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Fi£r. 1.
a — a Lohiswan«!.
b—h Lössabbriich,
c — c Tertiärer Sand.
d Gegrabene Hohle,
<• — p. Laj^erhütfitten.
.<■>;.
Mitteilungen
Anthropologische Gesellschaft in Wien
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(J^
MITTHEILUNGEN
der
Antopolopben UscMl in Viei
Redigirt
von
Franz Bitter von Hauer, Carl Langer, M. Muoh,
Friedrich Mtlller, S. Wahrmann, J. Woldficli.
Band VII.
Mit 1 in den Text gedruckten, 14 freien Tafeln und 43 einzelnen Abbildungen.
0
WIEN.
Karl G-erold'e 8 o li n
1878.
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f )UL 29
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INHALT.
L AbhandlnngeiL
Seite
,^^^ Flifier. Zur Ethnographie Noricmns 281
^^ — Zur Skythenfrage 344
Hawelka, Job. Die Forschungen der kaiserlichen archäologischen Com-
mission zu St. Petersburg 104, 176, 221
^ Hochstetter, Ferdinand von. Ueber neue Ausgrabungen auf den alten
Graberstätten bei Hallstatt 297
^Hleyer, A. B. Notizen über das Feilen der Zähne bei den Völkern des
ostindischen Archipels 214
MMh, M. Ueber einige auf den Gebrauch Ton Steinwaffen weisende
Ausdrücke der deutschen Sprache 7
>^ — Ueber die Steinfiguren (Kamene habe) auf den Tumulis des süd-
lichen Rnssland . . 193
^ — Ueber eine Benisteinperle mit phönikiscber Inschrift in der Samm-
lung nordisch-germanischer Alterthtimer zu Oldenburg .... 239
\ — Ueber prähistorische Bauart und Ornamentirung der menschlichen
Wohnungen »18
xWankel, Heinrich. Gleichzeitigkeit des Menschen mit dem Höhlenbären
in Mähren 1
"V^^ Ein prähistorischer Schädel mit einer halbgeheilten Wunde auf
der Stirue, höchst wahrscheinlich durch Trepanation entstanden 86
\ — Der Bronze-Stier aus der By^iskdla-Höhle 125
N^ Weiser, M. E. Das Völkergemisch auf der Balkan-Halbinsel .... 164
— Die Feiertage der Brüder aus den schwarzen Bergen .... 169
\ WilckeM, IN. Ueber die Schädelknochen des Rindes aus dem P&hlbau
des Laibacher Moores 166
^^NAfoldl'icIl, J. N. Zweiter Bericht über die Pulkauer Fundstätte ... 37
^ X — Ueber einen neuen Haushund der Bronzezeit 61
^Wnrnbrandy G. Graf. Bericht über den VIII. internationalen Congress
für Anthropologie und vorgeschichtliche Archäologie in Pest . . 16
"V — Aufklärungen. Entgegnung in Betreff der Bohrung von Stein-
geräthen und in Betreff thöuemer Lampen und Löffel .... 96
X " Ueber die achte Jahresversammlung der deutschen anthropologi-
schen Gesellschaft 266
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IV
n. Kleinere Mittheilnngen.
v^ Saite
L(ii8chan), F. V. Urgeschichtliche Funde auf Pelagosa 67
XM6y6r, A. B. lieber die Perforation des Penis bei den Malayen . . . 242
Jülich, M. Die Existenz des Menschen in der Auvergne zur Zeit der
Thätigkeit der dortigen Vulkane 36
^*» — üeber die zoologische Methode in der Anthropologie 121
'''^— Programm der Organisirung einer besonderen anthropologischen
Gruppe bei der Weltausstellung 1878 in Paris 123
^^ — lieber einen Grabhügel bei Digala am Ourmia-See 161
'^ — Die Alanen als Verfertiger der bechertragenden Steinbilder in den
Pontusländem und in Spanien 351
^^r. Die Terremare in Ungarn 67
^ — Bernstein in Italien 244
•^^ — Funde bei Cles 245
in. Literaturbericfate.
Fligier. La Gr^ce avant les Grecs, par Louis Benloew 255
— Les Premiers habitants de TEurope, par H. d'Arbois de Jubainville 259
— Die Völkerstfimme der europäischen Türkei, von Dr. Lorenz
Diefenbach 260
— La Boumanie ^conomique etc. par Ob^d^nare 261
— Les Boumains de la Mac^doine par M. E. Picot 261
— Römer und Romanen in den Donauländern von Dr. Jul. Jung 262
— Le Celtes de TEurope oriental par M. Ob^d^nare 262
— Lag^eau : des Alanes, de Theiphales, des Ag^thyrses et de quelques
autres peuplades Sarmates ou Slaves dans les Gaules .... 263
— Dr. Kopemioki: O wyobraieniach lekarskich i przjrodniczych oraz
o wierzeniach naszego ludu o swieoie roslinnym i zwierzfczjm . 263
— Mantegazza Zanetti: note antropologiehe sulla Sardegna. . . . 264
— Fiek: 1. Ueber die Sprache der Macedonier. 2. Zum macedonischen
Dialekte 294
— Geizer: Kappadocien und seine Bewohner 295
Muoh, M. M. Cartailhac : L'äge de pierre dans les Souvenirs et les super-
stitions populaires 60
~ Dr. Fligier. Zur prähistorischen Ethnogräfie Italiens 220
— Graf B^la Sz^chenji: Funde aus der Steinzeit im Neusiedler See-
becken mit einigen Mittheilnngen aus dessen Verg^genheit • . 245
M. F. Otto Caspari. Die Urgeschichte der Menschheit mit Rücksicht
auf die natürliche Entwicklung des frühesten Geisteslebens . . 293
Weiss. Franz Ferk. Ueber Druidismus in Noricum 216
IV. VereinsnachricbteD.
Protokoll der Jahresversammlung 42
Sonstige Vereinsnachrichten 36, 60, 124, 220, 264, 296, 351
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Vn. Band. Ausgegeben den 7, März 1877. Ifr. 1 U. 2.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
IN WIEN.
lahAlt: Gleichzeitigkeit des Menschen mit dem Höhlenbären in Mähren von Dr. Heinrich
Wuikel. — Üeber einige auf den Gebrauch von SteinwaflTon weisende Ausdrücke der
dcnticben Sprache von Dr. M. Much. — Bericht aber den VIII. internationalen Congress
für Anthropologie und vor^i^escbichtliche Archäologie in Pest, September 1876 von G. Graf
Wwmbraiid. — Kleinere Mittheilung: Die Existenz des Menschen in der Auvergne zur Zeit
der Thätigkeit der dortigen Vulcane von Dr. M. Much. — Vereinsnachrichten: Nachricht
in BetreiF des Wiederbeginnes der Versammlungen.
Gleichzeitigkeit des Mensehen mit dem Höhlenbären
in Mähren.
Von
Dr. Heinrich Wankel.
Menschenknochen oder die Erzeugnisse durch Menschen-
hand zusammen mit Knochen von Höhlenbären, wurden wohl
häufiger, als man glaubt in Höhlen gefunden, doch stets ignorirt,
und selbst als in den Zwanziger und Dreissiger Jahren wieder-
holt darauf hingewiesen wurde, dass der Mensch möglicher
Weise Zeitgenosse des Höhlenbären und der grossen ausge-
storbenen Dickhäuter gewesen ist, so verklangen diese Stimmen
ungehört in den von Vorurtheil und vorgefassten Ansichten
durchdrungenen Hallen der Wissenschaft. Denn wie konnte
der Mensch mit dem Höhlenbären und dem Mammuth zugleich
gelebt haben, frug man sich damals, da die Reste dieser
Thiere fossil sind, und es die menschlichen auch sein müssten,
was aber der Behauptung Cuvier's, „es gebe keine fossilen
Menschenknochen", geradezu widersprechen würde.
Das Feuersteinmesser, das im Jahre 1753 in dem Kalke
bei Neuchätel in der Schweiz, und jenes, das 1825 von J. Mc.
Enery in unbeiührten Schichten der Kenthöhle mit fossilen
Bärenknochen gefunden wurde, konnten ja Naturspiele ge-
wesen oder nachträglich in diese Schichten gelangt sein! —
Dasselbe Schicksal traf die Entdeckung TournaFs und
de Christors, die sie in der Höhle von Pondols im Jahre 1826
1
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machten, welche die Gleichzeitigkeit des Menschen mit dem
Höhlenbären klar bewiesen hatte, und selbst als im Jahre 1840
Godwin Austin, und sechs Jahre später der naturwissenschaft-
liche Verein zu Torquay diesen und noch eine Reihe ähnlicher
Funde in der Kenthöhle durch eine Commission bestätigte,
gingen alle diese Entdeckungen an dem Forum der Wissen-
schaft spurlos vorüber und gelangten bald in Vergessenheit.
Gleich geringen Erfolg erzielte Schmerling mit seiner in
den Dreissiger Jahren gemachten Entdeckung in den Lütticher
Höhlen, wo er Menschenknochen mit Höhlenbärenknochen in
noch vollkommen unbemhrten Schichten beisammen fand, und
sein bescheidenes Auftreten wurde nur mit mitleidigem Lächeln
aufgenommen, bis sich endlich 26 Jahre später der von Skep-
ticismus durchdioingene Lyell herbeiliess, die Höhle zu besuchen
und die Schichten genau zu untersuchen und zu seiner Ueber-
raschung fand, dass die gleichen Lagerungsverhältnisse, die
gleiche Beschaffenheit beiderlei Knochen, die ungestörten
Schichten auf eine Gleichzeitigkeit des Menschen mit dem
Höhlenbären schliessen lassen. Doch die spätere Auffindung
eines Gefössscherbens durch Dupont in denselben Schichten
hat der Skeptik abermals die Thore geöffnet, obgleich einer-
seits ein Rückschluss auf bereits durch die Nachgrabungen
Schmerling's und LyelFs zerstörten Schichten nicht recht zu-
lässig, andererseits es auch nicht erwiesen ist, ob der Mensch
dieser Zeit nicht auch schon Thongeschirre kannte.
Eines hat Schmerling doch bezweckt, nämlich, dass man
in England sich der Funde in der Kenthöhle wieder erinnerte,
und in der bei Torquay, in der Nähe der Kenthöhle, gelegenen
Brixhamhöhle im Jahre 1858 neue wissenschaftliche Nachfor-
schungen begann, welche von unparteiischen Männern geleitet,
die glänzendsten Erfolge hatten, die der Wahrheit offene Bahn
brachen. Prestwich, Falconer und ein Jahr später Lyell waren
es, die Feuersteinwerkzeuge mit Höhlenbärenknochen zusammen
fanden, welch' letztere durch ihre der Stellung des Skelettes
zukommende Lage verriethen, dass sie mit Fleisch und Sehnen
hier abgesetzt und durch keinen nachträglich störenden Ein-
fluss bemhii; wurden. Durch jene drei Männer wurde das
Zusammenleben des Menschen mit den Höhlenbären sicher
gestellt, und diese Entdeckung endlich von der Wissenschaft
aufgenommen; erst nachher tauchten plötzlich Männer auf,
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die mit einem Male beweisen wollten, dass dies schon lange
bekannt war, dass schon im Jahre 1715 ein Feuersteinmesser
in dem Grobsande von London mit Mammuthknochen und im
Jahre 1797 Frere Steinmesser mit fossilen Höhlenthieren in den
Grotten Englands entdeckt habe.
So erging es dieser Entdeckung, wie so vielen anderen,
von denen Agassiz sagt, dass man sie Anfangs ganz ableugnet,
dann als den Ansichten der Wissenschaft widersprechend ver-
wirft oder ignorirt und zuletzt als schon lange bekannt her-
vorhebt.
Die Entdeckungen dieser Art mehrten sich nun und
wenn auch bei vielen nachträglich nachgewiesen wurde, dass
durch eingetretene Fluthen oder andere Einflüsse die Schichten
gestöii; und die Hölilenbärenknochen mit Menschenknochen
oder Producten seiner Hand später vermengt wurden, so
ist doch immerhin in den meisten Grotten Europas, wo der
Höhlenbär wohnte, die Gleichzeitigkeit desselben mit dem
Menschen nachgewipsen worden. Zu diesen Höhlen gehören:
die Höhlen von Maccagnone in Sicilien; die Grotten von
Chätel-Parron, Cro Magnon, Soyons, Nebrigas, Lherm, Boui-
chöta, Bedeillou, Arcy-sur-Cure in Frankreich; die Wookey-
höhle und die von Soffle in England; die Trou de la naulette
in Belgien, die Klusensteiner, Balver Höhle, der Hohlefels im
Achthaie, der Höhlenstein im Lonethale, die Räuberhöhle im
Schelmengraben bei Regensburg, die Einhornhöhle u. s. w. in
Deutschland, die Krakauer Höhleu und auch neuester Zeit die
Evahöhle in Mähren.
In dem sowohl durch landschaftlichen Reiz als auch durch
die prähistorischen Funde in seinen Höhlen bekannten Josefsthal
in Mähren, liegt einen halben Kilometer von der imposanten
Felaengruppe B^öiskäla entfernt, auf der südlichen Thallehne
noch eine, obwohl kleine, aber durch ihre Felsenzerklüftung
höchst malerische Gruppe, in welcher eine aus mehreren Etagen
bestehende Höhle mündet, die mit den Namen Evahöhle
bezeichnet wird. Ein trivialer, neuer Name, der mit dem eben-
falls neuen Adamsthal in Verbindung steht.
Der Pfad, welcher am linken Ufer des Baches ßißka
von Adamsthal aus, dem Thale entlang fuhrt, durchschneidet
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den hervorragenden Theil dieser Felsengruppe in Form eines
10 — 12 Meter langen, gewölbten, theilweise zerklüfteten Ganges,
in dem sich die drei Eingänge zu der Grotte befinden, von
denen der im Anfange des Ganges gelegene erste, bequem zu
befahren ist. Er führt durch eine wenige Meter lange Strecke in
die unterste Etage, eine geräumige, zwölf Meter hohe, unregel-
mässige Halle, die im Hintergründe theilweise noch mit einer
bis fast an den First reichenden Ablagerung von ITöhlenlehm
ausgefällt ist, in der noch vor dreissig Jahren beim Abbauen
des Sandes Menschenskelette in sitzender Stellung ausgegraben
worden sein sollen. In diesem zurückgebliebenen Reste, der
nach oben von einer 3 — 4 Centimeter dicken Travertindecke
begrenzt ist, fand ich bei einem Grabversuche leider nichts
mehr als grosse, muldenförmige von Kohlenpartikelchen ge-
schwärzte Stellen, die sich als einzige Spuren der Anwesenheit
des Menschen kundgaben.
Aus dieser Halle führt gleich im Anfange derselben,
linker Hand, eine schmale, ansteigende, nach den Spuren der
zumckgebliebenen Travertindecke zu urtheilen, einst sehr
niedrige, jetzt ausgeräumte, wenige Meter lange Strecke zu
der mittleren Etage, die in Form einer sehr hohen und schmalen
Felsenspalte sich nach aussen und oben öffnet. An den beiden
Wänden dieser Spalte kleben noch die fest anhaftenden Ueber-
bleibsel zweier, ehemals sehr mächtiger Travertindecken, von
welchen die eine ^4 Meter oberhalb der Sohle, die andere
fünf Meter höher liegt, beide laufen parallel, sind horizontal
abgelagert und bilden die Marken der Höhe bis zu welcher
die beiden Höhlenausfüllungen reichten. Mit dieser Travertin-
decke ist eine unter ihr liegende 74 — ^/.^ Meter mächtige
Kalktuffbreccie eng verbunden, in der mitunter Kalktiümmer,
Knochen und andere fremdartige Gegenstände eingeschlossen sind.
Aus dieser mittleren Etage führt rechts ein 5 — 6 Meter
langer, ebenfalls stark ansteigender Gang in die oberste Etage
und zwar in eine geräumige, grosse, taghell erleuchtete Halle,
die sich nach Aussen, gegen das Thal zu, mit einem grossen
elliptischen Felsenportale öflfnet. Der Besucher steht hier vor
einem schönen, lebensfrischen Bilde, das von den grauen, starren
Formen des mit bunten Moosen und Schlinggewächsen spärlich
bewachsenen Kalkfelsens umrahmt ist; vor ihm liegt eine saftige
Wiese mit malerischen Baumgruppen bepflanzt, im Mittel-
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punkte eine klappernde Mühle und im Hintergrunde die baum-
beschatteten Höhen; dort, in nicht allzugrosser Entfernung,
fesselt eine imposante Felsgruppe das Auge, es ist die Byöi-
skäla, in deren grosser Höhle einst der Rennthiermenscli wohnte
und dessen Vorhalle der Schauplatz eines Todtencultus war,
bei welchem am Grabe eines Häupflings Menschenopfer ge-
bracht wurden. Dieser geräumige Saal hat bloss im Hinter-
grunde kleine, an dem First liegende Höhlungen und eine
rechts neben dem Zugange liegende kleine capellenartige
Kammer, in die ein sehr niedriger Eingang führt; letztere ist
noch ausgefüllt mit dem stehengebliebenen älteren Diluvium,
das ehemals die tieferen Stellen der mittleren und der oberen
Etage einnahm, auf das sich sodann eine zweite, jüngere Ab-
lagerung abgesetzt und die obere Halle mehr als zur Hälfte
ausgefüllt hatte. Auch hier wird die Grenze der letzteren durch
eine in einer Höhe von 3 — 4 Meter liegende, an den Wänden
noch theilweise haftende Schichte Travertinbreccie begrenzt,
welche sich horizontal durch die ganze Halle zieht und nur
nach vorn etwas absteigt. Diese Breccienschichte correspondirt
im Niveau vollkommen mit der obern Schichte der mittleren
Etage und enthält spärliche Reste von Rennthier-, Pferde- und
Bären- (urs. arctos) Knochen, Feuersteinmesser, Gefassscherben,
Kohle, Asche und auch mitunter Menschenknochen.
Die Grotte war vor Zeiten, wo noch kein Weg zu ihr
führte, schwer zugänglich und nur mit Mühe konnte der stark
zerklüftete Fels erklommen werden, auch war sie grösstentheils
mit Di- und Alluvialgebilden so erfüllt, dass man nur kriechend
die obere Etage erreichen konnte. Als aber zu Ende des vorigen
Jahrhunderts Fürst Liechtenstein die Verschöncrungsarbeiten im
Josefsthale in Angriflf nahm, wurde auch sie ausgeräumt, Gänge
wurden ausgesprengt und erweitert, und mit dem ausgeführten
Schutte der breite Weg zur Höhle hergestellt. Freilich ahnte
der hohe Philaaithrop nicht, dass er damit grosse archäologische
Schätze vernichtete und die Wissenschaft um manche hoch-
interessante Quelle für immer brachte; denn der Sage nach
sollen sowohl viele Thierknochen, als auch ganze Menschcn-
skelette unbeachtet in den Schutt geworfen worden sein, was
nach den zurückgebliebenen Einschlüssen in der KalktufFbreccie
zu urtheilen, auch höchst wahrscheinlich ist. Nur die geringen,
an den Felsenwänden durch Tropfstein fest anhaftenden Spuren,
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welche dem Ausräumen entgangen sind, sind unsgleich abgerissenen
Blättern aus dem Buche der Vorzeit zurückgeblieben, auf welchen
einzelne Worte stehen, die uns den Sinn des Buches errathen
lassen; nach diesem unterliegt es keinem Zweifel, dass auch hier,
wie in der Byöfskälahöhle, der Rennthiermensch gelebt und
vielleicht seine Todten zurückgelassen hatte und zwar zu der-
selben Zeit, wie in jener Höhle, indem das Niveau der Cultur-
schichte der Bj^öiskälahöhle dem dieser vollkommen ent-
spricht; dass aber auch hier in noch fiüheren Zeiten der
Mensch zur Zeit des Höhlenbären lebte, sagt uns noch ein
kürzlich neu aufgefundenes abgerissenes Blatt, der Rest der
tiefen, in der mittleren Etage gelegenen Travertindecke. Ob-
wohl ich dieselbe kannte, so schenkte ich ihr früher keine ge-
nügende Aufmerksamkeit, bis bei einem Besuche im ver-
flossenen Sommer zu unserer Ueberraschung Ihre Excellenz die
Frau Gräfin Uvarov ein Knochenmeisel in derselben einge-
wachsen fand, neben welchem ein Unterkieferfragment eines
Höhlenbären lag. Ich unterzog mit dem Grafen Uvarov die
Breccie einer näheren Untersuchung, Hess den Rest derselben
heinintcrbrechen , und wir fanden darin nicht nur viele
Höhlenbärenknochen, sondern auch zugespitzte Zähne, Kohle
und einige Feuersteinmesser. Wir Hessen sodann in dem zurück-
gebliebenen Diluvium der kleinen Seitenkammer der oberen
Etage einen Schürf schlagen, dfer zwei Knochenschichten mit
zertrümmerten und der I^änge nach aufgeschlagene Röhren-
knochen von Höhlenbären sammt einigen Hornsteingeräthen
aufschloss. Knochen anderer Thiere mit Ausnahme eines Eck-
zahnes einer sehr kleinen Katze und Röhrenknochen von
Vespertilio wurden nicht gefunden.
Es gewinnt dieser Fund um so mehr an Interesse, als da-
durch die Gleichzeitigkeit des Menschen mit dem Höhlenbären
in Mähren unwiderlegbar nachgewiesen wird. Die Steinwerk-
zeuge und Knochengeräthe konnten nicht nachträglich in diese
Schichte gelangt sein, dafür spricht der Einschluss unterhalb
der Travertindecke, auch deuten die vielen aufgeschlagenen
Röhrenknochen darauf hin, dass der Mensch von erlegten
Höhlenbären lebte, und zwar zu einer Zeit, in welcher entweder
das Rennthier und andere Thiere hier seltener waren oder der
Genuss des Rennthierfleisches ihm noch nicht bekannt war.
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Ueber einige auf den Gebrauch von Stein waifen
_^ weisende Ausdrucke der deutschen Sprache.
Von
Dr. M. Muoh,
Veranlassung zu diesen aphoristischen Mittheilungen ist
eine Note zu dem Berichte des Herrn G. Soreil über die
Höhle von Chauvaux, ') in welcher auf eine Stelle in unserem
Hildebrandsliede aufmerksam gemacht wird, die den Nachweis
liefern soll, dass die Germanen zur Zeit Odoakers, also im
5. Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, sich noch steinerner
Waffen bedient haben. Dem gleichen, auf Grund derselben
Stelle ausgesprochenen Gedanken ,bin ich übrigens schon vor
einiger Zeit in einer deutschen Fachzeitschrift begegnet.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Versuche,
durch etymologische Forschungen die frühesten Culturzustände
eines Volkes zu untersuchen, ihre volle Berechtigung haben,
ja dass dieselben in hohem Grade erwünscht und geeignet
^) Matüriaux pour rhistoire primitivo et naturelle de rhomme,
Ser. 2. Tome VII. 1876. S. 385. Dieselbe lautet:
„Je ne veux pas dire qu'il suffico de la prcsence d*un ou de
deux Instruments en silex pour que Ton puisse affirmer avec certitude
qu'une decouverte appartient a Tage de la pierre polie. II faut un
ensemble de faits . . .**
„Nous poesedons ,un court mais authentique et precieux monu-
ment* de la vieille poesie germanique qui prouve quo du temps
d'Odoacre (V® siecle) les principaux gucrriers gcrmains ctaint encore
armes de haches en silex."
„M. Jacob Grimm a, en ofFot, retrouvc un fragment d*epopce
populaire ($crit en dialecte francique, et dont le hcros vivait au
temps d'Odoacre. Le sujet du recit est une rencontre entre deux
guerriers du cycle germanique, Hildebrand et son fils Hadubrant,
que se corabattent sans se connaitre. Ces guerriers etaient armes
de haches de pierre. Voici, au reste, un extrait de la traduction
donne par M. Ampere dans son Histoire litteraire de la France
avant le douzieme siecle, et rapportee par M. Demogeot dans son
Histoire de la litterature frangaise (p. 25): ,Alor8 ils firent voler
leur javelotfl a la pointe tranchante , qui s'arreterent dans leurs
boucliers; puis ils s'c^lancerent Tun sur l'autre; les haches de pierre
resonnaient .... ils frappaient pesamment sur leurs blancs bou-
cliers, armures etaient ^branlees, mais leurs corps restaient immobiles^
II est tres probable, ajoute M. Demogeot, que ce morceau faisait
partie de vieux nationaux que Cbarlemagne avait recueillis. **
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sind, die Resultate der archäologischen Forschung zu prüfen,
und diese gewinnen natürlich an Bedeutung, wenn sie durch
etymologische Untersuchungen ihre Bestätigung finden. Welchen
Werth solche Forschungen haben können, mögen einige Bei-
spiele zeigen. So denken wir bei unserem heutigen Worte
Wand sofort an eine Mauer aus Stein und Ziegel, und doch
bedeutet es ursprünglich (gothisch vandus) eine Ruthe. Die
Wände unserer Häuser mussten also nach dem etymologischen
Sinne des Wortes aus ineinander gefügten Ruthen bestanden
haben, was uns die archäologischen Forschungen auf den alten
Wohnplätzen in unseren Ländern in überraschender Weise
durch die Tausende von Stücken hartgebrannten Lehmes mit
den Abdrücken des Ruthengeflechtes bestätigen. Unter Saal
verstehen wir heute ein grosses, wohl auch reicher ausgestattetes
Gemach in einem Hause in Mitten anderer oder neben anderen
Gemächern, und gerne verbinden wir damit die Vorstellung
irgend eines bestimmten Zweckes, wie bei Tanz-Saal, Speise-
Saal, Bücher-Saal. Im Mittelalter aber bedeutete sal ein Haus,
eine Wohnung, namentlich ein grosses nur ein einziges Ge-
mach haltendes Gebäude. Wenn wir uns nun die kuppei-
förmigen , bienenkorbartig aus Ruthen geflochtenen Hütten der
Quaden, wie sie uns die Antonins-Säule zeigt, vergegenwärtigen,
so werden wir unser Saal wohl eher mit salaha (lat. salix) die
Weide, aus denen diese Hütten geflochten wurden, als mit lat.
solum, Boden, in Beziehung bringen. Es liegt eben in der
Natur der Sache, dass man den Gegenstand bildlich nach der
dazu verwendeten Sache nannte, wie etwa unser Schilf bei
den Angelsachsen (scylf) Dach bedeutet, offenbar darum,
weil sie zum Decken ihrer Häuser vornehmlich Schilf ver-
wendet haben mochten. Unser Woi*t Topf, bei dem wir ein
Thongefass zum häuslichen Gebrauche im Sinne haben, be-
deutet ursprünglich einen Kreisel oder Würfel; es kommt
im Gothischen und Althochdeutschen in unserem heutigen
Sinne noch gar nicht vor, dagegen finden wir unser Topf,
im Althochdeutschen topho, im Mittelhochdeutschen tophe,
tof; topf lautend, in der angeführten Bedeutung eines Kreisels,
woher dann toppel der Würfel, toppelaer Würfelspieler, dann
unser toben, tobsüchtig von der turbulenten Bewegung des
Menschen, Tobel und Wassertobel (Tobelbad) von der kreiseln-
den Bewegung des in einen Felskessel fallenden Wassers.
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Auch der Sturm tobt, weil er in Wirbeln sich bewegt. Es
ist nun deutlich, dass der Uebergang des ursprünglichen
Sinnes eines Kreisels in den eines Thongefasses mit der Ein-
führung der Drehscheibe, die ja eben nichts anderes als ein
Kreisel ist, zusammenhängt, und dass daher Topf und Töpfer
von der kreiselnden Bewegung der Drehscheibe den Namen
haben.
Es Hessen sich diese Beispiele noch vermehren, allein sie
genügen, um den Werth solcher etymologischer Untersuchungen
nachzuweisen.
Die vorerwähnte Stelle des Hildebrandsliedes lautet:
„Do laetun se aerist
asokim scritan,
scarpen scürim
dat in dem sciltim stont.
de stop tun to samano,
staimborta hludun
heuwan barmlicco,
huitte soilta,
unti im iro lintün
lutili wurtun
giwigan miii wapnum.** ^)
Die Uebersetzung der Worte scarpen scürim, wie sie im
Originale stehen, mit „scharfen Schneiden", anstatt mit dem
gewöhnlichen ganz sinnlosen „scharfen Schauern'^ ist dann
gerechtfertiget, wenn man in scürim eine Verschrcibung statt
scarim annimmt, die ja auch in staimbort statt stainbort oflFcn zu
') In neuhochdeutscher Uebersetzung dürfte die Stelle folgen-
dermassen zu geben sein:
„Da Hessen sie erst
mit den Eschen reissen,
mit scharfen Schneiden,
dass sie in den Schilden standen.
Da schritten sie zusammen,
die Stein barten ertönen,
sie hieben ingrimmig
die weissen Schilde,
bis ihnen ihre Linden
klein wurden
zerwiegt mit den Waffen."
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10
Tage liegt, und bei der Geschichte dieses nationalen Monu-
mentes nicht unwahrscheinlich ist.
Diese Strophen sind auch in anderweitiger Beziehung von
Interesse. So wird für's erste der Ausdruck Eschen meto-
nymisch für Lanzen gebraucht, woraus wir ersehen, dass die
Lanzenschäfte aus Eschen, einer der zähesten einheimischen
Holzarten verfertiget wurden. Auch sonst erscheint die heilige
Esche als Lanze, „es ragten die Speere zusammengestellt, ihre
Seemannseschen mit den erzgrauen Spitzen" (Beowulf).
Die zweite Strophe gebraucht Linden als gleichbedeutend
mit Schilden. Es scheinen nämlich die Schilde der Germanen
vorwiegend aus einem Geflecht von Lindenbast oder auch
Ruthen bestanden zu haben. Auch das Beowulfslied kennt
die lindenen Schilde und die Lindenschildmänner, und
wie im Ilildbrandsliede die Recken ihre weissen, heben sie
in jenem ihre gelben Jjinden empor.
Die Adnatuker vertheidigten sich mit Schilden „ex cortice
factis aut viminibus intextis, que subito pellibus induxerant".')
Von der Sitte, aus dem Bast der Linde geflochten« Schilde
zu führen, hat bekanntlich der deutsche, einstmal im oberen
Weichselgebiete ausgebreitete Volksstamm der Bas tarnen
den Namen. '^) In den Kämpfen des Germanicus gegen die
Deutschen im Teutoburger Walde führten diese noch Schilde
aus Weidengeflecht, oder aus dünnen mit Farben bemalten
Brettern. ^)
Es sei mir nun aber die Frage gestattet, ob die Schluss-
folgerung aus dieser Stelle, dass nämlich die Germanen zur
Zeit Odoakers noch SteinwafFen geführt haben, eine berechtigte
ist? Gegen die von Herrn Soreil gemachten Voraussetzungen
läßst sich in der That nichts einwenden-, unser Hildebrands-
lied ist ein sehr altes und für uns unschätzbares Monument
deutscher Sprache, deutscher Dichtung und Sitte. Es hat sich
vielleicht auch unter jenen Liedern befunden, welche Karl der
Grosse sammeln Hess; seinem Wesen nach gehört es jedoch
einer weit älteren Zeit an und ist es ohne Zweifel ein Rest
von den Liedern, womit die alten Deutschen die Thaten ihrer
0 Caes. de hello gall. IL 33.
2) „Quos, duce Tcutogono, crudi mora corticis armat. Val.
Flacus, 6. 96.
^) Tacitus, Ann. H. 14.
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Helden, in unserem Falle jener aus dem Kreise Odoakers und
Theodorichs germanischer Sitte gemäss gefeiert haben, wenn
auch dieser Rest nicht mehr in seiner ursprünglichen Gestalt
uns erhalten worden ist.
Es ist auch ganz richtig, dass der Ausdmck stainbort
wortgemäss eine Steinaxt bedeutet, und folgerichtig mussten
daher die Waffen, welche die Germanen mit stainbort bezeich-
neten, zu einer Zeit aus Stein gewesen sein. Allein berechtiget
uns der etymologische Sinn dieses Wortes auch zu der Be-
hauptung, dass dieselben auch noch zur Zeit der ersten Dich-
tung des Hildebrandsliedes, also zur Zeit Odoakers aus Stein
waren? Wir wissen ja, dass im Sprachschatze eines Volkes
sich gar manches Woii; lebendig erhält, obgleich dessen ursprüng-
licher Inhalt längst ein anderer geworden ist, wie wir das an
den Beispielen Topf, Wand und Saal gesehen haben, und
so blieb wohl auch das Wort Steinbarte vielleicht noch
lange im Munde des Volkes, obwohl die steinerne Klinge längst
durch eine eiserne ersetzt war.
Mir steht hierbei ein vortreffliches Analogen zur Ver-
fügung, nämlich das Wort Hellebarde, das noch heute im
Gebrauche ist, und fast unverändert, oder vielmehr einer älteren
deutschen Form entsprechend, als haileb arde in's Französische
tibergegangen ist (ital. span. alabarda), bei uns aber, nachdem
sein eigentlicher Sinn einmal unverständlich geworden war, in
Folge falscher Volksetymologie zuweilen in ein Helmbarde
verdorben wird. Wer denkt aber heute noch an eine Steinaxt,
wenn er das Wort Hellebarde aussprechen hört? Wie be-
kannt, tragen in unseren Dörfern die Nachtwächter noch heute
Hellebarden, und so könnte es in einigen hundert Jahren einmal
einem Gelehrten beikommen, zu behaupten, dass die Sicher-
heitspolizei in den germanischen Dörfern noch im 19. Jahr-
hunderte steinerne Waffen getragen habe, denn Hellebarde
bedeutet etymologisch ganz und gar genau dasselbe, wie das
stainbort des Hildebrandsliedes, nämlich eine Axt aus Stein.
Der zweite Theil beider Worte, Barte, bedarf keiner Er-
läuterung, er ist noch heute im Gebrauche, [denn jede Haus-
frau kennt, oder kannte doch noch vor 20 bis 30 Jahren ihre
Fleischbarte. Dem ersten Theile aber, Helle, im Franzö-
sischen halle, liegt das althochdeutsche he Ha, Stein, Fels, be-
ziehungsweise gothisches hallus, xsTpa, zu Grunde.
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12
Also auch Hellebarde, hallebarde, bedeutet Steinaxt, und
wir können daraus ebenso wie aus stainboi-t mit Sicherheit
schliessen, dass in der That die Germanen einmal Steinäxte
als Waffen benützt haben; ob es aber je gelingen wird, durch
etymologische Forschung allein zu ermitteln, wie lange der
erste Sinn des Wortes mit dem bezeichneten Gegenstande in
Uebereinstimmung geblieben, wie lange also Hellebarde und
stainbaii; wirkliche Steinbaiien gewesen, ist kaum zu sagen.
Denn obgleich wir beispielsweise wissen, dass das Woi-t hella
in der Bedeutung Stein noch um das Jahr 1000 in lebendigem
Gebrauche war — Helluland, d. i. Steinland, nannte der
muthige Isländer T^eif Erikson das von ihm entdeckte La-
brador — so kann und wird damals begreiflicher Weise an
die Stelle der steinernen Klinge . der Axt längst die eiserne
getreten sein.
Auch in einem anderen Worte finden wir unser hella,
den Stein, wieder, nämlich in helmakis, bipennis, Streitaxt,
neben dem Grundworte makis, gothisch meki, das Schwert.
Gewiss ist also auch diese Waffe, deren Ait und Form kaum
noch festgestellt ist, einstmals aus Stein verfertiget worden.
Weisen diese Ausdrücke bei den Germanen auf den
Gebrauch von Steinwaffen im Besonderen hin, so hat uns die
Sprache noch andere Worte aufbewahrt, welche die nahen
Beziehungen zwischen den Werkzeugen und den Begriffen der
Schneide, Schärfe, Spitze einerseits und dem Stein andererseits
noch viel deutlicher zu erkennen geben. Hierher gehört vor-
nehmlich unser althochdeutsches sahs, aus dem uns sofort
das lateinische saxum, der Stein, entgegenklingt. Die älteste
Erklärung des Wortes gibt ohne Zweifel der gelehrte Bischof
Gregor von Tours (f 593) in einer Stelle (4. 51), wo er von
„cultris validis, quos vulgus scramasaxos vocant" spricht.
Es sind dies die fränkischen Scramasaxe, lange, einschneidige
llesser, welche so häufig in den fränkischen Gräbern gefunden
werden, weshalb das Wort bei den Archäologen neuerdings in
Gebrauch gekommen ist. Sie sind ohne Zweifel Waffen ge-
wesen, worauf das Bestimmungswort scrama, Schramme, Haut-
oder Fleischwunde deutet.
Als Messer schlechthin hat das alte sahs seine Bedeutung
in eben diesem Worte Messer, dessen allerdings völlig abge-
schliffenen und nicht mehr erkennbaren Bestandtheil es bildet.
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Messer lautet im Althochdeutschen mezzirahs, dem mezzisahs
und mazsahs zu Grunde liegt, von maz, gothisch mats, Speise,
und sahs; es bedeutet also ein Werkzeug zum Zerschneiden
der Speisen.
Widukind, der berühmte Histonker der Sachsen, gedenkt
(1. G. 7.) des Gebrauches der grossen Messer bei diesem Volke,
indem er beifügt: „fuerunt autcra et qui (facinore) nomen illis
inditum tradant: cultelli enim nostra lingua sahs dicuntur,
ideoquc Saxones nuncupatos, quia cultellis tantam multidudinem
fudissent". Nennius (bist. Brit. 46) legt dem Ilengist die
Worte in den Mund: „quando chimavero ad vos et dixero:
,eu Saxones, nimith eure saxas!^ cultellos vestros ex ficonibus
vestris educite, et in illos irruite et fortiter contra illos resistite!"
Erscheint hier das sahs wiederholt als grosses Messer, so
wird es später, wie im angelsächsischen Beowulfsliede, als
Seitenschwert überhaupt aufgefasst, „es zuckte der König das
sahs, das hiebscharfe Hüftschwert", ebenso im Lied des PfaflFen
Konrad vom Kaiser Karl: „Tirrich der Degen umbe
warf er thaz sahs", womit er Binabel, dem Kämpfer für den
bösen Ganelon das Haupt abschlug.
Von besonderem Interesse erscheint eine Stelle im Alexander-
liede des Pfaffen Lambrecht, in welchem ebenfalls unser sahs
genannt wird, und deshalb, weil diese Stelle fast eine genaue
Copie jenes Theiles des Hildebrandsliedes ist, das mich zuerst
zu diesen kurzen Mittheilungen veranlasste. Es heisst dort
(V. 4501—4511):
„Die herren zucten die sahs:
zesaramene si do sprungen.
Woh, wi di Bvert clungen
an dör fursten banden,
da sih di wigande
hiwen alse di wilde swin:
da was nit under in.
Michil wart der stahilscal:
das fiur blickete ubir al,
da si des Schildes rande
zehiwen vor die hande."
Beachtenswerth ist es zu sehen, dass der Pfaffe I^am-
brecht bei dem literarischen Diebstahl aus dem Hildebrands-
liede, auf dem wir ihn ertappt haben, es vermeidet, das Wort
stainbart seines Originales noch zu gebrauchen; es hätte ja
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gar zu deutlich noch die aUe, dem Gedächtnisse des Volkes
längst entschwundene Steinaxt bedeutet, und wäre daher zu
seiner Zeit ganz unpassend und unverständlich gewesen. Er
lässt dafür das svert erklingen und gibt seinen Helden das
sahs in die Hand, dessen Beziehung zum schneidenden Steine
damals schon völlig verdunkelt war, und daher zu keinem
Missverständnisse fuhren konnte.
Im Verlaufe der Zeit kommt aber selbst die Bedeutung
des sahs als Waffe mehr und mehr in's Schwanken, denn im
Nibelungenliede (V. 964 der Lassberg-Schönhuth'schen Ausg.),
wo es heisst:
„im was sin guot chocher vii guoter stralen vol,
mit guldinen tallen, diu sahs wol spannen breit,
es muse bald ersterben, swaz er mit schiezen versneit."
sehen wir das sahs als spannenbreite Pfeilspitze.
Im Eckenliede erscheint sahs fast nur mehr wie ein
Eigenname, und zur Zeit der Abfassung des Annoliedes muss
das Wort schon ausser Gebrauch gewesen sein. Der Dichter
desselben erzählt nämlich die Sage, dass die Sachsen ihren
Namen vom sahs haben, womit sie einstmals die Thüringer
schlugen, findet es aber zum Verständnisse seiner Erzählung
nöthig, ausdrücklich zu berichten, dass ehedem
„Gin Duringin dao der siddi was
daz si mihhili mezzir hiezin sahs.**
Wir sehen aus diesen Stellen, die sich natürlich noch
vermehren Hessen, dass das Wort sahs sich nicht an einen
concreten Gegenstand bindet, sondern bald ein grosses Messer
bald ein Hüftschwert, bald wieder ein gewöhnliches Tischmesser
bald eine Pfeilspitze bedeutet, und schliesslich nur mehr ein
blosser Name wird. Diese Dinge, die in ihrer Form und in
ihrem Zwecke doch so verschieden sind, verbindet darum alle
derselbe Name, weil sie alle einst durch den harten scharfen
Stein, saksa, saxum, vertreten waren, der deshalb so hiess,
weil er schnitt (von sak, sec-are, althochdeutsch sag-a, die Säg-e,
sec-ula, Sich-el etc.).
Ganz ähnlich verhält es sich mit einem anderen Ge-
räthe, mit dem Hammer, Werkzeug und WaflFe zugleich,
heiliges Symbol und Attribut einer Gottheit; noch manches
ungelöste archäologische Räthsel haftet an ihm. Im Deutschen
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ist seine ursprüngliche Bedeutung völlig verschwunden, aber
das altnordische ha mar bedeutet ebensogut Hammer wie Stein.
In der slavischen Sprache hat sich das analoge kamen
in der Bedeutung von Stein erhalten. Beiden Worten liegt
die Wurzel ak, eindringen zu Grunde, daher ac-us, acutus,
ac-ies. Eck, Egge, und gewiss ist es nicht ohne Interesse, zu
sehen wie sich neben unser deutsches Hammer altnordisches
hamar, sowohl Hammer als Stein, slavisches kamen der Stein,
stellt, aber auch griechisches axjxwv der Ambos, und lithauischcs
akmu der Stein, sanskrit akana die Schleuderwaffe, griechisch
axi^ die Pfeilspitze, und sanskrit akana Stein und Wetzstein,
durchaus eng verwandte, einer Wurzel angehörige Dinge,
die alle gemeinsam auf das erste und älteste Werkzeug des
Menschen, auf den Stein deuten.
Bericht über den VIII. internationalen Congress für
Anthropologie und vorgeschichtliche Archäologie in
Pest, September 1876.
Von
G. Graf Wurmbrand.
Die internationalen Congresse haben gerade in unserer
wissenschaftlichen Richtung unzweifelhaft grosse Vortheile,
weil den Besuchern die Gelegenheit geboten wird, nicht nur
die bedeutenden Gelehrten und Fachmänner persönlich kennen
zu lernen, sondern auch die verschiedenen Länder in archäo-
logischer und anthropologischer Hinsicht in kurzer Zeit studiren
zu können.
Jedes Land ist bemüht, für diesen Congress Sammlungen
zusammenzustellen und Ausflüge vorzubereiten, die ein mög-
lichst klares BUd der localen Verhältnisse bieten.
So war es bisher überall, in Paris sowohl, als in Nor-
wich, Bologna, Brüssel, Kopenhagen und Stockholm, so war
es schliesslich auch in Pest.
Ausser den schönen Sammlungen des National-Museums
hatten die Provinzial-Museen und Private über 20.000 Num-
mern in einer reichen Sammlung vereinigt, welche so ziemlich
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Alles zur Ansicht brachte, was Ungarn an prähistoriöchen
Gegenständen von besonderem Interesse besitzt.
Ausserdem hatten Siebenbürgen, Croatien, Galizien und
Polen, sowie mehrere Private der Nachbarländer die Aus-
stellung beschickt.
Diese Ausstellung und die schon im Programme ange-
kündeten Ausflüge werden ausser dem kui'zen Auszuge über
die Vorträge und Discussionen den Inhalt dieses Berichtes
bilden. Da ich nicht als Secretär während des Congresses
arbeitete, mag ich Manches ausgelassen oder nicht vollständig
wiedergegeben haben. Einige Bemerkungen, welche ich mir
zu machen gestattete, habe ich als Anmerkungen unter den
Text gesetzt.
So theilt sich dieser Aufsatz in I. den Bericht über die
Sitzungen und Ausflüge des Congresses, ^) und 11. in die Be-
sprechung der prähistorischen Sammlungen.
I.
Die Eröffnung des Congresses fand den 4. September
Vormittags in den Räumen des Museums statt, und zwar in
dem Sitzungssaale der Magnatentafel unter Beisein seiner
kaiserl. königl. Hoheit des Herrn Erzherzogs Joseph, welcher
das Protectorat huldvollst übernommen hatte, und unter dem
Präsidium des General-Inspectors der Museen und Bibliotheken
in Ungarn, Herrn Franz von Pulszky.
Die Versammlung war zahlreich besucht.
Von England, Frankreich, Deutschland, von Dänemark,
Italien, Schweden, Russland, Belgien, ja selbst von Amerika
waren berühmte Gelehrte gekommen. Das Inland war natür-
lich am stärksten durch Ungarn, dann durch Galizien, am
schwächsten leider aus den deutschen Provinzen veii;reten.
Auch an ungarischen und ausländischen Damen, die mit
vielem Interesse den Sitzungen beiwohnten, fehlte es nicht. Es
mag anregend für sie gewirkt haben, dass Fräulein J. Mestorf,
die bekannte Archäologin, welche nun die Custosstelle in dem
*) Ausser den täglich ausgegebenen Bulletins benützte ich den
in den „Mat^riaux pour Thistoire etc." erschienenen Bericht des
Herrn Cozalis de Fondouce, so weit derselbe bisher zur Veröffent-
lichung gelangte.
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Museum von Kiel bekleidet, den regsten Antheil an allen Ver-
sammlungen nahm.
Nach einer kurzen Ansprache des ungarischen Ministers
für Cultus und Unterricht hielt der Vorsitzende Herr F. von
Pulszky eine Rede, aus welcher ich Folgendes anführe:
Vorerst betonte der Herr Präsident, dass bis jetzt in
Ungarn nur wenig Interesse der vorgeschichtlichen Archäologie
geschenkt wui'de, da durch die Unkenntniss der Landessprache
alle diesen Zweig der Wissenschaft betreffenden ungarischen
Publicationen im Auslande unbekannt blieben, und nur einem
kleinen Kreise der Verkehr mit auswärtigen Gelehrten er-
möglicht war.
Die ausgestellten Gegenstände aus vorgeschichtlichen
Zeiten, die auf die Nachricht des in Budapest tagenden Con-
gresses von allen Theilen des Landes, aus den Provinzial- und
Privat-Museen dem Comit^ zugeschickt wurden, sowie die
Sammlung des National-Museums selbst werden genügen, den
Herren Gelehrten ein Bild von dem allgemeinen Charakter
der Cultur der vorgeschichtlichen Bewohner des grossen, mitt-
leren Donaubeckens zu geben.
Besonders bemerkenswerth ist, dass in dem einstigen
Pannonien, welches so reich an Gegenständen aus der Epoche
der geschliflPenen SteinwaflFen ist, die Bronze fast gänzlich
fehlt, während in den gebirgigen nördlichen Comitaten WaflFen,
W^erkzeuge und Schmuckgegenstände aus Bronze massenhaft
gefunden werden.
Auf den grossen Ebenen Unterungams, wo es fast keine
Steine gibt, sind alle daselbst gefundenen Werkzeuge aus den
Knochen des Bison oder aus Hirschgeweihen geformt.
Die Gegenstände aus der Steinzeit sind denen der Schweiz
und der skandinavischen Länder ziemlich ähnlich, doch die
WaflFen, Werkzeuge und Schmucksachen aus Bronze haben
einen dem Lande eigenthümlichen Formtypus.
Als bemerkenswerth bezeichnet ferner der Redner die
Gegenstände aus Kupfer, die oft mehr oder minder rein sind,
jedoch durchwegs jeder Beimischung von Zinn entbehren. Es
sind deren über hundert im Museum, ihre Formen sind von
denen der Bronzezeit verschieden.
Er ersuchte nun die Herren, diese Thatsache genau zu
untersuchen und zu entscheiden, ob nach Allem, was sie
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darüber sehen und erfahren werden, eine Epoche des Kupfers
für Ungarn anzunehmen sei, und ferner sich darüber auszu-
sprechen, ob eine solche Civilisation Ungarn eigenthümlich war.
Die Küchenabfalle aus der Uebergangsepoche von der
Stein- zur Metallzeit mit den vielen Gegenständen aus Knochen
und Hirschgeweihen, waren den Archäologen bis jetzt noch
unbekannt, erst in letzter Zeit hat man ihnen die verdiente
Aufmerksamkeit geschenkt.
Die Eisenzeit, die Epoche der römischen Occupation und
Colonisation, überschreitet die Grenze», die sich der inter-
nationale Congress für seine Arbeiten gesetzt hat; dagegen
reichen die Gegenstände aus dem Zeitalter der grossen Völker-
wanderungen, der Hünen, Avaren und Ungarn, wieder in den
Rahmen dieser Arbeiten hinein und bieten ein interessantes
Gegenstück zu den Funden aus der Zeit der Merowinger,
Franco-AUemanen, Lombarden und Gothen.
Der Präsident schloss damit, dass er hoffe, durch An-
sammlung von Material den Herren ein annähernd genaues
Bild der Culturperioden Ungarns gegeben zu haben, welche
von den fernsten Zeiten bis zu jenem Momente reichen, wo
die ungarische Nation sich der arischen Civilisation anschloss,
indem sie das Christenthum annahm. Er ei'wähnte noch der
freundlichen Beschickung der Ausstellung durch Steiermark,
Polen, und besonders der von Herni Lemesurier aus Bombay
geschickten vier charakteristischen Kupfei*werkzeuge, welche
in Bala-Ghat, Provinz Mundela, in Indien gefunden wurden.
Nach dem Präsidenten ergriff der um die Förderung der
vorgeschichtlichen Studien in Ungarn hochverdiente General-
secretär, der Abt Dr. Romer, das Wort und hielt eine sehr
ausführliche Rede über die Entwickelungsgeschichte und den
Stand der genannten Wissenschaft in Ungarn. Wir entnehmen
daraus, wie seit Kurzem eine durch den Staat in jeder Hin-
sicht massig geförderte Thätigkeit auf diesem Gebiete zu
schönen Erfolgen gefühii; hat.
Er wies zuvörderst darauf hin, wie wenig Sinn und
Verständniss man bis in die letzte Zeit in Ungarn für die vor-
geschichtliche Archäologie hatte. Alle gefundenen Gegenstände
wurden bisher den Römern zugeschrieben. Die Steinhämmer
bezeichnete man als Donnersteine, denen das Landvolk Wunder-
kräfte zuschrieb.
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Vor etwa vierzig Jahren nun haben die Brüder August
und Franz Kubinyi, sowie der vorige Secretär, Johann Erdy,
begonnen, auch die Alterthümer aus vorgeschichtlichen Epochen
einem ernsten Studium zu unterwerfen und sie zu sammeln.
Bei Gelegenheit des Congresses in Paris hatte Herr Römer
die Resultate dieser ihrer Studien vorgetragen.
Vor der internationalen Ausstellung in Paris im Jahre
1867 hatten mehrere fremde Gelehrte das Pester Museum be-
sucht, und sich sehr anerkennend über die darin enthaltenen
Sammlungen von Gegenständen aus Bronze und edlen Metallen
ausgesprochen. In jenen Zeiten kaufte und stellte man nur die
Meisterwerke classischer Zeiten aus, oder Gegenstände aus
edlem Metallen, wobei die Menge dei-selben das Interesse der
Neugierigen vollkommen befriedigte.
Erst in den letzten Jahren wurden dem Museum vom
Landtage Greldmittel votirt, welche die Ausgrabungen von
classischen und vorgeschichtlichen Gegenständen ermöglichten
und so diesen Forschungen neuen Aufschwung gaben.
Herr Dr. Romer fuhr nun fort und sagte, dass er wäh-
rend des Congresses in Paris den ersten Nucleus aus Obsidian,
der in Siebenbürgen gefunden wurde, vorzeigte.
Später fand er noch mehrere Obsidiane, wovon der grösste
aus dem Gebirge von Tokay stammt.
Die Obsidiansplitter, als Messer und Pfeilspitzen zuge-
schlagen, sind nunmehr in Ungarn nicht mehr selten geworden.
Ihr Alter scheint kein allzuhohes zu sein, wenn man berück-
sichtigt, dass sie mit Bronze oft zusammenliegend gefunden
werden.
Die Meinung, dass Ungarn zur Steinzeit noch grossen-
theils ein Seebecken war, ist nunmehr widerlegt, da nach dem
Bekanntwerden der nordischen Feuersteinwaflfen sich schon mehr-
fach künstlich zugeschlagene Feuersteine vorgefunden haben.
Auch aus polirtem Feuerstein fand man in Ungarn einige
Aexte, deren Fundorte bekannt sind. Eine stammt aus dem
Comitate Zabolcs, die andere aus dem Comitate Liptö. Von
polirten Steinwaffen sind besonders die aus Serpentin geform-
ten zahlreich und in eleganten Formen vertreten, wie dies
die älteren Sammlungen des National-Museums und die neueren
Funde des Herrn Baron Eugen Nyari, des Domherrn Franz
Ebenhöch und des Herrn Pfarrers Stephan Mihaldy beweisen.
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Die Gegenstände aus Hirschgeweihen und Knochen finden
sich in manchen Gegenden unter den sogenannten Küchen-
ab&Uen in grosser Menge.
In Magyarad, Szihalom, Toszeg, Szeled^ny und Cs(^pa
zum Beispiel sind sie zu Tausenden ausgegraben worden; nur
ganz vereinzelt und stellenweise zeigten sich darunter Bronze-
und Eisengeräthe.
Redner geht nun zu den Bronzen über und sagt, dass
die ungarischen Bronzen durch ihre eigenthümlichen Formen
in ganz Europa bekannt sind. Es scheint ihm ganz unzweifel-
haft, dass die Donauländer eine Cultur hatten, die von der
anderer Länder verschieden war. Er erinnert die Herren, dass
es diese Bronzen waren, welche sie in Stockholm bestimmt
hatten, den Congress nach Pest zu verlegen.
Ausser den Waffen und Schmuckgeräthen, welche die
Krieger trugen, ist Ungarn auch reich an Werkzeugen, die
theils aus Bronze, theils aus Kupfer gefertigt waren. Guss-
formen, Metallbarren und halbfertige Gussproducte beweisen
eine einheimische Industrie.
Auch die Töpferwaare zeigt in mancher Hinsicht eine
solche Vollkommenheit und so eigenthümliche Formen, dass
sie für Pannonien charakteristisch erscheinen können.
Als eine sehr interessante Erscheinung bezeichnet Redner
die Sammlung des Baron Nyari aus Pilin, wo ganz kleine
Urnen und kleine Bronzen vorkommen, wobei man zweifeln
könnte, ob es Kinderspielzeuge waren, oder ob man im Kleinen
erzeugte, was im Grossen zu theuer gewesen wäre. Merkwürdig
auch sind die schönen und seltenen Stempeln, sowie die Nach-
ahmungen von Thieren, wie Schafe, Ochsen und Schweine,
deren eigentlicher Zweck kaum zu errathen ist.
Unter den vielen, unzweifelhaft localen Fabrikationen
trifft man auch Erzeugnisse sehr femer Zonen an, so zum
Beispiel Muschelperlen aus den Muscheln des indischen Meeres,
Perlen aus polirtem oder rohem Bernstein des baltischen
Meeres, oder andere aus geschmolzenem Glas, welche von
civilisirteren Völkern herstammen. Dieses Vorkommen zeigt
bestimmt von Handelsverbindungen mit fernen Meeresküsten.
Die grossartigen Erdaufwürfe (Avarenringe) und Gräben,
die man überall in Ungarn findet, sind die Zeugen, dass hier
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einst kriegerische Völker hausten, welche sich und ihre Heer-
den gut zu verschanzen wussten.
Was die Eisenzeit betrifft, so erklärt der Redner den
grossen Mangel an Eisengeräthen damit, dass dieselben bisher
gänzlich unterschätzt und ihres gewöhnlich sehr unscheinbaren
Aeusseren halber selten gesammelt wurden.
Der Herr General-Secretär endete seinen Vortrag damit,
die versammelten Herren Gelehrten zu bitten, ihr Haupt-
augenmerk auf die in seinem Vaterlande jedenfalls wichtigste
Culturepoche, die der Bronzezeit, zu lenken.
Nach dieser Begrüssung folgte die schon im Programme
angekündigte und von Vielen mit Spannung erwartete Ab-
stimmung über zwei Anträge, welche, wie die Statuten es
fordern, schon in Stockholm gestellt wurden.
Der Eine davon ist von geringerer Wichtigkeit, er be-
steht in dem Vorschlage, dass jene Herren, welche durch vier
Jahre als Vicepräsidenten gewählt wurden, diesen Ehrentitel
bleibend fuhren sollen. Der andere Vorschlag jedoch ist von
hoher Wichtigkeit für die w^issenschaftliche Bedeutung und
vielleicht fiir die ganze Zukunft der Congresse. Er beantragt,
dass nicht die französische Sprache allein bei den Versamm-
lungen und Publicationen des Congresses in Anwendung
komme. Der internationale Charakter eines solchen Con-
gresses widerspricht an und für sich einer solchen exclusiven
Massregel, hier kommt aber noch der Umstand in Betracht,
dass es einem Lande, dessen Bevölkerung eine Weltsprache
spricht, doch, nicht leicht zuzumuthen ist, dass dessen wissen-
schaftliche Autoritäten bei den Verhandlungen nur einen ge-
ringen oder gar keinen Antheil nehmen, weil ihnen die fran-
zösische Sprache nicht geläufig ist. Dieser Umstand trifft
zumeist die Deutschen, welche nunmehr in diesen Wissen-
schaften mitreden wollen, selten aber der französischen Sprache
genug mächtig sind, um in die Discussion mit Erfolg ein-
greifen zu können.
Trotz diesem begründeten Bedenken hatte der Conseil
gegen diesen Antrag gestimmt, und da diese Ansicht des
Conseils, nicht der Antrag selbst, zur Abstimmung kam, wurde
mit der Annahme des Conseilantrages die Sprachenfrage
verworfen.
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Sonach kamen die Wahlen für das Bureaux, die folgen-
des Ergebniss hatten:
Protector des Congresses ist: Se. k. k. Hoheit der
Herr Erzherzog Joseph.
Präsident: Herr Franz von Pulszky.
Ehren-Präsidenten: die Herren: Capellini, Gründer,
und Worsaae, vormaliger Präsident.
Vice-Präsidenten: die Herren: Bertrand^ Broea (Frank-
reich) ; Dupont (Belgien) ; Conestabile (Italien) ; Evans, Franks
(England); Hildebrand (Schweden) ; Ipolyi (Ungarn); Lepkowsky
(Oesterreich); Pigorini (Italien); Virchow (Deutschland); Wurm-
brand (Oesterreich).
General-Secretär: Herr Abt Dr. Romer.
Secretäre: die Herren: Bellucci (Italien); Cazalis de
Fondouce, Chantre (Frankreich); Hampel (Ungarn).
Hilfs-Secretäre: die Herren: de Baye (Frankreich);
Issot (Ungarn).
Conseil: die Herren: Aspelin (Finland) ; Cotteau (Frank-
reich); Dogn^e (Belgien); Dudik (Oesterreich); Grewingk
(Russland); Haynald (Ungarn); Handelmann (Deutschland);
Hebert (Frankreich); Kollraann (Deutschland); Montelius
(Schweden); Nyari (Ungarn); Schmidt (Dänemark); Selys de
Longchamps (Belgien); Joylie (Grossbritannien).
Den nächstfolgenden Tag begannen die Verhandlungen.
Von Herrn M. Badanyi kam eine Mittheilung zum Vor-
trag über einen Fund von Feuersteinen, die mit den Knochen
des Höhlenbären zusammengelagcrt in der Haligoczer Höhle
gefunden wurden.
Herr Evans meint, dass die Form der Feuersteine nicht
diejenige wäre, wie sie für die paläolithische Periode von ihm
und Anderen angenommen würden. Da auch einige Topfscher-
ben von offenbar jüngerer Zeit unter den obgenannten Gegen-
ständen lagen, konnte auch ich mich nicht für die erwiesene
Gleichzeitigkeit der Fundobjecte aussprechen.
Ich las nun dem Congresse eine Abhandlung über die
bisherigen Funde in den Höhlen Oesterreichs vor, und lenkte
die Aufmerksamkeit des Congresses, und besonders der Ungarn,
auf die von mir und meinem Bruder, dem Grafen Heinrich
Wurmbrand, in jüngster Zeit gemachten Entdeckungen im Löss
des Donaubeckens.
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Eine ganze Reihe von gleichmässig unter dem Lösse ein-
gebetteten Knochen, welche in Joslovitz mit zugeschlagenen
Feuersteinen und Holzkohlen vorkommen, und oft die un-
widerleglichsten Spuren von Bearbeitung an sich tragen, be-
weisen das Zusammenleben des Menschen mit den Thieren
der Diluvialepoche in weit klarerer Weise, als es die Höhlen-
funde bisher gethan, da die Lagerungsverhältnisse hier geolo-
gisch festzustellen sind, was dort nicht immer der Fall ist.
Aehnliche Funde im Löss sind auch kürzlich in Deutschland
besprochen worden.
Herr Bertrand, Director des Museums in St. Germain,
fragt, wie viel Feuersteine sich bisher vorgefunden, worauf ich
erwiederte, das 20 bis 30 Stück in meinem Besitze sind und
sehr viele andere leider früher verschleppt wurden.
Hen* Evans ist wieder mit der Form dieser Feuersteine,
welche mit denen Nord-Frankreichs und Belgiens nicht über-
einstimmen, nicht zufrieden und meint, dass hier vielleicht eine
nachträgliche Umgrabung möglich gewesen wäre.
Dem gegenüber musste ich darauf hinweisen, dass der
in unseren westlich gelegenen Ländern vorkommende Feuer-
stein die Erzeugung so grosser Feuerstcin-Artcfacte, wie wir
sie aus St. Acheuil und Amiens kennen, überhaupt unmöglich
macht, und zeigte ferner den Schichtcndurchschnitt vor, woraus
sich ergibt, dass überall gleichmässig die ungestörte Löss-
decke 5 bis 12 Meter betrage.
Herr v. Zavisza (Warschau) legt seine schon aus Stock-
holm bekannten, sehr interessanten Funde aus den Höhlen
Polens vor, welche zu den schönsten Höhlenfunden gehören
und die Gleichzeitigkeit der Diluvialfauna mit dem Menschen
auch in diesen Ländern nachweisen.
Aus dieser grauen Vorzeit führt Professor Capellini
(aus Bologna) uns noch weiter in die Pliocenperiode. Er hat
in den oberen Pliocenschichten Toscanas mehrfach petrificirte
Knochen des Balaenotus gefunden, welche ganz deutlich Spuren
von scharfen Hieben zeigen, welche sie im frischen Zustande
erhalten hatten. Capellini glaubt, sie rühren von Menschen-
händen her.
Herr Evans meint, dass, wenn auch das Alter dieser
Knochen unzweifelhaft ist, der Beweis nicht geliefert ist, ob
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nicht Fische solche scharfe Eintiefungen in die ursprünglich
sehr weichen Knochen gemacht haben könnten.
Dieser Ansicht schliesst sich auch Herr Porto-Segurn
(Gesandter aus Brasilien) an, indem er besonders den Schwert-
fisch vor Augen hat.
Professor Broca (Paris) erklärt, dass er, obwohl er früher
an der Existenz des tertiären Menschen gezweifelt, diesen
Knochen eine gi'osse Bedeutung für die Lösung dieser Frage
zumisst. ')
Die nächste Discussion bewegte sich um grosse, schön
zugeschlagene Feuersteine, welche Herr Dr. Jaquinot im Di-
luvium bei Sauvigny-les-Bois (Nifevre) gefunden hat und welche
er nach der Form zu classiticiren wünscht, weil er einen neuen
Typus darin findet.
Obwohl sonst die Classificirung nach Formtypen sowohl
für Steinwerkzeuge, als besonders für Bronzen so beliebt sind
und sich gerade auf dies Feld die meisten ausländischen Ge-
lehrten verlegen, so wurde der Typus Sauvigny doch von den
Herren TAbb^ Borde (Frankreich), Mr. Dupont (Belgien) und
Mr. Franks (Conservator am britischen Museum in London)
nicht angenommen. Nach ihnen gleichen diese Feuersteine
vielmehr dem Typus von Spienne und gehören in die neoli-
thische Periode. 2)
Gleich darauf las Mr. Beitrand eine Abhandlung des
Mr. Reboux vor über die Chronologie der Quaternärzeit auf
Grundlage von Feuersteinformen.
Nachmittags sprach Professor Szäbo über das Vorkommen
des Obsidians in Ungarn und erwähnte der Fundstellen von
') Ich kann hier nicht verschweigen, dass nach dem Congresse
Professor Capellini die Knochen in meinem Beisein dem Director
Professor Steindaohner, einem der besten Ichthyologen, vorwies und
Letzterer sich nicht dafür aussprach, dass der Schwertfisch oder ein
anderer ihm bekannter Fisch diese Einschnitte hervorbringen könnte.
2) Die Form wird also offenbar fiir bestimmender als die
Lager ungsverhäUnisse selbst für den Feuerstein gehalten, obwohl er
Jahrtausende bei allen Naturvölkern im Gebrauche stand. Es wird
also , dem angenommenen Schema zuwider, somit unmöglicher ge-
funden, dass zu verschiedenen Zeiten bei verschiedenen Völkern,
begünstigt durch gleiches Material, die gleichen Formen zugeschlagen
wurden, als dass zu denselben Epochen, bei ganz ungleichem Material
verschiedene Formen entstehen konnton.
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25
voi^eschichtlichem Charakter, wo Obsidiane vorgekommen.
Er machte auch die merkwürdige Entdeckung, dass auf der
Insel Milo Obsidian in ziemlich bedeutender Menge vorkommt
und auch dort zur Erzeugung von Werkzeugen ausgenützt
wurde.
HeiT Bellucci (Perugia) vervollständigt diese Mittheilung
durch die Erwähnung, dass in Italien Obsidianmesser gefunden
wurden, die zum Theil aus dem Obsidian der Insel Lipari
zu stammen scheinen.
Herr Broca hielt nun einen längeren Vortrag über Tre-
panation in vorgeschichtlichen Zeiten.
Schon seit mehreren Jahren waren dem gelehrten Herrn
Professor runde Scheibchen, welche aus der menschlichen
Hirnschale herausgeschnitten wurden, übergeben worden, welche
er als Amulette deutete, da sie oft mit einem Loche versehen
waren. Später fand man in alten Gräbern Frankreichs Schädel,
welche scharf ausgeschnittene, runde Löcher an der Schädel-
decke hatten.
An einigen Schädeln waren die Ränder dieser Oeflfnung
so vernarbt, dass daraus auf eine Trepanation bei Lebenszeiten
zu schliessen ist. Andere waren erst nach dem Tode dieser
Procedur unterzogen.
Dr. Broca glaubt in diesem Vorgange einen Beweis
religiöser Anschauungen zu finden. Man öflfnete den Schädel
der sogenannten Besessenen, um den bösen Geistern Raum
zum Entweichen zu geben.
Solche Scheibchen wurden den Trepanirten nach dem
Tode auch wieder in den Schädel gelegt.
Herr Professor Schaaflfhausen (Bonn) erinnert an eine
Stelle bei Strabo, der erwähnt, dass die Beigen die Schädel
ihrer erschlagenen Feinde an dem Gürtel trugen, und meint,
dass die Befestigung des Schädels durch ein solches Loch sehr
erleichtert würde.
Professor Virchow findet sich durch die Beweise, welche
Dr. Broca vorbrachte, sehr geneigt, die Trepanation anzu-
nehmen.
Dr. Montelius (Stockholm) erwähnt eines Schädelfundes
in Schweden mit einer gleichen Oefi*nung. Später hält er einen
Vortrag über die Ergebnisse seiner jüngsten Reise in Russ-
land und Polen. Er hat in diesen Ländern besonders viele
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26
Gegenstände aus der Steinzeit, oder besser gesagt aus der Zeit
der polirten Steine, gefunden.
Viele darunter, besonders Feuersteingeräthe , wie die
halbrunden Sägen, erinnern an schwedische und norddeutsche
Vorbilder. Andererseits fehlen bis jetzt die grossen schönen
Stücke, wie die Dolche, die grossen Aexte und Kratzer
(Grattinus) mit Handhaben. Redner macht besonders auf-
merksam auf eine Fundstelle bei Tula, woher über 150 Feuer-
stein-Artefacte stammen, welche sich nun im Museum zu
Moskau befinden.
Herr Worsaae glaubt nicht, dass durch solche Form-
analogien die Annahme jetzt schon 'gerechtfertigt erscheine,
die Cultur der Steinzeit wäre aus Skandinavien nach Russ-
land gelangt.
Den nächstfolgenden Tag (6. September) brachte uns die
Eisenbahn nach GödöUö, von wo aus vorerst eine Excursion
mit Wagen nach Volka unternommen ward. Dort waren am
Fusse von Hügeln, die mit alten Erdwerken befestigt gewesen
zu sein scheinen, einige Gräber geöfifnet.
Die Skelette lagen ohne Steinsetzung in der Erde. Kleine
Bronzen, Perlen aus Glasschmelz und vorzüglich einige Topf-
scherben aus terra sigillatta lassen diese Gräber in die Zeit
der römischen Occupation versetzen.
Nach einem Frühstücke in Gödöllö ging es per Bahn
nach Hatvan, wo die Honoratioren des Comitates, die Edel-
leute der Nachbarschaft und viel Landvolk uns mit Triumph-
bögen, Anreden und Eljens empfingen.
Eine Erderhöhung in der Umgebung birgt einen Urnen-
friedhof, worauf von den Gelehrten selbst Ausgrabungen ge-
macht wurden. Die Urnen stehen gruppenweise, 7 bis 8 Stück,
zusammen und nicht sehr tief in der Erde. Sie sind, wenn
auch mangelhaft, doch auf einer Scheibe gedreht, das Material
ist bräunlicher Thon, der so schlecht gebrannt ist, dass die
Urnen ausserordentlich leicht gebrechlich sind. Die Formen
sind mannigfach, ich möchte fast sagen bizarr. Die Verzierungen
bestehen in hervorragenden Knöpfen und Leisten oder in einer
eigenthümlichen Methode, den weichen Thon vor dem Brennen
mit einem bürstenartigen Instrument aufzureissen.
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27
Die Ornamentining, die Farbe und zum TheUe die Form
der G^efasse erinnerten mich an Urnen aus Rumänien, welche
ich in der Wiener Weltausstellung unter der Bezeichnung
Dacische Urnen gesehen habe.
Die Urnen in Hatvan waren mit Brandresten hie und da
gefüllt. Zugaben von Metall fanden wir fast keine. Es sollen
hie und da Bronzen und Eisengeräthe gefunden worden sein.
Jedenfalls gehören diese Umengräber einer nicht sehr frühen
Culturperiode an. Im archäologischen Sprachgebrauche würde
man sie slavische Urnengräber nennen, in Ungarn gelten sie,
wie ich glaube, für hunnisch.
Neben dem Friedhofe zeigen starke Aschenlager wahr-
scheinlich die Stelle des Leichenbrandes an.
Das Diner in Hatvan mit allen Toasten, sowie den darauf
folgenden Czärdäs erwähne ich hier nur, um die ausserordent-
lich gastfreie und wirklich herzliche Weise, womit wir aller
Orten empfangen und gefeiert wurden, dankend hervorzuheben.
Donnerstag, den 7. September, eröffnete der Präsident,
F. von Pulszky, die Sitzung mit einer Abhandlung über das
Kupferzeitalter.
Im National-Museum befindet sich eine grössere Menge
von Waffen und Werkzeugen, die nicht aus Bronze, sondern,
wie die Analyse gezeigt hat, aus Kupfer sind.
Dieses Kupfer gleicht seiner chemischen Beschaffenheit
nach demjenigen, welches sich in Oberungarn vorfindet.
Die Formen dieser Geräthe gleichen' nun nach der An-
sicht des Redners nicht so sehr den Bronzen, wie sie in Un-
garn vorkommen, als den Steinäxten und Steinhämmern. Es
befinden sich darunter besonders schwächere Werkzeuge.
Es wäre somit in Ungarn zwischen der Bronzezeit und
derjenigen der polirten Steine eine Kupferepoche zu setzen.
Mr. Evans ist nicht der Ansicht, dass die Kupfergegen-
stände im Allgemeinen den Steinwaffen ähnlicher sind, als
denen der Bronzezeit, zu der übrigens nach seinem Schema
auch die gebohrten Steinhäramcr zum grossen Thcile gehören.
Nach seiner Ansicht hätte man bei Mangel an Zinn zur Le-
girung das vorhandene Kupfer verwendet, welches für manche
Werkzeuge vielleicht selbst zweckmässiger erscheinen konnte.
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28
Diesen Ansichten gegenüber verweist Pulszky darauf^ dass
wenn das Zinn gefehlt hatte, kein Grund vorhanden ist, warum
die Formen sich verändert hätten, denn er hält es für unrichtig,
dass zur Bearbeitung des Steines Kupfer geeigneter sei als Bronze.
Professor Capellini macht hierauf die interessante Mit-
theilung, dass Herr Blanchard bei Mossa in Italien alte Zinn-
gruben entdeckt hat, die von den Etruskern ausgebeutet wurden.
Hierauf spricht der bekannte nordische Archäologe Worsaae
über die Bronzezeit.
Die Funde aus dieser Periode mehren sich überall. In
Indien, China imd Japan sind alte Bronzen zum Vorschein
gekommen, und doch will man gerade jetzt diese Culturepoche
leugnen. In Ungarn finden sich Typen, die nirgend sonst vor-
kommen, Russland, England, Griechenland und Skandinavien
haben ebenso specielle Formtypen, welche wieder nur diesen
Ländern eigen sind.
Er zeigt die Zeichnungen von Bronzen, die nur in Skan-
dinavien gefunden wurden. Eine neu entdeckte Gussstätte in
Smörumövre beweist wieder, dass in jenen Ländern die Bron-
zen erzeugt wurden. Es mag sein, dass die Kenntniss der
Bronze durch den Bernsteinhandel nach Norden gelangt ist,
jedenfalls hat sich diese Industrie dort national entwickelt,
während südliche Länder eine neue Civilisation erhielten.
Doch auch in anderen Ländern wie in Ungarn scheint eine
Zeit der localen Culturentwickelung der Bronzezeit gewesen zu sein.
Mr. Bertrand erklärt sich mit diesen Ansichten einver-
standen. Auch Dr. Pigorini unterstützt dieselben und meint,
die Völker des Nordens hätten zur Steinzeit schon einen so
hohen Grad der Cultur erreicht, dass sie befähigt gewesen
wären, die Metallindustrie aufzunehmen und zu entwickeln. *)
Dr. Hildebrand (Stockholm) will den grössten Werth
darauflegen, diese für die verschiedenen Länder typischen
Formen so zu ginippiren, dass sie in Provinzen getheilt wären.
Er nimmt dabei wie Worsaae als typisch diejenige Form,
welche zumeist oder ausschliesslich in gewissen Gegenden vor-
^) So wäre denn doch die Annahme gerechtfertigt, dass die
Kenntniss der Bronze den nördlichen Völkern durch Handelswege
zugekommen ist, es wird nur darauf Gewicht gelegt, dass zu dieser
Zeit das Eisen unbekannt war, und dass sieb eine heimische Bronze-
industrie von hoher Vollendung local entwickelte.
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29
kommt, kommt diese Form dann auch wo anders vor, so er-
scheint sie ihm dort fremd. Er sagt, dass die Zone nördlicher
Typen vom baltischen Meere gegen Mitteldeutschland zu gegen
Osten sich abgrenze. Ungarn hätte einen Typus für sich und
Polen zeigt wieder von beiden gewisse Verschiedenheiten.
Die Aufgabe der Archäologie wäre nun, wie man es im Norden
und England gethan, diese Typen-Gruppen in Europa festzustellen.
Professor Handelman (Kiel) glaubt, dass der ungarische Opal
einst eine ähnliche Rolle im Handel gespielt habe wie der Bernstein.
Herr Franks macht darauf aufmerksam, dass sich manch-
mal in den Museen Gegenstände befinden, deren Ursprung
nicht genügend constatirt ist und dadurch irrthümliche Auf-
fassungen Platz greifen könnten.
Professor Virchow ergreift nun das Wort, um über die
Verhältnisse in Deutschland zu sprechen.
Die reinen Broncefunde werden dort immer seltener, die
mit Eisen gemischten immer häufiger. Dies sei der Grund,
warum man die reine Bronzezeit vielleicht zu übereilt negire
und nur von einer Metallzeit sprechen wolle. Professor Virchow
theilt nicht ganz diese Ansicht. Er glaubt, man müsse in dieser
Fi*age die Verhältnisse der verschiedenen Länder unterscheiden,
während im Norden Deutschlands sich kein Widerspruch erhob,
protestirten die Forscher in Süddeutschland gegen diese Drei-
theilung, weil dort sich fast immer Eisen mit Bronze fand.
Es kann sich nun derselbe Gegenstand im Süden mit, im
Norden hingegen ohne Eisen vorfinden, und so den verschie-
denen Perioden zugezählt werden.
Eisen wird in Deutschland sehr häufig, Kupfer nur in
Schlesien gefunden. Die Kupfergegenstände, die man gefunden,
gehören jedoch einer vorgeschrittenen Periode an. Ein Fibula
aus Kupfer z. B. zeigt die Fonm, wie sie in Bronze häufig ist.
Worsaae meint, dass auch im Süden Deutschlands eine
Bronzezeit gewesen sein müsse.
Herr Chantre (Frankreich) legt ein ausgezeichnetes, schön
ausgestattetes Werk ^), eine Monographie der Bronzezeit des Rhone-
beckens dem Congresse vor und beleuchtet den Inhalt desselben.
Er theilt das Vorkommen der Bronze in drei Epochen
ein. Die erste findet er in den Dolmen der Cevennen mit
^) ^tudeß paleo - ethnologique dans le Baesin du Rhone, age
du firoDze.
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30
polii-ten Steinwaffen, im Rhonethal selbst kommt die reine
Bronzezeit zum vollen Ausdruck, während in den Pfahlbauten
von Möringen der Uebergang zum Eisen zu ünden ist.
Seine ausserordentlich reichen Albums zeigen für jede
dieser Perioden gewisse Formtypen, nach welchen Herr Chantrc
nicht mehr zweifelt, dass für Frankreich vor dem Erscheinen
des Eisens eine reine Bronzezeit existirt hat.
Die Bronzetechnik ist wie es scheint nicht so sehr von
Westen als von Süden nach Frankreich gekommen.
Ich erlaubte mir nun meinerseits darauf hinzuweisen,
dass bei fast allen grösseren und gut untersuchten Bronze-
funden in Oesterreich sich Spuren von Eisen finden. Wenn
unsere Museen auch oft reiche Bronzesammlungen ohne Eisen
zeigen, so mag dies wohl zum Theil daher kommen, dass das
Eisen in der Erde zu unförmlichen Klumpen oxidirt und wahr-
scheinlich oft vernachlässigt wurde. Von allen den einzelnen
Funden, die von Landleuten gemacht wurden, kann man sicher
sein, dass sie die unscheinbaren Eisengeräthe verwerfen.
Die Frage der reinen Bronzezeit kann aber überhaupt
nur dann gestellt werden, wenn es sicher ist, dass die von
Worsaae als Repräsentanten bezeichneten Bronzen ohne An-
wendung von Eisen erzeugt werden können, was ich bezweifle,
wobei ich wesentlich auf die Verzierungen hindeutete.
Worsaae erwidei-t, dass die Ornamentik seinei: Meinung
nach nicht eingravirt wurde, sondern durch den Guss voran-
gebracht wäre. Er führt zur Unterstützung dieser Ansicht
Herrn Morlots Werk über die Bronzeindustrie an.
Professor Pigorini macht eine sehr werthvolle Mittheilung
über einige Fundstellen Italiens, ^ wo eine grosse Anzahl von
gleichen und ganz neuen Bronzegegenständen zusammenliegend
entdeckt wurden. So hatte man z. B. in der italienischen
Schweiz an einer Stelle über 100 derartige Stücke, an anderen
Orten 27 und 37 vorgefunden.
Diese Funde unterscheidet der Vortragende mit Recht
von Gussstätten. Er sieht darin vor Allem einen Beweis der
Bronzezeit in Italien. ')
^) Der Beweis für Handelsverbindungen aus Italien nach dem
Norden scheint hier um so näher liegend, als Professor Pigorini die
Aehnliohkeit mit Dolchformen des Nordens hervorhebt.
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Herr Chantre hat ebensolche Depots im Rhonethale
gefunden. Die Aehnlichkeit der daraus entnommenen Waflfen
mit denen Italiens lassen auf die Herkunft aus dem letztge-
nannten Lande schliessen.
Worsaae sieht in solchen Massenfunden Weihegeschenke.
Herr Beluoci (Italien) macht darauf aufmerksam, dass
seiner Erfahrung nach, sogenannte Kupfergeräthe nach erfolgter
chemischer Analyse sich manchmal als Bronzen erwiesen.
Professor Schaaff hausen erwähnt schliesslich die Beob-
achtung, welche Rossi in Italien und Boucher des Perthes in
Frankreich gemacht, wonach gebrochene Bronzen in den ein-
zelnen Theilen oft ein bestimmtes Gewichtsverhältniss haben
und möglicherweise als Tauschwerthe dienten.
Nachmittags besprach ich den Umenfund in Maria-Rast.
Ich hatte in diesem Jahre die durch Professor Müller be-
gonnene Ausgrabung fortgesetzt und theUte in Kürze die Er-
gebnisse derselben mit. Das Urnenfeld barg fast 200 Thon-
gefasse der verschiedensten Grösse, 175 Bronzen und zwei
Gegenstände aus Eisen.
Den Innenraum der grossen Bestattungsurnen füllte der
Leichenbrand und die Beigaben, welche aus kleineren Schalen
und Kjügen, sowie aus Bronzen bestanden.
Der Formcharakter der Urnen zeigt im Allgemeinen eine
gewisse Verschiedenheit, von denen der bisher bekannten Urnen-
felder im Norden und Osten der Donau, welche sehr häufig
den Slaven zugeschrieben werden. Als besonders merkwürdig
führte ich den Umstand an, dass in diesen Urnen zwei rö-
mische Fibulae gefunden wurden, und dass ausserdem eine
Gruppe von drei Urnen nachweisbar römischen Ursprunges
ist. Die Wahrscheinlichkeit spricht sonach dafür, dass wir es
hier mit einem kelto-germanischen Friedhofe zu thun haben,
welcher bis in die Zeit der römischen Occupation hineinreicht. ^)
Herr v. Pulszky und Herr Bertrand wollen an die Gleich-
zeitigkeit der römischen Urnen mit den Uebrigen nicht glauben,
för Letzteren ist der Fund besonders wichtig, weil die Formen
an altitalische Typen erinnern und er darin wie in den ähn-
lichen Fonnen aus Matrei und Golasecca die Rechtfertigung
*) In dem Berichte des Fräulein J. Mestorf S. 24 ißt meine
Abhandlung nicht ganz richtig wiedergegeben.
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32
der Annahme findet, dass sich die von den Etruskern unter-
jochten Italiker einst bis zum Brenner ausgedehnt hatten.
Betreffs der römischen Gefasse macht Herr Bertrand die
Bemerkung, dass auch in Frankreich solche Objecte, welche
einer jüngeren Zeit dem System nach angehören, mit älteren
Gegenständen gleichgelagert vorkommen, diese werden dann
aber immer als nicht dahin gehörig betrachtet.
Ich verwies die Herren auf die vollkommen gleichartige
Stellung der römischen Urnen mit den übrigen und auf die
Anwesenheit römischer Fibulae in Urnen, welche sie für älter
halten, und glaube, dass darin eben der Beweis der Gleich-
zeitigkeit gegeben ist.
M. Evans lenkt die Aufmerksamkeit der reinen Bronzezeit
wieder zu. Er legt ein Album mit schönen Holzschnitten vor,
worin auch er die Formtypen, welche in England die Epoche
kennzeichnen, vereiniget hat. Gleichzeitig führt er an, dass
zu jener Zeit die Steinbeile und Pfeilspitzen aus Feuerstein
noch in Verwendung waren.
Herr Worsaae bezeichnet zwei Wege, welche die ersten
Bronzen nach Norden gebracht, der eine geht über Frankreich
nach England, der andere über Deutschland nach Skandinavien.
Herr Montelius spricht über die Entwickelungsgeschichte
des Bronzekeltes, ich möchte sagen über das Wachsthums-
verhältniss dieser Waffe, welche von der einfachsten Form
zur complicirteren übergegangen ist.
Herr Zannoni (Bologna) bespricht die neuesten Ergebnisse
der höchst interessanten durch ihn geleiteten Ausgrabungen
bei Bologna. Er setzt diese Gräber in die voretruskische Zeit.
Nachdem zwischen Herrn Professor Broca und Herrn von
Pulszky einige Bemerkungen über die Herkunft der Zigeuner
gewechselt wurden, hält Professor Grevink einen Vortrag über
die Steinsetzungen in Form eines Schiffes, welche sich an der
Küste des Baltischen Meeres in Russland vorfinden.
Sie gehören nicht alle einer Periode an, und während
die in Kurland bis in das neunte Jahrhundert hineinreichen,
sind diese Steinsetzungen in Liefland in das vierte Jahrhun-
dert vor Christi zu versetzen.
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Der 8. September führte die Gesellschaft ') nach Erd und
Batta. Stromabwärtsfahrend gelangte man vorerst nach Erd,
wo vier Tumuli der bekannten eentum calles eröffnet waren.
Innerhalb eines Bohlenverschlages standen Thongeßlsse, welche
die aus den Terramare bekannten halbmondförmigen Henkel-
verzierungen zeigten, es fanden sich ferner Bronzen, welche
den HaUstätter Typus verriethen und eine Eisenaxt, so dass
diese Gräber in die sogenannte erste Eisenzeit versetzt werden
könnten.
In Batta, wo durch die Freundlichkeit des Grafen Wimpfen
(in Frähsttick bereit gehalten wurde, besah man romanische
Erdwälle einer Niederlassung, welche den Namen Palentiane
führten.
Cazalis de Fondouce (Frankreich) bespricht zu Beginn
der nächsten Sitzung, 9. September, Ausgrabungen, welche er
in den Tumuli Süd-Frankreichs vorgenommen, und welche
Eisenwaffen und Bronzen des Hallstädter Typus zum Vorschein
brachten.
Dr. Hildebrand memt, dass die gallischen Funde, welche
man in Deutschland, Böhmen und Mähren, sowie im Westen
Ungarns gemacht auf eine gallische Bevölkerung deuten, welche
zur Cultur der geimanischen Stämme viel beigetragen haben
müsste.
Pigorini macht nun Mittheilung einer von Dr. Muriatti
unternommenen Ausgrabung eines alten Begräbnissplatzes unter
den Mauern der römischen Stadt Velleia. Er schreibt den Ligu-
riem diese Stätten zu.
Herr Bertrand, Herr Broca und Herr Belucci treten in
die Discussion ein, sowohl über die Zeit als die rauthmassliche
Bevölkerung der genannten Necrepole.
Herr Sadovsky (Krakau) bespricht in sehr gediegener
Weise die alten Handelsstrassen für Bernstein vom Süden nach
dem Baltischen Meere. Er zeigt, wie durch die früher sehr
ausgebreiteten Sümpfe nur gewisse Verbindungswege möglich
waren, die er in Uebereinstimmung mit den Angaben des Ptolo-
1) Da ich diese Fahrt nicht mitmachen konnte, führe ich das
Krgebniss derselben aas dem in den „Mai^riatix'', Band VII, 9. und
10. Heft, erschienenen vortrefflichen Bencht des Herrn Cazalis de
Fondonce an.
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maus nicht nur constatiren konnte, sondern auf welchen auch
wirklich Bronzen in etruskischem Style aufgefunden worden sind.
Herr Franks zeigt die Abbildungen von Gegenständen
aus röthlichem Bernstein, welche aus Italien stammen, und
erinnert, dass in Sicilien sowohl wie am Libanon Bernstein zu
linden ist.
Herr (Jraf Zavisza (Warschau) legt eine in Volhynien
gefundene Lanzenspitzc vor, welche in Silber tauschirte Runen
und die Verzierungen des Hakenkreuzes aufweist.
Nach einigen Mittheilungen von weniger hervorragendem
allgemeinem Interesse schliesst Professor Henzelmann mit einem
Vortrag über die Kunst der Gothen.
Nachmittags sprach der bekannte Anatom Professor Len-
hossek über die macrocephale Deformation einiger alter Schädel,
deren Nationalität nicht genügend nachgewiesen werden kann.
Oflfenbar war die Deformation eine künstliche.
Professor Broca führt Hippocrates und Herodot an,
welche bereits von solchen Deformationen Kenntniss hatten,
und schreibt diese Sitte den Kymmriern oder Kymbriern zu.
Professor Virchow legt dem Congress die nach den sta-
tistischen Daten förbig ausgeführten Karten vor, welche die
Haut-, Haar- und Augenfarben der Bewohner Deutschlands
veranschaulichen. Das Resultat dieser mühevollen Arbeit ist,
dass der Norden Deutschlands wesentlich eine blonde, der
Süden eine brünette Bevölkerung aufweist, zwischen welchen
eine neutrale Zone liegt.
Die von Gartet und Dupont seinerzeit gefundenen Mon-
goloiden, welche als turanische Rasse vom Norden Deutschlands
hergekommen sein sollten, finden sich also in der Wirklichkeit
nicht vor, wohl aber lässt sich von der Donau westwärts der
Einfluss einer braunen Rasse constatiren.
Der nächstfolgende Tag war dem Studium der Museen
geweihet.
Der 11. September brachte die Schlusssitzung des Con-
gresses. Vor demselben sprachen noch mehrere Herren, von
denen ich die wichtigsten Vorträge anführe.
Herr Scheiber (Ungarn) hat die Körpergrössen der Be-
wohner Ungarns mit denen der übrigen l^änder Europas ver-
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35
glichen und gefunden, dass die Magyaren das kleinste Mass
besitzen.
Professor Kopeniiky (Warschau) bespricht die in vorge-
schichtlichen Gräbern gefundenen Schädel, und findet sie im
Gegensatz zur jetzigen Bevölkerung wesentlich dolichocephal.
Professor KoUman (München) constatiii;, dass dieselbe
langköpfige Bevölkerung auch in Deutschland sich in vorge-
schichtlicher 2feit zumeist vorfinde, und weist auf die Wichtig-
keit hin, die Nationalität der später sich ausbreitenden Kurz-
köpfe zu bestimmen.
Herr Bei-trand legt zum Schlüsse den Entwurf einer
archäologischen Karte vor, welche die Fundgruppen der be-
kannten . Culturperiode durch Parbentöne zur Anschauung
bringt. Er unterscheidet darin die Kelten wesentlich von den
Galliern, welchen er die Funde der ersten Eisenzeit zuschreibt.
Nachdem von den Herren Worsaae und Professor Ca-
pellini den Ausstellern und dem verdienstvollen Herrn Präsi-
denten Franz von Pulszky, sowie dem Generalsecrctär Dr. Romer
der Dank der Anwesenden ausgedrückt worden ist, verab-
schiedet sich der Präsident in herzlicher Weise von den Mit-
gHedem des Congresses und schliesst den (Jongress.
Der Ort des nächsten Congresses konnte nicht bestimmt
werden, und es bleibt dem Comit^ überlassen, eine 2)assend(5
Stadt für den Congress des Jahres 1878 zu wählen.
Der Ausflug nach Magyärät war ausserhalb des vorher
bestimmten Zeitmasses. Ich behalte mir vor, die Ergebnisse
desselben bei Besprechung der Sammlungen zu erAvähnen, da
gerade von dieser Stelle eine Anzahl von Gegenständen zur
Ausstellung gelangte. Hier will ich nur nochmals mit der
grössten Anerkennung der Bemühungen des Organisations-
Comit^ö imd der Freundlichkeit der Gutsbesitzer gedenken,
welche bei der zweitägigen Reise nach Älagyärat und Beni
'Alles aufgeboten, um das Studium der Alterthümer sowie die
Kenntniss von Land und l^euten zu fördern.
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3()
Kleinere Mittheilung.
Die Existenz des Menschen in der Anrergne zur Zeit der
Thfttigkeit der dortigen Ynlcane.
Bei der Versammlung der französischen Gesellschaft zur Be-
förderung der Wissenschaften im August v. J. zu Clermont-Ferrand
machte Herr Pommerol Mittheilungen über seine Wahrnehmungen
in Betreff der Gegenwart des Menschen in der Auvergne zur Zeit,
als die feuerspeienden Berge jener Gegend noch in Thätigkeit waren.
Schon im Jahre 1843 fand Herr Pomel Renthiergeweihe und ge-
schlagene Feuersteine in den Sand- und Kieslagem bei Issoire, wo
Herr Pommerol seitdem Elephantenknochen gesammelt hat; doch hat
Pomel schon den Elephas prim. für dieses Land signalisirt, und das
Eenthier sowohl als das häu£ge Vorkommen des Pferdes festge-
stellt. Reste vom Auerochsen hat man in den Anschwemmungen
von Cronelle , sowie versteinertes Holz gefunden. Der Feuerstein,
von dem man Schaber und Messer gemacht hat, kommt aus den
Sümpfen von der I^imagne, doch scheinen zwei dieser Geräthe
vom Feuerstein von Grand-Pressigny zu stammen. Herr Pomel fand
am Ende eines Lavaabflusses drei gegüittete und gravirte Knochen
vom Ren. Nun ging ein Wasserlauf einst durch das Thal von
Saliere, wahrscheinlich der A liier, und dieser hat kalkige Feuersteine
in viel grösserer Zahl dahin getragen, als vulcanische Steine, was
beweiset, dass in der quatemären Epoche die Vulcane der Auvergne
noch keineswegs erloschen waren. Herr Grandclement bestätiget dies
mit dem Bemerken, dass man vor 15 bis 20 Jahren unter einem
Lavastrome bei Chamaliere ein alluviales, mit vielen Baumstrünken
durchsetztes Lager fand, in welchem ein Stosszahn vom Elephanten
vorkam ; und Herr Pomel fügt bei, dass in Issoire in Mitten der
Knochen vom Renthier, Hund und Pferd Meermuscheln gefunden
wurden, welche zu dem Zwecke durchbohrt waren, um sie als Hals-
schmuck zu tragen. Bei Saliere und Gergovie liefern die Anschwem-
mungen häufig Hirschgeweihe, welche zweifellos vom Menschen be-
arbeitet sind. Dr. Mueta.
Vereinsnaohriohten.
Die nächste Plenarversammlung der anthropologischen Gesell-
schaft wird am Dienstag den 13. März um 7 Uhr Abends statt-
finden. Für dieselbe ist vorläufig angemeldet ein Vortrag des Herrn
Dr. Wankel über Trepanwunden an vorhistorischen Schädeln.
B«d«ctlOBfi-ConiUs Hoft-ath Franz Ritter v. Ilaaer, Uofrath Carl LftBcer, Dr. M. Mach,
Prof. Friedr. MBIler, Dr. WahrmaBii, Prof. Job. WoldKcta.
Druck Ton Adolf HolshaOMn in Wien
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YIL Band. Ausgegeben den 27. Wkrt 1877. Ir. 3.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
IN WIEN.
: Zweiter Bericht Aber 4ie Palkaner Fnaditttte Ton Dr. J. N. WoMHch. — Protokoll
der JahreeTersammlaog der anthropologiechen Oesellschaft, am 18. Pebroar 1877. —
Kleinere Mitibeilonfen : Ürreachichtliche Fsnde auf Pelavosa von F. v. L — Die Terre-
■uire in Ungarn von 8r. — Literatar-Bericht ron Dr. Miicli. — Yereint-Mittheilnng.
Zweiter Berieht über die Pulkauer Fundstätte.
Ton
Dr. J. N. Woldfioh.
Herr Professor Joh. Dechant in Botzen hat gelegentlich
seines Aufenthaltes während der vorletzten Ferien (1875) in
Pulkau auf der daselbst befindlichen Fundstätte*) weiter nach-
gegraben und bei dieser Gelegenheit neben vielen Topfscherben
noch andere wichtige Gegenstände gefunden. Derselbe hat mich
ersucht, diese Funde zu beschreiben und dem Museum der
„Anthropologischen Gesellschaft in Wien" zu übergeben, was
hiemit geschieht.
Diese Funde rühren von derselben Stelle und aus der-
selben Lage her, wie die ersten Funde, und ich brauche diess-
falls nichts mehr hinzuzufügen.
Die Gefässfragmente zeigen wieder dieselben Formen
und dasselbe Materiale, sowie auch denselben Erhaltungszustand,
wie ich sie bereits ausführlich beschrieben habe. Besonders
hervorzuheben ist, dass sich darunter wieder Fragmente be-
finden mit den so merkwürdigen nach Innen gekehrten
Höckern. Auch dieselbe rohe Verzierung durch Fingerein-
drücke auf Wülsten kommt wieder vor. Ein Randstück, wie
es scheint von einem flachen Geföss (Schüssel), zeigt auf der
^) Siehe meinen ersten Bericht im lET. Bd. Nr. 1 1873 der
Mittheil, der anthropol. Gesellsch. in Wien.
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38
glatten Fläche seines nach Innen vorspringenden Randes eine
neue, jedoch ebenfalls sehr rohe Verzierung, Fig. 1, nämlich
Fig. 1. Fig. 2.
eine unregelmässig wellenförmige, eingeritzte Linie; die nach
aussen gekehrten Felder sind mit eingedrückten kleinen Ver-
tiefungen versehen.
Neu ist ein Topfdeckel von 8*5 Cm. Durchmesser mit
nach aufwärts gekehrtem, 1*5 Cm. hohem Rand und einem
kleinen Henkel in der Mitte, Fig. 2.
Ein krugförmiges, dünnwandiges Geßlss mit einem Henkel
liess sich aus den vorgefundenen Fragmenten zur Hälfte zu-
sammenstellen, Fig. 3. Dasselbe ist 10*5 Cm. hoch, der Durch-
messer des kleinen Bodens beträgt 4'5 Cm., die Weite des
tiefen Bauches ll'ö cm. und der Umfang des Bauches 37 Cm.
Fig. 3. Fig. 4.
Ein Thonwirtel ohne Verzierung, Fig. 4, unvollständig,
aus dunkler feiner Masse, schwarz geglättet, flach, hat einen
Durchmesser von 5*5 Cm. und ein 5 Mm. weites Loch.
Ein Beschwersteinfragment von kegelförmiger Gestalt,
aus geschwärztem, ungebranntem Thon hat einen Bodendurch-
messer von 9 Cm.
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Die übrigen Gefiissfragraente sind theils Wandstücke,
theils Bodenstücke mit Höckern, theils Henkel.
Unter den Artefacten aus Stein sind zunächst drei Mahl-
steine (sog. Komquetscher) aus Quarz zu erwähnen; der eine
derselben ist durch den Gebrauch auf zwei Stellen abgerieben.
Sehr inteorossant und wichtig ist der Fund eines Feuer-
steinmessers und eines Steinbeils. Schon in meinem ersten
Bericht erwähnte ich eines Kieselsteinsplitters, nur war derselbe
unvollkommen und in seiner Form von gewöhnlichen derartigen
Funden abweichend. Das vorliegende vom Herrn Dechant
gefundene Feuersteinuiesser hat die gewöhnliche typische Form,
wie man sie in Höhlen aus der Steinzeit vorilndet ; dasselbe ist
aus braunem Feuerstein, 4 Cm. lang, 1'5 Cm. breit, geht auf einem
Ende in eine Spitze über und hat eine abgenützte Scharfkante.
Das Steinbeilfragment stellt die untere, mit der Schneide
versehene Hälfte eines in der Mitte abgebrochenen Beiles dar.
Die Schneide ist zugeschliffen^ schwach gebogen, 6 Cm. lang;
der Körper ist etwas schmäler, nicht zugeschliffen, am abge-
brochenen Ende 3 Cm. dick und besteht aus einem gi*tinlich-
grauen dioitartigem Gestein. Form und Gestein sind ähnlich
wie an den Beilen, welche Graf G. Wurmbrand in den Seen
OberösteiTeichs gefunden hat.
Diese zwei Vorkommnisse sind von grosser Wichtigkeit ;
das erstere bestätigt die Ansicht, dass Feuerstein auch in einer
sehr späten Periode (hier in der Bronzezeit) im Gebrauch war.
Auch Graf H. Wurmbrand*), welcher bereits neunundzwanzig
Fundplätze in Niederösterreich sorgfaltig untersuchte, constatirte
das Vorkommen von Bronze und Feuerstein zusammen bei
Weikersdorf. Das zweite Vorkommen (polirtes Steinbeil)
liefert Anhaltspunkte für Beurtheilung der Beziehungen zwi-
schen den Land- und Seeansiedlungen unserer Gegend.
Ein Schleifstein aus sehr feinkörnigem Sandstein, 9 Cm.
lang und 4 Cm. breit.
Ein Fragment einer Platte aus Quarzitschiefer, bei
8 Mm. dick, 9 Cm. lang und 8 Cm. breit, ohne Spur einer
künstlichen Bearbeitung.
Aus Bein {smd Herr Prof. Dechant neben vielen
Knochensplittern ohne Bearbeitung eine Ahle (Löchelbohrer),
^) Mittheilungen der anthropol. Gesellsch. Wien, Bd. V. H, 1.
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Fig. 5, welche 5*5 Cm. lang, 7 Mm. breit und 3 Mm. dick ist;
dieselbe ist aus einem Knochensplitter gearbeitet, die Spitze
abgerundet, nicht zu scharf, mehr stumpf
' und scheint viel gebraucht worden zu
sein; als Löchelbohrer würde sie jetzt
^' ' noch ihren Zweck erfüllen.
Fenier eine Art flachen, dünnen und spat eiförmigen
Schab löf fei, aus einem dünnen abgesprengten Knochen-
stück (Rippe?), 4'5 Cm. lang, an dem einen Ende 1 Cm,
und am anderen 2 Cm. breit; das letztere ist seitlich abge-
rundet, an der Kante von unten scharf zugeschliffen, quer
über die Mitte geht eine -seichte Furche.
Ich selbst fand bei einem Besuche dieser Fundstätte in den
letzten Osterferien neben Topfscherben und einigen Knochen-
splittern einen anfangs wenig beachteten Schneidezahn eines
Wiederkäuers (Ziege?), der sich jedoch bei näherer Besich-
tigung bearbeitet zeigte, und zwar ist die Wurzel desselben
von der Innenseite bogenförmig zu-
geschärft, so dass sie das voll-
kommene Prototyp einer jetzt ge-
^'^^' ^' bräuchlichen Schuster ah le dar-
stellt, Fig. 6, dieselbe ist 4*8 Cm. lang.
Aus Bronze fand Herr Prof. Dechant ein stark ver-
branntes und verschlacktes Fragment (vielleicht das Endstück
des Handgriffs eines schneidenden Werkzeuges). Dasselbe
zeigt nur zu deutlich die Spuren der stattgefundenen Ver-
brennung und bestätiget meine im ersten Berichte ausgespro-
chene Ansicht, dass diese Fundstätte der Bronzezeit angehört,
obwohl ich damals aus Bronze selbst nichts vorfand.
Fauna. An Knochen fand Herr Dechant: Zähne vom
Rind und vom Schaf (Ziege ?) ; Wirbel , Fusswurzel und Pha-
langen vom Rind (Brachyceros?); Rippenfragmente vom Rind(?);
Eckzahn- und Kieferfragmente vom Schwein (dessen Vorhanden-
sein ich in meinem ersten Bericht nur nach dem unteren Ge-
lenk einer rechten Tibia constatirte).
Sehr interessant ist ein unvollständiger Schädel vom
Haushund. Leider ist derselbe defect und es fehlt fast die
ganze Schädelkapsel ; von Zähnen sind vorhanden : rechts zwei
abgebrochene äussere Schneidezähne, der abgebrochene Eck-
zahn, der zarte Lückenzahn, der Reisszahn und die beiden
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Höckerzähne, links der Reisszahn. Reiss- und Höckerzähne
sind schwach abgekaut. Der Schädel trägt die unverkenn-
baren Spuren der Asche an sich, in der er gelegen ist. Die
Schädelkapsel ist vielleicht des Hirns wegen aufgeschlagen
worden.
Dieser Schädel gehört dem von mir beschriebenen Canis
f. intermedius Wold. an *).
Wir hätten also in Pulkau zwei Hunde: den Canis f.
palustris Rütim., dessen Unterkiefer ich a. a. O. beschrieben
habe, und den Canis f. intermedius Wold. Der von mir a.
a. O. beschriebene rechte Radius wird wohl dem C. f. inter-
medius und nicht dem C. f. palustris angehören.
Ueber die Fundstätte selbst erlaube ich mir noch die
folgenden ergänzenden Bemerkungen.
Bei meinem abermaligen Besuche derselben während der
letztverflossenen Osterferien (1876), zu einer Zeit, wo Baum
und Strauch noch des Blätterschmuckes entbehrten und den
Boden nur spärliche Vegetation bedeckte, entdeckte ich, dass
der Hügel, auf welchem sich die Fundstätte befindet, mit einem
Stein wall versehen war und zwar in Ost, Nordost, Nord und
Nordwest; von da bis über Südost hat der Hügel einen natür-
lichen Abfall und es fehlt hier, wie überall bei solcher Lage, die
Befestigungsmauer. Der Steinwall ist sehr zeiiallen und niedrig,
aber in Nord noch sehr deutlich für ein geübtes Auge zu er-
kennen. Ich habe denselben bei meinen ersten Besuchen im
Hochsommer 1872 übersehen, weil derselbe gerade an der
Fundstelle durch den Steinbruch, welcher in den Hügel hinein-
getrieben ist, verschwunden ist und sein übriger Theil durch
dichtes Gestrüpp bedeckt war, das ich nicht näher unter-
suchte. An mehreren Stellen der Hügelfläche, welche bei
170 Schritte lang und bei 90 Schritte breit ist, tritt die stark
aschige Erde zu Tage und GefUssscherben kommen an mehreren
Stellen zum Vorschein.
*) Die betreflfende Abhandlung folgt in der nächsten Nummer
der Mitthcil. der anthrojjol. Gesellsch.
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Protokoll der Jahresversammlung der anthropolo-
gischen Gesellschaft, am 18. Februar 1877.
Vorsitzender: Dr. C. Freiherr von Rokitansky.
Schriftführer: Dr. M. Much.
Der Präsident eröffnet die Versammlung mit der Auf-
forderung an den Secretär, den Jahi'osbericht zu erstatten.
Secretär Dr. Much erstattete nun den Jahresbericht mit
folgender Ansprache:
Hochgeehrte Versammlung !
