicher  und  verfassungsrechtlicher  Hinsicht  als  einen 
entscheidenden  Wendepunkt  bezeichnet,  wenn  er  es  ein  in  jeder  Beziehung 
reiches  Jahrhundert  nennt.  Es  handle  sich  hiebei,  fügt  M.  hinzu,  »nicht 
dai'um,  die  glänzenden  Lichtseiten  der  merkwürdigen  Epoche  in  einseitiger 
Weise  hervorzukehren,  sondern  das  gesammte  Leben  des  Volkes  mit  mög- 
lichst naturgetreuer  Vertheilung  \on  Licht  und  Schatten  zu  schildern*. 
Allerdings  überwog  nach  M.'s  Ueberzeugung  das  Licht  bei  weitem  und 
wenn  »die  meisten  Vertreter  der  Wissenschaft  mitsammt  dem  grossen 
Publicum  noch  immer  darin  einig  sind,  dass  das  Mittelalter  eine  Zeit  der 
Barbarei  und  Finsternis  gewesen  sei*,  so  werde  sein  Buch  das  Gegentheil 
nicht  bloss  behaupten,  sondern  auch  beweisen.  Wir  haben  zwar  gemeint, 
dass  gerade  die  deutsche  Geschichts-  und  Alterthumswissenschaft  des 
19.  Jahrb.  seit  Grimm  und  Lachmann,  Eichhorn,  Pertz  und  Böhmer  u.  s.  w. 
ihren  ganzen  Aufschwung  und  ihre  Blüte  dem  Streben  verdankte,  die 
Vorstellungen  über  das  Mittelalter  zu  klären,  und  dass  das  nicht  ohne 
Erfolg  geblieben  sei.  Allein  wir  werden  M.  aufrichtig  danken,  wenn  er 
wieder  ein  neues  gewaltiges  Stück  rechter  und  wahrer  Erkenntnis  des 
Mittelalters  erschliesst. 

M.  theilt  seinen  ersten  Band  in  fünf  Abschnitte :  L  Landwirtschaft 
und  Bauern.  II.  Die  Besiedlung  des  Ostens,  III.  Die  Städte,  IV.  Das  Eitter- 
thum,  Kaubwesen  und  Friedensbestrebungen,  V.  Verfassung  und  Eecht. 
Wir  müssen  dem  Verf.  auf  seinem  Wege  folgen. 

Das  erste  Capitel,  die  Landwirtschaft,  führt  uns  gleich  in  medias  res. 
Schon  nach  drei  Seiten,  welche  uns  von  Caesar  bis  zum  Jahre  1200  mit 
sich  fortreissen,  sind  wir  beim  Meier  Helmbrecht  und  beim  Sachsenspiegel 
angelangt,  die  uns  fürderhin  mit  ihren  mehr  oder  minder  langen  citirten 
Stellen  getreulich  begleiten.  Im  13.  Jahrh.  ist  der  Bodenbau  dank  den 
vorhergehenden  Ei'folgen  nicht  mehr  missachtet  wie  früher  (S.  1  o),  » alle 
Schichten  der  Bevölkerung,  alle  öfifentlichen  Verhältnisse  waren  von  der 
Landwirtschaft  beherrscht*  (S.  ll);  das  Getreide  stand  hoch  im  Preise, 
der  Taglohn  wurde  günstig  berechnet;  die  Bodenpreise  stiegen,  während 
die  Naturalleistungen  gleich  blieben,  daher  kam  die  Grundrente  zu  vier 
Fünfteln  den  landbebauenden  Classen  zu  Gute ;  infolge  dessen  gewaltige 
Extension  des  Bodenbaues  (S.  1 1  flf.) ;  zum  Schutz  des  Bauers  trat  Kirche 
und  Reichsgewalt  ein;  so  gebot  Friedrich  IL  1220,  dass  Ackerleute  allent- 
halben Schutz  geniessen  sollen,  bei  schwerer  Strafe  für  den  Verletzer; 
»Verletzungen  dieses  kaiserlichen  Gebotes  mögen  allerdings  stattgefunden 
haben*  (S.  17).  M.  sieht  also  die  Lage  der  Landwirtschaft  ungemein  günstig 
an,  das  zeigt  er  noch  deutlicher  in  den  Capiteln  über  die  gesellschaftliche 
Stellung  der  Bauern  und  das  Bauernleben  (S.  37 — 85).  Es  gab  zwar  »eine 
Art  jüngerer  Leibeigenschaft "^^  die  immerhin  sehr  hart  war,  aber  durch 
das  Wirken  der  Kirche  gemildert  wurde  und  durch  Freilassungen  fast  ver- 
schwand ;  auch  die  Kreuzzüge,  die  Colonisationen.  ilie  Anziehungskraft  der 
Städte  haben  dazu  beigetragen  (S.  39  fi'.).  Die  Grundhörigen  waren  persön- 


Literatur. 


315 


lieh  freie  Leute,  hatten  Freizügigkeit  gleich  dem  freien  Mann  (S.  48  f.); 
die  Abgaben  der  Hörigen  waren  gering,  die  Frohnden  nicht  drückend,  da& 
Verhältnis  zwischen  Herrschaft  und  Gemeinde  »zeichnete  sich  durch  ein 
hohes  Mass  von  rücksichtsvoller  Zartheit  aus«  (S.  50),  besonders  die  kirch- 
lichen Hörigen  befanden  sich  wohl.  Das  alte  Hofsystem  löste  sich  auf, 
zahlreiche  Bauern  traten  dann  in  ein  freies  Pachtverhältnis  und  dieses 
»neue  Hofsystem  war  weit  mehr  noch  als  das  frühere  von  gutsherrlicher 
Freundlichkeit,  Schonung  und  Menschenliebe  getragen  und  brachte  eine 
starke  Verselbständigung  des  Bauern  mit  sich«  (S.  58).  Daneben  gab  es 
allenthalben  freie  Bauerngemeinden  mit  unabhängiger  Verfassung  i).  So 
gieng  es  also  den  Bauern  im  1 3.  Jahrh.  ausgezeichnet  und  so  wurden  sie 
denn  auch  üppig.  Das  schildert  M.  des  breiten  nach  dem  Meier  Helmbrecht, 
nach  Neidhart  von  Reuenthal  und  Berthold  von  Regensburg,  und  wie  es 
in  Oesterreich  und  Baiern  war,  so  war  es  auch  im  übrigen  Deutschland 
(S.  79  ff.).  Trieb  der  Uebermuth  sogar  da  und  dort  zur  Entartung,  so  gab 
es  doch  auch  ganz  »brave  Bauern«,  und  »wenn  in  Sachsen  und  ander- 
wärts Auflehnungen  vorkamen,  so  beweisen  diese  nicht  die  gedrückte  Lage 
der  ländlichen  Classe,  sondern  meist  nur  das  lebendige  Freiheitsgefühl  des 
Volkes«  (S.  84). 

Schon  G.  Grupp  hat  in  einer  kleinen,  aber  gehaltreichen  Studie  über 
die  Lage  der  Bauern  im  13.  Jahrh.  (Histor.  Jahrbuch  19,  336 — 349)  in 
sehr  schonender,  aber  doch  treffender  Ausführung  darauf  hingewiesen,  wie 
sehr  ein  gewisses  Masshalten  bei  Schilderung  der  bäuerlichen  Verhältnisse 
des  1  3.  Jahrh.  schon  deshalb  am  Platze  sei,  weil  man  den  Glanz  sich  nicht 
immer  noch  steigern  lassen  kann;  schon  um  die  Bauernunruhen  des  15.  Jahr- 
hunderts und  den  Bauernkrieg  zu  erklären,  müssen  gewisse  Rückschläge 
angenommen  ^rerden;  im  14.  und  15.  Jahrh.  machen  sich  dunkle  Seiten 
geltend,  die  niemand  entgehen  können,  sie  werfen  ihre  Schatten  schon 
ins  13.  Jahrh.  zurück  (S.  345).  Grupp  weist  darauf  hin.  dass  bei  Michaels 
Art  das  13.  Jahrh.  wie  losgerissen  aus  der  Vor-  und  Nachzeit  zu  be- 
trachten, die  charakteristischen  Merkmale  desselben  gar  nicht  recht  za 
Tage  treten  können;  so  ist  die  ja  unleugbar  gute  Lage  der  Landwirtschaft 
nicht  eigenes  Verdienst  der  Zeit.  Momente,  wie  die  immer  noch  geringe 
Volksdichte  habe  M.  gar  nicht  berücksichtigt,  das  Verschwinden  der  Hof- 
verfassung und  Auftreten  der  freien  Pacht  zu  wenig  vorsichtig  behandelt, 
die  Lage  des  »Gesindes«  zu  günstig  geschildert,  die  Frohnen  zu  milde 
beurtheilt  und  versäumt,  die  , jüngere  Leibeigenschaft«,  von  der  M.  spricht, 
und  die  er  auch  noch  als  »sehr  hart«  bezeichnet,  mit  den  sonstigen  ent- 
gegengesetzten Ausführungen  in  Einklang  zu  setzen. 

Aber  urtheilen  wir  selber!  Wir  müssen  mit  Grupp  sagen,  dass  das 
Bild  von  der  Lage  der  Landwirtschaft  und  Stellung  der  Bauern  viel  zu 
viel  Licht,  zu  wenig  Schatten  enthalte.  Das  kommt  von  dem  leidigen 
Generalisiren,  von  der  Nichtbeachtung  verschiedener  Factoren,  von  der  ein- 
seitigen Heranziehung  literarischer  Quellen.  S.  48  f.  heisst  es  z.  B.:  Die 
Grundhörigen  »waren    persönlich    frei    und    keineswegs    so    an  die  Seholle 


*)  Hiezu  zählt  M.  S.  60  aber  auch  und  zwar  als  , glänzende  Beispiele*  Uri 
und  Unterwaiden:  Dass  da  im  J 3.  Jahrh.  noch  grösstentheils  grundhörige  Leute 
sassen,  beachtet  M.  gar  nicht.  .,        , 


gj^g  Literatur. 

gebunden,  dass  sie  dieselbe  nie  verlassen  durften.     Hatten  sie  ihren  Ver- 
bindlichkeiten dem  Gutsherrn  gegenüber  entsprochen,  so  stand  es  in  ihrem 
Belieben,  den  Aufenthalt  zu  wechseln  und  einen  anderen  Herrn  zu  wählen. 
Diese  Freizügigkeit  glich  vollkommen  der  des   freien  Mannes^'.     Das    sind 
Sätze,  die  für  das  13.  Jahrb.  in  dieser  Allgemeinheit  durchaus  nicht  richtig 
sind  und  ganz   falsche  Vorstellungen    erwecken.    Wenn    für    letzteren  Satz 
sich  M,  auf  Lamprecht    Deutsches  Wirtschaftsleben    stützt,    so    findet    man 
bei  Lamprecht    ],    164,    1209 — 1213  nur  den  Nachweis,  dass  sich  persön- 
liche Freiheit    und    vollere  Freizügigkeit    in    den    Moselgegenden    erst    im 
Laufe    des   14.  und   15.  Jahrh.    entwickeln.     Gleich    darauf  kommt  bei  M. 
S.   49    folgender    Satz:     »Für  Herrenlose,    welche    sich    auf   grundhörigem 
Boden    niederliessen,    hatte    dies    die    wohlthätige    Folge,    dass    sie    einen 
SchutzheiTU    erhielten    und    gesichert    wurden    gegen  das  harte  Wildfangs- 
recht, dem  der  vogelfreie  Mann    ausgesetzt    war.*     Also    herrenlose  Leute 
wären  vogelfrei    gewesen    und    das  Wildfangrecht  hätte  sich  gegen  Vogel- 
freie   gerichtet!     Dann    weiter.     S,  54:    aus    dem    Antheil    an    dem  »Hof- 
regiment«   und    »aus    dem  Recht    auf    die  Erbfolge    erklärt  sich  die  Ver- 
pflichtung der  Hörigen  für  den  Fall    einer  Heirat    ausserhalb    des  Hofver- 
bandes   die   Einwilligung    des  Herrn    einzuholen.      Der   GutsheiT  erhob  ge- 
gründeten Anspruch,   dass  nicht  etwa  ein  Unwürdiger  oder  gar  einer  seiner 
Todfeinde  in  den  Verband  des  Hofes  käme  und  Erbrecht  erlange.  Für  Ehen 
unter  den  Hörigen  derselben  Herrschaft   war  wohl   auch  die  Genehmigung 
des  Hen-n  erforderlich,  aber  sie  durfte  nie  verweigert  werden«.  Wie  schief 
ist  doch  diese  Deduction,    welch  falsche  Sentimentalität  ist  hineingetragen 
in    ein  Verhältnis,    bei    welchem    das    Einwilligungsrecht    des  Herrn  seine 
ganz  reale  Begründung  besass.  Das  hat  gerade  Lamprecht  a,  a.  0.  1203  ff., 
den  M,  wieder  citirt,  klar  und  eingehend  auseinandergesetzt.  Und  wo  steht 
der  Beleg    für    die  so  apodictisch    hingestellte  Behauptung,    dass    die  Ge- 
nehmigung nie  verweigert  werden  durfte?   Dann  gleich  auf  der  nächsten 
Seite    55:     » Ein     Schutz    für    die    Hörigen    lag    auch     darin,     dass     der 
Grundherr    ohne    die   Zustimmung    der  Hörigen  keine  neue  Belastung  ein- 
führen   durfte.     Handelte    derselbe    pflichtwidrig,    vernachlässigte    er  seine 
Leute,  so  wurden  diese  gleichfalls  ihrer  Verbindlichkeit  ledig  und  konnten 
oder  mussten  frei  werden*.     Zu  diesem  letzten   unerhörten  Satz  wird  auf 
Eatzinger  Armenpflege   227   hingewiesen.     Aber    Ratzinger    spricht    davon, 
dass  die  Kirche    von    jeher  Tödtung    und    Misshandlung    von    Leibeigenen 
durch  ihi-e  Herren  verdammt  und  zu  verhindern    gesucht    hatte    und  dass 
sie  bei  schweren  Vergehen  »ausser  der  kirchlichen  Busse  regelmässig  noch 
Freilassung  von  Leibeigenen*  verlangte.     Man  sieht,  dass  da  absolut  kein 
Beleg  für  Michaels  Behauptung    zu   finden  ist.     S,   58  wird  über  Untheil- 
barkeit  der  Bauerngüter  gesprochen  auf  Grund  des  Sachsenspiegels,  dessen 
erbrechtliche  Bestimmungen  ohne  weiteres  als    gemein   deutsches  Recht  in 
Anspruch    genommen    werden,    was    besonders   stark  in   dem  Satze  hervor- 
tritt:    »einen    weitern    Schutz    fand    d^r    Bauer    in    der  Bestimmung    des 
Sachsenspiegels,    dass  Erbschaftsschulden    von  dem  Erben  nur  insoweit  zu 
bezahlen  seien,   als  die  fahrende  Habe  reicht.     So  lebte  in  dem  unbeweg- 
lichen Gut    gleichsam    die    Familie    als    solche    fort*.     M,  hat    sich    nicht 
darum  gekümmert,    dass  gerade  diese  Bestimmung  des  Sachsenspiegels  im 
13,  Jahrh,  fast    allgemein    aufgegeben    ist,    dass    sie    schon  im  Deutschen- 


Literatur.  317 

und  Schwabenspiegel  nicht  mehr  erscheint  (vgl.  Schröder  Deutsche  Rechts- 
gesch.  ^737  f.).  Und  überhaupt  hatte  in  diesem  Rechtssatz,  so  weit  und  so 
lange  er  galt,  selbstverständlich  nicht  nur  der  Bauer,  sondern  jeder  Grund- 
besitzer Schutz  gefunden. 

Und  nun,  nach  solchen  Exempeln,  knüpfen  vpir,  um  Michaels  Dar- 
stellung weiter  zu  beleuchten,  an  seinen  oben  schon  S.  314  angeführten 
Satz  an:  »Verletzungen  des  kaiserlichen  Gebotes  (Friedrichs  II.  von  1220 
gegen  die  Schädigung  von  Ackersleuten)  mögen  allerdings  stattgefunden 
haben*.  Das  klingt  so  harmlos,  so  nebensächlich :  Schädigungen  von  Bauern 
mögen  im  13.  Jahrh.  allerdings  vorgekommen  sein,  nun  ja.  aber  sie  sind 
nicht  der  Rede  wert  im  Vergleich  zur  glänzenden  Lage  der  Bauern,  die 
in  Wohlbehagen  und  Uebermut  schwammen.  Aber,  aber!  Ist  denn  nicht 
jede  Seite  der  Quellen  jener  Zeiten  voll  von  directen  und  indirecten  Nach- 
richten über  Krieg  und  Fehde,  über  Raub,  Brand,  Plünderung  und  Ver- 
wüstung des  flachen  Landes.  Tausendmal  und  tausendmal,  immer  und 
immer  wieder,  überall  im  ganzen  Reiche  ist  der  Bauer  geschädigt  worden 
durch  die  unaufhörlichen  Kämpfe  der  grossen  und  kleinen  Herren.  Diese 
allgemeine,  andauernde  Unsicherheit  ist  ja  geradezu  ein  charakteristisches 
Merkmal  jener  mittelalterlichen  Zeiten  und  gerade  im  13.  Jahrh.  ist  der 
Mangel  an  Frieden  und  Sicherheit,  die  Fülle  von  Fehden  und  Räubereien, 
die  Selbsthilfe  mit  gewaffneter  Hand,  die  Schädigung  von  Kirchen  und 
Klöstern,  von  Bürgern  und  Bauern  ganz  entschieden  stärker  und  fühlbarer 
geworden.  Das  hieng  zusammen  mit  dem  Verschvrinden  einer  einigermassen 
starken  königlichen  Gewalt,  mit  den  Verwirrungen  der  Kämpfe  zwischen 
Kaiser  und  Papst.  Das  hieng  zusammen  mit  der  Auflösung  der  alten 
Ministerialität  und  deren  Verselbständigung  als  niederer  Adel,  der  um  und 
um  verschuldete  und  sich  mit  Leibeskräften  nach  allen  Seiten  um  Besitz 
und  Macht  wehrte,  und  das  hieng  zusammen  mit  der  werdenden  Landes- 
hoheit der  Fürsten,  die  überallhin  ausgreifen  ohne  gi'osse  Scrupel,  und 
Stadt,  Land  und  Ritter  in  ihre  Gewalt  zu  bringen  suchen.  Zu  all  dem 
kamen  dann  noch  die  äusseren  Unglücksfälle  wie  Ueberschwemmungen^ 
Misswachs,  Theuerung  und  Hungersnoth,  was  alles  vor  allem  den  Bauern 
traf  und  wogegen  man  sich  damals  noch  kaum  zu  helfen  wusste. 

Wo  aber  finden  wir  in  Michaels  Buch  solche  Dinge  irgendwie  aus- 
reichend berührt?  Auf  die  Unzulänglichkeit  der  Capitel  über  Ritter  und 
Fürsten  kommen  wir  noch  zu  sprechen,  hier  sei  nur  gesagt,  dass  alles 
was  etwa  auf  die  Rückwirkung  der  Entstehung  der  Landeshoheit  auf  die 
Zustände  sich  bezieht,  sich  S.  289  im  Citat  einer  bekannten  Stelle  aus 
Freidank  und  in  dem  Satze  erschöpft:  »dass  es  dabei  nicht  ohne  offen- 
bare Ungerechtigkeiten  abgieng,  beweist  z.  B.  die  Geschichte  von  Tirol  ^. 
Die  Auflösung  der  alten  Ministerialität  wird  auf  S.  210  in  einer  Anmer- 
kung mit  einem  Citat  von  fünf  Zeilen  aus  Lamprechts  Wirtschaftsleben 
erwähnt  und  den  Elementarereignissen  und  ihren  wirtschaftlichen  Folgen 
werden  auf  S.  28,  29  ganze  elf  Zeilen  gewidmet,  die  einen  anregenden 
Gedanken  Lamprechts  über  die  Abnahme  ungeheuerlicher  Preisschwankungen 
und  über  Magazinirungsversuche  geistlicher  Anstalten  in  ganz  unzutreffen- 
der Weise  noch  mehr  generalisiren,  als  es  schon  Lamprecht  gethan  hat. 

Endlich  die  Schilderung  des  üppigen  Bauernlebens  im  13.  Jahrh.  nach 
den  schon  zum  Ueberdruss    in    dieser  Richtung    ausgeschriebenen  Dichtern 


3 13  Literatur. 

und  Predigern.  M.  sagt  schliesslich  S.  82  wohl  selbst,  dass  man  in  diesen 
zum  Theil  übertriebenen,  zum  Theil  nur  einseitig  beleuchteten  Schilde- 
rungen nicht  »eine  Zeichnung  des  gesammten  Bauernstandes  erblicken* 
dürfe.  Es  wäre  daher  höchst  nothwendig  gewesen,  diese  Beschränkung  von 
vorne  herein  klar  und  deutlich  auszusprechen  und  nicht  die  breite,  durch 
umfangreiche  Citate  noch  breiter  gemachte  Schilderung  von  Uebermut 
und  Hoffart  der  Bauern  auszumalen.  In  Schönbachs  Walther  von  der  Vogel- 
weide (S.  131  ft'.),  den  er  ja  gleich  im  Vorwort  citirt,  hätte  Michael  die 
trefflichsten  Haltpunkte  gefunden,  um  z.  B.  gegenüber  Neidhart  von  Reuen- 
thal einen  richtigen  Standpunkt  zu  gewinnen.  Und  statt  immer  gleich  ins 
blaue  hinein  zu  generalisiren,  sollte  man  sich  vielmehr  die  Frage  stellen,  hat 
denn  die  unleugbar  im  ganzen  gute  Situation  der  Bauern  gerade  in  Oester- 
reich  vielleicht  auch  ihre  besonderen  Gründe  gehabt.  Nur  auf  zwei  Mo- 
mente sei  da  hingewiesen:  Oesterreich  war  Colonisationsgebiet,  daher  die 
Ansiedler  von  Anfang  an  in  besserer  Situation  (vgl.  Luschin  Oesterr. 
Eeichsgesch.  219);  und  im  Oesterreich  der  Babenberger  war  die  landes- 
herrliche Gewalt  besonders  früh  und  wirksam  entwickelt  und  hatte  früher 
die  Kraft  in  sich  als  anderswo,  ihren  Adel  im  Zaume  zu  halten  und  einen 
einigermassen  geordneten  Friedens-  und  Rechtszustand  zu  schaffen.  Und 
statt  mit  einem  nichtssagenden  Satz,  wie  wir  ihn  oben  S.  .315  angeführt 
haben,  über  Auflehnungen  von  Bauern  hinwegzugehen  (die  dabei  citirte 
Stelle  des  Nicolaus  von  Bibera  ist  hier  ebenso  nichtssagend),  hätten  solche 
Fälle  doch  etwas  näher  besehen  werden  sollen.  Wir  haben  z.  B.  Nach- 
richten, dass  um  127!»  die  Colonen  des  Klosters  St.  Peter  auf  dessen  Be- 
sitzungen zu  Wieting  in  Kärnten  Dienst  und  Pflicht  verweigerten  und 
hierin  von  »Mächtigen'^  bestärkt  wurden  und  dass  Erzbischof  Friedrich 
von  Salzburg  die  Hilfe  König  Rudolfs  anrief  (vgl.  Reg.  imp.  VI  n.  1806). 
Wir  wissen,  dass  die  Leute  des  Stiftes  Klosterneuburg  im  Jahre  1278  in 
offenem  Ungehorsam  gegen  das  Kloster  standen  (Fischer  Merkw.  Schicksale 
von  Klosterneub.  2,  271).  Die  Secte  von  Schwäbisch  -  Hall  (1248)  hatte 
auch  einen  socialen  Hintergrund,  ebenso  wie  um  dieselbe  Zeit  der  Auf- 
stand der  Pastoureaux  in  Frankreich,  und  wie  selbstverständlich  der  grosse 
Bauernkrieg  von  1258 — 1260  in  Dänemark  —  das  nur  zu  lehrreichem 
Vergleiche  bemerkt. 

Gegenüber  diesen  unverkennbaren  Mängeln  des  ersten  Abschnittes  con- 
statiren  wir  gerne,  dass  der  zweite  Abschnitt  »Die  Besiedlung  des  Ostens* 
(S.  86 — 128)  besser  gelungen  ist,  ja  als  der  wohl  verhältnismässig  noch 
am  besten  geratene  Theil  bezeichnet  werden  kann.  Ein  an  sich  dankbarer 
geschlossener  Stoff  und  vortreffliche  Vorarbeiten  machten  es  da  dem  Verfasser 
leichter.  Aber  gleich  im  nächsten  Abschnitt  »Die  Städte*  (S.  129 — 204) 
stossen  wir  schnell  wieder  auf  die  höchst  bedauerlichen  Schwächen  des 
Werkes. 

Auf  S.  135  wird  folgendermassen  die  Entwickelung  der  Stadtverfas- 
sungen geschildert:  >es  zeigte  sich  hier  die  grösste  Mannigfaltigkeit.  In 
den  Handelsstädten,  wo  das  Uebergewicht  der  grossen  Kauf  leute  den  Aus- 
schlag gab,  herrschte  die  Aristokratie.  Dort  wo  das  gewerbliche  Arbeits- 
leben mit  dem  Reichthum  auch  den  grösseren  Einfiuss  brachte  und  die 
Innungen  sich  die  Stadtregierung  aneigneten,  herrschte  die  Demokratie. 
Eine  gemischte  Stadtvertretung  bildete  sich  dort  aus,  wo  die  Zünfte  dem 


Literatur.  319 

aristokratischen  ßath  das  Gleichgewicht  hielten.  Die  Beseitigung  einer  alten 
Kegierungsform  und  die  Einführung  einer  neuen  war  oft  mit  schweren 
Verwicklungen  und  heissen  Kämpfen  verbunden*.  Aus  solchen  fleisch- 
und  blutlosen  Sätzen  soll  sich  der  Leser  eine  Vorstellung  von  der  Ver- 
fassung einer  Stadt  des  1 3.  Jahrh.  bilden.  Denn  das  ist  alles,  was  M. 
über  diesen  Capitalpunkt  der  städtischen  Entwicklung  bietet! 

Gleich  darauf  S.  136  leitet  folgender  Satz  zur  Besprechung  der  zu- 
nehmenden Geldwirtschaft  über:  »Der  Ueberschuss  des  landwirtschaftlichen 
Betriebs  forderte  Absatz  und  dieser  Absatz  erfolgte  auf  den  städtischen 
Märkten.  Damit  war  der  endliche  Sieg  der  Geldwirtschaft  über  die  bisher 
vorherrschende  Naturalwirtschaft  entschieden*;  hierauf  ein  bischen  von 
»langwierigen  Entfaltungsstadien  um  die  Wende  des  12.  und  13.  Jahr- 
hunderts* und  so  war  denn  j,im  Anschluss  an  die  grossartigen  Erfolge, 
welche  die  Arbeit  des  Landmannes  begleiteten,  auf  dem  gesammten  wirt- 
schaftlichen Gebiet  ein  Umschwung  der  Dinge  eingetreten,  wie  er  bisher 
in  der  Geschichte  des  deutschen  Volkes  unerhört  gewesen*.  Wie  stimmt 
das  zu  dem  schon  angeführten  Satz  Michaels  (S.  ll):  alle  öffentlichen  Ver- 
hältnisse waren  von  der  Landwirtschaft  beherrscht,  oder  zu  einem  andei'en 
Satz  S.  35,  Anm.  1 :  »Namentlich  für  das  13.  Jahrh.  gilt  das  Wort  Geerings 
Basel  137:  Die  fundamentale  wirtschaftliche  Grossmacht  des  Mittelalters  ist 
die  Urproduction*.  Von  den  » langwiei'igen  Entfaltungsstadien*  verräth  uns 
der  Verf.  weiter  keine  Silbe  und  doch  wäre  das  von  grösstem  Interesse 
für  das  Verständnis,  und  von  den  Wirkungen  dieses  unerhörten  Um- 
schwunges handelt  er  auf  drei  Seiten,  die  wie  eine  mühselige,  kümmer- 
liche Paraphrase  der  Worte  Schmollers  ausschauen,  welche  M.  in  seinem 
Vorwort  citirt  hat.  Aber  was  er  eben  mit  diesem  Vorwort  versprochen 
hatte,  eine  anschauliche,  verständliche  Darstellung  dieses  allmäligen 
Umschwunges  zu  geben,  das  hält  er  nicht.  Vielmehr  bekommt  der  un- 
schuldige Leser  den  allerdings  ebenso  neuen  als  schiefwirkenden  Eindruck, 
als  habe  in  Deutschland  im  13.  Jahrh.  die  vollendete  Geldwirtschaft,  ja 
der  Capitalismus  regiert.  Ausnützung  der  Arbeiter,  Selbstsucht  des  Reich- 
thums,  Concurrenz.  allgemeiner  Interessenkampf,  Massenelend  und  Ueber* 
handnehmen  des  Proletariats  (S.  139).  Durch  fünf  Seiten  müssen  wieder 
Dichter  und  Prediger  herhalten  um  zu  illustriren,  »dass  eine  neue  Welt- 
macht alle  Schichten  des  deutschen  Volkes  durchdrungen  hat*,  dass  jetzt 
Habsucht  und  Geldgier  in  die  Halme  geschossen  seien.  Mit  welch  leichter 
Mühe  Hessen  sich  nicht  solche  Stellen  aus  Moralisten  und  Predigern  eines 
jeden  Jahrhunderts  zusammenfinden!  Dass  M.  leider  auch  hier  gar  nicht 
fühlte,  worauf  es  für  seine  Darstellung  angekommen  wäre,  beweist  der 
Umstand,  dass  er  gerade  einige  der  wichtigsten  Materien  in  einer  An- 
merkung (S.  137)  streift:  Münzwesen,  Währung,  Geldverkehr,  Wechsel- 
geschäft, Lombarden  und  Juden,  Preisgeschichte!  Nur  über  Wechselrecht 
findet  sich  im  spätem  Capitel  »Handel  und  Verkehr*  noch  eine  halbe 
Seite  (S.165). 

»Gegen  die  Schäden  der  Geldwirtschaft  wurde  ein  wirksames  Heil- 
mittel* das  Zunftwesen,  das  nun  M.  in  idealen  Farben  S.  144 — 162 
schildert.  Wir  schliessen  uns  im  allgemeinen  gerne  der  hohen  Schätzung 
der  Zünfte  an,  und  constatiren  mit  Vergnügen,  dass  das  wieder  einmal  ein 
etwas    gelungeneres  Capitel  ist.     Freilich    müssen    wir  auch  hier  abermals 


g20  Literatur. 

bemerken,  dass  höchst  wichtige  Vorgänge  gar  nicht  erwähnt  oder  nur 
wieder  in  einer  kleinen  Anmerkung  ganz  nebenher  gestreift  sind;  so  die 
sehr  wechselnde  Haltung  der  deutschen  Könige  (nicht  bloss  Friedrichs  II., 
auf  den  mit  zwei  Zeilen  S.  147  Anm.  6  hingewiesen  ist)  und  der  Landes- 
herren gegenüber  den  Zünften,  so  die  Streitigkeiten  zwischen  Kaufmanns- 
gilden und  Zünften.  Ein  lehrreiches  Beispiel  bietet  in  dieser  Hinsicht 
Goslar,  dessen  innere  Geschichte  im  1 3.  Jahrh.  sich  in  diesen  Gegensätzen 
bewegt.  Das  Streben  der  Zünfte,  Antheil  an  der  Stadtverwaltung  zu  ge- 
winnen, hat  zwar  erst  im  14.  Jahrh.  zu  einer  grossen  erfolgreichen  Be- 
wegung geführt,  allein  die  ersten  Zunftrevolutionen  reichen  schon  tief  ins 
13.  Jahrh.  zurück;  wir  treffen  1259  in  Köln,  1281  in  Brügge  und  Ypern, 
1283  in  Erfurt  solche  gewaltsame  Bewegungen. 

Das  nächste  Capitel  »Handel  und  Verkehr«  (S.  162—204)  bringt 
allerhand  nacheinander  in  wenig  klarer  Disposition:  Kaufmannsgilden,  da- 
zwischen hineingeschoben  Zins  und  Wechselverkehr,  dann  Handelsgesell- 
schaften, Bi-ücken  und  Wege,  Strand-  und  Grundruhr,  Geleite,  Sorge  für 
die  Eeisenden,  Hospitäler,  Wege  des  Weltverkehrs  (Eegensburg.  Augsburg 
u.  s.  w.),  Alpenpässe,  Bergbau,  Handel  gegen  Norden,  Hansa.  Mit  Aus- 
nahme der  Geschichte  der  Hansa  (S.  194  ff.),  die  besser  gerieth,  ist  alles 
recht  unbefriedigend,  besonders  auch  deshalb,  weil  jedem  einigermassen 
urtheilsfähigen  Leser  sich  da  ganz  besonders  das  Gefühl  aufdrängt,  dass 
vieles  vom  allerwichtigsten  fehlt,  dass  mit  der  beängstigenden  Fülle  von 
Literaturangaben  niemandem  geholfen  ist,  da  man  doch  vom  Verf.  eines 
solchen  Buches  verlangen  muss,  dass  er  alles  wesentliche  in  harmonischer 
Darstellung  vorführe.  Es  ist  ja  doch  ganz  erstaunlich,  dass  über  den 
Ehein  und  die  Donau  und  ihre  Bedeutung  als  Verkehrs-  und  Handels- 
strassen eigentlich  gar  nichts  gesagt  ist,  dass  über  Zölle  nur  in  einer 
Anmerkung  S.  186  ein  paar  Notizen  und  Literaturangaben  gemacht  werden, 
dass  die  Messen  der  Champagne  in  sechs  Zeilen,  der  grossartige  Härings- 
fang  und  Handel  ebenso  ungenügend  abgethan  werden,  dass  über  Boten- 
und  Postdienst  zwar  im  Capitel  über  die  Besiedlung  des  Ostens  (S.  128 
Anm.  4)  die  Eede  ist,  aber  auch  da  nur  in  einer  Anmerkung  ein  Schwall 
von  kunterbunter  Literatur  über  den  bestürzten  Leser  ausgegossen  wird. 
Anmerkungsweise  wird  S.  180,  181  über  Einwohnerzahl  und  Grösse  der 
damaligen  Städte  und  über  Städtesteuern  —  nicht  so  sehr  gehandelt,  als 
Literatur  angeführt;  ganz  ebenso  S.  184  Anm.  4  über  die  Juden.  S.  194 
Anm.  1  thut  M.  den  übertriebenen  Ausspruch:  »Deutschland  war  im 
13.  Jahrh.  das  Peru  Europas«  und  fügt  in  der  Note  hinzu:  »die  Ent- 
deckung der  zahlreichen  Erzgruben  brachte  damals  eine  Umwälzung  hervor  "^ 
ähnlich  der  heutzutage  in  Californien.  Wäre  dem  so,  so  hätte  M.  diese 
» Umwälzung «  zu  schildern ;  freilich  aber  beschränkte  sie  sich  in  Wahrheit 
nur  auf  die  Gegenden  des  Erzgebirges. 

So  sehen  wir  immer  und  immer  wieder:  Michael  erfasst  nicht  den 
Kern,  das  Wesen  der  Sache.  Er  hat  eine  Unmasse  von  Literatur  —  das 
Verzeichniss  der  wiederholt  citirten  Werke  umfasst  24  kleingedruckte 
Seiten  —  verschlungen,  aber  nicht  verdaut.  Er  hat  es  nicht  verstanden, 
aus  dieser  Literatur  die  Entwicklungen,  die  Fragen  auf  die  es  ankommt, 
zu  erfassen  und  stellt  gerade  die  wichtigsten  Probleme  ahnungslos  in 
seinen  schwellenden  Anmerkungen  neben  den  unwichtigsten  Kram. 


Literatur.  32 1 

Das  alles  tritt  wo  möglich  noch  unerfreulicher  in  den  zwei  letzten 
Abschnitten  zu  Tage,  welche  über  das  »Ritterthum,  Eaubwesen  und  Frie- 
densbestrebungen "^S  und  über  »Verfassung  und  Recht*  handeln.  Mit 
Worten  des  alten  Bodmann  pi-eist  Michael  S.  207  die  Lehensverfassung 
als  » die  wahre  Mutter  des  deutschen  Reichs  und  des  inneren  Länder- 
verbands*; »aus  ihr  giengen  Einheit  und  Eintracht,  Stärke  und  jene  he- 
roischen Tugenden  hervor,  welche  noch  einer  späten  Nachwelt  als  erhabene 
Muster  vorgestellt  werden*.  In  einer  grossen  Anmerkung  wird  dann  das 
»auch  heute  vielfach  verkannte  Lehenswesen*  noch  weiter  mit  einer  lang- 
mächtigen Stelle  aus  Bodmann's  Rheing.  Alterthümern  vertheidigt.  Das 
kann  wenig  Effect  machen.  Obiger  Satz  Bodmanns  ist  im  Anfang  des 
19.  Jahrh.  geschrieben,  in  sehnsüchtiger  Rückschau  aus  der  herabge- 
kommenen, zerrissenen  deutschen  Gegenwart  auf  die  herrliche  Grösse  des 
alten  Reichs.  Ein  Historiker  von  heute  muss  wissen,  dass  gerade  das 
Lehenwesen  dieses  alte  Reich  zerstört  hat.  Freilich  aber  soll  er  auch  dem 
unläugbar  idealen  Kern  und  den  eigenartigen  Vorzügen  jener  Staats-  und 
Gesellschaftsordnung  gerecht  werden,  wie  das  z.  B.  Grupp  in  seiner  Kultur- 
geschichte des  Mittelalters  2,  108  ff.  in  sehr  beachtenswerter  Weise  gethan 
hat.  Nicht  genügen  jedoch  ein  paar  Citate  und  nicht  überzeugend  kann 
eine  so  übermässig  idealisirte  Schilderung  des  Ritterthums  wirken,  wie 
sie  dann  der  Verf.  von  S.  212  an  vor  uns  ausbreitet.  Diese  Lobpreisung 
gipfelt  schliesslich  S,  22.5  in  den  prachtvollen  Sätzen :  »Der  Ritter  wie  er 
sein  sollte  und  wie  er  in  der  besten  Zeit  auch  wirklich  war,  ist  ein  Mann 
von  Charakter  gewesen ;  er  handelte  unentwegt  nach  den  Grundsätzen  der 
Wahrheit  und  Gerechtigkeit.  Das  wollte  gelernt  sein.  Der  echte  Ritter 
hatte  darum  zuerst  den  heissesten  Kampf,  den  Kampf  in  seinem  Innern 
siegreich  zu  bestehen  <■=.  Mit  diesem  kunstvollen  Uebergang  kommt  M. 
dann  auf  die  ritterliche  Erziehung  zu  sprechen,  ferner  auf  Ritterweihe, 
Ritterschlag  und  Turniere  (S.   225 — 246). 

In  den  Rittergeschichten  gibt  es  doch  immer  gute  und  böse  Ritter, 
bei  Michael  aber  eigentlich  nur  gute.  Zwar  »an  Ausschreitungen  hat  es 
in  der  Ritterwelt  nicht  gefehlt;  doch  sind  dieselben  leichter  erklärlich  als 
die  Ausschreitungen  jedes  anderen  Standes.  Bei  Ulrich  von  Lichtenstein 
wurde  der  Frauendienst  zum  Wahnsinn  gesteigert.  Aber  Fehltritte  waren 
keineswegs  die  Regel.  In  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrh.  wenigstens 
hatte  der  Name  des  deutschen  Ritters  einen  guten  Klang.  Die  eheliche 
Treue  ward  in  Ehren  gehalten*  (S.  22 1).  Wie  kann  Michael  denn  solches 
schreiben?  Kennt  er,  der  so  eifi-ig  fortwährend  Walther  von  der  Vogel- 
weide citirt,  nicht  auch  dessen  Minnelieder,  nicht  »Unter  der  Linden*? 
Warum  denn  dieses  Verschweigen  und  Beschönigen  des  ganzen  ritterlichen 
Minnedienstes?  Nicht  verschweigen,  sondern  erklären  ist  des  Historikers 
Pflicht.  Und  auch  da  hätte  M.  das  Rechte  schnell  zur  Hand  gehabt:  wieder 
ist  es  Schönbach,  der  in  seinem  Walther  S.  23  ff.  ungemein  treffend  sich 
hierüber  geäussert  hat. 

Das  ideale  Ritterthum  wird  bei  Michael  nur  unbedeutend  verdunkelt 
durch  das  Raub-  und  Fehdewesen.  „Die  schlimmste  Ausartung  des 
Ritterthums  oder  besser  gesagt  eine  vollständige  Verläugnung  seiner  grund- 
idee  war  das  Raub-  und  Fehdewesen.  Es  lag  darin  eine  Abkehr  von  der 
Gesetzgebung  Karls  d.  Gr.  und    eine    bedauerliche  Rückkehr    zu    der  Un- 

Mittheilungen  XX.  21 


322  Literatur. 

gebundenheit  des  Heidenthums ^^  So  leitet  M.  das  Capitel  S.  247  ein. 
Wenn  nun  ohneweiteres  das  Raubritterthum  als  Entartung  und  Verläug- 
nung  echten  Ritterthumes  anzusehen  ist,  so  trifit  das  beim  Fehdewesen 
keineswegs  zu.  Im  Gegentheile;  wie  Zallinger  in  seiner  Abhandlung  über 
den  Kampf  um  den  Landfrieden  (Mitth.  des  Instituts  Ergbd.  4.  443  ff.), 
die  M.  natürlich  citirt,  aber  nicht  verarbeitet,  klar  gezeigt  hat,  ist  das 
Fehdewesen  eine  notwendige  Consequenz  des  mittelalterlichen  Berufs- 
ritterthums  gewesen.  Weil  M.  den  Ritter  gar  so  ideal  und  so  einseitig 
kirchlich-religiös  gefasst  hat,  muss  nun  das  Fehdewesen  eine  Rückkehr 
zum  Heidenthum  sein.  Die  Selbsthilfe  mit  der  Faust  war  freilich  nicht 
echt  christlich,  aber  sie  war  echt  ritterlich.  Die  tapferen  Ritter  des  1 2. 
und  13.  Jahrh.  hielten  sich  für  die  frommsten  und  besten  Christen,  auch 
wenn  sie  ihr  ganzes  Leben  in  unaufhörlichen  Fehden  dahinbrachten.  Das 
Mittelalter  hat  eben  das  Recht  zur  Fehde  für  vollkommen  vereinbar  mit 
seiner  Anschauung  vom  Christenthum  gehalten  und  die  Kirche  trug  dem 
Rechnung,  hat  die  Fehden  als  ein  notwendiges  Uebel  anerkannt  und 
durch  ihre  Gottesfrieden  nur  das  Uebermass  derselben  einzuschränken  ge- 
sucht. Nicht  die  Kii'che,  sondern  Kaiser  Friedrich  der  Rothbart  war  der 
erste,  der  1158  jede  Fehde  zu  jeder  Zeit  als  Friedensbruch  erklärte. 
Freilich  war  das  um  Jahrhunderte  zu  früh.  Erst  nachdem  das  Ritterthum 
dahin  war,  hat  der  moderne  Staat  mit  dem  Fehdewesen  endgültig  auf- 
geräumt. 

Das  Fehdewesen  gehört  zur  Signatur  des  Mittelalters,  des  13.  Jahr- 
hunderts nicht  zum  wenigsten.  Das  Raubritterthum  aber  hat  sich  gerade 
im  13.  Jahrh.  recht  entwickelt  und  die  Gründe  dieser  Erscheinung  hängen 
innig  mit  den  Wandlungen  der  Ministerialität,  mit  dem  Existenzkampfe 
des  niedern  Adels  gegen  Städte  und  gegen  Fürsten  zusammen.  Allein 
von  solchen  Dingen  hören  wir  bei  M.  nichts.  Auf  S.  209.  210  hat  er 
in  einer  seitenlangen  Note  über  Ministerialen  allerhand  Notizen  und  Li- 
teratur zusammengetragen  i).  Und  das  ist  alles,  was  in  einem  Buch  über 
Deutschlands  Zustände  im  13.  Jahrh.  über  den  wichtigsten  Process  im 
massgebenden  Stand  der  Nation  gesagt  wird.  Aber  wenn  wir  nun  we- 
nigstens ein  anschaulich  wahres  Bild  vom  Raub-  und  Fehdewesen  be- 
kämen. Doch  nein,  eine  alberne,  Bodmann  nachgeschriebene  Geschichte, 
wie  ein  Raubritter  von  den  Mönchen  zu  Eberbach  durch  Prügel  kurirt 
wurde,  und  eine  hundertmal  schon  benützte  Stelle  aus  Zorns  Wormser 
Chronik,  das  ist  auf  S.  254  Michaels  ganze  Kunde  von  Zuständen,  von 
denen  die  Quellen  der  Zeit  voll  sind. 

Der  allerschwächste  Abschnitt  des  Buches  scheint  mir  aber  beinahe 
der     letzte:     Verfassung    und     Recht     (S.     266 — 331).     Zuerst    wird    auf 


')  Dabei  ein  Beispiel  für  die  Art,  wie  M.  seine  Anmerkungen  zusammen- 
bringt. Anm.  4  auf  S.  209  ist  den  Schöffenbartreien  des  Sachsenspiegels  ge- 
widmet. Zunächst  wird  die  bahnbrechende  Arbeit  Zallingers  citirt  und  deren 
Resultat  anerkannt.  Trotzdem  aber  wird  eine  veraltete  Ansicht  Richthofens  an- 
geführt und  zurückgewiesen  und  wird  die  überwundene  Erklärung  Roths 
v.  Schreckenstein  nelapn  Schröders  natürlich  nach  Zallingers  Ergebnissen  ge- 
fasste  Auflassung  der  Schöffenbarfreieu  hingestellt,  als  ob  das  alles  gleichwertig 
wäre.  Und  zuletzt  wird  noch  auf  Stobbes  Arbeit  über  die  Schöffenbartreien 
aus  tlem  Jahre  1855  hingewiesen.  So  wird  Citat  auf  Citat  gehäuft,  eine  gelehrt 
aussehende,  gewiss  ja  mühevolle,  aber  unfruchtbare  Arbeit. 


Literatur.  323 

taum  zwei  Seiten  (266  f.)  das  deutsche  Königthum  abgehandelt  und  die 
piece  de  resistance  ist  die  ebenso  wenig  hiehergehörige  wie  überraschende 
Darlegung,  dass  im  Jahre  916  eigentlich  das  Papstthum  Deutschland  ge- 
rettet habe.  Das  Wesen  des  deutschen  Königthums  wird  in  6  Zeilen  ab- 
gethan  (S.  268)  und  dann  (S.  268 — 284)  auf  das  Kaiserthum  über- 
gegangen, das  Kaiserideal  des  Mittelalters,  seine  Bedeutung,  sein  Glanz, 
seine  Stellung  zum  Papstthum  geschildert  und  das  Ceremoniell  der  Kaiser- 
krönung weitläufig  beschrieben.  Die  deutsche  Königswahl  und  die  Ent- 
stehung des  Kurfürstencollegs  beanspruchen  dafür  nur  drei  Seiten  und 
die  Entwicklung  der  Landeshoheit  deren  sieben.  Damit  ist  die  Verfassung 
fertig  und  es  kommt  die  Darstellung  des  Rechtes.  Diese  besteht  in 
17  Seiten  (295 — 31l),  welche  fast  ganz  der  Besprechung  des  Sachsenspiegels 
und  Auszügen  aus  ihm  gewidmet  sind,  in  10  Seiten  (311 — 32 1)  über  das 
Gerichtsverfahren,  von  denen  9  ganz  und  gar  auf  die  Gottesurtheile  auf- 
gehen, und  endlich  in  10  Seiten  (321 — 33l),  welche  von  den  römisch  recht- 
lich gebildeten  Juristen  und  dem  Eindringen  des  römischen  Eechtes 
handeln.  Und  diese  sonderbare  Auswahl  soll  uns  Verfassung  und  Eecht 
•des  13.  Jahrh.  vergegenwärtigen!  Vielleicht  treffen  wir  das  richtige  hier, 
wie  überhaupt,  wenn  wir  sagen,  dass  Michael  nur  das  dilettantische  Inter- 
esse und  Verständnis  des  gewöhnlichen  sogenannten  Culturhistorikers  au 
rechtlichen  wie  auch  wirtschaftlichen  und  socialen  Entwickelungen  besitzt. 
Nur  so  ist  es  erklärlich,  dass  auch  hier  wieder  die  allei'wichtigsten  Er- 
scheinungen und  Vorgänge  überhaupt  gar  nicht  erwähnt  sind,  wie  z.  B. 
der  Reichstag,  die  Reichs  Verwaltung  und  ihre  Organisation,  Heerwesen, 
Finanzwesen,  Anfänge  der  Landstände  u.  s.  w.  Die  Kaisei-würde  wird 
glanzvoll  geschildert  und  doch  ist  es  gerade  das  13.  Jahrh.  gewesen,  in 
welchem  diese  alte  Kaisermacht  unwiederbringlich  zu  Grunde  gieng  und 
in  welchem  auch  die  Basis  des  Kaiserthums,  das  deutsche  Königthum, 
eine  ganz  wesentliche  Wandelung  durchmachte.  Von  all  dem  bei  Michael 
kein  Wort!  Oder  aber  M.  fand  in  der  Literatur  Gedanken  vor,  die  er 
dann  in  seiner  uns  bekannten  Art  anmerkungsweise  anführet,  aber  natür- 
lich nicht  verfolgt,  so  z.  B.  inwieweit  die  Territorien  aus  der  Grundherr- 
schaft hervorgiengen  oder  nicht  (S.  288  Anm.  l),  oder  dass  »die  Idee  der 
Landeshoheit  sich  in  den  westlichen  Theilen  des  Reiches  zuerst  findet« 
(S.  292  Anm.  3).  Oder  es  wird  so  ganz  ungenügendes  geboten  wie  über 
das  Kui-fürstenthum,  das  kaum  jemals  so  oberflächlich  behandelt  worden  ist. 
Hier  tritt  auch  der  persönliche  Standpunkt  des  Verfassers  besonders 
deutlich  hervor.  Wir  kennzeichnen  ihn  durch  einige  Sätze :  » wer  der 
Schirmherr  der  Kirche  sein  sollte,  das  hieng  von  der  freien  Wahl  des 
Papstes  ab;  ihm  allein  stand  das  Urtheil  zu,  wer  den  Beruf  eines  Ver- 
theidigers  der  Kirche  in  drangvoller  Zeit  am  redlichsten  und  am  kräftigsten 
entsprechen  werde.  Die  Wahl  fiel  auf  den  Frankenkönig  Karl,  welchem 
Papst  Leo  III.  an  dem  denkwürdigen  Weihnachtsfeste  des  Jahres  SOG 
unter  stürmischem  Beifallsrufen  des  römischen  Volkes  die  Kaiserkrone 
aufs  Haupt  setzte«  (S.  268,  269).  »Das  mittelalterliche  Kaiserthum  und 
mit  ihm  das  heilige  römische  Reich  deutscher  Nation  trug  durchaus  einen 
christlichen  Charakter,  waren  eine  Schöpfung  des  apostolischen  Stuhles  und 
hatten  nur  Bestand  kraft  der  Krönung  des  jedesmaligen  deutschen  Königs 
durch  den  Papst,    von    dessen  Entschluss  die  Erhebung  eines  Fürsten  zur 

21* 


324  Literatur. 

Kaiserwürde  abhieng*  (S.  271).  » Das  Gewohnheitsrecht,  den  König- Kaiser 
zu  wählen,  hatten  die  deutschen  Fürsten  allerdings  vom  heiligen  Stuhle '^^ 
(S.  272  Anm.  ]).  »Im  Zusammenhange  hiermit  (dass  die  beiden  Schwerter 
in  der  Kirche  und  in  ihrer  Gewalt  sind)  steht  die  potestas  indirecta  iu 
tempoi'alia  reguin,  die  sich  unschwer  aus  den  Worten  Christi  an  Petrus 
Matth.  16,  18 — 19  ableiten  lässt«  (S.  27  5  Anm.  4).  Michael  theilt  also 
mit  vollster  Ueberzeugung  den  curialen  Standpunct  des  1  3.  Jahrhunderts, 
und  zwar  auch  in  Bezug  auf  historische  Auffassung.  Damit  lässt  sich 
nicht  mehr  rechten,  aber  zu  wünschen  bliebe,  dass  M.  den  Geist  jener 
Zeit  auch  im  übrigen  so  gut  erfasst  hätte  wie  in  dieser  Beziehung. 

Der  Gesamrateindruck,  den  das  Buch  Michaels  auf  den  Laien  hervor- 
ruft und  offenbar  hervorgerufen  hat,  da  in  so  kurzer  Zeit  drei  Auflagen 
erschienen,  ist  der  eines  ungeheuer  gelehrten  Werkes,  welches  eine  wohl- 
thuend  rosige  Schilderung  von  den  glänzenden  Zuständen  des  deutschen 
Volkes  im  1.3.  Jahrh.  entwirft.  »Die  kaiserlose,  die  schreckliche  Zeit*,  von 
der  man  sonst  so  im  allgemeinen  eine  schlimme  Meinung  besass,  sie  hat 
nach  Michael  offenbar  glücklicherweise  gar  nicht  existirt.  Denn  das  bischen 
Kaub-  und  Fehdewesen  wurde  durch  Landfiüeden  und  Städtebünde  ge- 
dämpft. Der  Bauernstand  blüht  und  gedeiht,  die  Städte  erreichen  ihre 
Blüte,  die  Schäden  der  Geldwirtschaft  werden  durch  die  Zünfte  paralysirt, 
das  Kitterthum  ist  eine  ideale  Gesellschaft,  das  Kaiserthum  steht  glänzend 
und  erhaben  da  —  in  der  That,  dies  ist  das  lichte  Bild,  welches  Michael 
im  Vorwort  versprochen  hat. 

Unser  Gesammteindruck  aber,  und  wir  hoffen,  dass  wir  ihn  begründet 
haben,  ist  ein  anderer.  Dieses  Bild  vermögen  wir  weder  als  ein  wahres 
noch  als  ein  klares  und  erschöpfendes  Bild  zu  erkennen.  Es  ist  viel  zu 
sehr  idealisirt,  viel  zu  sehr  generalisirt,  viel  zu  unvollkommen  ausgeführt 
in  seinen  wichtigsten  Partien.  Es  schaut  überdies  meist  aus,  als  ob  die 
Zustände  vom  Jahre  1200  bis  zum  Jahre  1.300  die  gleichen  geblieben 
wären.  Der  Abschluss  mit  dem  Jahrhundert  ist  überhaupt  ein  rein  äusser- 
lichei'.  Für  eine  Geschichte  des  deutschen  Volkes  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten des  Mittelalters  hätte  von  vorne  herein  eine  andere  Eintheilung 
zurecht  gelegt  werden  müssen.  Aber  eine  so  äusserliche  Betrachtungs- 
weise ist  ja  leider  dem  ganzen  Buche  eigen.  Dass  es  sich  in  erster  Linie 
auf  die  Literatur  stützt,  wollen  wir  einem  umfassend  angelegten  Werke 
nicht  zum  Vorwurf  machen ;  freilich  hätten  wenigstens  die  gewissen  Quellen, 
die  M.  regelmässig  heranzieht,  kritischer  benützt  wei'den  sollen,  wie  wir 
sahen,  und  andere,  wie  z.  B.  die  Descriptio  Alsatiae  und  Theutoniae  oder 
Nicolaus  von  Bibera  weit  gründlicher  ausgebeutet  werden  können.  Die 
Literatur  aber  hat  M.  mit  unendlichem  Fleiss  und  in  wirklich  staunens- 
wertem Umfang  herangezogen  und  ich  gestehe  gern,  dass  ich  manche 
Schrift  erst  durch  ihn  kennen  gelernt  habe.  Allein  trotzdem  ist  M, 
selten  in  das  Wesen  der  Dinge  eingedrungen.  Er  hat  es  versäumt  sieh 
wenigstens  aus  der  Literatur  eine  klare  Einsicht  und  Uebersicht  zu  ver- 
schaffen. Infolgedessen  fehlte  ihm,  wir  müssen  es  geradezu  sagen,  die 
nöthige  Grundlage  zur  Erfassung  der  wirtschaftlichen,  socialen  und  recht- 
lichen Zustände  des  13.  Jahrhunderts.  Wir  sind  überzeugt,  dass  ihm 
der  zweite  Band  über  Erziehung  und  Unterricht,  Wissenschaft  und  Mystik 
besser  gelingen  wird.     Aber  dieser  erste  Band  ist  unheilbar  verfehlt.    Er 


Literatur.  325 

bleibt  hinter  bescheidenen   wissenschaftlichen  Erwartungen    zurück,    er  ist 
seines  grossen  Gegenstandes  nicht   würdig. 

Wien.  Oswald  Redlich. 


Christian  Schneller,  Trideutinische  urbare  aus  dem 
13.  Jahrh.  mit  einer  Urkunde  aus  Judicarien  v.  1244 — 1247. 
Innsbruck,  Wagner  1898,  8°,  283  S.  (Quellen  und  Forschungen  zur 
Geschichte  etc.  Oesterreichs  durch  die  Leogesellschaft  hrgg.  von  Hirn 
und  Wackerneil  lY), 

Josef'Susta,  Zur  Geschieh  te  und  Kritik  der  Urbarial- 
aufz  eich  nun  gen.  Wien  Gerolds  Sohn  1898,  8°,  72  S.  (Sitzungs- 
berichte der  kais.  Akad.  der  Wiss.  in  Wien,  phil.-hist.  Cl.  Bd.  138,  VIII). 

Schneller  edirt  Urbare  und  ähnliche  Aufzeichnungen,  Susta  stellt  die 
Geschichte  dieser  Quellengruppe  im  Mittelalter  dar. 

Die  Herausgabe  urbarialer  Quellen  bedarf  keiner  Rechtfertigung;  ihr 
Wert  vornehmlich  für  die  wirtschaftliche  Seite  geschichtlichen  Lebens  ist 
■erkannt  und  anerkannt.  Jede  gute  Edition  setzt  zweierlei  bei  dem  Her- 
ausgeber voraus:  Kenntnis  des  Wertes  der  betreffenden  Quelle  für  die 
verschiedenen  Zweige  historischer  Forschung  und  etwas  hilfswissenschaft- 
liche Schulung,  insbesondere  Vertrautheit  mit  der  Paläographie  und  den 
Editionsgrundsätzen.  So  vorgebildet  wird  der  Herausgeber  in  der  Lage 
sein,  den  Modus  der  Ausgabe  seiner  Quellenart  anzupassen.  Für  Urbare 
brauchen  die  Prinzipien  nicht  erst  aufgestellt  zu  werden.  Inama-Sternegg 
hat  solche  bereits  i.  J.  187  7  in  seiner  verdienstlichen  Arbeit  über  Urbarien 
und  Urbarialaufzeichnungen  (Archival.  Zeitsch.  hgg.  v.  Löher)  formulii*t  und 
seither  sind  —  ganz  zu  schweigen  von  M.  B.  Guerard's  Leistung  (1853) 
—  mit  der  Belebung  der  deutschen  Wirtschaftsgeschichte  in  einzelnen  guten 
Ausgaben  und  tabellarischen  Verarbeitungen  nachahmenswerte  praktische 
Muster  für  Herausgeber  geboten  worden.  Ich  erinnere  einerseits  an  Maags 
Publication  des  Habsburgischen  Urbars,  andrerseits  an  die  Zusammenstel- 
lungen in  Lamprechts  Wirtschaftsleben   und  Inamas  Wirtschaftsgeschichte. 

Schnellers  Buch  enthält  (nach  den  Ueberschriften)  in  vier  Abthei- 
lungen: I.  Ein  Zinsbuch  der  Domherrn  von  Trient  v.  J.  1220;  als  An- 
hang dazu:  Ein  bischöflich  Tridentinisches  Urbar  aus  Sulzberg  v.  J.  1200. 
IL  Bischöflich  Trideutinische  Gilten  in  Sopramonte  v.  J.  1205.  HI.  Ein 
Güter-  und  Giltenverzeichnis  aus  dem  Lagerthale  v.  J.  1259.  IV.  Eine 
Urkunde  aus  Judicarien  v.  1244 — 1247.  Die  erste  und  umfangreichste 
(f.  15 — 136)  dieser  Quellen  enthält  cod.  508  des  Wieser  H.-,  H.-  und 
Staatsarchivs.  Noch  vor  Einsichtnahme  in  den  Text  und  dessen  hand- 
schriftliche Vorlage  Hessen  einige  Bemerkungen  auf  S.  4  der  Einleitung 
Bedenkliches  ahnen.  Die  »mögliehst  genaue "^^  Beibehaltung  der  in  Unzahl 
vorhandenen  Punkte,  die  »anderen  Zeichen«  am  Ende  der  rothen  Ueber- 
schriften wirkten  beunruhigend  bezüglich  der  Textbehandlung,  »die  schlecht 
leserlichen  Glossen ^^  am  Rande,  »die  sich  meist  auf  Aenderungen  der 
Abgaben  beziehen,  für  das  Urbar  als  solches  aber  belanglos  sind«,  ver- 
riethen,  dass  die  gerade  bei  Urbaren  so  wichtigen  Nachtragungen  in  ihrem 


326  Literatur. 

Werte  verkannt  und  uns  grösstentheils  vorenthalten  worden  sind.  Und 
leider.  Die  Ahnung  erwies  sich  als  Thatsache.  Die  Beschreibung  der 
Hs.  ist  fehler-  und  lückenhaft :  z.  B.  die  den  einzelnen  Abschnitten  voran- 
stehenden »Verzierungen,  die  immer  wieder  ein  I  (item?)  darzustellen 
scheinen  ^S  sind  nichts  anderes  als  die  Initialen  von  Ibique,  womit  die 
Bekenntnisse  anheben.  Die  unverstandenen  »anderen  Zeichen«  entsprechen 
unserem  Punkte  nach  dem  System,  wie  es  sich  in  der  karolingischen 
Schule  ausgebildet  hatte.  Eine  Analyse  des  Pergamentbestandes  hätte 
ergeben,  dass  in  einer  Lage  ein  Pergamentblatt  mit  ursprünglichen  Ein- 
tragungen anlässlich  einer  Kectificirung  der  ersten  Erhebungen  aus- 
geschnitten worden  ist.  Der  Text  wiederum  ist  an  paläographisch  schwie- 
rigeren Stellen  unzuverlässig  (so  z.  B.  schon  für  die  ersten  drei  Zeilen 
oder  auf  f.  97  =^  Schneller  134),  für  ein  geübteres  Auge  unschwer  lesbare 
Stellen  sind  ausgelassen,  z.  B.  cod.  f.  1  und  2,  die  später  vorgebunden, 
Nachträge  von  verschiedenen  Händen  enthalten  mit  meist  noch  deutlich 
wahrnehmbaren  Jahresangaben;  die  Notizen  zu  den  J.  1253,  1254,  1255 
sind  bis  auf  geringe  Beste  enträthselbar.  Ganz  vereinzelt  steht  der  von 
Schneller  abgedi-uckte  Memorialvers,  eine  probatio  pennae  von  einer 
Hand  s.  XIV.  Dasselbe  gilt  von  cod.  f.  97  =^  Schneller  135.  Vermerke 
über  die  zahlreichen,  auch  sachlich  bedeutsamen  Rasuren  und  Wechsel 
der  Hände  fehlen. 

So  der  formelle  Theil  der  Ausgabe.  Nun  zu  den  Nachtragungen. 
Bietet  der  Text  des  Urbars  uns  den  Zustand  der  Grundherrschaft  i.  J.  1220, 
so  lassen  uns  die  Nachträge  den  Wandel  in  Gutsbestand,  Bevölkerung  und 
Leistungen  bis  zum  Zeitpunkt  der  Zusätze  erkennen.  Die  sämmtlich  auf 
ein  späteres  Stadium  bezüglichen  Nachtragungen  enthalten  von  verschie- 
denen Händen,  die  zu  scheiden  und  zu  kennzeichnen  gewesen  wären,  vor- 
nehmlich Angaben  über  die  neuen  Inhaber  der  Zinsgüter:  ein  Wechsel, 
wie  er  durch  Todesfälle  und  andere  Besitzveräuderungen  verursacht  worden 
war.  Z.  B.  von  einer  Hd.  A:  f.  4  omnia  isla  ficta  Otti  (!),  filii  Johannis, 
amissa  sunt;  f.  20  posidet  Johannes  de  Molara;  f.  35  item  mansus  Boneti 
ammissus  est.  Oder  von  Hd.  B  Eintragungen  ähnlichen  Inhalts  und  Zweckes : 

f.   4'  istud  tenet  omne  bonum  dictus  Berns. 

f.    lO'  ista  possessio  est  desiguata  et  solvit  XXXVIIIIß.       ...     ■ 

f.    12   Foia  et  Biacha  Xlß  et  III  dr. 

Von  einer  Hd.  C:  f.   7   u.  8   und  auch  sonst:  est   divisum. 

f.    15   non  laboratur,   f.   25   nil   solvitur. 

Von  einer  Hd.  D  sind  am  Rande  bei  einer  Anzahl  von  Zinsbekenut- 
nissen  kurze  Vermerke  mit  summarischen  Angaben  über  die  Leistungen 
hinzugefügt  worden,  wie  m[odios]  X  et  II  l[ibras]  seih  casei. 

Daneben  finden  sich  noch  andere  Hände.  Die  Mehrzahl  der  Nachträge 
dürfte  etwa  ein  Menschenalter  nach  der  ersten  Aufnahme  gemacht  worden 
sein.  Zu  beachten  wäre  auch,  dass  die  Zusätze  nicht  in  allen  Theilen  des 
Urbars  gleichmässig  auftreten.  In  manchen  Zinsgebieten  fehlen  sie  ganz. 
Es  scheinen  die  Neuerhebungen  nicht  in  allen  Gebieten  in  gleicher  Weise 
vorgenommen  worden  zu  sein.  Durch  eine  Einleitung  sowie  durch  ein 
dreifaches  (Sach-,  Orts-,  Personen-)  Register  sucht  der  Hg.  die  Benützbar- 
keit  zu  erleichtern.  Insbesondere  das  Sachregister  ist  sehr  verdienstvoll 
und    gebürt  Schneller    hiefür    ausdrückliche  Anerkennung.     Dass    dadurch. 


Literatur.  327 

aber  der  Abgang  tabellarischer  Uebersichten  über  die  Höfe  und 
Grundstücke,  Leistiuigen  und  Dienste  etc.,  sowie  das  Fehlen  einer  Karte 
der  Grundherrschaft  nicht  wettgemacht  wird,  leuchtet  ein.  Die  3  fol- 
genden kleineren  Abtheilungen  theilen  mutatis  mutandis  mit  dieser  ersten 
Vorzüge  und  Mängel.  Das  in  die  Einleitung  zum  Urbar  von  Sopramonte 
eingeschaltete  (Sehn.  19l)  Diplom  K,  Friedrichs  IL  von  1236  war  bereits 
in  extenso  bei  Huillard  IV,  835  gedruckt  vgl.  Ficker  KR.  n'^  2150.  Die 
vom  Hg.  nicht  näher  charakterisirte  »Urkunde  aus  Judicarien«  ist  eine 
Kundschaftserhebung,  wie  schon  K.  B.  in  seiner  Recensionsnotiz  (Hist. 
Jahrb.  XIX,    1,  S.   209)  hervorgehoben  hat. 

Fleiss  und  redliches  Bemühen  wird  man  Schneller,  der  bereits  auf 
dem  Gebiete  tirolischer  Ortsnamenforschung  sehr  Verdienstliches  geleistet 
hat,  nicht  absprechen  dürfen.  Aber  für  die  schwierige  Aufgabe  einer  den 
heutigen  wirtschaftsgeschichtlich-diplomatischen  Anforderungen  gerecht  wer- 
denden Urbaredition  reichten  diese  Eigenschaften  allein  nicht  aus.  Trotz 
allen  entschuldigenden  Erwägungen  wird  man  der  Wahrheit  Zeugnis 
geben  müssen:  der  gute  Ruf  der  »Quellen  und  Forschungen«  kann  durch 
Publicationen  solcher  Art  nicht  gewinnen. 

Sustas  Arbeit  bewegt  sich  auf  den  Grenzgebieten  von  Diplon.atik, 
Wirtschafts-  und  Rechtsgeschichte.  In  der  verständigen,  von  gutem  Ur- 
theil  geleiteten  Verwertung  der  einschlägigen  Literatur  dieser  drei  Disci- 
plinen  zu  einer  darstellenden  Geschichte  der  Urbarialen  von  den  Römer- 
zeiten bis  zur  Ausbildung  des  modernen  Staats  liegt  sein  Hauptverdienst. 
Bei  dem  Reichthum  des  Inhalts  und  der  Knappheit  des  Stils,  die  Sustas 
Abhandlung  auszeichnen,  muss  Ref.  sich  angesichts  des  beschränkten  zu- 
gebote  stehenden  Raumes  eine  Inhaltsübersicht  versagen.  Die  Capitel- 
überschriften  der  gut  disponirten  Ausführungen  werden  einigermassen  über 
den  Gedankengang  der  Abhandlung  informiren.  Auf  kurze  einleitende 
Bemerkungen  folgen  Abschnitte  wie :  die  römisch-byzantinischen  Cataster- 
bücken.  Die  Urbarialaufzeiclmungen  in  Italien.  Staatliche  Inventarisirung 
des  Grossgrundbesitzes  im  fränkischen  Reich.  Die  fränkischen  Polyptj^cha. 
Deutsche  Urbarialaufzeichnungen  des  früheren  Mittelalters.  Deutsche  Urbare 
aus  dem  späteren  Mittelalter.  Die  Entstehungsweise  und  Rechtskraft  der 
Urbare.  Die  landesherrlichen  Urbare.  Einzelnes  sei  hervorgehoben.  Fussend 
insbesondere  auf  A.  Schultens  Arbeit  über  die  römische  Grundherrschaften 
(Zs.  für  Social-  und  Wirtschaftsgesch.  III.)  knüpft  der  Verf.  in  über- 
zeugender Weise  die  Urbare  Italiens  (und  von  Byzanz)  an  die  staatlichen 
Partikularcataster  des  römischen  Kaiserreichs  ai;.  Nach  dem  Verfall  der 
römischen  Steuerverfassung  bedienten  sich  die  Besitzer  der  grossen  fundi 
excepti  der  bisherigen  öffentlichen  Steuerrolle  zu  privaten  Verwaltungs- 
zwecken: das  staatliche  Gebührenbuch  ward  ein  Urbar.  Sehr  dankenswert, 
vielleicht  etwas  zu  skizzenhaft  ist  das  Capitel  über  die  italienischen  Ur- 
barialien  und  deren  Entwicklung  bis  zu  grossen  Urkundensammlungen ; 
hier  hätte  man  von  dem  in  Rom  weilenden  Verf.  gerne  mehr  erfahren. 
L.  M.  Hartmanns  wirtschaftgeschichtliche  Arbeiten  leisteten  da  gute 
Dienste.  In  ähnlicher  Weise  diente,  wie  schon  Fustel  de  Coulanges  aus- 
gesprochen, auch  im  Frankenreiche  die  römische  Steuerrolle  den  grossen 
Urbaren  (Polyptycha)  als  Grundlage  und  Ausgangspunkt.  Neben  diesen 
eigentlichen  Urbaren    giengen    im  Anfange    der    Karolingerzeit    auf    staat- 


328  Literatur. 

liehe  Anregung  hin  entstandene  Inventare,  brevia  genannt,  einher.  Etwa 
zur  selben  Zeit  wie  in  Italien  (lO.  Jahrh.)  treten  auch  in  Frankreich  örtlich 
geordnete  Chartulare  an  Stelle  der  eigentlichen  Urbare.  Es  ist  interessant 
zu  beobachten,  wie  das  1 0.  Jahrhdt.  auf  den  verschiedensten  Gebieten 
deutschen  Volkslebens  das  völlige  Absterben  der  aus  der  Antike  über- 
kommenen Formen  und  das  Ringen  nach  neuen  aus  nationalem  Boden 
erwachsenden  Bildungen  aufweist:  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte,  Lite- 
ratur und  Kunstgeschichte  zeigen  jede  in  ihrer  Art  dieselbe  Erscheinung. 
Die  grossen  Urbarialaufzeichnungen  in  der  Norinandie  und  in  England 
werden  von  S.  nur  nebenher  erwähnt.  Die  weitere  Entwicklung  steht 
unter  dem  bestimmenden  Einfluss  des  alles  durchsetzenden  Lehenwesens. 
Das  Traditionsbuch  beginnt  zu  überwiegen  und  wird  gegen  das  12.  Jh. 
hin  von  neuen  Urbarialaufzeichnungen  zu  Verwaltungszwecken  ohne  feste 
Form  verdrängt.  Das  spätere  Mittelalter  wird  zu  einer  neuen  Blütezeit 
des  Urbars.  Die  Grundherrschaften  bedienen  sich  dieses  Hilfsmittels  zum 
Schutze  gegen  Beeinträchtigung  von  aussen  und  innen.  Hier,  wo  die 
Literatur  abgesehen  von  mehr  minder  guten  Einleitungen  zu  den  Ausgaben 
spärlich  ist,  wäre  man  dem  Verf.  für  eine  etwas  eingehendere  Unter- 
suchung, wenigstens  an  der  Hand  der  bereits  gedruckten  Ui-bare.  nach 
territorialen  Gesichtspunkten,  nach  dem  Stande  des  Gutsherrn,  für  Auf- 
deckung der  Anlegungsursache  und  des  Anlegungsmodus  an  einer  grösseren 
Reihe  von  Beispielen  doppelt  dankbar  gewesen.  Mit  einem  Capitel  über 
die  landesherrlichen  Urbare  schliesst  die  interessante,  flüssig  geschriebene 
Arbeit  ab.  Wir  sind  an  der  Schwelle  moderner  Staatsverwaltung  an- 
gelangt. 

Und  nun  noch  ein  Wort  zur  Rechtskraft  der  Urbare.  Den  Aus- 
führungen des  Verf.  wird  vollauf  beizustimmen  sein,  namentlich  auch  darin, 
dass  eigentliche  Rechtskraft  diesen  Verzeichnissen  wohl  nur  in  dem  Ver- 
hältnis zwischen  Herrn  und  Hintersassen  beigemessen  wurde.  Ihre  Ver- 
wertung als  Beweismittel  im  Processe  bei  Besitzstreitigkeiten  gegenüber 
dritten  müsste  an  der  Hand  unserer  zahlreichen  Urkundenbücher  noch 
näher  untersucht  werden.  Die  diesbezügliche  Anschauung  der  Juristen 
des  vorigen  Jahrhunderts  dürfte  sich  zwar,  soviel  ich  sehe,  bestätigen,  sie 
müsste  aber  doch  vor  ihrer  Annahme  an  der  Hand  des  uns  zugebote 
stehenden  ungleich  reicheren  gedruckten  Materiales  durch  genügend  zahl- 
reiche beweisende  Fälle  aus  den  verschiedenen  Jahrhunderten  des  Mittel- 
alters belegt  werden.  Es  dürfte  sich  zeigen,  dass  die  den  Urbaren  zu- 
geschriebene Rechtstraft  nicht  während  des  ganzen  Mittelalters  gleich  und 
ständig  war;  der  Niedergang  des  schriftlichen  Beweises  überhaupt  während 
des  11.  und  12.  Jahrhunderts  wird  wohl  auch  auf  die  Wertschätzung 
dieser  Aufzeichnungen  nicht  ohne  Einfluss  geblieben  sein.  Bei  der  S.  2 
gegebenen  Definition  vermisst  Referent  die  erforderliche  Präcision;  er 
möchte  sich  erlauben,  folgende  Definition  zu  versuchen :  Urbare  im  eigent- 
lichen Sinne  sind  systematische  Verzeichnisse  über  den  Gesammtbesitz 
einer  GrundheiTschaft  an  liegendem  Gut  und  Leistungen  der  Unterthanen, 
zusammengestellt  auf  Grund  von  rechtsgiltigen  Zeugnissen  persönlicher 
(Weisungen,  CoUectiv-,  Einzelzeugnisse)  und  —  als  eventuelle  Ergänzung 
—  auch  urkundlicher  Natur.  —  Doch  alle  diese  oben  vorgebrachten 
Wünsche  treöen  keineswegs  den  Verf.  als  Unterlassungssünden  oder  seine 


Literatur.  329 

Arbeit  als  Mängel.  Denn  S.  war  bescheiden  genug,  seiner  Abhandlung  den 
Titel :  »Zur  Geschichte  und  Kritik  der  Urbarialaufzeichnungen  '^  zu  geben. 
Sie  sollen  nur  ausgesprochen  sein,  um  die  Lücken  unserer  Kenntnis  für 
weitere  Forschungen  klar  zu  legen.  Herausgebern  von  Urbaren,  die  sich 
über  diese  Quellengruppe  rasch  und  gut  unterrichten  wollen,  kann  S.s 
Arbeit  aufs  beste  empfohlen  werden. 

Wien.  J.  L  e  c  h  n  e  r. 


Die  Geschichte  der  deutschen  Universitäten  von 
Georg  K  aufm  an  n.  2.  Bd.  Entstehung  und  Entwicklung  der  deut- 
schen Universitäten  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters,  Stuttgart, 
Cotta  1896  VI  und  587  SS.  i). 

Jeder,  der  ein  wenig  in  die  intimere  Geschichte  des  Mittelalters  ein- 
gedrungen ist,  weiss,  dass  entgegen  der  landläufigen  Anschauung  von  der 
grossen  Uniformität,  die  man  dem  Zeitalter  des  Lehensi'echtes,  der  Leib- 
eigenschaft, des  Zunftzwanges,  des  geschlosseneu  Bürgertums,  der  hierarchi- 
schen Einheit  zuschreiben  zu  dürfen  glaubt,  eine  ganz  erstaunliche  Mannig- 
faltigkeit der  politischen  und  socialen  Zustände  und  Einrichtungen  vorhanden 
war.  Die  Geschichte  der  Universitäten  kann  diese  Wahrnehmung  nur 
bestätigen. 

Wenn  es  jemand  unternähme  die  Organisation,  den  Studiengang  und 
Lehrplan  der  bestehenden  Universitäten  des  deutschen  Sprachgebiets  zu 
schildern,  so  wäre  das  im  Grunde  eine  sehr  einfache  Aufgabe.  Der  Ver- 
fasser könnte  sich  damit  begnügen  die  Einrichtung  irgend  einer  dieser 
Hochschulen  darzustellen  und  hätte  damit  ein  typisches  Bild  gezeichnet, 
das  auch  für  alle  anderen  Universitäten  mit  keinen  oder  nur  geringen 
Abänderungen  Geltung  behielte. 

Für  das  Mittelalter  liegen  die  Verhältnisse  ganz  anders.  Kicht  allein 
haben  seine  Universitäten  mit  den  jetzigen  ausser  der  Scheidung  in  vier 
Facultäten  und  einer  traditionellen  Terminologie  für  gewisse  akademische 
Behörden  und  Institutionen  so  gut  wie  nichts  mehr  gemein,  sondern  sie 
zeigen  auch  untereinander  wesentliche  Unterschiede.  Dieser  zweite  Band 
von  Kaufmanns  Werk  beweist  das  zur  Genüge.  Wie  ausserordentlich 
mannigftich  abgestuft  erscheinen  beispielsweise  die  Rechte  der  Scholaren 
(S.  48  ff.),  die  Stellung  und  Zusammensetzung  der  Nationen  (S.  63  ff.), 
das  Amt  des  Kanzlers  (S.  131  ff.,  140  ff.),  die  Zusammensetzung  der  re- 
gierenden Versammlung  (S.  161  ff.),  die  Formen  der  Wahl  des  Senates 
{S,  163),  des  Rectors  (S.  167)  und  Dekans  (S.  196),  die  Verfassung  der 
Facultäten  (S.  18!^,  203  ff.),  die  Beziehungen  der  Universitäten  zum  Staat, 
die  akademische  Gerichtsbarkeit,   (S.  91  ff-,    100  ff.)  u.  s.  w. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  daraus  dem  Verfasser  einer  allgemeinen 
Geschichte  der  deutschen  Universitäten  erhebliche  Schwierigkeiten  erwachsen. 


1)  Ich  fühle  mich  zu  der  Erklärung  verpflichtet,  dass  das  verspätete  Er- 
scheinen dieser  Anzeige  nicht  der  Redaction,  sondern  nur  dem  Referenten  zur 
Last  fällt. 


330  Literatur. 

Denn  auf  der  einen  Seite  muss  jede  solche  Darstellung,  wenn  sie  diesen 
Titel  mit  einigem  Eechte  führen  will,  sich  von  den  einzelnen  Thatsachen 
aus  zu  allgemeinen  Betrachtungen  zu  erheben  suchen,  während  auf  der 
andern  Seite  der  sehr  individuell  gefärbte  Stoff  eine  derartige  Verallge- 
meinerung nicht  oder  nur  in  sehr  begrenztem  Masse  zulässt. 

Um  die  Lösung  dieses  Problems  hat  sich  nun  Kaufmann  redlich  und, 
wie  ich  glaube,  mit  gutem  Erfolge  bemüht.  Sein  Buch  ist  eine  durchaus 
auf  den  ersten  Quellen  beruhende  sorgfältige  vergleichende  Darstellung  der 
Entstehung,  der  Zustände  und  Einrichtungen  der  deutschen  Universitäten 
bis  zum  Auftreten  Luthers.  Ein  weitschichtiger  und  zum  Theil  auch  weit 
zerstreuter  Stoff  ist  mit  Umsicht  und  ohne  Willkür  in  der  Auslegung 
verarbeitet,  die  gemeinsamen  Züge  sind  nach  Möglichkeit  hervorgehoben 
worden.  Wenn  trotzdem  das  Detail  recht  üppig  in  diesem  Bande  wuchert, 
so  erscheint  das  nach  der  geschilderten  Natur  des  Stoffes  nicht  unbe- 
greiflich. Es  ist  keine  Beispielsammlung,  sondern  eben  der  unvermeid- 
liche Notbehelf  bei  dem  vollständigen  Mangel   eines  beherrschenden  Typus. 

Eine  andere  Schwierigkeit,  die  Disposition  des  Stoffes,  scheint  mir 
Aveniger  glücklich  überwunden.  Abgesehen  von  Wiederholungen,  die  frei- 
lich bei  der  Zergliederung  eines  in  den  einzelnen  Theilen  so  ineinander 
greifenden  Stoffes  eintreten  müssen,  macht  sich  namentlich  das  nachträg- 
liche Hereinziehen  von  Einzelheiten  in  resumirende  Abschnitte  (S.  z.  B. 
S.  176,  3 18  ff.,  542  ff.)  störend  bemerklich.  Am  Meisten  fällt  auf.  dass 
ein  Abschnitt,  der  etwa  Sitten  oder  gesellschaftlicher  Zustand  der  Scholaren 
zu  betiteln  gewesen  wäre,  ganz  fehlt.  Jetzt  ist  das  hieher  Gehörige  in 
verschiedenen  Kapiteln  nicht  gerade  zum  Vortheile  der  Erzählung  unter- 
gebracht. S.  z.  B.  §  4  (S.  <Süff'.)  mit  der  überdies  ganz  einseitigen  Her- 
vorhebung »Tracht  der  Scholaren ^S  während  doch  in  diesem  Kapitel  noch 
von  ganz  anderen  Dingen  (Cölibat)  und  viel  wichtigeren  (s.  besonders  S.  89) 
die  Rede  ist. 

Mit  der  Sicherung  der  Darstellung  durch  Mittheilung  der  Belegstellen 
hat  der  Verfasser  besonders  in  den  ersten  vier  Kapiteln  nicht  gekargt. 
Es  ist  sogar  des  Guten  zu  viel  geschehen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle 
hätten  blosse  Verweise  iim  so  eher  genügt,  als  sie  auf  bekanntere,  auch 
in  kleineren  Bibliotheken  erhältliche  Werke  sich  beziehen ;  denn  ein  voll- 
ständig unabhängiges  Buch  herzustellen  konnte  doch  vorweg  nicht  in 
der  Absicht  des  Verfassers  gelegen  sein. 

Von  den  fünf  Kapiteln,  in  die  der  Band  zerfällt,  geben  die  vier  ersten 
—  Gründung,  Verfassung  und  Studienordnung  —  im  Ganzen  wohl  kaum 
Anlass  zu  Meinungsverschiedenheiten.  Der  Verfasser  ist  hier  so  an  seinen 
Stoff  gebunden,  dass  seine  Darstellung  lediglich  auf  ein  Zusammenfassen 
der  Ueberlieferung  und  ein  Nacherzählen  hinausläuft,  die  der  subjectiven 
Auffassung  und  der  kritischen  Betrachtung  keinen  oder  nur  einen  geringen 
Spielraum  lässt.  Nur  ein  Punkt  verdient  auch  hier  hervorgehoben  zu 
werden. 

Kaufmann  veitritt  nämlich  den  Standpunkt,  dass  die  Universitäten 
lies  Mittelalters,  vorab  die  deutschen,  nicht  kirchliche  Institute  gewesen 
sind,  und  ich  glaube,  wenn  etwas  in  seinem  Buche  bewiesen  wurde,  so 
ist  es  die  Richtigkeit  dieser  Ansicht. 


Literatur.  ggj 

Abweichend  von  Stein  ^)  und  besonders  von  Paulsen  -)  hat  Kaufmann 
wohl  ganz  unwiderleglich  dargethan,  dass  die  Mehrzahl  der  (deutschen) 
Universitäten  nicht  vom  Papste  gegründet  wurde  (S.  45),  dass  sogar  das 
Mittelalter  ein  ausschliessliches  Gründungsrecht  des  Papstes  nicht  einmal 
theoretisch  anerkannte  (S.  149),  dass  Lehrer  und  Scholaren  nicht  ins- 
gesamt dem  geistlichen  Stande  angehörten  (S.  80  ff.,  99,  104),  dass- 
der  Cölibat  wohl  das  Gewöhnliehe,  aber  durchaus  nicht  Gesetz  und  am 
allerwenigsten  »eine  selbstverständliche  Forderung <■=  war  (S.  87),  kurzum 
dass,  wenn  Paulsen  a.  a.  0.  sogar  die  Behauptung  gewagt  hat,  »die  Uni- 
versitäten Deutschlands  seien  vielfach  nichts  anderes  als  freiere  Collegiat- 
stifte,  welchen  von  den  beiden  Aufgaben  solcher  Institute,  dem  Gottesdienst 
und  dem  Unterricht,  wesentlich  nur  die  letztere  oblag*,  man  mit  viel  mehr 
Grund  sagen  darf,  »die  Zugehörigkeit  zur  Universität  machte  niemanden 
geistlich  und  die  Universitäten  unterstanden  nicht  den  kirchlichen  Be- 
hörden als  solchen«  (S.  89).  Der  geistliche  Charakter  eines  Theiles 
ihrer  Mitglieder,  ihrer  Fonds  und  ihrer  Einrichtungen  wird  dessenunge- 
achtet nicht  geleugnet  und  zugleich  sehr  hübsch  auseinandergesetzt,  wie 
es  kam,  dass  man  ihretwegen  schliesslich  irriger  Weise  die  ganze  Anstalt 
zu  specifisch  geistlichen  stempelte. 

Zu  bedeutender  Höhe  erhebt  sich  endlich  die  Darstellung  im  letzten 
Kapitel,  in  dem  die  Entwicklung  der  Universitäten  durch  die  Jahrhunderte 
bis  zur  Eeformationszeit  in  grossen  Zügen  vorgeführt  ist.  Hier,  wo  der 
Verfasser  nicht  fortwährend  scheue  Seitenblicke  auf  das,  was  unter  den 
Strich  zu  stehen  kommt,  thun  muss,  hat  er  vollauf  Gelegenheit  zur  histori- 
schen Betrachtung.  In  einer  Keihe  oft  glänzender  Schilderungen  kommen 
da  Dinge  von  grösstem  Interesse  zur  Sprache,  so  namentlich  die  Stellung 
der  Universitäten  zu  den  Concilien  und  zum  Humanismus.  Dass  es  der 
Verfasser  nicht  unterlassen  hat,  über  den  Humanismus  sich  weitläufiger, 
als  der  unmittelbare  Zweck  des  Buches  es  verlangte,  auszulassen,  wird 
man  um  so  erfreulicher  finden,  da  bei  der  Gelegenheit  mit  jener,  zumal 
von  J.  Janssen  beliebten  Unterscheidung  zwischen  einem  ehrbaren  Huma- 
nismus älterer  und  einem  lüderlichen  jüngerer  Richtung  nach  Gebühr  auf- 
geräumt wird  (S.  500  ff.);  und  in  gleicher  Weise  wird  die  Ansicht  als 
unhaltbar  nachgewiesen,  als  ob  die  Reformation  ihrerseits  wieder  den 
Humanismus  zerstört  hätte  (S.  5  23  ff.).  Diese  Ausführungen,  die  mit  der 
Ruhe  einer  auf  reichen  Kenntnissen  ruhenden  Ueberzeugung  vorgebracht 
werden,  dürfen  der  Zustimmung  aller  vorurteilslosen  Leser  sicher  sein. 

BaseL  R.   Thommen. 


Jaroslav  Goll,  Oechy  a  Prusy  ve  stfedoveku.     (Böhmen 
und  Preussen  im  Mittelalter).     Prag.  1897.  313  S.  8°. 

Das  Buch  gehört    zu  jenen  Erscheinungen  der  fremdsprachigen  Lite- 
ratur,   deren  Kenntnis  und  Berücksichtigung  für  die  deutsche  Geschichts- 


')  Die  akademische  Gerichtsbarkeit  in  Deutschland.     Leipzig  1891. 
2)  Geschichte  des  gelehrten  Unterrichts. 2.  Aufl.  1896,  1,  26. 


232  Literatur. 

forschung  wünschenswert  ist.  Inhaltlich  fällt  es  durchaus  auch  in  den 
<jesichtskreis  allgemeiner  deutscher  Geschichte  und  ist  um  so  wichtiger, 
als  der  Verf.  vor  allem  auch  die  böhmische  und  polnische  Literatur  über 
diese  Frage  vollkommen  beherrscht  und  berücksichtigt ;  der  Form  nach  ist 
es,  wie  alle  Arbeiten  Golls,  eine  auf  eigener  wissenschaftlicher,  wohl  auch 
langjähi-iger  Forschung  beruhende  Schrift,  schön,  anziehend  und  lebhaft 
geschrieben,  reich  an  Charakteristiken  der  einzelnen  hervorragenden  Per- 
sonen sowie  der  Zeitepochen.  Der  Titel  umschreibt  nicht  so  recht  die 
Grenzen,  die  die  Darstellung  in  Wirklichkeit  erreicht;  vielleicht  hätte  die 
Aufnahme  des  Wortes  »Polen*  in  den  Titel  den  Inhalt  genauer  charak- 
terisirt,  denn  vom  ersten  Augenblick,  da  Beziehungen  zwischen  Böhmen 
und  Preussen  bestehen,  sind  auch  solche  zwischen  Polen  und  Preussen 
nachzuweisen.  Adalbert,  der  im  Preussenlande  den  Märtyrertod  fand,  ist 
ein  Böhme,  aber  seinen  Leichnam  von  den  Preussen  zurückzukaufen  und 
ihn  als  Eeliquie  in  Gnesen  zu  bestatten,  blieb  dem  Polenkönige  überlassen. 
Die  ersten  Berührungen  Böhmens  mit  Preussen,  Bischof  Adalberts  von 
Prag  und  Bischof  Heinrich  Zdiks  von  Olmütz  Missionsfahrten,  sind  mehr 
privater  Xatur,  das  Verhältnis  Polens  zu  Preussen  nimmt  aber  von  Anfang 
an  einen  ernsten  politischen  Cliarakter  an  und  in  Adalberts  Schicksal,  der 
von  den  Preussen  ermordet,  von  den  Polen  unmittelbar  darauf  als  Heiliger 
verehi't  wurde,  ist  gleichsam  der  tiefe  Gegensatz  zwischen  diesen  beiden 
Staatswesen ,  der  auch  ihre  weitere  Geschichte  beherrscht ,  angedeutet. 
Böhmens  Verhältnis  zu  Preussen  lässt  sich  nicht  darstellen,  ohne  dass 
man  immer  wieder  die  Stellung  Polens  zu  beiden  berücksichtigte.  Golls 
Buch  wird  dieser  Thatsache  wohl  auch  in  vollstem  Maasse  gerecht,  er  sagt 
selber  in  der  Einleitung,  dem  Leser  werde  es  manchmal  scheinen,  dass 
das  im  Titel  genannte  Thema  sich  in  eine  Darstellung  der  böhmisch- 
polnischen  —  ich  möchte  mir  erlauben  hinzuzufügen :  oder  der  polnisch- 
preussischen  —  Beziehungen  verliere,  und  deswegen  hätte  mir  eben  auch 
die  Erweiterung  des  Titels  in  der  angedeuteten  Weise  entsprechend  ge- 
schienen. Allerdings  die  Absicht,  die  der  Verfasser  mit  seiner  Arbeit 
verfolgte,  war:  Böhmens  Geschichte  durch  die  Darlegung  seiner  Beziehungen 
zu  dem  für  die  Geschichte  der  östlichen  Slavenländer  so  wichtigen  Preussen 
zu  beleuchten  und  zu  erhellen.  Gleich  im  ersten  Kapitel,  das  die  Auf- 
schrift trägt:  »Der  h.  Adalbert.  —  Bischof  Heinrich  Zdik.  —  Die 
beiden  Kreuzzüge  Pfemysl  Ottokars  IL«,  wird  daher  auch  insbesondere 
die  Politik  des  grossen  Böhmenkönigs  eingehend  gewürdigt.  Premysl 
Ottokars  IL  ersten  Kreuzzug  nach  Preussen  im  Jahre  1255  betrachtet  G. 
von  dem  Gesichtspunkt,  dass  sich  der  König  hiedurch  den  Papst  zu 
Danke  verpflichten  wollte,  ohne  directe  Pläne  auf  etwaige  Eroberungen 
in  Preussen  selbst  zu  hegen.  Die  zweite  Unternehmung  im  J.  1267/8 
geschah  dagegen  in  der  Absicht,  in  Litthauen  »sozusagen  ein  zweites 
böhmisches  Reich  zu  gründen«.  Ich  muss  hier  einschalten,  dass  sich  G. 
anlässlich  der  Darstellung  des  ersten  Zuges  Pfemysl  Ottokars  der  deutschen 
»unbarmherzigen«,  zum  Theile  aus  tendenziöser  Voreingenommenheit  gegen 
den  Böhmenkönig,  wie  G.  sagt,  ungünstigen  Kritik  der  Hauptc^uelle,  Peters 
von  Dusburg,  entschieden  entgegenstellt  und  einen  Zweifel  daran,  dass  der 
König  bis  nach  Samland,  dem  Kernpunkt  der  ganzen  Unternehmung  ge- 
kommen sei,  gar  nicht  aufkommen  lassen  will.    Was  ferner  Pfemysl  Otto- 


Litei'atur.  33^:^ 

kars  Staats-  und  kirchenpolitische  Pläne  bei  «lern  zweiten  Preussenzuge 
anlangt,  so  weist  G.  die  öfters  ausgesprochene  Ansicht,  als  oh  es  sich  dem 
Könige  darum  gehandelt  habe,  Olmütz  zum  Erzbistum  für  Böhmen  und 
Mähren  oder  gar  für  das  ganze  Ottokar'sche  Reich  erheben  zu  lassen,  als 
auf  unrichtiger  Auslegung  der  Quellen  beruhend  zurück;  nur  die  in  den 
neu  eroberten  Gebieten  neu  zu  gründenden  Bistümer  sollten  fortan  dem 
Olmützer  Erzbistum  untergeben  sein.  Den  Widerstand,  den  dieser  Plan 
von  Anbeginn  in  Rom  fand,  möchte  G.  zur  Erklärung  für  den  raschen 
Abbruch  der  Unternehmung  herbeiziehen.  Eingehend  wird  in  diesem  Ka- 
pitel auch  die  Stellung,  die  Litthauen  in  diesen  Kämpfen  einnimmt,  ge- 
schildert; wie  Mendog  ahnend,  von  welcher  Seite  ihm  und  den  übrigen 
slavischen  Stämmen  die  Gefahr  droht,  aber  unvermögend  ein  einheitliches 
Reich  zu  begründen,  durch  Annahme  des  Christenthums  sich  und  sein  Land 
rettet. 

Das  zweite  Kapitel  —  » Die  letzten  zwei  Pf emysliden.  —  Die  Heeres- 
züge K.  Johanns  nach  Litthauen.  —  Karl  IV.  "^^  —  beginnt  mit  der  Ge- 
schichte Pommerns,  an  dessen  so  raschem  Verluste  für  Polen  und  das 
Slaventhum  überhaupt,  die  beiden  letzten  Pfemysliden  mit  die  Schuld 
tragen.  Erst  in  diesem  Zusammenhang  bietet  der  Verf.  eine  sehr  schöne  und 
ernste  Charakteristik  Pfemysl  Ottokars  IL,  dessen  Bedeutung  man  wirklich 
richtiger  beurtheilt,  wenn  man  die  Stellung  betrachtet,  die  seine  beiden 
Nachfolger,  sein  Sohn  und  Erbe  Wenzel  IL  und  dann  dessen  Sprosse 
Wenzel  III.  eingenommen  haben.  Die  Führerrolle,  die  unter  den  slavischen 
Staaten  im  13.  Jahrh.  Böhmen  inne  gehabt,  übernimmt  in  der  ersten  Hälfte 
des  14.  wiederum  Polen,  als  dort  Wladislaw  Lokietek  den  Thron  besteigt; 
»  ein  Mann  starken  Geistes,  nach  Boleslaw  Chrabry  unter  den  Plasten  vielleicht 
der  bedeutendste  ^\  sagt  G.  Dass  nun  auch  » der  grosse  Kampf  ^'^  Polens  mit 
dem  Deutschen  Orden  ausbrechen  musste,  wird  aus  G's  Darstellung,  der 
schon  im  ersten  Kapitel  bei  der  Berufung  des  Ordens  nach  Preussen  ge- 
zeigt hat,  wie  dadurch  ein  Gebiet,  das  bei  grösserer  politischer  Umsicht 
Polen  hätte  zufallen  müssen,  dem  Slaventhum  verloren  gieng,  durchaus  ver- 
ständlich. K.  Johanns  von  Böhmen  Stellung  in  diesem  Kampfe  ist  die 
eines  Verbündeten  des  Ordens.  Auch  Karls  IV.  Politik  ist  im  ganzen 
noch  die  der  vollen  Unterstützung  des  Ordens  gegen  seine  Feinde ;  schon 
seine  kaiserliche  Würde  machte  ihm  dies  zur  Pflicht.  Es  ist  nun  aber  in 
der  Tbat  interessant  zu  verfolgen,  wie  allmählig  der  Umschwung  in  dem 
Verhältnis  Böhmens,  seiner  Fürsien  und  des  ganzen  Volkes,  zum  Deutschen 
Orden  und  Polen  eintritt,  wie  dies  Goll  in  dem  .3.  Kapitel  —  »Wandlung' 
und  Uebergang.  —  Theilnahme  der  Böhmen  an  den  preussischen  Kriegen 
1410  und  1414^'=  —  ausführt.  »Wenzels  Politik  in  dieser  Zeit  (i.  e.  1409) 
wandte  sich  ab  von  den  Traditionen,  von  der  Politik  seiner  Vorgänger^ 
sowohl  der  Kaiser  als  auch  der  böhmischen  Könige.  Schon  sein  Vater 
Karl  hatte  sich  nicht  in  allem  mehr  an  ihr  Beispiel  gehalten,  Wenzel 
gedachte,  darin  noch  weiter  zu  gehen  ^■^  (S.  108).  Allerdings  lenkte  er 
gerade  im  folgenden  Jahre  wieder  ein,  aber  wichtiger  und  bezeichnender 
als  der  dem  Orden  günstige  Schiedspruch  Wenzels  vom  8.  Februar  1410 
ist  jedenfalls  die  Tbatsache,  dass  in  der  Schlacht  von  Tanuenberg  zahl- 
reiche Krieger  aus  Böhmen  und  Mähren  auf  polnischer  Seite  kämpften. 
So  lernen  wir  denn  die  böhmisch-polnische  Freundschaft,  wie  sie  sich  uns 


234  Literatur. 

in  der  Zeit    der  Husitenkriege    so    deutlich    zeigt,    richtig    verstehen:    das 
wiederholte  Angebot    der    böhmischen  Krone    von    selten    der    böhmischen 
Eoyalisten  an  die  polnischen  Fürsten,    das  directe  Eingreifen  K.  Jagiellos 
von  Polen,  Witolds  von  Litthauen  und  des  Prinzen   Sigmund  Korybut  mit 
seiner    zweimaligen  Regentschaft    in  Böhmen    in    die    böhmischen  Verhält- 
nisse.   Das  bildet  im  wesentlichen  das  Thema  des  4.  Kapitels:  »Vom  Tode 
König  Wenzels    bis    zum  Tode  Kaiser  Sigmunds.    —  Böhmen,  Polen    und 
Preussen  in  der  Zeit    der  Husitenkämpfe  *.     Goll    zeigt,    dass    damals    das 
Bewusstsein    nationaler  Verwandtschaft    in  Böhmen    und    Polen    auffallend 
stark  entwickelt    war,    dass    aber    andererseits  die  religiöse  Richtung,    die 
in  Böhmen  das  Uebergewicht  erlangt  hatte,    in  Polen  keinen  rechten  An- 
klang fand.     lieber    allem    schwebt    aber  doch  wieder  als  letzte  wirkende 
Kraft    das    politische    Moment.     Dass    K.    Sigmund    durch    den    Breslauer 
Schiedspruch    von    1419    die  Anwartschaft    auf   Samogilien    (Zmudz)  dem 
Deutschen  Orden  zusprach,  war  für  Litthauen-Polen  der  Stachel,  Sigmunds 
Stellung  in  Böhmen  nach  Möglichkeit  zu  erschweren.    Nicht  die  böhmische 
Krone,    sondern  der  Wiedergewinn  Samogitiens  sei  Witolds  sicher  erkenn- 
bares Ziel    gewesen,    als    er  mit  Sigmund  das  Spiel  in  Böhmen    aufnahm. 
Durch  die  Abtretung    dieses  Gebietes  an  Litthauen  im  Frieden  von   1422 
wandeln  sich  auch  die  Verhältnisse  durchaus;  erlangte  doch  Sigmund  bei 
der  Zusammenkunft  in  Käsmark  vom  Polenkönig  Jagiello    sogar  das  Ver- 
sprechen, dass  ihm  dieser  raitsammt  Witold,  den  die  Bömen  so  gerne  als 
ihren  König  begrüsst  hätten,  gegen  die  Husiten  Kriegshilfe  leisten  werde. 
Mit  dem  Tode  Witolds  im  J.   1430,    dessen  hervorragender  Persönlichkeit 
der  Verf.  in  einem  sehr  gelungenen  Charakterbild  gerecht  wird,  entbrennt 
der  lange  zurückgedrängte  Krieg    zwischen  Polen    und    Litthauen,    in  den 
sehr  bald  der  Orden    hineingezogen    wird.     Merkwürdig    genug    ist,    dass 
hiebei    die    böhmische  Husitenpartei    »der  Waisen <S    aber    auch    der  Papst 
^uf  der  Seite  Polens  stehen  gegenüber  Litthauen-Orden ;  allerdings  hatte,  wie 
das  bei  dem  Zwiespalt  in  Böhmen    begreiflich    ist,    auch    der   litthauische 
Fürst  Verbindungen  in  Böhmen  und  Zuzug  wie  aus  diesem  Lande  so  auch 
aus  Mähren,  so  dass  oft  genug  in  den  furchtbaren  Kämpfen  jener  Epoche 
Böhmen  und  Mährer  gegen  ihre  Landsleute,    denn  Brüder  wäre  kein  pas- 
sender Ausdruck,  in  fremdem  Lande  die  gräulichsten  Verbrechen  begiengen. 
Hat  noch  Caro  den  Krieg  von   1433  als  einen  »Krieg  der  Husiten   gegen 
den  Orden    mit   polnischer  Unterstützung '='=    hingestellt,    so  scheint  mir  G. 
das  Verhältnis  doch  richtiger    dahin  zu  fassen,    dass  es  ein  Kampf  Polens 
mit  dem  deutschen  Orden  war,  bei  welchem  die   »Waisen«  den  Polen  als 
gemeinsame  Feinde  der  Deutschen  überhaupt  mithalfen. 

Das  fünfte  und  letzte  Kapitel  ist  betitelt:  »Die  Theilnahme  der  Böhmen 
an  dem  13jährigen  Kriege  1453 — 1466;  Bernhart  von  Cimburg  und 
Udalrich  Cervenka  von  Ledec.  —  Der  letzte  Krieg  des  Deutschen  Ordens 
mit  Polen  in  den  Jahren  1519 — 1521*.  In  einer  übersichtlichen  Dar- 
stellung der  politischen  Verhältnisse  der  drei  Hauptgebiete  Böhmen,  Polen, 
Preussen  von  Sigmunds  Tod  bis  zur  Säcularisation  Preussens  im  J.  1525 
wird  hauptsächlich  die  Mitthätigkeit  der  bekannten  böhmisch-mährischen 
Söldnerführer,  von  denen  die  einen  Gut  und  Blut  für  den  Orden  opfer- 
ten, während  die  anderen  für  den  Polenkönig  kämpften,  eingehend  be- 
sprochen. 


Literatur.  335 

Der  Verf.,  dessen  Arbeit,  wie  sicherlich  auch  aus  diesem  Bericht 
hervorgeht,  den  wissenschaftlichen  Charakter  nirgends  verliert,  durch  dessen 
Oabe,  einen  sehr  complicirten  Stoff  übersichtlich  zu  disponiren  und  schön 
darzustellen,  das  Buch  für  jüngere  Historiker  lehrreich  ist,  hat  seine 
»Cechy  a  Prusy*  aber  auch  noch  für  einen  andern  Leserkreis  berechnet, 
für  die  »practischen  Politiker  <■=.  Er  apostrophirt  sie  bereits  in  der 
Einleitung  mit  den  Worten:  »Der  practische  Politiker  unserer  Tage 
könnte  in  dem  Buche  die  Belehrung  finden,  dass  verwandte  Natio- 
nalität und  die  daraus  fliessende  gegenseitige  Zuneigung  der  Völker  nicht 
genügt,  wenn  nicht  noch  andere  gegenseitige  Interessen  hinzutreten '^. 
Auch  der  Schlusssatz  des  ganzen  Buches  ist  eine  historisch-politische  Be- 
trachtung, gerichtet,  wenn  ich  nicht  irre,  an  den  practischen  Politiker  in 
erster  Linie:   »Die  Schlacht  von  Grunwald  und  die  preussische  Huldigung 

verherrlichte    durch    seine    grossartigen    Gemälde Matejko.     Mit 

Yollem  Eechte ;  die  Schlacht  wie  auch  die  Huldigung  gehören  zu  den 
glänzendsten  Ereignissen  der  polnischen  Geschichte.  Und  doch  gilt  auch 
hier  das  nämliche,  was  schon  anlässlich  des  Thorner  Friedens  gesagt 
worden  ist.  Auch  dessen  vollkommenste  Durchführung  bedeutete  für  Polen 
keine  glückliche  Entscheidung  der  » preussischen  Frage '^^  Der  Deutsche 
Orden  verlor  Preussen,  aber  die  Tradition  seiner  Politik  gieng  auf  seine 
Erben  über.  Im  neuzeitlichen  preussischen  Staate  siegte  er  über  Polen. 
Und  frühzeitig,  noch  l)evor  dessen  Herrschaft  in  Preussen  gefallen  war, 
zeigte  sich  bereits,  was  dem  polnischen  Staate,  wie  ihn  das  14.  und  15- Jakr- 
hundert  aufgerichtet  hat,  die  Union  mit  Litthauen  und  der  Thorner  Frieden 
bringen  müsse:  das  Bündnis  Preussens  mit  Eussland.  Preussen  siegte 
über  Polen,  Moskau  über  Litthauen.  Auch  diese  endliche  Lösung  der 
»preussischen   Frage ^'^  ist  kein  Glück  für  das   Slaventhum'^^ 

Man  legt  das  Buch  Golls  mit  dem  Gedanken  weg,  dass  auch  für  Böhmen 
die  Periode  der  Palacky'schen  Geschichtsschreibung,  die  bei  aller  unläug- 
baren  Bedeutung  doch  nicht  ewig  währen  kann,  dass  die  Zeit  des  un- 
veränderten Wiederabdrucks  seines  unzweifelhaft  epochalen  Werkes  ihrem 
Abschluss  entgegengeht. 

Brunn.  B.  Bretholz. 


Hopfen  0.  H.,  Kaiser  Maximilian  II.  und  der  Kom- 
promisskatholizismus.    München  1895  (8°,  439  SS.). 

Das  Problem,  mit  dem  sich  die  vorliegende  Schrift  befasst,  ist  in 
neuerer  Zeit  wiederholt  zu  lösen  versucht  worden.  Reimann  und  Mauren- 
brecher, um  nur  die  wichtigsten  Namen  zu  nennen,  haben  die  entscheidende 
Phase  in  dem  Leben  Maximilians,  die  Zeit  von  1555 — 1564  zum  Gegen- 
stand eingehender  Untersuchung  gemacht.  Wie  Maximilian  seit  dem  Jahre 
1555  sich  den  protestantischen  Fürsten  und  der  protestantischen  Lehre 
immer  mehr  nähert,  bis  er  im  Jahre  1560  mit  seinem  Vater  (Ferdinand  I.) 
der  Religion  wegen  in  den  heftigsten  Conflict  kommt,  wie  er  dann  lang- 
sam einlenkt  und  sich  der  katholischen  Kirche  wenigstens  äusserlich  wieder 
anschliesst,  so  dass  er  bei  seinem  Regierungsantritt  (l564)  von  den  Katho- 
liken für  bekehrt,  von  den  Protestanten   noch    immer  für  einen  geheimen 


336  Literatur. 

Anhänge!*  Luthers  gehalten  wurde  —  diese  merkwürdige  Wandlung  ist  von 
Eeimann  mit  grossem  Scharfsinn  aber  auf  Grundlage  eines  unzureichenden 
Materials,  dann  von  Maurenbrecher  auf  Grund  umfassender  archivalischer 
Forschung  und  in  glänzender  Darstellung  vorgeführt  worden.  Die  Dar- 
stellung Maurenbrechers,  welcher  die  Annäherung  Maximilians  an  den  Pro- 
testantismus und  seine  wenigstens  äusserliche  Abkehr  von  demselben  mit 
politischen  Rücksichten,  mit  seinem  Streben  nach  der  deutschen  Krone  und 
der  Gestaltung  der  Beziehungen  zu  Philipp  IL  von  Spanien  erklärt,  ist 
massgebend  geblieben.  Man  erkennt  ihren  Einfluss  noch  an  der  letzt- 
erschienenen Schrift  über  die  Anfänge  Maximilians,  an  der  Abhandlung 
von  W.  Götz,  »Maximilians  IL  Wahl  zum  römischen  König  1562^^  (Würz- 
burg 189l).  Auch  Götz,  der  sein  Thema  vollkommen  selbständig  behandelt 
und  die  Verhandlungen  über  die  Wahl  Maximilians  (l561 — 62)  vorzüglich 
darstellt,  sagt  (p.  lll).  äussere  Gründe  hätten  Maximilian  dem  Protestantis- 
mus nahe  geführt.,  und  äussere  Gründe  sollten  auch  über  seine  endgiltige 
Stellung  zu  den  beiden  Parteien  entscheiden. 

Gegen  diese  Auffassung  wendet  sich  die  vorliegende  Schrift.  Sie  will 
nachweisen,  dass  politische  Motive  das  religiöse  Verhalten  und  die  kirch- 
liche Politik  Maximilians  nicht  beeinflusst  haben,  dass  diese  vielmehr  aus 
sich  selbst  erklärt  werden  müssen.  Nicht  nur  die  bisherige  Forschung, 
auch  die  Zeitgenossen  Maximilians  und  sogar  dieser  selbst  (p.  44,  45,  7l) 
hätten  den  Fehler  begangen,  »die  Religion  unbedingt  unter  einen  der 
beiden  vom  Augsburger  Religionsfrieden  zugelassenen  Namen  einzureihen  *=, 
d.  h.  Maximilian  für  einen  Katholiken  oder  Protestanten  zu  erklären.  Er 
sei  jedoch  weder  Katholik,  noch  Protestant,  sondern  Compromisskatholik 
gewesen,  und  er  hätte  sich  auch  in  den  Jahren  1560 — 1564  nicht  anders 
verhalten,  als  vorher.  Er  habe  nur  den  Namen  geändert  (p.  73),  den  alten 
Namen  » Katholik  <S  der  im  Augenblicke  der  Erregung  aufgegeben  worden 
sei,  wieder  angenommen.  Doch  wir  müssen  hier  Halt  machen  und  die  von 
Hopfen  gegebene  Erklärung  des  Compromisskatholicismus  betrachten,  bevor 
wir  auf  den  weiteren  Inhalt  des  Buches  eingehen. 

H.  weist  in  der  Einleitung  zu  seinem  Buche  darauf  hin,  dass  die 
Mehrzahl  der  Fürsten  des  1 6.  Jahrhunderts  von  den  dogmatischen  Gegen- 
sätzen zwischen  protestantischer  und  katholischer  Lehre  nichts  verstanden, 
und  »dass  unter  den  Gebildeten  auch  diejenigen,  die  nicht  zum  Protestan- 
tismus übertraten,  die  verhassten  Fesseln  abschütteln  wollten*  d.  i.  »das 
Papstthum  und  dessen  äusseres  Kirchenthum  "^  (p.  7).  So  sei  eine  Form 
des  Kirchenthums  entstanden,  die  man  Compromisskatholicismus  nenne. 
»Dieser  Compromisskatholicismus '='=  (hier  folgt  H.  der  von  Stieve  gegebenen 
Definition)  »hielt  vom  Papst  nichts,  von  den  Bischöfen  wenig,  verwarf  die 
Ohrenbeichte,  die  Finnung  und  die  letzte  Oelung,  forderte  das  Abendmahl 
unter  beiden  Gestalten  und  die  Beseitigung  oder  Verdeutschung  der  Messe, 
verachtete  den  Ablass  und  glaubte  deshalb  auch  nicht  an  das  Fegefeuer, 
erklärte  das  Fasten  und  die  kirchlich  vorgeschriebene  Enthaltung  von 
Fleischspeisen  für  unnöthig.  eiferte  gegen  Wallfahrten  und  Kreuzgänge  sowie 
gegen  die  Anrufung  der  Heiligen  und  die  Verehrung  der  Reliquien,  ver- 
achtete das  Klosterleben  und  die  Cölibatgesetze  und  verurtheilte  noch 
manches  andere,  worin  die  Eigenart  der  römischen  Kirche  sich  äusserlich 
darstellte.*  Ein  solcher  Compromisskatholik  sei  der  Hofprediger  Maximilians, 


Literatur  337 

Johann  Sebastian  Pfauser  (der  allgemein  für  einen  Protestanten  gehalten 
wurde),  um  dessentwillen  Maximilian  im  Jahre  1560  den  härtesten  Kampf 
mit  Ferdinand  I.  bestand,  gewesen,  und  durch  den  Umgang  mit  Pfauser 
sei  Maximilian,  der  sich  mit  Dogmatik  wenig  beschäftigte  und  nichts  davon 
verstand  (p.  4l)  auch  Compromisskatholik  geworden.  H.  führt  diesen  Satz 
im  Einzelnen  aus  und  kommt  zum  Schlüsse,  dass  Maximilian,  obgleich  er 
Laienkelch  und  Priesterehe  forderte,  die  Fasten,  Ablass,  Fegefeuer,  Fürbitte 
für  die  Todten,  Anrufung  der  Heiligen  und  Processionen  verwarf  und 
entschieden  gegen  das  Papstthum  auftrat,  doch  theils  aus  äusserem  Zwang 
theils  freiwillig  katholisch  blieb,  da  er  die  trennende  Dogmatik  nicht  ver- 
stand (p.  46).  Dass  Maximilian  sich  im  Jahre  1560  an  die  protestantischen 
Fürsten  wandte,  um  von  ihnen  Kath  und  Hilfe  zu  verlangen,  »wegen  der 
hohen  Beschwerden ^S  ^^  die  ihn  sein  Vater  versetze  »wegen  AbschaflPung 
des  Hofpredicanten  und  der  Lehre,  so  in  der  Augsburgischen  Konfession 
begriffen,  welche  er  (Maximilian)  für  die  wahre  christliche  Keligion  erkenne, 
auch  in  solcher  Bekenntnis  vermittelst  göttlicher  Gnade  sein  Ende  zu 
schliessen  bedacht  sei  ■^  wird  von  H.  (p.  52)  als  die  Folge  krankhaft  über- 
reizter trotziger  Phantasie  erklärt.  Dagegen  habe  Maximilian  sich  nach  der 
Vertreibung  Pfausers  mit  den  (religiösen)  Anschauungen  seiner  (katholi- 
schen) Umgebung  näher  und  objectiver  beschäftigt  und  gefunden,  dass  die 
protestantischen  Fürsten  sich  in  ihren  dogmatischen  Streitigkeiten  von 
seiner  Auffassung  der  Augsburger  Confession  immer  mehr  entfernten, 
während  er  merkte,  dass  er  selbst  in  vielen  Punkten,  namentlich  was 
geistliche  Organisation,  Klöster  und  Ceremonien  anbelangt,  ebensowenig  wie 
Pfauser  von  der  katholischen  Kirche  abgewichen  war  (p.  59).  Ebenso  habe 
Maximilian  nach  Pfausers  Abgang  gelernt  »den  Papst  als  politischen  und 
kirchlichen  Factor  zu  scheiden  ^^  gelernt,  dass  es  möglich  sei,  gegen  die 
religiösen  Missbräuche  des  Papstthums  aufzutreten,  dessen  politischen  Ein- 
griffsgelüsten Grenzen  zu  stecken,  und  doch  als  guter  Katholik  und  An- 
hänger der  christlichen  Kirche  zu  erscheinen  (p.  65).  Da  ferner  Maxi- 
milian auch  zur  Zeit  seiner  Opposition  gegen  das  Papstthum  dem  Papste 
»eine  kirchlich  administrativ  oberste  Stelle*  zugedacht  hatte,  konnte  er 
(bei  der  Krönung  zum  römischen  König  156  2)  auch  dem  päpstlichen  Stuhl 
seinen  Schutz  zusagen.  Und  da  weiters  seine  Ueberzeugung  dieselbe  ge- 
blieben war,  er  jedoch  eingesehen  halte,  dass  es  ihm  eher  möglich  sein 
würde  durch  Einwirkung  auf  die  römisch-katholische  Kirche  seinen  katho- 
lischen Glauben  und  seine  Absichten  zur  Geltung  zu  bringen  (p.  73), 
schloss  er  sich  nicht  an  die  Augsburger  Confession  an,  und  konnte  im 
Februar  15  62  Ferdinand!,  auf  die  Frage,  ob  er  beim  katholischen  Glau- 
ben verbleiben  wolle,  eine  bejahende  Antwort  geben.  Dies  sind  die  wich- 
tigsten Ergebnisse,  die  das  Buch  Hopfens  in  seinem  ersten  Theile  bietet. 
Es  sei  gestattet,  hier  gleich  einige  Bemerkungen  anzufügen.  Die  Aus- 
führungen Hopfens,  dass  Maximilian  ebenso  wie  die  meisten  Fürsten  seiner 
Zeit  von  der  Dogmatik  wenig  oder  nichts  verstand,  sind  geväss  zutreffend. 
Die  Fürsten  waren  eben  keine  Theologen.  Die  hohe  Politik,  das  Kriegs- 
wesen, ein  leidenschaftlicher  Hang  zur  Jagd,  liess  ihnen  wenig  Müsse  für 
theologische  Studien.  Maximilian  las  zwar,  wie  H.  selbst  anführt,  oft  und 
gern  theologische  Schriften,  er  liess  sich  eine  Zeit  hindurch  von  Christof 
von  Würtemberg  regelmässig  solche  zusenden,   aber  dass  er  sie  vollständig 

Mittheilungen  XX.  22 


338  Litei-atur. 

verstanden  habe,  ist,  soweit  man  aus  seinen  Keligionsgespi'ächen  njit  Hosius 
entnehmen  kann,  wenig  wahrscheinlich.  Aber,  um  von  allem  anderen  zu 
schweigen,  über  einen  Hauptpunkt  war  Maximilian  und  alle  Anhänger  des 
sogenannten  Compromisskatholicismus  gewiss  im  Klaren:  dass  die  Stellung 
zum  Papstthum  ein  weithin  sichtbares  und  untrügliches  Unterscheidungs- 
merkmal zwischen  Protestanten  und  Katholiken  bildete.  Wer  im  16.  Jahrh. 
das  Papstthum  verwarf,  konnte  sich  nicht  mehr  katholisch  nennen  i).  Es 
ist  bekannt,  dass  Maximilian  in  Briefen  an  Christof  von  Würtemberg 
Aeusserungen  über  das  Papstthum  machte,  die  klar  genug  sprechen.  Die 
stärksten  Einwendungen  wird  man  jedoch  der  Darstellung,  die  H.  von  der 
Warnsdorffischen  Sendung  (Gesandtschaft  Maximilians^  an  die  protestantischen 
Fürsten  im  Jahre  1560)  gibt,  entgegensetzen  müssen.  Wie  kann  man 
glauben,  dass  ein  solcher  Schritt  die  Folge  krankhaft  überreizter  trotziger 
Phantasie  gewesen  ist?  Maximilian  war  doch  damals  kein  Knabe,  sondern 
ein  Mann  von  3.3  Jahren.  Und  wie  kann  man  über  das  Bekenntnis  Maxi- 
milians, dass  er  die  Augsburgische  Confession  für  die  rechte  christliche 
Eeligion  halte  und  darin  sein  Leben  beschliessen  wolle,  so  leicht  hinweg- 
kommen? Diese  aus  der  Natur  der  Sache  abgeleiteten  Erwägungen  finden 
eine  nicht  zu  erschütternde  Stütze  an  einer  Actenpublieation,  die  später 
als  das  Buch  Hopfens  erschienen  ist.  Es  sind  die  Isuntiaturberichte  der 
Jahre  1560  und  1561.  Diese  Berichte  haben  —  es  sei  dies  ohne  Vorwurf 
gegen  H.  bemerkt  —  seine  Darstellung  der  Jahre  1560  und  1561  über 
den  Haufen  geworfen,  und  über  die  Art  des  Conflictes  zwischen  Ferdinand 
und  Maximilian  und  über  den  Zusammenhang  zwischen  dem  Ausgang  der 
Warnsdorffischen  Sendung  und  dem  Verhalten  Maximilians  volle  Klarheit  ge- 
schaffen. Indem  die  protestantischen  Fürsten  auf  den  Hilferuf  Maximilians 
kühl  und  ablehnend  antworteten,  riefen  sie  eine  Wendung  hervor,  deren 
Folgen  sich  kaum  ermessen  lassen.  Derselbe  Maximilian,  der  im  Frühjahr 
1 5  6  0  mit  seinem  Vater  einen  Kampf  auf  Tod  und  Leben  der  Religion 
wegen  führt,  der  sich  öffentlich  zum  Protestantismus  bekennen  will, 
trotzdem  ihn  die  stärksten  Bande  an  die  katholische  Sache  fesseln  — 
derselbe  Maximilian  tritt  im  August  1560  förmlich  flügellahm  und  ge- 
brochen dem  Kuntius  gegenüber!  Maximilian  war  eine  weiche,  empfäng- 
liche, mittheilsame  Natur,  und  was  er  an  Energie  und  Zähigkeit  besass, 
hatte  er  im  Kampfe  mit  seinem  Vater  aufgebraucht.  Nun  trat  bei  ihm 
der  Umschwung  ein.  Langsam,  vorsichtig.  Schritt  für  Schritt  nähert  er  sich 
den  katholischen  Kreisen,  er  will  das  alte  Verhältnis  zu  seinem  Vater  wieder 


1)  Ich  führe  einen  characteristischen  Fall  an,  der  gleichzeitig  auch  die 
Ansicht  H.'s,  dass  Maximilian  erst  nach  Pfausers  Abgang  lerate  , den  Papst  als 
politischen  und  kirchlichen  Factor  zu  scheiden*  entkräftet.  Dem  (neufewählten) 
Papst  Pius  IV.  sandte  auch  Maximilian  im  Jänner  ]ö60  ein  Glückwunschschreiben. 
(Das  Schreiben,  das  Graf  Scipio  d'  Areo  nach  Rom  brachte,  ist  bisher  nicht 
aufgefunden  worden;  eine  Stelle  daraus  citirt  Hosius  in  seinen  Bemerkungen 
über  die  kaiserliche  Denkschrift  vom  20.  Juni  1560,  Bucholtz  9,  678;  das  Dank- 
schreiben des  Papstes  an  Maximilian  findet  sich  in  "S'at.  Archiv  arm.  .39  tom.  64 
fol.  43).  Aber  andererseits  erklärte  Maximilian  in  der  Unterredung  mit  Hosius 
am  8.  Juni  1560.  dass  er  auf  der  Communion  unter  beiden  Gestalten  bestehe. 
auch  wenn  der  Papst  die  Dispens  verweigere,  Nuntiaturberichte  aus  Deutschi. 
H.  1,  48. 


I 


Literatur.  339 

herstellen,  er  will  dui'ch  Entgegenkommen,  durch  höfliche  Worte  ^),  wie  er 
selbst  glaubt,  das  Misstrauen  der  katholischen  Kreise  gegen  ihn  beseitigen, 
•ohne  jedoch  seinem  Gewissen  und  seiner  üeberzeugung  Zwang  anzuthun. 
Aber  unmerklich  wird  er  aus  der  Mittelstellung,  die  er  einnehmen  will, 
hinausgefühlt;  er  kann  nicht,  wie  er  im  November  1560  zu  Cithard  sagt, 
»nur  Christ,  weder  Papist  noch  Evangelischer*  bleiben.  Im  Herbst  1561 
macht  er  Frieden  mit  dem  Papst,  indem  er  einen  Gesandten  an  ihn 
schickt  und  um  Gestattung  der  Communion  unter  beiden  Gestalten  bittet. 
Und  als  es  im  Februar  1562  zur  entscheidenden  Aussprache  mit  Ferdi- 
nand I.  kommt,  erklärt  Maximilian,  katholisch  zu  sein  und  zu  bleiben. 
War  er  es  wii'klich  geworden  ?  Wenn  man  auf  sein  äusseres  Verhalten  in  der 
nächsten  Zeit  sieht,  könnte  man  es  fast  glauben.  Was  er  durch  Jahre  hin- 
durch vermieden  hatte,  katholischen  Predigten  beizuwohnen,  thut  er 
jetzt  regelmässig.  Im  April  1562  (allerdings  nach  dem  Osterfeste)  be- 
fiehlt er  seinem  Gefolge,  jährlich  zu  beichten,  die  Communion  zu  em- 
pfangen, und  sich  am  Freitag  des  Fleischgenusses  zu  enthalten.  Als  er 
(nach  der  Krönung  zum  römischen  König)  mit  seinem  ehemaligen  Hof- 
prediger Pfauser  in  Augsburg  zusammentraf,  konnte  ihn  auch  dieser 
nicht  bewegen,  einer  protestantischen  Predigt  beizuwohnen.  Dasselbe  wird 
von  seiner  Reise  in  Schlesien  (December  1563)  gemeldet.  Andererseits 
merkt  man  bei  ihm  eine  gewisse  Lässigkeit  und  Willkür,  einzelnen  kirch- 
lichen Vorschriften  unterwirft  er  sich,  anderen  nicht.  Aber  das  Schema 
des  Compromisskatholicismus,  das  Hopfen  (vielmehr  Stieve)  aufgestellt  hat, 
trifft  bei  ihm  nicht  zu  2),  noch  weniger  bei  seiner  Umgebung,  und  absolut 
nicht  bei  dem  strengkatholischen  Cithard.  Ueberblickt  man  das  religiöse 
Verhalten  Maximilians  durch  die  ganze  folgende  Zeit,  ganz  besonders  in 
seiner  Todesstunde,  so  kann  man  nur  zu  dem  Schlüsse  kommen,    dass  er 


')  Sehr  bezeichnend  sind  die  Vorgänge,  die  Delfino  iu  seinem  Berichte  von 
1561  September  25  meldet.  Mir  ist  für  die  Ausgabe  der  Nuutiaturberichte  nur 
ein  Auszug  zu  Gebote  gestanden  (N.  B.  II.  1.  309),  erst  nachträglich  habe  ich 
in  einem  Miscellaneenbande  des  Florentiner  Staatsarchivs  den  Wortlaut  des  sehr 
wichtigen  Berichtes  gefunden.  Ich  setze  die  Stellen  über  Maximilian  hieher:  II 
padre  Vittoria  de  la  compagnia  de  Jesu  mi  da  bonissimo  agiuto,  et  pur  hoggi 
m'  ha  detto  che  parlando  col  detto  Ser'""  re  lo  trova  sempre  piü  nostro  et  che 
la  Ser*"  S.  V  ha  affermato,  che  mai  farä  cosa  alcuna  in  disfavore  de  la  compagnia 
n^  de  li  collegii  loro.  sul  partire  de  P  imperatore  io  preghai  S.  Mt»  che  facesse 
dare  il  pulpito  di  S.  Michele  per  li  giorni  di  festa  al  predicatore  Dominicauo 
de  la  Ser"ia  regina,  acciocche  Italiani  et  Spagnoli  non  stessero  senza  predicba,  et 
la  M'a  S.  se  ne  contentö.  doppo  partita  la  detta  M*»,  il  buon  padre  ha  comin- 
ciato  a  far  l'ufficio,  et  perche  egli  lacera  gli  irapii  heretici  quanto  sa  et  puö, 
haveano  li  detti  cominciato  a  spargere,  che  il  re  di  Boemia  nol  lasciarebbe  pre- 
dicare,  se  non  quanto  stesse  io  in  Vienna.  per  chiarire  questa  partita  ho  voluto 
che  il  padre  vada  come  da  lui  a  S.  Ser'a  et  li  dica  che  piacendo  a  lei  continuarä, 
et,  quando  lei  voglia  altramente,  se  rettirarä.  referisce  detto  predicatore,  ch'  il 
re  moströ  ricordarsi  d'  haverli  parlato  altre  volte,  che  disse  di  volerli  bene 
perche  sapeva  che  egli  era  buon  Catholico,  che  facesse  1'  ufficio  suo 
et  non  temesse  d'  alcuno,  che  lo  voleva  agiutare  et  favorire,  et  che  tal  volta 
andasse  da  lui.  in  somma,  il  padre  e  partito  allegrissimo  da  S.  Ser'^''*. 

Es  sei  gestattet  hier  mitzutheilen,  dass  die  nachträglich  gefundenen  Berichte 
Delfino's  am  Schlüsse  des  -i.  Bandes  der  II.  Abtheilung  der  Nuntiaturberichte  ver- 
öflFentlicht  werden  sollen. 

*)  Darauf  hat  schon  Götz  in  seiner  Anzeige  des  Hopfenschen  Buches  (Hist, 
Zeitschrift  77,  204,  Note  1)  hingewiesen. 


«340  Literatur. 

für  seine  eigene  Person,  ohne  alle  religiösen  Formen  und  Cere- 
m  0  n  i  e  n ,  als  frommer  Christ  selig  werden  wollte.  Er  steht  Ritus  und 
Ceremonien  der  katholischen  Kirche  gleichgiltig  gegenüber,  deshalb  kann 
er  einzelnen  kirchlichen  Vorschriften  Genüge  leisten,  sie  sind  für  ihn  nur 
eine  Art  von  Staatsactionen,  sie  beschweren  sein  Gewissen  nicht.  Viel 
leichter  als  die  Frage,  wie  die  religiösen  Ueberzeugungen  Maximilians  be- 
schaffen waren  (sie  wird  niemals  mit  Sicherheit  beantwortet  werden),  ist 
die  Frage  zu  beantworten,  welche  kirchliche  Politik  Maximilian  in  der  Zeit 
seiner  Regierung  (1.564 — 1576)  verfolgte.  Damit  beschäftigt  sich  der 
II.  Theil  des  Hopfen'sehen  Buches. 

H.  gibt  zuerst  eine  cursorische  (aber  auch  sehr  lückenhafte)  Ueber- 
sicht  über  die  Machtfactoren,  die  dem  Kaiser  im  Reich  und  in  den  öster- 
reichischen Ländern  zu  Gebote  standen  und  schildert  dann  mehr  oder 
minder  ausführlich  die  Männer,  die  im  Rathe  Maximilians  eine  hervor- 
ragende Stellung  einnahmen.  Seid,  Gienger,  Zasius,  Weber,  Schwendi.  Er 
betont  hiebei  (p.  100,  lio),  dass  Maximilian  Urheber  und  Leiter  der  Politik 
gewesen  ist,  und  dass  er  seiner  Regierung  den  Stempel  seiner  Persönlich- 
keit aufgedrückt  hat.  Das  Ziel  der  kirchlichen  Politik  Maximilians  sei  ge- 
wesen :  Die  alte  katholische  Kirche  wieder  herzustellen  auf  Grund  der 
christlichen  Religion  unter  Vernichtung  der  Secten  und  Nachgiebigkeit  der 
beiden  berechtigten  Parteien,  damit  Friede  und  Einigkeit  herrsche  (p.  1 1 3). 
Diese  »alte  katholische  Kirche«  ist,  wie  H.  an  einer  früheren  Stelle  (p.  43) 
sagt  »die  vom  Papstthum  noch  nicht  entstellte«.  Er  wollte  mit  friedlichen 
Mitteln  j,die  beiden  Streitenden  (Katholiken  und  Protestanten)  vereinigen, 
die  Gegensätze  verdecken  und  abschleifen  '■^  (p.  115)  » und  die  alte  Einigkeit 
durch  eine  entsprechende  Auswahl  der  Ceremonien  und  einen  neuen  Canon, 
vornehmlich  aber  durch  die  Priesterehe  und  allgemeine  Anerkennung  des 
Laienkelches  zustande  bringen  <^  (p.  118).  H.  bespricht  die  Verhandlungen, 
die  zwischen  Kaiser  und  Papst  1564  und  1565  über  die  Gestattung  der 
Priesterehe  stattfanden,  die  Arbeiten  der  Vermittlungstheologen  Villinus, 
Witzel  und  Cassander,  und  wendet  sich  dann  zur  kirchlichen  Politik,  die 
Maximilian  im  Reich  verfolgte.  Sie  bestand  darin,  den  Religionsfrieden  zur 
Geltung  zu  bringen.  Ein  Versuch  Maximilians,  auf  dem  Augsburger  Reichs- 
tage eine  Vereinigung  der  beiden  Religionsparteien  zu  Stande  zu  bringen, 
scheiterte  in  seinen  Anfängen.  Der  Kaiser  musste  sich  darauf  beschränken, 
eine  Zunahme  der  Spannung  zwischen  den  beiden  Parteien  zu  verhüten, 
deshalb  trat  er  gegen  die  von  Albrecht  von  Bayern  betriebene  Erweiterung 
und  Umbildung  des  Landsberger  Bundes  (aus  einem  Landfriedensbunde 
ohne  kirchliche  Tendenz  in  einen  katholischen  Bund)  auf. 

In  dem  letzten  Abschnitt  behandelt  H.  die  kirchliche  Politik  Maxi- 
milians in  den  österreichischen  Ländern.  Dass  Maximilian  in  den  ersten 
Jahren  seiner  Regierung  den  österreichischen  Ständen  die  Augsburger 
Confession  verweigerte,  erklärt  H.  damit,  dass  der  Kaiser  das  Ausscheiden 
einer  protestantischen  Kirche  verhindern  wollte,  dass  er  fürchtete,  es  werde 
ihm  nicht  gelingen,  durch  eine  alle  Unterthanen  umschliessende  Reform  die 
gewünschte  allgemeine  Religionsordnung  aufzurichten  und  die  erstrebte 
Einigkeit  im  Glauben  und  der  Kirche  durchzusetzen.  »Erst  dann  gab  er 
nach,  als  er  die  Möglichkeit  gefunden  glaubte,  wie  er  durch  seine  Be- 
willigung   keine  Absonderung    zulasse,    sondern    die  Stände    unbewusst  zu 


I 


Literatur.  341 

seinem  Ziele  leiten,  und  ausserdem  die  Secten  und  Schwärmereien  bedeutend 
einschränken  würde*  (p.  140).  Die  ausserordentlich  wichtige  Thatsache, 
dass  Maximilian  nur  dem  Herrn-  und  ßitterstande,  nicht  aber  den  Städten 
die  Augsburger  Confession  gestattete,  finde  darin  ihre  Erklärung,  dass 
Maximilian  fürchtete,  »dass  das  beendigte  und  in  die  Welt  entlassene  Werk 
sich  schliesslich  doch  der  Absicht  des  Schöpfers  zuwider  entwickeln  könnte. 
Daraus  erfolgte  dann  das  Streben,  nur  möglichst  wenigen  eine  solche  Be- 
willigung zu  ertheilen*  (p.  14l).  H.  bespricht  dann  die  Verhandlungen 
Maximilians  mit  den  böhmischen  Ständen,  seine  Stellung  zu  den  Jesuiten, 
die  Klosterreform  und  die  Einsetzung  eines  Klosterrathes.  »Maximilian 
starb  als  frommer  Compromisskatholik  wie  er  gelebt  hatte*  schliesst 
das  Buch. 

Es  ist  unmöglich,  hier  den  Ausführungen  Hopfens  im  Einzelnen  zu 
folgen,  deshalb  sollen  nur  einige  Punkte  besprochen  werden.  H.  hat  für 
den  zweiten  Theil  seines  Buches  grosse  archivalische  Vorstudien  gemacht 
und  viel  neues  Material  beigebracht.  (Einzelne  Stücke,  so  nr.  141,  Ueber- 
sicht  der  Verhandlungen  mit  den  protestantischen  Ständen  Niederöster- 
reichs, die  Correspondenz  Maximilians  mit  Erzherzog  Karl,  aus  der  aller- 
dings die  gewichtigsten  Bedenken  gegen  die  Darstellung  Hopfens  abzuleiten 
sind,  sind  von  grossem  Werte).  Trotzdem  ist  auch  das  leichter  zugängliche 
Material  von  ihm  nur  zum  Theil  erschöpft  worden ;  man  braucht  nur  einen 
Blick  in  den  von  Götz  herausgegebenen  5.  Band  der  »Briefe  und  Acten 
zur  Geschichte  des  16.  Jahrhunderts^'^  zu  werfen,  und  man  wird  eine  Fülle 
neuen  Materials  (Briefe  von  Seid,  Zasius,  Maximilian)  finden,  die  H.  gar 
nicht  oder  nur  ungenügend  benützt  hat.  Es  ist  hier  ganz  abgesehen  von 
fernab  liegenden  Acten,  wie  den  Nuntiaturberichten,  die  durch  einen  glück- 
lichen Zufall  gerade  für  die  Jahre  1568  und  1569  vollständig  erhalten 
sind.  Das  Fundament  also,  auf  dem  H.  sein  Gebäude  aufführt,  ist  ein  un- 
sicheres, und  deshalb  auch  der  Bau  selbst.  So  wird,  wie  ich  glaube,  zuerst 
die  Ansicht  H.,  dass  der  Kaiser  Urheber  und  Leiter  seiner  kirchlichen 
Politik  und  von  seiner  Umgebung  unabhängig  gewesen  sei,  eine  Correctur 
erfahren.  Seid  (als  Vicekanzler)  und  Cithard  (als  Hofprediger)  stark  aus- 
geprägte abgeschlossene  Charaktere  und  Männer  von  tadellosem  Lebens- 
wandel haben  auf  Maximilian  sehr  grossen  Einfluss  geübt,  ihre  Nachfolger 
allerdings  nicht.  Erst  seit  dem  Tode  Cithards  (1566  November  l  ;  Seid 
war  schon  1565  gestorben)  könnte  man  von  einer  Selbständigkeit  Maxi- 
milians in  der  Führung  der  kirchlichen  Politik,  die  jetzt  gegenüber  den 
protestantischen  Ständen  eine  andere  Färbung  erhält,  sprechen. 

Es  ist  oben  (S.  336)  als  die  Tendenz  des  Hopfen'schen  Buches  be- 
zeichnet worden,  die  religiöse  Haltung  Maximilians  und  seine  kirchliche 
Politik  unter  Abweisung  politischer  Einwirkungen  aus  sich  selbst  zu  er- 
klären. Anderweitig  (von  Götz,  Hist.  Zeitschrift  77,  203)  ist  bemerkt 
worden,  »dass  in  der  offenbar  absichtlichen  Zurückdrängung  der  politischen 
Verhältnisse  die  schiefe  Auffassung  des  ganzen  Themas  sich  zeige  "^^  Ich 
schliesse  mich  diesem  Urtheile  vollkommen  an,  was  die  Darstellung  der 
ßeligionsconcession  an  die  österreichischen  Stände  betrifft.  Ich  meine,  dass 
diese  Concession  nur  aus  politischen  Gi"ünden,  nur  wegen  staatlicher  und 
dynastischer  Interessen  ertheilt  worden  ist.  Wenn  Maximilian  durch  diese 
Eeligionsconcession  oder  vielmehr  (nach  der  Darstellung  H.')    durch    seine 


342  Literatur. 

den  protestantischen  Ständen  gestellten  Bedingungen  den  sogenannten 
Compromisskatholicismus  hätte  zur  Geltung  bringen  wollen,  wäre  es  ganz 
unerklärlich,  dass  er  die  Städte  von  der  Concession  ausgeschlossen  hätte. 
Wenn  irgendwo  die  Gelegenheit  gegeben  war,  das  Programm  dieses  Com- 
promisskatholicismus zu  verwirklichen,  so  war  es  in  den  Städten  Oester- 
reichs.  Sie  waren  ,.  landesfürstliches  Kammergut  ^S  ihnen  gegenüber  war  die 
Eegierungsgewalt  des  Landesfürsten  in  kirchlichen  Dingen  eine  absolute. 
Aber  wir  hören  kein  Wort  davon,  dass  der  Versuch  gemacht  worden  wäre, 
in  ihnen  »eine  einheitliche  Eeligionsordnung,  entsprechend  ausgewählte 
Ceremonien  und  einen  neuen  Canon*  einzuführen.  Den  Städten  wird  die 
Augsburger  Confession  verweigert,  d.  h.  sie  sollen  katholisch  bleiben,  in 
Wirklichkeit  sieht  jedoch  Maximilian  ruhig  zu,  wie  auch  in  den  Städten 
die  protestantische  Lehre  reissende  Fortschritte  macht.  Man  begi'eift  die 
kirchliche  Politik  Maximilians,  wie  sie  sich  in  der  Religionsconcession  aus- 
spricht, wenn  man  sich  den  momentanen  Anlass  zu  derselben,  und  die 
tiefer  liegende  fortwirkende  Ursache  vor  Augen  hält.  Der  momentane  An- 
lass war,  von  den  Ständen  eine  grosse  Geldhilfe  zu  erlangen ;  dieses  Motiv 
stellte  der  Kaiser  in  Gesprächen  mit  dem  Nuntius  Biglia  in  den  Vorder- 
grund, er  erklärte  in  einer  Zwangslage  zu  sein:  entweder  die  Concession 
zu  ertheilen  oder  die  Grenzwehr  gegen  die  Türken  zu  schwächen.  Die 
tiefer  liegende  Ursache  war  jedoch  die  Bildung  einer  aus  dem  Herren-  und 
Eitterstande  bestehenden  Opposition  zu  hindern,  und  andererseits  die 
Machtbefugnisse  des  Landesfürsten  in  dem  Umfange,  den  der  Augsburger 
Religionsfriede  bestimmt  hatte  (»cuius  regio,  eins  et  religio  *^^)  zu  erhalten. 
Durch  die  Religionsconcession  vermied  Maximilian  die  Zwangslage,  in  die 
Erzherzog  Karl  und  Ferdinand  (von  Steiermark)  geriethen.  entweder  vor 
den  protestantischen  Ständen  zurückzuweichen  oder  Gewalt  anzuwenden. 
Die  Zweideutigkeit  und  Widersprüche,  die  Maximilian  mit  dieser  Religions- 
concession vei'band  (Ausschliessung  der  Städte,  die  Bestimmung,  dass  die 
protestantischen  Prediger  vom  katholischen  Bischof  ordinirt  werden  sollten, 
u.  s.  w.)  sind  gewiss  nur  aus  politischen  Motiven  zu  erklären,  durch  sie 
sollten  die  Angriffe  von  Seite  Philipps  IL  und  Pius'  V.  leichter  abgewehrt 
werden.  Maximilian  war  durch  seine  dynastische  Politik  sowohl  als  durch 
seine  finanziellen  Verlegenheiten  auf  die  Verbindung  mit  Spanien  und  dem 
Papste  angewiesen ;  auf  der  anderen  Seite,  den  protestantischen  Fürsten 
gegenüber,  war  seine  protestantische  Vergangenheit  eine  Fessel,  die  er 
nicht  los  wurde.  In  dieser  sehr  schwierigen  Situation  behalf  sich  Maxi- 
milian mit  Zweideutigkeiten  nach  links  und  rechts.  Man  kann  sie  nicht 
beschönigen,  man  darf  ihn  aber  auch  nicht  härter  beurtheilen,  als  alle  die 
Fürsten  früherer  oder  späterer  Zeit,  die  Unwahrheiten  in  der  Politik  für 
erlaubt  und  nützlich  hielten.  S.  Steinherz. 


Beiträge  zur  Geschichte  der  evangelischen  Kirche 
in  Russland.  III.:  Lasciaua  nebst  den  ältesten  evang. 
Synodalprotokollen  Polens  1555—1561  herausgegeben  und  er- 
läutert von  D.  Hermann  Dalton.     Berlin  1898. 


Literatur.  343 

Dalton's  Name  gehört  unter  die  bekannteren  jener  protestantischen 
Geistlichen,  die  sich  mit  Geschichtsforschung  befassen.  Viel  mehr,  als 
durch  seine  »Beiträge  zur  Geschichte  der  evangelischen  Kirche  in  Russ- 
land*, deren  dritter  Band  die  erwähnte  Publication  bildet,  erwarb  er  sich 
ein  Verdienst  auf  dem  historischen  Gebiete  durch  seine  schöne  und  gründ- 
liche Schrift  über  den  polnischen  Reformator  Johann  Laski;  dies  ist  ein 
Werk,  das  von  vielseitiger  Bildung  und  grosser  Belesenheit  in  der  die 
Reformation  betreffenden  Literatur  und  von  bedeutender  Umsicht  auf  dem 
Gebiete  der  Geschichtschreibung  zeugt.  Seine  jetzige  Publication  trägt  den 
nicht  ganz  correcten  Titel  »Beiträge*^''  (s.  oben)  .  .  .,  während  es  eher  ein 
Supplement  zu  dem  Werk  über  Jliaski  und  zugleich  zu  der  berühmten 
Publication  Kuyper's  (Joh.  a  Lasco  opera.  Amsterdam,  Haag  1866)  bildet. 
Ausser  108  Nummern  einer  sehr  interessanten  Correspondenz  Zjaski's  aus 
den  Jakren  1515 — 1558,  welche  hauptsächlich  aus  einem  Codex  der  kais. 
öffentlichen  Bibliothek  zu  Petersburg  abgedruckt  und  durch  in  Wien, 
Strassburg,  Basel,  Krakau,  Herrnhut,  Königsberg  und  in  Warschau  ge- 
sammelte Ausbeute,  sowie  durch  wesentliches  aus  Sammlungen  wie  das 
Corpus  Reformatorum  geschöpftes  Material  ergänzt  ist,  enthält  die  Publi- 
cation einige  wichtige  Beiträge  zur  Kenntnis  der  theologischen  Ansichten 
Zjaski's  (6  Nummern).  Wiewohl  ich  diese  wichtige  Publication  hochschätze, 
überlasse  ich  dennoch  die  nähere  Beurth eilung  derselben  anderen  und 
wende  mich  selbst  zum  zweiten  Theile  oder  vielmehr  zu  ihrem  Anhang, 
nämlich  zu  den  kleinpolnischen  Synodalprotokollen  aus  den  Jahren  155  5 — (il. 

Dieses  überaus  schätzbare  Material,  welches  wie  durch  ein  Wunder 
den  spähenden  Augen  der  Jesuiten  verborgen  blieb,  entdeckte  in  der 
Bibliothek  der  reformirten  Gemeinde  in  Sluck  in  Lithauen  (das  jetzige 
Gouvernement  Minsk)  Senior  Wanowski.  Der  erste,  der  dasselbe  zur 
historischen  Arbeit  benützt  hat,  war  Dalton  selbst  in  seiner  oben  erwähnten 
Schrift  über  Zjaski.  Nach  ihm  verwertete  dieselben  in  einer  viel  aus- 
giebigeren Weise  Ljubovic  in  seinem  vorzüglichen  Werke  über  die  pol- 
nische Reformation  (Istorija  reformacii  v  Polse.  Varsava  1883).  In  den 
beiden  erwähnten  Schriften  offenbarte  sich  die  grosse  Wichtigkeit  dieser 
Protocolle  aufs  deutlichste.  Warum  Ljubovic  nach  seiner  Arbeit  an  die 
Herausgabe  dieser  Quellen  selbst  nicht  herangetreten  ist,  weiss  ich  nicht. 
Etwas  später  sollte  sie  die  Krakauer  Akademie  herausgeben,  allein  auch 
dies  kam  nicht  zustande. 

Alle,  die  sich  für  die  Geschichte  der  polnischen  Refomation  interessiren, 
hiessen  die  Publication  Dalton's  gewiss  sehr  willkommen,  insbesondere  der 
Verf.  dieses  Aufsatzes,  der  eben  an  der  Geschichte  der  böhmischen  Brüder 
in  Polen  arbeitet.  Indem  ich  den  Text  der  Dalton'schen  Ausgabe  mit 
dem  Texte  der  Auszüge  von  Ljubovic  verglich,  kam  ich  jedoch  zu  der 
Ueberzeugung,  dass  Dalton's  Ausgabe  nicht  correct  ist;  ich  begab  mich 
daher  im  Mai  1898  nach  Vilna,  wo  mir  durch  die  Liebenswürdigkeit  der 
Vorsteher  der  dortigen  reformirten  Gemeinde  ermöglicht  wurde  in  die 
Handschrift  Einsicht  zu  nehmen,  welche  Dalton  abgedruckt  hat.  Ich  muss 
es  gleich  im  voraus  sagen,  dass  mich  der  Vergleich  der  Voidage  mit  dem 
Abdrucke  überrascht  hat  —  so  wie  sie  Dalton  abgedruckt  hat,  sieht  sie 
nicht  aus.  Zwar  schickte  er  seinem  Abdrucke  eine  gewisse  Vorrede  voraus, 
welche  im  grossen  und  ganzen  nichts  anderes  bietet,    als  einen  oberfläch- 


344  Literatur. 

liehen  Inhalt  der  Protocolle,  aber  der  Historiker  sucht  vergebens  eine  Er- 
läuterung oder  Entschuldigung  dafür,  warum  dieselben  gerade  auf  diese 
Weise  abgedruckt  wurden. 

Um  die  Art  der  Dalton'schen  Ausgabe  darzuthun,  dürfte  es  wohl  am 
besten  sein,  wenn  ich  zeige,  wie  jene  Protocolle  eigentlich  beschaffen  sind : 
Es  ist  dies  ein  nicht  zu  starker  im  Formate  von  1/2  Bogen  in  alterthüm- 
liche  Deckel  aus  dem  17-  Jahrhunderte  eingebundener  Band,  in  welchem 
man  gleich  auf  den  ersten  Blick  drei  Theile  zu  unterscheiden  hat.  Von 
diesen  bildet  der  zweite  und  das  mittlere  unsere  Protocolle,  welche  von 
der  eigenen  Hand  des  Jacob  Sylvius  in  den  Jahren  1555 — 1561  ge- 
schrieben sind  und  auf  Pagina  124  beginnen.  Der  dritte  Theil  enthält 
die  Protocolle  der  reformirten  kleinpolnischen  Kirchen,  welche  man  gegen 
das  Ende  des  16.  Jahrh.  (l595)  zu  führen  begann,  wie  aus  folio  123^ 
(ältere  Paginatiou)  ersichtlich  ist:  »Opuszczono  i  zaniedbano  spisowac 
Synodow  ab  anno  1561  ad  annum  1595  a  to  dla  rozerwania,  ktore  sie 
sfato  przez  Ebionity  ....  Zäczyna  sie  tu  tedy  spisowanie  Eoku  1595 
naprzod  od  sejmu  li^räkowskiego  Wälnego  Coronnego,  na  ktorym  dwaj  Supe- 
rattendentowie,  to  lest  Erasmus  Glitzner  Confessionis  Augustanae  y  Simeon 
Turnovius  Confessionis  Bohemicae,  s  Stronij  niecheci  niejakich  porownäni 
i  do  Consensu  Sedomierskiego  przytaczeni  sa  .  .  .*. 

Der  erste  Theil  von  unserem  Codex  ist  der  jüngste.  Derselbe  enthält 
123  Seiten  und  ist  in  der  2.  Hälfte  des  17.  Jahrhundertes  von  dem 
Superintendenten  der  kleinpolnischen  Kirchen  Thomas  W^gierski  ge- 
schrieben worden.  Der  aufmerksame  Leser  wird  recht  bald  finden,  dass 
dieser  erste  Theil  eigentlich  Ergänzungen  zu  dem  ältesten  Theile  enthält, 
welche  aus  anderen  gleichzeitigen  (im  1  6.  Jahrh.  entstandenen)  Quellen, 
nämlich  aus  anderen,  uns  nicht  erhaltenen  Protocollensammlungen  ge- 
sammelt wurden.  Diesem  ersten  jüngsten  Theile  gehört  die  auf  Pag.  4 
befindliche  Ueberschrift :  »Acta  et  conclusiones  synodorum  pro- 
vincialium  maxime  unde  a  primo  r eformationis  evangeli- 
carum  ecclesiarum  tempore  in  Minore  Polonia  potissimura 
celebratarum.  Ex  antiquis  aliquorum  districtuum  monu- 
mentis  in  ordinem  collecta  studio  reverendissimi  viri  D. 
T h 0 m a e  W e g i e r  s k i ,  J.  G.  M.  e i u s q u e  Ecclesiarum  per  Mino- 
rem Poloniam  p.  t.  Superatten  dentis  et  districtus  Sendo- 
minensis   Senior is*. 

Weil  der  erste  Theil  bloss  Ergänzungen  zu  dem  zweiten,  titellosen 
enthält,  so  ist  ersichtlich,  dass  Thomas  W^gierski  mit  diesem  Titel  den 
2.  Theil  umfassen  wollte  und  es  daher  seine  Absicht  war,  beides  in  ein 
Ganzes  zusammenfiiessen  zu  lassen  und  so  sollte  es  auch  herausgegeben 
werden    —   das  hat  jedoch  Dalton  nicht  gethan. 

Das  wird  durch  verschiedene  spätere  Zuschriften  zum  2.  Theile  be- 
stätigt, (die  offenbar  Th.  Wegierski  selbst  gemacht  hat).  So  ist  infol.  121^ 
(ältere  Pagin ati on  1) )  des  2.  Theiles  nach  den  Worten  »fratres  equestris 
ordinis  solvere  promiserunt*  von  späterer  Hand  zugeschrieben:  »Wydarto 
karta,  ktora  przepisana  jest  z  ksiag  Prowinc^^.  (d.  h.  Hier  ist 
ein  Blatt  ausgerissen,  welches  aus  den  Provincialbüchern  abgeschrieben  ist). 

*>  Der  zweite  Theil  bat  eine  ältere  Pagination,  aber  neben  dem  auch  eine 
jüngere,  mit  dem  1.  Theile  gemeinsame. 


Literatur.  345 

Und  dieses  ausgerissene  Blatt  befindet  sich  in  der  That  aus  dem  betref- 
.fenden  Orte  vorne  auf  der  Seite  33  —  34  (im  1.  Theile),  wo  zu  lesen 
steht :  »Karta  wydarta  post  pag.  121^post  verba:Solvere  pro- 
miserunt.  Sequitur  dominus  Lismaninus  suscepit  hanc  con- 
ditio nem  et  egit  gratias  omnibus  fratribus^'^  etc.  und  weitere 
Beschlüsse  der  Synode  zu  Wiolzistaw  vom  Jahre  1561.  Alle  solche  Be- 
merkungen blieben  von  Dalton  unberücksichtigt  —  und  das  wohl  aus 
dem  Grunde,  weil  er  der  polnischen  Sprache  oder  wenigstens  der 
polnischen  Palaeographie  durchaus  nicht  mächtig  ist  —  sonst  wären  sie 
ihm  sicher  nicht  entgangen.  Das  ist  der  principielle  Mangel  der  ganzen 
Ausgabe,  welche  schon  dadurch  vollständig  verfehlt  ist. 

Aber  es  gibt  noch  eine  Keihe  anderer  Dinge  da.  Den  oberwähnteu 
»Acta*  geht  eine  Art  Einleitung  voraus,  die  Anfänge  der  Reformation  in 
Polen,  die  Uebersicht  der  Entwickelung  der  districtuellen  Eini-ichtung  der 
evangelischen  Kirchen  in  Polen  und  ein  Verzeichnis  der  Districte  enthaltend. 
Diese  Einleitung  befindet  sich  auch  am  Anfange  der  handschriftlichen 
Synodalprotokolle  des  Lubliner  Districtes,  welche  die  Zamoyskische 
Bibliothek  in  Warschau  aufbewahrt.  Diese  Einleitung  rührt  von  dem 
ausgezeichneten  Regenvolscius  (oder  Andreas  W^gierski)  her  und  es  gebührt 
ihr  die  Ueberschrift :  »Prolegemena  gener  alia  per  Andream 
W^gierscium  ex  annalibus  synodorum  provincialium  Mi- 
noris  Poloniae  hinc  inde  collecta,  aus  welchen  ersichtlich  ist, 
dass  Regenvolscius  der  letzte  Redactor  des  Ganzen  war.  Warum .  Dalton 
diesen  Titel  nicht  abgedruckt  hat,  da  er  es  doch  bei  dem  gleiehfolgenden, 
mit  den  Worten:  »Anno  1540  et  nonnihil  supra*  .  .  .  beginnenden  gethan 
hat,  kann  ich  gleichfalls  nicht  begreifen.  Dass  er  den  folgenden  grösseren 
nach  den  Worten  »Nicolaus  Olesnicius,  loci  dominus ^^  folgenden  Theil 
nicht  abgedruckt  hat,  kann  ich  ebenfalls  nicht  entschuldigen. 

Jede  ordentliche,  wissenschaftliche  Herausgabe  soll  sich  wenigstens 
einer  gehörigen  Transcription  des  Originals  befleissigen.  Allein  auch  in 
dieser  Beziehung  genügt  die  Daltonsche  Ausgabe  nicht.  Wir  würden 
noch  die  schreckliche  Transcription  der  polnischen  Eigennamen  begreifen 
(z.  B.  auf  S.  402  der  »Lasciana«:  pastor  eccl.  Pelsiniezensis  statt  Peisni- 
ciensis,  Joannes  Syckiercenskij  statt  Siekierzensky,  Joannis  Czezky  statt 
Czesky,  Moskonewskij  statt  Moskorzowskij  oder  auf  S.  424  Syckiei-zenskij 
statt  Siekierzenskij;  auf  S.  426  pastor  Kosminiensensis  statt  Kosmine- 
censis,  auf  S.  442  Locus  .  .  .  synodi  deputatus  est  in  Chodene  statt 
Chodecz,  S.  462  Przrslawsky  (ü)  statt  Przeclawsky  —  ich  kann  die  Bei- 
spiele nicht  häufen,  denn  es  wimmelt  da  von  Fehlern),  aber  was  soll  man 
dazu  sagen,  wenn  der  Herausgeber  auf  S.  483  statt  XX.  Novembris, 
XX.  Septembris  (l!)  transcrlbiert !  Unter  solchen  Umständen  kann  der 
Historiker  dieses  Buch  mit  gutem  Gewissen  gar  nicht  gebrauchen. 

Die  polnischen  Texte,  die  der  Herausgeber  auf  Seite  5  55  ff",  abdruckt, 
sind  durchaus  unmöglich!  Die  zahlreichen  Anmerkungen,  mit  denen  Dalton 
seine  Herausgabe  der  Protocolle  versehen  hat,  sind  zwar  gut,  doch  nützen 
sie  dem  Historiker  nicht  viel,  weil  für  Dalton,  wie  daraus  ersichtlich,  die 
ganze  slavische  Reformationsliteratur  terra  ignota  ist. 


')  Dalton,  Lasciana  S.  333,  6.  Zeile  von  unten. 


346 


Literatur. 


Es  wäre  zu  wünschen,  dass  an  eine  neue  Ausgabe  dieser  für  die 
Geschichte  nicht  nur  der  polnischen,  sondern  der  Keformation  überhaupt 
äusserst  wichtigen  Quelle  so  bald  möglich  ein  moderner  fachmännischer 
Historiker  herantrete.  Der  Krakauer  Akademie  liegt  diese  Pflicht  in  erster 
Eeihe  ob. 

Smichov.  Dl'.   Jaroslav  Bidlo. 


Hans  Glagau,  Die  französische  Legislative  und  der 
Ursprung  der  Revolutionskriege  1791 — 1792.  (Historische 
Studien,  veröffentlicht  von  Dr.  E.  Ehering.  Heft  L).  Berlin,  1896. 
Verlag  von  E.  Ehering. 

Nach  dem  misslungenen  Fluchtversuche  Ludwigs  XVI.  lag  das  Schicksal 
der  königlichen  Familie  in  der  Hand  der  konstitutionellen  Partei,  die  das 
Vei-trauen  der  Nation  besass.  Diese  Partei  zerfiel  in  zwei  anfangs  fried- 
liche Gruppen:  die  eine  wurde  von  Lafayette  und  seinen  Anhängern  ge- 
bildet, die  andere  war  das  sogenante  Triumvirat  (Lameth,  Barnave  und 
Duport)  und  sie  galt  seit  April  1791  als  die  eigentliche  Führerin  der 
Majorität.  Angesichts  des  unaufhaltsamen  Steigens  jakobinischer  Ideen 
versöhnten  sich  die  alten  Gegner  und  vereint  traten  sie  gegen  republika- 
nische und  radikale  Tendenzen  auf.  Demnach  kamen  sie  auch  dem  Hofe 
näher.  Marie  Antoinette  aber  wünschte  blos  mit  dem  Triumvirat  ein 
Bündnis  einzugehen  sowie,  dass  Lafayette,  den  sie  gründlichst  hasste,  von 
allem  Vertrauen  ausgeschlossen  bleibe.  Jedoch  nur  zum  Scheine  wollte  sie 
sich  in  die  neue  Ordnung  der  Dinge  fügen  und  desshalb  trachtete  sie, 
den  Häuptern  der  Konstituante  gegenüber  ein  Verhalten  zur  Schau  zu 
tragen,  dass  diese  benihigen  müsste.  Vom  Ausland  erwartete  sie  Hilfe 
gegen  die  Revolution  und  sie  verlangte  von  K.  Leopold  IL  die  Bildung 
eines  bewafiheten  Kongresses  an  der  Grenze  Frankreichs;  doch  sollte  eine 
solche  bewaffnete  Dazwischenkunft  erst  dann  erfolgen,  bis  die  inneren 
Verhältnisse  Frankreichs  eine  Entscheidung  erheischten.  Mit  den  Folgen 
der  Verfassung  und  mit  dem  beginnenden  Kampfe  zwischen  Konstitutio- 
nellen und  Jakobinern,  so  rechnete  sie,  werde  auch  die  Krisis  eintreten. 
Von  der  Nation  erwartete  die  Königin,  dass  sie  alsdann  die  Rückkehr 
geordneter  Zustände  ersehnen  werde.  So  hoffte  sie  den  Teufel  durch 
Beizebub  austreiben  zu  können.  Das  Volk  jedoch  Hess  sich  von  der  »ver- 
hassten  Oesterreicherin'^  nicht  täuschen  —  es  ahnte,  was  Marie  Antoinette 
vom  Auslande  erwarie.  Anders  das  Triumvirat,  das  ein  solches  Vorhaben 
nicht  voraussetzte. 

Während  die  Mehrheit  der  Nationalversammlung  für  die  Erhaltung 
des  Königthums  war,  strebte  die  radikalere  Strömung  im  Volke  nach  Auf- 
richtung der  Republik.  Die  Koalition  aber  suchte  den  König  zu  ver- 
theidigen  und  erklärte,  dass  man  ihn  auf's  neue  in  Freiheit  setzen  werde, 
sobald  er  die  Verfassung  angenommen  und  beschworen  habe ;  sie  hatte 
die  Macht  in  Händen  und  dennoch  wollte  sie  von  einer  Auflösung  des 
Jakobinerclubs  nichts  wissen  —  auch  dann  nicht,  als  sie  einen  Aufstand 
unterdrückt  hatte,  der  von  den  Jakobinern  in  der  Absicht  angestiftet 
worden    war,    die  Nationalversammlung  zur  Abschaffung  der  Monarchie  zu 


i 

I 


Literatur.  347" 

zwingen.  Um  diese  Zeit  gründete  Alexander  Lameth  den  Club  der  Feuil- 
lants,  der  dem  Jakobinerclub  Schach  halten,  ja  ihn  überflügeln  sollte.  So 
hoflPte  er.  Aber  bei  der  Revision  der  Verfassung  gelangte  die  prinzipielle 
Verschiedenheit  in  den  Anschauungen  der  Führer  der  Koalition  wieder 
zum  Ausbruch.  Denn  Lameths  Fraktion  hatte  allmälig  eine  reaktionäre 
Färbung  angenommen,  sie  wollte  der  Exekutive  einen  grösseren  Spielraum 
gewähren;  dagegen  blieben  Lafayette  und  sein  Anhang  ihren  Grundsätzen 
getreu  und  wollten  von  einer  derartigen  Stärkung  der  königlichen  Auto- 
rität nichts  wissen.  DiflFerenzen  zwischen  den  Häuptern  der  Koalition 
offenbarten  sich  auch  in  der  auswärtigen  Frage.  Die  Triumviren  wollten 
einen  Konflict  mit  dem  Ausland  vermeiden,  da  die  radikale  Strömung 
sonst  über  Hand  genommen  hätte ;  sie  suchten  deshalb  den  Wiener  Hof 
für  sich  zu  gewinnen.  Lafayette  aber  hielt  vor  Allem  an  dem  revolutio- 
nären Prinzip  fest.  Der  einen  und  anderen  Richtung  entsprachen  demnach 
die  Schreiben,  die  Marie  Antoinette  unter  dem  Einflüsse  der  Koalition  an 
Mercy,  d.  h.  an  den  Kaiser  richtete,  als  die  Paduaner  Erklärung  bekannt 
wurde.  Noch  weitere  Schritte  thaten  die  Triumviren,  um  ihre  Zwecke  zu 
erreichen :  sie  sendeten  Mitte  August  1791  den  Abbe  Louis  nach  Brüssel, 
damit  er  Mercy  zur  Rückkehr  nach  Paris  veranlasse.  Ludwig  XVL 
stand  eben  im  Begriffe,  die  Verfassung  anzunehmen  —  erfolgte  die  Rück- 
kehr des  Grafen  Mercy,  dann  hätte  Leopold  vor  aller  Welt  bewiesen,  dass 
er  die  Handlung  des  Königs  als  eine  freiwillige  ansehe.  Mercy  antwortete 
jedoch  ausweichend,  um  nicht  die  Befürchtung  wachzurufen,  dass  sich  das 
Ausland  einmischen  könnte.  Auch  Leopold  befolgte  diese  Politik;  in  seiner 
Antwort  wiederholte  er  gleichsam  die  Forderungen  der  Paduaner  Declara- 
tion.  Das  Zögern  der  Mächte  hinsichtlich  eines  bewaffneten  Kongresses 
bestärkte  ihn  vollends  in  dem  Vorsatz,  nur  Demonstrationen  wirken  zu 
lassen.  Die  französischen  Angelegenheiten  nahmen  in  der  That  einen 
ruhigeren  Verlauf,  was  Leopold  ü.  seinem  Verhalten  zuschrieb.  Kicht 
lange  währte  diese  Ruhe.  Dem  Jakobinerclub  schlössen  sich  neue  An- 
hänger an  und  solche  waren  darunter,  die  vorher  den  Feuillants  angehört 
hatten;  der  Versuch  einer  Reaktion  beim  Schlüsse  der  Konstituante  blieb 
ganz  und  gar  erfolglos  und  trug  nur  bei,  die  einst  so  gefeierten  Trium- 
viren dem  Hasse  der  Bevölkerung  preis  zu  geben.  Nichtsdestoweniger 
überliess  Ludwig  XVL  die  Regierung  den  Feuillants  und  wies,  ebenso  wie 
Marie  Antoinette  den  Gedanken  von  sich,  der  Legislative  ein  Ministerium 
an  die  Seite  zu  stellen,  das  das  Vertrauen  der  Nation  besessen  hätte. 
Und  mit  Absicht  geschah  dieses:  der  König  und  seine  Gemalin  wollten, 
dass  der  Gegensatz  zwischen  jener  Partei  und  den  Jakobinern  in  Bälde 
zum  offenen  Kampfe  ausarte.  Und  während  sich  die  Verhältnisse  immer 
verwickelter  gestalteten,  da  auch  die  Stimmung  zwischen  Ministerium  und 
Legislative  immer  feindseliger  wurde,  erblickte  das  Königspaar  in  dem 
Drängen  der  Nationalversammlung,  gegen  die  rheinischen  Kurfürsten  als 
die  Schützer  der  Emigranten,  eine  entschiedene  Sprache  zu  führen,  einen 
willkommenen  Anlass,  um  den  bewaffneten  Kongress  denn  doch  mög- 
lich zu  machen.  Denn  es  gieng  von  der  Ueberzeugung  aus,  dass  die  Kur- 
fürsten der  Aufforderung  nicht  nachkommen  würden,  die  Emigranten  zu 
zerstreuen.  Frankreich  müsste  sie  demnach  angreifen,  der  Kaiser  jedoch, 
als  Schirmherr  des  Reiches,    ihnen    seinen  Schutz  angedeihen  lassen.     Die 


348  Literatur. 

Nation  würde  alsdann  auf  die  Bedingungen  eines  bewaffneten  Kongresses 
eingehen  oder  dem  Kaiser  den  Krieg  erklären.  In  beiden  Fällen  sab 
Ludwig  den  Umsturz  der  Verfassung  und  die  Wiedereinführung  der  alten 
Staatsordnung  als  gewiss  an.  So  dachte  der  König,  als  er  am  14.  De- 
zember 1791  die  Wünsche  der  Nation  nicht  nur  erfüllte  sondern  sie  weit- 
aus übertraf.  Die  Feuillants  aber,  die  ihm,  um  nicht  den  Hass  des  Volkes 
auf  sich  zu  laden,  dazu  geraten  hatten,  giengen  von  der  Ueberzeugung 
aus,  ilass  die  energische  Sprache,  welche  die  Eegierung  gegen  die  rhei- 
nischen Kurfürsten  führte,  ihren  Eindruck  gewiss  nicht  verfehlen 
würde,  umsomehr,  als  der  friedliebende  Kaiser  seinen  Einfluss  schon  gel- 
tend zu  machen  wüsste.  Was  die  Anhänger  Lafayettes  anlangt,  glaubten 
diese  keineswegs,  dass  sich  der  Hof  mit  der  neuen  Ordnung  der  Dinge 
ausgesühnt  habe ;  sie  ahnten,  dass  Marie  Antoinette  mit  dem  Ausland  in 
Verbindung  stehe,  um  die  Eevolution  zu  bekämpfen.  Und  da  sie  bei  einer 
Wiederherstellung  des  alten  Königthums  wohl  nicht  mit  Unrecht  die  Eache 
der  Emigranten  fürchteten,  folgten  sie  um  so  lieber  der  nationalen  Rich- 
tung der  Legislative.  Dieser  brachte  auch  der  Kriegsminister  Narbonne 
Verständnis  entgegen;  auch  er  erkannte  zwar  die  Mängel,  die  der  Vei'- 
fassung  anhafteten,  doch  wollte  er  nicht,  wie  das  Triumvirat  es  wünschte, 
auf  eine  schleunige  Abhilfe  hinarbeiten,  sondern  eine  neuerliche  Revision 
auf  unbestimmte  Zeit  verschieben.  Vorerst  galt  es,  der  Nation  den  ehr- 
lichen Willen  zu  zeigen,  die  Verfassung  auch  wirklich  in's  Werk  zu  setzen. 
In  diesem  Vorhaben  näherten  sich  Narbonnes  Parteigänger  immer  mehr 
den  hervorragendsten  Abgeordneten  der  Opposition  und  knüpften  Ver- 
bindungen mit  diesen  an,  um  jenem  eine  sichere  Mehrheit  in  der  National- 
versammlung zu  verschaffen.  Die  nahe  Uebereinstimmung  in  der  aus- 
wärtigen Frage  begründete  auch  zum  Theil  diese  Politik  der  Fayettisten 
und  es  wurden  Verabredungen  getroffen,  bevor  noch  die  Wiener  Dezember- 
note die  kriegerische  Stimmung  in  der  Nation  noch  mehr  entfacht  hatte. 
Diese  Note  festigte  vollends  das  Einvernehmen  zwischen  den  beiden  Par- 
teien, von  denen  die  eine  —  die  Girondisten  —  das  Bündnis  Frankreichs 
mit  Oesterreich  vom  Jahre  1756  als  die  eigentliche  Ursache  des  Nieder- 
ganges Frankreichs  ansah  und  alle  Hebel  in  Bewegung  setzte,  um  den 
Ausbruch  des  Krieges  zu  beschleunigen;  denn  nur  ein  solcher  konnte 
nach  ihrem  Dafürhalten  der  Nation  verhelfen,  die  frühere  achtunggebietende 
Machtstellung  wieder  einzunehmen.  Diese  mehr  nationalen  Tendenzen 
fanden  ihren  Ausdruck  in  der  Antwort,  welche  die  Legislative  dem  Wiener 
Hof  zu  Theil  werden  Hess.  Die  republikanische  Richtung  hingegen  trat 
in  einer  Partei  zum  Vorschein,  die  sich  aus  dem  Jakobinerclub  heraus- 
gebildet hatte  und  deren  Haupt  Robespierre  war.  Abschaffung  des  König- 
thums und  Aufrichtung  der  Republik  waren  das  Programm  dieser  Fraktion, 
das  sie  aber  nicht  durch  einen  Krieg  gefährden  wollte :  denn  ein  solcher 
würde  nur  ihre  Gegner  stärken  und  den  Sieg  der  Reaktion  zum  Gefolge 
haben. 

Während  es  daher  der  Kriegsminister  mit  den  Girondisten  hielt,  be- 
wegte sich  der  Minister  des  Aeussern,  Delessart  im  Schlepptau  der  Lameths. 
Diese  versuchten  durch  Vermittlung  der  Königin  noch  einmal  mit  Leopold 
eine  Verbindung  anzuknüpfen.  Auch  diesmal  ging  Marie  Antoinette  nur 
scheinbar  auf  die  Absichten  des  Triumvirats  ein,  das  den  Krieg,    den  sie 


i 


Literatur. 


349 


eben  wünschte,  mit  allen  Mitteln  vermeiden  wollte.  Der  Wiener  Hof  aber 
begrüsste  freudigst  die  Botschaft  der  gemässigten  Partei,  deren  An- 
schauungen sich  mit  den  seinigen  deckten.  Kaunitz  bekundete  dies  in 
seiner  Februarnote,  die  jedoch  leider  unter  der  irrigen  Voraussetzung  ver- 
fasst  war,  dass  die  Lameths  auch  jetzt  noch  über  eine  grosse  Zahl  von 
Anhängern  geböten.  Denn  das  Gegentheil  davon  war  der  Fall:  Immer 
enger  wurde  das  Bündnis  zwischen  Fayettisten  und  Girondisten,  bis  es 
endlich  seinen  lang  ersehnten  Zweck  erreichte  —  das  Ministerium  zu 
stürzen  und  damit  den  Feuillants  den  Todesstoss  zu  geben.  Die  Gironde  ge- 
langte an's  Ruder  und  Marie  Antoinette  schöpfte  neuen  Muth;  denn  weil 
sie  die  kriegerische  Stimmung  des  jungen  Kabinets  theilte,  begrüsste  sie 
freudig  den  Zeitpunkt,  da  Oesterreich  gezwungen  sein  werde,  mit  be- 
waffneter Hand  gegen  die  Eevolution  Stellung  zu  nehmen.  Und  Frank- 
reich erklärte  in  der  That  Oesterreich  den  Krieo-. 

Darf  nach  diesen  Ausführungen  Glagau's  iüglich  behauptet  werden, 
dass  Oesterreich,  soweit  es  sich  um  die  äussere  Veranlassung  handle,  als 
der  eigentliche  Urheber  des  Krieges  anzusehen  sei,  weil  es  durch  die 
Drohung  eines  europäischen  Kongresses  dem  beleidigten  Xationalgefühl 
»einen  mächtigen  Aufschwung  gegeben  habe«?  Da  geht  der  Verfasser  in 
seiner  übertriebenen  Sympathie,  die  er  den  Jakobinern  entgegen  bringt, 
denn  doch  zu  weit.  Es  ist  vielmehr  Thatsache,  dass  nicht  das  verbündete 
Europa,  sondern  die  damaligen  französischen  Machthaber  den  Krieg  wollten, 
weil  sie  nur  auf  diesem  Wege  hoffen  konnten,  die  ihnen  unangenehme 
französische  Verfassung  von  1791  aus  der  Welt  zu  schaffen ;  das  europäische 
Konzert  aber  war  nichts  anderes  als  eine  Vogelscheuche,  mit  der  das 
Wiener  Kabinet  ungebetene  Gäste  schrecken  wollte,  um  sie  zu  vertreiben; 
noch  wollte  es  nicht  zur  Flinte  greifen.  Es  gab  keine  äussere  Ursache 
des  Krieges ;  die  Ursache  des  Krieges  lag  nicht  in  den  Mitteln,  die  Leopold 
anwendete,  um  seine  bedrängte  Schwester  und  auch  sich  zu  schützen, 
sondern  in  den  inneren  Verhältnissen  Frankreichs,  in  den  Umständen,  die 
eine  gewaltsame  Lösung  erheischten.  Aber  Niemand  ahnte  eine  solche, 
obwohl  Jeder  dazu  beitrug,  sie  herbeizuführen.  Ebensowenig,  wie  Kolumbus 
wusste,  dass  er  eigentlich  einen  neuen  Welttheil  entdeckt  habe,  oder 
Martin  Luther  die  grosse  Umwälzung  auf  religiösem  und  politischem  Ge- 
biete voraussah,  die  seine  Thesen  hervorriefen,  ebensowenig  ahnten  die 
Träger  der  neuen  Ideen  in  Frankreich  den  Ausbruch  einer  so  blutigen 
Revolution.  Rousseau  hatte  ihn  für  ganz  ausgeschlossen  erklärt.  Das 
europäische  Konzert,  dem  Glagau  eine  grosse  Bedeutung  beimisst,  spielte 
daher  nur  eine  sehr  untergeordnete  Rolle  in  dem  grossen  Drama,  das 
sich  zu  entwickeln  begann.  Es  war  ein  Damoklesschwert,  das  bekanntlich 
nur  zu  schweben  aber  nie  herabzufallen  pflegt  und  dessen  sich  Oesterreich 
nicht  in  feindseliger  Absicht  sondern  einzig  und  allein  desshalb  bediente, 
um  Frankreich  Achtung  zu  gebieten. 

Wien.  Hanns  Schlitter. 


250  Literatur. 

Dr.  Julius  Mayer,  Die  französisch -spanische  Allianz 
in  den  Jahren  1796—1807.  I.  und  II.  Theil.  Linz  a./d.  D.  1895—96. 
Ebenhöchsche  Buchhandlung. 

Nach  Abschluss  des  Friedens  von  Basel  (22.  VII.  1795)  trat  Spanien 
aus  der  Reihe  der  Staaten  aus,    die  gegen  die  französische  Republik  ver- 
bündet waren,  wurde  deren  Bundesgenosse  mit  dem  Vertrage  von  Ildefonso 
(l9.  VIII.   1796)    und    erklärte  als  solcher  England  den  Krieg.     Das  Be- 
streben des  Direktoriums  gieng  nun  dahin^,    Portugal  den  Engländern  ab- 
wendig zu  machen  und  Louisiana  zu  erwerben.    Beides  scheiterte  an  dem 
Widerstände  Spaniens.  Der  Ausbruch  eines  neuen  Kontinentalkrieges  hinderte 
das  Direktoi'ium,    seine  Forderungen    mit  Nachdruck    geltend    zu    machen. 
Erst  durch  Bonaparte  wurde  Spanien  veranlasst,    am   1.  Oktober   1800  zu 
Ildefonso    einen  Vertrag    zu    unterzeichnen,    worin    es    sich  zur  Abtretung 
Louisiana's  verpflichtete,    sobald  Frankreich  dem  Herzog  von  Parma  einen 
Länderzuwachs  in  Italien  mit  dem  Königstitel    verschafft    habe.     Dies  ge- 
schah nach  dem  Frieden  von  Luneville.    Kui-z  vorher  am  29.  Jänner  1801 
hatte  sich  Spanien    zu    einem    kriegerischen  Unternehmen    gegen    Portugal 
bereit  erklärt.    Die  Absichten,  die  Bonaparte  in  der  Folge  England  gegen- 
über im  Schilde    führte,    blieben    nicht    ohne  Eintluss  auf  sein  Verhältnis 
zu   Spanien;    er  sah  es  nicht  ungern,    dass  Karl  IV.  nur  mit  Widerwillen 
gegen  Portugal    vorgehen  wollte:    um  so  mehr  lag  ihm  aber  daran,    dass 
der    König    mit    grösstem    Eifer    die    Ausrüstung    seiner    Flotte    betreibe. 
Spanien  schloss  demnach  am  6.  Juni   1801   Frieden    mit  Portugal,    worin 
sich  dieses  verpflichtete,  seine  Häfen  für  die  Engländer  zu  sperren.    Aber 
die  Ereignisse,  die  inzwischen  eingetreten  waren  (Ermordung  Paul's  I.  von 
Russland,  Ausgleich  mit'  Dänemark.  Auflösung  des  Seebundes,  Erfolge  der 
Engländer  in  Aegypten)  änderten  mit  einem  Male  die  Politik  Frankreichs 
und  gaben  ihr  eine  andere  Richtung:    Der    erste  Konsul    verweigerte    die 
Ratifizirung  des  Friedens  von  Badajoz.     Spanien  dagegen  zeigte  sich  nicht 
geneigt  Bonaparte    zu    willfahren.     Dieser    musste    sich    in  der  That  ent- 
schliessen,  in  Unterhandlungen  mit  Portugal  zu  treten,  welche  den  Frieden 
von  Madrid  (iBOl    29.  IX.)  zur  Folge  hatten.    Die  Ueberlassung  Trinidad's 
an    England,    der    Verkauf   Louisiana's    an    die    Vereinigten    Staaten    von 
Amerika,   und  andererseits  die  Absicht  Spaniens,   Parma  und  Piacenza  mit 
■dem  Königreich  Etrurien  zu    vereinigen,    trübten    die    wechselseitigen  Be- 
ziehungen,  was  Bonaparte  um  so  peinlicher  empfinden  musste,   als  im  Mai 
1803  abennals  ein  Krieg    mit  England    zum  Ausbruch    kam.     Dieses    be- 
mühte   sich,    ein    neutrales  Verhalten,    Frankreich    aber  eine  Betheiligung 
Spaniens  zu  erzielen.    Alle  Versuche  des  ersten  Konsuls  scheiterten  jedoch 
an  dem  Widerstand  des   spanischen  Ministeriums ;  bald  erkannte  Bonaparte 
selbst,  dass  es  angezeigter    sei,    statt  der  Theilnahme  am  Krieg  Subsidien 
zu  fordern,  da  er  im  anderen  Falle  befürchten  musste,  dass  England  den 
Krieg    an  Spanien    erklären    würde.     Nach    langwierigen  Unterhandlungen 
wurde  am  22.  Oktober  IS 03  zu  Paris  ein  Neutralitätsvertrag  unterzeichnet 
und    darin    die    Höhe    der    Sultsiilien     festgesetzt.     England    nahm    sofort 
Stellung    zu    diesem    doppelsinnigen  Vertrag    und    behandelte   Spanien    als 
kriegführende  Macht.     Die  Antwort    darauf   war  die  Kriegserklärung  Spa- 
niens an  England  (2.  Jänner  1804).    Nun  Spanien  vollends  im  Schlepptau 


Literatur.  351 

der  französischen  Politik  war,  wurde  es  aufgefordert  den  Anschluss  Por- 
tugals zu  erwirken.  Ob  Napoleon  bereits  damals,  als  diese  Macht  sich 
weigerte  ihre  Häfen  den  Engländern  zu  verschliessen,  den  Gedanken  einer 
Theilung  Portugals  gefasst  hat,  kann  durch  nichts  erwiesen  werden.  Im 
Frühjahr   1806  jedoch  gelangte  das  Projekt  zur  Sprache. 

Hier  schliesst  der  erste  Theil  der  trefflichen  Abhandlung  Mayer's, 
die  auf  gewissenhaften  Studien  beruht.  Mit  Geschick  sind  die  Beziehungen 
Napoleons  zum  Friedensfürsten  besprochen,  den  der  Kaiser  als  das  geeig- 
netste Werkzeug  ansah,  um  sowohl  das  Haus  Braganza  zu  stürzen  als 
auch  —  und  das  war  ja  seine  eigentliche  Absicht  —  die  spanische  Königs- 
familie zu  vertreiben.  Portugal  war  nur  eine  Lockspeise,  die  er  dem 
Friedensfürsten  hinwarf. 

Der  zweite  Theil  von  Mayers  Abhandlung  umfasst  die  Zeit  von  1806 
bis  1807.  Der  Gedanke  sich  Portugals  zu  bemächtigen,  tauchte  auf,  als 
sich  die  Verhandlungen  Napoleons  mit  England  zerschlagen  hatten.  Wäh- 
rend diese  Macht  Anstalten  traf,  mit  Portugal  ein  Offensiv-  und  Defensir- 
bündnis  abzuschliessen,  rüstete  Spanien  mit  fieberhaftem  Eifer.  Aber 
keineswegs  gegen  Portugal,  wie  der  österreichische  Geschäftsträger  in 
Madrid  Genotte  vermeinte,  sondern  gegen  Frankreich  richtete  sich  diese 
Bewegung  Spaniens.  Das  Vorgehen  Napoleons  in  Neapel,  der  Gedanke 
auch  auf  Kosten  Spaniens  ein  Königreich  Iberien  für  Lucian  Bonaparte  zu 
errichten  und  vor  Allem  das  Gerücht  einer  gänzlichen  Vertreibung  der 
Bourbonen,  brachten  das  nach  allen  Richtungen  erschütterte  Land  gewalt- 
sam zur  Besinnung  —  nur  für  kurze  Zeit,  dann  fiel  es  ^N-ieder  in  den 
früheren  Zustand  der  Apathie  zurück. 

Spanien  musste  sich  bequemen,  den  Verpflichtungen  gemäss  zu  han- 
deln, die  es  im  Vertrag  von  Ildefonso  auf  sich  genommen  hatte;  es  ge- 
horchte dem  Befehle  Napoleons,  an  dem  Kontinentalkrieg  theilzunehmen  — 
ein  Befehl,  der  um  so  verhängnisvoller  für  Spanien  war,  als  das  Hilfscorps 
nur  aus  Leuten  spanischer  Nationalität  bestehen  und  ausserhalb  des  Landes 
zur  Verwendung  gelangen  sollte. 

Nach  dem  Abschluss  des  Friedens  von  Tilsit  traten  die  feindlichen 
Absichten  Napoleons  gegenüber  Spanien  immer  deutlicher  hervor;  dieses 
musste  den  Bruder  des  Kaisers,  Joseph  Bonaparte  als  König  von  Neapel 
anerkennen  und  machtlos  zusehen,  wie  die  Selbständigkeit  Etruriens  ver- 
nichtet wurde.  Und  als  Portugal  an  die  Reihe  kam,  stimmte  es  einer 
gemeinsamen  Aktion  gegen  dieses  Königreich  mit  anderen  Empfindungen 
als  im  Jahre  1805  zu.  Der  Vertrag  von  Fontainebleau,  der  am  27.  Ok- 
tober 1807  abgeschlossen  wurde,  entschied  über  das  Schicksal  Portugals; 
aber  auch  die  bevorstehende  Unterwerfung  Spaniens  ward  durch  eine  Kon- 
vention vom  gleichen  Tage  besiegelt;  denn  diese  ermöglichte  es  Napoleon, 
in  vertragsmässiger  Weise  eine  grosse  Truppenzahl  über  die  Pyrenäen  zu 
bringen  ;  der  Abschluss  beider  Verträge  vollzog  sich  unter  verhängnisvollen 
Auspizien:  ebenfalls  am  2  7.  Oktober  erfolgte  die  Verhaftung  des  Prinzen 
von  Asturien;  die  Zwietracht,  die  im  Schosse  der  königlichen  Familie 
herrschte,  wurde  somit  vor  aller  Welt  offenbar  und  verleitete  Napoleon 
rücksichtsloser  als  bisher  vorzugehen. 

Auch  dieser  zweite  Theil  von  Mayer's  Abhandlung  verdient  volle  Be- 
achtung, wobei  wir  jedoch  die  Bemerkung  nicht  unterdrücken  dürfen,  dass 


352  Literatur. 

der  Verf.  den  Ursachen  des  Verfalles  Spaniens  fast  keine  Beachtung  ge- 
schenkt hat.  Das  räthselhafte  »unleserliche  Wort«  M^-  in  der  Beilage  zum 
Bericht  des  österreichischen  Gesandten  in  Madrid  (!)  vom  30.  Oktober 
1806  bedeutet  Madrid.  Wie  konnte  Mayer  nur  einen  Augenblick  darüber 
in  Zweifel  sein?! 

Wien.  S  c  h  1  i  1 1  e  r. 


DerFeldzug  der  Division  Lecourbe  im  Schweizeri- 
schen Hochgebirge  1799.  Von  Keinhold  Günther,  Dr.  phil. 
Oberlieutenant  im  Füsilierbataillou  1 7.  Mit  einer  üebersichtskarte  des 
Grotthardgebietes  und  vier  Skizzen.     Frauenfeld,     1896.     Gr.  Huber. 

Unter  den  Operationen  im  Gebirgskriege  nehmen  die  der  Division 
Lecourbe  in  der  Schweiz  eine  hervorragende  Stelle  ein  und  zwar  voi'nehm- 
lich  deshalb,  weil  sie,  trotz  der  oft  ganz  bedeutenden  Ueberlegenheit  der 
Gegner,  in  geradezu  überraschender  Weise  glückten.  An  geschichtlichen 
Darstellungen  dieser  Operationen,  besonders  aber  an  militär  -  kritischen 
Untersuchungen  derselben  ist  denn  auch  kein  Mangel  und  es  wird  wenige 
Kriegsschi'iftsteller  geben,  die  sich  nicht,  mehr  oder  minder  eingehend, 
mit  ihnen  beschäftigt  hätten.  Diesmal  ist  es  ein,  auf  kriegsgeschichtlichem 
Gebiete  bereits  vortheilhaft  bekannter  Schweizer  Officier,  Dr.  Reinhold 
Günther,  der  den  » Feldzug  der  Division  Lecourbe*  zum  Gegenstande 
einer  eingehenden  Untersuchung  gemacht  hat,  die  nicht  nur  dem  mili- 
tärischen Fachmann  manches  neue  bietet,  sondern  auch  dem  Historiker,  da  dem 
Verfasser,  nebst  einigen,  allerdings  nicht  bedeutenden  Schriften  aus  dem 
Archive  der  Familie  Lecourbe,  das  wichtigere  Operations  -  Journal  des 
Generals  zur  Verfügung  stand. 

Nach  einer  kurzen  militärischen  Würdigung  der  Schweiz  und  der 
dort  operirenden  beiderseitigen  Streitkräfte,  schildert  Günther  die  ersten 
Kämpfe  Lecourbe's  in  Graubünden,  dann  die  Aufstände  im  Bündner  Ober- 
lande und  in  den  kleinen  Cantonen  während  der  ersten  Maitage,  die 
Eäumung  des  Gotthard  durch  die  Franzosen  und  seine  Wiedereroberung, 
endlich  in  einem  eigenen,  räumlich,  jedoch  nicht  auch  sachlich,  bedeutend- 
sten Abschnitte  den  Zug  Suwarows  durch  die  Schweiz. 

Dadurch,  dass  der  Verfasser  über  die  erwähnten  handschriftlichen 
Quellen  verfügte,  und  auch  die  bisher  meist  weniger  benützten,  obwohl 
nicht  immer  sehr  wertvollen  schweizerischen  Publicationen  über  die 
Ereignisse  jener  Zeit  zu  Rathe  zog,  war  er  in  der  Lage,  manches  zweifel- 
hafte oder  irrige  Detail  in  den  bisherigen  Darstellungen  dieser  Operation 
richtig  zu  stellen ;  im  Grossen  mid  Ganzen  freilich  bleiben  sie  auch  durch 
seine  Schrift  unberührt.  Seltsam  ist,  dass  Günther  Reding  -  Biberegg's 
Darstellung  des  Zuges  Suwarows  nicht  benützte,  wenigstens  führt  er  sie 
nirgends  an,  wenngleich  sich  beide  Darstellungen  in  manchen,  nicht  un- 
wesentlichen Punkten  decken  und  schade,  dass  ihm  das  Werk  Angeli's 
(»Erzherzog  Karl  als  Feldherr  und  Heeresorganisator*)  noch  nicht  zur  Ver- 
fügung stand.  Es  wäre  seiner  Schrift  vielfach  von  Nutzen  gewesen. 

Dass  Günther,  der  über  ein  sehr  richtiges  militärisches  Urtheil  ver- 
fügt,   oft    ganze   Seiten    aus    bekannten    und    leicht    zugänglichen    Kriegs- 


Literatur.  353 

Schriftstellern  abschreibt,  maclit  sich  nicht  gut:  es  ist  zweifellos  besser, 
allerdings  auch  weniger  bequem,  wenn  die  bei  Werken  dieser  Art  nicht 
gut  zu  umgehenden  Ansichten  und  Urtheile  bewährter  Fach  schriftsteiler 
in  den  Text  verarbeitet  werden.  An  einzelne  » Helvetismen  "^^  müssen  wir 
uns  erst  gewöhnen;  die  stereotype  Wiederkehr  des  leidigen  Adverbs 
» immerhin  "^"^  ist   ärgerlich. 

Die  » Schweizerische  Officiers  -  Gesellschaft  *  hat  auch  dieses  Buch 
Günthers,  wie  zwei  früher  erschienene  Schriften  desselben  Verfassers, 
mit  einem  Preise  bedacht;  es  scheint  demnach,  dass  auch  die  massgebenden 
Kreise  jenes  kleinen  Milizheeres  es  für  gut  befinden,  ehrliche  wissen- 
schaftliche Bestrebungen  von  Officieren  zu  unterstützen. 

Wien.  Oskar  Criste. 


Die  Miniaturen  der  Uni ver sitäts-Bibliothek  zu  Hei- 
delberg, beschrieben  von  A.  von  Oechelhäuser.  Zweiter  Theil, 
mit  sechszehn  Tafeln.  Heidelberg,  Verlag  von  Gustav  Koester  1895. 
4°,  420  S. 

Der  erste  Theil  dieser  Publication,  der  die  Handschriften  bis  zum 
Anfange  des  XIII.  Jahrhunderts  umfasste,  ist  im  Jahre  1887  erschienen. 
Der  vorliegende  zweite  Theil  beschäftigt  sich  mit  den  Handschriften  des 
XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts,  ohne  diese  letzteren  zu  erschöpfen,  so  dass 
ein  Rest  des  XIV.  Jahrhunderts  und  das  ganze  XV.  Jahrhundert  für  einen 
dritten  Theil  verspart  bleiben.  Der  lange  Zeitraum,  den  die  Vorbereitung 
des  zweiten  Theils  in  Anspi'uch  nahm,  rechtfertigt  sich  aus  dem  Umstand, 
als  eben  in  diesem  Theil  zwei  der  grundwichtigsten  Miniaturhandschriften 
der  Heidelberger  Universitätsbibliothek  unterzubringen  waren:  einerseits 
der  Wälsche  Gast,  anderseits  die  Manesse'sche  Liederhandschrift.  Zu  der 
letzteren  kommt  noch  der  Umstand  in  Betracht,  dass  dieselbe  erst  seit 
dem  Frühjahr  1888  aus  Paris  nach  Heidelberg  gelangt  ist,  so  dass  die 
eingehenden  Untersuchungen,  denen  diese  Handschrift  nach  Verdienst  von 
Seite  zahlreicher  deutscher  Forscher  unterworfen  wurde,  und  damit  auch 
diejenige  Oechelhäusers,  erst  seit  diesen  Jahren  datiren  konnten,  und  bei 
dem  Umfange  und  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  nothwendigermassen 
einen  längeren  Zeitraum  in  Anspruch  nehmen  mussten.  Die  genannten 
zwei  Handschriften  sind  es  denn  auch,  die  den  eigentlichen  wissenschaft- 
lichen Kern  des  Bandes  ausmachen.  Der  Wert,  der  dem  übrigen,  aus 
anderen  Handschriften  beigebrachten  Material  zugeschrieben  werden  muss, 
ist  hauptsächlich  ein  statistischer,  wie  er  eben  jeder  Veröffentlichung  bisher 
unbekannten  Quellen materials  zukommt. 

Was  in  diesem  zweiten  Theil  über  den  Wälschen  Gast  gesagt  erscheint, 
das  hat  der  Verf.  bereits  im  Jahre  1890  in  einer  selbständigen,  im  gleichen 
Verlage  erschienenen  Publikation  veröffentlicht.  Auch  über  die  Manesse'sche 
Handschrift  hat  er  sich  bereits  früher  (im  Jahrgang  1893  der  Neuen 
Heidelberger  Jahrbücher)  vernehmen  lassen;  doch  darf  daneben  die  ihr  in 
der  vorliegenden  Publikation  gewidmete  Abhandlung  eine  selbständige 
Bedeutung  beanspruchen.     Neben  einer  eingehenden  Beschreibung  sämmt- 

Mittheilungen  XX.  23 


"^ry^L  Literatur. 

lieber  Miniaturen,  wird  darin  über  die  Entstehung  der  Handschrift  ge- 
handelt, wobei  farbige  Proben  nie  Unterscheidung  der  einzelnen  von  Oe. 
angenommenen  Malerhände  belegen  sollen:  hierauf  folgt  eine  kritische 
Beurtheilung  der  Bilder  auf  ihren  Kunstcharakter,  und  endlich  eine  Reihe 
kulturhistorischer  Betrachtungen,  zu  denen  man  durch  das  Studium  der 
Tracht,   Waffen,  Geräthe  u.  dgl.  angeregt  wird 

Das  wichtigste  allgemeine  kunsthistorische  Ergebniss,  zu  welchem  Oe. 
durch  seine  statistischen  Einzeluntersuchungen  über  die  Heidelberger  Mi- 
niaturhandschriften gelangt  ist,  beruht  darin,  dass  er  für  die  deutsche 
Miniaturmalerei  vom  XIII.  Jahrhundert  ab  im  allgemeinen  die  strengste 
sklavische  Unterordnung  der  Copisten  unter  das  ihnen  jeweilig  vorliegende 
Vorbild  als  förmlichen  Grundsatz  nachgewiesen  hat.  Dieses  Ergebnis  hat 
Oe.  bereits  in  seiner  Monographie  über  den  Wälschen  Gast  eingehend  be- 
gründet, und  er  kommt  auch  in  dieser  neuerlichen  Publikation  immer 
wieder  darauf  zurück.  Oe.  Verdienst  in  dieser  Richtung  eine  Aufklärung 
geschaffen  zu  haben  ist  ein  unbestreitbares,  denn  man  war  früher  vielfach 
geneigt  mit  dem  unleugbaren  nationalen  Aufschwung  der  Malerei  im 
12.  Jahrhundert,  und  dem  Auftreten  neuer  Darstellungskreise  namentlich 
im  Gefolge  der  deutschen  Dichtung,  auch  eine  wachsende  Lust  an  künst- 
lerischer Erfindung  anzunehmen.  Dagegen  beweist  uns  die  Vergleichung 
des  Miniaturenschmuckes  in  den  zahlreichen  Handschriften  des  im 
XIII.  Jhdt.  gedichteten  Wälschen  Gastes  auf  das  Schlagendste,  dass  man 
auch  im  XIII. — XV.  Jhdt.  nur  dann  zu  selbständiger  Erfindung  geschritten 
ist,  wenn  absolut  kein  Vorbild  zum  Copix-en  vorlag,  und  dass  man  es  in 
jenen  Fällen,  wo  eine  Erfindung  bereits  gegeben  war,  für  eine  unbegreif- 
liche Verschwendung  an  Zeit  und  Mühe  gehalten  hätte,  sich  mit  einer 
neuerlichen,  selbständigen  Erfindung  zu  plagen.  Oe.  verfällt  aber  in  Ein- 
seitigkeit, wenn  er  (S.  66)  dieses  Verhältnis  als  bloss  dem  späteren  Mittel- 
alter eigentümlich  bezeichnet,  im  Gegensatze  zum  früheren  Mittelalter,  dem 
er  im  allgemeinen  ein  selbständigeres  Verhalten  der  Copisten  zu  ihren 
Vorbildern  zuschreibt.  Eher  wäre  das  Umgekehrte  anzunehmen.  Wenn 
wir  in  den  Miniaturhandschriften  des  früheren  Mittelalters  den  archetypus 
kaum  einmal  nachzuweisen  vermögen,  so  liegt  die  Erklärung  eben  in  dem 
Umstand,  dass  die  Entstehung  jener  frühmittelalterlichen  Archetypen  über- 
■\\aecfend  in  eine  sehr  frühe  Zeit  zurückreicht,  —  in  Zeiten  aus  denen  uns 
Denkmäler  der  Miniaturmalerei  überhaupt  nur  mehr  spärlich  und  ganz 
uJigenügend  erhalten  geblieben  sind.  Das  Verhältnis  des  Kunstschaffens 
zur  J.Erfindung''  ist  das  ganze  helle  Mittelalter  hindm-ch  das  gleiche,  in 
karolingischer  Zeit  nicht  minder  wie  im  XIV.  Jahrhundert.  Der  Begriff 
der  Originalität  ist  dem  Mittelalter  unbekannt;  nicht  einmal  die  Giottesken 
sind  bewusstermassen  darauf  ausgegangen,  wie  zahlreiche  directe  Wieder- 
holungen innerhalb  ihrer  Schule  beweisen.  Man  braucht  bloss  die  stete 
Wiederkehr  derselben  Typen  in  der  Ornamentik  durch  8  bis  9  Jahrhunderte 
hindurch,  die  geringe  Entwicklung  des  Rankenornaments  vom  byzantinisch- 
karolingischen  lappigen  Acanthus  bis  zum  spätgothischen  Kriechlaub  zu 
überblicken,  um  zu  erkennen,  dass  der  mönchische  Illuminator  des  IX,  Jahr- 
hunderts mindestens  ebensowenig  neu  erfinden  wollte,  als  der  Laienmaler 
des  XIV.  Jahrhunderts.  Das  Mittelalter  kannte  nur  wenige  Erfinder,  die 
dabei  mehr  durch  äusserliche,  namentlich  in  der  religiösen  Grundstimmung 


Literatur.  355 

der  Zeit  gelegene  Beweggründe,  als  durch  rein  künstlerischen  Antrieb  ge- 
leitet wurden.  Freilich  die  naive  Weise  in  welcher  die  Erfinder  (z  B. 
Herrad  von  Landsberg)  zu  Werke  gegangen  sind,  wird  allezeit  ein  Gegen- 
stand des  Entzückens  nicht  bloss  für  den  Kulturhistoriker,  sondern  auch 
für  den  Kunstfreund  bleiben.  Riegl. 


Albert  Maire:  Manuel  pratique  du  bibliothecaire. 
Paris,  Picard,  1896,  8°  XI,  591   S. 

Wie  das  Werk  gegenwärtig  vorliegt,  ist  es  in  erster  Linie  ein  Hand- 
buch für  den  französischen  Bibliotheksdienst,  zieht  daher  die  Verhältnisse 
anderer  Länder  nur  aushilfsweise  und  zum  Vergleiche  heran.  Es  scheint 
allerdings  (nach  einer  Bemerkung  in  der  Einleitung)  die  Absicht  des  Ver- 
fassers gewesen  zu  sein  auch  diese  in  den  Kreis  seiner  Darstellung  ein- 
zubeziehen,  ist  aber  aus  unbekannten  Gründen  unterblieben.  Dass  dadurch 
sein  Wert  für  den  Nichtfranzosen  geringer  geworden,  ist  klar,  indess 
bietet  es  doch  mancherlei  Interessantes.  Nach  einer  historischen  Einleitung, 
die  wohl  auch  zeigt,  dass  sie  ursprünglich  erheblich  grösser  veranlagt 
war,  da  sie  mit  den  Assyrern  einsetzt  um  schon  nach  6  Seiten  beim 
16.  u.  17.  Jahrhundert  anzulangen,  folgt  in  8  Abschnitten  (l.  Examens 
professionnels.  2.  La  Bibliotheque.  Le  local.  3.  Le  mobilier  des  Bibliothe- 
ques,  4.  Des  livres.  5.  De  la  mise  en  place  des  volumes.  6.  Des  catalo- 
gues.  7.  Des  systömes  bibliographiques.  8.  Service  interieur)  eine  Bespre- 
chung der  einzelnen  Zweige  des  Bibliotheksdienstes,  wovon  der  die  Katalogi- 
sirung  behandelnde  ziemlich  ausführlich  gehalten  ist  und  ein  gutes  Bild 
dieses  wichtigsten  Zweiges  des  Bibliotheks-Betriebes  in  Frankreich  bietet. 
Auch  Capitel  3  (Einrichtung)  mit  zahlreichen  meist  recht  klaren  Abbil- 
dungen von  Bücherkästen,  Zettelcartons  u.  s.  w.  enthält  manches  Lesens- 
werte. Dagegen  macht  sich  bei  dem  wichtigen  Capitel  der  Bibliotheks- 
Prüfungen  die  sehr  dürftige  Erwähnung  nicht  französischer  Einrichtungen 
ungünstig  bemerkbar;  speciell  die  Oesterreich  betreffenden  Bemerkungen 
auf  S.  40  sind  so  unklar  gehalten,  dass  sie  den  Leser  leicht  zu  dem 
falschen  Schluss  verleiten  können,  es  seien  solche  Prüfungen  bei  uns  seit 
1862  eingeführt,  während  bekanntlich  der  betreffende  Entwurf  —  leider! 
—  Project  geblieben  ist.  Auch  auf  den  sehr  viel  Raum  einnehmenden 
Abdruck  verschiedener  bibliographischer  Systeme  vermag  Eef.  keinen  be- 
sonderen Wert  zu  legen,  denn  abgesehen  davon,  dass  hier  nicht  immer 
die  besten  ausgewählt  sind,  wird  wohl  Jeder  mit  den  Verhältnissen  einiger- 
massen  Vertraute  wissen,  dass  mit  allen  solchen  Entwürfen  wenig  gewonnen 
ist,  wenn  nicht  eine  internationale  Regelung  dieser  Frage  gelingt,  wie  es 
z.  B.  das  Institut  international  de  Bibliographie  in  Brüssel  auf  Grund  des 
in  Amerika  ziemlich  verbreiteten  Zahlen- Systems  von  Devey  versucht  und 
wie  es  die  in  London  1896  abgehaltene  internationale  Bibliotheks-Conferenz 
für  einen  Generalkatalog  der  Literatur  der  exacten  Wissenschaften  an- 
geregt hat. 

Als  sehr  brauchbar  kann  dagegen  das  auf  das  8.  Capitel  folgende 
und   125  S.  umfassende  »Lexique  des  termes  du  Jivre^^  bezeichnet  werden 

23* 


356  Literatur. 

und  von  wirklichem  Werte  ist  eine  Eeihe  im  Appendix  abgedruckter  auf 
die  französische  Universitäts-Bibliotheken  bezüglicher  Documente  (Verord- 
nungen, Reglements)  von   17  89  bis  zur  Gegenwart. 

Alles  in  Allem  genommen  enthält  das  mit  anerkennenswertem  Fleisse 
gearbeitete  Buch,  das  übrigens  den  französischen  Bibliothekaren  vortreff- 
liche Dienste  leisten  wird,  auch  für  uns  manches  neue  und  wissenswerte 
Detail,  das  sonst  auch  aufmerksamen  Beobachtern  der  Fachliteratur  bei  deren 
Zerspitterung  leicht  entgehen  kann.  Für  Oesterreich  speciell  aber  ist 
jener  Theil  von  Interesse,  der  von  den  Prüfungen  für  das  Personale  han- 
delt, denn  nachdem  Deutschland,  Frankreich,  England  und  Italien  in  dieser 
Frage  uns  vorangegangen  sind,  wird  es  wohl  nur  mehr  eine  Frage  der 
Zeit  sein,  dass  auch  in  Oesterreich  dieser  entscheidende  Schritt  zur  noth- 
wendigen  Gleichmässigkeit  in  der  Ausbildung  seines  Bibliotheks-Personales 
gethan  werden  wird. 

Wien.  J.  Donabaum. 

Katalog  der  Bibliotheks- Abtheilung  des  k.  u.  k.  Kriegs- 
Archive  s.  Wien,  Verlag  des  k.  u.  k.  Reichs-Kriegs-Ministeriums 
1896  (2  Theile  in  5  Bänden  und  ein  Autoren- Verzeichnis ;  hiezu  noch 
138  Seiten  Nachtragscoupons,  Wien  1898). 

Man  kann  wohl  sagen,  dass  durch  die  Neuauflage  des  Kataloges  einem 
wirklichen  Bedürfnisse  entsprochen  worden  ist,  denn  die  frühere  Auflage 
stammte  aus  dem  Jahre  1853,  woran  sich  dann  noch  die  Nachträge  für 
1853 — 67,  1868 — 69  und  1870 — 75  schlössen,  sodass  die  Benützung 
desselben  sehr  complicirt  geworden  war. 

Der  neup.  Katalog,  in  6  starken  Bänden  und  vornehmer  typographi- 
scher Ausstattung  erschienen,  hat  das  Princip  der  alphabetischen  Anord- 
nung vollständig  aufgegeben  und  erscheint  als  Fachkatalog,  dem  zum 
Schluss  ein  alphabetisches  Autorenregister  beigegeben  worden  ist;  auch 
innerhalb  der  einzelnen  Gruppen  ist  die  Ordnung  nicht  nach  dem  Alphabet, 
sondern  nach  den  Erscheinungsjahren  der  Werke  durchgeführt. 

Diese  chronologische  Eintheilung  bietet  den  Vortheil,  die  Ergänzung 
de?  Kataloges  ungezwungen  durchführen  zu  können,  indem  die  Nachträge 
(die  natürlich  nur  auf  einseitig  bedrucktem  Papier  ausgegeben  werden) 
in  die  schon  beim  Erscheinen  des  Werkes  am  Schlüsse  jeder  Fachgruppe 
freigelassenen  Intervalle  eingeklebt,  oder,  wo  diese  nicht  ausreichen,  als 
besondere  Seiten  eingefügt  werden  können.  Ob  die  Anwendung  dieser  beiden 
Principien  für  die  grossen  encyclopädischen  Bibliotheken  praktisch  wäre, 
mag  zweifelhaft  erscheinen,  denn  für  diese  ist  ein  möglichst  gut  geord- 
neter alphabetischer  Katalog  das  erste  und  wichtigste  Erfordernis; 
Fach-  event.  Schlagwortkataloge  bilden  dann  die  aller.lings  nothwendige 
Ergänzung.  Bei  Fach-Bibliotheken,  deren  Publikum  erfahrungsgemäss 
meist  das  Bedürfnis  hat,  die  dort  über  ein  bestimmtes  Thema  vorhandene 
Literatur  kennen  zu  lernen,  wird  der  hier  eingeschlagene  Weg  der  bessere 
sein ;  besonders  den  auswärts  Wohnenden  wird  dadurch  viel  Arbeit  und 
Mühe  erspart  werden. 

Den  Wünschen  derer,  die  ein  bestimmtes  Werk  suchen,  ist  durch  das 
Autorenverzeichnis  Rechnung    getragen,    sowie    durch    eine    sehr    weit  ins 


Literatur.  357 

Detail  gehende  Specialisirung  der  einzelnsn  Fächer,  da  die  24  Haupt- 
gruppen, in  die  der  Katalog  zerfällt,  zusammen  gegen  1000  Unterabthei- 
lungen umfassen,  sodass  keine  derselben  eine  zu  grosse  Zahl  von  Werken 
enthält. 

Eine  Hauptbedingung  hiebei  ist  allerdings,  dass  das  alphabetische 
Eegister  sehr  genau  und  detaillirt  ausgearbeitet  ist  und  dessen  Benützung 
möglichst  erleichtert  wird.  Vielleicht  wäre  zu  diesem  Zwecke  eine  kurze 
Erläuterung  am  Kopfe  desselben  angezeigt  gewesen,  denn  der  Begriff 
Autor  scheint  sehr  weit  gefasst  worden  zu  sein,  sodass  z.  B.  periodische 
Publikationen  nicht  unter  ihrem  Titel,  auch  nicht  unter  dem  Namen  der 
Eedacteure  oder  Herausgeber,  sondern  unter  dem  der  Corporation,  Anstalt 
•etc.,  die  sie  herausgibt,  erscheinen  also  z.  B.  die  Mittheilungen  des  Insti- 
tuts für  östeiT.  Geschichtsforschung  unter  »Institut*,  das  Organ  des  mi- 
litärwissenschaftlichen Vereins  unter  Militärwissenschaftlicher  Verein  etc. 
Auch  würde  bei  der  grossen  Zahl  von  Fachabtheilungen  ein  alphabetisches 
Verzeichnis  derselben  mit  Hinweis  auf  die  betr.  Seitenzahlen  gute  Dienste  thun. 

Indess  fallen  diese  kleinen  Nachtheile  wenig  ins  Gewicht  gegenüber 
•der  Thatsache,  dass  wir  nun  in  dem  neuen  bis  in  die  letzte  Zeit  ergänzten 
Katalog  der  weitaus  bedeutendsten  kriegswissenschaftlichen  Büchersammlung 
der  Monarchie  geradezu  eine  —  wenn  man  so  sagen  darf  —  militärische 
Bibliographie  besitzen,  ein  Vortheil,  der  bei  der  steten  Zunahme  der  Ar- 
beiten geiade  auf  diesem  Gebiete  hoch  anzuschlagen  ist  und  der  nur  den 
einen  Wunsch  erweckt,  es  möge  die  energische  und  umsichtige  Leitung  des 
k.  u.  k.  Kriegsarchivs  recht  bald  eine  Neu-Auflage  auch  des  Landkarten- 
Kataloges  folgen  lassen  können,  die  seit  Langem  ein  pium  desiderium 
weiter  Kreise  bildet. 

Wien.  J.  Donabaum. 


Notizen. 

Das  von  Paul  Kehr  in  Angriff  genommene  grosse  Werk  einer  kri- 
tischen Ausgabe  der  Papsturkunden  bis  Innocenz  III.  (vgl.  diese 
Zeitschr.  18,  205)  wird  von  ihm  und  seinen  Mitarbeitern  M.  Klinkenborg 
und  L.  Schiaparelli  energisch  und  erfolgreich  gefördert.  Die  systematische 
Durchforschung  der  Archive  und  Bibliotheken  Italiens,  welche  zunächst 
begonnen  wurde,  ist  bereits  zum  guten  Theile  durchgeführt,  auch  die  ab- 
gelegenen und  bisher  noch  von  wenigen  fremden  Forschern  berührten 
Gebiete  der  Abruzzen,  Apuliens  und  Calabriens  sind  nun  auf  Papst- 
urkunden durchsucht.  Das  südlichste  Italien  bot  im  ganzen  wenig  Aus- 
beute. Aber  in  Benevent,  Troia,  Brindisi,  Bari  ist  manch  neues  und  inter- 
essantes Material  an  Papsturkunden  seit  dem  Anfang  des  11.  Jahrh.  ge- 
funden worden.  So  auch  an  einzelnen  Stätten  Mittelitaliens,  wie  etwa  in 
Sulmona  und  Spoleto,  ja  selbst  an  schon  so  vielfach  ausgebeuteten  Ar- 
chiven wie  in  Pisa,  Lucca,  Eavenna,  Ferrara  fanden  sich  Inedita  und  zwar 
vom  9.  Jahrh.  angefangen.  Ueber  all  dies  haben  Kehr  und  seine  Mit- 
arbeiter   in    den    Nachrichten    der    Göttinger    Gesellschaft   1896  bis   1898 


358  Notizen. 

Bericht  erstattet.  Sie  haben  ferner  die  gefundenen  Inedita  publicirt,  um 
sie  der  Forschung  einmal  zugänglich  zu  machen,  ohne  jedoch  abschliessende 
Drucke  bieten  zu  wollen.  Man  muss  damit  durchaus  einverstanden  sein. 
Trotzdem  wäre  es  doch  schon  bei  einer  solchen  vorläufigen  Edition  sehr 
erwÜDScht,  z.  B.  über  den  graphischen  Bestand  bei  den  üntei'schriften  des 
Papstes  und  der  Cardinäle,  über  die  Datirungszeile  und  die  Betheiligung 
des  Datars  Nachricht  zu  bekommen.  Von  gi'ossem  diplomatischen 
Interesse  sind  die  Erörteiningen  Kehrs  über  die  Urk.  Johannes  XVIII.  von 
1007  für  Pisa  (Nachr.  189  7  S.  179)  und  besonders  die  Erläuterung 
zweier  Privilegien  von  Benedict  IX.  (l038)  und  Leo  IX.  (lO.öO)  im  Capitel- 
archiv  von  Florenz,  welche  uns  die  seltene  Gelegenheit  bieten  das  Ver- 
hältnis von  Vorlage,  Concept  und  Originalausfertigung  aufs  klarste  zu 
erkennen  (Nachr.  1898  S.  496  ff.  mit  Facsimile  der  1050  als  Vorlage 
und    Concept    benützten    Copie    der    Urkunde    Benedicts    IX.    von    1038). 

0.  R. 

Ein  Donaueschinge r  Briefsteller.  Lateinische  Stilübungen 
des  XII.  Jahrh.  aus  der  Orleans'schen  Schule.  Herausg.  u.  erläutert  von 
Alexander  Cartellieri.  Innsbruck,  Wagner  1898,  XXIII  und  75  S. 
Cartellieri  macht  uns  mit  einem  recht  wertvollen  Codex  bekannt,  einer  aus 
der  Dictatorenschule  von  Orleans  stammenden  Sammlung,  welche  um  1180 
entstaml,  wenig  später  (vgl.  auch  S.  54  n.  240  Anm.)  in  Deutschland 
abgeschrieben  und  (vielleicht  zweimal  ?)  sehr  oberflächlich  und  ungeschickt 
überarbeitet  wurde.  Vorliegende  Hs.  war  um  1284 — 1290  wahrschein- 
lich im  Besitze  der  salzburgischen  erzbischöflichen  Kanzlei  (vgl.  die  Notiz 
auf  Folio  9.  dazu  die  auf  das  Erzstift  bezüglichen  Namen  einer  deutschen 
Bearbeitung  S.  XIII) ;  die  von  Cartellieri  offengelassene  Möglichkeit,  dass 
der  Codex  in  der  deutschen  Reichskanzlei  gewesen  sei,  wird  kaum  zu- 
treffen; denn  Erzbischof  Rudolf  von  Salzburg  stand  seit  seiner  Erhebung 
zu  dieser  Würde  in  gar  keiner  Verbindung  mehr  mit  der  königlichen 
Kanzlei,  wenn  er  auch  den  Kanzlertitel  beibehielt.  Ich  glaube  daher  auch 
nicht,  dass  die  Hs.  dann  durch  Heinrich  von  Klingenberg  aus  der  Reichs- 
kanzlei an  den  Oberrhein  gelangt  ist.  Cartellieri  hebt  in  der  Einleitung- 
treffend  und  anregend  die  für  Beurtlieilung  und  Verwertung  derartiger 
W-erke  nötigen  Gesichtspunkte  hervor  und  bespricht  in  kurzen  prägnanten 
Zügen  den  Wert  vorliegender  Sammlung.  Es  ist  vor  allem  die  Geschichte 
der  Cultur,  für  die  in  diesen  Briefstellern  ein  reiches,  nur  halb  gehobenes, 
dankbares  Material  steckt.  Daher  vollständige  Kenntnis  derselben  not- 
wendig, was  Wattenbach  schon  vor  40  Jahren  betonte.  So  hätte  Cart., 
der  in  seiner  Ausgabe  im  allgemeinen  dieser  Foi'derung  durchaus  ent- 
sprechend nachkommt,  doch  in  manchen  Fällen  wohl  noch  weiter  in  Mit- 
theilung des  vollen  Wortlautes  gehen  können,  so  etwa  bei  n.  ß6,  127^ 
142,  155,  157,  159,  IGO,  168,  175,  231,  232,  269,  270;  bei  n.  12 
und  2 1 3  wäre  Zufügung  von  Ueberschrift  oder  Regest  durch  den  Heraus- 
geber wünschenswert  gewesen.  In  Mittheilung  von  Lesearten  der  Hs.  ist 
C.  etwas  gar  sparsam.  In  n.  59  ist  zu  lesen  quia  ea  nil  felicius,  n.  62 
procerum  statt  procorum,  n.  158  villicacionis  nostre  zu  emendiren  für  v.  mee. 
Eine  willkommene  Uebersicht  der  Literatur  über  die  Orleans'sche  Schule 
des  Briefstils  beschliesst  die  verdienstliche  Schrift.  Osw.  Redlich. 


Notizen.  359 

Unter  einer  Reihe  mir  vorliegender  in  den  letzten  Jahren  erschienener 
Arbeiten  über  Geschichte  Italiens  im  Mittelalter  und  deren  Quellen  möchte 
ich  zunächst  jene  von  Ferdinand  Güter  bock:  »Der  Friede  von 
Montebello  und  die  Weiterentwicklung  des  Lombarde n- 
bundes^''  (Berlin,  Mayer  und  Müller  1895)  nennen.  Ueber  die  Ereignisse 
nach  dem  Frieden  von  Montebello,  welchen  Friedrich  I.  und  die  Lom- 
barden am  16.  April  1175  schlössen,  herrschten  unter  den  Historikern 
(Ficker,  Tononi,  Tschirch,  Giese brecht)  mehr  oder  weniger  verworrene  und 
sich  widersprechende  Ansichten.  G.  stellt  nun  fest,  dass  die  Lombarden 
bereits  kurz  nach  dem  Friedensschluss  denselben  wieder  verletzt  und 
dadurch  den  Kaiser  gezwungen  haben,  mit  der  Curie  in  Unterhandlungen 
zu  treten.  Die  Consuln  Cremonas,  denen  im  Friedensinstrument  die  end- 
giltige  Entscheidung  über  die  noch  schwebenden  Streitfragen  übertragen 
worden  war,  machten  thatsächlich  trotz  der  geänderten  Sachlage  einen 
Versuch,  ihrer  Verpflichtung  nachzukommen  u.  zw.  durch  den  seinerzeit 
von  Muratori  aus  dem  Archiv  von  Modena  herausgegebenen  Schiedspruch, 
der  bis  jetzt  als  ein  nicht  veröffentlichter  Entwurf  eines  später  im  Jahre 
1176  gefällten  Spruches  angesehen  worden  ist,  von  G.  aber  als  der  wirk- 
lich erflossene  erste  Schiedsspruch  mit  grosser  Wahi-scheinlichkeit  nach- 
gewiesen wird.  Nachdem  ihn  die  Lombarden  verwarfen,  sah  sich  der 
Kaiser  genöthigt,  etwa  Mitte  Oktober  die  Feindseligkeiten  wieder  aufzu- 
nehmen. Für  diesen  Nachweis  kommt  G.  die  Urkunde  Friedrichs,  Stumpf 
4183,  zuhilfe,  die,  wie  ihn  der  Einblick  in  das  Weimarer  Original  belehrte, 
nicht  in  das  Jahr  1176,  sondern  in  das  Jahr  1175  gehört.  Der  zweite 
Abschnitt  des  Buches,  welcher  »Beiträge  zur  Geschichte  des  Lombarden- 
bundes ^^  liefert,  steht  insoferne  im  nächsten  Zusammenhange  mit  dem 
ersten,  als  die  geschilderten  Ereignisse  nicht  ohne  Rückwirkung  auf  die 
Organisation  des  Bundes  selbst  geblieben  sind.  Die  Beiträge  behandeln: 
die  ßektoreneide  aus  den  Jahren  1167  — 1177,  welche  der  Verf  zeitlich 
zu  bestimmen  und  deren  Zusammenhang  und  Entwicklung  klar  zu  legen 
sucht  (ein  bisher  noch  unbekannter  aus  dem  Archiv  zu  Mantua  ist  im 
Anhang  abgedruckt),  den  Fünfstädte-Eid  zwischen  Bologna,  Mantua,  Modena, 
Eeggio  und  Parma  (nicht  in  das  Jahr  1170.  sondern  in  den  Herbst  1174 
gehörig)  und  den  Abfall  Tortonas,  welcher  bald  nach  dem  Cremonas,  das 
durch  die  Nichtanerkennung  seines  Schiedsspruches  sich  vor  den  Kopf 
gestossen  fühlte,  etwa  zwischen  Juli  1176  und  März  1177  erfolgt  sein 
muss,  nicht,  wie  man  bisher  annahm  1183,  da  die  Vertragsurkunde  dieses 
Jahres  nur  die  Erneuex'ung  einer  früheren  sein  kann,  aus  der  die  Zeugen- 
reihe entnommen  ist.  —  Von  Walter  Lenel,  dem  wir  bereits  Studien 
zur  Geschichte  Paduas  und  Veronas  im  1 3.  Jh.  verdanken  (vergl.  diese 
Zeitschr.  18,  213)  ist  eine  Arbeit  »Die  Entstehung  der  Vorherr- 
schaft Venedigs  an  der  Adria.  Mit  Beiträgen  zur  Verfas- 
sungsgeschichte* (Strassburg,  Trübner  189")  erschienen,  die  besonders 
dadurch  bedeutsam  ist,  dass  sie  mit  der  blinden  Wertschätzung  der  Quellen 
zur  venezianischen  Geschichte,  die  erst  dem  16.  oder  17.  Jahrh.  angehören, 
bricht  und  den  Thatsachen  durch  die  Urkunden  und  durch  die  gleich- 
zeitige Ueberlieferung  näher  zu  kommen  sucht;  selbst  an  dem  bis  jetzt 
für  unbedingt  vertrauenswürdig  gehaltenen  Dandalo  weist  L.  starke  i^ar- 
teiische  Trübung    seiner  Quellen    nach    (Beilage).     W^as    die    Vorherrschaft 


360  Notizen. 

Venedigs  an  der  Adria  betrifft,  so  legt  L.  wenig  Gewicht  auf  die  alten 
Kaiserprivilegien,  auch  nicht  auf  die  nach  der  ungarischen  Invasion  sich 
vollziehende  straffere  Unterordnung  Dalmatiens,  die  mehr  politischer  Art 
ist,  sondern  rechnet  die  Entstehung  der  Suprematie  erst  von  den  ge- 
änderten politischen  und  wirtschaftlichen  Verhältnissen  —  dem  Aufblühen 
des  Kapitalismus  —  im  dreizehnten  Jahrhundert  an.  Zunächst  reissen 
die  Venezianer  den  Lebensmittelhandel  an  sich,  ihrer  Macht  durch  Zoll- 
kastelle und  Flusspolizei  (auf  dem  Po  und  der  Etsch)  Nachdruck  ver- 
leihend. Mit  dem  vernichtenden  Schlag,  den  sie  im  Jahre  1236  gegen 
das  alte  Handelscen,trum  Ferrara  führen,  dessen  Bedeutung  von  L.  zum 
ersten  Male  ins  rechte  Licht  gerückt  wird,  ist  die  Sache  entschieden  und 
damit  auch  der  Stützpunkt  für  die  spätere  territoriale  Ausbreitung  ge- 
wonnen. Auch  die  literarische  Theorie  findet  sich  mit  der  Thatsache  ab ; 
der  bezeichnendste  Ausdruck  dafür  ist  die  damals  zuerst  auftauchende 
Benennung  »Golf  von  Venedig«.  Die  an  die  Hauptarbeit  angeschlossenen 
verfassungsgeschichtlichen  Studien  legen  dar,  dass  die  Reform  der  Dogen- 
wahl und  die  Einsetzung  des  grossen  Rathes  nur  von  der  späteren  Ge- 
schichtsschreibung nach  der  gewohnten  Manier,  gewisse  Veränderungen 
mit  politischen  Ereignissen  —  hier  der  Ermordung  des  Dogen  Vitale  11. 
—  in  Zusammenhang  zu  bringen,  ganz  willkürlich  in  das  Jahr  1172 
gesetzt  wurde.  Beides  scheint,  wie  die  Urkunden  ergeben,  das  Ergebnis 
einer  früheren  und  natürlichen  Entwicklung,  ohne  mit  dem  genannten 
Jahre  abgeschlossen  zu  sein.  Speciell  der  grosse  ßath  war  bereits  durch 
die  urkundlich  seit  1141  bezeugten  » Sapientes  *  vorgebildet  und  wird  im 
Jahre  1187  zum  ersten  Male  genannt.  Auch  für  diese  Veränderungen 
dürfte  der  Grund  in  der  wirtschaftlichen  Wandlung  Venedigs  zu  einem 
Gross-Kapitalisten-Staate  zu  suchen  sein.  —  Eine  reine  Quellenunter- 
suchung ist  die  Arbeit  von  Dr.  Otto  Lange  »Die  Annales  Pisani 
und  Bernardo  Maragone*^  (Zwickau,  Zückler  1897),  welche  Schaubes 
Ansichten  (N.  A.  X,  1885,  S.  14l)  widerlegt.  Nichts  spricht  nach  L.'s 
Ausführungen  dafür,  dass  der  in  den  Annales  Pisani  mehrfach  erwähnte 
pisanische  Staatsmann  Bernardo  Maragone  auch  ihr  Verf.  sei,  im  Gegen- 
theil  widerspricht  dem  der  Umstand,  dass  die  Annales  gerade  für  die  Zeit 
bis  1159,  in  welche  die  politische  Thätigkeit  dieses  Mannes  fiel,  unzuläng- 
liche Compilation  sind ;  es  ist  sogar  wahrscheinlich,  dass  derselbe  schon 
1164  starb,  während  die  Annales  erst  mit  dem  Jahre  1175  enden.  Der 
Bernardo  Marangoni,  auf  welchen  sich  die  beiden  Historiker  des  17.  Jhs., 
Tronci  und  Koncioni,  mehrfach  berufen,  ist  ebenfalls  nicht  mit  den  Annales 
identisch,  sondern  eine  Compilation  des  14.  Jhs.  —  Zu  den  Quellen  über 
Heinrichs  VIL  Eömerzug  haben  G.  Wolfram  und  F.  Bonnard ot  eine 
neue,  bisher  unbekannte  herausgegeben,  das  französische  Gedicht:  »Les 
voeux  de  l'epervier.  Kaiser  Heinrichs  VII.  Romfahrt*^  (Jahrb. 
der  Gesellsch.  für  lothring.  Gesch.  VI.  Bd.  1895),  wobei  Ersterer  die  Ab- 
schrift des  Textes,  die  Einleitung  und  die  historischen  Anmerkungen, 
Letzterer  die  literarischen  und  grammatikalischen  Notizen  und  das  Glossar 
besorgte.  Das  Gedicht  gibt  namentlich  über  den  Tod  des  Kaisers  neue 
Aufschlüsse.  Als  Verfasser_,  der  nach  dem  mündlichen  Berichte  eines 
Theilnehmers  des  Zuges  geschrieben  haben  dürfte,  stellt  Wolfram  mit 
Wahrscheinlichkeit  den  Metzer  Domherrn  Simon  de  Marviile  fest,     M.  V. 


I 


Urkimdenstiidien  eines  Germanisten. 

Von 

Edward  Schröder. 


V.  ZurUeberlieferung  und  Kritik  des  ßreviariumS.  Lull i. 

Bei  Behaudlung  des  Hersfelder  Zehnten- Verzeichnisses  in  den 
Mittheilungen  XVIII,  1  ff.  hab  ich  versprochen,  eine  ähnliche  Unter- 
suchung dem  hochwichtigen  Denkmal  zu  widmen,  das  uns  den  ge- 
sammten  Grundbesitz  des  Klosters  Hersfeld  in  karolingischer  Zeit  kennen 
lehrt  und,  da  es  wie  die  Zehntenliste  nur  in  jüngerer  Ueberlieferung 
auf  uns  gekommen  ist,  dem  Misstrauen  der  Gelehrten  auch  nicht  ohne 
weiteres  entrückt  scheint.  Dies  Versprechen  lös  ich  hiermit  ein,  obgleich 
mich  meine  Studien  nicht  so  weit  geführt  haben,  wie  ich  es  damals 
wohl  hoffte:  aber  ich  darf  mich  von  meinem  eigensten  Arbeitsfeld 
nicht  zu  sehr  entfernen,  um  mich  schliesslich  als  Gast  und  Dilettant 
auf  einem  Nachbargebiet  einzunisten.  Ich  betone  also  nochmals,  dass 
mein  Ehrgeiz  nur  dahin  geht,  das  Historikern  darzubieten,  was  ein 
Philologe  und  Sprachkundiger  zur  Kritik  dieses  Güterregisters  beizu- 
steuern vermag.  Wo  ich  einmal  an  die  Aufstellungen  der  Diplomatiker 
von  Beruf  taste,  bin  ich  mir  bewusst,  nur  ein  Frage-  und  kein  Aus- 
rufungszeichen zu  stellen. 

Das  „Breviarium  S.  Lulli  archiepiscopi"  ist  uns  mit  diesem  Titel 
in  dem  bekannten,  jetzt  auf  dem  kgl.  Staatsarchiv  zu  Marburg  auf- 
bewahrten Hersfelder  Chartular  des  12.  Jahrhunderts  überliefert,  wo 
es  von  Bl,  33^ — 35^  (moderner  Bleistiftzählung)  reicht.  Es  findet  sich 
abgedruckt  in  Wencks  Hessischer  Landesgeschichte  Bd.  IIb  S.  15 — 17 
und  neuerdings  von  Landau  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  hess. 
Geschichte  u.  Landeskunde  Bd.  X  (1865)  S.  184—192.    Zur  Literatur 

Mittheilungen  XX.  24 


3ß2  Edward  Schröder. 

verweise  ich  auf  Hahn,  Bonifaz  u.  Lul  (1883)  S.  280  ff.,  Abel-Simson  I 
(1888)  S.  533  f.,  Hafner,  Die  Keichsabtei  Hersfeld  (1889)  S.  10  ff., 
Dobenecker,  Eegesta  Thuringiae  I  (1896)  S.  10  ff.  (Nr.  70). 

Der  Abdruck  in  der  Zeitschr.  d.  hess.  Geschichtsvereins  ist  so  gut, 
dass  man  ihn  bis  zum  Erscheinen  eines  Hersfeldischen  Urkundenbuches 
getrost  benützen  kann.  Von  der  Willkür,  mit  der  Landau  das  vor- 
herrschende Imb.  der  Handschrift  bald  als  huhe  ergänzt  bald  zu  h.  kürzt, 
abgesehen,  hab  ich  nur  folgendes  Ergebnis  einer  Collation  zu  notireu, 
wobei  ich  mich  an  die  durchgehende  Numerirung  der  Orte  bei  Landau 
halte:  16  1.  Zimhro  —  21  1.  Rütibah  —  2Q  1.  Rüdolfesfat  —  2^  1. 
Brütstede  —  89  1.  Görichesleho  (d.  i.  uo)  —  91  1.  Süzare  —  102  1. 
Mütesfelt  —  108  Grif siede  aus  Grifide  verbessert  —  111  könnte  mit 
seinem  tc-  auch  als  Wuodaneslmsun  gelesen  werden  —  115  Geh  un- 
stete (b  aus  Ji  verbessert)  —  119  1.  Bühenhebn  —  131  1.  Büches- 
iviccun  —  166  1.  Rüdolfeslebo  —  bei  178  ist  die  Zahl  der  Hufen  IUI 
(nicht  ni)  —  187  1  Pamuchesdorf  (st.  Bamuches-),  womit  die 
Deutung  Landaus  auf  Ramsdorf  bei  Tännich  hinfällig  wird.  —  Zwi- 
schen 193  und  dem  Schluss  findet  sich  keinerlei  Markiruug,  die  zu 
einem  Absatz  (wie  bei  Landau)  berechtigte. 

Ich  gebe  zunächst  eine  genaue  Disposition  des  ganzen  Schrift- 
stücks, an  die  sich  alsbald  bestimmte  Erwägungen  und  Correctureu 
schliessen  müssen.  * 

Im  Eingang  wird  der  Besitz  des  Klosters  am  Orte  selbst  auf 
20  Hufen  augegeben.     Es  folgen : 

A)  Schenkungen  Karls  d.  Gr. 

I.  In  TJiuringia:  1 — 63. 

II.  hl  pcifjo    Wetreibun:  64 

III.  In  pago   Wormaciense :  65 — 70. 

Ohue  ausdrückliche  Abgrenzung  oder  Hervorhebung  schliesst  sich 
(IV.)  ein  Anhang  an:  71 — 74.     Er  umfasst  a)  2  Orte  oberhalb 

Hersfelds    am    linken  Fuldaufer,    Aula    und   Jossa;    b)    Berisciza    d.  i. 

höchst  wahrscheinlich  Allendorf   am  Bärenschiessen    im    Oberlahugau. 

c)  In  Hohsegoice  capelle  III,  huhe  X,  m.  X. 

B)  Anderweitige  Erwerbungen  Lulls,  Schenkuugen 
von  Privaten  bis  zum  Zeitpunkt  der  Uebergabe  des  Klosters 
an  Karl  d.  Gr. 

Im  Eingang  kehren  die  20  Hersfelder  Hufen  wieder. 

I.  In   Thuringia:  75 — 116. 

II.  In  pago    Wetreibe:   117.   118. 

III.  *  In  pago    Wormaciense'^:  119 — 125. 


Urkundenstudien  eines  Germanistön.  36S 

So  ist  zweifellos  zu  lesen  statt  des  im  Chartular  stehenden  In  pago 
Loganense,  das  sich  alsbald  wiederholt;  122 — 125:  Bretzenheim,  Boden- 
heim, Sauerschwabenheim,  Ascmundesheim  (vgl.  Cod.  dipl.  Lauresham.  11 
nr,  1226 — 1228),  Spiesheim  gehören  unbedingt  in  den  Wormsgau,  120  ist 
Mainz,  und  119  Bübenheim  darf  demnach  nicht  auf  eine  Wüstung  bei 
Kirchberg  im  Niederlahngau  gedeutet  werden  (Landau),  sondern  ist  der 
gleichnamige  Ort  in  ßheinhessen. 

IV.  In  pago  Loganinse:  126 — 131. 

V.  In  pago  Hassorum:  132 — 160. 

(VI.)  Ein  Anhang  (161 — 164)  bringt  die  oberlaliugauischen  Orte 
Treysa,  Grüssen,  Wohra  und  ein  nicht  zu  bestimmendes  Niirihusun^ 
das  bei  der  (von  Landau  verkannten)  Buntheit  dieser  Anhäuge  nicht 
in  dieselbe  Gegend  zu  gehören  braucht. 

C)  Schenkungen  nach  dem  Zeitpunct   der  üe hergäbe. 

I.  In   Thuringia:  165—192  oder  193. 

(II.)  Im  Anhang,  zu  dem  Adelleicht  schon  das  seiner  Deutuug 
nach  unsichere  Eihesfeld  193  gehört,  werden  Besitzungen  in  Erlebach 
am  Taunus  und  ganz  zuletzt  eine  umfangreiche  „traditio  Wered  in 
JVestfalun''   namhaft  gemacht  i). 

Das  Eintheilungsprincip  ist  in  allen  drei  Theilen  das  gleiche :  auf 
feste  locale  Gruppen  —  wobei  die  Reihenfolge  Thüringen — Wetterau  — 
Wormsgau  aus  A  in  B  wiederkehrt  —  folgt  ein  Anhang  von  loserer 
Fügung  oder  geographischer  üu bestimm theit.  Den  Schluss  des  Ganzen 
bildet  die  einzige  private  Schenkung,  bei  der  der  Spender  genannt 
wird:  sie  macht  am  deutlichsten  den  Eindruck  eines  Nachtrags. 

Suchen  wir  nach  äussern  Anhaltspuncten  iür  die  Datirung,  so 
muss  uatürlich  der  „imperator"  ganz  aus  dem  Spiele  bleiben.  Ueber 
alles  redactionelle  wird  weiter  unten  zu  handeln  sein.  Die  erste  Frage 
ist:  wann  war  der  Zeitpunct,  quando  sanctua  Lullus  archieplscopus 
illam  traditionem  fecit  Domino  Karolo  (imperatori)?  Unmöglich  kann 
damit  die  erste  üebergabe  des  Klosters  gemeint  sein  (die  einzige,  von 
der  wir  wissen),  die  auf  welche  hin  am  5.  Jan.  775  das  Exemtions- 
privileg  (Mühlb.  172)  ausgestellt  wurde.  Es  muss,  wie  schon  von 
anderer  Seite  bemerkt  worden  ist,  noch  eine  spätere  üebergabe  statt- 
gefunden haben,  oder  vielmehr  es  war  bei  der  ersten  üebergabe  aus- 
gemacht,   dass  auch  alle  weitern  Erwerbungen  LuUs  in  die  einmalige 


M  Landau  hat  unbegreiflicher  Weise  diesen  Personennamen  verkannt  und 
auf  die  Werse,  ein  Nebenflüsscheu  der  Ems  geraten.  W^tris  ist  ein  Mannesname 
(wie  Arnh,  Rimis  u.  aa.),  der  z.  B.  bei  Dronke  Nr.  351  (817)  u.  740  (1025)  be- 
gegnet, ausserdem  iu  den  Annales  necrologicae  Fuldenses  (MG.  SS.  XIII  206) 
z.  J.  989.  Aus  Westfalen  kenn  ich  nur  einen  Beleg,  den  8.  Abt  von  Werden 
(930).  von  dem  wir  aber  keinerlei  urkundliche  Nachrichten  haben. 

24* 


364  Edward  Schröder. 

Tradition  eingeschlossen  sein  sollten.  Die  gleich  als  Nr.  4  genannte 
königliche  Villa  Dorndorf  (Thoranthorpf)  ist  ja,  wie  wir  wissen,  erst 
durch  Schenkung  Karls  vom  31.  August  786  (Mühlb.  Nr.  265)  au 
Hersfeld  gelangt,  wenige  Wochen  vor  dem  Tode  Lulls  (nach  späterer 
Ueberlieferung  16.  Oct.  786). 

Ein  Zweifel  könnte  am  ersten  bei  den  Anhängen  einsetzen.  Sehen 
wir  uns  den  zu  A  näher  an :  eine  Schenkung  in  loco  qiii  dicitur  Oulaho 
(vgl.  Brev.  71  in  Oulaho)  kennen  wir  auch  aus  Mühlb,  Nr.  217  (Hers- 
felder Chartular,  aber  unverdächtig)  v.  J.  779,  Schenkungen  in  villa 
Berinsscza  ^)  (Brev.  73  in  Berisciza)  und  super  Geazaha  '^)  (Brev.  72 
in  Jazaho)  treffen  wir  in  Mühlb.  Nr.  246  v.  J.  782.  Es  bleiben  74 
In  Ilohsegowe  capelle  tres  usw.  Mit  denen  hat  es  eine  merkwürdige 
Bewantnis.  Wir  besitzen  —  resp.  besassen  —  in  Schrift  des  11.  Jhs. 
eine  Urkunde  vom  J.  776  (Mühlb.  Nr.  207),  welche  so  wie  sie  vor- 
liegt, zweifellos  eine  Fälschung,  nicht  bloss  eine  Copie  darstellt,  vgl. 
Sickel,  Acta  Karolinorum  11  416:  aber  dass  auch  die  Schenkung  der 
Kirchen  iii  Altstedi,  Eitstcedi  et  (hferhusan  und  der  zugehörigen 
Zehnten  einen  Theil  jener  Fälschung  darstelle,  glaub  ich  durchaus 
nicht.  Sickel,  der  zur  Begründung  dieses  ürtheils  sich  darauf  beruft, 
dass  das  Breviarium  Lulli  von  jenen  Kirchen  nichts  wisse,  und  andere, 
die  ihm  darin  folgen,  haben  übersehen,  dass  unter  den  capelle  tres  in 
Hohsegoive  Nr.  74  eben  die  Kirchen  von  Allstedt,  Eiestedt  und  Oster- 
liausen  verstanden  sind.  Wir  wissen  ja  aus  der  bekannten  Urkunde 
Ottos  11.  V.  J.  979  (Nr.  191  Dipl.  II  217  f.,  vgl.  Mitth.  XVIII  19  ff.), 
dass  sich  Hersfeld  damals  im  Besitz  der  tres  capelle  .  .  in  Altstedi  .  .  . 
in  Asterhusan  .  .  .  in  Rietstedi  befand  ^).  Dabei  ist  auf  folgendes 
aufmerksam  zu  machen:  1.  den  Ausdruck  tres  capelle  theilt  das 
Diplom  Ottos  IL  mit  dem  Breviarium  S.  Lulli,  während  die  gefälschte 
Urkunde  v.  J.  776  und  eine  zweite  von  angeblich  814  (Mühlb.  Nr.  501 
Sickel  a.  a.  0.  S.  416  f.)  von  tres  ecclesie  reden;  2.  anderseits  theilt 
die  Fälschung  mit  der  Urkunde  Ottos  IL  die  merkwürdige  Endung 
-husan,  die  sonst  in  Hersfeld  nicht  wiederkehrt.  Ich  ziehe  daraus  den 
Schluss,  dass  dem  gefälschten  Exemplar  doch  —  abgesehen  von  Mühlb. 
Nr.  220  noch  —  eine  echte  Urkunde  zu  Grunde  liegt,    die    nur  frei- 


')  So,  nicht  Bcnnscozo  (wie  Sickel  u.  Mühlbacher)  lese  ich  mit  Freund  Könnecke 
den  Namen,  der  durch  die  Correctur  eines  t  in  z  undeutlich  geworden  ist;  das 
Chai'tular  hat  Berezieza. 

-)  Falsch  ist  die  Deutung  auf  ,Geiss'  (Geisa),  die  bei  Mühlbacher  sich  findet 
und  schon  im  Chartular  (Bl.  10:  Geisaha)  vorausgenommen  ist. 

■'')  Auch  das  Zehntenregister  (wahrscheinlich  von  845)  nennt  alle  3  Orte : 
Heotstat    10,  Altstedi  43,  Osterhtisa  24.  32. 


Urknndenstudien  eines  Glermanisten.  3ß5 

lieh  zur  Begründung  der  später  erhobenen  Ansprüche  nicht  ausreichte. 
Ob  die  Fälschung  Mühlb.  207  auch  in  dem  Termin  d.  Schenkung 
echtes  bietet,  muss  ich  unentschieden  lassen.  Jedenfalls  aber  rauss, 
wer  die  Schenkung  der  Kirchen  in  Allstedt,  Riestedt  u.  Osterhausen 
durch  Karl  d.  Gr.  bestreitet,  entweder  drei  andere  Kirchen  im  Hassegau 
hinter  jenen  „tres  capelle  in  Hohsegowe"  suchen  —  ein  verzweifelter 
Ausweg;  oder  aber  er  muss  das  Breviarium  S.  Lulli  für  interpolirt 
erklären.  Dafür  könnte  der  Platz  sprechen:  ausserhalb  der  thüring. 
Schenkungen  Karls  u.  ganz  am  Schlüsse  des  Abschnitts  A;  dagegen 
spricht  die  knappe  und  absichtslose  Art  der  Anfügung:  ein  tenden- 
ziöser Fälscher  hätte  doch  gewiss  nicht  die  Namen  der  strittigen  Kirchen 
verschwiegen,  wenn  er  durch  seine  Interpolation  eine  Stütze  der  hers- 
feldischen  Ansprüche  schaffen  wollte. 

Ich  finde  also  keinerlei  Grund,  den  Bestand  von  A  irgendwie  zu 
verdächtigen,  und  ebenso  verhält  es  sich  mit  B:  es  liegt  kein  Anlass 
vor,  diese  Schenkuugen  von  Privaten  bei  Lebzeiten  Lulls  in  ihrem 
Bestand  anzutasten. 

Wir  kommen  zu  C  (Landau  S.  190).  Et  istud  quod  in  f er  ins  est, 
traditum  fuit  postea  a  liheris  hominihus  ad.  idem  monasteriicm.  ,postea' 
will  sagen  „post  illam  traditionem",  von  der  in  der  vorhergehenden 
Zeile  die  Rede  ist. 

Hat  uns  der  Einschluss  Dorndorfs  zu  der  Ueberzeugung  geführt, 
dass  die  Bedeutung  der  „traditio"  bis  zum  Lebensende  Lulls  aus- 
gedehnt werden  muss,  so  werden  die  Schenkungen  der  Gruppe  C  kurz- 
weg in  die  Zeit  nach  dem  Tode  Lulls  fallen.  Aber  in  welchen  Zeitraum  ? 
Vorläufig  steht  uns  ja  die  ganze  Zeit  bis  zur  Abfassung  des  Char- 
tulars  (ca.  1150)  zur  Verfügung.  Sie  schränkt  sich  alsbald  ein  durch 
den  Nachweis  Holder- Eggers,  dass  der  Historiker  Lampert  in  der  Vita 
Lulli  (s.  die  Ausgabe  der  Opera  Lamperti  von  H.-E.  S.  332  N.  2)  und 
in  der  Institutio  Herveldensis  ecclesiae  (ebda.  S.  344  N.  2,  S.  347  N.  2) 
das  Breviarium  mit  dem  uns  überlieferten  Schluss  offenbar  als  ein 
echtes  Denkmal  der  Zeit  Lulli  benützt  hat.  Da  Karl  d.  Gr.  in  der 
Einleituug  jedes  der  drei  Abschnitte  „dominus  Karolus  Imperator"  ge- 
nannt wird,  so  ist  die  Kaiserkrönung  ein  sicherer  terminus  post  quem. 
Bald  nach  diesem  Zeitpunkt  wird  dann  auch  in  der  Regel  das  Bre- 
viarium angesetzt,  so  von  Rettberg  I  604  („bis  in  den  Anfang  des 
9.  Jhs."),  Hahn  S.  285  („vielleicht  unter  Richulfs  oder  Bunos  [IL] 
Verwaltung"),  von  Hafner  S.  10,  von  Dobenecker  S.  20;  allgemeiner 
drückt  sich  Sickel,  Acta  Karolinorum  II  262  aus  („wahrscheinlich  im 
9.  Jh.  angefertigt"),    und    die    leisen  Zweifel    au    dem  Alter    und    der 


366  Edward  Schröder. 

Zuverlässigkeit  des  Documents,  die  Simson  S.  533  f.  von  Sigurd  Abel 
S.  444  N.   1  übernommen  hat,  sind  wenig  präcisirt. 

Die  Glaub vFürdiffkeit  des  Abschnitts  A  erscheint  dadurch  im  besten 
Liebte,  dass  hier  keiner  jener  Orte  fehlt,  vrelche  in  sichern  Schen- 
kungen Karls  d.  Gr.  bis  zum  Tode  Lulls  vorkommen  i),  und  anderseits 
kein  Ort  genannt  wird,  auf  den  sich  ein  gefälschtes  Diplom  bezieht. 
Man  wird  dies  günstige  Vorurtheil  unbedenklich  auch  für  B  in  An- 
spruch nehmen  dürfen,  obwohl  hier  bei  dem  Mangel  an  Privaturkunden 
eine  ähnliche  Probe  nicht  möglich  ist.  Beide  Abschnitte  dürften  für 
die  Lebenszeit  Lulls  zuverlässig  und  zugleich  vollständig  sein.  Ihnen 
allein  aber  kommt  die  Bezeichnung  ,ßreviarium  S.  Lulli"  zu,  wenn 
man  nicht  „S.  Lullus"  einfach ^^  „Herolfesfeld"  nehmen  will,  wie  es 
später  zuweilen  verstanden  worden  sein  mag. 

Die  interessanteste  Hersfelder  Privaturkunde,  die  wir  aus  der  Zeit 
der  Karolinger  besitzen,  ist  die  in  der  Zeitschr.  d.  Ver.  f.  hess. 
Geschichte  u.  Landeskunde  Bd.  VI  S.  351  ff.  von  Bernhardi  publicirte 
Tradition  der  Eetun  v.  J.  835  ^) :  sie  betrifft  eine  Schenkung  von 
30  Hufen  und  ebenso  vielen  unfreien  Familien  (XV  de  litis  et  XV  de 
seruis)^    das   gesanimte  Eigen    der  Schenkerin    in    uilla   quae   ufocatur 

BurgdorpfJ et  si  ille  huobunnae  plenae  non  sunt  in  Burg- 

dorpfj  restituentur  in  Ordon  et  in  Enzing[un].  Die  Orte  Burgdorpf 
.  .  Enzinga  begegnen  zwar  in  dem  wenig  Jüngern  Zehnten- Verzeichnis 
A  als  Nr.  9  und  11,  sie  fehlen  dagegen  im  Breviarium  S.  Lulli. 
Daraus  lassen  sich  nur  folgende  Schlüsse  ziehen : 

a)  entweder  ist  das  Breviarium  vor  der  Schenkung  der  Betun 
zum  Abschluss  gelangt; 

b)  oder  aber:    es   ist  in  seinem    letzten  Theile    nicht  vollständig. 
Der  ersteren  Annahme  widersprechen  die  folgenden  Beobachtungen. 

Gegen  Schluss  des  Breviariums  finden  sich  zwei  kleinere  Naniengruppen, 
welche  in  der  gleichen  Reihenfolge  in  dem  grossen  Zehnteuverzeichuis 
wiederkehren. 

1)  In  Wenninge  (182)  ...  In  Balgestat  (183),  vgl.  Z.-V.  C  1 
Uuennige.    2  Balgestat. 


')  Zu  fehlen  srheint  freilich  das  in  dem  Diplom  Miihlb.  Nr.  190  (2,5.  Oct. 
775)  <;enannte  HasalaJia,  aber  es  handelt  sich  hier  auch  nur  um  eine  Zehnten- 
verleihung,  und  es  ist  darum  kaum  nötig,  diesen  Ort  durch  Emendation  (etwa 
zu  Hasilori,  die  ürk.  ist  nur  im  Chartular  überliefert)  mit  dem  Heselere  Brev. 
Kr.  61  zusammenzubringen. 

-j  Das  nähere  s.  unten  »S.  378. 


Urkundenstudien  eines  Germanisten.  gßY 

2)  In  Lizichesdorf  (185)  .  .  .  In  Rudunestorf  (186)  ...  /n  Pa- 
muchesdorf,  vgl.  Z.-V.  D  3  Luzuchestorpheno  marca.  4t  Ruoduchesthor- 
pheno  marca.    5  Pamuchesthotyhetio  marca. 

Die  üebereinstimmungen  dieses  Sehlussabschnitts  des  Breviarium 
erstrecken  sich  auf  die  Abschnitte  C  und  D  der  Zehnteu-Tafel,  die 
ihrerseits  nur  H  resp.  12  Namen  umfassen.  Das  ist  um  so  weniger 
ein  Zufall,  als  von  den  176  verschiedenen  Namen  der  Zehnten-Liste 
A  im  Breviarium  nur  verschwindend  w^enige  wiederkehren  und  diese 
niemals  auch  nur  in  ähnlicher  Nachbarschaft. 

Eine  präcise  Erklärung  der  Thatsache  vermag  ich  nicht  zu  geben : 
ich  bin  über  das  Verhältnis  der  Zehnten-Verleihung  zum  Grunderwerb 
des  Klosters  nicht  hinreichend  aufgeklärt.  Aber  wenn  die  Schluss- 
partie des  Breviarium  iu  so  bemerkenswerter  Weise  übereinstimmt  mit 
den  letzten  Theilen  des  Zehuten-Verzeichnisses,  so  wird  die  Ver- 
muthung  nicht  abzuweisen  sein,  dass  jene  Fassung,  in  welcher  wir  das 
sog.  Breviarium  S.  Lulli  besitzen,  noch  in  jener  Zeit  Zusätze  erfahren 
hat,  um  welche  man  in  Hersfeld  aus  altern  Materialien  die  grosse 
Zehntentafel  zusammenstellte.  Als  weitesten  zeitlichen  Rahmen  für 
die  letztere  Compilation  habe  ich  Mitth.  XVIII,  10  die  Jahre  880  bis 
899  ermittelt. 

Die  Grenze  des  alten,  zu  Anfang  des  9.  Jhs.  zu  Stande  gekom- 
menen Breviariums  erblicke  ich  bei  181.  Gerade  die  ursprüngliche 
Schlussgruppe  von  C  zeigt   noch   einmal  Beziehungen    rückwärts,    die 

dann  aufhören:  wir  treffen  da  mit  In  Brantbeche  (175) 

In  Collide  (180).  In  Woteneshusun  (181)  drei  Ortsnamen,  die  uns 
schon  in  B:  in  Branfhah  (109)  et  in  Collide  (110)  et  in  Wodanes- 
husun  (111)  in  ganz  ähnlicher  Folge  begegnet  sind;  wahrscheinlich 
liegen  hier  in  C  weitere  Schenkungen  der  gleichen  Familie  vor,  welche 
bereits  in  B  betheiligt  ist.  War  das  vielleicht  die  Familie  des  Grafen 
Eatan,  welche  am  3.  März  802  eine  umfangreiche  Schenkung  in  Col- 
lide (Kölleda)  machte  (Wenck  IIb,  18  Nr.  13)?  Dann  hätten  wir  für 
180  und  den  Schluss  des  alten  Breviars  einen  festen  Termin. 

Mit  182  also  begännen  die  Nachträge,  und  sie  bringen  zunächst 
(bis  192  oder  193)  thüringische  Orte.  Gleich  die  ersten  7  (daruuter 
jene  5  zum  Zehnten-Register  C  und  D  in  Beziehung  gesetzten)  heben 
sich  durch  den  gemeinsamen,  bei  jedem  einzelnen  wiederholten  Zusatz 
de  Sclauis  manentihiis  (oder  ähnlich)  scharf  heraus.  Slaven  werden 
auch  schon  innerhalb  der  königlichen  Schenkungen  zu  A  3.  24 — 26. 
35  —  37  erwähnt,  in  dem  bei  weitem  umfangreichsten  Abschnitt  B  aber 
fehlen  sie  ganz,  und  wenn  dann  in  C,  der  Fortsetzung  von  B,  die 
Slavendörfer  als  eine  geschlossene  Gruppe  gegen  den  Schluss  hin  auf- 


368  Edward  Schröder. 

treten,  so  scheint  aucli  das  dafür  zu  sprechen,  dass  wir  es  hier  mit 
wirklichen  Nachträgen  zu  thun  haben. 

üeber  188 — 194  hab  ich  nichts  zu  bemerken;  dass  sich  die 
Schlussnummer  195  auffällig  durch  Namensnennung  des  Schenkers 
heraushebt,  wurde  schon  ausgesprochen. 

Mein  bisheriges  Kesultat  wäre  also  folgendes:  A  und  B  geben, 
von  den  Mängeln  der  Redaction  und  üeberlieferung  abgesehen  i),  das, 
was  sie  bieten  wollen,  zuverlässig  und  vollständig;  sie  reichen  höchst 
wahrscheinlich  bis  zum  Tode  Lulls  im  J.  786  und  verdienen  allein  die 
Bezeichnung  „Breviarium  Lulli."  C  in  seinem  bis  181  reichenden 
Grundstock  setzt  B  fort  und  wird  gleich  zu  Beginn  des  9.  Jhs.  an- 
gelegt sein,  wahrscheinlich  im  J.  802  und  offenbar  mit  der  Absicht 
der  Weiterführung,  da  ein  zeitliches  Endziel  in  der  Einleitung  zu  C 
nicht  genannt  wird.  Diese  Weiterführung  aber  unterblieb  jedenfalls 
in  den  nächsten  Jahrzehnten:  nicht  eingetragen  ist  die  grosse  Schen- 
kung des  Randolf  in  Mainz  und  verschiedenen  Orten  des  Wormsgaus 
und  des  Oberrheingaus  (Dienheira,  Weinheim,  Lohheim)  vom  J.  815, 
nicht  eingetragen  ist  die  Schenkung  der  Retun  von  835.  Die  vor- 
handenen Nachträge  zu  C  (182 — 195)  rühren  wahrscheinlich  grossen- 
theils  aus  der  zweiten  Hälfte  des  9.  Jhs.  her.  Die  Schlussredaction, 
bei  welcher  die  Schenkung  des  Westfalen  Weris  hinzukam,  k  ö  n  n  t  e 
sogar  schon  ins  10.  Jh.  fallen. 

Eh  ich  mich  nun  zur  sprachlichen  Kritik  der  üeberlieferung 
wende,  möcht  ich  aus  der  Gesammtbetrachtung  der  Ortsnamen  ein 
wichtiges  Zeugnis  für  das  Alter  und  die  Glaubwürdigkeit  des  Brev. 
hervorziehen.  Es  fehlen  in  ihm  nicht  nur  die  Hagengründungeu  der 
jüngsten  Zeit,  sondern  auch  vollständig  die  Namen  auf  -rod^  was  be- 
sonders für  Hessen,  aber  auch  für  Thüringen  ^)  bemerkenswert  ist. 
Und  weiter:  unter  sämmtlichen  auf  den  Hessengau,  den  Lahngau  und 
die  Wetterau  entfallenden  45  Orten  zähl  ich,  von  dem  seiner  Deutung 
nach  unsichern  Angelgise  (137)  abgesehen,  nur  das  eine  Liiitgiseshusun 
(158)  mit  einem  Gründer-  oder  Siedlernamen.  Von  mehr  als  180 
verschiedenen  Ortsnamen  enthält  allein  Kyricheim  (157,  in  der  Nähe 
von  Hersfeld)  eine  Bezeichnung  auf  kirchliche  oder  christliche  Dinge. 


*)  Die  Schenkung-  des  ,Maginfredu8  quondam  servus  noster',  welche  Karl 
d.  Gr.  am  15.  Sept.  802  bestätigt  (Mühlb.  Nr.  383.  hei  Wenck  IIb  19  Nr.  14) 
lag  wahrscheinlich  weit  zurück :  die  beiden  Orte  Corneii  und  Salzaha  stehen  im 
Brev.  38  (A!)  u.  98  (B). 

*)  Dahin  rechne  ich  den  oft  gerügten  Umstand,  dass  die  augeführten  Summen 
der  Hufen  und  Mausen  zu  der  Summirung  der  Einzelangaben  nirgends  stimmen. 

*)  Das  Zehnten- Verzeichnis  (A)  kennt  wenigstens  vier;  19.  223.  225=231.  229. 


Urkundenstudien  eines  Germanisten.  369 

Solche  Beobachtungen  sind  für  die  Zuverlässigkeit  des  Breviars  wie 
für  die  historische  Namen-  und  Siedlungskunde  gleich  wichtig.  (Vgl. 
hierzu  auch  unten  S.  376  f.). 

Für  die  sprachliche  Beurtheiluug  der  Ueberlieferung 
trifft  es  sich  günstig,  dass  wir  sowohl  die  Zeit  des  Schreibers  ziemlich 
genau  bestimmen,  wie  sein  Verfahren  an  andern  von  ihm  copiiien 
und  im  Original  erhaltenen  Stücken  beobachten  können.  Auch  an 
liersfeldischen  Urkunden  seiner  eigenen  Zeit  fehlt  es  zur  weitern  Con- 
trole  nicht  —  dafür  lässt  uns  leider  die  originale  hersfeldische  Ueber- 
lieferung des  9.  und  10.  Jhs.  (von  Kaiserurkunden  u.  ä.  muss  ich  natür- 
lich absehen)  arg  im  Stich. 

Unser  Schreiber  ist  der  am  Hersfelder  Chartular  des  12.  Jhs. 
meistbetheiligte ;  die  jüngsten  Stücke,  welche  er  abgeschrieben  hat,  sind 
die  bei  Wenck  IIb  S.  85  unter  Nr.  59,  S.  87  unter  Nr.  61,  S.  95 
unter  Nr.  67  gedruckten  Urkunden  von  1131',  1141,  1145:  demnach 
dürfen  wir  seine  Thätigkeit  in  die  Zeit  kurz  vor  der  Mitte  des  Jahr- 
hunderts setzen:  er  ist  nur  wenig  älter  als  der  berühmte  und  berüch- 
tigte Fuldaer  Copist  und  Excerptor  Eberhard,  dessen  Arbeit  den  fünf- 
ziger Jahren  angehört.  Verglichen  mit  diesem  erscheint  seine  Sprache  i) 
ausgesprochen  archaisch,  wir  würden  sagen  entschieden  althochdeutsch : 
in  den  Endungen  treffen  wir  noch  stark  vorwiegend  die  vollen  Vokale. 
Aber  der  erste  Eindruck,  dass  Ch„  wie  ich  ihn  kurzweg  nennen  will, 
damit  nur  die  Wortformen  der  wesentlich  altern  Vorlage  Avieders-ebe, 
schwindet,  sobald  man  in.  zeitgenössische  Hersfelder  Urkunden  hinein- 
blickt =^) :  von  wenigen  Spuren  abgesehen,  die  es  aufzusuchen  gilt,  hat 
er  gerade  in  den  Endungen  sich  an  die  feste,  wenn  auch  zweifellos 
archaisirende  Schreibgewohnheit  seiner  Umgebung  gehalten.  Ich  habe 
die  sämmtlichen  in  Marburg  vorhandenen  liersfeldischen  Original- 
urkunden des  12.  Jhs.,  vor  allem  natürlich  die  am  Ort  selbst  vom  Abt 
oder  von  Wohlthätern  des  Klosters  ausgestellten  verglichen  und  dabei 
folgendes  festgestellt:  -husun  ist  bis  1162  ausnahmslos  und  sehr  zahl- 
reich belegt,  das  erste  -Jiusen  hab  ich  in  einer  Urk.  von  1170  ge- 
funden; noch  1160  find  ich  Sulzebrugkun^  1162  zuerst  Sulzhrucchen, 
für  -kirchen  ist  der  letzte  Beleg  Niltvenkirchun  1142;  -ingun  und 
-ungim  begegnen  noch  1145  Heilmgun^  Salzungun  und  1147  Breidin- 
gun,  dazwischen  aber  als  frühstes  Beispiel  der  Abschwächuug  1146 
Fr  Hingen.    Von  den  fem.  Singularen  notir  ich,  dass  (de  resp.  in)  -aha 

')  Ich  versteh  unter  » Sprache '^  kurzweg  die  deutschen  Namensformen  der 
Urkunden  resp.  Abschriften. 

2)  Hierüber  habe  ich  Mitth.  XVIII  S.  4  nicht  ganz  richtig  geurtheilt :  speciell 
das  dort  über  -leha  gesagte  ist  nach  dem  gleich  folgenden  zu  corrigiren. 


370  Edward  Schröder. 

seit  Beginn  des  Jahrhunderts  stehend  ist,  z.  B.  1105  (de)  Steinaha, 
1107  (in)  Liuzilaha;  1142  (de)  Geisaha,  1146  (de)  Geisaha,  de  Sul- 
zaha  —  daneben  i'reilich  de  Magencello ;  1160  in  Langensalzaha,  1170 
(de)  Erfaha,  de  Geisaha.  Aber  unser  Chartular-Schreiber  ist  offenbar 
einer  von  der  alten  Garde:  er  schreibt  in  einer  Urk.  v.  J.  1139  in 
YivaJio  (so!  Wenck  IIb  S.  54)  und  er  ändert  das  de  Hanscohesleue 
der  in  Mainz  ausgestellten,  aber  unter  Mitwirkuug  eines  Utrechter 
Schreibers  1)  zu  Stande  gekommenen  Urkunde  v.  1133  Oct.  31  im 
Chartular  (nach  dem  Wenck  IIb,  81  f.  Nr.  55  druckt)  in  de  Hans- 
alheslebo  —  ganz  wie  er  im  Brev.  schreibt.  Mit  diesem  „-leben"  hatte 
man  überhaupt  seine  liebe  Noth;  ich  finde  1155  Heruersleiben,  1156 
Phevdichesleibe,  1170  Walchesleihem  (!)  —  und  dann  noch  einmal  1179 
höchst  officiell  Swiggerus  lirejpositus  in  Mimeleibo. 

Damit  ist  der  alterthümliche  Charakter  unserer  Aufzeichnung  in 
der  Hauptsache  als  dem  Schreiber  gegen  1150  hin  noch  wohl  gemäss 
erwiesen.  Ch.  ist  im  allgemeinen  recht  consequent  namentlich  in  der 
Schreibung  der  zweiten  Compositionstheile  und  der  Endungen :  er 
schreibt  ausnahmslos  -heim  (15mal),  -dorf  (17mal,  dazu  das  eine  Eiidu- 
nestorf  186),  ausnahmslos  (18mal)  den  seit  Ausgang  des  9.  Jhs.  auf- 
gekommeneu localen  Dativ  -leho.  Nirgends  hier  ein  archaischer  Kest 
des  Originals,  etwa  ein  -thorf  oder  dorpf,  ein  -haim  oder  -leiba,  -leba, 
-lehn,  nirgends  eine  dialektische  Spur  der  niederdeutschen  Sprache  so 
vieler  nordthüring.  Orte,  ein  -dorp,  -hem,  -leva.  Wenn  er  neben 
6maligem  -bah  und  -bahc  einmal  -beche  schreibt  (175),  so  entspricht 
das  zeitgenössischem  Brauch  auch  für  Hersfeld.  Auf  ein  bis  heute  in 
Thüringen  nicht  ausgeglichenes  Schwanken  weisen  die  10  -stede  (ein 
-stete  115)  neben  16  stat;  es  ist  bemerkenswert,  dass  die  ältere  Form 
-stedi  (vgl.  das  Zehnten- Verzeichnis!)  nirgends  bewahrt  erscheint. 

Das  einheitliche  -un  des  Pluraldativs  ist  keineswegs  so  ehrwürdig, 
wie  es  etwa  Arnold  Ansiedelungen  und  Wanderungen  S.  609  f.  (der 
auch  auf  derartitre  Dinge,  aber  leider  ohue  grammatisches  Verständnis 
geachtet  hat)  auzusehen  geneigt  ist.  Bemerkenswert  ist  freilich  die 
Consequenz:  Ch.  schreibt  32mal  diesen  Dat.  Flur,  auf  -im,  einmal  -on 
(Mathanon  145),  keinmal  -ea!  Aber  in  diesem  -un  sind  ganz  ver- 
schiedene Endungen  der  karoliuischen  Zeit  zusammengeflossen:  die  alte 
Endung  -um  ist  die  Vorstufe  für  die  19  -hiisun  und  das  Hofiin  (53), 
bei  4maiigem  -ungun  und  -ingmt  liegt  -ungom,  -ingom  (Dat.  Plur.  Fem.) 
voraus,  ähnlich  in  ßurcun  (135);  in  -iviccun  131  und  -brucciin  (40. 
48.  76)  ist  der  Plural  (oder  schwache  Singular)  erst  nach  anderweitiger 

')  Der  es  fertig  gebracht  hat,  einen  hersfeldischen  Ministerialen  ans  Dorn- 
dorf a    d.  Werra  in  der  Zeugenliste  de  Thornthorp  zu  nennen. 


Urkundenstudien  einer  Gernin nisten.  31  i 

Analogie  eingedrungen,  und  für  Siinnehrunnun  9  ist  das  scheinbar 
abgescli wachte  Sunnebrunnen  (Dat.  Sing. !  daneben  Dat.  Plur.  -hrunnon) 
die  ältere  Form.  In  allem  dem  ist  nichts  alterthümliches  erhalten  oder 
braucht  doch  nichts  alterthümliches  vorzuliegen :  so  schreiben  eben  die 
Hersfelder  allgemein  um  jene  Zeit.  Und  wenn  Ch.  64  Houngun  bietet 
gegenüber  dem  Hoinge  des  Originaldiploms  Mühlb.  Nr.  246,  so  liegt 
hier  zweifellos  eine  Neuerung  vor:  eben  diese  Neuerung  hat  das  Char- 
tular  auch  (Bl.   10)  in  der  Copie  —  jenes  Diploms. 

Bei  zwei  Gruppen  von  Eigennamen  aber  lässt  den  Schreiber  Ch, 
die  sonstige  Consequenz  und  Sicherheit  einigermassen  in  Stich:  das 
sind  einmal  die  alten  neutralen  ja  -Stämme,  die  im  Nom.  auf  -/,  im 
(localen)  Dativ  auf  -e  ausgehn,  und  dann  gewisse  Feminina  mit  altem 
ö-Suffix,  wo  der  Nom.  -a,  der  Dativ  für  ihn  -o  bietet. 

Die  erste  Gruppe  umfasst  namentlich  die  alten  Collectiv-Suffixe 
(ingja)  -ingi,  (ithja)  -idi,  (ahja)  -ahi^  ferner  -ari,  -lari,  -mari,  -gowi, 
-ohi,  welche  25mal  in  der  bei  der  vorangestellten  Präposition  ,ia"'  einzig 
berechtigten  Dativform  auf  -e  auftreten;  Beispiele:  Gellinge  87,  Dullide 
49,  Rittahe  143,  Süzare  91  (Cornere  38,  Fanre  95),  Heselere  61, 
Welbmare  2,  Hohsegowe  74,  Ascrofie  107;  dazu  kommen  dann  noch 
etwa  10  ebenso  zu  beurtheilende  Formen,  wo  entweder  das  Suffix 
einfach  -ja  war  oder  auch  eine  Angleichung  aus  fremdem  (keltischen) 
Wortmaterial  vorliegt:  ]Vihe  57,  Gidse  69,  Firne  134,  Juffelze  139, 
Dribure  114  usw.  Also  in  ca.  35  .Beispielen  verwendet  Ch.  den  Dativ 
auf  -e:  ein  paarmal  auch  schon  völlig  erstarrt  als  Nominativ:  villa 
qiie  dicitur  Wehmare  2,  v.  q.  d.  Miliyige  5  —  ein  deutlicher  Beweis, 
dass  nur  noch  diese  Form  für  ihn  lebendig  war,  ganz  wie  wir  ja 
heute  die  Namen  auf  -hausen,  -ungen,  -felde,  -rode  ganz  wie  Nomi- 
native brauchen,  obwohl  ihre  dativische  Form  auch  dem  Uu  gelehrten 
erkennbar  ist.  Wenn  wir  aber  nun  dem  in  Ascrohe  107  gegenüber 
in  uilla  Erphohi  10  finden,  ferner  neben  in  Süzare  91:  in  Westari 
30,  neben  in  Dullide  49 :  in  Remmid  i  25,  dann  liegt  der  Schluss  nahe, 
dass  diese  -/-Formen  aus  der  Vorlage  stammeu,  freilich  ist  auch  der 
weitere  Schluss  geboten,  dass  jenes  nahezu  durchgebende  „in"  oder  „in 
villa"  in  dieser  Vorlage  nicht  herrschte;  mindestens  dem  karolingischen 
Original,  welches  den  Nominativ  sicher  noch  scharf  vom  Dativ  schied, 
muss  es  an  solchen  Stellen  gefehlt  haben.  Da  wir  nun  nicht  an- 
nehmen könnea,  dass  unser  Schreiber,  der  sich  sonst  als  einen  äusserst 
braven  und  unselbständigen  Copisten  zeigt,  eine  solche  durchgehende 
Aenderung  vorgenommen  habe,  so  werden  wir  sie  wohl  jener  Redactiou 
zuschreiben,  die  ich  oben  für  den  Ausgang  des  9-  oder  den  Anfang 
des    10.  Jhs.    in    Erwägung    gezogen    habe.     Die    eigenthümliche    Er- 


372  E  d  w  a  r  d  fS  c  h  r  ö  d  e  r. 

schainug,  dass  diese  drei  Namen  auf  -i  sich  uur  in  A  und  zwar  nur 
in  der  ersten  kleinern  Hälfte  finden,  soll  unten  besprochen  werden. 

Aus  der  zweiten  Gruppe  scheiden  die  Namen  auf  -leba  wegen  der 
Consequenz  aus,  mit  der  Ch.  den  Dativ  -leho  (18mal)  anwendet;  ebenso 
gibt  er  die  Simplicia  Bracho  153  und  Zimhro  16,  die  (keltischen) 
Namen  auf  -nacho  67.  68,  Grintafo  160.  Wohl  aber  stehen  10  Namen 
auf  -aho  (12.  50.  63.  71.  72.  93.  103.  104  155.  159)  3  auf  -aha 
gegenüber  (14.  98.  163)  und  auch  für  (in)  Suebada  29,  Berisciza  73, 
Amana  129,  Umisa  190  sollten  wir  bei  diesem  Schreiber  Formen  auf 
-0  erwarten.  —  Die  Verwertung  dieses  Zwiespalts  in  derselben  Kich- 
tung  wie  oben  stösst  aber  auf  ein  Bedenken :  während  zur  Zeit  von  Ch. 
die  nominativischen  -i  jener  Neutra  längst  durch  die  dativischen  -e  ver- 
drängt waren,  ist  es  bei  den  Femininen  auf  -a  umgekehrt  gegangen: 
hier  haben  die  Nominative  über  die  Dative  gesiegt,  und  die  obigen  a- 
Formen  können,  wie  uns  das  consequente  -aha  der  übrigen  Hersfelder 
Schreiber  gezeigt  hat,  mindestens  theilweise  ebenso  gut  als  eine  durch- 
dringende Neuerung  wie  als  ein  alterthümlicher  Best  angesehen  werden. 

Alterthümliche  Nominative  aber  sind  wieder,  um  von  zweifelhaftem 
(wie  Aratora  44)  abzusehen,  (in  uilla)  EihloJia  (126)  und  (in)  Bala- 
horna  141.  So  sprach  und  so  schrieb  man  ganz  gewiss  nicht  mehr 
um  1150,  wo  man  längst  bei  -lohun  und  -hornun  angelangt  war  i), 
diese  Formen  können  nur  aus  der  Vorlage  stammen,  und  sie  können 
anderseits  in  einem  karolinischen  Schriftstück  nicht  mit  der  Präposi- 
tion „in"  verbunden  gewesen  sein.  (Vgl.  hierzu  die  lehrreiche  Parallele 
unten  S.  381  unter  4). 

Wusste  der  Schreiber  Ch.,  der  sich  sonst  nicht  scheut,  die  En- 
dungen zu  modernisiren,  offenbar  schon  mit  diesen  Formen  auf  -loha 
und  -horna^  die  jede  nur  einmal  auftreten,  nichts  rechtes  anzufangen, 
so  schlüpften  ihm  bei  ganz  singulären  und  der  bequemen  etymologi- 
schen Deutung  widerstrebenden  Gebilden  archaische  Reste  noch  leichter 
durch.  So  in  Grosiun  162,  richtiger  wohl  Grösiun  (obwohl  auch  das 
monophthongische  o  noch  alt  sein  könnte),  dem  heutigen  ,Grüssen'. 
Es  ist  der  Dat.  Plur.  eines  neutralen  ya-Stammes  Gniosi,  dessen  sin- 
gularer Dativ  z.  B.  bei  Wenck  IIb,  45  (in)  (h'uose  (1057)  erscheint; 
der  plurale  Dativ  -)  müsste  aber  freilich  in  einer  fränkischen  Quelle  der 
frühen   Kurolingerzeit    Grosim    heissen    (Braune  Ahd.  Gramm  ^    §   198 


»)  Vgl.  Arnold  Ansiedelungen  und  Wanderungen  S.  136:  Balehormin  1182, 
S.   llf):  Eißohen  1324. 

2)  Man  denkt  zunächst  an  Grosium :  auch  dann  wäre  das  i  ein  ebenso  alter- 
thümlicher Rest. 


ürkundenstudien  eines  Germanisten.  373 

Anm.  6):  also  hätten  wir  hier  eine  Verlesung  von  -im  als  -hin,  und 
das  alterthümliche,  aus  den  fnldischen  Urkunden  z.  B.  schon  826 
schwindende  -m  des  pluralen  Dativs  (Mitth,  XVIII,  24)  verriete  sich 
so  wenigstens  einmal  in  einer  Entstellung?  —  Besser  eonservirt 
ist  das  zwiefach  alterthümliche  Waltminiu  138;  neben  dem  i  des 
alten  yo-Suffixes,  das  um  820  allgemein  schwindet,  haben  wir  hier 
noch  das  -u  des  (localen)  Dat.  Sing.,  welches  mit  dem  Ende  des  9.  Jhs. 
durch  das  auch  unserm  Schreiber  geläufige  -0  (vgl.  -lebo,  -aho)  ver- 
drängt wird  1). 

Fassen  wir  das  gefundene  zusammen!  Die  Gestalt,  in  welcher 
die  Ortsnamen  des  Breviarium  erscheineu,  entspricht  in  der  Hauptsache 
der  Schreibgewöhnung  des  Copisten  und  soll  die  Namen  dem  Ver- 
ständnis der  zeitgenössischen  Leser  nahebringen.  Wo  Ch.  davon  ab- 
weicht, da  haben  wir  es  entweder  mit  dem  Schwanken  der  üebergangs- 
zeit  zu  thun  (das  mag  z.  B.  für  die  drei  -aha  neben  10  -aho  zutreffen), 
oder  mit  Unachtsamkeit  (das  gilt  für  die  3  -i  statt  -e),  oder  mit  etymolo- 
gischer Unsicherheit  und  Verlegenheit  (Eihloha,  Balahorna,  Grosiun, 
Waltunniu).  Unbedingt  fest  stehn  von  vornherein  nur  zwei  Stationen, 
das  Original  aus  der  Zeit  Karls  d.  Gr.  und  die  Abschrift  gegen  1150; 
hypothetisch  ist  eine  Zwischenstation:  die  Fortsetzung  und  Schluss- 
Redactiou  in  der  zweiten  Hälfte  des  9.  und  event.  im  Anfang  des 
10,  Jhs.  Die  sprachliche  Untersuchung  hat  nur  wenige  eindeutige 
Keste  aus  der  Eutstehungszeit,  der  Zeit  vor  820  zu  Tage  gefördert: 
*  Grosim  und  *  Walthunniu ;  sie  hat  aber  keinerlei  Sprachformen  er- 
geben, welche  unbedingt  der  Zeit  um  900  (kurz  gesagt)  angehören 
müssten:  denn  Balahorna,  Eihloha;  Erphohi,  Bemmidi,  Westari  können 
sowohl  der  Zeit  um  800  als  der  Zeit  um  900  angehören;  andere  wie 
Mathanon,  die  -husiin,  -ungun,  die  -aho,  -afo,  -leho,  die  der  Zeit  um 
1150  noch  geläufig  sind,  dürften  auch  schon  in  einem  Text  von 
ca.  900  gestanden  haben.  So  könnten  wir  allesfalls  annehmen,  das 
alte  karolinische  Original  habe  von  späterer  Hand  (oder  späteren 
Händen)  Nachträge  und  einen  Abschluss  erfahren,  ohne  abgeschrieben 
oder  in  seinem  Wortlaute  sonstwie  alterirt  zu  werden.  Dagegen  spricht 
aber  mit  Bestimmtheit  die  Beobachtung,  dass  nicht  nur  echte  alte 
locale  Dative,  sondern  auch  Nominative  (resp.  Accusative),  welche  dem 


')  Die  heutige  Form  des  Ortsnamens  (, Wellen«,  im  Waldeckisclien)  führt 
übrigens  auf  Walthunnia,  und  dies  ist  offenbar  eine  Bildung  wie  wuostunn(i)a, 
huobunti(i)a  oder  wie  das  berühmte  Vircunnia  (ivaldus),  das  in  einer  Urkunde 
Karls  d.  Gr.  v.  J.  786  (Mühlb.  Nr.  262j  begegnet;  das  Grundwort  ist  germ. 
tvalthus  ,Wald'. 


p,'74  Edward  Schröder. 

Schreiber  nicht  mehr  geläufig  waren,  wie  eben  Balahorna,  Eihloha, 
Erfhohi,  Remmidij  Wesfari^  in  der  Verbindung-  mit  der  Präposition 
„in"  erscheinen.  Das  ist  für  den  alten  Schreiber  aus  der  Zeit  Karls 
d.  Gr.  undenkbar:  er  schrieb  zwar  in  Walthunniu,  in  Grosini  und  so 
gewiss  auch  in  Salzitngorn^  in  Sunthusum^  in  Sumeringe  usw.,  falls  er 
hier  das  „in"  anwandte,  aber  jene  Formen  auf  -horna^  -loha,  -i  müssen 
bei  ihm  als  Nominative  gegolten  und  so  dagestanden  haben.  Daraus 
ergibt  sieh,  dass  die  Anwendung  der  Präposition  ,in'  in  dem  uns  über- 
lieferten Texte  viel  weiter  geht  als  im  Urtext.  Nachdem  ich  aber 
alle  von  Ch.  abgeschriebeneu  Urkunden,  soweit  die  Originale  erhalten 
sind,  mit  diesen  verglichen  habe,  kann  ich  mich  nicht  entschliesseu, 
eine  solche  freilich  bequeme,  aber  doch  eonsequent  durchgeführte 
Neuerung  diesem  Copisten  zuzuschreiben.  So  drängt  mich  diese 
Beobachtunof  zu  der  an  sich  natürlichen  Annahme,  dass  mit  dem 
Abschluss  des  Breviariums  auch  eine  Umschrift  und  Redaction  ver- 
bunden war. 

Diese  in  dieselbe  Zeit  wie  die  grosse  Zehntentafel  zu  rücken,  liegt 
an  sich  nahe,  ohne  dass  es  sich  anders  als  durch  jene  oben  S.  366  f. 
augeführten  Beziehungen  bestätigen  lässt.  Wir  beobachten,  dass  die 
Tendenz,  den  Besitz  und  die  Ansprüche  der  kirchlichen  Stiftungen 
handlich  und  übersichtlich  zusammenzufassen,  zu  bestimmten  Zeiten 
au  verschiedenen  Orten  gleichmässig  sich  regt,  wenn  auch  die  Aus- 
führung eine  verschiedene  ist.  So  entsteht  um  1150  das  Hersfelder 
Chartular  und  der  Fuldaer  Codex  Eberhardi,  so  gegen  Ende  des  9.  Jhs. 
das  Piegistrum  Prumiense  und  die  Hersfelder  Zehntentafel  —  vielleicht 
auch  die  neue  Ausgabe  des    „Breviarium   S.  Lulli". 

Was  ich  noch  zu  bieten  habe,  sind  kleine  Beiträge  zur  Charak- 
teristik des  Copisten,  die  für  die  Fragen  der  Chronologie  direct  nichts 
austragen,  aber  doch  nicht  unter  den  Tisch  fallen  dürfen.  Die  Philo- 
logie  thäte  gut,  die  Technik  und  Psychologie  der  controlirbaren  Ab- 
schreiber recht  genau  zu  studiren  und  möglichst  viele  Einzelporträts 
von  solchen  Leuten  zu  sammeln.  Mit  der  Aufstellung  von  Typen  ist 
es  da  nicht  gethan:  zwischen  einem  Johannes  Falkenhagen,  der  die 
alten  Heberegister  und  Traditionen  von  Corvey  mit  der  Gewissenhaftig- 
keit des  Philologen  copirt  (Mitth.  XVIII,  37)  und  einem  Eberhard  von 
Fulda,  der  mit  seinem  kostbaren  Urkundenmaterial  umspringt  wie  ein 
ßomanschreiber  mit  der  Geschichte,  sind  unzählige  Abstufungen  und 
Nuancen  möglich.  Ja,  auch  das  Verfahren  des  Einzelnen  kann  sich 
im  Laufe  einer  grösseren  —  und  selbst  einer  kürzeren  Arbeit  ändern, 
denn  die  wenigsten  gehen  mit  festen  Principien  ans  Werk.  Der 
eine    wird    beim    weiteren  Fortschreiten    nachgiebiger    gegenüber    den 


Urkiindenstudien  eines  Germanisten.  375 

Formen  des  Original?,  der  andere  gewinnt  eine  gewisse  Sicherheit  über 
sie.  Aber  es  kann  sich  auch  beides,  jene  Nachgiebigkeit  und  diese 
Sicherheit,  kreuzen  oder  vereinigen.  Wenn  im  Brev.  die  drei  üeber- 
bleibsel  des  alten  neutralen  Nominativs  auf  -l  nur  innerhalb  des  ersten 
Sechstels  der  ganzen  Arbeit  (10.  25.  30)  vorkommen,  so  zeigt  das, 
dass  Ch.  dieser  Formen  später  Herr  geworden  ist.  Wenn  er  dagegen 
im  Eingaug  (8)  Mehderstede  und  nachher  (85)  Mehtrichesstat  schreibt, 
dort  die  vulgäre  Aussprache  seiner  Zeit  einführend,  hier  sich  mit 
einer  verständlichen  Compromissform  —  dass  Original  hatte  o.  Zw. 
Mahtrichesstat  —  beguügend,  so  lehrt  auch  diese  conservative  Wen- 
dung, dass  sieh  seine  Principieu  inzwischen  gefestigt  haben.  Er  hatte 
die  doppelte  Absicht:  a)  seinen  Zeitgenossen  das  Schriftstück  mühelos 
zugänglich  und  verständlich  zu  macheu ;  b)  anderseits  ihm  den  Cha- 
rakter des  ehrwürdigen  Denkmals  zu  wahren :  sonst  hätte  er  doch 
schon  nicht  so  consequent  die  Form  Herolfesfelt  angewendet,  die  seit 
dem  Ablauf  des  Jahrtausends  ausser  Gebrauch  gekommen  war.  Un- 
zweifelhaft gieng  sein  Streben  dahin,  Archaismen,  welche  das  Ver- 
ständnis bedrohten,  zu  beseitigen  oder  zu  mildern ;  mau  vergl.  auch 
unten  S.  380  f.  unter  4,  wie  er  mit  der  Urkunde  Kg.  Heinrichs  I.  v.  J. 
932  verfährt.  Und  wie  er  dort  zugleich  die  sehr  deutlichen  Spuren 
eines  oberdeutschen  Schreibers  verwischt  hat,  so  hat  er  aus  dem  ge- 
mischten Namenbestande  der  thüringischen  Orte  ganz  gewiss  allerlei 
niederdeutsches  ausgemerzt:  -stede  und  -beche,  die  auch  in  Osthesseu 
üblich  waren,  kann  mau  nicht  dazu  rechnen.  Nihusun  90  gegenüber 
Niivihusun  112.  164  könnte  immerhin  eine  blosse  Verschreibung  sein, 
verschuldet  durchs  Homoeoteleuton,  Wohl  aber  ist  ein  stehen  ge- 
bliebener niederdeutscher  Rest  Fertikeslebo  84,  wofür  eine  Hersfelder 
Urkunde  von  1156  Pferdichesleibe  (^Pfertingsleben")  schreibt. 

Eine  eigenthümliche  Unsicherheit  zeigt  er  gegenüber  der  Schrei- 
bung th.  Wir  sehen  in  der  Abschrift  von  Mühlb.  265  wie  er  Thoran- 
thorpf  durch  Dorndorf  ersetzt,  aber  anderseits  für  Badalacha:  Batha- 
laclia  einführt.  So  schreibt  er  denn  auch  im  Breviar  Dorndorf  (4), 
aber  anderseits  Gothaho  (12)  und  Mafhanon  (145),  und  Gothaha  bietet 
er  auch  in  der  Königsurkunde  Mühlb.  Nr.  190  v.  25.  Oct.  775,  die 
nur  durch  ihn  erhalten  ist. 

Der  Hesse  scheint  sich  zu  verratheu,  wenn  wir  108  auf  die  Cor- 
rectur  Grifistede  aus  Grißde  stossen:  hier  war  ihm  das  heutige  „Grifte", 
a.  1123  Grifide  (Arnold  S.  305),  am  Einfluss  der  Eder  in  die  Fulda 
in  die  Feder  geschlüpft.  — 

Die  „Nachträge"  182 — 195,  die  ich  vermuthungsweise  in  die 
zweite  Hälfte  des  9.  Jhs.  gestellt   habe,    sind    zu    wenig    umfangreich 


376  Edward  Schröder. 

und  bieten  zu  wenig  charakteristische  Bildungen,  als  dass  sie  zu  be- 
sonderen Beobachtungen  Gelegenheit  gäben.  Hervorgehoben  sei  nur 
Drummaresdorf  189  (heute  „Tromsdorf")  wegen  einer  eigenthümlichen 
Assirailationserscheinung,  von  der  die  althochdeutsche  Grammatik  bisher 
keine  Notiz  genommen  hat.  Der  Name  steht  nämlich  für  Druhtmares- 
oder  besser  wohl  für  Thrudmaresdorf :  und  diese  Angleichung  von  tni 
und  dm  (trotz  der  Compositionsfuge !)  zu  mm  ist  mir  nur  aus  den  Namen- 
listen osthessischer  Klöster  bekannt,  welche  die  Handschriften  der 
Annales  necrologicae  Fuldenses  MG.  SS.  XlII  217  f.  aufweisen;  z.  B. 
Burschla  (9.  Jh.):  S.  218  Z.  24  Thiommar  —  Rammar  —  Z.  25 
Liummar;  Kasdorf  (9.  Jh.):  S.  218  Z.  36  Ommunt;  Fulda  (10.  Jh.) 
S.  217  Z.  34  Ommar.  Danach  könnte  die  Form  Drummar-  recht 
Wühl  in  jene  Zeit  hinaufreichen,  der  ich  die  Nachträge  zugeschrie- 
ben habe. 

VI.  Hersfeldensia  minor a. 

1.  In  welcher  Weise  Beobachtungen  über  Ortsnamen,  wie  ich  sie 
oben  S.  368  f.  beim  Breviarium  angedeutet  habe,  für  die  Beurtheilung 
von  unsicheren  oder  verdächtigen  Diplomen  nutzbar  gemacht  werden 
können,  möcht  ich  hier  noch  für  zwei  hersfeldische  Schenkungs- 
urkunden ausführen. 

Da  ist  zunächst  die  von  Sickel,  Acta  II  416  f.  mit  gutem  Kecht 
unter  die  Fälschungen  verwiesene  Urkunde  über  0 1 1  r  a  u  (Otraha) 
Mühlb.  Nr.  249,  die  uns  nur  im  Chartular  und  zwar  von  der  Hand 
unseres  Schreibers  Ch.  aufbewahrt  ist.  Das  Diplom  (bei  Wenck  IIb, 
12,  vgl.  III,  15)  will  von  Karl  d.  Gr.  am  31-  Aug.  782  zu  Ingelheim 
ausgestellt  sein.  Das  Breviarium  weiss  von  einer  königlichen  Scheu- 
kung  in  Ottrau  nichts,  wohl  aber  nennt  es  in  B  unter  Nr.  159  i» 
Otraho  Güter  aus  privater  Tradition  und  anseheinend  von  massigem 
Umfang;  die  Kirche  wird  nicht  erwähnt.  „Die  Fassung  weicht  von 
der  aller  Schenkungsdiplome  ab"  (Sickel).  Die  Zehntengrenze  der 
„Mutterkirche  Ottrau"  im  Schwalmgebiet,  die  nach  unserer  Urkunde 
das  südliche  Knüllgebirge  und  weiterhin  dessen  östliches  Vorland  bis 
zur  Fulda  und  bis  vor  die  Thore  Hersfelds  umspannt,  schliesst  nun, 
abgesehen  von  verschiedenen  mit  Personennamen  zusammengesetzten 
Ortsbezeichnnugen  {Salmanneshusun,  Siggenhrucca ,  Wipffigesstein) ^  vor 
allem  zwei  rod-  Orte  ein,  die  heute  längst  wieder  verschwunden  sind, 
Dietwinesroht  bei  Neukirchen,  das  zuletzt  1240  bezeugt  erscheint 
(Landau,  Wüstungen  S.  133)  und  Hunengesrod  mehr  im  Gebirge,  das 
noch  etwas  später  vorkommt  (Landau  S.  127).  Das  Breviarium  kennt 
noch  keinen  einzigen  Ort  mit  -rod,  und  in  dem  reichen  Urkunden- 
bestande  Fuldas  begegnet  nach  meinen  Notizen  die  früheste  beAvobnte 


Ürkundenstudien  eines  Germanisten.  577 

Rodung  im  J.  868 :  Grimesrode  Nr.  599  ^).  Offenbar  ist  die  Besiedlung 
des  rauhen  Knülls  erst  nach  der  Gründung  und  ersten  Ausstattung 
Hersfelds  in  Angriff  genommen  Avorden.  Jene  Fälschung  gehört  in 
eine  Zeit,  wo  dies  Gebiet,  in  dem  das  Kloster  thatsächlich  seit  den 
Tagen  Karls  d.  Gr.  begütert  war,  durch  den  fortschreitenden  Anbau 
au  Wert  gewonnen  hatte. 

Ich  glaube  aber  auch  den  Zeitpunkt  und  den  äusseren  Anlass,  der 
die  Fälschung  herbeiführte,  festlegen  zu  können :  es  war  einer  der  Acte 
in  dem  jahrhundertelangen  Zehutenstreit  zwischen  Hersfeld  und  Mainz. 
Bei  Wenck  IIb,  44  findet  sich  unter  Nr.  35  die  Urkunde  vom  27.  Aug. 
1057,  durch  welche  sich  Erzbischof  Liutpold  mit  dem  Abte  Meginher 
über  die  damals  schwebenden  Streitigkeiten  vergleicht.  Darin  heisst 
es,  Hersfeld  habe  an  Mainz  übergeben  eine  Anzahl  von  Besitzungen 
im  Wormsgau,  und  damit  solle  für  alle  Zeiten  ,recompensatum  et 
pacificatum"  sein:  qnklquid  nos  et  cliorepiscopi  et  advocati  nostri  sijno- 
daliter  hahehamus  prodamare  super  decimas  et  terminos  ecclesiarum  in 
locis  qiuce  ita  nominantur :  Loubahc^  Oteraho ,  G rahenoiva ^  Gruose, 
et  ut  terminatum  sit  litigium,  quod  erat  inter  ecdesiam  de  Oteraho 
et  TIeidilhahc.  Es  lag  also  offenbar  damals  ein  Zehntenstreit  zwischen 
der  hersfeldischen  Kirche  zu  Ottrau  und  der  (mainzischeu)  zu  Heidelbach 
vor,  und  unser  Schriftstück  ist  wahrscheinlich  im  J.  1057  zu  dem 
Zwecke  angefertigt  Avordeu,  die  hersfeldischen  Zehuten-Ansprüche  im 
südlichen  Knüllgebiet  zu  stützen  oder  festzulegen.  — 

Der  gleiche  Termin  ist  gegeben  für  die  Fälschung  der  Urkunde 
über  Grebenau  (Grahanowa)  Mühlb.  Nr.  266.  Sie  lag  Wenck,  der 
sie  Bd.  III  zu  S.  278  facsimilirt  hat  (der  Abdruck  steht  III  b,  15  f.), 
und  Kopp,  der  sie  in  den  Schrifttafeln  unter  Nr.  XV  (mir  unzugänglich) 
wiedergibt,  noch  im  „Original"  vor,  das  seitdem  verschollen  ist,  ausserdem 
findet  sie  sich  im  Chartular  (Abdruck  dieser  Fassung  bei  Wenck  IIb, 
12  f.).  Sickel  II  261  (K.  106*)  hat  das  Schriftstück  den  Buchstaben 
nach  ins  11. — 12.  Jh.  gesetzt,  scheint  aber  doch  über  Inhalt  und 
Form  milder  zu  urtheilen  als  Mühlbacher,  der  es  als  „mindestens 
verunechtet"  bezeichnet.  Ich  finde  keinen  Grund,  das  Diplom  anders 
anzusehen  als  das  Ottrauer:  hier  wie  dort  ist  die  genaue  Be- 
schreibung der  Zehntengreuze  eine  offenbare  Fälschung  des  11.  Jhs. ; 
auch  hier  treffen  wir  ein  -rod  an:  Humhenrod,  und  die  Sprachformen 
der  Flurbezeiehnungen  sind  durchgeheuds  so  jugendlich,  dass  der 
Schreiber  des  Chartulars  (wie  man  sich  aus  einem  Vergleich  der  beiden 


')  Die  ältesten  nachweisbaren  hessischen  -rode  sind  Benterode  und  Escherode 
im  Kaufungerwald,  Anfang  d.  9.  Jhs.  (Arnold  S.  259.  452.  453). 

Mittheilungen  XX.  25 


378  Edward  Schröder. 

Fassungen  bei  Wenck  III b  und  IIb  überzeugen  mag)  fast  gar  nichts 
zu  ändern  brauchte.  In  wieweit  sich  die  Hersfelder  Ansprüche  für 
Grebenau,  das  1057  (s.  o.)  ebenfalls  unter  den  streitigen  Orten  ge- 
nannt wird,  auf  ältere  Urkunden  stützten,  vermögen  wir  nicht  nach- 
zuweisen: im  Breviarium   S.  Lulli  kommt  der  Ort  gar  nicht  vor.  — 

Dagegen  hat  Mühlbacher  seine  Nummer  265  noch  nachdrücklicher 
als  Sickel,  Acta  II  261  sein  K  107*  als  , durchaus  unverdächtig"  be- 
zeichnet, und  mit  gutem  Grunde,  darf  auch  der  Germanist  hinzufügen. 
Die  Schenkung  Dorndorfs  (786),  mag  auch  immerhin,  was  uns 
vorliegt,  eine  Nachbildung  der  echten  Urkunde  aus  der  Zeit  um  900 
sein  (Sickel  a.  a.  0.),  ist  nach  der  Bildung  wie  nach  der  Lautform  der 
Ortsnamen  ein  getreues  Denkmal  des  ausgehenden  8.  Jahrhunderts.  Der 
Zeit  um  900  widersprechen  entscheidend:  Thoraidliorpf  mit  beiden  tJi 
und  dem  'pf^  das  zweimalige  Uuisora  mit  seinem  o^  das  im  9.  Jh. 
dem  a  weicht,  JVidinsio  mit  der  Erhaltung  des  um  900  geschwundenen 
0  (älter  iv)  und  dem  interessanten  Uebergang  von  eo  in  io^  den  wir 
genau  entsprechend  nur  aus  dem  fuldischen  Tatian  (um  825)  kennen 
(Braune  Ahd.  gramm.  -  §  43  Anm,  6) :  allerdings  würde  gerade  dieser 
Uebergang  eher  noch  für  den  Anfang  des  9.  Jhs.  sprechen,  als  für  die 
Zeit  um  786,  wo  er  anderweit  nicht  bezeugt  ist,  aber  wir  haben  es 
mit  einem  Gebiete  zu  thun,  für  das  literarische  Denkmähler  ja  ganz 
fehlen.  —  Wir  befinden  uns  freilich  mit  -aha^  -fJiorpf)  -lachet,  -strazza, 
-feltJj  -dal,  -bah,  -seo,  -hougi,  -herga,  -garto  in  einer  etymologisch 
durchgeheuds  klaren  und  einfachen  Wortumgebung  und  also  nicht  auf 
jenem  ältesten  germanischen  Siedlungsboden,  welcher  z.  B.  durch  die 
zahlreichen  >yamen  auf  -i  (älter  -ja)  des  Breviarium  (oben  S.  371) 
charakterisirt  wird,  aber  nichts  in  den  Ortsnamen  weist  (obwohl  die 
Weinberge  sie  bezeugen)  auf  die  Thätigkeit  der  Kirche  und  nichts 
auf  die  jüngeren  Siedlungen  und  Rodungen  hin:  es  ist  durchgeheuds 
die  mittlere  Schicht  der  Flur-  und  Ortsbezeichnung. 

2.  Da  die  oben  (S.  366)  herangezogene  Urkunde  der  Retun, 
durch  welche  dem  Kloster  Hersfeld  der  gesammte  Besitz  der  Dame  in 
Burgdorf  zugesprochen  wird,  mit  den  zahlreichen  namhaft  gemachten  „liti 
et  servi"  und  einer  langen  Zeugenliste  (im  ganzen  sind  über  100  Namen 
erhalten)  ein  mehrseitiges  Interesse  besitzt,  so  mögen  hier  einige  Worte 
darüber  am  Platze  sein.  Die  Urkunde  ist  auf  niederdeutschem  Boden 
in  Burgdorf  ausgestellt  durch  die  Schenkerin  und  ihren  Bevollmäch- 
tigten: .ocu.iis  mens;  die  Ergänzung  des  Herausgebers  Bernhardi 
zu  loiHttna  scheint  mir  graphisch  nicht  zulässig,  ich  möchte  focatus 
vorschlagen,  ohne  freilich  eine  genaue  Parallele  zur  Hand  zu  haben, 
das  deutsche  fogat  dürfte  die  Form  Avohl  rechtfertigen.    Der  Schreiber 


Urkundenstuclien  eines  Germanisten.  3*79 

der  Urkunde  war  ein  Hochdeutscher  und  bestrebt,  alle  Namen  in  hoch- 
deutscher Form  zu  geben,  wie  ihm  das  auch  besonders  in  der  Zeugen- 
liste durchaus  gelingt :  Hruoduuart,  Uodilhart,  Ratolf,  Helpfrih  mögen 
dafür  genügen.  Nicht  immer  freilich  hat  er  sich  zurecht  gefunden : 
der  Name  des  Hörigen  Wrekio  ist  reiu  niederdeutsch  geblieben  (hoch- 
deutsch müsste  er  um  diese  Zeit  längst  Rekko  heissen),  und  den  Namen 
seiner  sächsischen  Auftraggeberin,  welche  zweifellos  Uedun  hiess,  hat 
er  nur  consonantisch  angeglichen,  nicht  zu  Raum  i")  verhochdeutscht. 
Gleichwohl  besteht  an  seiner  hochdeutschen  Herkuuft  und  Tendenz  kein 
Zweifel,  und  darum  ist  seine  Orthographie  für  die  nicht  gauz  sichere 
Zeitbestimmung  verwertbar.    Ich  hebe  daraus  nur  zweierlei  hervor: 

a)  das  pf  in  Burgdorpf  (2mal)  —  Helpfrih ; 

b)  die  Erhaltung  des  anlautenden  h  vor  r  in  den  Namen  (der 
Unfreien:)  Hruoduui^  HruodJiiU^  (der  Zeugen:)  llruoduuart,  Hrudiger, 
Ilradaboto^  daneben  Fortfall  (bei  den  Unfreien) :  RuodriJi  und  Ruodloug. 

Ich  habe  Mitth.  XVIII  S.  7  ad  a)  ausgeführt:  dass  in  den  Fuldaer 
Urkunden  die  Form  -dorpf  zuletzt  837  im  Brauch  sei  und  darüber 
hinaus  nur  noch  einmal  -thorpf  (855)  auftauche;  ad  b)  hab  ich  ebda  S.  4 
gezeigt,  dass  in  Fulda  der  Abfall  des  anlautenden  h  zwar  schon  gegen 
800  einsetzt,  aber  gerade  in  den  Namen  mit  Hruod-  (und  in  Hrahan-) 
noch  bis  gegen  860  hin  der  Anlaut  vorherrschend  gewahrt  ist.  Das 
Hersfelder  Zehuteu-Verzeichnis,  das  ich  dort  dem  „zweiten  Drittel  des 
9.  Jahrhunderts",  in  allgemeinerer  Fassung  der  „Zeit  um  850"  zu- 
gewiesen habe,  hat  durchgehends  -dorpf)  aber  kein  Hr-  mehr!  Ich 
hoffe  unten  (unter  3.)  für  das  Zehnten-Verzeichnis  einen  bestimmteren 
Termin,  das  Jahr  845,  wahrscheinlich  zu  macheu.  Blicken  wir  von 
da  auf  die  Schenkung  der  ßetun  mit  ihrem  stark  vorherrschenden  Hr-^ 
so  werden  wir  eher  geneigt  sein,  sie  früher  als  später  anzusetzen.  Nun 
lässt  uns  ihre  Datirung:  mense  augusto.  quarto  lud.  septemhrio  (!) 
anno  XXIL  regnante  Hluodouuieo  gloriosisslm.  .....  die  Wahl  zwi- 
schen 835  und  854:  wir  werden  uns  noch  unbedenklicher  für  835 
entscheiden,  als  das  der  Herausgeber  und  nach  ihm  Dobenecker  (Nr.  157) 
gethan  haben. 

3.  Zu  der  eben  verratenen  bestimmteren  Datirung  des  Zehnten- 
Verzeichnisses  A  haben  mich  folgende  Erwägungen  geführt.  Ge- 
lingt es  innerhalb  jenes  mit  sprachlichen  Kriterien  allein  ermittelten 
chronologischen  Abschnitts  einen  bestimmten  Zeitpunkt  zu  finden,  wo 
die  Herstellung  einer  derartigen  „tabula  decimationis*  für  die  Hers- 
felder nahelag  oder  gar  eine  gegebene  Nothwendigkeit  zur  Vertheidi- 


Vgl.  z.  B.  Dronke  Nr.  475  (a,  827). 


380  Edward  Schröder. 

gung  resp.  Abgrenzung  ihrer  Ansprüclie  war,  so  hat  dieser  Terrain 
eine  gesteigerte  Wahrscheinhchkeit  für  sich :  denn  ich  selbst  habe 
meine  Untersuchung  ausschliesslich  unter  dem  sprachgeschichtlichen 
Gesichtspunkt  begonnen  und  durchgeführt.  Nun  wissen  wir,  dass  eben 
im  fünften  Jahrzehnt  des  9.  Jhs.  der  Streit  zwischen  Mainz  und  Hers- 
feld über  die  Zehnterhebung  in  ganz  Thüringen  entbrannte  und  eben 
im  Jahre  845  zum  ersten  Male  l^ieigelegt  wurde  ^) :  Ann.  Hildesheim, 
MG.  SS.  in  46,  Lampertus  ed.  Holder-Egger  S.  2(3. 

Wenn  die  Hersfelder  damals  mit  ihrer  weitgehenden  Behauptung, 
seit  Karl  d.  Gr.  „omnem  decimationem  in  Thuringia"  zu  besitzen,  im 
Unrecht  blieben,  so  werden  sie  um  so  nachdrücklicher  ihr  wirkliches 
Recht  auf  die  ,,decmafio  in  Frisonoveld" ,  wie  es  die  Zehuteu-Tafel  A 
bietet,  zusammengefasst  und  specificirt  haben.  Damals  also,  mit  dem 
Abschluss  des  ersten  Zehntenstreites,  ist  der  natürliche  Termin  für  die 
Anfertigung  eines  derartigen  Schriftstückes  von  einheitlicher  sjn-ach- 
licher  Eedaction  gegeben. 

4.  Für  die  Urkunde  Heinrichs  I.  Nr.  32  v.  1.  Juni  932 
(Dipl.  I  67)  hab  ich  Mitth.  XVIIl,  19  die  Verwerthung  einer  älteren 
Namenliste  aufgezeigt,  indem  ich  hauptsächlich  das  durchaus  archaische 
Seo(rehininga)  betonte.  Ich  hätte  auch  darauf  hinweisen  sollen,  dass 
die  barbarische  Verbindung  der  Präposition  „in"  mit  den  alten  Nomina- 
tiven: „in  locis  OsterJiKsa,  Asendorf^  TJuntsa,  Hompergi^  Seore- 
hininga,  SitecJienhaJique"  sich  eben  aus  der  Benützung  jener  weit 
älteren  Vorlage  erklärt.  Wir  besitzen  nun  von  diesem  Diplom,  was 
der  Bearbeiter  Foltz  nicht  erwähnt,  eine  Abschrift  im  Hersfelder  Char- 
tular,  die  freilich  durch  einen  der  vielen  Blattverluste,  welche  den  Codex 
betroffen  haben,  unvollständig  ist.  Sie  setzt  auf  Bl.  15  der  neuen  (Bl.  31 
der  alten)  Zählung  oben  mit  Serebeninge  (Z.  17)  ein,  und  ich  gebe 
hier  ein  vollständiges  Verzeichnis  der  in  ihr  enthaltenen  Eigennamen, 
dem  ich  die  Formen  des  Originals  gegenüberstelle :  so  lernt  der  Leser  am 
besten  das  Verfahren  des  Mannes  kenneu,  dem  wir  auch  die  Erhaltung 
des  Breviarium  S.  Lulli  verdanken:  17  SeorehlningaJ  Serebeninge  — 
Sitechenbah]  Sitichenbalic  —  20  Altgeuue  et  ÜuestgeuueJ  Altgowe  et 
Westgoive  —  20  Meginuuarchi  et  SigifridiJ  Megimvardi  et  Sigefridi 
—  21  Tentiistat]  Dennistat  —  Chirihbaringa^  J'uolnesbannga,  Faringi] 
Beringe^    Kirihberingc^    Wolfesberinge  —  Bisenuuinida]   Bisemcinedun 


')  S.  vor  allem  Ausfeld.  Lambert  von  Hersfeld  u.  der  Zehntstreit  (Marb. 
Diss.  1879)  y.  -IVi  ü'.,  wo  u.  A.  die  im  Hersfelder  Chartular  enthaltene,  bei  Wenck 
IIb  24  f.  (nr.  27)  gedruckte  Notiz  als  Fälschung  erwiesen  ist.  Ferner  Dümmler 
üesch.  d.  Ostl'räuk.  Heiches  I-  242  f. 


ürkimdenstudien  eines  Germanisten.  3g  ]^ 

—  Falchinaha  ^)J  Falkinaha  —  Hursilagemundi]  Hursilagemunde  — 
22  ÄsbahJ  Äsbahc  —  Eckihartesleha]  Eggehardesleho  —  AsgariJ 
Asgarun  —  Saltzaha]  Sahaha  —  Durniloha  bleibt!  —  Germari] 
Germare. 

Der  Thatbestaud  ist  höchst  lehrreich.  Ch.  mildert  einmal  die 
aufdringlich  oberdeutschen  Formen  des  königliches  Schreibers :  Tenni-, 
Chirih-,  Falchin-,  Paringi^  Edcihartes-.  Dann  aber  modernisirt  er, 
und  zwar  führt  er  nicht  nur  in  der  ersten  Liste,  wo  den  Ortsnamen 
ein  .in-  vorhergeht,  sondern  auch  in  der  zweiten,  wo  sie  im  Acc. 
stehu,  die  ihm  geläufigen,  bereits  erstarrten  Dativformen  ein:  -inge 
für  -ingi,  -mare  für  -mari,  -gemunde  für  -gemundi,  -lebo  für  -leha, 
-winedun  für  -uuinida;  in  Asgarun  hat  er  gleichzeitig  den  Plural 
eingestellt  (während  er  im  Brev.  9ß  Asgore  demselben  Orte  die  Ein- 
zahl liess),  in  Ser  eben  inge  und  in  den  zwei  -beringe  hat  er  umgekehrt 
einen  Plural  (Fem.^  durch  einen  Sing.  (Xeutr.)  ersetzt.  Unangetastet 
liess  er  die  -aha^  was  nicht  auffallt,  und  vor  allem  Durtiiloha^  was  zu 
seinem  Verhalten  gegenüber  Eihloha  Brev.  126  stimmt  (oben  S.  372). 

Die  Geschichte  der  Urkunde  von  ihren  Vorlagen  bis  zum  Char- 
tular  herab  hat  also  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  dem,  was  ich  über 
die  Schicksale  des  Breviarium  S.  Lulli  ermittelt  zu  haben  glaube:  ein 
Ortsnamenverzeichnis  des  9.  oder  gar  8.  Jhs.,  das  im  Nominativ  gehalten 
war,  wird  später  theilweise  gestört  durch  Voranstellung  der  Präp.  „in*. 
Der  Chartularschreiber  des  12.  Jhs.  renkt  die  Sache  unwillkürlich 
dadurch  ein,  dass  ihm  ohnedies  bereits  die  dativischeu  Formen  die 
geläufigen  sind,  —  aber  auch  er  lässt  noch  gewisse  fossile  Beste  zu- 
rück, von  denen  das  ihm  ungeläufige  und  etymologisch  unklare  -loha 
beiden  Copien  gemeinsam  verbleibt. 

5.  Zum  Schlüsse  sei  es  mir  gestattet,  hier  einen  Irrthum  zu  be- 
kennen, auf  den  mich  Herr  Prof.  Hafner  in  Hersfeld  aufmerksam  se- 
macht  hat.  Ich  habe  Mitth.  XVIII,  21  gelegentlich  der  Urkunde 
Ottos  IL  Nr.  191  (Dipl.  IL  217  f.)  und  ihrer  Ueberlieferung  im 
Chartular  die  Ansicht  ausgesprochen,  der  Copist  des  12.  Jhs.  könne 
an  den  nordthüringischen  Orten,  ,mit  denen  sein  Kloster  seit  zwei 
Jahrhunderten  nichts  mehr  zu  thun  hatte",  kaum  ein  besonderes 
Interesse  gehabt  haben.  Dabei  war  mir  vollständio-  entgangen,  dass 
der  Tausch  vom  Jahre  979  bereits  1015  wieder  rückgängig  gemacht 
wurde,  vgl.  die  Urkunde  Heinrichs  LI.  bei  Wenck  III  b,  45  Nr.  47 
und  dazu  die  Urkunden  Heinrichs  V.  ebda  S.  64  f.  Nr.  64.  65.  — 
An  meinen  Ausführungen  brauch  ich  darum  nichts  weiter  zu  ändern. 

')  Im  Original  von  späterer  Hand  nachgetragen. 


Die  Königskrönimg  Wratislavs  von  Böhmen  nnd 
die  angebliche  Mainzer  Synode  des  Jahres  1086. 

Von 

H.  Spangenberg. 


Von  Mähren,  Polen  und  Böhmen  aus  Avar  seit  dem  Niedergange 
der  karolingischeu  Herrschaft  die  Begründung  eines  selbständigen 
Slavenreiches  an  der  Ostgrenze  Deutschlands  versucht  worden  mit 
steigendem  Misserfolge,  je  mehr  das  abendländische  Kaiserreich  an 
Macht  und  äusserer  Ausdehnung  gewann.  Die  umfassenden  Pläne, 
welche  Suatopluk  von  Mähren  der  Verwirklichung  nahegeführt,  der 
Pole  ßoleslav  Chabri  mit  minderem  Glücke  aufgenommen,  scheiterten 
in  Bretislavs  Hand  an  dem  Widerstand  Kaiser  Heinrichs  III.  Der 
panslavistische  Gedanke  hatte  sich  überlebt,  seit  die  Staatenbildungen 
im  Osten  des  Keichs  zu  fester  Gestalt  gelangt  und  durch  die  be- 
herrschenden Mächte  des  Abendlandes  dem  Organismus  des  Keichs 
und  der  katholischen  Kirche  eingefügt  waren. 

In  richtiger  Erkenntnis  der  politischen  Lage  und  der  Schranken 
seiner  eigenen  Macht  gab  der  Pferayslide  Bretislav  nach  dem  miss- 
glückten Feldzuge  des  Jahres  1041  den  Widerstand  gegen  die  Eeichs- 
SCewalt  auf  und  bewahrte  seitdem  Heinrich  III.  die  Lehenstreue.  Der 
Sohu  und  Nachfolger  des  mächtigen  Kaisers  fand  in  der  Zeit  des  tiefen 
Verfalles  des  fränkischen  Königthums  in  Herzog  Wratislav  von  Böhmen 
die  zuverlässigste  Stütze  seiner  Herrschaft,  Bei  dem  schroiFen  Gegen- 
satz zu  Polen,  der  feindlichen  Gesinnung  seiner  Brüder,  der  Wider- 
setzlichkeit des  böhmischen  Adels  und  Clerus  hatte  AVratislav  ein 
wohlbegründetes  Interesse,  sich  Heinrich  IV.  zu  verbinden,  um  so 
mehr    als    dieser    ihm    eine    Vergrösserung    seines    Herrschaftsgebietes 


\ 


i 


Die  Königskroiiung  Wratislavs  von  Böhmen  etc.  333 

durch  Erwerb  der  Mark  Meissen  in  Aussicht  stellte  1).  Nach  der 
Sachsenschlacht  bei  Homburg  (9.  Juni  1075)  erfüllte  der  König  sein 
Versprechen ;  aber  kurz  darauf  mussteu  die  Böhmen  dem  jugendlichen 
Ekbert  von  Meissen  und  seinen  sächsischen  Bundesgenossen  die  öst- 
lichen Marken  wiederum  räumen  ^). 

Herzog  Wratislav  blieb  nur  der  Anspruch  auf  die  sächsischen 
Grenzmarken.  Die  Ungunst  der  Zeiten  versagte  es  ihm,  sich  mit 
Waffengewalt  in  den  Besitz  der  verlorenen  Gebiete  zu  setzen ;  denn  in 
den  traurigen  Zeiten,  da  die  Bande  des  Reichs  sich  allerorten  lösten, 
der  polnische  Herzog  sich  die  Königskrone  aufs  Haupt  setzte,  Ungarn 
die  Fesseln  deutscher  Herrschaft  abschüttelte,  stand  der  Böhme  unter 
den  Freunden  des  Königs  fast  vereinsamt.  Von  Heinrich  IV.  durfte 
er  keine  Hülfe  erwarten,  seit  das  schuldbeladene  deutsche  Fürstentlium 
dem  Papste  die  Hand  reichte,  um  das  Königthum  der  tiefen  Ernie- 
drigung von  Canossa  zu  unterwerfen. 

Als  Heinrich  IV.  vom  Banne  gelöst  nach  Deutschland  zurück- 
kehrte, gesellte  sich  Wratislav  zu  den  wenigen  Getreuen,  die  sich 
Anfang  1077  am  Regensburger  Hof  um  ihren  schwer  gedemüthigten 
Herrscher  scharten  ■^).  Seitdem  stand  er  ihm  zur  Seite  ausdauernd 
und  opferfreudig,  wie  kein  anderer  Reichsfürst.  Böhmische  Tru])pen 
kämpften  1077  in  Schwaben^)  und  Baieru'');  bei  Meirichstadt  am 
7.  August  1078  deckten  sie  den  Rückzug  der  geschlagenen  kaiserlichen 
Truppen*');  in  der  Schlacht  bei  Dorla  (am  27.  Jan.  1080)  sollen  3255 
Böhmen  in  heldenmüthigem  Kampfe    gefallen    sein,    unter    ihnen    der 


')  Bruno  De  hello  saxonico  M.  G.  V  341,  342.  Mit  Giesebrecht  Geschichte 
der  deutschen  Kaiserzeit  III  2  S.  1137  an  der  Thatsache  jenes  Versprechens  zu 
zweifeln,  scheint  mir  kein  Grund  vorzuliegen.  Ekbert  war  zwar  1074  im  Besitz 
Meissens  und  stand,  wie  es  scheint,  auf  Heinrichs  IV.  Seite.  Das  hinderte  aber 
den  König  nicht,  1075  in  Ekberts  Besitzungen  einzufallen  und  einen  Theil  der- 
selben seinem  Günstling  Udalrich  von  Godesheim  zu  schenken  cf.  Bruno  cap.  5b' 
M.  G.  V.  349;  und  1076  hat  der  König  dem  böhmischen  Herzog  das  Versprechen 
thatsächlich  erfüllt,  das  er  ihm  nach  Bruno's  Bericht  zwei  Jahre  zuvor  gegeben 
haben  soll  cf.  Lamberti  ann.  M.  G.  V  233. 

2)  Lamberti  ann.  M.  G.  V  249,  250. 

8)  Bertholdi  ann.  M.  G.  V  294. 

4)  Bertholdi  ann.  M.  G.  V  295;  Bemoldi  chron.  M.  G.  V  434;  Bruno  De 
hello  saxon.  M.  G.  V  367.  Ueber  Wratislavs  Theilnahme  am  Hoftag  von  Nürn- 
berg vgl.  K.  F.  Stumpf  Die  Reichskanzler  Nr.  2802  (Urk.  v.  11.  Juni  1077). 

6)  Bertholdi  ann.  M.  G.  V  302. 

")  Chron.  petershusanum  H  34  bei  F.  J.  Mone  Quellensammlung  der  badi- 
schen Landesgeschichte  Karlsruhe  1848  ßd.  I  137. 


384  H.  S  p  a  n  g  e  n  b  e  r  g. 

Burggraf  vou  Prag  ^) ;  auch  in  der  Elsterschlaclit  bei  Hohen-Mölseu 
hatte  Heinrich  IV.  auf  Wratislavs  Hülfe  gerechnet  2). 

Der  Versuch  der  Böhmen,  während  des  deutschen  Bürgerkrieges 
die  Meissner  Mark  in  ihren  Besitz  zu  bringen  (1079),  missglückte  ^). 
Ein  Ersatz  schien  sich  zu  bieten,  als  Heinrich  IV.  den  Babenberger 
Liutpold,  welcher  zu  Tuln  dem  Könige  die  Treue  abgeschworen  und 
dessen  Anhänger  aus  dem  Lande  vertrieben,  die  österreichische  Mark 
aberkannte.  Sie  wurde  —  vermuthlich  während  des  Regensburger 
Hoftages  im   März   1081  —  dem  Pfemysliden  übertragen^). 

Indessen  Borivoy,  Wratislavs  jugendlicher  Sohn,  unter  der  Obhut 
Wiprechts  von  Groitsch,  eines  waffengeübten  und  den  Böhmen  seit 
längerer  Zeit  dienstbaren  Rittersmanues  den  deutschen  Kaiser  nach 
Rom  geleitete  ^),  versuchte  der  Herzog  sich  in  den  Besitz  der  öster- 
reichischen Mark  zu  setzen.  Am  12.  Mai  1082  erfocht  er  bei  Mailberg 
nahe  der  mährischen  Grenze,  wo  Böhmen  und  Oesterreicher  sich  da- 
mals zum  ersten  Male  in  blutigem  Kampfe  massen,  einen  entschie- 
denen Sieg'').  Aber  obwohl  Heiurich  IV.  selbst  1084  nach  der  Rück- 
kehr aus  Italien  den  Kampf  gegen  den  Abtrünnigen  erneuerte  ■^),  blieb 
der  Babenberffer  im  Besitz  der  österreichischen  Mark. 

Erst  spät  erhielt  der  Herzog  den  längst  verheissenen  Lohn  aus- 
dauernder   Treue.     Auf   der    Synode    zu    Mainz    (nach    Cosmas    1086) 


1)  Bertholdi  ann.  M.  G.  V  324,  325  ;    Bruno  De  hello   saxon.  M.  G.  V  378. 

2)  Nacla  Bruno  M.  G.  V  380,  381,  der  über  die  Ereignisse  im  deutsehen 
Norden  gut  orientirt  ist  und,  wie  es  scheint,  persönlich  an  der  Schlacht  bei 
Mölseu  theilnahm  (vgl.  Kap.  123),  wartete  der  K(»nig  vergeblich  auf  die  Ankunft 
der  Böhmen.  Die  Pegauer  Annalen  M.  G.  XVI  241,  242,  eine  wenig  zuverlässige 
Quelle,  berichten,  dass  Wratislav  und  Wiprecht  von  Groitsch  am  Kampfe  theil- 
nahmen  und  dem  geschlagenen  kaiserlichen  Heer  das  Geleit  durch  Böhmen  gaben ; 
und  nach  der  Petershauser  Chronik  II  38  bei  Mone  a.  a.  0.  I  137  waren  die 
Operationen  des  Gegenkönigs  Rudolf  ausschliesslich  gegen  Wratislav  und  sein 
slavisches  Kriegsheer  gerichtet. 

•■•)  Bertholdi  ann.  M.  G.  V  320;  ann.  pegav.  M.  G.  XVI  241. 

*)  Vita  Altmanni  cap.  25  M.  G.  XII  236.  Dass  Wratislav  im  März  1081 
sich  in  des  Königs  Gefolge  befand,  bezeugt  Stumpf  Acta  imperii  S.  77,  78  Nr.  74 
(Urk.  V.  18.  März  1081).  Vgl.  0.  Posse  Die  Markgrafen  von  Meissen  und  das 
Haus  Wettin.     Leipzig  1881  S.  188  Ann.  102. 

6)  Ann.  peg.  M.  G.  XVI  238—240. 

«)  Vita  Altmanni  M.  G.  XII  236;  ann.  mellic.  M.  G.  IX  500;  contin.  clau- 
stroneob.  M.  G.  IX  608.  Dass  die  Darstellung  des  Cosmas  II  35  M.  G.  IX  90 
grösstentheils  einem  Schlachtbericht  Regino's  von  Prümm  (zum  Jahre  891)  ent- 
lehnt und  daher  unbrauchbar  ist,  bemerkt  ßretholz  Geschichte  Mährens  I  2,  215 
Anm.  1. 

'j  Ann.  iburg.  M,  G.  XVI  438.  -    ..   . .' -  ..: 


Die  Königskrönung  Wratislavs  von  Böhmen  etc.  335 

wurde  er  von  Heinrich  IV.  mit  Zustimmung  der  anwesenden  welt- 
lichen und  geistlichen  Fürsten  zum  Könige  ,von  Böhmen  und  Polen" 
ernannt,  und  in  des  Kaisers  Auftrage  vom  Erzbischof  Egilbert  von 
Trier  zu  Prag  am  15.  Juni  mit  seiner  Gattin  Suatava  feierlichst  ge- 
krönt 1). 

So  erzählt  Cosmas  von  Prag,  der  uns  von  der  Krönung  des  Böhmen 
ausführlicher  Nachricht  gegeben  hat.  if^uch  er  ist  oberflächlich  genug 
unterrichtet;  nichts  desto  weniger  hat  er  allgemein  Glauben  gefunden. 
Nach  übereinstimmender  Annahme  Palackj's,  Dudiks,  Giesebrechts  u.  a.  -) 
sind  nach  Heinrichs  IV.  Kückkehr  vom  Komzuge  (1084)  zwei  Synoden 
zu  Mainz  in  den  Jahren  1085,  1086  abgehalten  worden,  üeber  den 
Verlauf  der  ersteren  sind  wir  durch  eine  grössere  Anzahl  zuverlässiger 


•)  Es  wäre  möglich,  dass  der  Rechtstitel  eines  Königs  von  Polen  aus  der 
Tributzahlung  hergeleitet  wurde,  zu  welcher  die  Polen  Böhmen  gegenüber  für 
die  ihnen  1054  von  Bretislav  abgetretenen  Länder  verpflichtet  waren  (cf.  ann. 
alt.  M.  G.  XX  807;  Cosmas  II  13  M.  G.  IX  75,  III  1  M.  G.  IX  102).  Die  An- 
schauung, dass  diese  Tributzahlung  eine  Art  Abhängigkeit  Polens  begründe, 
spricht  sich  z.  B.  auch  in  den  Worten  aus,  welche  Cosmas  III  36  M.  G.  IX  120 
Wladislav  in  den  Mund   legt,    um    die  Böhmen  (1110)    zum  Kampf  gegen  Polen 

aufzumuntern:  ,0  Boemi !    Nunc  vestri  tributarii,  quibus  semper  fuistis 

timori,  vobis  adhuc  spirantibus  insultant  et  terram  vestram  devastant'.  Indessen 
erscheint  es  mir  zweifelhaft,  ob  dem  Premysliden  thatsächlich,  wie  Cosmas  allein 
behauptet,  der  Titel  eines  Königs  von  Polen  beigelegt  wurde :  Die  vom  Chro- 
nisten mitgetheilten  Worte  der  Acclamation  der  Böhmen  nach  Wratislavs  Krö- 
nung stimmen  fast  wörtlich  (vergl.  Manitius  in  den  Mittheil.  d.  Inst.  f.  östcrr. 
Gesch.  1887  VIII  482)  mit  dem  Zuruf  der  Römer  bei  Karls  des  Grossen  Kaiser- 
krönung übereiu,  sind  also  vermuthlich  einer  fränkischen  Quelle  entlehnt.  Und 
ferner  ist  es  bemerkenswert,  dass  sich  der  Titel  ,rex  Polonorum«  für  Wratislav 
urkundlich  nirgends  nachweisen  lässt.  Vgl.  auch  Röpell  Geschichte  Polens  I  208. 
Hiernach  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass'  der  Anspruch  Böhmens  auf  einen 
Vorrang  dem  feindlichen  polnischen  Schwesterstamme  gegenüber  Veranlassung 
war  zur  Entstehung  der  von  Cosmas  übermittelten  Tradition,  dass  Wratislav 
1085  auch  zum  König  von  Polen  ernannt  sei. 

•)  Palacky  Geschichte  Böhmens  I  318  ff. ;  Dudik  Geschichte  Mährens  II  420  ff. ; 
Giesebrecht  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit  ÜI  606  ff'.,  616  ff.;  H.  Floto 
Kaiser  Heinrich  IV.  und  sein  Zeitalter  1856  Bd.  II  318 ;  G.  A.  Stenzel  Geschichte 
Deutschlands  unter  den  fränkischen  Kaisern.  Leipzig  J827  S.  527  etc.  Wenn 
F.  Schannat  und  J.  Hartzheim  Concilia  Germaniae  Tom.  III  1760  S.  201 — 203  die 
Vereinigung  der  Bisthümer  Prag  und  Olmütz  zum  Jahre  1085  berichten,  so  ist 
diese  Angabe  wohl  aus  einem  Versehen  der  Herausgeber  zu  erklären.  Alle 
späteren  Darstellungen  der  Conciliengeschichte  führen  zwei  Mainzer  Synoden 
(1085  und  1086)  an,  so  Mansi  Sacrorum  conciliorum  collectio  1775  Tom.  XX 
S.  603,  613  ff.,  635  ff".;  C.  J.  von  Hefele  Conciliengeschichte  Freiburg  1886  Bd.  V 
182—183,  183,   186-187  u.  a. 


QQg  H.  Sp  au  genberg. 

Quellen  unterrichtet:  von  der  zweiten  dagegen,  während  deren  Wra- 
tislav's  Krönung  stattgefunden  haben  soll,  berichtet  Cosmas  allein. 
Um  die  Richtigkeit  seiner  Angabe  prüfen  zu  können,  stellt  sich  zu- 
nächst die  Frage,  ob  die  Darstellung  des  Chronisten  im  allgemeinen 
Glaubwürdigkeit  beanspruchen  darf. 

Im  zweiten  Buch  seiner  Chronik  Cap.  37  erzählt  Cosmas, 
auf  der  Mainzer  Synode  des  Jahres  1086  sei  Wratislav  von  Hein- 
rich lY.  zum  Könige  Böhmens  gekrönt  worden.  Während  der- 
selben Synode  habe  Gebhard,  der  Bischof  von  Prag,  seine  Klage- 
schriften gegen  Johann,  den  Bischof  von  Mähren,  vorgelegt.  Dieser 
sei  im  Laufe  des  Jahres  gestorben,  doch  habe  Gebhard  in  kluger 
Sorge  für  die  Zukunft  das  Ohr  des  Kaisers  durch  seine  Freunde  zu 
gewinnen  versucht,  damit  nicht  ein  neuer  Bischof  von  Olmütz  ernannt 
würde.  Um  seinen  Anspruch  auf  Vereinigung  der  Diözesen  Prag- 
Olmütz  zu  begründen,  habe  er  Heinrich  IV.  ein  Privileg  vorgelegt 
„Privilegium  olim  a  sancto  Adalberto  episcopo,  suo  autecessore,  con- 
firmatum  tarn  a  papa  Benedicto  quam  a  primo  Ottone  imperatore. 
Ad  cuius  iustam  querimoniam  Imperator  motus  precibus  ducis  Wratizlai 
fratris  eiusdem  episcopi  Gebeardi,  et  consilio  archiepiscopi  Maguntini 
Wezelonis  et  aliorum  bonorum,  qui  iusticiae  favebant,  novum  antiquo 
fere  eiusdem  tenoris  addit  privilegium  et  signo  imperiali  confirmat, 
ut  in  sequentibus  patebit^  Es  folgt  der  Wortlaut  des  Diploms  Hein- 
richs IV.  vom  29.  April  1086- 

Mit  dem  erwähnten  „Privileg"  Otto's  I.  hat  Cosmas  zweifellos 
die  Stiftuugsurkunde  des  einst  von  Kaiser  Otto  I.  und  Papst  Bene- 
dict VI.  begründeten  Bisthums  Prag  gemeint.  Um  die  Echtheit  dieses 
Privilegs  ist  ein  heisser  Kampf  geführt  worden.  Nachdem  Loserth  i) 
in  Uebereinstimmung  mit  Huber -^)  versucht,  die  angebliche  Vorlage 
des  kaiserlichen  Diploms  als  Fälschung  Bischof  Gebhards  zu  erweisen, 
Kalousek  •^)  Loserth s  Einwände  gegen  die  Echtheit  desselben  bekämpft 
hatte,  ist  von  B.  Bretholz  *)  überzeugend  nachgewiesen  worden,  dass 
in  dem  neuen  von  Cosmas  mitgetheilten  Diplom  Heinrichs  IV.  vom 
29.  April  108(j  weder  eine  echte  noch  eine  gefälschte  Urkunde  auf- 
genommen ist  und  die  Benutzung  einer  Vorlage  sich  höchstens  auf 
die  Beschreibung  der  Prager  Bisthumsgrenzen   beziehen   kann.     Diese 


')  Loserth  ,Der  Umfang   des   böliinischen  Keiclies   unter  Boleslav»    in    den 
Mittheil.  d.  Inst.  f.  österr.  üesch.  II  17—28. 

•')  Mittheil.  d.  Inst.  f.  österr.  Gesch.  11  385. 

3)  Sitzungsberichte  d.  königl.  Ges.  der  Wissenschaften  zu  Prag  1883  «.  26  fl'. 

4)  Brctholz  , Mähren  und  das  Reich  Herzog  Boleslavs  II.   von  Böhmen*  im 
Archiv  f.  österr.  Gesch.  18H5  Bd.  82  S.    139  fl. 


Die  Königskrönung  Wratislavs  von  Böhmen  etc.  3^7 

aber  nimmt  in  dem  kaiserlichen  Diplom  nur  etwa  den  vierten  Tlieil 
des  Textes  ein.  Alles  übrige  in  demselben  ist  „durchaus  neue,  den 
Zeitumständen  und  momentanen  Verhältnissen  angepasste  Fassung"  1). 
Die  Behauptung  des  Cosmas  ist  daher  sicherlich  falsch,  das  neue 
Diplom  habe  mit  dem  alten  übereinstimmend  („fere  eiusdem  tenoris") 
gelautet.  Auch  ist  es  mindestens  unwahrscheinlich,  dass  Bischof 
Gebhard  der  Synode  zur  Begründung  seiner  Ansprüche  überhaupt  ein 
Privileg  Otto's  I.  vorgelegt  hat.  Die  echte  Stiftungsurkunde  konnte 
er  keinesfalls  für  seinen  Zweck  verwerten.  Denn  da  zur  Zeit  der 
Prager  Bisthumsgründung  Mähren  kirchlich  selbständig  -^)  und  politisch 
von  Böhmen    getrennt    war  •^),    wäre    sie    eher    geeignet    gewesen,    die 


')  Vgl.  Bretholz  a.  a.  0.  S.   158. 

2)  In  einer  Urkunde  des  Erzbischofs  Willigis  von  Mainz  vom  28.  April  976 
(Boczek  Codex  Moraviae  dipl.  I  97)  werden  ausser  anderen  Suftraganen  des 
Mainzer  Stuhles  die  Bischöfe  von  Böhmen  und  Mähren  (^episcopus  Moraviensis«) 
als  Zeugen  einer  Gerichtshandlung  aufgeführt.  Die  Existenz  eines  mährischen 
Bischofs  in  der  Zeit  vor  Gründung  des  Olmützer  Episkopates  wird  durch  die 
Nachricht  des  Cosmas  II  21  M.  G.  IX  80  bestätigt,  dass  Mähren  schon  vor  der 
Zeit  Severs  von  Prag  (J 03 1  —  1067)  einen  Bischof  gehabt  habe  »quidam  episcopus, 
ut  reor  nomine  Wracen\  Ausserdem  wird  im  Granum  catalogi  praesulum  Mo- 
raviae ein  Bischof  Silvester  von  Mähren  genannt.  Mehr  ist  freilich  über  das 
Besteben  eines  mährischen  Bisthums  im  zehnten  Jahrhundert  nicht  bekannt.  — 
Die  Annahme  Dudiks  II  46  ft".,  dass  der  bei  Boczek  I  97  erwähnte  episcopus 
Moraviensis  ein  dem  Prager  Bischof  zur  Aushülfe  beigeordneter  Weihbischof  ge- 
wesen sei,  weist  Bretholz  (Archiv  f.  österr.  Gesch.  Bd.  82,  155)  mit  gutem  Grunde 
zurück.  Vgl.  A.  Hauck  Die  Kirche  Deutschlands.  Leipzig  1896  Bd.  III  199  ff, 
Anm.  4. 

s)  Die  von  Palacky  I  221,  Dudik  II  13  u.  a.  vertretene  Ansicht,  dass 
Mähren  schon  vor  der  Prager  Bisthumsgründung  von  den  Pfemysliden  zurück- 
erobert worden  sei,  hat  Bretholz  a.  a.  0.  S.  139  ff.  widerlegt.  Sie  steht  unter 
anderem  im  Widerspruch  zu  der  ausdrücklichen  Angabe  des  Cosmas  I  40  M.  G. 
IX  63,  dass  Herzog  Bretislav  (1034—1055)  zuerst  »primus«  Mähren  mit  dem 
böhmischen  Reiche  wieder  verbunden  habe:  »posteri  sui  discant,  quod  terra 
Moravia  et  eins  dominatores  semper  Boemorum  principis  sint  sub  potestate, 
sicut  avus  noster  piae  memoriae  Bracizlaus  ordinavit,  qui  eam  primus  dominio 
suo  subiugavit'. 

Mähren  blieb  im  zehnten  Jahrhundert  unter  ungarischer  Herrschaft,  bis  es 
nach  Boleslavs  IL  Tode  (999)  von  den  Polen  erobert  wurde.  Den  Zeitpunkt 
dieses  Ereignisses  deutet  Cosmas  I  40  M.  tf.  IX  63  an:  ^„post  obitum  secundi 
Bolezlai  sicut  uvbem  Pragam,  ita  totam  Moraviam  vi  obtinuerant  Polonii^  Ein 
sicherer  Terminus  ante  quem  für  Mährens  Unterjochung  durch  Boleslav  Chabri 
wird  durch  Thietmars  Mittheilung  VII  42,  44  M.  G.  III  854,  856  gegeben,  dass 
Mähren  im  Jahre  1017  auf  Polens  Seite  gegen  Böhmen  kämpfte. 

Nach  der  Zeit  ungarischer  und  polnischer  Herrschaft  wurde  Mähren  im 
Jahre  1029  durch  Bretislav,  den  Sohn  Herzog  Udalrichs,  dem  böhmischen  Reiche 


3gg  H.  Sp  ange  nberg. 

Ansprüche  Gebhards  auf  Mähren  zu  widerlegen,  als  sie  zu  begründen. 
Hätte  Gebhard  thatsächlich  den  Synodalen  ein  Privileg  Otto's  I.  vor- 
gelegt und  aus  diesem  seine  Kechtsforderungen  abgeleitet,  so  würde 
in  dem  Diplom  Heinrichs  IV.  hierauf  wohl  Bezug  genommen  sein. 
Dies  geschieht  aber  keineswegs.  Es  hat  vielmehr  den  Anschein,  dass 
Cosmas  der  Berufung  Gebhards  auf  die  ottonische  Gründungsurkunde 
eine  Bedeutung  beigemessen,  die  sie  in  Wirklichkeit  in  den  Mainzer 
Verhandlungen  nicht  gehabt  hat.  Den  Mittelpunkt  derselben  bildete 
Gebhards  Beschwerde  über  Gründung  des  Olmützer  Bisthums  (1063)  ^) 
und  die  hiermit  verbundene  Trennung  Mährens  vom  böhmischen  Epis- 
copate.  Um  diese  als  unrechtmässig  zu  erweisen,  scheint  Gebhard 
freilich  unter  anderen  Argumenten  auch  geltend  gemacht  zu  haben, 
dass  Böhmen  und  Mähren  von  Anfang  an  kirchlich  zu  einander  ge- 
hörten; und  dies  war  richtig,  wenn  man  es  auf  die  Zeit  seit  der  po- 
litischen Vereinigung  beider  Länder  durch  Bretislavs  Eroberung  (1021^)) 
bezieht. 

Es  ist  sehr  wohl  möglich,  dass  die  Darstellung  des  Cosmas  ,re- 
plicat  coram  omnibus  Privilegium  olim  a  sancto  Adalberto  episcopo, 
suo  antecessore,  confirmatum  tam  a  papa  Benedicto  quam  a  primo 
Ottone  imperatore"  im  Grunde  nur  auf  den  folgeiiden  Worten  des 
kaiserlichen  Diploms  beruht:  „couquestus  est  (sei.  Gebeardus),  quod 
Pragensis  episcopatus,  qui  ab  initio  per  totum  Boemiae  ac  Moraviae 
ducatum  unus  et  integer    constitutus,    et  tam  a  papa  Benedicto  quam 

a  primo  Ottone  imperatore  sie  confirmatus  est, divisus  esset 

et  imminutus".  Dies  ergibt  sich,  wie  mir  scheint,  auch  aus  dem 
auffallenden  Widerspruch  der  Angaben  des  Chronisten  an  obiger  Stelle 
(11  37)  mit  denen  des  ersten  Buchs  '-),  in  welchem  er  die  Gründung 
des  Prager  Bisthums  erzählt.  Hier  erwähnt  er  weder  Kaiser  Otto 
noch  Papst  Benedict,  sondern  führt  die  Stiftung  des  Episcopats  ledig- 
lich auf  Papst  Johann  XIll.  und  die  Initiative  Herzog  Boleslavs  II. 
zurück.  Es  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  Cosmas,  der  Prager 
Domdekan,  sich  durch  Eifer  für  das  Wohl  seiner  Kirche  zu  falschen 
Angaben  oder  mindestens  tendenziöser  Entstellung  seiner  Quelle  hat 
verleiten  lassen. 


unterworfen.  Vgl.  Dudik  II  164  ft". ;  Bresslau  Jahrbb.  des  deutschen  Reichs  uuier 
Konrad  II.  Bd.  I  267  Anm.  2. 

')  Das  Gründiuigsjahr  des  Olmützer  Bisthums  ist  genannt  im  Granum  cata- 
logi  praesulum  Moraviae,  herausgegeben  von  J.  Loserth  im  Archiv  f.  österr. 
Gesch.  Bd.  78;  vgl.  daselbst  S.  67. 

2)  J  2-2  M.  G.  IX  49. 


Die  Königskrönung  Wratislavs  von  Bölimen  etc.  389 

Ünhistorisch  ist  es,  wenn  Cosmas  iu  den  citirteu  Worten  , Privi- 
legium olim  a  sancto  Adalberto  episcopo,  suo  antecessore,  confirmatum 
tarn  a  papa  Beuedicto  quam  a  primo  Ottone  imperatore-,  die  in  der 
vorliegenden  Fassung  nicht  ganz  verständlich  sind,  dem  heiligen 
Ad  albert  Betheiligung  an  der  Prager  Bisthumsgründung  zuschreibt. 
Es  stimmt  dies  freilich  mit  seinem  chronologischen  System  überein, 
nach  welchem  der  Tod  Tliietmars,  des  ersten  Prager  Bischofs  i),  und 
auch  die  Wahl  Adalberts  '^)  im  Jahre  969  d.  i.  noch  zu  Lebzeiten 
Otto's  des  Grossen  erfolgt  ist.  Thatsächlich  wurde  Adalbert  982, 
fast  zehn  Jahre  nach  Otto's  I.  Tod,  Bischof.  Er  kann  daher  als 
solcher  an  der  Stiftung  des  Bisthums  Prag,  die  spätestens  97G  anzu- 
setzen ist  3),  nicht  betheiligt  gewesen  sein. 

Wenn  Cosmas  ferner  berichtet,  Wratislav  selbst  habe  den  Kaiser 
gebeten,  seinem  Bruder  Gebhard  das  Jieue  Privileg  auszustellen,  so 
kann  auch  dies  nicht  dem  wirklichan  Verlauf  entsprechen.  Wratislav 
hatte  einst  seine  ganze  Kraft  aufgeboten,  um  das  Olmützer  Bisthum 
ins  Leben  zu  rufen.  Nur  durch  sein  dringendes  Verlangen  („nimia 
devictus  efflagitatione  Wratizlai  ducis")*)  war  Bischof  Sever  von  Prag 
beredet  worden,  in  die  Ernennung  Johanns  zum  mährischen  Bischof 
zu  willigen,  Wratislav's  ganzes  Herz  hing  an  der  neuen  Schöpfung; 
in  hartem  Kampf  mit  seinem  Bruder  Jaromir  (als  Bischof  .Gebhard* 
genannt)  schützte  und  vertheidigte  er  sie.  Und  als  sie  durch  Hein- 
richs IV.  Diplom  vom  29.  April  1086  aufgehoben  wurde,  stellte  er 
Gebhard  so  lange  nach,    bis    dieser    aus  Böhmen    floh    und    die  Selb- 


')  Thietmar  wurde  zwischen  dem  25.  Jan.  975  und  dem  28.  April  97G  zum 
Bischof  geweiht  vgl.  Köpke-Dümmler  Otto  der  Grosse  S.  503  Anm.  2. 

2)  Nach  der  Adalbertsbiographie  des  Canapavius  M.  G.  IV  584  Cap.  8,  dem 
sich  Cosmas  I  26  M.  G.  iX  50,  51  fast  wörtlich  anschliesst,  ist  Adalbert  während 
Otto's  IL  Aufenthalt  in  Verona  (Mai,  Juni  983)  investirt  worden.  Cosmas  setzt  das 
genauere  Datum,  den  3.  Juni,  hinzu.  Damit  ist  für  die  Wahl  ein  terminus  ante 
quem  gewonnen.  Cosmas  I  25  M.  IX  G.  50  hält  es  für  nöthig,  ausdrücklich  zu 
betonen,  dass  die  Wahl  Adalberts  am  19.  Februar  desselben  Jahres  stattfand,  in 
welchem  Thietmar,  sein  Vorgänger,  starb.  Thietmar  starb  im  Jahre  982.  Im 
übrigen  vgl.  H.  G.  Voigt  Adalbert  von  Prag.  1898  Anm.  177.  Die  böhmischen 
Annalen  (b.  Miklosich  Slavische  Bibliothek  II  302)  berichten  die  Consecration, 
welche  thatsächlich  am  29.  Juni  983  stattfand,  zum  Jahre  982  (972  ist  aus  982 
verschrieben,  wie  aus  den  vorangehenden  und  folgenden  Zahlen  leicht  ersichtlich). 
Vermuthlich  haben  sie  das  Jahr  der  Wahl  mit  dem  der  Consecration  verwechselt. 

3)  Nach  Körpke-Dümmler  Otto  der  Grosse.  Leipzig  1876  S.  503  fand  die 
Gründung  des  Bisthums  Prag  975  oder  976,  nach  A.  Hauck  Die  Kirche  Deutsch- 
lands. Leipzig  1896  Bd.  IIl  199  im  Jahre  975  statt.  Vgl.  Giesebrecht  Geschichte 
der  deutscheu  Kaiserzeit  1881  Bd.  I  847  u.  a. 

*)  Cosmas  II  21  M.  (;.   [X  80. 


390  H-  Spangenberg. 

ständigkeit  der  mährischen  Kirche  durch  Ernennung  eines  Olmützer 
Bischofs  erneuert  werden  konnte  i).  Und  doch  soll  der  Kaiser,  wie 
Cosmas  behauptet,  das  erwähnte  Diplom  „motus  precibus  Wrati/lai" 
ausgestellt  haben!  Nach  den  Worten  des  kaiserlichen  Diplom's  ge- 
schah es  vielmehr  „assensu  .  .  .  ducis  Boemorum  Wratizlai"  und  nach 
Vermittlung  der  Fürsten:  „Mediautibus  itaque  nobis  et  communi 
priucipum  aspirante  suffragio  factum  est,  ut  dux  Boemiae  Wratizlaus 
et  frater  eins  Chouuradus  supradicto  Pragensi  episcopo,  fratri  suo, 
parrochiam  iudiciario  ordiue  requisitam  ex  integre  et  reprofitereutur 
et  reddereut".  Auch  hier  ist  aus  der  Art,  in  welcher  Cosmas  den 
Text  seiner  Chronik  gestaltet,  eine  bestimmte  Tendenz  deutlich  zu 
erkennen.  Wie  er  an  der  Berechtigung  der  Klage  Gebhards  keinen 
Zweifel  aufkommen  lassen  wollte  und  sie  auf  ein  Privileg  Kaiser 
Otto's  I.  und  Papst  Benedicts  begründete,  so  genügte  ihm  nicht,  dass 
Wratislav  nothgedrungen  seine  Zustimmung  zur  Vereinigung  der  Diö- 
ceseu  Prag  und  Olmütz  gab,  sie  sollte  vielmehr  auf  Antrag  des  Her- 
zogs selbst  geschehen  sein. 

Ein  weiteres  Moment  kommt  hinzu,  die  Glaubwürdigkeit  des 
Cosmas  zu  erschüttern.  Wer  die  wenigen  eben  besprochenen  Sätze 
des  Capitels  37  im  Zusammenhange  liest,  gewinnt  nach  ihnen  den  be- 
stimmten Eindruck,  als  sei  das  Privileg  vom  i:9.  April  1086  während 
der  Mainzer  Synode  vom  Kaiser  unterzeichnet  worden.  Sie  beginnen: 
,Iu  eodem  concilio  Prägen  sis  praesul  Gebeard us  scripta  suae  antiquae 
querimoniae  representat"  etc.  Die  alte  Stiftungsurkuude  soll  vorgelegt 
sein  „coram  omnibus"  d.  i.  in  Gegenwart  der  zu  Mainz  Versammelten; 
Gebhard,  Wratislav,  Erzbischof  Wezelo,  durch  deren  Verwendung  sich 
Heinrich  IV.  nach  Cosmas  bestimmen  liess,  das  Privileg  vom  29.  April 
zu  unterzeichnen,  werden  vom  Chronisten  ausdrücklich  als  Theiluehmer 
an. den  Synodalverhandlungen  aufgeführt.  Wenn  Cosmas  daher  hinter 
dem  Text  des  Privilegs  bemerkt:  -quod  (sei.  signum)  ego  vidi  ipsum 
caesareni  suis  manibus  annotautem  in  privilegio  Pragensis  episcopatus'')^^), 
so  kann  man  nach  der  gesammten  Darstellung  nicht  anderer  Meinung 
sein,  als  dass  er  selbst  den  Kaiser  in  Mainz  das  Signum  habe  zeichnen 
sehen.  In  dem  Text  der  Urkunde,  welche  Cosmas  bis  zur  Signumzeile 
einschliesslich  in  die  Chronik  aufgenommen,  ist  der  Ausstellungsort 
nicht    mehr    genannt.     Eine    im    Münchener    Eeichsarchiv    befindliche 


1)  Cosmas  U  41  M.  G.  IX  95.  Der  böhmisch-mährisclie  Kirchenstreit  ist 
von  Talacky,  Dudik,  üiesebrecht  u.  a.  ausführlich  dargestellt  worden.  Einen 
wichtigen  Beitrag  lieferte  neuerdings  J.  Lippert  ,Die  Wyschehradfrage*  in  den 
Mittheilungen  des  Vereins  f.  Gesch.  d   Deutschen  in  Böhmen    1894  Bd.  o2,  213  H'. 

2)  M.  G.  IX  93. 


Die  Königskrönung  Wratislavs  von  Böhmen  etc.  391 

Copie  der  Urkunde,  welche  vermutlilicli  aus  deui  zwölften  Jahrhundert 
stammt,  schliesst  nun  mit  den  Worten  .Actum  Ratispoue  in  Christi 
nomine  feliciter  amen''  i).  Demnach  ist  das  Diplom  in  Eegensburg 
ausgestellt,  nicht  in  Mainz.  Durch  diese  Thatsache  erscheint  des 
Cosmas  Angabe,  er  habe  den  Kaiser  das  Signum  zeichnen  sehen  — 
nämlich  zu  Mainz,  wie  man  nach  seiner  Darstellung  annehmen  muss 
—  in  höchst  eio-enthümlichem  Lieht.  Warum  liess  er  in  seiner  Ab- 
Schrift  allein  die  Actumzeile  aus?  Hatte  er  etwa  ein  Interesse  daran, 
die  Verhandlungen  über  Aufhebung  der  mährischen  Kirche  vom  An- 
fang bis  zum  Ende  unter  die  Sanction  der  Mainzer  Synode  zu  stellen? 
Oder  hat  er  sich  nur  geirrt?  Hatten  die  Ereignisse  sich  in  seinem 
Gedächtnis  so  sehr  verwischt,  dass  er  nur  erinnerte,  bei  der  Unter- 
zeichnung des  Kaisers  zugegen  gewesen  zu  sein,  dagegen  vergass,  ob 
dies  in  Mainz  oder  Regeusburg  geschehen? 

Wie  dem  auch  sei,  es  ist  deutlich,  dass  die  kurze  Darstellung 
des  Capitels  37  eine  verhältnismässig  grosse  Anzahl  falscher  oder  ent- 
stellter Angaben  aufweist  und  der  Autorität,  die  der  Chronist  als  an- 
geblicher Augenzeuge  beansprucht,  kein  Wert  beizumessen  ist.  Man 
wird  hiernach  geneigt  sein,  auch  in  die  Existenz  der  Mainzer  Synode 
vom  Jahre  1086,  die  Cosmas  allein  erwähnt,  Misstrauen  zu  setzen. 
Zwei  wesentliche  Argumente  ergeben  sich  hierfür:  1.  aus  dem  Inhalt 
des  Diploms  vom  29.  April  1080  und  2.  aus  dem  Itinerar  Kaiser 
Heinrich's  IV. 

1.  Dass  das  kaiserliche  Diplom  nicht  in  Mainz  vollzogen  worden, 
wird  durch  den  Inhalt  desselben  bestätigt;  in  ihm  wird  von  der 
Mainzer  Synode  als  von  einem  vergangenen,  geschichtlichen  Ereignis 
gesprochen:  ,Qui  (sei.  Gebeardus)  cum  Magunciae  coram  legatis  apo- 
stolicae  sedis  ....  querimoniam  intulisset,  .....  primitiva  illa  par- 
rochia  cum  omni  terminorum  suorum  ambitu  Pragensi  sedi  est  adiu- 
dicata".  Und  nach  den  Worten  „Mediantibus  itaque  nobis  et  com- 
muni  principum  aspirante  suffragio  factum  est,  ut  dux  ßoemie  Wra- 
tizlaus  et  frater  eins  Chounradus  supradicto  Pragensi    episcopo,    fratri 


»)  Stumpf  Acta  imperii  Nr.  76  (Die  Reichskanzler  Bd.  DI  79—81).  Das 
vollständige  Schlussprotokoll  der  Urkunde  lautet:  »Signum  doraini  Henrici 
tertii  imperatoris  augusti.  Hermannus  cancellariiis  vice  Wezelonis  avchican- 
cellarii  recognovit.  Datum  III  kalendas  Maii  anno  ab  incarnatione  domini 
MLXXXVI,  indictione  VIII,  anno  autem  domini  Henrici  regni  quidem  XXXII, 
imperii  vero  III.  Actum  Ratispone,  in  Christi  nomine  feliciter  amen".  Da  im 
Text  des  Diploms  ausdrücklich  vermerkt  wird,  dass  die  »Handlung"  in  Mainz 
stattfand,  sind  »actum"  und  ,datum"  auf  die  Beurkundung  zu  beziehen;  vgl. 
Ficker  Beiträge  zur  Urkundenlehre  Bd.  I  131,  132  Nr.  87;  Bresslau  Handbuch  der 
Urkundenlehre   1889  Bd.   l  SSC  fi'. 


392  H-  S  p  a  11  g  e  n  b  e  r  g. 

suo,  parrochiam  iudiciario  ordine  requisitam  ex  integro  et  reprofiteren- 
tur  et  redderent"  hat  es  den  Anschein,  als  sei  nicht  nur  der  Synodal- 
besehluss,  auch  die  thatsächliche  Vereinigung  des  böhmischen  und 
mährischen  Bisthums  zur  Zeit,  da  die  Urkunde  vollzogen  wurde,  be- 
reits erfolgt.  Die  Mainzer  Synode  müsste  also  geraume  Zeit  vor  dem 
29.  April  1086  stattgefunden  haben. 

2.  Diese  Erwägung  wird  dadurch  bestätigt,  dass  bei  der  Bestim- 
mung des  Itinerars  Heinrichs  IV.  im  Frühjahr  1086  kein  Platz  für 
eine  Mainzer  Synode  bleibt :  Am  27.  Januar  i)  zog  der  Kaiser  gegen 
die  Sachsen  zu  Felde;  am  7.  J^ebruar  hielt  er  zu  Wechmar  über  Ekbert 
von  Meissen  ein  Fürstengericht  ^),  um  kurz  darauf  noch  vor  dem 
Aschermittwoch  (18.  Februar)  ^)  das  Herzogthum  zu  verlassen.  Da  er 
am  o.,  9-,  29.  April  in  Kegensburg  nachweisbar  ist  ^),  haben  Giese- 
brecht  ^),  Huber ")  u.  a.  die  Synode  in  den  März  1086  verlegt;  doch 
widerspricht  ihre  Annahme  dem  ausdrücklichen  Zeugnis  der  wohl- 
unterrichteten, noch  zu  Heinrichs  IV.  Zeit  entstandenen  Augsburger 
Annalen:  „Imperator  ....  exercitus  multitudine  collecta  iterum  Saxo- 
niam  invadit;    sed    adversariis  in  diversa  cedentibus,  ipse  partem  pro- 

vintiae  devastat,    incendit ;    qui    etiam    statim    in  Pauwariam 

eo  reverso,  couiurationis  suae  assumptis  fautoribus,  Frisingam,  seducto 
cum  dolis  episcopo,  in  paschali  sollemnitate  (5-  April)  capiunt"  ^).  Da 
der  Kaiser  „sogleich"  nach  Verwüstung  Sachsens  in  das  bairische 
Herzogthum  zurückkehrte,  so  bleibt  nur  übrig,  die  angebliche  Synode 
von  1086  in  ein  früheres  Jahr  zu  rücken. 

Erweist  sich  die  Chronologie  des  böhmischen  Chronisten  aus  den 
angeführten  Gründen  als  unrichtig,  so  liegt  die  Vermuthung  nahe, 
dass  die  Schilderung  des  Cosmas  zu  1086  sich  thatsächlich  auf  die 
Mainzer  Synode  des  Jahres  1085  bezieht,  von  der  auch  die  deutschen 
Annalisten  berichten.  Und  mit  dem  Verlauf  der  Letzteren  stimmt  die 
Darstellung  des  Cosmas  bis  auf  jjeringe  Differenzen  übereiu ! 


')  Bernoldi  chroii.  M.  G.  V  444. 

-)  Stumpf  Die  Reichskanzler  Nr.  2870. 

•■')  Jiiber  de  imitate  ecclesiae  conservanda  ed.  W.  Schwenkenbeclier  II  28 
IS.  08.  (Schulausgabe  der  M.  G.  Hannover  1883). 

")  Stumpf  Die  Reichskanzler  Nr.  2880—2882.  Nach  Bernolds  Chronik 
j\l.  G.  V  444  war  Heinrich  am  5.  April  in  Regensburg  eingeschlossen. 

■'')  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit  III  616. 

•"■)  Geschichte  Oesterreichs  I  232.  J.  Kroger  Geschichte  Böhmens  vom 
Friedensschluss  Bretislavs  mit  Heinrich  111.  (1041)  bis  Wratislavs  Königskrüiinng 
Diss.  Leipzig  1880  S.  65  verlegt  die  Krönung  hi  den  „Winter*   108G. 

■)  M.  G.   III    131,    132. 


Die  Königskrönung  Wratislavs  von  Böhmen  etc.  393 

Cosmas  spricht  von  einer  „sinodiis  magna  in  urbe  Maguntia, 
ubi  4  archiepiscopi  et  12  praesules  ....  plurima  decreta  super  statu 
sanctae  ecclesiae  scriptis  roboraverunt"  i).  Es  wäre  höchst  seltsam, 
wenn  1086  eine  so  bedeutende,  zahlreich  besuchte  und  durch  umfang- 
reiche gesetzgeberische  Thätigkeit  ausgezeichnete  Synode  stattgefunden 
hätte,  ohne  dass  ein  einziger  deutscher  Chronist  uns  davon  berichtete, 
nicht  einmal  der  Verfasser  des  liber  de  unitate  ecclesiae,  welcher  1092 
oder  1093  seiue  begeisterte  Vertheidiguug  Heinrichs  IV.  und  des  von 
ihm  ernannten  Gegenpapstes  niederschrieb.  Dagegen  passen  die  Worte 
des  Cosmas  vortrefflich  zum  Verlauf  der  Mainzer  Synode  vom  Mai 
1085  ^).  Hier  wurden  viele  Beschlüsse,  „plurima  decreta  super  statu 
sanctae  ecclesiae",  gefasst:  Anerkennung  Wiberts  als  des  rechtmässigen 
Papstes  3),  Exkommunikation  und  Absetzung  15  gregorianischer  Erz- 
bischöfe und  Bischöfe  *),  Verkündigung  eines  allgemeinen  Gottes- 
friedens ^). 

Ferner  waren  auf  der  Synode  (1085)  nachweislich  alle  diejenigen 
Bischöfe  zugegen,  welche  nach  der  von  Cosmas  mitgetheilten  Urkunde 
vom  29.  April  die  Vereinigung  der  böhmischen  und  mährischen  Diö- 
cese  beschlossen  haben  sollen :  Dietrich  von  Verdun,  Konrad  von  Utrecht, 
Udalrich  von  Eichstädt,  Otto  von  Regensburg  c)  und  die  drei  Erz- 
bischöfe   von    Mainz,    Trier,    Köln  ^).     Hieraus    geht    aber    mit    voller 


')  M.  G.  IX  91. 

'•*)  Die  Synode  sollte  auf  kaiserlichen  Befehl  zwei  Wochen  nach  dem  Oster- 
fest (20.  April)  eröffnet  werden:  Liber  de  unitate  eccl.  cap.  19  (20)  S.  76;  ann. 
ratisbon.  fragm.  M.  G.  XIIl  49;  ann.  augustani  M.  G.  III  131. 

3)  Sigeberti  chron.  M.  G.  VI  365:  »Heinricus  ....  exigit  ab  omuibus,  ut 
Hildibrandi  depositionem  et  Luicberti  ordinationem  subscripto  approbent*. 

■*)  De  unitate  eccl.  II  19,  20  ed.  W.  Schwenkenbecber  S.  77.  78;  ann.  ra- 
tisbon. M,  G.  XIU  49;  Bernoldi  chron.  M.  G.  V  443;  Ekkehardi  chron.  M.  6. 
VI  205.  Die  gesta  archiep.  magdeb.  M.  G.  XIV  404  nennen  irrthümlich  das 
Jahr  1086 ;  inhaltlich  stimmen  sie  mit  dem  Bericht  obiger  Quellen  zum  Jahre 
1085  überein. 

6)  M.  G.  Leges  II  55  ff.;  Ekkehardi  chron.  M.  G.  VI  206. 

6)  Sogar  die  Reihenfolge  der  im  Diplom  M.  G.  IX  92  genannten  Namen 
gleicht  der  Aufzählung  des  liber  de  unitate  eccl,  II  19  a.  a.  0.  S.  77,  in  welchem 
sich  ein  ausführliches  Verzeichnis  aller  1085  zu  Mainz,  anwesenden  Bischöfe  findet. 

')  Auch  Erzbischof  Liemar  von  Bremen,  der  im  Diplom  vom  29.  April  ge- 
nannt ist,  war  nach  Cosmas  persönlich  anwesend.  Nach  dem  liber  de  unitate 
eccl.  Hess  er  sich  dagegen  1085  durch  einen  Legaten  vertreten.  Da  Liemar  aber 
im  voraus  seine  Zustimmung  zu  sämmtlichen  Beschlüssen  gab,  welche  dem  ka- 
tholischen Glauben,  dem  Frieden  und  der  Einheit  der  Kirche  förderlich  seien 
(cf.  Liber  de  un.  eccl.  II  19  a.  a.  0.  S.  76),  konnte  der  Verfasser  des  kaiserlichen 
Diploms  ohne  Beeinträchtigung  der  historischen  Wahrheit  auch  Liemar  unter  den 
»vier«  Erzbischöfen  anführen,   durch  welche  »primitiva  illa  parrochia  cum  omni 

Mittheilungen  XX.  26 


394  ^-  S  p  a  n  g  e  11  b  e  r  g. 

Deutlichkeit  hervor,  dass  in  dem  Diplom  vom  29.  April,  welches,  wie 
bereits  bemerkt,  von  der  Mainzer  Synode  als  von  einem  historischen 
Ereignis  spricht,  nur  die  Synode  des  Jahres  1085  gemeint  sein  kann. 
Auch  Bischof  Gebhard  von  Prag,  der  nach  Cosmas  dem  Kaiser  zu 
Mainz  1086  die  Klageschrift  vorlegte,  gehörte  zu  den  Theilnehmern 
der  Synode  vom  Jahre  1085  ^). 

Der  Inhalt  des  Diploms  vom  29.  April  l08G,  das  Itinerar  Hein- 
richs IV.,  die  inhaltliche  üebereinstimmung  der  von  Cosmas  gegebenen 
Darstellung  mit  den  Berichten  über  die  Synode  von  1085  sprechen 
dafür,  die  angebliche  Synode  vom  Jahre  1086  mit  der  im  Jahre  1085 
abgehaltenen  zu  ideutifizireu.  Dazu  kommt  endlich  das  bisher  über- 
sehene Zeugnis  der  altenzeller  Annalen,  uach  weichen  die  Krönung 
Wratislavs  nicht  1086,  wie  Cosmas  berichtet^  sondern  auf  der  Mainzer 
Synode  des  Jahres  1085  stattfand:  „Heinricus  III.  Imperator  Maguncie 
in  presentia  electorum  tarn  spiritualium  quam  secularium  priucipem 
Wratislaum  ducem  Bolieraie  magnifice  decoravit"  ^)  etc.     Die  ziemlich 


terminorum  suorum  ambitu  Pragensi  sedi  est  adiiiclicata''.  Aus  diesen  Worten 
des  Diploms  scheint  Cosmas  (vgl.  den  Text  seiner  Darstellung  in  Cap.  37)  irr- 
thümlich  auf  persönliche  Anwesenheit  Liemars  geschlossen  zu  haben,  da  er  von 
vier  anwesenden  Erzbischölen  spricht.  Wenn  Cosmas  ferner  nur  »12  praesules'^ 
als  Theilnehmer  der  Synodalverhandlungeu  bezeichnet,  während  der  liber  de 
unitate  eccl.  16"  Bischöie  aufzählt,  so  ist  die.s  von  geringem  Belang,  da  abge- 
sehen von  der  oftmals  sehr  flüchtigen  Schreibweise  des  Cosmas  bei  Zahlen- 
angaben ein  Versehen  leichter  als  sonst  geschehen  tonnte. 

')  Liber  de  unitate  eccl.  II  19  a.  a.  0.  S.  77. 

-)  M.  G.  XVI  41.  Die  ann.  bohemici  (bei  Miklosich  Slavische  Bibliothek 
II  302)  sowohl,  als  die  ann.  pragenses  M.  G.  III  120  verlegen  die  Krönung 
Wratislav's  in  das  Jahr  1088,  die  ann.  pegavienses  M.  G.  XVI  237  gar  in's  Jahr 
1080  oder  1081.  Die  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrh.  verfassten  pegauer 
Annalen  sind  besonders  in  ihrem  ersten  Theil,  der  Biographie  Wiprechts  von 
Groitsch.  durch  Irrthümer  und  sagenhafte  Erfindungen  fast  bis  zur  Unbrauch- 
barkeit  entstellt.  Nach  den  pegauer  Annalen  ist  der  Hergang  folgender:  Hein- 
rich IV.,  von  den  Sachsen  bedrängt,  lässt  sich  durch  Wiprecht  von  Groitsch  bereden, 
Wratislav  zu  krönen,  wenn  dieser  ihm  4000  Talente  übergeben  würde  und  seinen 
Sohn  Bofivoy  mit  300  Kriegern  am  Romzug  theilnehmen  Hesse.  Wipi-echt  meldet 
dem  böhmischen  Herzog,  was  er  für  ihn  erreicht.  Dieser  erscheint  (1080  oder 
1081)  auf  dem  Hoftage  zu  Würzburg  (?)  in  Begleitung  angesehener  Edlen  seines 
Landes,  übergiebt  dem  Kaiser  die  versprochene  Summe  und  wird  von  ihm 
zum  Könige  gekrönt.  —  Da  Wratislavs  Krönung  nach  Ansicht  des  Annalisten 
nicht  1085  zu  Mainz,  sondern  1080  oder  1081  zu  Würzburg  geschehen,  ist  es 
schwer  zu  entscheiden,  ob  Heinrich  IV.  die  angegebene  Summe  in  Wirklichkeit 
zu  Mainz  vor  der  Krönung  oder  vielmehr  1081  vor  dem  Romzuge  überreicht 
wurde.  Dass  die  Zahlung  der  4000  Talente  eine  Art  Loskaufssumme  von  der 
jährlichen  Tributpflicht  des  Böhmenherzogs  war,  ist  eine  Vermuthung  Palacky's 
I  320,  die  W.  Tomek  Geschichte  Böhmens  S.  58.    Iluber  Geschichte  Oesterreichs 


Die  Königskrömuiir  Wratislavs  von  Böhmen  etc,  395 

eingehende  Nachricht  der  ann.  veterocelleuses,  welche  nachträghch  von 
einer  Hand  des  15.  Jahrhunderts  in  den  Text  der  Annalen  eingefügt 
ist,  hat  neben  Cosmas  selbständigen  Werth. 

Dass  Cosmas  sich  in  der  Chronologie  geirrt,  kann  selbst  dort 
nicht  befremden,  wo  er  als  Zeitgenosse  berichtet.  Von  den  Reichs- 
angelegenheiteu  hat  er  die  dürftigste  Kenntnis.  Gregor  VII.  und 
Heinrich  IV.  erwähnt  er  kaum.  Die  Kämpfe  am  Regenflusse  erzählt 
er  zum  Jahre  1106  (statt  1105)^),  den  Römerzug  Heinrich's  V. 
(1110 — 1111)  findet  man  unter  der  Jahreszahl  1112 -)  u,  s.  w.  Wie 
der  Irrthum  des  Chronisten  entstanden,  erklärt  sich  zudem  in  ein- 
facher Wei.'iC.  Seine  Quelle  in  Capitel  37  ist  offenbar  das  von  ihm 
selbst  mitgetheilte  Diplom  gewesen,  das  er  freilich  oberflächlich  genug 
gelesen    und    stellenweise    missverstanden    hat  ^).     Hier    fand    er    den 


[  232  u.  a.  übernommen  haben.  Zu  ihrer  Begründung  lässt  sich  aber  nur  der 
Umstand  anführen,  dass  jene  Tributpflicht  in  den  Quellenberichten  späterer  Zeit 
nirgends  mehr  erwähnt  wird. 

')  Cosmas  III  18  M.  G.  IX  100.  Nach  Ekkehards  Chronik  i\l.  LI.  VI  227 
fanden  die  Kämpfe  am  Regenflusse  im  September  oder  spätestens  in  den  ersten 
Tagen  des  Oktobers  1105  statt. 

2)  Cosmas  III  38  M.  G.  IX  121. 

3)  AuÖällig  ist  z.  B.  der  Gebrauch  des  Wortes  ,querimonia'<.  Im  Laufe 
der  Untersuchung  ist  mehrfach  auf  v,rörtliche  Anklänge  zwischen  der  Darstellung 
des  Cosmas  und  dem  Text  des  kaiserlichen  Diploms  hingewiesen  worden ;  so 
bietet  sich  in  Capitel  37  besser  als  an  irgend  einer  anderen  Stelle  der  Chronik 
die  Möglichkeit,  durch  Vergleich  der  im  Wortlaut  mitgetheilten  Quelle  und 
ihrer  Verwerthung  einen  Einblick  in  die  Arbeitsweise  des  Chronisten  und  damit 
zugleich  ein  Urtheil  über  seine  Glaubwürdigkeit  auch  in  Mittheilung  zeitgenössi- 
scher Ereignisse  zu  gewinnen.  Man  würde  dem  verdienten  böhmischen  Chronisten 
mit  dem  Vorwurf  absichtlicher  Entstellung  vielleicht  Unrecht  thun;  zweifellos 
aber  ist  die  Schilderung  tendenziös  gefärbt  durch  den  cechiseh-nationalen,  kle- 
rikalen Standpunkt  des  Verfassers,  der  in  dem  unverhohlenen  Hass  gegen  Polen, 
gegen  deutsches  Wesen  und  in  der  vückhaltslosen  Parteinahme  für  die  Interessen 
des  Prager  Bisthums  zum  Ausdruck  kommt  und  gerade  im  zweiten  Buch  der 
Chronik  —  in  dem,  was  verschwiegen  wird  nicht  minder,  als  in  der  Auswahl 
und  Darstellung  des  gebotenen  Stoffes  —  deutlich  erkennbar  ist.  Drei  Ereig- 
nisse der  böhmischen  Geschichte  stehen  hier  bezeichnenderweise  durchaus  im 
Vordergrund:  1.  Bretislavs  siegreicher  Feldzug  gegen  Polen  mit  der  Eroberung 
Gnesen's  und  der  Translation  der  Adalbertsreliquien  nach  Prag,  2.  die  Vertreibung 
der  Deutschen  aus  Böhmen  durch  Spithinev,  »ein  für  alle  Jahrhunderte  denk- 
würdiges Ereignis"  (Cosmas  II  14  M.  G.  IX  76,  II  23  M.  G.  IX  82;  vgl.  dazu 
Loserth  »Der  Herzog  Spithinev  und  die  angebliche  Vertreibung  der  Deutschen 
aus  Böhmen«  in  den  Mittheil.  d.  Inst,  f  österr.  Gesch.'  Bd.  IV  177  ff.),  3.  der 
mährisch-böhmische  Kirchenstreit,  welcher  1085  zur  Vereinigung  der  Diöcesen 
Prag  und  Olmütz  führte.  Die  Wiederherstellung  des  Prager  Bisthums  im  alten 
Umfange  bildet  den  Mittelpunkt  der  Chronik ;  für  den  Chronisten  hat  sie  augen- 

26* 


396  H.  Spangenberg. 

29.  April  1086  als  Datum  angeführt.  Da  er  übersah,  dass  von  der 
Mainzer  Synode  in  dem  Diplom  als  von  einem  vergangenen  Ereio-uis 
gesprochen  wird,  lag  es  nahe,  die  Darstellung  der  Synodalverhand- 
lungen und  die  Königskrönung  Wratislavs  dem  Jahre  1086  zuzu- 
weisen. 


scheinlich  das  grösste  Interesse  —  es  geht  dies  unter  anderem  daraus  hervor, 
dass  er  hier  allein  eine  urkundliche  Quelle  im  Wortlaut  mittheilt  — ;  vielleicht 
sogar  hat  sie  bestimmenden  Einfinss  gehabt  auf  den  Entschluss  des  Cosmas,  die 
Geschichte  seines  Heimatlandes  zu  schreiben,  die  ursprünglich  wohl  mit  dem 
neunten  Dezennium  des  elften  Jahrhunderts  abschliessen  sollte. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung 
Friedrichs  des  Grossen  1746—1757. 

Von 

Ferdinand  Wagner. 


Als  im  Herbste  1894  Max  Lehmanns  Werk  über  den  Ur- 
sprung des  siebenjährigen  Krieges  erschien,  folgten  anschliessend 
daran  zahlreiche  Aufsätze,  die  die  friedericiauische  Politik  des  Jahres 
1756  nach  allen  Seiten  mehr  und  minder  ausführlich  beleuchteten.  Man 
wird  deshalb  fragen,  gibt  es  noch  neue  Gesichtspunkte  oder  unbenutzte 
Quellen,  die  ein  abermaliges  Eingehen  in  dieses  Thema  rechtfertigen. 
Vorliegende  Arbeit  soll  sich  auf  den  Nachweis  beschränken,  den  An- 
sichten Friedrichs  des  Grossen  über  die  finanzielle,  die  militärische 
und  die  wirthschaftliche  Lage  der  europäischen  Mächte  zwischen  1746 
und  1757  auf  Grund  des  bis  jetzt  publicirten  Quellenmaterials  nach- 
zuforschen. Selbstverständlich  sind  die  Staaten,  mit  deren  Politik  der 
König  im  Kriege  und  Frieden  zu  rechnen  hatte,  nicht  nach  Willkür 
oder  persönlicher  Sympathie  beurtheilt  worden,  vielmehr  hat  Friedrich 
mit  gespannter  und  zugleich  ruhiger  Aufmerk.<amkeit  alle  Vorgänge 
in  den  Kreis  seiner  Beobachtungen  gezogen,  die  i>ein  Land  mehr 
oder  weniger  beeinflussen  konnten,  Naturgemäss  haben  seine  An- 
schauungen im  Laufe  einer  46jährigen  Kegierung  mannigfache  Wand- 
lungen durchgemacht.  Erst  die  Vollendung  der  grossen  Edition  der 
Politischen  Correspondenz  und  die  vollständige  Veröfientlichuug  der 
Testamente  wird  die  Ansichten  des  Königs  in  allen  Phasen  zeigen. 

Die  Zeit  zwischen  dem  zweiten  schlesischen  und  dem  sieben- 
jährigen Kriege  gestattet  nun  bereits  eine  in  sich  abgeschlossene  Be- 


398 


Ferdinand  Wagner. 


urtheilnug,  da  nach  1763  die  Lage  seiues  Staates  Friedrich  uöthigte, 
mit  der  Politik  der  Jugend-  und  ersten  Mannesjahre  abzubrechen  und 
Rückhalt  in  einem  russischen  Bündnisse  zu  suchen,  das  ihn  mit 
schweren  Verpflichtungen  belastete. 

Auf  diplomatische  Verhandlungen  einzugehen  liegt  ausserhalb  des 
Eahmens  dieser  Arbeit,  die  nur  an  der  Hand  authentischer  Aeusse- 
runo-en  die  Fragen  zu  beantworten  sucht:  ,Was  wusste  der  König  im 
gegebenen  Augenblicke,  und  welche  Folgerungen  zog  er  aus  der  vor- 
handenen Situation"  ?  Drei  Quellen  verschiedenen  Wertes  stehen  uns 
zu  Gebote:  Die  Testamente  Friedrichs,  seine  historischen  Schriften 
und  die  politische  und  militärische  Correspondenz.  Unter  ihnen  nehmen 
die  verschiedenen  Testamente  den  ersten  Platz  ein,  in  diesen  hat 
Friedrich  am  rückhaltlosesten  seine  Wünsche  und  Hoffnungen  offen- 
bart. Von  dem  für  unsere  Periode  so  wichtigen  Testamente  vom 
27.  August  17f»2  ist  bis  jetzt  nur  ein  Theil  von  Max  Lehmann  pub- 
lizirt  worden,  aber  schon  seit  Ranke  ist  von  dem  sonstigen  Inhalte 
vieles  aus  gelegentlichen  Bemerkungen  der  Gelehrten,  denen  Einsicht 
gestattet  wurde,  zusammenzustellen  i). 

Im  Gegensatze  zu  den  Testamenten,  die  allein  für  den  Thronerben 
bestimmt  waren,  hatte  Friedrich  bei  der  Abfassung  seiner  historischen 
Arbeiten  ein  grösseres  Pubhkum  vor  Augen  2).  Die  geschichtlichen 
Werke  Friedrichs  sind  in  letzter  Zeit  etwas  in  Misscredit  gerathen. 
Zahlreiche  Versehen  hat  Disselnkötter  in  der  Histoire  von  1746  nach- 
gewiesen. Da  Friedrich  seine  Aufzeichnungen  im  Zusammenhange 
erst  nach  den  Friedensschlüssen  angefertigt  hat,  finden  sich  Gedächtnis- 
fehler  erklärlicher  Weise  häufig.  Erst  der  Vergleich  der  historischen 
Schriften  mit  gleichzeitigen  Dokumenten  der  politischen  Correspondenz 
erlaubt  die  Wahrheit  der  Memoiren  zu  prüfen,  und  gibt  wertvolle 
Aufschlüsse,  welchen  Veränderungen  die  Ansichten  Friedrichs  im  Laufe 
der  Jahre  unterworfen  gewesen  sind. 

Die  grosse  Edition  der  politischen  Correspondenz  ist  die  dritte, 
und  so  lange  die  politischen  Testamente  nicht  vollständig  publizirt 
worden  sind,  die  wichtigste  Quelle  zur  Erschliessung  der  Handlungen 
des  Königs. 

Nach  den  üblichen  Axiomen  seines  Zeitalters  musste  der  König 
einmal  handeln;  kein  europäischer  Staat  hat  jemals  ohne  Eigennutz 
sein  Bündnis  gesucht.  Es  darf  ihm  deshalb  die  Führung  der  m  der 
europäischen    Politik    gültigen    Waffen    nicht    zum   Vorwurf   gemacht 

'1  Der  letzte  Band  v.  J.  G.  Droysens  Gesch.  d.  preussischen  Politik  enthält 
unter  andern  zahlreiche  Sätze  aus  dem  Testamente  von  1752. 
-')  Histoire  de  mon  temps  von  1746.     iS.   151. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Benrtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     399 

werden.  Friedricli  lehnt  ausdrücklich  im  Vorworte  seiner  Histoire  de 
mon  temps  von  1746  jede  Kritik  seiner  Handlungen  nach  den  Ge- 
setzen der  bürgerlichen  Moral  ab:  ^Notre  emploi  est  de  veiller  au 
bonheur  de  nos  peuples;  des  que  nous  trouvons  donc  du  danger  ou 
du  hasard  pour  eux  dans  une  alliance,  c'est  ä  nous  de  la  rompre 
plutöt  que  de  les  exposer ;  en  cela  le  souverain  se  sacrifie  pour  le  bien 
de  ses  sujets".  Diese  Bemerkung  zeigt,  wie  wertlos  die  gelegentlichen 
Betheuerungen  sind,  in  denen  Friedrich  die  Reinheit  seiner  Gesinnung 
rühmt:  ,Ne  cherchez  point",  steht  in  einem  eigenhändigen  Briefe 
vom  8.  Nov.  1747  an  den  Minister  Puyzieulx,  „de  detours  dans  ma 
conduite;  eile  est  aussi  simple  que  mon  coeur;  je  n'aspire  point  ä 
r  infame  gloire  de  tromper  le  genre  humain,  mais  aussi  ne  veux-je 
etre  ni  soup^onne  ni  trompe".  Aber  man  soll  auch  nicht  zu  weit 
gehen  und  hinter  jeder  Aeusserung  einen  Fallstrick  verrauthen.  Die 
Politik  Friedrichs  hat  sich  durchaus  nicht  aus  einer  fortgesetzten  Kette 
von  Täuschungen  und  Hintergehungen  seiner  Alliirten  und  eigenen 
Staatsmänner  zusammengesetzt.  In  geradezu  verblüffender  Offenheit 
hat  Friedrich  während  des  ersten  schlesischen  Krieges  bei  Klein- 
Schnellendorf  und  4  Monate  später  in  Olmütz  sein  politisches  Pro- 
gramm österreichischen  Unterhändlern  entwickelt.  Später  wiegt  er 
bedeutend  vorsichtiger  und  kühler  seine  Worte  ab,  und  versteht  sich 
zu  beherrschen.  Nur  die  militärische  Correspondenz,  bis  jetzt  selten 
nach  Gebühr  verwertet,  hält  sich  frei  von  allen  Täuschungen  der 
Adressaten ;  und  gerade  in  dieser  liegt  auch  die  naheliegendste,  sehr 
selten  versagende  Quelle  zur  Erkenntnis  seiner  thatsächlichen  Ansichten. 
Der  König  war  viel  zu  gewissenhaft,  um  unnütz  Leben  und  Vermögen 
seiner  Soldaten  und  Unterthanen  zu  gefährden.  Dieser  Briefwechsel 
bildet  daher  die  Grundlage  zur  ControUe  aller  gleichzeitigen  sonstigen 
Schreiben.  Denn  die  politischen  und  militärischen  Handlungen 
Friedrichs  gehen  Hand  in  Hand,  die  einen  bedingen  die  anderen,  ohne 
dringende  politische  Veranlassung  gibt  der  Köuig  nicht  seinen  Ge- 
nerälen militärische  Verhaltungsmassregeln. 

Von  der  militärischen  Correspondenz  sind  die  administrativen 
Schreiben  nicht  zu  trennen,  die  Ordres  für  die  Magazinverpflegung  der 
Truppen  enthalten.  In  der  Krisis  des  Jahres  1749  erhielt,  bevor  noch 
ein  Soldat  alarmirt  wurde,  am  6.  März  1749  der  Etatsminister  Graf 
Münchow  in  Breslau  Befehl  unter  der  Hand  die  für  6 — 8  Regimenter 
Cavallerie  nötige  Fourage  in  Oberschlesien  aufzubringen.  Der  Aufschub 
und  der  spätere  Widerruf  erfolgte  in  dem  Augenblicke,  als  der  König 
die  Gefahr  eines  russischen  Angriffes  auf  Schweden,  der  einen  allge- 
meinen europäischen  Krieg  hervorgerufen  hätte,  schwinden  sah. 


400  Ferdinand  W  n  g  n  e  r. 

Der  Nachfolger  Müuehows  in  Schlesien,  Schlabrendorff,  nahm  die 
gleiche  Vertrauensstelle  ein.  Ihm  allein  neben  Wiuterfeldt  theilte 
Friedrich  am  29.  Dezember  1756  seinen  Entschluss  einer  wahrschein- 
lichen Räumung  Oberschlesiens  mit.  In  mehreren  Fällen  ist  es  un- 
möglich aus  den  sich  widersprechenden  Sätzen  der  gleichzeitig  erlas- 
senen politischen  Instructionen  die  momentane  Gesinnung  des  Mo- 
narchen herauszuschälen.  Unbedingt  sind  alle  zur  weiteren  Mittheilung 
an  auswärtige  Potentaten  uud  Minister  abgefertigte  Memoiren  und 
Depeschen  mit  grosser  Vorsicht  zu  benutzen;  ihr  ostensibeler  Inhalt 
steht  im  engen  Zusammenhange  mit  den  Erwartungen,  die  an  die 
fremde  Macht  gestellt  wurden.  Einen  wichtigen  Fingerzeig  gewähren 
die  zahlreichen  Anfragen,  die  stets  mit  der  allgemeinen  Sachlage  im 
Zusammenhange  stehen.  Die  scharf  pointirten  Bemerkungen  des  Königs 
beim  Einlaufen  der  erbetenen  Auskünfte,  namentlich  wenn  die  Antwort 
des  Gesandten  nicht  nach  Wunsch  ausfiel,  berechtigen  zu  einem  Rück- 
schluss  auf  Friedrichs  eigene  Meinung.  In  verschiedenen  Fällen  wird 
den  Gesandten,  namentlich  denen  in  Wien,  an  der  Hand  der  von 
Offizieren  betriebeneu  Spionage  das  Irrige  ihrer  Meldungen  nach- 
gewiesen. Alten  erprobten  Vertretern  im  Auslande  wurde  in  den 
ihnen  zukommenden  Ressorts  oflFeue  Aussprache  gestattet.  Die  Ge- 
sandten Chambrier  und  später  Lord  Marschall  in  Paris  nahmen  eine 
Ausnahmestellung  unter  den  preussischen  Diplomaten  ein.  Auch  der 
Graf  Finckenstein  erwarb  sich  während  seines  Aufenthaltes  in  Stock- 
holm und  St.  Petersburg  die  Wertschätzung  seines  Monarchen.  Nicht 
so  gut  hatte  Friedrich  es  mit  seinem  früheren  langjährigen  Vertreter 
am  russischen  Hofe  getroffen ;  zu  spät  bemerkte  er,  dass  das  Auftreten 
Mardefelds  sehr  viel  zur  Verschärfung  der  Gegensätze  und  zum  Bruche 
mit  den  Günstlingen  der  Kaiserin  Elisabeth  beigetragen  hatte.  Dem 
Geschäftsträger  Michell  in  London  wird  eine  sicher  auf  mangelnde 
Vertrautheit  des  Könio-s  mit  den  encrlischen  Zuständen  beruhende 
Freiheit  im  Urtheil  gestattet,  die  sich  jüngere  Diplomaten,  wie  Knyp- 
hausen  und  Kliuggraeffen  nicht  erlauben  durften. 

Die  eigenhändigen  Briefe  Friedrichs  an  seine  Angehörigen  sind, 
so  anziehend  sie  geschrieben  und  so  wert  sie  uns  sind,  um  auch  den 
Bruder  in  Friedrich  kennen  zu  lernen,  besonders  vorsichtig  zu  ver- 
werten. Der  König  geht  nie  mit  seinen  Brüdern  zu  Rathe.  Als 
Prenssen  im  Anfange  des  Jahres  1749  einer  gefährlichen  Krisis 
entj^effeuffincr,  erfährt  der  bei  der  Schwester  in  Baireuth  weilende 
Thronfolger  unterm  16.  Februar:  „Paurais  bien  de  la  peine  ä  vous 
mander  d'ici  des  nouvelles  interessantes".    Mit  keinem  Worte  berührt 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Benrtheihing-  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     401 

der  König  die  allgemeine  Lage,  die  ihn  nöthigte  an  eine  Räumung  Ost- 
preussens  zu  denken. 

Noch  weniger  eröffnen  die  Briefe  an  die  Markgräfin  Wilhelmine 
von  Baireuth  einen  Blick  in  die  Gedankenwelt  König  Friedrichs.  Nach 
Möglichkeit  wird  in  den  Jahren  1756  und  1757  jede  Andeutung  ver- 
mieden, die  der  kranken  Schwester  Erregung  verursachen  könnte.  Tu 
den  schweren  Tagen  des  Dezember  1756,  als  Friedrich  die  gauze  ihm 
und  dem  Staate  drohende  Gefahr  übersah,  verbarg  er  ängstlich  vor 
der  geliebten  Schwester  die  ihn  bewegenden  Sorgen:  ein  glänzendes 
Zeugnis  der  Selbstbeherrschung  des  Königs,  der  damals  nur  den  Ge- 
neral Winterfeldt  zum  Vertrauten  aller  seiner  Befürchtungen  machte. 
Eine  Sonderstellung  nimmt  die  Correspondenz  mit  der  Königin  Ulrike 
von  Schweden  ein,  die  seit  ihrer  Vermählung  ein  wichtiger  Faktor  in 
der  europäischen  Diplomatie  geworden  war.  Wichtige  politische  An- 
deutungen, die  an  anderer  Stelle  sich  bestätigt  finden,  können  natür- 
lich in  diesen  Familienbriefen  vorkommen.  Mit  Recht  hat  R.  Koser 
einen  am  23.  November  1753  an  den  Thronfolger  gerichteten  Brief 
in  seinem  Geschichtswerke  citirt.  Unter  diesem  Datum  erfährt  der 
Prinz,  dass  schwere  Verwicklungen  für  das  kommende  Jahr  voraus- 
zusehen seien,  die  Friedrich  verhinderten  persönlich  sich  an  den 
Hochzeitsfeierlichkeiten  in  Schwedt  zu  betheiligen.  Aber  erst  ein 
militärisches  Schreiben  vom  3.  Dezember  1753,  das  dem  Feldmarschall 
Lehwaldt  in  Ostpreussen  die  Möglichkeit  eines  russischen  Angriifes  im 
neuen  Jahre  eröffnet,  macht  dieses  Schreiben  für  die  Forschung  ver- 
wertbar. 

Der  Ausgangspunkt  meiner  Untersuchung  ist  das  erste  Capitel 
der  Histoire  de  mon  temps  von  1746.  An  dieser  Stelle  entwirft  der 
König  ein  anschauliches  Bild  der  europäischen  Zustände  beim  Tode 
seines  Vaters.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  der  Ausgang  der  beiden 
schlesischen  Kriege  den  königlichen  Autor  bei  der  Abfassung  dieses 
Abschnittes  beeinflusst  hat.  Preussen  nahm  1740  noch  nicht  den  Platz 
in  dem  europäischen  Conzerte  ein,  den  ihm  die  histoire  von  1746 
zuweist.  Erst  der  Erwerb  Schlesiens  erhob  es  auf  immer  über  Sardi- 
nien und  Sachsen-Polen  i).  Ein  grosser  Theil  dieses  ersten  Capitels 
ist  in  der  zweiten  Redaction  gestrichen,  vieles  zusammengezogen  oder 
umgearbeitet  2).  Friedrich  ist  durch  die  späteren  Ereignisse  bedeutend 
beeinflusst  worden;  wir  sind  daher  umsomehr  berechtigt,  die  Aeusse- 
rungen  des  ersten  Capitels  als  beweiskräftig  für  die  Zeit  der  Abfassung, 
den  Herbst  des  Jahres  1746,  zu  behandeln. 

1)  Histoire  v.   174G  S.  214. 

2)  Droysen:  »Abhandlungen  zur  Neueren  Geschichte*. 


402  F  e  r  fl  i  n  a  n  d  W  a  g  n  e  r. 

Den  Abschluss  giebt  die  „Apologie  de  ma  conduite  politique", 
im  August  1757  nach  der  Niederlage  von  Kolin  entworfen.  Diese 
Schrift  uimmt  eine  Ausnahn:estellung  unter  Friedrichs  geschichtlichen 
Aufsätzen  ein.  Sie  sagt  nicht  alles,  das  wäre  auch  zu  viel  verlangt 
von  einer  Kechtfertigungsschrift,  aber  mit  einer  nichts  zu  wünschen 
lassenden  Offenheit  bekennt  der  König  die  im  vergangenen  Jahre 
gehegten  irrigen  Anschauungen.  Er  habe  nicht  geahnt,  dass  Frank- 
reich einen  über  die  vertragsmässige  Hülfe  hinausgehenden  Beistand 
Oesterreich  leisten  würde,  und  habe  ebensowenig  an  eine  stärkere 
Theilnahme  der  Russen  am  deutschen  Kriege  gedacht. 

Die  Frage :  „  welche  Grundsätze  befolgte  Friedrich  in  der  aus- 
wärtigen Politik",  beantwortet  das  Testament  von  1752:  ,La  politique 
consiste  plutot  ä  profiter  des  conjouctares  favorables  qu'ä  les  preparer 
d'avance".  Aus  diesem  Grunde  soll  der  Thronfolger  keine  Verbind- 
lichkeiten eingehen,  die  ihm  für  die  fernere  Zukunft  Fesseln  anlegen : 
„ne  faites  jamais  des  traites  pour  prendre  des  mesures  sur  les  evene- 
ments  eloignes".  Friedrich  verwirft  damit  auf  das  entschiedenste  das 
damals  in  den  europäischen  Kabinetten  übliche  System,  möglichst 
durch  Allianzen  den  eigenen  Staat  zu  sichern  zu  Gunsten  der  Politik 
der  freien  Hand:  „Je  me  suis  bien  trouve  d'en  avoir  use  ainsi  l'annee 
1740,  et  j'en  fais  de  meme  ä  present  pour  les  affaires  de  Pologne". 
Aber  es  wäre  nicht  gerechtfertigt  deshalb  auzunehmen,  dass  der  König 
überhaupt  kein  festes  ürtheil  besessen  hätte. 

Nichts  ist  verkehrter  und  irreführender  als  der  in  den  Berichten 
der  fremden  Gesandten  enthaltene  Klatsch  über  die  plötzlichen  ner- 
vösen Stimmungswechsel  des  Königs  in  seiner  Beurtheilung  der  aus- 
wärtigen Mächte.  Der  französische  Gesandte  in  Berlin,  Tyrcounell, 
schreibt  einmal  in  diesem  Sinne:  „Dieselbe  Lebhaftigkeit,  die  ihn 
heute  Riissland  mit  Geringschätzung  betrachten  Hess,  lässt  ihn  morgen 
die  Sache  ganz  anders  auffassen"  i).  Im  Gegentheil,  Friedrich  hat 
von  Anfang  an,  unabhängig  von  den  wechselnden  Meinungen  des 
Tages,  sich  über  die  Machtmittel  der  europäischen  Staaten  zu  orien- 
tiren  gesucht.  Das  Ergebnis  der  während  der  ersten  sechs  Jahre 
seiner  Regierung  gemachten  Erfahrungen  ist  in  dem  schon  genannten 
ersten  Capitel  der  histoire  von  1746  niedergelegt.  Aber  schritthaltend 
mit  der  Zeit,  modifizirte  er  sein  ürtheil,  wo  es  nöthig  schien;  dem 
Niedergange  Frankreichs,  der  Zerrüttung  in  Schweden  und  in  Russ- 
land, so  wie  den  Reformversuchen  Maria  Theresias  widmete  er  die 
gleiche  Aufmerksamkeit.    Die  fremden  Gesandten  sind  selbstverständlich 


')  Preuss.  Jahrbücher  47.  4b3. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Benrtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     403 

in  diese  Werkstätte  nicht  geführt  worden.  Kühl  und  ruhig  hat 
Friedrich  in  der  Epoche  nach  1746,  nur  in  militärischen  Fragen 
durch  seinen  Adjutanten  Winterfeldt  unterstützt,  die  verschieden - 
wertigen  ihm  zukommenden  Berichte  und  Erzählungen  gegeneinander 
absewogen.  Er  hat  sich  schwer  von  einer  vorgefassten  Meinung  ge- 
trennt,  sobald  er  sie  indes  als  unrichtig  erkannt  hatte,  zögerte  er 
nicht  die  seinem  Herzen  vielleicht  sympathische  Ansicht  zu  opfern, 
mochte  der  von  ihm  gethane  Schritt  der  Welt  auch  ungerechtfertigt 
erscheinen. 

An  der  Hand  der  politischen  Correspondenz  mit  Benutzung  des 
Testamentes  von  1752  werde  ich  nach  einander  Friedrichs  Ansichten 
über  Russland,  England,  Frankreich  und  Oesterreich  in  der  Zeit  vom 
Dresdner  Frieden  bis  zum  Anfang  des  Jahres  1757  darlegen. 

1.  Russlaud. 

Jeder  Intervention  Russlands  in  die  deutschen  Angelegenheiten 
von  vornherein  vorzubeugen,  bestrebte  sich  die  fridericiauische  Politik 
in  der  Zeit  nach  dem  Dresdner  Frieden.  In  diesem  Sinne  fiel  die 
Aeusserung:  „Also  vielmehr  das  Beste  sei,  den  Bären  in  seinem  Lager 
zu  lassen  und  ihm  nicht  selbst  weiss  zu  machen,  als  ob  man  seiner 
nöthig  habe  oder  ihn  fürchte"  i).  Friedrich  wusste  sehr  wohl,  dass 
Russlands  geographische  Lage,  trotz  der  Vernachlässigung  aller  Festun- 
gen, jeden  Angriff  unmöglich  machte.  Den  Vorschlag  seines  Gesandten 
Mardefeld  im  Jahre  1746  russischen  AngriflFsplänen  mit  einer  üeber- 
rumpelung  Rigas  zuvorzukommen,  hatte  der  König  rundweg  abgelehnt; 
ebenso  weigerte  er  sich  drei  Jahre  später  zu  Gunsten  Schwedens,  wie 
ihm  die  Franzosen  zumutheten,  eine  Besetzung  Kurlands  und  Livlands 
zu  unternehmen  -).  üebereinstimmeud  mit  diesen  Erklärungen  hält 
das  Testament  von  1752  Eroberungen  in  jenen  fernen  und  wüsten 
Gegenden  auch  zu  Gunsten  eines  dritten,  wobei  nur  Schweden  oder 
Polen  in  Frage  kommen  konnten,  für  gleich  nutzlos,  „les  conquerir 
pour  nous  serait  folie,  les  conquerir  pour  d'autres  serait  assez  inutile". 

Die  Bedeutung  Russlands  in  der  europäischen  Politik  hat  Friedrich 
in  dem  bereits  erwähnten  Eiugangscapitel  der  Histoire  de  mon  temps 
kritisirt.  Weder  Russland  noch  die  Türkei  werden  zu  den  europäischen 
Mächten  gezählt,  beide  seien  nur  Maschinen  in  den  Händen  Englands 
bezw.  Frankreichs,  die  je  nach  Bedürfnis  zur  Ausübung  eines  Druckes  auf 
Europa  gebraucht  würdeu.   „  L' Angleterre  f ait  une  montre  d' ostentatiou 


')  P.  C.  V.  11.  (24.  Januar  1746). 
'■^  P.  C.  VI.  512  (25.  April  1749). 


404  Ferdinand  Wagner. 

de  la  Russie,  soit  pour  abuser  l'Europe  par  im  secours  illusoire,  seit 
pour  conteuir  le  Nord  ou  pour  procurer  a  l'empereur  des  secours 
reels  contre  les  iufideles".  Der  wirkliche  Einfluss  Eusslands  erstrecke 
sich  nur  auf  Polen  und  Schweden ;  bei  der  Zusammensetzung  der 
russischen  Truppen  erweise  sich  deren  Aufenthalt  in  fremden  Ländern 
als  ausserordentlich  kostspielig  ^).  Die  Ereignisse  des  siebenjährigen 
Krieges  haben  Friedrich  den  Irrthum  seiner  früheren  Anschauung  be- 
wiesen; in  der  Ausgabe  von  1776  ist  dieser  ganze  Abschnitt,  der 
Russlaud  als  einen  Klienten  Englands  schildert,  gestrichen  und  in 
folgender  Form  ersetzt  worden:  „La  Russie  n'avait  point  alors  assez 
de  poids  dans  la  politique  europeenne,  pour  determiuer  dans  la  ba- 
lance  la  superiorite  du  parti  qu'elle  embrassait. 

Im  scheinbaren  Widerspruche  mit  dem  Inhalte  des  ersten  Capitels 
der  histoire  von  1746  steht  die  grosse  Besorgnis,  die  Friedrich  im 
Sommer  1746  vor  einer  russischen  Invasion  gehegt  hat.  Der  Grund, 
warum  der  König  damals  durch  Bestechung  Bestuschews  sich  den 
Fortbestand  des  Friedens  in  Petersburg  erkaufen  wollte,  liegt  aber 
klar  vor  Augen.  Die  Reorganisation  der  preussischen  Armee  nach 
den  Feldzügeu  von  1744  und  1745  war  noch  nicht  vollendet;  es 
fehlte  an  Munition,  Proviant  und  Zelten  und  die  Kassen  enthielten 
noch  nicht  die  zu  einer  Mobilmachung  erforderlichen  Summen.  Dem- 
nach stand  einem  Angriff  der  Russen  in  diesem  Jahre  Preusseu  fast 
wehrlos  gegenüber.  Es  ist  kein  Grund  vorhanden,  die  Wahrheit  der 
im  Juni  1746  an  Podewils  gerichteten  Briefe  zu  bezweifeln.  ,Si  nous 
gagnons  cette  annee,  je  ne  m'  embarrasse  de  rien,  mais  si  malheureu- 
sement  la  bombe  allait  crever  ä  present,  il  y  aurait  tout  ä  craindre 
pour  TEtät"  und  „En  un  mot,  c'est  plus  1' etat  delabre  de  mon  in- 
terieur  que  les  forces  des  ennemis  qui  sont  a  craindre"  ^). 

Sorgfältig  hat  der  König  die  grosse  Gefahr,  in  die  ihn  eine  rus- 
sische Invasion  versetzen  konnte,  den  fremden  Mächten  zu  verbergen 
gesucht.  Der  Gesandte  Andrie  in  London  wie  später  Kliuggraeffen 
muss  dem  Gerüchte  entgegen arl)eiten,  als  habe  man  in  Potsdam  Ver- 
anlassung, den  Petersburger  Hof  zu  fürchten.  Hiermit  steht  im  Ein- 
klang ein  Schreiben  Eichels  vom  20.  Juli  1746:  „des  Königs  Majestät 
endlich  dem  Herrn  v.  Villiers  ^)  den  Gedanken  zu  benehmen  gesuchtet, 
als  ob  Sie  die  Russen  so  sehr  redoutirten,  daher  Sie  sich  gegen  den- 
selben dahin  expliciret,  wie  derselbe  die  Russen  zu  fürchten  gar  keine 


')  Histoire  S.  209. 

2)  P.  C.  V.   110  u.    114  (12.  n.   1.3.  Juni  4ß). 

^)  Englischen  Gesandten  in  Berlin. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     4Q5 

Ursaclie  hätte"  1).  Noch  sieben  Jahre  später,  im  October  1753,  erfährt 
der  preussische  Geschäftsträger  in  Louclon,  dass  die  russischen  Küstun- 
gen  in  Berlin  keinen  Eindruck  machten,  auch  wenn  bis  100.000 
Eussen  kommen  sollten,  alles  sei  in  Preussen  zu  ihrem  Empfauge 
bereit  -).  Gleichzeitig  hat  aber  Friedrich  in  Versailles  Dokumente 
vorlegen  lassen,  die  ihn  als  von  einer  russischen  Invasion  schwer  be- 
droht hinstellen  sollten  ^).  Mit  letzteren  Erklärungen  stimmt  der  Ver- 
such völliff  überein,  im  Januar  und  Februar  1756  den  französischen 
Botschafter  Nivernois  zu  überreden,  dass  die  Furcht  vor  dem  Ein- 
falle eines  russischen  Heeres  der  Grimd  für  die  Annäherung  Preussens 
an  England  gewesen  sei.  "Wie  wenig  Glauben  Nivernois  diesen  Er- 
klärungen geschenkt  hat,  zeigen  seine  Briefe  an  Broglie  in  Dresden  *). 
Welche  Motive  haben  Friedrich  nun  geleitet,  wenn  er  im  Sommer 
1756  in  seineu  militärischen  Erlässen  einem  Angriffe  der  Russen  viel 
ruhiger  entgegensah  als  7  Jahre  früher  und  als  namentlich  gleich 
nach  dem  Dresdner  Frieden?  Ein  halbes  Jahr  nach  diesem  Friedens- 
schlüsse hat  er  die  Erklärung  abgegeben,  alles  stehe  auf  dem  Spiele 
bei  dem  Eintreffen  einer  russischen  Invasion;  drei  Jahre  später  1749 
macht  er  sich  bei  einer  Kriegserklärung  Russlands  mit  dem  Gedanken 
einer  Räumung  Ostpreussens  vertraut.  Vor  Ausbruch  des  grossen 
Krieges  dagegen  erhält  Feldmarschall  Lehwaldt  Befehl,  die  ihm  an- 
vertraute Provinz  Ostpreussen  mit  36.000  Manu  zu  behaupten. 

Das  Anwachsen  der  eigenen  Hülfsmittel  hat  diese  Aenderung  der 
Befehle  Friedrichs  bewirkt.  Die  beiden  ersten  schlesischen  Kriege 
hatten  den  von  Friedrich  Wilhelm  I.  gesammelten  Schatz  völlig  ver- 
braucht Der  grosse  Tresor  war  am  28-  October  1745  auf  2298  Thaler 
zusammengeschmolzen,  die  von  den  Ständen  der  Mark  gewährte  An- 
leihe und  die  in  Sachsen  erhobenen  Kontributionen  genügten  nicht 
für  eine  weitere  Campagne;  zu  Trinitatis  1746  hatte  der  König  nur 
900.000  Reichsthaler  zu  seiner  Verfügung.  Der  Dresdner  Friede  ist 
also  eine  zwingende  Nothweudigkeit  für  Preussen  gewesen;  denn  mit 
der  Annahme  von  Subsidien,  die  nur  Frankreich  gewähren  konnte, 
wäre  jede  selbständige  Politik  unterbunden  gewesen.  Im  Sommer 
1756  hatte  dagegen  der  grosse  Tresor  die  Höhe  von  13,377.919  Tha- 
lern erreicht,    zwar   nicht    die  vom  politischen  Testamente  für  nöthig 


1)  P.  C.  V.  141. 

2)  P.  C.  X.  132. 

3)  Koser  in  den  pi'euss.  Jahrbüchern  47.  482. 
■*)  Perey  » Nivernois''  S.  385. 


406  Ferdinand  Wagner. 

erklärte  Summe,  aber  mit  den  übrigen  Kassengeldern  doch  ausreicliend, 
um  die  Kosten  vou  drei  Feldzügen  zu  bestreiten  i). 

Anderseits  schien  Eusslaud  1753  bei  weitem  weniger  gefährlich 
als  zehn  Jahre  früher.  Nach  dem  Regierungsautritte  der  Kaiserin 
Elisaljeth  war  das  Reformwerk  ihres  grossen  Vaters  in's  Stocken  ge- 
ratheu.  Mit  welcher  Anerkennung  hat  sich  die  Histoire  von  1746 
über  die  Regierung  Peters  des  Grossen  uud  der  Kaiserin  Anna  ge- 
äussert! Aber  die  Männer,  denen  letztere  die  Staatsgeschäfte  anver- 
traut hatte,  waren  nach  1741  einer  nationalen  Reaction  gewichen, 
deren  Vertreter  sich  au  Eugland  verkauften. 

Friedrich  hatte  kein  Verstäuduis  für  diesen  Sieg  des  Volksgeistes, 
er  sah  nur  die  Schäden  der  Gilnstliugswirthschaft  und  die  Corriiption 
am  Hofe  und  im  Heere.  Das  Ausscheiden  der  deutschen  und  eng- 
lischen Offiziere,  (Keith,  Manstein,  Laudon,  Graut  u.  s.  w.)  desorgani- 
sirte  nach  allgemeiner  Ansicht  die  russische  Armee,  uud  machte  sie 
unfähig  zu  einem  Kampfe  gegen  europäisch  geschulte  Truppen. 

Die  verschiedeneu  Erlässe  an  Lehwaldt  zeigeu,  welche  geringe 
Meinung  Friedrich  im  Sommer  1756  von  der  Schlagfertigkeit  der 
russischen  Armee  gehabt  hat.  Aber  deshalb  ist  der  Einwand  be- 
rechtigt, dass  erst  der  Westminstervertrag,  durch  den  der  Zariu  die 
englischen  Kriegssubsidieu  bei  eiuem  Kriege  mit  Preusen  entzogen 
wurden,  eiue  russische  Invasion  für  Friedrich  ungefährlich  gemacht 
habe.  Wir  haben  uns  demnach  nach  authentischen  Aeusseruugeu 
Friedrichs  umzusehen,  aus  denen  seine  Meinung  über  Russland  in  der 
Zeit  von  1749  bis  1756  hervorgeht.  Der  bis  jetzt  bekannte  Theil  des 
Testamentes  von  1752  giebt  darauf  keiue  Antwort.  Die  Depeschen 
an  die  preussischen  Gesandten  in  St.  Petersburg,  Finckenstein,  Goltz 
und  Wahrendorff,  sind  nicht  ohne  weiteres  zu  benutzen.  Diese  Lücke 
füllt  zum  Theil  der  Feldmarschall  Keith  aus,  der  nach  längeren,  durch  den 
damaligen  Gesandten  Mardefeld  im  Frühjahre  1745  begonnenen  Verhand- 
lungen -)  im  October  1747  sich  in  Potsdam  einstellte.  Nie  hat  Friedrich 
den  Eintritt  dieses  eno-lischen  Emiorrauten  in  seinen  Dienst  zu  bereuen 
gehabt  ^).  Die  Depeschen  au  Finckenstein  in  Petersburg  lassen  durch- 
blicken, welchen  Wert  der  König  auf  Keiths  Urtheil  in  den  russischen 
Angelegenheiten    legte.     Mit  Genugthuung    wird   an  mehreren  Stellen 


>)  Das  Testament  von  1752  sagt :  ces  5  millions  sont  a  peu  pres  les  frais 
d'  une  campagne  (vergl.  auch  Koser,  König  Fviedricli  der  Grosse  I.  3S7). 

-)  1*.  C.  IV.  154.  (In  derselben  Zeit  traten  auch  die  russischen  Offiziere 
Mannstein  und  Grant  (später  Gommaudant  v.  Neissej  in  preussische  Kriegs- 
dienste). 

s)  Oeuvres  IV.  G. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheiluag  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     407 

die  Uebereinstimmuüg  der  Depeschen  Finckensteins  mit  den  Erzäh- 
lungen Keiths  bestätigt  ^). 

Auf  zahlreiche  aus  den  verschiedensten  Gebieten  stammenden 
Fragen  hat  Keith  in  den  nächsten  Jahren  Auskunft  gegeben.  Von 
seiner  Hand  rührt  der  Entwurf  eines  Feldzugplanes  der  Schweden 
in  Finnland  her,  den  Friedrich  während  der  Krisis  des  Jahres  1749 
seiner  Schwester  Ulrike  einsandte  '^).  Aber  in  einem  wichtigen  Punkte 
schieden  sieh  die  Ansichten  des  Königs  von  denen  seines  neuen  Feld- 
marschalls. Dieser  der  russischen  Sprache  mächtig  hatte  während 
seiner  Laufbahn  iu  Knssland  die  Tüchtigkeit  der  dortigen  Soldaten  zur 
Genüge  schätzen  gelernt,  drang  aber  mit  seinen  Ausführungen  in 
Potsdam  nicht  durch.  Für  den  König  blieben  die  russischen  Truppen 
eine  wilde  Horde  von  Barbaren  nur  zum  Zerstören  brauchbar,  aber 
nicht  verwendbar  in  einem  regulären  Kampfe  gegen  disciplinirte 
Soldaten  ^). 

Bei  dem  Ausbruche  eines  Krieges  zwischen  Preussen  und  Kuss- 
land war  die  Paiteiuahme  Schwedens  von  grosser  Bedeutung.  Am 
29.  Mai  1747  hatten  Schweden  uud  Preussen  ein  zehnjähriges  De- 
fensivbündüis  abgeschlossen,  das  seine  Spitze  nur  gegen  Kussland  richten 
konnte*).  Als  im  Frühjahre  1749  Finnland  von  einem  russischen 
Angriffe  bedroht  schien,  erwartete  Friedrich  mit  Sicherlieit  in  den  Krieg 
verwickelt  zu  werden,  sobald  die  Küssen  die  schwedische  Grenze  über- 
schreiten würden  ^).  Er  war  verpflichtet  iu  diesem  Falle  laut  Artikel  5 
seines  Vertrages  mit  einem  Hülfskorps  von  9000  Mann  den  Schweden 
beizuspringen.  Auf  45.000  Manu  meistens  Infanterie  (dieselbe  Zahl 
wie  in  den  Feldzügen  1742 — 43)  berechnete  Keith  in  einem  „Projet 
de  campague"  vom  30.  März  1749  die  Stärke  des  Heeres,  das  die 
Zarin  gegen  Finnland  aufstellen  würde.  In  einer  späteren  eigenhän- 
digen Denkschrift  vom  12.  April  1750,  welche  schwedischen  Offizieren 
vorgelegt  wurde,  setzte  der  König  die  Zahl  der  Kassen  an  der  finn- 
ländischeu    Grenze    auf  22 — 24000    Soldaten    herunter,    während    der 


')  P.  C.  VI.  68  u.  244  (26.  März  u.  24.  Sept.  1748  ebenso  VII.  210  (3.  Jan. 
1570)  u.  (24.  Nov.  1753), 

«J  P.  C.  VI.  472  (4.  April  1749). 

3)  Der  Ausspruch  des  Königs  bei  Varnhageu  v.  Ense  VII.  66.  ,Les  Mos- 
covites,  mon  eher,  sont  un  tas  de  barbares,  sont  de  la  Canaille,  dont  les 
troupes  bien  disciplinees  feront  facitement  bon  compte".  Mit  Unrecht  macht 
deshalb  Masslowsky  (S.  210)  Keith  den  Vorwurf,  den  Wert  der  russischen  Sol- 
daten nicht  gekannt  zu  haben. 

•*)  Wenck,  Codex  iuris  gentium  II.  235. 

a)  P.  C.  VI.  482  (9.  April  1749  an  Lehwaldt). 


408  Ferdinand  Wagner. 

grössere  Theil   Her  Armee,   40.000  Manu,    im   Kriegsfalle    sich    gegen 
Ostpreussen  wenden  würde. 

Dieses  Memoire  gibt  die  wahre  Meinung  des  Königs  wieder,  und 
nicht  jener  nach  zwei  und  einem  halben  Jahre  am  18.  Dezember  1752 
dem  Könige  Ludwig  übersandte  Entwurf,  der  die  Macht  der  beiden 
Kaiserinnen  auf  280.000  Soldaten  taxirt,  denen  Preussen  nur  100-000 
Mann  entgegenstellen  könnte.  Durch  einen  glücklichen  Zufall  ist  eine  an 
Lehwaldt  unterm  3.  Dezember  1753  eingesandte  Tabelle  der  Standorte 
der  russischen  Armee  zum  Theil  in  der  vom  gleichen  Tage  datirten  De- 
pesche an  den  Gesandten  Klinggraeffen  in  Wien  nachzuweisen.  Die  in 
Livland,  Kurland  und  Estland  kantonirenden  Regimenter  setzten  sich 
darnach  zusammen  aus  23  Infanterie-,  3  Kürassier-,  2  Dragoner-,  1  Hu- 
saren-, 1  Kosakenregimentern  und  4000  Donschen  Kosaken  i).  Im  District 
St.  Petersbung  lagerten  15  Infanterie-  und  3  Dragonerregimenter. 
Nach  einer  früheren  Depesche  Friedrichs  an  den  Grafen  Eiuckenstein 
kamen  für  einen  europäischen  Krieg  allein  die  in  Finnland,  Livland 
und  im  Distrikt  von  St.  Petersburg  in  Quartier  liegenden  Truppen, 
46  Infanterie-Hegimenter,  in  Betracht  -).  Friedrich  berechnete  in  dem 
erwähnten  Erlass  an  Lehwaldt  die  Stärke  jedes  Reiterregimentes  auf 
1000  Köpfe,  die  der  Bataillone  auf  selten  mehr  als  400  Maun  ^).  Eine 
absichtliche  Täuschung  Lehwaldts  über  die  Höhe  der  feindlichen  Streit- 
macht ist  völlig  ausgeschlossen.  In  den  drei  Ostseeprovinzen  befanden 
sich  also  nach  der  von  Friedrich  selbst  gegebenen  Anweisung  Ende 
1753  keine  30.000  Maun  Fussvolk  und  11.000  Reiter  (davon  5000 
Kosaken).  Eine  Verstärkung  dieses  Corps  im  Bedarfsfalle  durch  einen 
Theil  der  in  Ingermannland  befiudlichen  Truppen  und  namentlich 
durch  Irregulaire  war  sehr  wahrscheinlich ;  aber  die  Rücksicht  auf  das 
mit  Preussen  verbündete  Schweden  hätte  die  Kaiserin  Elisabeth  ge- 
.  nötigt  ein  ansehnliches  Corps,  namentlich  bei  der  üeberlegenheit  der 
schwedischen  Flotte  an  grossen  Schlachtschiffen  ^),  zum  Schutze  St. 
Petersburgs  und  der  Küsten  zurückzuhalten. 


')  Die  russische  Kavallerie  zählte  3  Kürassier-  und  29  Dragonerregimenter 
vor  dem  Kriege,  die  Infanterie  3  üarde-  und  46  Linienregimenter  (Masslowsky  12). 

2)  P.  C.  V.  549  (19.  Dec.  1747). 

•'')  P.  C.  X.  171.  (Schon  lange  vor  dem  Kriege  war  die  russische  Kavallerie 
nach  dem  Ausspruche  Masslowskys  S.  18  völlig  desorganisirt.  Wie  weit  Friedrich 
darüber  unterrichtet  war,  ist  nicht  zu  erkennen). 

*)  Die  für  Schweden  bestimmte  Denkschrift  v.  12.  April  1750  rechnete  mit 
der  Üeberlegenheit  der  schwedischen  Flotte,  die  sich  nach  dem  Ludwig  XV.  über- 
reichten Memoire  vom  18.  Dez.  1752  im  tiefen  Verfalle  befinden  sollte.  Nach 
der  histoire  von  1746  setzte  sich  die  schwedische  Flotte  aus  24  Linien-  und  36 
anderen  Schiffen  zusammen,  die  russische  aus  12  Liiiiouscliiäen,  26  Branderu  und 


Die  europäischen  Mächte  in  rler  Benrtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     409 

Demnach  hätte  im  Kriegsfalle  Lehwaldt  in  der  Zeit  vor  1756 
eine  bedeutend  geringere  feindliche  Streitmacht  zu  bekämpfen  gehabt, 
als  ihm  später  in  der  Schlacht  bei  Gross-Jägerndorf  entgegentrat.  An 
Zahl  zwar  wären  die  Russen  immer  dem  in  Ostpreussen  stationirten 
Corps  überlegen  geblieben,  selbst  wenn  letzteres,  wie  es  im  Juni  1756 
geplant  war,  durch  pommersche  Regimenter  verstärkt  wurde.  Friedrich 
hielt  aber  eine  numerische  Ueberlegenheit  seines  Heeres  im  Kriegs- 
fälle nicht  für  erforderlich.  In  diesem  Sinne  erfuhr  Lehwaldt,  der 
mit  Einschluss  der  Garnisonen  knapp  30.000  Mann  befehligte,  am 
26.  Dezember  1756:  „kann  ich  Euch  sagen,  sie  (die  Russen)  mit 
40.000  gegen  Schlesien,  und  mit  40.000  gegen  Preussen  agiren  werden; 
da  glaube  ich  dann,  dass  es  Euch  nicht  darauf  ankommen  wird,  ob 
Ihr  ein  Drittel  von  dergleichen  Volk  mehr  gegen  Euch  habt  als  Ihr 
stark  seid*. 

Mit  dem  Abschlüsse  der  Westmiusterconvention  gab  Friedricli 
den  grossen  Vortheil  preis,  den  das  schwedische  Bündnis  ihm  ge- 
währte: die  Theiluug  der  russischen  Kriegsmacht.  Denn  Frankreich 
hatte  nun  keine  Veranlassung  mehr  einen  drohenden  Einmarsch  der 
Russen  in  Deutschland  durch  eine  schwedische  Mobilmachung  zu 
erschweren. 

Auf  der  andern  Seite  aber  hatte  die  Kaiserin  Elisabeth  für  eineu 
Krieg  gegen  Preussen  keine  englischen  Subsidien  mehr  zu  erwarten, 
die  sie,  nach  der  allgemeinen  Ansicht,  nicht  entbehren  konnte,  sobald 
sie  eine  Armee  ins  Ausland  schickte  i).  Wenn  Friedrich,  trotzdem  er 
in  den  vier  Jahren  1752—56  einem  russischen  Angriff  mit  Ruhe  ent- 
gegensehen konnte,  jede  ernstliche  Verwicklung  mit  der  Zarin  zu  ver- 
meiden suchte,  so  lag  der  Grund  in  der  Thatsache,  dass  nicht  er  selbst, 
sondern  die  treuen  Alliirten  Frankreichs  (Schweden  und  Polen)  aus 
einem  gegen  Russland  geführten  siegreichen  Kriege  den  grössten  Nutzen 
gezogen  hätten.  Friedrich  ist  somit  der  Ansicht  seines  Vaters  treu 
geblieben,  dass  bei  einem  russischen  Kriege  mehr  zu  verlieren  als  zu 
gewinnen  sei  2).  Die  Ausführungen  Theodor's  v.  Bernhardi  geben 
Friedrich  recht,  wenn  er  die  Gegnerschaft  Russlands  für  eine  vor- 
übergehende gehalten  hat.  Ein  Feldzug  gegen  Preussen  hatte  keinen 
rechten  Zweck  für  Russland,  wo  viel  wichtigere  Aufgaben  der  Ausführung 
harrten.     Ein  Erwerb  Ostpreussens    lag    auch   uicht    im  Interesse    der 


40  Galeeren,  Masslowsky   gibt    IG  kriegsbrauchbare  Linienschiffe    und   Fregatten 
an,  7  Bombardiergalirten  und  42  Galeeren. 

»)  Schaefer  I.  79. 

2)  Koser  I.  215. 

Mittheilungeu  XX.  27 


AiQ  P e r d i  n  a n  cl  W  a g n  e  v. 

herrschenden  Partei,    der   schon  der  Einfluss   der  baltischen  Provinzen 
höchst  unbequem  war  ^). 

Wie  Friedrich  1756  über  die  von  ßussland  drohende  Gefahr  ge- 
dacht hat,  zeigt  die  schon  an  anderer  Stelle  herangezogene  Correspon- 
denz  mit  dem  Feldmarschall  Lehwaldt.  Da  findet  sich  nichts  von 
Furcht  und  Besorgnis.  In  dem  bedeutsamen  Erlass  vom  23.  Juni 
1756,  der  Lehwaldt  Vollmacht  über  Krieg  und  Frieden  gibt,  steht 
geschrieben:  „So  viel  kann  ich  Euch  voraussagen,  dass  sie  die  schlech- 
testen Generals  haben,  und  dass  der  zum  Comaudo  benannte  General 
Apraxin  so  schlecht  wie  möglich  ist,  sodass  Ihr  daher  nicht  viel  zu 
befürchten  haben  werdet".  Ueber  die  Zahl  der  Bussen  lässt  sich  der 
Monarch  an  diesem  Tage  nicht  aus,  hierüber  haben  ihm  damals  sichere 
Nachrichten  gefehlt:  „Wie  Ihr  aber  wohl  wisset,  dass  die  Sachen  von 
weitem  sehr  viel  grösser  ausgeschrieben  werden,  als  sie  sind,  überdeni 
an  der  completen  Zahl  der  Kegimenter  vieles  und  eine  grosse  Anzahl 
fehlet,  so  ist  wohl  zu  präsumiren,  dass  von  der  angegebenen  sehr 
grossen  Anzahl  gar  viel  abzurechnen  sein  wird". 

Erst  fünf  Wochen  später,  am  27.  Juli,  zur  selben  Zeit,  da  Friedrich 
seine  erste  Aufrage,  die  über  Krieg  oder  Frieden  entscheiden  sollte, 
in  Wien  ausrichten  liess,  theilt  er  Lehwaldt  etwas  Positives  über  die 
muthmassliche  Stärke  der  russischen  Armee  mit:  „Plan  der  Oester- 
reicher  und  Bussen  wäre  gewiss  richtig,  glaubte  aber  nicht,  dass  so 
stark  kommen  werden".  „Ich  glaube  nicht,  dass  mehr  wie  45.000 
Mann  werden  haben ;  denn  wenn  zum  Klappen  kommt,  sie  erst  sehen 
werden,  was  ihnen  alles  fehlen  wird".  „Wird  au  Geld,  an  allem 
fehlen". 

Die  Bedeutung  dieser  Depesche  liegt  in  der  Gleichzeitigkeit  mit 
der  ersten  in  Wien  gemachten  Anfrage.  Sie  ist  ein  authentisches 
Zeugnis,  dass  die  Kaiserin-Königin  nach  Friedrichs  Meinung  nur  den 
verhältnismässig  geringen  Beistand  von  45.000  Bussen  zu  erwarten 
habe.  Auch  darf  man  nicht  übersehen,  dass  schon  damals  Gerüchte 
von  einer  schweren  Erkrankung  der  Zarin  auf  dem  Wege  über  Holland 
dem  Könige  zu  Ohren  gekommen  waren. 

Friedrich  hat  sich  in  semer  vorgefassten  Meinung  nicht  irre 
machen  lassen  durch  später  einlaufende  Berichte,  die  den  russischen 
Truppen  viel  höhere  Zahlen  beilegten.  Sollten  die  Bussen  wirklich 
mit  80—90.000  Mann  kommen,  'so  waren  sie  zur  Theilung  ihrer  Macht 
genöthigt;  Ostpreussen  konnte  nach  Lehwaldts  Bericht  für  eine  so 
grosse  Zahl  nicht  die  Subsistenzmittel  aufbringen. 


1)  Bernhardi  ȟeschicbte  Russlauds"  IL  2  S.   176. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilnag  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     411 

Der  König  war  der  Ansicht,  dass  deshalb  der  Petersburger  Hol' 
den  Uesterreicheru  ein  Corps  direct  zu  Hülfe  nach  Schlesien  senden 
würde.  Es  sei  auch  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Russen  von  einem 
Angrifife  auf  Königsberg  ganz  absehen  und  sich  auf  Stellung  der  ver- 
tragsmässigen  30.000  Mann  nach  Mähren  beschränken  würden  i).  Für 
diesen  Fall  gab  die  am  2.  August  1756  dem  Obercommandirenden  in 
Schlesien  ausgefertigte  Instruction  die  nötigen  Anweisungen. 

Schwerin,  der  ausser  den  18  Garnisoubataiilonen  in  den  Festun- 
gen 26  Feldbataillone  und  50  Schwadronen  befehligte,  werde  dann 
durch  15 — 20  Bataillone  verstärkt  werden,  in  den  schlesischen  Festun- 
gen ausreicheude  Besatzungen  zurücklassen  und  mit  seiner  Hauptmacht 
den  anrückenden  Russen  in  Polen  die  vernichtende  Niederlage  bei- 
bringen. Dieser  Plan  Friedrichs  basirte  auf  der  Voraussetzung,  dass 
die  Oeaterreicher  bei  ihrer  Unkenntnis  des  Festungskrieges  ausser 
stände  seien  in  der  Zwischenzeit  sich  der  schlesischen  Festungen  zu 
bemächtigen. 

Auch  nach  dem  Einmarsch  in  Sachsen  hat  Friedrich,  wenn  die 
Russen  überhaupt  kommen  sollten,  eine  Theiluug  ihres  Heeres  er- 
wartet. Nach  einer  Depesche  vom  24.  September  1756  werde  der 
Petersburger  Hof  höchstens  30 — 40.000  Mann  gegen  Ostpreussen 
senden  und  ausserdem  mit  einem  Corps  von  etwa  30.000  den  Oester- 
reichern  direct  zu  Hülfe  kommen.  Der  Feldmarschall  Lehwaldt  be- 
fehligte im  Herbste  1756  in  Ostpreussen  4  Grenadier-,  10  Musketier- 
und  10  Garnisonbataillone,  ein  Landregiment  und  50  Schwadronen 
Reiterei.  Nach  dem  Willen  des  Königs  sollten  die  beiden  ostpreussi- 
schen  Garuisouregimenter  Sydow  und  Manteuffel  —  jedes  auf  4  Ba- 
tailloue  verstärkt  —  von  Anfang  an  als  Feldtruppen  verwandt  und 
deshalb  mit  Zelten  ausgerüstet  werden  '^).  Im  Ganzen  standen  unter 
Lehwaldt,  das  hinterpommersche  Corps  (4  Infanterieregimenter,  3  Gre- 
nadierbataillone, 15  Schwadronen)  eingerechnet,  36.000  Mann,  fast 
sämmtlich  für  den  Feldkrieg  verfügbar  3).  Mit  dieser  Zahl  war  der 
Feldmarschall  jedem  Angriff  der  Russen  gewachsen,  so  lange  letztere 
nur  mit  getheilter  Macht  gegen  Ostpreussen  vorrückten. 

Friedrich  ist  damals  der  festen  Ueberzeugung  gewesen,  dass  es 
kaum    zu    einem    Zusammenstosse    mit    den    Russen    kommen    werde. 


*)  Es  ist  wohl  zu  bemerken,  dass  Friedrich  vor  dem  Einmärsche  in  Sachsen 
an  Lehwaldt  in  diesem  Sinne  geschrieben  hat.  Die  in  Dresden  vorgefundenen 
Akten  überzeugten  ihn,  dass  in  Wirklichkeit  Russland  zu  einem  Beistande  von 
60.000  Mann  verpflichtet  war,  anstatt  30.000,  wie  Friedrich  irrthümlich  glaubte. 

2)  P.  C.  XII.  450  u.  XIII.  255  (23.  Juni  u.  21.  Aug.  56). 

3)  Mindestens  8000  Mann  mehr,  als  Max  Lehmann  S.  75  angiebt. 

27* 


412  F  e  r  d  i  n  a  n  d  W  a  g  n  e  r. 

Diese  zwang  der  Geldmangel  es  nicht  gänzlich  mit  den  Engländern 
zn  verderben. 

Am  Vorabend  des  Ausmarsches,  am  25.  August  1756,  erfährt  der 
Feldmarschall:  „zwar  ist  es  an  dem,  dass  jetzo  die  Aktieu  derer  Engel- 
länger an  den  petersburger  Hof  zu  steigen  anfangen  und  sie  mehr 
Credit  bekommen",  an  ein  Bündnis  mit  Kussland  sei  allerdings  noch 
nicht  zu  denken.  Aber  deutlich  zeigt  ein  anderer  Zwischenfall  die 
Ansicht  des  Monarchen.  Der  schwedische  Obrist  Graf  Hörn  hatte  sich 
im  September  1756  auf  der  Durchreise  in  Königsberg  gegen  den 
Feldmarschall  Lehwaldt  geäussert:  „dass  die  Küssen  iucapable 
wären  was  anzufungeu,  sowohl  wegen  des  innerlichen  Zustandes  als 
der  Finanzen  halber".  Die  Antwort  Friedrichs  lautete:  „Was  Euch 
aber  der  Graf  Hörn  bei  seiner  Durchreise  gesagt  hat,  solches  ist  gewiss 
richtig,  wie  ich  andere  Meine  gleichstimmende  Nachrichten  habe  ^). 
In  der  Apologie  de  ma  conduite  politique  gesteht  der  König  offen 
seinen  Irrthum  über  Kusslaud  ein:  „D'autres  uouvelles  particulieres 
confirmaient  la  disette  d'argeiit,  oü  Ton  se  trouvait  ä  Petersbourg,  de 
Sorte  que  toutes  les  probabilites  me  portaient  ä  croire,  que  la  Kussie 
suivrait  aveuglement  le  parti  des  Auglais  du  moins  qu'eile  ne  se 
drclarerait  point  coutre  les  allies  du  roi  de  la  Grande-Bretagne''. 

Auch  andere  über  Kussland  gut  unterrichtete  Persönlichkeiten 
irrten  sich  in  der  Wertschätzung  des  russischen  Heeres.  Der  preussische 
General  Manstem  hat  sehr  scharf  den  nach  der  Thronbesteigung  Eli- 
sabeths erzwungenen  Au&tritt  der  fremdländischen  Offiziere,  der  die 
Organisation  der  Armee  zerrüttet  habe,  verurtheilt.  Bitter  klagte  der 
Botschafter  Oesterreichs  am  Petersburger  Hofe,  Esterhazy,  üljer  den 
Mangel  an  tüchtigen  Offizieren.  Der  russische  Oberbefehlshaber 
Apraxin  sei  ein  träger  Schlemmer,  aus  bösem  Willen  und  mit  Absicht 
habe  er  die  Operationen  zu  hintertreiben  gesucht.  Die  Legende,  dass 
Apraxin  sich  durch  niedrige  Beweggründe  im  Jahre  1756  auf  1757 
habe  leiten  lassen,  ist  durch  das  Werk  Masslowskys  „der  7jährige 
Krieg  nach  russischer  Darstellung"  zerstört  worden,  aber  gleichzeitig 
wird  das  Vorhandensein  aller  jener  Uebelstände  bestätigt,  die  wir  in 
den  Aeusserungen  Friedrichs  des  Grossen  finden  ^).  Dieser  hatte  vor 
zwei  Jahren  die  Stärke  eines  russischen  Infanterieregiments  zu  3  Ba- 
taillonen m;r  auf  1200  Mann  geschätzt.  Wirklich  hat  beim  Aus- 
bruch des  Krieges  der  Stand  mancher  Keginienter  diese  Zahl  nicht 
überschritten.    Der  General  Fermor  giebt  den  Bestand  der  7  Infanterie- 


')  P.  0.  XIII.  448  (24.  Sept.  5G). 

")  Grosse  Parteilichkeit   ist  Masslowsky    nicht  abzusprechen.     (Iiumich,    die 
Schlacht  bei  Zorndorf  S.  1:59). 


i 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     413 

Eegimenter,  deren  Commando  er  in  Liebau  im  Juni  1757  übernalim,  auf 
32  Stabsoffiziere  und  8281  Mann  (Gesunde)  an.  Das  ganze  zur  Er- 
oberung Memels  bestimmte  Corps  war  statt  27.000  nur  16.000  Mann 
stark  1).  Die  Ziffern  der  Hauptarmee  unter  Apraxiu  lauteten 
günstiger.  Das  Manko  bei  den  Infanterie-Kegimeutern  belief  sich  im 
Durchschnitt  auf  280  Mann  -).  Das  Bataillon  zählte  demnach  über 
500  Kombattanten,  besass  also  die  gleiche  Stärke  wie  im  schwedischen 
Kriege  1742 — 43  ^).  Die  36  Infanterie-Regimenter  (davon  4  Grenadier) 
Apraxiiis  hatten  anstatt  der  82.076  Mann  des  Etats  zusammen  eine 
Stärke  von  71.947  mit  Einschluss  von  20.000  Rekruten.  Höchst 
mangelhaft  (namentlich  an  Pferdematerial)  war  die  reguläre  Cavallerie 
ausgerüstet,  nicht  mehr  als  7000  Berittene  zählten  die  Reiter-Regi- 
menter Apraxins  im  Sommer  1757  *).  Die  allgemeine  Desorganisation 
wurde  durch  die  Aufstellung  eines  Eeservecorps  unter  Schuwalow 
vermehrt,  zu  dessen  Bildung  jedes  Regiment  im  Innern  420  Manu 
abgeben  musste.  Aus  den  Reihen  der  Garnisonregimenter  konnten 
nur  7 — 8000  Soldaten  zur  Ausfüllung  der  Lücken  in  der  Feldarmee 
entnommen  werden,  der  Rest  zeigte  sich  als  völlig  unbrauchbar  zum 
Kriegsdienste  5).  Sehr  fühlbar  machte  sich  in  der  ersten  Zeit  des 
Krieges  der  Geldmangel,  im  Oktober  1756  war  der  Sold  von  vier  Monaten 
rückständig  *=).  Apraxin  sollte  alle  Requisitionen  in  Polen  bar  bezahlen, 
erhielt  aber  nur  ganz  ungenügende  Gelder  7).  Unter  diesen  Umständen 
sind  schwere  Excesse  von  Seiten  der  Russen  in  Polen  an  der  Tages- 
ordnung gewesen.  „Nous  dissimulons,  klagt  Bernis  am  10.  September 
1757  dem  späteren  Herzoge  von  Choiseuil,  une  infinite'  de  plaintes  que 
le  peu  de  discipline  de  ses  troupes  (Russlands)  excite  avec  raison  eu 
Pologne"  8).  Die  eingehende  Schilderung  Masslowskys  bestätigt  vollauf 
Friedrichs  Ausspruch  vom  Juli  1756:  »Es  wird  an  Geld,  au  allem 
fehlen"  »). 

Dass  trotzdem  die  russische  Armee  im  Sommer  1757  in  Ost- 
preussen  eingedrungen  ist,  lag  an  der  unglücklichen  Wahl  des  preussi- 
schen   Obercommandirenden,    des   Feldmarschall   Lehwaldt,    der   hoch- 


1)  Masslowskj'  161. 

2)  Masslowsky  13. 
s)  Manstein  461. 

*)  Masslowsky  S.  51. 

5)  Masslowsky  S.  50. 

6)  Masslowsky  S.  123. 
')  Masslowsky  S.  122. 

8)  Filon:  ,L'  ambassade  de  Choiseuil*  S.  98. 
s)  An  Lehwaldt  27.  Juli  1756. 


414  F  e  r  d  i  n  a  n  d  W  a  g  n  e  r. 

betagt  seiner  Stellung'  nicht  mehr  gewachsen  war.  Mit  dem  Verbote, 
keiue  Offcusive  gegen  die  Russen  in  Kurland  zu  ergreifen,  war  nicht 
der  Befehl  verbunden,  jedes  Betreten  polnischen  Gebietes  zu  ver- 
meiden 1).  Friedrich  hat  erwartet,  dass  Lehwaldt  durch  die  Weg- 
nahme der  russischen  Magazine  in  Kowno  u.  s.  w.,  nach  russischen 
und  deutschen  2)  Quellen  im  Frühjahre  1757  wohl  ausführ- 
bar, den  feindlichen  Aufmarsch  erschwert,  weun  nicht  ganz  ver- 
hindert haben  würde.  Wie  wenig  Lehwaldt  auf  die  ihm  vor  Ausbruch 
des  Krieges  zuergaugeneu  Instructionen  eingegangen  ist,  zeigt  ein  könig- 
liches Schreiben  vom  11.  Juli  1757':  „Weun  ich  gleich  anfänglich 
in  Preusseu  gewesen  wäre,  so  wäi*e  ich  in  Polen  gegangen  und 
hätte  dem  Apraxin  seine  Magazine  weggenommen  oder  derangirt,  es 
möchte  gut  oder  übel  genommen  worden  sein,  denn  sie  einmal  von 
einem  declarirten  Feind  bestellet  wareu,  der  mir  dadurch  Schaden 
zuzufügen  iutendirte". 

Das  russische  Heer  hat  nach  gewonnener  Schlacht  wegen  Mangel 
an  allen  Subsistenzmitteln  im  Herbste  1757  Osstpreussen  wieder  ver- 
lassen. Die  nationale  Einheit  von  Offiziercorps  und  Soldaten  be- 
wahrte es  damals,  wie  nach  Zorndorf,  vor  völliger  Auflösung,  denn  die 
Rekruten  der  Feld-  und  Garnison regimenter  wurden  nur  den  10  gross- 
russischen Gouvernements  entnommen.  Deshalb  blieb  das  Grundübel 
aller  derzeitigen  Heere,  die  Desertion,  den  russischen  Fahnen  fern. 
Diese  Vorzüo;e  des  Heerwesens  trotz  der  Mahnungen  Keiths  nicht 
richtig  erkannt  zu  haben,  bleibt  der  einzige  Vorwurf,  der  Friedrich 
bei  seiner  sonst  so  zutreffenden  Beurtheilung   gemacht   werden    kann. 

Die  Niederlage  bei  Gross-Jägerndorf  ist  Lehwaldt  nicht  nach- 
getragen worden,  ein  Beweis  mehr,  dass  der  König  die  Vei-antwortung 
für  die  in  Ostpreussen  geschehenen  Ereignisse  auf  sich  genommen  hat. 
Auf  die  Länge  der  Zeit  hätte  nach  einer  Aeusserung  der  Histoire  de 
la  guerre  de  sept  ans,  auch  ein  Prinz  Eugen  mit  den  25.000  Soldaten 
Lehwaldts  den  100.000  Russen  nicht  standhalten  können  ^). 

Der  Winterfeldzug  der  Schweden  nöthigte  Friedrich  die  Truppen 
Lehwaldts  aus  Ostpreussen  abzurufen,  worauf  wider  Erwarten  mitten 
im  Winter  ein  Corps  von  34.000  Russen  vom  Lande  Besitz  ergriffe). 
Die  ostpreussischen  Regimenter  würden  aber  im  ferneren  Gang  des 
Krieges    und    namentlich  bei  Zorudorf   ganz    anders    den    an    sie    ge- 


')  P.  C.  XI[I.  187  (7.  Aug.  1756). 
-)  Gesch.  d.  7jährigen  Krieges  I.  347. 
3)  Oeuvres  IV.  173. 
^j^Miisslowsky  II.  ö.  31. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Benrtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     4|5 

stellten  Anforderungen  nachgekommen  sein,  wenn  nicht  der  Tag  von 
Gross-Jägerndorf  ihren  inneren  Halt  erschüttert  hätte. 

IL  England  und  Frankreich. 

Die  geographische  Lage  Preussens  nöthigte  seine  Fürsten  An- 
schluss  au  andere  Staaten  zu  suchen:  „ä  cause  de  ce  grand  voisinage, 
sagt  die  Histoire  von  1746  ^),  et  de  1'  eparpillement  de  ses  provinces 
eile  (Preussen)  ne  peut  agir  sans  l'alliance  de  la  France  ou  de  l'An- 
gleterre".  In  der  Redaction  von  1775  blieb  diese  Bemerkung  in  etwas 
veränderter  Fassung  stehen:  „La  Prusse  ne  pouvait  agir  alors  qu'en 
s'epaulant  de  la  France  ou  de  1' Angleterre". 

Nach  dem  Dresdner  Frieden  gab  Friedrich  unbedenklich  der 
französischen  Monarchie  wenigstens  auf  dem  Festlande  den  Vorrang  ^). 
Die  grossen  Missstände  im  Innern  Frankreichs  und  die  ungerechte 
Vertheilung  der  Abgaben,  die  namentlich  die  Provinzen  bedrückten, 
beeinflussten  Friedrichs  Ansicht  keineswegs;  mochten  die  Zustände  im 
Laude  sehr  viel  zu  wünschen  übrig  lassen,  nach  aussen  war  Frank- 
reich die  erste  Macht  Europas  ^).  Ueber  England,  dessen  Sprache  er 
unkundig  war,  ist  er  nicht  in  gleicher  Weise  unterrichtet  gewesen,  wie 
über  die  Verhältnisse  des  ibm  persönlich  sympathischen  FjL-ankreichs. 
In  der  Histoire  von  174G  fehlt  jede  Angabe  über  die  Höhe  der  eng- 
lischen Staatseinnahmen ;  da  Friedrich  sonst  bei  allen  europäischen 
Staaten  die  Einkünfte  nennt,  so  ist  daraus  der  Sehluss  zu  ziehen, 
dass  er  über  die  Finanzen  Englands  im  Herbste  1746  nicht  orientirt 
gewesen  ist.  Erst  die  Kedaktion  von  1775  füllt  diese  Lücke  mit 
24  Millionen  Thalern  und  dem  bezeichnenden  Zusätze  aus,  England 
hätte  daneben  „une  ressource  immense  dans  la  bourse  des  particuliers 
et  dans  la  facilite  de  lever  des  impots  sur  des  sujets  opulents".  Trotz 
der  grossen  Reichthümer  und  unerschöpflichen  Hülfsquellen  der  Nation 
schien  England  1746  nicht  den  ihm  gebührenden  Rang  in  Europa 
einzunehmen.  Friedrichs  Urtheil  fasst  der  Satz  der  Histoire  von  1746 
zusammen:  „La  Situation  de  ces  insulaires  les  rend  formidables  sur 
les  mers,  il  semble  que  ce  soit  leur  empire". 

Der  Aachener  Friede  änderte  fürs  erste  nichts  an  der  von  Friedrich 
in  der  Histoire  von  1746  vertretenen  Meinung.  Der  österreichische 
Erbfolgekrieg  hatte  die  Finanzen  beider  Westmächte  auf  das  äusserste 
erschöpft.  Nach  den  Friedensschlüssen  von  Utrecht  und  Rastatt  hatte 
Frankreich  20  Jahre  der  Ruhe   bedurft,    um  die  Wunden  des  vorher- 


ij  S.  209. 

2)  Eist.  V.  1746,  S.  206. 

•'')  Hist.  V.  1746,  S.  169. 


^■j^ß  Ferdinand  Wagner 

gegangenen  Krieges  zu  verwinden  i).  Wenn  nur  ein  tüchtiger  Premier- 
minister in  Versailles  di»  ausschliessliche  Leitung  in  die  Hand  nehmen 
würde,  wäre  nach  Ansicht  Chambriers  nach  i748  ein  viel  geringerer 
Zeitraum  zur  Reorganisation  des  Heeres  und  des  Staatsschatzes  er- 
forderlich 2).  Geld  war  nach  dem  Gutachten  jenes  Gesandten  genug 
im  Lande,  nur  nicht  in  den  Händen  der  Regierung;  die  Macht  der 
Krone  sei  aber  so  gross,  dass  der  Monarch  im  Nothfalle  nach  dem 
von  Ludwig  XIV.  1700  gegebenen  Beispiele  durch  einen  Staatsstreich 
die  Ziuszahlungen  suspeudiren  könne,  ein  Gewaltact,  den  in  England 
die  parlamentarische  Regierung  unbedingt  ausschloss  3).  Ueber  das 
damalige  Frankreich  spricht  sich  das  Testament  von  1752  folgender- 
massen  aus:  „Malgre  ces  abus,  la  France  est  le  royaume  le  plus  puis- 
sant  de  l'Europe"  und  „La  France  est  uu  de  nos  plus  puissants  allies". 
Aus  welchen  Gründen  sich  Friedrich  4  Jahre  später  von  der  franzö- 
sischen Allianz  losgesagt  hat,  habe  ich  an  anderer  Stelle  zu  schildern 
versucht  ^). 

Ungeachtet  der  wenig  erfreulichen  persönlichen  Beziehungen  zu 
Georg  IL  befürchtete  Friedrich  dennoch  keine  ernste  Gegnerschaft  von 
Eno-land.  Aus  der  iu  London  durchgeführten  Reduction  der  Zinsen 
folgerte  der  Köuig  mit  Recht  eine  tiefe  Erschöpfung  der  Finanzen, 
über  die  ihn  sein  dort  accreditirter  Gesandter  Khnggraeffen  näher 
unterrichten  musste.  Aus  seiner  Annahme,  das  englische  Volk  sei 
kriegsmüde,  und  der  König  durch  das  frühzeitige  Ableben  des  Prinzen 
V.  Wales  in  seiner  auswärtigen  Politik  zur  Mässiguug  ermahnt,  er- 
klärt sich  zum  guten  Theile  Friedrichs  Beharren  auf  eine  Entschädi- 
gung für  seine  durch  englische  Kaper  im  letzten  Kriege  geschädigten 
Unterthanen.  Als  in  dieser  Frage  die  Minister  Podewils  und  Fiuckenstein 
Vorstellungen  machten  über  die  Form  der  nach  London  gerichteten 
Schriftstücke,  und  auf  die  von  England  geleistete  Garantie  Schlesiens 
hinwiesen,  erfolgte  die  köuigliche  Resolution:  „Was  werde  Ich  Mich 
jemalen  vor  Staat  auf  die  englische  Garantie  machen  können,  wenn 
der  Gas  existiren  sollte,  und  kaun  der  Aigreur  grösser  werden,  als 
solcher  von  Seite  des  Königs  von  Engelland  schon  gegen  mich  ist?"  °) 
Dieses  scharfe  ürtheil  hat  Friedrich  aber  nicht  von  dem  Versuch  ab- 


1)  Histoire  v.  1746,  S.  167. 

2)  P.  C.  VI.  237. 

s)  P.  C.  VII.  349  (Bericht  Chambrier  10.  April  1750). 

■»)  .Friedrichs  des  Grossen  Beziehungen  zu  Frankreich  und  der  Beginn  des 
siebenjährigen  Krieges*. 

£>)  P.  C.  Vlll.  541   (-17.  Nov.  1751). 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Benrtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     4^7 

gehalten,  seine  Streitpunkte  mit  der  englischen  Krone  gütlich  aus- 
zugleichen, die  nie  das  Objekt  eines  Krieges  wert  seien  ^). 

Höchst  bemerkenswert  für  das  Verständnis  des  Westminster- 
vertrages  ist  eine  Anfrage,  die  der  König  am  23.  October  1753  an 
seinen  Vertreter  Michell  in  London  richtete;  also  zu  einer  Zeit,  wo  er 
durch  Nachrichten  über  einen  englich-russischen  Suhäidienvertrao; 
beunruhigt  wurde.  Der  König  ist  unsicher,  ob  die  Engländer  so  be- 
deutende Summen,  wie  sie  Kussland  verlangte,  auch  wirklich  zahlen 
könnten:  „car,  si  je  suis  bien  informe  de  l'etat  actuel  des  finances  de 
r  Angleterre,  la  nation  est  encore  chargee  des  tous  les  memes  impots, 
qu'  on  lui  a  fait  payer  du  temps  de  la  derniere  guerre  contre  la  France 
et  r  Espagne,  et  la  somme  des  dettes  de  la  nation  ne  s'  est  presque 
pas  amoindrie  depuis  la  paix  faite!"  2) 

König  Friedrich  hatte  auf  Grund  der  übereinstimmenden  Gutachten 
Klinggraeffens  und  Michells  in  den  Jahren  1749  bis  1755  sich  ein 
sehr  ungünstiges  Bild  von  den  wirtschaftlichen  Zuständen  im  eng- 
lischen Volke  gemacht  ^).  Ohne  den  nöthigen  Credit  bei  der  Nation, 
war  die  Regierung  ausser  stände  im  Kriegsfalle  Russland  und  Oester- 
reich  ausreichend  zu  unterstützen.  Noch  im  Frühjahre  1754  hat  ihn 
sein  Geschäftsträger  Michell  in  der  vorgefassten  Meinung  bestärkt  *). 
Es  ist  deshalb  nicht  wunderbar,  dass  der  König;  beim  Beginn  des 
englisch- französischen  Coloniekrieges  nicht  ohne  weiteres  auf  die  ent- 
gegengesetzte Ansicht  Michells  einging,  als  dieser  auf  einmal  die  Fi- 
nanzen Englands  in  ganz  anderem  Lichte  beurtheilte.  Dem  Könige 
blieb  es  ein  Räthsel,  aus  welcher  Quelle  die  Engländer  die  Gelder 
schöpften  für  die  neu  eingegangenen  Subsidienverträge  mit  mehreren 
deutschen  Staaten  und  namentlich  mit  Russland,  Nach  seiner  Ueber- 
zeugung  konnte  das  Inselreich  nicht  mehr  als  vier  Feldzüge  führen, 
jeden  zu  20 — 25  Millionen  Thaler  gerechnet,  da  eine  Vermehrung 
der  hohen  Staatsschuld  nur  noch  um  20  Millionen  Pfund  Sterling 
zulässig  sei. 

Diese  Ausführungen  Friedrichs  widerlegte  Michell  unterm 
15.  August  1755:  „Comme  il  parait,  par  les  reflexious  que  votre 
Majeste  fait,  qu'Elle  n'a  pas  une  idee  exacte  des  finances  et  des  res- 
sources  de  ce  pays-ci,  j'aurai  soin  de  Lui  envoyer  un  memoire 
detaille  lä-dessus".  Der  Nationalreich  thum  Englands  sei  in  der 
kurzen  Friedenszeit  in  einer  Weise  gestiegen,    dass    dem  Lande    noch 


»)  P.  C.  IX.  4  (24.  April   1753  an  Michell). 

2)  P.  C.  IX.  132. 

')  Siehe  auch  Droysen  V.  5.  S.  69. 

*)  P.  C.  X.  271. 


41g  F  e  r  d  i  11  a  n  d  W  a  g  n  e  r. 

grössere  Lasten  auferlegt  werden  könnten,  als  während  des  letzten 
Krieges.  Auch  habe  sich  die  englische  Staatsschuld  seit  dem  Aachener 
Frieden  um  4  —  5  Millionen  Pfund  Sterling  vermindert  i). 

Die  Antwort  Friedrichs  ist  ein  deutlicher  Beweis,  wie  schwer  er 
sich  von  der  vorgefassten  Meinung  losriss,  die  sein  bisheriges  Ver- 
halten England  gegenüber  bestimmt  hatte.  „Car,  pour  ne  pas  vous 
dissimuler  ce  que  j'en  pense",  schreibt  er  am  26.  August  1755,  „je 
ne  comprends  pas  d'oü  l'Augleterre  peut  avoir  tire  tant  de  richesses 
peudant  Tintervalle  du  temps  de  la  paix  d' Aix-La-Chapelle,  s'etant 
epuisee  au  poiut  par  la  derniere  guerre  en  fouds,  que  la  Regence  se 
vit  obligee  de  recourir  aux  moyens  les  plus  extraordinaires  pour 
fouruir  aux  frais  de  la  guerre". 

Hier,  wo  der  König  selbst  Belehrung  sucht,  bleibt  jede  Täuschung 
des  Gesandten  ausgeschlossen.  Seinen  Worten  ist  in  Potsdam  Glauben 
geschenkt  worden,  denn  sonst  hätte  Friedrich  nicht  in  einem  Momente, 
wo  ihm  die  Wahl  zwischen  England  und  Frankreich  freistand,  die 
Westminsterkonvention  abgeschlossen. 

Meines  Erachtens  erklären  sich  ferner  aus  dem  Glauben  des  Königs 
an  eine  längere  Inferiorität  Englands  in  der  europäischen  Politik  nach 
dem  Aachener  Frieden  die  Weisungen  des  am  27.  August  1752  ab- 
gefassteu  Testamentes.  Der  Abschnitt  des  Testamentes,  in  welchem 
Friedrich  von  der  Zukunft  seines  Hauses  redet,  ist  mit  „Reveries  po- 
litiques"  überschrieben.  In  Verbindung  mit  den  einleitenden  Worten 
erweckt  diese  üeberschrift  in  der  That  den  Eindruck,  als  hätten  wir 
es  mir  mit  „chimärischen  Projecten"  zu  thun.  Friedrichs  Gedanke, 
in  einem  siegreichen  Kriege  gegen  Oesterreich  Böhmen  zu  erobern 
und  dann  Sachsen  gegen  Böhmen  einzutauschen,  ist  mit  so  vielen  Vor- 
aussetzungen verknüpft,  dass  danach  die  Ausführung  fast  unmöglich 
für  seinen  Nachfolger  erscheint.  Sind  nun  diese  Klauseln  aus  der 
Luft  gegriffen  oder  basirt  der  betreffende  Abschnitt  auf  den  damaligen 
politischen  Zuständen?  Die  Eroberung  Böhmens  zu  Gunsten  Karl 
Alberts  hatte  im  Jahre  1744  Friedrich  zu  einer  Schilderhebung  ver- 
anlasst. Seine  Entschädigung  sollte  die  Abtretung  der  Kreise  König- 
grätz,  Bunzlau  und  Leitmeritz  mit  dem  Laufe  der  Elbe  als  Grenze  sein  ^). 

Viel  grösser  und  gefährlicher  war  der  vom  politischen  Testamente 
geforderte  Umtausch  Böhmens  gegen  Sachsen,  wenn  auch  die  Ver- 
pflanzung des  lothringischen  Herrscherhauses  nach  Toskana  die  Mög- 
lichkeit der  Ausführung;  eines  derartigen  Planes,  auch  gegen  den  Willen 


')  Auch  Ranke  30.  121  betont,  dass  Michell  freiuiütbig  und  .ohne  Servilität 
Friedrich  bedient  habe. 

2)  P.  C.  lll.   43  u.  80  (11.  April   1744). 


Die  euiopSiscLen  Mächte  in  der  Benrtheilnng-  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     410 

der  Bevölkerung,  erwiesen  hatte.  Nach  E.  Kosers  Excerpten  ist  die 
Einverleibung  Sachsens  im  Testamente  von  1752  an  folgende  Voraus- 
setzungen gebunden:  „Les  points  principaux  seraient- que  la  Russie  et 
la  Reine  de  Hongrie  eussent  ä  soutenir  une  guerre  contre  le  Türe, 
la  France  et  le  roi  de  Sardaigue"  ;  an  einer  anderen  Stelle  bezeichnet 
Friedrich  gar  als  Vorbedingungen  für  eine  kriegerische  Aktionspolitik 
Preussens,  den  Sturz  Bestuschews  in  Russlaud,  Gewinnung  seines  Nach- 
folgers, einen  Soliraan  auf  dem  Thron  von  Constantinopel,  eine  Mino- 
rennitätsregierung  in  England,  einen  ehrgeizigen  und  allmächtigen  Pre- 
mierminister in  Frankreich  i)  „Alors  et  dans  un  arrangement  pareil 
des  affaires  il  est  temps  d'agir,  quoiqu'il  n'est  pas  necessaire  de 
paraitre  des  premiers  sur  la  seene*. 

Es  ist  dem  Thronerben  also  nicht  verboten,  als  erster  loszu- 
schlagen, es  wird  nur  als  wünschenswerter  bezeichnet  den  Ausbruch 
des  Krieges  abzuwarten.  Dies  befolgte  Friedrich  selbst  1756  und 
marschirte  erst  in  Sachsen  ein,  nachdem  die  Westmächte  in  den 
europäischen  Gewässern  und  auf  der  Insel  Minorka  die  Feindseligkeiten 
eröffnet  hatten. 

Alle  diese  im  Testamente  erwähnten  Voraussetzungen  gehen  aus 
den  damaligen  Zuständen  Europas  hervor.  Der  Ausbruch  eines  neuen 
Krieges  lag  bei  dem  vielen  Zündstoffe  in  der  Luft  (,  comme  nous  puissious 
nous  attendre  de  la  guerre").  Eine  friedliche  Lösung  der  polnischen 
Thronfolge  schien  ebenfalls  nach  dem  Testamente  von  1752  ausge- 
schlossen. Drei  Jahre  früher  wäre  das  uugerüstete  Preussen  fast  um 
Haaresbreite  wegen  Schweden  in  einen  Krieg  mit  Russland  verwickelt 
worden.  Damals  fand  die  Idee  des  französischen  Ministers  Puysieulx, 
durch  einen  Angriff  der  Türken  auf  Russland  dieses  von  einer  weiteren 
Einmischung  in  die  schwedischen  Thi onstreitigkeiten  abzulenken,  den 
Beifall  Friedrichs.  „Cela  est  tout  egal  pour  nous,  que  les  Turcs  atta- 
quent  la  Russie  ou  la  reine  de  Hongrie"  -).  Es  ist  deshalb  nicht  be- 
fremdend, wenn  das  Testament  von  1752  in  die  Vorbedingungen  für 
den  Erwerb  Sachsens  einen  Krieg  der  Osmanen  gegen  die  beiden 
Kaiserinnen  einschliesst,  namentlich  da  in  Potsdam  während  der 
Niederschrift    des    Testamentes    Berichte    von    einem    bevorstehenden 


')  Bei  Ranke  etwas  anders:  »Da  müsste  erst  Bestuschew  in  Russland  ge- 
storben, und  England,  von  dem  derselbe  unterstützt  wird,  in  die  Unruhen  einer 
vormundschaftlichen  Regierung  verwickelt  sein ;  ein  Soliman  müsste  in  Constanti- 
nopel regieren,  und  ein  erster  Minister,  ehrgeizig  und  allgewaltig,  in  Frankreich 
Meister  sein*. 

'■')  P.  C.  VI.   414  (8.  März  .1749). 


420  Ferdinand  Wagner. 

Thronwechsel  in  Constantinopel  einliefen,  welcher  Hoffnung  auf  einen 
neuen  kriegerischen  Sultan  wachrief  i). 

Die  auswärtige  Politik  Frankreichs  trug  1752  noch  den  offen- 
siven Charakter  der  vorhergegangenen  Jahre.  Der  Huuptratgeber 
Ludwigs  XV.,  der  Herzog  von  Noailles,  förderte  nach  Kräften  ein 
enges  Bündnis  mit  dem  Könige  von  Sardinien.  Noailles,  der  keine 
lebhaften  Sympathien  für  den  König  von  Preussen  empfand  2),  sprach 
gegen  dessen  Gesandten  Chambrier  den  Wunsch  aus,  Savoyen  und 
damit  die  Alpen  als  Grenze  für  Frankreich  zu  gewinnen.  Der  Turiner 
Hof  werde  auf  Kosten  Oesterreichs  in  der  Lombardei  ausreichende 
Entschädigung  finden  •^). 

Nicht  aus  der  Luft  gegrifien  hat  also  Friedrich  in  seinem  Testa- 
mente einen  Krieg  Frankreichs  mit  Unterstützung  Sardiniens  und  der 
Türkei  gegen  die  beiden  Kaiserinnen.  Dass  Friedrich  das  Eintreffen 
günstiger  Konjuucturen  zur  Eroberung  Sachsens  in  den  nächsten 
Jahren  für  nicht  so  aussichtslos  ansah,  als  es  für  uns,  die  wir  die 
Geschichte  des  18.  Jahrhunderts  im  Zusammenhange  übersehen,  den 
Anschein  hat,  zeigt  deutlich  die  eine  Vorbedingung:  die  Minorennitäts- 
regierung  in  England.  Der  Prinz  von  Wales  war  am  31.  März  1751 
gestorben;  sein  ältester  Sohn,  der  Thronerbe,  war  am  4.  Juni  1738 
geboren.  Bei  dem  schlechten  Gesundheitszustande  Georgs  IL  ^)  war 
ein  Thronwechsel  nicht  unwahrscheinlich.  Ein  Friedensbruch  musste 
unter  diesen  Umständen,  wie  sich  Friedrich  1753  einmal  äusserte, 
Georg  IL  recht  unangenehm  sein,  da  ein  Krieg  während  einer  Mino- 
rennitätsregirung  leicht  die  Fortdauer  des  Hauses  Hannover  in  Eng- 
land gefährden  konnte  ^).  Was  für  Verwicklungen  in  England  der 
König  gemeint  hat,  lässt  sich  nicht  erkennen;  vielleicht  eine  neue 
Erhebung  der  Jakobiner  c).  Wir  sind  aber  berechtigt,  aus  allem  die 
Folgerung  zu  ziehen :  die  Weisungen  und  Vorschriften  des  Testamentes 
behaupten  nur  für  die  nächsten  Jahre  ihre  Gültigkeit,  denn  Friedrich 
wird  seinen  Nachfolger  nicht  auf  Eintreffen  von  Ereignissen  haben 
verweisen  wollen,  die,  wie  die  Möglichkeit  einer  minderjährigen  Kegie- 
rung  in  England,  vielleicht  erst  nach  Jahrhunderten  wieder  einmal  vor- 
gekommen wären.  Die  Westminsterkonvention  warf  alle  jene  Be- 
dingungen   der    „Reveries    politiques"    über    den   Haufen.     Weder    an 


»)  P.  C.  IX.  196  (15.  Aug.  an  Michell). 

2)  P.  C.  VIU.  440  (24.  Aug.  1751). 

3)  P.  C.  VIII.  78  (12.  Sept.  1750). 

")  Verschiedene  Aufragen  an  Michell  P.  C.  VIII.  78.  n.  577  IX.  3()3  (6.  März  1753). 

5)  P.  C.  IX.  449  (an  Klinggraeffen  17.  Juni   1753). 

")  R.  Koser  im  Historischen  Taschenbuch  1883  S.  237. 


Ke  eo;  ■  EkJorÖSÄxi-miiif  Frieiäxidß*  d.  Gr.  «te,     421 

2i*Tnng  in  Loiidoii  xto^li  an  eir-  _-sa 

':''-':'  .,z  etwa-   :'-  ^:'-       "  -  -.--   -:  .-  - .  -  --.i^^ssi.  der 

c ._  .:>€Ti  Ye?;  .  .-       -^  Yor''«edi2ig".Ta:g  des 

Storzes  tob  Bestosehe-w,  des  ireondes  dsr  ingiäDder.  Sit  fcrt  iNcr^ 

-.  '  "  .  '"  -         ■     ~'     .  -   -'sehen.    KaiLzler 

.   -  -   in  SäitLh-zZ.   i~ 

2-  September    1756    lässt   ihm  FrkdTiefe    ein  G-eseiföiik:  Toa    1 

T'::i'.^r:i    .:  '-lit  ein  VerBäamnis  des  JaLres  i7-i>>, 

öa:^  a^t-t    -  .-..   ^^^.  .  nkeh.  gfsehÄrheii  iras.  irkdäeT  gmt  zsa 

maelien-.     Eintä  n-  .in.  C-onsiantin-Opel  bedarfe  es  scaeäi 

nieht  mehr,     F»Tn  ferneres  Kand  in  Hand  gdbea  des  sseh  der  Tlrkei 

'     _  rlrs-    d«is  HsGi.<t2nani3s  Tarenae-    mit 

^         ;-  in  1/jn.dcfn   und  in  St.  Pe^Ts'o'iirg 

.  i.:iöticrerweiäe  Terstinimt.    Deshalb  wird  der  beabäehtigte  Aiifenthali 

-  'antinopel  der  Einwüiig'ing  des  Cabines  ron  St  JazSiS 

.    _     .;-:-.     Unendüeh   rereiniaciit  haiKn  iieh  dureii  das  enar- 

..-.  ._•;  :.  is  alle  jene  Klauseln-  mit  dsnen  die  .B/ererigs  pjiiizqTies" 

die   Erobeniiig    Sachsens    mn^eben    hstte.     ATHrrt    Twit   der   emzägen 
■"  " '       -  -     -   .    -^    -  -_^    ,^.^  ^  ]_^  eC'Tdjns   de  la  bo^r^Ä:) 

_  .,  __.i  an  der  Tkin^i  grSJizIieii  isjürt  tmd 

erwartete  in  den  ersten  Monaten  des  Jahres  IT-V;  wegen  seäa»  Koe- 
"^rr.r;  ._  :_.:  England  '=«:'Tgfäiti2  wird  däs  Wort  .AlBanz"  Tersöedea 
i'—c::^  ■'-■Zellen  Braeh  nur  Frankreieh.  ,5dn€  'iamalige  Intention 
war.  Ton  den  beiden  Miehten  die  eine  för  siek.  die  ajidere  nisLi  gegen 
sieh  zu  haben,  eiae  Politik,  doreh'  die  ä^  da-  öss^rreieüäiefce  Staais- 
l'i^i-zler  in  jeder  Bewesunz  sehemmi  fühlte-  ^L  E^  Satz  des  Tessa- 
:_r:,:e5  Ton  ITo^:  -I^äM  Frankreieii  eine  Wiederari'C'^ring  5«££lesi£iL: 
nicht  begünstigen  noeh  dolden  könne,  weü  Öesierreieh  tIittj  dadiireüi 
zn  stark  werden  würde-  '  .  iiÄt  bis  zom  Sc'mmer  1T56  bei  Friediieii 
na^'rhgewirki :  er  wie  aneh  <iie  Diplomaien  propnezeiten  dem  Venrage 
vom  1.  Mai  1756  bei  der  GrtmdTers*üe»ienlieii  i«^  Inicse^en  der 
^-Tozei.  Frankreieh  und  *JesterTeieh  Eeinefl  längen  Be^tiait«!. 


^  Oesrres  IV.  19.  (Fösdrä^  si^ad  «irrt  seiiiiSM  ürüiiÄ  aier  dje  Kiasiffii'efc- 
*  der  rGssiäet'^i  yEmster  niciit  3i."!1if^-ri  jelsaqu-r  »^^"vieie  qn'ils  erC'Tesn  r^sir? 
---^-  tm.  päTeüneaiS  päiticoIieT*  iIä<2T  Bermis  Tüüiersü  10-  s^ist.  1757  diCTo.  Mesxcs^ 
T.  Lüoisesl!. 

^    P.  C  Xn.  470  ^.  JTEsi  ITäS^- 

»)  Baute  3»5.  1^. 

«»  EäJiVe  :3iO-  HS. 


422  Ferdinand  Wagner. 

Der  endlich  auch  öfFentiich  erfolgte  Bruch  der  beiden  Westmächte 
ist  das  grosse  Ereignis  des  Sommers  175G  gewesen.  Niemand  in 
Europa,  am  wenigsten  Friedrich,  hatte  einen  Erfolg  der  französischen 
Waffen  und  einen  so  glänzenden  Abschluss  der  Belagerung  von  Mi- 
norka  erwartet.  Das  Misslingen  dieser  Expedition  hätte  die  Franzosen 
genötigt  den  Krieg  in  Deutschland  zu  eröffnen;  jetzt  schien  Frank- 
reich nach  sehr  glück verheissenden  Aufäugen  Gefallen  am  Seekriege 
zu  finden.  Die  unerwarteten  Siege  im  Mittelmeere  machten  den  Ad- 
miral  Gallisoniere  zum  populärsten  Manne  Frankreichs.  Eifrig  wurde 
der  Bau  neuer  Kriegsschiffe  belördert,  die  ganze  Bevölkerung  be- 
schäftigte sich  mit  Angriffsplänen  auf  die  englischen  Küsten.  Mochte 
Friedrich  alle  derartigen  Vorbereitungen  für  zwecklos  halten,  sie  be- 
wirkten eine  Verzettlung  des  grössten  Theils  der  französischen  Armee. 
Es  standen  am  atlantischen  Ozean  in  9  Lagern  nicht  weniger  als 
97  Bataillone  Infanterie  (die  ältesten  und  angesehensten  Regimenter) 
und  44  Schwadronen  i),  30  Bataillone  hielten  Ende  Juni  Minorca  be- 
setzt 2),  ein  ansehnliches  Eeservecorps  befand  sich  in  der  Provence. 
Nach  Knjphausens  Berechnung  beanspruchte  die  Deckung  der  Küsten 
160  Bataillone  ausser  den  aufgebotenen  Milizen  '^).  Der  Eest  des 
französischen  Heeres,  von  dem  die  iin  iVühling  1755  nach  Kanada 
detachirteu  G  Bataillone  abzuziehen  sind,  war  zur  Besetzung  der  Grenz- 
festungen und  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  im  Innern  nicht 
zu  entbehren  ^). 

Durch  die  wiederholten  Versicherungen  seines  Pariser  Gesandten 
war  Friedrich  zur  Annahme  gelangt,  dass  die  grossen  Rüstungen  zur 
See  und  die  Behauptung  der  Kolonien  alle  Kräfte  F'rankreichs  auf- 
zehren würden,  und  es  für  Oesterreich  bei  der  schweren  Schuldenlast 
und  der  von  Abgaben  bedrückten  Bevölkerung  im  Kriegsfälle  kaum 
den  vertragsmässigen  Beistand  leiaten  könnte. 

Nur  einmal  erwähnt  Knjphausen,  dass  Ludwig  XV.  ausreichende 
Mittel  besässe  den  Krieg  mit  England  bis  1759 —  60  zu  führen  und  ausser- 
dem seinen  Verbündeten  mit  bedeutenden  Summen  beizuspringeu ;  von 
einer  activen  Betheiligung  der  Franzosen  am  deutschen  Kriege  spricht  er 
nicht.  Die  weitläufigen  Auseinandersetzungen  seiner  Depesche  vom  25.  Juni 


')  Pajol  VI.  416  und  folgende. 

-')  Pajol  VI.  6. 

•■')  Knvpliausen  26.  Juni  175G  (St.  A.  Berlin). 

^)  Frankreich  hatte  1749  ausser  der  Garde  80  französische  Regimenter  In- 
fanterie (1G8  Bataillone),  mit  Einschluss  der  fremden  Regimenter  etwa  210  Ba- 
taillone (Pajol  IV.  5  und  VII.  75) 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     423 

1756  über  die  verschiedenen  Finanzprojecte  des  französischen  Ministe- 
riums erschienen  Friedrich  nicht  glaubhaft.  Er  erwidert  daher  am 
6.  Juli:  „Je  crois  que  les  inpots  qu'on  mettra  sur  le  peuple  dans  les 
provinces,  ne  se  soutiendront  guere,  parce  cj^ue  les  gens  y  sont  dejä 
surcharges  et  epuises  des  impots,  en  sorte  qu'il  sera  bien  difticile  de 
tirer  pendant  deux  ans  de  ces  pauvres  gens  le  secours  qu'on  s'en 
promet".  Diese  Anschauung  Friedrichs  beruhte  hauptsächlich  auf  den 
pessimistisch  gefärbten  Erzählungen  des  frühereu  Gesandten  in  Paris, 
des  Lord  Marschall,  gegen  die  Knyphausen  ohne  Erfolg  opponirt 
hatte  1),  Aber  weder  der  König  noch  sein  Gesandter  haben  geahnt, 
dass  der  Hof  von  Versailles  im  folgenden  Jahre  ungeachtet  des  See- 
krieges den  grössten  Theil  seiner  Macht  zu  Gunsten  Oesterreichs  ver- 
wenden würde. 