Wie bisher alljährlich, bietet auch im heurigen Jahre das
Zusammentreten der anthropologischen Gesellschaft zur Jahres-
veraammlung die Veranlassung, Rückschau zu halten über das
gesellschaftliche Leben im abgelaufenen Vereinsjahre.
Indem ich dieser Gepflogenheit folge, drängt es mich,
vorerst unserer Freude darüber Ausdruck zu geben, dass
Seine Majestät der Kaiser geruht hat, unsere „Mittheilungen"
allergnädigst entgegenzunehmen. Wir dürfen hierin wohl einen
Act der kaiserlichen Anerkennung der Thätigkeit der Gesell-
schaft erblicken und uns der Hoffnung hingeben, auch in
Zukunft besonderer huldvoller Beachtung Seiner Majestät theil-
haft zu werden.
Leider hat die Gesellschaft auch zweier Verluste in diesem
Jahre zu gedenken, und zwar des ihres Ehren-Mitgliedes, des
Staatsrathes von Baer, und des ihres wirklichen Mitgliedes
und Ausschussrathes, des Bergrathes Foetterle. Beiden wurden
in einer der letzten Plenarversamndungen durch den Herrn
Präsidenten freundliche Worte des Nachrufes gewidmet.
Was das innere Leben der Gesellschaft betrifft, so glaube
ich die Rückschau über dasselbe am besten zu halten, wenn
ich Ihnen kurz die Residtate unserer gemeinsamen Thätigkeit
in Erinnerung bringe. •
Unsei* Vereinsleben äusserte sich zunächst in den Vor-
trägen und in den verschiedenen kleineren mündlichen Berichten
unserer Mitglieder. So danken wir Herrn Dr. Zucke rk an dl
Mittheilungen über ein mehrfaches Thema, imd zwar über
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einen Tolteken -Schädel, über die Zahndeformirung bei den
Malayen und über Castration, und ich beklage es sehr, dass
es bis jetzt nicht gelungen ist, diese werthvoUen Beiträge zur
Anthropologie zur Veröffentlichung in unseren „Mittheilungen"
zu erhalten. Aus seinen ethnologischen Studien auf der Balkan-
halbinsel theilte uns Herr Kanitz interessante Beobachtungen
über die moslinusch-bulgarischen Pomaci und Zigeuner im nörd-
lichen Balkangebiete mit. In urgeschichtlicher Beziehung end-
lich erhielten wir sehr wichtige Beiträge zur Konntniss der den
voi^eschichtlichen Menschen begleitenden Thierwelt. Herr Pro-
fessor Dr. Wilkens constatirte, wie er uns in einem, mit vielen
Belegen ausgestatteten Vortrage erläuterte, eine neue Rinder-
rasse, Bos brachycephalus, die aus der Zeit der Pfahlbauten
bis in unsere Zeit hereinreicht und uns darum näher angeht,
weil sie nicht nur in der Gegenwart ihre hauptsächlichste
Verbreitung in den österreichischen Ländern hat, sondern auch
in vorgeschichtlicher Zeit vorerst auf österreichischen Fund-
orten, wie in den Pfahlbauten des I^aibacher Moores, in den
vorgeschichtlichen Ansiedlungen bei Deutsch-Altenburg und
Stillfried in Niederösterreich auftritt. Wir dürfen von dem
Verfolg der Entdeckung dieser Rasse und von der Ermittlung
ihres einstigen und jetzigen Verbreitungsbezirkes, namentlich
gegen Süden hin, noch manche in prähistorischer Beziehung
wichtige Aufschlüsse erwarten und können daher Herrn Pro-
fessor Dr. Wilkens für seine Arbeit nicht genug danken.
Eine andere neue Hausthierrasse aus vorgeschichtlicher Zeit
stellte Professor Dr. Woldfich auf, nämlich den Cauis inter-
medius, der zwischen dem Olmüzer Hunde und dem Torf-
hunde in der Mitte steht. Auch diese neue Rasse erscheint
vorerst niu* in österreichischen Fundorten, und es hat nach
den, an den Vertrag des Herrn Professor Dr. Woldf ich ange-
knüpften Bemerkungen des Herrn Professor Dr. Jeittclcs fast
den Anschein, als ob dieser Cauis intermedius ein Begleiter
jenes Bos brachycephalus wäre. Professor Dr. Woldf ich
besprach überdies noch neuere, von Professor Dechant in
Pulkau gemachte Funde. Custos v. Luschan gab uns eine
Erläuterung der von der internationalen Commission adoptirten
Zeichen für prähistorische Karten, indem er zugleich deren
Unanwendbarkeit nachwies. Ihr erster Sccretär endlich
legte Ihnen Berichte vor über die Ausgrabungen bei St. Agatha
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am Hallstädter See, und bei Harth in Niederösterreich, über
den Erfolg der fortgesetzten Untersuchungen in den Pfahlbauten
des Mondsees und des Laibacher Moores, dann über zerstörte
vorgeschichtliche Ansiedlungen in Niederösterreich und über
die ältesten Spuren des Ackerbaues in Europa.
Was unsere gemeinsame Thätigkeit auch für die Zukunft
documentiren soll, das sind unsere Publicationen, deren vollen-
deter VI. Band in Ihren Händen ist. Wenn Sie denselben
durchblättern, so werden Sie uns das Zeugniss geben, dass er
an Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit des Inhaltes seinen
Vorläufern nicht nachsteht. Sie werden in demselben einen
Theil der vorerwähnten Vorträge niedergelegt finden, aber
auch die erfreuliche Wahrnehmung machen, dass sich eine
Zahl unserem Kreise bisher fremder Forscher als Mitarbeiter
an unserem Werke betheiligte.
Um auch hier der Dreitheilung unserer Disciplinen zu
folgen, erwähne ich zuerst der „Mittheilungen aus dem Museum
der Gesellschaft" von Felix v. Luschan, und zwar über
den Schädel eines Arica-Indianers, über Schädel aus einem
Felsengrabe auf Malta und aus Gräbern von Pitten in Nieder-
österreich.
Auf dem Gebiete der Ethnographie der Gegenwart be-
wegten sich Richard Andree mit einer Arbeit über Tage-
wählerei, Angang und Schicksalsvögel in de^r Völkerkunde,
und Felix Kanitz mit seinen schon erwähnten Mittheilungen
über die moslimisch-bulgarischen Pomaci und Zigeuner im
nördlichen Balkangebiete, und auf jenem der Paläoethnologie
Dr. Fligier mit einer längeren Arbeit über die prähistorische
Ethnologie der Balkanhalbinsel.
Unter den zahlreichen Beiträgen urgeschichtlichen In-
haltes finden Sie eine eingehende, mit einer Fülle von Beweis-
material ausgestattete Abhandlung des Freiherrn v. Andrian
über den Einfluss der verticalen Gliederung der Erdoberfläche
auf menschliche Ansiedlungen. Ein allgemeines Thema behan-
delten ferner Dr. Hermann Rollett in seinen urgeschicht-
lichen Controversen, Dr. Much in seinen Untersuchungen über
den natürlichen und künstlichen Ursprung von Feuerstein-
messern und anderen Objecten aus Stein. In specieller Be-
ziehung berühren zunächst heimische Vorkommnisse die Herren
Brauer und Dr. Dolesch in ihren Nachrichten über heid-
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nische Begräbnissstätten bei Hostau und Bischofteinitz in
Böhmen, v. Luschan in seinen Mittheilungen über Funde
bei Nussdorf, Zogelsdorf und Moravan und über eine Urne
aus Welebine bei Teplitz. Professor Dr. Woldfich brachte
uns urgeschichtliche Notizen über Dalmatien, welche er auf
einer Reise daselbst sammelte, Graf Heinrich Wurmbrand
über einige noch nicht beschriebene Erdwerke in Nieder-
österreich, und Dr. Much über eine umwallte Ansiedlung
bei Untersiebenbrunn im Marchfelde und über die Ergebnisse
fortgesetzter Pfahlbauforschungen im Mondsee.
Fremdländische Vorkommnisse auf urgeschichtlichem Ge-
biete behandelten endlich H. Havelka in seinem Berichte
über neu entdeckte Steinkisten in der Krim, v. Luschan in
seinen Beiträgen über bearbeitete Knochen und Schlittknochen
aus London, über Umenfunde aus Jarocin und über einen
phönizischen Votivstein aus Algier; Herr Dr. Wankel brachte
uns als eine Frucht seiner Reise zum Congresse der russischen
Anthropologen in Kiew eine mit Recht allseitige Aufmerksamkeit
erregende Mittheilung über einen bei Smolensk in Russland
gefundenen eratischen Granitblock mit phönizischer Inschrift,
und von Paul Schumacher in San Francisco erfreuten wir
uns eines Berichtes über die verfallenen Dörfer der Urein-
wohner an der paciiischen Küste Nordamerikas.
Ausser diesen Abhandlungen finden Sie eine Reihe kür-
zerer Mittheilimgen und Literaturberichte, die dem Buche, wie
ich hoffe, nicht zum Nachtheile gereichen werden.
Wenn ich noch beifüge, dass unsere Publicationen ein
Gegenstand fortgesetzter Nachfrage sind, und dass sowohl
ununterbrochen Ansuchen anderer Gesellschaften um Schriften-
tausch einlaufen, als auch der buchhändlerische Absatz ein
ansehnlicher ist, so werden Sie wohl hierin eine Anerkennung
unseres Strebens erblicken dürfen.
Wenn ich andererseits nicht verhehlen darf, dass es fast
den Anschein hatte, als sollten die traurigen Verhältnisse des
äusseren Lebens nicht ohne Einfiuss auf das gesellschaftliche
Leben bleiben, so können wir doch heute sagen, dass die Ge-
sellschaft sich nunmehr auf einem Punkte befindet, von dem
aus sie einer glücklichen Zukunft entgegensehen kann.
Wie Sie ferner aus dem Munde des Herrn Gustos und
des Herrn Bibliothekars erfahren werden, haben die gesell-
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schaftlichen Sammlungen auch in diesem Jahre eine reiche
Vermehrung erhalten und der Herr Rechnungsführer wird
Ihnen die Ausweise der Geldgebahrung und des Cassen-
standes vorlegen, aus denen Sie ersehen werden, dass die
Finanzen der Gesellschaft sich eines sehr günstigen Standes
erfreuen.
Ihr Ausschuss ist endUch in der Lage, Ihnen heute, wie
dies schon im Programme der heutigen Versammlung auge-
deutet worden ist, eine Angelegenheit zur Berathung und Be-
schlussfassung vorzulegen, deren glückliche Erledigung geeignet
ist, nicht nur die Existenz der Gesellschaft überhaupt zu
sichern, sondern auch ihrer Thätigkeit eine umfassendere Basis
zu geben.
Hochverehrte Versammlung! Es ist ein merkwürdiges
Zusammentreffen, dass gerade der heutige Tag der Grün-
dungstag der Gesellschaft; ist; heute vor sieben Jahren wurde
von unserem allverehrten Präsidenten die erste constituirende
Versammlung mit geistreichen Worten eröffnet: möge sich
dieser Tag auch diesmal als ein glücklicher bewähren!
Hierauf erstattet Herr Gustos v. Luschan den Bericht
über den Stand des Museums in Folgendem:
Verehrte Versammlung!
Ausfuhrlich habe ich in meinem vorjährigen Jahres-
berichte darauf hingewiesen, dass die Anthropologie als Natur-
wissenschaft zu betrachten sei, und dass daher anthropologische
Sammlungen heutzutage nur vom naturhistorischen Standpunkte
aus in zweckmässiger Weise aufgestellt und geleitet werden
könnten. Schneller als wir es je für möglich gehalten, haben
mir seither die Thatsachen Recht gegeben: Durch die nach
grossen und unseres Jahrhunderts würdigen Principien durch-
zuführende Reorganisation der Wiener Hofmuscen haben wir
bereits heute die sichere Aussicht, in wenig Jahren anthropo-
logische Sammlungen geniessen und benützen zu können, die
jenes Ideal sofort erreichen, dem wir allein vielleicht erst nach
langen Jahren, vielleicht gar nie nahe gekommen wären.
Neben den beiden bisher bestandenen naturhistorischeu
Hofmuseen werden zwei neue Museen gegründet, neben dem
mineralogischen ein geologisch-palaeontologischcs, neben dem
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zoologischen ein anthropologisch-ethnographisches, und diesem
letzteren strömen schon jetzt die werthvoUsten Schätze aus
allen Zeiten und Ländern zu. Mit kaiserlicher Muniücenz
dotirt, wird es ohne Frage eine der grössten Sammlungen
der Erde sein, und wenn Sie heute beschliessen werden, auch
unser Museum demselben einzuverleiben, so ist das nicht
et^'a ein Act blosser Loyalität gewesen, sondern ein Gebot
wissenschaftlicher Nothwendigkeit und leider auch der ein-
fachen Erwägung, dass in einer Stadt, in der von Seite eines
reich dotirten öffentlichen Institutes mit grossem Eifer ge-
sammelt wird, einer mit beschränkten Mitteln ausgestatteten
Gesellschaft natürlich jede Aussicht auf neue Acquisitionen
erschwert ist. Und schon in diesem Jahre hat sich der
Einfloss des neuen Hofmuseums insoweit fühlbar gemacht, dass
uns Geschenke nicht in dem reichen Masse zugeflossen, als
dies in früheren Jahren der Fall war.
Meine heutige Aufgabe, Ihnen über unsere neuen Acqui-
sitionen Bericht zu erstatten, kann ich daher in Kürze er-
ledigen. Ich erwähne vor allem einen interessanten Schädel
vom Reihengräber -Typus, der bei einem Baue bei Vöslau
gefunden und über mein Ansuchen vom Herrn Architekten
Krummholz uns überlassen wurde. Eine zweite Vermehrung
hat unsere craniologische Sammlung durch einen Schädel er-
fahren, der allerdings ohne weitere Anhaltspimkte auf der
Acropolis in Athen gefunden und uns von Herrn Professor
Heldreich, dem bekannten Botaniker, übersandt wurde. Reich-
haltiger sind unsere prähistorischen Acquisitionen gewesen;
ich brauche Sie nur an die werthvolle Auswahl aus den gross-
artigen Funden von Laibach zu erinnern, die uns Hofrath
Freiherr von Rokitansky überlassen.
Kaum weniger wichtig sind die schönen Funde aus dem
Neusiedler Seebecken, ein Geschenk des Herrn Grafen Böla
Szdcheny i, die uns Herr Dr. Much in der letzten Sitzung vor-
gelegt hat, und auch unter den neuerlichen Funden aus Pulkau,
über die Herr Professor Woldfich gleichfalls in der letzten
Sitzung gesprochen, ist manches interessante Artefact zu ver-
zeichnen. Indem ich hier die Reihe dei* neuen Acquisitionen
schliesse, will ich nur noch wenige Worte über die Arbeit
erlauben, mit der ich im letzten Jahre begonnen, unsere Samm-
lungen zu publiciren. Unter dem Gesammttitel : „Mittheilungen
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aus dem Museum der Wiener Anthropologischen Gesellschaft"
sind bisher zwölf Abschnitte in unserer Zeitschrift zum
Drucke gelangt, und ich gedenke im Einverständniss mit dem
Redactions-Corait^ meine Arbeit unter dem gleichen Titel im
Laufe des nächsten Jahres zu Ende fuhren zu dürfen, wenn
auch bis dahin unser Museum als solches aufgehört hat, zu
existiren,
Herr Bibliothekar Dr. Polak fügt diesem Berichte einige
Worte bei, worin er mittheilt, dass die Gesellschaft auch im
vergangenen Jahre mit anderweitigen wissenschaftlichen Vereinen
in lebhaftem Schriftentausche gestanden ist und dass von in-
und ausländischen Gelehrten interessante und werthvoUe Ge-
schenke eingesendet wurden. Es müsse jedoch beklagt werden,
dass bei den äusserst ungünstigen Localen, in denen die gesell-
schaftliche Bibliothek untergebracht ist, eine Aufstellung und
Ordnung derselben, sowie eine Revidirung, um etwaige Lücken
in den Einsendungen aufzufinden und zu completiren, unmöglich
sei. Sobald ein solches Local beschafft sein wird, werde das
Alles geschehen können.
Hierauf gelangt durch den Secretär nachstehender Bericht
des Rechnungsführers Herrn Kanitz zur Verlesung.
Auf Grundlage des ziffermässigen Cassastand-Ausweises
unseres Cassiers H. Prof. Dr. Woldfich habe ich die Ehre zu
constatiren, dass die Gesellschaft an Einnahmen vom Jänner
bis December 1876 verzeichnete:
1. Cassarest vom Jahre 1875 fl. 310.02
2. Mitgliederbeiträge pro 1873, 1874 und 1875 . „ 1220.—
3. Freiherr von Andrian für Mitgliedskaite auf
Lebensdauer „ 80. —
4. Subvention des Ministeriums für Cultus und
Unterricht „ 400.—
5. Subvention des k. k. Niederösterreichischen
Landesausschusses „ 100. —
6. Für verkaufte Gesellschafts-Publicationen . . „ 302.40
Summe . . fl. 2412.42
Die Ausgaben betrugen im gleichen Zeiträume :
1. Druck der „Mittheilungen" fl. 764.15
2. Separatabdrücke für Autoren „ 64.69
Fürtrag . . fl. 828.84
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Uebertrag . . fl. 828.84
3. Illustrationen „ 408.08
4. Buchbinder „ 32.10
5. Versendung der Zeitschrift ^ 116.12
6. Museums- und Bibliothekskosten „ 50.45
7. Regie „ 241.47
Summe . . fl. 1677.06
Cassarest pro 1877 . . „ 734.44
Auch in diesem Jahre habe ich unsere Einnahmen und
Ausgaben aus den mir vorgelegenen Rechnungen in gleich-
lautende Titel ausgezogen und summirt, was nunmehr den
verehrten Mitgliedern einen leichten Ueberblick und Vergleich
der Rechnungsgebarung und Vermögens-Verwaltung unserer
Gesellschaft gestattet.
Dank dem besonderen Eifer, mit dem Herr Prof. Dr.
Woldf ich auch die materiellen Interessen der Anthropologischen
Gesellschaft seit seiner Uebernahme der Cassengeschäfte wahr-
nimmt, gereicht es mir zur angenehmen Pflicht, die Prosperität
unserer gesellschaftlichen Einnahmen zu constatiren, welche
gegenwärtig nicht nur unsere Ausgaben vollkommen decken,
sondern uns gestatten, unseren Publicationen und sonstigen
Forschungsarbeiten in diesem Vereinsjahre die wünschens-
werthe Erweiterung zu geben.
Präsident Dr. C. Freiherr v. Rokitansky: Wir kommen
nun zum vierten Gegenstände unserer Tagesordnung.
Zufolge statutenmässigen Austrittes scheiden im heurigen
Jahre die Herren Dr. v. Arneth, Dr. Franz Ritter v. Hauer,
Se. Exe. J. Graf Wilczek und Gundaker Graf Wurmbrand
aus dem Ausschusse, und an der Stelle des verstorbenen Herrn
Bergrathes Foetterle ist ein weiteres Mitglied mit zweijähriger
Functionsdauer zu wählen. Ich empfehle Ihnen die Wiederwahl
der ausscheidenden Mitglieder des Ausschusses und für die
Stelle mit zweijähriger Functionsdauer die Neuwahl des Herrn
Bergrathes. H. Wolf.
(Wird einstimmig angenommen.)
Der Ausschuss schlägt Ihnen femer vor ftir die Wahl
zu wirklichen Mitgliedern den Herrn Dr. Hermann Rollet
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in Baden und die k.k. Familienfonds- und Privatbibliothek
Seiner Majestät des Kaisers.
(Erscheint einstimmig angenommen.)
Der Ausschuss hat endlich beschlossen, Ihnen die Wahl
der Herren Dr. Richard Andree in Dresden, Professor
Dr. Hans Hildebrand in Stockholm, des Fräulein J. Mes-
torf, Gustos des Universitäts - Museums in Kiel, des Herrn
G. de Mortillet, Attachö au Musöe des Antiquitös nationales
in St.-6ermain, und des Herrn H. Morselli, Aide de Clinque
ä Florence, zu empfehlen.
(Auch diese Wahlen werden mit Beifall einstimmig vor-
genommen.)
Wir schreiten nun zum wichtigsten Gegenstande der
heutigen Tagesordnung, nämlich zur Berathung und Beschluss-
fassung über den Antrag: die anthropologisch-urgeschicht-
liche Sammlung und die Bibliothek der Gesellschaft
an das k. k. naturhistorische Hof-Museum abzutreten.
Der Herr Secretär wird Ihnen seinen Bericht in dieser Ange-
legenheit vortragen.
Secretär Dr. Much:
Hochgeehrte Versammlung!
Unter den Aufgaben, welche sich die anthropologische
Gesellschaft bei ihrer Gründung gestellt hat, erschien als eine
der hervorragendsten, die Gründung eines Museums anthropo-
logischer, ethnographischer und urgeschichtlicher Gegenstände
und einer diesbezüglichen Fachbibliothek anzustreben.
Hochherzige Gönner der Gesellschaft und die Strebsam-
keit der Mitglieder lieferten denn auch bis in die letzte Zeit
so werthvoUe und reiche Beiträge, dass wir uns der Hoffnimg
hingeben durften, in Kurzem eine wenigstens in anthropolo-
gischer und urgeschichtlicher Richtung bedeutende Sammlung
zu Stande zu bringen.
In ähnlicher Weise verhielt es sich mit der angestrebten
Fachbibliothek. Zahlreiche wissenschaftliche Vereine bewarben
sich um unsere Publicationen im Tauschwege gegen die ihrigen
und auch hierin erfreuten wir uns werthvoller Geschenke sowohl
Seitens unserer Mitglieder als ausserhalb der Gesellschaft
stehender Gelehrten.
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Trotz dieses über Erwarten günstigen Anfanges und theil-
weiser Durchfuhrung der gesellschaftlichen Aufgabe waren
sowohl die anthropologisch-urgeschichtliche Sammlung als die
Bibliothek dennoch ein Gegenstand steter Besorgniss Ihres
Ausschusses. Es ist wohl auch ausser dem Kreise desselben
bekannt, dass unseren Sammlungen ein Obdach fehlt. Wie
Sie wissen, fand der anthropologisch-urgeschichtliche Theil
derselben zuerst in der geologischen Reichsanstalt eine einst-
weilige Unterkunft, dann in der technischen Hochschule, über
den Sommer des Jahres 1873 befand er sich im Weltausstellungs-
palaste, hierauf kurze Zeit im akademischen Gymnasium, und
jetzt ist er in der kurzen Zeit seines Bestehens auf dem fünften
Orte, im Gebäude der ehemaligen Gewehrfabrik in einem kleinen
Räume, der eine wissenschaftliche Aufstellung und eine fort-
ges^zte Ansammlung ganz und gar ausschliesst, und so wenig
dem Zwecke einer solchen Sammlung und der Würde der
Gesellschaft entspricht, dass man Bedenken tragen muss. Fremde
dahin zu fuhren. Und selbst dieses in jeder Beziehung un-
genügende Local wurde uns gekündigt, und unsere Sammlung
ist aufs Neue obdachlos.
In ähnlicher Weise verhält es sich mit der Bibliothek.
Ohne ein Grosses auf eine Reihe von Jahren ausreichendes
Local fiir beide Sammlungen ist es absolut unmöglich, die-
selben nutzbar zu machen.
Diese Umstände waren oftmals Gegenstand der Besprechung
Ihres Ausschusses, doch musste sich bei der Erfolglosigkeit
seiner Bestrebungen wohl jedem Einzelnen die Ueberzeugung
aufdrängen, dass die Mittel der Gesellschaft nicht ausreichen,
um das angestrebte Ziel eines anthropologisch-ethnographischen
Museums und einer entsprechenden Fachbibliothek den heutigen
Anforderungen der Wissenschaft gemäss, durchzufuhren.
Es musste daher die Gesellschaft mit grosser Befriedigung
erfüllen, zu hören, dass in den Organisationsplan des neuen
k. k. naturhistorischen Hof-Museums die Giündung eines anthro-
pologisch - ethnographischen Museums als einer besonderen
Abtheilung derselben aufgenommen wurde. Wie uns unser
Ausschussmitglied Herr Hofrath v. Hochstettcr, der Intendant
des k. k. naturhistorischen Hof-Museums mittheilte, sind die
Vorbereitungen für diese neue Abtheilung der naturhistorischen
Hofsammlungen im vollen Gange, und es werden die zahl-
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reichen anthropologischen, prähistorischen und ethnographischen
Sammlungen, welche dieser Abtheilung angehören, bereits
geordnet und inventirt.
Nachdem auf diese Weise das, was die Gesellschaft mit
ihren geringen Mitteln anstrebte der Verwirklichung im grossen,
der Wissenschaft würdigen Massstabe entgegengeht, musste
sich uns unwillkürlich die Frage aufdrängen, ob es nicht das
Zweckmässigste sei, unsei'e obgedachten Sammlungen jenen des
anthropologisch-ethnographischen Hof-Museums einzuverleiben
und so mitzuwirken zu einem grossen gemeinschaftlichen wissen-
schaftlichen Zwecke.
Die Frage wurde zur Entscheidung gedrängt, als auch
von Seite des Herrn Intendanten des k. k. naturhistorischen
Hof-Museums an die Gesellschaft die Anfrage gerichtet wurde,
ob sie nicht geneigt wäre ihre Sammlungen (und eventuell auch
die Bibliothek) den entsprechenden Sammlungen der anthropolo-
gisch ethnographischen Abtheilung des k. k. naturhistorischen
Hof-Museums einzuverleiben. Ihr Ausschuss, welcher nach den
früher auseinander gesetzten Verhältnissen verpflichtet gewesen
wäre, eine solche Anfrage auch unter günstigeren Umständen
einer eingehenden Erwägung zu unterziehen, hat nach ge-
wissenhafter Berathung den Beschluss gefasst, Ihnen eine be-
jahende Beantwortung der Anfrage zu empfehlen, denn er sieht
darin die beste Lösung der Schwierigkeiten, welche die Ge-
sellschaft mit ihren Sammlungen hatte.
Was zunächst die anthropologisch-urgeschichtUche Samm-
lung der Gesellschaft betiifft, so lassen sich wohl kaum geeig-
netere, glänzendere und würdigere Räume ftir die Ausstellung
solcher Sammlungen denken, als jene, welche der in Anführung
begriffene Museums^Palast bieten wird. Unsere derzeit noch mit
empfindlichen Ijücken behaftete Sammlung würde sich doii; in
ein grosses Ganze einftigen, und gäbe sodann mit der Sammlung
des k. k. naturhistorischen Hof-Museums vereint ein umfassen-
des Bild der Urgeschichte unserer Länder und reichliche Ge-
legenheit zu vergleichenden Studien. Da zu dem Zwecke dies-
bezüglicher Arbeiten der Fachgenossen die Sammlungen nicht
nur stets zugänglich, sondern auch eigne Zimmer zur Benützung
ftir dieselben vorhanden sein werden, so werden hierdurch der
Wissenschaft und der Gesellschaft zugleich solche Vortheile
in der Benützung der Sammlung geboten werden, wie sie die
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Gesellschaft sicher nie bieten zu können im Stande sein wird.
Für die wissenschaftliche Nutzbarmachung der Sammlungen
des Museums bietet die Organisation desselben ausreichende
Gewähr, weshalb der Ausschuss von der Aufstellung irgend-
welcher Bedingungen absehen zu können glaubt, und er stellt
demnach im gleich grossen Interesse der Wissenschaft wie der
Gesellschaft den Antrag auf freie, bedingungslose Uebergabe
unserer anthropologisch -urgeschichtlichen Sammlung an das
k. k. naturhistorische Hof-Museum.
In gleicher Weise ist es mit der gesellschaftlichen Biblio-
thek beschaffen. Nothdürftig in zwei verschiedenen Localitäten
untergebracht, ist dieselbe eigentlich der Benützung noch weniger
zuganglich als die Sammlung, und so wenig wie bei dieser ist
auch in Betreff der Bibliothek eine baldige Besserung dieser
misslichen Umstände zu hoffen, während dieselbe der ent-
sprechenden Fachbibliothek des neuen Hofmuseums einverleibt
und angemessen conservirt, jedem Forscher zur Verfügung
stehen könnte. Es sprechen daher fiir die Ueberlassung der
Bibliothek an das k. k. naturhistorische Hof-Museum die gleichen
Gründe, zum Theile sehr dringender Natur, wie bei unserer
Sammlung anthropologisch-urgeschichtlicher Gegenstände, doch
stellt sich hier die Sachlage insofern etwas anders dar, als die
Ueberlassung der Bibliothek zugleich die Consequenz haben
würde, dass auch alle in Zukunft im Schriftentausche ein-
langenden und die sonstigen der Gesellschaft zugehenden
Publicationen an die Bibliothek des Hof-Museums abgegeben
würden. Um nun die Gesellschaft für die Verwendung ihrer
eigenen Schriften zum Behufe des Schriftentausches zu ent-
schädigen, hat der Herr Intendant des naturhistorischen Hof-
Museums die Proposition gemacht, der Gesellschaft sowohl für
die bereits angesammelte Bibliothek, als auch für die zukünftig
einlangenden Druckschriften einen Kostenersatz nach Mass
der hierfür verwendeten Anzahl der Exemplare der eigenen
Publicationen (zum Durchschnittskostenpreise berechnet) zu
leisten, und zwar von dem Zeitpunkte angefangen, wo er über
eine Dotation für die anthropologisch-ethnographische Abtheilung
des Hof-Museums verfugen wird.
Der Ausschuss müsste ein derartiges Uebereinkommen
als ein äusserst glückliches bezeichnen, da hierdurch ein Theil
der aufgewendeten DiTickkosten wieder in die Gasse der
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Gesellschaft zurückfliessen und zur besseren Ausstattung ihrer
Publicationen verfugbar würde.
In Erwägung aller dieser Umstände hat daher der Aus-
sehuss der Gesellschaft nach eingehender Vorberathung in
seiner Sitzung vom 16. Jänner d. J. beschlossen, der Jahres-
versammlung die Genehmigung der oben dargelegten Anträge
zu empfehlen, und er formulirt dieselben in folgender Weise:
1 . Die anthropologische Gesellschaft beschliesst ihre bisher zu
Stande gebrachte anthropologisch-urgeschichtliche Samm-
lung dem k. k. naturhistorischen IIof-Museum zum Behufe
der Einverleibung in die anthropologisch-ethnographische
Abtheilung derselben zu überlassen; sie wird auch in Zu-
kunft die an die Gesellschaft einlangenden anthropologisch-
urgeschichtlichen und ethnographischen Gegenstände an
dieses k. k. Hof-Museum übergeben.
2. Die anthropologische Gesellschaft beschliesst, ihre Biblio-
thek an das k. k. naturhistorische Hof-Museum abzustellen,
auch alle in Zukunft an die Gesellschaft als Geschenk
oder im Schriftentausche einlangenden Druckwerke an
dieses abzugeben, und demzufolge eine entsprechende
Anzahl ihrer eigenen Publicationen zum Schriftentausche
zur Verfügung zu halten, wenn ihr die Kosten sowohl
für die bereits angesammelte Bibliothek als auch für die
in Zukunft einlangenden Druckwerke nach Mass der zu
deren Erlangung wirklich verwendeten Anzahl der eigenen
Publicationen, diese zum Durchschnittskostenpreise be-
rechnet, ersetzt werden.
3. Die anthropologische Gesellschaft beauftragt den Ausschuss
mit der Durchfuhrung dieser Beschlüsse.
Präsident Dr. C. Freiherr v. Rokitansky: Ich habe
dem, was Ihnen der Herr Secretär hier eingehend mitgetheilt
hat, nur beizufügen, dass die Angelegenheit wirkhch mit allem
Eifer durchberathen worden ist und dass wir das Beste fiir
die Gesellschaft und die Wissenschaft zu thun glauben, indem
wir Ihnen die Beschlussanträge, welche der Herr Secretär vor-
getragen hat, zur Annahme empfehlen.
Professor Dr. Jeitteles: Als ich meine Sammlung der
Olmüzer Funde an die anthropologische Gesellschaft überliess,
geschah dieses mit dem Vorbehalte, dass dieselbe in einem
eigenen Kasten aufbewahrt werden und die Inschrift bekommen
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soll, welche ihren Ursprung und ihre Gleich weii;higkeit mit
den Schweizer Pfahlbauten ersichtlich macht. Ich erlaube mir
die Anfrage, ob dieser Vorbehalt im Falle der Uebergabe der
gesellschaftlichen Sammlung aufrecht erhalten bleibt?
Sccretär Dr. Much: Es ist selbstverständlich, dass die
Gesellschaft die Gegenstände, die sie besitzt, rechtlich an Andere
nur so abtreten kann, wie sie sie selbst besitzt, dass daher
alle Vorbehalte und Verpflichtungen, welche etwa an einzelnen
Gegenständen haften, respectirt, d. i. von dem neuen Besitzer
mit übernommen werden müssen. So wurde beispielsweise bei
Acquirirung des Brüxer Schädels von der Gesellschaft die
Verpflichtung übernommen, dem Landes-Museum in Brunn ein
Aequivalent dafür zu geben, was natürlich, wenn die Ueber-
gabe beschlossen würde, nunmehr Seitens des naturhistorischen
Hof-Museums geschehen müsste. Andrerseits hat das Museum
des Joanneums in Graz von der Gesellschaft eine Anzahl von
auf Kosten der Gesellschaft gebaggerten Fundgegenständen
erhalten, wofür uns dasselbe noch ein Aequivalent schuldet;
es würde also beispielsweise mit unseren Verpflichtungen auch
dieser Anspruch auf den neuen Besitzer übergehen.
Professor Dr. Jeitteles: Ich beharre auf meinem Vor-
behalte und erlaube mir die Anfrage, ob die Ausfuhrung in
dem neuen Museum möglich ist?
Hofrath Dr. v. Hochstetter: Es liegt in der Natur der
Sache, dass alle grösseren Funde beisammen bleiben müssen;
dieselben werden mit Aufschriften versehen werden, welche
ihren Ursprung und den Auffinder ersichtlich machen; ich
weiss aber nicht, ob es bei der Organisation des Museums
möglich sein wird, den Olmüzer Funden einen eigenen Kasten
zu widmen.
Professor Dr. Meynert: Ich bin der Meinung, dass diese
iSache nicht in die Debatte, sondern in die Ausfuhrung der
Beschlüsse gehören dürfte. Wir verhandeln jetzt über die Frage,
ob wir unsere Sammlungen an das Hof-Museum abgeben sollen ;
die Details gehören in die Ausführung, die zufolge des vom
Herrn Sccretär vorgetragenen Antrages sub 3 dem Ausschusse
übertragen werden soll.
Hofrath Dr. v. Hauer: Ich glaube, dass wir bei der
Uebergabe unserer Sammlungen dem Hof-Museum keine solchen
Bedingungen auflasten können, welche dem Organisationsplane
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desselben entgegenstehen. Wir würden sonst das Hof-Museum
möglicher Weise in eine Zwangslage versetzen, dass es Gegen-
stände, die mit undurchführbaren Vorbehalten belastet sind,
zurückweiset. In diesem Falle blieben die Olmüzer Funde
der Gesellschaft; allein sie müssten bei den geschilderten Um-
ständen fortan in Kisten verpackt bleiben, wenn es der Herr
Professor Jeittelcs nicht etwa angemessener fände, dass ihm
die Gesellschaft dieselben um den Ankaufspreis von 300 Gulden
zurückverkaufe.
Professor Dr. Jeitteles: Ich nehme diese Erklärung des
Herrn Vorredners zur Kenntniss mit dem Bemerken, dass ich
bereit bin, auf den gemachten Antrag einzugehen, d. i, meine
Sammlung um den dafür erhaltenen Preis von 300 Gulden
zurückzukaufen, sollten die an die Abtretung geknüpften Be-
dingungen nicht erfüllt werden können und dass ich betreflFs
meines Vorbehaltes ein Schreiben an den Ausschuss richten
werde.
Präsident: Nachdem sich Niemand mehr zum Worte
gemeldet hat, werde ich die Anträge zur Abstimmung bringen.
Diese Anträge werden, nachdem die Beschlussßlhigkeit
der Versammlung im Sinne des §. 25 der Statuten constatirt
worden war, mit Einstimmigkeit unverändert angenommen.
Hofrath Dr. v. Hoch stätter: Hochgeehrte Herren! Ich
danke Ihnen für den soeben gefasstcn Beschluss, und gebe
Ihnen die Versicherung, dass ich, was in meinen Kräften steht,
thun werde, um das neue Museum für die Wissenschaft so
nutzbar als möglich zu machen.
Präsident: Wir haben mit Ausnahme der noch zu hal-
tenden Vorträge unsere Tagesordnung erschöpft, und ich möchte
nun noch einen Gegenstand zur Mittheilung bringen. Charles
Darwin feiert heute seinen siebzigsten Geburtstag, ich bean-
trage daher, dass ihn die eben tagende Versammlung zu dem-
selben telegraphisch beglückwünsche.
Wird mit Acclamation angenommen.
Es folgen hierauf die Vorträge von Professor Dr. Wilkens
über einen verbesserten Apparat zum Zeichnen von Schädeln,
von F. V. Luschan über Schlittknochen und Knochenschlitten,
und von Dr. Much über einige auf den Gebrauch von Stein-
wa£fen weisende Ausdrücke der deutschen Sprache.
Dr. Mach, Secretär.
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57
Kleinere Mittbeilungen.
1. Urgesehiehtliche Fände auf Pelagosa.
Der Afrikareisende Burton, Ingenieur Henisch und der
CnstoB des Triester naturhistorischen Museums, Dr. Marchesetti,
haben, wie ich einem Schreiben aus Triest entnehme, im vorigen
Herbste eine wissenschaftliche Expedition nach Pelagosa unter-
nommen, einer kleinen Folsoninsel des adriatischen Meeres, die un«
bisher eigentlich nur als „schöne Unbekannte" bekannt war. Neben
wichtigen botanischen und geologischen Besultaten hatten die Herren
auch prähistorische Erfolge, sie constatirten Reste eines ringförmigen
Walles, zwischen denen sich Pfeil- und Lanzenspitzen aus Feuer-
stein fanden, und haben auch „Terkieselte" Menschenknochen mit-
gebracht, die mit dem Zahne eines unbekannten Thieres (Anthraco-
therion?) in einem Steinbruche gefunden wurden. Näheren Nachrichten
über diese Funde müssen wir mit grösster Spannung entgegensehen.
Jänner 1877. F. v. L
2. Die Terremare in Ungarn.
Bei Gelegenheit des prähistorischen Congresses in Budapest
im verflossenen Herbste 1876 waren unter den zur Ansicht auf-
gestellten Objecten einige, besonders von Toszeg, Szihalom und
anderen Orten, welche die Aufmerksamkeit des Herrn Dr. L.
Pigorini, Director dos prähistorischen Museums in Bom, dadurch
auf sich gezogen hatten, dass selbe grosse Aehnlichkeit mit jenen
aus der Terremare der Emilia zeigten.
Fräulein Mestorf und Herr Dr. Virchow theilten diese
Ansicht und es wurde beschlossen, eine Excursion nach Toszeg zu
machen, um an Ort und Stelle die nöthigen Studien vorzunehmen.
Durch freundliche Vermi6tlung des Herrn von Pulszki wurden
von Seite des betreffenden Grundbesitzers, Herrn Fr. v. Harkany,
die Vorkehrungen getroffen, um die nöthigen Ausgrabungen aus-
führen zu können. Die Besultate dieser finden wir von Herrn
Pigorini im Bull, di Paletn. ital. 1876, p. 231, gegeben, aus
welchem wir nachfolgende Skizze geben.
Toszeg liegt zwischen den zwei Eisenbahnstationen Abony
und Szolnok; 500 Meter von Toszeg entfernt liegt der Grund, in
welchem die Funde gemacht wurden und schon von Abony aus
bemerkt man einen isolirt stehenden Hügel, unter dem Namen
Laposhalom und Kuczorgo bekannt, welcher die in Bede stehende
Terremare umfasst.
Die Basis besagten Hügels besteht aus gelblichtcm Thon,
dieser wird von einer circa 75 Gentimeter mächtigen Humus-
schichte bedeckt und der Best ist Terremare, die sich bis circa
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4 Meter Höhe erhebt. Der ganze Hügel hat circa 8 Meter Höhe.
Die jetzige Ausdehnung dieses Terra aiare- Lagers beträgt circa
300 bis 400 Meter in Länge und circa 100 Meter in Breite.
Es zeigte sich, dass die Bewohner der Terremare von Toszeg
an zwei verschiedenen Punkten der Basis des Hügels, in der Rich-
tung von Nord gegen Süd, die Humus- und die darunter liegende
Thonschichto beseitiget, zwei 80 und 90 Meter von einander ent-
fernte, 25, resp. 20 Meter breite Gräben ausgeführt, und diese
Gräben mit einem Materiale ausgefüllt hatten, das jenem des
oberen Theiles des Hügels ähnlich ist. An der Spitze des Hügels
erheben sich zwei Erhöhungen, welche in Richtung und Ausdeh-
nung parallel den erwähnten Gräben geführt sind. Ferner ist zu
bemerken, dass der Hügel zum Thcil auch jetzt von einem Damme
umgeben ist, welcher wahrscheinlich denselben in von uns nicht
fernen Zeiten ganz umschlossen haben muss.
Dieser Damm aus graulichtem Thon bestehend, enthält hie
und da Kohlenstücke, wenig Knochen und Scherben, die jenen
der Terremare selbst identisch sind, und dann noch andere Objecto,
die einer uns nahen Zeit angehören, woraus Pigorini mit aller
Zuversicht den Schluss zieht, dass besagter Damm durch die Auf-
wühlung der obersten Schichte der Terremare aufgeführt worden
sein dürfte. Wahrscheinlich zur Zeit der Avaren wurde, wie im
Lande allgemein die Ansicht herrscht, der in Rede stehende Hügel
einer jener befestigten Orte, die unter dem Namen Gyurushatom
bekannt sind, mit einem Ringe oder einer Bastion umgeben und
vielleicht auch zwischen diesem und der intact gelassenen Terre-
mare ein Graben ausgeführt etc.
Die in den oberwähnten Gräben enthaltenen, sowie die am
obersten Theile des Hügels vorfindlichen Materialien, sind ihrer
Beschaffenheit und Zusammensetzung nach gänzlich jenen der
Emilia gleichartig und zwar identisch mit jenen von Casaroldo,
über welche Station Pigorini am prähistorischen Congresse in
Stockholm ausführliche Mittheilung gemacht hat.
In Casaroldo und auch an anderen Terremare-Fundorten
Italiens sind zwei Schichten bemerkbar, die untere besteht aus
kleinen Streifen von Asche und Thon, von Kohlenfragmenten
schwarz gesprenkelt, und durch kleine Holzstückchen röthlich
gefärbt; der obere Theil hingegen besteht aus kalkigen und thoni-
gen Materialien, theilweise calcinirt, und bildet nicht eine schich-
tenweiso gelagerte, sondern eine homogene, fast ziegelfarbige
Masse. Die Station von Toszeg ist ebenfalls derartig zusammen-
gesetzt; hier und in Casaroldo finden sich in der untern, graulich-
farbigen Schichte gebrochene Knochen, *) Fragmente von Mahl-
steinen, einzelne Schalen von Unio, 2) durchbrochene Conchylien,
^) Nach Virchow dem Eber, Pferd, Reh, Rind angehörig.
2) Unio pictonim, Unio batavus, von den Einwohnern der Terremare
aU Speise verwerthet.
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69
Enoohengcräthe, Scherben u. a. nicht oder nur zufallig durch Feuer
verändert; in der oberen röthlich gefärbten Schichte finden sich
keine Kohlen, keine Holzstücke, keine Asche, keine Unioschalen,
keine Thierreste, keine Artefacte und nur zufällig eine durch
starkes Feuer röthlich gefärbte Masse, manchmal verglast, ver-
schlackt etc. Die untere Schichte wurde durch langsame Thätigkeit
der Menschen, die obere durch Einfluss des Feuers gebildet.
Eine Eigenthümlichkeit der Terremare der Emilia sind die
durch die ganze Höhe der Terremare- Lager reihenweise und senk-
recht eingerammten Pfahle, die sich je nach den verschiedenen
Zeiten in ebenso vielen aufeinanderfolgenden Reihen wiederholen.
In Töszeg fand man den nämlichen Fall, da waren drei überein-
ander eingerammte Pfahle, dies beweisen die bezüglichen leeren
Räume, in welchen die Pföhle nach und nach verwitterten und
am Grunde einen dem Tabak an Farbe und Structur ähnlichen
Rest hinterlassen hatten.
In der Terremare von Italien hatten die bezüglichen Be-
wohner in der Ebene ein Becken ausgegraben, in diesem ihre
Häuser aufgeführt und diese mit einem Damme umgeben; es scheint,
dass in Töszeg die Bewohner ihre Hütten an erhöhten Stellen
errichtet haben, als Becken dienten die zwei parallel laufenden
Gräben etc.
In der Terremare der Emilia dienten die Pfähle im Becken
als Träger der Hütten; Asche, Kohlen, Knochen, Schalen u. s. w.
wurden zwischen den Pfählen in so lange geworfen, bis diese
Materialien an ihre Wohnungen reichten, dann wurden diese durch
Feuer oder anderer Weise zerstört, eine zweite Reihe Pfähle ein-
gesetzt, um die neu errichteten Häuser zu stützen, und dies dann
noch ein drittes auch viertes Mal wiederholt; auch in Tdszeg
konnte man drei aufeinander folgende Reihen Pföhle nachweisen
und dazwischen die sohichtenweise gelagerten röthlich farbigen
Materialien.
Pigorini glaubt mit dieser Mittheilung die Aehnlichkeit
der Terremare von Tdszeg mit jener der Emilia nachgewiesen
zu haben. Hiezu bemerkt Pigorini, dass ersterer Ort einer
jüngeren Zeit angehört, als die Terremare in Italien, obschon
man Stein und Bronzegeräthe aufgefunden hat; selbe dürften
höchstens der Periode der Etruski'schen Stationen von Marzabotto
und Sanpolo gleichkommen, wenn nicht vielleicht gar einer uns
noch näheren Zeit, und zwar wegen des Vorkommens gediegener
Töpferarbeit; als gleichzeitig mit obbenannten zwei italienischen
Fundorten dürften unter mehreren anderen Artefacten namentlich
die kleinen ans Thon roh ausgeführten Thierfiguren sich zeigen.
Sr.
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60
Literatur - Bericht.
M. Cartailhac: L'äge de pierre dans les souvenirs et les
Buperstitions populaires.
Cartailhac zeigt in diesem Werke, dass die Erinnerung an
das Steinalter im Volke nicht verschwunden ist, dass sich dieselbe
vielmehr in den Mythen und im Aberglauben erhalten habe. Die
Mythe vom Donnerkeile findet sich zu allen Zeiten und ist auf
der ganzen Welt verbreitet; die Erinnerung an den Cultus des
Beiles ist überall von grosser Bedeutung, sei es im Oriente oder bei
den Lateinern und Ghdechen, oder im Norden Europas. Cartailhac
verweilt insbesondere bei der rituellen Verwendung von Stein-
geräthen bei feierlichen Ceremonien und bei den Gebräuchen
gewisser Geheimlehren, und zeigt zu diesem Zwecke eine beträcht-
liche Anzahl von wenig gekannten oder bis jetzt schlecht ver-
standenen literarischen Nachrichten. Von besonderem Interesse
sind beispielsweise die Pfeilspitzen aus Feuerstein, welche in Metall
und in Form von Herzen oder in anderer Gestalt gefasst, als
Amulette dienten, und deren sich eine erheblichere Zahl, als man
meinen sollte, in den verschiedenen Museen findet. Am bemerkens-
werthesten ist indess das Bruchstück einer Steinaxt, welche im
Museum von St. Germain aufbewahrt wird, und eingravirte
Figuren und eine Inschrift enthält; oberhalb sehen wir die Gestalt
des Mithras neben dem niedergeworfenen Stiere, den er an den
Hörnern fasst. Wir haben sonach in dieser Darstellung einen
zweifellosen Hinweis auf den Cultus dieser Gottheit, aber auch
den Nachweis, dass die Steingeräthe damals schon, als dieser Cul-
tus noch in TJebung war, als etwas uralt Heiliges betrachtet wor-
den sein mussten.
Dr. Much.
Vereins -Mittheilung.
Fachgenossen, welche über einen, in die von der anthropolo-
gischen Gesellschaft gepflegten Disciplinen einschlägigen Gegenstand
einen Vortrag zu halten oder kürzere Mittheilungen zu machen
wünschen oder diesbezügliche Abhandlungen in den „Mittheilungen*
der Gesellschaft zu veröffentlichen beabsichtigen, werden gebeten,
sich diesfalls an den ersten Secretär, Dr. M. Much, VHI. Bezirk,
Josefsgasse Nr. 6, zu wenden.
BedaetioBt-ComlK: Hofrath Franz Bitter v. Haier, Uofntli Carl Langer, Dr. H. Mafb,
Prof. Friedr. Hiller, Dr. WahnuABD, Prof. Joh. Woldfleli.
Drack von Adolf Holshauaen In Wien
k k ('nh«r»l»«la Rn«h4ruefc*r*l.
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YII. BaJld. Ausgegeben den Ifi. Mal 1877. Kr. 4. tt. 5.
MITTHEILÜNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
IK WIEN.
lakftlt : Ueber einen neaen Haushund der Bronzezeit (Oanis famiUari*^ inUrmediu*) aus den
Aschenla^en von Weikersdorf, Pulkau und Ploscha von J. N. Woldfich. — Ein prähisto-
rischer 8«h&del mit einer halbreheilten Wunde auf der Stirne, höchstwahrscheinlich durch
Trepanation entstanden, von Dr. Heinrich Wanket. — Aufklärungen (Entgegnung auf Be-
merlrangen in Betreff der Bohrung von Steinger&then und in Betreff thönemer Lampen
und Löffel) von Gundaker Graf Wurmbrand. — Die Forschungen der kaiserlichen archäolo-
gischen Commission zu St. Petersburg Ton Job. Hawelka in Moskau. — Kleinere Mit-
theilungen : Ueber die zoologische Methode in der Anthropologie von Dr. Much. — Programm
der Or^nisirung einer besonderen anthropologischen Qruppe bei der Weltans8tellun|f 1878
in Fans von Dr. Much. — Berichtigungen zu dem ^Bericht Über den YII. archäologischen
Congress in Pest* Heft I u. IL — Vereins-Mittheilung.
Ueber einen neuen Haushund der Bronzezeit
(Canis familiaris intermedivs)
ans den Aschenlagen von Weikersdorf, Pulkau und Ploscha.
Von
J. N. Woldrich.
Dem grossen Interesse des Herrn Heinrich Grafen von
Wurmbrand in Sonnberg fiir anthropologische Forschungen,
mit welchem derselbe urgeschichtliche Vorkommnisse seiner
Umgebung aufmerksam verfolgt, haben wir schon so manchen
schönen Fund zu danken, wie dies aus den Mittheilungen
unserer Gesellschaft und aus den Sammlungen unseres Museums
hervorgeht.
Vor einem Jahre erhielt ich vom Herrn Grafen einen
Hundeschädel nebst Skelettheilen aus Weikersdorf in Nieder-
östeiTcich zur Bestimmung zugeschickt. Ich hielt den Schädel
beim ersten Anblick für einen Canis f. matris optimae Jeitt. ; da
er mir jedoch etwas verdächtig vorkam, behielt ich denselben
zurück, bis ich zu einer genaueren Untersuchung desselben Zeit
fand. Mittlerweile erhielt ich von Herrn Prof. Dechant in
Bozen' eine fUr das Museum unserer Gesellschaft bestimmte
Sendung aus Pulkau, welche ein Hundeschädelfragment enthielt,
das mit dem Schädel aus Weikersdorf übereinstimmte. Bei der
Zusammenstellung des Materials für die in Angriff genommene
62
Arbeit erinnerte ich mich auf Unterkieferfragmente, die ich bei
Gelegenheit der Ausstellung im Jahre 1873 als dem Canis f.
matris optimae Jeitt. angehörig bezeichnete, die mir aber auf-
gefallen sind. Und in der That fand ich in dem von mir ver-
fassten Katalog der Ausstellung ^) einen Unterkiefer unter dieser '
Bezeichnung aus Ploscha in Böhmen (aus meiner Sammlung)
und einen solchen aus Weikersdorf in Niederösterreich (vom
Herrn Grafen Heinrich Wurmbrand) angefühi*t, von denen der
letztere factisch mit einem Fragezeichen versehen ist.
Bei der nun imternommenen näheren Untersuchung des
Weikersdorfer Schädels zeigte es sich, dass derselbe weder
dem Canis f. matris optimae Jeitt., noch auch dem Canis f.
palustris Rütim. angehört, sondern eine neue Form aus ur-
geschichtlicher Zeit darstellt, imd dass mit diesem die oben
besprochenen Funde aus Pulkau, Ploscha und Weikersdorf
vollständig übereinstimmen.
Es ist nothwendig, dass nun zunächst das Vorkommen
(Charakter der Fundstellen), der Erhaltungszustand und die
Art der Knochen dieser Hundereste besprochen werden.
Schädel und Skelettheile aus Weikersdorf A.
Die Fundstätte entdeckte Herr Gundaker Graf von
Wurmbrand 2) im Jahre 1872 und berichtet über dieselbe
wie folgt:
„Dicht neben dem Bahnhofe befindet sich eine Ziegelei,
die ich zufällig besuchte. Mein erster Blick fiel auf eine be-
trächtliche Menge von Topfscherben, Knochen etc., welche
zusammengehäuft bei Seite gelegt waren. Den prähistorischen
Charakter dieser Trümmer sogleich erkennend, fragte ich die
Arbeiter um das Vorkommen derselben und erfuhr da, dass
derlei Gegenstände, mit Asche und Menschenknochen (Schädel-
theilen) vermengt, häufig beim Lehmabstechen gefunden werden.
Nach einigen Tagen kehrte ich zu dieser Stelle zurück
und Hess Nachgrabungen anstellen, deren Resultat folgendes ist:
^) Katalog der urgeschichtlichen Ausstellung der anthropol.
Gesellsch. in Wien 1873, S. 29 und 36.
2) Eundnotizen, Mittheil, der anthropol. Gesellsch. Bd. III.
1873, S. 118.
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63
An dem nördlichen Hügelabhange^ dort wo der Ziegel-
Bchlag sich in den Lehm eintieft, traf man in Zwischenräumen
von 2—3 Klaftern auf alte Aushöhlungen (Gruben), welche
mit den besagten Gegenständen ausgeftült waren.
Längs des Einschnittes, welcher den Ziegelschlag umgibt,
fand ich noch fiinf solche Höhlungen in der Hälfte durch-
schnitten. Sie waren regelmässig eingeschnitten und hatten die
Form eines umgekehrten Kegels. Die Höhe betrug 6', der
obere Durchmesser 8 — 12', der untere 5 — 9'.
Ausser diesen fünf Höhlungen konnten noch vier nach-
gewiesen werden, die innerhalb des von den Ziegelschlägem
ausgehöhlten Raumes sich befanden, so dass deren neun auf
einem Flächenraum von 60 — 70 Quadratklafter sich befanden.
Obwohl die Abstände von einer Glaube zur andern ziemlich
gleichmässig waren, konnte ich doch keine vollkommene Regel-
mässigkeit der Vertheilung nachweisen.
Die Ausfiillung der Gruben trennte sich durch die dunkle
Farbe scharf von der Ackerkrume ab, welche sie 25" hoch be-
deckte.
Der Inhalt weist im Allgemeinen manche Aehnlichkeiten
mit den Fundcharakteren von Göllersdorf auf. Auch hier
fand sich nur wenig bearbeitetes, doch offenbar als Steinaxt
zugerichtetes Geschiebe und ein Hornsteinsplitter unter Thon-
gefässen so edler Form und ausgezeichneter Arbeit, wie sie
in der entwickelten Bronzezeit gewöhnlich nur vorkommen.
Allerdings finden sich auch Töpfe der rohesten Art, durchaus
mit der Hand aus grobgemengtem, mit Quarzkömern reichlich
vermischtem Lehm geformt.
Die feinen Thongefasse sind schüssel- oder schalenartig mit
rundem Boden, gerade aufstehenden Seitenwänden, mit geraden
sich kreuzenden Strichen verziert und mit Graphit geschwärzt.
Sehr häufig sind an letzteren Gefassen die Erhabenheiten
und Vertiefungen, welche als Verzierung dienen, nur mit
Fingern ausgeführt.
Ausser den genannten stylistisch schönen Foimen der
feinen Gefasse kommen noch sehr verschiedene Topfwaaren vor,
welche mehr und minder geschmackvoll genannt werden können.
Hervorzuheben ist noch eine ganz kleine, mit der Hand
geformte Schale, auf drei Füsschen ruhend , ein siebartig durch-
löcherter Gefessboden, ein Theil eines Gefössrandes von ganz
uiyiiizöu uy -^^j v^\^ pt ix^
64
ungewöhnlicher Grosse und Dicke und durchlöcherte Lehm-
pyramiden (Beschwersteine oder Gewichte)."
Herr Heinrich Graf von Wurmbrand') bezeichnet
diese Fundstätte mit „ Weikersdorf A" und berichtet über die
in diesen Aschenlagen (Ustrinen) im Jahre 1874 gemachten
Funde wie folgt:
„Im Ziegelschlage zu Weikersdorf A wurden gefunden :
1. Ein fast vollständiges menschliches Skelet^), in hocken-
der Stellung begraben, dabei einige aufgeschlagene Thier-
knochen, zwei Stück Topfscherben, ein Steinartefact.
2. Zwei Theile eines Hirschgeweihes mit Schlagmarken.
3. Ein kleiner mit der Hand geformter Löffel aus Thon.
4. Eine kleine gebrochene Schüssel, ein grosser Topf und
ein rundes kugelförmiges Geföss, ganz erhalten, mit schön
punktirten Linien verziert.
5. Drei Stück runde flache Scheiben mit Löchern, aus
Thon gebrannt.
6. Vierzig bis fünfzig Gefässscherben und Henkel, verziert
und von verschiedener Qualität.
7. Zwei geschliffene Steinmeissel.
8. Sechs bis 8 Schleifsteine mit Gebrauchsspuren, mehrere
Feuersteinsplitter und vier Stück Arbeitssteine.
9. Theils calcinirte, theils aufgeschlagene Knochen vom
Rind und Schwein.
Endlich fand der Herr Graf später daselbst auch eine
schöne Pfeilspitze aus Feuerstein."
Aus einer solchen Aschenlage (Ustrine) stammt endlich
auch unser Hundeschädel nebst den mit demselben gefundenen
Skelettheilen, welche, wie es scheint, ein vollständiges Skelet
repräsentii'ten. Leider gingen durch die Arbeiter mehrere
Knochen verloren, andere wurden beschädigt. Im Ganzen ge-
hört jedoch dieser Fund zu den vollständigsten und gibt uns
ein deutliches Bild des Thieres.
^) Mittheil, der anthropol. Gesellsch. in Wien, Bd. V. 1875,
S. 34.
2) Ueber dasselbe berichtete Herr Prosector Dr. E. Zucker-
kand 1 in den Mittheil, der anthropol. Gesellsch. in Wien, Bd. V.
S. 233.
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65
Sämmtliche Knochen tragen die deutlichen Spuren der
Asche an sich, in der sie gelegen sind. Die Aschenreste an
denselben habe ich absichtlich nicht vollständig beseitigt.
Der Schädel ist so vollständig calcinirt und so mürbe,
dass er selbst bei der sorgfaltigsten Behandlung wiederholt
brach; um denselben consistenter zu machen, wurde er wieder-
holt mit Leimwasser eingelassen.
An diesem Schädel fehlen : die beiden Jochbögen, welche
erst beim Ausheben abgebrochen wurden, zwei rechte Schneide-
zähne mit dem dazu gehörigen Incissivtheil ; der vorderste linke
Lückenzahn, dessen Alveole vernarbt ist, und der hintere linke
Höckerzahn, "welcher abgebrochen wurde. Beschädigt sind die
Seitenwände des Choanenausschnittes, der rechte Orbitalfortsatz
des Stirnbeins, das linke Nasenbein, die Spitzen der Eckzähne
und der Schneidezähne und das Gaumenbein. Die Zähne sind
schwach abgekaut, der linke Reisszahn etwas beschädigt.
Die Oberkiefer-Stimbeinnaht ist vollständig verwachsen. Vom
linken Unterkiefer fehlt nur der Incissivtheil mit den Schneide-
zähnen und der vorderste Lücken zahn. Der rechte Unterkiefer
ist beim Ausheben zertrümmert worden und wurde zusam-
mengeleimt; an demselben sind vorhanden: der Gelenkhöcker
mit dem Coronoidfortsatz, der horizontale Ast mit dem vorderen
Höckerzahn, dem Reisszahn und hintersten Lückenzahn. Der
Schädel stammt von einem vollkommen erwachsenen Thiere.
Auch die übrigen Skelettheile sind calcinirt und leicht
zerbrechlich; es sind vorhanden: linker Humerus, rechter und
linker Radius, rechte Ulna ganz, von der linken Ulna der obere
Gelenktheil, rechtes und linkes Femur, linke Tibia, die rechte
Beckenhälfte; der 7. Halswirbel, der 1., 2., 3., 4. und 12. Rücken-
wirbel, der 2., 3., 4. und 5. Lendenwirbel.
Eigenthum des Herrn Heinrich Grafen von Wurm-
brand.
Ich habe diesen sowie viele andere Fundplätze in der Um-
gegend von Weikersdorf in Gesellschaft des Herrn Heinrich
Grafen von Wurmbrand besucht, und auch die Funde desselben
in Schloss Sonnberg besichtigt und glaube aus dem Gesammt-
charakter des Vorkommens sowie der Art der Funde nach
Analogien in NiederösteiTcich und besonders in Böhmen diese
Fundstätte trotz der Feuersteinsplitter und Steinwerkzeuge der
»ehr vorgeschrittenen Bronzezeit zuschreiben zu müssen
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(in welcher an analogen Fundstellen unserer Gegenden wahr-
scheinlich auch schon Eisen untergeordnet vorkommen dürfte).
Bezüglich des Erhaltungszustandes des Schädels erlaube
ich mir zu bemerken, dass derselbe wahrscheinlich früher aus-
gekopht wurde (zum Zwecke des Genusses?), bevor er in die
Asche gelangte, zumal eine noch so heisse Asche eine solche
Calcinirung der Knochen nicht zu bewirken vermag, wie sie
hier vorliegt.
Schädelfragment aus Pulkau.
Dasselbe fand Herr Prof. Dechant in derselben Fund-
stätte und in derselben Aschenschichte bei Pulkau in Nieder-
österreich, welche ich im Jahre 1873 als „Opferstätte" *) im
weitesten Sinne bezeichnete, „wo ein Volk der Bronzezeit in
freier Natur seine Opfer hielt, die Knochen der geopferten
Thiere aufschlug und wo die Opferungen mit der Verbrennung
menschlicher Leichen verbunden sein mochten". lieber die
zahlreichen daselbst gefundenen Objecto enthält der obige Be-
richt eine ausführliche Beschreibung.
Dieses Schädelfragment, dessen Knochen ziemlich fest
sind, trägt die un verwüstbaren Spuren der Asche, in der es
gelegen, an sich. Es fehlt an demselben fast die ganze
Schädelkapsel, welche vielleicht des Hirns wegen aufgeschlagen
worden ist. Die Oberkiefer-Stimbeinnaht ist verwachsen, die
Nasales sind zur Hälfte abgebrochen, ebenso der linke Zwischen-
kiefer und der vordere Theil des linken Oberkiefers. Von
Zähnen sind vorhanden: rechts zwei abgebrochene äussere
Schneidezähne, der abgebrochene Eckzahn, der zweite Lücken-
zahn, der Reisszahn und die beiden Höckerzähne, links der
Reisszahn. Die Zähne sind schwach abgekaut. Der Schädel
stammt von einem vollkommen erwachsenen Thiere.
Eigenthum der anthropologischen Gesellschaft.
Rechter Unterkiefer aus Weikersdorf B.
Derselbe ist durch Herrn Gundaker Grafen von Wurm-
brand im Jahre 1873 mit anderen Knochen zur Ausstellung
^) „Eine Opferstätte bei Pulkau in Niederösterreich." Mitth.
der anthrop. Gesellsch. Wien 1873, Bd. UI. S. 1. Ein zweiter
Bericht über diese Fundstätte ist in den Mittheilungen der anthro-
pologischen Gesellschaft in Wien B. VH, 1877, Nr. 3 enthalten.
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67
gesendet worden und stammt aus einer Aschenlage eines zweiten
Ziegelschlages B bei Weikersdorf. In diesem kommen die-
selben Aschengruben unter denselben Verhältnissen vor wie
im ersten Ziegelschlage A. Herr Heinrich Graf Wurmbrand
führt a. o. a. O. die weiteren Funde daselbst nachstehend an : „Eine
grosse Schüssel mit drei Henkeln, drei Stücke kleiner Geßisse,
eines in Becherform. Mehrere gebrannte Lehmstücke mit Ab-
drücken von Geflecht. Fünfzig bis sechzig verschiedene Topf-
scherben als Muster der am häufigsten vorkommenden, oder
wegen der Zeichnung oder Henkelform auffallend. Ein Mahl-
stein, ein Stein, mit einer vertieften Rinne, wahrscheinlich
ausgeschliffen, ein Feuersteinknollen (Nucleus), mehrere Arbeits-
steine, Verschiedene Thierknochen. Interessant ist das Vor-
kommen eines Bronzemeissels und einiger Thonstücke der
Terra sigillata ähnlich , welche in einem der Aschenlager
(Ustrinen) und in ganz ähnlichen Verhältnissen wie die übrigen
Gegenstände gefunden wurden".
Ich habe auch diesen Ziegelschlag besucht und glaube,
dass die hier befindlichen Aschengruben mit den andern
identisch seien und in dieselbe Zeit fallen.
Der Unterkiefer ist calcinirt, jedoch noch ziemlich fest;
er trägt Spuren der Asche. Es fehlt der Incissivtheil , der
Eckzahn und der vorderste Lückenzahn; der Winkel und der
zweite Lückenzahn sind beschädigt. Er stammt von einem
sehr alten Individuum her, da der Reisszahn sowohl nach innen
als von oben sehr stark abgekaut ist, von den beiden Ilöcker-
zähnen ist fast die ganze Krone abgekaut.
Derselbe gehört dem Museum der anthropologischen Ge-
sellschaft.
Rechtes Unterkieferfragment aus Ploscha in Böhmen.
Dasselbe stammt aus einer Aschenlage bei Ploscha in
Böhmen und wurde von mir selbst gefunden, als ich im Jahre
1872 die ausgedehnten Aschenlagen, hier Ustrinen, böhmisch
ostrina, genannt, die Verbrennungs- und Opferplätze in der
Gegend von Brüx, Seidowitz, Morawes, Ploscha, Komotau,
Postelberg besuchte. Ich besitze noch aus Ustrinen von Ploscha:
Gefassscherben, einen Bronze- Armring und einen Bronze-Hals-
ring, beide einfach ; einen Unterkiefer der Torfkuhrace, Zähne
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68
und Knochen vom Rind und Schwein, ein Schädelfragment
eines menschlichen Schädels mit stark abgekauten Zähnen,
ferner zwei Menschenskelete, sämmtlich noch nicht beschrieben.
In Priesen wurden in diesen Ustrinen Steinmeissel und Schmuck-
kugeln, in Komotau eine Hornpfeife, bearbeitetes Hirschhorn,
eine zugeschliflFene Steinaxt und öefässscherben gefunden.
Auch diese Ustrinen gehören in die sehr vorgeschrittene
Bronzezeit.
Das Unterkieferfragment ist schwach calcinirt, ziemlich
fest, mit Aschenspuren reich bedeckt und besteht aus dem
horizontalen Ast mit dem 2., 3. und 4. Lückenzahn, dem
Reisszahn, dem vorderen Höckerzahn und der Alveole des
hinteren Höckerzahnes. Die Zähne sind ziemlich abgewetzt.
Eigenthum meiner Sammlung.
Was nun den Haushund aus urgeschichtlicher Zeit Euro-
pas anbelangt, war bekanntlich Rütimey er ') der erste, welcher
eine constante Hunderace für das Steinalter in den Pfahlbauten
der Schweiz unter dem Namen „Torfhund — Canis fami-
liaris palustris" beschrieb. Ihm zunächst hat Prof. L. H.
Jeitteles^) eine zweite Race für das Bronzealter aus den'
Torflagern von Olmütz und Troppau unter dem Namen „Hund
der Bronzezeit — Canis familiaris matris optimae" constatii-t.
Der von Canestrini^) aus der Terremare von Modena später
beschriebene Canis familiaris minor stimmt mit dem ;,Torf-
hund" überein.
Das Verdienst, die allgemeinere Verbreitung sowohl des
Canis f. palustris als des Canis f. matris optimae dem Räume
und der Zeit nach erwiesen zu haben, gebührt Jeitteles,
welcher sehr eingehende und umfassende Studien über diese
Hunde, sowie über ihre Abstammung unternahm. Seine schätzens-
werthen Mittheilungen hierüber in der vorliegenden Fachschrift
sowie in seiner Broschüre ;,Die Stammväter der Hunderacen,"
^) Dr. L. Rütimeyer, Fauna der Pfahlbauten der Schweiz.
Basel 1861, S. 116.
2)L. H. Jeitteles, „Die vorgeschichtlichen Alterthümer
der Stadt Olmütz und ihrer Umgebung**. Mittheil, der anthropol.
Gesellßch. in Wien. H. Bd. 1872, S. 168 und 181.
3) Canestrini, Oggetti trovati sulle terremare del Modenese,
2. relazione, Modena 18G6, S. 9.
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69
Wien 1877, bilden eine nicht hoch genug gewürdigte Basis für
weitere Untersuchungen auf diesem Gebiete. Es sei übrigens
bemerkt, dass Jeitteles auch für den „Torfhund'' die syste-
matische Bezeichnung „Canis familiaris palustris" im Sinne
Rütimeyer's wählte. ')
Herr Edm. Naumann ist in seiner interessanten Ab-
handlung über die Fauna des Stamberger Sees ^) zu dem
Resultate gelangt, dass in den Niederlassungen im Würmsec,
welche von der Steinzeit an durch die Bronzezeit hindurch,
also während der Zeitalter der primitiven und multiplen Haus-
thierracen, bis gegen die historische Zeit bewohnt sein mussten,
auch der Torf- und der Bronzehund, letzterer häufiger, ver-
treten war; dass daselbst auch der Haushund Nahrungsgegen-
stand war. Durch genaue Vergleiche der Reste der Roseninsel
mit den Schädeln von Olmütz (Nr. 1 und 2) und Troppau
kommt Naumann zu dem Schlüsse, dass vom Canis matris
optimae Jeitt. zwei Abänderungen vorhanden sind, die nicht
auf sexuelle Modificationen oder individuelle Schwankungen
zurückfuhrbare Schwankungen zeigen. Von diesen beiden Ab-
änderungen des Canis f. matris optimae ist die eine plumper,
nach Art der grösseren Jagdhunde (Parforcehunde) [Olmütz Nr. 2],
und die andere zarter, nach Art der Windhunde (Olmütz Nr. 1
und Troppau). Jeitteles stimmt dieser Auffassung bei.
Ich muss gestehen , , dass mir bei Vergleichung dieser
beiden Schädel im Jahre 1873 ihre DiflFerenzen auch nicht
blos auf sexuellen Differenzen beruhend schienen.
E. Naumann fand unter den Knochen der Roseninsel
nur einen fast vollständigen Schädel (neben vier sehr unvoll-
ständigen Schädelfragmenten), der eine nähere Vergleichung
zulässt, Nr. 7, und den er der parforcehundeartigen Race des
Canis matris optimae Jeitt. zuschreibt. Derselbe zeigt unter
den bis jetzt bekannten Hunden dieser Race die geringsten
Dimensionen und nähert sich daher dem Canis f. intermedius.
') Fitzinger's Academieschrift über die Abstammung des
Hundes (1866), sowie seine später erschienene selbständige Schrift
hierüber, sind, obwohl sonst sehr schätzenswerth, für vorliegende
Zwecke nicht brauchbar, weil sie auf den anatomischen Bau nicht
eingehen.
2) .Die Fauna der Pfahlbauten im Starnberger See". Archiv
für Anthropologie. Bd. VIII. H. 1. Braunschweig 1875.
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56-8 = 100 : 39-44 Mm.
66-13 0 = 100: 35-96 „
64 = 100 : 39-02 „
70
weist aber bedeutende Differenzen auf. Leider sind die Zähne
desselben, welche für eine Vergleichung so wichtig sind, bis
auf zwei Höckerzähne nicht erhalten. Der von Prof. Jeitteles
von der Roseninsel beschriebene Unterkiefer des Canis f. matris
optimae zeigt auch bezüglich der Bezahnung die charakteristi-
schen Merkmale desselben.
Die Gesammtlänge des Schädels vom Canis f. intermedius
aus Weikersdorf beträgt 164 Mm., die des Canis f. matris
optimae mit Einbeziehung des Schädels der Roseninsel 170*5
bis 189 Mm., die des Canis f. palustris nach Rütimeyer aber
130 — 153 Mm. Das Verhältniss der Gesammtlänge zur grössten
Oberkieferbreite ist beim:
Canis f. palustris Rüt. im Mittel wie 144
Canis f. matris optimae Jeitt. im Mittel wie 178*38 :
Canis f. intermedius Woldf. im Mittel wie . 164
Beim Canis f. intermedius ist also die Oberkieferbreite
im Verhältniss zur Gesammtlänge des Schädels etwas kleiner
als beim Canis f. palustris, dagegen bedeutend grösser als beim
Canis f. matris optimae.
Die Nasenbeine sind beim Canis f. intermedius bedeutend
länger als beim Canis f. palustris und viel kürzer als beim
Canis f. matris optimae; sie verhalten sich zur Gesammtlänge
des Schädels an der Basis beim:
C. f. palustris Rüt. im Mittel wie .... 44 : 144 = 30'55 : 100 Mm. n. Jeitt.
C. f. matris optimae Jeitt. im Mittel wie 69*6 :'l78-38 = 39-02 : 100 „ „ „
C. f. intermedius Woldf. im Mittel wie . 59 : 164 = 35-9 : 100
Die Schädelhöhe des Canis f. intermedius über dem
Keilbein ist etwas kleiner als beim Canis f. palustris, aber
bedeutend grösser als beim Canis f. matris optimae; das Ver-
hältniss zur Gesammtlänge des Schädels an der Basis beträgt
beim:
Rüt. im Mittel wie ... 49*6 : 144 = 34*43 : 100 Mm. n. Jeitt.
timae Jeitt im Mittel wie 64.88 : 178*38 = 30*77 : 100 „ ,, „
US Woldr. im Mittel wie 55 : 164 = 33*5 : 100
aus den vorstehenden Schädeleigenthümlichkeiten
js von Weikersdorf geht allein hervor, dass der-
r dem Canis f. palustris Rüt., noch dem Canis f.
mae Jeitt. zugeschrieben werden könne, sondern
der Mitte zwischen beiden stehend, und sich
ac den Bronzehund der Roseninsel, nach Jeitteles.
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71
mehr dem letzteren nähernd, eine bis jetzt unbekannte
Hunderace repräsentirt.
Mit Rücksicht darauf sowie auf den Umstand, dass diese
Hunderace in Weikersdorf an zwei verschiedenen Fundstellen,
dann in Pulkau und in Ploscha in Böhmen vorkommt und
zwar an allen diesen vier Fundorten stets in der typischen
Aschenlage, und dass mit ihm auch der Hund von Roth am
See in Württemberg übereinstimmt, glaube ich berechtigt zu
sein, demselben einen Namen beizulegen. Ich bezeichne ihn
mit Beziehung auf seine Stellung zwischen den bereits be-
kannten zwei Hunderacen (s. Tafel H) mit dem systema-
tischen Namen „Canis familiarius intermedius." *)
In den zunächst folgenden Tabellen, welche die Dimen-
sionen des Schädels und einzelner Skelettheile vom Canis f.
intermedius enthalten, habe ich des Vergleiches wegen auch
die entsprechenden Daten vom Canis f. palustris und Canis f.
matris optimae verschiedener Fundorte hinzugefügt, so dass
die Tabellen die nachstehenden Nummern enthalten.
Schädel.
1. Schädel vom Canis f. matris optimae Jeitt. aus Olmütz
Nr. 2 (parforcehundartige Abänderung), nach Jeitt eles; ein-
zelne Maasse an dem mir vorliegenden und mir vom Custos
des Museums der anthropologischen Gesellschaft, Herrn Dr.
F. V. Luschan gefillligst geliehenen Schädels ergänzend vor-
genommen.
2. Schädel vom Canis f. matris optimae Jeitt. aus Olmütz
Nr. 1 (windhundartige Abänderung), nach Jeitteles u. s. w.
wie vorstehend.
3. Schädel eines Canis f. matris optimae Jeitt. von der
Roseninsel im Starnberger See, Nr. 7, nach Ed. Naumann.
') Es ist üblich geworden, die beiden bis jetzt bekannten
Hunde der nrgeschichtlichen Zeit knrz mit den deutschen Namen
pTorfhund* und ^Bronzehund** zu bezeichnen. Letztere Bezeich-
nung kann jetzt, da auch Canis f. intermedius der Bronzezeit an-
gehört, nicht mehr gebraucht werden. Sollte dies dennoch der
Fall sein, so müsste man den Canis f. intermedius nach seinem
typischen Vorkommen in Aschenlagern analog dem „Torfhund**
und , Bronzehund" etwa den ^Aschenhund" nennen.
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72
4. Schädel nebst linkem Unterkiefer eines Hundes von
Roth am See in Württemberg. Da Herr Prof. L. H. Jeitteles
in seiner o. a. Schrift von einem „extrem kleinen Schädel"
des Bronzehundes aus Roth am See im Stuttgarter Museum
sprach und es mir schien, dass dieser mit dem Weikersdorfer
Schädel übereinstimmt, habe ich mich an Herrn Prof. Dr. Fr aas
in Stuttgart gewendet, um diesen Schädel zur Ansicht zu be-
kommen, welche Bitte mit der grössten freundlichen Zuvorkom-
menheit sofort erfüllt wurde. Aus dem Begleitschreiben des Hen-n
Prof. Dr. Fr aas geht hervor, dass dieser Schädel nicht erwie-
sen der Bronzezeit angehört, sondern dass derselbe im Jahre 1867
beim Bahnbau aus dem Moorgrund beim alten Kloster Roth am
See ohne begleitende Funde gehoben wurde und allenfalls auch
einem bei einer Jagd in späterer Zeit veininglückten Hunde zuge-
schrieben werden könnte. Trotzdem habe ich der grossen
Uebereinstimmung wegen seine Dimensionen gemessen und der
Tabelle beigefügt.
5. Schädel nebst linkem Unterkiefer des Canis f. inter-
medius Wold?. von Weikersdorf A in Niederösterreich.
6. Unvollständiger Schädel des Canis f. intermedius Woldf .
von Pulkau in Niederösterreich.
7. Beschädigter Schädel des Canis f. palustris Rüt. aus
der Pfahlbaustation Lüscherz. Durch die Freundlichkeit des
Herrn Prof. Dr. Wilckens aus dem Museum der Hochschule
für Bodencultur in Wien zur Vergleichung erhalten und selbst
gemessen.
Unterkiefer.
1. Vom Canis f. matris optimae aus Regensburg. Der-
selbe wurde nebst dem Schädel mit charakteristischen Gefassen
der Bronzeperiode im Jahre 1871 in einer Höhle im Jura-
dolomit bei Regensburg gefunden und befindet sich im paläon-
tologischen Cabinet zu München. Nach Jeitteles.
2. Vom Canis f. matris optimae Jeitt. von Auvemier am
Neuenburger See. Nach Jeitteles. Sammlung Desor.
3. Unterkieferhälfte eines Canis f. matris optimae Jeitt.
von der Roseninsel (Starnberg). Nach Jeitteles. Eigenthum
des Herrn Landrichters Sigm. von Schwab in Starnberg.
4. Linker Unterkiefer von Roth am See (s. o.). Eigene
Messung.
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73
5. Linke Unterkieferhälfte vom Canis f. intermedius Woldf .
aus Weikersdorf A (s. o.). Eigene Messung.
6. Rechte Unterkieferhälfte vom Canis f. intermedius Woldf.
aus Weikersdorf B. Eigene Messung. Museum der anthropo-
logischen Gesellschaft in Wien. Eigene Messung.
7. Rechtes Unterkieferfragment vom Canis f. intermedius
Woldr. aus Ploscha in Böhmen. Sammlung des Verfassers.
8. Linke Unterkieferhälfte vom Canis f. palustris Rüt. aus
Rabenhausen^ bez. ^A 13" im Baseler Museum. Nach Jeitteles.
9. Linke Unterkieferhälfte vom Canis f. palustris Rüt.
aus Pulkau. Eigene Messung. Sammlung des Verfassers.
Skelettheile.
1. Linker Humerus, linker Radius^ rechte Ulna, linkes
Femur, linke Tibia, 7. Halswirbel, 1., 2., 3., 4. und 12. Rücken-
wirbel, 2., 3., 4. und 5. Lendenwirbel, rechte Beckenhälfte,
sämmtlich vom Canis f. intermedius Woldf. aus Weikersdorf A.
Eigenthum des Herrn Heinr. Grafen von Wurmbrand.
2. Humerus, Radius, Femur, Tibia des Canis f. matris
optimae Jeitt. von der Roseninsel. Nach Ed. Naumann.
3. Humerus des Canis f. matris optimae Jeitt. aus Auver-
nier. Nach Jeitteles. Sammlung Desor.
4. Humerus, Radius, Femur, Tibia des jetzt lebenden
Windhundes. Nach Ed. Naumann.
Femer sei bemerkt, dass die Maasse am Schädel des
leichteren Ueberblicks wegen in folgender Hauptordnung ein-
ander folgen : Vier Gesammtdimensionen des ganzen Schädels ;
Dimensionen der Schnauze (Längen, Breiten, Höhen); Dimen-
sionen der Schädelkapsel (Längen, Breiten, Höhen); Dimen-
sionen der Bezahnung des Oberkiefers (Längen, Breiten, Höhen);
Dimensionen des Unterkiefers sammt Zähnen (Längen, Breiten,
Höhen).
Auch sei erwähnt, dass des leichteren Vergleiches wegen
die Dimensionen : grösste Breite der Stirn zwischen den Orbital-
fortsätzen, geringster Abstand der Augenhöhlen von einander,
Entfernung der Orbitalspitze am Stirnbein vom höchsten Punkt
des Jochbeines und Höhe des Schädels zwischen den Orbital-
fortsätzen am Stirnbein und der Decke des Choanenausschnittes
sowohl unter den Dimensionen der Schnauze als denen der
Schädelkapsel angeftihrt erscheinen.
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74
I. Schädel.
Nach der Hälfte gemessen. — * Nach der Alreole gemessen. „— " hinter der Coronarnaht. * Erg&nxt.
Canis f. matr. opt. ||
Canisf.inter-||
C.f.pal.
Jeitt. ||
Hund
Ton
Roth
am
-1
mediuBWoldf.||
Rat.
Olmfttx
Nr.«
fPar-
force-
hnnd-
artig)
Olmflts
Nr. 1
(Wind-
hund-
artig)
Rosen-
insel
Nr. VII
Wei-
kers-
dorf
A.
"l
Lfl-
sehers
G^samxnt - Dimensionen.
1. SchädellÄnge vom Vordenrande
des for. magn. bis zn den Incisiv-
alveolen
184
180
170-6
164
164
~~
184* •)
•«* W %/XFAXi^Aa •••••••••
2. Vom Vorderrande der Alveole des
vordersten Lückenzahns zum Vor-
derrande des for. magn. . . .
155
160
143-5
137
136
—
117
3. Vom hintersten Pnnkte des Occipi-
talkammes zu den Incisivalveolen
206
198
198-5
185
184
—
152*
4. Grösste Breite des Schädels zwi-
schen den Jochbögen ....
112
—
—
97
—
—
92«
Schnauze.
Längen.
5. Länge des harten Gaumens . .
103
101
92-5
96
92
96
75*
C. Von den Incisivalveolen bis zum
hinteren Ende der Nasenbeine .
102
96
—
96-6
89
92
72*
7. Länge der Schnauze vom Alveolar-
rand eines der mittleren Schneide-
zähne bis zum Vorderrande der
Augenhöhle
91
88
84
83-6
82
80
62»
8. Länge der Schnauze bis zum Hin-
terrande des for. infraorbitale
67
64
60
60
60
59
49»
9. Länge der Nasenbeine in der Mit-
tellinie
68
70
64
69
"""
"
10. Entfernung des unteren Endpunk-
tes der Nasenbein-Mittellinie vom
AlVeolarrand eines der mittleren
oberen Schneidezähne ....
41
30
rechts
—
34
33
rechts
"~*
11. Infraorbitalbrücke
26
26
26
26
23
23
19
12. Länge der Nasen-Zwischenkiefer-
beinnaht (geradlinig)
35
36
—
33
30
—
—
13. Länge der Nasen -Stimbeinnaht
(geradlinig)
14
18-6
20
23
—
—
17
14. Entfernung der Spitze des Orbi-
talfortsatzes am Stirnbein vom
tiefsten Punkt des Augenhöhlen-
Unks
rechts
randes am Jochbein
86
33
35
33
81
82
links
35
"
a) Incisivtheil hesch&digt. Da die Entfemuni^ swischen dem hinteren Rande der CaninalTeole in
er Mittellinie der Zahnreihe und der Mitte des hintersten Backenzahns gewöhnlich ebenso gross ist
rie KU den IncisiyalTeolen, so ergeben sich fflr die Qesammtl&nge 184 Mm., was mit der L&nge des
ieinsten Torfhundes, nach Rfttimeyer, n&mlich ISO, ToUkommen flbereinstimmt ; die Entfernung Tom
foT. magn. bis sum Hinterrand des harten Gaumens betrftgt bei letzterem 67, hei dem yorliegenden
khädel von Lflscherz 59.
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75
15.
,16,
,17.
!
18,
I
;i9.
Breiten.
Grösate Breite der Nasenhöhle .
Vordere Weite des Choanenaus-
schnittes
Vordere (untere) Breite beider
Kas. zusammen ^.
Hintere (obere) Breite beider Nas.
zwischen den Spitzen der Stlm-
beinschneppen
Breite der Schnauze zwischen den
Rändern der Eckzahnalveolen
Breite der Schnauze in ihrer
Mitte (in der Mitte des Abstandes
des for. infraorb. von den oberen
Schneidezähnen)
?1.
M.
23.
24.
25.
Entfernung der Innenfläche beider
for. infiraorbitalia von einander
Entfernung der Spitze des Orbi-
talfortsatzes am Stirnbein vom
höchsten Punkt des Jochbeins .
Geringster Abstand der Augen-
höhlen von einander
GrOsste Breite der Stirn zwischen
den Orbitalfortsätzen der Stirn-
beine
GrOsste Breite am Aveolarrand
der Oberkiefer
Höhen.
26. Höhe der Schnauze zwischen den
' for. infraorb. (von der Mitte einer
dieselben verbindenden Linie zum
harten Gaumen)
27. Höhe der Schnauze von dem oberen
Ende der Nasenbeine zum harten
Gaumen
28. Höhe von der Mitte der Stirn zur
Decke des Choanenausschnittes
(von der Mitte einer die beiden
Spitzen der Orbitalfortsätze am
Stirnbein verbindenden Linie zur
Decke über den Hinterrand des
harten Gaumens)
Canis f. matr. opt.
Jeitt.
Olmütx
Nr.«
(P»r-
force-
hand-
artifiT)
20
19-6
18
10
38
37
43*6
24-6
40
67
69
83o
48-5
60
Olmüts
Nr. I
(Wind-
hand-
artig)
23
16
17
9-5
34
32
36
30-6
461
61
29-6
41-6
41
Boten
insel
Nr.yill
39
41
40
24?
36
68
33?
46
Canif f. inter-
Hand mediasWoldf.
von
Roth
See
17
17-6
16
10
34
33
33-6
20
35-6
51
60
30-6
41-5
43
Wel-
kers-
dorf
A.
20-5
16
19
9-6
38
36
38
36
61
64
31-6
43
46
Palkan
13
8-6
36^
33
36
36
62
61
31 1
46
46
C. f. pal.
Rat.
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76
Schädelkapsel.
Längen.
29. Länge vom Vorderrand des for.
mag^. bis zum Hinterrand des
harten Gaumens
30. Länge des Choanenansschnittes .
31. Länge des Stirnbeins (von der
Coronamabt bis zum EÜnterende
der Nasenbeine) ......
32. Länge vom Occipitalkamm bis
zum Hinterrande der Nasenbeine
33. Entfernung des Vereinigungspunk-
tes der Schläfenmuskelleisten von
dem Mittelpunkte einer die bei-
den Orbitalfortsätze verbindenden
Linie (Höhe des Stimdreiecks) .
34. Entfernung des Vereinigungfspunk-
tes der Schläfenmuskelleisten vom
hintersten Punkte des Occipital-
kammes
35. Entfernung des Vereinigungspunk-
tes der Schläfenmuskelleisten von
der Coronamabt
Breiten.
36. Geringster Abstand der Augen-
höhlen von einander
37. Grösste Breite der Stirn zwischen
den Orbitalfortsätzen der Stirn-
beine
38. Entfernung der Spitze des Orbi-
talfortsatzes am Stirnbein vom'
höchsten Punkt des Jochbeins
39. Breite des Schädelgewölbes in der
Scheitelstimbeinnaht zwischen den
Punkten, wo Scheitelbein, Stirn-
bein und Keilbein zusammen-
stossen
40. Grösste Breite des Schädels in
der Scheitel-Schläfenbeinnaht . .
41. Breite des Schädels über den Ge-
höröflfnungen, ol^erhalb der Kno-
chenlamelle, welche vom Joch-
bogen zum Hinterhaupte geht und
die Gehöröflfnung überdacht . .
42. Länge der Basis des Hinterhaupt-
dreieckes (Entfernung der beiden
äussersten Punkte der Lambda-
leisten). . . . ?
Canis f. matr.
Jeitt.
opt.
Hand
ron
Roth
am
See
Canisf. intcr-l
mediu8Woldf.|
C. f. pal.
Rftt.
Lu-
schen
Olmüte
Nr. 2
(Par-
force-
hund-
artijT)
Olmfttx
Nr. 1
(Wind-
hund-
artifiT)
Boaen-
insel
Nr.yil
W.i-
kers-
dorf
▲ .
Pulkan
80
80
76-5
69
72
h9
36
34
-
34
31?
—
circa
24
67
66
—
66
52
63?
46
114
108
112
97
101
—
87-6
44
34
—
62
43
—
41
circa
68
circa
60
—
circa
36
circa
60
—
eirca
36
0
6
—
-12
—4
—
—11
40
30-6
36
36-6
36
36
30
67
46
47?
61
61
62
46
24-0
—
—
20
—
—
—
46
40
42-6
48
43
43
67
62
67
68
66
—
53
64-6
63
63
60
63-6
—
64
67-6
62
71
62
63
_
1 66
Digitized by VjOOQIC
11
1 Canis f. matr.
opt.
Canis f
inter-
C.f.pal.i
Jeitt.
Bösen -
insel
Hund
von
Both
am
medios Woldf.
Bat. 1
Olmütz
Nr.«
(Par-
Olmfttz
Nr. 1
(Wind-
Wei-
kers-
Pnlkan
Lu-
hond-
hnnd-
Nr. VII
See
dorf
schen
•
artig)
artig)
A.
43. Abst&nd der Gehöröffntingen von
t
1
einander, jederseits von dem unte-
ren vorderen Rande gfemessen .
53
48-6
61
47
60
1—42?
44. Gr(Ss8te Breite des Hinterhaapt-
1
loches
21-6
20
19?
19
17
17
45. Hintere Weite de» Choanenans-
schnittes
12
12
^~'
13
"~~
—
~
Höhen.
46. Höhe von der Mitte der Stirn
«nr Decke des Choanenausschnit-
te» (wie oben 26)
60
41
43
46
46
42
47. Höhe des Schädels von der Pfeil-
naht znm vorderen Keilbein . .
66
47
66
63
66
48
48. Höhe des Schädels vom höchsten
Pmikt des Occipitalkammes znm
Onmdbein
61
66
61
64-6
66
61
49. Höhe des Hinterhauptdreieckes
(Entfernung des oberen Randes
des for. magn. von dem hintersten
Punkte der crista occ.) ....
30
32
29
30
30
1 23
50. Höhe des Hinterhauptloches . .
16
17
14
14
14
61. Orösste Höhe des Sagittalkammes
6
3-6
—
2
3
—
1
Bezahnung.
Längen.
52. Länge der gesammten Backen-
zahnreihe
70-5
70
—
66
66-6
66-5
67 2
^. Grösste IJlnge des oberen Eck-
zahnes am äusseren Grunde des
Zahnhalses
12-62
12
11-62
11
11
54. Länge des oberen Reisszahnes
wn äusseren Rande der Krone
1
ohne den inneren Ansatz . . .
20-6
19-6
17-6
18-6
17-6
16-5
55. Länge der oberen Höckerzähne
msammengenommen
22-6
21-6
—
20
21
19-6
17
56. Länge des ersten (vorderen) oberen
Höckerzahns von vom nach hinten
14-6
14
12-6
13
12-6
11
57. Länge des zweiten oberen Höcker-
lahns von vom nach hinten . .
9
8-6
—
7
7
7
6
Breiten.
58. Breite des ersten oberen Höcker-
sahns vom hinteren äusseren
Höcker nach innen
16
16-6
14-6
14-6
13-5
59. Breite des zweiten oberen Höcker-
zahns VC hinteren äusseren
Höcker na innen
11
10
—
9-6
8-5
9-6
8
Digitized by VjOOQ iv
78
senrandes der Alveole gemessen . —
Zahnwinkel.
61. Der hinterste Lückenzahn bildet
mit der Mittellinie des Schädels
einen Winkel von
Bauminhalt.
<i2. Rauminhalt der Schädelkapsel in
Cubik-Centimetem .
—
21-6
—
—
22?
—
350
30
—
circft
30
circa
40
circa
35
103
90
—
94
80
—
circa
202
70
II. Unterkiefer.
l.Entfc
zum
mittleren Incisiven . . .
2. Entfernung vom Winkel bis
zum Vorderrande des vor-
dersten Lückenzahns . .
Breiten.
3. Dicke d. horizontalen Astes
unterhalb d. Reisszahns (12
Mm. unter dem äusseren
Zahnrande des Kiefers)
4. Länge des Gelenkhöckers
155
162
—
135
135 »>
—
—
106»»
112»»
130
—
123»
114
115
circa
117«
—
-
902
12-6
12-9
10-5
12
12
12-6
10
25
26
28-Ö
22
24
23-5
—
20-6
19
a) Die äi^erste Spitze des Winkels fehlt
b) IncisiTtheil beschädigt.
0) Spitze des Winkels beschädigt.
Digiti
izedby Google
79
Höhen.
5. Höhe d. horizontalen Astes
zwischen dem hintersten
Lfickenzahn and d. Reiss-
zahn • •
6. Höhe d. horizontalen Astes
am äusseren Rand der
Beisszahnalveole (Mitte
der Längenansdehnnng
des Zahns)
Canis f. matr. opt.
Jeitt.
gens-
burg
Aarer-
nier
7. Höhe d. horizontalen Astes
hinter d. vorderen Höcker«
zahn
8. Höhe des vertikalen Astes
(rom Winkel bis z. höch-
sten Punkt des Coronoid.-
Forisatses
Besahnung.
Längen.
9. Länge der gesammten
Backenzahnreihe . . .
10. Grösster Durchmesser des
Eckzahns
11. Länge des hintersten
Lflckenzahns
12. Länge d. Reisszahns (am
äoäseren Rand der Krone)
13. Länge beid. Höckerzähne
zosammengenoramen . .
14. Länge des vorder. Höcker-
Breite.
15. Grösste Breite des vorde-
ren Höckerzahns . . .
Höhe.
16. Höhe des Eckzahns . .
24
63
81
12-5
13-3
24
16-3
10
Rosen-
insel
26-6
28-6
62
84
12-8
13-8
24
10-3
65
80
24-3
162
10
Both
See
Canis f. intermedins
Woldf.
20
20-6
50
742
11
20
14
9
Wel-
kere-
dorf
A.
22-6
24
26
53
732
10-5
12-5
21-5
15
9-5
Wel-
kere-
dorf
B.
Plo-
80ha
Roben-
liaaBen Polkan
A. IS
25
26
54
105
21'ö
21-5
24
27-6
62
112
20-5
d) Ltage der Backen xakn reihe ohne den yordereten
4«f B 67, PloMha «5-5.
circa
73 — *
12
22
15
9-5
7-3
18
Lückenzahn: Weikeredorf A 67-5, Weikeri-
Digitized by LjOOQiC
Canis f. palu-
stris Büt.
19-6
47-5
80
III. Extremitäten.
L. ^) numerus.
Volle Länge
Grösster Durchmesaer der oberen Epi-
physe
Querdurchmesser an der engfsten Stelle
Breite der Rolle unten
Volle Breite der unteren Epiphyse
zwischen den Condylen
Durchmesser der Diaphyse in der Mitte
(vom nach hinten)
L. Radius.
Volle Länge
Breite oben
„ in der Mitte
„ unten
R. Ulna.
Volle Länge
Grösster Durchmesser oberhalb der Ge-
lenkfläche
Grösster Durchmesser unterhalb der
Gelenkfläche
L. Femur.
Volle Länge
Breite oben
Querdurchmesser in der Mitte . . .
Breite unten zwischen den Condylen .
L. Tibia.
Länge
Breite oben
„ in der Mitte
„ unten
Canis f. matris optimae
Nftch
Jeitteles
RosenioBel,
nach
E. Naumann
181-6— 182
45
15
34—36.5
18-5
166—179-5
40-49
12-6— 16
20—21
34—36
16-20
179-188
20—22
15
27-30
Jetxi^er
Wind-
hund,
nach
Naomann
Canis f.
interm.
Woldf.
Weikers-
dorf A.
198—202
42—43
14—15
33—34
I
" I
34-38
14—16
22—28
168
42 I
12
22
32
16
178
19-6
12
27
183
41-5
14
36
188—190 J 192
385
13
24
1) Die Bezeichnung^ L nnd B (links und rechts) bexieht sich nur auf den Canis f. intermedios.
>) Länge des Radios des Canis f. palustris nach RütimeTer: ISS— 128. Den Ton mir in Polkan
gefundenen Radius, welchen ich in meinem Aufsatze: «Eine Opferet&tte hei Pulkau* beschrieben und
damals mit der MotiTirung : ,,Da bis jetzt aus der Bronzezeit nur der grosse Bronzehund bekannt ist,
dem der Radius sicher nicht angehört", dem Torf hunde zugeschrieben habe, dürfte dem Canis f. inter-
medius angehören; seine i)imensionen sitfd: Volle Länge 145, Breite oben 15, in der Mitte 11,
unten 19.
Digiti
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81
IV. Rechte Becken hälfte.
Canis f.
intermeding
Woldf.
Länge der Beckenhälfte von der Crista ilei bis zum hintersten Punkt
des Ramns inf. oss. ischii 134
Grösste Breite des Os ilei 42
Geringste Breite desselben vor der Gelenkpfanne 18
Grösste Dicke desselben an derselben Stelle 8*5
Länge desselben vom vorderen Band der Gelenkpfanne bis zur Crista ilei 71
Dorchmesser der Gelenkpfanne von vorne nach hinten 20
Querer Durchmesser derselben 19*Ö
Entfemnng vom hinteren Rande der Gelenkpfanne zum Sitzknorren
des Os ischii 31
Geringste Breite des Os ischii hinter der Gelenkpfanne in der Dorsal-
abdominalrichtnng 17
Dicke desselben daselbst 9
Länge des Os ischii (vom hinteren Rande der Gelenkpfanne bis
zum hintersten Punkt des Ramus inf.) 46
Dicke des Sitzknorrens 11
V. Wirbel.
Volle Breite zwischen den Quer-
fortsätzen
Volle Breite zwischen den vorderen
Gelenkfortsätzen
Volle Bn-ite zwischen den hinteren
Gelenkfortsatzen
Grösste Breite der vorderen Oeff-
nung des Markkanals ....
Höbe der vorderen Oeffhung des
Biarkkanals
Länge des Wirbelkörpers (auf der
Bauchseite zwischen d. Rändern)
Länge des Domfortsatzes (vom
hinteren oberen Rande des Bo-
gen« gemessen)
Canis f.
intermedius Woldf.
Hak-
viriiel
Rück
e n w i r be
1 ;
Lenden-
wirbel
7.
1. 2.
3.
4.
12.1
3.
6.
42
1
_
35
34
1
!
44«)
_
1
31
26
25
15
115
20 1
21-5
22
26
-
15
ll-ö
11
12
13
13
12-6
13
11
10
10
12
—
13
9 8
8
7-6
8-5
10
—
8
15 ; u
!l
13
12
12
16
20
22
'26?.
40
43
41
41
—
23
26 1
1
Digiti
izedby Google
82
VI. Reduotionsmaasse.
Die S€h&deU&nge yom For. magn. bis in den Incisivalyeolen = 100 gesetzt.
BohädeL
Nr.
10
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
16
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
Canis f
matrif
Jeitt.
optimae
Canisf.
intonn.
Woldf.
Canisf.
palast.
Büt.
Canis f. matris optimae
Jeltt.
Canis f.
intorm.
Woldf.
Canisf.
palast
Büt.
Olmfttt
Olmütz
Bosen-
~W^~
Lü-
Olmtltz
Olmütz
Bosen-
Wei-
kersdorf
i..
Lü-
Nr. 2
Nr. 1
insel
kersdorf
A.
scherz
33
Nr. 2
Nr. 1
insel
scherz
100
100
100
100
100
23-9
18-5
26-2
30-6
84-2
83-3
84-2
81-1
87-3
34
31-5
33-3
—
30-4
261
111.9
110
116-4
112-2
113-4
35
—
3-3
—
—2-4
-8-1
60-8
—
—
—
68-6
36
21-7
16-9
20-5
21-9
22-3
66-9
661
54-2
66-1
66-9
37
30-9
25
281
31-1
34-3
5Ö-4
63-3
—
54-2
63-6
38
13-3
—
—
—
—
49-4
48-4
49-2
50
46-2
39
26
22-2
24-9
26-2
32- 1
36-4
36-6
35-2
36-6
36-5
40
30-9
28-9
33-4
330
39-6
36-9
38-8
—
35-9
—
41
35-5
35
36-9
38-7
40-2
22-2
16-6
' —
20-1
—
42
36-6
34*4
41-6
38-4
41-7
13-5
14-4
16-2
14
14-1
43
28-8
26-9
29-9
30-4
—
19
20
—
18-2
—
44
11-6
11-1
111?
10-3
12-6
7-6
10-2
11-7
—
12-6
45
6-5
6-6
—
—
—
19
18-3
20-5
18-9
—
46
27-1
22-7
—
280
31-3
126
11-1
—
12-6
—
47
30-4
261
32-2
33-5
36-8
10-6
8-3
—
9-1
7-4
48
331
31-1
35-8
34-1
88-1
9-7
9-4
—
11-6
—
49
16-3
17-7
17
18-2
17-1
5-4
6-2
—
5-7
5-9
50
8-6
9-4
—
8-6
10-4
20-6
18-8
22-9
231
22-3
51
2-7
1-9
—
1-8
0-7
201
17-7
24
21-3
20-8
52
38-3
38-8
—
39-9
42-6
23-6
19-4
23-6
231
24-6
63
6-7
6-6
—
6-7
—
13-3
—
141?
—
—
64
111
10-8
—
11-2
12-3
21-7
16-9
—
21-9
22-3
65
12-2
11-9
—
12-8
12-6
30-9
25
—
311
34-3
66
7-8
7-7
—
7-9
8-2
37-4
33-8
39-9
39
39-1
67
4-8
4-7
—
4-2
4-4
18-2
16-3
19-3?
19-2
20-1
68
8-6
8-6
—
8-8
10-1
26-3
23
—
26-2
28-7
69
5-9
5-6
—
5-2
5-9
271
22-7
—
28
31-3
60
—
11-9
—
13-4 j
—
43-4
44-4
44-9
43-9
44
61
—
—
—
—
—
19
18-8
—
18-9
17-9
622)
55-97
60
—
48-78
62-23
30-9
30-5
—
31-7
34-3
623)
128-7
1125
—
lll-l
118-6
61-9
60
65-7
61-6
66-2
^) Die fortlanfenden Nummern bezeichnen dieselben Dimensionen wie in der Tabelle I.
mit absolnten Maassen.
') In Procenten snr ganzen Scb&dell&nge.
') In Procenten znr L&ngo der Sch&delkapsel (vom for. magn. bis zum Hinterrand des harten
Gaumens).
Digiti
izedby Google
83
Die Abweichungen des Canisf. intermedius vom Canis
£ matris optimae Jeitt. und Canis f. palustris Rüt. nach den
absoluten Maassen überblickt man am leichtesten aus der
Tafel I, welche die Dimensionen dieser drei Hundeschädel
graphisch dargestellt enthält. Und zwar vom Canis f. matris
optimae Jeitt. den Schädel aus Olmütz Nr. 2 (parforcehund-
artige Varietät), vom Canis f. intermedius Woldf . den Schädel
aus Weikersdorf A, und vom Canis f. palustris Rüt. den
Schädel aus Lüscherz. Die vertical verlaufenden Zahlen be-
deuten Millimeter ; die horizontalen Zahlen bedeuten die Num-
mern der im Texte angegebenen Dimensionen; nur die vier
ersten Gesammtdimensionen sind des Raumes wegen auf die
Hälfte reducirt. Die Curven zwischen fehlenden Dimensions-
angaben sind in der Weise punktirt, wie sie allenfalls ver-
laufen dürften.
Rückblick.
Ausser durch die Gesammtdimensionen zeichnet sich
der ,, Canis f. intermedius" aus: durch die Kürze der
Schnauze bei bedeutender Stirn- und hinterer Ober-
kieferbreite, sowie durch ein breites Schnauzenende
(über den Eckzahnalveolen) bei ziemlicher Höhe der
Schädelkapsel und deren Breite über den Gehöröff-
nungen.
Von den beiden Varietäten des Canis f. matris optimae
Jeitt. (mit dem Canis f. palustris Rüt. ist derselbe überhaupt
nicht zu verwechseln) unterscheidet sich Canis f. intermedius
nach den reducirteu Maassen überdies noch durch die be-
deutendere Entfernung des Hinterhauptkammes von den In-
cisivalveolen, durch die kürzeren und vorn (auch absolut)
breiteren Nasenbeine, durch das längere Stirnbein, durch die
bedeutendere Höhe des Schädels zwischen der Stirnmittellinie
und der Choanendecke und über dem Keilbein; durch das
(auch absolut) schmälere Hinterhauptloch, ferner durch den
geringeren Hiraraum, wozu wohl auch die Dicke der Schädel-
knochen beitragen könnte.
Was die Bezahnung anbelangt, so ist nach den abso-
luten Maassen die Gesammtlänge der Backenzahnreihe, die
Länge des oberen Reisszahnes, die Länge der oberen ITöcker-
zähne zusammengenommen und des vorderen derselben sowie
Digiti
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84
seine Breite geringer als beim Canis f. matris optimae Jeitt. ;
im Verhältniss jedoch zur Schädellänge an der Basis, also im
reducirten Maasse durchwegs etwas grösser, nur die Dimen-
sionen des zweiten oder hinteren Höckerzahnes sind sowohl
dem absoluten als dem reducirten Maasse nach kleiner.
Was den Schädel von Roth am See anbelangt, so stimmt
derselbe wohl mit dem Canis f. intermedius vielfach überein,
nur ist sein Schnauzenende schmäler, was wohl eine sexuelle
Eigenthümlichkeit eines weiblichen Schädels sein kann, allein
die Schläfenmuskelleisten vereinigen sich erst weiter hinten
zu einem kurzen Sagittalkamm, der hintere Höckerzahn ist
etwas grösser und die Schädelkapsel gewölbter, daher der
Rauminhalt grösser, lauter Eigenthümlichkeiten also, die mit
der Zunahme der thierischen Intelligenz im Zusammenhange
stehen. Ich glaube daher, dass der Hund von Roth amSee
ein Nachkomme des Canis f. intermedius aus späterer Zeit sei.
Was endlich die Frage der allfalligen Abstammung des
Canis f. intermedius anbelangt, so liegt mir für die Beant-
wortung derselben kein hinreichendes Vergleichsmateriale vor,
und das, was ich nun anzuführen mir erlaube, sind nur
Vermuthungen. Man könnte zunächst an eine constant ge-
wordene Bastardirung zwischen dem Canis f. matris optimae
Jeitt. und Canis f. palustris Rüt. denken, da sich jedoch beide
durch eine grössere Hirncapacität auszeichnen, die doch durch
eine Bastardirung schwerlich vermindert werden kann, so liegt
die Vermuthung einer anderweitigen Abstammung näher. In
dieser Beziehung sei erwähnt, dass die Abstammung des Canis
f. intermedius vom afrikanischen Dib oder grossen Schakal,
Canis lupaster Ehr. und Hempr., welcher in Aegypten schon
in alter Zeit gezähmt wurde und von dem nach Jeitteles
viele Formen der altägyptischen Hunde (so auch der heutige
Strassenhund Afrikas) abstammen, nicht unwahrscheinlich ist,
und dass derselbe zur Bronzezeit auf Handelswegen nach Europa
gekommen sein könnte.
Herr Prof. L. H. Jeitteles theilt ebenfalls diese Ver-
muthungen über die Abstammung des Canis f. intermedius
und erklärt, selbst einzelne Extremitätenknochen aus anderen
Fundorten zu besitzen, welche ihren Dimensionen nach auch
dem Canis f. intermedius angehören dürften.
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85
Erklärung der Tafeln.
Tafel L Graphische Darstellung der Werthe der absoluten
Dimensionen des Schädels von: 1. Canis f. matris optimae Jeitteles;
2. Canis f. intermedius Woldfich, und 3. Canis f. palustris Eüti-
meyer. Die yertical übereinanderstehenden Zahlen links bedeuten
Millimeter; die horizontalen Zahlen unten haben dieselbe Bedeu-
tung wie die aufeinanderfolgenden Zahlen in der Tabelle I. Die
punktirten Verbindungscurven sind wahrscheinliche Ergänzungen,
da die entsprechenden Zahlen werthe fehlen. Die Gesammtdimen-
sionen Nr. 1 bis 4 sind des Raumes wegen auf die Hälfte reducirt.
Tafel n. enthält die Scheitelansicht der Schädel; Fig. 1,
Canis f. matris optimae Jeitteles aus Troppau, Fig. 2 Canis f.
intermedius Woldfich aus Weikersdorf, Fig. 3 Canis f. palustris
Rütimeyer aus Lüscherz. Natürliche Grösse.
Tafel m. enthält die Gaumenansicht derselben Schädel, ebenso
numerirt wie in der Tafel 11. Natürliche Grösse.
Tafel IV. enthält die Profilansichten derselben Schädel.
Fig. 1. Canis f. matris optimae Jeitteles aus Troppau; Fig. 2 Canis
f. intermedius Woldfich aus Weikersdorf, und Fig. 4 die dazu
gehörige linke Unterkieferhälfte ; Fig. 3 Canis f. palustris Rüti-
meyer aus Lüscherz, und Fig. 5 die linke Unterkieferhälfto der-
selben Race aus Pulkau in Niederösterreich. Alle Figuren in
natürlicher Grösse.
Tafel V. enthält nur Skelettheile von Canis f. intermedius
Woldfich und zwar: Fig. l den linken Humerus, Fig. 2 rechtes
Femur, Fig. 3 linke Tibia, Fig. 4 rechte Ulna, Fig. 5 rechten
Radius, Fig. 6 rechte Beckenhälfte (das Os ilei schief gestellt,
daher in der Figur schmäler), Fig. 7 den fünften Lendenwirbel
von rückwärts und den Domfortsatz nach unten gekehrt, die Para-
pophysen sind abgebrochen; Fig. 8 denselben Wirbel von der linken
Seite, Fig. 9 den zweiten Rückenwirbel, von rückwärts, Fig. 10 den-
selben Wirbel von der rechten Seite. Alle Figuren in natür-
licher Grösse.
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86
Ein prähistorischer Schädel
mit einer halbgeheilien "Wunde auf der Stirne, höchst-
wahrscheinlich durch Trepanation entstanden.
Von
Dr. Heinrioh Wankel.
In einer Sitzung des internationalen anthropologischen Con-
gresses zu Budapest hielt Broca einen durch die Neuheit des
Gegenstandes höchst interessanten Vortrag über trepanirte prä-
historische Schädel aus den Höhlen und Dolmengräber der
jüngeren Steinzeit Frankreichs. Aus diesem Vortrage, der in
Kürze in dem Archiv für Anthropologie, *) dem Berichte von
J. Mestorf 2) und jüngster Zeit in dem des Gundacker Grafen
von Wurmbrand 3) veröiFentlicht ist, ist zu entnehmen, dass
schon im Jahre 1873 und 1874 über derartige Schädel ge-
schrieben wurde. Dr. Prunieres machte auf diese Eigenthüm-
lichkcit einiger Scliädel im ersteren Jahre bei der Versamm-
lung der Association fran9aise zu Lyon und in dem darauf
folgenden zu Lille aufmerksam und legte die Beweisstücke vor.
Er fand in den von ihm untersuchten Höhlen nebst mehreren
runden, oft mit einem Hängeloche versehenen Schädelstücken
auch ganze Schädel, an welchen ein rundes Loch wahrge-
nommen wurde, von dem nicht zu zweifeln ist, dass es künst-
lich entstanden sei. Herr von Baye soll auf seinem Schlosse
(Marne) mehrere ähnliche Schädel und auch ausgesägte Knochen-
stücke vorweisen können, welche in den Höhlen von Pctit-
Moryn gefunden und von Broca untersucht wurden. Letzterer
nimmt an, dass die Trepanation entweder während des Lebens
oder nach dem Tode vorgenommen wurde. Im ersteren Falle
ist sie, wenn sie längere Zeit vor dem Tode stattfand, durch
*) Archiv für Anthropologie von Ecker und Lindenschmidt.
IX. 4. p. 281.
^) Der internat. anthrop. und archäol. Oongress zu Budapest
von J. Mestorf. p. 13.
3) G. Graf v. Wurmbrand, Bericht über den VHI. intern.
Congress. Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien.
VII. p. 25.
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87
die Merkmale des Heilungsprocesses charakterisirt, im letzteren
aber, auch wenn die Operation kurz vor dem Tode vorge-
nommen wurde, fehlen diese. Die Ursachen der Trepanation
fuhrt Broca entweder auf ein Heilverfahren, das den Zweck
hatte, bei Geisteskranken oder anderen Störungen im Gehirne
den im Menschen wohnenden bösen Geistern einen Ausgang
zu freiem Austritt zu schaffen, oder auch auf den Glauben
zurück, der Seele des Scheidenden oder bereits Dahingeschie-
denen durch diese Oeffnung das Entweichen aus dem Körper
zu erleichtem. Er weist ferner darauf hin, dass die Trepa-
nation, welche schon Hippokrates so rationell übte, auch wahr-
scheinlicher Weise den Gelten nicht unbekannt gewesen sei.
Nach der Beschaffenheit der trepanirten Stelle zu urtheilen,
wurde entweder mit einem scharfen Feuersteinmesser oder einer
Säge das Knochenstück herausgeschnitten, was grösstentheils
bei bereits Verstorbenen der Fall war; oder es wurde, wie
es noch heut zu Tage die Heilkünstler einiger Südsecinsulaner
mit einem scharfen Glase thun, die betreffende Stelle des
Schädels so lange geschabt, bis eine Oefinung in derselben
entstand. In Frankreich, namentlich in der Lozfere und der
Bretagne verfahren noch heute die Bauern auf diese Art, um
drehkranke Schafe zu curiren. Broca selbst soll einen Schädel
eines zwölfjährigen Mädchens aus einem Römergrabe bei Trier
besitzen, an dem sich eine Trepanwimde, mit Spuren von
Eiterung an den dünnen Knochenrändern, befindet. Nach
Angabe Schaaffhausens befindet sich in Jena ein derartig durch-
bohrtes Schädelfragment, und Montelius kennt ein solches aus
einem Grabe der Steinzeit in Schweden ; ob auch der Schädel
mit einem grossen Loche, das Spuren der Heilung zeigt, und
welcher nach Worsaae in dem Ganggrabe von Borreby ge-
fanden wurde, hieher gehört, ist mir nicht bekannt. Scheiben
aus Schädelknochen, welche durchbohrt höchst wahrscheinlich
als Amulette getragen wurden, hat man wiederholt in Gräbern
gefunden, so in der Champagne, Deutschland, Oesterreich, mid
meines Wissens auch in Böhmen.
Wie bei der Entdeckung des zu einer Trinkschale ver-
wertheten Craniums vom Opferplatze der Bj^öiskälahöhle, führte
mich auch diesmal der Voi'trag des Herrn Broca zur Ent-
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88
deckung eines zweiten nicht minder interessanten Fundes.
Durch diesen Vortrag aufmerksam gemacht, fiel mir ein
Schädel meiner Sammlung aus der Byöiskäla ein, an dem sich
eine nicht ganz vernarbte Knochenwunde befindet; ich suchte
denselben hervor und gelangte zu der Ansicht, dass ich höchst-
wahrscheinlich auch hier eine halbgeheilte Trepanwunde vor
mir habe. Ich übergebe denselben den hochgeehrten An-
wesenden zur näheren Besichtigung und genauen Prüfung.
Das Skelet, dem dieser Schädel angehörte, lag auf der
linken Seite, mit vorgestreckten Armen und hinaufgezogenen
Füssen, nicht weit vom grossen Brandplatze, unmittelbar auf
dem sich über die Vorhalle ausbreitenden Höhlenlehm oder
Löss, bedeckt, sowie alle Gegenstände, Skelete und der ganze
Opferplatz mit grossen Kalksteinblöcken. An dem noch er-
haltenen Vorderamie befanden sich zwei kleine Spiralringe aus
Bronze und neben dem Skelete lagen ein Häufchen grüner
grosser Glasperlen. Der Schädel lag ebenfalls auf der linken
Seite und war mit seinem linken Scheitelbeine etwas in den
Löss eingedrückt, umgeben von Sand und Kohle; die übrigen
Knochen waren mehr weniger zerdrückt.
Das Skelet gehörte einem zehn- bis zwölQährigen, wahr-
scheinlich nach der Zartheit des Schädels, der subtilen Fort-
sätze und der obwohl geringen Abflachung des Schädeldaches
zu urtheilen, einem Mädchen an, wofür auch der Bronze- und
Glasschmuck spricht. Er ist so ziemlich erhalten, jedoch in
seiner ursprünglichen Form, wie wir gleich weiter unten sehen
werden, verändert. Im Oberkiefer befinden sich rechter Seite
acht, links sieben geräumige Alveolen, in denen rechts drei,
links zwei Mahlzähne und der zweite Schneidezahn stecken.
Im Unterkiefer sind rechts acht und links ebenfalls sieben
Alveolen, in denen noch die Zähne stecken, mit Ausnahme des
rechten Schneide-, Eck- und ersten Mahlzahnes. Der rechte
letzte Mahlzahn ist noch im Durchbruche begriflfen. Die Zähne
sind klein, gesund, schön und weiss, die Mahlzähne gar nicht,
die Schneidezähne nur wenig abgewetzt. Die fehlenden Zähne
sind wahrscheinlich beim Herausnehmen ausgefallen.
Zwischen grossen Blöcken eingekeilt, auf einer weichen
Lössunterlage gebettet, war der Schädel einem permanenten
Drucke ausgesetzt, der durch das den Schädel umgebende
Medium so modificirt wurde, dass kein vollkommenes Zer-
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89
drücken, wie bei so vielen anderen, eintrat, aber nichts-
destoweniger war der Druck dennoch so gross, dass er eine
namhafte Verschiebung der Schädelknochen und eine theil-
weise Trennung seiner Nähte bewirkte, dadurch ist der Schädel
gänzlich deform geworden. Bei der Lage des Craniums auf
dem linken Scheitelbeine in dem weichen Löss, wirkte der
Druck seitlich hauptsächlich auf den rechten unteren Winkel
der Schuppe des Hinterhauptbeines und auf den Processus
mastoideus des rechten Schläfenbeines. Die Wirkung dieses
Druckes war, dass der erwähnte Schupp entheil in der Mastoidal-
und unteren Lamdanaht sich abtrennte und nach ein- und
vorwärts gebogen, wobei der Basaltheil des Hinterhauptbeines
nach abwärts, vom und bedeutend nach links gedrängt wurde
und endlich vom Schuppentheile abbrach. In Folge des Aus-
weichens des Basaltheiles wurde auch das linke Schläfenbein
vom linken Scheitelbeine getrennt und nach aus-, auf- und
rückwärts geschoben. Die grösste Deformität und Dislocation
aber erlitt das rechte Scheitelbem mit dem rechten Schläfen-
beine, indem es ebenfalls nach aus- und aufwärts gedrängt
wurde, und zwar so stark, dass es mit Mitnahme eines schmalen
Streifens des Stirnbeines längst der rechten Kranznaht von
demselben abbrach und aus den Fugen des unteren Theiles der
Lamdanaht wich, welche Trennung auch den oberen Theil der
Naht erreicht hätte, wenn nicht ein dreieckiges Knochenstück
vom Scheitelbeine losgebrochen wäre, das dislociii; noch in
einigen Zacken der Naht festsitzt. Da nun die Pfeil- und
obere rechte Lamdanaht intact geblieben sind und daher
Widerstand leisteten, so musste sich das Scheitelbein seiner
Längsaxe nach in der Mitte nach aussen und aufwärts biegen,
welcher Bug so staik wurde, dass er beinahe einen rechten
Winkel ausmacht. Durch das allmälig nach auswärts sich
biegende Scheitelbein eiTcichte die Mitte desselben eine hervor-
stehende Wand eines zur Seite liegenden Steinblockes, welche
weiterem Ausweichen ein Ziel setzte, jedoch durch die stete
Feuchtigkeit, mit welcher die Steinblöcke bedeckt waren, den
daran lagernden Theil erweicht, corrodirt und endlich ein drei
Centimeter grosses Loch eingediückt hatte. Das Schläfenbein,
am Scheitelbeine haftend, folgte der Bewegung des letzteren,
indem es nach aus-, auf- und vorwärts rückte. Die Gesichts-
knochen blieben mit Ausnahme des linken Jochbeines, welches
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etwas weniges nach aus- und rückwärts rückte, so ziemlich in
ihrer Lage unverändert.
Bei einer derartigen Schädeldeformation sind auch die
anzuführenden Werthe und Maasse zweck- und nutzlos, nur
weniges lässt sich darüber sagen, und zwar, dass der Längen-
breiten-Index, annähernd bestimmt, ungefähr 82 beträgt, der
Gesammtbogen 374, die Sehne desselben 129 Millimeter misst;
es nehmen daher am Scheitelbogen das Stirnbein mit 34'7 %,
das Scheitelbein mit 34*2 % und das Hinterhauptbein mit 31 %
Antheil.
Die grosse Brachicephalie ist wohl dem jugendlichen
Alter zuzuschreiben ; im Ganzen kömmt der Typus den übrigen
mesocephalen Schädeln der B^öiskäla gleich ; er ist orthognath,
seine NasenöfFnung mehr leptorhin, die Stirne steigt von der
Nasenwurzel ungefähr 40 Millimeter nach auf- und wenig nach
rückwärts, um sich sodann in einen sehr sanften, schwach ge-
wölbtem Bogen mit den Scheitelbeinen zu verbinden ; die Stira-
und Scheitelhöcker sind ausgeprägt. Die Knochen des Schädels
sind vollkommen gesund, die Oberfläche glatt, gelblichweiss,
und nur auf der rechten Seite, wo Feuchtigkeit stark ein-
wirkte, mit vielen kleinen Dendriten bedeckt. Der Knochen
ist fest und compact, seine Dicke beträgt ungefähr 2 Milli-
meter.
Die Spuren einer grossen penetrirenden Knochenwunde
befinden sich auf der rechten Seite der Stirne, unmittelbar
ober dem rechten Stimhöcker, und zwar in Form einer fast
zirkelrunden Abflachung von 3 Centimeter Durchmesser, in
deren Mitte sich eine 15 MiUimeter lange und 8 breite, un-
regelmässige, stark ausgezackte Knochenlücke befindet. Diese
runde Abplattung ist deutlich umschrieben, und zwar nach
oben und aussen mit zwei neben einander liegenden, schwach
wallartigen Ringen, nach unten und innen mit einer rund um die-
selbe gehenden schwachen und breiten Knochenwulst. Die inner-
halb des Ringes liegende, etwas unebene, stark verdünnte Fläche
ist offenbar mit einer Neubildung, die die äussere Glastafel
ersetzen sollte, ausgeglichen, ihre Oberfläche ist glatt, compact,
und senkt sich gegen die Lücke etwas weniges nach innen;
mit der Loupe bemerkt man ein schwach strahliges Gefiige;
der Knochen wird gegen die Lücke immer dünner, bis er
endlich mit einem scharfen zackigen Rande dieselbe umgibt,
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an dem kleine, gegen das Centmm wachsende Knochenplätt-
chen haften, von welchen insbesonders zwei 3 — 4 Millimeter
lange und 1 Millimeter breite, nadelformige an dem inneren
und unteren Rande sitzen, und das Bestreben der Natur, die
Oefiiiung zu schliessen, andeuten. An dem inneren unteren
Rande fallen einige, nach allen Richtungen laufende, sehr dünne
Kritzen in die Augen, die theil weise in den Callus übergehen
und hie und da mit denselben ausgefüllt sind; es scheinen
dies noch Spuren des Schabens zu sein. Die innere
Glastafel ist in der Umgebung der Lücke vollkommen
normal geblieben und hat an dem Heilungsprocess in keiner
Weise theilgenommen, was jedenfalls gegen jene pathologischen
Processe spricht, die auf eine spontane Entzündung des Knochens,
Ulceration, Caries und Necrose, Hämorrhagie, Fseudoplasmen
und andere discrasische und dynamische Leiden zurückgeführt
werden können. Wir haben vor uns eine Narbe, welche sehr an
die halbgeheilten Trepanwunden erinnert, wie sie unser höchst
verdienstvoller und gelehrter Rokitansky *) mit den Worten
schildert: „Die Trepanwunden am Schädel werden nur höchst
selten ganz mit Knochensubstanz geschlossen, meist sieht man
im Umkreise der Lücke — als von der Wundfläche und ihren
Rändern erfolgte unzulängliche Knochenbildung, so dass der
Sabstanzverlust zum grossen Theile von einer ligamentösen
(fibrösen) Platte verschlossen ist und bleibt, in deren Substanz
der von der Wundfläche herkommende unbeträchtliche Callus
hineinragt. Dabei beobachtet man nicht selten eine bedeu-
tende Verdünnung der Schädelwand in der nächsten
Umgebung. — In dieser fibrösen Platte entwickeln sich
übrigens in manchen Fällen — wahre Knochensubstanz in
Form von Nadeln, Platten u. dgl., die allmälig mit dem
vom Rande der Lücke hineinragenden Callus vei*-
schmelzen".
Wenn wir die pathologischen Processe durchgehen, in
deren Folge eine ähnliche Knochennarbe mit Substanzverlust
hätte entstehen können, so ist es vor Allem die Necrose, her-
vorgebracht durch ein Knochengeschwür; jedoch fehlen hier
die eine Perforation stets begleitenden Merkmale auf der die
^) Rokitansky C. Handbuch der pathol. Anatomie. 1. Aufl.
L 249.
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Lücke umgebenden inneren Glasplatte. Eine derartige spon-
tane Durchbohrung der Schädelknochen müsste unter allen
Umständen einen Erguss des den necrotischen Knochen um-
gebenden Eiters zwischen der dura mater und dem Schädel-
knochen zur Folge haben, der die innere Glasplatte corro-
dirt und eine Reaction in derselben, oder im günstigsten Falle
eine narbige Destruction, wenn nicht Knochenwucherungen,
Osteophyten u. s. w. erzeugt haben. An unserem Schädel aber
erscheint der Rand der Lücke vollkommen scharf, nach rechts
sogar deutlich rund ausgeschnitten, und die ihn umgebende innere
Glastafel vollkommen normal, ohne Spuren irgend einer Corro-
sion, Knochenwucherung oder Knochennarbe. Auch hätte eine,
behufs der Abstossung des Sequesters so lang andauernde
Eiterung des Knochengeschwüres die Spuren grösserer Ver-
heerungen in der Umgebung desselben und in der Tiefe
zurückgelassen, besonders wenn die Ait dieses Geschwüres
tuberculöser oder scrophulöser Natur gewesen wäre. Unsere
Knochennarbe aber gibt das Bild einer Heilung per primam
intentionem einer einfachen Knochenwunde.
Ein Kephalämatom ist schon dadurch ausgeschlossen,
dass dasselbe in dem Alter unseres Schädels nicht mehr vor-
kömmt, auch ist der Sitz desselben selten oder nie auf dem
Stirnbeine.
Gegen ein diskrasisches Leiden, wie Caries, Pseudo-
plasmen, Osteomalacie, Arthritis spricht die einfache schöne
Narbenbildung, und noch überdiess nebst der Jugend das ge-
sunde Aussehen der Schädelknochen.
Auch kann die Narbe nicht von einer durch ein Trauma,
wie Stoss, Hieb, Fall u. s. w., zufallig entstandenen Kopf-
wunde herrühren, dem widerspricht die Form, die erhaltene
innere Glastafel im Gegensatze zu dem Verluste der äusseren,
der Mangel aller Spur von Fissuren und die Beschaffenheit der
Narbe, das letztere spricht auch gegen einen Detritus.
Ich habe durch Schaben mit scharfen Feuersteinmessern
an der betreffenden Stelle des Stirnbeines eines ungefähr in
gleichem Alter stehenden Individuums aus der Byöiskälahöhle
einen Versuch einer solchen Operation gemacht und Niemand,
der diesen Versuch sieht, wird zweifeln, dass die Heilung
dieses Eingriffes eine vollkommen analoge Narbe, wie an
unserem Schädel, erzeugt hätte. Herr Hofrath Rokitansky,
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welcher den Schädel besichtigte, hält es für angezeigt, um über
den Heilungsprocess von Trepanwunden durch Schaben voll-
kommene Aufklärung zu erhalten, Schabversuche an Thieren
vorzunehmen und zu sehen, wie dergleichen Schabwunden
heilen. Ich glaube es würde eine analoge Narbe entstehen,
die per primam intentionem sich bildet. Ich kann daher mit
höchster Wahrscheinlichkeit anne^hmen, dass in unserem Falle
diese Narbe und Knochenlücke in Folge einer bei Lebzeiten
des Individuums verübten Trepanation durch Schaben ent-
standen ist.
Zu welchem Zwecke diese Operation vorgenommen wurde,
Hess sich nur vermuthen. Vielleicht lag auch da das Motiv
zu Grunde, den bösen Geistern eines von ihnen Besessenen
einen Ausweg zu schaffen; dieser Aberglaube scheint später
in das sogenannte Teufelaustreiben übergegangen zu sein. Zu
dem Glauben an in Menschen wohnenden Dämonen konnten
viele abnorme Zustände Veranlassung gegeben haben, wie aller-
hand Geistesstörungen, Eklampsien, Epilepsien, der Veitstanz,
die Chorea St. Viti oder vielmehr Svante Witi, SvatovitL
Der Name erinnert an die slavische Heidenzeit, an die Tänze
zu Ehren des Svatovit, bei den Johannisfeuern u. dgl. Hanuä
sagt darüber :*) „Weil die Tänze zu Ehren der Sonne öfters
bis zur Tollheit ausarteten, so dürfte es vielleicht nicht über-
trieben sein, den Namen Veitstanz von den Tänzen zu Ehren
Wit's abzuleiten (Tanec Wita)." 2)
Es bleibt uns nur noch zu untersuchen, welchem Volke
muthmasslich die unter so eigenthümlichem Verhältnisse in der
B^6iskälahöhle vergrabenen Skelette angehört haben.
Aus dem Vergleiche der Fundobjecte aus der B^öiskäla-
höhle mit jenen anderer Orte, ergibt sich, dass sie der Foim
und Technik nach mit denen von Hallstadt vollkommen identisch
sind. Wir finden hier dieselben gerippten Eimer und Kessel,
dieselben Armbänder und Schmuckgegenstände, Perlen, Bern-
steinringe, Fiebeln, dieselben eisernen Aexte und Waffen und
dieselbe Ornamentik in archaischem Style; auch die Verhält-
nisse, unter welchen die vielen Skelete gefunden wurden, sind
^) Die Wissenschaft des slavischen Mythus v. Dr. J. J. Hannä.
1842. p. 203.
2) Linder, Slovnik. VI. p. 250.
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so ziemlich ähnlich, so die zerstückten, oft halb angebrannten
Leichen u. s. w. Der Mangel jedes römischen Einflusses auf
die Formgebung dieser Gegenstände, sowie der der römischen
Münzen, setzt auch sie, sowie die Hallstädter Gräber, vor die
Herrschaft der Römer in Noricum; Freiherr von Sacken gibt
als die Zeit des älteren Theiles des Hallstädter Grabfeldes die
zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts vor Christi an; unser
Opferplatz in der B^^öiskälahöhle aber dürfte etwas älter und
bis weit in das zweite Jahrhundert vor Christi zu versetzen
sein, da Blei sehr wenig vorkömmt und die eingelegten Kessel-
reifen noch aus Eisen bestehen, auch sind die Ornamente ein-
facher, die Armringe geschlossen, und viele Gegenstände, die die
Zeichen einer späteren Entwickelung an sich tragen, fehlen
gänzlich.
Um diese Zeit lebten der Geschichte nach die Bojen,
Stammesgenossen der Hallstädter Taurisker in Böhmen und
Mähren. Sie sollen im Jahre 388 unter Sigoves nach dem
Hercynischen Walde gezogen sein und Besitz von Böhmen
und Mähren genommen haben. Es konnte demnach das Volk,
welches sich die B^öiskÄla zur Cultus- und Opferstätte erkoren,
auch nur die Bojen gewesen sein.
Die Geschichte berichtet uns, dass die Bojen ein Celten-
stamm gewesen sein soll, und zwar einer der Stämme, die mit
den sogenannten Celtenzügen nach Europa gekommen sind;
aber die damaligen Geschichtsschreiber kümmerten sich wenig
um die Nationalität jener Völker, da sie für die ftir sie bar-
barischen Sprachen kein Verständniss hatten und kaum eine
von der anderen unterscheiden konnten, und viele Volkß-
stämme, ja ganze Völker, deren Ursprung, Sprache u. s. w.
sie nicht kannten, einfach Gelten nannten.
Dass die Bojen möglicher Weise ein slavischer Stamm
gewesen sind, dafür spricht nicht allein der slavische Name,
sondern noch viele andere Umstände, die ich später einmal
zur Sprache bringen werde. Diese Ansicht theilt auch schon
Surowiecky, indem er sagt: ') „Bei dieser Zerstreuung der
celtischen und wendischen Völker verdient besondere Beach-
tung, dass die Bojen sowohl in Gallien als auch in Italien und
*) L. Surowiecky. Sledzenie poczatkn naroduw Slovianskich.
Warschau 1824. p. 194.
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an der Donau neben den Wenden sassen, es könnte sein, dass
sie mit ihnen gleicher Abkunft waren, wie diess auch bei
vielen anderen Völkern zu sein scheint, welche die Alten aus
Unkunde mit Thraken, Gelten, Iberern u. s. w. vermengten".
Die Bojen waren in den letzten Jahrhundei-ten vor Christi
ein so mächtiges Volk, dass sie im Jahre 110 vor Christi im
Staude waren, dem heftigen Anpralle des Cimbernzuges zu
widerstehen und ihn zwangen, einen Umweg über Pannonien
zu machen. Trotzdem aber unterlagen sie dem deutschen
Heeresfiihrer Marbod, der mit 30.000 Mann Fussvolk und
4000 Reitern in ihrem Lande einbrach und sie unterjochte.
Von dieser Zeit erlosch der Name Bojen, die wahrscheinlich
den ihrer Unterdrücker angenommen haben werden, denn es
ist einerseits nicht anzunehmen, dass ein so mächtiges Volk
gänzlich vernichtet worden wäre, und andererseits die Marko-
mannen binnen dieser wenigen Jahre sich so vermehrt hätten,
dass sie ein so zahlreiches Volk geworden wären. Es er-
scheinen daher die Bojen unter dem Namen der Markomannen
in der späteren Geschichte, denn Ptolomeus schildert im zweiten
Jahrhundert nach Christi die Bojen in Böhmen und Mähren
noch als ein zahlreiches Volk, dessen Hauptstadt Bubienum
mit der Veste Marabudum sehr volkreich war , in der Handel
und Wandel blühte und wo sich selbst römische Kaufleute
angesiedelt hatten. *) Bubienum, ein Wort mit slavischer
Wurzel, hat sich noch in dem heutigen Bubenec, Bubenö,
Bubna erhalten und wird sich wohl von Bubenß über die
Sarka und bis nach Zalov ausgebreitet haben, wo man noch
überall die Spuren einer uralten Ansiedlung findet.
Dafür, dass vielleicht noch Bojen in den die Höhen
Mährens bewohnenden Slaven fortleben, spricht die voll-
kommene Uebereinstimmung der Schädel dieser mit jenen aus
der B^ßiskäJahöhle, wodurch Öafafiks Ansicht, dass sich die
Bojen wahrscheinlich bis auf den heutigen Tag auf
den Höhen Mährens erhalten haben, eine wesentliche
Stütze findet.
>) Jac. Annal. L. 11. 62.
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AufkläruDgen.
(Entgegnung auf Bemerkungen in Betreff der Bohrung von Stein-
geräthen und in Betreff thönerner Lampen und Löffel.) /
Von
' Gundaker Graf Wurmbrand.
I. Bohrung von Steingeräthen mittelst Hörn und
Knochen.
In dem 6. und 7. Hefte des VI. Bandes der Mittheilungen
werden von Dr. Much und Herrn Fei. von Luschan einige
Ansichten, die ich in Bezug auf Objecte meiner Forschungen
geäussert, bezweifelt.
Obwohl ich nun dafUr halte, dass bei dem Stande der
vorgeschichtlichen Forschung in unseren Ländern die zunächst
liegende Aufgabe jedes Forschers darin besteht, neues Material
zu fordern und ich desshalb die Kritik fremder Auffassungen,
ebenso als kleinliche Discussionen scheue, so obliegt es mir
doch, in diesem Falle zur Klärung der betreffenden Fragen
einige berichtigende Worte zu sagen.
1. Die Bohrung mit Hirschgeweihenden. Ich lese
im dritten Berichte des Dr. Much über die Pfahlbauforschung
im Mondsee S. 177, bei Erwähnung von Hornstücken mit
herumlaufender, deutlich durch eine Schnur eingeschnittener
Rinne, diese Stelle : „Man hat derlei Stücke als Bohrer erklärt,
mittelst denen die Löcher der Steinhämmer mit Zuhilfenahme
von Sand gemacht wurden, indem man sie mit einer durch
einen Bogen gespannten Schnur in drehende Bewegung ver-
setzte. Abgesehen von anderen Umständen kann man wohl
kaum annehmen, dass man mit einem spongiösem Hornzapfen,
auch wenn man Sand zu Hilfe nimmt, einen Stein zu durch-
bohren im Stande ist, dann aber lässt sich deutlich ersehen,
dass die Rille nicht in sich zurückkehrt, dass also nicht der
Hornzapfen sich bewegt, sondern dass nur die Schnur ge-
laufen und sich allmälig eingeschnitten hat."
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Da meines Wissens nur ich diese Ilirschgeweihsprossen
als Bohi'er für die Steinhämmer bezeichnet habe^ so gestatte
ich mir, auf diese Bemerkung näher einzugehen.
Die Frage stellt sich hier in zweifacher Art, erstens:
Kanu man mit Hirschgeweihsprossen die Bohrung überhaupt
durchfuhren? zweitens: sind die Hirschgeweihsprossen, die ich
bezeichnet, auch wirklich solche Bohrer gewesen?
Wie ich schon in meinen Ergebnissen der Pfahlbau-
Untersuchungen (Band V. Heft 4 und 5, Seite 123) gesagt,
habe ich erat, nachdem ich den Versuch der Bohrung vor
einer Veraammlung gemacht und nachdem ich gefunden hatte,
dass nicht nur die Bohrung, sondern auch die Art, wie sich
dieser Bohrer ansetzt , genau den vorgefundenen alten Bohr-
verauchen entspricht, meine Ansicht darüber niedergeschrieben.
Ueber die Möglichkeit einer solchen Bohrung herrscht
also kein Zweifel, da die Bohrvorrichtung, wie ich sie ge-
zeichnet, und die von mir in dem Serpentin gemachte Bohrung
vorliegt. Sowohl bei der internationalen Ausstellung in Wien 1873,
als heuer in Pest habe ich diese Bohrungsvondchtung zur
Ansicht gebracht und bedaure ich nur, dass Herr Dr. Much
sich von der Thatsache einer solchen Bohrung nicht selbst
überzeugt hat.
Allerdings ist es nicht die spongiöse, innere Masse, sondern
die sehr zähe, harte äussere Hornwand, welche mit Quarz-
sand die kreisförmige, scharfe Eintiefung im Steine bewirkt.
Ich selbst war erstaunt zu sehen, wie
scharf und genau ein solcher Bohrer arbeitet
und wie wenig sich die unteren Kanten
desselben während der Arbeit abnützen.
Die spongiöse Knochensubstanz des
Innenraumes wird schon vor der Arbeit mit
einem scharfen Feuersteinsplitter leicht aus-
gehöhlt und tritt immer weiter zurück, je
tiefer sich die Ränder in den Stein einarbeiten. pj« j
So entsteht langsam eine vollkommen kreis-
runde, nach unten zu enge Vertiefung, in deren Mitte ein Kegel
stehen bleibt. Der Durchschnitt einer solchen halbfertigen
Bohrung mit dem kegelförmigen Zapfen hat die Form von Fig. 1 •
Bei kleineren Bohrlöchern, wo auch das Geweihende
keinen grossen Durchmesser haben kann, wird die Bolirung
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nicht immer anstandslos durchgeführt werden können, weil das
Geweihende selbst leicht gebogen ist und sich zu schnell ver-
jüngt. Der Mittelzapfen kann sich dann nicht w^eiter aufwärts
in den Bohrer einschieben. In diesem Falle hat man, wie ich
es bei manchen alten Bohrungen auch thatsächlich beobachten
konnte, entweder den Zapfen in dem Bohrloch abgeschlagen
oder man hat von der anderen Seite zu bohren angefangen,
um in der Mitte des Steines zusammenzutreflFen. Dies ist
imn zwar nicht immer ganz genau gelungen und manche
Bohrung ist bei den Steinhämmern auch wirklich nicht ganz
correct.
War es aber nun gelungen, den Mittelzapfen von beiden
Seiten so freizustellen, um ihn heraus zu schlagen, so konnte
das Bohrloch nachträglich erweitert und gleichmässig ausge-
rundet werden. Solche Bohrlöcher zeigen dann einen nach
der Mitte zu etwas verengten Hohlcylinder , Fig. 2, weil der
Hirschhornbohrer von beiden
Seiten gearbeitet und sich wäh-
rend der Arbeit stets etwas
verkleinert, indem die äusseren
Wände desselben sich abnützen.
Geschieht die Bohrung
aber in Einem, so wird der
Hohlcylinder im Steinhammer
sich nach unten vei jungen.
Bei genauer Beobachtung halb-
^^' ' vollendeter Bohrungen und bei
genauer Messung von Bohrlöchern sind die hier bezeichneten
Fälle oft wahrnehmbar.
Bei der genannten Bohrmethode mit Hirschhorn ist die
Innenwandung des Hohlcylinders glatt polirt und zeigt dieselbe
einzelne feinere, rund umlaufende Ritze, welche für die alten
Bohrungen charakteristisch sind.
Die Bohrungen, wie ich sie an einem mir von Dr. Ferdi-
nand Keller zugesendeten Steinbeil gesehen, wurden mit Horn-
zapfen des Rindes oder mit Röhrenknochen gemacht und ent-
sprachen den alten Vorbildern bei weitem weniger als mein
Versuch, so dass ich mich vollkommen für berechtigt halte
anzunehmen, dass in den meisten Fällen auch wirklich in
der beschriebenen Art vorgegangen wurde.
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AUerdiDgs kommen auch ganz verschiedene Bohrungen
vor, wie die trichterförmige, Fig. 3, oder die mit cylinder-
formigem Mittelzapfen, Fig. 4, die in anderer Weise gemacht
wurden.
Fig. 3. Fig. 4.
Wahrscheinlich wurde bei ersterer ein spitziges . Holz,
bei der anderen nach der Methode des Prof. Morlot ein Rohr
oder ein Knochen als Bohrer verwendet.
Die erste Frage glaube ich nun beantwortet zu haben
und komme zur zweiten. Sind die in Weyeregg gefundenen
und im 11. Band dieser Mittheilungen abgebildeten Geweih-
ende auch wirkKch solche Bohrer gewesen?
Dr. Much meint diesbezüglich, dass die Rille, welche
um die Hornzapfen lauft, nicht in sich zurückkehrt, dass also
nicht der Hornzapfen sich bewegt, sondern dass nur die Schnui*
gelaufen und sich allmälig eingeschnitten hat. Später erinnert
er an die Röhrenknochen aus dem Laibacher Pfahlbau, welche
auch Einschnitte und Rinnen zeigen, und glaubt, dass auch
diese Hornzapfen bei der Verfertigung der Schnüre oder bei
der Weberei Anwendung fanden.
Die genannten Röhrenknochen sind nun von diesen Hirsch-
hornenden überhaupt vollkommen verschieden. Ich habe sie
gesehen und habe mich überzeugt, dass sie als Garnwinden
vollkommen zweckentsprechend sind. Bei dem Hornzapfen
wäre es aber nicht unzweckmässig gewesen, durch einige Ver-
suche die Zweckmässigkeit zum vermutheten Gebrauch zu
erproben.
Von den in der Sammlung der anthropologischen Gesell-
schaft von Weyeregg stammenden Geweihenden sind zwei in
der besagten Abhandlung von mir abgebildet. Das eine hat
einen kleineren Durchmcssei* und zeigt drei Rillen oder Rinnen,
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100
und zwar zwei vollständig, die dritte unten nur unvollständig,
weil das Hirschhorn in der Rinne selbst abgebrochen ist. Bei
diesem Stück, Fig. 33, Taf. m (ü. Band der Mittheil.), kehrt
die Rille, wie die Zeichnung und der Gregenstand selbst jedem
Beobachter zeigt, in sich zurück, es hat sich also gedreht.
Das zweite Stück zeigt wieder zwei Rinnen, die eine vollständig
und die andere nur halb, weil auch hier das Hirschhorn in
der Rinne abgebrochen ist. Der Durchmesser ist hier bedeu-
tender und die Rinne nicht überall vollständig gleich tief, da
an einer Stelle die Sehnen, die hier gelaufen, sich gekreuzt.
Ich sage die Sehnen, da eine Hanfschnur an der rauhen und
harten Hirschhomrinde überhaupt nicht lange laufen konnte,
ohne zu reissen.
Wie entstanden nun diese Rinnen, wie entstand der Bruch,
und wie lassen sich diese Gegenstände als Bohrer nachweisen ?
Haben wir ein Hirschhornende gewählt, um damit eine
Bohrung auszuführen, so werden wir, und zwar wieder nach
dem Muster vorhandener Stücke, da wir keine Freunde imagi-
närer Combinationen sind, nachdem die spongiöse Innenmasse
etwas ausgebohrt wurde, nicht sehr entfernt von dem unteren
Rande, einö kleine Rinne mit Feuerstein einzuschneiden suchen,
damit die darüber gewundene Sehne des Bogens einen Anhalts-
punkt gewinnt und sich an den Unebenheiten des Hii'schhorns
nicht zu schnell abnützt.
Während der Arbeit wetzt die umlaufende Sehne diese
Kinne verhältnissmässig schnell aus, und es bricht der in dem
Stein arbeitende untere Theil des Bohrers mitten in der Rinne
ab, sobald die Sehnen die äussere harte Rinde des Hirschhorns
bis auf die spongiöse Masse durchwetzt hat.
Um dies zu verhindern, wird man, bevor dieser Bruch
entsteht, weiter aufwärts eine neue Rinne eintiefen, um mit
demselben Bohrer weiter arbeiten zu können. Dieser höhere
Undaufspunkt für die Sehne ist auch deshalb wünschens-
werth, weil die erste Rinne ziemlich tief angebracht wurde,
um den AngriflFspunkt der Kraft der Arbeitsstelle des Bohrers
nahe zu rücken, bei fortschreitender Bohrung vertieft sich die-
selbe natürlich immer mehr, so dass auch die Bogensehne
höher angelegt werden muss.
Die beifolgende Zeichnung zeigt einen solchen Bohrer 1.
vor der Arbeit, Fig. 5, der untere Theil ist von der Stange
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abgehackt, die Rinne a ist eingeschnitten; 2. während der
Arbeit, Fig. 6, die Rinne a ist eingetieft, der untere Theil
durch die geleistete Arbeit am Rande scharf und innen hohl,
Fig. 6.
die Rinne b ist benützt; 3. nach der Arbeit, Fig. 7, der untere
Theil ist an der Stelle der ersten Rinne a abgebrochen, die
zweite Rinne b ist noch vorhanden, ebenso wie eine dritte c.
Fig. 6.
Wir haben nun erklärt, wie die Rinne und der Bruch ent-
steht. Die nicht völlig rund umlaufende Rinne mit der durch
die Sehne ausgewetzten Kreuzungsstelle an dem zweiten stärkeren
Bohrer entstand dadurch, dass, weil der Widerstand des Bohrers
Fig. 7.
bei einer gi'össeren Reibungsfläche ein bedeutenderer wai*, die
Umdrehung des Bohrers nicht mit jedem Zug des Bogens voll-
ständig durchgeführt, sondern nur in halber Drehung nach der
einen und wieder nach der anderen Seite hin bewegt wurde.
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102
Dadurch hatte die sich kreuzende Sehne an einem Theile die
Ausnützung nach oben und unten markiren können.
Den Beweis, dass die von mir bezeichneten Stücke nicht
nur als Bohrer für Steinhämmer dienen konnten, sondern auch
wirklich solche Bohrer waren, habe ich ebenfalls bereits aus-
gesprochen, und wiederhole ihn hier nur, um ihn jedem un-
befangenen Leser klar zu machen. Er liegt einfach darin,
dass der Bohrer auf das Bohrloch passt. Wenn ich den
Bohrer der Sammlung (Fig. 33. Taf. m. II. Bd.) auf die halb-
runde Bohrung der gebrochenen Hammeraxt (Fig. 37. Taf. IV.
II. Band) *) aufsetze , so passt die polirte untere Rinne des
Bohrers genau hinein.
Diese Rinne hat nun zwar nicht die Bohrung direct be-
wirkt, ihr Durchmesser entspricht aber oflFenbar dem Bohr-
rande, weil die durch die Bewegung kreisrund bis zum spon-
giösen Kern zugeschärfte äussere Knochensubstanz an der
imteren abgebrochenen Rinne wie am Bohrrande nahezu den-
selben Durchmesser hatte.
Ich bin in der Erklärung dieser Bohrung etwas ausführ-
lich und vielleicht weitschweifig geworden, weil mich die Frage
der Bohrungen interessirt, ich werde deshalb begründeten
Zweifeln und Widerlegungen im Interesse der Wahrheit gerne
meine Aufmerksamkeit schenken.
n. Ueber thönerne Lampen und Löffel.
In demselben Hefte (6 und 7. VI. Bd.) bespricht Herr
Felix von Luschan bei Gelegenheit der Mittheilungen aus dem
Museum VH, Seite 198, einen thönemen Gegenstand, welchen
er einen SchöpflöflFel nennt. Er findet sich dabei veranlasst,
einen ähnlichen Fund von mir zu erwähnen und tritt gegen
die von mir für meinen Fund gewählte Bezeichnung einer
Lampe auf.
Diesbezüglich möchte ich in Hinblick auf die von mir
citii-ten Aeussei-ungen vorerst feststellen, dass ich nicht be-
hauptete, dass alle LöflFeln Lampen sind, und es versteht sich
von selbst, dass die mit massivem thönernem Stiel versehenen
*) Anmerkung. Ich habe die Stücke nicht zur Hand, glaube
aber mich zu erinnern, dass dieser Bohrer gerade auf diese
Steinaxt passt.
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103
Löflfel oder diejeuigen Gussschalen oder Löffel, in welchen ein
hölzerner Stiel eingepasst wurde, um sich die Hand nicht zu
verbrennen, wie dies bei unseren Leimpfannen der Fall ist,
— keine Lampen waren.
Ein passenderes Beispiel als die besagten gusseisernen
Leimpfannen geben uns die Gussschalen aus den Pfahlbauten,
welche mit einer solchen Oeffnung zur Aufnahme des Holz-
stieles versehen sind.
Der wesentliche Unterschied zwischen solchen Gefässen
und den als Lampen bezeichneten Schalen liegt aber darin,
dass naturgemäss die Höhlung für den Stiel nicht mit der
inneren Höhlung communicirt, weil dies sowohl bei Löffeln
als Gussschalen zweckwidrig wäre.
Die Gleichenberger Schale, welche vorn etwas abgestossen
ist, hat durchaus keinen Schnabel, sie ist im Gegentheil vorn
breit und nach Innen stark eingebaucht. Die Zeichnung meiner
Publication hat durch eine nicht ganz richtige Schraffirung
einer kleinen Bruchstelle Herrn Luschan verfuhrt, einen voll-
kommenen Ausgussschnabel zu zeichnen.
Im Gegensatz zu seinen Erfahrungen filllt auch mein
Schälchen nicht um, sondern es brennen ein Stück Docht oder
einige zusammengedrehte Hanfßlden ganz leidlich in der Oeff-
nung, auch wenn sie nicht vertical stehen.
Um das Abtropfen zu verhindern, muss man das Lämp-
chen allerdings mit etwas nach aufwärts gerichtetem Halse
stellen. Es ist dieses plumpe Schälchen gewiss in vieler
Beziehung nur eine sehr mangelhafte Lampe, nachdem aber
zu allen Zeiten ähnliche Ampeln und Lampen bis zur Berg-
mannslampe der Jetztzeit verwendet wurden, und das Ver-
brennen des Fettes neben dem Kienspan zu den einfachsten
Beleuchtungsarten gehört, so ist die Benützung dieses als
Löffel höchst unzweckmässigen Geräthes als Lampe höchst
wahrscheinlich.
Die mit Fig. 5 in dem besprochenen Aufsatze abgebil-
dete Schüssel hat mit der Lampenfrage nichts gemein, sie ist
weder ein Löffel noch eine Lampe. Steht die unterhalb des
Henkels befindliche Oeffnung aber mit dem Innenraum in Ver-
bindung, was ich nicht weiss, so hatte sie gewiss nicht die
Bestimmung, einen Holzstiel in sich aufzunehmen, sondern sie
diente wahrscheinlich zum Ausfluss. Der specielle Zweck
u,y,uz«u uy ^OOglC
104
kann liier ein mannigfaltiger sein, so z. B. würde eine solche
Vorrichtung bei der Käsebereitung ganz zweckdienlich er-
scheinen.
Die Forschungen der kaiserlichen archäologischen
Commission zu St. Petersburg.
"•'. .r",' --k-» »vSÄr-i-^Ä^r. -^r-w^^^rt, 'm^-,K.,^,^
Von
Joh. Hawelka
in Moskau.
In keinem Staate wohl haben die archäologischen Arbeiten
seit einigen Jahrzehnten einen so raschen und hohen Aufschwung
genommen, als in Russland. Private Personen und öflFentliche
Gesellschaften haben um die Ehre gestritten, in der Erforschung
der Schicksale ihres Vaterlandes, von welchen die Greschichte
schweigt, mehr zu leisten. Zur Ueberzeugung gekommen, dass
nur die genaue Kenntniss der Geschichte ihrer Vorfahren die
feste und gesunde Grundlage der zukünftigen Grösse ihres
Heimatlandes sein könne, überboten sich die beiden dazu be-
rufenen Factoren in Eifer und Aufopferung und in wahrer
Vaterlandsliebe. Dieser Patriotismus wurde noch unter der
Regierung des vorigen Kaisers allerhöchsten Ortes unterstützt.
Fiiiher gehörte die Oberaufsicht über alle in Russland vor-
genommenen Ausgrabungen dem Ministerium des Inneni an.
Auf den Antrag des damaligen Ministers des Innern, Grafen
Perovsky, hatte im Jahre 1852 der Kaiser beschlossen, alle
Ausgrabungen seiner privaten Cabinetskanzlei zu unterordnen
niirl iiVkorfrug dic Lcltung dicscr Angelegenheiten einigen an-
issenschaftlich gebildeten Männern. Das sind die
^reiche später zu einer eigenen Gesellschaft führten,
dem Namen „die kaiserliche archäologische Com-
äkannt ist.
t daher die kaiserliche arcliäologische Commission
er Regierung eingesetztes Staatsamt, welches im
gegründet wurde, und das seit dem Anfange seines
unter der Präsidentschaft des Grafen Strogonov
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105
steht. Sie besteht aus drei Männern, denen die Geschäfts-
leitung obliegt; ihnen wurden zur Aushilfe, insbesondere als
Leiter der Ausgrabungen, Directoren von Museen und Fach-
gelehrte beigegeben. Sie wählt sich Mitglieder aus, welche als
Staatsbeamte betrachtet werden, und als solche auch ihren
Gehalt und Stellung einnehmen. Die Statuten, nach denen
sie sich richtet, sind in die Staatsgesetzsammlimg aufgenommen.
Die Commission verfugt über bedeutende Staatsmittel; von
ihrer Grösse kann man sich einen richtigen Begriff machen,
wenn man erwägt, dass die Auslagen für Nachgrabungen vom
Jahre 1859—1874 sich auf 584.500 Gulden Ost. Währ, belaufen.
Die Thätigkeit dieser Commission besteht insbesondere
1. in Ausgrabungen, 2. in Publicationen und der Erklärung
der archäologischen Funde, *) und 3. in anderweitigen Unter-
stützungen zu archäologischem Zwecke. Die grösste Aufmerk-
samkeit wendete dieselbe den Ausgrabungen zu. Diese wurden
an drei verschiedenen Orten vorgenommen, u. z. 1. auf den
Halbinseln Taman und Krjm, 2. im Districte von Jekaterinoslav,
jun^ g,,m,Sibiricn.
1. Ausgrabungen auf der Tamanischen Halbinsel.
Die Tamanische Halbinsel bildete mit der ihr gegenüber
liegenden Halbinsel Krym das alte bosporianische Reich. Als
Hauptstädte dieses Reiches werden genannt: Thanagoria für
die asiatische Hälfte und Pantikapea (jetzt Kertsch) für die
europäische. Wenn man die wenigen klassischen Schriftsteller
vergleicht, welche uns über die erstere Nachrichten hinterlassen
haben, so kann man schliessen, dass einst hier griechische
Colonien blühten, welche nicht weniger berühmt waren als die
auf der Krymischen Halbinsel. Die ausgezeichneten Resultate,
welche die im Jahre 1825 unternommenen und in den nach-
folgenden Jahren fortgesetzten Ausgrabungen auf der Halbinsel
Krym begleiteten, bewogen einige hervorragende Archäologen,
ihre Arbeiten über die Strasse von Jenikalsk auf das entgegcn-
*) Die Publicationen geschehen im Russischen und Französi-
schen. Russisch führen sie den Namen: Otuctli HMnepaTopcKofi
ApxeoJiorHuecKoft KOMMiicciii. Französisch erscheinen sie unter dem
Titel: Compte-Rendu de la Commission Imperiale Arch^ologique.
uiyiiizöu uy -»»^j v^ \^ ~t i ^i«
106
gesetzte Ufer zu übertragen, dazu war noch auch der Grund
vorhanden, dass dort nach der aufgestellten Hypothese das
Fürstenthum Tmutarakan bestanden haben solle, welches seit
dem Anfange seines Bestandes mit dem russischen Reiche
verknüpft war.
Nach einzelnen Versuchen von Privatausgrabungen, welche
keine besonders glänzenden Resultate lieferten, hatte sich die
Regierung entschlossen, die Ausgrabungen auf der Halbinsel
Taman auf ihre Kosten vorzunehmen. Dies geschah im Jahre
1836 und als Leiter der Ausgrabungen wurden Herr Aschik,
Director des Museums in Kertsch, und Herr Kareusch, ein
Beamter aus Petersburg, angestellt. Da aber die Funde, die
man an der Stelle des alten Pantikapea in der Krym gemacht
hatte, so bedeutend waren, waren die genannton Herren der
Meinung, es könne nirgends was wichtigeres gefunden werden,
und verhielten sie sich zu diesen neuen Ausgrabungen mehr
passiv, sie Hessen dieselben zwar geschehen, weil sie von der
Regierung angeordnet werden, wendeten ihnen aber sehr geringe
Aufmerksamkeit zu. Die Arbeiten wurden so fahrlässig be-
trieben, dass man wenig gefunden hatte, und dieses Wenige
wurde noch zerbrochen und zerschlagen herausgenommen.
Da man aber jedes Jahr grub, so hatten die Arbeiten in
einigen Jahren doch einigen Erfolg, in anderen gar keinen,
dies dauerte bis zum Jahre 1851. In diesem Jahre besuchte
die Halbinsel von Taman der damalige Minister der inneren
Angelegenheiten, Graf Perovsk^. Dieser gelehrte und hoch-
herzige Gönner und Förderer der Archäologie gab den Aus-
grabungen eine ganz neue Richtung. Der Hauptzweck der
Ausgrabungen bestand früher fast ausschliesslich (die Aus-
nahmen waren leider sehr gering) in Goldsuchen. Als man
aber zur Ueberzeugung gelangte, dass diese Ausgrabungen den
Zweck verfolgen, durch die gemachten Funde über dunkle
oder unbekannte Thatöachen der Geschichte, oder über die
Eigenthümlichkeiten, längst verschollener Völker Licht zu ver-
breiten, so war auch die Ali; und Weise der Ausgrabungen
eine andere geworden. Man führte genaue und ausführliche
Tagebücher über die vorgenommenen Ausgrabungen, nahm
Pläne der ausgegrabenen Kurgane auf, und gab überhaupt
den Ausgrabungen eine streng wissenschaftliche Richtung. Und
diese Umwandlung verdankte man dem Grafen Perovsk^. Er
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stellte zum Leiter der Ausgrabungen den Herrn Bjegitschew,
einen wissensehaftlich gebildeten und mit der Archäologie ver-
trauten Mann an, und behielt sich die Oberaufsicht über den
Gang der Arbeiten und der gemachten Funde selbst vor.
Auf diese Weise geführt, lieferten die Ausgrabungen ergiebige
Resultate, und brachten Vieles ans Tageslicht, was zur Er-
klärung der Bildungsstufe der ehemaligen griechischen Colonie
auf der Tamanischen Halbinsel von grosser Wichtigkeit war.
Solche Ausgrabungen wurden bis zum Jahre 1855 fortgesetzt.
Die Ausbeute war nicht gering, man fand: Marmorsärge,
goldene, silberne und bronzene Schmucksachen, bemalte Vasen,
Statuen aus Marmor und Terracotta, Marmor- und Sandstein-
platten mit griechischen Inschriften, eine Masse verschieden-
artiger Münzen — das war eine reichliche Ernte, welche die
mit vielen Mühen und ungeheueren Ausgaben verbundenen
Ausgrabungen zu Tage förderten. Vom Jahre 1856—1858
wurden auf der Tamanischen Halbinsel keine Ausgrabungen
gemacht, dafür alle späteren Ausgrabungen vom Jahre 1859
angefangen bis zum gegenwärtigen Augenblicke von der archäo-
logischen Commission geführt, und in den Compte-Rendus aus-
fuhrlich beschrieben.
Auf Kosten der archäologischen Commission unter der
Leitung eines von ihr ernannten Mitgliedes wurden in den
Jahren 1859, 1864, 1865, 1866, 1868, 1869, 1870, 1871 und
1872 die Ausgrabungen auf Taman vorgenommen.
Im Jahre 1859 standen die Arbeiten unter der Leitung
des Moskauer Univei"sitätsprofessors H. Görtz ; man untersuchte
einen Hügel, auf welchem man im Jahre 1853 eine Marmorplatte
mit griechischer Inschrift fand, und wo man die Grundlagen
der ehemaligen Stadt Thanagoria vermuthete. Zwei Versuchs-
gräben, die man über dem Hügel gemacht hatte, führten
zwar zur Entdeckung einer Mauer, man musste aber wegen
vorgerückter Jahreszeit die weiteren Arbeiten einstellen. Zu
gleicher Zeit wurden auch an anderen Orten der Halbinsel
viele Grabhügel aufgeschlossen (die Zahl ist nicht angegeben) ;
jedoch erwiesen sich die meisten als schon ausgeraubt.
Im Jahre 1864 wurden die Ausgrabungen von glück-
Uchsten Resultaten begleitet. Herr Zabjelin nahm die Ab-
firabunfi^ zweier ci'osser Grabhügel vor, welche bei der dortigen
BevoiKenmg unter dem Namen bliznici oder dva brata-
uiyiiizöu uy -^^j v^ \^ ~t i ^i^
108
„Zwillinge" bekannt waren. Der ffrössere Hüffel hatte ffeffen
341 Meter im Umfange und gegen 15 Meter senkrechte Höhe.
Man fand darin gebrannte und steinerne Gräber, und eine
Masse prachtvoller Objecte. Nach der Abreise des Herrn
Zabjelin übernahm Herr Lutzenko, der Director des Museums
in Kertsch, die Oberaufsicht. Ausser diesen zwei Hügeln hat
man noch neun andere kleine Hü£:eln geöflfnet, welche am
Meerbusen von Taman^liegen. Acht von ihnen waren schon
leer, der neunte war zwar noch unberührt, gab aber keine
grosse Ausbeute.
Im Jahre 1865 setzte Herr Lutzenko die Arbeiten in den
Zwillingen fort, er entdeckte ein steinernes Grab mit vielen
schönen Ob] ecten; auf dem kleinen Zwillinge kam er auf das
Grab eines Kindes, daneben grub er noch einen kleinen Hügel
auf, der nicht weit von den Zwillingen entfernt war und bei
der Bevölkerung den Namen eines „Gorodischte" führte. So-
dann grub man den sogenannten ^Ostroj-Kurgan" auf, wo man
eine Katakombe entdeckte ; wenn ich noch einen kleinen Hügel
erwähne, der aufgemacht wurde, so habe ich alle Arbeiten des
Jahres 1865 aufgezählt.
Im Jahre 1866 hat man ausser der Fortsetzung der
Arbeiten m den beiden Zwillingen noch das Aufmachen von
. ■ ■ ■ ■■ i..! y— ■ >iiM «/i^i »mm .w^v^tprfyyamsi'^ciff^JP^trm'n^.'i»^^'^'**^ *^-^ «, , p. .- - ^ - „ -- -^ .^ . ,
sccns anderen Grabhügeln vorgenommen, die nicht weit von
der Station Senuaja liegen und mit grossen Erwartungen er-
füllten. Leider realisirten sich die schönen Hoffnungen nicht.
Die Arbeiten leitete ebenfalls Herr Lutzenko.
Im Jahre 1868 wendete sich Herr Lutzenko abennals
den Zwillingen zu. Seine Arbeiten wurden von glänzendem
ge begleitet, man fand ein steinernes Grab, mit einer
grossen Zahl kunstvoller Objecte. Daneben unternahm Hen*
Tiesenhausend^^
man schon im Jahre 1852 auf Befehl des Grafen Perovsky
gearbeitet hatte. Wie damals, waren auch diesmal die Aus-
grabungen von Erfolg begleitet. Derselbe Herr Tiesenhauscn
durchforschte einen^ G rabhügel^ unweit^ des ^^^^ ^genannten
Gorodischte, unä^^eTgekng ihm^ ein steinernes Grab zu finden^
welches einen wahren Schatz von Kunstgegenständen enthielt.
Nicht so glücklich war er im Ausgraben von fünf anderen
Kurganen, die etwa eine geographische Meile gegen Südost
von Taman entfernt waren; desto glücklicher aber war er bei
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dem Graben eines grossen Kurgans auf dem Vassjurinbergey
etwa Vs geographische Meile . von den Zwillingen entfernt.
Man kam auf ein Gewöibe/ dessen Wände mit Frescoma^^
bedeckt waren, und zwar nicht auf Stein, wie man es schon
in Taman gefunden hatte, sondern auf feiner Stukatur.
ImJahre 1869 unternahmen Herr Zabjelin und Herr
Tiesenhausen abermals Ausgrabungen von Grabhügeln und
Ruinen, die sich auf dem Platze der alten Stadt Thanagoria
vortinden. Man öffnete gegen vierzig Gräber, grub auf ver-
schiedenen Stellen der Ruinen — leider aber fast ohne Resultat.
Der Missei-folg dieser Ausgrabungen wurde durch die schönen
Funde ausgeglichen, welche man in zwei von Herrn Tiesen-
hausen aufgemachten Hügeln gemacht hatte. Beide lagen am
Golf von Taman und enthielten stemerne Gräber. Ausser
diesen Arbeiten durchforschte man noch den Kurgan auf
dem Berge Vassjurin, und da Herr Lutzenko abgereist war,
hatte sein Stellvertreter, Herr Khitzunoff, das Aufgraben eines
grossen Hügels vorgenommen, der unter dem "Namen „Dstroj-
Kurgan" bekannt war. Zum Schlüsse unternahm man noch
Arbeiten auf einer hügelartigen Erhebung unweit von Taman,
wo sich nach örtlicher Tradition eine mohamedanische Moschee
befunden haben soll. Man fand aber keine Spur von alten Bauten.
Im Jahre 1870 suchte Herr 2^bjelin sehr fleissig nach
den Grundlagen der alten Stadt, und untersuchte ein „Goro-
dischte", auf welchen er den Ort der Stadt vermuthete. Er
fand nur auf einer einzigen Stelle Reste alter Bauten und
einige Marmorplatten mit griechisclien InsctriÄen *waren die
■^^■^■■■■■■■■■KMwhwBwittiMaiwiiiiiiMyiii^^yiwwBii^m -
einzige r>elonnunff der schwierigen Arbeit. Auf emem natur-
liehen Hügel, der unweit von dem genannten Gorodischte lag,
kam Herr Zabjelin auf einen Kirchhof, er untersuchte darin
sechzehn Gräber. Diese lagen in einer Tiefe von 1^2 bis
2 Meter, waren gegen 2 Meter lang und 0*7 Meter breit. In
jedem Grabe sah man imten eine kleine Grube, in welcher
sich das Skelet befand; die Schädel waren exquisit doUcho-
cephal. Bei den Skeleten fand man wenig Schmucksachen.
Ausser diesen Ausgrabungen durch'forsclite Herr Zabjelin noch
einen grossen Hügel unter den Namen „Bujerova-Mogila*^ ; er
hatte 277 Meter im Umfange und I2V5 Meter senkrechter
Höhe. Die schöne Ausbeute belohnte reichlich die mühevollen
Arbeiten.
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Herr Tiesenhausen machte seine Ausgrabungen im Norden
der Tamanischcn Halbinsel; diese Gegend besitzt viele Er-
hönungen, welche hier unter den Namen der Batterien bekannt
sind. Er untersuchte ihrer zwei mit glücklichem Erfolge,
während zwei andere wenige erfolgreiche Ausbeute ergaben.
Ausserdem untersuchte er noch neun Hügel, die alle leer
waren. Herr Lutzenko durchforschte in diesem Jahre noch
einen zweiten Kirchhof unweit von Taman, er machte neun
Gräber auf und gewann die Ueberzeugung, dass dieser ein
christlicher Kirchhof gewesen ist.
Im Jahre 1871 setzte Herr Zabjelin seine Untersuchung
m dem im vorigen Jahre angegangenen H ^Buierova-
Mogila^ fort. Er fand einige fast leere Gräber; el^ensoe^^
los waren auch die Arbeiten in den alten Ruinen. Hen*
Lutzenko untersuchte zwei Hügel auf dem Vassjurinberge von
massigen Dimensionen, und fand sehr viele prachtvolle Bronze-
objecte. Ausserdem untersuchte man noch drei andere Hügel
niit keinem glücklichen Erfolge. Im Jahre 1872 setzte Herr
Zabjelin seine Untersuchungen in den alten Stadtruinen fort.
Er kam auf alte Fundamente, von denen man mit Bestimmt-
heit behaupten kann, dass sie der Stadt Phanagoria angehört
hatten. Alan fand siebenundsiebzig vollständig erhaltene Marmor-
platten und funfundfünfzig Fragmente; von diesen Platten
waren einige mit griechischen Inschriften versehen; auch an
anderen Gegenständen war die Ausbeute bedeutend. Herr
Lutzenko untersuchte ebenfalls die Ruinen von Phanagoria an
einer anderen Stelle ; er traf auf fünf Gräber. Darauf unter-
suchte er neun Hügel, die nicht weit vom Vassjurinberge
liegen, und machte einige recht hübsche Funde.
Herr Tiesenhausen untersuchte eine hügelartige Erhöhung,
die unter dem Namen jKame^
bekannt ist. Die Lage dieser Erhöhung ist dieselbe, wie die
des Hügels, welchen Strabon als den Grabhügel des bosporia-
nischen Königs Satyros angibt. Man fand aber keine beson-
deren Objecte. Weiter untersuchte Herr Tiesenhausen noch
etwa fünfzehn Kurgane, von welchen einige eine recht ergiebige
und lohnenswerthe Ausbeute geliefert haben.
Das sind beiläufig die Arbeiten, welche die archäologische
Commission auf der Halbinsel Taman vornehmen liess.
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Wenn man bedenkt, dass einige der geöffneten Kurgane
eine beträchtliche Grösse hatten (so z. B. einer der im Jahre
1864 durchgegrabenen Zwillinge), wenn man weiter erwägt, dass
insbesondere die Ausgrabungen in den Ruinen des alten Phana-
goria wegen ungeheuren Schuttmassen mit unendlichen Mühen
verbunden waren, so muss die Wissenschaft mit Dankbarkeit
den Eifer der kaiserlichen archäologischen Commission aner-
kennen, welche sich weder durch Schwierigkeiten, noch durch
namhafte Kosten abschrecken Hess, um die in der Tamanischen
Halbinsel verborgenen Schätze aus der Blüthezeit der griechi-
schen Kunst ans Tageslicht zu bringen. Wenn auch die Aus-
grabungen nicht immer mit erwünschten Resultaten begleitet
waren, so war die Ausbeute immer gross genug, um die Com-
mission zu neuen Anstrengungen, zu neuen Opfern anzuspornen.
Der Misserfolg, welchen oft die Arbeiten hatten, erklärt sich
daraus, dass man die meisten Gräber schon ausgeplündert fand.
Diese Plünderung der Gräber musste bald nach dem B^aben
geschehen sem. Anders lässt es sich nicht erklären, warum
von drei oder vier Gräbern, die in einem Kurgan sich be-
fänden, eines oder zwei ausgeplündert, die übrigen aber unbe-
rührt geblieben sind. Der Hauptzweck der Plünderung war auf
Gold gericlitet. Wo die Räuber nun voraussetzten, dass dies
oder jenes Grab ihnen eine lohnende Ausbeute geben würde,
haben sie es geplündert, während sie die anderen Gräber nicht
anrührten. Es zeigt sich auch, dass die geplünderten Gräber
meistens Herrschaften angehörten , während in den unbe-
rührten Gräbern meistens Diener bestattet waren. Diese That-
sache lässt sich aber nur dann erklären, wenn man annimmt,
dass das Plündern der Gräber bald nach dem Begraben statt-
fand, und dass es von Personen unternommen wurde, welche
mit den Gebräuchen der Bestattung vollkommen bekannt waren.
Die Gebräuche der Bestattung, wie wir sie nach den auf
^''mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmHmßmmvmmmmimmwnitvmn ■
Taman vorgenommenen Aus^rabunsren beurtheilen können,
bigende: Der Toate wurde m einen Sarg gelegt. Der
Sarg war entweder aus Holz, aus gewöhnlichem Stein oder
aus Marmor. Meistens waren hölzerne Särge im Gebrauche.
Sie waren verziert entweder mit Schnitzereien, oder mit Orna-
menten aus Bronze, Elfenbein oder Eisen, insbesondere waren
die iJlngenbretter mit Blumen aus Flittergold besetzt. Der
Körper wurde geschmückt in den Sarg gelegt. Den Kopf
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umgab ein Kranz aus feinen goldenen Lorbeerblättern, auf
welchen in ausgeschlagener Arbeit Figuren von Amazonen oder
jungen Skythen (?) oder Göttern dargestellt waren. Insbeson-
dere waren die Blätter, die über der Stirn lagen, mit bedeu-
tungsvollen Figuren versehen; in den Ohren Ohrringe von
leichter goldener Filigranarbeit; am Halse Halsbänder von
Perlen oder goldenen Blättchen; die linke Hand trug Ringe
mit eingefassten Steinen, in die gewöhnlich Götterfguren
(Aphrodite, Diana, Apollo etc.) eingeschnitten sind. An den
Armen trugen sie Armbänder aus Gold oder Bronze, die
letzteren pflegten mit Goldplättchen geziert zu sein. In den
Sarg oder auch ins Grab legte man einen Bronzespiegel, der
sich zusammenlegen Hess, und der oben mit Relieffiguren ver-
ziert war. An das Kopfende (der Leichnam lag mit dem
Kopfe gegen Osten), stellte man eine schöne Vase, die auf
schwarzem Grunde gelb oder roth bemalt war. In den Ecken
des Grabes fand man verschiedene Objecto, z. B. schöne
bronzene Pferdezäune, verziert mit Bronzeplättchen mit pracht-
voll geschlagenen Figuren, die Scenen aus der Mythologie
oder griechischen Geschichte, z. B. den Kampf der Griechen
und Amazonen, darstellten.
Diese Resultate hatten insbesondere die Ausgrabungen,
welche die archäologische Commission im Jahre 1864 in einem
der Zwillingskurgane vornehmen Hess. Wenn aber auch die
Ausbeute dieses Grabes eine verhältnissmässig reiche war, so
muss man doch nach verschiedenen Anzeichen annehmen,
dass das Grab nur zu Gräbern der zweiten Ordnung gehörte.
Es lag nämlich fast am westUchaten JE4xde des ungeheuren
Grabhügels, hatte sehr geringe Dimensionen, und zeigte eine
sehr gewöhnliche Construction. Wie dem auch sein mag,
immerhin geben uns die gefundenen Objecto einen hohen Be-
griff vom Kunstsinn der damaligen griechischen Bevölkerung,
von ihren ungewöhnlichen Fertigkeiten und ausgezeichneter
Durchführung der Arbeit.
Ich habe eben bemerkt, dass das Grab, in welchem man
die beschriebene Ausbeute fand, von ganz gewöhnlicher Con-
struction war. Um diesen Ausspruch zu rechtfertigen, werde
ich im Folgenden die Construction der aufgemachten Gräber
näher erkläi'cn. Die gröbste Zahl di^rselhen, ist .aus Steinen
gemacht. Es gibt aber auch Gräbei*, .weiche mit Ziegelsteinen
uiyiiizöu uy -^^j v^ \^ ~t i ^i^
113
(sowohl gebrannten wie rohen) ausgemauert waren ; ferner fand
man noch solche, welche ganz einfach in der Erde ausge-
graben waren, und zuletzt Gräber, welche Katakomben ähnlich
sind. Wollen wir zunächst eine kurze Schilderung der Stein-
gräber geben. Ein solches Grab war das der Zwillingskurgane ;
es war aus Kalksteinplatten gebaut und bestand aus zwei
Theilen, aus einer Art Corridor mit prismatischer, und aus der
eigentlichen Todtenkammer mit pyramidaler Wölbung; der
erstere war gegen 2^5 Meter hoch und lang und 1 Meter breit.
Am Ende des Corridors standen zwei viereckige Pilaster, welche,
verbunden mit einem Querbalken und versehen mit einem
E^amies, so zu sagen den Eingang (Vestibulum) zur Todten-
kammer bildeten. Die Pilaster standen auf einer Basis und
waren mit Kapitalen geschmückt. Die Todtenkammer war
3-38 Meter lang, 3-3 Meter breit und 3*44 Meter hoch. Die
oberste Reihe der Steine bildet sowohl in der Todtenkammer
wie im Corridor einen breiten Fries, der sich unter dem
Karnies hinzieht und in seiner ganzen Ausdehnung mit Fresken
bemalt ist. Diese Fresken stellen Blumen, Myrthenzweige und
kreisrunde Verzierungen dar. Eine eigenthümliche Zeichnung
find^tsichnochaufde^^
platte, weiche die pyramidale Wölbung 3eTT?orn3ors'schliesst.
le stellt nämlich m lebhaften Farben einen weiblichen Kopf
von kolossalen Dimensionen dar; die Haare sind mit Blumen
geschmückt, auf dem Halse sieht man ein Halsband, im linken
Ohre einen goldenen Ring, in der rechten Hand ein Bouquet,
in der linken einen Schleier, der vom Kopfe herabfallt. Diese
merkwürdige Zeichnunff eehört, wie Kenner es behaupten, in
das vierte Jahrhundert vor Christi Geburt. Die Farben : hell-
blau^ rothgelb, roth, rosa, gelb und grün haben ihren ganzen
Glanz bewahrt, sie lassen sich aber leicht vom Steine ab-
streifen und kleben leicht an die Finger. Solcher steinernen
Gräber fand man viele; es waren zwar nicht alle mit Fresco-
malereien versehen, auch hatten nicht alle den Corridor, aber
sie hatten alle, was die Hauptsache ist, die Mauern aus Kalk-
steinplatten ^ und eine gewölbte Decke, in welcher sich ge-
wöhnlich eine grössere Platte aus Kalkstein oder Marmor be-
fand, die sehr oft eine Inschrift enthielt. Unter den vielen
mit Inschriften versehenen Platten ist besonders die im JaFre
187 1 fipemndene höc^t beme^^ Ich lasse über diese
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114
Platte die Worte folgen, welche von ihr im Compte-Rendu von
1871 gesagt sind : Sie ist fast vollständig erhalten, von weichem
Kalksteine und im Jahre 1870 auf der Halbinsel Taman ge-
funden. Nur am unteren Ende ist ein Stück abgebrochen.
Die Höhe beträgt 1*71 Meter, die Breite 0*59 Meter, die Dicke
0*17 Meter. Oberhalb erhebt sich ein sehr reiches Anthemion.
Unter demselben sind drei Rosetten angebracht, und unter
diesen eine Reliefdarstellung, welche zur Linken des Beschauers
eine mit Chiton und Himation bekleidete Frau zeigt, welche
auf einem Stuhle ohne Lehne nach rechts gewendet sitzt, und
mit der linken Hand das Obergewand über die Schulter zieht.
Vor ihr sitzt, nach ihr hingewendet, ein bärtiger, mit einem
kurzen Chiton bekleideter Mann auf einem stehenden Pferde.
An seiner Seite hängt der Goryt mit Bogen und Pfeilen herab.
Hinter ihm in der Höhe folgt ebenfalls zu Pferde, jedoch nur
in ganz kleinem Masstabe ausgeführt, ein Diener. Zwischen
beiden Hauptpersonen stehen ebenfalls im Hintergrunde und
in ganz kleinem Masstabe ausgeführt, zwei in Gewänder ge-
hüllte Dienerinnen, welche nach der sitzenden Frau hin ge-
wendet sind. Unter diesem Bilde die Inschrift:
eEArENKHE
EPMOrENOrKAI
irNHKOrAIA
XAIPE'^.
Die Iuschi*ift reicht, nach den Schriftzeichen zu schliessen,
in das vierte Jaluhundei't vor Christi Geburt, Aridere In-
schiiften geben uns Nachrichten über Tfiatsacfien, die entweder
sehr wenig oder gar nicht bekannt waren. So erfahren wir
aus der sechszeUigen Inschrift der im Jahre 1859 gefundenen
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Schrift. So haben auch die anderen Inschriften, je nachdem,
eine grössere oder geringere Bedeutung.
Eine von den Steingräbern etwas verschiedene Construction
haben die sogenannten Katakomben. Man hat ihrer im Ganzen
fünf gefunden und aufgemacht. Zwei von ihnen waren ganz
einfach in der Erde gegraben, die anderen drei waren inwendig
gemauert. Der Eingang zu ihnen war eine OefFnung, welche
mit einer Platte zugedeckt wurde. Sie dienten zum Begräbniss-
platze mehrerer Personen; gewöhnlich begrub man ihrer vier
zusammen. Sie wurden entweder in Särgen begraben oder
ganz neben einander auf den Boden gelegt. Besonders inter-
essant ist die Katakombe, welche Herr Tiesenhausen im Jahre
1869 aufgemacht hatte. Zu ihr iiilirt eme steinerne "Treppe ;
an den senkrechten Seitenwänden des Corridors, der zur Gruft
führte, waren zu beiden Seiten steinerne Gräber, in welchen
man Pferdeskelete fand. Die Köpfe der Pferde waren mit
runden und ovalen, stark vergoldeten Bronzeplättchen ge-
schmückt, die mit weissen, aber undurchsichtigen Glasstückchen
eingefasst waren; im Maule hatte jedes Pferd einen goldenen
2iaum. Eins von den Pferden hatte um den Hals ein Band,
bestehend aus einer breiten schön gearbeiteten Bronzeplatte,
an welcher in Zwischenräumen an Kettchen halbrunde Gehänge
befestigt waren. Zwei Skelete waren mit einer eisernen , mit
Goldblech bedeckten Stirnbinde geschmückt, an welcher der
Kopf eines Geiers ausgeschlagen war. Diese letztere Gcwohn-
heit, die Pferde mit einer Stirnbinde zu zieren , erinnert an
eine ähnliche skythische Sitte, wie man sie aus den skythischen
nieper kennt. Ganz unter der Treppe, beim
Eingange in die Gruft fand man das Skelet eines Hundes mit
einem Halsband von Bronze und Ueberresten einer Kette von
demselben Metall. Die anderen vier Katakomben enthielten
nichts Bemerkenswerthes , es wäre denn die im Jahre 1866
geöffnete Katakombe, in welcher man das Grab eines hebräi-
schen Priesters vermuthet. Diese Katakombe war in einer
Tiefe von 4*27 Meter, und der Eingang durch eine grosse
Steinplatte zugedeckt. Am Boden der Katakombe lagen mensch-
liche Knochen und ein ledernes Kleid, das am Rande mit ver-
goldeten Kupferknöpfen, an den Enden aber mit dergleichen
* Glöckchen geschmückt war ; ausserdem fand man noch einen
goldenen, roth emailirten Schmuck in Form eines Halbmondes,
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Ueberreste eines eisernen Messers , Scherben von Glasvasen,
eine sehr stark beschädijjte Bronzeschale, in welcher sich Thier-
knochen fanden. Diese Schale lag auf einem eisernen Dreifuss,
unter welchem ein grosses Stück einer Marmorschüssel sich
fand. Ausserdem fand man auch entweder ganze oder Stücke
eines bronzenen Kruges, einen silbernen Löffel und eine Bade-
schale. Die Sitte, das Kleid mit Glocken zu schmücken, war
bei den jüdischen Grosspriestern allgemein verbreitet; daher
vermuthet Herr Lutzenko, der diese Ausgrabungen geleitet
hatte, dass die Katakombe als das Grab eines jüdischen Ober-
piiesters anzusehen ist. Diese Ansicht gewinnt noch dadurch
an Wahrscheinlichkeit, wenn man erwägt, dass das Vorhanden-
sein einer jüdischen Gemeinde auf dem Platze des alten Phana-
goria durch hebräische Marmorinschriften bezeugt ist, wie man
solche bei früheren Ausgrabungen gefunden hatte.
Die anderen Gräber (die irdenen oder die mit Ziegel-
steinen ausgemauerten) liefern nichts Bemerkenswerthes. Ich
will von ihnen auch keine weitere Erwähnung thun; ich fuge
nur noch hinzu, dass die Zahl der Gräber, die man geöffnet
hatte, sich beiläufig auf 60 — 70 beläuft, eine ziemlich ansehn-
liche Ziffer.
Auf einen Umstand noch muss ich die Aufmerksamkeit
der Leser richten, nämlich auf das YutIV]^\ldfiflBMH>üiüflil^j^^'^"^^*^^
Scheiterhaufen in einigen der Grabhügel. Solche Scheiter-
häufen hat man in den Jahren 1864, 1865, 1870, 1871 und
1872 gefunden. Sie waren von einer Mauer aus ungebrannten
Ziegelsteinen eingeschlossen und enthielten Lager gebrannter
Erde, worin Kohle, Asche und verbrannte Knochen verschie-
dener Thiere eingenäengt waren, gemischt mit Scherben be-
malter Vasen, Statuetten aus Terracotta u. dgl. Dieser Scheiter-
haufen befand sich ganz am Grunde des Grabhügels , unweit
eines gebrannten Grabes, im Südwesten des Hügels. Unweit
von demselben fand man eine grosse Kalksteinplatte, die in der
Mitte eine viereckige Oeffnung hatte ; in diese Oeffnung passte
ein mit einer Klammer versehener Stein. Als man die horizon-
tale Platte aufgehoben hatte, sah man eine kleine Grube, mit
einer bläulichen Substanz auf dem Boden.
Im Jahre 1865 fand man in einem solchen Scheiterhaufen
eine Art von Altar. Es waren das zwei übereinandergelegte
horizontale Stemplatten, die in der Mitte eine trichterförmige
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Oeffnung hatten; diese OefFnung schloss ein dritter Stein, der
oben lag. Unter den Steinen war eine ähnliche Grube in der
Erde, wie man sie im Jahre 1864 gefunden, mit demselben
Lager einer bläuliehen Substanz. Ganz dieselbe Construction
war auch bei den anderen Scheiterhaufen. Die vollständige
Abwesenheit von menschlichen Knochen lässt vermuthen, dass
hier die Orte waren, auf welchen man zu Ehren der Götter
Thiere schlachtete und ein Festmahl zu Ehren des Todten
abhielt. Die mit den Steinplatten zugedeckten Löcher hatten
wahrscheinlich zum Aufbewahren und Aufsammeln des Blutes
gedient.
Die grösste Aufmerksamkeit wendete die archäologische
Commission der Ausgrabung von Grabhügeln ,„ jüa auf der
ganzen Halbinsel hie und da zerstreut sind. Neben den Grab-
hügeln zogen die Ruinen der ehemaligen Stadt Plianagoria und
die vielen Gorodischte (d. h. befestigte Plätze) ihre Aufmerk-
samkeit auf sich. Die Arbeiten in den Ruinen von Phanagoria,
mit welchen meistens der Geschichtschreiber in Moskau, Zabjelin,
betraut wurde, hatten keine glänzenden Resultate gehabt. Wie-
wohl man fast jedes Jahr immer wieder zu diesen Arbeiten
zurückkehrte, so konnte man weder über die Lage der Stadt,
noch über die Architektur der einzelnen Häuser sichere Auf-
schlüsse erhalten. Man hatte zwar einige Funde darin gemacht,
das war aber auch Alles, was man erlangen konntp;.. vielleicht
werden die künftigen Ausgrabungen mit glücklicherem Erfolge
gekrönt sein. Viel grösseres Interesse gewährten die Arbeiten,
die man in einigen Gorodischte vorgenommen hatte. In Folge
der Ausgrabungen vom Jahre 1869 kann man sich einen
vollkommenen BegriflF von einem griechischen Gorodischte
machen. *)
Das Gorodischte erhebt sich über das Meeresufer und
bildet einen vom Schutt aufgetragenen Wall von ziemHcher
Höhe. Auf diesen Wall erblickt man in verschiedenen Zwischen-
räumen kleine hügelartige Erhebungen, die man auf den ei'sten
Blick fiii' Ruinen älterer Gebäude, Thürme u. dgl. halten würde.
Die Untersuchung dieser Erhebungen, die man im Jahre 1864
schon vorgenommen hatte, zeigte, dass es einfache Schutt-
^) Man nennt sie Gorodisohte, weil sie unter diftsem J^amen
bei der dortigen Bevölkerung bekannt sind.
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häufen sind , über deren ursprünglichen Zweck man bis jetzt
nicht im Klaren ist. Als man im Jahre 1869 die eigentlichen
Arbeiten in diesem Erdwall vorgenommen hatte ^ hegte man
grosse HoflFnungen auf reichen Erfolg. Leider aber erwiesen
sich . die Erwartungen als zu sanguinisch. Weder die Aus-
grabungen vom Jahre 1869 noch die vom Jahre 1870 ergaben
erfreuliche Resultate. Man kam zur Ueberzeugung , dass der
ganze Wall einmal schon durchgegraben war, und dass man
die Steine von dem Walle zu anderen Bauten verwendet hatte.
In einer Ausdehnung von 1*067 Kilometer, in welcher man
den Versuchsgraben geführt hatte, kam man nur an einer
einzigen Stelle auf altes Fundament, und zwar in einer Tiefe
von 3"55 Meter. Man fand da Ueberreste von Maimorcolonnen
mit architektonischen Ornamenten, Marmortafeln mit Inschrif-
ten etc. In den höheren Lagen des Walls kam man auf
Spuren neuerer Bauten, insbesondere auf eine etwa 36*32 Meter
lange Mauer aus weichem Kalkstein; unter dem Schutt fand
man viele Grabsteine mit hebräischer, und einen auch mit
griechischer Inschrift. Auf einem Steine war eine auf einem
Stuhle sitzende Frau in Relief dargestellt.
Das war auch Alles, was man über die Gorodischte aus-
forschen konnte. Aber auch über das Fundament der alten
Stadt Phanagoria konnte man wenig Sicheres aus den Aus-
grabungen erfahren. Obwohl man fast jedes Jahr in den Ruinen
des alten Phanagoria arbeiten liess, so fand man nur im Jahre
1872 eine Art Fundament, welches von den Leitern der Aus-
grabungen als das Fundament von Phanagoria angesehen wird.
Es bleibt mir noch übrig, einige der schönsten Funde
anzuführen und dieselben näher zu beschreiben. Das Material,
aus welchem die gefundenen Objecto bestehen, ist: Holz
(Särge), Marmor, Ten*acotta, Bronze, Gold, Silber, Kupfer,
Eisen, Elfenbein, Knochen, Glas.
Eine besondere Eigenthümlichkeit der damaligen griechi-
schen Colonie bestand darin, das Haupt der Verstorbenen mit
einem Kranze zu schmücken. Solcher Kränze fand man gegen
fünfzehn. Sie bestehen fast durchgehends aus goldenen , an
einander gereihten Olivenblättern, die um das ganze Haupt
gingen; vorne an der Stirn oder an beiden Schläfen pflegte
man herabhängende Plättchen zu befestigen, an denen griechische
Gottheiten oder mythologische Scenen ausgeschlagen waren.
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Als Schmucksachen bei Frauen waren Ohrringe in Mode.
Man fand ihrer acht Paar, und zwar silberne, kupferne und
goldene. Die schönsten waren die im Jahre 1864 und 1870
gefundenen. Sie bestanden aus feiner Filigranarbeit aus Gold
und waren mit Granaten und £mail geziert.
Halsbänder fand man vier Stück; das schönste ist das
aus dem Jahre 1868, von massivem Golde, welches im Halb-
kreise eine Heerde weidender Widder und Böcke im Haut-
relief zeigt; an den Seiten befinden sich zwei Hunde, welche
Hasen verfolgen. Auch im Jahre 1870 fand man ein schönes
Halsband, es ist ebenfalls aus massivem Gold gearbeitet, hat
die Form zweier sich windenden Schlangen, die ihre Köpfe
zusammenhalten. Schöne Annbänder, sechs an der Zahl, theils
aus Bronze, theils aus Gold, fand man im Jahre 1864; die
aus Bronze waren, mit goldenen Plättchen geziert, an welchen
Löwenfiguren ausgeschlagen waren. Im Jahre 1868 fand man
ein goldenes Armband in Form eines spiralförmigen, ziemlich
breiten Bandes, das am Ende mit liegenden I^öwen ge-
schmückt war.
Eine besondere Vorliebe hatten die Griechen für Ringe;
man findet ihrer fast in jedem Grabe, und einige zeichnen
sich durch ungewöhnliche Schönheit aus. Sie sind entweder
aus Bronze, Silber oder Gold. Schön sind insbesonders vier
Ringe aus massivem Golde, mit eingravirter Darstellung von
Diana, Aphrodite und einer Sirene ; nicht minder schön ist ein
Ring mit einem Cameol, in welchem sehr kunstvoll ein Füll-
horn eingravirt ist. Eine ähnliche Arbeit zeigt ein Ring mit
einem Cameol, auf dessen convexer Fläche ein liegender Löwe,
und der glatten Fläche ein wüthender Stier eingravirt ist.
Auch Spiegel mussten im häuslichen Leben der Griechen
eine grosse Rolle gespielt haben. Man fand ihrer fast jedes
Jahr mehrere, die meisten waren aus Bronze mit Gold ein-
gefasst, und einem Handgriff aus Elfenbein; einige waren so
gearbeitet, dass sie sich zusammenlegen Hessen, andere ti-ug
man in einem Futterale, wie eines derselben gefunden wurde.
Eine nicht geringe Belohnung für die unternommenen
Arbeiten bildeten die Funde von Vasen. Man fand ihrer
während der Ausgrabungsdauer in Taman eine erhebliche Zahl
(gegen 30); die meisten waren aus gebranntem Thon; es gab
aber auch Vasen aus Bronze und Glas. Was insbesondere
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die thöneraen Vasen auszeichnet, ist nicht nur die schöne
musterhafte Arbeit, sondern auch die Feinheit in Darstellung
von gemalten Figuren, ja ganzen mythologischen Scenen. Die
Darstellung geschah meistens auf schwarzem Grunde in gelber
oder rother Farbe. So zeigte eine Vase (Hydria), 0*36 Meter
hoch, die Figuren der Athene, des Hermes und anderer Persön-
lichkeiten; die zweite Vase desselben Jahres (eine Amphora)
stellt eine junge Frau dar, die von einem Manne verfolgt wird
und Schutz bei ihrem Vater sucht. Auf einer anderen Vase
sehen wir auf schwarzem Grunde in rother Farbe Herkules
den Centauren zu Boden schlagen. Auf einer dritten kämpft
ein Grieche mit einem bärtigen Barbaren. Den schönsten Fund
aber bilden unstreitig zwei Vasen, die man im Jahre 1869
gefunden hatte, in Form von kleinen Statuen. Die erste stellt
eine beflügelte Sphinx dar, mit einem äusserst schönen und
graziösen Frauenkopfe; die andere Aphrodite, wie sie in einer
offenen Muschelschale aus dem Wasser heraussteigt. Beide
Statuen sind mit feinem Lack angestrichen, in verschiedenen
Farben bemalt und mit Gold verziert.
Ausser den beschriebenen Gegenständen fand man noch
Krüge (fünf Stück) aus Terracotta und Silber, mehrere
Schüsseln mit Darstellung der Europa; eine Amphora, deren
Henkel mit Namen besetzt ist, und bronzene, goldene, bemalte
thöneme, marmorne Statuen (gegen fünfunddreissig Stück),
goldene Knöpfe, in Form einer aufblühenden Lotosblume
(zwölf Stück), oder den Kopf der Nereiden darstellend (sechzig
Stück) ; eine Masse von goldenen Plättchen mit ausgeschlagenen
Köpfen der griechischen Gottheiten und mythologischen Figuren
(Helios, Minerva, Herkides, Medusa, Demeter, Monaden etc.);
über siebenhundert bosporianische kupfenie Münzen, eine
goldene Münze von Alexander dem Grossen, drei kupferne des
Königs Eubiotes, der im Jahre 170 vor Christi regierte ; Särge,
Degen, Helme, verschiedene Verzierungen aus Bronze, Elfen-
bein, Alabaster, und zuletzt einen Marmortisch mit drei in die
Form von Bärentatzen ausgehenden Füssen.
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Eleinere Mittheilungen.
Ueber die zoologische Methode in der Anthropologie.
Bei dem in Clermont-Ferrand abgehaltenen GongresBe der
französischen Gesellschaft zur Beförderung der Wissenschaften wurde
eine Zuschrift des Herrn Roujon verlesen, welche beherzigens-
werthe Worte enthält. Roujon sucht nämlich nachzuweisen, dass
die Graniometrie den Anthropologen in allzu exclusiver Weise in
Ajispruch nehme, und ihn die natürliche Methode des Zoologen
aus den Augen verlieren lasse. Ohne Zweifel habe die Craniometrie
ihren Werth, wenn sie von Gelehrten ersten Banges angewendet
wird, wie von Quatrefages, Pruner-Bey und Hamy, welche
genau wüssten, an was man sich halten müsse, und welche als
wahre Naturforscher die wirklichen Verwandtschaften der Menschen-
gruppen zu beurtheilen vermöchten. Dagegen könne die Cranio-
metrie nur schaden, wenn sie, wie das in gewissen Kreisen geschieht,
bis zum Excess getrieben wird, und müssen wir es ja doch selbst
erleben, dass nun diese excessive craniometrische Methode der
Anthropologie sogar in die Zoologie und selbst in das Studium
rein archäologischer Objecto hinübergetragen wird. Die Cranio-
metrie ist eben nur ein Theil der Anthropologie und nicht die
ganze Anthropologie.
Obwohl man sich nicht mit allen Schlussfolgerungen des
Herrn Boujon wird einverstanden erklären können, so sei es doch
gestattet, jene Punkte anzuführen, welche Boujon als die vor-
züglichsten Charaktere der menschlichen Bacen zur Untersuchung
empfiehlt:
1. Die letzte Periode der embrionalen Entwicklung.
2. Die Entwicklung von der Geburt bis zum Jünglingsalter.
3. Die Zeit der Zahnbildung.
4. Das Alter der Pubertät.
5. Die mehr oder weniger bedeutende Ausdehnung der
geschlechtlichen Unterschiede.
6. Die Yertheilung und das Uebcrwiegen der Behaarung bei
den beiden Geschlechtern.
7. Der Bau des Gesichtstheiles und des Schädels bis zum
Hinterhauptloche.
8. Das Yerhältniss der Gliedmassen.
9. Die Farbe der Augen und der Haare.
10. Die inneren Organe und ihre Histologie.
11. Die Linguistik.
12. Die vergleichende Mythologie.
Obzwar Herr Boujon in diesen Punkten durchaus nichts
Neues aufstellt, ja obgleich sie, weil nothwendig, auch ganz natür-
lich erscheinen, so glaubte ich dennoch sie hier wieder ansetzen
zu dürfen, weil die Berechtigung einzelner dieser Punkte dennoch
uiyiiizöu uy ■v^j>^>' v^pt ix^
122
bestritten oder wie bei der Histologie, nicht genügend erkannt
worden ist; hat man ja vor sehr kurzer Zeit erst z. B. der
Linguistik und vergleichenden Mythologie jede Berechtigung abge-
sprochen, bei vorgeschichtlichen Dingen mitzureden.
Ob wir Herrn Roujon auch seinen weiteren Ausführungen
folgen dürfen, muss vorerst noch unbeantwortet bleiben. So glaubt
er, nachdem er die Noth wendigkeit betont hat, die Entwicklung
des Kindes zu studiren, constatiren zu können, dass das Kind bei
gewissen tieferstehenden Familien in Europa in seiner grössten
Jugend einen aussergewöhnlichen thierischen Zug zeige, der bei
dem jungen Neger nicht in dem gleichen Masse sich bemerkbar
mache. Roujon schliesst daraus auf eine ältere und primitivere
Race. Er glaubt, dass die menschliche Bevölkerung der Tertiärzeit
ebenso wie die Fauna und Flora, von der man dies ja be-
hauptet, vom indischen Archipel, selbst von Australien gekommen
sein könne, und dieses erkläre sodann die Existenz des Neander-
thaler Typus in Frankreich, der noch immer durch einzelne Indi-
viduen repräsentirt wurde. In ähnlicher "Weise gibt er sich Rechen-
schaft von der Existenz des brachycephalen Typus in Europa,
welcher von dem älteren dolichocephalen verschieden ist, in
der Art, dass in der quaternären Zeit, wie es die Fauna und Flora
beweisen, alle sibirischen (wahrscheinlich mongolischen) Völker
gegen den Süden von Asien, nach ganz Europa und selbst nach
Theilen von Amerika gedrängt worden sind. So erkläre sich das
Vorkommen von Menschen bei uns mit schmalen Augen, breitem
Gesichte, brauner Haut, schwarzen Haaren, kleiner Statur, welche
kein Anthropolog der "Welt von dem Sibirier zu unterscheiden
wüsste. Die ältere dolichocephale Race, die, wie bemerkt, nach
Roujon sich noch in einzelnen Individuen in Frankreich erhalten
haben soll, unterscheide sich dagegen von dem wahren Mon-
golen durch mehr hervorragende Augenbrauenbogen bei beiden
Geschlechtern, durch ein weiter nach rückwärts liegendes Hinter-
hauptsloch, eine entwickeltere Behaarung, ein schmäleres Gesicht,
eine mehr gefärbte Haut, endlich durch Frognathismus mit starken
Zähnen und einem bemerkenswerthen Zug von "Wildheit.
Wir müssen es der Zukunft überlassen, ob sie den franzö-
sischen Forschern Recht geben wird, welche, gleich den Archäo-
logen, die in den verfallenen, dem Schoosso der Erde entnommenen
Resten menschlicher Artefacte eben so viele Zeugnisse für eine
uralte Bevölkerung erkennen, nun die letzten Ueberbleibsel dieser
uralten Bevölkerung selbst unter den heutigen Bewohnern Europas
finden wollen.
Dr. Much.
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123
Programm der Organisirung einer besonderen anthropolo-
gisehen Ornppe bei der Weltausstellung 1878 in Paris.
Die anthropologische Gesellschaft zu Paris hat die Initiative
zur Organisining einer besonderen anthropologischen Gruppe bei
der Pariser internationalen Ausstellung ergriffen, welcher durch
eine Entschliessung des General-GommissärS) Senator J. B. Krantz
ein geräumiges Locale in einer der Seitengalerien des Trocadero
hiefur zur Verfügung gestallt ist.
Umfang der Ausstellung.
Diese Special- Ausstellung umfasst: Anthropologie, Eraniologie,
Ethnographie (mit besonderer Bücksicht auf Frankreich und das
übrige Europa), Palaeoethnologie, Demographie, endlich Geographie
Yom medizinischen und linguistischen Standpunkte.
Eintheilung der Ausstellung.
Die Classification wurde in nachstehender Weise festgestellt :
1. Schädel, Gebeine, Mumien und überhaupt Objecte, welche
für vergleichende Anatomie der menschlichen Bacen von Interesse sind ;
2. Instrumente und Unterrichtsmethoden;
3. Prähistorische und ethnographische Sammlungen;
4. Photographien, Malereien, Zeichnungen, Sculpturen und
Gypsabgüsse einschlägiger Gegenstände.
5. Karten und Tabellen über Ethnologie, prähistorische
Archäologie, Linguistik, Demographie und medizinische Geographie,
6. Bücher, Broschüren und Journale.
Commission für die DurchfOhrung.
Der Präsident der zur Durchführung dieser Special- Ausstellung
gebildeten Commission ist M. de Quatrefages, die Yicepräsidenten
sind der Senator M. Henri Martin und Dr. Paul Broca. Die Herren
de Mortillet und Dr. Cospinard wurden zu Secretären, die Doctoren
de Banse und Bertillon, der Deputirte "Wilson, Legay und Andere
zu Mitgliedern erwählt.
Materialien zur Bildung der Ausstellung.
Die reichen Sammlungen verschiedener französischer Anstalten,
be$K>nders das Musee d'Histoire naturelle in Paris werden für diese
Fachausstellung ein werthvoUes Material liefern; überdies erbittet
sich die Commission die thätige Mitwirkung aller in- und
ausländischen Fachmänner um eine allgemeine und möglichst
voILständige Darstellung der hier vertretenen Wissenschaften zu
ermöglichen.
Auf Grund dieser Mittheilungen können wir bei der Energie
und dem Geschicke, mit dem die Franzosen derartige Ausstellungen
in Scene zu setzen ^erstehen, mit Sicherheit erwarten, dass die
nächste Ausstellung in Paris auch dem Anthropologen und Ur-
geschichtaforscher Ausserordentliches bieten wird. Wir werden
namentlich hoffen dürfen, dass uns unsere westlichen Nachbarn
u,y,uz.uuy^OOgle
124
ein vollständiges Bild zusammenstellen werden, wie sich Frankreicli
in den verschiedenen vorgeschichtlichen Perioden nach seinem
Culturstande und den jeweiligen Bevölkerungsverhältnissen darstellt,
und dass sie damit zugleich den heutigen Stand der anthropologisch-
urgesohichtlichen Forschung in Frankreich zeigen werden.
Hiebei wäre es allerdings im höchsten Masse erwünscht, dass
durch Ausstellung von Gegenständen, welche ausserhalb Frankreich
gefunden wurden, Anknüpfungspunkte zu vergleichenden Studien
geboten würden, und ohne Zweifel ist auch eine zahlreiche Be-
theiligung fremdländischer Gelehrter an dieser Special-Ausstellung
zu erwarten. Die anthropologische Gesellschaft in Wien ist nun,
nachdem sie ihre Sammlungen an das k. k. naturhistorisohe Kof-
Museum abgegeben hat, nicht mehr in der Lage, zu diesem Zwecke
mit einzutreten ; wir dürfen uns aber der Hoffnung hingeben, dass
jene Fachgenossen, welche Sammlungen vorgeschichtlicher Objecte
besitzen, dieselben nicht unter den Scheffel stellen, sondern in
Paris in ihrem vollen Lichte zeigen werden.
Dr. Mach«
Berichtigungen
zu dem „Bericht über den VII. archäologischen Congress in Pest"
Heft I u. II.
Seite:
18,
Zeile:
8 von unten,
lies:
mächtig, statt: massig.
26,
fl
7 von oben,
»
grattoira, statt: grattinut
26,
1t
17 von oben,
n
Valko, statt: Volka.
27,
»
10 von nnten,
n
schwerere, statt: schwächere.
31,
n
14 von unten,
n
dem, statt: denen.
38,
n
3 von oben.
n
colles, statt: calles.
33,
ft
11 von oben.
n
römisch, statt: romanisch.
33,
n
6 von unten.
f»
Necropole, statt: Necrepole.
34,
n
12 von unten,
ff
Lartet, st&U: Gartet.
Vereins-Mittheilung.
Fachgenossen, welche über einen, in die von der anthropolo-
gischen Gesellschaft gepflegten Disciplinen einschlägigen Gegenstand
einen Vortrag zu halten oder kürzere Mittheilungen zu machen
wünschen oder diesbezügliche Abhandlungen in den „Mittheilungen"
der Gesellschaft zu veröfFenthchen beabsichtigen, werden gebeten,
sich diesfalls an den ersten Secretär, Dr. M. Much, VIII. Bezirk,
Josefsgasse Nr. 6, zu wenden.
Bedactlons-Comit^: Hofhith Franz Bitter v. Haaer, Uofrath Carl Langer, Dr. H. Mach,
Prof. Friedr. MUler, Dr. WmtamaBBy Prof. Job. Woldflch.
Drack von Adolf UolshaoMn in Wien .
k k. i;ui««c«ll«U-Hu«lidfucUr«l. '
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YIL Band. Ansgegeben den 26. Jnni 1877. Sr. 6.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
m WIEN.
iBliAlt: Der Bronze-Stier »ns der B^cisk&la-Höhle von Dr. Heinrich Winkel. — Das Y61ker-
ranisch auf der Balkan-Halbinsel von Dr. M. E. Weiser. — Die Feiertage der Brttder ans
den acbwarzen Bergen Ton Dr. M. E. Weiser. — Kleinere Mittheilnngen von Dr. Much.
Der Bronze-Stier aus der Byöiskäla-Höhle.
Ton
Dr. Heinrioh Wankel.
(Mit 1 Tafel.)
Diese Figur wurde im Jahre 1869 von zwei Studenten,
dem nunmehrigen Dr. Med. Herrn Felkel und seinem Cousin,
während einer Ferienreise, in der Vorhalle der Byöiskdla-Höhle
zufallig gefunden.
Dieselbe lag angeblich mit zusammengebackener verkohl-
ter Hirse umhüllt, in einem Thongefasse von bombenförmiger
Gestalt und soll an einer weissen Metallplatte angenietet ge-
wesen sein. Die Finder nahmen den schweren Kohlenklumpen
in ihr damaliges Domicil , die Steingutfabrik des Herrn
Dr. Arnold Schütz in Olomuöan, reinigten denselben und er-
kannten, dass die Figur einen Stier darstelle, der leider durch
das Abbrechen von der weissen Platte, die beim Herausnehmen
verloren ging, an drei Füssen defect wurde.
Dieses Factum ist durch einen k. k. Notariatsact sicher-
gestellt worden, den ich Jedermann zur Einsicht bieten kann. •)
Erst drei Jahre nachher erhielt ich durch Herrn Dr. Schütz
Kenntniss von diesem interessanten Funde, wandte mich an
*) Ich erwähne dieses Umstandes so ausführlich, weil ein
Anonymus in dem Feuilleton des politischen Blattes „Vaterland**,
vom 18. September 1873, Nr. 267, sich erlaubte, seinen aus der
Luft gegriffenen Zweifel über den Fundort auszusprechen, um die
Sache zu verdächtigen.
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126
den betreffenden Herrn, der mir auch denselben bereitwilligst
überliess.
Die Figur ist ziemlich massiv, jedoch in der Mitte des
Körpers etwas hohl, sie ist gegossen und nachträglich eiselirt,
mit schöner, edler, dunkelgi'üner Patina bedeckt; an dem
Hintertheil und am Bauche kleben noch hie und da vererzte
Hülsen von Hirse.