Erst  die  Ereignisse  nach  Ausbruch  des  Krieges  brachten  Friedrich 
zur  Erkenntnis  seines  Irrthums,  andernfalls  wäre  der  Frankreich  behan- 
delnde Abschnitt  der  Apologie  de  nia  conduite  politique  einfach  un- 
verständlich 2).  „Comment  pouvais-je  deviner,  schrieb  Friedrich 
nach  der  Koliner  Schlacht,  que  la  France  enverrait  cent  cinquante 
mille  hommes  dans  1' Empire?  comment  pouvais-je  deviner,  que  cet 
Empire  se  declarerait,  que  la  Suede  se  melerait  de  cette  guerre,  que 
la  France  payerait  des  subsides  ä  la  Russie".  Mit  Nachdruck  wird 
hervorgehoben:  „Par  les  traites,  la  France  n'etait  obligee  d' assister 
la  reine  de  Hongrie  que  par  un  secours  de  vingt-quatre  mille  hommes". 
Die  im  Dezember  1756  mit  Winterfeldt  geführte  Correspoudenz  be- 
stätigt, dass  <1er  König  anfänglich  in  der  That  keine  grössere  Be- 
theiligung der  Franzosen  am  Landkriege  vermuthet  hat,  als  die  Apo- 
logie angibt,  denn  auf  das  empfindlichste  störten  ihn  damals  in  seinen 
militärischen  Anordnungen  die  von  den  französischen  Rüstungen  ein- 
laufenden  Meldungen;  dies  wäre  nicht  der  Fall  gewesen,  wenn  er  von 
Anfang  an  auf  die  Theiluahme  einer  gros.^en  französischen  Armee  ge- 
zählt hätte. 

Aber  auch  nach  der  Koliner  Schlacht  verliess  ihn  nicht  der  Glaube, 
dass  sehr  bald  die  allgemeine  Erschöpfung  der  Gegner  dem  Kriege 
ein  Ende  machen  müsse.  Hätte  er  schon  damals  eine  längere  Dauer 
des  Krieges  vorausgesehen,  so  würde  er  seine  Kräfte  in  den  eisten 
Jahren  viel  mehr  geschont  und  vielleicht  den  Feldzugsplan  von  1758 
anders  gestaltet  haben. 


')  In  einem  die  Finanzen  Frankreichs  nicht  ungünstig  taxirenden  Berichte 
Knyphausens  vom  April  1755  steht  eigenhändig  vom  Könige  »veutus  gallus, 
relation  de  jeune  homme*. 

'^)  M.  Lehmann  74, 


^24  F e r di  n  a n d  W a g n e r. 

In  dem  Sehreiben,  welches  er  am  10.  August  1758  an  seinen 
Bruder  Heinrich  richtet,  findet  sich  der  Absatz:  „Pour  la  politique, 
il  est  certain,  que  si  nous  soutenons  bien  cette  annee,  l'ennemi  las, 
fatigue  et  epuise  par  la  guerre,  sera  le  premier  a  desirer  la  paix,  je 
me  flatte  que  Ton  y  parviendra  pendant  le  cours  de  cet  hiver. "  Jede 
beabsichtigte  Täuschung  des  Adressaten  ist  bei  der  Art  des  Inhalts, 
welcher,  falls  der  Monarch  stirbt,  das  Wohl  und  Wehe  des  preussi- 
schen  Staates  in  die  Hand  des  Prinzen  legt,  von  vorneherein  ausge- 
schlossen. Friedrich  hielt  also  noch  im  Hochsommer  1758  au  seiner 
vor  zwei  Jahren  gegen  Knyphausen  geäusserten  Ansicht  fest,  dass 
Frankreichs  finanzielle  Kräfte  nach  Ablauf  zweier  Jahre  gänzlich  er- 
schöpft sein  würden.  Die  Franzosen  waren  aber  die  einzigen,  die 
ihren  AUiirten  mit  Subsidien  aushalfen.  Der  Inhalt  eines  Schreibens 
des  Abbe'  Bernis  an  den  späteren  Herzog  von  Choiseuil  in  Wien  vom 
7.  April  1758  deckt  sich  völlig  mit  dem  von  Friedrich  im  Sommer 
1757  über  Frankreich  Gesagten :  „Vous  remarquerez,  que  la  Russie, 
qui  fait  la  guerre  avec  nous,  manque  d'argent,  que  l'Imperatrice  en 
manque  de  son  cote,  que  les  Suedois  n'ont  pas  meme  de  ressources 
pour  en  trouver,  que  tous  les  princes  de  l'empire  de  notre  parti 
demaudeut  continuellement  l'aumone,  et  que  la  France,  qui  doit  faire 
face  ä  toutes  ces  depenses,  sera  bientot  hors  d'etät  d'y  fouruir".  Die 
Bemühungen  Bernis  seit  der  Leuthener  Schlacht  den  Frieden  in 
Europa  herzustellen,  und  der  furchtbare  Niedergang  Frankreichs 
während  des  Krieges  zeigen,  dass  Friedrichs  Anschauung  über  Frank- 
reich die  richtige  gewesen  ist,  und  er  nur  alleiu  das  persönliche  Mo- 
ment, den  Hass  des  Königs,  der  von  Nachgeben  nichts  wissen  wollte, 
ausser  acht  gelassen  hat. 

III.  Oesterreich, 

Auch  nach  dem  Dresdner  Frieden  blieb  Oesterreich  der  einzige 
entschiedene  Geguer  Preusseus,  „Les  Autrichiens  sout  nos  veritables 
ennemis"   sagt  das  Testament  von  1752. 

üeber  die  Zukunft  des  österreichischen  Kaiserhauses  urtheilt  das 
erste  Capitel  der  Historie  von  174G  recht  ungünstig.  Oesterreich  sei 
einem  schwer  kranken  Körper  gleich,  rings  von  Feinden  umgeben, 
die  nach  einer  günstigen  Gelegenheit  ausspähten,  um  ihre  An- 
sprüche laut  werden  zu  lassen  i).  „La  maison  d'  Antriebe,  plus  forte 
par  le  nombre  d'hommes  que  l'Espagne  et  la  Hollaude  prises  en- 
semble,   mais  plus  faible  par  la  raauvaise  administration  des  finances, 


»)  Histoire  S.  205. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  ßenrtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     425 

est  eucore  inferieure  a  ces  puissances  parce  qu'  eile  n'  entretient  aucuue 
marine".  Preusseu  erreichte  au  Machtmitteln  nach  Ansieht  Friedrichs 
nicht  das  Haus  Oesterreich,  aber  dank  seiner  tüchtigen  Verwaltung 
konnte  es  ohne  fremde  Hülfe  einen  nicht  zu  schweren  und  lang- 
wierigen Krieg  aus  eigener  Kraft  führen.  Mochte  die  Königin  von 
Ungarn  durch  Erhöhung  der  Abgaben  die  Kosten  einiger  Feldzüge 
aufbringen,  über  kurz  oder  lang  zwang  sie  der  eintretende  Geldmangel 
zur  Annahme  von  Subsidien,  und  brachte  sie  damit  in  Abhängigkeit 
von  fremden  Mächten. 

Oesterreich  war  deshalb  nach  der  Histoire  von  1746  bei  dem 
Mangel  an  Barmitteln  mächtiger  in  der  Vertheidigung  des  eigenen 
Bodens,  als  in  einem  Angriffskriege,  da  bei  einer  fremden  Invasion 
die  eigenen  Landschaften,  ob  sie  wollten  oder  nicht,  alle  ihre  Kraft 
zur  Abwehr  einsetzen  mussten  ^).  Niemand  zog  aus  dem  Fortbestehen 
der  alten  verwahrlosten  Zustände  an  der  Donau  grösseren  Gewinn  als 
Preussen.  Mit  Vergnügen  vernahm  König  Friedrich  daher  stets  von 
den  Bedrängnissen  und  besonders  von  dem  Geldmangel  des  Wiener 
Hofes  -).  Nach  dem  Friedensschlüsse  zu  Aachen  begannen  in  Oester- 
reich die  Versuche  einer  gänzlichen  Umgestaltung  und  Reform  des 
Heerwesens    und    der  Finanzen. 

Während  des  Erbfolgekrieges  waren  im  ganzen  elf  Infanterie- 
regimenter neu  errichtet  worden,  von  denen  die  sechs  neuen  ungari- 
schen und  das  tyroler  Land-  und  Feldregiment  besonders  hervor- 
gehoben werden  müssen.  In  der  darauf  folgenden  Friedenszeit  wurde 
eine  Anzahl  theils  numerisch  schwacher  theils  wirthschaftlich  ruinirter 
Eegimentcr  aufgelöst,  deren  Manschaften  jedoch  mit  einer  Ausnahme 
(das  Graubündner  Regiment  wurde  der  Landschaft  zurückgestellt)  nicht 
entlassen,  sondern  compaguieweise  zur  Kouiplettirung  anderer  Regi- 
menter werwandt  und  somit  dem  Dienste  erhalten  blieben.  So  setzte 
sich  im  Jahre  1752  die  österreichische  Infanterie  aus  54  regulären 
Regimentern  zusammen,  während  sich  beim  Tode  Karls  VI.  die  Zahl 
auf  52  belaufen  hatte.  Auch  den  Grenzern  ist  bekanutlich  erst  unter 
der  Herrschaft  Maria  Theresias  die  verdiente  Beachtung  geschenkt 
worden,  um  in  künftigen  Zeiten  grösseren  Nutzen  als  im  Erbfolge- 
kriege aus  ihnen  zu  ziehen  3). 

Den  Eindruck  dieser  Reformen  auf  Friedrich  klärt  sein  Brief- 
wechsel mit  dem  neuen  preussischen  Gesandten  in  Wien  auf.  Die 
Berichte  des  Grafen  Podewils  wurden  kontrollirt  durch  die  Gutachten 


')  Histoire  S.  208  u.  209. 

'^)  P.  C.   V.   145  (22.  Juli  1746). 

3)  A.  V.  Wrede  »Geschichte  der  k.  u.  k.  Wehrmacht«  I.  15. 

Mittheilungen  XX.  28 


426  Ferdinand  Wagner. 

preussischer  Offiziere,  namentlich  Winterfeldts,  der  sich  wiederholt  in 
Böhmen  aufhielt. 

Bekannt  ist  das  Lob  in  der  ,  Histoire  de  la  guerre  de  sept  ans " : 
die  Kaiserin-Königin  habe  in  ihren  Finanzen  eine  den  Vorfahren  un- 
bekannte Ordnung  gesehafJen,  die  Staatseinkünfte  seien  durch  ihre 
Bemühungen  trotz  der  in  Italien  und  Deutschland  verlorenen  Pro- 
vinzen grösser  als  unter  Karl  VI.  geworden  i).  Aber  erst  der  Verlauf 
des  siebenjährigen  Krieges  hat  den  König  von  dem  ümftinge  der 
österreichischen  Keformversuche  überzeugt;  in  unserer  Periode  über- 
wiegt der  Zweifel,  ob  das  grosse  Werk  der  Kaiserin-Königin  von 
Erfolg  gekrönt  werden  würde.  Friedrich  hält  es  in  einem  Antwort- 
schreiben an  Otto  V.  Püdewils  für  ausgeschlossen,  dass  der  Etat  der 
Regimenter  in  den  Erblanden  mit  Ausschluss  Italiens  und  der  Nieder- 
lande auf  die  Höhe  von  108.000  Mann  gebracht  werden  könne.  Ohne 
gänzlichen  Ruin  der  Provinzen  sei  es  unmöglich  68 — 70.000  Mann 
in  Oesterreich,  Böhmen  und  Mähren  unterzubringen.  Der  König  ging 
von  dem  richtigen  Gedanken  aus,  dass  nach  dem  Ausfall  der  eng- 
lischen und  holländischen  Kriegssubsidien  und  nach  den  grossen  Ver- 
lusten des  letzten  Jahrzehnts  der  Wiener  Hof  ausser  stände  sei,  bei 
den  verringerten  Einnahmen  die  Höhe  der  unter  Karl  VI.  aufgestellten 
Truppen  auch  in  Zukunft  aufrecht  zu  erhalten  -). 

So  fand  der  preussische  Gesandte  Podewils  in  Potsdam  nicht 
immer  Glauben  mit  seinen  Berichten,  die  im  allgemeinen  zu  opti- 
mistisch gehalten  schienen.  Im  August  1749  kritisirte  der  König 
die  ihm  von  Podewils  hinterbrachten  Meldungen  über  die  Stärke 
der  österreichischen  Armee  an  der  Hand  anderer  Berichte;  nach 
diesen  sei  die  Hälfte  der  Reiterei  ohne  Pferde,  und  fehlten  an 
jedem  Infanterieregimente  am  completten  Etat  5 — 600  Mann.  Auch 
fand  Friedrich  die  auf  24  Millionen  Thaler  angegebenen  Einnahmen 
der  Kaiserin-Königin  ein  wenig  zu  hoch  gegriffen  ^),  da  nach  dem 
Verzicht  auf  Schlesien  die  Einkünfte  unmöglich  die  gleiche  Höhe  wie 
unter  dem  verstorbenen  Kaiser  behaupten  konnten.  Der  Gedanke 
Maria  Theresias  einen  Staatsschatz  in  Friedenszeiten  zu  sammeln,  sei 
nicht  schlecht,  er  arbeite  ja  auf  dasselbe  Ziel  hin.  Aber  die  allge- 
meine Unzufriedenheit,  die  sich  namentlich  in  Böhmen  zeige,  und  die 


')  Oeuvres  IV.  7. 

-')  VI.   101  u.  168  (2.  u.  6.  Juli  1748)  und  VII.   153  (l.  Nov.  1749).     ' 

s)  P.  C.  VIL    131,    (11.  Oct.  1749).    (Die  histoire  von  1746.  S.  165  gibt  die 

Staatseinkünfte  Österreichs   fVir    das  Jahr  1733    auf  20  Millionen  Thaler   an,    fiu- 

1740  nur  auf  16  Millionen  Thaler). 


Die  eui-opäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     427 

zahlreichen  Kückstände  der  Steuern  würden  an  der  Donau  schon  alle 
diese  Pläne  zum  Stillstand  bringen  i). 

Klinggraeffen,  nach  dem  Rücktritte  des  Grafen  Podewils  Gesandter 
in  Wien,  beurtheilte  ebenfalls  die  Stellung  der  Kaiserin-Königin  zu 
günstig  in  Friedrichs  Augen  2).  Zwar  verschluss  sich  letzterer  nicht 
mehr  dagegen,  dass  trotz  der  grossen  Schulden  die  Staatsein- 
nahmen in  Oesterreich  sich  bedeutend  vermehrt  hätten,  auch  Erspar- 
nisse  durchgesetzt  seien,  doch  lägen  mancherlei  Anzeichen  von  dem 
geringen  finanziellen  Talente  der  Monarchin  vor,  die  mit  den  gege- 
benen Mitteln  nicht  an  richtiger  Stelle  hauszuhalten  verstände.  An 
Hofbeamte  würden  hohe  Pensionen  freigebig  ausgetheilt,  während  die 
grossen  Manöver  Einschränkungen  erlitten,  die  Friedrich  auf  Geld- 
mangel zurückführte.  Seine  wirkliche  Meinung  über  die  Zukunft  der 
österrei einsehe u  Monarchie  wird  die  Correspondenz  mit  jenem  Manne 
enthalten  haben,  der  damals  sein  grösstes  Vertrauen  besass.  Erst  die 
Biographie  des  Generalmajor  Winterfeldt  wird  sein  Wirken  in 
der  Zeit  vor  dem  Ausbruch  des  grossen  Krieges  klarstellen.  Leider 
scheint  Winterfeldt  den  grössten  Theil  seiner  bei  dem  wiederholten 
Besuche  Karlsbades  gemachten  Wahrnehmungen  mündlich  in  Potsdam 
vorgetragen  zu  haben.  In  einer  Antwort  Friedrichs  vom  16.  Juli  1750 
findet  sich  der  Satz:  „Sonsten  glaube  ich,  dass  aller  vou  denen  Oester- 
reichern  gemachten  neuen  Arrangements  ohngeachtet  sie  noch  lange 
Zeit  haben  sollen,  ehe  sie  mit  Uns  um  die  courte  Paille  ziehen  können". 
Das  Testament  von  1752  hegt  nicht  den  geringsten  Zweifel  an  einem 
neuen  Krieg  mit  Oesterreich,  sobald  dort  der  Staatshaushalt  geordnet 
und  die  Armee  wiederhergestellt  sei  ■^). 

Mit  dieser  Aeusserung  deckt  sich  sehr  gut  der  ein  Jahr  später 
in  der  Politische u  Correspondenz  gemachte  Ausspruch,  dem  Wiener 
Hofe  sei  in  diesem  Momente  ein  Krieg  höchst  unangenehm.  Das  einzige 
Mittel  sich  vou  fremden  Subsidien  und  dadurch  von  der  englischen 
Politik  unabhängig  zu  machen,  liege  in  der  Ordnung  der  Finanzen,  die 
von  den  Fortbestehen  des  Friedens  abhängig  sei.  Eine  Zeit  von  10 — 20 
Jahren  war  nach  Friedrich  unumgänglich  nöthig,  bis  die  Kaiserin- 
Königin  ihre  „arraugements  nouveaux"  durchgeführt  hätte;  bis  dahin 
wäre  Preussen  vor  einem  Angriffskriege  Oesterreichs  wegen,  des  Be- 
sitzes Schlesiens  sicher. 


•)  P.  C.  VII.  205  (26.  Jan.  1750). 

-)  So  zweifelt  Friedrich  an  der  Richtigkeit  einer  v.  Klinggraeffen  eingesandten 
Truppentabelle  P.  C.  VII.  432  (22.  Mai  1750). 

8)  P.  C.  VIII.  ?ßl  u.  376  (31.  Mai  1751)  u.  IX.  113  (13.  Mai  1752). 
•*)  Ranke  30.   115, 

28* 


428  Ferdinand  Wagner. 

Vielfach  missverstanden  und  falsch  ausgelegt  sind  die  vom  Wiener 
Hofe  für  den  Herbst  1756  beschlossenen  Kavalleriemanöver  zu  Kittsee 
und  liaab.  Aus  der  Bildung  dieser  Lager  sind  offensive  Pläne  der 
leitenden  Männer  Oesterreichs  gefolgert  worden,  ohne  zu  berücksich- 
tigen, dass  jene  Orte  schon  in  den  vorhergegangenen  Jahren  die 
Uebungsplätze  der  ungarischen  Kelterei  gebildet  hatten.  Bereits  1752 
hatte  Friedrich  sich  mit  der  Thatsache  abgefunden,  dass  neben  den 
alljährlichen  Manövern  in  Böhmen  und  Mähren  die  ungarischen  Ka- 
vallerieregimeuter  südlich  der  Donau  bei  Kittsee  und  Kaab  versammelt 
wurden,  wenn  auch  von  österreichiscber  Seite  ein  wenig  Ostentation 
damit  verbunden  war  i). 

Bas  Gerücht  der  Theilnahme  von  8  Reiterregimentern  aus  Ungarn 
an  den  Herbstmanövern  in  Böhmen  veranlasste  Friedrich  im  April 
1754  in  Versailles  Alarm  zu  schlagen  mit  der  Begründung,  das 
Hinzuziehen  der  ungarischen  Kavallerie  ermögliche  einen  Angriff  der 
Oesterreicher  auf  Schlesien. 

So  legte  der  König  auch  in  den  entscheidendeu  Monaten  des 
Jahres  1756  das  Hauptgewicht  auf  die  Bewegungen  der  in  Ungarn 
in  Quartier  liegenden  Reiterei. 

Ein  Erlass  vom  13.  Januar  1756  instruirte  den  Gesandten  Kling- 
graeffeu  folgenden  zwei  Punkten  seine  ungetheilte  Aufmerksamkeit  zu 
widmen  „savoir  eu  quels  lieux  ils  ont  fait  amasser  des  magasins  de 
vivre.-i,  en  Moravie  et  en  Boheme,  et  si,  d'ailleurs,  on  fait  approcher 
leur  cavalerie  en  Hongrie  plus  pres  des  frontieres  de  1' Antriebe 
qu'elle  a  ete  auparavaut".  Bis  sich  diese  ungarische  Reiterei  nicht 
rühre,  sei  ein  Angriff  der  Oesterreicher  ausgeschlossen,  dies  wurde  zweii 
Monate  später  abermals  Klinggraeifen  eingeschärft.  Es  ist  nun  ein 
eigenthümliches  Zusammentreffen  gewesen,  dass  die  Nachricht  von  den 
Rüstungen  der  Russen  im  Juni  1756  ^)  fast  gleichzeitig  mit  dem  Be- 
richte Klinggraeöeus,  die  in  Ungarn  stehenden  Reiterregimenter  seien 
auf  den  kommenden  August  nach  Böhmen  und  Mähren  beordert, 
Friedrich   zu  Ohren  kam.     Wie    vorsichtig  Klinggraeff'en   seine  Worte 


')  P.  C.  IX.  48  (2b'.  Febr.  1752)  (des  camps  d'  exercice  et  d'  osteutation 
peut-etre  encore). 

^)  Wie  in  Oesterreich  machten  sich  auch  in  Russland  die  Rüstungen  im 
Frühjahr  1756  zuerst  durch  das  Heranziehen  der  Kavallerieregimenter  bemerkbar. 
Die  am  30.  März  1756  auf  Kriegsfuss  gesetzten  32  Infanterieregimenter  lagen 
bereits  in  den  üstseeprovinzen,  von  den  14  Kavallerieregimentern  befanden  sich 
dagegen  5  auf  Vorposten  im  Süden  des  Landes  und  mussten  erst  abgelöst  werden. 
(Masslowsky   12  und  21). 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     429 

auch  abwog  i),  die  Bestätigung  seiner  Nachrichten  durch  den  schlesi- 
schen  Minister  SchlabreudoriF  berechtigte  den  König  auf  einen  inneren 
Zusammenhang  der  russischen  und  österreichischen  Eüstungen  zu 
schliessen.  Für  so  unvernünftig  konnte  er  den  Petersburger  Hof 
nicht  halten  —  wie  trotzdem  die  Wirklichkeit  es  zeigen  sollte  —  ganz 
auf  eigene  Hand  ohne  Einvernehmen  Oesterreichs  loszuschlagen. 

In  sehr  ähnlicher  Lage  wie  Mitte  Juni  1756  hatte  sich  der 
preussische  Staat  in  den  ersten  Monaten  des  schon  mehrfach  genannten 
Jahres  1749  befunden.  Ein  Vergleich  der  damals  von  Friedrich  be- 
folgten Politik  und  der  für  nöthig  gehaltenen  militärischen  Vorkeh- 
rungen mit  den  im  Juni  und  Juli  1756  getroffenen  Anordnungen  wird 
wegen  der  vorhandenen  Differenzen  aufklärend  wirken. 

Als  beim  Beginn  des  Jahres  1749  mancherlei  Anzeichen  auf  einen 
allgemeinen  Krieg  wegen  der  schwedischen  Thronfolge  deuteten,  be- 
strebte sich  der  König,  vor  allem  Frankreich  seiner  friedlichen  Ab- 
sichten zu  versichern.  Die  Erklärung  des  preussischen  Gesandten 
Chambriers  in  Versailles,  seinem  Staate  sei  in  diesem  Augenblicke  der 
Ausbruch  eines  Krieges  äusserst  unangenehm  ^),  entspricht  der  Wahr- 
heit. Der  Entschluss,  beim  Ausbruch  des  Krieges  Ostpreussen  frei- 
willig zu  räumen,  wird  dem  Könige  sehr  schwer  gefallen  sein.  Er 
ermahnte  seine  Schwester,  die  Kronprinzessin  von  Schweden,  zur  Vor- 
sicht, um  ihrerseits  die  Eus&en  nicht  herauszufordern.  Auch  widerlegte 
Friedrich  das  in  Paris  verbreitete  Gerücht,  er  bestärke  die  Kron- 
prinzessin Ulrike  in  ihrer  Opposition  gegen  den  Senat  ^).  Aber  nicht 
allein  auf  seine  Verbündeten  beschränkte  der  König  seine  Friedens- 
versicherungen. Jedem,  der  es  hören  wollte,  sagte  sein  Gesandter 
Klinggraeffen  in  London,  Preussen  würde  nicht  die  Offensive  ergreifen, 
aber  auch  keine  Verfassungsänderung  in  Stockholm  dulden  ^). 

Und  endlich,  am  18.  März  1749,  entschloss  sich  Friedrich  zu 
einem  eigenhändigen  Schreiben  an  König  Georg,  ein  Schritt,  der  ihm 
bei  den  schlechten  persönlichen  Beziehungen  zu  seinem  Onkel  nicht 
leicht  gefallen  sein  wird.  Der  Minister  Podewils,  eine  günstige  Ge- 
legenheit wahrnehmend,  erklärte  gleichzeitig  dem  russischen  Gesandten 
Keyserlingk  die  Ziele  der  preussischen  Politik,  die  keine  Verfassungs- 
änderung   in    Schweden    zuliessen.     Immer    eingedenk    seiner    Würde 


')  Depuis  quelques  jours  il  se  debite  sous  main  qu'  on  formera  au  mois  d'aoftt 
prochain  en  Boheme  une  armee  assez  considerable  sous  le  uom  d'  armee  d'  Observa- 
tion, les  regiments  de  cavalerie  de  Hongrie  en  devant  etre  aussi.    (P.  C.  XII.  440). 

2)  P.  C.  VI.  352  u.  361. 

s)  P.  C.  VI.  377  (15.  Febr.  1749). 

*)  P.  C.  VI.  397  (1.  u.  11.  März  l749j. 


A^Q  Ferdinand  Wagner. 

strebte  Friedrich  nach  allen  Seiten  für  den  Fortbestand  des  Friedens. 
Seine  Politik  des  Jahres  1749  verdient  vollauf  das  Lob,  das  ihm  sein 
jüngster  Biograph  E.  Koser  spendet. 

Die  Friedrich  bestimmenden  Gründe,  eine  massvolle  Politik  ein- 
zuhalten, liegen  klar  vor  Augen.  Seine  Verbündeten  waren  Schw^eden 
und  Frankreich;  seine  erklärten  Gegner  Kussland  und  Oesterreich, 
doch  hatten  diese  beiden  Mächte  im  Kriegsfalle  aus  London  bei  dem 
schlechten  Stande  der  englischen  Finanzen  kaum  Subsidien  zu  er- 
warten 1). 

Auch  musste  der  Kaiserin-Königin  ein  neuer  Kriegsausbruch  in 
einem  Momente,  da  sie  die  grossen  Kefornien  in  ihren  Ländern  begonnen 
hatte,  höchst  ungelegen  kommen,  während  das  französische  Ministerium 
kriegerisch  gesinnt  schien.  Aber  die  Geringfügigkeit  der  eigenen 
Geldmittel  zwang  Friedrich  einen  sonst  nicht  ungünstigen  Augenblick 
unau.sgenutzt  vorübergehen  zu  lassen.  Die  knapp  drei  Millionen  Thaler, 
die  sich  1749  im  grossen  Tresor  befanden,  hätten  nicht  für  die  Cam- 
pagne  eines  Jahres  ausgereicht. 

Es  bedarf  keines  Beweises,  dass  König  Friedrich  sich  auch  im 
Sommer  1750  auf  das  genaueste  über  die  österreichische  Armee  orien- 
tirt  hielt.  Sichere  Gewährsmänner,  Feldmarschall  Keith  und  General- 
lieutenant Schmettau,  die  erst  Ende  Juni  Karlsbad  verliessen,  haben 
ihre  in  Böhmen  und  Sachsen  gemachten  Beobachtungen  sofort  in 
Potsdam  vorgetragen  -).  Aber  die  zahlreichen  in  der  politischen  Cor- 
respondenz  abgedruckten  Mittheilungen  Friedrichs  sind  sämmtlich  für 
den  englischen  Gesandten  bestimmt,  erschliessen  also  nicht  die  wahre 
Gesinnung  des  Monarchen.  Weil  letzterer  die  ihm  zugetragenen  Nach- 
richten von  den  grossen  Truppenconzeutrationen  in  Böhmen  und 
Mähren  und  der  Bildung  zweier  Lager  von  60.000  und  40.000  Mann 
au  Mitchell  übermittelt  hat,  ist  noch  nicht  bewiesen,  dass  der  König 
für  seine  Person  dies  alles  glaubte. 

Irgend  welche  authentische  Aeusserung  des  Königs  aus  den  Tagen 
des  Juni  und  Juli  1756  über  die  Machtmittel  Oesterreichs,  welche  den 
Instructionen,  die  Lehwaldt  über  Kussland  erhalten  hat,  gleichwertig 
wäre,  existirt  nicht.  Dies  nimmt  nicht  weiter  wunder,  da  die  beiden 
einzigen  Männer,  denen  in  militärischen  Angelegenheiten  volles  Ver- 
trauen entjj^egenorebracht  wurde,  Schwerin  und  Winterfeldt,  derzeit  in 
der  Umgebung  Friedrichs  weilten  '^). 


1)  Droysen  V.  4.  69. 

2)  P.  C.  XI II.  48. 

3)  A.  JMaude:  ^Friedrichs  des  Grossen  AngriHsplilne  gegen  Oesterreich«  S.  21. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     43]^ 

Der  Briefwechsel  mit  Schwerin  beginnt  erst  im  Angibst  1756,  als- 
dieser  den  Oberbefehl  in  Schlesien  übernimmt.  lu  einem  Mitchell 
am  20.  August  überreichten  Memoire  spricht  der  König  von  90.000, 
in  einer  früheren  Unterredung  sogar  von  100.000  Oesterreichern, 
denen  er  in  Böhmen  und  Mähren  Front  zu  bieten  habe.  Ganz  na- 
türlich!  Den  Engländern,  die  Hannover  mit  preussischen  WajBFen  zu 
schützen  hofften,  musste  die  militärische  Lage  möglichst  schwarz  o-e- 
schildert  werden.  In  Wirklichkeit  zählte  nach  österreichischen  Quellen 
das  Lager  bei  Eolin  Ende  August  25.000  Mann  Infanterie  und  über 
7000  Mann  Kavallerie  und  das  mährische  Corps  22.000  Mann  (dar- 
unter 5000  Eeiter).  Sind  Friedrich  diese  Zahlen  bekannt  gewesen? 
Die  Depesche  an  Schwerin  vom  26.  August  1756  gibt  die  Autwort: 
„Nach  der  Ausrechnung,  so  Ich  von  der  Stärke  derer  öster- 
reichischen Armee  in  Böhmen  und  in  Mähreu  nach  Meinen  davon 
erhaltenen  Nachrichten  geraachet,  können  sie  überhaupt  nicht  mehr 
als  an  65.000  Mann  im  Felde,  exclusive  der  Garnisonen  haben,  näm- 
lich 40.500  Mann  Infanterie,  10.400  Mann  Cuirassiere,  5400  Dragoner, 
oOOO  Husaren  und  6000  irreguliere  Leute". 

Bereits  am  2.  August  hatte  die  Instruction  für  Schwerin  die  Zahl 
der  Oesterreicher  in  Mähren  auf  20.000  angesetzt,  zu  denen  12.000 
Ungarn  hinzukommen  würden  1).  Selbstverständlich  hat  Friedrich 
diese  Zahlen  nicht  als  das  Maximum  der  Leistungsfähigkeit  Oester- 
reichs  angesehen;  lagen  doch  bereits  in  Friedenszeiten  19  Infauterie- 
regimenter  in  den  Schlesien  und  Sachsen  begrenzenden  Provinzen. 

In  zwei  Actenstücken  aus  dem  letzten  Viertel  des  Jahres  1756 
bespricht  Friedrich  die  Stärke  der  österreichischen  Armee,  doch  ist 
das  eine  vom  29.  October  an  die  englische  Begier img  gerichtete  mit 
grösster  Vorsicht  zu  benutzen  und  mit  Hülfe  des  zweiten  an  Schwerin 
gesandten  zu  kontroUireu.  Mitchell  erfährt:  ,La  reine  de  Honorie  a 
90.000  hommes  de  troupes  reglees  en  Boheme,  ä  celles-lä  eile  Joint 
10.000  Hongrois,  8000  hommes  qu'elle  retire  d' Italic,  16.000  de  la 
Flandre,  4000  Würtembergeois,  8000  Bavarois,  20(»0  de  Bamberg,  et 
24.000  FranQais,  le  total  de  son  armee  162.000  hommes".  lusgesammt 
sollen  die  Oesterreicher  also  124.000  Mann  an  eigenen  Truppen  zu- 
sammenbringen. Was  aber  hört  Schwerin  6  Wochen  später  (14.  De- 
zember 1756): 

„Quant  aux  forces  des  Autrichiens,  Celles  de  leurs  troupes  natio- 
nales   ne    peuvent    pas    exceder    le    nombre    de  110.000  hommes.     Ce 
qu'ils  peuvent  assembler  ici  contre  nous,  sout  40  regiments,  qui,  selon 
leur  propre  supputation,  fönt  60.000  hommes;  ajoutez-y  30  ä  35.000 
1)  P.  C.  XIII.  167. 


432  Ferdinand  Wagner. 

liommes  de  cavalerie  et  de'hnssards  avec  15.000  paudours,  voila  le 
nombre  du  total  ä.   110.000  hommes  ä  peu  pres". 

Beide  Berichte  ergeben  die  Differenz  von  14.000  Mann.  Friedrieh 
wird  wieder  seinem  alten  Grundsatz  gefolgt  sein,  und  in  den  Schreiben 
an  die  Verbündeten  die  Zahl  der  Feinde  nach  oben  abgerundet,  hin- 
gegen seine  eigene  Macht  geschmälert  haben.  Auffallend  ist  bei  der 
Berechnuug  der  österreichischen  Armee  die  geringe  Stärke  der  Infan- 
terie, nur  40  von  den  56  Infanterieregiraentern  sollten  am  Kriege 
theilnehmen.  Worauf  Friedrich  seine  Annahme  begründet,  ist  nicht 
ersichtlich  1).  Unbedenklich  sind  die  Zahlen  aus  den  Monaten  October 
und  Dezember  1756  für  die  Zeit  vor  dem  Ausbruche  des  Krieges  zu 
verwerten;  es  liegt  keine  Veranlassung  vor,  weshalb  Friedrich  im 
Frühling  und  Sommer  1756  die  Macht  der  Oesterreicher  höher  ge- 
schätzt haben  soll,  als  seine  Briefe  aus  späterer  Zeit  bekunden,  denn 
im  Dezember  1756  wusste  er  bereits,  dass  die  Franzosen  im  um- 
fassenderen Masse  der  Kaiserin-Königin  beispringen  würden,  als  ihnen 
der  Vertrag  vom  1,  Mai  1756  auferlegte.  Die  in  der  Politischen 
Correspondenz  angeführte  Höhe  haben  die  in  Böhmen,  Mähren  und 
Schlesien  versammelten  österreichischen  Streitkräfte  im  Dezember 
1756  nicht  erreicht,  ihr  ausrückender  Stand  belief  sich  vielmehr  auf 
nur  86.000  Mann  (67.900  Mann  Infanterie  und  18.600  Kavallerie). 
Aber  diese  Zahl  umschliesst  nicht  die  niederländischen  Regimenter 
(16.000  Mann  stark),  welche,  wie  der  König  über  Baireuth  erfahren 
hatte,  schon  Ende  October  auf  dem  Marsche  nach  Böhmen  waren. 
Mögen  immerhin  die  Oesterreicher  im  Frühjahre  1757  ohne  die  Fran- 
zosen, die  nicht  eintrafen,  einschliesslich  der  Artillerie  auf  133.000 
gestiegen  sein  2),  für  die  Beurtheilung  der  fridericianischeu  Politik 
des  Sommers  1756  sind  allein  die  Zahlen  massgebend,  mit  denen  die 
militärische  Correspondenz  rechnet. 

Im  Januar  1757  äussert  sich  Friedrich  gegen  Winterfeldt:  „Was 
die  Zeitungen  von  der  Menge  der  österreichischen  Truppen  seind,  habe 
ich  Mühe  so  stark  zu  glauben,  als  sie  sich  angeben".  In  gleicher 
Weise  erfährt  Schwerin  bei  der  Uebersendung  einer  ,von  sehr  guter 
Hand"  zugekommenen  Liste  der  verschiedenen  österreichischen  Corps 
.Es  wird  zwar  von  der  darin  angesetzten  grossen  Summe  ein  vieles 
noch  abgehen"  ^). 

Der    Tüchtigkeit    seiner    Offiziere    und    seiner  Armee    vertrauend. 


')  Vielleicht    auf   Unruhen    in    Ungarn    (Siehe    auch    P.    C.    XL    137    und 
Band  XVI  dieser  Zeitschrift  S.  481). 
2)  Gest.  mil.  Zeitschrift  1820. 
•')  P.  C.  XIV.   194  und  217  (9.  u.  21.  Januar  17:^7). 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilnng  Friedrichs  d  Gr.  etc.     433 

verwirklichte  der  König  jetzt  seinen  Ausspruch:  „75.000  Preussan 
wären  allemal  ausreichend  gegen  100.000  Feinde«.  Lehwaldt  sollte  mit 
kaum  30.000  Mann  40.000  Eussen  zurückweisen,  und  das  Schwerinsche 
Corps  (31.000  Mann)  den  gegenüberstehenden  44.000  Oesterreichern 
gewachsen  sein  ^). 

Friedrichs  militärische  Anordnungen  des  Sommers  17,56  schlössen 
sich  eng  dem  im  März  1749  entworfenen  Operationsplane  an.  Der- 
zeit war  dem  Feldmarschall  Keith  die  Besetzung  Sachsens  mit  63  Ba- 
taillonen und  85  Schwadronen  aufgetragen,  während  der  König  den 
Oberbefehl  in  Schlesien  (über  61  Bataillone  und  141  Schwadronen) 
übernahm  2),  und  dem  Prinzen  von  Preussen  und  Schwerin  die  De- 
ckuno-  Pommerns  und  der  Neumark  mit  27  Bataillonen  und  50  Schwa- 
dronen übergeben  wurde  3).  In  den  Herbstmonaten  1756  Vjefehligte 
der  König  persönlich  in  Sachsen  70  Bataillone  und  96  Schwadronen, 
in  Schlesien  lagerten  26  Feld-  18  Garnisonbataillone  und  50  Schwa- 
dronen. Beide  Corps  zählten  zusammen  (die  Besatzungen  in  Schlesien 
nicht  mitgerechnet)  94.000  Mann  Feldtruppen.  Diese  Zahl  wird  der 
Könio-  vor  der  Hand  für  genügend  erachtet  haben,  sonst  hätte  er  die 
im  Januar  1757  befohlene  Verstärkung  der  meisten  "Regimenter  durch 
Kantonisten  ein  halbes  Jahr  früher  ins  Leben  gerufen. 

Fassen  wir  kurz  das  Ergebnis  unserer  Betrachtungen  zusammen: 
Friedrich  hat  in  den  Sommermonaten  1756  mit  zwei  entschiedenen 
Gegnern,  Oesterreich  und  Kussland,  gerechnet,  die  beide  nach  seiner 
Anschauung  für  einen  längeren  Krieg  mit  nur  sehr  schwachen  Geld- 
mitteln ausgerüstet  waren  und  von  England  nach  Abschluss  der  West- 
minsterkonvention  keine  Subsidien  zu  erwarten  hatten.  Aus  dem 
militärischen  Briefwechsel  ersehen  wir,  wie  stark  Friedrich  seine 
Gegner  schätzt.  Kussland  könne  höchstens  45-000  Mann,  lautet  der 
Ausspruch  des  Königs  in  dem  entscheidenden  Augenblicke,  für  einen 
deutschen  Krieg  aufbringen,  werde  sich  aber  vielleicht  mit  der  Stel- 
lung des  Hülfscorps  von  30.(  00  Mann  begnügen,  den  der  am  22.  Mai 
1746  mit  Oesterreich  abgeschlossene  Vertrag  ihm  auferlegte^).  Oester- 
reichs    gesammte  Macht   in  Böhmen    und  Mähren    wird    auf   110.000 

»)  (P.  C.  XIV.  13  (5.  Nov.  1756)  an  Schwerin:  ,Vous  avez  31.000  ä  kn 
(Piccolomini)  opposer,  et  ce  nombre  de  Prussiens  vaut  toujours  celui  de  44.000 
Autrichiens  ^)  und  XIV.  170  (26.  Dez.  1756)  an  Lehwaldt. 

2)  Ein  Druckfehler  bei  Koser,  da  die  preussische  Reiterei  im  ganzen  nur 
221  nicht  276  Schwadronen  zählte. 

3)  Koser  j,König  Friedrich  der  Grosse*  471. 

*)  Friedrich  kannte  vor  September  1756  nicht  den  vierten  geheimen  Separat- 
Artikel,  der  für  den  Fall  eines  preussischen  Angriffes  die  russische  Hülfe  auf 
60.000  Mann  erhöhte. 


4B4  Fordinaud  Wagner. 

Maim  gerechnet.  Im  ganzen  hatten  die  lieiden  Kaiserinnen  155.000 
Mann  Feldtriippeii,  denen  das  preus.sische  Heer  (130.000  Mann)  nach 
Einverleibung  der  sächsischen  Regimenter  an  Zahl  gewachsen,  an 
Tüchtigkeit  und  Führung  aber  weit  überlegen  war.  Der  schwache 
Punkt  in  diesen  Kombinationen  war  vor  allem  Frankreich.  Dies  schien 
vollständig  in  dem  Seekrieg  aufzugehen;  1756  war  nichts  von  dort 
zu  befürchten,  fürs  kommende  Jahr  beschäftigten  sich  Regieraug  und 
Volk  nach  den  Berichten  Knyphauseus  mit  Angrififspläneu  auf  die 
normannischen  Inseln  und  das  eigentliche  England.  Nun  Avar  Friedrich, 
wie  wir  schon  gesehen  haben,  von  dem  Irrthum  befangen,  dass  Frank- 
reich nicht  länger  als  2  Jahre  die  gewaltigen  Lasten  für  Kolonien, 
Flottenrüstungen,  Küstenbewachuug  aus  der  verarmten,  mit  Abgaben 
überbürdeten  Bevölkerung  erpressen  könne. 

Aus  der  Correspoudenz  mit  Winterfeldt  und  den  von  Friedrich 
getrofiFenen  Anordnungen  erkennen  wir,  wann  er  die  Irrigkeit  seiner 
Berechnungen  eingesehen  hat.  Im  Herbste  1756  war  das  militärische 
Programm  mit  der  Besetzung  Sachsens  und  der  Gefangennahme  der 
sächsischen  Armee  fast  ganz  durchgeführt;  nur  der  lauge  Widerstand 
der  Sachsen  im  Lager  von  Pirna  hatte  einen  unangenehmen  Querstrich 
gezogen  und  verhindert,  dass  ein  Theil  der  Preussen  im  nördlichen 
Böhmen  Winterquartiere  beziehen  konnte.  Die  andauernd  günstigen 
Nachrichten  aus  Russland  wogen  aber  reichlich  den  Rückzug  aus  Böhmen 
auf.  Allgemein  ist  von  der  Forschung  anerkannt,  dass  der  Tod  der 
Kaiserin  Elisabeth  im  Winter  1756  auf  57  in  St.  Petersburg  eine  gänz- 
liche Umwälzung  und  zwar  zum  Vortheile  Preussens  hervorgerufen  hätte  i). 

Friedrich  hörte  nun  schon  Anfang  Juli  1756  aus  dem  Haag  von 
einer  schweren  Erkrankung  der  Zarin  -) ;  so  willkommen  ihm  die  Nach- 
richt war,  in  der  Correspoudenz  mit  Lehwaldt  hat  er  nicht  eher  darauf 
reagirt,  als  bis  der  englische  Gesandte  am  russischen  Hofe  Williams 
davon  berichtete:  ein  Beweis,  wie  vorsichtig  Friedrich  mit  der  Ver- 
wertung der  ihm  zukommenden  Gerüchte  verfuhr.  Mitte  November 
1756  ist  König  Friedrich  noch  guten  Muthes;  Lehwaldt  erfährt  am 
20.  Nov.:  „Es  schiene  in  Russland  viel  besser  jetzunder  vor  als  vor 
einiger  Zeit.  Die  Kaiserin  wäre  schlimm  und  könnte  nicht  lange 
leben.    Bis  dato  glaubte  Ich  noch  nicht,    dass    sich    ein   Russe  rühren 


')  Bilbassow  erklärt  in  seiner  Biographie  Katharinas  II.  die  Gerüchte  über 
den  schlechten  Gesundheitszustand  der  Kaiserin  Elisabeth  im  Winter  1756—57 
für  unbegründet.  Für  unsere  Zwecke  ist  allein  massgebend,  dass  in  Briefwechsel 
Friedrichs  mit  Winterfeldt  und  Lehwaldt  ein  Thronwechsel  in  St.  Petersburg 
als  sehr  w;ihrscheinlich  angenommen  wird. 

-■)  r.  C.  XlII.  51. 


Die  euroiiäischen  Mächte  in  der  Benvtheilun*?  Frieclvichs  d.  Gr.  etc.     435 

werde«  1).  An  demselben  Tage  wird  allerdings  den  Engländern  ge- 
o-enüber  grössere  Besorgnis  geäussert  ,Elle  (Preussen)  se  trouve  encore 
dans  l'incertitude  sur  ce  qu'elle  doit  attendre  des  Kusses.  Quoique 
l'ou  ait  quelques  faibles  lueurs  d'esperance  de  ce  c6te-lä",  seien  sie 
nicht  genügend,  um  das  ostpreussische  Armeecorps  anderweitig  zu 
verwenden  ^). 

Erst  Ende  November  änderte  der  König  seine  ursprünglichen 
Dispositionen,  indem  die  bisher  in  Hiuterporamern  kantonirenden 
Regimenter  —  9000  Mann  stark  —  nach  der  Lausitz  verlegt  wurden. 
Diese  Massregel  schien  gerechtfertigt  durch  die  günstigen  Nachrichten 
aus  Russlaud;  aber  Lehwaldt,  der  bisher  über  die  genannten  Truppen 
verfügt  hatte,  wurde  als  Grund  der  Truppeuverschiebung  das  gut  be- 
o-laubiffte  Gerücht  anvertraut,  dass  24-000  französische  Hülfsvölker  auf 
dem  böhmischen  Kriegschauplatze  erscheinen  würden  ^). 

In  den  nun  kommenden  Tagen  der  ersten  Hälfte  des  Dezember 
o-elangt  Friedrich  zum  Bewusstsein,  wie  sehr  er  sich  in  Frankreich 
getäuscht  hatte.  Zwei  Denkschriften  Knyphausens  wurden  am  9.  De- 
zember Mitchell  überreicht,  welche  das  englische  Ministerium  zu  einer 
activeren  Politik  anspornten.  Vollkommen  klar  das  Gefahrvolle  seiner 
Lage  erkennend,  sagte  Friedrich  dem  englischen  Gesandten  an  dem- 
selben Tage  „outre  la  crise  ge'nerale  de  l'Europe,  il  s'agit  de  l'exi- 
stence  de  ma  maison".  Zwei  Tage  vor  dieser  Unterredung  hat  der 
König  eigenhändig  dem  General  Winterfeldt  seine  Sorgen  anvertraut. 
Dieses  Schreiben  vom  7.  Dezember  beweist,  dass  diesmal  endlich 
Friedrich  den  Engländern  reinen  Wein  eingeschenkt  hat. 

Jch  habe  viele  Zeitungen,  aber  noch  nicht  ganz  sicheres,  so 
siebet  es  nun  aus.  In  Russland  scheinet  es  von  Tag  zu  Tag  mehr, 
als  wenn  nichts  zu  besorgen  wäre,  die  Franzosen  aber  wollen  30.000 
Mann  nach  Böhmen  und  50.000  am  Rhein  schicken.  —  Ich  habe 
ohngefähr  meine  Rechnung  gegen  gemacht,  und  muss  ich  hier  zwei 
Armeen  von  40.000  haben,  in  Schlesien  30.000,  an  Cavallerie  aber 
würde  es  fehlen,  und  vor  man  die  Russen  trauen  könnte,  so  müsste 
man  30  Escadrons  aus  Preussen  ziehen.  Sonsten  seind  wir  stark 
genug,  den  Feind  zu  schlagen,  aber  zu  schwach,  was  rechtes  zu  deci- 
diren".  Der  Kern  dieses  Schreibens  ist  die  grosse  Neuigkeit,  dass  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  die  Franzosen  in  der  Stärke  von  80.000  Mann 
im  nächsten  Jahre  den  Rhein  zu  überschreiten  denken.  Unmöglich 
hätte  dies  Faktum  Friedrich   so   sehr    überraschen    können,    wenn    er 

')  XIV.  66. 

2)  P.  C.  XIV.  56  (20.  Nov.  1756). 

3)  P.  C.  XIV.  83  (28.  Nov.  1756). 


4Bß  Ferdinand   Wa<>-ner. 

bereits  im  Sommer  und  im  Herbste  an  ein  Eingreifen  der  Franzosen 
in  die  deutschen  Verhältnisse  gedacht  hätte.  In  dem  Momente,  da 
ein  französisches  Hülfscorps  von  30.000  Mann  activen  Antheil  an  den 
Kämpfen  in  Böhmen  nahm,  zweifelte  Friedrich  nicht  an  dem  Sie«-, 
,seind  wir  stark  genug  den  Feind  zu  schlagen",  wohl  aber  an  der 
Möglichkeit  .Avas  rechtes  zu  decidiren".  Mit  anderen  Worten,  Friedrich 
sah  eine  Wiederholung  des  zweiten  schlesischen  Krieges  voraus,  glän- 
zende Siege,  Abwehr  der  Feinde,  aber  keinen  Gewinn,  der  die  schweren 
Verluste  an  Geld  und  an  Landeskindern  aufwiegen  würde:  „tonte 
guerre,  qui  ne  mene  pas  ä  des  conquetes,  affaiblit  le  victorieux  et 
e'nerve  1'  Etat*    hatte  er  sich  erst  vor  einem  Jahre  geäussert  i). 

Wenig  später  taucht  der  alte  Plan  wieder  auf,  beim  Herannahen 
der  Russen  freiwillig  Ostpreussen  zu  räumen.  Lehwaldt  hört  unterm 
19.  Dezember  „jedoch  wenn  die  Küssen  zu  einer  Operation  resolviren, 
so  glaube  ich  noch  zur  Zeit,  dass,  wenn  sie  was  thun,  sie  sich  con- 
tentiren  werden,  ein  Corps  von  30  ä  40.000  Mann  nach  Schlesien  zu 
schicken".  Dieser  Satz  deckt  sich  vollständig  mit  der  Aeusserung  im 
Juli,  die  Stärke  der  Russen  werde  45.000  Mann  nicht  überschreiten. 
Trotzdem  kommt  dem  Könige  der  Gedanke  ohne  Kampf  beim  Heran- 
nahen der  Russen  die  ostpreussischen  Regimenter  abzurufen.  „Ich 
halte  vielmehr,  dass  wenn  Noth  am  Mann  gehet.  Ich  die  sicherste 
Partie  nehme,  wenn  Ich  Mich  vorerst  hier  zusammen  concentrire, 
mithin  vorerst  die  Extremitäten  abandonnire,  um  das  Corps  zu  defen- 
diren  und  zu  souteniren,  denn  als  denn  die  Extremitäten  wieder  zu 
bekommen  seind".  Dieses  Schreiben  steht  im  engen  Zusammenhange 
mit  der  in  einem  Briefe  an  Winterfeldt  enthaltenen  Bemerkung  „30 
Schwadronen  Reiterei  fehlten  auf  dem  böhmischen  Kriegsschauplatze". 
Nicht  wegen  der  Russen  wird  Ostpreussen  aufgegeben  —  Friedrich 
wusste  noch  nicht  am  19.  Dezember,  dass  die  österreichische  Partei 
trotz  des  englischen  Geldes  alle  ihre  Wünsche  am  Peter.sburger  Hofe 
durchgesetzt  hatte  —  sondern  die  Theilnahme  der  Franzosen  am 
deutschen  Kriege  nöthigte  zur  Konzentration  der  Streitkräfte  und  zwang 
zur  Räumung  der  getrennt  gelegenen  Landstriche.  Sehr  hart  mag 
Friedrich  dieser  Entschluss  gefallen  sein!  Musste  er  doch  auf  die 
Annexion  Westpreussens,  das  erwünschte  Resultat  nach  einer  russischen 
Niederlage  verzichten.  Jetzt  diente  Sachsen  nur  noch,  wie  es  1749 
vorgesehen  war,  als  Aequivalent  für  das  aufgegebene  Ostpreussen.  In 
dieser  prekären  Lage  hörte  Friedrich  aus  dem  Munde  Mitchells  am  24. 
oder  25.  Dezember  die  schlimme  Botschaft,  dass  der  französische  und 


')  M.  Lebmann  S.  67. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Benrtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     437 

österreichische  Einfluss  an  der  Newa  gesiegt  habe,  und  der  Petersburger 
Hof  in  Kürze  dem  Versailler  Vertrage  beitreten  werde.  Am  ersten 
Weihuachtstage  wird  dem  getreuen  Winterfeldt  die  politische  Lage 
Preussens  folgendermassen  erklärt.  , Jetzunder  fangt  es  an  wüster 
auszusehen  wie  noch  niemalen.  Die  Franzosen  lassen  zwar  nicht  nach 
Böhmen  marschiren,  geben  aber  60.000  Mann  am  Khein  und  2  Mil- 
lions  Subsidien.  In  Kusslaud  hat  das  österreichische  Geld  dermassen 
operiret,  dass  die  Russen  statt  30.000  80.000  Manu  wollen  marschiren 
lassen.  Das  beste  aber  ist,  sie  können  vor  künftigen  Juni  nicht  mar- 
schiren. Die  Kaiserin  ist  gefährlich  krank,  und  stirbt  der  Drache, 
so  stirbt  das  Gift  mit  ihm,  und  seind  als  dem  lauter  gute  Aspecten 
■dMa.\ 

Ebensowenig  wie  das  Schreiben  vom  8.  Dezember  lässt  sich  der 
zuletzt  genannte  Brief  mit  der  hergebrachten  Anschauung  vereinigen. 
Nach  der  alten  Tradition  ist  die  grosse  Erregung  Friedrichs  nicht  zu 
verstehen.  Wie  kann  am  25.  Dezember  an  Winterfeldt  geschrieben 
werden,  dass  80.000  Piussen  statt  30.000  zu  erwarten  wären,  wenn 
Friedrich  schon  im  Juni  oder  Juli  desselben  Jahres  mit  einer  über- 
mächtigen Invasion  der  Russen  gerechnet  hätte ! 

Alle  jene  Anzeichen,  die  Friedrich  im  Hochsommer  zum  Ein- 
marsch in  Sachsen  genöthigt  haben  sollen,  stellen  sich  in  Wirklich- 
keit erst  Ende  Dezember  ein  und  lassen  ihn  erkennen,  wie  gründlich 
er  sich  in  Frankreich  und  Russland  geirrt  hat.  Ausser  Ostpreussen 
macht  er  sich  darauf  gefasst  auch  Oberschlesien  „wie  anno  1745" 
preiszugeben.  Natürlich  dringt  über  diese  Art  von  Kouzentriruug  nichts 
an  die  Oeffentlichkeit.  Ein  vorzeitiges  Bekanntwerden  hätte  allerseits 
einen  sehr  üblen  Eindruck  hervorgerufen.  Neben  Winterfeldt  wird 
nur  der  schlesische  Minister  Schlabrendorff  am  27.  Dezember  1756 
über  das  Schicksal  Oberschlesiens  instruirt. 

Jetzt  erst  beim  Beginn  des  neuen  Jahres  am  10.  Januar  1757 
setzt  der  König  die  geheimen  Informationen  auf,  die  dem  Minister 
Graf  Finckenstein  bei  einer  Niederlage  und  einer  Throuerledigung  die 
nöthigen  Anweisungen  geben  sollen.  Hätte  der  König  schon  im  ver- 
strichenen Sommer  die  ganze  Schwere  seiner  Situation  erfasst,  sein 
ausgeprägtes  Pflichtgefühl  hätte  ihn  ohne  Zweifel  veranlasst,  schon 
damals  die  Fortdauer  Preussens  gegen  alle  Eventualitäten  zu  sichern, 
und  es  von  jedem  persönlichen  Missgeschick  zu  trennen. 

Noch  ein  zweiter  Punkt  zeugt  von  dem  Ernste  der  Zeit.  Friedrich 
hat  möglichst  mit  fremden  Elementen  die  Feldzüge  zu  führen  gesucht. 
Mit  grosser  Brutalität  ist  zum  Beispiel  die  Bevölkerung  Mährens  im 
Winter  1742  zum  Heeresdienst  gepresst  worden.    Wenn  die  dauernde 


438  Ferdinand  W  a  er  n  e  r. 

Besetzung  Nordböhmens  im  Herbste  1756  geglückt  wäre,  so  hätten  die 
dortigen  Landschaften  zahlreiche  Kekruten  stellen  müssen.  Jetzt  in 
der  Nothlage  griff  Friedrich  zu  seinem  sichersten  Hülfsmittel,  zu  den 
Kantons,  die  selbst  in  den  vom  Feinde  besetzten  Provinzen  während 
des  Krieges  ihre  waffenfähigen  jungen  Leute  zur  Armee  einsandten. 
Das  Testament  von  17o2  hatte  Schonung  der  Kantons  in  Friedeiis- 
zeiteu  anempfohleu,  um  im  Falle  der  Noth  genügend  Rekruten  der 
Armee  einverleiben  zu  können.  „Les  cantons  rendent  les  corps  im- 
mortels"  sagt  das  politische  Testament,  ein  Factum,  dass  im  Winter 
1756  auf  57  weder  Oesterreicher  noch  Franzosen  in  ihre  Berechnungen 
gezogen  haben.  Sie  meinten,  das  preussische  Heer  setze  sich  nur  aus 
minderwertigem  Material  zusammen,  welches  einzig  der  Stock  der 
Offiziere  und  eine  regelmässige  Verpflegung  zusammenhalte  i). 

Bereits  im  Dezember  hatte  der  König  eine  Vermehrung  der  Rei- 
terei, die  ihm  an  Zahl  der  österreichischen  nicht  gewachsen  schien, 
in  Angriff  genommen.  Der  Etat  jeder  Schwadron  sollte  um  einen 
Offizier  und  14  Mann  erhöht  werden,  für  die  ganze  Reiterei  ergab 
sich  eine  Zunahme  von  circa  2000  Pferden.  Daneben  wurde  jedes 
Husarenreginient  zweimal  um  je  60  Mann  verstärkt.  Im  Januar  1757 
setzte  Friedrich  eine  weit  grössere  Vermehrung  seiner  Infanterie  ins 
Werk.  Bei  dem  Lehwaldtscheu  Corps  wurden  die  5  alten  Infanterie- 
regimenter inclusive  der  Grenadierbataillone  um  360  Manu  erhöht. 
Ausserdem  sollte  das  Garnisonregiment  Luck  auf  4  Bataillone,  und 
jede  Schwadron  auf  190 — 200  Mann  gebracht  werden.  Im  Ganzen 
befehligte  Lehwaldt  mit  Einschluss  der  4000  Neuausgehobenen  nun 
30.000  Mann  ^).  Am  9.  Januar  hört  Winterfeldt,  dass  jeder  Compagnie 
30  Kantonisten  zugetheilt  werden  sollten.  Doch  scheint  diese  Mass- 
regel nur  für  Regimenter  mit  Kanton  in  Frage  zu  kommen,  sie  wird 
aber  der  Armee  mindestens   17.000  Mann  /.ugeführt  haben  •^■). 

Es  ist  deshalb  kaum  üebertreibung,  wenn  die  Markgräfin  von 
Baireuth  unterm  18.  Januar  1757  erfährt,  dass  Mitte  Februar  das 
preussische  Heer  die  Zahl  von  210.000  Mann  erreichen  werde.  Die 
Empörung  und  Desertion  des  grössten  Theils  der  sächsischen  Regi- 
menter hat  im  April  1757  die  Vollendung   der  Pläne  Friedrichs   ver- 


')  Ein  charakteristisches  Urtheil  von  Kaiser  Franz  über  die  ostpreussischen 
Regimenter  bei  Arneth  V.  507. 

''')  Siehe  Beilage  des  Siebenjährigen  Krieges  im  preussischeu  Generalstabs- 
werke. 

^)  Jedem  alten  Infanterieregiment  300  Mann,  jedem  Grenadierbataillon 
120  Mann.     (Geschichte  des  siebenjährigen  Krieges  I.   147). 


Die  europäischen  Mächte  in  fler  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     439 

eitelt,  aber  immerliin  stau  den  damals  grosse  Massen  zu  seiner  Ver- 
fügung. 

Die  Entscheidung  über  Krieg  und  Frieden  hatte  im  Somnjer  1756 
noch  in  Friedrichs  Hand  gelegen.  Die  Aussichten  bei  dem  jeden 
Augenblick  zu  erwartenden  Tode  der  Kaiserin  Elisabeth,  die  russische 
Politik  definitiv  in  englisches  Fahrwasser  zu  lenken,  hätten  einen 
weniger  weit  blickenden  Mann  wahrscheinlich  bestimmt,  auf  den  Vor- 
schlag Podewils,  das  beneficium  temporis  auszunutzen,  einzugehen. 

Nach  meinem  Dafürhalten  ist  wie  in  den  vorhergegangenen 
Jahren,  so  auch  im  Sommer  1756  der  Schlüssel  zum  Verständnis  der 
friedericianischen  Politik  in  dem  Verhältnis  zum  Kaiserhofe  an  der 
Donau  zu  suchen,  denn  der  wahre  Feind,  der  einzige,  mit  dem  keine 
Verständigung  möglich  war,  blieben  einmal  die  Oesterreicher.  „C'est 
ä  eux,  sagt  das  Testament  von  1752,  que  nous  devons  penser  daus 
tous  nos  arrangements  militaires " . 

Die  politische  Lage  Europas  hatte  sich,  wie  wir  schon  bemerkt 
haben,  seit  1749  zu  üugunsteu  Preussens  verschoben.  Auf  absteigender 
Linie  schien  sich  Fraukreich  zu  bewegen,  auf  dessen  Bündnis  noch 
das  Testament  von  1752  die  Hoffnung  neuer  Eroberungen  gestützt 
hatte.  Und  in  Oesterreich  bereitete  sich  ausserdem  eine  Wendung  vor, 
die  das  Lebenswerk  Friedrichs  aufs  schwerste  bedrohte. 

Wie  hoffnungslos  hat  das  erste  Kapitel  der  histoire  von  1746  die 
Zustände  an  der  Donau  ausgemalt! 

Noch  der  Brief  an  Wiuterfeldt  vom  16.  Juli  1750  gibt  der 
Ansicht  Ausdruck,  dass  Oesterreich  sobald  nicht  den  von  Preus.-en  ge- 
wonneneu Vorsprung  einholen  werde.  Das  Testament  von  1752 
äussert  sich  bereits  über  die  österreichische  Politik  folgendermassen : 
„la  Reine  de  Hongrie,  la  plus  sage  et  la  plus  politique  entre  elles,  se 
sert  des  passions  des  autres  pour  avaucer  ses  desseins"  i). 

Nun  aber  brach  sich  beim  Könige  langsam  die  Erkenntnis  bahn, 
dass  die  militärischen  und  finanziellen  Eeformen  Maria  Theresias  aus 
den  verschiedenen  österreichischen  Landschaften  ein  modernes  Staats- 
wesen schufen,  das  unabhängig  von  dem  Geldbeutel  der  Engländer 
seine  Politik  führen  konnte.  Die  Kaiseriu-Königin  näherte  sich  Mitte 
der  fünfziger  Jahre  immer  mehr  ihrem  Hauptziele,  den  Friedensetat 
der  Armee  auf  165.000  Mann  zu  erhöhen.  Und  gerade  die  Ausfüh- 
rung dieses  Programms  hatte  Friedrich  nach  dem  Verluste  Schlesiens 
und  nach  dem  Authören  der  englisch-holländischen  Subsidien  für  un- 
möglich   gehalten.     Im    Dezember    1751    hatte    der    Effectivstaud    der 


»)  Droysen  V.  4.  176. 


440  Ferdinand  W  n  g  n  e  r. 

Österreichischen  Armee  nach  deu  von  Khuggraeffeu  am  16.  Februar 
1752  übermittelten  Listen  loG-UDO  Mann  betragen  ^).  Es  fehlten  am 
Süllstande  24715  Infanteristen,  1871  Kavalleristen  und  mehr  als 
2o00  Pferde.  Ohne  Zweifel  hat  Friedrich  eingedenk  dieser  Zahlen 
ein  halbes  Jahr  später  im  Testamente  von  1752  die  Aussichten  eines 
neuen  Krieges  mit  Oesterreich  erörtert.  Bei  einem  gemeinsamen  An- 
griffe Frankreichs,  Sardiniens  und  der  Türkei  waren  die  in  den  Nieder- 
landen, Italien  und  in  dem  südlichen  Ungarn  kantonirendeu  Truppen 
an  Ort  und  Stelle  festgehalten ;  zur  Vertheidigung  Böhmens  und 
Mährens  hatte  also  die  Kaiserin  uur  die  Militärmacht  ihrer  Erblande 
zur  Hand  ^). 

Wider  Erwarten,  trotz  des  Widerstandes  der  Staude,  verminderte 
sich  in  vier  Jahren  das  Manko  der  Infanterie  um  14.000  Mann  und 
belief  sich  im  Sommer  1756  nur  noch  auf  10.455.  Der  Ausspruch 
Winterfeldts  „so  lange  sie  (die  Oesterreicher)  bei  der  Armee  nicht  die 
Cautons  introducireu,  wird  nichts  aus  ihnen  werden,  sondern  bleibt 
auf  alteu  Fuss",  hat  sich  nicht  bewahrheitet.  Immerhin  blieb  noch 
sehr  viel  in  Oesterreich  zu  thuu  übrig.  Ende  März  und  Anfaug  April 
1756  wurden  uuter  andern  die  Husaren  Regimenter  auf  600  Mann  und 
Pferde  komplettirt;  diese  Massregel  vermehrte  die  lieiterei  um  1000 
Köpfe,  eine  an  sich  geringe  Zahl,  denn  die  zehn  Husarenregimenter 
hatten  nach  dem  Aachener  Frieden  anstatt  der  Kriegsstärke  von  1000 
und  mehr  nur  500  Mann  unter  Waffen.  Namentlich  der  Missstand, 
dass  viele  Regimentsinhaber,  um  bei  den  Musterungen  einen  möglichst 
hohen  Bestand  vorführen  zu  können,  Manschaften  in  den  Listen 
weiterführten,  die  dem  Dienste  im  offenen  Felde  nicht  mehr  gewachsen 
waren  und  nur  noch  in  den  Garnisonbataillonen  Verwendung  finden 
konnten,  musste  sich  im  Kriegsfalle  sehr  unangenehm  fühlbar  machen^). 

Die  ganzen  Rüstungen  der  Oesterreicher  während  des  Frühjahrs 
und  des  Sommers  1756,  die  Albert  Naude  aus  den  Akten  der  Wiener 
Archive  nachgewiesen  hat,  bilden  demnach  die  Fortsetzung  der  gleich 
nach  dem  Erbfolgekriege  in  Angriff  genommenen  Neuformation  der 
Armee.  Ihr  Endziel  war  selbstverständlich  die  Demütigung  Preussens, 
Der  König  ist  sich  der  Gefahr  bewusst  gewesen,  die  vielleicht  nicht 
ihm  selbst,  aber  sicher  seinem  Nachfolger  von  der  Donau  her  drohte. 
Ais  der  preussische  Gesandte  in  Wien  im  November  1749  die  Ver- 
mehrung der  österreichischen  Truppen  in  Böhmen  mit  Angritfsplänen 


')  Ganz    wertlos   sind    die  von  Fürst    (flanke  30.  44)    mitgetheilten  Zahlen, 
nach  denen  die  österreichische  Armee  200.000  Mann  zählen  sollte ! 

-)  F.  Wagner:  »Friedrich    des  Grossen  Beziehungen    zu  Frankreich«   Ö.  20. 
■^)  Ivriegs- Archiv  Cab.  A.   175.5.  8.   1. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     44 1 

des  Wiener  Hofes  iu  Verbindung  brachte,  that  Friedrieh  den  Aus- 
spruch „Er  trüget  sich,  das  Object  jetzo  ist  die  römische  Kaiserwahl, 
Schlesien  bei  Gelegenheit,  dahin  gebet  alles"  1).  Eine  andere  Aeusse- 
rung  im  Jahre  1754,  die  Kaiserin-Königin  habe  noch  10 — 20  Jahre 
des  Friedens  nöthig,  um  ihr  neues  System  vollständig  durchzuführen, 
ist  als  authentisch  zu  behandeln,  denn  iu  der  That  waren  grosse  Re- 
formen dort  im  Werke,  über  deren  Fortgang  Friedrich  auf  das  exac- 
teste  von  seinen  Spionen  unterrichtet  wurde. 

Die  weitere  Eutwickluug  ruhig  abzuwarten,  war  im  Gegensatz  zu 
den  königlichen  Brüdern,  die  unter  der  Deckung  des  französischen 
Bündnisses  das  behagliche  Stillleben  der  alten  Zeit  fortzusetzen  ge- 
dachten, nicht  Friedrichs  Art,  Der  Satz  des  Testamentes  von  1752 
„Je  laisse  ces  projets  ä  la  posterite,  pour  qu'elle  ne  pense  pas,  que 
tout  est  fait  dans  cet  Etat  et  que  dans  toutes  les  parties  du  gouver- 
nement  ce  qu'elle  trouve  etabli  n'est  rien  en  comparaisou  de  ce  qui 
lui  reste  ä  faire"  ist  gerade  von  ihm  geschrieben  in  Rücksicht  auf  die 
am  Berliner  Hofe  herrschenden  Ansichten.  Seine  Politik  seit  1752 
hatte  das  eine  Ziel,  der  österreichische  Monarchie  möglichst  viele  Hemm- 
nisse in  den  Weg  zu  legen,  ein  nach  den  Anschauungen  des  Zeit- 
alters völlig  erlaubtes  Verfahren.  Aus  diesem  Grunde  wurde  der  fran- 
zösischen Regierung  nahe  gelegt,  die  Osmanen  zu  einem  Kriege  gegen 
die  beiden  Kaiserinnen  zu  animiren.  Selbstverständlich  lag  dem  Könige 
dabei  nicht  das  Wohl  Polens  am  Herzen,  wie  er  iu  Versailles  erklären 
Hess  —  die  Kräftigung  dieses  Staates  hätte  ja  jede  Annexion  West- 
preussens  unmöglich  gemacht  —  sondern  allein  das  Interesse  seines 
eigenen  Landes.  Als  die  wiederholten  Mahnungen  und  Vorschläge 
des  Königs  in  den  leitenden  Kreisen  des  Versailler  Hofes  kein  Ent- 
gegenkommen fanden,  entschloss  er  sich  den  Kampf  in  Deutschland, 
den  die  Franzosen  im  Frühjahr  1755  nicht  hatten  eröffnen  wollen, 
selbst  ein  Jahr  später  zu  beginnen. 

Die  Eröffnung  des  Krieges  wurde  zum  Act  der  Nothwehr  für 
Preussen;  jedes  Friedensjahr  verstärkte  die  Position  Oesterreichs 
und  befreite  es  mehr  und  mehr  von  dem  Beistande  fremder  Mächte. 
Sollte  Friedrich  seinem  Nachfolger  die  schwere  Aufgabe,  das  von 
ihm  Erworbene  zu  vertheidigen,  hinterlassen?  Sein  Gesundheits- 
zustand wird  den  Entschluss  beschleunigt  habeu,  nicht  länger  mit 
einem  Kriege  zu  zögern,  der  doch  einmal  geführt  werden  musste.  Im 
Februar  1747  hatte  er  einen  Schlaganfall  erlitten;  „mon  temps  est 
passe"   sagt  das  Testament  von  1752,    und    abermals   machte   ihn   im 


1)  Droysen  V.  4.  126. 

MittheilungeQ  XX.  29 


442  Ferdinand  Wagner. 

Frühjahre  1755  eiu  heftit^es  Fieber  acht  Tage  lang  arbeitsunfähig. 
Ermuthigt  hat  König  Friedrich  zu  der  im  Sommer  1756  einge- 
schlagenen Politik  die  Annahme  folgender  zwei  Punkte  :  Dass  erstens 
der  Seekrieg  die  ganze  Kraft  Frankreichs  im  laufenden  und  im  kom- 
menden Jahre  beanspruchen  werde,  und  zweitens  das  preussische  Heer 
(130.000)  verstärkt  durch  die  Sachsen  den  Oesterreichern  (120.000  Mann) 
und  den  Russen  (45.000  Mann)  numerisch  gewachsen  sei  i).  Wenn  er 
im  Winter  auf  1757  die  Hoffnung  ausgesprochen  hat,  auf  den  Wällen 
von  Olmütz  nach  Eroberuug  Prags  den  Feldzug  zu  beschliessen,  wes- 
halb soll  er  nicht  auch  im  Juli  vorher  denselben  Gedanken  gehabt 
haben  ?  -)  Wie  sich  Friedrich  später  den  Friedensschluss  gedacht,  ist 
nicht  nachzuweisen.  Er  wird  den  Grad  seiner  Forderungen  nach  der 
Grösse  der  Niederlage  der  Oesterreicher  und  namentlich  nach  der 
allgemeinen  politischen  Lage  gerichtet  haben.  Der  betreffende  Absatz 
in  der  geheimen  Instruction  Lehwaldts,  der  die  von  den  Russen  zu 
fordernde  Entschädigung  bespricht,  gewährt  einen  lehrreichen  Einblick 
in  die  Art,  wie  Friedrich  seine  Wünsche  dem  im  Momente  Erreichbaren 
anzupassen  verstand.  Im  Falle  eines  entscheidenden  Sieges  über  das 
russische  Heer  und  einer  gleichzeitigen  totalen  Niederlage  der  Oester- 
reicher sollte  der  Feldmarschall  Lehwaldt  die  Abtretung  von  ganz 
Westpreussen  bei  den  Friedensverhandlungen  mit  Russland  fordern  — 
bei  einem  kleineren  Erfolge  dagegen  sich  mit  einigen  Kreisen  wie 
Ermeland  und  Kulm  begnügen. 

Aehnliche  Sorgen  um  das  Fortbestehen  seines  Staates  haben 
Friedrich  im  Sommer  1744  genöthigt,  ehe  der  vollständige  Sieg  der 
Oesterreicher  am  Rhein  über  kurz  oder  lang  den  Besitz  Schlesiens 
gefährdete,  zum  Schwerte  zu  grellen,  um  so  den  Zeitpunkt  auszunutzen, 
wo  die  Franzosen  noch  das  feindliche  Heer  beschäftigten.  Aber  mit  der 
Sicherung  des  Erworbenen  verband  er  auch  damals  von  vornherein  die 
Idee,  der  Macht  des  neuen  Hauses  Habsburg  engere  Grenzen  zu  ziehen, 
Böhmen  sollte  dem  Kaiser  Karl  VII.  zufallen,  die  eigene  Entschädi- 
gung dafür  in  einem  Theil  des  nördlichen  Böhmens  bestehen,  Selbst- 
verständlich    hat    er    fremde    Mächte    in    diese    geheime    Verhandlung 


*)  Sehr  richtig  bemerkt  A.  Xaude  (Forsch,  z.  br.  pr.  Gesch.  3.  291),  dasss 
König  Friedrich  beim  Beginn  des  Krieges  die  Möglichkeit  eines  Angriftes  der 
Oesterreicher  aut  Berlin  so  wenig  in  Rechuuag  gezogen  habe,  dass  er  das  Wohl 
und  Wehe  seiner  Hauptstadt  einem  ihm  als  unfähig  bekannten  (lenerale  anver- 
traute, (ileichfalls  erhielt  Schwerin  nicht  die  von  ihm  für  nöthig  geforderten 
Summen  zur  weitern  Befestigvmg  Neisses,  da  diese  Festung  nichts  von  den 
Oesterreichern  zu  besorgen  habe. 

'-')  Naude:   ^  Friedrich  d.  (irossen  Angritlspliino^  S.  21. 


Die  europäischen  Mächte  in  der  Beurtheilung  Friedrichs  d.  Gr.  etc.     443 

nicht  eingeweiht.  Am  Jahresschlüsse  nach  missglücktem  böhmischen 
Feldzuge  Hess  Friedrich  in  London  erklären  „que  je  ne  demandais 
rien  de  la  reine  de  Hongrie  pour  moi",  einzig  im  Interesse  Kaiser 
Karls  habe  er  zu  den  Waffen  gegriffen.  Mit  einem  Kriege,  der  wie 
der  Feldzug  von  1756  aus  Gründen  der  Selbsterhaltung  unternommen 
wird,  sind  nach  dem  Ausspruche  Friedrichs  sehr  gut  Eroberungs- 
gedanken zu  verbinden.  Ich  füge  hinzu,  dass  neue  Erwerbungen 
unumgänglich  nöthig  waren,  wenn  Preussens  Existenz  für  die  Zukunft 
gesichert  sein  sollte.  Gewiss  ist  es  schön  dem  siegreichen  Könige 
hochherzige  Milde  nach  einem  siegreichen  Feldzuge  unterzulegen,  nur 
soll  man  bedenken,  dass  ein  dem  Hauptfeinde  Oesterreich  nach  totaler 
Niederlage  grossmüthig  gewährter  Friede  nicht  den  Antagonismus  der 
beiden  mächtigsten  Staaten  Deutschlands  aus  der  Welt  geschafft  hätte. 
So  wünschenswert  die  Einverleibung  Westpreussens,  die  nach 
Ansicht  der  Vertreter  der  alten  Tradition  im  Jahre  1756  allein  in 
Frage  kommt,  zur  besseren  Konsolidirung  der  Monarchie  war,  so 
wurde  eine  grössere  Deckung  Schlesiens  vor  einer  neuen  Offensive 
der  Oesterreicher  auch  nach  Friedrichs  Ableben  nur  dann  erzielt, 
wenn  dem  alten  Gegner  an  der  Donau  grosse  Abtretungen  an  Land 
und  Leuten  auferlegt  wurden.  Der  Thronerbe  würde  sich  im  andern 
Falle  vielleicht  unter  viel  schlechteren  politischen  Konjuncturen  einem 
weit  besser  gerüsteten  Oesterreich  gegenübersehen,  das  rechtzeitig 
Sachsen  vor  einer  feindlichen  Besetzung  geschützt  hätte.  Noch  im 
Jahre  1782  gibt  König  Friedrich  in  dem  erhaltenen  Fragment  eines 
politischen  Testamentes  der  Befürchtung  Ausdruck,  dass  mit  seinem 
Tode  auch  die  Arbeit  seines  Lebens  zerfallen  könne. 


29* 


Zur  Grescliiclite  der  polnischen  Frage  1814  u.  1815. 

Von 

August  Fournier. 


I. 

Vor  Eröffiiuug  des  Wiener  Congresses. 

Es  scheint  als  habe  die  Geschichtsschreibung  bisher  einer  Zeit  zu 
wenig  von  ihrer  Aufmerksamkeit  geschenkt,  in  der  sich  gleichwohl  die 
Keime  wichtiger  und  in  ihrer  späteren  Wirkung  bedeutsamer  Fragen 
nachweisen  lassen,  d.  i.  derjenigen  Frist,  die  zwischen  dem  Abschluss 
des  ersten  Pariser  Friedens  und  der  Eröffnung  des  Wiener  Congresses 
verlief.  Freilich  waren  es  zunächst  Wochen,  in  denen  der  Erschöpfung 
der  Völker  und  ihrer  Freude  an  der  wiedergewonnenen  Ruhe  ihr  Recht 
werden  musste,  und  nichts  war  natürlicher  als  dass  sie  Siegern  und 
Besiegten  vor  Allem  zur  Erholung  und  zur  Sammlung  dienten.  Aber 
die  Politik  durfte  nicht  lange  feiern.  Ein  ganzes  grosses  System  der 
Uebermacht  war  zusammengebrochen,  und  ein  anderes  des  Gleich- 
gewichtes sollte  an  seine  Stelle  treten,  dessen  Grundzüge  erst  noch  zu 
bestimmen  waren.  An  ungelösten  Aufgaben  fehlte  es  nicht,  und  wer 
auf  dem  Congress  zu  Wien,  dessen  Eröffnung  man  binnen  zwei  Mo- 
naten, vom  Ende  Mai  an  gerechnet,  anberaumt,  dann  aber  aus  Rück- 
sicht auf  die  englische  Parlameutssession  um  einige  Wochen  hinaus- 
geschoben hatte,  sich  keinen  Ueberraschungen  aussetzen  wollte,  der 
musste  einen  sichern  Blick  in  die  Situation  zu  gewinnen  und,  wofern 
er  die  Macht  besass,  sie  zu  beherrschen  trachten. 

Wäre  es  nach  Metternich,  dem  Leiter  der  österreichischen  Staats- 
geschäfte, gegangen,  der  Congress  hätte  später  nicht  in  dem  Umfange 
stattgefunden,  den  er  schliesslich  in  der  Dauer  von  acht  Monaten 
angenommen    hat.     Als    die    Armeen    der    Verbündeten    zu    Ende    des 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  445 

Jahreti  1813  den  Rhein  überschritten  und  ihren  Marsch  bis  tief  nach 
Frankreich  hinein  fortgesetzt  hatten,  trat  er  im  Hauptquartier  zu 
Langres  in  den  letzten  Januar  tagen  mit  dem  Antrage  hervor,  die  Mächte 
sollten  nicht  nur  die  Friedensunterhandlnngen  mit  Frankreich  beginnen 
sondern  sich  auch  untereinander  über  ihre  besonderen  Absichten  ver- 
ständigen. Der  Moment  zur  Neuordnung  Europa's  wäre  günstig,  da 
ausser  den  Souveränen  von  ßussland,  Oesterreich  und  Preussen  mit 
ihren  Cabinetten  auch  der  Minister  Englands  Lord  Castlereash  zur 
Stelle  sei  1).  Metternich  drang  nicht  durch.  Kaiser  Alexander  I.  von 
ßussland  war  dagegen.  Er  drängte  nach  Paris  und  wollte  die  Er- 
örterung aller  Sonderwünsche,  welche,  wie  er  meinte,  nur  die  Harmonie 
stören  und  den  Kriegszug  aufhalten  könnte,  verschoben  wissen  bis 
man  mit  Frankreich  abgerechnet  hätte  ^). 

Unter  den  Sonderwünscheu  (pretentions  individuelles),  welche 
Disharmonie  unter  den  Alliirten  zu  erzeugen  vermochten,  stand  die 
polnische  Frage  obenan.    Man  konnte  sie  kurz  als  Absicht  Alexanders 

—  und    insoferne   war   sie  in  der  That  ein   „individuelles"   Verlangen 

—  definiren,  das  von  Napoleon  aus  preussischen  und  österreichischen 
Antheilen  des  alten  Polen  errichtete  Herzogthum  Warschau  bis  auf 
einen  Strich,  der  im  Kalischer  Vertrag  als  Verbindung  zwischen  Ost- 
preussen  und  Schlesien  Preussen  zugestanden  worden  war,  ganz  für 
sich  zu  behalten  und  dasselbe,  vereinigt  mit  den  andern  polnischen 
Ländern  Russlands  als  „Königreich  Polen"  in  Person alunion  mit  der 
russischen  Krone  zu  setzen.  Der  erste  Theil  dieses  Programms  wider- 
sprach dem  Vertrage  von  Reichenbach,  welcher  die  Coalition  der  drei 
Ostmächte  angebahnt  hatte,  denn  dort  war  bestimmt  worden,  dass  das 
Herzogthum  im  Einvernehmen  dieser  Mächte  aufgetheilt  und  Preussen 
daraus  verstärkt  werden  sollte;  der  zweite,  den  der  Zar  selbst  seine 
„Lieblingsidee"  nannte,  musste  durch  die  nationale  Attraction  namen- 
lich Oesterreich  beunruhigen,  dessen  letzter  Besitz  au  polnischem  Lande 
(Galizien)  dadurch  unsicher  wurde;  das  Ganze  aber  war  eine  Ver- 
mehrung der  russischen  Macht  in  einem  Masse,  welches  deren  Ueber- 
gewicht  in  Europa  ausser  Frage  stellte  und  mit  dem  Prinzipe  des  Gleich- 
gewichts entschieden  contrastirte,  auf  welchem  sich  die  Coalition  der 
Gegner  Napoleons  Vertrags  massig  erhob  ^). 


')  Mettemichs  Denkschrift  an  K.  Franz  im  S  b  0  r  n  i  k  der  russischen  histori- 
schen Gesellschaft,  XXXI.  349—355,  wo  sie  irrthümlich  vom  26.  Januar  1814 
datirt  ist,  während  das  Original  im  Wiener  Staatsarchiv  das  Datum  vom  27.  trägt. 

2)  Sbornik,  XXXI.  355  f. 

3)  Im  Artikel  II  des  Reichenbacher  Vertrags  vom  27.  Juni  1813  einigte 
man    sich   über  die  Bedingungen,    die    man  Frankreich  stellte,    ,um  das  Gleich- 


^^g  August  F  0  u  r  n  i  e  r. 

Schon  im  Jahre  1805  hatte  Alexander  der  Idee  einer  Wieder- 
herstellung Polens  unter  russischem  Scepter  in  der  Politik  Geltung  zu 
verschaffen  gesucht,  und  man  kann  sagen,  dass  er  damals  für  dieselbe 
in  den  Krieg  gezogen  sei.  Der  Tag  von  Austerlitz  machte  den  Plan 
zunichte,  und  nun  belebte  Napoleon  die  nationalen  Aspirationen  der 
Polen  und  machte  dadurch  das  kriegsbegabte  Volk  seinen  Fahnen 
dienstbar.  Als  dann  der  mächtige  Zweibund  Frankreich-Russland,  der 
im  J.  1807  geschlossen  worden  war,  die  ersten  Risse  zeigte,  nahm 
Alexander  seinen  Plan  von  ehedem  wieder  auf  und  wandte  sich  Ende 
1810  und  Anfangs  1811  mit  lockenden  Briefen  an  seinen  früheren 
Minister,  den  polnischen  Fürsten  Adam  Czartoryski.  Damals  aber 
waren  die  französischen  Sympathien  im  polnischen  Volke  noch  viel 
zu  stark,  als  dass  der  Ruf  des  Zaren  ein  Echo  gefunden  hätte  i).  Erst 
als  der  Zug  Napoleons  nach  Russland  ein  klägliches  Ende  nahm  und 
der  Protector  an  der  Seine  viel  an  Macht  und  Geltung  verlor,  änderten 
sich  die  Verhältnisse.  Nun  war  es  Czartoryski,  der  sich  dem  Peters- 
burger Hofe  zu  nähern  suchte.  Er  sammelte  im  Herzogthum  Warschau 
Adressen  an  den  Kaiser,  die  sämmtlich  die  Einigung  Polens  unter 
russischer  Aegide  erl)aten,  und  —  ward  erhört.  Nur,  schrieb  der  Zar 
an  ihn  zurück,  dürften  Oesterreich  und  Preussen  von  der  Sache  nichts 
erfahren,    da    sie    sich    sonst    sofort   in  die  Arme  Frankreichs    werfen 


gewicht  und  die  Ruhe  iu  Europa«  wiederzugewinnen;  darunter  war  ,1a  dissolu- 
tiou  du  Buche  de  Varsovie  et  le  partage  des  provinces  qui  le  formeut  entre  la 
Russie,  la  Prusse  et  1'  Autriche,  d'  apres  des  an'angements  ä  prendre  par  ces  trois 
puissances  sans  Intervention  du  gouvernement  fran9ais"'  und  » 1' agrandissement 
de  la  Prusse  en  suite  de  ce  partage«.  Härtens,  Recueil  des  traites  conclus 
par  la  Russie,  III,  107.  Im  ersten  Separatartikel  des  Teplitzer  Vertrages  vom 
9.  September,  der  die  Coalition  abschloss,  steht  unter  den  Bedingungen  des 
Kriegsziels  (de  mettre  fin  aux  raalheurs  de  1' Europe  et  d' en  assurer  le  repos 
f!utur  par  le  retablissement  d'  un  juste  equilibre  des  puissances)  auch  die  folgende: 
„un  arrangement  ä  l'amiable  entre  les  trois  cours  de  Russie,  d' Autriche  et  de 
Prusse  sur  le  sort  futur  du  duche  de  Varsovie«.  Darüber,  ob  durch  die  Teplitzer 
Bestimmung  die  Reichenbacher  aufgehoben  wurde,  wie  die  Russen  behaupteten, 
oder  ob  sie  trotzdem  noch  weiter  zu  Recht  bestand,  wie  Metternich  meinte,  ist 
später  auf  dem  Wiener  Congress  viel  gestritten  worden.  In  der  historischen 
Literatur  vertrat  H.  Delbrück,  Friedrich  Wilhelm  III.  und  Hardenberg  auf 
dem  Wiener  Congress  (Hist.  Zeitschr.  N.  F.  XXVII.  244)  die  erstere,  M.  Leh- 
mann, Steins  Tagebuch  während  des  Wiener  Congresses  (ebenda  XXIV.  458) 
die  letztere  Ansicht.  Wenn  Delbrück  aber  die  Behauptung  aufstellte,  der  Ver- 
trag von  Reichenbach  treffe  seine  Bestimmungen  nur  für  den  Fall,  dass  es  noch 
im  Herbst  1813  zum  Frieden  komme,  so  ist  dies  aus  dem  Wortlaute  desselben 
wohl  kaum  nachweisbar. 

1)  M  a  z  a  d  e ,  Alexandre  I  et  le  P^c  Czartoryski,  Correspondance  particuliere, 
II.  127  ff. 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  447 

würden  i).  Oesterreich  aber  erfuhr  dennoch  davon.  Sowohl  jene 
Adressen  der  Polen  als  auch  dieser  Brief  der  Kaisers  wurden  in  Wien 
bekannt,  und  seither  ängstigten  Metternich  die  Bilder  einer  unge- 
raessenen  Uebermacht  des  nordischen  Nachbars  ^).  Seit  dem  Jahre 
1813,  schrieb  er  später  einmal  an  Hardenberg,  sei  es  seine  vornehm- 
lichste  Sorge  gewesen,  es  könnte  ihm  nicht  gelingen  zu  verhindern, 
dass  eine  ungeheure  Machtvergrösseruug  Russlands  das  noth wendige 
Ergebnis  der  Zertrümmerung  des  europäischen  Kolosses  würde  '^). 
Möglich  auch,  dass  eine  Aeusserung  Napoleons,  die  dieser  im  August 
1813,  eben  als  man  im  BegriflFe  stand  mit  Frankreich  zu  brechen, 
dem  österreichischen  General  Bubna  mitgegeben  hatte,  Eindruck  auf 
den  Minister  machte:  wenn  er  nicht  mehr  sein  werde,  werde  nicht 
Frankreich  sondern  Russland  den  Deutscheu  gefährlich  werden  ^). 

Die  Sorge  Metternichs  war  nicht  ungegründet.  Die  wetter- 
wendische Politik  des  Zaren  hatte  Russlaud,  während  Oesterreich  und 
Preussen  im  Kampfe  mit  Napoleon  umfangreiche  Gebiete  einbüssteu, 
im  Jahre  1807  preussisches,  1809  österreichisches  Land,  im  selben 
Jahre  Finnland,  drei  Jahre  später  Bessarabien  gewinnen  lassen.  Brachte 
ihm  nun  der  Krieg  gegen  den  früheren  Verbündeten  auch  noch  Polen 
ein,  dann  war  jenes  Uebergewicht  reichlich  vorhanden,  welches  Metter- 
nich befürchtete  und  das  sich  sicherlich  alsbald  auch  in  deu  orien- 
talischen Dingen  zur  Geltung  brachte. 

Während  des  Feldzugs  im  Jahre  1813  hatte  Alexander  seine 
Pläne  verdeckt  gehalten;  einmal,  weil  die  Kriegsereignisse  erst  spät 
eine  entscheidende  Wendung  nahmen,  und  dann  wohl  auch,  weil  die 
russischen  Kreise  der  Sache  durchaus  abgeneigt  maren.  Der  Minister 
Nesselrode  z.  B.,  der  von  den  Heimlichkeiten  seines  Herrn  kaum  ge- 
nügende Keuntnis  besass,  hatte  sie  einfach  als  unsinnig  bezeichnet  °). 
Im  Herbste  aber,    nach   den  grossen  Siegen,    trat   das  Project   neuer- 

1)  Alexander  an  Czartoryski,  13.  Jänner  1813  hei  Mazade  II.  206.  Wenn 
Demelitscli,  Metternich  l.  610  sagt,  die  polnische  Frage  sei  damals  »von 
Russland  aufgeworfen«,  und  611  sie  sei  »von  den  Polen  aufgegriffen  worden*', 
die  an  Alexander  herantraten,  so  hätte  ihn  die  Kenntniss  des  Czartorjskischen 
Briefwechsels  aus  diesem  Dilemma  befreien  können. 

-)  Oncken,  Oesterreich  und  Preussen  im  Befreiungskriege  I.  219. 

3)  Bailleu,  Art.  »Metternich«  in  der  »Allg.  deutschen  Biographie*.  Vergl. 
Luckwaldt,  Oesterreich  u.  d.  Anfang  d.  Befreiungskrieges,  S.  130. 

■*)  Mittheilungen  des  k.  u.  k.  Kriegsarchivs  VIII.  237. 

5)  ,JI  u'  est  certainement  pas  entre  dans  la  tete  d'aucun  homme  raisonnable 
et  sincerement  devoue  aux  interets  de  la  Russie  de  conseiller  le  retablissement 
de  la  Pologne  pour  le  seul  plaisir  de  satisfaire  les  fantaisies  de  cette  nation 
legere  et  iuquiete*  Denkschrift  Nesselrode's  an  den  Kaiser,  Jänner  1813  im 
Sbornik  XXXI.  301  f. 


448  August  F  0  u  r  n  i  e  r. 

dings  iu  den  Vordergrund.  Den  Polen  war  bei  Leipzig  mit  Poniatowski 
eine  grosse  nationale  Hofinung  zu  Grunde  gegangen  i).  Jetzt  wandten 
sie  sich  durchaus  Alexander  zu,  und  bald  waren  im  Frankfurter  Haupt- 
quartier die  russischen  Absichten  für  Niemand  mehr  ein  Geheimnis  ^). 
Was  sie  für  Oesterreich  noch  drückender  machte,  war,  dass  sie 
eine  andre  Frage  mit  sich  brachten,  die  gleichfalls  die  Interessen  der 
Donaumacht  empfindlich  berührte.  Zu  Ende  August  hatte  der  Frei- 
herr vom  Stein  in  einer  Denkschrift  dargelegt,  dass  es  für  Preussen 
unerlässlich  sei,  das  Land  des  Königs  von  Sachsen,  der  noch  an 
Napoleons  Seite  stand,  nach  dem  Eroberuugsrechte  zu  incorporiren 
—  und  Stein  war  einer  der  einflussreichsten  Rathgeber  des  Zaren  ^). 
Schon  in  Kaiisch  war  es  gewesen,  dass  Alexander  sich  mit  dieser  Idee 
befreundete  und,  um  Preussen  den  Verzicht  auf  polnisches  Land  zu 
erleichtern,  Friedrich  Wilhelm  III.  Sachsen  zusagte  ^).  Jetzt  mag 
diese  Zusage  erneuert  worden  sein.  Deshalb  enthielt  wohl  auch  der 
Teplitzer  Vertrag,  der  am  9.  September  abgeschlossen  wurde,  bezüglich 
des  Herzogthums  Warschau  und  der  Entschädigung  Preussens  eine 
wesentlich  andere  Bestimmung  als  die  Keichenbacher  Convention  ^). 
Kam  der  Plan  zur  Ausführung,  dann  rückte  das  aufstrebende  Preussen 
unmittelbar  an  Oesterreichs  Grenzen  heran,  was  man  in  Wien  als 
nicht  geringe  Gefahr  empfand,  um  so  mehr  als  man  wusste,  dass  die 
preussischen  Patrioten  damals  schon  ihrem  Vaterlande  die  Führung 
in  Deutschland  zuerkannten.  Gelang  es  dann  vollends  Alexander, 
aucli  noch  eine  weitere  Absicht  in's  Werk  zu  richten,  die  Ende  Januar 
1814  im  Hauptquartier  zu  Langres  auftauchte  und  sich  Wochen  lange 


1)  Die  Nachricht  von  der  verloreueu  Schlacht  bei  Leipzig,  schreibt  Hofrath 
Baum  am  2.  November  1813  aus  Podgorze  an  Metternich,  namentlich  aber  der 
Tod  Poniatowski's,  habe  auf  die  polnischen  Patrioten  wie  ein  Donnerschlag  ge- 
wirkt.    Er  sei  ihre  einzige  Hoffnung  gewesen.      W.  St.  A.). 

*)  Am  4.  Dezember  1813  schrieb  Gneisenau  an  Münster:  i,Der  Kaiser  Ale- 
xander will  ganz  Polen  behalten  und  aus  Rache  gegen  den  König  von  Sachsen 
dessen  Länder  uns  geben.  Dieses  wünscht  Oesterreich  nicht,  ebensowenig  jenes. 
Oft'ene  Erklärungen  hierüber  haben  zwar  noch  nicht  Statt  gefunden,  man  kann 
dies  aber  aus  mehreren  Erscheinungen  wahrnehmen*.  Vgl.  auch  Gentz  an  Ca- 
radja,  18.  August  1814:  ,Zur  selben  Zeit  (nach  Leipzig)  und  namentlich  während 
des  Aufenthaltes  in  Frankfurt,  kam  das  Project,  aus  dem  Herzogthum  Warschau 
ein  constitutionelles  Königreich  Polen  zu  machen,  dessen  Krone  K.  Alexander 
ti'agen  würde,  zum  ersten  Mal  ans  Tageslicht*  (Klinkowström,  Oesterreichs 
Theilnahme  an  den  Befreiungski-iegen,  S.  388). 

3j  Ompteda,  Politischer  Nachlass,  IV.  219.  230. 

*)  S.  0  n  c  k  c  n ,  Oesterreich  und  Preussen  im  Befreiungskriege  L  245  f. ; 
Metternich,  Nachgelassene  Papiere,  1.  173. 

^)  S.  oben  S.  445  Anm.  3. 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  449 

in  der  politischen  Discussion  erhielt,  nämlich  die,  dem  gedemüthigten 
Frankreich  auch  den  Elsass  abzunehmen  und  Oesterreich  damit  Galizien 
abzuhandeln,  so  kam  die  Donaumacht  durch  diesen  schier  unhaltbaren 
Besitz  sicher  in  ein  überaus  feindseliges  Verhältnis  zu  Frankreich, 
wahrscheinlich  auch  zu  Preussen,  während  Kussland,  das  bis  an  die 
Karpathen  heranrückte,  im  Orient  vollkommen  freie  Hand  erhielt  ^). 
Metternich  lehnte  sich  gegen  diese  Idee  mit  allen  Kräften  auf.  Er 
wünschte  kategorisch  einen  Aufschluss  über  die  russischen  Absichten, 
und  erst  als  Alexander  in  der  letzen  Februarwoche  sich  zu  der  Er- 
klärung herbeiliess,  er  reflectire  nur  auf  Westgalizien,  welches  damals 
nicht  mehr  zu  Oesterreich  gehörte,  war  ein  ernster  Conflict  vermieden  ^). 
Die  Gefahr  der  Uebermacht  Kusslands  aber  bestand  gleichwohl  fort, 
und  Metternich  wurde  nicht  müde,  sie  zu  beschwören. 

Man  hat  gemeint,  er  habe  schon  im  November  1813,  in  Frank- 
furt, einen  künftigen  Rückhalt  gegen  die  russische  Uebermacht  in 
Frankreich  erblickt,  und  sowohl  seine  Politik  als  auch  die  öster- 
reichische Kriegführung  sei  von  diesem  Gedanken  beeinflusst  gewesen. 
Hiefür  lässt  sich  aber  ein  giltiger  Nachweis  nicht  beibringen.  Erst 
die  Kestauration  der  Bourbons  und  die  Hartnäckigkeit  Alexanders 
führten  diese  Idee  in  die  österreichische  Politik  ein,  und  erst  Friedrich 
Wilhelm's  Haltung  in  der  polnischen  Frage  auf  dem  Wiener  Cougress 
Hess  sie  greifbare  Gestalt  gewinnen  3).  Am  Beginne  und  während  des 
Krieges  in  Frankreich  hatte  Metternich  andere  Absichten.  Vor  Allem 
die,  das  enge  Verhältnis  zwischen  den  beiden  Ostmächten  zu  trennen 
und  mit  Preussen  und  England  ein  wirksames  Gegengewicht  gegen 
Kussland,  eventuell  sogar  gegen  Russland  und  Frankreich  zu  schaffen  *). 


•)  Das  Tauschproject  Elsass-Galizien  erscheint  lediglich  in  Briefen  Münster's 
an  den  Prinzregenten  vom  30.  Jänner  und  23.  Februar,  die  Bailleu,  Memoiren 
Metternichs,  Hist.  Zeitschr.  N.  F.  VIII.  265  citirt.  Die  oesterreichischen  und  preussi- 
schen  Papiere  enthalten  nichts  darüber.  Die  Sache  hatte  nur  einen  episodischen 
Charakter  und  Roloff,  Politik  und  Kriegführung  während  des  Feldzugs  von 
1814.  S.  3  Unrecht,  anzunehmen,  dass  die  österreichische  Politik  von  Anfang  an 
unter  ihrem  Einfluss  gestanden  habe. 

2)  Münster  an  den  Prinzregenten,  25.  Februar  1814 :  „  Je  .suis  heureux  de 
pouvoir  aj  outer  que  1'  Empereur  Alexandre  a  enfin  doune  une  reponse  süffisante 
sur  la  Pologne  en  ce  qu'  il  ne  demande  que  la  Galicie  occidentale  qui  n'  appar- 
tient  pas  ä  l'Autriche«  (Hannoversches  Staats-Archiv). 

')  Von  diesen  Dingen  soll  an  anderer  Stelle  ausführlicher  gehandelt  werden. 

*)  In  einen  Briefe  vom  24.  Mai  1814  aus  Paris  an  den  Staatsrath  Hudelist, 
der  in  Wien  die  Amtsgeschäfte  leitete,  bezeichnet  er  es  als  sein  Ziel:  »die  Be- 
gründung eines  festen  Systems  zwischen  Oesterreich,  England,  Spanien  und 
Preussen,    an  welches  System  ich  Baiern  als  Schutzwehr  gegen  Frankreich  voll- 


450  August  Fouruier. 

Es  gelang  ihm  noch  während  des  Feldzugs  den  englischen  Minister 
für  sieh  zu  gewinnen.  Er  wusste  dem  Briten  vorzustellen,  wie  leicht 
die  jetzt  mühsam  erkämpfte  Kühe  durch  das  drohende  Uebergewicht 
Kusslands  aufs  Neue  erschüttert  werden  könne,  und  erreichte,  dass 
Castlereagh,  der  den  gesicherten  europäischen  Frieden  für  das  Parla- 
ment und  die  belgische  Anleihe  dringend  benöthigte,  erklärte,  England 
werde  die  Gründung  eines  selbständigen  Polens  in  keiner  Form 
dulden  ^). 

Aber  auch  Preussen  sollte  dem  Einfluss  der  nordischen  Macht 
nicht  überantwortet  bleiben.  Auch  hier  machte  Metteruich  den  Ver- 
such, trennend  einzugreifen.  Bei  Hardenberg  fand  er  bald  Zustimmung, 
denn  auch  diesem  war  die  polnische  Frage  als  eine  für  Preussen 
nicht  ungefährliche  geläufig.  Hatte  doch  das  Project  der  Einigung 
Polens  im  Jahre  1805  eine  Gestalt  angenommen,  die  Preussen  mit 
schweren  Verlusten  bedrohte.  Aber  Friedrich  Wilhelm  III.,  der  dem 
Kaiser  von  Kussland  zu  Dank  verpflichtet  zu  sein  glaubte  —  eine 
Ansicht,  die  sein  Kanzler  nicht  theilte  —  hielt  fest  an  seinem  Freunde 2). 
Da  entschloss  sich  Metternich,  ein  Opfer  zu  bringen  um  ein  grösseres 
zu  vermeiden:  er  willigte  darein,  dass  Sachsen  an  Preussen  kam, 
woferne  dieses  nur  auch  die  Gefahr  der  russischen  Uebermacht  be- 
kämpfen wollte  3).  Daraufhin  unterstützte  Hardenberg  die  Friedens- 
politik des  österreichischen  Ministers,  und  that  es  um  so  williger, 
Aveil  ihr  auch  einflussreiche  Männer   im   preussischen  Lager,  Aucillon, 


kommen  anzuscWiessen  mich  anheischig  mache.  Hierdurch  wird  zum  ersten 
Male  meine  Lieblingsidee  der  Herstellung  eines  auf  die  Mittelmächte  gegründeten 
Systems,  an -welches  die  Seemächte  ganz  natürlich  sich  anreihen,  hergestellt*. 
Arneth,  Wessenberg  I.  212.  In  der  That  hatte  Metternich  schon  vor  dem 
Kriege  1805  einer  engen  Verbindung  der  beiden  deutschen  Grossmächte  das 
Wort  geredet.  Vgl,  Fournier,  Gentz  und  Cobenzl,  S.  137.  In  einem  früheren 
Schreiben  vom  18.  Mai  1814  an  Graf  Merveldt  in  London  heisst  es:  »(^ue  notre 
Union  etroite  avec  1'  Angleterre,  la  Hollande,  la  Prusse  et  les  etats  de  1'  AUeniagne 
previendra  efficacement  un  rapprochement  trop  intime  entre  la  Russie  et  la  France, 
vers  lequel  ces  deux  gouvernemens,  comme  nous  1'  avous  prevu,  tendent  visi- 
blement'des  ä  present».     (W.  St.  A.)     Vergl.  Luckwaldt,  S.  105. 

')  ,  II  (Castlereagh)  a  paru  au  teste  abonder  dans  le  sens  qu'  ou  ne  saurait 
admettre  un  royaume  ou  un  duche  de  Pologne  separe,  ni  de  fait,  ni  de  nom,  ni  sous 
une  forme  avouee,  ni  sous  une  forme  cacbec.  Stadion  an  Metternich,  Chätillon, 
i).  Februar  1814  (W.  St.  A.). 

-)  Hardenberg  an  Gneisenau,  29.  März  1815:  »Russland  sind  wir  eigentlich 
gar  keine  Dankbarkeit  schuldig«.     (P er t z-D  el brück,  IV.  480). 

3)  Hardenberg's  Tagebuch  zum  8.  Jänner  1814:  j>  Metternich  dina  chez  moi. 
II  accede  au  plan  touchant  la  Saxe.  Conference  avec  Metternich,  le  soir  avec 
Nesselrode*  (Berliner  Staatsarchiv). 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und   1815.  451 

Schoeler,  Knesebeck  das  Wort  redeten.  Nur  die  Kriegsereignisse 
im  März  1814  und  Napoleons  Weigerung,  die  auf  dem  Congress 
von  Chätillon  geforderte  Einschränkung  Frankreichs  auf  seine  Gränzen 
von  1792  zuzugestehen,  gaben  den  Dingen  eine  Wendung,  welche 
zum  Einzüge  der  Verbündeten  in  Paris,  zum  Sturze  des  Imperators 
und  zur  Wiederherstellung  der  Bourbons  führte,  mit  denen  dann 
der  Friede  am  30.  Mai  1814  auf  die  geforderten  Bedingungen  bin  zu 
Stande  kam. 

In  Paris  hat  man  nebenher  auch  über  die  europäischen  An- 
gelegenheiten und  darunter  über  die  polnische  Frage  zu  unterhandeln 
begonnen.  Aber  Kussland  trat  mit  grossen  Forderungen  auf,  die  es 
täglich  steigerte,  während  Oesterreich  auf  der  Wiedererwerbung  Krakau's 
bestand  und  auch  Preussen  mit  seinem  Antheil  sich  unzufrieden  er- 
klärte. Man  konnte  sich  nicht  einigen,  unterbrach  diese  Verhandlungen 
und  suchte  nur  mit  dem  Frieden  mit  Frankreich  zu  Ende  zu  kommen  i). 
Am  Tage  als  dieser  unterzeichnet  wurde,  am  30.  Mai,  und  der  Minister 
Englands  eben  im  Begriffe  stand  abzureisen,  um  den  Empfang  der 
Souveräne  in  London  vorzubereiten,  verlangte  Alexander  plötzlich, 
dass  die  polnische  Sache  dennoch  sofort  zur  Erledigung  komme  ^). 
Dazu  war  aber  jetzt  Metternich  wenig  geneigt;  er  hoffte  vielmehr  sie 
in  England  und  unter  englischer  Vermittlung  zu  lösen,  deren  er  sicher 
war;  in  Paris  stünden  sie,  wie  er  sagte,  viel  zu  sehr  „unter  dem  Ein- 
flüsse aller  elenden  polnischen  Franzosen  und  französischen  Polen"  ^). 
Doch  auch  in  London,  wohin  sich  Friedrich  Wilhelm  III.  und  Ale- 
xander I.  mit  den  Ministern  Anfangs  Juni  begaben,  wurde  die  Sache, 
obwohl  täglich  Conferenzen  stattfanden,  nicht  zum  Abschluss  gebracht. 
Wieder    war    es    Russland,     welches    mit     seinen     übergrossen    An- 


•)  »L'Autriche  jette  les  hauts  cris.  Elle  a  declare  vouloir  Cracovie,  et 
toutes  les  negociations  pour  la  paix  generale  se  sont  arretees  sur  ce  point. 
Hardenberg  donne  aussi  dans  ce  sens  et  u'  est  nullement  content  du  beau  mor- 
ceau  qu'  on  cede  dejä  ä  la  Prusse  ...  II  parait  que  la  paix  avec  la  France 
va  etre  signee  et  qu'  on  remet  toutes  les  autres  questions  embarassantes  et  en 
particulier  celle  du  duche  jusqu' au  retour  et  jusqu'au  sejour  de  Vienne«.  Czar- 
toryski  an  Nowosiltzow,  20.  Mai  1814  in  Sbornik  IX,  439  f.  S.  unten  S.  452 
Anm.  1. 

*)  Münster  an  den  Prinzregenten,  Paris,  30.  Mai  1814:  »J'apprends  ce 
niatin  que  1'  Empereur  de  Russie  insiste  que  les  affaires  de  Pologne  s'  arrangent 
encore  ici.  Voilä  donc  des  interets  majeurs  ä  etre  decides  ä  la  häte.  J'  ai  tout 
de  suite  instruit  Lord  Castlereagh  de  1'  etat  des  affaires,  et  je  me  flatte  qu'  il 
renveiTa  son  depart  de  maniere  ä  pouvoir  clire  son  mot  dans  des  arrangemens 
qui  seront  de  la  plus  haute  importance  pour  l'Europe*.     (Hannöv.  St.  A.). 

»)  An  Hudelist,  24.  Mai  1814.     Arneth,  Wessenberg  I.  210. 


452  A  u  g  u  8 1  F  0  u  r  n  i  e  r. 

Sprüchen,  denselben  verhinderte  i).  Metternich  erreichte  nur,  dass 
der  Prinzregent  darein  willigte,  Castlereagh  zum  Congress  nach  Wien 
zu  schicken  -).  Im  Uebrigen  aber  musste  er  seine  grosse  Sorge  mit 
nach  Hause  tragen, 

Sie  wuchs,  als  er  in  Wien  die  Berichte  vorfand,  welche  Hofrath 
Baron  Baum,  der  Kreishauptmann  von  Bochnia,  aus  Podgor^e 
nächst  Krakau  an  die  Staatskanzlei  sandte.  Im  Juni  meldete  dieser 
eifrige  Beobachter  der  Vorgänge  diesseits  und  jenseits  der  Weichsel, 
die  aus  Paris  heimkehrenden  Offiziere  der  polnischen  Armee  könnten 
die  huldreiche  Behandlung  durch  den  Zar  nicht  genug  rühmen,  sie 
sprächen  auch  nur  von  der  Wiederherstellung  Polens  unter  ihm,  bis 
auf  Einzelne,  die  damit  einverstanden  waren,  dass  auch  polnische 
Waffengefährten  den  entthronten  Imperator  nach  Elba  begleiteten. 
Die  russischen  Keservetruppen  würden  nicht,  wie  es  doch  der  Priedens- 
schluss  mit  sich  brächte,  entlassen,  sondern  vielmehr  durch  Rekrutirung 
verstärkt  und  betrügen  nunmehr  200,000  Mann;  dazu  komme  das 
polnische  Armeecorps  unter  Dombrowski,  welches  neu  formirt  und  auf 
50.000  Mann  gebracht  werde.  Dombrowski  habe  im  Auftrage  des 
Zaren  alle  dienstfähigen  Polen  unter  die  russischen  Waffen  gerufen. 
.Sollten  wir",  bemerkt  Baum  in  einem  Berichte  vom  2(3.  Juui  1814, 
„von  einer  freundschaftlichen  Verbindung  mit  dem  russischen  Hofe 
nicht  ganz  versichert  sein,  sollte  ßussland  sich  in  dem  Besitze  des 
Herzogthums  Warschau  behaupten  wollen  und  den  patriotischen  Polen 
nur  eine  entfernte  Aussicht  wegen  Erklärung  des  mit  Russland  ver- 
einigten Königreichs  Polen  gewähren,  sollte  endlich  die  Formirung 
eines  polnischen  Corps  von  mehr  als  50.000  Mann,  der  so  lange  Auf- 
enthalt der  russischen  Reservearmee  im  Herzogthum  Warschau  aus 
feindlicher  Absicht  geschehen,  so  würde  eine  solche  Lage  für  die 
Sicherheit  des  Staates  bedenklieh,  für  die  Ruhe  von  Galizien  gefährlich 
werden.  Zum  Glück  wollen  die  russischen  Autoritäten  von  Herstellung 
eines  Königreichs  Polen  nicht  die  geringste  Notiz  haben.  Alle  von 
den    polnischen    Patrioten    aus   Paris    eingehenden    Privatnachrichten 


1)  Hardenberg  an  Gneisenau,  29.  März  1815:  »Kusaland  allein  ist  Schuld, 
dass  wir  uns  nicht  in  Paris  und  London  vereinigten,  es  steigerte  täglich  seine 
Bedingungen«.     Pertz-D  elbr  ück,  Gneisenau  IV.  480. 

-)  Gentz  an  Caradja,  28.  Juni  1814:  „Cette  nouvelle  est  tres  importante; 
en  la  rapprochant  de  ce  que  j'  ai  eu  1'  honneur  de  vous  dire  dans  ma  derniere 
depeche  —  sie  fehlt  —  vous  en  sentirez  tout  V  interet.  Elle  prouve  entre  autres 
eombien  le  cabinet  de  Londres  est  bien  intentionne  pour  celui  de  Vienne,  car 
il  est  siir  que  c'  est  M.  le  Prince  de  Metternich  qui  a  determine  le  P^e  Regent 
d'Angleterre  ä  cette  demarche"  (Polizeiintercept). 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  453 

sfimmen  jedoch  darin  übereiu,  dass  K.  Alexander  gegen  die  Polen 
eine  besondere  Vorliebe  beweise  und  ganz  geneigt  sei,  ihren  sehn- 
lichsten Wünschen  zu  entsprechen". 

Bald  darauf  kamen  Meldungen,  die  nicht  beruhigender  lauteten. 
Die  Conscription  der  polnischen  Truppen  wurde  mit  allen  Kräften 
betrieben,  die  Vollmachten  der  Commissäre  für  die  militärische  Or- 
ganisation waren  vom  Grossfürsten  Constantin  eigenhändig  gezeichnet. 
Der  polnische  Division sgeneral  Wielohorski  war  aus  Paris  zurück- 
gekehrt und  hatte  erzählt,  der  Zar  habe  ihm  in  einer  geheimen  ünter- 
redunsf  versichert,  er  werde  die  bisher  mit  Kussland  verbundenen 
polnischen  Provinzen  dem  neuen  Königreiche  einverleiben  und  den 
Polen  die  Constitution  vom  3.  Mai  1791  geben;  auf  die  Frage  wegen 
des  Anschlusses  von  Galizien  habe  er  geantwortet,  wer  gleich  anfangs 
zu  viel  verlange,  sehe  seine  Wünsche  selten  erfüllt,  in  zwei  Jahren 
werde  man  davon  sprechen  können.  Einem  Andern,  Thierhausen 
—  er  hatte  1812  mit  Jelski  dem  Zar  das  Gesuch  der  Litthauer 
um  Vereinigung  mit  Polen  überbracht  —  sollte  Alexander  gesagt 
haben,  es  sei  an  der  Herstellung  des  Königreichs  nicht  mehr  zu 
zweifeln.  Ein  Aufruf  des  Generals  Umienski  in  der  Warschauer 
Zeitung  vom  25.  Juni  mahnte  die  Offiziere,  sich  bereit  zu  halten  „um 
die  Wafien  zur  Vertheidigung  der  Sache  zu  führen,  für  welche  allein 
der  Pole  gekämpft  hat  und  kämpfen  will-.  Baum  weiss  auch  die 
Mamen  derjenigen  zu  nennen,  welche  betraut  worden  seien,  die  neue 
Verfassunsr  zu  entwerfen.  Es  war  wohl  nur  Dankbarkeit  für  so  viel 
Entgegenkommen,  wenn  der  General  Sokolnicki  am  11.  Juni  in  Nancy 
am  Grabe  Stanislaus  Lesczynski's  Alexander  als  „Schutzgeist  der  Polen 
und  ihrer  heiligsten  Wünsche"   pries  ^). 

All  diese  Vorgänge  beunruhigten  schliesslich  das  Wiener  Cabinet 
in  einer  Weise,  die  es  ihm  gerathen  erscheinen  liess,  noch  vor  Zu- 
sammentritt des  Congresses  sich  aller  möglichen  Unterstützung  zu 
versichern. 

In  England  schien  dies  kaum  nöthig.  Dort  glaubte  Metternich 
der  Kegierung  um  so  sicherer  zu  sein  als  jetzt  auch  der  Prinzregent, 
der  während  des  Krieges  nicht  immer  mit  seinem  Staatssecretär  über- 
eingestimmt hatte,  auf  Oesterreichs  Seite  getreten  war.  Das  hatte  Ale- 
xander sich  selbst  und  seinem  ewigen  Popularitätsbedürfnis  zuzuschreiben. 
Er  hatte  in  London  rasch  die  Wahrnehmung  gemacht,  dass  Georg  und 


»)  Berichte  Baums  vom  20.  u.  2G.  Juni,  1.,  5.,  10.  u.  13.  Juli,  4.  August 
1814.  (W.  St.  A.).  üentz  an  Caradja,  9.  Juli  1814,  bei  Prokesch,  Depeches 
inedites,  I.  85. 


454  August  Fournier. 

das  torystische  Miüisterium  nicht  beliebt  seien ;  da  aber  e  r  es  sein 
wollte,  so  setzte  er  sich  sofort  in  Beziehung  zur  whigistischen  Oppo- 
sition, der  er  sogar  versprochen  haben  soll,  in  Russland  eine  Art 
Succursale,  „un  foyer  d' Opposition",  ins  Leben  zu  rufen  i).  Er  benahm 
sich  dem  Regenten  gegenüber  kalt,  behandelte  die  Minister  gering- 
schätzig, und  als  vollends  auch  seine  Schwester  Katharina  die  gleiche 
Haltung  beobachtete  und  überdies  zwischen  der  Prinzessin  Charlotte, 
dem  einzigen  Kinde  des  Prinzregenten,  und  dem  jungen  Prinzen 
Wilhelm  von  Oranien  Zwietracht  säete,  so  dass  das  Project  einer 
Vermählung  der  Beiden  noch  im  Juli  aufgegeben  wurde,  war  der 
russische  Hof  am  britischen  viel  zu  sehr  verhasst,  als  dass  dies  nicht  auch 
in  der  Politik  hätte  Ausdruck  finden  sollen  -).  Nur  machte  in  Ena- 
laud  nicht  der  Hof  allein  die  Politik.  Russland  war  als  „Befreier" 
von  Napoleons  Vorherrschaft  noch  immer  im  Volke  beliebt,  und  selbst 
in  Regierungskreisen  vermochten  Czartoryski  und  Radziwill  bei  ihrem 
Londoner  Aufenthalt  im  Juli  Alexanders  polnisches  Project  dadurch 
weniger  gefährlich  erscheinen  zu  lassen,  dass  sie  in  Aussicht  stellten, 
die  Polen  würden,  einmal  geeint,  sich  schon  nach  wenig  Jahren  von 
Russland  befreien  und  dann  ihr  Staat  das  sicherste  Bollwerk  Europa's 
gegen  russische  Aggressionen  bilden.  Der  österreichische  Gesandte 
))rachte  es  nicht  dahin,  Castlereagh  Polens  wegen  zu  einem  drohenden 
Schritt  gegen  Russland  zu  bestimmen  ^). 

Wie  in  London,  so  war  Alexander  auch  am  Bourbonenhofe  in 
Paris  missliebig  geworden,  und  wenn  auch  einmal  an  eine  Heirath 
zwischen  dem  Neffen  Ludwig  XVHL,  dem  Herzog  von  Berry,  und  der 
Grossfürstin  Anna  gedacht  worden  war,  so  zerrann  doch  bald  das 
Project  im  Sande  ^).    Der  Zar  bemerkte,  dass  ihm  der  König  nicht  nur 


')  Bernhardi,  Geschichte  Russhinds  1814—31,  I.  16. 

2)  Hardenbergs  Tagebuch,  29.  Juni  1814  in  London:  »Audience  du  P«e  Re- 
gent. Beau  cadeau.  11  se  plaint  de  1'  Empereur  A.  dont  la  conduite  n'  a  pas  et6 
mesuree.  La  Graudduchesse  Catherine  a  vecu  avec  V  Opposition,  a  seme  la 
zizanie  entre  la  Pesse  Charlotte  de  Galles  et  le  P^e  d' Orange«.  Welche  Pläne 
die  Grossfürstin  verfolgte,  geht  vielleicht  daraus  hervor,  dass  der  Kronprinz  von 
Holland  im  nächsten  Jahre  ihre  Schwester  Anna  heirathete.  Vergl.  Mout- 
gelas,  Denkwürdigkeiten.  S.  381,  und  Gentz  an  Caradja,  9.  Juli  1814,  bei 
Prokesch  l  91. 

s)  Merveldt  an  Metternich,  London,  9.  u.  22.  Juli  1814  (W.  St.  A.).  Wenn 
aber  Wertheimer,  Der  Aufenthalt  der  Erzherzöge  Johann  und  Ludwig  in 
England,  1815  — IG  (Archiv  f.  ö.  G.  1878.  S.  389)  sagt,  Castlereagh  habe  1814 
,in  seiner  Verblendung  für  den  Zaren  verharrt*,  so  dürfte  ihm  der  Beweis  dafür 
kaum  gelingen. 

••)  Pozzo  di  Borgo,  Correspondance  dipl.  avec  Neasekode  I.  9.  15.  23. 
31.   33.  64. 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  455 

den  erwarteten  Dank  schuldig  blieb  sondern  ihn  auch  mit  einer 
Etiquette  verletzte,  die  zwischen  dem  ältesten  Herrscherhause  Europa's 
und  der  russischen  Dynastie  einen  wesentlicheu  Unterschied  markirte. 
Die  Bourbons  hatten  es  ihm  eben  nicht  vergessen,  dass  er  ihnen 
seinerzeit,  Napoleon  zuliebe,  die  Gastfreundschaft  gekündigt  hatte,  uud 
wenn  er  mit  seiner  liberalisirenden  Gesinnung  in  Paris  Beifall  im 
Volke  fand,  so  konnte  ihn  das  au  ihrem  Hofe  nicht  empfehlen.  Hatte 
Alexander  die  Hoffnung  gehegt,  es  könnte  ihm  gelingen,  die  Allianz 
mit  Frankreich,  die  vor  zwei  Jahren  in  die  Brüche  gegangen  war, 
mit  vertauschten  Rollen  wieder  zu  erneuern,  so  sah  er  sich  getäuscht 
Auch  Talleyrand  zog  sich  vou  ihm  zurück,  als  er  auffallend  oft 
bei  der  früheren  Kaiserin  Josephine  verkehrte,  sie  als  Majestät  be- 
handelte und  in  ihrem  Kreise  seiner  üblen  Laune  die  Zügel  schiessen 
liess  *).  Metternich  war  die  Wandlung  nicht  entgangen.  Er  benutzte 
die  Abschiedsaudienz,  die  ihm  Ludwig  XVIIL  im  Juli  gewährte,  um 
das  Eisen  zu  schmieden,  und  mit  Erfolg,  indem  er  sich  für  den 
äussersten  Fall  bereit  erklärte,  Russlands  Pläne  durch  die  Wieder- 
herstellung eines  unabhängigen  Polens  zum  Scheitern  zu  bringen  — 
eine  Idee,  die  er  bereits  in  London  mit  Castlereagh  durchgesprochen 
hatte,  der  sie  ihres  populären  Charakters  wegen  warm  begrüsste  -). 

Das  Wichtigste  war  aber  immer,  dass  Preussen,  durch  das  Zu- 
geständnis Sachsens  gewonnen,  sich  gleichfalls  den  russischen  Plänen 
widersetzte.  Metternich  hatte  aus  den  zahlreichen  Besprechungen  mit 
Hardenberg  —  die  letzte  hatte  anfangs  Juli  in  Paris  stattgefundeji 
—  die  Ansicht  gewonnen,  dass  dies  in  der  That  des  Kanzlers  Ab- 
sicht sei.  Er  selbst  war  entschlossen,  an  der  gegebenem  Zusage  fest- 
zuhalten. Man  hat  zwar  geraeint  —  und  namentlich  Treitschke  hat 
dieser  Meinung  Ausdruck  gegeben  —  dem  österreichischen  Minister  sei 
es    damit   nicht  Ernst    gewesen,    er    habe  nur  Preussen  vou  Russlaud 


1)  Siehe  P  a  s  q  u  i  e  r ,  Memoires  II.  433.  440.  B  e  r  u  h  a  r  d  i  a.  a.  0.  Von  dem 
Verkehr  bei  Josephinen  meldet  auch  Münster  dem  Prinzregenten,  30.  Mai   1814. 

'}  Metternich  an  Merveldt,  Paris,  6.  Juli  1814:  »J'ai  beaucoup  entretenu 
le  roi  sur  la  question  polonaise,  et  j'  ai  eu  la  satisfaetion  de  le  trouver  entiere- 
ment  d'  accord  avec  notre  maniere  de  voir,  partagee  par  1'  Angleterre  et  laPrusse, 
et  convaincu,  comme  nous  tous,  qu'  en  accordant  ä  1'  E.-  Alexandre  des  aggran- 
dissemens  considerables  dans  la  ei-devant  Pologne,  nous  ne  devons  absolument 
pas  lui  permettre  de  mettre  en  avant  un  principe  dangerenx  pour  ses  voisins 
comme  pour  ses  propres  etats  et  que,  si  la  Russie  s' obstine  ä  proclamer  une 
Pologne  russe,  nous  devons  recourir  ä  tous  les  moyens,  meme,  au  besoin,  ä 
celui  de  la  declaration  d'une  Pologne  independante  pour  Ten  empecher«, 
(W.  St.  A.).     S.  unter  S.  458. 


456  August  Fournier. 

abziehen  und,  wenn  dies  gelungen  war,  Sachsen  verweigern  wollen  i). 
Aber  diese  Anschauung  ist  eine  unrichtige  und  lässt  sich  als  solche  er- 
weisen. Nicht  nur  Hardenberg,  auch  Humboldt  glaubte  an  die  Echt- 
heit der  Metternich'schen  Zugeständnisse,  und  Humboldt,  der  als  Ge- 
sandter nach  Wien  zurückgekehrt  war,  hatte  just  nicht  Ursache,  den 
Minister  günstiger  als  uöthig  zu  beurtheilen  -).  Gentz,  der  Legitimist, 
schrieb  resiguirt  nach  Bukarest,  Sachsens  Schicksal  sei  besiegelt  ^). 
Das  Entscheidende  ist  aber,  dass  Metternich  noch  später,  in  den  ersten 
Monaten  das  Wiener  Congresses,  auch  England  gegenüber  ganz  offiziell 
die  Mittheilung  machte,  Kaiser  Franz  stimme  der  Einverleibung  ganz 
Sachsens  in  Preussen  zu,  und  England,  die  Hauptstütze  seines  Systems, 
konnte  er  doch  wohl  nicht  irre  führen  wollen  ^).    Ueberdies  eröffnete 


')  Treit  schk  e,  Deutsche  Geschichte,  I.  532  hält  Hardenberg  schon  am 
8.  Jänner,  als  Metternich  jene  Eröffnung  machte,  für  von  dem  ^.verschlagenen 
Oesterreicher*  hinters  Licht  geführt. 

2)  Von  Humboldt  citirt  Treitschke,  Deutsche  Geschichte  I.  582  wörtlich 
einen  Brief  an  den  König  vom  20.  August  1814:  In  der  sächsischen  Sache  habe 
man  von  Oesterreich  nichts  zu  fürchten.  Zwar  lärme  die  Militärpartei  wegen  der 
Erzo-ebirCTspässe,  aber  Metternich,  „  dessen  Rath  sicher  vom  Kaiser  befolgt  werden 
wird*  betrachte  die  Sache  von  dem  richtigen  Gesichtspunkte.  Darin  sieht 
Treitschke  nur,  »wie  gröblich  selbst  ein  grosser  Kopf  von  entschiedener  politi- 
scher Beo-abung  die  diplomatischen  Verhältnisse  des  Augenblicks  verkennen 
kann".  Er  hätte  ebenso  wohl  auch  über  einen  anderen  Brief  Humboldts  an 
Hardenberg,  vom  1.3.  August,  geurtheilt,  in  welchem  ein  Gegensatz  zwischen 
Stadion  und  Metternich  coustatirt  wird,  von  denen  der  Erstere  ein  Anhänger  der 
altösterreichischen  Principien  und  deshalb  Preussens  Plänen  wenig  geneigt  sei, 
^während  ich  mich  bereits  überzeugt  habe,  dass  Metternich  einem  viel  ver- 
nünftio-eren  Systeme  huldigt,  ein  unbedingtes  Vertrauen  in  E.  D.  setzt  und  dass 
er  allein  es  ist,  bei  dem  wir  Unterstützung  für  unsere  Forderungen  finden  können"'. 
(Polizeiintercept). 

3)  Wenn  auch  Oesterreich  das  Gelingen  der  preussischen  Pläne  nicht 
wünschen  könne,  so  seien  es  doch  Betrachtungen  der  äussersten  Wichtigkeit,  die 
PS  bestimmen  werden,  dieselben  zu  unterstützen  (de  leur  preter  la  main),  denn 
es  sei  von  der  grössten  Nothwendigkeit,  dass  das  Band  der  Freundschaft  und 
des  gegenseitigen  Vertrauens  zwischen  OesteiTeich  und  Preussen  ä  tout  prix  er- 
halten und  gefestigt  werde.  Gentz  an  Caradja.  6.  September  1814.  Diese  Stelle 
erscheint  bei  Klinkow  ström,  S.  404  als  Theil  eines  Briefes  vom  5.;  nach 
den  Polizeiintercepten  gehört  sie  mit  andern,  die  sächsische  Frage  betreffenden 
15emerkungen  in  ein  Schreiben  vom  6.,  welches  sich  weder  bei  Prokesch, 
Depeches  inedites,  noch  bei  Klinkowström  findet. 

*)  yJj'Empereur  consent  a  rincorporation  de  la  totalite  de  la  Saxe  ä  la 
monarchie  prussienne  si  sa  conservation  au  moins  partielle  etait  jugee  incom- 
patible  par  S.  M.  Prussienne  et  leurs  Allies  communs  avec  les  justes  pretentions 
de  la  Prusse  et  un  arrangement  equitable  en  general  .  .  .  il  demande  que  ce 
sacrifice  serve  ä  la  reconstruction  de  la  Prusse  et  ä  la  consolidation  de  sa  force, 
Miais  qu'  il  ne  soit   pas    une    compensation    jiour    son    acquiescement  ä  des  vues 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  APyl 

zur  selben  Zeit  Kaiser  Franz  seinem  Schwager,  dem  Prinzen  Anton 
von  Sachsen,  dass  die  Sache  Sachsens  verloren  sei  i).  Nein,  an  der 
reellen  Absicht  des  österreichischen  Cabinets,  Sachsen  an  Preussen 
gelangen  zu  lassen,  woferne  dieses  nur  gegen  Russlands  ausgreifende 
polnische  Pläne  gemeinsame  Sache  mit  ihm  machen  wollte,  ist  nicht 
zu  zweifeln.  Es  kam  nur  darauf  an,  ob  Preussen  diese  Bedino-uno- 
erfüllte.  Und  darüber  wünschte  Metternich  volle  Klarheit  noch  ehe 
der  Congress  zusammentrat. 

Am  1.  Augnst  schickte  er  dem  österreichischen  Gesandten  iu 
Berlin,  Grafen  Zichy,  eine  Instruction  zu,  die  ihn  mit  dem  o-anzen 
Systeme  der  Staatspolitik  vertraut  machte  und  ihm  auftruo-,  nochmals 
Hardenberg  zu  versichern,  dass  die  sächsische  Erwerbung  von  öster- 
reichischer Seite  kein  Hindernis  erfahren  werde,  ja  dass  man  auch 
bereit  sei,  Maiuz  nicht  an  Baiern  kommen  zu  lassen,  was  Preussen 
perhorrescirte,  sondern  als  Bundesfestung  zu  erklären.  Dafür  erwarte 
man  ein  einträchtiges  Zusammengehen  vor  Allem  in  der  polnischen 
Frage.  Der  Kaiser  Alexander,  beeinflusst  von  politischen  Intriguanteu 
und  Visionären  und  verführt  von  einem  neuen  Ruhmesglänze,  den  er 
dadurch  zu  gewinnen  hoffe,  dass  er  sogenannten  liberalen  und  philan- 
thropischen Ideen  Schutz  verleihe,  habe  nebenher  den  sehr  reellen 
Gedanken  gefasst,  aus  dem  Herzogthume"  Warschau  und  den  proviso- 
risch verwalteten  polnischen  Ländern  das  Königreich  Polen  unter 
russischem  Scepter  wiederherzustellen  und  nur  ein  Gebiet  mit  elf- 
hunderttausend Seelen  an  Preussen  abzugeben.  Der  Zar  bemerke  dabei 
nicht,  dass  die  Polen  sieh  seiner  nur  bedienten,  wie  sie  vordem  Napo- 
leon benützten,  um  aus  den  zerstreuten  T heilen  zunächst  ein  Ganzes 
zu  bilden  2).    Weder  Oesterreich  noch  Preussen  könnte  es  dulden,  dass 


d"  agrandissement,  ä  des  Operations  politiques  aussi  dangereuses  pour  les  deux 
Etats  que  contraires  ä  la  lettre  des  traites".  Metternich  an  Castlereagh,  22.  Oc- 
tober  1814  bei  d'Angeberg,  Le  congres  de  Vienne,  11.  1.939  f.  Dieses  Schrei- 
ben ist  von  der  Forschung  bisher  auffallend  vernachlässigt  worden,  obgleich  es 
Stein  in  seinem  Tagebucli  (veröffentl.  von  Max  Lehmann,  Hist.  Zeitschrift. 
N.  F.  XXIV.  412  und  413)  unter  den  ,, merkwürdigsten«  Papieren  der  damaligen 
Krisis  erwähnt.  S.  auch  Hardenberg  an  Gneisenau,  29,  März  1815,  Pertz- 
Del brück,  IV.  480.     Münster,  Politische  Skizzen  S.  186.  192. 

')  Talleyrand  an  Ludwig  XVIII.,  25.  October  1814  bei  Fall  ain- Bailleu, 
Talleyrands  Briefwechsel  mit  Ludwig  XVIII.  während  des  Wiener  Congresses.  S.  70. 

-)  Am  20.  November  1813  hatte  Baum  an  Metternich  geschrieben:  »Die 
polnischen  Patrioten  sehnen  sich  nur  deshalb  nach  einer  Vereinigung  unter  rus- 
rischer  Botmässigkeit,  um  zu  einer  Disharmonie  zwischen  den  Verbündeten  An- 
Inss  zu  geben  und  einst  mit  ihrer  geeinten  Kraft  neue  Unruhen  zu  erregen,  dabei 

Mittheilungen  XX.  30 


^tg  August  Fournier. 

dieses  Project  zur  Ausführung  gelange,  welches  für  das  Erstere  den 
Verlust  einer  Provinz,  für  das  Zweite  die  Isolirung  Ostpreussens  mit  sieh 
hrino-en  und  ßusslaud  starke  Positionen  auf  dem  rechten  Weichsel- 
ufer verschaffen  würde;  Oesterreich  könne  ebenso  wenig  auf  Krakau, 
wie  Preussen  auf  Dauzig  und  Thorn  verzichten,  und  sie  dürften,  Avenn 
die  übergrosse  Machtvermehrung  Russlands  nicht  anders  zu  verhindern 
wäre,  selbst  vor  der  Wiederherstellung  Polens,  dann  aber  als  eines 
von  Russland  unabhängigen,  von  den  Mächten  Europas  anerkannten, 
dem  Nachbar  feindlichen  Staates  nicht  zurückscheuen.  Jedenfalls 
möge  Hardenberg  die  Zeit,  in  welcher  sein  König  vom  Zar  getrennt 
sei,  benutzen,  um  den  Einfluss  des  Letzteren  einzuschränken  2). 

Da  war  der  kühne  Gedanke  wieder,  mit  dem  Metteruich  die 
eigenen  Pläne  Alexanders  als  Waffe  gegen  ihn  zu  kehren  gedachte. 
Freilich  erschien  ihm  dies  selbst  nur  als  Mittel  äusserster  Nothwehr. 
Er  hoffte  —  und  ein  Gespräch,  welches  er  im  Juli  mit  dem  Zar  in 
Bruchsal  geführt,  bestärkte  ihn  darin  —  dass  dieser  von  seinen  weit- 
reichenden Plänen  ,bis  zu  einem  gewissen  Punkt"  zurückgekommen 
sein  werde.  Und  auf  diesen  Punkt  kam  es  eben  an.  Metternich  wäre 
bereit  gewesen,  Russlaud  von  den  ehemals  preussischen  und  öster- 
reichischen Antheilen  der  dritten  Theiluug  ein  reichliches  Mass  polni- 
schen Landes  als  russische  Provinz  unter  der  Bezeichnung  „Herzog- 
thum  Warschau«    zuzugestehen;    der  Titel   „Königreich  Polen"  jedoch 


aber  ihren  ihnen  stets  vor  Augen  schwebenden  Plan  der  Wiederherstelhing  des 
unabhängigen  Reichs  zur  Ausführung  zu  bringen\  S.  oben  S.  454.  In  der  Charak- 
teristik Alexanders  begegnete  sich  Metternich  iuit  Gentz,  der  am  18.  August  in 
einem  Memoire  über  die  polnische  Frage  an  Caradja  schrieb:  der  Zar  hege  in 
seiner  Seele  die  scheinbar  widersprechendsten  Triebe,  einen  beständigen  Drang  zu 
herrschen,  den  Vorrang  zu  behaupten,  sich  auszudehnen  —  und  eine  brennende 
Begierde  in  den  Augen  der  Zeitgenossen  als  Vorbild  der  Humanität  und  Gross- 
inuth  zu  "■elten;  den  Ehrgeiz,  Europa  Gesetze  vorzuschreiben  —  und  eine  ent- 
schiedene Hinneigung  zu  allen  Lieblingssystemeu  und  Verirrungeu  des  Jahr- 
hunderts u.  s.  w.     Klinkowström,  S.  390. 

2)  Metternich  an  Zichy,  1.  August  1814;  (W.  St.  A.)  die  Stelle  über  das 
unabhängige  Polen  lautet:  ,Elles  (Preussen  und  Oesterreich)  doivent  employer, 
pour  dejou'er  les  plans  de  la  Kussie,  tous  les  moyens,  et  meme  au  besoin  celui 
de  la  declaration  d'une  Pologne  independante,  pour  tourner  contre  la  Russie  les 
forces  de  ce  pays  et  preferer  en  cas  de  necessite  1"  existence  d'  un  etat  consolide 
par  la  reconnaissance  des  grandes  puissances,  definitivement  circonscrit  dans 
ses  limites,  ennemi  naturel  comme  etant  independant  de  son  puissant  voisin,  et 
devant  chercher  par  consequent  1'  appui  de  V  Autriche,  de  la  Prusse  et  de  la 
Porte,  a  I' etablissement  d' un  foyer  d' insurrection  au  uiilien  de  leurs  iHats  qui 
rendroit  tonte  possession  prccaire,  tout  droit  incertain,  et  empoissonneroit  1'  esprit 
public  des  provinces  les  plus  öloignees  et  les  plus  precieuses  des  deux  monarchies*. 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  459 

und  die  unabhängige  Verwaltung  eröchienen  ihm  untinuehuibar,  weil 
der  Name  allein  schon  ein  Weckruf  für  alle  die  zerstreuten  Theile  der 
Nation  bedeute,  die,  einmal  geeint,  sich  au  der  Hand  eines  europäischen 
Zwistes  auch  Russlands  Einfluss  entziehen  und  dessen  alte  Provinzen 
mit  sich  reissen  würde  1). 

Bei  Hardenberg  fanden  die  weitgehenden  Pläne  Metternichs  kein 
Echo.  Auch  er  war  der  Meinung,  dass  Alexander  von  seinem  Projecte 
in  Etwas  zurückgekommen  sei.  Aber  wenn  er  es  nicht  wäre,  solle 
mau  ihm  den  Krieg  machen?  Dazu  würde  sein  König  schwerlich 
zu  haben  sein.  Man  habe  Unrecht  gehabt,  dass  man  mit  Russlau d 
in  die  Coalition  eingetreten  sei  ohne  bezüglich  der  polnischen  Länder 
feste  Bedingungen  vereinbart  zu  hüben.  Nuu  bleibe  kaum  etwas  andres 
übrig,  als  den  Zar  im  Wege  der  Verhandlungen  von  seinen  Ent- 
schlüssen abzubringen,  im  üebrigen  aber  ein  Defensivsystem  zu  be- 
gründen, das  den  gegenwärtigen  Besitz  gegen  dessen  Uebergriffe 
schütze  2). 

Das  war  weniger  Entgegenkommen  als  Metter nich  erwartet  hatte. 
Zichy's  Eindruck  war,  Preussen  stehe  den  polnischen  Plänen  Russlands 
gefasster  gegenüber,  weil  es  der  Erwerbung  Sachsens  versichert  sei. 
Da  wandte  sich  der  österreichische  Minister  direct  nach  Petersburg. 
Alexander  hatte  ihm  in  Bruchsal  zugesagt,  er  werde  bis  zum  Congre»s 
keinerlei  Aenderung  eintreten  lassen.  Es  war  nun  möglich,  dass  der 
Widerstand  der  Mächte  und  die  Abneigung  der  Russen,  die  Verwaltung 
des  Reiches  zu  Gunsten  der  Polen  getheilt  zu  sehen,  den  Zar  andern 
Sinnes  gemacht  hatten.  Dann  war  ja  alle  Sorge  vorüber.  Das  musste  man 
in  Erfahrung  bringen.  Und  auch  über  Beziehungen  Alexanders  zu  den 
süddeutschen  Höfen,  von  denen  Hardenberg  gesprochen  hatte,  musste 
Klarheit  gewonnen  werden,  und  ob  wirklich,  wie  das  Gerücht  gieng, 
der  Kronprinz  von  Würtemberg,  nach  der  Scheidung  von  seiner  Ge- 
mahlin, mit  Glück  um  die  Hand  der  Grossfürstin  Katharina  warb. 
Metternich  glaubte,  als  er  in  Teplitz  die  Souveränität  der  Rheinbund- 
staaten durchgesetzt  hatte,  dieselben  Oesterreich  zu  Dank  verpflichtet 
zu  haben ;  es  konnte  ihm  nicht  gleichgiltig  sein,  wenn  sie  nun  Russ- 
lands Protectorat  nachsuchten.  Vielleicht  liess  sich  die  Grossfürstiu 
Katharina,  deren  Einfluss  auf  den  kaiserlichen  Bruder  kein  geringer 
war,  in  das  österreichische  Interesse  ziehen;  Erzherzog  Karl  war  noch 


')  Eigenhändige  Aufzeichnung  Metternichs  über  die  pohlische  Frage,  als 
Beilage  zur  Depesche  an  Zichy  vom  1.  August.     W.  St.  A.     Siehe  Beilagen. 

2)  Siehe  den  Bericht  Zichy's  an  Metternich,  12.  August  1814,  in  den 
Beilagen, 

30* 


^ßO  August  Fournier. 

uuvermählt.  ßasch  entschlossen  brachte  Metternich  den  Kaiser  Franz 
dazu,  einen  vertrauten  Sendboten  nach  Petersburg  zu  schicken,  der  die 
offizielle  Mission  bekam,  sich  dem  Zar  für  dessen  Keise  nach  Wien 
zur  Verfügung  zu  stellen.  Man  wählte  den  Feldmarschalllieutenant 
Baron  Koller,  denselben,  der  als  einer  der  Commissäre  der  Alliirten 
Napoleon  nach  Elba  begleitet  hatte,  dann  mit  in  England  gewesen 
und  von  Alexander  I.  stets  mit  grosser  Freundlichkeit  behandelt  worden 
war.  Auch  die  Grossfürstin  Katharina,  der  er  im  Vorjahre  bei  ihrem 
Aufenthalt  in  Böhmen  als  Ehrencavalier  gedient  hatte,  war  ihm  wohl 
o-esinnt.  Ausserdem  galt  er  für  einen  genauen  Kenner  der  Verhält- 
nisse am  russischen  Hofe  i).  Am  16.  erhielt  er  einen  eigenhändigen 
Brief  seines  Kaisers  au  Alexander,  worin  in  der  lielDenswürdigsteu 
Form  ausgesprochen  war,  wie  sehr  erfreut  man  wäre,  das  grosse 
Friedenswerk  im  vollsten  Einvernehmen  zu  Ende  führen  zu  können. 
Ein  zweites  Schreiben  Frauz  I.  war  an  die  Grossfürstin  gerichtet,  die 
damals  in  Franzensbad  den  Brunnen  gebrauchte  und  die  Koller  auf 
dem  Wege  nach  Petersburg  besuchen  sollte.  Es  enthielt  den  Wunsch 
des  besten  Erfolges  ihrer  Kur  und  den  Ausdruck  der  Hoffnung,  sie 
in  Wien  zu  sehen. 

Neben  diesen  beiden  Handschreiben  empfieng  Koller  aber  auch  noch 
eine  eingehende  Instruction  mit  auf  den  Weg.  Zunächst  sollte  er  im 
Gespräche  mit  der  Grossfürstiu  deren  Ansichten  über  die  Lage  der 
Dinge  in  Russlaud  zu  erkunden  trachten  und  wie  sie  etwa  den 
Heiratsantrag  des  Würtembergers  aufgenommen  habe.  In  Petersburg 
aber  sollte  er  die  Antwort  auf  eine  ganze  Reihe  von  Fragen  finden, 
die  ihm  Metternich  ans  Herz  legte :  wieweit  der  Widerstand  der  Russen 
o-eo-en  das  polnische  Project  Alexanders  reiche?  iuwieferne  der  Zar 
dadurch  beeinflusst  werde?  welche  militärische  und  politische  Mass- 
regeln er  zu  dessen  Realisirung  vorbereite?  ob  er  sich  mit  anderen 
Mächten  darüber  in's  Einvernehmen  gesetzt  habe?  ob  dies  mit  Erfolg 
geschehen  sei?  ob  der  Kaiser  bei  der  Verwirklichung  seiner  pjhiischen 
Pläne  geheime  Wege  gehen  oder  sie  dem  CoJigress  vorlegen  wolle? 
welche    seiner    Räthe     denselben     günstig     oder     ungünstig    gesinnt 


>)  Kollers  »genaue  Keniitnis  der  iiinern  Verhältnisse  aiu  russischen  Hofe* 
wird  in  der  ihm  ertheilten  Instruction  besonders  hervorgehoben.  Wieso  Gentz 
K;hon  ain  11.  August  (K  li  n  k  o  w  s  t  r  ö  m  ,  S.  .382)  dem  Hospodar  melden  konnte. 
»Koller  wurde  von  hier  nach  S.  Petersburg  geschickt«,  während  dessen  Instruc- 
tion erst  vom  16.  datirt  ist,  ist  eines  der  Räthsel,  welche  die  Publication 
der  Geutzischen  Briefe  dem  Forscher  aufgibt.  Gentz  wusste  übrigens  nichts  von 
dem  gebeinien  Zwecke  der  iMission. 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  461 

seien?  welcher  Zusammeuhang  mit  süddeutschen  Staaten  bestehe  und 
ob  sich  missvergnügte  Italiener  nach  Petersburg  gewendet  hätten? 
lieber  alle  diese  „bedeutendsten  Verhältnisse  des  Tages"  erwartete 
der  Minister  „wichtige  Aufschlüsse"  von  dem  General,  dem  er  ein 
behutsames  Benehmen,  eine  freundschaftliche  zuversichtliche  Sprache, 
die  sich  auf  Oesterreichs  Stärke  gründe,  „mit  Vermeidung  aller  Zu- 
dringlichkeit und  zu  emsigen  Bewerbung  um  die  Gunst  des  russischen 
Hofes",  zur  Pflicht  machte  i). 

Das  war  viel  auf  einmal.  Koller  that  sein  Bestes.  Er  war  am 
3.  September  in  Petersburg  angekommen  —  über  seinen  Aufenthalt 
bei  der  Grossfürstin  in  Eger  liegt  kein  Bericht  vor  —  und  am  nächsten 
Tage  in  Kamenoy-Ostrow  von  x^lexander  empfangen  worden.  Dieser 
unterschied  sofort  zwischen  dem  Wohlwollen  des  Kaisers  Franz  und 
der  Feindseligkeit  seines  Ministers,  der  alles  für  Oesterreich  behalten, 
Russland  nichts  zukommen  lassen,  sondern  ihm  vielleicht  auch  noch 
nehmen  wolle,  was  es  bereits  besitze.  Darauf  brachte  Koller  mit 
einem  Schwall  von  Worten  sehr  geschickt  die  Bemerkung  vor,  dass 
seines  Wissens  nie  davon  die  Rede  war,  Russland  jene  Länder  streitig 
zu  macheu,  die  es  Türken  und  Schweden  zu  einer  Zeit  abgerungen 
habe,  als  die  andern  Mächte  sich  gegen  Napoleon  vertheidigten.  Dass 
der  Zar  bei  all  seiner  Erregtheit  gegen  Metternich  demselben  dennoch 
Gerechtigkeit  widerfahren  Hess,  ihn  den  ersten  Minister  Europa's 
nannte,  den  zu  besitzen  Russland  glücklich  wäre,  erfuhr  Koller  auf 
andern  Wegen.  Auch  dass  Alexander  Castlereagh  und  Hardenberg 
hasste,  erzählte  man  sich  am  Hofe,  und  Koller  erhielt  von  befreundeter 
Seite  den  Wink,  es  wäre  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  Zar,  wenn 
ihm  durch  die  Beiden  hart  zugesetzt  würde,  selbst  auf  eingeschränkte 
Anträge  Metternichs  eingehen  würde,  blos  um  den  Schein  zu  ver- 
meiden, dass  er  sich  von  Jenen  habe  zwingen  lassen.  Er  würde  dann 
etwa  für  die  Herausgabe  des  Tarnopoler  Kreises  zu  gewijinen  sein 
und  nur  bei  dem  Krakauer  Gebiete  unerbittlich  bleiben.  Diese  Stelle 
im  Berichte  Kollers  gewinnt,  wenn  man  sie  mit  dem  späteren  Verlaufe 
der  Dinge  auf  dem  Wiener  Congress  zusammenhält,  eine  besondere 
Bedeutung,  und  man  ist  versucht  zu  vermuthen,  dass  Metternich  den 
Wink  nicht  unbeachtet  gelassen  habe. 

Koller  erfuhr  auch,  dass  sich  in  der  That  mehrere  deutsche 
Staaten,    Würtemberg    und   Baden    voran,    um    die    Vertretung   ihrer 


')  Instruction  für  den  mit  Aufträgen  S.  M.  des  Kaisers  nach  St.  Petersburg 
bestimmten  Herrn  Feldmarschalllieutenant  Freih.  v.  Koller.  Wien,  den  16.  August 
1814  (W.  St.  A.). 


462  August  Fournier. 

Wüusche  au  Kussland  gewendet  hatten,  dass  aber  Italiener  in  Peters- 
burg nicht  anwesend  seien.  Als  der  Zar  ihm  gegenüber  gelegentlich 
die  Bemerkung  machte,  er  sei  unterrichtet,  wie  in  Italien  die  grösste 
Unzufriedenheit  mit  der  österreichischen  Regierung  herrsche,  gab 
Koller  den  Stich  zurück  indem  er  erzählte,  er  habe  auf  seiner  Reise 
durch  Polen  mehrfach  die  Aeusserung  gehört,  Alexander  müsse  das 
Königreich  wiederherstellen,  weil  dies  das  einzige  Mittel  wäre,  den 
Hass  der  polnischen  Nation  in  etwas  zu  mildern.  Am  Hofe  und  in 
weiteren  Kreisen  urtheilte  man  recht  hart  über  den  Kaiser  und  seine 
Vorliebe  für  die  Fremden,  namentlich  Laharpe.  Er  trage,  hiess  es, 
nur  aus  Rücksicht  auf  seine  persönliche  Sicherheit  und  um  mannig- 
fache Willkür  zu  decken,  seine  Philanthropie  zur  Schau,  habe  Nessel- 
rode, den  man  allgemein  für  unzulänglich  hielt,  nur  deshalb  zum 
Minister  gemacht,  um  zu  zeigen,  dass  er  keinen  bedeutenden  Rathgeber 
benöthige,  habe  Dombrowski,  dem  Polenführer,  seine  Gunst  entzogen, 
weil  er  sich  vermessen  hatte,  die  Wiederherstellung  des  Königreichs 
blos  mit  seinen  Landsleuten  und  einer  geringen  Geldunterstützuug 
erkämpfen  zu  wollen,  was  der  Eitelkeit  des  Zaren  widerstrebte  u.  dgl.  m. 

Das  Wichtigste  aber,  worüber  Koller  zu  berichten  hatte,  war, 
dass  —  und  er  berief  sich  dabei  auf  das  Zeugnis  des  Grossfürsten 
Constantin  uud  einiger  vertrauter  Generale  —  Alexander,  bei  dem 
allgemeinen  Widerstände  der  Russen  gegen  die  Wiederherstellung 
Polens,  auf  sein  Lieblingsproject  verzichtet  habe.  Ja,  der  Kriegs- 
minister wollte  die  beträchtliche  Machtentfaltung  in  Polen  geradezu 
damit  rechtfertigen,  dass  er  sagte,  man  müsse  für  den  Fall  gerüstet 
sein,  „wenn  die  getäuschte  Hoffnung  für  die  Wiedergeburt  des  König- 
reichs die  Polen  zu  tollen  Unternehmungen  verleiten  sollte".  An 
diesen  Dingen  war  so  viel  wahr,  dass  Alexander  in  der  That  die  Ab- 
sicht, Litthauen  mit  den  anderen  polnischen  Gebieten  zu  vereinigen, 
fallen  gelassen  hatte.  Im  Uebrigen  aber  war  der  Zar  der  Mann,  seine 
ganze  Umgebung  über  seine  Pläne  im  Unklaren  zu  halten,  und  wenn 
Metternich  gehofft  und  gewünscht  hatte,  er  werde  sich  Koller  gegen- 
über deutlich  erklären,  so  war  dies  nicht  der  Fall  gewesen.  ,Er  hoffe, 
dass  Alles  gut  verlaufen  und  er  sich  auch  mit  Metternich  verständigen 
werde",  „von  seiner  Seite  solle  kein  Hindernis  entstehen",  war  alles, 
was  der  Sendbote  von  ihm  zu  hören  bekam;  nichts  Bestimmtes,  nichts 
Definitives,  wie  es  eben  Alexanders  Art  war  i). 

So  war  also  auch  von  dieser  Seite  her  keine  volle  Aufklärung 
erfolgt,    und    der   Congress    rückte    heran,    ohne    dass    man    in   dieser 


')  Kollers  Bericht,  vom  8.  September  1814  (W.  St.  A.)  in  den  Beilagen. 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  463 

wichtigsten  Staatsaugelegeuheit  Oesterreiclis  Sicherheit  gewonnen  hätte. 
Jii,  es  ist  fraglich,  ob  Metteruich  schon  im  Besitze  des  Koller'schen 
Berichtes  war,  als  in  Wien  die  Würfel  zu  rollen  begannen.  Am  17. 
und  18.  September  waren  dort  die  fremden  Minister  eingetroffen,  und 
am  Abend  des  19-  fand  bei  dem  österreichischen  eine  Conferenz  statt, 
an  welcher  nebst  dem  Hausherru  Hardenberg,  Castlereagh  und 
Nesselrode  theilnahmen.  Dieser  gab  im  Auftrage  des  Zaren  die 
bestimmte  Erklärung  ab,  derselbe  wolle  das  ganze  Herzogthum  War- 
schau für  Russland  behalten,  Oesterreich  nur  die  Salzwerke  von 
Wieliczka,  Preussen  die  Verbindung  von  Ostpreusseu  und  Schlesien 
zugestehen.  Fanden  schon  diese  Eröffnungen  den  Widerspruch  der 
Vertreter  der  drei  andern  Mächte,  so  musste  es  geradezu  verstimmen, 
wenn  Metternich  auf  seine  Frage,  welchen  Namen  Alexander  den 
neuen  Acquisitionen  gebeu  wolle,  die  Antwort  erhielt,  dass  der  Zar 
darüber  den  Mächten  ebensowenig  Rechenschaft  schuldig  sei,  als  er 
von  Preussen  und  Oesterreich  eine  solche  bezüglich  Deutschlands  und 
Italiens  verlange  i). 

Damit  war  die  polnische  Frage  in  all  ihrer  Schärfe  aufgerollt 
und  Europa  hatte  sich  mit  ihr  zu  befassen.  Sie  sollte  monatelang  im 
Vordergrund  des  politischen  Interesses  stehen  und  den  Congress,  wenn 
nicht  eingehender  beschäftigen,  so  doch  gewiss  tiefer  aufregen  als 
jede  andere. 


Beilagen. 


Metternich  an  Zichy. 

Vienne  le   1.  Aont    1814  ^). 

Je  profite  du  premier  moment  de  loisir,  qu.e  j'ai  trouve  depuis  mon 
retour  ä  Vienne,  pour  tracer  a  V.  E.  le  tableau  de  nus  relations  politiques 
au  moment  de  la  Separation  des  cabinets  et  la  direction  a  suivre  aupres 
du  gouv*.  prussien,  pour  entretenir  les  bons  rapports  que  nous  avons  etablis 
avec  lui  et  qu'il  est  du  plus  haut  interet  d'achever  pour  1' epoque  tres- 
rapprochee,  oü  le  congres  general  fixera  definitivement  notre  Situation  en 
Europe. 

Nos  rapports  avec  la  cour  de  Berlin  n'  ont  jamais  ete  älteres  pendant 
le  cours  de  la  guerre,  et  si  nous  avons   eu  ä  regretter  quelquefois  1'  ascen- 


•)  Nesselrode's  Bericht  über  die  Conferenz  am  19.  an  Alexander,  der  am  25. 
in  Wien  eintraf,  ist  mir  durch  Dr.  Bailleu's  Güte  bekannt  geworden. 
-)  Expedie  par  le  Courier  Renard.     (W.  St.  A.) 


464  August  F  0  u  r  n  i  c  r. 

dant  personnel  que  l'Empereur  Alexandre  exerce  sur  l'esprit  du  roi  et 
la  complaisance  de  ce  souverain  pour  les  idees  et  les  plans,  souvent  dan- 
gereux,  de  son  allie,  nous  avons  constamment  trouve  dans  les  braves 
armees  prussiennes  le  devouement  le  plus  heroique  au  noble  but  de  nos 
efforts  communs  et  dans  le  ministere,  et  surtout  dans  son  respectable 
chef,  un  esprit  aussi  pur  qu'eclaire  de  conciliation  et  une  confiance  ä 
laquelle  nous  avons  repondu  dans  toutes  les  occasions.  Le  gouv*.  prussien 
a  du  reconnoitre,  de  son  cöte,  combien  nous  partageons  sa  conviction  de 
la  necessite  de  l'union  la  plus  etroite  entre  les  cours  de  Vienne  et  de 
Berlin  pour  consolider  le  grand  ouvrage  que  le  traite  de  paix  avec  la 
France  n' a  fait  qu' ebaucher,  et  de  l'urgence  qui  existe  que  nous  nous 
reunissions,  dans  le  plus  parfait  accord,  pour  diriger  le  developpement 
des  principes  consacres  par  les  traites  dans  un  sens  qui,  en  assurant  le 
repos  et  le  bien-6tre  des  deux  monarcbies,  fasse  concourir  leurs  moyens 
et  leur  action  au  dehors  au  maintien  de  la  paix  et  de  l'equilibre  de 
r  Europe. 

II  a  vu  de  meme  que  nous  nous  sommes  prötes  ä  ses  vues,  relati- 
vement  aux  acquisitions  futures  de  la  Prusse,  avec  un  abandon  de  confiance 
dans  ses  principes  qui  exclue  toutes  les  considerations  ordinaires  de  pru- 
dence  et  de  calcul  entre  puissances  limitrophes.  Des  relations  fondees  sur 
une  confiance  tellement  reciproque,  sur  la  connaissance  mutuelle  qu'  ont 
acquise  de  leur  caractöre  deux  souverains  faits  pour  s'  estimer,  ne  peuvent 
qu'  etre  durables ;  et  une  union  intime  qu'  il  suffiroit  de  1'  identite  la  plus 
entiere  des  interets  des  deux  pays  pour  cimenter,  ne  peut  que  se  ren- 
forcer  par  tous  les  sentimens  personnels  de  ceux  qui  sont  appeles  ä  la 
cultiver.  Cette  alliance  pacifique  et  conservatrice  de  1' ordre  trouvera 
un  appui  aussi  fort  que  constant  dans  une  puissance  qui,  ä  l'abri  elle- 
meme,  par  sa  position  geographique,  des  froissemens  joumaliers  des 
interets  des  puissances  continentales,  et  par  lä  hors  de  l'atteinte  des 
passions  qui  alterent  quelquefois  les  rapports  les  plus  solides  entr'  elles, 
ne  peut  trouver  son  avantage  que  dans  le  maintien  d'  un  ordre  de  choses 
qui,  en  lui  garantissant  sa  puissance  d'  une  prosperite  que  tous  les  efforts 
de  ses  ennemis  ne  sont  pas  parvenus  ä  diminuer,  lui  assure  en  meme 
temps  la  juste  influence  dont  eile  avoit  ete  privee  pour  le  malheur  de 
r  Europe. 

L'  Angleterre  avec  laquelle  nous  avons  renoue  nos  auciennes  et  intimes 
relations,  reunira  toujours  ses  conseils,  ses  moyens  et  ses  efforts  a  ceux 
de  l'Autriche  et  de  la  Prusse  pour  le  but  salutaire  du  maintien  de  la 
paix ;  et  1'  experience  des  sifecles  a  prouve  que  1'  association  des  puissances 
de  r  Allemagne  et  des  puissances  maritimes,  toutes  centrales  en  Europe 
parce  qu'  elles  sont  menacees  des  deux  cötes  par  des  puissances  voisines, 
peut  seul  maintenir  un  equilibre  qui  ne  sauroit  etre  viole,  sur  quelque 
point  que  ce  seit,  sans  que,  par  leur  position  meme,  elles  en  eprouvent 
r  atteinte,  et  qui  ne  peut  jamais  1'  etre  sans  le  rapprochement  des  puis- 
sances placees  ä  1'  extremite  et  leur  tendance  vers  une  reunion  dans  le 
centre. 

Ces  principes,  d'une  evidence  incontestable,  prescrivent  aux  deux 
cours  de  Vienne    et    de  Berlin    la    marche  ti  suivre    dans  le  moment    im- 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage   1814  und  1815.  455 

portant  qui  finira  ^)  tant  d'  incertitude,  decidera  du  sort  et  du  bonheur 
de  tant  de  peuples,  et  preparera  enfin,  nous  l'esperons,  ä  l'Europe  une 
longue  epoque  de  repos  et  de  prosperite. 

II  n'  exiöte,  entre  nous  et  ia  Prusse,  aucune  difference  reelle  quant 
aux  conditions  qui  doivent  servir  de  base  a  l'existence  politique  et  ä 
l'etat  de  possessions  futurs  des  deux  pays.  Quelles  que  soient  les  con- 
öiderations  qui,  •  dans  d'  autres  circonstances,  nous  auroient  fait  redouter 
l'extension  de  la  monarchie  prussienne  sur  nos  frontieves  septentrionales, 
quels  que  soient  les  regrets  que  nous  laisse  la  destruction  d'une  antique 
monarchie  souvent  utile  ä  nos  interets  et  ä  la  balance  des  pouvoirs  en 
Allemagne,  les  acquisitions  de  la  Prusse  en  Saxe  ne  trouveront  aucun 
obstacle  de  notre  cöte;  et  nous  sommes  egalement  persuades  que  les  pre- 
tentions  reciproques  des  cours  de  Berlin  et  de  Munic  sur  la  possession  de 
Mayence,  et  la  necessite  oii  nous  nous  trouverons  de  nous  opposer  aux  pre- 
mieres,  en  ecartant  meme  au  besoin  les  autres  par  un  moyen  terme,  ne 
porteront  aucune  atteinte  ä  nos  bonnes  relations  avec  la  Prusse.  Les  deux 
objets  qui  reclameront  le  plus  la  sollicitude  des  cours  de  Vienne  et  de 
Berlin,  et  sur  lesquels  toutes  les  considerations  d'  interet  reciproque  doivent 
se  reunir,  sont  la  Pologne  et  la  future  Organisation  de  1' Allemagne. 
L'  empereur  Alexandre,  influence  malheureusement  par  des  intrigans  et 
des  visionnaires  politiques  de  toute  espece,  seduit  par  le  nouveau  genre 
de  gloire  qu'  il  espöre  acquerir  en  accordant  sa  protection  ä  de  pretendues 
idees  liberales  et  philanthropiques,  n'a  eu  que  trop  reellement  l'idee  du 
retablissement  d'un  Koyaume  de  Pologne  sous  sceptre  russe,  et  probable- 
ment  sous  1' administration  du  Grand-duc  Constantin,  compose  du  Duche 
de  Varsovie  et  de  toutes  les  parties  du  pays  qui  se  trouvent  sous  admi- 
nistration provisoire,  ä  l'exception  d'un  rayon  d'un  million  ou  onze-cent 
mille  habitans  ä  ceder  ä  la  Prusse.  II  n'  a  pas  compris  que  les  Polonais, 
en  favorisant  ses  projets,  ne  vouloient  se  servir  de  cette  regeneration  ap- 
parente  que  pour  arriver,  sans  lui  et  contre  lui,  au  constant  objet  de 
leurs  voeux  et  de  leurs  intrigues,  tout  comme  ils  se  servoient  jadis  de 
r  Empereur  Napoleon  pour  reunir  les  parties  detachees  de  la  Pologne  et 
en  former  un  tout  avec  le  temps,  en  s'aidant  de  l'appui  de  ses  ennemis. 
L'Autriche  ni  la  Prusse  peuvent  jamais  consentir  a  la  realisation  de  ce 
projet  qui  entraineroit,  poui-  la  premiere  la  perte  certaine  d'une  de  ses 
possessions  les  plus  precieuses,  pour  l'autre  l'isolement  et  la  dependance 
entiere  d'une  de  ses  provinces  les  plus  riches,  la  Prusse  Orientale;  elles 
peuvent^  en  justice  et  en  politique,  consentir  que  la  Eussie  acquiere  de 
fortes  positions  militaires  sur  la  rive  gauche  de  la  Vistule,  elles  ne  peu- 
vent r  une  renoncer  ä  la  possession  de  Cracovie  et  de  son  arrondissement, 
r  autre  ü  celle  de  Dantzick  et  de  Thorn ;  elles  ne  peuvent  enfin,  en  accor- 
dant a  r  immense  empire  de  Eussie  une  augmentation  considerable  de 
territoire,  permettre  V  etablissement  d'  un  principe  aussi  dangereux  que  le 
seroit  celui  de  la  regeneration  de  la  Pologne  qui,  dans  ses  consequences, 
detruiroit  tous  les  traites  existans  dans  le  monde;  et  elles  doivent  employer, 
pour  dejouer  les  plans  de  la  Eussie,  tous  les  moyens,  et  möme  au  besoin 
celui  de  la  declaration  d'une  Pologne    independante,    pour  tourner  contre 


*)  Die  Reinschrift  hat  .fixera'. 


466  August  Fournier. 

la  Kussie  les  forces  de  ce  pays,  et  preferer  en  cas  de  necessite  V  existence 
d'un  etat  consolide  par  la  reconnaissance  des  grandes  puissances,  defini- 
tivement  circonscrit  dans  ses  limites,  ennemi  natui'el,  comme  etat  inde- 
pendant,  de  son  puissant  voisin,  et  devant  chercher  par  consequent  1'  appui 
de  r  Autriche,  de  la  Prusse  et  de  la  Porte,  ä  1'  etablissement  d'  un  foyer 
d' insurrection  au  milieu  de  leurs  etats  qui  rendroit  toute  possession  pre- 
caire,  tout  droit  incertain,  et  empoisonneroit  1'  esprit  public  des  provinces 
les  plus  eloignees  et  les  plus  precieuses  des  deux  monarcliies.  Plusieurs 
donnees,  et  ma  derniere  entrevue  avec  1'  Emp.  Alexandre  ä  Bruchsal,  nous 
fönt  presumer  que  ce  souverain  est  revenu  jusqu'  ä  certain  point  de  son 
idee,  qui  non  seulement  n'a  trouve  d'accueil  ni  aupres  de  la  Prusse,  ni 
aupres  du  gouv*.  Anglais,  avec  lequel  les  inconvenances  et  les  mani- 
gances  qu'  il  s'  est  perinises  pendant  son  sejour  ä  Londres  1'  ont  mis  en 
tres  grande  froideur,  ni  aupres  du  goiiv*.  Fran^ois  qui  lui  en  veut  par 
la  meme  raison  et  contre  la  quelle  nous  nous  sommes  hautement  et 
fortement  prononces  dans  toutes  les  oecasions ;  et  il  est  permis  d'  esperer 
que  son  sejour  en  Kussie,  oü  l'opinion  publique  est  entierement  opposee 
ä  tout  partage  de  pouvoir  et  d'  influence  avec  des  etrangers,  achevera  de 
lui  prouver  1' impossibilite  et  le  danger  de  son  plan.  II  est  toute  fois 
de  la  plus  haute  importance  que  les  deux  cours  se  preparent  ä  la  plus 
vigoureuse  resistance  ä  toute  proposition  de  cette  nature  qui  pourroit 
etre  faite  par  la  Russie,  et  ä  tout  acte  qui,  contre  les  engagemens 
positifs  pris  par  l'Emp.  Alexandre,  pourroit  tendre  ä  ce  but.  Vous  ne 
pouvez,  M.  le  Comte,  toutes  les  fois  que  vos  conversations  avec  le 
pce  de  Hardenberg  vous  en  fourniront  l'occasion,  trop  appuyer  sur  cet 
objet,  et  les  lumieres  et  la  loyaute  de  ce  digne  ministre  nous  sont  garans 
qu'il  portera  son  souverain  ä  agir  dans  un  sens  conforme  aux  frequentes 
declarations  qu'  il  ma  faites  ä  cet  egard. 

Le  plan  relatif  ä  V  Organisation  future  de  V  Allemagne  que  M.  le  P^^ 
de  Hardenberg  a  ebauche,  et  qu'  il  m'  a  communique  ä  Londres,  fournit 
matiere  ä  une  müre  deliberation.  Je  desirerois  beaucoup  qu'  il  m'  en 
transmit  une  copie  Sans  delai,  qui  pourroit  servir  de  base  aux  Conferences 
preliminaires  qui  seront  ouvertes  ici  incessament  entre  M.  le  B°  de  Hum- 
boldt et  moi;  et  V.  E.  est  Charge  de  lui  en  demander  la  communication 
de  ma  part  ^). 

Vous  ne  pouvez  en  general,  M.  le  C*«,  trop  parier  ä  M.  le  Chancelier 
d'Etat  dans  le  sens  de  la  depeche  que  je  vous  adresse  aujourdhui,  ni 
lui  trop  repeter  les  assurances  de  1'  entiere  confiance  que  nous  vouons  ä 
son  caractere  et  ä  ses  principes,  et  les  protestations  de  la  sincerite  de 
notre  desir  d'  agir  dans  toutes  les  circonstances  dans  le  plus  intime  accord 
avec  la  Cour  de  la  Prusse  et  de  faire  de  notre  alliance  avec  eile  la  base 
de  notre  politique  et  la  principale  garantie  du  repos  et  du  bonheur  futurs 
de  l'Europe, 

Le  contenu  de  la  presente  depeche  ne  doit  servir  en  general  qu'ä 
r  Information  de  V.  E.  et  Lui    tracer    en    meme    tems    le   canevas   de  ses 


')  Siehe    W.    A.    Schmidt,    GeschicLte   der   deutschen  Verfassungsfrage 
während  der  Befreiungskriege  und  des  Wiener  Congresses.     S.  173  flF. 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage   1814  und  1815.  407 

conversations  avec  M.  le  Chancelier  d'  Etat  et  les  personnes  bien  pensantes 
qui  entourent  le  roi.  Vous  n'  etes,  M.  le  Comte,  charge  d'  aucune  negociation, 
le  ministere  prussien  etant  parfaiteraent  d'accord  avec  nous,  et  toute 
insistance  ulterieure  sur  des  points  dejä  convenus  ne  pouvant  que  nous 
donner  un  air  de  mefiance  auquel  M.  le  P^e  de  Hardenberg  ne  donne 
certainement  pas  lieu.  Nous  avons  meme  la  conviction  qu'il  profitera 
avec  succes  de  la  Separation  momentanee  du  Eoi  d'avec  l'Emp.  Alexandre 
pour  combattre  ce  que  1' influence  de  ce  souverain  pourroit  avoir  laisse 
d' incertitude  et  d' irresolution  ä  son  maitre.     Recevez  etc. 


Memoire  Metternichs  über  die  polnische  Frage  i). 

II  existe  deux  manieres  d'envisager  les  affaires  de  Pologne. 

Les  Pays  formant  l'ancien  territoire  de  la  Pologne  peuvent  rester 
separes  et  partages  entre  les  trois  puissances.  Dans  ce  cas  la  Russie  doit 
viser  a  etendre  son  territoire  pour  s' indemniser  des  frais  de  la  derniere 
guerre.  Les  deux  cours  d'  Autriche  et  de  Prusse  ne  demandent  pas  mieux 
que  de  s' entendre  avec  celle  de  la  Russie  sur  l'echelle  la  plus  liberale. 
La  Russie  acquerera  une  extension  territoriale  utile  et  qui  ne  compro- 
mettra  pas  l'existence  de  ses  rapports  europeens,  qui  se  lient  essentielle- 
ment  ä  la  conservation  de  ses  provinces  polonaises.  Les  nouvelles  acqui- 
sitions  qu'elle  fera  sur  les  provinces  polonaises,  ayant  fait  partie  des  lots 
de  r  Autriche  et  de  la  Prusse  en  suite  du  dernier  partage,  peuvent  con- 
server  la  denomination  de  Duche  de  Warsovie. 

Une  autre  chance  seroit  celle  que  l'Emp.  A.  voulut  donner  a  ses 
nouvelles  acquisitions  le  titre  d'un  royaume  de  Pologne.  Cette  denomi- 
nation brouilleroit  toutes  les  questions.  L' Autriche  et  la  Prusse  se  trouvent 
des  lors  menacees  dans  leurs  possessions  actuelles;  les  provinces  ci-devant 
polonaises  et  liees  maintenant  ä  1' Empire  de  Russie  partageront  l'eveil 
general  que  le  seul  nom  de  Pologne  donneroit  ä  ces  parties  soumises  a 
des  sceptres  etrangers  et  qui  sont  loin  d'  avoir  oublie  leur  ancienne  reunion 
en  un  seul  grand  Corps  politique.  Les  Polonais  seconderont  ä  1'  apparence 
les  vues  de  la  Russie;  ils  se  soustrairont  ä  son  influence  ä  la  premiere 
occasion ;  V  Europe  entiöre  se  trouvera  appellee  ä  faire  naitre  cette  occasion. 
La  Russie,  loin  d'  avoir  fait  une  conquete  assuree,  aura  sacrifie  pour  des 
apparences  trompeuses  son  repos  et  ses  interets  les  plus  chers.  Elle  perdra 
ses  provinces  polonaises  anciennes  et  nouvelles. 

Teile  est  la  position  des  choses;  seule  force  humaine  ne  pourra 
arreter  les  progres  que  fera  le  mal  s'  il  se  trouve  une  fois  etabli.  L'  Emp. 
A.  peut  se  preparer  un  avenir  tranquille  ou  des  chances  de  bouleversemens 
incalculables ;  il  depend  de  lui  de  faire  partager  Tun  et  les  autres  ä  ses 
voisins  et  ä  1' Europe  entiere. 


1)  Eigenhändig,  ündatirt.  Beilage  zur  Weisung  an  Zichy  vom  1.  August  1814. 
(W.  St.  A.).  ^ 


468  August  F  0  u  r  n  i  e  r. 


Zichy  an  Metternichi). 

Berlin  le   12  aoüt   1814. 

(Hat  die  Instruction  vom  1.  August  erhalten  und  im  Sinne  derselben  mit 
Hardenberg  gesprochen.) 

» II  n'  y  a  rien  de  ce  que  vous  me  faites  V  honneur  de  me  dire  *, 
me  repondit  le  Chancelier  d'Etat,  »que  nous  n'ayons  dejä  discute  et  analise 
dm*ant  le  long  sejour  que  j'  ai  fait  avec  M.  le  P^*^  de  Metternich.  Nous 
sommes  bien  d'  accord  qu'  il  est  de  la  plus  haute  importance  que  V  Autriche 
et  la  Prusse  soient  unies  et  fermes  dans  leur  langage  et  dans  les  mesures 
qu'  alles  adoptent ;  je  contribuerai  de  mon  mieux  pour  consolider  cet  ouvrage 
salutaire.  Le  plan  relatif  ä  1' Organisation  future  de  TAllemagne  que  j'ai 
communique  au  P'^^  ^q  Metternich  ä  Londi-es,  et  dont  j'enverrai  inces- 
samment  la  copie  par  Courier  ä  Vienne,  est  base  sur  la  seule  et  unique 
supposition  de  l'union  la  plus  intime  entre  nos  deux  cabinets^".  (Ici  le 
Chancelier  me  lut  lui-meme  cette  piece  en  entier).  II  continua:  »Vous 
voyez  mon  eher  comte,  combien  il  est  essentiel  pour  le  retablissement 
solide  de  1'  AUemagne,  de  n'  avoir  qu'  une  seule  et  la  meme  volonte.  Je 
ne  vous  cacherai  pas«,  poursuivit  le  Prince,  »que  la  politique  que  le  P*^® 
de  Metternich  paroit  vouloir  suivre,  de  favoriser  et  d'aggrandir  la  Baviere 
et  le  Koi  de  Wurtemberg,  ne  sauroit  avoir  mon  approbation,  jamais  il  ne 
reussira  de  contenter  ces  deux  cours;  qu'il  se  garde  de  jamais  se  fier  a 
la  sincerite  de  leurs  intentions ;  il  se  pi'esentera  demain  une  occasion  de 
s'  uggrandir  ä  nos  depens,  elles  en  profiteront  pour  virer  de  bord  du 
moment  qu'  elles  jugeront  pouvoir  1'  executer  sans  danger  eminent.  Nous 
verrons  au  congres  de  Vienne  les  difficultes  et  intrigues  de  tou.t  genre 
que  ces  deux  cabinets  noiis  preparent,  et  je  ne  serai  point  surpris  de 
voir  que  la  Eussie,  si  eile  ne  les  appuye,  en  aura  du  moins  une  joie 
secrette.  Le  Roi  de  Baviere  et  de  Wurtemberg  doivent  rester  petits,  le 
]-epos  de  1' AUemagne  y  gagnera,  plus  ils  s' aggrandiront  plus  ils  seront 
turbulens  et  moins  nous  arriverons  au  but*. 

II  est  ä  sa  place  d'informer  V.  A.  que  M.  le  C*^  de  Wintzingerode 
a  passe  par  ici  venant  de  Stuttgard  et  se  rendant  en  toute  häte  ä  S.  Peters- 
bourg.  Cela  a  fait  presumer  assez  generalement  qu'  il  est  charge  de  plaider 
les  interets  du  Roi  son  maitre  prös  de  l'Empereur  Alexandre  afin  de 
s'  assurer  de  son  appui  au  congres  prochain.  Une  autre  supposition  porte 
que  cet  envoye  est  Charge  de  negocier  un  raariage  pour  le  P''®  Royal  de 
Wurtemberg,   qui  vient  de  se  separer  de  madame  son  epouse. 

Le  Chancelier  P*^^  de  Hardenberg,  apres  avoir  emis  ces  reflexions  sur 
le  compte  de  la  Baviere  eut  la  bonte  de  me  communiquer  un  memoire 
dont  il  m'assm-e  vous  avoir  remis,  mon  Prince,  une  copie  ä  Paris.  Ce 
memoire  est  relatif  ä  la  forteresse  de  Mayence  et  tend  u  prouver  la 
necessite,  que  militairement  et  politiquement  la  sürete  de  1' AUemagne 
(jxigeoit  que"  cette  place  fut  oceupee  par  un  Corps  de  troupes  prussiennes. 
Le  ministre  actuel  de  la  guerre,  M.  le  gen.  Boyen,  a  redige  cet  aper9u 
que  je  n' envoie  pas  a  V.  E.  puisqu'il    doit    se  trouver    entre    ses    mains. 


Eigenhändiger  Bericht.     (W.  Ht.   A.). 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  4(59 

»Je  me  vois  oblige  d'ajouter  ä  cette  oecasion«,  me  dit  le  Chancelier, 
»qua  le  Eoi  ne  consentira  jamais  et  ä  aucune  condition  que  la  Baviere, 
soit  mise  en  possession  de  cette  forteresse  que  nous  considerons  comme 
la  clef  de  toutes  les  Operations  importantes  en  Allemagne ;  c'  est  certaine- 
ment  ä  regret  que  nous  nous  deciderions  ii  V  extreme  de  voir  devenir  Mayence 
eine  Bundesfestung,  ce  qui  seroit  le  moyen-terme  dont  nous  prevoyons  tous 
les  inconveniens,  mais  nous  le  trouverions  au  pis-aller  tres  preferable  ä 
celui  de  voir  une  place  de  si  haute  importance  sous  la  domination  de  la 
Baviere  <■=. 

La  conversation  passa  de  ce  point  ä  celui  des  acquisitions  de  la  Prusse 
en  Saxe.  »Je  me  suis  convaincu«,  reprit  le  Prince,  »qu'un  morcelement 
de  la  Saxe  seroit  dangereux  et  entraineroit  meme  pour  cette  nation  des 
inconveniens  faciles  ä  deduire.  Nous  possedons  ce  pays  par  le  droit  de 
la  conquete;  je  pourrai  citer  ü  uotre  faveur  tous  les  publicistes  anciens 
et  modernes  les  plus  celebres,  qui  s'accordent  unanimement  ä  venir  ä 
l'appuide  ma  these.  Le  ßoi  de  Saxe  s'est  conduit  jusqu'au  dernier  jour, 
celui  de  la  bataille  de  Leipsic,  comme  notre  ennemi  le  plus  acharne ;  il  ne 
doit  pas  rester  en  Allemagne.  cela  donneroit  lieu  a  des  troubles  et  des 
fermentations  continuelles.  II  faut  bien  que  d'  apres  la  teneur  des  traites 
nous  soyons  dedommages,  oü  voulez-vous  que  nous  trouvions  cela,  si  ce 
n'  est  en  Saxe  ?  car  des  possessions  detachees  et  morcelees  ne  peuvent  nous 
contenter.  Le  Eoi  de  Saxe  peut  recevoir  les  3  legations  de  Ferrare, 
Bologne  et  Ravenne  que  le  Eoi  de  Sicile  a  refusees;  il  n'est  pas  besoin 
de  les  rendre  au  S.  Pere,  qui  jouit  d' une  independance  qui  lui  suffit,  vu 
les  etats  qu'  il  possöde ;  ce  sera  un  sort  pour  le  Eoi  de  Saxe  dont  il  n'  est 
pas  en  droit  de  se  plaindre«  1).  Ignorant  si  M'"  de  Hardenberg  a  tenu 
un  langage  aussi  explicite  ;i  V.  A.  sur  ce  chapitre,  je  Lui  rend  compte  ä 
peu  pres  mot  pour  mot  (de)  ce  qu'  il  m'  a  articule,  et  il  me  paroit  evident 
que  les  insinuations  de  l'Empereur  Alexandre  ont  contribue  a  douner  ce 
degre  de  force  aux  volontes  du  cabinet  de  Berlin,  qui  peut-etre,  de  sou 
cöte,  aura  temoigne  des  dispositions  ä  la  Eussie  de  ne  pas  s'  opposer  seri- 
eusement  ä  ses  projets  en  Pologne. 

C'est  forcement  que  j'ai  con^u  cette  idee  par  suite  de  notre  conver- 
sation suivante  sur  le  point  important  de  la  Pologne,  oü  je  n'ai  oublie 
aucun  argument  pour  representer  au  Chancelier  d'Etat  avec  les  plus  vives 
Couleurs  le  danger  qu'il  y  auroit  si  1' Emp.  Alexandre  venoit  ä  realiser  ses 
projets  de  retablissement  d'  uu  royaume  de  Pologne  sous  sceptre  russe,  ce 
qui  ne  pourroit   jamais    etre    indifferent  a  nos  deux    cabinets.     Le  P*^«  de 


•)  Hardenberg  hatte  Metternich  schon  in  Paris,  in  einem  Briefe  vom  7.  Juli 
diesen  Vorschlag  gemacht,  worin  es  heisst:  »Je  souhaite  vivement  que  le  Roi 
de  Saxe  soit  bien  place  et  cela  n'  est  faisable  qu'  en  Italie  en  lui  donnant  les  3 
legations.  Vous  aurez  en  lui  un  allie  dont  vous  pourrez  toujours  tirer  parti. 
En  bonne  politique  vous  devez,  ce  me  semble,  preferer  cet  etablissement  pour 
lui  a  tout  autre  dans  le  Nord  de  T  Allemagne,  oü  il  serait  moins  sous  votre 
influence.  Le  Pape  n'  est  pas  uu  obstacle,  II  lui  faut  un  Etat  qui  le  rend  capable 
de  soutenir  sa  dignite.  II  1'  aura  si  on  lui  rend  ce  que  le  traite  de  Tolentmo 
lui  avait  laisse".  Am  13.  Juni  hatte  Metternich  aus  London  an  Hudelist  ge- 
schrieben, dass  die  Rückgabe  der  Legationen  au  den  Papst  keinem  Hinderniss 
von  Seiten  Oesterreichs  begegnen,  die  Sache  jedoch  erst  auf  dem  Congress  zur 
Entscheidung  kommen  solle.     (W.  St.  A.). 


470  August  F  0  u  r  n  i  e  r. 

Hardenberg  fut  dabord  d'avis  qu'il  pavtageoit  votre  couviction  que  rEm- 
pereur  pouvoit  etre  revenu  »jusqu'ä  certain  point^'^  de  son  idee  qui  n'a 
trouve  accueil  nulle  part,  mais  il  m'  a  assure  savoir  par  un  canal  tres  sür 
et  confidentiel  que  V  Empereur  a  exprime  dans  I'  intimite  de  son  Interieur 
sa  ferme  resolution  de  tenir  ii  tout  prix  au  principe  de  ne  rien  rendre  k 
V  Autriche  des  possessions  occupees  par  les  Busses  en  Pologne,  et  de 
n'  accorder  a  la  Prusse  que  le  rayon  d'  un  roillion  ou  onze  cent  mille 
habitans  qui  lui  ont  ete  promis  par  le  traite  de  Breslau  en  vertu  d'  un 
article  secret.  Les  sacrifices  de  la  Prusse  seront  d'  apres  cela  tres  con- 
siderables,  Dantzick  reste  sous  sa  domination,  mais  eile  perd  Thorn  et  ses 
provinces  jadis  les  plus  ricbes.  L'  armee  russe  rassemblee  en  Pologne  est 
evaluee,  ä  ce  que  le  Prince  m' assure,  ä  200-000  h.  effectifs,  eile  sera 
encore  augmentee  par  les  troupes  en  marche.  »Je  suis*,  me  dit-il,  »tres 
dispose  ä  croire  qu'  on  n'  approuvera  pas  en  Russie  l'idee  de  1'  Empe- 
reur d'etablir  une  Pologne  sous  T  administration  du  Grand  Duc  Con- 
stantin,  parcequ'un  partage  semblable  de  pouvoir  deplaira  a  la  nation 
russe;  mais  si  1' Empereur  veut  reunir  la  Pologne  comme  province  de 
r  Empire  russe,  il  sera  seconde  par  les  suffrages  de  la  nation.  L'  Autriche 
voudra-t-elle  donc  faire  la  guerre  ä  la  Russie,  si  1'  Emp.  Alexandre  refuse 
opiniätrement  ä  rendre  les  provinces  polonaises?  La  Prusse  se  trouve-t-elle 
en  Position  de  tirer  l'epee  si  ses  representations  ne  produisent  aucun  effet? 
Le  Roi  mon  maitre  pourra-t-il  se  decider  dans  un  moment,  oü  il  est  con- 
vaincu  qu'il  a  les  plus  grandes  obligations  pour  sa  delivrance  ä  T Empereur 
Alexandre,  ä  faire  une  gueri'e  qui  l'expose  ;i  des  chances  incertaines? 
Cette  question  demande  müre  reflexion  avant  de  rien  faire,  car  en  poli- 
tique  rien  n'  est  dangereux  que  de  se  hasarder  trop  en  avant,  et  puis  de 
ne  pas  avoir  le  moyen  de  soutenir  sa  these.  II  faut  que  nous  tächions, 
par  les  voies  de  la  negociation  en  notre  pouvoir,  de  persuader  1'  Empereur 
de  Russie  de  revenir  sur  ces  resolutions ;  mais  posons  le  cas,  auquel  il 
faut  penser,  qu'il  ne  veuille  pas  ceder,  je  vous  demande  encore  une  fois 
risquerons-nous  une  guerre  qui  auroit  tous  les  desavantages  pour  nous, 
qui  sautent  du  premier  abord  aux  yeux  de  chacun  ?  J'  en  ecrirai  moi- 
meme  encore  au  P^e  de  Metternich,  il  faut  faire  ce  qui  est  possible  ä  cet 
egard,  mais  nous  avons  eu  Tun  et  l'autre  grand  fort  de  ne  pas  faire 
nos  conditions  ä  ce  sujet  avec  la  Russie  avant  d'  entrer  avec  eile  dans  la 
coalition*.  J'ai  beaucoup  de  peine  ä  me  persuader  que  le  cabinet  de 
Berlin  puisse  prendre  son  parti  avec  cette  resignation  apparente  sur  un 
objet  aussi  majeui'e,  s' il  n'avoit  l'espoir  d'un  ample  dedommageraent  en 
Saxe  qui  le  dispose  ä  en  vi  sager  la  perte  de  ses  possessions  en  Pologne 
comme  un  mal  tres  supportable.  »Nous  devons  pour  cette  raison  meme^S 
me  dit  encore  le  Chancelier,  y,  nous  unir  plus  etroitement  et  creer  un  sisteme 
de  defense  en  Allemagne  qui  puisse  resister  a  une  tentation  quelconque 
de  la  Russie  qui  ne  pourra  pour  lors  jamais  nous  inquieter  pour  nos 
possessions  actuelles.  Croyez-moi,  mon  eher  Comte,  apres  les  efforts  immenses 
que  nous  venons  de  faire  il  faut  tout  employer  pour  jouir  des  fruits  de 
la  paix*. 

Des  voyageurs  ari'ives  de  Varsovie  et  d'  autres  parties  de  la  Pologne 
assurent  que  les  autorites  administratives  russes  continuent  ä  exercer  des 
spoliations  inouies,  et  que  1'  habitant  des  provinces  occupees  est  tellement 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  47 1 

mis  ä  contribution  qu'  il  est  prive  de  sa  derniere  ressource ;  le  mecon- 
tentement  est  par  consequent  ä  son  plus  haut  degre.  On  doit  aussi  avoir 
essaye  de  faire  un  appel  aux  Polonois  pour  las  engager  de  prendre  Service 
et  de  former  une  armee,  raais  le  plus  grand  nombre  s'y  est  refuse  de- 
mandant  qu'  on  articule  pour  qui  et  contra  qui  ils  davoient  s'  armer  ? 

Comme  vous  savez,  mon  Princa,  qua  ma  correspondance  est  survaille 
par  le  gouv*.  prussien  avac  une  scrupuleusa  exactitude,  je  me  flatta  que 
vous  approuverez  que  je  veux  eloigner  absolument  tout  motif  da  mefiance 
at  que  j'  adopte  le  mode  d'  ecrire  le  moins  possible  an  chiffras  pour  na 
faire  naltra  aucun  soup9on  ä  1'  egard  de  notra  franchise ;  de  raöme  j'  obsarve 
la  nuanca  da  mandar  par  la  poste  ce  qui  na  peut  nullement  offusquer  le 
gouvernament,  me  reservant  toujours  les  occasions  de  couriers,  qui  ne 
peuvent  manquar  dans  ces  circonstancas,  pour  porter  ä  votre  connaissance, 
mon  Princa,  las  faits  et  obsarvations  qui  peuvent  influer  sur  vos  deter- 
minations  ...  Zichy. 

4. 
Koller  an  Mette  mich. 

St.  Petersburg,  den  8-  September   1814  1). 

Ich  bin  den  3*^^"  d.  abends  hier  angekommen  und  wurde  mit  zu- 
vorkomender  Aufmerksamkeit  empfangen.  Meine  Wohnung  war  in  dem 
Pullast  dar  Grossfürstin  Catharina  Paulowna,  wohin  ich  dux-ch  Kosacken, 
die  in  dieser  Absicht  am  Thora  aufgestallt  waren,  begleitet  wurde,  vor- 
bereitet. Der  Kaiser  selbst  hatte  nachsehen  lassen,  ob  ich  bequem  be- 
wohnt sei ;  die  Equipagen  des  Hofes  sind  zu  meiner  Verwendung  bereit, 
überhaupt  Übertrift  die  Behandlung  jede  Erwartung. 

Am  4*®°  nachmittags  um  1/22  Uhr  empfing  mich  der  Kaiser  in 
Kamenoj  Ostrow.  S.  M.  waren  höchst  erfreut  über  die  Aufmerksamkeit 
dieser  Sendung  und  über  den  Brief  S.  M.  Unseres  Kaisers,  und  sagte: 
,,Ihr  Kaiser  biethet  Mir  so  freundschaftlich  die  Hand  zur  Schlichtung  der 
Verhältnisse  von  Europa,  Er  wird  auch  finden,  dass  von  Mir  aus  kein 
Hindarniss  entstehen  und  Ich  von  demselben  Eifer  für  das  Allgemaina 
Wohl  beseelt  sein  werde*.  Er  fi'agte:  »Est-ce  que  vous  serez  bien  sage 
au  congres?  Est-ca  qua  vous  ne  fairez  pas  des  propositions  fou?^'= -)  Ich 
erwiderte  Ihm:  ,V.  M.  saura  avec  sa  justice  et  clairvoyance  qui  Laur  est 
inee,  bälan^er  scropuleusament  sas  idees  et  ses  volontes  avec  le  bienetre 
general,  et  nous  ne  pourrons  etre  qua  säge  et  manifester  les  principes 
liberales  comme  jusqu'ä  presant*.  »Ja  was  Ihren  Kaiser  betritt  bin  Ich 
überzeugt,  werden  Wir  gleich  einig  sein,  aber  Metternich  wird  Mich  feind- 
lich behandeln,  ar  ist  es,  der  Alles  für  Oesterreich  und  für  einige  Andere 
behalten  und  Uns  Russen  nichts  zukommen  lassen  will.  Er  will  Uns 
mehr  Uibel  als  je  ein  oesterreichischer  Minister;  Ich  glaube  er  würde  Uns 
noch  nehmen  wollen,  was  Wir  schon  haben*.  Ich  entgegnete:  »E.  M. 
vorgefasste  Maynung    gegen    den  Fürsten  Metternich  ist  nicht    gegründet, 


')  An  S.  des  kais.  kön.  Herrn  Minister  der  auswärtigen  Angelegenheiten 
Fürsten  Metternich  Durchlaucht. 

-)  Zur  Ehre  Alexanders  uiuss  es  gesagt  sein,  dass  hier  sein  Französisch 
eine  Behandluno'  erfährt,  die  e^  kaum  verdiente. 


^"72  Augugt  Fonrnier. 

denn  ich  glaube,  dass  man  ihm  allgemein  die  Gerechtigkeit  widerfahren 
lässt,  dass  er  den  Zustand  und  die  Bedürfnisse  der  Staaten  genau  kennt 
und  er  vor  allen  Anderen  am  meisten  von  dem  reinen  Wunsche  geleitet 
wird,  die  Absichten  der  einzelnen  Theile  mit  dem  allgemeinen  Wohle  zu 
vereinbaren  und  alles  sorgfältig,  ja  sogar  hartnäckig  zu  vermeiden  und  zu 
beseitigen,  was  in  diesen  Friedens-Verhandlungen  den  Keim  zu  künftigen 
Kriegen  zurücklassen  könnte.  Ich  bin  zwar  von  den  bisheiigen  Unter- 
handlungen nicht  unterrichtet,  vermuthe  aber,  da  es  dem  Wiener  Cabinete 
eigen  ist,  mit  der  schonendsten  und  zartesten  Art-  zu  verhandeln,  dass 
von  jenen  Eroberungen,  die  ßussland  gegen  die  Schweden  und  Türken  in 
einem  Zeitpunkte  errungen  hat,  wo  alle  andere  Mächte  mit  der  Selbst- 
Erhaltung  und  Selbst- Vertheidigung  beschäftiget  sein  mussten,  noch  gar 
nicht  die  Rede  war;  folglich  kann  der  Vorwurf  den  Minister  Metternich 
umso  weniger  treflPen,  dass  er  der  russischen  Nation  selbst  das  streitig 
machen  wolle,  was  sie  schon  besitzt«. 

Der  Kaiser  sagte  scherzhaft,  dass  ich  nichts  mehr  tauge,  seit  ich  von 
der  Insel  Elba  zurückgekommen  sey.  Er  hoffe  dass  Alles  gut  gehen,  und 
auch  Er  mit  dem  Fürsten  Metternich  sich  einverstehen  werde. 

Den  13.  diess  wird  der  Kaiser  von  hier  abgehen  und  seinen  Weg 
über  Witepsk.  Minsk  und  Krackau  nehmen;  er  hält  weder  Nacht-  noch 
Mittags-Stationen  und  gedenckt  in  12  Tagen  in  Wien  einzutreffen.  Ich 
habe  hievon  die  General-Commanden  in  Gallizien  und  Mähren  zur  Ver- 
ständigung der  Civil-Behörden,  so  wie  von  der  Anzahl  der  erforderlichen 
Pferde,  durch  Couriere  untemchtet. 

Fürst  Constantin  soll  erst  5  Tage  nach  Ankunft  des  Kaisers  in  Wien 
anlano-en;  ich  zweifle  aber  hieran,  weil  es  mir  bekannt  ist,  dass  Er  Sich 
nach  Abreise  des  Kaisers  nach  Warschau  verfügt,  um  dort  nach  Maas  der 
Wiener  Verhandlungen  sogleich  die  Organisation  der  polnischen  Truppen 
zu  beginnen.  Dombrowsky  hat  sich  der  besonderen  Zuneigung  des  Kaisers 
nicht  mehr  zu  erfreuen,  weil  er  in  einem  Bericht  an  denselben  sich  die 
Bemerkung  erlaubte,  dass  er  nur  die  Beystimmung  des  Kaisers  Alexander 
und  eine  geringe  Geld-Unterstützung  bedarf  um  bloss  mit  seinen  Lands- 
Leuten  Fohlens  Wiederherstellung  gegen  die  Widersacher  zu  verfechten; 
welches  den  Kaiser  beleidigte,  weil  Dombrowsky  dessen  Mitwirkung  ent- 
behrlich glaubte.     Seither  ist  Kraszinsky  der  besondere  Günstling. 

Die  Russen  aller  Klassen  sind  allgemein  und  einstimmig  gegen  die 
Wiederherstellung  des  Königreiches,  und  es  sind  ausschlüsslich  nur  Fohlen, 
die  diese  wünschen  und  darauf  antragen.  Der  Grossfürst  Constantin,  der 
kein  Geheimniss  für  mich  hat,  General  Arackchejeff,  der  besondere  Freund- 
schaft für  mich  hegt,  und  General  Ouvaroff,  der  vollkommenes  Vertrauen 
in  mich  setzt,  haben  mich  versichert,  dass  der  Kaiser  von  diesem  für  das 
Interesse  Russlands  so  verderblichen  Lieblings-Projekt  ganz  abgegangen 
und  diesen  Punkt  beym  Congresse  schwerlich,  oder  höchstens  nur  sehr 
oberflächlich  berühren  werde.  Was  diese  Angabe  noch  mehr  begründet, 
ist  eine  Aeusserung  des  Kriegs-Ministers  Fürst  Koczakoff,  der  auf  den  Ein- 
wurf mehrerer  Minister,  dass  durch  die  drohende  Aufstellung  zahlreicher 
Truppen  nachtheilige  Besorgnisse  in  Oesterreich  und  Preussen  entstehen 
raüssten.  erwiederte :  dass  zwar  die  Zahl  in  etwas  vermindert  werden 
könne  (welches  seither  auch  geschieht)  aber  eine    ungewöhnlich    beträcht- 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  473 

liehe  Aufstellung  doch  für  den  Fall  nöthig  sey,  wenn  die  getäuschte  Hoff- 
nung für  die  Wiedergeburt  des  Königreiches  die  Pohlen  zu  tollen  Unter- 
nehmungen verleiten  sollte.  —  Wenn  sich  auch  der  Kaiser  mit  anderen 
Mächten  wegen  der  polnischen  Angelegenheiten  ins  Einvernehmen  gesetzt 
hätte,  so  erhellet  doch,  dass  Seine  Anträge  keinen  Eingang  gefunden 
haben  konnten,  denn  der  Obrist  Woronow,  der  durch  den  Erbprinzen  von 
Oldenburg  alles  zu  erfahren  Gelegenheit  hat,  was  in  dem  Zirkel  der  kaiser- 
lichen Familie  gesprochen  wird,  eröffnete  mir:  der  Kaiser  habe  der  Kaiserin 
Mutter  gesagt:  »Dieser  Metternich  hat  Mir  die  Engländer  auf  den  Hals 
gehetzt,  er  hat  sogar  die  Preussen  die  Dankbarkeit  vergessen  gemacht,  die 
sie  Mir  schuldig  sind;  ebenso  wird  er  die  Kleineren  beherrschen  und  alle 
werden  nur  das  sprechen,  was  er  Ihnen  erlaubt.  Wir  müssen  gestehen, 
dass  er  der  erste  Minister  in  Europa  ist;  Russland  würde  glücklich  seyn, 
einen  ähnlichen  zu  besitzen,  aber  um  so  gefährlicher  wird  Uns  auch  sein 
Hass  gegen  die  Russen  ^^  Ouvaroff"  versicherte  mich,  dass,  wenn  man  dem 
Kaiser  durch  die  Minister  Castlereagh  und  Hardenberg,  welche  er  hasst, 
hart  zusetzt,  ihn  dieses  nur  stutzig  machen  würde,  und  da  er  mit  Metter- 
nich in  gutem  Einverständnisse  zu  leben  wünscht,  so  ist  es  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  Er  den  partiellen  Vorstellungen  desselben  ein  geneigtes 
Gehör  geben  wird,  weil  Er  natürlich  den  Schein  menagieren  will,  aus 
eigenen  Antrieb  und  nicht  gezwungener  Weise  nac^hgegeben  zu  haben. 
Für  die  Rückgabe  der  Tarnopoler  Landschaft,  werde  man  Ihn  leicht  be- 
reden können,  wegen  der  Verzichtleistung  auf  Kracau  aber  äusserst  hart- 
näckig finden.  Von  denen  deutschen  Mächten,  die  die  Vermittlung  Ihres 
Privat-Interesse  bei  dem  bevorstehenden  Congresse  dem  russischen  Hofe 
empfohlen  haben,  sind:  der  König  von  Würtemberg,  wegen  Schwarz\rald 
und  einer  Arrondierung  in  dortiger  Ausdehnung;  —  Herzog  von  Oldenburg, 
wegen  Moppen  und  Ostfriesland ;  —  Baaden,  Weimar,  Landgraf  von  Hessen- 
Kassel,   Weilburg  haben  unbedingte  Verwendung  angesucht. 

Es  sind  keine  Italiener  in  St.  Petersburg,  die  sich  um  die  Unter- 
stützung des  Kaisers  Alexander  bewerben.  Der  Kaiser  aber  hat  in  Verfolg 
einer  Unterredung  zu  mir  gesagt,  dass  Er  Nachrichten  aus  Italien  habe 
(wahrscheinlich  durch  den  eben  von  daher  zurückgekommenen  Generalen 
Schuwaloif)  die  Ihn  versichern,  dass  die  Italiener  äusserst  unzufrieden 
seyen;  die  Venezianer  sollen  sogar  geäussert  haben,  dass  sie  unter  Napoleon 
im  Fegfeuer  gewesen,  sich  nun  aber  unter  Oesterreich  in  der  Hölle  be- 
fänden. Ich  erwiederte,  dass  derlei  Regungen  der  Jakobiner  in  allen  durch 
die  Revolution  infecktirten  Ländern  hörbar  sind ;  so  habe  man  mir  in  der 
Durchreise  durch  Pohlen,  wo  ich  sehr  bekannt  sei,  mehrmahlen  geäussert, 
der  Kaiser  Alexander  müsse  die  Krone  Pohlens  herstellen,  weil  er  kein 
anderes  Mittel  habe,  den  unbesiegbaren  Hass  der  Pohlen  gegen  die  Russen 
zu  mindern,  und  dass  sie  auch  nur  um  diesen  Preis  sich  für  den  Augen- 
blick der  schmerzlichen'^Nothwendigkeit  unterziehen,  vom  russischen  Ein- 
fluss  gedrückt  zu  werden.  Der  Verdruss  hierüber  war  in  den  Gesichts- 
zügen des  Kaisers  sichtbar.  Der  Kaiser  drang  in  mich,  Ihm  diejenigen  zu 
nennen,  die  mir  diese  Mittheilung  gemacht  haljeu :  ich  lehnte  es  aber  ab,  weil 
ich  mich  an  der  freundschaftlichen  Vertraulichkeit  unedel  vergehen  würde. 
Der  Kaiser  sagte  weiter,  » Est-ce  que  Vous  en  fairez  rapport  chez  Vous  V  Si 
vous  pouvez  n'en  parles  pas  ä  Metternich«,  welches  ich  Ihm  versprach. 

Mittheilungen  XX.  31 


474  A 11  g  u  s  t  F  0  n  r  n  i  e  r. 

Uiber  die  Verwaltung  im  Inneren,  überhaupt  in  der  Ostentation  der 
Russischen  National- Vorzüge  herrscht  hier  viel  Charletanerie  und  wenig 
Realität.  Leute  von  ausgezeichneter  Bildung  und  vorzüglichem  Ansehen 
finden  in  allen  Zweigen  der  Staats-Administrationen  sowie  über  das  Be- 
tragen des  Kaisers  vielen  Grund  zu  tadeln.  Zum  Beispiel  den  Einfluss 
des  Laharpe ;  —  die  Verwendung  des  unwissenden  Staats-Secretairs  von 
Nesselrode,  wobey  der  Kaiser  die  Absicht  habe,  glauben  zu  machen,  dass 
Er  Niemanden  benötige  und  Selbst  Minister  sey ;  —  Seine  in  allen  Ge- 
legenheiten zur  Schau  gestellte  philantropische  Grundsätze,  wobey  Er  nur 
Sicherheit  Seiner  Person  berücksichtiget,  und  drückende  Willkührlichkeiten 
und  oft  entbehrenden  i)  Eigensinn  verschleyert.  Ebenso  missbilliget  man, 
dass  der  Kaiser  den  Grafen  Rostopchin,  Gouverneur  von  Moskau,  seiner 
bisherigen  Anstellung  enthoben  und  in  Ruhestand  versetzt  hat  ^). 

Ich  habe  bey  allen  Bekanntschaften,  die  ich  hier  fand  und  gemacht  habe, 
jeden  Schein  von  Negotiation,  von  Neugierde,  von  Besorgnissen  über  die 
Maasregeln  des  russischen  Kabinets  sorgfältig  vermieden.  Ich  habe  die 
aufgegebene  Absicht  von  der  Wiederherstellung  Fohlens  gleichgiltig  an- 
gehört, mich  nicht  um  die  Gunst  des  Hofes  beworben,  und  mit  derselben 
Art  und  Höflichkeit  auch  die  polnische  Parthie  behandelt.  Es  ist  mir 
dahero  vollkommen  gelungen,  die  Meynung  allgemein  zu  gründen,  dass 
meine  Sendung  nach  St.  Petersburg  nur  die  Uiberbi'ingung  des  Briefes 
an  S.  M.  zur  Absicht  hatte,  wodurch  ich  accreditiert  wurde,  über  die 
glückliche  Rückkunit  dem  Kaiser  Glück  zu  wünschen  und  für  die  bevor- 
stehende Reise  nach  Wien  dessen  Befehle  einzuhohleu. 

Die  Kaiserin  Mutter  kömmt  heute  nach  St.  Petersburg  und  morgen 
um  2  Uhr  werde  ich  Ihr  vorgestellt. 

Man  ist  hier  der  Meynung,  dass  der  Tod  des  Anstetten  ^)  den  Grafen 
Roczamovsky  ^)  sowohl  als  Nesselrode  für  die  Zeit  des  Congresses  in  nicht 
geringe  Verlegenheit  setzen  werde. 

Ich  habe  zwey  Tage  früher  als  der  Kaiser  von  hier  abgehen  wollen, 
um  von  Ihm  auf  dem  Wege  nicht  eingehohlt  zu  werden ;  allein  da  am 
Sonntag  den  1 1 .  dies  Monats  Kaisers  Namensfest  eintritt  und  eine  grosse 
Parade  vorbereitet  wird,  so  glaube  ich,  um  jeder  irrigen  Auslegung  im 
Weg  zu  treffen,  erst  in  der  Nacht  vom  Sonntag  auf  den  Montag  abreisen 
zu  können. 

Ueber  die  Aufstellung  der  russischen  Truppen  in  Pohlen  und  an 
unserer  Gränze  berichte  ich  Nichts,  weil  dieses  durch  Generalen  Swinburn 
und  Hofrath  Baum  bereits  ganz  genau,  so  wie  ich  es  hier  gefunden, 
geschehen  ist  ^);   nur  habe  ich  zu  bemerken,  dass  man  den  von  F.  M.  Barclay 


')  Muss  wohl  »empöreuden'  heissen. 

-)  Das  war  kaum  ein  Zeichen  dor  Ungnade,  denn  Rostoptschin  bogleitete 
den  Kaiser  nach  Wien. 

')  Anstett,  der  russische  Diplomat,  welcher  an  den  Verträgen  von  Kaiisch 
und  Tleiclienbach  mitgearbeitet,  am  Prager  Cougross  theilgenommon  und  in 
(-'lifitillon  Rasumowsky  zur  Seite  gestanden  hatte,  ist  damals  niclit  gestorben, 
sondern  war  noch  bei  den   Verhandlungen  in  Wien  thätig. 

■*)  Rasumowsky. 

•'")  Ueber  die  Baum'schen  Meldungen  Ir^.  oben,  diejenigen  iSwinburne's  sind 
mir  ni('1it  b*'kannt  gewordfn. 


Zur  Geschichte  der  polnischen  Frage  1814  und  1815.  475 

zur  Verpflegung  der  Truppen  erforderlichen  Geld-Betrag  nur  zur  Hälfte, 
nehmlich  mit  1,500.000  Papier-Rubeln  decken  konnte,  und  dass  man 
Mühe  hatte,  selbst  diesen  Betrag  augenblicklich  aufzubringen.  Die  Assig- 
nationes  gehen  hier  mit  433. 

Welches    ich  Eurer  Durchlaucht    wegen  Kürze    der    Zeit    in    grösster 
Eile  schuldigst  anzuzeigen  die  Ehre  habe. 

Baron  Koller, 
Feldmarschalllieutenant. 


31* 


Kleine  Mittlieilimgen. 

Das  angebliche  (xebet  (xiistaf  Adolfs  bei  seiner  LaiKliiiig- 
auf  deutseliem  Boden  26.  Juni  1630.  Als  Gustaf  Adolf  am  Abeud 
des  2G.  Juni  1G30  mit  seiuera  Heere  aii  der  Nordspitze  der  Insel 
Usedom  landete  und  den  deutschen  Boden  betrat,  da  soll  er  bekannt- 
lich, wie  in  so  vielen  älteren  und  neueren  Geschichtsbüchern  zu  lesen, 
auch  bildlich  dargestellt  ist,  unter  freiem  Himmel  auf  die  Knie  gefallen 
sein  und  Gott  in  einem  inbrünstigen  Gebete  dafür  gedankt,  dass  er 
ihn  bis  dahin  gebracht,  auf  dieser  gefährlichen  ßeise  so  gnädig  be- 
schützt, und  unter  feierlicher  Gelobung,  dass  dieser  sein  Zug  nicht 
zu  seinen  Ehren,  sondern  allein  zur  Ehre  Gottes  und  zu  Trost  und 
Hülfe  der  bedrängten  Kirche  Gottes  anzusehen  sei,  um  fernere  Gnade 
und  den  Segen  des  Himmels  gefleht  haben.  Dann  wird  weiter  erzählt, 
dass  die  Offiziere  uud  Käthe,  da  sie  den  König  also  hätten  beten  sehen 
und  hören,  vor  Rührung  geweint  hätten,  worauf  der  König  bemerkt 
habe,  sie  sollten  nicht  weinen,  vielmehr  inbrünstig  beten,  denn  je 
mehr  Beteus  sei,  je  mehr  Siegs,  fleissig  gebetet  sei  halb  gestritten 
ujid  gesieget. 

Wo  finden  wir  nun  dieses  Gebet  zuerjst  erwähnt?  Wo  ist  sein 
Ursprung  zu  suchen? 

Die  wichtigste  Quelle  über  die  Landung  Gustaf  Adolfs  auf  Usedom, 
nämlich  der  Bericht  des  königlichen  Secretairs  Lars  Grubbe  an  den 
schwedischen  lieichsrath.  herausgegeben  in  „Arkiv  tili  upplysning 
om  Svenska  Krigens  och  krigsinrättningarnes  historia"  I.  nr.  492- 
p.  ()96 — 698  unter  der  Aufschrift  „Svenska  härens  öfvesförande  tili 
Tyskland  och  landstiguingen  pä  Ysedoni"  und  mit  der  Notiz  „Efter 
original  relation  fran  Grubbe  tili  Kiksens  Kad  i  Stockholm:  uti  Kiks- 
Arkivets  dat.  28.  Juni  IHoO",  weiss  von  irgend  welchen  besonderen 
Daiikesbezeugungen   Gustaf  Adolfs  treoen  Gott  nichts,  aber  schon  sehr 


Das  angebliche  Gebet  Gustaf  Adolfs  bei  seiner  Landung  etc.  477 

bald  nach  Abfassung  dieses  Berichts  stossen  wir  auf  die  erste  Spur 
der  Erwähnung  eines  Gebetes,  welches  der  König  auf  deutschem  Boden 
gehalten  haben  soll.  In  einer  der  verschiedenen  deutschen  Ausgaben 
des  bekannten,  auf  Befehl  Gustaf  Adolfs  von  Ludwig  Camerarius  ge- 
schriebenen Kriegsmanifestes  1),  in  welchem  des  Königs  Gründe,  warum 
er  sich  bewogen  fühle  dem  Kaiser  den  Krieg  zu  erklären,  weitläufig 
auseinandergesetzt  werden,  und  welches  erstmalig  im  Juli  1630  zu 
Stralsund  in  lateinischer  Sprache  erschien  '^)^  schliesst  sich  nämlich  an 
dieses  Manifest  direct  das  Folgende  an:  „Wie  Ihr.  Kön.  Mayt.  auffm 
Lande  zu  Kügen  gewesen,  vnd  alle  Orther  besichtiget,  da  hat  er  öffent- 
lich in  beysein  vieler  Officirer  vnd  Hauptleute,  auch  anderer  auss  der 
Stadt  Stralsundt,  so  es  wider  referirt,  seine  Augen  vnd  gefaltene  Hende 
nach  dem  Himmel  gewendet,  und  also  gebeten. 

Ach  du  Gerechter  vnd  Allerhöchster,  und  Vnüberwindlichster 
GOTT,  ein  HErr  Himmels  vnd  der  Erden,  dir  ist  bekannt  meines 
Hertzens  Sinn  vnd  Meynung,  vnd  das  diess  mein  hohes  Werck,  nicht 
zu  meinem,  sondern  zu  deinem  und  deiner  bedrengten  Christenheit 
Ehren  gereichen  sol  vnd  muss,  Darumb  ist  es  dein  Göttlicher  Wille, 
vnd  in  deinem  Rahte  zeit,  so  geb  mir  Wint  vnd  Wetter,  das  ich  meine 
Armee,  so  ich  auss  vielen  Völckern  gesamblet,  bald  zusammen  vnd 
zu  mir  bekommen  müge. 

Wie  nun  hierüber  den  Vmbstehenden  die  Augen  vbergegangen, 
vnd  Er  es  gesehen,  da  hat  er  gesprochen:  Ja,  Ja,  das  wils  Ihme 
nicht  thun,  Sondern  betet  mit  mir,  dann  wor  viel  Betens,  da  ist  viel 
vnd  mehr  Hülffe". 

Hiernach  wäre  also  zuvörderst  Gustaf  Adolf  mit  seiner  Flotte  auf 
Rügen  gelandet,  au  welcher  Insel  er  jedoch  nur  vorbeigefahren  ist  3), 


')  S.  Droysen,  Gustaf  Adolf,  Bd.  IL  p.  239,  Anmerk.  1.  Gfrörer,  Gustaf 
Adolf,  p.  693  gibt  als  Verfasser  dieses  Manifestes  Salvius  (Johan  Adler-Salvius, 
schwedischer  Diplomat,  1590—1652)  an.  Die  hier  in  Betracht  kommende  Ausgnbe 
trägt  den  Titel  »Vrsachen  warumb  der  durchlauchtigste  vnd  |  Grossmächtigste 
Fürst  vnd  Herr,  Herr  |  Gustavus  Adolphus  |  der  Schweden  .  .  .  König  Endlich 
genötiget  ist  |  Mit  einem  Kriegs  Heer  auff  den  |  Deutschen  Boden  sieh  zu  begeben|. 
Erstlich  zu  Stralsund  in  Lateinischer  Sprach  |  gedruckt.  Im  Jahr  MDCXXX. 
8  Bl.  4. 

^)  Unter  dem  Titel :  Caussae  |  ob  quas  Serenissimus  ac  Potentissimus  Prin  |- 
ceps  ac  Dominus,  |  Dominus  1  Gustavus  |  Adolphus  |,  Suecorum  .  .  Rex  .  .  tan- 
dem  coactus  est  |  Cum  exercitu  in  Germaniam  j  movere  |.  Stralsund!  excusae  | 
Mense  Julio  Anni  MDCXXX  |.  Literis  Ferberianis.  6  Bl.  4. 

s)  Die  schwedische  Flotte  langte  am  24.  Juni  1630  auf  der  Höhe  von  Perdt 
(Nord  Perd  südlich  von  Göhren)  auf  Rügen  an.  Am  nächsten  Tage  eiTeichte  sie 
die  Greifswalder    Oie,    dann    die    Insel  Usedom,  s.  Arkiv  etc.  I,  nr.  492,    p.  697. 


AlQ  Kleine  Mittheilungen. 

ein  Irrtlium,  der  aber  schon  frühzeitig  in  die  bekannten  Geschichts- 
bücher von  Ariauibaeus,  Arma  Suecica  (1631),  Martin  Lungwitz,  Josua 
redivivus  etc.  (Leipzig  1632),  Joh.  Ludwig  Gottfried,  Inventarium 
Sueciae  (Frankfurt  a.  M.  1632)  i),  Spanheim,  Le  soldat  Suedois  (1633) 
und  andere  übergegangen  ist.  Unter  den  „andern  auss  der  Stadt 
Stralsundt,  so  es  (das  Gebet)  wider  referirt«,  sind  offenbar  die  Mit- 
glieder der  Deputation  dieser  Stadt  gemeint,  welche  den  König  auf 
die  Nachricht  von  seiner  Landung  persönlich  beglückwünschten,  und 
ihn  baten  sich  ihrer  Stadt  anzunehmen  ''^). 

Aus  diesem  in  dem  Manifeste  des  Camerarius  angegebenen 
Gebete  sind  nun  fernerhin  zuerst  in  den  Arma  Suecica  (2.  Aufl.  1632, 
p.  23 — 24  und  p.  27 — 28)  zwei  Gebete  gemacht  worden.  Das  erste, 
das  der  König  gleich  nach  seiner  glücklichen  Landung  verrichtet 
haben  soll,  lautet  hier  wörtlich: 

„Ach  Gott  I  der  du  vber  den  Himmel  |  als  auch  vber  die  Erden 
vud  das  wilde  Meer  herrschest  |  wie  soll  ich  dir  immer  dancken  j  dass 
du  mich  die  gefährliche  Reyss  so  gnädiglich  beschützet  hast.  Ach  ich 
dancke  |  ach  ich  daucke  dir  von  innerstem  Grund  meines  Hertzens  | 
vnd  bitte  |  wie  du  weissest  j  dass  dieser  mein  Zug  vnd  Intent  |  nicht 
zu  meinen  |  sondern  einig  vnd  allein  zu  deinen  Ehren  1  vnd  deiner 
armer  betrangten  Kirchen  zu  Trost  vnd  HülfF  angesehen  vnd  gemeinet 
I  du  wollest  mir  auch  ]  so  fern  das  Stündlein  ]  so  von  dir  bestimpt  j 
vorhanden  j  ferner  Gnad  vnd  Segen  |  sonderlich  aber  gut  Wetter  vnd 
Wind  verleyhen  vnd  bescheren  |  damit  ich  meine  hinterlassene  Armada, 
die  ich  auss  mancherley  Nationen  vnd  Völckern  versamblet  mit  frölichen 
Augen  bald  bey  mir  sehen  |  vnd  dein  heilig  Werck  fortsetzen  möge  | 
Amen. 

Als  nun  die  Officirer  vnd  Räthe  den  König  also  beten  sahen  | 
vnd  seine  inbrünstige  Wort  höreten  |  giengen  ihnen  die  Augen  vber  | 
und    kondten    sich    viel    des  Weinens    nit    enthalten.     Da   der  König 


Bereits  Anfang  Juni  war  die  Insel  Rügen  durch  den  schwedischen  Oberst  Lesslie 
erobert  worden.  Wahrscheinlich  ist  in  dem  Manifest  Rügen  mit  der  nordwestlich 
von  Usedom  gelegenen  kleinen  Insel  Rüden  verwechselt. 

'■*)  Hier  wird  erzählt,  (fol.  235—236)  dass  Gustav  Adolf  am  24.  Juni  1630 
mit  etlichen  130  Schilfen  an  den  Pommerschen  Gestaden  glücklich  angelangt 
sei ;  ein  Theil  des  schwedischen  Volkes  wäre  zu  Stralsund,  ein  Theil  an  der 
Insel  Rügen,  das  meiste  aber  in  Pommern  ausgesetzt  worden. 

3)  Die  Gesandtschaft  traf  erst  am  28.  Juni  im  schwedischen  Feldlager  auf 
Usedom  ein.  s.  Arkiv  etc.  I,  nr.  493,  p.  698  ,0m  öarne  Ysedoms  och  Wollins 
intagando«  efter  sekretarien  Grubbes  original-relation  tili  Riks-Kansleren,  dat. 
8.  Juli   1630. 


Das  angebliche  Gebet  Gustaf  Adolfs  bei  seiner  Landung  etc.  479 

solches  iu  acht  genommen  j  sagte  er  |  Weinet  nicht  |  sondern  bettet 
von  Grund  ewerer  Hertzen  innbrünstiglich :  Je  mehr  ßetens  |  je  mehr 
Siegs  I  dann  fleissig  gebeten  |  ist  halb  gestritten  vnd  gesieget". 

Dasselbe  Gebet  mit  demselben  Wortlaut  ist  dann  in  den  Josua 
redivivus  des  Mart.  Luugwitz  (p.  52)  und  in  das  Theatrum  Europaeum 
(Ausgabe  Frankfurt  a.  M.  1679,  T.  11,  fol.  236^)  übergegangen, 
während  das  Inventarium  Sueciae  nur  einen  Auszug  desselben  gibt  '). 

Das  zweite  in  den  Ärma  Suecica  verzeichnete  Gebet  soll  der  König- 
kurz  vor  der  Einnahme  Stettins  10.  Juli  1630  verrichtet  haben,  und 
zwar  veranlasst  dadurch,  dass  widrige  Winde  das  königliche  Geschwader 
verhinderten  oder  aufhielten  nach  Stettin  zu  gelangen  -).  Mit  gebo- 
genen Knieen  und  aufgehobenen  gefalteten  Händen  habe  nun  der 
König  abseits  also  gebetet: 

,0  gerechter  GOTT  im  Himmel  |  dir  ists  bewust  |  dass  diese 
jetzige  meine  Kriegs  Expedition  nicht  auss  Frevel  oder  Ehrgeitz  |  son- 
dern einig  vnd  allein  zu  Schutz  vnd  Handhabung  deines  heiligen 
Nahmens  |  vnd  Seligraachendeu  Worts  fürgenommen  worden  ist. 
Derohalben  ruffe  vnd  flehe  ich  zu  deiner  Göttlichen  Allmacht  |  du 
wollest  zu  glücklicher  Fortsetzung  meines  Christlichen  Vorhabens  |  mir 
mit  gutem  Wind  vnd  Wetter  in  Gnaden  hülfflichen  erscheinen". 

Auf  solches  Gebet  habe  sich  der  Wind  alsobald  geändert,  und 
dermassen  gefüget,  dass  die  ganze  königliche  Flotte  durch  die  Swine 
über  das  Haff  in  beinah  zwei  Stunden  die  sechs  Meilen  lange  Strecke 
bis  Stettin  zurückgelegt  hätte. 

Auch  dieses  zweite  bei  Gelegenheit  der  Einnahme  Stettins  nach 
den  Arma  Suecica  verrichtete  Gebet  Gustaf  Adolfs  ist  in  Inventarium 
Sueciae,  Josua  redivivus  und  Theatrum  Europaeum  übergegangen  3), 
nur  wird  auch  hier  überall  ausdrücklich  versichert,  dass  des  Könio-s 
Gebet  von  beglaubigten  und  vornehmen  Leuten,  die  dabei  gewesen, 
wahrgenommen  und  demgemäss  berichtet  worden  sei.  Das  ist  also 
dem  Inhalte  nach  dasselbe  Gebet,  welches  sich  in  dem  Manifeste  des 
Camerarius  als  Anhang  findet,    allerdings  mit  dem  Unterschiede,  dass 


*)  Uet)er  das  Verhältnis  dieses  Theiles  des  Theatrum  Europaeum  zu  den 
Arma  Suecica  und  zu  dem  Inventarium  Sueciae  s.  Gust.  Droysen  »Arlanibaeus. 
Godofredus.  Abelinus,  sive  scriptorum  de  Gustavi  Adolphi  expeditione  princeps. 
Inaug-Dissert.    Halle  1864. 

2)  Offenbar  hat  der  Verfasser  diese  widrigen  Winde  (s.  unten)  mit  denen 
verwechselt,  mit  welchen  die  schwedische  Flotte  vor  ihrer  Abfahrt  von  Schweden 
nach  Deutschland  zu  kämpfen  hatte,  und  die  fast  drei  Wochen  lang  anhielten, 
ehe  an  die  definitive  Abfahrt  gedacht  werden  konnte. 

«)  Bogisl.  Phil,  von  Chemnitz  in  seinem  Königlich  Schwedischen  in  Teutsch- 
land geführten  Krieg  (Th.   I,  Stettin  1648;  erwähnt  es  dagegen  schon  nicht  mehr. 


480  Kleine  Mittheilungen. 

es  hiernach  der  König  auf  Rügen,  bald  nach  seiner  angeblichen 
Landung  daselbst  verrichtet  und  dass  er  Gott  desswegen  um  günstiges 
Wetter  gebeten  haben  will,  damit  er  seine  Armee  baldigst  vollständig 
um  sich  versammeln  könne. 

Dieses  in  dem  Manifeste  angegebene  Gebet  Gustaf  Adolfs  ist 
sonach  als  die  erste •  Erwähnung  eines  solchen,  als  die  ursprüngliche 
Quelle  anzusehen,  welche  die  Arma  Suecica  und  nach  diesen  wiederum 
Andere  benutzt,  aber  zur  wirksameren  Verherrlichung  ihres  Helden 
ausgeschmückt  und  theilweise  wiederholt  haben.  Wenn  Droysen  i) 
das  nach  den  Arma  Suecica  vor  der  Einnahme  Stettins  von  Gustaf 
Adolf  verrichtete  Gebet  ebenso  wie  die  contrairen  Winde,  die  es  ver- 
anlasst hätten,  als  Dinge  erklärt,  die  in  das  Reich  der  Fabel  gehören, 
so  dürfte  dies  wohl  auch  mit  dem  bei  der  Landung  des  Königs  ge- 
haltenen Gebete  der  Fall  sein,  zumal  wenn  wir  die  unklaren  Neben- 
umstände hierbei,  wie  solche  in  der  ursprünglichen  Quelle  verzeichnet 
sind,  in  Berücksichtigung  ziehen.  Das  Gebet  sollte  hier  im  Anschluss 
an  das  Manifest  ge wisser masseu  nur  als  ein  weiteres,  gewichtiges  Motiv 
zu  dem  Entschlüsse  Gustaf  Adolfs  dem  Kaiser  den  Krieg  zu  erklären 
dienen. 

Dresden.  Dr.  Bruno  Stube  1. 


Zwei  unljekaiiiito  Arbeiten  des  Greor?  HoefnaffeL  Der  be- 
rühmte niederländische  Miniaturmaler,  Georg  Hoefnagel,  der  in  seinen 
Städteansichten  ein  kostbares  Denkmal  der  historischen  Topographie 
hinterlassen  bat,  gewinnt  für  uns  in  erster  Linie  durch  die  beiden 
Prachthandticliriften  an  Interesse,  die  er  für  Erzherzog  Ferdinand  von 
Tirol  und  Kaiser  Rudolf  IL  ausführte.  Das  in  den  Jahren  L^81  bis 
1590  entstandene  Missale  des  Erzherzogs  Ferdinand  von  Tirol  (Hof- 
bibl.  Cod.  Nr.  1784)  und  das  für  Kaiser  Rudolf  II.  1591—1594  her- 
gestellte Schriftmusterbuch  des  ungarischen  Kalligraphen  Georg  Bocskay 
(Sammlungen  der  kuustindustriellen  Gegenstände  des  Allerh.  Kaiser- 
hauses Saal  XIX,  Vitrine  I  Nr.  71;  Inv.-Nr.  975)  sind  nicht  nur  die 
Hauptwerke  des  Meisters,  sondern  können  den  hervorragendsten 
Leistungen  der  niederländischen  Miniaturmalerei  des  ausgehenden 
16.  Jahrhunderts  beigezählt  werden.  An  Reichthum  der  Decoratiou, 
Sorgfalt  der  Schrift  und  Pracht  der  Ausstattung  werden  sie  kaum  von 
einer  andern  Handschrift  jener  Zeit  übertroffen. 


')  Gustaf  Adolf,  Bd,  11,  p.  157,  Anmerk.  6. 


Zwei  unbekannte  Arbeiten  des  Georg  Hoefnagel.  4g ] 

Der  kunstliebende  Erzherzog  war  durch  seine  freundschaftlichen 
Beziehungen  zum  bairischeu  Hofe  auf  Hoefnagel  aufmerksam  geworden, 
der  für  seine  hochsinnigen  Gönner,  Herzog  Albrecht  V.  und  Herzog 
Wilhelm  I.  in  München  manch'  herrliches  Werk  geschaffen  haben  mag. 
Mit  Eecht  konnte  es  daher  Chmelarz  i)  bedauern,  dass  sich  weder  im 
Miniaturcabinet  der  königlichen  Residenz,  noch,  in  der  Schatzkammer 
in  München  ein  einziges  Werk  des  Meisters  vorfindet. 

Glücklicherweise  bewahren  die  kunsthistorischen  Sammlungen  des 
Allerh.  Kaiserhauses  ein  bisher  nicht  erkanntes,  bezeichnetes  Werk 
Hoefnagels,  das  er  für  Wilhelm  V.  von  Bayern  ausführte,  der  es  ver- 
muthlich  —  wie  auch  einige  andere  gegenwärtig  den  kaiserlichen 
Sammlungen  angehörende  Objecte  —  dem  befreundeten  Erzherzog 
zum  Geschenke  machte.  Es  ist  ein,  aus  fünf  Theilen  bestehender,  350  mm 
hoher  Elfenbeinaufsatz  (Saal  XXII,  Vitrine  XIII  Nr.  29 ;  Inv.  Nr.  4695), 
der  auf  dem  Ovalwerk  gedreht  ist  und  von  einem  Deckelknopf  bekrönt 
wird  2).  Sowohl  an  den  Aussenflächen  als  auch  im  Inneren  befinden 
sich  reizende,  leider  z.  Th.  zerstörte  Malereien  von  den  Hand  Georg 
Hoefuagels. 

Den  untersten  Theil  bildet  eine  ovale  Schachtel  auf  zwei  Füssen, 
die  an  den  Standflächen  die  Jahreszahl  1586  truffen,  wie  noch  l\s 
(Führer  durch  die  kunstindustriellen  Sammlungen  1891)  lesen  konnte; 
gegenwärtig  sind  die  beiden  letzten  Ziffern  verschwunden.  In  der 
Mitte  der  Unterseite  der  Schachtel  befindet  sich  die  bekannte  Signirung 
des  Meisters  mit  dem  von  eiuem  Hufnagel  durchquerten  G,  das  Hg 
a.  a.  0.  fälschlich  auf  den  Namen  des  Bestellers  Herzog  Wilhelm  V. 
bezog.  Die  Aussenfläclie  der  Wandung  zieren  zarte  Aestchen,  Vögel, 
die  von  Schlangen  verfolgt  werden,  dazwischen  leider  fast  ganz  zer- 
störte Alpenlandschaften  mit  Figureustaffage  in  kleinen  Schildchen 
mit  Fledermausflügeln.  Besser  erhalten  ist  der  Schmuck  des  als 
Deckel  aufgesetzten  zweiten  Theiles,  der  sich  auf  das  Innere  beschränkt 
und  dadurch  der  Zerstörung  besser  Widerstand  geleistet  hat.  In  einer 
kreisrunden,  etwas  vertieften  Fläche  in  der  Mitte  der  ünterfläche  be- 
finden sich  die  bairischeu  Wappen  (der  goldene  Löwe  in  schwarzem 
Feld  und  der  blauweisse  Rautenschild),  von  einem  blauen  Band  um- 
schlungen, nebst  der  Legende:  ,GV[GLIELMVS]  D[EIJ  G[RATIA] 
B[AVARIAE]  D[VX].  Um  dieses  Centrum  herum  sind  die  sieben 
Planetengötter   auf  ihren  Gespannen    kreisejid    dargestellt;    zwei    von 


')  Vgl.  Chmelarz,  üeorg  und  Jacob  Hoefnagel,   im  XVU.  Bande   des  Jabr- 
buches  der  kunsthistor.  Sammlungen  des  a.  b.  Kaiserhauses. 

2)  Der  Aufsatz  kam  aus  der  Schatzkammer  in  die  Ambrasersammlung. 


482  Kleine  Mittheilungen. 

ilmen  siud  nahezu  verlöscht,  die  erhaltenen  fünf  folgen  der  tradi- 
tionellen Darstellungsart;  Helios  Gespann  wird  von  Rossen  gezogen, 
Jupiter  begleitet  der  Adler,  Saturns  Wagen  ziehen  Panther,  den  des 
Merkur  Hähne  u.  s.  w.  Ein  Perlenkranz  mit  den  Aufschriften  nox 
und  (vermuthlich)  dies  (zerstört)  umschliesst  das  Mittelfeld,  an  welches 
sich  beiderseits  Elipsensegmente  anschliessen,  in  denen  eine  Eule,  der 
Nacht  entsprechend,  und  ein  Hahn  als  Sinnbild  des  Tages  gemalt  sind. 
Zwischen  Nacht  Und  Tag  kreisen  die  Planeten  um  des  Herzogs  Wappen, 
so  recht  ein  Gedanke  in  der  schöngeistigen  Art  des  Hoefnagel. 

Besonders  reich  war  die  jetzt  z.  Th.  abgeriebene  Bemalung 
der  Mantelfläche  des  als  dritter  Theil  aufgesetzten  ovalen  Elfenbeiu- 
cylinders,  dessen  Unterseite  mit  Festons,  Schmetterlingen,  Edelsteinen 
etc.  geziert  ist;  soweit  noch  erkenntlich  ein  treffliches  Beispiel  für  die 
unendlich  minutiöse  Durchbildung  der  Miniaturen  des  Meisters.  Aus 
einem  bunten  schuppenartigen  Grund  sind  vier  grosse  ovale  Felder 
ausgespart,  zwischen  denen  in  vier  kleinereu  Feldern  ein  Affe,  eine 
Meerkatze,  ein  Ära  und  ein  Kasuar  von  bewunderungswürdiger  Fein- 
heit der  Durchbildung  eingefügt  sind.  Die  grösseren  ovalen  Bilder 
sind  leider  sehr  zerstört.  Noch  lässt  sich  ein  Indianer  in  buntem 
Mantel  mit  langem  Stab  und  eine  Indianerin  mit  einem  Papagei  er- 
kennen, trefflich  in  der  Charakterisirung,  die  Hoefnagels  reges  Interesse 
für  ethnographische  Eigenart  bekundet.  Die  beiden  andern  Ovalbilder 
enthielten  —  soweit  noch  erkenntlich  —  Palmenlandschaften  mit 
Figurenstaffage. 

Auch  der  darüber  aufgesetzte  vierte  und  fünfte  Theil  des  Auf- 
satzes entbehrt  nicht  des  malerischen  Schmuckes,  da  finden  sich  wieder 
Schmetterlinge,  Vögelchen,  Früchte  etc.,  während  die  Mantelfläche  des 
vierten  Theiles  die  Zodiacuszeichen  schmücken. 