Sie stellt einen Stier vor, an dem theilweise die beiden
vorderen und der rechte Hinterfuss, sowie das rechte Ohr und
Hörn, und der Schwanz abgebrochen sind. Er steht aufrecht
mit emporgerecktem Halse und fast horizontal gestelltem Kopfe.
Die Höhe von der Fusssohle bis zur obersten Fläche des
Rückens beträgt 70, bis zum Scheitel zwischen den Hörnern
100, die horizontale grösste Länge 98, die von dem vorder-
sten Theile der Brust bis zum Schwanzende 83 Millimeter. Die
verticale Dicke des Körpers in der Mitte desselben beträgt
35, die horizontale Dicke 33, die Kopflänge 42, die Breite des-
selben oberhalb der Ohren 28 und die Distanz der Spitzen
der Hörner, wie sich solche an dem restaurirten Stiere ergibt,
53 Millimeter.
Die Figur ist hoch, kurz und dick, der Hals und Kopf
breit, dick und verhältnissmässig gross, beide stehen nicht im
Verhältnisse zu der Länge und Grösse des übrigen Körpers;
die Füsse sind wohlgebaut, mit scharfem Contour, welcher
die Muskelansätze am Rande der Scapula und die Glutei an-
deuten soll, an den Körpern angesetzt; die zwei seitlichen
Flächen des Halses vereinigen sich nach Vorne zu einer
scharfen convexen Kante, so ist auch der Kopf mit dem
Unterkiefer durch einen scharf abgeschnittenen Contour vom
Halse getrennt. Die verhältnissmässig grossen Ohren stehen
vom Kopfe horizontal ab; die Homer gehen Anfangs hori-
zontal nach auswärts, drehen sich sodann stark nach vorne,
aufwärts und auswärts und übergehen in eine Spitze, die
sich nach rückwärts und etwas nach innen umbiegt. Die
Stime ist breit und am hinteren Occipitalrand nach hinten
stark gewölbt; um die runden sehr grossen Augen befindet
sich ein ein Viertebnillimeter hoher Ring, sie sind durch eine
cylindrische Röhre von gleichem Durchmesser mit einander
verbunden, in der nicht, wie fälschlich gemuthmasst wurde,
eiserne Nägel eingesetzt waren (sonst würden sich Spuren
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127
Ton Eisenoxyd erhalten haben), sondern höchstwahrscheinlich
Körper von schiUerndem Glasfluss, von welchen sich hie und
da kleine, nur mit der Lupe erkennbare Reste noch am
Rande der Augen erhalten haben. Das Maul ist durch eine
verticalstehende Fläche abgestutzt, auf der durch zwei Halb-
kreise die Nasenöffnungen und durch eine verticale Furche
die Nasenscheidewand angedeutet ist ; die Maulspalte ist breit,
offen, die Unterlippe herabhängend; der Maul- und Nasenrand
ist von drei nebeneinander liegenden Rippen umgeben, welche
wohl, wie bei den egyptischen Stierbildern, den Zaum vor-
stellen sollen.
Die eigenthümlichen Charaktere und Merkmale, die dieses
Stierbild auszeichnen und ihm die Bedeutung geben, welche
eine sacrale Auffassung ausser allen Zweifel setzt, sind die
künstlich und mühevoll eingesetzten Eisenplättchen, von denen
sich ein gleichschenklich dreieckiges, mit der Spitze nach vorne
gerichtetes, 20 Millimeter langes, an der Basis 14 Mm. breites,
auf der Stime, ein zweites ähnliches 14 Mm. langes, an der
Basis 10 Mm. breites, mit der Spitze nach vorne und unten
gegen das Schidtergelenk gerichtetes auf jeder Seite oberhalb der
vorderen Extremitäten, und ein drittes am Occiput beginnendes,
lUngs der Wirbelsäule zum Schwanzende laufendes, 2 Mm.
breites Plättchen auf dem Rücken, in die Bronze eingesetzt sind.
Besonders zu erwähnen ist noch ein dreieckiges, mit der
Spitze nach vorne sehendes 20 Mm. langes und 10 Mm. breites
Loch am Bauche, unmittelbar vor dem Penis, das in eine
kleine mit Sand ausgefüllte Gusshöhle führt, und an die Löcher
der Idole zum Aufstecken erinnert. Der Penis ist sammt dem
kleinen, kugelförmigen Scrotum 25 Mm. lang, halb cylindrisch
und an der Bauch wand anliegend. *)
Wir haben in diesem Bilde einen Stier von derben,
kräftigen Fonnen und nach der Stellung der Hörner und dem
gewölbten Hinterhauptrande zu urtheilen, der Brachyceros-Race
angehörig, vor uns. Die Formgebung ist eine nationalisirte, dem
*) Ob nun in der That die Figur auf einer weissen Platte
angenietet war, ist nicht vollkommen sichergestellt, da die Finder
sich nur dunkel auf diesen Umstand erinnern, wohl deutet die
Beschaffenheit der untern Fläche des Hufes des erhaltenen linken
Hinterfdsses darauf hin, dass sie von einem von da ausgehenden
Zapfen abgebrochen wurde.
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128
Geschmacke und der Anschauung dieses Volkes angepasste,
die Ausfuhrung aber mit den scharfen Contouren und den ein-
gelegten Eisenplättchen erinnert an eine egyptische. Die Fonn-
gebung ist überdies eine künstlerisch vollkommenere und prä-
cisere, als bei den primitiven Thierfiguren von Hallstadt, und
setzt einen weit entwickelteren bildenden Sinn, eine künstlichere
und entwickeltere Technik voraus. Da nun die Alterthümer
der B^öiskäla-Höhle, wie es später einmal auseinander gesetzt
werden wird, in das zweite Jahrhundert v. Chr. fallen, so ist es
nicht anzunehmen, dass das Volk der B^ßiskäla, welches auf
derselben Entwicklungsstufe wie das von Hallstadt stand, im
Stande war, eine derartige Figur zu verfertigen, und daher
sehr wahrscheinlich, dass ein in der Metallindustrie kundigeres
Volk dieselbe verfertigte und importirte.
In überraschender Weise aber wird man durch die An-
ordnung der eingesetzten Eisentheile, die, nebenbei gesagt,
bereits in Eisenoxyd umgewandelt sind, an den Apisstier der
Egyptier erinnert, dem ähnliche Zeichen eigen waren, und
zwar ein weisser Fleck auf der Stirne, je einer auf den Seiten
und ein weisses Rückgrat , welche Zeichen als Symbol des
Adlers galten, und zwar dessen Kopf, Flügel und Körper vor-
stellen sollten.
Die grundlose Einwendung, die gemacht wurde, dass
diese eingelegten Eisenplatten nichtsbedeutende Blässen dar- •
stellen, ') findet schon in der symmetrischen Anordnung der-
selben, in der mühevollen Ausführung und in der Zwecklosigkeit,
solche Blässen an einer Bronzetigur anzudeuten, ihre Wider-
legung. Es wird auch ferner selbst Laien einleuchten, dass
eine derartig ausgeführte Figur, mit so viel Mühe und Fleiss
gearbeitet, mit den Merkmalen des Apis ausgestattet, nicht
dem allen Völkern gleichmässig innewohnenden Trieb,
den ersten Versuchen ihres plastischen Schaffens zu-
nächst die organischen Wesen der menschlichen Um-
gebung zu Grunde zu legen, zuzuschreiben ist. 2)
Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass diese Figur ein
Idol vorstellt, und mit Recht kann man ihr eine sacrale Be-
deutung beilegen.
') Dr. J. KarabaÖek, der angebliche slavische Apiscult in der
B^^Öiskäla-Höhle. Mittheil, der Wiener anthrop. Gesellsch H. p. 325.
2) Ebendaselbst p. 326.
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129
DasB an einem Bronzebecken aus Hallstadt eine Kuh
ebenfalls mit einer dreieckigen, obgleich aus Bein, eingesetzten
Platte auf der Stirne und einem hinter derselben stehenden
Kalbe gefunden wurde, ist ein nichtssagender Beweis gegen
die sacrale Deutung. Dieser Umstand spricht gerade für die-
selbe; Freih. v. Sacken selbst macht bei der Beschreibung
dieses Beckens darauf aufmerksam, „dass das Gefäss kaum
zu häuslichem Gebrauche geeignet war und vielmehr
eine sacrale Bedeutung gehabt habe, mit der das
durch den Stirnfleck fast an den egyptischen Apis
erinnernde Rind im Zusammenhange stand".*) Ober-
müller weist, und mit Recht, darauf hin, dass die Hallstädter
Kuh gleichbedeutend ist mit der Isis, der griechischen herura-
irrenden lo, die mit Jupiter den Epaphus, nach Herodot den
Apis der Egyptier, sowie die Isis mit Osiris den Horus er-
zeugte, 2) welchen höchstwahrscheinlich auch das hinter der
Kuh stehende Kalb am Hallstädter Kessel darstellen soll ; und
Virchow spricht sich dahin aus , dass die Häufigkeit der
Stiemachbildungen verhältnissmässig so gross ist gegenüber
allen anderen Funden plastischer Darstellungen in unseren
Gegenden , dass ihnen eine besondere Bedeutung beigelegt
werden muss. ^)
Und diese besondere Bedeutung erhellt aus den meisten
Funden dieser Art, wenn wir sie mit dem Cultus der Völker,
wie wir ihn aus der alten Geschichte kennen, in Einklang
bringen; daher glaube ich, wird es nicht überflüssig sein, die
bekannten Funde anzuführen und sie in eine Parallele mit der
Figur aus der B^ßiskäla zu setzen.
Man fand die Stierbilder oder Spuren, die auf den Stier-
cultus Bezug haben mögen, über unseren ganzen Continent
verbreitet, am meisten aber in den von Slaven bewohnten
Ländern oder dort, wo es zu vermuthen ist, dass einst Slaven
gelebt haben. Wenn man es auch zulassen kann, dass die
rohen Thierfiguren aus Hallstadt, als rohe Versuche des plasti-
schen Schaffens dieses Volkes betrachtet werden können, so
') Das Grabfeld von Hallstadt, von Dr. E. Freih. v. Sacken,
1868, p. 102.
^) W. ObermüUer'ß Urgeschichte der Wenden. 1874. p. 82.
^) Zeitschr. der Berliner Gesellschaft für Anthrop., Ethnol.
u. Urgeschichte, Sitzung vom 6. December 1873.
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130
muss man doch die Kuh mit dem Kalbe auf dem Bronze-
beeken und das goldene Rind, das Ramsauer 8r. Majestät dem
Kaiser von Oesterreich verehrt haben soll/) hie von ausnehmen,
denn beiden kam gewiss eine höhere Bedeutung zu, dem einen
wegen Verwendung bei dem Gefasse, dem anderen durch die
Kostspieligkeit des Materiales, und wir werden uns kaum irren,
wenn wir dieser Bedeutung einen saeralen Sinn unterlegen.
Die zwei- und dreiräderigen Wägen, welche bei Frankfurt,
bei Burg an der Spree, bei Oberkehle im niederschlesischen
Kreise Trebniz gefunden wurden, haben an den rückwärtigen,
stark nach aufwärts gerichteten Ausläufern Andeutungen von
Stierköpfen, welche als ornamentale Zugabe gewiss nicht ohne
Bedeutung sind. Virchow, der diese Wägen näher beschrieb,
führt dieselben auf einen religiösen Zweck zurück, und ist der
Ansicht, dass sie zum Hineinschieben in das Feuer oder Her-
ausziehen aus demselben, der auf den Stierhörnern befestigten
Opfergaben dienten. 2) Friedel knüpft an diese Stiere ethno-
logische Beziehungen an und gedenkt hiebei der zwölf Rinder,
die Hiram von Tyrus für das grosse Becken des salomonischen
Tempels fertigte, des dem Stiere Himinbriotr abgerissenen
Kopfes, mit dem Thor die Mitgardschlange angelt, und der Stier-
köpfe, die noch heute hie und da in der Altmark und im
Wendenlande als Sühnopfer und Schutz für die Heerden auf-
gestellt sind, sowie der Stierköpfe mit dem Ringe im Maule,
welche man in verschiedenen Wappen mehrerer Wendenländer
und alten Adelsgeschlechter antrifft. Auch der Stierkeule wird
gedacht, mit der in der iranischen Heldensage bei Firdusi der
Held Rustem kämpft, Feridun mit derselben den Mörder des
Dschemschid tödtet, und der Held in der altindischen Mytho-
logie die grüne Schlange erschlägt. ^)
Virchow beschreibt ein Stierpaar aus Kupfer, welches bei
Bythin in der Provinz Posen mit mehreren Gelten unter einem
grossen Steine entdeckt wurde. ^) Das Stierpaar ist mit einer
Stange verbunden gewesen, die ein Joch darstellen sollte, und
hat hinten I^öcher zum Aufstecken auf ein Holz, wie es die
^) Dr. Much ist im Besitze des Abgusses dieses Stierbildes.
2) Berliner Gesellschaft für Anthr., Ethn. und Urgeschichte.
Sitzung vom 6. December 1873.
3) Ebendaselbst.
4) Ebendaselbst.
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meisten bisher gefiindenen Bronzeidole besitzen. Nach Virchow
deuten die gi'ossen Hörner und weite Spannung derselben ent-
schieden auf ein südliches Vorbild, und zwar auf solche Rinder,
wie sie in Mähren, Ungarn und Italien vorkommen sollen.
Ein anderer Fund ist von Gr. Pankov in der West-
priegnitz bekannt; er besteht aus einem Stierkopfe mit einem
langen Zapfen zum Aufstecken auf ein Holz imd nähert sich
durch seine Form den Stierköpfen auf den Bronzewägen. *)
Im Wiesbadener Museum befinden sich zwei Stierköpfe
mit langen Hömera , die durch einen der Körperaxe beider
entsprechenden Balken verbunden sind; eben so soll auch im
Kopenhagener Museum ein Stier mit drei Hörnern und Vogel-
schnabel von Skiernes auf Falster, nahe bei Gundslev, auf-
bewahrt werden. 2) Wie mir Prof. Romer mittheilt, besitzt auch
das Museum zu Schässburg in Siebenbürgen eine bronzene
Stierfigur, die viel Aehnlichkeit mit der aus der B^^öiskalä haben
soll. Aus Steiermark besitze ich selbst ein kleines Stierbild aus
Bronze, dasselbe hat gerade abstehende, kurze Hörner, ist
sehr flach gehalten, mit dicken und plumpen Füssen. Es hat
am Ende des rechten vordem Fusses einen nach abwärts
gerichteten Foi-tsatz der sich nach vorne hakenförmig krümmt;
wozu derselbe diente, ist mir nicht erklärlich, dieser Stier
wurde in der Nähe von Judenburg mit mehreren Scherben
gefunden.
Aehnlioh gestaltet ist ein ebenfalls sehr kleiner Bronze-
stier in der archäologischen Sammlung des Brädsky monastir
zu Podoly in Kiew, der ohne nähere Angabe des Fundortes
aus Südnissland stammen soll. Virchow fand ein thönemes Stier-
bild in Zaborowo ^) und vor vielen Jahren wurde ein steinerner
Stierkopf bei Stanowitz in Schlesien gefunden, welcher, wie
Büsching^) angibt, ein Götzenbild gewesen sein soll und an
die cimbrischen Alterthümei* erinnere; er wurde leider zer-
schlagen. Herr Nicolaus Lehmann in Prag besitzt einen pracht-
vollen , ziemlich grossen Stierkopf mit einem Ringe zum
*) Berliner Gesellsch. für Anthr., Ethn. u. Urgesch. Sitzung
vom 6. Decemb. 1873.
^) Ebendaselbst.
3) Ebendaselbst.
^) Jahrbücher der Literatur. IX. 1820. Budorgie v. Kruse,
p. 754.
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132
Anhängen und Tragen um den Hals. Er soll aus Mähren
stammen (?).
Sehr interessant ist ein Bronzestück, welches ich aus der
Gegend von Klagenfurt erhalten habe, es wurde beim Baue
der Eisenbahn mit angeblich etruskischen Fibeln, Armringen
und anderen Bronzen in zwei Fuss Tiefe gefunden. Es ist eine
Bronzeplatte, die derart durchbrochen ist, dass dadurch das
Bild eines Stiergesichtes entsteht; über diesem Bilde ist ein
langer Querbalken, auf dem zwei stark gekmmmte Stier-
hörner sitzen.
Ein diesem sehr verwandtes Stück fand Schliemann auf
dem Berge Hisarlik, es unterscheidet sich nur dadurch, dass
an letzterem der untere Theil des Gesichtes fehlt und nur die
Augen angedeutet sind, und dass der Querbalken sich auf der
einen Seite zu einen sich herabneigenden Phallus verlängei-t. *)
Ueberhaupt erinnern mehrere Fundgegenstände von doii; an
den Stier oder das Rind, so sieht man die rohen Zeichnungen
von weidenden Rindern als Ornament auf vielen Thonwirteln 2)
abgebildet, oder als plastische Darstellungen auf Geftlsshenkeln
Stierköpfe oder dessen Hörner; 3) dabeibleibt es überraschend
und auffallend, dass ähnliche Henkel mit zwei nach aufwärts
stehenden, Stierhömern gleichenden Fortsetzen ausnahmsweise
in der Sarka bei Prag gefunden wurden.^)
Die steinernen Stiere, die man in Catalonien und Lusi-
tanien fand, sollen den Gott Net oder Neton, den strahlenden
Mars der Spanier vorstellen, und die Stiere von Guizando be-
sitzen Inschriften, die auf ihre sacrale Bestimmung hindeuten.^)
In der Stadt Volterra (nach Kollär von vol-tur) in Tos-
cana wurde ein aus Marmor gehauener Stierkopf, mit Kränzen
und Bändern geziert, gefunden, der sich gegenwärtig in dem
') Atlas des antiquites Troyennes. A. Schliemann. 1874. Taf. 171,
Nr. 3301.
2) Ebendaselbst. Taf. 8, Nr. 245; Taf. 9, Nr. 288; Taf. 163,
Nr. 3143.
3) Ebendaselbst. Taf. 142, Nr. 2792; Taf. 149, Nr. 2952;
Taf. 173, Nr. 3345.
^) In dem böhmischen Museum zu Prag und in der Samm-
lung des Herrn Eitter v. Strasser befinden sich mehrere ganze Ge-
fasse mit diesem eigenthümlich gehörnten Henkel , die sehr an
die von Schliemann auf Hisarlik gefundenen erinnern.
^) F. V. Bougemont, die Bronzezeit. 1869. p. 294.
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133
Cabinete des Falconcini befindet und etruskisch sein soll, ')
Etruskisclie Bachusköpfe mit Stierhörnern und Stierköpfe aus
Bronze sind aus einem Grabe bei Corneta, wo das alte Tar-
qaina stand, bekannt. 2) Ich selbst besitze einen weiblichen
Kopf mit einem Diadem und Stierhörnern aus Bronze, der
ebenfalls beim Eisenbahnbau in Kärnten gefunden wurde und
höchstwahrscheinlich die Isis vorstellen soll.
In Rom hatte man 1696 ein Ge&ss ausgegraben, in
welchem vier mit einem Bande umschlungene Stierköpfe aus
Bronze lagen und von welchen man vermuthet, dass es Amulete
gewesen sind. ^) Ein ähnliches Amulet, ein Stierkopf aus Gold,
das an einer Schnur getragen werden konnte, soll auch das
Museum Foucaulta bewahren. Nach Kaiser soll in Pompeji ein
Bronzestier ausgegraben worden sein, den er für ein Bild aus
einem heiligen Tempel hält; ^) neuester Zeit soll auch da ein
goldener Stier gefunden worden sein. Ein Relief von Pompeji
zeigt einen Ochsenkopf mit einem Ringe im Maule, wie die Köpfe
in den Wappen von Mecklenburg, Schwerin, Strelitz und die
Wappen der Pemsteine in Mähren, den Bogoysky, Bembinsky
in Polen und des Canton Ury in der Schweiz. So auch die
Stierköpfe der Wappen der Moldauischen Woiwoden. ^)
Viele Monumente, Steinreliefs und Bilder geben Kunde
von der gi'ossen Verehrung, die der Stier genossen und weisen
mitunter auf einen stattgefiindenen Cultus hin; so erinnern an
die Mithriaea die Monumente der Villa Borghese, St. Croix
u. a. Aus Tirol beschreibt Hormayer ein Relief, das ein
Stieropfer dai*stellt und einem anderen aus den Vogesen gleicht.
In Würtemberg, und zwar bei Feldbach, wurde ein Stein
entdeckt, auf dem ebenfalls ein Stieropfer abgebildet ist; auf
einem anderen stand die bekannte Inschrift: „Soli inveoto
Mithra".^) Das Mithrasopfer stellt auch ein Steinrelief von
Ladenburg am Neckar (dem ehemaligen Lubodunum) dar") und
*) Kollär, Staroit. slovjansk. p. 28.
^ Micali. Ant. monnm. Taf. XL. 2.
3) Seckard 1. 12.
*) Kaiser 5. 96.
^) Recherches sur les Antiquites de la Russie m^rid. Uvarov.
1860. p. 154.
*) Sattler' 8 Geschichte von Würtemberg, p. 133.
^) Ebendaselbst.
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134
ebenso das Fragment einer Steinaxt, welches im Museum zu
St. Germain aufbewahrt ist. *)
In einem Grabe bei der etruskischen Stadt . Clusium lag
ein Grabstein, auf dem zwei Stierköpfe mit einem mensch-
lichen Kopfe und über denselben eine Blume eingehauen sind,
einen zweiten ähnliehen kennt man von Perusia. ^) Die zwei
liegenden stierköpfigen Baehus von (-lusium sind höchst wahr-
scheinlich Grabmonumente. 3)
Mehr noch als alle anderen Funde weisen auf einen
Stiercultus, insbesondere bei den Slaven, die Bronzefiguren von
Strelitz und Rhetra hin; obwohl in neuerer Zeit die Echtheit
derselben bezweifelt wurde, so ist doch bisher meines Wissens
die Unechtheit noch nicht erwiesen. Die Bronzefigur von Prel-
witz bei Neu-Strelitz trägt einen Stierkopf auf der Brust, sie
soll den auf ihr beschriebenen Runen nach, den Bielbog (weisser
grosser Gott) oder Svantovit vorstellen. Auf der Brust wurde
gelesen : Radegast^ auf dem linken Arme Bdbog raszi, auf der
äusseren Seite des recliten Fusses Bram und auf der vorderen
Seite Bisr. Wie bekannt haben die dortigen Gegenden Obotriten
imd Welsen bewohnt. *) Eine zweite Figur aus der Gegend des
ehemaligen Rhetra stellt den ochsenköpfigen Kilbog oder Vul-
buh (Ochsengott) dar. '*)
Gewiss echt ist die Figur auf dem Steine, der oberhalb
dem Portale des Baniberger Domes eingemauert ist und auch
da ausgegrabi'n sein soll. Er hat die Inschrift: kamy hu und
soll nach Einigen (Safafik) einen Bullen, nach Anderen einen
Löwen vorstellen. Die Aufschrift soll auf Cernobog , den
schwarzen Gott der Slaven hinweisen. Nach Mone aber soll
^a« AATnrt bu im Hy bernischen Rind, Vieh bedeuten und viele
^.n daraus hergeleitet werden, die auf Viehzucht Bezug
Es wird dabei* auch die Inschrift, ein schwarzes
Br Vieh andeuten können, als welches der Cernobog
n wurde.
ilittheilungen der anthrop. Gesellschaft in Wien 1877.
■Ber. von Dr. Much. p. 60.
Slollär Staroit. slov. p. 29.
Üben daselbst.
jellewel. Polska viekou sziedrich I p. 438.
loUär Staroit. slovjans. 1833, p. 35.
^one, keltische Forschungen 1867, p. 63.
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135
Die vielen Stierbilder auf Geräthschaften, Mttnzen und
Vasen weisen auf die hohe Bedeutung des Stieres und der
Kuh, mitunter liegt auch ihnen ein unverkennbares sacrales
Motiv zu Grunde. So zeigt der vom Berge Bottyan Säntza im
Tolnaer Comitate stammende Bronzehammer das Bild eines
Stieres mit dem darauf stehenden Jupiter, worauf die Auf-
schrift : Jovi Dulcheno, welches Bild eine Analogie in der Figur
der Kirche St. Benedicto in Rom findet, die die Inschrift:
O. M. Dolicheno C. Frontinus Nigrinius Lucius aram posuit, trägt. 0
Auf einem Bronzespiegel der Stadt Bomarzo ist die Valeria
Luperca aus der etruskischen Stadt Faleria abgebildet, wie
sie mit einer Haue einen Stier tödtet ; ^) auf einer Cam^e aus
Carneol, im Besitze des Grafen Beverley, befindet sich ein Stier
eingravirt, der im Maule einen Zweig hält und ober welchem ein
Adler schwebt. Sehr häufig sieht man auf geschnittenen Steinen
die Europa auf einem Stiere mit einem Menschengesichte,
den Dionysos oder Hebon^), reiten, oder auf den (Jarneolen
von der Insel Taman Stierköpfe eingi'avirt. ^) Auf alten, insbe-
sondere etruskischen Münzen sehen wir den Apollo dargestellt,
wie er, sowie der Radegast von Rhetra, in der linken Hand
einen Stierkopf hält; so auch den etruskischen Hercules, auf
dessen Schild ein Stierkopf abgebildet ist. -') Eine etruskische
Münze ist beschrieben, die auf einer Seite ein Stierbild hat ; ^)
desgleichen auch eine aus dem Pembrochianischen Museum und
dem Schatze der hl. Genovefa von Spanhemia. In dem Schatze der
Letzteren befindet sich noch eine grosse Medaille mit dem Bilde
de« Stiers und der Unterschrift Rcrnia, nebst einer viereckigen
Münze, die zu den Aeltesten gerechnet wird mit der Unter-
schrift : pecus, hiezu die Worte Plinius' : Signata est nota pecfodum
(peeus, hyk) unde et pecunia adpdlata. Stiere und Rinder zeigen
römische Münzen von Julius Cäsar, Augustus, Octavianus, Vitel-
lius etc. ; ferner Münzen römischer und sabinischer Geschlechter
aus Campagnia, Pompeji, Herculanum, Samnium, Lucanien,
>) Kollär. Staroit. slovj. p. 34.
A Ebendaselbst p. 28.
^) Ebendaselbst p. 28.
^) Untersuchungen der kais. russ. arch. Commission auf der
Halbinsel Taman.
*> Micali Ant. Monum. 3, p. 177.
^ De re numism. etruso. 163, F. 2.
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136
Apulien, Calabrien, Bnitium und Sicilien. Auf vielen alten
Münzen der Campagnia ist der Stier mit einem gehörnten
Menschenkopfe, auf anderen der gehörnte Jupiterkopf abgebildet,
wieder andere, namentlich die von Delos, zeigen die Diana
mit dem carischen Stiere, der sich zur Ruhe legt, und eine
auÄ der Stadt Julis auf der Insel Cea, den Dionysos als Stier
mit einem Menschenkopfe. Von Polina und Duraö in Illyricum
sind Münzen mit dem Bilde einer Kuh mit dem Kalbe bekannt,
was an die Hallstädter Kuh erinnert.*) Die Münzen der mol-
dauischen Woiwoden von Ackermann und Ovidiopoli sind mit
Stierköpfen, Halbmonden und Sternen geschmückt. ^)
' Im Chersonesus, Olbia, fand Graf Uvarov viele Münzen
mit Stierbildern , den gehörnten Jupiter , und viele andere
Stieromamente 3) u. dgl.
Nicht minder, als die Darstellungen auf Münzen, erinnern
uns auch Bilder auf Gefössen an einen Stiercultus; so sieht
man auf einer Vase der Coghillsker Sammlung die gehörnte
lo auf einem Piedestale stehen ; *) auf einer anderen, der Samm-
lung des Fürsten von Canino, drei schwarze Stiere mit braunen
Pflanzenomamenten ; ö) einer dritten aus der Sammlung Can-
deloris drei Stiere, von schwarzer, weisser und rother Farbe,
denen noch ein kleiner Stier beigegeben wird und von welchen
einer auf einem Altare steht, worüber Micali sagt : D toro, per
la massima parte dei popoli antichi, era un emblema, di gran
momento, come simbolo del sole e della forza fecondante. 0)
Hieher gehört auch das bekannte schwarze Bild auf braunem
Grunde, welches den Argus mit einem gehörnten Löwenkopfe,
auf der Erde sitzend, darstellt, wie er an einem Stricke die
Kuh lo hält, welche Mercur auf Befehl des Jupiter abzu-
binden sucht. ')
Sowie die Stierbilder selbst haben auch seine Hörner
eine ähnliche Deutung, sie kommen auf vielen Münzen und
*) Kollär Staroit. ßlovjan. p. 28, 29.
2) Becherches sur les Antiq., de la Russie m^rid. Alex. Uvarov
1860. Taf. XXXII, Fig. 20, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7.
3) Ebendaselbst. Taf. XVI, 2, 3. Taf. XVH, 12, 13, 15, 16, 17.
*) Panofka. Arges Panoptes. Berlin. 1838. Taf. IV.
s) Micali 3. Tab. 98. 4.
6) Ebendaselbst 3.
') Panofka. Arg. Pan. 1838, V. b.
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Wappen, Grabsteinen alter Adelsgeschlechter verschiedener
Länder vor, so sehen wir auf Münzen aus der Zeit des Antonius
Pias, die Italia oder den Tiber ein Stierhom tragen. Hörner
zeigen noch Münzen der römischen Geschlechter Julius, Cornu-
ficius, Antonius etc., die Wappen der Sovinsky's, Pivec, Cam-
berovsky's, Poöernicky's, Kotulinsky's, Glosky's u. s. w.
Wir haben in dem Vorstehenden eine Reihe von Funden
angeführt, die noch verlängert werden könnte und welche mehr
weniger den Stiercultus, wie er bei vielen Völkern herrschte,
ausser Zweifel setzen; ja viele weisen geradezu darauf hin.
Warum sollte nun dem By^öiskäla-Stiere, der sich durch seine
Sonderstellung vor Allem auszeichnet, die sacrale Deutung
gänzlich abgesprochen werden?*) Er ist vielmehr eines der
festesten Glieder der langen Kette, durch welche uns die Mytho-
logie der alten Völker verbunden erscheint.
Wir wollen uns nun in das Labyrinth der Sprachforschung
begeben, und der Namen, die auf den Stier und dessen Cult
Bezug haben, gedenken, wie sie von verschiedenen Linguisten
angeführt und etymologisch begründet wurden, ohne jedoch die
Garantien der Richtigkeit zu übernehmen.
Nach Mono soll, wie schon erwähnt wurde, das hyber-
nische Bu, Vieh, Rind, im Irischen Beo, im Wälschen Bu;
die Kuh im Irischen Bo bedeuten; verbunden mit dem irischen
und wälschen ca, cac Haus, Einfriedung, Hecke, entstanden
die Worte Bocha, Bochae, Buchan, Viehhaus, Viehhof, und im
deutschen Buchen, Buchau, Buchenau, Buchheim u. s. w. 2)
Nach Lellewel sind im polnischen die Formen Bih, Boh,
Bog, Bug, Bis, Bies von Bie abzuleiten und bedeuten Gott,
das böhmische Buh. Das polnische Boli, Biely, Bialy soll gross,
riesig, daher Bölbog der grosse und nicht als Gegensatz zum
Cernobog, der weisse Gott, sowie auch jener nicht der schwarze,
sondern von czart, öert, Teufel, der böse Gott bedeuten. ^)
Obermüller führt für Stier das keltische Buaigh, das
slavische B^k, das Polnische Bog an und hält es identisch mit
Buh, Bog, Gott, dem phrygischen Bagaios, dem lateinischen
Bachus; er leitet den Namen Teutobok von den keltischen
') Mittheilungen der anthrop. Gesellsch. in Wien. II. p. 326.
2) Mona, celtisohe Forsch. 1857, p. 53.
^) Lellewel. Polsk. viek. szied. I.
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138
Tuath, Duais, d. i. Deus, Zeus, Herrgott, wie den Namen
Bojorich von Bog, Buh, Stier, Grott und Rieh, Rek, Held,
also Stierheld, Stierkönig, ab. ')
Nach Nork2) heisst der Stier im Hebräischen '^l-'^ (taur),
•^vn (tur), ^^^ (Schor), ^^^ (Bokor, Rind); im Sanskrit tar,
oksha, ostem; im Persischen star; im Griechischen Toupo;; im
Lateinischen taurus; im Sla vischen Tur, was nach Jungmann
einen Buckelochsen und Taur einen Büffelochsen bedeutet und
aus dem Sanskrit abgeleitet wird. Es ist gleich dem deutschen
Ur, daher Uroehs, Auerochs, urno, urnus. Aus dem indischen
tar, tara soll si-tara, sidera, persisch Si-tarje, deutsch Stier,
Gestirn, griechisch atrnrjp, entstanden sein. Im Norden tritt der
Name in Thor, Tyr auf, den wir auch in Styria, Thüringen
wiederfinden sollen. So sollen eine grosse Menge Ortsnamen^
sowohl in Steiermark, Tyrol, Ungarn, Böhmen, Mähren, in
sla vischen und nichtslavischen Ländern auf die Verwandtschaft
mit Tur deuten und auf eine grosse Verbreitung eines Cultus
schliessen lassen, in dem der Stier eine hervorragende Rolle
spielt. So sind es in Oesterreich die Namen : Tur, Turb^k,
Tura, Stara-tura, Turova, Turik, Turiöek, Turißka, Turöeky,
Tuianj^, Tufan, Turna, Torna, Türnau, Tumau, Turanova,
Turnisa, Torica, Tarka, Toriska, Turopole, Turolouka, Thui*-
dosin, Boturi ; in Italien : Tursi, Turin ; in der Walachei : Buj-
tur; in Preussisch-Schlesien : Turava; am Rhein: Turnberg;
in Belgien: Turnhout; in Thessalien: Tumova, und Schott-
land : Thurso, und selbst in Sibirien : Turochansk und Turinsk.
An den Namen Tur erinnern ferner noch die Flussnamen
Thur in der Schweiz, Tura in Siebenbürgen, die Berges-
namen Tauren, die Thur-Alpen, die Namen des Canton Uri,
Thurgau. Dass nun das Wort Tauren, Turgau u. s. w. von dem
sogenannten keltischen Worte Taur (Berg) abgeleitet werden soll,
ist meiner Ansicht nach doch nicht so sicher als man glaubt,
sonst würden die meisten Berge denselben Namen führen, da
man ja fast überall Kelten haben will ; es ist sogar mit grosser
Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die tauiische Halbinsel,
die Tauren auf derselben mit dem Namen Taupo; in grösserer
etymologischer Verwandtschaft stehen. Wahrscheinlich ist es
^) W. Obermüller, Urgeschichte der Wenden. 1874. p. 21.
2) Nork, Realwörterbuoh. 1875. p. 326.
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139
auch, dass der Ursprung der Namen Türk, Turkestan im
Stiercultus zu suchen ist, dafür spricht die Verehrung für
den Halbmond , die Hörner der Mondkuh und den Stern,
den Zeusstier.
Das slavische Frühlingsfest heisst Turice. Nach Jung-
mann ist Tur auch der Gott des Krieges der alten Slaven
gewesen, er vertrat den Mars und wurde unter dem Namen
Tura gefeiert. *) Das Wort Apis soll nach Obermüller, noch
heute im Irischen als Abhus, d. i. wilder Stier, vorkommen, und
die Stierwirthschaften in Holstein, im Wendenlande, in Hildesheim
und Rendsburg sollen mit den Namen Obis und Abiskrüge
bezeichnet werden. Von denen bei Rendsburg lautet die Mähr,
dass dort der Teufel in Gestalt eines schwarzen Stieres hause
(karni bu). 2)
Was nun den Namen Byk anbetrifft, so treffen wir ihn
in den Namen der Orte : Byk, Bj^kiö, Bj^kov, B^kovic, B^kovce,
Bykol, Byöko-selo etc., in dem des Flusses Bog, Bug, etc.
Der Zusammenbang der symbolischen Auffassung des
Stieres mit der Gottheit soll nach Nork theilweise schon aus
der Verwandtschaft des sanskritischen Ostem, Stier, und des
magyarischen Isten (Gott) einleuchten und KolUr führt eine
Menge Götternamen an, die auf die verschiedenen Namen des
Rindes zurückgeführt werden können, was ich für zu weit her-
geholt erachte und daher übergehe. •^)
Wenn auch vielen dieser etymologischen Erklärungen
rein subjective Ansichten zu Grunde liegen, so lägst sich ein
gewisser Zusammenhang nicht ganz abstreiten und auf einen
Stiercultus schliessen, der unter verschiedenen, den Anschauun-
gen der Völker entsprechenden Formen, sich bei den meisten
der alten Welt Eingang verschaffte und das Rind in den
Mythenkreis brachte.
Um diess noch näher zu begründen, wollen wii* uns in
das Reich der Mythologie begeben, und sehen, welche Stellung
das Rind daselbst eingenommen hat.
Der Stier und die Kuh, dem Menschen in frühesten Zeiten
das nutzbringendste Thierpaar, wurden stets an die Stelle der
') Jungmann, Slovnik. p. 673.
2) Obermüller, Geschichte der Wenden, p. 7.
^ Nork, Bealwörterbuch. IV. p. 32ß.
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140
höchsten Gottheiten gesetzt. Der Stier galt als Symbol des
lebenschaffenden Principes, als feurige Naturkraft, er war das
Symbol des Lichtes und des Feuers, *) seine Homer deuteten
die Strahlen, sein Gebrüll den Donner an. Er ist der Erzeuger
alles Lebenden, sowie die Kuh das Symbol des Empfangens,
des Gebarens und Fortpflanzens, gewesen. Der Stier wurde
in den Thierkreis gesetzt und wai* als Ei-wecker und Befruch-
ter alles Lebenden das Symbol der Sonne, die Kuh das des
Mondes. Aus dieser Anschauung entwickelte sich ein Cultus,
der von einem Volke zum anderen überging und von dem
sich noch Andeutungen bis in die neueste Zeit erhalten haben.
Das Stierpaar war das Symbol der Incarnation des Shiva und
der Bhawani bei den Indiem, des Osiris und der Isis bei den
Egyptern, des Mithras und der Astarte bei den Persem, des
Moloch und der Melecheth bei den Syrern, des Baal und der
Artemis bei den Phöniziern, des Jupiter und der lo bei den
Römern, des Thor und der Sybilya bei den Germanen und des
Radegast und der 2iva bei den Slaven.
Wenden wir uns zuerst nach Indien, von wo sich der Stier-
cult eigentlich ausgebreitet zu haben scheint ; dort bedeutet der
Stier und die Kuh das Bild des Himmels und der Erde, den Shiva
und die Bhawani. Dharma ist ein Wesen, welches als weisser und
blauer Stier symbolisirt wurde, auf dem der Shiva mit seiner
Gattin Parvati reitet und als Devanischi mit einem Stierkopfe
abgebildet wird. Er ist der Sohn der Maja, der aus Brahma
entstandenen Urmutter aller Dinge, der Mutter Buddha's, deren
Attribut der Stier ist. 2) Der Shiva, Schiba, Siva hat in Indien
ebenfalls so ein Fest wie der Osiris in Egypten und soll auch
Apen Pascha genannt worden sein. Die Kuh ist die Allmutter
Bhawani, Parvati, die Gattin des auf dem Berge Meru wohnen-
den Shiva. Mit ihr gleichbedeutend ist Lakschmi oder Sri, die
Gattin Wischim's, welch' letzterer als Sohn des Königs Wanama
geboren wird und die Erde in eine Kuh verwandelt, 3) die
von ihm gezüchtigt wird, um sie zu zwingen, ihre Wohl-
thaten dem Menschen zukommen zu lassen; sie ist die vom
Gotte Indra dem Wischnu geschenkte heilige Kuh Kamdeva*
'^
Edendaselbst. 1843. I. p. 400. HI. p. 91.
Nork, Bealwörterbaoh. IV. p. 326.
3) Ebendaselbst. IV. p. 457.
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141
und bedeutet, nach der Symbolik des Ackerbaues, die Nutzbar-
machung des Bodens. Die Kuh ist demnach in dem Himmel
gehoben, und eine Kuh tödten, führte den Tod nach sich. Beim
Sterben oder Schwören nahm man den Schwanz einer Kuh
in die Hand, damit die lange Wanderung in's künftige Leben
abgekürzt, oder der Eid geheiliget werde. Noch gegenwärtig
soll bei den Brahmas ein Ceremonialgesetz existiren , nach
welchem als Sühne begangener Sünden, das Durchkriechen
unter einer Kuh gelten soll, was an den goldenen Kuh-Sarko-
phag des Mecerinos der Egyptier erinnert.^)
Eine ähnliche Analogie ist in dem Stier der Zend-Avesta,
der neun Menschenpaare aus den Fluthen rettet, mit dem
cretänischen Stiere, der die Europa entfuhrt, unverkennbar.
Nach dem indischen Mythenkreise ist die alle Wünsche er-
füllende Kuh die AUrautter Erde, und das Kalb, das durch
ihre Milch seine Nahrung erhält, Menü, der Stammvater des
Menschengeschlechtes. Aus Wischnu's rechter Seite stammt
Prithu, der Wischnu selbst war, der der Erde seinen Namen
Prithiwi gab, er ist demnach der Stier, das Attribut des
Buddha Risabha der Buddhisten. ^) Im Frühling verwandelt sich
Shiva in den befruchtenden Stier der Zeugung und wird auf
einem Stier reitend oder als Stier mit einem Lingam im Maule
dargestellt, der dann Pharidun, Zohak's Besieger, genannt
wurde. ^) Das Symbol Dharma^s, der dem Hermes der Egyptier,
dem TepiJLwv der Griechen und dem Thermes der Lateiner ent-
spricht, ist der Stier, sowie Hermes der Frühlingsstier ist; er
wurde auch mit dem Phallus identificirt als Säule oder Kegel
(Irmensäule). t)harma wird abgebildet, wie er den Lingam und
die Joni (cunnus) in den Händen hält und sie sinnend betrach-
tet, wie es auch mitunter Hermesbilder zeigen ; er ist, wie der
Stier, das Symbol der Gerechtigkeit, der Tugend und des
Gesetzes, der Bezähmer weltlicher Begierden, der Todtenrichter
in Patal und hat als Yama zwei Gesichter. ^)
Der Stier als schaflFende Kraft ist das indische Bhu, und
die Kuh, die Erde, das Gho, Gau, von welchem das griechische
») Creuzer, Symbolik. I. 613. 614.
^) Nork, Realwörterbuch. IV. p. 457.
3) Ebendaselbst. IV. p. 482.
*) Nork, Realwörterbucb. I. p. 401.
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142
Tato^, der Pflugstier, und Tata, die Kuh, abzuleiten ist. Darauf
bezieht sich die Anrede der römischen Braut an ihren
Bräutigam: XJhi tu gajus, ego gaja.
Bei den Chinesen ist der Stiercult, wenn auch nicht
geübt gewesen, so doch in ihrem Mythus angedeutet. Unter
den ersten fünf fabelhaften Herrschern glich der Held Schin-
nong, der von einem Drachen geborene, dem Stiere; er ent-
wickelte sich schnell, indem er in einem Zeitraum von drei
Jahren schon Ackerbau betrieb, welchen er einführte, um das
Volk der Erde, die Feldfrüchte bauen zu lehren; er ist als gött-
licher Ackerbauer noch gegenwärtig bekannt. ^) In der Pagode,
der chinesischen Stadt Mia-ko, soll ein goldener Stier stehen,
der mit seinen Hörnern ein grosses Ei zerstört, aus dem die
Welt hervorging. 2) Wer sollte sich hiebei nicht an den per-
sischen Weltstier Abudad erinnern?
Bei weitem entwickelter ist dieser Cult in dem Lande
des Ackerbaues und der Fruchtbarkeit, in Egypten, gewesen,
wo nach Manetho der Stier Apis von dem Könige der zweiten
Dynastie als ein Gott erklärt worden sein soll. Er war ein
dem Monde geweihtes Thier, von dem die Egyptier glaubten,
dass die Seele des Osiris in ihn gewandert sei, darum wurde
er auch Apis, hieroglypjiisch Hapi, koptisch Hap (der Richter)
genannt. 3) Man nahm an, dass alle 25 Jahre sich die Gott-
heit in Fleisch verwandle, ein Strahl vom Himmel, vom Sonnen-
gotte Osiris, befruchtete eine Kuh, die einen Stier gebärt, der
in dem Tempel geführt, gepflegt und verehrt wurde, bis er
nach 25 Jahren geschlachtet und an einem heiligen Orte be-
graben wurde. *)
Es gab in Egypten drei heilige Stiere, in die die Seele
Osiris* fuhr, und zwar: den schwarzen, struppigen Mnevis
I oder On, als Licht- und Sonnenstier und Symbol der Sonne,
I verehrt zu Heliopolis; dann den schwarzen, ebenfalls struppi-
gen Onuphus, der gute Gott, der nach Macrobius auch Pacis
I oder Bacis genannt wurde und seinen Sitz in Hermonthis
hatte, ^) und zuletzt den durch einen Sonnenstrahl erzeugten
') Gützlaif, Geschichte von China. 1847. p. 19.
2) J. Kollär, Staroit ßloyjansk. p. 26.
^) Uhlemann, Geschichte Egyptens. p. 207.
^) Creuzer, Symbolik. I. p. 457.
^) Ebendaselbst.
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143
Apis; er war ebenfalls schwarz, mit einem weissen, dreieckigen
Fleck auf der Stirne, einem auf jeder Seite und einem doppelten
Streifen am Rücken und Schwänze. Sobald ein so gezeichneter
Stier aufgefunden war, wurde er durch vier Wochen gefüttert,
dann nach Memphis in den Tempel des Phthah gebracht und
dort verehrt. Er war eine Incamation des Osiris, der Sonne,
des Nils, des Befruchters und Erzeugers alles Lebenden. Nach
seinem Tode vereinigte er sich wieder mit dem Osiris, und
wurde dann als Serapis in Serapaeum beigesetzt. *) Der Stier-
monat hiess bei den Egyptiern Epiphi, auf hebräisch Abib,
griechisch Epaphus; so ist auch nach Zoega der griechische
Name für Apis, Vater Stier, was auch nach Rossi Hauptstier
bedeuten soll. ^) Wegen der Nützlichkeit und Brauchbarkeit
des Rindes wurde nicht nur der Stier, sondern auch die Kuh,
die Isis, als Gemalin des Osiris, weit und breit verehrt. Sie
hatte ihre Homer dadurch erhalten, dass ihr Hermes, nach-
dem Horus ihr das Diadem vom Haupte riss, die Hörner
einer Kuh aufsetzte, was ihr auch als bleibendes Abzeichen
blieb. Sie ist das, was bei den Griechen die von einer
Wolke beschattete lo, die weisse Kuh, bei den Pheresitem
die ochsenköpfige Derceto ist, der in der ludischen Stadt
Askalon als Venus Astarte - Derceto, ein Tempel gebaut
wurde. ^) Sie ist femer das, was bei den Phöniziern die ge-
hörnte Astarte, bei den Syriern die Melecheth oder Asterot-
Kamaim, ^) bei den Deutschen die Göttin Mutter, die Kuh
Audhumbla,*) bei den Schweden Sibilja, bei den Slaven die
Ziva ist; sie ist die kuhköpfige Hera Homers, die Dido der
Karthager und endlich die Mondkuh, deren Hörner die Strahlen
und die Mondsichel darstellen.
Gehen wir nun zu der Mythologie der Perser über, so
werden wir finden, dass sich der Stiercultus auch in der
Mithriaca nachweisen lässt und veredelt und modificirt in
dieselbe übergegangen ist. Nach der Kosmogenie der Perser
kam das erste Menschenpaar als Zwillinge aus der Schulter
des Stieres Kajomor, der auch Weltstier, Demiurg, d. h.
*) Uhlemann, Geschichte Egyptens. p. 208.
^ Creuzer, Symbolik, p. 483.
3) Bougemont, die Bronzezeit, p. 254.
*) Mos. I. 14. 5.
*) Simrock, Mythologie der Deutschen, p. 16. 17.
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144
Menschenschöpfer hiess. Der Weltstier Abudad sprengte mit
seinem Home das Weltei, was durch das Frühlingsfest Navruz
gefeiert wurde, an welchem man mit gefärbten Eiern sich
gegenseitig beschenkte, wie es auch Sitte bei den Indiem war
und noch heute bei den Slaven ist. ^) Diese Eier haben bei
den christlichen und jüdischen Osterfesten Eingang gefunden.
Der Sonnenstier, der das Sonnenjahr symbolisirte, ist Dschem-
schid der Mithras, der in der Mithnaca mit seinem goldenen
Dolche (die ersten Sonnenstrahlen) den Aequinoctialstier am
Eingange der Höhle (Welthöhle) tödtet. Es ist die Zeit der
Frühlingsgleiche, in die die Sonne tritt und den Monat theilt
und der Stier die Erde mit seinem Blute befruchtet. 2) In den
Mithras hatte der stiergestaltete Ormuzd den Samen alles
Lebenden gelegt ; der geopferte Aequinoctialstier ist der Urstier,
er stirbt durch böse Geister, die Devs, und aus seinen Lenden
steigt Goschorun, seine Seele, zum Himmel und Kajomor, der
doppelgeschlechtliche erste Mensch; aus seinen Hörnern wachsen
Früchte, aus seinem Blute Trauben und dem Schwänze Aehren,
die Früchte des Sommers. Von seinem Samen enthält die Erde
ein Drittel, der Mond zwei Drittel, und es wachsen aus ihm
neue Stiere, von denen alle anderen Thiere stammen. ^)
Dupuis sieht in der Mithriaca den Molochdienst der
Babylonier, Ammoniter, Cananiter etc., es wurden doii; wie
hier Menschen geopfert, und zwar bei den ersteren in unter-
irdischen Räumen und Höhlen.
Auf bildlichen Darstellungen erscheint Mithras am Ein-
gänge der Höhle im BegriflFe einen Stier zu tödten, er hält
in der Linken die Nüstern desselben und sticht mit der Rechten
den Dolch in seine Brust. Diese Mithriaca breitete sich, wie der
Dienst der Astarte, über Armenien, Capadocien, den Pontus,
Cilicien, über Kleinasien, Syrien, Palästina, Griechenland,
Italien, Sicilicn, selbst über die Alpen nach dem hohen Norden,
nach Deutschland und in den slavischen Ländern aus. Spuren
derselben finden sich fast überall und haben sich selbst im
') Pr^sni ludu Polskiego w Galicyi zebr. Zegota Pauli. Lern-
berg 1838. In einem polnischen Liede, das beim Feste Letnice
gesungen wird, wird der Sonne ein Ei geboten, mit den Worten :
„Swi^d, Äwi^d sloneczko! dam ci jojeczko*.
2) Nork, Realwörterbuch. IV. p. 331.
3) Creuzer, Symbolik. L p. 746.
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145
Christcnthum erhalten. Das Mithriacafest wird durch das Oster-
fest vertreten , in ihna wird Christus als Weltbekehrer , als
leuchtender Gott und Erlöser dargestellt. Christus ist das Opfer-
lamniy das dargebracht wird, damit die Welt, beziehungsweise
die Menschheit, erlöst von der arimanischen Sünde, erwache zu
neuem Leben. ^) Christus ist Gott, der Dreifache, sowie Mithras
der Dreifache, der TpiirXaGto?, der Triplex ist. Diess erinnert an
die Trimurti der Indier, die durch das heiligste Zeichen des
Dreieckes symbolisirt wird, und an das Dreieck der heiligen
Thiere. Es findet sich auf dem Rücken des Löwen alter
Münzen Pamphlagonien's, auf der Stirne des Apis, von Herodot
fälschlich als Viereck bezeichnet. Demiurg, der Herr der
Zeugung, sitzt auf einem Stiere, mit einem Dreiecke auf der
Stirne, das Bild der Trimurti, der Fruchtbarkeit; das Dreieck
war dem Hermes imd der Venus heilig. Es wurde bei den
alten Indiem Agni 2) genannt und war das Bild der Feuer-
pyramide, die den Gott Shiva symbolisirte. ^) Es war auch bei
den Slaven ein heiliges Symbol ^), so heisst es bei Schmidius :
Forma triangvlarU apud Slavos nihil insfvetum erat, sed in re-
praesentandis sacris probe ohaerüdbatur, ^) und noch heute stellt
dasselbe mit dem Auge in der Mitte die Dreifaltigkeit Gottes
dar, analog der Trimurti und dem Triglav der Slaven.
Den syrischen Sonnengott Moloch, zur Zeit, als er im
Frühjahr die Regentschaft antritt, repräsentirt der Stier. Ihm,
dem Schrecklichen, wurden Menschenopfer gebracht. Er wurde
mit einem Stierkopfe, und seine weibliche Hälfte Melecheth,
die in Taurien als Artemis, in Ascheroth als Karnaim verehrt
wurde, mit Kuhhörnern abgebildet. Auch ihr wurden blutige
Opfer gebracht. *)
Bei den Ammonitern, Cananitern, Moabitern und Juden
vertrat er die Stelle Jehovas, denen er als schrecklicher,
zürnender und grausamer Gott erschien, sie verehrten ihn in
*) Nork, Real Wörterbuch. III. p. 174.
2) Rakoviccky, „Prawda ruska". p. 281.
A Hanuä, die , Wissenschaft der slav. Mythologie, p. 131.
^\ Ebendaselbst, p. 100.
*} Chron. Zwickau, p. 344. — Sächsische Merkwürdigkeiten.
I. b. p. '27. — Ekhard, Monum. Jutreboo.
^) Nork, Real Wörterbuch. IH. p. 183.
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allen Zeiten unter dem Bilde des Stiers. *) Er wurde als
feuriger, glühender Ofen mit einem Stierkopfe im Thale
Hinnomis symbolisirt und lebende Kinder in seine glühenden
Arme gelegt. Als solcher war er der Talos-Moloch und iden-
tisch mit dem Stiere des Phalaris, der Pasiphae, dem crete-
nischen Minotaurus, dem Kinder fressenden Kronos, dem mara-
thonischen Stiere, dem Dionysos etc. Auch in dem Tempel
des Berges Moreja zu Jerusalem stand auf der Tenne Arnans,
des Jabusiters der stierköpfige Moloch, dem Kinder und auch
Erwachsene geopfert wurden. '^) Scipio traf ein Molochbild mit
einem Stierkopfe aus Erz und einem Schieber zum OeflFnen
und Schliessen in Karttago. ^) Der eherne Altar der Stifts-
hütte ist nach dem Pentateuch gehörnt und wie der stier-
köpfige Moloch hohl und gesalbt gewesen.^)
In dem skythischen Taurien wurde die Upis, die Sehende,
die die Geburten befördernde Artemis oder Diana Lucina
verehi-t. ^) Von ihr sagt Creuzer : „Sie war die Stiergöttin im
Stierlande, ein blutiger Dienst war ihr angeordnet und sie
dürstete nach Blut, wie der Moloch".^) Auch soll sie die
Stiergestalt gehabt und als solche xaupo^sXo? geheissen haben.
Nach ApoUodorus wandelte sie in Stiergestalt über die Erde.')
Der mythische Gott Og, der in der Stadt der gehörnten
Astartebilder, in Asteroth wohnte, soll den gehörnten Sonnen-
gott, den Himmelsstfer und Gemal der Mond- und Erdkuh
symboUsiren. s)
Sowie der Moloch bei den Syriern, wurde auch der
Baal als Sonnengott, Sonnenstier nach Jalkut ^) bei den Phöni-
«) Die Stellen hiefür: Ex. 32. 4 — 1. — König. 12. 25 f.
— Richter 8. 27. 17. 3 ü. 18—31 —2. —König. 23—15. —
Hos. 3. 4.
2) G. Fr. Daumer. Der Feuer- und Molochdienst der alten
Hebräer. 1842. p. 90. 112.
3) Ghillany, die Menschenopfer. 1842. p. 194.
A Bohlen. Genes. Einl. 6. XII. f. 1.
^) G. Fr. Daumer. Der Feuer- und Molochdienst der alten
Hebräer, p. 197.
6) Creuzer. Symb. 11. p. 127.
') Hayn. Fragm. 402.
8) Schulze, Hebräische Mythol. 1876. p. 135.
9) Jerem. VII.
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eiern , nach Kollär *) bei den Chaldäern , Babyloniern etc.,
mit emem Stierkopfe abgebildet und verehrt.
In Griechenland war der Stiercultus eng mit der Götter-
lehre verbunden, er verbreitete sich, besonders die mit ihm
vereinigten Bachanalien, von Athen aus über ganz Europa.
Der Zeus war der Himmels-, der Sonnenstier; die lo die Erd-
und Mondkuh. Zeus erscheint im Frühjahre, im Monate des
Stieres als S^eusstier. Um diese Zeit wurde auf Samos und
Argos die Hochzeit mit der kuhköpfigen Hera gefeiert. Der
Sonnenstier vermählte sich mit der Mondkuh, darum war das
Bild der Ehe, das Joch, welches beide verband, das als jugum
zum conjugium wurde und noch gegenwärtig mit dem Joch der
Ehe bezeichnet wii-d. Um diese Zeit entführte Zeus in Gestalt
eines Stieres die Europa aus der cretenischen Stadt Gortyn,
die ihr Bruder, der Stier Cadmus, welcher in Theben mit
seinen feueraprühenden Stieren das Feld pflügte, in der Stadt
Thurium des Stierlandes Böotien suchte, wohin ihm ein
Stier den Weg zeigte. Von Hesiod wird daher auch Zeus
OecToupoi; genannt. Im Frühjahre mussten die Athener jedes
neunte Jahr die Menschenopfer nach Greta, für den die Insel
taglich dreimal umkreisenden ehernen Stier senden. ^) Um
diese Zeit wurden im Tempel des Apollo zu Delphi Feste
gefeiert und der eherne Stier darinnen bezeichnete ihn als
Arstier, als Aßaio?, Abaeus, den Erzeuger; von ihm hat die
Stadt Abae oder Abis ihren Namen erhalten. Auch auf Perga-
mos wurde Apollo als Stier verehrt. Ilus baute Ileum, dort wo
»ich ein Stier niedergelassen. ^) In Syrakus empfing der eherne
Stier des Philaris, als Zerstörer, Menschenopfer. In Ephesus
hiessen die Priester des Wassergottes Poseidon Stiere und
warfen al^ Opfer schwarze Stiere in den Fluss, ^) so ist auch
der Flussgott Alpheus ein Rind, der Fluss Achelous ein Stier
und Oceanus selbst wurde mit einem Stierkopfe abgebildet.
Auch ist die Tochter des Flussgottes Asopus, die Euboea,
gleichbedeutend mit der Tochter des Inachus, der lo; sie
wurde als Mondkuh verehrt und gab der Insel und dem Berge
^
KoUar. Staroit slav. p. 24.
Nork, Realwörterbuch. IV. p. 327.
^ Ebendaselbst. I. p. 101.
^ Müller, Orchomenus (neue Aufl.). p. 170.
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den Namen. 0 Ina Zeichen des Stieres, also im Frühjahre, wurde
Bachus aus dem Schenkel des Jupiters geboren, von den
Hy aden erzogen und der stiergestaltige Ta'jpo[jLop9>o<; genannt ; er
ist identisch mit den Dionysos der Griechen und wurde von
den Mänaden zerrissen, wie Dionysos zerstückt und Adonis
von dem Eber zerrissen wurde. 2)
In Rom war das Symbol des Jupiters der Stier, die Stadt
Rom selbst wurde mit einem Stiere verglichen und das Frühlings-
fest hiess doi-t Fordicidia, von Forda, die trächtige Kuh, als
Bild der mit Früchten schwangeren Erde. 3) Sie repräsentirte die
Ceres, Proserpina, Vesta, als Erdmutter Mater und die Opfer,
welche ihr gebracht wurden, bestanden aus trächtigen Kühen,
Feldfrüchten und allerhand Kuchen. Letztere wurden auch
der Juno, der Isis, der den Geburten vorstehenden Artemis,
der Erdmutter Here auf Samos etc. geopfert. Sie waren das
Symbol der Befruchtung und haben als solches auch verschie-
dene Formen angenommen, so die des Phallus, der Cunnus, des
Halbmondes oder der Hörner, des Sternes u. s. w. Noch
heutzutage lebt die Erinnei-ung an diese Kuchen sowohl in
dem Namen Mutterkuchen, als auch in den Formen des jetzigen
Gebäckes, in den Hörnlein (rohlik), den Stern- und Mund-
semmeln, den Wecken u. s. w.
Im Druidencult ist Hu der allbelebende Sonnengott, der
als Stier den Pflug zieht und dessen Priester die strahlenden
Stiere der Schlacht und die Gläubigen die Heerde des brüllen-
den Bell genannt wurden. Er ist das Sonnenfeuer, der Blitz,
der Lebensspender, der Vater der Barden, der Vorsitzende
im Steinkreise der Welt, und der Beschützer in der Dunkel-
heit ; er stirbt um neu wieder aufzuerstehen. *)
Der skandinavische Thor, der Sohn Odins und der Frigga,
ist der oberste Gott, der Gott des Donners und des Blitzes.
Sein Wagen wird von zwei Böcken gezogen, so wie der des
Sonnenstiers von Stieren, sein Gebrüll ist der Donner, seine
Kraft der Blitz. Nach Schaflfer wird in Lothringen der Wagen
der Gottheit von vier weissen Stieren gezogen, wie der des
^) Nork, Real Wörterbuch. I. p. 489.
2) Ebendaselbst. L p. 181.
3) Kork, Real Wörterbuch. L p. 63.
^) Ebendaselbst. H. p. 250.
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Jupiters Capitolinus. Der Wassermann in Stiergestalt ist
der mythische Stammvater der Merovinger, er zeugte mit der
am Meeresufer schlafenden Königin den Meroveus und ihr
Wagen wurde mit Ochsen bespannt. Dadurch kann auch der
Stierkopf in Childerichs Grab seine Deutung finden. *)
Die im heiligen See badende Erdgöttin Nerthus der
Deutschen, deren Gemal der Njörd, der Sonnengott ist, wurde
von heiligen Stieren gezogen. Sie erinnert an die Isis, unter
welchem Namen sie von den Sveven, die ihr Opfer brachten,
verehrt wurde. 2)
Die Kuh Audhumbla ist die Allmutter Natur, das er-
nährende Princip, durch sie entstand Bure, Bör und Odin. 3)
In der nordischen Saga lässt Hulda eine Heerde schwarz-
grauer Kühe in die Wälder treiben, welche die Regenwolken
bedeuten. Nach Kuhn Hess man in Hellhaus, wo früher der
wilde Jäger wohnte, am Christabend jeden Jahres eine Kuh her-
aus, die sogleich verschwand, sie war die fetteste und sym-
bolisirte ein Opfer. Hierin finden wir eine Analogie mit den
Kühen Indras, mit denen, die die Panis aus dem Himmel
rauben, mit der Entführung der dem Apollo geweihten Götter-
kühe durch Hermaeus , mit den Sagen von Hercules und
Cacus, Hercules und Geryon etc. ^)
Wenn wir nun zu den Slaven übergehen, so begegnen
wir vielen Spuren, die geradezu auf ihren Stiercultus hinweisen.
Abgesehen von den vielen aufgefundenen Objecten dieser Art
und den sehr verbreiteten, an das Tur und Byk erinnernden
Ortsnamen in slavischen Ländern, finden wir die Belege für
die grosse Verehrung des Rindes schon in den alten Schrift-
steUern. Varro sagt von den Slaven : Boves honore ceteras pecudes
tuperant;^) und Cicero: Tanta putabatur utiUtaa percvpi, ex
bobus et eoi'um visceribiLS vesci sceltis haberetur,^)
Diese Verehrung für das Rind hat sich bei den meisten
Slaven, namentlich Slovaken und Wenden, noch bis in die
^) Simrok, Mythologie der Deutschen, p. 444.
2) Tacitus, Germ. 9.
^) Simrok, Mythologie der Deutschen, p. 16, 17.
^) Simrok, Mythologie der Deutschen, p. 248.
^) Varro, de re rust. 2, ö.
«) Cicero, Nat. D. 2, 3.
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neueste Zeit erhalten. Von den Wenden sagt Keiszler: *) „In
Drawen darf kein Wende mit garstigen Füssen über den
Platz gehen, wo die State (stado) steht. — Einmal begab es
sich zu Rebensdorf, dass der Dorfbulle, als er von der Weide
kam, seine juckende Lende mit solcher Gewalt daran scheuerte,
dass der Baum darüber umfiel und den Bullen todtschlug.
Diess nahmen die Bauern als ein doppeltes Anzeichen eines
bevorstehenden grossen Unglücks an. Zur Versöhnung aber
der beleidigten State, wird noch alle Jahre auf dem Tage, an
welchem der Bulle todtgeschlagen worden, alles ihr Vieh um
den Baum getrieben. Dass man ein grosses Wesen aus dem
gewaltsamen Tode des Bullen gemacht, ist nicht zu verwundern.
Es halten die in braunschweigisch-lüneburgischen Landen woh-
nenden Wenden ohnedicss für ein sonderbares Unglück, wenn
ein Bulle natürlicher Weise stirbt, und haben sie diesem
Thiere öfters sein Begräbniss mitten im Dorfe und in einer
dazu verfertigten Grube angestellt, wo hinein ihn die Abdecker
oder Schinder stossen müssen, damit er ordentlicher Weise
verscharret werden könne".
Dass der skandinavische Tyr (Mars) bei den Slaven als
Tur, Kriegsgott, verehrt wurde, bestätigt Appendini : 2) Si veg-
gono tuttora presso i Ragusei tenacissimi ddle cose anttche nd
tempo dd camevcde e in qucUche cUtro giomo di festa populatre
tre personne dd volgo, che representano queste tre divinita, nel
modo, in cui sono expresse nd loco rame — Marie que in loco lin-
gudggio Scüico 0 Slawo chiamad Turo, — I Sarmati Transcdbiani
adoravano pure Marie come ü massimo degli Dei soiio U nonie
^) J. G. Keiszler, Reisen in Deutschland, Hannover 1776.
p. 1377.
2) Appendini, Notizie ist. crit. Ragusa 1802. L p. 56 — 62.
„Man sieht noch heutzutage in Ragusa, dessen Bewohner sehr auf
alte Gebräuche halten, zur Faschingszeit und auf Volksfesten drei
Personen aus dem Volke, welche diese drei Gottheiten vorstellen,
und zwar gerade so, wie sie auf den dortigen Kupfermünzen ge-
prägt sind. Mars, der in ihrem scilioisch-slavischen Dialekte Turo
heisst. Die transalbinischen (albis) Sarmaten verehrten ebenfalls
den Mars als höchste Gottheit, jedoch unter den Namen: Sero vi t
oder Svanto-Vit. Und der Verfasser der Lebensgeschiohte des heil.
Otto, des Glaubensapostels Pommerns, bestätigt ihren Gott Serovit,
der lateinisch Mars heisst. Russen und Polen kannten Mars unter
dem Namen Turo, welcher Name dort heute noch existirt."
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pero di Serovüo o Svanto-Vito. E lo 8crittm*e deUa vüa di San
Ottone, ixpostolo dei Pomerani, che ce VcUtesta: Deo 8UO Serovüo,
qui lingua latina Mars didtur. I vidni Eussi e Polachi conosce-
vano Harte col nome di Turo. Tra esd dura sempre un tal nome.
So wuixie bei ihnen Tur, das Symbol der ungewöhnlichen
Kraft und Stärke, als Gott verehrt; darum wurde Kadegast und
Karevit mit einem Stierkopfe auf der Brust und Perun mit dem
Stier an der Seite abgebildet. Stfedowsky beschreibt den Rade-
gast, der in dem Tempel zu Rhetra, als Persopification der Luft,
zwischen den Symbolen der Licht- und Dunkelwelt in der Mitte
stand, folgendermassen : Seine Schläfen waren mit einer Krone
geziert, auf seinem Kopfe sass ein Vogel und seine Brust zierte
der Stierkopf. Pectori capud tauri nigrum addUum, quod destra
ftddebcU, sinUtra bipennem jactabaL *) Auch Bielowskiego be-
hauptet, dass der Tur bei den alten Slaven das Symbol einer
ungewöhnlichen Stärke war, und Radegast, der Gott der Gast-
freundschaft, mit einem Stierhaupte auf der Brust abgebildet
wurde. 2) Das Woii; Stade (Heerde) bedeutet bei den Slaven,
insbesondere den Drevanen der unteren Elbe, eine heilige Ver-
sammlung, die zu Ehren der Lada und des Lels abgehalten
wurde, wovon sich noch in slavischen Ländern der Ortsname
Stadice erhalten hat. 3) Es soll mit dem altrussischen Stod,
Gott, in Zusammenhang stehen. ^)
Und sowie der Stier, ist auch die Kuh in den Götter-
kreis der Slaven aus dem indischen Mythus aufgenommen
worden. Die slavische Siwa, Öiva, 2iva ist das weibliche Prin-
cip des männlichen Shiva, die Parawati oder Bhawani, sie ist
die Göttin des Sommers, die Ceres, die Kraso-pani, Zlata Baba,
die Aphrodite Apatura und Hera, die Isis, lo imd Artemis,
die Mondgöttin und als das die Mondkuh. Sie ist die Ge-
bärende und Nährende, die Baba und Amme. Stfedowsky
setzt sie an die Seite des Perun oder Radegast, der Sonne
oder des Weltstiers. Auch sie wurde von den Slaven mit
einem Kuhkopfe dargestellt und als Erinnerung nennen noch
*) Stfedowsky, Sacr. Mor. bist. I. c. 6. p. 38.
2) A. Bielowskiego, Wyprawa Igora na Polowoow. Lemberg,
1833, p. 31.
^) Hannä. Die Wissensoh. des slav. Myth. p. 365.
^) Kollär, Staroit sloyjan. p. 35.
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heute die Slovaken, bei denen das Rind hochverehrt wird,
dasselbe Äivka.
Der slavische Stiercult wird noch tiberdiess durch das
Frühlingsfest Turice oder Letnice bekräftiget. Das erstere
wurde dem Radegast, das letztere dem Svantovit zu Ehren
gehalten; es ist gleichbedeutend mit dem Frühlingsfeste des
indischen Shiwa, dem Navruz der Perser und dem des Apis
der Egyptier. Durch dasselbe feierte man das Ei-wachen der
Natur ; es wurde dabei der Stier, als Erzeuger alles Lebenden,
als Welt- und Sonnenstier herumgetragen, ihm wurde ein Baum
aufgerichtet, das Symbol der Zeugung, des Phallus, welcher
Gebrauch aus Indien stammend sich noch gegenwärtig unter
den Slaven erhalten hat, es ist die Maja, Mäyka, Majovka,
die mit Bändern geziert, aufgerichtet, und um die am Frühlings-
feste getanzt wird. Sie erinnert an den Stier von Kiew mit
dem Priapus.
Es bleibt uns zidetzt noch eines der wichtigsten Zeug-
nisse zu ei*wähnen übrig, welches allein schon genügt hätte,
einen Stiercult bei den alten Völkern anzunehmen. Es sind
diess die Worte Plutarch's: ;,Die Barbaren (Kymbern) ge-
währten der römischen Besatzung eines Lagers am Atiso oder
der Etsch durch eine Capitulation freien Abzug und be-
schworen diess bei dem ehernen Stiere, welcher später
(von den Römern) erobeii; und nach der Schlacht in das Haus
des Catulus gebracht wurde." *)
Ich glaube, wir werden kaum fehlen, wenn wir den
Stiercultus der Kymmerier, welchen sie aus ihren Sitzen in
Sarmatien, der taurischen Halbinsel und vom kymmerischen
Bosporus herüber nach Europa brachten, mit den slavischen
Stiercult in Verbindung bringen, und in diesem Stiere, sowie
den cymbrischen Standaii;enbildern, den cymbrisch-wendischen
Stier sehen, wie ihn Obermtiller bezeichnet,*^) der als Gott
des Krieges, Tur, in Dalmatien verehrt wurde, nach Nork dem
Lande Styria seinen Namen gab, der die Brust Radegast zierte
und mit dem Perun abgebildet wurde, sich in den Wappen
alter Adelsgeschlechter des Chersonesus, der Moldau und der
*) Plutarch, Marius, Cap. 23.
*^) Obermüller, Die Urgeschichte der Wenden, p. 21.
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Wendenländer erhalten hat und sich als eherner Stier in der
Byöfskäla-Höhle (der Stierhöhle) wieder fand.
Seine Heimat mag wohl in Sarmatien und dem Tauren-
lande gewesen sein^ von wo man angenommen hat, dass die
slavischen Völkerzüge ausgegangen sind. Wie ich glaube, hat
das Wort Sauromat, Sarmat aus dem Slavischen entlehnt, als
Cumulativwort nicht nur slavische Stämme, sondern auch viele
andere mitinbegiiffen, wie Thraken, Gelten, Germanen, Skythen,
welche als Bewohner Sarraatiens, diesen Namen fiihrten. Dass
aber am Maeotis und kymmerischen Bosporus der Mehrzahl
nach Slaven wohnten, ist höchst wahrscheinlich. Plinius sagt
darüber: „Von der kymmerischen Meerenge weiter wohnten
die Maeotici, die Vali, die Serbi, die Arechi, die Zingi und
die Psessi". *) Noch deutlicher spricht sich Ptolomeus aus,
indem er sagt: „Zwischen den keranischen Bergen und dem
Rha wohnten die Orynaier, die Valen und Serben" (Sepßct und
Sipßot). Dass die hier genannten Serben Slaven waren, wird
kein Mensch bezweifeln, ebenso sind die Drewer, welche nach
Nestor Drevier und Derewljani genannt wurden und später
Anten hiessen, Slaven gewesen. Drevier oder Trerer hiessen
auch die Kymmerier, daher ist es höchst wahrscheinlich, dass
letztere einer der slavischen Völkerstämme des Maeotis ge-
wesen sind. Ueberhaupt gibt Hanuä an, dass alle Namen
der Völker, welche um den Maeotis wohnten, und selbst der
Name Maeotis, trotz ihrer Gräcificirung slavisch klingen, wie
die <Jer Obidiacener, Sittacener, Dosker, Jasamaten, Sauromaten
etc. Das Wort Kymmerier mochte wohl auch nur der Ausdruck
für jene Völker gewesen sein, die am kymmerischen Bosporus
und in der Gegend des Maeotis gewohnt haben. Die Spuren
der Slaven am Maeotis sind uns in den Namen der Städte
Phanagora, Panigora und Panticapeum zurückgeblieben, das
erstere von pani, Frau, und gora, Berg. Dort stand auch, ge-
schichtlich erwiesen, ein Tempel der Venus, der Aphrodite, die
als Aphrodite Apaturas auf einem Berge verehrt wurde. Im
Slavischen war es die 2iva, die Krasopani, und Ritter will die
Reste dieses taurischen Tempels Apatura noch gegenwärtig in
den slavischen Ländern mit der antiken Aufschrift „D6wa
Apator" gefunden haben.
») Plinins, N. H. J. VI. o. 7. 19.
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Nach dem Gesagten ergibt sich, dass der eherne Stier
der Kymmerier und der der B^öiskäla einem Cultus entstammen
mag, der von den Völkern Sarmatiens, des Maeotis und des
Taurenlandes ausgehend, mit den Slavenstämmen herüber in
ihre späteren Wohnsitze gebracht wurde.
Ich habe in der voi^stehenden Abhandlung nur Thatsachen
angeführt, ohne mich in weitgehende Combinationen einzulassen,
und glaube, dass auf Grund dessen angenommen werden kann,
dass ein Stiercultus bei den alten Völkern stattgefunden hat;
dass der eherne Stier der Bj^öiskäla ein Idol vorstellt und
höchstwahrscheinlich den Tui* der Slaven, den Kriegsgott,
repräsentirt ; dass das Dreieck auf seiner Stirne, sowie das des
Apis, das Symbol . der Trimurti der Indier , des Triglav der
Slaven ist; dass femer dieser Cult aus Indien stammend, von
den Slaven aus den Taurenlande in ihre späteren Wohnsitze
gebracht wurde.
Möglich ist es auch, dass der Name B^öiskäJa, der
übrigens kein, wie behauptet wurde, recenter ist, *) wenn nicht
gerade mit dem in der Höhle gefundenen Stiere, so doch mit
dem Cultus des Volkes, das dort seine Todtenopfer brachte,
in Verbindung stehe.
Tafel: Ansicht des Bronzestieres von der Seite und
von vorne in natürlicher Grösse.
Das Völkergemisch auf der Balkan -Halbinsel
Von
Dr. M. E. Weiser.
Wie männiglich bekannt, unterscheidet die Geographie
vorläufig noch immer eine europäische und eine asiatische
Türkei. Was nun die Bewohner des europäischen Theiles, von
dem ich allein zu sprechen gewillt bin, anbetrifft, so sind die
drei massgebendsten Factoren darunter der osmanische,
griechische und slavische Stamm. Daneben existiren noch
eine Menge Racen und Natiönchen, die nicht recht wissen, was
sie mit sich anfangen sollen; so die Armenier, spanischen
Juden, Zigeuner, Kuzzo- oder Graeco-Walachen, Arnau-
*) Mittheilungen der anthrop. Gesellscb. in Wien. p. 325.
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ten, Tscherkessen, die „Levantiner" (Sprösslinge gemisch-
ter, abend- und morgenländischer Ehen) u. a. m.
Die Bulgaren, ein von der Wolga her mit den Hunnen
eingedrungenes, später slavisirtes Volk, haben unstreitbar in
Rumelien die ansehnlichsten Fortschritte gemacht, und in dem-
selben Masse an Terrain gewonnen, wie die Griechen, die
Träger der Intelligenz und Cultur, verloren. Das heutige Bul-
garien beschränkt sich nicht mehr auf das Land zwischen
Donau und Haemus (schlechtweg „Balkan" genannt, was im
Türkischen nichts anderes heisst, als „Gebirge" überhaupt),
sondern umfasst thatsächlich schon das ganze Rumelien bis an
den thracischen Bosporus und das Marmara-Meer.
Die Hauptursache dieser raschen und auffälligen Ver-
breitung des bulgarischen Stammes muss zunächst in der Art
und Weise gesucht werden, wie sie das Institut der Ehe
cultiviren. Jeder junge Mann , der nicht ein Krüppel ist,
heiratet fast ausnahmslos in seinem 20. Jahr. Man kann sicher
sein, keinen Hagestolz unter ihnen zu finden, es wäre denn,
wie gesagt, dass schon die Mutter Natur den BetreflFenden
durch körperliches Siechthum auf die Ehelosigkeit als den
besseren Theil hingewiesen. Wo nun die Ehe einen so wahr-
haft universalen Charakter angenommen, da bleibt denn auch
die Nachkommenschaft nicht aus, und da es jeder Land-
mann schliesslich doch wenigstens auf drei lebende Sprösslinge
bringt, 80 ist leicht einzusehen, dass schon der zweiten Genera-
tion das Stammhaus nicht mehr genügt und dieselbe gezwuiigen
ist, neue Wohnsitze zu suchen. So ist denn auch wirklich
Rumelien mit einer Dichtigkeit, und zwar vorwiegend bulgarisch
colonisirt, auf die Kanitz, Prof. Hochstetter und später die bei
dem Bahnbau beschäftigten Personen aufmerksam wurden.
Vernachlässigt in dieser Beziehung sind nur jene Gegen-
den, welche an Wassermangel leiden, wie die Partien von
Adrianopel an's Meer gegen Rodosto und Constantinopel. Dort
kann man auch 100 und 1000 Joch der schönsten Ackererde
unbenutzt sehen, und wird während einer ganzen Tagereise
kaum drei Ortschaften finden.
Die Geschichte von dem allmäligen Aussterben der
Türken hat schon durch viele Berichte und Beschreibungen
die Runde gemacht; vielleicht ist es diese Thatsache, welche
die Schutzmächte von jeder Action abhält. Wozu auch sich
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echauffiren, wenn die Türken von selbst aus Europa ver-
schwinden? So löst sich ja auch die orientalische Frage in
ruhigster und natürlichster Weise von selbst, und bis dahin
„können wir warten".
Uebrigens lässt sich dieses Aussterben auf eine weit ein-
fachere Art erklären, als diess mit Zuhilfenahme der sonst ge-
läufigen Motive geschieht. Obwohl nämlich dem Muselmann das
Recht zusteht, mehr Frauen (und daneben unzählige Sklavinnen)
zu halten, so ist das doch ein Luxus, zu dem nur die Reichen
die Mittel haben. Die Monogamie ist auch unter den Osmanen
der weitaus häufigste Fall. Die Armuth bringt aber nun den
rechtgläubigen Türken in diesem Falle oft in Conflict mit dem
Koran, der ihm verbietet, die Frau, die sich der HoflFnung auf
Nachkommenschaft erfreut, zu umarmen. Um nun den religiösen
Satzungen gerecht zu werden, greift er zu dem Mittel der
Abtreibung, und die Schwierigkeit, mit ihr die Nachkommen-
schaft, ist beseitigt. Dass die übrigen unnatürlichen Laster, auf
welche nicht einmal eine Strafe gesetzt ist, jedenfalls dem Nach-
wuchs der Bevölkerung nicht Vorschub leistet, ist klar.
Die Griechen, wegen der „graeca fides" auch heutzutage
noch übelbeleumundet, sind vorwiegend im Besitze des Handels;
von einer Industrie ist noch kaum die Rede, aber selbst die
geringen Anfänge hiezu gingen meist von der griechischen
Seite aus. Die türkische Sprache nennt die Griechen „Röm-
linge** (Romaei) und hievon erhielt auch die thracische Provinz
den Namen, den sie jetzt führt, „RumeUen". Seit Errichtung
des selbstständigen hellenischeü Königreiches aber sind wohl
nur wenige Griechen mehr eingewandert.
Die Griechen sind bei sämmtlichen anderen Racen wenig
beliebt, und liegen namentlich mit den Bulgaren, mit denen
sie den griechisch - nichtunirten Ritus gemeinsam hatten, in
fortwährendem Hader. In allemeuester Zeit nun sind die Bul-
garen oflfen von der griechischen Kirche abgefallen und ihrem
Ideale von einer bulgarischen Nationalkirche näher gekommen.
In dem betreflfenden langdauemden Streite stand die
türkische Regierung meist auf Seite der Bulgaren — ein Um-
stand, der nicht recht klar ist. Die osmanischen Staatsmänner
mussten doch wissen, dass eben von dieser Seite mit Emsigkeit
und zuversichtlichem Erfolge das Ende der türkischen Herrschaft
vorbereitet wird. Oder suchte man etwa gerade desshalb durch
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Concessionen die E^atastrophe milder zn machen, sie hinauszu-
schieben? Von der jetzigen Generation hat der Halbmond
übrigens noch kaum etwas zu furchten ; in fünfzig Jahren aber
hat Europa gewiss aufgehört, die Türkei als mohamedanischen
Staat in seiner Karte zu verzeichnen. Erst seit dem letzten
Decennium kann man von einem Erwachen des Nationalbewusst-
seins unter den Bulgaren sprechen. Ihrer schwächsten Seite
»ich wohl bewusst, legen sie den Schwerpimkt einer nach-
haltigen Agitation auf die Schulen, die sie denn auch mit an-
erkennenswerther Opfermüthigkeit in grosser Anzahl errichten.
Lieder, welche im Geheimen unter ihnen circuliren,
geben Zeugniss von dem tiefen Hasse gegen ihre Unterdrücker,
der nur auf den richtigen Zeitpunkt wartet, um sich seine
Opfer zu suchen. Um jedoch selbst dann, wenn solche Gesänge
en famille vorgetragen werden , gegen Verrath und Strafe
sich zu sichern, werden an den kräftigsten Stellen statt der
Türke# die Griechen mit aller Gluth des Hasses bedroht,
und diese so zu einer Firma benutzt, unter der sich ohne
Furcht die ingrimmigste Rachsucht aussprechen darf. Auch
der „heilige Charakter" muss herhalten, um feurige, patrio-
tische Lieder in die Schul© einschmuggeln zu können. Unter
anderen „Kirchenliedern" fand ich auch folgenden Freiheits-
gesang^ der sich würdig ähnlichen Poesien anderer Nationen
anschliesst, und den ich nachfolgend möglichst wort- und form-
getreu wiederzugeben versuchte:
Nur voran!
Herbei von allen Seiten, herbei von Nah' und Weit!
Es blasen die Trompeten, sie rufen uns zum Streit!
Gar schrecklich wird das Morden, doch frei dann unsVe Bahn,
Zorn Kampfe lang gerüstet, geh^n endlich wir voran!
GerQstet und zum Kampf bereit, steht auch des Feindes Heer;
Ihr Freiheitskfimpfer, zaget nicht, greift furchtlos zum Gewehr.
Gott selbst in unserem Lager, wird schützen Mann für Mann,
Vertraut auf ihn, und geht nur immer kühn voran!
Des Heilands Segen ruhet auf diesem heifgen Kampf
Er wirkt im öden Felde, er schützt im Pulverdampf.
Was schieret Hitze, Regen; was Frost den Freiheitsmann,
Die Lfosung lautet „vorwärts^ und „immerdar voran^!
Gott sieht auf unser Ringen mit wohlgeffiirgem Blick,
Er wacht mit Vateraugen ob uns'rem Waffenglück.
Der Krieg sei nun entfesselt — der Friede folg' erst dann,
Wenn wir den Sieg errungen, gestritten stets voran.
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Einer ganz besonderen Liebe und Fürsorglichkeit seitens
der Regierung erfreuen sich die Tscherkessen, deren es im
Lande mehr gibt, als es mit dessen Sicherheit verträglich ist;
denn so klein auch diese Schaar der guten Freunde und Lands-
leute Schamyls, so auserlesen ist sie auch: Mann für Mann
ein Räuber oder Dieb. Wohl hundertmal schon mag die
türkische Regierung es bereut haben, dieser Race Asyl ge-
geben zu haben. Um aber diesen dummen Streich wieder gut
zu machen, erfreuen sich die tscherkessischen Missethäter fast
ausnahmslos einer weitestgehenden Straflosigkeit, denn je mehr
„diese armen Teufel" selbst für eine Einnahme sorgen, sei es
auch dui-ch nicht ganz gewöhnliche Mittel, desto weniger tritt
an die Regierung die Nothwendigkeit heran, in den eigenen
Beutel zu greifen, was sie consequenterweise ja thun müsste,
nachdem sie selbst seinerzeit diese Leute herangelockt.
Die Tscherkessen nun sind die wahren Helden der Strasse,
auf der sie unter Tags meist gruppenweise herumschlfendern,
und die örtlichen Verhältnisse recognosciren. Mit der Däm-
merung legen sie sich auf die Lauer, und kommt ihnen dann
ein Wesen, Mensch oder Thier, in den Wurf, — flugs ist an
oder mit ihm eine Besitzverschiebung vorgenommen, die sich
in keinem Gerichtsprotokoll vorfindet. Besondere Vorliebe
hegen sie für die Pferde, welche dann in entfernteren Gegen-
den auf einem wahren Diebs-Bazar verkauft werden. Jedes Kind
kennt diese Geschichten und doch bleiben sie ewig neu. Als
vor dritthalb Jahren ein verschärftes Wafl'en verbot durchgeführt
und den Bulgaren selbst ihre zum Hausgebrauch dienenden
längeren Messer abgenommen wurden — da behielten die
Tscherkessen erst recht, was sie zu ihrem freien Handwerk
brauchten. Man glossirte diese Massregel damals als eine directe
Vorschubsleistung für die eine Seite.
Ganz eigenthümlich geartet ist die tscherkessische Tracht,
die meist von grobem weissem Stoffe gefertigt ist. Die weiss
behosten Beine stecken in hohen Stiefeln, der Kopf unter einer
ungeheuerlichen Pelzmütze. Ein weiter, sehr langer, aber „in
die Taille geschnittener" Rock, von gleichem Stoffe wie die
Beinkleider, ist das wesentlichste Unterscheidungsmerkmal von
den übrigen Landestrachten, die sich immer nur mit Jacken
und „Spencern" begnügen. Auf diesem talarähnlichen Rock
nun sind vorne auf der Brust zu beiden Seiten je eine Reihe
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von hohlen Wülsten angenäht, in welchen sie ihren in Blech-
hülsen vertheilten Vorrath an Patronen stets mit sich herum-
tragen. Die Physiognomien sind durchgehends gemein, häss-
lich und «trafen das Mährlein von der Schönheit der Circassier
oder Kaukasier laugen. Unter den Frauen soll es besondere
Schönheiten geben, welche aber nicht leicht sichtbar werden, da
sie nach muselmänischem Muster sich gleichfalls verschleiern.
Die Zierden der Harems sind meistens Tscherkessinen, welche
desshalb auch von der Serailspitze in Stambul angefangen bis
weit hinauf gegen Norden eine von allen Pascha's, Bey's und
EfFendi's gesuchte und gerne hoch bezahlte Waare abgeben.
Die nomadisirenden Kuzzo-Walachen und Arnauten,
Albanesen, treten fast ausnahmslos als Schaf- oder Ziegen-
hirten auf. Letztere stellen ausserdem das grösste Contingent an
Kawassen, eine Art von Leibhusaren, mit phantastischer Tracht,
die man zum Schutze seiner Person und seines Eigenthums in
Sold nitemt.
Von den zahlreich verbreiteten Zigeunern aller Zungen
nomadisirt in der europäischen Türkei merkwürdigerweise nur
der kleinste Theil; die Mehrheit hat feste Wohnsitze. Ein
,, Zigeunerviertel'' fehlt kaum einem türkischen Orte, sei es
Stadt oder Dorf.
Die Feiertage der Brüder aus den schwarzen Bergen.
Von
Dr. M. E. Weiser.
Kann man einerseits die Montenegriner in mancher Be-
ziehung mit den Spartanern vergleichen, so ist andererseits
eine Parallele zwischen Cetinje und dem alten Rom nicht ganz
unzulässig, mit dem es so ziemlich die gleiche geographische
Breite hat. Die ausgelassene Art, wie dort Feste gefeiert zu
werden pflegen, erinnert nicht wenig an das, was uns von
der Begehung der römischen Bachanalien, Saturnalien und
Luperkalien überliefert worden.
Zu Weihnachten, zur Feier der Gottesgeburt (Bo^iö),
gehört es förmlich zum guten Ton, mindestens 24 Stunden
volltrunken zu sein und allen möglichen Unfug zu treiben.
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Bis in die jüngsten Tage war es Sitte zu dieser Zeit vor jeder
Behausung Weihnachtsbäume (Badnjaci) aufzustellen und zwar
deren so viele, als die betreffende Familie männliche Mitglieder
zählt. Diese Bäume wurden aus benachbarten Waldständen
durch eine Schaar von Männern unter Vortritt des Fürsten in
feierlichem Aufzuge eingeholt. Ihre eben erwähnte Verwendung
stellte ein sehr primitives Verfahren einer Volkszählung vor,
welche sich aber nur auf den männlichen Theil der Bevölke-
rung, als denjenigen erstreckte, welcher allein hinsichtlich der
Wehrhaftigkeit des Landes in Betracht kommt. Bei dem darauf-
folgenden Abendmahle ward dann ein gebratenes Schwein als
Ganzes auf die Tafel gebracht, welchem der Fürst, unter leicht
zu errathenden Anspielungen, mit einem kräftig geführten
Hantscharhieb den Kopf vom Rumpfe trennte.
Nach einer über alle Massen streng gehaltenen Fasten-
zeit (Post), mehrtägigem nächtlichen Gottesdienste etc. wird
das Osterfest, die Auferstehung des Heilandes (Vaskrsenije)
durch einen grossartigen Umzug gefeiert. An demselben, welcher
von dem Kloster (Monastir) seinen Ausgang nimmt und sich
unter Abhaltung mehrerer Stationen um ganz Cetinje bewegt,
betheiligt sich die aus Nah und Fern herbeigeeilte, festlich
geschmückte, sowohl männliche als weibliche Bevölkerung.
Eine allgemeine Bewirthung mit Wein, der vom Fürsten ge-
spendet, in kupfernen Kesseln herumgereicht wird, von Hand
zu Hand, von Mund zu Mund geht, macht den Schluss. Ein
mehrmaliges, kräftiges „2ivio" der nach dem Geschlechte ge-
sondert aufgestellt gewesenen Bevölkerung auf ihren Gospodar
und seine Familie ertönt noch einmal auf dem Hauptplatze
Cetinjes, einem wahrhaften forum montenegrinum ; ein gnädiges
Danken des mit seiner Familie auf dem Balcon stehenden Fürsten
und — die Söhne und Töchter der schwarzen Berge zerstreuen
sich wieder. Die Einen setzen die landesüblichen culinarischen
Genüsse auf eigene Faust fort, die Anderen ergeben sich Be-
lustigungen nach nationalem Geschmack : dem einfachen Steine-
werfen oder dem Boggiaspielen , oder ausnahmsweise dem
Scheibenschiessen.
Von jener Anzähl Feiertage abgesehen, welche bei den
dem griechisch-orientalischen Ritus angehörigen Montenegrinern
zu Recht bestehen und für mehr als die Hälfte des Jahres den
Müssiggang autorisiren, hat man in Cetinje glücklicherweise
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161
noch einen Vorrath von anderen festlichen Anlässen, die den
Söhnen Cmagoras die stets gerne benützte Gelegenheit geben,
sich selbst, den Prunk ihrer Festgewänder und ihren beson-
ders herausgeputzten Martialismus selbstgefällig beschauen zu
können. So liefert die vielköpfige Familie des Fürsten in anf-
and absteigender Linie eine respectable Anzahl von Namens-
und Geburtstagen, die natürlich den Patriotismus energisch
herausfordern und nebenbei den roth angestrichenen oder doch
wenigstens blau gemachten Tagen einen weiteren Zuwachs von
ein paar Wochen zuführen. Aus leichtbegreiflichen Gründen
dürfen auch die Familienfeste des russischen Kaiser- und des
serbischen Fürstenhauses beileibe nicht vergessen werden.
Ein Fest von höchst eigenthümlicher Art ist das des
Krstnoimendan, die Feier der Christwerdung der Vor-
fahren. Einer ähnlichen Institution, einer solchen Verquickung
des religiösen Elementes mit dem nationalen, wird man nicht
leicht anderswo wieder begegnen. Der Krstnoimendan ist der
durch Familientradition überlieferte, kalendarisch festgestellte
Gedächtnisstag, an welchem ein Ahne zuerst das Christenthum
angenommen. Der Kalenderheilige dieses Tages ist sozusagen
der Haaspatron, der Familienheilige, und sein Fest steht bei
jedem Montenegriner im allerhöchsten Ansehen. Wer denkt
hiebei nicht unwillkürlich an die Laren und Penaten der
Alten? Krstnoimendan der fui'stlichen Familie Petrowitsch ist
der Tag des hl. Georg (23. April griechischen Kalenders).
Kleinere Mittheilungen.
lieber einen Grabhttgel bei Digala am Oarmia-8ee.
Mit ergänzender Bezugnahme auf die durch Herrn Tietze
gegebenen Erläuterungen über die Natur der auf den intercollinen
Thalebenen des Elburuz-Plateau vorkommenden conisohen Hügel,
deren Entstehung allein menschlicher Thätigkeit zuzuschreiben ist,
machte Herr Staatsrath H. Ab ich in der Sitzung der k. k.
geologischen Beichsanstalt ^) yom 20. Februar 1877 folgende Mit-
theilungen , die wir ihres ganz besonderen Interesses wegen hier
in Gänze wiedergeben.
') Verhandlongeu der k. k. geol. Reicbsanstalt, Nr. 4, vom Jahre 1877.
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162
„Auf einer Reise**, so bemerkte der Vortragende, „die ich im
Herbst 1862 von Erivan aus über Tawris nach Ourmia, haupt-
sächlich in der Absicht unternahm, um die geologische Alters-
stellung der posteocänen tertiären Ablagerungen des aderbidianischen
Hochlandes näher kennen zu lernen, wendete ich mich nach einem
eintägigen Aufenthalte auf der centralen, reich gegliederten Insel-
gruppe des Ourmia-Sees nach dem 14 Kilometer von der Haupt-
insel entfernten Orte desselben Namens, um von dort über Salmas
und Khoi nach Erivan zurückzukehren.**
„Von der dem Westufer des Sees am meisten genäherten
Insel Isbir, wo lichtgelbe Clypeasterkalke aus der beinahe concen-
trirten Salzfluth emporragende Bellerophon- und Fusulinenkalke über-
lagern, am Ufer des Festlandes gelandet, ist das Defil^ niedriger
Hügelzüge der Besobdaghi, aus Conglomeraten ryolithischer Quarz-
trachyte zusammengesetzt , zu durchschreiten , um das jenseits
liegende Dorf Gormachana zu erreichen. Hier öffnet sich die freie
Aussicht auf die flache, goldartige Culturebene von Ourmia, im
Westen von den Vorbergen entfernterer meridianer Gebirgszüge
begrenzt, gegen Süden der weiter fortsetzenden flachen XJferzone
sich unmittelbar anschliessend. Ein massig hoher, felsiger Hügel,
Baschikkala, von gleicher Natur mit den Besobdaghi-Hügeln, erhebt
sich auf dem mittleren Eaume der Ourmia-Ebene inselartig. Ein
bei weitem kleinerer Hügel, Toprach dag genannt, der in einiger
Entfernung, mehr landeinwärts^ aus der Gartenumgebung des Dorfes
Digala emporragt, leitete vermöge seiner abgerundeten Kegelform
die Vorstellung gleichfalls auf vulcanischen Ursprung.**
„In Folge späterer Forschung nach der Herkunft eines aus-
gezeichnet reinen grosskrystallinischen Salpeters auf dem Bazar von
Ourmia, erfuhr ich, dass dieses Salzproduct auf einer dem Militär-
ressort untergebenen Salpetersiederei in Ourmia selbst, und zwar
aus einer im Toprach dag bei Digala gegrabenen Erde gewonnen wird.
Die Salpeterfabrik sofort in Augenschein nehmend, erhielt ich durch
einen dieselbe dirigirenden persischen Artillerie- Officier die Be-
stätigung des in Erfahrung Gebrachten, und hatte daselbst Gelegen-
heit, mich von der Reichhaltigkeit jener Erde an fertigem reinen
Salpeter zu überzeugen, die den Hauptbestandtheil des Bergkörpers
des Toprach dag ausmacht. Zugleich erfuhr ich, dass jene Erde
schon seit unbekannter Zeit von den Einwohnern des Dorfes Digala
zum Zweck einer kräftigen Düngung ihrer Gras-, Obst- und Ge-
müsegärten gegraben und benützt, ja bis zu dem 5 Kilometer ent-
fernten Ourmia für denselben Zweck verführt wird.**
„Der näheren Untersuchung des Ortes dieser Gewinnung mich
zuwendend, fand ich den von Gärten eng umschlossenen , zum
grösseren Theile mit dichtem Graswuchs bekleideten Berg von flach
terrassenförmiger Grundanlage und zur Höhe von 70 — 80' Fuss auf
einer Basis ansteigend, deren Umfang mir innerhalb Vj — Vft ^i^o-
meter zu liegen schien.**
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163
,An allen Abhangseiten, wo der freie Zutritt durch die Nähe
wohlgehegter Gärten nicht erschwert erschien, zeigten sich vom
Fasse des Hügels an beginnende Terrain abstiebe neben einer Viel-
zahl von Oeffnungen stollenartiger Weitungen behufs eines regel-
losen Abbaues, dessen Verfolg eine labyrinthische Durchwühlung
des Berginnern bereits bewirkt hatte. Die Wandungen hoher,
tunnelartig ausgeweiteter Strecken zeigten ein gemischtes trockenes,
mehr oder minder körniges, aber sehr mürbes Erdreich von dunkel-
bräunlicher und bräunlichgrauer Färbung mit allen Zeichen unregel-
mässig horizontaler Aufschüttung. Durch eine auffallend heterogene,
substantielle Beschaffenheit unterschieden sich, keineswegs immer
in derselben Ebene liegende, kurze und wenig hohe, an beiden
Enden sich bis zum Verschwinden auskeilende Zwischenlager von
einer gewissermassen als Grund- und Hauptmasse des Berges an-
zusprechenden Erde von meistens umbrabrauner Farbe. In der
Textur dieser Zwischenlager war eine schichtenweise Vermischung
von deutlicher Euochenasche mit grösseren und kleineren Knochen-
fragmenten gemengt, und von eingeäscherten Halm- und Strohresten
erkennbar, welche durch mitvorhandene, mitunter mehrere Linien
dicke Lager von verkohlten Körnern, unverkennbar auf Weizen
oder Gerste zurückzuführen waren."
„Auch fehlten die Scherben irdener gebrannter Gefässe in
diesen Zwischenlagern nicht, wie sie auch in Fragmenten der ver-
schiedensten GbrÖBse in dem allgemeinen Grundterrain des Berges
sich verbreitet zeigten. Musste sich aus den angegebenen Umständen
aliein schon der Schluss ergeben, dass der Hügel von Digala nur als
ein Leichen verbrennungs- und Bestattungsplatz der alten Iranbewohner
zu deuten sei, so fand diese Vorstellung ihre völlige Bekräftigung
durch die weiteren Wahrnehmungen an diesem interessanten Orte."
„Durch eine tunnelartige Oeffnung von mehr als Manneshöhe
war das Eindringen bis nahe in die Mitte des Hügels gestattet,
und hier endete dieselbe in dem Inneren einer mit gewisser Regel-
mässigkeit ausgearbeiteten cylinderformigen, nach der Höhe sich
verjüngenden Weitung, die sich am besten mit dem inneren Räume
eines grossen Eisenhochofens vergleichen Hess."
„In 4 — 5 Reihen zeigten sich, umlaufend an der Innenwand,
in Abständen von mehreren Füssen übereinander von unten nach
oben etagenförmig angebrachte Consolen oder Repositorien aus Platten-
sandsteinen des eocänen Terrains von etwa anderthalb Fuss Breite."
,Es bedurfte hier noch der Wahrnehmung einer rostbraunen,
gefritteten Beschaffenheit der Sandsteinplatten, um mit der Be-
trachtung dieses seltsamen wohl 30 — 40 Fuss hohen, schlottartig
zugespitzten Raumes, unter Voraussetzung einer einst vorhanden
gewesenen oberen Oeffnung, die Vorstellung von einem wirklichen
Leichenverbrennungsofen zu gewinnen. Die Anlage desselben muss
natürlich in eine Zeit gefallen sein, als die Aufschüttung des
Toprach dag -Hügels, nahe bis zu seiner jetzigen Höhe, bereits
Thatsache gewesen. Diese Vorstellung von dem wahren Zwecke,
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164
der Hochofenartigen Vorrichtung, ist so schlagend begründet, dass die
allgemeine Meinung der anwohnenden Bevölkerung dieselbe vertritt. *
,Zu weitergehenden Betrachtungen über die ethnische Bedeu-
tung des Toprach dag-Hügels fordert unter andern auch die Wahr-
nehmung auf, dass sich an den Steilwänden umfangreicher Abstiche
der Bergmasse die Durchschnitte grosser topfförmiger Gefösse und
aus Sandsteinplatten kastenartig zusammengesetzter Behälter, die
ersten in meist verticaler, diese in mehr horizontaler Lage der
Bergmasse eingesenkt zeigen. Der erdige, mit Knochen- und Schädel-
fragmenten gemengte Inhalt dieser Behälter bei Abwesenheit von
kohligen Verbren nung«producten scheint dafür zu sprechen, dass
an diesem Orte auch Beisetzungen ohne Leichenverbrennung statt-
gefunden haben. Eine solche Meinung findet ihre Unterstützung
auch darin, dass der Calcinirung nicht unterworfen gewesene Enochen-
fragmente in der Bergmasse zerstreut häufig sind, wie es denn
auch nur bedingungweise verständlich wäre, dass mit StickstofiT-
verbindungen erfüllte Erdmassen von solcher Mächtigkeit sich da
hätten anhäufen sollen, wo keine andere Bestattungs weise, als die
durch Calcination der Gebeine mit zur Anwendung kam.*
,Aus der Unterhaltung mit den Mitgliedern der amerikanischen
Mission in Ourmia über den Bestattungshügel von Digala und die
durch denselben bedingten, in die Gegenwart eingreifenden tech-
nischen und culturhistorischen Verhältnisse entnahm ich, dass der
Salpetererzeugung föhige Hügel und Oertlichkeiten, von bewohnten
Orten mehr oder minder entfernt, in Aderbidjan keineswegs zu
den Seltenheiten gehören, und dass dergleichen Erden namentlich
auf dem Wege von Ourmia nach Teheran anzutreffen seien, die
von der persischen Militärverwaltung zur Deckung der Salpeter-
bedürfnisse für Pulverbereitung, wie die vom Toprach dag bei
DJgala, periodisch benutzt würden."
Durch das Vorstehende vermehrt sich die Wahrscheinlichkeit,
dass einem Theile der auf dem persischen Plateau von Hrn. Tietze
beobachteten kegelförmigen Hügel eine analoge Entstehungsweise,
wie die angegebene, durch Leichenverbrennung zugeschrieben
werden darf.
Nach den Ausführungen des Herrn Tietze ist noch beizufügen,
dass die Entstehung wenigstens eines Theiles dieser Hügel auf
eine Periode zurückzuführen sein wird, welche der Zeit der Gebern
in Persien vorausging. Die alten Gebern setzten ihre Todten den
Vögeln des Himmels zum Frasse aus und thun dies noch heute,
da es noch Beste derselben in Persien gibt. Diese eigenthümliohe
Sitte erklärt manche sonderbare Erscheinungen in alten Grabfeldern
des Orientes, worüber in diesen Blättern (Band VI. Seite 153)
eingehende Mittheilungen gemacht wurden. J>r. Maeh.
BedaetloM-ComlU: Hofrath Franz Ritter t. Hauer, Uofrath CnrI Langer, Dr. M. Mark,
Prof. Friedr. Miller, Dr. WabmiaBBy Prof. Joh. Wtldfleh.
Dmck Ton Adolf HolmhauMn In Wlaa
k^ k. Uai*«r*ltlu-Boabdf«i«kM«l.
Digiti
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TII. BaacL Ausgegeben den 11. September 1877. Br. 7 IL 8.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
m WIEN.
Iskaltt Ueber die SchA4el1[noch«n d«t Binde« »ne dem Pfahlbau des Laibacher Moore«. (Hit
Tafel 1— III.) Von Prtf. Dr. M. WilckMW. — Die ForMhongen der kaieerliohen arckfto-
logitchen Commiseion ta St. Peterabarg. II. Von joh. Haweika in Moskau. — Ueber die
Steinfignren (Kamene babe) auf den Tomolit de« üfldlichen ftnasland. Von Or. M. Mach. —
Notizen Ikber da« Feilen der Zihne bei den V61kem de« o«tindischen ArehipeU. Von
A. B. Mayar. — Literaturberichte: 1. Franz Ferk. Ueber Druidisiau« in Norieum. Von
Dr. Weist. — S. Dr. Ftifier. Zur prfthietorischen Ethnologie Italiens. Von Dr. M. I
— Berichtigung. — Vereins-Mittheiluug.
Ueber die SchädelkDochen des Rindes aus dem
PTaETGaü des Lailbaeher "Moores.
Von
Prof. Dr. M. Wilokens
in Wien.
(Mit Tafel I— UI.)
Von allen in Europa bis jetzt aufgedeckten Pfahlbauten,
ißt der des Laibaeher Moores am reichsten an Schädelresten
der Gattung Rind. Von wilden Formen findet sich der Ur
(bos primigenius), doch nur in geringster Zahl, weit zahlreicher
ist der Wisent (bison priscus) vertreten, und in grösster Zahl
finden wir die Formen des zahmen Rindes. Halten wir uns
bezüglich dieser an die bisher übliche Rasseneintheilung, näm-
lich an die drei von Rütimeyer aufgestellten typischen
Formen : bos taurus primigenius, bos taurus frontosus und bos
taurus brachyceros, so finden wir die beiden letztgenannten
Formen durch Oberhaupt- und Unterkieferstücke in mehreren
Stücken vertreten; dagegen ist es mir nicht gelungen unter
den bisher mir vorgelegenen Schädelstücken die Primigenius-
Rasse festzustellen. Ausser den drei von Rütimeyer auf-
gestellten typischen Rasseformen aber finde ich unter den
Schädelknochen des Laibacher Moores in grösserer Zahl noch
eine vierte Form, die ich zunächst in Betracht ziehen werde.
Vor etwa zwei Jahren sah ich mich veranlasst durch
meine Studien von lebenden Formen des Osttiroler Alpenrindes,
13
166
wie es in reinster Form im Duxerthale auftritt, jenen drei
Typen von Rütiineyer noch einen vierten zuzufügen. Ich
nannte dieses , gegenwärtig durch das Osttiroler Alpenvieh
vertretene Rind: Das kurzköpfige Rind, bos taurus brachy-
cephalus. Da Rütimeyer das Osttiroler Alpenvieh, und
selbst eine diesem in ihren Formen sehr ähnliche Rasse im
Eringerthale des Cantons Wallis nicht bekannt war, so erklärt
sich wohl daraus, dass er sich mit der Aufstellung jener drei
Typen begnügte, und dass ihm vielleicht der von mir bestimmte
vierte Typus (bos taurus brachycephalus) unter den ihm zu-
gänglichen Pfahlbauknochen bisher entgangen ist. Ich sage
„vielleicht", weil ich nicht bestimmt weiss, ob frühere
Pfahlbaufunde Knochen des kurzköpfigen Rindes enthalten.
Als ich selbst die Schädelknochen des Schweizer Pfahlbau-
rindes studirte, ist mir keine dem kurzköpfigen Rinde ähnliche
Form aufgefallen, aber damals waren mir die Formen des
Osttiroler Rindes auch noch nicht so bekannt wie gegenwärtig.
Die landwirthschaftlichen Schriftsteller, welche die Formen des
Osttiroler Rindes beschrieben haben, begnügten sich damit, das-
selbe dem Rütimeyer'schen Frontosus-Typus unterzuordnen.
Das dem Osttiroler Rinde nächst verwandte Rind des Walliser
Eringerthales ist bisher durch die Literatur nicht bekannt
geworden. Ich war der Erste, der an diesem Rinde in seiner
Heimat genaue Messungen vornahm und die erste Beschreibung
seiner Körperformen veröffentlichte. Ebenso wurde von mir
zuerst eine eingehendere Beschreibung, gestützt auf Messungen,
von dem Osttiroler Rinde der Oeffeutlichkeit übergeben; auch
habe ich vor zwei Jahren, auf der Naturforscher- Versammlung
in (iraz, über die Formen des kurzköpfigen Rindes einen
Vortrag gehalten, der diesen Gegenstand auch den Fachgenossen
näher brachte.
Trotzdem hat sich seither der von mir aufgestellte Brachy-
cephalus-Typus in der zoologischen Literatur noch keiner aus-
drücklichen Anerkeimung zu erfreuen gehabt, was wohl daher
kommt, dass prähistorische Funde von demselben nicht aufzu-
weisen waren.
Ich bin jetzt in der glücklichen Lage: das kurzköpfige
Rind, beziehungsweise den Brachycephalus -Typus, auch an
mehreren Knochen des Laibacher Pfahlbaues nachweisen zu
können.
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167
Das vollständigste bisher gefundene Schädelstück, ein bis
zu den Augenhöhlen erhaltenes Stirnbein mit beiden Horn-
wui-zeln, im Zusammenhange mit einem fast vollständigen
Hinterhauptbeine, ist Taf. I. Fig. 1 und 2 abgebildet. Das
Stück zeigt die Form eines kurzköpfigen Stieres. Zum
Vergleiche habe ich in (Fig. 3 und 4) die vordere und die
hintere Ansicht eines zweijährigen Osttiroler (Duxer) Stier-
schädels beigefugt. Ferner ist in Fig. 5 ein rechtes Stirnstück
mit Hörn, in Fig. 6 ein rechtes Hinterhauptstück mit Hörn
abgebildet, welche ebenfalls der Brachycephalus -Rasse an-
gehören.
Das Bezeichnende für die Brachycephalus-Form am Ober-
haupte, so weit es an vorliegenden Pfahlbauresten ersichtlich
ist, ißt die Breite des Stirnbeines über den Augenhöhlen und
die Länge der Hornstiele; am Hinterhaupte ist es die starke
Verengemng unter den Hornstielen (an dem Schläfeneinschnitte
des Scheitelbeines) und die gi-osse Ausdehnung des Hinter-
hauptes von einem Ohrhöcker (der am weitesten nach hinten ge-
legenen Ursprungsstelle des Jochbogens) zum andern, wodurch
sich das kurzköpfige Rind vor allen anderen auszeichnet. Die
bezeichnete engste und breiteste Stelle der Hinterhauptfläche
unterscheide ich als kleine und grosse Queraxe des Hinter-
hauptes; an dem Laibacher Pfahlbauschädel in Fig. 2 verhält
sich jene zu dieser wie 100:153, an dem Duxer Stierschädel
in- Fig. 4 wie 100:152. Bei den Stierschädeln der übrigen
Rinderrassen ist das Verhältniss der kleinen zur grossen Quer-
axe des Hinterhauptes kleiner. Dagegen ist dieses Verhältniss
grösser bei allen Kühen; unter diesen aber haben wiederum
die jetzt lebenden Kühe der kurzköpfigen Rasse das grösste
Verhältniss zwischen kleiner und grosser Queraxe des Hinter-
hauptes. Bei vier Musterschädeln meiner Sammlung ist dieses
Verhältniss bei einer Duxer Kuh (Brachycephalus-Rasse) wie
100:168*2, bei einer Appenzeller Kuh (Brachyceros-Rasse)
wie 1(X): 161*8, bei einer Holländer Kuh (Primigenius-Rasse)
wie 100 : 159*7 , bei einer Benier Kuh (Frontosus-Rasse) wie
100 : 152*4. Noch kleiner ist dieses Verhältniss bei einer wilden
Urkuh (aus der Sammlung der hiesigen geologischen Reichs-
anstalt), nämlich wie 100 : 139.
Das Verhältniss der kleinen Queraxe der Stirn (imter-
wärts, beziehungsw^eise vorwärts der Hornwurzeln) zur grossen
18*
uiyiiizöu uy ■v^j\^>' v^pt ix^
168
Queraxe derselben (quer über den Augenhöhlen, von einer
Stirn-Wangenbein - Verbindung zur anderen) ist ebenfalls das
grösste, sowohl bei Stieren wie bei Kühen der Brachycephalus-
Rasse. Bei dem Schädel eines etwa dreijährigen *) Brachy-
cephalus-Stieres meiner Sammlung, ist dieses Verhältniss wie
100 : 133, bei einem Stiere der Primigenius-Rasse wie 100 : 124*5,
bei einem Stiere der Brachyceros-Rasse wie 100 : 121*9 und bei
einem Stiere der Frontosus- Rasse wie 100:119. An dem
Schädel des Laibacher Pfahlbaustieres in Fig. 1 und 2, den ich
der Brachycephalus-Rasse zurechne, ist das Verhältniss zwischen
kleiner und grosser Queraxe des Stirnbeines wie 100:125; es
ist aber die breiteste Stelle am Stirnbeine nicht erhalten, so
dass also die grosse Queraxe des Stirnbeines noch breiter war
und das bezügliche Verhältniss sich dem des heutigen Brachy-
cephalus-Stieres am meisten näherte. Auch bei den Kühen
der Brachycephalus-Rasse ist jenes Verhältniss grösser als bei
den übrigen Rassen; bei einer Duxer Kuh meiner Sammlung
ist es wie 100:139*4, bei einer Holländer Kuh 100:124,
bei einer Appenzeller Kuh 100 : 128, bei einer Berner Kuh
100:118-5.
Am Oberkiefer des kurzköpfigen Rindes haben wir
zwei Rassekennzeichen, die es in auffallender Weise von den
übrigen Rassen unterscheiden, nämlich : die Lage des Wangen-
höckers (der vorderen Anschwellung der Wangenleiste des
Oberkiefers) und das Verhältniss der Länge der Backenzahn-
reihe 2) zur Breite des Gaumens zwischen den Backzähnen
(molares) und den Vorbackzähnen (praemolares), am äusseren
Zahnfachrande gemessen.
Der Wangenhöcker (tuber maxillare) liegt bei dem
Brachycephalus- Rinde über dem ersten (vordersten) Molarzahne,
bei den übrigen Rassen aber liegt er über dem ersten (hintersten)
Prämolarzahne. Auch dieses Rassekennzeichen trifft zu an einer
wohlerhaltenen linken Oberkieferhälfte eines weiblichen Pfahl-
baurindes aus dem Laibacher Moore.
*) Der in Fig. 3 abgebildete Schädel eines Duxer Stieres
ist erst zweijährig, zu welcher Zeit das Verhältniss zwischen kleiner
und grosser Queraxe des Stirnbeines noch enger ist.
2) Unter „Backenzähnen'* verstehe ich die Molaren und
Praemolaren zuflammengenommen ; unter „Backzähnen** nur die
Molaren.
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169
Die bezeichnete Gaumenbreite ist beim Brachycephalus-
fiinde grösser als die Länge der Backenzahnreihe; während
dieses Verhältniss bei den übrigen Rassen umgekehrt ist. Setzen
-wir die Länge der Backeuzahnreihe ^= 100, dann verhält sich
diese Länge zu jener Gaumenbreite, bei einer Brachycephalus-
(Duxer) Kuh meiner Sammlung wie 100:114, bei den Kühen
der anderen Rassen aber übereinstimmend wie 100 : 96 ; bei
einer wilden Urkuh (in der Sammlung der hiesigen geologischen
Reichsanstalt) wie 100 : 99. Bei einer linken Oberkieferhälfte eines
weiblichen Pfahlbaurindes aus dem Laibacher Moore, die auf
Taf. II. Fig. 7 abgebildet ist, ist das Verhältniss der Länge der
Backenzahnreihe zur bezeichneten Gaumenbreite wie 100: 102;
da aber in der Mittellinie etwas vom Gaumen fehlt, so ist die
Gaumenbreite noch grösser gewesen und sie nähert sich bezüg-
lich jenes Verhältnisses am meisten der Brachycephalus-Kuh.
Zu den häufigsten Knochenstücken in den Pfahlbauresten
gehören die Unterkiefer. Auch diese bieten einige wichtige
Rassekennzeichen dar, die hauptsächlich beruhen in dem Ver-
hältniss des hinteren zahnfreien Theiles zum mittleren Theile,
welcher die Backenzähne trägt, und zum vorderen Theile, dem
die zahnfreie ,,Lade" und am vorderen Umfange die Schneide-
zähne angehören.
Jenes Verhältniss (die Länge des hinteren zahnfreien
Theiles = 100 gesetzt) ist
bei der Bi^achjcephalus-Rasse wie 100:119: 96,
bei der BraÄhyceros-Rasse wie 100:140:117,
bei der Frontosus-Rasse wie 100:138:119,
bei der Primigenius-Rasse wie 100 : 136 : 126.
Die Brachycephalus- Rasse hat also die kürzeste Backen-
zahnreihe im Unterkiefer, und dasselbe ist der Fall bei dem
in Fig. 8 abgebildeten Unterkiefer einer Laibacher Pfahlbau-
kuh; jenes Verhältniss ist hier: ed: de: cb = 100 : 109 : 80. Die
letzte Zahl ist nicht ganz richtig, weil die vordere Spitze des
Unterkiefers abgebrochen ist, das Verhältniss vom Hintertheil
zum Mitteltheil aber nähert sich am meisten dem Verhältnisse
bei der heutigen Brachycephalus-Rasse. Zum Vergleiche ist
in Fig. 9 der Unterkiefer einer dieser Rasse angehörigen Duxer
Kuh abgebildet (mit den oben angegebenen Verhältnisszahlen),
und in Fig. 10 der Unterkiefer einer Laibacher Pfahlbaukuh,
die ich der Frontosus-Rasse zurechne. Bei derselben ist
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170
jenes Verhältniss wie 100:139:114; vom Vordertheile ist un-
geföhr ebensoviel abgebrochen wie bei dem Unterkiefer in
Fig. 8, aber davon abgesehen, ergibt sich doch ein grosser
Unterschied in dem Verhältniss vom Hintertheil zum Mittel-
theil, wodurch sich der Unterkiefer in Fig. 10 der Frontosus-
Rasse anreiht.
Die Form der Backenzähne, namentlich der Molaren,
ist bei der Brachycephalus-Rasse mehr quadratisch als bei den
übrigen Rassen und auch dieses Kennzeichen trifft bei den
Pfahlbau-Kieferstücken zu, die ich aus den vorerwähnten Ver-
hältnissen als der Brachycephalus-Rasse zugehörig erkenne.
Alle Maass Verhältnisse also, welche sich an den mir vor-
liegenden Pfahlbau-Schädelresten aus dem Laibacher Moore
erkennen lassen, weisen ganz entschieden darauf hin, dass wir
es mit Formen zu thun haben, welche dem heutigen kurz-
köpfigen Rinde der Osttiroler Alpen (Duxer-Zillerthaler Rasse)
eigenthümlich sind und die ich als Brachy cephalus-Typus
bezeichnet habe.
Das seltene Vorkommen des wilden Ur in den Laibacher
Pfahlbauresten und die Häufigkeit des Wisent neben dem
Brachycephalus-Rinde, sowie die unverkennbare Formähnlich-
keit in dem Schädel von Wisent und Brachy cephalus-Rind,
lässt einen genetischen Zusammenhang zwischen diesen beiden
Formen vermuthen. Die Formen- Verschiedenheit zwischen dem
wilden Ur und dem Brachycephalus-Rinde ist so gross, nament-
lich die Breiten- und Längenverhältnisse des Schädels sind so
verschiedenartig, dass an einer Abstammung des Brachy cephalus-
Rindes vom Ur nicht zu denken ist; wohl aber sprechen mehrere
Anhaltspunkte für die Abstammung jenes Rindes vom Wisent,
und zwar von der kleineren Form desselben, welche dem heutigen
Bison americanus entspricht.
Die grösste Verschiedenheit zwischen Rind und Bison
besteht in der Verbindung der Stimgegend mit der Hinter-
hauptgegend. Beim erwachsenen Rinde verbindet sich der
Hinterrand des Stirnbeines im scharfen Winkel mit der nach
abwärts und etwas nach vorwärts geneigten Hinterhauptfläche,
d. h. die Stirnfläche knickt plötzlich ab in die Hinterhaupt-
fläche. Beim Bison abergeht die Stirnfläche in flacher Wölbung
auf die Hinterhauptfläche über, oder richtiger: Stirngegend
und Hinterhauptgegend werden durch eine schmale Scheitel-
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beingegend vermittelt, welche dem erwachsenen Rinde an der
bezeichneten Stelle gänzlich fehlt. Diese grosse Verschiedenheit
in der Form der allen übrigen höheren Säugethieren zukom-
menden Scheitelgegend, tritt erst beim erwachsenen Kinde auf,
während der Embryo und die jugendlichen Formen des Rindes
dieselbe Schädelform (an der Verbindung von Stirnbein, Scheitel-
bein, Zwischenscheitelbein und Hinterhauptschuppe) haben wie
der erwachsene Bison. FAn Blick auf die untenstehenden Holz-
schnitte, Fig. 1 von einem llltägigen, Fig. 2
von emem
Fig. I.
FiR. 2.
Hinterhftnptgegend eines 111-iägigen
Rindembryoi. Nat Gr.
a Stirnbein,
b Scheitelbein,
e ZwifcheDsebeitelbein,
d Hinterkanptsehnppe,
e Hinterhanpt-Seitentheil,
/ Scblifenbeintohnppe,
Hinterhauptgegend eines 7' ,nionatlichen Rind-
embryos, Angeler Schlages. >/, Nat. 6r.
g Scheitelfontanelle,
h anverknöcherte Stelle des StirnbeiDOs.
I Hinterhanptfontanelle,
k hinterer Angenhöhlenbogen,
I Oberschläfengmbe,
m Hinterhanptloch.
7 '/^monatlichen Rindembryo der Primigenius-Rasse, wird diese
Entwicklungsverhältnisse des Rinderschädels bestätigen.
Wir können die Schädelform des Bisons daher ansehen:
als eine auf dem jugendlichen Entwicklungszustande des Rindes
stehen gebliebene Form. Diese Beziehung wird uns klar, wenn
wir auf Taf. 11 und III den Schädel eines amerikanischen Bisons in
Fig. 11 und 12 vergleichen mit dem Schädel eines neugeborenen
Kalbes in Fig. 13 und 14. Die dem Bison eigen thümliche
Stellung der Hörner, deren Queraxe (am Hinterrande des Horn-
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Stieles gemessen) vor dem Ilinterraude des Stirnbeines verläuft,
kommt auch dem jungen Rinde zu (Fig. 13), obgleich sich hier
nur die Hornstiele als Stirnhöcker erkennen lassen. Die be-
zeichnete Queraxe der Hörner aber verläuft beim erwachsenen
Rinde am Hinterrande des Stirnbeines oder hinter demselben.
Nachdem wir also diese, durch verschiedenartige Ent-
wicklungszustände bedingte grösste Verschiedenheit zwischen
den Schädeln von Bison und Rind beseitigt haben, so wollen
wir nunmehr die Aehnlichkeit zwischen den Schädeln von
Bison americanus und von Bos taurus brachycephalus in Be-
tracht ziehen.
In dem Verhältniss der kleinen zur grossen Queraxe des
Hinterhauptes kommt die Brachy cephalus-Rasse vor allen anderen
Rinderrassen dem Bison am nächsten. Dieses Verhältniss ist bei
einer Duxer Kuh meiner Sammlung wie 100 : 168, bei einem
Schädel von Bison americanus des hiesigen k. k. Hofcabinetes
wie 100 : 182, dagegen bei dem Urkuh-Schädel der hiesigen
k. k. geologischen Reichsanstalt wie 100 : 139. Das Verhältniss
der Länge der Backenzahnreihe im Oberkiefer zur Gaumenbreite
zwischen erstem Backzahn und erstem Vorbackzahn, ist bei der
Duxer Kuh wie 100:114, bei dem Brachy cephaJus-Oberkiefer
aus den Laibacher Pfahlbau (Fig. 7) wie 100 : 102, bei Bison
americanus wie 100 : 109. Bei allen übrigen Rinderrassen aber
und bei jener Urkuh ist die Backenzahnreihe im Oberkiefer
länger als die Gaumenbreite.
Das Verhältniss des hinteren zahnfreien Theiles im Unter-
kiefer zum mittleren, die Backenzähne tragenden Theile, ist
bei der Duxer Kuh (Fig. 9) wie 100:119, bei dem Brachy-
cephalus-Unterkiefer aus dem Laibacher Pfahlbau (Fig. 8) wie
100 : 109, bei einem Unterkiefer von Bison americanus (in
Fig. 15 abgebildet) wie 100 : 126. Aber mehr noch als aus
diesen Maassverhältnissen ergibt sich die Aehnlichkeit von
BrachycephaJus-Rind und Bison americanus aus der fast gleich-
massigen Aufwärtskrümmung des Zahnfachastes (horizontalen
Astes) des Unterkiefers, was sich am besten ersehen lässt aus
den in Fig. 9 und in Fig. 15 in gleichen Abständen gezogenen
Ordinaten g und ä, welche fast die gleichen Knochentheile der
beiden in Betracht gezogenen Unterkiefer treffen. Die Höhe
des horizontalen Unterkieferastes hinter dem letzten Backzahne
ist bei Bison americanus noch etwas grösser als bei dem
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173
heutigen Brachycephalus-Rinde. Dagegen ist diese Höhe bei
Bison prißcus (Fig. 16) aus dem Laibacher Pfahlbau kleiner,
und überhaupt sind alle Bisonknochen von daher durch Grösse
kaum ausgezeichnet, sondern nur durch einige besondere Kenn-
zeichen des Bisons und durch die den wilden Thieren eigen-
thümliche Architektur der Knochen.
Der Schädel bietet also mehrere Anhaltspunkte dar, für
eine nahe Formenvei-wandtschaft zwischen Bison und Brachy-
cephalus-Rind. Einen genetischen Zusammenhang zwischen
diesen beiden Rinderarten halte ich mindestens nicht für un-
wahrscheinlich. Dass der Bison in früher historischer Zeit
gerade in den Centralalpengebieten , zu welchen Tirol und
Salzburg gehören, sehr verbreitet war, dürfte uns vielleicht
wohl der Name ^Pinz^au" verrathen, der so viel bedeutet
als „Bisongau" ^). Im heutigen Pinzgau des Kronlandes Salzburg
wohnten nach v. Hormaier (Geschichte der gefürsteten Graf-
schaft Tirol I. S. 37) schon zur Zeit des cimbrischen Krieges
die Abisontier oder Bison tier, und sie nährten sich von Jagd
und Viehzucht. Die Namen: Wiesendorf, Piesendorf, Wiesen-
thal sind in Oesterreich und Deutschland iehr verbreitet in
Gregenden, wo wahrscheinlich niemals Wiesen existirt haben,
weil sie nach den Lageverhältnissen des Bodens niemals existiren
konnten. Diese Namen haben aber auch keine Beziehungen
zur Wiese, sondern das Wort „Wiese" in jener Zusammen-
setzung ist eine Abkürzung von „Wisent". Jene Ortsnamen
weisen also auf das Vorkommen von Wisenten hin.
Die Verbreitung des kurzköpfigen Rindes im historischen
Alterthume und im Mittelalter ist grösser als man bisher ange-
nommen hat, odjer annehmen konnte, weil jene so ausge-
zeichnete Rasseform bis vor Kurzem nahezu unbekannt war.
JEine sehr alte Sculptur des kurzköpfigen Rindes dürfte
wohl auch der in Nr. 6, Seite 125 dieser „Mittheilungen" be-
schriebene „Bronze-Stier" aus der Byöiskäla-Höhle sein, und
Hen- Dr. Heinr. Wankel befindet sich entschieden im Irrthum,
wenn er diesen Stier der Brachyceros-Rasse zurechnet. Die
') Das Wort Pinzgau dürfte umgewandelt sein aus Bisontinm,
Bis^ncio, Pisoncia. Ueber den Namen Pinzgau enthält das Salz-
bnrger Intelligenzblatt vom 6. Juni 1807, Seite 357, einen kleinen
interessanten Artikel, auf den ich von Herrn Prof. F. Kaltenegger
in Brixen aufmerksam gemacht worden bin.
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Kopfform desselben ist dieser Rasse so unähnlich wie mög-
lich. Wenn jener Stier irgend einer typischen Rasse angehört,
so kann es nur die Brachycephalus-Rasse sein. Der kurze,
über den Augenhöhlen ungewöhnlich breite Kopf, die langen
Homstiele und die eigenthümliche Krümmung der Hörner findet
sich nur bei der Brachycephalus-Rasse.
Auf den Thierbildern mittelalterlicher Maler sind kurz-
köpfige Rinder sehr zahlreich vertreten, und diese Kopffoi*m
zieht sich auf Thierbildern bis in die neuere Zeit hinein. Unter
den Radirungen der hiesigen k. k. Akademie der bildenden
Künste, befinden sich einige sehr merkwürdige Thierbilder mit
kurzköpfigen Rindern, die auch in ihrer äusseren Körperform
unverkennbare Aehnlichkeit haben mit dem Bison. Und solche
kurzköpfigen Rinder kommen auf jenen Bildern vor neben
langköpfigen, welche der Primigenius-Rasse angehören. So fand
ich unter den Radirungen von C. Duj ardin, einem holländi-
schen Maler, der von 1635—1678 lebte (auf der in jener
Sammlung mit B 24 bezeichneten Radirung) einen Ochsen, der
seinen Hals an einen Pfahl reibt, mit einer kurzen Mähne und
dem schmalen kuhzen Hintertheile des Bisons; auch der andere
Ochse auf demselben Bilde, der sein Hintertheil dem Beschauer
zukehrt, zeigt an demselben ganz die Bisonform. Paul Potter,
der von 1625 — 1654 lebte, hat neben ausgesprochenen Primi-
genius-Rindern auch kurzköptige gemalt, mit Mähne (welche
bei der Primigenius-Rasse niemals vorkommt) und schmalem
kurzen Hintertheile, wie sie den Bisons zukommen. Auf dem
Titelblatte der ,,Etude8 d^animaux" dessinöes par H. Roos 1799
kommt ein liegender Stier vor, dessen nach rechts gewendeter
Kopf eine lang behaarte Stirn und eine stark gewölbte Nase
trägt; die Homer stehen nach hinten und seitwärts, mit den
Spitzen etwas vorwärts; auch diese Form hat unverkennbare
Aehnlichkeit mit dem Bison. Bei Loutherbourg, einem aus-
gezeichneten Thiermaler, der sich durch Naturtreue auszeichnet
imd von 1728—1812 lebte, finden wir neben langköpfigen Rindern
mit Primigenius-Form auch kurzköpfige, mit Brachycephalus-
Form und Bison- Aehnlichkeit. Selbst noch Friedrich Oaue r-
mann hat solche Rinder gemalt, z. B. auf dem Bilde Nr. 2998 der
diesjährigen historischen Kunst-Ausstellung der hiesigen k. k.
Akademie der bildenden Künste. Ferner auf mehreren Bildern
von den Dallingern, von Peter K rafft, von Johann Josef
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175
Schindler u. A. kommen kurzköpfige Rinder neben anderen
vor. Kurz, jeder bedeutende Thiennaler des Mittelalters und
der neueren Zeit hat kurzköpfige Rinder mit Bison ähnlichen
Formen gemalt, und es ist wohl anzunehmen, dass diese sich so
oft wiederholenden Formen nicht Phantasiegebilde sind.
Wenn ich gegenwärtig auch noch nicht in der Lage bin
vollgültige Beweise geben zu können für die Abstammung des
Brachycephalus-Rindes vom Bison, so glaube ich doch dem
genetischen Zusammenhange dieser beiden Rinderformen näher
gerückt zu sein. Mindestens glaube ich die Ansicht erschüttert
zu haben, dass alle zahmen Rinder von dem wilden Ur (bos
primigenius) abstammen. Unter den vielen Hunderten von
Rinder-Schädelstücken aus dem Laibacher Moore sind, ein-
schliesslich der Unterkiefer, meines Wissens, kaum zehn Stück
vom Ur gefunden, und auch darunter ist noch manches zweifel-
hafte. Meine kleine Sammlung, welche ich der Güte des Herrn
Dr. Deschmann in Laibach verdanke, enthält mindestens
vierzig unzweifelhafte Bison-Schädel stücke und fast ebensoviel
Schädelstücke des kurzköptigen Rindes. Wenige Stücke nur
besitze ich von der sogenannten Torf kuh, welche derBrachyceros-
Rasse angehört, mehrere von der Frontosus-Rasse, und keines,
wenigstens kein unzweifelhaftes von der Primigenius-Rasse. Die
Hauptvertreter der Gattung Rind im Laibacher Pfahlbau sind
also Bison priscus und Bos taurus brachycephalus.
Die Zeichnnngen sind mit dem Lncä'schen Diopter aufgenommen, aber
nicht aUe im gleichen Massstabe verkleinert.
Die Forschungen der kaiserliehen archäologischen
Commission zu St. Petersburg.
Von
Joh. Hawelka
in Moskau.
II.
Die Ausgrabungen im Distrikt Ton Jekaterinosla?.
Die Frage über die ursprünglichen Sitze der Skythen,
welche Herodot in seiner berühmten Sxjöixt^ in das südliche
Russland versetzt, wurde schon längst sowohl von russischen,
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"ö'"
176
wie von anderen Gelehrten einer eingehenden Behandlung
unterzogen. Wiewohl man aber mit dem ganzen gelehrten
Apparat ans Werk ging, so blieb doch Manches in Herodot's
Erzählung unklar; an vielen Stellen zeigten sich Widersprüche,
welche, wie es schien, nach den vorhandenen schriftlichen
Zeugnissen einer glücklichen Lösung kaum entgegengefiihrt
werden konnten.
An das Auffinden anderer Denkmäler aber, z. B. Bau-
denkmäler, war nicht zu denken. Die Skythen, ein Nomaden-
volk, welches Städte zu bewohnen wenig liebte, bauten weder
für ihre Götter der Zeit trotzende Tempel, noch für ihre
Könige Paläste. Dazu sind die Plätze, welche sie inne hatten,
in der ganzen Ausdehnung so steinarm, dass auch ansässige
und baulustige Völker an dauerhafte Bauwerke kaum würden
denken können.
Trotzdem konnte ein Volk nicht von der Oberfläche der
Erde verschwunden sein, ohne Zeichen seines Handelns imd
Wandeins zurückgelassen zu haben. Und in der That finden
wir in den südlichen Steppen Russlands, wohin Herodot die
Fsp^ot versetzt, eine unzählbare Menge von Grabhügeln, welche
uns als das einzige Andenken an die vor uralten Zeiten dort
lebenden oder durchziehenden Völker hinterblieben sind. Wenn
wir nach der Menge dieser Grabhügel über die Stärke der
Bevölkerung mit Recht schliessen dürfen, so müssen wir
sagen, dass die grösste Bevölkerung in denjenigen Steppen
sich befand, welche sich an die berühmten Katarakte des
Dniepers anschliessen. Nirgends findet man eine solche Masse
der verschiedenartigsten Grabhügel, als in den Steppen, welche
in einer Ausdehnung von etwa 300 Quadratmeilen um die
Katarakte liegen. Man kann zwar nicht behaupten, dass alle
diese Grabhügel von einem einzigen Volke aufgeworfen worden
wären, es haben wahrscheinlich die meisten der hier durch-
ziehenden Völker durch diese Grabhügel ein Andenken an
ihr Dasein uns hinterlassen ; immerhin kann man aber mit
Bestimmtheit behaupten, dass einige von ihnen den Skythen
angehören. Und dies war der erste Grund, warum anfangs
private Personen, später aber die Regierung diesen Grab-
hügeln eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben.
Es war aber noch ein anderer Ginind vorhanden, weshalb
man diese Hügel zu durchforschen begann. Als die Aus-
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177
grabungen, welche einzelne private Personen auf der Halb-
insel Krym und Taman vorgenommen hatten, so schöne
Resultate ergaben und einige prachtvolle Erzeugnisse aus der
Blüthezeit der griechischen Kunst zu Tage gefördert hatten,
war es vom hohen Interesse, zu erfahren, welchen Einfluss die
griechische Kunst an die nördlich von der Krym wohnenden
Völker ausübte. Man hat schon im Jahre 1845 im Kiew'schen
GU)uvemement, also in einer von den griechischen Colonien
bedeutend entfernten Oertlichkeit Ausgrabungen vorgenommen.
Die Resultate wai^en sehr günstig. Man fand unter Anderem
bronzene Helme und Beinschienen, bronzene Pfeilspitzen, bron-
zene Vasen, goldene Schmucksachen, gewöhnliche griechische
Amphoren, ja sogar eine prachtvoll erhaltene bemalte Vase —
Alles Objecto griechischer Arbeit, und zwar aus einer Periode,
wo die griechische Kunst auf dem Gipfel der Entwicklung
stand, nämlich aus dem dritten oder vierten vorchristlichen
Jahrhunderte.
Die prachtvollen Funde hatten die Neugierde der Archäo-
logen nur noch mehr rege gemacht; insbesondere hatte man
Herodot und die Oertlichkeit sehr fleissig studirt, in welche
er die Skythen und insbesondere die Teppoi versetzt. In der
2»iOai^ lesen wir, dass sie am Boristhenes liegen, und zwar
auf dem Platze , e? 5 6 BopuaOivT)? etrrl TcpooTcXwio; , und dass zu
ihnen etwa 40 Tagereisen seien. Diese Herodotische Be-
stimmung der Wohnsitze der Fep^ot mit der wirklichen Lage
in Einklang zu bringen, war sehr schwer; da sich aber, wie
ich schon oben bemerkte, bei den Katarakten des Dniepers
eine bedeutende 5^hl von Grabhügeln befand und einige von
ihnen einen bedeutenden Umfang hatten, so hat sich die
Regierung bewogen gefunden, einige von ihnen am rechten
Dnieper-Ufer einer wissenschaftlichen Untersuchung zu unter-
ziehen. Dies geschah in den Jahren 1852—1856. Man hatte
zunächst einen grossen Hügel gewählt, welcher bei dem Dorfe
Alexandropol liegt und vom Dnieper etwa 50 Werst entfernt
iBt. Er wai* bei der Bevölkerung unter dem Namen Lugovaja
mogila bekannt, und ruhte als ein mächtiger Erdaufwurf auf
einem mit Steinen gebauten Fundamente. Von diesem Hügel
hatte man eine Aussicht bis vier Meilen im Umfange. Die
Restdtate der Ausgrabungen waren nicht sehr glänzend. Der
Hügel war wahrscheinlich seit undenkbaren Zeiten von Plün-
uyuz^uby Google
178
derern ausgebeutet, und man fand nur solche Gegenstände,
welche der Aufmerksamkeit der (wahrscheinlich sehr eiligen)
Plünderer entgangen waren. Es sind das meistens eiserne
Pferdezäume, einige kleinere silberne und goldene Schmuck-
sachen, insbesondere ein goldenes Reitgeschirr und einige
Gegenstände, welche wahrscheinlich zu einem königlichen
Wagen gehörten u. dgl. Das waren, wie gesagt, sehr geringe
Erfolge.
Doch die ungewöhnliche Grösse des Kurgans, die wohl
berechnete und gut durchdachte Construction der einzelnen
Gräber, die kunstvolle Arbeit und der bedeutende Reichthum
an Pferdegeschirren — Alles dies liess schliessen, dass der
Grabhügel zu Ehren eines Fürsten, vielleicht eines skythischen
oder des Königs selbst aufgetragen worden ist.
Auch die fünf darin gefundenen Schädel erweckten die
Aufmerksamkeit der Anthropologen. Sie wurden von dem
berühmten russischen Anthropologen v. Baer untersucht. Er
theilte sie in zwei Gruppen ein, welche zweien ganz ver-
schiedenen Völkerfamilien angehörten. Zur ersten Gruppe
gehören zwei Schädel, welche eine auffallende Aehnlichkeit
mit den im mittleren Russland gefundenen haben; die anderen
drei gehören einem Volke an, welches auch in Sibirien wohnte
und dessen Alterthümer unter dem Namen der Tschud'schen
Alterthümer bekannt sind.
Das waren die Gründe, welche die kais. archäologische
Commission in St. Petersburg bewogen, Ausgrabungen im
District von Jekaterinoslav vorzunehmen. Zum Leiter der-
selben wurde Herr Zabjelin beordert.
Bevor ich zur Beschreibung der geöffneten Hügel, der
gefundenen Gräber und der gemachten Funde übergehe, will
ich kurz Einiges vorausschicken, was zum Verständniss durch-
aus nothwendig ist.
Zunächst von der Form der Kurgane.
Die Grabhügel hatten in ihren mittleren Dimensionen
über 200 Meter im Umfange und 4 — 8 Meter senkrechte
Höhe. Sie wurden aus rauhen Steinen und schwarzer Erde
aufgetragen, und zwar von Süden gegen Norden. Dies schliesst
man daraus, dass die Nordseite meist sehr steU und schräg
herabgeht, während die südliche sehr langsam in die Ebene
sich neigt. Je nach der Form, welche die Grabhügel haben,
u,y,uz«u uy ^OOglC
179
tragen sie bei der Landbevölkerung auch verschiedene Namen.
Diejenigen, welche oben spitzig abgerundet sind und mithin
fast einen regelmässigen Kegel bilden, heissen „spitzige"
Kurgane. „Breite" Kurgane heissen solche, die eine
massive Form haben und oben nicht in eine Spitze auslaufen,
sondern eine ziemlich grosse Fläche bilden ; yjrjahyje.^' *) heissen
sie dann, wenn zwei oder drei zusammen aufgetragen wurden,
wovon sie dann eine ausgedehnte oder krumme Form be-
kommen. Wenn aber der Kurgan regelmässig aufgetragen
wird und dabei die Form eines länglichen Walls hat, so
heisst er „langer" Kurgan. Dann unterscheidet man noch:
^Zwillinge", das heisst zwei gleich grosse nebeneinander
stehende Kurgane; „Diebskurgane", d.h. solche, in welchen
früher die Diebe wohnten; „grosse" Kurgane von ihrer im-
gewöhnlichen Grösse, und „gegrabene" Kurgane, d. h.
solche, in welchen man schon einmal Ausgrabungen vor-
genommen hatte. Die letzt« und zugleich die wichtigste Form
sind aber die „dicken" Kurgane, das sind Hügel mit sehr
steil abfallenden Abhängen und mit grossem Erdaufwurfe,
der im Vergleich mit den anderen Grabhügeln in der That
diesen Kurganen eine ungewöhnliche Dicke verleiht. Um den
Abhang von einigen Seiten steil erscheinen zu lassen, machte
man ein steinernes Fundament; die Steine wurden aus den
benachbarten Flüssen geholt und sind deshalb abgerollt. Wenn
man den Erdaufwurf bis zu einer gewissen Höhe gemacht
hatte^ legte man von der Nordseite wieder Steine ein, welche
den nördlichen Abhang zu unterstützen hatten. Ihre weitere
Construction besteht in Folgendem: In der Mitte unter dem
Erdaufwurfe befindet sich eine 5 — 6 Meter tiefe Grube, welche
von Osten gegen Westen etwa 3 Meter Länge und gegen
2 Meter Breite hat. In den Kurganen mittlerer Dimension
wurde diese Grube mit Steinen angefüllt. Die Tiefe der
Grube hing von der Tiefe ab, in welcher das Lager von ganz
weisser, reiner Thonerde lag, welche immer als der Boden
des Grabes diente. Auf sie stellte man den Sarg des Todten.
Nach den von Herrn Zabjelin vorgenommenen Aus-
grabungen waren die verschiedenen Thonlager auf folgende
Weise vertheilt: Auf schwarze Erde folgt' ein 1 Meter dickes
') ryshoj heisst „pockenartig".
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180
Lager eines gelblichen Thons ; darauf kommt ein Lager
eines röthliehen Thons; dann folgt gewöhnlieh in einer Tiefe
von 5 — 672 Meter von der Erdoberfläche ein 1 — IV2 Meter
dickes Lager ganz reinen, weissen Thons. Die Dicke der
Lager ist nicht an allen Orten dieselbe, und deshalb erklärt
sich die verschiedene Tiefe, bis zu welcher in verschiedenen
Kurganen die Gräber gegraben wurden.
Schon nach dieser äusserlichen Construction kann man
schliessen, dass die „dicken Hügel" Gräber nicht ganz gewöhn-
licher Personen waren, dass sie zum Begräbnisse der Steppen-
füi-sten dienten; denn einen solchen Hügel aufzuwerfen war
nicht leicht, insbesondere aber musste man über eine be-
deutende Zahl von Arbeitskräften verfugen, um Steine für
das Fundament und die Unterstützung des nördlichen Ab-
hanges herbeischaffen zu lassen. Die vorgenommenen Unter-
suchungen ergaben, dass „dicke Hügel" in der That könig-
liche Gräber gewesen sind. Einen vollständigen Begriff von
ihrer Construction kann man sich aus dem in den Jahren 1862
und 1863 aufgemachten „dicken Tschertomlytzkischen Grab-
hügel" machen. Ich werde den Verlauf der Ausgrabungen
an einer andern Stelle darlegen.
Auf den Gipfel einiger Grabhügel pflegte man eine Stein-
tigur, die Kamennaja baba, zu stellen; deshalb heissen solche
Hügel auch f^ahowatjjje'^ , Es war augenscheinlich Gewohnheit,
auf sehr viele, wenn nicht auf alle Grabhügel die sogenannten
hahy zu setzen ; denn bis jetzt heissen in den südlichen Steppen
Russlands bei der Bevölkerung viele Hügel babowatyje, obwohl
sich schon Niemand in der ganzen Gegend erinnert, eine baba
auf dem Hügel gesehen zu haben. Diese Steinfiguren haben
die Archäologen Russlands viel beschäftigt. Sie sind gewöhn-
lich aus weichem Sandstein gehauen und stellen entweder alte
Weiber, oder auch jüngere weibliche Personen, oder auch
Männer 3ar. Sie neisseii entweder baby (alte Weiber)^ staruchy
(6 reisinnen), oder HCTjKaHU (Götzenbilder)^ balvany (Klötze).
Man findet ihrer viele (bis zum heutigen Tage) in den Steppen
Südrusslands, in Asien, insbesondere auf dem Altaj, an den
Ufern des Jenisei und in der Kirgisen-Steppe. Schon ältere
Sibirien -Reisende haben sie bemerkt und über ihr Entstehen
verschiedenartige Hypothesen aufgestellt. Insbesondere hat
man fleissig die zwei Fragen erörtert: ob sie Darstellungen
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der Götter, d. h. Idole, oder nur Grabdenkmäler waren, und
dann: welchem Volke sie wohl angehören?
Was die erste Frage anbelangt, so neigt sich jetzt die
Mehrzahl der russischen Archäologen zu der Meinung hin,
dass die Steinfiguren wohl Grabdenkmäler waren, zu Ehren
der Verstorbenen errichtet. Einen ziemlich richtigen Begidff
über diese Steindenkmäler kann man sich aus der Beschreibung
machen, welche uns Herr Zabjelin über die von ihm auf dem
„dicken" Grabhügel gefundene bcAa gibt.
Diese Steinfigur stand in einer Grube, die sich in der
Mitte der Fläche oben auf dem Kurgane befand. Der Kopf war
ihr abgeschlagen, aber wieder aufgesetzt, und zwar mit dem
Gesichte gegen Osten. Unterdessen lesen wir aber in einem
Reisebuche des H. Zujeff, der im Jahre 1782 diesen un-
gewöhnlichen Grabhügel besucht hatte, dass die Steinfigur
mit dem Gesichte nicht gegen Osten, sondern gegen Westen
auf den sogenannten „langen" Grabhügel gerichtet war. Sie
ist aus einem ganzen Stück Sandstein, 2^/3 Meter lang, aus-
gehauen und mit männlicher Kleidung angethan. Am Kopfe
trägt sie eine nicht zu hohe Mütze, hinter welcher ein Zopf
herauskommt ; dieser besteht anfangs aus fünf Flechten, hängt
aber dann auf dem Rücken nur in einer einzigen Flechte
herab. Sie hat einen langen, bis unter die Kuiee herab-
reichenden Kafbtn, der am Rande mit einem Saum geziert ist.
Die Hände sind am Bauche zusammengelegt; auf dem linken
* Arme hängt an einer Quaste das Schwert, am rechten sehen
wir Etwas in Form eines Köchers. Die Füsse sind im Ver-
gleiche zu den anderen Dimensionen sehr klein, nicht mehr
als 31 Centimeter, womit man vielleicht die sitzende Lage
der Figur anzeigen wollte. Die eben beschriebene Steinfigur
genoss bei der umwohnenden ländlichen Bevölkerung eine
besondere abergläubische Verehrung. Alte Personen haben
Herrn .Zabjelin erzählt, dass vor etwa 40 Jahren ein Bauer
eines benachbarten Dorfes dieselbe herabgenommen und sie
in seinem Garten aufgestellt hatte. Unter den Bauern war
der Aberglaube verbreitet, dass die baba vom Fieber heile
und auch unverletzbar sei. In Folge des Herabnehmens der-
selben vom Kurgane sei eine Trockenheit in der ganzen Um-
gegend eingetreten, welche vier Jahre dauerte. Da noch
ausserdem die baba das ganze Dorf mit abergläubischen Er-
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182
schemungen beunruhigte, so habe man auf allseitiges Verlangen
beschlossen, dieselbe wieder auf den Hügel zu schaffen. Und
da sei denn gerade ein Wunder geschehen. Während man
dieselbe vom Hügel mit zehn Ochsen kaum herunterbringen
konnte, haben dieselbe ein Paar Ochsen ganz leicht hinauf-
geschafft. Nach einiger Zeit hatte wieder ein Bauer nur den
Kopf derselben heruntergebracht und ihn bei seinem Keller
aufgestellt. Es entstand wieder Trockenheit, und da sei einer
Frau geoffenbart worden, dass die Trockenheit nur dann auf-
hören könne, wenn man den Kopf wieder an der Figur be-
festigt hätte. Dies sei geschehen und sogleich habe die
Trockenheit ein Ende genommen. Kurz aus Allem ist zu
ersehen, dass man der Steinfigur eine grosse Verehrung zollte.
Es waren wahrscheinlich besondere Gebräuche eingeführt,
welche man ganz genau vollziehen musste, wenn die Wirkung
der Steinfigur eine thatsächliche sein sollte. So erzählte
wieder ein altes Weib, dass ihr zehnjähriger Sohn lange Zeit
vom Fieber geplagt war und dass er desselben gar nicht los-
werden konnte. Da habe man ihr angerathen, zur Steinfigur
zu gehen. Sie begab sich auf den Hügel, habe vor Sonnen-
aufgang mit dem Gesichte gegen Osten Gebete hergesagt,
dann eine Griwna auf paijamtza (Brod) der baba gegeben und
das Fieber war verschwunden. Von dem Glauben an die
wunderbare Wirkung der baba hat sich Herr Zabjelin zur
Zeit seiner Ausgrabungen im Jahre 1862 selbst überzeugen
können. Die Figur wurde vom Hügel heruntergelassen und
lag einige Zeit am Fusse desselben. Da kamen Landleute aus
den umliegenden Dörfern, imd wenn sie bei der baba vorbei-
fuhren, so haben sie immer ehrerbietig die Mützen ab-
genommen, sich tief verneigt, ja sogar den Stein geküsst. Als
man dieselbe auf den „langen Hügel" aufgestellt hatte, kam
zu ihr eine Bäuerin mit ihrem etwa sechsjährigen Knaben;
sie machte zunächst ein Kreuz, verneigte sich tief vor der
Figur, küsste ihre Füsse, Hände, Brust und Arme; dann hob
sie den Knaben und Hess ihn dasselbe machen; dann ging sie
um dieselbe herum, bespritzte sie aus einem Fläschchen mit
einer Flüssigkeit, band ihr zuletzt ein Tuch um den Hals und
entfernte sich.
Die Grabhügel von mittlerer Grösse enthalten gewöhnlich
einen ganzen Bestattungsplatz, d. h. immer mehrere Gräber,
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183
welche in verschiedenen Richtungen zum Hauptgrabe liegen.
Die Gräber wurden 1 — 12/3 Meter tief in die Erde gegraben;
die Seiten sind bei einigen sehr sorgsam mit Steinplatten
belegt oder auch sonst mit Steinen ausgemauert; sie wurden
mit schwarzer Erde angefüllt, oben auch entweder mit Stein-
platten, oder mit dicken Brettern, oder mit einer Lage von
Schilfrohr oder Reisig bedeckt. Seltener kam es vor, dass die
Skelete ganz oben sogleich unter dem Erdaufwurfe in einer
etwa V2 Meter tief gegrabenen Gnibe lagen. Die Richtung
der Skelete war ganz und gar verschieden, so dass man
keine allgemeine Regel darüber aufstellen kann. Einige lagen
mit dem Kopfe gegen Norden, andere gegen Osten, einige
gegen Süden oder Westen. Sie liegen zum Theile auf dem
Rücken, haben die Hände an den Seiten ganz ausgestreckt,
doch die grössere Zahl war in einer sitzenden Stellung,
wobei die Hände und Kniee fest an die Brust gedrückt waren.
Den Todten legte man sehr oft nichts anderes mit ins
Grab als einen kleinen irdenen Topf von gewöhnlichstem
Material und sehr grober Arbeit. Dieser Topf wurde meistens
zum Kopfe gestellt. Solche Gräber gehörten wahrscheinlich
gemeinen Personen an; denn in anderen Gräbern fanden sich
schönere Gefösse, z. B. aus Bronze, manchmal auch Messer,
Lanzen aus Bronze und Eisen, eiserne Steigbügel, Spangen
und viele kleine Objecto aus Knochen.
Nachdem ich dieses vorausgeschickt habe, will ich in
Folgendem zu einer detaillirten Beschreibung der vorgenomme-
nen Ausgrabungen übergehen. Sie wurden in den Jahren 1859,
1860, 1861, 1862, 1863, 1865, 1867, 1868 durchgeführt.
Ausgrabungen im Jahre 1859.
In diesem Jahre machte man eine Gruppe von vier
Hügeln auf, von denen einer alle anderen drei an Dimensionen
überragte. Weil dieser grössere Hügel eine grosse Aehnlichkeit
mit der Lugovaja mogila hatte und vom Besitzer des Gutes
der grössere Theil des Erdaufwurfes schon vor einigen Jahren
abgetragen war, so beschloss Herr Zabjelin, denselben einer
näheren und vollständigen Untersuchung zu unterziehen. Man
überzeugte sich bald, dass der Hügel nicht nur von aussen,
sondern auch von innen der Lugovaja mogila glich; nicht
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nur die Construction der Gräber, sondern auch die gefundenen
Objecte zeigten die Aehnlichkeit im auffallenden Grade. Leider
war die Ausbeute an Objeeten eine sehr geringe. Man fand
einen goldenen Stirnreif vom Pferdegeschirre, an welchem zwei
Krieger ausgeprägt waren, einige kleine goldene Röhren, einige
goldene Schmucksachen, eine ziemlich grosse goldene Platte, an
welcher eine Löwin ausgeprägt war, wie sie ihr Junges säugt.
Mit Ausnahme des Stimreifes sind alle übrigen Objecte von
griechischer Arbeit.
Die drei anderen Kurgane waren viel kleiner als der
vorige und enthielten in sich mehrere (10) Gräber, in welchen
sich Skelete in sitzender , nach links geneigter Lage vor-
fanden. Es waren bei einigen ganz gewöhnliche kleine Töpfe,
welche beim Kopfe standen; bei einem Skelet kam man auf
einen kleinen Kieselstein und auf eine Lanzenspitze aus Quarz;
bei einem anderen lag noch eine kupferne Lanzenspitze.
Ausgrabungen vom Jahre 1860.
Auf dem Wege von Jekaterinoslav nach Nikopol, bei
der Station Krasnokutska, etwa drei Meilen von der Lugovaja
mogila entfernt, liegt ein mächtiger Hügel, der etwa 190 Meter
im Umfange und 87.2 Meter senkrechte Höhe hatte. Von unten
etwa 2 Meter Höhe waren rauhe Steine aufgetragen und erst
auf ihnen die Erde. Nachdem man den Aufwurf bis zum
Boden entfernt hatte, kam man gerade in der Mitte des Hügels
auf eine grosse viereckige Grube, die ganz mit Steinen an-
gefüllt war, unter welchen sich Knochen verschiedener Thiere
und Scherben irdener Gefasse vorfanden. Sie war schon aus-
geplündert. Zu dieser Grube führte von Osten her ein Gang,
an dessen beiden Seiten sich, in zwei Haufen zusammengelegt,
theils gebrochene, theils nur gebogene Ueberreste eines Wagens
und gegen 70 Pferdezäume befanden; ausserdem fand man
4 bronzene gegossene Drachen und mehrere silberne Plättchen.
Südlich von der Grube war ein Grab mit 4 Pferdeskeleten,
die auf dem Kopfe schönen silbernen Schmuck vonbiswuh-
derungswürdigcr Arbeit hatten. Aus der nordwestlichen Ecke
der Grube führte ein Gang in eine geräumige, runde Kata-
kombe, die ebenfalls schon ausgeplündei*t war, in der sich
aber noch 7 thönerne spitzige Amphoren griechischer Arbeit,
uyuz^uuy^OOgle
185
die in einer Reihe an der Wand der Katakombe standen,
Messerklingen von Knochen, Scherben eines thönernen Kraters
vorfanden. Wie die äussere und innere Construction , so
zeigen auch die gefundenen Objecte in Form und Arbeit die
überraschendste Aehnlichkeit mit denen des Lugovaja mogila.
Ausserdem hat man einen etwas kleineren Hügel geöffnet, der
nicht weit vom vorigen liegt; es zeigte sich bald, dass in ihm
ein Begräbnissplatz war, dessen Gräber mit Skeleten ohne
Objecte in keiner bestimmten Ordnung lagen.
Ein sogenannter „habovity kurgan^, d. h. ein Grabhügel
mit weiblicher Steinfigur ist nicht weit vom Dniepr gelegen.
Das geräumige, in der Mitte unter dem Erdaufwurfe sich
befindende Grab war sorgfilltig mit grossen Kalksteinplatten
belegt und oben mit spitzigen Steinen umzäunt. In der Mitte
der Umzäunung stand ein einzelner ungeheurer röthlicher
Sandstein, der die Form einer weiblichen Steinfigur hatte. Die
Todten scheinen in sitzender Lage begraben worden zu sein;
Objecte fand man nicht. Um die eben beschriebenen Hügel
herum lagen viele kleinere Hügel, von welchen Herr Zabjelin
drei zu imtersuchen sich vornahm. Zwei von ihnen hatten die
Form eines ringförmigen Walls; der dritte unterschied sich
durch nichts von den andern Hügeln dieser Gegend. In den
zwei ersten Hügeln waren zwei kleine, höhlenartige Gräber, mit
dem Eingange von Westen. Im dritten Hügel war unter einer
grossen Steinplatte eine kleine, enge Oefinung, die mit einem
engen unterirdischen Gange in Verbindung stand. Der Gang
führte in eine geräumige Höhle, in welcher viele menschliche
Knochen in Unordnung lagen, und von da gegen Norden in eine
5 Meter lange Galerie, die in eine zweite kleine Höhle endigte,
aber ganz leer war.
Ausgrabungen vom Jahre 1861.
In diesem Jahre untersuchte Herr Zabjelin vier Grab-
bügel, die nicht weit von einander lagen und nach ihrer
äasseren Oonstmction- auf eine reiche Ausbeute schliessen
Hessen. " *• ^ - . . .. . ,. —
Es waren das ein Ostry kuryan = «pitziger- Grabhügel,
zwei Zwillinge und ein kamenny. Der erste, spitzige Kurgan
war ganz aus Steinen aufgeworfen ; unter dem Aufwiu'fe waren
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186
sieben Gräber, in welchen die Leichname in sitzender Stellung
begraben waren; Objecte fanden sich bei ihnen keine vor.
Der eine der Zwillinge hatte ebenfalls ein aus Steinen be-
stehendes Fundament, worauf Erde und in der Mitte wieder
Steine aufgeschüttet waren. In tieferer Lage kam man auf
ein Grab, in welchem sich Pferde- und Menschenknochen
befanden, und obwohl es schon ausgebeutet war, so fand man doch
noch: 4 kupferne Löwen (beflügelt) mit einem Thiere im Maule,
Scherben von einer griechischen Vase, 4 goldene Plättchen,
1 goldenen Knopf, 6 verrostete eiserne Pferdezäume, 1 Röhre
aus Knochen, 1 BronzepfeU und viele Scherben thönerner
Gefösse.
Der zweite der Zwillinge zeigte die nämliche Construction ;
im Grabe fand man nur einen menschlichen Schädel und
30 Bronzepfeile.
Der vierte Hügel — „Steinhügel" — verdient ein be-
sonderes Interesse deshalb, weil er noch nicht ausgebeutet
war. Beim Graben des Aufwurfes kam man in der Mitte auf
eine 22 Centimeter dicke Holzschichte, unter welcher sich
zwei Gräber befanden. In dem kleineren Grabe lag ein
Pferdeskelet , mit dem Kopfe gegen das andere Grab ge-
richtet, um das Maul einen eisernen Zaum, und daneben
einige kupferne Knöpfe.
Im srrossen Grab lae in der Mitte ein menschlicher
Schädel und an beiden Seiten zwei Pierdeskeiete, so dass der
II in g r r r --T-"''"'^rT^'°"^''""''TT'"TT' i n i
Mensch dazwischen lag. Um den bchädel herum fand man
3 eisenie Lanzen und einen breiten eisernen, durchlöcherten
Reif, an dessen unterer Seite Reste von Leinwand zu bemerken
waren, auf der wahrscheinlich der Reif befestigt wai*. Aehn-
liche Reife fand man im Grabe noch mehrere, welche mit
menschlichen Knochen, Steinen und Erde zerstreut herum-
lagen, sowie Scherben von kleinen thönernen und von einem
grösseren Alabastergefässe.
Ausgrabungen von den Jahren 1862, 1863.
In diesen zwei Jahren, in welchen man einen der grössten
Kurgane im District von Jekaterinoslav aufgegraben hatte,
waren die Arbeiten von den glücklichsten Resultaten begleitet.
Man öffnete die sogenannte Tolstaja Tschertomlytzkaja mogila;
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sie ißt etwa drei Meilen nordwestlich von Nikopol entfernt
und liegt am Dnieper. Der Hügel hatte eine kegelförmige
Form, 355 Meter im Umfange und 20 Meter senkrechte Höhe.
Der Gipfel des Kurgans bildete eine ebene Fläche, 15 Meter
im Durchmesser; in der Mitte war eine Grube, in welcher
die schon oben beschriebene Steinfigur stand, mit dem Gesichte
gegen Osten gewendet.
Man fing die Ausgrabungen am Gipfel an. In einer
Tiefe von 1 — 1^2 Meter kamen vor: Scherben von einer,
gewöhnlichen Amphora, ein eiserner Zaum und verschiedene
Bronzegegenstände, Knöpfe, Röhrchen und Plättchen, In einer
Tiefe von 6'/2 Meter, etwa 1 Meter vom Centrum gegen Osten
entfernt, fand man einen Haufen Gegenstände vom Pferde-
geschirr, eisenie Ringe, Zäume, 250 an der Zahl, mit bronzenen
Schmucksachen daran: Knöpfen, Spangen, Glöckchen, Röhr-
chen etc.; auf einem anderen Haufen lagen zusammen: eine
Bronzekugel mit einem Loche, 4 bronzene Löwen, 4 Drachen
und 2 Vögel; einige goldene Plättchen in Form von Federn
und goldene Reife. In einer Tiefe von 10 '/^ Meter kam man
auf der nördlichen Seite auf eine Reihe von Steinen, die über-
einander lagen und dazu dienten, die nördliche Seite steiler
zu machen.
Als man den ganzen Erdaufwurf abgetragen hatte, fand
man Gräber, deren Einrichtung ganz der Erzählung Herodot's
von der Begrabung der Stythenkönige entsprechen.
Das Hauptgrab, ein geräumiges Viereck, war schön aus-
geplündert. Nur im Gange, den sich die Plünderer zum Grabe
gemacht hatten, fand man einige Objecte, welche sie wahr-
scheinlich verloren hatten, und zwar : 3 massive goldene Ringe ;
auf einem war ein Hund, auf dem zweiten ein Stier ausge-
schnitten, der dritte war glatt; einige durchlöcherte goldene
Plättchen, goldene Knöpfe, Glasperlen; 6 eiserne. Schwerter,
deren Handgriffe mit geprägtem Goldblech verziert waren
(auf ftlnf Handgriffen waren phantastische Thiere ausgeprägt,
auf dem sechsten zwei Stierköpfe und einige Reiter, die auf
wilde Ziegen Jagd machen); 1 runder Schleifstahl mit goldenem
Handgriffe; 2 goldene Plättchen, auf welchen mit ausgezeich-
neter Kunst Scenen aus der griechischen Mythologie ausgeprägt
waren; der Reif ist etwa 20 Gramme schwer; 2 grosse Bronze-
vasen; I kupferner Leuchter; 1 Bronzeschale; 1- Bronzegefass;
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5 halbverfaulte lederne Köcher, mit Bronzepfeilen angefüllt;
einige eiserne Messer mit HandgriflFen aus Knochen ; ein mensch-
liches Skelet; wahrscheinlich eines der Plünderer, der beim
Einsturz des Ganges hier verschüttet worden ist.
In jeder Ecke dieser geräumigen Grube waren kleine
Kammern oder Nischen in Form von Höhlen, 5 Meter lang,
1 '/-i Meter tief, gegraben, welche wahrscheinlich beim Plündern
des Hauptgrabes zusammensanken und so vor Plünderung
bewahrt blieben.
In der ersten Ecknische lagen zwei Skelete, das einer
Frau und eines Mannes ; jenes lag in einem hölzernen, bemalten
Sarge. Beide waren prachtvoll geschmückt. Das weibliche Skelet
trug am Halse einen massiven goldenen Reif, 1 Pfund schwer,
an dessen beiden Enden Löwen ausgeprägt waren, an der
Stirn einen Kranz, aus einzelnen goldenen Plättchen bestehend;
um den Kopf zog sich eine Reihe goldener, viereckiger Plätt-
chen, auf denen eine sitzende Frau mit einer männlichen Figur
dargestellt war, welche letztere vor der Frau kniete. Ausser-
dem waren an der Hand glatte goldene Bracelets und eine
Schnur von Glasperlen, an jedem Finger ein glatter goldener
Ring; nur auf einem war ein Vogel eingravirt. An der rechten
Seite lag neben der Hand ein runder Bronzespiegel mit knöcher-
nem HandgriflF, und an der linken Seite ein runder schwarzer
Stein, dessen Bedeutung man nicht zu erklären weiss.
Das männliche Skelet hatte an den Händen kleine
Bronzebracelets, an der linken Seite einen Köcher mit Pfeilen
und an der rechten ein eisernes Messer mit knöchernem Griffe.
In der Nähe dieser beiden Skelete stand eine ausgezeichnet
schöne silberne Vase ; sie ist 70 Centimeter hoch und 39 Centi-
meter breit, mit vergoldetem Untersatze, Hals und Henkel;
ebenso sind alle Darstellungen auf der Vase stark vergoldet.
Die Blumeiiornamente und Reliefdarstellungen sind fein und
schön ausgeführt. Sie hat die Form einer Amphora und diente
wahrscheinlich zum Aufbewahren des Weines.
Neben der Vase auf einem runden Untersatze stand eine
grosse, tiefe, silberne Schüssel und 14 thöneme Amphoren von
gewöhnlicher Form.
Auch die zweite Ecknische enthielt zwei Skelete, welche
nicht minder reich geschmückt waren. Um den Hals ti'ugen
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sie goldene Reifen mit Darstellungen : am ersten von sechs un-
bekannten Thieren, am zweiten von Löwen; an jeder Hand
hatte jedes Skelet goldene Bracelets und je einen goldenen
Ring, um den Kopf einen Kranz von viereckigen goldenen
Plättchen mit Darstellungen von Gryphonen. Ausserdem lag
beim ersten Skelet an der linken Seite ein eisernes Schwert,
im Bronzegürtel eingesteckt, ein Handgriff, wahrscheinlich
eines Messers, mit geprägtem Goldblech belegt, ein Köcher mit
Bronzepfeilen und 4 eiserne Degen. Auch das zweite Skelet
hatte einen Bronzegürtel und einen Köcher mit Bronzepfeilen.
In der dritten Nische lag nur ein einziges Skelet. Es
hatte um den Hals einen Bronzereif, in einem Ohr einen
goldenen Ohrring, am Finger einen goldenen glatten Ring.
Ausserdem fand man um das Skelet: ein eisernes Messer,
einen Köcher mit Bronzepfeilen, einen runden Bronzespiegel,
einen silbernen Löffel, 6 gewöhnliche Amphoren imd eine
Masse von Goldplättchen. Dabei zeigten sich deutliche Spuren
eines feinen Gewebes.
In der vierten Ecknische war ebenfalls ein Menschen-
skelet mit denselben Objecten wie in der dritten Nische;
femer noch: eine Bronze vase, einige Köcher mit Bronzepfeilen
und vermorschte Knochen eines Thieres.
Einige Meter westlich vom Hauptgrabe entfernt lagen
nicht in derselben Tiefe wie das Hauptgrab fünf andere,
kleinere Gräber. Drei von ihnen, quadratförmig ausgegraben,
enthielten Knochen von 11 Pferden, mit goldenen, silbernen
und Bronzegebissen und dergleichem Sattelschmuck. Die zwei
anderen Gräber verbargen je ein Menschenskelet mit Köchern
voll von BronzepfeUen, mit einem sUbemen Reifen am Halse,
einem goldenen Ohrring und einem goldenen Drahtring.
Weiter westlich von den eben genannten fünf Gräbern
warbn noch einige kleine Gräber, in denen sich menschliche
Skelete ohne Objecto befanden. Zuletzt im Nordwesten im
Fundamente war ein ganzes JjOger von Pferdeknochen,
Scherben von Amphoren u. s. w., wahrscheinlich Ueberreste
eines zu Ehren des todten Königs dargebrachten Opfers.
Wenn man die Resultate der vorgenommenen Aus-
grabungen und die Erzählung Herodot's vom Begraben der
skythischen Könige mit einander vergleicht, so muss man zu-
geben, dass der „dicke Tschertomlytzki'sche Kurgan" zu Ehren
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eines Skytlienkönigs aufgeschüttet worden ist. Die mächtige,
weit über die Ebene gebietende Construction des Hügels, der
ungewöhnliche Reiehthura an goldenen und silbernen Objecten
in den an das Hauptgrab anliegenden Kammern, die Masse
von Pferdetnochen und prachtvollen Pferdegeschirren — Alles
dies dringt uns die üeberzeugung auf, dass der genannte
Kurgan kein gewöhnlicher Hügel, sondern dass er wirklich
die Ta^T^ eines skythischen Königs sei. Herodot (IV, 71. C.)
erzählt, dass man den Leichnam eines skythischen Königs bei
den unterworfenen Völkern auf einem Wagen herumfuhrt und
dann erst zu den n^^ot, einem skythischen Volksstamme,
bringt, wo sie ihn begraben ; mit ihm begraben sie auch seine
Dienerschaft und Pferde und silberne Schale, dann yo^t izdvT&q
Xü)|xa [ki-^a. Alle diese im C. 71 beschriebenen Gebräuche finden
sich durch die Ausgrabungen des Tschertomlytzki^schen Kur-
gans bis ins Detail bestätigt.
Die meisten Objecto lassen allerdings griechischen Ur-
sprung, und zwar aus der Blüthezeit der griechischen Kunst,
nämlich aus dem vierten Jahrhunderte vor Christi wahr-
nehmen, aber viele von ihnen zeugen, dass sie eben von griechi-
schen Meistern für Nichtgriechen gemacht worden sind.
Wenn man alles das erwägt, so kann man nicht zweifeln,
dass es den russischen Archäologen gelungen ist, das Grab
eines Skythenkönigs aus dem vierten vorchristlichen Jahr-
hunderte zu finden.
Ausgrabungen vom Jahre 1865.
Die Ausgrabungen, welche Herr Zabjelin in diesem Jahre
vorgenommen hatte, sind deshalb merkwürdig, weil sie das
Vorhandensein von skythischen Gräbern am linken Dnieper-
Ufer nachgewiesen hatten. Die drei Hügel, die man uAter-
sucht hatte, liegen am linken Ufer des Dniepers, im west-
lichen Theile des Taurischen Gouvernements, im District von
Melitopole. Unter dem Erdaufwurfe des Hügels „kozel*\ —
Bock -7- (so heisst einer von den drei Hügeln) waren vier
Gräber, von denen das Hauptgrab mit vier Ecknischen in
9 Meter Tiefe lag. Obwohl dasselbe sammt den Nischen aus-
geplündert war, so fand man doch noch Ueberreste von
menschlichen Knochen, viele goldene Plättchen und Scherben
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von thönernen Amphoren. Im Westen vom Hauptgrabe fand
man eine grössere Grube mit drei Abtheilungen ^ in denen
11 Pferdeskelete sich vorfanden; 5 von ihnen hatten feonze-
gepisse^^natten goldenen SatteTschmuck, 2 trugen auch Hals-
schmuck, welcher aus einem Bronzereifen bestand, an welchem
Glöckchen mit emer eisernen Kette beiestigt waren. Unweit
a^rFieraeiagen?MSl8che^ die Reiter;
sie hatten um sich eiserne Messer und Köcher mit Bronze-
pfeilen.
Ausgrabungen vom Jahre 1867.
Es waren drei Hügel am Dnieper, die man dieses Jahr
imtersucht hatte. Einer hatte eine längliche Form und er-
streckte sich über 100 Meter in der Länge mit einer senk-
rechten Höhe von 3 Meter; die zwei andern sind rund.
Im Aufwurfe des ersten Kurgans fand man ein mensch-
liches Skelet in sitzender Stellung, neben ihm einen Eber-
hauer; auf der Nordseite des Kurgans lag ein Steinhammer,
zwei Knochenpfeile und Ueberreste eiserner Pferdegebisse.
In fester Erde unter dem Aufwurfe befanden sich zwölf
Gräber, von denen eines in Form eines Gewölbes gebaut und
aus grossen Steinplatten gemauert war; darin fand man ein
menschliches Skelet in sitzender Stellung. In derselben Stellung
waren auch menschliche Skelete in den anderen eUf Gräbern.
Bei den Skeleten fanden sich nur thönerne Töpfe. In
dem runden Hügel fand man in einem Grabe neben Pferde-
knochen und eisernen Pferdezäumen auch ein kleines Kiesel-
steinmesser.
Im zweiten runden Hügel war das Grab 3 Meter tief
unter dem Aufwurfe gegraben; es war schon ausgebeutet.
Ausgrabungen vom Jahre 1868.
Herr Zabjelin endigte in diesem Jahre die Untersuchung
des Kurgans Zymbalka, den er schon voriges Jahr durch-
zugraben angefangen hatte. Dieser Kurgan liegt am Dnieper
und am Flüsschen Bjelozersk, und hatte 300 Meter im Umfange
und 15 Meter senkrechte Höhe. In der festen Erde unter dem
Aufwurfe, gerade in der Mitte des Hügels, entdeckte man ein
kleines, ovales Grab, und nicht weit von ihm einen grossen,
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viereckigen Begräbnissplatz, 8V2 Meter tief, in welchem sich
Knochen von sechs Pferden vorfanden. Vier hatten bronzenes
Rüstzeug mit silberner Verzierung, zwei von ihnen goldenen
Kopfschmuck; dieser bestand aus einem grösseren goldenen
Plättchen, welches die Nase und Stirn bedeckte, und aus
zwei kleineren Seitenplättchen, auf welchen Syrenen, Blumen
und Gryphone ausgeprägt waren. In der westlichen Ecke des
Grabes lagen Schafknochen und neben ihnen ein eisernes
Schwert.
Fast gleichzeitig mit Zymbalka grub man einen kleinen
Hügel, in welchem mau fünf kleine Gräber fand, auf. Drei
von ihnen waren ganz ausgeplündert. Im vierten fand man:
5 knöcherne Pfeile, 5 Bronzepfeile, 1 Quarzpfeil, Bronze-
gebisse, 1 Bronzeknopf, 1 goldenes Plättchen und 1 irdenes
Geföss. Im fünften Grabe war 1 Menschenskelet, 1 Bronze-
speer und 1 Schleifstein.
Schon glaubte man nichts mehr im Grabe zu finden, als
man auf dem westlichen Rande des Hügels einen Einsturz
bemerkte, der sich bald als ein Gang zu einer höhlenartigen
Vertiefung erwies. Diese Vertiefung war aber ein Begräbniss-
platz, 373 Meter tief in der Erde gegraben. Rechts vom Ein-
gange in die Höhle fand man ein Skelet, das in einem
hölzernen Sarge lag ; am Halse trug es einen massiven golde-
nen Reif; unweit von dessen Kopfe lagen 3 eiserne Speere,
an seiner rechten Seite 100 Bronzepfeile und 1 eisernes Schwert;
links waren 200 ähnliche Bronzepfeile.
Am Eingange in die Höhle lagen nebeneinander 30 gleiche
Kinnbacken eines kleinen, unbekannten Thieres, wahrscheinlich
an einer Schnur gebunden, und etwas weiter Knochen und
Schädel von Schafen. In einer Ecke der Höhle stand eine
schöne Bronzevase, mit Widderknochen angefüllt. Ausserdem
fand man noch ein hölzernes, aus einem Eichenstamme aus-
gehöhltes Fass, das 1 Meter lang war und V2 Meter im Dia-
meter hatte und mit goldenem Schmuck geziert war.
Bei den Füssen des Skelets lagen Pferdeknochen.
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Ueber die Steinüguren (Kamene habe) auf den
Tumulis des südlichen Russland.
Von
Dr. M. Muoh.
In der anziehenden Darlegung des Herrn Hawelka über
die ausserordentlichen Erfolge, welche russische Gelehrte bei
ihren, mit eben so viel Ausdauer als Glück unternommenen Aus-
grabungen erzielt haben, werden zuweilen auch Steinfiguren
erwähnt, welche in oder auf den Tumulis im südlichen Kuss-
land gefunden werden. Ich glaube über diese Steinbilder um
so mehr Einiges mittheilen zu dürfen, als über dieselben über-
haupt noch wenig in die OeflFentlichkeit gelangt ist, und meist
an Stellen, wo auch dieses Wenige nicht gesucht wird. Ich
möchte jedoch die Aufmerksamkeit noch insbesondere aus dem
Grunde auf diese Steinbilder lenken, weil Andeutungen nicht
fehlen, dass sie auch in unseren Ländern, zunächst in Mähren
vorkommen, oder doch früher gefunden worden sind, und weil
ich dazu ermuntern möchte, diese Thatsache zu constatiren.
Am umfassendsten hat sich bisher Dr. Henszelmann
über diese merkwürdigen Steinbilder ausgesprocnen '), und
seiner unseren Dank verdienenden Abhandlung darüber ent-
nehme ich das Thatsächliche für die nachstehenden Mit-
theilungen.
Es ist allgemein bekannt, dass auf den zahllosen Tumulis
im südlichen Russland Steinbilder gefunden werden, welche
menschliche, männliche und weibliche Gestalten, zum Theile
stehend, grösstentheils aber sitzend darstellen. Diese Figuren,
die eine Grösse bis zu neun Fuss erreichen, sind entweder
ronde bosse oder in Relief, in ersterem Falle aber auf der
Rückseite weniger sorgfältig gearbeitet. Wie verschieden sie
an Grösse, Ausführung, Gewand, Gesichtsausdruck u. s. w.
sein mögen ^ so stimmen doch alle darin überein, dass sie
offenbar bestimmte Persönlichkeiten darstellen und
mit den Händen in der Höhe des Gürtels ein becher-
*) Mittheil, der k. k. Central-Commission zur Erforschung
und Erhaltung der Baudenkmale XIX. Jahrg. S. 128 u. f.
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194
artiges Gefäss halten. Wir müssen deshalb diese beiden
übereinstimmenden Erscheinungen als ein für alle charakteristi-
sches Moment auffassen.
Die Russen nennen eine solche Steinfigur, auch wenn sie
mit einem tüchtigen Schnurrbart behaftet ist, kamenaia baba,
d. i. Steinmütterchen, und wenn gesagt wird, dass derlei
Figuren im südlichen Russland, namentlich zwischen Pruth
und Don, also im Sitze der eigentlichen Herodotischen Skythen
und späterhin der noch ungetrennten zahlreichen gothischen
Völker, zu Tausenden gefunden werden, so ist das nicht so zu
verstehen, als ob dieselben noch jetzt bei den wissenschaft-
lichen Durchgrabungen häufig zu Tage kämen; die „Stein-
mütterchen" haben vielmehr längst ihre Stätte verlassen müssen,
wohin sie der fromme Glaube und die kindliche Liebe eines
uns noch unbekannten Volkes setzte.
Wer heute noch derlei Steinbilder finden will, darf sie
nicht über den Gräbern suchen; sie sind allerdings noch zu
Tausenden da, aber in die nächsten Ortschaften verechleppt,
nur in glücklichen Fällen als Gartenstatuen aufgestellt, zumeist
aber in die Wände der Häuser vermauert, als Thürschwellen,
Treppenstufen, Steintröge u. s.w. benützt; kurz wii* sehen, dass
dort nicht jene Erinnerung an ihre einstmalige Bedeutung zu
finden ist, welche zur Schonung derselben auffordern würde,
dass dort der pietätvolle Sinn jenes Volkes nicht mehr lebt,
welches einst diese Gefilde bewohnte und dem Darius sagen
Hess, er möge die Gräber ihrer Väter antasten, und er würde
erfahren, ob sie zu kämpfen verstünden.
Die erste Erwähnung der Kamene habe findet sich nach
Henszelmann, wie ganz natürlich, in den russischen Chroniken,
und zwar des dreizehnten Jahrhunderts, die von denselben
zuerst im Jahre 1225 als von Werken der Palozen (Cumanen)
sprechen. Doch schon im Jahre 1253 berichtet auch der Minorit
Rubruquis (Risbrouk, Ruysbrooke), welchen Ludwig IX. an
den Hof des Gross-Chans der Tartaren sandte, weil der Bruder
desselben den christlichen Glauben angenommen haben sollte,
von ihnen, und erzählt von den zahlreichen Statuen,
in dem heutigen südlichen Russland, welche ein Ge-
fäss an dem Nabel halten. Rubruquis sagt, dass sie auf
den Grabhügeln mit dem Gesichte nach Osten gekehrt seien;
sie mussten also zu seiner Zeit noch vorhanden sein.
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Toldy bemerkt in Eötvös's „Politikai Iletilap" (18(56
Nr. 22), dass die Kurgan - Hügel und mit ihnen die kamene
babe in grosser Zahl, insbesondere zwischen Pruth und Don
vorkommen, also gerade dort, wo zu llerodot^s Zeit die Skythen
wohnten, und mit dieser Angabe ihrer grössten Verbreitung
stimmen im Allgemeinen die Berichte von Rodozicki, Pallas,
Güldenstedt, Klapproth; insbesondere sagt Koppen, dass
Herodot's Skythien von den Kurgan-Gegenden bedeckt werde.
Nach dem erstgenannten kommen Kurgan-Hügel auch jenseits
des Dons im nördlichen Kaukasien, nach Pallas auch am
Jenisey, Irtis und Samara, doch nur vereinzelt vor. Es ist
jedoch die Frage noch offen, ob alle diese Kurgane der Gegenden
jenseits des Dons auch wirklich Steinbilder der beschriebenen
Art enthalten, oder überhaupt nur als Grabhügel erwähnt werden.
Jerney, welcher durch die Aehnlichkeit angereizt, welche
die kamene babe sowohl in den Gesichtszügen als im Gewände
mit dem ungarischen Typus ihm zeigten, imd der dieselben
für ein Werk der Ungarn in einem ihrer früheren Sitze hielt
und deshalb mit Eifer an Ort und Stelle studierte, bestreitet
ihr Vorkommen im Süden der Krim, gegenüber Koppen,
welcher deren Vorkommen daselbst (bei Bakschiserai) ent-
schieden behauptet. Die Differenzen in diesen Berichten werden
wohl dadurch zu erklären sein, dass die Einen ihren Ausspruch
auf Kurganhügel schlechthin bezogen, während ihn die Anderen
auf derlei Hügel, welche Steinbilder enthalten oder auch ent-
hielten, beschränkten. Da Jerney letzteren seine besonderen
Untersuchungen widmete, so wollen wir vorerst ihm Recht
geben, wenn er das Vorkommen von bechertragenden Stein-
bildern auf Grabhügeln auf das Gebiet zwischen den Flüssen
Dnieper und Don, zwischen Charkow und der Krim begrenzt.
Was nun die Bedeutung dieser Steinbilder betrifft, so
weiset schon ihre durchgehende individuelle Verschiedenheit
einerseits, der Mangel jedes besonderen göttlichen Attributes
andrerseits, dann aber das Zusammentreffen aller in dem
gemeinsamen Symbole, dem Tragen des Bechers, darauf hin,
dass wir nicht Götterbilder, sondern Grabstatuen vor uns haben,
Steinbilder, welche den Verstorbenen gesetzt wurden und welche
die Verstorbenen darstellen sollten.
Schon aus Homer wissen wir, dass die Griechen steinerne
Säulen auf den Grabhügeln aufstellten, so wie die Germanen
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des Nordens nach der Edda ihre Bautasteine zum Andenken
an die Verstorbenen am Wege aufrichteten. Es ist nur ein
Schritt weiter, wenn ein Volk diesen Steinen Form und Gestalt
gibt, und sich bemüht, in dem harten, der Zerstörung trotzen-
den Fels das Bild des Gestorbenen zu verewigen, als ob er
fürder noch lebte, und nichts anderes, nur vollkommeneres üben
wir selbst noch, wenn wir die marmornen oder ehernen Bild-
nisse unserer um das gemeinsame Wohl verdienten Männer
auf ihren Gräbern, wie die alten Griechen ihre Säulen, öfter
noch auf unseren Strassen aufstellen, wie einst unsere Väter
ihre Bautasteine.
Wenn gegen diese Auffassung kaum ein begi'ündeter
Einspruch erhoben werden dürfte, so gehen dagegen die Ant-
worten auf die Frage, welches Volk diese bechertragenden
Steinbilder der Pontusländer auf den Gräbern seiner Todten
aufgerichtet habe, weit auseinander.
Die russischen Chroniken schreiben dieselben den Palozen
zu, der schon genannte Minorit Rubruquis (Ruysbrooke) den
Cumanen, indem er sagt: „Comani faciunt magnum tumulum,
et erigunt ei statuam versa facie ad orientem, tenentem ciphum
ad umbilicum, faciunt etiam divitibus piramides, id est domun-
culas acutas et alicubi lapideas domus, quam vis lapides non
inveniuntur ibi. Vidi quemdam noviter defunctum; cui suspen-
derunt pelles XVI equorum, ad quodlibet latus mundi quatuor,
inter perticas altas; et apposuerunt cosmos (Kumis) ut biberet,
et carnes ut comederet, et tamen dicebant de ille quod fuerit
baptizatus". Mit welchem Rechte Rubruquis die Cumanen
als Erbauer der Kurgane und Verfertiger der bechertragenden
Steinbilder erkläii;, ist jedoch erst noch zu untersuchen. Wirk-
lich gesehen hat er nur einige ihm sonderbar und mit dem
Christenthume unverträglich erscheinende Gebräuche, nämlich
dass die Cumanen die Felle von sechzehn Pferden auf hohen
Stangen um den Verstorbenen aufhingen, vier nach jeder Welt-
gegend, und dass man ihm Fleisch und Kumis vorsetzte,
keineswegs aber vermag er zu erzählen, dass die Cumanen in
seiner Gegenwart hohe Grabhügel gebaut, und auf denselben
die Steinbilder aufgestellt haben. Da er aber die unversehrten
Grabhügel mit ihren noch wohlerhaltenen Steinbildern im Lande
der Cumanen gesehen hat, weil er sagt, dass das Angesicht
der Steinbilder nach Osten schaut, und da er bei den Cumanen
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überhaupt absonderliche Ijeichengebräuehe beobachtete, so
mussten wohl nach seiner Meinung die Cumanen auch die
Grabhügel mit ihren Statuen errichtet haben.
Pallas und Klapp roth vindiciren dieselben den Hunnen
ohne alle Berechtigung, da wir aus Ammianus Marcellinuus,
wissen, dass diese weder Häuser noch (Iräber kannten, und aus
Jemandes, dass sie bei dem Begräbnisse Attilas gothischer
Sitte folgten*). Eichwald schreibt die Grabstatuen wie
Rubruquis den Cumanen zu, Bulgarin den Skythen; Gülden-
ste dt hält sie für slavisch.
Dubois endlich bemüht sich den chinesischen Ursprung
derselben zu erweisen, indem er in dem Atlas seines Werkes
„Voyages du Caucase" Neufchätel 1870, Serie d'Arch^ol.
Tafel XXXT zu den Abbildungen von mehreren solcher Grab-
statuen zwei Chinesenköpfe hinzufügt, aus deren Vergleichung
sich die nahe Verwandtschaft in der Gesichtsbildung und daher
die Gleichheit der Rasse ergeben soll. Es ist jedoch über-
flüssig zu bemerken, dass Dubois bei seiner Erklärung kaum
weiter hätte greifen können. Gar nichts, weder ein sonstiger
archäologischer Fund, noch irgend eine historische Nachricht
gibt uns auch nur eine leise Andeutung von einer ehemaligen
Anwesenheit der Chinesen in jenen Ländern, und es kann nicht
gestattet sein, lediglich aus den Gesichtszügen doch nur sehr
roh gearbeiteter Steinbilder so gewagte Schlüsse zu ziehen.
Em Blick auf Abbildungen von derlei Statuen belehrt übrigens
sofort, dass der Gesichtstypus derselben ein sehr verschiedener
ist, und der kaukasischen Rasse mehr entspricht, als der
mongolischen.
Dennoch schreibt auch Radozicki sie den Mongolen zu,
gewiss deshalb, weil dieselben, wie bekannt, lange Zeit das
herrschende Volk in dem grössten Theile des heutigen euro-
päischen Russland gewesen sind, und weil es nahe zu liegen
scheint, dass derartige hervorragende Monumente auch von
einer mächtigen Rasse herrühren. Radozicki hätte für die
Mongolen auch noch den bemerkenswerthen Umstand geltend
machen können, dass noch heute jeder Mongole einen Becher
in seinem Gewände oberhalb dem Gürtel bei sich trägt, wo er
*) Eichtiger dürfte gesagt werden, dass Attila nicht von den
HoDDen, sondern von seiner gotbischen Umgebung begraben wurde.
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verschiedenen unnennbaren Bewohnern willkommene Herberge
bietet. Es würde sonach der im Gewände über dem Gürtel
verwahrte Becher dem Becher ziemlich nahe kommen, welchen
die Steinbilder der Kurgane mit den Händen vor dem Gürtel
halten. Doch darf man von den Mongolen, als dem typischen
Nomadenvolke, keine derartigen Aeusserungen ihrer Kunstliebe
und Kunstfertigkeit erwarten, wie sie beide in den becher-
haltenden Steinbildern sich offenbaren. Alle Schilderungen,
welche Reisende von ihnen machen, treffen in dem Berichte
von ihrer grenzenlosen Indolenz und Apathie zusammen; es
verursacht ihnen schon unsägliche Mühe, irgend ein unentbehr-
liches Hausgeräth zu erzeugen, wie sollten sie sich zur An-
fertigung solcher Steinbilder zu entschliessen und heranzu-
bilden vermögen, die doch nur einem idealen Zwecke dienen?
Zu dem kommt, was eben bei dem apathischen Wesen der
Mongolen erklärlich ist, dass sie im Allgemeinen den Verstorbe-
nen und ihren Gräbern wenig Pflege widmen, ja wir finden
bei einem grossen Theile der mongolischen Völker die Sitte,
dass sie ihre Todten einfach hinwerfen, indem sie deren Frass
durch wilde Thiere für das ehrenvollste Begräbniss halten. Die
Mongolen haben die Kurgane mit ihren Steinbildern gewiss
nicht errichtet.
Indess hat dennoch der Ungar Jerney den Ursprung
dieser Bilder von einem besonderen mongolischen Stamme,
der heute allerdings am meisten vorgeschritten ist, sich aber
auch seines mongolischen Chai'akters vielleicht gänzlich ent-
äussert hat (Lenhossek), mit Aufwand vieler Mühe zuzueignen
sich bestrebt. Auf einer im Jahre 1844 unternommenen Reise,
um die alten Wohnsitze der Ungarn aufzusuchen, begeisterte
er sich in Odessa an dem Anblicke zweier derartiger becher-
haltenden Statuen, in denen er echten ungarischen Typus zu
erkennen glaubte, und da jene Gegenden längere und kürzere
Zeit von Ungarn und anderen ungarischen Stämmen bewohnt
waren, so gab es für ihn keinen Zweifel mehr, dass er in
jenen Steinbildern leibhaftige Ungarn vor sich habe. Es lässt
sich auch in der That nicht in Abrede stellen, dass in den
Gesichtszügen, im Bartwuchse, in der Kleidung manches dem
heutigen ungarischen Wesen überraschend Aehnliche zu finden
ist: der mit Schnüren benähte Rock, die engen Hosen, eine
gewisse Neigung zu Fülle des Gesichtes, der Schnurrbart zeigen
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eine fast bestechende Aehnlichkeit; selbst der Zopf, der noch
heute in Ungarn nicht verschwunden sein soll, fehlt einzelnen
jener Statuen nicht. Obwohl es aber nicht den Anschein hat,
dass Jerney selbst mit der nöthigen Unbefangenheit die Aus-
wahl seiner Vergleichsobjecte getroffen hatte, so bewahrten
doch seine Landsleute die Ruhe und sprachen sich dahin aus,
dass man die Statuen schon deshalb nicht den Ungarn zu-
schreiben dürfe, weil man nicht annehmen könne, dass ein
Volk, welches in einem früheren Wohnsitze seinen Todten
tausende von Statuen verfertigte, in einer neuen Heimat diese
Sitte gänzlich aufgegeben haben sollte, obwohl hier noch lange
Zeit verging, ehe es, etwa durch den Uebertritt zum Christen-
thum, daran verhindert worden wäre. Man entgegnete femer,
die engen Beinkleider seien kein specifisch ungarisches Gewand-
stück, sondern vielleicht von den Slovaken entlehnt, gewiss
aber ein Bestandtheil der allgemeinen Tracht des Mittelalters.
Dazu kommt denn doch noch die Frage, ob man einem so
flüchtigen Nomaden- und Reitervolke, wie es die Ungarn am
Pontus noch waren, jene hohe Sorgfalt für ihre Todten und
jene kunstfertige Eignung zutrauen darf, die sich in der Er-
richtung der riesigen Grabhügel und ihrer Steinbilder aus-
spricht, und die man sonst wohl nur vor einem seit langer
Zeit in festen Wohnsitzen lebenden und an emsige und fried-
liche Beschäftigung gewöhnten Volke erwarten kann? Die
Ungarn haben von den Hunnen (Hungari, Hunogari, Heunen)
den Namen erhalten, ohne Zweifel wegen ihrer Aehnlichkeit
mit diesem wilden Volke, mit dem sie vielleicht auch in naher
Verw^mdtschaft gestanden sind, und ich erinnere, dass die
Hunnen weder Häuser noch Gräber gekannt haben.
Mit grösserem Rechte, als es bei irgend einem der ge-
nannten Völker geschehen, wurde auf die Skythen des Herodot
als Erbauer der Tumuli in den Pontusländern und als Ver-
fertiger der bechertragenden Steinbilder gewiesen. Man weiss
ja, mit welchem Aufwände von Zeit und Aufgebote von Menschen
die Skythen ihre verstorbenen Könige begruben, und in welchen
pietätvollen Ehren sie ihre Gräber hielten, ist aus der Antwort
an Darius hinlänglich bekannt. Bei diesen Thatsachen können
wir auch wohl ohne Bedenken die Möglichkeit gelten lassen,
dass sie die Gräber jener Männer, die sie im Tode noch ehren
wollten, zu mächtigen Hügeln wölbten.
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Allein bei den Skythen trifft noch ein anderer Umstand
zu, welcher das allen Steinbildern gemeinsame charakteristische
Symbol, den Becher in den Händen vor dem Gürtel erklärt.
Herodot erzählt nämlich, dass Herakles in der Gegend des
Pontus mit der Echidra zusammengeführt wurde, mit der er
drei Söhne erzeugte, von denen jener die Herrschaft erhalten
sollte, welcher des Vaters Bogen zu spannen, und dessen
Gürtel, an welchem eine goldene Schale befestigt war,
in gehöriger Weise zu umgürten vermöchte. Dies gelang
dem jüngsten Sohne Skythes, auf den auch die Herrschaft
überging. Von ihm stammen die Skythen, die nun zum
Andenken an die Schale desHerakles auch zuHerodot's
Zeiten noch Schalen an ihren Gürteln trugen.
Die Schale spielt bei den Skythen noch eine andere Rolle.
Während der Regierung Targitai's sollen ein Pflug, ein Joch,
eine Doppelaxt und eine Schale, alle aus Gold vom Himmel
gefallen sein, die nur dessen jüngster Sohn wegzutragen im
Stande war, während sich die anderen an dem glühenden Golde
die Hände verbrannten.
Das was uns also in dieser Richtui% von den Skythen
bekannt ist, könnte in Bezug auf die Erbauer der Tumuli in
den Pontusländern — prunkvolles Begräbniss der skythischen
Könige und hohe Sorgfalt für die Erhaltung der Gräber —
imd auf die Verfertiger der bechertragenden Steinbilder —
der bechertragende Stammvater der Skythen und die becher-
tragenden Skythen selbst — kaum zutreffender gedacht werden.
Henszelmann erhebt in seiner oben angeführten Ab-
handlung Bedenken gegen den skythischen Ursprung der pon-
tischen Grabstatuen, weil er die Skythen für Nomaden hält,
denen eine derartige Kunstübung fremd ist, und weil er glaubt,
dass die Statuen nicht jener frühen Zeit angehören können,
da sie, ob sie auch den Einfluss antiker Bildwerke nicht ver-
läugnen, dennoch nicht der antiken Plastik in ihrem Auf-
streben, sondeni in ihrem Niedergange entsprächen. Indess
iri-t Henszelmann, wenn er die Herodotischen Skythen für
reine Nomaden erklärt; sie hatten vielmehr ihr wohl durch-
bildetes Staatswesen, sie besassen eine bedeutende kriegerische
Widerstandskraft; mit den in den Pontusstädten angesiedelten
Griechen mussten sie einen schwunghaften Handelsverkehr
unterhalten haben, und dem Einflüsse desselben konnten sie
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sich unmc^lich entziehen. Indess genügt schon ihre nationale
Sage von ihrer Herkunft, an die sich die Erzählung von dem
himmlischen Geschenke eines Pfluges, eines Joches, einer
Doppelaxt und einer Schale aus Gold knüpft, zu erweisen,
dass die Skythen durchaus keine Nomaden gewesen sind.
Pflug, Joch und Doppelaxt sind dem Nomaden völlig fremde
Dinge, und nur dem Ackerbauer heilige Symbole, und wenn
sie die skythische Sage vom Himmel fallen und aus Gold,
dem allezeit kostbarsten Stoffe, gearbeitet sein lässt, so drückt
das so viel aus, dass den Skythen ihre Segnungen wohl bekannt
und von ihnen gewürdigt worden waren. Ohne Zweifel be-
weiset die Sage, dass die Skythen von Anbeginn Ackerbauer
gewesen sind, oder strenger genommen, dass der ackerbau-
treibende Theil der Skythen seit Anbeginn die Herrschaft
geführt hat.
Ich erinnere noch daran, dass die Griechen selbst er-
zählen, der Skythe Anacharsis habe ihnen Weisheit gelehrt
und sie mit der Töpferscheibe bekannt gemacht, und glaube
damit einen Beleg zu geben, dass die Skythen selbst in den
Augen der Griechen ein cultivirtes Volk gewesen sein müssen,
dem man wohl die Anfertigung .solcher Statuen zutrauen darf,
insbesondere da ihnen so treffliche I^ehrmeister in den pon-
tischen Küstenstädten zu Gebote standen.
Was den Umstand betrifft, dass die Steinbilder eher dem
Charakter des Verfalles der griechischen Kunst als des Auf-
steigens derselben entsprächen, so ist es vielleicht doch zu
gewagt, bei solchen das nationale Gepräge so scharf aus-
drückenden, zweifellos barbarischen Bildwerken einen solchen
Ausspruch zu thun. Nimmermehr aber könnte eine solche
Wahrnehmung, auch wenn sich Einiges dafür anführen liesse,
die oben geltend gemachten Thatsachen, welche für den skythi-
schen Ursprung der bechertragenden Steinbilder sprechen,
entkräften.
Bisher sind mit mehr oder weniger Berechtigung oder
auch ohne alle Berechtigung Skythen, Hunnen, Ungarn, Cu-
manen, Mongolen und Slaven als Urheber dieser Steinbilder
genannt worden: ein Volk hat man hiebei unbeachtet gelassen,
welches in Europa zu den cultivirtesten Völkern des Alter-
thums gehörte, in den Pontusländern nach dem räthsel-
haften Verschwinden der Herodotischen Skythen
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ebenso räthselhaft erscheint und dort bis zum Ein-
brüche der Hunnen die Herrschaft führt: die Gothen.
Sie haben dort ein fest begründetes mächtiges Staatswesen und
treten als der gewaltigste und innerlich am meisten geeignete
Gegner Roms auf. Diesem liefern sie Staatsmänner und Heer-
führer, die es zu seinen bedeutendsten zählt; in Italien, in
Spanien nehmen sie die Leitung des Gemeinwesens sofort aus
den Händen der Römer, um es mit Geschick und der eines
Culturvolkes würdigen Schonung gegen die Besiegten weiter
zu führen, obwohl sie dadurch ihr eigenes nationales Wesen
einbüssen. In der Zeit, aus der ihre schriftlichen Denkmale
— gewiss nicht ihre ersten Versuche — uns erhalten wurden,
sehen wir, trotzdem diese Denkmale in Folge der Gewalt,
welche Zeit und Menschen an ihnen übten, nur ein unvoll-
ständiges Bild gewähren, dass ihnen ureigene Ausdrücke für
ein Culturleben geläufig sind: für Ackerbau und Bürgerthum,
für Hauswesen und Wissenschaft; sie kennen Richter und
Könige, Dörfer und Städte, Ackerbauer und Bürger, Bücher
und Gelehrte; sie pflegen Gemüsegärten, bauen Burgen; wir
sehen sie im Besitze von Reichthümern, von prächtigen Gold-
geßlssen'), ja von nationalen Goldschmieden^): ihnen wird
sonach auch der Sinn für Kunst und einige Eignung hiefur
nicht gefehlt haben und ich glaube, dass wir nach dem Voran-
geschickten ihnen so viel Kunstfertigkeit ohne Bedenken zu-
muthen dürfen, als zur Ausführung jener einfachen Steinbilder
nöthig ist.
Ihre Könige bestatteu sie mit allem Aufwände von Prunk
und legen ihnen ihre Schätze in das Grab, wie dem Allarich
im Busento, dem Attila, der nach gothischer Sitte begraben
ward, und wir dürfen annehmen, dass mancher pontische
Tumulus einen gothischen König mit seinen Schätzen einschloss.
So viel können wir sagen, dass weder im Wesen der
Gothen, noch in dem ihrer Zeit irgend etwas liegt, was der
Abnahme widerstreiten könnte, dass sie die Erbauer der pon-
tischen Tumuli und die Verfertiger der bechertragenden Stein-
bilder auf denselben gewesen seien, wenn auch bis hieher keine
') Kaiserl. Antikencabinet in Wien.
2) Nach Eugippius, Vita Severini, bei den Rügen in Nieder-
österreioh, einem Zweige der Gothen.
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Thatsachen geltend gemacht wurden, welche sie in so nahe
Beziehung zu derselben brächte, wie die Skythen. Da er-
scheinen in dem spanischen Annex der Wiener Weltausstellung
im Jahre 1873 „fünfzehn Gipsabgüsse von Statuen, welche
alle einen Kelch oder Becher in der Gegend, wo der
Gürtel getragen w^rd, mit einer oder beiden Händen
an die Brust drücken". Neben diesen Abgüssen befand
aich ein Buch, dessen Titel lautete: „Memoria sobre las notabiles
escavaciones hechas en el Cerro de los santos, publicada por
los P. P. Escolapios de Yecla. Madrid 1871", welches Aus-
kunft über den Fundort der Statuen und einige Erklärung
der Bedeutung derselben gab.
Der Cerro de los santos soll der Platz Alteas, der von den
Alten genannten Hauptstadt Bäticas sein, und hat seinen Namen
eben von den hier bereits früher vorgefundenen, vielleicht
ähnlichen, offenbar für Heiligenbilder gehaltenen Statuen. Seine
Berühmtheit erhielt er durch die im Jahre 1871 wissenschaft-
lich betriebenen Ausgrabungen, welche eine grosse Menge von
Steinbildern und Fragmenten derselben liefei-ten.
Ueber die Steinbilder selbst bemerkt das spanische Buch,
dass sich dieselben je nach der Tracht, Ausstattung und äusserer
Würde in drei Classen eintheilen lassen. Ich vermeide es, auf
die Beschreibung der Tracht näher einzugehen, da sie uns
vorläufig nebensächlich erseheinen muss, und will nur beiläufig
bemerken, dass mich die weibliche Tracht lebhaft an das
Gewand der Rumänen erinnert. Die Steinbilder der ersten
Classe sind von gebietender, religiöser Erscheinung, und sie
halten mit beiden Händen ein Gefäss in der Höhe des
Gürtels. Die Bilder der zweiten Classe sind einfacher, von
abweichender Kleidung, „die Rechte ist an die Brust gelegt
oder ausgestreckt, während die I^inke einen Gegenstand hält,
der nicht bestimmt werden kann, weil er blos in Bruchstücken
vorgefunden wurde; zuweilen war es ein Buch. Auf dem un-
bedeckten Theile der Brust tragen sie eine Inschrift, deren
Buchstaben von dem turdetanischen ganz verschieden sind.
Eine der Statuen* trägt statt der Inschrift ein Halsband mit
einem runden schwerfälligen Medaillon, welches einer Steck-
nadel gleicht, die wir imperdibles nennen; Stücke von Bronze-
Stecknadeln, welche den angeführten ähnlich sind, hat man
gleichfalls ausgegraben".
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„Die Statuen der dritten Classe haben ein martialisches
Aussehen; sie sind wie die früheren in Tunika und Mantel
gekleidet. Erste re hat eine Unzahl von Falten, der Mantel
wird auf der linken Schulter von einer hammer-
förmigen Broche gehalten." „Sie haben am Handgelenke
Armbänder; in der Rechten halten sie mit vier Fingern
eine Art ziemlich flacher Trinkschale, der Daumen ist
in seinem oberen Gliede derart gekrümmt, dass er einen kleinen
unbekannten Gegenstand stützen kann." Von den in Gips-
abgüssen ausgestellten Steinbildern hielten alle einen Becher.
Ausser den Menschenfiguren wurden auch zahlreiche
Thierfiguren aus dem Hügel gegraben, Zwei- und Viergespanne
von Pferden, Stiere und Löwen, ja auch phantastische Ge-
stalten.
Genug an dem, dass auch die Steinbilder Spaniens keinen
derartigen Typus an sich tragen, dass man sie für heidnische
Göttergestalten halten dürfte. Sie sind vielmehr so wie die pon-
tischen verschieden an Form und Gestalt, Ausstattung und
Tracht, und sichtlich bestrebt, zu individualisiren, und daher
bestimmte Persönlichkeiten darzustellen. Da nun bei den
Grabungen thatsächlich auch Menschenknochen gefunden
wurden, so unterliegt es keinem Zweifel, dass auch diese Bilder
Grabstatuen sind.
Unter sich aber stimmt die Mehrzahl derselben,
und diese sodann mit den pontischen Grabstatuen
darin überein, dass sie mit beiden Händen oder auch
mit einer Hand einen Becher in der Höhe des Gürtels
an die Brust halten. Es fragt sich nun: wie ist diese
merkwürdige Uebereinstimmung einer so charakteristischen Er-
scheinung im äussersten Osten Europas und im äussersten Süd-
westen zu erklären? Ist die Anfertigung von Grabstatuen und
ist das charakteristische und gemeinsame Symbol derselben,
der an der Brust gehaltene Becher, eine mehreren Völkern
zugleich angehörende, vielleicht einem gewissen Zeitalter, ohne
Begrenzung durch Völkerterritorien, zukommende Erscheinung,
oder müssen wir annehmen, dass insbesondere das Bechersymbol
ein nur einem besonderen Volke eigenthümliches, dasselbe so-
nach kennzeichnendes Merkmal sei? In letzterem Falle müsste
das Volk, dem wir dieses Merk mal beimessen, aus dem äussersten
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Osten nach dem äussersten Südwesten oder umgekehrt ge-
wandert sein.
Da kommen denn die (jothen, bezüglich deren wir die
Möglichkeit nachgewiesen haben, dass sie die Verfertiger
der pontisehen Steinbilder sein könnten, vor allen Anderen in
Betracht. Weder Hunnen noch Slaven, noch ein anderes der
früher genannten Völker, denen der Ursprung dieser Bilder
zugeschrieben wurde, sind je bis nach Spanien gelangt; kein
Volk hat seine Wanderung umgekehrt aus Spanien nach dem
Pontus ausgeführt. Die Gothen allein haben ihren Zug von
den Gestaden des Pontus bis zu jenen der Atlantis vollendet. ')
Die Gothen allein hatten am Pontus und in Spanien eine
dauernde Heimat und feste Reiche, und es ist gewiss merk-
würdig, dass gerade diese beiden Länder sich als Fundort der
bechertragenden Grabstatuen charakterisiren. 2) Wenn aber die
Gothen nicht die Verfertiger dieser Steinbilder gewesen sind,
welchem anderen Volke dürften wir sie zuschreiben, welches
andei"e Volk hatte in beiden Ländern eine Heimat gefunden?
Und wenn es verschiedene Völker gewesen sind, welche in
beiden Ländern die bechertragenden Steinbilder verfertigten.
*) Die Vandalen, ein gothischer Zweig, sind allerdings noch über
Spanien hinaus und über die Meerenge von Gades gelangt; von ihnen
mag ein Theil der blanäugigen, blondhaarigen Bevölkerung im nörd-
lichen Afrika, und ein Theil der Dolmen herrühren, zu deren Bau
zQweilen Steinplatten mit römischer Inschrift verwendet wurden,
allein wir wissen nichts von einem A.ufenthalte der Vandalen am
Pontus. Die Alanen neben den Gothen kommen schon als flüchtiges
Reitervolk nicht in Frage, aber auch darum nicht, weil ihre ursprüng-
lichen Sitze jenseits des Don gelegen waren.
^) Ein Hinweis, dass die bechertragenden Steinbilder von
Yecla den Gothen oder doch überhaupt einem germanischen Stamme
angehören , scheiat auch in dem Umstände zu liegen, dass bei der
dritten Classe der Steinbilder, d. i. bei jener mit martialischem
Aussehen, und mit Tunika und faltenreichem Mantel bekleideten,
dieser Mantel auf der linken Schulter von einer hammer artigen
Broche gehalten wird. Hammerartige Anhängsel sind auch in
Schweden gefunden worden, und sie stehen ohne Zweifel zu dem
germanischen Thorcultus in Beziehung. Henszelmann legt dieser
Erscheinung, ich glaube mit Unrecht, keine Bedeutung bei, weil
die spanischen Gothen schon Christen gewesen seien. Der Ueber-
tritt vom Heidenthum zum Christenthum erfolgte aber nie und
nirgends so urplötzlich und vollständig, dass ein Volk nach dem-
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wenn diese merkwürdige eulturelle Kunstübung nicht einem
bestimmten Volke, sondern einer bestimmten Zeit angehören
soll, warum finden wir ihre Zeugnisse nur in den beiden
Ländern, wo die Gothenreiche ihre grösste Dauer und Blüthe
erreichten, und im Gebiete irgend eines anderen Volkes keine
Spur dieser Uebung wieder? Wie ist endlich die merkwürdige
Uebereinstimmung einer so sonderbaren Erscheinung in so weit
entlegenen Ländern zu erklären, und die grosse Lücke zwischen
beiden, welche durch so weite, noch dazu archäologisch am
besten durchforschte Strecken, gebildet wird?