Trotz  der  keineswegs  guten  Erhaltung  lässt  sich  in  allen  Theilen 
des  einst  wohl  reizenden  Werkes  die  Eigenart  des  Meisters  erkennen, 
die  schöngeistige,  planmässige  Anlage,  die  Vorliebe  für  ethnogrophische 
Darstellungen,  die  treffliche  Charakterisirung  der  Thiere  und  die  unend- 
liche Sorgfalt  in  der  technischen  Durchführung. 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  noch  eine  uubezeichnete  Mi- 
niatur dem  Georg  Hoefnagel  zuschreiben.  In  einem  der  geistlichen 
Schatzkammer  gehörigen  Reliquienkästchen  aus  mit  Gold  bemaltem 
Holz  (gegenwärtig  im  kunsthist.  Hofmuseum  Saal  XXI.  Nr.  17  auf- 
gestellt), welches  aussen  ganz  mit  Sardonyxplatten  belegt  ist,  findet 
sich  in  der  Mitte  des  reich  mit  Lapislazuliplatten  in  architektonischer 
Gliederung  geschmückten  Inneren  des  Deckels  eine  quadratische  Mi- 
niatur auf  Pergament  (von  102  mm  Seitenlänge)  eingelassen,  welche  in 


Zwei  unbekannte  Arbeiten  des  Georg  Hoefnagel.  483 

einem  kreisförmigen  Bildchen  die  Himmelfahrt  Marias  darstellt.  Tu 
der  Mitte  vorne  steht  der  mit  Blumen  gefüllte  Sarkophag,  darüber 
schwebt  in  lichterfüllter  Wolkenmandorla  die  Madonna,  von  Eugelchen 
getragen,  himmelwärts.  Eine  grosse  Volksmenge,  Männer  und  Frauen, 
die  Apostel  im  Vordergrund,  blicken  in  andächtigem  Entzücken  der 
aufschwebeudeu  Madonna  nach.  Von  besonderer  Schönheit  sind  die 
hellen  Gewänder  der  Apostelgruppe,  die  in  stilistischer  und  technischer 
Hinsicht  mit  den  Miniaturen  des  Missales  des  Erzh.  Ferdinand  über- 
einstimmen. Am  deutlichsten  spricht  aber  die  Eigenart  des  Hoefnagel 
aus  der  Umrahmung  des  Mittelbildes.  Da  finden  sich  wieder  Vasen 
mit  BUimenbouquets,  Festons  aus  Obst,  auf  denen  ein  Affe  und 
eine  Meerkatze  sitzt,  ein  Obstkorb,  Vögel,  Insekten,  Eichhörnchen 
u.  a.  m. ;  alle  in  der  sattsam  bekannten  Vollendung  der  Durchbildung 
Hoefnagel'schen  Miniaturen.  Zeigt  sich  ja  sein  Talent  vornehmlich  in 
der  treflPlicheu  Beobachtung  des  Thierlebens  und  der  unermüdlichen 
Sorgfalt  in  der  Behandlung  von  Früchten,  Blumen  u.  dgl.  von  der 
liebenswürdigsten  Seite,  während  seinen  biblischen  Darstellungen  — 
wie  hier  der  Himmelfahrt  der  Maria  —  die  warme  Empfindung  und 
die  Dramatik  der  Composition  abgeht. 

Wien.  H.  J.  Hermann. 


Literatur. 

Julius  Ficker,  Untersuchungen  zur  Erben  folge  der 
ostgermanischen  Rechte.  4.  Bd.  1.  Abth.  Innsbruck,  Wagner- 
sche  Universitätsbuchhandlung  1898. 

Unter  den  Behauptungen,  die  F.  bereits  in  früheren  Abtheilungen 
seiner  »Untersuchungen  zur  Eechtsgeschichte *  wiederholt  als  Ergebnis 
seiner  Forschung  betonte,  ist  wohl  keine  auf  so  ausgedehnten,  man  könnte 
beinahe  sagen,  auf  so  allgemeinen  Widerspruch  gestossen  als  die  Aufstellung 
des  Satzes,  dass  das  germanische  Urrecht  dem  Geschlechts- 
unterschied keine  Beachtung  geschenkt,  Mann  und  Weib 
vielmehr  als  einander  gleichstehend  behandelt  habe.  Galt  doch  die 
umgekehrte  Annahme,  dass  sich  das  Weib  von  einem  ursprünglichen  Zu- 
stand völliger  Rechtlosigkeit  aus  in  sehr  allmählicher  Entwicklung  die 
Gleichl)erechtigung  mit  dem  Mann  errungen  habe,  seit  langer  Zeit  als  so 
selbstverständlich,  dass  die  grosse  Masse  der  rechtsgeschichtlichen  Dar- 
stellungen für  ihre  demeutsprechenden  Auseinandersetzungen  erst  gar 
keine  quellenmässigen  Nachweise  brachte,  sondern  sich  mit  einer  Verweisung 
auf  die  communis  opinio  doctorum  begnügte,  die  sich  —  ein  nicht  allzu- 
häufiger Fall  —  fast  widerspruchslos  von  Generation  zu  Generation  fort- 
gepflanzt hatte.  Die  Mutterrechtstheorie,  die  namentlich  von 
D a r g u n  und  H e u s  1  e r ,  vorübergehend  auch  von  Schroeder,  auch  für 
das  deutsche  Recht  als  zutreffend  proklamirt  wurde,  war  mit  jener  An- 
schauung freilich  nicht  vereinbar;  die  Uebertreibungen  ihrer  Anhänger, 
wohin  namentlich  die  schon  von  Bachofen  vorgenommene  Verwechslung 
von  Mutterrecht  und  Gynäkokratie  zählte,  hatten  aber  die  unerwünschte 
Folge,  dass  auch  der  richtige  Kern  jener  Lehre  ungerechtfertigtem  Miss- 
trauen begegnete  und  die  herkömmliche  Annahme  von  der  Entwicklung 
des  Weiberrechts  eine  ungestörte  Herrschaft  behauptete.  Der  Widerspruch, 
den  eine  auf  dem  Gebiet  der  Rechtsgeschichte  allseitig  so  anerkannte 
Autorität  wie  F.  —  zuerst  wohl  1887  im  3.  Ergbd.  dieser  Mitth.  —  gegen 
diese  Ansicht  erhob,  hätte  freilich  zu  ihrer  Prüfung  hinreichenden  Anlass 
geben  sollen;  dergleichen  geschah  jedoch  nicht;  man  begnügte  sich  viel- 
mehr mit  einer  generellen  Zurückweisung  der  F.'schen  Behauptung,  ein 
Verfahren,    das    äusserlich    vielleicht  damit  gerechtfertigt    werden    konnte, 


Literatur.  435 

dass  F.  seinerseits  vielfach  auf  erst  später  zu  erbringende  Beweise  hinwies, 
seine  Gegner  es  deshalb  ablehnen  mochten,  sich  mit  einem  noch  gar  nicht 
beigebrachten  Material  auseinanderzusetzen.  Die  Ursachen,  die  für  diese 
Gestaltung  seiner  Untersuchungen  massgebend  waren,  sind  von  F.  in  den 
Vorreden  der  bisher  erschienenen  Abtheilungen  des  vorliegenden  Werkes 
erschöpfend  besprochen;  der  daraus  resultirende  Missstand  hat  sich  indess 
mit  dem  Vorschreiten  der  Arbeit  immer  mehr  verringert :  schon  in  der 
vorausgehenden  Abtheilung  sind  die  Bezugnahmen  auf  später  zu  erbringende 
Darlegungen  seltener  geworden  und  der  vorliegenden  Abtheilung  kann 
nach  dieser  Richtung  kaum  noch  ein  begründeter  Vorwurf  gemacht  werden. 
Die  Zurückhaltung,  welcher  die  F. 'sehen  Untersuchungen  mit  einem  An- 
schein von  Recht  bisher  begegneten,  wird  deshalb  in  Zukunft  nicht  mehr 
beobachtet  werden  dürfen. 

Die  vorliegende  Abtheilung  sucht  den  Satz  von  der  ursprüng- 
lichen Gleichberechtigung  der  beiden  Geschlechter  für 
das  Gebiet  des  Erbrechts  zu  erweisen. 

Da  unter  den  vorhandenen  germanischen  Rechtsdenkmälern  kein  ein- 
ziges mit  dem  germanischen  UiTecht  identifizirt  werden  kann,  bedarf  es 
für  die  Ermittelung  des  letzteren  eines  Rückschlusses  aus  der  Gesammtheit 
der  ersteren.  Zur  Reconstruction  dbs  ältesten  germanischen  Erbrechts  ist 
daher  an  sich  die  Vergleichung  sämmtlicher  das  Erbrecht  berührenden  ger- 
manischen Einzelrechte  erforderlich.  Die  Durchführung  dieser  Arbeit  würde 
angesichts  der  zur  Zeit  noch  nicht  genügend  geförderten  Durchforschung- 
all'  dieser  Einzelrechte  scheitern  müssen,  so  dass  sich  eine  Beschränkung 
in  der  Zahl  der  Vergleichungsobjekte  als  nothwendig  herausstellt.  Wird 
der  Kreis  derselben  jedoch  so  weit  gezogen,  dass  von  den  grösseren 
Rechtsgruppen  keine  einzige  vollständig  übergangen  ist,  so  darf  das  aus 
deren  Vergleichung  gewonnene  Resultat  ebenfalls  als  ein  genügend  sicheres 
bezeichnet  werden.  Die  F.'schen  Vergieichungsobjekte  entsprechen  dieser 
Voraussetzung  im  vollsten  Mass :  denn  es  befinden  sich  darunter  die  Volks- 
rechte, die  Gru[ipe  der  skandinavischen  Rechte,  das  gesammte  Recht  des 
Coutumes  und  der  Fueros,  das  friesische  Recht  und  die  wichtigeren  Rechts- 
quellen des  deutschen  Mittelalters,  ein  Rechtsstoff,  dessen  anscheinende 
Buntheit  F.  bereits  in  bestimmten  Verwandschaftsverhältnissen  zu  ordnen 
versucht  hat. 

Die  Durchforschung  dieser  Rechtsdenkmäler  zeitigt  nun  freilieh  nicht 
ein  in  allen  übereinstimmendes  Erbrecht,  liefert  aber  nach  F.  dennoch  ein 
Resultat,  das  für  das  germanische  Urrecht  die  Gleichberechtigung  von 
Mann  und  Weib  in  Anspruch  zu  nehmen  gestattet.  Die  sämmtlichen 
Einzel  rechte  böten  nämlich  Bestimmungen,  die,  wenn  das 
weibliche  Geschlecht,  wie  dies  die  herrschende  Lehre  annimmt, 
ursprünglich  vom  Erbe  ausgeschlossen  gewesen  wäre,  schlechter- 
dings gar  nicht  zur  gesetzlichen  Geltung  hätten  gelangen 
können  oder  doch  nur  sehr  gezwungen  mit  einem  solchen  Ausgangspunkt 
vereinbar  seien,  während  sie  der  Annahme  ursprünglicher  Gleichberechti- 
gung von  Mann  und  Frau  vollauf  entsprächen. 

An  erster  Stelle  (Abschnitt  19)  rechnet  F.  die  Gleichstellung 
der  Geschlechter  hierher,  die  sich  im  gothischen,  westfränkischen  und 
im  Aasdomsrecht  findet,    ohne  dass  hier  Spuren  eines  einst  anders  geord- 


^og  Literatur. 

neteri  Zustaudes  vorhanden  seien.  Man  wird  zugeben  müssen,  dass  dieser 
Umstand  auiFällig  ist,  wemi  der  Ausschluss  des  weiblichen  Geschlechts 
das  in  einer  früheren  Periode  geltende  Recht  jener  Völkerschaften  bildete, 
sich  dagegen  sehr  einfach  erklärt,  wenn  die  Gleichstellung  bei  ihnen  von 
jeher  geherrscht  hat.  Die  Unmöglichkeit  früheren  Weiberausschlusses  vom 
Erbrecht  wäre  freilich  durch  diese  Erwägung  noch  nicht  dargethan.  Be- 
achtung verdient  jedenfalls  der  von  F.  geführte  Nachweis,  dass  die  gleich- 
stellenden gothischen  Eechtsaufzeichnungen  nicht  dem  römischen  Recht 
entnommen  sein  können:  bei  den  Römern  beseitigte  erst  die  543  erlassene 
Novelle  118  die  letzte  Verschiedenheit  im  Erbrecht  der  beiden  Geschlechter, 
bei  den  Gothen  gehören  die  .gleichstellenden  Gesetze  mindestens  bereits 
der  Gesetzgebung  König  Eurichs  an,  also  einer  Justinians  Norm  vorauf- 
gehenden Epoche. 

Einen  weiteren  Beweis  für  die  ui-sprüngliche  Gleichstellung  der  Ge- 
schlechter sieht  F.  darin,  dass  die  späteren  Rechte  bezüglich  der 
Fahrnis  die  Weiber  regelmässig  als  gleichberechtigte  Erbinnen 
anerkennen  (Abschnitt  20).  In  der  Urzeit  habe  aber  alles  Vermögen  aus 
Fahrnis  bestanden,  müsse  demnach  auch  die  Vererbung  in  dasselbe  keinen 
Unterschied  zwischen  Mann  und  Weib  zugelassen  haben.  Auch  dieser 
Schluss  ist  nicht  ohne  weiteres  für  zwingend  zu  erachten.  Es  wäre  im- 
merhin möglich,  dass  den  ursprünglich  jedes  Erbrechts  dai'benden  Weibern 
allmählich  ein  solches  an  denjenigen  Nachlassbestandtheilen  eingeräumt 
worden  sei,  die  in  der  fortschreitenden  ökonomischen  Entwicklung  den 
Charakter  der  weniger  wichtigen  Objekte  angenommen  hatten,  obwohl  sie 
allein  in  der  Urzeit  das  Vermögen  bildeten. 

Sicherer  sind  dagegen  die  Folgerungen,  die  F.  aus  dem  Institut  der 
Töchter aussteuerung  zieht  (Abschnitt  2l).  Bei  der  Beerbung  der 
Eltern  machen  zahlreiche  Rechte  den  Erbanspruch  der  Tochter  davon  ab- 
hängig, ob  sie  bei  ihrer  Verheiratung  eine  Aussteuer  erhielt  oder  sich 
noch  als  unvermählte  beim  Tode  der  Eltern  im  Elternhaus  befand.  Im 
ersten  Fall  ist  die  Tochter  regelmässig  vom  Erbe  ausgeschlossen;  im 
zweiten  Fall  steht  ihr  ein  mehr  oder  minder  grosser  Erbanspruch  neben 
dem  Bruder  zu.  Aus  dieser  Gestaltung  folgert  F.  mit  Recht  den  erb- 
abfindenden Charakter  der  Aussteuer,  damit  aber  zugleich  ein  der  Schweäter 
an  sich  generell  neben  dem  Bruder  zustehendes  Erbrecht.  ZutreflFend 
führt  F.  in  den  einleitenden  Bemerkungen  dieser  Abtheilung  (Abschnitt  17) 
aus,  dass  den  Ausgangspunkt  für  die  Entwicklung  des  Weiber- 
erbrechts entweder  völlige  Gleichstellung  beider  Geschlech- 
ter oder  völliger  Ausschluss  des  Weibes  gebildet  haben  müsse. 
Zwingt  nunmehr  die  Behandlung  der  Aussteuer  zu  der  Annahme  eines 
ursprünglichen  Nebeneinanderbestehens  von  Bruder-  und  Schwestererbrecht, 
so  kann  auch  der  Schluss,  dass  dies  ursprüngliche  Erbrecht  ein  für  beide 
gleiches  gewesen  sein  müsse,  nicht  abgewiesen  werden. 

Für  die  Umgestaltung  des  Tochtererb  rechts  sind  nach  F. 
wirtschaftliche  Gründe  massgebend  gewesen.  Solange  das  Ver- 
mögen nur  in  Fahrnis  bestand,  machte  die  gleichmässige  Vertlieilung  des 
elterlichen  Nachlasses  unter  die  Kinder,  gleichgültig  welchen  Geschlechts 
sie  sein  mochten,  keine  Schwierigkeit.  Dies  änderte  sich,  als  ein  Privat- 
eigenthum  an  Grund  und  Boden    sich    gebildet    hatte,    sobald    unter    den 


Literatur  4g  7 

Erben  mit  bausangehörigen  Geschwistern  durcb  Verbeiratung  aus  dem 
Elternbaus  gescbiedene  Töcbter  konkurrirten.  Die  Ebe  pflegte  die  Tochter 
-regelmässig  aus  dem  lokalen  Bereich  der  elterlichen  Niederlassung  zu  ent- 
fernen; eine  Auftbeilung  des  elterlichen  Immobiliarbesitzes  unter  die 
sämmtlichen  Kinder  hätte  also  zur  Folge  gehabt,  dass  ein  Theil  der  Län- 
dereien einer  Erbin  zufiel,  die  daraus  eine  wirkliche  Nutzung  zu  ziehen 
gar  nicht  im  Stande  war,  da  ihr  die  Abgelegenheit  des  eigenen  Domizils 
die  einträgliche  Bewirthschaftung  jenes  Erblandes  unmöglich  machte, 
während  die  Zertheilung  des  elterlichen  Gutes  die  im  Stammsitz  ver- 
bliebenen Erben  vielleicht  ebenfalls  ökonomisch  benachtheiligte.  Um  den 
Eintritt  dieses  Resultats  zu  verhüten,  mochten  sich  die  Eltern  bereit  finden 
lassen,  der  heiratenden  Tochter  eine  in  Fahrnis  zu  entrichtende  Aus- 
steuer zu  geben,  wenn  gegen  deren  Empfang  die  Tochter  auf  ihre  even- 
tuellen Erbansprüche  am  Nachlass  der  Eltern  zu  verzichten  versprach.  Die 
Tochter  war  freilich  rechtlich  zur  Abgabe  einer  solchen  Erklärung  nicht 
verbunden;  allein  die  Verheiratung  mochte  häufig  das  Vorhandensein  einer 
Aussteuer  zur  Voraussetzung  haben ;  dann  befand  sich  die  Tochter  ge- 
wissermassen  in  einer  Zwangslage,  die  sie,  selbst  wenn  die  angebotene 
Aussteuer  dem  eventuellen  Erbtheil  in  keiner  Weise  entsprach,  zum  Ver- 
zicht auf  ihr  Erbrecht  bestimmen  konnte.  —  Die  gleiche  wirth schaftliche 
Erwägung  erklärt  das  mitunter  den  Brüdern  ihren  Schwestern  gegenüber 
eingeräumte  Abfindungs recht,  die  Befugnis,  der  Schwester  durch 
Hingabe  einer  Aussteuer  das  Kecht  auf  den  ihr  an  sich  zugefallenen  An- 
theil  am  elterlichen  Nachlass  zu  entziehen.  —  Sowohl  in  der  Hand  der 
Eltern  wie  in  der  des  Bruders  konnte  das  Abfindungsrecht  zur  schweren 
Schädigung  der  Abgefundenen  führen:  viele  Gesetze  suchen  deshalb  Miss- 
bräuchen der  Abfindungsbefugnis  entgegenzutreten,  indem  sie  etwa  für 
die  Aussteuer  einen  gesetzlichen  Mindestbetrag  normiren,  sie  in  ein  be- 
stimmtes Verhältnis  zum  Elternvermögen  setzen,  mitunter  auch  Zustimmung 
der  Abzufindenden  verlangen. 

Ihre  kräftigste  Stütze  findet  F.'s  Annahme  ursprünglich  gleicher  Erb- 
berechtigung beider  Geschlechter  in  der  Gestaltung  des  Erbrechts 
im  weiteren  Erbenkreis.  Hier  räumen  nämlich  zahlreiche  Gesetz- 
gebungen, die  den  nächsten  weiblichen  Angehörigen  des  Verstorbenen,  der 
Tochter  oder  Schwester,  gar  kein  oder  doch  nur  ein  durch  die  Konkurrenz 
der  männlichen  Mitglieder  des  engeren  Erbenkreises  arg  verkümmertes 
Erbrecht  zubilligen,  den  mit  dem  Erblasser  entfernter  verwandten  Weibern 
ein  gleiches  Erbrecht  mit  den  Männern  ein  —  eine  Erscheinung,  die  vom 
Standpunkt  der  herrschenden  Theorie  schlechterdings  keine  Erklärung 
verträgt,  F.'s  Anschauung  dagegen  in  der  überzeugendsten  Weise  bestätigt. 
Geht  man  nämlich  von  ui'sprünglichem  Ausschluss  der  Weiber  aus,  so 
lässt  sich  schwerlich  eine  Entwicklung  denken,  die  zu  irgend  einem  Zeit- 
punkt dahin  führen  konnte,  dass  zwar  die  Tante  neben  dem  Onkel,  nicht 
aber  die  Schwester  neben  dem  Bruder  Erbberechtigung  gewann.  Stand 
dagegen  den  Weibern  ursprünglich  gleiches  Erbrecht  mit  den  Männern 
zu,  so  konnte  "sich  die  Gesetzgebujig  allerdings  in  der  geschilderten  Weise 
gestalten,  weil  die  weiblichen  Mitglieder  des  engeren  Erbenkreises  mit  der 
von  Eltern  oder  Brüdern  zugewendeten  Aussteuer  für  ihre  Erbansprüche 
hinter  Eltei-n  und  Geschwistern  bereits  ganz    oder    theilweise    abgefunden 


488 


Literatur. 


waren,  für  die  dem  entfernteren  Kreis  angehörenden  Weiber  dagegen  dieser 
Grund  sie  vom  Naclilass  auszuschliessen  nicht  zutraf,  da  es  sich  für  diese 
Weiber  gar  nicht  um  einen  Nachlass  handelte,  für  den  sie  abgefunden 
oder  abzufinden  waren. 

Wie  sich  im  Anschluss  an  die  Aussteuer  der  Uebergangvom 
vollen  Erbre  cht  zum  halben  Kopftheil  und  weiter  bis  zum 
Ausschluss  der  Tochter  und  Schwester  vollzog,  sucht  der  Schluss 
dieser  AVitheilung  (Abschnitt  22)  für  einen  konkreten  Einzelfall  an  der 
von  F.  als  dänisch  bezeichneten  Rechtsgrupiie  darzuthun.  Unter 
den  hierher  gehörenden  Rechten  bieten  die  friesischen  eine  einheit- 
liche, von  der  Gleichberechtigung  der  Geschlechter  ausgehende  Entwicklungs- 
reihe, die  für  das  Erbrecht  der  Tochter  und  Schwester  —  für  die  mit  dem 
Erblasser  entfernter  verwandten  Weiber  blieb  die  Gleichberechtigung  ge- 
wahrt —  folgende  Stufen  aufweist: 

1.  Die  von  den  Eltern  mit  halbem  Kopftheil  abgefundene  Tochter  ist 
vom  Erbe  ausgeschlossen,  die  nicht-ausgesteuerte  Tochter  erhält  den  vollen 
Kopftheil. 

2.  Auch  die  nicht-ausgesteuerte  Tochter  erhält  nach  Eltern  und  Ge- 
schwistern nur  halben  Kopftheil  als  Erbe. 

3.  Der  von  den  Brüdern  herauszugebende  Erbtheil  wird  selbst  als  erb- 
abfindende Aussteuer  betrachtet.  Das  hat  die  Wirkung,  dass  die  Schwestern 
auch  nach  Brüdern  nicht  mehr  erbten. 

4.  In  manchen  Rechten  wird  selbst  die  feste  Bemessung  der  Aussteuer 
als  Betrag  eines  halben  Kopftheils  nicht  beibehalten,  sondern  den  Brüdern 
o-estattet,  die  durch  sie  vom  Erbe  ausgeschlossenen  Schwestern  auch  mit 
einem  geringeren  Aussteuerbetrage  abzufinden. 

Eine  ähnliche  Entwicklung  weist  das  dänische  Recht  auf.  Die 
Zurücksetzung  der  Weiber  beschränkt  sich  auf  den  engern  Kreis,  die 
Framerben,  unter  denen  Tochter,  Tochterkind  und  Schwester  auf  den 
halben  Kopftheil  gesetzt  sind.  Im  weiteren  Kreis,  den  Gangerben,  macht 
dagegen  das  Geschlecht  keinen  Unterschied.  Mit  F.'s  Annahme,  dass  das 
älteste  dänische  Recht  von  Gleichstellung  der  Weiber  mit  den  Männern 
ausgegangen  sei,  tritt  allerdings  die  Angabe  des  Saxo  Gramm.  10,  494, 
die  das  Weibererl-recht  erst  durch  den  1014  verstorbenen  König  Sven 
begründet  werden  lässt,  in  Widerspruch.  Allein  F.  macht  mit  Recht  da- 
gegen geltend,  dass  sich  nicht  einsehen  lässt,  was  den  Sven  hätte  ver- 
anlassen sollen,  Tochter  und  Schwester  auf  halben  Kopftheil  zu  beschränken, 
im  entfernteren  Verwandtenkreis  dagegen  den  Weibern  sofort  volles  Erb- 
recht zu  gewähren.  F.  bezeichnet  die  Erzählung  des  Saxo,  der  ohnehin 
gewisse  mythologische  Bestandtheile  eigen  sind,  deshalb  lediglich  als  einen 
Versuch,  das  bei  den  Dänen  bestehen'le  Weibererbrecht,  dem  in  einzelnen 
Nachbarstämmen   keine  ähnliche  Institution   entsprach,   zu  erklären. 

Auch  für  das  schwedische  Erbrecht  nimmt  F.  ein  Ausgehen  von 
Gleichberechtigung  des  weiblichen  Geschlechts  an,  die  im  Anschluss  an 
die  Aussteuer  fi-eilich  einer  Zurücksetzung  von  Tochter  und  Schwester 
durch  deren  Beschränkung  auf  den  halben  Kopftheil  habe  Platz  machen 
müssen.  Dem  widerspricht  freilich  die  für  das  Jahr  1262  berichtete  ge- 
setzliche Einführung  des  Drittelsrechts  durch  Birger  Jarl,  wonach  fortan 
die  Schwester  neben  ihrem  Bruder    ein  Drittel  des  Nachlasses    der  Eltern 


Literatur.  4g9 

erben  und  entsprechendes  im  weiteren  Verwandtenkreise  gelten  sollte. 
Allein  zahlreiche  schwedische  Partikularrechte,  wie  das  Upländische  und 
Södermännische  Eecht,  Westaianua-  und  Helsingelagen,  beweisen,  theils, 
dass  im  entfernteren  Verwandtenkreis  die  Weiber  auf  volles  Erbrecht  An- 
spruch hatten,  theils,  dass  das  Drittelrecht  der  Tochter  schon  vor  dem 
Gesetz  des  Birger  in  Geltung  war,  so  dass  seiner  Anordnung  jedenfalls 
nicht  die  Bedeutung  einer  für  ganz  Schweden  wesentlichen  Norm  zu- 
geschrieben werden  kann,  die  etwa  im  Stande  wäre,  die  von  F.  behauptete 
Entwicklung  des  schwedischen  Weibererbrechts  als  unzutreffend  darzuthun. 

Kürzer  sind  die  normannischen  und  lothringischen  Rechte 
behandelt,  bei  deren  Darstellung  F.  vielfach  auf  frühere  Ausführungen 
verweisen  konnte.  Sie  theilen  meist  die  wesentlichen  Eigenthümlichkeiten 
der  übrigen  Bestandtheile  der  dänischen  Gruppe,  die  Beschränkung  der 
Tochter,  die  Gleichberechtigung  der  dem  entfernteren  Verwandtenkreis 
angehörenden  Weiber  im  Erbrecht,  bieten  also  weitere  Belege  zu  Gunsten 
der  F. 'sehen  Theorie,  die  aus  dieser  Gestaltung  die  ursprüngliche  Gleich- 
stellung bei'ler  Geschlechter  im  Gebiet  des  Erbrechts  erschliesst. 

Damit  dürften  im  wesentlichen  F.'s  Darlegungen  wiedergegeben  sein, 
der  übrigens  gelegentlich  zu  Gunsten  seiner  Annahme  auch  noch  auf  den 
germanischen  Grundsatz  verweist,  dass  demjenigen  das  Erbe  zufallen 
solle,  dessen  Arbeit  der  Erhaltung  und  Wahrung  des  erb- 
lasserischen Vermögens  zu  Gute  gekommen  sei.  In  der  Urzeit 
hätten  die  Weiber  am  Wurzelsammeln,  an  der  Ackerbearbeitung  und  an 
der  Viehzucht  regen  Antheil  genommen,  seien  also  an  der  Schaffung  der 
in  den  Erbgang  kommenden  Vermögensbestandtheile  durchaus  aktiv  be- 
theiligt gewesen:  dem  entsprechend  habe  auch  ihr  Anspruch  auf  gleiches 
Erbrecht  mit  den  Männern  der  urzeitlichen  Anschauung  als  vollkommen 
begründet  erscheinen  müssen. 

Was  F.  als  die  Aufgabe  der  vorliegenden  Abtheilung  bezeichnet  — 
der  Nachweis  von  Umständen,  welche  die  Unzulässigkeit 
des  Ausgehens  vom  ursprünglichen  Ausschluss  der  Weiber 
darthun  — ,  ist  durch  seine  Ausführungen  im  vollsten  Mass  erfüllt. 
Die  Möglichkeit,  dass  das  urgermanische  Erbrecht  die  Angehörigen  beider 
Geschlechter  gleichmässig  behandelte,  kann  angesichts  dieser  Untersuchungen 
nicht  mehr  in  Abrede  gestellt  werden.  Ein  positives  Zeugnis,  dass  jene 
Möglichkeit  auch  thatsächlich  bestanden  hat,  wird  freilich  durch  F.'s  Fol- 
gerungen nicht  erbracht:  die  herrschende  Ansicht  lässt  es  aber  an  einem 
solchen  Zeugnis  nicht  nur  ebenfalls  fehlen,  sie  vermag  sogar  nicht  einmal 
den  vorhandenen  ßechtsstoff  mit  sich  in  Einklang  zu  bringen.  Unter 
diesen  Umständen  wird  der  F. sehen  Annahme,  dass  die  germa- 
^nische  Urzeit  die  erb  rechtliche  Gleichstellung  von  Mann 
und  Weib  anerkannt  habe,  der  Vorzug  der  grösseren  Wahr- 
scheinlichkeit —  denn  nur  eine  solche  kann  bei  der  Beurtheilung 
prähistorischer  Objekte  in  Frage  kommen  —  zuzubilligen  sein. 

Die  weiteren  Untersuchungen,  deren  baldigem  Erscheinen  entgegen- 
gesehen werden  darf,  werden  sich  mit  der  im  Weibererbrecht  eine  Sonder- 
gestaltung einnehmenden  göthisch-norwegischen  Gruppe  beschäftigen  und 
die  Verhältnisse  des  Eheguts  behandeln. 

Bern.  OttoOpet. 

MittheilunRen  XX.  32 


490  Literatur. 

JRegesta  episcoporumCoustantieusium.  Kegesteu  zur 
Geschichte  der  Bischöfe  vou  Coustanz  von  517 — 1496. 
Herausgegeben  vou  der  badischeu  historischeu  Commissiou.  luns- 
bruck  Waguer  I.  Baud  1895,  H.  Band  Lieferung  1—3,  1894—1896, 
4".  VII,  399  und  236  S. 

Ich  komme  einer  alten  Verpflichtung  nach,  wenn  ich  hier  die  Con- 
stanzer  Eegesten  bespreche;  habe  ich  doch  schon  im  8.  Bande  dieser 
Zeitschrift  (S.  (542.  643)  das  erste  Heft  derselben  angezeigt.  Inzwischen 
ist  der  erste  Band  mit  fünf  Lieferungen  (bis  1  293  reichend)  abgeschlossen, 
die  drei  Lieferungen  des  zweiten  gehen  bis  zum  J.  1351-  Die  letzte 
Lieferung  des  ersten  Bandes  enthält  ein  kurzes  Vorwort,  welches  die  Ge- 
schichte und  die  Geschicke  des  Werkes  erzählt  und  die  Archive  auf- 
zählt, welche  für  die  Sammlung  des  urkundlichen  Materials  durchforscht 
wurden.  Ausser  den  badensischen  wurden  auch  diejenigen  Württembergs, 
Bayerns,  Oesterreichs  und  der  Schweiz,  welche  die  Archivalieu  aus  dem 
Gebiet  der  ehemaligen  Constanzer  Diöcese  enthalten,  besucht,  vereinzelt 
auch  andere,  die  Ausbeute  enthielten,  wie  jenes  von  Colmar.  Indirect 
wurde  auch  das  vatikanische  Archiv  benutzt,  indem  die  Abschriften,  welche 
dort  unter  der  Leitung  Friedrichs  von  Weech  angefertigt  wurden,  ver- 
wertet sind.  —  Auf  die  Editionsprincipien  brauche  ich  hier  nicht  zurück- 
zukommen. Die  Einsetzung  des  Actums  auch  von  solchen  Urkunden,  welche 
nicht  die  Anwesenheit  des  Bischofs  bei  der  Ausstellung  voraussetzen,  in 
der  zweiten  Columne,  die  ich  im  J.  1,SS7  gerügt  habe,  ist  in  den  spätem 
Lieferungen  unterblieben. 

Ich  habe  mir  in  jener  ersten  Anzeige  ein  endgiltiges  Urtheil  über 
diese  hocherwünschte  Verööentlichung  vorbehalten.  In  der  That  haben 
die  Constanzer  Kegesten  allerlei  Wandlungen  durchgemacht.  Mau  wird 
nicht  sagen  können,  dass  die  weiteren  Lieferungen  des  ersten  Bandes  den 
Eindruck  eines  Fortschrittes  in  Durchdringung  und  Beherrschung  des 
StofTes  gemacht  hätten.  Jene  von  mir  schon  damals  erwähnten  Schwan- 
kungen und  Ungleiehmässigkeiten  dauerten  fort,  die  einzelnen  Eegesten 
wurden  eher  schwerfälliger;  die  zusammenfassenden  Angaben  bei  Wahl  und 
Tod  des  Bischofs  befriedigen  nicht  immer,  für  die  Lösung  der  kritischen 
Fragen,  welche  hier  auftauchen,  scheint  nicht  stets  genug  geschehen  zu 
sein,  die  Gegenverweise  bei  zusammengehörigen  Stücken  sind  recht  man- 
gelhaft. Die  badische-historische  Commission  hat  sich  dieser  Sachlage  am 
allerwenigsten  verschlossen;  der  Umschlag  zur  zweiten  Lieferung  des 
zweiten  Bandes  enthält  die  Mittheiluug,  dass  »sich  eine  umfassende  Wieder- 
holung aller  Vorarbeiten  als  dringend  nothwendig  ^"^  erwiesen  habe  ^).  Auch 
in  den  Bearbeitern  fand  ein  Wechsel  statt.  P.  Ladewig  trat  Ende  1889  von 
der  Thätigkeit  für  die  Regesten  zurück;  an  seine  Stelle  trat  seit  1892 
A.  Cartellieri.  Die  erste  Lieferung  des  zweiten  Bandes  enthält  noch 
eine    Anzahl    von    der    Bearbeitiiug    Ladewisjs    »theils    unverändert    über- 


')  Auf  einzelnes  ganz  fern  liegendes  wird  der  Regestenmaclier  ja  immer 
nur  durdi  glücklieben  Zufall  stosseii.  So  bieten  die  Archiv-I>eriehte  aus  Tirol  1, 
4."jS  n"  'iG.jij  einen  Ablassbrief  B.  Gerard.s  von  lolO  Mai,  der  sich  an  u"  3520 
der  lie<resteii  gut  anscbliesst. 


Literatur. 


491 


üommeuer,  theils  auf  Grund  seiner  Aufzeichnungen  angefertigter«  Regesten. 
Alles  andere  ist  Arbeit  und  Verdienst  Cartellieris.  Man  kann  nur  sagen, 
dass  die  ßegesten  unter  dessen  Händen  nach  jeder  Eichtung  hin  gewonnen 
haben  und  sich,  soweit  ich  es  zu  beurtheilen  vermag,  als  eine  durchaus 
solide  und  gediegene  Leistung  darbieten.  Die  urkundlichen  und  erzählenden 
Quellen  sind  in  weitem  Umfang  herangezogen,  kritisch  durchgearbeitet,  die 
Auszüge  sind  klar  und  praecis,  es  klappt  alles.  Die  Editionsgrundsätze  sind 
bis  auf  kleine  Vereinfachungen  die  gleichen  geblieben  und  folgerichtio- 
durchgeführt.  Die  allgemeinen  Nachrichten  über  die  bischöflichen  Re- 
gierungen, die  natürlich  im  Lauf  der  Zeiten  reichlicher  fiiessen,  sind  bei 
Wahl  und  Tod  der  einzelnen  Bischöfe  sorgfältig  gesammelt,  Quellen  und 
Literatur  zusammengestellt.  Manchmal  ergeben  sich  bei  solchem  Anlass 
förmliche  kritische  Excurse,  wie  unter  n«  4690  über  eine  gleichzeitige 
Lebensbeschreibung  des  B.  Nicolaus  von  Frauenfeld.  Recht  practisch  finde 
ich  es,  dass  auch  die  urkundlichen  Daten  über  die  Bischofscandidaten  vor 
deren  Stuhlbesteigung  aufgenommen  sind. 

Es  ist  begreiflich,  dass  der  in  den  beiden  Bänden  verarbeitete  Stoff 
mit  dem  Fortgang  der  Jahrhunderte,  wie  reicher,  so  auch  interessanter 
wird.  Ich  habe  schon  in  der  frühern  Anzeige  darauf  hingewiesen,  dass 
bis  ins  12.  Jahrh.  eigentlich  bischöfliche  Urkunden  äusserst  selten  sind. 
Erst  unter  Hermann  L  von  Arbon  (ll38  bis  1165)  werden  sie  häufiger. 
Ein  Jahrhundert  später,  etwa  unter  Rudolf  H.  von  Habsburg  (1274—1293), 
bemerken  wir,  dass  die  Documente,  welche  der  Bischof  als  Reichsfürst,  als 
Lehens-  und  als  Dienstherr  ausstellt,  die  eigentlich  kirchlichen  Acte  weit 
überwiegen.  Und  auch  in  der  Folgezeit  tritt  das  Reichsfürstenthura  am 
meisten  hervor.  Neben  Urkunden  über  Grundbesitz  fehlen  auch  nicht 
Ordnungen  städtischer  Verhältnisse  (z.  B.  n«  2977.  3000  für  Constanz), 
die  politische  Rolle  einzelner  Bischöfe  rundet  sich  schon  plastisch  ab,  so 
die  Theilnahme  Gerhards  IV.  am  Kaiserzug  Heinrichs  VIT.,  die  Bedeutung 
Nicolaus'  von  Frauenfeld  für  die  Habsburgische  Herrschaft  in  den  Vor- 
landen wie  an  der  Donau.  Der  dazwischen  regierende  Rudolf  HI.  von 
Montfort  ist  schon  durch  seine  Abstammung  stärker  in  die  lokalen  Händel 
am  Bodensee  verwickelt.  Als  ein  wahrer  Ruin  für  das  Bisthum  erscheinen 
die  Doppelwahlen,  welche  seit  Ende  des  13.  Jh.  bei  jeder  Vakanz  des 
Bischofstuhles  vorkamen  und  in  der  päpstlichen  Reservationspolitik  den 
üppigsten  Nährboden  fanden;  gerade  dadurch  steigt  die  Schuldenlast  der 
Kirche.  Auch  auf  den  bösen  Kirchenstreit  unter  Ludwig  d.  Bayern  fallen 
grelle  Lichter.  B.  Ulrich  III.,  welcher  sich  von  Anfang  an  Karl  IV.  zu- 
wendete, hat  noch  bis  1350  Anhänger  des  Bayern  aus  dem  Kirchenbanne 
zu  lösen.  Auffallend  ist  die  grosse  Zahl  von  Pfarren,  welche  durch  diesen 
Bischof  an  Klöster  incorporirt  wurden. 

Als  einen  besonderen  Vorzug  habe  ich  endlich  den  Constanzer  Regesten 
noch  nachzurühmen,  dass  schon  dem  ersten  Band  ein  ausführliches,  und  nach 
den  von  mir  gemachten  Stichproben  sehr  genau  gearbeitetes  Register  aller 
in  demselben  vorkommenden  Orts-  und  Personennamen,  bearbeitet  von 
Dr.  Th.  Müller,  beigegeben  ist.  Es  ist  nach  dem  Muster  jenes  für  das 
Züricher  Urkundenbuch  angelegt.  Die  Zusammenstellungen  zusammen- 
gehöriger Dinge  unter  einem  Schlagwort  wirken  ausserordentlich  vor- 
theilhaft.      Man    sehe    nur    etwa    die    Rubriken    Constanz    Stadt,    Gebäude, 

32* 


492  Literatur. 

Bürgerschaft,  Capitel,  oder  die  Beziehungen  von  Ort  und  Geschlecht,  wie 
Montfort  und  Habsburg.  In  manchen  Fällen  ergeben  sich  freilich  wieder 
unliebsame  Zerreissungen  einer  Person,  wenn  z.  B.  Albrecht  der  I.  z.  Th. 
unter  Habsburg,  z.  Th.  unter  Oesterreich  (als  Herzog)  z.  Th.  unter  Deutsch- 
land (als  König)  zu  suchen  ist;  doch  fehlt  es  nirgends  an  den  nüthigen 
Verweisen. 

Und  so  schliessen  wir  mit  dem  lebhaftesten  Dank  an  die  genannten 
Bearbeiter  wie  an  die  Leiter  des  Unternehmens,  Friedrich  von  Weech  und 
Alois  Schulte. 

Innsbruck.  E.  v.   Ottenthai. 


Wilhelm  Erben,  Quellen  zur  Geschichte  des  Stiftes 
und  der  Herrschaft  Mattsee  (Fontes  Kerum  Austriacarum 
II.  Abth.  49.  Bd.).     Wien,  Gerold  1896- 

Die  Mattseer  Geschichtsquellen  sind  inhaltlich  viel  bedeutender  als 
der  Ursprungsort  —  die  uralte  aber  weder  durch  Reichthum  noch  durch 
Ansehen  hervorragende  Stiftung  der  Agilolfinger  —  vermuthen  Hesse.  Der 
geschichtliche  jSIachlass  besteht  in  drei  Kaiendarien  und  dem  »Liber  tradi- 
tionum* —  einer  aus  verschiedenen  Bestandtheilen  zusammengesetzten  Hand- 
schrift der  Mattseer  Stiftsbibliothek  —  zu  denen  sich  ein  Oblaibuch  des 
Wiener  Staatsarchivs  gesellt;  diese  Handschriften  sind  in  der  Einleitung 
mit  musterhafter  Schärfe  untersucht  und  sehr  sorgfältig  beschrieben.  Da 
sich  E.  auf  die  Quellen  der  Ortsgeschichte  und  zeitlich  auf  das  1 4.  Jahr- 
hundert beschränkt,  so  hat  er  vornehmlich  den  älteren  Bestand  —  das 
erste  Kalendar  und  den  Liber  iraditionum  —  verwertet,  doch  lieferten 
auch  die  übrigen  Handschriften  manche  brauchbare  Ergänzung.  Die  Aus- 
beute besteht  in  einem  Todtenbuch,  der  Ortsgeschichte  und  der  Urkunden- 
sammlung, während  ein  Urbarbuch  beiseite  gelassen,  die  grosse  Annalen- 
compihition  für  eine  besondere  mittlerweile  im  Neuen  Archiv  XXIL  er- 
schienene Untersuchung  aufgespart  wii'd. 

Ln  Todtenbuch  fasst  E.  die  Einträge  aller  drei  Kaiendarien  zusammen ; 
der  älteste  Bestandtheil  des  ersten  stammt  aus  dem  ersten  Jahrzehnt  des 
14.  Jahrhunderts,  doch  muss  es  ein  verlorenes  älteres  Necrolog  benutzt 
haben,  da  manche  Namen  bis  in  die  erste  Hälfte  des  1 2.  Jahrhunderts 
zurückreichen,  die  Mehrzahl  der  Einträge  dem  13.  Jahrh,  angehört.  Aus 
den  Kaiendarien  von  1458  und  1520  lassen  sich  ausser  den  neu  hinzu- 
tretenden Notizen  manche  Aufschlüsse  über  die  Personen  des  älteren 
Necrologs  gewinnen.  Von  Wert  ist  dies  Todtenbuch  für  die  Kenntnis 
der  Adelsgeschlechter  und  der  Pfarrgeiatlichkeit  der  Umgebung;  dagegen 
findet  man  auffallend  wenig  Namen  aus  anderen  Klöstern,  woraus  man 
wohl  schliessen  darf,  dass  Mattsee  sich  nicht  oft  in  Verbrüderungsverträge 
einliess,  denn  Theilnecrologe,  in  die  man  die  Brüder  aus  fremden  Häusern 
abgesondert  von  den  eigenen  eingetragen  hätte,  kommen  in  dieser  Zeit 
nicht  mehr  vor.  In  der  Erklärung  der  Namen  hat  E.  das  Mögliche 
geleistet. 

Den  wichtigsten  und  interessantesten  Theil  dieser  Geschichtsquellen 
bildet  die   aus   dem   Liber  tradilionem   geschöpfte  Localchrouik,   deren  Ein- 


^  Literatur.  493 

leitung  der  Herausgeber  weglässt,  da  sie  sich  als  eine  wertlose  Nach- 
bildung der  Gründungsgeschichte  von  Kremsmünster  erweist.  Der  Schreiber 
ist  derselbe,  der  zwischen  137  5  und  1.385  im  Dienste  des  Decans  Christian 
Gold  das  Oblaibuch  herstellen  half;  die  überzeugenden  Erwägungen,  die 
E.  an  diesen  Umstand  knüpft,  führen  zu  der  kaum  zu  bestreitenden  An- 
nahme, dass  Christian  Gold  als  der  Verfasser  der  Ortsgeschichte  anzusehen 
sei.  In  der  erwähnten  Abhandlung  im  Neuen  Archiv  schreibt  Erben  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  auch  die  umfangreiche  Mattseer  Annalen- 
compilation  demselben  Urheber  zu ;  Christian  Gold,  ein  wohlhabender  Passauer 
Bürgerssohn,  ist  wohl  die  bedeutendste  Persönlichkeit  der  Mattseer  Stifts- 
geschichte. Chorherr  spätestens  seit  1349,  Pfarrer  von  Lochen  und  Stifts- 
kellner seit  1.355,  Decan  von  1365  bis  zu  seinem  Tode  im  Jahre  1388, 
hat  er  dem  Kloster  fast  vierzig  Lebensjahre  hindurch  sein  Vermögen  und 
sein  bestes  geistiges  Können  gewidmet.  Zahlreiche  Güter  brachte  er  an 
das  Stift,  z.  Th.  mit  dem  Aufwände  seiner  eigenen  Geldmittel;  wie  das 
Oblaibuch  das  Zeugnis  seiner  wirthschaftlichen  Thätigkeit,  so  sind  die 
Geschichtswerke  des  Liber  traditionum  das  Denkmal  seiner  geistigen  Ar- 
beit. Stolz  auf  seine  Leistungen,  hat  er  beide  Handschriften  der  Bücherei 
von  Mattsee  geschenkt. 

In  der  Ortsgeschichte  spiegelt  sich  der  Geist  der  Zeit  wie  in  wenigen 
Schriften  derselben  Art.  Der  älteste  Theil  wurde  um  1356  abgeschlossen, 
die  Fortsetzungen  reichen  bis  etwa  1382.  Von  der  Geschichte  Mattsees 
bis  in  das  letzte  Viertel  des  13.  Jahrhunderts  wusste  der  Verfasser  nicht 
mehr  viel  —  die  Ueberlieferung  muss  schon  damals  erloschen  gewesen 
sein.  Erst  von  der  Zeit  an,  über  die  man  aus  den  Erzählungen  der  Alten 
manches  erfahren  konnte  —  die  veridica  narratio  wird  ausdrücklich  als 
Quelle  genannt  —  wird  die  Erzählung  reicher  und  lebhafter,  doch  be- 
schäftigt sie  sich  weniger  mit  dem  Stifte  als  mit  der  Burg  von  Mattsee. 
(Cap.  20  ff.).  Da  wird  uns  das  Walten  der  Pfandbesitzer  und  Burgvögte 
sehr  anschaulich  geschildert;  sehr  klar  werden  die  Zustände  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  14.  Jahrhunderts  durch  die  Gestalt  des  bairischen  Vitz- 
thums  Ofenstetter  gekennzeichnet,  der  die  Mattseer  zwingt,  die  niedere 
Gerichtsbarkeit  um  hohen  Preis  anzukaufen  um  sich  seiner  Vexationen  zu 
entledigen ;  dann  noch  besser  durch  den  passauischen  Burgvogt  Otakar  von 
Eggenberg,  der  von  seinen  Schutzbefohlenen  als  ein  »reissender  Wolf* 
verschrieen,  aber  vom  Bischof  gehalten  wird.  Auch  die  Schilderungen 
der  Armuth  des  Stiftes  (cap.  47),  der  Fehde  des  Wallseers  (cap.  5l), 
der  Befestigungen  (cap.  54),  ferner  die  Verzeichnisse  der  Schenkungen 
Christians  an  das  Stift  (capp.  57 — 60)  seien  hervorgehoben.  Denn  gerade 
weil  es  sfch  um  eine  abseits  liegende  Ortsgeschichte  handelt,  ist  es  eine 
Pflicht  der  Kritik,  auf  die  allgemeinere  Bedeutung  dieser  Nachrichten  auf- 
merksam zu  machen. 

Den  dritten  Theil  bildet  die  Sammlung  der  Urkunden  und  ürkunden- 
regesten.  Auch  hier  findet  man  einiges  von  typischem  Werte,  anderes 
was  besondere  Verhältnisse  mit  ungewöhnlicher  Klarheit  beleuchtet.  So 
die  Bestimmungen  über  den  census  personalis,  den  einige  Pfarren  an 
Mattsee  zu  leisten  hatten  (Nr.  4  von  1143),  über  die  Propstwahl  (Nr.  7 
von  1196),  die  Verleihung  der  Gerichtsbarkeit  über  die  Stiftsleute  (Nr.  20 
von    1305);    ferner    Statuten    des    Stiftes    mit    verschiedenen    Ergänzungen 


494  Literatur. 

(so  Nr.  2<S,  28^,  35,  42  besonders  aber  die  verwaltungs-  und  wirt- 
schaftsgeschichtlich interessante  Ordnung  für  das  Amt  des  Kellerers  Nr.  56 
von  1339);  iür  die  beschränlden  Hilfsmittel  des  Stiftes,  das  vorsichtig 
wirtschaften  musste  um  das  Auslangen  zu  finden,  sprechen  die  unge- 
wöhnlich zahlreichen  Verrechnungen  und  Verrechnungsvorschriften,  unter 
denen  ich  das  schon  erwähnte  Stück  Nr.  42,  und  etwa  noch  52  und  fiO 
namhaft  mache;  überhaupt  blickt  die  Armuth  aus  jedem  Winkel  hervor; 
so  werden  1328  mehrere  Pfarren  dem  Stifte  verliehen,  weil  die  Einkünfte 
zur  Erhaltung  eigener  Pfarrer  nicht  ausreichen  (Regest-Nr.  37),  umgekehrt 
wird  im  Jahre  1332  die  mensa  des  Propstes  zur  Aufbesserung  ihres  völlig 
ungenügenden  Einkommens  mit  einigen  Pfarren  ausgestattet  (Reg.  46).  Das 
geschieht  in  einer  sehr  charakteristischen  Urkunde,  die  es  wohl  verdient 
hätte,  in  vollem  Wortlaut  mitgetheilt  zu  werden.  Aehnlich  liegen  die 
Verhältnisse  der  Dechantei  (Nr.  5  4).  Der  Aufschwung  des  Stiftes  durch 
die  Thätigkeit  des  Decans  Gold  zeigt  sich  auch  darin,  dass  solche  Urkunden 
zu  seiner  Zeit  nicht  mehr  vorkommen.  Viele  von  den  späteren  Stücken 
der  Urkundensammlung  handeln  von  seinen  Erwerbungen  und  Stiftungen. 
Erwähnt  sei  noch  die  Ordnung  für  die  Oblai  (Nr.  8^  von  137l).  Von 
welcher  Seite  man  an  die  Geschichte  herantreten  mag,  man  wird  hier 
immer  etwas  Brauchbares  finden. 

Der  Wert  dieser  Sammlung  wird  dadurch  erhöht,  dass  sie  einen  fast 
ganz  neuen  Stoff  bietet,  denn  mit  Ausnahme  einiger  Urkunden  war  bisher 
wenig  daraus  bekannt  und  nichts  veröffentlicht.  Die  Ausgabe  entspricht 
den  strengsten  Anforderungen  einer  hoch  entwickelten  Editionskunst;  es 
gibt  nicht  viele  Quellen  zur  Orstgeschichte,  die  sich  einer  so  sorgsamen 
Behandlung  zu  erfreuen  gehabt  hätten. 

S.  H  e  r  z  b  e  r  ff  -  F  r  ä  n  k  e  1. 


Neu  wir  th  Josef,  Der  Bildercyklus  des  Luxemburger 
8 1  a ra  ni  b a u  m  es  aus  K a r  l  s t e i n.  Forschungen  zur  Ku ii stgeschichte 
Böhuieus;  verr)fF.  vou  der  Gesellschaft  z.  Förderung  deutscher  Wissen- 
schaft, Kunst  und  Literatur  in  Böhmen.  IL  Prag  Calve,  1807.  Gross- 
Folio.  S.  54  mit  16  Lichtdruck  tafeln  und  2  Abbildungen  im  Texte. 

Neuwirth  Josef,  Der  verlorene  Cyklus  böhmischer 
H e r r s c h e r b i  1  d e r  in  der  P r a g e r  K ö n i g s b u r g.  Studien  zur 
Geschichte  der  Gothik  in  Böhmen  IV.  Prag.  Verein  für  Geschichte 
der  Deutschen  in  Böhmen.  189(3.  S.  65  mit  4  Lichtdrucktafeln. 

Wir  fassen  in  der  vorliegenden  Besprechung  die  beiden  hier  in  Betracht 
kommenden  Arbeiten  Neuwirths  aus  dem  Grunde  zusammen,  weil  sie  zu 
einander  in  enger  Beziehung  stehen,  zum  Theile  einander  sogar  ergänzen 
und  jede  von  ihnen  eine  leider  im  Laufe  der  Zeit  verloren  gegangene 
Bilderfolge  aus  den  schaffensfrohen  Tagen  Karls  IV.  allerdings  in  Ueber- 
lieferungen  erst  aus  dem  16.  Jahrhunderte  vorführt,  durch  welche  jedoch 
der  Gedankenkreis,  welcher  die  Schöpfungen  der  böhmischen  Wandmalerei 
um    die    Mitte    des    1 4.  Jahrhundei'tes    beherrschte,    eine    wesentliche    Er- 


Literatur.  495 

Weiterung  erhält.  Diese  beiden  Arbeiten  N.'s  vex'danken  ihre  Entstehung 
nicht  einem  sogenannten  günstigen  Zufalle,  der  insbesondere  bei  For- 
schungen auf  dem  Gebiete  der  Kunstgeschichte  nicht  selten  waltet  und 
bisher  ganz  unbekanntes,  neues  Material  der  Forschung  zuführt,  sondern 
den  systematischen  Bemühungen  des  mit  den  Werken  und  Quellen  der 
Gothik  in  Böhmen  völlig  vertrauten  Verfassers,  der  mit  Erfolg  die  Biblio- 
theken und  Museen  ausserhalb  Böhmens  durchforscht,  welche  noch  eine 
Fülle  von  Materiale  enthalten,  dessen  Ausbeute  in  kunstgeschichtlicher 
Hinsicht  noch  nicht  versucht  wurde. 

Die  beiden  Handschriften,  denen  die  Tafeln  entnommen  sind,  ver- 
wahrt die  k.  u,  k.  Hofbibliothek  zu  Wien.  Die  über  Auftrag  des  Obersten 
Erbtruchsess  von  Böhmen  Johann  von  Hassenstein  und  Budin  noch  vor 
dem  Jahre  1541  angefertigte  Handschrift  Nr.  8043  wurde  von  diesem 
später  K.  Ferdinand  I.  in  der  Absicht  gewidmet,  um  ihn  nach  dem  Brande 
der  Prager  Königsburg  1541  bei  dem  Neubau  der  Burg  und  der  Er- 
neuerung des  inneren  Schmuckes  zur  Wiederherstellung  des  bei  dieser 
Gelegenheit  vernichteten  Cyklus  der  böhmischen  Herrscherbilder  zu  bewegen, 
der  nach  Neuwirths  überzeugender  Beweisführung  in  den  Tagen  Karls  IV. 
und  wahrscheinlich  auch  auf  dessen  besondei-e  Weisung  ausgeführt  wurde. 
Bedauerlich  ist  nur,  wie  aus  jeder  der  beigegebenen  Lichtdrucktafeln  er- 
sehen werden  kann,  dass  der  Maler  sich  nicht  getreu  an  die  Vorlage  hielt 
und  die  einzelnen  Bilder  namentlich  in  Bezug  auf  die  Gewandung  im 
Geiste  des  16.  Jahrhundertes,  das  für  die  gothische  Auffassung  kein  Ver- 
ständnis besass,  frei  umarbeitete,  so  dass  aus  der  genannten  Handschrift 
eine  leider  nur  annähernde  Vorstellung  dieser  umfangreichen,  47  Bilder 
umfassenden  Folge  abgeleitet  werden  kann,  wogegen  die  unter  den  Bildern 
angebrachten  Inschriften,  welche  durch  die  Handschriften  Nr.  7304  und 
8491  der  Hofbibliothek  in  Wien  überprüft  und  richtig  gestellt  wurden, 
bis  auf  Lesefehler  oder  durch  Abbröckelung  des  Malters  entstandene 
Lücken,  deren  Deutung  unterblieb,  zuverlässig  sind.  Trotz  des  wieder- 
holten Vorschlages  Johanns  von  Hassenstein  und  reger  Unterhandlungen 
in  den  Jahren  15  48  —  15fi5  (S.  56  ff.)  kam  es  zur  Ausführung  dieses 
Cyklus  nicht;  die  anderen  Malereien  wurden  in  der  Prager  Burg  theils 
von  Italienern,  theils  deutschen  Künstlern  ausgeführt,  da  es  nach  einer 
Erklärung  des  Erzherzogs  Ferdinand  aus  dem  Jahre  1548  »alhie  (Prag) 
nit  viel  künstlicher  werchleut«  gab. 

Von  weit  höherem  Werte  ist  die  Wiener  Handschrift  Nr.  8330,  weil 
in  dieser  die  Bilder  sehr  naturgetreu  wiedergegeben  sind.  Sie  enthält 
ohne  Titelblatt,  auch  ohne  sonst  irgend  eine  schriftliche  Aufzeichnung  im 
ganzen  56  Bildnisse,  welche  mit  Noah  beginnen,  mit  denen  Karls  IV.  und 
seiner  Gemahlin  Bianca  schliessen;  mit  Bl.  60  und  61  folgen  2  Copien 
von  Wandgemälden  an  der  Südwand  der  Marienkirche  in  Karlstein :  Karl  IV. 
mit  dem  ältesten  Sohne,  Karl  IV.  vor  dem  Eeliquienkreuze ;  Bl.  61  bis  64 
enthält  Darstellungen  aus  der  Wenzelskapelle  im  Prager  Dome ;  mit  Bl.  65 
bis  98  beginnt  eine  prachtvoll  ausgeführte  Sammlung  der  Wappen  böh- 
mischer Ländergebiete  und  des  böhmischen  Adels.  Die  der  zweiten  Ab- 
theilung der  Wappen  vorangestellten  Medaillons  K.  Max  IL  und  seiner 
Gemahlin  Anna  zwingen  neben  inneren  triftigen  Gründen  (S.  9)  zu  der 
Annahme,  dass  die  Handschrift  in  den  Jahren  1569  bis  1575  zu  der  Zeit 


496 


Literatur. 


angefertigt  wurde,  in  der  neben  Johann  von  Martinitz  auch  NikUis  Mirs- 
kowsky  von  Tropcitz  auf  Mirkow  als  Burggrafen  auf  Karlstein  genannt 
werden,  deren  Wappen  nebst  Inschrift  Bl.  67'  und  09  enthält.  Es  liegt 
die  VeriDuthung  nahe,  dass  der  kunstliebende  Kaiser  Max  II.  selbst  die 
Verfügung  traf,  in  naturgetreuen  Copien  die  Wandgemälde  in  Karlstein 
abzunehiv.en,  weil  diese  durch  Schadhaftigkeit  des  Mörtels  und  Abbröcke- 
lung  der  Farbe  damals  bereits  so  sehr  gelitten  haben,  dass  sie  in  d^r  Zeit 
K.  Kudolfs  II.  bei  den  dürftigen  Umbauten  in  der  Burg  in  den  Jahren 
1588   bis   1,597   verschwunden  sind   (S.   5). 

In  dem  1896  erschienenen  Prachtwerke  »Mittelalterliche  Wand- 
gemälde und  Tafelbilder  der  Burg  Karlstein  in  Böhmen« 
hat  Neuwirth,  gestützt  auf  den  Bericht  des  Gesandten  von  Brabant  und 
Chronisten  Edmund  de  Dynter,  der  1413  daselbst  als  Gast  Wenzels  IV. 
weilte  und  in  den  Sälen  der  Burg  umhergeführt  wurde  (S.  2),  hervor- 
gehoben, dass  die  Bilderiolge,  welche  er  als  »genealogia«  bezeichnet,  ver- 
loren gegangen  ist.  Mit  der  dem  Verf.  eigenen  Gründlichkeit  des  Beweis- 
verfahrens wird  nachgewiesen,  dass  die  getreuen  Copien  der  Handschrift 
nach  Originalen  aus  der  Zeit  Karls  IV.  geai'beitet  sind,  dass  die  beiden 
Wappen  der  Burggrafen  nur  die  Deutung  zulassen,  dass  die  Bilderfolge  in 
Karlstein  war,  so  dass  uns  der  auf  Karls  IV.  besonderen  Auftrag  ange- 
fertigte Stammbaum  vorliegt.  Die  Bilderfolge  versinnlicht  im  wesentlichen 
die  Genealogie  der  Herzoge  von  Brabant  bis  auf  Johann  III.,  wie  sie  auch 
in  der  Chronica  ducum  Lotharingiae  et  Brabantiae  des  Edmund  de  Dynter 
sich  findet,  die  bei  den  Trojanern  begann  (S.  22)  und  mit  besonderer  Vor- 
liebe an  Karl  den  Grossen  anlehnte,  von  dem  die  Herzöge  von  Brabant, 
mit  denen  die  Luxemburger  so  nahe  verwandt  sind,  ihre  Abstammung 
herleiten,  während  die  mit  Priamus  beginnende  Darstellung  des  Stanjm- 
baumes  Verwandtschaft  mit  dem  ersten  Capitel  des  »Monarchos*  von 
Johannes  Marignola  zeigt,  der  mit  Karl  IV.  zur  Zeit  der  Ausführung  dieser 
Bilder  in  inniger  Beziehung  stand,  auch  gelegentlich  den  Zweck  nennt, 
aus  welchem  er  Noah,  Saturn  etc.  als  die  Ahnherrn  des  Stammes  aufstellt 
(S.  25).  So  baut  sich  dieser  Cyklus  auf  Bibel,  Mythologie,  Sage  und  Ge- 
schichte auf,  welcher  den  kaiserlicher  Auftraggeber  und  sein  Haus  in  der 
Berechtigung  des  Anspruches  auf  die  Kaiserwürde  verherrlichen  sollte. 
Während  in  der  Herrscherfolge  auf  der  Prager  Königsburg  der 
Zusammenhang  des  Luxemburger  Hauses  mit  der  nationalen  Dynastie  der 
Pfemysliden  dem  Beschauer  vorgeführt  werden  sollte,  so  waltete  hier  eine 
andere  Absicht :  nicht  der  König  von  Böhmen,  sondern  der  deutsche 
Kaiser,  der  in  Karlstein  seine  wertvollsten  Schätze  bewahrte  und 
oben  in  der  Kreuzkapelle  die  Heiligen  seiner  Reliquien,  unten  im  Palas 
seine  den  Anspruch  auf  die  Kaiserwürde  begründenden  Ahnen  wenigstens 
im  Bilde  um  sich  versammeln  wollte,  hat  die  Karlsteiner  Bilderfolge  der 
Luxemburger  Genealogie  angeordnet,  deren  Zusammenstellung  und  Tendenz 
einen  weit  über  Böhmen  herausgehenden  Ideenkreis  deutlich  erkennen 
lässt.  Die  Entstehungszeit  dieser  Bilder  fällt  in  das  Jahr  1355  oder  1356, 
da  Karl  IV.  und  seine  Gemahlin  Bianca  mit  drei  Kronen  abgebildet  sind, 
während  die  Art  der  Anlage  und  die  Ausführung  zu  der  Vermuthung 
berechtigen,    Meister    Nikolaus    Wurmser    aus    Strassburg,    der    1357    als 


Literatur.  407 

Hofmaler  erwähnte  Künstler  Karls  IV.,  habe  sie  geschafi'en,  da  er  haupt- 
sächlich mit  der  Ausschmückung  der  »loca  et  casti-a*  beschäftigt  wai*. 

Die  auf  den  beigegebenen  Tafeln  in  Lichtdruck  (Anstalt  C.  Bellraann 
in  Prag)  trefflich  reproduzirten  Bilder  sind  in  den  einzelnen  Theilen  so 
scharf  gegeben,  dass  sie,  was  Zeichnung  betreflft,  das  Originale  ersetzen. 
Ein  Kenner  gothischer  Malerei  fini.let  sofort  heraus,  dass  sich  der  Copist 
in  diesem  Falle  treu  an  die  Vorlage  gehalten  hat,  was  nur  noch  bekräftigt 
wird  durch  einen  Vergleich  der  Copien  und  der  erhaltenen  Bilder  in  der 
Marienkapelle  in  Karlstein  und  der  Wenzelskapelle  in  Prag,  bei  denen 
mit  künstlerischem  Verständnis  auch  das  Colorit  gewahrt  wurde.  Darin 
liegt  eben  gerade  der  grosse  Wert  dieser  Copien,  dass  sie  als  getreueste 
Nachahmungen  von  Wandgemälden  des  14.  Jahrhundertes  in  Zeichnung 
und  Farbe,  welche  die  Tracht  der  damaligen  Zeit  tragen,  wie  Neuwirth  an 
der  Hand  der  Quellen  ausführlich  nachweist,  einen  unschätzbaren  Beitrag 
zur  Kenntnis  der  Costümkunde  Böhmens  in  jener  Zeit  bilden.  Da  die 
decorativen  Füllungen  zwischen  den  Bildern  vollständig  fehlen,  lässt  sich 
nur  ganz  allgemein  die  Vermuthung  aussprechen,  dass  die  Anordnung  der 
Bilder  im  Stammbaum  etwa  in  der  Art  der  Aneinanderreihung  in  der 
Handschrift,  vielleicht  mit  besonderer  Wahrung  der  zeitlichen  Abfolge 
durchgeführt  war. 

Da  die  beiden  Bildercyklen  nach  Anlage  und  Durchführung  von  un- 
gleichem Werte  sind,  genügte  bei  den  minderwertigen  Herrscherbildern 
in  der  Prager  Königsburg  die  Wiedergabe  nur  einzelner  Bildnisse  als 
Probe,  wogegen  es  sich  als  nothwendig  erwies,  alle  Bilder  des  Stamm- 
baumes wegen  Ihrer  ganz  eigenthümlichen  Charakteristik  vorzuführen, 
damit  der  Forscher  an  der  Hand  des  gesammten  Materiales  sich  ein  Ge- 
sammturtheil bilden  könne.  Die  Herausgabe  dieses  Prachtwerkes,  eines 
vorzüglichen  Erzeugnisses  des  heimischen  Büchermarktes,  das  sich  den 
besten  Publicationen  des  Auslandes  ebenbürtig  anreiht,  ist  dadurch  er- 
möglicht worden,  dass  die  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissen- 
schaft, Kunst  und  Literatur  in  Böhmen  durch  die  grossen  Geldmittel,  die 
sie  für  die  Veröffentlichung  bewilligte,  neuerdings  dem  Gefühle  patrioti- 
schen Sinnes  Ausdruck  verlieh  und  sich  insbesondere  das  deutsche  Volk 
in  Böhmen  zum  Danke  verpflichtete,  da  gerade  die  Kunstwerke  in  der 
Burg  Karlstein  die  beredten  Zeugen  sind  von  dem  hervorragenden  Antheil, 
der  diesem  Volksstamme  an  der  Culturarbeit  des  engeren  Heimatlandes 
zukommt. 

Wien.  Dr.  Ad.  Horcicka. 


Die  historischen  Programme  der  österreichischen 
Mittelschulen  für  1898. 

Da  in  dem  Berichtsjahre  dem  Erlass  des  Unterrichts-Ministeriums 
V.  30-  Dez.  1896  zufolge  in  den  Programmen  meist  die  Kataloge  der 
Lehrerbibliotheken  abgedruckt  sind,  so  ist  diesmal  die  Zahl  der  wissen- 
schaftlichen Al)handlungen  eine  geringere  als  sonst.  Von  den  Aufsätzen 
historischen  und  verwandten  Inhalts  beruhen  auf  ungedrucktem  Materiale : 
Das  Archiv    der    Stadt    St.  Polten  (Fortsetzung)  von  Aug.  Herr- 


498  Literatur. 

mann  (Gymnasium  in  St.  Polten).  Bietet  zahlreiche  Urkun<lenauszüge 
aus  dem  Stadtarchive:  K.  Mathias  14.S<S  Jan.  9  Wien  (über  freien  Holz- 
bezug), 14S8  Jan.  15  Wien  (Verleihung  einer  Maut  in  St.  Polten).  K. 
Max  I.  15(12  Sept.  24  (Entscheidung  in  einer  amtlichen  Streitsache),  1506 
März  1 1  Wiener-Neustadt  (Anweisung  von  Gerichtsgeldern  zum  Bau  der 
verfallenen  Mauern  und  Thürme  der  Stadt),  1512  Juli  23  Köln  (Geld- 
bewilligung), 1512  Sept.  3  (Erlass  der  Urbarsteuer),  1512  Sept.  13  (Nach- 
lass  der  Haussteuer),  1512  Sept.  24  Köln,  1514  Jan.  5  Innsbruck  (Er- 
richtung einer  Salzlagerstätte),  1514  Febr.  4  Rattenberg  am  Inn  (Erhöhung 
der  Ochsenmaut  um  2  Pfennige  für  das  Stück  zum  Wiederaufbau  der 
durch  Brand  verheerten  Stadt),  1518  Jan.  12  Vöklabruck  (Erstreckung 
der  Urbarsteuer-Befreiung).  K.  Ferdinand  I.  1530  Sept.  J2  Wien  (Ver- 
äusserung  von  Zechgütern),  1537  Juni  28  Wien  (Aufrichtung  einer  Brücken- 
raaut),  1538  Nov.  3  Wien  (Wappenverleihung  für  die  Stadt)  mit  Abbil- 
dung des  Wappensiegels;  1539  Dec.  11  Wien  (Verleihung  einer  »Ordnung* 
für  die  Richter-  und  Rathswahl),  1547  Aug.  28  Wien  (Schenkung),  1553 
Juni  21  Wien  (Bestätigung  des  Stadtrichters  Hans  Peyer).  Max  IL  1565 
März  17  Wien  (Bestätigung  der  Freiheiten  der  Stadt),  15  75  Juni  9  Prag. 
Rudolf  II.  1583  April  19  Wien,  1585  Aug.  19  Prag  (Bestätigung  der 
Freiheiten    und   Privilegien    der  Stadt),     1590   Mai   25    Wien.      K.   Mathias 

1614  Dec.   5  Wien   (Bestätigung  der  Freiheiten  und  Privilegien  der  Stadt), 

1615  Sept.  26  Wien  (Bestätigung  der  Pleischhauerordnung).  K.  Ferdi- 
nand II.  1620  Juni  16  Wien  (Bestätigung  eines  Darleftens  von  5000  fl.), 
1621  Juni  12  Wien,  1621  Aug.  14  Wien  (Verleihung  eines  Wochen- 
marktes), 1621  Aug.  20  Wien  (Bestätigung  der  Freiheiten  und  Privile- 
gien), 1627  Sept.  14  Wien  (üeberlassung  des  jährlichen  Angelds  des 
Wilhelmsburgergebietes  für  ein  Darlehen),  1636  Mai  21  St.  Polten  (Ver- 
legung eines  Marktes).  Ausserdem  werden  zahlreiche  Privaturkunden  aus 
dieser  Zeit  in  regestenartigen  Auszügen  verzeichnet.  —  Der  Linzer  Tag 
vom  Jahre  1605  in  seiner  Bedeutung  für  die  österreichische 
Haus-  und  Reichsgeschichte.  Auf  Grund  zahlreicher  bisher  un- 
bekannter Archivalien  von  Josef  Fischer  (Stella  matutina  in  Feldkirch). 
An  der  Hand  neuen  urkundlichen  Materials  aus  dem  Statthaltereiarchive 
in  Innsbruck,  dem  geh.  Haus-,  Hof-  u.  Staatsarchiv  in  Wien,  dem  böhm. 
Landesarchive  in  Prag  und  dem  Staatsarchiv  in  München  wird  zunächst 
erwiesen,  dass  der  Urheber  des  Linzertages  nicht  Erzherzog  Mathias,  son- 
dern dessen  Bruder  Maximilian  der  Deutschmeister  gewesen  sei,  auf  dessen 
Einladung  hin  am  28.  April  160  5  die  Erzherzoge  Mathias,  Ferdinand, 
Maximilian  und  Max  Ernst  in  Linz  eintrafen,  um  wegen  der  allgemeinen 
politischen  Lage  und  wegen  der  Thronfolge  zu  berathen,  da  Rudolf  II.  für 
alle  Vorstellungen  unzugänglich  war.  Ueber  die  gepflogenen  Berathungen 
wurde  ein  Protokoll  abgefasst,  des  F.  im  Anhange  S.  4S  fg.  nach  dem 
Innsbrucker  Texte  abdruckt.  Dort  finden  wir  ferner  das  Schreiben  des 
Erzherzogs  Mathias  an  den  Deutschmeister  vom  9.  Jänner  1605,  dann  das 
Gesuch  der  vier  Erzherzoge  an  den  Kaiser  »ratione  successionis  in  regno 
Bohemiae«,  dann  ein  »Anmahnung  in  successionis  negotio*  sammt  Resolu- 
tion Rudolfs  II.  und  die  Replik  auf  Eudulfs  Resolution  wegen  der  böhmi- 
schen Erbfolge,  und  schliesslich  einen  Bericht  des  Beichtvaters  Pistorius 
über  die  »Werbung«  der  Erzherzoge  beim  Kaiser.     Um   ihre  Forderungen 


Literatur.  499 

auf  Uebergabe  Ungarns,  Geld  für  die  Vertheidiguug  dieses  bedrohten 
Landes  und  auf  Sicherstellung  der  Erbfolge  durchzusetzen,  reisten  die 
Erzherzoge  am  2.  Mai  1605  von  Linz  ab  und  karaen  am  7.  Mai  mit 
30  Kutschen  vor  Prag  an.  Nach  vieler  Mühe  erhielten  sie  700. ()()()  fl., 
um  das  meuternde  Kriegsvolk  zu  zahlen,  Mathias  wurde  unumschränkter 
Befehlshaber  in  Ungarn  mit  der  Vollmacht,  mit  Bocskay  (und  den  Türken) 
zu  verhandeln  (28.  Mai).  Als  Ergebnis  erschienen  die  Friedensschlüsse 
von  Wien  und  Szitva  Torok  (1606).  Die  übrigen  »sogenannten  Linzer  Be- 
schlüsse« wegen  der  Nachfolge  und  Heirat  Rudolfs  aber  scheiterten.  — 
Michael  Stüeler,  ein  Lebens-  und  Sittenbild  aus  der  Zeit  des  ;i0jäh- 
rigen  Krieges  von  R.  Knott  (Gymnas.ium  in  Teplitz-Schönau).  Während 
der  Wirren  des  grossen  Krieges  lebte  in  dem  kleinen  Bergstädtchen 
Graupen  bei  Teplitz  ein  schlichter  Bürger  namens  Michael  Stüeler  (gest. 
Ifi55),  der  an  allen  Leiden  und  Freuden  des  Ortes  theilnahm  und  seine 
Erlebnisse  von  lß29 — 1649  aufzeichnete;  auf  Grund  dieses  Tagebuches 
und  des  Graupner  Archives  wird  hier  ein  buntes  Culturbild  aus  jener 
Zeil  entworfen.  —  Die  Reise  des  Hans  Christoph  Freiherrn  von 
Teufel  in  das  Morgenland  1588  —  1590  von  G.  E.  Friess  (Gym- 
nasium in  Seitenstetten).  Nach  einem  Papiermanuscripte  des  Stiftes  Selten- 
ste tten  wird  die  Reise  des  Freiherrn  v.  Teufel  auf  Krottendorf,  die  sich 
bis  nach  Persien  erstreckte,  beschrieben,  wozu  F.  eine  längere  Einleitung 
über  deutsche  Pilgerreisen  lieferte.  —  Urkundliche  Nachrichten 
über  die  Städte  »Cecina*  und  »T scher nowitz«  und  deren 
Besitzverhältnisse  im  Jahre  1782  (mit  einem  noch  nicht  ver- 
ötfentlichten  Plane  von  Czernowitz)  von  D.  Werenka  (Oberrealschule  in 
Gzeruowitz),  zählt  Nr.  43 — Nr.  414  die  Verkaufsurkunden  auf  und  theilt 
im  Anhangs  den  ältesten  Plan  von  Czernowitz  mit  (Schluss).  —  Bei- 
träge zur  Häuser-  und  Bürgerchronik  des  Oberringes  von 
Troppau  von  Jos.  Zukal  (Oberrealschule  in  Troppau),  mit  Benützung 
zahlreicher  handschriftlicher  Behelfe,  vor  allem  des  mit  1640  einsetzenden 
» Kaufregisters '=''  im  Troppauer  Stadtarchive  und  der  Pfarrmatrikel.  — 
Gödinger  Urkunden  L  von  G.  Treixler  (deutsche  Communal-Real- 
schule  zu  Göding  in  Mähren).  Ein  Verzeichnis  der  Urkunden  im  Besitze 
der  Gemeinde  Göding  1350 — 1792,  wovon  die  aus  mehreren  Bestätigungen 
entnommene  lat.  Gründungsurkunde  der  Königin  Constanzia  (1228)  S.  25  fg. 
abgedruckt  und  mit  einer  deutschen  Uebersetzung  versehen  wird.  An  der 
Hand  dieses  Materials  wird  Einzelnes  zur  Geschichte  der  Stadt  Göding 
beigebracht  (Forts,  folgt). 

Abhandlungen  zur  Geschichte  und  Cultur  des  Alterthums:  Arion 
von  Karl  Klement  (Gymnasium  im  19.  Bez.  Wiens),  behandelt  die 
ganze  antike  Arionsage,  61  S.  —  Dido  in  der  Geschichte  und  in 
der  Dichtung  von  K.  F.  Bargetzi  (Staatsrealschule  im  7.  Bez.  Wiens) 
mit  einer  grossen  Tabelle  über  die  Dido-Bearbeitungen  in  der  deutschen 
und  in  fremden  Literaturen.  Das  Geschichtliche  ist  nach  Meltzers  Ge- 
schichte der  Karthager  bearbeitet.  S.  2  soll  es  Gasteiger-Khan  (st.  Ga- 
stinger)  heissen.  —  Ein  Besuch  in  der  Troas  (1896)  von  J.  Oehler 
(Gymnasium  in  Krems),  9  S.,  für  Schüler  berechnet,  —  Rom  von  Ed.  Ott 
(Gymnasium  in  Böhm.-Leipa),  aus  einer  Studienreise  1896.  —  Wie 
haben    die    alten    Römer    geschrieben?     Erläuterungen    zu    den 


500  Literatur. 

Schrifttafeln  zur  altern  lat.  Paläographie  von  K.  Wesely  (Gymnasiuin 
im  3.  Bez.  Wiens).  —  Die  Quellen  des  III.  makedonischen 
Krieges  derEömer  und  seine  Ursachen  von  Leopold  W i n k  1  e r 
(l.  deutsches  Gymnasium  in  Brunn).  Hauptquelle  ist  Polybios,  aber  nur 
fragmentarisch,  so  dass  seine  Nachrichten  mit  Hilfe  der  von  ihm  abhängigen 
Schriftsteller  ergänzt  werden  müssen.  Sein  bester  Bearbeiter  ist  Livius, 
der  aber  auch  andere  (annalistische)  Quellen  heranzog,  die  nur  »trübe 
Quellen*  sind  und  von  Livins  kritiklos  benützt  w^urden.  Besser  ist  Diodor, 
dagegen  hat  Plutarch  das  Anekdotische  hervorgekehrt,  Appian,  Dio-Zonaras 
und  die  auf  Livius  beruhenden  römischen  Schi'iftsteller  wer.len  kurz  ab- 
gethan,  worauf  der  Verf.  unter  steter  Kritik  der  Nachrichten  die  Kriegs- 
ursachen erörtert.  —  Metallgewinnung  im  Alterthum  von  E. 
Walz  (Realgymnasium  in  Stockerau).  —  Unter  den  erhaltenen 
Handschriften  der  Gerniania  des  Tacitus  ist  die  Stutt- 
garter Handschrift  die  beste,  von  J.  Holub  (Gymnasium  in 
Weidenau),  IV.  Fortsetzung  von  1895.  —  Quibusnam  litterarum 
studiis  C.  Corn.  Tacitus  irabutus  fuisse  videatur  et  quam 
rationem  in  ea  re  secutus  sit  exposuit  J.  Tiron  (Untergymnasium 
in  Czernowitz),  cap.  1.  de  Taciti  studiis,  c.  2.  quam  rationem  Tacitus  in 
colendis  litter.  studiis  secutus  sit.  —  La  milizia  romana  secondo 
Tacito  (Forts,  aus  1894)  von  R.  Adami  (it.  Communalgymnasium  in 
Triest),  6  7  S..  Forts,  folgt.  —  De  carmine  Panegyrico  Messalae 
Pseudo-Tibulliano  scripsit  St.  Ehrengrube  r  (Gymnasium  in 
Kremsmünster),  IX.  91  S.  (Schluss).  —  Das  Jubeljahr  nach  der 
Gesetzgebung  des  Moses  und  nach  kirchlichem  Rechte  von 
L.  Schranzhofe r  (Gymnasium  Theresianum  in  Wien). 

Mittelalter  und  Neuzeit:  Der  Pagus  Grunzwiti  (Grunzwin) 
von  Lambert  Guppenberger  (Gymnasium  Petrinum  in  Urfahr-Linz). 
Die  Lage  dieser  zuerst  in  der  Stiftungsurkunde  von  Kremsmünster  ge- 
nannten Oertlichkeit,  die  man  früher  in  Bayern  am  Regen  oder  an  der 
Traisen  suchte,  wird  als  bei  dem  heutigen  Kroustort  an  der  untern  Enus 
gelegen  bezeichnet  und  der  Namen  Grunzwiti  mit  » Grenzwenden  ^'  über- 
setzt. Die  Darstellung  hat  viel  für  sich,  entbehrt  jedoch  noch  immer  der 
nöthigen  Beweiskraft.  —  Die  Arnonischen  Güter  Verzeichnisse 
(»Notitia  Ax-nonis*  und  »Breves  Notitiae«)  nebst  einem  Anhange.  Neu 
bearbeitet  von  Willibald  Hauthaler  (Gymnasium  Borromäum  in  Salz- 
burg), ein  Sonderabdruck  aus  dem  »Salzburger  Urkundenbuch*  I.  und 
dem  Cardinal  Haller  zur  Secundizfeier  gewidmet.  Vor  dem  Abdruck  der 
Notitia  Arnonis  (Indiculus,  congestum)  2  Phototypien  der  Hs.  B  der 
Notitia  Arnonis,  im  Anhange  3  Notizen  zu  den  Breves  Notitiae.  —  Kurze 
Fund  nach  richten  ül)er  eine  altchristliche  Basilika  in  Cilli 
von  G.  Schön  (Gymnasium  in  Cilli).  Bei  den  Grundaushebungen  für  das 
neue  Postgebäude  in  Cilli  fand  man  1897  bedeutende  Reste  einer  alt- 
christlichen Basilika,  die  allem  Anschein  nach  aus  dem  5.  Jahrhundert 
herstammen  und  beschrieben  werden.  Gefunden  wurden  ausser  geringen 
Mauerresten  vor  allem  Mosaikböden,  zahlreiche  Inschi'iften  und  einige 
römische  Münzen.  Jene  Basilika  dürfte  östlich  von  Celeia  gestanden  haben, 
nicht  weit  vom  frühern  Bette  der  Sann.  —  Die  Entstehung  von 
Städtewesen    in    den    Rheinländern    von  Rudolf  Weiss  (Gy m- 


Literatur.  5Q;[ 

nasiuin  in  Gmunden),  bietet  eine  übersichtliche  Darstellung  der  römischen 
und  fränkischen  Städtegründungen  am  Rhein  auf  Grund  der  gedruckten 
Quellen  und  der  einschlägigen  Litteratur  mit  zahlreichen  Auszügen  aus 
den  Quellen  (27  S.).  —  Zur  Geschichte  der  Theorie  des  prin- 
cipiellen  Verhältnisses  zwischen  »Staat*  und  »Kirche^''  IT. 
von  Franz  Mach  (Gymnasium  in  Saaz).  —  Der  Gang  der  Erwer- 
bung Kärntens  durch  die  Habsburger  und  die  sagenhaften 
Heereszüge  der  Margaretha  Maultasch  (Forts,  und  Schluss)  von 
E.  Katz  (Stiftsgynmasium  zu  S.  Paul  in  Kärnten)  behandelt  die  eigent- 
liche Erwerbungsgeschichte,  vgl.  Mittheilungen  19,  7  28.  —  Die  Steuer- 
und  Militärreformen  Matthias  Corvins  von  Andreas  Rebhann 
(Gymnasium  in  Mährisch-Schönberg).  Die  Reformen  des  Mathias  Corvinus 
waren  im  allgemeinen  willkürliche  und  augenblickliche  Massnahmen;  am 
wichtigsten  sind  die  Steuer-  und  die  Militärreformen,  welche  ganz  den 
Charakter  des  Königs  verrathen  und  wesentlich  zur  Grösse  seines  Reiches 
beitrugen.  Anknüpfend  an  das  Sessionsrailizsystem  des  K.  Siegmund  be- 
stimmte Corvinus  schon  bald  nach  seinem  Regierungsantritte,  dass  alle 
Ortschaften,  adeligen  Besitzungen  und  k.  Domänen  zusammengezählt  (con- 
uumeratio)  und  daraus  jeder  20.  Bauer  Kriegsdienste  zu  Pferd  zu  leisten 
habe  (»Wehrcensus*  S.  17);  ausgenommen  waren  die  Städte  und  die 
k.  Ortschaften,  die  Kriegsmaterial  lieferten,  und  die  kirchlichen  Lehens- 
leute. Die  Grossen  des  Reiches  stellten  ihre  Banderien,  dazu  kamen  noch 
Söldner  und  in  den  Tagen  der  Gefahr  die  allgemeine  Insurrection.  Der 
Ausgestaltung  des  Steuer-  und  Militärwesens  standen  aber  die  zahlreichen 
Privilegien  der  Stände  gegenüber.  Auf  dem  Reichstage  von  1467  gelang 
es  dem  Könige,  diese  Vorrechte  zu  zerstören  und  statt  der  Tho-rsteuer 
eine  »Grundholdsteuer«  einzuführen  (Tributum  fisci  regalis).  Auch  andere 
Abgaben  wurden  neu  eingeführt  oder  näher  bestimmt.  R.  polemisirt 
stellenweise  gegen  die  »schönfärbige*  Darstellung  Franknöi's.  Der  König 
verstand  es,  den  Widerstand  der  ungarischen  Stände  zu  besiegen,  sein 
Steuersystem  und  die  Wehrkraft  des  Landes  auszubilden,  um  dann  seine 
Thätigkeit  nach  aussen  zu  richten.  In  einem  »Nachtrage«  wird  noch  das 
Münzwesen  unter  K.  Mathias  kurz  erörtert.  —  Friaul  und  seine 
Enclaven  von  E.  Filek  v.  Wittin g hausen  jun.  (2.  Staatsrealschule 
im  2.  Bez.  Wiens).  Die  germanisirten  Gebiete  von  Friaul  (Ragogna, 
Spilimbergo,  Pordonone),  die  für  den  Handelsverkehr  wichtig  waren,  kamen 
infolge  der  Schwäche  des  geistlichen  Fürstenthums  von  Aquileja  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts  in  die  Hände  der  Habsburger;  Rudolf  IV.  benützte 
sie  bei  der  beabsichtigten  Erwerbung  Friauls,  die  schliesslich  scheiterte. 
Das  Ganze  ist  nur  eine  kurze,  gut  geschriebene  historische  Skizze,  der 
eine  grössere  Darstellung  der  Kämpfe  zwischen  Rudolf  IV.  und  dem 
Patriarchen  von  Aquileja  folgen  soll.  —  Die  Entwicklung  der 
Weihnachtsspiele  seit  den  ältesten  Zeiten  bis  zum  16.  Jahr- 
hundert von  V.  Teuber  (Gymnasium  in  Komotau),  1.  Theil,  32  S., 
Forts,  folgt.  —  Oester reich  vor  dem  Regierungsantritt  des 
Kaisers  Franz  Josef  von  A.  Tschochner  (d.  Gymnasium  in  Olmütz) 
mit  einer  Abbildung  des  Kaiserdenkmales  in  Olmütz,  25  S.  —  1848  bis 
IS  1)8  in  Oester  reich  von  G.  Her  gel  (Communal-Gymnasium  in 
Aussig  a.  E.),  eine  chronologische  Darstellung  der  Geschichte  Oesterreichs 


502 


Literatur, 


von  1848 — 98  mit  zwei  Bildnissen  des  Kaisers.  —  Zum  Jubiläum 
der  glorreichen  Eegierung  Sr.  k.  u.  k.  Majestät  unseres 
Kaisers  Franz  Josef  I.  mit  dem  Bilde  des  Kaisers  (d.  Oherrealscliule 
in  Brunn).  —  Z  u  m  5 o  j  ä  r  i  g  e  n  R  e  g  i  e  r  u  n  g  s  j  u b  i  1  ä  u  m  S  r.  M  a j  e  s  t  ä  t 
des  Kaisers  von  G.  Knobloch  (Staatsrealschule  in  Marburg  a.  Dr.), 
ein  historiseher  Ueberblick  über  die  Regierungsthätigkeit  des  Kaisers  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  die  Geschichte  der  Anstalt. 

Ethnographie,  Statistik,  Biographie  und  Verschiedenes:  Die  B  e- 
V  ö  1  k  e  r  u  n  g  s  b  e  AV  e  g  u  n  g  i  n  V  o  r  a  r  1  b  e  r  g  seit  1837  und  d  e  r  S  t  a  n  d 
der  Bevölkerung  im  Jahre  1890.  Eine  topographisch-statistische 
Studie  mit  Vergleichungen  von  Fr.  Leitzinger  (Staatsreal schule  in 
Bozen),  III.  Theil:  behandelt  den  Stand  der  Bevölkerung  Vorarlbergs  1890 
und  gibt  zahlreiche  Tabellen.  S.  9  fg.  wird  einiges  Allgemeine  über  das 
vorarlbergische  Bauernhaus  und  über  Siedelungsverhältnisse  gesagt.  In 
Vorarlberg  verhält  sich  die  rein  städtische  Bevölkerung  zur  ländlichen 
wie  1  :  9-;},  die  Bevölkerung  in  den  Berggemeindeu  ist  im  Rückgange  be- 
o-riflfeu  und  in  einem  Zeiträume  von  mehr  als  50  Jahren  hat  sich  die 
"rechtliche  Bevölkerung  Vorarlbergs«  nur  um  3-9"/o  vermehrt  (S.  28).  — 
Die  Familiennamen  von  Leitmeritz  und  Umgebung  (Schluss) 
von  Josef  Blumer  (Realschule  in  Leitmeritz),  behandelt  V.  Familien- 
namen, die  von  körperlichen  und  geistigen  Eigenschaften,  von  Nahrung 
und  Kleidung  u.  s.  w.  abgeleitet  sind,  dann  latiuisirte  und  fremde  Namen 
(jß  S.)_  —  Die  Hofuamen  des  Burggrafenamtes  in  Tirol 
(Schluss)  von  Josef  Tarne  Her  (Gymnasium  in  Meran) :  Tisens-Wald. 
—  Ein  Innsbrucker  Herbar  vom  Jahre  1748  (nebst  einer  Ueber- 
sicht  über  die  ältesten  in  Oesterreich  angelegten  Herbarien)  von  V.  Maiwald 
(Gymnasium  zu  Braunau  in  Böhmen),  114  S.  —  Ueber  das  Verhält- 
nis des  dramatischen  Dichters  zur  historischen  Ueber- 
lieferung.  Ein  Beitrag  zum  Verständnis  der  hamburgischen  Dramaturgie 
von  E.  W er nb erger  (poln.  Oberrealschule  in  Lemberg),  Forts,  folgt.  — 
Materia  li  per  una  bibliografia  Roveretana.  Note  del  pr. 
Giovanni  de  Co  belli  (Forts.,  it.  Oberrealschule  in  Rovereto).  —  Me- 
daillen des  Erzhauses  Oesterreich  und  der  vaterländischen 
Geschichte  in  der  Münzensammlung  des  k.  k.  Staatsgymna- 
s'iums  zu  Linz  von  F.  Thalmayr  (Gymnasium  in  Linz  a.  D.):  fi35 
Stück  historischer  und  religiöser  Medaillen  und  Jetons.  —  AI.  Flir. 
Eine  biograph.-lit.  Studie  von  F.  A.  Lanznaster  (Gymnasium  in  Hall, 
Tirol),  Forts,  des  Gymnasial-Program  ms  von  Bozen  1897,  Schluss  folgt.  — 
Moriz  V.  Schwind,  ein  deutsch- österreichischer  Künstler 
von  W.  Budaf  (d.  Landesi-ealschule  in  Brunn). 

Schulgeschichte  und  Pädagogik:  Geschichtliches  über  die  Re- 
alschule von  Hans  Januschke  (Staatsrealschule  in  Teschen),  eine 
treffliche  Arbeit  über  Realschulen  im  allgemeinen  und  die  österreichischen 
im  besonderen.  —  Vorgeschichte  der  Anstalt  von  K.  Schuh  (Gym- 
nasium in  Gmunden),  eine  geschichtliche  Uebersicht  von  der  Begründung 
der  Lateinschule  im  14.  Jahrb.,  die  bis  1765  bestand,  bis  zur  Gründung 
des  gegenwärtigen  Communal-Gymnasiums  (1890).  —  Historisch- sta- 
tistischer Rückblick  auf  das  erste  Vierteljahrhundert  des 
Bestandes    des    Gymnasiums,    II.    Theil    (Schluss)    von    G.   v.  Mor 


Literatur. 


503 


(Gymnasium  in  Radautz).  —  Historisch-statistischer  Rückblick 
auf  das  erste  Vierteljahrhundert  des  Bestandes  der  k.  k.  2.  d. 
Staatsrealschule  in  Prag  von  K.  v.  Ott  (2.  d.  Oberrealschule  in 
Prag),  57  S.  —  Zur  Geschichte  der  Anstalt  von  A.  Gamroth 
(Landesrealschule  in  Zwittau)  mit  einer  hübschen  Abbildung  des  Schul- 
gebäudes. —  Die  deutsche  Landes-Oberrealschule  in  Pros snitz 
1873 — 189S.  Ein  Rückblick  auf  das  erste  Vierteljahrhundert  ihres  Be- 
standes von  Fr.  Sc  heller  (d.  Realschule  in  Prossnitz),  mit  Abbildung 
der  Anstalt,  64  S.  —  Rückblick  auf  die  ersten  25  Jahre  der 
k.  k.  Staat s-Oberrealschule  in  Teschen  von  K.  Klatovsky 
(Staatsrealschule  in  Teschen).  —  Congruo  ad   una    storia    del  Gin- 

nasio-Liceo  di  Trento   per  V.   Zambra    (Gymnasium  in  Trient).  

Welche  Berührungen  hat  der  Unterricht  in  der  Religion 
mit  dem  in  der  Geschichte?  Von  Franz  Schütz  (Oberrealschule 
in  Neutitschein).  —  Ueber  Geologie  im  geographischen  Unter- 
richt von  Max  Hansmann  (Communalgymnasium  in  Bregenz).  Be- 
merkungen über  den  Geschichtsunterricht  an  Handels- 
schulen von  Hermann  Eichler  (Handelsschule  in  Aussig),  fordert 
gleichmässige  Lehrpläne  an  höheren  Handelsschulen,  eingehendere  Behand- 
lung der  neueren  Geschichte  und  Verknüpfung  der  handelspolitischen  Daten 
mit  den  Ereignissen  der  politischen  Geschichte. 

Geographie  und  Metereologie :  Bernhard  Varenius  und  die 
morphologischen  Capitel  seiner  »Geographia  generalis« 
(Amsterdam  1650).  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Geographie  von 
J.  Seh  wer  d  feger  (Staatsgymnasium  in  Troppau).  —  Die  Karten- 
projectionen  im  allgemeinen  und  perspecti  vi  sehe  Karten- 
projectionen  im  besonderen  von  R.  Pretsch  v.  Lerchenhorst 
(Schluss)  mit  Beilagen  (Realschule  in  Elbogen).  —  Die  Goldfelder 
Australiens  und  Afrikas  von  Fr.  Martin  (Handelsakademie  in 
Prag),  7  2  S.  —  Zur  Umgrenzung  der  Sannt haleralpen  von 
Otto  Eichler  (Gymnasium  in  Cilli),  sucht  in  der  Umgrenzung  dieses 
Gebietes  der  östlichen  Südalpen  besonders  aus  schulmännischen  Gründen 
eine  vermittelnde  Stellung  einzunehmen  und  entscheidet  sich  für  die  Be- 
zeichnung   » Sannthaleralpen «    (statt  Steineralpen),     wie    er    auch    für    die 

Selbständigkeit    derselben    gegenüber    den    Karawanken     eintritt.    Die 

periodische  Wiederkehr  der  Hochfluten,  Nässen  und  Dürren 
von  St.  Zach  (d.  Gymnasium  in  Budweis),  behandelt  einleitend  die  pe- 
riodischen Fluten  u.  s.  w.  im  Zusammenhange  mit  dem  Fleckenbestande 
der  Sonne,  der  Häufigkeit  der  Nordlichter  und  den  Aenderungen  des 
Erdmagnetismus  und  führt  S.  S  fg.  den  historischen  Nachweis  "für  die 
Richtigkeit  der  periodischen  Wiederkehr  der  Ueberschwemmungen  innerhalb 
der  im  Schema  eingeführten  Zeitperioden:  8  Perioden  —  1 4.  v.  Chr.  bis 
1770  n.  Chr.  —  (Forts,  folgt).  —  Ueber  Erdbebenbeobachtung 
in  alter  und  gegenwärtiger  Zeit  und  die  Erdbebenwarte  in 
Laibach  von  A.  Belar  (Staatsrealschule  in  Laibach),  43  S.  mit  Ab- 
bildung der  Laibacher  Erdbebenwarte  von  innen.  —  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  Grün  d  was  s  er  Verhältnis  se  der  Nied  er  s  chlags- 
gebiete  des  Flössbaches  und  des  Malsbaches  (mit  einem  geolo- 
gischen Durchschnitte  und  einer  Uebersichtskarte)  von  G.  Bruder  (Gym- 


F,Q^  Literatur. 

uasium  in  Aussig  a.  E.).  —  Beobachtungsergebni.sse  der  om- 
brometrischen  Station  III.  Ordnung  in  Au  spitz  Nr.  45  für 
das  Jahr  1897  von  Fr.  Zerhau  (Realschule  zu  Auspitz  in  Mähren).  — 
Beobachtungen  der  ombrometrischen  Station  vom  15.  Dec. 
1397  —  30.  Juni  1898  von  Josef  Nowak  (Realgymnasium  in  Waidhofen 
an  der  Thaya),  Tabellen.  —  Ueber sieht  der  an  der  meteorologi- 
schen Beobachtungsstation  in  Eger  im  Jahre  1897  ange- 
stellten Beobachtungen  von  J.  Kostlivy  (Gymnasium  in  Eger). 
—  Meteorologische  Beobachtungen  von  J.  R e i d i n g e r  (Gym- 
nasium zu  Weidenau  in  Schlesien).  —  Astrognosie.  I.  Theil  1897. 
TL  Theil  1898  (Beschreibung  der  Sternbilder)  von  J.  Fr  au  wallner 
(d.  Oberrealschule  in  Kremsier). 

Aus  slavisch  geschriebenen  Progi'ammen:  Ein  kritischer  Blick 
auf  ilie  Kunst  der  Pelasger,  die  fremden  Einflüsse  und  die 
Periode  der  Karier  bei  Herodot  von  A.  Wolik  (Poglad  krytyczny 
na  sztuk^  pelasgijiska  u  Herodota,  wplywy  postronne  i  okres  Karöw,  polu. 
Oberrealschule  in  Krakau).  —  Die  ethnischen  und  geographischen 
Momente  in  den  Sprichwörtern  und  Redensarten  der  Grie- 
chen, 3.  Theil,  von  ^ Fr.  Krsek  (Ethnika  a  geografica  v  pfislovich  a 
pvfekadlech  feckych,  Cäst  III.,  böhm.  Realgymnasium  in  Kolin).  —  Ueber 
die  Ausgrabungen  in  Delphi  von  E.  Peroutka  (0  vykopech 
delfskfch)  und  Situationsplan  dazu  von  F.  Servit  (b.  Gymnasium  in  den 
k.  Weinbergen-Prag).  —  Dörpfelds  Theorie  über  den  Bau  der 
alt  griechischen  Bühne  im  Lichte  der  neuesten  Kritik  von 
V.  Hahn  (Teorya  Dörpfelda  o  budowie  starozytnej  sceny  greckiej  w 
swietle  najnowszej  krytyki,  poln.  Gymnasium  in  Kolomea).  —  Von  Athen 
nach  Sicilien.  Reiseerinnerungen  von  St.  Rzepinski  (Z  Aten  do 
Sycylii.  Wspomnienia,  poln.  Gymnasium  bei  St.  Hyacinth  in  Krakau).  — 
Constantin  der  Grosse  (Vorbereitungsperiode).  Eine  Studie  zur 
römischen  Geschichte  der  Jahre  305 — 31  1  von  Fr.  Doubrava  (Konstantin 
Velikf  [pfipravnä  doba].  Studie  z  fimskfch  dejin  od  r.  305—311,  b. 
Gymnasium  in  der  Korngasse-Prag).  —  Constitutum  Constantini, 
eine  historisch-kritische  Studie  von  A.  Jougan  (Constitutum 
Constantini.  studyum  historyczno-krytyczne,  poln.  Franz- Josef- Gymnasium 
in  Lemberg),  S.  25  fg.  Abdruck  des  Exemplar  Constituti  Domni  Constan- 
tini Imp.  (Schluss).  —  Salona  und  seine  Ruinen  von  S.  Rutar 
(Solin  in  njegove  razvaline,  slov.  Untergymnasium  in  Laibach),  17  S.  — 
Römische  Geschichte  unter  der  Regierung  des  Kaisers 
Valens  von  J.  Charvät  (Dejiny  fimske  za  cisafe  Valenta,  b.  Gymna- 
sium in  Leitomischl).  —  Andreas  von  Duba  auf  Zlenic,  der 
oberste  Richter  des  Königsreichs  Böhmen  (t  1412)  von 
A.  Sedläcek  (Ondfej  z  Dube  na  Zlenicich,  nejvyssi  sudi  krälovstvi  ces- 
keho,  b.  Gymnasium  in  Tabor).  —  Die  k.  Stadt  Üngarisch-Hradisch 
und  ihr  Stadtarchiv  von  B.  Dolejsek  (Krälovske  mesto  Uherske 
Hradiste  a  jeho  mestk^  archiv,  b.  Oberrealschule  in  Brunn),  mit  einem 
Verzeichnis  der  Urkunden  im  Stadtarchiv  1257  — 1853.  —  Der  Fasching 
in  Ragusa  im  IG.  u.  17.  Jahrhundert  und  die  Nachfolger  des 
Cubranovic  von  M.  Medini  (Dubrovacke  poklade  u.  XVI.  i  XVII.  vijeku 
i   Öubranovicevi  nasljednici,    kroat.   Gymnasium  in  Ragusa).  —  Ein   Bei- 


Literatur.  505 

trag  zur  Topographie  der  k.  Stadt  Klat tau  und  der  nächsten 
Umgebung  (lB27 — 1727)  von  F.  Nekola  (Pfispevek  k  mistopisu  kräl. 
mesta  Klatov  a  nejbli:^siho  okoli,  b.  Realgymnasium  in  Klattau),  mit  Ur- 
kundenauszügen, —  Sieben  Studentenbriefe  aus  dem  17.  Jahr- 
hundert von  A.  Sedlacek  (Sedm  studentsk^ch  psanicek  ze  17.  stol., 
b.  Gymnasium  in  Tabor),  4  S.  —  Die  Pest  in  Kuttenberg  im 
Jahre  1713  und  das  Marien-Denkmal  »Bo2i  Muka<<  von 
0.  Hejnic  (Mor  v  Kutne  Hofe  roku  1713  a  »Bozi  Muka«,  b.  Oberreal- 
schule in  Kuttenberg),  druckt  S.  16  fg.  eine  deutsche  » Gesundheits- 
instruction*  des  Berthold  v.  Waldstein  an  den  Kreishauptmann  von  Öaslau 
(Belohrad,  28.  Oct.  1713)  ab.  —  Das  Romhap'sche  Haus  in  Karo- 
linenthal von  J.  Nedoma  (0  dome  Romhapovskem  v  Karline,  b.  Ober- 
realschule in  Karolinenthal-Prag).  —  Geschichte  der  Tarnower 
Collegiate  von  Jan  Leniek  (Historya  kollegiaty  tarnowskiej ,  poln. 
Gymnasium  in  Tarnöw),  9  S.  —  Die  wechselseitigen  Beziehungen 
der  altruthenischen  Rechtsdenkmäler  von  E.  Kokorudz  (ac. 
Gymnasium  in  Lemberg),  I.  in  ruthenischer  Sprache  geschrieben.  — 
Moriz  Mochnacki's  politische  Thätigkeit  im  Auslande  von 
A.  Passendorfer  (Polityczna  dziatnosc  Mauriciego  Mochnackiego  na 
emigracyi,  poln.  Gymnasium  in  Jaroslau).  —  Die  Entwicklung  des 
Schulwesens  in  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie 
vom  Jahre  1848 — 1898  von  Vaclav  Hampl  (Rozvoj  skolestvi  v  fisi 
Rakouskouherske  v  letech  1848 — 1898,  b.  Realschule  in  Rakonitz).  — 
5ü  Jahre  böhmischen  Mittelschulwesens.  (Ein  Beitrag  zum 
böhmischen  Mittelschulwesen  unter  der  Regierung  Sr.  k.  u.  k,  apostol. 
Majestät)  von  Fr.  Kopta  (Padesat  let  stfedniho  skolstvi  v  Öechäch,  b. 
Gymnasium  in  Neubyd2ov).  —  Das  Schulwesen  in  der  k.  Leib- 
gedingstadt Neubyd^ov  von  Joh.  Honza  (Pameti  o  skoläch  v  kral. 
vennem  meste  Novem  Byd^ove,  b.  Gymnasium  im  Neubyd^ov),  1.  Theil. 
—  Geschichte  des  Zloczower  Gymnasiums  von  J.  Jezierski 
(Historya  gimnazyum  zloczowskiego.  poln.  Gymnasium  in  Ztoczöw).  — 
Ursprung  und  Entwicklung  der  Anstalt  von  V.  Tluchof 
(Vznik  a  v^voj  üstavu,  b.  Realschule  in  Adlerkosteletz).  —  Die  Ent- 
deckung von  Ostasien  von  Fr.  Kahlik  (Objeveni  v^'chodni  Asie, 
b.  Privatgymnasium  in  Hohenstadt-Mähren),  V.  (Fortsetzung).  —  Das 
Verhältnis  der  apenninischen  Halbinsel  zur  Balkanhalbinsel 
mit  Rücksicht  auf  die  physikalische  Geographie,  von 
F.  Nerad  (Vztah  poloostrova  Apenninskeho  ku  Balkänskemu  po  stränce 
geografie  fysikalne,  b.  Realschule  in  Ungarisch-Brod),  40  S.  —  Limno- 
biologische  Studien  von  E.  Sekera  (Studie  limnobiologicke,  b.  Gym- 
nasium in  Pilgram). 

Graz.  S.  M.  Prem. 


Mittheilungen  XX.  33 


506  Literatur. 

Die  historische  periodische  Literatur  Böhmens,  Mährens 
und  Oesterr.-Schlesiens  1895—18971). 

Mähren. 

I.  Notizenblatt  der  bist. -stat.  Section  der  k.  k,  mähr.  Ge- 
sellschaft zur  Beförderung  des  Ackerbaues,  der  Natur-  und  Landeskunde. 
Redigirt  von  Christian  R.  d'Elvert.     Jahrgang   1895. 

Von  selbständigen  Aufsätzen  sind  zu  erwähnen:  A.  Rolleder, 
Odrau  zur  Zeit  des  siebenjährigen  Krieges.    S.    7 — 8,    13 — IG. 

—  Ferd.  Frh.  v.  Bojakowsky,  Kurze  Beiträge  zur  Landes- 
kunde Mährens  und  Schlesiens.  Das  Olmützer  bischöfliche 
Lehen  Malhotitz.  S.  .31—32,  39—40,  43—45.  —  W.  Schräm, 
Stadtarchiv  in  Znaim.  Sf  46 — 48.    Exerpte  aus  dem  dortigen  Katalog. 

—  Die  Belagerung  der  Burg  Bernstein  durch  die  Schweden 
im  J.  1645.  S.  53 — 55.  Inhaltswiedergabe  von  vier  Originalaktenstücken 
im  Besitze  des  Gr.  Wladimir  v.  Mittrowsky.  Das  erste  Stück  ist  ein 
Bericht  des  Hauptmanns  der  Herrschaft  Bernstein  Nikolaus  Fleischinger 
von  Auerspach  über  die  Ei'eignisse  von  Bernstein  vom  4. — 21.  Mai;  daran 
schliessen  sich  drei  urkundliche  Notizen.  —  Melion,  Nachrichten 
zur  Meteoritenkunde  in  Mähren.  S.  60 — 62.  —  Janik,  Bern- 
hardiner in  Ung.  -H radisch  und  der  Bestand  des  Klosters 
derselben  in  der  Zeit  vor  1620  bis  ungefähr  1680.  S.  62 — 64. 
Notizen  in  den  Grandbüchern  der  Stadt  bekräftigen  wie  es  scheint  die 
j,  dunkle  Sage  ^  von  dem  Bestand  eines  solchen  Klosters.  —  Karl  L  e  c  h  n  e  r, 
Die  Garnison  auf  Schloss  Mürau  im  J.  1685.  S.  66 — 67.  Nach 
Aktenstücken  im  fürsterzb.  Archiv  in  Kremsier  und  anderen  im  Frivat- 
besitz.  —  Karl  Lechner,  Zur  Geschichte  der  Fr  eise.  S.  67 — 69. 
Eine  Consignation  aus  den  Correspondenzbüchern  des  Kardinals  Wolf 
Hannibal  Grafen  von  Schrattenbach  über  den  Bedarf  der  Kremsierer  Hof- 
küche. —  Ed.  Richter,  Zur  Geschichte  der  Orte  in  der  Enclave 
Hotzenplotz.  S.  69 — 72,  75  —  80,  Sl — 89.  Behandelt  gründlich  die 
Geschichte  des  Ortes  Füllstein  auch  nach  ungedrucktem  Material.  —  Ferd. 
Frh.  V.  Bojakowsky,  Das  Olmützer  bischöfliche  Lehen  Stepa- 
nowitz.  S.  90,  91 — 93.  —  Karl  Lechner,  Zeugnis  für  einen 
Brünner  Lehrer.  S.  93—94.  Stammt  vom  J.  1600  aus  dem  f.  e.  Ar- 
chive in  Kremsier.  —  Hiezu  zahlreiche  Beiträge  zur  mähr. -sc hie s. 
Biographie,  Wiederabdrucke,  Literaturanzeigen.  Es  ist  zu- 
gleich der  letzte  von  d'Elvert  redigirte  Jahrgang.  —  Die  Leitung  der 
im  Jahr  1896  unter  dem  Titel  »Notizenblatt  des  Vereines  für 
die  Geschichte  Mährens  und  Schlesien s^^  erschienenen  Zeitschrift 
übernahm  Dr.  Karl  Schober.  Dieser  Jahrgang  1896  enthält  folgende 
Aufsätze. 

M.  Grolig,  Mautsatzungen  aus  den  Jahren  1535,  1629 
und  1726.  S.  3 — 11.  Die  erste  aus  einem  Urbar  der  Herrschaft  Mähr.- 
Ti-übau,  die  zweite  galt  für  die  Herrschaft  Türnau  und  lag  der  dritten, 
die  für  Mähr.-Trübau  bestimmt  war,   zugrunde.      Sie  werden  vollinhaltlich 


')  Vgl.  S.   147  fl'.  (lifses  Bandes, 


Literatur.  507 

abgedruckt.  —  B.  B retholz,  urkundliche  und  handschriftliche 
Mittheilungen  aus  dem  Brünner  Stadtarchiv.  S.  11 — 16, 
48 — 50.  Mitgetheilt  werden  1.  Zwei  Urkunden  zur  Beleuchtung  des  Krieges 
zwischen  dem  Olmützer  Bisthum  und  dem  Mkg.  Prokop,  heide  von  K. 
Sigismund  in  Brunn  ausgestellt,  die  eine  1400,  Jan.  1,  die  andere  1400, 
Jan.  4.  2.  Eine  Urkunde  über  die  Errichtung  einer  Wasserleitung  in 
Brunn  von  K.  Wenzel  dd^  Prag,  1416,  März  8.  Beschrieben  wird  3.  eine  Hs. 
»lus  municipale  civitatis  Nevtitschinensis «  aus  dem  17.  Jhd.  —  Karl 
Lechner,  Zur  äusseren  Geschichte  des  Priester  Seminars  zu 
Ol  mutz.  S.  16 — 20.  Einige  Nachträge  zu  Dr.  Kachniks  Darstellung 
dieser  Anstalt  in  dem  von  H.  Zschokke  herausgegebenen  Werke  »Die 
theologischen  Studien  und  Anstalten  der  katholischen  Kirche  in  Oester- 
reich<'=  aus  dem  fürsterzbischöf liehen  Archiv  in  Kremsier,  besonders  be- 
züglich der  früheren  Planes  der  P^rrichtung  vom  J.  15.58  angefangen  bis 
1618.  —  Hans  Welzl,  Lobspruch  auf  das  Tuchmacher  Hand- 
werk. S.  20 — 22.  Stammt  aus  Iglau  aus  dem  J.  1594.  —  Franz 
Janik,  Grabsteine  aus  dem  15.  Jahrh.  in  der  Franziskaner- 
kirche zu  Ung.-Hradisch.  S.  22 — 24.  —  Ant.  Krälicek,  Wo 
lag  Felicia  und  war  es  eine  römische  Feste?  S.  25 — 38, 
61 — 65.  Das  Schlussergebnis  des  Verf.  lautet:  „Felicia  mag  bei  Muschau 
nahe  der  Mündung  der  Schwarza  gelegen  haben,  aber  eine  römische  Colonie 
oder  ein  römisches  Lager  oder  Castell  war  es  kaum*.  —  M.  Grolig  jun. 
Die  Nachrichten  über  den  Schwedenein  fall  nach  Mähren 
und  die  Belagerung  Brunns  1645  in  den  Aufzeichnungen 
des  Cardinais  Ernst  Grafen  von  Harrach.  S.  38 — 47.  Die 
Nachrichten  stammen  aus  einem  Tagebuch  des  Cardinais,  das  sich  im 
Harrach'schen  Schlossarchiv  in  Brück  a.  d.  L.  fand.  Gerüchte  und  wichtige 
Notizen  sind  hier  untermischt. 

P.  Clemens  Janetschek,  Zur  Geschichte  des  Augustiner- 
klosters in  Mariakron.  S.  50 — 54.  Ein  mit  den  Bewohnern  von 
Triebendorf  im  J.  1719  aufgenommenes  Protokoll,  was  sie  von  der  Ge- 
schichte dieses  Klosters  wissen.  —  Hans  Welzl,  Notizen  zur  Chronik 
der  Stadt  Littau  (1714—1747).  S.  54—56.  Aus  Akten  in  der 
Registratur  des  mähr.  Landesausschusses.  —  Anton  Schiesser,  Propst 
Johann  von  Wischehrad.  S.  57  —  61.  Erweist  aus  zwei  Urkunden 
des  Pauler  Formelbuches,  dass  Propst  Johann  wirklich  ein  unehelicher 
Sohn  K.  Ottokars  IL  gewesen  und  nicht  etwa  ein  Sohn  Kunigundens  und 
Zawisch's  von  Falkenstein.  —  A.  Rolleder,  Der  Odrauer  Raubbie- 
nenprocess  vom  J.  1656.  S.  65 — 86.  Eine  culturhistorisch  inter- 
essante Geschichte  auf  durchaus  archivalischer  Grundlage.  —  M.  Grolig, 
Martin  Johann  Weidlich  und  seine  Chronik  der  Stadt  Mähr.- 
Trübau.  S.  93 — 114.  Eine  eingehend  quellenmässige  Biographie  mit 
Rücksicht  auf  die  Zeitereignisse  —  Weidlich  1600  geb.  wurde  1635 
Stadtschreiber  in  Trübau  und  starb  1678  —  und  unbefangene  Würdigung 
seiner  Chronik.  —  J.  v.  Beck  und  J.  Loserth,  Urkundliche  Bei- 
träge zur  Geschichte  der  husitischen  Bewegung  und  der 
Husitenkriege  mit  besonderer  Berücksichtigung  Mährens 
und  der  mährisch-husitischen  S öldner.  S.  115 — 120,  177—181. 
Die  Urkundenextracte    und  Regesten  rühren  aus  dem  Beck'schen  Nachlass 

33* 


508  Literatur. 

her    und    sind    entnommen    theils  Privatbesitz,    theils    dem  mähr.   Landes- 
archiv, den  Archiven  von  Wittingau,  Kremsier,  dem  H.  H.  und  St.  Archiv. 

Wilh.  Schräm,  Brünner  Kirchengrüfte.  S.  121 — 128,  157 
— 172.  Eine  eingehende  Untersuchung  und  Schilderung  mit  vielen 
Beschreibungen  von  alten  Gruftplatten,  Extracten  aus  Inventaren  und 
Protokollen.  —  P.  A.  Schleser,  Das  Städtchen  Braunseifen 
während  und  nach  dem  Schwedenkriege  vom  J.  1624  bis  1740. 
S.  128 — 151.  Auf  Grund  der  bei  der  Stadtgemeinde  und  Pfarre  ver- 
wahrten Archivalien  werden  die  Schicksale  dieses  Ortes  im  mährischen 
Gesenke,  sein  Besitz-  und  Erwerbstand,  seine  Leistungen  und  Abgaben, 
seine  communalen,  kirchlichen  und  judiciellen  Verhältnisse  geschildert.  — 
K.  Lechner,  Zur  Geschichte  der  Preise,  S.  151  — 152,  172 — 174. 
Theils  dem  Briefwechsel  des  Card.  Wolfgang  Hannibal  Grafen  von  Schrattenbach 
mit  seinem  Bruder  aus  den  Jahren  1718 — 1722,  theils  einem  Protokoll  des 
Kremsierer  Stadtrathes  vom  J.  1721  entnommen.  —  H.  Welzl,  Bei- 
trag zur  Geschichte  der  Halsgerichtsbavkeit  in  Mähren. 
S.  152 — 156.  Die  Aktenstücke  datiren  aus  den  Jahren  1716 — 1726. 
—  M.  Grolig,  Zur  Geschichte  des  Brünner  Bäckerhandwerks. 
S.  174 — 176.  Eine  Vergleichsurkunde  über  Streitigkeiten  zwischen  den 
Bäckern  und  ihren  Knechten  vom  J.   1451,  Januar  20. 

Mit  diesem  Jhg.  schliesst  das  Notizenblatt,  als  seine  Rechts- 
nachfolgerin erscheint  vom  Jahre  1897  in  vier  Vierteljahrsheften  unter  der 
Redaction  Dr.  Karl  Schobers  die  Zeitschrift  des  Vereins  für  die  Ge- 
schichte Mährens  und  Schlesiens.  Jhg.  I.  (1897).  B.  Bretholz, 
Die  Tataren  in  Mähren  und  die  moderne  mährische  Ur- 
kundenfälschung. Heft  1,  S.  1 — 65.  (Vgl.  Mitth.  des  Instituts  19, 
393).  —  J.  Loserth,  Bilder  aus  der  Reformationszeit  in 
Mähren.  H.  1,  S.  65 — 7  3.  1.  Dr.  Martin  Göschl,  Propst  des  Frauen- 
stiftes Kanitz.  Als  G.  zur  neuen  Lehre  übertrat,  musste  er  wenn  auch 
mit  Widerstreben  die  Propstei  verlassen,  lebte  in  Nikolsburg  wahi'scheinlich 
im  Besitze  der  dortigen  S.  Wenzelspfarre  bis  1528,  da  er  nach  Prag  vor 
das  Gericht  citirt  wurde.  Der  Ketzertod  war  ihm  bestimmt,  allein  er 
wurde  begnadigt,  verlor  aber  für  immer  seine  Freiheit.  An  dem  Ver- 
falle von  Kanitz  trägt  er  schwere  Schuld.  2.  Oswald  Glayt.  Ein  mäh- 
rischer Wiedertäufer  aus  der  Oberpfalz  stammend,  lebte  einige  Zeit  in 
Nikolsburg,  erlitt  dann  in  Wien,  da  er  standhaft  bei  seinem  Glauben  ver- 
harrte, den  Tod  in  der  Donau.  Von  ihm  stammen  auch  einige  Lieder.  — 
M.  Grolig,  Das  Epicedium  des  Brünner  Minor i tenk  losters. 
H.  1,  S.  73 — 105.  Die  lange  vermisste  Hs.  befidet  sich  unter  den 
Horky'schen  Papieren  im  Archiv  des  bist.  Vereins  in  Brunn,  besteht  aus 
9  ganzen  und  2  verstümmelten  Pergamentblättern  saec.  XV.  Im  wesent- 
lichen ist  es  eine  Hauschronik  mit  Abschriften  von  Urkunden  und  Ver- 
zeichnis der  verstorbenen  Ordensmitglieder  und  Wohlthäter.  Das  Fragment 
wird  vollständig  abgedruckt.  —  F.  v.  Krones  (Graz),  Bertha  (Perchta) 
von  Liechtenstein,  geborene  Rosenberg  (t  1476),  und  die 
Sage  von  der  »weissen  Frau«  zu  Neuhaus,  Teltsch  u.  s.  w. 
H,  2,  S.  1  —  22.  Der  1.  Theil  beschäftigt  sich  unter  dem  Titel 
» Ulrich  Rosenberg  und  sein  Haus «  hauptsächlich  mit  Bertha  (geb.  um 
1430),   einer  der  4  Töchter  Ulrichs   und   mit  ihrem  unglücklichen  Schicksal 


Literatur.  509 

in  der  Ehe  mit  Hanus  von  Lichtenstein;  sie  starb  1476  in  Wien  und 
fand  bei  den  Schotten  ihre  Ruhestätte.  Der  zweite  Theil  verfolgt,  wie 
die  Persönlichkeit  Berthas  mit  der  Sage  von  der  weissen  Frau  in  Neuhaus 
verwebt    wurde.     Das  »Hauptverdienst«    gebührt   hiebei    Baibin.  —  Josef 

A.  Frh.  V.  Helfert,  Der  Brünner  Landtag  im  J.  1848  und  das 
mährische  L ande s w appen.  H.  2,  S.  22—30.  Verschiedene  inter- 
essante Erinnerungen  aus  den  Landtagsverhandlungen  jenes  Jahres  zum 
Theil  auf  Grund  von  Aufzeichnungen  Dr.  Alois  Frh.  v.  PraXäk.  —  E.  Söffe, 
Das  Raigerner  Liederbuch.  H.  2,  S.  30 — 44.  Eine  im  ]8.  Jhd. 
hergestellte  Sammlung  von  1  5  deutschen  und  8  lateinischen  Liedern ;  einige 
haben  wenn  auch  bescheidenes  auf  Brunn  und  dessen  Umgebung  bezüg- 
liches lokales  Interesse,  zwei  daiin  enthaltenen  Spottlieder  auf  Luther 
sind  Zoten;  die  meisten  Gesellschafts-  und  Liebeslieler  ohne  grösseren 
künstlerischen  Gehalt,  das  eine  und  andere  culturhistorisch  charakteristisch. 

Adolf  Raab,   Zur  Geschichte  der  Brunn  er  Familie  Rutili  us. 

H.  2,  S.  44 — 46.  —  M.  Grolig,  Versuche  zur  Einführung  der 
Seidenraupenzucht  in  Mähren  aus  dem  J.  1624.  H.  2,  S.  46 — 
47.  Ein  Befehl  Fürst  Karls  v.  Lichtenstein  an  den  Pfleger  seiner  mäh- 
rischen Herrschaft  Hohnstadt  vom  J.  1624.  —  Dsl.,  Kosten  eines 
Rasttages  im  J.  168,5.  H.  2,  S.  47 — 51.  Abdruck  einer  Specification 
der  Kosten,  die  dem  Stadtrath  in  Mähr.  Trübau  die  Bewirtung  des  Stabs 
des  Kürassierregiments  Hannover  während  2  Nächten  und  l  Tag  bereitete, 
zusammen  245  F.  rh.  —  Dsl.,  Aus  der  Türkenzeit.  H.  2,  S.  51  — 
52.  Eine  Mittheilung  der  Stadt  Ung.-Brod  an  Mähr.-Trübau  über  die 
Kriegsereignisse,  vom  6.  Nov.  1663.  —  Karl  Lechner,  Zur  Ge- 
schichte des  Schlosses  zu  Kremsier.  H.  2,  S.  52 — 56.  Einige 
Notizen  über  Arbeitscontracte  anlässlich  des  Ausbaues  des  Schlosses  durch 

B.  Stanislaus  Pawlowsky  aus  dessen  Copiarbuch  1579 — 1591.  —  J.  v,  Beck 
u.  J.  Loserth,  Urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  der 
husitischen  Bewegung  und  der  Husitenkriege  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  Mährens  und  der  mährisch-husiti- 
schen  Söldner.  [Schluss].  H.  2.  S.  56 — 73.  Regesten  und  Urkunden- 
abdrücke 1420 — 1429.  ■ —  P.  Clem.  Janetschek,  Das  Augustiner- 
stift St.  Thomas  in  Brunn  während  des  30j  ährigen  Krieges. 
H.  3,  S.  1 — 23.  Ein  Abschnitt  aus  der  mittlerweile  erschienenen  »Ge- 
schichte des  Augustinerordens  in  Mähren«,  in  welchem  in  sehr  detaillirter 
Weise  auf  das  Quellenmaterial  des  Archivs  des  Augustinerstiftes  gestützt 
die  schweren  Schäden  geschildert  werden,  die  dieses  Kloster,  kaum  dass 
es  sich  von  den  Wirren  der  Reformationszeit  erholt  hatte,  in  jener  Kriegs- 
periode erlitt.  Gleichzeitig  bildet  die  Abhandlung  einen  Beitrag  zur  Ge- 
schichte der  Belagerung  Brunns  durch  die  Schweden  in  den  J.  1643  und 
1645.  —  A.  Rzehak,  Massenfunde  altert  hümlicher  Gefässe 
im  Weichbilde  der  Stadt  Brunn.  H.  3,  S.  23 — 40.  Nach  dem 
Mitvorkommen  von  Glaserzeugnissen  ist  zu  schliessen,  dass  diese  Urnen 
und  sonstigen  Gefässarten  nicht  über  die  2.  Hfte  des  15.  Jhd.  zurück- 
gehen. —  A.  Rolleder,  Odrau  einstWinanow,  Wihnanow,  ge- 
nannt. H.  3,  S.  40 — 48.  Aus  urkundlichen  Nachrichten  von  1563 — 1571 
lässt  sich  erweisen,    dass  einige  Gründe  in  der  nächsten  Nähe  von  Odrau 


510  Literatur. 

den  Namen  Winanowitz  führten,  woraus  der  Verf.  weiter  schlieast,  dass 
dort  früher  eine  Ortschaft  namens  Winanow  gestanden  habe,  die  er  iden- 
tificirt  mit  jenem  Wignanow,  das  im  13.  Jhd.  zur  Ausstattung  des  mähr. 
Klosters  Tischnowitz  gehörte.  —  M.  Simböck,  Grabsteine  und  In- 
schriften in  Iglau.  H.  3,  S.  49 — .54.  Besprochen  werden  solche  aus 
dem  15.,  16.,  17.  u.  18.  Jhd. —  Anonym,  Zur  Geschichte  der  Stadt 
Znaim  während  der  Gegenreformation.  H.  3,  S.  54 — 59.  Nach- 
richten aus  den  Znaimer  Stadt büchern  über  Conflicte  zwischen  der  Kloster- 
brucker  Geistlichkeit  und  dem  Stadtrath,  der  seit  159fi  der  evangelischen 
Lehre  zugethan  war  und  in  dem,  trotz  der  bereits  durchgeführten  Gegen- 
reformation, noch  immer  jener  Geist  nachzuleben  schien.  —  W.  Schräm, 
Neue  urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  Brunn. 
H.  3,  S.  59 — 101.  Extracte  aus  den  Rechnungsbüchern  der  Stadt  Brunn 
von  1550 — 1700.  —  J.  Loserth,  Die  literarischen  Widersacher 
des  Hus  in  Mähren,  l.  Stephan  v.  Dolein.  H.  4,  S.  1  —  Ifi. 
Stephan  Prior  der  Karthause  S.  Josaphat  bei  Olmütz  trat  als  entschiedener 
Gegner  der  wiklefitischen  Lehre  auf,  verfasste  eine  Medulla  tritici,  einen 
Anti-Hus,  eine  Flugschrift  in  Form  eines  Dialogs  zwischen  Gans  (Hus)  u. 
Sperling  und  einen  Brief  an  die  Husiten,  durchaus  Schriften,  die  für  die 
Geschichte  des  Entstehens  und  Erstarkens  des  böhmischen  Wiklefismus 
wichtig  sind.  Stephans  Werke  dürften  damit  aber  kaum  erschöpft  sein. 
Beigegeben  ist  ein  Brief  Stephans  an  K.  Sigmund  1419,  und  ein  Trost- 
schreiben Stephans  an  den  Domherrn  Stephan  v.  Frag  o.  D.  —  F.  v.  K  r  o  n  e  s, 
Die  Anfänge  des  Cistercienserklosters  Saar  in  Mähren  und 
sein  Chronist  Heinrich  v.  Heimburg.  H.  4,  S.  17 — 40.  Im  ersten 
Theil  dieser  Studie  schliesst  sich  der  Verf.  der  Ansicht  an,  dass  Heinrich 
der  Chronist  von  Saar  und  der  Annalist  Heinrich  von  Heimburg  identisch 
ist,  wie  dies  bereits  Emier  behauptete  und  neuerdings  in  der  jüngsten 
Ausgabe  der  »Cronica  domus  Sai'ensis*  in  den  Mon.  Germ.  bist.  Bd. 
XXX  (l896)  S.  678  ff.  auch  J.  Dieterich  angenommen  hat.  Der  zweite 
Theil  ist  der  Entwicklung  der  Cistercienserklöster  Böhmens  und  Mährens 
bis  zur  Mitte  des  1  3.  Jhd.  und  der  Darstellung  der  Gründung  des  Stiftes 
Saar  (1252)  gewidmet.  Der  dritte  Theil  schildert  den  weiteren  Verlauf 
der  Stiftung,  den  Klosterbau,  das  innere  Leben  bis  zum  Ende  des  13.  Jhd. 
Das  vierte  Capitel  beschäftigt  sich  mit  der  Obersess  =  Obfaner  Stifterfamilie 
von  Saar  und  ihren  Nebenlinien.  —  K.  Wotke,  Moralitates  Caroli 
quarti  imperatoris.  H.  4,  S.  41 — 76.  Ein  bisher  ungedrucktes 
Werk  dieses  Kaisers  mit  einer  eingehenden  Einleitung  über  dessen  Wesen 
nach  den  drei  bisher  bekannten  Hs.,  von  denen  die  vollkommenste  im 
Cod.  Vind.  N^  556  Saec.  XIV  enthalten  ist,  zwei  ganz  junge  sich  in 
Raigern  befinden.  —  B.  Bretholz  bringt  verschiedene  »Neue  Beiträge 
zur  Geschichte  der  Belagerung  Brunns  durch  die  Schweden 
im  J.  1645^^  aus  dem  Brünner  Stadtarchiv.  H.  4,  S.  77 — 107.  — 
0.  H.  Stoklaska  gibt  kurze  Biographien  »Deutscher  Dichterinnen 
aus  Mähren*.  S.  107 — 114.  —  J.  Kux  beschreibt  die  »Königs-  und 
Marschallsgehänge  der  Littauer  Schützengesellschaft*.  S.  114 — 119.  — 
K.  W 0 y n a r  bringt  Beiträge  zur  Geschichte  eines  alten  Bauern- 
geschlechtes in  Mähren.     S.    119 — 123. 


Literatur.  511 

II.  Casopis  Matice  Moravske.  (Zeitschrift  der  mähri- 
schen Matice).  Redacteure:  V.  Brandl,  F.  Bartos.  HauptmitarbeiterV 
F.  Slavik,  Dr.  F.  Kamenicek. 

Jalirffang  XIX  (1895).  Frant.  Pastmek,  Chrvatsko-hlaholske 
zlomky  vlasteneckeho  muzea  Olomouckeho.  (Kroatisch-glagolitische 
Fragmente  des  vaterländischen  Museums  in  Olmütz).  S.  3 — 
10,  117 — 123,  223-231.  Die  beiden  Blätter  stammen  aus  einem  Breviar, 
das  eine  etwa  Ende  des  XIV.  Jahrb.,  das  andere  aus  einem  saec.  XV.  ge- 
schriebenen Buche.  Nach  einer  genauen  Beschreibung  folgt  der  Abdruck 
der  Texte;  das  eine  Blatt  enthält  Sprüche  Salomon.«,  das  andere  ein  Stück 
aus  dem  »Proprium  sanctorum«.  —  Fr.  Vlst.  Jurek,  Dr.  Adam  Huber 
Mezeficky  z  ßisenpachu.  S.  11 — 19,  97  —  105,  231 — 239.  Adam  Huber 
geb.  1546  zu  Meseritsch  a.  d.  Osl.  in  Mähren  spielte  zuerst  als  Lehrer  an  der 
Prager  Universität  eine  grosse  Rolle,  trat  dann  zurück,  verheiratete  sich  und 
besass  als  Arzt  und  Astronom  eine  bedeutende  Stellung  in  Prag.  K.Rudolf  II. 
erhob  ihn  1580  in  den  Adelstand  mit  dem  Prädicat  »von  Riesenbach«,  er- 
nannte ihn  1600  zu  seinem  Leibarzt.  Er  nimmt  thätigen  Antheil  an  den 
Plänen  der  Reformirung  des  Prager  Studiums,  tritt  wieder  in  die  Facultät  ein, 
hält  meclicinische  Vorlesungen,  wird  1612  rector  magnificus,  stirbt  1613- 
Er  hat  keinerlei  wichtigere  Werke  hinterlassen,  das  wenige  was  er  lite- 
rarisch geleistet,  wird  in  dieser  Biographie  eingehend  gewürdigt.  —  Aug. 
Sedläcek,  Rozletite  kapitoly  ze  starebo  mistopisu  a  dejin  rodüv.  (Zer- 
streute Capitel  aus  der  alten  Topographie  und  Adelsge- 
schichte). S.  19- — 23,  124 — 127.  Behandelt  die  mährischen  Wladyken- 
geschlechter  derer  von  Platsch  (Plavec)  und  Raitz  im  Znaimer  und  Brünner 
Kreis,  derer  von  Triesch  (Tfest)  und  Hradek  und  derer  von  Martinitz.  — 
Josef  Klvana,  Na  severo  v^chodni  Morave.  (Im  nordöstlichen 
Mähren).  S.  23 — 29,  127 — 134.  240^-247,  315 — 323.  Geologische 
und  petrographische  Studien.  —  In.  L.  Cervinka,  0  fimsk;fch  cestäch 
obchodnich  na  Morave.  (Ueber  römische  Handelswege  in  Mäh- 
ren). S.  29 — 39,  105 — 117,201 — 217.  Versucht  auf  Grund  der  Münzen- 
funde in  Mähren  die  alten  Handelswege  im  Lande  festzustellen.  —  Josef 
Ci^mäf,  Gary  a  povery  lidu  moravsko-slovenskeho.  (Zauberei  und 
Aberglaube  bei  den  Slovaken  in  Mähren).  S.  40 — 45,  155 — 
159,  247 — 252,  344—350.  Die  Slovakei  ist  besonders  ergebnisreich  für 
derartige  Studien,  da  dort,  wie  der  Verf.  einleitend  hervorhebt,  Aberglaube 
bis  zum  heutigen  Tage  eine  grosse  Rolle  spielt.  Er  V)ringt  eine  Anzahl 
von  hieher  gehörigen  Rezepten,  die  handschriftlich  erhalten  sind  (Zeit?) 
und  schildert  derartige  Gebräuche  in  Angelegenheiten  des  Herzens,  der 
Liebe,  der  Rache,  der  Erhaltung  des  Viehs  und  Besitzes,  der  Diebsuche 
u.  a.  Interessant  ist  auch  der  an  die  Bienen  sich  anknüpfende  Aberglaube.  — 
F.  A.  Slavik,  Kdy  byla  Morava  nevjice  spustosena?  (Wann  wurde 
Mähren  am  meisten  verwüstet?)  S.  46  —  55,  146 — 155,  252  —  261, 
351 — 354.  Der  Verf.  gibt  aus  der  mährischen  Landtafel  ein  Verzeichnis 
der  darin  als  öde  bezeichneten  Ortschaften  für  die  4  Perioden:  1.  1348 
—  1420,  2.  — 1468,  3.  — 1618,  4.  — 1648.  Das  Ergebnis  wäre:  am 
wenigsten  wurde  Mähren  verwüstet  in  den  Husitenkriegen,  mehr  durch  den 
30jährigen  Krieg,  am  meisten  aber  durch  die  Kriege  unter  K.  Mathias 
von    Ungarn    1468 — 1471.    • —     Frant.    Kamenicek,    Archivni    rozhled. 


512  Literatur. 

(Archivalische  Umschau).  S.  55 — 60,  159 — 167,  261 — 267,  355 
— 362.  Handelt  über  einzelne  Bestände  des  mährischen  Landes- 
archivs. —  Jan  V.  Krecar,  K  otäzce  volby  Ferdinanrla  L  v  Cechäch. 
(Zur  Frage  der  Wahl  K.  Ferdinands  I.  in  Böhmen).  S.  217  — 
227,  324 — 318.  In  der  verschieden  beurtheilten  Frage,  ob  K.  Ferdinand 
Anrechte  auf  den  bühmischen  Thron  hatte,  ob  er  erbberechtigt  war  und 
üb  die  böhmischen  Stände  ein  Wahlrecht  besassen  äussert  sich  der  Verf., 
indem  er  wie  es  scheint  eine  Ansicht  Kezeks,  die  dieser  in  seinen  Uni- 
versitätsvorlesungen aussprach,  wiedergibt,  dahin:  dass  Anna  ein  Erbrecht 
hatte  und  mit  ihr  Ferdinand  u.  zw.  auf  Grundlage  der  Verträge  zwischen 
Wladislaw  und  Maximilian;  dass  die  Stände  zu  einer  Wahl  nicht  berech- 
tigt waren,  da  ein  Erbe  existirte.  Nur  aus  politischen  Gründen  mit 
Rücksicht  auf  die  zahlreichen  Thronbewerber,  berief  sich  Ferdinand  nicht 
so  entschieden  auf  seine  Anrechte  und  begnügte  sich  mit  der  »Annahme'^, 
und  stellte  nach  der  Wahl  sogar  den  Revers  wegen  freier  Wahl  der  Stände 
aus,  den  er  aber  1545  durch  einen  neuen  ersetzen  Hess,  laut  welchem  er 
»als  König  anerkannt  wurde,  aber  Anna  das  Erbrecht  besass*.  — 
V.  Prasek,  Medafskä  landfoitsvi  na  severovychodni  Morave.  (Ueber 
die  Vorstandschaft  der  Bienenzüchter  im  nordöstlichen 
Mähren).  S.  134 — 146.  In  einigen  Gegenden  des  n.  ö.  Mährens  führt 
der  Vorsteher  der  Honigzüchtereien  den  aus  dem  deutschen  Worte  Land- 
vogt verderbten  Namen  »Lamfogt*;  die  Honigbauern  bilden  eine  eigene 
Zunft  mit  bestimmten  Eechtssatzungen.  Der  Verf.  macht  uns  mit  einem 
derartigen  Honigzunftbuch  aus  Braunsberg  aus  dem  J.  1665  bekannt, 
allerdings  nach  einer  jüngeren  Abschrift,  ebenso  über  die  Zunft  in  Mistek, 
deren  » Honigbuch  *  noch  erhalten  ist  und  aus  der  Mitte  des  IS.  Jhd. 
stammt.  —  Frant.  Silhavf,  Zlate  Hory  a  potok  zlatonosnä  Brtnicka  na 
zäp.  Morave.  (Hory  und  der  Goldbach  Brtnicka  im  westl. 
Mähren).  S.  334 — 344.  Eine  topographische  Studie  mit  Berücksichti- 
gung der  Frage  der  einstmaligen  hier  stattgefundenen  Goldwäscherei.  — 
J.  Tenora,  Zanikle  osady  v  okresu  Kunstätskem  a  Bystfickem  nad 
Pernst;f  nem.  (Untergegangene  Siedlungen  im  Gebiete  von 
Kunstadt  und  Bystfitz  b.  P.).  S.  328 — 334.  Urkundliche  Notizen 
über  15  solche  Ortschaften.  —  Jar.  Vlcek,  Kterak  Safafik  smyslel  o 
literärni  jednote  ceskoslovanske.  (Wie  Safafik  über  die  slavische 
literarische  Einheit  dachte).  S.  292 — 306.  —  J.  L.  Cervinka, 
Mince  a  mincovnictvi  markrabstvi  Moravskeho.  (Die  Münzen  und  das 
Münzwesen  der  Markgrafschaft  Mähren).  S.  307 — 314.  Die 
I.  Abtheilung  »Vorgeschichtl.  Zeit«  handelt  von  Funden  in  Mähren  von 
sog.  Scherbengeld,  und  widerlegt  die  Ansicht,  dass  es  mährische  Münzen 
mit  Prägung  aus  der  Zeit  der  Moimiriden  gäbe.  —  Aus  den  »Miscellen* 
hebe  ich  hervor:  Janousek  berichtet  über  eine  gothische  zweischiffige 
Kirche  in  Sitzgras  (Cizkrajov)  mit  der  Bemerkung;  dass  zweischiffige 
Kirchen  im  Gebiet  von  Datschitz  recht  häufig  vorkommen  (S.  60);  P.  Voj- 
tech  Ploten^  über  ein  ehemaliges  Holzkirchlein  in  Kuntschitz  bei  Frank- 
stadt (S.  168);  Bol.  Dolejsek  gibt  ein  Verzeichnis,  wann  eine  Anzahl 
mährischer  Städte  das  Recht  erhalten  haben,  mit  rothem  Wachs  zu  siegeln; 
die  Reihe  eröffnet  Brunn  im  J.  1453  (S.  267);  dsl.  spricht  über  die 
Grundbücher  von  Ung.  Hradisch  (S.   27l);    Silhavf  über  die  Urkunden 


Literatur.  513 

von  Opatau  bei  Trebitsch,  beginnend  14'..) 3  (S.  273);  P.  V.  Plotenf  über 
Schulverhältnisse  in  Richaltitz  im  n.  ö.  Mähren  (S.   362). 

Jahrgang  XX  (1896).  Theodor  Vodicka,  K  historii  moravskych 
nafeci.  (Zur  Geschichte  der  mährischen  Dialecte).  S.  1  —  II, 
123 — 133.  Eine  philologische  Studie.  —  Jan  Dole^al,  Kromefiz  ku 
konci  välky  tticetilete.  (Kremsier  am  Ende  des  3üjährigen 
Krieges).  S.  11  — 19,  97 — 105,  238 — 245.  Im  Mittelpunkte  der  auf 
der  bekannten  Literatur  beruhenden  Arbeit  steht  die  Einnahme  der  Stadt 
Kremsier  im  Juni  1643.  —  Jos.  Klvana,  Na  jihov^chodni  Morave.  (Im 
südöstlichen  Mähren).  S.  19 — 23,  105 — 112,  232—238,  311  — 
316.  Wie  oben  landschaftliche  Schilderung  und  geologische  Studien.  — 
Aug.  Sedläcek,  Rozletite  kapitoly  ze  stareho  mistopisu  a  dejin  roduv. 
(Zerstreute  Kapitel  aus  der  alten  Topographie  und  Ge- 
schlechtergeschichte).  S.  23 — 27,  112 — 116.  Diese  Fortsetzung 
behandelt  die  Anfänge  der  Herren  v.  Zierotin,  die  Wladyken  von  Konitz 
und  die  von  Kokor  sammt  ihrer  Verwandtschaft.  —  J.  L.  Cervinka, 
Mince  a  mincovnictvi  markrabstvi  Moravskeho.  (Die  Münzen  und  das 
Münzwesen  der  Markg.  Mähren).  S.  27 — 34,  133—142,  2()6 — 222. 
Dieser  II.  Theil  behandelt  die  »Zeit  der  Denare <^  und  beschreibt  Münzen 
der  mährischen  Theilfürsten  von  Usov  (Aussee)  —  was  mir  aber  sehr 
zweifelhaft  scheint  —  von  Olmütz  und  Brunn  saec.  XI — XII.,  zugleich 
die  ältesten,  die  für  Mähren  überhaupt  nachweisbar  sind.  Am  Schlüsse 
einige  wichtige  Zusammenstellungen  von  neueren  Münzenfunden  auf  mäh- 
rischem Boden.  —  Jos.  Klvana,  Morava  na  närodopisne  v^stave  v  Praze 
r.  1895.  (Mähren  auf  der  Prager  ethnographischen  Aus- 
.stellung  des  J.  1895).  S.  34 — 42,  143 — 146,  245  —  252,  323 — 335. 
Die  Ausstellung  zeigte,  welche  Schätze  von  volkskundlichem  Material  in 
diesem  Lande  vorhanden  sind.  —  Jan  Knies,  0  zaniklf ch  osadäch, 
hradech,  tvrzich  a  dvorcich  v  okrese  Blanskem.  (üeber  untergegan- 
gene Siedlungen,  Burgen,  Höfe  im  Blanskoer  Kreis),  S.  42 
— 47,  116 — 122.  In  alphabetischer  Ordnung  werden  bei  40  derartige 
Ortschaften,  die  zumeist  durch  urkundliche  Notizen  bezeugt  sind,  auf- 
gezählt. —  F.  A.  Slavik,  Archivni  rozhled.  (Archivalische  Um- 
.schau).  S.  47 — 50.  Bespricht  das  Material  in  der  mährischen  Landes- 
registratar.  —  Frant.  Snopek,  Ze  studiji  cyrillomethodejsk^ch.  (Stu- 
dien über  Cyrill  und  Methud).  S.  189 — 195,  281 — 289.  Der 
Verf.  erachtet  den  Brief  P.  Hadrians  in  der  pann.  Legende  für  interpolirt, 
insbesondere  die  Worte  ,  excommunicetur,  sed  tantum*,  die  Legende  für 
eine  wenig  glaubwürdige  Quelle.  —  V.  Prasek,  Kelamancia-Olomouc. 
(Kelamancia- Olmütz).  S.  196 — 206.  Der  Verf.  sucht  nachzuweisen, 
dass  wie  im  allgemeinen  so  auch  hier  die  keltische  Abstammung  der  Orts- 
namen unserer  Gebiete  auf  grosse  Schwierigkeiten  stösst,  die  Ableitung 
des  Naaiens  Olmütz  von  Kelamancia  unmöglich  sei.  —  Fr.  Vlst.  Jurek, 
Obdaroväni.  (Begabungen).  S.  222 — 231.  Auf  Grund  einiger  Ur- 
kunden saec.  XVI,  XVII  werden  die  verschiedenartigen  Abhängigkeits- 
verhältnisse der  von  Robotdiensten  und  Zinsungen  befreiten  Klassen  der 
Freibauern,  Freisassen,  Richter  charakterisirt.  —  P.  Vojtech  Ploten;f, 
Mistopisne  cfty  z  okoli  mesta  Frenstätu  pod  Radhostem.  (Topogra- 
phische Skizzen    aus    der  Gegend    von  Frankstadt  u.  d.  Rad- 


514  Literatur. 

host).  S,  289 — 3UU.  Schildert  hauptsächlich  auf  urkundliches  Material 
gestützt  die  hier  früher  bestandenen  und  betriebenen  Gewei'be,  Bergbau, 
insbes.  Glaserzeugung.  —  Jarosl.  Janousek,  Räd  zednikuv  a  kamen- 
nikü  na  b^valem  panstvi  Teleckem.  (Maurer-  und  Steinmetzord- 
nung auf  der  ehemaligen  Herrschaft  Teltsch).  S.  300 — 311. 
Stammt  aus  dem  J.  1724,  zeigt  aber  grosse  Verwandtschaft  mit  den  ent- 
sprechenden Artikeln  der  Prager  Zunft  v.  1586.  —  Bol.  Dolejsek, 
Ceske  listiny  v  pohranicnich  archivech  halicskfch.  (Böhmische  Ur- 
kunden in  galizischen  Archiven).  S.  316 — 322.  In  Archiven 
des  westlichen  Galizien,  besonders  in  Wadowitz  und  Kenty  finden  sich 
am  Ende  des  15.  u.  Anfang  des  16.  Jhd.  einige  Urkunden  in  böhmischer 
Sprache  ausgestellt,  ein  Beweis  für  deren  damalige  Ausbreitung.  —  Aus 
den  » Miscellen «:  Janousek  bespricht  unter  dem  Titel  »Zu  den  Nach- 
richten über  künstlerische  Denkwürdigkeiten  des  Geschlech- 
tes der  Witkowitze  1.  die  Beziehungen  der  Herren  von  Hradec  zu 
dem  Kloster  Welehrad  in  Mähren  zufolge  ihrer  Ansässigkeit  in  der  Nähe 
von  Welehrad,  in  Banov  (S.  50 — 55);  2.  die  unbegründete  Nachricht,  dass 
Ulrich  V.  Hradetz  im  J.  1278  auf  Befehl  K.  Ottokars  11.  Teltsch  befestigen 
sollte  und  im  Anschluss  daran  die  Anlage  der  Stadt  und  den  romanischen 
Thurm  bei  der  hl.  Geistkirche  (S.  147 — 150);  3.  die  1220  von  Heinrich 
V.  Hradec  gegründete  Burg  in  Neuhaus  in  Böhmen  und  die  zweischiffige 
St.  Johannskirche  daselbst.  (S.  252 — 25  6,  335 — 339);  Kamenicek  be- 
schreibt die  Karte  Mährens  von  Paul  Fabricius  im  Brünner  Franzens- 
museum (S.  56);  J.  Kypäcek  macht  eine  Weberordnung  von  Trebitsch 
vom  J.  1677  bekannt  (S.  57 — 6l);  Zd.  Tobolka  sucht  nachzuweisen, 
dass  Radim  und  nicht  Canaparius  der  Autor  der  Lebensbeschreibung  des 
h.  Adalbert  sei  (S.  62 — 66);  Jar.  Demel  polemisirt  unter  dem  Titel 
Nachträge  und  Erläuterungen  zum  7.  Cap.  des  2.  Buches 
der  Geschichte  Mährens  von  Bretholz  über  einige  Detailfragen 
der  mährischen  Geschichte  aus  der  2.  Hfte  des  12.  Jahrh.  Ich  habe  in 
einer  »Entgegnung«  im  »Notizenblatt  des  Vereines  f.  d.  Gesch.  Mährens 
und  Schlesiens«  1S96,  S.  86  ff.  meine  Ansichten  näher  begründet.  Die 
Fragen  betreffen  hauptsächlich:  die  Theilnahme  H.  Ottos  III.  von  Olmütz 
am  Polenfeldzug  K.  Friedrichs  Barbarossa  im  J.  1157  und  die  Abstam- 
mung des  Herz.  Konrad  Otto  III.,  sowie  seine  Stellung  in  Mähren  im 
J.  1179.  (S.  153 — 163).  —  Ferner  wird  eine  Begabungsurkunde  Johanns 
d.  Ae.  von  Zerotin  und  Fulnek  v.  J.  1497  mitgetheilt,  die  einen  Beitrag 
zur  Geschichte  der  Herrschaft  Fulnek  bildet.     (S.   339—341). 

Jahrgang  XXI  (1897).  Fr.  A.  Slavik,  Stav  närodnosti  ceske  a 
nemecke  na  Morave  r.  1771.  (Der  Stand  der  böhmischen  und  deut- 
schen Nationalität  in  Mähren  i.  J.  1771).  S.  18--26,  143—153.  Eine 
Beschreibung  der  Diöcese  Olmütz  vom  J.  1771—2  u.  d.  T.  »Alma  dioe- 
cesis  Olomucensis  seu  consignatio  omnium  decanatuum  1771  et  17  72«  in 
der  Kremsierer  fürsterzb.  Bibliothek  bietet  zuverlässige  und  sehr  inter- 
essante Nachrichten  über  die  Vertheilung  der  beiden  Nationalitäten  in 
Mähren  in  dem  genannten  Jahre.  —  Jos.  Klvana  setzt  S.  26 — 33, 
136  —  142,  249 — 255,  350 — 354  seine  geologischen  Studien  über  Mähren 
in  populärer  Darstellung  vermischt  mit  topographischen  und  historischen 
Bemerkungen    und  Erinnerungen    fort.  —  J.  L.  Cervinka    behandelt  in 


Literatur.  5I5 

der  Fortsetzung  seines  Aufsatzes  über  »Münzen  und  Münzwesen  der 
Markgrafschaft  Mähren'*  die  Zeit  der  Brakteaten,  rias  13.  Jahrb. 
(S.  .33 — 44,  129 — 136,  2.55 — 27 1).  —  Frant.  J.  Rypäcek,  Z  prosto- 
narodniho  lekäfstvi  a  hospodäfstvi.  (Aus  der  volksthümlichen 
Arzneikunde  und  Wirtschaftsgeschichte).  S.  44 — 54.  Bringt 
Auszüge  aus  einem  diesbezüglichen  alten  Buche  verfasst  von  Joachim 
Pfarrer  von  Gr.  Bitesch  1560.  —  Frant.  Sujan,  Svedove  u  Brna  roku 
1645.  (Die  Schvs^eden  vor  Brunn  im  J.  1645).  S.  54 — 66,  111 
— 127,  214 — 229,  326 — 344.  Eine  gründliehe  Darstellung  auf  der  Basis 
des  handschriftlichen  Materials  mit  eingehender  Verwertung  der  neuesten 
Literatur,  die  1895  anlässlich  der  2 50jährigen  Erinnerungsfeier  erschienen 
ist.  —  Frant.  Bil;^,  0  nekterych  zajimav^ch  pamätkäch  staroceskeho 
pisemnictvi.  (Ueber  einige  interessante  Denkmäler  altböh- 
mischer Literatur).  S.  97 — 110,  229 — 239.  Der  Aufsatz  bespricht 
(las  berühmte  Rheimser  Evangeliar,  das  P.  Clemens  VI.  Karl  IV.  geschenkt 
hatte  und  das  im  Laufe  der  Jhdte  interessante  Wanderungen  und  Schicksale 
erlebt  hat,  dann  die  Handschrift  der  sog.  Stockholmer  S.  Katharinenlegende, 
die  durch  die  Schweden  dahin  kam,  heute  im  mähr.  Landesarchiv  liegt 
mit  genauer  Inhaltsangabe,  schliesslich  Thomas  Stitny's  kulturhistorisch 
wichtiges  Werk  »Knihy  sestery  o  obecn;fch  vecech  Kr estanskfch  *  und 
Ctibors  V.  Cimburgs  »Kniha  Tovacorskä*,  das  bekannte  Rechtsbuch.  — 
Frant.  Silhav^,  Oboj^ivelnici  a  plazi  v  podäni  prostonärodnim  na  zapadni 
Morave.  (Amphibien  und  Reptilien  in  der  volksthümlichen 
Tradition  im  westlichen  Mähren).  S.  153 — 160.  —  Jar.  J.  Hanel 
bietet  S.  197 — 213  eine  kurze  Skizze  Franz  Palackfs.  —  Jar.  Demel, 
Kräl  Väcslav  I.  a  vpäd  Tatarü  na  Moravu  r.  1241.  (K.  Wenzel  I.  und 
der  Einfall  der  Tataren  in  Mähren  im  J.  1241).  S.  317 — 325. 
Im  Gegensatz  zu  meiner  auf  durchaus  quellenkritischer  Prüfung  der  Quellen 
ruhenden  Darstellung  des  Vorgehens  des  böhmischen  Königs  gegen  die 
Tataren,  wird  hier  ohne  jedweden  genügenden  Beweis  abermals  versucht. 
Wenzel  Verdienste  zuzuschreiben,  die  ihm  nicht  gebühren.  Er  hat  weder 
die  Tataren  in  ihrem  Zuge  gehemmt  und  abgelenkt,  noch  hat  er  Mähren 
vor  ihnen  geschützt  oder  es  von  ihnen  befreit.  —  Frant.  J.  Rypäcek, 
K  dejinäm  selskeho  poddanstvi  na  Morave.  (Zur  Geschichte  der 
bäuerlichen  Unterthänigkeit  in  Mähren).  S.  354 — 359.  Bei- 
träge aus  einem  1581  erlassenen  Rechtsspruch  in  einem  Prozess  zwischen 
Johann  d.  J.  von  Zierotin  auf  Losin  und  den  zu  dieser  Herrschaft  ge- 
hörigen ünterthanen  aus  dem  »Codex  Daubravicensis *  im  Brünner  Franzens- 
Museum,  der  die  »Denkwürdigkeiten  und  Notizen  Smils  II.  Osovsk^ 
V.  Daubrawitz  und  auf  Trebitsch «  enthält.  —  Aus  den  » Miscellen « : 
Slavik  schreibt  auf  hslicher  Grundlage  über  die  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse in  Turas  bei  Brunn  (S.  70 — 75),  dann  über  die  Veränderungen 
in  den  Nationalitätsverhältnissen  Oest.-Schlesiens  von  1771 — J890  (S.  168); 
F.  Mencik  über  die  Bibliothek  des  ersten  Professors  für  böhmische 
Sprache  an  der  Wiener  Universität  Josef  V.  Zlobicky  t  1810  (S.  75 — 82); 
Zd.  V.  Tobolka  tritt  einer  von  Kalousek  » Böhmisches  Staatsrecht  *  aus- 
gesprochenen Ansicht  über  das  Erbrecht  von  ledigen  Fürstinnen  in  Böhmen 
entgegen  im  Anschluss  an  die  Ansprüche  des  Herzogs  v.  Sachsen  an  den 
böhmischen  Thron  im  J.    14  58;    Dr.  J.  Cvrcek  bringt  aus  dem  Herren- 


516  Literatur. 

huter  Archiv  Nachi'ichten  über  zwei  aus  Mähren  staromende  Mitglieder 
der  Brüderunität,  Martin  Abdon  und  Johann  Blahoslav  (S.  271 — 275); 
Jan  Tiray  theilt  eine  von  Ulrich  v.  Lomnitz  1559  der  Stadt  Gr.  Bitesch 
Jür  den  Eath  (consules)  bestimmte  Ordnung  mit  (S.  275  —  278); 
Frant.  J.  Kypäcek  aus  dem  schon  erwähnten  Codex  Daubravicianus  den 
Beschluss  des  mährischen  Landtags  vom  J.  1583  wegen  Wahl  eines 
Landesburggrafen  aus  dem  Stande  der  Kitterschaft  (S.  359 — 362);  Frant. 
Tichy  veröffentlicht  aus  einer  Handschrift  des  Boskowitzer  Archivs  Nach- 
richten über  Heiratsverträge  von  Priestern  der  Brüderunität  aus  einer 
Anzahl  mährischer  Städte  (S.  364 — 36s);  Josef  Cvreek  schliesst  den 
Band  mit  einigen  Notizen  über  den  blühenden  Zustand  des  Handwerks  in 
Bisenz  um  das  J.    1604  nach  einem  Bisenzer  Urbar. 

HL  Museum  Francisceum.  Annales.  Seit  dem  J.  1897  gibt 
das  mährische  Franzensmuseum  in  Brunn  ein  Jahrbuch  heraus,  das  den 
Zweck  verfolgt,  die  reichen  Sammlungen  dieses  Museums  durch  darauf 
bezügliche  Aufsätze  vor  allem  der  gelehrten  Welt,  aber  auch  dem  grossen 
Publikum  bekannter  zu  machen.  Entsprechend  dem  Inhalt  dieses  Museums, 
das  neben  einer  reichen  Bibliothek  und  einem  ansehnlichen  Archiv  auch 
Bildergallerie,  Prähistorica,  Naturwissenschaftliches  aus  allen  drei  Reichen, 
Münzen,  Trachten,  Waffen,  Kleinkunst  etc.  besitzt,  beziehen  sich  die  Auf- 
sätze dieses  Jahrbuches  bald  auf  dieses  bald  auf  jenes  Gebiet.  Wir  wählen 
hier  nur  diejenigen  Arbeiten  heraus,  die  der  Geschichte  oder  verwandten 
Gebieten  angehören. 

Anuales  1895  (erschienen  1896).  AI.  Franz,  Altartischplatte 
(mensa)  der  mährischen  Brüder  (?)  des  Franzens-Museum. 
S.  59 — 66.  Eine  über  ]  mr  grosse  fast  quadratische  reich  gezierte  Kehl- 
heimer  Steinplatte,  verwandt  jenen  im  kunsthistorischen  Museum  in  Wien, 
deren  eigentliche  ursprüngliche  Bestimmung  aber  kaum  mehr  sicher  an- 
zugeben ist,  ebenso  wie  die  Provenienz.  —  F.  Bartos,  Zpräva  o  ruko- 
pisnych  sbirkäch  närodnich  pisni  moravsk^ch  z  r.  1819,  chovan^ch  ve 
Frantiskove  Muzei  v  Brne.  (Mittheilungen  über  die  handschrift- 
lichen Sammlungen  mährischer  Nationallieder  aus  dem 
J.  1819,  aufbewahrt  im  Franzens-Museum  in  Brunn).  S.  67 
—^90.  Die  Sammlung  verdankt  ihre  Entstehung  dem  Plane  des  »Vereins 
der  Musikfreunde  der  österr.  Monarchie  <^  auf  deren  Ansuchen  in  den  ein- 
zelnen Ländern  amtlich  derartige  Lieder  und  Gesänge  gesucht  und  ge- 
sammelt wurden.  Die  Einlaufe  wurden  in  einem  Exemplar  der  obigen 
Gesellschaft,  in  einem  zweiten  dem  Franzensmuseum  zugewiesen.  Der  Verf. 
bietet  nach  einer  Einleitung,  in  welcher  die  Entstehung  und  der  Ursprung 
dieser  officiellen  Sammlung  des  weiteren  ausgeführt  wird,  eine  Uebersicht 
der  einzelnen  Lieder  nach  den  Kreisen  des  Landes  mit  zahlreichen  Text- 
anführungen und  historischen  Bemerkungen.  Es  sind  hauptsächlich  Volks- 
und Liebeslieder,  auch  einige  historische  Lieder  finden  sich  darunter.  — 
B.  Bretholz,  Die  Cerronische  Manu  Scriptensammlung  des 
Franzens -Museums.  S.  91  — 119.  Eine  genaue  Inhaltsangabe  der 
einzelnen  zu  dieser  Sammlung  gehörigen  Archivalien.  —  W.  Schräm, 
Die  Incunabeln  des  Franzens- Museums.  S.  131  — 151.  Es  sind 
ihrer  35,  der  älteste  Druck  vom  J.    1469. 


Literatur.  g^  Y 

Aniiales  1896  (erschienen  1897).  W.  Schräm,  Geschichte 
der  Bibliothek  des  Franzens- Museums.  S.  41 — 7,5.  Neben  der 
äusseren  Geschichte  werden  auch  die  wertvolleren  und  grösseren  Schen- 
kungen detail]  irt  angeführt,  so  dass  man  sich  auf  Grund  dieser  Arbeit 
über  den  Vorrath  an  bedeutenderen  und  selteneren  Werken  eine  genaue 
Vorstellung  machen  kann.  —  B,  Bretholz,  Eegesten  der  Original- 
urkunden im  Archiv  des  Franzens -Museums.  S.  139 — 184. 
1.  17  Urkunden  mähr.  Klöster  1222- — 1.303;  2.  15  Urkunden  die  ehe- 
malige Cistercienserabtei  Smilheim  betreffend.  1442 — 1526;  3.  12  Ur- 
kunden der  Herzoge  von  Teschen  und  Grossglogau  1430 — 161  1  ;  4.  24  Ur- 
kunden mähr.  Adelsgeschlechter  betreffend.  1373 — 15  14;  5.  36  Varia 
1378 — 1822.  —  Jos.  Klvana,  Kroj  lidu  slovanskeho  na  Morave.  (Die 
Volkstracht  des  slovakischen  Volkes  in  Mähren).  S.  185  — 
203.  —  A.  Franz  beschreibt  u.  d.  T.  »Mittheilungen  aus  den 
kunsthistorischen  Sammlungen  des  Franzens-Museums^^ 
zwei  Grabplatten,  eine  vom  J.  1399,  eine  vom  J.  1605,  letztere  von  einer 
Brünner  Protestantin,  die  ausserhalb  der  Stadt  begraben  werden  musste, 
und  das  sog.  Sobieski'sche  Waschgeschirr.  —  Frant.  Kamenicek, 
Pfispevek  k  vojenskemu  zfizeni  moravskemu  v  16.  stoleti.  (Beiträge 
zur  Militärorganisation  in  Mähren  im  16.  Jhd.).  S.  217 — 243. 
Die  Arbeit  beruht  auf  den  mährischen  Landtagspamatken  und  gibt  ein 
anschauliches  Bild  von  der  Art  der  Zusammenstellung,  der  Ausrüstung, 
der  Versorgung,  der  Auflösung  der  Heere  in  jener  Zeit,  die  entweder 
Söldner-  oder  Ständeheere  waren.  Letzteres  setzte  sich  zusammen  aus  der 
Bevölkerung  des  Landes  durch  Aushebung  des  je  20.,  10.  oder  auch 
5.  Mannes  aus  der  Unterthanenschaft,  ersteres  wurde  aus  allen  Ländern 
zusammengesucht  und  aus  den  Erträgnissen  der  Landessteuer  erhalten.  — 
J.  Zak,  Deutsche  Volkslieder  in  den  Handschriften  des 
Franzens -Museums.  S.  245 — 263.  Behandelt  jene  offizielle  Samm- 
lung des  J.  18  19,  von  der  schon  oben  die  Rede  war  und  bringt  auch 
Melodiebeispiele.  —  J.  Matzura,  Die  ältesten  und  älteren  Land- 
karten von  Mähren.  Die  Moll' sehe  Sammlung  des  Franzens- 
Museums  in  Brunn.  S.  265 — -324.  Die  Moll'sche  Sammlung  um- 
fasst  68  grosse  Mappen  mit  angeblich  13.000  Blättern  Landkarten, 
Schlachtenpläne,  Kriegsschauplätze,  Architecturen,  Gartenanlagen,  Kunst- 
werke etc.  Der  Verf.  wählt  aus  diesem  ungeheuren  Material  nur  die 
älteren  Landkarten  von  Mähren  und  bietet  an  der  Hand  derselben  eine 
eingehende  Darstellung  des  allmähligen  Fortschrittes  in  der  Herstellung 
des  Kartenbildes  von  Mähren.  Es  sind  hiebei  drei  Stufen  zu  unterscheiden. 
Die  erste  bezeichnet  Paulus  Fabricius  geb.  1519,  gest.  1588,  der  die 
erste  Karte  von  Mähren  im  J.  1575  (vielleicht  schon  1570)  auf  Grucd 
eigener  Durchreisung  und  Durchmessung  des  Landes  schuf.  Das  zweite 
Stadium  repraesentirt  die  Karte  des  Comenius,  das  dritte  die  von  Joh. 
Christ.  Müller  in  kaiserl.  Auftrag  in  den  Jahren  1708 — 1712  fertig- 
gestellte. Eine  neue  Zeit  für  die  Kartographie  beginnt  dann  erst  mit  der 
Katastral-Detailvermessung  (für  Mähren  1824 — 35)  und  der  militärischen 
Mappirung  1844 — 46.  —  0.  Schier,  Ueber  Landesmuseen.  S.  325 
— 342.     Der  Aufsatz    schliesst    sich  an  einen  Bericht   über  eine  Studien- 


5Jg  Literatur. 

reise    durch    die     hervorragendsten    Landesmuseen    und    bietet    zahlreiche 
Anregungen  zur  möglichen  Ausgestaltung  des  Brünner  Franzens -Museums. 

Oesterreich.-Schlesieii. 

Vestnik  matice  Opavske.  (Anzeiger  der  Troppauer 
Matice).  Nr.  ö  (l895).  V.  Prasek,  Valasi  na  Frydecku.  (Die  Wa- 
lachen  im  Friedeker  Gebiet).  S.  1 — 8.  Der  Nachweis  ihres  einst- 
maligen Vorkommens  daselbst  lässt  sich  aus  Urkunden  saec.  XVII  nach- 
weisen, aus  denen  sich  auch  eine  genügende  Vorstellung  über  ihre  Haupt- 
beschättigung,  Viehzucht,  insbesondere  Schafe  und  Ziegen,  aber  auch 
mancherlei  Andeutung  über  ihre  Oi'ganisation  ergibt.  —  Frant.  M  y  s  1  i  v  e  c 
bringt  einige  Notizen  über  das  Müllergewerbe  in  Klein-Lhota. 
(S  «.^  —  i\y  —  Rob.  Parma  setzt  seine  Verzeichnisse  von  Flur-  und 
Ortsnamen  Schlesiens  fort  und  behandelt  diesmal  das  Gebiet  von 
Oderberg  und  Freistadt  (S.  10 — 19).  —  P.  Jan  Vyhlidal  beschreibt 
die  Teschner  Nationaltracht.  (S.  19 — 22).  — Jan  Zitek,  Svedove 
a  cisafstvi  v  Tesine  v  letech  1645  az  1647.  (Die  Schweden  und 
das  kaiserliche  Heer  in  Teschen  in  den  J.  1645 — 1647).  S.  22 
— 27.  Nachrichten  aus  einem  Rechnungsbuch  der  Stadt  Teschen,  meist 
bezüglich  der  Erhaltungskosten,  aber  auch  einige  von  historischem  Interesse. 
—  V.  Prasek  behandelt  in  der  Fortsetzung  seines  Aufsatzes  »Her vor- 
ragen de  Persönlichkeiten  ausTroppanim  16.  Jhd. «  den  Meister 
Martin  Zenkfrey,  evang.  Prediger  an  der  Pfarrkirche  in  Troppau  t  15  68. 
(S.  27  —  33)-  —  V.  Prasek  und  V.  Hauer  bieten  Beiträge  zur  Ge- 
schichte der  böhmischen  Sprache  in  Schlesien,  darunter  ein 
Verzeichnis  der  Troppauer  böhmischen  Drucke  im  ]8.  Jhd.  (S.  34 — 37).  — 
Nicht  uninteressant  ist  eine  Uebersicht  der  Kultlirbestrebungen  in  Schlesien, 
worin  zusammengestellt  erscheinen  1 .  alle  Unternehungen  zur  Herausgabe 
von  Schriften  und  Zeitschriften;  2.  eine  Schulstatistik  von  1894;  3.  die 
Vereine,  etc.  (S.  37  —  40).  —  Wichtig  ist  schliesslich  eine  wenn  auch  sehr 
kui'ze  Uebersicht  der  Archivalieu  im  Scherschnikmuseum  in  Teschen  von 
A.  Landsfeld.  (S.  56 — 6fl).  —  Die  weiteren  Hefte  waren  mir  nicht 
zugänglich. 

Brunn.  Dr.  B.  Bretholz. 


Notizen. 

Millenniums feier  zu  Ehren  des  Paulus  Diaconus.  Die 
Erinnerung  an  das  XI.  Centenarium  des  Paulus  Diaconus  wird  durch  einen 
historischen  Congress  gefeiert  werden.  Der  Congress  wird  am  3.  September 
in  Cividale  mit  einer  Rede  des  Prof.  Giovanni  Tamassia  von  der  Univer- 
sität Padua  eröffnet  werden.  Die  bis  jetzt  eingelangten  Beitrittserklärungen 
sind  sehr  zahlreich  und  die  Ankündigungen  der  Arbeiten,  die  zur  Publi- 
kation in  der  Festschrift  gelangen  sollen,  sichern  einen  gedeihlichen  Er- 
folg. Ein  Hauptgegenstand  der  Besprechung  des  Congresses  wird  die 
vollständige  Herausgabe  der  Werke  des  Paulus  Diaconus  bilden,  die  von 
P.  Ambrogio  M.  Amelli,  Archivar  von  Monte  Cassino,  von  Geheimrat 
Diimnder  und   Prof.   CipoUa  befürwortet  wird. 


Notizen.  5J9 

In  den  »Jahresheften  des  österreichischen  x\rchaeologischen  Instituts ^'= 
Bd.  II  (1899),  Beiblatt  S.  ]  — 14,  behandelt  L.  M.  Hartmann  die  von 
Paulus  diaconus  in  der  hist.  Langobard.  III,  31,  wie  man  annehmen 
darf,  aus  Secundus  von  Trident  geschöpfte  Aufzählung  der  von  den  Franken 
im  J.  590  eingenommenen  und  zerstörten  Castelle  »in  territorio  Trid  en- 
tin o<^  Ausgehend  von  dem  durch  Narses  an  den  Nordmarken  Italiens 
eingerichteten  Vertheidigungssystem  kommt  H.  zu  Resultaten,  die  von 
vornherein  Bedenken  erregen.  So  wird  das  I.  c.  genannte  Sermiana  mit 
Sermione  an  Südende  des  Gardasees  (also  im  Gebiet  von  Verona)  zu- 
sammengestellt, Fagitana  mit  Fasano  bei  Maderno  (nordöstlich  von  Salö, 
also  im  Gebiet  von  Brixia),  Orten,  die  von  den  landeskundigen,  in  den 
Angaben  genau  nach  der  römischen  Territorialeintheilung  sich  richtenden 
Secundus  und  Paulus  diaconus  nimmermehr  »in  territorio  Tridentino* 
angesetzt  worden  wären.  Nach  Süden  zu  hatte  das  Gebiet  von  Trident 
feste  Grenzen  gegen  Brixia  wie  gegen  Verona;  im  Norden  setzte  der  Ab- 
grenzung kein  Municipium  die  Schranken,  daher  die  von  Hartmann  unbe- 
achtet gelassenen  Auseinandersetzungen  Huber's  (in  dieser  Zeitschrift  II, 
3G8  f.)  mir  nach  wie   vor  das  Richtige  zu  treffen  scheinen.  J.  J. 

Die  Gefangenschaft  des  Johann  Augusta  und  seines 
Diakons  Jakob  Bilek,  von  Bilek  selbst  geschrieben.  Aus  dem  Böh- 
mischen übersetzt  und  herausg.  von  Joseph  Müller.  Leipzig  1895. 
XVI  u.  13f)  p.  Diese  bisher  nur  nach  dem  böhmischen  Originaltext  her- 
ausgegebene Hauptquelle  über  die  jahrelange  Gefangenschaft  des  bekannten 
Brüderbischofs  und  seines  Leidensgefährten  ist  nun  auch  dem  deutschen 
Lesepublikum  zugänglich  gemacht.  Mit  Interesse  verfolgt  man  die  ganz 
kunstlose,  naive  Schilderung.  Ungebrochen  überstanden  die  Beiden  die 
Folterung,  über  deren  Detail  übrigens  hier  ganz  wenig  gesagt  wird,  und 
die  Kerkerhaft,  welche  jedoch  nicht  immer  gleich  hart  war.  Auch  hier 
sieht  man,  wie  sich  in  Böhmen  schliesslich  alles  unter  dem  Hute  »sub 
utraque*  unterbringen  Hess,  was  nicht  katholisch  war.  Bilek  empfieng 
nach  langen  Skrupeln  endlich  das  zweigestaltige  Sakrament,  und  Augusta 
war  schon  daran,  sich  in  seiner  Erklärung  als  zu  denen  »sub  utraque*^ 
gehörig  zu  bezeichnen.  Die  Hauptsache  war  die  Abneigung  gegen  die 
»sub  una^^  Selbst  der  freundlichsten  Begegnung  der  Prager  Jesuiten 
gegenüber  den  zwei  Pikarden  wurden  böse  Motive  untergeschoben.  Recht 
bezeichnend  für  die  Geschichte  der  Ehe  zwischen  Ferdinand  und  der 
Welserin  ist  die  Stelle,  wo  es  heisst,  wie  der  Erzherzog  oft^  Aufenthalt 
in  Pürglitz  nahm  bei  »seiner  Gemahlin,  der  sogenannten  Jungfrau  Phi- 
lippinen^. Die  Leute  im  Schloss  kannten  sie  also  als  Gattin,  aber  man 
sprach  von  ihr,  der  väterlichen  Weisung  folgend,  nur  als  von  einer  Jung- 
frau oder  Zuhälterin.  —  Gleich  andern  hält  auch  der  Uebersetzer  dafüi", 
dass  Bilek  die  Chronik  verfasst  und  geschrieben  hat.  Dass  Bilek  an  der 
Abfassung  grossen  Antheil  hat,  scheint  ausser  Zweifel.  Dafür  spricht  neben 
andern  Stellen  besonders  die  eine:  »Diese  Erzählung  ist  von  demjenigen 
geschrieben,  der  das  alles  genau  weiss.  Er  weiss,  dass  er  die  Wahrheit 
geschrieben  hat  und  dass  ausser  ihm  niemand  dies  so  genau  zu  erzählen 
weiss  und  vermag*.  Wenn  aber  dem  alsbald  beigefügt  ist,  dass  die 
Schrift  »unter  seiner  Leitung«  vollendet  worden,  so  macht  dies  doch  den 


520  Notizen. 

Eindruck,  dass  mau  wenigstens  in  Bezug  auf  die  schriftliche  Fixirung  des 
Textes  nicht  an  Bilek  allein  zu  denken  hat.  —  Manches  von  dem,  was 
der  Herausgeber  in  Einleitung  und  Anmerkungen  hinzugegeben,  wie  z.  B. 
seine  Aeusserung  über  die  Verfolgung  der  Hussiten  oder  über  die  Un- 
gültigkeitserklärung Ferdinands  I.  bezüglich  der  Liegnitz-Brandenburgi scheu 
Erbverbrüderuug  ist  einseitig  tendenziös.  J.  H. 

In  der  Ferdinandeums-Zeitschrift  III.  Folge,  41.  Heft  hat  J.  Fischer 
den  Erbschaftsvergleich,  den  Kaiser  Rudolf  IT.  am  10.  April 
1578  mit  seinen  fünf  Brüdern  schloss,  zum  Abdruck  gebracht.  Die  Ur- 
kunde, zu  deren  Erläuterung  die  von  Fischer  gegebene  aetenmässige  Dar- 
stellung der  vorausgegangenen  Verhandlungen  wesentlich  beiträgt,  ist  für 
das  österreichische  Staatsrecht  von  Bedeutung.  Man  ersieht  aus  ihr,  dass 
nur  Nieder-  und  Oberösterreich,  nicht  aber  Böhmen  und  Ungarn  den 
Gegenstand  des  Vergleiches  bildeten.  Rudolf  II.  war  damit  einverstanden, 
dass  die  beiden  Erzherzogthümer  als  eine  allen  Söhnen  Maximilians  zu- 
kommende Erbschaft  angesehen  würden,  während  er  in  Betreff  Böhmens 
und  Ungarns  den  Grundsatz  aufstellte,  dass  diese  ihm  allein  gebühren, 
da  er  bei  Lebzeiten  Maximilians  IL  als  König  in  den  beiden  Reichen  ge- 
krönt worden  sei.  Da  die  Brüder  Rudolfs  sich  diesen  Argumente  fügten, 
waren  die  Gefahren,  mit  welchen  Verhandlungen  mit  den  Ständen  Böhmens 
und  Ungarns  über  das  Erbrecht  des  Hauses  Habsburg  verbunden  gewesen 
wären,  beseitigt.  Aber  auch  auf  eine  Theilung  von  Nieder-  und  Ober- 
österreich verzichteten  die  Brüder  Rudolfs  und  begnügten  sich  mit  der 
Zusicherung  einer  Rente  von  45000  H.,  die  jedem  der  fünf  Brüder  von 
Rudolf  jährlich  bezahlt  werden  sollte.  S.  S. 

In  den  »Innsbrucker  Nachrichten«  1897  veröffentlichte  F.  Lentner 
mehrere,  auf  ungedrucktem  Materiale  beruhende  Aufsätze  aus  der  Fran- 
zosenzeit von  1797,  die  in  sauberen  Sonderabzügen  vorliegen:  1.  die 
Stadt  Bozen  in  Feindeshand  (23.  März — 4.  April  1797),  mit  Be- 
nützung der  Aufzeichnungen  des  M.  Neulichedl  von  Karneid,  2.  d  i  e 
Franzosen  in  Brixen  (24.  März — 6.  April  1797),  nach  Aufzeich- 
nungen des  Capuziners  Jeremias  Käsbacher,  3.  die  Weib  er  wacht  zu 
Villanders  (3.  April  1797)  mit  Abdruck  von  zwei  Belobungsdecreten, 
4.  der  Separatfriede  von  Sähen  (3.  April  1797)  ein  zwischen  den 
Franzosen  und  den  Bauern  vou  Pardell  abgeschlossener  Waffenstillstand, 
im  Anhang  ein  Schreiben  des  franz.  Postencommandanten  in  Sähen  und 
Belobungsdecrete  für  die  tapfern  Weiber  von  Latzfons  und  Velthurns 
abgedruckt.  S.  M.   Prem. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi. 

Topographisch-liistorisclie  Excnrse. 

Von 

Julius  Jung. 


Die  Geschichte  Oberitalieus  im  Altertum  beginnt  mit  der  Grün- 
dung zweier  Colonien  am  Po,  die  im  J.  218  v.  Chr.  erfolgte,  und  die 
bestimmt  waren,  den  Uebergang  über  den  mächtigen  Fluss  zu  decken; 
es  waren  dies  Creraona  und  Placeutia,  die  auch  in  den  folgenden 
Jahrhunderten,  nicht  zum  wenigsten  durch  ihre  Rivalität,  den  Gang 
der  Dinge  in  diesen  Gegenden  bestimmt  haben. 

Von  hier  aus  verzweigte  sich  das  römische  Strassennetz,  das  den 
Verkehr  nach  allen  Seiten  hin  eröffnete.  Bei  Placentia  mündete  die 
im  J.  187  V.  Chr.  augelegte  „via  Aemilia"  ein  i).  Dieselbe  setzte  sich 
nach  Westen  hin  fort,  indem  sie  über  die  Stationen  Camillomagus 
(bei  ßroni),  Clastidium,  Iria  die  Colonie  Dertona  (j.  Tortona)  erreichte. 
Hier  war  halbwegs  zwischen  Placentia  und  Genua;  das  letztere  wurde 
über  Libarna  (bei  Serravalle)  erreicht,  während  eine  andere  Strasse 
westwärts  über  Aquae  Statiellae  (d.  i.  Acqui)  den  Fluss  Bormida  auf- 
wärts, dann  nach  Vada  Subatia  (d.  i.  Vado)  ans  ligurische  Meer  führte  ^). 


1)  Es  wurden  mehrere  Colonien  längs  dieser  von  Ariminum  herführenden 
Strasse  angelegt,  zuerst  Bononia;  alle  vor  der  üeffuung  der  Apenninthäler  in 
die  Ebene.  Einige  Namen  erinnerten  an  militärische  Dinge,  so  Parma  (Schild) 
oder  Fidentia  (die  Beherztheit).  Vgl.  Bormann  in  Archaeol.  epigr.  Mitth.  X,  227  f. 

2)  Vgl.  Mommsen  in  Corp.  inscriptionum  V,  2  und  die  diesem  Bande  bei- 
gegebene Kiepert'sche  Karte. 

Mittheilungen  XX.  34 


522  Juliusjung. 

Diese  Strassen  wurden  um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts 
V,  Chr.  1)  eröffnet,  worauf  sich  längs  derselben  das  municipale  Leben 
entwickelte.  Wie  in  Placeutia  und  Dertona,  so  auch  in  Iria,  Libarna 
und  Aquae  Statiellae;  Orte  die  unter  dem  Principat  nach  Massgabe 
der  hier  gefundenen  Inschriften  ein  ganz  behäbiges  Dasein  geführt 
haben  müssen,  wobei  die  Localinteressen  sich  in  der  raanigfachsten 
Weise  ineinanderschoben  '^).  Genua  blieb  das  Emporium  dieser  Gegend 
am  westlichen  Meere. 

Wer  von  Placeutia  aus  in  südöstlicher  Richtung  die  via  Aerailia 
verfolgte,  kam  über  die  Station  Plorentiola  nach  Fidentia,  das  eine 
Zeitlang  municipale  Selbbtäudigkeit  genoss,  während  das  grössere 
Ceutrum  der  Gegend  in  der  Colonie  Parma  beruhte. 

Parma  war  eiu  wichtiger  Verkehrspunkt,  da  hier  der  frequenteste 
We«-  über  den  westlichen  Apennin,  der  von  Luca  über  den  Pass  Cisa 
tührte,  in  die  via  Aemilia  einmündete.  Die  Itinerarieu  verzeichnen 
die  Strasse  von  Luca  nach  Parma,  indem  sie  die  Entfernung  auf  (rund) 
100  Millien  veranschlagen  ^j.  Diese  Strasse  führte  von  Forum  novum 
(Foruovo)  an  der  östlichen  Lehne  des  Tarothales  aufwärts  und  auf 
der  anderen  Seite  des  Gebirges  das  Thal  der  Mucra  hinab -i). 

Ueberhaupt  erscheint  die  westliche  Erhebung  des  Apennin  durch 
tiefeingeschnittene  Flussläufe  in  einer  Weise  gegliedert,  die  dem  Ver- 
kehr ihre  besondere  Richtung  vorschreibt. 


>)  Die  via  Postamia  von  Placentia  nach  Genua  im  J.  148  v.  Chr.  Damit 
hängt  die  Gründung  von  Dertona  zusammen.     Vgl.  Corp.  V  p.  831  f. 

2)  Clastidium  (j.  Casteggio),  das  im  Mittelalter  zum  Gebiete  von  Pavia  ge- 
hörte (vgl.  Annal.  Parmenses  maior.  ad  a.  1290),  gehörte  in  römischer  Zeit  zu 
Placentia.  Vgl.  Corp.  inscr.  Lat.  V  p.  828  und  n.  7357.  Eine  eigene  Gemeinde 
scheint  es  nie  gebildet  zu  haben.  —  Also  haben  sich  die  municipalen  Abgren- 
zungen im  Laufe  der  Zeit  verschoben,  zumal  seit  Pavia  eine  ^Königsstadt^  war. 

«)  Itinerar.  Antonini  p.  284.  Val.  die  bekannten  Angaben  über  die  Ver- 
heissungen  der  Könige  Pijipin  und  Karl  in  der  Vita  Hadriani  papae :  a  Lunis  (cum 
insula  Corsicaj,  deinde  in  Suriano,  deinde  in  xMonte  Bardone,  inde  in  Verceto, 
deinde  in  Parma.  Hiezu  Ficker,  It.  Forschungen  II  S.  330  Seitdem  Ticiuum 
(Papia)  langobardische  Königsstadt  geworden  war,  hatte  die  Bedeutung  dieses 
Passes  sich  erhöht,  da  die  via  Flaminia  in  den  Händen  der  ,Ptömer<'  war,  was 
die  Verkehrsverhältnisse  beeinflusste.  In  Folge  der  ersten  byzantinisch-lango- 
bardischen  Abmachungen  (um  608)  muss  der  Pass  übrigens  auch  den  römisch 
gebliebenen  Orten  an  der  ligurischen  Küste,  wie  Luna,  geötinet  worden  sein, 
wie  ja  auch  den  Transalpinem  der  freie  Verkehr  über  Pavia  (Parma,  Luca)  nach 
Rom,  wenn  nicht  besondere  Umstände  dagegen  sprachen,  gestattet  wurde. 

■>)  Der  Pass  hat  eine  Höhe  von  1014  Metern.  Gegenwärtig  wird  er  durch 
die  Eisenbahn  unterfahren. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  523 

Die  Trebia,  einer  der  bedeutendsten  Seitenflüsse  des  Po  an  dessen 
Oberläufe,  mündet  nahe  bei  Placentia;  aber  nur  der  untere  Theil  des  Trebia- 
thales  erkannte  seit  jeher  Placentia  als  das  Centrum  seines  städtischen 
Verkehrs;  das  obere  Thal  der  Trebia  hatte  vielmehr  leichte  Ueber- 
stiege  über  die  westlich  streichende  Kette  des  Apennin,  in  die  Gegend 
von  Libarna,  Dertona,  Iria.  Das  Gebiet  von  Libarna  reichte  bis  in 
das  obere  Thal  der  Trebia.  Aus  dem  Quellgebiete  der  Trebia  führen 
Ueberstiege  an  der  scharf  abfallenden  Südwaüd  des  Gebirges  nach 
Genua  und  seiner  Umgebung.  Verkelirsverhältnisse,  die  auf  die  kirch- 
liche wie  auf  die  politische  Organisation  jener  Gegenden  wesentlichen 
Einfluss  geübt  haben  i). 

Zwischen  Trebia  und  Taro  bilden  einige  Wasserläufe  minderer 
Bedeutung  wie  Nure,  Chero,  Arda  Thalschaften,  die  nicht  strenge 
gegeneinander  abgegrenzt  sind,  da  die  zwischenliegeuden  Bergrücken 
eher  eine  Verbindung  bilden ;  ja  es  gilt  dies  auch  noch  vom  Thal  des 
Tidone  westwärts  von  dem  der  Trebia,  und  vom  Thal  des  Ceno,  eines 
Seiteuflusses  des  Taro.  Durch  diese  Hügellandschaft,  die  einen  Zugang 
zu  den  Apenuinpässen  bot,  ohne  dass  der  westwärts  Kommende  den 
Umweg  über  Placentia  und  Parma  zu  machen  brauchte,  führte  seit 
alten  Zeiten  ein  frequenter  Verkehrsweg,  dessen  Centrum  durch  einige 
Jahrhunderte  hindurch  ein  Gebirgsmuuicipium  mit  ziemlich  umfang- 
reichem Gebiet  bildete,  nemlich  Veleia  (am  Bache  Chero)  2).  Veleia 
war  unabhängig  von  Placentia,  ja  dies  ist  im  Gegensatz  zu  jenem 
emporgekommen,  ein  Gegensatz,  der  sich  freilich  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte abschliff  und  schliesslich  zur  Einverleibung  des  Gebietes  von 
Veleia  in  das  von  Placentia  führte,  nicht  ohne  dass  noch  während  der 
muuicipalen  Kämpfe  im  Mittelalter  der  Gegensatz  von  Stadt  und  Ge- 
birgslandschaft zu  spüren  gewesen  wäre. 


')  -Die  Bedeutung  flieser  geographischen  und  V^erkehrsverhältnisse  kam  noch 
in  neuerer  Zeit  zur  Geltung.  Im  Kriege  von  1859  wurde  damit  gerechnet; 
einige  Abtheilungen  des  französischen  ersten  Armeecorps  rückten  das  Thal  der 
Staflfora  aufwärts  über  Varzi  nach  Bobbio  im  Thal  der  Trebia,  von  wo  aus  früher 
die  Oesterreicher  vorgerückt  waren.  Ebenso  kamen  Franzosen  (des  5.  Armeecorps) 
in  drei  Tagemärschen  von  Genua  aus  über  Torriglia  nach  Bobbio,  um  von  da 
aus  die  Trebia  abwärts  gegen  Placentia  vorzurücken.  Vgl.  Heunebert,  Histoire 
d'Hannibal  2  p.  474,  484,  494.  Derselbe  äussert  sich  p.  493  über  die  strate- 
gische Bedeutung  des  Thalweges  der  Trebia:  ,sa  vallee  est  la  voie  naturelle  qui 
relie  directement  Plaisance   ä  Genes,    ä  Chiavari,    ä  1' embruchure  de  la  Magra*. 

''')  Dasselbe  ist  erst  seit  den  Ausgrabungen  des  vorigen  Jahrhunderts  (von 
1747  an),  die  wichtige  Funde  ergeben  haben,  wieier  bekannt  geworden.  Vgl. 
Bormann  in  Corp.  inscription.     Lat.  XI  p.  204  K. 

34* 


K24  Julius  Jung. 

Auch  die  Gestaltungen  im  oberen  Trebiathale  hatten  die  Tendenz, 
sich  unabhängig  von  Placentia  zu  entwickeln;  überhaupt  wird  das 
Dunkel  der  Uebergangszeit  aus  dem  Altertum  ins  Mittelalter  mit  da- 
durch einigem) assen  erheilt  werden  können,  wenn  man  die  sicher- 
gestellten ^Verhältnisse  der  römischen  Periode  und  die  wohlbekannten 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  in  Vergleich  bringt.  Wir  gehen  von 
Bobbio  an  der  Trebia  aus,  um  uns  von  da  nachher  dem  ostwärts 
liegenden  Gelände  zuzuwenden. 

1.  Bobbio. 

Der  Verkehr,  der  im  Mittelalter  aus  dem  westlichen  Oberitalien 
nach  Kom  gieng,  war  nicht  auf  die  direkte  und  bequemste  Koute,  von 
Parma  über  Bercetum  und  den  Mous  Bardonis  auf  Luca  angewiesen, 
sondern  namentlich  die  Wallfahrer  Hessen  es  sich  nicht  nehmen,  die 
heiligen  Stätten,  die  etwas  abseits  lagen,  zu  begrüssen;  hier  fanden 
sie  im  Hospiz,  das  mit  jedem  Kloster  in  Verbindung  stand,  gastliche 
Aufnahme  und  konnten  daun  neugestärkt  ihren  Weg  fortsetzen:  so 
gieng  man  z.  B.  über  das  an  der  oberen  Trebia  gelegene  Kloster 
Bobbio  1),  wo  dessen  Stifter,  der  im  J.  613  verstorbene  hl.  Columba, 
wegen  vieler  Wunder  grosse  Verehrung  genoss. 

Ebobium  oder  Bobium  ^),  wie  es  damals  hiess,  wurde  auch  sonst 
der  Mittelpunkt  eines  beträchtHchen  Verkehres. 

Die  Trebia  aufwärts  bis  zu  ihrer  Quelle  verfolgend  hatte  man  auf 
der  anderen  Seite  einen  leichten  Abstieg  nach  Genua,  wie  denn  das 
Kloster  Bobium  mit  dieser  Stadt  von  früh  auf  in  Verkehr  trat  und 
dort  Besitzungen  erwarb,  ebenso  wie  in  dem  nahen  Thal  von  Lavagna^); 
das    später    errichtete    Bistum  Bobium    wurde    im  J.  1133    dem    ueu- 


1)  Vgl.  Miracula  s.  Columbaiii  c.  4. 

2)  Die  ältere  Namensform  scheint  Ebobium  zu  sein,  Boljiam  die  später  aus- 
schliesslich gebrauchte.  Desjardins,  de  tabulis  alimentariis  (Paris  1854,  mit 
Karte)  bringt  p.  55  den  Namen  mit  einem  »fundus  Baebianus«  in  Verbindung. 
Diese  Bezeichnung  kommt  in  der  Veleiater  Alimentartafel  öfter  vor,  so  2.  50 : 
fund(us)  Vibianus  Baebianus  (in  Veleiate)  pag(o)  Amb(itrebio).  Aber  die  Gleichung 
von  Ebobium  oder  Bobium  mit  einem  .Baebianum'  ist  schon  sprachlich  bedenk- 
lich; überdies  hat  Bobbio  den  Namen  von  den  Bache,  der  nahebei  in  die  'Irebia 
mündet. 

«)  \^gl.  die  im  12.  Jahrhundert  zum  24.  Juli  976  gefälschte  Urkunde  Kaiser 
Ütto's  I.  (üghelli  ed.  1  vol.  IV  p.  1351;  Uttenthal  Reg.  543;,  die  für  den  Besitz- 
stand saec.  Xlt  beweisend  sein  dürfte:  villam  quae  dicitur  super  crucem,  et  ea 
quae  eidem  monasterio  pertinent  in  finilnis  Lavaniae;  ferner  ecclesnim  s.  Petri, 
quae  est  situ  in  civitatc  Januae  .... 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  525 

creirten  Erzbistum  von  Genua  untergeordnet  i),  im  Jahr  1202  sogar 
ein  Bischof  von  Bobbio  zAim  Erzbischof  von  Genua  erkoren  ^).  Das 
Gebiet  von  Bobium  hatte  überhaupt  seine  eigenen  Schicksale.  Es  lag 
inmitten  der  Stadtgebiete  von  Dertona,  Ticinum,  Placentia,  ohne  einem 
derselben  von  altersher  anzugehören.  Vielmehr  hatte  die  Gegend  von 
Bobium  im  Altertum,  wenn  wir  recht  sehen,  dem  Gebiete  des  Muni- 
cipium's  Libarna  angehört  ^)  (beim  heutigen  Serravalle,  an  der  Strasse 
von  Dertona  nach  Genua),  während  unweit  davon  die  Trebia  abwärts 
die  Stadtgebiete  von  Veleia  und  Placentia  aneinanderstiessen  —  etwa 
bei  Caverzago  („fundus  Caberdiacus"),  in  dessen  Nähe,  und  zwar  im 
placentinischen  Theile  des  „pagus  Ambitrebius "  (von  dem  das  heutige 
Travo  den  Namen  hat)  ein  Heiligtum  der  Minerva  gelegen  war,  das 
im  Altertum  als  Wallfahrtsort  diente^),  wie  im  Mittelalter  Bobium. 
Als  der  Irländer  Columba  zu  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  nach 
Italien  kam,  waren  die  Greuzreguliruugeu  zwischen  den  Stadtgebieten 
der  Gegend  noch  nicht  vollzogen  ^) ;  und  da  der  hl.  Mann  ein  Kloster 
gründen  wollte,  entschied  er  sich  für  die  neutrale  Gegend  von  Bobium 
an  der  Trebia  (die  diesen  irischen  Mönchen  von  der  römischen  Ge- 
schichte her  wohl  bekannt  war)  ß).    Namentlich  war  es  Columba  darum 


•)  Vgl.  darüber  Heyck,  Genua  S.  11  f.  Uebrigens  hatte  schon  die  Provinz 
Alpes  Cottiae  der  spätrömischen  Kaiserzeit  über  die  Wasserscheiden  herüber- 
gegrifien.  Paul.  diac.  h.  Langob.  schreibt  in  seinem  Provincialkatalog  II,  16: 
Alpes  Cottiae.  In  liac  (provincia)  Acj^uis,  ubi  aquae  calidae  sunt,  et  civitates 
Dertona  et  monasterium  Bovium,  Genua  et  Saona  civitates  habentur.  Bobbio 
zählt  zu  den  selbständigen  Communen  des  Bezirkes  seit  der  Klostergründung 
(612  n.  Chr.).  üeber  die  Alpes  Cottiae  vgl.  Mommsen  in  Corp.  V  p.  810. 
N,  Archiv  d.  Ges.  f.  ältere  d.  Gesch.  V,  90.  Zur  Ausgabe  der  Liste  des  Polemius 
Silvius  in  den  M.  Germ.  ant.  auct.  IX,  2  p.  53b". 

2)  Annal.  Januens.  (p.  120)  ad  a.  1203:  Otto  Bobiensis  episcopus  in  archi- 
episcopum  electus  fuit.  Derselbe  weiht  1216  den  Bischof  von  Albingaunum 
»cum  Bobiense  et  Bruniatense  episcopis«.     Ibid.  ad  a.  (p.  137). 

3)  So  Mommsen  in  Corp.  i.  Lat.  V  p.  838,  während  Desjardins  das  Gebiet 
von  Veleia  auch  über  Bobbio  sich  erstrecken  lässt.  Aber  Desjardins  ist  durch 
seine  Gleichiing  von  Bobbio  =  Baebianum  dazu  veranlasst, 

*)  Vgl.  Corp.  insc.  Lat.  XI  p.  254.  Die  Wallfahrt  zur  Minerva  Cabardia- 
censis,  auch  medica  oder  Memor  beigenannt  war  nach  den  erhaltenen  Inschriften 
von  Mailand  und  Vercellae  aus  besucht,  aber  ebenso  von  einem  aus  Britannien 
zurückkehrenden  Militär  geehrt.  Der  heidnische  Tempel  erscheint  später  in  eine 
Kirche  zur  hl.  Maria  (S.  Maria  di  Travi)  umgewandelt.  Hierüber  Campi,  Dell' 
historia  ecclesiastica  di  Piacenza  I  (1651)  p.  13. 

5)  Darüber  s.  unten. 

")  Vgl.  vita  Columbani  c.  59  f.  Columba  war  nach  Ticinum  und  Medio- 
lanum  gekommen,  wo  er  die  Bewilligung  erhielt,  ut  intra  Italiam,  quocumque 
in  loco  voluisset,  habitaret.  —  Vir  quidam  nomine  Jocundus  ad  regem  venit,  qui 


526  Julius  Jung. 

ZU  thun,  von  den  benachbarten  Bischöfen  unabhängig  zu  sein.  Das 
Kloster  wurde  dem  römischen  Stuhle  direct  unterstellt  i),  der  Bischof 
von  Dertoua  wie  der  von  Placentia  mit  ihren  Ansprüchen  abgewieseu. 
Auch  von  den  weltlichen  Herren  wollte  man  so  wenio-  wie  mösflich 
wissen.  Am  liebsten  wären  die  Aebte  selbst  Grafen  gewesen  2).  Als, 
um  diesen  ungeordneten  Zuständen  zu  steuern,  K.  Heinrich  H.  im 
J.  1014  unter  dem  Beifall  der  Nachbarbischöfe  für  das  Thal  von 
Bobium  einen  eigenen  Bischof  creirte  3),  der  dann  alsbald  auch  in  den 


regi  indicavit  se  in  solitudine  ruribus  Apenninis  basilicam  b.  Petri  apostolorum 
principis  scire,  in  qua  virtutes  expertus  sit  fieri,  loca  ubertate  fecunda,  aquis 
irrigua  cum  piscium  copia,  quem  locum  veterum  traditio  Bobium  nuncupabat, 
ob  rivum  in  eo  loco  hoc  nomine  fluentem.  Columba  findet  in  der  That  j, basi- 
licam inibi  semirutam*. 

')  Vgl.  vita  Bertulfi  abbatis  (Mabillon,  acta  II,  160  f.)  c.  4.  Die  Urkunde 
des  Papstes  Honorius  vom  J.  628  bei  Jaffe  Regi.  n.  1563.  Für  die  Zustände  im 
Langobardenreiche  ergeben  diese  Bobbienser  Ueberlieferungen  wichtige  Auf- 
schlüsse ;  neben  Gregorius  M.,  Secundus  von  Trident.  König  Rothari's  Prolog  zu 
seinem  Edict  die  wichtigsten,  was  Bernheim,  Ueber  die  Origo  gentis  Langob. 
(N.  Archiv  XXI,  375  ff.)  nicht  gehörig  beachtet  hat. 

'■')  Nach  der  Urk.  Ludwigs  II.  vom  8.  Okt.  868  (Mühlbacher  1183)  gab  es 
.Streitigkeiten  zwischen  dem  Kloster  Bobbio  und  dem  Grafen  von  Placentia:  de 
monte  Caride.  Daher  werden  festgestellt  »termini  antiqui  inter  potestatem 
s.  Petri  sanctique  Columbani  et  comitatum  Placentinum*.  Nach  der  Urk.  von 
977  April  2  (Stumpf  698,  s.  unten)  übten  im  10.  Jahrhundert  Adalpertus  et  Opizo 
marchiones  dahier  die  Grafschaftsrechte  aus.  Ficker,  It.  Forsch.  I  §  140  n.  2 
erwähnt  ein  Placitum  des  Markgrafen  und  Pfalzgrafen  Otbert  972,  anscheinend 
in  der  Gegend  von  Bobbio,  dessen  Kloster  ihm  zu  Lehen  gegeben  war.  (Autich. 
Estens.  149,  vgl.  Ottenthai  Reg.  546).  Die  Befugnisse  dieser  Markgrafen  er- 
streckten sich  auf  die  Mark  Genua. 

3)  Vgl.  darüber  den  Bericht  Thietmar's  VII,  3 :  Heinrich  11.  nach  Nieder- 
werfung der  Aufständischen  in  Pavia.  In  hiis  partibus  cesar  episcopatum,  quod 
erat  tercium  devoti  operis  sui  ornamentum,  in  Bobia  civitate,  ubi  christicolae 
s.  et  confessores  incliti  Columbanus  et  Attala  corporaliter  requiescunt,  com- 
muni  cousilio  et  licencia  comprovincialium  episcoporum  con- 
struxit;  quia  summa  necessitas  et  quae  eam  praecellit  Christi  Caritas  ad  hoc  in- 
stigavit.  D.  h.  die  benachbarten  Bischöfe  setzten  die  Errichtung  des  neuen 
Bistums  durch,  während  das  Kloster  Bobbio  mit  denselben  »pontifices  vicini* 
beständig  in  Streit  lag.  Vgl.  die  Vita  s.  Bertulfi  abbatis  (Mabillon  Acta  II,  160  f.) 
c.  4,  wo  dem  König  Ariovald  die  Worte  in  den  Mund  gelegt  werden :  utrum 
coenobia  procul  ab  urbibus  ita  episcopali  debeant  ministrare  dominio?  In  der 
That  Hess  sich  das  Kloster  von  den  Päpsten  bevollmächtigen,  sich  wegen  der 
Weihen  und  dem  Bezug  des  hl.  Oeles  an  einen  beliebigen  Bischof  zu  wenden. 
Zu  den  Nachbarbischöfen  gehörten,  abgesehen  von  Dertona  und  Genua,  die  von 
Placentia,  Ticinum,  Parma,  Mutina.  Vgl.  die  Enquete  von  1207,  die  Papst  Inno- 
cenz  III.  durch  den  Bischof  Sicard  von  Cremona  anstellen  lässt.  üghelli  IV ', 
1296  Ü'.  .  . 


1 


ßobbio,  Veleia,  Bardi.  527 

Besitz  der  Grafschaftsrechte  gelangte  i),  entbranute  zwischen  den  Bi- 
schöfen und  den  Aebten  von  Bobiiim  eine  noch  heftigere  Rivalität,  als 
sie  früher  gegen  Dertoua  oder  Placeutia  zum  Ausdruck  gekommen 
war  2).  Man  schmiedete  im  Kloster  Bobium  eine  ganze  Reihe  von 
falschen  Dokumenten,  welche  erweisen  sollten,  dass  der  Abt  zugleich 
von  Alters  her  auch  Graf  sei  ^). 

Die  Könige  und  Kaiser  erkannten  immer  wieder  die  Rechte  des 
Klosters  an  und  verhalfen  ihm  zu  den  Besitzungen,  die  in  unruhigen 
Zeiten  durch  weltliche  Machthaber  entfremdet  worden  waren.  Mit- 
unter wurde  der  Besitz  des  Klosters  einer  um  die  kaiserliche  oder 
königliche  Sache    verdienten  Persönlichkeit    zugesprochen  ^),    mitunter 


')  Vgl.  Ficker,  Ital.  Forschungen  III.  S.  404  Nachtr.  zu  §  120. 

-)  Ebenso  werden  1047  Streitigkeiten  zwischen  den  Bischöfen  von  Placentia 
und  von  Bobbio  durch  einen  »missus  d.  imperatoris'  entschieden.  Vgl.  Ficker, 
Ital.  Forsch.  II  S.  34.  üeber  die  Ausstattung  des  Bistums  Bobbio  vgl.  die  Ur- 
kunde K.  Conrads  von  1027  Okt.  23,  St,  1964. 

3)  Vgl.  die  gefälschte  Urkunde  Kaiser  Lothars,  Mühlbacher  n.  1092; 
Karls  III.,  n.  1613,  darüber  Mühlbacher  in  Sitzungsber.  d.  W.  Akad.  92,  484  f. 
In  Zusammenhang  damit  Fälschung  einer  erst  mit  der  Urk.  Friedrichs  I.  (Stumpf 
3666)  abschliessenden  Reihe  von  Urkunden.  So  Ughelli,  Italia  sacr. '  IV  1353 
=r  Stumpf  698  —  Diplomata  Ottonis  II  n.  322:  Urk.  vom  2.  April  977  »Fälschung 
des  13.  Jahrhunderts,  deren  Protokoll  jedoch  auf  eine  echte  Urkunde  zurück- 
geht«. Ughelli  1.  c.  1357  =  St.  1202  =  Dipl.  Otto  111.  n.  335 :  Urk.  vom  3.  Nov. 
999:  »Protokoll  und  Eschatokoll  entsprechen  einer  echten  Urkunde ;  der  Context 
hingegen  ist  mit  Ausnahme  weniger  der  echten  Vorlage  entnommenen  Stellen 
gefälscht  und  stimmt  zum  grossen  Theil  mit  der  falschen  Urkunde  Friedrich  I. 
(Stumpf  Reg.  3666),  ferner  mit  den  gleichfalls  gefälschten  Diplomen  Karlmanns 
(Mühlbacber  Reg.  1613)  und  Otto  I.  (DO.  I  465)  überein.  Vgl.  die  Bemerkungen 
zu  DO.  I.  412^  Hiezu  noch  Böhmer-Ottenthal,  Regest,  n.  546:  das  Diplom 
Otto  I.  ist  »inhaltlich  zum  Theil  gleich  den  Verleihungen  der  K.  Wido,  Lambert 
und  Berengar  I.  *. 

*)  So  unter  Kaiser  Lothar  im  J.  834  seinem  Rathgeber  Wala  vgl.  Mühl- 
bacher ad  a. ;  später  ist  dessen  Kanzler  Hilduin,  designirter  Erzbischof  von  Köln, 
Abt  von  Bobbio  vgl.  Mühlbaeher  n.  1092.  Sitzungsljer.  d.  W.  Akad.  85,  506 
n.  5.  Einl.  ^u  den  Regesten  p.  XGVII;  unter  Ludwig  IL  der  Bischof  Amalricus 
von  Como,  Mühlbacher  n.  1183;  so  unter  König  Hugo  sein  Kanzler  Gerlannus 
(Miracula  s.  Columb.  c.  8).  Gerbert  von  Aurillac  stand  dem  Kloster  Bobbio  vor, 
ehe  er  (977)  Kanzler  Otto's  IL  wurde,  vgl.  Sickel,  Erläuterungen  (Ergänzungs- 
band 2  der  ,Mitth.«)  S.  100  f.  Daraus  erklärt  sich,  dass  in  den  Briefen  Gerberts 
von  Aurillac  an  den  gleichnamigen  Bischof  von  Dertona  der  Verhältnisse  von 
Bobbio  Erwähnung  gethan  wird.  Da  übrigens  Kloster  Bobbio  nach  dem  placitum 
vom  20.  Aug.  972  (Muratori  Antich.  Postens.  149)  dem  Markgrafen  Otbert  zu 
Lehen  gegeben  war,  wird  der  Vorstand  desselben  »Gubertus*  nur  »praepositus" 
genannt,  in  der  Urk.  Kaiser  Ottos  L  von  30.  Juli  972.  Ottenthai,  Reg.  n.  546.  Im 
J.  979  wurde  Gerbert  Bischof  von  Dertona,  also  mit  einer  concurrirenden  Gewalt 


528 


Julius  Jung. 


auch   Abtei    und    Bistum   Bobium    vereinigt    —    aber    die    Rulie    war 
damit  stets  nur  auf  kurze  Zeit  hergestellt. 

Als  dann  in  den  Kämpfen  der  langobardischen  Städte  Placentia 
(als  Gegnerin  des  benachbarten  Pavia)  zu  grossem  Ausehen  gediehen 
war,  wussten  die  Placentiuer  nichts  eiligeres  zu  thun,  als  in  das  Thal 
der  Trebia  aufwärts  vorzurückeu,  und  Bischof  sowie  Stadt  Bobium 
(eine  solche  hatte  sich  in  Laufe  der  Zeit  entwickelt  i)  zu  vergewaltigen, 
um  die  von  hier  ausgehenden  Apenninübergäuge,  sowohl  den  nach 
Genua,  wie  den  hinüber  nach  Borgo  Taro  unbestritten  in  der  Gewalt 
zu  haben  ^) ;  wogegen  Kaiser  Friedrich  IL  den  Bischof  wieder  in  den 
Besitz  seiner  gräflichen  Eechte  einsetzte  3). 


ausgestattet.  Vgl.  St.  753^=:  DO.  11  n.  206.  Hiezu  St.  1168  =  DO.  III  n.  303: 
Otto  III.  bestätigt  (998  oct.  1,  Pavia)  dem  Kloster  Bobbio  den  Besitzstand  und 
erklärt  die  während  der  letzten  15  Jahre  ohne  Zustimmung  des  Abtes  Gerbert 
vorgenommenen  Vergebungen  von  Kirchengut  für  ungiltig.  Unter  den  jinvasores" 
wird  auch  der  Bischof  Giseprandus  von  Dertoua  (Vorgänger  Gerberts)  genannt : 
aliquain  prefatae  abbatiae  partem  contra  predecessorum  nostrorum  decreta  et 
apostolica  Romanorum  pontificum  privilegia  in  beneficium  adquisisse  eamque  ex 
maxima  parte  commutasse,  sumpto  sibi  nomine  abbatis.  Ueber  Bischof  Giseprand 
vgl.  Sickel,  Erläuterungen  zu  den  Diplomen  Ottos  II,  a.  a.  0.  —  Nach  Sigonius 
wurde  das  Bisthum  Bobbio  zunächst  dem  Erzbischof  von  Ravenna  unterstellt. 
Vgl.  Ughelli  IV'  p.  1281;  vielleicht  gab  jedoch  zu  dieser  Behauptung,  wofür 
ich  sonst  keinen  Beleg  wüsste,  eine  Verwechslung  mit  Bobbio  (bei  Sarsina)  den 
Anlass,  dessen  »comitatus  Bobiensis«  Erzbisehof  Gerbert  und  sein  Nachfolger 
innehatte.  Vgl.  Diplom.  Otto  III.  n.  341  (vom  J.  999).  —  Nach  Alberti,  descri- 
zione  di  tutta  T  Italia  (1557  ed.  Venez.)  p.  382  war  der  Bischof  von  Bobbio 
Suflragan  des  Stuhles  von  Mailand,  bis  er  Genua  unterstellt  wurde. 

')  Ueber  ihre  Stellung  zum  Lombardenbimde  vgl.  Ficker,  Zur  Gesch.  des 
Lombardenbundes  S.  344. 

2)  Vgl.  die  Annales  Piacent,  ad  a.  1180,  1186,  1189,  1212,  1229,  1249.  Von 
dieser  Zeit  an  begann  ein  lebhafter  Handelsverkehr  zwischen  Piacenza  und  Genua, 
der  1270  zu  einem  Handelsvertrage  führte,  vrobei  von  der  politischen  Constellation 
ganz  abgesehen  ward.  Vgl.  Caro,  Genua  und  die  Mächte  am  Mittelmeer  1257—1311 
(Halle  1895)  I,  8,  234  f.,  264,  330,  352;  II,  411.  Als  König  Karl  von  Sicilien 
im  J.  1273  mit  Genua  brach,  verweigerten  die  Placentiner  die  Theilnahme 
(ebenso  wie  Luca).  An  den  Uebergängen  aus  dem  Thal  der  Trebia  an  die  Riviera 
waren  die  Markgrafen  Malaspina  die  ausschlaggebenden  Dynasten.  Sie  haben 
von  hieraus  gelegentlich  mit  Genua,  indem  sie  dessen  Aussenpartei  unterstützten, 
Krieg  geführt.  Vgl.  Caro,  Genua  I,  388  f.  Die  Placentiner  legten  in  den  Grenz- 
bezirken sofort  Burgen  an,  so  Petrandueria  (jetzt  Pradovera) ;  Petranscremona 
(Pescremona) ;  vgl.  Annal.  Plac.  ad  a.  1256  (p.  207)  mit  den  Anmerkungen 
Pallastrellis.  »Pescremona  e  terra  in  Val  d' Auto  o  d'Aveto  torrente  che  nasce 
suUa  pendice  del  monte  Barbagelata,  e  che  ora  dclimita  il  confine  tra  il  geno- 
vesato  et  il  piacentino*". 

3)  \'gl.  Ficker,  Ital.  Forsch.  IV  u.  284.    Urkunde  vom  18.  Oktober  1220. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  529 

Sehr  viel  lag  übrigens  den  Aebten  von  Bobbio  an  guten  Bezie- 
hungen zu  Pavia,  namentlich  so  lange  dort  eine  Hofhaltung  bestand. 
Das  Kloster  hatte  in  der  Stadt  eine  Kirche  und  Besitzungen:  der 
Verkehr  dahin  —  man  rechnete  die  Entfernung  auf  40  Million  i)  — 
wurde  über  den  Bergsattel,  der  über  Canevino  (an  der  Lehne  des 
oberen  Aversathales)  hinaus  an  der  Po  führt,  unterhalten;  worüber 
wir  eine  Beschreibung  aus  der  ersten  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts 
besitzen  2).  Es  waren  nemlich  damals  dem  Kloster  zahlreiche  Güter 
abhanden  gekommen,  welche  die  weltlich  gesinnten  Inhaber  nicht 
mehr  zurückgeben  wollten;  namentlich  der  bei  Hof  allmächtige  Bi- 
schof Wido  von  Placentia  und  dessen  Bruder  erwiesen  sich  als  ge- 
waltthätig,  so  dass  der  Abt  Gerlan  sich  nicht  anders  zu  helfen 
wusste,  als  indem  er  mit  dem  Körper  des  hl,  Columba  iu  Procession 
auszog,  um  bei  dem  nächsten  placitum  in  Pavia  nochmals  seine  Sache 
zu  führen,  nachdem  die  Sünder  durch  allerlei  Wunderthaten  zur  Ein- 
sicht gebracht  wären.  Am  ersten  Tag  kam  man  dabei  bis  Sarturia- 
nura3);    am    zweiten    über    den  Ort  Cannavim  (?)    unfern   des   Monte 


1)  Vgl.  Paul.  diac.  bist.  Langob.  4,  41 :  (Columbanus)  coeiiobium  quod 
Bobium  appellatur  in  Alpibus  Cottiis  aedificavit,  quod  XL  milibus  ab  urbe  divi- 
ditur  Ticinensi.  Was  wobl  als  eine  » runde  Zahl*  wird  gelten  müssen.  Nach 
Strabo  5,  1,  11  lag  Dertoua  zwischen  Placentia  und  Genua  in  der  Mitte,  von 
jedem  400  Stadien  (circa.  50  m.  p.)  entfernt;  wogegen  die  Itinerarien  genauer 
52  m.  p.  angeben;  die  Zahlen  bis  Genua  sind  verderbt  überliefert.  Vgl.  Corp.  V 
p.  827.  Bei  Liutprand  Cremon.  antap.  4,  5  beträgt  die  Entfernung  Pavia's  von 
Genua  800  Stadien;  von  Aquae  (Statiellae)  50  Millien.  Ib.  4,  4.  Letztere 
Angabe  ist  nach  den  alten  Itinerarien  nicht  zu  controllireu,  da  diese  eine  directe 
Verbindung  nicht  kennen;  wird  aber  beiläufig  richtig  sein.  Marincum  (d.  i. 
Marengo),  40  ferme  milibus  Papia  distans.  Antap.  1,  40.  Ebenda  2,  48  wird  die 
Entfernung  von  Rom  nach  Ravenua  auf  200  Millien  veranschlagt,  während  sie 
nach  den  Itinerarien  genauer  214  m.  p.  beträgt.  Nach  2,  61  ist  Brixia  von  Verona 
50  Millien  entfernt,  während  die  Itinerarien  44 — 45  m.  p.  verzeichnen.  2,  ■  5 
wird  die  Entfernung  zwischen  Placentia  und  Florentiola  mit  12  Millien  ange- 
geben, nach  den  Itinerarien  waren  es  15  (Vgl.  Corp.  XI  p.  203).  1,  18: 
iuxta  fluvium  Triviam,  qui  quinque  Placentia  miliariis  extat.  Diese  Rech- 
nung nach  Milliarien  gebrauchte  man  auch  im  gewöhnlichen  Leben.  Vgl.  Vita 
Attalae  abb.  c.  4 :  erat  spatium  —  per  ardui  montis  dorsa  flexuoso  itinere  ten- 
dentia  vel  interfluentis  Triviae  [i.  e.  Trebiae]  alveum  quasi  milliarii  unius. 
Uebrigens  ist  diese  Zählung  auch  bei  Paul.  diac.  die  gewöhnliche.  Vgl.  5,  39: 
ad  pontem  Liquentiae  fluminis,  quod  a  Foroiuli  quadraginta  et  octo  milibus 
distat  et  est  in  itinere  Ticinum  pergentibus.  —  lieber  Beiläufigkeitsgrenzen  bei 
Beurkundungen  vgl.  Ottenthai,  Ergänzungsband  1,  148. 

2)  In  den  Miracula  s.  Columbani.  Bei  Mabillon  Acta  II  p.  40  ff.  Vgl. 
Dümmler,  Gesta  Berengarii  imp.  55  f. 

^)  Alias  s.  Sarcurianum «.  Der  Name  Sarturianum  kommt  im  Gebiete  von 
Veleia  und  Placentia  öfter  vor.     Vgl.  Schulten,  Flurtheilung  S.  17. 


530  Julius  Jung. 

longo  genannten  Berges  i),  nach  dem  Hafen  des  Po,  der  als  der  „ge- 
fährliche" bekannt  war  ^).  Nach  der  gegen  die  Erwartimg  glücklichen 
Ueberfahrt  wurde  zum  zweiteumale  übernachtet,  worauf  man  am  dritten 
Tage  bei  S.  Peter  „Leprosorura"  vorbei  unter  dem  Zulaufe  des  Volkes 
durch  die  porta  S.  Johannis  in  Pavia  einzog  und  den  hl.  Leib  in  der 
Kirche  des  hl.  Michael  einstellte  ^).  König  Hugo,  die  Königin  Alda, 
und  Lothar,  der  Kronprinz,  zeigen  sich  günstig  und  während  die  Un- 
gläubigen über  die  hergebrachten  Knochen  spotten,  thut  der  heilige 
Columba  seine  Schuldigkeit.  Auch  der  Erzbischof  von  Mailand  ge- 
währt seine  Vermittlung ;  so  dass  die  Bobbienser  schliesslich  ihren 
Zweck  erreichen  und  sowohl  die  von  den  Päpsten  wie  die  von  den 
Königen  verliehenen  Privilegien  neuerdings  bestätigt  werden  *).  Es 
wird  dabei  wesentlich  die  Unabhängigkeit  des  Klosters  von  jeder 
kirchlichen  und  weltlichen  Gewalt  hervorgehoben  ^),  ohne  jedoch  der 
Grafschaftsrechte  Erwähnung  zu  tliun.  Hierauf  zog  man  wieder  nach 
Bobbio  zurück  ^),  wo  einer  der  Mönche  die  früher  und  anlässlich  dieser 


')  In  pago  Cannavim.  Ich  denke  dabei  an  Canevino,  das  auf  der  kürzesten 
Route  von  ßobbio  nach  Pavia  liegt,  unfern  der  heutigen  Stiasse.  Einer  ,audivit 
a  longe  per  montem  qui  vocatur  Longus  sonitus  venientium  et  kyrie  eleison«. 
Ueber  den  Forst  und  Hof  von  Montelongo  (^Mons  lungus'^),  den  Karl  d.  Gr.  774 
mit  der  Alpe  Adra  (Urenzangabe)  dem  Kloster  Bobbio  schenkte,  vgl.  Mühlbacher, 
lieg.  n.  161,  hiezu  die  Bestätigung  Lotbars  von  843,  ebenda  n.  1072,  Ludwigs  IL 
860  ebenda  n.  1183. 

■)  Pervenerunt  ad  portum  qui  vocatur  Periculosus  illicque  praeparatam 
navem  invenerunt.  Cf.  Ann.  Piacent.  Guelfi  ad  a.  1216  (Mon.  Parm.  III,  1  p.  54). 
Die  Placentiner  und  die  mit  ihnen  verbündeten  Mailänder  rücken  per  vallem 
Versae  (d.  h.  das  Aversathal ;  der  Bach  Aversa  fliesst  bei  Stradella  vorbei)  ver- 
wüstend vor;  inter  stratam  Romeam  et  Padum  equitantes,  villas  et  domos  quas 
invenerunt  usque  ad  portum  Pioglosum  [al.  periculosum]  conbuserunt.  Andere 
Uebergänge  über  den  Po  waren  bei  Parpanese  (Ann.  Plac.  ad  a.  1214),  bei  Arena 
(ibid.  ad  a.  1215),  bei  Albara  (ib.  ad  a.  1216).  Die  Brücke  bei  Papia  selbst  war 
mit  Holzthürmen  bewehrt  (1.  c.  ad  a.  1290),  auch  die  anderen  wie  Brückenköpfe 
befestigt.  Die  Placentiner  und  ihre  Bundesgenossen  operirten  1216  im  Aversa- 
thal gegen  die  Verbindungen  von  Pavia  mit  Bobbio ;  sie  nahmen  Montecalvo  ein, 
gegenüber  von  Soriasco,  wo  das  Kloster  Bobbio  Besitzungen  hatte. 

ä)  Ad  s.  Petrum  qui  dicitur  Leprosorum.  —  Ad  ecclesiam  s.  Michaelis  quae 
est  infra  moenia  civitatis.  —  Ad  portam  civitatis  quae  vocatur  s.  Johannis. 

*)  Miracula  s.  Columb.  c.  24  tf. 

*)  Vgl.  die  Privilegien  des  S.  Petersklosters  zu  Brugnata  (am  Vara,  nord- 
wärts von  Luna)  und  dessen  Sti-eitigkeiteu  mit  dem  Bischof  von  Luna.  Diplom. 
Otto  III.  n.  201   (vom  J.  996). 

'■')  Zwischenstationen:  ad  curticellam  s.  Columbani,  quae  vocatur  Barbadam 
(hier  wird  übernachtet);  ad  curtem  monasterii  Ebobiensis,  quae  vocatur  Memo- 
riola.  Vgl.  Memoriola  in  den  Bestätigungsurkunden  des  Klosters  saec.  IX  und  X. 
Ebenso  Barbada.     (z.  B.  Mühlbacher  n.   1072.     DO.  III  n.  303). 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  531 

neuesten  Gelegenheit  vom  hl.  Columba  bewirkten  Wunder  nieder- 
schrieb, nicht  ohne  damit  die  Absicht  zu  verbinden,  uuch  den  Inhalt 
der  Privilegien  seines  Klosters  dem  Leser  eiuzuprägen  i). 

Auf  der  anderen  Seite  hatte  man  regelmässigen  Verkehr  mit 
Dertona  und  den  umliegenden  Orten,  wobei  wir  erfahren,  dass  der 
Fluss,  der  jetzt  Staffora  heisst,  damals  noch  wie  im  Altertum  den 
Namen  Iria  führte 2);  während  das  au  demselben  gelegene  „Forum  Julium 
Iriensium"  im  10-  Jahrhundert  von  „Vicus  Iria''  den  Namen  Viqueria 
(jetzt  Voghera)  angenommen  hatte  ^). 

Auch  mit  Mediolanum  *)  auf  der  einen,  Genua  ^)  auf  der  anderen 
Seite  stand  man  in  Verbindung;  am  wenigsten  mit  Placentia;  eher 
kam  man  gelegentlich  nach  Segusio,  am  Uebergange  über  die  Alpen 
nach  Gallien,  dessen  Entfernung  von  Bobbio  auf  140  Millien  geschätzt 
wird  *').  Nach  Süden  zu  war  man  veranlasst,  tjfters  die  dortigen  Be- 
sitzungen des  Klosters  in  Tuscien  (namentlich  bei  Luca,  Pisa,  Pistoja) 
aufzusuchen  '),  ferner  die  Stadt  Rom,  um  sich  die  päpstlichen  Frei- 
briefe zu  erwirken,  beziehungsweise  neuerdings  bestätigen  zu  lassen  ^). 

')  Insofern  sind  die  „Miracula"  eine  Art  Staatsschrift,  wie  der  sog.  »Libellus 
de  imperatoria  potestate  in  urbe  Roma* ;  dieser  gibt  eine  Interpretation  der 
zwischen  Kaiser  und  Papst  im  9.  Jahrhundert  vereinbarten  »pacta«;  jene  eine 
Darstellung  de'-  Privilegien  Bobbio's  von  kaiserlicher  (königlicher)  Seite  wie  von 
päpstlicher. 

'^)  Vita  Bertulfi  abbatis  Bobbiens.  (saec.  VII)  c.  3.  (bei  Mabillon  acta  11 
p.   160  f.).     Vgl.  Corp.  insc.  Lat.  V  p.  827. 

•'*)  VgL  Cluverius,  Ital.  antiqu.  p.  80.  Wattenbach,  Geschichtsquellen  II*  182. 
Viqueria  auch  in  der  ür'i  .  Otto's  II  vom  J.  979  für  die  bischöfliche  Kirche  von 
Tortona,  der  es  gehörte.  DO.  II  n.  206.  In  den  Anual.  Piacent,  ad  a.  1136: 
Vigheria.  1175:  Viguria.  —  Unter  dem  Principate  war  es  ^.colonia'  gewesen. 
Vgl.  Corp.  V  p.  828.  Ein  »patronus  coloniae  Foro  Juli  Iriensium*  wird  auf 
einer  Inschrift  aus  Dertona  (n.  7375)  genannt.  Es  ist  ein  angesehener  Munici- 
pale  aus  Dertona.  Kein  Wunder,  dass  die  zum  »vicus*  heruntergesuukene 
.colonia"^  schliesslich  dem  Gebiete  von  Dertona  einverleibt  wurde. 

*)  Vita  Columbani  c.  00.  Vita  Attalae  (bei  Mabillon  acta  11  p.  123)  c.  5. 
Beides  saec.  VII. 

^)  Vgl.  Vita  Attalae  c.  2 :  ein  Mönch,  der  sich  gegen  den  Abt  vergangen 
hatte,  Namens  Theutarius,  cum  se  in  mare  portaturum  carinae  tradidisset, 
dimersus  est. 

«)  Vita  Attalae  c.  6.  Die  alten  Itinerarieu  rechijen  von  Segusium  nach 
Ticinum  136  m.  p.  Die  Bobbienser  gelangten  auf  Abkürzungswegen  dahin. 
Jonas,    der  Biograph   des  Columba    wie  des  Attala,    stammte  selbst  aus  Segusio. 

')  Vgl.  Ottenthai,  Reg.  Otto  I.  n.  546.  Gerbert  correspondirt  als  Abt  von 
Bobbio  im  Interesse  desselben  auch  mit  dem  Markgrafen  Hugo  von  Tuscien. 
Epla  LXXXIV  (Migne). 

»)  Eine  solche  Reise  des  dritten  Abtes  von  Bobbio,  Bertulf,  ist  beschrieben 
in  dessen  Vita  c.  6—9.     Er    brachte    das  Privileg  des  Papstes  Honorius   (a.  628) 


532  Julius  Jung. 

Mit  dem  Bischof  von  Lima  gab  es  eiumal  Streit  um  den  Zehnten  von 
sechs  Dorfschaften  oder  kleineren  Ansiedluugen  i). 

Im  Thal  von  Bobbio  wurde  Ackerbau  '^)  und  Weinbau  3)  betrieben  ; 
wiederholt  wird  aucli  der  Keichtum  an  Holz,  namentlich  an  grossen 
Stämmen  hervorgehoben^),  deren  Trausport  schier  ohne  ein  Wunder 
nicht  möglich  war.  Gelegentlich  hatte  man  von  dem  Bache  Bobbio 
zu  leiden,  der,  wenn  er  augeschwollen  war,  alles  mit  sich  fortzureissen 
pflegte  5).     Besonders   die  Mühlen   wurden    dadurch    gefährdet  6).     Das 


mit  sich  zurück.  Der  Rückweg  aus  Tuscien  führte  vorbei  »prope  castrum  cui 
Bismantum  nomen  est*  (c.  8).  Nach  diesem  castrum  wird  der  »gastaldatus 
Bismantinus,  in  comitatu  Parmense*  benannt  sein.  Vgl.  Mühlbacher  zu  n.  1209 
(Urkunde  von  870):  »Die  Feste  jetzt  zerstört,  Amati  1,  820*.  Die  bischöfliche 
Kirche  von  Reggio  besitzt  auch  ^plebem  de  Besmanto«.  Diplom.  Otto  II.  n.  231. 
Die  Kirche  von  Reggio  war  im  Comitat  von  Parma  sehr  begütert.  Vgl.  auch 
Mühlbacher  Reg.  229;  Ottenthai,  Reg.  Otto  I.  n.  359:  Karl  d.  Gr.  schenkte  ihr 
781  den  Wald  Lama  fraolaria  »in  comitatu  Parmensi  in  finibus  Bismanti-'  was 
Otto  I.  (964),  Otto  II.  (980  Oktober  14)  bestätigen.  Die  Grenzen  des  Waldes 
werden  781  so  angegeben  (Affö  1,  291  f.):  »de  uno  latere  a  flumine  Siele  sursum 
per  stratam  usque  in  monte  Palaredo  ascendente  per  stratam  usque  in  finibus 
Tusciae,  inde  quoque  iuxta  Siclam  deorsum  pervenit  in  flumen  Auzolae*.  (Afiö 
erklärt  1,  141,  vgl.  143:  »Bismanto  oggidi  Bismantova  —  luogo  situato  su  le 
alte  montagne  del  Reggiano").  Die  Besitzungen  der  Kanoniker  von  Reggio  lagen 
in  den  Gebieten  von  Luni,  Parma,  Reggio,  Modena  u.  s.  w.,  also  auch  hier  theil- 
weise  jenseits  des  Apennin.  —  Die  Bergfeste  von  Bismantova  gehörte  saec.  XI 
dem  Hause  Canossa.  aus  dem  die  Grossgräfin  Mathilde  hervorgieng.  Vgl.  Over- 
mann,  die  Besitzungen  der  Grossgräfin  Mathilde  (1893)  S.  6.  Eine  Ueberrum- 
pelung  des  »saxum  Bismantuae*  erwähnt  Salimbene  p.  248  ad  a.  1268:  »et 
mortuus  fuit  ibi  dominus  Turchus  de  Besmantua*.  Später:  »Besmantua  restituit 
se  Commmuni,  et  dedit  obsides  Communi  Regii  quod  non  offenderet  Commune*. 

»)  Vgl.  Diplom.  Otto  IL  n.  253  (Stumpf  797)  vom  J.  981.  Kaiser  Otto  IL 
bestätigt  dem  Bischof  von  Luna  »decimam  VI  villarum  Uuiffula,  Pontula,  Uuale- 
burdulasca,  Tenirano  et  Rupinalia,  Caustello  quam  Gualcherius  sancte  Lunensi 
ecclesie  super  Guinebaldum  Bobiensem  abbatem  [in]  praesentia  Karoli  impera- 
toris  et  legatorum  s.  sedis  apostolicae  per  iudicium  vindicavit*.  Man  sieht  auch 
hier,  dass  die  Besitzverhältnisse  über  den  Apennin  herübergriffen  ;  die  Kirche 
von  Luna  hatte  Besitzungen  auch  >in  comitatu  Parmensi''. 

-)  Vgl.  vita  Bertulfi  c.  4. 

3)  Vita  Bertulfi  c.  21.  22. 

*)  Vita  s.  Columbani  c.  60.     Vita  Bertulfi  c.  23. 

5)  Vita  Attalae  c.  3 :  cum  fluviolus  Bobius  —  turgidis  aquarum  molibus 
violenter  ac  rapaci  cursu  defluens,  ut  solent  torrentes  ex  Alpium  cacuminibus 
dilapsi  et  imbrium  effusione  aucti,  ita  iste  saxorum  rupes  et  arborum  congeries 
nimia  vi  tumescens  coacervaret. 

''')  Von  den  Mühlen  ist  wiederholt  die  Rede.  Der  Monachus  Sangallensis 
I,  8  berichtet  über  die  von  Karl  d.  Gr.  eingerichtete  Hochschule,  aus  der  Bi- 
schöfe   und  Acbte  hervoroiengen.     Scd    ne    a    scientibus    verum    illarum    arguar 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  533 

Gelände  der  Thalschafteu  ist  weit  hinauf  cultivirt,  die  kirchliche  Or- 
ganisation durchgeführt  1).  Nur  die  öffentliche  Sicherheit  lässt  einiges 
zu  wünschen  übrig,  da  gegen  Kaufhändel  und  Ueberfälle  von  Staats- 
wegeu  keine  Vorsorge  getroffen  ist,  vielmehr  sich  Jeder  helfen  muss, 
so  gut  es  geht  ^).  —  Abgesehen  davon  galt  Bobbio  schon  zur  Zeit 
Karl's  d,  Gr.  als  eines  der  reichsten  Klöster  Italiens  und  als  eine 
grosse  Corporation  von  Mönchen  ^). 

Im  Uebrigen  ist  bekannt,  eine  wie  hohe  Stellung  im  geistigen 
Leben  Italiens  das  Kloster  Bobbio  durch  Jahrhunderte  hindurch  ein- 
nahm. Zunächst  widmete  es  sich  der  Bekämpfung  der  heidnischen 
üeberreste  ^),  vor  allem  aber  der  arianischen  Glaubensmeinungen,  die 
unter  gotischer  und  laugobardischer  Herrschaft  zur  Geltung  gelangt 
waren.     Man    legte  zu  diesem  Behufe  eine  Sammlung  der  zu  bekäm- 


mendacii,  qui  nullum  exceperim,  fuerunt  in  eins  scbola  duo  molinariorum  filii, 
de  familia  s.  Columbani,  quos  quia  non  congruit  ad  episcoporum  vel  coenobio- 
rum  regimen  sublevari,  tarnen  per  merita  ut  creditur  magistri  sui  praeposituram 
Bobienais  monasterii  unus  post  uniun  strenuissime  gubernaverunt. 

')  Zum  Theil  schon  vor  der  Ankunft  Columbas,  der  ja  eine  verfallene 
Peterskirche  überkommt. 

-)  Vgl.  Vita  Bertulfi  c.  16  f.  Im  J.  850  verordnete  ein  Capitulare  die 
Unterdrückung  der  Räuberbanden,  die  Rompilger  und  Kaufleute  plündern; 
gleiches  Vorgeben  gegen  die  herumziehenden  Räuberbanden,  die  in  den  Dörfern, 
auf  Strassen  und  in  Wäldern  plündern,  gerichtliches  Verfahren  gegen  die  Helfers- 
helfer. Mühlbacher  Reg.  1145,  II  c.  1,  2,  3.  Auch  Gerbert  schreibt  epla  XIV 
von  Bobbio  aus  an  den  Papst  Johannes :  nee  ad  vos  propter  hostes  est  veniendi 
facultas. 

3)  Paul,  diac.  h.  L.  4,  41 :  Quo  in  loco  et  multae  possessiones  a  singulis 
principibus  sive  Langobardis  largitae  sunt,  et  magna  ibi  facta  est  congregatio 
monachorum.  Der  Berichterstatter  war  am  Hofe  des  Königs  Ratchis  (744—749) 
aufgewachsen  und  lebte  dann  in  einem  Kloster  unfern  dem  Comersee,  erst  später 
(seit  787)  in  Monte  Casino.  Vgl.  L.  Traube  a.  a.  0.  Die  Besitzungen  des 
Klosters  Bobbio  erstreckten  sich  im  9.  und  10.  Jahrhundert  über  die  Gebiete 
von  Mailand,  Piacenza,  Como,  Lodi,  Bergamo,  Brescia,  Mantua,  Verona,  Cremona, 
Trient,  Grado,  Tuscien,  Luca,  Pisa,  Pistoja  (vgl.  die  Bestätigungsurkunden  aus 
dieser  Zeit,  Ottenthai,  Reg.  Otto  I.  n.  546).  Der  Vorstand  des  Klosters  musste 
nach  all  diesen  Seiten  eine  ausgebreitete  Correspondenz  pflegen,  wie  die  Brief- 
sammlung Gerberts  darthut.  Vgl.  epla  XII :  Nam  quae  pars  Italiae  possessiones 
beati  Columbani  non  continet  ?  .  .  .  .  quae  pars  Italiae  meos  non  habet  hostes  ? 
Vires  meae  impares  sunt  viribus  Italiae. 