Eine Antwort könnte man nur geben, wenn es gelänge
nachzuweisen, dass diese Kunstübung an beide Orte durch den
Einfluss eines ganz ausserhalb der in Frage kommenden Länder-
strecken wohnenden Volkes übertragen und ausgebildet worden
ist. Hierbei könnten selbstverständlich wohl nur die Phönizier
in Erwägung kommen, denn sie allein hatten ihren Handel
und ihren Einfluss nach den Pontusländern einerseits^ bis nach
Spanien andrerseits ausgedehnt. Aber warum fehlen dann die
bechertragenden Grabstatuen in der Heimat der Phoenizier
selbst, warum fehlen sie in anderen Ländern, die ihrem Ein-
flüsse in eben dem Maasse oder noch mehr ausgesetzt waren,
als etwa die Pontusländer?
Alle diese Fragen aber bleiben, wenn wir der Bejahung
des gothischen Ursprunges der bechertragenden Grabstatuen
ausweichen wollen, unbeantwoi-tet, und damit die Zweifel un-
gelöst. Wenn wir diese Steinbilder nicht einem bestimmten
Volke, sondern einer bestimmten Zeit zuweisen, dann fehlen
uns die unerlässlichen verbindenden Mittelglieder und wir fragen
selben auf einmal alles das aufgegeben hätte, ja physisch und
psychologisch sofort hätte aufgeben können, was an den früheren
Glauben erinnerte. Spinnt sich doch eine Unzahl von heidnischen
Gebräuchen und ein fester Faden des alten Kcidenglaubens nun
schon durch anderthalb Jahrtausende trotz aller Verbote und Strafen
bis in unsere Zeit fort ! Und waren zahlreiche heidnische Anklänge
selbst im neuen Gottesdienste trotz aller Mühe nicht sogleich zu
beseitigen, so ist umsoweniger anzunehmen, dass sich ein Volk seines
werth vollen, liebgewordenen, vielleicht durch Väterbesitz geheiligten
Schmuckes, der an die heidnische Zeit gemahnen konnte, mit einem
Male entäussert haben wird, wiewol es an Versuchen, solch Teufels-
werk zu annectiren, nicht gefehlt haben mag.
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umsonst, warum sich die Erscheinung auf so fern auseinander-
lie^nde Gebiete beschränkt?*)
Aber gerade ein solches verbindendes Mittelglied, das
noch anderen Richtungen fehlt, sehen wir bei den Gothen
und zwar in dem berühmten Schatze von Petreosa. Dieser zeigt
uns die Gothen im erwiesenen Besitze plastischer becher-
tragender BilSer^ bringt also die Gothen zu diesen Bildern in
so nahe Beziehung wie kein anderes Volk des Alterthums,
verbindet geographisch die beiden Gebiete, in denen bis jetzt
bechertragende Grabstatuen gefunden wurden, und überbrückt
somit gewissermassen die grosse Lücke zwischen den Pontus-
ländern und Spanien.
Das vorzüglichste Stück des Schatzes ist bekanntlich eine in
Gold getriebene Schale von circa 26 Cm. Durchmesser, in deren
Mitte sich auf einem Sitze eine ebenfalls in Gold ge-
triebene weibliche Gestalt befindet, welche mit beiden
Händen , einen Becher an die Brust hält. Der Sitz ist
mit einer Weinranke verziert, um den Sitz im Kreise herum
sind verschiedene Figuren getrieben, welche den Ueberfall
einer TTeer Je, wahrend Hirt und Hund schlafen, zur Darstellung
bringen. Den übrigen grossen Raum gegen den Rand der
Schale erfiillen 16 Göttergestalten, die zumeist ohne Zweifel
der hellenischen und römischen Mythe entnommen, doch viel-
^) Es ist übrigens eine bekannte Thatsache, dass es schon
bei den Bömern Sitte gewesen ist, den Grabsteinen die Forträtbüste
des Verstorbenen in Relief einzumeisseln; sie geht durch das ganze
Mittelalter bis tief in unsere Zeit herein. Allein diese Reliefbilder
lassen keinen oder doch nur einen sehr fernen Vergleich mit den
pontischen, auf der Höhe der mächtigen Tumuli mit dem Gesichte
nach Osten gekehrten Steinbilder zu. Bemerkenswerth aber
sind die mit Reliefporträts ausgestatteten Grabmonumente
der katholischen Priester, welche nicht selten mit einer
oder mit beiden Händen in der Höhe des Gürtels einen
Kelch halten. Allerdings wird mit diesem Symbole der Spender
der Saoramente angedeutet; doch glaube ich dieser Erscheinung
Erwähnung machen zu sollen, da sich vielleicht später doch einmal
ein Zusammenhang derselben mit den pontischen und spanischen
Becherträgem wird finden lassen. Ich möchte jedoch noch auf
einen anderen Gebrauch katholischer Christen verweisen, der sich
in einzelnen Ländern findet, und der vielleicht geeignet ist, einiges
Licht auf die Becher der Grabstatuen zu werfen. Es ist nämlich
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fach in barbarischer Weise beeinflusst und verändert, und daher
zum Theile kaum wieder erkennbar sind. Den Rand bedeckt
innerhalb einer schnurartigen Einfassung eine in gleicher Art
ausgeführte Weinranke, wie sie den Sitz der bechertragenden
Figur umschliesst.
Der bekannte Archäologe Bock, welcher den Schatz von
Petreosa in den Mittheilungen der k. k. Central-Commission
zur Erforschung der Baudenkmale (1868, S. 109) besprach,
spricht sich über die in der Mitte der Schale angebrachte
becherhaltende Figur nicht näher aus, und bemerkt nur, dass
deren antike Tracht und der Kopfputz für die Entstehungszeit
des Beckens charakteristisch sind. Ob die Figur eine Beziehung
zu dem Zwecke desselben ausdrücken soll, will er unent-
schieden lassen.
Was aber diese Figur betrifft, so sagt darüber de Linas
in seinem Werke „Orfövrie m^rovingienne," 1864, S. 185
Folgendes: „In der Mitte erhebt sich die Statuette einer sitzenden
Frau in der Höhe von 0075 M. Sie trägt eine lange ärmel-
lose Tunika, die an den Leib schliesst; ihre von der Stirn bis
auf das Hinterhaupt getheilten Haare rollen sich zu einer
Wellenkrone auf und bilden einen Chignon; die groben Gesichts-
züge ermangeln jedes Ausdruckes, der Busen ist wenig gehoben ;
sie hält mit beiden Händen einen kegelförmigen
Becher (calathus), den sie an die Brust drückt". Und
hie und da Sitte, auf den Gräbern Gefässe für Weihwasser anzu-
bringen, damit von den Angehörigen und Freunden des Verstorbenen
das Grab bei dem Besuche desselben mit Weihwasser angesprengt
werden könne. Bei den Armen genügt wohl ein irdenes Töpfchen,
das an das hölzerne Kreuz gebunden wird. Bei dem Reichen dagegen
besteht dieser Weihwasserbehälter nicht selten aus Marmor, neben
dem ein zierlicher Weihwedel statt des einfachen Aehrenbüschels
der Armen hängt. Steht gar ein marmorner Grabstein oder ein
Monument auf dem Grabe, so ist das Weihwasserbecken in diesem
selbst eingemeisselt, zuweilen sogar in einer Art architektonischer
Verbindung, am Fusse, oder in der Mitte der Vorderseite, manch-
mal auch auf der Höhe des Steines. Haben die aufrecht aufgestellten
Holzbalken (Äsen, Ansen), die Steinsäulen der Griechen und
Germanen, die Hermessäulen u. s. w. menschliche Gestalt vorstellen
sollen, so ist es uns nicht schwer, uns die Grabsteine mit den
eingemeisselten Weih Wasserbecken statt der bechertragenden Grab-
statuen zu denken.
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weiter S. 194: „H. Filimonow (russischer Commissär bei der
Pariser AusstelluDg) erkennt in dieser Statuette den Typus
jener Götter, die in alten Statuen des südlichen Russlands, aus
einem Steinblocke gehauen, häutig vorkommen, man nennt sie
dort Kamenaia Baba (etwa Steinmütterchen); sie sind Sym-
bole des Lebens, der Fruchtbarkeit und Schöpferkraft der
Natur. Die Bemerkung Filimonow's beweist, dass die Äsen,
ehe sie sich in Europa vertheilten, in Russland ansässig waren.
Ich möchte jedoch in Bezug auf diese Kamenaia Baba eine
Frage wagen, ohne dieselbe selbst beantworten zu wollen.
H. E. d'Eichwald, Mitglied der kaiserlichen Gesellschaft der
Aerzte zu St. Petersburg, hat mir vor einigen Tagen die
Zeichnung von vier, im Jahre 1820 aufgefundenen kolossalen
Figuren zugeschickt, eine von Konskye Rasdory, einem Dorfe
des Gouvernements Charkow (Klein -Russland), die anderen
drei aus dem südlichen Russland, zwischen Kherson und
Berislau, mehr östlich auf der Strasse von Marianopol nach
Taganrog. Diese Steinstatuen stellen zwei Männer und zwei
Weiber dar, mit dem calathus in den Händen, ähnlich
jener von Petreosa. Doch geht die Aehnlichkeit nicht
weiter, indem die Tracht und die Gesichtszüge der russischen
Kolosse einen mongolischen Charakter verrathen. Haben die
von H. Filimonow untersuchten Denkmäler etwa denselben
Charakter?"
Wir haben in diesen Bemerkungen zweier fremder Ge-
lehrter, des Franzosen de Linas und des Russen Filimonow,
sonach zwei unbedenkliche, und darum um so giltigere Zeugnisse
för die Gleichartigkeit der bechertragenden Figur in der Schale
des Schatzes von Petreosa mit den bechertragenden Grab-
statuen des südlichen Russland. Wenn nun auch de Linas
beifugen zu müssen glaubt, dass die Gleichartigkeit nicht
weiter gehe, als auf den Umstand, dass die Figuren da wie
dort Becher in den Händen^ tragen, so ist ja gerade dieses
symboüsche Bechertragen das Wesentliche und Charakteristische,
m dem dieselben zusammen treflfen. Dass die Tracht und die
Gesichtszüge der russischen Steinbilder einen anderen Typus
zeigen, als die P'igur der Goldschale, ist leicht erklärt. Die
Goldschale ist zweifellos Erzeugniss eines griechischen Künstlers ;
auch de Linas erklärt sie für ein solches. Dieser hatte offen-
bar nur den Auftrag, seine Schale mit einer bechertragenden
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Figur auszustatten; er ordnete ihr Haar und versah sie mit
einem eben solchen Gewände, wie das der Göttergestalten, die
er auf dem Grunde der Schale schuf, beide» in antiker Weise.
Die Steinbilder der russischen Kurgane dagegen wurden von
einheimischen Meistern gemacht, sie hatten bestimmte Pereön-
lichkeiten darzustellen, sie mussten daher die Gesichtsbildung
derselben möglichst zum Ausdrucke bringen und durften mit
keinem anderen Gewände versehen werden als mit dem volks-
mässigen. Dass beide gerade mongolischen Charakter an sich
tragen, ist doch nur eine Vermuthung, welche de Linas auf
Grund von blos vier Abbildungen ausspricht, während viele
andere Abbildungen diesen vermeintlichen mongolischen Cha-
rakter nicht zeigen.
Nun ist es eine bekannte Thatsache, dass der Schatz
von Petreosa gothisches Besitzthum, wahrscheinlich gothischer
Nationalbesitz ') gewesen ist. Schon die bisher besprochene
Schale zeigt, obwohl sie unverkennbar Gestalten griechischer
Mythe darzustellen beabsichtiget, doch so viel fremdartigen
Einfluss, dass nach der Anschauimg aller Gelehrten, welche
den Gegenstand behandelten, an fremder Beimischung nicht
zu zweifeln ist, und es könnten sonach immerhin die 16 Gestalten
auf dem Grunde der Schale einen Götterkreis darstellen, welcher
den Anschauungen der Gothen, deren nationale Götter durch
den langen Verkehr mit den Griechen der pontischen Küsten-
städte mit den hellenischen sich vielfach vermischt haben
konnten, entsprach. De Linas, welcher die Schale für eine
Arbeit der Verfallszeit der antiken Plastik hält, und ins vierte
Jahrhundert setzt, erklärt zugleich mit Odobesco, dem
rumänischen Commissär der Pariser Ausstellung, die 16 Relief-
figuren geradezu aus der nordischen Mythologie, wenn
er auch hierbei gewiss zu weit geht.
Es ist aber auch bekannt, dass mit den übrigen Gegen-
ständen des Schatzes von Petreosa zugleich ein Ring gefunden
wurde, welcher eine Inschrift trägt, die nunmehr von der Mehr-
zahl der Ausleger als Runenschrift, sonach mit Rücksicht auf
Zeit und Ort, denen der Fund angehört, als gothisch anerkannt
*) Die riesigen Fibeln konnten doch nicht als Kleiderhafte
dienen und waren offenbar Votivgegenstände, also nicht für Privat-
besitz bestimmt.
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wird. Mögen auch die Losuiigou der Inschrift noch auseinander
gehen, es ist genug, wenn sie überhaupt ein neues Zeugniss
gibt für den gothischen Besitz des Schatzes und speciell der
Schale von Petreosa.
Als ein ferneres Zeugniss für den gothischen Besitz
können nun auch die prächtigen, ^us dem südöstlichen Ungarn
stammenden Goldgefasse des kaiserlichen Antikencabinetes in
Wien angeführt werden, welche durch ihre zweifellosen gothischen
Inschriften sich als gothisches Eigenthum documentiren. Sie
bezeugen einei-seits die Vorliebe der Gothen für Ansammlung
von Goldschätzen, und ihre Sitte, dieselben mit Inschriften zu
versehen. ')
Auch Bock spricht sich ganz entschieden für den
gothischen Besitz des Schatzes von Petreosa aus, den er durch
negative und positive Gründe unterstützt, indem er nftchweist,
dass alle anderen Völker, welche um die Zeit, in welche die
Anfertigung des Schatzes versetzt werden kann, von demselben
ausgeschlossen wel"den müssen, während alle positiven Gründe
direct auf die Gothen weisen. Dass es ein durch irgend eine
Bestimmung heiliger Schatz gewesen, bezeugt die Inschrift;
dass er dem Athanarich gehört habe, ist mehr oder weniger
indifferent.
Damit steht denn auch nicht im Widerspruche, sondern
in wünschenswerthester Harmonie, wenn de Linas die Gegen-
stande des Schatzes theilweise für orientalischen, theilweise für
antiken und theilweise für gothischen Ursprunges hält, und
insbesondere die Schale den Griechen oder Byzantinern des
Pontus Euxinus oder Thraziens und dem vierten Jahrhundert
nach Christi, den Ring mit der Inschrift gothischen Gold-
arbeitern zuschreibt.
Endlich muss ich noch der Möglichkeit des Vorkommens
von bechertragenden Steinbildern auf den Tumulis einer unserer
Heimatländer gedenken. Zufolge einer gütigen Mittheilung
eines Freundes in Mähren sollen nämlich auch in diesem Lande
Steinfiguren auf den Tumulis gefimden worden sein. Vorläufig
beruht diese Mittheilung allerdings nur auf Ueberlieferungen,
indess ist bei dem unerreichten Eifer und der bewährten Liebe
*) In dieser Beziehung wäre auch noch der von Karajan ent-
zifferten gothischen Inschriften aus einem Grabe in Wien zu gedenken.
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212
unseres Freundes zur vorgeschichtlichen Forschung mit Be-
stimmtheit zu erwarten, dass in dieser Beziehung bald greifbare
Thatsachen zu Tage treten werden. Sollte sich diese Ver-
muthung erfüllen, so werden wir auch mit dem Vorkommen
dieser Erscheinung in Mähren rechnen müssen. Doch weiss
man, dass auch Mähren von gothischem Einflüsse nicht un-
berührt geblieben ist; ein gothischer Zweig, die Rügen, waren
nördlich der Donau bis nach Mähren hinein lange Zeit sesshaft,
und die Herrschaft der Ostgothen in Italien erstreckte sich
bis in diese Gegenden. Das Vorkommen von Steinbildern auf
Tumulis in Mähren wird uns daher kaum mehr überraschen, als
der schon erwähnte Fund einer gothischen Inschrift in Wien.
Fassen wir die unserer Beurtheilung zugänglichen That-
sachen zusammen, so ergibt sich Folgendes. In den Ländern
am Pontus Euxinus, namentlich in dem vom Pruth und Don
eingeschlossenen Gebiete befinden sich zahlreiche Tumuli von
meist nicht unbeträchtlicher Höhe, auf welchen einst Stein-
bilder standen, die Rubruquis im Jahre 1253 mit ihrem Gesichte
nach Osten gekehrt noch gesehen hat, und deren vielleicht
heute noch zuweilen zum Vorschein kommen mögen. Ob man
in ihren Gesichtszügen und in ihrem Gewände mongolischen
oder ungarischen oder sonst irgend welchen Typus erkennen
mag, alle Steinbilder stimmen darin überein, dass sie bestimmte
Personen darstellen sollen, sonach mit Rücksicht auf den Ort
ihrer Aufstellung als Grabstatuen zu betrachten sind, und dass
sie mit den Händen einen Becher in der Höhe des Gürtels an
die Brust gedrückt halten. Bei der Frage um die Erbauer
dieser Tumuli und die Verfertiger der Steinbilder können von
allen am Ponfus^sessliaft gew^^ nur die Skjthen
des Herodot und die Gothen in Betracht kommen*
In j^leicher Weise wurden in den letzten Jahren in Spa-
nien^derartige Steinbilder an den Tag gebracht, welche mit
den pontischen in ihrem Wesen übereinstimmen, d. i. darin,
dass sie conrecte Personen darstellen, mit Rücksicht auf ihren
Fundort über Gräbern ebenfalls als Grabstatuen anzusehen
sind und endlich in ihrer Mehrzahl mit den Händen Becher
in der Höhe des Gürtels an die Brust halten.
Bei keinem der Völker des Alterthums ist eine derartige
culturelle Kunstübung und namentlich Öas Symbol des Becher-
haltens bekannt, und nichts liegt bis jetzt vor, was uns nöthiget.
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213
diese Uebung in Verbindung mit diesem Symbole nicht einem
einzelnen Volke, sondern einer ganzen Zeitperiode zuzuschreiben.
Es drängt sich somit die Frage auf: in welchem Zusammen-
hange stehen diese beiden so sonderbaren und doch so über-
einstimmenden Erscheinungen im äussersten Südwesten und
im äussersten Osten Europas? Das heisst, hat die becher-
tragenden Steinbilder am Pontus und in Spanien ein Volk
verfertiget und welches?
Von den Herodotischen Skythen, auf welche so deutliche
Fingerzeige hinweisen, wissen wir, dass sie die Grenzen ihres
Gebietes nie verlassen haben, am wenigsten bis nach Spanien
gelangt sind. Ebenso wenig ist irgend ein anderes der als Ver-
fertiger der pontischen Grabstatuen genannten Völker je nach
Spanien gewandei-t. Nur die Gothen gelangten auf ihrem Zuge
durch Europa bis an jene äussersten Marken und gründeten
dort dauernde Reiche. Von ihnen allein lässt sich sonach an-
nehmen, dass sie die Sitte, ihren Verstorbenen becheii;ragende
Grabstatuen zu setzen, aus ihrer Heimat am Pontus in ihre
neue Heimat in Spanien übertragen und dort foitgeübt haben.
Ein Verbindungsglied zwischen beiden Ländern und ein
weiteres Zeugniss für den gothischen Ursprung bechertragender
Bilder ffibt der Goldschatz von Petreosa, welcher uns die
Gothen im zweifellosen Besitze solcher Bilder zeigt.
In Spanien^ wo jeder Hinweis auf ein anderes Volk fehlt,
scheinen die Gothen die alleinigen Verfertiger der becher-
tragenden Grabstatuen gewesen zu sein ; es drängt sich aber
die Frage auf, ob sie es auch am rontus gewesen, und ob
wir dort den Skythen, auf welche, wie wiederholt bemerkt
wurde, so deutliche Fingerzeige weisen, nicht etwa den Ur-
sprung der Sitte zuweisen müssen? Und wenn, wie es in
der That der Fall zu sein scheint, die Skythen begonnen
haben, die Verstorbenen durch Aufstellung ihrer Bilder auf
ihren Gräbern zu ehren und ihnen derart ein bleibendes An-
denken zu schaffen, haben die Gothen von den Skythen diese
Sitte üben gelernt, wie so ungefähr manche andere Gepflogen-
heit von einem Volke auf das andere übergeht, oder haben
sie die Gothen von den Skythen als väterliches Erbtheil
übernommen ? Die Skythen am Pontus, ein mächtiges und für
ihre Zeit hochcultivirtes Volk, verschwinden räthselhaft und
spurlos, wir vermögen kaum einen solchen Gedanken zu
uiyiiizöu uy ■v^j>^>' v^pt ix^
214
fassen : aber ein anderes Volk ist ebenso rathselhaft, und ohne
dass wir sagen könnten, woher es gekommen, sofort an ihrer
Stelle da. Vielleicht sind gar Skythen und Gothen ein Volk!
Notizen über das Feilen der Zähne bei den Völkern
des ostindischen Archipels.
Ton
A. B. Meyer.
Bei den Muhamedanem des ostindischen Archipels ist
das erste Feilen der Zähne ein religiöser Act, welcher ohne
den Willen des Betroffenen vor sich geht; der Priester ver-
richtet die Handlung zur Zeit der Geschlechtsreife, allein es
wird dabei nur sehr wenig von den zwei mittleren oberen
Schneidezähnen abgenommen, und zwar wird gerade herunter,
das freie Ende der Zähne dünner gefeilt.
Während diese erste Feilung als nicht zu umgehende
Religionsceremonie angesehen werden muss, ist die spätere
Behandlung der Zähne nach dieser Richtung hin, vollständig
in das Ermessen ihres Besitzers gestellt; er kann weiter feilen
oder nicht, wie er will, und es herrscht nur die eine Beschrän-
kung, dass die Frau sich jedesmal die Erlaubniss ihres Mannes
einholen muss, wenn sie ihre 2Iähne weiter abfeilen will;
„jedesmal", denn es kommt vor, dass man diese Procedur oft,
fünf, sechs Mal wiederholt, um den Zähnen immer wieder eine
andere Form zu geben. Ertheilt der Mann nun die Erlaubniss
nicht, besteht aber die Frau auf ihrem Vorhaben, so entscheidet
der Priester diesen ehelichen Zwist.
Es herrscht fast in keiner Gegend des ostindischen Archi-
pels nur eine Art des Feilens vor, sondern überall, wo es
überhaupt geschieht, sind mehrere Arten Mode. Zwar fügt
man sich oft einer solchen Mode oder Sitte, allein es kann
geschehen, dass z. B. von drei Brüdern ein jeder die Zähne
anders gefeilt trägt, denn jeder wählt nach seinem Geschmacke;
noch weniger bindet sich ein Stamm, eine Familie an eine
Art. Es wird im grossen Ganzen die Sitte daher nur als
Schmuck gelten können, nicht als ein Zeichen der Zusammen-
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215
gehörigkeit; dennoch lassen sich vielleicht, unter dem ausge-
sprochenen Vorbehalte, dass fast nirgends nur eine Art des
Feilens vorkomme, und unter dem weiteren, dass das Spitzfeilen
von muhamedanischeu Malaien überhaupt nicht geübt zu werden
scheint, verschiedene Gruppen unterscheiden, d. h. es finden
sich gewisse Moden oder Sitten localisirt, es werden gewisse
Arten des Feilens mit mehr Vorliebe in bestimmten Gegenden
geübt.
So feilen die Eingebornen Java's (Sundanesen, Javanen
und Nichtsundanesische Batavia-Leute) die Zähne meist hori-
zontal, aber nicht sehr kurz ab. Die Leute von Griss^ bei
Surabaja auf Java dagegen feilen sie sehr kurz ab. Auf der
Insel Madena bei Java bedient man sich einer Feile zu diesem
Act, während man sonst meist nur irgend welche andere In-
strumente von Bambus, Eisen u. dgl. zur Hand nimmt. Die
gefeilten Zähne, welche in der Novara-Reise, Anthr. Th. Taf. 24,
Fig. 2 unter der Bezeichnung „Javane'* abgebildet sind, kommen
bei Javanen wohl nicht vor.
Die Makassaren auf Celebes feilen ebenfalls horizontal
ab, kürzer wie die Sundanesen, aber nicht so kurz wie die
Leute von Griss^.
In Palembang auf Sumdtra herrscht vielfach die Sitte des
verticalen Abfeilens, also die Zähne werden dünner gemacht.
Der Act wird von Männern vorgenommen, welche ihn als
Gewerbe betreiben und dafür Bezahlung nehmen ; es geschieht
hier mit einem schwarzen Stein, demselben, auf welchen man
Gold auf seine Echtheit prüft.
Muhamedanische Malayen — dieses Wort im weiteren
Sinne gebraucht — scheinen das Spitzfeilen der Zähne nie zu
üben, sondern nur das Querfeilen; dieses jedoch in allen Ab-
stnfangen und Modificationen. Ich glaube daher nicht, dass
die 1. c. Fig. 2 c abgebildeten Zähne einem „Malayen" ange-
hört haben.
Das Spitzfeilen scheinen nur wildere, uncivilisirtere und
nicht-muhamedanische Völkerschaften zu üben, die sich damit
vielleicht eine Thierähnlichkeit, etwas Furchtbares, geben wollen.
Wenn es festgestellt ist, dass das Spitzfeilen bei den Niassern
Sitte sei, so scheint es doch ebenso sicher, dass nicht alle
Bewohner der betreffenden Insel es üben ; denn auf Nias leben
auch viele Malayen, welche sich ebenfalls Niasser nennen, und
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es laufen andererseits auf Java viele Leute dieses Namens
umher, deren Zähne nicht spitz gefeilt sind. Zur DiflFerential-
diagnose kann daher dieser Charakter nicht dienen. Die „Nias"-
Schädel europäischer Museen stammen jedenfalls meist von
,,Niassern" die auf Java sterben.
Bei den Negritos der Philippinen üben, ebensowenig wie
bei den Papuas auf Neu-Guinea, alle Stämme die Sitte des
Spitzfeilens, sondern nur einige, so z. B. bei ersteren die von
Mariveles auf Luzon; bei diesen aber glaube ich, führen alle
Individuen es aus, wenn ich auch über diesen Punkt nicht
ganz sicher mich aussprechen kann. (Siehe auch Bemerkungen
über hier einschlagende Punkte in meiner Abhandlung in dieser
Zeitschr. Bd. IV: „Einige Bemerkungen über den Werth" u. s.w.)
Literaturberichte.
1.
Franz Ferk^ Professor der Geographie und Geschichte an der
' "k." k. Lehrer-Bildungsanstalt in Graz: Ueber Dniidisznus
in Nqricum mit Rücksicht auf die Stellung 3er (jeschichts-
forsctung zur Keltenfrtige. Graz 1877, bei Leuschner & Lu-
bensky. Lexiconformat, 50 Seiten und zwei Tafeln.
Im Jahre 1851 fand bei einer Umgrabung seiner Hutweide
der Bauer Franz Pfeifer hinter dem Dorfe Stretweg, der Stadt
Judenburg in Steiermark gegenüber, unter einer massigen Erd-
erhöhung eine Menge alter bronzener Gegenstände, Stücke von
Vasen, Kelte, Figuren. Das wichtigste war ein kleiner Wagen, ganz
aus Bronze, mit vier achtspeichigen Rädern, jedes 5 Zoll im
Durchmesser. Die vier Räder tragen ein mit starken Rahmen ein-
gefasstes länglich viereckiges Bronzeblech, 12 Zoll lang, 7V4 Zoll
breit, an den vier Ecken sind Thierköpfe angebracht. Der Wagen
bat nach vorne und hinten die gleiche Gestalt, war folglich zum
Hin- und Herfahren bestimmt. Auf dem Wagen steht eine Figuren-
gruppe : vorne auf dem Achsengestelle angenietet ein Hirsch,
welchen zwei Männer bei den grossen Geweihen in der Mitte halten,
hinter denselben eine männliche Figur, ein Beil in der Hand
schwingend. Dieselbe Gruppe ist auch hinten auf dem Achsen-
gestell. In der Mitte des Wagens rsigt zur Hälfte über die Um-
gebung eine schlanke weibliche Figur hervor, welche beide Hände
über den Kopf emporgehoben hat und damit ein auf ihrem Kopfe
anliegendes , jetzt nur noch in mangelhaften Bruchstücken vor-
handenes Geföss von der Form und Grösse eines Tellers hält, über
welchem wahrscheinlich noch ein weiterer Aufsatz war. In den
Flanken des Wagens sind je zwei Reiter aufgestellt, mit den Hinter-
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Seiten einander gegenüber. Alle Piguren sind völlig nackt, nur die
Reiter haben eine flachspitzige Kopfbedeckung, sie sind sammt den
Pferden 5 Zoll hoch, die Hauptfigur dagegen ist 9 Zoll hoch. Die
Figuren sind gegossen.
Begreiflich, dass dieser Fund, der Eigenthum der Alter-
thümer-Sammlung im Johanneum zu Graz wurde, grosses Aufsehen
erregte und noch erregt. Bei der Weltausstellung in Wien prangte
er unter den Alterthümern. In den grossen Antiquitäten-Cabineten
findet man in der Begel eine Nachmachung. In der grossen Samm-
lung von keltischen Alterthümern zu St. Germain, die Napoleon III.
yeranstaltete, sah Referent ein so treues Abbild, dass er es kaum
von dem Original zu unterscheiden wusste.
Was ist die Bedeutung dieser Gruppe und welchem Volke gehört
diese Arbeit an? Nachgrabungen, welche Dr. Robitsch*) unter-
nahm, zeigten, dass der Fundort eine Begräbniss- oder Opferstättc
war. Der Platz war vom Feuer geschwärzt, unter Asche und Holz-
kohlen fand man angebrannte Knochenreste, Thonscherben, bron-
zene oder eiserne Gegenstände, auch Stücke von Gold. Die Boden-
ebene war gepflastert und mit grösseren , mitunter mehr als
centnerschweren unbehauenen Steinen eingefasst. Der gründliche
Kenner slavischer Alterthümer, Davorin Terstenjak, vindicirte die
Arbeit den Slaven und suchte nachzuweisen, dass die slavische
Gtöttin Lada vorgestellt sei und zu Wagen (Lada na Kollah, d. h.
Kollada), die Göttin des Lichtes und Lebens: die Sonnenscheibe,
auf der sie steht, und ihre Umgebung sind für diese Anschauung
ganz passend. Andere dachten an Kelten, an Römer, Etrusker.
Dass auch sonst in der Steiermark solche Wagen vorhanden waren,
zeigt ein Fund in Radkersburg, ein ganz ähnlich gemachter Wagen,
nur ohne Figuren, dagegen war ein Gefäss darauf. Ein ähnlicher
Wagen war auch schon 1843 in der Nähe der Ostsee bei dem
Dorfe Peccatel gefunden worden, der eine grosse Vase von Bronze
trug. Auch bei Ystad in Schweden fand sich ein ähnlicher Wagen.
Ewald machte auf die salomonischen Tempelgefässe aufmerksam,
die gleichfalls auf Wagen standen (I. Könige 7. 3), auf altgrie-
chische Mischgefasse, welche auf Rädern standen (Ilias, 18, 372.
379). Diejenigen, welche die Gestalten auf dem Judenburger Wagen
mythologisch deuteten, verwiesen auf die römischen Götter wagen.
Der Verfasser der Schrift, die wir besprechen, hält den Wagen
für keltische Arbeit und nahm von ihm Anlass, in der Gegend
von Stretweg weitere Nachforschungen anzustellen und einen Theil
der Resultate derselben hier zu veröffentlichen. Er beginnt mit
einer XJebersicht über die Geschichte der Kelten, geht von da auf
die Streitfrage über, von wo die Bronzekelte herrührten, geht so-
dann auf die Dolmen, Menhirs, Steinkreise über, welche er den
Kelten vindicirt, dann auf die Frage, ob es in Noricum auch
1) VgL Robitsch, Alterthümer von Ansgrabongen bei Jadenborg. Mit-
tbeilaogen des historischen Vereines für Steiermark. III. Heft. Gras 1852.
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Druiden und Druidinnen gab, wobei er die Bemerkung macht, dass
der steirische Archivar Pratobevera in den Gestalten des Juden-
burger Wagens Druiden und Druidinnen erkannt habe ^) — wobei
uns aber die Frage erlaubt sein mag: womit hat Dieser seine
Ansicht bewiesen ? Auf richtigerem Wege ging der Verfasser voran,
als er nach den Sagen in jener Gegend forschte, und was er mit-
theilt (S. 40 fg.), zeigte allerdings, dass Gestalten aus der heid-
nischen Götterlehre als Gespenster noch in den Sagen jener Gegend
fortleben. Doch müssen wir erst weitere Mittheilungen, die der
Verfasser verspricht, abwarten, ehe wir die Sache für vollkommen
spruchreif halten. Bemerkt sei, dass Herr Ferk auf dem Stretweg
nahen Feldberg unter Gebüsch einen Steinkreis fand, den er sogleich
als „Druidencirkel** bezeichnet. Es unterliege keinem Zweifel,
dass der Kegel des Berges durch Menschenhand geebnet wurde.
Nachdem die gebrochenen und vermorschten Bäume und die vielen
Aeste, welche wohl seit gar vielen Jahren diesen Boden bedeckten
und stellenweise schon neuen Humus abgaben, weggeschafft waren,
zeigten sich mit der Platte übereinstimmend. Steine, welche analog
der planirten Kegelform in einer Korblinie liegen, weiter, gegen
die mittlere Form des Kegels zu Steine, welche genau in einer
Kreislinie und genau fünf Schritte von einander entfernt sind.
Die äussere Form der Steinsetzung war elliptisch, die innere aber
kreisförmig. — Diese Steinsetzung findet Herr Ferk in Harmonie
mit gewissen Einschnitten in der Platte des Judenburger Wagens. —
„Jene Gelehrten, welche über dieses grosse archäologische Bäthsel
geschrieben, haben die Wagenplatte entweder ganz ausser Acht
gelassen oder sie beachteten nur die durchbrochene Scheibe in
der Mitte derselben, die sie für die Sonne hielten und schenkten
der sonstigen Beschaffenheit dieses Wagen theiles keine weitere
Aufmerksamkeit. — Die Uebereinstimmung des Tempels auf dem
Falkenberg mit der Platte des Judenburger Wagens ist eine that-
sächliche, woraus sich der Beweis gegen die fremdländische Her-
kunft, ich sage vorläufig nur der Wagenplatte, von selbst ergibt."
Beides findet Herr Ferk in Uebereinstimmung mit dem Plane des
grossen Stein kr eises zu Stonehenge, wesshalb auch auf der einen
Tafel die Bodenplatte des Judenburger Wagens, auf der anderen
der Grundriss des Sonnentempels zu Stonehenge abgebildet ist.
Dass die Noriker zum keltischen Stamme gehörten, ist die
Behauptung der bedeutendsten alten Schriftsteller. Was soll aber
diese Uebereinstimmung, und woher hat der Verfasser die Ge-
wissheit, dass der Steinkreis von Stonehenge und andere von
den Kelten herstammen, und dass diese Kelten nicht mit dem-
selben Staunen wie wir auf diese Kreise hinsahen! Dass sie zu
dem Zweige dieses Stammes gehörten, welcher über die Ebene
nördlich vom schwarzen Meer oder die Meerenge südlich derselben
') Mittheilnngen des historischen Vereines für Steiermark* III. Heft
77, 124—30.
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nach dem Abendlandc kam, liegt auf der Hand. Dass in abgeschlosse-
nen Berggegenden die Bevölkerung sich leichter unvermischt und
die Sprache und üeberlieferung sich reiner erhält, als in Ebenen
am Meere, an der Heerstrasse der Nationen, versteht sich von
selber. In Namen von Orten, Bergen, Flüssen, welche eine Be-
völkemngsschichte von der anderen übernahm, liegen also Andeu-
tungen über die älteste Geschichte, wie in alten Göttersagen oder
Geistergeschicht^n, nur müssen sie mit grosser Sorgfalt verwerthet
werden. Combinationen können angewendet werden, nur dürfen sie
nicht so gewagt sein, wie die von 8anefra und Senefru (S. 26 — 27),
von Hopo tatsch und Harpechrud (S. 48). — Das müssen wir dem
Verfasser bemerken bei aller Anerkennung seiner Kenntnisse und
seines Eifers für Erforschung der vaterländischen Geschichte.
Um aber auf den Wagen •) wieder zurückzukommen, möchten
wohl die Leser dieses Blattes fragen, welches denn die Ansicht
des Recensenten darüber sei? Ich halte ihn für einen Tafelaufsatz
und weiter Nichts, der ein Lieblingsstück eines reichen oder vor-
nehmen Mannes war und diesem ins Grab mitgegeben wurde. Die
Hauptsache beim Wagen zu Radkersburg, zu Pecoatel ist ja, dass
sie Gefasse waren. Der Judenburger Wagen mag Honig auf der
Tafel getragen haben, der in alter Zeit, wie jetzt der Zucker,
bei den Speisen und Getränken verwendet wurde, und mag auf
dem Tische von einem Gaste dem anderen zugeschoben worden
sein, wie heute die Flaschenwagen in England und in der Umgegend
von Bordeaux. Die Figuren sind Verzierungen, ob sie ein Opfer
darstellen, das der Magna mater Deum dargebracht wird, der
Spenderin des Lebens und seiner Genüsse, lässt sich nicht be-
stimmen. Die Arbeit erscheint mir phönikisch. Wagen bei Gefässen
anzuwenden, war bei diesem Volke der Industrie und des Handels
besonders gern im Gebrauch. Mit Rädern waren im solomonischen
Tempel die vom Tyrier Hiram gefertigten Tempelgefässe versehen,
mit Rädern versehen waren die Mischkrüge, von denen in oben
citirter Stelle Homer spricht. Wahrscheinlich kamen in ihren Berg-
werken die Phöniker zuerst auf den Gedanken von Korbwagen.
Selbst das Gepäck, das sonst die Krieger tragen mussten, scheinen
phönikische Soldaten auf zwei Rädern gezogen zu haben, das
zeigt ein Fund in einem phönikischen Grab bei Cagliari; der Stil
der Arbeit ist derselbe wie beim Judenburger Wagen. Die weite
Verbreitung phönikischer Fabrikate durch ganz Europa ist sicher-
gestellt. Was Nilsson ahnte, hat die Vergleichung der Bronzekelten
bei der archäologischen Sammlung der letzten Pariser Weltaus-
stellung bestätigt, nämlich dass sie durchgängig aus einer phöni-
kischen Fabrik stammen.
Graz, 24. December 1876. Dr. Weiss.
>) Neu wieder abgebildet in dem Werke von Peingne delacourt Tech-
nologie arch^ologique Peronne!
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22Ö
Dr. Fligier^ Zur prähistorischen Ethnologie Italiens. Wien 1877,
bei Alfred Holder. 55 S.
In ähnlicher Weise, wie es der Verfasser in seiner Abhand-
lung über die prähistorisohe Ethnologie der Balkanhalbinsel (Mit-
theil, der anthropologischen Gesellsch. in Wien, VI. Bd.) gethan,
sammelt derselbe die historischen Nachrichten über die älteste
Bevölkerung der italischen Halbinsel. Seine Deductionen gründet
er wesentlich auf Orts- und Völkernamen, und belegt dieselben
mit einer grossen Zahl von Citaten, die er überdies noch durch
die Resultate der craniologischen Forschungen italienischer Ge-
lehrter zu stützen sucht. Ob die Berufung auf die Gleichartigkeit
der Orts- und Völkernamen zu mitunter sehr weit gehenden
Folgerungen überall genüge, und ob die Resultate der craniolo-
gischen Forschungen, die ja doch erst im Beginnen, und deren
Objecte bis jetzt doch nur sehr vereinzelte sind, so durchaus
sichere Resultate gewähren, dass man sie so unbedenklich als
Stütze solcher Folgerungen verwerthen könnte, ist freilich noch
in Frage. Wir wissen, dass man ja noch immer erst eine einheit-
liche Methode der Craniologie sucht, und dass sie selbst noch auf
sehr unsicherer Basis steht. Das scheint denn auch der Verfasser
zuzugestehen, indem er selbst zugibt, dass mit seiner, jedenfalls
sehr werthvoUen Arbeit »die prähistorische Ethnologie Italiens**
keineswegs abgeschlossen erscheint.
Dr. Muoh.
Berichtigung.
Seite 115, Zeile 14 von oben, lies: Bielowski, statt: Bielowskiego.
Vereins -Mittheilung.
Fachgenossen, welche über einen, in die von der anthropolo-
gischen Gesellschaft gepflegten Disciplinen einschlägigen Gegenstand
einen Vortrag zu halten oder kürzere Mittheilungen zu machen
wünschen oder diesbezügliche Abhandlungen in den „Mittheilungen''
der Gesellschaft zu veröffentlichen beabsichtigen, werden gebeten,
sich diesfalls an den ersten Secretär, Dr. M. Muoh, Vlit. Bezirk,
Josefsgasse Nr. 6, zu wenden.
Bed«etlOBM*Comit^: Unfinth Franz Kitter v. Uftoer, Hofratli Carl Lauf er, Dr. H. Mach,
Prof. Friedr. Hiller, Dr. WabrmaaB, Prof. Joh. Woldfieh.
Druck von Adolf UolshauMii in Wien
k. k. Uiil««rtli«tfBu«b4ru«k«f«i.
Digiti
izedby Google
TU. Band. Aosgegeben den 19. Oetober 1877. Hr. 9.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
m WIEN.
lahalts Di« F«nekiiDfftD der kaiMrlioben ftrchiologischen CoamiitioD la St. Petoreburg. III.
Yon Job. Ntwtika m MoskM. ~ U«b«r ein« B«rnsUinp«rl« mit pbdnikitcber Insobrifk in der
Sftmalanc nordbcb-germanieeber Altertbftmer in Oldenburg. (Ifit Tafel.) Vod Or. Much. —
Kleioere If ittbeilaDgen : Ueber die Perforation des Penis bei den Malayen. Von A. B. Maytr. —
Bernstein im Italien. Von Sr. — fände bei Clee. Von Sr. — Literatnrbericbte. — Yereine-
naebricbt.
Die Forschungen der kaiserlichen archäologischen
Commission zu St. Petersburg.
Von
Job. Hawelka
in Mosluta.
m.
Die Ao8grabangen in Sibirien.
Die Ausgrabungen, welche die kaiserliche archäologische
Commission in Sibirien vornehmen Hess, wurden von keinem
günstigen Resultate begleitet. Man hat in den Jahren 1862,
1865, 1866, 1869 gegraben, es wurden beinahe 400 grössere
und kleinere Hügel geöffnet, und trotzdem war die Ausbeute
eine so geringe, dass auf Grundlage dieser Ausgrabungen an
eine I^ösung der vielen Fragen in den sibirischen Alterthümern
wohl nicht zu denken ist. Die meisten Grabhügel waren schon
ausgeplündert. Diese Plünderung datirt fast schon seit der
Eroberung Sibiriens durch die Russen, und insbesondere seitdem
es den aus dem Reiche verwiesenen Sträflingen zürn Wohnungs-
orte angewiesen wurde. Man zwang die Sträflinge zum Suchen
von Erzminen. Da geschah es oft, dass man auf Grabhügel
kam, welche keine Erzminen, wohl aber schöne Objecte ent-
hielten, deren Verkauf immer einigen Nutzen brachte. Es ist
leicht einzusehen, dass dieses arme, verwahrloste Volk sich
begierig an solche Hügel machte, aus welchen es eine sichere
Beute erwarten konnte. Dieses Suchen nahm später so sehr
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überhand, dass bald eine ganze Classe von Menschen aufkam,
welche unter dem Namen der „Todtengräber, Hügelgräber,
Kurgangräber", bekannt waren. Als man die grösseren Hügel
ausgeplündert hatte, wendete man sich auch zu den kleineren,
und so geschah es, dass sehr viele wichtige Schätze, welche
seit undenklichen Zeiten in diesen Hügeln verborgen waren,
für die Wissenschaft auf immer verloren gegangen sind.
Da demnach wegen Mangel an Funden mein Referat
über die Ausgrabungen in Sibirien nicht viel Interessantes
enthielte, so werde ich mich im Folgenden über sibirische
Alterthümer überhaupt auslassen und auch über solche Funde
sprechen, welche nur mittelbar von der archäologischen Com-
mission gemacht worden sind. Zunächst aber sei ein kurzer
historischer Ueberblick der wissenschaftlichen Erforschung
Sibiriens gegeben.
Die eigentliche wissenschaftliche Erforschung Sibiriens
geschah imter Peter dem Grossen. Dieser grosse Mann,
der sich für Alles in seinem weiten Reiche interessirte, hatte
mehrere gelehrte Expeditionen nach Sibirien ausrüsten lassen,
von welchen die des dänischen Naturforschers und Gelehrten
Dr. Messerschmidt im ersten Viertel des achtzehnten Jahr-
hundertes die bekannteste und auch wohl die wichtigste ist.
Unter den Instructionen, die der Expedition gegeben
wurden, bezeichnete Peter der Grosse selbst „die Erforschung
der Sprache, Denkmäler und anderer Alterthümer" der sibi-
rischen Völker, als eine der wichtigsten.
Messerschmidt's Tagebücher über diese Expedition
wurden zwar nicht alle von der kaiserlichen Akademie heraus-
gegeben, aber auch die wenigen herausgegebenen blieben ein
schätzbares Material für nachkommende Forscher.
Nach dieser Expedition folgten noch viele andere, die
meistens von der kaiserlichen Akademie veranstaltet waren;
neben Gesellschaften haben sich auch private Personen um
die Erforschung Sibiriens verdient gemacht. Unter diesen
ist besonders der geheime Regierungsrath und Vorsteher in
JekaterinenburgHerr Ta tisch tscheff zu nennen, der in seiner
„Fortsetzung der Bearbeitung der russischen Geschichte und
Geographie" 198 Fragen vorlegte, auf welche er von den Gou-
verneuren, Beamten genaue Antworten zu erhalten wünschte. Die
Antworten wurden von Tatischtscheff corrigirt und zu einer
Digiti
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223
Beschreibung Sibiriens zusammengestellt. Einige von diesen
Fragen beziehen sich auch auf die Archäologie und blieben
wegen ihrer Gründlichkeit lange Zeit das Programm für ge-
lehrte Arbeiten und wissenschaftliche Expeditionen.
Vom Jahre 1734 — 1744 hielt sich in Sibirien die grosse
Nordexpedition auf, an welcher sich mehrere Gelehrte nebst
ihren Schülern betheiligten; von besonderer Wichtigkeit für
die Archäologie Sibiriens waren die Schriften der zwei an
der Expedition betheiligten Gelehrten: Gmelin imd Müller.
Der erste gab seine „Reise durch Sibirien, Göttingen 1762",
der zweite „Die Beschreibung des Sibirischen Kaiserthums"
heraus.
Dreissig Jahre später reiste in Sibirien sechs Jahre hin-
durch Pallas mit seinen Schülern herum; in seinen Schriften
„Reise durch verschiedene Provinzen des russischen Reiches"
und „Neue nordische Beiträge, 1782" welche meistens von der
geographischen Lage Sibiriens und der Naturgeschichte handeln,
finden sich fortwährend Anspielungen auf die sibirischen Alter-
thümer, Inschriften, Ruinen etc.
Die nachfolgenden Reisenden: Sievers, Meuer, Her-
man etc. will ich mit Stillschweigen übergehen, und sogleich
den berühmten französischen Reisenden Castren anfuhren, der
in den Jahren 1845 — 1849 auf Antrag der kaiserlichen Aka-
demie Sibirien bereiste. Der Hauptzweck seiner Reise war
die linguistisch-ethnographische Erforschung des Samojedischen
und Ostjakischen Stammes vom Ural bis zum Jenisei. Seine
Reiseberichte und Briefe an seine Freunde und Landsleute
wurden später gesammelt und nach seinem Tode unter dem
Titel: „M. Castren's Reiseberichte und Briefe aus den Jahren
1845—1849, St. Petersburg 1856" von Schiffer herausgegeben.
Aus ihnen ersieht man, dass Castren neben seinen linguistisch-
ethnographischen Forschungen auch besondere Aufmerksamkeit
sibirischen Alterthümern zuwendete. Er untersuchte insbesondere
die Grabhügel, Inschriften, die Sagen und Glaubensbekenntnisse
der dort angesiedelten Stationen und bereicherte ungemein
durch seine Funde das archäologische Museum der Akademie
in St. Petersburg.
Seit den Dreissiger Jahren dieses Jahrhundertes mehrten
sieh insbesondere die Untersuchungen über verschiedene sibiri-
sche Fragen. Monographien, einzelne gelehrte Abhandlungen
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und auch ganze umfassende Werke verbreiteten Licht über viele
immer noch dunkle oder ganz unbekannte Stellen der sibiri-
schen Alterthumskunde; man gründete gelehrte Gesellschaften,
richtete bei ihnen Sammlimgen sibirischer Alterthümer ein,
gab specielle Zeitschriften heraus, kurz, that Alles, um Sibirien
vom archäologischen Standpunkte aus gründlich zu erforschen.
Es wäre zu weitläufig, wollte ich alle gelehrten Abhand-
lungen anführen, die in den letzten Jahren in verschiedenen
inländischen Zeitschriften über sibirische Archäologie erschienen
sind; es wäre auch zu lang, wollte ich alle gelehrten Gesell-
schaften und privaten Personen namentlich anführen, die sich
um die sibirische Archäologie besonders verdient gemacht
haben; doch ein Institut kann ich nicht mit Stillschweigen
übergehen. Es ist dies die „Sibirische Abtheilung" der kaiser-
lichen russischen geographischen Gesellschaft, welche im Jahre
1851 in Irkutsk gegründet wurde, und sich die geographische
und naturwissenschaftliche Erforschung von Sibirien zur Haupt-
aufgabe gemacht hatte ; doch auch die historisch-archäologische
Untersuchung wurde eifi'ig betrieben, und die gemachten Funde
bilden die Grundlage des archäologischen Museums, das man
in Irkutsk gegründet hatte. Sie gibt die „Izviesfia sibirskago
otdiela geografi öeskago obSöestva" heraus, in welcher sich
neben Abhandlungen aus der Geographie auch gediegene Ar-
tikel über sibirische Archäologie und Ethnographie befinden.
Die Gesellschaft arbeitet seit dem Anfange ihres Bestandes an
der Erforschung Sibiriens mit unermüdlichem Fleisse bis zum
heutigen Tage fort.
Bei allem diesen lobenswerthen Eifer in der Erforschung
sibirischer Alterthümer muss man doch bekennen, dass alle
Versuche zur Erklärung der Frage des Ursprunges alter sibiri-
scher Denkmäler, und alle Schlüsse und Folgerungen über den
Ursprung und die Entwicklung der Völker, denen die Alter-
thümer angehören, mindestens als verfrüht anzusehen sind. —
Die Schlüsse und Folgerungen werden bis jetzt auf Grund-
lage sehr weniger Facta gemacht. Die Beantwortung der
Fragen wird ungemein erschwert durch die ungeheuere Zer-
streuung der archäologischen Objecte, die auf eine leicht
erklärliche Weise in die Hände von Privatpersonen geriethen
und somit den weiteren gelehrten Kreisen fast gänzlich ver-
schlossen sind.
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Auch die Ausgrabungen der kaiserlichen archäologischen
Commission haben diese Frage der Entscheidung nicht näher
gerückt.
Die Ausgrabungen leitete im Namen der archäologischen
Commission Herr Dr. Radi off.
Im Jahre 1862 machte er 46 Grabhügel auf, und zwar
einen in der Kulindin'schen Steppe, einen am linken Ufer des
Irtysch, Semipalatinsk gegenüber, zwei im Thalc von Tersakan,
einen am rechten Ufer des Flusses Earakara, einen nicht weit
von der Festung Vierny, 22 um Kapal herum, vierzehn bei
Sergiopol und vier bei Barnaul.
Im Jahre 1863 grub Herr Dr. Radi off am linken Ufer
des Abakan, auf dem Berge Ajtak, und öflFnete 100 Grabhügel.
Im Jahre 1865 grub Herr Dr. Radioff am Altai und zwar
an vier verschiedenen Stellen und öffnete:
1. bei Ursul in der Richtung von Angodai — 7 Hügel,
2. am Flusse Tobajok in der Steppe Tschuja — 12 Hügel,
3. an den Ufern der Eatonda — gegen 50 Hügel,
4. in der Steppe des Berel — 7 Hügel; im Ganzen gegen
80 Hügel.
Auch im Jahre 1866 machte Herr Dr. Radioff Aus-
grabungen an vier verschiedenen Stellen, er öffnete:
1. in der Barabinschen Steppe, am rechten Ufer der Om,
unweit der Stadt Kainsk — 73 Hügel,
2. in der Kirgisischen Steppe am rechten Ufer des Irtysch,
zwischen dem See Tschaoy und der Stadt Pavlograd — 26 Hügel,
3. um Semipalatinsk herum — 5 Hügel,
4. im Districte von Kokbekty, in der Nähe der Stadt
Kokbekty — 1 Hügel; im Ganzen 105 Hügel.
Endlich im Jahre 1869 grub Herr Dr. Radioff an den
Ufern des Flüsschens 11 mehrere Hügel auf, und ausserdem
im Tschuj'schen Thale noch über 35 Hügel.
Wie aus diesem Verzeichniss zu ersehen ist, hat man
eine ansehnliche Zahl von Grabhügeln aufgemacht; leider waren
fast alle, mit wenigen Ausnahmen schon ausgeplündert.
Die Grabhügel Sibiriens sind bei den Russen unter dem
Namen der Tschud'schen Grabhügel bekannt. Ihre Form ist
verschieden. Schon Gmelin, mit welchem auch Müller und
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Pallas^) übereinstimmen, unterscheidet bei den sibirischen
Hügeln fünf verschiedene Formen:
1. Majaky oder Mogilniky, welche die Form eines läng-
lichen Parallelogramms haben, sie sind 50 Schritt breit und 60
lang. Sie bestehen aus länglichen Steinen, die senkrecht in die
Erde gegraben sind. An den vier Ecken erheben sich die grössten
Steinplatten, bis 2 Meter Höhe, deren Flächenseiten gegen
Süden und Norden gewendet sind. Auf der Nordseite ist ge-
wöhnlich eine kleine OeflFnung, welche wahi*scheinlich als Ein-
gang diente. 4 bis 8 Meter vom Vierecke, gegen Südosten
entfernt, stehen grosse Steine, an welchen Daretellungen von
Menschen ausgehauen sind. Es sind diess die früher erwähnten
sogenannten „Kamennyjababy", d.h. Steinfiguren, welche ge-
wöhnlich weibliche Gestalten, und zwar schon ältere, darstellen.
Diese Steinfiguren von Sibirien haben eine überraschende
Aehnlichkeit mit den Steinfiguren im südlichen Russland, z. B.
von Jekaterinoslav.
In der Mitte des Parallelogramms befindet sich gewöhnlich
ein viereckiges Grab; das bis 2 Meter tief ist, und je nachdem
als Begräbnissplatz für einzelne Personen oder auch für die
ganze Familie diente.
Der Boden war entweder mit Steinplatten gepflastert oder
ganz glatt gemacht; im letzteren Falle pflegte er durch auf-
recht stehende Steinplatten in 2, 3 oder 4 kleinere Vierecke
eingetheilt worden zu sein.
2. Slantzy; dies sind Gräber ohne Erdaufwurf, gewöhn-
lich über der Erde mit einigen Lagen von Steinplatten bedeckt,
an den Seiten haben sie aber keine senkrecht stehenden Steine,
wodurch sie sich besonders von den Majaky unterscheiden.
Unter den Platten ist Erde, und unter der Erde das eigentliche
Grab, etwa einen Meter tief in den Boden gegraben.
3. Tvorylnyje kurgany ; das sind quadratförmige Stücke
Bodens, welche von senkrecht bis auf 2 Meter tief in die Erde
eingegrabenen Platten umgeben sind, so dass man sie kaum
sehen kann. In der Mitte unter dem Lager der Erde befindet
^) Alle diese Gelehrten sprechen von Grabhügeln im District
von Minussinsk, die sich aber in ihrer Form von andern Grabhügeln
Sibiriens nicht wesentlioh unterscheiden.
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sich das eigentliche Grab, gewöhnlieh so tief in die Erde ge-
graben, wie die dasselbe umgebenden Steinplatten.
4. Erdhügel; Gräber von 4 — 8 Meter Höhe und 40 Meter
im UmÜEUige, manchmal sind diese Erdhügel mit grossen, tief
in die Ei-de gegrabenen Steinen umgeben, manchmal stehen sie
aber ganz frei. Unter dem Hügel befindet sich ein länglicher
Eoisten aus Steinplatten, meistens aber aus Lärchenbrettern;
oben ist das Grab mit Brettern und Birkenrinde zugemacht.
Der Körper liegt entweder im Grabe, oder ganz frei auf der
Erde unter dem Erdaufwurfe.
5. Die Kirgisischen Hügel. Das Kennzeichen dieser
Gräber besteht darin, dass das Grab bis zur Obei*fläche der
Erde ganz mit Steinen angefüllt ist. Der Erdaufwurf ist nicht
gross, und hat die Form kleiner Erdhaufen. '
Die unter Nr. 2 und 3 angeführten Gräber sind nur eine
Formveränderung der Majaky, und deshalb werden alle drei
Arten der Gräber zusammen auch „steinerne Gräber" ge-
nannt, während die zwei letzteren Arten ganz einfach Kurgane
oder Erdhügel heissen.
Die steinernen Gräber kommen nach den Zeugnissen der
Reisenden meistens am linken Ufer des Jenisei, in den Thälern
der Flüsse Uschur, Trchulym, des weissen und schwarzen
Juss und Abakan; die Kurgane hingegen am rechten oberen
Ufer des Jenisei und am Flusse Tuba vor.
Was nun die Ausgrabungen des Herrn Dr. Radioff an-
belangt, so gehören die meisten aufgemachten Gräber zu den
sogenannten Erdhügeln, wie sie in Nr. 4 angeführt sind; sie
sind von Erde aufgeworfen, und die Gräber entweder mit
Kieferbalken oder mit Brettern, die in mehrere Lagen gelegt
sind, zugedeckt; inwendig sind sie auch mit Steinen ausgepflastert.
Die im Jahre 1863 an den Ufern des Abakan untersuchten
Hügel zeigen durchgehends Skelete auf der Oberfläche des
Bodens die unmittelbar unter dem Aufwurfe liegen.
Dieser Umstand ist um so merkwürdiger, als er der von
Einigen aufgestellten Meinimg nicht zu widersprechen scheint,
dass eine solche Bestattungsart nur eine zufallige und nur des-
halb angewendet worden wäre, weil man wegen der stark ge-
frorenen Erde keine Gräber machen konnte. Solche Bestattungs-
weise wurde auch in 15 Hügeln nachgewiesen, welche Herr
Dr. Radioff am Ubinischen See unweit der Stadt Kainsk auf-
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gemacht hatte. — Eine von den oben angeführten Formen der
Hügel ganz verschiedene fand Dr. Radioff in einer wasser-
armen trockenen Steppe etwa 6 Meilen vom See Tschany ent-
fernt. Dort sind die Kurgane von einem ziemlich tiefen Graben
umgeben, und liegen in Gruppen zu drei beisammen. Die
Richtung geht von Osten nach Westen, und der mittlere Hügel
ist immer am grössten. Dr. Radioff hat nur eine einzige
Gruppe ausgegraben. Im mittleren Hügel, dessen Aufwurf
aus grossen Stücken Eisenschlacken bestand, mit gebrannter
Erde und grossen Klumpen Braunkohle vermischt, fanden sich
keine Spuren der Beerdigung vor; der eine der Seitenhügel war
schon ausgeplündert, im zweiten Seitenhügel befand sich eine
3'/2 Meter tiefe Grube, welche mit fünf Lagen Kieferbrettera
bedeckt "war. Unter ihnen lag das menschliche Skelet gegen
Nord-Osten gekehrt, die Hände ganz neben dem Körper an
den Seiten ausgestreckt.
Bevor ich zur Beschreibung der Funde übergehe, will
ich noch eine Erwähnung thun von denjenigen Constructionen,
welche unter dem Namen der Tschud'schen Gorodischte be-
kannt sind. Solcher Gorodischte hat Lerch im Jahre 1865
zwei durchforscht und Dr. Radioff eins.
Herr Lerch wurde im Jahre 1865 von der archäologischen
Commission in die nördlichen Gouvernements von Russland ge-
schickt, um dort nach vorhistorischen Alterthümem zu forschen.
Auf seiner Reise kam derselbe im Gouvernement Vologda auf
ein sogenanntes Tchud'sches Gorodischte, und im Gouvernement
Viatka auf ein zweites. Im Compte-rendu vom Jahre 1865
wird über die ersten Ausgrabungen kurz erzählt, dass sich
oben auf dem Rücken des Gorodischte (im Gouvernement
Vjatka) ein alter Kirchhof befindet, wo die Todten entweder
in alten ausgehöhlten Baumstämmen, oder ganz einfach auf
der Erde ohne Särge begraben worden sind. Die Schädel ge-
hörten sowohl zu den Mikro- wie auch zu den Makrocephalen ; die
letzteren waren meistens Frauenschädel. Von dem Gorodischte,
das Dr. Radi off durchforchte, liest man im Compte-rendu vom
Jahre 1866, dass dasselbe mit einem gegen 320 Meter langen
Graben umgeben war, dass man darin nur Scherben ganz ge-
wöhnlicher irdener Gefasse, gebrannte Erde und Braunkohle
gefunden habe. Der Compte-rendu ist deshalb so karg in der
Beschreibung dieser alterthümlichen Constructionen, weil sich
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ausführliche SchildeiTingen ähnlicher Qorodischte in den Reise-
berichten fast aller Sibirien-Reisenden vorfinden.
Das Resultat, das sich aus diesen Beschreibungen ergibt,
ist etwa folgendes: die sogenannten Gorodischte Sibiriens sind
Befestigungen, aus dem fünfzehnten, sechszehnten oder sieben-
zehnten Jahrhunderte; durch welche die Bewohner den an-
rückenden Feind zurückzuhalten, oder ihr Eigenthum zu be-
schützen trachteten.
Deshalb wurden sie auf Hügeln errichtet, und zwar so,
dass sie immer wenigstens von einer Seite einen natürlichen
Schutz besassen.
Wenn keine natürlichen Hügel da waren, so gab man
ihnen eine runde oder viereckige Form, der Erdaufwurf war
dann auch viel höher und um den ganzen Befestigungsplatz
wurde ein breiter und ziemlich tiefer Qraben gezogen. Dabei
muss noch auf einen auffallenden Umstand aufmerksam ge-
macht werden, dass nämlich alle in den Reiseberichten be-
schriebenen Gorodischte sich auf der rechten, östlichen Seite
des Jenisei befinden.
Diese Gegenden von schwachen, ruhigen Hirtenstämmen
bewohnt, mussten sich schon im Alterthume vielfach vor den
räuberischen Völkern der westlichen Seite des Jenisei ver-
theidigen. Es ist nichts wunderbares, wenn man diese Völker
kleine Befestigungen oder Verschanzungen errichten sieht, in
welchen sie wenigstens dem ersten Einfalle der feindlichen
Stämme widerstehen konnten.
Um uns ein klares Bild von der Bestattungsweise des in
den sibirischen Kurganen begrabenen Volkes zu machen, müssten
wir unsere volle Aufmerksamkeit denjenigen Grabhügeln zu-
wenden, welche von Dr. Radioff unangerührt gefunden worden
sind. Leider gibt es ihrer nur sehr wenige. Die bei weitem
grössere Zahl derselben, wurde schon vor langer Zeit von
Plünderern heimgesucht, die werthvolleren Gegenstände ent-
wendet und nur die weniger kostbaren in Unordnung liegen
gelassen.
Im Ganzen hat Dr. Radioff folgende Gräber unaugerühii;
gefunden:
1. einen Kurgan in der Kulindinischen Steppe, am Kulin-
dinischen See (zwischen den Flüssen Ob und Irtysch);
2. 1 Kurgan bei der Stadt Kapal;
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3. 4 grosse Kurgane bei der Stadt Barnaul an der Ob;
4. einige von den 100 ausgegrabenen Kijrganen am linken
ü€er des Abakan (ihre Construetion ist ganz dieselbe, wie die
der im Jahre 1862 geöffneten Kurgane);
5. 2 Kurgane am Altaj;
6. 4 Gräber von einem gi-össeren Kirchhofe in derselben
Oertlichkeit;
7. in der Steppe Berel einen grösseren Hügel, bekannt unter
dem Namen BereFscher Hügel;
8. 3 andere kleinere Hügel in derselben Steppe;
9. 3 Hügel in derselben Steppe, etwa 6 Werst von den
vorigen entfernt;
10. 3 Hügel am Ubinischen See in der Barabinischen
Steppe;
11. einen grösseren Hügel in derselben Steppe;
12. 3 Hügel bei der Stadt Kainsk von einem Kirchhofe,
der etwa aus 200 Gräbern besteht;
13. 3 Hügel an den Ufern des Irtysch:
14. 2 kleine Hügel im Thale der Tschuja^ unweit der
Stadt Tokmak.
Aus dieser kurzen Aufzählung ersieht man, dass man von
ffeerabenen Hügeln nur etwa 30 unangerührt gefunden hatte.
Jedenfalls ein ungeheuerer Verlust für die Wissenschaft.
In allen den genannten Gräbern fand man das mensch-
liche Skelet mit dem Kopfe gegen Norden gewendet, es fanden
sich in einem Grabe auch mehrere Skelete, die dann entweder
durch eine Steinplatte oder durch einen Holzbalken von ein-
ander getrennt sind. Nur in zwei Gräbern vom Jahre 1869 im
Thale der Tschuja fanden sich zwei Skelete in einem Grabe
über einander gelegt, durch eine Erdschichte von einander
geschieden. Im ersten Grabe lagen keine Objecto, im zweiten
Grabe kam man nur auf ein irdenes Gefiiss von ganz grober
Arbeit.
Die Gräber wurden mit Steinen zugedeckt, oder mit Balken
aus Kiefernholz, oder endlich mit Birkenrinde in mehreren
Lagen. Ein Charakteristiken dieser Gräber besteht darin,
dass man Jast in^ jedem^jgrösseren Hügel Pferdeskelete vor-
findet. Diese letzteren wurden über dem Menschen begraben,
und auf sie der Erdaufwurf aufgeschüttet. Wenn man keine
Pferde mitbegraben hatte, so legte man wenigstens Steigbügel
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oder Pferdegebisse mit ins Grab. Reichere und angesehenere
Leute haben sich wahrscheinlich nicht damit begnügt, ein
einziges Pferd mit ins Grab zu legen, sondern man begrub
ihrer mehrere, z. B. drei oder sogar sechs, wie es aus dem
sogenannten Berelischen Hügel leicht zu ersehen war. Dieser
ziemlich grosse Hügel, der ganz aus Steinen aufgeworfen war,
enthielt selbst im Aufwurfe ein Pferdeskelet, mit zwei eisernen
Steigbügeln und dergleichen Pferdegebiss. In der Erde selbst
aber kam man auf eine grosse Grube, in welcher Knochen
von 16 Pferden in 4 Reihen zum Vorschein kamen. Der Hügel
musste zu Ehren einer angesehenen Pereon aufgeworfen worden
sein, weil die Pferderüstung mit goldenen Plättchen geschmückt
war, wie man ihrer unter den 16 Pferdeskeleten sehr viele
gefunden hatte. Auch die anderen Hügel derselben Steppe
enthielten mehrere Pferde. So befanden sich in einem der
drei Hügel, die man hier noch aufmachte, drei Pferdeskelete,
von denen eines mit silbernem und vergoldetem Geschirr vef-
sehen war. *)
Ausser Pferdeknochen fand man Kameelknochen (in einem
Hügel an der rechten "Seite (TcsTTusses Karätara) , Hirsch-
geweihe (in demselben Hügel) und Schafknochen (in einem
Kurgane bei der Stadt Kapal, in mehreren Hügeln bei der
Stadt Sergiopol, in vier nicht grossen Hügeln bei Barnaul, wo
die Schafknochen an der Brust eines Skeletes lagen).
Was die Lage des Körpers im Grabe anbelangt, so lag
derselbe gewöhnlich gegen Norden oder Nordosten, hatte die
Arme an beiden Seiten entweder ausgestreckt, oder auf der
Brust gekreuzt, die Füsse gewöhnlich gebogen. Die Lage mit
gekreuzten Händen und gebogenen Füssen lässt sich aus dem
Hügel am Kapal nachweisen. Die andere Gewohnheit, die
Hände der Todten an beiden Seiten des Körpers auszustrecken,
ersieht man aus den Ausgrabungen am See Tschany und bei
der Stadt Kainsk.
Eine andere Frage, die in Betracht kommt, ist die, ob
man mitunter auch die Todten verbrannte. Die Nachrichten
der Sibirien-Reisenden über diesen Gegenstand sind folgende:
*) Diese Ghräber, namentlich jene mit der Beigabc von 16 Pferden
erinnern ganz urrd gar an jene, welche Rubruquis bei den Cumanen
des europäischen Ruasland beschreibt; vergl. hierüber Seite 196. B. R.
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Müller, der in den Jahren 1734 — 1744 Sibirien durchreiste,
sagt hinsichtlich der Begrabung, wie folgt: ,,In vielen Gräbern
fand man die menschlichen Knochen, in anderen auch Pferde-
knochen in solchem Zustande, aus welchem man urtheilen
kann, dass die Körper vor dem Begi'äbnisse nicht verbrannt
worden sind; in anderen aber sah man deutliche Spuren der,
der Bestattung vorhergehenden Zerstörung des Körpers durch
das Feuer; dieses folgert man theilweise aus der unregel-
mässigen Lage der Knochen, theilweise auch daraus, dass
einige Knochen ganz fehlen, andere aber in Asche verwandelt
waren. Töpfe oder Urnen, in welche andere Völker die Asche
der Todten zu legen pflegten, fand man hier nicht; aber die
Ueberreste der Körper, oder auch ganze Körper wurden mit
feinen goldenen Plättchen bedeckt, und so der Erde über-
geben. Nicht selten fand man in einem Grabe mehrere Skelete,
ein Zeichen, dass hier entweder eine Schlacht stattfand, oder
dass einige Familien einen Hügel gemeinschaftlich hatten, und
dass es nicht Sitte war, über jedem Todten einen besonderen
Hügel aufzuwerfen". — Mehr und auch genauere Nachrichten
über diesen Gegenstand bringt uns der zweite Sibirien-Reisende,
Gmelin. Da er sich wegen seiner naturwissenschaftlichen For-
schungen an mehreren Orten längere Zeit aufhalten musste, so
hatte er auch einige Grabhügel geöffnet, die nach seiner Ansicht
noch nicht angerührt waren. Gmelin war auch der Erste,
welcher die Grabhügel in fünf verschiedene Formen eingetheilt
hatte, und welcher der Ansicht war, dass die ersten drei Arten,
oder die steinernen Grabhügel, älter sind als die letzteren
zwei, die Erd-Grabhügel. In den sogenannten Majaky, sagt
er, lag das unverbrannte Skelet im viereckigen Grabe, jedoch
fehlten ihm einige Knochen. Ausser dem Skelete, das in der
Mitte des Grabes lag, befand sich mitunter in einer Ecke
noch ein zweites oder nur die Asche von demselben. In den
Slantzy fanden sich öfters gebrannte Knochen, obwohl auch
manchmal ganze Skelete darin lagen. In den Tvorylnyje-Hügeln
fanden sich nur ganze Skelete, sowie in den Erdhügeln.
Pallas, der etwa vierzig Jahre später in Sibirien reiste
und mit Ausgrabungen einiger Grabhügel sich befasste, fand
in den steinernen Gräbern die Knochen meist ganz verfault,
Spuren vom Verbrennen kamen ihm mit Ausnahme eines ein-
zigen Grabes nicht vor.
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Was nun die von Dr. Radioff geöflfneten Gräber anbe-
langt, 80 finden wir in den Compte-rendus der archäologischen
Commission über diesen wichtigen Umstand gar keine Er-
wähnung. Freilich betreffen die oben angeführten Nachrichten
meistens Völker des Minussinskischen Districtes, des sowohl
im Alterthume, wie auch jetzt am meisten bevölkerten Theiles
von Sibirien; es ist leicht möglich, dass das Volk, welchem
die von Dr. Radioff unterauchten Kurgane angehören, von den
Völkern des Minussinskischen Districtes verschieden war, es
ist aber auch möglich, dass man auf diesen Umstand wenig
Aufinerksamkeit gewendet hatte; denn wiewohl es die ersten
Ausgrabungen waren, welche nur wissenschaftlich archäologische
Zwecke verfolgten, so führte man dennoch keine genauen Tage-
bücher der vorgenommenen Ausgrabungen.
Was den Inhalt der Gräber anbelangt, so haben sich die
früheren Reisenden durch eigene Erfahrung überzeugt, dass die
steinernen Gräber reicher sind, als die Erdgräber. Insbesondere
erzählt Gmelin, dass sich in den Majaky selten etwas Anderes
befand als Gold und Silber; in den Ohrringen pflegten auch
Perlen vorzukommen. Vom Hausgeräth fand man am meisten
kleine silberne Töpfe mit Deckeln oder auch ohne denselben;
sie waren meistens glatt, andere aber mit Figuren versehen,
und einige auch vergoldet. Es kamen auch thönerne Töpfe
vor, und zwar von sehr feiner Arbeit, einige sogar mit einer
Glasur überzogen. Auch eiserne Objecte kamen in diesen
Gräbern vor, es sind meistens Steigbügel und Pferdegebisse,
diese sind auch sehr oft mit feinen goldenen Plättchen ver-
ziert. Aehnliche Funde zeigten auch die Slantzy.
Nicht so reiche Ausbeute gewährten die Tvorylnyje
Mogily, deshalb standen sie auch nicht bei den Hügelausgräbern
in so grossem Ansehen.
Ausser Kupfer, insbesondere kupfernen Lanzen und Streit-
hämmem und kleinen unansehnlichen thönernen Töpfen findet
sich in ihnen fast gar nichts. Wenn auch manchmal zufälliger
Weise goldene Plättchen vorkommen, so sind sie so fein und
unbedeutend, dass sie bei weitem die Mühe nicht lohnten,
welche das Wegschaflfen des Erdaufwurfes erheischte.
In den Erdhügeln selbst aber kamen weder Gold noch
Silber, sondern nur eiserne Messer, Lanzen und Pfeilspitzen vor.
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Im Folgenden werde ich einen detaillirten Ueberblick der
Ausgrabungen geben, welche Dr. Radioff an verschiedenen
Orten Sibii'iens vorgenommen hatte.
Ausgrabungen vom Jahre 1862.
a) In der Kulindinischen Steppe:
1 Grabhügel von 11 Meter im Diameter, 2 Meter Höhe,
darin ein viereckiges Grab, an dessen Boden zwei mensch-
liche Skelete mit dem Kopfe gegen Norden, neben einander
lagen; neben ihnen ein Pferdeskelet.
Beigaben: 2 eiserne Schwerter mit Handgriff an
der linken Seite jedes Skeletes, 2 kupferne Ringe an der
linken Hand, Ueberreste eines hölzernen Köchers mit
eisernen Ringen und 4 Pfeilspitzen, an der linken Schulter;
Knochen eines Thieres zwischen den Füssen des zweiten
Skeletes; 2 eiserne Steigbügel an jeder Seite des Pferde-
skeletes ; 1 eisernes Gebiss am Kopfe des Pferdeskeletes.
b) Bei Semipalatinsk:
1 Grabhügel, geöffnet, darin gefunden: 1 eiserne Spange,
1 Glasperle.
c) Im Thale von Tersakan:
2 Kurgane, ausgebeutet.
d) An der rechten Seite der Karakara:
1 Kurgan, ausgebeutet.
Zerstreute Funde : Knochen vom Kameel, vom Pferde,
1 Hirschgeweih, Ueberreste von Eisen.
e) Beim Fort Vjerny:
1 Kurgan, mit menschlichem Skelet ohne Beigaben.
f) Um Kapal herum:
22 Kurgane, von denen nur einer unangerührt war, das
Grab ist aus Steinen gemacht, das menschliche Skelet
hat über der Brust gekreuzte Hände, ein wenig gebogene
Kniee; Objecto fanden sich in diesem Grabe keine vor.
In den anderen Gräbern fand man: Darstellung
eines kleinen vierfüssigen Thieres (wahrscheinlich des
wilden Schafes, wie es auch schon Pallas gefunden
hatte) aus Plattgold, am Rande mit kleinenLöchern ver-
sehen; eine aus Achat gedrechselte Perle, Wii*belknochen
eines Schafes.
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g) Bei Sergiopol:
14 Kurgane^ die Gräber sind aus grossen gehauenen
Steinen gemacht; in ihnen fand man nur Knochen von
Menschen und Schafen; auch Scherben irdener Gefässe,
Alles in Unordnung.
h) Bei Barnaul:
4 Kurgane von mittlerer Dimension; in zwei von ihnen
waren je 1 menschliches Skelet, in den andern je 2; an der
Brust eines jeden Skeletes lagen Schafknochen.
Beigaben: 1 bronzene Spange eines Gürtels, 1 runder
durchlöcherter Stein zwischen den Füssen; im dritten
Grabe: Ueberreste von Eisen und Leder.
Ausgrabungen vom Jahre 1863.
Am linken Ufer des Abakan, auf dem Berge Ujtak
wurden gegen 100 Kurgane geöflfnet; nur wenige waren nicht
ausgeraubt. Ihr Verhalten war ähnlich jenen im vorigen Jahre
aufgemachten ; ein kleiner Unterschied bestand darin, dass hier
die Todten nicht in Gräbern lagen, sondern auf der Erde un-
mittelbar unter dem Erdaufwurfe. Bei den Skeleten fand
man hie und da Scherben von gewöhnlichen thönernen Ge-
fassen, verschiedene kupferne und eiserne Messer, Degen,
Pfeilspitzen, Köcher, Steigbügel und Pferdezäume.
Ausgrabungen vom Jahre 1865.
Sie wurden am Altai an vier verschiedenen Orten vor-
genommen:
a) Bei Ursul in der Richtung von Angodai wurden 7 vier-
eckige mit Steinplatten umgebene Kurgane geöffnet, 2
waren ausgeplündert, in 4 waren keine Gräber, im
siebenten ein menschliches Skelet mit einer thönernen
Vase beim Kopfe.
b) Am Flusse Tobajok in der Steppe Tschuja:
4 viereckige Kurgane, ohne Gräber; 8 runde Kurgane,
in 4 von ihnen je ein menschliches Skelet; in einem
Pferdeknochen; die drei letzten ohne Skelete.
Beigaben: eisernes Messer, Pferdezaum.
c) An den Ufern der Katonda. Hier fand man 4 Kirchhöfe,
von denen der erste aus 30 oder 40 kleinen steinernen Hügeln
besteht. Die meisten sind schon ausgeplündert gewesen.
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Beigaben: kupferne Ohrringe, eiserne Hacke, sil-
berner Ring, steinerner Meissel, Ueberreste eines Kleides
mit kupfernen Glöckchen versehen, Pfeilspitzen aus Eisen
und Knochen, eisernes Messer, eiserne Lanze, Pferde-
knochen.
Der zweite Kirchhof besteht aus einem grösseren
Grabhügel und 20 kleineren; nur vier sind unangerührt
geblieben. In einigen fehlten die Skelete. In den meisten
lagen unter dem Auf würfe in einer Tiefe von l'/j Meter
Pferdeknochen, und unter diesen ^/j Meter tiefer Menschen-
skelete.
Beigaben: eine eiserne Lanze, 29 Pfeilspitzen von
Eisen und einige von Knochen, UebeiTeste eines seidenen
Kleides an der Brust, eisernes Gebiss mit Ringen versehen.
Im dritten und vierten Kirchhofe nahm man keine Aus-
grabungen vor.
d) In der Steppe Berel: Aufgegraben wurde ein Hügel von
30 Meter im Umfange, 5 Meter senkrechte Höhe, der aus
Steinen aufgeworfen ist. Im Aufwurfe fand man ein Pferde-
skelet mit 2 Steigbügeln und einem eisernen Gebisse, und
in der Erde selbst, unter dem Kurgan eine ungeheuere
Höhle, in welcher 16 Pferdeskelete in vier Reihen lagen.
Die ganze Höhle war mit Lehm und Steinen angefüllt,
und oben mit Birkenrinde zugedeckt. Auf der südlichen
Seite dieser Höhle fand man einen ausgehöhlten Baum-
stamm, in dessen vier Ecken je ein Vogel aus gegossenem
Kupfer war. Zwei dieser Vögel hatten die Flügel ausge-
breitet. An beiden Seiten des Baumstammes sah man vier-
eckige, grosse Steinplatten. Ganz am Boden der Höhle
lagen einzelne Menschenknochen, um sie herum einige
goldene Schmucksachen; in der südwestlichen Ecke aber
eine Menge von Kohlen und Asche.
Ferner drei Hügel in derselben Steppe ; in einem der-
selben fanden sich in einer Höhle Knochen von drei Pferden,
unter ihnen ^3 Meter tiefer ein menschliches Skelet.
Beigaben: 1 hölzerner Stock mit silberner Garnitur,
mehrere goldene Ringe, 2 eiserne Messer, 1 eisernes
Schwert, 1 eiserner Kürass, Pferdegeschirr mit goldenen
und silbernen Plättchen, die als Schmuck dienten.
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237
Drei Hügel etwa '/8 Meile von den vorigen entfernt.
Im ei-sten Hügel lagen 3 Pferdeskelete mit eisernem Ge-
biss, im dritten kam man auf eine weite viereckige Höhle,
in welcher sich Knochen von 5 Pferden vorfanden. In
einer Ecke derselben Höhle befand sich ein menschliches
Skelet, dessen Kleider mit goldenen Plättchen geschmückt
waren. Ausserdem auch in der Höhle goldene und silberne
Plättchen als Schmuck der Pferdegebisse, und zerbrochene
thönerae Töpfe.
Ausgrabungen vom Jahre 1866.
In diesem Jahre unternahm Dr. Radi off die Ausgrabungen
im westlichen Sibirien, und zwar an vier verschiedenen Orten :
1. am Ubinischen See, imNorden der StadtKainsk,
am rechten Ufer der Om. Die Hügel lagen gewöhnlich an einer
erhöhten Stelle, in Gruppen; hatten eine mnde Form, 4 — 25
Meter im Diameter, und ^/^ — 17^ Meter senkrechte Höhe.
Man hat untersucht:
21 Hügel, von denen nur drei unangerührt waren; in
jedem Grabe lag ein menschliches Skelet gegen Osten mit
dem Kopfe gerichtet, die Hände an den Seiten hingestreckt
und mit drei Lagen von Birkenrinde bedeckt. In einigen
Gräbern waren auch Pferdeknochen. Die Beigaben waren die-
selben, wie bei den früheren Ausgrabungen: eiserne imd knöcherne
Pfeile, Reste eines Bogeris, eine kupferne Spange, Scherben
von thönemen Gefitssen.
Ein Hügel, gewöhnlich rother Hügel genannt, weil er aus
rother gebrannter Erde aufgeworfen ist. Im Aufwurfe selbst
war ein Birkenbalken, unter welchen neun kleine Steinplatten
lagen. Diese bedeckten 3 Pferdeskelete, sonst war der Hügel
ausgeplündert. Um den Ubinischen See heinim finden sich
mehrere Kirchhöfe, welche aus 10—25 Grabhügeln bestehen.
Dr. Radioff untersuchte sie an mehreren Stellen. Das Grab
war Yj — 17-2 Meter tief in die Erde gegraben; darin lag ein
Menschenskelet, mit Birkenrinde bedeckt. Am Kopfende eines
jeden Skeletes lag ein eiserner Spaten, an der Seite eiserne und
kupferne Schwerter, Messer, Pfeile, Ueberreste von Bögen etc. ;
die männlichen Skelete hatten gewöhnlich einen Gürtel, die
weiblichen einen Kopfschmuck, bestehend aus Glasperlen,
kupfernen Spangen und Plättchen.
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238
Im Norden von Kainsk ist ein Kii'chhof, der etwa aus
200 Grabhügeln bestand. Dr. Radi off untersuchte 2 grosse und
I 20 kleine derselben. Die grossen dienten als Begräbnissplätze
von mehreren Personen. Die Art und Weise zu begraben war
ganz dieselbe, wie sie bei andern Hügeln constatirt wurde.
Ausserdem gi*ub Dr. Radioff in dieser Gegend ein Go-
rodischte und eine Ginippe von drei Hügeln am See Tschany
auf. Von diesen Ausgrabungen habe ich andern Oi*ts gesprochen.
2. Am Irtysch südlich und nördlich von der Stadt
Pavlodar, untersuchte Dr. Radioff unter der Masse grösserer
imd kleinerer Hügel, die sich doii; befinden, 26 Grabhügel, von
denen die meisten ausgeplündert waren; die wenigen, welche
unangerührt blieben, boten nichts Besonderes dar.
3. Bei der Stadt Semipalatinsk machte Dr. Rad-
ioff 6 Grabhügel auf; in einem Grabe, in welchem 2 Menschen-
I skelete lagen, fand man bei einem Skelete Jaspisperlen als
Halsschmuck, auf der Brust einen kupfernen Spiegel xmd bei
! den Füssen einen Kessel.
4. Bei der Stadt Kokbekty zeigte sich beim Graben
[ der Hügel jedesmal Wasser.
Ausgrabungen vom Jahre 1869.
Die Ausgrabungen dieses Jahres, die im District Semireöinsk
und bei der Stadt Tokmak gemacht wurden, hatten keine be-
^ sonderen Resultate. Man öffnete hier über 30 Hügel, von denen
die meisten schon ausgeplündert waren; nur bei zwei noch
unangerührten Gräbern entdeckte man, dass in einem Grabe
zwei Leichname begraben waren, die über einander lagen, imd
durch eine feine Erdschichte von einander getrennt waren.
Funde kamen sehr selten vor xmd diese wenigen waren auch
^ imbedeutend.
Dies sind die Ausgrabungen der kaiserlichen archäologi-
schen Commission an den oben angeführten drei Orten, ausser-
dem hat sie aber noch umfangreiche Forschungen auf der
Halbinsel Krym bei Kertsch vorgenommen, welche von den
glänzendsten Resultaten begleitet waren. Ich werde auf die-
selben bei einer andern Gelegenheit zurückkommen.
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239
üeber eine Bernsteinperle mit phönikischer Inschrift
in der Sammlung nordiseh-germianischer
Alterthümer zu Oldenburg.
(Mit einer Tafel.)
Im VI. Bande der Mittheil, der anthropolog. Gesellschaft
(Seite 129) berichtete Dr. Wankel in einer eingehenden Ab-
handlang über eine Inschrift auf einem Steine, welcher im
Jahre 1874 in der Nähe von Smolensk in Russland auf der
Spitze eines aus Steinblöcken aufgeführten Hügels gefunden
worden war. So viel stand nach dem Urtheile von Sachkennern
gleich anfangs fest, dass die Schriftzeichen der Inschrift keine
Runen seien-, dagegen erklärte sie Dr. A. Müller in Olmütz
sofort als phönikisch und versuchte auf Gimnd dieser An-
schauung deren Lesung, die Dr. Wankel in der eben erwähnten
Abhandlung veröffentlichte.
Durch diese Publication angeregt, fand sich der Vorstand
der Sammlung nordisch-germanischer Alterthümer in Oldenburg
bewogen, das Photogramm eines Stückes Bernstein, welches
mit eingravirten Schriftzeichen versehen ist, an Dr. Müller in
Olmütz zur Beurtheilung zu übersenden, und zwar aus dem
Grunde, weil die Schriftzüge dieses Bernsteinstückes manches
Verwandte mit den Schriftzeichen des Smolensker Granitblockes
zu haben schienen.
Dr. Müller unterzog nun auch die Inschrift auf dem
Bemsteinstücke einer eingehenden Prüfung; indem ich das
Resultat derselben mittheile, erftille ich nur das Amt eines
Berichterstatters, das mir durch meine Stellung zu den Mit-
theilungen der anthropologischen Gesellschaft auferlegt ist.
Zuvor sei noch bemerkt, dass das Bernsteinstück auf'
einer Römerstrasse (pontes longi) in der Nähe von Lohne im
südlichen Theile des Grossherzogthums Oldenburg gefunden
worden ist, und sich jetzt zu Oldenburg in der Sammlung
nordisch-gennanischer Alterthümer Sr. k. H. des Grossherzogs
befindet.
Form und Grösse des Bernsteines sind aus der beiliegen-
den Abbildung ersichtlich, welche mit der möglichsten Ge-
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240
wissenhaftigkeit nach dem in natürlicher Grösse aufgenomme-
nen Photogramme angefertigt wurde ').
Das fragliche Beniste instück ist dunkelgoldig gefärbt,
und wiegt 106*43 Gramm; es ist an allen Seiten geschliffen,
obgleich der Schliff nicht so tief geht, dass er alle Vertiefungen
weggenommen hätte. Nicht völlig in der Mitte geht ein Loch
hindurch, so dass man annehmen kann, dass es an einer Schnur
getragen worden, oder sonst in irgend einer Weise als Schmuck-
gegenstand gedient hat. Hält man den Bernstein so vor sich,
wie ihn das Bild zeigt, so dass die spitzigere Seite nach unten, die
gerade Seite nach rechts zu stehen kommt, so ist die erwähnte
Inschrift über dem Loche nahe am Rande des Steines sichtbar.
Die Zeichen sind in einer Zeile angeordnet in ähnlicher Weise wie
bei der Inschrift auf dem Smolensker Steine und zeigen in der
That manches Verwandte mit den Zeichen dieses Steines, ohne
dass hiemit etwas über ihren inneren Werth gesagt sein will.
Herr Dr. A. Müller in Olmütz sprach sich nun in einem
an mich gerichteten Schreiben dahin aus, dass er, obgleich es
ihm zwar nicht gelungen ist, alle Theile der Inschrift zu entziffern,
dennoch nicht abgehalten werde, sie für phönikisch zu halten.
Auf Grund dieser Anschauung scheinen ihm die Zeichen der
Inschrift die hier in vergrössertem Massstabe folgenden Zeichen
darstellen zu sollen:
Diese liest Dr. A. Müller für:
"IX ..?... an ... "ip3 .. . «mo'»
Tyrus f Jatchaf Jitchaf
Eigenname.
*1p3 = bohren, ausbohren, durchbohren, aushöhlen, aus-
stechen, durchstechen. Demnach würde die erste, rechtsstehende
Gruppe von Zeichen bedeuten : „ Jatcha (oder Jitcha?) hat (es)
gebohrt". Hierauf kommt eine unentzifferbare Gruppe, zuletzt
„Tyrus". Diese Lesung passt auch für den durchbohrten Bernstein.
') Da es bei der Sache weniger auf diese, als vielmehr auf die
genaue Darstellung der Schriftzüge ankommt, deren oorrecte Wieder-
gabe bei einer Zeichnung durch die Hand angezweifelt werden könnte,
80 stellt Frei h. V. Alten, Oberkammerherr Sr. k. H. desGrossherzogs
von Oldenburg, im Interesse der Sache Jenen, die sie interessirt,
Photogramme des Steines in freundlichster Weise zur Verfiigung.
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241
Soweit Dr. Müller, wozu ich bemerke, dass man nun auch
dieser Lesung, wie jener des Smolensker Steines, vorwerfen
könnte, dass sie „inhaltleer ujid unbeholfen" sei; der gleiche
Vorwurf Hesse sich aber auch in allen Fällen machen, in denen
der Verfertiger eines Gegenstandes an diesem bloss seinen Namen
anbringt, sei es nun eine römische Thonlampe, ein gothisches
Goldgeföss oder ein Gemälde von Albrecht Dürer. Wer kann
auch behaupten, dass die Erbauer des Smolensker Steinhügels,
oder der Verfeitiger der Oldenburger Bernsteinperle durch
ihre Inschrift der Nachwelt die Kenntniss eines welterschüttern-
den Ereignisses überliefern wollten? Ihnen lagen ganz gewiss
nähere Ziele vor Augen. War der Smolensker Steinhügel ein
Grenzzeichen, was ja auch Wetzstein in seiner Kritik der
I^esung der Smolensker Inschrift ') zugibt, so konnte der Bei-
satz „hier haben wir es eingemeisselt" recht gut den Sinn
haben: „bis hierher haben wir Besitz ergriffen". Es stünde
überhaupt schlimm um die epigraphische Forschung und um
die Unbefangenheit der Forscher, wenn sie gonöthiget wären,
in die zu lesende Inschrift auch immer eine recht weittragende
Bedeutung zu legen, um dem Vorwurfe zu entgehen, dass ihre
Ivcsung inhaltleer und unbeholfen sei. Ebensowenig, als man
diesen Einwurf gelten lassen kann, kann man annehmen, dass
man es bei der Inschrift der Oldenburger Bernsteinperle mit
einer Reihe neben einander hingesetzter Eigenthumsmarken
nach Art der von Wetzstein in der Smolensker Inschrift
vermutheten Eigenthumsmarken zu thun habe. Denn ein ge-
meinsames Eigenthumsrecht Mehrerer an einem Schmuckgegen-
stande ist wohl das letzte, an was wir denken dürfen ; bei einer
Aufeinanderfolge des Besitzes aber würde gewiss der nach-
folgende Besitzer die Marke des früheren weggeschliflFen und
lediglich die seinige auf der Perle belassen haben.
Bei diesen allgemeinen Bemerkungen liegt es dem Bericht-
erstatter ferne, etwas für oder gegen die mitgetheilte Lesung
der Inschrift auf der Bernsteinperle sagen zu wollen, er hielt
sich jedoch für verpflichtet, Inschrift und Lesung durch die
Veröflfentlichung dem Ui*theile der Sachkenner vorzulegen.
Dr. Mucli.
*) Zeitschrift für Ethnologie IX Verhandlungen etc. 12.
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242
Kleinere Mittheilungen.
1.
lieber die Perforation des Penis bei den Halayen.
Herr von Maclay hat kürzlich in den Verhandlungen der
Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte
(Z. f. Ethnologie 1876 p. 22 ff.) über diesen Gegenstand einige
Mittheilungen gemacht, welche den Anschein erwecken könnten,
als handle es sich um etwas noch Unbekanntes und Neues. Dieses
ist nicht der Fall, sondern es liegen in der Literatur hierüber bereits
Schilderungen und auch Abbildungen vor. Da dieselben jedoch
meist in holländisch-indischen Zeitschriften, also für Europa relativ
schwer zugänglich, zu finden sind, so dürfte es nicht unangezeigt
sein, einige der betreffenden Stellen ans Licht zu ziehen und in
der Uebersetzung aus dem Holländischen wiederzugeben.
In der Tydschrift voor Indische taal-, land- en volkenkunde
IV. 1855, Batavia, p. 457, befindet sich in einer Arbeit von H. von
Deevall „ Aanteekeningen omtrent de Norrdoostkust van Borneo*
unter der Ueberschrift: „de Kaieng of oettang" folgende Schilderung:
„Der Kalang oder Utang. Einige Dajak-Stämme in Kutei und
Beran, wie auch in Bulungan tragen ein sehr sonderbares Instrument
am membrum virile, nämlich ein kupfernes Stäbchen, 34 bis 42 Linien
lang, das quer durch die Glans des Penis, und diese horizontal durch-
stechend, getragen wird. Diese Stäbchen sind ungefähr von der
Stärke der Zinke einer stählernen Gabel. Die Breite dreier dicht
aneinander geschlossener Finger in der Mitte des Mittelgliedes gibt
das richtige Maass. Diess Stäbchen heisst Ealeng oder Ealing.
Die beiden Enden treten in statu erectionis, an beiden Seiten
einige Linien hervor. Gewöhnlich steckt man hölzerne, einige
Linien im Durchmesser grosse Scheibchen daran, die sich um ihre
Achse drehen können. Ein Endchen Faden, an der Aussenseite
der Scheibchen um die Stäbchen gewickelt, verhindert das Ab-
rutschen der Scheibchen. Manche Modangs und Bahans (Namen
von Stämmen) tragen noch ein zweites Stäbchen hinter dem ersten.
Der Kaieng wird meist bei bejahrten Frauen angewandt. Bei den
Long-wai*s und Long-bleh's (im Norden von Kutei) ist der Kalang
im Gebrauch, und diess Instrument wird selbst als Geschenk be-
nutzt, um sich Zugang zu verschaffen und um eine Annäherung
herbeizuführen. Jedoch darf Niemand den Kaieng tragen, ehe er
nicht auf die KopQagd aus gewesen ist. Die Long-wais (Ober-
Kutai) tragen selbst zwei und drei Kalengs. Der erste ist horizontal,
wie oben erwähnt, der zweite wird hinter dem ersten getragen
in einer etwas von oben nach unten und von hinten nach vorn
sich neigenden transversalen, schiefen Richtung, unter einem Winkel
von 45 Grad, gleichviel ob die schiefe Richtung von der rechten
nach der linken Hand oder umgekehrt geht. Das non plus ultra
von Vollkommenheit sind drei Kalengs. Der dritte geht alsdann
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243
nur darch die oberste Hant in der Mitte der Buthe, alle in einer
horizontalen Richtung. Ein Long-wai steckte an jede Seite des
Ealeng noch einen in der Mitte durchlöcherten Generalitäts-Gulden,
der durch ein Schräubchen oder etwas dergleichen fest gehalten
wurde und sich um das Stäbchen herumdrehte. Nebst der Breite
von drei Fingern, wie oben erwähnt, gibt auch die senkrechte
Weite des geöffneten Mundes das Längenmaass an. Bei den
Long-wais wurde ein Kaieng von 51 Linien, dicker als die vor-
erwähnten, angetroffen.
„Wie die Modangs und Bahans, Long-wais und Long-blehs
gebrauchen auch ihre Nachbarn, die Kajan-segais in Beran den
Kaieng, sie nennen ihn „uttaog*. Sie haben zur Vervollkommnung
dieses Instrumentes an beiden Enden des Stäbchens kleine Quasten,
feine Korallen oder ein Büschelchen Federn angebracht."
In der Naturkundig Tydschrift voor Nederl. Indie XX.
1859 — 60, Batavia, p. 231, finden sich folgende Bemerkungen
über denselben Gegenstand aus der Feder des Herrn von Gaffron:
„Zum Schlüsse erlaube ich mir mitzutheilen, dass bei vielen
Dajak-Stämmen die Gewohnheit besteht, dass die Männer sich den
Penis in der Eichel oberhalb der Harnröhre durchstechen und
dann in der Oeffnung ein Stäbchen von Kupfer oder Silber tragen,
von der Länge von zwei rheinländischen Zollen. Dies Stäbchen
endet jederseits in einer Kugel, von denen eine abgenommen
werden kann um das Stäbchen herauszuziehen.
„Die Kügelchen sind von Metall, Stein oder Hörn.
„Man trifft diesen Gebrauch meistens bei den Dajak-Stämmcn,
welche an dem grossen Kahajan(-Flu8s) wohnen und folgende
Namen tragen: Bahan, Long-wai, Pari, Ambalan, Mendalam, Siban,
Taman, Mandai und Modang. Die Frauen dieser Stämme sind so
auf den Gebrauch dieses kleinen Instrumentes, palang (ampalang)
genannt, erpicht, dass sie dem, der es nicht besitzt, die Alter-
native stellen, sich scheiden zu lassen oder das Instrument anzu-
schaffen. Der Genuss des Coitus wird hiedurch für die Frauen
vermuthlich sehr erhöht, ja selbst in solchem Maasse, dass, wenn
man mit den Frauen dieser Stämme über den Gebrauch des
Ampalang spricht, sie ihn mit Salz vergleichen, und sagen: was
das eine beim Essen sei, sei das andere beim Coitus.
„Im Allgemeinen schreibt man es aber dem Gebrauche dieser
Ampalangs zu, dass selbst noch junge Frauen schon unfruchtbar
sind, in Folge von Gefühllosigkeit."
Weitere Belegstellen aus der Literatur Hessen sich unschwer
beibringen.
Herr von Schierbrandt, der viele Jahre auf Borneo zu-
gebracht hat, erinnert sich, wie ich einer mündlichen Mittheilung
verdanke, in Banjermassing die Durchbohrung des Penis an der
unteren Seite unterhalb der glans gesehen zu haben. Der Apparat
wurde von der Frau in einer kleinen aus Rotton geflochtenen
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Dose aufbewahrt. Das Stäbcbea bestand aus zusammengedrehtem
sehr feinem Messingdraht, der an den Enden bürstenartig aus-
einander gezogen war, ganz ähnlich den Drahtbürstchen, deren
sich in Indien die Gold- und Silberarbeiter bedienen, welche aber
viel dicker sind. Das durch das Bohrloch zu steckende Ende wird
wahrscheinlich vor der Einführung in dasselbe zusammengedrückt
und erst vor der Ausübung des Beischlafes wieder auseinander
gebogen. An den Enden befanden sich Fäden.
In der Minahatta auf Celebes hörte auch ich mehrfach von
ähnlichen Gebräuchen.
Bei den Franzosen sollen hinter die Glans gelegte Kragen
von der abgezogenen, kurz abgeschnittenen Fahne einer Feder-
spule gebräuchlich sein.
Die Japaner introduciren Achat-Kügelcheu in die Vagina.
Der raffinirte Wollüstling Casanova soll sich ähnlicher goldener
Hohlkügelchen bedient haben. Wenn man das Gebahren jener auf
einer niedrigen Culturstufe stehenden Völker daneben betrachtet,
so liegt es nahe auszurufen: les extremes se touchent!
Verbreiteter noch als dieser eigenthümliche Gebrauch scheint
die Päderastie bei den Völkern des ostindischen Archipels zu
sein; von Java ist es bekannt; von Borneo wird vielfaltig davon
berichtet (u. A. von Schwaner), auf Celebes (im Süden) und
auf den Philippinischen Inseln hörte ich selbst davon; wie weit
diese Verirrung auf letzteren ursprünglich ist, will ich nicht
beurtheilen, im Süden von Celebes dürfte sie keincnfalls von den
Europäern eingeführt worden sein, und werde ich gelegentlich
hierüber und damit zusammenhängende eigenthümliche Sitten
berichten. . ^ **
A. B. Mayer.
Dresden, August 1877.
2.
Bernstein in Italien.
Herr Heibig gibt (R. Accad. dei Lincei. Roma.) Mittheilun-
gen über den Bernsteinbandol in den prähistorischen Zeiten und
bemerkt hiebei, dass der bei Villanova und Marzabotto aufge-
fundene Bernstein nicht aus Italien stamme, wie Prof. Capellini
der Ansicht ist, denn Herodot, welcher zu einer Zeit der etruski-
schen Entwickelung von Marzabotto lebte, macht keine Erwähnung
von Bernstein -Vorkommen in Italien, sagt aber ausdrücklich, dass
der Bernstein und das Zinn, den Griechen von dem entferntesten
Ocean geliefert werde. — Theophrast erwähnt wohl der fossilen
Bernsteine in Italien, bemerkt aber hiebei, dass er in Ligurien an
wenigen Stellen und sehr sparsam vorkomme, daher kann der
italienische Bernstein auch zu diesen Zeiten kein wichtiger commer-
cieller und industrieller Gegenstand gewesen sein.
Kach Heibig wurde der Bernstein in Italien von dem balti-
schen Meere her eingeführt; — die alten Preussen benannten das
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Gold „Ansin*, wahrscheinlich identisch mit dem lateinischen «Au-
Bum**, welches Wort in älteren Zeiten statt ^aurum" ausgesprochen
wurde; — das Gold gelangte nach Freussen an die Ostsee, ohne
Zweifel zum Ankauf des von den Italienern in den ersteren Perio-
den ihrer Entwickelung sehr gesuchten Bernsteines.
Vom fünften Jahrhunderte an, verminderte sich in Griechen-
land und nach und nach auch in Italien die Einfuhr des Bernsteins,
und es kam der Handelsverkehr auch in Vergessenheit, nur bei
den Völkern in Mittel-Europa dauerte dieser Handel ununterbrochen
fort. — Zur Zeit des Kaiserreiches kam der Bernstein in Italien
wieder in die Modo. «
sr.
3.
Fonde bei Cles.
Bibliothekar Ambrosi gibt zur Nachricht, dass in den Torf-
Ic^ern bei Cles (Tirol) in einer Tiefe von circa 1 ^/^ Meter, theils im
Torfe selbst, theils in der unterlagemden Mergclschichte 20 Bern-
steinstücke aufgefunden wurden, unrein und von sehr dunkler
Farbe; sie sind von rundlich gedrückter Form, mit 37^ Cm. im
Umfang, durchlöchert. — Ein Stück davon jedoch ist ein '/^ Cm.
dickes, fast rechtwinkeliges Täf eichen, 4 Cm. lang, 3 Cm. an
einer Seite und V/^ Cm. an der andern Seite breit, durch dessen
Mitte der Länge nach eine Oeffnung geht, während 12 andere,
unter sich in gleicher Entfernung parallele Bohrlöcher sich der
Breite nach mit der in der Mitte vorfindlichen Oeffnung kreuzen.
Diese Stücke wurden alle einzeln aufgefunden, haben aber
ohne Zweifel zu einer Halskette gehört, die aus mehreren Um-
gängen bestand, welche durch das viereckige Bernsteinstück, durch
dessen Löcher die Fäden der Umgänge liefen, zusammengehalten
wurden. (Bull, di Paletnolog. ital. disp. 3 de 33.)
Sr.
Literaturberichte.
Graf B61a Sz^chenyi: Funde aus der Steinzeit im Neusiedler
Seebeeken mit einigen Mittheilungen aus dessen Ver-
gangenheit. Erinnerung an den internationalen Congress der
Anthropologie und der vorgeschichtlichen Archäologie. Buda-
Fest, im September 1876.
Nachdem einmal durch die Auffindung von Ffahlbauten mit
zahlreichen und merkwürdigen Fundstücken im oberösterreichischen
Seengebiete die geographische Verbreitungsgrenze derartiger Wohn-
stätten vom Westen her näher gerückt, auf der anderen Seite
aber, im Osten das Vorkommen von Ffahlbauten selbst in histo-
rischer Zeit noch durch die Berichte Herodot's verbürgt war, so
konnte es nicht zweifelhaft und nur als eine Frage der Zeit
erscheinen, dass auch noch in den zwischenliegenden Gegenden
Ffahlbauten zur Kenntniss gelangen werden. In dieser Erwartung
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246
konnte man vorzüglich auf den Neusiedler See und den Platen-
see sein Augenmerk richten, insbesondere konnte man mit Be-
stimmtheit die Auffindung von Pfahlbauten im Neusiedler See
hoffen, als derselbe (wohl schon seit dem Jahre 1854) allmälig
Fig. 2.