■*)  Vita  Columbani  c.  53 :  illi  aiunt  deo  suo  Vodano,  quem  Mercurium 
vocant  alii,  se  velle  litare.  Vgl.  Paul.  diac.  h.  L.  1,  9:  Votan  sane,  quem  adiecta 
littera  Godan  dixerunt,  ipse  est  qui  apud  Romanos  Mercurius  dicitnr  et  ab  uni- 
versis  Germaniae  gentibus  ut  deus  adoratur.  Hiezu  Mommsen,  N.  Archiv  V,  66. 
S.  die  folgende  Anm. 


^g^  Julius  Jung. 

pfeuileu  Literaturerzeuguisse  au  ^)  und  schrieb  dann  Gegenschriften, 
von  denen  leider  nichts  auf  uns  gelangt  ist.  Zweitens  kam  auch  das 
Schisma  in  Betracht,  das  seit  dem  Dreikapitel-Streite  (553)  die  Kirche 
von  Aquileia  und  die  römische  (mit  ihr  die  mailändische)  trennte.  Die 
Wiikuugen  desselben  machten  sich  durch  versprengte  Mönche  auch 
in  den  von  S.  Columba  gestifteten  Klöstern  bemerkbar  ^) ;  doch  gelang 
es  den  Achten  dagegeu  mit  Erfolg  anzukämpfeu;  bis  endlich  unter 
lebhafter  Theilnahme  der  Bobbienser  in  den  letzten  Jahren  des  7.  Jahr- 
hunderts dies  Schisma  ganz  beigelegt  wurde  3). 


')  Vgl.  Wattenbach,  Deutschlands  Geschichtsquellen  im  MA.  I-»  S.  99 : 
Gotische  Schviftdenkmale  in  Bobbienser  Palimpsesten.  Die  endgiltige  Bekehrung 
der  Arianer  wird  im  Carmen  de  synodo  Ticineusi  c.  a.  698  des  Magister  Ste- 
phanus  (im  Anhang  der  Waitz'schen  Ausgabe  des  Paulus  diaconusj  erst  dem 
König  Anpert  (653 — 661)  zugeschrieben.  König  Ariovald  (626 — 636)  heisst  in 
der  Vita  Bevtulfi  abbat,  c.  5  »barbarus  et  Arrianae  sectae  credulus«,  der  aber 
den  Katholisch-Gläubigen  gegenüber  auf  Billigkeit  hält.  (Vgl.  Paul.  diac.  IV,  41, 
hiezu  Mommsen,  N.  Archiv  V,  73).  Sonst  fehlte  es  freilich  nicht  an  hitzigen 
Pieligionsgesprächen  und  an  Schlägereien.  Vgl.  1.  c.  c.  12—15.  Auch  mit  heid- 
nischen Elementen  c.  12  f.  Die  Könige  Adalwald  (613—626),  Rothari  (633—652), 
Kodoald  (652—653)  bestätigten  dem  Kloster  die  eingeräumten  Eechte  und  ge- 
statten den  Aebten  auf  ihr  Ansuchen  die  Romfahrt.  Vgl.  Holder-Egger,  Langob. 
Regesten,  im  N.  Archiv  IH.  227  ff.  Die  Bestätigung  aller  dieser  Privilegien 
(ebenso  der  folgenden  Könige  und  Kaiser)  durch  Ludwig  IL  unter  dem  7.  Okt. 
860  (nicht  861,  wie  Holder-Egger  hat)  bei  Mühlbacher  n.  1183. 

-)  Vgl.  Vita  Eustasii  abbat.  Luxoviensis  (bei  Mabillon  Acta  II  p.  118  f.) 
c.  7  über  den  unruhigen  Mönch  Agrestius,  der  aus  Frankreich  nach  Aquileia 
kam  :  socius  statim  schismatis  effectus,  a  Romanae  sedis  communione  sejunctus 
ac  divisus  a  totius  orbis  communione :  qui  cum  Romanae  sedi  iungeretur,  dam- 
nabat  insulam  Aquileiam  orthodoxani  fidem  non  habere.  Quo  schismate  imbntus 
epistulam  venenosam  et  increpationibus  plenam  ad  b.  Attalam  per  Aurelium 
Adalvaldi  regis  Langobardorum  notarium  dirigit.  Auch  in  Luxovium  (Luxieulj,  der 
anderen  Gründung  Columbas,  macht  er  den  Versuch,  vergebens;  worauf  er  »b. 
Columbani  religionem  offendit*<;  er  habe  »multa  superflua«  beim  Gottesdienst 
eingeführt.  Ueber  den  Gegensatz  beider  Regeln  vgl.  L.  Traube,  Textgeschichte 
der  regula  s.  Benedicti  (Abhdigen  der  baier.  Akad.  3,  XXL  601  ff.,  Jahrg.  ]898> 
Im  J.  643  war  die  Sache  dahin  entschieden,  dass  man  in  Bobbio  »sub  regula 
s.  r-iemoriae  Benedicti  vel  [=  et]  reverendissimi  Columbaui"=  lebte.  Vgl.  die 
(unverdächtige)  Urkunde  Papst  Theodors  zu  diesem  Jahr,  Jatfe  2053  (1590).  Auch 
die  den  Kelten  eigentümliche  und  von  Columba  anfangs  festgehaltene  Berech- 
nung der  Osterfeier  nach  dem  älteren  anatolischen  Cyclus  hatte  man  aufgegeben. 
Vgl.  ü.  Seebass  im  N.  Archiv  XVII,  246  ff. 

3)  Das  Gedicht  des  Magister  Stefan,  in  dem  König  Kunincpert  (um  698) 
wegen  der  Beilegung  des  Schismas  gefeiert  wird,  ist  in  zwei  Handschriften  aus 
Bobbio  erhalten.  Vgl.  die  Ausgabe  des  Paul.  diac.  von  Waitz  »Appendix«  IL 
Wattenbach  ]*  S.  136.  Im  Allgemeinen:  Wilh.  Meyer  (aus  Speier),  Die  Spaltung 
des  Patriarchats  Aquileia.     Abhandlungen    der  Ges.  d.  Wisseusch.    zu    Göttingen 


Bobbio,  Veleia,  Bardi,  535 

Endlich  fand  auch  die  profane  Literatur  in  Bobbio  eine  Heim- 
stätte, wie  wir  aus  den  Briefeu  Gerbert's  und  aus  den  Katalogen  der 
Klosterbibliothek  ersehen  1),  sowie  aus  manchem  wertvollen  Codex, 
der  für  die  Ueberlieferung  eines  alten  Klassikers  von  Bedeutung  ist 
und  den  die  irischen  Glossen  sowie  die  Widmung  an  italische  Herr- 
scher als  aus  Bobbio  stammend  erweisen  2).  An  die  wertvollen,  wohl 
auf  des  Q.  Asconius  Pedianus  berühmten  Commentar  zu  Ciceros  Reden 
zurückgehenden  Schollen  3),  die  in  einem  Palimpseste  aus  Bobbio  sich 
erhalten  haben,  kann  hier  nur  mit  einem  Worte  erinnert  werden. 
Ebenso  an  die  Bobbienser  Handschrift  der  römischen  Agrimensoren, 
die  der  berühmte  Gerbert  wahrscheinlich  an  Ort  und  Stelle  be- 
nützt hat  ^). 

2.  Veleia  und  das  placentinische  Gelände. 
Das  Municipium  Veleia  hat  sich  aus  einem  Vororte  der  Ligurer 
entwickelt,  wo  der  Apenninenverkehr  sich  in '  ähnlicher  Weise  con- 
centrirt  haben  mochte,  wie  gegenwärtig  bei  Borgonure  am  Fluss  Nure, 
das  mit  Piaceuza  durch  eine  Dampftrambahn  in  Verbindung  steht:  es 
ist  hier  der   „Hauptstapelplatz  des  transapenninischen  Localverkehrs"  s). 


1898.  Hiezu  die  Recension  von  W.  Lenel  in  der  »Deutschen  Literaturzeitung "^ 
1898  Juli  23.  Bekanntlich  wurde  das  langobardische  ,  Patriarchat '^  von  Aquileia 
neben  dem  byzantinischen  von  Grado  aufrechterhalten. 

')  Ein  solcher  Katalog  aus  saec.  X  bei  Muratori,  Antiquit.  Ital.  III  p.  817 
— 824.  Ein  Katalog  aus  dem  J.  1461  bei  A.  Peyron,  Ciceronis  et  aliorum  fragm. 
inedit.  p.  1 — 68.  Vgl.  Blume,  Iter  italicum  I,  44.  55 — 58.  0.  Seebass,  Ueber 
die  Handschriften  der  Sermonen  und  Briefe  Columbas  von  Luxeuil.  N.  Archiv 
d.  Ges.  XVII,  246  ff.  XXI,  739  ff. 

2)  Ueber  einen  Horazcodex  saec.  IX  (jetzt  in  Bern),  gevridmet  der  »regina 
Angelberga*  (Braut  851,  vgl.  Mühlbacher  n.  1148),  mit  irischen  Glossen,  vgl. 
0.  Keller,  Beschreibung  der  wichtigsten  Horaz-Handschriften.  Praefatio  zur  Aus- 
gabe des  Horaz  von  0.  Keller  und  A.  Holder  Vol.  I^  (Leipzig,  1899)  p.  XIX. 
Ueber  die  Beziehungen  der  Mailänder  Erzbischöfe  Angilbert  (824—860)  und  Tado 
(860—868)  -zu  den  irischen  Mönchen  vgl.  L.  Traube,  Poetae  aevi  Carol.  III,  236. 
Abhandl.  der  baier.  Akad.  XIX,  2  S.  349.  XXI  3,  S.  638  fi".  "Wattenbach, 
Deutschlands  Geschichtsqu.   [*  250  ff.  A.  Reuter  in  ,, Hermes*  XXIV  S.  162  ff'. 

3)  Vgl.  Teuff'el,  Gesch.  d.  röm.  Literatur  §  295. 

*)  Blume  in  den  »Erläuterungen  zu  den  Schriften  der  röm.  Feld- 
messer« (1852)  S.  10  f.;  vgl.  S.  5.  In  der  Handschrift  stehen  fol.  77a  die  Worte, 
»Gisebertus  abbas*  (Lachmann  liest  letzteres  Wort  anders).  Wir  haben  gesehen 
dass  der  Name  verschieden  geschrieben  wird.  Vgl.  Sickel,  Erl.  zu  den  Diplomen 
Otto's  II.  S.  100.  In  Gerberts  geometrischen  Arbeiten  wird  auf  die  Agrimensoren 
verwiesen. 

s)  Bädecker,  Uberitalien'^  S.  249. 


^^3ß  Julius  Jung. 

Zur  Zeit  des  Hannibalischen  Krieges  beherrschten  ligurische 
Stämme  die  Uebergänge  aus  dem  Pothale  nach  Tuscien  i),  so  dass  für 
die  beiden  kriegführenden  Theile  die  Sympathien  der  Ligurer  keine 
gleichgiltige  Sache  waren.  Hannibal  wusste  sie  für  sich  zu  gewinnen, 
noch  ehe  er  den  Apennin  überschritt  ^).  Während  des  folgenden 
Krieges  und  nachdem  schon  der  Friede  geschlossen  war,  reagirten  die 
Ligurer  unter  punischer  Führung  gegen  Placentia  und  Cremoua,  die 
römischen  Zwingburgen  am  Po  ^). 

Schliesslich  wurden  die  Ligurer  pacificirt  und  während  der  Stamm 
der  Apuani,  der  über  Luca  gesessen  hatte,  expatriirt  und  ins  Beneven- 
tanische  übersiedelt  wurde,  kamen  die  Veleiates,  die  Statielli,  die 
Bagienni  glimpflicher  davon;  sie  wurden  als  „civitates  föderatae" 
anerkannt,  in  welcher  Stellung  sie  mindestens  hundert  Jahre  lang  ver- 
blieben, bis  zu  den  Aeuderungen,  welche  der  grosse  Bundesgenossen- 
krieg auch  für  das  Pogebiet  nach  sich  zog.    Es  begann  die  municipale 


1)  Man  erinnere  sich,  dass  Parma  183  v.  Chr.  von  den  Römern  gegründet 
wurde,  erst  nachdem  die  ämilische  Strasse  in  der  durch  Canäle  entwässerten 
Ebene  angelegt  war,  während  die  älteren  Pfade  durchaus  das  bergige  Gelände 
benutzten.     Vgl.  Aftö,  Storia  di  Parma,  I  Einl. 

-)  Liv.  2],  58.  59.  Vgl.  hiezu  G.  Faltin,  Der  Einbruch  Hannibals 
in  Etrurien.  Hermes  XX,  71  ff.  Ueber  die  Ligurer  im  Apennin  Polyb.  11,  16. 
Hannibal  gieng  über  einen  der  westlichen  Apenuinpässe,  berührte  also  wohl  das 
Gebiet  von  Veleia.  Der  erste  verunglückte  Versuch  Hannibals,  über  den  Liv.  21, 
58  berichtet,  veranlasste  ihn  »degressus  Apennino  ad  Placentiam"  Lager  zu 
schlagen;  später  »in  Ligures  concessit*.  wo  ihm  einige  römische  Beamte  und 
Offiziere  (»per  insidias  intercepti"")  ausgeliefert  wurden.  —  Hannibal  hatte  Clasti- 
dium  [Casteggio],  wo  die  Kömer  Magazine  besassen,  eingenommen,  das  nachher 
in  den  Kämpfen  der  Römer  gegen  die  Ligurer  wieder  hervortritt.  Vgl.  Corp.  V 
p.  828.  —  Bei  der  Gründung  des  Klosters  Bobbio  (saec.  Vll  p.  Ch.)  erinnerte 
man  an  »amnem  profluentem  nomine  Triveam  [Trebiam].  super  quem  olim 
Hannibal  hiemans,  hominum,  equorum,  elephantorum  atrocissima  damna  sensit*. 
Vita  iS.  Columbani  c.  60.  [Mit  Anlehnung  an  Liv,  ?!,  56].  Im  10.  Jahrhundert 
gleicht  Liutprant  Cremon.  in  der  Antapod.  die  Kriege  gegen  die  afrikanischen 
Saracenen  mit  den  punischen;  vgl.  bes.  B.  2  c.  54;  er  nennt  1.  35  j,Hannibalis 
viam  quam  Bardum  [von  Castell  Bard]  dicunt*.  Auch  im  Panegjricus  auf  Kaiser 
Berengar  (888 — 923)  finden  sich  Anspielungen  auf  den  Hannibalischen  Krieg. 
Vgl.  Dümmler,  Gesta  Berengarii  imp.  p.  44  Anm.  1,  die  nach  dem  Gesagten 
etwas  zu  modificiren  wäre.  Die  Nachrichten  des  Livius  über  den  zweiten  puni- 
schen Krieg,  soweit  sie  Genua  und  die  ligurische  Küste  betreffen,  sind  den  Annal. 
Januens.  ganz  geläufig.     Vgl.  ad  a.   1280  (p.  289). 

3)  VgL  Liv.  31,  10.  32.  29  (wo  die  Xamen  der  ligarischen  Stämme  offenbar 
verderbt  wiedergegeben  sind ;  statt  llvates  las  schon  Cluverius  Ital.  aut.  p.  78 
lieber  Veleiates).  34,  56.  Man  vgl.  überhaupt  die  lichtvollen  Darlegungen  von 
Cluverius  1.  c.  lib.  I.  cap.  VIII  und  X  (obwohl  der  Verf.  die  Lage  von  Veleia 
nicht  kannie;  er  vermuthete  es  am  Tidone). 


Bobbio,  Veleia,  Baidi.  537 

Entwicklung  sich  Bahn  zu  brechen  und  seit  49  v.  Chr.,  wo  Cäsar 
dem  transpadauischeu  Gebiet  das  römische  Bürgerrecht  ertheilte  1), 
tritt  neben  Aquae  Statiellae  (jetzt  Acqui)  und  Augusta  Bagieunorum 
(jetzt  Bene)  auch  Veleia  als  ein  Municipium  hervor  2).  Es  war  der 
tribus  Galeria  zugeschrieben  3)  und  zählte  seitdem  zur  achten  Region 
Italiens,  zu  der  auch  Placentia  gehörte,  während  jene  beiden  anderen 
Orte  ligurischer  Entstehung  zur  neunten  gerechnet  wurden  ^).  Das 
Gebiet  Veleia's  erscheint  seitdem  in  römischer  Weise  vermessen  und 
von  den  benachbarten  Stadtgebieten  Libarna  im  Westen,  Placentia 
im  Norden,  Luca  im  Süden,  Parma  im  Osten  abgegrenzt,  nicht  ohne 
dass  die  ältere  Hgurische  Bodentheiluug  dem  Princip  zu  Liebe  manig- 
fach  durchkreuzt  worden  wäre  ^). 

Wir  kennen  diese  Verhältnisse  zufäUig  genauer,  da  uns  die  Aus- 
züge aas  dem  Kataster  von  Veleia  in  der  bekannten  hier  gefundenen 
Alimentartafel  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Traianus  erhalten  sind.  Zu 
jedem  der  fuudi,  die  für  die  Alimentarinstitution  obligirt  wurden,  wird 
pagus  und  Stadtgebiet  angegeben  e).    Die  Gebiete  von  Libarna,  Veleia, 

»)  Ein  Fragment  der  lex  Kubria,  wodurch  die  Jurisdictionsverhältnisse  der 
neuconstituirten  römischen  Gemeinden  geregelt  wurden,  ist  in  Veleia  gefunden. 
Corp.  XI  1146.     Vgl.  Mommsen  in  , Hermes«  XVI,  24  ff. 

2j  Bevor  Dertona  als  Colonie,  Libarna  als  Munic-ip  gegründet  wurde,  könnte 
das  Gebiet  der  Statielli  an  das  der  Veleiates  unmittelbar  sich  angeschlossen 
haben.  In  der  Alimentartafel  von  Veleia  wird  ein  pagus  Statiellus  angegeben, 
der  (seit  der  Gründung  der  Municipien  ?)  zum  Gebiete  Veleia's  gehörte.  Mommsen 
in  Coi-p.  V  p.  850.  Näheres  über  die  Constituirung  von  Veleia  als  Municipium 
ist  nicht  bekannt.     Vgl.  Mommsen  in  »Hermes»  XIX,  402. 

•')  Aquae  Statiellae  hatte  die  tribus  Tromentina,  Augusta  Bagiennorum  die 
Camilia;  Libarna  die  Maecia,  Dertona  die  Pomptina;  Placentia  die  Voturia, 
Parma  die  Pollia.  Ticinum  die  Papiria  (wovon  es  den  Namen  Papia  bekam).  — 
Die  tribus  Galeria  hatten  ausser  Veleia  noch  Genua,  Luna,  Pisa,  also  ein  zu- 
sammenstossendes  Gebiet.     Kubitschek,  Imp.  Rom.  trib.  discr.  p.  93. 

^)  Vgl.  Mommsen,  Die  italischen  Regionen.  In  der  »Kiepei-t-Festschrift^ 
1898  S.  95  ff".  Auch  Libarna  und  Dertona  gehörten  zur  9.  Region  (damit  zu- 
gleich die  Gegend  von  Bobbio). 

s)  Vgl.  A.  Schulten,  Die  römische  Flurtheilung  und  ihre  Reste  (Berlin  1898) 
S.  17  f. 

«)  VgL  Bormann  in  Corp.  inscr.  Lat.  XI  p.  222.  Hiezu  F.  Kniep,  Societas 
publicanorum  I  404  ff'.  G.  Billeter,  Gesch.  des  Zinsfusses  im  Altertum  .(1898) 
S.  187  ff:  Ueber  die  Vertheilung  des  Besitzes  im  Gebiete  von  Veleia  s.  Momm- 
sen, »Hermes»  XIX  S.  393  ff'.  Da  die  Bearbeiter  des  Bodens  sich  erbweise  auf 
der  Scholle  behaupteten,  später  auch  von  Regierungswegen  an  dieselbe  gebunden 
wurden,  entwickelten  sich  die  fundi  zu  dorfartigen  Ansiedlungen.  Vgl.  L.  M. 
Hartmann,  Bemerkungen  über  Besitzgemeiuschaft  und  Wirtschaftsgemeinschaft 
in  italienischen  Privaturkunden.  Zeitschr.  f.  Social-  und  Wirtschaftsgeschichte 
V  (1896)  S.   204  ff'. 

Mittheihingen  XX.  35 


538  Julius  Jung. 

Luca  stiessen  zusammen  im  „pagus  Alben sis",  der  zu  Yeleia  gehörte  i). 
Der  -pagus  Salutaris"  erscheint  unter  die  Territorien  von  Veleia, 
Placentia,  vielleicht  auch  Parma  aufgetheilt;  der  „pagus  Salviu^,"  unter 
die^Territorieu  von  Veleia  und  Parma;  jedenfalls  ersehen  wir,  dass 
auch  die  Stadtgebiete  von  Veleia,  Parma,  Placentia  aneinanderstiesseu  "-). 
Die  Namen  der  pagi,  die  von  Gottheiten  entlehnt  sind,  z.  B.  Miuer- 
vius,  begegnen  öfter,  sowohl  „in  Placentino"  wie  „in  Veleiate".  Be- 
merkeuswert  ist,  dass  es  im  Gebiete  von  Veleia  auch  pagi  gibt,  die 
„Bagiennus"  und  „Statiellus"  also  nach  den  Namen  anderer  liguri- 
scher  Stämme  benaont  sind  ^j. 

Während  in  den  Listen,  die  gelegentlich  des  im  J.  74  abgehal- 
tenen Census  geführt  wurden,  auch  Fidentia  (Borgo  S.  Donnino)  als 
selbstäudige  Comune  erscheint  *),  ebenso  Florentia  (Fiorenzuola)  in  den 
Itinerarien  als  Strassenstatiou  erwähnt  wird  •''),  finden  wir  auf  der 
Alimentartafel  weder  das  eine  noch  das  andere  genannt;  vielleicht  dass 
der   „pagus  Floreius-  als  bei  Florentia  gelegen  anzusetzen  ist  ß). 


M  Der  pagus  Albensis  umfasste  die  Berggegeud  südwärts  von  Veleia, 
namentlich  am  überlaufe  des  Morfasso,  der  in  den  Arda  fliesst,  die  Gegend  von 
Tollara.  Vgl.  3,  30:  fundus  Autouianus  Öevuonianus  TuUar.  in  Vel{eiate)  pag(o) 
Alb(ensi);  3,  28:  fundus  Mucianus  Clouster  TuUare  in  Vel(eiate)  pag(o)  Alb(ensi). 
Die  vielen  barbarischen  (wohl  ligurischen)  Namen  neben  den  römischen  Bezeich- 
nungen fallen  auf.  4,  86  :  in  Veleiate  et  in  Libarnensi  pagis  Martio  et  Albense. 
3,  76 :  in  Veleiate  et  Lucense  pagis  Albense  et  Minervio  et  Statielo.  Vgl.  Des- 
jardins  1.  c.  p.  58.  Die  Beifügung  einer  örtlichen  Angabe  zu  den  Namen  der 
fundi  kommt  öfter  vor;  so  nennt  die  Tafel  2,  47:  fund(um)  Aestinianum  Anti- 
stianum  Cabardiacum  pag(o)  et  adf(ine)  s{upra)s(cripto),  d.  i.  pago  Ambitrebio 
in  Veleiate,  adfine  republica  Placentinorum.  Der  fundus  lag  bei  Caverzago  im 
Trebiao-au,  im  Gebiete  von  Veleia  aber  angrenzend  an  das  Placentinische.  Vgl. 
Bormann  in  Corp.  XI  p.  254.  Mommsen,  j, Hermes«  XIX  394  A.  2  über  die 
, Grundstücksnamen,  welche  aus  der  römischen  Nomenclatur  nicht  zu  erklären 
und  vermuthlich  wie  die  der  saltus  und  vici  keltischen  und  ligurischen  Ursprungs 
sind"'.  —  Die  französische  Generalstabskarte  vom  J.  6  der  Republik  (Mailand 
1799)  zeigt  den  Ort  ^Tollera''  am  Uebergaug  von  Macinesso  nach  dem  südlich 
vorliegenden  Thale  des  Morfasso.  Im  13.  Jahrhundert  wird  wiederholt  , Tolleria/' 
genannt  (Annal.  Placentin.  ad  a.   1268.  1271). 

2)  An  der  Ongina,  am  Ceuo  V  Das  letztere  Thal  (mit  Bardi),  das  Desjardins 
auf  seiner  Karte  nicht  berücksichtigt  hat,  würde  in  Betracht  kommen. 

3)  Vgl.  oben  S.  537  A.  2.  A.  Schulten,  Die  Landgemeinden  im  römischen 
Reich.  5>Philologus«  1895  S.  633  fi'.  Die  kartographische  Darstellung  von  Desjar- 
dins unterliegt,  wie  Bormann  bemerkt,  manchen  Bedenken. 

^)  Vgl  Mommsen,  Die  italischen  Regionen,  a.  a.  0.  S.   102  A.  3. 
•■■')  Vgl.    Coi-p.  XI   p.  203.     Muuicipium    scheint   Florentia    nie    gewesen    zu 
sein.     Bei  Plinius  fehlt  es. 

'■•)  So  Desjardins,  de  tabulis  alimentär,  p.  63. 


i 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  539 

Der  Gemeinde  Luca  gehörten  ausgedehnte  Weide-  und  Wald- 
distrikte im  Gebirge,  wo  die  Grenzen  der  verschiedenen  Stadtgebiete 
aneiuanderstiessen  ^).  Man  ersieht  aus  dem  Ganzen,  dass  die  Thäler 
der  Trebia  wie  der  Bäche  Nure,  ßiglio,  Chero,  Chiavenna,  Arda  u.  s.  w. 
nirgends  für  sich  geschlossene  Gebiete  gebildet  haben,  vielmehr  die 
Grenzen  der  Municipien  hier  ineinander  übergiengen. 

Veleia  lag  beim  heutigen  Macinesso  im  Quellgebiete  des  Baches 
Chero,  von  wo  aus  leichte  Ueberstiege  von  einem  Querthal  des  Apennin 
in  das  andere,  endlich  auch  über  Val  Ceno  und  Val  Taro  auf  die 
andere  Seite  des  Apennin  führten.  Das  Munieipium  blühte,  wie  die 
aufgefundenen  Inschriften  erweisen,  durch  die  ganze  Zeit  des  Princi- 
pates  hindurch;  seine  Söhne  dienten  gerne  auswärts,  z.  B.  in  Germanien 
oder  in  Britannien,  beim  Militär  ^),  und  angesehene  Consulare  ver- 
schmähten es  nicht  Patrone  der  Stadt  zu  werden;  zuletzt  hat  Veleia 
noch  wie  den  früheren  Kaisern  seit  Augustus  dem  Probus  eine  Statue 
gesetzt  (276  n,  Chr.).  In  der  späteren  Zeit  muss  der  Ort,  wohl  weil 
der  Verkehr  auf  der  direkten  Strasse  von  Luca  nach  Parma  sich  mehr 
und  mehr  concentrirte  ^),  zurückgegangen  und  in  Verfall  geratheu 
sein.  Aber  die  im  vorigen  Jahrhundert  aufgetauchte  Ansicht,  dass 
Veleia  durch  einen  Bergsturz  zerstört  worden  wäre,  hat  sich  als  un- 
begründet erwiesen,  da  vielmehr  die  Stadt  selbst  auf  einer  (prähisto- 
rischen) Schutthalde  erbaut  war.  Auch  kam  bei  den  Grabungen  eine 
Münze  Kaiser  Leo's  I.  zu  Tage  ■^).    Vielmehr  wird  sich  die  wohlhabende 


^)  Tabula  Velei.  6,  43 :  Coloni  Lucenses  professi  sunt  saltus  praediaque  etc. 
iu  Lucensi  et  in  Veleiate  et  in  Parmense  et  in  Placentino  etc.  Vgl.  biezu  Bor- 
mann  1.  c.  Kniep  S.  418  f.  Es  handelt  sich  um  einen  Besitz,  der  durcb  ein 
Vermäcbtnis  den  Lucensern  zugefallen  zu  sein  scheint.  »Unter  saltus  haben  wir 
Bergweiden  zu  verstehen,  die  von  den  praedia  aus  zu  Zeiten  benutzt  werden*. 
»Bemerkenswert  ist  (6,  72)  die  Erwähnung  von  montes  (adfines)  neben  den 
Gemeinden  Luca,  Veleia,  Parma,  Placentia.  Es  werden  mithin  die  höchsten 
Bergspitzen  den  Gemeinden  nicht  einverleibt  gewesen  sein".  Wozu  Mommsen 
Staatsrecht  III,  782  A.  3  zu  vergleichen  ist.  —  Luca  hat  auch  im  Mittelalter 
in  diesen  Berggegenden  gelegentlich  eine  Rolle  gespielt;  mindestens  in  Pontre- 
muli.     Vgl.  Annal.  Parmens.  mal.  ad  a.  1293  (Mon.  Germ.  Script.  XVIII  p.  711). 

-')  Vgl.  Kubitschek,  Imp.  Rom.  tributim  discr.  p.  99  f. 

8)  Daher  kamen  neue  Orte  zur  Geltung.  So  hatte  im  3.  Jahrhundert  Forum 
novum  (jetzt  Fornovo)  am  Tarus,  auf  der  Route  von  Parma  dem  Apennin  zu, 
Muuicipalrecht  erlangt.  Corp.  XI  p.  201.  Das  Gebiet  von  Veleia  grenzte  west- 
lich an.  —  Bercetum  tritt  erst  später  (saec.  VIII)  hervor.  Ebenso  seit  dem 
12.  Jahrhundert  das  »Burgum  vallis  Tarii''  (d.  i.  Borgotaro);  ferner  Bardi  im 
Thal  des  Ceno. 

*)  Desjardins  p.  5.  Vgl.  Bormann  Corp.  XI  p.  205.  Ausschlaggebend  gegen 
die  Annahme  eines  Bergsturzes    waren  die  Ausgrabungen    des  J.  1876,    worüber 

35* 


540  Julius  Jung. 

Bevölkerung  von  Veleia  weg  nach  den  benachbarten  Orten,  wo  der 
Verkehr^sich  hob,  verzogen  haben ;  ebenso  wie  das  bei  Libarua  der 
Fall  war  und  wie  es  für  das  ausgehende  Altertum  in  Bezug  auf  zahl- 
reiche andere  Communen  Italiens  bezeugt  ist:  in  Folge  dessen  z.  B 
benachbarte  Bischofsitze  mehrfach  zusammengezogen  werden  mussten, 
wie  dies  aus  den  Briefen  Papst  Gregors  d.  Gr.  hinlänglich  bekannt  ist^). 

Uebrigeus  dauerte  dieser  Process  aus  gleichen  Ursachen  Jahr- 
hunderte hindurch  fort.  So  wurde  zur  Zeit  Ottos  d.  Gr.  (im  J.  969) 
die  Vereinigung  des  Bistums  von  Alba  (im  Piemontesischen)  mit 
jenem  von  Asti  durchgeführt,  mit  ausdrücklicher  Berufung  auf  die 
Präcedenzfälle  aus  der  Zeit  Gregors  d.  Gr.  ^). 

AlftO  muss  Libarna  mit  Dertona  sich  verschmolzen  haben,  nach- 
dem schon  unter  dem  Principat  manche  Honoratioren  beiden  Orten 
gemeinsam  gewesen  waren  ^j.    Der  Bistumsprengel  von  Dertona  machte 


die  Notizie  degli  scavi  im  J.  1877  berichteten.  Bemerkenswert  ist,  dass  das 
Christentum  in  Veleia  keine  Spuren  hinterlassen  hat.  (Au  Stelle  des  Cultes  der 
Minerva  in  Cabardiacum,  j.  Caverzago,  trat  die  Verehrung  Marien's;  vgl,  oben  S.  525). 

')  Vgl.  z.  B.  die  Vereinigung  des  Bischofsitzes  von  Minturnae  mit  dem  von 
Formiae.  üregor.  M.  reg.  1,  8.  Andere  Beispiele  in  meinen  »Organisationen 
Italiens  bis  auf  Karl  d.  Gr.*  Ergänzungsb.  V  der  Mitth.  des  österr.  Instituts, 
passim.  Plistia  (bei  Colfiorito)  ist  um  500  noch  Bischofsitz,  später  zwischen  Ful- 
ginium.  Nuceria,  Cameriuum  aufgetheilt.  S.  25  Anm.  ].  Es  hängt  dies  mit  dem 
allgemeinen  Rückgang  Italiens  seit  dem  Ende  seiner  Weltherrschaft  zusammen, 
welche  ja  auch  auf  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  manigfach  eingewirkt  hatte : 
der  Italiker  war  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  als  Beamter  wie 
als  Militär  vor  Anderen  bevorzugt  und  konnte  im  Alter  als  Rentier  nach  seiner 
Heimat  zurückkehren.  Gerade  abgelegene  ßerggemeinden  hatten  sich  am  fri- 
schesten erhalten  wie  denn  Veleia  gelegentlich  der  statistischen  Aufnahme  unter 
Vespasian  in  der  ganzen  achten  Region  die  meisten  Hundertjährigen  aufwies. 

-')  Urkunde  Otto  d.  Gr.  vom  9.  November  969  Diplomat.  Otto  I.  n.  380"; 
vgl.  Böhraer-Ottenthal  Reg.  n.  495,  496,  504  mit  Beziehung  auf  eine  Abhand- 
lung von  CipoUa,  Di  Rozone  vesc.  di  Asti  (Memorie  dell'  acad.  di  Torino  ser.  II 
t.  42).  In  der  Urkunde  ist  folgende  Motivierung  gegeben :  concesserunt  antiqui 
patres  ut,  si  episcopalis  sedes  deo  permittente  ab  impiorum  sit  manibus  vastata 
et  depopulata,  ob  plebis  raritatem,  quia  non  oportet  in  locis  vilioribus  propter 
celebre  episcoporum  nomen  episcoiDOs  constitui,  viciniori  sedi  subponi  et  in  unum 
redigi,  quemadmodum  non  a  quibnslibet  sed  a  sanctissimis  noscimiis  esse  con- 
traditum  viris.  Hac  igitur  auctoritate  i'oborati  Albiensem  sedem,  quam  spiri- 
tualis  pater  noster  et  universalis  papa  domnus  Johannes  ob  raritatem  plebis 
viciniori  Astensi  sc.  ecclesiae  ad  regendum  subposuit  nee  non  et  Uualpertus  ar- 
chiepiscopus  s.  Mediolanensis  ecclesiae,  ex  cuius  consecratione  dioceseos  utraque 
pertinere  videtur  etc.  (Synode  in  Mailand  969  Sommer).  Nach  Absterben  des 
gegenwärtigen  Bischofs  sei  die  Vereinigung  zu  vollziehen. 

3)  Vgl.  oben  S.  531.  Corp.  V  6425  (die  Inschrift  stammt  ausTicinum) :  M.  Atilius 
Eros  VI  vir  Augfiustalis)    Dertonae    et   Libarnae.     Die  Cumulirung   benachbarter 


Bobbio,  Voleia,  Baidi.  54]^ 

nachher   seine  Reclite  bis  nach  Bobbio    hin    geltend,    das    früher   wie 
bemerkt  zum  Territorium  von  Libarna  gehört  hatte  i). 

Was  mit  Veleia  creschehen  ist,  wird  nicht  überhefert.  Es  gravi- 
tirte  dem  Po  zu  nach  der  Richtung  von  Placentia;  jedenfalls  nicht 
nach  der  von  Parma.  Als  im  7.  Jahrhuudert  durch  die  lang-obardi- 
sehen  Könige  die  Grenzen  der  Stadtgebiete  von  Placentia  und  Parma 
in  Folge  von  Streitigkeiten  zwischen  denselben  neuregulirt  wurden  ^), 
sehen  wir  das  Territorium  von  Parma  bis  au  den  Bach  Ongina  (west- 
wärts von  Borgo  S.  Donnino)  vorgeschoben,  es  hatte  also  das  Gebiet 
des    ehemaligen    Municipiums    Fidentia    sich    einverleibt  •^) ;    auch    das 


Munieipien  hat  sich  auch  anderswo  so  vorbereitet,  zumal  seitdem  die  Bekleidung 
der  Ehrenstellen  eine  immer  drückendere  Last  wurde. 

1)  Ughelli  IV'  p.  884  hebt  hervor,  dass  der  Bistumsprengel  von  Tortona 
ein  verhältnismässig  umfangreicher  sei,  trotz  der  Nachbarschaft  einiger  bedeu- 
tender Städte.  Vgl.  Diplom.  Otto  II.  n.  206  (5.  November  979),  wodurch  Ger- 
bert zum  Bischof  bestellt,  und  der  bischöflichen  Kirche  die  Besitzungen  bestätigt, 
sowie  ihr  abgesehen  von  der  Immunität  auch  die  ölFentliche  Gewalt  in  der  Stadt 
und  im  Umkreis  von  drei  Millien  (mit  Angabe  der  Grenzen),  verliehen  wird. 
Dabei  werden  die  zwei  castra  Viqueria  (d.  i.  Voghera)  und  Garbania  (d.  i.  Gar- 
bagna  in  dem  von  »torrente*  Grua  durchüossenen  Seitenthale  ostwärts  von  Tor- 
tona) genannt.  Ebenso  gibt  der  Kaiser  an  die  Kirche  von  Tortona  »abbaciam 
de  Vinderci  que  est  in  valle  que  dicitur  Borbera,  a  perversis  quibusdam  homi- 
nibus  olim  nimis  dirutam  ubi  eciam  requiescit  corpus  beati  Fortunati*.  Das 
Thal  des  Flusses  Borbera  (Barbera)  öffnet  sich  ostwärts  von  Serravalle  (mit 
Ueberstiegen  ins  hinterste  Trebiathal).  Im  J.  1211  wird  bestimmt,  dass  die 
Castellane  von  Serravalle  nach  Brauch  von  Tortona  zu  entscheiden  haben.  Vgl. 
Ficker,  Ital.  Forsch.  III,  Nachtrag  zu  §  129.  Später  ist  Serravalle  in  den  Händen 
eines  Feudalherrn,  gegen  den  die  Dertonenser  ins  Feld  ziehen.  Annal.  Piacent, 
ad  a.  1270  (Mon.  Parm.  III  p.  284);  während  die  Papienser  den  Gegner  von 
Dertona  unterstützen.  Vgl.  auch  Busson,  Fortsetzung  von  Kopp's  Gesch.  der  eidgen. 
Bünde,  Buch  V,  S.  130. 

-)  Zuerst  unter  König  Arioald  (626—636),  auf  dessen  Entscheidung  sich 
König  Pectarit  674  beruft.  Urk.  vom  23.  Oktober  d.  .1.  bei  Campi  istor.  eccl. 
di  Piacenza  l,  177,  danach  bei  Aflö,  storia  di  Parma  I  p.  280  n.  5  (vgl.  p.  127  f ). 
Die  Grenze  reicht  von  »ponte  Marmariolo  qui  est  in  rigo  Ongleua  [Bach  Ongina], 
deinde  in  Petra  baciana  percorrente  in  termine  quod  dicitur  petra  furmia  [jetzt 
Formio]  et  in  fönte  limosa  in  campo  Crispicellio,  et  inde  in  monte  Specla 
iSpecchio]  illa  parte  Gene  [Bach  Ceno],  ubi  termine  otat,  deinde  in  monte  Caudio, 
et  Petra  Mugulana  quod  est  super  fluvio  Taro,  et  illa  parte  Taro  per  rigo  Gau- 
tera  [Bach  Gotera]". 

•'')  Vgl.  das  (interpolirte)  Diplom  Otto  III.  n.  54  (vom  J.  989).  Ueber  das 
Emporkommen  des  nach  S.  Domninus  genannten  Ortes  in  der  Karolingerzeit: 
Aflö  1,  147  fl.  Bei  Liutprand  Cremon.  Antap.  1,  41  ist  es  zum  J.  898  genannt. 
Im  12.  Jahrhundert  als  »vicus*  oder  »burgus«  sancti  Donini  bezeichnet  (Ficker, 
Ital.  Forsch.  IV  n.  112  vom  J.  1140,  n.  114  vom  J.  1144;  hiezu  Overmann,  die 
Besitzungen  der  Grossgräfin  Mathilde  von  Tuscien  S.  41  ff,),  bildete  es  mit  dem 


542  Julius  Jung. 

untere  Thal  des  Baches  Ceno,  der  in  den  Taro  mündet,  gehörte  (bis 
hinauf  nach  Varsi  und  Bardi;  hieher  führen  directe  Wege  aus  dem 
Gebiet  von  Placeutia)  zum  Parmesanischen,  das  diese  Grenzen  durch 
die  ganze  Folgezeit  behauptet  hat.  Weitergehende  Ansprüche  waren 
zu  Gunsten  von  Placentia  abgewiesen  worden,  ohne  dass  diese  geo- 
graphisch näher  präcisirt  würden  i) ;  es  mag  da  manches  im  Unklaren 
belassen  worden  sein,  so  lauge  die  Gegend  nicht  neuerdings  in  den 
Bereich  einer  intensiveren  Cultur  gezogen  wurde  -). 


südwärts  dem  Apennin  zu  liegenden  castrum  Barguni  [Bargona]  einen  Graischafts- 
bezirk  für  sich. 

')  Das  ehemalige  Gebiet  von  Veleia,  das  au  der  Abdachung  des  Apennin 
längs  der  unteren  Trebia,  am  Nure,  Riglio,  Chero  der  placentinischen  Ebene 
zu  lag,  erscheint  im  11.  Jahrhundert  n.  Chr.,  wo  die  Placentinischen  Chroniken 
mit  ihrer  Erzählung  einsetzen,  die  des  Johannes  Codagnellus  u.  A.  (Monum. 
hist.  prov.  Farmens.  et  Piacent.  III  1,  p.  1  ff.)  als  im  Weichbilde  von  Placentia 
gelegen.  Es  schlugen  sich  (1090)  die  hier  sesshaften  Feudalgewalten  mit  der 
nach  der  Alleinherrschaft  im  ganzen  Distrikt  strebenden  Bürgerschaft  herum : 
bei  Rivergaro  (an  der  Trebia),  bei  den  villae  Carpineto  und  Castrucani  (j.  Ca- 
struzzano),  letzteres  am  Riglio,  ersteres  östlich  davon;  bei  der  villa  sancti  Georgii 
(j.  S.  Georgio)  unfern  des  Nure,  beim  Vicus  Justinus  (j.  Viustino)  am  Riglio, 
iper  partes  Corneliani'^  (j.  Cornegliano)  am  Riglio,  Rocchi  (j.  Ronco), 
ebenda.  Montejaconum  (j.  Montezago?  nördlich  von  Veleia).  —  Florentiola 
wird  als  zum  Placentinischen  Gebiet  gehörig  erwähnt  im  10.  Jahrhundert 
von  Liulprand  Cremen.  Antap,  2,  65.  Es  spielt  im  13.  Jahrhundert  als  Florentia 
in  den  Parteikämpfen  eine  Rolle.  Vgl.  Annal.  Plac.  ad  a.  1260  (p.  217).  Damals 
war  ein  civis  Placentinus  capitaneus  populi  Florencie.  —  Auch  Castel  Arquato 
kommt  früh  zur  Geltung.  Am  5.  Nov.  1000  nahm  K.  Otto  III.  die  von  Bischof 
Sigfried  von  Placentia  gestiftete  Abtei  zu  S.  Sabinus  in  seinen  Schutz  und  be- 
stätigt deren  Besitzungen  und  Gerechtsame;  darunter  mercata  duo,  unum  in 
castello  Arcuato  quod  habetur  tribus  vicibus  in  anno ;  alterum  Placentie,  quod 
habetur  Kalendis  Augustis.  Ferner  heisst  es  vom  jeweiligen  Abt:  licentiam  habeat 
flumen  Nurum  sive  rivum  qui  venit  per  vicum  Ozonis  (d.  i.  Vigolzone),  de  suo 
cursu  ubicumque  voluerit  ducere  et  utilitatem  monasterii  ex  ipsis  peragere. 
(Dipl.  Otton.  III  n.  385). 

-)  Daher  bestimmtere  Grenzregulierungen  immer  erst  angestellt  wurden, 
wenn  sich  das  Bedürfnis  ergab,  z.  B.  im  J.  916  für  die  Kirche  von  Cremoua 
gegenüber  den  benachbarten  Sprengein  von  Mediolanum,  Papia,  Placentia,  Parma, 
Regium.  Bei  Affö  2,  401.  Da  der  Po  wie  seine  Nebenflüsse  ihren  Lauf  wieder- 
holt änderten,  konnte  es  an  »Rivalitäten«  nie  mangeln.  Gerade  in  der  genannten 
Urkunde  ist  die  Rede  vom  »terminus  ab  Arda  mortua  ad  Ardam  vivam''  ;  ebenso 
vom  »Padus  vetulus*,  vom  »Padus*  und  seinen  Inseln,  vom  »Padus  alter"  u.  s.  w. 
abwärts  von  S.  Giuliano.  Eine  weitere  Regulirung  der  Grenzen  zwischen  den 
Diöcesen  Cremona  und  Placentia  erfolgte  im  J.  954  durch  König  Berengar.  Vgl. 
Mon.  Germ.  Script.  XVIU  p.  410,  Zum  J.  1180  melden  die  Annal.  Piacentini: 
»concordia  facta  fuit  inter  Placentinos  et  Bobienses.  Et  tunc  traxerunt  rivum 
iiovum  de  Nuria  et  rivum  novum  de  Teciva  [wohl  Trebia]  et  fecerunt  molendina*. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  543 

Wenn  nun  aber  auch  die  munieipalen  Organisationen  in  Ab- 
nahme kamen  und  Aenderungen  erfuhren,  so  erhielten  sich  gleichwohl 
die  von  Alters  her  üblichen  Verkehrswege  in  Gebrauch.  Wir  können 
dies  allerdings  erst  aus  dem  12.  und  13.  Jahrhundert  belegen,  wo 
eben  die  communale  Annalistik  erblüht  war. 

Als  dem  Kaiser  Friedrich  I.  im  Sommer  1167  die  Pest  in  Rom 
seine  tüchtigsten  Leute  dahingerafft  hatte,  wollte  er  von  Tuscien  aus 
nordwärts  nach  dem  allezeit  getreuen  Pavia  zurückkehren.  Der  Kaiser 
kam  von  Luca  her  über  Sarzana  nach  PontremuH,  wo  ihm  auf  Be- 
treiben   der    rebellischen    Lombardenstädte    der    Durchzug    verweio-ert 

CO 

wurde  1) ;    in  Folge  dessen    musste  Friedrich  in  das  Gebiet  des  Mark- 
grafen Obizo  Malaspina  abbiegen,  der  die  weitere  Führung  übernahm^) 


')  Trotz  der  Vergünstigungen,    die  Friedrich  den  Pontremulensern  in  dem- 
selben Jahre  ertheilt  hatte.     Ficker  IV,  n.  142.     Stumpf  n.  4081. 

'■')  Die  Annal.  Laudens.  continuat.  Mon.  Germ.  SS.  XVIII  p.  656 :  imperator 
itaque  cum  ad  locum,  qui  Ponlremulus  vocatur,  appropinquasset  ac  per  subur- 
bium  ipsius  loci  transire  disposuisset,  Pontremulenses  eum  nequaquam  per  suiim 
locum  transire  permiserunt.  Cum  vero  imperator  se  per  virtutem  ipsorum  locum, 
ipsis  nolentibus,  transire  non  posse,  quoniam  pauci  ac  tonsi  ac  infirmi  fuerant, 
cognovisset,  cum  ex  hac  parte  castri,  quod  Malinum  (al.  Malnidum)  vocatur,  iam 
transitum  fecisset,  versus  marinam  partem  protendens,  per  terram  marchionis 
Obizonis  Malaspiue,  ipso  marchione  eum  ducente,  iter  arripuit.  Die  Markgrafen 
Malaspina  hatten  in  der  Umgebung  von  Pontremoli  bei  Filatiera  und  sonst  an 
der  Macra  Besitzungen,  ebenso  im  Thal  des  Vara,  an  der  oberen  Trebia  und  an  der 
Borbera,  wohin  Markgraf  Opizo  den  Kaiser  geleitet  zu  haben  scheint.  {Malmum, 
Malnidum  hat  Sassi  mit  Villafi-anca,  unter  Pontremuli,  identificirt;  man  sieht 
nicht  ob  mit  Recht ;  .versus  marinam  partem",  womit  doch  die  ligurische  Küsten- 
landschaft gemeint  ist;  vgl.  unten  ad  a.  1278.  Der  Biograph  des  Papstes  Ale- 
xander III.  (bei  Watterich  II.  418)  meldet:  Ideoque  a  marchione  Malaspina  securo 
impetrato  ducatu,  apud  Pontemtremuli  divertit  a  publica  strata  et  exinde  iter 
suum  per  convallium  concava  et  aspera  montium  dirigens,  non  sine  multa  rerum 
suarum  direptione  tamquara  profugus  transivit  iuxta  Terdonam  et  tandem  cum 
paucis  pervenit  Papiam.  —  Die  Ortskenntnis  der  Malaspina  in  diesen  Gegenden 
rühmen  auch  die  Annal.  Januens.  ad  a.  1278  (p.  286),  in  welchem  Jahre  die 
Markgrafen  mit  Genua  in  Fehde  lagen.  Von  burgum  Clavari  (Chiavari  an  der 
Riviera)  aus  zum  Rückzug  genöthigt,  »per  viam  inopinatam  et  quam  nemo 
cogitare  poterat  recedentes,  in  vallem  Trcbiam  devenerunt^  Die  Fehde  dauert  fort 
»in  valle  Trebia  et  valle  Borberie\  Die  Borbera  mündet  unweit  von  Serravalle  in 
die  Scrivia.  S.  oben  S.  541.  Uebrigens  nennen  auch  die  Annal.  Mediolanenses 
(Script.  XVIII  p.  361)  die  Markgrafen  Malaspina  in  diesen  Gegenden :  in  Morasco  et 
in  Sarzauo  et  in  Garbagina  et  in  ceteris  locis  Terdonensium  et  marchionum  Mala- 
spinae.  —  Ein  Markgraf  Obizo  Malaspina  entkam  (1155)  den  Papiensernnach  einem 
in  der  Umgebung  von  Terdona  verlorenen  Treffen,  quia  privaciori  itinere  et 
inusitato  cum  aliquibus  descendit.  (ibid.  p.  362).  Im  J.  1157  zog  Obizo  Malaspina 
mit   den    Papiensern    aus;    ib.  p.  364.     Vgl.  Ann.  Med.    minor,    (p.  394):    Obizo 


544  Julius  Jung. 

uud  den  Kaiser  auf  entlegenen  Gebirgspfaden  nach  Terdona  (d.  i. 
Dertona)  durchbraclite,  von  wo  er  glücklich  Pavia  erreichte. 

Der  Kaiser  beschuldigte  später  die  Cremonenser,  dass  sie  es  ge- 
wesen seien,  die  ihm  den  Weg  über  den  Mons  Bardonis  verlegt  hätten. 
„Wir  wurden  gezwungen  durch  ein  enges  Loch  hindurch  zu  schlüpfen 
unter  der  grössten  Gefahr  für  unsere  eigene  Person  und  ein  so  grosses 
Heer,  unsere  Gemalin  und  unsere  Söhne"  schreibt  der  Kaiser  später 
(1185)  in  seiner  Klagschrift  gegen  die  Cremonenser  i) ;  während  die 
anderen  Berichterstatter  allerdings  von  wenigen  Begleitern  desselben 
reden,  denen  es  unmöglich  war,  gegen  die  Pontremulenser  Gewalt  zu 
gebrauchen.  Er  habe  gegen  die  Meeresküste  zu  ausweichen  müssen 
„per  terram  Obizonis  Mal  aspine ",  wie  übereinstimmend  angegeben 
wird  ^).  Wenn  Terdona  als  der  Ort  angegeben  wird,  wo  Friedrich  aus 
den  Bergen  herauskam,  so  wird  man  daran  erinnern  dürfen,  dass  die 
Malaspina  an  der  oberen  Trebia  und  bei  Dertona  begütert  und  mit 
allen  Schlupfwinkeln  des  Gebirges  wohl  vertraut  waren  ^) ;  sagte  man 

Malaspiaa  et  alii  Septem  inter  comites  et  marchiones.  Im  J.  1213  kämpfen 
»Marcenses  Malaspina*  (d.  h.  die  Leute  der  Markgrafen)  mit  den  Mailändern  und 
ihren  Bundesgenossen  gegen  die  Papienser.  Ann.  Mediol.  breves  (p.  388>  Es 
gab  Malaspinas  in  allen  Parteilageru,  da  sie  zahlreich  und  in  Folge  von  Erb- 
theiluugen  verarmt  waren.  Ein  Obizo  Malaspina  that  sich  als  Parteigänger  der 
Lombarden  gegen  den  Kaiser  hervor;  ein  anderer  dieses  Namens  rettete  1167 
den  Kaiser.  Leber  ersteren  et  possessioues,  quas  habet  in  Tortona  et  episcopatu, 
vgl.  Ficker,  Zur  Gesch.  des  Lombardenbundes  S.  338.  Ueber  die  Fehde  der 
Malaspina  mit  den  Placentinern  im  Tarothal  vgl.  Ann.  Placeut.  ad  a.  1186  ff, 

')  Bei  Böhmer-Ficker,  Acta  imp.  sei.  p.  755  f.  Compulsi  fuimus  per  terram 
marchionis  Malaspine  per  angustum  serpere  foramen  cum  maximo  persone  nostre 
periculo  et  tanti  exercitus,  uxoris  nostre  et  filiorum.  —  Zu  vergleichen  ist  auch 
die  Darstellung  Gottfrieds  von  Viterbo  gest.  Fred.  v.  713  fi'.  Er  erwähnt,  dass 
.die  Pontremulenser  von  den  Lombarden  veranlasst  wurden  dem  Kaiser  den  Pass 
zu  verlegen,  den  »markise*  Opizo  Malaspina,  die  gute  Aufnahme  in  Pavia.  Gott- 
fried war  Theilnehmer  an  den  Ereignissen.  Er  charakterisirt  den  Markgrafen : 
»Quod  maris  aut  terrae  mons  Apenninus  habebat,  Opizo  quem  memini  proprio 
sub  iure  tenebat,  Et  que  turba  fera  venerat,  eins  erat"=.  Markgraf  Obizo  bleibt 
in  Pavia  beim  Kaiser  und  macht  seine  Unternehmungen  mit. 

'■')  Auch  in  den  Annales  Januenses  (Fortsetzung  des  Obertus)  ad  a.  1167 
(Mou.  Germ.  SS.  XVIII  p.  75):  Venit  tarnen  usque  ad  Pontem  Tremulum,  ibique 
Opizonem  Malaspinam  inveuit,  qui  imperatori  usque  Papiam  ducatum  amicabi- 
liter  prestavit.  Markgraf  Ox^izo  war  eine  in  Genua  bekannte  Persönlichkeit,  da 
er  wiederholt  in  Geschäften  des  Reiches,  welche  die  Interessen  der  Seestadt  be- 
rührten, z.  B.  auf  Sardinien,  von  Friederich  verwendet  wurde. 

•■*;  Vgl.  auch  die  Annal.  Januens.  ad  a.  1198  (Mon.  Germ.  SS.  XVIII  p.  116). 
Im  J.  1154  hatten  die  Malaspina  bei  der  Zerstörung  Terdonas  durch  Friedrich 
eingewirkt.  Annal.  Plac.  Guelfi  ad  a.  1154.  Ende  April  1167  hatten  die  Lom- 
barden die  Wiederherrstellung  von  Terdona  beschlossen    und    durcho;eführt ;    ib. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  545 

ihnen  doch  nach  dass  sie  in  diesen  Gegenden  vom  Raube  sich 
nährten. 

Die  Placentiner  Annalen  melden,  dass  einzelne  Schaareu  durch 
das  Gelände  von  Placeutia  (per  montaua  Placentie)  ihren  Rückzug 
bewerkstelligten  i) ;  was  mit  den  Angaben  über  den  Weg,  den  der 
Kaiser  nahm,  sich  am  Ende  vereinigen  Hesse  -).  Jedenfalls  war  der 
Weg  nicht  nur  nach  Parma  sondern  auch  nach  Placentia  verlegt; 
man  musste  also  westwärts  ausbeugen. 

Für  einen  solchen  Fall  ist  in  den  fabulosen  Placentiner  Ge- 
schichten des  Johannes  Codagnellus  genau  angegeben,  was  ein 
Held  zu  thun  hatte,  zumal  wenn  der  üebergang  über  den  Po  bei 
Placentia  gesperrt  war;  er  musste  eben  über  die  Hügelgegend  süd- 
wärts dieser  Stadt  nach  Pavia  zu  kommen  suchen  '^).    Wenn  auderer- 


ad  a. ;  was  aber  Boso,  der  Biograph  P.  Alexanders  doch  auch  wissen  musste. 
IJeber  die  Stellung  von  Tortona  zum  Kaiser  1175  vgl.  Ficker,  Zur  Gesch.  des 
Lombardenbimdes  S.  303  f.,  327,  wonach  wir  nicht  genau  wissen,  wann  es  sich 
auf  die  Seite  des  Kaisers  stellte. 

')  Annal.  Piacent.  Guelfi  ad  a.  1 167 :  pauci  vero  qui  supervixerunt  per  mon- 
tana  Placentie  privatim  vix  tum  propter  prenominatam  pestem  tum  propter 
Lombardorum  timorem  in  Alemanniam  perrexerunt.  Nur  der  jüngere  ghibelli- 
nische  Annalist  von  Placentia  (Mon.  Germ.  SS.  XVIII  p.  462)  lässt  auch  den 
Kaiser  diesen  Weg  ziehen:  Imperator  autem  cum  illis  qui  supervixerunt  motis 
castris  per  Tusciam  et  niontaneas  Placentie  cum  marchione  Malaspina  Papiam 
accessit.  Er  erzählt  eine  Anekdote,  welche  das  magere  Leben  der  Mahispina  in 
diesen  Gegenden  charakterisiren  soll;  ein  Beweis,  dass  wir  es  hier  nicht  mit 
alter  annalistischer  Ueberlieferung  zu  thun  haben.  Vgl.  Holder-Egger  im  N.  Ar- 
chiv XVI,  281.  Ueber  die  damalige  Parteistellung  der  Parmenser  und  Placen- 
tiner vgl.  Aöo  2,  241.  Ficker,  Forsch.  11  S.  193.  Der  Kaiser  beschuldigte  die 
Cremonenser  speciell  ihm  die  Parmenser  abspänstig  gemacht  zu  haben. 

-)  Näheres  lässt  sich  nicht  sagen;  namentlich  nicht,  ob  z.  B.  der  Kaiser 
über  den  Pass  Cento  Croci  gegangen  sei,  wie  1268  die  Truppen  Conradins  (was 
Giesebrecht  Kaiserzeit  V,  554,  vgl.  VI,  470  und  F.  Ludwig,  Marschgeschwindig- 
keit S.  35  und  S.  189  einnehmen  möchten).  Der  Unterschied  besteht  darin,  dass 
1167  der  Kaiser  im  Machtbereiche  der  Malaspina  sich  westwärts  von  der  Riviera 
aus  bewegte,  1268  die  Konradiner  im  Machtbereiche  der  ostwärts  in  den  Bergen 
sitzenden  placentinischen  Aussenpartei  (wobei  allerdings  auch  von  Pontrenmli 
bis  Sarzana  ein  Malaspina  interveuirte).  Wenn  aber  Friedrich  über  den  Pass  von 
Cento  Croci  gieng,  wendete  er  sich  aus  dem  oberen  Tarothale  westwärts  in  das 
des  Aveto,  kam  diesem  fo'gend  in  das  Thal  der  Trebia  und  aus  der  Gegend  von 
Bobbio  nach  Dertona.  —  Dem  ghibellinischen  Annalisten  von  Placentia  konnte 
die  Analogie  der  Ereignisse  von  1268  vorgeschwebt  haben. 

■'')  Vgl.  die  Erzählung  des  Johannes  Codagnellus  über  die  Züge  des  fabel- 
haften »Papirius*  (bei  Holder-Egger,  im  N.  Archiv  XVI,  499):  veniens  Papirius 
per  Tusciam  intravit  in  Italiam,  deinde  intravit  inEmiliam;  cum  etiam  venisset 
ad  Placentie   partes,    ipsum    transpadare   non  permiserunt.     Qui  cum  non  posset 


546  Julius  Jung. 

seits  von  Pavia  aus  ein  Angriff  auf  das  in  der  Regel  zur  Gegenpartei 
gehörige  Placentia  erfolgte,  so  begann  derselbe  mit  der  Verwüstung 
des  placentinisclien  Gebietes  am  Fluss  Tidoue  und  vorwärts  (d.  h. 
östlich)  desselben,  wo  die  Grenze  durch  Castelle  gedeckt  war.  Diesen 
Verlauf  nahmen  die  Fehden  des  J.  1243  und  1244,  die  König  Enzio 
von   Pavia  ans  gegen  die  Placentiner  uuternahm  i). 

Als  im  J.  1268  Kouradin  von  Pavia  nach  Pisa  gelangen  wollte, 
führte  er  seine  Truppen  westwärts  über  Acqui  nach  Vado  bei  Savona, 
wo  er  sich  einschiffte '').  Da  für  die  Truppen  aber  die  Schiffe  nicht 
ausreichten,  mussten  sie  nach  Pavia  zurück,  von  wo  sie  durch  orts- 
kundige Ghibellinen  geführt,  den  Marsch  durch  die  Berge  unter- 
nahmen, obwohl  die  regelmässige  Verbindung  durch  die  feindlichen 
Städte  Placentia  und  Parma  unterbrochen  war. 

Konradins  Truppen,  so  referirt  darüber  Ficker  3),  überschritten 
(Ende  April  1268)  den  Apennin  in  einem  denkwürdigen  Gebirgs-- 
marsehe  von  Pavia  auf  Borgo  Taro,  eine  Reihe  von  Bergrücken  über- 
steigend und  die  Läno-saxe  der  zahlreichen  hier  zur  Poebene  ziehenden 
Thäler  durchkreuzend,  bis  man  sich  schliesslich  am  oberen  Taro  auf- 
wärts wandte  und  den  Hauptkainm  des  Gebirges  in  der  Richtung  auf 
Varese  überstieg,  um  so  das  von  Karl  von  Anjou  besetzte  Pontremuli 
zu  umgehen. 

Das  Itinerar  ist  folgendes:  am  ersten  Tage  kam  man  von  Pavia 
bis  Buriono;    dieses    lag  am  rechten  Ufer  des  Tidone^).     Am  zweiten 


habere  transitum  per  Placentiuam  campaneam,  transiens  ad  partes  scilicet  Ticini 
pervenit  et  ibi  cum  gente  sua  transpadavit. 

))  Annal.  Piacent,  ad  a.  1243  (Mon.  Parra.  et.  Plac.  III,  166);  ad  a.  1244 
(1.  c.  169).  Vgl.  die  VerwüstuBg  des  Gebietes  am  Tidone  durch  die  Placentiner 
a.  1252  (p.  203  f.). 

2)  Vgl.  Hampe,  Gesch.  Konradins  S.  234  f. 

^)  Vgl.  Ficker,  Konradins  Marsch  nach  dem  Palentinischen  Felde.  Mitth. 
d.  üsterr.  Inst.  II,  537.  Derselbe  in  den  Regesten  n.  4850  h.  Hiezu  Hampe, 
Gesch.  Konradius  S.  241  f.  F.  Ludwig,  Reise-  und  Marschgeschwindigkeit  im 
12.  und  13.  Jahrhundert  (Berlin  1897)  S.  62. 

■")  Vgl.  die  von  Ficker  und  den  Folgenden  nicht  beachtete  Anmerkung 
Pallastrelli's  zu  seiner  Ausgabe  der  Annal.  Piacent,  in  den  Mon.  Parm.  et  Plac. 
III,  169  (ad  a.  1244):  er  citirt  einen  »atlante  del  territorio  delineato  nel  1625 
per  cura  del  predetto  Alessandro  Bolzoni.  Ivi  nell  indice  generale  e  richiamato 
il  luogo  di  Fargnano  co'  borione,  il  quäle  ha  positione  sulla  destra  co- 
stiera  del  torrente  Tidone,  in  prossimitä  di  Missano,  Tranquiano,  Verdeto  ecc. 
Una  carta  del  1327  reca:  in  territorio  Fragnani  in  Buriono  (Nicolli 
Etimolog,  II,  47)«.  Letzteres  Citat  bezieht  sich  auf  Nicolli,  della  Etimologia  dei 
nomi  di  luogo  degli  stati  ducali  di  Parma,  Piacenza  e  Guastalla  (Piacenza  1833). 
—  Vgl.  1.  c.  p.  245  Aum.  3. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  547 

Tag  kam  man  uach  Tollara,  d.  i.  Tollara  cli  Morfasso  1).  Von  hier 
gieng  es  weiter  nach  Bardi  im  Thal  des  Ceno,  wo  wieder  genächtiget 
wurde ;  dann  nach  Val  de  Taro,  und  über  den  Pass  von  Cento  Croci  2). 
Also  üebergang  aus  dem  Thal  des  Nure  in  das  des  Arda,  dauu  in  das 
des  Ceno,  von  da  in  das  des  Taro;  d.  h.  man  ist  die  alte  Strasse 
gegangen,  die  vom  Tidoue  nach  Veleia  führte,  in  dessen  nächster 
Umgebung  (südwärts)  der  Bergrücken  des  Tollara  sii-h  erhebt,  über 
den  mau  nach  dem  Thale  des  Morfasso  gelangt  s). 

Derartige  Abwege  mussteu  iu  jener  Zeit  beständiger  Bürgerkriege 
und  der  Fehden  benachbarter  Städte  oft  genug  aufgesucht  werden; 
so  z.  B.  im  J.  1271  als  die  guelfisch  gesinnten  Placentiner  daran 
dachten  sich  unter  den  Schutz  des  Königs  von  Sicilien  zu  begeben 
und  einerseits  die  Papienser,  anderseits  die  ghibellinisch  gesinnte 
Aussen partei  dem  Vicar  König  Karls  (der  in  Alessan-lria  sich  aufhielt) 
den  Weg  versperrte ;  da  musste  dieser  einen  weiten  Umweg  durch  die 
Lunigiana  und  über  Parma  machen,  um  nach  Placentia  zu  gelangen  ^). 

3.  Bardi  und  die  Apennin  Übergänge. 
In    der    Erzählung    vom  Zuge    der  Konradiuischen  Truppen  wird 
neben  anderen  die  Position  von  Bardi  genannt    und  zugleich  hervor- 
gehoben,  von  welcher  "Wichtigkeit  es  war,    dass  der  Inhaber  des  dor- 
tigen Castells    Graf  Ubertino    de    Lando    an    der    Führung    des  Zuges 


')  Vgl.  über  die  villa  de  Tolleria  die  Annal.  Piacent.  ad.  a.  1271    (p.  291). 

-)  Die  Annal.  Piacent.  1.  c.  p.  245:  intraverunt  in  episcopatum  Placentie 
facientes  primam  albergariam  in  ßuriono  (wobei  sie  ringsum  Verwüstungen 
anrichten;  auch  an  den  Häusern  von  Fargnanno,  ubi  multa  victualia  invene- 
runt  ex  donoj.  Sequenti  die  Tolleriam,  multos  domos  in  itinere  comburentes 
et  homines  et  bestias  capieutes.  Deinde  Bardi  albergaveruut  iu  terra  istius 
comitis  (sc.  Ubertino  de  Lando).  Postea  per  Val  dctarium ,  non  attingentes 
Pontremulo,  et  Albertus  Malaspina  cum  ipsis  equitavit  usque  Sarzanam.  — 
Vgl.  biezu  die  Annal.  Januens.  ad  a.  1268  p.  262 :  filius  ducis  Austrie  —  Papiam 
rediens,  cum  ceteris  militibus  inde  per  montana  atque  Varixium  (d.  i.  Varese) 
ac  Lurexanam  (d.  i.  die  Lunigiana)  transiens. 

^)  Vgl.  die  Karte,  die  Desjardins  seiner  Abhandlung  ,de  tabulis  alimen- 
tariis"'  beigegeben  hat.  Der  Monte  Tollara  und  Morfasso  sind  verzeichnet.  (Auch 
gegenwärtig  noch  geht  der  Verkehr  von  Borgonure  auf  Morfasso,  welche  Thal- 
schaft Desjardins  wohl  bevölkert  fand,  und  von  da  nach  Bardi).  —  üeber  das 
Tullare  der  Veleiater  Alimentartafel  und  über  den  Ort  Tolle:  a  der  neueren 
Karten,  s.  oben  S.  538  A.  1. 

*)  Annal.  Plac.  ad  a.  1271  p.  292:  iverunt  per  Nuxedanam  [Lunexanam]  et 
postea  per  Parmexanara  et  die  lune  XXVU  aprilis  intraverunt  in  Placentiam. 
Ueber  Nudexana  vgl.  p.  .302.  (Ich  citire  nach  der  Parmenser  Ausgabe,  da  diese 
wegen  der  wertvollen  topographischen  Anmerkungen  zu  benützen  war). 


548  Julius  J  ti  n  g. 

sich  betheiligte.  Diese  Position  von  Bardi  spielt  in  der  Geschichte 
des  Placentinischeu  (Jeländes  in  jener  Zeit  eine  so  bedeutende  Kolle, 
dass  wir  darauf  näher  eingehen  müssen,  umsomehr,  als  in  den  all- 
gemeinen Darstellungen  i)  der  damaligen  Kämpfe  davon  wenig  oder 
gar  nicht  die  Eede  zu  sein  pflegt.  Doch  ist  hiebei  etwas  weiter  aus- 
zuholen. 

In  dem  langobardischen  Italien  giengen  allerlei  fabulose  Erzäh- 
luugen  um,  welche  den  Namen,  die  Gebräuche,  die  Sesshaftwerdung 
des  herrschenden  Volkes,  das  mit  den  romanischen  Bestandtheilen 
sich  nur  langsam  verschmolz,  in  angenehmer  und  leichtfasslicher  Weise 
erklären  sollten;  wobei  die  alten  Sagen  und  die  neueren  Tendenzen 
bunt  ffenug  in  einander  verwoben  wurden. 

In  einer  solchen  fabulosen  Erzählung,  die  etwa  im  12.  Jahr- 
hundert entstand  -),  heisst  es,  dass  die  Königstochter  Gambara,  die  mit 
ihrem  Gefolge  Italien  erobert  haben  sollte,  von  dem  Gemal,  den  sie 
hier  fand,  einen  Sohn  Namens  Bardus  bekam;  dieser  wieder  hatte 
lange  Söhne  und  gründete  bei  Plaeentia  ein  Castell,  das  nach  ihm 
benannt  wurde  3)  —  woraus  der  Name  der  Langobarden  seinen  Ursprung 
gezogen  habe. 

Man  wird  bei  diesem  Castell  eben  an  Bardi  im  oberen  Thal  des 
Ceno  zu  denken  haben  ^). 


')  Vgl.  z.  B.  Busson,  Forts*,  von  Kopp's  Gesell,  der  eidgenössisclisen  Bünde. 
Buch  V:  »Des  Reiches  Verhältnisse  in  Italien  u.  s.  w.*  Hampe,  Gesch.  Con- 
radins  erwähnt  S.  88  A.  4  das  reiche  Detail  der  Placentiner  Annalen  für  die 
Geschichte  von  Piacenza  und  Cremona,  j,das  ich  vielfach  bei  Seite  lasse ^.  Die 
älteren  Darsteller,  z.  B.  Leo,  konnten  auf  diese  Dinge  nicht  eingehen,  da  ihnen 
die  erst  1856  edirten  Placentiner  Annalen  noch  nicht  zu  Gebote  standen. 

2)  j,De  adventu  nomine  et  legibus  Langobardorum".  Scriptor.  rer.  Langob. 
ed.  Waitz  p.  598.  Ueber  die  ursprüngliche  Sage  (in  der  Bardus  und  Bardi 
nicht  genannt  vyird)  vgl.  W.  Brückner,  Die  Quellen  der  Origo  gentis  Langobar- 
dorum.  »Zeitschrift  f.  deutsches  Altertum«  43  (1899)  S.  47  ff.  Die  ursprüng- 
liche Erzählung  von  der  Gambara  gibt  die  Origo  gentis  Langob.  ed.  Waitz  1.  c. 
p.  2.  Vgl.  Paul.  diac.  h.  Langob.  I,  c.  3,  7  f.  und  die  Historia  Langob.  codicis 
Gothani  1.  c.  p.  7. 

3)  Maritum  quoque  (Gambara)  accepit,  quo  regnante  filium  nomine  Bardum 
habuit,  qui  longos  habens  filios,  castellum  sui  nominis  prope  Placentiara  con- 
didit,  unde  descendentes  et  alii  omnes  Longobardi  appellantur,  nomen  patris  et 
Sliorura  longitudinem  uno  nomine  significantes  Aehnlich  die  Histor.  Langob. 
Beneventana  1.  c.  p.  597.  Vgl.  E.  Bernheim,  Ueber  die  origo  gentis  Langobar- 
dorum.     Im  N.  Archiv  XXI,  386  ff.     Holder-Egger,  a.  a.  0.  S.  508  f. 

■•)  Weder  über  Bard  im  Thal  der  Dora  Baltea,  das  Liutprand  Cremon.  in 
der  Antapodos.  I,  35  nennt  (i,Hannibalis  via,  quam  Bardum  dicunt"),  noch  über 
den  seit  saec.  VIII  so  oft  ervpähnten  ^Mons  Bardonis*  liegen  solche  Ge- 
schiclitcn  vor. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  549 

Aehnliche  topographische  Fabelgeschichten  sind  in  den  angeführten 
Schriften  mehrere  gegeben;  es  heisst  daselbst  1),  dass  die  Gambara 
auch  ein  Castell  bei  Brescia,  das  nach  ihr  benannt  wurde,  gegründet 
habe.  Es  ist  das  Castell  Gambara,  das  im  12.  und  13.  Jahrhundert 
öfter  erwähnt  erscheint.  Auch  sind  in  dieser  Zeit  neusfesfründete 
Castelle  nach  dem  Namen  des  Erbauers  thatsächlich  so  benannt  worden, 
wie  es  in  Bezug  auf  Bardi  und  Gambara  von  der  üeberlieferung  an- 
gedeutet wird  2). 

Es  ist  nur  ein  Zufall,  dass  Bardi  in  den  Placentiner  Annalen 
erst  seit  1251  genannt  wird  3),  während  jene  üeberlieferung  auf  eine 
frühere  Zeit  zurückgeht,  auch  insofern  sie  von  Johannes  Codagnellus, 
dem  bekannten  Fabelfreund  in  Placeutia,  neuredigirt  wurde;  denn 
seine  Wirksamkeit  ist  seit  1202  nachzuweisen  und  seine  Annaleu- 
führung endet  mit  1235  *)•  Abgesehen  von  Bardi  spielt  in  dieser  Zeit 
noch  die  ßocha  de  Varsio  (d.  i.  Varsi  im  vorderen  Thal  des  Ceno)  eine 
Rolle  ^).     Auch  tritt  das  Cenothal  als  solches  hervor. 


')  L.  c.  p.  595  (cf.  p.  596):  castellum  prope  Brisiam,  quod  Gambara  appel- 
labatur,  constitnit.  —  Ein  Albertus  de  Gambara  aus  Brixia  erscheint  1175  in 
der  Vita  Alexandri  papae  (bei  Watterieb  11  425)  und  urkundlich  als  Bevollmäch- 
tigter des  Lombardenbundes  (vgl.  Ficker,  Zur  Gesch.  des  Lombardenbundes 
S.  302).  Der  Ort  Gambara  (zwischen  Chiese  und  Oglio)  wird  auch  1268  in  der 
Reiseroute  Konradins  genannt.    Vgl.  F.  Ludwig,  Marschgeschwindigkeit  S.  62. 

2)  Das  Castell  Manfred!  im  Gebiete  von  Cremona  (»oppidum  Manfred! *  in 
den  Notae  S.  Gregorii  Mediolanenses  ad  a.  1195  p.  387;  ,castrum  Manfredum* 
in  den  Aunal.  Cremonens.  ad  a.  1181  und  1186),  das  im  J.  1186  von  Kaiser 
Friedrich  I.  belagert  wurde  (vgl.  Schefler-Boichorst,  Friedrichs  letzter  Streit  mit 
der  Curie  S.  90)  hiess  so  nach  seinem  Erbauer,  dem  Manfredus  Fantus  ,de  filiis 
Manfredi  Mutinensis«,  der  1181  Podestä  in  Cremona  war.  —  Zum  J.  1220  melden 
die  Annal.  Parmenses  maior.  (p.  667) :  fiictum  fuit  castrum  Mariani  in  episcopatu 
Parme,  et  a  prenomine  potestatis  nominatum.  Dieser  Podestä  von  Parma  war 
Niger  Marianus  de  Cremona;  das  Castell  lag  (nach  Jaffe  1.  c.)  nordwärts  von 
Pontremuli  am  Bache  Mozzola. 

3)  Auch  die  Urkunde  Friedrichs  1.  von  J.  1167  Juli  27  (St.  3960)  ist  nicht 
in  Bardi  ausgestellt  wie  Stumpf  annimmt,  sondern  »in  piano  Bardonesi",  d.  i. 
wie  Afio  2,  223  die  Angabe  der  Urkunde  (ebenda  p.  275  n.  LXX)  erklärt,  ,nel 
piano  di  Bardonezza  sul  Piacentino*.  Das  Flüsschen  Bardonezza  bildete  die 
Grenze  des  Placentinischen  Gebietes  gegen  das  Papiensische.  Vgl.  Ann.  Parmens. 
maiores  ad  a.  1290  (Mai):  iverunt  (Piacentini)  supra  Bardeleziam  (d.  i.  die  Bar- 
donezza) in  confinibus  Placentie  et  Papie.  --  Ann.  Piacent,  ad  a.  1215  (10.  Kai. 
Jun.):  cum  Mediolanensibus  Bardoneziam  fuerunt  caslramentati.  Ibid.  ad  a. 
1243:  (rex  Hencius)  sua  castra  apud  hospitale  Bardonezie  fixit. 

*)  Vgl.  Holder-Egger,  Ueber  die  histor.  Werke  des  Johannes  Codagnellus. 
N.  Archiv  d.  Ges.  XVI,  253  flP.     Waitz  in  Script,  rer.  Langob.  p.  591. 

^)  Vgl.  Annal.  Plac.  ad  a.  1207  (p.  30),  wo  die  rocha  de  Varsio  doch  wohl 
die  auch  zum  J.    1270  [i\  286)  erwähnte  im  Thale  des  Ceno  ist. 


550  Julius  Jung. 

Im  J.  1185  war  Cremona,  die  ^Nebenbuhlerin  von  Placentia,  wegen 
der  Wiederherstellung  von  Crema,  mit  dem  Kaiser  zerfallen ;  Mailand 
jetzt  im  Bunde  mit  dem  Kaiser  gegen  Cremona.  Dieses  suchte  einen 
Kückhalt  au  dem  befreundeten  Parma,  was  wieder  die  Placentiner 
benützten,  um  im  Bunde  mit  den  Mailändern  in  die  Machtsphäre  von 
Parma  au  den  Uebergängen  über  den  Apennin  einzugreifen  und  zu- 
nächst dem  Markgrafen  Moruello  Malaspina,  der  auf  Seite  der  Par- 
menser  stand,  im  Thal  des  oberen  Taro  einige  Burgen  niederzubrennen  i). 
Dadurch  wurde  zugleich  mit  dem  Gebiete  von  Pontremuli  directe 
Fühlung  genommen;  und  um  alles  in  der  Welt  wollten  die  Placen- 
tiner aus  dieser  Position  sich  nicht  mehr  verdrängen  lassen.  Bis 
1189  wurden  die  Kämpfe  fortgesetzt,  wobei  die  Parmenser  sich  des 
Beistandes  von  Cremona,  Mutina  und  ßeggio  erfreuteu.  Im  J.  1189, 
als  die  Parmenser  das  Gebiet    von  Poutremuli    verheerten,    zogen    die 


•"')  Annal.  Piacent,  ad  a.  1186:  Placentiui  cum  mille  militibus  Mediolani 
iverunt  in  valle  Tario  videlicet  usque  ad  plebem  Complani  (Compiano).  Com- 
busserunt  Carborariam  (bei  Borgo  Taro)  et  Dezeladam  (bei  Compiano)  et 
Fastagium  et  alia  loca  Munielli  (d.  i.  des  Markgrafen  Moruello  Malaspina).  Der 
Gegensatz  der  Städte  Genua,  Dertona,  Placentia  gegen  die  Malaspina  tritt  in 
dieser  Zeit  stark  hervor  (mit  Ausnahme  jenes  Obizo  Malaspina,  der  ein  Anhänger 
des  Lombardenbundes  war).  Vgl.  Ficker,  Ital.  Forschungen  I  §  139  Zur  Ge- 
schichte des  Lombardenbundes  (1869)  S.  338.  Bezüglich  Genuas  die  Annal. 
Januens.  ad  a.  1172.  Ueberdies  die  Ann.  Plac.  ad  a.  1186.  1187.  Die  Malaspina 
hatten  in  den  Berggegenden  feste  Positionen  inne ;  sie  konnten  dem  Verkehr 
nach  Pontremuli  ernste  Hinternisse  bereiten.  In  dem  Privileg  Kaiser  Friedrich  II. 
vom  J.  1226  für  die  von  Pontremuli  (Ficker,  Forsch.  IV  n.  320)  werden  die 
Grenzen  angegeben:  sicut  dividuntur  terre  marchionum  Malaspina  a  terris  com- 
munis Pontistremuli  ....  Ein  C.  marchio  Malaspina  ist  als  Zeuge  unterschrieben. 
—  Unter  Friedrich  II.  war  die  Haltung  der  Markgrafen  Malaspina  zuletzt  eine 
schwankende.  Zum  J.  1246  melden  die  Placentiner  Annalen  (p.  174):  Conradus 
et  Opizo  Malaspine  marchiones  imperatori  rebellaverunt  paciscentes  cum  Lom- 
bardis;  somas  mercatoribus  in  camino  abstulerunt.  p.  175:  Conradus  Malaspina 
reversus  est  ex  parte  imperatoris  capiendo  somas  plurimas  mercatorum.  p.  179: 
Fredericus  Malaspina  in  Lunexana  imperatori  rebellavit  ...  et  milites  impera- 
toris cepit.  Vgl.  die  carmina  de  Victoria  eversa,  Script.  XVIII  p.  797.  Im 
Jahre  1247  erfolgen  Massregeln  des  Kaisers  dagegen.  Unde  aperta  fuit  via 
euntibus  et  redeuntibus  in  Sarzanam.  j)-  181«  tui  J.  1262  Fredericus  Malaspina, 
qui  concorditer  cum  militibus  domini  marchionis  lUbertus  Palavicini,  Herr  von 
Placentia  und  anderen  Städten)  castrum  Pontremuli  ossedebat,  rebellavit.  Darauf 
verwüsten  die  Placentiner  seine  Ländereien  ,> usque  ad  crucem*;  später  wird  er 
gefangen  genommen.  Im  J.  1265  wird  Pontremuli  wieder  an  die  Markgrafen 
Malaspina  gegeben.  —  Conrad  Malaspina  heirathete  eine  natürliche  Tochter 
K.  Friedrichs  ü.,  sein  Sohn  Albert  begleitete  1268  die  Truppen  Conradins  auf 
ihrem  Marsch  vom  Pass  Cento  Croei  durch  Va.rese.  Vgl.  Hampe,  Gesch.  Conra- 
dins S.   214  f. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  55  ][ 

Placentiner  aus  und  kamen  nach  Complanum  (Compiano),  von  wo  sie 
gegen  Pontremuli  zogen  1) ;  die  Parmenser  erlitten  eine  Niederlage. 
Daraufhin  kam  unter  Vermittlung  des  Lombardischen  Städtebundes 
eine  Vereinbarung  zu  Stande,  die  den  Placentinern  günstig  war.  Sie 
kauften  den  Markgrafen  Malaspina    ihre  Eechte  in  Val  de  Taro  ab  -). 

Zum  J.  1199  wird  berichtet,  dass  die  alte  Strasse  durch  das 
Tarothal   „geäudert"    wurde  3). 

Im  J.  1215  betheiligten  sich  in  den  Kämpfen  der  Placentiner 
mit  den  Cremonensern  an  der  Seite  der  ersteren  die  „sagittarii  vallis 
Tarii",  Auch  die  Leute  des  Val  Ceno  werden  von  dieser  Zeit  an 
ausdrücklich  genannt,  als  Unterthanen  von  Placeutia,  dessen  Apen- 
ninenweg  hier  durchführte  ^).  Hingegen  die  Parmesaner  sich  darauf 
beschränkten,  den  Weg  an  der  östlichen  Lehne  des  Tarothales  über 
Berceto  und  den  Mons  Bardonis  nach  Pontremuli  für  sich  freizu- 
halten ^). 


>)  Annal.  Piacent,  ad  a.  1189:  Pontremuli  depopulando  aggressi  sunt  Par- 
menses.  Hoc  audito  a  Placentinis  consul  cum  aliquibus  militibus  usque  ad 
Complanum  perrexere.     Poitea  in  partibus  Pontremuli  iter  arripuere. 

2)  Vgl.  AflFö  2  p.  253  Note  a)  und  p.  287.  Im  J.  1189  verkauften  die 
Markgrafen  Moruellus  und  sein  Bruder  Albertus  den  Placentinern  ihre  Rechte 
auf  Val  Tai-o,  was  in  demselben  Jahr  von  einem  dritten  Bruder  Obizo  und 
und  1197  von  dem  vorgenannten  /\lbert  und  von  seinem  Nefte>i  Conrad,  Sohn 
des  Obizo,  ratifieirt  wird.  Im  J.  1229  werden  die  Placentiner  von  den  Mark- 
grafen Conrad  und  Obizo  auf  ihrem  Zuge  »super  Pontremulenses «  unterstützt. 
Ann.  Plac.  ad  a.  In  dem  Privileg  Friedrichs  II.  für  die  Pontremulenser  von  1226 
(Ficker  IV  n.  320)  werden  die  Placentiner  als  Angrenzer  erwähnt:  j,sicut  divi- 
duntur  terre  Placentinorum  a  terris  communis  Pontistreniuli«. 

3)  Annal.  Piacent,  ad  a.  1199:  strata  Ronca  (Romea?  cf.  ad  a.  1215)  mu- 
tata  fuit  per  Val  de  Tariuni. 

•»)  Als  Obrigkeiten  erscheinen  1189  Obertus  et  Danisius  tunc  temporis  Val- 
detarii  existens  potestas.  1251  vertreibt  die  Gegenpartei  Ubortucium  de  Niqui- 
tate  et  eins  notarium  potestatem  vallis  Ceni  de  Roche  Bardi.  Ueber  die  rustici 
von  Val  Tidone  vgl.  die  Ann.  Plac.  ad  a.  1266  (p.  230  f.);  a.  1269  (p.  250). 
Im  J.  1249  gehen  CC  milites  Piacentini  cum  hominibus  Vallistarii  et  Ceni  gegen 
Pontremuli  vor  (p.  188). 

•')  Vgl.  die  Ann.  Parmenses  maior.  ad  a.  1230  und  1231.  Parmenses  ivenmt 
Pontremulum  contra  Malaspinos.  Fuit  recuperata  Rocha  valis  Sazuline  (Rocca 
Sigillina,  östlich  von  Pontremuli,  wie  Jaffe  anmerkt).  Die  Geschichte  dieses 
Hauptweges  über  den  Apennin  gibt  F.  Ludwig  in  seinen  Untersuch,  über  die 
Reise-  und  Marschgeschwindigkeit  im  12.  und  13.  Jahrhundert.  Das  Kloster 
von  Berceto  war  ursprünglich  auf  der  Höhe  des  üeberganges  (»in  cacumine 
montis  cui  nomeu  est  Bardo«,  sagt  die  vita  S.  Moderamni  bei  Mabillon,  Acta 
Sanct.  1,  157)  gegründet,  später  aber  an  eine  günstigere  Stelle  verlegt  worden. 
Vgl.  Affö  1,   161  it. 


^52  Julius  Jung. 

Als  seit  1220  wieder  eine  placentinische  Aussenpartei  hervortrat, 
brachte  sie  vor  aHem  die  Castelle,  die  die  näheren  Zugänge  zur  Stadt 
beherrschten,  in  ihre  Hand,  so  Kivergaro  an  der  Trebia,  und  andere 
in  dieser  Gegend  sowie  westwärts  bis  zum  Tidone  i),  ebenso  Castel  Ar- 
quato,  auch  Fiorenzuola  -) ;  daneben  wird  das  zwischen  beiden  liegende 
S.  Lorenzo  genannt  ^).  Ferner  Petranscremona  (am  Aveto,  einem 
Kebenfluss  der  Trebia,  der  am  gleichfalls  befestigten  Monte  Barba- 
gelata  entspringt^).  Dann  die  Passübergänge  ins  Thal  des  Ceno  und 
und  in  das  Thal  des  Taro, 

^n  dem  Knotenpunkte  des  von  Placentia  über  Val  Ceno  nach 
Compiano  führenden  Weges,  erstand  neben  dem  wohlbefestigten  Castell 
eine  stadtähuliche  Ansiedlung,  des  Namens  Bardum  oder  Bardi "). 
Von  Bardi  und  Borgotaro  aus  beherrschte  man  den  Verkehr  über  den 
Apennin,  der  durch  eine  Reihe  von  Burgen  in  Obacht  gehalten  ward; 
was  der  „lunenpartei"  lästig  werden  musste,  da  Handel  und  Verkehr 
der  Stadt  dadurch  unterbunden  wurde  ^).  Also  wurde  auf  die  von 
der    „Aussenpartei"    besetzten    Castelle,    namentlich    Borgotaro  ^)    und 


')  Annal.  Plac.  ad.  a.  1220.  Es  werden  genannt  Rivalgarium  (d.  i.  River- 
garo),  Pigazzauo,  villa  Daliarie  (d.  i.  Pieve  Dugliare),  Potentianuni  (Podenzano, 
zwischen  Nure  und  Trebia),  Capinaldo  (d.  i.  Campremoldo  am  Tidone).  River- 
garo  ist  zunäclist  noch  in  den  Händen  der  Popularpartei,  diese  zieht  aber  aus- 
wärts überall  den  Kürzeren. 

'')  Ann.  Plac.  ad  a.  1222. 

3)  Ann.  Parmens.  maiores  ad  a.  1230:  Parmenses  iverunt  in  servitium  po- 
puli  Piacentini  ad  guas-tandum  Sanctum  Laurentium  et  Castrum  Archuatum, 
qne  loca  tenebant  cum  militibus  Placentinis  de  discordia  et  guerra,  quam  simul 
habebant. 

^)  Ann.  Plac.  ad  a.  1257.     Vgl.  oben  S.  528  A.  2. 

6)  Ann.  Plac.  ad  a  1269  (p.  255):  tarn  burgum  quam  castrum  sive  Rocham. 
—  In  der  Regel  ist  Bardi  gesagt ;  die  Analogie  von  castrum  Manfredi  oder  Man- 
IVedum  lässt  auch  Bardum  zu.  Vgl.  den  Index  zu  Mon.  Germ.  Script.  XVIII.  — 
Das  untere  Thal  des  Ceno  (mit  Monte  Salso  bei  Varano  Melegari)  gehörte  zu 
Parma.     Vgl.  Ann.  Parmens.  maior.  ad  a.  1297  (p.  722). 

'')  Im  J.  1271,  als  der  König  von  Frankreich  aus  dem  Kreuzzuge  (Tunis- 
Carthago)  durch  die  Aemilia  zurückkehrte  und  bis  Parma  gekommen  war:  noluit 
venire  Placeneiam  propter  caminum  strate  quem  comes  Ubertinus  de  Lando  et 
pars  extrinseca  Placentie  gueriant  et  ofFendunt,  et  propter  timorem  communis 
Pcipie.  Et  sie  transivit  Padum  et  ivit  Cremonam  Die  Placentiui  intrinseci 
werden  immer  mehr  in  die  Enge  getrieben ;  videntes  uon  posse  resistere  violencie 
comitis  Ubertini  de  Lando  et  partis  extrinsece  de  Placentia,  statuerunt  se  datu- 
ros  in  forcia  domini  regis  Karoli. 

■)  Vgl.  die  Annal.  Piacent,  ad  a.  1255  (p.  206).  Das  Volk  von  Placentia 
beschliesst  neben  mehreren  Burgen  auch  muros  vallis  Tari  zu  zerstören.  1258 
(p.  212):    filii    condam  Lnxiardi    de  Perpini  [Pietvapiana  bei  Compiano?]    et   alii 


Bobbio,   Veleia,  Bardi.  553 

Bardi  ^),  mehr  als  eiu  Kriegszug  uuternonimeu ;  mit  \yechseludem 
Erfolg,  wobei  nicht  selten  die  Zu-  oder  Abneigung  der  Bergbewohner 
schwer  ins  Gewicht  fiel. 

Es  ist  bemerkenswert,  dass  diese  sich  lieber  an  die  ansässigen 
edlen  Geschlechter  hielten,  als  an  die  städtischen  Behörden.  Die 
Feudalherren  erscheinen  mit  einem  Gefolge  von  Landbewohnern  2) ; 
auch  die  Burgen  sind  zum  Theil  mit  „rustici"  besetzt  ^).  Noch  in 
späterer  Zeit    bedient    sich    die   jeweilige  Aussenpartei  der   „rustici"  *). 

Als  im  J.  1265  die  Stadt  durch  die  Schwäche  ihres  .Signore" 
des  alten  Ghibellinenführers  Hubert  Pelavicini   der    kirchlichen  Partei 


iiobiles  intraverunt  burgum  Valletarii  quod  custodiebatur  per  Placentae  ex- 
Iriiisecos.  Vom  ßurgum  vallis  Tarii  aus  wird  die  Fehde  geführt,  dahin  bringt 
man  auch  die  Gefangenen  ein.  Im  J.  1260  wird  bei  Borgotaro  gekämpft  (p.  218). 
Im  J.  1270  werden  die  Luxiardi  von  Albertus  de  Fisco  und  anderen  Grafen  von 
Lavagna  bekämpft,  die  über  Compiano  vordringen,  dann  aber  beim  Burgum 
vallis  Tarii,  wohin  sie  »pro  habende  mercatum*  kommen,  in  einen  Hinterhalt 
gerathen.  Auf  beiden  Seiten  kämpfen  Placentiner.  Das  Aufgebot  der  Innen- 
partei sammelte  sich  bei  Castel  Arquato  (p.  278);  cf.  p.  284. 

')  Annal.  Plac.  ad  a.  1251  :  milites  Piacentini  pro  maioii  parte  extra  civi- 
tatcni  exeuntes  rebelaverunt  civitati  faciede  [faciendo]  comites  de  Bardi  rebelies 
civitati,  expelendo  Ubertucium  de  Nicjuitate  et  eins  uotarium  potestatem  vallis 
Ceni  de  Koche  Bardi;  contra  c(UOs  übertus  de  Niciuitate  postestas  communis 
u)isit  CG  pedites  et  C  milites.  Sed  antequam  pedites  omnes  accederent,  rustici 
Valium  Tari  et  Ceni  servitio  comitum  et  ij)si  comites  cum  eis  cum  quibusdam 
militibus  Placentinis  adsultum  in  pedites  fecerunt  et  spoliatos  et  derobatos  ipsos 
venire  permiserunt.  militibus  vero  nullum  dampnum  inferentes.  —  Im  J.  1255 
wurde  neben  anderen  Burgen  auch  die  von  Bardi  zerstört  (p.  206).  Vgl.  ferner 
ad  a.  1267  (p.  237);  a    1268  (p.  243). 

•-)  Im  J.  1258  tritt  Johannes  de  Luxardo  auf  cum  CCC  servieutibus  Valle- 
tarii (p  212).  Im  J.  1269  operiren  die  forestati  de  Placentia  cum  servientibus 
de  valle  Ceni  et  Tarii  gegen  die  intrinseci  (p.  252).  Später  in  demselben  Jahr 
(p.  270)  extrinseci  de  Placentia  qui  sunt  ad  Gravagum  et  in  illis  partibus  cum 
servientibus  Vallistarii  et  Ceni  equitaverunt  ad  castrum  Carpeuasii  ....  extrin- 
seci de  Placentia  qui  morautur  ad  Zavatarellum  cum  servientibus  illius  loci 
equitaverunt  ad  castrum  Montis  Ventari,  —  a.  1270  (p.  284):  illi  de  Gravago 
cum  Luxiardis  et  illis  de  Valle  Ceni  et  Tarii.  a.  1273  (p.  303):  bom  servientes 
de  valle  Ceni.  Die  homines  vallis  Tidoni  erscheinen  in  ähnlicher  Organisation 
(p.  250).  Ebenso  wird  es  im  Gebiete  von  Parma  gehalten;  vgl.  die  Ann.  Parm. 
mai.  ad  a.  1303:  per  commune  Parma  homines  episcopatus  a  Taro  ultra  ivernnt 
tunc  ad  custodia m  civatatis  Placentie. 

■'')  Im  J.  1269  bei  Belagerung  des  dem  Ubertinus  de  Laudo  gehörigen 
castrum  de  Seno  werden  von  den  Ann.  Plac.  die  rustici  erwähnt:  timor  enim 
prevenit  rusticos  qui  ibi  erant  et  ita  timore  perterriti  reddiderunt  castrum. 

*)  Vgl.  die  Ann.  Parmens.  maior.  ad  a.  1297  (p.  722):  der  Versuch.  Parma 
einzunehmen,  durch  Manfredotus,  einen  »Ghibelinus  ab  antiquo«,  scheitert;  certi 
rustici,  qui  iam  venerant,  fuerunt  capti  et  apensi  per  gulam. 

Mittlioiliin{jen  XX.  36 


554 


Julius  J  u  n  g-. 


in  die  Häude  gespielt  wurde,  blieb  die  placentinisclie  Gebirgslandschaft 
in  der  Gewalt  der  ghibellinischeu  Aussenpartei,  an  deren  Spitze  der 
Graf  übertinus  de  Lando  ^)  im  J.  1267  sich  auf  der  Rocha  von  Bardi 
festsetzte,  von  wo  ans  er  eine  grosse  Anzahl  von  anderen  Burgen, 
zugleich  den  Weg  zu  den  Apeuninpässen  beherrschte  2) ;  so  vermochte 
er  1268  den  Konradinern  über  die  Berge  zu  helfen. 

Nach  der  Katastrophe  Konradins  giengen  die  Placentiner  ener- 
gisch gegen  übertinus  vor,  indem  sie  eine  seiner  Burgen  nach  der 
anderen  brachen.  Zuletzt  kam  auch  die  Rocha  de  Bardi  daran;  hier 
setzte  es  den  härtesten  Kampf  ab.  Die  Rocha  wurde  genommen, 
wieder  verloren,  neuerdings  genommen  '*) ;  ein  Ereignis,  das  auch  in 
den  Nachbarstädten  Aufsehen  erregte  und  demgemäss  sowohl  von 
Salimhene  als  in  den  Aunalen  von  Genua  zum  J.  1269  verzeichnet 
wird  -*). 

Ohne  dass  die  Aussenpartei  sich  damit  verloren  gegeben  hätte; 
vielmehr  setzte  sie  den  Kampf  von  den  anderen  Castellen  aus  und 
gestützt  auf  die  Sympathien  der  Thalbewohner  fort.  Zum  Jahre  1270 
vermelden  die  Placentiner  Aunalen,  dass  die  Streitkräfte  der  Innen- 
partei bei  Bardi  sich  sammelten,  um  auf  die  Aussenpartei  neuerdings 
loszugehen  '")  und  sie  durch  Abschneidung  der  LeVjensmittel  oder  offene 


1)  Die  Familie  erscheint  unter  dem  Namen  Lando,  Landito,  Andito.  Uber- 
tino  de  Lando  war  ein  >.efie  des  Markgraten  Hubert  Pelavicini  und  im  J.  1258 
als  Parteigänger  König  Manfreds  zuerst  hervorgetreten.  Mit  Manfred  war  er 
auch  verwandt.     Vgl.  Hampe,  Gesch.  Conradins  S.  88.   158,   161,  215. 

2)  Ann.  Plac.  ad  a.  1268  (p.  243):  übertinus  de  Lando  et  pars  sua  tenebat 
Rocham  Bardi,  Gazium,  Complauum  et  Montem  Arsizium,  Monteregium,  Petram- 
cravunam,  Senum,  Zavatarellum,  Gravagum,  rebellantes  civitati  Placentie.  Ad  a. 
1271  (p.  291):  quasi  omnes  de  Montauea  obediunt  domino  comiti  et  parti  ex- 
trinsece  de  Placentia. 

3)  Ausführliche  Darstellnug  dieser  Vorgänge  in  den  Annales  Placeut.  ad  a. 
1269  p.  251  t.  255.  p.  264  i.  267.  2{i9. 

•«)  Salimbene  ad  a.  126!;-  (i-  i51  ed.  Parm.^i :  in  mense  novembvis  rocha  de 
Bardi  venit  ad  mandata  commimis  Placentie.  —  Annal.  Januens.  (p.  266):  Pia- 
centini —  \enerunt  ad  ob^idiouera  röche  Bardi,  quam  Obertinus  de  Lando  mu- 
uitam  tenebat  et  ipsam  per  multos  labores  et  longa  obsidioue  habuerunt.  quo- 
niam  affidatis  hoiuinibus  qui  erant  in  ipsa,  ipsam  rocham  in  potestate  Placen- 
tinorum  tradiderunt.  —  Genua  schloss  bald  danach,  am  31.  März  1270,  mit 
Piacenza  ein  Bündnis,  das  auf  den  beiderseitigen  Handelsinteressen  beruhte.  Vgl, 
Caro.  Genua  und  die  Mächte  am  Mittelmeer  II  Beil.  2  n.  16. 

^)  Ann.  Plac.  ad  a.  1270  (p.  281):  Piacentini  intrinseci  —  exercitum  con- 
gregaverunt  ad  Rocham  de  Bardi  causa  eundi  super  Placentinos  extrinsecos. 
iSpäter  (p.  286):  plaeentini  intrinseci  —  equitaverunt  in  vallem  Ceni  et  circa 
Rocham  Varsii  (d.  i.  Varsi.  im  Thal  des  Ceno,  auswärts  von  Bardi)  .  .  .  ne  illi 
de  Rocha  Varsii  et  de  Gravago  (auf  dem  Weg  von  Bardi  ins  Thal  des  Taro)  — 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  555 

Gewalt  zur  Ergebung  zu  nüthigen;  während  zugleich  um  die  Burgen 
an  der  Tidonelinie  hartnäckig  gekämpft  wurde  i). 

Wir  wissen,  dass  Graf  Übertino  de  Lando  aushielt  und  im  J.  1271 
an  der  Botschaft  sich  betheiligte,  die  dem  König  Alfons  von  Castilien 
Namens  der  lombardischen  Ghibelliueu  wie  ihrem  Kaiser  die  Huldigung 
darbringen  sollte  '^) ;  hingegen  die  Stadt  den  König  Karl  von  Sicilien 
als  ihren  Herrn  erkannte. 

Obwohl  ein  Theil  der  Ghibellinen  damals  mit  der  Stadt  Plaeentia 
Frieden  schloss  und  ihre  Burgen  übergab  ^),  so  gelang  dem  Grafen 
doch  mit  seinen  Parteigängern  im  Dezember  1271  ein  Ueberfall  auf 
die  französisch-placentiuische  Besatzung  von  Bardi  ^).  Ueberhaupt 
dauerte  der  Parteigängerkrieg,  indem  sich  auch  die  Flüchtlinge  aus 
anderen  Städten  wie  Parma  und  Borgo  S.  Donniuo  daran  betheiligten, 
unter  Verübuug  von  allen  möglichen  Gräuelthaten  fort  ^). 

Im  J.  1272  lehnte  der  Graf  die  Vermittlung  des  päpstliclien 
Legaten  ab.  trotzdem  seine  Söhne  schon  seit  Jahren  in  der  Gefangen- 
Schaft  Karl's  von  Anjou  schmachteten;  allerdings  hätte  Übertino  sich 
und  seine  Burgen  in  die  Gewalt  des  Königs  von  Sicilien  und  des 
Papstes  übergeben  sollen,  üebrigens  war  auch  die  streng  guelfisch 
gesinnte  Partei  der  Versöhnung  abgeneigt.  Gegen  seine  Excommuni- 
cation  durch  den  Legaten  appellirte  Übertino  an  den  Papst,  Gregor  X., 
der    selbst    ein  Placentiner    die  Ordnuno^    dieser  Angelegenheiten    mit 


huberent  necessaria.  Ferner  (p.  288):  illi  de  parte  extrinseca  de  Plaeentia  qui 
sunt  ad  partes  Gravagi  intraverunt  in  castrum  de  Septem  Sororibus  (d.  i.  Sette 
Sorelle.  am  Uebergang  von  Bardi  in  das  Thal  des  Lordabaches,  der  in  den  Nure 
mündet,  Plaeentia  zu).  Im  folgenden  Jahr  (1271) :  insultum  fecerunt  in  villam 
de  Tolleria  (d.  i.  Tollara  di  Morfasso)  et  comburentes  totam  villam  et  illam 
contractam. 

')  Vgl.  ibid.  p.  285.  299.  Im  November  1271  gewann  Übertino  hier  auch 
castrum  Montarzoli ;  de  quo  multum  doleut  Piacentini. 

-)  Vgl.  Bussen  a.  a.  0.  S.  138  f.  Briefe  des  König  Alfons  an  den  Grafen 
L'bertino  de  Lando,  Annal.  Plac.  ad  a.  1271  (p.  288  und  290).  Weitere  Ver- 
handlungen ib.  p.  295. 

3)  Darunter  auch  Septem  Soroves  und  Gravago  (p.  293  f.).  Letzteres  kam 
aber  noch  in  demselben  Jahre  1271  an  die  Ghibellinen  zurück,  speciell  an  die 
Luxiardi,  die  dem  Grafen  Ubertino  treu  blieben  (p.  297). 

•*)  Annal.  Piacent,  ad  a.  1271  (p.  300) :  die  lune  VII  mensis  decembris 
Luxiardi  et  illi  de  Gravago  et  de  valle  Tarii  et  Ceni  de  parte  extrinseca  Pla- 
centie  habito  tractatu  obviandi  et  inveniendi  Provinciales  et  Picardos  et  Placen- 
tinos  qui  stabant  in  Rocha  de  Bardi,  collecta  omni  eorum  gente,  ipsos  in  con- 
tractis  Scalugie  iuvenerunt  et  insultum  facientes  in  eos  ipsos  fregerunt  etc. 
magnam  victoriam  adepti  sunt. 

6)  Vgl.  Ann.  Plac.  1.  c. 

36* 


556 


Julius  Jung. 


besonderem  Eifer  betrieb,  um  den  Rain  seiner  Vaterstadt  hintanzu- 
balten  i).  Unterstützte  doch  Ubertino  die  Papieiiser,  von  Zavatarello, 
seiner  Hauptburg  am  oberen  Tidone  aus  2);  er  blieb  mit  den  Papieu- 
sern  bis  /Ailetzt  im  besten  Einvernehmen.  Er  nanute  sich  „capitaneus 
generalis  partis  extriuseee  de  Placentia"  ^). 

Es  folgten  neue  Vermittlungsversuche  durcli  Papst  Gregor  X., 
abwechselnd  mit  Strafsenteuzen.  Inzwischen  gelangte  im  Jänner  1274 
ein  Waffenstillstand  zwischen  Ubertino  und  der  Stadt  zur  Annahme^); 
worauf  die  Unterhandlungen  mit  einer  friedliebeuden  Partei  der  „in- 
trinseci"  fortgesetzt  wurden  (1275) ''^).  Endlich  kam  trotz  aller  Zöge- 
rungen   im    J.    1276    unter    Vermittlung    der    Boten    des    römischen 


')  Ann.  Plac.  ad  a.  1272  p.  301  f.  Vgl.  ßusson  a.  a.  0.  S.  146.  153  f. 
Kaltcnbrunner,  Aktenstücke  zur  Gesch.  des  deutschen  Reiches  unter  Rudolf  I. 
p.  14.  Papst  Gregor  X.  will  vermitteln,  ut  periculoso  statui  civitatis  Placentine, 
de  cuius  suhversione  verisimiliter  timetur,  abgeholfen  werde.  Vgl.  p.  23 :  unius 
militis  vestriqne  concivis  cedendo  conatibus.  Der  Papst  wendet  sich  (ebenda 
p.  20  contra  c[uoslibet  pacis  earundeni  partium  turbatores  et  specialiter  contra 
Übertinum  de  Lando.  Als  der  Papst  spä.ter  nach  Placentia  kam,  wünschte  er 
eine  Zusammenkunft  mit  Ubertino,  welche  aber  von  der  (legenpartei  vereitelt 
wurde. 

-)  Ann.  Plac.  ad  a.  1272  (p.  302 1.  Im  J.  1275  unterstützte  Ubertino  ebenso 
die  Papienser  (p.  310).  Ubertino  hatte  1271  auch  mit  dem  Geschlecht  der  Balbi, 
die  vom  genuesisch-placentinischen  Grenzgebiet  westwärts  sassen  (Ann.  Plac. 
ad  a.  1256  p.  207;  bis  zum  Col  di  Tenda,  vgl.  Caro,  Genua  I,  382)  einen  Bund 
geschlossen,  Annal.  Plac.  p.  290  f.  299.  Ansaldus  Baibus  de  Castro  war  1272 
Vicar  der  Genueser  in  der  östlichen  Riviera.     Caro,  I,  331  ff. 

■'S)  Ann.  Plac.  p.  299  (a.  1271).  Vgl.  über  diesen  Titel  Ficker,  It.  For- 
schungen II  S.  499  ff.  Hubert  Pelavicini  war  früher  GeneralcapitiJn  oder  Vicar 
erst  vom  Lambro  abwärts,  1253  für  ganz  Lombardien;  K.  Konrad  verlieh  ihm, 
»damit  er  die  Zugänge  von  Lombardien  nach  Apulien  besser  schützen  kaun", 
den  Landstrich  von  der  »Via  Claudia"'  bis  '.um  Po  und  vom  Taro  bis  zum 
Bache  Chiavenna;  also  fast  das  gesammte  Piacenza,  Parma  und  Cremona  aus- 
einanderhaltende Gebiet,  indem  er  dasselbe  ausdrücklich  den  Städten  entzog. 
Affö  3,  400.  Ficker  a.  a.  0.  505;  vgl.  IV  n.  423.  Später  beruhte  die  Macht  des 
Hubertus  Pelavicini  darauf  dass  er  sich  in  Cremona,  Piacenza  u.  a.  0.  die  Würde 
eines  »Herrn  und  Podestä'^  ständig  übertragen  Hess. 

*)  Annal.  Piacent.  ad.  a.  1274  (p.  307):  die  jovis  XI  mensis  Januarii  facta 
est  pax  sive  treuga  inter  commune  Placentie  ex  una  parte  et  comitem  Über- 
tinum et  suos  ex  alia,  cum  certis  pactis  et  couventioniLius:  diese  worden  genannt. 
Es  handelte  sich  um  die  Rückgabe  der  Söhne  Ubertiuo's.  Vgl.  Bussen  a.  a.  0. 
S.  1 54 ;  speciell  über  die  damit  parallel  gehenden  Aktionen  des  Papstes  Kalten- 
brunner  a.  a.  0.  p.  89. 

•')  Ann.  Plac.  ad  a.  1275,  März  (p.  309):  comes  Ubertinus  de  Lando  habet 
tractatum  cum  aliquibus  de  Placentia  intrandi  in  civitate.  Die  Sache  wird  vor- 
erst noch  vereitelt. 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  557 

König  Eudolf  (von  Habsburg)  der  definitive  Friede  zu  Stande,  in 
Folge  dessen  die  Ghibellinen  in  die  Stadt  zurückkehrten  i).  Wechsel- 
heiraten unter  den  massgebenden  Familien  Hessen  seit  dieser  Zeit  die 
bisherigen  Gegensätze   mehr  und  mehr  zurücktreten. 

Im  J.  1280  heiratete  Galvagnus,  der  Sohn  des  Grafen  Ubertino 
de  Lando,  der  nach  mehr  als  vierzehnjähriger  Gefangenschaft  endlich 
in  die  Heimat  zurückkehrte,  eine  Tocliter  des  verev^igten  Rayualdus 
Scotus-),  der  zu  den  Führern  der  Gegenpartei  gehört  hatte;  was  von 
bester  Wirkung  war.  Als  im  J.  1282  einige  von  seiner  Partei  gegen 
die  Commune  rebeliirten  und  nach  alter  Weise  hinauszogen,  um  von 
Petranscremona  (am  Aveto,  dem  Zufluss  der  Trebia)  aus  die  Fehde  zu 
führen,  vermittelte  der  alte  Übertino  den  Frieden  ^).  Aber  im  folgenden 
Jahre  (1283)  entstand  zwischen  ihm  selbst  und  der  Commune  eine 
Zwistigkeit;  man  schlug  sich  neuerdings  bei  den  Burgen  herum;  das 
.castrum  Complaninum"  und  andere  Positionen  im  Val  Taro  wurden 
von  den  Städtern  belagert  und  eingenommen^).  Auch  um  Zavatarello 
wird  gekämpft,  wie  überall  zum  Vortheil  der  Städter;  im  J.  1290 
unterhandelte  Albertus  Scotus  Namens  der  Commune  wegen  des  An- 
kaufs von  Zavatarello  •''),  der  auch  zu  Stande  kam  ^).  Der  genannte 
Albertus  Scotus  gelangte  seit  1290  in  Placentia  zu  einer  dauernden 
Herrschaft;    nicht    ohne    dass    dagegen    sich    eine    Opposition    geltend 


*)  Ann.  Plac.  ad  a.  (p.  311):  Die  mavtis  XXI  luensis  januarii  dominus  comes 
Ubertinus  de  Laudo  pro  se  et  parte  extrinseca  de  Placentia  comproniisit  se  in 
dominos  canzelerium  et  comitem  Henriciim  de  Fustibercho  (d.  i.  Fürstenberg)  et 
primicerium  mediolani  tanquam  in  arbitros  et  placentini  intrinseci  similiter,  et 
die  sabbati  XIII  mensis  marcii  predictus  comes  Ubertinus  cum  aliis  de  parte 
sua  intravit  in  civitatem  Placentie  iibi  receptus  tüit  honorifice.  Die  Annal. 
Parmens.  maior.  ad  a.  1276  thuu  der  Sache  gleicbfalls  Erwähnung :  eodem  anno 
mense  marcii  pax  iiiter  Placentinos  intrinsecos  et  extrinsecos  facta  est.  Vgl. 
Redlich,  Regesten  K.  Rudolfs  n.  575.     Busson  a.  a.  0.  S.  15. 

2)  Ann.  Plac.  ad  a.  1280  (p.  331).  Die  Scoti  waren  angesehene  Bürger 
und  mercatores,  zugleich  die  Bankiers  des  Papstes  Gregor  X.  Vgl.  Kaltenbrunner 
a.  a.  0.  p.  109.  Placentia  selbst  stand  damals  an  der  Spitze  der  handeltreibenden 
Oommunen  Lombardiens.  Vgl.  A.  Scbaube,  Ein  italienischer  Coursbericht  von  der 
Messe  von  Troyes  aus  dem  13,  Jahrhundert.  Zeitschrift  f.  Social-  und  Wirth- 
schaftsgesch.  V.  (1897).  S.  248  fi. 

3)  Annal,  Piacent,  ad  a.  1282  (p.  335),  Vgl.  auch  die  Ann.  Parmens.  mai. 
ad  a.  1282. 

*]  Ann.  Plac.  ad  a.  1283  (p.  339). 
*)  Chron.  Placentinum  Guerini  1.   c,  p.  352. 

")  Chron,  Agazzari  ad  a.  (Mon,  Parm.  III.  2  p.  32),  Der  Tod  des  Grafen 
Ubertino  de  Lando  wird  zum  J.   1298  gemeldet. 


558  Julius  Jung. 

gemacht  hätte.    Au  der  Spitze  derselben  stand  der  Visconte  Pelaviriui. 
der  im  J.   1304  von  einigen  Burgen  aus  Fehde  erhob. 

Er  setzte  sich  nach  Bardi  und  nach  Castell  de  Pellegriuo,  das 
am  oberen  Stirone  gelegen  den  üebergang  nach  dem  unteren  Thal  des 
Ceno  (nach  Varano  Melegari)  beherrscht;  ohne  dass  ihm  die  Städter 
hier  beigekommen  wären  i). 

Als  Albertus  Scotus  durch  diese  Opposition  aus  Placentia  verdrängt 
wurde,  hielten  sich  einige  seiner  Söhne  in  Zavatarello  ^).  Im  J.  1306 
trieb  zu  Borgo  Taro  die  , kirchliche"  Partei  die  gegnerische  „kaiser- 
liche- aus,  was  den  Placentinern  Anlass  zum  Einschreiten  gab  ^) 
Hincpegen  wurde  das  Jahr  darauf  in  Castel  Arquato  die  Communal- 
partei  gestürzt  und  Albertus  Scotus  aufgenommen,  der  dann  auch  in 
Placentia  die  Herrschaft  wieder  an  sich  brachte;  während  seine  Gegner 
in  Stadt  und  Gebiet  von  Bobbio  (wo  sie  die  Burgen  von  Petranscre- 
mona  und  Zavatarello  besetzten),  ferner  von  Bardi  und  Castell  Pelle- 
griuo aus  Widerstand  leisteten*).  Als  die  Placentiuer  darauf  hin  einen 
Auszug  machten,  um  vor  allem  Bardi  in  ihre  Hand  zu  bekommen, 
erwies  sich  dies  für  vergeblich,  da  die  inneren  Bewegungen  den  f  ort- 
ofano-  der  Unternehmung  hinderten  •').     Bemerkenswert  ist,  dass  neben 


')  Annfil.  Parra.  mai.  ad  a.  1304  (Mon.  Genn.  Script.  XVIU  p.  731)  :  Tes- 
conte  Pellavicinus  revellavit  se  et  Castrum  Pellegrini  et  rocham  de  B^rdi  et 
turrem  de  Belvidere  contra  Albertuin  Scotum  et  civitatem  Placencie.  Die  Pla- 
centiner  ziehen  aus,  vermögen  aber  Castell  di  Pellegrino  nicht  einzunehmen: 
turris  de  Lelvedeie  -wnd  zerstört.  Von  Bardi  ist  zu  diesem  Jahre  nicht  weiter 
die  Rede.  (In  Monte.=axo  d.  i.  Monte  Salso  bei  Varano  Melegari  hatten  iui 
J.  1297  die  Verbannten  von  Parma  sich  festgesetzt.  Ann.  Parm.  mai.  ad  a. 
p.  722). 

2)  Ann^l.  Parmens.  mai.  ad  a.   1305. 

■'')  Ann.  Parm.  mai.  ad  a.  1306:  pars  ecclesie  de  Burgo-Valis-Taronis  expulit 
partem  imperii. 

■*)  Ann.  Parm.  mai.  ad  a.  1307:  in  terra  Bobii  et  ad  propiia  per  terras  «-t 
vias  de  Pelegrino.  Chronic.  Plac.  Guerini  ad  a.  1308  (p.  358):  in  civitate  Bobii. 
et  tenebant  Petrascreraonam  et  Zavatarellum.  Die  Chronik  des  Agazzari  nennt 
auch  verschiedene  Mitglieder  der  Familie  de  Lando  als  Theilnehmer.  Mon. 
Parmens.  III.  2  p.  3  f.  In  den  folgenden  Jahren  werden  neben  den  Castelleu 
am  Tidone  castrum  Arquatum  und  Florentiola  als  Hauptsitze  der  Aussenpartei 
genannt.  Im  J.  1315  wird  Caverzago  an  der  Trebia  öfter  erwähnt;  Markgraf 
Conrad  Malaspina  ist  Herr  von  Bobbio  und  wird  ,capitaneus  totius  montanee  in 
valle  Trebie  et  valle  Nurie«.  (Chron.  Guerini  p.  394).  Auch  Tolleria  wird 
nochmals  genannt,  im  J.  1316  (Chron.  Agazzari  p.  38). 

^)  Ann.  Parm.  mai.  ad  a.  1307  (Juni):  Placentini  iverunt  in  exercitum  contra 
terram  de  Bardi  sui  districtus;  wozu  die  verbündeten  Parmenser  Zuzug  leisten. 
Zum  Juli  (p.  740)  heisst  es  dann:    predictus  exercitus,   quem  Placentini  fecerunt 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  559 

eleu  Ghibellineu  schlechtweg  speciell  uocb  die  „Bergghibelliuen"  1)  bei 
dieser  Gelegenheit  erwähnt  werden.  Ein  anderer  Zeitgeuosse  hebt 
hervor,  dass  der  Auszug  der  einen  Partei  nicht  immer  zugleich  für 
die  öffentliche  Sicherheit  des  g-anzen  Gebietes  eine  Gefahr  in  sich 
barg  =^) ;  früher  war  es  allerdings  die  Eegel  gewesen  und  noch  jetzt 
kamen  arge  Dinge  vor  ^) ;  namentlich  auch  um  Bardi,  Eäubereien  und 
unmotivirte  Totschläge  ^).  Als  die  Grafen  zur  Unterwerfung  gezwungen 
waren,  kam  in  den  Besitz  des  Ortes  und  der  Rocha  ein  Placentiner, 
der  von  hier  aus  als  Podesta  zugleich  im  Val  Taro  das  Regiment 
führte,  aber  nach  einiiren  Jahren  wieder  von  den  Grafen  aus  dem 
burgum  hinausgeworfen  und  zur  Fh;cht  in  die  liocha  genöthigt  wurde; 
was  zu  weiteren  Kämpfen  den  Aulass  gab  ^).  Auch  in  Val  Taro 
musste  die  Herrschaft  der  Placentiner  wiedei'holt  mit  Waffengewalt 
behauptet  werden  ^). 


ad  terram  de  Bardi  sine    habendo    locnrn,    propter    novitates    exortas  in  eivitate 
Placentie,  non  bono  modo  redierunt  Placentiam. 

1)  Chronic.  Plac.  Guerini  p.  SSG:  ^gibellini  et  montani  gibelliui«;  gleich- 
bedeutend p.  358  (wiederholt):  pars  gibellina  et  bardella  (letzteres  von  Bardi? 
Eä  ist  ein  Uebername ;  vgl.  Pallastrelli's  Anm.).  Cf.  Chronic.  Agazzari  p.  42 
fad  a.  1335):  cum  Placentinis  extrinsecis  sc.  Ghibellinis  de  Lando  et  Bardellis 
de  Fontana. 

-)  Ann.  Pariu.  mal.  ad  a.  1303  (p.  729),  als  die  Herrschaft  des  Ghibertus 
de  Corigia  in  Pamia  zu  einem  solchen  Auszug  der  Gegenpartei  den  Anlass 
gab :  exiverunt  civitatem  et  iverunt  com  suis  omnibus  familiis  ad  loca  et  vilas 
eorum;  nulla  tarnen  robaria  vel  aliquis  alius  rumor  fuit  in  eivitate  seu  districtu 
Parme  tunc. 

3)  Vgl.  Chronic.  Guerini  ad  a.  1312  (p.  368):  quidam  Antolinus  Bacendonis 
cum  plui'ibus  satellitibus  et  sicariis  (am  Tidone  und  den  nächstliegenden  Ge- 
genden), incendia  houiicidia  et  alia  perpetrando.  —  Nonnulli  juvenes  de  Andito 
locum  Scravellani  sive  Fabiani  (beide  an  der  Trebia)  occupaverunt,  et  inde  ma- 
ximam  molestiam  in  planitiem  Placentie  intulerunt  (p.  369). 

■*)  Chrpn.  Guerini  ad  a.  1317  (p.  405):  Facinus  comes  de  Bardi  qui  tenebat 
rocham  Bardi,  qui  interfecerat  übertum  de  Casanova  et  filios,  et  octo  de  ejus 
domo  absque  causa  occidere  fecerat,  venit  ad  precepta  domini  Galeacii  (dieser 
Galeazzo  Visconti  aus  Mailand  hatte  nach  der  neuerlichen  Verdrängung  des 
Albertus  Scotus  die  Herrschaft  über  Placentia  inne).    Vgl.  Chronic.  Agazzari  p.  38. 

5)  Chron.  Guerini  ad  a.  1322  p.  416.  Die  Brüder  des  Grafen  Facinus,  unter 
denen  ein  Manfredus  rle  Lando  namhaft  gemacht  wird,  unternehmen  den  Ueber- 
fall.  Die  Grafen  behaupten  sich,  weil  sie  deutsche  Reiter  bei  sich  hatten.  Vgl. 
Chronic.  Agazzari  ad  a.  1321  p.  39. 

")  ibid.  p.  408  ad  a.  1319:  (Dominus  Galeacius)  destinavit  exercitum  in 
vallem  Ceni  pro  vastando  et  guerram  facieudo  ad  vallem  'Jari  quem  fecit  ob- 
sideri  a  soldatis  suis  et  maximo  delectu  villarum  episcopatus  per  sex  hebdomadas. 


5(30  Julius  J  u  n  g. 

Wir  brechen  hier  ab,  da  auch  in  der  Geschichte  der  italienischen 
Communeii   damit  ein  x\l)schnitt  erreicht  ist. 

Die  Position  von  Bardi  hat  ihre  strateo-ische  ßedeutuno-  für  die 
placentinischen  Äpenninenwege  bis  in  unser  Jahrhundert  herein  be- 
■vvahrt  ^).  Aber  eine  politische  Rolle  hat  es  nicht  wieder  gespielt. 
Wären  die  Kaiser  und  der  Landadel  in  Italien  Herren  der  Situation 
geblieben,  so  wäre  es  ja  anders  gekommen.  So  aber  siegte  die  städti- 
sche Organisation  und  sagen  wir  es  gleich  der  romanische  Staats- 
gedanke ü'iier  den  germanischeu,  der  überall  das  Schwergewicht  mehr 
auf  das  Land  verlegt  hatte  -).  Sollten  jene  volksthümlicheu  Fabeleien 
über  den  Bardus  vielleicht  diesem  ^iedanken  eine  zeitgemässe  Ein- 
kleiduno^  gegeben  haben?  Es  muss  dahin  gestellt  bleiben.  Derselbe 
Process,  den  wir  hier  für  das  Gebiet  von  Placentia  näher  verfolgt 
haben,  Hesse  sich  auch  für  andere  Gegenden,  z.  B.  das  Gebiet  von 
Parma,  von  Cremoua,  von  Brescia,  von  Lodi,  vi.n  Mantua,  von  Pavia, 
von  Mailand  n  s.  w.   nachweisen  -^K    Denn  überall  kämpfte  damals  eine 


Es  machte  sieb  hauptsächlich  bei  den  Steueraufleguugen,  die  damals  durch  das 
ganze  Placentiuische  Gebiet  hin  organisirt  wurden,   Unzufriedenheit  geltend. 

')  Noch  im  Kriege  von  1848  und  1849  kam  d-.is  hier  gelegene  Fort  mili- 
tärisch in  Betracht.  Vgl.  den  ofticiellen  Bericht  über  die  j,Kriegsbegeljenheiten 
hei  der  kaiserl.  österr.  Armee  in  Mittelitalieu  und  der  Komagiia  im  J.  1849" 
(Wien  1850)  S.  5. 

'-')  Vgl.  P.  ü.  Fischer,  Italien  und  die  Italiener  am  Schlüsse  des  19.  Jahr- 
hunderts. Betrachtungen  und  Studien  über  die  socialen  Zustände  Italiens 
(Berliu  1899),  bes.  S.  81  f.,  237  f.  Er  bespricht  an  ersterem  Orte  die  i-'olitik 
Kaiser  Friedrichs  L,  das  Landgebiet  vom  Stadtgebiet  zu  trennen,  die  noch  1183 
im  Frieden  von  Konstanz  hervortritt.  Der  Kaiser  stellte  das  Landgebiet  unter 
kaiserliche  Beamle.  »Unter  dem  Schutze  dieser  Vögte  hätte  sich  bei  längerem 
Bestände  in  Ober-  und  Mittelitalien  %'ielleicht  ein  freier  Bauernstand  entwickeln 
können".  Während  so  der  Landbewohner  dem  in  der  Stadt  sesshaften  ^padrone' 
zinst.  Vgl.  auch  Leo.  (iosch.  von  Italieii  11.  114  tf. :  »Schicksal  der  kleineren 
Ortschaften  und  des  Landadels«. 

3)  Die  »rustici*  treten  in  den  Stadtgeschichten  dieser  Zeit  sehr  hervor. 
A'gl.  z.  B.  die  Annal.  Januens.  ad  a.  1233  (p.  181  f.);  ad  a.  1234  (p.  182  f.).  — 
Im  J.  1267  erlitten  die  Veroneser  beim  Uebergange  über  den  Chiese  dur^  bres- 
ciauische  und  maiituanische  Bauern  eine  empfindliche  Schlappe.  Ann.  Placeut. 
ad  a.  Vgl.  Hampe,  Gesch.  Couradins  S.  166".  (In  diesen  Gegenden  hat  das 
bäuerliche  Element  noch  unter  venezianischer  Herrschaft,  ja  zur  Zeit  der  uapo- 
]eonischen  Kriege  eine  Rolle  gespielt.  In  den  Sette  und  XIll  communi  allerdings 
Deutsche).  —  Zum  J.  1312,  als  man  wegen  Kaiser  Heinrichs  VIL  besorgt  war, 
melden  die  Ann.  Parraens.  maior.  (p.  752):  nobiles  et  potentes  civitatis  Parme 
fecerunt  venire  ad  civitatem  pro  custodia  homines  terrarum  suarum.  In  Bezug 
auf  Mailand,  dessen  Adel  in  C'omo,  Seprio,  Martesana  seine  Stützpunkte  hatte, 
vgl.  Leo  Gesch.  Italiens  HL  204  t 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  561 

Aussen-  mit  einer  lunenpartei.  Und  indem  die  Anualen  von  Genua 
dies  mit  kühler  Objektivität  referieren  '),  lieweisen  sie  nur,  dass  ihre 
Verfasser  sich  des  Balkens  in^  eigenen  Auge  nicht  bewusst  waren ; 
denn  wie  jene  anderen  Städte  so  hat  auch  Genua  nach  langen  Kämpfen 
den  Feudaladel  seines  Gebietes  gebändigt,  die  localen  Autonomien 
gebrochen  und  die  Interessen  des  Landbewohners  von  denen  des 
Städters  in  jene  Abhängigkeit  gebracht,  die  für  die  sociale  Structur 
des  modernen  Italien  in  so  hohem  Grade  charakteristisch  ist. 

4.  Bardi  im  früheren  Mittelalter. 

Die  bisherigen  Ausführungen  behandelten  die  Stellung  von  Bardi 
in  der  Stauferzeit  und  ihren  Ausläufern,  wie  wir  darüber  aus  den 
städtischen  Annalen  unterrichtet  werden.  Wenn  man  aber  den  ür- 
kundenvorrath  von  Placentia,  namentlich  die  verhältnismässig  zahl- 
reich erhaltenen  Privaturkunden  heranzieht,  so  ersehen  wir,  dass 
die  Geschichte  von  Bardi  sich  noch  um  mehrere  Jahrhunderte  weiter 
zurück  verfolgen  lässt.  Das  Felsennest,  die  Roccha  von  Bardi,  taucht 
auf  in  deu  Zeiten,  da  eben  die  Karolingerherrschaft  iu  Italien  zu 
Ende  gieng  und  auf  den  Trümuiern  derselben  die  Herzoge  oder 
Markgrafen  von  Spoleto,  von  Tuscien,  vou  Friaul  eine  Rolle  zu 
spielen  begannen.  In  Oberitalien  theilte  sich  schliesslich  der  Spoletiner 
Kaiser  Lambert  und  Berengar  vou  Friaul  iji  die  Herrschaft,  als  deren 
Grenze  die  Adda  angegeben  wird  ^) ;  bis  nach  dem  plötzlichen  Tode 
Lamberts,  der  im  Oktober  898  auf  einer  Jagd  bei  Marengo  erfolgte, 
Berengar  die  Herrschaft  des  ganzen  von  Pavia  aus  regirten  Reiches 
an  sich  brachte  ■^). 

Es  ist  bemerkenswert,  dass  auch  in  der  Zwischenzeit  zwischen 
jener  Theilung  und  dem  Tode  Lamberts  zu  Placentia  gleichwohl  nach 


»)  Ann.  Jamiens.  ad  a.  1269  (p.  265  f.):  Lunbaidi  tauquam  homines  qui 
sunt  sine  domino.  niultas  discordias  et  dissensiones  babuerunt.  Nam  eiectis  de 
oivitafibus  Cremone,  Placentie  et  Parme  illis  qui  adhereve  consiieverant  parti 
imperiali,  civitates  predicte  contra  predictos  niuHa  fecerunt.  Die  Kämpfe  der 
Parmenser  geoen  die  Markgrafen  Pelavicini,  die  der  Cremonenser  gegen  den  von 
einer  »rocha«  aus  wegelagernden  Boso  de  Doaria  werden  erwähnt,  auch  das 
Beispiel  von  Lodi  und  Brescia.  Zum  J.  1289  und  1290  eine  ähnliche  Bewegung 
in  Pavia  (p.  324;  334).  —  Die  Kämpfe  der  Stadt-Kömer  mit  den  Feudalherrn 
von  Albanum  und  Tusculum  gehen  auf  dieselbe  Wurzel  zurück.  Vgl.  die  vita 
Alexandri  III.  papae  bei  Watterich  II.  p.  404. 

2)  Vgl.  Mühlbacher,  Regesten  der  Karolinger  n.  1867  c:  »noch  897";  nach 
Dümmler,  Gesta  Berengarii  p.  32  »im  J.  896*. 

3)  Mühlbacher  I.  c. 


552  Julius  Jung. 

den  Regierungsjahren  Bereugars  datirt  wurde,  z.  ß.  iu  einer  Privat- 
urkunde vom  August  898  „Berengario  rege,  anno  regni  eius  in  Italia 
decimo,  meuse  Augusto,  indictione  prima"  ^). 

Diese  Urkunde  ist  ausgestellt  durch  einen  Inwohner  von  Bardi, 
der  nach  Empfang  der  bedungenen  Summe  dem  Bischof  Eurard 
(Eberhard)  von  Placentia  die  Hälfte  des  Burgfelseus  von  Bardi  ver- 
kauft zu  haben  bestätigt.  Doch  hören  wir  die  Urkunde  selb.st,  die 
mannigfaches  Interesse  gewährt;  die  vorkommenden  Formeln  sind  die 
in  den  langobardischen,  den  spätrömischen  nachgebildeten  Urkunden 
durch  Jahrhunderte  gebräuchlichen  ^). 

„Constat  nie  Andre  am  habitatoreni  Bardi  moutaneu  Placeu- 
tina  ^),  filium  C|uon.  Dageverti,  qui  professus  sum  lege  vivere  Roman a, 
accepisse  sicut  et  in  praesentia  testium  accepi  a  te  H  e  u  r  a  r  d  o  vene- 
rabili  episcopo  sanctae  Place ntinae  ecclesiae  in  argeuto,  vel  in  alia 
specie  valeute  usque  ad  soldos  centum  finitum  pretium,  sicut  inter  nos 
bona  couvenit  voluntate;  hoc  est  pro  medietate  de  petra  illa  cum 
terra,  quod  est  saxum  iuris  proprietatis  meae  in  loco  Bardi,  ubi 
castrum  aedificatum  esse  videtur  moderno  tempore^), 
cum  omni  medietate  de  ipsa  petra,  et  terra,  vel  saxo,  cum  omni 
superadstante,  vel  habente,  cum  sunerioribus  et  inferioribus  uua 
cum  accessioue  sua,  vel  cum  ingressu  et  regressu  suo  ex  integre, 
sicut    per    nie    possessa,     vel     defensa    fuit,    et    modo    est;    et    nuUam 


')  Bei  Campi,  Stör,  ecclesiast.  di  Piacenza  I  p.  477.  Vgl.  Dümmler,  Gesta 
Berengarii  imp.  p.  33  Anm.  2;  ebenda  j).  12  Anm.  1.  Ferner  »Mitth.  d.  Insti- 
tuts* VI[,  453:  Berengar  I.  sclienkt  seinem  Getreuen  Vulferius  drei  Stücke  Landes 
in  der  Grafschaft  Piacenza,  898  Januar  6. 

2)  Vgl.  im  Allgemeinen  H.  Brunner,  Zur  Kechtsgeschichte  der  römischen 
und  germanischen  Urkunde ;  wo  aber  die  bei  Campi  vorliegenden  Urkunden 
nicht  herangezogen  sind.  Ueber  die  im  Registrum  Farfense  vorkommenden 
Formeln  Brunner  in  den  Mitth.  d.  Inst.  II,  3  fi. 

•■')  »Montanea  Piacentina"  (in  montaneis  Placentinis  in  der  Urk.  Karls  des  Gr. 
vom  2G.  Mai  808,  Mühlbacber-  436)  im  Gegensatz  zu  der  Campanea  Piacentina 
(vgl.  die  Urk.  von  1028.  1030  und  1044  bei  Campi),  den  campi  Piacentini  et 
prata  (Urk.  von  1045  ib.).  Ebenso  spricht  man  von  der  campania  prope  Papiam 
(Urk.  Kaiser  Ludwigs  III.  von  J.  902,  Mitth.  d.  Inst.  VII,  455).  VgL  G.  Vidari, 
fraiimienti  storici  dell'  agro  Ticinese.  Pavia  1886-  Hiezu  Arch.  stör.  Lombard. 
1887  p.  165  ff.,  wo  über  die  Eintheilung  des  Gebietes  von  Pavia  eingehend  ge- 
handelt ist.  —  Der  Ausdruck  ,habitator°^  auch  sonst,  z.  B.  in  Urk.  vom  J.  1065 
(bei  Campi):  Adelpertus  Teutonicus  comes  habitator  comitatu  Brisiensi. 

•*)  j, moderno  tempore"^  damals  ein  gewöhnlicher  Ausdruck.  Vgl.  Mitth.  d. 
Inst.  VII  442 :  Kaiser  Ludwig  d.  Fr.  bestätigt  der  Kirche  von  Piacenza  alle  Be- 
sitzungen, quas  moderno  tempore  in  quibuslibet  pagis  et  territoriis  infra 
dicionem  imperii  nostri  iuste  et  legaliter  memorata  tenet. 


Bobbio.  Veleia,  Bardi.  5(]g 

portionem  mihi  reservavi,  sed  praedicto  pretio  a  presenti  die  ego, 
qui  supra,  Andreas  venditor  tibi,  qni  supra,  emptori  veiido,  trado, 
mancipo"  i)  etc. 

Wir  erfahren  daraus,  dass  im  Orte  Bardi  in  damaliger  Zeit  ein 
Castell  erbaut  wurde,  dessen  Lage  auf  felsiger  Höhe  hervorgehoben 
wird  2).  Es  ist  bemerkenswert,  dass  der  Bischof  von  Placentia  sich 
in  dieser  wichtigen  Position  festsetzt,  obwohl  demselben  zu  jener  Zeit 
weder  die  missatische  noch  die  gräfliche,  also  keine  politische  Gewalt 
zukam  ;  zu  einer  solchen  sind  die  Bischöfe  hier  erst  am  Ausgang  des 
10.  und  im  Laufe  des   11.  Jahrhunderts  emporgestiegen"). 

Noch  ein  Umstand  ist  zu  beachten ;  wir  ersehen  aus  der  Urkunde 
von  898,  dass  der  Andreas  von  Bardi.  der  mit  dem  Bischof  von  Pla- 
centia den  Verkauf  abschliesst,  nach  römischem  Rechte  zu  leben 
bekennt  ^). 

Wie  die  Sachen  im  Jahre  1010  standen  erfahren  wir  aus  einer 
anderen  Privaturkunde,  wonach  einige  Besitzer  der  Gegend  von  Bardi 
(drei  Brüder  und  die  Frau  des  einen  von  ihnen)  an  die  Kathedral- 
kirche zu  S.  Justina  in  Piacenza  gewisse  Schenkungen  machten  '">). 

1)  Vgl.  über  diese  Formel  Bruniier,  Zur  Rechtsgesch.  S.  132  f.  136.  Ueber  die 
objektive  Coiistatirung  des  Tbatbestandes,  ebenda  S.  19  f.;  132.  Die  vorangehende 
Zahlung  des  Kaufpreises  S.  59.  Der  Schluss  unserer  Urkunde  lautet:  Et  haec 
cartula  venditionis  firma  et  stabilis  pennaneat  futuris  temporibus  cum  stipula- 
tione  subnixa  (vgl.  Brunner  S.  51).  Actum  in  curte  Adtao  feliciter.  —  Ego 
Andreas  in  hac  cartula  a  me  facta  manu  mea  subscrip«i  (die  gewöhnliche  Formel : 
a.  a.  0.  25,  28,  36).  —  Sieben  Zeugen.  —  Scripsi  ego  Oldeprandus  notarius  huiuä 
cartulam  venditionis,  post  traditam  complevi  et  dedi.  Die  nur  in  Italien  vor- 
kommende Formel;  a.  a.  0.  19,  70,  76  fl".   147  f.    Ficker,  Urkundenlehre  II  §  314. 

-)  Campi  1.  c.  I  p.  238  macht  hiezu  folgende  Bemerkung:  La  quäl  Rocca 
di  Bardi  (insin'  hoggi  bellissima  et  altissima  lortezza,  ben  munita,  e  da'  pratici 
stimata  inespugnabile,  come  di  sito  e  spatiosissima)  venne  comprata  i^oscia  del 
tutto  per  lo  tietto  vescovo,  ö  per  suoi  successori,  over  donata  loro  da  chi  nel 
rimanente  acquistata  1'  haveva ;  e  fü  da  essi  vescovi  tenuta  per  centinaia  d'  anni, 
et  ultimamente  data  in  feudo,  ö  contea  a  quello,  che  si  chiamarono  i  Conti  di 
Bardi.  Im  J.  1231  bekennen  sich  die  Grafen  von  Bardi  als  Lehensträger  des 
Bischofs  von  Placentia.     Campi  II  p.  391. 

■^)  Vgl.  Ficker,  It.  Forschungen  II  S.  17  f.  34.  Sie  haben  die  missatischen 
Befugnisse  wenigstens  seit  990,  die  Grafschaft  vor  1065.  Vgl.  die  Urk.  Ludwig 
d.  Fr.  für  die  Kirche  von  Piacenza  vom  27.  April  819  (Mühlbacher,  Reg.^  690). 
Noch  in  dem  Privileg  von  997  verleiht  der  Kaiser  dem  Bischof  Sigefredus  von 
Placentia  nur  districtum  ab  uno  milliario  in  circuitu  —  placitum,  omnes  publicas 
exhibitiones  (Dipl.  Otto  III.  n.  250).     Daneben  fungiren  die  Grafen. 

■*)  Bemerkenswert  ist  auch,  dass  der  Name  , Bardi«  schon  im  9.  Jahr- 
hundert feststeht. 

s)  Campi  ].  c.  p.  498:  »Actum  in  loco  Bardi«.  sUuibertus  Notarius  Sacri 
palatii    scriptor   huius    cartule*^.     Ueber   die  vom  Pfalzgrafen    ernannten  Notarii 


5(34  Julius  Jung. 

„Nos  Johannes,  et  Raiuerius  notarius  sacri  palatii,  seu  Leo  qui 
et  Uuibertus  germanis  et  fratribus  filii  bouae  memoriae  Berulfi  iudex 
et  Uualderada,  qui  et  üuaza  filia  quou.  Adraldi  et  coniux  suprascripto 
Joauni,  qui  professi  sumus  uos,  qui  supra  germanis  et  fratribus  ex 
natione  nostra  lege  vivere  Rcjmana;  et  ego  ipsa  Uualderada,  qui  et 
Uuaza,  professa  sum  ex  natione  mea  lege  vivere  Longobardorum  ipso 
nanque  iugale,  et  muudoaldo  meo  mihi  consentiente,  et  subter  con- 
firmante  et  iuxta  eadem  lege,  in  qua  nata  sum,  una  cum  uotitia  de 
propinquioribus  parentibus  meis  de  semine,  quod  sunt  Adam  germauo 
meo  et  iteui  Adam  pater,  et  filio  nepoto  meo  in  eorum  praesentia, 
vel  testium  certa  facio  prof'essione,  quod  nulla  me  pati  violentia  quem- 
piä  homine,  nee  ab  ipso  iugale  et  mundoaldo  meo,  uisi  mea  et  spon- 
tanea  voluutate  i)  —  (diese  machen  die  Schenkung)  oratorio  et  altario 
sanctae  Justinae  virgiuis  et  martvris  Christi,  quod  est  constructum 
intra  civitate  Placentia  ad  domui  episcopio  sanctae  Placentinae  eccle- 
siae,  ubi  eius  sanctum  humatum  requiescit  corpus  et  nunc  dominus 
Sigifredus  episcopus  praeesse  videtur". 

Gegenstand  der  Darl)riugung  (unter  bestimmten  Bedingungen  -) 
ist:  „capella  una  cum  area,  in  qua  extat.  et  circuitu  eiusdem  capellae 
iusimul  teneute  iuris  uostri,  quae  est  constructa  in  loco  et  fundo 
Bardi  ad  locus,  ubi  Vallecauna  nouiinatur,  et  est  consecrata  in  honore 
.<.   Syri  etc."  =*). 


sam  palatii  vgl.  Kicker.  Forschungen  II  S  70,  75  f. ;  mit  Beziehung  auf  Piacenza 
J^.  78.  Der  Notar  Wibertus  ist  Sohn  eines  index.  Vgl.  Ficker  a.  a.  0.  LH, 
S.  19  f.  27  (Erblichkeit  von  Stellungen,  welche  juristische  Kenntnisse  verlangen): 
29  f.  (Befugnisse  des  iudex  und  des  Notar). 

')  Gewöhnliche  Formel ;  doch  kommen  Varianten  vor.  Vgl.  z.  B.  die  Urk. 
von  102S  bei  Campi  [  p.  504  f. :  ipso  namque  iugale  et  mundoaldo  meo  mihi 
consentiente,  et  subter  confirmante  una  cum  notitia  Adelberti  comiti  huius  comi- 
tatu  Placentino.  in  cuius  presenti;rm  vel  te.stium  certam  facio  professionem  me 
nuUam  pati  violentiam  a  copiam  homine,  nee  ab  ipso  iugale  et  mundoaldo  meo. 
Die  Frau,  welche  die  cartula  venditionis  veranlasst,  ist  eine  Ildegarde,  welche 
nach  laugobardischem  Recht  zu  leben  bekennt.  —  Vgl.  auch  Ficker,  Evbenfolge 
der  ostgerm.  Rechte.  III  §  873  über  die  Vermögensrechte  der  Frau  und  ilirer 
Sippe.     Ebenda  §  960.     Bd.  1  §  196. 

'-)  Vorbehalt  des  Patronatsrechtes  für  sich  und  die  Erben.  Dafür  soll  jedes 
Jahr  im  September  am  Feste  der  heiligen  Justina  auf  dem  Altar  dei'selben  in 
Piacenza  ein  Denar  guten  Silbers  und  eine  Wachskerze  abgeliefert  werden. 

"}  Die  Erklärung  der  Topographica  bei  Campi  1.  c.  p.  300  f.  Hör  questa 
(hiesii  che  pare  hoggidi  non  si  trovi;  io  crederei  ch' ella  fosse  la  parochiale  di 
S.  Giustina  detta  di  Valleca  nel  medesimo  luogo  di  Bardi  posta  — ;  e  che  la 
cliiesa  dianzi  intitolata  h  S.  Siro  per  V  introdotta  divotione  in  essa  da'  sopradetti 
fratelli    afiezionati  a  S.  Giustina    tramutar   si   pote    in    honor    della  Santa.     Der 


Bobbio,  Veleia,  Bardi.  5ß^ 

Daraus  ergibt  sieh,  d  iss  die  Beziehungen  des  Ortes  Bardi  zu  der 
Kirche  von  Placentia  stetig  intimer  wurden;  ferner  dass  die  Besitzer 
in  Bardi  noch  immer  nach  römischem  Recht  lebten,  dass  aber 
eheliche  Verbindungen  mit  Fiaueu  langobardischer  Herkunft  nicht 
verschmäht  wurden,  also  der  Vermischuuo-sprocess  der  so  lano-e  o-e- 
trennt  lebenden  Bevölkerungselemente  anfangs  des  11.  Jahrhunderts, 
wenn  auch  zögernd  in  Gang  kam  i). 

Dass  überhaupt  die  Bevölkerung  in  diesen  entlegeneren  Strichen 
die  alten  Eechtsgebräuche  conservativer  bewahrte,  mao-  dann  im 
12.  Jahrhundert  da  jener  Verschmelzuugsprocess  schon  vollendet  war, 
den  Anlass  gegeben  haben,  als  Gründer  des  nachweislich  im  9.  Jahr- 
hundert erlauten  Castells  den  Urlangobarden  „Bardus-  zu  statuiren-); 
wobei    man    übersah,     d;iss    das    romanische    Element    dahier    in    den 


Verf.  verbreitet  sich  des  weiteren  ühev  den  Cult  der  hl.  Jiistina.  der  seit  der 
früheren  Karolingerzeit  neben  dem  der  Heiligen  Antoninus  und  Victor  in  Pla- 
centia gepflegt  wurde.  Vgl.  die  Urk.  Ludwigs  d.  Fr.  vom  27.  April  819  (Mühl- 
bacher^  690  =  Mitth.  d.  Inst.  Vl[,  442) :  sancte  Placentine  urbis  ecclesie  epis- 
copuR,  quae  est  constructa  in  honorem  sanctorum  Anionini  Victoris  et  Justine. 
Dieser  Cult  war  in  neuem  Aufschwung  begriffen,  seit  man  unter  Kaiser  Otto  111. 
aus  Rom  Reliquien  der  hl.  Jastina  nach  Placentia  überführt  hatte;  sie  kamen 
zuerst  in  die  Kirche  zu  S.  Johannes  evangelista,  nachher  aber  in  die  Kathedrale 
(1001,  16.  Kai.  Sept.  nach  der  Translationsgeschichte  bei  Campi  p.  302).  Wunder 
geschahen  bei  der  Uebertragung  von  Rom  her  „ad  eum  locum,  qui  Varsium 
dicitur,  in  agro  Placentino'  (also  bei  Varsi  im  Thal  das  Ceno,  auswärts  Bardi^; 
später  mulieres  quaedam,  cum  in  ripa  Tarri  fluminis  haererent,  quod  eas  immo- 
dica  vis  aquae  transitum  prohiberet.  navigium  ex  adversa  ripa  protinus  ad  eas 
divinitus  advectum  est.  Kurz,  der  Cult  der  hl.  Justina  verbreitete  sich  auch  in 
die  Thäter  des  Ceno  und  des  Taro,  durch  welche  die  Uebertragung  vor  sich  ge- 
gangen war.  —  S.  Sirus  ist  der  legendenhafte  Stifter  der  Kirche  und  des  Bistums 
von  Pavia.  Vgl.  Liutprand  antap.  III,  5  f.  Bevor  man  in  Piacenza  eigene 
heilige  Leiber  hatte,  war  man  hier,  scheint  es,  auf  den  Cult  des  hl.  Sirus  mehr 
angewiesen.  Vgl.  die  Urkunde  vom  J.  1056  (bei  Campi  ad  a.),  wo  von  einer 
sehr  alten  Kirche  des  h.  Sirus  in  Piacenza  die  Rede  ist. 

*)  Campi  1.  c.  macht  darauf  aufmerksam,  che  uon  ostante  che  Cualderada 
congiuuta  fosse  in  matrimonio,  professava  nulladimeno  (tutto  che  dica  il  Sigonio 
non  haverlo  es  so  trovato  tra  niarito  e  moglie)  una  legge  di  versa  da  quella  di 
Cjiovanni  suo  consorte,  vivendo  questi  secondo  la  Romana,  et  essa  secondo  la 
Longobardica  tenuta  da'  suoi  stessi  parenti,  et  antenati.  —  Vgl.  eine  Urkunde 
von  1078  bei  Campi  ].  c.  p.  520:  .professa  sum  ex  natione  mea  legem  vivere 
Langobardorum,  sed  nunc  pro  ipso  viro  meo  legem  vivere  videor  Alamannorum«. 
Eine  Urk.  von  1081  (bei  Campi)  nennt  eine  Frau  Imilia,  die  nach  römischem 
Recht  lebt,  die  übrigen  genannten  Familienglieder  nach  langobardischem  Recht. 

-)  Woneben  ja  auch  die  Gesichtspunkte,  die  wir  früher  hervorhoben,  sich 
geltend  machen  konnten. 

I 


?j(3(3  Julius  Jung. 

früheren  Zeiten  stärker  gewesen  war,  als  das  langobardische.  Wir 
habeu  es  demnach  mit  einem  etymologischen  Mythus  zu  thuu,  der 
au  deu  Namen  .Bardi"  sich  knüpfte;  wie  zur  Erklärung  des  neuen 
Namens  von  Ticinura,  d.  i.  von  Papia  (Papiria),  in  den  gleichwertigen 
Fabeleien  des  Johannes  Codagnellus  als  ,heros  eponymus"  der  lango- 
bardischen  Königsstadt  ein  Papirius  erfunden  ward  i). 


I)  Diese  Papiriusgescliicliten,  welche  aus  Codagnellus  auch  in  die  späteren 
Placentiner  Chroniken  übernommen  wurden,  sind  von  Holder-Egger  im  N,  Archiv 
d.  Gesellschaft  f.  alt.  deutsche  Geschichtsk.  XVI  S.  496  if.  herausgegeben  worden- 
Vgl.  ebenda  S.  325  ff.  die  Fabeleien  über  andere  italienische  Städte,  die  Codag- 
nellus an  die  Beschreibung  der  Provinzen  Italiens  aus  Paulus  diac.  bist.  Langob. 
11,  14—23  anknüpft.  Einige  dieser  etymologischen  Spielereien  gehen  übrigens 
ins  höhere  Altertum  zurück,  namentlich  auf  Isidor,  auf  Paulus  diaconus ;  /.  B. 
liegt  in  Bezug  auf  den  Namen  Mediolanum  Isid.  Etymol.  XV,  1,  57  zu  Grunde: 
Yocatum  autem  Mediolanum  ab  eo,  quod  ibi  sus  medio  lanea  perhibetur  inventa. 
Auch  anderes  hat,  wie  Holder-Egger  nachweist,  Codagnellus  dieser  Quelle  ent- 
nommen, z.  B.  den  Namen  des  Peucetius,  des  fabelhaften  Gründers  von  Placentia : 
ferner  Manto,  die  Gründerin,  oder  Mantus,  den  Gründer  von  Mantua.  Nach 
diesen  Analogien  ist  auch  ein  Laudus  als  Gründer  von  Lauda  (d.  i.  Lodi)  er- 
dichtet. Ein  schlechter  Kerl,  der  aus  Mailand  seiner  Schandthaten  halber  ver- 
trieben wurde;  woraus  sich  die  gespannten  Beziehungen  Lodi's  zu  Mailand  im 
Zeitalter  Kaiser  Friedrichs  I.  vollauf  erklären  lassen.  Im  Uebrigen  weiss  Codag- 
nellus jeder  Stadt  ihren  entsprechenden  5>heros  eponymus«  zuzuweisen:  der  Stadt 
Palermo  einen  Palermus,  der  Stadt  Salerno  einen  Salernus,  der  Stadt  Capuu 
einen  Capuus.  der  Stadt  Venecia  einen  Venegus;  sogar  der  Stadt  Köln  einen 
<l'ollonius,  der  Landschaft  j,Catellonia«  einen  Catulus  u.  s.  w.  Dabei  ist  die  Zeit 
Friedrichs  I.  für  den  Codagnellus  , Altertum«,  die  Friedrichs  II.  ^Neuzeit ^  Vgl. 
Holder-Egger  a.  a.  0.  S.  264. 


Die 
Habsburger  Chronik  Heinrichs  yon  KHngenberg. 

Von 

Victor  Thiel. 


Die  Chrouica  de  principibus  Habsburgeusibus  seu  Historia  Habs- 
burgensium  comituin  i)  gilt  gegenwärtig  ziemlich  allgemein  als  ein 
verschollenes  Geschichtswerk.  Der  Bischof  Heinrich  II.  von  Constanz 
(1293  —  1306)  aus  dem  Hause  Klingenberg  soll  es  verfasst,  die  Ge- 
schichte der  Grafen  von  Habsburg  bis  auf  die  Zeiten  des  Könio-s 
Eudolf  und  die  Erzählung  von  dessen  Thaten  seineu  Inhalt  ge- 
bildet haben.  Es  ist  kein  Zweifel,  dass  der  hochbegabte  Kircheufürst 
und  ehemalige  Kanzler  des  Königs  Kudolf  in  hohem  Grade  befähigt 
war,  ein  solches  Werk  zu  schreiben.  Hat  er  aber  wirklich  eine  der- 
artige Arbeit  geschrieben? 

Die  Momente,  auf  welche  sich  die  Hypothese  von  der  Existenz 
der  Chronik  gründet,  sind,  kurz  gefasst,  folgende.  Es  liegt  eine  Keihe 
übereinstimmender  Zeugnisse  von  Forschern  des  16.  und  i7.  Jahr- 
hunderts vor,  welche  besagen,  dass  Heinrich  von  Klingenberg  eiu 
Geschichtswerk  über  die  habsburgischen  Fürsten  geschrieben  habe. 
Mit  Rücksicht  auf  diese  Zeugnisse  gieug  man  in  neuerer  Zeit  daran, 
dem  Wesen  dieser  Chronik  nachzuspüren.  So  schloss  man  aus  den 
Beziehuugen  der  Chronik  des  Mathias  von  Neuenbürg  zu  einer  Anzahl 
anderer  Quellen,  insbesondere  zur  Historia  Austriaca  des  Heinrich  von 
Gundelfingen    und    den    Zürcher  Jahrbüchern    auf   die    Existenz    eines 


1)  Eine  Zusammenstellung  der  Literatur  über  sie,  sowie  die  Ergebnisse  der 
bisherigen  Forschungen  bieten  Potthast  2.  Aufl.  1,  580:  Lorenz,  Geschichtsquelleu 
3.  A.  2,  39,  74—77;  G.  Wyss,  Geschichte  der  Historiographie  der  Schweiz  S,  78  f. 


568  Victor  Thiel. 

A'erloren  gegangenen  Werkes,  wie  jenes  sein  mochte,  welches  von  den 
erwähnten  Forschern  des  IG.  und  17.  Jahrhunderts  dem  Heinrich  von 
Klingeuberg  zugeschrieben  wird;  hiebei  glaubte  man,  dass  die  Habs- 
burgerüberlieferungen  des  Mathias  von  Neuenburg  der  Chronik  des 
Kliugeubergers  zuuüchst  stünden.  So  meinte  man  die  Existenz  des 
verscholleneu  Geschichtswerkes  gesichert  und  eiuigermassen  ins  Licht 
gerückt  zu  habeu.  Nur  von  wenigen  Seiten  wurden  Bedenken  o-e- 
äussert,  ohne  dass  diese  eingehend  begründet  worden  wären.  Wie 
berechtigt  jedoch  ein  skej)tisches  Verhalten  gegenüber  dei-  Hypothese 
von  der  Klingenberger  Chronik  ist,  dürfte  aus  der  nachfolgenden 
Untersuchung  hervorgehen,  in  welcher  auf  eine  Reihe  von  Umständen 
hingewiesen  wird,  welche  dagegen  sprechen,  dass  eine  Habsburger 
Chronik  aus  der  Feder  des  Bischofs  Heinrich  II.  von  Constanz  jemals 
vorhanden   gewesen  sui. 

Es  ist  das  Verdienst  einer  Abhandlung  Riegers  ^),  die  Gründe, 
welche  für  die  Existenz  der  Chronik  sprechen,  in  eine  festgefügte 
Argumentation  gebracht  zu  habeu.  Rieger  gieng  von  einer  Quellen- 
analyse des  Mathias  von  Neuenbürg  aus;  er  verwies  auf  die  Art  und 
Weise,  in  welcher  sich  die  mit  Ellenhard,  den  Colmarer  Quellen,  der 
Eeimchrouik.  den  Berner  Annalen,  dem  Für»tenfelder  Mönche.  Johann 
von  Victriug,  Kuchimei^ter.  Johann  von  Winterthur  u.  a.  gemeinsamen 
Nachrichten  des  Mathias  decken;  daraus  gehe  hervor,  dass  Mathias 
neben  mündlicher  üeberlieferung  auch  schriftliche  Vorlag.u  benützt 
habe;  da  nun  eine  Reihe  von  Nachrichten  über  die  Habsburger  der 
Neueuburger  Chronik  einzig  unter  den  bekannten  Schriftstellern  eigen 
sei.  liesse  sich  daraus  die  Benützung  einer  Quelle  erkennen,  welche 
die  Detailangaben,  wie  die  guten  genealogischen  Bemerkungen,  ge- 
liefert hätte;  dieses  Ergebnis  werde  noch  erhärtet  durch  einige  positive 
Beweismittel :  so  biete  Mathias  den  kernigen  Ausruf  des  über  die  Wahl 
des  Grafen  Rudolf  erstaunten  Basler  Bischofs  in  der  ursprünglichen 
Gestalt,  wie  aus  einem  A^'ergleiche  mit  der  Parallelstelle  bei  Ellenhard 
und  dem  Schulmeister  von  Essliuo-en  hervorgehe;  auch  lasse  die  Stelle 
des  Mathias  und  der  Reimchronik  über  den  Tod  König  Rudolfs  eine 
gemeinsame  Quelle  erkennen ;  endlich  verweise  das  Verhältnis  der 
Nachricht  unseres  Chronisten  über  die  Abstammung  der  Habsburger 
und  der  Gründung  ihrer  Stammburg  zu  den  entsprechenden  Stellen 
in  Gundelfingens  Historia  Austriaca  und  in  den  Zürcher  Jahrbüchern 
auf  einen  gemeinsamen  Ursprung. 


')  K.  Rieger,   Heinrich    von   Klingenberg    und    die  Geschichte    des    Haukes 
Habsburg,  im  Archiv  f.  österr.  Gesch.  48,  305 — 354. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenbero-.  559 

Ausser  diesen,  in  der  Chronik  des  Mathias  angeblich  erhalten 
gebliebenen  üeberresten  des  verlorenen  Geschiehtswerkes  glaubte  Kieger 
auch  noch  weitere  Eeste  desselben  in  zwei  in  Versen  ubgefassten  ße- 
richteu  entdeckt  zu  haben,  Avelche  sich  in  den  Zürcher  Jahrbüchern 
eingeschoben  finden. 

Die  Ergebnisse  der  Forschungen  liiegers  Hessen  anscheinend  die 
Chronik  des  Heinrich  von  Kliugenberg  eine  greifbarere  Gestalt  o-e- 
winnen.  Lorenz  i)  fand  das  Resultat  Riegers  für  gesichert.  Zustim- 
mung fand  Rifger  auch  bei  König  2),  Soltau  ^),  Wiehert  ^)  und  See- 
müller ^).  Vor  Riegers  Abhandlung  hatten  Böhmer  6),  Hegel  ■')  und 
Scherer  f^)  ihre  Ansicht  über  den  Gegenstand  geäussert;  sie  hatten  die 
Tradition  von  dem  verlorenen  Werke  des  Klingenbergers  ungläubig 
aufgenommen.  In  neuerer  Zeit  nahm  J.  Rauch  '^)  ein  ab]  ^^  aendes 
Verhalten  gegen  Rieger  ein,  ohne  dieses  jedoch  in  stichhältiger  Weise 
zu  motivireu.  Mit  treffenden  Beweisgründen  dagegen  stellte  sich 
K.  Wenck  10)  zu  Rieger  in  Opposition.  Er  führte  aus,  dass  die  Chronik 
des  Mathias  von  Neuenburg,  als  deren  Verfasser  er  übrigens  Albrecht 
von  Hohenberg  ansah,  in  ihren  älteren  Theilen  lediglich  auf  münd- 
licher Ueberlieferung,  keineswegs  auf  Verwertung  chronikalischen 
Materiales  beruhe ;  die  chronologische  Verwirrung  spreche  gegen  die 
Benützung  einer  mit  den  Ereignissen  gleichzeitigen  Quelle,  wie  etwa 
der  Chronik  des  Heiarich  von  Kliugenberg;  das  Vorhandensein  der 
letzteren  bezweifelt  Wenck;  es  widerspreche  ja  die  Aufzeichnung  der 
Anekdoten  und  Sagen  zur  Geschichte  des  Königs  Rudolf  noch  zu 
Lebzeiten  des  Herrschers  allen  Regeln  der  Sagenbildung;  die  üeber- 
einstimmung    aber,    welche    die    Chronik    des    Mathias    mit    späteren. 


')  Geschichtsquellen  1,  39  Anm.   1,  , 

-)  Zur  Quellenkritik  des  i^auclerus  iu  den  Forsch,  z.  deutschen  (jeschichte, 
18,  49  tt'. 

3)  Der  Verfasser  der  Chronik  des  Mathias  von  Neuenburg  im  Progr.  fli 
Gymn.  in  Zabern  1877,  S.  13  ff, 

*)  Jacob  von  Mainz  und  Mathias  von  Neuenburg  (Königsberg  1881)  S.  67  fl. 

s)  Einleit.  z.  Ausg.  d.  Reimchronik,  Mon.  Germ,  deutsche  Chron.  V/1.  S.  59  • 
zustimmend  Redlicli  in  d.  Recension  der  SeemüUer'schen  Ausgabe  in  d.  Mittli." 
d.  Instituts  16,  681.  ''iiI'-> 

«)  Regesta  Rudolfi  S.  56.  idoh 

'')  Chron.  d.  deutschen  Städte  8,  451  Anm.  1.  'lytdi 

«)  Ueber  das  Zeitbucli  der  Klingenberge  in  d.  Mitth.  z.  vaterl.  Geseh.  ttj. 
St.  Gallen  1862,  S.  75  f. 

'■')  Kritische  Bemerkungen  zu  einigen  Quellen  der  Geschichte  Rudolfs  von 
Habsburg,  Inaug.  Diss.  Königstein  i.  T.  1893.  S.  11  —  14.  jyllani» 

lö)  Albrecht  von  Hohenberg  und  Mathias  von  Neuenburg,  im  NeftietifcAiJ 
cbiv  IX.  S.  31-98.  imiha-tt) 

Mittheilungen  XX.  37 


"YQ  Victor  Thiel. 

österreiciiifecheu  Geschiclitswerken  zeige,  erkläre  sich  aus  der  Beuützuug 
der  Neueuburger  Chronik  seitens  der  späteren;  die  Berührung  endlieh, 
welche  sich  zwischen  Mathias  und  den  Zürcher  Jahrbüchern  in  der 
Erzähkmö"  von  der  römischen  Abst;immung  der  Habsburger  und  der 
GründuufT  ihrer  Stammburg  ergebe,  sei  keiue  so  wörtliche,  unmittel- 
bare, dass  die  Zürcher  Chronik  nicht  ebenso,  wie  Mathias  von  Neuen- 
buro-,  auf  die  mündliche  üeberlieferuug  zurückgehen  könnte.  Die 
Ausführungen  Wencks  werden  in  der  nachfolgenden  Untersuchung 
eine  Bestätigung  finden;  sie  stellt  sich  die  Aufgabe,  die  Hypothese 
Rieo-ers  endgiltig  zu  beseitigen  und  zu  erweisen,  dass  die  Chronik  des 
Heinrich  von  Klingenberg  über  die  Halsburgerfürsten  einem  Irrthume 
oder  einem  Versehen  des  Jacob  Manlius  im  Chronikon  Episcopatus 
Constautiensis  ihre  Scheiuesistenz  zu  verdanken  habe. 

Zunächst  ein  Wort  über  die  Gliederung  der  Arbeit.  Der  Ver- 
fasser hielt  es  für  vortheilhaft,  das  Beispiel  des  Baumeisters  zu  befolgen, 
welcher  bei  der  Demolirung  eines  Hauses,  mit  dem  Dache  beginnend, 
von  olieu  nach  unten  das  Gebäude  abträgt.  Wir  werden  uns  also 
zunächst  mit  den  Ausführungen  der  neueren  Forscher  zu  befassen 
haben  —  im  Wesentlichen  ist  es  die  Arbeit  Riegers,  Avelche  hier  in 
Betracht  kommt  — ,  welche  in  den  Beziehungen  einer  Reihe  von 
Autoren  des  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts  Spuren  der  Klingenberger 
Chronik  gefunden  zu  haben  glaubten;  es  wird  zu  zeigen  sein,  dass 
diese  Berührungen  keineswegs  das  Vorhandensein  einer  Habsburger 
Chronik  des  Bischofs  Heinrich  II.  von  Coustanz  voraussetzen:  es  wird 
sich  hiebei  insbesondere  um  das  Verhältnis  der  Habsburgerüberliefe- 
rnngeii  des  Mathias  von  Neuenburg  zu  Heinrich  von  Gundelfingen 
und  den  Zürcher  Jahrbüchern  handeln.  Nach  Klarleguug  dieser 
Quellenbeziehungen  wird  es  unsere  Aufgabe  sein,  das  Entstehen  der 
Tradition  von  der  Chronik  des  Heinrich  von  Klingenberg  kritisch  zu 
beleuchten. 

T. 

An  erster  Stelle  befassen  wir  uns  mit  dem  Verhältnisse  des 
Mathias  von  Neuenbürg  zu  Heinrich  von  Gundelfingen  und  den  Zürcher 
Chroniken  hinsichtlich  der  von  ihnen  gemeinsam  gebracliten  Nach- 
richt von  der  römischen  Abstammung  der  Hab:?burger  und  dem  Bau 
ihrer  Stammburg;  diese  Beziehungen  nämlich  bilden  die  Hauptstütze 
der  Beweisführung  Riegers. 

Mathias  ist,  wenigstens  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  unserer 
Quellenkenntuisse,  der  erste,  welcher  die  Nachricht  vom  römischen 
Ursprünge  der  Habsburger  bringt;  ein  Jahrhundert  später,  etwa  1447, 
erschien    die    älteste,    erhalten    gebliebene  Fassung    der  Zürcher  Jahr- 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg. 


571 


bücher,  die  Sprenger-Klingeuberg'sche  Handschriftenclasse ;  doch  lässt 
sich  der  Ursprung  der  Jahrbücher  bis  in  die  erste  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts zurückführen.  Die  Entstehung  des  ersten  Theiles  der  Klingen- 
berger  Abtheilung  fällt  in  das  Jahr  1838,  und  es  sind  die  Ereignisse 
bis  zu  dem  Jahre  der  Abfassung  geführt  worden.  Doch  ist  es  frag- 
lich, ob  die  Nachricht  von  der  Abstammung  der  Habsburger  ursprüng- 
licher Bestandtheil  oder  eine  spätere  Zuthat  des  Compilators  ist;  wobei 
von  Belang  ist,  dass  sich  die  betreffende  Notiz  nur  in  jenen  Redac- 
tionen  der  Jahrbücher  vorfindet,  welche  mit  den  Namen  Sprenger 
und  Kliugenberg  in  Verbindung  gebracht  werden  i).  Um  das  Jahr 
1476  endlich  ist  die  Abfassungszeit  der  Clironik  Gundelfiugens  an- 
zusetzen. 


Die  betreffenden  Stellen  lauten  '^) : 

Zürcher  Jahrbücher 


Mathias  von  Neuenburg. 
Studer  C.    1. 


Ruodolfus 
Hahsburer 


comes     de 
ex      a  n  t  i- 


(Ausgabe  von  A.  Henne 

von    Sargans,   Gotha 

1861.   S.    18). 

die  selben  grafFen  (von 
Habspurg)   waren    von 


iquis     progenitori-lRom    in    dise    land 


bus  ab    urbe  Roma 
t  r  a  X  i  t        0  r  i  g  i  n  e  m. 

2  Olim  namque  duobus 
fratribus  propter  poten- 
tis  Romani  occisionem 
eliminatis  ab  urbe,  pa- 
ter  eorum,  nobilior  Ro- 
manus, dans  cuilibet 
eorum  inmenriam  pecu- 
niam,  ipsos  jussit  in 
partes  abire  remotas, 
qui  se  in  superiori  Ale- 
mannia receperunt.  A  n- 

3  t  i  q  u  i  0  r  a  u  t  e  m  a  d 
e  ra  p  c  i  0  n  e  m  p  r  e  d  i  o- 
rum  et  municio- 
num,  junior  autem 
ad     h  a b e n d a m     v  a- 


komen  und  von 
guotem  und  altem 
gesiecht  ze  Rom, 
und  warent  dennoch 
nit  als  rieh  und  als 
mächtig  als  si  aber 
adenlich  mit  iren  taten 
warent.  Es  füegte  sich 
dass  ir  ainer  von  disem 
geschlechte  gaistlich 
was,  und  kam  von  Roai 
in  dise  land  und  wart 
bischoff  ze  strassburg, 
wan  das  selb  bistum 
in  den  ziten  in  grossen 
eren  was,  und  bracht 
also  sinen  bruoder  mit 
jm  heruss.  Der  selb 
herr  was  weltlich    und 


Heinrich    von    Gundel- 

fingen     (Cod.    jllfi    der 

Wiener  Hofbibliothek 

Fol.   30). 

•2  Religatis  ac  deportatis 
ob  potentis  senatoris 
trucidacionem  olim  duo- 
bus fratribus  preclare 
Romanorum  familie  petre 
leonis  dicte  de  Aven- 
tino  monte,  a  Julii  Ce- 
saris,  valentissimi  om- 
nium  principis  qui  in 
vigore  animi  non  ha- 
buit  parem  nee  ante  se 
nee  post  se  familia 
descendentibus,  ipsisque 
ad  Alpium  iuga  veni- 
entibus  ubi  nunc  castrum 
Habdburg  Lucernensem 
circa  lacum   collocatum 

3  cernitur.  Senior  adep- 
tus  predia  et  pos- 
sessiones,      iunior 


')  Vergl.  Scherer,  Ueber  das  Zeitbuch  der  Klingenberge,  in  Mitth.  z.  vaterl. 
Gesch.  V.  St.  Gallen  1862  S.  84,  ferner  S.  80—82. 

2)  Zur  Bequemlichkeit  des  Lesers  sind  die  Quellenstellen,  obwohl  sie  sich 
bereits  bei  Rieger  vorfinden,  hier  wieder  aufgenommen ;  b 'i  Gundelfingen  bin 
ich  auf  das  Manuscript  zurückgegangen,  da  Rieger  die  Orthographie  desselben 
nicht  getreu  wiedergegeben  hat. 

37* 


572 


Victor  Thiel. 


sallorum  multitu- 
dinem  conabatur. 
■Patre  autem  post  ali- 
quot annos  filios  visi- 
tante,  cum  vidisset  se- 
nioris  empta,  eius  pru- 
denciam  coinmendavit ; 
reqüirens  autem  a  ju- 
niore, quid  egerit,  ille 
4se  omnia  in  unam  mu- 

4  nicionem  fortissimam 
coUocasse  [respondit], 
et  jussis  Omnibus  va- 
sallis  suis  cum  eorum 
liberis  masculis  optime 
urmatis  venire  ad  mon- 
tem,  ubi  castriim  Habs- 
burg est  collocatum, 
illic  patrem  traducens, 
illam  forcium  multitu- 
dinem,  quos  et  omnes 
eorum  posteros  mascu- 
liui  sexus  suos  et  po- 
steritatis  sue  fideles  ya- 
sallos,  illis  confitentibus, 
patri  probavit,  suum 
asseruit  esse  castrum. 
Qtto  viso  pater,  in  il- 
lius  animosa  nobilitate 
gavisus,  magnum  the- 
saurum  destinaviteidera. 

5  Ex  quibus  fratribus  om- 
nes de  Habsburg  postea 
processerunt. 


ein  wolgetan  hübsch  ingencia,  vasallo- 
adenlich  man,  dassjnörum  dominia,  de 
mengklich  in  dem  land     quibus    posteri  descen- 


lieb  hatt  edel  und  onedel, 
und  och  die  geburen. 
Ainsmal  do  füegte  es 
sich,  dass  der  bischoflf 
von  Strassburg  wolte 
besechen  was  sin  bruo- 
der  gebuwen  hette,  und 
kam  also  mit  vil  herr- 
4  Schaft  zuo  sinem  bruoder 
4  gen  Habspurg.  Und  do 
der  bischof  die  vesti 
sach,  do  sprach  er  zuo 
sinem  bruoder :  lieber 
bruoder  mich  dunkt  du 
habist  gar  wenig  ge- 
buwen nach  der  hilff, 
die  ich  dir  getan  hab. 
Der  von  Habsburg  ant- 
wurt  sinem  bruoder : 
herr  vnd  bruoder,  morn 
sollen  t  ir  erst  recht 
sehen  den  buw,  den  ich 
getan  hab,  wau  er  hatt 
haimlich  nach  allen  sinen 
dienern  und  fründen 
geschickt.  Mordness  do 
die  herren  ufgestuonden, 
do  lag  das  veld  vol 
Volkes,  und  hattent  ir 
gezelt  ufgeslagen,  her- 
ren, ritter  und  knecht. 
Der  bisehoff  wond,  er 
war  belegen :  nain,  her, 
sprach  der  von  Habs- 
burg, das  sind  min 
muren  die  ich  gebuwen 
hab,  wan  wie  guot  mein 
huss  wär.'^  das  hielff 
mich  nüt,  hette  ich  kain 
fründ  im  laml.  Die  sind 
mir  behu.lffen  in  allen 
meinen  nuten ;  ich  bin 
frömd  im  land,  nun  hab 
ich  mir  selbs  fründ  ge- 
macht. Das  gefiel  dem 
bischoff  wol  und  was 
willig,  sinem  bruoder 
ze  helffen. 


derunt  comites. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg. 


573 


Vergleichen  wir  nun  die  Erzählung  des  Mathias  und  der  Zürcher 
Jahrbücher  vom  Ursprünge  der  Habsburger,  so  müssen  wir  uns  ge- 
stehen, dass  die  Fassung  bei  jeder  der  beideu  Chroniken  eine  eigen- 
tliümliche,  selbständige  ist.  Eieger  selbst  gesteht  zu,  dass  die  beiden 
Berichte  von  einander  abweichen  ').  Gleichwohl  zieht  er  den  Schluss 
auf  eine  gemeinsame  Vorlage  der  beiden  Chronisten:  um  dies  aber 
plausibel  zu  machen,  muss  er  annehmen,  es  habe  die  Urquelle  bereits 
eiue  Ueberarbeitung  erhalten,  und  es  habe,  während  dem  Mathias  die 
ursprüngliche  Fassung  als  Vorlage  gedient  hätte,  der  Zürcher  Chronist 
die  Quelle  in  bearbeiteter  Form  vor  sich  gehabt  und  diese  neuerlich 
einer  Bearbeitung  unterzogen.  Die  Combination  Kiegers  ist  jedoch 
willkürlich  und  entbehrt  jeder  Grundlage.  Es  liegt  überhaupt  keine 
Veranlassung  zur  Annahme  vor,  dass  die  beiden  Berichte  einander 
nahestehen.  Im  äussersten  Falle  Hesse  sich  ein  einziger,  wörtlicher 
Anklang  finden:  Ruodolfus  comes  de  Habsburg  ex  antiquis  progeni- 
toribus  ab  urbe  Eoma  traxit  orio-iuem  —  die  selben  grafFeu  waren 
von  Iiom  in  dise  land  komen  and  von  gnoteui  und  altem  gesleclit  ze 
Rom;  und  dieser  Anklang  besagt  so  wenig,  dass  man  nicht  dass  Ge- 
ringste daraus  schliesseu  kann.  Eieger  suchte  die  Verwandtschaft  der 
Chroniken  auch  an  anderen  Stellen  nachzuweisen.  So  fand  er  An- 
zeichen nahestehender  Beziehungen  in  der  Erzähluno-  von  der  Fehde 
des  Grafen  Eudolf  mit  dem  Abte  von  St.  Gallen. 


Mathias,  Studer  cap.  8. 
Crevit  autem  Ruodolfus  de  Habsburg 
astucia  et  honore ;  qui  cum  litem 
duram  haberet  cum  abbate  Sancti 
Galli  et  due  Utes  alie  sibi  succres- 
cerent,  venit  ad  domum  abbatis,  qui 
eum  persequebatur  odio  capitali  se- 
dens  ad  mensam  eiusdem  edentis. 
Abbas  uero  miratus  ipsum  honorifice 
et  gratanter  recepit  et  sie  illico  in 
tantum  sunt  amici  effecti  quod  abbas 
cum  exercitu  ad  invadendum  alios 
cum  eodem  perrexit.  Dixit  enim 
comes:  Quicumque  tres  Utes  habeat, 
duas  reformet. 


Zürcher  Jahrbücher  (Henne  S.  20  f.). 
wan  si  in  den  ziten  grossen  krieg 
hattent  mit  dem  apt  von  sant 
Gallen  .... 

und  sass  selbst  uff  ain  pfärit  und 
rait  also  selb  dritt,  da  er  den  apt 
von  sant  Gallen  wisst. 

Also  nam  es  herren  ritter  und  knecht 
unbillig  und  den  apt  selb  .... 
Also  wurden  si  alle  willig  unl  ge- 
naigt  .....  und  zugent  alle  mit 
graif  Ruodolffen  ....  und  wuostent 
und  nament  alles  das  ir  werden 
mocht.  Und  sprach  zuo  sinen  die- 
nern :  ir  herren  ritter  und  knecht, 
ich  habe  dick  hören  sagen,  welcher 
zwen  krieg  habe,  der  sol  den  ainen 
lassenrichten  oder  friden  den  andern 
man  liehen  triben  '^). 

')  Rieger  S.  323  ff. 

-)  Auch  Kuchimeister   in    der  Ausgabe  Meyers    von  Knonau   iu    den  Mitth. 


574  Victor  Thiel. 

Auch  hier  schliesst  Rieger  auf  eine  gemeinsame  Vorlage,  doch 
gleichfalls  ohne  hinreichende  Rechtfertigung.  Eine  kleine  theoretische 
Auseinandersetzung  dürfte  hier  am  Platze  sein.  Wann  sind  wir  he- 
reehtigt,  die  Folgerung  auf  die  Benützung  einer  gemeinsamen  schriftlichen 
Vorlage  seitens  zweier  Chronisten  zu  ziehen?  Zunächst  danu,  wenn 
sich  neben  Abweichungen  in  der  Erzählung  eine  Uebereinstimmuug 
in  formeller  Hinsicht  aufzeigen  lässt.  Doch  ist  eine  formelle  Gleich- 
heit oder  auch  nur  wörtlicher  Anklang  zur  Annahme  einer  gemein- 
samen Quelle  nicht  unbedingt  erforderlich,  es  genügt  auch  Gleichheit 
oder  Aehnlichkeit  in  der  Disposition,  im  Aufbau  der  Erzählung  uud  der 
Aufeinanderfolge  der  Einzelheiten,  doch  dies  nur  dann,  wenn  sich  die 
Uebereinstimmung  auf  einen  grösseren  Zusammenhang  erstreckt,  wenn 
die  Aehnlichkeit  in  der  Aneinanderreihung  der  Einzelheiten  eine  auf- 
fallende ist;  im  andern  Falle,  bei  geringfügigerer  uebereinstimmung, 
ist  es  nicht  nur  nicht  nöthig,  sondern  sogar  unberechtigt,  den  Schluss 
auf  eine  gemeinsame,  schriftliche  Quelle  zu  ziehen;  wir  werden  dann 
vielmehr  an  gleiche  oder  verwandte  umstände  in  der  Berichterstattung 
zu  denken  haben.  Es  darf  eben  über  der  Tradition  durch  das  Pe)- 
gament  nicht  das  Moment  der  lebendigen  Ueberlieferung  vergessen 
werden.  In  unserem  Falle  handelt  es  sich  um  eine  Erzählung  von 
einfachem,  schlichtem  Sachverhalte,  bei  welchem  sich  die  Aufeinander- 
folge der  Situationen  von  selbst  ergibt,  su  dass  mit  Leichtigkeit,  um 
nicht  zu  sagen  mit  Noth wendigkeit.  Anklänge  sachlicher  Natur  sich 
einstellen.  Weist  schon  dieser  Umstand  darauf  hin.  dass  beide  Chro- 
nisten auf  mündliche  Ueberlieferung  zurückgehen,  so  muss  umsomehr 
hieran  gedacht  werden,  als  unsere  Erzählung  anekdoteuhaiten  Charakter 
besitzt,  ein  Blatt  in  dem  reichen  Kranze  von  Anekdoten  bildet,  welchen 
das  deutsche  Volk  dem  populären  Herrscher  aus  dem  Stamme  Habs- 
burs:  efeflochten  hat.  dessen  Thateu  uud  Worte  im  Munde  des  Volkes 
fortlebten. 

Des  W^eitereu  hat  Rieger  auf  den  von  Mathias  von  Neuenburg 
und  ilen  Zürcher  Jahrbüchern  gemeinsam  gebrachten  Bericht  von  der 
Gründung  der  Stammburg  (s.  o.  S.  571  f.)  hingewiesen,  um  darzulegen, 
dass  beiden  Chroniken  eine  gemeinsame  Quelle  zugrandeliege.  Auch 
hier  sind  wir  nicht  in  der  Lage,  der  Anschauung  Riegers  zu  folgen. 
Während  sich  nämlich  die  Uebereinstimmung  der  Berichte  ausschliess- 
lich auf  den  Kern  der  Erzählung,  auf  die  Tendenz  derselben  erstreckt, 
sind  die  Abweichungen  zwischen  ihnen  derart    wesentliche,    dass  man 


d.  bist.    Vereins   in   St.  Gallen  18,    75  ö'.    berichtet   dieses   Ereignis,    doch    ohne 
demselben  ein  anekdotenhaftes  Gepräge  zu  geben. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  575 

mit  Fug  behaupten  kanu,  die  Chronisten  berichten  nur  eine  ähnliche, 
nicht  aber  die  gleiche  Begebenheit.  Stellen  wir  die  Verschiedenheiten 
fest.  Mathias  vertheilt  die  Handlung  auf  drei  Personen:  der  Vater 
besucht  seine  beiden,  in  der  Verbannung  lebenden  Söhne,  um  sich 
von  ihrem  Wohlergeheu  zu  überzeugen.  Der  Zürcher  Chronist  be- 
richtet den  Umstand  der  Verbaunung  und  das  Motiv  derselben  über- 
haupt nicht;  auch  findet  sich  bei  ihm  die  Kolle  einer  dritten  Person 
nicht  vor,  er  erzählt  blos  von  zwei  Brüdern,  welche  aus  Kom  aus- 
gewandert sind,  von  denen  der  eine  zum  andern  auf  Besuch  kommt, 
um  zu  sehen,  Avie  dieser  die  ihm  geleistete  Geldhilfe  verwendet  habe. 
Von  der  Gründung  einer  Stammburg  berichtet  Mathias  eigentlich  gar 
nichts,  er  erzählt  blos,  der  jüngere  Bruder  habe  seinem  Vater  gegeu- 
über  auf  seine  fideles  vasalli  hingewiesen  und  sie  als  seine  una  municio 
fortissima  gerühmt.  Die  Zürcher  Chronik  dagegen  erwähnt  thatsäch- 
lich  den  Bau  der  Stamm '.)urg;  doch  findet  sie  der  auf  Besuch  weilende 
Bruder  der  geleisteten  Hilfe  nicht  entsprechend,  worauf  der  andere  die 
Burg  mit  einer  lebenden  Mauer,  seinen  Vasallen  nämlich,  umgürten  lässt 
und  erklärt:  das  sind  min  mmen  die  ich  gebuwen  hab.  Mathias  fügt 
zum  Schlüsse  des  Berichtes  hinzu:  ex  quibus  fratribus  onmes  de  Habs- 
burg postea  processerunt.  Nach  der  Erzählung  der  Zürcher  Jahr- 
bücher aber  sind  die  beiden  aus  Bora  gewauderten  Brüder  identisch 
mit  den  Gründern  der  Stammburg,  sie  sind  bereits  Habsburger. 
Wesenlos  und  schatteuhaft  sind  die  Personen  bei  Mathias;  eine  histo- 
rische Aguoscirung  derselben  ist  unmöglich.  Der  Bericht  des  Zürcher 
Chronisten  hingegen  erfreut  durch  Frische  und  ürsprünglichkeit  der  volks- 
thümlichen  Erzählweise ;  in  ihoi  schimmert  der  historische  (Jutergrund 
der  die  starke,  sittliche  Kraft  des  Lehensbandes  verherrlichenden  Sage 
durch;  thatsächlich  ist  es  ein  Bischof  von  Strassburg  gewesen,  Werner, 
und  dessen  Bruder  Ratbot,  welche  zur  Zeit  der  Kämpfe  Kaiser  Hein- 
richs IL  gegen  die  Burgunder  auf  dem  eroberten  Gebiete  das  Kloster 
Muri  und  die  Feste  Habsburg  gründeten  1). 

So  gross  sind  die  zwischen  den  beiden  Berichten  obwaltenden 
Differenzen,  dass  die  Chronisten,  wenn  man  eine  gemeinsame  Vorlage 
annehmen  wollte,  dieselbe  so  sehr  verändert  haben  müssten,  dass  mit 
Ausuahme  des  Gruudgedankeus  nichts  von  der  Urquelle  übrig  ge- 
blieben wäre. 

Die  von  Eieger  ins  Trefi'en  geführten  Stellen  können  uns  also 
nicht  überzeugen,  dass  Mathias  vou  Neuenburg  und  die  Zürcher  Jahr- 


»)  Vergl.    Martin    Kiem    in    der   Eiul.    z.  Ausg.    d.    Acta   Murensia    in    den 
Quellen  z.  Schweizer  Gesch.  3,  10. 


576 


Victor  Thiel. 


bücher  aus  der  gleiclieu  Vorlage  geschöpft  hätten.  Gleichwohl  finden 
sich  Anzeichen  vor,  welche  zur  Annahme  zwingen,  dass  eine  Ver- 
Avaudtschaft  zwischen  beiden  Chroniken  besteht.  So  berichten  die 
Zürcher  Chroniken  in  der  Ausgabe  Ettraüllers  i).  S.  (31  über  die 
Schlacht  bei  Göllheira:  Ez  erstikte  ouch  vil  volkes  in  dem  strit  von 
o-rozer  hitze,  diu  da  was.  Ez  erstikten  ouch  des  selben  mauls  her 
Otte  von  Ochsenstain,  der  des  herzogen  paner  truog,  und  der  von 
tsenburg,  der  des  künges  paner  truog.  Mathias,  Studer  S.  31  Z.  21 — 24 
erzählt:  Multisque  hinc  inde  occisis  et  pre  calore  extinctis,  inter  quos 
Otto  dominus  de  Ohsenstein,  vexillifer  Alberti,  et  .  .  .  caloribus  sunt 
extincti  —  ...  Die  gleiche  üebereinstimmung  herrscht  in  dem  Be- 
richte von  der  Judenverfolgung  im  Jahre  1349.  Hierüber  heisst  es 
in  den  Zürcher  Jahrb.  Ettm.  S  71:  Anno  domini  MCCCXLIX  do  gieng 
der  groz  mortlich  liumd  üz  von  den  Juden,  daz  si  alliu  wazzer.  diu 
man  vergiften  mocht.  ez  waerint  brimnen  oder  bäch,  vergift  haetint. 
Mathias,  Studer  S.  159  Z.  7  f.  berichtet:  Et  infamati  sunt  Judei,  quod 
huiusmodi  pestilenciara  fecerint  vel  auxerint,  fontibus  et  puteis  iniecto 
veneno.  Eir.e  weitere  üebereinstimmung  zw,  Mathias  St.  S.  34.  4 — 6 
und  Zürcher  Jahrb.   S.  61  l)etrifft  Albrechts  Charakter. 

Es  entsteht  die  Frage:  welche  der  beiden  Chroniken  ist  von  der 
andern  abhängig?  Nun  hat  Scherer")  in  eingehender  Weise  nach- 
•  ••ewiesen,  dass  die  Zürcher  Chroniken,  jedoch  nur  die  Redactionen 
Sprenger  und  Klingenberg  und  die  mit  diesen  verwandten,  aus  Köuigs- 
hofen  in  ausgedehntem  Masse  entlehnt  haben,  wobei  sie  nicht  selten 
Avörtlich  ihre  Vorlage  wiedergebeii.  In  allgemeinen  Umrissen  hat 
Scherer  jene  Partien  der  Jahrbücher  hervorgehoben,  welche  auf  Königs- 
hofen  zurückgehen.  Auch  Hegel  in  der  Einleitung  zu  Königshofeu  '■^) 
zählt  die  Parallelstellen  auf,  ohne  jedoch  vollständig  zu  sein.  Folgende 
•Stellen  sind  bei  Hegel  nachzutragen:  Zürch.  Jahrb.  Ettm.  S.  60  • — 
Königsh.  in  d.  Ausg.  Hegels  S.  450  über  den  Tod  des  Sohnes  Rudolfs 
bei  Rheinaa;  Z.  J.  S.  60.  61  —  Königsh.  S.  454—456  über  die  Re- 
gierung König  Adolfs    und    seinen  Kampf  mit  Albrecht.     Z,  J.  S.  61 

Königsh.  S.  458  Z.   19—22  über  Albreclits  Charakter;  Z.  J.  S.  61. 

62  —  Königsh.   S.  458,  459  über  Albrechts  Tod;  Z.  J.  S.  62—64  — 

'i  Die  Zürcher  Chronil<en  in  der  von  Gebhard  Sprenger  verfassten  Com- 
pilation  hat  Ettmüller  herausgegeben  als  „Die  beiden  ältesten  deutschen  Jahr- 
bücher der  Stadt  Zürich,  in  den  Mitth.  d.  antiqu.  Ges.  in  Zürich  II.  Eine  andere, 
sehr  nahestehende  Compilation  hat  A.  Henne  v.  Sargans,  Gotha  1861  als  ^Das 
Zeitbu^h  der  Klingenberge«  edirt. 

'-')  S.  84-87. 

^)  In  j,I)ie  Chroniken  der  deutschen  Städte  8.  u.  9.  Bd. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klinsfenberg.  577 

Köuigsli.  S.  465 — 468  über  die  Doppel wabl  des  Jahres  1314  uud  den 
Thronkampf  zwischen  Ludwig  und  Friedrieh ;  Z.  J.  S.  64  —  Königsh. 
S.  470  über  die  Zerstörung  S.  Pults  durch  Herzog  Leopold;  Z.  J. 
S.  72  —  Königsh.  S.  472  über  die  Wahl  Karls  IV  Tz.  J.  S.  72  f.  — 
Königsh.  S.  478 — 480  über  die  Bemühungen,  gegen  Karl  IV.  einen 
Gegenkönig  aufzustellen:  Z.  J.  S.  71.  —  Königsh.  Bd.  9  S.  760 
über  die  Judenverfolguug  im  Jahre  1349. 

Da  nun  aber  Königshofen  seinerseits  den  Mathias  von  Neuenburg 
in  der  Weise  ausgebeutet  hat,  wie  es  ihm  nachher  seitens  des  Zürcher 
Compilators  geschah,  erklären  sich  mit  Leichtigkeit  die  oben  ange- 
führten üebereinstimmungen  zwischen  Mathias  und  der  Zürcher  Com- 
pilation.  Dass  aber  die  Zürcher  Jahrbücher  keineswegs  neben  Königs- 
hofen auch  auf  dessen  Quellen  zurückgehen,  hat  schon  Scherer  gezeigt, 
wobei  er  insbesondere  die  auf  Closener  zurückgehenden  Nachrichten 
berücksichtigte.  Um  es  unabweislich  zu  machen,  dass  der  Zürcher 
Compilator  nicht  aus  Mathias,  sondern  nur  aus  Königshofen  geschöpft 
hat,  führe  ich  die  eine  der  beiden  Uebereinstimmungsstellen  nach 
Königshofen  S.  456.  Z.  15—20  an:  do  erstickete  ouch  vil  volkes  in 
dem  strite  von  grosser  hitzen  die  do  was,  .....  do  erstickete  ouch 
herr  Otte  von  Ohssenstein,  der  in  des  herzogen  her  der  oberste  venre 
was,  und  der  von  Ysenberg,  der  in  des  küniges  her  der  oberste  venre 
was.     Die  Eutlehnung  aus  Könisfshofen  ist  wohl  evident. 

Nachdem  wir  das  zwischen  Mathias  von  Neuenbürg  und  den 
Zürcher  Chroniken  bestehende  Verhältnis  klarsrelesjt  haben,  cjehen  wir 
ZU  den  Beziehungen  der  Chronik  des  Mathias  zur  Historia  Austriaca 
des  Heinrich  vou  Gundelfingen  über  1). 

Von  Wiclitigkeit  ist  die  unbestrittene  Thatsache,  dass  Gundel- 
fingen die  Neueuburger  Chronik  gekannt  und  sie  vielfach  in  seinem 
Geschichswerke  verwertet  hat,  wobei  er  seine  Vorlage  nur  wenig  ver- 
änderte.  Eine  Keihe  vou  Stellen,  welche  das  Quellenverhältnis  in 
diesem  Sinne  klarlegen,  führt  Rieger  selbst  an  -),  und  er  gesteht  zu, 
dass  die  Abweichungen  blos  stilistischer  Natur  seien.  Wer  nun  un- 
befangen die  Berichte  der  beiden  Autoren  über  den  römischen  Ur- 
sprung der  Habsburger  liest,  wird,  ohne  dass  ihm  Bedenken  das  Ur- 
theil  erschweren,  auch  für  diese  Nachricht  in  der  Chronik  des  Mathias 
die  Quelle  Gundelfingens  erkennen.  Rieger  dagegen  ist  der  Meinung, 
dass  Gundelfingen  für  diese  Notiz  nicht  nur  die  Erzälihmg  der  Chronik, 
sondern  auch  jene  Quelle,  auf  welche  Mathias  selbst  zurückgehe,  vor- 


1)  Siehe  Anhang  I.,  welcher  den  2,  Theil  der  Hist.  Austr.  bietet. 

2)  Rieger  S.  323. 


578 


Victor  Thiel. 


gelegen  habe.  Der  grössere  Reich thum  an  Details,  welchen  Gundel- 
fiugen  gegenüber  Mathias  aufweise,  wäre  schon  dera  Urberichte  eigen 
gewesen  und  von  Mathias  nur  unterdrückt  worden.  Zum  Beweise 
hiefür  verweist  Rieger  auf  eine  genealogische  Angabe  der  Historia 
Austriaca,  welche  zweifellos  aus  Mathias  genommen  sei;  bei  dieser 
Notiz  weiche  Guüdelfingen  von  seiner  Vorlage  ab,  er  sage  statt  „tres 
fratres  de  Habsburg"  i)  _tres  fuere  [uti  nonnulli  applaudunt  nobis 
historie]  de  Avensberg"  ;  diese  Abweichung  bedinge  die  Annahme  einer 
zweiten  Quelle,  welche  Guüdelfingen  neben  ^lathias  benützt  habe;  aus 
dieser  Quelle  habe  Gundelfiugen  auch  die  Nachricht  von  der  Ab- 
stammung der  Habsburger  von  den  Grafen  ,de  Aventino  monte"  aus 
dem  römischen  Geschlechte  der  Perleonen  geschöpft. 

Die  Beweisführung  Riegers  ist  nicht  stichhältig.  Rieger  begründet 
vor  allem  nicht,  weshalb  die  zweite  Quelle,  aus  welcher  Guüdelfingen 
neben  Mathias  geschöpft  haben  soll,  identificirt  werden  darf  mit  jenem 
Geschichtswerke,  welches  angeblich  auch  der  Chronik  des  Mathias  als 
Vorlao-e  «Tedient  habe.  Und  nehmen  wir  den  Fall  an,  dass  <iuudel- 
fingen  und  Mathias  auf  dieselbe  Urquelle  zurückgegangen  wären,  so 
würden  wir  die  aufi'ällige  Thatsache  hinnehmen  müssen,  dass  nicht 
nur  Mathias,  sondern  auch  die  Zürcher  Jahrbücher,  welche  der  Mei- 
nung Riegers  zufolge  gleichfalls  derselben  Urquelle  die  Nachricht  vom 
römischen  Ursprung  der  Habsburger  entnahmen,  das  belangreiche, 
o-enealosische  Detail,  Avie  es  Gundelfiugen  gibt,  einfach  unterdrückt 
hätten,  ohne  dass  der  Grund  hiefür  einzusehen  wäre. 

Liegt  aber  überhaupt  eine  zweite  Quelle  neben  Mathias  der  Notiz 
Gundelfiugens  zugrunde?  Hierin  müsste  man  Rieger  zustimmen,  wenn 
Heinrich  von  Guüdelfingen  ein  ehrlicher,  gewissen nafter  Geschicht- 
sehreiber  gewesen  wäre,  welcher  für  seine  Nachrichten  quellenmässig 
einstehen  kann.  Lorenz  äussert  sich  über  die  historiographische  Thätig- 
keit  dieses  Mannes,  dass  sie  in  der  Compilation  der  verwegensten 
L-rthümer  mittelalterlicher  Darstellung  bestanden  habe  '^).  Guüdel- 
fingen gehört  jener  Epoche  der  Geschichtschreibuug  an.  welche  durch  das, 
mit  phantastischen,  pseudo-gelehrten  Erfindungen  erfüllte  Werk  eines 
Hauen  eingeleitet  und  charakterisirt  wird.  Nicht  nur  die  ungeheuer- 
liehen  Nachrichten  Hagens  hat  sich  Gundelfiugen  angeeignet,  sondern 
auch  die  bequeme  Manier  desselben,  Geschichte  zu  schreiben;  auch 
für  ihn  bildete  die  Verojanffenheit  nicht  den  Gegenstand  ehrlicher  und 


'I  hftuder  S.  21  :  Fuenmt  autem  tres  fratres  de  Habsburg,  filii  patrui  regis. 
scilicet  Ruodolfus  episcopus,  Gotfridus  dominus  in  Loufi'enberg  et  Eberhardus. 
qui  ditebatur  de  Kybui-g. 

-)  Geschichtsquellen   ).  267. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  579 

mülisamcr  Forscherarbeit,  sondern  den  Tummelplatz  seiner  ge>chinack- 
losen  Phantasie.  Wir  werden  daher  gut  daran  thun,  jene  Nachrichten 
der  Historia  Austriaca,  deren  Glaubwürdigkeit  uns  nicht  anderweitig 
verbürgt  wird,  mit  Misstraueu  aufzunehmen.  Dies  aber  trifft  bei  der 
Notiz  vom  römischen  Ursprung  der  Habsburger  zu.  Als  die  Ahnherren 
derselben  bezeichnet  Gundelfingeu  die  Grafen  de  Aventiuo  nionte;  es 
sind  dies  sehr  zweifelhafte  Existenzen;  nirgends  wird  über  sie  be- 
richtet. GuudelfiDgeu  erzählt,  dass  die  Grafen  der  römischen  Familie 
der  Perleoneu  augehörten,  eines  Patriciergeschlechtes,  welches  that- 
sächlich  in  Eom  existirt  hat  und  im  Jahre  1162  ausgestorben  ist. 
Die  Grabinschriften  der  drei  letzten  Perleoneu  hat  Cardinal  Baronius 
edirt  1) ;  doch  werden  in  diesen,  obwohl  wir  es  erwarten  dürften,  die 
Perleonen  nicht  als  Grafen  de  Aventino  monte  bezeichnet.  Ferner 
lässt  Gundelfingen  die  Perleonen  mit  Julius  Cäsar  verwandt  sein;  doch 
gehören  die  Perleonen  gar  nicht  zur  gens  Julia,  sondern  zur  gens 
Anicia2).  Darnach  köunen  wir  ruhig  annehmen,  dass  die  genealo- 
gischen Zuthaten,  welche  der  Bericht  GundelHngens  der  Erzählung 
des  Mathias  gegenüber  aufweist,  wertlos  und  willkürlich  sind.  Wes- 
halb aber  verleiht  Gundelfingen  den  Perleoneu  gerade  das  Adelsprädicat 
„de  Aventino  monte«?  War  ihm  etwa  bekannt,  dass  das  Grab  des 
letzten  Perleoneu,  Leo  Maximus,  bei  der  Kirche  des  heiligen  Alexius 
auf  dem  Aventin  sich  befand?^)  Ob  er  dies  gewusst  hat,  oder  ob 
er  den  Namen  blos  seines  gut  antiken  Klanges  wegen  gewählt  hat, 
dies  zu  entscheiden  wäre  schwierig  und  nicht  der  Mühe  wert.  Mehr 
Interesse  dagegen  dürfte  die  Frage  haben,  woher  der  Autor  der  Historia  ' 
Austriaca  seine  Kenntnis  von  den  Perleonen  schöpfte. 

In  dem  Verzeichnisse  der  Quellen,  welches  Gundelfingeu  seinem 
Werke  voraugesetzt  hat,  findet  sich  auch  Otto  von  Freising  augeführt. 
In  den  Gesta  Friderici  Ottos  wird  ein  Brief  Arnolds  von  Brescia  an 
König  Konrad  111.  wörtlich  wiedergegeben,  in  welchem  Arnold  von 
der  NiederAverfung  der  päpstlichen  Partei  in  Rom  berichtet^);  unter 
ihren  Häuptern  werden  die  filii  Petri  Leonis  genannt. 


•)  Annales  ecclesiae  saec.  XH.,  angeführt  bei  Lambecius,  Commentarii  H 
cap.  VI  S.  481  f.,  Rieger  S.  324  N.  2. 

'-)  Seifrid,  Arbor  Aniciana  hb.  I  cap.  XÜI,  üb.  II  cap,  VII  u.  VUI. 

'•'}  Lambecius  a.  a.  0. 

^)  Mon.  Germ,  ad  usura  schol.  Script.  II/2.  S.  36  f.:  Sed  pro  his  oninibus, 
quae  vestrae  dilectionis  fidelitate  fecimus,  papa,  Fraiapanes  et  filii  Petri  lieonis 
....  et  alii  plures  undique  nos  impugnant,  ne  libere,  ut  decet,  imperialem 
regio  capiti  valeamus  imponere  coronam  .  .  .  Sciatis  preterea,  quia  pontem 
Milvium  extra  Urbem    parum    longe,    per   tempora  multa  pro  imperatorum  con- 


580 


Victor  Thiel. 


Eine  Analyse  des  Berichtes  der  Historia  Austriaca  über  die  Ab- 
stammung der  Habsburger  ergibt  demnach:  Guudelfiugeu  benutzte  die 
Erzählung  des  Mathias  als  Grundlage  seines  Berichtes,  wobei  er  sie 
nur  stilistiscli  veränderte,  und  gab  durch  Interpolationen  der  unbestimmt 
lautenden  Erzählung  des  Mathias  ein  glaubwürdigeres  Aussehen;  er 
holte  sich  nämlich  aus  Otto  von  Freising  den  Namen  eines  römischen 
Patriciergeschlechtes  heraus  und  stattete  dasselbe  mit  dem  Grafentitel 
de  Aventiuo  monte  und  mit  dem  Glänze  einer  Verwandtschaft  mit 
Julius  Cäsar  aus. 

Wie  Avir  im  Vorstehenden  gezeigt  zu  haben  glauben,  ist  jenes 
Moment,  welches  die  Hauptstütze  der  Ansicht  Biegers  bildet,  die  Be- 
zieliungen  nämlich  zwischen  Mathias  von  Neuenburg,  den  Zürcher 
Jahrbüchern  uud  Gundelfingen,  nicht  geeignet,  uns  zur  Annahme  einer 
den  drei  Chroniken  gemeinsamen  Quelle  zu  bewegen,  einer  uns  nicht 
mehr  zuo-äno-lichen  Chronik  über  die  habsburgischeu  Fürsten.  Mathias 
von  Neuenbürg  steht  den  Zürcher  Chroniken  vollständig  ferne,  ab- 
gesehen von  der,  hier  nicht  in  Betracht  kommenden,  durch  Königs- 
hofeu  gebildeten  Verbindung,  indem  Nachrichten  des  Mathias  durch 
Vermittlung  Königshofens  in  die  Zürcher  Compilation  hinübergeleitet 
worden  sind;  Gundelfingen  jedoch  hat  aus  Mathias,  wie  viele  seiner 
anderen  Nachrichten,  so  auch  jene  über  die  römische  Abstammung 
der  Habsburger  geschöpft. 

Indem  im  Mittelpunkte  der  vorstehenden  Quellenuntersuchuug  die 
Nachricht  vom  römischen  Ursprung  des  habsburgischeu  Hauses  steht, 
liegt  uns  die  Frage  nahe,  unter  welchen  Umständen  diese  Fabel  aut- 
gekommen ist.  Bei  der  gegenwärtigen  Kenntnis  unserer  Quellen  ist 
es  allerdings  die,  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  entstandene 
Chronik  des  Mathias,  welche  zuerst  diese  Nachricht  bringt;  doch  reicht 
.  gewiss  der  Ursprung  der  Fabel  in  eine  frühere  Zeit  zurück.  Eine 
präcisere  Beantwortung  der  Frage  würde  uns  möglich  sein,  wenn  uns 
über  die  Entstehung:  der  Zürcher  Jahrlnicher  Näheres  bekannt  wäre, 
was  übrigens  durch  die  bevorstehende  Ausgabe  derselben  seitens 
Dierauers  zu  erwarten  steht.  Doch  lässt  sich  vorläufig  vermuten,  dass 
in  der  ältesten  Fassung  der  Zürcher  Chronik  die  Herleitung  der  Hal)s- 
burger  von  Rom  imd  die  Sage  von  der  Gründung  der  Stammburg 
nicht  gestanden  habe,  da  nur  die  Schwellhandschriften  Klingeuberg 
und  Sprenger  sie  bringen.  Woher  mag  aber  Mathias  die  Nachricht 
gesch(»pft    haben?     Eine  Entlehnung    aus    einer    älteren  Chronik  lässt 


trario  destructura,  nos  ut  exercitns  vester  per  cum  transire  queat,  ne  Petri  Leonis 
per  castellum  S.  Angeli  vobis  nocere  possint  .  .  .  restauramus. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  53  { 

sich    nicht    nachweisen;    übrigens    legt    uns    schon  der  ganze  schritt- 
stellerische  Charakter  des  Mathias    nahe,    die  Nachricht  als  eine  selb- 
ständige Notiz  seiner  Chronik  anzusehen.     Das   ganze  Geschichtswerk 
zeichnet    sich    durch    eine    durchweg.s    selbständige    Behandlung    des 
Stoffts    aus;    eine   ausgesprochene  Abhängigkeit  von  einer  chronikali- 
sclien  Quelle  ist  nirgends  festzustellen.     Die  Quellen,    aus    denen  Ma- 
thias seine  Geschichtskenutnisse  schöpfte,  sind  gewiss  überaus  mannig- 
faltiger Natur  gewesen.    Es  liegt  auf  der  Hand,  eine  solche  historische 
Bildung,    wie    sie    die  Arbeit  des  Mathias    bekundet,    lässt    sich    nicht 
vom  blossen  Hörensagen  erwerben,  sie  muss  ihrem  Grundstöcke  nach 
auf  einem  fleissigen  Studium  schriftlicher  Quellen  fussen;  hiefür  spricht 
auch  der  Umstand,    dass  sich  viele  seiner  Nachrichten  belegen  lassen. 
Doch    bringt    er   eine    grosse  Zahl    von  Nachrichten    allein,    uud    dies 
muss  darauf  zurückgeführt  werden,    dass  er  ein  Mann  war,    der  seine 
Sinne  ül)erall  und  stets  offen  hielt.    Seine  Berufsstelluno-  als  bischöflich- 
strassburgischer  Beamter,  seine  Verwendung  zu  diplomatischen  Missio- 
nen, sein  Verkehr  mit  Personen  von  hohem  Kange  uud  hoher  Geburt, 
die    unmittelbare  Berührung    mit    dem    politischen  Leben    seiner  Zeit, 
alle  diese  Umstände  begünstigten  hervorragend    seine  gesehichtschrei- 
bende  Thätigkeit  1).     Im  Umgange    mit  Männern,    welche    dem  Hause 
Habsburg  nahe  standen,  mag  nun  Mathias  auch  die  Fabel  vom  römi- 
schen Ursprung    der  Habsburger    in    jener    Form    vernommen    haben, 
wie  er  sie  in  seiner  Chronik  uns  überliefert  hat  ^).    Ich  hebe  den  Ver- 
kehr   des  Mathias    mit    Eberhard    von    Kiburg    hervor,    der   ja    selbst 
habsburgischen   Blutes  war,    und  welchen  Mathias  auf  der  Hochschule 
zu  Bologna   kennen    lernte:    ferner   seine    verwandtschaftlichen  Bezie- 
hangen    zu    der  Basler  Familie    der  Münche,    der    getreuen  Anhänger 
Habsburgs,  welche  einen  König  Albrecht  zu  ihren  Gastfreunden  zählen 
durften  ^).    Dass  aber  Mathias  ein  lebhaftes  Interesse  für  genealogische 
Fragen  besass,  zeigt  durchgehends  der  Inhalt  seines  Geschichtswerkes. 


')  Vgl.  Wenck,  Albrecht  von  Hohenberg  und  Mathias  von  Neuenburg  im 
Neuen  Archiv  9,  3] — 98.  S.  64 — 70  charakterisirt  Wenck  die  Chronik  in  ini 
Ganzen  zutreflender  Weise;  er  widerlegt  eine  Benutzung  chronikalischer  Quellen ; 
die  älteren  Partien  führt  er  auf  mündliche  Tradition  zurück.  In  diesem  letzten 
Punkte  weiche  ich  von  Wenck  ab.  Solche  Einzelheiten,  wie  sie  Mathias  bringt, 
vermag  die  mündliche  Tradition  nicht  zu  bewahren. 

2)  Das  Verdienst,  die  persönl  chen  Beziehungen  des  Mathias  v.  Neuenbürg 
aufgedeckt  und  hiedurch  in  erfolgreicher  Weise  die  Lösung  der  Frage  nach  der 
Autorschaft  der  Chronik  angebahnt  zu  haben,  gebührt  A.  Schulte.  Vgl.  die 
Abhandlungen  desselben  in  Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Oberrh.  6,  496  fl'. :  7,  724; 
11,  318  t. 

3)  Studer  S.  40,  7  ff. 


582  Victor  Thiel. 

Keinesfalls  ist  die  Vermutunor  zulässig,  er  habe  die  Fabel  erfuuden, 
um  etwa  den  Glanz  des  Hauses  zu  erhöhen.  Dazu  hatte  er  keine 
Veranlassung.  Es  wurde  zwar  behauptet  i),  er  habe  seiue  Arbeit  vom 
specifisch  habsburgischen  Standpunkte  abgefasst,  und  das  Haus  Habs- 
burg stehe  im  Vordergrunde  seiner  Darstellung.  Dies  ist  jedoch  uicht 
richtig.  Mathias  hat  die  Habsburger  nicht  mehr  berücksichtigt,  als 
er  es  vom  reichsgeschichtlichen  und  von  seinem  localhistorischen  Ge- 
sichtspunkte aus  thun  musste.  Es  zeigt  sich  dies  darin,  dass  er  der 
Geschichte  der  Habsburger  seit  ihrem  Kücktritte  von  der  Bewerbuuor 
um  die  Königskroue  eine  viel  geringere  Beachtung  schenkt.  Dass 
auch  seine  Objeetivität  nicht  durch  Sympathien  für  das  Haus  Habs- 
burg getrübt  wird,  wird  aus  dem  Umstände  klar,  dass  er  gelegent- 
lich 2)  einmal  das  Alter,  den  Reichthum  und  das  Ansehen  Kiburgs 
höher  schätzt  als  das  Habsburgs,  und  von  der  Politik  König  Albrechts 
hervorhebt,  dass  sie  lediglich  dynastische  Interessen  verfolgt  habe  '^). 
Dass  also  Mathias  die  Fabel  erfunden  habe,  daran  ist  nicht  zu  denken. 
Doch  ist  es  überhaupt  nicht  glaubhaft,  dass  die  Fabel  mit  einer  be- 
stimmten Tendenz  in  die  Welt  gesetzt  worden  sei.  Es  ist  eine  durch 
nichts  gerechtfertigte  Vermutung  Kiegers,  dass  als  Autwort  auf  die 
Verspottung  des  armen  Grafen  durch  König  Ottokar  aus  der  Kanzlei 
Rudolfs  die  Stammsagen  in  die  Welt  gesendet  und  die  Abkunft  von 
den  Römern  erfuuden  und  verbreitet  worden  sei  ^).  Wäre  dies  wirk- 
lich der  Fall  gewesen,  dann  wäre  gewiss  auch  für  die  weitgehendste 
Verbreitung  jenes  Werkes  Sorge  getragen  worden,  in  welchem  die 
Stanimsagcu  aufgezeichnet  worden  sein  sollen,  und  wir  wären  der 
Mühe  enthoben,  mühselig  den  Spuren  dieser  Arbeit  nachzugehen.  Die 
Anknüpfung  des  Geschlechtes  an  Rum  ist  nicht  schwer  zu  erklären. 
Hieug  ja  die  deutsche  Cultur  mit  tausendfachen  Fäden  mit  dem  Römer- 
tum  zusammen,  und  sosehr  hatte  römisches  We^en  den  deutschen  Geist 
unterthan  gemacht,  dass  sich  die  geschichtlichen  Erinnerungen  ver- 
wirrten, dass  aus  Julius  Cäsar,  dem  Besieger  deutscher  Stämme,  der 
Begründer  innerer  Einrichtungen   Deutschluuds    wurde,    und    dass  der 


1)  Rieger  S.  305,  314.     Lorenz,  Geschichtsqu    1,  S.  38,  Rauch  S.   11. 

'^)  Studer  S.  7 :  ipse  vero  patrnelis  et  eius  posteritas  deinceps  non  de  Habs- 
burg, sed  de  Kyburg  sunt  vocati,  eo  quod  illud  dominium  aliud  precessit  tem- 
pore, diviciis  et  honore. 

^)  Studer  S.  34:  Ibte  Albertus  rex  monoculus,  potens  in  regno  Alaiuannie 
et  iiiibi  tiliis  suis  omnia  que  potuit  attrahens,  partes  alias  non  curavit.  In  über- 
einstimmender Weise  äussern  sich  Johann  v.  Winterthur,  Archiv  f.  >xbweizer- 
gesch.  XI  S.  42,  und  die  baier,  Forts,  d.  sächs.  Weltchr.  Mon.  Germ.  Deutsche 
Chr.  II  S.  331. 

•»)  Rieger  S.  352. 


Die  Hiibsburgei-  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  533 

Adel,  die  Auserlesenen  der  Nation,  sich  in  den  Gedanken  hiueinlebteii, 
vom  Edelvolke  der  Kömer  abzustammen.  Nicht  nur  die  Habsburo-er 
auch  die  Weifen,  die  Grafen  von  Berg  und  andere  leiteten  ihren  Ursprung 
von  Rom  ab:  viele  Adelsgeschlechter  führten  ihren  Stamm  auf  einen 
der  Kriegsgenossen  Cäsars  zurück  1).  Diese  Phantastereien  sind  gewiss 
nicht  eine  bewusst  ius  Werk  gesetzte  Geschichtsfälschung,  eine  ten- 
denziöse Erfindung  zu  politischen  Zwecken  gewesen,  sondern  sind  aus 
allgemeinen  Ursachen  cultureller  Art  hervorgegangen.  In  einem  all- 
mählichen Werdeprocess  rankten  sich  um  die  Geschichte  eines  Fürsten- 
hauses die  Stammfabelu  empor.  Erst  in  der  Literaturperiode  eines 
Hagen  wurde  die  Geschichtsüberlieferung  durch  gelehrte,  besser  ge- 
sagt, sehr  ungelehrte  Erfindungen  verunstaltet. 

Nach  dieser  Abschweifung  nehmen  wir  wieder  den  Faden  der 
Untersuchung  auf.  Ausser  den  Beziehungen  zwischen  Mathias,  den 
Zürcher  Jahrbüchern  und  Gundelfingen  hat  ßieger  auf  Berührungen 
zwischen  der  Neuenburger  Chronik  einerseits,  Ellenhard,  der  öster- 
reichischen Reimchronik,  dem  Schulmeister  von  Esslingen,  Joüann 
von  Victring  und  dem  Anonymus  Leobiensis  andrerseits  hingewiesen. 
Es  handelt  sich  da  zunächst  um  einen  Bericht,  welcher  von  allen  vor- 
genannten Schriftstelleru  mit  Ausnahme  Ottokars  und  des  Anouyraus 
gebracht  wird,  nämlich  um  die  Erzählung  von  dem  Erstaunen  des 
Bischofs  Heinrich  111.  von  Basel  (f  1274),  als  ihm  die  Nachricht  zu- 
kam, Graf  Rudolf  von  Habsburg,  der  damals  vor  den  Mauern  Basels 
lag,  sei  zum  Könige  erwählt  worden.  Führen  wir  uns  zunächst  die 
betreffenden   Stellen  im   Wortlaute  vor  Aucen 

Ellenhard  erzählt^):  Et  cum  pervenisset  ad  episcopum  Basiliensem, 
....  irruit  in  eum  tinior  et  tremor   tantus    etiam    quod  ....  mor- 

tuus  est  dicens  circumstantibus: quod  si  homini  iu   hac  vita 

viveuti  patere  posset  meatus  ad  deum  et  in  locum  ipsius  succedendi, 
quod  ipse  dominus  Ruodolfas  succederet  in  locum  eius. 

Der  Schulmeister  von  Esslingeu  3),  welcher  das  Ereignis  in  einem 
Gedichte  behandelt  hat,   lässt  den  Bischof  ausrufen: 

God  nu  sich  ze  diuem  riebe 
also,  daz  er  dir  niht  ersliche 
diuen  himel  ane  wer. 


»)  Vgl.  F.  M.  Mayer,  Untersuchungen  über  die  österr.  Chronik  des  Mathäus 
oder  Gregor  Hagen,  im  Arch.  f.  österr.  Gesch.  60,  306—308. 

2)  Mon.  Germ.  SS.  17,  123. 

3)  Hagen,  Minnesänger  2,  137.  1. 


584  Victor  Thiel. 

Der  Abt  von  Victring  berichtet  i) :  Presul  autem  secundum  sau- 
guinem  eins  propinquus  magis  tameu  ei  iufestus  inceudiis'  et  rapinis, 
ac  cives  viri  fortnnam  effereutes  dixisse  fertur:  Si  de  throno  suo 
omnipotens  se  moveret,  Rudolfus  comes  protinus  insideret. 

In  der  Darstelluug  des  Mathias  endlich  lieisst  es  '^) :  Audiens  autem 
episcopus,  quod  factum  est,  se  percutieus  ad  frontem  dixit:  Sede  for- 
titer,  Domiue  Deus,  vel  locum  tuum  occupabit  Ruodoltus ! 

Höreu  wir  zunächst,  was  Rieger  •^)  aus  diesen  Parallelstelleu  fol- 
gert. Erstens  schliesst  er,  dass  die  vom  Bischof  ausgerufenen  Worte 
sich  rasch  verbreiteten,  dass  sie  allgemein  bekannt,  also  nicht  Erfin- 
dung einer  späteren  Geschichtschreibung  waren;  zweitens,  dass  Mathias 
den  Ausruf  treuer  wiedergebe  als  die  Uebrigen.  Sonst  aber  folgert 
Rieger  nichts:  und  doch  interessirt  es  uns  vor  Allem  zu  wissen,  in 
welchem  Verhältnisse  die  Quellen  unter  einander  stehen,  nicht  aber, 
ob  der  Bischof  von  Basel  überhaupt  einen  Ausruf  gethan,  und  wie 
dieser  gelautet  habe,  eiue  Frage,  welche  übrigens  keineswegs  so  leicht 
und  so  bestimmt  zu  i)eantworten  ist,  wie  es  Rieger  gethan  hat.  Be- 
denken wir  doch,  dass  das  Ereignis  mindestens  Jahrzehnte  bis  zur 
ersten  schriftlichen  Aufzeichnung  nur  in  der  mündlichen  Ueberlieferung 
forto'elebt  hat!  und  wie  überaus  schwierig  es  ist,  Reden  uud  Ge- 
spräche spontaner  Natur  zu  authentificiren!  Glücklicherweise  ist  es 
uns  gleichgiltig,  wie  die  Worte  des  Bischofs  gelautet  haben.  Die 
zweite  Folgerang  Riegers,  dass  Mathias  die  ältere  Tradition  biete, 
weil  er  den  Ausruf  in  lebendigerer  Form  bringe,  lässt  sich  gleichfalls 
nicht  halten.  Mathias  ist  ein  Schriftsteller  von  Jebhaftem  Tempera- 
ment; es  drängt  ihn  zu  dramatischer  Ausdrucksweise,  unverkennbar 
tritt  in  seinem  Geschichtswerke  das  Bestreben  hervor,  den  Leser  zu 
fesseln,  eine  intei-essaute  Leetüre  zu  bieten.  So  legt  Mathias  dem 
Papste  Clemens  IV.  auf  die  Anfi-age  Karls  von  Neapel,  was  er  mit 
dem  gefangenen  Conradin  beginnen  solle,  die  pointirten  Worte  in  den 
Mund:  Vita  Conradini  mors  Karoli,  mors  Conradiui  vita  Karoli^). 
Diese  Worte  ^iud  gewiss  nicht  historisch,  sondern  auf  Rechnung  der 
schriftstellerischen  Mache  zu  setzen  '').     An    einer    andern  Stelle    wird 


>)  Böhmer,  Fontes  I  S.  302.  Soll  es  nicht  statt  ^ae  cives''  »ad  cives »= 
heissen?  Von  der  Bestürzung  des  Bischofs  von  Basel  über  den  Ausfall  der 
Konigswahl  berichten  auch  die  Chronik  von  Colinar,  SS.  17,  und  die  baier.  Forts. 
d.  Sachs.  Weltchr.  Mon.  Germ.  Deutsche  Chron.  2,  328  Z.  14. 

2)  Studer  S.  12. 

3)  Rieger  S.  316. 

•»)  Studer  S.  4  Z.  13  f. 

•':i  Vgl.  Schirrmacher,  Die  letzten  Hoheustaufen  S.  578  Anm.  26 ;  Hampe, 
Konradin  von  Hohenstaufen  S.  314  Anm.  2. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  585 

die  Darstelluug  der  Clironik  so  lebhaft,  da>s  mau  meinen  könnte,  eine 
Komauepisode  zu  lesen,  dort  nämlich,  wo  er  von  dem  nächtlichen 
Ueberl'alle  der  in  König  Kudolfs  Heere  dienenden  Schweizer  auf  das 
burgundische  Lager  während  des  Sommerfeldzuges  im  Jahre  1289 
erzählt  ^).  Da  hinwieder,  wo  er  Ludwig  den  Baiern  in  die  Darstellung 
einführt,  wird  er  schwungvoll,  und  in  vortreiflicher  Weise  zeichnet  er 
mittelst  Anthithesen  den  widerspruchsvollen  Charakter  Ludwigs  -). 
Diese  wenigen  Beispiele  für  viele ;  und  so  ist  auch  in  der  ürwüchsig- 
keit,  welche  Mathias  dem  Ausruf  des  Basler  Bischofs  verleiht,  nicht 
ein  Auzeichen  der  getreuen  Ueberlieferuug,  sondern  die  Technik  des 
Schriftstellers  zu  erblicken. 

Auf  das  Quellenverhältnis  ist  Eieger  nicht  eingegangen.  Ein 
Vergleich  der  vier  Berichte  ergibt,  da>3  sie,  formell  voa  einauler  un- 
abhängig, nur  im  sachlichen  Kerne  übereinstimmen.  Bloss  ein  ent- 
fernter Anklang  liesse  sich  etwa  in  der  Formulirung  des  Mathias  und 
des  Johann  von  Victring  wahrnehmen.  Ein  Anlass,  eine  gemeinsame, 
schriftliche  Vorlage  auzuuehmen,  liegt  nicht  vor;  dessen  ungeachtet 
ist  eine  solche  Möglichkeit  nicht  gänzlich  abzuweisen.  Wahrscheinlich 
sind  jedoch  alle  vier  Fassungen  der  Anekdote,  welche  die  rastlos  vor- 
wärts drängende  Thatkraft  Rudolfs  verherrlicht,  ans  dem  Borne  der 
mündlichen  üeberlieferung  geflossen. 

Gehen  wn-  zu  den  weitereu,  von  Rieger  aufgezeigten  Quellen- 
berührungen über.  Rieger  s)  verweist  auf  das  Verhältnis,  welches 
zwischen  der  von  Mathias  erzählten  Weissagung  von  Rudolfs  Grösse 
und  einem  ähnlichen  Berichte  des  Anonymus  Leobiensis  herrscht.  Die 
Chronik  des  Mathias  erzählt  uns  ^) :  Ruodolfus  vero  cum  esset  cum 
Friderico  imperatore  in  Lumbardia,  qui  et  ipsum  Ruodolfum  de  sacro 
fönte  levavit,  astrouomus  imperatoris  ipsi,  Ruodolfo,  quamvis  iuveni, 
frequeiiter  assurgens  ipsum  pre  cunttis  spectabilibus  et  clarissimis 
honoravit.  Sciscitatus  autem  a  Cesare  astronomus,  cur  ille  pre  ceteris 
tantum  exhiberet  honorem,  quod  ad  eum  imperii  honor  et  ipsius  prin- 
cipis  potestas  deveniret,  rcopoudit.  Turbato  autem  cesare  et  illi  in- 
dignaute,  astronomus  dixit:  Non  indignemini  ei,  quia  antequam  in- 
cipiet  eius  dominium,  ex  vobis,  qui  iam  decem  habetis  filios,  et  ex 
ipsis  penitus  nullus  erit.  Verum  Ruodolfus  abinde  recessit.  Im 
Anonymus  Leobiensis  ^)  heisst  es  dagegen :    Hie    rex    cum  adhuc  esset 


1)  Studer  S.  24. 

2)  Studer  S.  56. 

3)  S.  307  f. 

•*)  Studer  S.  2  f. 

5)  Pez  SS.   1,  838. 

Mittheilungen  XX.  ■  38 


586  Victor  Thiel. 

juveuis  filius  comitis,  et  cnria  Friderici  II.  imperatoris  cum  aliis  do- 
micellis  serviret,  a  Mathematicis  sive  Astrologis  super  alios  se  nobi- 
liores  tuoc  iu  curia  imperatoris  existentes  venerabatur.  Qui  in  hoc 
diu  per  se  consideravit  nesciens  quid  Magistri  imperatoris  isti  in  eo 
aestimarent;  cogitavit  iutra  se:  Isti  me  majorem  ac  nobiliorem  curiae 
aestimant,  cum  non  sum.  Quadam  vice  cum  isti  Jion  cessareut  sibi 
regales  honores  impendere,  accessit  ille,  eos  secrete  ipsos  super  hoc 
arguendo.  Isti  secrete  sibi  revelaverunt,  dicentes:  Videmus  vos  impe- 
ratori  succedere  in  domiuio  suo;  sed  consulimus,  ut  de  curia  hac  re- 
cedatis,  ne  ipse  imperator  iu  vobis  hoc  cognoscat  vel  relatione  ali- 
cuius  vel  ex  arte  ista,  in  qua  satis  per  se  sapere  cognoscitur. 

Auch  hier  bietet  das  formelle  Moment  keine  Handhabe,  um  das 
Verhältnis  der  beiden  Berichte  feststellen  zu  können.  Inhaltlich 
weichen  die  Chronisteu  in  mancher  Hinsicht  wesentlich  von  einander 
ab,  doch  weist  immerhin  der  Gang  der  Erzählung  ein  so  überein- 
stimmendes Gepräge  auf,  dass  man  der  Ansicht  Riegers,  welcher  in 
den  beiden  Berichten  Ueberarbeitungen  derselben  Vorlage  sieht,  eine 
gewisse  Berechtigung  nicht  absprechen  kann.  Doch  ist  hiemit  noch 
nicht  zugegeben,  dass  die  ja  doch  nur  mit  Wahrscheinlichkeit  auzu- 
nehmeude,  schriftliche  Vorlage  die  Historia  comitum  Habsburgensium 
o-ewesen  sein  müsse.  Wir  werden  im  Verlaufe  unserer  Untersuchung 
noch  darauf  zurückkommen. 

Endlich  erblickt  Eieger  ^)  noch  in  einer  Parallelstelle  zwischen 
Mathias  uud  der  steierischen  Reimchronik  eine  Spur  der  verlorenen 
Chronik  des  Heinrich  von  Klingenberg.  Die  Berührung  betrifft  die 
Erzählung  vom  Tode  König  Rudolfs.  Mathias  berichtet  über  den- 
selben ^) :  Deficiente  tandem  rege  pre  senio  et  dicentibus  sibi  medicis, 
quod  ultra  certos  dies  durare  nequiret,  ipse  dixit:  Eamus 
ergo  Spiram  ad  alios  reges  se  pultos!  et  manens  in  Germers- 
heim iuxta  Spiram  ibique  moriens  Spire  in  sepulcro  regali  honorifice 
est  sepultus,  anno  regni  eins  XVIII. 

Ottokar  3)  dagegen  erzählt  uns: 

Wand  iwer  erzte,   die  hie   stant, 
die  habent  mich  gemant 
daz  ich  iu  tuo  von  in  kunt, 
daz  ir  für  dise  stunt 
lenger  mugt  geleben  niht; 


1)  Ö.  317  fl; 

'')  Studer  S.  27. 

s)  Mon.  Genn.  Deutsche  Chron.  V,  Vers  :38948 


Die  Habsburger  Cbronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  537 

wand  ob  iu  daz  heil  geschiht^ 

als  ich  höre  an  ir  sag, 

ob  ir  unz  an  den  fünften  tac 

dem  töde  vor  west, 

fürbaz  ir  niht  genest ! 

Darauf  hin  ruft  der  Köuig  1) : 

,Wol  üf,   so   sullen  wir  niht  mer 
beliben   alhie'   .   .   . 


,Zuo  den  andern  hin 

w  i  1  ich',   sprach  er,   ,an   diser  frist, 

liinz   Spire,   da  ir  mere  ist 

miner  vorvarn 

die  ouch  kunige  wären, 

den  wil  ich  in  belibens  siten 

zuo  komen  geriten, 

so  daz  mich  nieman  darf  fueren  dar'. 

Die  beiden  Berichte  weisen  bei  einem  im  Wesentlichen    gleichen 
Inhalt  einige  sachliche  Abweichungen,    doch    auch   formelle  Anklänge 
auf.     Die  Differenzen  sind  folgende.     Ottokar  erzählt  von  einem  Ritte 
Rudolfs  zum  Sterbeorte,  wovon  Mathias  nichts  berichtet;  die  Reimchronik 
gibt  Speier,  Mathias  Germersheim  als  Ort  an,    wo  Rudolf   starb;    irr- 
thümlich    gibt    der  Reimchrouist    an,    dass  Rudolf  unz    in    daz    niun- 
zeheude  jär  römischer  König  gewesen  sei  (Vers  39223);  Mathias  ver- 
zeichnet   dagegen    richtig:    anno    regni    eius    XVIII;    andrerseits    gibt 
Ottokar    den  Todestag    richtig    au :    ,an    der  zwelfpoten  tac  als  si  got 
teilte'    (Vers  39225  ff.),    Mathias    dagegen    ein    falsches:    II.    kalendas 
Octobris.     Die    formellen    Anklänge    sind    im    Texte    graphisch    ge- 
kennzeichnet.    Die  eine  übereinstimmende  Wendung,   der  ähnlich  ge- 
gebene Anspruch  der  Aerzte,  ist  jedoch  nur  eine,  einem  leicht  in  den 
Mund  kommende  Phrase  und  scheint  mir  daher,  nicht  viel  zu  besagen. 
Schwieriger  ist  die  Erklärung    der   zweiten    übereinstimmenden  Stelle. 
Eine  Entlehnung  seitens  des  Mathias,  der  ja  nirgends  die  Reimchronik 
benützt,    ist    vor    allem    ausgeschlossen.     Nun  ist  nicht  zu  verkennen, 
dass  Ottokar,    wie    an   vielen    anderen  Stellen,    so    auch   bei  dem  Be- 
richte über  den  Tod  Rudolfs  die  Gesta  Rudolfi  EUenhards  benützt  hat. 
EUenhard  2)    erzählt  nämlich:    Rudolfus  .  .  .  a  Castro  Germersheim  se 
transtulit  Spiram,  in  qua  civitate  Spirensi  reges  Romanorum  ab  antiquo 
cousueverant  inhumari.    Es  kann  demnach  angenommen  werden,  dass 


1)  Vers  38987  flf. 

2)  Mon.  Germ.  SS.  17,  134. 

38* 


588  Victor  Thiel. 

die  Wendung  bei  Ottokar:  Zuo  den  andern  hin  wil  ich  .  .  .  liiuz 
Spire,  da  ir  mere  ist  ininer  vorvarn  die  oucli  kunige  wäreu,  auf  den 
von  Ellenhard  bei  der  Nennung  Speiers  gemachten  Zusatz  zurück- 
zuführen sei.  Bei  Mathias  jedoch  ist  an  eine  Entlehnung  aus  Ellen- 
hard nicht  zu  denkeu.  Es  ist  gewiss,  dass  der  Autor  der  Neueuburger 
Chronik  die  Gesta  Rudolf!  nicht  vor  sich  gehallt  hat,  wenigstens  nicht 
bei  der  Concipirung  seiner  Arbeit  wie  das  von  ihm  über  Rudolf 
Gesagte  beweist  i).  Ellenhard  als  gemeinsame  Quelle  Ottokars  uud 
Mathias  anzusehen,  ist  demnach  auch  nicht  gestattet.  Köunte  aber 
der  formelle  Anklang  zwischen  den  beiden  Chronisten  nicht  ein  zu- 
fälliger sein"?  Die  erste  baierische  Fortsetzung  der  sächsi.-ichen  Welt- 
chronik gebraucht  bei  der  Erwähnung  des  Todes  Königs  Rudolf  die 
Wendung-):  Er  wart  begraben  ze  dem  tum  bei  andern  chünigeu. 
Aehulich  heisst  es  bei  Clevi  Fryger  von  AValdshut^):  und  wart  er- 
heben begraben  zuo  dem  tum  zu  Spyr  bi  andern  küngen.  Denselben 
Ausdruck  gebraucht  er  später  wieder  ^) :  Item  wau  nu  küng  Albrechts 
tod  was  do  solt  man  in  ze  Spir  begraben  bi  andren  küngen.  Halten 
wir  dazu  noch  die  oben  citirte  Stelle  aus  Ellenhard,  so  wird  aus  dieser 
Zusammenstellung  klar,  dass  die  Bezeichnung  Speiers  als  Begräbnis- 
stätte der  deutscheu  Könige  eine  ziemlich  ständige,  eine  stehende, 
gewesen  ist.  Hiedurch  aber  büsst  die  ankliuo-ende  Wendung  bei 
Mathias  und  Ottokar  an  ihrer  Auffälligkeit  em. 

Endlich  ist  es  zu  beachten,  dass  wir  hier  abermals  eine  Anekdote 
vor  uns  haben,  also  auf  die  mündliche  Ueberlieferung  als  etwaige 
gemeinsame  Quelle  bedacht  sein  müssen.     Durch  die  Pointirung  einer 

1)  Hegel,  Deutsche  Städtechroniken  8,  60,  Rieger  iS.  309  t.  und  Huber,  Fontes  IV 
.S.  XXXH  N.  1  lehnen  jede  Entlehnung  seitens  des  Mathias  aus  Ellenhard  ab.  Im 
Gegensatze  hiezu  hat  sich  Lorenz,  Geschichtsquellen  1,  38  f.  dahin  geäussert, 
dass  Mathias  seine  älteren  Strassburger  Vorgänger  nicht  unbekannt  gewesen 
wären.  Es  ist  eben  zu  unterscheiden,  ob  ein  Autor  eine  Quelle  überhaupt  ge- 
kannt, und  ob  er  sie  für  seine  Arbeit  unmittelbar  herangezogen  hat.  So  gewiss 
es  nun  ist,  dass  Mathias  die  Chronik  Ellenhards  nicht  unmittelbar  bei  seiner 
Arbeit  vor  sich  hatte,  so  dürfen  wir  wohl  annehmen,  dass  ein  Mann,  der  so  viel 
historische  Bildung  besass,  um  ein  umfangreiches  und  gediegenes  Geschichtswerk 
herstellen  zu  können,  jene  Chroniken  gelesen  hat,  welche  er  in  so  unmittelbarer 
Nähe  hatte,  wie  die  Strassburger  und  Colmarer  Geschichtsc^uellen.  Dafür  spricht 
auch  die  vielfache  sachliche  Berührung  der  Chronik  des  Mathias  mit  den  ge- 
nannten Geschichtswerken.  Eine  Benützung  Ellenhards  seitens  Mathias  hat  nur 
Droysen,  Albi'echts  I.  Bemühungen  um  die  Nachfolge  im  Reiche  S.  57  mit  Be- 
stimmtheit behauptet. 

-)  Mon.  Germ.  Deutsche  Chrou.  H.  S.  329  Z.   17  f. 

^)  Gedruckt  bei  Gerbert,  De  translatis  Habspurgo-Austriacorum  principum 
cadaveribus  S.  92. 

'}  S.   100. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  53^ 

Anekdote  wird  aber  auch  der  Fassuncr  derselben  eine  o-ewisse  Stabilität 
gesichert.  Eine  Nothwendigkeit,  eine  gemeinsame  schriftliche  Vorlao-e 
der  steierischen  und  der  Chronik  des  Mathias  anzunehmen,  besteht 
daher  auch  in  diesem  Falle  nicht. 

Die  drei  zuletzt  besprocheaen  Berührunoreu  haben  durchwesrs  eine 
Anekdote  zum  Inhalte,  deren  Held  der  im  Munde  seines  Volkes  fort- 
lebende König  Rudolf  ist.  Von  Mund  zu  Mund  gehend  machten 
die  Anekdoten  die  Kunde  in  den  deutschen  Landen.  Es  verdient  die 
Fortpflanzung  durch  die  mündliche  Tradition  bei  Anekdoten  eine 
viel  grössere  Berücksichtigung,  als  bei  rein  historischen.  Ausgeschlossen 
ist  es  freilich  nicht,  dass  gleichwohl  auch  bei  der  Ueberlieferuno-  von 
Anekdoten  eine  schriftliche  Quelle  eine  Reihe  von  Berührungen  ver- 
ursacht habe.  Bei  den  uns  vorliegenden  Fällen  ist  die  Wahrschein- 
lichkeit, dass  mündliche  Tradition  das  Bindeglied  gebildet  habe,  ver- 
schieden ;  sehr  gross  ist  sie  in  jenem  Falle,  in  welchem  es  sich  um 
den  Au.sruf  des  Basier  Bischofs  handelt;  verhältnismässig  am  geringsten 
ist  sie  in  dem  die  Weissagung  von  Rudolfs  Grösse  betreffenden  Falle ; 
der  Inhalt  dieser  Erzählung  ist  ein  derartiger,  dass  er  wohl  kaum 
dem  Munde  des  Volkes  geläufig  geworden  ist;  auch  ist  hier  die  Aehn- 
lichkeit  der  beiden  Berichte  die  grösste.  Nachdem  wir  nun  aber, 
namentlich  mit  Rücksicht  auf  den  eben  erwähnten  Fall  die  Even- 
tualität zugegeben  haben,  dass  eine  schriftliche  Vorlage  die  Ursache 
der  Quellenübereinstimmuugen  gewesen  sein  könnte,  haben  wir  auch 
die  Möglichkeit  der  Existenz  einer  verloren  gegangenen  Chronik  zu- 
gestanden, da  die  Berührungen  aus  dem  gegenwärtig  bekannten  Quellen- 
bestande nicht  erklärt  werden  können.  Wir  müssen  uns  daher  auch, 
mit  der  Frage  beschäftigen,  wie  eine  solche  Quelle  annähernd  be- 
schaffen gewesen  sein  mag  und  ob  uns  nicht  Nachrichten  über  eine 
derartige,  verlorene  Arbeit  überliefert  worden  seien.  Rieger  meinte, 
die  drei  Anekdoten  seien  zuerst  in  jener  Chronik  über  die  habsbur- 
gischen  Fürsten  gestanden,  welche  späteren  Nachrichten  zufolge  der 
Bischof  Heinrich  II.  von  Constanz  geschrieben,  und  welche  mit  Rück- 
sicht darauf,  dass  der  Bischof  des  Königs  Rudolf  Kanzler  gewesen, 
hauptsächlich  die  Geschichte  Rudolfs  zum  Inhalte  gehabt  habe.  Man 
muss  zugeben,  dass  die  Anekdoten  recht  gut  in  einer  solchen  Chronik 
hätten  stehen  können.  Wenn  wir  nun  aber  iu  Erfahrung  bringen, 
dass  es  eine  Quelle  gegeben  habe,  deren  ausschliesslichen  Inhalt 
Anekdoten  über  König  Rudolf  bildeten,  so  werden  wir  wohl  mit  viel 
grösserer  Wahrscheinlichkeit  annehmen  dürfen,  dass  diese  die  Ursache 
der  uns  vorliegenden  Quellenberührungen  gewesen  sei,  und  nicht  die 
fragwürdige  Chronik  des  Kliugenbergers 


590  Victor  Thiel. 

Eine    solche    Anekdotensammlung    hat    es    thatsächlich    gegel^en. 
Einer    Notiz    in    der    Kaisergeschichte    Cuspiniaus  ^)    zufolge    hat    ein 
Libellulus    de   facetiis  Eudolfi    existirt,    welchen  ein  Albertus  Argenti- 
nensis    geschrieben    habe,     Cuspinian    gibt    aus    diesem  Büchlein   vier 
Anekdoten  wieder,  deren  drei  auch  anderwärts  überliefert  sind.    Ausser 
den  Angaben  bei  Cuspinian  ist  uns  über  das  Anekdotenbuch  nichts  über- 
liefert worden.     Was  den  Verfasser  des  Buches,  Albertus  Argentinensis, 
betrifft,  so  hat  ihm  Cuspinian  irrthümlich  auch  jene  Chronik  zugeschrieben, 
deren  Autorschaft  nach  wechselvollem,  literarischen  Streite  in  jüngster 
Zeit  endgiltig  dem  Mathias  von  Neuenburg  zuerkannt  worden  ist;  mög- 
licherweise hat  aber  Cuspinian  ihn,  den  Albertus  Argentinensis  nämlich, 
nur  für  den  Verfasser  einer  Compilation  gehalten,  in  welcher  unter  an- 
derem auch  die  Neuenburger  Chronik  enthalten  war  -).    Die  Ausicht  3), 
dass  Albertus  Argentinensis  identisch  sei  mit  dem  Grafen  Albrecht  von 
Hohenberg,  Bischof  von  Freising,  in  welchem  Soltau  *)  und  Wenck  den 
eigentlichen  Autor  der  Chronik  von  Neuenburg  entdeckt  zu  haben  glaub- 
ten, hat  gewiss  nichts  für  sich.    Weiland  nahm  eine  Mittelstellung  ein 
zwischen  Soltau- Wenck  einerseits  und  Schulte,  der  des  Mathias  Autor- 
rechte ungeschmälert   wissen    wollte,    andrerseits;    er  meinte,    Mathias 
hätte  neben  anderen  schriftlichen  Aufzeichnungen  des  Grafen  Albrecht 
auch    dessen    Büchlein    von    den    Schnurren    König    Kudolfs    benützt. 
Sehen  wir  uns  nun  jenen  Theil  der  Chronik  näher  an,  welcher  auf  das 
Anekdotenbuch  des  Hohenbergers  zurückgehen  soll;  es  sind  durchwegs 
Anekdoten;    in  dreien  derselben  spielt  der  Hohenbergische  Notar  mit 
dem  Beinamen  „der  Cappadocier"  eine  hervorragende  Rolle;  keineswegs 
tragen  sie  ein  solches  Gepräge,  welches  sie  als  das  geistige  Eigenthum 
eines  Mannes  von  der  Stellung  und  der  Begabung  des  Grafen  Albrecht 
erkennen  liesse;  sie  lassen  sich  am  besten  als  Eulenspiegelgeschichteu 
charakterisiren ;    der  Cappadocier    figurirt    in    ihnen    als  Held,    dessen 
Spässe  und  lustigen  Streiche  mit  vielem  Behagen  erzählt  werden.    Die 

»)  Cuspinian,  De  Caesaribus,  in  der  Ausg.  von  1540.  S.  536  f.,  in  der  Ausg. 
von  1501  S.  354.  Auf  diese  Notiz  bat  zuerst  Wenck.  , Albrecht  v.  Hohenberg 
und  Mathias  v.  Neuenburg'  S.  41  aufmerksam  gemacht.  Wenck  bemerkt,  dass 
die  Anekdote  von  der  Adlernase  Rudolfs,  welche  Cuspinian  nach  dem  libellulus 
wiedergibt,  sich  nur  bei  Johann  v.  Winterthur  S.  24  wiederfinde;  sie  wird  aber 
auch  von  Johann  v.  Victring,  Font,  l  S.  318  erzählt. 

')  Vergl.  Wenck  S.  88  f. 

s)  Vergl.  Weilands  Einleitung  z.  d.  Geschichtschreibern  d.  d.  Vorzeit  saec. 
XIV  6.  Bd.,  inbes.  ö.  XIV. 

■»)  Der  Verfasser  der  Chronik  des  Mathias  von  Neuenbürg,  im  Progr.  des 
Gymnasiums  m  Zabern  1877;  ferner  Jacob  von  Mainz,  Mathias  v.  Neuenburg 
oder  Albertus  Argentinensis  in  Strassburger  Studien  1.  301  ff.;  auch  im  Separat- 
druck erschienen  1883. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  591 

Unbedeutendheit  des  Inhalts,  die  Derbheit  des  Tones  verweisen  uns 
darauf,  den  Autor  der  Histörchens  in  einer  niederen  Sphäre,  etwa  im 
Gesinde  des  Hoheubergers  zu  suchen.  Dass  Bisehof  Albrecht  überhaupt 
literarisch  thätig  war,  dafür  haben  wir  gar  keinen  Anhalt.  Wie  sollte 
ferner  der  Bischof  zur  Bezeichnung  Arffentinensis  kommen?  Er  war 
zwar  auch  unter  anderem  canonicus  Argentinensis :  was  bedeutete  aber 
für  ihn  bei  seinem  Keichtum  an  geistlichen  Würden  das  Strassburger 
Canonicat?  nichts  weiter  als  eine  annehmbare  Vermehrung  seines 
Einkommens.  Zur  Identificiruug  des  Kirchenfürsten  mit  dem  Ge- 
schichtschreiber Albert  von  Strassburg  liegt  somit  kein  Anlass  vor. 

Von  Wichtigkeit  ist  die  Frage  der  Abfassungszeit  des  Werkchens; 
eine  durchaus  befriedigende  Antwort  ist  uns  leider  nicht  möglich. 
Cuspinian  nennt  den  Verfasser  einen  annalium  scriptor,  qui  per  haec 
tempora  floruit,  wobei  aus  dem  Zusammenhange  zu  erschliesseu  ist, 
dass  hiemit  die  Zeit  des  Köuigs  Rudolf  bezeichnet  wird  i).  Ein  ter- 
minus  ad  quem  ergibt  sich  durch  die  zweifellose  Benützung  des  Buches 
seitens  des  baierischen  Fortsetzers  der  sächsischen  Weltchronik,  welcher 
um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  schrieb  ^).  Sehr  wahrscheinlich  ist 
die  Auekdotensammlung,  soviel  den  oben  behandelten  und  den  des 
Weitern  noch  zu  erörternden  Quellenberührungen  nach  zu  schliessen 
ist,  auch  dem  Mathias  von  Neuenburg,  Johann  von  Winterthur, 
Johann  von  Victriug,  dem  Anonymus  Leobiensis,  den  Zürcher  Chro- 
niken und  dem  verloreneu  Buche  von  Königsfelden  als  Quelle  vor- 
gelegen, kaum  jedoch  schon  Ellenhard  und  dem  steierischen  Reim- 
chonisten,  deren  Armut  an  Anekdoten  in  auffälligem  Gegensatze  steht 
zu  der  überreichen  Fülle  an  solchen,  welche  wir  mit  einem  Male  bei 
den  im  4-,  5.  und  6.  Jahrzehnte  des  14.  Jahrhunderts  entstandenen 
Chroniken  wahrnehmen  ^). 

In  dem  Anekdotenbüchlein  mag  zum  ersten  Male  auch  die  Er- 
zählung von  der  Begegnung  Rudolfs  mit  einem  Priester  gestanden 
haben  ^) ;    überliefert    wird    sie  durch  die  Zürcher  Jahrbücher,  Johann 


')  Vergl.  Wenck  8.  41. 

2)  Vergl.  Wenck  a.  a.  0. 

3)  Zwar  bringt  Ellenhard,  SS.  17,  133  die  Anekdote  von  der  Entlarvung  des 
betrügerischen  Kaufmannes  in  einer  ähnlichen  Fassung  wie  Mathias  von  Neuen- 
burg, Stud.  cap.  27,  sodass  es  nahe  liegt,  an  eine  gemeinsame  Quelle  zu  denken. 
Vielleicht  hat  aber  der  Verfasser  des  Libellulus  seinerseits  aus  Ellenhard  ge- 
schöpft ? 

*)  F.  M.  Mayer  S.  317  meint,  dass  der  Bericht  zuerst  in  der  verlorenen 
Chronik  von  Königsfelden,  Rieger  S.  308  n.  1.  dagegen,  dass  sie  zuerst  bei 
Hagen  gestanden  habe.  Doch  bringt  sie  nach  dem  gegenwärtigen  Quellen- 
bestande zuerst  Johann  v.  Winterthur. 


592 


Victor  Thiel. 


von  Winterthur,  den  Anonymus  Leobiensis,  Hagen  und  Clevi  Fryger. 
woltei  sich  im  Inhalte,    in    der  Aufeinanderfolge  der  Einzelheiten  und 


Job.  Vitod.  S.   17  f. 

F  e r 1 11  r  de  e o  dura 
a  d  h  u  c  c  0  in  e  s  t  a  n- 
tum  oxtiterat.  quod 
cu  m  q  u  a  d  n  m  vice 
per  t  e  r  r  a  m  s  u  a  m 
e  ({ 11  i  t  a  r  e  t  c  ii  m  suis 
Sil  teil  iti  bus,  o  b- 
viam  babuit  cleri- 
c  u  m  corpus  D  o  m  i  n  i 
p  0  r  t  a  n  t  e  in  et  in 
terra  p  e  d  i  b  u  s  am- 
bulantem, qu  od  cor di 
apponensillico  de  equo 
prosiliit  et  clerico 
in  reverenciam  corporis 
C  b  r  i  s  t  i  d  e  d  i  t.  Q  u  i 
s  t  a  t  i  m  p  0  s  t  s  u  b  1  i- 
matus  fuit  in  re- 
s  p.  m  R  0  m  a  n  o  r  u  m. 


An.  Lcob.  Pez  SSI 
S.  838  f. 
Cum  a u  t  e  m  Co  m e s 
in  H a b s p  u r g  i a  ui 
esset  et  pueros  joro- 
creasset,  accidit  qua- 
d  a  m  vice,  u  t  per 
q  u  a  n  d  a,  m  v  i  a  m  cum 
sua  familia  eques 
i  r  e  t .  h  a  b  u  i  t  o  b- 
vium  sibi  quendam 
s  a  0  e  r  d  0 1  e  m  e  u  n- 
tem  pedes  cum  cor- 
pore Christi.  Comes 
vero  de  s  u  o  equo 
desceudens.  sacer- 
d 0 1 e m  in  e o  1  o c a- 
v  i  t .  direns :  Vos  cum 
Domino  nieo  eques  ibi- 
tis,  et  ogo  in  pedibus 
propriis  sequar,  et  sie 
equum  Sacerdoti  dedit 
nein  vetraheudum.  Non 
diu  pOi^tea  .  .  .  Prin- 
cipes  Electores  Ala- 
in a  n  i  a  e  .  .  .  i  p  s  u  m 
Rudolfum  Comitem 
.  .  .  in  Regem  e  1  e- 
s  e  r  u  n  t. 


Hagen,   Pez  SSI  S.   1084. 

Do  d  i  s  e  r  Herr  noch 
junger  waz,  do  was  er 
ain  Nachfolger  Christens 
glaubens  vnd  ain  diemut- 
tiger  Erer  der  Heilligeu 
Sa crament :  w a  n  er  c h  a m 
ainsmals  mit  den 
seinen  zu  ainen  wasser 
vnd  fand  do  ain  Prie- 
ster mit  dem  Heilli- 
gen Sacrament  zwey- 
telent  an  dem  fürte  des 
wasser.  Do  sprang  der 
G  r  0  s  s  m  ü  t  i  g  Herr  von 
dem  pferde,  und  hiez 
darauf  siezen  de  n 
Priester.  Do  der  Prie- 
ster also  über  d  n  z 
wasser  c  h  a  m ,  d  o  w  o  1 1 
er  daz  pferd  Herrn 
Rudolf  feil  den  Land- 
graf f  e  n  wider  haben 
geben.  Er  antwurtt  und 
sprach :  Ich  schecze 
mich  vnwirdigen,  daz 
ich  fürbaz  siez  auf 
dem  V  i  h  e .  auf  dem 
der  Herr  der  Herren 
ist  ü  b  e  r  g  e  f  ü  r  t.  Da  r- 
nach  der  gelawbig  Man 
daz  pferd  willigieich  gab 
dem  Priester.  Darnach  .  .  . 
kam  er  zu  ainer  got  die- 
nenden frawen  ....  die 
weissagt  .  .  .,  daz  er  sult 
.  .  .  gefiidert  werden,  und 
grossleich  geeret,  zufoder 
ist  darumb,  daz  er  dem 
Chunig  des  Himels  mit 
dem  pferd  diemutigleich 
hett  geeret. 


liezüglich  der  Ueberlieferuug  durch  die  Zürcher  Jahrbücher  ist  zu 
bemerken,  dass  die  Klingenberg'sche  Handschrifteuclasse,  deren  Fassuug 
oben  wiedergegeben  ist,  mehrfach  abweicht  von  der  Krieg'schen  Re- 
daction.  Bei  Krieg  fehlt  der  Umstand,  dass  Rudolf  dem  Priester 
nachher  das  Pferd  schenkt  mit  den  durch  Schillers  Ballade  bekannten, 


Die  Habsburger  Chronik  Heinricbs  von  Klingenberg. 


503 


sogar  in  der  Ausdrucksweise  eiue  so  auffällige  Uebereinstimmung  zeigt, 
dass  der  Schluss  auf  eiue  o'emeinsame  Vorlaofe  berechtitj^t  sein  dürfte. 


Clevi  Fryger,  Gerbert  S.  89. 

Dirre  Herre,  e  erKüug 
erweit  ward,  clo  hat  er 
grosse  minne  zuo  allen 
gottlichen  dingen,  vnd  zuo 
den  heiligen  Sacramenten. 
Man  1  i  s  t  von  im  das 
er  eins m  als  mit  si- 
ne m  V  0 1  k  dur  ein  wasser 
riten  wolt,  vnd  vand 
da  einen  priest  er  der 
truog  den  fronlicha- 
n  e  m  v  n  s  e  r  s  Herren, 
vnd  besorget  ser  wie  er 
durch  das  wasser  kerne 
wän  es  was  gar  ungestüme 
vnd  gross.  Bald  als  Ruo- 
dolfi'  das  sacb,  so  stund 
er  von  sinem  ross. 
vnd  hiess  es  dem  prie- 
st e  r  dar  ziehe  n.  D  o 
n  n  der  p  r  i  e  s  t  e  r  d  u  r  c  h 
das  wasser  kam,  d  o 
bot  er  dem  herren  sin 
ross  wider,  do  wolt  er 
sin  nit  vnd  veriäch  sich 
vnwirdig  sin,  das  er 
iemer  me  das  ross 
überschritte,  das  den 
Schöpfer  und  aller 
herren  h  e  r  r  e  g  e  t  r  a - 
gen  h  a  1 1 ,  vnd  also  gab 
er  frilich  das  dem  priester. 
Bald  darnach  kam  KuodoliF 
.  .  .  zuo  einem  heiligen  .  .  . 
menschen,  das  mensch  seit 
ihm,  das  er  kurtzlich  solt 
geeret  werdem,  vm  das 
minne  werk,  das  er  gen 
dem  heiligen  Sacrament 
sretän  hatt. 


Zürcher  Jahrbücher. 
Ettmüller  S.  57. 

Ez  tuogt  sich  ains 
mauls,  daz  ein  junger 
grauf  von  H ab  spur g 
mit  sinem  diener  rait 
b  a  i  z  e  n  und  jagen  in 
ainer  ouwe.  do  hört  er  aiu 
schellen,  glich  als  man  dem 
sacrament  vor  treit  .... 
do  fand  er  ainen  prie- 
ster mit  dem  sacra- 
ment an  ainem  wazzer, 
und  häte  der  priester  daz 
sacrament  vor  im  gestelt . .  . 
und  wolte  sin  schuoch  üz 
ziechen,  und  also  .  .  .  durch 

den    bach    waten 

Also  fiel  der  von  Habs- 
purg  von  sinem  pfärd 
nider  üf  siniu  knie 
und  bat  siuer  grauden  und 
h  i  e  z  den  priester  .  .  . 
üi'  sin  pfärd  sitzen 
...  Do  nu  der  prie- 
ster mit  dem  sacra- 
ment wider  haimkam, 
d  6  wolt  er  d  e  m  j  u  n- 
gen  herren  sin  pfärd 
w  i  d  e  r  b  r  i  n  g  e  n  .  . .  .  also 
sprach  der  von  Habspurg: 
»Daz  welle  got  nit. 
daz  ich  .  .  .  daz  pfärd 
iemer  m  e  r  ü  b  e  r  s  c  h  r  i  t  e, 
daz  minen  herren  und 
Schöpfer  getragen 
haut  .  .  .  . «  Der  priester 
sprach:  »Nu  müez  got  er 
und  wirdigkeit ...  an  iucli 
legen*  .  .  .  Diser  prie'^ter 
seite  .  .  .  dem  bischof  von 
Meiuze  .  .  des  grauf en  .  .  . 
fromkait  .  .  vnd  braucht 
also  in  die  fürsten,  daz 
die  fürsten  .  .  .  in 
zuo  ainem  Roemschen 
künge  er  walten. 


frommen  Worten ;  dafür  erzählt  er,  wodurch  er  sich  der  Fassung  Hageus 
und  Frygers  uahestellt,  dass  Rudolf  auf  dem  Heimwege  eine  Klausnerin 
angetroifen  habe,  welche  ihm  seiner  Frömmigkeit  wegen  die  Standes- 
erhöhung verkündet  ^).  Was  Hagen  und  Fryger  betrifft^  so  gehen  diese 
>)  Vergl.  Scherer  S.  105. 


594  Victor  Thiel. 

gemeinsam  auf  die  verlorene  Chonik  von  Königsfelden  zurück,  welche 
wahrscheinlich  bald  nach  136-4  entstanden  ist  i).  lieber  das  Verhält- 
nis des  verlorenen  Königsfelder  Buches  zu  den  Zürcher  Jahrbüchern 
kann  kein  Zweifel  bestehen.  Da  die  von  einander  abweichenden 
Fassungen  Krieg  und  Klingenberg  aus  dem  Königsfeldener  Werke 
sich  erklären  lassen,  ist  dieses  als  das  benützte  anzusehen.  Krieg 
hat  die  Erzählung  von  der  Prophezeiung  der  Klausnerin  aus  seiner 
Quelle  beibehalten,  während  die  Kliugenberg'sche  Fassung  den  Bericht 
dahin  veränderte,  dass  bei  ihm  der  Priester  selbst  die  Standeserhöhung 
Rudolfs  verkündet;  dagegen  iässt  Krieg,  abweichend  von  der  Vorlage 
den  Umstand  weg,  dass  der  Graf  mit  demütigen  Worten  das  Pferd 
dem  Priester  schenkt,  wogegen  Klingenberg  hierin  mit  grosser  Treue 
seiner  Quelle  gefolgt  ist. 

Woher  schöpfte  der  Chronist  von  Königsfelden  die  Erzählung? 
Wie  noch  gezeigt  werden  wird,  kannte  und  verwertete  er  das  Ge- 
schichtswerk des  Johann  von  Winterthur.  Es  ist  offeubar,  dass  auch 
für  diese  Stelle  die  Chronik  des  Minderbruders  als  Quelle  gedient  hat. 

Die  aufiFallende  üebereinstimmung  zwischen  Johann  von  Winter- 
thur und  dem  Anonymus  Leobiensis  endlich  scheint  mir  ihre  Erklä- 
rung darin  zu  finden,  dass  sie  beide  aus  derselben  Vorlage,  dem 
Libellulus  de  facetiis  Rudolfi  geschöpft  haben. 

Von  Interesse  ist  es  hiebei  auch,  dass  der  Anonymus  Leobiensis 
die  Erzählung  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  der  Weissagung  von 
Rudolfs  Grösse  bringt,  welche  auch  von  Mathias  von  Neuenbürg;  in 
einer  so  ähnlichen  Fassung  erzählt  wird,  dass  der  Schluss  auf  eine 
gemeinsame  schriftliche  Vorlage  nicht  unwahrscheinlich  ist.  Die  An- 
nähme,  dass  in  dem  Anekdotenbuche  des  Albertus  Argentinensis  zum 
ersten  Male  unter  anderen  Anekdoten  auch  jene  von  der  Begegnung 
Rudolfs  mit  dem  Priester  und  ferner  die  Weissagung  der  Astrologen  von 
Rudolfs  Grösse  gestanden  habe,  scheint  uns  hienach  gerechtfertigt  zu  sein. 

Im  bisherigen  Verlaufe  der  Untersuchung  haben  wir  uns  lediglich 
mit  den,  von  Rieger  vorgebrachten  Beweisgründen  für  die  Existenz 
einer  verschollenen  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg 
befasst.  Es  hat  sich  gezeigt,  dass  Rieger  ein  wichtiges  Moment  bei 
seiner  Untersuchung  ausser  Acht  liess,  nämlich  die  Fortpflanzung 
durch  die  mündliche  Ueberlieferung,  welche  gerade  bei  dem  Charakter 
der  in  Frage  kommenden  Parallelstellen  unliedingt  berücksichtigt 
werden  muss.  Ferner  hatte  Rieger  noch  keine  Kenntnis  von  dem 
gleichfalls    verlorenen     Libellulus     des    Albert     von     Strassburg,     von 

-)  Ueber  die  Chronik  von  Königsfelden  wird  im  Späteren  eingehender 
gehandelt  werden. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  595 

welchem  mit  viel  grösserer  Wahrscheinlichkeit  als  vou  der  Habsburger 
Chronik  Klingeubergs  angenommen  werden  kann,  dass  er  die  Vorlage 
in  jenen  Fällen  gebildet  habe,  in  welchen  die  Eventualität  einer  ge- 
meinsamen, schriftlichen  Vorlage  in  den  Vordergrund  tritt. 

Eieger  hat  auch  für  die  Klingenberger  Chronik  zwei,  in  Versen 
abgefasste  Berichte  1)  in  Anspruch  genommen,  welche  in  den  Zürcher 
Jahrbüchern  sich  eingeschoben  finden.  Die  eiue  Stelle  hat  die  fast 
gleichzeitig  erfolgte  Wahl  der  beiden  Vettern,  der  Grafen  Rudolf  von 
Habsburg,  des  einen  zum  deutscheu  Könige,  des  andern  zum  Bischof 
von  Constanz,  zum  Inhalte.  Eingeschoben  ist  diese  Notiz  in  den 
Zürcher  Jahrbüchern  am  Schlüsse  eines  Capitels,  welches  auf  eine 
Constanzer  Quelle  zurückgeht.  Es  ist  daher  Eiegers  Folgerung,  dass 
auch  die  am  Schlüsse  stehenden  Verse  der  Constanzer  Vorlasfe  ent- 
noramen  seien,  annehmbar.  Ungerechtfertigt  ist  aber  der  Schluss 
Eiegers,  dass  das  zweite  Fragment,  welches  genealogische  Daten  über 
Eudolfs  Familie  bringt  und  mit  der  ersten  Notiz  in  gar  keiner  Ver- 
bindung steht,  gleichfalls  Constanzer  Ursprung  habe.  Welcher  Quelle 
hat  nun  der  Zürcher  Chronist  die  beiden  Stellen  entnommen  ?  Schwer- 
lich dürfen  wir  die  ungemein  holperigen  Verse  dem  hochgebildeten 
Bischof  Heinrich  von  Klingenberg  zumuthen.  Auch  innere  Gründe 
sprechen  dagegen.  Die  Verse  sind  Ende  1277  oder  anfangs  1278 
abgefasst,  und  ihr  Inhalt  setzt  einen  wohlunterrichteten,  dem  Hofe 
Eudolfs  nahestehenden  Mann  als  Verfasser  voraus.  Diese  Umstände 
aber  stehen  mit  dem  Lebensgange  Heinrichs  nicht  im  Einklänge. 
Denn  bis  zum  Jahre  1283  lebte  er  zurückgezogen,  ohne  sich  an  den 
Eeichsangelegenheiten  zu  betheiligen;  erst  in  dieser  Zeit  trat  er  in  die 
königliche  Kanzlei  als  Protonotar  ein. 

Vou  den  Argumenten,  welche  Anhänger  der  Hypothese  Eiegers 
vorgebracht  haben,  werden  wir  uns  zunächt  mit  jenen  befassen,  welche 
Seemüller  geltend  gemacht  hat.  Seemüller  macht  auf  Berührungen 
zwischen  Ottokar  und  Mathias  von  Neuenburg  aufmerksam  und  er- 
blickt in  ihnen  eine  Bestätigung  der  Ansicht  Eiegers  ^).  So  verweist  er 
auf  den  Bericht  der  beiden  Chronisten  über  die  Schlacht  bei  Dürnkrut. 
Nach  Mathias  ^)  stimmt  der  Basler  Eitter  Eudolf  vom  Eheine  den 
Schlachtgesang  an:  Domina  sancta  Maria,  domina  sancta.  Ottokar 
dagegen   lässt   den  Bischof  von  Basel  den  Schlachtgesang    erheben  ^) : 


')  Rieger  S.  335  f.  citirt  die  beiden  Stellen. 

-)  Vgl.  Seemüller,  Ausg.  d.  Reimchronik    in  Mon.  Germ.  Deutsche  Chr.  V 
Einl.  S.  39,  ferner  S.   1222  N,  2. 
3)  Studer  S.  17  Z.  3  fF. 
^)  V.  16146  ff. 


j^c)(3  V  i  c  1 0  r  T  h  i  e  1. 

Mit  einer  stimme   ^rözen 
der  bischolf  von   Basel  began 
diesen  ruof  lieben   an: 
Sant  Mari  muoter  und  meit, 
all  unser  not  si  dir  gecleit. 

Doch  lial)en  wir  es  hier  mit  keiner  Quelleuberührimg  zu  thun. 
Die  Sclilachtbericlite  der  beiden  Chrouisten  siud  von  einander  durchaus 
unabhängig.  Der  reichhaltigen  Darstellung  Ottokars  gegenüber  bietet 
Mathias  nur  die  in  einem  beschränkten  Gesichtskreise  gehaltene  Er- 
zählung eines  Basler  Kriegers,  des  Heinrich  Schörlin  i).  Ueberdies 
kommt  der  gleiche  Schlachtruf  bei  Ottolvar  wiederholt  vor;  in  der 
Scblacht  bei  Göllheim  lässt  er  den  Bischof  von  Strassburg,  ebenso  die 
Christen  bei  einem  Auffalle  aus  Akkou  diesen  Ruf  erheben. 

Belangreich  sind  jedoch  die  Uebereinstimmungen  und  Abwei- 
chungen, welche  zwischen  beiden  Chroniken  bei  der  Erzählung  von 
Albrechts  Ermordung  zu  Tage  treten  ^).  Seemüller  verweist  darauf, 
dass  sich  die  beiden  Berichte  nicht  nur  in  den  Hauptpunkten,  sondern 
auch  in  charakteristischen  Einzelheiten  gleichen.  So  lilsst  nach  der 
Erzählung  beider  Chronisten  Herzog  Johann  seine  Forderung  an 
König  Albrecht  durch  einen  Bischof  vorbringen,  nach  der  Eeimchrouik 
durch  den  Mainzer  und  Constanzer,  nach  Mathias  durch  den  Strass- 
burger;  nach  Mathias  verlangt  der  junge  Herzog  quasdam  mnniciones, 
nach  Ottokar  V.  94121  überliaupt  sein  Erbe.  Nach  beiden  Chroniken 
vertröstet  Albi-echt  seinen  Neöen  auf  die  Rückkehr  vom  böhmischen 
Feldznge  und  bietet  ihm,  um  ihn  zu  beruhigen,  hundert  Panzerreiter, 
setzt  ihm  ferner  bei  Tische  einen  Kranz  auf  das  Haupt;  während  der 
Mahlzeit  kommt  die  Kunde,  die  Königin  nahe  heran,  worauf  die  Ver- 
schworenen den  üebrigen  voraus  entgegeneilen  und  sich  des  einzigen, 
bereitstehenden  Fahrzeuges  über  den  zu  überschreitende]!  Fluss  be- 
mächtiuen.  Doch  motivirt  Mathias  das  Geschenk  von  100  Panzer- 
reitern  besser  als  Ottokar  und  schildert  das  ablehnende  Verhalten 
Johanns  in  der  Krauzscene  in  anderer  Weise.  Die  stärkste  üeber- 
einstimmung  herrscht  in  der  Schilderung  der  Ermordung  des  Königs  3). 

Die  Folgerung,  dass  beide  Berichte  auf  eine  gemeinsame  Quelle 
zurückgehen,  ist  durchaus  gerechtfertigt.    Kann  diese  jedoch  die  Chronik 


')  Vgb  Schulte,  Noclnnals  Mathias  v.  Nenenburg,  in  d.  Zeitschr.  f.  Gesch. 
.1.   Oljerrh.  7,  724. 

-  ytud.  cap.  3(j.  S.  41  f.  —  V.  94115—94505.  Vgl.  Seemüller,  S.  1219 
N.  3,   1222  N.  •>,  S.   1225.  N.  2  u.  3,  S.  1227  N.   1. 

s)  Keimchr.  cap.  800.  —  Stud.  S.  42.  Z.  14—20. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  597 

des  Klingenbergers  gewesen  sein?  Darnach  raüsste  die  Habsburger 
Chronik  auch  die  Zeit  König  Albrechts  umfasst  haben  1).  Dies  ist 
aber  ausgeschlossen,  da  Bischof  Heinrich  schon  1306  starb,  und  für 
eine  etwaige  Fortsetzung  durch  einen  Andern  sich  kein  Anhaltspunkt 
bietet.  So  fällt  also  die  Aufklärung  der  Queilenberührung  eigentlich 
nicht  mehr  in  das  Gebiet  unserer  Untersuchung.  Doch  möge  es  er- 
laubt sein,  auf  einige  Momente  hinzuweisen,  welche  dafür  zu  sprechen 
scheinen,  dass  mündliche  Informationen  aus  demselben  Kreise  von 
Gewährsmännern  die  Berührung  zwischen  den  Chronisten  hervor- 
gebracht haben.  Mathias  hat  allem  Anscheine  zufolge  den  Bericht 
über  die  Ermordung  Albrechts  nach  der  Darstellung  der  Müuche  ab- 
gefasst,  eines  hervorragenden  Basler  Patriciergeschiechtes,  zu  welchem 
der  Geschichtschreiber  in  sehr  nahen  Beziehungen  stand,  und  welches 
über  die  Katastrophe  wohl  unterrichtet  sein  konnte  -).  Da  nun  Mathias 
mit  Ottokar  eine  gemeinsame  Quelle  benützt  haben  muss,  bleibt  mü- 
der Schluss  übrig,  dass  auch  der  Reimchronist  mit  dem  gleichen  Per- 
sonenkreise in  Verbindung  stand  und  deren  Erzählung  seinem  Berichte 
zu  Grunde  legte.  Wann  und  wo  aber  diirften  Mathias  und  Ottukar 
in  eine,  wenn  auch  nur  mittelbare  Fühlung  getreten  sein?  Vielleicht 
auf  dem  Holtage  von  Speier  im  September  1309.  Beide  Chronisten 
zeigen  sich  über  die  Vorgänge  in  Speier  derart  unterrichtet,  dass  ihre 
Berichte  auf  Auge u zeugen  zurückgehen  dürften  3);  wir  können  daraus 
schliessen,  dass  beide  mit  Personen  in  Verbindung  standen,  welche 
auf  dem  Hoftage  von  Speier  sich  befanden.  Vergegenwärtigen  wir 
uns  nun  die  Situation!  Die  herzoglichen  Brüder  von  Oesterreich  er- 
schienen in  Speier  mit  einem  zahlreichen,  udänzenden  Gefolge ;  so 
mancher  Gönner  und  Freund  der  beiden  Geschichtsehreiber  masf  sich 
unter  diesem  befunden  haben.  Mit  der  Leiche  ihres  Vaters  erschienen 
die  Herzoge  in  Speier,  um  sie  im  Dome  beizusetzen;  lebhaft  musste 
hiedurch  der  Versammlung  das  Ende  des  Königs  in  Erinnerung 
kommen  und  neuerlich  das  Tagesgespräch  bilden. 

Ein  für  die  Hypothese  Eiegers  sprechendes  Moment  glaubte  auch 
König  4)    gefunden    zu    haben.     Er    meinte,    auch  Nauclerus  habe  aus 

')  Redlich  in  der  Recension  der  Seemüller'schen  Ausgabe  der  Reimchronik 
in  den  Mitth.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschichtsforsch.  16,  681  nimmt  dies  vermuthungs- 
weise  an. 

2)  Vgl.  das  Näbere  im  Aufsatz  Schulte's,  Zu  Mathias  v.  Neuenburg  in 
Zeitsch.  f.  Gesch.  d.  Oberrh.  6,  496  ff. 

3)  Die  auf  Mathias  bezügliche  Vermuthung  hat  Huber,  Math.  v.  Neuen- 
burg u.  Jacob  V.  Mainz,  Arch.  f.  österr.  G.  63.  S.  260  f.  ausgesprochen,  betreffs 
Ottokars  Seemüller,  S.  1271  N.  1. 

'')  Zur  Quellenkritik  des  Nauclerus,  Forsch,  z.  deutsch.  Gesch.  18,  49  ff. 


59S  Victor  Thiel. 

Klingeuberg  ge.scliöpft;  denn  im  Berichte  desselben  über  den  Hoitag 
von  Augsburg  im  Jahre  1275  sei  eine  solche  Uebereinstiramung  mit 
Ottokar  zu  bemerken,  dass  nur  der  Schluss  auf  eine  gemeinsame 
Quelle  erübrige;  nun  sei  aber  erwiesen,  dass  Ottokar  aus  Klingenberg 
geschöpfte  habe,  folglich  dürfe  man  annehmen,  dass  auch  Nauclerus  diese 
Chronik  benutzt  hätte.  Wie  man  sieht,  nimmt  König  das  zu  Be- 
weisende schon  als  bewiesen  an,  und  souacli  bildet  das  voa  ihm  an- 
geführte Moment  keine  Stütze  für  die  Annahme  Riegers,  sondern  nur 
eine  weitere  Ausgestaltung.  Ferner  verweist  König  darauf,  dass  auch 
Nauclerus  die  Abstammung  der  Habsburger  von  den  Perleonen  be- 
richte. Bediugt  dies  aber  eine  Entlehnung  aus  Klingeuberg?  Konnte 
Nauclerus  diese  Notiz  nicht  aus  Gundelfingen  schöpfen? 

Endlich  hat  Lorenz  i)  auf  Umstände  aufmerksam  gemacht,  welche, 
wie  er  meinte,  für  die  Hypothese  ßiegers  sprechen.  So  sieht  er  eine 
bestimmtere  Hinweisung  auf  die  habsburgische  Hausgeschichte  des 
Heinrich  vcm  Klingenberg  in  den  Worten  derjenigen  Zürcher  Com- 
pilation,  welche  man  als  die  Kliugenberger  zu  bezeichnen  pflegt,  wo 
es  von  König  Rudolf  heisst:  Er  tat  soviel  stryt  und  redlicher  taten, 
dass  man  hievon  ein  eigen  buoch  gemacht  hat  -).  Diese  Worte  sind 
jedoch  aus  Königshofen  herübergenommen;  dieser  sagt  3):  Dirre  künig 
Rudolf  det  so  vil  strite  und  frumekeit,  das  davon  ein  gautz  buch  ist 
o-emaht.  Heu-el  bemerkt  dazu  mit  Recht:  Ohne  Zweifel  meint  aber 
Königshofen  nichts  anderes  als  die  Gesta  Rudolfi  des  Gottfried  von 
Ensmingen  (Ellenhards). 

Ferner  erblickt  Lorenz^)  in  einem  Theile  des  Geschichtswerkes 
des  Clevi  Fryger  von  Waldshut  über  die  habsburgischen  Fürsten  eine 
abgeleitete  Quelle  der  Geschichte  des  Hauses  Habsburg  von  Klingen- 
berg. Er  stützt  sich  auf  die  Stelle  Frygers,  wo  es  bei  der  Erwähnung 
der  Basier  Streitigkeiten  des  Königs  Rudolf  heisst:  als  man  in  andern 
cronicken  vindet,  die  von  der  herschaft  von  Oesterreich  gemacht  sind. 
Lorenz  setzt  hinzu:  damit  kann  wohl  nicht  Mathias  von  Neuburg  ge- 
meint sein.  Warum  aber  nicht?  Wenck  ^)  sprach  die  Vermuthung 
aus,  dass  die  Chronik  Frygers  durch  das  Mittelglied  einer  verlorenen 
Königsfelder  Chronik  <•)  auf  das  Geschichtswerk  des  Mathias  zurück- 
gehe.    Er    meinte   jedoch,    dass    nicht    das  Werk    des    Mathias    selbst, 

')  Geschiclitsqnelleii  1,  7b'. 
")  Henne  S.  31. 

3)  Hegel  S.  451  Z.  12  f. 

4)  Geschichtsquellen  1,  268. 
•')  Wenck  S.  66. 

«)  Im  Wesentlichen   richtig   hat   sich    schon  Gerbert  über  die  Chronik  ron 
Königsfeldeu  geäussert,  namentlich  bezüglich  der  Abfassungszeit;    vgl.  S.  86  f. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  599 

sondern  nur  ein  Auszug  desselben  dem  Königsfelder  Chronisten  vor- 
gelegen habe,  welcher  vorzugsweise  die  genealogischen  Partien  umfasst 
hätte.  Wie  sich  aber  im  Nachfolgenden  zeigen  wird^  erstreckt  sich 
die  Uebereinstimraung  zwischen  Clevi  und  Mathias  auch  auf  eine  Keihe 
von  Angaben  nicht  genealogischen   Charakters  1). 

So  wird  in  Uebereinstimmimg  mit  Mathias  die  Wahl  Rudolfs  auf 
den  Tag  nach  Michael  gesetzt.  Dann  heisst  es  bei  Clevi  S.  89:  Also 
brächt  man  das  urkund  der  wal  erlich  für  Basel  in  das  her,  ent- 
sprechend der  Angabe  des  Mathias,  Studer  S.  12:  Burggravius  autera 
receptis  de  electione  priucipum  literis,  utens  duplomate  ßasileam 
ad   Euodolfi    exercituni    .    .    .    venit.     Eine    weitere  Uebereinstimmuno- 

o 

zeigt  sich  in  dem  Berichte  über  den  Tod  Rudolfs:  Clevi  S.  92:  küng 
Rudolff  der  erst  starb  .  .  .  hat  achtzehen  jare  sines  riches  und  wart 
erlichen  begraben  zuo  dem  tum  zu  Spyr  bi  andern  küngen.  Mathias 
Studer  S.  27 :  moriens  Spire  in  sepulcro  regali  honorifice  est  sepultus, 
anno  regni  eins  XVIII.  Auch  in  der  nur  summarisch  gehalteneu  Er- 
zählung, welche  Clevi  S,  92  über  König  Adolf  bietet,  lässt  er  in  ein- 
zelnen Wendungen  die  Verwandtschaft  mit  Mathias  erkennen ;  mau 
vergleiche  hiezu  Math.  Stud.  S.  28,  Z.  23  ff.,  S.  30,  Z.  9—14,  S.  32, 
Z.  16 — 18-  Deutlich  kommt  das  nahestehende  Verhältnis  an  der  Stelle 
zu  Tage,  wo  Clevi  S.  92  von  König  Albrecht  erzählt:  Dirre  kam  in 
Ungunst  des  bäbstz  Bonifacii  des  achteden  darum  das  er  Küng  Adolffen 
erschlagen  hat,  der  götlich  ze  küng  er  weit  was,  und  hielt  das  Küng 
Albrecht  mit  gewalt  an  recht  Römsches  rieh  hette  besessen.  Es  fuoffte 
sich  bald,  das  ein  gross  stoss  wart  zwischen  dem  babst  Bonifacio  und 


S.  87 — 113  lässt  er  den  von  Fryger  hergestellten  Auszug  folgen.  Sodann  hat 
F.  M.  Mayer,  Untersuch,  über  die  österr.  Chronik  des  Mathäus  oder  Gregor  Hagen, 
Arcü.  f.  österr.  G.  60,  297  ff.  gezeigt,  dass  auch  Hagen  auf  die  verlorene  Chronik 
zurückgeht:  vgl.  ferner  Lorenz  Geschichtsqu.  1,  223. 

')  Wenck  S.  66  spricht  ferner  die  Venuuthung  aus,  dass  ein  lateinischer 
Auszug  aus  Mathias  dem  Heinrich  v.  Gundelfingen,  eine  deutsche  Bearbeitung 
der  Neuenburger  Chronik  Clevi  und  Hagen  vorgelegen  habe.  Wenck  stützt  sich 
hiebei  auf  den  Umstand,  dass  Gundelfingen,  Clevi  und  Fryger  den  Irrthum  ge- 
meinsam haben,  Clemencia  als  älteste  Tochter  Rudolfs  zu  bezeichnen,  während 
Mathias  sie  überhaupt  nicht  nennt.  Gundelfingen  aber  stimme  mit  dem  Texte 
des  Mathias  derart  überein,  dass  er  den  Irrthum  nicht  durch  Vermittlung  einer 
deutschen  Quelle  erhalten  haben  könne.  Zur  Richtigstellung  dieser  Notiz  diene 
folgendes :  Clevi  und  Hagen  benützten  die  Königsfelder  Chronik ;  diese  geht  auf 
Mathias  zurück.  Gundelfingen  aber  lehnt  sich  im  zweiten  'iheile  seiner  Chronik 
hauptsächlich  an  Mathias  an,  benützt  jedoch  auch  Hagen,  welcher  ihm  für  den 
ersten  Theil  den  Hauptstoff  geliefert  hat.  Es  hat  sonach  der  von  Wenck  an- 
geführte gemeinsame  Irrthum  Clevis,  Hagens  und  Gundelfingens  zuerst  in  der 
Königsfeldener  Chronik  gestanden. 


600 


Victor  Thiel. 


dem  Kün>r  vou  Frankrich.  Nu  sach  der  babst  das  er  uit  widerstän 
macht  dem  Küuig  vou  Fraükrich,  und  volget  gutz  ratz  und  saut  zuo 
Küng  Albrecht,  und  halt  sich  mit  dem  und  getrüwet,  das  er  dester 
bas  belibe  und  bestände  vor  dem  Küug  von  Frankrich.  Also  wart 
Küuff  Albrecht  von  dem  babst  bestät.  Mathias  Studer  S.  32.  Z.  17 — 20 
berichtet  dagegen  iu  knapper  Fassung:  Quem  papa  Bouifacius  diu  odio 
persequens  et  lese  majestatis  crimiue  reuui  dicens,  tandem  similiter 
eum  in  odium  regis  Francie  approbavit. 

Was  die  genealogischen  Angaben  bei  Clevi  betrifft,  so  sind  diese 
ausführlicher  und  genauer  als  bei  Mathias:  doch  fehlt  es  nicht  an 
Irrthümern,  uamentlich  bei  chronologischen  x\.ugubeu.  Auch  in  diesen 
Notizen  zeigt  sich  die  Verwandtschaft  der  beiden  Chroniken.  So  in 
der  Charakteristik  Herzog  Leopolds  I.  Clevi  S.  94:  Leopoldus  .  .  .  ein 
man  der  eins  löwen  muot  fuort  in  allen  sachen  grossmutig  und  lür- 
sichtig;  Mathks  St.  S.  34,  Z.  13:  Lupoldum  bellicosura  et  prudentem. 
Ferner  lässt  sich  in  der  Erzählung  über  Herzog  Leopold  L  folgender 
Parallelismus  fchtstellen. 


Mathias. 

S.  ]  S 1 ,  Z.  ;5 :  alia  (filia)  domino 
de  Cvisin  Francie   .... 

S.  43,  Z.  S  f.:  Obsesso  .  .  .  . 
Castro  .  .  .  Altburren  per  Lupoldum 
,   ,   .   decupitati  sunt   quinquaginta. 


S.  .58,  Z.  7 — 12:  Descendit  autem 
Luipoldus  dux  Austrie,  frater  Fride- 
rici,  cum  grandi  exercitu  Spiram  con- 
tra Ludovicum,  ubi  Ludovicus  c  e  s- 
sit  de  carapo  in  cimiterium 
Judeorum  .  .  .  transivitque  post  hec 
ipse  Luipoldus  juxta  Augustam  flu- 
vium  Lech  .  .  . 

S.  7  5  f.:  Obsedit  .  .  .  Ludewicus 
opidum  Burgouwe  ...  Et  (dux)  re- 
pente  veniens  cum  genta  feroci,  cum 
illis  ignorantibus  appropinquaret, 
Ludewicus  .  .  .  evasit. 


Clevi  S.   94. 

.  .  .  dieselb  tochter  wart  gemählet 
einem  herr  von  Gussin  .  .  . 

Hertzog  Lüpolt  ....  vieng  in 
dem  Castell  das  Altbürren  heist  fünfzig 
man  die  schuldig  warent  an  sines 
vatters  tod,  die  hiess  er  an  siner 
gegenwirtikeit  enthöpten. 

Er  räch  öch  sinen  bruoder  Fridrich 
wider  küng  Ludwigen  den  Peiigern, 
er  schluog  in  vor  Oegspurg  von  dem 
veld,  do  verlor  küng  Ludwig  vil 
ritter.  Aber  schluog  er  in  von  dem 
veld  vor  Spir  und  jaget  in  bis 
in  den  Kilchhof.  Item  vor  Bur- 
gow  vertreib  er  in  mit  gewalt,  und 
mit  macht. 


Die    gleiche  Ueberein Stimmung    lässt    sich    in    den    beiderseitigen 
Berichten  über  die  Regierung  Herzog  Albrechts  II.  erkennen. 

Clevi  S.   97. 


Mathias. 

S.    157,    Z.     17  — S.    158,    Z.    5. 
Eodem  anno  domini  MCCCXVIII  mense 


Item  bi  dess  selben  fürsten  ziten, 
do     man    zalt    von     Cristus     gepvirt 


Die  Haltsbarger  Chronik  Heinrichs  von  Klinorenben 


601 


Januai'ii  in  die  conversioni.s  beati 
Pauli  factus  est  terre  motus  generalis 
et  magnus,  ....  presertim  in  Ka- 
rinthia,  ubi  opidum  grande  Villach 
cum  multis  castris  et  villis 
illius  vallis  corruerunt  et  perierunt . . . 
S.  213,  Z.  13  ff.  In  festo  beati 
luce  evangeliste  corrutt  civitas 
Basilea  ex  vehementi  terre- 
motu  et  plura  castra  et  alia 
edificia  corruerunt,  ...  ex  quibus 
eciam  plus  quam  XL  castra  circa 
Basyleam   sunt  subversa. 


S.  150,  Z.  (i — 11:  Et  infamati 
sunt  Judei,  quod  hujus  modi  pesti- 
lenciam  fecerins  vel  auxerint,  fonti- 
bus  et  puteit  injeeto  veneno.  Et 
cremati  sunt  a  mari  usque  ad  Ale- 
manniam   .... 


iirizehen  hundert  und  acht  und  vierzig 
Jar  an  sant  Paulus  bekenle  kam  ein 
ertbidem  und  viel  Villach  unl 
ander  bürg  und  türmen  und 
b  u  w  e  s  octavo  kalendas  februarü. 
Item  (lo  man  zalt  von  gottes  gepurt 
drizehen  hundert  und  sechs  und  fünlt- 
zig  jare  XVI.  kalendas  novembris  uff 
dem  Rin  kam  ein  gross  ertbi- 
dem und  viel  Basel  die  statt 
und  verdarb  vil  lütes  frowen  und 
mann,  viel  velsen  spielten  und  vie- 
len die  bürg  die  daruff  lagen,  als 
es  sich  noch  wisst  an  den  hüsern 
die  da  ligent  uff  dem  blawen  ze 
Basel. 

Item  bi  des  fürsten  ziten  wurdent 
die  Juden  ufi'  dem  Ein  verbrant  in 
vil  stetten.  Item  zuo  denselben  ziten 
was  der  gross  sterbet^  und  was  ein 
gemein  red  die  Juden  hettent  die 
brunnen   verffift. 


Ebenso  klar  zeigt  sich  die  Entlehnung  seitens  des  Königsfeldeuer 
Chronisten  a.is  Mathias  in  der  Erzählung  von  der  Ermorduuo-  Koni«' 
Alb  rechts. 


Mathias.- 

S.  41,  Z.  10 — 12.  .  .  .  Johannes 
dux  cum  baronibus  Euodollo  de  Wart, 
Walthero  de  Eschibach  et  üolrico  de 
Palma  regem  interficere  cogitavit. 

S.  42,  Z.  6 — 8.  Prandentibus  au- 
tem  illis  cum  rege  rex  cuilibet  filio- 
rum  et  Johanni  duci  unum  Crinale 
vosarum  posuit  super  Caput. 

S.  42,  Z.  9  ff.:  Cum  autem  post 
prandium  rex  vellet  equitare  Rin- 
velden  ad  reginam,  venissentque  ad 
flumen  Ruisam,  Johannes  dux  et  sui 
primi  transcenderunt  ....  Se- 
quenti  autem  vice  transeunte  rege 
et  equitante  per  sata  .  .  .  accesserunt 
dux  et  sui  .....  Ruolassingen  .  .  . 
frenum  regis  apprehendente  Johannes 
dux  cultrum  collo  regis  infixit,  Ruo- 
dolfus  de  Wart  vero  regem  gladio 
perforavit,  Uolricos  vero  de  Palma 
gladio  faciem  et  caput  divisit. 

Mittheilungeii   XX. 


Clevi  S.  99.  f. 
Dirrer  hertzog  Johans  nam  einen 
von  Wart,  ein  von  Ealm  einen  von 
Eschibach,  und  ander  herren  die  do 
im  schwuoren  des  küngs  tod.  Do  nu 
der  raeyg  kam  do  luod  der  küng  alle 
gräfen,  frygen.  lantzherren  ritter  und 
knecht,  und  wolt  den  machen  ein 
sunder  hochzit  und  fröid.  Do  das 
geschach,  do  wolt  der  küng  ziehen 
gen  Brugg,  und  öch  vil  herren  mit 
im,  das  vernam  hertzog  Johans  mit 
den  sinen,  und  wartet  des  küngs  als 
er  die  steig  uff"  kam  von  der  rüse. 
Do  er  nu  kam  uff  das  mittel  veld 
zwüschen  Windesch  und  Brugg,  do 
vielent  sy  im  in  dem  zöm  und  «tiessen 
in  sinen  Hb  ire  schwert,  und  liessent 
in  tod  li^en. 


39 


('.02 


A'ictor  Thiel. 


S.  43,  Z.  12  ff.:  De  Wart  vero 
.  .  volens  ire  ad  sedem  apostoli- 
cam,  veniens  ad  Tlam  opidum  Theo- 
baldi  .  .  .  per  ipsuin  comitem  captus 
recepta  pecuuia  duci  Luipoldo  est 
assignatus. 


S.   44,   Z.    3   ff. :    .   •   .   sicque 
flexus  est  super  rutain. 


Aber  die  lierren  die  da  bi  der  sach 
warent  gesin,  was  einer  Walther  von 
Wart,  der  floch  in  wälschi  land  zuo 
dem  von  Yla,  des  wip  gehört  dem 
von  Wart  zuo.  Do  nu  den  herren 
von  der  Yla  für  kam,  das  der  von 
Wart  bi  des  küngss  tod  was  gesin 
do  leit  er  in  in  harte  band  und  nach 
etwas  zites  gab  er  in  den  fürsten 
von  Oestrich  ze  köffen.  Dirre  Walther 
von  Wart  wart  .  .  .  bald  uff  ein  rad 
gesetzt  .   .   . 

Item  etlich  sagent,  das  hertzog 
Hans  zuo  Parys  gevangen  wurd,  und 
daselbst  sturb. 


S.  44,  Z.  10  ff.:  Johannes  vero 
dux  .  .  .  veniens  Pisas  .  .  .  captus 
et  .  .  .  pluribus  annis  tentus  tandem 
inibi  honorifice   est  sepultus. 

Wie  man  sieht,  kauu  man  die  Abhängigkeit  des  Königsfeldener 
Geschichtswerkes  von  der  Neuenburger  Chronik  nicht  in  Abrede  stellen. 
Zwar  liegt  uns  nur  ein  von  Clevi  Fryger  hergestellter  Auszug  der 
Chronik  vor,  doch  lässt  sich  immerhin  erkennen,  dass  der  Chronist 
seine  Quelle  nicht  wörtlich  ausgeschrieben,  sondern  die  Nachrichten, 
welche  die  Arbeit  des  Mathias  für  seine  Zwecke  bot,  in  selbständiger 
Weise  verwertet  und  mit  dem  ihm  anderwärts  zufliesseuden  Stoffe 
verwobeu  hat  ^). 

Es  ist  sonach  in  den  von  Lorenz  citirteu  Worten  Clevis  kein  Hinweis 
auf  die  Klingenberger  Chronik  zu  erblicken :  es  hat  sich  dagegen  gezeigt, 
dass  die  Chronik  des  Mathias  von  Neuenburg  dem  Königsfeldener  Ge- 
schichtschreiber als  Vorlage  gedient  hat.  Doch  müssen  wir  beachten,  dass 
Clevi  den  Pkn-al  gebraucht:  als  man  in  andern  cronicken  vindet.  Wir 
müssen  daher  noch  eine  weitere  Quelle  der  Königsfeldener  Chronik  aus- 
findiü'  macheu,  in  welcher  die  Basler  Streitigkeiten  Rudolfs  berichtet 
werden.  Nun  ist  es  auffäUig,  dass  der  in  der  zweiten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  lebende  Autor  ganz  richtig  den  Aljzug  Conrads  IV. 
aus  Deutschland  1251  ansetzt  uud  sich  auch  sonst  über  die  Zeit  des 
Interregnums  nicht  schlecht  unterrichtet  zeigt.  Dies  führt  zur  Ver- 
muthung,  dass  für  diese  Nachrichten  eine  gut  unterrichtete,  schrift- 
liche Quelle  benützt  wurde.  Als  solche  lässt  sich  Ellenhard  erweisen. 
')  In  dem  im  Ganzen  chronologisch  zuverlässigen  Königsfeldener  Buche 
kommen  mehrere  krasse,  chronologische  Irrthümer  vor ;  so  wird  im  Widerspruch 
zu  dem  übrigen  Inhalte  der  Feldzug  Rudolfs  gegen  Ottokar  in  das  Jahr  1266, 
die  Wahl  Adolfs  :273,  der  Tod  Katharinas,  der  Gemahlin  Leopolds  I.,  in  das 
Jahr  i:^00  verlegt  u.  a.  m.  Diese  Fehler  dürfen  wir  wohl  weder  dem  Chronisten, 
noch  dem  Excerptor  zur  Last  zu  legen,  sondern  sind  auf  die  Gedankenlosigkeit 
eines  Abschreibers  zurückzuführen.  Ueber  die  handschriftliche  Ueberlieferung 
bietet  Gerbert  S.  87  nur  Unzulängliches. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klino-enbero-. 


603 


Ueber  den  Tod  Conrads  IV.  berichtet  nämlich  Clevi  S.  87  : 
Do  nu  sin  vatter  gestorben  was  do  zoh  er  gen  Napulz  und  gewan 
die  statt  und  zerstört  sy  uud  demütiget  damit  alles  Bulle,  der  wart 
in  dem  nachgendend  jare  siech.  Do  wart  im  geben  ein  cristir  ver- 
mischet mit  gift  des  starb  er.  Ellenhard,  Böhmer  f.  11  HO  erzählt:  Anno 
domini  1251  Cunradus  rex,  filius  Friderici,  ut  mortuo  patre  Sicilie 
regnum  susciperet,  per  mare  in  Apuliam  devenit,  et  capta  Neapoli, 
muros  illius  fimditus  destruxit.  Sed  cum  sequenti  anno  introitus  sui 
in  Apuliam  infirniari  cepisset,  clystere,  quod  a  medicis  iudicabatur  ad 
sahitem,  veneno  mixto  intulit  sibi  mortem. 

Endlich  benützte  der  Chronist  von  Königsfelden  auch  das  Ge- 
schichtswerk des  Johannes  von  Winterthur.  Es  geht  dies  aus  der  auf- 
fälligen Uebereinstimmung  hervor,  welche  zwischen  beiden  Chroniken 
in  der  Erzählung  herrscht,  wie  der  Minderbruder  Heinrich  von  Isny 
einen  Dämon  austrieb  i). 


Job.  Vitod.  S.   2  7. 

Hie  in  Basilea 
.  .  .  .  lector  existens, 
q  u  a  n  d  a  m  d  o  ra  i  n  a  m 
ibidem  l'iliam  con- 
fessionis    habuit    qua 


Mathias  S.  15. 
Erat  autem  in  diebus 
illis  quidam  frater  Hein- 
ricus  de  Ysena  Swevus 
de  ordine  Minorum,  filius 
fabri,    lector    Mogun- 


spiritus  maligni  per'tinus ,  .  .  .  qui  dum 
multa  tempora  illu-jderaonem  cuidam  bona 
siones  frequentesjmulieri  in  specie  viri 
sub  specie  angelit  diu  cohabitantem  per 
1  u  c  i  s  hab  uit.  Que  p u-  c  a  r  a  c  t  e  r  e  s  ej ecissat, 
tans  taliter  a  Domino  damon  neu  valens  ultra 
consolari  diu  cum  gaudio,lillairi  accedei'e,  dixit: 
sad  falso,  siistinuit  .  .  . 
Tandem  ....  lectori 
memorato  exposuit.  Qui 
.  .  .  consilium  .  .  . 
t r  i b  u i t  2)  .  .  .  u t  con- 
tra eum  proferret 
V  6  r  b  u  m  P  e  t  r  i ,  s  c  i- 
licet:  Per  a  s  p  e  r  s  i  o- 
nem  sangwinis  Jesu 
Christi.  Quo  ipsa  .  .  . 
utens  demouem  abegit 
.   .   .   Qui   .   .   .    dominam 

allocutus  est:    »Ille,  ,>Ab  inicio 


Clevi  S.   88. 

Hie  velt  aber  eins  zuo 
sagent  von  dem  vorge- 
nant    bischoff    Heinrich 

s  im  widerfur,  dieweil 
er  ein  arm  bruder  sant 
Franciscus  orden  was  und 
lesmeyster  zuo  Ba- 
sel was.  Ze  den  zitten 
hatt  er  gar  ein  an- 
dächtig bichtochter, 
die  offt  vil  heim- 
licher zu gen  von 
gott  befand,  zuo  der 
kam  öch  oft  de  böss 
geist  anders  dan  in  siner 
eignen  gestalt.  Das  er 
nuein  engel  lichtes 
s  c  h  i  n ,  nu  sich  Christen 
nampt  und  also  mit  me- 
nigvaltig  wi  dieselben 
person  wölte  andachtz 
irren.  Also  gedächte  sy 
ir  bruder  Heinrichen  irem 
lüchter  verkünden.  Do 
daz  geschach  do  hiess  er 


')  Auch  die  Colmarer  Chronik  SS.  17,  257  bringt  dieselbe  Geschichte,  aber 
doch  in  wesentlich  anderer  Fassung. 

-)  Vgl.  Chron.  Colm. :  Ego  autem  dedi  consilium,  ut  .... 

.39* 


604 


Victor  Thiel. 


ruine  mee  solitus  coba- 
bitare  mulieribus,  num- 
quam  te  dilectiorem  ba- 
bui ;  nunqiiam  ergo 
desistam,  quiu  il- 
lum  qui  te  michi 
abstulit  in  eam  al- 
titudinem  perducam 
qua  obliviscatur  pe- 
nitus  Dei  sui^^  Hie 
Heinricus  cum  pro  Petro 
Divitis  canonico  Basiliensi 
et  preposito  Moguntino 
pro  episcopatu  Basiliensi 
ivisset  ad  papam,  papa 
sibi,  non  illi,  de  episco- 
patu pi'ovidit. 


sy  wenne  der  betrogen 
geist  me  kerne,  das  sy 
ze  stund  Ave  Maria 
Sprache,  und  im  un- 
der  sine  ögen  spuwte. 
Do  das  beschach  do  ent- 
weich der  böss  mit  einem 
eilenden  geschrey :  Der 
mir  diss  flucht  hat 
gemachet  den  wil 
ich  me  eren  erhöhen, 
das  er  dest  bas  ge- 
schickt sy  zu  dem 
val.  Also  was  dirre  ein 
bischoff  des  ersten  'ze 
Basel,  darnach  wart  er 
bischolF  ze  Meiiz  und 
Cantzierer  des  heiligen 
römischen  riches. 


, . .  qui  tibi  suggessit  suis 
monitis,  ut  sie  me  repelle- 
res,  talionem  a  merecipiet ; 
laqueum  enim  sibi  ex- 
tendam,  in  quem  incidet 
non  post  multos  hos  dies, 
et  ex  quo  mihi  decidisti 
per  eum,  ipse  loco 
tui  cedet  mihi«i). 
Cum  vero  lector  post 
istud  factum  statim  fasti- 
gium  episcopalis  dingni- 
tatis  ascenderit,  conjicitur 
demonis  taliter  respon- 
dentis  ex  verbis,  laqueum 
esse  prelaturam  pontifi- 
catus,  quam  procurare 
sibi  dyabolus  .  .  .  voluit 
.  .,  ut  sie  tanto 
profund  ins  et  gra- 
vius  in  precipicium 
mortis  eterne  cade- 
ret,  quando  alcius 
per  suum  instinctum  et 
suggestionem  in  gradu 
dignitatis  tumore  ex- 
cessivo  superbie  comi- 
tante  s  c  a  n  d  e  r  e  t  in 
altum. 

Die  gleiche  Erzählung  bringt  auch  Mathias  von  Neuenbürg;  da 
dieser  auch  sonst  in  der  Chronik  von  Königsfelden  benützt  erscheint, 
könnte  man  daran  denken,  dass  Mathias  auch  in  diesem  Falle  zur 
Vorlage  gedient  habe.  Dass  dem  jedoch  nicht  so  ist,  dass  dagegen 
der  Bericht  des  Chronisten  von  Königsfelden  aus  Johann  von  Winter- 
thur  o-eschöpft  wurde,  zeigt  der  Umstand,  dass  diese  beiden  nicht  nur 
im  Allgemeinen  sich  nahe  stehen,  sondern  auch  in  charakteristischen 
Einzelheiten  gegenüber  Mathias  übereinstimmen. 

Es  dürfte  uns  sonach  gelungen  sein,  zu  zeigen,  dass  in  den  von 
Lorenz  angeführten  Worten  Clevis  keineswegs  ein  Hinweis  auf  die 
Habsburger  Chronik   des  Heinrich   von   Klingeuberg   gesehen   werden 

kann. 

Hiemit  sind  wir  am  Ende  des  ersten  Theiles  unserer  Arbeit  an- 
gelangt,   in    welchem    wir  uns  die  Aufgabe    gestellt    haben,    die  Aus- 


') 
impugnabo. 


>)  V"-].  Chroii.  Colmar:    sed   pro   te    confessorem    timm    iisqup    ad    mortem 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  (305 

iühruugen  der  neuereu  Forscher  zu  widerlegen,  welche  iu  gewissen 
Beziehungen  einer  Reihe  von  Geschichtswerken  des  13.  bis  1,5.  Jahr- 
hunderts Spuren  der  angeblichen  Chronik  Klinge iibergs  erblickten. 

II. 

Im  zweiten  Theile  befassen  wir  uns  mit  einer  Kritik  der  histo- 
rischen Zeugnisse,  welche  von  einem  Geschichtswerke  des  Bischofs 
Heinrich  II.  von  Constanz  über  die  Habsburger  Kunde  geben.  Hier 
liegt  der  Schwerpunkt  der  ganzen  Untersuchung.  Wir  sind  bei  dem 
Fundamente  angelaugt,  auf  welchem  sich  die  von  uns  bekämpfte 
Hypothese  aufbaut. 

Mit  den  übereinstimmenden  Zeugnissen  für  die  Existenz  der 
Chronik  verhält  es  sich  folgendermassen.  Das  älteste  Zeugnis  gibt 
Jacob  Manlius  1)  im  „Chronikon  Episcopatus  Constantiensis",  welches 
bis  zum  Jahre  1519  reicht,  jedoch  erst  nach  dem  Tode  des  Ver- 
fassers (gest.  1526)  im  Jahre  15.31  erschien;  in  Druck  gelegt  wurde 
es  erst   1607  gelegentlich  der  Herausgabe  durch  Pistorius. 

Die  nächste  Nachricht  bringt  der  als  Humanist  bekannte  Caspar 
Bruschius  in  seiner  Geschichte  der  deutschen  Bisthümer  ^).  welche  1549 
iu  Druck  erschien. 

Der  folgende  in  der  Reihe  ist  Wilhelm  Eysengrein  im  Catalogus 
testium  veritatis  •^),  1565  herausgegeben ;  dann  Vossius  in  seinem 
Werke  „De  historicis  Latinis",  1651  erschienen^);  weiters  Bucelinus 
in  der  Coustantia  Rhenana  1667  ^),  endlich  Schilter  in  einer  Note  zu 
Königshofen  6)  in  der  Ausgabe  vom  Jahre  1698. 

Manlius  bemerkt  über  Heinrich  voq  Klingenberg:  Henricus  in- 
genuus  Udalrici  de  Klingenberg  militis  et  Dominae  Erentrudis  Baro- 
nisse  de  Castel  filius,  artium  et  sacrorum  canonum  Doctor  famatus 
etiam  erat  historiographus  et  chronographus,  cuius  chronicam  de 
principibus  Habsburgensium  apud  me  habeo  in  pretio. 
Fuit  Rudolphi  .  .  .  regis  cancellarius  bene  meritus.  Ein  ürtheil  über 
den  Wert  dieses  Zeugnisses  werden  wir  erst  an  späterer  Stelle  abgeben. 


«)  Pistorius  8S  Hl  S.  751. 

2)  Magni  operis  de  omnibus  Germaniae  episcopatibus  epitom.es  tönius  pri- 
mus  .  .  .  1549  Norimbergi.  Pag.  44b/45a. 

3)  Catalogus  testium  ventatis  locupletissimus,  omnium  orthodoxae  matris 
Ecclesiae  doctorum,  .  .  .  qui  adulterina  Ecclesiae  dogmata,  .  .  .  .,  impugnarunt, 
.  .  .  seriem  coraplectens.     Dilingae  1565.     Pag.  122. 

*)  Lugduni  Batavorum  1651  H.  cap.  62,  pag.  499. 
5)  Frankfurt  n.  M.  1667.  Pag.  281. 
«)  S.  119. 


(506  ■  Victor  Thiel. 

Zunächst  wollen  wir  das  Verhältnis  feststellen,  iu  welchem  der  zweite 
in  der  Eeiheufülge,   Briischius,  zu  Manlius  steht. 

Bruschius  berichtet :  Heuricns  secundus  huius  nominis  uohilis^) 
Kegulus  a  Clingenberg  .  .  .  erat  Historiarum  lectionis  stn- 
diosissimus;  qui  libellum  etiam  de  comitibus  Habsbur- 
gensibus  in  gratiam  Kodolphi  regis  (cui  carissimus  semper  fuerat) 
scripsit.  Nigromautiae  vero  studio  supra  mediocritatem  delectatus 
est.  Coustruxit  intra  muros  Coustaucieusis  urbis  te m- 
plum  D.  Laurentio  sacrum,  obiit  anno  douiini  1306-  Se- 
pelitur  in  Summo  teroplo  Constantino. 

Hiezu  ist  zu  bemerken:  Bruschius  folgt,  wie  seitens  Tli.  Ludwigs 
erwiesen  worden  ist  -),  in  dem  Abschnitte  über  die  Constauzer  Bischöfe 
der  Hauptsache  nach  völlig  Manlius,  so  dass  wir  ihn  hier  wesentlich 
nur  als  Excerptor  kennen  lernen.  Auch  bei  der  deu  Bischof  Hein- 
rich II.  betreffenden  Nachricht  ist  die  Entlehnimg  aus  Maulius  zu 
merken.  Sonach  wiederholt  Bruschius  nur  die  Notiz  des  Manlius  über 
die  Habsburger  Chronik,  wobei  er  die  Bemerkung  des  Manlius:  cuius 
chronicam  .  .  .  apud  me  babeo  in  pretio  einfach  ausschaltet. 


Maulius : 
.  .  .  famatus  etiam  erat  historio- 
graphus  et  chi'onographus,  cuius  chro- 
nicam de  principibus  habsburgensium 
apud  me  habeo  in  pretio.  Fuit 
Rudolphi  .  .  .  regis  cancellarius  bene 
meritus. 


Bruschius : 
.  .  .  erat  Historiarum  lectionis 
studiosissimus ;  qui  libellum  etiam 
de  comitibus  Habsbm'geusibus  in 
gratiam  Kodolphi  regis  (cui  carissimus 
semper  fuerat)   scxipsit. 


Dass  Bruschius  seine  Kenntuiss  von  der  Cbronik  einzig  aus 
Manlius  schöpft,  ist  umso  bemerkenswerter  als  Bruschius  ältere 
Constanzer  Quellen  in  Augenschein  genommen  hat;  seine  Forschungs- 
reisen führten  ihn  auch  nach  Constauz;  an  mehreren  Stellen  seines 
Werkes  spricht  er  von  alten  Constauzer  Quellen,  von  catalogi  veteres  '■'') 
und  in  der  von  Cartellieri  jüngst  entdeckten  und  von  W.  Martens^) 
besprochenen  Handschrift  einer  Constauzer  Bistumschrouik  (Codex 
Sangall.  339)  findet  sich  ein  längerer  Eintrag  von  der  Hand  des 
Brusch. 


')  Die  gesperrten  Stellen  beziehen  sich  auf  das  Verhältnis  des  Bruschius 
5!u   Eysengrein. 

'-')  Theodor  Ludwig,  Die  Constanzer  Geschichtschreibung  bis  zum  18.  Jalir- 
hundert.     Strassburg  1894.     S.   170  it.     • 

•<)  Vgl.  Ludwig  S.  178  f. 

■•)  W.  Marteus,  Eine  neu  entdeckte  Chronik  des  Bistums  Konstanz,  in 
Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Oberrh.  13,  24. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  ß()7 

Das  gleiche  Verhältnis  lässt  sich  aber  auch  zwischen  Eysengrein 
und  Bruschius  erkennen.  Eysengrein  gibt  an:  Heinricus  nobilis 
a  Klingenberg  .  .  .  .  protonotarins  imperatorius  et  leguiu  doctor 
vir  cum  confessiouis  gloria,  tum  vita  et  conversatione  plurimum  in- 
signis  philosophus  clarus  poeta  insignis  et  ingeniosus  historicus 
celeberrimus  multarumque  litteraram  et  rerum  peritissimus  qui 
S.  Laurentii  basilicam  in  urbe  construxit.  De  angelis 
quaestiones  absolvit.  Historiam  porro  Habsburgensium  co- 
mitum  scripsit.  Obiit  anno  Salvatoris  Christi  1306,  in 
Cathredali  Constantiensi  basilica  sepultus. 

Die  gesperrten  Stellen  kennzeichnen  die  von  Eysengrein  aus 
Bruschius  herübergenommeuea  Stellen. 

Der  folgende  Zeuge,  Vossius,  gibt  seine  Quelle,  das  Werk  Eysen- 
greins,  selbst  an.  Er  führt  an :  Heinricus  a  Klingenberg  ....  praeter 
quaestionem  de  angelis  etiam  Historiam  coudidit  Habsburgensium, 
cuius  meminit  Eisengrinius. 

Mit  dem  Zeugnis  des  Bucelinus  steht  es,  wie  folgt.  Er  erzählt: 
Vita  excedit  Heinricus  Episcopus  noster  Constantiensis  Udalrici  ä  Klin- 
irenbero-  et  Erentrudis  Libere  Baronisse  de  Castel  filius  Rudolf!  I.  et 
Alberti  I.  imp.  Cancelarius  vir  doctus  aeque  ac  Nobilis  Historicus  in- 
signis qui  et  in  gratiam  praedictorum  Caesarum  librum  insignem  de 
familia  et  origine  Domus  Habspurgiae  composuit. 

Den  Wert  dieses  Zeugnisses  beleuchtet  der  ümstaud,  dass  Buce- 
linus, wie  Ludwig  gezeigt  hat  i),  in  seiner  Constautia  Ehenana  ohne 
Prüfung  die  ihm  vorausgehende  Constanzer  Literatur  zusauimengefasst 
hat;  an  mehreren  Stellen  seiner  Arbeit  citirt  Bucelinus  den  Manlius; 
dass  er  aber  gerade  auch  au  der  uns  interessirenden  Stelle  auf  Man- 
lius zurückgeht,  geht  insbesondere  daraus  hervor,  dass  er  auch  den 
Irrthum  des  Manlius,  die  Mutter  des  Bischofs  Erentrudis  statt  Willi- 
burgis  zu  nennen,  wiederholt.  Doch  auch  eiu  Anklang  an  Bruschius 
ist  zu  bemerken. 


Bruschius : 

.  .   .   qui  libellum   ...   in  gratiam 
Eodolphi  regis   .   .   .   scripsit. 


Bucelinus : 
.   .   .   qui  et  in  gratiam   praedicto- 
rum Caesarum  librum  .  .  .  composuit. 


Es  stimmt  dies  mit  dem  Nachweise  Ludwigs  -)  überein,  dass  eine 
Benützung  des  Bruschius  seitens  des  Bucelinus  wahrscheinlich  sei. 

Endlich  verweist  Schilter  liei  der  Stelle  Königshofens :  „Dirre 
künig  ßudolt  det  so  vil  strite    und    frumekeit    da->s    davon    ein    gantz 


')  S.  78  ff.  u.  S.  199  ff. 
-)  S.  78  ff.  u.  S.   190  ff'. 


608  Victor  Thiel. 

bucb  ist  gemacht"  auf  die  hi.storia  eomitum  Habsburgeusium  Klino-eu- 
bergs.  Schon  Hegel  1)  stellte  diese  ßemerkuüg  Schilters  richtig:  „Ohne 
Zweifel  meint  aber  Köuigshofeu  nichts  anderes,  als  die  Gesta  invictis- 
simi  domini  Rudolfi  Romauoruni  retvis  des  Gottfried  von  Eusmino-en" 
Freilich  ist  hiemit,  wie  Rieger  ^)  richtig  bemerkt,  das  Zeugnis  Schilters 
für  dass  fragliche  Geschichtswerk  nicht  beseitigt.  Doch  was  wiegt 
das  noch  dazu  so  dürftig  gehaltene  Zeugnis  eines  au  der  Schwelle 
des  18.  Jahrhunderts  stehenden  Forschers  für  eine  Chronik  zur  Ge- 
schichte Rudolfs  von  Habsburg !  Volle  vier  Jahrhunderte  liegen  zwi- 
schen dem  Bezeugten  und  dem  Zeugen.  Es  ist  kein  Zweifel,  dass 
auch  Schilter  seiue  Kenntnis  vou  der  Chronik  aus  einem  der  oben 
genannten  Autoren  geschöpft  hat. 

Wie  wir  gezeigt  haben,  gehen  die  Notizeu  über  die  Habsburger 
Chronik  des  Bischofs  Heinrich  auf  Manlius  zurück.  Die  aanze  Last 
der  Verantwortung  für  die  Nachricht  ruht  demuacli  auf  ihm.  Es 
obliegt  uns  nun,  die  Glaubwürdigkeit  dieser  Nachricht  zu  prüfen. 

Vor  allem  muss  es  uns  auffallen,  dass  ein  so  langer  Zeitraum  bis 
zu  dem  ersten  Zeugnis  für  die  Existenz  der  Chronik  verflossen  ist. 
Eine  Lücke  von  mehr  als  zwei  Jahrhunderten  in  der  Tradition!  Ver- 
gebens suchen  wir  in  zeitgenössischen  Constanzer  Quellen  nach  Be- 
legen für  eine  historiographische  Thätigkeit  des  Bischofs.  Es  wird 
uns  von  seiner  Bauthätigkeit  berichtet,  von  seinem  Siun  für  Kunst 
uud  Poesie,  doch  dass  er  sich  mit  Geschichtschreibung  befasst  hätte, 
wird  nicht  erwähnt  •^).  Es  hat  zwar  in  Constauz  zur  Zeit  des  Bischofs 
eiue  geschichtschreibende  Thätigkeit  bestanden.  Doch  haben  die  da- 
maligen Aufzeichnungen,  welche  wir  nur  aus  der  Benützung  durch 
die  Constanzer  Chronisten  des  15.  und  16-  Jahrhunderts  kennen,  allem 
\nscheine  nach  eine  annalistische  Form  gehabt  und  waren  in  einem, 
dem  Hause  Habsburg  abgeneigten  Sinne  geschrieben  ^),  während  Bi- 
schof Heinrich  ein  eifriger  Anhänger  der  Habsburger  gewesen  ist. 


1)  Hegel.  Deutsche  Städtechronikeu  8,  451.  N.  1. 

2)  S.  341. 

s)  Vgl.  Lorenz,  Gcschichtsqu.  l  S.  75.  N.  2;  Rieger  S.  347.  Auch  in  clor 
von  Cartellieri  aufgefundenen  Sanct  Gallner  Handschrift  einer  Constanzer  Chronik 
wird  nichts  von  Klingenberg  als  Geschichtschreiber  berichtet.  Es  geht  dies  aus 
der  Aeusserung  Cartellieris  in  der  Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Oberrh.  12,  360  j, Be- 
merkungen zur  oberrhein.  Quellenkunde'  hervor,  dass  er  vergeblieh  den  Spuren 
der  Chronik  nachgegangen  sei.  Dieser  Umstand  aber  ist  umso  bedeutungsvoller, 
als  gerade  auf  diese  Constanzer  Chronik  Manlius  seine  Bistumschronik  in  erster 
Linie  und  fast  vollständig  aufbaut.  Vgl.  W.  Martens  in  Zeitschr.  f.  Gesch.  d. 
Oberrh.   13,  43  ff, 

•»)   \>1.   Lndwijj  S.  238—240. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  QQC) 

Auffällig  ist  es  ferner,  class  in  der  Constanzer  Localhistoriographie 
bisher  keinerlei  Anzeichen  sich  vorgefunden  haben,  welche  die  Existenz 
einer  derartigen  Chronik  voraussetzen  Hessen,  wie  sie  Heinrich  o-e- 
schrieben  haben  soll.  Dagegen  hat  man  in  Beziehungen  von,  den 
Standpunkt  der  Eeichsgeschichte  einnehmenden  Quellen  die  Spuren 
eines  solchen  Werkes  zu  sehen  geglaubt;  duch  ist,  wie  wir  glauben, 
die  Schwäche  dieser  Vermuthungen  dargeletrt  worden. 

Wichtig  für  die  Kritik  der  Notiz  des  Manlius  ist  weiters  der  Um- 
stand, dass  in  dem  reichen  Quelleumateriale,  welches  durch  die  haupt- 
sächlich dynastischen  und  genealogischen  Bestrebungen  des  Kaisers 
Maximilian  I.  auf  dem  Gebiete  der  Geschichtschreibung  ans  Tageslicht 
gefördert  wurde,  sich  eine  Chronik  des  Heinrich  von  Klino-enbero- 
nicht  vorfindet.  Einen  Einblick  in  die  Forschungsarbeiten  der  im 
Auftrage  des  Kaisers  thätigen  Historiographen  gewährt  der  ansehnliche 
Actenbestand,  wie  er  in  den  „Jahrbüchern  der  kunsthistorischen  Samm- 
lungen des  allerhöchsten  Kaiserhauses-  publicirt  worden  ist.  Eine, 
die  Chronik  Kliugenbergs  betreffende  Notiz  konnte  ich  jedoch  in  den 
hier  veröffentlichten  Acten  nicht  finden  i). 

Unter  den  Gelehrten,  welche  Kaiser  Max  zu  den  genealogischen 
Arbeiten  heranzog,  befand  sich  auch  der  Freiburger  Professor  Jacob 
Manlius  (Mennel),  Er  erhielt  die  Aufgabe,  eine  habsburgische  Stamm- 
chronik zu  schreiben.  Das  hiezu  nöthige  Quellenmaterial  hatte  er 
theils  schon  selbst  vor  der  kaiserlichen  Berufung  gesammelt,  einen 
anderen  Theil  aber  erhielt  er  wohl  durch  Vermittlung  des  Kaisers 
von  Ladislaus  Sunthaim,  welcher  sich  gleichfalls,  wenn  auch  nicht  in 
erster  Linie,  mit  der  Erforschung  der  Habsburgischen  Geschichte  zu 
befassen  hatte;  endlich  unternahm  Manlius  für  seine  Arbeit  noch 
mehrere  ausgedehnte  Forschungsreisen.  'So  standen  ihm  eine  Fülle 
von  Quellen  zu  Gebote,  auf  welche  er  sein  grosses  Werk,  den  Geburts- 
spiegel, vollendet  1518,  aufbaute-).  In  der  Einleitung  zu  dem  noch 
ungedruckt  gebliebenen  Werke  3)  führt  Manlius  die  Quellen  und 
Quellenfundorte  an,  welche  er  für  seine  Arbeit  verwertet  hatte.  Ich 
habe  die  lange  Liste  der  Quellen  durchgesehen;  doch  eine  Klingen- 
berger  Chronik  ist  in  ihr  nicht  angeführt. 


0  Band  I  1883:  bisher  sind  etwa  16.000  Urkunden  und  Acten  zur  Ge- 
schichte der  kaiserlichen  Haussammlungen  und  der  wissenschaftlichen  Bestre- 
bungen des  kaiserl.  Hauses  edirt  worden. 

-)  Vgl.  für  diesen  Abschnitt  Simon  Laschitzer,  Die  Genealogie  des  Kaisers 
Max  I..  im  Jahrbuche    der   kunsthist.  Samml.    des    allerh.  Kaiserhauses  7.  Band. 

3)  Cod.  man.  der  Wiener  Hofbibliothek  3072*.  Siehe  Anhang,  welcher  die 
Einleitung  in  den  Geburtsspiegel  enthält. 


QIQ  \'ictor  Thiel. 

Die  ira  Vorhergeliendeu  angeführten  Umstände  lassen  die  Existenz 
eines  Gescliichtswerkes  über  die  Habsburger  aus  der  Feder  Heinrichs 
von  Klingeuberg  sehr  fragwürdig  erscheinen.  Und  doch  berichtet 
Manlius  über  das  Dasein  der  Chronik  als  Augenzeuge.  Er  sagt  näm- 
lich: .  .  .  cuius  chronicam  de  principibus  Habsburgensium  apud  nie 
habeo  in  pretio.  Es  kann  demnach  nur  fraglich  sein,  ob  diese  Chronik, 
welche  er  in  seinem  Besitze  hatte,  und  welche  über  die  Habsburger 
handelte,  auch  wirklich  von  dem  Bischof  Heinrich  hergerührt  habe. 
Eine  dahin  gehende  Vermuthung  hat  bereits  Böhmer  i)  geäussert.  Er 
meinte,  dass  Manlius  eine  Verwechslung  mit  der  Chronik  Heiurichs 
von  Guudelfingen,  gleichfalls  eine.s  Constanzers,  begangen  habe.  Doch 
entbehrt  diese  Ansicht  einer  hinlänglichen  E echtfertig ung. 

Daseo-en  o-ewinnt  es  den  Anschein,  als  ob  die  Chronik,  welche 
Manlius  irrthümlich  dem  Heinrich  von  Klingenberg  zuschrieb,  die 
Zürcher  gewesen   seien. 

Wie  bekannt,  sind  die  zahlreichen,  historischen  Aufzeichnungen, 
welche  man  unter  dem  Gesammtnamen  der  Zürcher  Chroniken  zu  be- 
zeichnen pflegt,  zum  Tlieile  mehr  habsburgiscli,  anderutheils  mehr 
reichsstädtiseli  gesinnt  -).  Unter  den  im  habsburgischen  Sinne  ab- 
o-efassten  Schriften  befindet  .-^ich  auch  eine  solche,  deren  Autorschaft 
mit  dem  Namen  des  thurgauischen  Kittergeschlechtes  der  Kliugeuberge 
iu  Verbindung  gebracht  wird,  jenes  Hauses,  welchem  auch  Bischof 
Heinrich  von  Constanz  angehörte.  Mit  welchem  Eechte  die  betreffende 
Zürcher  Compilatiou  zu  der  Bezeichnung  einer  Klingenberger  Chronik 
gekommen  ist,  ist  für  uns  von  keinem  Belange;  es  genügt  uns,  dass 
es  sich  als  Thatsache  feststellen  lässt,  dass  schon  eine  Anzahl  von 
Forschern  des  16.  Jahrhunderts,  nämlich  Tschudy,  Stumpf  und  Guil- 
limann  diese  Benennung  gebrauch'en  ^).  Tschudy  ist  der  erste,  bei 
welchem  sich  diese  Bezeichnung  nachweisen  lässt.  Nun  ist  aber 
Manlius  ein  engerer  Landsmann  und  noch  Zeitgenosse  Tschud^-s;  dieser 
wurde  1505  geboren,  jener  starb  1526.  Es  i-jt  ferner  sicher,  dass 
Manlius  die  Zürcher  Jahrbüclier  gekannt  und  benützt  hat.  Er  hat 
näuilich  die  in  der  Zürcher  Chronik  i)  enthaltenen  Verse  von  der  fast 
"•leichzeitii^eu  Wahl  der  beiden  o-leichuamio'en  Vettern  Kudolf  von 
Habsburg  in  seine  Konstauzer  Bischofschronik  aufgenommen  ■'')  und 
hiebei  auch  das  Versehen  des  Zürcher  Chronisten  wiederholt,  welcher 


')  Regesta  Rudolfi  S.  5b'. 

-)  Vgl.  Lorenz,  Gescliichsquellen  1,   118  f. 

3)  Vgl.  Scherer  .^.  64—70. 

■*)  Henne  v.  Sargans,  Das  Zeitlnich  der  Klingenborge,  S.  30. 

■•)  Pistoriu?,  SS.  lll.  S.  747. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg.  611 

irrthümliclierweise  auch  die  drei  ersten  Zeilen  der  iu  Columuen  ge- 
schriebeneu  Vorlage  für  Verse  hielt  i).  Belangreich  ist  es,  dass  die 
von  Manlius  entuommene  Stelle  nicht  in  allen  Fassungen  der  Zürcher 
Jahrbücher  enthalten  iht,  auch  nicht  in  der  sonst  der  Klingenberger 
Kedaction  so  nahestehenden  Sprenger 'sehen  Chronik.  Sollte  nun  nicht 
auch  die  Bezeichnung  der  ihm  vorliegenden  Zürcher  Aufzeichnung 
als  Klingenberger  Chronik  ihm  (Manlius)  bekannt  gewesen  sein? 
Wenn  dies  der  Fall  war,  dann  ist  es  unschwer  zu  erklären,  wie  Man- 
lius dazu  kam,  dem  Bisehof  Heinrich  von  Kliugenberg  die  Autor- 
schaft einer  Chronik  über  die  Habsburger  Fürsten  zuzuschreiben;  als 
er  in  seiner  Coustanzer  Bischofsgeschichte  auf  Heinrich  von  Klingen- 
berg kam,  glaubte  er  iu  ihm  den  Verfasser  jener  Chronik  zu  ei'blicken, 
welche  er  iu  seinem  Besitze  hatte,  und  welche  mit  Rücksicht  auf  ihren 
luhalt  mit  einiger  Berechtigung  eine  Chronik  ül)er  die  Habsburger 
Fürsten  genannt  werden  kann;  berichtet  doch  die  Klmgenberg- 
Sprenger'sche  Handschrifteuclasse  von  dem  römischen  Ursprung  der 
Ha1)sl)urger  und  schenkt  die.-eu  Fürsteu,  insbesondere  dem  Könige 
Eudolf,  dessen  Kauzler,  wie  Manlius  wusste,  Heinrich  von  Kliugen- 
berg war,  eine  weitgehende  Beachtung.  Wir  dürfen  uns  nicht  daran 
stossen,  dass  dieses  Vorgehen  des  Manlius  ein  unkritisches  genannt 
werden  muss.  Ein  gründlicher  Kenner  des  Manlius,  S.  Laschitztr, 
fällt  über  ihn  folgendes  ürtheil'^):  «Ein  kritischer  Kopf  war  Mennel 
nicht.  Gläubig  und  fast  ohne  Unterschied  nahm  er  alles  Geschriebene 
auf  .  .  .  üebte  er  einmal  wirklich  Kritik,  so  steht  sie  in  Naivität  auf 
der  Höhe  seiner  Zeit  .  .  .  Seine  Darstellung  ist  manchmal  von  geradezu 
kindlicher  Naivität". 


')  Dass  die  Zürcher  Chronik  bei  den  genealogischen  Forschungen  unter 
Kaiser  Maximilian  bemerkt  und  beachtet  wurd»,  geht  aus  einem  Inventarzettel 
aus  dem  Jahre  1507  hervor,  in  welchem  unter  Anderem  ein  puechl  verzeichnet 
ist,  wie  die  von  Zürcli  ain  herru  von  Regensperg  und  darnach  graf  Ruodolffea 
von  Habspurg,  der  nachmals  Römischer  khunig  ward,  zu  ierem  hawbtmann  er- 
wellt  habn,  auch  was  sachen  derselb  graf  Ruedolft'  von  Habspurg  nachvolgend 
gethan  und  bei  seinen  Zeitn  geschehn  sein.  Siehe  Jahrbuch  V  Regest  Nr.  4493 
V.  7.  Februar  1507.  Vgl.  EttmüUer  S.  53,  —  Welchen  Antheil  der  Kaiser  an 
den  unter  seiner  Aeg3-de  unternommenen,  geschichtlichen  Arbeiten  nahm,  wird 
aus  den  Gedenkbüchern  ersichtlich,  in  welche  Maximilian  persönlich  oder  durch 
seine  Secretäre  eintrug,  was  für  die  Zukunft  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden 
sollte ;  so  finden  sicli  in  diesen  Büchern  Bemerkungen,  welche  die  Evidenthaltung 
von  Fundorten  alter  Chroniken  bezwecken.  In  einem  solchen  Gedenkbuche  vom 
Jahre  1502  findet  sich  der  Vermerk:  Item  doctor  Haiden  hat  ain  alte  cronick 
von  Zirch.     Siehe  Jahrbuch  I,  Regest.  Nr.  230. 

-)  S.  Laschitzer  »Die  Heiligen  aus  der  Sipp-,  Mag-  und  Schwägersehatt  des 
Kaisers  Maximilian  I.«  im  Jahrbuche  IV,  88. 


t312  Victor  Thiel. 

Wir  sind  au  den  Schluss  unserer  Ausführungen  gelangt.  Wir 
erlauben  gezeigt  zu  haben,  dass  allem  Anscheine  nach  niemals  eine 
Chronik  des  Heinrich  von  Klingeuberg  über  die  Habsburger  Fürsten 
existirt  habe,  dass  die  betreffende  Notiz  des  Manlius  auf  einem  Irr- 
thume  beruhe,  und  dieser  Irrthum  sich  durch  eine  Keihe  von  Werken 
des  16.   und   17.  Jahrhunderts  hingezogen  habe. 


Anhang. 

Vorrede  des  Manlius  zu  seinem  Geburtsspiegel  i). 
(Cod.  ms.  .3072'  der  Wiener  Hofbibl.). 

In  die  furstlicbeu  cronickh   kayser  Maximilians    geburtspiegel    genant 
doctor  Jacoben  Mennels  vorred. 

V  or  r  e  d. 
Wann  wir  bedenkhen,  o  theurer  Maximilian,  das  die  ungleubigen 
menschen  besonder  haiden  unnd  Juden  nit  allain  seyder  Christ  geburt  ia 
auch  ethlich  tusent  iar  darvor  ir  altfordern  herkomen  gesiecht  stamm 
unnd  namen  sampt  ir  geschichten  von  zeitteu  zu  zeitten  mit  hohem  vleiß 
haben  lassen  beschreybeu  unnd  also  zu  ewiger  gedechtnus  vil  schöner 
bucher  davon  gemacht  unnd  dardurch  vermaint,  als  so  dieselben  hienach 
für  äugen  geuomen,  die  abgestorben  vom  tod  erkuckht  wider  lebendig 
seyen  worden,  haben  auch  sunst  kain  höhern  genies  daraul!  erfolgt  denn 
welttlich  eer  und  ruom,  wie  dann  solchs  der  heylig  Augustinas  von  der 
stat  gotz  in  seinem  funfften  buoch  unnd  ander  leerer  an  vil  enden  beweisn, 
0  großmächtigister  kayser,  warumb  woltten  dann  wir  Christen  so  untheuer 
sein  unnd  unser  altfordern,  die  bey  ireu  zeitten,  davon  man  noch  an  vil  ortten 
mörklich  anzaigung  findt,  groß  Sachen  gethan  haben,  in  vergess  stellen  unnd 
zu  ewigen  gedächtnus  nitt  auch  buecher  davon  machen,  so  sy  doch  durch  ir 
gutthaten  besonder  seid  anfangs  der  Cristenhait  nit  allain  welthlieh  eer  unnd 
ruom,  auch  nit  allein  vom  tod'  erkuckht,  to  aber  vor  Lucifers  quäl  behuet 
yetzo  an  dem  himlischen  haus  ewigs  leben  erlangt  haben;  dann  vil  darunder 
gehailigt  und  vil  derselben  uflF  dem  weg  der  behaltnus,  die  mit  unser  andech- 
tigkait  dreflfenlich  darzu  gefurdert  unnd  an  zweyfel  durch  unser  hinlesigkait 
sehwarlich  daran  gesaumpt  mögen  werden,  darbey  aym  yeden  weysen 
leichtlich  abzenemen,  das  die  solchs  nit  erwegen  hail  ir  altfordern  in  dem 
gebot,  vatter  unnd  mutter  in  eeren  ze  haben,  mit  klainer  trew  und  gar 
vil  minder  dann  die  ungleubigen  besyunen.  Darumb,  o  edlister  fürst, 
nachdem  ich  anfengklich  uß  naturlichem  einsprechen  eigner  bewegung  in 
■srfarung  euer  kayserlichen  maiestät  hochloblichs  geslechts  Ursprung  unnd 
herkomen  dessgleichen  ir  mörkhlichen  geschichten  und  thaten  zu  schimpff 
und  ernst  mich  etlich  zeit  geübt  und  dasselb  an  E.  kay.  M.,  die  dann  zu 
ergötzlicheit    irer    nianigfaltigen    arbait    tugentleich    kurtzweil    gern    fuert. 

')  Die  Abschrift  der  Vorrede  rührt  von  Herrn  C.  Hönel,    o.  Mitgl.  d.  Inst, 
f.  ö.  G.  her  inid  wurde  mir  von  ihm  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt. 


Die   Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingeuberg.  (j]^;:> 

gelangt  ist,    so   hab  ich    yetzo    derselben  E.  kay.   M.   Instruction   unnd   l^e- 
felch  mit    züchten    wie    sich    geburt    underthenigklichen    empfangen    unnd 
darinn  gehorsamlicb   vermerkht,   das  ich  von  meinem   augefengten  furnemen 
nit  abtreten  sonder  nach    ußweysung  derselben  weytter  suchen  unnd  dar- 
nach uffs  furderlichist,   was  also  vor  unnd   nach   erfaren,   ich  dasselbig  or- 
denlieh beschryben  E.  kay.  M.  und  derselben  nachkommen  zu  ewiger  ge- 
dechtnus   sondere    buecher    davon    machen  soll.      Wie  gar  nun  allerdurch- 
leuchtigister  kayser  uss  den  nachfolgenden  auch  andern  Ursachen  ich  mich 
selbs  gantz  ungnungsam  erkhenn,  E.  kay.  M.  als  des  obersten  Haupts  der 
christenlichen  weit  so  großmächtig  edel  gesiecht    mit    der    hofFlichait  und 
Zierden,  wie  sich  den  hohen  eeren  nach  wohl  zymmet,  ze  beschreyben  und 
buecher  darvon  ze   machen,    angesehen    zum    ersten    das    ich  es  also  hoch 
unnd  altherkommen   find,   auch   solcher  scharpfi'synnigkait  in  recht  ordnuno- 
ze  bringen    notturfftig,     das  es  gar  vil  weyser  leutten  vernunflft  dann  ich 
hab  uberdreffen    möcht;    unnd   zum  andern   find  ich,    das   die   cronichisten 
ofl"t    ungleich    und    ainander    widerwertig    sind,    dessgleichen,    dass    briett'. 
register    rödel    seelbuecher    unnd    schriflten,    daran    bey  weylen  am  aller- 
maisten  gelegen  ist,  durch  kriegslöff  durch  fewer  durch  wasser  unml  ander 
nöten  an  vil    ortten    entfrembt    oder    vielleicht    durch    unvieif!    verwarlost 
zerissen  oder  gar  verloren    sind,    darzu    auch    die    schryfi"ten    figuren    und 
bildnussen   in   den  allten    stifften    und    gebewen    altters    halb    dickh    ver- 
blichen swerlich   ze  erkhennen,    zu    dem  das   die  altten  fursten  unnd  hern 
ir  aigen    namen  in  den    alttern    versigelten    brieten    (dazu    m^rmalen    der 
sigel  grosser  ist  dann  der  brieff)  ofi't  allain  gesetzt  unnd  die  zunamen,  ir 
adenlichen  geburt  unnd  titul  der    eeren,    (als  geacht  will  werden  uss  de- 
mietigkait)  versweigt    heruß    gelassen,    auch  zu  mermalen  ain  person  mer 
dann  ainen  unnd   ofi't  zwuo    oder    drey    personen    nur    ain    namen  gehept 
haben,    das    fuerwar  in    beschreybung    solcher    altter    hystorien  nit  wenig 
irrung  bringt,   alssdann  solchs  ain  yeder  von  natur  oder  kunst  verständiger 
wol  ermessen    mag    war    sein    davon  wie  oblut  ich  eehafi't    Ursachen    heit 
mich   solcher  grosser  gescheff'ten  nit  anzunemen,    sonder  E.  kay.   M.   noch- 
mals underthenigklichen   darfur  ze   bitten. 

So  ich  aber  allergenedigister  Herr  dagegen  betracht  E.  kay.  M.  menig- 
feltig  hochgeborn  lügenden  unnd  inbesonderen  das  die  in  solchem  und 
anderm  gar  vill  trelFenlichen  hendelu  sich  gnedigklich  benuegen  last,  dass 
so  getreuer  vleiß  unnd  ernnst  ertragen  mag,  dardurch  dann  got  der  herr 
gar  ofi't  den  ainfeltigen  offenbaret,  das  er  den  weysen  lange  zeit  verborgen 
hat.  Desgleichen  auch  war  nun  der  ob  beruerten  Instruction  unnd  befelh 
unnd  darinn  underthenigklichen  vermörckh  E.  kay.  M.  mainung,  die  hievor 
erzelten  beswerden  mich  in  disem  werkh  kaius  wegs  verhindern  ze  lassen, 
angesehen  das  E.  k.  M.  sich  abermals  gnedigklich  benuegen  last,  deß 
davon  man  gutten  bericht  unnd  luttern  verstand  haben  mag,  und  das 
solchs  dermassen  zesammen  gestimpt  auch  mit  so  geringen  federn  be- 
schreyben damit  durch  gebluembte  wort  der  warhafft  sein  nit  verdunkhelt 
werde. 

Sodann  solch  furnemen  in  allweg  fruchtbar  angesehen,  das  es  an  im 
selbst  erlich  nutzlich  und  lustig  ist  ze  vil  guttem  erschieslich  unnd  auch 
darbey  ze  betrachten,  wo  bey  E.  kay.  M.  zeitten,  die  von  got  on  zweyfel 
in  dem   und  andern  mit  sondern    gnaden    begabt    ist,    solch   beschreybung 


(314  Victor  Thiel. 

ir  altfordern  nit  bestölt,  das  die  noch  in  lange  zeit  oder  villeicht  nimer 
beschechen  wäre.  Das  nachtails  aber  uss  derselben  farlessigkait  oder  frucbt 
durch  solch  fursichtigkait  kuniFtiger  zeit  erwachssen,  ist  kainer  zungen 
muglich  usszesprechen.  Dann  so  wie  ermessen,  das  unser  aller  wirdigiste 
mutter  die  heylig  crisienlich  kirch  in  den  götlichen  emptern  mit  singen 
und  lesen,  auch  durch  verkundung  dess  gotzworts  i)  hystorias  unser  vor- 
eltter  umb  desswillen,  das  wir  dadurch  gebessert  werden,  für  sich  nympt, 
das  auch  alle  gaistlich  und  weltliche  gesetzt  daruss  entspringen  unnd  das 
ein  yeder  vernunnftiger  men-ch  sich  selbs  und  ander  dadurch  von  laster 
zu  tugenden  laiten  mag,  so  were  schad,  soltte  solch  lieschreybung  diser 
fürstlichen  chronickh  mit  hochloblichen  herkommen  von  so  altter  zeit  heer 
unersucht  nit  an  tag  kommen. 

Darumb,  o  wunderbarer  fürst,  uff  das  doch  ye  desselben  halb  an 
meinem  vleiß  nichts  erwind,  so  hab  ich  mich  demietigklich  ergeben. 
E.  kay.  M.  vorgedachter  instruction  und  befelh  nach  meinem  vermögen 
getrewlich  nachzekhomen  der  hoffnung,  so  dieselbigen  bisher  verborgen 
hiemit  an  tag  bracht,  der  liebhaber  diser  fürstlichen  cronickh  sovil  sein 
werden,  damit  sj^  von  denselben  in  solchen  wirden,  lob  und  ern  gehalten 
wurd,  das  die  überigen  durch  ir  boshafftigkait  nichts  daran  eutferben 
mögen.  Aber  uff  das  ich  solchs  mit  iler  hilff  und  gnad  gotz,  on  die  wir 
nichts  geschaffen,  vollbringen  möge,  rueff  ich  zuvorderst  an  vile  der  uss- 
erwölten  diser  hochloblichen  frundtschafft,  in  dero  gedechtnus  solch  cronickh 
nit  unfruchtbar  zelesen  ist.  Bitt  auch  alle  die  in  dero  eer  E.  k.  M.  und 
derselben  sipp  und  magverwandtten  von  anfang  der  cristenhait  bisher  an- 
dechtige  und  lobliche  gotzheuser  gestifft  und  begabt  haben,  ilaruss  ich 
dann  den  besten  tail  diser  bucher  gezogen,  das  sy  durch  ir  verdienen  vor 
<lem  hymlischen  kinig  mir  erwerben,  solch  fürstlich  cronickh  der  gstalt 
anzevahen,  ze  mittein  und  ze  enden,  damit  es  vorab  demselbn  allerding 
wolgefall  und,  o  hochfliegender  adler,  E.  k.  M.  dessgleichen  derselben 
altfordern  und  nachkomen  gegen  got  und  der  weit  zu  ewigem  lob  unnn 
eere  raichen  werd.  Bevilch  mich  dumit  E.  k.  M.  als  meinem  allergnedi- 
gisten  hei'rn. 

Titul   diser   Cronickh. 

Diss  cronickh  soll  genant  werden  die  fürstlich  cronickh  kayser  Maxi- 
milians geburtspiegel  uss  der  ursach,  dass  darinn  desselben  hochloblichen 
geslechts  von  von  vil  grossmechtigen  kinigen,  fursten  und  herren  geburt, 
Ursprung  unnd  herkommen  sampt  andern  vil  mörckhlichen  Sachen,  als  in 
aym  klaren  Spiegel  mit  lautterm  schein  gesehen  werden. 

Tailung  <ler   crouirkh. 

Dieweil  tailung  der  buchcr  gar  ain  grossen  beheff  gibt  grunthlich 
zu  verstau,  davon  man  schreybt,  darumb  so  tail  ich  nach  zall  der  uss- 
wendigen  menschlichen   synn   diss  fürstlich  cronickh  in  funff  buecher. 

Im  ersten  buoch  wird  ich  sagen  vom  Ursprung  der  kunigklichen  stat 
Troya  mit  kurzer  einluerung  ethlich  troyanischen  hystorien,  sovil  der- 
selben zu  diser  cronickh   dienstbar   sind,   unnd   will  damit  kommen  uff  den 

')  beyliger  getilgt. 


Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingeuberg.  (3^5 

haidnischen  stammen  Hectors  unud  denselben  allein  in  der  siechten  ab- 
steigenden Knien  biss  uf  den  iungen  fursten  kung  Karlin  von  Hyspania 
E.  k.  M.  eltesten  sous  son  lassen  unnd  daneben  etlilicher  Juden  unnd 
haiden  kinig  unnd  denselben  nach  der  bäpst  und  kayser  regierungen  als 
contemporalen  mit  ir  iarzal  in  form  und  gestalt,  wie  dann  solchs  sampt 
andern  figuren  under  dem  umtitul  durch  den  augenschein  hienach  gesehen 
wirt,   anzaigen. 

Im  andern  buoch  wird  ich  mich  der  haidenschafft  entslahen  unnd 
bey  dem  gedachten  kinig  Clodoveo  als  dem  ersten  cristenlichen  kinig  von 
Franckreich  den  vordrigen  stamen  nit  alain  in  der  absteigenden  schlechten 
linien  wie  vor,  sonder  auch  mit  seinen  estn  unnd  schössen  biss  uff  kayser 
Maximilians  zeitten  ussbraitten  mit  erzelung  vil  merckhlichen  hystorien, 
die  dann  l)isher  weit  zersträwt  alhie  in  Ordnung  gestölt  sind.  Ob  aber 
yemands  von  dem  beruerten  haidnischen  stammen  weytter  zelesen  anfechtung 
hat,  der  mag  es  in  den  hystorien  der  hochberaempten  Helny  Garfredy, 
Johannis  anny  rottuli  Wilhelmitarum  hystorie  Tungrorum  unnd  andern 
altten  hystoriographen,  daruss  ich  dann  solichen  haidnischen  stammen 
gezogen  hab,  suochen  und  sich  daselbs  verer  dann  hie  zemelden  not  sey 
ersehen. 

Im  dritten  buoch  werden  gepflantzt  ethlich  fruchtbarlich  gewechs,  so 
uss  den  vorberurtten  esten  und  schössen  entsprossen  sind,  dardurch  gar 
vil  treffenlich  gesiecht,  die  gemeltem  kayser  Maximilian  mit  naturlicher 
sipschafft  verwandt  sein  lange  zeit  verborgen,  an  tag  kommen. 

Im  vierden  buoch  seint  pfauen  und  pfauenspiegel,  darinn  mit  lustigem 
augenschein  gesehen,  wie  sich  kayser  Maximilians  gesiecht  von  vil  hundert 
iarn  her  durch  die  hochadellichen  heyrat  gemeret  hat  mit  kurtzer  bedea- 
tung  darbey  der  eegemecht  wappen  auch  stammen  und  namen,  sovil  ich 
der  untzher  erfaren  hab. 

Im  funfften  unnd  ledsten  buoch,  dieweil  der  allmechtig  in  seinen 
ass  erwölten  heyligen  gelopt  unnd  geert  wil  werden,  so  hab  ich  mir 
furgenomen,  sein  göthlichen  gnaden  zu  dankh  und  zu  gluckhafftigem 
besluss  diser  fürstlichen  cronickh  etlich  fruchtpar  der  seligen  und  heyligen 
Habspurger  fruntschafft  ze  beschreyben  mit  loblicher  anzaigung  ir  ange- 
bornen  tugenden,  wie  ich  dann  solchs  von  vil  dreffenlichen  gotzheusern 
weit  unnd   brait  zesamen  gelesen  hab. 

Aber  ee  ich  das  erst  buoch  angreyff  begegnen  mir  zway  ding  vor- 
zesetzen.  Zum  ersten,  dieweil  in  diser  fürstlichen  cronickh  vil  seltzamer 
hendel  von  alten  gesiechten  und  geschichten  bisher  verborgen  an  tag 
bracht  sollen  werden,  davon  sich  menger  also  hoch  befrembden  unnd  ver- 
wundern möcht,  damit  wa  glaubwirdig  kuntschafften  und  gezeugknus  der- 
selben hierinn  nit  dargestölt,  das  sy  von  dem  misstrawen  offt  vei'kert 
oder  gar  widerfochten  möchten  werden,  darumb  solchs  ze  verbieten,  so 
hab  ich  zu  gezeugknus  aller  nachgeschryben  ding  dis  altten  und  newen 
autores  zusampt  den  stifften  unnd  schryfften,  darauss  diss  werkh  genomen 
ist,  allermengklich  nit  wollen  verhaltten  unnd  wil  mich  damit  uff  dieselben 
referieren.  Darnach  und  zum  andern  wil  ich  nach  erzelung  derselben  ain 
kurtzen  eingang  thun  mit  der  schöpffang  gottes  unnd  dardurch  komen 
uff  den  ui'sprung  unnd  herkomer  aller  menschen  geschlecht,  mich  darnach 
bald  wenden  uff  mein  anfengklich    furnemen.     Unnd  sind  dis  die  zeugen. 


616 


Virtor  Thiel. 


Allergnedigister  kinig,  diweil  war  ist,  das  aius  jeden  menschen  seel 
in  anfang  seiner  Schöpfung  wie  ain  tafel,  daran  nichts  geschriben  ist,  das 
och  ein  yeder  mensch  sonder  aller  klaidung  nackend  unnd  bloß  an  die 
weit  kompt,  darus  dann  folgt,  das  kain  mensch  ichts  von  im  selber,  ia 
aber  alles,  das  er  hat,  von  ainem  annhern  genomen,  darumb  so  hat  mich 
lur  gut  angesehen  E.  k.  M.  nit  zu  verhalten,  sonnder  mit  aller  under- 
thänigkayt  anzezaigen,  wavon  unnd  warus  ich  daun  die  gegenwirtig  fürst- 
lich cronickh  genomen  hab,  damit  ob  nott  E.  k.  M.  weytter  mögen  suchen 
lassen,  unnd  sind  mit  namen  vil  alt  unnd  new  croniken  desgleichen  vil 
alt  und  new  autores  och  hystorien  cattalogen  unnd  in  annlegung  darczu 
ain  merklich  anzal  der  alt  unnd  neuwen  gaystlichen  und  weltlichen  stifften, 
darinn  ich  selbs  personlich  gewesen  bin,  on  die  ich  nit  durch  mich  selbs 
sonder  durch  annder  trew  globwirdig  oder  sunst  in  den  buchern  erfaren 
hab,  dann  mir  noch  kainem  möglich,  alle  ding  durch  sich  selbs  unnd  on 
hiltF  usszeriuhten,   doch   die   hilff  gotts   ob  allen  dingen  vorbehalten. 


Unnd   sind   dis   die   cronickeu. 


Item   cronica  Austrie. 


Ungarie. 

Bohemie. 

Alsacie. 

Schwiczerorum. 

Bernensum. 

Euseby. 

Martini. 

Heinrici. 

Mathie. 

epischopi  Losanonsis. 

Anglie. 

Francie. 

Brabancie. 
Item  supplementum   cronicarum. 
Item  supplementum  supplementi. 
Item  fasciculus  temporum. 
Item  collecta  de  Fuchsmag  Ladislai 


Item  cronica  Coloniensis. 


Lotharingie. 

Trayectensis. 

Campi   Regalis. 

Karinthie. 

Flandrie. 

Holandrie. 

Zeelandie. 

Hannonie. 

Geldrie. 

Saxonum. 

Bavarie. 

Svevie. 


unnd   annder. 


So   sind   dis   die  autores. 


Magister  Dares  Phrigius. 

Item  Homerus. 

»  Ovidius. 

»  Virgilius. 

»  Blondus. 

»  Berosus  Chaldeus. 

»  Manethon. 

»  Theoclus. 

»  Flavius  Vobiscus. 

y,  Orosius. 

j>  Beda. 

»  Augustinus. 


Item  Iheronimus. 

»  Eusebius. 

»  Garfredus. 

»  Gregorius  Thuronensis. 

»  Johannes  Boccacius. 

»  Turpinus  ßemensis. 

»  Vincencius  Gallus. 

»  Aulus  Gelyus. 

»  Lucius  Tongrensis. 

»  Varro. 

yy  Ysidorus. 

»  Plinius. 


Die  Habsbnrcfer  Chronik  Heinrichs  von  Klingenoersr. 


617 


Item  Ado   iu  commentarys. 

Julius  Cesar. 

Titus   Livius. 

Justinianus   cesar. 

Bartholus. 

Archiloquus. 

Arestoteies. 

Eutropius. 

Sigibertus  historicus. 

Regino  abbas. 

Aurspergensiö   abbas. 

JBiblia. 

Ansihelmus. 

Agathyas. 

Bartholomeus  Anglicus. 

Paulus  Lombardus. 

Frauciscus   Petrarcba. 


Poraponius. 
Suetonius. 
Amyanus. 
Eneas   Silvius. 
Gottl'ridus  Witterbiensis. 
Otto  Frysingensis. 
Hermannus  Contractus. 
Hermannus  minor. 
Nicolaus  episcopus  Hypponensis. 
Hemerlin  prepositus  Solodorensis. 
Nicolaus  carmelita  Villfordiensis. 
Robertus   Gagwinus. 
Raphahel  Volateranus. 
Tritt onius  i). 

Jacobus  Wilphelingius  ^). 
Nauclerus  Tuwingensis. 
preceptor  meus  unnd  annder. 
So   sind  die   hystorie   catalogi  unnd  martirilogium. 
Item  hystoria  Troyanorum. 
»  »         Romanorum. 

»  »        Belgica. 

»  »         Franc  or  um. 

»  »         Philonis. 

»  »        Brittanica. 

»  »        Probi  cesaris. 

»  »         ToHgrensis. 

»  »         Friderici  primi   cesaris. 

»  »        Trutpertica. 

»      innumerabiles  historie  sanctorum. 
Item  cattalogas  sumorum  pontificum,  cesarum,  regum  Gottorum,  regum 
Sycambrorum,   episcoporum  Argentinensium,   Metensium,   Leodiensium,   Tra- 
jeetensium,   Colonensium. 

Item   martirologium   sanctorum  beati  Iberonimi. 
Item  cattalogus  Petri  Equilini  episcopi. 
Item  fortalicium  fidei  etc. 

So  sind  dis  die  stifFten. 
Unnser  lieben  frawen  munster,  S.  Jobanns  compthury.  Item  die 
gotzhuser  S.  Wilhelmi,  Cläre  predicatorum  und  annder  all  zu  Freyburg 
im  Prysgow  gelegen.  Item  carthuser  Guntterstal,  Teinnbach,  Himelport, 
S.  Margarete  etc.  all  nachend  bey  Freyburg  im  Prysgow.  Item  S.  Petri, 
Trutperthi,  Ciriaci,  Badewiler,  Blasy,  Ettenheymmeinstei',  Gegenbach  unnd 
annder  all  im  Scbwarzwald  am  Prysgow.  Item  Ottmarscben,  Andelow, 
S.  Ottilienbergmunster  darunder  Maursmunster,  Ebersmunster,  S.  Steffan, 
unnser  frawen  hutt,  S.  Margarethen  unnd  annder  zu  Strasburg,  Hagnow, 
Wissenburg,  Murbach,  Marpach  und  anndern  all  im  Elsas.  Item  Speir, 
Worms,  Salz  unnd  annder  am  Rein.  Item  vil  stifften  zu  Köln,  Trier, 
Metz    etc.     Item    S.  Arnulphi    bey    Metz    und    S.    Romarici    zu    Habspurg 


•)  Michael  Rictius  (getilgt). 
Mittheilungen  XX. 


")  D.  Fuchsmag  (getilgt). 
40 


QIQ  Victor  Thiel. 

dai'czu  unzalbar  vill  stuften  im  Niderland,  besunder  Naamur,  Rotkhoster, 
Brüssel  und  anndere  in  Brabant,  desgleichen  Haper,  Hall,  Mons,  Seuborgik 
und  ander  im  Henngau,  och  S.  Bavonis,  Nimus  und  annder  in  Flander. 
Item  vill  unnderricht  und  stifften  in  Oesterreich  als  Wien,  Closternewen- 
burg  und  annder.  Item  vill  stiflPten  in  Bayerlannd  als  Staiugaden,  S.  Udal- 
rici  zu  Augspurg,  Nerishem  uff  dem  Hertfeld  unnd  annder.  Item  vil 
stifft  in  Schwaben  als  Lorch,  Kirchen,  Unnderdeckh  etc.  Item  im  Allgew 
Weingarten,  Eysni,  Kempten  und  annder.  Item  an  der  Etsch  Tsbruck, 
Stamps  und  annder.  Item  am  Bodensee  Petershusen  zu  Costeniz,  Richenow 
hey  Costeniz,  Weyssenow  bei  Waffenspurg,  Schwarzenow  bey  Bregenz  etc. 
Item  vill  Stiften  zu  Burgundi,  besonder  zu  Bisancz  etc.  Item  vill  alter 
stifften  unnd  schryfften  in  der  aydgnoschafft  als  S.  Gallen,  Schaffhusen, 
Reinow,  Kungfelden,  Brugck,  Solatur,  Sant  Urba,  Arburg,  Bern,  Freyburg. 
Wibilisbm-g,  Murten,  Wilisow,  Lucern,  Habspurg,  Mure,  Wettingen,  unnser 
frawen  zu  Ainsidlen  und  annder. 

In  welchen  enden,  was  ich  allenthalben,  es  sey  in  aunalibus,  mar- 
tirologis,  seelbuchern,  sarchen,  grablichen  schrifften,  Stifftbuchern,  testa- 
mentzedel,  cronicken,  matrickel,  rodeln,  urbarbüchern,  kirchmuren,  alt  dum. 
statporten,  wappen  und  figuren,  müntzen  brieff  und  sigel  und  ander 
schrifften  zu  diser  Cronick  dienstlich  funden,  hab  ich  zusampt  vorberurten 
D-ezugen  in  dis  gegenwirtig  fürstlich  cronick  gesetzt,  wie  man  dann  solichs 
in  irem  ynhalt  vermercken  mag,  will  sy  damit  fundiert,  und  beweyst  och 
anndern  nach  mir  weytter  ze  suchen  ursach  geben  haben. 

Und  wiewol  ich  noch  gar  vill  meer  bucher  alt  und  neuw  stifften 
und  schrifften  ersucht,  hab  ich  doch  allain,  die  dabey  ich  am  meysten 
befunden  hab,  bestimmen  underthänigister  Hoffnung,  E.  k.  M.  gnugsamlich 
hiemit  verstanden  haben,  das  an  meinem  getrewen  fleis  unnd  ernst  nichts 
darinnen  erwunden  ist;  dritt  damit  in  dem  namen  gottes  zum  ingang, 
wie  hernach  volgt. 


Einige  ßelationen  über  die  Armada  1588. 

Von 

Bruno  Stübel. 


In  seinem  trefflichen  Werke  „La  Armada  invencibie",  T.  I,  II, 
(Madrid  1884,  1885)  hat  Cesareo  Fernändez  Duro  mit  Hinzuziehung 
eines  ausserordentlich  reichen  handschriftlichen  Materiales  und  einer 
ausgedehnten  gedruckten  Literatur  i)  zum  ersteumale  eine  gründliche 
Darstellung  des  Schicksales  jener  gewaltigen  bis  dahin  nie  geseheneu 
Flotte,  durch  welche  Philii^p  II.  im  Jahre  1588  England  der  spanisch- 
römischen Herrschaft  unterwerfen  wollte,  geliefert.  Nicht  weniger  als 
199  aus  verschiedenen  öffentHchen  und  Privat-Archiven  Spaniens 
herrührende  Documente  sind  hier  an's  Licht  gezogen  und  erstmalig 
verwertet  worden.  Der  gleichzeitigen  gedruckten  Literatur,  und 
nur  diese  wollen  wir  im  Folgenden  in's  Auge  fassen,  wären  dagegen 
noch  einige  deutsche  Zeitungen  und  Berichte,  die  Fernändez  Duro 
unberücksichtigt  gelassen  hat,  weil  sie  allerdings  meist  üebersetzungen 
sind,  von  denen  jene  von  Emil  Weller  verzeichnet  worden  siud^),  hin- 
zuzufügeu. 

Bereits  Robert  Prutz  hat  in  seiner  Geschichte  des  deutschen 
Journalismus,  Th.  1,  Hannover  1845,  p.   142  hervorgehoben,  dass  die 

')  Eine  Bibliographie  dieser  Literatur,  unter  der  sieh  auch  ungedruckte 
Schriften  befinden,  ist  am  Schluss  des  zweiten  Bandes  p.  503 — 513  o-egeben. 
Hierzu  hat  dann  Fernändez  Duro  neuerdings  in  seinem  grossen  Werke  ,  Armada 
Espaüola  desde  la  union  de  los  reinos  de  Castilla  y  de  Aragon,  T.  Itl.  Apendices 
Nr.  1—4,  p.  455— 480,  Madrid  1897«  Ergänzungen  veröfi'entlicht,  und  zwar  Nr.  4 
mit  der  Ueberschrift :  Adiciön  a  la  noticia  de  obras  que  tratan  de  la  jornada 
de  Inglaterra,  publicada  en  la  »Armada  invencibie«,  T,  II. 

2)  Die  ersten  deutschen  Zeitungen  (Bibliothek  des  literarischen  Vereins  zu 
Stuttgart,  Bd.  11 1),  p.  309—310,  Tübingen  1872. 

40* 


620 


Bruno  S  t  ü  b  e  1. 


Armada  erst  wieder  das  Interesse  der  Deutschen  an  Spanien  erweckt 
hat,  dass  diese  Begebenheit,  welche  schon  mit  dem  Rufe  ihrer  Vor- 
bereitung die  Welt  erfüllte,  auch  von  den  deutscheu  Zeitungen  nicht 
unberücksichtigt  gelassen  werden  konnte,  ja  dass  sie  sogar  auf  die 
wesammte  damalige  Zeitungsliteratur  einen  wesentlichen  Einfluss  aus- 
geübt hat.  Denn  durch  sie  ist  dasjenige  Land  zuerst  der  Journalistik 
eröffnet  worden,  in  welchem  diese  dann  später  hauptsächlich  gepflegt 
worden  ist,  nämlich  England.  Während  dieses  Seekrieges  zwischen 
England  und  Spanien  entstanden  dort  die  sogenannten  j\Iercuries, 
Kriegszeituugen,  welche  die  einzelnen  Gefechte  und  Siege  >ofort  zur 
Kenntniss  des  englischen  Publikums  brachten,  und  die  im  Grunde 
genommen  nichts  anderes,  als  die  schon  längst  vorhandenen  deutschen 
Relationen  oder  Berichte  sind,  die  somit  bei  dieser  Gelegenheit  zuerst 
nach  England  verpflanzt  wurden  i). 

Diese  englischen  Kriegszeituugen  einestheils,  sowie  die  von  spa- 
nischer Seite  in  Madrid  und  Lissabon  veröffentlichten  Berichte  anderen- 
theils,  bilden  nun  wiederum  die  hauptsächlichsten  Quellen  für  die 
deutschen  Zeitungen  und  Relationen  über  die  Armada,  oder  sind  ein- 
fach nur  in's  deutsche  übersetzt  worden. 

Gleich  eine  der  ersten  dieser  in  deutscher  Sprache  erschienenen, 
lediö-lich  die  Ausrüstung  der  Armada  an  Schiften,  Befehlshabern, 
Mannschaften,  Geschützen  etc.  behandelnden  Relationen  ist  eine  solche 
Uebersetzung  eines  spanischen  in  Lissabon  gedruckten  Originales  -) 
und  eben  nichts  weiter  als  ein  sogenannter  und  zwar  authentischer 
Schiffskatalog.  Sie  hat  nächst  dem  Haupttitel  auf  Bl.  2^  noch  einen 
besonderen  Kopftitel  (üeberschrift),  und  nur  diesen,  der  etwas  anders 
als  jener  gehalten  ist,  gibt  Fernändez  Duro  im  Original  in  seiner 
Bibliographie  an  3),     Der  Haupttitel  lautet : 

Warhafite  |  Relation  |  vberschlag  j  vnd  j  Inhalt  der  Kriegsrüstung , 
oder  Arma.  |  da  |  so  Philippus  der  König  von  Hispanien  }  auff  dem  | 
Meer  |  bey  Lisbona  der  Hauptstatt  des  Königreichs  |  Portugal  |  zu- 
sammen hat  bringen  lassen.  Mit  welcher  Armada  |  der  Hertzog  von 
Medina  Sido-  j  nia  ]  als  Capitein  General  vnd  Obrister  vons  Königs 
wegen  |  sampt  allen  Galleonen  \  Schiffen  |  Lasten  ]  Munition  i  Proui- 
andt  I  Hauptleuten  |  vom  Adel  |  Fendrichen  |  vnnd  anderm  Kriegs- 
volck  I  in  grosser  anzal  den  29.  vnd  30.  |  Maij  nechst  verschienen  von 
dan-  1  nen  abgeseylet.    Auß  dem  Hispanischen  Exemplar  (so  zu  Madrid 

>~)  s.  Prutz  1.  e.  p.   142. 

-)  s.  Fernändez  Duro  1.  c.  T.  I,  lutroduccion  p.  V. 

3)  ].  c.  T.  II,  p.  504—505.  Prutz  hinwiederum  1.  c.  p.  143—144  hat  nur 
d^n  Haupttitel  aufgenommen. 


Einige  Relationen  über  die  Armada  1588.  ß21 

mit  des  Königs  |  selbst  bewilligung  [  vnd  jrer  May.  Secretarien  vber- 
sehuug  I  vnd  vnderschreibung  bekrefftiget)  in  Hochteutsch  vber-  |  setzt  j 
den  6.  tag  Augusti  |  Anno   1588.  4.  16  Bl. 

Auf  dem  Titelblatt  grober  Holzschnitt,  der  jedenfalls  die  vor 
Lissabon  ankernde  Flotte  darstellen  soll. 

Der  Kopftitel  oder  die  Ueberschrift  lautet: 

Eelation  vnd  Vberschlag  der  Galeonen  |  Schiffe,  Pataschen  i)  vnnd 
Zabras  ^)  also  genant  |  Galeazas  j  Galeen  |  vnd  anderer  Schiffe  |  die  mit 
der  gewaltigen  Ar-  ]  mada  |  so  ir  Maiestat  zusamen  hat  bringen  lassen.  | 
am  Ge-  ]  statt  bey  Lißbona  |  der  Statt  in  Portugal  [  vnd  deren  Obrister  | 
oder  General  Capitein  ist  der  Hertzog  von  Medi-  |  na  Sidonia  |  sambt 
den  Lasten  j  welche  die  Schiffe  tragen :  j  Vnd  so  wol  dem  Kriegsvolck  [ 
als  Schifleuten  so  darauff  mit  allerley  Proaiand  Naruug  |  Wehr  j  Ge- 
schütz I  Puluer  I  vnd  auderui  Vorraht  zum  Krieg  gehörig  [  die  sie  mit 
nemen:  Auch  wie  lang  vnd  auff  was  zeit  sie  mit  solcher  Prouiand 
vnd  vnderhaltung  haben  [  alles    nach    Ordnung  vnd  manier  wie  volgt. 

Am  Schluss  der  Relatiou  heisst  es:  Geschehen  in  Lisbona  den 
20.  May  |  im  Jahr  nach  Christ  |  Geburt  1588.  Vnd  auß  Hispanisch 
in  Teutsch  vbersetzt  zu  |  Colin  den  6.  Augusti  |  1588.  Durch  Michael 
Eyzinger  Austriacum. 

Hierauf  folgt  noch  ein  lateinisches  Distichon: 

Ad  Anglam  (sie)  et  eins  Asseclas  Europae. 
Tu,  quae  Romanas  volusti  (sie)  spernere  leges, 
Hispauo  disces  subdere  coUa  jugo  3), 
und  endlich:  Gedruckt  zu  Nürnberg  |  durch   Nicolaum  Knorrn. 

Der  Uebersetzer,  der  bekannte  kaiserliche  Historiograph  und 
Diplomat,  Michael  Eytziuger,  Verfasser  des  „Leo  Belgicus",  bemerkt 
in  seinem  Cöln  d.  6.  August  1588  geschriebenen  Vorwort  an  den 
,  gutwilligen  Leser "',  dass  in  der  letzten  Zeit  in  italienischer  Sprache 
zu  Venedig  und  an  andern  Orten  Italiens,  hin  und  wieder  Traktätlein 
von  der  gewaltigen  Schiifahrt  König  Philipps  gedruckt  worden  seien, 
weil  diese  aber  der  Wahrheit  nicht  entsprächen,  so  habe  er  ein  rich- 


1)  Wachtschiffe. 
'■')  Leichte  Kaperschiffe. 

3)  Diese  etwas  voreilige  Drohung  von  spanischer  Seite,    auch    erwähnt  bei 
Bizot,  Histoire  metalique  de  la  republique  de  Hollande,  Supplem.  p.  104,  Amster- 
dam 1688,  wurde  engliseherseits  erwidert  mit  dem  Distichon : 
Ad  Hispanum  et  eins  Asseclas. 
Tu,  qui  Christigonam  voluisti  perdere  gentem, 
Supremo  disces  subdere  coUa  jugo. 
a.  Fernandez  Duro  1.  c.  T.  I,  p.  164. 


ß22  Bruno  St  übel. 

tiges  und  wahrhaftes  Exemplar,  wie  solches  aus  der  königlichen  Hof- 
haltung zu  Madrid  selbst  hervorgegangen,  und  auf  der  Post  ullhier 
angekommen  sei,  Wort  für  Wort  aus  dem  spanischen  iu's  Hochdeutsche 
übersetzt,  welchen  der  Leser  nun  als  den  besten  und  wahrhaftesten 
Bericht  annehmen  wolle. 

Unofleich  interessanter  als  dieser  trockene  Schiffskat alog  ist  die 
gleich  darauf  ebenfalls  in  deutscher  üebersetzung  erschienene  englische 
Zeitung  und  Beschreibung  der  Armada,  die  erste  in  England  gedruckte 
über  diese  Begebenheit,  also  gleichzeitig  der  erste  „Mercury",  auch 
schon  um  deshalb  interessanter,  weil  sie  das  Schicksal  der  Armada 
von  einem  Mitkämpfer  ziemlich  bis  zu  deren  Ausgange  schildert. 

Die  Zeitung  ist  auf  Begehren  der  Königin  Elisabeth  von  einem 
spanischen  Ober.sten  Jacob  von  Medrago  i),  der  in  englische  llefangen- 
schaft  gerathen  war,  verfasst  und  mit  einem  wertvollen  Plane  der 
Gefechtsstellung  der  beiderseitigen  Flotten  nebst  Erklärung,  in  der  im 
wesentlichen  die  ganze  Zeitung  gipfelt,  versehen.  Der  Titel  der  deut- 
schen üebersetzung  lautet: 

Schiffstreit  |  das  ist  |  kurtze  doch  war-  |  haff'tige  Zeitung  vnnd 
Beschreibung  der  |  mechtigen  Armada  oder  Kriegsrüstung  Welche  der 
König  I  auß  Hispanien  wider  Schottland  ]  Engelland  j  Holand  vud 
Seeland  |  in  grosser  anzahl  den  29.  vnnd  30-  Maij  |  Anno  |  88-  auß- 
geschickt  hat:  Vnnd  wie  die  Spanuische  Armada  zwischen  j  Pley- 
muyen  j  Douer  vnd  Dunckerke  von  deu  Englischen  an-  j  gegriff'en  | 
beschediget  j  verjaget  vnd  entlich  in  grund  |  geschossen  den  9.  10.  Au- 
gusti.  Welchs  alles  Jacob  de  Medrago  j  der  als  ein  Oberster  der 
Spanier  mit  vnd  darbey  gewesen  j  von  den  Englischen  gefangen  |  ge- 
sehen vnd  erfahren.  Hernach  der  Königin  in  Engelland  zu  sonderen 
ge-  ]  fallen  hat  abcontrafeyt  vnnd  beschrieben  |  wie  fol-  |  gen  wird  j 
vnd  in  der  Eigur  zu  sehen  ist. 

Auß  Englischer  Sprach  in  Deutsch  trausferirt.  4.  8  Bl.  und  Plan. 

Auf  dem  Titelblatt  links  das  spanische  Wappen  umgeben  von  der 
Kette  des  goldenen  Vliesses,  rechts  das  englische  umgeben  von  dem 
Hosenbandorden  mit  Devise. 

Am  Schluss:  Erstlich  gedruckt  zu  Nider  Wesel  [  durch  Johau 
von  Leiden.     Anno  1588. 

Die  Schrift  besteht  aus  drei  Theilen.  Der  erste  Theil  oder  die 
Einleitung  beginnt  mit  einer  scharfen  Verurtheilung  der  bisherigen 
Politik  Philipps  II.  gegen  die  Niederländer,  und  zwar  mit  Bezugnahme 
auf  ein  ürtheil  der  heiligen  Inquisition  zu  Madrid  v.  1().  Februar  1586, 

')  Wird  in  dem  IScbiflskatalog  nicht  mit  aufgeführt. 


Einige  Relationen  über  die  Armada  1588.  (323 

woruacli  alle  von  der  katholiscbeu  Keligiou  abgefalleneu  und  mein- 
eidigen Ketzer,  sowie  alle  Aufrührer  unnaclisiclitlich  zu  verfolgen  und 
gaTiz  und  gar  zu  vertilgen  seien.  Dieses  ürtheil  ist  im  Wortlaut 
wiedergegeben,  und  schliesst  sich  gewissermassen  als  dritter  Theil  direet 
an  Medrago's  Zeitung  an  mit  der  Ueberschrift : 

Volget  die  Copey  des  ürtheyls  |  so  durch  [  die  Meister  der  heiligen 
Inquisition  vor  lengest  vber  die-  |  se  Niderlanden  |  so  wol  die  Katho- 
lischen 1  als  andere  |  Spannische    beschlos.-seu    vnd    ge-  |  geben    haben. 

Da  mm  der  König  von  Spanien,  so  heisst  es  in  der  Einleitung- 
weiter,  trotz  aller  bisherigen  listio-en  Anschläge  und  betrüo-lichen 
Praktiken  die  Niederländer  nicht  habe  unter  das  spanische  Joch  beugen 
können,  so  habe  er  gegen  deren  Bundesgenossen,  gegen  das  nicht 
weniger  ketzerische  England,  dessen  Königin  mit  dem  päpstlichen 
Banne  belegt  worden  sei,  seit  zwei  Jahren  die  mächtige  Armada  zu 
Wege  gebracht,  deren  Stärke  kurz  angegeben  wird.  In  Summa  habe 
diese  bestanden  aus  135  Schiffen,  19.223  Soldaten,  8050  Schififleuten, 
2050  Kuderknechteu  und  2411   Geschützen. 

Alsdann  folgt  als  zweiter  Theil  die  kurze  Zeitung  des  Medrago 
mit  der  Ueberschrift: 

Volget  nun  die  wäre  Erklärung  der  Figu-  j  reu  vnd  verloifenen 
SchifiFstreits  j  Welche  Don  Jacob  de  Medra:  |  der  wie  zuuor  vermeldet  | 
inn  diesem  Schiffstreit  ge-  j  fangen  j  zu  London  in  seiner  Gefengnuß 
auß  begeren  der  Königin  |  von  Engelland  also  jedes  mit  seiner  zahlen 
hat  lassen  |  abreissen  |  vnnd  auff'  diese  art  |  beschreibeu. 

Interessant  ist  es  uun,  dass,  als  Mitte  August  der  Kest  der  spa- 
nischen Flotte  mit  Hinterlassung  einer  grossen  Anzahl  von  Offizieren 
und  Mannschaften  nach  Spanien  zurückzukehren  gezwungen  war,  wo- 
durch sich  der  Ausgang  der  Armada  entschieden  hatte,  Medrago  selbst, 
wie  am  Schlüsse  seiner  Zeitung  zu  ersehen  ist,  von  der  Verfehltheit 
des  ganzen  mit  so  riesigem  Aufwände  unternommenen,  aber  schlecht 
geleiteten  Seezuges  überzeugt  ist,  und  dass  er  in  Folge  dessen  Partei 
gegen  seine  eigenen  Laudsleute  ergreift,  allerdings  wohl  auch,  um  sich 
damit  seine  Gefangenschaft  etwas  zu  erleichtern.  Die  Spanier  und 
ihre  Verbündeten  werden  sich,  so  schreibt  er,  wenn  sie  nicht  anders 
gar  verblendet  sind,  noch  eine  Zeitlang  besinnen,  ehe  sie  wiederum 
eine  solche  Armada  nach  England,  Schottland,  Holland  und  Seeland 
anstellen,  rüsten  und  abgehen  lassen.  Auch  werden  sie  zu  der  Ueber- 
zeuguug  kommen,  dass  es  nichts  nütze  die  Wahrheit  zu  umgehen,  und 
schriftlich  und  mündlich  Gerüchte  zu  verbreiten,  wie  z.  B.  dass  sie 
die  Engländer,  Holländer  und  Seeländer  besiegt,  sich  einer  Anzahl 
Oberbefehlshaber  bemächtiget,  und  viele  Soldaten  gefangen  genommen, 


(324  Bruno  Stube  1. 

sowie  eine  Insel  hinter  Schottland  erobert  und  mit  6000  Soldaten 
besetzt  hätten.  Diese  angeblichen  Siege  seien  bereits  schriftlich  fab- 
rizirt  worden,  noch  ehe  die  Flotte  von  Portugal  abgefahren  sei  (also 
Ende  Mai),  gleichsam  als  hätte  Gott  den  Spaniern  den  Sieg  verleihen 
müssen.  Aber  es  hat  doch,  so  schliesst  Medrago,  Gott  in  seinem 
geheimen  üathe  anders  gefallen. 

Von  dieser  englischen  Zeitung  existirt  nun  wiederum  eine  etwas 
abo-ekürzte  und  veränderte  deutsche  Ausgabe  mit  dem  Titel: 

Warhaffte  Beschreibung  |  der  mechtigeu  Anna  [  da  [  so  der  König 
aus  Hispanieu  wider  En  |  gelland  Holland  vnd  Seeland  ausgeschickt  |  vnd 
dem  gewaltigen  Widerstandt  der  Königlichen  Englischen  Schiffen  |  durch 
die  Spanische  Schiffe  von  Plemoyen  bis  in  die  |  Nort-See  verjaget 
worden  ]  Alles  nach  der  Erzehluug  vnd  |  Relation  deren  1  so  daruon 
zum  Theil  entflo-  |  gen  |  und  zum  Theile  gefangen  sind. 

Erstlich  mit  bewilliguug  der  Obrigkeit  zu  Amster-  j  dam  ge- 
druckt I  bey  Coruelio  Clausen.  4.  6  Bl. 

Am  Schluss;  Gedruckt  im  Jahr  Christi  )  1589. 

Der  Titelholzschnitt  von  einer  Verzierung  umgeben  stellt  die  Be- 
lagerung einer  Stadt  dar. 

Die  Einleitung  bis  zur  Angabe  der  Stärke  der  Armada  sowie  die 
Copie  des  luquisitionsurtheils  stimmen  wörtlich  mit  den  entsprechenden 
Parthieu  iu  der  Zeitung  überein,  dagegen  ist  diese  selbst  manchmal 
mit  etwas  anderem  Wortlaut,  auch  mit  Hiiiweglassung  der  auf  den 
Gefechtsplan  ^)  sich  beziehenden  Stellen,  da  dieser  fehlt,  und  der  Er- 
wähnung der  spanischen  Lügen  über  die  angeblichen  Siege  wieder- 
gegeben worden.  Weil  abgeleitete  Quelle,  wird  in  der  Beschreibung 
nur  immer  in  der  dritten  Person  gesprochen,  während  Medrago  in 
der  ersten  spricht. 

Zu  den  ausführlichsten  in  deutscher  üebersetzung  erschienenen 
damaligen  Berichten  über  die  Armada  bis  zu  deren  »letzten  Schiffbruch 
und  Niderlag"    im  September  1588  gehört  der  welcher  den  Titel  führt: 

Kurtze  vnd  warhafftige  Erzehlung  ]  Von  der  Spanischen  |  vnd 
Englischen  Kriegsrüstung  zu  Wasser  |  Vnd  was  sich  zwischen  beyder- 
seits  Armaden  [  in  den  verschienen  Monaten :  Maij  |  Junij  |  Julij  ] 
Augusti  1  vnd  September  1  verlauffen  vnd  j  zugetragen  hat. 

Aus  Frantzösischer  vnd  Lateinischer  j  Sprach  verteutscht. 

Psalm  46.  Gott  ist  vnser  zuuersicht  vnd  stercke  1  eine  Hülffe  iu 
den  grossen  nöthen  u.  s.  w. 

Getruckt  im  Jahr  1589.  4.  20  Bl. 

')  S.  oben  p.  622. 


Einige  Relationen  über  die  Armada  1588.  (325 

In  der  Einleitung  wo  von  dem  Plane  zur  Armada  die  Eede  ist, 
geht  der  Bericht  dem  „Papistischen  Haufen  und  Pfaffenknechten "  hart 
zu  Leibe.  Hochmüthigerweise  habe  Pabst  Sixtus  im  Monat  Juli  durch 
öffentlichen  zu  Rom  in  St.  Peter  publizirten  Bann  der  Königin  von 
England  ihre  Würden  abgesprochen  und  diese  dem  Könige  vou  Spa- 
nien zuerkannt.  Ihre  Rechnung  hätten  die  Papisten  mehr  auf  ge- 
schvrinde,  heimliche  und  verrätherische  Praktiken,  als  auf  die  in's  Werk 
gesetzte  äusserliche  grosse  Gewalt  gemacht.  Sie  hätten  sich  demnach 
unterstanden  die  Königin  entweder  durch  Beibringung  von  Gift  oder 
durch  Mörderhände  hinzurichten  und  aufzureiben  i).  Denn  es  seien 
allerhand  Traktätlein  verschlagener  Weise  unter  den  gemeinen  Maun 
in  England  ausgestreut  worden,  um  diesen  dadurch  zum  Aufruhr  und 
zur  Meuterei  zu  bringen,  und  sei  den  Unterthanen  auch  durch  die 
Jesuiterische  Rotte,  welche  sich  tückischer  Weise  „eingeschleifft"  habe 
Hoffnung  gemacht  und  eingebildet  worden,  dass  nunmehr  die  Zeit 
gekommen  wäre,  wo  sie  mit  eifrigem  Herzen  dahin  bedacht  sein  sollten, 
die  Römische  katholische  Religion  Avieder  zu  erlangen  und  einzuführen. 
Um  das  zu  erreichen  habe  der  mächtige  König  von  Spanien  mit 
grosser  Gewalt  gerüstet  und  habe  der  Pabst  den  Cardinal  Alanus 
(Allen)  nach  England  geschickt  '^).  Zudem  hätten  die  Papisten  auch 
andere  Ränke  und  listige  Praktiken,  so  bei  den  Spaniern  nicht  seltsam, 
nicht  unterlassen,  denn  sie  hätten  oft  erwähnte  Armada  oder  Kriess- 
rüstung  zu  Wasser  aufs  aller  umständlichste  beschrieben  und  in  un- 
terschiedlichen Sprachen  drucken  lassen,  einestheils  um  dem  Könio- 
von  Frankreich  Herz  und  Mutli  zu  machen  die  gläubigen  Christen 
und  gehorsamen  Unterthanen  ebenfalls  mit  Heeresmacht  zu  über- 
ziehen, anderentheils  um  den  Engländern,  Seeläudern  und  Holländern, 
wenn  diese  von  einer  so  gewaltigen  Kriegorüstung  hörten,  den  Muth 
zu  nehmen  Widerstand  zu  leisten.  Bei  den  Verzagten  und  Klein- 
müthigen  könne  man  allerdings  mit  solchem  Griff  etwas  ausrichten. 
Doch  die  Königin  von  England  habe  sich  nicht  leichtlich  schrecken 
lassen,  sondern  hinwiederum  keinen  andern  Gedanken  gehabt,  wie  sie 
gleichfalls  eine  Armada  in's  Meer  bringen  lassen  könne. 

Nun  schildert  der  Bericht  anschaulich  den  ganzen  Verlauf  des 
Zuges,  die  einzelnen  Gefechte,  den  Kampf  mit  den  Elementen  bis  zum 
Monat  September,  bis  zum  Schiffbruch,  den  die  übrig  gebliebenen 
spanischen  Schifte  am  17-  u.  18.  September  durch  ein  furchtbares 
Unwetter  an  der   Irländischen  Küste    erlitten,    welcher  nach  dem  Be- 


')  Es  ist  hier  offenbar   auf  Babingtons  Mordanschlag  gegen  Elisabeth  i.  J. 
1586  angespielt. 

'}  Ueber  ihn  s.  Fernändez  Duro  1.  c.  1,  p.  165 — 166. 


626 


Bruno  Stübel. 


richte  einen  Verlust  von  19  gewaltigen  Schiffen  zur  Folge  hatte  i). 
Wie  die  Hunde  seien  die  auf  das  Land  sich  flüchtenden  Spanier  von 
den  Irländern  todtgeschlagen  oder  gefangen  genommen  worden.  Der 
Bericht  schätzt  den  Verlust  hierbei  auf  6204  Personen,  die  zu  Wasser 
und  zu  Lande  umgekommen  oder  in  Gefangenschaft  gerathen  seien, 
darunter  die  Vornehmsten.  „Wo  aber  der  Hertzog  de  Medina  Sidouia 
geblieben,  ob  todt  oder  lebendig,  kan  man  noch  nicht  eigentlich 
wissen.  Man  ist  doch  mehrer  Particularitet  gewärtig".  Medina 
Sidouia  war  Donnerstag  den  22.  Septemljer  mit  den  üeberbleibseln 
seiner  Flotte,  es  waren  noch  16  Schiffe,  im  Hafen  von  Santander 
angelangt.  Von  hier  aus  berichtet  er  ;im  23.  September  dem  König 
Philipp  über  den  Zustand  dieser  Flotte  -). 

Der  Bericht  schlitsst  mit  der  Hoffnung,  dass  der  König  in  sich 
selbst  o-ehen.  bedenken  wie  schwer  es  sei  wieder  den  Stachel  zu  locken 
und  sich  dabei  zu  Gemüthe  führen  möge,  dass  Gott  gar  nicht  leiden 
könne,  wenn  man  Herz  und  Sinn  auf  äusserliche  menschliche  Gewalt 
und  dann  auf  verbotene,  unchri^tliche,  unmenschliche  und  mörderische 
Praktiken  setze,  ja  dass  es  vor  ihm  ein  Greuel  und  den  lioheu  Poten- 
taten nichts  schädlicheres  und  verderblicheres  sei. 

Wie  wir  oben  aus  der  Zeitung  des  Medrago  ersahen,  gehörte  zu 
den  listigen  Praktiken  deren  sich  die  Spanier  bedienten,  unter  andern 
auch  die  Verbreitung  der  Nachricht  von  dem  Siege,  den  die  spanische 
Flotte  über  die  englische  davongetragen  haben  sollte.  Fermindez  Duro 
behandelt  diesen  angeblichen  Sieg  ausführUch  in  dem  x4.ppendix  Q  unter 
der  Bezeichnung  „Noticias  falsas"  ■^).  Darnach  ist  diese  Lüge  haupt- 
sächlich in  Verbindung  zu  bringeu  mit  den  Machinationen,  welche 
Don  Bernardino  de  Mendoza,  spanischer  Gesandter  in  Paris  und  einer 
der  eiuflussreichsten  unter  den  damaligen  Diplomaten  Philipps  II. 
gegen  England  anstrengte. 

Mendoza,  dessen  Geburts-  sowie  Todesjahr  unbekannt  ist,  be- 
theiligte sich  in  den  Jahren  1567  bis  1577  als  aktiver  Offizier  an 
den  Feldzügen  Alba's  in  den  Niederlanden  gegen  Ludwig  von  Nassau 
und    Wilhelm    von    Uranien  '),     wurde    hierauf    im    Jahre    1584    von 


1)  Diese  Zahl  gibt  auch  Fern.  Duro  1.  e.  1,  p.  140  an.  Zu  diesem  Schitf- 
Lrucli  vergl.  ferner  Fern.  Duro  :  Los  naüfragos  de  la  Armada  Espaüola  en  Irlanda 
(1588),  enthalten  in  ßoletin  de  la  real  acad.  de  la  historia  T.  16,  p.  225— 2-27, 
Madrid   1890. 

2)  s.  Fernändez  Duro  1.  c.  T.  II,  p.  273—278,  p.  296-300    u.   p.  328—33(1. 
••')  1.  c.  T.  I,  p.  175-200. 

■1)  Eine  Frucht  dieser  Thätigkeit  ist  sein  Tagebuch,  welches  er  später  unter 
dem  Titel:  Comentarios  de  lo  sucedido  en  las  guerras  de  los  pajses  baxos  desde 


Einige  Relationen  über  die  Armada  1588.  ß27 

Philipp  mit  einer  Mission  an  Heinrich  von  Navarra  betraut,  für  den 
Philipp  gegen  König  Heinrich  HI.  Partei  nahm,  wenig  später  aber 
bei  Heinrich  III.  als  spanischer  Gesandter  accreditirt.  Dann  versah 
er  bis  1587,  bis  zur  Verurtheilung  Maria  Stuarts,  den  Gesaudtschafts- 
posten  in  England,  worauf  er  wieder  nach  Paris  zurückkehrte  und  hier 
in  die  Kämpfe  der  Ligue  thätig  mit  eiugriflF. 

Während  seines  kurzen  Aufenthultes  in  England  hatte  Mendoza 
im  Verein  mit  der  römischen  Partei  Propaganda  für  die  spanische 
Politik,  d.  h.  für  die  Unterwerfung  Englands  unter  die  spanische 
Herrschaft  gemacht  und  Anhänger  dafür  geworben.  Wir  gewinnen 
darüber  unter  andern  Aufschluss  aus  einem  Buche,  das  i.  J.  1588  zu 
Paris,  und  zwar  kurz  hinter  einander  in  zwei  Ausgaben  erschien, 
welches  gleichzeitig  auch  interessante  Nachrichten  über  das  Schicksal 
der  Armada  in  sich  fasst.  Die  eine  Ausgabe  führt  den  Titel: 

La  copie  d'  une  |  lettre  envoyee  d'  Angleterre  ä  Dom  Bernardin  j 
de  Mendoze  ambassadeur  en  France  |  pour  le  Roy  d'Espaigne. 

Par  laquelle  est  declare  j  1'  estat  du  Royaume  d'  Angleterre  contre 
l'attente  j  de  Dom  Bernardin  et  de  tous  ses  par-  |  tizaus  Espagnols  et 
aultres. 

Encores  que  ceste  lettre  fust  enuoiee  ä  Dom  Bernardin  de  j  Men- 
doze, toutesfois  de  bon  heur,  la  Copie  d'icelle,  tant  |  en  Anglois  qu' en 
FranQois,  a  este  trouuee  en  la  chambre  |  de  Richard  Leigh,  Se- 
minaire (Vertrauter  Mendoza's),  lequel  n'ague  |  res  fut  execute  pour 
crime  de  leze-Majeste  |  et  trahison  commise  au  temps  que  |  1' Armee 
d'Espagne  estoit  |  en  mer. 

Nouvellement  imprime.   1588.  8. 

Das  Buch  enthält  erstens  zwei  anonyme  Briefe,  von  denen  der 
eine  (p.  1 — 58)  am  Schluss  das  Datum:  A  Londres  ce  d'Aoust  1588  ^). 
und  der  andere  „AD.  Bernardin  de  Mendoze"  überschriebene  (p.  59 
— 65)    das  Datum:    A  Londres  ce  de  Septembre   1588  trägt.     Hierauf 


el  afio  1567  hasta  el  de  1577,  Madrid  1592,  4,  herausgab  und  namentlich  in  mi- 
litärischer Hinsicht  als  eine  wertvolle  Quelle  für  diesen  Zeitraum  der  nieder- 
ländischen Geschichte  zu  betrachten  ist.  Gleichzeitig  erschien  davon  eine  fran- 
zösische Uebersetzung  j>Commentaires  sur  les  evenements  de  la  guerre  des  Pays-Ba:^ 
1567 — 1577.  Paris  159],  8*,  von  der  dann  wieder  ein  anderer  Druck  als-*  Histoire 
memorable  des  guerres  de  Flandres  et  Pays-Bas  depuis  V  an  1567  jusques  1'  an 
1577,  Paris  1611,  S'^  veröffentlicht  wurde.  Eine  neue  kritische  Ausgabe  dieser 
Commentaires  mit  Einleitung  über  Mendoza's  Leben  und  Thätigkeit  als  Schrift- 
steller ist  von  Loumier  und  Guillaume,  als  Publication  nr.  8  in :  CoUection  de 
meraoires  relat.  ä  1"  histoire  Belgique,  T.  I,  11,  Brüssel  1860  veranstaltet  worden. 
1)  Ueber  den  hier  sowie  in  dem  zweiten  Briefe  weggelassenen  Ausstellungstag 
s.  unten  p.  630. 


^28  Bruno  S  t  ü  b  e  1. 

folgt  (p.  65 — 68,  ohne  Pagiuirung,  diese  hört  mit  p.  64  auf)  „L'im- 
primeur  au  lecteur",  am  Schluss  datirt:  Le  20.  de  Septerabre  1588, 
iilsdann  eine  Notiz  mit  der  Aufschrift:  Depuis  l'impression  de  ceste 
derniere  fueille,  ou  m'a  apporte  vn  advertissement  par  escrit  de  la 
Cour,  de  fort  bien  lieu:  oü  il  y  a  quelques  particularitez  plus  expresses 
qu'au  precedent,  euuoiees  d'Irlande  le  xvij.  de  ce  Mois  pour  con- 
firmation  des  choses  susdictes,  avec  graude  verisimilitude  de  pareils 
accideus  qui  pourront  estre  suruenus,  pour  la  grande  tempeste  qui  a 
este  le  mesme  jour  xvij.  et  le  xviij  du  present  Mois  de  Septembre, 
ferner:  Estans  parvenus  iusques  en  ceste  Impression,  selon  que  chaque 
iour  apporte  plus  de  certainete  et  de  particularitez  de  la  perte  des 
Espagnols  en  Irlande,  on  en  a  recules  Aduertissemens  suiuant  qui 
sont  les  Examiuations  et  depositions  de  quelques  vngs  qui  se  sont  lä 
sauuez  et  y  sont  prisonniers,  und  schliesslich  zwei  summarische  Ver- 
zeichnisse der  Verluste  der  spanischen  Armada  au  Schiffen  uud  Mann- 
schaften im  Monat  September  uud  in  den  Monaten  Juli  uud  August, 
wovon  das  eine  17  Schiffe  und  5394  Menschen,  das  andere  15  Schiffe 
und  4791  Menschen,  ungerechnet  circa  1000  Gefangener  uud  einer 
grossen  Anzahl  sonstwie  Umgekommener  aufweist  ^). 

Die  andere  Ausgabe  dieses  Buches,  die  Fernandez  Duro  anführt  -) 
und  nur  gekannt  zu  haben  scheint,  hat  auf  dem  Titer  nach  „estoit 
en  mer"  noch  den  Zusatz:  Depuis  ont  este  adioustez  certains  Aduertis- 
semens receus  de  n'agueres,  coucernaus  les  pertes  et  destresses  de 
r  Armee  Espagnole,  tant  au  combat  quelle  eut  avec  T  Armee  Angloise 
au  destroict  de  la  mer  Britanique,  comme  aussi  par  tempestes  et  vents 
contraires  es  costes  d'Irlande  vers  le  Nord,  et  l'Ouest,  eu  retournant 
des  Isles  Septentriouales  par  dela  de  l'Escosse. 

In  dem  ersten  Briefe  (p.  24)  wird  nun  behauptet,  dass  auf  Meu- 
.doza's  Veranlassung  —  wenigstens  wie  dessen  Feinde  verbreiteten  — 
zu  Paris  ein  Flugblatt  gedruckt  worden  sei,  wornach  die  spanische 
Flotte  im  Kampfe  gegen  die  englische,  die  bekanntlich  unter  dem 
Oberkommando  des  Lord-Admirals  Charles  Howard  stand,  im  Monat 
Juli  einen  grossen  Sieg  erfochten  habe,  dem  zu  Folge  16  grosse  eng- 
lische Schiffe  in  den  Grund  gebohrt  worden  seien,    und    der  Rest  der 


>)  Mit  diesen  Schriftstücken  ist  dann  noch,  wenigstens  in  dem  Exemplare 
welches  die  königl.  öffentl.  Bibliothek  zu  Dresden  besitzt,  folgende  Schrift  zu- 
sammengebunden :  Discovrs  |  svr  1'  estat  ]  de  France,  avec  la  copie  des  lettres 
patentes  |  du  Roy,  depuis  qu'  il  s'  est  re-  |  tire  de  Paris :  |  Ensemble  la  copie  de 
deux  lettres  du  duc  de  Guyze.  1  MDLXXXVIII. 

'')  1.  c.  T.   [,  p.  193—194. 


Einige  Relationen  über  die  Armada   158S.  {]29^ 

Flotte     mit     dem     Vizeadmiral    Francis     Drake     sich     habe     flüchten 
müssen. 

Ein  anderer  günstiger  Bericht  spanischerseits,  der  sich  über  die 
Ereignisse  v.  30.  Juli  bis  5.  September  auslässt,  und  in  dem  es  am 
Schlüsse  heisst,  dass  König  Philipp  sehr  zufrieden  damit  sei,  ist  etwas 
später  in  Sevilla  gedruckt  worden  i).  Euglischerseits  erschienen  sofort 
geharnischte  Widerlegungen  der  Meudoza'scheu  Lügen,  und  Drake 
selbst  hielt  es  für  nothwendig,  jedenfalls  etwaiger  schlimmer  Folgen 
wegen,  die  Wahrheit  an  den  Tag  zu  bringen.  Sogar  die  Anhänger 
Mendoza's  in  England  waren,  wie  aus  dem  Briefe  hervorgeht,  sehr 
entrüstet  über  dessen  Gebahren,  nämlich  solchen  Gerüchten  Glauben 
zu  schenken.  Um  ihn  zu  entschuldigen  bekennt  der  Briefschreiber 
nach  Kräften  zu  seiner  Ehre  in  London  ausgesprengt  zu  haben,  dass 
diese  und  ähnliche  Gerüchte  vielmehr  Produkte  des  Leichtsinns  der 
Franzosen,  unter  denen  er  lebe,  seien.  Fernändez  Duro  -)  hält  es 
geradezu  für  nicht  glaublich,  dass  ein  so  gewiegter  Diplomat  wie 
Mendoza  wissentlich  eine  solche  plumpe  Fälschung  in  die  Welt  habe 
setzen  können. 

Von  dem  Buche  „La  copie  d'uue  lettre"  etc.  existiren  auch  noch 
drei  englische  Uebersetzuugen  -),  und  von  den  beiden  Briefen,  jedoch 
von  dem  zweiten  nur  unvollständio^,  eine  italienische  Uebersetzuno-. 
Diese  bildet  den  Hauptbestandtheil  einer  Schrift,  die  den  Gesammt- 
titel  trägt: 

Asserte  Eagioni  |  d'  incerto  Inglese  |  del  maV  evento  della  poderosa 
Arma-  j  tu  Spagnuola  ne  i  Mari  d"  Inghilterra  |  L'  Anno  MDLXXXVIII  (. 
Signet. 

In  Bergamo  per  Comin  Ventura.  1593.  4  39  Bl. 
Sie  ist  von  dem  Drucker  dem  Grafen  Marc'  Antonio  Martineno-o 
di  Villa  Chiara  unter  dem  Datum:  Di  Bergamo  il  5.  di  Giugno  1593 
gewidmet,  und  beginnt  auf  Bl.  1  mit  der  Ueberschrift :  Apparecchi 
delle  nimiche  Armate  d'Hispagua,  et  d' Inghilterra,  dell'anno  M.  D. 
LXXXVII.  insieme  col  seguito  lor  fine,  behandelt  also  nur  und  zwar 
sehr  kurz  die  Vorbereitungen  zur  Armada.  Auf  Bl.  4  folgt  dann  der 
erste  Brief  mit  der  Aufschrift :  Copia  d'  una  Lettera  mandata  d'  Inghil- 
terra ä  Don  Bernardino  di  Mendoza,  Ambasciatore  del  Re  Catolico 
di  Spagna  in  Francia  (reicht  bis  Bl.  37).  Der  Ausstellungstag  des 
Briefes,  der  wie  wir  oben  sahen,  in  der  französischen  Ausgabe  durch 


1)  s.  Fernändez  Dnro  1.  c.  T.  II,  Docum.  n.  172,  p.  293—296. 

2)  1.  e.  T.  L  p.  175. 

8)  Angeführt  bei  Fern.  Duro  1.  c.  T.  II,  p.  512. 


^gQ  Bruno  Stübel 

Bezeichnung  einer  kleinen  Lücke  weggelassen  ist,  wird  hier  angegeben, 
nämlich  der  11.  August.] 

Der  zweite,  wie  schon  erwähnt,  unvollständig  übersetzte  Brief 
(v.  Bl.  37 — 39)  ergänzt  ebenfalls  den  in  der  französischen  Ausgabe 
fehlenden  Tag  der  Ausstellung  durch  den  20-  September.  Zu  bemerken 
ist  noch,  dass  das  Ganze  durchgängig  die  Blattüberschrift  „Relatione 
delle  Forze  d' Inghilterra-    hat. 


Kleine  Mittlieiliingeii. 


Eine   iiiibckaiinte   Urkiiiide   für   das   Kloster  Waldhauseii. 

lu  dem  Archive  der  Pfarre  Stadt  Zwettl  in  Niederösterreich  erlieo-t 
eine  bisher  unbekannte  Urkunde  für  das  1792  aufgelöste  Chorherren- 
stift Waldhausen  in  Oberösterreich  vom  J.  1194;  über  ihre  Prove- 
nienz an  diesem  Orte  bietet  die  Vorliebe  des  Zwettler  Stadtpfarrers 
J.  Schellenberger  (1838 — 1844)  für  geschichtliche  Studien  einen  ver- 
muthlichen  Erklärims-sgruud. 

Das  Stück  ist  auf  einem  54cm  hoheu  uud  o5cm  breiten,  gut  ge- 
glätteten Pergamente  in  29  Zeilen  über  ebensovielen  theils  durch  Tinte 
theils  durch  Kitze  gekennzeichneten  Linien  in  zeitgerechter  Diplomen- 
schrift von  einer  Hand  geschrieben. 

Li  dem  zur  Pliea  umgefalteten  unteren  Rande  sind  zwei  zur  Auf- 
nahme der  Pergamentstreifen  der  anzuhängenden  Siegel  bestimmte 
Einschnitte  sichtbar,  deren  erkennbare  Oeffnung  und  Einrolluug  be- 
weist, dass  die  Urkunde  einst  wirklich  zwei  Siegel  trug,  welche  heute 
verloren  sind.  Leider  hat  das  Pergament  theilweise  durch  Nässe  ge- 
litten und  behindert  ein  über  das  mittlere  Drittel  querhin  sich  ver- 
breitender Stockfleck  die  Lesung;  Abbröcklung  und  Durchlöcheruno- 
des  Pergamentes  machen  Zeile  20  auf  12  cm  und  Zeile  21  auf  5  cm 
Textlänge  geradezu  unleserlich.  Das  ganze,  verhältnismässig  grosse 
Pergament  ist  von  ursprüglicher  Hand  nach  Länge  und  Breite  dreimal 
in  Büge  gefaltet. 

Den  Inhalt  dieser  L^rkunde  können  wir  kurz  zusammenfassen  in 
dem  Regest:  „1194  März  11 — December  25-  Bischof  Wolfger  von 
Passau  transsumirt  und  erneuert  die  von  seinem  Vorfahrer  Reginbert 
dem  Kloster  Waldhausen   1147  Mai  gegebene  Stiftuugsurkunde". 

Die  Form,  in  welcher  diese  luseriruug  und  Bestätigung  gefasst 
ist,    enthält    eine    gewisse    diplomatische  Merkwürdigkeit    und  ein  be- 


(332  Kleine  Mittheilungen. 

lehreudes  Beispiel,  wie  mau  in  älterer  Zeit,  da  es  noch  au  einer  be- 
stimmten Form  für  die  Fassung  derartiger  Urkunden  maugelte  i),  mit 
derselben  umgieng. 

Der  Inhalt  der  Urkunde  gliedert  sich  in  fünf  Tlieile.  Die  Da- 
tirnngszeile  des  ersten  Theiles  und  jeder  der  vier  letzten  Theile  sind 
am  Anfange  der  Zeile  je  durch  ein  Paragraph-  oder  Alineazeichen, 
welche  gleichsam  den  chrouologiseh-genetischen  Gedankengang  des 
gesammten  Haudlungs-  und  Beurkundungswerkes  ausdrücken,  bezeichnet. 

An  erster  Stelle  steht  ohne  jede  einleitende  Bemerkung  eine  Ab- 
schrift des  im  ürkuudenbuche  des  Landes  ob  der  Enns  II,  236  n.  157 
abgedruckten  Originales  der  Urkunde  Bischofs  Eegiubert  von  Passau, 
1147  Mai,  in  welcher  derselbe  die  Gründung  des  Klosters  Sabenike- 
Waldhausen  bestätigt  und  dem  Gründer  Otto  von  Machlaud  erlaubt, 
alle  Passauer  Lehen,  die  ei-  inne  bat.  mit  Ausnahme  der  Burg  Greifnn- 
stein  an  seine  Stiftung  zu  vergeben. 

4  cm  unterhalb  dieser  ürkundeiicopie  und  zwar  mit  absichtlicher 
Freilassung  dieses  Kaume:^,  in  welchem  auch  die  Linirung  fehlt,  folgt: 
,Ut  autem  huius  [privilegii  fides  valeat  incorrupte  nee  a  quoquam 
protesjtari  possit,  nostra  interfuit  et  de  con.silio  factum  est.  ut  auc- 
toritatem  domini  nostri  Woifgeri  Pataviensis  episcopi  [habeat  maiori 
muuimini]  et  ampliori  testimonio.  Affixum  est  etiam  sigillum  ipsius. 
Anno  ab  incarnatione  domini  .M.C.X[C].I1II. -)  indictione  XII.  anno 
pontificatus  eius  Uli."  Die  hier  eingeklammerten  Worte  sind  theils 
nach  ihren  am  Originale  hinter  dem  Stockflecke  noch  spärlich  erkenn- 
baren Schäften,  theils  nach  dem  Sinne  ergänzt. 

Der  dritte  Theil  lautet:  „Huius  confii'mationis  per  sententiam -*) 
date  festes  sunt  cathedrales  chori  Heinricus  decanus,  Megengotus  pre- 
positus  de  Monsteure,  Werenherus  prepositus  de  Matheseo,  Heinricus, 
Arnoldus,  Chadelhous,  Timo  et  ceteri  per  ordinem  canonici.  De  laicis 
vero  isti:  Heinricus  comes  de  Orthenperc,  Pabo  de  Zollingen,  Albertus 
de  Chambe,  Kichkerus  et  frater  eius  Fridericus  de  Wesen,  Werenhardus 
et  fratres  eius  Richkerus  et  Heinricus  de  Rothovve,  Eccolfus  de  Warthe, 
Pabo  de  Galcvvis  et  filius  eius  Chonradus,  Heinricus  judex  de  Patavia 
et  frater  eius  Pabo  et  Leuthardu.s,  Albertus  puer,  Tiemo,  Chunradus 
de  Walde,  Selpkerus  de  Zazenmüre,  Chönrat  de  Siehedorf,  Walchönus 


')  Ficker,  Beiträge  I,  31  u.  272. 

-)  Ursprünglich  stand  .  M  .  C  .  XC  .  IUI . ;  eine  Hand  s.  XIII.  radirte  da.s  C 
in  .  XC  .  und  setzte  vor  X  ein  L,  so  dass  heute  irrthümlich  .  M  .  C  .  LX  .  lill .  ge- 
schrieben steht. 

s)  sentententiam  Ürig. 


Eine  unbekannte  Ürkande  für  das  Kloster  Waldhausen.  ^33 

de  Herdingen,  Wolfkerus  de  Eriahe,  Rodegerus  marschalchius,  Haiden- 
ricus  über  de  Gocinisdorf  et  ceteri  quam  plures". 
Auf  neuer  Zeile  folgt  als  vierter  Theil: 

^Aream  unam  apud  Chremis  fratribus  in  Walthusen  deo  servien- 
tibus  eathedralibus  ehori  annuentibus  in  dei  nomine  contulimus". 
Au  letzter  Stelle  steht  die  Poenformel: 

„Quicunque  autem  hec  infringere  ullateuus  presumpserit,  iram  et 
indignationem  omnipoteutis  dei  noverit  se  incursurum". 

Den  Hergang  bei  der  Entstehung  dieser  merkwürdigen  Urkunde 
haben  wir  uns  nun  in  folgender  Weise  zu  erklären.  Wohl  auf  Bitten 
des  Klosters  Waldhausen  hat  Bischof  Wolfger  durch  feierlichen  Spruch 
(„confirmationis  per  sententiam  date")  vor  den  als  Zeugen  genannten 
Canonikeru  und  Laien  die  ihm  vorgewiesene  Urkunde  Reginberts  be- 
stätigt.    Das  ist  die  in  dem  Stücke  beurkundete  Handlung. 

Dass  dieselbe  zu  Passau  selbst  geschehen  sei,  steht  aus  der  Zeugen- 
reihe zu  vermuthen;  wann  sie  geschehen  sei,  ob  etwa  gleich  zu  An- 
fang der  Regierung  Wolfgers  1291,  wie  man  nach  Analogie  einer  in 
späterer  Zeit  auftretenden  diesbezüglichen  Uebung  vermuthen  würde, 
oder  in  dem  für  die  Beurkundung  dieser  Handlung  genannten  Jahre 
1194,  lässt  sich  bei  der  in  den  angeführten  Zeugennamen  nur  allge- 
mein gebotenen  Zeitgrenze  nicht  näher  bestimmen. 

Ueber  diese,  zwischen  1191  und  1194  stattgehabte  Handlung  er- 
folgte auf  Wunsch  Waldhausens  —  „nostra  interfuit  et  de  consilio 
(ob  nun  consilio  communi  fratrum  oder  von  auswärts  gegebenem  Rate 
folgend,  ist  irrelevant)  factum  est"  —  die  in  unserem  Originale  vor- 
liegende Beurkundung  und  zwar,  obwohl  dieselbe  subjectiv  von  Seite 
des  Empfängers  gefasst  erscheint,  und  wohl  auch  von  einem  Wald- 
hauser  Mönch  geschrieben  wurde,  doch  unter  Intervention  Bischof 
Wolfgers,  der  an  die  über  die  von  ihm  vollzogene  Handlung  abgefasste 
Urkunde  nicht  bloss  sein  Siegel  anbringen  („Affixum  est  etiam  sigillum 
ipsius"),  sondern  auch,  an  der  Beurkundung  eben  direct  betheiligt,  in 
subjectiver  Fassung  (contulimus)  die  Notiz  über  seine  mit  Zustimmung 
der  Domherren  (eathedralibus  chori  annuentibus)  gemachte  Schenkung 
der  area  bei  Krems  aufnehmen  liess.  Der  Zeitpunkt  der  Beurkundung 
fällt  zwischen  1194  März  11,  den  Anfang  des  4.  Pontificatsjahres 
Wolfgers  und  1194  December  25,  den  Beginn  des  Incarnationsjahres 
1 195 ;  der  Mangel  eines  Tagesdatums  lässt  sich  daraus  erklären,  dass 
die  Urkunde  zwei  zu  verschiedenen  Zeiten  vorgenommene  Handlungen 
(Bestätigung  und  Schenkung)  enthält  und  an  und  für  sich  erst  nach- 
träglich entstanden  ist.  Hinsichtlich  des  Ortes  der  Beurkundung  lässt 
sich    aus    den  Worten    ,nostra    interfuit   et   de   consilio    factum    est". 

Mittheilungen  XX.  41 


g34  Kleine  Mittheilungeu. 

deren  Lesung  nach  dem  Originale  zweifellos  sicher  steht,  mit  ebenso 
viel  Recht  für  Waldhausen  plaidiren,  als  man  nach  dem  der  Notiz 
über  die  Kremser  Schenkung  beigefügten  Beisatze  „cathedralibas  chori 
annuentibus"  Passau  als  Datirungsort  anzunehmen  berechtigt  wäre. 
Je  nach  der  Annahme  des  einen  oder  des  anderen  Datirimgsortes 
beantwortet  sich  wohl  auch  die  Frage  nach  dem  zweiten  Besiegler  der 
Urkunde,  der  entweder  der  Propst  von  Waldhausen  oder  das  Dom- 
capitel  von  Passau  war.  Befremdet  bei  der  Annahme,  der  Propst 
von  Waldhausen  habe  als  zweiter  sein  Siegel  an  die  Urkunde  gehängt, 
seine  Eigenschalt  als  Empfänger,  so  fällt  bei  Annahme  des  Dom- 
capitels  als  zweiten  Sieglers  der  Mangel  der  üblichen  Ankündigung 
dieses,  im  Vergleich  zum  Empfängersiegel  wertvolleren  Siegels  auf. 
Bei  dieser  Gleichwertigkeit  innerer  Gründe  und  Gegen  gründe  neige 
ich,  hauptsächlich  auf  Grund  der  Worte  „nostra  interfuit",  der  Ansicht 
zu,  Waldhausen  sei  Datirungsort  und  sein  Propst  der  zweite  Siegler; 
die  damit  zusammenfallende  Annahme  eines  Aufenthaltes  Bischof 
Wolfgers  in  Waldhausen  böte  dann  auch  einen  Erk]ärungsgrund  für 
seine  eigene  Schenkung  bei  Krems,  zu  der  er  die  Zustimmung  seines 
Domcapitels  schon  besitzen  mochte. 

Nehmen  wir  also  eine  derartige  Entstehung  unserer  Urkunde 
an,  so  ist  sie  eine  reine  Notitia,  eine  reine  Beweisurkunde,  der  an 
letzter  Stelle  auch  die  corroborirende  Poen  nicht  fehlt,  zugleich  aber 
auch  ein  lehrreiches  Beispiel  für  die  Form  einer  inserirendeu  Bestäti- 
gungsurkunde  am  Ende  des   12.  Jahrhunderts. 

Was  das  Verhältnis  der  hier  vorliegenden  Copie  der  Stiftungs- 
urkunde ßeginberts  zu  ihrem  im  oberösterreichischen  ürkundenbuche 
gebotenen  Abdrucke  nach  dem  Liuzer  Originale  betrifft,  so  sind,  die 
Datirujig  ausgenommen,  die  Varianten  derselben  ziemlich  belanglos. 
Die  Datirung,  welche  im  Drucke  des  Urkundenbuches  nach  dem  Ori- 
ginale auf  „anno  .  .  .  millesimo  CXL .  VI."  gestellt  ist,  berichtigt  der 
Copist  auf  „anno  .  .  .  millesimo  CXLVII."  und  zwar  jedenfalls  an  der 
Hand  der  ihm  bekannten,  von  Bischof  Reginbert  seinem  Kloster  bei 
der  nemlichen  Gelegenheit  gegebenen  feierlichen  Stiftungs Urkunden  i). 
Die  übrigen  Varianten  erstrecken  sich  theils  auf  Lesefehler  des  Copisten^'), 
theils  auf  geänderte  Schreibweise  von  Orts-  und  Eigennamen  besonders 
in  der  Zeugenreihe  ^).     Aus   der  Erwähnung   der  Hofstättenschenkung 


')  Urkundenb.  d.  L.  o.  d,  E.  II,  227  n.   155  und  231   n.  156. 
2)  Im  Drucke  Z.  7  ergo,  Cop.  igitur,  Z.  25  resignavit,  Cop.  resignaverat. 
^)  So    im    Gegensatze    zum    Drucke :    Mabclant,    Chunisvvisen,    Purchusen, 
Pilsteine,  Friderich,  Hurtvvich,  Albrecli,  Racaze  (wobei  im  Drucke  wohl  der.be- 


Eine  unbekannte  Urkunde  für  das  Kloster  Waldbausen.  ß35 

bei  Krems  geht  unzweifelhaft  die  Identität  zwischea  Sabenike  und 
Waklhausen  hervor,  wenn  es  in  dieser  Frage  überhaupt  noch  eines 
Beweises  bedarf.  Hätten  nemhch  Kurz  i)  und  Pritz  -)  bei  der  Lösung 
der  Widersprüche  einer  scheinbar  von  zwei  verschiedenen  Klöstern 
redenden  Waldhausener  Urkunde  vom  J.  1161  ^)  über  die  Identität 
derselben  noch  einen  Zweifel  offengelassen,  so  wird  derselbe  durch 
uusere  Urkunde,  welche  die  Stiftungsurkunde  von  Sabenike  auf  Wald- 
bausen bezieht  und  von  beiden  Klöstern  als  von  einem  und  demselben 
spricht,  vollends  gelöst. 

Einen  Beitrag  zur  Kenntnis  Waldhausener  Geschichtsquellen  und 
der  dortigen  Archivsordnuug  bedeuten  schliesslich  die  an  der  vor- 
besprochenen Urkunde  angebrachten  Dorsualnotizen.  Dieselben  stehen 
auf  der  Rückseite  des  untersten  Drittels  des  Mittel buges  und  zwar  von 
einer  Hand  saec.  XV.:  „ista  litera  scripta  est  in  libro  pergameno 
|sicut?  unleserlich  unter  dem  Stockflecke]  etiam  litera  confirmationis 
et  donationis  ecclesiae  nostrae".  Darunter  von  einer  Hand  aus  der 
ersten  Hälfte  saec.  XVIII.  ,Lit.  A,  dritte  Ladt  Nr.  Ad"  und  von  der- 
selben Hand,  welche  wohl  auch  mit  der  Arcbivsordnung  beschäftigt 
war,  mit  Bleistift  „Stiftung  betreff".  Darunter  mit  Tinte,  um  1770 
geschrieben,  „Wolfkert,  Bisch,  zu  Passau,  bestättigt  die  Stiftung  seines 
Vorfahrers  Regenbert  1164  (!)". 

Unter  diesen  Dorsualnotizen  interessirt  am  meisten  die  erste 
durch  die  Erwähnung  des  „Über  pergamenus".  Ob  dieser  identisch 
ist  mit  einer  der  bei  Kurz  und  ausführlicher  bei  Pritz  ^^  erwähnten 
Urkundensammlungen,  ist  ohne  deren  Vergleichung  schwer  zu  ent- 
scheiden, es  scheint  dies  jedoch  nicht  der  Fall  zu  sein,  da  das  ober- 
österreichische Urkundenbuch,  dessen  Herausgeber  nach  einer  Andeu- 
tung von  Pritz  alle  jene  Sammlungen  benützt  haben,  unsere  Urkunde 
nicht  kennt. 

Stift  Zwettl.  B.  Hamm  er  1. 


Kaiser  Maxiinilijin's  II.  Erklärung  yoiu  18.  August  1568 
ül)er  die  Ertlieilung  der  ßeligions-Coucession.  Dieses  wichtige 
Actenstück,    das    in  keinem  Wiener  Archiv  zu  finden  war  und  bisher 


kannte  Lesefehler  des  österreichisch-bairi sehen  z  unterlaufen  sein  dürfte),  Chadel- 
hohespergen,  Chambe,  Dietherich,  Siboto. 

1)  Beiträge  z.  Gesch.  d.  Landes  o.  d.  E.  TV.  416  ff. 

-)  Arch.  f.  österr.  Gesch.  IX.  315  ff. 

3)  Urkundenb.  d.  L.  o.  d.  E.  II.  308  n.  208. 

*}  l.  c.  315  Anm,  3. 

*41 


Q^Q  Kleine  Mittheilungen. 

nur  nach  einem  im  Vaticanischen  Archiv  befindlichen  Auszug  (,Re- 
sponsio  caesaris  ad  duos  status  Austriacos  de  confessione  August, 
d.  18.  Aug.  1568";  mitgeth.  von  Schwarz  in  der  von  Ehses  herausgeg. 
Festschrift  zum  Jubiläum  des  Campo  Santo  1897.  S.  236)  bekannt  ist, 
fand  sich  abschriftlich  in  dem  Münchner  Allgemeinen  Reichsarchiv 
vor,  wohin  es  mit  einem  Briefe  des  am  Wiener  Hofe  lebenden  Reiclis- 
hofrathes  Dr.  Georg  Eder  an  den  Herzog  Airecht  V.  von  Baiern  ddo. 
Wien,  7.  Sept.  1577  (Oest.  Religions-  und  Correspoudenzacten  X.  P.  I. 
fol.  202 — 207,  208)  gekommen  war.  Der  sonst  von  allen  österreichi- 
schen Eeligionshandlungen  so  trefflich  informirte  Eder  hielt  diese  Er- 
klärung, die  der  Kaiser  den  zwei  Ständen  der  Herren  und  Ritter  am 
Tage  der  Landtagseröffnung,  nachdem  die  zwei  anderen  Stände  der 
Prälaten  und  Städte  abgetreten  wareu,  als  Antwort  auf  ein  von  ihnen 
kurz  vor  dem  Landtag  überreichtes  Bittgesuch  um  Freigabe  der  evan- 
gelischen Religion  (und  nicht  wie  Schwarz  behauptet,  „ohne  noch 
erst  in  diesen  Angelegenheiten  angegangen  zu  sein")  i)  einhändigen 
Hess,  merkwürdiger  Weise  für  die  Concession  selbst  und  äusserte 
sich  über  sie  in  dem  erwähnten  Schreiben  sehr  geringschätzig:  .Denn 
was  unsere  Landleute  von  der  vorigen  k.  M*.  Concession  der  Augsburg. 
Confession  für  Geschrei  machen,  das  ist  in  Wahrheit  viel  anders  be- 
schaffen, als  sie  davon  schreien,  inmasseu  E.  f.  G.  hieneben  zu  seheu 
und  dabei  gnädiglich  zu  vernemen  haben,  ob  wohl  den  Dingen  etwas 
zu  viel  geschehen,  das  dennoch  J.  M^^.  noch  eine  ziemlich  freie  Hand 
hätte".  Die  kaiserliche  Hofkanzlei  aber,  die  im  folgenden  Jahre  auf 
Befehl  Kaiser  Rudolfs  II.  eine  gründliche  Untersuchung  über  die  Be- 
rechtigung der  von  den  zwei  Adelsständen  erhobenen  Ansprüche  an- 
stellte, bezeichnete  ausdrücklich  ein  anderes  Actenstück  als  die  Conces- 
sion. Es  waren  dies  einige  von  dem  Reichsvicekanzler  Dr.  ühicli 
Zasius  verfasste  „sondere  Artikel  und  condiciones",  die  sich  auf  die 
in  der  kaiserlichen  Erklärung  enthaltenen  Worte  ,mit  gebürender 
Mass"  bezogen  und  ihr  jedenfalls  in  dem  von  der  Hofkanzlei  citirten 
Entwürfe,  wenn  nicht  schon  in  einer  späteren  Fassung  beigeschlossen 
waren  -).  Weit  mehr  muss  man  sich  aber  darüber  wundern,  dass  Eder 
diese  Antwort  des  Kaisers  als  die  Summe  aller  den  evangehschen 
Ständen  gemachten  Zugeständnisse  überhaupt  ansah,  also  nicht  einmal 
von  der  Existenz  der  am   14.  Jänner   1571    über    die  Concession  aus- 


')  Vgl.  meine  Arbeit :  Die  Organisation  des  evang.  Kirchenwesens  im  Eiz- 
herzogthiim  Oesterreich  u.  d.  Enns  von  der  Ertheilung  der  Religions-Concession 
bis  zu  K.  Maximian's  II.  Tode,  Archiv  f.  österr.  Gesch.  Bd.  87.    S.  130,  Anm.  1. 

2)  Ebd.  S.  127  fg. 


Kaiser  Maximilian's  II.  Erkläi-ung  vom  18.  August  1568  etc.  537 

gestellten  Assecurations-Urkunde  eine  Ahnung  hatte  und  in  seinen 
dem  Kaiser  Eudolf  am  19.  Mai  1578  überreichten  „Einfältigen  Be- 
denken von  dem  vorstehenden  Religionstractat,  wie  derselbe  glücklich 
zu  schliessen  und  zu  enden",  nachdem  er  diese  vermeintliche  Conces- 
sion,  die  nichts  anders  sei,  als  „ein  unvorgreiflicher  Vorschlag  und 
wolmeinende  Consultation,  wann  das  beschehe,  so  dazu  gehörig  und 
alles  füglich  ohne  Schmälerung  der  Ehre  Gottes  und  der  wahren  Re- 
ligion sein  möchte,  dass  J,  M*.  auf  solchen  Weg,  aber  nicht  ehe  noch 
anders  möchten  bewegt  werden  etc."  Satz  für  Satz  durchgegangen 
war,  zu  dem  Resultate  gelangte:  „Ist  und  bleibt  demnach  wahr,  dass 
die  vorige  k.  M*.  ihnen  die  A.  C.  nie  zugelassen  noch  weniger  be- 
willigt, dass  sie  dieselbe  in  dieser  Hauptstadt  oder  einer  andern  Stadt 
in  Oesterreich  anzurichten  Fug  gehabt,  und  die  R.  k.  M*.  noch  eine 
freie,  ungesperrte  Hand  habe".  (Münchner  Allg.  Reichsarchiv,  Oest. 
Religions-Acten  YII,  fol.  322 — 333).  Zwei  Monate  später  dachte  er  aber 
schon  anders  —  die  Verhandlungen  mit  den  Ständen  und  die  Er- 
hebungen der  Hofkanzlei  hatten  mittlerweile  die  Situation  geklärt  — , 
als  er  dem  Herzog  schrieb:  „Ich  hab  allweg  gehofft,  die  Sach  stünde 
bei  der  ersten  Tractation,  da  auf  Mittel  davon  gehandelt  worden. 
Alsl)ald  ich  aber  die  Concession  —  er  meinte  die  Assecuration  —  in 
forma  gesehen,  da  ist  mir  das  Herz  entfallen,  und  weiss  Gott,  dass 
ich  seither  keine  ruhige,  fröhliche  Stund  gehabt".  (Ebenda,  XI.  P.  2. 
fol.  5;  Juli  1578). 


Die  Rom.  kais.  auch  zue  Hungern  und  Behaimb  kunig.  M*.  erzherzog 
zue  Oesterreich,  unser  allergenedigister  herr  etc.  last  den  zwaien  ständen 
ainer  ersamen  landschafft  in  Oesterreich  von  herrn  und  ritterschafft  mit 
gnaden  vermelden. 

Nachdem  I.  k.  M*.  sich  genediglich  und  vätterlich  erindert  der  vill 
und  mehrvelltigen  inner  und  ausser  gemainer  landtägen  gepflegten  suechen, 
so  von  dem  mehren'  thaill  dei'selben  beiden  ständen  bei  weilend  I.  M*. 
lieben  herrn  und  vattern,  kaiser  Ferdinanden  hochmilder  und  gottsalliger 
löblichister  gedechtnus,  auch  volgunds  I.  ß.  k.  M*.  selbst  umb  zuelassung 
der  Augspurgerischen  confession  mit  ganz  flechenlichem  hochfleissigem  an- 
langen und  bitten  gebraucht  und  fürgewendt,  wessen  hergegen  beide  I.  M*. 
sich  zum  dikermal  von  ainer  zeit  zu  der  andern  und  sonderlichen  dise 
k.  M^.  seit  eintretung  in  kaiserliche  und  landsfürstliche  regierung  gegen 
ihnen  den  anrueffenden  ständen  von  herrn  und  ritterschafft  statlich  er- 
bietig gemacht,  alls  nemblich  das  von  erst  höchstgedachtem  kaiser  Ferdi- 
nande angefangen  lobwierdig  werck  mit  ganz  christlichem  eiffer  und  fleiss 
treulich  zu  prosequiren  und  ain  beständige  gemaine  christliche  Ordnung 
zue  verfassen,    wie    es  I.  M*.  der  religion    halben    in    lehr,    Verkündigung 


638 


Kleine  Mittheilun»en. 


des  göttlichen  worts,  auch  raichung  und  gebrauchung  der  hailwiercligen 
sacramenten  und  sambt  anderen  caeremonien  durchaus  in  gemain  und 
universaliter  aller  I.  M*.  kunigreich,  fürstenthumb  und  landen  gehalten 
haben  weiten,  zue  erster  müglichkait  und  gottsalliger  Vollendung  zue  bringen 
und  dahin  zue  richten,  damit  die  religion  in  ainen  christlichen,  guetten, 
ainhelligen  verstand  gebracht  werde,  und  also  diser  orten  meniglich  neben 
einander  ruebig  und  fridlich  wohnen  möcht,  wie  dan  noch  in  lebzeitten 
hoehgedachtes  kaisers  Ferdinanden  durch  vill  ansehenliche  und  treffenliche 
vorbei'aitung  von  gelerten  gottsalligen  schiedlichen  leuten  geistlich  und 
weltlich  ain  guetter  anfang  herzue  gemacht  und  volgends  von  diser 
I.  k.  M*.  auch  nach  müglichkait  continuirt  zue  werden,  ernstlich  ver- 
ordnet: so  wollen  I.  k.  M*.  nun  ihnen,  ehegemelten  zwaien  ständen  nit 
verhalten,  wie  sie  auch  ein  solliches  hievor  von  I.  M*.  genuegsamlich.  ver- 
standen, das  I.  k.  M*.  die  zeit  herumb  ires  regements  der  ihren  zumal 
höcher  und  mehrers  nicht  anliegen  lassen,  alls  das  selb  wol  angefangene 
christlich  nutz  und  guett  werck  zue  verhoffentlicher  absolvierung  und  Vol- 
lendung fortzuesetzen,  solliches  auch  ungezweiflet  uumehr  gar  zue  end 
gebracht  A7orden  war,  wo  die  schwäre  und  hochstgedrungene  kriegsraisen 
reichs  und  andere  versamlungstäg  und  darau.s  erwachsende  merkliche 
grosse  obligen  müehe  und  arbeit  I.  k.  M*.  nit  unvermeidlich  verhindert 
hetten. 

Seitemal  es  dan  an  dem,  das  I.  k.  M*.  auch  noch  heitig  tages  vill 
hochlästiger  verhindernussen  fürstanden,  daher  sie  auch  noch  so  bald 
und  in  einer  kürze  zue  angerechtes  gemeinen  wercks  ganzlicher  Vollen- 
dung geschwärlichen  kumen  möchten,  und  aber  I.  k.  M^.  auf  ihr  derer 
zwaier  ständen  also  beharrlichs  underthanigist  und  unaufhörlichs  flechen, 
rueflFen  und  bitten  umb  allergenedigiste  Vergünstigung  angeregter 
Augspurgischer  confession  aus  besondern  kaiserlichen  milden,  treuen 
und  ganz  vätterlichen  zuenaigung,  so  sich  in  Sonderheit  zu  disen 
zwaien  ständen  von  herrn  und  der  ritterschafft  sament  und  sonderlich 
ganz  gnediglich  trungen,  in  diser  wie  in  allen  andern  sachen  ihr  vätter- 
liche  müldigkeit  und  gnädigisten  willen  erscheinen  zue  lassen,  nicht  gern 
lenger  einstellen,  sonder  sie  die  baide  stand  sovil  als  I.  k.  M*.  indert 
gegen  Gott  verantwortlich  und  auch  sonst  anderer  orten  (dahin  dan 
I.  k.  M*.  auch  ein  gebüerend  aufsehen  zu  haben  vonnöten)  nicht  gar  ver- 
weislich je  gern  ganz  senftmüetigist  trösten  und  nach  müglichkait  ge- 
wehren  wolten,  so  wären  I.  k.  M^.  nunmehr  gleichwol  nit  ungewollt, 
sollichen  anrueffendeu  zwaien  ständen  von  herrn  und  der  ritterschaftt  mit 
gebüerender  mass  in  ihren  schlossern,  heisern  und  gebüeten  auf  dem  land, 
die  villgemelt  Augspurgisch  confession,  die  weiland  kaiser  Carl  dem  fünf- 
ten in  dem  zue  Augspurg  1530  gehaltenen  reichstag  von  etlichen  chur- 
fürsten,  fürsten  und  stetten  überraicht,  und  kain  andere  durch  genedigiste 
gedultung  nachzuesehen  und  zuezuelassen,  wover  man  änderst  zuevor  der 
gottsalligen  caeremonien  und  rituum  halben  ungeverlich  nach  dem  ge- 
brauch der  eltesten  kirchen,  sollicher  confession  zuegethan,  und  wie  es 
bald  nach  der  Verfassung  und  überraichung  derselben  zum  maisten  thail 
gehalten  und  in  das  üeblich  exercitium  gebracht  worden,  ein  gewisse  und 
gleichförmige  richtigkait    und    anordnung    getroffen,    verglichen    und    auf- 


Kaiser  Maximilian's  IL  Erklärung  vom  18.  August  1568  etc.  539 

gericht  werden  kan,  wie  auch  I.  k.  M*.  gar  nit  zweifFlen,  das  ein  ieder 
verstendiger  guettherziger,  der  mit  guettem  eiffer  sein  gemüet,  diese  zue- 
lassung  begründt,  daher  bringt,  bei  sich  selbst  zue  ermessen,  auch  aus 
dem  göttlichen  wort  sich  zue  beschaiden,  das  alle  ding  in  der  kirchen 
gottes  mit  guetter  mass  und  Ordnung  zuegehen,  und  gehalten  werden 
sollen,  das  auch  vor  ihr  weit  zeither  kain  religion  ausser  gleichmessig  Ord- 
nung und  dann  gebrauchung  derer  gottsalligen,  seinen  göttlichen  worten 
und  den  heiligen  sacramenten  mit  gezimender  reverenz  und  den  gemeinen 
ungelerten  laien  zue  christenlicher  devoiion  und  andacht,  rainem  gebett, 
christenlichen  gehorsam,  zucht  und  disciplin  anraizenden  caeremonien  iemals 
erhalten  worden.  Wan  dan  wissentlich  am  tag,  das  die  angeregte  con- 
fession  allein  ein  lehrbüechlein  und  forma  doctrinae,  wie  dieselb  lehr  zue 
kirchen  und  schneien  bei  den  ständen  dei'selben  confession  damaln  gefüert 
und  getrieben,  und  aber  der  rituum  caeremonien  andershalben,  so  den- 
selben in  unbefleckter  mitwirdigkeit  anhengig,  gar  keine  gewisse  richt- 
schnur  oder  regel  gegeben,  also  das  auch  nachvolgends  gleich  nach  der 
gethonen  bekantnus  sollicher  lehr  bei  den  churfürsten,  fürsten  und  ständen 
des  reichs,  so  sich  darzue  erklärt,  in  aines  jeden  fürstenthumb,  landen 
und  gebieten  vill  stadlicher  agenda  und  Ordnungen,  darumben  zum  mall 
das  ganz  exercitium  angeregter  doctrin  und  confession  mit  was  altkirchi- 
schen  caeremonien  und  eisserlichen  mitldingen  ordenlich  und  beschaiden- 
lich  in  ainer  guetten  kirchen  gemacht  und  mit  aller  gebürender  reverenz 
und  andacht  zue  halten,  zue  treiben  und  das  göttliche  wort  dardurch 
zue  stei-cken,  verfasset,  in  offnen  truck  gegeben,  und  auch  also  zue  ueb- 
licher  fortsezung  in  das'  werck  gestelt  und  gericht  worden:  so  achten  es 
I.  K.  k.  M*.  dahin,  und  sein  darauf  mit  allen  gnaden  vätterlich  und  for- 
sichtiglich  resolviert,  das  vor  allen  andern  und  sonderlich  vor  etlicher 
und  schliesslicher  I.  M*.  erklärung  zue  sollicher  tractation  und  vero-lei- 
chung  in  den  mehr  berüerten  caeremonialien  aufenklich  und  gleich  alsbalt 
zue  schreiten  und  nachvolgunder  gestalt  zur  verhoffentlicher  guetter  rich- 
tigkait  durch  deputation  zue  tractieren  und  abzuehandlen. 

Und  sein  nämlich  I.  k.  M*.  des  vätterlichen  und  gnädigisten  erbietens 
und  willens,  drei  oder  vier  beruemte,  geschickte,  beschaidne,  gar  schied- 
liche,  fromme  und  fridliebende  unafFectionierte  deputaten  ihres  thails  zu 
verordnen,  zue  wellichen  die  beide  anrueffende  stände  von  herrn  und 
ritterschafft  gleichsfalls  und  in  gleicher  anzal  die  ihren  ebenmessiger  ge- 
schicklichkeit,  schiedligkeit  und  guet  eiffriger  beschaidenhait  qualificiert 
auch  zue  deputiern,  wellichen  allerseits  verordenten  I.  k.  M.  auch  aus 
ihren  raten  ainen  hierzue  teuglichen  directorem  zue  adjungiern  gnedigist 
bedacht  und  ungezweifflet  sein,  die  alle  sollen  und  werden  vermitlt  gött- 
licher gnaden  dises  notwendig  werck  nit  allein  alsbald  einen  gueten 
anfang  haben,  sonder  auch  darin  mit  sollichem  und  embsigen  vleis  und 
rechtem  eiffer  (alle  affectionen  und  passionen  hindangesezt)  sovil  aus- 
richten, damit  (als  oben  angedeutet  ist)  ein  richtige  agenda,  wie  es  mit 
administration  der  sacramenten  und  andern  caeremonien,  ingleichen  exer- 
citio  bei  den  zwaien  ständen,  so  des  mehr  gedachten  A.  C.  so  lang  begert 
und  noch  begehren,  auf  I.  k.  M*.  nachgeordente  erklärung  alsdan  gehalten 
werden  soll. 


ß40  Kleine  Mittheilungen. 

Wo  nun  dem  also  beschehen,  das  wie  gemelt  in  kurz  und  unver- 
lengter  zeit  noch  im  werenden  landtag  gar  geraimblich  und  wol  ver- 
richtet und  zue  vergleichlicher  Vollendung  gebracht  werden  kan,  alsdan 
wollen  I.  E.  k.  M*.  der  gebetnen  zuelassung  und  nachsezung  halben  sich 
dermassen  gewerlich  erklären,  das  baide  mit  hohen  und  gehorsamen  danck 
wol  benüegig  sein,  und  sich  dessen  mit  erlangtem  trost  zu  erfreien,  auch 
I.  k.  M.  darfür  gehorsamist  zue  dancken  ursach  haben  sollen.  Datum 
den   18.  augusti  anno  etc.   68- 

Wien.  Victor  Bibl. 


Literatur. 

Zur  Geschichte  des  hl.  Adalbert. 
(Zweiter  Artikel). 

Im  19.  Bande  S.  535 — 546  dieser  Mittheilungen  sind  34  Arbeiten, 
welche  aus  Anlass  der  neunhundertsten  Wiederkehr  des  Todestages  des 
hl.  Adalbert  erschienen  sind,  angezeigt  oder  auch  besprochen  worden. 
Es  folgt  hier  ein  kleiner  Nachtrag  von  Schriften,  die  entweder  erst  später 
erschienen  sind  oder  vor  der  Abfassung  jenes  Artikels  dem  Berichterstatter 
noch  nicht  bekannt  geworden  waren.  Diese  Arbeiten  geben  vorzüglich 
Veranlassung  zu  quellenkritischen  Untersuchungen  über  die 
drei  ältesten  Adalbert-Legenden. 

35.  Voigt  H.  G.  Lic,  Prof.  d.  Theologie  in  Königsberg  i.  Pr., 
Adalbert  von  Prag.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Kirche 
und  des  Mönchtums  im  zehnten  Jahrhundert.  Mit  zwei 
Original-Heliogravüren,  einer  Photolitographie  und  einer  Karte.  Westend- 
Berlin,  Akad.  Buchh.  (W.  Faber  u.  Ci'-)  1898.  8°  369  S.  —  Von  den 
Gesammtdarstellungen  der  Geschichte  des  hl.  Adalbert,  welche  aus  Anlass 
des  Jubiläums  erschienen  sind,  verdient  diese  eine  ganz  besondere  Be- 
achtung. Sie  bietet  eine  sehr  ausführliche  Schilderung  des  Lebens  und 
W^irkens  des  hl.  Adalbert  und  alles  dessen,  was  aus  der  Folgezeit  über 
ihn  und  seine  Reliquien  berichtet  werden  kann.  Man  vergi.  insbesondere 
die  chronologisch  geordnete  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Momente 
aus  Adalberts  Geschichte  S.  337 — 341.  Sehr  dankenswert  ist  auch  der 
im  Anhange  erfolgte  Abdruck  aller  literarischen  Stücke  (zusammen  9  Nr.j. 
welche  von  Adalbert  herrühren,  beziehungsweise  ihm  zugeschrieben  oder 
mit  ihm  in  Zusammenhang  gebracht  werden.  Ueber  die  wiederholt  mit  ge- 
ringem Erfolge  erörterte  Frage  über  die  Todesstätte  Adalberts  spricht  sich 
der  Verf.  nach  genauer  Untersuchung  folgendermassen  aus  (S.  187):  »Den 
sicheren  Führern  Kanaj)arius  und  Brun  folgend,  können  wir  nur  soviel 
schliessen,  dass  Cholinun  an  der  Südküste  von  Samland  nicht  weit  von  einem 
schiffbaren  Gewässer  gelegen  hat-^  Die  Identificirung  von  Cholinun  mit 
Kaigen,  südlich  von  der  Mündung  des  Pregels,  und  Kallen,  nördlich  von 
Fischhausen,  bezweifelt  Voigt.  Uebrigens  entsprechen  beide  Orte  insofern 
auch  dem  Ergebnisse    der  Forschung  Voigt's    als    sie    in  Samland    liegen, 


g42  Literatur. 

wozu  die  gute  Kartenskizze  (Taf.  III)  zu  vergleichen  ist.  Manchen  Be- 
hauptungen Voigts  kann  Referent  nicht  beistimmen.  So  erscheint  die 
Behauptung  (S.  95  u.  338),  dass  Adalbert  im  J.  994  5  Prag  zum  zweiten- 
mal verliess  und  dass  seine  Mission  in  Ungarn  in  diese  Zeit  fällt,  nach 
meinen  Ausführungen  in  der  Deutschen  Zeitsch.  f.  Geschwissensch.  IX 
S.  103  f.  und  in  der  eingangs  citirten  Studie  in  diesen  Mitth.  XIX  S.  .'342 
völlig  verfehlt.  Darnach  kann  nur  993  für  diese  Ereignisse  angenommen 
werden.  In  seiner  Zusammenstellung  der  bisher  bekannten  älteren  Schriften 
über  den  hl.  Adalbert  (S.  219  ff.)  bietet  Voigt  einige  Ergänzungen  zu 
meinem  Verzeichnisse  in  der  Zeitschr.  f.  Geschichtswissensch.  IX.  (zumeist 
aus  dem  5.  Bd.  der  Mon.  Pol.  bist.,  der  mir  1892  luizugänglich  geblieben 
ist).  Nicht  alles,  was  hier  der  Verf.  über  die  einzelnen  Legenden  sagt, 
wird  man  unterschreiben  können.  Auf  die  Streitfrage  über  die  Verfassung 
der  ältesten  Legenden  durch  Canaparius  und  Brun,  geht  er  gar  nicht  ein 
(vergl.  weiter  unten!).  Der  Schluss  (S.  223),  dass  Canaparius  seine  Legende 
zwischen  Feb.  u.  Dec.  999  verfasst  habe,  weil  Gaudentius  nicht  als  Erz- 
bischof erscheint  (die  Ernennung  war  Dec.  999  erfolgt),  ist  sehr  zweifel- 
haft. Früher  wollte  man  diese  Abfassung  vor  1000  damit  begründen, 
dass  der  Zug  Ottos  nach  Gnesen  nicht  erwähnt  wird.  Aber  auch  Brun 
erwähnt  von  diesen  Dingen  nichts,  trotzdem  er  sicher  erst  1004  die 
Legende  geschrieben  hat.  Woher  Voigt  die  Nachiücht  hat  (S.  224),  dass 
Brun  im  J.  996  »allem  Anschein  nach  auch  in  das  römische  Kloster 
St.  Bonifaz  und  Alexius  eintrat ^S  ist  mir  unbekannt.  Nirgends  findet  sich 
in  seinen  Werken  hievon  eine  Erwähnung  (vergl.  weiter  unten!).  Ferner 
nimmt  Voigt  (S.  225)  an,  dass  auch  die  erste  Redaction  der  von  Brun 
verfassten  Legende  in  Ungarn  entstanden  sei :  es  ergibt  sich  dies  seines 
Erachtens  nach  j,  völlig  klar  aus  der  von  Radla  selbst  handelnden  Ge- 
schichte im  c.  3,  die  sich  auch  schon  in  der  ersten  Recension  findet ^^ 
Allein  —  abgesehen  davon,  dass  der  Radla  und  der  Papas  in  Ungarn 
kaum  dieselben  Personen  sind  —  ist  es  völlig  aus  der  Luft  gegriffen, 
dass  die  Mittheilungen  in  c.  3  von  dem  Papas  im  c.  23  herrühren  müssen. 
Wenn  es  sich  um  Nachrichten,  die  von  derselben  Person  herrühren,  han- 
delt, warum  sind  dieselben  nicht  insgesammt  in  der  ersten  Recension  ent- 
halten? Das  Nähere  vergl.  man  in  Kaindls  »Beiträge  zur  älteren  ungar. 
Geschichte ^^  S.  64  ff.  Unrichtig  ist  auch  die  Bemerkung  (S.  225),  dass 
in  der  zweiten  Redaction  gegenüber  der  ersten  kein  Irrthum  richtig  ge- 
stellt wurde.  In  §  1  7  der  ersten  Redaction  seiner  Vita  hat  Brun  allerlei 
aus  der  Geschichte  des  heiligen  Adalbert  mit  dessen  zweiten  römischen 
Aufenthalt  verbunden,  was  nach  Canaparius  zum  ersten  gehört.  In  der 
zweiten  Redaction  sind  die  an  unrichtiger  Stelle  stehenden  Erzählungen 
gestrichen.  (Vergl.  »Beiträge«  S.  7l).  Einige  Bemerkungen  über  Voigts 
Ausführungen  zur  anonymen  j,Passio^^  wolle  man  am  Schlüsse  dieser  Studie 
vergleichen.  —  Man  vergl.  übrigens  auch  die  Besprechungen  in  Zeitsch. 
f.  Kirchenrecht  VIII,  219.  Deutsche  Zeitsch.  f.  Geschichtswissensch. 
X.  F.  in,   .V28  und  Mitth.  aus  d.  bist.  Lit.  XXVII,    147. 

3().  Gundel  A.,  Die  Wege  Adalberts,  des  Bischofs  von 
Prag  im  P r  e u  s  s  e  n  1  a  n  d.  In  der  Altpreuss.  Monatsschrift  Bd.  3 4 
Nr.   ö;6.     Mir  unzugänglich.     Man  vergl.  Zeitsch,  f.  Kirchengesch,  Bd.    1 9 


Literatur. 


643 


S.   109   und  Hist.   Zeitscb.  Bd.   SO   S.   357.     Versucht  als  Todesort  Kalleu 
^^r  Cholinuii  bei  Fischhausen  nachzuweisen. 

37.  Pfülf  0.,'  Brun  von  Querfurt.  Bischof  der  Heiden. 
Stimmen  aus  3Iaria-Laach  1S9.S.  8.  Heft.  Vergl,  Zeitsch.  f.  Kirchen- 
gesch.  a.  a.  0. 

38.  Miczkiewicz  W.,  Zywot  swietego  Wojciecha.  Im 
»Przewodnik  naukowy  i  literacky«  XXVI  (l898)  S.  895 — 914.  —  Der 
Sohn  des  bekannten  polnischen  Dichterfürsten  gibt  aus  dem  Nachlasse 
seines  Vaters  ein  von  demselben  in  französischer  Sprache  verfasstes  (1838) 
Leben  des  hl.  Adalbert  und  dessen  polnische  Uebersetzung  heraus.  Diese 
Arbeit  war  übrigens  schon  früher  gedruckt  und  kann  wohl  auf  liesondereu 
historischen  Wert  keinen  Anspruch  erheben. 

39.  J.  M.  P..  Paraiatka  900.  rocznicy  m^czeiistwa  sw. 
Wojciecha,  apostola  Polski  (Erinnerung  an  die  900.  Wiederkehr 
des  Martyriums  d.  hl.  Adalbert,  des  Apostels  der  Polen).  Separatabdruck 
aus  »Prawda  u.  Gazeta  Kose,  Krakau  1897,  kl.  8°  24  S.  —  Mir  unzu- 
gänglich.    Vergl.  Kwart.  hist.  XII,   470. 

40.  Kowalski  T.  P.  Dr.,  Pamiatka  900.  rocznicy  m^czens- 
kiej  smierci  s w.  Wojciecha,  patrona  Polski.  (Erinnerung  an 
den  900.  Jahrestag  des  Märtyi'ertodes  des  hl.  Adalbert,  des  Patrons  Polens). 
Ptock,  1897.  16°  11  S.  —  Enthcält  das  Lied  »Bogarodzica«  mit  Noten. 
VergL  ebenda  S.   470. 

41.  Wrzesien  A.,  0  dawnych  piesniach  i  o  sw.  Wojciechu. 
pierwszym  piesniarzu.  (Ueber  alte  Lieder  u.  über  den  hl.  Adalbert. 
den  ersten  Liederdichter).  Warschau  1897.  kl.  8°  64  S.  —  Kwart.  hist. 
ebenda.     Man  vergl.  hiezu  im  ersten  Artikel  Nr.   9. 

42.  Hybl  Fr.,  Brun  Querfurtsky  a  jeho  zivotopis  sv. 
Vojtecha.  (Brun  von  Querfurt  und  seine  Biographie  des  hl.  Adalbert). 
Im   Öes.   Casop.   histr.   IV.   2.   —  Kwart.   hist.   XII,   47  7. 

43.  Wojciech  swi^ty  997  — 1897.  (Adalbert  der  Heilige  '.»97 
— 1897).    Im  »Wedrowiec«    1898  Nr.  17.  —  Vergl.  Kwart.  hist.  XII,  724. 

44.  Ziemiecki-Nieczuja  F.,  Mauzoleum  sw,  Wojciecha 
dl  Uta  Wita  Stwosza.  (Das  Mausoleum  des  hl.  Adalbert).  Krakau  8" 
32   S.  —  Vergl.  Kwart.  hist.  XII,    1018. 

45.  Ketrzyiiski  W,,  Naj  dawniej  sze  zywoty  sw.  Wojciecha 
i  ich  autorowie.  (Die  ältesten  Biographien  des  hl.  Adalbert  und  ihre 
Verfasser).  Aus  den  Krakauer  Akademieschriften  Bd.  37,  8°  41  S.  — 
In  dieser  Schrift  sucht  Ki^trzyiiski  nachzuweisen :  Nicht  Canaparius,  sondern 
Gaudentius  ist  der  Verf  der  ältesten  Vita.  Die  Umarbeitung  derselben 
hat  nicht  der  hl.  Brun,  sondern  ein  anderer  Mönch  im  Kloster  des 
hl.  Bonifatius  und  Alexius  zu  Rom  vorgenommen  und  hat  derselbe  nur 
eine  Redaction  angefertigt.  Brun  hat  dagegen  den  unbekannten,  beim 
sogenannten  Gallus  lib.  I,  6  genannten  »liber  de  passione  martyris^^  ver- 
fasst.  Schliesslich  führt  der  Verf.  über  die  bekannte  anonyme  »Passio 
s.  Adalperti  martiris*  aus,  dass  sie  jünger  sei,  als  die  anderen  Legenden, 
von  einem  polnischen  Priester  herrühre  und  ein  Originalwerk  sei.  Diese 
sehr  ausführlichen  Studien  Ketrzynskis  rollen  noch  einmal  die  wichtigsten 
Fragen  über  die  ältesten  Adalberts-Legenden  auf  und  müssen  eingehend 
geprüft  werden. 


ß^^  Literatur. 

K^trzynski.  der  sich  schon  seit  1869  mit  den  Adalbertslegenden  be- 
schäftigt 1),  hatte  zunächst  kurz  im  IV.  Bande  der  Mon.  Pol.  hist.  S.  206 
Anm.  1  seine  Zweifel  über  die  Autorschaft  der  Legenden  durch  Canaparius 
und  Brun  ausgesprochen  (l884)  und  sodann  noch  in  demselben  Jahre 
diese  Ansicht  ausführlicher  im  Przewodnik  naukowj-  i  literacki  (Lemberg) 
XII,  1  ff.  dargethan.  Da  ich  mich  seit  1885  mit  Adalbert  beschäftigte, 
veranlassten  mich  die  Ausführungen  Ketrzynski's,  nachdem  ich  dieselben 
sorgfältig  geprüft  hatte,  im  J.  1894  zur  Veröffentlichung  meiner  Studie 
^Canaparius  und  Brun!*,  welche  in  den  Mitth.  d.  Vereines  f.  Gesch. 
d.  Deutschen  in  Böhmen  Bd.   .32  erschienen  ist. 

In  dieser  kleinen  Arbeit  habe  ich  zunächst  alles,  was  bis  auf  Ke- 
trzynski  über  die  Aut(irschaft  des  Cauaparius  und  gegen  dieselbe  geltend 
gemacht  worden  ist,  zusammengestellt.  Diese  Ausführungen  über  die 
älteren  Arbeiten  hier  wiederzugeben,  wäre  ganz  überflüssig.  Es  sei  nur 
erwähnt,  dass  bezüglich  der  Gründe,  welche  Voigt  für  Gaudentius  geltend 
gemacht  hat,  gezeigt  worden  ist,  dass  dieselben  durchaus  auch  auf  Cana- 
parius deuten  könnten;  dagegen  ist  neuerdings  betont  worden,  dass  die 
Art,  wie  die  Vision  des  Johannes  Canaparius  in  der  Legende  Cap.  29  er- 
zählt wird,  nur  mit  Pertz  dahin  auszulegen  sei,  dass  sie  der  Visionär  auch 
niederschrieb,  er  also  —  Canaparius  —  der  Verf.  der  Legende  sei.  Hier 
setzte  auch  meine  Kritik  der  neuen  Ausführungen  Ketrzynski's  ein.  Ich 
glaubte  durch  diese  Ausführungen  alle  Beweise,  welche  K^trzynski  für  die 
Ansicht  Voigts  und  für  die  Autorschaft  Gaudentius  zu  den  alten  für  diese 
Anschauung  geltend  gemachten  Gründen  beigebracht  hatte,  widerlegt  zu 
haben;  auch  hat  Kgtrzynski  zunächst  auf  meine  Ausführungen  nicht  ge- 
antwortet, als  er  in  einer  ausführlichen  Anm.  zu  seiner  Arbeit  »0  rocz- 
nikach  polskich«  (Krakauer  Akademieschriften  Bd.  XXXIV,  265  ff.)  noch- 
mals seine  Ansichten  über  Canaparius  und  Brun  darlegte  (l896).  Erst  in 
seiner  Studie  »Przyczynki  do  historyi  Piastowiczöw  i  Polski  Piastowskiej  * 
(in  denselben  Akademieschriften,  Bd.  XXXVII,  29;  1898)  nahm  er  zu- 
nächst kurz  gegen  meine  Arbeit  Stellung,  um  sodann  in  der  oben  unter 
Nr.  45  genannten  dieselbe  einer  ausführlichen  Kritik  zu  unterziehen.  Aber 
auch  in  dieser  Arbeit,  die  übrigens  auch  auf  meine  sonstigen  Beiträge 
zur  Adalbertfrage  eingeht,  ist  Ktjtrzynski  insofern  nicht  genügend  aus- 
fühi-lich  gewesen,  als  er  nirgends  die  Widerlegung  seiner  früheren  Beweis- 
"  punkte  durch  mich  anführt,  sondern  insofern  er  mir  Recht  zu  geben  ver- 
meinte, einfach  stillschweigend  die  betreffenden  Punkte  nicht  mehr  er- 
wähnt, oder  —  wo  es  ihm  passend  erscheint  —  auf  seinen  früheren 
Ausführungen  weiter  baut,  ohne  meine  Zweifel  anzumerken.  Ketrzynski 
dürfte  dies  der  Kürze  halber  gethan  haben.  Ich  halte  es  aber  für  ange- 
zeigt, dort,  wo  es  nöthig  erscheint,  bei  der  Wiederlegung  seiner  neuen 
Ausführungen  auch  auf  meine  frühere  Kritik  zurückzugreifen.  Wir  wollen 
nun  Punkt  für  Punkt  die  neuerliche  Beweisführung  durchnehmen. 

Ketrzynski  führt  zunächst  (S.  33  f.)  die  Stellen  an,  welche  beweisen, 
dass  der  Autor    ein  Mitglied    des  Klosters  St.  Bonifatius  und  Alexius  ge- 


')  Seine  erste  Arbeit  über  den  hl.  Adalbert  erschien  in  dem  genannten 
Jahre  in  der  Altpreuss.  Monatsschrift  VI,  35—52.  (Hat  der  hl.  Adalbert  seinen 
Tod  im  Culmerland  gefunden?).  Ueber  seine  weiteren  Arbeiten  vergl.  seine 
Mitth.  in  der  unter  Nr.  45  citirten  Schrift  S.  1  f. 


Literatur  645 

wesen  sein  müsse.  Er  zeigt,  dass  dies  sowohl  auf  Canaparius,  als  auch 
auf  Gaudentius  passe.  Dies  ist  ohnehin  schon  allbekannt.  Wichtig  ist, 
dass  K^trzynski  zugesteht,  dass  nur  in  einem  dieser  Männer  der  Autor 
zu  suchen  sei. 

Hierauf  macht  Ketrzynski  (S.  34),  wie  schon  1884,  geltend,  dass 
das  Verschweigen  des  losen  Treibens  des  alten  Slawnik  (gegenüber  dem 
Berichte  Bruns  im  Cap.  l)  darauf  deute,  dass  die  Vita  von  dessen  Sohn 
Gaudentius  verfasst  sei.  Dagegen  muss  ich  wie  in  » Canaparius  und  Brun  '■^ 
bemerken,  dass  zur  Erklärung  dieser  Thatsache  die  Annahme  genügt,  dass 
Canaparius  hierüber  nichts  gehört  habe ;  seine  Gewährsmänner  sind  doch 
über  diese  Dinge  Adalbert  und  Gaudentius,  und  diese  werden  wohl  nicht 
so  Nachtheiliges  von  ihrem  Vater  erzählt  haben ;  Brun  hat  dies  aus  anderer 
Quelle  erfahren.  Ferner  kann  man  auch  annehmen,  dass  Canaparius  nichts 
darüber  verlauten  Hess,  weil  er  nicht  ein  so  harter  Richter  ist,  als  der 
sich  Brun  wiederholt  erweist.  Endlich  muss  doch  noch  Folgendes  betont 
werden.  Diese  ganze  Beweisführung  K^trzynski's  hätte  nur  dann  mehr 
Nachdruck,  wenn  die  Vita  des  Canaparius  eine  Ableitung  derjenigen  Bruns 
wäre,  nicht  aber  bei  dem  umgekehrt,  thatsächlich  bestehenden  Verhältnisse. 
Denn  es  ist  ein  anderes,  wenn  aus  einer  bereits  vorhandenen  Quelle  über 
jemanden  nichts  Unlauteres  aufgenommen  wird,  und  ein  anderes,  wenn 
man  selbst  nichts  Abfälliges  zu  erzählen  weiss.  Nur  jenes  Verfahren 
könnte  hier  als  ein  Zeichen  der  Parteilichkeit  geltend  gemacht  werden. 

Mit  denselben  Gründen  ist  die  Bemerkung  (S.  34)  Keti-zynski's  zu- 
rückzuweisen, dass  auch  über  Adalbert  manches  Nachtheilige  verschwiegen 
wird,  was  Brun  zu  erzählen  weiss.  Uebrigens  hat  Canaparius  Adalbert 
gewiss  ebenso  verehrt  wie  Gaudentius.  Ich  möchte  daher  auch  gar  nicht, 
um  K(^trzynski's  Anschauung  zu  widerlegen,  auf  die  schon  oft  bemerkte 
Thatsache  aufmerksam  machen,  dass  der  Autor  z.  B.  den  Tod  Adalberts 
allzu  wenig  bewegt  schildert,  als  es  ein  Bruder  gethan  hätte.  Auf  so 
subjective  Gründe  lege  ich  keinen  Wert. 

Ferner  verweist  Ketrzynski  (S.  34  f.)  auf  den  Umstand,  dass  die  ver- 
schiedene Darstellung  des  Todes  Adalberts  sich  nur  so  erklären  lasse,  dass 
die  in  unserer  Vita  enthaltene  von  Gaudentius  herrühre,  die  andere  bei 
Brun  vorfindliche  auf  dem  Berichte  des  zweiten  Begleiters  Adalberts, 
Benedict,  beruhe.  Wenn  dies  auch  richtig  wäre,  so  widerspricht  es  durch- 
aus nicht  der  Autorschaft  des  Canaparius ;  denn  dieser  hat  bekanntlich 
seine  Nachrichten  von  Gaudentius  erhalten,  als  derselbe  999  in  Eom 
weilte. 

Neuerdings  hebt  Ketrzynski  auch  hervor  (S.  34  f.  und  37),  dass 
Gaudentius  sehr  oft  in  der  Vita  genannt  werde,  dass  allerlei  berichtet 
werde,  was  er  wissen  musste  und  was  sonst  niemanden  interessirt  hätte. 
Daeresen  muss  nun  auch  wieder  betont  werden,  dass  alles,  was  Gaudentius 
wusste  und  mittheilen  wollte,  auch  sein  Mitmönch  Canaparius  von  ihm 
erfahren  haben  kann.  Gerade,  dass  von  Gaudentius  sehr  oft  die  Rede 
ist,  und  gerade  die  Art,  wie  von  ihm  geredet  wird,  wollen  andere  als 
Beweis  anführen,  dass  er  es  nicht  selbst  geschrieben  hat.  Wenn  Ketrzynski 
glaubt,  dass  den  Canaparius  gewisse  Kleinigkeiten  aus  dem  Leben  des 
Heiligen  weniger  interessirt  hätten,  als  den  Gaudentius,  so  ist  dies  eine 
unrichtige  Beobachtung.     Ich  glaube  kaum,  dass  die  Verwandten   Goethes 


^46  Literatur. 

für  alle  jene  Einzelheiten  aus  seinem  Leben  Interesse  hatten,  die  entdeckt 
und  aufgezeichnet  zu  haben,  ein  Biograph  des  Dichterfürsten  sich  als  be- 
sonderes Glück  anrechnet. 

S.  35  bemüht  sich  K^trzjn'iski  zu  zeigen,  dass  Gaudentius  während 
seiner  Anwesenheit  in  Rom  im  J.  999  alles  hätte  erfahren  können,  was 
sich  während  seiner  Abwesenheit  auf  der  Reise  zu  den  Preussen  dort  zu- 
getragen hätte.  Was  er  sagt,  ist  richtig.  Aber  es  ist  ebenso  sicher,  dass 
nun  Canaparius  die  beste  Gelegenheit  hatte,  alles  zu  erfahren,  was  sich 
während  derselben  Zeit  ausserhalb  Roms  zugetragen  hatte. 

Der  Bemerkung  auf  derselben  Seite,  dass  der  grösste  Theil  der  Vita 
auf  Berichten  des  Gaudentius  beruhen  müsse,  kommt  gar  keine  Bedeutung 
zu.  Denn  Canaparius  hätte  doch  auch  Autor  der  Vita  werden  können, 
wenn  er  geradezu  alles  von  Gaudentius  erfahren  hätte. 

S.  36  baut  Ketrzynski  einen  Beweis  auf  seiner  Ansicht  auf,  dass  die 
zweite  Vita  des  hl.  Adalbert,  welche  wir  dem  hl.  Brun  zuschreiben,  im 
J.  1004  von  einem  Mönche  des  Klosters  S.  Bonifatius  und  Alexius  in  dem 
Kloster  selbst  verfasst  worden  ist.  Wie  wäre  es,  führt  Ketrzynski  aus, 
möglich,  dass  die  von  Canaparius  verfasste  Vita  zu  dessen  Lebzeiten  von 
einem  Mitbruder  zur  Grundlage  seiner  Darstellung  hätte  gemacht  werden 
können.  Auf  die  Schwäche  dieses  Beweises  wollen  wir  nicht  weiter  ein- 
gehen, weil  auf  den  folgenden  Seiten  wohl  zur  Genüge  gezeigt  werden 
wird,  dass  die  zweite  Vita  vom  hl.  Brun,  u.  zw.  nicht  in  Rom,  sondern 
ausserhalb  Italiens  verfasst  woi'den  ist. 

Ebenda  folgert  Ketrzynski  aus  dem  Satz  der  Vita  (§  3),  wo  es  von 
Magdeburg  heisst:  »nunc  autem  pro  peccatis  semiruta  domus  et  malefida 
statio  nautis*,  dass  dies  nur  jemand  niederschreiben  konnte,  der  den  Zu- 
stand der  Stadt  in  dem  J.  998/9  kannte:  ein  solcher  sei  Gaudentius  ge- 
wesen, nicht  aber  Canaparius,  der  wohl  nicht  nach  Deutschland  gekommen 
sei.  —  Da  nun  aber  Canaparius  sehr  wohl  durch  aus  Deutschland  ein- 
treffende Personen  über  den  Zustand  Magdeburgs  unterrichtet  werden 
konnte,  hat  diese  Bemerkung  gar  keine  Beweiskraft. 

Ketrzynski  hat  schon  1884  aus  dem  Ausdrucke  »sancta  civitas 
Praga  (§  8 ;  sacra  civitas  Praga  §  6)  den  Schluss  ziehen  wollen,  so 
könnte  nur  »ein  geborener  Czeche*  schreiben.  Da  ich  in  »Canaparius 
und  Brun*  dagegen  anführte,  dass  unser  Autor  in  Cap.  3  das  Beiwort 
» Sacra  ^^  auch  Magdeburg  beilegt,  so  ändert  nun  Ketrzynski  etwas  seine 
Beweisführung.  Er  sagt  (S.  3fi  f.):  »Nur  für  Gaudentius  konnte  Prag 
»sancta  civitas  ^'^  sein,  nicht  aber  für  Canaparius,  für  den  höchstens  Rom 
auf  einen  solchen  Beinamen  Anspruch  erheben  konnte;  für  Gaudentius 
war  Magdeburg  »urbs  sacra '^^  als  erzbischöflicher  Sitz,  nicht  aber  für 
Canaparius«.  Indessen  kann  man  doch  die  Sache  auch  so  erklären,  dass 
Prag  und  Magdeburg  wegen  ihrer  Beziehung  zum  hl.  Adalbert  auch  für 
Canaparius  eine  besondere  Weihe  erhalten  hatten ;  Prag  mag  ihm  auch 
desshalb  für  heilig  gegolten  haben,  weil,  wie  er  selbst  im  Cap.  8  betont, 
hier  der  heilige  Wenzel  seinen  Sitz  hatte  (ad  sanctam  civitatem  Pragam, 
ubi  dux  praecluus  Wencezlaus  quondam  regnum  tenuit). 

So  ist  von  allen  Gründen,  welche  Ketrzynski  für  die  Autorschaft 
Gaudentius'  anführt,  kein  einziger  entscheidend.  Da  er  nun  selbst 
zugeben  muss  (S.   36),    dass  die  Erzählung  des  Traumes,    wenn    sie    auch 


Literatur.  Q^'J 

nicht  für  Canaparius  zeuge,  doch  auch  nicht  gegen  denselben  spreche,  so 
werden  wir  im  Gegensatze  zu  seineu  Ausführungen  an  der 
Anschauung  von  Pertz  festhalten  müssen. 

Dafür  sprechen  nun  aber  auch  folgende  Gründe,  die  ich  schon  in 
jCanaparius  und  Brun«  augedeutet  habe,  welche  Ketrzyi'iski  aber  nicht 
berücksichtigt  hat. 

Schon  im  J.  1884  hatte  Ketrzyi'iski  sich  bemüht  i),  zu  zeigen,  dass 
der  Verf.  der  Vita  nicht  mehr  im  Kloster  sich  befand,  ja  sogar  ausser  Rom 
weilte.  Ich  habe  die  von  ihm  angeführten  Beweise  in  »Canaparius  und 
Bmn«  widerlegt,  und  Ketrzyi'iski  führt  dieselben  auch  in  der  neuen  Ar- 
beit nicht  mehr  an.  Auch  sonst  lässt  sich  absolut  nichts  anführen,  was 
darauf  hinweisen  würde,  dass  die  Vita  im  Korden,  in  Polen,  nicht  aber 
in  Rom  verfasst  worden  sei.  Dagegen  habe  ich  bereits  in  der  eben  citirten 
Arbeit  darauf  hingedeutet,  dass  der  Satz  im  Cap.  17  »Johannes,  qui 
nunc  urbis  praefectus  esse  dinoscitur«  auf  die  Niederschrift  der 
Vita  in  Rom  deute.  Nur  ein  in  Rom  lebender  und  schreibender  konnte 
den  Satz  so  niederschreiben;  ganz  unstatthaft  wäre  es  anzunehmen,  dass 
Gaudentius  in  Polen  dies  niedergeschrieben  habe.  Dieser  Satz  ist  vielmehr 
das  sicherste  Zeichen,  dass  der  Römer  Canaparius  der  Verl.  sei.  Nur  er 
konnte  »urbs<^  an  dieser  Stelle  ohne  Hinzufügung  von  ;^Roma^^  gebrauchen: 
nur  für  ihn  und  die  römischen  Leser,  welche  er  vor  Augen  hat.  kann 
das  »dinoscitur«  eine  Bedeutung  haben.  Kurzum  so  konnte  nur  ein 
Römer  schreiben,  und  dieser  ist  Canaparius  und  kein  an- 
derer. Man  vergl.  noch  auch  den  Eingang  des  Cap.  16  »Hac  spe  con- 
firmatus,  regreditur  ad  sacratam  arcem.  urbium  tlominam  et  Caput  mundi 
Romam<'=;  diese  auffällige  Häufung  von  ehrenden  Beinamen  deutet  auch 
auf  den  Römer. 

Nach  dem  Angeführten  ist  wohl  jede  weitere  Bemerkung  überflüssig. 
Nur  noch  auf  einen  Umstand  sei  hingewiesen.  Ketrzyi'iski  hat  schon  1884 
die  Ansicht  ausgesprochen  ^)  und  hält  an  derselben  auch  jetzt  fest,  dass 
Gaudentius  die  Legende  kurz  nach  dem  Tode  Adalberts  in  Polen  nieder- 
geschrieben habe;  als  er  sodann  99  9  nach  Rom  kam,  erfuhr  er  hier  das 
während  seiner  Abwesenheit  Geschehene  (insbesondere  die  Vision  des 
Canaparius),  und  fügte  dies  in  seine  Darstellung  ein:  diese  ergänzte  Vita 
liess  er  in  Abschrift  im  Bonifatius-Kloster  zurück.  Diese  Auffassung,  und 
eine  andere  ist  bei  Annahme  der  Autorschaft  des  Gaudentius  nicht  mög- 
lich, setzt  voraus,  dass  sich  doch  unter  den  vielen  Handschriften  auch  die 
Vita  in  erster  Redaction  (ohne  die  obigen  Zusätze)  erhalten  hätte.  Auch 
Ketrzyi'iski  gab  dies  im  J.  1884  zu,  ja  er  hat  sogar  infolge  einer  un- 
richtigen Textstelle  des  Druckes  der  Vita  von  Brun  in  den  Mon.  Pol.  '^) 
den  Bestand  einer  solchen  Redaction  nachweisen  wollen.  Nachdem  ich 
aber  in  »Canaparius  und  Brun ^^  seinen  Beweis  widerlegt  und  meinen  Ein- 
wand erhoben  hatte,  geht  Ketrzyi'iski  jetzt  stillschweigend  an  diesem  Um- 
stände vorüber.  Damit  ist  aber  wohl  der  Sache  nicht  geholfen. 

Ist  es  nun  aber  Ketrzyi'iski  nicht  gelungen,  die  Autorschaft  des 
Johannes  Canaparius  zu  widerlegen,    so    darf  er  für  sich  das  Verdienst  in 

1)  Przewodnik  nauk.  i.  lit.  XII,  5. 

2)  Ebenda  S.  7  f. 

3)  Verg.  jetzt  hiezu  die  unter  Xr.  45  citirte  Arbeit  S.  7. 


648 


Literatur. 


Anspruch  nehmen,  einen  bisherigen  Irrthum  über  dessen  Person  aufgeklärt 
zu  haben  ^).  Mit  Hinweis  auf  die  Miracula  s.  Alexii  scheint  er  mit  Recht 
zu  behaupten,  dass  die  Anschauung  irrig  sei,  als  ob  unser  Johannes 
Canaparius  nach  dem  Tode  des  Abtes  Leo  (1002)  Abt  im  Kloster  der 
hl.  Bonifatius  und  Alexius  geworden  sei  und  daher  mit  dem  von  Brun 
§  17  genannten  und  am  12.  Oct.  1004  verstorbenen  Abte  Johannes  gleich- 
zustellen wäre.  Er  verweist  nämlich  darauf,  dass  die  vor  1012  geschrie- 
benen und  daher  glaubwürdigen  Miracula  (Mon.  Germ.  SS.  IV,  6 1  ü)  unsern 
Johannes  Canaparius  bei  einem  Ereignisse,  das  in  die  Zeit  Johannes  XVIII. 
(1003 — 9)  fiel,  als  blossen  Mönch  nennen.  An  einer  Stelle  der  Miracula 
heisst  es:  »Johannes  Canaparius  abbatem  couvocavit  et  fratres«.  Als  Abt 
wird  wieder  ein  Leo  genannt.  Daraus  geht,  wenn  nicht  alles  trügt,  wohl 
zur  Genüge  hervor,  dass  der  am  12.  Oct.  1004  verstorbene  Abt  Johannes 
nicht  mit  dem  Johannes  Canaparius  zusammenfallen  könnte.  Auf  diesen 
Abt  Johann  ist  offenbar  erst  wieder  ein  Abt  Leo  gefolgt,  unter  welchen 
Canaparius  ebenfalls  noch  als  Mönch  erscheint.  Die  Identificirung  des  Cana- 
parius mit  dem  1004  verstorbenen  Abt  Johannes  war  ein  Trugschluss, 
den  Pertz  aus  dem  §  27  der  Legende  Bruns  zog.  Dort  heisst  es  nämlich 
von  unserem  Canaparius:  »Johannes  monachus  et  abbas«.  Dass  man  aus 
dieser  Stelle  mit  Ptücksicht  auf  die  Miracula  nicht  mehr  jene  Iden- 
tificirung wird  folgern  können,  behauptet  K^trzynski  mit  Recht.  Irrig  ist 
wohl  aber  sein  Schluss,  dass  die  Nachricht,  Canaparius  sei  Abt  gewesen, 
überhaupt  unrichtig  sein  müsse  und  daher  von  Brun  nicht  herrühren 
könne.  Canaparius  konnte  doch  nach  Leo  etwa  1005 — 7  Abt  geworden 
sein.  Dies  konnte  Brun  erfahren  und  nachträglich  bemerkt  haben.  Das 
Nähei'e  weiter  unten. 