Fig. 1.
abzunehmen begann und dessen Bett im Jahre 1868 endlich völlig
trocken dalag. Obwohl sich im Seebecken bereits im folgenden
Jahre wieder Wasser zu sammeln begann, so waren doch noch im
Jahre 1874 weite Strecken des Beckens trocken, wodurch es dem
Grafen Bela Szechenyi und seinen Freunden möglich wurde,
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nameDtlich an zwei Stellen zahlreiche Beste von Ansiedlungen
zu finden, worüber Graf Sz^chenyi in der oben citirten, prächtig
Fig. 4,
Fig. 3.
Fig. ö.
ausgestatteten Schrift in anziehender Weise berichtet. Gewisser-
massen als Daranfgabe und offenbar durch die Funde hiezu ver-
jOOgle
248
anlasst, schliesst der Verfasser seinem Fundberichte eine förmliche
Monographie des Sees an, dessen wechselnde Geschichte insbesondere
von grossem Interesse ist.
Da ich überzeugt bin, dass die Ergebnisse der Forschungen
des Grafen Szdchenyi auch für unseren Leserkreis, namentlich
wegen der grossen Nähe zu unseren eigenen Forschungsgebieten
von Wichtigkeit erscheinen rauss, so sei mir gestattet, das wesent-
Fig. 8. Fig. 11.
lichste derselben mitzutheileu. Graf Szechenyi hat über mein
Ansuchen die Benützung seiner trefflich ausgeführten Cliches in
freundlichster Weise gestattet und ich benütze diese Gelegenheit,
ihm hiefür den Dank der Gesellschaft auszudrücken.
Sämmtliche Funde wurden am südlichen Bande des aus-
getrockneten Seebeckens gemacht, etwa 200 bis 500 Meter vom
alten Seeufer entfernt. Sie lagen ganz frei da, oder waren von
der alten Sand-, Thon- und Schlammschichte theilweise bedeckt,
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249
wohl aach ganz und gar in diese Schichte bis zu einer Tiefe von
S FusB eingebettet. Einzelne Stücke kamen wohl überall auf der
ganzen 1^4 Meile langen Strecke zerstreut vor, nur an zwei
Stellen lagen sie dichter beisammen und in grösserer Zahl zu Tage.
Letzterer Umstand veranlasste den Verfasser auf Stellen, die durch
die hie und da bemerkbare, schwärzliche Erde und üppigeren Gras-
wnchii gekennzeichnet waren, was auf organische Beste schliessen
liess nnd von einstigen Niederlassungen herrühren konnte, ackern
und graben zu lassen, ohne indess viel Neues zu erzielen, da diese
Arbeiten nur einige Steinäxte und Topfscherben ergaben. Das
Graben musste überdiess bald eingestellt werden, da man in der
Tiefe von einem Meter auf Wasser stiess, welches ein weiteres
Fig. 12.
Fig. 13.
Fig. 16.
Fig. 14.
Arbeiten sehr erschwerte. Einige Knochen und Hornstücke, ein-
zelne Hirschgeweihtheile waren das Ergebniss dieser Versuche.
Die gefundenen Gegenstände vertheilten sich folgender Massen:
Durchbohrte Steinäxte oder axtartige Hämmer*)^ .... 31
Hievon zwei Exemplare im gebrauchten Zustande, doch gut
erhalten, die übrigen der Länge oder Quere nach zerbrochen.
1) Die Bezeichnung ^durchbohrte Steinäxte oder axtartige Hämmer"
ist doch nur eine aneigentliche, da unter diesen durchbohrten, zur Aufsteckung
an einen Stiel bestimmten SteingerSthen, ganz insbesondere unter jenen des
Neusiedler Sees sich eine nicht geringe Anzahl befindet, die keine Schneide
besitzen, zuweilen sogar nur aus einem gänzlich unbearbeiteten rohen Steine
bestehen, also niemals als Axt gedient haben konnten. Diese hammerartigen
Steingerathe sind wahrscheinlich ausschliesslich Waffen gewesen, w^ozu sie
mit und ohne Schneide dienen konnten, und der Gebrauch der „Streithämmer"
gebt, wie wir uns in den Museen überzeugen können, wenn auch in wech-
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250
Beile 73
Beilfragmente 23
Meissel 6
Messer oder Sohaber aus Feuerstein 3
Feuerstein-Späne 6
Feuerstein-Splitter und Knollen (aus jaspisartigem Hornstein) 32
Arbeitssteine 3
Schleifsteine 3
Kornstosser (Getreidequetscher) 4
Mahlsteinfragmente 4
Netzbeschwer er 1
Schmuckgegenstände 2
Thongefasse, Urnen (noch ziemlich erhalten) 3
Scherbenstücke 259
Hierunter waren:
78 Henkel,
7 Lampen (?),
2 Löffel (wahrscheinlich zum Schöpfen),
2 Spinnwirtel,
62 Scherben mit Streifen, Linien oder mit Eindrücken
versehen.
Die Knochenreste vertheilten sich auf
20 Bruchstücke von Röhrenknochen,
4 Hirschgeweihfragmente,
3 Hornzopfen (einer von bos primig.),
9 ungespaltene Knochen von Wiederkäuern,
20 Zähne, wovon 2 vom Pferde, 17 vom Rinde (wahrschein-
lich bos taurus brachyceros) und 1 vom Schweine (sus
scrofa palustris) herrühren.
Die Steinwerkzeuge des Neusiedler Seebeckens bestehen nach
den Bestimmungen des Herrn F. von Lu schau aus den auch
anderwärts hiezu verwendeten Steinarten, vornehmlich aus Ser-
pentin, Diorit und Feuerstein. Professor Hofrath von Hochstetter
selnden Formen, durch das ganze Mittelalter hindurch. Es dürfte sich daher
empfehlen, bei der gewohnten, die Sache treffenden, und wegen der Aehulich-
keit dieser Steingeräthe mit unseren heutigen Hämmern leicht yerstfindlichen
Bezeichnung „Hammer** zu verbleiben. Dagegen hat der Verfasser die un-
durchbohrten, immer mit einer Schneide versehenen und meist sehr sorgfältig
bearbeiteten Steingeräthe, entgegen der sonst fast allgemein Üblichen Be-
zeichnung „Keil* in völlig zutreffender Weise „Beil" genannt, wofür wohl
auch das synonyme „Axt** gebraucht werden kann. Der Ausdruck „Keil"
für irgend derartige Steingerätlie ist ganz und gar unrichtig und sollte daher
gänzlich beseitigt werden, denn diese vermeintlichen Keile konnten gar nie
als solche gedient haben, da sie auf den ersten Schlag zersplittert wären.
Ihre Verwendung als Beil und nicht als Keil sollte übrigens schon längst aus
den, namentlich in Pfahlbauten gefundenen Fassungen und Stielen klar ge-
worden sein; die wirklichen Keile waren aus Holz, wie solche ebenfalls in
Pfahlbauten mit den deutlichen Spuren ihres Gebrauches und ihres Zweckes
gefunden worden sind.
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251
legt ein besonderes Gewicht auf den Umstand, dass alle die zu
den Instrumenten verwendeten Serpentine im Leithagebirge vor-
kommen; dasselbe gilt auch von den übrigen Steinen.
Fig. 1 zeigt einen Hammer aus Chloritschiefer in natürlicher
Grösse, Eig. 2 einen solchen aus Serpentin, Fig. 3 ein zum Theile
verwittertes Beil aus weichem, grünem Serpentin, Fig. 4 eines in
sehr gutem Zustande aus Diabas, Fig. 5 ist ein runder Arbeits-
stein aus Gneis, Fig. 6 ein kleiner Schleifstein aus Chloritschiefer^
welcher mit einer Rinne versehen ist, um einen Gegenstand spitz
znznschleifen. Neben diesem besitzt die Sammlung der Funde auch
grössere Schleifsteine. Die Fig. 7 und 8 zeigen Feuerstein-Schaber,
Fig. 9, 10, 11, 12 und 13 verschiedene Feuerstein-Späne. Fig. 14
und 15 sind Meissel aus Diabas.
o
Fig. 17.
Flg. 18.
Fig. 16.
Von Knochen- oder Horngeräthen wurde nur ein Stück
gefunden (Fig. 16), ein bearbeitetes Stück Hirschgeweih von un-
bekanntem Gebrauche.
Auch die Schmuckgegenstände sind unter den Funden nur
schwach vertreten und zwar durch zwei Ringelchen (Fig. 17).
Sehr zahlreich waren dagegen die Gefassscherben, welche zerstreut
überall mehr oder weniger vorkamen. Sie haben alle den gleichen
Charakter, zeichnen sich durch grobe Arbeit aus. Ziemlich ganz
erhaltene Gefässe wurden nur drei gefunden, wovon eines Fig. 18
zeigt. Wie die Arbeit ist auch die Masse eine sehr grobe, stark
mit Quarzkörnern gemengte; die Gefässe sind nur mit der Hand
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252
geformt und es lässt sich höchstens bei den kleineren die Be-
nützung einer Drehscheibe vermuthen. Graf B^la Szöcbenyi
meint, dass die Gefässe vielleicht nur an der Sonne getrocknet
oder am offenen Feuer, jedenfalls bei nicht heftiger Gluth gehärtet
worden seien. Indess sind diejenigen Scherben, die ich zu Gesicht
bekommen habe, doch weitaus härter als die der oberöster-
reichischen Pfahlbauten und selbst härter als jene aus den nieder-
österreichischen Ansiedlungen gewesen und es beweist schon der
schwarze Bruch derselben, der doch nur von der Verkohlung der
dem Thone beigemengten organischen Substanzen herrühren kann,
dass die Gefässe im Feuer gestanden haben mussten.
Fig. 19.
Die meisten Scherben sind ohne Verzierung, doch fehlen
auch nicht Stücke, an denen verschiedene primitive Verzierungen
sichtbar sind, wie Finger- und Nägeleindrücke, Punkte und Striche.
Verzierungen ersterer Art zeigt Fig. 19, bei der ein dreifach um
das Gefäss laufender Wulst mit Fingereindrücken ersichtlich ist.
Bei Fig. 20 wurden dagegen die Vertiefungen mit einem eigens
hiezu vorbereiteten Geräthe angebracht. In zahlreichen Formen
erscheinen die 78 Henkel, wovon Fig. 21 einen Doppelhenkel
wiedergibt.
So stellen sich im Wesentlichen die Funde dar, welche Graf
Szechenyi im ausgetrockneten Becken des Neusiedler Sees ge-
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253
macht hat. Der Finder gibt inde^s in einem besonderen Abschnitte
dem Bedenken Ausdruck, ob man es bei diesen Funden in der
That mit einem Pfahlbau zu thun habe, denn Pfähle wurden nicht
gefunden und das Seebecken ist wiederholt trocken gelegen. Ich
glaube indess, dass man eine solche Frage unbedenklich mit Ja
beantworten muss. Graf Szechenyi sucht die Pfahle in grösserer
Tiefe, indem er annimmt, dass dieselben im Verlaufe von vielleicht
einigen Jahrtausenden wahrscheinlich mit Sand und Schlamm so
überdeckt worden sind, dass sie nun nicht so leicht aufgefunden
werden können. Wenn man aber erwägt, dass in den Neusiedler
See nur ganz unbedeutende Bäche münden, welche im Sommer so
versiegen, dass sie oft den See nicht mehr erreichen, und daher
nur eine ganz geringe Menge von Sand mitführen können, die
bei der grossen Ausdehnung des Sees kaum von einiger Wirkung
sein kann, ja dass der See zum grossen Theile sogar durch Stau-
wasser gespeist wird, so wird man wohl auf diese Erklärung des
Mangels der Pfähle verzichten müssen. Dazu kommt noch, dass,
wenn die Pfähle mit Schlamm und Sand überdeckt worden wären,
wohl auch sämmtliche Artefacte in demselben Maasse hätten über-
deckt werden müssen. Will man annehmen, dass letztere durch
Wellenschlag und dergleichen wieder blossgelegt worden seien,
dann hätten wohl auch die Pfähle T^deder zum Vorschein kommen
müssen. Dieser Erklärungsgrund genügt also hier nicht, indess
deutet der Verfasser der vorliegenden Abhandlung selbst darauf
hin, dass die oberen Theile der Pfähle bereits verwittert sein
können, ohne dass er jedoch diesen Umstand näher beleuchtet.
Das ist denn auch das richtige, denn die Pfähle von Pfahlbauten
konnten sich im Neusiedler See überhaupt nur unter besonders
günstigen Umständen, also nur ausnahmsweise erhalten ; im Allge-
meinen wird man sie wohl vergeblich suchen. Es ist Jenen, welche
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254
selbst Baggerungen in Pfahlbauten vorgenommen haben, nicht un-
bekannt, dass die Pfähle der Pfahlbauten sich überhaupt nur so
weit erhalten haben, als sie im Grunde des Sees stecken; aber
auch der erhaltene Theil der Pfähle ist, vielleicht mit alleiniger
Ausnahme jener aus Eichenholz, so weich, dass man die Stücke mit
der Hand wie einen nassen Schwamm auspressen und zu einer
sägespänartigen, bröslichen Masse zerdrücken kann. Bleiben solche
Pfähle an der Luft, so zerklüften sie nach allen Kichtungen,
ändern ihre Form gänzlich, und gehen namentlich in einem Boden,
in welchem ein häufiger Wechsel von Nässe und Trockenheit statt-
findet, rasch in Zerfall über, und verlieren sich schneller als
anderes Holz spurlos. Nun berichtet Graf Sz^chenyi in seiner
Abhandlung selbst, dass das Becken des Neusiedler See wiederholt
trocken gelegen ist, und zwar lange genug, vielleicht durch Genera-
Fig. 21.
tionen hindurch, so dass auf den trockenen Flächen ganze Dörfer
entstehen könnten. Die Pfähle der alten Pfahlbauten mussten also
wenigstens so tief hinab verschwinden, als die Austrocknung des
Bodens reichte. In sandigem, leicht austrocknendem, und in
schlammigem, viele Verwesungsstoffe einschliessendem Untergrunde
mnsste die Vermoderung und Aufzehrung der Pfähle sehr rasch
und vielleicht zur Gänze erfolgen, und nur in tieferen Lagen, die
zur Zeit der Austrocknung doch noch eine hinreichende, gegen
die Luft hermetisch abschliessende Wassermenge bewahrt haben,
werden noch Pfähle erwartet werden können. Der Mangel der
Pfähle im Neusiedler See spricht also nicht gegen den Bestand
von Pfahlbau-Ansicdlungen.
Am Schlüsse seines Werkchens gibt der Verfasser noch eine
ansprechende Geschichte des Neusiedler Sees; er erzählt uns von
Versuchen schon zur Römerzeit, den See trocken zu legen oder
doch möglichst nutzbar zu machen. Sein alter Name, lacus Peiso,
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255
wird vielleicht nicht mit Unrecht einem altdeutschen Pei-seo
(Pei-See) gleich erachtet, sowie man ja einst auch Attarseo (Atter-
8ee), Manin-seo (Mondsee) sagte. TJebrigens wird er nicht immer
als See, sondern auch als Sumpf, als aus kleinen Teichen bestehend,
ja sogar als Fluss angeführt. Und so scheint er denn seit je ein
wechselvolles Spiel getrieben zu haben. Im Jahre 1 230 wurde in
seinem Becken eine grosse Anzahl von Ortschaften überfluthet,
offenbar da er sich wieder füllte, nachdem er wahrscheinlich
während einiger Generationen trocken war. Und so begann der
See auch im Jahre 1854 langsam wieder zu vertrocknen, erst
allmälig, dann immer rascher, bis im Laufe des Sommers 18G8
die 6 Quadratmeilen grosse Fläche völlig trocken dalag, die sich
bald mit einer Vegetation bedeckte, ja selbst zur Cultivirung des
Bodens und zum Baue von Höfen einlud.
Doch schon ,seit dem Jahre 1869", erzählt Graf Sze che nyi,
sammelte sich allmälig wieder Wasser an. Im Jahre 1874, wo die
Funde aus der Steinzeit gemacht wurden, war schon den ganzen
Sommer hindurch Wasser von einem Schuh gegen die Mitte des
Sees vorhanden, das im folgenden Jahre 1875 noch um einen
halben Schuh beiläufig zunahm. Das Jahr 1876 sollte den See
wieder in seiner vollsten Pracht zeigen ; jetzt wo ich diese Zeilen
schreibe (Zinkendorf, am 23. April) ist nur Spiegelwasser in einer
Ausdehnung von 6 Quadrat-Meilen zu sehen, die ausgetrocknete
Xrume des Hansdg mit Wasser durchtränkt, hebt sich allmälig,
vorzeitig gebaute Höfe stehen unter Wasser, wir sind wieder bei
den Zeiten des Plinius angelangt".
Dr. M. Muoh.
La Grece avant les Grecs. Etüde linguistique et ethnographique.
Pelasges, L^leges, Semites, Joniens par JiOuis Benloew,
Doyen de la Facult^ des lettrea de Dijon. Paris. Maisonneuve.
1877. 8«. 260.
Es hat mir zur nicht geringen Freude gereicht, dass einige
Monate nach dem Erscheinen meiner Abhandlung über die prä-
historische Ethnologie der Balkanhalbinsel Professor Benloew in
Dijon, ein Schüler Franz Bopp^s, fast zu denselben Resultaten wie
ich gelangt ist.
Die Vorzeit von Hellas gehört zu den schwierigsten Gebieten
der prähistorischen Ethnologie, daher rauss das Werk Benloew 's
besonders freudig begrüsst worden. Folianten von schwerem Ge-
wicht haben classische Philologen über die Herkunft der Pelasger
zusammengeschrieben, die wohl von ihrem Fleiss und ihrer Geduld
oft ein sehr günstiges, von ihrer Methode und ihrem Scharfsinn noch
öfters ein höchst ungünstiges Zeugniss ablegen. Wahrhaftig, Polygnot
hätte kein besseres Symbol für ein rcsultatloses Unterfangen finden
uyuz^uuyl^JOOgle
256
können, als einen philologischen Prähistoriker, der über die Her'
kunft der Pelasger schreibt oder schwatzt.
Georg von Hahn, österreichischer Consul für das westliche
Griechenland, war der erste, der in den Felasgern Ulyrier sah,
die von den später einwandernden Hellenen unterjocht wurden,
und dass die heutigen Albanesen nur einen kümmerlichen Best
der uralten, weit verbreiteten illyrischen Nation bilden. Er fand
damals (1854) keinen Beifall, da die anthropologisch-ethnologischen
Studien noch kein Interesse erregten, und da die Philologen und
Historiker nicht für nöthig erachteten, sich mit seinem Werke
näher bekannt zu machen. Nur Pott in Halle, nächst Bopp, der
Begründer der vergleichenden Sprachwissenschaft, hat die alba-
nischen Studien Hahnes beifällig begrüsst und über die Methode
der philologischen Prähistoriker einige Bemerkungen geknüpft, die
den genannten Forschern als interessante und belehrende Lecture
nicht genug empfohlen werden können.
Von den Forschungen Hahn 's angeregt, erklärt Benloew
die vorgriechische Bevölkerung als illyrisch, hat aber auch, gleich
Hahn, die nach den lUyriern eingewanderten Thracier von seinen
Studien ausgeschlossen — und darin weichen beide von meinen
Studien ab.
Es wiederholt sich für Griechenland dasselbe, was von den
übrigen Theilen Europas bekannt ist. Wie diese Theile Europas
vor dem Erscheinen arischer Stämme, von Völkern nicht-arischer
Herkunft bewohnt waren, ebenso hatten schon lange vor den
Hellenen, Thraciern und lUyriern anarische Völker den olassischen
Boden Griechenlands bewohnt. Diese Gebiete sind bedeckt von
Werkzeugen, die in ihrer Construction an die Steinfunde aus der
Epoche des Höhlenbären erinnern sollen. (Dumont, Revue archdo-
logique, 1867, p. 142 u. f. Benloew 145 — 150). Werkzeuge und
Waffen aus Porphyr und Serpentin aus neolithischer Zeit sind in
der Nähe von Chalkis und auf der Insel Amorgos gefunden worden.
Derselben Epoche gehören auch die durch vulcanische Eruptionen
zerstörten und verschütteten Reste von Ansiedlungen auf der Insel
San torin an.
Mit dem Erscheinen der Aryer beginnt die Bronzezeit, die
von der Eisenzeit durch eine längere Periode getrennt zu sein
scheint. Hesiod (Werke und Tage 150 u. f.) sagt von dieser Zeit:
Sie hatten Waffen von Erz, Häuser von Erz (?)
Sie arbeiteten mit Erz, es fehlte das schwarze Eisen.
Nach einem Fragment der Dichterin Phoronis haben die Dactylen,
deren thracischen Ursprung wir an einer anderen Stelle erwiesen
haben, das Eisen zuerst bearbeitet, und die thracischen Sintier auf
Lemnos tauschten für Eisen griechischen Wein ein. Die Einführung
der Bronze in Griechenland muss demnach den lUyriern (Polasgern)
als den ersten Aryern zugeschrieben werden, während sich die
.oogle
257
später eingewanderten Thracier ganz besondere mit der Bearbeitung
dee Eisens beschäftigt zu haben scheinen.
Die Hellenen stiessen somit bei ihrer Einwanderung auf eine
ziemlich bedeutende Cultur. Vor Allem sind es die gewaltigen
cyclopischen Mauerbauten, durch die sich die illyrische Urbevölkerung
gegen den Angriff fremder Stämme schützte, welche die späteren
Griechen mit ehrfurchtsvollem Staunen betrachteten. Es ist auch
sehr wahrscheinlich, dass die von Schliemann gemachten Funde
in Mykenae der vorgriechischen Periode angehören. Sie zeugen von
der Glanzperiode vorhellenischer Stämme, die durch die Kriege
und Eroberungen der Jonier und Dorier auf lange Zeit verdunkelt
wurde. Nächst Krieg war der Ackerbau die Hauptbeschäftigung
der Pelasger. Die Hellenen können aber den Ackerbau nicht von
ihnen übernommen haben, da die albanesischen Bezeichnungen für
Pflug parmente, Arbeiter tsaij, Milch kjumeste, Butter gjalpe, Käse
djathe, Roggen thokere oder kokje, der Hirt kulos, die Wiese Ijubathoder
tsair, vom Griechischen gänzlich verschieden sind (Benloew p. 152).
Mit der pelasgischcn Cultur zugleich haben die Hellenen
von der Urbevölkerung eine Anzahl Gottheiten übernommen. Von
diesen Gottheiten bemerkt Benloew (p. 159) sehr richtig, dass sie
mit denjenigen, welche die Arycr am Indus und Ganges verehrt
haben, nicht in Verwandtschaft gesetzt werden können. Die
enthusiastische Verehrung des Bacchus, der halb ausgelassene, halb
traurige Cultus des Attis sind allen übrigen Aryern fremd. Endlich
waren die Aryer am Indus weit entfernt die ^penta Armaiti, die
heilige Erde mit so mystischen Gebräuchen in Verbindung zu
bringen, wie es die Thracier auf Samothrake und auf dem Boden
Griechenlands gethan haben. Eine pelasgische Gottheit ist Apollo.
Durch ganz Kleinasion verbreitet finden sich seine Culte. Er ist
Gott des Lichtes, daher sieht auch Benloew in dem Beinamen
Apollos Surios das albanosische Wort cupi „Blick". Auch in Lyko-
sura, dem Namen der ältesten Stadt Griechenlands ist das alba-
nosische ffüpt enthalten. Wir wollen noch bemerken, dass wir in
dem Namen der durch den Cultus des Apollo berühmten Insel
Dolos das albanosische BysX „Sonne**. mit Dicfenbach erkannt haben
und wirklich wurde auch bei den illyrischen Paeoniern Zeus unter
dem Namen Dyalos verehrt. Apollo (die ältere Form ist Apellon)
ist somit ursprünglich eine illyrische Gottheit; daher versetzt auch
Pindar in der 3. Olympionike V, 10 — 20, nach Norden an die
Quellen des Ister, wie er sich ausdrückt, die Verehrer des Apollo.
Benloew p. 168 erklärt seinen Namen vom albanesischen oltz ver-
lassen und eppe „Finsterniss, Nacht". Indem Apollo seine Mutter
Letho (von XavOavw) die Göttin der Finstcrniss vcrlässt, wird er
nun Lichtgott. Artemis seine Schwester, die als Göttin der Jagd
in den Gebirgen Arkadiens hauste, wurde unter dem Namen
Kadreatis verehrt. Der Name Kadreatis findet seine Erklärung in
albanesisch -/iBpe „Hügel, Berg".
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258
Der schnellfüssige Achilleus wurde in dem illyrischen Epinis
unter dem Namen Aspetos verehrt, wovon das albanesische speite
„schnell** die gewünschte Erklärung bietet. Es ist interessant, dass
auch der Name seiner Mutter, der Meeresgöttin Thetis nur aus
dem albanesischen Bsti „Meer" erklärt werden kann.
Mit der Erklärung des Namens der Leda vom hebräischen
lad eh „Jugend** können wir uns nicht einverstanden erklären, und
glauben, dass das lykische lade „Frau** bei Savelsberg „Beiträge
zur Entzifferung der lykischen Inschriften** Bonn, 1874, p. 28,
mit Leda identisch ist.
Den Hauptbeweis für die illyrische Abstammung der Ur-
bewohner Griechenlands bieten die Ortsnamen. Freilich ist die
Erklärung der altgriechischen Ortsnamen aus dem albanesischen,
sowohl bei dem zerstörten Sprachschatz des Schkipetar, als auch
bei dem grossen zeitlichen Abstände zwischen dem albanesischen
und dem alt-illyrischen eine schwierige, und oft von problematischem
Werthe.
Einige Erklärungen scheinen uns aber von besonderem Inter-
esse zu sein.
Den Namen der Albanesen Schkipetar von alban. skep oder
skip pFels** glaubt Benloew schon im Alterthum finden zu können.
An den Namen Schkipetar erinnert der Ort Skupi im Gebiete der
Dardaner, Skepsis am Berge Ida in Troas und der attische Demos
Eux£TY). Der ältere Name muss Skypete gelautet haben, wie z. B.
5^90«; für oxt^o^ steht. Nach Strabo und Stephan von Byzanz soll
derselbe auch den Namen Troja geführt haben. Den Namen der
Tosken (Süd-Albanesen) hat man in den tyrrhenischen Tuskern
gesucht. An die Gegen (katholische Nordalbanesen) erinnern die
Ogygier Lyciens und der lateinische Geganius. Der Name der
Ogygier verhält sich zu dem der Gegen wie Gyges zu Ogyges,
Briareos zu Obriareos. In der That erinnert in Lycien Vieles an
Albanien, wie z. B. die albanischen Orte Chimara, Parga, Suli
in den lycischen Chimaera, Perge und Syllion wiederkehren. An
die Lapen in Epirus (alban. XiaßepsT;) erinnern ferner die AaßapsT<;
in Karien. Diefenbach setzt die mythischen Lapithen mit den
Lapen in Zusammenhang.
Das waldige Pylos erinnert an alban. -roXi „Wald** und TiuXaiov
Spoq auf Lesbos, die Burg Pergamum an xspytoiY »ich beobachte**
von oben, die Stadt Khadros auf Kreta bekannt durch cyclopische
Befestigungen an alban. x.a5p£ „fest, befestigt" u. s. w.
Diese Beispiele mögen genügen, um zu ersehen, welches
Interesse das genannte Werk dem Ethnologen einflössen muss.
Wir hoffen, dass der gelehrte Verfasser diesen schwierigen Studien
auch weiter seine Kraft zuwenden möge, wenn auch einige seiner
Besultate nicht unbestritten bleiben dürften.
Dr. Pligier.
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259
3.
Les Premiers Habitants de l'Europe d'apres les auteurB de Tanti-
quite et les recherches les plus reccntes de la lioguistique
par H. D^Arbois de Jubainville, Correspondant de Tln-
stitut. Paris. Dumoulin 1877. 8«. 348.
Der Verfasser unternimmt für diejenigen, welche sich mit
den celtischen Alterthümern beschäftigen, eine Art Einleitung zu
bieten, wobei er sich das classische Werk von Zeuss, „die Deutschen
und ihre Kachbarstämme*', zum Vorbilde nahm. £ine gründliche
philologische Bildung, verbunden mit der Kenntniss der Linguistik
und der neuesten diesbezüglichen Literatur, gereichen diesem in
mancher Beziehung gründlichen Werke zur besonderen Zierde.
Wir müssen aber auch gestehen, dass der Verfasser, ein
auch sonst bekannter Historiker und Philolog, die prähistorischen
und anthropologischen Forschungen, durch welche sich seine Lands-
leute 80 viel Ruhm erworben haben, vollständig ignorirt und da-
durch zu einigen Resultaten gelangt ist, die auf heftigen Wider-
spruch stossen müssen.
Die Unkenntniss der prähistorischen Literatur hat sich gleich
beim ersten Abschnitt über die Höhlenbewohner Europas am Ver-
fasser bitter gerächt. Für die Existenz von Höhlenbewohnern kann
er keine anderen Beweise vorbringen als Mythen bei Hesiod, Aeschy-
lus, Vergil, Lucretius u. s. w. Die Funde von Lozere, Cro-Magnon,
die so viel zum Aufschwünge der Anthropologie beigetragen haben,
sind ihm vollständig unbekannt.
Die primitive Bevölkerung Europas möchte der Verfasser
den Finnen beizählen und stützt sich hierbei im Jahre 1877 auf
Grimmas Geschichte der deutschen Sprache in einer Zeit, wo diese
finnische Theorie von den Anthropologen so oft discutirt worden
ist und wohl jetzt als gänzlich beseitigt gelten kann.
Als vorarische Bevölkerung Europas gelten dem Verfasser
Iberer und Tyrrheno-Pelasger. üeber die uralte Verbreitung iberi-
scher Stämme in Britannien, Frankreich, Italien, Corsica, Sardinien
verbreitet er sich mit vieler Gründlichkeit und grosser Kenntniss
der classischen Literatur. Schade nur, dass ihm die craniologischen
Untersuchungen von Professor Busk und Falconer nicht bekannt
waren, welche die Verbreitung der Iberer in England beweisen.
Die Iberer sollen zuerst von den arischen Ligurern bedrängt
worden sein. Die Ligurer hält der Verfasser deshalb für Aryer,
weil ihre geringen Sprachreste arischen Ursprungs sind. Wohl sind
sie arischen, ja sogar keltischen Ursprungs (cfr. Cuno im Rhein.
Museum für Philologie 1873) und beweisen nur, dass die Ligurer
in römischer Zeit keltisirt waren. Schon Diodor von Sicilien IV,
6, V, 39, hat auf die grosse anthropologische Verschiedenheit
hingewiesen, welche zwischen den Ligurern und Kelten bestand.
Der Verfasser hätte wohlgethan, die Abhandlung Nicolucci's (la
stirpe ligure in Italia ne' tempi antichi e moderni. Napoli 1863)
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genau zu studieren. Es ist auch geradezu befremdend, dass er die
schönen Forschungen seines berühmten Landsmannes Böget de
Belloguet (Ethnogenie gauloiso. Paris 1861) über die Ligurer gar
nicht berücksichtigt hat. So viel steht heute schon fest, dass die
Ligurer gleich den Iberern der vorarischen Bevölkerung Europas
angehören.
Ebenso falsch ist die mit apodictischer Gewissheit hingestellte
Gleichstellung der Ligurer und Siculer. Dieselbe stützt sich auf
einen Ausspruch des Philistus von Syrakus, wonach Sioulus ein
Anführer der Ligurer war; damit ist wahrhaftig nicht gesagt,
dass auch die Ligurer Siculer sind. Die alten Ortsnamen Siciliens
kehren ebenso wie ihre Volksnamen in Illyrien wieder; folglich
waren auch die Siculer lUyrier. Es kommt noch dazu, dass die
Ligurer brachykephal sind, während für Sicilien sich das Gegen-
theil herausstellt.
Die Pelasger müssen aber den Aryern zugezählt werden, da
ihre Nachkommen, die Albanesen ein arisches Idiom sprechen.
Diese Beispiele beweisen zur Genüge, dass eine einseitige Be-
handlung der Ethnographie ohne Berücksichtigung der Anthropo-
logie oft nur zu irrigen Besultaten führen muss, auch wenn man
ein so grosses Wissen vereinigt, wie der Verfasser des genannten
Buches. Nur in der möglichst gründlichen Vereinigung der Anthropo-
logie mit der Ethnologie beruht die Zukunft unserer Wissenschaft.
Dr. Fligier.
Die Volksstäxnxne der europäisqjien Türkei, von Dr. Lorenz
Diefenbach. Frankfurt am Main. Christian Winter 1877. 116.
Vor mehr als einem Menschenalter hat schon der gelehrte
Verfasser der Ethnologie seine Aufmerksamkeit zugewendet, und
in seinen beiden grösseren Werken »Celtica (1842) Origines curo-
peae" (Frankfurt 1861) diese Wissenschaft bedeutend gefördert.
Sein Interesse war vorwiegend den keltischen Sprachen zugewendet,
aber auch die Sprachen anderer untergegangener Völker, wie z. B.
Iberer, Ligurer, Veneter, Thraker, Kleinasiaten, hat er berücksichtigt.
Mit Becht kann daher der Verfasser in seinem neuesten Werke von
sich sagen, dass er seit Jahren bei ethnologischen Sammlungen
und Forschungen die Gebiete bevorzugt habe, in welchen schwierige
und noch ungelöste Fragen vorkommen. Die Ethnologie der Balkan-
halbinsel bietet grosse Schwierigkeiten, wie kein anderes Gebiet
Europas. Da gibt es romanisirte Thraker, rumänisirte Slaven,
Bulgaren und Rumänen; bulgarisirte Thrako-Bumänen wie die
Sopen, serbisch sprechende Neroper von thrakischer Herkunft,
albanisirte Slaven und slavisirte Nachkommen der alten Pannonier
und Dalmatier, hellenisirte Albanesen, hellenisirte Macedo-Bumä-
nen und hellenisirte Slaven, ferner Türken von griechischer, alba-
nesischer, slavischer Herkunft, u. s. w. Es ist daher von grosser
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Wichtigkeit, dass ein Mann, wie Diefenbach die Schilderung der
Völker der exuropäischen Türkei unternommen hat. Wir hoffen
mit dem Verfasser, dass der relative Werth des Büchleins nicht
von der Dauer der jetzigen Krisis abhängen werde.
Dr. Fligier.
La Bouinanie economique, g^ographie, etat economique, anthropo-
logie, par le docteur Obedenare, professeur a Püni versitz
de Bucarest. 8^ 435. Paris, Leroux, 1876.
Nur der anthropologische Theil dieses Werkes interessirt uns.
Der Verfasser prüft die verschiedenen Ansichten über die Herkunft
der Dacier und Rumänen, und gelangt zu dem Resultate, dass in
Dacien zwei Volksschichten existirt haben, die eine von gallischer,
die andere von thracischer Herkunft, aus der ersteren bestand die
Aristokratie, aus der zweiten das gemeine Volk.
Der Verfasser hat für seine Ansicht keine stichhaltigen Be-
weise beibringen können, wenn auch Gelten in der Nähe thrakischer
Stämme gewohnt haben. Zwischen beiden Völkern bestand ein so
bitterer Hass, dass die keltischen Bojer Pannoniens beinahe gänz-
lich von den Daciern ausgerottet wurden. Der Name des dacischen
Adels Tarabosten lässt sich nicht aus dem gallischen, sondern viel-
mehr aus dem persischen erklären. Dagegen müssen wir sehr loben,
was der Verfasser gegen die Zusammenstellung der Dacier und
lUyrier zu einem Volke vorbringt. Beide sind ganz verschiedene
Völker.
Die Schilderung des rumänischen Volkes ist die vollständigste,
die wir haben, und deshalb kann dieses Buch den Anthropologen
ganz besonders empfohlen werden.
Dr. Pligier.
6.
lies Boamains de la Macedoine par M. E. Picot. Revue d'an-
thropologie de Broca. 1875. p. 385 — 429.
Eine durch und durch methodische Arbeit. lieber die Ru-
mänen Macedoniens und Thessaliens, die gewöhnlich Zinzaren
und Eutzovlachen genannt werden, ist uns bis jetzt wenig bekannt
geworden. Der Verfasser, ebenso Kenner der rumänischen Sprache
und Literatur, wie auch der Linguistik überhaupt, hat der Ethno-
logie mit dieser Schrift einen bedeutenden Dienst geleistet.
Es ist mehr eine kritische Arbeit, aus der hervorgeht, dass
die früheren Berichte über die Zinzaren unzulänglich, oft geradezu
lügenhaft sind.
Dr. Fligier.
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262
Bömer und Bomanen in den Donauländem. Historisch-ethno-
graphische Studien von Dr. Julius Jung. Innsbruck 1877.
Wagner. 8». 315.
Es ist nicht das erste Mal, dass Herr Jung, Professor der
alten Geschichte an der Prager Hochschule, Untersuchungen über
die Herkunft der Bumanen anstellt, und wir möchten behaupten,
dass er das Bedeutendste auf diesem Gebiete geleistet hat. Auf
Grund lateinischer Inschriften Daciens hat er nachgewiesen, dass
die römischen Colonisten nicht aus Italien abstammten, sondern
aus Syrien, Kleinasien, lUyrien. Aus der Verschmelzung dieser
Colonisten mit den eingeborenen Daciern entstand das rumänische
Volk. Der Verfasser bekämpft siegreich, wie wir glauben, die
Hypothese Boesler's, dass die heutigen Rumänen während des
Mittelalters bis zum Anfang des zwölften Jahrhunderts gar nicht
da gewesen wären, wo sie jetzt sich vorfinden, sondern dass deren
Stammväter, als die Bömer ihre Herrschaft über das trajanische
Dacien aufgaben, mit diesen abgezogen seien; erst nach neun
Jahrhunderten wären sie in die alten Sitze zurückgekehrt, teuere
Einwendungen gegen Jung von Hunfalvi und Schwicker
f^cheinen uns nicht besonders glücklich zu sein.
Auch über die Ladiner Tirols, die Nachkommen der alten
Bhätier verbreitet sich der Verfeisser mit vielem Glück. Wir
möchten noch auf die ethnographischen Probleme in der Einleitung
hinweisen, wo die Theorie Fallmerayer's vom Slavismus der Xeu-
griechen eingehend und mit vieler Umsicht geprüft wird.
Dr. Fligier.
8.
lies Celtes de l'Europe Orientale par M. Ob^d^nare (Bevuc
d'anthropologie de Broca. p. 253 u. f.)
Broca und Hovelacque haben eilf kroatische Schädel aus
Agram untersucht. Dieselben sind brachykephal, orthognath und
sollen den keltischen aus der Auvergne und Bretagne, ferner
den bayerischen Brachykephalen sehr ähnlich sein, wodurch sich
Herr Ob^d^nare veranlasst fühlt, anzunehmen, dass sie den Nach-
kommen keltischer Stämme, welche in der That Bhätien, Vindeli-
cien, Pannonien einst bewohnten und sogar in der Nähe Constan-
tinopels ein Beich gründeten, angehören.
Wenn wir auch überzeugt sind, dass kein Volk der mittel-
ländischen Bace verschwunden ist, und dass auch diese keltischen
Stämme in diejenigen Völker aufgegangen sind, welche ihre Gebiete
besetzt haben, so glauben wir doch die Ansichten des Herrn Ver-
fassers mit vieler Vorsicht aufnehmen zu müssen.
Dr. Fligier.
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263
9.
Lagnean: des Alanes, des Theiphales, des Agathyrses et
de quelques autres peuplades Sarmates ou Slaves
dans les Gaules. (Revue d'anthropologie 1877. 45 — 61.)
Der Verfasser forscht nach, ob sich Nachkommen der Alanen,
welche in der Völker wand crungazeit nach Gallien kamen, erhalten
haben. Nach der Niederlage, welche ihnen der Franke Childerich
und Aegidios beigebracht haben, verblieb ein Theil in Armorica
und wohl auch an der Loire, wo die Stadt Alen^on an sie erinnert,
ein anderer Theil wurde von den Westgothen aufgenommen. Ueber
die Herkunft der Alanen und ihrer Nachkommen, der Osseten im
Kaukasus, ist der Verfasser nicht gut unterrichtet, wenn er glaubt,
dass ihre Sprache aus slavischen, germanischen und iranischen Ele-
menten zusammengesetzt sei. Die Sprache der Osseten, welche in
mehrere Dialekte zerfallt, von denen uns jener von Süd-Ossetieu
und der von Nord-Ossetien, nämlich der Tagaurische und der Di-
gorische näher bekannt sind, schliesst sich nach Fr. Müller an das
Pehlewi und Armenische an und erweist sich somit als iranisch.
Das classische Alterthum hielt die Alanen für einen Zweig
der Scythen oder Sarmaten, beide Völker gehören aber nach den
vortrefflichen Untersuchungen Prof. MüUenhoffs (in den Monats-
berichten der Berliner Akademie vom Jahre 1866) den Iraniern
an. Die polnischen Chronisten des Mittelalters identificiren, natür-
lich grundlos, die Sarmaten mit den Slaven. Diese Ansicht theilt
auch der Italiener Guaguin, welcher gegen Ende des sechszehnten
Jahrhunderts in Polen lebte, und der auch Herrn Lagneau ver-
anlasst zu haben scheint, die Sarmaten für Slaven zu erklären.
Die thrakischen Agathyrsen im heutigen Siebenbürgen, von
denen Pomponius Mela und Vergil erzählen, dass sie ihre Haut
färbten (deshalb picti Agathyrsi bei Vergil), stellt der Verfasser
mit den schottischen Picten zusammen. An die Stelle der von
Herodot gekannten Agathyrsen setzen spätere Schriftsteller die
thrakischen Dacier, es ist daher klar, dass Agathyrsen und Dacier
identisch sind und mit den caledonischen Picten nichts gemein haben.
Dr. Fligier.
10.
Dr* Kopernieki: O wyobraieniach lekarskioh i przyrodni-
ozych oraz o wierzeniach naszego ludu o ^wiecie
roälinnym i zwierz^ozym. Lw6w. 1876. 8^ 22.
Der berühmte Anthropologe unternimmt es die poetischen
Vorstellungen seines Volkes von der Thier- und Pflanzenwelt zu
schildern und ist dabei zu einigen recht interessanten Resultaten
gelangt.
Die Phantasie des polnischen Volkes findet in der Pflanzen-
welt eine reiche Quelle heilsamer und wunderbarer Naturkräfte,
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264
welche den Menschen sowohl im Kampfe gegen die Natur als auch
gegen dämonische Mächte unterstützt. Wir glauben, dass sich in
diesen Vorstellungen der uralte arische Glaube an den Kampf des
Menschen mit den ihm feindlichen Gottheiten, wie ja auch die
slavische Mythologie einen solchen kennt, erhalten hat.
In der Thierwelt findet die Volksphantasie Wesen, die der
menschlichen Natur nahe stehen, ja sogar oft in Thiere verwandelte
Menschen.
Einiges erinnert an den Glauben der Germanen, wie z. B.
die Verehrung der Eiche, Linde u. s. w., dagegen haben die Vor-
stellungen des lithauischen Volkes von der Thierwelt einen ganz
anderen Charakter.
Bei den Lithauern herrscht das mythologische, bei den Polen
und Ruthenen das poetische Element vor.
Dr. Fligier.
11.
Mantegazza Zanetti: note antropologiche suUa Sardegna
(aus dem Archivio per Tantropologia von Mantegazza 1876).
Vor Allem interessiren uns einige phönizisohe Schädel. Der
eine wurde zugleich mit punisohen Münzen gefunden Beide gleichen
dem von Nicolucci gemessenen phönizischen Schädel. Sämmtliche
sind dolichokephal oder mesokephal und von geringem Progna-
thismus. Semitische Schädel aus dem alten Palmyra zeigen den-
selben Typus.
Von diesen sind die alten sardischen Schädel verschieden,
und sind auch mehr dolichokephal als die phönizischen. Wahr-
scheinlich ist es, dass sie den iberischen Dolichokephalen gleichen
werden. Pausanias X, cap. 17, §. 5, erzählt, dass Iberer auf der
Insel Sardinien lange vor dem trojanischen Kriege gelandet wären
und die erste Stadt Nora gegründet hätten. Damals wäre aber
schon die Insel von Troglodyten bewohnt gewesen, so dass die
Bewohner dieser Insel zu den ältesten Europas gehören müssen.
Dr. Fligier.
Yereinsnachricht.
Die nächste Monats-Versammlung findet am Dienstag den
13. November um 7 Uhr Abends im Saale der Gesellschaft der
Aerzte, Universitätsplatz Nr. 3, statt.
BedmctlOBi*COMiU: Hofrath Franz Bitter v. HM«r, Hofrath Carl Laager, Dr. M. Mmek,
Prof. Friedr. MlUer, Dr. WakmMiB, Prof. Job. Woldfleli.
Druck ▼on Adolf HolshaiMeii In Wien
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YU. Band« Ansgegeben den 13. December 1877. llr. 10.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
m WIEN.
lahAlt: lieber die acht« Jahresversammlnng der denttchen anthropologischen GertellsoUaft. Von
Grmf GiNitfak«r Wurmbrand. — Zar Ethnographie Noricams. Von Dr. FUgier. — Literatur-
berichte. — Vereinsnachrieht.
Ueber die achte Jahresversammlung der deutschen
anthropologischen Gesellschaft.
Von
Graf Gundaker Wurmbrand.
Nach Schluss der fünfzigsten Jahresversammlung der
deutsehen Aerzte und Naturforscher in München versammelten
sich am 23. September die Mitglieder der deutschen anthro-
pologischen Gesellschaft in der alten Stadt Constanz am Boden-
see. Viele der Herren waren schon in München anwesend,
wo nach dem Beispiel früherer Jahre eine Section für Anthro-
pologie und Urgeschichte gebildet war.
Es mag als ein günstiges Zeichen der stets zunehmenden
Bedeutung anthropologischer Forschungen angesehen werden,
dass auf beiden Versammlungen, welche unmittelbar auf ein-
ander folgten, so viel neue Arbeiten zum Vortrag gelangten,
dass sie kaum innerhalb der festgesetzten Zeit vorgebracht
werden konnten.
Obwohl ich wesentlich nur über den Verlauf der Ver-
sammlung in Constanz mir zu berichten vorgenommen habe,
will ich doch in aller Kürze auch dessen Erwähnung thun,
was ich in München gesehen und gehört.
Prof. Wilkens* Vortrag über seine wichtigen Unter-
suchungen über das Rind aus dem Laibacher Pfahlbau, sowie
Prof. Kollmann's Vortrag über keltische Schädel habe ich
leider nicht gehört, da ich erst den 19. nach München kam.
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266
In der am 20. erfolgten Sectionssitzung sprach Prof.
Ranke über eigenthümliche Verwachsungen der Näthe an der
Hinterhauptschuppe, wodurch ähnliche Zwischenknochen aus-
gebildet werden wie das bekannte os Incae. Prof. Rüdinger
zeigte eine ganze Reihe von männlichen und weiblichen Oross-
gehirnlappen in gleicher Altersparallele.
Schon vom fötalen Entwickelungsstadium angefangen bis
zur völligen Entwickelung, zeigt das Gehirn des weiblichen
Geschlechtes eine mindere Ausbildung der Gehirnwindungen
und geringere räumliche Ausdehnung als das Gehirn der männ-
lichen Individuen.
Diese Thatsache an den vorgezeigten Exemplaren er-
scheint wichtig genug, um die Untersuchung in grösserem
Maassstabe anzuregen, da allerdings nur nach einem Durch-
schnitt unter sehr vielen Fällen, wo jede individuelle Verschie-
denheit verschwindet, ein so folgenschweres Ui-theil gerecht-
fertigt erscheint.
Dr. Ilartmann sprach nun über Hochäcker in Baiern.
In vielen Gegenden, welche historisch seit dem zehnten Jahr-
hundert als Waldbestände bezeichnet werden, zeigen sich
Spuren einer früheren Bearbeitung des Bodens. Es sind
parallel neben einander liegende, im Halbrund erhöhte Bauten,
welche sich in gerader Richtung ziemlich weithin verfolgen
lassen.
Diese Bodenbearbeitung entspricht zum Theile unseren
Bifangen oder Rückenbauten, nur sind die Bauten dieser Hoch-
äcker breiter. Es ist sonderbar, dass solche Hochäcker oft an
Bergabhängen hoch im Gebirge vorkommen, wo der Boden
nicht mehr sehr fruchtbar ist und nicht leicht mit dem Pfluge
bearbeitet werden kann. Man ist versucht, daraus auf eine
stellenweise dichte Bevölkerung in nachrömischer Zeit zu
schliessen.
Durch reiche Samndungen aus Taubach bei Weimar,
welche ich im paläontologischen Museum gesehen und welche
auch die Gegenwart des Menschen zur sogenannten Diluvial-
Zeit bezeugen, konnte ich die Beweise der Gleichzeitigkeit
des Menschen mit dem Mammuth und seinen Aufenthalt in
unseren Ländern zur Zeit der Lössbildung noch vermehren,
und habe einige der vorzüglichsten und charakteristischesten
Stücke vorgezeigt.
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Ausser den sehr gut bearbeiteten Feuersteinmessem, welche
ich den Löesschichten von Joslovitz und Zeiselberg entnommen,
waren es Holzkohlen, bearbeitete und angebrannte Knochen
des Mammuths und des Renthieres, welche in diesen Lager-
stätten sowohl wie in Taubach die Thätigkeit des Menschen
unzweifelhaft machen. Der noch oft ausgesprochene und meist
schwer zu widerlegende Zweifel beruhet in den Verhältnissen
der Einlagerung. Gerade für diese Untersuchung bieten nun
die Ausgrabungen in Zeiselberg die genauesten Anhaltspunkte,
weil das Knochenlager rings von ungestörten, mächtigen Löss-
massen umschlossen ist, und weder eine Einschwemmimg, noch
eine spätere Eingi-abung angenommen werden kann.
In München hatte ich in den folgenden Tagen noch Ge-
legenheit, die Sammlungen vorgeschichtlicher Alterthümer im
ethnographischen Museum, im Antiquarium, im National-
Museum und im historischen Vereinsiocale zu besichtigen.
Schon aus dieser Aufzählung ergibt sich, wie zerstreut die ein-
zelnen Gegenstände in München liegen.
Gerade in dieser Stadt, in welcher so Grossartiges ge-
leistet worden ist, um die Schätze der Kunst in würdigen Bauten
zu vereinen und wo so bedeutende wissenschaftliche Samm-
lungen eingerichtet wurden, fallt es doppelt auf, dass für vor-
geschichtliche Alterthümer noch kein geeigneter Raum gefunden
wurde, und dass wir noch, wie im National-Museum, die kost-
baren Belege für wissenschaftliche Forschung nur als Industrie-
artikel behandelt sehen, welche ohne Angabe des Fundortes
und der Zusammengehörigkeit dutzendweise nach der Form
zusaromengelegt sind, und als alte Bronzen, altes Eisen oder alte
Thonwaaren die betreffenden Industrie -Abtheilungen eröflFnen.
Im ethnographischen Museum sind die Funde aus dem
Pfahlbau auf der Roseninsel im Würmsee als neu vor Allem zu
erwähnen. In dem Locale des historischen Vereines ferner,
viele Bronzen und sehr interessante Thonwaaren aus bairischen
Gräbern.
Den 23. fanden wir uns in Constanz vereinigt.
Es ist wichtig, noch vor den Sitzungen Einiges über das
Stadtmuseum zu sagen, welches durch Hen*n Lein er im Ver-
laufe von wenigen Jahren in dem restaurirten „Rosgarten" ein-
gerichtet worden ist.
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Uns beschäftigen nur die Räume, wo die Funde der be-
nachbarten Thayinger Höhle, aus den Pfahlbauten des Boden-
sees und andere Funde ausgestellt sind, welche in der Nähe
der Stadt ausgegraben wurden.
In sehr netten Glaspulten finden wir hier die Funde in
wissenschaftlicher Weise in ihrer Gesammtheit nach Locali-
täten aufgestellt und können bequem Studien machen. Vor
Allem fesselt wohl der Kasten mit der reichen Ausbeute der
in letzter Zeit so oft besprochenen Thayinger Höhle. Es be-
findet sich nur ein Theil ihres werthvollen Inhaltes in Constanz.
Einiges liegt in Schaff hausen, in Zürich, im britischen Museum
oder in anderen Museen.
Aber es gibt schon das uns Vorliegende ein ziemlich
vollständiges Bild dieser überraschend künstlerisch begabten
urzeitUchen Menschengruppen. Da finden sich nicht nur Feuer-
steine und rohe Spuren der Behauung an Geweih- und Knochen-
stücken, sondern eine ganze Reihe von sculptirten und gravii*ten
Kunstproducten, von Bildwerken wirklich vortrefflicher Concep-
tion zeigt sich auf Ren- und Mammuthsknochen, ja selbst auf
Steinkohlen - Fragmenten.
Wie gewöhnlich hat allerdings der Lithograph das kaum
Gesehene darzustellen versucht und es sind die über Thayingen
veröffentlichten Abbildungen über die Originale hinausgegan-
gen. Es bleibt aber besonders am weidenden Renthier, an
dem geschnitzten Kopf des Moschusochsen noch immer des
Erstaunlichen genug über.
Und trotz dieser künstlerischen Verzierung anscheinend
zweckloser Gegenstände keine Spur eines noch so ordinären
Thongefasses !
Diese Thayinger Zeichnungen werden jedoch noch öfter
zur Sprache kommen. Wir sehen uns deshalb weiter die sehr
reichen Sammlungen aus den Pfahlbau - Stationen Wangen,
Lützelstetten, Unteruhldingen und Constanz näher an.
Alle diese Stationen zeigen im grossen Ganzen dieselben
Culturverhältnisse wie Attersee, Weyeregg, Mondsee und
Laibach bei uns.
Ueberall eine grosse Anzahl von geschliffenen Serpentin-
und Diorit - Beilen, gebohrte Hämmer (deren Steinkerne noch
vorhanden sind), bearbeitete Knochen- und Hirschhorngeräthe,
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269
Feuersteingeräthe und ornamentirte Thongefösse aus unge-
schlemmter Masse.
Fast überall aber auch schon einzelne kupferige Bronzen,
Gussschalen neben vollendet schönen Bronzen wie in Constanz
und Unteruhldingen.
Es war zum ersten Mal, dass ich reiche Sammlungen
von Bodenseepfahlbauten vor mir sah; die Aehnlichkeit der-
selben im grossen Ganzen mit denen, welche ich aus Oester-
reich kenne und denen, die ich später in Zürich sah, ist wirklich
überraschend. Wenn wir von einiger Verschiedenheit gewisser
Topffonnen und von gewissen Werkzeugen absehen, die dort
häufiger und hier seltener vorkommen, so geben alle diese
Pfahlbauten ein so gleichartiges Culturbild und weichen so
entschieden und unvermittelt von der Culturcpoche , welche
die Bronze hieher brachte, ab, dass die Annahme ein und des-
selben nationalen Ursprunges der Pfahlbauten wohl gerecht-
fertigt sein dürfte.
Im oberen Stockwerke liegen noch einige schöne Metall-
funde vorröraischer und germanischer Zeit.
Besonders interessant ist der bemalte etruskische Likythos
aus Tagerweilen, und die mit römischen Gemmen am Schiener-
berg bei Wangen gefundenen bemalten Vasen.
Den 24. fand die Eröflfnung der achten Jahresversamm-
lung durch den Vorsitzenden Prof. Virchow im Theater-
gebäude statt.
In gewohnter geistvoller Weise entwarf der berühmte
Gelehrte ein Bild der gesammten allmäligen Entwickelung
europäischer Culturzustände, soweit sie die urgeschichtliche
Forschung bisher uns vor Augen gestellt.
Mit dem Bilde der Eiszeit und der Lebensweise beginnend,
wie sie gerade die Höhlenfunde darstellen, erwähnt er der
figuralen Kunstproducte der Thayinger Höhle, die mit denen
aus den Höhlen Frankreichs viele Analogien zeigend uns doch
immerhin als phänomenale Erscheinungen gegenüber der Arm-
seligkeit des übrigen Hausrathes entgegentreten.
Zwischen diesen Höhlenfunden der Eiszeit und der Pfahl-
bauten liegt eine vielleicht nach Jahrtausenden zählende Lücke,
während welcher Europa unbewohnt erscheint.
Indem Virchow den so oft vorkommenden einzelnen
Bronzen in den Pfahlbauten der neolithischen Periode nm*
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wenig Bedeutung zumisst (obwohl gerade diese, meiner Ansicht
nach, höchst bedeutungsvoll sind), geht er auf die Bronze-
periode über und lässt auch diese wenigstens in dem Sinne eine
archäologische Stellung einnehmen, als der Kreis ihrer Formen-
charaktere Anhahspunkte zu Altersbestimmungen bietet.
Auch für denjenigen, welcher die archäologischen An-
schauungen des grossen Gelehrten nicht völlig theilt, ist der
hohe und objective Standpunkt, den er immer einzunehmen
weiss, und der stets richtige Blick für das wirklich Wichtige
höchst lehrreich und fordernd.
Dann folgten Geschäftsberichte und die Wahl der Vor-
stände für das künftige Jahr.
Nachmittags berichtete Prof. Fr aas über den Fortgang
der archäologischen Karten. Wir erfuhren, dass dieses, für
die Uebersicht der bisherigen Forschungen so wichtige Werk
allmälig so weit vorgeschritten ist, dass wir in Kurzem einer
Gesammtkarte entgegen sehen können. Er erwähnt dankend
der Beiträge, die ihm aus Nieder-Oesterreich durch Dr. Much
übersendet wurden und spricht die Hoffnung aus, dass auch
für die anderen Kronländer sich Archäologen linden, welche
sich dieser Arbeit für ihr Land unterziehen.
Prof Schaaff hausen hat den von der Gesellschaft an-
gelegten Catalog der in Deutschland befindlichen Schädel-
sammlungen fortgesetzt. Erwähnenswerth wegen der Neuheit
und Kühnheit der Schlussfolgerung ist seine, wegen künst-
licher DiflFormität der Schädel angedeutete Racenverwandt-
schaft zwischen den Avaren und Skythen einerseits und den
Peruanern andererseits.
Prof. Virchow legt seine Arbeiten über die Verbreitung
blonder Haare, blauer Augen, und brauner Haare und brauner
Augen für Deutschland vor.
Die Erhebungen sind fast beendet und er bringt vier
Karten zur Ansicht, welche die vier bezeichneten Unterschei-
dungen dadurch im Zusammenhang mit der statistischen Er-
hebung bei Schulkindern veranschaulichen, als in derselben
Farbe das häufigere Vorkommen in dunklerer, das seltenere
Vorkommen in lichterer Schattirung ausgedrückt wiid.
Die blauen Augen und blonden Haare laufen ziemlich
parallel mit einander.
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Der Farbeneindruck auf den Karten ist harmonisch; der
ganze Norden Deutschlands zeigt sich blond und erreicht die
Uchte Färbung ihr Maximum in Schleswig - Holstein mit nur
67o Brünetten.
Gegen Süd-Deutschland, längs der Donau, im Elsass und
im östlichen Theil Oberbaiems nimmt die brünette Färbung
zu. Gegen Schwaben hin lässt sich die vorherrschend blonde
Bevölkerung des Nordens keilförmig verlängern.
Die Bedeutung einer solchen graphischen Darstellung von
Racenmerkmalen für die Geschichte der Racenverhältnisse ist
augenscheinlich, und es würde dieses Bild unserer jetzigen
centraleuropäischen Bevölkerung, wenn es mindestens durch
die Länder, welche von ähnlich gleicher ßace bewohnt werden,
vervollständigt wäre, gewiss manche Racentheorie berichtigen
und manche neue Gesichtspunkte der Beurtheilung dieser Frage
bringen.
Auch bei dieser Karte war die Hoffnung betont, die öster-
reichischen Nachbarländer mit der Zeit in ähnlicher Weise
dargestellt zu sehen, da gerade gegen Osten durch das nörd-
liche Uebergreifen Preussens die Karte noch recht unvoll-
ständig erscheint.
Den nächsten Tag zeigte Dr. Gross aus Neuveville einen
Theil seiner reichen Sammlung, welche er selbst aus den
Stationen zu Möringen und Auvergnier, dann aus Latringen,
Sutz und Oefeli ausgebaggert hat.
In den beiden ersteren Stationen lagen massenhaft die schön-
sten Bronzen. Es sind daninter ganz seltene Stücke, so z. B.
ein Schwert, in der Form von Bronzeschwertern anscheinend
gegossen aus Eisen, wie Dr. Gross meint*), mit Bronze-Griff
und Silbereinlagen, eine Bronze - Lanzenspitze mit Kupferein-
lagen, ein Bronze -Armband mit Eiseneinlagen, mehrere Guss-
formen einfach aus Lehm geformt; daneben Bernstein, Gold
und Perlen aus färbiger Glaspasta.
Von Latringen, Sutz und Oefeli waren Steinwerkzeuge,
Knochengeräthe, Nephrite verschiedener Färbung da, und wieder
eine kupferreiche Bronzeahle in Knocheneinfassung aus Sutz
als Beweis eines Umgussversuches, wie er gerade den Stationen
*) Ich hoffe später über dieses Schwert noch mittheilen zu
können.
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der Steincultur eigen ist. Drei Messer und eine Dolchklinge
aus Latringen und Oefeli waren gleichen Ursprungs.
Nun begann Prof. Ecker aus Freiburg, gewissermassen
in Vertretung seines Freundes Dr. Lindenschmit, die Echt-
heit aller Thayinger Funde einer Prüfung zu unterziehen, weil
sich zwei später hinzugekommene Stücke wirklich als falsch
ei'wiesen hatten.
In ruhiger Weise stellte er aus allgemeinen Gründen dar,
wie unwahrscheinlich die Annahme einer solchen Kunstfertig-
keit bei jenen, als halbwild gedachten Völkern wäre; denn
obwohl Eskimos auch ähnliche Zeichnungen auf Knochen zu
ritzen pflegen, so sei eine grosse Difi^erenz in der Ausführung
nicht abzuleugnen. Die Untersuchung der Höhle selbst sei nicht
unter gehöriger Aufsicht geschehen, und da zwei dieser Zeich-
nungen nun wirklich als falsch erkannt worden seien, müssen
spätere ähnliche Funde abgewartet werden, bevor man sich
über die Echtheit der vorliegenden ausspreche. Die Möglich-
keit einer solchen Zeichnung auf frische Knochen sei übrigens
von anderen Forschern in Abrede gestellt worden.
Prof. Fr aas tadelt vor Allem, dass die Herren sich
nicht an Ort und Stelle begeben hatten, um zu sehen, dass
eine sehr starke, vollkommen compacte Sinterschichte den
ganzen Höhlenboden überdeckte, welche ein zufalliges oder ab-
sichtliches Einschmuggeln gefälschter Dinge unmöglich machte.
Er selbst hat unter dieser Decke, wenn auch nicht die Knochen
mit Zeichnungen, so doch bearbeitete Rengeweihstücke heraus-
genommen. Die falschen Stücke wären aber ausserhalb der
Höhle auf den Schutt gelegt worden. ')
Als Beweis der Echtheit gelte ausser diesen geologischen
Verhältnissen in der Höhle das zoologische Moment.
Unter den Thierbildern ist der Kopf des Bos moschatus
so kennzeichnend für die nordische Fauna und so treflFend
gebildet, dass er kaum glaube, dass Jemand, der dieses
Thier nie gesehen, es so getreu abbilden könne. Auch ist
es nur Wenigen bekannt, dass dieses Thier zu jener Zeit in
Europa gelebt, so dass der Gedanke einer Fälschung hier aus-
geschlossen sei.
*) Die Geschichte dieses Fundes ist mit allem Pro und Contra
in dem Archiv für Anthropologie enthalten.
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273
Ich hatte schon in der Früh, da ich stets mit Vorliebe die
technische Seite solcher Fragen durch Experimente studire,
mir einen ganz frischen, hai*ten Röhrenknochen eines Rindes
und ein Stück eines Knochens verschafft, der mit dem Fleisch
gekocht war. Mit Feuersteinsplittem aus Thayingen selbst hatte
ich nun nach Art der Künstler der Eiszeit solche Zeichnungen
einzuritzen versucht. Es war ziemlich mühsam, aber es gelang
leidlich. Diese Proben zeigte ich nun vor und meinte, dass
die Möglichkeit einer Einritzung überhaupt in frische Knochen
unläugbar wäre, und dass im Vergleiche mit solchen Versuchen,
sich die Unechtheit wahrscheinlich mit der Lupe in der Hand
nachweisen liesse, weil die recente Zeichnung mit Feuerstein
oder Stahl in alten morschen Knochen absolut verschieden
sein müsse, von der, welche einst in frische Knochen mühsam
geritzt wurde.
Diese Discussion, Vormittags beendet, ward in der
Thaj-inger Höhle selbst noch eifrig fortgesetzt, wohin die
Gesellschaft Nachmittags fuhr.
Sie ist unmittelbar an der Seite eines Wiesenthaies ge-
legen, gegen welches sie sich in einer mächtigen Wölbung voll-
kommen ausweitet. Die Tiefe in den Kalkfels hinein beträgt
nur circa 10 bis 15 Meter.
Wie Prof. Fraas gesagt, lagert eine fast 50 Cm. dicke
Sinterschichte über zähem Höhlenlehm, der mit kantigen Kalk-
steinen, Feuersteinsplittern, Knochen und Holzkohlen dicht
durchmengt ist.
Die Höhle ist fast ganz ausgeräumt. Die Höhe der Lehm-
schichte betrug durchschnittlich nicht viel über 1 Meter.
Abends waren wir noch in Schaffhausen, wo ein anderer
Theil des Thayinger Fundes und Ausgrabungen aus der
Freudenthaler Höhle sich befinden. Unter Ersteren ist das
berühmte Pferd zu ei-wähnen.
Die Freudenthaler Höhle ist aber desshalb für die vor-
liegende Frage der Echtheit besonders wichtig, weil auch dort,
unabhängig von Thayingen, ein sculptirtes Knochengeräth mit
zwei Reihen von erhöhten Quadraten unter ganz zuverläss-
licher Beobachtung gefunden wurde, welches in der Thayinger
Höhle ein vollkommenes Pendant erhalten hat.
Mit diesen Erfahi*ungen bereichert, war auch noch ein
Theil der nächsten Sitzung der Untersuchung über die Er-
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gebnisse der Thayinger Höhle gewidmet. Besonders war es das
Pferd, welches wir in Schaffhausen gesehen, welches dem Prof.
Seh aa f f h a u s e n nicht echt vorkam, weil es, ganz entgegengesetzt
den Pferden, wie wir sie aus jener Zeit aus den Skeletresten
kennen, einen sehr kleinen Kopf, dünne Füsse und einen mäch-
tigen Körper habe.
Auch ich musste gestehen, dass ich hier wirklich für die
Möglichkeit der Einritzung in so scharfer und präciser Weise
nicht einstehen könne. Dieses Pferd ist übrigens auf einem
Rengeweih eines nicht sehr alten Thieres gezeichnet, welches
möglicherweise noch nicht völlig gehärtet war.
Herr Merk, der die Höhle ausgebeutet, erstattete nun
selbst Bericht. Sein Auftreten macht den besten Eindruck, bei
so schwierigen und subtilen Forschungen wären aber Vorsichts-
massregeln erwünscht gewesen, die leider nicht nach jeder Rich-
tung hin getroffen wurden. So endete diese langdauernde De-
batte mit dem Resultate, dass Jeder doch seine individueUe
Ansicht mitnahm. Es lässt sich aber behaupten, dass keine
Gründe angeführt wurden, welche die Unechtheit wahrscheinlich
machen.
Für gewisse Sculpturen und Zeichnungen, welche mir
minder vollkommen scheinen und für welche diejenigen nam-
haft zu machen sind, welche sie unter der Sinterdecke heraus-
holten, ist meiner Ansicht nach sogar jeder Zweifel unstatthaft.
Diese künstlerische Thätigkeit, dieser Nachahmungötrieb und
das Gefühl für das Ebenmass, welches sich hier so merkwürdig aus-
spncht, sind phänomenale Erscheinungen ; wir müssen sie aber als
Thatsachen hinnehmen und unsere Anschauungen über die natür-
liche Begabung des Menschen damit in Uebereinstimmung setzen.
Es heisst ja eben Anthropologie nach naturwissenschaftlicher
Methode betreiben, dass wir die Entwickelungsgeschichte des
Menschen nicht so construiren, wie wir sie uns nach indivi-
duellem Dafürhalten oder nach dem Beispiel anderer Entwicke-
lungsgeschichten vorstellen, sondern dass wir die uns vorlie-
genden Thatsachen berücksichtigend uns vor jeder vorzeitigen
Schlussfolgerung bewahren, die nur zu leicht zu einer vor-
gefassten Meinung, zu einem sogenannten Systeme fuhrt.
Glauben wir aber einmal an ein solches, durch uns selbst
aufgestelltes System, so sind wir eben auch Gläubige und un-
fähig, vorui-theilsfrei zu beobachten.
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Nach dieser allgemeinen Betrachtung, welche nicht nur
durch die Discussion über die Thayinger Höhlenfunde, sondern
auch durch die anderen Verhandlungen sich mir aufdrängten,
komme ich auf die Vorträge zurück.
Prof. Fischer aus Freiburg, der unermüdliche Forscher,
erklärte nach jahrelanger Untersuchung sehr vieler Beile aus
Nephrit, Jadeit und Chloromelanit, welche bekanntlich in den
Pfahlbauten der Schweiz nicht allzu selten sind, dass es noch
nicht gelungen ist, irgendwo das Vorkommen des Chloromelanits
zu ermitteln.
Fast ebenso räthselhaft ist der Jadeit, der in anderer
Färbung wohl in Tübet vorkommt. Für die dunkelgrünen
Jadeite aber, woraus unsere Steinbeile und merkwürdigerweise
auch altmexikanische Waffen gefoimt sind, konnten keine Be-
zugsquellen ermittelt werden.
Es ist dies gewiss auch eine der sonderbarsten Thatsachen,
. deren Erklärung nicht leicht sein dürfte.
Wie kommt es, dass das Vorkommen eines seit jeher so
geschätzten Gesteines völlig der Erinnerung späterer Genera-
tionen entschwinden konnte.
Oder sind die Stellen vollkommen abgebaut worden, und
hatte jede von ihnen einen Jadeit von besonderer Färbung?
Wie kommen dann die gleichen Steinbeile in die Seen der
Schweiz und nach Mexiko?
Prof. Desor machte nun aufmerksam auf die sogenannten
Schalensteine.
Erratische Blöcke, meistens aus Granit, zeigen oft künst-
lich angebrachte Vertiefungen, deren Zweck unbekannt ist.
Das Volk bewahrt eine gewisse religiöse Scheu vor diesen
Steinen.
Sie wurden in der Schweiz, in England und merkwür-
diger Weise auch in Indien am Himalaja beobachtet.
Prof Orth aus Berlin zeigt einige glatt geschliffene und
mit scharfen Ritzen überzogene Gesteine, die aus anstehendem
Gebirge im südlichen Preussen herausgeschlagen wurden. Sie
sind Theile von Gletscherschliffen, welche in mächtiger Aus-
dehnung unter den sie bedeckenden Erdschichten liegen, und
die nach der Meinung des Vortragenden den Beweis liefern,
^8 einst ganz Preussen von mächtigen Gletschern bedeckt
war. Nicht Eisschollen mit eingebackenen Felstrümmern, sondern
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die Gletschermassen selbst sollen von Skandinavien aus bis an
das Riesengebirge einst vorgedrungen sein.
Nun wird ein microcephales Mädchen, Marg. Becker,
vorgeführt. Sie ist acht Jahre alt, vollkommen entwickelt, nur
der Schädel ist auffallend klein geblieben. Das Gesicht tritt
vor, hauptsächlich die Nase, und bekommt die Physiognomie
dadurch einen eigenthümlich vogelai-tigen Charakter.
Sie kann nicht sprechen und ihr wirrer Blick zeigt, dass
sie sich nicht völlig dessen klar wird, was um sie vorgeht.
Prof. Kollmann erklärt die Microcephalie als eine Hem-
mungsbildung und widerlegt Vogt's Ansicht eines Rückschlages
gegen affenähnliche Ahnen.
Die Vei-wachsung der Schädelnähte ist hier der Gnind,
die geringe Entwickelung des Gehirnes und die damit in Ver-
bindung stehenden mentalen Functionen die natürliche Folge.
Prof. Krause aus Hamburg zeigt gleich darauf ein
Gehirn, welches, wie er meint, nicht so sehr durch sein ge-
ringes Volumen, als durch seinen Bau höchst auffallend mit
den von ihm verglichenen Affengehirnen Uebereinstimmung
zeigt. Es stammt von einem Knaben, den er selbst kannte,
und der, obwohl er kein Microcephale war, doch manche Er-
scheinungen eines solchen zeigte. Er wurde sieben Jahre alt,
war aber geistig völlig unentwickelt und hatte in seinen Ge-
berden, in seinem Wesen viele Momente, die unwillkürlich an
den Affen erinnerten. Er kletterte gerne und zeigte sich zu
diesen Uebungen auch dadurch besonders befähigt, weil seine
grosse Zehe vom Fusse abstand.
Durch diese letzten Beobachtungen wäre nun die Affen-
frage wieder in ein neues Stadium getreten, und werden sich
die anthropologischen Forschungen vielleicht mehr als bisher
mit dem vergleichenden Studium des Gehirnes beschäftigen.
Der Nachmittag war dazu bestimmt, auf einem grossen
Dampfer den Ueberlinger See zu befahren, um die Stellen der
Pfahlbauten und in Ueberlingen selbst die Samndungen zu sehen.
Ich könnte hier von dem schönen See, der reizenden Land-
schaft und dem überaus herzlichen Empfange in Ueberlingen
selbst sprechen; von den Pfahlbauten sahen wir nur die mit
Fahnen geschmückten Stangen, welche den Platz dieser ur-
alten Behausungen andeuteten. Sehr häufig liegen sie auch
hier nahe an den noch jetzt blühenden Uferstädten.
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277
Den letzten Tag der Sitzungen eröffnete Prof. Lucae
mit seinen Beobachtungen über das relative Wachsthum des
Schädels im Verhältniss zum Körper bei Kindern.
Prof. Seh aaff hausen berichtete über eine Reihe inter-
essanter Funde in den Rheinlanden und Westphalen.
Besonders hervorzuheben wären wohl einige neue Höhlen-
funde, doch bietet jede Höhle mit ihren Einschlüssen aus ver-
schiedenen 2jeitepochen für den Beobachter ein eigenes Studium,
um mit Sicherheit bestimmen zu können, was hier zusammen-
gehört und was von einander gehalten werden muss.
Sehr beachtenswerth sind jedenfalls die vom gelehrten
Redner in der Höhle Wildschauer bei Steeten gefundenen
Schädel. Sie erinnern an den in Engis gefundenen.
Unter den Feuersteinen und Mammuthknochen befand
sich in gleicher Schichte auch ein offenbar künstlich bearbei-
tetes und sogar oi*namentirtes Stück Mammuthzahn.
Auf andere Funde übergehend betont Schaaff hausen die
von ihm schon öfter ausgesprochene Ansicht, dass Paalstäbe
und Gelte als 2^hlung8mittel nach dem Bronzegewichte dienten, so
das« eine gewisse Form mit bestimmtem Gewichte eine Zahlungs-
einheit bildete. Erfindet, dass die verschiedenen Formen in lieber-
einstiramung mit progressiv steigendem Gewichte sich befinden.
Zur Theilung der Einheit wurde das Stück dann einfach
in zwei oder mehr Theile geschlagen.
Prof. Kollmann folgte nun und bespricht die Ergebnisse
seiner sorgfilltigen Messungen an Schädeln aus vorrömischen
und germanischen Gräbern. Er findet in letzteren wesentlich
die langköpfige Race vertreten, welche grossgewachsen und
starkknochig dem germanischen Typus entspricht, wie wir ihn
noch heute im Norden antreffen.
Wesentlich verschieden von diesen zeigt sich schon in
sehr alten Grabstätten eine andere Race; sie ist kurzköpfig,
klein und hat weniger derben Knochenbau. Er glaubt in ihnen
keltische Völker im Gegensatz zu den langköpfigen Germanen
zu erkennen, und hält nach Analogien mit noch jetzt lebenden
Kelten und dem Verbreitungsbezirk ihres Vorkommens dafür,
dass sie brünett gewesen seien.
Ausser diesen beiden in gewissem Sinne entgegengesetzten
Racentypen finden sich aber noch mesocephale Schädel, die
vielleicht eine Race für sich bildeten. :
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Prof. Virchow meint, dass diese Mesocephalie auch das
Produet der Kreuzung beider Racentypen sein könne.
Prof. Ranke hebt hervor, dass Lebensweise und Klima
auf die Schädelbildung von Einfluss sein konnten. Er hat eine
gi'osse Anzahl von Messungen an der Gebirgsbevölkerung in
Alt-Baiern ausgeführt und fand meist hohe Kurzköpfe, die
also z. B. zu den von Virchow beschriebenen Friesen, die
orthognate Flachschädel sind, in einem eigenthümlichen Gegen-
satze sich befinden.
Die Reihe kam nun an mich. Ich sprach über die Ge-
winnung des Eisens in vorrömischer Zeit und über die Be-
arbeitung der Bronze.
Bezüglich der ersten Frage legte ich die Zeichnung der-
jenigen Schmelzgruben vor, welche durch beiliegende Topf-
scherben sowohl, als durch die Differenz mit erweislich römi-
schen Stucköfen als von*ömische bezeichnet werden können,
und die am Ilüttenberger Erzberg gefunden wurden.
In ganz gleichen Gruben Hess ich nun Schmelzversuche
machen und gewann direct aus den Erzen ganz vorzügliches
Eisen. Die aus diesem Eisen geschmiedeten Oeräthe und den
durch Ablöschen gewonnenen Stahl legte ich vor.
Das Verfahren der Eisen- und Stahlproduction, wenn man
von dem Verbrauch an Kohlen absieht und sich genügen lässt,
nur 20 7o des Eisengehaltes auszuschmelzen , ist also höchst
einfach gewesen.
Dagegen ist die Erzeugung der Bronze noch immer höchst
schwierig, wenn wir sie in derselben Vorzüglichkeit erzeugen
wollen, wie es die Alten verstanden. Proben, welche Se. Excell.
der Herr General Uchatius, die unbestritten erste Autorität in
diesem Fache, für mich zu machen die Güte hatte, beweisen,
dass durch Beimengungen von Nickel und anderen Metallen,
vorzüglich Antimon, die Bronze schon im Guss einen ähnlichen
Grad von Härte und Elasticität gewann als die Stahlbronze.
Es ist möglich, sehr schön ornamentirte Schwerter, Lanzen-
spitzen u. s. w. ohne Anwendung von Stahlwerkzeugen herzu-
stellen. Sie unterscheiden sich aber in gewissen Punkten noch
immer von den alten Mustern, die trotz aller technischen Voll-
kommenheit oft die Spuren stählerner Werkzeuge an sieh tragen.
Es ist für unsere Länder somit wohl erwiesen, dass die
hier lebenden Noriker Eisen schmolzen und Waffen schmie-
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deten. Fraglich bleibt es jedoch, ob sie auch dieses compli-
cirte Bronzeguss -Verfahren kannten.
Ans der Thatsache, dass gerade in den von keltischen
Stammen bewohnten Ländern oft geschmiedete Bronzen als
Hals- und Armringe, auch als Fibula vorkommen, bin ich eher
geneigt, ihnen diese Metallarbeitea zuzuschreiben.
Ich ziehe aus dem Gesagten den Schluss, dass, nachdem
die Eisengewinnung und das Schmieden höchst einfache, die
Bronzelegirung und das Gussverfahren höchst complicirte tech-
nische Kenntnisse voraussetzen, die Eisengewinnung in vorrömi-
scher Zeit, im alten Norikum endlich erwiesen ist, die Annahme
einer Bronzeperiode ohne Kenntniss des Eisens für das keltische
Norikum unstatthaft ist.
Diese Annahme ist auch für andere Länder, welche im
Besitz einer Metallindustrie waren, unwahrscheinlich und ist
ganz speciell technisch unhaltbar, wenn solche Gegenstände ihr
zugeschrieben werden, welche ohne Nachhilfe von Stahlwerk-
zeugen überhaupt nicht hergestellt werden können.
Bei Aufstellung dieses Systems der Bronzezeit scheinen die
metallurgisch - technischen Bedenken nicht genügend erwogen
worden zu sein,
Prof. Virchow zeigte eine sehr wichtige Sammlung von
Steinbeilen, Knochenwerkzeugen, Hirschhornhämmern und
Feuersteinklingen, welche mit einer eisernen Lanzenspitze zu-
sammen aus dem Arys-See in Lievland stammen.
Es ist diess, wie ich glaube, der erste Pfahlbaufund im
slavischen Osten, welcher ganz denselben allgemeinen Charakter
an sich trägt wie die Pfahlbauten der Schweiz, nur dass hier
eben statt der südlichen Bronze das Eisen als fremder Ein-
dringling erscheint.
Prof. Virchow weist darauf hin, dass über der Weichsel
im Allgemeinen die geschliffenen Feuersteine seltener werden,
doch sind vom Grafen Sievers an einigen Stellen Lievlands
wieder so viel gefunden worden, dass an alte Fabrikations-
Btätten zu denken ist.
Weiter wird eines Fundes bei Renekulen in Lievland ge-
dacht, wo unter Muschelanhäufungen gebohrte Zähne und aller-
hand Werkzeuge aus Knochen sich befanden. Die in der Nähe
gefundenen Schädel gehören aber, wenn ich recht verstanden
habe, einer späteren Zeit an.
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In jenen Ländern rückt die sogenannte vorhistorische Zeit
sehr hoch herauf, wie es scheint.
Eine eigenthümliche Art von Knüppelbau beschrieb
schliesslich Prof. Fr aas.
In dem Moor von Schussenried finden sich horizontale
Schichten runder Knüppeln tind auch gespaltener Klötze, welche
estrichartig mit gestampften Lehmschichten bedeckt sind.
Spuren der auf diesem Boden errichteten Wohnhütten waren
nicht auffindbar.
Gebrannte Knochen, Holzkohle, Asche und verkohltes Ge-
treide sind auf diesen Estrichen in grossen Massen angehäuft.
Darunter finden sich Steinbeile, Steinhämmer, Feuerstein-
klingen, Pfeilspitzen, Schleifsteine, Knochen Werkzeuge und
recht interessante eigenthümlich ornamentirte Töpfe. Mit einem
Wort, wieder all das Geräthe, welches den Haushalt unserer
Eingeborenen kennzeichnet.
Solche Knüppelböden mit Estrichen vei*sehen liegen mehr-
fach übereinander.
Der Mangel an eigentlichen Hütten zwischen den Böden
sowohl wie auf dem letzten Estrichboden gibt meinem gelehrten
Freunde Veranlassung, die Frage aufzuwerfen, ob man es hier
nicht mit Cultusstätten und Brandopferplätzeii zu thun habe.
Es war mir höchst erwünscht, einen sehr ähnliehen Bau
im Torfmoor bei Nieder -Wyl noch denselben Nachmittag be-
sehen zu können.
Nach Schluss der Versammlung fuhr nämlich ein Theil
der Anwesenden zu Messikomer nach Nieder -Wyl, wo vor
unseren Augen eine ähnliche Anlage abgegraben wurde.
Auch hier liegen mächtige gespaltete Eichenklötze, voll-
kommen als Boden zusammengefügt, auf runden Fichten-
stämmen, die nach einer und derselben Richtung hin mehrere
Quadratklafter bedecken.
Dann zeigen sich Rundhölzer, welche diese Abtheilung
begrenzen. Auf der anderen Seite dicht anschliessend lassen
sich wieder quer liegend die Knüppellagen finden.
Sechs bis acht solcher Böden sieht man aufeinander oder
besser übereinander gelagert. Zwischen ihnen liegen Knochen^
Kohlen und Geräthe aller Art so durcheinander wie in den
Culturschichten der Pfahlbauten. Estriche fanden wir nicht.
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Trotzdem scheint Nieder -Wyl mit Sehussenried viel Aehn-
lichkeit zu haben.
Auch hier sind keine Hüttenspuren, doch lassen sich
immerhin abgebrannte Pfahle finden, die senkrecht im Boden
stecken und abgebrannt oder abgebrochen sind.
Bei dem wahrscheinlich sehr unsoliden Bau solcher leichter
Hütten, die vielleicht nur im Sommer während der Feldarbeits-
zeit bewohnt waren und fast alle Winter unter mächtigem Schnee-
druck zusammengebrochen sind, kann ich mir wohl erklären,
dass nicht viel mehr von ihnen sichtbar blieb.
Das Aufeinanderliegen der Böden macht eine nur zeit-
weilige Bewohnung dieser Stätte wahrscheinlich.
Ich fuhr nun weiter nach Zürich, die Necropole der Pfahl-
bauten, und trennte mich von meinen werthen Collegen in
Frauenfeld, wo die Herren uns in gleich gastlicher Weise auf-
nahmen, als ob wir in Deutschland wären.
Die reiche Fülle von selbständiger Arbeit auf allen Ge-
bieten der Anthropologie und Urgeschichte, die diese Versamm-
lung geboten, liessen mich kaum die herrlichen Tage geniessen,
die ich am wunderbaren Bodensee verbrachte.
Die Liebenswürdigkeit meiner Freunde und die herzliche
Gastfreundschaft, die ich überall in reichem Maasse genossen,
haben jedoch diese Versammlung in Constanz zu einer ebenso
lehn-eichen als angenehmen Erinnerung für mich gestaltet.
Zur Ethnographie Noricums.
Von
Dr. Pligier.
Die vorrömische Bevölkerung Noricums galt seit den
vortrefflichen Forschungen von Zeuss*) und Diefenbach^)
allgemein als keltisch, bis es in neuerer Zeit einigen Anthro-
pologen einfiel, an der keltischen Herkunft der alten Bewohner
Noricums, Rhaetiens und Vindelicicns zu zweifeln. Das Ge-
Wen der Keltomanen, welche alle möglichen Orts-, Fluss-
und Oebirgsnamen Europas aus dem Keltischen zu erklären
*^ Z e u 8 s.Die Deutschen und ihre Nachbar stamme. München, 1837.
^)Diefenbach. Origines europaeae. Frankfurt a. M., 1861.
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wussten, rausste all diejenigen, die eine linguistische Bildung
entbehrten, von den keltischen Studien zurückschrecken, und
es genügte den Namen der Kelten als Bewohner Süddeutsch-
lands und der angrenzenden österreichischen Landestheile zu
nennen, um ein ungläubiges Lächeln zu entlocken.
Mone's keltische Forschungen, die Schriften Iloltzmann's,
Riecke^s und anderer Keltomanen haben viel geschadet und
oft eine gerechte Entrüstung hervorgerufen. Im (iegensatz zu den
Keltomanen entstanden die Kel tophoben, welche die Kelten um
jeden Preis vom deutschen Boden vertreiben wollten, wobei sie es
sorgfaltig unterliessen, diese Frage wissenschaftlich zu behandeln.
• Die deutsche anthropologische riesellschaft beschäftigt
sich bekanntlich seit mehreren Jahren mit der Keltenfrage.
Dieselbe wurde durch den Umstand hervorgerufen, dass die
grosse Mehrzahl der süddeutschen Bevölkerung, im Gegensatz
zu den germanischen Langschädeln der Völkerwanderungszeit,
aus Breitköpfen besteht. In den Hügelgräbern, die theilweise
mit Recht in die Zeit vor die römische Invasionsperiode zurück-
zufuhren sind, werden hauptsächlich brachykephale Schädel,
nur selten dolichokephale, die den Einwanderern angehören,
gefunden. Während des Mittelalters verschwindet langsam
der germanische Langschädcl, und an seiner Stelle erscheint
der Kurzkopf, dabei treten auch zahlreiche Mischformen auf.
Unserer Ansicht nach hat sich hier die vorrömische Bevöl-
kerung mit der germanischen gemischt und sogar germanisirt,
die germanische Schädelform verdrängt. So fasst auch, wie ich
glaube, Herr Professor Kollmann in München die Sache auf,
indem er sagt: wenn ich auf der einen Seite finde, dass wir bis
zu uns herauf, von Langschädeln allmälig durch viele Ueber-
gänge zu Kurzschädeln kommen, wenn ich überdies durch sta-
tistische Erhebungen finde, dass neben weissen Ilaaren und
blauen Augen gleichzeitig die braunen da sind, die man auch
vor der ersten Invasion der Germanen vermuthen darf; so glaube
ich daraus schliessen zu dürfen, es sei durch Vermischimg
zweier, in ihren äusseren Eigenschaften verschiedener Stämme
allmälig das geworden, was wir hier jetzt sind. *)
') Die siebente allgemeine Versammlung der deutschen Ge-
sellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte in Jena.
München 1876, p. 104.
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Die Frage nach der Herkunft dieser vorrömischen Be-
völkerung erhält jetzt eine ganz besondere Bedeutung, sowohl
für Süddeutschland als auch für das angrenzende Oesterreich.
Nach dem allgemeinen (ilauben waren es Kelten, und so
kam die Keltenfrage auf der Anthropologen -Versammlung zu
Jena wiederum aufs Tapet. Die Methode der Herren Riecke
und Consorten traf dort eine gerechte Verurtheilung von Seiten
des Germanisten Sievers. Auf der anderen Seite erkläile
Prof. Sievers, dass er kein principieller Gegner des Suchens
nach keltischen Ortsnamen in Deutschland sei, vor Allem sei
aber ein sicheres Quellenmaterial für die Untersuchungen
historisch festzustellen, und wenn die grammatikalische Kennt-
niss d(^8 Keltischen weiter vorgeschritten sein wird, solle man
es versuchen, einzelne Anknüpfungspunkte an die verschiedenen
keltischen Sprachen zu gewinnen ')• >^ur Erklärung der ver-
hältnissmässig nicht zahlreichen keltischen Ortsnamen Noricums,
wie sie bei den alten Seh rittstelle in, besonders aber bei Ptolo-
maeus und in den Itinerarien sich vorfinden, reicht nach unserer
Ansicht das bisher (Jebotene aus; da es meistentheils Orts-
namen sind, die in ({allien und Britannien wiederkehren und
die von Fachmännern zum Theil bereits erklärt worden sind.
Vor Allem muss man sich an die meisterhafte Gramma-
tlca celtica von Zeuss halten, die durchgesehen und vermehrt
von Ebel im Jahre 1871 in Berlin erschien.
Vortreffliches in mancher Hinsicht bieten auch Bello-
guet-), Diefenbach'^), Glück'), Bietet').
') Die keltischen Sprachen zerfallen in zwei Hauptzweige.
Djr erstere, gewöhnlich der kymrische genannt, spaltet sich in
das alt-gallische, komische (jetzt schon erloschen) und in das
armoricauische, das von den Franzosen bas-breton genannt wird.
Der gaclische Zweig spaltet sich in das ersische (in Schottland),
in das irische, und in den Dialekt der Insel Man.
^) Belloguet. Ethnogenic gauloise. Paris 1875.
^) Dicfenbach. Origiues Europae. 1861. Frankfurt a. M.,
das ältere Werk Diefenbach's Celtica, ist jetzt schon im Ganzen
veraltet.
*) Glück. Die keltischen Eigenuamen bei C. Julius Cäsar.
1857, München.
•"*) rietet. Aux etudes sur les noras gaulois. llevuc archeo-
logique, 18G4, 1805, 1867.
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Auf dem Gebiete der keltischen Philologie arbeiten jetzt
besonders der Franzose Guidoz, Redacteur der Revue celtique,
der Italiener Nigra, die Engländer Whitley-Stokes, Rhys,
Hennessy und Prof. Windisch in Leipzig.
Die Schriften der Keltomanen sollten auf einen Index gesetzt
werden, damit nicht sonst ehrliche Forscher, denen eine histo-
lisch-linguistische Bildung abgeht, auf Irrwege geleitet werden,
wie ich es leider oft beobachtet habe.
Die Alpengebiete haben gleich den Pyrenäen und dem
Kaukasus Völker beherbergt, die ursprünglich eine weitere
Verbreitimg gehabt haben und dorthin von den einwandernden
Aryern verdrängt worden sind.
Von den Iberern, den Vorfahren der heutigen Basken,
steht es fest, dass sie einst die ganze pyrenäischc Halbinsel
nächst Aquitanien bewohnt haben; es finden sich sogar ihre
Spuren in Britannien, Sardinien und Sicilien. Die Sprache der
Iberer und wohl auch das reinste iberische Blut, hat sich jedoch
nur in den Gebirgsthälern der Pyrenäen und des cantabrischen
Gebirges erhalten, während die französischen Basken bereits
stark gemischt erscheinen.
Auch die Völker des Kaukasus haben einst sowohl auf
der asiatischen, wie auf der europäischen Seite eine grössere
Verbreitung gehabt.
Die Sitze der A waren Daghestans haben sich nach den For-
schungen des Generals Uslar bis an die Wolga erstreckt, deren
alter Name „*'Oapo(;" sich aus dem Awarischen erklären lässt.
Gebirgsgegenden, und besonders die Alpengebiete, sind
daher für die prähistorische Anthropologie von besonderer
Wichtigkeit. Die Sprachen der Urbevölkerung haben Jahr-
hunderte römischer und deutscher Geschichte allerdings ver-
drängt, dass aber die Bevölkerung spurlos untergegangen sei,
ist nicht anzunehmen.
Auf beiden Seiten der West- und Centralalpen wohnten
seit den ältesten Zeiten die Ligurer, ein Volk nicht-arischer
Herkunft, das aber früh keltisirt erscheint.
Einst waren die Ligurer gleich den Iberern im nordwest-
lichen Gallien verbreitet, in der historischen Zeit ist aber nur
in den Alpengebieten von ihnen die Rede. Auch in Noricum
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haben Ligurer gewohnt, da Strabo die Taurisker im heutigen
Käi-nthen Ligurisker nennt.
Die Endung „isd^ findet sieh oft bei den keltischen Völker-
namen, wie z. B. Scordisd, VohiscL Wohl ist auch der Name
der Taurisker keltisch (von keltisch „tort''^ B^^g)? das beweist
aber nichts, da auch die Tauriner (von denen Turin den Namen
hat) ein ligurischer Stamm waren*).
Einen zweiten Beweis für die Existenz ligurischer Völker
auf deutschem Boden finden wir in einer Erzählung des
Plutarch^).
Die Ambronen, welche mit den Teutonen in der Schlacht
bei Aquae Sextiae gegen die Römer kämpften, haben ihren
Namen gleich einem Kriegsgesange hervorgebracht, derselbe
wurde aber gleich von den römischen Ligurern nachgesungen,
da dies auch ihr Nationalname war — ein evidenter Beweis,
dass die Ambronen auch Ligurer gewesen sind. Der Name
der Ambronen oder Ombronas ist auch in ligurischen Gebieten
gut bezeugt. Die Insubrer am Po hiessen nach Polybius^)
Iß-ombrer, und in der Nähe Mailands geradezu Ombrer. Im
Lande der Bojer haben ebenfalls Arabronen gewohnt, und dem
Flusse Amber in Baiern den Namen gegeben.
Ombronen versetzt Ptolemaeus an die Quelle der Weichsel.
Wir halten diese Ombroner um so mehr für Ligurer, als auch
im heutigen Schlesien in ihrer Nachbarschaft Ligurer von
Ptolemaeus aufgeführt werden. Der Zusatz Aoü^toi ol Aouvoi
(^ Ao^fj'i$i3oüvoi) bei Ptolemaeus ist für uns von grosser Wich-
tigkeit. Es scheinen damit die Bewohner des Riesengebirges
gemeint zu sein, da dunum (diln) im Keltischen Berg bezeichnet.
Der in ihrem Gebiete erwähnte Ort Longidunum, oder richtiger
LugdunuM ist ein echt keltischer Ortsname, der überall vor-
kommt, wo Kelten gewohnt haben"*). An den Quellen der
Weichsel findet sich das ebenfalls rein keltische Carro-dunum,
d. h. Wagenburg.
Aus diesen Ortsnamen ersehen wir, dass die Ligurer auch
dort, wie in Oberitalien ^), Gallien, Noricum keltisirt waren. Man
0 Strabo, IV, 204.
^) Plutarch, Marius Cap. 19.
^) Polybius II, 32.
■*) Auch Lyon ist aus Lugdunum entstanden.
^) Cuno. Die Ligurer, Rhein. Mus. 28. 193.
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kann aber daraus nicht den Schluss ziehen, dass sie Kelten
oder nur Aryer gewesen sind, wie es D'Arbois de Ju-
bainville') thut und worin ihm sogar Hovelacque^) Recht
zu geben scheint, wohl aber, dass sie Auswanderer aus galli-
schen Gebieten waren.
Das nordwestliche GalHen war vor dem Erscheinen der
Kelten von Ligurern bewohnt 3), die später gänzlich ver-
schwinden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Ligurer
sich vor der keltischen Unterdrückung nach Germanien ge-
flüchtet haben.
Der andere Theil der schlesischen Ligurer heisst bei
Ptolemaeus Aouvioc ol 'OjxjjLavci und ihr Njimc erinnert der Bildung
nach an die ligurischen (.^omraanen od(M- (Jomnionon in der Xäho
Massilias.
Zur Zeit des Zosiraus '), der die T^ygier fiir (lermanen hält,
hausten sie in Ungarn. Das zügellose Leben dieser ligurischen
Stämme des Nordens hat sie allgemein in einen sehr schlechten
Ruf gebracht. Ueber die Ambronen äussert sieh Festus p. 24:
Ambrones praedationibus se suosque alere coeperunt — ex
quo tractum est, ut turpis vitae homines ambrones dicerentur.
Nach Ducange, Glossar med. lat., soll ambro den Räuber
bezeichnet haben und eine Glosse zu Isidor') sagt ambro devo-
rator, consumptor, patrimoniorum deeoctor, luxuriosus, profusus.
Die ligurischen Stämme sind gleich so manchem anderen
vorarischen Stamme als Volk untergegangen. Ihre Nachkommen,
von denen die Piemontcsen die reinsten sind'), dürften in ver-
schiedenen Völkern aufgegangen sein.
An die Ligurer schlössen sich im Alterthum die Euganeer
an, die ebenfalls der vorarischen Urbevölkerung Europas an-
gehören. Ihre Sitze erstreckten sich vom Gardasee und den
nach ihnen benannten Hügeln (bei Padua) bis tief in die Thäler
Tirols hinein. Einst haben sie eine weit grössere Verbreitung
') D'Arbois de Jubainville. L(^s premiers habitanta de
TEurope. Paris, 1877. Duinoiilin. 221—245.
2) Revue d' Anthropologie de Broca 1877
^) Avienus. Ora maritima 1.30 — 145.
*) Zoflimus. I, 67.
'') Dicfenbach. 0. E. ambro.
^) Nicolucci. La stirpe ligure in Italia ne* tempi antichi e
ne' modcrni (Reiidinoonto della R. Accademia). Napoli, 1863. ,
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gehabt, da auch Venetien vor dem Erscheinen der illyrischen
Veneter von ihnen besetzt war^).
Die Euganeer mischten sich vielfach mit den Ligurern
und Rhaetern. Die Camuner sind nach Strabo^) Rhaeter, nach
Plinius"*) richtiger Euganeer. Ein Fragment der Triumphal-
fasten spricht von den ligurischen Stoenern, und Stephan von
Byzanz nennt Stoenos eine ligurische Stadt, wogegen Livius^)
sie richtiger den Euganeern beizählt.
Zu den Euganeern zählte man die Stämme der Trium-
piliner, Camuner, Lepontier, Stoner und Tridentiner.
Den euganeischen Völkern sind auch die Sabiner beizu-
zählen, von denen zwar die alten Schriftsteller schweigen, die
aber in den lateinischen Inschriften'') am Lago d'Idrio im Val
Sabbia, das von ihnen den Namen führt, genannt werden. Aus
den Inschriften ist als ihr Ort Voberna (jetzt Voberno) be-
kannt. Auch die Benacenser, die in einer Inschrift von Brixen*^)
mit den Triumpilinern genannt werden, waren Euganeer.
lieber ihre Sprache und Herkunft lässt sich nicht viel
sagen. Ich habe die von Mommsen herausgegebenen und
im Gebiete der Euganeer gefundenen Inschriften durchgelesen
und bald herausgefunden, dass die Personennamen der Euganeer
von den lateinischen, keltischen und illyrischen verschieden sind.
Auffallend ist es, dass fast sämmtliche Namen der Männer
sich auf 0 oder to, die weiblichen auf a oder ia endigen.
Als männliche Namen kommen vor: Albicio, Biro, Btvejo,
Boduisso, Clugnsioj ColpiUo^ (Jripo, Cuh'cio, Clado, Enduhrlo,
Mango, Mario, FeinOj PrimiUiOy Quartio, Tappo, Tio, Trlumo,
Trfjptio, Vesgasio, Vescasso, Vhnco,
Als weibliche Namen kommen vor: Cluidea, Deica, Dui-
giava, Eppupa, Fundunia, Iventut, Leuconia^ Loreja, Lubia Esdra,
Mannya, Melanalia, Messava, Necidia, Numonia, Piipa, Serdia,
Turis Barharuta,
Dieses trockene Namensverzeichniss ist alles, was wir
von der Sprache der Euganeer wissen. — Ebenso dunkel ist
*) Livius I, 1.
2) Strabo IV, 2()ß.
3) Plinius III, 20.
^) Livius epit. LXII.
^) Mo mm 8 OD. Corpus inscriptionum latinarum V, 1, Nr. 4905.
«) Mommsen Nr. 4313.
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die Herkunft ihrer Nachbarn, der Rhaetier. Nach der Ansicht
des classischen Alterthums waren die Rhaetier ein etruskischer
Stamm. Livius V, 33 berichtet: Tuscorum ante Romanum
imperium late terra marique opes patuere — Alpinis quoque
ea gentibus haud dubie origo est, maxime Rhaetis, quos terra
ipsa eflferavit, ne quid ex antiquo praeter sonum linguae, nee
cum incorruptum retinerent.
Plinius ni, 20. Rhaetos Tuscorum prolem arbitrantur.
Justin XX, 5. Tusci quoque, duce Raeto, avitis sedibus amissis,
Alpes occupavere et ex nomine ducis gentes Rhaetorum con-
diderunt.
Stephan von Byzanz TaiToi Tjp^Yjv.xov sOvo;. Nachdem
Deecke^) erwiesen hat, dass das Etruskische keine arische
Sprache sei, so gehören auch die Rhaetier den vorarischen
Völkern Europas an.
Ligurer, Euganeer, Rhaetier sind diejenigen
Völker, denen die Funde aus der Steinzeit in Noricum
zugezählt werden können und die, von den Aryern
verdrängt, in den Alpen lange Zeit Schutz gefunden
haben, bis auch dort sie der Aryer aufsuchte und
ihnen seine keltische, lateinische oder auch deutsche
Sprache aufdrang.
Es ist unmöglich zu sagen, welcher Zweig der grossen
indogermanischen Völkerfarailie Noricum zuerst betreten hat.
Die arischen Eroberer der apenninischen Halbinsel müssen
auch Noricum in seinen südlichen Theilen berührt haben. Die
Japygier (Daunier oder Apuler) gehörten dem illyrischen
Zweige an und sind die ersten Aryer, welche einst ganz Italien
mit Ausnahme der nordwestlichen ligurischen Theile besessen
haben. Die meisten Städte Unter- und Mittelitaliens sind illyrische
Gründungen. Hierauf folgten die lateinischen Völker (Umbro-
Sabeller, Osker und Latiner), und machten die Illyrier zu
Plebejern 2). Auf diese Weise erklärt sich die Entstehung der
Plebs und des Patriciats.
^) De ecke. Corssen und die Sprache der Etrusker. Eine
Kritik. Stuttgart 1875.
2) Fl i gier. Zur prähistorischen Ethnologie Italiens. Wien,
1877. Alfr. Holder.
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Wir glauben zwei illyrische p]in Wanderungen nach Italien
annehmen zu müssen, die erwähnte, in uralter vorhistorisehcr
Zeit, und die zweite der illyrischen Veneter, von denen noch
Livius zu erzählen wusste, dass sie die Euganeer aus ihren
Sitzen verdrängt hätten.
Die Veneter bezeichnet schon Ilerodot') als einen illyri-
schen Stamm, und C/ato'-) sehrieb ihnen einen trojanischen
Ursprung zu, worunter gewöhnlieh illyrische Abstammung zu
verstehen ist'*). Der Ort Troja, die Verehrung des Diomedes,
die Sagen von Antenor in Patavium erinnern in der That au
Kleinasien, wo ursprünglich auch illyrische Stämme gesessen
haben und wo auch Veneter^) genannt werden. Es gab ein Pata-
vium im Veneterlande und ein Pafamum in Bithynien (Ptolc-
maeus). Acelum oder Aclllum ist ebenfalls illyrisch '•).
Aus der Sprache der Veneter haben sich nur zwei Worte
erhalten. Columella VI, 2ß melius etiam in hos usus Altinac
vaccae probantur, quae ejus regionis incolae cevas appellant.
Altinum lag im venetischen Gebiete.
Zu venetiseh ceva „Kuh" stellt sich albanesisch xaou (plur.
xjiTs) „Ochse"''). Pliniua") erzählt von einer Pflanze, welche
die Römer allium und die Veneter cotonea nannten. Benloew^)
stellt cotonea zu albanesisch y-oicav (V).
Die Japydier oder Japoden Istriens waren gleichfalls
illyrischer Herkunft. Ein Zweig derselben hiess Lopd. Hahn^)
stellt dazu alban. Ajorrea „Kuh"(y) und bemerkt, dass in Tirol
noch heute die Kühe Loben genannt werden. Auch die Brenner
und Genauner galten nach Strabo IV, 266 für Illyrier.
Tergeste ist so gebildet wie Segeste. Pola findet ihre Er-
klärung in den japygischen (unteritalischen) Personennamen
«) Herodot I. 191.
•^) Plinius m, 19.
^) Fl ig i er. Zur prähistorischen Ethnologie Italiens p. 31.
•*) Benloew. La Grece avant les Grecs, Paris, 1877, p. 63,
stellt den Namen der Veneter mit albanesisch ßevSt „Ort, Vater-
land ** zasammen.
S) Fligier p. 34.
**) Diefenbacb. Die Volksstämme der europäischen Türkei.
Frankfurt, 1877, p. 33.
7) Plinius XXVI, 7.
' ^) Benloew p. 62.
^) Hahn. Albanesische Studien. Wien, 1854, p. 239.
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Pohls, PiJtiSy Pnulics^) und in dem Namen Apuliens^). Aqui-
leja ist wahrscheinlicli verwandt mit dem Namen der Aequer,
Aeqidader LntiumSy die ebenfalls der il lyrischen Urbevölkerung
Italiens angehören. Der Ort Vendos oder Avfmdos hat die
Kigenthümlichkeit der altillyrisehen Sprache, ein a vor die
(Jrts- und Personennamen zu setzen oder auch wegzulassen, auf
die ich schon in meiner prähistorischen Ethnologie Italiens
aufmerksam g(imacht habe-^). Arujnmtm erinnert an das ja-
pygische A)^n und Arjnnum, Metnium hat die illyrische Endung
'idum bei Ortsnamen. Der Bach Arsia in Istrien hat seine Ana-
logie im Arsen Albaniens.