Wie  die  Ausführungen  Ketrzynski's  über  die  älteste  Legende  -zum 
grössten  Theile  verfehlt  sind,  so  sind  auch  seine  Bemerkungen  über  Brilll 
unhaltbar. 

In  den  oben  citirten  Schriften  hat  Ketrzyiiski  zunächst  die  Autor- 
schaft der  zweiten  Legende  durch  den  heiligen  Brun  bezweifelt,  sodann 
nachzuweisen  versucht,  dass  deren  Verf.  ein  in  Rom  1004  im  Kloster  des 
hl.  Bonifatius  und  Alexius  lebender  sächsischer  Mönch  sei,  während  Brun 
die  beim  sog.  Gallus  2)  erwähnte  Passio  des  hl.  Adalbert  geschrieben  hätte. 
In  meinem  Aufsatze  »Canaparius  und  Brun«  hatte  ich  zunächst  nur  mit 
dem  ersten  Theile  dieser  Behauptung  zu  rechnen,  weil  die  Behauptung 
von  der  Abfassung  der  unbekannten  Passio  durch  Brun  erst  in  den 
oben  citirten  Schriften  aus  dem  J.  1S98  näher  begründet  erscheint.  Im 
J.  1884  hatte  K(jtrzynski  diese  Anschauung  nur  als  Vermuthung  kurz 
ausgesprochen. 

In  »Canaparius  und  Brun«  habe  ich,  um  den  von  Ketrzynski  aus- 
gesprochenen Zweifeln  zu  begegnen,  zunächst  die  bisherigen  Studien  über 
die  Autorschaft  unserer  Legende  durch  Brun  nachgeprüft.  Ich  habe  sodann 
zur  Unterstützung  der  Autorschaft  Bruns,    für  die  bekanntlich  bisher  nur 


')  Vergl.  ebenda  S.   17. 

-)  Lib.  I  §  ß :  .  .  .  sicut  in  libro    de    passione    martyri.-^    potest   propensius 
inveniri. 


Literatur.  g49 

die  Kachrichten  aus  dem  XII.  Jahrh.  angeführt  wurden  i),  dass  der  hl.  Brun 
diese  Vita  geschrieben  habe,  noch  einige  Gründe  geltend  gemacht.  Ich 
■verwies  darauf,  dass  der  Verf.  der  Vita  ganz  offenbar  sich  als  Sachse 
verrathe,  was  auf  Brun  passe.  Ferner  betonte  ich,  dass  die  zweite  Eedac- 
tion  der  Vita  mit  ihren  ungarischen  Nachrichten  darauf  deute,  dass  der 
Verf.  nachträglich  nach  Ungarn  gekommen  sei,  was  ebenfalls  auf  Brun 
vou  Querfurt  passe.  Hiezu  kam  der  von  Schott  schon  1738  vorgeschla- 
gene -),  und  von  Kade  auch  durchgeführte  Vergleich  der  Legende  mit  Bruns 
anderen  Schriften,  der  den  Schluss  auf  den  gemeinsamen  Verf.  bestätigt. 
Schliesslich  wurde  gezeigt,  dass  Brun  auch  allen  anderen  Anforderungen 
entspricht,  die  wir  von  dem  Verf.  der  Legende  vorauszusetzen  berech- 
tigt sind. 

Diese  Ausführungen  haben  jedoch  Ketrzyiiski  nicht  überzeugt.  Er 
verwirft  neuerdings  die  Abfassung  der  bekannten  zweiten  Legende  durch 
Brun ;  und  schreibt  ihm  nun  gar  die  Abfassung  der  unbekannten  bei  Gall 
erwähnten  Passio  mit  Bestimmtheit  zu.  Wir  wollen  seine  Gründe  im  ein- 
zelnen prüfen. 

Zunächst  wollen  wir  die  ausführliche  Abhandlung  Ketrzyiiski's  über 
die  beiden  Redactionen  unserer  Legende  und  ihr  Verhältnis  zu 
einander  betrachten. 

Alle  von  ilim  ausgesprochenen  Zweifel,  ob  die  von  Pertz  behaup- 
tete und  von  mir  auch  festgehaltene  Anschauung,  dass  die  ausführlichere 
Eedaction  die  erste,  die  kurze,  doch  bereits  mit  den  ausführlichei'en 
Nachrichten  (§  23)  über  Ungarn  versehene,  die  zweite  sei,  alle  darüber 
ausgesprochenen  Zweifel  sind  nur  Hyperkritik ;  denn  er  muss  doch  schliess- 
lich eingestehen,  dass  dieses  Verhältnis  das  richtige  sei  ^).  Uebrigens 
lassen  sich  für  die  Behauptung,  die  kürzere  Eedaction  sei  die  zweite,  ganz 
sichere  Beweise  erbringen.  Der  Hauptbeweis  ist  der  Umstand,  dass  die 
längere  Eedaction  an  einzelnen  Stellen  ihrer  Quelle,  der  Vita  von  Cana- 
parius,  näher  steht,  als  die  kürzere.  Darauf  hat  schon  Pertz  in  den  Mon. 
Germ.  SS.  IV,  5  7*J  Anni.  .54  verwiesen,  freilich  ohne  auch  nur  einen 
Beleg  beizubringen.  Aber  er  hatte  vollkommen  Eecht,  wie  die  Vergleichung 
folgender  Parallelstellen  lehrt: 


')  Annales  Magdeburgenses  (Mon.  Germ.  SS.  XVI  8.  156)  ...  et  ibidem 
(Ochtricus)  sepultus,  »clariim*  sapientiae  suae  »memoriale*  reliquit  pluribus, 
ut  dicitur  in  passione  beati  Adalberti  episcopi  et  martyris,  qui  et  ipse  fuit  ex 
discipulis  eins  .  .  .  Nam  ut  refert  sanctus  episcopus  et  martyr 
Bruno,  post  destructionem  episcopatus  cuidam  sapienti  talis  divinitus 
ostensa  est  revelatio  .  .  .  Vergleicht  man  diese  Stellen  mit  unserer  Vita  s.  Adalberti 
§5:  »cuius  memoriale  darum  usque  nunc  .  .  ."  und  §  12  .  .  , Clemens  deus 
talem  visionem  cuidam  sapienti  ostendit  .  .  .'^,  so  ist  es  klar,  daj^s  der 
Chronist  diese  und  keine  andere  Vita  dem  hl.  Brun  zuschreibt.  —  Ferner  ist 
noch  zu  vergl.  Cbronicon  Magdeb.  (bei  Meibomius,  Rerum  Germ,  tomi  III, 
Bd.  II,  275:  ,Cuius  (sc.  s.  Adalberti)  consodalis  sanctus  Bruno,  qui  et  Bonifacius. 
nobilitate  et  meritis  illi  per  omuia  similimus,  dum  passionem  et  actus  ipsms 
scribendo  miratus  est  .  .  . 

2)  »Canaparius  und  Brun*'  S.  346. 

')  S.  18  f.  (in  der  Schrift  Nr.  45).  Es  ist  für  uns  zunächst  gleichgiltig. 
dass  K^trzynski  allenfalls  diese  spätere  Redaction  nicht  dem  Autor,  sondern 
irgend  einem  Umarbeiter  zuschreiben  möchte.     Vergl.  weiter  unten  im  Text. 

Mittheilungcn  XX.  42 


650 


Canaparius 
et  quis  alius    nisi 


§    26    si    se    recipere 

V  e  1 1  e  n  t 

§  2^^  astitit  episcopo  pro- 

prius  et  ut 


Literatur. 

Brun  I.  Red. 
§  8  nee  alium   oportere 


2   s  1  eum  recipere 

V  e  1 1  e  n  t 
'j      pessimus      p  r  o- 
prius  accessit 

Damit    ist    der    unumstössliche  Beweis    erbracht,    dass    die    sonst 
kürzere,    aber  mit  den    ausführliche  reu    ungarischen  Nach- 


Brun  IL  Red. 
8   nee    similem,    quem 

oportet 
22    priorem     maritum 

accipere  vellet 
25    pessimus    accessit, 
dir  um 


K^trzynski  versucht  hierauf  den  Beweis  zu  führen,  dass  diese  kürzere 
Redaction  nicht  vom  Verf.  der  längeren  herrühre,  sondern  eine  spätere 
Umarbeitung  sei.  Der  Verf.  hätte  überhaupt  nur  eine  Redaction  seines 
Werkes  hergestellt.  Diese  Ansicht  versucht  K^trzyiiski  durch  den  schon 
oben  S.  648  erwähnten  Umstand  zu  beweisen,  dass  Canaparius  in  §  27 
»monachus  et  abbas«  genannt  werde.  Er  glaubt  durch  die  »Miracula 
s.  Alexii«  bewiesen  zu  haben,  dass  Canaparius  überhaupt  niemals  Abt 
geworden  sei.  Seine  Bezeichnung  in  §  27  der  Legende  als  Abt  könne 
daher  nur  auf  einem  Irrthum  beruhen.  Ein  späterer  Leser  haVie  im 
§  17  von  einem  Johannes  gelesen  und  als  er  im  §  27  wieder  von 
einem  Johannes  las,  glaubte  er  sie  identificieren  zu  müssen,  und 
schrieb  im  Autograph  des  Verf.  jenes  »et  abbas«  zu.  Da  nun  diese  Be- 
merkung sich  in  allen  Handschriften,  insbesondere  auch  in  beiden  Re- 
dactionen  findet,  •  so  schliesst  Ketrzyiiski  von  seinem  Standpunkte  folge- 
richtig, dass  von  Bruns  Hand  nur  eine  Redaction  habe  herrühren  können, 
weil  doch  nicht  angenommen  werden  könnte,  dass  jene  Correctur  (durch 
einen  Leser)  in  beiden  Handschriften  vorgenommen  worden  wäre.  Den  her- 
vorragendsten Unterschied  zwischen  der  längeren  und  kürzeren  Redaction, 
(nämlich  das  Fehlen  der,  Ungarn  betreffenden  Nachrichten  in  der  erstei-en, 
welche  in  §  23  der  letzteren  enthalten  sind)  erklärt  Ketrzyiiski  in  der 
Art,  dass  der  Verf.  diese  Mittheilungen  wahrscheinlich  erst  nach  der  Vol- 
lendung der  Legende  etwa  auf  einem  freien  Blatte  der  Handschrift  nieder- 
schrieb. Die  gewöhnlichen  Abschreiber  hätten  daher  diesen  §  gar  nicht 
beachtet,  der  Hersteller  der  Umarbeitung  hätte  aber  als  denkender  ^Mensch 
den  Zusammenhang  zwischen  der  Legende  und  dieser  besonderen  Auf- 
zeichnung geahnt  und  sie  daher  in  den  Context  aufgenommen.  Als  eine 
Bestätigung  dieser  Anschauung  glaubt  Ketrzyiiski  auch  den  Umstand  gelten 
machen  zu  können,  dass  der  §  offenbar  in  der  Vita  an  unrichtiger  Stelle 
steht.  Ketrzyiiski  meint  nämlich,  dass  Adalbert  kaum  aus  Polen  vor 
seiner  Reise  nach  Preussen  mit  dem  Papas  in  Ungarn  correspondirt  hätte : 
die  Nachrichten  darüber  gehören  vielmehr  zum  §  16,  wo  es  heisst:  »Non 
tacendum,  quod  iuxta  positis  Ungris  nunc  nuntios  suos  misit,  nunc  se  ipsum 
obtulit,  quiljus  et  ab  errore  parum  mutatis  umbram  christianitatis  impressit«. 

So  geistreich  diese  Hypothese  Ketrzyiiski's  erscheint,  hält  sie  doch 
nicht  der  Kritik  stand.  Zunächst  ist  bereits  oben  S.  648  bemerkt  worden, 
dass  durch  die  »Miracula  s.  Alexii«  nur  bewiesen  wird,  dass  Canaparius 
nicht  identisch  sei  mit  dem  1004  verstorbenen  Abte  Johannes,  nicht 
aber,  dass  er  nicht  später  Abt  geworden  ist.  Canaparius  kann  that- 
sächlich    schon    1005   Abt    geworden    sein.      Dies    konnte    Brun    ganz    gut 


Literatur. 


651 


evtahreni)  und  in  seiner  Legende  durch  den  Zusatz  »et  abbas«  angemerkt 
haben.  Daraus  würde  sich  zur  Genüge  die  etwas  schiefe  Form  »monachus 
et  abbas «  erklären.  Damit  stimmt  aber  auch  allein  der  Umstand  überein. 
dass  alle  Handschriften  diese  Worte  haben;  denn  K^trzynski's  Erklärung 
ein  späterer  Leser  hätte  in  dem  Autograph  die  Correctur  vorgenommen'^ 
ist  doch  sehr  unwahrscheinlich ;  mit  dem  von  Kf^trz^n'iski  zugegebenen  Um- 
stände, es  könnten  die  Handschriften  ohne  die  obige  Bemerkung  verloren 
sein,  können  wir  wohl  aber  uns  nicht  zufrieden  stellen.  Auch  die  Art, 
wie  K^trzyiiski  in  Folge  seiner  Annahme,  die  Entstehung  der  kürzeren 
Kedaction  erklären  muss.  ist  sehr  unwahrscheinlich.  Das  müsste  doch  ein 
merkwürdiger  Zufall  sein,  dass  nur  ein  Schreiber  jene  Zuschrift  über 
Ungarn  aufgenommen  hätte.  Aber  auch  die  Bemerkung  K^trzyiiski's,  dass 
diese  Stelle  an  unrichtiger  Stelle  steht,  ist  irrig.  Nach  dem  Ort,  wo 
diese  Nachrichten  jetzt  stehen,  schliesst  Ketrzynski,  dass  sie  etwa  zum 
Ende  des  J.  996  gehören.  Hiezu  bemerkt  erfolgendes:  »Ich  glaube  nicht, 
dass  dieser  Zeitpunkt,  da  alles  schwankte,  da  Adalbert  die  Eesultate  seiner 
Unterhandlungen  mit  der  Prager  Diöcese  abwartete  und  da  er  sich  auf 
die  Reise  nach  Preussen  vorbereitete,  geeignet  wäre  für  eine  Correspondenz 
mit  der  ungarischen  Königin  und  mit  dem  Papas,  den  er  einst  nach  Ungarn 
geschickt  hatte  «.  Diese  Begründung  ist  unstichhältig.  Wenn  Adalbert  gerade 
in  dieser  Zeit  Müsse  fand,  ein  Kloster  (Meseritz)  zu  gründen,  so  halte  er 
doch  wohl  auch  Gelegenheit  und  Veranlassung  sich  nach  seinem  Geistlichen 
umzusehen.  Sowohl  für  dieses  Kloster,  als  auch  für  die  Missionsreise  mochte 
er  den  Papas  herbeigewünscht  haben.  Dagegen  könnten  wir  es  uns  gar  nicht 
erklären,  was  diese  ganze  Stelle  am  Schlüsse  des  §  16  zu  schaffen  hätte,  wohin 
Ketrzynski  ihn  setzen  möchte.  Dort  wird  doch  erzählt  —  siehe  die  oben 
angeführten  Nachrichten  »Non  tacendem  .  .  .«  — ,  dass  er  sich  993-) 
bemühte,  durch  Absendung  von  Boten  und  in  eigener  Person  für  das 
Christenthum  in  Ungarn  zu  wirken.  Wie  passt  in  diese  Zeit  die  Nach- 
richt, dass  er  einen  offenbar  in  Ungarn  gern  gesehenen  und  deshalb  von 
der  Königin  festgehaltenen  Mann  von  dort  abzuberufen  die  Absicht  hatte. 
Zum  §  16  gehören  also  wohl  die  Nachrichten  des  §  23  nicht;  anderseits 
könnten  dieselben  zum  J.  996  gehören  und  würden  dann  an  der  richtigen 
Stelle  stehen.  Doch  ist  es  überhaupt  fraglich,  ob  der  Autor  bei  dieser 
Interpolation  gerade  sich  durch  die  zeitliche  Folge  bestimmen  liess;  hat 
er  doch  an  anderer  Stelle  selbst  gegen  seine  Vorlage  die  chronologische 
Ordnung  durchbrochen  3).  Es  lassen  sich  also  vorsichtiger  Weise  daraus 
keine  sicheren  Schlüsse  ziehen  t).  Anderseits  können  wir  einen  Umstand 
geltend    machen,    der    die  Einfügung    des  §   23    in    die    zweite    Redaction 

')  Es  könnte  diese  Nachricht  dem  hL  Brun  entweder  in  Ungarn  oder  auch 
in  Polen  zugekommen  sein. 

2)  Ueber  das  Jahr  vergl.  diese  Mitth.  XIX,  543  u.  Zeüschr.  f.  Geschichts- 
wiss.  IX,  103  f. 

3)  go  verbindet  Bran  im  Cap.  17  der  ersten  Redaction  seiner  Vita  Ereig- 
nisse, die  Canaparius  im  Cap.  17  zum  ersten  italienischen  Aufenthalte  Adalberts 
erzählt,  irrig  mit  dessen  zweiter  Anwesenheit  in  Rom. 

■•)  Daher  ist  für  uns  die  Frage  ob  Geisa  995  oder  997  starb  —  Adalberts 
Botschaft  an  den  Papas  fällt  noch' in  seine  Zeit  —  gleichgiltig.  Nach  der  Vita 
s.  Stephani  maior  §  9  ist  997  anzunehmen.  Ob  dagegen  Dümmlers  Bestimmung 
von  995  festzuhalten  ist,  darf  bezweifelt  werden. 

42* 


ß52  Literatur. 

durch  den  Autor  selbst  beweist.  Es  ist  sicher,  dass  der  Papas  im  §  23 
der  2.  Redaction  mit  dem  Cleriker  Astrik  des  §  17  der  l.  Redaction  gleich- 
zusetzen ist  1).  Hier  heisst  es  von  ihm:  »Alia  hora  furibundo  animo 
Aschericus  clericus  suus  contra  sanctum  virum  arguendo,  increpando,  cum 
multa  inutilia  loqueretur,  ultra  limitem  rationis  proterva  contentione  pro- 
gressus,  quasi  quem  amplius  videre  nollet,  magna  amaritudine  dirimit^^ 
In  der  2.  Redaction  ist  diese  für  Astrik  wenig  schmeichelhafte  Stelle  ver- 
schwunden. Im  §  23  heisst  es  von  ihm:  »Ipse  autem  venire  non  potuit, 
et  ut  homo  noluit;  ut  enim  hodie  audis  eum  dicentem,  quem  nunc,  sicut 
sitiens  aquam  frigidam,  totis  visceribus  flagrat  et  amat,  ardua  scandentem 
tunc  semper  fugiebat*.  Alle  diese  Aenderungen  kann  nur  der  Autor 
selbst  vorgenommen  haben;  er  hatte  zunächst  über  Astricus,  den  er 
nicht  persönlich  gekannt  hatte,  sich  im  §  1  7  in  abfälliger  Weise  geäussert : 
nachdem  er  sodann  ihn  kennen  gelernt  hatte  und  auf  Grundlage  seiner 
Erzählung  den  §  23  der  neuen  Redaction  niederschreibt,  lässt  er  zugleich 
die  im  §  1  7  der  ersten  Redaction  über  ihn  enthaltenen  harten  Worte  aus. 
Es  hat  also  zwei  vom  Autor  selbst  hergestellte  Redac- 
tionen  dieser  Vita  St.  Adalberti  gegeben. 

Die  Legende  wurde  sicher  in  ihrer  ersten  Redaction 
im  J.  1004  verfasst.  Ausschlaggebend  ist  hiefür  die  Bemerkung  im 
?i  21  :  »set  quando  digna  indigni  scribimus,  nunc  est  mortuus  feriente 
gladio  frater  maxim.us  (sc.  s.  Adalberti)  ^^  Da  es  bekannt  ist,  dass  Sobebor 
anfangs  September  1004  getödtet  wurde,  so  müsste  dieses  Capitel  bald 
darauf  geschrieben  worden  sein.  Aus  dem  soeben  oben  Bemerkten  über 
den  §  23  der  2.  Redaction  und  sein  Verhältnis  zum  §  17  der  ersten 
wird  man  unzweifelhaft  schliessen  können,  dass  die  ursprüngliche 
Redaction  schon  vollendet  oder  doch  über  den  §  24  hinaus 
gekommen  war,  als  der  Autor  den  Papas  in  Ungarn  kennen 
lernte  und  Kunde  über  die  betreffenden  Verhältnisse  erhielt.  Darauf 
habe  ich  bereits  an  anderer  Stelle  aufmerksam  gemacht  '^),  und  auch 
K^trzynski  gibt  dies  zu  ^).  Dagegen  muss  ich  alles  das  fallen  lassen,  was 
ich  im  Anschlüsse  an  Pertz  über  die  rasche  Aufeinanderfolge  beider  Re- 
dactionen  früher  angenommen  habe.  Seither  gemachte  Erfahrungen  lassen 
mich  den  Schluss  für  völlig  irrig  halten  •*),  dass  aus  dem  Fehlen  einer 
Nachricht  über  den  am  12.  Oct.  1004  erfolgten  Tod  des  Abtes  Johannes 
in  der  zweiten  Redaction  gefolgert  werden  müsse,  diese  Redaction  sei 
schon  kurz  nach  dem  eben  genannten  Tage  fertig  geworden.  Es  lag  für 
den  Verf.  absolut  keine  Nöthigung  vor,  im  §  1 7  den  Tod  des  Abtes 
Johannes  anzumerken;  in  §  27  ist  nach  den  obigen  Ausführungen  aber 
nicht  dieser  1004  verstorbene  Abt,  sondern  Johannes  Canaparius  zu  ver- 
stehn.  Ebenso  wenig  ist  es  gestattet  aus  dem  »nunc^^  das  im  §  21  in 
dem  oben  citirten  Satze  auch  in  der  2.  Redaction  steht,  Schlüsse  zu  ziehen, 
weil  dasselbe  aus  der  1.  Redaction  auch  nach  Jahren  übernommen  werden 
konnte.     Die    zweite    Redaction    kann    also    auch    einige    Jahre    nach    der 

')  Veigl.  meine  Beiträge  zur  älteren  ungar.  Geschichte,  Wien  1893  S.  70  f. 
-')  Ebenda  S.  62  ff. 

3J  Vergl.  seine  unter  Nr.  45  genannte  Arbeit  S.  18  f.  und  30.    Was  Voigt 
dagegen  ausführt,  ist  irrig.  Vergl.  oben  S.  042. 
")  So  auch  Voigt  Nr.   1   S.  225. 


Literatur.  353 

ersten  entstanden  sein,  allenfalls  erst  nachdem  Canaparius  Abt  geworden 
war,  und  der  Autor  liievon  Kunde  erhalten  hatte;  dies  kann  schon  1005 
der  Fall  gewesen  sein  (vergl.  oben  S.  648).  Anderseits  ist  es  nicht  später 
als  1008  geschehen,  denn  der  Autor  dieser  Vita  ist  der  heilige  Brun 
(t  14.  Feb.  1009),  wie  wir  dies  sofort  gegen  K^trzynski  neuerdings  fest- 
stellen werden.  Die  zweite  Eedaction  ist  also  zwischen  1005 
und  1008  entstanden  1),  und  zwar  jedenfalls  nachdem  der 
Verf.  schon  nach  Ungarn  gekommen  war  und  den  Papas 
daselbst  kennen  gelernt  hatte. 

Wir  übergehen  nun  zur  Prüfung  der  Gründe,  aus  denen  sich  K^- 
trzynski  dafür  entschieden  hat,  dass  nicht  unsere  Legende,  sondern  die  von 
Gall  gekannte,   sonst  nicht  bekannte  Passio  das  Werk  Bruns  sei. 

Kfjtrzynski  muss  zugeben  (vergl.  oben  S.  64S),  dass  der  Autor  der 
Legende  wie  Brun,  ein  Sachse  war;  er  kennt  auch  die  directen  Nachrichten 
der  Magdeburger  Geschichtsquellen,  die  den  hl.  Brun  mit  voller  Bestimmt- 
heit als  den  Autor  unserer  Vita  nennen  2).  Er  gibt  auch  zu,  dass  Brun 
bei  seiner  Anwesenheit  in  Korn  im  Kloster  des  hl.  Bonifatius  und  Alexius 
geweilt  haben  und  daher  über  alles  unterrichtet  sein  konnte  (S.  3). 
Trotzdem  glaubt  er  die  Autorschaft  der  Legende  dem  heiligen  Brun  ab- 
sprechen und  ihm  dafür  die  unbekannte  Passio  zuschreiben  zu  müssen. 
Seine  Gründe  hiefür  sind  folgende: 

K^trzjnski  behauptet,  dass  aus  der  Vita  nicht  nur  hervorgehe,  dass 
der  Verf  derselben  im  Kloster  St.  Bonifatius  und  Alexius  eine  Zeit  lang 
geweilt  habe,  sondern  dass  er  ein  Mitglied  desselben  gewesen  sei :  da  dies 
nicht  auf  Brun  passe,  könne  derselbe  nicht  der  Autor  unserer  Legende 
sein.  Allein  keine  der  Stellen,  die  er  anführt,  ist  für  seine  Ansicht 
beweisend.  Nirgends  nennt  sich  der  Autor  einen  Mönch  des  Bonifatius- 
klosters,  nirgends  bezeichnet  er  den  Abt  Johannes  als  seinen  Abt.  Die 
Stelle  aus  §  8,  wo  thatsächlich  der  Autor  von  seinem  Abte  (ad  abbatem 
nostrum)  spricht,  bezieht  K^trzynski  ganz  willkürlich  auf  das  Bonifatius- 
kloster.  Woher  weiss  denn  K^trzynski,  dass  Willico  den  betreffenden  Brief 
an  den  Abt  des  Bonifatiusklosters,  nicht  aber  nach  Classis  bei  ßavenna, 
wo  Brun  wirklich  zu  Haus  war,  gerichtet  hatte?  Alle  Stellen,  welche 
K^trzynski  für  seine  Ansicht  geltend  macht,  sprechen  nur  dafür,  dass  der 
Autor  der  Legende  im  Kloster  St.  Bonifatius  sich  eine  Zeit  lang  auf- 
gehalten hatte  und  mit  den  Bewohnern  desselben  im  Verkehre  stand.  Dies 
passt  völlig  auf  den  hl.  Brun,  von  dem  wir  wissen,  dass  er  sich  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Jahres  1002  in  Rom  auf  hielt  3),  bevor  er  nach  dem 
Norden  als  Missionär  zog.  Das  wusste  Ketrzynski  im  Jahre  1884  noch 
nicht.  Nachdem  ich  aber  den  Sachverhalt  auf  Grundlage  der  neu  ent- 
deckten »Vita  quinque  fratrum«  in  »Canaparius  und  Brun«  geklärt  hatte, 
hätte  er  wohl  in  seinen  Folgerungen  vorsichtiger  sein  sollen.  Dagegen 
macht  mir  Ketrzynski  in  der  Arbeit  Nr.  45  S.  3  den  Vorwurf,  ich  wäre 
»der  Frage,    von    welcher    alles    abhängt,    ob    der    hl.  Brun  Mitglied    des 

*)  Damals  konnte  Brun  auch   schon    erfahren   haben,    dass  Johannes  Cana- 
parius inzwischen  Abt  geworden  sei.     Vergl.  oben  S.  648. 
2)  Vergl.  oben  S.  649  Anm.  ]. 
2)  Damals    war    auch    bereits   die   zu    Lebzeiten   des  Abtes  Leo   absrefasste 


(j54  Literatur. 

Klosters  des  hl.  Bonifatius  und  Alexius  in  Rom  war,  völlig  ausgewichen«. 
Für  mich  existirte  diese  Frage  gar  nicht,  weil  zu  ihr  die  Vita  nicht  den 
geringsten  Anlass  gibt,  wenn  man  in  ihren  Wortlaut  keine  vorgefasste 
]\Ieinung  hineinträgt,  und  anderseits  genügte  es  für  mich,  nachgewiesen 
zu  haben,  dass  Brun  zu  einer  Zeit  in  Rom  weilte,  da  Abt  Leo  schon 
todt  und  die  zu  seinen  Lebzeiten  verfasste  erste  Legende  fertiggestellt  war. 
Brun  hat  also  in  der  That  Gelegenheit  gehabt,  die  Vita  kennen  zu  lernen 
und  im  Alexiuskloster  mit  den  Abt  Johannes,  der  auf  Leo  1002 — 1004 
gefolgt  war,  und  mit  Johannes  Canaparius  zu  verkehren :  auf  ihn  passt 
also  trefflich  alles,  was  der  Verf.  der  zweiten  Vita  von  sich  und  seinem 
Verhältnisse  zu  diesem  Kloster  sagt. 

Mithin  glaube  ich,  dass  die  Frage,  »von  welcher  alles  abhängt«  (wie 
K^trzynski  meint),  zu  Ungunsten  seiner  Hypothese  gelöst  erscheint.  Auf 
seinen  Trugschluss.  dass  der  Verf.  der  Vita  ein  ständiges  Mitglied  des 
Bonifatiusklosters  sei,  baut  er  aber  seine  weitere  Beweisführung.  Er 
betont  nun.  dass  der  Verf.  auch  noch  1004  in  Rom  weilte,  was  auf  den 
hl.  Brun  nicht  passe.  Den  Beweis,  dass  die  Vita  in  Rom  geschrieben 
sein  müsse,  ist  uns  K^trzyiiski  völlig  schuldig  geblieben;  denn  wenn  sie 
auch  ein  Mitglied  des  Bonifatiusklosters  geschrieben  hätte,  so  findet  sich 
in  der  ganzen  Vita  auch  nicht  die  leiseste  Andeutung,  dass  sie  in  Rom 
geschrieben  worden  sei.  Vergebens  suchen  wir  in  derselben  auch  nur 
einen  entfernt  so  deutlichen  Fingerzeig  für  die  Verfassung  in  Rom,  wie 
jenes  »qui  nunc  urbis  praefectus  esse  dinoscitur«  in  der  Vita  von  Cana- 
parius (siehe  oben  S.  647);  und  trotzdem  will  Ketrzyiiski  die  Abfassung 
der  älteren  Vita  nach  Polen  verlegen,  während  er  die  jüngere  in  Rom 
entstehen  lässt.  Dass  Brun  1004  nicht  mehr  in  Rom  weilte,  ist  gewiss; 
aber  das  Ttinerar  desselben  hat  doch  Ketrzyiiski  wieder  gar  sehr  zu  Gunsten 
seiner  Hypothese  gegen  alle  Wahrscheinlichkeit  gestaltet. 

Nach  seiner  eigenen  Darstellung  in  der  »Vita  quinque  fratrum' 
§  9  und  10  gieng  Brun  sicher  erst  einige  Zeit  nach  dem  Tode  Kaiser 
Ottos  in.  (23.  Januar  1002)  »tardo  crure«  von  Classis  nach  Rom.  Hier 
erlangte  er  die  Missionserlaubnis  »et  post  multos  labores  de  grandi  via 
maris  et  terrae«  kam  er  nach  Regensburg.  Mit  Recht  wird  man  wohl 
annehmen  müssen,  dass  dies  nicht  schneller  als  etwa  im  Winter  oder 
Frühlinge  1003  geschehen  sein  könnte:  denn  die  Reise  nach  Rom  gieng 
langsam  vonstatten  (tardo  crure)  i),  die  Abwicklung  der  Angelegenheit 
dortselbst  nahm  gewiss  auch  einige  Zeit  in  Anspruch  -),  und  ebenso  gieng 
offenbar  die  Reise  nach  dem  Norden  nur  mühselig  und  nach  den  Andeu- 
tungen Bruns  offenbar  zur  Herbst-  oder  Winterzeit  vor  sich.  Mit  dem 
Aufenthalte  Brans  zu  Anfang  des  J.  1003  in  Regensburg  oder  doch  in 
diesem  Theile  Deutschlands  würde  aber  nun  auch  Folgendes  stimmen. 
Von  den  Brüdern,  welche  ihm  nach  Polen  vorausgegangen  waren  und  dort 
Brun  und  die  Missionserlaubnis  erwarteten,  hatte  sich  Benedict  nach  Bruns 


')  Man  vergl.  hiezu  auch  Kade's  Bemerkungen  in  Mou.  Germ.  SS.  XV.  2 
S.  715,  der  auf  die  Brun  behindernden  Umstände   besonders  aufmerksam  macht. 

-)  Für  die  längere  Dauer  des  Aufenthaltes  Brun's  in  Rom  darf  man  gewiss 
seine  Mittheilungen  in  der  Vita  über  sein  Verhältnis  zum  Alexius-Kloster  geltend 
machen.     Doch  nehmen  wir  hierauf  zunächst  keine  Rücksicht. 


Literatur. 


600 


Bericht  in  der  »Vita  quinque  fratrem«  Cap.  11  1)  aus  Polen  aufgemacht 
und  versuchte  über  Böhmen  wandernd  zu  Brun  zu  gelangen.  Als  Bene- 
dict nach  Prag  kam  war  Winterszeit  (metropolim  intraret  .  .  Erat  autem 
hiems  magna  bellnrum  .  .  .).  Da  nun  Benedict,  nachdem  er  von  Prag 
(weiter  kam  er  nicht)  wieder  nach  Polen  zurückgekehrt  war,  am  1 1 .  Sept. 
1003  schon  getödtet  wurde  2),  so  ist  er  unzweifelhaft  im  Winter  1002/3 
in  Prag  gewesen.  Nun  lässt  Brun  am  eben  angeführten  Orte  Benedict 
folgendermassen  in  Prag  seinen  Unwillen  über  die  unterbliebene  Fort- 
setzung seiner  Eeise  zum  Ausdrucke  bringen:  »Nunc  irascitur  seniori 
Bolizlao,  qui  illum  demittei'e  nolens,  qui  nulla  timeret,  bellorum  et  hostium 
superva^uam  occasionem  objecit,  nunc  notat  culpam  meam  (d.  i.  Bruns), 
qui  cum  prope  essem  et  premissionis  debitum  reddere 
possem  —  quod  verum  erat  —  tunc  teraporis  eum  videre  nolui«. 
Mit  Kecht  kann  diese  Stelle  nur  so  ausgelegt  werden,  wie  Kade  Mon. 
Germ.  SS.  XVa  S.  715  es  thut:  offenbar  befand  sich  Brun  in  Regensburg 
und  Benedict  gleichzeitig  in  Prag,  also  im  Winter  1002/3  oder  Frühling 
1003.  Wenn  also  K^trzyiiski  annimmt  (S.  5),  dass  Brun  schon  im 
J.  1(102  nach  Ungarn  gekommen  sei,  so  ist  das  völlig  unwahrscheinlich. 
Aber  es  ist  übei'haupt  kaum  anzunehmen,  dass  er  vor  1004,  nämlich 
bevor  er  nach  dem  2.  Februar  1004  3)  die  Bischofsweihe  erhalten  hatte, 
sich  nach  Ungarn  begab;  das  würde  nämlich  einen  zweimaligen  Aufenthalt 
in  Ungarn  voraussetzen,  wovon  wir  nirgends  auch  die  leiseste  Andeutung 
finden.  Alles,  was  Ketrzyi'iski  darüber  S.  23  ff.  ausführt,  sind  völlig  will- 
kürliche Vermuthungen.  Nichts  berechtigt  uns  zur  Annahme,  dass  Brun 
schon  1002/3  in  Ungarn  war  und  I004  nach  Deutschland  zurückkehrte, 
wo  er  die  Bischofsweihe  erhielt.  Völlig  willkürlich  setzt  Ktjtrzynski  die 
durch  Brun  veranlasste  Mission  nach  Schweden  in  die  Zeit  des  nun  an- 
geblich folgenden  Aufenthaltes  in  Deutschland  ^).  Ebenso  willkürlich  setzt 
er  ins  Jahr  1007  die  zweite  Reise  nach  Ungarn.  Sowohl  in  seiner  Vita 
quinque  fratrum,  als  in  dem  Briefe  an  König  Heinrich  finden  wir  keine 
Andeutung  eines  zweiftichen  Aufenthaltes  in  Ungarn.  Wer  vielmehr  den 
§  10  der  Vita  quinque  fratrum  mit  den  betreffenden  Bemerkungen  im 
Briefe  vergleicht,  wird  unmittelbar  den  Eindruck  gewinnen,  dass  in  der 
ersteigen  der  Bericht  über  die  erste  und  einzige  Abreise  aus  Deutschland 
nach  Ungarn  sich  findet,  und  im  Briefe  alles  das,  was  sich  während  des 
Aufenthaltes  in  Ungarn  und  nach  demselben  ereignete  und  den  König 
interessiren  konnte,  mitgetheilt  wird.  Im  §  1 0  der  j>  Vita  quinque  fra- 
trum* heisst  es:  »Et  dimissis  Pruzis,  quo  qropter  novum  sanctum  Adal- 
bertum  occisum  iustior  me  causa  duxisset,  nigris  Ungris,  quo  tunc  versus 


')  Mon.  Germ.  SS.  XV..  a.  S.  728. 

-)  Das  Datum  steht  jetzt  unzweifelhaft  fest  aus  dem  §  31  der  »Vita  quinque 
fratrum ". 

')  Au  diesem  Tage  hatte  Erzbisc-hof  Tiigino  von  Merseburg,  durch  den 
Brun  geweiht  wurde,  erst  selbst  die  Weihe  erhalten. 

*)  Was  darüber  im  Briefe  an  Heinrich  IL  steht,  beweist  durchaus  nicht. 
dass  diese  Mission  in  die  von  Ketrzj-nski  angenommene  Zeit  falle.  Aus  den 
Woi-ten  hinter  liaec  non  lateat  re^em,  quia  episcopus  noster  .  .  .  quomodo  ve- 
nientes  nuncii  verissime  dixeruut,  ipsum  seniorem  Suigiorum  .  .  .  baptizavit* 
geht  vielmehr  klar  hervor,  dass  Brun  diese  Nachricht  in  Polen  erhalten  hat. 
Vielleicht  hat  er  auch  von  hier  aus  die  Missionäre  nach  Schweden  greschickt. 


ßgg  Literatur. 

in  partes  orientis  navim  conscendi,  sinisti'o  opere  et  infirmo  humero  evan- 
o-elium  portare  cepi,  hoc  dicens  in  corde  meo :  non  dedero  somnum  oculis 
meis  nee  requiem  timporibus  meis,  donec  inveniam  Christum*.  Und  im 
Briefe  wird  berichtet:  .  .  .  »Frater  vester  (des  Königs)  optime  carus, 
episcopus  Bruno,  cum  moram  facerem  in  terra  üngrorum,  dixit  mihi,  vos, 
0  rex,  piam  sollicitudinem  circa  me  habere  et  valde  nimis  timere.  ne 
Yellem  perire  .  .  .  Gerte  dies  et  menses  iam  implevit  integer  annus,  quod, 
ubi  diu  frustra  sedimus,  Ungros  dimisiraus  et  ad  omnium  Paganorum 
crudelissimos  Pezenegos  viam  arripuimus  ....  Audivi  etiam  (schon  in 
Polen,  vor  der  Reise  nach  Preussen)  de  nigris  Ungris,  ad  quos,  quae  nun- 
quam  frustra  vadit,  sancti  Petri  prima  iegatio  venit  .  .  Haec  omnia  sola 
gloria  Bei  et  optimi  Petri;  quantum  ad  me,  nihil  nisi  peccatum«.  Aus 
diesen  Stellen  geht  es  klar  hervor,  dass  Brun,  nachdem  er  die  Eeise  nach 
Polen  und  Preussen  zunächst  aufgegeben  hatte,  mit  dem  festen  Entschlüsse, 
dem  Beispiele  Adalberts  zu  folgen  und  das  Martyrium  zu  finden,  sich  zu 
den  Ungarn  begab.  Dass  er  dort  vergebens  den  Schwarz-Ungarn  (ünter- 
thanen  Achtums)  das  Evangelium  predigte  i).  Dass  er  in  Ungarn  mit  dem 
Bischof  Brun,  dem  Bruder  Heinrichs,  zusammentraf,  der  unverhohlen  die 
Befürchtung  des  Königs  aussprach,  Brun  suche  den  Märtyrertod.  Dass  er 
nach  langem  vergeblichen  Aufenthalt  Ungarn  verliess  und  sich  zu  den 
Pezenegen  begab.  In  Polen  erfährt  er,  dass  die  Schwarz-Ungarn  für  die 
römische  Kirche  gewonnen  seien.  Nirgends  finden  wir  aber  eine  Andeu- 
tung, dass  Brun  seine  Missionsreise  durch  einen  Aufenthalt  in  Deutschland 
unterbrochen  hätte.  Dafür  aber,  dass  Brun  sich  in  der  von  Ketrzyiiski 
für  diese  Unterbrechung  angenommenen  Zeit  nicht  in  Deutschland  aufhielt, 
spricht  auch  das,  was  in  der  »Vita  quinque  fratrum-^  im  §  21  erzählt 
wird.  Benedict  hatte  von  Prag  aus,  wo  er  seine  Eeise  aufgegeben  hatte, 
einen  Bruder  ausgesandt,  der  Brun  aufsuchen  oder  eventuell  aus  Rom 
selbst  die  Missionserlaubnis  bringen  sollte.  Dieser  Bruder  hatte,  wahr- 
scheinlich weil  er  Brun  noch  in  Italien  vermuthete,  diesen  nicht  gefunden, 
sondern  war  direct  nach  Rom  gezogen  '^).  Als  er  zurückkam,  war  Bene- 
dict   und    seine  Genossen    schon    todt  3).     Nun    unternahm    der    genannte 


')  Das  Nähere  darüber  in  »Beiträge  zur  älteren  ungarisch.  Gesch.«    S.  29  tf. 

2)  Mon.  Germ.  XV.  a.  S.  728  f. :  Unum  vero  fratreni,  qui  caelestium  amore 
delectatus  tunc  sub  illorum  magisterio  in  herenio  militavit,  uunc  vero  eidem 
sacro  loco  abbas  studio  spiritualis  disciplinae  preest,  quia  huius  fratris  iter  dux 
Bolizlao  non  prohibuit,  ad  unam  consolationem  in  tanto  tedio  caelestium  in- 
cendiorum  pro  acquirenda  apostolica  licentia,  qua  est  mundi  domina  et  ruater 
ecclesiarum,  PiOmam  transinisit,  hoc  iniungens  et  superponeus  ad  eius  solli- 
citam  obedienciam,  ne  preteriret  voeare  me,  cuius  instinctu  has  Sclavonicas 
terras  visitaverat.  et  me  invento,  si  haberem  liceutiam,  de  magna  via  cito  veniret, 
si  non  haberem,  peteret  a  me  aliquem  socium  itineris  Romam  eundi  pro  acqui- 
renda licentia,  ut  ceptum  iter  perageret  .  .  .  Rapit  viam  discipulus  a  beato 
Benedicto  missus  de  rudi  heremo  et,  quia  me  nusquam  vagum  invenit,  pro 
cuius  ignavia  lougum  desiderium  in  tribulationem  venit,  apostolicae  iussionis  ut 
ille  licitum  quereret,  rocte  Romam  teteudit. 

')  Mon.  Germ.  XV.  2.  S.  734:  Frater  autem  ille,  viventibus  adhuc  in  bac 
terra  sanctis  et  ab  eis  missus  ad  apostolicam  sedem  quaudo  cum  licentia  venit, 
iam  feliciter  invenit  rem  peractam,  scilicet  per  martyrium  eos  evolasse  ad 
caelum,  quamvis  ego,  .  .  .  dudum,  eis  nescientibus  apostolicam  licentiam  acce- 
pissem.     Cum  autem    mibericordia    redemtoris    talia    circa  sanctos  esset  operata, 


Literatur.  ß57 

Bruder  —  wie  Brun  in  §  21  ausführlich  erzählt  —  mehrere  Reisen  durch 
Deutschland,  wobei  er  die  Auffindung  Bruns  sich  zum  besonderen  Ziele 
gesetzt  hatte.  Er  machte  sich  durch  dieses  Kachforschen  sogar  so  ver- 
dächtig, dass  er  als  Gefangener  nach  Magdeburg  gebracht  wurde.  Es  kann 
dies,  da  er  vordem  auch  schon  wieder  in  Rom  gewesen  war  und  sich 
bereits  zu  einer  dritten  Reise  anschickte,  gewiss  erst  Ende  1004  oder 
wahrscheinlicher  KMiS  gewesen  sein.  Wie  kommt  es  nun,  dass  dieser 
Mann,  der  doch  offenbar  so  viel  damals  in  Deutschland  umherreiste  und 
überall  Nachfrage  hielt,  Brun  nicht  fand ;  ja  er  erfuhr  auch  von  ihm  in 
Magdeburg  nichts,  wo  man  doch  gewiss  etwas  über  Brun  gewusst  hätte, 
wenn  ei-*  in  Deutschland  in  jener  Zeit  geweilt  haben  würde  V  —  Die  Ant- 
wort auf  diese  Frage  liegt  nur  in  der  von  uns  vertheidigten  Anschauung, 
dass  Brun  etwa  vom  Sommer  oder  Herbst  des  Jahres  1(M)4  sich  auf  der 
Missionsreise  befand  ^). 

Diese  sich  ganz  natürlich  ergebende  Thatsache  hat  Ketrzynski  aus 
dem  Grunde  allein  zu  verwerfen  versucht,  um  meine  Annahme  zu  ent- 
kräftigen, dass  die  Vita  st.  Adalberti  in  erster  Redaction  geschrieben  worden 
war,  bevor  deren  Verf.  in  Ungarn  war.  und  dass  die  vom  Papas  in  Un- 
garn erhaltenen  Nachrichten  mit  zu  den  Umständen  gehörten,  die  ihn  zur 
Herstellung  der  zweiten  Redaction  vei'anlassten.  Er  wollte  nachweisen 
(S.  5),  dass  Brun  schon  zwei  Jahre  früher  in  Ungarn  war,  dass  er  also 
die  ungarischen  Nachrichten  schon  vor  der  Abfassung  der  ersten  Redaction 
(1004)  besass.  Damit  wollte  Ketrzynski  meine  Ausführungen  als  durchaus 
unrichtig  erweisen.  Ich  glaube,  dass  ihm  dies  nicht  gelungen  ist.  Und 
so  dürfen  wir,  wie  dies  schon  in  »Canaparius  und  Brun-^  geschehen  ist, 
den  Umstand,  dass  alles,  was  wir  über  den  hl.  Brun  wissen,  .  so  aus- 
gezeichnet mit  dem  übereinstimmt,  was  wir  vom  Verf.  der  zweiten  Vita 
st.  Adalberti  voraussetzen  müssen,  als  einen  Beweis  dafür  in  Anspruch 
nehmen,  dass  der  hl.  Brun  und  kein  anderer  der  Autor  dieser 
zweiten  Vita  sei. 

Sowohl  Kade  als  ich  haben  ferner  mit  Nachdruck  darauf  verwiesen, 
dass  die  Autorschaft  der  Vita  durch  Brun  sich  auch  daraus  ergebe,  dass 
diese  Schrift  mit  dem  Briefe  an  Heinrich  und  mit  der  »Vita  quinque 
fratrum*  eine  grosse  Verwandtschaft  in  der  Darstellung,  Kenntnis  der- 
selben Schriftsteller  udgl.  zeigt.  Diese  Beziehungen  sucht  nun  Kt^- 
trzynski  tlieils  damit  zu  erklären,  dass  der  von  ihm  vermuthete  unbekannte 
Autor  und  Brun  ihr  Wissen  in  derselben  Schule  geholt  hätten  (S.  27). 
theils  will  er  geltend  machen,  dass  der  Autor  der  zweiten  Vita  st.  Adal- 
berti sich  eng  an  seinen  Stoff  gehalten  hätte,  während  dies  vom  hl.  Brun 


iterum  rediens  frater  ille  Romam,  cum  niartyrium  eorum  ibi  nuaciaret,  ipso  iu- 
terrogante,  papa  procul  dubio  iussit  eos  in  loco  sanctorum  martyrum  haberi  et 
honorari.  Cum  autem  me  gyrovaguin  nusquam  vidisset,  cum  propter  hoc  ipsum 
interrogare  et  martyrium  eorum  renunciare  rursum  Romeus  esse  cepisset,  quin 
discordia  magna  cum  rege  Saxonum  erat,  dura  timetur.  ne  in  damnum  sui  imperii 
illorum  cursus  foret,  cum  satis  bono  Ungero  episcopo  in  itinere  comprehenditur 
et  missus  Partheuopolim  .  .  .  tenetur  .  .  .  ;  arrepta  fuga  .  .  domum  sanus  venit 
(d.  i.  in  sein  Kloster). 

')  Daran  werden  wir  also  festhalten  müssen,  wenn  wir  auch  nicht  mehr 
au  eine  Fertigstellung  der  zweiten  Redaction  (mit  den  ungarischen  Nachrichten  1 
bald  nach  dem  12.  Oct.  1004  denken. 


ggg  Literatur. 

m  seinen  ihm  unzweifelhaft  zukommenden  Werken  nicht  gelten  könne. 
Hiebei  vergass  aber  Ketrzynski  —  um  anderes  zu  übergeben  — ,  dass 
unserem  Brun  für  die  Vita  st.  Adalberti  eine  vorzügliche  wohlgeordnete 
Quelle  vorlag  und  der  Stoff  bereits  für  ihn  historisch  war,  während  er  in 
den  anderen  Schriften  Selbsterlebtes  schildert.  Uebrigens  hat  Brun  auch 
in  die   »Vita  st.  Adalberti«   so  manches  hineingefügt. 

Ferner  erklärt  sich  der  Umstand,  dass  einzelne  Stellen  der  »Vita 
st.  Adalberti«  mit  dem  Briefe  an  Heinrich  und  mit  der  »Vita  quinque 
fratrum«  gemeinsam  sind  i),  leicht  aus  der  Autorschaft  durch  denselben 
Verf.  Iv^trzyi'iski  will  dies  damit  erklären  (S.  30),  dass  die  1004  in 
Rom  verfasste  zweite  Adalbert-Legende  schon  1008  in  Polen  vorhanden 
war  und  vom  hl.  Brun  gelesen  wurde ;  daher  die  Verwandtschaft  mit  dem 
Brief  und  der  »Vita  quinque  fratrum«.  Da  ist  es  doch  merkwürdig,  dass 
Brun  in  Polen  schon  diese  nach  Ketrzyiiski's  Annahme  erst  vor  vier  Jahren 
in  Eom  verfasste  Vita  bereits  benutzen  konnte,  dagegen  ihm  die  angeblich 
von  Gaudentius  in  Polen  verfasste  nicht  vorlag  oder  er  sie  doch  nicht 
benützt  zu  haben  scheint. 

Zu  den  Unwahrscheinlichkeiten,  die  Ketrzynski  seiner  Hypothese  zu  lieb 
zulassen  musste  (S.  30),  gehört  auch  noch  die,  dass  der  Papas  aus  Un- 
garn, nachdem  die  Vita  im  Bonifatius-Kloster  bereits  fertig  vorlag,  dorthin 
gekommen  sei  und  die  im  §  23  der  zweiten  Kedaction  vorhandenen  Mit- 
theilungen machte. 

Für  den  hl.  Brun  als  Verf.  der  zweiten  Vita  st.  Adal- 
berti sprechen  also,  um  dies  nochmals  zusammenzufassen, 
folgende  Gründe:  1.  Directe  Nachrichten  des  12.  Jahrb.,  dass  er 
diese  (und  keine  andere)  Vita  abgefasst  habe;  2.  Alles,  was  wir  vom 
Autor  dieser  Vita  nach  den  in  derselben  enthaltenen  Andeutungen  vor- 
aussetzen müssen,  passt  vorzüglich  auf  Brun :  der  Verf.  der  Vita  ist  wie 
ilieser  ein  gebildeter  Sachse,  der  in  Rom  geweilt  hat.  als  die  Vita  von 
Ganaparius  schon  fertig  gestellt  war:  streng  und  asketisch  gesinnt  ist; 
seine  Schreibweise  und  seine  Kenntnis  anderer  Schriftsteller  deckt  sich 
mit  derjenigen  Bruns  in  seinen  sonstigen  Schriiten;  3.  Das  Voi'handensein 
zweier  Redactionen  und  ihr  Verhältnis  zu  einander  erklärt  sich  trefflich 
aus  dem.  was  wir  vom  hl.  Brun  wissen ;  die  kürzere  Redaction  ist  die 
zweite ;  in  ihr  finden  wir  Nachrichten,  die  der  Verf.  in  Ungarn  erhalten 
haben  muss ;  diese  fehlten  ihm  also  offenbar  bei  der  Abfassung  der  ersten 
Redaction  (1004);  erst  später  hat  er  sie  erhalten:  dies  alles  passt  völlig 
auf  Brun:  4.  Aus  der  gemeinsamen  Autorschaft  dieser  Legende  und  des 
Briefes  an  Heinrich  und  der  »Vita  quinque  fratrum«  erklären  sich  leicht 
und  ungezwungen   die  gemeinsamen   Berührungspunkte. 

Diesen  Gründen  gegenüber  konnte  K^trzyiiski  seine  Hypothese  nur 
durch  eine  Reihe  von  willkürlichen  unwahrscheinlichen  Annahmen  zu 
stützen  suchen.  Für  die  Abfassung  der  bei  Gall  genannten  Passio  durch 
Brun  lässt  sich  kein  einziger  stichhältiger  Grund  anführen. 

Wir  gelangen  nun  noch  zur  Passio  S.  Adalpertl  lliartiris.  Ueber 
dieselbe  waren  vorzüglich  drei  Steitfragen  zu  lösen:  die  Zeit  ihrer  Ab- 
fassung; üb  diesell>e  eine  Orginalarbeit  oder  ein  Auszug  sei;  ihr  Verfasser. 


')  Die  Stellen  sind  bei  ICiftrzynski  S.  30  f.  verzeichnet. 


Literatur.  ß59 

Bis  vor  wenigen  Jahren  war  die  Ansicht  die  herrschende,  dass  die 
Passio  gleich  nach  dem  Tode  Adalberts  aufgezeichnet  wurde,  dass  sie  also 
als  die  älteste  Legende  über  denselben  zu  bezeichnen  sei.  Ich  habe  diese 
Ansicht  in  der  Zeitsch.  f.  G-eschichtswissensch.  IX  (1893)  S.  107  f.  wider- 
legt. Gegenwärtig  ist  dieselbe  auch  schon  aufgegeben.  Sowohl  Voigt,  als 
auch  Ketrzynski  versetzen  sie  etwa  in  die  ersten  drei  Jahrzehnte 
des  11.  Jahrhundertes:  von  Boleslaus  (t  lO'jij)  wird  nämlich  in 
derselben  - —  wie  es  scheint  —  wie  von  einem  lebenden  gesprochen. 
Uebrigens  gehört  die  Schrift  des  Manuscriptes  dem  frühen    1 1 .  Jahrh.  an. 

Dagegen  verwerfen  sowohl  Ketrzynski  als  Voigt  die  Anschauung,  dass 
die  Passio  nicht  eine  Originalarbeit  sei,  sondern  sich  bereits  auf  eine 
andere  Arbeit  stütze.  Ich  habe  letztere  Anschauung  zuletzt  in  der  Zeitsch. 
f.  Geschichtswissenschaft  a.  a.  0.  zu  vertheidigen  gesucht  und  insbesondere 
auch  betont,  dass  die  Vorlage  der  Passio  sehr  wertvolle  Daten  enthalten 
haben  müsse.  K^trzyiiski,  der  selbst  früher  der  Ansicht  war,  die  Passio 
sei  ein  Auszug,  verwirft  dieselbe  jetzt.  Insofern  er  früher  daran  dachte, 
dass  der  bei  Gallus  erwähnte  »liber  de  passione  martyris^^  die  Quelle 
unserer  Passio  sei,  mag  seine  geänderte  Ansicht  berechtigt  sein :  was  er 
zur  Begründung  seiner  Meinungsänderung  anführt,  würde  aber  nur  da- 
gegen sprechen,  dass  eben  dieser  »liber'^^  die  Quelle  der  Passio  sei.  Auf 
eine  eigentliche  Widerlegung  meiner  in  der  Zeitsch.  f.  Geschichtswissen- 
schaft angeführten  Gründe  geht  er  gar  nicht  ein.  Was  nun  die  Aus- 
führungen Voigts  betrifft,  so  gibt  derselbe  zunächst  (S.  22H)  folgendes 
zu:  »Die  meist  im  Präsenz  gegebenen,  ziemlich  abrupten  und  kurzen  Sätze 
des  Anfanges  unserer  Passio  können  in  der  That  den  Eindruck  erwecken, 
dass  wir  es  mit  einem  Eesume  zu  thun  haben ;  auch  wird  am  Schlüsse 
die  Rede  wieder  compendiöser,  während  sie  in  der  Mitte,  wo  die  eigent- 
liche Passio  erzählt  wird,  behaglicher  und  ausführlicher  ist^.  Diese  Eigen- 
thümliehkeit  möchte  er  aber  durch  den  Umstand  erklären,  dass  der  Autor 
nur  für  Adalberts  Ausgang  und  Tod  sich  besonders  interessirt  habe. 
Ferner  gibt  Voigt  zu,  dass  die  vielen  legendarischen  Züge  und  die  phan- 
tasiehafte Ausmalung  allenfalls  einem  Ueberarbeiter  zugeschrieben  werden 
könnten ;  dann  aber  bliebe  noch  wenig  vorhanden,  was  derselbe  aus  der 
Vorlage  entnommen  haben  könnte.  »Die  Gründe  (legendarische  Züge)  also, 
die  daran  hindern,  unsere  Schrift  selbst  in  eine  frühere  Zeit  zu  setzen, 
hindern  meines  Erachtens  —  so  fährt  Voigt  fort  —  auch  daran,  eine 
Grundschrift  bei  derselben  anzunehmen*.  Die  Passio  würde  nach  dem 
Schlussurtheile  Voigts  ,dasOn-dit,  welches  man  in  den  Jahren  looß  —  ]0'25 
in  Polen  über  Adalbert  zu  hören  bekommen  konnte«  enthalten.  Dagegen 
müssen  wir  folgendes  bemerken.  Voigt  hat  Recht,  dass  das,  was  über  das 
Martyrium  u.  s.  w.  in  der  Passio  steht  zum  grossen  Theil  auf  Hörensagen 
beruht;  er  hat  auch  Recht,  dass  er  den  stark  legendarischen  Charakter 
dieses  Theiles  betont  und  auf  die  Annahme  einer  Entwicklungsperiode  für 
diese  Legenden  drängt:  aber  um  so  schärfer  tritt  diesem  Theile  dann 
alles,  was  z.  B.  im  ersten  Capitel  erzählt  wird,  gegenüber.  Können  auch 
die  hier  vorhandenen  durchaus  richtigen  Jahresangabeu,  die  sich  sonst 
nirgends  finden,  auf  Hörensagen  beruhen?  Die  Passio  bietet  hier  unter 
anderem  die  Angaben,  dass  Adalbert,  nachdem  er  fünf  Jahre  sein  Bisthum 
verwaltet  hatte,  nach  Rom  zog;    dass  er,    von  Rom  nach  Böhmen  zurück- 


(3j30  Literatur. 

gekehrt,  »itemque  eodem  anno<'=  wieder  nach  Rom  gieng;  dass  er  nunmehr 
drei  Jahre  zu  Rom  im  Kloster  verblieb,  bis  er  mit  Otto  III.  nach  Deutsch- 
land zog.  Diese  Angaben  stimmen  mit  anderen  bekannten  Daten  trefflich 
überein  und  ergänzen  dieselben  in  willkommener  Weise  (vergl.  die  Zeit- 
schrift f.  Geschichtswissensch.  a.  a.  0.  und  diese  Mitth.  Bd.  19.  S.  54  3):  sie 
können  ganz  gewiss  nicht  aus  derselben  Quelle  herrühren  wie  die  legenden- 
haften Züge.  Dazu  kommt  nun  aber,  dass  die  Angaben  trotz  ihrer  Ge- 
nauigkeit doch  wieder  lückenhaft  sind.  So  fehlt  die  Angabe,  wie  lange 
Adalbert  das  erstemal  in  Rom  verweilte.  Auch  wird  in  der  Passio  nichts 
davon  erzählt,  dass  Adalbert  schon  bei  dem  ersten  Aufenthalte  in  Rom 
Mönch  geworden  war.  Ich  kann  es  absolut  nicht  glaublich  finden,  dass 
ein  eine  Originalarbeit  anfertigender  Autor,  der  einerseits  so  genaue  Daten 
zur  Verfügung  hat  und  aufzeichnet,  die  ausgestellten  nicht  gewusst  hätte 
oder  sie  aufzuzeichnen  unterlassen  haben  würde.  Es  handelt  sich  aber 
nicht  etwa  um  eine  spätere  Auslassung  durch  einen  Schreiber,  weil  die 
Aufnahme  Adalbert s  ins  Kloster  beim  zweiten  Aufer thalte  in  Rom  mit 
Worten  erzählt  wird,  die  dessen  liereits  früher  erfolgte  Aufnahme  in  das- 
selbe nicht  voraussetzen  (in  monastario  sancti  Bonifacii  monachico  induitur 
habitu).  Ebenso  steht  neben  den  genauen  Nachrichten,  dass  Adalbert  aus 
Sachsen  nach  Polen  kommend,  nach  Meseritz  sich  begab,  dort  ein  Kloster 
gründete  und  demselben  Astrik,  den  späteren  Erzbischof,  vorsetzte,  kein 
Wort  über  seinen  sonstigen  Aufenthalt  in  Polen,  kein  Wort  über  Boleslaus. 
Mit  lapidarischer  Kürze  fährt  die  Passio  in  §  2  fort:  »Posthec  videlicet  sumpto 
baculo  paucis  se  comitantibus  latenter  quasi  fugam  moliens  Pruzae  se  in- 
tulit  regioni.  Urbi  quoque  Cholinun  appropiuquans  .  .  .'■'^  Dass  der  Be- 
richt über  die  »Flucht*  nur  auf  das  Entweichen  vor  der  allzugrossen 
Hinneigung  Boleslaus'  sich  beziehen  könne,  ist  kaum  zweifelhaft.  Man 
vergl.  darüber  die  Zeitsch.  f.  Geschichtswissenschaft  a.  a.  0.  Die  Nachricht 
der  Passio  kann  sich  hier  weder  auf  eine  Flucht  aus  Ungarn  (wie  Bielowski 
meinte),  noch  auf  eine  solche  aus  dem  von  Adalbert  begründeten  Kloster 
beziehen  (wie  Voigt  annimmt  S.  1S4),  sondern  sie  ist  allein  nach  den 
Andeutungen  Bruns  und  sonstigen  Hinweisen  auf  die  Abreise  trotz 
der  oder  gerade  wegen  der  allzugrossen  Zuneigung  des  Herzogs  Boleslaus 
zu  setzen  i).  Die  Stelle  in  der  Passio  ist  nur  deshalb  unklar,  weil  sie  die 
.Thatsache  ohne  Motivirung  angibt,  was  übrigens  wieder  ein  Beweis  ist, 
dass  sie  ein  Auszug  ist.  Nur  ein  solcher  kann  auch  mit  keinem  Worte 
die  Reise  von  Polen  bis  Cholinun  erwähnen.  Aus  diesen  Gründen  kann 
man  also  durchaus  nicht  der  Ansicht  Voigt's  beistimmen :  man  wird  viel- 
mehr daran  f esthal ten  müssen,  dass  die  Passio  in  diesen  Partien 
ein  Auszug  sei  aus  einer  Aufzeichnung,  die  wertvolle  Daten 
enthielt.  Dass  der  Anfertiger  der  Passio  auch  aus  dem  Hörensagen  schöpfte 
und  dass  wir  uns  aus  der  Passio  nicht  ein  vollständiges  Bild  seiner  Vor- 
lage machen  können,   werden  wir  allenfalls  zugeben. 

Mit  dem  Umstände,  dass  die  Passio,  wie  sie  uns  vorliegt,  das  Pro- 
duct  zweier  Mä,nner  ist,   des  Autors  der  Vorlage  und  des  Verf.  der  Passio, 

')  Daher  muss  die  Annahme  Voigt's  (S.  184),  als  ob  Meseritz  eine  Station 
auf  der  Reise  von  Polen  nach  Prerssen  gewesen  wäre  und  die  damit  gegen  die 
verbürgte  Namensform  angenommene  Identißcirung  mitTreraessen  zurückgewiesen 
■werden.     L'ebrigens  vergl.  man  diese  Mitth.  Bd.  19  S.  545. 


Literatur.  QQ\ 

scheint  aber  auch  die  dritte  zu  lösende  Frage,  jene  nach  der  Nationalität 
des  Legendenschreibers  zusammenzuhängen.  In  unserer  Passio  machen 
sich  ganz  deutlich  nationale  Elemente  geltend,  aber  —  zweifacher  Art. 
Die  einen  deuten  auf  die  deutsche,  die  anderen  auf  die  polnische  Nationalität 
des  Verfassers.  Sowohl  die  einen,  wie  die  anderen  Merkmale  sind  so 
prägnant,  dass  sie  nicht  abgestritten  werden  können.  So  muss  z.  IJ. 
Ketrzynski,  welcher  für  die  slavische  Nationalität  des  Passionsschreibers 
eintritt,  es  unerklärt  lassen  (S.  38),  wie  dieser  dazu  komme,  die  Mutter 
des  Heiligen  mit  dem  deutschen  Namen  Adilburc  zu  nennen,  der  uns  nur 
hier  begegnet.  Voigt  aber  (S.  227),  der  wieder  für  die  deutsche  Natio- 
nalität des  Autors  eintritt,  muss  zugestehn,  dass  derselbe  Polen  aus  eigener 
Anschauung  gut  kannte,  dass  er  hier  lange  Zeit  verweilt  haben  muss ;  er 
betont,  dass  auf  den  Umstand  Gewicht  gelegt  werden  muss,  dass  Benedict 
stets  nur  Bogussa  genannt  wird:  er  muss  zugeben,  dass  die  slavischen 
Namen  in  der  Passio  in  ganz  ungewöhnlich  genauer  Form  wiedergegeben 
werden.  Ich  glaube  nun,  dass  derselbe  Mann,  welcher  den  Namen  Adilburc 
aufnahm,  unmöglich  für  Bogussa  sich  erwärmt  hätte  u.  s.  w.  Da  nun 
der  den  Germanismus  besonders  verrathende  Name  (Adilburc)  in  jenem 
Theile  sich  findet,  der  auch  sonst  nicht  auf  polnischer  Uebei'lieferung  be- 
ruht, die  Polonismen  (darunter  Bogussa)  in  dem  Theile  dagegen,  welcher 
in  Polen  gesammelt  erscheint,  so  scheint  die  Annahme  unter  Berücksich- 
tigung des  früher  Angeführten  berechtigt:  dass  die  ältere  vom 
Passionsschreiber  benützte  Aufzeichnung  von  irgend  einem 
mit  dem  Vorleben  Adalberts  wohl  vertrauten  Deutschen 
herrühre;  die  Passio,  wie  siejetzt  vorliegt  aber,  von  einem 
Slaven  hergestellt  worden  sei. 

Czernowitz.  Raimund   Fr.   Kaindl. 


Reusens,  Elements  de  Paleographie,  Löweu  (Selbst- 
verlag) 1899.  8^  496  S. 

Ein  buntes  Allerlei  von  Schriftarten  und  Schriftproben  und  doch  kein 
brauchbares  Ganzes.  So  wenig  wir  bei  dem  Betrieb  der  Paläographie  einer 
strengen  Systematik  entrathen  können,  so  unerlässlich  ist  es  andererseits, 
darüber  den  verbindenden  Faden  niemals  zu  verliei'en,  um  die  Geschichte 
der  Schrift  als  das  darzustellen  was  sie  ist,  als  eine  in  sich  streng  ge- 
schlossene, in  allen  ihren  Uebergängen  erkennbare  Entwicklungsreihe. 
Diese  Forderung  ist  so  wesentlich,  dass  es  bei  jeder  einzelnen  Schriftart 
wichtiger  ist,  darzulegen,  wie  sie  entstand,  als  zu  beschreiben,  wie  sie 
ist.  Nach  dieser  Richtung  lässt  R.  das  meiste  zu  wünschen  übrig;  der 
Zusammenhang  ist  nirgends  ausreichend  gewahrt. 

Etwa  vom  5.  bis  zum  13.  Jahrh.  stehen  wir  für  die  Kenntnis  der 
Schriftentwicklung  auf  ziemlich  gesichertem  Boden.  Zwar  bedarf  auch 
hier  manches  noch  der  Aufklärung,  Ergänzung  und  Berichtigung,  aber  in 
der  Hauptsache  sehen  wir  doch  so  klar,  dass  es  eine  grössere  Kunst  wäre, 
hier  in  der  Darstellung  völlig  zu  entgleisen,  als  sie  leidlich  gut  zu  treffen. 
Hier  bev/egt  sich  denn  auch  R.  auf  sicheren  Pfaden,    allerdings    durchaus 


ß(32  Litoifitur. 

auf  den  altea,  ausgetretenen,  nirgends  auf  neuen,  selbst  gefundenen;  ja 
er  bleibt  in  wichtigen  Einzelheiten  selbst  hinter  dem  bereits  Bekannten 
empfindlich  zurück.  Ein  solcher  Abschnitt  von  kläglicher  Unzulänglichkeit 
ist  beispielsweise  der  über  die  Schrift  der  älteren  Papsturkunden  (S.  68 
bis  69).  Die  neueren  Arbeiten  von  Hartraanu  und  Kehr,  in  denen  die 
Entwicklung  dieser  Schriftart  und  ihr  Verhältnis  zur  stadtrömischen  Ur- 
kundenschrift eingehend  behandelt  ist,  sind  übergangen  und  dem  Verf. 
wohl  überhaupt  nicht  bekannt;  aber  auch  von  dem  längst  bekannten  und 
in  seinem  ursächlichen  Zusammenhang  mit  den  politischen  Vorgängen 
gewürdigten  Umschwung  im  Schriitwesen  der  Papstui'kunden,  den  das 
Eingreifen  Heinrichs  III.  von  1046  hervorrief  und  der  zunächst  nur  gerade 
für  die  Zeit  der  deutschen  Päpste  anhielt,  erfahren  wir  kein  Wort.  Minder- 
wertig sind  auch  die  Ausführungen  über  die  arabischen  Ziffern  (S.  151  ff.). 
Die  Zusammenstellung  der  ältesten  Formen  aus  dem  12.  Jahrh.  (S.  152) 
leidet  an  Unvollständigkeit  (von  der  3  fehlt  die  wichtigste  Nebenform) 
und  an  Ungenauigkeit  der  Nachzeichnung.  Die  Abhandlung  Nagls  über 
den  Salzburger  Computus  von  1143  und  das  Aufkommen  der  arabischen 
Ziffern,  das  beste  was  wir  an  neuerer  Litteratur  über  die  Frage  besitzen, 
blieb  wieder  ungekannt  und   unbenutzt. 

Die  wirklichen  und  allerdings  bedeutenden  Schwierigkeiten  liegen 
vor  dem  5.  und  nach  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts:  dort,  weil  die  Aufgabe 
erwächst,  die  älteste  Geschichte  der  lateinischen  Schrift  ganz  neu  aufzubauen, 
hier,  weil  es  gilt,  die  bunte  Vielgestaltigkeit  verschiedener  Schriftarten,  wenn 
auch  nicht  zu  beherrschen  ( —  dies  ist  heute  noch  gar  nicht  möglich  — ) 
so  doch  leidlich  gut  zu  überblicken  und  in  den  verwirrenden  I]in- 
zelheiten  den  Gang  der  allgemeinen  Entwicklung  noch  wahrzunehmen.  Die 
Geschichte  der  ältesten  Cursive  war  bis  vor  kurzem  durch  zwei  Uebel- 
stände  beeinträchtigt:  zwischen  den  Pompeianischen  Mauerinschriften,  den 
Herculanensischen  Papyri  und  den  ältesten  Wachstafeln  einerseits  und  den 
Kavennater  Papyri  aus  dem  6.  Jahrh.  andererseits  klaffte  eine  bedeutende 
zeitliche  Lücke  und  von  den  halbverkohlten  Herculanensischen  Papyri  ab- 
gesehen, waren  die  ältesten  Schriftproben  nur  auf  Wachs  und  Stein  erhalten, 
es  war  daher  nicht  möglich,  die  Schriftentwicklung  an  gleichartigem  Be- 
schreibstoff zu  verfolgen.  Dem  hat  das  Bekanntwerden  mehrfacher  datirter 
.  Papyri  aus  dem  1.  bis  4.  Jahrh.  in  den  letzten  Jahren  in  überraschender 
Weise  abgeholfen.  Die  Geschichte  der  Cursive  lässt  sich  heute  an  der 
Hand  dieser  neuen  Quellen  in  allen  Grundzügen  gesichert  bieten,  es  fällt 
aber  von  hier  aus  auch  neues  und  bedeutsames  Licht  auf  die  Entwicklung 
der  Kapitale  und  Unciale.  Aus  der  Kapitale  entwickelt  sich  schon  zu 
Beginn  unserer  Zeitrechnung  für  die  Aufzeichnungen  des  Geschäfts-  und 
Rechtslebens  eine  Schriftart,  für  die  ich  jetzt  den  Namen  der  »Kapital- 
cui'sive^^  vorschlagen  möchte  (Paleographical  Society  IL  190  ^=^Arndt-Tangl, 
Schrifttafeln  T.  32:  im  Text  zu  den  Schrifttafeln  hatte  ich  noch  die  alte 
Bezeichnung  Maiuskelcursive  beibehalten,  die  ich  jetzt  zu  gunsten  des  engeren 
und  bestimmteren  Begriffes  aufgebe).  Die  Entwicklung  bestand  in  der 
Vereinfachung,  theilweise  aber  auch  schon  in  der  Umformung  und  Ver- 
bindung der  Buchstaben.  Das  Compromiss  zwischen  Raschheit  einerseits 
und  Deutlichkeit  und  Schönheit  der  Schrift  andererseits  führt  in  Diokle- 
tianischer Zait  zur  Schaffung  der  Unciale.     Es    ist   dies  die  erste  Schrift- 


Literatur.  5ß3 

reforro,  der  genau  ein  halbes  Jahrtausend  später  in  der  karolingischen 
Minuskel  eine  zweite,  und  etwa  G  Jahrhunderte  nach  dieser  aus  dem 
Kreise  der  italienischen  Humanisten  heraus  die  dritte  folgte.  Wer  aber 
wie  E.  zunächst  die  ganze  »scriptura  erecta"^^  bis  herunter  zur  Minuskel 
in  geschlossenem  Parademarsch  vorüber  führen  und  dann  erst  seinen  Leser 
mit  dem  Bestehen  der  Cursive  bekannt  machen  kann,  an  dem  ist  jeder 
Fortschritt  der  Paläographie  im  letzten  Jahrzehnt  spurlos  vorübergegangen. 
Ganz  ähnlich  schlecht  steht  es  mit  der  Darstellung  des  Kürzungswesens : 
S.  94  bringt  E.  ^»t  out  es  les  abreviations  usuelles  qui  se  rencontrent 
dans  les  manuscrits  de  huit  premiers  siecles  de  notre  ere^^;  seine  Liste 
enthält  ganze  20.  Ich  lade  jederman  ein,  an  der  Hand  derselben  einmal 
eine  Seite  des  Veroneser  Gaius  zu  lesen !  Auch  hier  ist  wieder  das 
Wesentliche  verkannt;  nicht  darum  handelt  es  sich,  ob  in  den  ersten 
Jahrhunderten  ein  zwei,  drei  oder  mehr  dutzend  Kürzungen  üblich  waren, 
sondern  darum,  dass  das  Mittelalter  von  der  ausgehenden  römischen  Kaiser- 
zeit bereits  ein  bis  ins  einzelne  ausgebildetes  System  des  Kürzungswesens 
übernahm,  das  später  wohl  im  einzelnen  umgestaltet  und  erweitert,  aber 
in  seinen  Grundlagen  nie  mehr  verändert  wurde. 

Verdienstvoller  ist  das  spätere  Mittelalter  behandelt,  nicht  wegen  des 
Textes  sondern  wegen  der  beigegebenen  Schriftproben.  Während  für  die 
früheren  Jahrhunderte  durchaus  nur  gute  Bekannte  in  trefflicher  Eepro- 
duktion  aber  arger  Verkleinerung  wiederkehren,  bringt  E.  vom  12.  Jahrh. 
an  eine  Eeihe  selbst  gewählter  Schriftproben  aus  belgischen  Fundstätten 
(Löwen,  Mecheln,  Tournai),  die  mehrfach  paläographisches  und  diplomati- 
sches Interesse  bieten,  wie  ich  denn  nicht  anstehe,  T.  LI  S.  329  (Auto- 
graph des  späteren  Papstes  Hadrian  VI.  vom  J.  1496)  für  ein  ganz  vor- 
zügliches Uebungsstück  zu  bezeichnen.  In  den  beigegebenen  Ti'ansscrip- 
tionen  zeigt  sich  E.  als  gewandter  Leser;  aber  zwischen  einem  solchen 
und  einem  Paläographen  ist  —  mit  Verlaub  —  denn  doch  noch  ein 
Unterschied.  Hätte  sich  E.  darauf  beschränkt,  diese  Schrifttafeln  allein 
und  in  Originalgrösse  herauszugeben,  statt  sie  zu  verkleinern  und  mit 
einem  dickleibigen  und  doch  unbefriedigenden  Lehrbuch  zu  umkleiden,  so 
würde  er  sich  uns  sehr  viel  mehr  zu  Dank  verpflichtet  haben. 

Den  letzten  Theil  des  Buches  (S,  365  ff.)  bildet  in  guter  Compila- 
tion,  hauptsächlich  mit  Benützung  von  Wattenbach  und  C.  Paoli.  eine 
Darstellung  des  mittelalterlichen  Schriftwesens. 

Berlin.  M.  Tan  gl. 


Inani  a-Steruegg,  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte. 
Band  III,  Theil  I  (D.  W.  in  den  letzeu  Jahrhunderten  des  Mittelalters. 
Erster  Theil)  Leipzig,  Duncker  und  Humblot,   1899,  XX  +  455  SS. 

Die  erste  zusammenfassende  mittelalterliche  Wirtschaftsgeschichte  ver- 
danken wir  Cibrario,  Della  economia  politica  del  medio  evo, 
das  in  zweiter  Auflage  in  drei  Bänden  in  Turin  in  den  Jahren  1841 — 42 
erschienen  ist.  Schon  die  erste  Auflage  dieses  Werkes  war  von  Buss  ins 
Deutsche  übersetzt  worden,    es    erschienen  über  dasselbe  Bespechungen  in 


ßg4  Literatur. 

englischen  und  deutschen  Zeitschriften,  aber  es  scheint,  dass  es  ohne 
grösseren  Einfluss  auf  die  Pflege  wirtschaftsgeschichtlicher  Studien  ge- 
blieben ist. 

Für  diese  historische  Disciplin  ist.  für  Deutschland  wenigstens,  erst 
das  Jahr  1879  das  einer  Epoche,  denn  in  diesem  Jahre  erschien  sowohl 
der  erste  Band  von  Inamas  gross  angelegtem  Werke  als  auch  das  erste 
Heft  von  Schmollers  Staats  urd  social  Wissenschaft  liehen 
Forschungen,  der  bis  heute  massgebensten  und  wichtigsten  periodischen 
Publication  wirtschaftsgeschichtliiher  Detailarbeiten. 

Die  erste  Abhandlung  der  Forschungen,  das  erste  Heft  ausfüllend,  enthält 
Inamas  Ausbildung  der  grossen  Grundherrschaften  in  Deutsch- 
land, eine  Vorstudie  zum  ersten  Bande  seiner  Wirtschaftsgeschichte. 

So  verknüpfen  die  »Forschungen-^  bei  ihrem  ersten  Erscheinen  die 
Namen  der  bis  heute  hervorragendsten  Vertreter  der  sich  zur  Selbständig- 
keit ringenden  neuen  historischen  Disciplin:   Schmoller  und  Inama. 

Dem  zweiten  im  Jahre  1891  erschienenen  Bande  von  Inamas  Deutscher 
Wirtschaftsgeschichte  war  ein  umfangreiches  Special  werk,  Lamprecht. 
Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter  auf  Grund  der 
Quellen  zunächst  des  Mosellandes  3  Bände  in  4  vols  in  den 
Jahren  1885 — 86  vorausgegangen.  Dieses  Werk  hat  mit  dem  Cibrarios 
gemeinsam,  dass  beide  Verfasser  hauptsächlich  auf  einen  Theil  des  For- 
schungsgebietes sich  beschränken.  Lamprecht  zeigt  dieses  in  litel  und 
Vorrede  an,  während  Cibrario  'zwar  eine  allgemeine  Arbeit  für  die  ganze 
christliche  Welt  des  Mittelalters  schaffen  wollte,  sich  thatsächlich  aber  auf 
eine  eingehendere  Darstellung  der  Verhältnisse  Norditaliens  und  Südost- 
frankreichs (Piemont  und  Savoyen)  beschränkte.  Cibrario  und  Lamprecht 
gegenüber  ist  Inamas  Werk  ein  universelles  und  dabei  trotzdem  in  der 
Darstellung  concentrirt  und  gedrängt,  wie  geschaifen  dem  academischen 
Studium  zur  Grundlage  zu  dienen. 

Der  Hau-ptvorzug  Inamas  ist  die  volle  Herrschaft  des  Verf.  über  den 
Stoff,  denn  derselbe  hat  schon  zur  Zeit  des  Erscheinens  des  zwei  Bücher 
umfassenden  ersten  Bandes  dem  Gegenstande  jene  Eintheilung  gegeben, 
die  auch  im  vorliegenden  vierten  Buche,  ohne  den  Thatsachen  irgendwie 
Gewalt  anthun  zu  müssen,  festgehalten  werden  konnte.  Wie  in  den  drei 
ei*sten  Büchern  (Aelteste  Zeit  bis  Karl  den  Grossen  —  Karolingerzeit  — 
Zehntes  bis  zwölftes  Jahrhundert)  geht  auch  im  vierten  (Die  letzten  Jahr- 
hunderte des  Mittelalters)  im  ersten  Abschnitte  ein  allgemeiner  die  Colo- 
nisution,  die  Besiedelung  des  Landes,  sowie  die  Bevölkerungsstatistik  be- 
handelnder Theil  der  Erörterung  des  speciellen  Wirtschaftslebens  voraus. 
Eine  dem  späten  Mittelalter  characteristische  Colonisationsform  ist  die  der 
flurch  den  Deutschen  Orden  begründeten  Militärcolonien ;  für  die  letzten 
beiden  Jahrhundente  des  Mittelalters  besitzen  wir  die  ersten  einigermassen 
gesicherten  Angaben  über  den  Bevölkerungsstand  einzelner  Städte. 

In  einem  zweiten  (auch  allen  vier  Büchern  gemeinsamen)  Abschnitte 
wird  der  social  und  verwaltungsgeschichtliche  Kahmen  der  speciellen 
AVirtschaftsgeschichte  des  betreffenden  Zeitraumes  behandelt.  In  einer 
Darstellung  der  Verwaltungsgeschichte  bilden  die  wirtschaftlichen  Er- 
scheinungen die  Grundlage  für  die  Erklärung  jener  verwaltungsgeschicht- 
licher Natur,    da  die  Verwaltungsformen  einer  bestimmten  Zeit  durch  das 


Literatur,  ßg5 

gegenseitige  Kräfteverhältnis  der  socialen  Triebkräfte  bedingt  sind.  Um- 
gekehrt bildet  für  eine  Wirtschaftsgeschichte  die  Verwaltungsgeschichte 
den  Rahmen,  innerhalb  welches  die  Entwicklungen  wirtschaltlicher  Natur 
sich  abspielen. 

Die  für  die  ins  Auge  gefasste  Zeit  massgebende  Erscheinung  auf  dem 
Gebiete  der  Verwaltung  ist  die  Ausbildung  der  Landeshoheit  mit  dem 
Entstehen  eines  neuen  Standes,  des  Beamtenstandes,  während  anderseits 
erst  seit  dem  13.  Jahrhunderte  die  Gleichartigkeit  der  ökonomischen  Ver- 
hältnisse aus  den  in  verschiedenen  persönlichen  Standesverhältnissen  sich 
befindenden  Elementen  der  Ackerbau  treibenden  Bevölkerung  eine  einheit- 
liche Berufsclasse  der  Bauern  herausbildete.  Ebenso  gehört  dieser  Periode 
die  allmülige  Ausbildung  einer  einheitlichen  Bürgerschait  in  den  Städten  an. 

Der  dritte  und  vierte  Abschnitt,  mit  welchem  der  vorliegende  Theil 
schliesst,  sind  der  Geschichte  der  Landwirtschaft  und  der  in  dieser  be- 
schäftigten Bevölkerung  gewidmet,  während  die  Geschichte  von  Gewerbe 
und  Handel  im  Rahmen  des  städtischen  Lebens  dem  zweiten  Theile  des 
3.  Bandes,  dessen  baldiges  Erscheinen  in  Aussicht  gestellt  ist,  vor- 
behalten sind. 

Der  dritte  Abschnitt  behandelt  (übereinstimmend  in  allen  4  Büchern) 
die  Frage  der  Vertheilung  und  Verwaltung  des  Grundbesitzes,  also  das 
allgemeine  Capitel  des  speciellen  Theiles  der  Agrargeschichte,  dem  der 
dritte  und  vierte  Abschnitt  zusammen  gewidmet  sind. 

Da  im  vierten  Abschnitte  die  Production  und  Vertheilung  des  Boden- 
ertrages erörtert  wird,  geht  folgerichtig  im  dritten  die  Behandlung  der 
Eigentumsformen  voraus,  die  Grund  und  Grundlage  für  die  Art  und  Weise 
bilden,  warum  und  wie  erstere  erfolgen. 

Die  bäuerliche  Wirtschaft,  die  im  früheren  Mittelalter  eigentlich  eine 
besondere  Form  des  gutsherrlichen  Betriebes  war,  ist  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten des  Mittelalters  zu  einer  besonderen  Betriebsform  der  Land- 
wirtschaft geworden,  namentlich  die  Körnerproduction  ist  nahezu  gänzlich 
in  die  Hände  der  bäuerlichen  Bevölkerung  übergegangen.  Nur  in  ge- 
wissen Specialculturen,  wie  im  Wein-  und  Hopfenbau  hat  sich  auch  jetzt 
noch  ein  nicht  unbeträchtlicher  Eigenbetrieb  der  Grundherren  erhalten, 
zum  Theil  sogar  erst  entwickelt.  Ebenso  steht  die  Viehzucht  dem  grund- 
herrlichen Betriebe  näher  und  hat  von  ihm  in  wesentlichen  Stücken  Pflege 
und  Förderung  erfahren.  Vor  allem  ist  die  Pferdezucht  immer  eine  Haupt- 
angelegenheit der  grundherrlichen  Verwaltung  gewesen  (Bedarf  der  Ritter- 
schaft an  Pferden).  Der  Rinderzucht  hat  der  Grossbetrieb  in  den  vielen 
herrschaftlichen  Schwaigen  und  auf  den  Alpen  grosse  Dienste  geleistet, 
auch  Viehzuchtsproducte  besonders  Milch  und  Butter  liefern  die  herr- 
schaftlichen Viehhöfe  nicht  nur  zum  Eigenbedarfe,  sondern  auch  für  den 
Markt.  In  der  Schweine-  und  Schafzucht  ist  die  grundherrliche  W  rt- 
schaft  sogar  absolut  überlegen  durch  ihre  Vorherrschaft  in  der  Allmende 
und  insbesondere  im  Walde,  sowie  durch  ihre  qualifizirte  Fähigkeit  Herden 
zu  halten  und  zu  behüten. 

Aber  doch  reicht  auch  in  der  Viehzucht  der  herrschaftliche  Eigen- 
betrieb an  die  Bedeutung  der  zinsenden  Bauernbetriebe  mit  ihrer  Massen- 
pro luction  im  ganzen  nicht  hinan.  Was  speciell  an  Fleisch  und  Käse. 
Hühnern  und  Eiern  von  diesen  producirt    wurde,    ist  jedenfalls  ein  Viel- 

Mittheiltingen  XX.  43 


(3ß(3  Literatur. 

faches  von  den  gesammten  Producten  der  herrschaftlichen  Wirtschaft  und 
gibt  noch  immer  den  Ausschlag  bei  der  Beurtheilung  der  nationalen  Vieh- 
zucht überhaupt. 

Eine  wesentliche  Bereicherung  ihres  Inhalts  hat  die  Bodenj)roduction 
im  Laufe  dieses  Zeitraumes  durch  die  Betheiligung  der  Städte  an  dem 
Landwirtschaftsbetriebe  erhalten.  Im  gartenmässigen  Anbau  von  Gemüse 
und  Handelspflanzen,  von  Wein  und  Hopfen,  aber  auch  in  der  Viehzucht 
und  der  Fortswirtschaft  haben  die  Städte  einen  nicht  unwesentlichen  An- 
theil  an  der  ganzen  nationalen  Production  genommen,  der  umsomehr  ins 
Gewicht  fällt,  als  er  in  ungleich  grösserem  Masse  als  die  Production  der 
übrigen  Wirtschaftskreise  directe  Marktware  zu  liel'ern  bestimmt  war. 
Eine  wichtige  Erkenntnis  über  die  Entwicklung  in  der  Lage  des  Bauern- 
standes ist  die,  dass  sich  dieser  in  der  Kaiserzeit  in  aufsteigender  Linie 
bewegt.  Seine  Besitzrechte  an  Grund  und  Boden  hatten  sich  verbessert, 
die  Betriebsmittel  der  bäuerlichen  Wirtschaft  vermehrten  und  vervoll- 
kommneten sich,  über  seine  Arbeitskraft  wie  über  Ertrag  des  Bodens 
verfügte  der  Bauer  zusehends  freier;  dazu  schufen  ihm  die  grossen  Colo- 
nisationen,  die  Städteentwickelung  und  die  Rodungen  in  der  Allmende 
Luft,  Bewegung  und  gesteigerten  Erfolg;  eine  wesentliche  Besserung  der 
socialen  Lage  der  Bauern  war  der  letzte  Ausdruck  aller  dieser  Thatsachen. 
Namentlich  das  1 3.  und  die  erste  Hälfte  des  1 4.  Jahrhunderts  war  eine 
relativ  günstige  Zeit.  Dagegen  tritt  noch  im  Laufe  des  14.  Jahrhunderts 
ein  Umschwung  ein,  die  Entwickelung  wird  eine  absteigende,  die  Lage 
der  bäuerlichen  Classe  verschlechtert  sich  successiv.  um  im  16.  Jahrhun- 
derte den  Boden  für  den  grossen  deutschen  Bauernaufstand  vorzubereiten. 

Mannigfache  Gründe  wirkten  da  zusammen:  die  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten des  Mittelalters  rapid  vor  sich  gehende  Münzverschlechterung, 
fallende  Getreidepreise  während  des  15.  Jahrhunderts.  Aufhören  der  Colo- 
nisation,  Rückgang  in  der  Zahl  neu  entstehender  Städte,  vor  allem  Neu- 
auflegung  und  Ueberhandnahme  von  Frondiensten.  Zu  den  grund-  und 
vogteiherrlichen  Fronden  der  älteren  Zeit  kamen  öffentliche  Fronden,  die 
die  Landesherren  durch  directe  Geltendmachung  eines  landesherrlichen 
Arbeitszwanges  ihren  ünterthanen  auflegten.  Während  des  1 3.  Jahrhun- 
derts übt  nur  der  Landesherr  ein  Besteuerungsrecht  aus  und  verlangt 
von  den  Bauern  Hand-  und  Spanndienste  zum  Bau  der  Burgen  und  Brücken, 
sowie  als  eigentlichen  Herrendienst.  Aber  mit  der  Gerichtsbarkeit  geht 
auch  das  Recht  auf  die  Fronden  der  Bauern  vom  Landesherrn  auf  die 
Vasallen  über  und  damit  ergibt  sich  auch  die  Möglichkeit,  dass  die  Dienste 
auch  von  den  Erbzinsleuten  für  die  Wirtschaft  des  Gutsherrn  ebenso  wie 
für  die  öffentlichen  Arbeiten  verlangt  werden. 

Trotzdem  die  Anschauung  von  der  Verschlechterung  in  der  Lage  des 
Bauernstandes  im  Laufe  des  1 4.  und  1 .5.  Jahrhunderts  gegenüber  der 
im  13.  Jahrhunderte  aus  den  zweifellosen  wirtschaftsgeschichtlichen  That- 
sachen a  priori  anzunehmen  ist,  scheint  dieselbe  immerhin  noch  ein 
Beweisthema  für  Detailuntersuchungen  zu  sein,  die  sich  in  der  Richtung 
zu  bewegen  hätten,  in  fortlautenden  ürbarien  derselben  Herrschaften  für  die 
Zeit  vom  13.  bis  ins  16.  Jahrhundert  die  Veränderungen  in  der  Kelastung 
der  einzelnen  bäuerlichen  Wirtschaftseinheiten  festzustellen.. 

Wien.  ;  ,        Karl  Schalk. 


Literatur.  •  gg;j 

Julius    Lippert,    S  o  ciaige  schichte    Böhmens    in    vor- 
hussitischer    Zeit.     II.    Band:     Der    sociale    Einfluss    dei- 
ch ristlich -kirchlichen     Organisationen     und    der    deut- 
schen Colonisation.     1898.  446  S.  i). 
« 

Das  Werk  Lipperts  ist  mit  dem  2.  Bande  zum  Abschluss  gekommen, 
ohne  eigentlich  fertig  zu  sein.  Der  Verf.  beabsichtigte  den  ersten  beiden 
Bänden,  welche  »gleichsam  nur  die  socialen  historischen  Elemente  bilden, 
aus  denen  alle  gesellschaftlichen  Einrichtungen«  Böhmens  »emporkeimten«, 
eine  zusammenfassende  Darstellung  nachfolgen  zu  lassen,  weiters  aber  auch 
das  Werk  über  die  bisherige  Zeitgrenze  —  c.  14  00  —  fortzusetzen.  Der 
Grund,  den  er  für  die  ünausführbarkeit  dieser  weiteren  Theile  namhaft 
macht,  ist  im  höchsten  Grade  bedauerlich:  »der  Kreis  der  sich  um  böh- 
mische Dinge  in  deutscher  Darstellung  Interessirenden  ist  zu  klein,  um 
ein  solches  Unternehmen  tragen  zu  können«.  Es  mag  immerhin  wahr 
sein,  dass  Lippert  kein  leicht  zu  lesender  Stilist  ist,  dass  er  nicht  immer 
auf  der  Höhe  der  kritischen  Forschung  steht,  dass  er  sich  durch  sociolo- 
gische  Gedanken  oft  mehr  leiten  lässt,  als  durch  die  nüchterne  Sprache 
der  Urkunden  —  jedenfalls  hat  er  in  seiner  Socialgeschichte  Böhmens  eine 
Arbeit  geliefert,  die  einen  grossen  und  ernsten  Leserkreis  verdiente.  Sein 
Werk  betrifft  ein  Thema,  das  in  Böhmen  nie  aufgehört  hat  actuell  zu  sein 
und  es  heute  mehr  ist.  denn  je.  Gerade  in  der  Zeit  zwischen  dem  Er- 
scheinen des  1.  und  2.  Lippert'schen  Bandes  ist  in  Prag  ein  von  der 
»Kön.  böhm.  Gesellschaft  der  Wissenschaften«  preisgekröntes  Buch  er- 
schienen, Ferdinand  Tadra's  »Kulturni  styky  Cech  s  cizinou  az  do  välek 
husitskych«  (Die  kulturellen  Berührungen  Böhmens  mit  der  Fremde  bis 
zu  den  Husitenkriegen),  das  in  gewisser  Beziehung  denselben  Stoff,  wie 
Lipperts  Werk  und  besonders  der  II.  Band  desselben  behandelt.  Es  wäre 
gewiss  lohnend,  diese  zwei  Sctiriften  in  ihren  Ausführungen  und  Ergeb- 
nissen gegen  einander  zu  halten;  mir  lag  es  nur  daran  hervorzuheben, 
dass  Lipperts  Arbeit  schon  als  Gegengewicht  gegen  Tadra,  der  selbst  von 
connationaler  Seite  sich  ernste  Vorwürfe  gefallen  lassen  musste,  am 
Platze  ist. 

Im  ersten  Bande  sucht  L.  zu  zeigen,  zu  welcher  staatlichen  Orga- 
nisationsform die  Slaven  in  Böhmen  während  ihrer  Jahrhunderte  langen 
Ansässigkeit  gelangten,  was  sie  für  den  Ausbau  der  Kultur,  für  die  Be- 
siedlung des  Landes  thaten.  In  der  Ausbildung  ihrer  Institutionen  aus 
eigener  Wurzel  wurden  sie  nun  zweimal  auf  das  nachhaltigste  beeinflusst; 
einmal  durch  die  Einführung  des  Christentums,  sodann  durch  die  deutsche 
Colonisation.  Das  Wesen  und  die  Wirkungen  dieser  beiden  neuen  Elemente 
in  dem  socialen  Leben  des  böhmischen  Volkes  darzulegen,  ist  die  Aufgabe 
dieses  zweiten  Bandes.  Jenes,  das  Christentum,  schuf  Klöster  und  Stifte, 
dieses,  die  deutsche  Colonisation.   Stadt-  und  Dorfgemeinden. 

Bei  der  Betrachtung  des  »  socialen  Einflusses  der  christlich-kirchlichen 
Organisationen«,  dem  die  1.  Abtheilung  gewidmet  ist,  nimmt  der  Verf. 
den  Ausgangspunkt  von  dem  üebergang  des  heidnischen  in  den  christ- 
lichen Cult;    »Die  Zeit  des  Ueberganges  der  Culte«   heisst  der   1.  §.     Die 


1)  Vgl.  die  Anzeige  des  I.  Bandes  in  MittheiL  XVIII  (1897j,  S..  624  flt. 

43* 


668 


Literatur. 


ruhige  und  friedliche  Christianisirung  Böhmens  lag  begründet  einerseits 
in  dem  ]\Iiingel  eines  selbständigen  heidnischen  Priesterstandes,  der  durch 
die  neuen  Glaubenshoten  erst  hätte  verdrängt  werden  müssen,  und  dann, 
weil  nicht  »aus  einer  inneren  Gährung  der  Massen  heraus ^S  sondern 
zuerst  durch  die  Taufe  der  Grossen  des  Landes  das  Christentum  ins  Land 
eindrang.  Den  Anknüpfungspunkt  zwischen  altem  und  neuem  Cult  bildete 
aber  vornehmlich  das  früher  wie  jetzt  hochentwickelte  Bedürfnis  der  Für- 
sorge für  das  Fortleben  der  Seele.  Von  dieser  Vorstellung  der  Seel- 
geräthstiftung  beurtheilt  nunmehr  der  Verf.  die  Formen,  in  denen  sich  die 
christlich-kirchlichen  Organisationen  ausbildeten:  zunächst  die  »Collegiat- 
stifte^S  dann  die  » Mönchsorden *^'=  »ritterlichen  Onlen«  und  »jüngeren 
(Mendicanten-)  Orden*.  Auf  diesem  Grundgedanken  baut  sich  die  ziemlich 
eingehende  Darstellung  der  materiellen  Entwicklung  dieser  verschieden- 
artigen Stiftungen  auf.  Es  war  unausweichlich,  dass  nach  Erschöpfung 
des  »schon  erschlossenen  Nährbodens <S  nun  auch  »halb  erschlossenes  Ge- 
biet im  Uebergange  zu  alten  Markwaldungen  und  in  diese  selbst  hinein^ 
verschenkt  wurde,  was  nun  wirtschaftliche  Culturarbeit  vom  Grunde  aus 
bedingte,  allein  L.  betont  und  erweist  durch  die  Quellen,  wie  wenig  bei 
diesen  Stiftungen  die  Colonisation  an  sich  ins  Auge  gefasst  wurde,  we- 
nigstens bis  in  die  Mitte  des  12.  Jhd's.  Lediglich  das  Cultraoment,  die 
» Seelsorge  *^  in  dem  Sinne  nämlich  der  Obsorge  für  das  Seelenheil  der 
Stifter  bildete  die  Triebfeder  bei  der  Gründung  und  Ansiedlung  dieser 
klösterlichen  Institute.  Sehr  deutlich  und  belehrend  schildert  der  Verf. 
die  Modification  in  der  Art  dieser  Leistungen  für  das  Seelgeräthe,  die 
ailraählige  Herabstiminung  der  Leistungen  von  den  ursprünglichen  gewal- 
tigen Gütercomplexen  bis  schliesslich  zu  den  unbedeutendsten  Gaben  be- 
weglichen Gutes,  mit  denen  sich  die  Mendikanten  zufrieden  gaben.  »Der 
Kampf  um  das  Stiftungsgut  ^'^  —  so  heisst  der  letzte  Paragraph  dieses  ersten 
Abschnittes  —  steht  dann  im  Zusammenhange  mit  dem  grossen  an  den 
Namen  P.  Gregors  VIL  sich  knüpfenden  Kampfe  zwischen  Kirche  und 
Staat,  der  sich  nach  L's.  Anschauung  in  Böhmen  in  dem  »ziemlich  lang- 
wierigen Prozess  zwischen  König  Ottokar  I.  und  der  Curie <^  kristallisirt 
und  in  dem  für  die  Kirche  durchaus  siegreichen  Concordat  von  122  2 
seinen  Abschluss  findet.  Es  ist  für  den  Ueberblick  der  ganzen  Entwick- 
lung erschwerend,  dass  der  Verf.  die  weitere  Ausbildung  und  Entwicklung 
des  » Seelgeräthes «  nach  diesem  Kampfe  in  den  früheren  Paragraphen,  die 
die  Zeit  der  »ritterlichen«  und  »jüngeren  Orden«  behandeln,  voraus- 
genommen hat;  und  der  Grund,  der  dieser  Disposition  möglicherweise 
zugrunde  liegt,  dass  die  Zeit  der  Entstehung  der  bischöflichen  und  klöster- 
lichen Immunitäten  in  unseren  Ländern  sich  deckt  mit  dem  Beginn  der 
deutschen  Colonisation,  findet  sich  nicht  genügend  hervorgehoben.  Sehr 
bedauern  wir.  dass  der  Herr  Verf.,  anders  als  in  dem  1.  Bande  seines 
Werkes,  der  inneren  Organisation  weniger  Aufmerksamkeit  geschenkt  hat. 
Nur  in  den  Schlussbemerkungen  zu  diesem  ersten  Abschnitte  fimlet  sich 
eine  Andeutung  über  den  Einfluss,  den  alle  diese  v  Neuentwicklungen «  auf 
den  Bauernstand  gehabt  haben.  Wir  sehen  in  der  Darstellung  ganz  klar, 
wie  das  grosse  » Kirchengut ^S  das  etwa  ein  Drittel  des  ganzen  Landes 
ausgemacht  haben  .soll,  binnen  zwei  Jahrhunderten  entstanden  ist,  allein 
die  Veränderungen,  die  sich  hiedurch  in  der  Bewirtschaftung,  in  der  Aus- 


Literatur.  ßßg 

nützung  des  Bodens  durch  diese  neuen  Kräfte,  in  dem  Zustand  der  ab- 
hängigen Bevölkerung  vollziehen,  werden  uns  kaum  angedeutet.  Ich 
glaube  gerade  die  Immunitätsurkunden  hätten  hiefür  noch  manchen  die 
Verhältnisse, klar  beleuchtenden  Aufschluss  zu  bieten  vermocht.  Doch  hat 
L.  diese  mehr  wirtschaltlichen  Fragen  vt^enigstens  dann  im  2.  Abschnitt 
dieses  Bandes,  der  von  dem  »socialen  Einfluss  des  deutschen  Elements 
iin   Lunde^   handelt,   wieder  stärker  berücksichtigt. 

Das  was  uns  L.  hier  bietet,  verdient  überhaupt  schon  ob  der  Ueber- 
sichtlichkeit  und  Reichhaltigkeit  volle  Anerkenung.  Er  beginnt  mit  der 
»Städtischen  Colonisation«,  die  ihren  Anfang  nimmt  mit  »der  deutschen 
Gemeinde  zu  Prag  —  der  ersten  Bürgerstadt«.  Ihr  eigentlicher  Begründer 
und  Schöpfer  ist  König  Wratislav  (i061  — 1092),  das  Wesen  ihrer  für 
Böhmen  völlig  neuartigen  Organisation  ihre  Selbstverwaltung  und  Selbst- 
gerichtsbarkeit. Prag  unterscheidet  sich  aber  von  den  übrigen  deutschen 
Städten  des  Landes  durch  die  Art  ihrer  Entstehung,  indem  sie  allein  von 
;illen  gleichsam  aus  einer  zufälligen  Wurzel,  der  ursprüglichen  deutschen 
Colonie  im  Suburbium  der  Burg  herausgewachsen  ist,  während  die  anderen 
von  Grundherren  planmässig  beabsichtigte  Anlagen  zum  Zwecke  »vortheil- 
hafter  Verwertung  des  Grundes  und  der  besonderen  Erwerbsgelegenheit« 
bilden.  Das  System  dieser  zweiten  Gruppe  »der  Bürgercolonien  auf  Königs- 
boden als  königliche  Städte  -  wird  im  2.  §  vorgeführt  und  die  Stadt 
Policka  als  Paradigma  diest-r  Gründungen  eingehend  behandelt.  Darauf 
folgen  in  §  3  »Die  Städtegründungen  im  Einzelnen -,  um  den  ungeheuren 
Umfang,  den  die  deutschen  » Bürgeransiedlungen  <^  in  Böhmen  genommen 
haben  und  den  Antheil,  den  die  einzelnen  Fürsten  daran  haben,  detaillirtest 
vorführen  zu  können.  Lippert  hat  damit  ein  ebenso  anschauliches  als 
reiches  Bild  von  dem  deutschen  Städtewesen  in  Böhmen  geliefert,  eine 
sichere  Grundlage  für  den  weiteren  Bau  einer  böhmischen  Städtegeschichte 
insbesondere  vom  wirtschaftlichen  Gesichtspunkt.  Was  für  sociale  Umge- 
staltungen die  Einführung  der  bürgerlichen  Gemeinden  im  Lande  im  Ge- 
folge hatte,  führt  der  Verfasser  im  nächsten  4.  §  aus.  Es  muss  nach 
Lipperts  Darstellung  ein  ausserordentlich  grosser  Prozentsatz  gewesen 
sein,  um  den  die  Bevölkerung  des  Landes  zufolge  der  deutschen  Colo- 
nisation  vermehrt  wurde,  die  sich  in  Kleidung  und  Sitte,  Recht  und 
Sprache  von  der  einheimischen  streng  schied,  die  sich  ihr  nur  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  und  anfangs  nur  ganz  langsam  assimilirte,  indem 
sie  als  Handwerksciasse  in  die  Städte  einzog,  um  der  wirtschaftlichen, 
bald  aber  auch  der  politischen  Vortheile  der  neuen  Organisation  theil- 
haftig  zu  werden.  Doch  auch  in  dem  Wesen  der  neuen  städtischen  Ge- 
bilde herrschte  grosse  Mannigfaltigkeit.  L.  scheidet  zunächst  von  den 
eigentlichen  königlichen  Städten,  deren  Kennzeichen  darin  liegt,  »dass  sie 
aus  jedem  Zusammenhange  mit  jedem  anderen  Verwaltungsorgane  aus- 
geschaltet lediglich  dem  Unterkämmerer,  d.  i.  der  für  sie  eigens  geschaf- 
fenen Behörde  des  liönigs  unterworfen  sind  und  unmittelbar  an  die  Kam- 
mer ihren  Kamraerzins  entrichten '^^  die  königlichen  Villicationsstädte,  »die 
zunächst  als  Rentobjecte  den  Villications-Beamten  untergeordnet  blieben«: 
der  Aufzählung  solcher  mit  Darstellung  ihrer  Entstehung  und  Ausbildung 
ist  der  §  5  gewidmet,  ohne  dass  hierin  wegen  des  Quellenmangels  eine 
auch  nur  annähernde  Vollständigkeit  zu  erreichen  war.     Dann  lernen  wir 


(370  Literatur. 

in  §  6  die  »Städtegründungen  geistlicher  Herrschaften  •,  in  §  7  die  »auf 
Adelsgütern  ^^  kennen.  Und  nun  folgen  zwei  Paragraphe  unter  dem  Titel 
»Charakter  der  Stadtanlagen ^^  und  » Sprachenverhältnisse <S  die,  wenn  auch 
kurz,  uns  in  das  innere  Leben  der  neuen  Bildungen  einführen.  Der 
Grundplan  der  Städte,  die  Bauanordnung,  die  Bevölkerungsclassen.  die 
neuen  Betriebsformen,  vor  allem  das  Aufkommen  der  Tuchmacherei.  die 
irüher  dem  Lande  fremd  war,  werden  erörtert.  Die  Ausführungen  über 
die  Sprachenverhältnisse  haben  dann  eigentlich  den  Zweck  die  Vorstel- 
lungen über  die  weite  Verbreitung  der  deutscheu  Sprache,  wie  sie  sich 
im  Leser  aus  den  früheren  Kapiteln  leicht  bilden  könnten,  auf  das  richtige 
Maass  einzuschränken.  Ein  letzter  §  behandelt  dann  noch  gleichsam  an- 
hangsweise die  »Ländliche  Colonisation*  als  solche,  nachdem  sie  auch 
schon  in  den  früheren  Ausführungen  über  die  städtische  Colonisation  viel- 
fach gestreift  worden  war.  Wichtig  ist,  dass  L.  hier  neben  der  fränki- 
schen Kolonisation,  deren  typische  Form  A.  Meitzen  in  Meissen,  der  Ober- 
lausitz, Schlesien  und  Böhmen  nachwies,  eine  zweite  »ältere«  Form  zu 
constatiren  sucht,  die  vorzugsweise  dem  »bairisch-österreichischen  Stamme* 
angehört  und  sich  durch  das  Zehentsystem  der  Naturabgaben  im  Gegen- 
satze zum  festen  Geldzins  charakterisirt,  ebenso  wie  durch  die  verschiedene 
Anlage.  L.  verfolgt  von  der  Hohenfurter  Gegend  ausgehend  die  Coloni- 
sation nach  beiden  Formen  wenigstens  in  grossen  Zügen  durch  das  ganze 
Land  und  schliesst  mit  dem  Nachweis  der  Umlocirung  alter  Dörfer,  dh.  der 
Umwandlung  der  alten  Besitzungen  der  »toten  Hand"^  durch  das  Burg- 
recht in  ertragsfähigere  Rentengüter,  wie  sie  besonders  das  14.  Jhd. 
beherrscht. 

Scheint  es,  als  ob  dieses  für  die  Geschichte  Böhmens  bedeutsame 
Werk,  dessen  nicht  mindestes  Verdienst  hoffentlich  darin  bestehen  wird, 
dass  es  zur  Forschung  auf  dem  Gebiete  der  Social-  und  Wirtschafts- 
geschichte neue  Anregung  bieten  dürfte,  nicht  ohne  die  Unterstützung  der 
»Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Literatur  und  Kunst ■■= 
hätte  erscheinen  können,  so  gebührt  dieser  besonderer  Dank.  Sie  hat 
hier  eine  Arbeit  unterstützt,  die  kein  österreichischer  Historiker  über- 
sehen darf. 

Brunn.  B  e  r  t  h  o  1  d  B  r  e  t  h  o  1  z. 


Neuere  Arbeiten  zur  Wielif-  und  Husliteratur. 

Hier  sind  in  erster  Linie  die  neuesten  Ausgaben  Wiclif'scher  Werke, 
vornehmlich  als  abgeschlossenes  Werk  ilie  Ausgabe  von  Wiclifs  Tractatus 
de  Simonia  durch  Herzberg-Fränkel  und  M.  H.  Dziewicki  zu  nennen.  Da 
in  diesen  Blättern  über  die  Arbeiten  der  Wielif-  (in  England  schreibt  man 
seit  Matthew's  sachgemässen  Erörterungen  Wyclif)  Society  noch  nichts 
zusammenhängendes  gesagt  wurde,  möge  mir  gestattet  sein,  etwas  weiter 
auszuholen  und  ohne  in  einzelnes  einzugehen,  die  Leistungen  der  W.  S. 
hier  anzuführen.  Seitdem  sie  zur  Feier  des  fünfhuudertjährigen  Todes- 
tages W.'s  dessen  polemische  Schritten  vor  etwas  mehr  als  drei  Lustren 
erscheinen  Hess,  hat  sie  nicht  weniger  als  24  Bände  Wiclif'scher  Schriften 
publicirt,  eine  Leistung,  die  um  so  höher  anzuschlagen  ist,  wenn  man  die 


Literatur.  gY  1 

wahrhaft  ärmlichen  Mittel  in  Kechnung  zieht,  mit  denen  die  Gesellschaft 
arbeitet.  An  die  polemischen  Schriften  Wiclifs,  deren  treffliche  Ausgabe 
wir  Rudolf  Buddensieg  in  Dresden  danken,  schlössen  sich  als  Vereinsgabe 
für  1884  an  De  Civili  Dominio  I  (ed.  Reginald  Lane  Poole)  und  De  Com- 
positione  Hominis  (ed.  R.  Beer),  für  1885  De  Ecclesia  (ed.  Loserth)  und 
der  Dialogus  sive  speculum  ecclesiae  militantis  (ed.  Pollard),  für  1886 
De  Benedicta  Incarnatione  (ed.  Harris)  und  Sermones  1  (ed.  Loserth),  für 
1887  Sermones  E  (ed.  Loserth)  und  De  Officio  regis  (ed.  Pollard  and  Sayle), 
für  1888  Sermones  III  (ed.  Loserth)  und  De  Apostasia  (ed.  Dziewicki), 
für  1889  Sermones  IV  (ed.  Loserth),  für  1890  De  Dominio  Divino  (ed. 
Poole)  für  1891  Quaestiones  und  De  Ente  Praedicamentali  (ed.  Beer), 
1892  De  Eucharistia  (ed,  Loserth),  1893  De  Blasphemia  (ed.  Dziewicki) 
1894  Logica  1  (ed.  Dziewicki),  1895  Opus  Evangelicum  I  Sc  II  (ed.  Loserth) 
1896,  Opus  Evangelicum  III  Sc  IV  ^=  De  Antichristo  (ed.  Loserth),  1897 
Logica  II  (ed.  Dziewicki)  und  1898,  De  Simonia  (ed.  Herzberg  Fränkel  et 
Dziewicki).  Schon  erschien  als  Vereinsgabe  für  1900  De  Civili  Dominio  II 
(ed.  Loserth);  noch  11  Bände,  und  die  gesummten  Werke  Wiclifs  liegen 
dann  in  kritischen  Ausgaben  vor,  eine  Sache,  die  von  ausserordentlicher 
Wichtigkeit  ist,  weil  sich  erst  dann  eine  genauere  Darstellung  des  Ent- 
wicklungsganges des  englischen  Reformators  gelten  lässt;  bevor  dies  ge- 
schehen, müssen  alle  Anwürfe  gegen  Wiclif,  als  sei  er  sich  in  seinen 
Ueberzeugungen  nicht  consequent  geblieben,  zurückgewiesen  werden.  Gewiss, 
er  hat  über  manche  Materien  sich  in  widersprechender  Weise  geäussert, 
aber  wie  man  hinzuzufügen  hätte,  nicht  zu  derselben  Zeit,  was  man  schon 
aus  den  bisher  publicirten  Schriften  mit  aller  Deutlichkeit  ersehen  kann. 
Bekanntlich  sind  nicht  alle  theologischen  Schriften  Wiclifs  (und  nur  diese 
will  ich  hier  erwähnen),  von  gleichem  Werte.  Während  manche  durch 
ihren  gedankenschweren  Inhalt  und  die  gefällige  Form  der  Darstellung 
auffallen,  einzelne  wie  der  Trialogus  eben  durch  den  Aufbau  und  die  Form 
der  Darstellung  in  ihrer  Zeit  nicht  gleiches  fanden,  sind  andere  mehr 
oder  minder  zufällige  Gelegenheitschriften,  wie  z.  B.  selbst  sein  berühmtes 
Buch  von  der  Kirche,  oder  sein  dreibändiges  Werk  De  Civili  Dominio, 
von  den  grösseren  und  kleineren  Streitschriften  gar  nicht  zur  reden. 
Man  muss  das  im  Auge  behalten,  um  manche  Eigenthümlichkeiten  der 
Wiclif'schen  Conception  zu  verstehen,  zunächst  schon  das,  dass  in  so  vielen 
Schriften  dasselbe  gesagt  wird,  die  gleichen  Argumente  nur  anders  gruppirt 
sind  und  damit  eine  andere  Schrift  zu  Tage  gefördert  wird.  Zu  den  besseren 
Arbeiten  gehört  nun  auch  die  vorliegende,  wenngleich  sie  Dziewicki  etwas 
zu  hoch  einschätzt.  Ihre  Ausgabe  danken  wir,  wie  schon  oben  angedeutet 
ist,  dem  Fleisse  Herzberg-Fränkels,  d-er  uns  einen  correcten  Text  bietet 
und  diesen  mit  reichen  kritischen  imd  sonstigen  sachlichen  Noten  versehen 
hat  1).  Da  er  selbst  durch  viele  andere  Arbeiten,  schliesslich  durch  seine 
Uebersiedlung  an  der  Beendigung  des  ganzen  Unternehmens  verhindert 
war,  trat  für  ihn  Dziewicki  in  dankenswerter  Weise  ein.  Doch  bringt 
uns  auch  die  Einleitung  noch  aus  der  Feder  Herzberg-Fränkels  die  all- 
gemeinen Bemerkungen  und  was  das  Wichtigste  ist,  die  Berichte  über  die 


")  Johannes  W3-clif   tractatus    de    Simonia    ed.  Herzberg-Fränkel    u.    M.  H. 
Dziewicki,  London  1898  by  Trübner  ii  C. 


(372  Literatur. 

einzelnen  Handschristeu  und  deren  Ueberlieferung.  Dziewicki  fügt  an. 
was  sich  über  das  Datum  der  Abfassung  sagen  lässt  und  gibt  endlich 
eine  genaue  Angabe  des  Inhalts.  Ich  kann  über  diese  Ausgabe  als  solche 
nach  mehrfacher  eingehender  Benützung  nur  das  Beste  sagen.  S.  XIV 
würde  ich  gern  noch  hinzugefügt  sehen,  dass  in  De  Simonia  Wiclifs 
Schriften  De  Veritate  Sacrae  scripturae  und  De  Eucharistia  citirt  werden, 
deren  Abfassungszeit  sich  mehr  oder  minder,  namentlich  genau  die 
der  ei'steren  feststellen  lässt.  Mit  den  ersten  Worten  De  Simonia:  Post 
generalem  sermonera  de  heresi  restat  de  eius  partibus  pertractandum  knüpft 
Wiclif  offenbar  an  ein  früheres  Werk  De  heresi  an.  Welches  ist  dies? 
Soll  man  an  ein  verlorenes  Werk  W.'s  denken? 

Ueber  meine  Ausgabe  von  W.'s  De  Civili  Dominio  II  will  ich  nichts 
sagen,  ehe  der  dritte  Band  vorliegt  ^). 

Weniger  bedeutend  sind  die  neueren  Arbeiten  für  den  Husitismus. 
Von  verhältnismässiger  Wichtigkeit  ist  aber  doch  ein  Fund,  den 
Dr.  Ladislaw  Klicman  gemacht  hat,  der  in  dem  schon  von  Palacky  in 
seiner  Italienischen  Eeise  erwähnten  Cod.  Ottobonianus  lat.  348  den  gegen 
den  Magister  Hieronymus  von  Prag  in  Wien  im  Jahre  1410  geführten 
Prozess,  bezw.  die  Acten  dieses  Prozesses  gefunden  hat.  Ueber  die  Sache 
selbst  ist  man  auch  bisher  schon  aus  dem  bei  von  der  Hardt  IV,  68:5 
mitgetheilten  Schreiben  unterrichtet  gewesen,  aber  hier  erfahren  wir  in 
einem  notariellen  Aktenstück  die  Genesis  der  Anklage,  die  ihm  zur  Last 
gelegten  ketzerischen  Artikel,  die  von  Hieronymus  dagegen  gemachten  Ein- 
wendungen und  die  Zeugenaussagen  gegen  Hieronymus.  Diese  bieten 
deswegen  ein  grosses  Interesse,  weil  sie  uns  aus  den  früheren  Jahren  des 
Hieronymus,  namentlich  aus  der  Zeit  seines  Aufenthaltes  in  Paris  und 
Heidelberg  manche  wichtige  bisher  unbekannte  Einzelnheiten  bringen. 
Drum  ist  es  ein  Verdienst  Klicmans,  seinen  Fund  der  Oeffentlichkeit  über- 
geben zu  haben  -).  Die  Einleitung  führt  gleich  in  die  Sache  selbst  ein 
und  erzählt  den  Verlauf  der  ganzen  Handlung  in  Wien,  behandelt  dann  die 
einzelnen  Anklagen,  die  zum  Theil  die  Artikel  Wiclifs,  zum  Theil  spezielle 
Khigen  gegen  Hieronymus  betreffen  und  bespi  icht  dann  das  Alter  des  Cod.  Die 
Ausgabe  sclieint  correct  zu  sein.  Der  Herausgeber  hatte  nicht  die  Absicht 
über  die  geschichtliche  Bedeutung  des  processus  iudiciarius  sich  zu  verbreiten ; 
.  noth wendig  wäre  es  indess  doch  gewesen,  aus  den  von  mir  mitgetheilten 
Briefen  gegen  Hus  und  die  Pi'ager  Universität  seitens  des  Magisters 
Johannes  Siwart  und  der  Wiener  Universität  (mindestens  in  einer  Note) 
den  Benutzer  dieser  Ausgabe  auf  das  Schreiben  der  Wiener  Universität 
vom  Jahre  1413  hinzuweisen,  da  sich  dort  eine  Stelle  findet,  die  mau 
unzweifelhaft  auf  diesen  Prozess  deuten  wird  und  die  folgendermassen 
lautet:  Contentus  sub  qulbus  penis  idem  Jeronymus  sponte  se  obligavit 
et  publice  per  aliquos  terminos  iudiciales  servando  praemissa  comparuit. 
sed  cum  appropinquaret  terminus  examinandi  festes  idem  Jeronymus  sue 
obligacionis  et  fame  ymmo  salutis  immemor  dam  recessit,  sicque  dictas 
periurii   et  excommunicationis  penas  pronunciabatur    iudicialiter    in    causa 

•)  Johannes  Wyclif,  De  Civili  Dominio  liber  sceundus  ed.  J.  Losertb,  London 
1900  (a.  oben)  by  Trübner. 

-)  Processus  iudiciarius  contra  Jerouimum  de  Praga,  habitus  Viennae 
a.  1410—1412.  v  Praze.  Hist.  arcbiv  ceske  akademie.  öislo  12,  XI  und  43  S8.  gr.  8''. 


Literatur.  ß73 

heresis  incurrisse,  prout  praemissa  omnia  et  singala  de  Dominico  et  Jero- 
nymo  in  causarum  actis  luce  clarius  adapparent.  Und  auch 
dass  das  Vorgehen  im  Jahre  1413  mit  dem  des  Jahres  1410  zu- 
sammenhängt, wird  durch  die  Worte  angedeutet:  Estque  ob  hoc 
ipse  Jeronymus  hie  et  Präge  publice  denunciatus.  Man 
sieht,  dass  durch  den  von  Klicman  mitgetheilten  Processus  die  gegen 
Hieronymus  im  Jahre  1413  gerichteten  Anwürfe  erst  in  die  rechte  Be- 
leuchtung rücken,  diese  bilden  eine  Art  Fortsetzung  des  gegen  Hieronymus 
im  Jahre  1410  eingeleiteten  und  bis  zum  3J.  August  1412  fortgeführten 
Verfahrens.     In  beiden  liest  man: 


1412   August   31. 

excommunicacionem  plus 

quam  ultra  annum  sustinuit 

animo  indurato.  Qua  propter  .  .  . 
procurator  .  .  .  requisivit  .  .  .  officium 
officialis,  quatenus  dictum  magistrum 
...  ob  hoc  velut  hereticum  condem- 
pnare   .   .   voluerit. 


1413  nach  dem  8.  Juli. 
In  quibus  excommunicacione  et 
periurio  iuxta  pronunciacionem  pre- 
fati  domini  officialis  in  causa  heresis 
ultra  annum  pertinaci  animo  per- 
dui-avit.  Ob  quod  iuxta  dispositiouem 
iuris  et  sanctorum  patrum  sancciones 
non  restat  nisi  ipsum  velut  hereti- 
cum  .   .  condempnari: 

Von  sonstigen  in  dieses  Gebiet  einschlägigen  Arbeiten  sei  noch  er- 
wähnt die  Ausgabe  der  Historia  Gestorum  Christi  ex  quatuor  evangelistis 
in  unum  coUecta  atque  secundum  tres  annos  praedicationis  eins  distincta 
per  magistrum  de  Hussinetz  von  Herman  Lund ström  in  Upsala  ^)  — 
eine  Schrift  aus  dem  16-  Jahrhundert,  die  sich  in  dem  schwedischen  Stifts- 
archive zu  Linköping  in  Oestergötland  findet,  und  die,  wie  der  Heraus- 
geber meint,  »eine  Evangelienharmonie  oder  richtiger  die  Epitome  einer 
solchen  enthält  ^^  Die  Zugehörigkeit  zu  den  Schrilten  des  Hus  ist  trotz 
der  üeberschrift  eine  unsichere.  Dem  Inhalte  nach  dürfte  sie  eine  Aehn- 
lichkeit  mit  der  Brevis  historia  Christi  im  Cod.  pal.  Vindob.  4445  haben, 
die  das  gleiche  Incipit  hat:  In  principio  ei'at  verbum,  und  sieh  noch  ein 
zweitesmal  in  der  genannten  Bibliothek  findet.  Dem  Hus  wurden  be- 
kanntlich von  jeher  Schriften  zugeschrieben,  die  ihm  nicht  zugehören : 
giengen  doch  auch  Predigten  Wiclifs  unter  seinen  Namen.  Zu  den  refor- 
matorischen Schriften  wird  man  übrigens  die  Historia  gestorum  Christi 
nicht  zählen  dürfen.  Eine  kleine  Studie  des  Schreibers  dieser  Zeilen  -) 
behandelt  das  Leben  und  die  literarische  Wirksamkeit  Stephans  von 
Dolein,  der  unter  den  einheimischen  Gegnern  des  Hus  entschieden  der 
bedeutendste  und  auch  der  einzige  war,  der  mit  Erfolg  den  Kampf  gegen 
das  aus  dem  Wiclifismus  herauswachsende  Hussitenthum  aufgenommen  hat. 
In  dieser  Arbeit  werden  zwei  Briefe  Stephans,  der  eine  an  den  König 
Sigismund  (aus  dem  Jahre  1419,  enthält  die  Aufi'orderung,  in  Böhmen 
und  Mähren  Ordnung  zu  machen),  der  andere  an  den  Domherrn  Stephan 
von  Prag  mitgetheilt. 


')  Magister  de  Hussinetz  Historia  gestorum  Christi  för  första  gangen  utgifven 
med  inledning  af  Herman  Lundström.     Upsala  1898  50  SS. 

-)  Loserth,  die  literarischen  Widersacher  des  Hus  in  Mähren.  Zeitschrift 
des  Vereins  für  die  Geschichte  Mährens  und  Schlesiens  L  Jhg.  4.  Heft. 


gY4  Literatur. 

Auf  ein  viel  wichtigeres  Werk  darf  ich  an  dieser  Stelle  nur  mit 
wenigen  lobenden  Worten  hinweisen,  weil  ich  darauf  an  einem  anderen 
Orte  näher  einzugehen  habe:  es  ist  Jecht's  schöne  Ausgabe  der  auf  den 
Oberlausitzer  Hussitenkrieg  bezüglichen  Urkunden  i). 

J.  L  0  s  e  r  t  h. 


E.     Brau  eleu  bürg.     Moritz     vou    Sachseu.     I.     Bis    zur 
WitteuV)  erger  Capitulatio  n.     Leipzig   1898.  557   S. 

Wer  jemals  mit  lebhafteren  auf  das  Persönliche  gerichteten  Interessen 
an  die  Geschichte  der  Reformationszeit  herangetreten  ist,  dem  werden  vor 
allem  in  den  führenden  drei  Männern  psychologische  Probleme  lö^ens- 
würdigster  Art  begegnet  sein;  in  Martin  Luther,  Kaiser  Karl  V.  und 
Herzog  Moritz  von  Sachsen,  den  Trägern  nicht  blos  der  historischen  Ent- 
wicklung einer  der  bedeutsamsten  Geschichtsepochen,  sondern  auch  einer 
höchst  merkwürdigen,  vielfach  nahezu  räthselhaft  anmuthenden  persönlichen 
Eigenart.  Es  scheint  überflüssig,  auf  die  Menge  von  mehr  oder  minder 
gelungeneu  Versuchen,  das  Leben  des  deutschen  Reformators  darzustellen, 
auf  die  Geschichte  Karls  V.  von  Hermann  Baumgarten,  die  Studien  Levas 
über  den  Kaiser,  die  noch  immer  unübertroffene  wundervolle  Charakter- 
schilderung hinzuweisen,  die  Leopold  von  Ranke  von  ihm  entwirft:  was 
bisher  an  zusammenfassenden  Arbeiten  über  das  Leben  Moritzs  von  Sachsen 
vorgelegen  hat,  des  Mannes  »so  bedächtig  und  geheimnisvoll,  so  unter- 
nehmend und  thatkräftig,  mit  so  vorschauendem  Blick  in  die  Zukunft  und 
bei  der  Ausfühung  so  vollkommen  bei  der  Sache  und  dabei  so  ohne  An- 
wendung von  Treue  und  persönlicher  Rücksicht«  (Ranke,  Deutsche  Ge- 
schichte 5,  236),  ist  herzlich  wenig:  F.  A.  v.  Langenns  unkritische 
Materialiensammlung  und  die  hierauf  gegründete,  unvollendet  gebliebene 
Studie  G.  Voigts;  eine  brauchbare  Gesammtdarstellung  seines  Lebens  hat 
bis  nun  gefehlt;  diese  Lücke  auszufüllen  beabsichtigt  die  sehr  ein- 
gehende, vor  anderem  aut  die  systematische  Durcharbeitung  des  Acten- 
materiales  des  Dresdener  Hauptstaatsarchives  und  der  Archive  von  Mar- 
burg und  Weimar  gegründete  Blografie  E.  Brandenburgs,  deren  erster  die 
Zeit  vom  Regierungs beginn  als  Herzogs  bis  zum  Gewinn  der  sächsischen 
Kurfürstenwürde  und  -Lande  umfassender  Theil  hiemit  vorliegt;  der  Verf. 
will,  wde  er  im  Vorworte  bemerkt,  insbesondere  versuchen,  »den  Charakter 
und  die  einzelneu  Handlungen  des  Herzogs  Moritz  zu  verstehen  und  die 
Bedeutung  seines  Wirkens  für  Deutschland  und  für  Sachsen  zu  bestimmen « ; 
nach  beiden  Seiten  hin  ist  sie  nicht  ohne  sehr  bemerkenswerte  und  — 
wie  die  Dinge  zu  liegen  scheinen  —  unanfechtbare  Ergebnisse  geblieben: 
V  olle  Klarheit  des  Urtheilens  wird  freilich  erst  nach  Herausgabe  der  in 
Betracht  kommenden  Actenstücke  aus  den  obgenannten  Archiven  ermög- 
licht  sein. 

')  Codex  diplom.  Lusatiae  superioris  II  enthaltend  Urkunden  des  über- 
lausitzer  Hussitenkrieges  und  der  crleichzeitigen  die  Sechslande  angehenden 
Fehden.     Görlitz  1896  — 1S99. 


Literatur.  675 

Einer  Würdigung  der  poliiisch-geographischen  Situation  des  Wettin- 
schen  Besitzes,  im  besondern  der  von  Hohenzollern  und  Wettinern  gleich 
heissbegehr^en  Stadt  Magdeburg  und  einer  anschliessenden  knappen  Vor- 
geschichte des  sächsischen  Herzogs-  und  Kurfürstengesehlechts  folgt  eine 
sorgfältige  Schilderung  der  Jugendjahre  des  am  21.  März  1521  als  Sohn 
des  Herzogs  Heinrich  von  Sachsen  und  Katharinas  von  Mecklenburg  ge- 
borenen Moritz,  welche  die  religiöse  Indifferenz  (hiefür  vgl.  man 
u.  a.  das  merkwürdige  Memorial  des  Herzogs  vom  10.  März  154;".  von 
Br.  368  f.  in  Auszuge  mitgetheilt  ferner  s.  407/8)  des  späteren  Herzogs 
und  Kurfürsten,  seine  Abneigung  gegen  den  mit  zunehmendem  Alter  immer 
unduldsameren  Luther,  den  fast  völligen  Mangel  von  Gefühl  und  Rück- 
sicht aus  den  Verhältnissen  seiner  Jugendzeit  und  besonders  aus  dem 
schlechten  Verhältnisse  zu  seinen  Eltern  heraus  zu  erklären  unternimmt: 
eifrig  geht  der  Verf.  den  Spuren  der  Charakterbildung  des  jungen  Mannes 
nach:  frühzeitig  tritt  ein  Zug  von  Unaufrichtigkeit  an  diesem  hervor;  daraus 
entwickelte  sich  seine  Art,  »leicht  zu  versprechen  und  wenn  das  gege- 
bene Wort  unbequem  wurde,  solange  daran  herumzudeuten,  bis  nichts 
mehr  übrig  blieb  ^'^  (fil.  214);  von  allen  Leuten  ist  wohl  Landgraf  Philipp 
von  Hessen  zeitlebens  der  einzige  gewesen,  dem  Moritz  herzlich  zugethan 
war  und  blieb;  dessen  Tochter  Agnes,  am  11.  Jänner  1539  dem  Herzog  als 
Gemahlin  angetraut,  kam  nie  in  ein  rechtes  Verhältnis  zu  ihrem  Gatten ; 
sie  liebte  ihn,  lebte  aber  doch  eigentlich  »in  beständiger  Angst  vor  ihm. 
aufrichtig  wenn  er  zu  Hause,  und  in  fortwährender  Sorge  um  ihn,  wenn 
er  fort  war«;  rücksichtslos,  selbstbewusst  und  leidenschaftlich  tritt  er, 
kaum  erst  zwanzigjährig  am  18.  August  1541  die  Regierung  an  (L  Ab- 
schnitt S.    1 — 7  5). 

Vor  die  weitere  Betrachtung  der  politisch-historischen  Entwicklung 
der  Dinge  ist  eine  wohlgelungene  Betrachtung  der  Zustände  im  Reiche 
und  besonders  in  Sachsen  zur  Zeit  des  Regierungsantritts  Moritzens 
eingeschoben,  (H.  Abschnitt  70 — 15l);  in  kurzer  Ski/zirung  wird 
die  Wendung  von  der  Naturalwirtschaft  des  Grossgrundbesitzes  zur 
Geldwirtschaft  der  Städte  und  die  wachsende  Entwicklung  des  Terri- 
torialsystems in  Deutschland  dargestellt,  gezeigt,  wie  um  die  Zeit  des 
Eingreifens  der  reformatorischen  Bewegung  der  politischen  Geschlossen- 
heit des  Nordens  und  Ostens  eine  Vielheit  einander  widerstrebender 
Gewalten  im  Süden  und  Westen  gegenüberstand  und  die  Stellung  der 
einzelnen  Stände,  vor  allem  des  Kaisers  zur  neuen  Lehre  aus  ihren 
Interessen  heraus  erörtert;  fast  durchwegs  erscheinen  die  leitenden  Persön- 
lichkeiten glücklich  charakterisirt;  doch  kann  die  Zeichnung  der  hervor- 
ragendsten, des  Kaisers  selbst,  so  zutreffend  sie  im  ganzen  ist,  an  einer 
Stelle  nicht  widerspruchslos  bleiben;  wenn  der  Verf.  den  scrupellosen 
Idealisten  schlechtweg  nach  Sprache  und  Bildung  einen  Franzosen  nennt 
(S.  92),  so  steht  dieser  Behauptung  entgegen  und  ist  mit  Recht  neuestens 
darauf  hingewiesen  worden  (G.  Wolf,  Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter 
der  Gegenreformation  I,  286),  dass  der  Kaiser,  in  einem  mit  Deutschland 
noch  eng  verwachsenen  Lande  geboren,  von  einer  deutschen  Kaisertochter 
—  Margarethe  —  erzogen,  von  einem  den  deutschen  Gelehrtenkreisen 
nahe  verwandten  Manne  —  Adrian  von  Utrecht  —  seine  religiösen  Grund- 
sätze   empfangen    habe;    jene    absolute    Verständnislosigkeit    für    deutsche 


^376  Literatur. 

Verhältnisse,  deren  Karl  V.  von  der  Geschichtsforschung  bisher  gez'ehen 
wurde,  bestand  in  diesem  Ausmasse  nicht;  es  lag  von  jeher  in  der  Natur 
des  universalistischen  römischen  Kaiserthums  deutscher  Nation,  nicht 
deutsche,  sondern  Weltpolitik  zu  treiben ;  vpie  hätten  solche  Ueberlieferungen 
bei  dem  v^irklichen  Herrn  so  vieler  romanischer  Lande  nicht  die  tiefste 
Wirkung  üben  müssen! 

VortretFlich,  wenn  auch  naturgemäss  mehr  lokalgeschichtlich  be- 
fieutsam  erscheint  die  Darstellung  der  wirtschaftlichen,  rechts-,  verwaltungs- 
und  religionspolitischen  Zustände  in  den  Wettin'schen  Landen,  der  Ent- 
wicklung des  Berufsbeamtenthums  im  Gegensatze  zu  dem  Adel  —  umsomehr 
als  dem  Verf.  hiefür  keine  brauchbaren  Vorarbeiten  vorgelegen  haben. 

Jung,  ohne  politische  Anschauungen  und  Erfahrung,  von  fremdem 
Rath  und  Einfluss  vielfach  abhängig,  keineswegs  ein  »fertiger  Staats- 
mann"^ oder  ;, diplomatischer  Rechenmeister-^  wurde  Moritz  Herrscher; 
zunächst  war  er  fast  völlig  von  seinem  ersten  Minister,  dem  alten  Georg 
von  Carlowitz  geleitet;  die  Dresdener  Politik  der  Jahre  1541  — 1545  ist 
zum  allergrössten  Theile  Rathspolitik,  wenn  auch  gelegentlich  von  plötz- 
lichen Entschlüssen  des  Herzogs  durchbrochen;  Carlowitz  war  Neutralitäts- 
und Kirchenvermittlungspolitiker,  im  übrigen  ein  Parteimann  des  Hauses 
Habsburg  und  eifrig  darauf  bedacht,  seinen  jungen  Herrn  aus  dem 
schinalkaldischen  Bunde,  dem  sein  Vater  Herzog  Heinrich  beigetreten  war, 
und  überhaupt  aus  der  engen  Verbindung  mit  dem  Landgrafen  Philipp 
und  Kurfürsten  Johann  Friedrich  herauszuziehen ;  in  detaillirter  Unter- 
suchung führt  der  Verf.  vor,  wie  dies  mehr  und  mehr  gelang;  die  Ver- 
stärkung der  gegensätzlichen  Interessen  beider  Wettiner  half  dazu  und 
machte  die  Vermittlungsarbeit  des  Landgrafen  immer  schwieriger  und 
iindankbarer :  dass  sich  der  abenteuerlustige  Fürst  zu  dem  Türkenkriege 
von  1542  gewinnen  Hess,  dessen  kläglischer  Verlauf  nicht  ohne  Humor 
geschildert  wird  (213 — 21"),  brachte  ihn  den  Habsburgern  näher  und 
machte  die  protestantischen  Fürsten  misstrauisch ;  letzteres  um  so  mehr  als 
■  1er  Herzog  dem  schmalkaldischen  Bunde  nicht  beitrat;  lauter  Erfolge  des 
leitenden  Ministers,  der  in  Briefen  voll  rücksichtsloser  Schärfe  seines 
Herrn  Lehrmeister  blieb.   (III.  Abschnitt.    151 — 212). 

In  den  fortdauernden  Bemühungen  von  schmalkaldischer  und  habs- 
burgischer  Seite,  den  Herzog  herüberzuziehen,  wandte  Carlowitz  das  ganze  Ge- 
wicht seiner  Einflusses  den  letzteren  Bestrebungen  zu;  in  glücklicher  Klarheit 
veranschaulicht  der  Verf.  das  langsame  Vordringen  der  überlegenen  habs- 
burgischen  Politik  (vgl.  S.  244.  251,  275  und  die  Abschnitte  VI  und  VII, 
41 S — 442)  und  die  geringen  politischen  Fähigkeiten  der  protestantischen 
Fürsten;  die  magdeburgisch-halberstädtischen  Angelegenheiten,  der  eigent- 
lich unüberbrückbare  Gegensatz  zwischen  beiden  Wettinnern,  der  mehr  wie 
alles  andere  eine  engere  Beziehung  des  Herzogs  zu  den  schmalkaldischen 
Verbündeten  unmöglich  machte,  werden  mit  aller  Genauigkeit  auseinander- 
gesetzt (S.  225 — 232,  259  —  274;  ferner  387—391,  412—418).  —  In 
einem  V.  Abschnitte  (S.  281 — 356)  wird  die  auf  die  Einführung  der  Re- 
formation in  Sachsen  gerichtete  Thätigkeit  des  Herzogs,  namentlich  die 
Verwertung  der  säcularisirten  geistlichen  Güter  und  die  dadurch  erzielte 
finanzielle  Unabhängigkeit  des  Landesherrn  von  den  Ständen  klargelegt; 
besonderes  Interesse  bieten  die  Mittheilungen  über  Organisirung  und  Do- 


Literatur. 


GTT 


tirung  des  Schulwesens  (301 — 307);  Carlowitz  schreibt:  »soll  der  Christeu- 
glauben bestehen  und  eine  christliche  Einigkeit  erhalten  werden,  so  muss 
man  die  gute  Zucht  an  der  Jugend  anfahen;  denn  man  saget:  ein  alter 
Hund  ist  böse  bändig  zu  machen*  (S.  304);  auch  über  das  Finanzwesen, 
besonders  das  Bergwerks-  und  Münzwesen  bringt  das  Buch  beachtenswerte 
Angaben;  man  lernt  hiebei  die  mit  seltener  Arbeitskraft  gepaarte  Ge- 
schicklichkeit Carlowitzs  kennen;  wenn  derselbe  nun  gleichwohl  im  Laufe 
des  Jahres  1545  sich  von  den  Geschäften  zurückzog,  so  ist  der  Grund 
wohl  in  der  immer  heftigeren  Opposition  des  Adels  gegen  diese  landes- 
lürstlichen  Reformen  zu  suchen ;  sein  Rücktritt  machte  den  Herzog  noch 
lange  nicht  entschlussfrei ;  die  Dr.  Türk,  Dr.  Sachs.  Otto  von  Diskau  und 
andern  Räthe  hatten  nicht  den  gleich  starken  persönlichen  Einfluss  auf 
Moritz  wie  er,  aber  die  habsburgerfreundliche  Politik,  die  diese  Männer 
im  Rathe  gegenüber  einer  protestantisch  gesinnten  Minorität  (Dr.  Komer- 
stadt  u.  a.)  vertraten,  blieb  auch  weiterhin  am  Dresdener  Hofe  vorherr- 
schend ;  das  mochte  umsomehr  besagen,  als  die  Entscheidung  immer  näher 
li  eraufzog. 

Eine  j>Zeit  des  Schwankens*  benennt  Brandenbm-g  die  Zeit  vom 
Frühjahr  1545  bis  zum  Herbste  1546  (VL  Abschnitt  357  —  492):  eiu 
fortwährendes  Plänemachen  und  Aufgeben,  immer  wiederholte  Vermitt- 
lungsversuche des  durchaus  neutral  bleiben  wollenden  Fürsten,  deren  ein- 
gehende Darstellung  der  Verf,  mit  der  Zusammenfassung  seines  wohl  un- 
anfechtbaren Hauptergebnisses  abschliesst  (489 — 492):  das  Verhalten  des 
Herzogs  vor  dem  schnialkaldischen  Kriege  ist  bisher  fälschlich  als  ein  von 
Anfang  an  zielbewusstes  und  hinterlistiges,  seine  Politik  fälschlich  als  eiu 
wohlüberlegtes  Handelsgeschäft  zwischen  den  zwei  Bietern,  den  Protestanten 
und  den  Habsburgern  aufgefasst  worden;  »die  Wahrheit  ist,  das.s 
Moritz  nicht  seine  Hilfe  in  diesem  Kriege  dem  Meist- 
bietenden verkauft  hat,  dass  er  vielmehr  unpolitisch  genug 
dachte,  neutral  der  Entscheidung  zusehen  und,  wer  auch 
siege,  unangegriffen  !> leiben  zu  können,  dass  aber  der 
Zwang  der  Umstände  und  die  überlegene  politische  Kunst 
der  Habsburger  ihn  schliesslich  aus  dieser  unklug  ge- 
wählten Stellung  hinausmanövrirte  und  zum  Eingreifen 
in  den  Kampf  zwang*  (s.  492);  diese  Kunst  nöthigte  ihm  den  Ver- 
trag von  Regensburg  (20.  Juni  1546)  auf,  machte  ihn  damit  zum 
Werkzeuge  habsburgischer  Politik  (s.  die  bemerkenswerten  Ausführungen 
440 — 442)  und  wurde  ihm  im  Laufe  des  Krieges  noch  fühlbarer  (VIL  Ab- 
schnitt 493  —  557),  da  man  sein  Land  schutzlos  dem  Feinde  preisgab,  sich 
die  späte  Hilfe  mit  einem  Theil  des  Siegespreises  bezahlen  Hess,  ihm  die 
Ernestiner  in  Thüringen,  die  Hohenzollern  in  Magdeburg  in  die  Flanke 
setzte,  ihn  schliesslich  in  der  Angelegenheit  seines  Schwiegervaters  hinten 
Licht  führte;  in  dieser  harten  Schule  sollte  das  diplomatische  Talent  sich 
bilden,  nach  dessen  Bethätigung  man  in  Moritzens  ersten  Regierungsjahreu 
vergebens  suchen  wird. 

Daneben  wird  auch  ein  zweites  Ergebnis  nicht  abzuweisen  sein:  das 
Eingreifen  Moritzens  in  die  Händel  des  üchmalkaldischeu 
Krieges  ist  nicht  ausschlaggebend  für  das  Ende  des  Donau - 
krieges    gewesen,    wie    dies    besonders  scharf  Egelhaaf  (Deutsche  Ge- 


^^jYg  Literatur. 

.schichte  im  Zeitalter  der  Reformation  II  47  2  —  473)  ausspricht;  vielmehr 
war  es  der  Geldmangel,  der  es  den  Protestanten  unmöglich  machte,  ihre 
Truppen  beisammenzuhalten  (s.  500  —  504).  Die  hin  und  wieder  ange- 
stellten Versuche,  das  Vorgehen  Carls  V.  gegen  Philipp  von  Hessen  der 
listig  berechnenden  Absichtlichkeit  zu  entkleiden,  haben  niemals  über- 
zeugend wirken  können ;  indem  sie  Brandenburg  entschieden  ablehnt,  be- 
schuldigt er  in  klaren  Worten,  übrigens  in  stylistisch  unzulässiger  Wieder- 
holung, die  habsburgische  Politik  der  Scrupellosigkeit  in  der  Wahl  ihrer 
Mittel:  ob  damit  nicht  eine  Ungerechtigkeit  in  der  Beurtheilung  König 
Ferdinands  unterläuft,   möchte  doch  wohl   noch  ernstlich  zu   bedenken  sein. 

Die  durch  die  Natur  des  Gegenstandes  bedungene  Breite  der  Dar- 
stellung hat  kaum  etwas  Ermüdendes ;  zahlreiche  Einzelzüge  aus  dem 
Innenleben  des  Herzogs  und  seines  Umkreises  unterbrechen  in  glücklicher 
Anordnung  die  mehrmals  nicht  zu  vermeidende  Eintönigkeit  der  diplo- 
matischen Geschichten;  nicht  völlig  zutreffend  erscheinen  die  Bezeich- 
nungen der  kaiserlichen  Käthe;  neu  des  öfteren  doch  nicht  belegt  ist  (s.  96) 
die  Bezeichnung  des  jüngeren  Granvelle  als  Staatssekretär  der  deutschen 
und  italienischen  Angelegenheiten  (?);  Dr.  M.  Held  ist  nicht  kaiserlicher, 
sondern  ßeichsvicekanzler  (ganz  richtig  bei  Kanke  D.  G.  4,  7l),  Dr.  J.  Jonas 
nicht  böhmischer  Kanzler,  sondern  österreichischer  Hofvicekanzler  (s.  191, 
47  3);  ebensowenig  wird  man  die  königlichen  Räthe  Ferdinands  böhmische 
Räthe  nennen  dürfen  (476). 

An  der  Bedeutsamkeit  der  gewonnenen  Ergebnisse  ändern  diese 
Kleinigkeiten  nichts;  man  darf  füglich  gespannt  sein,  welche  Resultate 
sich  Brandenburg  aus  dem  reichen  Borne  seiner  handschriftlichen  Quellen 
für    die    Folgezeit    des    Lebens    und  Wirkens  Moritzs  von  Sachsen  ergeben 

werden. 

H.  Kretschmavr. 


Pierre  Boye,  ün  roi  de  Pologue  et  la  couronne  du- 
cale  de  Lorraine.  Stanislas  Leszczynski  et  le  troisieme 
traite'  deVieuue,  d'apre's  les  archives  d'Etat,  les  papiers  du  roi 
de  Pologne  et  autres  documents  inedits.  Paris,  Berger-Levrault  et  Cie : 
Vieune,  Gerold  et  Cie.     1898.  XX,  588  S.  8°. 

Pierre  de  Segur,  Le  royaume  de  la  Eue-St. -Honore. 
Madame  Geoffrin  et  sa  fille.  4.  edition.  Paris,  Calmaun  Levy, 
1898.  VI,  503  S.  8°. 

1 .  Gründliche,  fleissige  Specialforschung  mit  vollkommener  Heranziehung 
alles  Materials,  besonders  auch  mit  Beherrschung  der  in  fremden  Zungen 
geschriebenen  Quellen  und  Literatur,  wurde  lange  Zeit  als  eine  Art  Pri- 
vileg deutscher  Geschichtswissenschalt  betrachtet,  wogegen  man  den  Fran- 
zosen gern  den  Ruhm  eleganten  Ausdrucks,  fesselnder,  geschmackvoller 
Darstellung  zuerkannte.  Jenes  Vorurtheil  ist  mehr  und  mehr  geschwunden ; 
zahlreiche  Werke  französischer  Historiker  legen  ehrenvolles  Zeugnis  dafür 
ab,   dass  ihre  Verfasser  an  Fleiss  und  Akribie  hmter  Niemand  zurückstehen. 


Literatur.  679 

Auch  das  Werk  B  o  y  e'  s,  der  sich  seit  Jahren  mit  der  eingehenden  Durch- 
forschung der  Geschichte  Stanislaw  Lescszynskis  beschäftigt,  ist  eine  so 
solide  Leistung  ernster  Forscherthätigkeit,  dass  man  nur  seine  volle  Be- 
friedigung darüber  aussprechen  kann.  Wenn  auch  B.  keine  so  flüssige 
und  bequeme  Lektüre  bietet,  wie  —  um  ein  Beispiel  dieser  Zeit  zu 
wählen  —  die  Arbeiten  des  Herzogs  von  Broglie,  sondern  an  die  Aus- 
dauer des  Lesers  hr)here  Anforderungen  stellt,  so  ist  über  der  Forschung 
doch  die  Darstellung  keineswegs  vernachlässigt  und  B.  hat  sich  mit  Erfolg 
bemüht,  seine  anregende  Darstellung  durch  geschickte  Einstreuung  von 
Proben  zeitgenössischer  Gelegenheitsdichtungen  zu  beleben. 

Leszczynkis  Emporkommen  wird  kurz    besprochen,    ausführlicher    sein 
Leben  seit   1714,    wo  er    als  Flüchtling    in  Karls  XII.  Fürstenthum  Zwei- 
brücken    und     dann    im     französischen     Weissenburg     lebte,     ferner     die 
Vorgeschichte  der  Ehe  seiner  Tochter  Marie  mit  Ludwig  XV.     Der  Herzog 
von  Bourbon  und   seine  Freundin,   die   Marquise   de  Prie,   hatten   Stanislaw 
bei  der  ersten  geheimen  Verhandlung  über  diese  Vermählung  den  Verzicht 
auf  seine  polnischen  Pläne  zur  Bedingung  gemacht,  allmählich  aber  nach- 
gegeben und  schon    17  26   durfte    der  Exkönig  hoffen,    beim  Tode  Augusts 
des  Starken  von  Polen  auf  Frankreichs  Unterstützung   rechnen  zu  können. 
Doch   Cardinal  Fleury.   Bourbons  Nachfolger,    wollte  ihm    nicht    wohl    und 
blieb,    obwohl  schliesslich   1733    gegen    seinen  Willen    zur    Förderung    der 
Kandidatur  Stanislaws  getrieben,   im  Geheimen  dessen  Gegner      Die  Eüh- 
rigkeit  Montis,    des  mit  reichlichen  Geldmitteln    operirenden    französischen 
Gesandten  in  Warschau,  erzielte  am   12.  September   17  33   Stanislaws  Wahl, 
nur  dem  Eingieifen    der  Russen    unter  Lacy  verdankte    der  Kurfürst    von 
Sachsen     seine    Gegenwahl     am    5.    Oktober.     Eingehend     ist    Frankreichs 
weiteres  Verhalten  während  der  Belagerung    des  mit    schnöden  Schutzver- 
sicherungen getäuschten  Danzig  geschildert.     Rückhaltslos  deckt  B.  Fleurys 
Spiel  auf,  der  jede  ernstliche  Unterstützung  des  Polen  zu  verhindern  oder 
erfolglos  zu  machen  wusste.    nur    hätte  B.    schon    früher    eine  Andeutung 
über  die  politischen  Motive  des  Cardinais  geben  sollen,  von  denen  er  erst 
später,  als  sie  bei  Gelegenheit    der  Wiener  Verhandlungen   17  35    zu  Tage 
traten    (S.   371   folg.)    spricht:     Fleurys    Herzenswunsch   war    hiernach    ein 
engstes  Bündnis  Frankreichs  und  Oesterreichs,  seine  Abneigung  gegen  Sta- 
nislaws Königthum    beruhte    darauf,    dass    er    in    ihm    den    Störer    dieses 
grossen  Planes  sah   und  er  hielt  es  nach  seinem  Ausdruck  für  »un  devoir 
religieux,«  alle  polnischen  Pläne  Chauvelins,  des  Staatssekretärs  des  Aus- 
wärtigen, zu  durchkreuzen.     Bei    solchem  Uebelwollen    der  Regierung    war 
alle  Anstrengung    und    persönliche    Aufopferung    einzelner    Franzosen,    wie 
Montis    und    seines    Kopenhagener    CoUegen    Plelo  ,    aussichtslos.     Fleurys 
Friedensliebe,    die  ihm  bei  seinen  Verbandlungen  mit  Horace  Walpole  die 
empfindlichste    Demüthigung    zuzog,     gab    Stanislaw    preis,    er    hatte    nicht 
einmal  bei  der  Eröffnung  der  Verhandlungen  in  Wien  seinem  Abgesandten 
de  la  Baune    hierüber  Instruktionen    ertheilt   und    hätte  den  König    sogar 
ohne  Entschädigung  fallen  lassen,    wich   aber  anderen  Einflüssen,   denn  be- 
reits   seit    den    ersten  Monaten  von   17  35    war    die    eventuelle    Erwerbung 
Lothringens,    auf  die  schon  vorher    Friedrich  AYilhelm    von  Preussen    hin- 
gewiesen   hatte,    zwischen    Stanislaw    und    Marie    von    Frankreich    erörtert 
worden.     Noch  beim  Abschluss  des  Geschäftes  zeigte  der  Cardinal  dieselbe 


,380  Literatur. 

Kücksichtslosigkeit  und  Hess  die  Polen  völlig  in  Un gewissheit;  erst  nack 
fast  2  Monaten  bequemte  er  sich  dazu,  dem  König  vom  Inhalt  der  Wiener 
Abmachungen  vom  3.  Oktober  1735  officiell  Mittheilung  zu  machen.  Die 
Polen  waren  niedergeschmettert,  ihr  Gesandter  Ozarowski  hatte  heftige  Aul- 
tritte mit  Fleury  und  Chauvelin,  die  B.  dramatisch  belebt  wiedergiebt 
(S.  359  folg.),  doch  sie  mussten  sich  fügen.  Von  besonderem  Interesse 
sind  die  Abschnitte  über  Lothringen.  Wer  hätte  ahnen  sollen,  dass  der 
polnische  Flüchtling  das  alte  Fürstengeschlecht,  das  ihn  1714  und  1719 
finanziell  unterstützte,  dessen  Huld  er  demüthig  erbat  (S.  15  — 19),  aus 
seinem  Erbland  verdrängen  würde !  AVir  erfahi-en  hier  aus  Franz'  IIl.  ver- 
trauten Brieischaften  und  Aufzeichnungen,  dass  sein  Widerstreben  gegen  den 
Tausch  seiner  Heimat  nicht,  wie  man  hat  annehmen  wollen,  ein  fiktives 
war;  es  Avar  ihm  bitterer  Ernst  damit  und  seine  Haltung  wurde  verstärkt 
durch  eindringliche  Mahnungen  seiner  Mutter  Elisabeth  Charlotte  und  durch 
die  rührenden  Beweise  der  Anhänglichkeit  der  Lothringer.  Man  hatte  sich 
gefreut  über  die  Aussicht  der  Vermählung  mit  Maria  Theresia  und  sah  in 
Franz  schon  den  Kachfolger  Karls  VI.  auf  dem  Kaiserthron,  aber  rief  ihm 
zu :     ■;,  Elevant  s'  il  se  peut,   la  grandeur  souveraine, 

Sois  roi  de    l'univers,   mais   sois   duc  de  Lorraine ^^   (S.   393). 

Französisch  in  der  Sprache,  wollte  das  Volk  politisch  nichts  von 
Frankreich  wissen  » pour  laquelle  leurs  peres  et  leurs  ayeux  leur  ont  per- 
petue  une  antipathie  insurmontable  eh  inveteree  depuis  plus  de  huit  siecles 
eutiers^^  (S,  4]s).  Doch  alles  war  vergebens,  Bartensteins  brutale  Aeusse- 
rung  ;> keine  Abtretung,  keine  Erzherzogin  '  charakterisirt  deutlich  die  Lage. 
Nach  monatelangem  Kampfe  musste  Franz  nachgeben,  wenn  es  auch  noch 
bis  zum  März  1737  dauerte,  bis  die  herzogliche  Familie  vom  Lande 
schmerzvollen  Abschied  nahm  und  Stanislaw  nominell  den  Besitz  antrat. 
Die  Darstellung  dieser  letzten  Phasen  der  Selbständigkeit  Lothringens  mit 
der  Aufpfropfung  des  Herzogshauses  der  Gerhardiner  auf  den  verdorrenden 
habsburgischen  Stamm  gehört  zu  den  besten  Partien  des  Buches  und  er- 
gänzt trefflich  Arneths  knappe  Skizze  und  die  umfänglichen  französischen 
Werke  über  den  Erwerb  Lothringens.  Ausgiebig  hat  B.  neben  Akten  und 
Correspondenzen  der  Archive  von  Paris  und  Nancy  besonders  die  des 
Wiener  H.-  H.-  u.  St.-.Vi-chivs  benutzt,  ferner  für  andere  Partien  Krakauer, 
Danziger  und  andere  Archivalien,  nur  das  Dresdner  Archiv  vermisst  man 
ungern  in  der  Liste  der  Quellen. 

Sehr  ungünstig  ist  das  Gesammtbild  Leszczynskis :  sanguinisch  beim 
leisesten  Hoffnungsschimmer,  aber  haltlos  in  der  Noth,  ohne  Würde  im 
Unglück,  jedem  schmeichelnd,  eitel,  frivol,  völlig  charakterlos,  keine 
Spur  des  Philosophen,  als  den  der  nach  literarischen  Lorbeeren  strebende 
König  sich  hinzustellen  liebte;  selbst  von  seinen  schriftstellerischen  Er- 
zeugnissen  erweist  B.  mehrere  als  Arbeiten  seines  Sekretärs  Solignac. 

B.  hat  bei  aller  Beherrschung  seines  Gegenstandes  im  Grossen  eine 
entschiedene  Neigung  für  saubere,  mühevolle  Detailarbeit ;  er  erachtet  es 
als  Pflicht,  den  Leser  über  die  auftretenden  Personen  möglichst  eingehend 
zu  unterrichten,  besondere  Vorliebe  aber  hat  er  für  literarische,  bibliogra- 
phisthe  Fragen,  denen  er  mit  Behagen  nachgeht  und  deren  Resultate  er 
in  Anmerkungen  niederlegt,  die  zwar  etwas  lang,  aber  wertvoll  sind  und 
fast  zu  kleinen  Exkursen    anwachsen,    vgl.  z.  B.    den  Abschnitt    über  den 


Literatur.  ßgj^ 

Kreis  von  Diplomaten  und  Literaten,  der  Stanislaw  in  Danzig  umgab 
(Tercier,  Solig:^ac,  die  Brüder  Andreas  Stanislaw  und  Joseph  Andreas  Za- 
luski)  u.  a.  HoflFentlich  liefert  B.  der  Wissenschaft  künftig  ein  zusammen- 
fassendes abgeschlossenes  Lebensbild  der  zwar  nach  seiner  Schilderung 
nicht  sehr  sympathischen,  aber  zweifellos  interessanten  Persönlichkeit  Lesz- 
czynskis,  wofür  er  das  Meiste  schon  in  diesem  Werke  und  seinen  anderen 
Publikationen  vorgearbeitet  hat  und  es  nur  gelten  würde,  die  Zeit  des 
ersten  Künigthums  1704 — 1709,  bez.  1713,  sowie  die  lothringische  Re- 
gierungszeit, über  die  er  schon  eine  Monographie  vorbereitet,  mit  zu  be- 
rücksichtigen. 

2.  Ganz  anderer  Art  ist  das  Buch  von  Segur,  das  mit  dem  obigen 
insofern  einige  Berührungspunkte  hat,  als  es  auch  Stanislaw  Leszczynski 
mit  behandelt.  Geboren  1099,  fi'üh  verwaist,  vei-mählt  1713  mit  dem 
vermögenden  Geschäftsmann  Fran^ois  Geoffrin,  führte  Marie  Therese  geb. 
Rodet  in  den  ersten  Jahren  ihrer  Ehe  das  Leben  einer  schlichtbürger- 
lichen Hausfrau,  bis  sie  um  1730  durch  ihre  Nachbarin,  die  bekannte 
Maitresse  des  Regenten,  die  Marquise  de  Tencin,  in  deren  literarischen 
Zirkel  eingeführt  wurde.  Allmählich  richtete  sie  sich  selbst  einen  eigenen 
Salon  ein,  der  besonders  nach  dem  Tode  der  Tencin  der  Mittelpunkt  der 
schöngeistigen,  literarischen  und  künstlerischen  Kreise  von  Pari;;,  ein  Haupt- 
sitz der  Encyclopädisten  wurde.  Von  Besuchern  im  Laufe  der  Jahrzehnte 
seien  genannt  d' Alembert,  Burigny,  Diderot,  Fontenelle,  Grimm,  Lamotte, 
Mairan,  Marivaux,  Marmontel,  Montesquieu,  Morellet.  Saurin,  Suard.  Turgot, 
die  Pompadour,  Mademois.  de  1'  Espinasse,  Mad.  Necker,  ferner  Boucher, 
Bouchardon.  Caylus,  Costa  de  Beauregard,  Lagrenee,  Paciaudi,  Vernet  u.  a. 
Auch  alle  Paris  besuchenden  Fremden  von  Ruf  und  Stellung  verkehrten 
liei  ihr  und  sehr  ausgebreitet  war  ihr  Briefwechsel ;  nur  wenige  seien  er- 
wähnt, wie  Horace  Walpole,  David  Hume,  Benjam.  Franklin,  Lady  Hervey, 
Gustav  UL  V.  Schweden,  die  Herzogin  von  Zerbst,  Katharinas  IL  Mutter. 
Mozart  spielte  als  Kind  in  ihrem  Salon  und  sie  empfahl  ihn  an  Kaunitz, 
Bemerkenswert  ist  die  scharfe  Zucht,  die  Mad.  Geoffrin  aufrecht  erhielt ; 
sie  herrschte  als  absolute  Königin  in  ihrem  Reiche  der  Geister,  das  all- 
gemein nach  ihrem  Hause  auf  der  Rue  St.  Honore  als  das  Königthum  der 
R.  St.  H.  bezeichnet  wurde,  und  hielt  auf  strengste  Wohlanständigkeit. 
Ihre  gleichnamige  Tochter,  1733  an  den  Marquis  de  la  Ferte-Imbault  ver- 
mählt, 1737  Wittwe,  lebte  in  ihrem  Hause.  Voll  sprühender  Lebenslust, 
geistreich,  excentrisch,  bei  grosser  Ungenirtheit  des  Auftretens  von  tadel- 
loser Ehrbarkeit,  keine  Freundin  der  mütterlichen  Kreise,  sogar  Gegnerin 
der  Encyclopädisten.  verkehrte  sie  mit  den  Hofkreisen:  Maurepas,  Niver- 
nais,  Luynes,  besonders  Bernis  waren  ihre  Freunde.  Durch  die  Prinzessin 
de  la  Roche-sur-Yon  (vgl.  hierzu  jedoch  Boye  S.  517)  wurde  die  Imbault 
mit  Leszczynski  bekannt  und  rasch  befreundet,  denn  er  sah  es  nach. sei- 
nem Ausdruck  lieber  >d'etre  diverti  qu'adore«.  In  ihrem  Msc.  »Mon 
histoire  avec  le  roi  de  Pologne^^  berichtet  sie  über  ihren  Verkehr  mit 
ihm  und  über  die  Erzählungen,  die  er  in  seiner  frivolen  Weise  zum  Besten 
gab.  Von  seiner  Gemahlin  Katharina  Opalinska  (f  1747),  der  er  durch 
seine  feineren  und  gröberen  Galanterien  viel  Sorgen  bereitet  hatte,  und 
von  seiner  Tochter,  der  französischen  Königin,  meinte  er,  »c'etait  bien 
les    deux    reines    les    plus    ennuyeuses  qu'il  eüt  jamais    rencontrees ;  *    an 

^fitthciliincen   XX.  44 


682 


Literatur. 


Ludwigs    XV.    Liebschaften    sei    Marie    selbst     schuld,     da    sie    durch    ihr 
unausstehliches  Wesen  den  König  bis  zur  Gelbsucht  geärgert  habe.    Takt- 
los  plauderte  er  auch  von  seiner  eigenen  Liebelei  mit   seiner  Cousine,   der 
Herzoo-in   Ossolinska  (nicht   Orolinska  S.    137),   die   Sache   sei  aber  zu  Ende 
>>car  eile  1' avait  ennuye.  ^'      Interessant    sind   die  Abschnitte  über    die  Be- 
ziehungen der  Geoffrin  zu  Katharina  IL  von  ßussland  (S.  204  —  225),   deren 
15   Briefe    im  Anhang    (S.   431 — 462)    abgedruckt    sind;    die    bürgerliche 
Freundin    ging    sogar  soweit    in    ihrem  Freimuth,    der  Kaiserin    über    die 
Zweckmässigkeit  des  bei  Iwans   IV.   Ermordung  erlassenen  Manifestes  Vov- 
haltunwen  zu  machen.     Das  Fesselndste  ist  jedoch  der  Geoffrin  Verhältnis 
zu  Stanislaw  Poniatowski,  dessen  Vater  sie  1741,  den  selbst 
sie   1753  in  ihrem  Salon  begrüsst  hatte.  Eine  innige  Freund- 
schaft,   ein  Verhältnis    wie  zwischen  Mutter    und  Kind    ent- 
spann sich  zwischen  der  betagten  Pariserin  und  dem  jungen  Polen,  dessen 
Thronbesteigung   1764  nichts   daran  änderte;  bis  zu  ihrem  Tode  1777  be- 
stand der  lebhafteste  Briefwechsel  (herausgegeben  vom  Grafen  Mouy,  Paris 
1875)    zwischen    der    »chere  maman^    und  dem   »eher  fils.^'=     Seine  Erhe- 
bung (Katharina  II.    schrieb    ihr  dazu  am   4.   Okt.     1764    »je  vous  felicite 
de  r  elevation  de  mr.  votre  fils  ....  je    laisse    le  soin  de  le    rectifier,    en 
cas  de  besoin,    ä  votre  tendresse  maternelle*)    Hess    sie    hoffen,    ihn    und 
sein  Polen  zu  einem  Idealfürsten    und  Idealstaat    zu    machen,    eine    aller- 
dings grausame  Täuschung,   wie  sie  selbst  bei  ihrem  Aufenthalt   in  Polen 
1766   erkannte.     Auf  der  Reise  dahin  traf  sie  am  7.  Juni   1766   in  Wien 
ein,   Kaunitz  (der  sie  übrigens  auch  in  seinen  Briefen    mit  »maman-    an- 
redet) erwies  ihr  jede  Art    von  Aufmerksamkeit,    sie  brachte    alle  Abende 
bei  ihm  zu;    Joseph  II.   begrüsste   sie  auf  das  huldvollste   auf  der  Prome- 
nade (»il  est  descendu  avec  vivacite  de  sa  caleche    et  est  venu  a  la  por- 
tiere    de    la    carosse  ou  j'etais^)i).     Maria  Theresia    selbst    nahm    sie    in 
Schönbrunn   gütig  auf,   und   zeigte  ihr  ihre  Kinder;    als  die   Geoffrin  beim 
Anblicke    der    elfjährigen  Marie  Antoinette     halblaut    äusserte   »Voilä    une 
petite  archiduchesse   charmante;   je    voudrais    bien    T  empörter    avec    moil« 
sagte  die  Kaiserin  lächelnd  » Emportez,   emportez ! ''   und  trag  ihr  auf,   nach 
Hause  zu  schreiben  »qu'elle  avait  vu   cette  petite,    et  qu'elle    la    trouvait 
belle. '^     Man  muss  dabei    berücksichtigen,  —  was  Segur    hätte    erwähnen 
sollen,    —    dass   schon  im  Frühjahre  1766   die  Verabredungen  Ludwigs  XV. 
und    Choiseuls    mit    Maria    Theresia    und    Starheraberg    über    die    künftige 
Vermählung  Antoinettes    mit    dem    Herzog    von    Bei'ry   (Ludwig  XVI.)    zu 
einem  Einverständnis    geführt    hatten    (s.  Arneth    Maria  Theresia  VII,   418 
bis   421,   5  59)  und  die  Kaiserin  l)ei  dem   Gespräch    mit    der  Geoffrin    un- 
verkennbar den  Zweck  verfolgte,   durch  die  Königin  des  berühmtesten  Sa- 
lons   von    Paris    deren    zahl-    und    einflussreiche  Freunde    und    damit    die 
öffentliche  Meinung    der    künftigen  Dauphine    von    vornherein    günstig    zu 
stimmen. 

Das  letzte  Jahr  ihres  Lebens    war  Mad.  Geoflrin    gelähmt,    ihr  Salon 
cring  in  Folge  dessen  ein,    zumal    ihre   Tochter    den    alten  Freunden    ihrer 


')  Jo.spph  besuchte  sie  auch  bei  seiner  Anwesenheit  in  Paris,  doch  gehört 
dieser  Aufenthalt  nicht,  wie  Segur  S.  380  angiebt,  in  den  Juli  1777,  denn  Joseph 
weilte  vom  18.  April  bis  31.  Mai  in  Paris  und  Versailles  s.  Arneth  X,  252. 


Literatur.  ggg 

Mutter,  voran  d'  Alembert,  wegen  ihrer  Freigeisterei  den  Zutritt  zu  der 
Kranken  versagte;  der  Kreis  der  Tochter,  die  1771  den  Orden  der  »Lan- 
turelus«  stiftete,  blühte  weiter;  u.  a.  gehörten  ihm  Grossfürst  Paul  und 
seine  Gemahlin  Marie,  Prinz  Heinrich  von  Preussen ,  der  Herzog  von 
Sachsen-Weimar,  Cardinal  Bernis,  die  Stael  u.  s.  w.  an.  Doch  als  die  An- 
zeichen der  Kevolution  die  vornehme  Gesellschaft  des  ancien  regime  auf- 
schreckten, erlosch  er  1789  in  Folge  Altersschwäche  und  Verstimmuno- 
der  Marquise;  1791  starb  sie  selbst  voll  trüber  Ahnungen  über  die  un- 
aufhaltsam hereinbrechende  neue  Zeit.  Ihre  und  ihrer  Mutter  Papiere 
erbte  ihres  Gemahls  Neffe,  Louis  d'Estampes,  Marquis  de  Mauny,  und  das 
Archiv  der  Familie  Estampes  lieferte  Segur  die  wertvollen  Unterlagen 
seines  Buches.  Ist  es  auch  kein  Erzeugnis  so  schwerer  Wissenschaftlich- 
keit, wie  das  Boyes,  hat  sich  auch  S.  öfters  in  zu  grosser  Genügsamkeit 
auf  die  ungedruckten  Briefe  und  Familienaufzeichnungen  beschränkt,  ohne 
im  vollen  Umfange  die  sonstige  Literatur  oder  andere  Quellen  zur  Erläu- 
terung heranzuziehen,  ist  sein  Buch  auch  nicht  frei  von  Versehen  und  Irr- 
thümern:  so  ist  es  doch  ein  so  liebenswürdiges  Buch,  bietet  soviel  des 
Neuen  und  Interessanten  für  die  verschiedensten  Verhältnisse  französischen 
Geistes-  und  Gesellschaftslebens  mit  manchen  Keflexen  auch  auf  politische 
Dinge  und  Persönlichkeiten  und  entwirft  so  anziehende  Skizzen  von  zweien 
der  bedeutendsten  jener  eigenartigen  Salons,  jener  »bureaux  d'esprit«,  dass 
wir  seinem  Verfasser  die  verdiente  Anerkennung  gern  zollen  wollen. 

Dresden.  W.  Lipper  t. 


Hanns  Schütter,  Correspondance  secrete  eutre  le 
comte  A.  W.  Kaunitz-Rietberg,  ambassadeur  imperial 
a  Paris,  et  le  baron  Ignaz  de  Koch,  secre'taire  de  l'impe- 
ratrice  Marie-Therese  1750—1752.  Paris,  (Plön,  Nourrit  et  Cie) 
1899.  XIX  und  385  S.  gr.  S«'. 

Die  Geschichte  keines  anderen  österreichischen  Herrschers  vermag  sich 
so  umfänglicher  Quellenpublikationen  zu  rühmen^  wie  die  Maria  Theresias 
und  im  Anschluss  daran  Josephs  IL  Besonders  von  Korrespondenzen  ist 
für  diese  50  Jahre  eine  solche  Fülle  veröffentlicht,  dass  sie  schon  fast  über- 
reich scheinen  könnte.  Und  doch  uiuss  man  sagen,  die  Menge  auch  nur 
des  wertvollsten  Stoffes  ist  keineswegs  erschöpft.  Das  Gesammtbild  Maria 
Theresias,  ihres  Lebens,  Wesens  und  Wirkens,  ihrer  innern  und  äussern 
Politik  ist  ja  von  Arneth  festgestellt  und  wird  sich  im  wesentlichen  durch 
alle  neuen  Veröffentlichungen  bestätigt  finden.  Aber  Arneth  allein  konnte, 
trotz  des  Umfangs  seines  grossen  darstellenden  Werkes  und  der  langen 
Reihe  von  Bänden  mit  Briefwechseln,  die  grosse  Aufgabe  nicht  ganz  be- 
wältigen; noch  zahlreiche  Punkte  bedürfen  der  sorgfältigen  Einzelforschung, 
die  vieles  deutlicher  herausarbeiten,  ergänzen  und  auch  berichtigen  kann. 
Letzteres  ist  auch  der  Fall  mit  Arneths  Darstellung  des  Verhältnisses  Oester- 
reichs  zu  Frankreich  zwischen   1748   und    1756. 

Im  Frühjahr  1749  forderte  Maria  Theresia,  im  Hinblick  auf  die  dro- 
hende  Gestaltung    der  schwedisch-russischen  Angelegenheiten    und    auf  die 

44* 


684 


Literatur. 


Nothwendigkeit  bestimmter  Stelluugnalime  Oesterreichs  zu  Frankreich  nach 
dem  Aachener  Frieden,  von  den  Konferenzmini stern  Königsegg,  Ulfeld,  CoUo- 
redo,  Khevenhüller .  Kaunitz  und  Harrach  Gutachten  über  die  künftige 
auswärtige  Politik.  Ihre  Ansichten  sind  bei  Arneth  und  Beer  (Aufzeich- 
nungen des  Grafen  William  Bentinck  über  Maria  Theresia)  eingehend  dar- 
geleo-t.  Während  die  andern  für  Aufrechterhaltung  des  alten  freundschaft- 
lichen Verhältnisses  zu  den  Seemächten  eintraten,  gedachten  Ulfeld  und 
Khevenhüller  nebenher  auch  der  Möglichkeit  einer  Anknüpfung  engerer 
Beziehuno-en  zu  Frankreich,  Kaunitz  hingegen  trat  mit  Entschiedenheit  — 
allernings  auch  unter  Forterhaltung  des  Bundes  mit  den  Seemächten  — 
für  eine  Aussöhnung  mit  Frankreich,  und  ein  Zusammengehen  Frankreichs 
und  Oesterreichs  i)  gegen  Preussen  ein,  um  nicht  bloss  defensiv  Friedrichs  IL 
allseitig  befürchteten  weiteren  UebergriflPen  und  Gewaltschritten  gewachsen 
zu  sein,  sondern  zur  geeigneten  Zeit  selbst  offensiv  gegen  ihn  vorgehen 
und   Schlesien    ihm  wieder    abnehmen    zu  können  (vgl.   Arneth  M.   Th.  IV. 

2  74 27  7,  Beer,  Bentinck  S.  LV,  LVII).     Nach  Arneth  fand  diese  Ansicht 

Kaunitz'  die  volle  Billigung  Maria  Theresias,  sie  ward  die  Richtschnur  der 
österreichischen  Politik,  zu  ihrer  Durchführung  erhielt  Kaunitz  selbst  1750 
den  Botschafterposten  in  Paris.  Beer  hat  jedoch  dieser  Auffassung  wider- 
sprochen und  gezeigt  (S.  XXXIV,  XXXVII,  LXVIII).  dass  nicht  Kaunitz' 
Spezialgutachten  als  massgebend  approbirt  wurde,  sondern  der  »Auszug« 
aus  allen  Gutachten,  den  Bartenstein  im  Auftrage  Maria  Theresias  anfertigte. 
Dieser  Auszug  schwächte  aber  die  offensiven  Partien  des  Kaunitzschen  Vor- 
schlags ab  und  stellte  die  Gesichtspunkte  defensiven  Verhaltens  in  den 
Vordergrund,  worin  Kaunitz  mit  den  andern  Mitgliedern  der  Konferenz 
übereinstimmte.  Maria  Theresias  Resolution,  die  Arneth  entgangen  war, 
lautete,  dass  sie  die  Meinungen  der  Minister  approbire.  soweit  sie  überein- 
stimmten:  wo  aber  ein  Unterschied  sei,  »falle  denen  Majoribus  bei«,  was 
tür  künftig  bei  allen  Berathschlagungen  und  Expeditionen  als  Grundsatz 
festzuhalten  sei.  Die  Majorität  war  aber  für  völlige  Beibehaltung  und 
Pflege  der  bisherigen  politischen  Konstellation.  So  erklärt  es  sich  auch, 
dass  Kaunitz  sowohl  als  Gesandter,  wie  dann  auch  anfangs  als  Staats- 
kanzler das  Bündnis  mit  Frankreich  nicht  betrieb,  dass  dies  vielmehr  erst 
5_fi  Jahre  später  erfolgte.  Er  war  gar  nicht  in  der  Lage,  für  seinen 
eio-enen  Plan  in  Paris  zu  wirken,  sondern  war  an  jenen,  als  politisches 
Leitmotiv  geltenden  Auszug  Bartensteins  gebunden,  der  ja  auch  seiner  In- 
struktion einverleibt  war  (s.  Beer,  Bentinck  S.  XXXV,  LXXIII,  CXXX). 
Seine  Hauptaufgabe  sollte  nicht  sein,  Frankreich  zum  gemeinsamen  Kriege 
o-eo-en  Preussen  oder  mindestens  zur  wohlwollenden  Neutralität  in  Oester- 
reichs geplantem  Kriege  gegen  Preussen  zu  bestimmen,  sondern  bestand 
ganz  im  Gegentheil  darin,  es  von  d  er  Ehrlichk eit  der  österreichi- 
schen Absicht  en  zu  überzeugen,  den  Frieden  zu  wahren,  ein 
Bestreben,  das  in  gleicher  Weise  die  französische  Politik  erfüllte ;  doch  gelang 


')  Zu  Beginn  seiner  Einleitung  bemerkt  Schütter,  Kaunitz  habe  diese  Ideen 
während  des  Aachener  Kongresses  gefäast ;  aus  Kaunitz"  eignen  Worten  ergiebt 
sich  jedoch,  dass  die  Idee  der  Annäherung  an  Frankreich  bei  den  Aachener  Ver- 
ha  udlungen  nicht  von  ihm  selbst  herrührte,  t-ondern  von  den  i  h  m  i  n 
Aachen  zugegangenen  Weisungen  und  von  den  Aeusserungen  der  fran- 
zösischen Minister,  vgl.  Beer.  Bentinck  S.  LVII,  LXVIII. 


Literatur.  QSb 

es  trotz  dieser  Uebereinstimraung  der  Absichten  weder  Kaunitz,  nocli  seinem 
franzüjisehen  I^^ollegeu  in  Wien,  Hautiort,  den  andern  Hof  von  der  Lauter- 
keit seiner  friedlichen  Gesinnung  zu  überzeugen.  Scblitters  Veröifentlicliungen 
bestätigen  durchaus  die  Richtigkeit  der  Meinung  Beers,  denn  diese  Zeug- 
nisse sind  so  vertraulicher  Art,  dass  bei  ihnen  jeder  Verdacht,  als  seien 
die  Worte  —  wie  öfters  in  den  gesandtschaftlichen  und  ministeriellen  Cor- 
respondenzen  —  nur  da,  um  die  wahren  Gedanken  zu  verbergen,  von 
vornherein  ausgeschlossen  ist.  Es  handelt  sich  dabei  um  die  geheime,  hinter 
dem  Rücken  der  offiziellen  Regierungsorgane,  des  Kanzlers  Ulfeid  und  des 
eigentlichen  Leiters  der  Politik,  Bartenstein,  gepflogene  Correspondenz  des 
im  höchsten  Vertrauen  Maria  Thei-esias  stehenden  Kabinetssekretärs  Koch 
mit  Kaunitz,  eine  Correspondenz,  die  fast  so  gut  wie  eine  Correspondenz 
zwischen  Kaunitz  und  Maria  Theresia  selbst  ist,  da  die  Kaiserin  die  Schreiben 
Kaunitz'  las  und  selbst  Kochs  Antworten  inspirirte,  ja  mehrfach  sogar 
eigenbändig  durchkorrigirte  und  mit  Zusätzen  versah,  vgk  z.  B.  S.  180 
bis  186,  283  und  dazu  S.  349,  350,  355.  Arneth  kannte  anfangs  hiervon 
nur  die  wertvollen  Briefe  Kaunitz'  an  Koch,  des  Letzteren  Briefe  hingegen, 
die  die  oft  unentbehrliche  Ergänzung  und  Erklärung  dazu  liefern,  wurden 
erst  später  aufgefunden;  doch  plante  Arneth  selbst  noch  diese  Publikation 
und  es  ist  höchst  dankenswert,  dass  Schlitter  diesen  Gedanken  seines 
früheren  Chefs  verwirklicht  hat.  Es  ist  unmöglich,  hier  auf  die  Fülle  von 
Einzelheiten  einzugehen,  die  unserer  Kenntnis  zuwachsen,  nur  auf  einiges 
sei  hingewiesen.  So  auf  die  Urtheile  und  Bemerkungen  über  Persönlich- 
keiten, über  Kaunitz'  Nachfolger  Starhemberg.  Mercy  S.  166,  den  Gross- 
kanzler Grafen  Cristiani  176,  Ammou,  den  preussischen  Geschäftsträger  im 
Haag  und  in  Paris,  50,  56,  Klinggräf,  den  preussischen  Gesandten  in  Wien 
56,  63,  den  Marschall  Moritz  von  Sachsen  40,  Hautfort  37,  38,  Puysieux 
39,  St.  Contest  165,  167.  Gelegentlich  läuft  auch  eine  Ansicht  unter,  die 
die  Zukunft  nicht  bestätigt  hat,  so  wenn  Kaunitz  von  Ludwig  XV.  meint, 
er  werde  auf  seine  alten  Tage  sich  zur  Bigotterie  wenden,  also  Ludwig  XIV. 
ähneln  S.  49,  5  0.  Um  so  zutreöender  erweisen  sich  aber  seine  Urtheile 
über  die  inneren  französischen  Zustände  50  (C'est  une  charrue  assez  mal 
attelee  et  la  plüpart  des  choses  ne  se  fönt  que  par  intrigues  et  cabale, 
c'est  un  Corps  qui  ne  se  soutient  que  par  son  immensite),  164  (c'est 
une  volerie  epouvantable.  Quelle  ditference  dans  la  confrontation  du  des- 
ordre  qui  regne  ici,  avec  la  regle  et  le  bon  ordre  .  .  .  chez  nous).  Dass 
das  gegenseitige  Spionagesystem  der  Mächte  sehr  ausgebreitet  war,  ist  be- 
kannt; die  Beispiele  aber,  die  dieser  Briefwechsel  bringt,  übersteigen  jeden 
Begriff.  Alle  Depeschen  der  auswärtigen  Vertreter  in  Wien  an  ihre  Höfe 
werden  geöfinet,  ausser  wenn  der  Gesandte  sich  eines  direkten,  eigenen 
Couriers  bedient:  Koch  schickt  regelmässig  die  vollständigen  Serien  der 
Berichte,  die  Hautfort  nach  Paris,  Flemming  nach  Dresden,  Klinggräf  nach 
Berlin  richten  u.  s.  w.  Selbst  die  geheimsten  Chiöern  werden  aufgelöst, 
Koch  äussert  sein  Missvergnügen  über  den  häufigen  Chifferwechsel,  der 
selbst  einem  so  geübten  Bureau,  wie  dem  Wiener,  Mühe  mache.  Einmal 
muthmasst  er  bei  einer  wichtigen  Notiz,  dass  Puysieux  sich  absichtlich 
eines  alten,  ausser  Gebrauch  gesetzten  Chiifers,  dessen  Dechifirirung  in  Wien 
er  voraussetzt,  für  diesen  Fall  bedient  habe,  um  so  den  Inhalt  der  Depesche, 
den    mau  durch  Hautfort    nicht    direkt    mittheilen  wollte,    dem  Kaiserhofe 


686 


Literatur. 


doch  bekannt  werden  -zu  lassen!  Nirgends  findet  sich  die  leiseste  Spur 
eines  moralischen  Bedenkens  über  so  verwerfliche  Mittel.  Aus  den  vielen 
interessanten  Stellen  (S.  .39,  43,  r,8,  83,  in2,  109,  117,  125,  129,  205 
u.  a.)  sei  nur  die  drastische  Stelle  aus  Kochs  Brief  vom  IS.  Sept.  1751 
(S.  125)  hier  angeführt:  »dans  quinze  jours  au  plus  tard  je  seray  en  etat 
d'  envoyer  a  V.  E.  la  correspondance  de  Bezold  avec  Brühl.  C  est  le  dix- 
huitieme  chiflfre  dont  on  est  venu  au  bout  dans  le  courrant  de  1'  annee ; 
avoues  .  .  .  que  1'  imperatrice  est  servie  au  mieux  ä  cet  egard ;  nous  passons 
malheureusement  pour  etre  trop  habiles  dans  cette  art  et  cette  idee  fait 
qu"  ä  tout  instant  les  cours  qui  apprehendent,  que  nous  pourrions  avoir 
leur  correspondance,  changent  ...  des  clefs  et  en  envoyent  chacque  fois 
des  plus  difficiles  et  penibles  ä   dechiffrer.« 

Die  Edition  ist  mit  grosser  Sorgfalt  gemacht:  die  Texte  sind  nicht 
(wie  z.  B.  bei  Arneth  und  in  den  preussischen  Publikationen  über  Fried- 
rich IL)  in  modernisirtem  Französisch  gegeben,  sondern  anerkennenswerter 
Weise  unverändert  gelassen.  In  den  Anmerkungen  ist  ausser  den  Erläu- 
terungen noch  vielerlei  ergänzendes  Material  aus  sonstigen  Briefen  und 
Acten  beigebracht.  Ein  Register  der  Personennamen  unterrichtet  zugleich 
kurz  über  den  Stand  des  Betrefi'enden,  doch  sind  diese  Angaben  bisweilen 
zu  knapp   gehalten  und  fehlen  mehi-fach  ganz  i). 

Der  stattliche  Band  ist  auf  Vorschlag  des  Herzogs  von  Broglie,  der 
ja  selbst  schon  der  Zeit  Maria  Theresias  manche  interessante  Studie  ge- 
widmet hat,  erschienen  als  Publikation  der  ,,Societe  de  T  histoire  diplo- 
matique«. Wir  müssen  der  Gesellschaft  dankbar  sein  für  die  Förderung 
dieser  wertvollen  Arbeit,  die  so  viel  des  Interessanten  und  Wichtigen 
beiträgt  zur  genauen  Kenntnis  eines  wenn  auch  nur  kleinen  Abschnittes 
ans  einer  grossen  Zeit. 

Dresden.  W.  Lippert. 


Stockhoruer  von  Stareiu,  Otto  Freiherr,  Die  Stock- 
horner  von  St  arein.  Versuche  der  Darstellung  der  Geschichte 
dieses  Geschlechtes.     Wien,  Karl  Konegeu,  1896. 

In  jüngster  Zeit  werden  erfreulicher  Weise  auch  die  Nachrichten  von 
Adelsgeschlechtern,  die  in  Oesterreich  xinter  der  Enns  einst  ansässig  waren 
oder  noch  sind,  gesammelt  und  als  Familiengeschichte  der  OeflFentlichkeit 
übergeben.  Freilich  erscheinen  auf  dem  Plane  zunächst  nicht  jene  Ge- 
schlechter, deren  Mitgliedern  es  gegönnt  war  als  grosse  Staatsmänner, 
glückliche  Feldherren  oder  ausgezeichnete  Administratoren  sich  Verdienste 
zu  erwerben  und  auf  solche  Art  ihren  Namen  in  die  Geschichte  ihres 
Vaterlandes  zu  verflechten,  sondern  es  sind  jene,  deren  Thätigkeit  durch 
Verhältnisse  mancherlei  Art  gehemmt,  sich  in  enger  gezogenen  Kreisen 
bewegen  mussten  und  nur  Ehre  und  guten  Ruf  bewahrt  haben.  Zu  diesen 
Geschlechtern    gehört    auch    das    der  Stockhorner.     Mit    möglichster  Uube- 


')  in  der  Schreibung  sind  einige  kleine  Versehen  zu  berichtigen,  z.  ß. 
:372  Pcsold  statt  Pezold;  374  Solto  Major  wohl  statt  Sottomajor  (=  Sotomayor) : 
56  Cavalo  ist  identisch    mit  40,    367  Carato  ;    368  Des  Essarts    statt  Des  Issarts. 


Literatur.  ßg7 

fangenheit.  frei  von  aller  Schönfärberei  und  »Verbesserung  der  Thatsachen* 
hat  der  Verf.,  ein  Mitglied  des  mit  dem  Ende  des  13.  Jhdts.  in  Oester- 
reich  unter  der  Enns  nachweisbaren  Geschlechtes ,  die  Erlebnisse  der 
Generationen  seines  Hauses  zusammengestellt,  nachdem  er  eine  Reihe  von 
Archiven  mit  Mühe  und  Fleiss  durchsucht  hat.  Leider  war  zur  Zeit,  als 
er  seine  Materialien  sammelte  ein  Archiv  noch  nicht  geschaffen,  dessen 
Bestände  so  manche  Lücke  in  der  Geschichte  der  Stockhorner  ausfüllen; 
es  ist  das  von  dem  Statthalter  Oesterreichs  unter  der  Enns  E.  Grafen 
Kielmannsegg  1893  ins  Leben  gerufene  k.  k.  Archiv  für  Niederösterreich, 
das  heute  soweit  geordnet  ist,  um  von  Forschern  benützt  zu  werden.  Aus 
den  in  geschlossener  Reihe  vorliegenden  Lehenbüchern  von  König  Ladislaus 
bis  in  unsere  Tage  herab  erfahren  wir,  dass  Diemut,  die  Hausfrau  Niclas  IL 
Stockhorner  mehrere  landesfürstliche  Lehen  um  den  Heiligenberg  (pol.  Be- 
zirk Mistelbach)  erworben  hat,  und  dass  ihr  Gemahl  ihr  Lehensträger  war 
(Lehenbuch  K.  Ladislaus  fol.  89'),  dass  Andreas,  der  bisher  »ausser 
genealogischer  Ordnung <^  gestanden,  ein  Sohn  Bernhards  war;  dass  er 
1480  und  1494  mit  der  »brechen  Veste^'^  Walterskirchen  belehnt  wurde 
(Lehenbuch  1457  —  1480  fol.  276  und  1494 — 1505  fol.  34),  dass  die 
Brüder  Wolfgang  und  Georg  1494  mit  der  von  Albrecht  von  Eyzing  er- 
kauften »Veste«  Starein  belehnt  wurden  (Lehenbuch  1494 — 1505  fol.  5l), 
rlass  Leonhard  St.  nicht  einen  Sohn,  sondern  zwei  Söhne  und  zwei 
Töchter  hinterliess,  die  durch  ihren  Vormund  Ladislaus  von  Prag  Frei- 
herrn zu  Windhag  mit  der  »Veste  auf  dem  Wasen*  (bei  Weitra)  belehnt 
wurden  (Lehenbuch  1539^ — 1646  fol.  108),  dass  die  Brüder  Hans  und 
Joachim  15  82  landesfürstliche  Lehen  zu  Wielands  erwarben  (Lehenbuch 
1577 — 1586  fol.  282'),  dass  Joachim  diesen  Besitz  1588,  1593,  1605 
und  1612  vergrösserte  (Lehenbuch  1587 — 1610  foL  19',  83  und  233'; 
1611  — 16' 5  foL  143').  Wir  lernen  ferner  aus  diesen  Lehenbüchern 
Ehrentraut  St.  und  ihre  Kinder  kennen  (1611  — 1615  fol.  118')  und  er- 
fahren (fol.  258),  dass  1615  Ernst  St.  Grossau  erwarb.  Lehenbuch 
1616 — 1624  endlich  nennt  fol.  69'  alle  Kinder  des  Hans  Christof  St. 
Schliesslich  finden  sich  die  Nachrichten,  an  wen  alle  landesfürstlichen 
Lehen  der  St.  im  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  geliehen  sind,  sowie  auch 
auf  welche  Weise. 

A.   Starzer. 


Notizen. 

In  einer  Baseler  üissertation  hat  Gustav  Müller- Mann  aus  Wege- 
leben (Preussen)  »Die  auswärtige  Politik  Kaiser  Otto  IL  ■  be- 
handelt (Lörrach  1898),  einen  gut  gewählten  Gegenstand,  dessen  zusammen- 
hängende Erörterung  sehr  wünschenswert  war.  Der  Verfasser  übt  im  Ein- 
zelnen oft  zutreffende  Kritik  an  der  Auffassung  seiner  Vorgänger,  namentlich 
Ranke'  s,  und  bringt  auch  manches  zur  Beurteilung  der  Quellenschriftsteller 
Förderliche  bei,  doch  ist  seine  Darstellung  und  Methode  durchaus  nicht 
einwandfrei.     In  der  Hauptsache  beschäftigt  er  sich  mit  dem  Kampfe  des 


688  Xotizen. 

Kaisers  gegen  die  SaiTazenen,  während  er  die  dänischen  und  französischen 
Angelegenheiten  sowie  die  Verhältnisse  an  der  Ostgrenze  in  aller  Kürze  be- 
handelt. Mit  seinen  gewiss  beachtenswerten  Ausführungen  über  das  J.  982 
habe  ich  mich  au  anderer  Stelle  auseinanderzusetzen,  hier  sei  nur  bemerkt, 
dass  der  Verfasser  die  Bedeutung,  welche  die  süditalienischen  Staaten  haben, 
allerdings  richtig  hervorgehoben,  den  Unterschied  ihrer  Entstehung  aber 
nicht  genügend  beachtet  hat.  Doch  kommt  es  gerade  darauf  an,  die  aus 
dem  langobardischen  Keiche  herrührenden  Teilherrschaften  Capua,  Benevent, 
Salerno  von  den  seit  langer  Zeit  in  wechselnder  Abhängigkeit  von  Byzanz 
erstandenen  Fürstentümern  Gaeta,  Neapel,  Amalfi  zu  trennen.  Desgleichen 
hat  er  (S.  23)  die  Wandlung  im  Orient,  weiche  durch  die  Gründung  der 
Fatimidenherrschaft  in  Aegypten  hervorgerufen  wurde,  übersehen,  auf  ihr 
aber  beruht  das  Verhältnis  des  Nikephorus  Phokas  zu  dem  ägyptischen 
Kalifen.  Zu  S.  34  wäre  zu  erinnern,  dass  der  Einfall  von  98  1  nicht  Abul- 
quasims  erster  Zug  war,  dieser  schon  im  J.  974  begonnen  hatte,  den 
heiligen  Krieg  auf  das  Festland  zu  übertragen.  Ueberhaupt  leidet  das 
Büchlein  daran,  dass  dem  Verfasser  Amari'  s  Werke,  Schlumbergers  Epopee 
Byzantine  (Paris  1896),  L.  Singers  Abhandlung  über  die  Eother-Sage  (Jahres- 
ber.  des  akad.  Gymn.  in  Wien  1889),  v.  Sickels  Erläuterungen  zu  den 
Urkunden  Otto  IL  (Mitt.  des  Inst.  f.  öst.  Geschichtsf.  Ergbd.  2,  180  tf.), 
desselben  Itinerario  di  Ottone  II.  nell' anno  982  (Roma  1886)  entgangen 
sind.  Die  Gemahlin  Ottos  IL,  Theophanu,  erklärt  er  für  die  Nichte  des 
Tzimiskes,  indem  er  meine  in  der  Byz.  Zts.  erschienene,  mindestens  zu 
begründeter  Vorsicht  mahnende  Ausführung  kurzer  Hand  ablehnt,  ohne 
jedoch  neue  Gründe  für  die  von  Moltmann  verfochtene  Ansicht  beizubringen, 
und  ohne  den  Kreis  zu  bemerken,  der  ihn  festhält,  wenn  er  zuerst  aus 
seiner  Annahme  das  angebliche  Verhalten  der  Kaiserin  erklärt,  daraus 
wiederum  einen  Schluss  auf  ihre  Abstammung  zieht.  Die  flüchtige  Cha- 
raktei'istik  des  Kaisers  (S.  65)  erschöpft  den  Gegenstand  nicht.  Lambert 
v.  Hersfeld,  Richer  und  Thietmar  wären  besser  in  den  neuen  Handausgaben 
benützt  worden.  Dass  auf  S.  54  Anm.  147  eine  »ältei'e  Quelle ^'=  angeführt 
wird,  der  »etwas  von  maritimen  Plänen  Otto  IL  zu  Ohren  gekommen  war^\ 
ist  wohl  nur  in  der  Eile   geschehen.  K.   U  h  1  i  r  z. 

Im  Archiv  für  kathol.  Kirchenrecht  79,  3  fl'.  handelt  L.  Wahrmund 
ohne  Kenntnis  von  der  Abhandlung  Teiges,  Mittheil.  18,  408  ff.,  aber 
sorgfältiger  und  eingehender  als  dieser  über  die  im  Cod.  vatican.  lat.  2661 
enthaltenen,  dem  Bonaguida  von  Arezzo  zugeschriebenen  >;  Consuetudines 
cancellariae  "^^  aus  der  Mitte  des  1  3.  Jahrh.  Beachtenswert  ist,  dass  Wahr- 
mund die  Autorschaft  Guidos,  die  Teige  als  erwiesen  hinnimmt,  nur  mit 
Vorbehalt  gelten  lässt.  Von  den  Beilagen  ist  der  grössere  Theil  (S.  9  — 18) 
neu  und  für  die  Kenntnis  des  Geschäftsganges  der  römischen  Curie  wert- 
voll:  dagegen  sind  die  S.  18  —  19  folgenden  »Consuetudines«  bereits  kor- 
rekter bei  Teige  gedruckt.  T. 

Eine  »Ueber sieht  der  Judengesetzgebung  in  Oester reich 
vom  10.  Jahrhundert  bis  auf  die  Gegen  wart<^<  hat  J.  E.  Scher  er 
als  Separatabdruck  aus  dem  »österreichischen  Staatswörterbuche "^  heraus- 
gegeben (Wien    1Ö95   Holder).     Der  Verfasser  behandelt  den  Stoff  nach  den 


Notizen.  '  ßg9 

einzelnen  Kronländern,  wobei  eine  Beschränkung  auf  die  im  Reichsrathe 
vertretenen  Königreiche  und  Länder  (mit  Ausschluss  der  Länder  der  un- 
garischen Krone)  durch  den  Charakte}-  d<^r  Sammlung,  in  der  diese  Ab- 
handlung erschien,  gegeben  war.  Li  knapper  Darstellung  erscheint  sorg- 
fältig und  mit  grosser  Sachkenntnis  so  ziemlich  alles  Wesentliche  zu- 
sammengestellt, was  die  vorhandene  Literatur  darüber  enthält.  Die  Lage 
der  Juden  und  deren  rechtliche  Stellung  in  den  einzelnen  Ländern  erfährt 
damit  zugleich  eine  entsprechende  Beleuchtung.  Dass  der  Verf.  bei  seinen 
Ausführungen  vielfach  die  innere  Begründung  verschiedener  Gesetze  und 
Verordnungen,  sowie  deren  Zusammenhang  mit  der  historischen  Gesammt- 
entwicklung  nicht  berührt,  mag  wohl  aus  der  im  Titel  zum  Ausdruck  ge- 
brachten Beschränkung  seines  Zieles  zu  erklären  sein.  Manches  ist  so 
allerdings  recht  wenig  plausibel.  So  die  Herabsetzung  des  Zinsfusses  im 
J.  1338,  die  keineswegs  einer  freiwilligen  Verpflichtung  der  Wiener  Juden- 
gemeinde »zum  Danke«  für  den  Schutz  des  Landesherrn  entsprang,  son- 
dei'n  durch  die  Herzoge  vielmehr  angeordnet  ward  in  Ansehung  des 
»grossen  schaden  und  gepresten,«  welche  die  Wiener  Bürger  in  Folge  »des 
grassen  ungewöhnlichen «  Zinsnehmens  der  Juden  erfahren  hatten  i).  In 
ähnlicher  Weise  erhalten  auch  die  scharfen  Massnahmen  gegen  die  Juden 
am  Ausgang  des  14.  und  im  Verlaufe  des  1.5.  Jh.  durch  Heranziehung  der 
übrigen  Quellen  ihr  bedeutsames  Eelief.  Unter  andern  möchte  ich  da  auf 
verschiedene  bisher  kaum  beachtete  Stellen  einzelner  Biinnteidinge  auf- 
merksam machen  '^),  in  denen  man  einen  Keflex  dieser  ganzen  Bewegung 
wahrnehmen  kann.  Zu  berichtigen  ist  die  Angabe,  dass  die  österr.  Herzoge 
1331  das  Recht  Juden  zu  halten  als  Territorial-Hoheitsrecht  von  Ludwio- 
d.  Baier  erlangt  hätten.  Es  handelte  sich  damals  bloss  um  eine  Be- 
stätigung dieses  bereits  von  den  früheren  Herzogen  geübten  Rechtes.  Ueber 
die  Ausübung  des  Judenregales  (Judensteuern)  und  die  Verwaltung  der- 
selben (Hofmeister)  in  der  zweiten  Hälfte  des  1 4.  Jh.  hätten  einzelne  bei 
Senckenberg,  Selecta  iuris  TV.  u.  Schalk,  Blatt,  f.  Landeskunde  v.  Nied.- 
Oesterr.  2 1  Bd.  gedruckte  Urkunden  noch  wertvolle  Daten  gewinnen  lassen. 
Für  Schlesien  sind  die  Arbeiten  Oelsners  in  Lieberman]is  Jahrb.  f.  Israeliten 
1S.34  und   im  Arch.  f  österr.  Gesch.  31.  Bd.  nicht  benützt.      A.  Dop  seh. 

In  seinem  Aufsatze  »Das  It  ine  rar  Herzog  Leopolds  VI.  im 
Jahre  1 2 1 7  ^'^  (Blätter  d.  Ver.  f.  Landeskunde  v.  Niederösterr.  189S) 
bringt  M.  Tan  gl  die  Datirung  und  Einreihung  der  Urkunden  Herzog 
Leopolds  VI.  von  Oesterreich  aus  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1217  in 
scharfsinniger  und  überzeugender  Weise  in  Ordnung,  nachdem  noch  Juritsch 
Gesch.  der  Babenberger  440  ff.  mit  recht  haltlosen  Annahmen  daran  her- 
umgearbeitet hatte.  0.  R. 

Die  Kämpfe  Oesterreichs  mit  den  Osmanen  vom  Jahre 
1526  bis  1537.  Von  L.  Kupel  wieser,  k.  u.  k.  Feldmarschall- 
Lieutenant.  Mit  5  Karten-Skizzen  und  einer  Beilage.  Wien  und  Leipzig, 
W.    Braumüller    1899.      Den    Mittelpunkt     der    Kämpfe    Oesterreichs    mit 


')  Tomaschek,  Wiener  Rechte  1,  102. 
-)  Oesterr.  Wiesthümer  1,  571  ff. 


690 


Notizen. 


den  Osmanen  in  den  Jahren  15 26  bis  153  7  bildet  die  Belagerung  der 
Hauptstadt  Wien  durch  Sultan  Suleiman  IL,  den  »Prächtigen«.  FML. 
Kupelwieser,  der  sich  bereits  durch  seine,  auch  in  diesen  Blättern  (l9.  735) 
besprochene  Studie  über  die  Kämpfe  Ungarn's  mit  den  Osmanen  bis  zur 
Schlacht  bei  Mohäcs  1526,  als  ein  wohl  unterrichteter  Führer  durch 
diesen  geschichtlichen  Abschnitt  bekannt  gemacht  hat,  behandelt  denn  auch, 
gestützt  auf  handschriftliches  Material  des  Staats-  und  Kriegsarchivs  die 
kriegerischen  Ereignisse  in  und  um  Wien  während  der  Türkenbelagerung 
1529  mit  besonderer  Sorgfalt  und  bietet  darüber  zahlreiche  und  inter- 
essante Einzelheiten.  Als  ein  Vorzug  des  ganzen,  klar  und  anziehend 
geschriebenen  Buches,  dem  nebst  fünf  Karten-Skizzen  im  Texte  die  sorg- 
fältig reproducirte  Rundsicht  der  Belagerung  von  Wien  im  Jahre  1529 
von  Meldemann  nach  dem  in  der  Albertina  befindlichen  Original  beigegeben 
sind,  muss  die  fachmännische  Beurtheilung  der  beiderseitigen  Heere  und 
Operationen,  insoweit  letztere  nicht  eben  die  bei  Türkenkriegen  vergangener 
Zeiten  üblichen  wüsten  Plünderungszüge  sind,  hervorgehoben  werden. 
Wien.  Oscar  C  r  i  s  t  e. 

Ueber  j,DJe  Verwaltung  de  rinner  österreichischen  Länder 
von  1564  bis  zur  Gegen  war  t«  hat  Ä.  Star  z  er  jüngst  (Separat-Abdr. 
aus  d.  Jahrb.  d.  Leogesellschaft,  Wien  1898)  gehandelt.  Die  kleine  Skizze 
(23  S.  so)  bringt  nach  einer  aus  der  einschlägigen  Literatur  zusammen- 
gestellten Uebersicht  über  die  frühere  Zeit  eine  kurze  Darstellung  der 
Veränderungen,  welche  die  landesfür  stliche  Verwaltung  von  Steier- 
mark, Kärnten,  Krain  und  d.  Küstenland  innerhalb  des  im  Titel  ange- 
gebeneu Zeitraumes  erfahren  hat.  Einzelne,  allerdings  ziemlich  ungleich- 
massig  eingestreute  Details  beruhen  auf  Archivalien.  Ohne  den  Versuch 
zu  machen,  die  innere  Begründung  und  tiefere  Bedeutung  dieser  Wand- 
lungen zu  erfassen  hat  sich  der  Verfasser  darauf  beschränkt,  die  äusseren 
^'orgänge,   in  welchen   dieselben  zu  Tage  treten,   darzustellen. 

A.  Dop  seh. 

Ein  Gutachten  mit  Eeformvorschlägen  über  die  österreichischen  Central- 
behörden  aus  den  Jahren  1611  — 15  behandelt  :\r.  J.  N  e  u  d  e  g  g  e  r :  ;>  G  e  - 
heime  Raths-  und  Hofexpeditions -Reformation  in  Oester- 
reich  unter  Kaiser  Mathias.«  Der  Inhalt  dieses  Gutachtens,  das 
(im  bayr.  geh.  Staatsarchiv  zu  München  aufbewahrt)  über  höheren  Befehl 
erstattet  wurde,  bezieht  sich  vornehmlich  auf  die  inneren  Verhältnisse  und 
Zustände  bei  den  vier  damals  in  Oesterreich  bestehenden  Centralbehörden 
( Geheim-Eath,  Hofrath,  Hofkammer  und  Hofkriegsrath).  Indem  der  un- 
bekannte Autor  desselben  bei  seinen  Vorschlägen  von  den  Mängeln  und 
[Missständen,  die  bei  diesen  Behörden  hervortraten,  ausgeht,  ergeben  sich  inter- 
essante Streiflichter  für  die  Beurtheilung  der  Organisation  und  Wirksam- 
keit derselben  um  jene  Zeit.  Ein  Theil  dieses  Gutachtens,  besonders  über 
'len  Geheimen  Rath,  gelangt  am  Schlüsse  der  Abhandlung  zum  Abdruck. 
:\Ian  wird  bedauern  müssen,  dass  es  dem  Verf.  nicht  möglich  wurde,  den 
Autor  diese  Gutachtens  zu  eruiren  und  festzustellen,  ob  die  darin  ent- 
haltenen Reformvorschläge  auch  thatsächlich  eine  Berücksichtigung  fanden. 
Als  Gutachten  bloss  eines  Unbekannten    (Referenten?)    können    diese  Aus- 


Notizen.  ß9][ 

führungen  doch  nur  einen  beschränkten  Wert,  etwa  in  culturhistorischer 
Beziehung,  für  sich  in  Anspruch  nehmen.  Das  was  der  Verf.  anhangs- 
weise über  die  Herkunft  des  Hofmeisteramtes  (Excurs  I)  und  des  Geheimen- 
Eathes  (Excurs  II)  bemerkt,  ist  nicht  überzeugend.  Man  wird  die  Aus- 
bildung dieser  beiden  Institute  m.  E.  nicht  ausschliesslich  als  Nachahmung 
fremder  Muster  (Burgund?),  zu  erklären  haben,  sondern  dabei  auch  die 
organische  Entwicklung  der  Verwaltungsbedürfnisse  der  einzelnen  Länder 
nicht  ganz  übersehen  dürfen.  A.   Dop  seh. 

Im  85.  Bande  des  Archivs  für  österr.  Geschichte  S.  359 — 378  ver- 
öffentlicht J.  Schwerd feger  eine  bemerkenswerte  Denkschrift  de& 
Grossherzogs  und  nachmaligen  Kaisers  Franz  Stephan  von 
Lothringen-Toscana  vom  Frühjahre  1742,  deren  Inhalt  er  in  der 
Einleitung  näher  beleuchtet.  Der  Grossherzog  übersandte  dieselbe  an  den 
ehemaligen  Reichsvicekanzler  u.nd  nunmehrigen  Fürstbischof  von  Bamberg 
Friedrich  Karl  Grafen  Schönborn  mit  der  Bitte  im  Sinne  der  darin  nieder- 
gelegten Anschauungen  bei  Kaiser  Karl  VII.  vermitteln  zu  wollen.  Er 
empfiehlt  den  Friedensschluss  der  kriegführenden  deutschen  Mächte  Baj-ern, 
Preussen,  Sachsen  und  Oesterreich  auf  Grund  angegebener  Bedingungen, 
und  hierauf  den  Zusammenschluss  dieser  Mächte  und  des  ganzen  Reiches 
überhaupt,  um  nach  Aufstellung  einer  Bundesarmee  von  2  71.000  Mann 
im  Bunde  mit  den  Seemächten,  »welche  die  Noth  erkennen,  Frankreich 
ein  wenig  zu  stutzen  ^'=,  einen  Angriffskrieg  gegen  den  » Erbfeind  <■=  Frank- 
reich zu  führen  und  so  »dem  römischen  Kaiser  als  Kaiser  ein  Patrimonium 
zu  verschaffen  und  dieses  könnte  die  Landgrafschaft  Elsass  so  ohnedem  ein 
ßeichslehn  wäre,  betreffen  und  [dieses  müsstej  allzeit  eines  erwehlten  rö- 
mischen Kaisers  Patrimonium  sein'^^  Dann  »würde  des  teutschen  Reichs 
herrlichkeit  widerrumb  vorleuchten  ^^.  Ist  dieser  Gedanke  auch  ti'otz  den 
allem  Anschein  nach  aufrichtigen  Bemühungen  Schönborns  nicht  durch- 
gedrungen und  seine  Verwirklichung  einer  späteren  Zeit  vorbehalten  ge- 
blieben, so  bleibt  er  doch  beachtenswert  namentlich  im  Hinblick  auf 
den  hochgestellten  Verf.,  der  in  dem  Begleitschreiben  an  Schonborn  sich 
einen  »wahren  seinem  Vatterland  völlig  ergebenen  Teutschen ^^  nennt.  Der 
sorgfältige  Abdruck  erfolgte  nicht  nach  dem  schwer  leserlichen  Original- 
concepte,  sondern  einer  von  einem  Secretär  angefertigten,  das  eigenthümliche 
Französisch-Deutsch  des  Verf..  stilistisch  umformenden  Reinschrift.      H.  K. 

Die  Blätter  des  Vereins  f.  Landeskunde  v.  Niederösterreich  bringen 
schon  seit  Jahren  eine  höchst  dankenswerte  Bibliographie  zur 
nieder  österr  reichischen  Landeskunde,  Früher  hat  Wilhelm  Haas, 
für  1895  Donabaum  dieselbe  bearbeitet:  für  1896  und  1897  hat 
M.  Vancsa  sehr  sorgfältige  »Bibliographische  Beiträge«  zusammengestellt 
und  dem  Jahrg.  1898  der  »Blätter«  beigegeben.  Dieselben  theilen  sich 
in  die  zwei  Gruppen  Niederösterreich  und  Wien ;  die  erste  Gruppe  ist  in 
sich  gegliedert  nach:  Karten,  Allgemeines,  Geschichte  und  Geographie. 
Naturkunde,  Cultur,  Literatur  und  Kunst,  specielle  Ortskunde:  die  zweite 
Gi'uppe  in:  Pläne,  Allgemeines,  Geschichte  und  Culturgeschichte,  Einzelnes. 
Innerhalb  der  einzelnen  Abtheilungen  sind  dann  wieder  in  praktischer 
Weise  unter  Schlagworten  die  Einzelwerke    untergebracht.     Zur  grösseren 


692 


Notizen. 


Uebersicht  wäre  vielleicht  eine  stärkere  typographische  Hervorhebung  dieser 
Schlagworte  erwünscht.  Bei  den  selbständig  erschienenen  Werken  wäre 
AniTabe   des  Verlegers   empfehlenswert.  0.  R. 

Die  früheren  Arbeiten  von  Schönherr,  Anton  Zingerle,  Kirchlechner, 
V.  Hofmann-Wellenhof  und  anderen  i)  über  die  Geschichte  des  künst- 
lerischen und  literarischen  Lebens  in  Tirol  in  der  zweiten  Hälfte  des 
15.  Jahrh.  sind  neuerdings  durch  wertvolle  Studien  von  Heinrich  Hammer 
erfreulich  weiter  geführt  worden.  H.  hat  das  reiche  Material  besonders 
des  Innsbrucker  Statthalterei-Archives  und  die  Literatur  auf  das  sorg- 
samste ausgenützt  und  in  zwei  Aufsätzen  m  der  Ferdinandeums-Zeitschr. 
1898  und  1899  (3.  Folge  42.  und  43.  Heft)  über  »Die  Bauten  Her- 
zog Siegmunds  des  Münzr.  von  Tirol  und  Literarische  Be- 
ziehungen und  musikalisches  Leben  des  Hofes  Herzog  Sieg- 
munds von  Tirol«  in  gewandter  Weise  verwertet.  Stellt  H.  im  Haupt- 
theil  des  ersten  Aufsatzes  zum  erstenmal  den  Antheil  Herzog  Siegmunds 
an  den  zahlreichen  Schlossbauten  urkundlich  fest,  so  interessiren  uns  in 
der  zweiten  Abhandlung  namentlich  die  Darstellung  der  Beziehungen  des 
Innsbrucker  Hoies  zur  Universität  Freiburg,  neue  Mittheilungen  über 
Johann  Fuchsmagen,  Petrus  Luder,  Johannes  Tolophus  und  Heinrich  von 
Gundelfingen,  sowie  der  Abschnitt  über  die  Persönlichkeit  Siegmunds  und 
seiner  Gemalin  Eleonore  von  Schottland.  Der  letzte  Abschnitt  über  das 
Musikleben  beweist  uns,  dass  die  grossen  Meister  Paul  Hofhaimer  und 
Heinrich  Ysaac  schon  mit  dem  kunstsinnigen  Hofe  Herzog  Siegmunds  in 
Beziehung  standen,  wie  dann  noch  enger  mit  dem  Erben  Siegmunds,  Kaiser 
Maximilian  I.  In  letzterer  Hinsicht  haben  wir  ebenfalls  auf  eine  neue  ver- 
dienstliche Arbeit  hinzuweisen,  auf  Franz  Waldner,  Nachrichten 
über  die  Musikpflege  am  Hofe  zu  Innsbruck  I.  Unter 
K.  Maximilian  I.  von  1490 — 1515  (Monatshefte  für  Musikgeschichte 
1897 — 98).  Gleichfalls  auf  archivalischer  Grundlage  basirend  bringt 
Waldners  Studie  einen  neuen  Zug  in  das  reiche  Bild  des  vielbegabten 
Herrschers.  0.  R. 


Emil  Michael  und  seine  Antikritik. 

Vur  kurzem  erschirn :  Kritik  und  Antikritik  in  Sachen 
meiner  Geschichte  des  deutschen  Volkes.  Von  Emil  Michael 
S.  J.  Erstes  Heft.  Der  Wiener  Geschichtsprofessor  Redlich.  Freiburg  i.  B. 
Herder  1899,  34  S.  Die  Schrift  richtet  sich  gegen  meine  in  diesem 
Jahrgang  der  Mitth.  des  Instituts  S.  313 — 325  veröffentlichte  Besprechung 
des  ersten  Bandes  von  E.  Michaels  Geschichte  des  deutschen  Volkes  vom 
13.  -Jahrh.  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters.  Ich  hatte  bei  dem  bekannt 
streitbaren  Charakter  Emil  Michaels  gewärtigen  müssen,  dass  er  meine 
Recension  nicht  unbeantwortet  lassen  werde.  Ich  hätte  erwartet,  dass  wie 
ich  mich  auf  das  strengste  in  rein  sachlicher  Erörterung  bewegt  habe, 
auch  Michael  dieser  selbstverständlichen  Voraussetzung  einer  wissenschaft- 

')  Vgl.  auch    den  Aufsatz    von  R.  Stiassny    über   das  Votivbild  des  Grafen 
Leoidiard  von  Uörz  in  der  Münchener  AUg.  Zeitung,  Beilage  vom  21.  Dec.  1898. 


693 

liehen  Discussion  genügen  würde.  Allein  die  Schrift  Michaels  ist  von 
Anfang  bis  rjam  Ende  auf  den  Ton  persönlicher  Invectiven  und  massloser 
Heftigkeit  gestimmt.  Weil  ich  die  Ehre  habe,  als  der  erste  in  dieser 
Weise  von  Michael  behandelt  zu  werden  und  weil  ich  mich  nicht  darauf 
verstehe  mit  gleicher  Münze  zu  zahlen,  so  möge  zunächst  Michael  sein 
Opus  mit  seinen  eigenen  Worten  cbarakterisiren. 

Beim  Entschlüsse  »eine  deutsche  Geschichte  des  späteren  Mittelalters 
in  der  Art  Janssens  zu  schreiben*,  habe  er,  beginnt  Michael,  »gewusst, 
dass  ein  derartiges  Werk  für  viele  ein  Stein  des  Anstosses  sein  und  in 
diesem  Sinne  von  der  .Kritik'  behandelt  werden  wird.  Was  vorauszu- 
sehen war,  ist  eingetroffen*.  Dann  wendet  er  sich  meiner  Recension  zu. 
So  supponirt  Michael  meiner  Besprechung  von  vorneherein  die  bestimmte 
Tendenz  sein  Buch  um  jeden  Preis  todt  zu  machen  i).  Allein  er  ver- 
dächtigt nicht  bloss  meine  Ehrlichkeit,  sondern  auch  meine  Fähigkeit. 
»Redlich  redet,  sagt  er  S.  3,  wie  ein  Fachmann  auf  dem  Gebiete  der 
■wirtschaftlichen,  gesellschaftlichen  und  rechtlichen  Verhältnisse  Deutschlands 
im  13.  Jahrhundert;  man  hat  von  diesem  Vorzug  meines  Kritikers  bisher 
nichts  gewusst^^ 

Diesem  Beginn  entspricht  alles  weitere.  Auf  S.  8  lobt  er  meine 
»zahlreichen  selbst  für  einen  Historiker  von  Durchschnittsbildung  tief  be- 
schämenden Blossen*.  Besser  noch  auf  S.  13:  »Was  seiner  (Redlichs) 
nicht  etwa  auf  ernsten  Studien  beruhenden  Vorstellung  vom  Mittelalter 
und  im  besondern  vom  1 3-  Jahrh.  zuwiderläuft,  das  ist  unwahr,  ist  un- 
erhört. Redlich  ist  in  dieser  Materie  nicht  etwa  Dilettant,  das  wäre  zu 
viel  gesagt;  er  ist  Laie  und  unterscheidet  sich  von  einem  gewöhnlichen 
Laien,  der  sich  seiner  Unzulänglichkeit  bewusst  ist,  in  uuvortheilhafter 
Weise  durch  ein  geringeres  Mass  von  Vorsicht  und  Bescheidenheit <^.  Und 
so  noch  eine  schöne  Auswahl.  Das  Beste  aber  blieb  natürlich  dem  Schlüsse 
aufgespart,  wo  S.  33,  34  folgendes  zu  lesen  ist:  »Als  ich  die  ersten  Seiten 
von  Redlichs  Recension  gelesen  hatte,  fragte  ich  mich,  wie  es  doch  mög- 
lich sei,  dass  ein  Mann,  der  doch  offenbar  ob  seiner  Wissenschaft  nach 
Wien  befördert  worden  ist,  der  in  Wien  Carriere  gemacht  hat  und  nun 
auch  der  Akademie  als  correspondirendes  Mitglied  angehört  — •  wie  ein 
solcher  Mann  derartiges  schreiben  konnte.  Da  der  Historiker  zu  erklären 
hat,  nicht  zu  verschweigen,  wie  Redlich  sagt,  so  wäre  es  angezeigt  eine 
solche  Erklärung  zu  geben.  Indessen  sie  würde  sich  möglicherweise  den 
Vorwurf  persönlicher  Färbung  zuziehen.  Darum  soll  sie  doch  verschwiegen 
werden.  Es  mag  genügen  die  von  meinem  Kritiker  in  Anspruch  ge- 
nommene und  so  stark  betonte  Wissenschaft  seiner  Recension  einer  näheren 
Beleuchtung  ausgesetzt  zu  haben.  Das  Ergebnis  der  Antikritik  ist:  Redlichs 
Recension  ist  keine  Leistung  der  Wissenschaft,  sondern  das  Gegentheil. 
Die  Wissenschaft  spielt  in  ihr  eine  sehr  untergeordnete,  wahrhaft  klägliche 
Rolle.  Redlichs  Besprechung  ist  einer  Zeitschrift  nicht  wüi-dig,  die  ihr 
Entstehen  und  ihr  Gedeihen  Männern  wie  Julius  Ficker,  Theodor  v.  Sickel 
und  andern   Gelehrten  verdankt*. 


1)  Michael  schämt  sich  nicht  bei  diesem  Anlass  auch  dem  verewigten  Huber, 
dessen  Hörer  er  ge\ve.sen,  eine  hämische  Bemerkung  nachzusenden.  Auch  die  Art 
und  Weise,  wie  er  S.  .33  meinen  imvergesslichon  Chef  D.  v.  Schönberr  hereinzieht, 
entspricht  solchem  Tactgefühl. 


(394 

Das  ist  die  Art  des  Kampfes,  wie  sie  Michael  beliebt.  Diese  mass- 
losen Angriffe  auf  meine  wissenschattliche  Leistungsfähigkeit,  diese  ver- 
dächtigenden Invectiven  auf  meine  wissenschaftliche  Persönlichkeit,  sie 
lassen  mich  kalt.      Er  hat  nicht  mich  gerichtet,   sondern  sich  selber. 

Mit  einem  solchen  Gegner  sich  in  eine  Discussion  einzulassen,  ist 
von  vorneherein  für  die  Förderung  der  Sache  aussichtslos.  Dies  um  so 
mehr,  als  es  um  seine  sachliche  Antikritik  ebenso  schlimm  bestellt  ist, 
wie  mit  seinem  literarischen  Anstand.  Es  genügen  die  folgenden  Bemer- 
kungen,  um  dies   zu  erweisen. 

Ich  sagte  in  meiner  Besprechung  S.  315,  dass  bei  Michael  »das  Bild 
von  der  Lage  der  Landwirtschaft  und  Stellung  der  Bauern  viel  zu  viel 
Licht,  zu  wenig  Schatten  enthalte.  Das  kommt  von  dem  leidigen  Ge- 
neralisiren,  von  der  Nichtbeachtung  verschiedener  Factoren,  von  der  ein- 
seitigen Heranziehung  literarischer  Quellen«.  Ich  gab  dann  S.  316  Proben 
von  dem  ungerechtfertigten  Generalisiren  Michaels,  sprach  S.  317  über 
eine  Reihe  von  Momenten,  die  Michael  nicht  beachtet  habe  und  belege 
auf  S.  3 1 8  die  einseitige  Benützung  der  literarischen  Quellen.  Gegen  den 
ersten  Theil  dieser  meiner  Beweisführung  verwendet  Michael  S.  4 — 16 
seiner  Schrift  und  er  legt  das  Hauptgewicht  darauf,  denn  nach  solcher 
Vernichtung  hält  er  es  lür  mehr  als  genügend,  aus  den  übrigen  acht 
Seiten  meiner  Recension  nur  noch  einige  »Stichproben'^  zu  geben. 

S.  317  hatte  ich  folgende  Sätze  Michaels  als  in  dieser  Allgemeinheit 
unrichtig  und  falsche  Vorstellungen  erweckend  bezeichnet:  Die  Grund- 
hörigen »waren  persönlich  frei  und  keineswegs  so  an  die  Scholle  gebunden, 
dass  sie  dieselbe  nie  verlassen  durften.  Hatten  sie  ihren  Verbindlichkeiten 
dem  Herrn  gegenüber  entsprochen,  so  stand  es  in  ihrem  Belieben  den 
Aufenthalt  zu  wechseln  und  einen  andern  Herrn  zu  wählen.  Diese  Frei- 
zügigkeit glich  vollkommen  der  des  freien  Mannes«.  Jeder  Leser  versteht, 
mag  jetzt  nachträglich  Michael  S.  8  sagen  was  er  will,  diese  persönliche 
Freiheit  in  unserem  heutigen  Sinne,  und  jeder  Leser  muss  glauben,  dass 
die  volle  Freizügigkeit  gleich  der  des  freien  Mannes  im  ganzen  13.  Jahr- 
hundert in  ganz  Deutschland  bestanden  habe.  Und  das  ist  eben  einfach 
nicht  wahr  und  deswegen  liegt  darin  die  leidige  Generalisirung.  Michael 
meint  mich  mit  Lamprechts  Wirtschaftsleben  wieder  zu  schlagen,  das  ich 
•  gegen  ihn  citirte,  wirft  mir  mangelhafte  Vorstellungen  vom  Begrifte  des 
Weisthums  vor  usw.  Ich  antworte  ihm  lediglich  mit  den  Sätzen,  mit 
w^elchen  Lamprecht  1,  1212  seine  gesammten  Erörterungen  über  diese 
Dinge  beschliesst:  »Kein  Zweifel,  dass  mit  einem  in  der  eben  beschriebenen 
Weise  geregelten  freien  Zug  noch  nicht  jene  Freiheit  der  Person  gewonnen 
ist,  welche  uns  heute  unerlässlich  scheint.  Und  auch  die  so  vorhandene 
beschränkte  Freizügigkeit  galt  nur  für  die  bestgestellte  Klasse  der 
alten  Grundhörigen,  die  nunmehrigen  armen  Leute.  Neben  der  Freiheit 
des  Grundbesitzes  war  jetzt  die  Freiheit  der  Person,  wenn  auch  nicht  un- 
getrübt, zum  grössten  Theile  errungen«.  Den  ersten  und  den  letzten  dieser 
Sätze  will  Michael  merkwürdiger  Weise  wider  mich  verwerten,  den  zweiten 
aber  hat  er  verschwiegen!  Michael  kann  sich  über  die  Mannigfaltigkeit 
der  Abstufungen  in  der  Situation  der  Hörigen,  auch  in  Bezug  auf  Frei- 
zügigkeit, jetzt  bequem  bei  Inama-Sternegg  Deutsche  Wirtschaftsgesch. 
3.   56  ff.  orientiren. 


695 

Michael  wehrt  sich  S.  9  f.  ^)  ferner  gegen  meinen  Satz,  dass  das 
Einwilligungsrecht  des  Herrn  zur  Heirat  von  Hörigen  ausserhalb  des  Hof- 
verhandes  seine  ganz  reale  Begründung  besass  und  keines  Hineinmengeus 
von  Sentimentalität  bedarf,  wie  dies  Michael  thut.  Ich  kann  Michael  nur 
nochmals  aufiFordern,  Lamprecht  Wirtschaftsleben  Seite  1203,  1204  und 
1205  zu  lesen  und  zwar  genauer  als  bisher;  auch  mag  er  den  ihm  ja 
so  wohl  bekannten  Maurer  Fronhöfe   3,    149   ff.   noch  dazu  nehmen. 

Wenn  ich  weiter  fragte,  wo  der  Beleg  steht  für  Michaels  Behauptung, 
dass  bei  Heiraten  von  Hörigen  derselben  Herrschaft  die  Genehmigung  nie 
verweigert  werden  durfte,  so  unterschiebt  mir  Michael  S.  11  zu  meiner 
Verblüffung,  ich  hätte  gesagt,  überhaupt  bei  Hörigen!  Und  doch  citire 
ich  vorher  seine  eigene  ganze  Stelle!  Ich  wollte  mit  jener  Frage  wieder 
das  fortwährende  Generalisiren  Michaels  kennzeichnen.  Wenn  er  mir  jetzt 
Maurer  Fronhöfe  3,  KJT  und  Schmidt  lus  primae  noctis  .59  ff.  entgegen- 
hält, so  habe  ich  folgendes  zu  erwidern.  Es  ist  allerdings  vorgekommen, 
dass  zu  Genossenehen  keine  Erlaubnis  notwendig  war.  Regel  aber  war 
die  Einholung  der  Erlaubnis  und  Zahlung  einer  Abgabe.  Und  aus  den 
Stellen  der  Weisthümer  usw.  lässt  sich  für  diese  Fälle  nur  das  schliessen: 
Wenn  die  Hörigen  die  bei  Genossenehen  gebräuchliche  Abgabe  zahlten, 
so  stand  der  Heirat  im  allgemeinen  nichts  im  Wege.  Aber  schon  die 
Thatsache.  dass  da  und  dort  bei  Nichteinholung  der  Erlaubnis  der  Hörige 
gestraft  wurde,  ja  sogar  das  Hofrecht  verlor  (Maurer  3,  168,  vgl.  Grimm 
Weisthümer  3,  146  und  159),  lässt  obigen  Satz  als  viel  zu  allgemein 
und  bestimmt  hingestellt  ei'scheinen. 

Ich  hatte  mich  weiter  gegen  den  Satz  Michaels  gewendet:  wenn  der 
Herr  die  Hörigen  pflichtwidrig  vernachlässigt,  »so  wurden  diese  gleichfalls 
ihrer  Verbindlichkeiten  ledig  und  konnten  oder  mussten  frei  werden  ^^ 
Michael  schöpft  seine  ganze  Wissenschaft  wieder  aus  Maurer  Fronhöfe  2,  77- 
Und  wie  weit  reicht  die!  Eine  Stelle  aus  dem  Schwabenspiegel  Landrecht 
ed.  Lassberg  7 1 ,  welche  aber  ganz  ausdrücklich  nur  von  dem  einen  be- 
stimmten Falle  handelt,  dass  wenn  der  Herr  einem  siechen  Hörigen  nicht 
hilft  und  ihn  von  seinem  Haus  vertreibt,  dieser,  wird  er  gesund,  i'rei  sein 
soll.  Und  eine  zweite  Stelle  aus  einem  Weisthum  von  Essener  Heiligen- 
Leuten:  hält  die  Aebtissin  die  Rechte  nicht  ein  und  will  sie  das  nicht 
bessern,  so  sind  ihr  die  Leute  nichts  schuldig.  Aus  diesen  zwei  Stellen 
macht  nun  schon  Maurer  in  seiner  bekannten  Weise  die  ganz  allgemein 
hingestellte  Behauptung:  (die  Hörigen)  v. wurden  sogar  ganz  frei,  wenn  der 
Herr  sie  vernachlässigt  oder  selbst  seine  Verbindlichkeiten  nicht  erfüllt 
hatte.  Wenigstens  waren  sie  sodann  ebenfalls  frei  von  Verbindlichkeiten 
und  brauchten  auch  ihrerseits  nichts  mehr  zu  leisten  ^^  Maurer  schränkt 
selbst  in  seinem  zweiten  Satze  den  ersten  so  ein,  dass  dieser  beinahe  auf- 
gehoben wird.    Michael  aber  schreibt  Maurer  ab  ^')   und  zieht  dessen  Sätze 

1)  Auf  S.  8  benutzt  Michael  meinen  Satz  über  vogelfrei  und  Wildfangrecht 
(S.  316),  um  mir  da  eine  »tief  beschämende  Blosse*  aufzudecken.  Ich  gestehe, 
ich  hätte  mich  deutlicher  ausdrücken,  ich  hätte  sagen  sollen,  dass  ein  »vogel- 
freier Mann"'  nicht  bloss  der  Herreulose  ist,  gegen  den  sich  allerdings  das  Wild- 
fangrecht richtet,  sondern  vor  allem  auch  der  wegen  Missethat  Geächtete,  gegen 
den  sich  eben  das  Wildfangrecht  nicht  richtet. 

2)  Ohne  Maurer  zu  citireu ;  vielmehr  bringt  er  hier  den  von  mir  S.  316 
gerügten  Hinweis  auf  Ratzinger  Armenpflege  227,  dessen  Berechtigung  darzuthun 
er  nun  in  seiner  Schrift  S.  13  sich  vergeblich  abmüht. 


G9G 

in  den  einen  oben  angeführten  zusammen,  der  sich  als  eine  allgemeine  in 
ganz  Deutschland  im  13.  Jahrhundert  geltende  Rechtsnorm  gibt.  Heisst 
das  nicht  doppelt  und  dreifach  generalisiren  V 

Ich  habe  endlieh  Michael  den  Vorwurf  gemacht,  dass  er  die  erbrecht- 
lichen Bestimmungen  des  Sachsenspiegels  über  Bauerngüter  als  gemein 
deutsches  Recht  in  Anspruch  nehme,  und  habe  dies  mit  einem  schlagenden 
Beispiel  bewiesen,  welches  Michael  nicht  zu  widerlegen  vermag.  Es  ist 
mir  aber  nicht  eingefallen  zu  behaupten,  dass  speciell  die  Untheilbavkeit 
der  Güter  nicht  auch  ausserhalb  Sachsens  vielfach  zu  Recht  bestanden  hat, 
und  Michael  hätte  sich  die  Mühe  erspai'en  können,  mir  das  mit  einer 
seitenlangen  Belehrung  auseinanderzusetzen. 

So  kümmerlich  sieht  die  Antikritik  Michaels  aus  I  Ihrer  Schwäche 
entspricht  nur  der  Hochmut,  mit  dem  sie  voi'getragen  wird.  Meinen  Vor- 
wurf des  ;>  leidigen  Generalisirens^'^  hat  Michael  nicht  entkräftet,  sondern 
nur  noch   stärker  begründet. 

Auf  die  letzten  acht  Seiten  meiner  Recension  einzugehen,  welche 
»genau  auf  der  wissenschaftlichen  Höhe  des  Eingangs ^^  stehen,  hält  Michael 
S.  Ifi  :  vorderhand*  für  überflüssig;  er  fügt  nur  noch  einige  »Stichproben^^ 
bei.  Ich  halte  es  für  überflüssig  mich  auch  nur  mit  diesen  Stichproben 
Michaels  abzugeben,  ich  will  nur  noch  sagen,  was  alles  er  für  überflüssig- 
gehalten  hat  von  meiner  Recension  nur  irgendwie  zu  berücksichtigen. 
Michael  schweigt  über  das  wesentliche  meiner  Darlegung  (S.  ;?17), 
dass  er  eine  Reihe  von  Factoren.  die  ich  anführe,  für  die  Beurtheilung  der 
wirklichen  Lage  der  Landwii'tschaft  und  Bauern  im  13.  Jahrh.  nicht 
beachtet  habe;  er  hilft  sich  (S.  Ifi — 20)  mit  Spitzfindigkeiten  und  Wort- 
klauberei. Michael  schweigt  über  meinen  Vorwurf  (S.  317,  318).  dass 
er  die  literarischen  Quellen  zu  einseitig  ausgenützt  habe.  Ich  hatte  S.  319 
hervorgehoben,  dass  er  bei  Besprechung  der  aufkommenden  Geldwirtschaft 
gerade  die  wichtigsten  Materien  bloss  in  einer  Anmerkung  gestreift  habe: 
hierauf  erwidert  er  nichts,  druckt  aber  durch  fünf  Seiten  (S.  2ß  — -:]0) 
Stellen  seines  Buches  ab  um  zu  beweisen,  dass  er  dies  Thema  vollständig 
behandelt  habe.  Dass  in  dem  Capitel  über  Handel  und  Verkehr  vieles  vom 
wichtigsten  fehle,  dass  in  dem  Abschnitt  über  das  Ritterthum  dieses  über- 
mässig idealisirt,  das  Fehdewesen  schief  aufgefasst  und  über  die  Entwick- 
.lung  der  Ministerialität  und  des  niedern  Adels  ganz  ungenügend  oder 
vielmehr  gar  nicht  gehandelt  sei,  dass  der  ganze  letzte  Abschnitt  über 
Verfassung  und  Recht  an  besonders  starken  Mängeln  in  verschiedenster 
Beziehung  leide  —  dem  allen  gegenüber,  und  das  sind  nur  die  Haupt- 
sachen,  hüllt  sich  Michael   in   seiner  Antikritik  in  beredtes   Schweigen. 

Allerdings  hat  Michael  nach  seinen  Andeutungen  auf  S.  IG  noch 
nicht  alles  gesagt,  was  er  über  meine  Recension  sagen  könnte.  Er  scheint 
also  seine  Schrift  geschi'ieben  zu  haben,  um  zunächst  auf  ihren  34  Seiten 
gerade  gegenüber  den  schwersten  Bedenken,  die  ich  erhoben,  zu  schweigen. 
Oder  er  will  sich  die  Möglichkeit  offen  halten,  um  aVtermals  zwei  Druck- 
bogen mit  Schmähungen  und  missglückter  Abwehr  voll  zu  füllen.  Mag- 
er das  thun.  Ich  werde  keinen  Anlass  mehr  haben  noch  einmal  darauf 
zurückzukommen.  Denn  ich  habe,  wie  ich  hoffe  für  jeden  billig  Denkenden 
schon  diesesmal  genue-  cresagt. 

Wien,  Ende  November    1899.  Oswald  Redlich. 


INHALTSVERZEICHNIS 


DER 


MITTHEILÜNGEN  DES  INSTITUTS 


h:k 


ÖSTERRErCHISCHE  GESCHK  HTSFOHSCHUNG. 


BAND  XI— XX,  ERGÄNZUNGSBAND  IIF,  IV.  V   i.  i>  '). 


BEAEBEITET 

V(JX 

KASPAR   SCHWARZ. 


->*§§«<- 


')  In  der  systematiselien  Zusammenstellung  der  Abhandlungen  und  Kleinen 
Mittheilungeu  sind  die  Titel  jener  mit  Lettern  Garmond  und  die  fortlaufenden 
]S[umm(  rn  mit  fetten  Ziffern,  dieser  mit  Lettern  Borgis  und  die  fortlaufenden 
Nummern  mit  gewöhnlichen  Ziffern  gedruckt,  in  der  alphabetischen  Liste  der 
Litern turanzeieren  die  Litfraturnrtikel  mit  Lettern  Borgis,  die  Notizen  mit  Petit. 


I.  Quelleiipublicatioiien. 


I.  Erzühlendc^   (Quellen.    Briefe,   Berichte,   historiselic    Lieder 

und  AufzeichiHiiigeii. 

1.  Genealogische  Notizen  zur  Geschichte  des  Hauses  Hahshurg  von  Josef 

Seemüller  XIV,   120. 
l.  Historische  Gedichte    aus    dem    XV.    Jahrh änderte.    Nicolaus    Pet- 

schacher.     Herausgegeben  von  Johann   Huemer  XVI,  (333. 

3.  Friedrichs  III.    Aachener   Krönungsreise    von   Josef  Seemüller 
XVII,  584. 

Abdruck     aus     der    Handschr.     des    brit.    Museums    lßö92    (Plut. 
C  XXXIII  C). 

4.  Ein  Brief   des    Wiener    Stadtschreibers    Hanns    Menes torfer    vom 
9.  Juli    148S   von  Karl  Uhlirz  XIX.    r,'.>7. 

5.  Eine  Pilgerfahrt  in  das  heilige  Land  im  Jahre  1494  von  Theodor 
Schön  XIII,  430. 

6.  Venetianiscbe     Brandstiftungen     in     Oesterreich     im    Jahre     ]  5 1 G     von 
Michael  Mayr  XIV,   656. 

Verbörsprotokoll    1516. 

7.  Drei     liriefe     des    Johannes    Bugenhagen    von     Rudolf    Thommen 
XII,    1.54. 

Johannes  Bugenhagen    an    Georg    Spalatin    152:5    Juni    13,    1524 
Juli    10,    1541 — 44. 

8.  Maximilian  II.  an  Ferdinand    I.  Linz    1562    Mai     11     von    Heinrich 
Kr  et  Schill  ayr  XVIII,   620. 

9.  Das  religiöse  Testament  K,  Ferdinands   I.  von   Ferdinand    Mencik 
XX.    105. 

10.  Zur  Geschichte    der  Wahl  Maximilians    II.    zum  römischen    König 
von  Wilhelm  Altmaun  XIIL  619. 

Abdruck  einer  Denkschrift  aus  dem  Berliner  Geheimen  Archiv. 

II.  Briefe  des  Kaiser  Maximilian  IL  und  Rudolf  IL  an  Lazarus  Schwendi 
von  Eduard  Heyck  XIII,    164. 

Drei    Schreiben    Maximilians    und    eines    Rudolfs    an    Schwendi, 
Schwendi  an  Maximilian    156  9   November    19. 
12.  Zur  Geschichte  der  Bartholomäusnacht  von  H.  V.  Sauer  land  XIII,  3.30. 
3  Berichte  vom  Jahre   15  72. 

r 


IV 

!'.{.  Der  türldsclie  (jcsamlte  in  Pra;^'  l(rJ(t  und  der  Bricfwceliscl  des 
"Wiuterkönigs  mit  Suitau   Osman  11.   vou   H.  Forst  XVI,  öJiO. 

Graf  Slawuta  au  Graf  Franz  W.  von  Wartenberg  \(\2'2  Sept.  2C-> 
sammt  Beilage. 

14.  Ein  Vorschlag  zur  Ermordung  Walleusteins  vom  Jahre  1G28  von 
Michael  May r- Adlwang   Erg.  V,   1G4. 

Aebtissin  Katharina  von  Buchau  an  Erzherzog  Leopold  1028 
Juni   20. 

15.  Aus  dem  Berichte  eines  Fraiizoseu  über  den  Wiener  Hof  in 
den  Jahren  1071  und  1(j7l^  von  Alfred  Francis  Pribram 
Xll,  270. 

16.  Die    letzten    Tage    Kaiser     Leopolds     I.     von     Ferdinand     Meneik 
'  XIX,   .5 IS. 

Mittheilungen  des  (!raf  Ferdinand  Bonaventura  Ilarrach  im  gräfl. 
Harracirschen  Archiv. 

17.  Urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  des  Jahres  17r)(j  von  Max 
Lehmann  XVI,  480. 

Schreiben  des  geh.  Cabinets-Secretärs  Koch  175G  Mai,  Protokoll 
über  die  am  8.  und  9.  Juli  gehaltenen  Berathungen  der  kais. 
Küstungs-Commission. 

18.  Ein  Brief  des  Freiherrn  von  Stein  von  Anton  Becker  XVI,  402. 

Stein  an  Kriegsrath  Kunth   1809  Mai   7 
11>.  Zur    Sendung    Metternichs    nach    Paris    im    J.    1810    von     Adolf 
Beer  XVI,  115. 

Denkschrift  der  Holkammer  an  Metternich  1810,  le  duc  de  Ca- 
dore  ä  Metternich  1810  Juli  26,  Metternich  an  K.  Franz  1810 
Sep.   5. 

20.  Zur  Geschichte  der  Jahre    1806 — 1813    von  Adolf  Beer  XIX,    170- 

Knut  Bildt  an   Metternich    1813   April   24. 

21.  Anonymes  Schreiben  aus  dem  Nachlasse  des  Herzogs  von  Reichstadt 
von  Hans  Schütter  XV,   672. 

TTngedrucktes  Quellenmaterial  ist  noch  mitgetheilt  in  Nr.  73,  74,  8.'), 
80,  87,  121,  127,  133,  135,  139,  164,  170,  173,  174.  181,  187, 
18'J,  lül,  198,  199,  201,  223,  227.  235,  236,  238—241,  243—248, 
252,  254,  267. 


2.  UrkiiiidcMi  und  Actcnstiicko. 

22.  ünedirte  Karoliugerdiplouie  aus  französischen  Handschriften  hg. 
vou  Alfons  Dop  seh  XVI,   193. 

Pippin  766,  Karl  d.  Gr.  769  —  774.  806,  Ludwig  der  Fromme 
825—830,  Karl  859,  856 — 862,  Karl  111.  880,  SS4.  s86.  Frag- 
mente und  Auszüge :  LudAvig  d.  Fr.  8  19,839 — 840,  817,  Lothar  II. 
863  —  869,    Karl  d.   Gr.    778,    809,    777. 

23.  Entscheidungen  des  Hofgerichtes  in  Sachen  der  Abtei  Beaupre 
1174  (Kleinere  Forschungen  XVIII)  von  Paul  Sclief  fer- B  oi- 
chorst   XIll,   i:^,7. 


V 

Arnuld,   Erzbiscbof  von   Trier   für  Ik-aupre    1174.   Kaiser  Friedrich 
für  JJeaupre    1174. 
"14^.  Uugedruckte  Urkunden  und  Briefe  zur  ßeichsgeschichte    des  drei- 
zehnten Jahrhunderts  von  Eduard   Winkel  mann  XIV,  87. 

Friedrich,  K.  von  Sicilien  für  das  Kloster  S.  Maria  della  Grotta 
1209  Aug.;  Friedrich  IL  für  Perronus  Malamorte  1218  Sept.;  ders. 
für  Abt  Mattheus  von  Fiore  1221  März;  Roger  von  Peschio  Lan- 
zano  für  das  Kloster  S.  Maria  della  (Irotta  1221  Dec. ;  Albrecht, 
Erzbischof  von  Magdeburg  für  Bischof  Heinrich  von  Brixen  (l228 
Juli?);  Friedrich  IL  lür  den  Deutschordensmeister  Hermann  12.32 
Jan  11;  Jacobus  de  Concambio  an  Bologna  (12.39  Aug ) ;  Innocenz 
IV.  für  Viterbo  124.3  Oct.  22;  1243  Nov  ;  derselbe  für  Bologna 
(1244  Juni):  Friedrich  II.  an  die  Richter  von  Tocco  1245  Febr.  8; 
derselbe  an  das  Capitel  der  Palastkapelle  zu  Palermo  (l22r) — 1249) 
Oct.  12.;  derselbe  an  Siena  12.50  Juni  fi ;  Friedrich  von  Antiochia 
an  Siena  12,50  Juni  25;  Alexander  IV.  an  die  Herzoge  Ludwig 
und  Heinrich  von  Baiern  1255;  derselbe  für  den  Archidiacon  von 
Spoleto  (12  55  Aug.  28);  ders.  an  König  Richard  1258/9;  Clemens 
IV.  Bannbrief  1268  Juli  14. 
25.  Rechtssprüche  des  Trientner  Lehenhofes  aus  dem  XIII.  Jahrhundert 
von  Josef     Dur  ig  Erg.  IV,  429. 

Abgedruckt    IG   Rechtssprüche    1209 — 1230. 
2().   Eine  Urkumle  Karls    I.   von    Sicilien    für    ein    polnisches    Kloster    von 
Richard  Sternfeld  XIII,   327. 

Karl    I.  für  Heinrich,   Herzog  von   Polen    1178   Juli   22. 

27.  Zwei  Notizen  aus  der  Trierer  Stadtbibliothek  von  H.  V.  Sauerland 
XIL   507. 

Rudolf  V.  Habsburg  für  Nicolaus  von  Scharfenstein  1278  Mai 
15.  Ueber  die  Zusammenkunft  des  K.  Eduard  III.  von  England  mit 
Kaiser  Ludwig  IV.   zu  Coblenz   1338. 

28.  Die  Treubriefe  der  Wiener  Bürger  aus  den  Jahren  1281  und 
1288  von  Karl  ühlirz  Erg.  V,  76. 

Abgedruckt    10   Treubriefe. 
2i1.   Die  älteste   Urkunde    für    die    St.   Salvatorkapelle    im    alten    Rathliause 
zu  Wien  von  Karl  Uhlirz  XIL   653. 
Ablassbrief  1298  Februar  20. 
3(1.   Eine  Urkunde  des   Papstes  Johann  XXII.  vom  -Lahre    1317  von  Franz 
Zimmermann  XIV,    330;   vgl.    dazu  Berichiigung  XIV,    530. 

31.  Drei  Beglaubigungs- Schreiben  der  Herzoge  Albrecht,  Wilhelm  und 
Leopold  von  Oesterreich  für  ihre  Gesandten  an  Papst  Urban  VI. 
(1387)  von  H.  V.  Sauerland  XIV,    124. 

3  Beglaubigungs- Schreiben  derselben  1387  Febr.  2,  Febr.  13^ 
Febr.   14. 

32.  Urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  Kaiser  Sigmunds  von  Wil- 
helm Altmaun  XVIII,  58«. 

K.  Sigmund  für  Burggraf  Friedrici:  VI.  von  Nürnberg  1410 
August  5,  an  Heinrich  v.  Plauen,  Deutschordenshochmeister  1413 
Mai    17,   für  Paul  Romerich    14  13   December   27,    an    Michael  Küch- 


VI 

meister,  DeutscliordeushocLmeister     1414    März    14,    1415    April    9, 
für    Johann    Kirchheim    1415    März     9,   für    Erzbischof   Johann    von 
Mainz   1415   Juli   24,   für  Burggraf  Johann  und  Friedrich  von  Nürn- 
berg   1417   Juli   20,   für  Filippo    Maria    Visconti    von  Mailand    1418 
April   2,    142G   Juli   (5,   für  den  deutschen  Orden    1424   Nov.  23,  für 
Erzbischof  Kaban  von  Trier   1434  Februar   1,  für  den  Ulmer  Städte- 
bund   1437   Juli   30,   für  Marschall  von    Pappenheim     1437    Aug.   2. 
33.  Vergleich  zwischen    der   Landgrafschaft  Neuenbürg    und    der    Hegauer 
Eitterschaft  im   Jahre    15  40   von  Georg  Tumbu  It  XVII,   459. 
Abgedruckt:   Vertrag  von   1540  März  31. 
:J4.  Die    Facultäteu    eines   päpstliolieu   Nuntius    im    IG.    Jahrhunderte 
von  Samuel  Steinherz  XIX,  327. 

Pius  IV.   für  Bischof  Hosius  von  Ermland    1560. 
35.   Kaiser    Maximilians    IL    Erklärung    vom     18.    August     1508    über    die 

Ertheilung  der  Religionsconcession  von  Victor  Bibl  XX,   035. 
üngedriickte  Urkunden   und  Aetenstücke  noch    als    Beilagen    oder    im 
Anhang   von   Nr.  39,   41,   43,    45,   53,   59,   65.    6G,  68.    71,    72, 
76,  97,  153,  156,  158,  162,  171,  177,  181,  204,  208,  217,  219,  252. 


IL  Bearbeitungen. 

Hilfswissenschaften. 

1.  UrkinidenleliiT. 

a.  Kaiser-   und  Königsur künden. 

30.  Kaisenirkunde  und  Papsturkunde  von  Engelbert  Mühlbacher 
Erg.  IV,  499. 

37.  Die  Fuldaer  Privilegieutrage  vou  Michael  Tangl  XX,  193. 

38.  Die  Urkunden  Karls  d.  Gr.  für  Bremen  und  Verden  von   Michael 
Tangl  XVIII,  53. 

39.  Die  Urkunden  Ludwigs  des    Deutscheu    für    das    Glossindenkloster 
in  Metz  von  875  November  25  von  Georg  Wolfram  XI,   1. 

Urk.  K.  Ludwig  des  Deutschen  für  das  Glossindenkloster  in  Metz 

S75   Nov.   25.    Urk.  Bischof  Theodorichs  von  Metz  für  dasselbe  '»02 

Febr.    1.     Urk.    Papst    Innocenz    IL    für    dasselbe    113'J,    April     2.S. 

Urk.  Bischof  Adalberos  von  Metz  für  dasselbe   944. 

4(h  Die  älteren  Immunitäten  für  Werden  und   Corvey  von  Wilhelm 

Erben  XII,  46, 

41.  Eine    neue  Urkunde   K.    Arnolfs    und    die   Schlacht    an    der    Dyle    von 
A  Ifons  Dopsch  XV   367. 

König  Arnolf  für  Priester  Egwolf  s!)l    Nov     1. 

42.  Die    falschen    Karoliuger-Urkuiidou     tür    St.    Maxiniin    (Trier)    von 
Alfons  Dopsch  XVII,   1. 


VIT 

■4:5.  Die  Ebersheimer  ürkaiKleut'älscliuiigvii  iiud  ein  bisher  uubeachtetes 
Dieiiätrecht  aus  dem  12.  Jahrhundert  vou  Alfons  Dop  seh 
XIX,  577. 

Abgedruckt:     Bestimmungen     über     lUe     rechtliche    Stellung    der 
Ebersheimer  Familia. 

44.  Ein  Diplom  König  Rudolfs  von  Westfrancien  für  Orleans  von  Wolde- 
mar  Lipper t  XI,    446. 

45.  Ein  lueditum  Ottos  I.  für  den  Graten  von  Bero-amo  vou  770  von 
Emil  v.  Otteuthal  XVII.  235 

46.  Erläutenmgen  zu  dea  Diplomen  Otto  III  vou  Theodor  v.  Sickel 

XII,  2(»9,  :369. 

47.  Excurse  zu  den  Diplomen  Otto  III.  von  Wilhelm  Erbau  (mit 
2  Eacsimile)  XIII.  537. 

48.  Vier  verwandte  Arelatische  Diplome  Konrads  III.  von  Richard 
Sternfeld  XVII,    167. 

49.  Ein  unbekanntes  Diplom  Konrads  III.  von  Richard  Sternfeld 
XVIII.   366. 

50.  Die  Schenkung  von  Kemnade  und  Fischbeck  au  Corvey  i.  J.  1147 
und  die  Purpururkundeu  Corveys  vou  1147  und  1151  von  Th. 
Jlgen  XII,  602;  vgl.  auch  XIII, -626. 

51.  Die  Urkimden  Konrads  III.  für  Corvei  vom  J.  1147  von  Paul  Kehr 

XIII,  626-,  vgl   XII,   60  2. 

52.  Zu    den    Fälschungen     Eberhards    von    Fulda    von    Alfons    Dopsch 

XIV,  327. 

53.  Eine  ungedruckte  Urkunde  Friedrichs  I.  und  ein  bisher  unbekannter 
Zug  desselben  ins  Königreich  ßurgund  von  Paul  Scbeffer- 
ßoichorst   XII,    149. 

54.  Zur  Datirung  von  St.   406  1    von  Loersch   XII,    311. 

55.  Angeblich  eigenhändige  Unterschriften  deutscher  Könige  um  die  Wende 
des    13.  u.    14.   Jahrhunderts  von  Max  Vancsa  XVII,    f^6G. 

56.  Kanzleistuclien  von  Gerhard  Seelig-er  II. 

Das  Kammernotariat  und  der  archivalische  Nachlass  Heinrich 
VII.  XI,  39>). 

57.  Die  Eegisterführuug  am  deutschen  Köuigshof  bis  1493  von  Ger- 
hard Seeliger  Erg.  III,  223. 

58.  Zur  Lebensgeschichte  Johann's  von  Gelnhausen,  Registrators  der  Kanzlei 
Kaiser  Karls  IV.  von  F  e  r  d  i  n  a  n  d  T  a  d  r  a  XX,    i  0 o . 

59.  Ein  unbeachtetes  Eegister  König  :^Friedrichs  IV.  (III.)  144»  •  — 1442 
von  Johann  Lechner  XX,  52. 

Abgedruckt :  Eid  des  Kanzleiverwesers  für  das  Land  Oesterreich 
Hanns  von  Meirs,  Pfarrers ' zu'^ Grai'S  1441  Juli  17,  Formel  der  dem 
ö>terr.  Kammermeister  Hans  üngnad  und  dem  Kammerschreiber 
Bernhard   Fuxperger  auferlegten  Eide     I44i    August — September. 

60.  Eine  eigenhändige  Unterschrift  des  Königs  Ladislaus  Posthumus  von 
Karl   Uhlirz  XIX,   517. 

()1.  Allbnso  Cecarelli  und  seine  Fälschungen  vou  Kaiserurkuuden  von 

Alois  Riegl  XV.    193. 
6*2.  Die  Glaubwürdigkeit  J.   F.  Falkes  vou   F.   Philippi  XIV,  47(). 
Vgl.  Nr.  22,  23,    llO,  177,  218. 


Till 


b.  Pap  stur  kund  eil. 


63.  Die  Eut?tehuügszeit  des  Liber  Diuvuus  vuu   Ludo  M.  Hartmaun 
'  XIII,  239. 

64.  Zur    Beurtheilung    der    Bulle    Johanns    XIII.  für    Meissen    von    Karl 
Ühlirz  XVI,   508. 

05.  Das  Taxwesen  der  päpstlichen  Kauzlei  vom   13.  bis    zur  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  von  Michael  Tan  gl  XIII,    l. 
Beilagen  und  Anhang:  Taxtabellen. 
(>(>.  Beiträge  zum  päpstlichen  Kanzleiwesen  des  XIIT,   und  XIV.  Jahr- 
hunderts von  Josef  Teige  XVII,  408. 

Abgedruckt:     Stellen     aus    den     Aufzeichnungen    Bonaguidas    aus 

Arezzo  cod.  Vat.  Nr.   2661    nnd  Kanzleiregeln  Papst  Johanns  XXII., 

Benedicts  XIL,   Clemens  VI.,  Urbans  V.,   Verordnung  Peters    v.  Pre- 

neste    1347   Mai    11. 

G7.  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Kladdenbände  des   14.  Jahrhunderts  im 

vaticanischen  Archiv  von  JosefDonabaum  (mit  einem  Facsimile) 

XI.   101. 

68.  Die  Eegister  und  Secretäre  Urbans  V.  und  Gregor  XI.  von    H.  J. 
Tomaseth    XIX,  417. 

Anhang:  I.  Uebersicht  über  die  Eegister.  II.  Urkunden  Gregor 
XI.    1371    October    18,    1372   Jänner   2s,    1374   December    10. 

69.  Rückdatirung  in  Papsturkuuden  von  Michael  Tan  gl  XV,    128. 

70.  Die    Kauzleiregister    Eugen    IV.    von    Emil    v.    Ottenthai   Erg. 
m,  285. 

71.  Ueber    Expensenrechnuugen    für   päpstl.    Provisionsbullen    des    15. 
Jahrhunderts  von  Michael  Mayr-Adlwang  XVII,  71. 

Beilagen:  Edictum  positum  pro  exhibendis  cedulis  expensarum 
provisionum  14  62  April  29,  Expensenrechnungen  aus  den  Jahren 
146;].  1481,  Auslagen  für  die  Konfirmation  des  Bischof  Ulrich  von 
Trient    14^8,    Trienter    Aufzeichnungen    über  Provisionstaxen    156.5. 

72.  Die  Berechnungsart    der     Minuta-Servitia    von    K.    H.    Karlsson 
XVIII,  582. 

Beeret  Paul  II.    1470   November   23. 

73.  Ein   Ruolo    di   famiglia   des   Papstes   Piiis    IV.    von    Theodor   v. 
Sickel  XIV,  537. 

Abgedruckt:  Famiglia  della  Santitä  di  N.  S.  Pio  IV. 
Vgl.  Nr.  34,  36,  37. 

c.  Privaturkunden. 

74.  Urkundenstudien    eines    Germanisten    von    Edward    Schröder 
XVII],   1;  XX,  361. 

Abgedruckt:  Hersfelder  Zehnten- Verzeichnis. 
?.■).  Bemerkungen    zum    Codex    Bavarus    von    Ludo    M.    Hart  manu 

XI,  361. 
7  6.  Studien  zu  doi  Traditionsbücheru  von  S.  Emnieram  in  Regensburg 

von  BerthoM  Bretholz  XII,    1. 


TX 

Beil.  T.  Traditio  Go/perti  adhuc  canonici,  II.  Perehtoldi  raarchi 
comitis,  III.  Gotascalchi,  IV.  Complatitatiu  Adalhardi  et  uxovis  eius 
ac  Heislolfi  filii  eorum,  V.  Traditio  eiusdem  Adalhardi,  VI.  Rihholfi, 
VII.   venerande  ac  sanctemonialis  feinine    Judite,   VIII.   Pilil'ride. 

77.  Eine  unbekannte  Urkunde  für  das  Kloster  Waldliausen  von  B.  Hammerl 
XX,   6.31. 

78.  Ueber     die     angebliche     älteste     deutsche    Privatiukunde    von     Josef 
Seemüller  XVII,   :jl(). 

71».  Aus   dem  Wiener  Stadtarchiv   von  Karl  Uhlirz  XI,   4.50;  XII,    (')5L>. 

2.  Bemalte  Urkunden. 

3.  Die  Besiegelung  der  Urkunde  des  Grafen  Albrecht  von  Habs- 
burg vom  J.    1281   für  Wien. 

Vo-1.  Nr.  28. 


2.  Palaeognipliie. 

80.  Geheimschrift  von  Theodor  v.   Sickel  XV,   37  2. 

81.  Eine  päpstliche  Geheimschrift    aus    dem    16.    Jahrhundert  von  Josef 
gusta  XVIII,   367. 

82.  Zwei    Initialen    eines    Wiener    Grundbuchs    aus    dem  Jahre    13S'.)  von 
Karl  Schalk  XII,   655. 

Mit  Abbild,   der  zwei   Initialen. 


3.  Chroiioloaie. 

83.  Ein  chronologisches  Curiosum  aus  dem  1  4.  Jahrhundert    von   Sigmund 
Herzberg- Fr änkel  XIII,    15  7. 

Abgedruckt:   Tabelle   zu  Berechnung  der  Wochenzahl. 

84.  Aus  dem  Wiener   Stadtarchiv  von  Karl  Uhlirz  XI,    450. 

1.   St.  Stefanstag  nach  Ostern. 

85.  Der  Friczentag  von  Max  Vancsa  XX,   282. 

86.  Zur    Kalenderreform    auf    dem    lateranischeu    Concil     1516    von   Karl 
Uhlirz  XIII,   329. 

87.  Die  Einführung  des  gregorianischen  Kalenders  in  Wien  von  Karl 
Uhlirz  XII,  639. 

Paulus    Fabricius    an    Hieronym.    Beck    von    Leopoldsdorf    15  83 
Sept.   6. 

88.  Die   Einführung  des   Gregorianischen  Kalenders  in    Salzburg    von  An- 
dreas Mudrich  XX,    107. 


i.  Sphragistik  iiud  Heraldik. 

8'J.  Ein   Siegelstempel  Kaiser  Friedrichs   II.   (mit    Ablfiliung)  von  E  d  u  ar  d 

Winkel  mann  XV,   485. 
90.  Ein     Bullensterapel     des    Papstes    lunoceuz     IV.     von    Ludwig 

Schmitz-Rheydt  (mit  einer  Talel  Abbilduugeul  XVII.  64. 


X 

'.)1.  Eine  päpstliche  Goldbulle  von  F.  Pliilippi   XIV,    12(5. 

'.)2.   Die   sphragistische  Sammlung  des   A.   H.   Kaiserhauses  von  Julius   v. 

Schlosser  XII,   290. 
i);').   Typarfälschungen  in  der  von  Smitmerischen  Siegelsammlung  des  k.  u.  k. 

Haus-,  Hof-  und  Staatsarchivs  zu  Wien  von  0.  Posse  XIV,   4KS. 
t)4:.  Das  Wappenbuch  der  Stadt  Wien  von   Karl    ühlirz  XIV.   Kxi. 


5.  Arcliiv-  und  Bibliothekswesen. 

i)5.   Die  ßeste  des  Archivs   des  Klosters  S.  Cristina  bei  Olonna  von  Theo- 
dor V.   Sickel   XIT,    505. 
9G.  Der    älteste  Katalog   der    Prager  Universitäts-Bibliotliek  von  Jo- 
hann Los  er  th    XI,  301. 
i»7.  Das  Verbot  Bücher  der  vaticanischen  Bibliothek  auszuleihen  von  Theo- 
dor V.  Sickel  XVII,   293. 

Breve   Pius  IV.    ISfU   Juni   20. 
Vo-l.  Nr.  5(). 


Geschichte. 

1.  Keehtsg:eschiclite. 

1)S.  Thierstrafen  und  Thierprocesse  von    Karl    v.    Amira  XII,    545. 
91).  Die  Heimat  der  lex  Kibuaria  von    Julius    F  ick  er  Erg.  V,  52. 

100.  Zur    Geschichte    des    Chlotharischeu    Edicts  von  614  von  Anton 
Nissl  Erg.  III,  365. 

101.  Beiträge  /Air  deutsche]i  Verfassungsgeschichte  des  Mittelalters  von 
Wilhelm  Sickel. 

I.  Zur  Organisation  der  Grafschaft  im  fränkischen  Reiche 
Erg.  III,  451. 

102.  Geschlechtsvormuudschaft    in    den    fränkischen    Volksrechten    von 
Otto  Opet  Erg.  III,   1. 

103.  Zur  Frage    der   fränkischen   Geschlechtsvormundschaft    von    Otto 
Opet  Erg.  V,   193. 

I(l4.   Hatten   die  Franken   ein    Ordal    des   Flammengriffs   von  Otto     Opet 
XV,    47  9. 

105.  Zur  Geschichte  der  Witwenehe  im  altdeutschen  Recht  von  Martin 
Wolff  XVII.  369. 

Excurs:   Einiges   über  das  Federwat  in   1.    Sal.    7  2,    73. 

10().  Die  Kaiserwahl  Karls  des  Grossen.   Fiue  rechtsgeschichtliche  Er- 
örterung von  Wilhelm  Sickel  XX,   1. 

107.  Geschichte  des  Institutes  der  missi  dominici  von  Victor  Krause 
XI,   103,  6(')4. 

Anhang:  I.  Ueberldick  über  die  Tliätigkeit  wandernder  und  .stän- 
diger Königsboten.  II.  Ueberblick  über  die  Thätigkeit  der  Königs- 
bcfeu   iür  den   Einzelfall. 

10<S.   Zu   Pseudoisidor   von   Friedrick   Thauer   XI,    (127. 


XI 

lOD.  Die     Zuverlässigkeit     der      rechtsgeschichtlieheii      Augabeu     der 

Hraftikelssaga  von  Otto  Opet  Erg.  lil,  586, 
HO.  Investitur  des  Kauzlers  von  Karl  v.  Araira  XI,  521. 
111.  Das    Würzburgische     Herzogthuni     von    Otto    v.     Z  a  1 1  i  n  g  e  r, 

XI,  528. 
ir2.  Der  Kampf   um    den    Landfrieden    in    Deutschland  während    des 

Mittelalters  von  Otto  v.  Zallinger  Erg.  IV,  443. 
113.  Der  Elector  und  die  Laudatio  bei  den  Königswahlen  in  Frankreich, 

im  Vergleich    mit    den    deutschen    Verhältnissen    von    Theodor 

Lindner  XIX,  401. 
111-.  Neue  Forschungen  über  die  Entstehung  des  Kurkollegs  von  Ger- 
hard Seeliger  XVI,  44;  vgl.  XVII,  537. 
115.  Ueber  die  Entstehung  des  Kurfürstenthums.  Eine  Entgegnung  von 

Theodor  Lindner  XVII,  537.  vgl.  XVI,  44. 
110.  Zur  Frage  nach  dem  Entstehungsorte  des  Schwab euspiegels  von  Julius 

Ficker  XI,   319. 
117.  Zur    Frage    nach     der    Herkunft    der    siebenbürgisclien  Sachsen    von 

Julius  Ficker  XIV,   481. 
Vgl.  Nr.  25,  219,  225. 


2.  Deutsche  Keiehsgeschielite. 

a.  Quellen. 

HS.  Ueber  die  Herausgabe  von  geschichtlichen  Quellen  von  Theodor 
Lindner  XVI,  501. 

119.  Zu  Dyuamius  von  Massilia  von  M.  Manitius  XVIII,  225. 

120.  Die     Zusätze    zu     den     Chroniken    Isidors     von     Bruno     Krusch 
XVIII,   362. 

121.  Zwei    Heiligeuleben    des    Jonas  von    Su^a  von   Bruno    Krusch 
XIV.  385. 

I.  Die  Vita  Johannis  Reomaensis. 
Abgedruckt:   Vita   s.   Johannis  monachi  et  abbatis. 

II.  Die  ältere  V.  Vedastis  u.  die  Taufe  Clodovechs. 

122.  Zu    den   Annales   Laurissenses    und    Einharti  von   M.  Manitius 
XIII.  223. 

123.  Nachträge  zu  Eiuharts  Stil  von  M.  Manitius  XVIII,   610. 

124.  Ueber  das   9.   Capitel  der  pannonischen  Legende  des    heil.    Methodius 
von  Bert  hold  Bretholz  XVI,   342. 

125.  Zu    den  Verbrüderungsbüchern    von    St.    (lallen    und    Eeichenau    von 
Alois  Schulte  XI,    123. 

126.  Die  Quellen  zur  ersten  Ronifahrt  Ottos  L  von  Emil  v.   Otten- 
thul  Erg.  IV.  32;  vgl.  Erg.  IV,  518. 

Anhang:   Zu  den  Ausdrücken   Onillia  und   Saxonia. 

127.  Die    älteste    Magdeburger  ßistlauns- Chronik  von    F.  Kurze  Erg. 
III,  397. 

Abgedruckt:   Taglnos   Chronik   in  iiruns  Bearbeitung. 


XTT 

1 28.   Uel>er    ein    Fragment    der  Annalcs  Ottenljurani    iiu    Stifte    Melk    von 

P.   Eduard   Katschthaler  XVI.    125. 
I2t).  üeber  die  Eisenacher  Doininikanerlegende   von  Martin  Baltzer 

Erg.  IV,   12;]. 

130.  Das  Verhältnis  der  beiden  Chroniken  des  Kichard  von  San  Ger- 
mauo  von  A.  Winkelmann  XV,  ßOt). 

131.  Beiträge  zur  Hi-toriographie  in  deo  Kreuzfahrerstaaten,  vornehm- 
lieh für  die  Geschichte  Kaiser  Friedriclis  IL  von  Paul  Kichter. 

I.  Das  Geschichtswerk  des  Philippe  de  Nevaire  XIII,  205. 

II.  Die  Estoire  d'Eracles  XV,    5(')1. 

III.  Die  Annales  de  teire  saiute  XV,  584. 

Auhang:  Die  Memoiren  Philipps  und  die    spätere  Geschichts- 
schreibung XV.  593. 
182.  Die  sogenannte  Brevis  nota    über  das    Lyoner    Concil    von    1245 
von  Michael  Tangl  XII,  24G. 

133.  Die  Schriften  des  Jordanus  von  Osnabrück.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  Publicistik  im  13.  Jahrhundert  von  Franz  W^il- 
helm  XIX,  615. 

Abgedruckt :   Noticia   seculi. 

134.  Zur  Biographie  der  Dominikaner  Hermann  von  Minden,  Hermann 
von  Lerbeck  und  Hermann  Korner  von   Heinrich  Finke  XI,  447. 

135.  Die  Habsburger  Chronik  Heinrichs  von  Klingenberg  von  Victor 
Thiel  XX,  567. 

Anhang:   Vorrede   des   Manbus  zu   seinem   Geburtsspiegel   Cod.  ms. 
30  7  2   der   Wiener  Hofbibl. 

136.  Zum  Leben  des  Chronisten  Jacob  von  Mainz  von  Aloys  Schulte 
XL    121. 

137.  Der  Vicar  Johann  Kungstein  ein  Geschichtsschreiber  des  14.  Jahr- 
hunderts (Kleinere  Forschungen  XX)  von  Paul  Scheffer- 
ßoichorst  XIII,   152. 

138.  Zum  Tagebuch  des  Kardinals  Fillastre  von  Raimund  Friedrich 
Kaiudl  XIV.  491. 

139.  Thcanas  Ebendorfers  Chronica  regum  Romanorum.  Kritisch  er- 
örtert und  herausgegeben  von  Alfred  Francis  Pribram  mit 
einem  Orts-  und  Per.-.ünenregister  und  einem  Facsimile  Er<y 
IIL  3s. 

14-0.  Thomas  Ebendorfers  „Liber  pontificum-  von  Arthur  Levinson 
XX,  69. 


b.  Früheres  Mittelalter. 

(bis  Ende  des  Interregnums). 

141.  Wo   i;ind   der   erste   Zusammenstoss  zwischen  Hunnen   und  Westgothen 
.statt?   von   Kai  m  und  Friedrich   Kaindl  XII,    304. 

142.  Samcj   und   die  karantanischen   Slaven   von  Jaroslav   Goll   XI,   443. 

143.  Die   Proniissio  Pippins  vom   Jahre  754  und  ihre  Erneuerung  durch 
Karl  den   Grossen   von   Ernst  Sackur  XVI,  385. 


XIII 

144.  Die   Piomissii)   voJi  Kiersy   von   Eni  st  Suclcur  XIX,  ;');"). 

145.  Die  tJraf'scliaft  des  Hegaus  vou  Georg  Tumbült  Erg.  III,  Gl*). 

146.  Die  Stiidtegründungeu  Heinrichs  I .  vou  Carl  ßodenberg  XVII,  1  G  1 . 

147.  Der  Ungarutribut  unter  Heinrich     I.     von    Georg    Caro    XX,    276. 

148.  Zur  Biographie  des  Erzbischofs  Tagino  von  Magdeburg  von  Karl 
Uhlirz  XVI,    12  1. 

149.  Zur  Chronologie  der   Päpste    von  Ludo    M.    Hartmann    XV,    482. 

150.  Genealogische  Untersuch uu gen  zur  Keichsgeschichte  unter  den 
salischen   Kaisern  von  Heinricli  Witte  mit  4  Stammtafeln. 

I.  Bertold  von  Zähringen  und  die  Ezzoniden  Erg.  V,  o09. 

II.  Die  jüngeren  Ariboneu  und  ihr  Hausgut  in  Niederöster- 
reich Erg.  V,  371. 

III.  Zur  Geschichte  der  jüngeren  Aribonen  Erg.  V,  410. 

151.  Zur  Abstammung  des  österreichischen  Kaiserhauses  von  Hein- 
rich Witte  XVII,  389. 

152.  Zu  den  Anlangen  des  Kirchenstreites  unter  Heinrich  IV.  (Kleinere 
Forschungen  XVII)  von  Paul  Seh  effer-Boichorst  XIII,  107. 

153.  Zwei  Untersuchuugen  zur  Geschichte  der  päpstlichen  Terri- 
torial- und  Finanzpolitik  von  Paul  S  cheffer- Bo  ich  or  s  t  Ero- 
IV,  77. 

I.  Die  Ansprüche  Gregors  VII.  auf  Gallien  als  ziuspflichtiges 
Land   und  auf  Sachsen  als  Eigeuthum  der  Kirche. 

Abgedruckt  Kaiserurkunden  für  die  Kanoniker  der  Vatikanischen 
Basilika,  Friedrich  L  11.59  Juni — Juli,  Heinrich  VI.  1196  October 
18,  Friedrich  II.    1234    Juli,   Sigi:imund    14;}:},  Mai  :}l. 

II.  Hat  Papst  Hadrian  IV.  zu  Gunsten  des  englischen  Königs 
über  Irland  verfügt?  Erg.  IV,   101. 

104.  Zu  den  Vorgängen  in  Canossa  im  Januar  107  7  von  Heinrich 
Otto  XVm,   61.5. 

155.  Die  Sammlung  des  Kardinals  Deusdedit  und  die  Schenkung  der 
Gräfin  Mathilde  von  Paul  Scheffer- Boich  or  st  XI,    119. 

löij.  Zur  Frage  nach  der  Heimat  Walthers  von  der  Vogelweide  von  Os- 
wald Redlich  XHI,    160. 

Michael  von  Wolkenstein  für  Stephan  von  Vogelweid  1431  De- 
cember  23. 

157.  Eine  Episode  aus  der  Geschichte  des  zweiten  Lombardenbundes 
von  Georg  Caro  XVII,  397. 

158.  Die  Legation  des  Kardinaldiakons  Otto  von  S.  Mcolaus  in 
Deutschland,   1229—1231  von  Eduard  Winkel  mann  XI,  28. 

Urk.   Ottos  V.  S.  Nicolaus  an  das  Metzer  Domcapitel  1230   Jan.  24. 

159.  Die  angebliche  Ermordung  des  Herzogs  Ludwig  von  Baiern 
durch  Kaiser  Friedrich  II.  i.  J.  1231  von  Eduard  Winkel  mann 
XVII,  48. 

IßO.  üeber  die  Goldprägungen  Kaiser  Friedrichs  II.  für  das  König- 
reich Sicilien  und  besonders  über  seine  Augustaleu  von  Eduard 
Winkelmaun    mit   MünzenabbikUmgeu    XV,    401;    XVI,  381. 

IGl.  Der  Werth  der  Augustalis  Kaiser  Friedrichs  II.  von  Adolf 
Schaube  XVI,  545. 

1()2.  Friedrich  III.    von    Zolleru-Nürnberg    als  Edler    von    Osterhofen  ? 


XIV 

|]|)isu(lcii  Hii.s  (Ifiit  int'raiiisclit'ii  Erblitlgestreit (Kleiueiv  Forsclmiii?*'!! 

\IX)  vou  Paul  Scheffer-Boicliorst  XUI,   140. 

Heinrich  Bischof  von  Bamberg  für  das  Capitel   125^   Mai   28. 
1(>3.  Alexander  IV.  und  der  deutsche  Thronstreit  vou  Heinrich  Otto 

XIX,  75. 
1()4.  Zur    Wahl    des    römischen    Königs    Alfons  von    Castilien    (l257)  von 

Oswald  Redlich   XVI.   659. 

Bischof  Eberhard  von  Constanz  an  Dompropst  Heinrich  von  Basel 

I2r)7   Aug.   23. 
16").    Die    Datirung     eines    päpstlichen    Briefes    an    deutsche    Wahlfürsten 

vou  Georg  Sievers  XIX,    157. 
Vgl.    Nr.    22—25,  36—54.  64,  74.  76,  89.  9»».  100.   101,    106—108, 

110-115,  212,  261. 

c.  Späteres  Mittelalter. 

1(>().  Zur  Geschichte  der  Idee  eines  deutschen  Erbreiches  im  13.  Jahr- 
hundert von  Carl  Rodenberg  XVI,   1. 

107.  Zur  Vorgeschichte  der  Wahl  Rudolfs  von  Habsburg  vou  Harry 
Br esslau  XV,  59. 

1 68.  Die  neugefundene  Briefsammlung  zur  Geschichte  Rudolfs  von  Habsburg 
von  Oswald  Redlich  XIV,   653. 

169.  Die  Verzichtleistung  des  Königs  Alfons  von  Castilien  von  Heinrich 
Otto  XVI,    12S. 

170.  Die  Einhebung  des  Lyoner  Zehnten  im  Erzbisthum  Salzburg 
(1282  —  1285)  von  Samuel  Steinherz  XIV,   1. 

Beilagen:  3  Münztabellen,  Aufzeichnungen  über  die  Revision  und 
Ablieferung  der  Salzburgischen  Zehntgelder  12S3  Jänner  3  —  25; 
Verzeichnis  der  vom  päpstlichen  Collector  Aliron  eingehobenen 
Zehntgelder    1282   Xov.    26   bis    1285    Oct.    25. 

171.  Zur  erbköniglichen  Politik  der  ersten  Habsburger  von  Sigmund 
Herzberg-Fränkel  XII,   647- 

Appellation  der  Köln.  Kirche  an  den  päpstl.  Stuhl  12  87  vor  März  9. 
17'2.  Uelier  das  Geburtsjahr    des  Cangrande  I.  della  Scala.     Kritisches 
zu  Ferreto    von  Vicenza    und    Baute,    Parad.    XVII,  7o — 81   von 
Gustav  Sommerfeldt  XVI,  425. 

173.  Bestechung  und  Pfrüudeujagd  am  deutschen  Königshof  im  13.  und 
U.Jahrhundert  von  Sigmund  Herzberg-Fränkel  XVI,  458. 

Anhang:   4   Schreiben  der  königlichen  Notare  Otto  und  H. 

174.  Markgraf  Friedrich  der  Freidige  vou  Meissen  und  die  Meinhardiner 
von   Tirol    1296—1298    von  Woldemar   Lippert  XVII,  2(»9. 

Abgedruckt  einzelne  Rechnungen  aus  den  Jahren  1288,  1289, 
1296,  1297  und  1298  ans  Cod.  Xr.  279,  280,  282  des  k.  k.  Statth.- 
Arch.  zu  Innsbx'uck. 

175.  Friedrich,   Manfreds  Sohn,   in   Tirol  von  Arnold   ]>ussonXUI,  521. 

170.  Die  Reichssteuer  der  schwäbischen  Reichsstädte  Esslingen,  Reut- 
lingen und  Rottweil.  Ein  Beitrag  zur  (ieschichte  der  Einkünfte 
der  deutschen  Könige  und  Kaiser  von  Theodor  Schön  XVII,  234. 

177.  Zur  Geschichte  Kaiser  Ludwigs  des  Baieru  von  Woldemar 
Li]ipert. 


1.    IIcIkt    Ludwige   Alidaiikungsplaii    XIII,    OST. 

II«  Ein  Besuch  Markgr.  Ei-iedrichs  von  Meksen  beim  Kaiser.  J]ei- 
trag  zum   Itinerar  Ludwigs    i:3;30.   XIII.   .598. 

IIL  Bemerkungen   zum   Urkundenwesen  K.   Ludwigs   XIIL    6  0  2. 

Beilagen :  4  Urkunden  über  die  Beziehungen  zwischen  Kaiser 
Ludwig  und  Markgraf  Friedrich  von.  Meissen. 

178.  Karl  IV.  und  die  Wittelsbaclier  von  Theodor  Liudner 
XIT,   64. 

179.  Die  Stellung  der  Lausitz  als  brandenburgisches  Nebenland  zu  den 
Bestimmungen  der  Goldenen  Balle  von  Woldemar  Lippert 
XV,   657. 

180.  Ein  Gutachten  Zabarellas  über  die  Absetzung  des  römischen  Königs 
Wenzel  von  H  e  i  n  r  i  c  k   F  i  n  k  e  XI,    631. 

181.  Zar  deutschen  Geschichte  im  lö.  Jahrb.  von  Theodor  Linduer. 

L  Die  Schlacht  bei  lirescia  im  October  14(»L  XllT,  ;)77. 

IT.  Der  Binger  Kurverein  XIII,  394. 

Beil.   Urk.   der  Kurfürsten    1424   Januar    17. 

IIL  Schriftstücke  zur  Gesch.  der  Jahre  (1383)  143;')— 144:) 
XIII,  413. 

Abgedr.  Elisabeth,  Königin  von  Ungarn  an  P.  Urban  VI.  13S3; 
K.  Sigmund  an  Hochmeister  Paul  von  Kussdorf  1435  Januar  27, 
März  15,  August  29,  November  fi ;  K.  Sigmund  an  Grossfürst 
Swidriglello  143f;  Jan.  30;  Bericht  an  Bischof  Johann  III.  von 
Meissen  143(i  Juli  11;  Herzog  Sigmund  von  Litthauen  an  König 
Albrecht  II.  1439;  Prälaten  und  Barone  in  Ungarn  an  Papst  Eugen 
IV.  1439;  Bischof  Nicodemus  von  Freising  an  denselben  1439  Au- 
gust 30;  Bericht  an  denselben  1439;  Albrecht  II.  an  denselben 
1439  September  3;  Erzb.  Dietrich  von  Köln  für  das  Baseler  Concil 
1442  August  26;  K.  Friedrich  IV.  an  einen  ungenannten  1443 
April  8;  Bericht  an  den  Bischof  von  Krakau  1443  Mai  17. 
18*2.  Die  Wahl  Sigmunds  zum  römischen  Könige  von  H.  Scbrolie 
mit  6  Sonderausführungen  XIX,  471. 

183.  Das  Itinerarium  Martins  V.  von  Constanz  bis  Eom  (iG.  Mai  1418 — 
28.   Sept.    1420)  von  F.   Miltenberger  XV,    664. 

184.  K.  Sigmund  und  Polen  1420—1436  von  Jaroslaw  GoU  XV. 
441;  XVI,  222. 

185.  Die  Reise  Friedrichs  lll.  ins  Reich  1485  und  die  Wahl  Maximi- 
lians von  Felix  Priebatsch  XIX,  ,3()2. 

Vgl.  Nr.  3,  27,  28,  30— 3>2,  56—59,  217. 

d.  Neuere  Zeit. 

186.  Zur  Geschichte   Maximilians    I.   von  Josef  Seemüller  XVllI,    146. 

187.  Vier  Poststundeupässe  au.s  den  Jahren  1496  bis  150*»  von  0  s- 
wald  Redlich  XII,  494;  vgl.  XX,  284. 

Abdruck  von  4  Poststundenpässen. 

188.  Zu  dem  Poststundenpass  von  1500  von  Aloys  Schulte  XX,  284; 
vgl   XI,   494. 


XVI 

ISO.   Die    l>cstrcl)ui)gc'ii   Ahixiiiiiruuis    1.   um   die   Kaisei'kroiic     ir)lS    von 

Haus  V.  Voltcliui  XI,  41,  r)74. 

Papst  Leo  X.  an  K.  Maximiliau    1  ö  1 8    Dec.    2 1 ,   Erasmus    Ciolek, 

Bischof  von  Ploek,  an  K.  Maximilian    1  ">  1 S   Dec.    27,    151S   Dec.   30, 

Papst  Leo  X.  an  die  Bischöfe  von  Trient  und  Triest   1519  Febr.  2. 

Erasmus  Ciolek  an  den  Bisch.  Bernhard  von  Trient    l  ,">  1 9    Febr.  14, 

Antonius  Quetta  (?)  an  denselben    lö23   Juni    18. 
VM),  Maruol  als  kaiserlicher  Gesandter  iu  der  Schweiz  vou  Theodor 

Y.  Lieben  au  Erg.  IV,  166. 

191.  Archivalische  Beiträge  zu  „Walleusteiu "  vou  Josef  Hiru  Erg, 
V,   119. 

Abgedruckt :  Memorialzettel  des  Jacob  Kurz  von  Thurn. 

192.  Das  angebliche  Gebet  (xustav  Adolfs  bei  seiner  Landung  auf  deutschem 
Boden   26-   Juni    1630   von  Bruno   Stübel  XX,   47fi. 

IIK^.  Die  Flucht  Johanns  von   Werth  vou  Laurenz  Pro  11   XIII,  oll. 
VM.  Curialistische  Finauzpläne  für  K.  Leopold  I.  von  Emil  v.  Otten- 

thal  XI,  86. 
lU.").  Johann  Philipp    von    Mainz    und    die   Marienburger    Allianz    vou 

1671 — 1672  von  Moriz  Landwehr  v.  Pragenau  XVI,  582. 
196.  Bossuet  und  Kaiser  Josef  1.  von  Eichard  Fester  XVIII,    147. 
1{)7.  Die   europäischen    Mächte    in    der    Beurtheilung    Friedrichs   des 

Grossen  1746 — 1757  von  Ferdinand  Wagner  XX,  ;>97. 

108.  Zur  Geschichte    des   Jahres    1756    von  Adolf  Beer   XVII,   108. 

Anhang:   Correspondenz  zwischen  Kaunitz  und   Starhemberg. 

109.  Der  Herzog  von  Zweibrüeken  und  die  Sendung  des  Grafen  Goertz 
(Januar  bis  April  1778)  von  Adolf  Unzer  XVIII,  401;  vgl. 
XIX,  343. 

Beilage:   Schlussbericht  des   Grafen   Goertz    17  78   April   29. 
2(»0.  Zur  Sendung  des  Grafen  Görtz  an  den  Zweibrückeuer    Hof    (Jan. — 

April   177S)  von  Karl  Obs  er  XIX,   343;  vgl.  XVIII,   40  1. 
Vgl.  Nr.  9,   10,  11,  13,  14,   17.  18,  33.  236,  237,  248. 


3.  Oesterreichische  Grescliichte. 

a.  Quellen. 

'H)l,  Beiträge  zu  Böhmens  Geschichte  und  Geschichtsquellen  von  Adolf 
Bachmann. 

I.  Studien  zu  Cosmas  XX,  39. 
202-   Zu   Cosmas  von   Raimund   Friedrich   Kaindl  XVI,    349. 
2<>:).   Zur  Biographie   des  Annalisten  Gerlach  von  Alton s   Zäk  XVI,  653. 
•!()4.  Henricus  Italicus  und  Henricus  de  Isernia  von  J.  NoväkXX,  25.-5. 

Beilage:   Urkunde   Wenzels  II.   iür  Protonotar  Heinrich. 
ti()5.  Hernhard  oder  Sigmar  von  A.  AI  tinger  XIX,  23)). 

206.  Eine  angebliche  Quelle  zur  Geschichte    der    Wiener    Universität    von 
Victor  V.   Hofmann- Well  enliof  XIII,    .'523. 

207.  Zaclmi'ias   Tlicobald    von    AdoHLnd.   Krejcik    XIX.    ;',47. 


XVII 

'1{)S.  Dif'  Fiilscliiijig.'ii  Clir3sost(iiiius  Uauthalers  von  M  ichael  Tangl 
mit  drei  Facsimile  XIX.    1. 

Beilagen:    Herzog    Leopold     VI.    1209    October    7,     Wolfger   von 
Arnberg    1190.   Wichard   von  Topel     1238    December    29,    Gottschalk 
von  Neitperg    1251    October   7. 
209.   Zu  Georg  Zapperts  Fälschung  ,, Wiens  ältester  Plan«   von  Theodor 

V.  Grienberger  XVIII,    i.5o. 
Vgl.   Nr.    1—3. 


b.    Aeltere    Geschichte    bis    1526. 

210.  Die  Entstellung    der    Gerichtsbezirke    Deutschtirols    von    Josef 
Egger  Erg.  IV,  873. 

211.  Zur    Geschichte    der    Grafschaft    Oberinnthal    von    Franz    Ludwig 
Bau  mann  XVI,   518. 

'll'l.  Die  Königskrönung  Wratislavs  von  Böhmen  und    die  angebliche 

Mainzer  Synode  des  Jahres  1086  von  H.  Spaugenberg  XX,  382. 

213.   Ueber  die  »tres  comitatus '  bei  der  Erhebung  Oesterreichs  zum  Her- 

zogthum  (ll5ß)  von  Alfons  Dop  seh  XVII,   296. 
'214.  Beiträge    zur    Geschichte    der  Finanzverwaltung    Oesterreichs    im 
13.  Jahrhundert  von  Alfons  Dopsch, 

I.  Das    sogenannte   Kationarium    Austriacum  und  die    landes- 
herrliche Güterrevindicatiou  unter  König  Otakar  in  Oester- 
reich  XIV.  449;  XV,  :\x-2. 
II.  Die  Organisation  der  laudesfürstlichen  Finanzverwaltung.  Das 
Landschreiber-  und  Hubmeisteramt  insbesondere  XVII l.  233. 
215.  Zur  Entstehung    des    sogenannten    Kationarium    Austriacum    von 

Wilhelm  Erben  XVI,  97.  382. 
21G.  Ueber  die  Datirung    des    Landfriedens  Herzog  Otakars  für  Oesterreich 
von  Alfons  Dopsch  XIX,    160- 

217.  Zur  Geschichte  der  österreichischen  Frage  unter  König  ßudolf  I. 
von  Oswald  Redlich  Erg.  IV.   133. 

Beilagen :  König  Wenzel  IL  von  Böhmen  an  Bischof  Arnold  von 
Bamberg  1287  März  17,  Herzog  Albrecht  von  Oesterreich  1288 
Mai  20,  Bischof  Landulf  von  Brixen  an  das  dortige  Domkapitel  1295. 

218.  Wien  in  den  Jahren  1276—1278  und  K.  Rudolfs  Stadtrechts- 
Privilegien  von  Oswald  Redlich  XII,  05. 

211).  Die  krainischen  Landhandfesten.  Ein  Beitrag  zur  österr.  Rechts- 
geschichte von  Wladimir  Levec  XIX,  244. 

Abgedruckt:  Urkunden  des  Herzog  Albrecht  IL  i:33S  September 
16,  Herzog  Rudolf  IV.  136  5  Jänner  16,  Graf  Albert  IV.  von  Görz 
1365  April   19,  Herzog  Albrecht  IIL    1374  März  26. 

220.  Aeltere  Urkunden  österreichischer  Herzoge  aus  dem  Archive  der  Univers, 
zu  Freiburg  i.  Br.  von  Eduard  Heyek  XIII,   633. 

221.  Ueber  die  Beziehungen  zwischen  englischen  und  böhmischen 
Wiclifiten  in  den  beiden  ersten  Jahrzehnten  des  15.  Jahrhunderts 
von  Johann  Loser  th  XII,  254. 


xvni 

Sir  John  Oldcastle  au  Woksa  von  Waldstein    1410   Sept.  S,  der- 
selbe au  König  Wenzel  von  Böhmen  undat. 
Vgl.  Nr.  4,  6,  2.'),  28,  29,  :U,  f)!),  (')0,  117,  15U,   170,  174,  2(;3.  'Jm. 


c.  N  e  VI  e  r  e  Geschichte. 

2*22.  Die  österreichischen  Läiidercougresse  von  weiland  H.  J.  ßider- 

luauu.    herausgegeben    ans    dessen    Nachlass    von    Siginuud 

Adler  XVII,  264. 
w*28.  Studien    über    die    finanziellen    Verhältnisse    Oesterreichs    unter 

Ferdinand  I.  von  Alfons  Hub  er  Erg.  IV.   181. 
10   Beilagen    l.j'J2 — ].5n4. 
'l'li.  Vorarlberg  zur  Zeit  des  deutscheu  Bauernlvriegs  von  Hermann 

Sander  Erg.  IV,  297. 
•2*^5.  Das   Gerichtsprotokoll   der   köuigl.    Freistadt   Kaschau    in    Ober- 
Ungarn  aus  den  Jahren   lö.öG  —  l(iU8    von     Franz    v.     Krones 

XII,  618. 
'l'Hi.  Eine    Fälschung    des    Vicekauzlers   Wolfgang    Schranz.     Kritische 

Untersuchung  über  die  Entstehung  der  Brucker  Pacification   von 

1578  von  Johann  Loserth  XVIII,  341. 
227.   Zur  Geschichte  «1er  Gegenreformation  in  Oesterreich  von  Emilv.  Otteu- 

thal  XI,   322. 

Bericht    des    Fr.    Michael    Alvarez    an    Papst    Gregor  XIII.    15  79, 

Mai   26. 
22S.  Die  Renuntiation  des  Deutschmeisters  Maximilian  auf  Polen  und 

die    damit    zusammenhängenden    Pläne    von    Josef    Hirn    Erg. 

IV,  248. 
2'29.  Die  Gegenreformation    in    Salzburg    unter    dem    Erzbischof  Marx 

Sittich,  Grafen  von  Hohenembs  (1612  —  1619).    Nach  den  Akten 

des  geh.  Haus    -Hof-    und  Staatsarchivs  von  Johann  Lo  serth 

XIX.  676. 
2oO.  Zur  Feststellung  des  Datums  der  üeberreichung  der  » Sturmpetition  ^^ 

der    protestantischen    Stände    Oesterreichs    an    Ferdinand    II.  (1619). 

Thatsächliche    Berichtigung    von     Onno     Klopp    XV,     394.     Replik 

von  Alfons  Huber  XV,   396;  vgl.  XV,   664;  XVI   662. 

231.  Zur  Belagerung  Wiens  durch  den  Grafen  Thm-n  (2. — 14.  Juni  1619) 
von  Alfons  Huber  und  Josef  Hirn  XV,  664;  vgl.  XV,  394,  396. 

232.  Xeue  Mittheilungen  über  die  »Sturmpetition«  der  protestantischen 
Stände  Oesterreichs  5.  Juni  1619  von  Alfons  Huber  XVI,  662: 
vgl.  XV,   394,    396;  XV,   664. 

233.  Zur  Frage  der  böhmischen  Verfassungsänderung  nach  der  Schlacht 
am  weissen  Berge  von  Michael  Mayr-Adlwang  XVII,   669. 

284.  Die  niederösterreichischen  Stände  und  die  Krone  in  der  Zeit 
Kaiser  Leopold  I.    von    Alfred    Francis    Pribram  XIV,  089. 

235.  Die  Jugend  Prinz  Eugens  von  Aloys  Schulte  XIII,  470. 

Beilagen:  Freih.  von  Greiffen    an    Markgraf  Hermann    von    Baden 
16X3   August  2,  August  9.     Eine  Stammtafel. 

2tU>.  Di»'  Auerkeinmug  der  pragmatischen    Sanction    Karls    VI.    durch 


(las  «(leiitsclie   Reitli    von    Hans    v.  Z  w  i  ed  ineck- S  üdc  nliorst 
XVI,  27r.. 

Beilagen:  Konferenzvorträge  an  den  Kaiser   1731  Juni   5,  August 

l'j,   December   14;  Verzeiclmis  von  Flugschriften  und  Abhandlungen, 

die    sich    mit    der    Reichsgarantie    der  pragm.  Sanction  beschäftigen. 

237.  Noch  einmal  das  Pactum  mutuae  successionis  und  die    pragmatische 

Sanction  von  Ottokar  Weber  XIX,   6  99. 

288.  Zur  Gründungsgeschichte  der  österreichischen  Kriegsmarine  von 
Karl  Lechner  XV,  614. 

Beilagen:  6  Schreiben  aus  den  Correspondenzbüchern  des  Cardinal 
Schrattenbach, 

289.  Zur  Geschichte  der  österreichischen  Haudelspolitik  unter  Kaiser 
Karl  VI.   von  Franz  Martin  Mayer  XVIII,   129. 

Abdruck  aus  dem  Berichte  über  eine  Handelsreise  vom  Jahre  1728- 

240.  Die  Zollpolitik  und  die  Schaffung  eines  einheitlichen  Zollgebietes 
unter  Maria  Theresia  von  Adolf  Beer  XIV,  237. 

Maria  Theresia  an  Graf  Hatzfeld  1767  Dec.  12;  1769  Oct.  3.1; 
zwei  Resolutionen   1763. 

241.  Die  Finauzverwaltung  Oesterreichs  1749 — 181(»  von  Adolf  Beer 
XV,  237. 

Beil.:  38  amtliche  Correspondenzen  der  K.  Maria  Theresia  und 
Kaiser  Josefs,  Leopolds  und  Franz   1745 — 1806. 

242.  Die  Entstehung  der  plälziseh-österreichischen  Convention  vom 
,").  Januar  1778  vou  Adolf  Unzer  XVI,  ßs. 

248.  Das  Gefecht  bei  St.  Michael  und  die  Operationen  des  Erzherzogs 
Johann  in  Steiermark  1809  von  Hans  v.  Zwiedineck- 
Südenhorst  XII,   lOl. 

Mit  einer  Umgebungskarte   1.)  von    Leoben    2.)  von    St.    Michael. 

Anhang:  I.  Aus  der  Selbstbiographie  des  Generalmajors  Konstantin 
von  Ettingähausen.  IL  Erzh.  Johann  an  FML.  Jellacic  1809  Mai  17. 
III.  Kaiser  Franz  an  Erzh.  Johann  !809  Mai  15.  IV.  Erzh.  Johann 
an  FML.  Jellacic  1809  Mai  19.  V.  dsgl.  VI.  FZM,  Kerpen  an  Erzh. 
Johann  1809  Mai  18.  VII.  Erzh.  Johann  an  Erzh.  Karl  1809  Mai 
24.  VIII.  dsgl.  undat.  IX.  Erzh.  Johann  an  Erzh.  Joseph  1809  Mai 
26.  X.  Aus  Erzh.  Johanns  Memoiren  1853  oder  1S54.  XI.  Opera- 
tionsjournal   1809   Mai  27. 

244.  Die  Brigade  Thierry  im  Gefechte  vou  Abensberg  am  19.  und 
20.  April  1809  von  Hans  v,  Zwiediueck-Südeuhorst  mit 
einem  Plane.  Erg.  V,   173. 

Abgedruckt:  Bekenntnis  des  General  Thierry  über  das  Gefecht 
bei  Biburg  und  Abensberg,  zwei  Befehle  Erzh.  Karls  an  General 
Thierry  1809  April  19,  Relation  des  letzteren,  Meldung  desselben 
an  Erzh.   Carl    1809   April    19. 

245.  Der  Plan  der  zweiten  Heirat  Napoleons  von  AntonBecker  XIX,  92. 

Anhang:  Instruction  für  Fürst  Karl  von  Schwarzenberg  180  9 
October  29,  Bericht  desselben  1809  November  30,  Bericht  der  Be- 
gegnung Floret's  mit  Champägny   1809   November  21. 


XX 

•24(>.  Zur  Geschiclite  der  poluisclieii  Fnige  1S14  imd  iSlf)  von  August 
F  o  u  r  u  i  e  r  XX,  44o. 

Beilagen:  Metternich  au  Zicby  1S14  August  1,  dazu  Memoire 
Metternichs  über  die  polnische  Frage,  Zicby  an  Metternicli  18  14 
August   12,    Koller   au  Melleniich    1814    September   8, 

•i4-7.  Kirchliche  Angeleoeuheiten   in  Oesterreich  (181G  — 42).     Arehiva- 
lische  MittheiluDgen  von  Adolf  Beer  XVIII,  403. 

Anhang:  Einige  Andeutungen  über  die  älteren  aus  dem  Kirchen- 
staate gebürtigen  Kardinäle.  ■ —  Votum  des  Hofrathes  Meschular 
1839   August    12. 

248.  Der  Herzog  von  Keichstadt  von  Hans  Schlüter  XV,    114. 
Marie  Louise  an   K.   Frauz    ]s]6   Nov.   2  4,    1818   März   5. 

'H9.  Aus  den  letzten  Lebensjahren  von  Gentz  \on  Hans  Schütter 
XIII,  .".20. 

Vgl.  Kr.  s— 11,    i:;— 21,  :i5,   üM.   I!t4,   107. 

4.  Westeuropa. 

•250.  Lucia    Visconti,    König    Heinrich    IV.  von  England   und  Edmund 
von  Kent  von  Karl  Wenck  XVIII,  69. 

Excurs:  Regina  della   ScaUi,   Gemahlin   von  Bernabu   Visconti. 

251.  Einige  Kelationen  über  die   Armada    löSS  von    Bruno    Stübel 
XX,  "619. 

5.  Osteuropa.  Orient.  Kreuzzü^e. 

252.  Amalrich  1.,  König  von  Jerusalem   1162 — 1174    von  Reinhold 
Röhricht  XII,  4;'.2. 

Anhang:  Brief  des  Fürsten  Bohemund  III.  von  Antiochien  an 
die  Christenheit  1187,  Erbonis  Carmen  foL  .31—31*',  Bohem.  III. 
für  Genua  1189  April,  Bohemund  IV.  für  Genua  1203  December, 
Brief  des  Erzbischof  A.  von  Nazareth  undatirt,  Hospitalitermeister 
Garinus  1231  October  8,  Richard  Filangieri  für  Petrus  Pennapedis 
1242   Mai    17. 

253.  Der    Krenzzug    des    Königs    Jacob    I.  von  Aragouicn  (1269)  von 
Reinhold  Röhricht  XI,  372. 

Anh.  I.  Regesten  aus  dem  Arch.  zu  Barcelona.  IL  Auszug  aus 
Nekrologien. 

254.  Der    Untergang    des     Königreichs     Jerusalem    von    Rein  hold 
Röhricht  XV,   1. 

Beilagen :  Kritische  Bemerkungen.  Abdruck  aus  Londoner  Codex 
addit   27895   fol.   5'*,   col.    1 — 2. 

255.  Die  Regel  des  Templerordens  von    Julius   Gmelin    XIV,    19:'.. 
VgL  Nr.  5.   i:U. 

().  Kuiistgcschielite. 

250.  Die  höfische    Kunst    des    Abendlandes  in  byzantinischer  Beleudi- 
iunu"  von  Julius  v.    Schlosser  XVII,  441. 


XXI 

257.  Eiu  fürstlicher  Architekt    und  Bauherr  von    David    v.    Schöu- 
liei'r  mit  2   Abbildungen  Erg.  IV,  46*  >. 

258.  Zwei  unbekannte    Arbeiten    des    Georg    Hoeinagel    von    H.    J.   Her- 
mann XX,    4  80. 

'259.  Ein  vergessenes  Werk  Guido    Keni's    für    die   Kapuziuerkirche  in 
Breisach  von  David  v.  Schönherr  Erg.  V,   111. 


7.  Historische  Greogiapliie. 

2(>().  Organisationen    Italiens    vou    Augustus    bis    auf   Karl    d.  Gr.  von 

Julius  Jung  Erg.  V,   1. 
•2(>l.  Bobbio,    Veleia,     Bardi.    Topographisch  -  historische    Excurse    von 

Julius  Jung  XX,  ö21. 
2()2.   Zur  Topographie  und   Organisation  der   umbrischen  Bergdistricte  von 

Julius   Jung  XVII,   45  7. 

263.  Zur  Geschichte  der  siebenbürgischen  Pässe  vou  Julius  Jung 
Erg.  IV,   1. 

264.  Corrigenda  et  Addenda  zu  Hegel,  JafFe,  Landau,  Scriba,  Stumpf, 
Will   von   Franz  Falk  XI,    62 S. 

•v(>5.  Nochmals  der  geschichtliche  Atlas  der  österreichischen  Alpen- 
länder von  Eduard  Richter  Erg.  V,  62. 

2<)6.  Zur  Kunde  der  österreichischen  Ortsnamen  von  Tb  eodur  v.  (Ir  i  en- 
berger  XIX,    520- 

267.  Die  Karte  des  ßartolonieo  Colombo  über  die  vierte  Reise  des 
Admirals  von  Franz  v.  Wies  er  mit  8  Karten  Erg.  IV,  488. 

Abgedruckt:  Informatione  di  Bartolomeo    Colombo    della    Navica- 
tione    di   Ponente  et  Garbin  di  Beragua  nel  Mondo  Novo. 

8.  Verschiedenes. 

268.  Bericht  über  das  Istituto  Austriaco  di  studii  storici  in  Koni  von 
Th.  V.  Sickel  XII,   200;  XIII,   367,  663. 

269.  Bericht  der  Centraldirection  der  Monumenta  Germaniae  (1890)  XI, 
.3  12;  (1891)  XIT,  67  2;  (l892)  XIII,  655:  (l893)  XIV,  523; 
(1894)  XV,  553;  (l895)  XVI,  542;  (1896)  XVII,  531;  (l897) 
XVIII,    691:    (1898)   XX,    180. 

270.  Bericht  über  die  Plenarversammlungen  der  histor.  Commission  bei 
dt>r  kgl.  baier.  Akad.  d.  Wissensch.  (1889)  XI,  186;  (l890)  XII, 
194:  (1891)  XII.  676;  (l892)  XIII,  660 ;  (1893)  XIV,  527  ;  (l894) 
XV,   703;    (1895)  XVI,   699;    (1897)  XIX,   397;    (l899)    XX,    181. 

271.  Bei'icht  über  die  Plenarsitzungen  der  badischen  bist.  Commission 
(1889)  XI,  189;  (1890)  XII.  197;  (1891)  XIII,  218;  (1892)  XIV. 
187;  (1893)  XV,  189;  (1894)  XVI,  189;  (1895)  XVII.  534; 
(1896)   XVIII,    693. 

272.  Bericht  über  die  wissenschaftlichen  Unternehmungen  der  Gesellschaft 
für  Eheinische  Geschichtskunde  XL  516;  XII,  679;  XIV,  529; 
XV,    556;  XVI,   701;  XVIII,   209,   400;  XX,    183. 


XXll 

273.  Die  historischo  Commissiou  der  Provinz  Sachsen  (l89l)  XII,  683; 
(1898)  XX,    188. 

274.  Bericht  über  die  Versammlung  der  kgl.  sächsischen  Commission  für 
Geschichte  XX,   186. 

275.  Bericht  über  die  Versammlung  der  historischen  Commission  für  Hessen 
und  Waldeck  (1898)  XX,    185. 

276.  Historische  Landescommission  für  Steiermark  (1892/93)  XIV,  190, 
553;  (1893/94)  XV.  559;  (1S94/95)  XVI,  703;  (1895/96)  XVIII, 
222;  (1896/97)   XIX,   398. 

277.  Commission  zur  Herausgabe  der  Acten  und  Correspondenzen  zur 
neueren  Geschichte  Oesterreichs  (l897)  XIX   735. 

278.  Einladung  zur  Versammlung  deutscher  Historiker  in  München  XIII, 
535;  XIV,    191. 

271).  Preisaufgaben  der  Wedekindschen  Preisstiftung  für  Deutsche  Ge- 
schichte XVIII,   400. 

280.  Personalien  XI,  192;  XII,  2o8;  XIII,  221;  XIV,  l'.d;  XV,  191; 
XVI,    192;  XVII,   207;  XVIII,   224;  XIX,   231;  XX,    188. 

281.  Nekrologe. 

Albert  Jäger  (von  H.  v.  Zeissberg)  XIII,   222. 
Alfons  Huber  (von  E.  Mühlbacher)  XX,    189. 
Josef  Emier  XX,   191. 


III.  Literatur  % 


'2S'2.    Adalbert  hl,   Zur  Geschichte  des  (Kaindl)  XIX,   536;   XX,   641. 

283.  Adamek,  Beiträge  zur  Geschichte  des  byzantinischen  Kaisers  Mauricius 
582—602   (Prem)  XII,   358;  XIII,    360. 

284.  Ahrens,  Die  Wettiner  und  Kaiser  Karl  IV.  (Lippert)  XVIII,   162. 
2.sr>.    Akademie  der  Wissenschaften  südslavische  in  Agram,  historische  Ar- 
beiten  (Stare)   XIV,    171. 

2.S(;.  Albert  P.,  Matthias  Döring,  ein  deutscher  Minorit  des  15.  Jahr- 
hunderts (Holzer)  XV,    152. 

2.S7.    —   Zur  Erklärung  des  Radolfzeller   Markiprivilegs   (Uhlirz)  XIX,    17  4. 

2s.S.    —  Geschichte  der  Stadt  Radolfzell    am  Bodensee   (Uhlirz)  XX,   1  1 3. 

2si>.  Altmann,  Regesta  imperii  XI,  Die  Urkunden  Kaiser  Sigmunds  1410 
—  1437    (Loserth)   XVHI,    386. 

290.  —  und  Bernheim,  Ausgewählte  Urkunden  zur  Erläuterung  der  Ver- 
fassungsgeschichte Deutschlands  im  Mittelalter  (Belovi^)  XIII,  635; 
zvFeite  Auflage   (Dopsch)  XIX,   3  95. 

291.  Amman,  Die  Pest  des  .1.  1636  in  Xeustift  bei  Brixen  (Prem)  XIII,  35s. 
2;>2.    —  Die  Wiedertäufer    in  Michelsburg    im  Pusterthale    und  deren  Ur- 

gichten  (Prem)  XVIII,   669;  XIX,   7  23. 


')  Die  nicht  gezeiihneten  Notizen  8iiid   fast   aussclilie&islich    vom  Kedaetour 
geschriebeu. 


XXIII 

25);].    Antoniewicz,    Ikonograpliiscbes    zu     Chrestien    de     Troyes    (Schlosser) 

XI,  eoo. 
•2!H.    Anzuletti,   Walther  von  der  Vogelweide    und    der  Innervogelweiderhof 

oberhalb  Klausen  i.  Tirol  (Prem)  XI,   35(i. 
2i>5.    Arnold,  Repertoriuni  Germanicum  (Ottenthai)  XIX,   377. 
2yi;.    Arras,  Bilder  aus  der  sächsischen  Geschichte  (Lippert)  XII,    169. 
2{)7.    Aubert,  Histoire  du  Parlement    de  Paris  de  1' origine  ä    Fran(,ois    I^^' 

1250 — 1515   (Cartellieri)  XIX,    365. 

298.  Baasch,  Die  Steuer  im  Herzogthuiu  Baiern  bis  zum  1.  landständischen  Frei- 
heitsbrief 1311  XI,  508. 

299.  ßattaglino  et  Calligaris,  Indices  chronologici  ad  Antiquitates  Ital.  JVI.    Aevi 
et  ad  opera  Lud.  Ant.  Muratorii  XI,  501;  XV,  168. 

:{00.    Bader,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Kölner  Verbundbriefes  von    139  6 
(TJhlirz)   XIX,    175. 

301.  Bär,   Der  Koblenzer  Mauerbau  (Uhlirz)  XVI,   5  25. 

302.  • —  Zur    Entstehung    der    deutschen    Stadtgemeinde    Koblenz    (Uhlirz) 
XVI,    525. 

303.  • —  Urkunden  und  xVcten  zur  (xeschichte  der  Vei'fassung  und  Verwaltung 
der  Stadt  Koblenz  bis  zum  Jahre    1500   (Uhlirz)   XX,    113. 

304.  Baglioni,    Lo    Studio    generale    di    Vercelli    nel    medio    evo    (Luschin) 
XI,    147. 

305.  Baltzer,  Zur  Geschichte   des  Danziger  Kriegswesens    im    14.    und    15.    Jahr- 
hundert (Redlich)  XV,  185. 

30(>.    Baran,   Geschichte    der    alten  lateinischen  Stadtschule    und    des  Gym- 
nasiums in  Krems  (Prem)  XVII,   683. 

307.  Bares,  Die  Adels-  und  Erbfamilien  in  der  Stadt  Jungbunzlau  in  den 
Jahren   1471  — 1620   (Prem)  XV,   393. 

308.  Bargetzi,   Dido  in  der  Geschichte  und  in  der  Dichtung  (Prem)  XX,  499. 
30y.    Bartelmus.     Der     vergleichende     geographische     Unterricht     (Prem) 

XVIII,  675. 

310.  Baudon  de  Mony,    Eelations    politiques    des    comtes    de  Foix  avec  la 
Catalogne  jusqu' au  commencement  du  14®  siecle  (Cartellieri)  XIX,  364. 

311.  Bauer,  Die  Anfänge  österreichischer  Geschichte  (Jung)  XVIII,  202. 

312.  Bauernfeind,    Geschichte    des    Stiftes     Kremsmünster    von    777  —  993 
(Prem)  XUI,   360. 

313.  Bauraaun,  Geschichte  des  Allgäus  (Redlich)  XVII.  206. 

314.  —  Ueber  die  Bezeichnung  , Ewiger  Abend  ^  (Redlich)     XV,  174. 

315.  —   Mittheiluugen    aus     dem  fürstenbergi sehen  Archive  (Kretschmayr) 

XIX,  380. 

31(>.    Beiträge  zur  alten  (ieschichte  und  Geographie,    Festschrift    zu    Ehren 
von  Heinrich  Kiepert  (Jung)  XX,    178. 

317.  Beiträge     zur     Geschichte     der     niederösterr.     Statthalterei    (Krones) 
XVUI,   663. 

318.  Beiträge,  Kleinere  zur  Geschichte  von  Dozenten    der   Leipziger    Hochschule 
1894,  XVI,  175. 

319.  Below,     Zur     Entstehung     der     deutschen     Stadtverfassung    (Uhlirz) 
XV,   488. 

320.  —   Die  Entstehung    der    deutschen    Stadtgemeinde  (Uhlirz)  XV,   4S8. 

321.  —  Der  Ursprung  der  deutschen    Stadtverfassung    (Uhlirz)    XV,    489 ; 
vgl  XV,   707. 


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XX  TV 

322.  Below,  Die  städtische  Verwaltung  als  Vorbild  der  spiiteren  Territorial- 
verwaltung (Uhlirz)   XIX,    174. 

323.  —   Die  Entstehung  des  Handwerks  in  Deutschland  (Uhlirz)  XIX,  174. 
321.    Derliere,  Monasticon  Beige  (Hauthaler)  XI,   648. 

325.  Bern,  Festschrift  zur  VII.  Säkularfeier  der  Gründung  von  (Uhlirz) 
XVI.   .525. 

326.  Bernoulli,  Acta  pontifioum  Helvetica  I.  Bd.  (Tangl)  XllI,   H3h. 

327.  Berwick  Herzogin  von,  Documentos  escogidos  del  Archivo  de  la  casa 
de  Alba  (Pribram)  XIII,   213. 

32.S.  üeschreibung  des  Oberamts  Ehingen  und  des  Oberamts  Reutlingen 
(Schön)  XV,    153. 

329.  Bettgenhäuser,  Die  Mainz-Frankfurter  MarktschifFahrt  im  Mittelalter 
(Uhlirz)  XIX,   17ß. 

330.  Beyerle,   Die  Konstanzer  Eatslisten   des   Mittelalters  (Uhlirz)  XX,    114. 

331.  Bibliographie  zur  niederösteneichischen  Landeskunde  (Redlich)  XX,  691. 

332.  Bidermann,  Geschichte  der  österr.  Gesammtstaatsidee  (Fellner)  XV,  .517. 

333.  Biedermann,  Die  Wappen  der  Stammlande  und  Herrschaften  des 
AVettiner  Fürsienhauses  (Lippert)  XII.    17  5. 

334.  Bieloblawek,  Ursachen  und  Verlauf  der  Kriegsereignisse  in  Böhmen 
im  Jahre    1434    (Prem)   XVI.    377. 

3.').    Biermann,  Geschichte  des  Herzogthums  Teschen  (Bretholz)  XVI,   fi92. 
(>.    —  Geschichte  des    Protestantismus  in  Oesterreichisch-Schlesien  (Bret- 
holz) XX,    130. 

337.  fiilfinger,  Die  mittelalterlichen  Hören  und  die  modernen    Stunden  (Redlich) 

XV,  J74. 

338.  Binterim  und  Mooren.  Die  Erzdiöcese  Kfdn  bis  zur  französischen  Staatsum- 
wälzung (Holzer)  XV III,  217. 

339.  Bippen.  Die  Hinrichtung  der  Sachsen  durch  Karl  den  Gros.-en  XI.  506; 
vgl.  XVIIL  205. 

340.  —  Geschichte  der  Stadt  Bremen  (Uhlirz)  XVII,   317. 

341.  Bloch.  Die  Urkunden  K.  Heinrichs  II.  für  Kloster  Michelsberg  zu  Bamberg 
(Redlich)  XVI,   I76. 

342.  Blochwitz,  Die  Wettiner  und  ihre  Länder  (Lippert)  XII,    16  9. 

343.  Blondel,  Etüde  sur  la  politique  de  l'empereur  Frederic  II.  en  Alle- 
magne  et  sur  les  transformations  de  la  Constitution  Allemande  dans 
la  premiere  moitie    du    XIIP  siecle  (Siegel)  XV,   37  7. 

344.  Blunienstok,       Der      päpstliche     Schutz     im     Mittelalter     (Hörmann) 

XVI.  140. 

34.'».    Blumer,  Die  Familiennamen    von    Leitmerltz    und    Umgebung    (Prem) 

XVn,   687;  XVIII,   673;  XIX,   728:   XX.   .302. 
34(>.    Böhmen,  Mähren  und  Schlesien,  Die  historische  periodische  Literatur 

1893— 1S97   (Bretholz)  XVI,    157:   XVII,   692:  XX,    147,    506. 
347.    Böhmer  H.,   Willigis  von  Mainz  (Ottenthai)  XVIII,    156. 
34.S.    Böhmer    J.    F.,    Regesta    imperii    II    hg.  von  E.   v.   Ottenthai  (Uhlirz) 

XVI,    665. 
34!>.    Hoguth,   M.   Valerius   Laevinus   (Prem)  XIV,    182. 

350.  ßormann,  Die  neuesten  Funde  in  Carnuntum  (Jung)  XVIll,  202. 

351.  Bosni  i  Hercegovini,  Glasnik  zenialjskoy  mu.cja  u  XI,   512. 

302  Boye,  ün  roi  de  Pologne  et  la  couronne  ducalle  de  Lorraine.  Stanis- 
las  Leszczynski    et    le    troisieme  Iraitc  de  Vienne  (Lippert)  XX,   678. 


XXV 

:J5.'j.    Brandenburg,   Konig  Sigmund  und   Kurlüist  Friedrich  I.  von  Branden- 
burg (Bachmann)  XIII,   534. 
rjöl.    —  Moritz  von  Sachsen    1.  Bd.   (Kretschmayr)   XX,   674. 

355.  Brandstetter  Kenward,  Die  Luzerner  Kanzleisprache  von  1250 — l(jO()  (Red- 
lich) XV,  173. 

356.  Brandstetter  J.  L.,  Repertorium  über  die  in  Zeit-  und  .Sammelschriften  der 
Jahre  1812 — 1890  enthaltenen  Aufsätze  und  Mittheilungeu  schweizerge- 
schichtlichen Inhalts  (Redlich)  XV,  180. 

3,57.    Braudi,  Die  Reichenauer  Urkundenfälschungen  (Dopsch)  XIV,   663. 
;{.},S.    —   Briefe    und  Akten    zur  Geschichte    des    sechzehnten    Jahrhunderts 

mit  besonderer  Rücksicht  auf  Bayerns  Fürstenhaus   4.  Bd.  (Steinherz) 

XIX,    383. 

359.  Bre>slau.  Erläuterungen  zu  Diplomen  Heinrichs  11.  (Redlich)  XVf,  17(j. 

360.  —  l'nedirtes  Diplom  und  Placitum  Heinrichs  V.  und  Puqjururkunden  für 
Pomposa  und  Parma  (Redlich)  XVI.  177, 

361.  —  Das  älteste  Bündnis  der  Schweizer  Urkantone  (Redlich)  XVIII,  212. 

362.  Bretholz,   Geschichte  Mährens    ].  Bd.  (Huber)  XV,   138;  XVI,   540. 

363.  —  Der  Vertheidigungskampf  der  Stadt  Brunn  gegen  die  Schweden 
164.5   (Huber)  XVH,   501. 

3<)4.    Breyer,  Bemerkungen  über  den  LehrstoflP  und  den  Unterricht  in  der 

Vaterlandskunde  in   der   8.   Classe  (Prem)  XII,    360. 
36.».    Bricka,  Dansk  Biografisk  Lexikon  (Schäfer)  XIV.   382. 
36(».    Brosch,   Geschichte  von  England   6.  und   7.  Bd.  (Pribram)    XVI,   368. 

367.  Bi'unelli,  Dr.  Lorenzo  Fondra,  Diario  di  Vienna  17  00  (Prem)  XIX,  72  6. 

368.  Brunner  Heinrich,  Forschungen  zur  Geschichte  des  deutschen  und  franzö- 
sischen Rechtes  (Redlich)  XV,  176. 

3«y.  Brunner  Karl,  Der  piälzische  Wildfangstreit  unter  Kurfürst  Karl  Lud- 
wig   1664 — 1667    (Pribram)  XVIII,   399. 

370.  Büdinger,  Don  Carlos'  Haft  und  Tod  insbesondere  nach  den  Auf- 
fassungen seiner  Familie  (Hirn)  XV,   689. 

371.  —  Die  Universalhistorie  im  Alterthume  (Jung)  XVII,  204. 

372.  —  Mittheilungen  aus  spanischer  Geschichte  des  16.  und  17.  Jahrhunderts 
(Hirn)  XV 111,  '219. 

373.  —  Festgaben  zu  Ehren  Büdingers  XX,  177. 

374.  Bukowina,  Neueste  Schriften  zur  Geschichte  der  (Herzberg-Fränkel) 
XVII,    201. 

375.  Bulmerincq,  Der  Ursprung  der  Stadtverfassung  Rigas  (Uhlirz) 
XVII.   3  IN. 

376.  Burdach,  Vom  Mittelalter  zur  Reformation  (Vancsa)  XVI,  178. 

377.  Buschbell,  Die  professiones  fidei  der  Päpste  (Holzer)  XIX.  732. 
37S.    Butler.   Pen  Pictures  of  Dresden's  Fast.  (Lippert)  XII,    164. 

379.    Cantarelli.  Annali  d'  Italia  dalla  morte  di  Valentiniano  111  alla  deposizione 
di  Romolo  Äugustolo  455—476  (Jung)  XVIII,  303. 
Carducci,  Lo  Studio  Bolognese  (Luschin)  XI,    14(i. 

Carini  und  Palmieri.  Spicilegio  Vaticano  di  documenti  inediti  e  rari  estratti 
dagli  Archivi  e  dalla  Biblioteca  della  Sede  Apostolica  Vol.  1.  Fase.  1 
(Tangl)  XU.  363. 

282.  Carinthia  Neue,   Heft  1.   2,  XI.  511. 

283.  Caro,  Studien  zur  Geschichte  von  Genua  (üttenthal)  XV.  184. 

384.  Carreri,  Del  buono  governo  s])i]imbergese  (Ottenthai)  XV.  184. 

385.  —    Spilimbergensia  documenta  (Üttenthal)  XVIII,  690. 

386.  —  Regesti  Frmlani  (Ottenthai)  XVIIt,  690. 

387.  Cartellieri,  Ein  Donaueschinger  Briefsteller  (Kedlichj  XX.  358. 


3S0 

381, 


XXVI 

388.    Casanova,  Trattative  del    coiuune  di  S.  Gimignano  con  Clemente  VI.  dopo 

Benovento  12b'6— 67  (Hampel  XIX,  733. 
:iSd.    Cassani,     DeU'antico    studio    di    Bologna     e     sua    oi'igine     (Luschin) 

XI,  Uß. 

:{i)0.    Cavazza,  Le  scuole  dell' antico  studio  Bolognese  (Luschin)    XIX,   355. 
391.    Celakovsky,   Codex  iuris  municipalis  regni  Boheraiae  Tom.  II,  (Mares) 

XVIII,    168;   vgl  Vn,    17S. 
:{{)'2.    Chemnitz,  Jahi-buch  des  Vereins  für  Chemnitzer    Geschichte    (Lippert) 

XII,  162. 

:V.y,i.  Chiappelli,  Lo  Studio  Bolognese  nelle  sue  origini  e  nei  suoi  rapporti 

colla  scienza  Pre-Irneriana    (Luschin)    XI,    146. 
:{;)1.    —  e    Zdekauer,    Un    consulto    d' Azone     dell    anno    12(J5    (Luschinj 

XI,  147. 

ii*,K).    Chociszewski,   Swiety  Wojciech  (Kaindl)   XIX,   53<S. 
.'>!)().    —  Ksiazeczka  Jubileuszowa  (Kaindl)  XIX,   539. 
397.    Cbroust,' Bulle  Hadrians  V.  (Redlich)  XVI.  180. 
'.V,)H.    Chrzaszcz,  Der  heil.  Adalbert  (Kaindl)  XIX.   53S. 

;]yj).    Cipolla,  Di  Rozone  vescovo  di    Asti    e    di    alcuni    documenti     inediti 
che  lo  riguardano  memoria  (Erben)  XIII.   211, 

400.  —  Antiche  Cronache  Veronesi   (Volteliui)  XIII,    646. 

401.  —  Di  un  diploma  perduto  di  Carlo  ILI  (Erben)  XV,  169;  XVI.  379. 

402.  —  Suir  itiuerario    di    Coirado  H  nel  1026  (Erben)  XV.  170;  XVI,  379. 

403.  —  und    Filippi.    Diplorai    inediti  di    Enrico  VII   e  di  Lodovico    il    Bawaro 

XII,  368. 

40-1-.   Giemen.   Die  Kun.stdenkmäler  der  Rheinprovinz    I.  Bd.    I.   (Laschitzer) 

XIII,  6.51. 

405.    Collection    de  textes    pour    servir    a    1'  etude    et    ä  V  enseignement  de 

l'histoire  (Cartellieri)  XX,   3oi. 
40().    Constantinische    Schenkung,    Neuere  Forschungen    über    die  (SchefFer- 

Boichor.^t)   XI.    128. 

407.  Coquelle,  Histoire  du  Montenegro  et  de  la  Bosnie  depuis  les  origines 
(Jirecek)  XIX,   203. 

408.  Criegern.   Der  Leumund  der  Sachsen  (Lippert)  XII,   167. 

409.  Dahlmann-Waitz,  Quellenkunde  der  Deutschen  Geschichte  6.  Auflage  (Hed- 
lich) XVI,  175. 

410.  Dallari.  I  Rotoli  dei   Lettori  Legisti  e  Artisti  dello  Studio  Bolognese 
dal    1384   al    1799   (Luschin)  XI,    147. 

411.  Dal  Ri,    Dei    mezzi    di  trasporto    e    di  communicazione  del  principato 
vescovile  di  Trento  nel  medio  evo  (Prem)  XIII,   358. 

412.  Dalton,  Beiträge  zur  Geschichte  der  evangelischen  Kirche  in  Russland 
III  (Bidlo)  XX,   342. 

413.  D'Arbois  de  .Tubainville.  Rechercbes  sur  T  origine  de    la  propriete  foncit're 
et  des  noms  des  lieiix  habites  en  France  XH,  365. 

414.  Darmstädter,  Das    Reichsgut    in    der  Lombardei  und  Piemont  568 — 
1250   (Ottenthai)   XIX,    351. 

415.  Daszynska,   Stoff  imd  Methode    der    historischen  Bevölkerungsstatistik 
(ühlirz)  XIX,    17  5. 

416.  Davidsohn,  Fälschung  einer  päpstlichen  Bnlle  (Kedlich)  XVI,    180. 

417.  Degani,    11  Comune  di    Portogruaro.    sua    origine    sue    vicende    1240  —  1420 
(Ottenthai)  XV,  184. 

418.  —  Guecello  di  Prata  (Ottenthai)  XVlll,  689. 


XXVII 

419.  Delaville  le  lioiilx,  Cariulaire  general  de  1' ordre  des  Hospitaliers  de 
S.  Jean  de  Jerusalem  (Röhricht)  XVI,    143;  XVIII,   634. 

419  a.Des  Marez,  Etüde  sur  la  propriete  fonciere  dans  les  villes  du  moyen- 
äge  et  specialment  en  Flandre  (ühlirz)  XX,    114. 

420.  Deutsches  Städtewesen,    Neuere    Literatur  (Uhlirz)  siehe  Stüdtewesen. 

421.  Dieckmeyer,   Die   Stadt  Cambrai   (Uhlirz)  XVI,   524. 

422.  Diemand,  Das  Ceremoniell  der  Kaiserkrönungen  von  Otto  I.  bis 
Friedrich  IL  (Tangl)  XVIII,   031- 

423.  Diemar,  Die  Entstehung  des  deutschen  Reichskrieges  gegen  Herzog 
Karl  den   Kühnen  von  Burgund  (Witte)  XIX,   717. 

424.  Dierauer,  Geschichte  der  Schweizerischen  Eidgenossenscliaft  2.  B. 
(Huber)  XIII,   352. 

425.  Diplomi  imperiali  e  reali  delle  cancellarie  d'  Italia  (Mühlbacher)  XV,  131. 
42().    Dittrich,  Kloster  Altzella  und  seine  Ruinen,  eine  vergessene  Fürsten- 
gruft (Lippert)  XII,    i(-;6. 

427.    Dodu,   Histoire  des  institutions  monarchiques  dans    le  royaume    latin 

de  Jerusalem    1099  —  1291    (Röhricht)  XVI,   538. 
42s.    —  De  Fulconis  Hierosolymitani  regno  (Röhricht)  XVI,   53S. 

429.  Doebner,  Urkundenbuch  der  Stadt  Hildesheim  5.  Bd.  1  (Scliäfer) 
XV,   687. 

430.  Domaszewski,  Die  Chionologie  des  bellum  Germanicum  et  Sarmaticnm 
166—175.  n.  Chr.  (Jung)  XVIII,  201. 

431.  Donadini,  Das  goldene  Buch  oder  accurate  Abbildungen  der  weitbe- 
rühmten fürtrefflichen  Sächsischen  Fürsten  nach  Lukas  Cranach 
(Lippert)  XII,    17  5- 

432.  Doren,  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  Kaufmannsgilden  im 
Mittelalter  (Uhlirz)  XIX,    174. 

433.  Dresdner,  Kultur-  und  Sittengeschichte  der  italienischen  Geistlichkeit 
im   10.  und   11.  Jahrhundert  (Hejck)  XIV,    146. 

434.  Druttel,  Briefe  und  Acten  z.  Gesch.  des  16.  Jahrhunderts  4.  Bd. 
ergänzt  und  bearb.   von  Brandi   (Steinherz)  XIX,   383. 

43.'>.    Ebei'stadt,  Magisterium  und  Fraternitas  (Uhlirz)  XIX,    174. 

436.  Ebner,  Die  klösterlichen  Gebetsverbrüderungen  bis  zum  Ausgange  des 
karoliugischen  Zeitalters  (Herzberg-Pränkel)  XIV,    129. 

437.  Effmann,   Heiligkreuz  und  Pfalzel  (Riegl)  XII,   527. 

438.  Ehrle,  Historia  bibliothecae  Romanorum  pontificum  Totnus  I  (Otteu- 
thal)  Xm,   208. 

439.  Eichler,   Zur  Umgrenzung  der  Sannthaleralpen  (Prem)  XX,   503. 

440.  Eigenbrodt,  Lampert  von  Hersfeld  und  die  neuere  Quellenforschung  (Otto) 
XVill,  2(19. 

441.  Einert,     Ein      Thüringer     Landptarrer      im     SOjährigen     Kriege     (Vancsa) 

XVIII,  219. 

442.  Eiben,  Vorderösterreich  und  seine  Schutzgebiete  im  J.  1524  (F.  M. 
Mayer)  XI,  483. 

443.  Emig,   Vier    Urkunden    aus    dem    Dornbirner     Gemeindegebiet    (Prem) 

XIX,  724. 

444.  Engelbrecht.  Das  Titelwesen  bei  den  spätlateinischen  Epistolographen 
(Redlich)  XV,  169. 

415.  Engelraann,  Philipp  von  Schwaben  und  Papst  Innocenz  111.  während  des 
deutschen  Thronstreites  (Otto)  XVIII,  211. 


XXVTII 

44f;.    lü-ben,    Untersuchungen    zu     dein    Codex     traditionuui     Odalberti     (T^edlicli) 

XI,  503. 
447.    —  Die  Anfänge  des  Klosters  Selz  (Redlich)  XV,   170. 
418.    —  Quellen  zur  Geschichte    des    Stiftes    und    der    Herrschaft    Mattsee 

(Herzberg -Fränkel)  XX,   4o2. 
U\h    Erber,   Storia  della  Dalmazia  dal    1797    al    ISI4,    4.-7.    Thl.   (Prem) 

XI,   854;  XII,   357;  XllI,   359;  XIV,    182. 

450.  Erbfolgekrieg  österreichischer  1740  — 1748  hg.  vom  k.  u.  k.  Kriegs- 
archiv   ].  u.    2.   Bd.   (Huber)  XIX,   223. 

451.  Ermisch,   Das  Freiberger  Stadtrecht  (Lippert)   XII,    IGo. 

452.  Ernst,  Denkwürdigkeiten  von  Heinrich  und  Amalie  von  Beguelin  aus 
den  Jahren    18(i7 — 1813   (Krones)  XVI.    153. 

4.5:{.    Erzgebirgs-Zweigverein  I.   Jahrbuch  (Lippert)  XII.    162. 

454.  Eschler,  Die  Heirat  zwischen  Herzog  Rudolf  IH.  von  Oesterreich  und 
Bianca,  der  Schwester  Philipps  IV.  von  Frankreich  (Prem)  XIII.  301. 

455.  Eubel,  Zum  päpstlichen  Reservations-  und  Piovisionswesen  (Tangl)  XVI,  180. 
45(j.    —   Registerband  des  (Jegenpapstes  Nicolaus  V.  (Redlich)  XVI,  ISO. 

457.  —  Hierarchia  catholica  medii  aevi  ab  a.  1198 — 1431  perducta. 
(Ottenthai)  XIX,   546. 

45.S.    Eulenburg,  Das  Wiener  Zunftwesen  (Schalk)  XVII,   (;7*;. 

45<)_  —  Zur  Bevölkerungs-  und  \'ermögensstatistik  des  15.  Jahrhunderts 
(Uhlirz)   XIX,    175. 

4(;0_  —  Städtische  Berufs-  und  Gewerbestatistik  Heidelbergs  im  k;.  Jahr- 
hundert  (Uhlirz)   XIX,    J75. 

4(51,  Eulitz,  Schloss  Waldheim  in  der  Zeit  von  1588—1716  eine  Be- 
sitzung des   Churhauses   Wettin  (Lippert)   XII,    16  5. 

4<;2.    Fahre,  Etüde    sur    le    Liber    Ceusuum    de    1' Eglise  Romaine    (Tangl) 

XI,    505:   XIV,  494. 
4(;:j.    Faccioli,   Archiginnasio  di  Bologna  (Luschin)  XI,    147. 
4(}4.    Fäulhammer,  Politische  Meinungen  und  Stimmungen  in  Wien  in  den 

Jahren    1793   und    1794   (Prem)  XV,    390. 
4(;5.    Fasching,  I.   Zur  Bischofsweihe  des  hl.  Virgilius  von  Salzburg.  II.  Zur 

Rupertusfrage.  III.   Theodelinde  (Prem)  XVI,   374. 
4(56.    Fassl,   Geschichte   des   Gymnasiums    in   Komotau    1591  — 1881    (Prem) 

XIII,    362. 
4(;7.    Fejerpataky,  Kaiman    kiräly  oklevelei  (Die  Urkunden  König  Kolomans) 

(Äldasy)   XIV,    507. 
4(;>^     —  Oklevelek  IL   Istvän  kiräly  ko)äb<Jl   (Urkunden  aus  der  Zeit  König 

Stefan  IL)  (Aldäsy)  XVH,    184. 
4G9.    Feret,  La  Faculte    de  Theologie  de  Paris    et    ses  docteurs    les  plus  celebres 

(Budinszky)  XVIII,  690. 
-i;().    Fester,  Regesten    der    Markgrafen    von    Baden    und  Hachberg  (Witte) 

XVIII,   641. 
4-1     _   Markgraf  Bernhard  I.   und   die   Anfänge   des   badischen  Territorial- 
staates  (Witte)   XVIII,   647. 
472.    Festschrift    zum    llhundertjährioen    Ju\)iläuin    des  deutschen    Canipo  Santo 

in  RouT  XX.   178. 
47:}.    Ficker,    Untersuchungen    zur    Rechtsgeschichte.     Untersuchungen     zur 

Frbenfolge   der  ostgermanischen  Rechte    1.  Bd.  (Zallinger)    XIII,    1C)9: 

3.   und   4.  Bd.  (Opet)  XX,   288,   4^4- 


XXIX 

4:4.    Filek*    Friiiul   und    s<'iiie   Eiiclaven   (Prciii)   XX,    öol. 
4-7Ö.    i'mke,   Westfälisches    Urkundcübuch,    4.    und    n.    Bd.    (Otteutlud)   XI, 
177;  XVII,   :54S. 

476.  —  Konzilienstuflien  zur  Geschichte  des   13.  Jahrh.  (Holzer)  XV.   ]8:>. 

477.  —  Ungedrnckte   Dominikanerbnefe  (Tliommeu)   XV,    I4ri, 
4;>i.    —   Acta  concilii   Coustantiensis   (Loserth)   XVIII,   652. 

479.  Fischer  Auton  Karl,  Die  Hunnen  im  schweizerischen  Eifischthale    und  ihre 
Nachkommen  bis  auf  die  heutige  Zeit  (Jung)  XVÜi,  204. 

480.  Fischer  Clebhard,   Zur  Geschichte    des  Schwedeneinfalls    in   Vorarlberg 
im  Jahre    1647    (Prem)  XVI,    371. 

4,S1.    Fischer  Josef,  Der  Linzertag  vom  Jahre    1605    in    seiner    Bedeutung 
für  die  österreichische  Haus-  und  Reichsgeschichte    (Prem)    XX,   498. 

482.  —  Der  Erbschaftsvergleich  Kaiser  Rndolf  U.  (Steinherz)  XX,  520. 

483.  Fischnaler,  Wajipenbuch  der  Städte  und  Märkte  der  gefür^teten  Grafschaft 
Tirol  (Hedlich)  XVIII,  221. 

4,S4.  Fittiug,  Die  Anlange  der  Rechtsschule  zu  Bologna  (Luschin)  XI,  14  6. 
4.S.">.    —    Summa  des  Irnerius    (Luschin)   XV,   684. 

4s(>,    —   Quaestiones   de  iuris  subtilitatibus  des  Jrnerius  (Luschiu)  XV,  684. 
4s7.    Fleraming,    Die    Dresdner    Innungen    von    ihrer    Entstehung    bis   zum 

Ausgang  des    17.   Jahrhunderts  (Uhlirz)   XIX,    174. 
488.    Focke.  Theodoricns   Pauli,  ein  Geschichtsschreiber  des  XV.  Jahrhunderts  und 

sein  speculum  historiale  (Hofmann-Wellenhof)  XVI,  186. 
4Si).    Förstemann,  E.,   Historische  Untersuchungen  zum    50jährigen  Doctor- 

jubiläum  E.  Förstemanns  (Lippert)  XVI,   133. 
45X).    —  Novae  Constitutiones  audientiae    contradictarum  in  curia    Romana 

promulgatae  a.   d.    1375   (Tangl)   XVIII,   640. 

491.  Friedemann,   Das  Königreich  Sachsen  (Lippert)  XII,    171. 

492.  Friedjung,    Der    Kampf  um    die    Vorherrschaft    in    Deutschland    1859 
bis    1866   (Zwiedineck)   XX,    142. 

493.  Friedrich,  Die  Constantinische  Schenkung  (SchefFer-Boichorst)  XI,  128- 

494.  Friess,  Die  Wappen  der  Aebte  von  Garsten  XVI,   182. 

49,5.  —   Die    Reise     des     Hans    Christoph    Freiherrn    von    Teufel     in    das 

Morgenland    15S8  — 1590   (Prem)   XX,   499. 

49<».  Fritz,  Deutsche  Stadtanlagen  (Uhlirz)  XIX,    17  3. 

497.  Fromme,  Die  spanische  Nation    und    das    Constanzer  Concil  (Loserth) 
'  XVIII,   654. 

498.  Fürstenbergisches  Urkundenbuch  (Ottcnthal)  XVI.   183. 

499.  Fürstenschulen,   die  Eigenart  der  (Lippert)  XII,    168. 

.5(M).    Fugger,   Eishöhlen    und   Windröhren    (Prem)    XITI,     364;    XIV,     185; 

XV,  392; 

.501.  Gädeke,   Zur  Feier  des   800jährigen  Regierungsjubiläums  des  Hauses 
Wettin  (Lippert)  XII,    167. 

502.  Gallen  St«.  Mittheikuigen  des  historischen  Vereines  von    Thommen)  XV.  179. 

503.  Ganter,  Bezelin  von  Villingen  und  seine  Vorfahren  (Kedlich)  XVI,  380. 
Ü04:.  Gärtner,  Johann  Pauspertl  von  Drachenthal  (Prem)  XII,   359. 
.505.  Gebhardt,  Handbuch  der  deutschen  Geschichte  (Krones)  XIV,   493. 
.50(>,  Gelcich,  Piero  Sordini  profugo  a  Ragusa  (Prem)  XVI,   373. 

507.    German.  Museum  zu  Nürnberg,  Kaiserurkundendes  (Winkelmann)  XII,  366. 
.508.    Geschicht-quellen     Osnabrücker,     1. — 3.    Bd.    (Ottenthai)    X\',     136; 

XVI,  183;  XVIII.   209. 


XXX 

.W.).    (ilicrgcl,   Zur   (Jcscliiclite   S'KilK'ubürgcus   (Jung)   Xfll,    52 Ti. 

510.    Uiese,    Ivudolf    I.    von    Hiibslnn«,'     und     die    römische    Kaiserkrone    (Oito) 

XVI,  185. 
.')11.    trindely,      (reschichte      der     degenreformation      in     Böhmen     (Huber) 

XV.   B93. 

512.  Giry,  Manuel  de  diplomatique  XVI,  176. 

513.  —  Dates  des  deux  diplomes  de  Cliarles-le-Chauve  pour  1' abbaye  des  Fosses 
(Mühlbacher)  XVlll,  206. 

514.  —  Etudes  carolingiennes  (Mühlbacher)  XVIEl,  206. 

515.  Gitterraanu,  Ezzelin  von  Romano  (Vancsa)  XVIII,  212. 

öK).    (rlagau,  Die  französische  Legislative  und    der  Ursprung    der    Revulu- 

tionskriege  (Schütter)  XX,   346. 
'Ai.    Gloria,    Autografo    d'Irnerio    e    origine    della    Universitä    lii    Bologna 

(Luschin)   XI,    147. 
.')l,s.    —    Monumenti    della    Universitä    di    Padova    12  22 — 1318    (Luschin) 

XI,    147. 
."iiy.    —    Monumenti    della    Universitä    di    Padova    13  IS — 1405    (Luschin) 

XI,    147. 
.V20.    —  Monumenti  della  Universitä  di  Padova   1222 — 1  3 1  .S   difesi  contro 

il  Padre  Enrico  Denifle  (Luschin)  XI.    147. 
.■>21.    Goldschmidt,  Universalgeschichte  des  Handelsrechts  (Schaube)  XIII,  334. 

522.  Goll,  Cechy  a  Prusy  ve  stfedoveku  (Böhmen  und  Preusseu  im  Mittel- 
alter) (Bretholz)  XX,   33  1. 

523.  Gottlob,  Aus  der  Camera  apostolica  des  1 5.  Jahrh.  (Ottenthai) 
XI,   478. 

.V24.  —  Die  päpstlichen  Kreuzzugs-Steuern  des  1 3.  Jahrhunderts  (Stein- 
herz) XIV,    500. 

525.  Grillitsch,  Die  Zusammensetzung  des  Kurfürstencollegiums  (Prem) 
XIX,    728. 

526.  Gropplero,  Memorie  storiche  dei  tre  ultimi  secoli  del  patriarcato  d'  Aquileia 
1411  —  1751  (Ottentbai)  XL,  509. 

.')27.    Gross    K.,     Lehrbuch     des     katholischen     Kirchenrechts     (Höi'mann) 

XV,   531. 
r>2S.    Grot,  Iz  istorii  Ugrii  i    Slavjanstva   v    XII    vjeke   1141  — 1173   (Aus 

der  Geschichte    Ungarns    und    des    Slaventhums    im    12.  Jahrhundert) 

(Milkovicz)  XIV,   359. 

529.  Grotefend.  Zeitrechnung-  des  deutschen  Mittelalters  und  der  Neuzeit  H,  1 
(Redlich)  XV,  174. 

.'>30.  Gstirner,  Ueber  die  bambergische  Waldordnung  vom  22.  December 
1584   (Prem)   XVII,    6  85. 

.Vil.    Gubo,   Graf  Friedrich  11.  von   Cilli   (Prem)  XII,   356. 

r>32.    —  Der  Cillier  Erbstreit  (Prem)  XV,   387. 

.'»33.  —  Steiermark  während  des  österreichischen  Erbfolgekrieges  (Prem) 
XVIII,    670;  XIX,    725. 

.')34.  Günther,  Geschichte  des  Feldzuges  von  ISOO  in  Ober-Deutschland, 
der  Schweiz  und   Ober-Italien   (Criste)   XVII,    506. 

r)3.').  —  Der  Feldzug  der  Division  Lecourbe  im  Schweizerischen  Hochge- 
birge   1799   (Criste)   XX,   352. 

536.  Güterbock,  Der  Friede  von  Montebello  und  die  Weiterentwicklnug  des 
l.diulmrdciibuudes  (Vancsa)  XX,  3,")!). 


XXXI 

.■);{;.    riug-iia,   Zur  Geschichte  einiger   Reichsstädte   in   -len  hjtzen  Zeiten  des 

Keiches  (Prem)  XV,   38U. 
.Vis.    (Tuilhiermoz,  Enquetes  e  proces.     Etüde  sur  la  procedure  et  le  fonc- 

tionnement  du  parlement  au   14^  siecle  (Cartellieri)  XIX,   365. 
.UO.    (lundel,    Die    Wege    Adalberts,    des  Bischofs    von  Prag  im  Preussen- 

land  (Kaindl)  XX,   642. 
Ö41.    Gundlach,    Heldenlieder    der    deutschen    Kaiserzeit   i.    Bd.   (Ottenthai) 

XVI,   357.  ' 

542.    Grappenberger,  Der  Pagas  (irunzwiti  (Prem)  XX,   5()o. 
.543.    Gutsche    und    Schultze,    Deutsche    Geschichte    von    der  Urzeit    bis  zu 

den  Karolingern   (Jung)  XVTI,   673. 

.">44.    .Haake,  Brandenburgische    Politik    und    Kriegführung    in  den  Jahren 

1688—1689   (Pribram)  XIX,   719. 
.54.').    Halban-Blumenstok,   Entstehung  des  deutschen  Immobiliareigenthumes 

(Schwind)  XVUI,   37  2;    vgl.  Blumenstok. 
54(;.    —  Zur    Geschichte    des    deutschen    Rechtes    in    Podolien,    Wolhynien 

und  der  Ukraine  (Milkowicz)  XIX,   559. 
547.    Hündcke  Erw.,  Die  mundartlichen  Elemente  in  den    elsässischen   Urkunden 

des  Strassbuvger  Urkundenbuches  (Vancsa)  XVI,  181. 
.54s.    Haffter,  Georg  .Jenatsch  (Reinhardt)  XVIII,  394. 
54i>.    Hagemans,    Vie    domestique    d"  un    seigneur    chätelain    du    moyen-äge 

(Lippert)   XI,   335. 
5.50.    Hagenmeyer,  Galterii  Cancellarii  Bella  Antiochena  (Röhricht)  XVIII,  635. 
.551.    Haller,  Concilium  Basiliense  (Loserth)  XVIII,   655. 
5.52.    Hamberger,  Die  französische  Invasion  in  Kärnten  im  J.   1809  (Prem) 

XI,   353;  XIV,    181;  XVI,   372;  XVIII,   671. 
552  a.  Hammer,  Die  Bauten  Herzog  Siegmunds  d.  Münzr.  von  Tirol  (Redlich)  XX,  692. 
552  b.—  Literarische  Beziehungen  u.  musikalisches  Leben  des  Hofes  Herzog  8ieo-- 

munds   von  Tirol  (Redlich)  XX,  692. 
.553.    Hampe,  Geschichte  Konradins  von  Hohenstaufen  (Vancsa)  XVII.    187. 
.5.54.    Hartel  und  WickhofiF,  Die  Wiener  Genesis  (Hann)  XVIII,    193. 

555.  Harteliana  Serta  XVHl,  201. 

556.  Hartmann  L.  M.,  Eine  Urkunde  einer  römischen  Gärtnergenossenschafi;  vom 
Jahre  1030  XV,  169. 

557.  —  Ueber  die  üatirung  mit  conside  (Hedlieh)  XV,  174. 

.5.5s.    —   Ecclesiae   S.   Mariae  in   Via  Lata   Tabulariura    921 — 1045   (Tano-1) 

XVIII,   6  26. 
.5.59.    —  Geschichte  Italiens  im  Mittelalter   J.  Bd.   (Jung)  XIX,   709. 
560.    —  Iter  Tridentinum  (Jung)  XX,  519. 

.501.    Hartmann  V.,  Das  seenreiche  Keutschachthal  (Prem)  XII,   360. 
.562.    Haueis,    Zur    Geschichte    des    höheren    Schulwesens    in  Baden  (Prem) 

XI,   356. 
.563.  Hauser,  Die  alte  (beschichte  Kärntens    von    der  Urzeit    bis    Karl    dem 

Grossen  (Jung)  XVI,    136. 
.564.    Hauthaler,    Ein    salzburgisches    Eesristerbuch    des    14.    Jahi-h.    (Prem) 

XV,    387. 
.565.  —   Die  Arnonischen  Güterverzeichnisse  (Prem)  XX,   500. 
566.    Hauviller.  Ulrich  von  Cluny  (Holzer)  XIX,  732. 
.567.    Havet,   Lettres   de   (ierbert   (983 — 997)   (Erben)   XI,    173. 


XXXII 

5(H.    ILivct,  (juestioiis   Moniviiitficniics  XII,  3()3  . 

:,{ii),    ilayn,   Kitter   Hilger   Qaattermart  von   dor  Stesscu  (Uhlirz)  XVII,  :>;G. 

r»70.    Hechtellner,   Zur  Geschichte    des  Schlosses    und    Gerichtes   Vellenberg 

(Prem)   XIX,    725. 
071.    Heck,   Das  städt.  Archiv  in   Wadovvice  (Prem)  XI.   35  8. 
r,;2.    —  Die  Stadtarchive    in    den    Fürstenthümern    Auschwitz    und    Zator 

(Prem)  XIII,   364. 
r>7:}.    Hegel,     Das     erste    Stadtrecht    von     Freiburg     im    Breisgau    (Uhlirz) 

XIX,  174. 

074.  Heger  C,  Zum  (Gedächtnisse  Adalberts,  des  ersten  Apostels  der  Preussen 
(Kaindl)   XIX,   535. 

:üö.  Hein,  Mäander,  Kreuze,  Hakenkreuze  und  urmotivische  Wirbelorna- 
mente in  Amerika   (Prem)   XIII,    362. 

576.  Heinemann,  Beiträge  zur  Diplomatik  der  älteren  Bisehöfe  von  Hildesheim 
1130—1246  (Redlich)  XIX,  392. 

577,  Helfert.  Staatliches  Archivwesen  (Redlich)  XV.   175. 

:üs.    Henner,    Beiträge    zur    Organisation    und    Competenz    der    päpstlichen 

Ketzergerichte  (Loserth)  XII,   66'. 
:u*j.    Herbert,    Der    Haushalt    Hermannstadts    zur     Zeit    Karls    VI.     (Schalk) 

XV,    157. 
580.    Herre.    Ilseburcrer    Aunalen    als    Quelle    der    Pöhlder    Chronik    (üttenthal) 

XV,  181. 
.'i.sl.    Herrmann  August,   Zur    Verwaltungsgeschichte    der    Stadt    St.  Polten 

(Prem)  XI,   353;  XII,   356;  XIV,    ISO. 
r,S2.    —  Zur    Geschichte    der    Schulverhältnisse    St.  Pöltens  von  der  Mitte 

des    16.  bis  gegen  Ende  des   18.  Jahrh.  (Prem)  XV,   386. 
:,,S3.    —  Das  Archiv   der  Stadt  St.  Polten  (Prem)  XVHI,   669,  XIX.    723; 

XX,  49  7. 

r>S4.  Hertzberg  G,,  Geschichte  der  Stadt  Halle  an  der  Saale  von  den  An- 
fängen bis  zur  Neuzeit  (Uhlirz)   XVII,    317. 

5s.>.  Hes,  Ueber  den  Eintiuss  des  Johann  Vite2  von  Zredno  und  des  Georg 
von  Podiebrad  auf  die  VV^ahl  des  Mathias  Corvinus  zum  ungarischen 
König  (Prem)  XV,   392. 

586.    Hettner  und  Sarwey,  Limesstudien  (Jung)  XVIIl,  202. 

TtS't.  Heyck,  Geschichte  der  Herzoge  von  Zähringen  (Ottenthai)  XIV,  661  ; 
vgl.  XVI,   380. 

.•),s8.  —  Urkunden,  Siegel  und  Wappen  der  Herzoge  von  Zähringen  (^Otten- 
thal)  XIV,   66  1. 

.•),s!>.  Heyd,  Beiträge  zur  Geschichte  des  deutschen  Handels.  Die  grosse 
Kavensburger  Gesellschaft  (Heyck)   XII,   351. 

•V.M).    —  Bibliographie  der  württembergischen  Geschichte  (Schön)  XIX,  230. 

.V.U.  Heydenreich  und  Knauth,  Die  Beziehungen  des  Hauses  Wettin  zur 
Berghauptstadt  Freiberg  (Lippert)   XII,    161- 

592.  Hidber.  Diplomatisch-kritische  Untersuchung  der  Berner  Handfeste  (Red- 
lich) XV,   170. 

.V.»;j.  Hipler,  Boga  rodzica.  Untersuchungen  über  das  dem  hl.  Adalbert 
zugeschriebene  älteste  polnische  3Iarienlied  (Kaindl)   XIX,   53S. 

.V.>4.    —   Zum   St.   Adalbertsjubiläum   997  — 1897   (Kaindl)  XIX,   539. 

5!I5.  Hirn,  Die  Tiroler  Landtage  zur  Zeit  der  grossen  Bauernbewegung  (Red- 
lich) XVI.  188. 

.•»91».    Hüldbaum,    Hansisches   Urkundenbuch   3.  Bd.   (Uhlirz)  XI,   6  53. 


xxxnr 

,-»;>;.  ^  ttünfger,     KölufV    Öcbjümciuikimdcn     ties      J  2.     Jahrlmndrris     ( ühlirz) 

XIX,    173.  ^  ' 

598.    Hofraanii-Wellenhof,  Leben  und  Schriften  des  Doctor  Johannes  Hinderbach 

Bisehofs  von  Trient  1465— 148(;  (Redlich)  XV,  187. 
.-)!«).    Hofmeister,   Das  Haus  Wettin  von  seinem  Ursprünge  l)is  zur  neuesten 

Zeit  (Lippert)  XV,    174. 
(}00.    Holder,    Die    Designation    der    Nachfolger    durch  die  Päpste  (Holzer) 

XVI,   360.  ^ 

601.    Holzer,  Die  geschichtlichen  Hanrlschriften   der  Melker   Bibliothek  (Redlich) 
XIX,  395. 

(502.    Holzhaus,    Herzog    Heinrich    der    Fromme,    der  (Gründer    MarienberffS 

(Lipiert)  XII,    162. 
(:o:{.    Holzner,  Die  deutschen  Schachbücher  in  ihrer  dichterischen  Eigenart 

gegenüber  ihrer  Quelle,  dem  lateinischen  Schachbuche  des  Jacobus  de 

Cersolis  (Prem)  XIX,   728. 
(;()4.    Hoogeweg,   Die  Schriften  des  Kölner  Domscholasters,  späteren  Bischofs 

von  Paderborn  und  Kardinalbischofs  von  S.  Sabina  Oliverus  (Röhricht) 

XVI,  .539.  ^  ^ 
(50.').    Hopf,    Anton    Wolfradt,    Fürstbisch,    von  Wien    und    Abt    des  Bened. 

Stiftes  Kremsmünster  (Prem)  XIII,   357;  XIV,    180;  XV,   385. 
(JO«.    Hopfen,    Kaiser   Maximilian     II.     und     der     Kompromisskatholizismus 

(Steinherz)  XX,   335. 
607.    Horcicka,   Einige  Ennser  Urkunden  der  Neuzeit  (Prem)  XI,   354. 
«OS.    —  Die  Lateinschule  in  Schlaggenwald  1554 — 1624  (Prem)  XVI,  371. 
<;o;>.    —  Das  geistige  Leben  in  Elbogen  zur  Zeit  der  Reformation    (Prem) 

XVII,  684.  ^  ^ 
(>10.    Hossinger,  Ein    Beitrag  zur  Geschichte    der    ersten   Türkenbelagerung 

Wiens  im  Jahre   1529   (Prem)  XIX,   723. 
«;il.    Huber,  Oesterreichiscbe  Reichsgeschichte  (Schwind)  XVII,    177. 

012.  —  Geschichte  Oesterreichs    4.  und    5.  Bd.  (Zwiedineck)' XVIII,   390. 

013.  Hueber^  Michael  Pfurtscheller  von  Fulpmes,  ein  Tiroler  Schützen- 
hauptmann aus  dem  J.    1809   (Prem)  XIII,   358. 

614.    Hübner,  Gerichtsurkiinden  der  fränkischen  Zeit  (Mühlbacher)  XV,  167. 
01.5.    Hug,   Die  Kinder  Friedrich  Barbarossas    (Scheffer-Boichorst)  XI,   642. 
OK».    Hüttebränker ,    Der    Minoritenorden    zur    Zeit   des    grossen    Schismas 
(Holzer)  XV.    151. 

617.  Jacob  Georg,  Ein  arabischer  Berichterstatter  aus  dem  10.  oder  11.  Jahrh. 
über  Fulda.  Schleswig,  Soest,  Paderborn  und  andere  deutsche  Städte 
(Schulte)  XII,  365. 

(»is.  Jacob  Karl,  Die  Erwerbung  des  Elsass  durch  Frankreich  im  West- 
fälischen Frieden  (Hirn)  XIX,   718. 

010.  Jäckel,  Kirchl.  und  religiöse  Zustände  in  Freistadt  während  des  Re- 
formations-Zeitalters (Prem)  XI,   353;  XII,   356. 

020.  —  Zur  Frage  über  die  Entstehung  der  Täufergemeinden  in  Ober- 
österreich (Prem)  XVII,   687. 

021.  Jabr,  Die  Wahl  Urban   VI.   1378   (Holzer)  XVI,    147. 

622.  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für  Lothringische  (Jeschichte  und  Alterthums- 
kunde.  (1888—89)  XI,  510;  (1890—92)  XV.   178;  (1893-96)  XIX,  389. 

62».  Jahrbuch  der  kunsthistorischen  Sammlungen  des  Allerhöchsten  Kaiser- 
hauses  14. — 16.  Bd.  (Laschitzer)  XV,    159,   695;  XVII,   356- 

3 


XXXIV 

ti'24.    Jal\8rh.   l»ic  iiltosieii  Sii'gt"!   <ler  liisulu'il'e  nml   tles  CnpÜclt;    von   (iurk    iTIeil- 

lich)  XVI,  181. 
(>25.   —  Monuraenta     histor.    ducatus     Cariiithiae.     Die    Gurker    (jcscbichts- 

qiiellen   1.  Bd.  (Redlich)  XVIII,   378. 
()26.    Jan,  Das  Elsass  zur  Karolingerzeit  (Mühlbacher)  XV,   182. 
({2<.    Jecht,     Codex     diplomaticus     Lusatiae     superioris     2.     Bil.     (Lippert) 

XIX,    373. 

()28.  .lirecek  Constantin,  Das  christliche  Element  in  der  topographischen  Nomen- 
klatur der  Balcanländer  (Juug)  XIX,  888. 

(;*Ji>.  Jirecek  Hermeiiegild,  Tuser  Reich  vor  zweitausend  Jahren  (Jung) 
XV,    37  4. 

(130.    —    Unser  Keiih  zur  Zeit  der  Geburt  Christi  (Jung)  XlX,  387. 

«531.    ilgen,  Zur  Herforder  Stadt-Gerichtsverfassung  (Uhlirz)  XVII,   317. 

(532.  —  Uebersicbt  über  die  Städte  des  Bistums  Paderborn  im  Mittelalter 
(Uhlirz)  XVII,   017. 

(>83-    —  Geschichte  und  Verfassung  von  Soest  (Uhlirz)  XIX,    175- 

634.  Uwof,  Zur  Geschichte  des  Krieges  von  1809  in  Steiermark  (Prera) 
XIX,  576. 

635.  —  Briefe  des  Erzherzogs  Johann  an  die  Grafen  Ferdinand  und  Ignaz  Attenis 
(Prcm)  XIX,  576. 

t)36.    —  Franz  Freiherr  von  Kalchberg  1807—1890  (Prem)  XiX,  576. 

($37.  Inama- Sternegg,  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte  3.  Bd.  1.  Theii 
(Schalk)  XX,   663- 

038.  Innerösterreicb,  Die  historische  periodische  Literatur  1892 — 1894 
(Jaksch)  XVII,   510- 

(;3«).    Joacbirasobn,  Gregor  Heimburg  (Bachmann)  XIII,   341. 

(;40.  —  Die  humanistische  Geschichtschreibung  in  Deutschland  (Hofmann- 
Wellenhof)  XVIII,   659. 

641.  Joerres,  Die  6656  Hufen  der  Abtei  St.  Maximin  XI,  503. 

642.  Joppi,  Di  Civedale  del  Friuli  e  dei  suoi  ordinamenti  amministrativi,  giu- 
diziari  e  militari  (Redlich)  XV.  185. 

643.  —  II  castello  di  Moruzzo  ed  i  suoi  signori  (Ottenthai)  XVIII,  689. 

644.  Isenbart.  Ueber  den  Verfasser  und  die  Glaubwürdigkeit  der  l'ontinuatio 
Reginonis  XII,  364. 

(J4r>.    Jürgens,     Die    Quellen     der     stadthannoverschen     Geschichte    (Uhliiv.) 

XIX,    175. 
(;4(5.    Juritsch,  Geschichtliches  von  der  kgl.  Stadt  Mies  in  Böhmen   (Prem) 

XVII,   683. 

r.47-    Kaemmei,  Deutsche  Geschichte  (Krones)  XI,   45  3. 

(;4,S-    —    Ein    Gang    durch    die    Geschichte    Sachsens    und    seiner    Fürsten 

(Lippert)  XI]    17  7- 
(;4{>.  —  Illustrirte  Weltgeschichte  (Krones)  XV,   691. 
650.    Kaindl,  Ueber  den  Verschluss    der   päpstlichen    Documente    im   Xilb    Jahr- 

hundeit  (Tangl)  XVI,  180. 
(;r>l.    Kallsen,   Die  deutschen  Städte  im  Mittelalter   (Uhlirz)   XVI,    52  4. 
«J.V2.    Kaltenbrunner,    Aktenstücke    zur    Geschichte    des    deutschen    Reiches 

unter  den  Königen  Rudolf  I.  und  Albrecht  I.   (Busson)  XII,   345. 
<;r,3.    Karäczonyi,  Szent  Istvän  Kiräly  oklevelei  es  a  Szilveszter  buUa    (^Die 

Urkunden  König  Stefans  des  Heiligen  und  die   Silvesterbulle)  (Aldäsy) 

XIV,   50  9. 
«54.  Karschulin,    Zur    Geschichte    der    österr.    Seidenindustrie    (Prem)  XD, 

359:    XIII,    35 S. 


XXXV 

er,,"».  Katalu.i;  ilcr  BililiuUiek  der  cvaugolisclien  J/afide^kiruhc  A.  15.  in 
Siebenbürgen  XI,    184, 

(>,')(>.  Katalog  der  Bibliotheks-Abtheilung  des  k.  u.  k.  Kriegsarcbivs 
(Donabaum)  XX,   35(). 

(}54-  Katschtbaler.  Heber  Beruhard  Pez  und  seinen  Briefnachlass  (Prem) 
XI,   354. 

(}r>,S.  Katz,  Annalium  Lauresliainensium  editio  emendata  secunduni  cod.  St. 
Paulensem  XXV  c/32   CA   (Prem)  XI,   35  4. 

(»öt).  —  Der  Gang  der  Erwerbung  Kärntens  durch  die  Habsburger  und 
die  sagenhaiten  Heereszüge  der  Margarete  Maultasche  (Prem)  XIX, 
72S;  XX,   501. 

HGO.  Kauffer,  Beschreibendes  Verzeichnis  der  Handschriften  der  Stadtbibliothek 
zu  Trier  XL  501. 

(>(J1.  Kaufmann,  Die  Geschichte  der  deutschen  Universitäten  (Thommen) 
XI,    179;   XX,    329. 

(J(J2.    —    Zur  Entstehung  des  Städtewesens   (Uhlirz)  XV,   48«. 

6«3.    Kaypers,  Studien  über  Rudolf  den  Kahlen  (Uttenthal)  XYI,   184. 

664.    Kehr,  Kaiserurkunden  des  vatic.  Archivs  XI,  501. 

665. .  —  Leber  den  Plan  einer  kritischen  Ausgabe  der  Papsturkuuden  bis  Inno- 
cenz  IIL    cMühlbacher)  XVIII,  205;  XX,  357. 

666.  —  L'eber  eine  römische  Papyrusurkunde  im  Staatsarchiv  zu  Marburg  (Mühl- 
bacher) XVIII,  208. 

({(>7-  Kemetter,  Flavio  Biondos  Verhältnis  zu  Papst  Eugen  IV.  (Prem) 
XVIII,   672. 

({(>,<s.  Kampf,  Geschichte  des  deutschen  Reiches  während  des  grossen  Inter- 
regnums   1245  — 1273   (Vancsa)  XVH,    187. 

«>1)9.    Ketrzynski,    Najdawniejoze    zywoty    sw.  Wojciecha  (Kaindl)  XX,   643. 

(;ro.    Keussen,  Die  Matrikel  der  Universität  Köln  l  3S9-1558  (Eichler)  XIV,  671. 

(J/l.  Keutgen,  Untersuchungen  über  den  L^rsprung  der  deutschen  Stadt- 
verfassung (Uhlirz)  XIX,    173. 

(w"2.  Khull,  Des  Kitters  Hans  von  Hirnheim  Reisetagebuch  aus  dem  Jahre 
1569    (Prem)   XVIII,    669;   XIX,   724- 

()73.    Kiem,    Geschichte    der    Benedictinerabtei    Muri-Gries    (Redlich)     XI,    507; 

XV,  189. 

(JT-t.    Kindler    von    Knobloch .      Oberbadisches     Geschlechterbuch     (Schön) 

XVI,  688. 

(>75.    Klement,  Einige  Notizen  über  den  Magistrat  der  kgl.  Stadt  Mährisch- 

Neustadt    im     17.,     besonders    im     18.    Jahrh.     (Prem)    XII,     356; 

XV,   387. 
({;<;.    —  Arion  (Prem)  XX,   499. 
(h7.    Klopp,  Der  dreissigjährige  Krieg  bis  zum  Tode  Gustav    Adolfs    1632 

(Huber)   XIV,   379;  vgl   XV,    394,   396,    664;   XVI.    662. 
(Ji8.    Kluibenschedl,  Erzherzog  Ferdinand  II.  von  Tirol  als  Schauspieldichter 

(Prem)  XIII,   861. 
679.    Kneer,  Kardinal  Zabarella  (Holzer)  XVI,  185. 
(j80.    —  Die  Entstehung  der  konzUiaren  Theorie  (Holzer)  XVIII,  216. 
«81.    Kniecke,    Die    Einwanderung    in    den    westfälischen    Städten    (Uhlirz) 

XVII,  317. 

682;    Knott,   Michael  Stüeler,  ein  Lebens-  und  Sittenbild   aus  der  Zeit  des 

30jährigen  Krieges  (Prem)  XX,   499. 
683-    Kobell,    Kunstvolle    Miniaturen    und    Initialen    aus  Handschriften    des 

3* 


XXXVI 

4.   bis    10.  Jalirh.  mit  Berücksichtigung  der  iu   der   llul-   und  Slaats- 

bibl.  zu  München  betindlicben  Mauuscripte  (Schlosser)  XI,   Gös. 
(J84.    Koebiie.    Der    Ursprung    der    Stadtverfassung    in    Worms,   Speier  und 

Mainz   (Uhlirz)   XV,   488- 
(js.V    —  Das  Hansgrafenamt    (Uhlirz)  XIX,    174. 
0,S(>.    Köln,    Beiträge    zur  Geschichte    vornehmlich    von   —    und  der  Eheiu- 

lande  (Uhlirz)  XVII,   316. 
687.    König',  Die  päpstliche  Kanuiiei-  unter  Clemens  V.  undJohanu  XXII.  (Tanol) 

XV,  173. 
(J88.    Kolberg,  Bilder  aus  dem  Leben  des  hl.   Adalbert  (Kaindl)  XIX.   536. 
^.gy    . —  Ein  Brief   des  hl.    Adalbert  von  Prag    an    den    Bischof  Milo  von 

Minden  aus  dem  J.  993   (Kaindl)   XIX,   .536. 
<;90.    Kopallik,    Regesten    zur    Geschichte    der    Erzdiöcese    Wien    (Dopsch) 

XVIII,   648. 
«Dl.    Korth,  Köln  im  Mittelalter  (Uhlirz)  XVII,   316. 
682-    Kozak,    Ueber    den    Streit    des  österreichischen    Herzogs  Friedrich  II. 

(Prem)  XVHI,   67  2. 
693.    Krackowizer,  Ergebnisse    der  Besichtigung   der   vorzüglichsten  Archive  der 

Städte,  Märkte,  und  Comnninen  von  Oberösterreich  (Redlich)  XVIII,  209. 
{;94.    Kralicek,  Hercynia,  Fergunna,   Krknose  (Prem)  XII,   35  8. 
(.«)5     —  Die  sarmatis(;hen  Berge,  der  Berg  Peuke  und  Karpates  des  Clau- 
dius Ptolemaeus  (Prem)  XVI,   374- 

696.  —  Die  Donauvölker  Altgermaniens  (Prem)  XIX,   727. 

697.  Kretschmayr,  Das  Original  der  Reichshofkanzleiordnung  Kaiser  Ferdinands  I. 
vom  Jahre  1559  XVIII,  219. 

698.  —  Ludovico  Gritti  (Steinherz)  XiX,  735. 

(;99.  Kretzschmar,  Die  Formularbücher  aus  der  Canzlei  Rudolfs  von  Habs- 
burg (Redlich)  XI,   330. 

700.  Krones,  Tirol  1812 — 1816  und  Erzherzog  Johann  von  Oesterreich 
(Prem)  XII,   670- 

701.  __  Festschrift  XVIII.  200. 

702.  Krüger,  Der  Ursprung  des  Hauses  Lothringen-Habsburg  (Redlich)  XVI.  379. 

703.  -  Zur  Herkunft  der  Zähringer  (Redlich)  XVI,  380. 

704.  Krumbacher,  Geschichte  der  byzantinischen  Literatur  von  Justinian 
bis  zum  Ende  des  oströmischen  Reiches  2.  Auflage  (Jung)  XIX,  199. 

70:>.  Kruse,  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Strassburg  besonders  im  12. 
und   13.  Jahrhundert  (Uhlirz)  XVI,   524. 

-^^^^,    —  Die  Kölner  Richerzeche  (Uhlirz)  XVII,   316. 

707.  —  Excurs  ülier  die  ältere  Gerichtsverfassung  der  Stadt  Köln  (Uhlirz) 
XVII,   316. 

TDK.  Krzyzanowski,  Dyplomy  i  Kancelaryja  PrzemysJawa  II.  (Das  Urkunden- 
wesen und  die  Kanzlei  Przemystaw's  IL  von  Grosspolen,  (Kratochwil) 
XIV,   510. 

709.  Kubitschek,  Vindobona  (Prem)  XV,   388. 

710.  —  und  Frankfurter,  Führer  durch  Cavnuntum  (Jung)  XVIII,  202. 

711.  Küntzel,  Ueber  die  Verwaltung  des  Mass-  und  Gewichtwesens  in 
Deutschland  während  des  Mittelalters  (Uhlirz)   XIX,    174. 

712.  Kürschner.  Regesten  zur  Geschichte  Jägerndorfs  unter  den  Herrschern 
aus  dem  Hause  Brandenburg   1523  —  1622   (Prem)  XIV,   181. 

713.  Kimlcr.  Eine    neue  Hfindsfhvift    der  Chronik   Alberts  von  Aachen  XV,   181. 


XXXVTT 

714.  Kugimer,  Die  Bischofswahlen  in  üeui-schland  zur  Zeit  des  grossen 
Schismas  1378 — 14 LS  vornehmlich  in  den  Erzdiöcesen  Köln,  Trier 
und  Main/  (Tangl)  XV,    150. 

715.  Kuun,  Relatiouum  Hungarorum  cum  orieute  geiitibusque  Orientalis  originis 
historia  antiqnissima  (Jung)  XVII,  205. 

710.  Kunsttopographie  österreichische    1 .  Bd.  Kärnten  (Laschitzer )  XII,  3  1 4. 

717-    Kuntze,     Die     deutschen     Städtegründungen    oder    Kömerstädte     und 

deutsche  Städte  im  Mittelalter  (Uhlirz)  XV,   488. 

718.  Kunz,  Oesterreich  und  der  spanisch-englische  Heirathsplan  vom  Jahre 
1623   (Prem)  XVIL   684. 

719.  Kupelwieser,  Die  Kämpfe  Ungarns  mit  den  Osmaneu  bis  zur  Schlacht  bei 
Mohacs  1526  (Criste)  XIX.  735. 

720.  —  Die  Kämpfe  Oesterreichs  mit  den  Usmauen  vom  Jahre  1526—1537 
(Criste')  XX,  689. 

721.  Lampel,  Salzburger  Goldwert  um  1284  XII,  368. 

722.  —  Urkundenbuch  des  aufgehobenen  Chorherrnstiites  St.  Polten  (Ked- 
lich)  XV,   380. 

723.  Lamprecht,  Der  ürspi'ung  des  Bürgerthums  und  des  städtischen 
Lebens  in  Deutschland  (Uhlirz)  XV,   489. 

724.  —  Deutsche  Geschichte   •^.  Bd.   2.  Th.  (Rachfahl)  XVIL   468. 

725.  Lange,  Die  Annales  Pisani  und  Bernardo  Maragoue  (Vaucsa)  XX,  3'jO. 
72(t.    LangL   Die  Habsburg  und  die  denkwürdigen  Stätten  ihrer  Umgebung 

(Prem)  XVII,   687. 

727.  LapOtre,  L'Euvope  et  le  Saint-Siege  ä  l'epoque  Carolingienne  (Ki-usch) 
XVIII,   376. 

728.  Lastig,  Beitrag  ziu-  Handelsgeschichte,  über  Markenschutz  und  Zeichenregister 
(Schum)  XI,  499. 

729.  Lau.  Die  erzbisch.  Beamten  in  der  Stadt  Köln  während  des  zwölften 
Jahrhunderts  (Uhlirz)   XVII,   316. 

730.  —  Entwicklung  der  kommunalen  Verfassung  und  Verwaltung  der 
Stadt  Köln  bis  zum  Jahre   1396   (Uhlirz)  XX.    113. 

731.  Lea,  The  Absolution  Formula  of  the  Templars   (Gmelin)   XV,    148. 

732.  Lechner,  Ein  Beitr.  z.  Gesch.  der  Hannöver'schen  Mission  (Prem)  XII,  357- 
733-    —  Zur  Geschichte  des    ehemaligen    Franciskanerklosters    in  Kremsier 

(Prem)   XVII,   685. 

734.  Lefranc,  Histoire  de  la  ville  de  Noyon  et  de  ses  institutions  jus- 
qu'ä  la  fin  du  XIII^  siecle  (Uhlirz)  XI,   468- 

735.  Leicht,  I  diplomi  imperial!  concessi  ai  patriarchi  d'  Aquileja  (Mühlbacher) 
XVIIL  207. 

736.  Leist,  Urkundenlehve  2.  Auflage  (Redlich)  XV,  169. 

737.  —  Die  Notariatssignete  (Lippert)   XVIII,   635- 

738.  Leitzinger.  Die  Bevölkerungsbewegung  in  Vorarlberg  seit  1837  und 
der  Stand  der  Bevölkerung  im  Jahre  1890  (Prem)  XVH,  689;  XVIII. 

674;  XX.   502. 

739.  Lenel,  Studien  zur  Geschichte  Paduas  und  Veronas  im  Xlll.  Jahrhundert 
(Vancsa)  XVIII,  213. 

740.  —  Die  Entstehung  der  Vorherrschaft  Venedigs  au  der  Adria  (Vancsa) 
XX,  359. 

741.  Lentner,  Die  Stadt  Bozen  in  Feindeshand  (Prem)  XX,  520. 

742.  —  Die  Franzosen  in  Brixen  (Prem)  XX,  520. 

743.  —  Die  Weiberwacht  zu  Villanders  (Prem)  XX,  .520. 

744.  —  Der  Separatfriede  von  Sähen  (Prem)  XX,  520. 


XXXVIII 

71.'}.    Leutrum.    Cieschichte    des    Keichsfreibeirlicljcn    uud    (h-äflicbeu   Hauses 

Leutrum  von  Ertingen  fSchön)  XV,   63B. 
74«.    Levec.   Die  Einfälle  der  Türken  in  Krain  und  Istrien  (Prem)  XIII,  3  Gl. 

747.  Lewinski,  Die  Braudenburgische  Kanzlei  nnd  das  Urkundeuwesen  während 
der  Regierung  der  beiden  ersten  HohenzoUer'schen  Markgrafen  1411  —  1470 
(Redlich)  XV,  173. 

748.  Liesegang.  Zur  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Köln  (Ublirz)  XVII.  316. 
;^cj.    _   Eecht  und  Verfassung  von  Eees  (Uhlirz)  XVII,   317- 

7,')0.  Lindnor  Tb.,  Deutsebe  Gescbicbte  unter  den  Habsburgern  und 
Luxemburgern    1273—1437    1.  Bd.  (Huber)  XH.  350;  2.  Bd.  (Losertb) 

XVI,  36 n. 
751.    —  Die  Fabel  von  der  Bestattung  Karls  des  Grossen  XV,  182;  (Miüdbaclier) 

XVIII.  206. 
7.-)2.    Linbart,   Das   Prämonstratenserstift   Strabow  und    seine   Aebte   (Prera) 

XUl,    360. 

7.-,:j.    Lippert  Julius.   Die  Knecbtscbaft  in  Böhmen    (Milkowic)  XV,    138- 

754.    Socialgescbicbte  Böhmens  in  vorbussitischer  Zeit  (Bretbolz)  XVIII, 

624;  XX.   667. 

-,:iö.  Lippert  Waldemar.  Die  Wettiner  und  Wittelsbacher  sowie  die  Kieder- 
lausitz  im  XIV.  Jahrhunderte  (Steinherz)  XVII.   350. 

7.-,ü.    Lobe.  Der  Staat;- haushält  des  Königreichs  Sachsen  (Lippert)  XII.  176. 

7.-)7.    Lüher.   Archivlehre   (Budinszky)   XII.    354. 

7.',,s.    Lössl.  Das  ßegensburger  Hansgrafenamt  (Ublirz")  XX.    113. 

7.V,».  Lövinson.  Beiträge  zur  Verfassungsgeschichte  der  vpestfälischen  Reichs- 
städte  (Ublirz)  XVII,    307. 

7<;0.  Loewe  Heinrich.  Richard  von  San  (lermano  und  die  ältere  Redaction 
seiner  Chronik   (Winkelmann)  XVII.    185. 

7G1.  Loewe  Victor,  Die  Organisation  und  Verwaltung  der  Wallensteiniscben 
Heere  (Huber)  XVIII,   189. 

7<52.    Loserth.  Beiträge  zur  Geschichte  der  Hussitischen  Bewegung  V.  (Goll) 

xvin.  170. 

763.    _  Das  St.  Pauler  Formular  (Redlich)  XIX,  394. 

7(}4.  Ludwig  Fi-iedricb.  Untersuchungen  über  die  Reise-  und  Marschge- 
schwindigkeit im  XII.   und  XIII.  Jahrhundert   (Tangl)   XIX.    7  i  3. 

7(5.-).  Ludwig  Hermann,  Deutsebe  Kaiser  und  Könige  in  Strassburg  (Heyck) 
XL   457. 

7(',<;.    Ludwig  Karl,   Die   Gegenreformation  in  Karlsbad   (Prem)  XIX.    7  24. 

7(17 .  Ludwig  Theodor,  Die  Konstanzer  Gescbicbtsscbreibung  bis  zum  IS. 
Jal-Aundert  (Holmann-Wellenhof)   XVIII,   659. 

7(;,s.  Luginbühl,  Aus  Philipp  Albert  Stapfers  Briefwechsel  (Thummen) 
XV°  702. 

7,(J!>.  Lulves,  Die  Summa  cancellariae  des  Johann  von  Neumarkt  (Milkovic) 
XIV.   516;  vgL  XV.   398. 

770.  Luschin,  Herbcrsteiniana  (Redlich)  XV,   188. 

771.  —  Die  Handelspolitik  der  österreichischen  Herrscher  im  Mittelalter 
(üopscb)  XVI,   365. 

7;.j.    _  Oesterreicbische  Reichsgeschichte  (Sartori)  XVII.  342;  XVIII.  66  1. 

77:;.    Mang.  Hab.«burgisches  Urbar  (Thommen)  XVI,  381. 
774.    ]\laionica,  Fundkarte  von   Aquileja  (Prem)   XV,   388. 


xxxn 

775.    Mai^;  G.,  Kes  Raeticae  (Prem)  XIV,    l,s2. 

77({-    —  Jenseits  der  Rhipäen  (Prem)  XV.   :5S9;  XVI.   :i74. 

777.    Maire.  Manuel  pratique   du  bibliothecaire   (Donabauru)   XX,   35.5. 

77N.    Malagola.   Statut!  delle  Universitä  e  dei  Collegi  dello  Studio  Bolognese 

(Luschin)  XI,    147. 
77t).    —  Monografie  storiche  sullo   Studio  Bolognese  (Luschin)  XI,    147. 
780.    Manitius,    Deutsche    Geschichte    unter    den  sächsischen    und  salischen 

Kaisern   911 — 1125   (Ottenthai)  XU.    181. 
7S1.    Mare.s,  Die  gefälschten  Diplome  der  Rosenbercre  (Dvofak)  XIX,  391. 
7,S2.    Maretich,  Die  zweite  und  dritte  Berg-Isel-Schlacht  (Egger)  XVII.  öos. 
7s3.    Matscheg,    Storia    politica    di     Europa     dal    cominciare    del    regno  di 

Maria    Teresa    alla  sciogliersi    della  convenzione  di  Kleinschnellendorf 

(Huber)  XIX.   224. 
7s4.    Maurer,  Kritische  Untersuchung  der  ältesten  Verfassungsurkunde  der 

Stadt  Freiburg  i.  B.   (ühlirz)  XVI.   524. 
7,sr).    Mayer  E.,  Zoll.  Kaufmannschaft  und  Markt  zwischen  Rhein  und  Loire 

bis  in  das    13.  Jahrhundert   (ühlirz)   XIX.    174. 
7,S(>.    Mayer  F.  Arnold  und  Rietsch,  Die  Lieder  des  Mönchs    von    Salzburg 

aus   der   Mondseer  Liederhandschrift  (Steinherz)  XIX,    734. 
7S7.    Mayer  F.  M.,    Eine    salzburgische    Visitationsreise    in  Steiermark  und 

Kärnten  im  Jahre    1657   (Prem)   XVIII,    670. 
7,SS.    Mayer  Julius,   Die  französisch-spanische  Allianz  in  den  Jahren  1796 — 

1807   (Schütter)  XX,   .?50. 
;s\).    Mayer    Manfred.    Leben.    Kleinere    Werke    und    Briefwechsel    des    Dr. 

Wiguleus  Hundt  (Hofmaun-Wellenhof)  XVI,    149. 
7.90.      -    Baierns  Handel  im    Mittelalter  und  in  der  Neuzeit   (Hofmann-Wellenhof) 

XV[,  187. 

791.  Mayr  Michael,  Der  Genenillandtao-  der  österreichischen  Erbländer  zu  Augs- 
burg 1325—1526  (Redlich)  XVI,  188. 

792,  —  Cardinal  Commendone's  Klohter-  und  Kirchenvisitation  von  1569  in  den 
Diöcesen  Passau  und  Salzburg  (Redlich)  XVH,  206. 

293.    —  Einiges  aus  den  Berichten  der  ürazer  Nuntiatur  an  die  Curie  (Redlich) 

XVll,  206, 
75)4.    Meier  Wilhelm,   Compositions-    und  Successions- Verhandlungen    unter 

Kaiser  Mathias  während  der  Jahre    1615 — 1618   (Hirn)  XIX.   386. 
7yö.    Meinecke,  Die  deutschen  Gesellschaften  und   der  Hofi'mann'sche  Bund 

(Prem)   XIII.    534. 
79().    Mengozzi,   11  monte  dei   Paschi  di  Siena  e  le  aziende  in  esso  riunite  (Luschin) 

XIX,  734. 

7{)7.    Mennell.   (ioldene   Chronik  der  Wettiner  (Lippert)   XII,    176.    . 
7J>S.    Mensi,   Die  Finanzen   Oesterreichs  von  1701 — 1740  (Schalk)  XII.  669. 
7J)9.    Menz,  Johann  Philipp,  Kurfürst  von  Mainz  (Landwehr)  XIX.   2  20. 
800.    Menzel  V..  Deutsches  Gesandtschaftswesen  im  Mittelalter  (Kedlich)  XV,  181. 
8()1.    lleytr  v.  Knonau,  Jahrbücher  des  deutschen  Reiches  unter  K.  Heinrich  IV. 
(Herzberg-Fiänkel)  XVI,  379. 

,S02.  Michael  Emil,  Geschichte  des  deutschen  Volkes  seit  dem  dreizehnten 
Jalu'hundert    bis    zum    Ausgang    des    Mittelalters     1.     Bd.    (Redlicli) 

XX,  313;  XX,  692. 

803.  Michael  W.,  Die  Formen  des  unmittelbaren  Verkehres  zwischen  den  deutschen 
Kaisern  und  den  souveränen  Fürsten  vornehmlich  im  X..  XL  und  XII.  Jahih. 
(OttenthaJ)  XII,  367. 


XL 

SOl-    Michael  Wolfgaug.  Englische  Geschichte  im  XVill.  Jahrhundert  (Pri- 

bram)  XIX,   721. 
Süö-    Miczkiewicz.   Zywol  swietego  Wojciecha  (Kaindl)  XX,   643. 
S0(}.    Miklau.   Franz  IL  Käkoczy  (Prem)  XVI.   376. 
NOT.    Milan.   OesteiTeichs  Stellung  zur  polnischen  Insurrection    und  dritten 

Theilung  Polens  (Prem)  XVI,   376. 

808.  Milkowicz,  Monumenta  confraternitatis  Stauropigianae  Leopoliensis  XVII,  207- 

809.  —  Ein  novd-russischev  auf  Holz  gemalter  Kalender  aus  der  Zeit  um  1600 
(Redlich)  XIX.  395. 

slO.  Mittag.  Erzbischof  Friedrich  von  Mainz  und  die  Politik  Ottos  des 
Grossen  (Ottenthai)  XVHI,    15  7. 

811.  Mittheilungen  aus  der  dritten  (Archiv-)Sectioi)  der  k.  k.  Centralcommissioii 
für  Kunst-  und  historische  Denkmale  2.  Bd.  (Redlich)  XVI,  182. 

812.  Mittheilungen  der  Gesellschaft  für  deutsche  Erziehung?-  und  Schulj^-e schichte 
(Redlich)  XV.  176. 

813.  Mittheilungen  aus  dem  Stadtarchiv  Köln  XI,  504;  XV,  177;  XIX.  390. 

814.  Mittheilungen  des  Musealvereins  für  Krain  1889  XI,  512. 

815.  Mitthedungeu  des  k.  u.  k.  Kriegsarchivs  N.  F.  4.  Bd.  XI.  509. 

816.  Mommsen,  Das  Regenwunder  der  Markussäule  (Jung)  XVIII,  201. 

817.  Monod,  Etudes  d'Histoire  du  Moyen  Age  dediees  a  Gabriel  Mouod  XVIll,  204. 

818.  Montesquieu,  Voyages  de  Montesquieu  (Budiuszky)  XVIIl,  220. 

Siy.    Moritz,   Die  Wahl  Rudolfs  IL.   der  Reichstag  zu  Regensburg  1576  und 

die  Freistellungsbewegung  (Hirn)  XIX.   385- 
S20-    Moschkau,  Wettiner  Besuche  in  Zittau  und  der  südlichen  Oberlausitz 

(Lippert)  XIL   163. 
,V21.    Moser,  Der  Karst  (Prem)  XII,   360. 

822.  Müller  Joseph,  Die  Gefangenschaft  des  Johann  Augusta  und  seines  Diakons 
Jacob  Bilek  (Hirn)  XX.  519. 

823.  Müller-Mann,  Die  auswärtige  Politik  Kaiser  Otto  IL  (Uhlirz)  XX,  687. 
824-    Müller  Moritz.  Die  Kanzlei  Zwentibolds,  Königs  von  Lothringen  895 — 

900   (Dopsch)  XV.    133. 
,s2.>.    Müller  Theodor,  Das  Conclave  Pius  IV.  (Wahrmund)  XIV,    163. 
S26.    Murawski,   Kurzes  Lebensbild   des   hl.   Adalljert  (Kaindl)   XIX.    537. 

827.  Murko.  Deutsche  Einflüsse  auf  die  Anfange  der  böhmischen  Romantik 
(Prem)  XX.    138. 

828.  Nagl,  Gerbert  und  die  Rechenkunst  des  10.  Jahrh.  XL  500. 

829.  —  Die  Rechenpfennige  und  die  operative  Arithmetik,  XI,  500. 

830.  —  üeber  eine  Aloonsnuis-Schrift  des  XII.  Jahrh.  und  über  die  Verbreitung 
der  indisch-arabischen  Rechenkunst  und  Zahlzeichen  im  christl.  Abendlande 
XIL  367. 

831.  Neudegger,  Geheime  Raths-  und  Hofexpeditions-Reformation  in  Oesterreich 
unter  Kaiser  Mathias  (Dopsch)  XX,  690. 

832.  Neuwirth.  Die  Wochenrechnungen  und  der  Betrieb  des  Prager  Dom- 
baues in  den  Jahren   1372 — 137  8   (Horcieka)  XL   462. 

.s;{:{.    —    Peter    Parier    von    Gmünd.    Dombaumeister    in    Prag    und     seine 

Familie  (Horcieka)  XII,   665. 
s;U.    —  Geschichte    der   bildenden  Kunst    in  Böhmen    vom    Tode  Wenzels 

III.  bis  zu  den  Husitenkriegen  (Horcieka)  XIV,   367. 
.s:{.-).    —  Rudolf  IL  als   Dürer  Sammler  (Prem)  XV.   389. 
,s:{(;.    —   Mittelalterliche  Wandgemälde  und  Tafelbilder  der  Burg  Karlstein 

in  Böhmen  (Horcieka)  XVIL   35  2. 


XLI 

S3».  Ne^iwirtli,  Der  Bildercyclus  des  Luxemburger  Stammbaumes  aus  Karl- 
stein (Horcicka)  XX.   494. 

,S3S.  —  Der  verlorene  Cyklus  böhmischer  Herrsclierbilder  in  der  Prager 
Königsburg  (Horcicka)  XX.   494. 

S39.  Nevefil.  Die  Gründung  und  Auflösung  der  Erzdiöcese  des  hl.  Me- 
thodius.  des  Glaubensapostels  der  Slaven  (Prem)  XIX,   727. 

n40.  Nicoladoni.  Johannes  Bünderlin  von  Linz  und  die  oberösterreichischen 
Täufergemeinden  in  den  Jahren   15  25—31    (ünger)  XVL    14,S. 

Sil.  Nostitz-Kieneck.  Textkritisches  zum  Investiturprivileg  Calixtus  II. 
(Prem)  XVI,   374. 

.S42.    Notation,  The  musical  n.  of  the  Middle  Ages  (Adler)  Xlf.    342. 

843.  Noväcek,  Prameny  zakläd.  listiny  univ.  prazske  (Gründmigsurkunde  der 
Prager  Universität)  (Kratochvil)  XV,  172. 

844.  —  Karla  IV.  pobyt  pfi  dvofe  papezskem  r.  1365  (Aufenthalt  Karl  [V.  an 
dem  päpstlichen  Hofe  zu  Avignon  im  Jahre  1365)  (Kratochvil)  XV,  183. 

845.  —  Veraeschriften  aus  dem  Egerer  Archiv  (Kedlich)  XV,  183. 

Hiü-  —  Listäf  k  dejinäm  skolstvi  kutnohorskeho  1520 — 1623  (Akten- 
sammlung zur  Geschichte  des  Kuttenberger  Schulwesens  1520 — 1623) 
(Marcs )   XVIII,    180. 

,s47-  Nuntiaturberichte  aus  Deutschland  mit  ergänzenden  Actenstücken 
1.  Abth.  1.  und  2.  Bd.  bearb.  v.  Friedensburg;  3.  Abth.  1  bearb.  v. 
Hansen  (Starzer)  XIV.   372. 

,S4,S.  —  von  1560 — 1572  (2.  Abth.)  1.  Bd.  bearb.  von  Steinherz  (Volte- 
lini)  XIX.   565. 

,s45).    Obst,  Ursprung  und  Entwickelung  der  Hamburgischen  Rathsverfassung 

bis  zum  Stadtrecht  von   1272  (Uhlirz)  XVIL   317. 
s,')0-    Oechelhaeuser.    Der    Bilderkreis    zum    wälschen    Gaste    des    Tliomasin 

von  Zerclaere  (Riegl)  XII.  664. 
S51.    —  Die    Miniaturen    der    Universitäts-Bibliothek  zu  Heidelberg  2.  Bd. 

(ßiegl)  XX,   353. 

852.  üefele,  Unedirte  Kavolingerdiplome  (Mühlbacher)  XV,   167. 

853.  —  Vermisste  Kaiser-  und  Köiiigsurkunden  dos  Hochstiftes  Eichstätt  (Mühl- 
bacher)  XV,  167. 

854.  —  Nachtrag  dazu  (Mühlbacher)  XVI 11,  208. 

855.  —  Tradition-^notizen  des  Klosters  Kühbach  (Mühlbacher)  XVIII.  208. 

856.  —  Traditionsnotizen  des  Klosters  ßiburg  (Mühlbacher)  XVIII,  208. 
s,>7.  Ortvay,   Geschichte  der  Stadt  Pressburg  (Krones)  XV.   533. 
,S5.S-  Ottenthai,  Regulae  cancellariae  apostolicae    (Tangl)    XI.   33  7. 
Soi).  —  Regesta  imperii  IL  (Uhlirz)  XVI,   665. 

,S(JO-    —  und  Redlicla,  Archivberichte  aus  Tirol  (Voltelini)   XIX,   368. 

,S(}1.    Otto ,     Die     Beziehungen     Rudolfs    von   Habsburg    zu    Papst  Gregor 

X.  (Redlich)  XVn,   6  74. 

.S(>2.  Oxenstierna  Skrifter  och  Brefvexling.  Rikskansleren  (Schäfer)  XI,  181; 
Xn.    193;  XIV,   381;  XVIIL    189. 

s«:}.    Paleograpbie  musicale,  heraursgeg.  vom  Kloster  Solesmes  (Adler)  XI.  327. 

8(>4.    Panzacchi-Ricci-Ximenes,  Bononia  docet  (Luschin)  XL    146. 

865.    Paoli,  Prograrama  scolastico  di  paleografia  latina  e  diplomatica  (Miihlbacber) 

XI,  499;  XVI,  181. 

86«.    —  II   libro  di  Montaperti  (Voltelini)  XII,   658. 


XLII 

8V)7.    Paoli.  Le  abbrcviatnre  iiella  paleografia  (Miihlbacher)  XVI,  ]81. 

,S(J8-    Paris,   L'estoire  de  la  guevre  sainte.  Histoire  en  vers  de  la  troisieme 

croisade    ll9ü — 1192  par  Ambroise  (Röhricht)  XIX,   395. 
8()f>.    Parisio,  Due  docunienti  greci  inediti  della  Certosa  di  S.  Stefano    del  Bosr-o 

XI,  503. 

870.  Parisot,  Deux  diplomes  inedits  pour  la  coUegi^le  S**^"  Marie-Madelain  de 
Verdun  XV.  168. 

871.  —  Une  intevpolation  dans  le  diplörae  de  Charles  le  Simple  pour  Salone 
25.  jouillet  896  (Mühlbacher)  XVIII,  207. 

,S?2.    Partsch,   Philipp   Clüver.   der  Begründer  der  historischen  Länderkunde 

(Jung)  XIIL    353. 
slli.    Passler,   Zur  Geschichte  der  Heimesage  (Prem)  XV,   390. 
.S74.    Pastor.    Geschichte    der  Päpste    seit    dem   Ausgange    des  Mittelalters, 

2.  Bd.  (Krones)  XI.   656;   2.  Auflage  (Bachmann)  XVII.   4H7. 

875.  Patsch,  Durchfoi'schnng  der  römischen  Leberreste  in  Bosnien  und  Herzego- 
wina (Jung)  XV  [II,  303. 

87(i.    Paulus  Diaconus,  Milleniumsf'eier  zu  Ehren  XX,  .518. 

Sil-    Peisker,   Die  Knechtschaft  in  Böhmen  (Milkowicz)  XV.    138- 

sis.    Perlbach,  Die  Statuten  des   Deutscheu  Ordens  (Schäfer)  XII.    1S5. 

N?}).  Perret,  Histoire  des  relations  de  la  France  avec  A'enise  du  XIIP  siede 
ä  l'aveneraent  de  Charles  Vlll  (Cartellieri)  XIX.   363. 

SSO.  Peter,  Die  gescbichtliclie  Literatur  über  die  römische  Kaiserzeit  bis  Theo- 
dosius  I.  und  ihre  Quellen  (Jung)  XIX,  387. 

881.  Petersen.  Blitz  und  Kegenwunder    an    der  Markussäule    (Jung)    XVIII,  201. 

882.  Petris,    Lo    statuto    delT  isola   di    Cherso   ed   Ossero   (Prem)  XII.    35  7. 

883.  —  L'Archivio  della  Communitä  di  Ossero  (Prem)  XVI.  376; 
XVn,   6S5. 

884.  Pfeilschifter.  Der  Ostgothenkönig  Theoderich  der  Grosse  und  die  katho- 
lische Kirche  (Jung)  XVlIl,  303." 

8S.')-    Pfeilschmidt.   Umschau  über  die  Fürstendenkmäler  des  Hauses  Wettin 

(Lippert)   XII,    169. 
88(>.    Pfülf.   Brun  von  Querfort.   Bischof  der  Heiden  (Kaindl)  XX,   643. 
887-    Philipp],    Zur  Geschichte    der    Osnabrücker    Stadtverfassung    (Uhlirz) 

XVn.   317. 
8.SS.    —   Zur  Verfassungsgeschichte  der  westfälischen  Bischofsstädte  (L'hlirz) 

XVn.   317. 
■8h{).    —  Die  Osnabrücker  Laischaften  (Uhlirz)  XIX.    175. 
SiK)-    Osnabrücker  Urkundenbuch  (Ottenthai)   XIX.    371. 
8!)|.    Philologenversammlung,  Verhandlungen  der  42.  in  Wien  XVI,  174. 
SU'2.    Pichl,   Kritische  Abhandlungen  über  die    älteste   Geschichte   Salzburgs 

(Jung)  Xn,    65S. 
S9:{.    Pichler.   Die  Beziehungen  zwischen  Oesterreich  und  Frankreich  inner- 
halb  der  Jahre    1780 — 1790   (Preml   XIX.    729. 
.S94.     Pictet.   Biographie  travaux  et  correspondance   diplomatique   de  C.  Pic- 

tet  de  Rocheraont  (Krones)  XIII.   649. 
S'iKt.    Pirenne,   Histoire   de  la  Constitution   de   la   ville   de   Dinant  au  ^loyen- 

Age  (Uhlirz)  XVI,    524. 
S9(;.    —     L'  origine     des     constitutions     urbaines    au    mojeu    age     (Uhlirz) 

XIX.    17  3. 
897.     i'isihek,    Zur    Frage    nach    der    Kxistenz  einer  niittolhochdeutschen  Schrift- 

spraclie  im  ausgehenden   13.  Jahrhundeit   (Redlich)  XV,   171. 


XLITT 

SyS.  Pisoni,   Cronaco   del   raonastero  e   della  Chiesu  della  S.  S.  Trinita  (Prem) 

XVII,  GS 5. 

5<99.    Plath,    Die    Königspfalzen    der    Merowinsjer    und  Karolinger    (Mühlbachcr) 

XVIII,  205. 

900.    Polaczek,  Der  Uebergangsstil  im  Elsass  (Riegl)  XVIII,  222. 

901-    Polek,   Die  Erwerbung  der  Bukowina  durch  Oesterreich  (F.  M.  Mayer) 

XI,  661. 

y02-    Polnisclie  Geschichtsschreibung  (Finkel)   XI,    346,   489. 

;i03-    Posse,  Die  Hausgesetze  der  Wettiner  bis    zum  Jahre     14S6    (Lippert) 

XII,  173. 

J)04.  —  l^ie  Siegel  der  Wettiner  bis  1324  irnd  der  Landgrafen  von 
Thüringen  bis    1247   (Lippert)  XVII,   191. 

JM)5.  —  I'i*'  Siegel  der  Wettiner  von  1324 — 1486  und  der  Herzöge  von 
Sachsen-Wittenberg  und  Kurfürsten  von  Sachsen  aus  askanischem  Ge- 
schlecht (Lippert)  XVII,    191. 

yO().  Poullet,  Le  prenaieres  annees  du  Royauine  des  Pays-Bas  1815 — 1818 
(Schütter)  XVIII,    191. 

907.  —  La  Belgique  et  la  Chute  de  Napoleon  L  (Schütter)  XVIII,  221. 

908.  Prem,  Knfstein  (Redlich)  XV,  187. 

909.  —  ]>er  Tirolische  Freiheitskrieg    1S09   XVIII,   671. 

910.  Priebatsch,  Politische  Correspondenz  des  Kurfürsten  Alljrecht  Achilles 
(Bachmann)  XA^II,    17  2. 

911.  Prochaska,   Swi^ty   Wojciech  (Kaindl)  XIX,    537. 

yi2.  Piöll,  Ein  Blick  in  das  Hauswesen  eines  österreichischen  Landedel- 
mannes aus  d.  ersten   Viertel  des    17.  Jahrh.   (Prem)  XI,   354. 

913.  Programme  österr.  Mittelschulen  (Prem)  (1889)  XI,  353 ;  (1890)  XII, 
355;  (1891)  XIII,  357;  (l892)  XIV,  179;  (1893)  XV,  385;  (1894) 
XVI,  370;  (1895)  XVII,  682;  (1896)  XVIII,  669;  (1897)  XIX,  723; 
(1898)  XX,   497. 

914.  Prybila,  Antheil  Salzburgs  an  der  Volkserhebung  im  Jahre  1809 
(Prem)  XVL   372. 

«>15.    —   Politik  Oesterreichs  im  Jahre    1793   (Prem)  XVII,   688. 

«jKj.    — Oesterreich  im  Jahre  1794.  Der  Verlust  Belgiens  (Prem)  XVIII,  670. 

917-  Quellen  und  Forschungen  aus  dem  Gebiete  der  Geschichte  hg.  von 
der  Görresgesellschaft  1.  Bd.  i.  Theil.  Nuntiaturberichte  Giov.  Morones 
bearb.  von  Dittrich  (Starzer)  XIV,   372. 

918.  Quellen  und  Forschungen  zur  Geschichte,  Literatur  und  Sprache  Oester- 
reichs und  seiner  Krouländer  hg.  von  der  Leo-Gesellschaft  XV,  ISfj. 

919.  Quellen  zur  Geschichte  der  Stadt  Wien  (Dopsch)  XIX,   210. 

920.  Rachfahl.  Die  Organisation  der  Gesammtsstaatsverwaltung  Schlesiens 
vor  dem  dreissigj ährigen  Kriege   (Bretholz)   XVHI,    177. 

921.  Rauch,  Die  Assyrer  (Prem)  XVIII,   671;  XIX.   7  26. 

922.  Rebhann.  Die  Steuer-  und  Militärreformen  Matthias  Corvins  (Prem) 
XX,   501. 

923.  Reding-Biberegg,  Der  Zug  Suworow's  durch  die  Schweiz  24.  Herbst- 
bis    10.  Weinmonat   17  99   (Criste)  XVII,   504. 

924.  Regel,  Leber  die  Chronik   Cosmas'  von   Prag  (Miikovit)  XV,    142. 


XLTV 

*)2r>.    Regesta    epiacoporum    Constantiensium.     Regesten  zur  Geschichte  <ler 

Bischöfe  von  Constanz  von  517 — 1496   (Ottenthai)  XX,   490. 
{>2<;.    Rehme,  Das  Lübecker  Oberstadtbuch  (Uhlirz)  XIX.    I7ö. 
{)27.    Reinecke,    Geschichte    der    Stadt  Cambrai    bis  zur  Ertheilung  der  lex 

Godefridi    1227   (Uhlirz)  XIX,   17  5. 
;>2S-    Reinhardt,  Die  Correspondenz    von    Alfonso    und  Girolamo    Casati  mit 

Erzherzog  Leopold  V.  von  Oesterreich  1620 — 1623  (Hirn)  XVIII,  ISI. 
J>2J>.  Reinhold,  Verfassungsgeschichte  Wesels  im  Mittelalter  (Uhlirz)  XVII,  3 1 G. 
•K}().    Reiter.    Ueber    kirchliche  Kunst    in  Tirol    in    der  zweiten  Hälfte    des 

19.   Jahrhunderts   (Prem)   XVII,   688. 
931.    Reusens,  Elements  de  Paltäographie  (Tangl)  XX,   661. 
!t32.    Revue  de  1'  Orient  hitin  (Röhricht)  XV,  18.9." 
93:}.    Rezek,  Dejiny  saskeho    vpädu    do  Öech    163  1  — 1632    a    nävrat  emi- 

grace  (Marcs)  XI,   487. 
934-    —  D6jiny  prostonärodniho    hnuti    näbozenskeho    v    Öechäch    od    vy- 

däni  toleraneniho  patentu  az  na  nase  casy  (Mares)  XI,   487. 
93.').    Ricci.  I  Primordi  dello  Studio  di  Bologna  (Luschin)  XI,    146. 
93(».    Richter.    Litteratur    der    Landes-     und    Volkskunde    des    Königreichs 

Sachsen  (Lippert)  XII,    170. 
937.    Richter  und  Kohl.  Annalen  der  deutschen    Geschichte    im    Mittelalter 

III.  Abth.  L  Bd.  (Ottenthai)  XII.    181. 
93s.    Rietschel.  Die  Civitas  auf  deutschem  Boden  (Uhlirz)   XIX.   173. 

939.  —  Zur  Datirung  der  beiden  ältesten  Strassburger  Rechtsaufzeichnungen 
(Uhlirz)   XIX,    174. 

940.  Ringsholz,  Die  Geschichte  des  fürstl.  Benedictinerstiftes  Einsideln  unter 
Abt  Johannes  I.  von  Schwandau  1298—1327  (OttenthaU  XI,  507. 

941.  Ritter.  Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter  der  Gegenreformation  und 
des  dreissigjährigen  Krieges  (l555 — 1648)  (Huber)  XI.    180. 

942.  Rivaita.  Discorso  sopra  la  scuola  delle  Leggi  Romane  in  Ravenna  ed 
il  collegio  dei  giureconsulti  Ravennati  (Luschin)  XI,    147. 

943-    Rocke.    Die    Sächsischen    Landesfürsten    und    die  Universität    Leipzig 

(Lippert)  XII,    166. 
M44.    Rockiuger.  Ueber  Geheimsrhriftenschlüssel  der  bayerischen  Kauzlei    im   16. 

Jahrhundert  XV,  174. 

945.  Röhricht.  Deutsche  Pilgerreisen  nach  dem  heiligen  Lande  (Hoogeweg) 
XI,   482. 

946.  —  Kleine  Studien  zur  Geschichte  der  Kreuzzüge  (Lippert)  XII.  368 

947.  --  Studien  zur  Geschichte  des  fünften  Kreuzzuges  (Lippert)  XIV.  365. 
94s.  -  Regesta  regni  Hierosolymitani  1097  — 1291  (Hoogeweg)  XIV,  670. 
949-    —  Geschichte    des    Königreichs    Jerusalem    1100 — 1291    (Hoogeweg) 

XIX.    555. 

9.")().  Rosenmund,  Die  Fortschritte  der  Diplomatik  seit  Mabillon  vornehm- 
lich in  Deutschland-Oesten-eich  (Redlich)  XIX,   707. 

9.">J.  Rosenthal,  Geschichte  des  Gerichtswesens  und  der  Verwaltungsorgani- 
satioii  Baierns  I,  Bd.  (Luschin)  XII.   519. 

9."J2.  Roserot.  Notiee  sur  les  sceaux  carolingiens  des  archives  de  la  Haute  Manie 
i'Mühlbacher)  XV,  174. 

'.}:>:'>.  —  Diplomes  carolingicns  originaux  des  archives  de  Ja  Haute-Marne  (Mühl- 
bacher) XVrU,  200.  ^ 

9.")4.  Rüge,  Die  (srste  Landesvermessung  des  Kurstaates  Sachsen  1586  — 
1607   (Lippert)   XII,    171. 


XLV 

l>.Vi.  Säch.sisclie  Fürdtcu  und  i'^Ärstiujien,  Die  ril(',i,'(,'  der  Wisseuscliul'teu 
und  sehünen  Künste  durch  (Lippert)  XU,    IGR. 

yr)(>.  Sägmüller,  Die  Papstwahlen  und  die  Staaten  von  1447 — 1555  (Wahr- 
mund) XIV.    157. 

957-  —  r)ie  Papstwahlbullen  und  das  staatliche  Recht  der  Exclusive 
(Wahrmund)   XIV.    516. 

*.)5.S.    —   Zur  Geschichte  des  Kardinalates  (Holzer)  XVIII,   216. 

959.    —     Der  Schatz  Johanns  XXIl.  (Tnngl)  XIX,  733. 

<KJ().  Salamon,  Ungarn  im  Zeitalter  der  Türkenherrschaft  (F.  M.  Mayer) 
XI,   344. 

9(J1.  Salchow.  Der  Uebergang  der  Mark  Brandenburg  an  das  Haus  Wittels- 
bach  (Lippert)  XVI,   145. 

*)()2.  Salvemini.  La  Dignitä  Cavalleresca  nel  comune  di  Firenze  (Voltelini) 
XX,    123. 

\){i?,.  Sander,  Beiträge  zur  Rechts-  und  Culturgeschichte  des  vorarlbergischen 
Gerichtes  Tannberg  (Prem)  XIV.    180. 

9()4-.  —  Einige  Actenstücke  zur  Geschichte  Vorarlbergs  im  Zeitalter  des 
deutschen  Bauernkriegs  (Prem)  XV,   387. 

9)Jö.  —  Der  Streit  der  Montafoner  mit  den  Sonnenbergern  um  den  Be- 
sitz der  Ortschaft  Stallehr  und  um  Besteuerungsrechte  1554 — 1587 
(Prem)  XIX.   7  24. 

lM)<i.  Sarti  et  Fattorini,  De  claris  Archigymnasii  Bononiensis  Professoribus 
a    saeculo    XI    usque    ad    saec.    XIV    (Luschin)  XI.    147;  Neuauflage 

XIX,  355. 

.967.    Sartori-Montecroce,  Die  Thal-  und  Geriehtsgemeiude  Fleiins  und  ihr  Statu- 

tarrecht  (Redlich)  XV,  186. 
968.    Sauerland,    Trierische    Taxen    und    Trinkgelder   an   der    päpstlichen    Kurie 

(Tangl)  XIX,  733. 
9(»9.    Schäfer    Dietrich,     Württembergische  Geschichtsquellen    (Schön)     XVI, 

686;  XIX,   226. 

970.  —  Die  Hinrichtung  der  Sachsen  durch  Karl  den  Grossen  (Mühlbacher) 
XVIII,  205. 

971.  Schäfer  Friedrich.  Wirtschafts  und  Finanzgeschichte  der  Reichsstadt 
Ueberlingen    am    Bodensee    in     den    Jahi-en      15  50 — ^1628     (Uhlirz) 

XX,  113. 

972.  Schaller,  Ulrich  IL.  Putsch,  Bisrhot  von  Brixen  und  sein  Tagebuch 
1427-1436  (Redlich)  XV.   187. 

973.  Schatz,  Stellung  Leopolds  III.  von  Oesterreich  zum  grossen  abend- 
ländischen Schisma  (Holzer)  XVI.   186. 

{»74.    Schaube  Adolf,  Das  Konsulat  des  Meeres  in  Pisa  (Heyck)  XI,   649. 
975.    Schaube  Kolniar,    Zur    Entstehung  der    Stadtverfassung    von    Worms, 

Speier  und  Mainz  (Below)  XIV,    143. 
97().    — -  Die  Entstehung  des  Speierer  Stadtraths  (Ühlirz)  XVI,   524. 

977.  . —  Die  Entstehung  des  Rathes  in  Worms   (Uhlirz)  XVI,   524. 

978.  Schaus,  Zur  Diplomatik  Ludwigs  des  Bayern  (Vancsa)  XVI.  178. 

979.  Scherter-Boichorst,  Zur  Geschichte  der  Reichsabtei  Erstein  XI,  506. 

980.  —  Der  kaiserliche  Notar  Burchard  und  der  Strassburger  Vitztum  Burkhard, 
ihre  wirklichen  und  angeblichen  Schriften  XI,  507. 

981.  —  Veroneser  Zeugenverhör  von  1181  (Redlich)  XVI,  177. 

982.  —   Beiträge  zu  den  Regesten  der  staufisclien  Periode  (Redlich)  XVI,  177. 
9,S3.    —  Zur  Geschichte  des  XII.  und  XIII.  .lahrhunderts  (Redlich) XIX,  360. 


XL  VI 

i)Si.  Schcichl,  Lu(ij)ulil  1.  uinl  du-  ri.stiTri'iclii.sche  LVilitik  wJi  liroiid  des  l'u- 
volutionskrieges    16(57 — OS   (F.   M.   Mayer)  XI,   4.S6. 

985.  Scherei-,  Uebersiclit  der  Judeiigesetzg-ebung  in  Oesterreidi  vom  10.  Jahr- 
hundert bis  auf  die  Gegenwart  (Dopsch)  XX,  688. 

986.  Schiaparelli,  Diploma  inedito  di  Berengario  I  in  favore  del  monasterio  di 
Bobbio  (Mühlbachor)  XVllI,  207. 

«>S7.  Schütter,  Kaiser  Franz  I.  und  die  Napoleonideu  vom  Sturze  Napo- 
leons bis  zu  dessen  Tode  (F.  M.  Mayer)  XI.   66  2. 

;)S.s.  —  Die  Reise  des  Papstes  Pius  VI.  nach  Wien  und  sein  Aufenthalt 
daselbst  (Krones)  XVI,   6-9. 

ysi).  —  Pius  VI.  und  Josef  II.  von  der  Rückkehr  des  Papstes  nach  Rom 
bis  zum  Abschlüsse  des  Concordates  (Krones)  XVI,   689. 

'.UM).  —  Briefe  der  Erzherzogin  Marie  Christine,  Statthalterin  der  Nieder- 
lande, an  Leopold  II.   (Krones)  XIX,   .5  72. 

J)5)l  —  Correspondance  secrete  entre  le  comte  A.  W.  Kaunitz-Rietberg, 
ambassadeur  imperial  a  Paris,  et  le  baron  Ignaz  de  Koch,  secretaire 
de  l'imperatrice    Marie   Therese    1750 — -1752   (Lippert)   XX,   683. 

9}>2.  Schlosser,  Die  abendländische  Klosteranlage  des  früheren  Mittelalters 
(Riegl)  XI,   328. 

993.  —  'r.ypave  und  Bullen  in  der  Mutz-,  Medaillen-  und  Anükensammlung 
de.s  a.  h.  Kaiserhauses  X\'.  175. 

<)<)4:.  Schmeisser,  Beiträge  zur  Ethnographie  der  Schönhengstler  (Prem) 
XVII.    689;  vgl.   Vm,    16  7. 

ih)r>.    Schmelzer,  Die  Massenburg  (Prem)  XVII,   683. 

<)9(;.  Schmidt  K.  A.,  Beiträge  zu  einer  Reform  des  geschichtlichen  Unter- 
richtes an  der  Oberrealschule  (Prem)  XII,   36(). 

997.  Schmidt  Valentin,  Die  Fälschungen  von  Kaiser-  und  Königsurkunden  durch 
Ulrich  von  Kosenberg  (Dvorak)  XIX,  391. 

998.  Schmitz,  S.  Chrodegangi  Mettensis  episcopi  {742--766)  regula  canonicorum 
(Sickel  Th  )  XI,  498. 

«►99.  Schneider  A.,  Der  Zürcher  Canonicus  und  Cantor  Magister  Felix 
Hemmerli  an  der  Universität  Bologna  1408 — 1412  und  1423 — 1424 
(Luschin)   XI,    147. 

1000.  Schneller  Christian,  Tirolisclie  Namenforschungen.  Orts-  und  Personennamen 
des  Lagerthals  in  Südtirol  (Ottenthai)  XVI,  187. 

1001.  --  Beiträge  zur  Ortsnamenkunde  Tirols  (Ottenthai)  XVI,   188. 

.1002.  — -  Tridentinische  Urbare  aus  dem  13.  Jahrb.  mit  einer  Urkunde 
aus  Judikarien  v.    1244 — 1247   (Lechner)   XX,   325. 

1003.  Schneller  Friedrich,  Beiträge  zur  Oeschichte  des  Bisthums  Trient  aus  dem 
späteren  Mittelalter  (Redlich)  XVH.  20o. 

1004.  Schön,  Kurze  Fundnaclirichten  über  eine  altchristliche  Basilika  in 
CiUi  (Prem)  XX,   5  00. 

IDO.').  Schönherr,  Alexander  Colin  und  seine  Werke  1562 — 1612  (ßiegl) 
XL    343. 

lOOlJ.  Schoop,  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Trier  von  den  ältesten  Im- 
munitäten bis  zum  J.    1226   (Uhlirz)   XVI,   524. 

1007.  Schraut,  Regestrum  Bursae  Hungai-orum  Cracoviensis.  Das  Inwohner- 
Verzeichnis  der  ungarischen  Studentenburse  zu  Krakau  1493 — 15  58 
(Eichler)  XV,    68S. 

1008.  Zur  Geschichte  der  Studentenhäuser  an  der  Wiener  Universität  (Red- 
lich) XVIH,  218. 

1(»09.  -  und  Hartl,  Nachträge  zu  Aschbachs  Geschichte  der  Wiener  Universität 
(lü'dlichj  .\V,   J88;   XVIU.  218. 


XLVII 

KUO.  .Scliröder.    Wriclil)ild   (L'liliiv.)  XV,    GTC). 

1011.  —  Die  Stellung  der  Rolandssäulfn  in  der  lireliisgescliiclite  (l"blirz) 
XV,    r,7fi. 

1012.  — -  Die   älteste   Verfassung  der  Stadt   Minden  (Uhlirz)   XVIT,    317. 

1013.  —   Marktkreuz  und   Rolandsbild   (Uhlirz)   XIX,    174. 

1014.  Scliuliertb,   Gvozdec-Grossenliain   (Lippert)  XU,    1(54. 

1015.  Schulte,  Ueber  Reste   romanischer  Bevölkerung  in  der  Ortoiiau  XI,  500. 

1016.  —  üilg  Tschudi,  Glarus  und  Sacckingen  (Redlich)  XV.   185. 

101  <■.    —  Ueber  Reicbenauer  Städtegründungen  (Uhlirz)   XV,   488. 
lOlH.    —   Das   Stadtrecbt  von  Neuenbürg  i.  B.   (Uhlirz)   XVI,    52  0. 

1019.  Schuster  Leopold,  Fürstbischof   Martin  Brenner    (Loserth)  XX,    124. 

1020.  Schuster  R.,  Zapperts  .Aeltester  Plan  von  Wien*    (Müblbacher)    XV,    188. 

1021.  Schwarz  Sebald,  Anfänge  des  Städtewesens  in  den  Elb-  und  Saale- 
gegenden  (Below)  XIV,    145. 

1022.  Schwarz  \V.  E.,  Briefe  und  Akten  zur  Gesch.  Maximilians  II.  (Huber) 
XI,   485. 

1023.  Schwarzlose,  Die  Patrimonien  der  römischen  Kirche  bis  zur  Gründung 
des  Kirchenstaates  (Hartmann)  XI,   466. 

1024.  ■ —  Die  Verwaltung  und  die  finanzielle  Bedeutung  der  Patrimonien 
der  römischen  Kirche  bis  zur  Gründung  des  Kirchenstaates  (Hait- 
mann)   XI,   466. 

1025.  .Schweizer,  Geschichte  des  Zürcliev  Staatsarchives  (Redlich)  XVI,  183. 

1026.  —  Geschichte  der  schweizerischen  Neutralität  (Dierauer)  XVII,  478. 

102  r.    Schwerdfeger,  Papst  Johann  XXIII.    und    die  Wahl  Sigismunds    zum 

römischen  König  (Loserth)  XVIII,   6.51. 

1028.  —  Denkschritt  des  Grossherzogs  Franz  ."-tephan  von  Lothringen  -  Toscana 
(Kretschmayr)  XX.  691. 

102}>.  Schwind  und  Dopsch,  Ausgewählte  Urkunden  zur  Verfassungsge- 
schichte der  deutsch-österreichischen  Erblande  im  Mittelalter  (Luschin) 
XVIL    345. 

10;]0.  Schwitzer,  Urbare  der  Stifte  Marienberg  und  Münster,  Peters  von 
Liebenberg  -  Hohenwart  und  Hansens  von  Annenberg  (Ottenthai) 
XIV,    153. 

1031.  Schybergson,  Svnringes  och  Hollands  diplomatiska  Förbindelser  1621 
—  1630   (Schäfer)  XI,    183. 

1032.  Seeliger,   Erzkanzler  und  Reichskanzleien  (Kehr)   XIII,   528. 

1033.  Seelmann,  Wiederauffindung  der  von  Karl  dem  Grossen  deportirten  Sachsen 
(Mühlbacher)  XV 111.  205. 

1034.  Seemüller,   Ottokars  Oesterreichische  Reimchronik  (Redlich)  XVI,  6  76. 

1035.  Segur,  Le  royaume  de  la  Rue  St.  Honore  (Lippert)  XX,   678. 

1036.  Selb,   Die  deutschen  Rolande  (Uhlirz)  XV,   676. 

1037.  Sforza.  Fälschungen  A.  Cecarelli's  (Ottenthai)  XVII,  205. 

1038.  Sickel,  Die  Anfänge  des  Klosters  Heeslingen  (Erben)  XII,  365. 
IQgi),   —  Römische   Berichte  I.   und   IL   (Steinherz)   XVII,    6  7  9. 

1040.  Simonsfeld.  Beiträge  zum  päpstlichen  Kanzleiwesen  im  Mittelalter 
und  zur  deutschen' Geschichte  im  14.  Jahrh.   (Tangl)   XII,    187. 

1941.  —  Fragmente  von  Formelbüchern  auf  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbib- 
liothek''(Redlich)  XV,  171. 

1042.  Slovenische  historische  Literatur  der  Jahre  1892 — 94  (Äpih) 
XVII,   529. 

1043.  Sohm,  Die   Entstehung  des  deutschen  Städtewesens  (Uhlirz)  XV,  488 


XLVIII 

lOU.  SpaauT.  Illiistriiic  Wr.ltocscliiclilc  5. — S.  Md.  (Kvdiirs)  X.V,  f/»  1  ; 
XVU,    5()-2. 

1045.  Spangenberg,    Cangramle  I.   della   Scala   (Vaucsa)  XIX,   3(j(;. 

1046.  Stadler,  Der  Todtenkultus  bei  den  alten  Völkern  (Prem)  XII,  35  7: 
XIII,   359;  XV,   387. 

1047.  Städtewesen,  Neuere  Literatur  über  deutsches  St.  (Uhlirz)  XV,  488. 
676;  XVI,   524;  XVII.   316.   368;  XIX,    173;  XX,  113. 

1048.  Starzer,  Regesten  zur  Ges(,-hichte  der  Pfarren  Niederösten-eichs  (Redlich) 
XVII.  205.  ' 

104».    —  Regesten  zur  Geschichte  der  Klöster  Niederösterreichs  Redlich)  XVII.  205. 

1050.  —  Auszüge  aus  den  Rechuungsbüchern  der  Camera  Apostolica  zur  Ge- 
schichte der  Kirchen  Steiermarks  in  der  Aquilejer.  Lavanter  ued  Seckauer 
Diöcese  (Redlich)  XVII.  205. 

10:-1.    —  Regesten  zur  Kunstgeschichte  Kärntens  (Redlich)  XVII,  205. 

1052.  —  Die  Residenz  des  Nuntius  in  Graz    Redlich)  XVII.  206. 

1053.  —  L'eber  einen  Visitationsauftrag  an  den  Bischof  Christoph  von  Gurk  im 
Jahre  1592  (Redlich)  XVIh  206. 

1054.  —  Die  Verwaltung  der  innerösterreichischen  Länder  von  1564  bis  zur 
Gegenwart  (Dopsch)  XX,  690. 

1055.  Steffanides,  Kaiserin  Adelheid,  Gemahlin  Ottos  I.  des  Grossen  (Prem) 
XV,   389. 

1050.    Steiger,  Johannes  Hus  und  das  Constanzer  Concil    (Prem)  XV,   389. 

1057.  Stein  Friedrich,  Die  akademische  Geiichtsbarkeit  in  Deutschland 
(Thommen)  XIII,   655. 

1058.  Stein  Walter,  Acten  zur  Geschichte  der  Verfassung  und  Verwaltung 
der  Stadt  Köln  im    14.  und    15.  Jahrhundert  (Uhlirz)  XIX,    173. 

1050.    —  Zur  Vorgeschichte  des  Kölner  Verbundbriefs  vom   14.  September 

1396   (ühlirz)   XIX,    17  5. 
1060.    Steinwenter.   Eine  Episode    aus    dem    Leben    des  Grafen  Niklas  von 

Zriny  (Prem)  XI,   353. 
lOiH.    Stern  Alfred,  Geschichte  Europas    seit  den  A'erträgen  von    1815   bis 

1871    (Schlitter)  XX,    136. 

1062.  Stern  M.,  Die  israelitische  Bevölkerung  der  deutschen  Städte  (Redlich) 
XV,  186. 

1063.  Sternfeld,  Richard  des  Heiligen  Kreuzzug  nach  Tunis  i27o  und  die 
Politik  Karls  I.  vou  Sizilien  (Otto)  XIX,   556. 

■10(>4.    Steurer,  Die  Eupertusfrage  (Prem)  XVII,   686. 
1(W{5.    Stieve,  Der  oberösterreichisehe  Bauernaufstand  (Mühlbacher)  XIV,  164. 

1066.  Stiglmayr,  Das  Aufkommen  der  Pseudo-Dionysischen  Schriften  und 
ihr  Eindringen  in  die  christliche  Literatur  bis  zum  Lateranconcil 
649   (Prem)   XVII,   686. 

1067.  Stippel,  Die  Herren  von  Landstein  (Prem)  XVI.  375;  XVII.  683; 
XVm,   669. 

106^.  Stockhorner  von  Stareiu,  Die  Stockhorner  von  Starein  (Starzer) 
XX,    686. 

1069.  Stoeckert,  Beiträge  zur  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Magdeburg 
(LhUrz)   XVII,   317. 

1070.  —  Die  Reichsunmittelbarkeit  der  Altstadt  Magdeburg  (l'hlirz) 
XVII.    317. 

1071.  Stöhr,  Dresdner  historisches  Merkbüchlein  (Lippert)  XII.    163, 


1()7'2.  Sirilssle,  (»cstcrrcicli.s  Auilicil  ;iu  deu  l'VietleusvcrliaiK Illingen  zu  Uli va 
(Prem)  XVII,   GS 4. 

1073.  tStraganz,  Mittheilungeu  aus  dorn  Archive  des  ClarissenklObters  zu  Brixeu 
(Redlifh)  XVI,  179,  370. 

1074.  — •  Die  Autobiographie  des  Freiherrn  Jacob  v.  Boimont  zu  Pairsberg 
1527 — 1581    (Prem)  XVEI,   669. 

10;.j.    Strakosch-Grassmann,  Geschichte  der  Deutschen  in  Oesterreich-Ungarn 

(Jung)  XVI,   352. 
10*6.    Strnad,  Listär  Krälovskeho  mesta    Plzne    a    druhdy    poddan^ch    osad 

(Urkundenbuch  der  kgl,  Stadt  Pilsen  und  der  ehemals  unterthänigen 

Ortschaften)    1.  Thl.  (Marcs)  XIII,   532. 

1077.  Strnadt,  Ueber  die  Unechtbeit  des  üabbriefes  des  Markgrafen  Ernst  für 
Melk  XfX,  392. 

1078.  Struck,  Die  Schlacht  bei  Nördlingen  im  Jahre  1634  (Huber) 
XVI,   151. 

1079.  Stüve,  Die  llburger  Klosterannalen  des  Abtes  Maurus  Rost  XVIII,  209. 

1080.  Sturm,  Die  Anfänge  der  Habsburger  in  Oesterreich  und  der  Wider- 
stand der  Adeligen  und  V^iener  (Prem)  XIII,   360. 

1081.  Susta,  Zur  Geschichte  und  Kritik  der  Urbarialaufzeichnungen  (Lechner) 
XX,   325. 

1082.  Sutter,  Johann  von  Vicenza  und  die  italienische  Friedensbewegung  im 
Jahre  1233  (Vancsa)  XVIIi,  214. 

1083.  Tadra,  Kanceläfe  a  pisafi  v  zemich  cesk;fch  za  kräln  z  rodu  Lucem- 
burskeho  Jana,  Karla  IV  a  Väclava  IV  1310 — 1420  (Die  Kanzler 
und  Notare  in  den  böhmischen  Ländern  zur  Zeit  der  Luxenburger) 
(Milkovic)  XIV,  513. 

1084.  —  Soudni  akta  konsistofe  Prazske  (Acta  iudiciaria  consistorii  Pra- 
gensis)  (Marcs)  XIV,   673;  XVII,  207. 

lOSö,  —  Summa  Cancellariae  (Cancellaria  Caroli  IV.)  Formuläi"  kanceläfe 
ceske  XIV  stol.  (Ein  Formularbuch  der  kgl.  böhmischen  Kanzlei 
aus  dem    14,  Jahrb.)  (Bretholz)  XVII,    198. 

1086.  Tamassia,  Bologna  e  le  scuole  imperiali  di  diritto  (Luschin)  XI,  146. 

1087.  Tangl,  Studien  zum  Stiftungsbuch    des    Klosters   Zwettl  (Erben)    Xtl,  36G. 
1088    —  Die  päpstlichen    Kanzleiordnungen    von   1200 — 1500   (Ottenthai) 

XVI,   361. 
1089.    —  Das  Itinerar  Herzog  Leopolds  VI.  im  Jahre  1217  (Redlich)  XX,  689. 
10«)0.   Tarneller,  Die  Hofnamen  des  Burggrafenamtes  in  Tirol  (Prem)  XIV, 

184;  XV,   392;  XVI,   375;  XIX,   728;  XX,   502. 

1091.  Tegläs,  Neue  Beiträge  zu  den  Felseninschriften  an  der  untern  Donau  (Jung) 
XVIII,  202, 

1092.  Teichmann,  Amerbachiorum  epistolae  mutuae  (Luschin)  XI,   147. 

1093.  Teige,  Zpräva  o  pramenech  dejin  klästera  Hradistskeho  u  Olomouce 
az  do  roku  1300  (BericM  über  die  Geschichtsquellen  des  Klosters 
Hradisch  bei  Olmütz  bis  zum  Jahre   1300)  (Bretholz)  XVI,    144. 

1094.  Tenckhoff,  Der  Kampf  der  Hohenstaufen  um  die  Mark  Ancona  und  das 
Herzogthum  Spoleto  von  der  zweiten  Excommunication  Friedrichs  11.  bis 
zum  Tode  Konradins  (Vancsa)  XVIII,  215. 

1095.  Thoma,  Die  colonisatorische  Thätigkeit  des  Klosters  Leubus  im  12.  u.  13. 
Jahrhundert  (Bretholz)  XVIII,  210. 

1096.  Thüna,  Die  Würzburger  Hilfstrappen  im  Dienste  Oesterreichs  1756  — 
1763  (Dopsch)  XVI,    152. 

4 


1(M)7.  Thürheim,  Ludwig  Fürst  Starhemberg.  k.  k.  a.  o.  Gesandter  an  den 
Höfen  in  Haag,  London  und  Turin  etc.  (Pribram)  XI,   345. 

lÖÜS.  Tille,  Die  bäuerliche  Wirtscliaftsverfassung  des  Vintscbgaues  (Otten- 
thal)  XVIII,   1(55. 

109H.  —  Uebersicht  über  den  Inhalt  der  kleinen  Archive  der  Rheinprovinz  (Red- 
lich) XVIII.  209;   XX,  179. 

1100.  Tocilescu,  Das  Monument  von  Adamklissi  (Jung)  XVIII,  303. 

1101.  Tomassetti,  Della  compagna  Romana  nel  medio  evo  (Jung)  XVIII,  15.3. 

1102.  —  Inschrift  aus  Tusculum  (Jung)  XVIII.  201. 

1103.  Trampler,  Die  Mazocha  (Prem)  XIII,   3fi4. 

1104.  Treixler,  Der  nordöstliche  Theil  von  Niederösterreich  (Prem)  XVII,  (5S9. 
llOö.   : —  Gödinger  Urkunden  I.  (Prem)  XX,   499. 

llOß.    Trenta,  La  tomba  di  Arrigo  VII  iniperatore  (Redlich)  XVIII.  216. 

IIOJ.   Trierer    Ada-Handschrift    bearb.    von     Menzel,     Corssen,     .Janitschek, 

Schnütgen,  Hettner,   Lamprecht  (Eiegl)  XI,   460. 
IKtS.    Trubrig,  Heinrich  Wuest  gemeiner    Waldmeister   zu  Hall    in  Tirol  1511  — 

1520  (Hedlich)  XV,  189. 
IIOS).   Tumbült.    Zur    Geschichte    der     deutschen     Stadtverfassung    (ühlirzj 

XIX,    175. 

1110.  Turba,  Zur  Verhaftung  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen  1547 
(Prem)  XVI,   371. 

1111.  —  Verhaftung  und  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  vuu 
Hessen    1547 — 1550   (Kretschmayr)  XVIII,   6(37. 

1112.  Turchänyi,  Tabellae  chronogruphicae  ad  solvenda  diploraatura  data  (Hed- 
lich) XIX,  394. 

J113.    Uhlirz,  Die  Continuatio  Viudobonensis  (Redlich)  XVIII,  215. 

1114.  Uhlmann,  König  Sigmunds  Geleit  für  Hus  und  das  Geleit  im  Mittel- 
alter (Loserth)  XVI,   082. 

1115.  Llbricht,  (xeschichte  der  kgl.  Sachs.  Staatseisenbahnen  (Lippert) 
XII,    177. 

1116.  Ulmann,  Die  Hinrichtung  der  Sachsen  782  XI,  506. 

1117.  —  Kaiser  Maximilian  L,   2-  Bd.   (Huber)  Xllf,   349. 

1118.  Ungarische  Literatur  neuere,  Die  Geschichte  Nordost-Europas  (Tlial- 
löczy)  XIV,   335. 

1110.  Ungarns  Geschichtslitei-atur  1890 — 1896  (Aldäsy)  XIV,  681  ;  XV. 
538;  XVI,    693;   XVIII,    677. 

1120.  (Jnterforcher,  Rätoromanisches  aus  Tirol  (Prem)  XIII,  364;  XIV, 
184;  XV,   392. 

1121.  Unzer.  Die  Convention  von  Klein-Schnellendorf  9.  Oct.  1741,  XI,  509. 

1122.  Urkundenbuch  der  Stadt  Aussig  bis  z.  .1.  1526  hg.  von  Hieke  und 
Horcicka  (Bretliolz)  XIX,   37  6. 

1123.  Urkundenbuch  der  Stadt  Basel  hg.  von  Wackernagel  und  Thommen 
(Redlich)  XII,   309;  XVI,   540. 

1124.  Urkundenbuch  Osnabrücker,  herausgegeben  von  F.  Philippi  (Otten- 
thal)  XIX,   371. 

1125.  Urkundenbuch  des  aufgeholienen  Chorherrnstiltes  St.  Polten  hg.  von 
Lampel  (Redlich)  XV,   380. 

1126.  Urkundenbuch  Westfälisclies  4.  und  5.  Bd.  (Ottenthai)  XI,  177; 
XVII.  348. 


1127.  Urkundenbuch  der  Stadt  uud  Landschaft  Züricli  hg.  von  Escher  und 
Schweizer    J.   ßd.   (Redlich)   X[I,   509.  '■    ' 

llils.  Urvvalek,  Diu  griechischen  (lelehrten  zur  Zeit  der  ]<]rob'orung*  Con- 
stantinopels   1453   (Prem)  XVI,   .{75.  • 

1129.  Vancsa,  Das  erste  Auftreten  der  deutschen  Sprache  in  den  Urkunden 
(Redlich)  XVIII,    ISH.  .,;  .'     ' 

1130.  Vaiges,   Stadtrecht  und  Marktrecht  (Uhlirz)  XV,   489.    ,        ,     ^ 

1131.  —  Die  Entstehung  der  deutschen  Städte  (Uhlirz)  XV,  '489. 

1132.  —  Die  (rerichtsverfassung  der  Stadt  Braunschweig  (Uhlirz)  XVII,  .317. 

1133.  --  Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung  (Uhlirz)  XIX,  173.; 

1134.  —  Zur  Verfassungögeschichte  der  Stadt  Wernigerode  (Uhlirz)  XIX,  1 75. 

1135.  —  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Halberstadt  im  Mittelalter  (Uhlirz). 

XIX,  175. 

113(J.   Vogt,   Dr.  Johannes  Bugenhagens  Briefwechsel  (Thommen)  XII,  ]9i. 

113;.    Voigt,  Adalbert  vOn  Prag.     Ein  Beitrag    zur    Geschichte    der  Kii-che^ 

und  des  Mönchtums  im  zehnten  Jahrhundert    (Kaindl)  XX, '(^41.    .  ,  , 

1138.  Voltelini,  Zur  geistlichen  Verwaltung  der  Diöcese  Trieut  im  12.  und' i 3." 
Jahrhundert  (Redlich)  XI.  508.  •' 

1139.  Vucetic,  Dubrovnik  zz.  Kandijskoy  rata  (Ragusa  zur  Zeit  d^^s  Kanciia-' 
sehen  Krieges)  (Prem)  XMI,   690.  ,  ,,"''  < 

1140.  Wachsmuth  Einleitung  in  das  Studium  der  alten  Geschichte  f June  1 
XVll,  204. 

1141.  Wahl,  Compositions-  und  Successions-A'erhandlungen  untej;  Kaiser 
Matthias  während  eler  Jahre   1613 — 1615   (Hirn)  XIX,  386., 

1142.  Wahrmund ,  Das  Ausschliessungsrecht  der  katholischen  ,  Staaten,- 
Oesterreich,  Frankreich  und  Spanien  bei  den    Papstwahlen    (Thaner ) 

XI,  642.  ; 

1143.  —  Das  Kirohenpatronat  und  seine  Entwicklung  in  Oesterreich  (Thaner), 
XVI,   673.  -J 

1144.  —  Die  constitutiones  cmiae  Romanae  (Tangl    XX,  688. 

1144a. Waldner,  Nachrichten  über  die  Musikpflege  am  Hofe  zu  lunsliruck  {Rod-. 
lieh)  XX,  692.  • 

1145.  Walter  Fr.,  Die  Politik  der  Curie  unter  Gregor  X.  (Otto)  XVI,  184. 
114<J.    Waneck,  Die  J'ühnenreform  unter  JCaiser  Josef  IL,  ihre  Vorgeschichte 

und  Bedeutung  (Prem)  XVII,   687.  l        - 

1147.  Waskowski,   Aus  der  Vergangenheit  von   Olkusz  (Prem)  XIII,   36'5T'f 

1148.  Wattenbach,  Ueber  die  mit  Uold  auf  Purpur  geschriebene  Evangelienhand-. 
Schrift  der  Hamiltouischen  Bibliothek  XI,  499. 

1149.  Weber  Friedr.,  Das  palatinische  Pomerium  (Prem)  XVI,   373.  „     •  ■ -, 

1150.  Weber  Ottok.,  Die  Quadrupel-Allianz  v.  J.  17  18  (F.  M.Mayer)  XL  661. 

1151.  Weech,  Inventar  der  Kaiserurkunden  im  grossh.  General-Landesarchiv  in 
Karlsruhe  1379— 1437  XI,  502.  '     • 

1152.  Weger,  Teichwirtschaft  und  Fischerei  der  Herrschaft  Pardubitz  (Prem) 

XII,  362.  ,       i 
]  153.    Weihrich,    Stammtafel    zur    Geschichte    des    Hauses    Habsburg    (Redlich) 

XVL  381. 
1154.   Weiss,  Die  Entstehung  von  Städtewesen  in  den  Rheinländern  (Prem)' 

XX,  500. 

lloö.    Werenka,  Die  Verhandlungen  Oesterreichs  mit  der  Türkei    bezüglich 

4.- 


m 

der  Ei-werlaung  des   »Bukowiuer   Districts*   nach  der  Convrntion  vom 
7.  Mai   1775  (Prem)  XIV,    ISJ. 
lir»(».    Werenka,    Urkundliche    Nachrichten    über    die    Städte    »Cecina^-  und 
5>  Tschernowitz «  und  deren  Besitzverhältuisse  im  Jahre    1782  (Prem) 
XIX,    725;  XX,   499. 

1157.  Wertheim,  Matthäus  von  Trencsin  während    der  ungarischen    Thron- 
kämpfe von   1300 — 1312  (Prem)  XII,   359. 

1158.  Wertheimer,    Geschichte  Oesterreichs    und  Ungarns    im    ersten    Jahr- 
zehnt des  neunzehnten  Jahrhunderts   2-  Bd.  (Schütter)  XIV,    1G8. 

1159.  Wettiner- Jubiläum  in  der  historischen  Literatur  (Lippert)  XII,    160. 

1160.  Wichner,    Kloster    Admout    und    seine  Beziehungen  zur  Wissenschaft  und 
zum  Unterricht  XVI,  189. 

1161.  Wiclif-  und  Husliteratur,  Neuere  Arbeiten  zur  (Loserth)  XX,    670. 
1162    Widmann,     Zwei    Beiträge     zur     salzburgischen     Geschichte     (Prem) 

XIX,   723. 

1163.  Wiegand,    Das    Melker   Seelbuch    der    Strassburger    Kirche   XI,    509;    vgl. 
VIll,  629. 

1164.  —    Die   ältesten    Urkunden    für   St.    Stephan   in    Strassburg    (Mühlbacher) 
XVI,  176. 

1165.  Wiesner,  Studien  über  angebliche  Baumbastpapiere  XV,  173. 

1166.  Wild,  Johann  Philipp  von  Schönborn  (Brunner)  XIX,  222. 

1167.  Wimmer,  Kaiserin    Adelheid.    Gemahlin    (ittos   I.    des   Grossen    (Ottenthai) 
XII.  364. 

116N.   Winkelmann,     Der     Romzug    Ruprechts    von     der    Pfalz     (Lindner) 
XIV,   152. 

1169.  Winkler,    Die    Quellen    des    III.    makedonischen    Krieges    der    Römer 
und  seine  Ursachen  (Prem)  XX,   500. 

1170.  Wintera,     Geschichte    der    protestantischen    Bewegung    in    Braunau 
(Huber)  XVI,   151. 

1171.  Wirz,  Quellen  zur  Schweizer  Geschichte   (Kretschmayr)  XIX,   3S1. 

1 172.  Wislicenus,  Die  Urkuudeuauszüge  Eberhards  von  Fulda    Tangl)  XIX,  392. 

1173.  Witte.  Genealogische  Untersuchungen  zur  Geschichte  Lothringens  und  des 
Westrichs  (Redlich)  XVI,  380. 

1174.  Wlislocki,  Vom  wandernden  Zigeunervolke  (F.  M.   Mayer)  XIII,  356. 

1175.  Wörndle,    Dr.    Philipp    von  Wörndle    zu    Adelsfried  und  Weierburg, 
Tiroler  Schützenmajor  und  Landsturmhauptmann  (Krones)  XVI,    156. 

1176.  Wolfram.    Krit.    Bemerkungen    zu    den    Urkunden     des    Arnulf    Klosters 
XI,  .502. 

1177.  —   Ungedruckte  Kaiser  Urkunden  der  Metzer  Archive  XI,  502. 

1178.  —  Die  Regesten  der  im  Bezirksarchiv  zu  Metz  befindlichen  Papsturkunden 
XI,  502. 

1179.  —  Die  Reiterstatuette  Karls  des  Grossen  aus  der  Kathedrale  zu  Metz 
(Schlosser)  XII,   343. 

IISO.   —  und  Bonnardot,   Les  voeux    de    Tepervier.     Kaiser  Heinrich  VII. 

Romfahrt  (Vancsa)  XX,   360. 
llsl.   Wotschitzky,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Krieges  Erzherzog  Sigmunds 

mit  Venedig   1487    (Prem)  XII,   355. 

1182.  Wretschko,  Das  österreichische  Marschallamt  im  Mittelalter  (^Luschin) 
XIX,   715. 

1183.  Württembergische    Geschichtsquellen    herausgeg.    v.    Schäfer    (Schön) 
XVL   686;  XIX,   226. 


IJTl 

1184.   Wyss,  Abliandluugen  zur  Geschichte  des  schweizerischen  öfientlichen 
Eechts  (Dierauer)   XV,   682. 

11S5.   Xenia  Bernardina  (Tangl)  XVI,    139. 

Il8(i.    Zahn,  Styriaca  und  Styriaca,  Neue  Folge  (Starzer)  XVIII,  688. 

1187.  Zdekauer,   Statutum  potestatis  comunis    Pistorii    anni    MCCLXXXXVI 
(Voltelini)  XI,   473. 

1188.  —  Studi  Pistoiesi  (Voltelini)  XI,   473. 

1 189.  —    Codice  diplomatieo  Pistojese  XI,  504. 

irjO.    —  Lo  studio  di  Siena  nel  rinasciniento   (Voltelini)  XVII,  482. 

1191.  —  La   vita  privata  dei  Senesi  nel  dugento  (Voltelini)  XX,   123. 

1192.  Zeerleder,  Die  Berner  Handfeste  (Redlich)  XV,  170. 

1193.  Zeitschrift  des  Vereines  für  die  Geschichte  Mährens   und  Schlesiens  (Ued- 
lich)  XIX,  393.  ^ 

1194.  Zimmermann,    Die    Zeugenreihe    in     den    mittelalterlichen    Urkunden    des 
Weissenburger  Kapitels  XI,  504. 

ll'J.i.    —   Leber  Archive  in  Ungarn  (Eedlich)  XIII,   355. 
liyß.    —  und    Werner,    Urkundenbuch    zur    Geschichte    der    Deutschen    in 
Siebenbürgen   (Voltelini)  XIV,   675- 

1197.  —  Datirungsformel  in  Urkunden  Kaiser  Karls  IV.  (Vancsa)  XVI,  129. 

1198.  Zingerle,     Meinhards     IL    Urbare     der    Grafschaft    Tirol    (Ottenthai) 
XIV,    153. 

11{>9.   Zisterer,  Gregor  X.  und  Rudolf  von  Habsburg  in  ihren  beiderseitigen 
Beziehungen  (Eedlich)  XIII,  640. 

1200.  Zösmair,  Herzog  Friedrichs  Flucht  von  Constanz    nach    Tirol  (Prem) 
XVI,   370. 

1201.  Zukal,  Beiträge  zur  Häuser-   und  Bürgerchronik  des  Oberringes  von 
Troppau  (Prem)  XX,   499. 


Verzeichnis  der  Mitarbeiter  ^), 


Adler  Guido  (Uiiiv.-Piof.,  Wieu)  S42,  SGH. 

Adler  Sigruuad  (Üniv.-Prof.,  Wien)  222. 

Aldäsy    Anton    (Vicekustos     am    uugar.    Nat.-Museuin,    Budapest)    4<37, 

468,  ()53,   mit. 
Altinger  P.  Altmanu  (Prof.,  am  Stiftsgymu.,  Kremsmünster)  205. 
Altmaun  Wilhelm    (Bibliothekar    u.    Privatdocent,  Greifswald)  10,  o2. 
Amira   Karl  v.  (Üniv.-Prof..  München)  1)S,    110. 
Apih  Josef,  (Gymn.-Prof.,  Klageufurt)   1042. 

Bachmann  Adolf  (Univ.-Proi,  Prag)   201,  :\h?>,  6o9,  S74,  '.HO. 

Baltzer  Martin  (Gynmasialdirector,  Marienwerder)   120. 

Baumanu  Franz  Ludwig  (Reichsarciävrath.  München)  211. 

Becker  Anton  (Gymn.-Prof.,  Wien)   IS,  245. 

Beer  Adolf  (Hofrath  u.  Hochschul-Prof  i.  P.,  Wien)  1'.»,  20,  IDS,  240- 

241,  247. 
Below  Georg  v.  (Üniv.-Prof.,  Marburg)  200,  '.»75,    lo21. 
Bibl   Victor  (Concipist  am  n.-ö.  Lamlesarchiv,   Wien)  :)5. 
Bidennann  H.  J.  (y  Üniv.-Prof.,  Graz)  222. 
Bidlo  Jaroslav  (Prag)  412. 
Bresslau  Harry  (üniv.-Prof.,  Strassburg)   1(37. 
Bretholz    Berthold    (Landesarchivar.    Brunn)    70,   124,   oo5,  ))o6,  o4(i, 

522.  754,  920,   1(»S5,   109:'..    1095,   1122. 
ßrunner  Karl  (Beamter  am  Gen. -Landesarchiv,  Karlsruhe)   1166. 


')  Die  beigefügten  Zahlen  beziehen  sich  auf  die  Nummern  der  voraus- 
gehenden Verzeichnisse;  die  Xnmmern  der  einzelnen  Schriften,  welche  in  den 
Referaten  über  Programme  der  österr.  Mittel schnl<^n  (Nr.  913),  Neuere  Literatur 
über  Deut.'^ches  Stiidtewesen  (Nr.  1047),  Wettiner  Jubiläum  in  der  histor.  Lite- 
ratur (Nr.  1159),  Zur  Geschichte  des  hl.  Adalbert  (Nr.  282)  besprochen  sind, 
wurden  hier  nicht  aufgenommen. 


LV 

ßiidiuszky  Alexander  (Director  des  Archivs  u.  d.  Bibliothek  im  Finaiiz- 

niinisterium,  Wien)  4(30,   757,  8lS. 
l>usson  Arnold  (f  Univ.-Prof.,  Graz)   175,  052. 

Caro  Georg  (Privatdocent,  Zürich)   147,   157. 

Cartellieri  Alexander  (Privatdocent,  Heidelberg)  2!>7,  .310,  4<i5,  5;)8,  871). 
(Jriste  Oskar    (Hauptmann  im  k.  u.  k.  Kriegsarchiv,  Wien)  584,  585, 
711),  720,  923. 

Dierauer  Johannes    (Prof.    u.  Bibliothekar    der  Stadtbibl.,    St.    Gallen) 

102(3,    1184. 
Donabaiim  Josef  (Scriptor  an  der  Univ.-Bibl.,  Wien)  (n,   65(>,   777. 
Dopsch  Alfous    (Univ.-Prof,  Wien)    22,   41  —  48,    52,    218,    214,    21(3, 

290,  857,  ODO,  771,  824,  881,  919,  985,   1054,  1096. 
Durig  Josef  (Pädagog.-Director  i.  P.,  Innsbruck)  25. 
Dvorak  Max  (Assistent   am   kunsthistor.  Institut   d.  Universität  Wien) 

781,  997. 

Egger  Josef  (Gymn.-Prof.,  Innsbruck)  210,  782. 
Eichler  Ferdinand  (Amanuensis  der  Univ.-Bibl.,  Graz)  (37(»,    1(J07. 
Erben  Wilhelm  (Conservator  des   k.    u.  k.  Heeresmuseums,   Wien)  40, 
47,  215,  399,  401,  402,  507,  lo38,  10S7. 

Falk  Franz  (Pfarrer  in  Klein  -Winterheim  bei  Mainz)  2(34. 
Fellner   Thomas   (Archivdirector   im   Ministerium  d.  Innern  u.  Privat- 
docent, Wien)  382. 
Fester  Richard  (Univ.-Prof.,  Erlange u)   19(3. 
Ficker  Julius  v.  (Univ.-Prof.  i.  P.,  Innsbruck)  99,   11(3,   117. 
Finke  Heinrich  (Univ.-Prof.,  Freiburg  i.  Br.)  184,   180. 
Finkel  Ludwig  (Univ.-Prof.,  Lemberg)  902. 
Forst  H.,  (Archivar,  Coblenz)   18. 
Fournier  August  (Prof.  an  der  technischen  Hochschule,  Wien)  246. 

Gmelin  Julius  (Pfarrer  in  Gross-Altdorf,  Württemberg)  255,  731. 
Goll  Jaroslav,  (Univ.-Prof.,  Prag)   142,   184.  7(32. 
Grienberger  Theodor   v.    (Scriptor   an   der  Univ.-Bibl.   u.  Privatdocent, 
Wien)  209,  2(36. 

Hammerl  P.  Benedict  (Stiftsbibliothekar,  Zvrettl)  77. 

Hampe  Karl  (Privatdocent,  Bonn)  88!^. 

Hann  Franz  (Gymn.-Prof.,  Klagenfurt)  554. 

Hartraann  Ludo  Mtriz  (Privatdocent,  Wien)  ()8,  75,   149,  1028,  .1024. 

Hauthaler  P.  Willibald  (Gymn.-Director,  Salzburg)  824. 

Hermann  H.  J.  (Assistent  am  kunsthist.  Hofmuseum,  Wien)  258. 

Herzberg-Fränkel    Sigmund    (Univ.-Prof.,    Czernowitz)    83,    171,    178, 

374,  486,  448,  801. 
Hevck  Eduard  (Prof.,  München)  11,  220,  438,  589,  765,  974. 
Hirn   Josef,   (Univ.-Prof.,    Wien)    191,  228,   231,  370,  372,  618,  794, 

819,  822,  928,   1141. 


LVI 

Hörmauu  Walter  v.  (Uuiv.-Prof.,  Czeruowitz)  344,  527. 

Hofmann- Wellenhof  Victor  v.  (Archivs- Concipist  im  Finanzministerium, 

Wien)  2(>(i,  488,  640,  767,  789,  7<K). 
Holzer   P.    Odilo    (Prof.    am    Stiftsgymnasium   Melk)   286,    oo8,    377, 

476,  .566,  600,  616,  621,  679,  680,  958,  973. 
Hoogeweg  Hermann  fStaatsarchivar,  Hannover)  945,  948,  949. 
Hofcicka  Adalbert  (Gymn.-Prof.,  Wien)  832—835,  837—839. 
Huber  Alfons  (f  Üniv.-Prof.,    Wien)    223,    230—232,    362,  363,  424, 

450,  511,  677,  7.50,  761,  783,  941,  1022,  1078,  1117,  1170. 
Huemer  Johann  (Landessehulinspector,  Wien)  2. 

Jakscli  August  v,  (Landesarchivar,  Klagenfurt)  638. 

Jireeek  Josef  Constantin  (Üniv.-Prof,   Wien)  407. 

Hgen  Theodor.  .50. 

Jung  Julius  (Üniv.-Prof,  Prag)  260—263,  311,  316,  350,  371,  379, 
430,  479,  509,  .543,  559,  560,  563,  586,  628—630,  704,  710, 
71.5,  816,  872,  87.5.  880,  881,  884,  892,  1075,  1091,  1100— 
1102,  1140. 

Kaindl  Kaimund  Friedrich  (Privatdocent,  Czernowitz)  138,  141, 
202,  282. 

Karlsson  Karl  Henrik  (Amanuensis  an  der  Reichsbibliothek,  Stock- 
holm) 72. 

Katschthaler  P.  Eduard  E.  (Prof  am  Stiftsgymuasium  Melk)  128. 

Kehr  Paul  (Üniv.-Prof.,  Göttingen)  51,   lo32. 

Kratochvil  Vaclav  (Concipist  am  Staatsarchiv,    Wien)    708,    843,    844. 

Krause  Victor  (f  Mitarbeiter  der  Mon.  Germ.,  Berlin)  107. 

Krejcik  Adolf  Ludwig  (Eom)  207. 

Kretschmayr  Heinrich  (Archivar  am  Archiv  des  Ministerium  d.  Innern 
u.  Privatdocent,  Wien)  8,  315,  3,54,  1028,  1111,   1171. 

Krones  Franz  R.  v.  Marchland  (Üniv.-Prof,  Graz)  225,  317,  452,  505, 
647,  649,  857,  874,  894,  988—990,  1044,  1175. 

Krusch  Bruno  (Staatsarchivar,  Hannover)  120,  121,  727. 

Kurze  Friedrich  (Gym.-Prof,  Berlin)  127. 

Landwehr  Moriz  v.  Pragenau   (Gymn.-Prof,    Radautz)  195,  799. 
Laschitzer   Simon  (Bibliothekar  der  Akademie  der  bild.  Künste,  Wien) 

404,  623,  716. 
Lechner  .Johann  (Mitarbeiter  der  Mou.  Gerra.,  Wien)  59,   1002,   lo8l. 
Lechner  Karl  (Gymn.-Prof.  Kremsier)  238. 
Lehmann  Max  (Üniv.-Prof.,  Göttingen)  17. 
Levec  Wladimir  (Wien)  219. 
Levinson  Arthur  (Königsberg)  140. 
Liebenau  Theodor  v.  (Staatsarchivar,  Luzern)  19o. 
Lindiier  Theodor  (Üniv.-Prof,  Halle)  113,   11.5,    118,   178.   181,   1168. 
Lippert   Woldemar,    (Archivrath    am    Staatsarchiv,    Dresden)    44,    174, 

177,  179,  296,  352,    392,    489,    549,    627,    737,    756,  904,  905, 

94(),  947,  961,  991,  1014,  1035,  1159. 
Loersch  Hugo  (Üniv.-Prof.,  Bonn)  54. 


LVir 

Loserth  Johann  (Univ.-Prof.,  Graz)  !•(),  221,  22(;,  22tl.  28*J,  47S,  497, 
551,  578,  75(1,   101<).   1027,   1114,  llGl. 

Luschin  v.  Ebengreuth  Arnold  (Univ.-Prof.,  Graz)  :;o4,  3<S(),  -38'.»,  ;VJ(), 
393,  394,  410,  463,  484—486,  517—520,  778,  779,  796,  864, 
935,  942,  951,  966,  999,  1029,  1086,  1092,  1182. 

Mauitins  Max  (Dresden)  119,  122,   123. 

Mares  Franz  (Vorstand   des  f.  Scliwarzenberg'scheu  Archivs,  Wittingau) 

391,  846,  93;'>,  934,  1076,   1084. 
Mayer    Franz   Martin    (ßealschnldirector,    Graz)    239,    442,    9ol,    960, 

984,  987,  1150,  1174. 
Mayr  Michael  (Director  des  Statth. -Archivs  u.  Privatdocent,  Innsbruck) 

6,   14,  71,  233. 
Mencik  Ferdinand  (Scriptor  an  der  Hofbibliothek.  Wien)  9,  16. 
Milkoviez    Wladimir   (Univ.-Prof.,    Czernowitz)    528,    546,    753,    769, 

877,  924,  1083. 
Miltenberger  F.  (Pfarrer  in  Giebelstadt-Würzburg)  183. 
Mudrich  Andreas  (Concipist  am  Regieruugsarchiv,  Salzburg)  S8. 
Mühlbacher   Engelbert    (Univ.-Prof.,   Wien)    36,    281,    425,   513,  514, 

(;14,   626,   665,   (JGQ>,    735,  751,  852—856,  865,  867,  871,   899, 

952,  953,  970,  986,  1020,  1033,  1065,  1164. 

Nissl  Anton  (f  Univ.-Prof.,  Innsbruck)  100. 

Noväk  Johann  (Beamter  der  Univ.-Bibliothek,  Prag)  204. 

Obser  Karl  (Archivrath  am  Gen. -Landesarchiv,  Karlsruhe)  2nO. 

Opet  Otto  (Privatdocent,  Bern)  102—104,  109,  473. 

Ottenthai  Emil  v.  (Univ.-Prof.,  Innsbruck)  45,  70,  126),  194,  227, 
295,  347,  383—386,  414,  417,  418,  438,  457,  475,  498,  50S, 
523,  526,  541,  580,  587,  588,  643,  663,  780,  803,  810,  890, 
925,  937,  940,  1000,  1001,  1030,  1037,  1088,  1098,  1124,  112(5, 
1167,   1198. 

Otto  Heinrich  (Gymn.-Prof.,  Hadamar)  154,   1()3,   169,  440,44.5,  520, 

1063,  1145. 

Philippi  Friedrich  (Staatsarchivar,  Münster)  62,  9L 

Posse  Otto  (Ober-Regieruugsrath  am   Staatsarchiv,  Dresden)  9:'). 

Prem  S.  M.  (Gymn.-Prof;,  Graz)  634—636,  700,  741—744,  795,  827, 

S35,  9i;;. 

Pribram  Alfred  Francis,  (Univ.-Prof..  Wien)    15,    139,  234,  327,  366, 

369,  544,  804,  1097. 
Priebatsch  Felix  (Breslau)  185. 
Pröll  Laurenz  (Gymn.-Director,  Salzburg)  193. 

Rachfahl  Felix  (Univ.-Prof.,  Halle)  724. 

Redlich  Oswald  (Univ.-Prof.,  Wien)  156,  164,  168,  187,  217,  218, 
305,  313,  314,  331,  337,  341,  355,  356,  359-361,  368,  387, 
397,  409,  416,444,  446,447,  456,483,  503,529,  552  a,b,  557,  576, 
577,    592,  595,    598,  601,    624,  625,    642,  673,    693,  699,  702, 


LVIII 

70.'),  722,  736,  747,  7()o,  77(),  791  — 7Üo,  SOO,  S02,  S()9,  ><1U 
S12,  845,  Sßl,  S97,  9US,  9r)0,  9(i7,  972,  9SI— 983,  1003,  1008, 
1009,  lOK),  1020,  1034,  1041,  1048—1053,  10(32,  1073.  1089, 
1099,  1100,  1108,  1112,  1113,  1123.  1125,  1127,  1129,  113s. 
1144  a,  1153,   1173,  1192,  1193,  1195,  1199. 

Reinhardt  Heinrich  (Univ.-Prof.,  Freiburg  i.  d.  Schweiz)  548. 

liichter  Eduard  (Univ.-Prof.,  Graz)  2ß5. 

Richter  Paul  (Archivsecretär,  Coblenz)   131. 

Kiegl  Alois  (Univ.-Prof.,  Wien)  (U,  437.  S5(),  S51,  900,  992,  1005,  lln7. 

Rodenberg  Carl  (Univ.-Prof.,   Kiel)  14(5,   l()(i. 

Röhricht  Reinhold  (Gymn.-Prof.,  Berlin)  252-254,  41'.),  427,  42s, 
550,  (;04,  >^{\9,,  <)32. 

Sackur  Ernst  (Privatdocent.  Strassburg)  143,   144. 

Sauder  Hermann  (Realschul-Director,  Innsbruck)  224. 

Sartori  Tullius  v.  Montecroce  (Univ.-Prof..  Innsbruck)  772. 

Sauerland  H.  V.  (Trier)  12,  27,  31. 

Schäfer  Dietrich    (Univ.-Prof.,    Heidelberg)  3>(35,  429,  8(i2,  878,    1031. 

Schalk  Karl  (Custos  an  der  Stadtbibliothek,  Wien)  82,  458,  579.  (i37.  79S. 

Schaube  Adolf  (Gymn.-Prof..  Brieg)   1(')1,  521. 

Scheffer-Boichorst   Paul  (Univ.-Prof.,    Berlin)    23,    53,    137,    152,  153, 

1.1.5,   1(32,  40(3,  493,  ()15. 
Schlitter  Hans  (Archivar  am  Staatsarchiv,  Wien)    21,    248,    249,  51(i, 

788,  90G,  907,  10(31,  1158. 
Schlosser  Julius  v.  (Custos  am  kunsthistor.  Hofmuseum  u.  Privatdocent, 

Wien)  92,  25(3,  293,  (383,  1179. 
Schmitz-Rheydt  Ludwig  (Rheydt  bei  Düsseldorf)  90. 
Schön  Theodor  (Stuttgart)  5,   17('),  32S,  590.  (;74,   745,   909,   1183. 
Schönherr  David  R.  v.  (f  Archivdirector,  Innsbruck)  257,  259. 
Schröder  Edward  (Univ.-Prof.,  Marburg)  74. 
Schrohe  H.  (Gymn.-Prof,  Bensheim  in  Hessen)  182. 
Schulte  Aloys  (Univ.-Prof,  Breslau)   125,   13(3,  188,  235,  (517. 
Schum  Wilhelm  (f  Univ.-Prof,  Halle)  728. 
Schwind  Ernst  Freih.  v.  (Univ.-Prof.,  Wien)  545,  (511. 
Seeliger  Gerhard,  (Univ.-Prof.,  Leipzig)  5(3,  57,  114. 
Seemüller  Josef  (Univ.-Prof.,  Innsbruck)  1,  3,  78.  18(3. 
Sickel  Theodor  R.  v.  (Section.-^chef,  Director   des   Istituto  Austriaco   di 

studi  storici,  Rom)  4(5,  73,  so,  !)5,  •)7,  2(38,  99S. 
Sickel  Wilhelm  (Univ.-Prof.,  Strassburg)  101,   106. 
Siegel  Heinrich  v.  (f  Univ.-Prof,   Wien)  343. 
Sievers  Georg  (Leipzig)   165. 
Sommerfeldt  Gustav  (München)   172. 
Spangenberg  H.  (Osnabrück)  212. 
Stare  Josef  (Univ.-Prof.,  Agrani)  2>^'^. 

Star/.er  Albert  (Director  des  Statth. -Archivs,  Wien)  S47,  917,  1068,  1186. 
St(inherz  Samuel  (Privatdocent,  Wien)    ;)4,    170,   358,  434,  482,   524, 

f)0(;,  698,  755,  78(3,   1039. 
Sternfeld  Richard  (Univ.-Prof.,  Berlin)  2(5,  4s,  49. 


LIX 

Stübul    BruDO,    (Obf-r-Bibliothekar    an    der    kgl.    Bibliotlick,    Dresden) 

1<»2,  2Ö1. 
Susta  Josef  (Wien)  Sl. 

Tadra  Ferdinand  (Custos  an  der  Univ.- Bibliothek,  Prag)  58. 

Tangl  Michael  (Univ.-Prof.,    Berlin)    37,    38,   ßb,   (iO,    132,  2(»S,    :',2i;, 

3S1,    422,    455,   4(52,    490,    558,   (i50,  ßM7.  714,  7(U,  S58,  •.»31, 

<»50.  068,  1040,  1144,  1172,  1185. 
Teige  Josef  (Adjunct  am  Stadtarchiv,  Prag)  (Ji;. 
Thalldczy    Ludwig    v.    (Director   des    k.    u.    k.    iveichö-Fiuanz-Archivs, 

Wien)  1118. 
Thaner  Friedrich  (Üniv.-Prof.,  Graz)   108,   1142,  1143. 
Thiel  Victor  (Concipist  am  Statth.-Ärchiv,  Wien)  135. 
Thomraen   Rudolf   (Üniv.-Prof.,    Basel)    7,    477,    502,    (UdI,    7(5S,    77:5, 

1057,   113(). 
Tomaseth  H.  J.  (Beamter  an  der  Albertina,  Wien)  68. 
Turnbült    Georg    (Archivar    am    f.     Fürstenberg'scheu    Archiv,  Donuu- 

eschingen)  33,  145. 

Uhlirz  Karl   (Oberarchivar  der  Stadt  Wien  u.   Privatdocent)  4,  2S,  2'.», 
<;o,  ()4,  70,  84,  86,  87,  04,   148,  348,  506,  7.34,823,850,  1047. 
Unger  Theodor  (f  Adjunct  am  steierm.  Landesarchiv,  Graz)  840. 
ünzer  Adolf  (Privatdocent,  Kiel)  190,  242. 

Vancsa  Max  (Custos  am  n.-ö.  Landes-Archiv,  Wien)  55,  85,  376,  441, 
515,  536,  547,  553,  668,  725,  73!),  740,  07S,  1045,  1082,  1004, 
1180,  1107. 

Voltelini  Hans  v.  (Concipist  am  Staatsarchiv,  Wien)  180,  4oo,  84s, 
860,  866,  062,  1187,  1188.   1100,   1101,   1106. 

"Wagner  Ferdinand  (Göttingen)  107. 

Wahrmund  Ludwig  (Univ.-Prof.,  Innsbruck)  825,  056,  057. 

Weber  Ottokar  (Univ.-Prof.,  Prag)  237- 

Wenck  Karl  (Üniv.-Prot;,  Marburg)  250. 

Wieser  Franz  v.  (Univ.-Prof.,  Innsbruck)  267. 

Wilhelm  Franz  (Concipist  am  Statth.-Archiv,  Innsbruck)   i;>3. 

Winkeln! ann  Alfred  (Heidelberg)  130,  760. 

Winkelmann  Eduard  (f  Üniv.-Prof.,  Heidelberg)  24,  80,   15S — 160,  5o7. 

Witte  Heinrich  (Gymn.-Prof.,  Hagenau)   150,   151,  423,  470,  471. 

Wolff  Martin,  (Berlin)   105. 

Wolfram  Georg  (Archivdirector,  Metz)  :)*.). 

\/ 

Zak  P.  Alphons  (Pernegg,  Niederösterreich)  203. 

Zallinger  Otto  v.  (Üniv.-Prof.,  Wien)  111,  112,  473. 
Zimmermann  Franz  (Königsberg)  ;>(). 

Zwiedineck-Südenhorst  Hans  v.  (Üniv.-Prof.  u.  Director  der  steierm. 
Landesbibliothek,  Graz)  23(;,  243,  244,  492,  612. 


Verzeichnis 

der 

Facsimile,  Kiiiistbeilageii,  Abbilduiiiieu  und  Karten. 


Facsimile. 

Kladdenband  244  A  Inuoceuz  VI.  n"  116  u.  n*J  117  zu  Donabaum, 
Beiträge  zur  Keüiitnis  der  Kladdenbäude  des  14.  Jahrh.  im  vatik. 
Arch.  XI,   101. 

Otto  III.  für  Meissen  996,  Dec.  6  u.  995  Juli  30  für  Corvei  zu 
Erbeu,  Excurse  zu  deu  Diplomen  Otto  III.,  XIII,  537. 

Ortilo,  Codex  Yindobonensis  635  fol.  8' — 9,  Leupold,  Codex  Campili- 
liensis  .58  fol.  151'  und  Cod.  Vindob.  13424  pag.  72—73  zu 
Tangl,  Die  Fälschungen  Chrysostomus  Hantlialers  XIX,   1. 

Zwei  Blätter  aus  der  Chronik  von  Ebendorfer  zu  Pribram,  Thomas 
Ebendorfers  Chronica  regum  Romanorum,  Erg.  III,  38. 

Kunstbcilageii  und  Abbilduiijsreii. 

Zwei  Initialen  eines  Wiener  Grundbuchs  aus  dem  Jahre  1389  zur 
Abhandlung  gleichen  Titels  von  Schalk  XII^  655. 

Goldmünzen  Friedrichs  II.  zu  E.  Winkelmann,  lieber  die  Gold- 
prägungen Kaiser  Friedrichs  II.  für  das  Königreich  Sicilien  und 
besonders  über  seine  Augustalen  XV,  401. 

Ein  Siegelstempel  Kaiser  Friedrichs  II.  zur  Abhandlung  gleichen 
Titels  von  E.  Winkelmann  XV.  485. 

Ein  lUilleustempel  des  Papstes  Inuocenz  IV.  zur  Abhandlung  gleichen 
Titels  von  Schmitz-Rheydt  XVII.  (U. 

Porträt  Julius  Fickers,  Erg.  IV,  Titelblatt. 


LXl 

Al»bildiiiigeii  zu  Sehöuherr.  Ein  fiirstliclier  Architekt  und  l>;uilierr 
Erg.'' IV.  4G0. 

1.  Grundriss  des  Erdgeschosses  des  Sehlosseä  Stern. 

2.  Schloss  Aml)ras  aus  Merlans  Topogiaphia  proviuciarum  Austria- 
carum. 

Karten. 

Zwei  Skizzen  der  Umgebung  von  Bruck-Leoben  und  St.  Michael  zu 
Zwiedineck-Südenhorst,  Das  Gefecht  bei  St.  Michael  und  die  Ope- 
rationen des  Erzherzog  Johann  in  Steiermark  1809,  XII,  101. 

Drei  Kartenskizzen  des  Bartolomeo  Colombo  zu  Wieser,  Die  Karte 
des  Bartolomeo  Colombo  über  die  4.  üeise  des  Admirals  Erg. 
IV,  488. 

Plan  der  Umgebung  von  Abensberg  zu  Zwiedineck-Südenhorst,  Die 
Brigade  Thierry  im  Gefechte  von  Abensberg  am  19.  und  2o.  April 
1809,  Erg.  Y,   17:5. 


I 


BINDING  SECT.  JUL  241969 


DB  Vienna.   Institut  für  öster- 

1  reichische  Geschichtsforschung 
V5         Mitteilung 
Bd.  20 


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