An die istrischen Illyrier schlössen sich die stammver-
wandten Dalmatier und Pannonier an, in Ungarn aber hausten
zu Ilerodot's*) Zeiten die iranischen Sigynnen, ein Zweig der
Scyth(;n, falls diese Sigynnen von denen am kaspischen Meere
(Strabo ed Meinecke c. 520) verschieden waren.
Auf diese Völker wollen wir jetzt nicht eingehen, und
uns lieber den Kelten Noricums zuwenden.
Das keltische Volk zwischen dem Inn, der Donau und
Pannonien nannten die Römer Noriker, wie Max Duncker^)
vermuthet von der Stadt Noreja, ihr alter Name war aber
nach Plinius") TauriscL
Die keltische Herkunft der Noriker bezeugt Strabo'),
was auch die Namen der kleineren Stämme der Ambisontier,
Ambidraver und Alaunier beweisen. In dem Namen der Am-
bisontier findet sich amh, kymr. am (em, ym), lat. awib,
griech. ap.^C*) (vergl. Amhiharii, Ämhivareti, Ambarro) und
*) Fligier p. 27.
2) Fligier p. 34. Auch Apulien ist damit verwandt. Ich
begreife nicht, wie Georg Curtius Grundziigo p. 412 den Naraen
Apulieus von skr. aj), „Wasser", herleiten kann, da der Buchstabe a
in den illyrischen Ortsnamen beliebig gesetzt oder weggelassen wird.
^) p. 38.
^) Herodot V, 9.
^) Duncker. Origines germanicae p. 63.
6) Plinius III, 20.
") Strabo VII, 313.
**) ZeusM. Grammatica Celtica p. 1G6.
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291
der Name des Flußses, an dem sie wohnten. Von diesem
Flusse beriolitet eine spätere Quelle: infra oppidum Salzburch,
in pago Jaboacensium supra fluvium Igonta, qui alio nomine
Salzaha vocatur. Juvav. p. 19. Dlsoiizio heisse jetzt Pinzgau.
(Bisonzio quod nunc Pinzgov vocatur), sagt dieselbe Quelle. Die
Alaunier, im Thale der Salzach haben nach Zeuss^) ihren
Namen von altkcltisch haiaun (kymr. halen) ^Ralz". Die Am-
biliker und Ambidraver sind wiederum nach den Flüssen, an
denen sie gewohnt haben, benannt worden.
Die Ortsnamen sind fast alle keltischen Ursprungs. Wir
beginnen mit Vindo-bona (Wien). In dem ersten Theile Hndcn
wir cambr. gwii), althibernisch ßiid „weiss" (cfr. Vindimmci),
und im zweiten Theile hond oder bann, „Grund", das auch in
Iio7i(mta enthalten ist.
Der ()i*t Oitium in der Nähe Wiens, und Mons cetius
(Bakony -Wald) stellen sich zum Berge Vo-refhts bei Tacitus,
llist. I, 69, und Veto-hr'Kja bei Ptolemaeus.
Geso-dunum, gesuni oder gaemim bedeutet T^anze ^), in
dnnum findet sich das gadhelische diin „Berg".
Die Stadt Augustidunum in Gallien wird durch AucpisH
mons übersetzt. V. S. Gerinani 1, cap. »^. Auch im norischen
I-dunum ist kelt. dthi „Berg" enthalten. Gabavo -durum.
Zu durum stellt Zeuss-^) gael doire „Wald", die erstere Hälfte
dieses Ortsnamen kann ich nicht erklären. Arto-briga. Art
heisst keltisch „Stein" (ist auch in dem Namen Artur ent-
halten) und Jyrigh „Gipfel", cfr. Ehuro-hrUja, Lifano-hriga u. s. w.
in Gallien.
Albiannum oder auch Alpianum, denn Stephan von By-
zanz sagt: "AXxi:; y.al "AXziia ^py; y.al 1\Xßia, oiyf, y^? iq YP^t^''^ ''^^'•
c'.x Tou 7: y.ai aB'. toj ß. Keltisch aljmi-n *).
Zu Ernolatium stellt sich Kmo-durum im Gebiete der
keltischen Bituriger und Arelate cfr. kymrisch laid'^)j „Sumpf,
Teich", gael lad. — CTabro-magus. Im ersten Theile ht gabor,
kymrisch gafr, „Ziege", enthalten, und im zweiten kymrisch
') Zeusfl. Die Deutschen und ihre Nachbarstämme p. 243.
2) Diefenbach. Orig. Europ. p. 350.
^) Zeuss. Gram. Colt. 575.
■*) Ebenda p. (JH.
^) Glück p. 115.
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292
magh, „Feld", also Ziegenfelcl, cfr. Gabreta mons (Böhmer-
wald). Zu Ovilaba (Wels) ötellt sieh Ovüona im Gebiete der
Allobroger ^).
Lauriacura hat nach Zeuss^) den Namen von laurOj
„Feige". Zu Santieum (cfr. Santini und Santones in Gallien)
ist nach Zeuss sant, „Geiz", enthalten.
Zu Tasi-nemetum stellt sich Augmto-nemetum in Gallien.
In den neukeltischen Sprachen heisst nem „Himmel", woher
in den altirischen Glossen nemde, „himmlisch", vemed, „Heilig-
thum". — Vacorium erinnert an Vacoritium im Gebiete der
gallischen Cenomanen (Oberitalien).
In Are-lape scheint uns die Präposition are „vor" ent-
halten zu sein (cfr. Are-late, Are-morica). Zu Arraho und Arra-
bona, wovon der Name der Raab, stellen Zeuss und Ebel'^)
carabrisch araf, „milde, ruhig", im Gegensatze zu stürmisch.
Ausser diesem gibt es noch andere Beweise, dass in diesen
Gebieten die keltische Sprache geherrscht hat. So hat Decius
Brutus^), der als Galliens Prätor die keltische Sprache erlernt
hat, sich mit dieser Sprache durch Rhaetien und Noricura bis
nach Aquileja durchgeholfen, ohne erkannt zu werden.
In Aquileja und in Noricum wurde auch der keltische
Gott Belenus, der mit Appollo identificirt wurde •'*), nach einem
Berichte des Kirchen Schriftstellers Tertullian **) verehrt.
Keltische Gottheiten waren somit auch in Noricum bekannt.
Es hat somit in Noricum eine keltische Bevöl-
kerung gewohnt.
Wer daher die Kelten aus diesen Gebieten verdrängen
will, um an ihre Stelle Germanen oder gar Slaven zu setzen,
dem fällt auch der Beweis zur Last, dass die alten Schrift-
steller — und darunter kein Geringerer als Str.abo, der bedeutende
^) Zeu8s-Ebel p. 789.
2) Zeuss-Ebel p. 32.
3) p. 11. Note.
4) Appian B. C. III, 97.
^) Hißt. Aug. Maximin 22.
«) Tertullian ApoL XXIV und Herodian VIU, 7, cfr. Bell o-
guet Ethaog^nie gauloise I, 374.
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293
Ethnograph des Alterthums — die von Kelten in Noricum erzählen,
Schwindler gewesen sind, und dass die von mir angeführten Orts-
namen deutsch oder slavisch sind. Von subjectiven Meinungen
oder gar Wünschen kann die Wissenschaft keine Notiz nehmen.
Literatur - Berichte.
1.
Caspari, Otto. Die Urgeschichte der Menschheit mit Bück-
sicht auf die natürliche Entwickelung des frühesten Geistes-
lebens. Mit Abbildungen in Holzschnitt und lithographir-
ten Tafeln. Zweite durchgesehene und vermehrte Auflage.
Leipzig. Brockhaus. 1877. 8». 2 Bände. (XXXIV. 418 und
XXn. 522 S.)
Auf dem Gebiete jeder Wissenschaft macht sich, nachdem
die auf der Beobachtung beruhende Einzelforschung tüchtig vor-
gearbeitet hat, das Bedürfniss geltend, die festgestellten That-
sachen unter einander und mit den philosophischen Anschauun-
gen der betreffenden Zeit im Zusammenhang zu bringen. Ob dies
berechtigt ist und wann es einzutreten habe, darüber wollen wir
nicht discutiren; es ist zu allen Zeiten so gewesen und wird es
auch immer sein.
Auch auf dem Gebiete der jüngsten Wissenschaft, der Wissen-
schaft vom Menschen, nämlich Anthropologie, Ethnologie und
Urgeschichte, macht sich in der neuesten Zeit ein Zug nach dem
oben angegebenen Ziele bemerkbar und das nun in zweiter Auf-
lage erschienene Werk Otto Caspar i's kann als der classische
Ausdruck der von Seite der deutschen Philosophie versuchten Bethei-
ligung in den anthropologisch-ethnologischon Forschungen angesehen
werden. Dass ein solches Unternehmen zeitgemäss, dankenswerth
und der Wissenschaft forderlich ist, darüber dürfte wohl kein
Zweifel obwalten; ob aber der Verfasser auf der Höhe der For-
schung sich befindet und die einzelnen Thatsachen, auf welche er
sich bezieht, auch im Sinne der betreffenden Wissenschaft vcr-
werthet, dies sind Fragen, die nur von den Fachmännern der ein-
zelnen Richtungen beantwortet werden können.
Um nun von unserer Seite aus ein Urtheil über diese
Seite der Caspari'schen Arbeit abzugeben, wollen wir ein Capitel
auswählen, das eine beinahe selbständige Betrachtung zulässt,
nämlich das Capitel „Ueber die ursprüngliche Entwickelung des
Schriftwesens". (Band II. S. 278 ff.) Trotz aller Anerkennung,
die wir den Bemühungen des Verfassers zollen müssen, den Process
der Schriftbildung vom philosophischen Standpunkte aus klar zu
Daachen, zweifeln wir sehr, ob ihm dies gelungen sei. Der Vcr-
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294
fasser ist einerseits in der einschlägigen Fach -Literatur zu wenig
bewandert, andererseits hat er die ganze Frage auch von seinem
Standpunkte zu wenig durchgearbeitet. — Statt einer ins Einzelne
gehenden Beurtheilung seiner Ansichten erlaube ich mir auf meinen
„Grundriss der Sprachwissenschaft" I. S. 150 ff. hinzuweisen, wo
die ganze Frage, wie ich hoffe, zur Zufriedenheit sowohl des Phi-
losophen als auch des Forschers behandelt ist. — Caspari hält
die Tättowirung mit Wuttke für Schrift, was ein grober Irrthnm
ist und gibt sich gar nicht die Mühe, den äusserst wichtigen
Proccss der Loslösung des Wortes von der Anschauung sowie des
Zerlegens des Wortes in seine einzelnen Lautbestandtheile zu
analysiren. Wie unklar der Verfasser über manche hieher gehörende
Dinge denkt, dies beweisen seine Auslassungen über die chinesische
Schrift auf S. 298. So heisst es dort unter Anderem: „nun ist
bekanntlich die chinesische Sprache sehr wortarm, und die Chinesen
gebrauchen daher sehr viele gleichlautende Worte für viele Begriffe
und Bezeichnungen". Wie kann eine Cultursprache ersten Ranges
„sehr wortarm" sein? Offenbar wollte der Verfasser den Gedanken,
„die chinesische Sprache ist sehr reich an Homonymien", aus-
drücken. Weiter heisst es, „eigentlich aber ist die Haupt- und
Orundbcdeatung von tschow Schiff, und das Bild des Schiffes wird
daher für das Wort Ischow eingesetzt". Damit zeigt der Verfasser,
dass er den Process der chinesischen Schriftbildung gar nicht be-
griffen hat.
Aehnliche Bemerktingen, wie über die Schriftfrage, könnten
wir auch über die anderen in dem Werke abgehandelten Fragen
vorbringen.
Unser Urtheil über das Werk Caspari's ist in Kürze un-
gefähr folgendes: Vom philosophischen Standpunkte enthält es
manches Anregende, und kann für die Entwicklung und den Fort-
schritt der Wissenschaft nützlich wirken ; vom empirisch-historischen
Standpunkte dagegen zeigt es sich den Anforderungen, die man
nach Massgabe der sicher festgestellten Thatsachen an dasselbe
stellen könnte, nicht ganz gewachsen. P. M.
2.
Fick. TJebor die Sprache der Macedonier. Beufeys Orient und
Occident 11. p. 718—729.
Fick. Zum macedonischen Dialekte. Kuhn's Zeitschrift für ver-
gleichende Sprachforschung p. 193 — 235.
Für Anthropologen, die nicht die Gelegenheit haben, mit
den Fortschritten der linguistischen Ethnographie sich bekannt zu
machen, dürfte es vom Interesse sein, etwas über die Herkunft des
macedonischen Volkes zu erfahren.
Von 119 macedonischen Vocabeln, die Herr Fick behandelt
hat, erwiesen sich gegen 80 als griechisch oder wenigstens den
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295
griechisclien Dialekten nahe stehend. Eigenthümlichkeiten des
thessali^chen und des arkadischen Dialektes kehren im Macedoui-
schen wieder, ebenso finden sich Anklänge an die Sprache HomerV.
Ausserdem hat Herr Fick 120 maccdonische Eigennamen zusammen-
gestellt, von denen die meisten. wie Alexander, Parmenio, Ptole-
mäus, Lagos, Seleukos in der griechischen Sprache ihre Erklärung
finden. Das Maccdonische stellt sich somit am nächsten zum Grie-
chischen, wenn es auch nicht als ein griechischer Dialekt bezeichnet
werden kann.
Die Urbevölkeruug Maccdoniens war aber illyrisch und thrako-
phrygisch, Ton der auch die meisten Ortsnamen herstammen. In
Macedonien trcfl^en wir somit auf dieselben A^erhältnisse, wie wir
sie für Griechenland erwiesen haben. Die Nachkommen der gänz-
lich hellenisirten Macedonier können nur unter den heutigen
Griechen gesucht werden. Dr. Flig^er.
3.
Geizer. Kappadooien und seine Bewohner. (Zeitschrilt lür
ägyptische Sprache und Alterthumskunde, herausgegeben von
Lepsius 1875 p. 14— 20.)
Für die soeben angeregte Eragc nach der Herkunft der
Scythen und der von ihnen unterworfenen Bevölkerung des heu-
tigen Südrussland ist die genannte Schrift des Heidelberger l*ro-
fessors von Wichtigkeit, obwohl sie sich hauptsächlich mit den
ethnographischen Verhältnissen des östlichen Kleinasiens befusst.
In Kleinasien haben sich nach M a s p e r o (Geschichte der
morgenländischen Völker im Alterthum, deutsch von Pietschmann,
Leipzig 1877) sämmtliche Racen der alten Welt ihr llendez-vous
gegeben. Im Anbeginn der Geschichte will dieser ausgezeichnete
Aegyptologe und Historiker Kushiten d. h. Haniiten und Turanier
in Kleinasien entdeckt haben, wobei er uns allerdings den Beweis
schuldig bleibt. Ausser den genannten Völkern nennt uns Maspero
die Muskai und Tublai, die in der Bibel Mesheh und Tubal, in
den Keilinschriften Muski und Tabal heissen. Dieselben gehörten
höchst wahrscheinlich der kaukasischen Bevölkerung an, die einst
ganz Kleinasien besessen zu haben scheint und zuletzt durch
Semiten und Arier auf die kaukasischen Gebiete beschränkt wurde.
Vom Osten drangen die Iranier vor, vom Westen thrako-phrygische
Völker. Unter den letzteren haben sich besonders die Kimmericr (in
den Keilinschriften Gimirai) durch ihre Plünderungszüge in Vorder-
asien bemerkbar gemacht. Nach der Festsetzung der Kimmericr
in Kappadocien werden die Muski nicht mehr genannt. Ein Theil
derselben ftücbtete sich nach dem Kaukasus, ein anderer hat sich
unter dem Namen der Kataoncr im Centrum Kleinasiens erhalten.
Geiz er erklärt diese Kimmericr für Iranier, weil sie von Hesych
und einem Scholiasten ein scythisches Volk genannt werden und
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weil in der Bchistun-Inschrift den Gimirai der assyrifschen Colonne
die (^aka der persischen entspi-echcn. Nach Herodot VII, 64 und
Diodor II, 35 heissen aber die Scythen bei den Persern Saken.
Wir können nns mit dieser Argumentation nicht einverstanden
erklären. Die Kimmerier sind aus ihren Stammsitzen von den
Scythen vertrieben worden und können somit nicht mit den Scythen
identificirt werden. Als ehemalige Unterthanen der Scythen konnten
sie aber immerhin als ein scythisches Volk angeführt werden. Nach
Strabo, der als ein geborener Kleinasiate diese Verhältnisse genau
kennen muaste, waren die Kimmerier ein thrakischer Stamm. In
Kappadocien selbst, in seiner Heimat unterscheidet Strabo die
Kimmerier von den Saken.
Auf diese Saken oder Scythen und die persischen Colonieen
lassen sich die iranischen Elemente Kappadociens zurückführen.
Die Herrscher dieses Landes führen durchweg iranische Namen.
Die Kimmerier waren gleich allen Thrakern keine Iranier, wie
es Referent einmal gleich Herrn Geiz er behauptet hat (Dr. Fligier,
Beiträge zur Ethnographie Kleinasiens. Breslau 1875), auch nicht
nahe Verwandte der Slaven und Letten, wie Herr Fick annimmt,
sondern ein eigener Zweig des grossen indogermanischen Sprach-
stammes. Dr. Fligier.
Vereinsnachricht.
Nephritfunde betreffend.
Wie bekannt hat Prof. Fischer zu Freiburg im Breisgau das
Studium des Vorkommens von Nephrit und der verwandten Gesteins-
arten zu seiner besonderen Aufgabe gemacht. Gegenwärtig ist der-
selbe daran, ein Verzeichniss aller Nephritfunde zusammenzustellen,
es fehlen ihm jedoch noch die Angaben über die Funde von Artefakten
aus Nephrit und verwandten Gesteinsarteu, welche in den öster-
reichischen Ländern gemacht wurden. Es ergeht daher an alle Freunde
unserer Wissenschaft die freundliche Bitte, derartige, ihnen bekannte
Funde dem gefertigten Secretär der anthropologischen Gesellschaft ge-
fölligst zur Kenntniss zu bringen.
Dr. Much,
VIII. JosefsgasBe 6.
BedActiong-Comit^: Hofrath Franz Ritter r. HAa«r, Hofrath Carl Langer, Dr. M. Maeh,
Prof. Friedr. Miller, Dr. WahraiADii, Prof. Job. Woldrleh.
Druck von Adolf Holshausen in Wien
k. k. Ualv«raiiaii-Raolidtiiek*r«4.
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YIL Band. Anggegeben den 26. Jinner 1878. Hr. 11 tt. 12.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
IN WIEN.
tehalt: üeber neae Aiugnbniiir«ii anf den alten ar&berstttten b«i Halbtatt. Von Dr. Ferdinand
V. Hochttetter. (Mit 4 Tafeln.) — Ueber die pr&hivtoriMcbe Bauart and OrnamentiraBg der
aeasehlicbeo WobDongev. Von Dr. M. Itoch. — Zur Scythenfrage. Yen Dr. Fligier. — Kleiaere
Mitthmlang: Die Alauen als VAfertieer der becbertragenden Steinbilder in den Pontuw-
Undem und in Spanien. Von Dr. M. Much. — Yereinsoaokriebt.
Ueber neue Ausgrabungen auf den alten Gräber-
stätten bei Hallstatt.
Von
Dvi Ferdinand v. Hoohstetter.
(Mit 4 Tafeln.)
Es gereicht mir zu grosser Befriedigung, den Mitgliedern
unserer anthropologischen Gesellschaft die Mittheilung machen
zu können, dass das hohe k. k. Obersthofineisteramt über
meinen Antrag sich bewogen fand, für die Zwecke des k. k.
naturhistorischen Hofmuseums neue Ausgrabungen auf den
alten Gräberstätten bei Hallstatt veranstalten zu lassen.
Der Hauptzweck dieser Ausgrabungen, welche in diesem
Jahre vorerst nur in kleinem Maassstabe versuchsweise vorge-
nommen wurden, war der, zu constatiren, ob es möglich sei, auf
den schon durch jahrelange Ausgrabungen so vielfach durch-
wühlten Leichenfeldeni bei Hallstatt noch unangetastete Gräber
mit menschlichen Skeleten zu finden, und ob diese Skelete
einen Erhaltungszustand zeigen, der es möglich machen würde,
das eine oder andere für die neu gegründete anthropologisch-
ethnographische Abtheilung des naturhistorischen Hof- Museums
zu conserviren.
Bei allen früheren Ausgrabungen, durch welche auf dem
Salzberge allein schon gegen 3000 sogenannte Kelten-Gräber
geöflfnet wurden, sind nämlich die menschlichen Skelete, da
22 T
u,y,uz«uuy^OOgle
298
es hauptsächlich nur auf die Sammlung der in den Gräbern
enthaltenen Artefacte aus Bronze, Eisen, Bein, Bernstein und
Stein abgesehen war, verworfen worden, so dass derzeit nur
wenige Schädel erhalten sind, die sich im Privatbesitz befinden,
und, so viel ich weiss, nur ein einziges Skelet, welches, von
Hofrath Dr. E. v. Brücke restaurirt, im Museum Francisco-
Carolinum zu Linz aufgestellt ist.
Es schien daher von höchster Wichtigkeit, zumal da die
heutige Wissenschaft der Paläo-Ethnographie das grösste Ge-
wicht auf das vergleichende Studiufli der untergegangenen
Völker und Menschenracen legt, für die anthropologisch-
ethnographische Abtheilung des k. k. naturhistorischen Hof-
Museums, der ja die reichen Schätze der ausgegrabenen Arte-
facte, welche derzeit im k. k. Münz- und Antiken-Cabinete
aufbewahrt sind, einverleibt werden sollen, auch von den
menschlichen Skeleten aus den Gräberfeldern bei Hallstatt zu
retten, was noch bei den jährlich fortdauernden Ausgrabungen,
welche gegenwärtig namentlich für das Linzer Museum statt-
finden, zu retten ist.
Das Resultat dieses ersten Versuches, den ich, nachdem
von dem k. k. Bergrath in Hallstatt, Herrn J. Stapf, die
vorbereitenden Arbeiten schon im September 1876 aufs vor-
trefflichste eingeleitet waren, Ende Mai, während meiner An-
wesenheit in Hallstatt und in Begleitung meiner Assistenten,
der Herren J. Szombathy und Franz Heger, sowie einer
grossen Anzahl von Studirenden der k. k. technischen Hoch-
schule (Hörern der Geologie) vornehmen liess, hat meine Er-
wartungen so sehr übertroffen, dass ich mich veranlasst sehe,
darüber ausführlicher zu berichten.
Bekanntlich sind es bei Hallstatt drei Punkte, an
welchen bis jetzt archäologische Funde in grösserem Umfange
gemacht wurden:
1. am Salzberg, 2. am Hallberg, und 3. in der Lahn.
1. Das Grabfeld am Salzberg ron Hallstatt.
Diese berühmteste und grossartigste aller Gräberfund-
stätten in österreichischen Landen und ihre Schätze sind in
dem bekannten Werke des Directors des k. k. Münz- und
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299
Antiken-Cabinetes Dr. Ed. Freih. v. Sacken ') in eingehendster
und umfassendster Weise beschrieben und dargestellt.
Dieses Grabfeld wird gewöhnlich das „keltische Leichen-
feld" genannt. Dasselbe liegt am Fusse des niederen Siegberges,
gegenüber dem Rudolfsthurme.
Die früheren Ausgrabungen, die in den Jahren 1847
bis 1864 auf Kosten des k. k. Münz- und Antiken-Cabinetes
systematisch ausgeführt wurden , und durch welche , wie
Baron v. Sacken berichtet, nicht weniger als 993 Gräber,'^
theils Skeletgräber, theils Leichenbrandgräber aufgedeckt und
über 6000 Fundgegenstände gesammelt wurden, ist ungefähr
260 Meter lang und 100 Meter breit. Die Grenzen desselben
sind im Osten und Süden unzweifelhaft, im Westen sehr
wahrscheinlich erreicht, wenigstens wurde bei den Ausgra-
bungen 1877 in dieser Richtung kein Grab mehr gefunden.
Die Holzkohlen, Thierknochen und hie und da auch Thon-
scherben, die man da und dort, wo man nachforschte, noch
bis zum Kaiserin Maria Theresia-Stollen fand, dürften eher auf
Wohnungen hindeuten, die in westlicher Richtung gelegen
waren. Gegen Norden dagegen ist die Grenze des Leichen-
feldes noch nicht erreicht.
Der grösste Theil dieses Leichenfeldes ist Wald, und nur
ein kleiner gegen Norden liegender Theil ist Wiese. Die
Gräber sind durchaus Flachgräber, sie liegen unter einer
dünnen Humusschichte im Glacialschutte in einer Tiefe von
0*1 Meter bis 3 Meter. An vielen Punkten sind dieselben
von später herabgerolltem Gebirgsschutt und Felsblöcken so
überlagert, dass die Ausgrabungen sehr erschwert werden.
Nach den Zeitperioden, in welchen die Hauptausgrabungen
stattgefunden haben, unterscheiden die Bergarbeiter ein altes
und ein neues Leichenfeld.
Das alte Leichenfeld beginnt auf der Höhe über dem
Abhänge des Hallberges und zieht sich circa 190 Meter weit
am Rande der Wiese mit einer mittleren Breite von 65 Meter
*) Das Grabfeld von Hallstatt in Oberösterreich und
dessen Alterthümer, von Dr. Ed. Freih. v. Sacken, mit 26 Tafeln.
Wien 1868.
^) Nach der Angabe der Bergbeamten am Salzberg sind
im Ganzen schon mehr wie 8000 Gräber ausgegraben worden.
22*
300
gegen Westen hin. Dasselbe wurde in den Jahren 1846 bis
1864, wie oben erwähnt, auf Kosten des k. k. Münz- und
Antiken-Cabinetes unter der Leitung und Aufsicht des damaligen
Bergverwalters Ramsauer ziemlich unregelmässig ausgebeutet,
indem man Hindernissen, wie grösseren Felsblöcken, Bäumen
u. s. w., auswich. Nach dem Jahre 1864 wurden solche über-
gangene Plätze noch möglichst nachgeholt und dann die Aus-
grabungen weiter gegen Westen auf das sogenannte neue
Leichenfeld ausgedehnt. Dieser westliche Theil liegt ganz im
Walde. An diesen neuen Ausgrabungen hat sich namentlich
das Museum Francisco-Carolinum in Linz betheiligt.
Dem glücklichen Umstände, dass der Steiger Isidor
Engel bei allen Ausgrabungen schon seit ihrem Beginne im
Jahre 1846 und 1847 zugegen war und gleich bei der Oeffnung
jedes Grabes eine genaue Zeichnung über die Funde und ein
fortlaufendes Fundprotokoll anfertigte, *) ist es zu verdanken,
dass sich immerhin mit einiger Sicherheit die Punkte be-
zeichnen lassen, wo man hoflfen kann, noch intacte Gräber
zu linden.
Auf der Wiese namentlich, die dem jeweiligen Berg-
verwalter als Deputatgrund zugewiesen ist, und auf der von
den verschiedenen Nutzniessern derselben hie und da Gra-
bungen vorgenommen wurden, war die meiste Wahrscheinlich-
keit vorhanden, dass noch solche Gräber gefunden würden.
Die Angaben der bei den früheren Ausgrabungen betheiligten
Bergbeamten und Bergarbeiter in dieser Beziehung haben sich
auch vollständig bestätigt. Denn es gelang uns, in den Tagen
vom 22. bis 28. Mai acht Gräber auszugraben und neben sehr
zahlreichen Waffen, Messern, Schmuckgegenständen, thönernen
Töpfen, Schalen u. s. w. wenigstens in einem Grabe ein
Skelet in solchem Zustande zu finden, dass dessen Erhaltung
und Restaurirung möglich wurde. In den übrigen Gräbern
waren entweder nur Leichenbrände vorhanden oder die Skelete
fast vollständig zenstört. Da jedoch die Funde aus jedem ein-
^) Das Original- Album der Hallstätter - Ausgrabungen aus
Ramsauer's Zeit ist im Besitze von Rudolf Ramsauer, Postbeamten
in Villach, und soll, nach dem Wunsche des verstorbenen Berg-
rathes Ramsauer im Besitze der Familie bleiben. Photographische
Nachbildungen desselben hat in mehreren Exemplaren Herr Baron
V. Schwarz in SalzbuKg anfertigen lassen.
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301
zelnen Grab vollständig und sehr sorgfältig herausgenommen
und aufbewahrt wurden, so war es möglich, wenigstens die
interessanteren und reicheren dieser Grabfunde so zusammen-
zustellen, dass dieselben ein Gesammtbild eines solchen Grab-
fundes geben, und ich zweifle keinen Augenblick, dass weiter
fortgesetzte Ausgrabungen genügendes Material an die Hand
geben werden, um seiner Zeit im naturhistorischen Hofmuseum
vollständige Gräber in derselben Weise zur Aufstellung imd
Anschauung zu bringen, wie dies neuerdings in dem Museum
zu Bologna mit den alten- Gräbern der Certosa bei Bologna
in so nachahmungswürdiger Weise geschehen ist.
Ohne schon jetzt eine vollständige Bearbeitung des Fund-
mateiiales geben zu können, will ich doch die Hauptfunde,
die wir im Mai d. J. gemacht haben, kurz beschreiben.
Das erste Grab, welches am 22. Mai in dem Wies-
grunde, 10 Meter von dem Oekonomie - Gebäude entfernt,
geöffnet wurde, war ein Skeletgrab. In einer Tiefe von 1*4 Meter
unter der 0*28 Meter dicken Dammerde lag in einem lehmigen,
mit grösseren Kalksteinstücken gemengten Boden ein vollstän-
diges und ziemlich gut erhaltenes, nur in der Beckengegend mehr
zerstörtes Skelet, in der gewöhnlichen Lage von West (Kopf-
ende) nach Ost, die Arme am Körper ausgestreckt, der Unke
Pubs gegen den rechten zu im Knie gebogen, der Schädel
zerquetscht, nur der Unterkiefer vollständig erhalten.
An der rechten Seite um den rechten Arm zerstreut, fanden
sich die Skeletreste eines Kindes, das ein halbes bis ein Jahr
alt gewesen sein mag.
Der Beigaben waren nur wenige: an der rechten Hand
beim Becken lag eine gut erhaltene Bronzenadel, auf dem
Becken die Reste eines aus Bronzeklaramern und eisernen
Ringen zusammengesetzt gewesenen Gürtels, und bei den
Füssen zur Seite die Scherben einer grösseren rothcn, thönernen
Schale und eines kleinen verzierten, schwarzen Töpfchens.
Die eisenien Ringe des Gürtels sind gänzlich in Brauncisenerz
umgewandelt und ein Stück zeigt deutliche Abdrücke von
Fliegenpuppen.
Das Skelet war, als es herausgenommen wurde, in äusserst
zerbrechlichem Zustande, wurde aber dadurch, dass es an
Ort und Stelle gleich gewaschen, mit Wasserglas eingelassen
und nach der Trocknung sorgfältig verpackt wurde, doch so
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302
weit erhalten, dass dasselbe in Wien restaurii-t und zusammen-
gesetzt werden konnte und nun, nächst dem im Museum
Francisco - Caroiinum zu Linz aufgestellten obenerwähnten
Skelet das zweite aus den Gräbern am Salzberg erhaltene
Skelet ist. Der mühsamen und langwierigen Arbeit der Restau-
ration hat sich mein Assistent Herr J. Szombathj mit
rühmen swerth er Geschicklichkeit und Ausdauer unterzogen.
Das Skelet hat eine Länge von 1*70 Meter, gehört also
einem grossen Individuum an, das circa dreissig Jahre alt
gewesen sein mag. Der Umstand, dass es mit einem Kinde
an der Seite und ohne jede Beigabe von Waffen gefunden
wurde, legt den Gedanken nahe, dass man es mit einem
weiblichen Skelet zu thun habe, allein der Schädel und die
starken Oberschenkelknochen sprechen für einen Mann. Das
Becken ist leider so zerstört, dass es keine Merkmale abgibt.
Der Schädel liess sich aus den zahlreichen Scherben^
in die er zerdiückt war, nahezu vollkommen zusammensetzen
und hat folgende Maasse, die ich nach dem von Herrn Felix
V. Luschan in den Mittheilungen der anthropologischen Ge-
sellschaft in Wien (Band VI, S. 137) gegebenen Schema zu-
sammenstelle.
f/ 534 F 390
S 382 = 126 + 136 + 120
112 123 99
Berns 123
L 197 H 144 Bp 139
Bs 102 BS 120 Bh 110
GH 120 GB 120
BL 706 HL 731 J 1490
Die Schädelform ist dolichocephal, das Gesicht orthognoth.
Verglichen mit den von Obermedicinalrath v. Holder
in Stuttgart aufgestellten Schädeltypen entspricht dieser Schä-
del dem germanischen Typus und kommt am nächsten
Holderes Ö2.')
Denselben Typus zeigen -vier andere weniger vollkommen
erhaltene Schädel aus den Gräbern vom Salzberg, welche ich
^) Dr. H. v. Holder, Zusammenstellung der in Württem-
berg vorkommenden Schädelformen , in den württemb. naturwiss.
Jahresheften 1876, S. 3ö9, mit 7 Tafeln.
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303
von Herrn Bergvei-walter Hutter erhalten habe. Auch der von
Prof. Hyrtl seiner Zeit beschriebene Schädel aus dem Gräber-
feld am Salzberg gehört diesem Typus an. ^)
Das zweite Grrab, circa 10 Meter von dem ersten südlich
entfernt, zeigte bei der Blosslegung einen Leichenbrand, welcher
nur 20 Cm. tief unter der Dammerde auf Kalkschotter ge-
lagert war, vorne eine rothe, gebrochene Thonschale, hinter
derselben die verbrannten Menschenknochen, darüber ein
offener Bronzering und zwei gebrochene Spiraliibeln. 20 Cm.
tiefer wurde neben diesem Leichenbrand ein zweiter Leichen-
brand gefunden, dabei vier zerdrückte Thonschalen, eine
eiserne Lanzenspitze, ein Bronzeringelchen, eine kleine Bronze-
nadel und Theile eines eisenien Messers.
Am 23. Mai wurden zwei Untersuehungsgräben in der
Richtung von Nord nach Süd auf 15 Meter I^änge in der-
selben Wiese gezogen; sie führten auf zwei nebeneinander
liegende Gräber. Dieselben wurden am 24. Mai ausgeräumt.
Das zuerst geöffnete Grab enthielt die wenigen Reste
eines fast vollständig zerstörten Skeletes in 1 Meter Tiefe.
An dem linken Unterarme fanden sich Bronzeperlen, am
rechten ein gut erhaltenes Bronzebracelet, auf der Brust lagen
zwei kleine zweispiralige Fibeln und neben dem linken Arm
ein eisernes Messer, sowie eine Bronzenadel. Bei weiterem
Nachsuchen fanden sich an dieser Stelle noch zwei gut er-
haltene 11 Cm. grosse Fussringe, eine Fibula, dann ein kreis-
randes Goldplättchen mit Kreis- und Punktzeichnung und
einige Thierknochen, sowie Topfscherben. Diese Gegenstände
sind als Grabfund 3 auf Tafel I dargestellt.^) Das zweite
Grab enthielt nur einen Leichenbrand ohne Beigaben.
An demselben Tage (24. Mai) wurden noch weiter auf
dem alten Leichenfelde im Walde ungefähr 40 Meter oberhalb
der Steinbewahrerhütte nachgegraben und ein Leichenbrand
gefunden (Grabfund 4), auf welchem ein gut erhaltener Eisen-
^) Hyrtl. Ueber einen bei Hallstatt ausgegrabenen Menschen -
Schädel, Jahrbuch der k. k. geologischen Eeichsanstalt, I. Jahrgang,
Seite 352.
^) Die auf derselben Tafel in Fig. 9 abgebildete Urne wurde
vom Bergyer Walter Hutter in der Wiese ausgegraben.
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304
keil nebst Bruchtheilen eines Bronzegüi*tel8 und ein Wetz-
stein lagen.
Ein reicherer Fund (Grabfund 5) wurde dann im neuen
Leiehenfelde, westlich in der Nähe des Hauptgrabens gemacht.
In der Tiefe von 1 Meter lag im Schotter eine gut erhaltene
Lanzenspitze aus Eisen nebst Bruchstücken eines Messers und
Topfscherben. Unmittelbar daneben, 0'8 Meter höher, fanden
sich unter der Dammerde in einen Kreis zusammengelegt, zwei
ziemlich gut erhaltene Bronzebänder, innerhalb welcher mehrere
Bronzeringe und zahlreiche Bemsteinperlen auf die verbrannten
Knochen gelegt waren. Der Grabfund 5 ist auf Tafel 11
abgebildet.
Das dritte Grab im Walde (Grabfund 6), etwa 5 Meter
westlich von dem letzteren entfernt, war ein kleiner Leichen-
brand ohne andere Beigabe als einen gebrochenen rothen Topf.
Am 25. Mai wurde in der Wiese hinter dem Oekonomie-
Gebäude gegen Süden vorwärts gegi'aben. Hier fand sich ein
Grab (Grabfund 7), welches mit grösseren Steinen belegt war.
Bei der Abnahme derselben kam man zuerst auf Thierknochen,
dann auf vier Eisenringe, wovon zwei gebrochen waren, darunter
lag ein Messer von Eisen mit einem Handgriff aus Bein. Neben
dem Messer befand sich ein grauer, mit einem Loche ver-
sehener kleiner Wetzstein in gebrochenem, mürbem Zustande,
dann zwei kleine, unten platt geschlagene, 1 Cm. grosse
Bronzeringe. Diesen Gegenständen folgte südwestlich ein
stark verrosteter Eisenkeil, in der Mitte lag der Leichenbrand
und auf demselben zu oberst eine ganz zerstörte, nur in
kleinen Bruchstücken noch vorhandene Bronzeschale, darunter
zwei Stück Bronzenadeln, davon eine gebrochen, und kleine
Ringe. Unter der Bronzeschale befanden sich ein grosses
Eisenschwert, dessen Bronzehandgriff jedoch in Folge des
darauf liegenden grossen Steines ganz zerdrückt und kaum
mehr in seiner Form zu erkennen war. Das Schwert ist
0*75 Meter lang und 006 Meter breit. Zwei eiserne Lanzen-
spitzen lagen zu beiden Seiten, wovon eine an das Schwert
angerostet war, die zweite in vorzüglichem Zustande frei
liegend aufgefunden wurde. Neben den Waffen und der Bronze-
schale wurden westlich noch Thierknochen in unverbranntem
Zustande, ein Messer von Eisen und mehrere Thongeschirre,
von Aussen roth gestreift, in kleinen Bruchstücken heraus-
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305
genommen^ so dass dieser Fund einen der reichsten Eisen-
fonde in einem Brandgrabe darstellt (siehe die Abbildungen
auf Tafel HI).
Am 27. und 28. Mai wurden wieder in der Wiese,
östlich von dem Oekonomie-Gebäude 4'4 Meter entfernt, drei
Untersuchungsgräben mit 5 und 7 Meter Länge ausgehoben,
wo zwischen dem zweiten und dritten Graben ein Skeletgrab
gefunden wurde (Grabfund 8). Dasselbe wurde am 28. Mai
geöffi[iet und ausgeräumt. Das Skelet lag 0*5 Meter tief unter
der 45 Cm. tiefen Erde auf erdigem Schotter in der Richtung
von West nach Ost, die Füsse waren verschoben, Kopf und
Rumpf sehr morsch. An dem rechten Oberschenkel lag ein
kleiner zerbrochener Thontopf, daneben Thierknochen. An der
Aussenseite des linken Oberschenkels und auf der linken Brust-
seite lagen eiserne Ringe nebst einem Bronzehaken, rechts an
der Brust eine 27 Cm. lange bronzene Nadel mit fünf Knöpfen
geziert und in gutem Zustande. Neben der Brastseite rechts
wurde noch ein kleiner, sehr zerfallener Thontopf mit Bruch-
stücken eines Messers vorgefunden.
2. Am Hallberg.
Hallberg — das ist der Name für den östlichen Steil-
abfall des Salzberges gegen den Hallstätter See.
Am Gehänge dieses Hallberges, an dem der Zickzackweg
von Hallstatt nach dem Rudolfsthurme führt, fallt jedem auf-
merksamen Beobachter die schwarze, stark mit Kohle gemengte
Humusschichte auf, die in einer Breite von circa 120 Meter
von Hallstatt bis nahe unter den Rudolfsthurra sich hinzieht.
In dieser Humusschichte findet man leicht einzelne Thon-
scherben und Thierknochen, seltener Schrauckgegen stände,
Waffen u. dgl. Dies veranlasste zu dem Schlüsse, dass an
diesem Gehänge vom See bis nahe zum Rudolfsthurm die
Wohnplätze der am Salzberg begrabenen Bevölkerung ge-
standen haben mögen und dass diese keltische Ansiedelung
daher weit grösser gewesen sein müsse als das jetzige Hallstatt.
Nun hat man aber an einigen Punkten des Hallberges
in früheren Jahren auch Menschenskelete gefunden. Diese
Thatsache veranlasste mich, Herrn Bergrath Stapf zu weiteren
Nachforschungen anzuregen, etwa durch Gräben, die man an
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306
ungefährlichen Punkten nach Zulässigkeit des Terrains ziehen
würde, um sich über den Inhalt der Culturschichte des Hall-
berges mehr Gewissheit zu verschaflFen.
Fig. 1.
West
Weg auf den Salzberg (zum Rudolf ath.)
kleine FeUwand
Ost
Fig, 2.
Diese Nachgrabungen haben in diesem Jahre im Sep-
tember und October zu neuen interessanten Funden geführt,
über die ich vorerst nur kurz berichten kann, da das Fund-
material noch nicht genügend bearbeitet ist.
Die Stelle, an welcher die Funde gemacht wurden, liegt
unmittelbar am Wege nach dem Rudolfsthui-me, am soge-
nannten „Wang" zur alten Hallstatt, ungefähr in der halben
Höhe des Hallberges unterhalb des
Franz Josef-Stollens. Der Punkt ist
fiir Nachgrabungen nicht besonders
günstig, weil die Wurzeln der Bäume
und grosse Steine das Aufdecken oft
hindern. Die beigegebene Skizze
(Fig. 1) mag die localen Verhältnisse
verdeutlichen.
Es wurden drei Skelete, welche
in einer Reihe lagen, aufgefunden.
Ein viertes Skelet befand sich etwas
oberhalb des dritten, aber vollkom-
men zerquetscht und in abnormer Lagerung. Ausserdem fanden
sich noch ein Schädel (für sich allein), welcher oberhalb des
ersten Skeletes lag, und verschiedene Artefacte, welche nicht
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307
bei den Skeleten lagen. Von den Artefacten, welche bei den
Skeleten lagen, sind zu erwähnen: vier Armringe, eine lange
Bronzenadel, zwei kleine Ringe aus einer lignitartigen Masse,
Bronzeringelchen, Spirallibeln , ein kleines Messer aus Eisen
(der einzige Eisengegenstand). Weiters wurden ausser dem
Topfe, welcher bei jedem Skelete lag, nicht in der unmittel-
barsten Nähe derselben, gefunden: verzierte Topfscherben,
Ziegelstein ähnliche Bruchstücke mit eigenthümlichen Verzierun-
gen , abgerundete Granitstücke und eine kleine durchbohrte
Thonplatte, Gy^ Centimeter im Durchmesser und 1^/4 Centimeter
dick, mit einer schriftartigen Zeichnung (Fig. 2), und endlich
eine Menge Thierknochen, hauptsächlich vom Rind.
3. In der Lahn.
Ueber diese Localität sagt Baron v. Sacken (a. a. O. S. 150) :
„Eine kleine Strecke südlich vom Markte, am Eingange
des von den steilen Abstürzen des Salzberges und des Hirlaz
begrenzten Echernthalos fand ein Grundbesitzer im Jahre 1830
beim Graben eines Brunnens ein wohl zubehauenes architekto-
nisches Bruchstück mit drei 1 Zoll breiten, unten abgerundeten
Cannelüren. Das 9 Zoll hohe, 5 Zoll breite Stück besteht
aus Urkalk, der in der Gegend nicht vorkommt. Ferner fand
man mehrere grosse Hausteine aus demselben Materiale, einen
von 7*72 Fuss Länge und S'/j Fuss Breite, mit einer recht-
eckigen Vertiefung auf der oberen Fläche, endlich eine zer-
brochene Platte aus Marmor, die vermuthlich mit einer Inschrift
versehen war ; die letzteren Steine Hess der Grundeigenthümer
verkleinern und verwenden.
„Diese Funde veranlassten Herrn Ramsauer, von der
irrthümlichen Ansicht ausgehend, die Stadt, welche die beim
Rudolfsthurme Bestatteten bewohnten, sei einst in der Nähe
des Leichenfeldes gestanden und durch eine grosse Erd-
revolution bis zum See abgerutscht (!), bei der k. k. Aka-
demie der Wissenschaften um Subvention behufs weiterer
Nachgrabungen im Echemthale anzusuchen. Diese wurde ihm
auch im Jahre 1858 zu Theil und in Folge dessen die weitere
Nachgrabung an der früheren Fundstelle begonnen. *)
^) S. Arneth, archäologische Analecten in den Sitzungs-
berichten der kaiserlichen Akademie XL, S. 697 ff.
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308
„Man stiess in einer Tiefe von 3 Fuss auf ein System
von rechtwinkelig zusammenstossenden Mauern, offenbar die
Fundamente eines in mehrere Gemächer getheilten Gebäudes,
in einer grösseren Tiefe von 5 Fuss auf die Spuren eines
römischen Grabes. Dieses bestand in einer Lage von Kohlen,
mit einer Menge von kleinen Knochen vermischt; sie hatte
eine Mächtigkeit von 2 Zoll. Dabei waren folgende Grabes-
beigaben: 1. Eine bauchige Flasche mit ziemlich engem
Halse und trichterförmiger Mündung , aus sehr dünnem,
weissem, ganz durchsichtigem Glase, 6 Zoll hoch, geschmückt
mit mehreren quer herumlaufenden feinen Fäden aus dem
gleichen Materiale. 2. Ein 372 Zoll hohes, ausgebauchtes,
henkelloses Näpfchen aus Terra sigillata mit hellrothem
Firniss. 3. Vierzehn Knöpfe von 74 — 1 Zoll Durchmesser,
unten flach, oben convex aus Glaspasta, drei von weisser,
vier von schwarzer, sieben halbkugclförmige von röthlich-
brauner Farbe, sämmtlich undurchsichtig. 4. Ein Stück ge-
schmolzenes weisses Glas. 5. Eine Bronzemünze (Sesterz Ae. 1)
von Antonius Pius (ANTONINVS AVG PIVS P. P. TR. P.
COS lU. Rev. TIBERIS) vom Jahre 143 nach Christo.
„Ganz in der Nähe dieser Stelle fand man die Reste
eines grossen Grabmonumentes, zu dem offenbar auch die
schon früher an derselben Stelle gefundenen, oben beschriebenen
architektonischen Stücke gehören. Von der Inschriftplatte ist
noch die linke Ecke, Q'/^ Zoll lang, 7 Zoll hoch, erhalten,
mit der gegliederten Umrahmung und einem schön und rein
eingemeisselten T, dem Anfange der Inschrift. Sehr schön ist
der Giebel, welcher das Denkmal krönte, 4 Fuss lang, 1 Fuss
8 Zoll hoch; er war auf ein mit Zapfenlöchern versehenes
Gesimse aufgesetzt. Er zeigt in ziemlich hohem Relief das
Brustbild einer Frau innerhalb eines, ein Medaillon bildenden
Kranzes, von vorne gesehen. Sie trägt die faltige Stola mit
weiten Aermeln, der Hals und der rechte Arm sind mit
Ringen geschmückt, in der linken Hand hält sie einen Vogel
(die Taube der Venus? also vielleicht eine Braut), auf den
sie mit der rechten Hand deutet. Der gewellte, anliegende,
wie eine Kappe in's Genick reichende Haarputz erinnert an
den der Julia Soaemias. Zur Rechten des Bildnisses sieht
man eine weibliche Figur, auf Felsen liegend, den Kopf in
die rechte Hand gestützt. Von der Schulter fallt ein Gewand
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309
herab, welches den Rücken bloss lässt und nur um die Beine
geschlungen ist; die Gestalt wendet dem Beschauer den Rücken
zu, das etwas aufwärts gewendete Gesicht ist nur im Profil
sichtbar. Ohne Zweifel ist hier die Nymphe des Gebirges
dargestellt, welche um die Verstorbenen trauert. Auf der
anderen Seite des Medaillons steht Amor als Todesgenius,
auf die umgestürzte Fackel gelehnt, den Kopf gesenkt; er
hat Köcher imd Bogen abgelegt, die neben ihm stehen.
„Die Arbeit ist zwar flüchtig und von dem handwerks-
mässigen Charakter, wie ihn die römischen Provinzialarbeitcn
80 häufig zeigen, aber nicht ohne jenen sicheren Tact und
eine gewisse Lebendigkeit, wie sie der noch nicht völlig in
Verfall gerathenen Kunst eigenthümlich sind. Hiernach und
wegen der charakteristischen Haartracht der Verstorbenen
ist das Monument in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts
z\ setzen. Es war, nach der wenigen Ausarbeitung der
Rückseite zu schliessen, an eine Mauer gdehnt und muss
eine Höhe von 8 — 9 Fuss gehabt haben. Der grobkörnige
Marmor (Urkalk) stammt nach Simony wahrscheinlich aus
der Gegend von St. Nicolo in der Sölkerscharte in Steiermark.
„In geringer Entfernung von diesen Resten wurde ein
weiblicher Porträtkopf mit regelmässig um die Stirne gelegten
Zöpfen ausgegraben ; es ist bloss die Maske, rückwärts flach,
mit edlen Zügen, ohne Andeutung der Augensterne; dabei
I^ eine grosse Menge von Marmorbruchstücken. Es ist zu
vermuthen, dass noch ein zweites Grabdenkmal vorhanden
war, zu dem dieser Kopf gehörte. Endlich stiess man bei
Fortsetzung der Nachgrabungen auf ein zweites Grab, welches
in ähnlicher Weise wie das erste ummauert gewesen zu sein
scheint; es enthielt nebst Kohlen und Asche nur einige
Geschirrfragmente und eine Bronzemünze (As, JE H) von
Domitian (UlF CAES DOMIT AVG GERM COS XV
CENS PF . . Rev.: FORT VN AE AVGVSTI) vom Jahre 90
oder 91.
„Die Eigenthumsverhältnisse verhinderten weitere Nach-
foi-schungen ; aber so viel geht schon aus den beschriebenen
Funden hervor, dass wenigstens zu Anfang des dritten Jahr-
hunderts eine römische Ansiedelung zu Hallstatt selbst oder
in dessen Nähe am Ufer des Sees bestand. Es bedarf keiner
Erörterung, wie durchaus verschieden diese letzteren Funde
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310
von denen des Örabfeldes beim Rudolfsthurme sind und dass
zwischen beiden keine nachweisbare Beziehung besteht."
Diese Angaben finden ihre volle Bestätigung in den
Resultaten der Ausgrabungen, welche Herr Bergrath Stapf
im Herbste 1876 in der Lahn vornehmen Hess.
Neue Gräberfunde in der Lahn.
Am 2. September 1876 wurde die Untersuchung und
Aushebung mehrerer Gräben auf dem Wiesgrunde des früheren
Salinenarbeiters Josef Zaun er in der Lahn am linken Ufer
des Baches, oder auf der nördlichen Seite des Thaies vor-
genommen. Herr Bergrath Stapf hat mir über diese Aus-
grabungen den folgenden Bericht übergeben:
„Die Gräben, durchschnittlich 1 Meter breit und 1*6 Meter
tief ausgehoben,^ führten auf eine 1 Meter breite Grundmauer,
innerhalb welcher sich unter der Erde Mörtel mit rothen und
schwarzen Topfscherben, Glas und Thierknochen durcheinander
gemengt, vorfanden.
„Nachdem drei Gräben gezogen waren, ohne auf eine
Begräbnissstätte oder einen anderen Gegenstand zu stossen,
wurde ein weiterer Versuch auf der westlich gelegenen Wies-
ginindfläche (der Bergweg ist mitten durch den Zauner'schen
Wiesgrund gelegt) gemacht. Dort (siehe Fig. 3) ergab sich
in kurzer Zeit, dass in der Tiefe von 072 Meter eine marmor-
ähnliche, in vier Platten zertheilte und 003 Meter dicke Stein-
platte, 0*30 Meter im Geviert, auf Schotter lag; daraufliegend
fand sich ein menschlicher Schädel, neben diesem rechts ein
Trinkbecher aus Glas, links ein gelber, ganz erhaltener Topf
aus Thon, hinter diesem, etwas höher, eine 010 Meter dicke
Steinplatte und unter demselben zwei schwarze Töpfe und
eine schwarze Thonschale.
„Die weitere Nachgrabung führte auf ein von Nord nach
Süd aufgebautes Grundmauerwerk und einen 1*3 Meter breiten
Gang, welcher sich, nachdem das Mauerwerk durch 19 Meter
Länge blossgelegt war, durch eine innere 0*60 Meter dicke
und 97 Meter lange Mauer abgrenzte.
„Nach Herausnahme der beschriebenen Grabfunde wurde
längs der Aussen mauer nördlich vorwärts gegraben, wo sogleich
uiyiiizöu by vjjOO^i^
311
neben dem ersten Grab ein Skelet (Nr. 2) in der Tiefe von
0*80 Meter gefunden wurde, welches von Ost nach West,
somit in verkehrter Richtung gegenüber den Kelten lag. Neben
, Fig. 8.
dem Kopfe stand ein schwarzthönerner Topf, unten rund und
in vier Ecken gegen den Hals auslaufend, mit Einschnitten.
„Das dritte Skelet lag westlich von ersterem in gleicher
Tiefe und Lage; man fand um die Ftisse einen bronzenen
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312
Güitel gelegt und neben demselben eine Bronzemünze in der
Grösse eines jetzigen Zwanzigkreuzer-Sttickes, deren eine Seite
das Bruststück des Kaisers Commodus zeigt^ die andere Seite
verkehrt eine stehende Figur, mit der einen Hand nach ab-
wärts einen Schild haltend und die andere ausgestreckt. In
der Nähe des dritten Skeletes wurde am 8. October eine
zweite römische Bronzemünze ausgegraben mit dem Porträt
des Kaisers Augustus.
„Das vierte Skelet, nördlich von dem zweiten in gleicher
Tiefe und Lage, hatte ausser einem rechts neben dem Kopfe
stehenden braunen glatten Topf keine weitere Beigabe.
„Das fünfte Skelet, ebenfalls 0*80 Meter tief mit der Lage
von Ost nach West, hatte um den Hals eine blaue Glasperlen-
schnur und einen schwarzen Topf in der Nähe des Kopfes.
„Bei dem sechsten und siebenten Skelete, die nahe an der
Äussenmauer gelegen, und zwar in der Lage von Süd nach
Nord, fand sich ausser den rechts neben dem Kopfe stehenden
schwarzen gebrochenen Töpfen nichts als Beigabe.
„Neben den an der inwendigen südlichen Mauer durch-
fahrenen Gang lag ein menschlicher Schädel ohne Körper
(Nr. 8).
„Das gegen Westen am 6. October aufgefundene neunte
Skelet hatte am Kopfe einen schwarzen gebrochenen Topf,
um den Hals eine aus gelben, blauen und grünen Glasperlen
bestehende Halskette und links am Kopfe eine beinerne Haar-
nadel mit geschnitztem Knopf, die Lage des Skeletes war
von Ost nach West.
„Am 12. October wurde westlich vom fünften Skelete in
einer Tiefe von 0-65 Meter ein zehntes Skelet, welches ziemlich
von Nord nach Süd ausgestreckt lag, vorgefunden.
„Die Knochen waren sehr morsch, der Kopf zerdrückt
und an der rechten Brustseite hatte das Skelet ein 0'25 Meter
langes Eisenmesser. An der Kopfseite war kein Topf zu
finden, welcher in der Regel noch bei jedem Skelete an der
rechten Seite vorkam.
„An jenen Plätzen, ausser der Gebäudemauer, wo Skelete
gefunden wurden, war gewöhnlich die Mörtel- und Aschen-
schichte nicht vorhanden und der Kaum, den das Skelet ein-
nahm, bis auf die Lagerstätte mit Erde angefüllt. Neben
uiyiiizöu uy -^^j v^ \^ ~t i ^i^
313
dem zehnten Grabe, 3 — 4 Meter südlich davon entfernt,
wurden zwei Bronzefibeln zertreut liegend aufgefunden.
,,Die westliche weitere Aushebung der ausser dem Mauer-
werk begonnenen Nachgrabung führte am 17. October auf
zwei weitere Skelete (Nr. 11 und 12), welche 0*45 Meter tief
in der Erde von Ost nach West in gewöhnlich ausgestreckter
Lage angetroffen wurden.
„Das zwölfte Skelet war von grösseren Steinen, mit
Erde gemengt bedeckt und hatte als Beigabe einen schwarzen
Topf und einen zerbrochenen Becher aus Glas. Auch ein
145 Mm. langer eiserner Nagel und ein Thierknochen (Hund?)
fand sich dabei.
„Das dreizehnte Skelet, etwa 0*5 Meter vom zwölften
nördlich entfemt und OoO Meter unter der Erde, hatte die
gleiche Lage, nur mit dem Unterschiede, dass dasselbe nicht
auf dem Rücken, sondern nach der Seite lag ; der rechte Arm
war auf die Brust gebogen und der linke Unterarm quer
über die Brust gelegt. Neben dem Kopfe rechts wurde ein
schwarzer Topf in zerbrochenem Zustande gefunden.
„Die weitere westliche Grundaushebung durch 4 Meter
Länge führte an der nördlichen Untersuchungsgrenze auf ein
Skelet (Nr. 15), welches einstweilen unaufgedeckt blieb, dann
in der Mitte des 4 Meter breiten Grabens auf mehrere durch-
einander geworfene Menschenknochen (Nr. 14), Fuss, Arm
und Rippen, ohne Kopf, und an der westlichen Untersuchungs-
grenze stand noch beinahe an der Oberfläche das Skelet
eines Kindes (Nr. 16) an, welches ebenfalls nicht heraus-
genommen wurde. Nachdem hier die Nachgi'abung am weitesten
westlich vorgeschritten war und ausserdem das Steingerölle
immer näher zu Tage kam , so wurde zuletzt noch die
Eingrabung im Inneni des Gebäudes vorgenommen (siehe
Grundriss) , wo ein Feuerungscanal mit vier nacheinander
vorkommenden Kreuzgewölben von 060 Meter Höhe und
Breite mit inzwischen stehenden Mauerpfeilern, in welchen an
den vorderen derselben wieder ein niederes Gewölbe von
0*37 Meter Breite und 0*40 Meter Höhe angebracht ist, zu
Tage gebracht wurde.
„Die weitere Untersuchung und Blosslegung konnte in
Folge des Schneefalles nicht mehr ausgeführt werden.
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„Fig. 3, S. 311, gibt eine nähere Anschauung des auf-
gefundenen und zum Theil blossgelegten Grundmauerwerkes,
der neben demselben gelegenen Skelete im Grundriss."*
So weit der Bericht des Herrn Bergrath Stapf.
Die in diesem Berichte erwähnten Grabbeigaben wurden
an das Landes-Museum Francisco -Carolinum in Linz abge-
geben, die Skelete aber, da sie zu schlecht für eine Aufbe-
wahrung schienen und in Linz nicht gewünscht wurden, bis
auf zwei verhältnissmässig besser erhaltene weggeworfen.
Bei meinem Besuche in Ilallstatt im Mai dieses Jahres
fand ich diese beiden Skelete — es waren diejenigen aus
dem Grabe 5 und 12 — glücklicherweise noch auf dem Berg-
amte aufbewahrt nebst den mit denselben gefundenen zer-
brochenen Töpfen und dem zerbrochenen Thränenfläschchen
zu Nr. 12.
Das in Herrn Stapf 's Bericht erwähnte Grab Xr. 15,
welches einstweilen unaufgedeckt geblieben war, wurde in
meinem Beisein am 21. Mai dieses Jahres aufgedeckt. Es fand
sich ein vollständiges Skelet, 1*70 Meter lang, auf dem Rücken
liegend, gerade ausgestreckt, der
Fig. 4. Kopf gegen Osten, die Füsse gegen
Westen. Der Schädel war zer-
drückt und die Knochen so mürbe,
dass dieselben zum grössten Theile
nur in Bruchstücken herausgenom-
men werden konnten. Neben dem
Schädel gegen Norden fand sich ein
gnisserer schwarzer Topf, dessen
eine Hälfte aber in Scherben zer-
brochen war, die so mürbe waren,
dass sie nur zum Theil gesammelt
werden konnten. Beim Putzen
zeigte sich, dass dieser Topf, leider gerade an der zerbro-
chenen Seite, an der Aussenscite unter dem oberen Rande,
eine eingekratzte Inschrift trug. Der erste Buchstabe ist ganz
deutlich V, die vier letzten ebenso deutlich RIVS; nur das
Mittelstück, auf welchem noch Raum für zwei Buchstaben
ist, fehlt. Da sich aber neben dem ersten V (Fig. 5) noch der
Ansatz zu einem A zeigt, so lässt sich das Ganze unge-
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315
zwungen zu VALERIVS ergänzen, was wohl der Name des
Begrabenen gewesen sein mag.
Das Skelet wurde in Wien aufs soi-gf altigste restaurirt,
und da mir Herr Bergrath Stapf aueh noch die beiden schon
im September herausgenommenen Skelete Nr. 5 und Nr. 12,
die gleichfalls so weit erhalten waren, dass sie nach einiger
Restauration zusammengesetzt werden konnten, übergab, so
ist also das Museum nunmehr im Besitze von drei Skeleten
aus den Gräbern in der Lahn, mit den betreflFenden Beigaben,
die seiner Zeit in der anthropologisch-ethnographischen Ab-
theilung des Hof-Museums neben den Grabfunden von den
Flg. 6.
beiden anderen Grabfeldern bei Hallstatt zur Aufstellung ge-
langen werden.
Ich habe diesen drei Skeleten die Nummern I (Nr 5),
H (Nr. 12) und HI (Nr. 15) gegeben. Alle drei sind Skelete
von männlichen Individuen im Alter von 30 bis 50 Jahren.
I 1*52 Meter lang, circa 40 bis 50 Jahre alt, II 1*59 Meter
lang, circa 40 Jahre alt, und III TTO Meter lang, circa
30 Jahre alt.
Indem ich die nähere osteologische und namentlich die
craniologische Beschreibung einer späteren Gelegenheit vorbe-
halte, kann ich doch nicht umhin, schon hier die Maasse des
besterhaltenen Schädels von dem Skelete I (Nr. 5) wieder nach
dem von Herrn Felix v. Luschan gegebenen Schema an-
zuführen :
Digiti
zedbyG^bgle
316
U510
S 373 = 129 + 131 + 113
Ba»i8 102, 110, 119, 98
Z 182 H 133 Bp 139
Bs 87 BS 110 Bh 110
GH 119 GB 113
BL 763 ÄZ 730 J 1420.
Diese Zahlen entsprechen einer subdolichocephalen Schädel-
form von vorherrschend germanischem Typus (nach Holder).
Ich bemerke hi^zu, dass diese Skelete in der Lahn sowohl
der Race als auch der Zeit nach wohl ganz identisch sind mit
den beiden Skeleten (ein weibliches und ein männliches), welche
im December 1837 am Birglstein bei Salzburg auf dem be-
kannten römischen Leichenfelde ausgegraben und im städtischen
Museum Carolino - Augusteum zu Salzburg aufbewahrt sind.
Bemerken swerth für diese Salzburger Skelete ist, dass die-
selben 2 Fuss tiefer als die auf dem genannten Leichenfelde
m so grosser Anzahl ausgegrabenen römischen Steinurnen mit
Leichenbränden aufgefunden wurden.
In anthropologischer Beziehung ist ferner die Thatsache
sehr auffallend, dass die moderne Bevölkerung von Hallstatt
einem ganz anderen Racentypus angehört als derjenige ist,
den die Skelete der alten Leichenfelder, soweit solche bis
jetzt vorliegen, ausnahmslos zeigen. In der Friedhof-Capelle
in Hallstatt liegen hunderte von in den letzten Decennien
aus dem Friedhofe ausgegrabenen Schädeln, die alle einen so
ausgesprochen brachycephalen Typus zeigen, als hätte man
es hier durchaus mit einer Bevölkerung von sarmatischer
Race (nach Holder) zu thun. Der einzige Langschädel, den
ich hier nach langem Suchen fand, trug den Namen Alois
Hofer.
Was die Beigaben in den Gräbern an der Lahn betrifft,
so sind die bei den Skeleten stets in nächster Nähe des
Schädels gefundenen Töpfe alle von derselben Form, wie der in
Figur gebildete, aber von etwas verschiedenen Dimensionen;
__- Darchmesser am Darcbmesser ^ . ^ „ -
Höhe , T. a j n • OrÄBiter Umfang
oberen Rande an der Baus
Topf ad I 0-140 Meter O'llö Meter 0-060 Meter 0-396 Meter
„ „ II 0-136 „ 0-102 „ 0-063 „ 0396 „
„ „ in 0-166 „ 0-123 „ 0-86 „ 0'446 „
1
Digiti
izedby Google
317
Diese Töpfe bestehen alle aus derselben sehwarzgrauen,
wenig glimmerigen und mit kleinen eckigen Kalksandkörnern
gemengten, nur wenig gebrannten Masse, die durch das Aus-
fallen der Kalkkörner an der Oberfläche löcherig erscheint.
Sie sind deutlich gedreht, nicht aus der freien Hand gearbeitet,
und unterscheiden sich sowohl dadurch, als auch durch die
Form von den Thongefössen aus den Oräbern am Salzberg,
von denen keines gedreht erscheint.
Höchst bemerkenswerth ist der thönerne Topf ad HI
mit der eingeritzten Inschrift, an der Aussenseite des Gefösses
unter dem Rande: VALERIVS, ein römischer Familienname,
der seiner Zeit so verbreitet war, wie unser „Schmid" oder
„Müller"*, ein Name, den wohl auch ein Geimane unter
römischer Herrschaft angenommen haben mag.
Da wir es in der Lahn, wie die Beigaben erweisen,
jedenfalls mit Gräbern aus der römischen Zeit (ich sage ab-
sichtlich nicht mit römischen Gräbern), vielleicht aus dem
zweiten Jahrhunderte n. Chr. zu thun haben, so erinnere ich
daran, dass in römischen Gräbern Gefiisse mit an der Aussen-
seite unter dem oberen Rand eingeritzten Aufschriften wieder-
holt, wenn auch nicht allzuhäutig, gefunden wurden. Im
römisch-germanischen Central-Museum zu Mainz zeigte mir
Herr Dr. Lindenschmit zwei solche Exemplare: eine topf-
fbrmige Urne von derselben Form, Grösse und Mache wie
der Topf aus der Lahn, mit der Aufschrift: Majoris (= den
Ahnen), aus dem Römercastell bei Mainz, und einen römischen
Trinkbecher aus Thon mit der Inschrift: Juvenis aus einem
Grabe am Fusse des Hauptsteins bei Mainz. Ebenso habe
ich im Museum zu Wiesbaden, einen römischen Weinkrug
mit der Inschrift: Amaturi (= dem Liebhaber) gesehen.
Bei dem Skelete II wurden noch Scherben von einem
lichtbraunen krugförmigen Gefässe aus feinem geschlemmtem
ghmmerreichem Thon mit Reihen von Wellenlinien gefunden,
wie sie auf Krügen aus dem römischen Leichenfelde vom
Birglstein bei Salzburg vorkommen (im Salzburger Museum).
Das zweite Grab, welches in meiner Anwesenheit am
21. Mai auf dem Zauner'schen Wiesgrunde geöffnet wurde
(Nr. 16 in obigem Berichte), enthielt ein gänzlich zer-
drücktes, nicht erhaltbares Skelet in ganz unregelmässiger
Lage, als ob der Körper senkrecht in eine enge Grube ge-
u,y,uz«u uy ^OOglC
318
zwängt worden wäre. Ein schwarzer thoneruer Topf, südlieh
vom Skolete, war wieder die einzige Beigabe.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Begräbnissstätte
in der Lahn noch eine weitere Ausdehnung hat, als durch
die bisherigen Nachforschungen festgestellt ist; denn auch in
dem Garten des Bergführers und Marmorschlcifers Kitzinger
(vulgo Friedl) sind wiederholt bei den Gartenarbeiten zufällige
Funde gemacht worden, und ich selbst habe von Kitzinger
einen zertrümmerten Menschenschädel, eine römische Fibula
von der gewöhnlichen Form (Bogen mit einer Querstange mit
Knöpfen in der Mitte und an den Enden), und verschiedene
Eisengegenstände (darunter: Dreizack), die hier gefunden
wurden, acquirirt.
Auch bei Agatha, am unteren (nördlichen) Ende des
Hallstätter Sees sind in den Jahren 1875 und 187ü die Keste
einer römischen Niederlassung (Bad) aufgedeckt worden. Die
zahlreichen Gegenstände, welche hier ausgegraben wurden,
darunter zahlreiche Scherben von Gefassen aus terra sigillata
sah ich in dem ärarischen Gebäude am Steg aufbewahrt.
Schliesslich ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn
Bergrath J. Stapf in Hallstatt meinen aufrichtigsten Dank
auszudrücken für den warmen Eifer und die ausgezeichnete
Umsicht, mit welcher er diese Ausgrabungen geleitet hat.
Ueber prähistorische Bauart und
Ornamentijruüg der menschlichen Wohnungen.
Von
Dr. M. Much.
Vortrag, gehalten in der Monatsversammlung der Anthropologischen Gesell-
achaft am 11. December 1877.
Wenn wir die Paläste aus Stein und Eisen betrachten,
welche heute in den grossen Städten gebaut werden, so sollte
man glauben, dass sie für die Ewigkeit errichtet werden, und
doch bin ich der Ueberzeugung, dass viele derselben spurlos
verschwunden sein werden, während man noch immer Reste
jener scheinbar nur wenige Winter überdauernden Wohnungen
uiyiiizöu by VJjOO^i^
319
aus der Erde graben wird, die vor Jahrtaubenden aus 00 ver-
gänglichen Stoffen, wie Ruthen, Reisig, Schilf und Lehm dürftig
zusammengeheftet worden sind. Denn bei mangehider Erkennt-
niös und unvollkommenen Werkzeugen konnten die mensch-
hchen Wohnungen nur aus deilei leicht erreichbaren und
fiigsamen Stoffen bestanden haben, die aber den Einwirkungen
der Natur nur kurzen Widerstand entgegen zu setzen ver-
mögen luid rasch zerfallen. Die erbärmlichen Reste dieser
frühesten Wohnungen der Menschen haben schon manche
stattliche Burg überdauert, und es scheint daher kein so
gewagtes Unternehmen, von Werken zu reden, die aus solch'
vergänglichen Stoffen gemacht sind. Und wenn wir an ein
solches Unternehmen herantreten und es nicht ohne Erfolg
durchfiihren, so thun wir es mit der Ueberzeugung, dass der
redlichen Forschung nichts, und wäre es noch so unscheinbar,
verborgen bleiben wird, und mit der gegründeten Hoffnung,
die Schicksale, die Entwickelung des Menschengeschlechtes
aufklären und verfolgen zu können bis zu seinem Werden.
Ich will jedoch gleich im Vorhinein bemerken, dass ich
mich bei der Besprechung dieses (regenstandes insoweit be-
schränke, als ich an die Erscheinungen in unseren Ländern,
insbesondere in dem mir etwas näher bekannten Niederöster-
reich anknüpfen kann.
Aus den Mittheilungen des (trafen (lundaker Wurm-
brand*) wissen wir, dass auch in Niederösterreich, auf den
weitgestreckten ThalHächen des unteren Thayalaufes der Mensch
ein Zeitgenosse des Elephanten gewesen, dass er diesen durch
die Ueberlegenheit seines (ieistes zu stellen, sich seiner zu
bemächtigen wusste, dass ihm sein Fleisch zur Nahrung diente.
Die zerschlagenen Knochen dieses Thieres mit jenen des
Rhinozeros und des Pferdes in Lager von Kohle und ge-
schwärzter Erde gebettet und die Feuersteinwerkzeuge, die
dabei lagen, geben ein unwiderlegliches Zeugniss hievon.
Anderwärts wohnte zu dieser Zeit der Mensch in Fels-
höhlen. An der Thaya fehlte ihm eine solche Wohnung, und
wir müssen daher annehmen, dass er sich irgend eine ge-
*) Die Gleichzeitigkeit des Menschen mit dem Mammuth,
Mitth. d. Authrop. Gesellsch. III. S. 123.
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320
schaffen hat. Um aber den Nachweis dafür zu liefern, muss
ich etwas weiter ausholen.
Graf Wurmbrand sagt über die Fundstelle Folgendes:
„In Joslowitz an der österreichisch-mährischen Grenze fand
ich in einem Ziegelschlage, der an dem Abhänge des Hügels
sich befindet, worauf das Schloss erbaut ist, unter einer
acht Klafter hohen Lössablagerung, eine schwärzliche Cultur-
schichte mit den Resten diluvialer Thiere, mit von Menschen
bearbeiteten Feuersteinsplittern und mit Holzkohletheilchen,
welche unmittelbar auf einem Sande liegt, welcher der unteren
miocänen Stufe des Wiener Tertiärbeckens nach den Funden
der Ostrea crassissima angehört.
„Der Schlosshügel schliesst das Thaya- und Deinischbach-
thal ab. Er besteht selbst aus diesem letztgenannten Sand,
mit Sandsteinkugeln imd Sandsteintrümmeiyi gemengt. Die
Lössauf lagerung findet sich nur gegen Norden, also gegen die
circa 700 Klafter entfernte Thaya zu, welche nach den Thal-
wänden zu schliessen, einstens ein höheres Niveau hatte und
wie die Seine an den Uferwänden einestheils abnagte, andern-
theils aufhäufte. Hat sie nun etwa auch hier die Cultur-
schichte bilden können? Letztere bildet zwischen den beiden
genaimten Formationen ein schmales, nur sechs Zoll breites
Band, welches sich, so weit der Durchschnitt es verfolgen
lässt, mit nur wenigen Unterbrechungen unmittelbar an die
durch den Sand gebildete Linie anschliesst, in der halben
Höhe des Hügels aber erst beginnt und sich unter der Thal-
sohlc fortzusetzen scheint. Die Knochen sind nur theilweise
gesplittert und zeigen hie und da theils die von Fraas be-
zeichneten runden Schlaglöcher mit dem Bärenkiefer, theils
kleine Einschnitte in die äussere Knochensubstanz. Vorläufig
wurde das Pferd, der Elephant und das Nashorn bestimmt.
Die Feuersteine, oder besser: Hornsteine, gehören demselben
Gestein an, wie es sich im nordwestlichen Mähren stellenweise
finden lässt. Die Fonnen sind hier, weil das Material ein
weit ungünstigeres als das des Kreidefeuersteines ist, willkür-
licher und überhaupt kleiner, doch lassen sich vorzüglich die
Messer bestimmt als menschliche Artcfactc erkennen. Die
Wichtigkeit des Fundes wird wesentlich aber durch die
Holzkohle bestimmt imd durch die chemische Analyse der
Erde selbst:
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321
^Sie schwärzt sich beim Glühen, enthält also organische
Substanz^ sie gibt beim Erhitzen mit Natronkalk eine starke
Reaction auf Ammoniak, eine stärkere als durch den natür-
lichen Ämmoniakgehalt thoniger Erdarten veranlasst wird, so
dass hier eine Absonderung und ein Niederschlag durch das
Wasser mir nicht wahrscheinlich scheint.
„Wenn auch ähnliche Hornsteinsplitter im Thayagebiete
auf der Oberfläche sich voi-finden lassen, so ist dies doch
nicht in unmittelbarer Nähe von Joslowitz der Fall, und die
Scharfkantigkeit derselben lässt uns an einen längeren Trans-
port durch Wasser nicht glauben. Weit weniger denkbar ist
dies aber noch, wenn wir uns den gleichzeitigen Transport
von Holzkohle und derjenigen Substanzen vorstellen wollen,
welche wir in der Culturschichte heute noch als restliche
Spuren entdecken können. Hier kann oifenbar, denke ich,
nur ein Lagerplatz, eine zeitliche Besiedlung angenommen
werden, wobei alles dort Vorkommende auch als gleichzeitig
angesehen werden muss. Dass dieser Lehm gleichalterig mit
Mammuth und Nashorn ist, habe ich in zwei Funden bestätigt
gesehen, die ich in Niederösterreich machte. Auch da lagen
Mammuthknochen, die nun im Gymnasial-Museum von Holla-
brunn aufbewahrt sind, und der Theil eines Nashornschädels,
den ich selbst besitze, unter mehr und minder hoher Löss-
decke. Obwohl auch dorthin der Transport von Hornsteinsplittern
ebenso leicht oder ebenso schwierig gewesen wäre als in
Mähren, suchte ich doch vergeblich nach ihnen. Als Löss
kennzeichnete sich der Lehm ausser seiner gleichförmigen
Lagerung durch das Vorkommen der gewöhnlichen Löss-
schnecken aus den Gattungen Lymnaeus, Helix, Pupa etc."
Graf Wurmbrand schliesst also aus dem zweifellosen
Umstände, dass das Mammuth, das Rhinozeros und Pferd in
der 2^it der Lössbildung hier gelebt haben — denn anders
lassen sich deren zahllose Jleste mitten in den Lösslagern
nicht deuten — dass auch die in den Löss eingebetteten
menschlichen Lagerstätten bei Joslowitz mit den zerschlagenen
Knochen eben dieser Thiere, mit Kohlen und mit Feuerstein-
artefacten der Zeit der Lössbildung angehören.
Bei der sehr beweglichen und verführerischen Natur des
Löss ist es jedoch geboten, den Gegenstand noch zu prüfen.
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322
Die meisten Geologen sind jetzt der Ansicht, dass der
Löss ein Niederschlag in stehenden Gewässern ist. Nur
wenige, wie Volger, Mohr (mit seinen Lösswiesen!) von
Richthofe n (Verwitteiaing und Winde) erklären ihn für eine
Landbildung, bei der das Wasser nm* eine sehr untergeordnete
Rolle spielt, andere, wie Petrino und Jentzsch, halten die
Ansicht aufrecht, dass er ein Product der Ströme sei, wobei
man sich hauptsächlich auf den Umstand stützt, dass der Löss
Land-Conchylien einschliesst, und dass einer der mächtigsten
Ströme der Erde, der Nil, noch heute dem Löss analoge
Ablagerungen erzeuge.
Graf Wurmbrand scheint sich nun dieser letzteren
Anschauung angeschlossen zu haben, was zum Theile auch
aus seinem bei der Naturforscher -Versammlung zu Graz im
Jahre 1876 gehaltenen Vortrage hervorgeht, und folgerichtig
ist auch nur bei der Aufrechthaltung der Ansicht von der
Ablagerung des Löss durch fliessendes Gewässer, die Gleich-
zeitigkeit menschlicher Lagerstätten im Löss mit der Löss-
bildung denkbar.
Es ist hier allerdings nicht der Ort und nicht meines
Berufes, die Bildung des Löss zu besprechen; es sei mir aber
doch gestattet zu bemerken, dass der Löss eben nur in zweifel-
losen ehemaligen Wasserbecken sich vorfindet, dass er Fluss-
thälern, die nie ein solches Wasserbecken gebildet haben,
namentlich in den oberen Stromläufen ganz fehlt, und dass
der Vergleich mit dem Nil unstatthaft ist, weil dieser Strom
zur Zeit seiner Ueberschwemmung nicht mehr als ein im
Laufe unbeirrtes Gewässer zu betrachten, sondern seit so
vielen Jahrtausenden durch unzählige Canäle, Dämme und
Seen geregelt und geleitet ist, ja dass der Nil viel mehr für
eine Ablagerung in stehendem als in fliessendem Wasser
spricht, weil er gerade zur Zeit dieser periodisch wieder-
kehrenden Ablagerung durch seine Stauung eher wie ein
stehender See als wie ein Stron> erscheint.
Ich will noch der bekannten Scala gedenken, welche
für die fortschaifende Kraft des fliessenden Wassers nach
Maassgabe der Geschwindigkeit desselben mehrfach beobachtet
und aufgestellt worden ist, um daran zu erinnern, dass schon
eine sehr bedeutende Zurückstauung des Wassers dazu gehört,
um es zu verhindern, solch* suspensible Theilchen, aus deneo
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323
der Löss besteht, mit fortzuführen und es zu nöthigen, die-
selben auf den Boden gleichmässig niederzuschlagen.
Das Vorkommen von Land-Conchylien im Löss ist aber
sehr leicht durch einen Vorgang erklärt, den ich an den
Ufern der Alpenseen wiederholt zu beobachten Gelegenheit
hatte. Wenn bei stärkerem Regen, namentlich bei plötzlichem
Gewitterregen, die kleinen Bäche und Wasseradern rasch
anschwellen und einigermassen über die gewohnte Höhe steigen,
so nehmen sie zahllose, mit Vorliebe an den feuchten Ufer-
ränden lebende Landschnecken mit sich fort und führen sie
in den See. Durch die eingeschlossene Luft halten sich sowohl
lebende Schnecken als auch leere Gehäuse lange Zeit schwim-
mend auf dem Wasser, auf dem sie zum Theilc durch die
Winde zerstreut, zum Theile in ruhigeren Buchten angesammelt
und mit allerlei Gerinnsel an die Ufer angelegt werden. *) Doch
Winde und Wellen lassen ihre Beute nicht mehr los, und
wenn der Seespiegel nicht rasch fallt, so ist in einiger Zeit
all' dies Gerinsel mitsammt den Landschnecken vom Ufer
wieder hinweggeholt, und die Schnecken sinken in dem
Maasse, als sie die eingeschlossene Luft allmälig abgeben, in
die Tiefe.
So wird man einmal nach vielen Jahrtausenden, wenn
endlich alle unsere schönen Alpenseen ausgefüllt sein werden,
in einer zweifellosen Bildung eines stehenden Gewässers Land-
schnecken zwischen den Bivalven des Sees finden. In gleicher
Weise aber führten einst plötzliche Anschwellungen der Bäche
den Seebecken, in welchen der Löss niedergeschlagen wurde,
die Land-Conchylien zu, zugleich mit dem mehr oder minder
abgenindeten, mehr oder minder feinen Sande, der sich zu-
weilen mitten im Löss findet.
Zuletzt genügt ja doch die unbefangene Beobachtung
der Wirkungen der Ströme und Bäche oder des Windes, nament-
lich in unserem Klima, um sofort zu erkennen, dass sie mehr
abtragen als aufbauen, dass sie wohl bei Zurückstauungen in
abgedämmten Armen beschränkte Strecken mit lössähnlichem
Niederschlage, niemals aber so ausgedehnte, viele Quadrat-
*) An geeigneten Stellen werden derlei Landconchylien nach
wirklich geschehener Zählung oft zu vielen Tausenden zu-
Bammenge tragen.
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324
meilen grosse Flächen so mächtig und namentlich in so gleich-
massiger Weise bedecken können, wie sich uns etwa die
gewaltige Lössdecke des Tullner Beckens zeigt, deren letzten
Rest wir im „Wagram", dem einstigen Steilrande der Donau
erkennen.
Nur in Seebecken konnte eine solche Bildung vor sich
gehen, ob wir uns nun diese Seebecken durch die Inundation
der Tiefländer in Folge der periodischen Schwankungen des
Meeresspiegels nach der Theorie Schmick's gefüllt denken
oder in Folge des durch das Schmelzen des Polareises bei
der Umsetzung der Vergletscheiiing überhaupt gestiegenen
Meeres nach der Theorie Adh^mars'. Wenn nun der Löss
eine Bildung im Seebecken ist, so ist es geradezu undenkbar,
dass menschliche Lagerplätze mit ihm gleichalterig seien,
denn mitten in ihm konnten sich eben nur Dinge ablagern, die
hoch vom Wasser überfluthet waren. Ganz anders ist es hiebei
mit den vom Löss eingeschlossenen Knochenresten von Land-
säugethieren, als mit den nicht getrifteten und aus ganz hetero-
genen Theilen bestehenden Resten menschlicher Lagerstätten.
Tausende von Thieren sind an die grossen Binnenseen zur
Tränke gekommen, wo sie, durch trügerische Uferstrecken
verführt, im Schlamme verunglückten und an Ort und Stelle
versanken, oder von den Wellen weiter getragen und tieferen
Stellen zugeführt wurden, um endlich auch hier zu versinken.
So kommen heute noch Tausende von Rindern der am La
Plata in halbwildem Zustande weidenden Heerden lechzend
nach Wasser an den Strom und gehen im Schlamme der zurück-
getretenen Ufer zu Grunde.
Wenn nun auch an der Thatsache nicht gerüttelt wird,
dass der Mensch, dessen Lagerplätze der Löss bei Joslowitz
mit seinen Werkzeugen und Knochentrümmern des Mammuth
einschloss, *) ein Zeitgenosse dieses Thieres gewesen ist, so ist
es doch zweifellos, dass diese Lagerplätze nicht gleichalterig
mit der Lössbildung sein können, daher jünger sein müssen.
Es ergibt sich ferner daraus als folgerichtig, dass die
Mammuthjäger an der Thaya nicht der Periode der Eiszeit
*) Die Fundstellen sollen durch das Vorrücken der Abgrabung
bereits erschöpft sein.
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325
angehören^ sondern erst nach Abscliluss derselben Hier gelebt
haben können.
Es ergibt sich daraus endlich mit unab weislicher Noth-
wendigkeit ganz allgemein, dass menschliche Skelete oder
Skelettheile aus dem Löss nur dann als gleichalterig mit der
Lössablagerung angesehen werden können, wenn sich nach-
weisen lässt, dass sie in ähnlicher Weise in den Löss gelangt
sind wie die Reste diluvialer Thiere, die wir in demselben
finden. Sobald aber diese menschlichen Skeletreste in Begleitung
von Knochen der von ihm verzehrten Thiere, von Kohle,
von Artefacten erscheinen — ganz abgesehen davon, ob diese
nun aus Stein, Bronze oder Eisen sind — dann müssen wir
sie nothwendiger Weise in eine Zeit versetzen, die der Bildung
des Löss und der Entleerung der Lössseen erst lange nachher
gefolgt ist. Um so weniger aber dürfen wir eine solche
Gleichalterigkeit annehmen, wenn sich bei den Knochenresten
auch nur entfernte Spuren eines Begräbnisses im Löss zeigen
sollten.
Wie kamen aber diese Reste der Lagerplätze fast 16 Meter
tief in den Löss?
Hofrath Ecker in Freiburg hat ähnliche in den Löss
eingebettete Lagerplätze, wie es die Joslowitzer sind, im Rhein-
löss bei Munzingen unweit Freiburg gefunden. *)
Von der unabweislichen Anschauung ausgehend, dass Fund-
stücke nur deshalb, weil sie im Löss gefunden wurden, nicht
als gleichzeitig mit der Lössablagerung angesehen werden dürfen,
dass ferner diese Lagerplätze nicht einer der Lössablagerung
vorhergehenden Zeitperiode angehören können, weil sie sich
eben mitten im Löss, nicht unter demselben befinden, erklärt
er das Vorkommen derselben im Löss dadurch, dass wahr-
scheinlich die Menschen jener Zeit an den Ufern des ober-
rheinischen Lösssees ihre Niederlassungen hatten und dass
diese bei einem raschen Steigen des Seespiegels überfluthet
und im Löss begraben wurden.
Ecker fugt hinzu, dass diese Erklärung bei der beweg-
lichen Natur des Löss nur eine Annahme sei, und deutet auf
') Ueber eine menschliche Niederlassung aus der Renthier-
zeit im Löss des Rhein thales bei Munzingen unweit Freiburg. Archiv
für Anthropologie. VIU. Bd., S. 87.
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326
eine andere Erklärung hin, ohne letztere indess völlig auszu-
führen und zu aceeptiren, obwohl es nur noch eines Schrittes
bedurft hätte, um das einzig Richtige zu treffen.
Nach meinen eigenen Wahrnehmungen belinden sich die
mehrerwähnten Lagerplätze von Joslowitz am Grunde einer
mächtigen Lösswand, welche einst durch Abspülung der jetzt
etwa 1360 Meter entfernten Thaya entstanden ist. Wie bekannt,
bricht der Löss in senkrechten Wänden ab, was man deutlich
in allen, unsere Lössgegenden durchschneidenden Hohlwegen
beobachten kann. Am Fusse dieser Lösswand hatten nun
offenbar die Maramuthjäger ihre Lagerstätte aufgeschlagen,
angezogen zum Theile durch den natürlichen Schutz gegen
Wind und Wetter, den sie gewährte, zum Theile durch die
Nähe des fischreichen Flusses. Aber die Mammuthjäger hatten
sich mit den offenen Lagerstätten nicht begnügt, sondern sich
auch in die Lösswand eingegi'aben und hier durch künstlich
gegrabene Höhlen das ersetzt, was ihnen die Natur anderswo
freiwillig gewährte. Wie geeignet der Löss zu derlei Aus-
höhlungen ist, weiss Jeder, der unsere Weinbaugegenden kennt,
in denen man unzählige Male die Weinkeller in den Löss
getrieben finden wird, ohne dass diese einer Ausmauerung
bedürfen. Sowohl in diesen kleinen gegrabenen Höhlen, als
namentlich vor denselben blieben die Reste der Mahlzeiten
in Gestalt von Kohle, zerschlagenen Knochen der verzehrten
Thiere und der dabei gebrauchten Feuersteinmesser zurück.
Bei dem weiteren, durch den Einfluss der Atmo-
sphärilien bewirkten Abbrechen der Lösswand fielen die
Trümmer und Brocken auf die Lagerplätze am Fusse der
Wand und überdeckten sie, worauf vielleicht neuerdings
Herde errichtet und Mahlzeiten gehalten wurden. Durch
letzteres würde das Uebereinanderliegen der durch Löss-
schichten getrennten dunkleren Lagerplätze erklärt. AUmälig
aber und lange nachdem die Lagerstätten verlassen waren,
wuchsen die herabgestürzten Brocken doch zu einer beträcht-
lichen Halde an und verschütteten nicht nur die Lagerstätten,
sondern auch die künstlichen Aushöhlungen vollends und ver-
banden sich mit der Wand wieder so vollständig und innig,
dass eine Grenze zwischen derselben und den herabgebrochenen
Massen sich nicht angeben und daher auch Gestalt und Grösse
der Höhlungen nicht mehr erkennen lassen. Ohne Zweifel
uiyiiizöu uy ■v^j>^>' v^pt ix^
327
haben sich auch im Innern der Höhle selbst Brocken von der
Decke losgelöst und durch ihr Herabbrechen die Ausfüllung
derselben beschleunigt. Es ist klar, dass dort, wo die volle
Höhe der ganzen Ijössschichte über einem derartigen I^ager-
platze der Mammuthjäger (unter 15 Meter Tiefe) gelegen war,
nicht mehr die Rede von einem solchen Platze vor den Höhlen
»ein kann, sondern dass hier die Menschen sich in die Löss-
inasse hineingegraben haben mussten und dass nur jene Plätze,
welche von einer geringeren Lössschichte bedeckt waren, die
vor den Höhlen gelegenen Lagerstätten bezeichnen.
Wir sind also, allerdings auf einem längeren Umwege, zu
^ler Ueberzeugung gekommen, dass zu den ältesten Wohnungen
Qer Menschen Erdhöhlen gehören, welche sie sich selbst, viel-
u,y,uz.uuy^OOgle
328
leicht durch anderwärts vorgefundene natürliche Höhlen hiezu
angeregt, gegraben haben, in und vor welchen sie ihr Mahl
bereiteten und verzehrten.
Künstliche Höhlenwohnungen dieser Art sind die gegra-
benen Höhlen, die sogenannten Heidenlöcher, in der Umgebung
von Ueberlingen am Bodensee, ') wenn sie auch vielleicht
nicht derselben Zeit angehören.
In solcher Weise wohnten also die Mammuthjäger in
unseren Gegenden, und man wird den Satz wohl ohne Gefahr
verallgemeinern und weiter dahin ausführen können, dass dort,
wo den uns bekannten ältesten Bewohnern Europas weder
natürliche Felshöhlen zu Gebote gestanden, noch eine Ober-
flächengestaltung, welche die Anlage künstlicher Höhlen mit
seitlichem Eingange ermöglichte, blosse Erdlöcher in die Tiefe
gegraben worden sind, die dann mit Reisig, Rinde u. dgl.
zugedeckt wurden. Wenn vielleicht in Ländern ohne unserem
Winter ein aus Zweigen nestartig geflochtener Bau den mensch-
lichen Bedürfnissen genügen mochte, so ist dagegen in den
rauheren Himmelsstrichen die, sei es in die Tiefe, sei es
seitlich gegrabene Erdhöhle eine der ältesten und allgemeinsten
Formen menschlicher Wohnungen.
Namentlich hat der Löss, in allen Ländern und zu allen
Zeiten bis in die Gegenwart herein, eine vortreff'liche Gelegen-
heit geboten, sich in die Erde einzunisten und Wohnungen
zu graben. Die leichte Art, ihn mit den einfachsten Werk-
zeugen zu bearbeiten, seine Festigkeit, welche solche Höhlungen
ohne gemauerte Wölbungen oder andere Stützen zu graben
gestattet, seine Trockenheit, seine im Sommer und Winter
gleichmässige Temperatur, haben allenthalben seit der Zeit der
Mammuthjäger vielfach zu seiner Benützung eingeladen. Es
ist aus den Berichten des Freiherrn von Richthofen
bekannt, dass in China menschliche Wohnungen von grosser
Ausdehnung im Löss angelegt sind. Wo bei uns in den Löss-
gegenden Weinbau getrieben wird, und das ist fast überall auf
dem Lössgrunde der Fall, da sind die Weinkeller fast ausnahmslos
in den Löss getrieben. Aber auch Höhlungen zum wirklichen,
wenn auch nur zeitweiligen Aufenthalte der Menschen findet
man in diesen Gegenden, und zwar nicht nur in Gestalt von
>) Corresp. Blatt 1877, S. 69.
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bedeckten Gruben und Höhlungen zum Aufenthalte für Feld-
und Weinberghüter, sondern auch seitlich gegrabene Erdhöhlen,
die sogar mit Fensterchen und Sitzen versehen sind und zum
Unterstande der Weinbergarbeiter bei plötzlichem Unwetter
oder auch bei einer Mahlzeit dienen. In den Ortschaften
selbst findet man recht häufig neben dem Hauskeller kleine
viereckige Gemächer ausgegraben, in denen man kaum auf-
recht stehen, und in die man nur durch schmale Zugänge, und
fast auf dem Bauche kriechend gelangen kann. Eine durch
die Wölbung gebohrte Röhre vermittelt den Zugang der Luft
nach oben, doch nur in ganz unzureichender Weise, so dass
ein längerer Aufenthalt von mehreren Personen in denselben
nicht möglich ist. Die Leute nennen solche unterirdische Ge-
mächer Erdställe und setzen sie in die Zeit des dreissigjährigen
Krieges zurück, in welcher sie zur Bergung von Menschen
und Habseligkeiten gedient haben sollen. Ich habe viele der-
selben untersucht, ohne mir jedoch über ihre Bestimmung
und die Zeit ihrer Entstehung genügenden Aufschluss ver-
schaffen zu können.
Der Löss ist jedoch in Niederösterreich bis in die Gegen-
wart herein auch zur Anlage wirklicher dauernder Wohnungen
benützt worden, und in Gösing bei Kirchberg am Wagram
existirte eine in den Löss gegrabene, aus zwei Gemächern
bestehende, mit Thür, Fenster und Herd versehene Wohnung
noch vor wenigen Jahren, vielleicht heute noch, wenn sie
auch jetzt keine Bewohner mehr birgt.
Solche Wohnungen sind indess gewiss nur sehr selten und
nur bei recht armen Leuten noch zu finden, und daher wohl
nur als secimdäre Erscheinungen zu betrachten. I^assen diese
wenigen Lösswohnungen und die vorher geschilderten Erdställe
die letzten Reste einer früheren Sitte unseres Volkes erkennen,
derzufolge es im Winter gerne in unterirdischen, mit einer
dichten Dungschichte bedeckten Höhlen weilte, deren eigent-
liche Bestimmung Bergung der Fcldfrüchte und zur Kriegs-
zeit auch der Habseligkeiten war? ') Tunc, ohne Zweifel ab-
geleitet von tunga, Dünger, heisst im Althochdeutschen eine mit
Dünger bedeckte Stätte zur Aufbewahrung der Feldfrüchte,
eine Höhlung in der Erde u. s. w.; aber es bedeutet auch
>) Tacitus, Germ. XVI.
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330
das Webegemach der Frauen. Plinius berichtet, dass man in
Germanien die Weberei vergraben und unter der Erde be-
treibe. *) Noch in unserer Zeit sollen solche unterirdische
Web er Werkstätten zum Nachtheile der Gesundheit der AVeber
bestanden haben, weil man glaubte, dass eine gleichmässige
Wärme für die Güte des Erzeugnisses durchaus nothwendig
sei. Es scheint also die Sitte, in solchen dungbedeckten Erd-
gruben zu hantieren, weniger ein Zeugniss für Armuth^ nie-
drige Culturstufe oder ererbte Gewohnheit, in Höhlen zu
hausen, als für den Bestand eines Vorurtheiles zu sein, um
so mehr als Plinius*-') solche unterirdische Webegemächer auch
in Italien selbst und zwar in der aUianischen Landschaft, zwischen
den Flüssen Padus und Ticinus kennt.
In der Periode, welche der Zeit des Mammuths folgt,
begegnen wir denn auch den in die Erde gegrabenen Höhlen
und Löchern nur mehr in secundärer Weise, nicht als eigent-
licher menschlicher Wohnung, sondern als Getreidegrube,
Backofen. Wenn auch die Fläche, über der das Haus errichtet
werden sollte, in den Boden vertieft wurde, worauf die soge-
nannten Trichtergruben (Mardellen) in unseren vorgeschicht-
lichen Ansiedlungen zu deuten scheinen, so wölbte sich darüber
doch ein luftiger Bau aus Flechtwerk. Ein anderes, mit höheren
Geistesgaben ausgerüstetes Volk war hereingekommen, dem
das Verweilen in der luftigen Hütte aus Ruthen und Rohr
besser zusagte, als in dem dumpfen Erdloche, in dem sich
die Naturvölker des Nordens noch heute behaglich fühlen.
Dürfen wir daraus schliessen, dass das neu angekommene
Volk aus einem milderen Klima hereingewandert ist?
Das Flechtwerk hatte einen Beschlag von Lehm, um
dem Winde und der Kälte nicht allzuviel Zutritt zu lassen,
und so vergänglich derartige Hütten erscheinen, so begegnen
wir doch ihren zahlreichen Resten in vielen vorgeschichtlichen
Ansiedlungen dieser Periode. Es bedarf nicht der Erwähnung,
dass es die durch Feuersbrunst hartgebrannten Stücke des
Lehmbeschlages sind, welche uns über die Bauart der Woh-
nungen in dieser Zeit Auskunft geben.
*) Plinius, Hist. nat. XIX. 2.
2) Ebendaselbst.
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331
Ui-sprÜDglich war es wohl nur das einfache Plechtwerk
mit dem erwähnten Lehmbewurf an den inneren oder äusseren,
oder an beiden Seiten, welches die Wand bildete. Das Flecht-
werk war indess im Anfange gewiss die Hauptsache, denn
Wand bedeutet, wie ich schon an einer anderen Stelle bemerkt
habe, ursprünglich Ruthe. ') Vielleicht deutet auch unser Saal,
das früher ein aus einem einzigen Gemache bestehendes Ge-
bäude bezeichnet, mehr auf salahd, die Weide, als auf aolum,
der Boden.
Die Basis des Hauses, vielleicht, wie schon angedeutet,
in die Erde vertieft, war ursprünglich wohl rund; das Hessen
die Bewurfstücke schliessen, die man zuerst in den Pfahlbau-
Änsiedlungen der schweizerischen Seen gefunden hat. Auf
diese Form deutet eine Grabume aus dem Albaner Gebirge
in Italien, eine sogenannte Hausurne, die uns ohne Zweifel
ein Bild der gleichzeitigen menschlichen Wohnungen in Ita-
lien gibt. 2)
^) Ueber einige auf den Gebrauch von Steinwaffen weisende
Ausdrücke der deutschen Sprache, Mitth. d, Anthropol. Gesellsch.
VII. S. 7.
2) Abgebildet in Lindenschmit: Die Alter thümer unserer
heidn. Vorzeit. I. Bd., Heft X, Taf. 3, Fig. 3, 3 a. Die Urne
befindet sich in München. Man bat es bezweifelt, dass diese
Urnen als Graburnen dienten und ein gleichzeitiges Haus dar-
stellen sollen. Mit Unrecht; denn so weit es das zu derlei Kach-
bildungen nicht ganz geeignete Material zugelassen hat, ist eben
alles wiedergegeben, was zu einem Hause gehört. Zu irgend einem
profanen Zwecke konnten diese Urnen mit ihrer meist seitlichen,
die Stelle einer Thür darstellenden Oeffnung nicht gedient haben,
und wir fragen umsonst, wozu sie verwendet wurden, wenn nicht
zur Aufbewahrung der Knoohenasche der Verstorbenen, und welche
Art von Häusern sie darstellen sollten, wenn nicht jene der Zeit,
in der sie gemacht wurden. Ein vollständiges Analogen, oder viel-
mehr ein Nachkomme jener Hausurnen ist der Reliquienschrein
des Mittelalters, wie wir ihn als besonderes Kunstwerk und oft
mit aller der Zeit möglichen Pracht ausgestattet in den Kirchen-
schätzen und Museen bewundern. Was ist der Reliquienschrein?
Ein Ossuarium, ein Behälter für die Knochenreste der Heiligen.
Und welche Form hat er? Die eines Hauses. Reliquienschrein und
Hausurne ergeben sich sonach als identisch, der einzige Unterschied
ist der, dass die Hausurne der heidnischen Zeit, der Reliquien-
Schrein der christlichen Zeit angehört.
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332
Endlich zeigen uns die Sculpturen der Siegessäule des
Mark Aurel, die bienenkorbähnlichen Hütten der Quaden auf
runder Basis.
Die runde, bei dem Bau aus Flechtwerk wohl bequemere
Form, konnte nur so lange eingehalten werden, als das Haus
in der Hauptsache aus Flechtwerk bestand; dieses musste aber
sofort eine vierseitige Form annehmen, sobald einmal irgend
eine Art von Zimmerung dabei in Anwendung kam. Das geschah
allerdings schon sehr früh, denn man stiess in den Pfahl-
dörfern der Schweiz auch auf Reste vierseitiger Hütten, die
uns nicht minder zahlreich auch in den Ansiedlungen Nieder-
österreichs entgegen treten. Ich fand in den letzteren nicht
nur Wandbewurfstücke, welche deutlich die Winkel des vier-
eckigen Gemaches erkennen lassen, sondern auch sehr viele
andere, welche zeigen, dass das Haus aus randen oder aus
gezimmerten und mitunter ganz sorgfältig behauenen Stämmen
bestand und dass der Lehm zum Verstreichen der Fugen diente.
Auch Bildwerke zeigen deraiiiige Hütten auf vierseitiger
Basis, so die vierseitigen Hausumen aus dem Albaner Ge-
birge ') und die Darstellungen der Antonin s-Säule bei den
Quaden, während die Sculpturen der Trajans-Säule die dakische
Königsburg schon als einen Complex ausnahmslos vierseitiger,
gezimmerter imd auf Pfählen ruhender Häuser darstellen.
Entsprechen sonach die aus Flechtwerk bestehenden,
mit Lehm beworfenen Hütten etwa den Hütten der Neger im
Nigerdelta, 2) so lassen sich die vierseitigen, aus Baumstämmen
bestehenden dem Hause der Tanguten in Tibet vergleichen,
welches dieselben aus unbehauenen Stämmen errichten, deren
Zwischenräume mit Lehm ausgefüllt werden, 3) wogegen mich
die aus Ruthen geflochtenen und mit Lehm beworfenen und
frei auf Pfählen ruhenden Getreidebehälter, welche ich bei den
Wallachen gesehen habe, lebhaft an die Häuser der dakischen
Königsburg auf der Trajans-Säule erinnerten.
^) Abgebildet bei Lindenschmi t a. a. 0. I. Bd., 10. Heft,
Taf. 3, Fig. 1 und 2. Eine gleiche Hausurne befindet sich im
k. k. Münz- und Antiken-Cabinete im unteren Belvedere.
2) Globus XXVI. S. 57.
3) Zeitsch. f. Ethnologie, VII, S. 386.
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333
Ich will nun sogleich auch bemerken, dass nach allen
in Frage kommenden Momenten (Funde, Schädel, historische
Nachrichten) die vorgeschichtlichen Ansiedlungen der metalli-
schen Z^it in Niederösterreich den Germanen angehören,
und so darf ich wohl einige, das germanische Haus betreffende
historische Nachrichten zum Vergleiche mit unseren Funden
hier beifiigen.
Wenn Cäsar uns als einen der Gründe, den die Germanen
gegen das Sondereigenthum an Grund und Boden einwenden,
den mittheilt, dass dann bei der Einrichtung der Häuser zu
viel Rücksicht auf den Temperaturwechsel der Jahreszeiten
genommen würde, ') so dürfen wir daraus wohl schliessen,
dass in den Gegenden wenigstens, die an Gallien grenzten,
das Hans der Germanen, da es auf den Temperaturwechsel
nicht eingerichtet war, ziemlich luftig gewesen sein und
wesentlich aus Flechtwerk bestanden haben mag, und es wird
verständlicher, wenn es heisst, dass sie tagelang am Herde
und am Feuer liegen. 2)
Da neue Einrichtungen, selbst in die Augen springende
Verbesserungen, bei einem Bauernvolke, wie es die Germanen
gewesen sind, nur langsam Boden und Verbreitung gewinnen,
80 ist es allerdings begreiflich, dass selbst Jemandes noch
Hütten aus Flechtwerk gesehen haben musste, da er sagt:
„Virgea habitant casas, communia tecta cum pecore, situaeque
iUis saepe sunt domus".')
Solche Sütten aus Flechtwerk konnten indess doch selbst
zur Zeit des Tacitus nicht mehr gar so häufig sein, da er sie
achon des grösseren Gegensatzes zu seinen heimischen Stein-
^ind Ziegelbauten wegen gewiss gebührend hervorgehoben
haben würde, denn obwohl er übel bemerkt, dass Stein- und
Ziegelbau den Germanen unbekannte Dinge seien, so weiss
er doch, dass ihre Häuser von Holz, wenn auch plump und
unschön seien. ^) Zur Zeit des Tacitus muss also das Haus in
Germanien schon vorwiegend auf vierseitiger Basis und aus Holz
erbaut gewesen sein, und es wird daher nicht befremden, wenn
uns bald darauf Ammianus Marcellinus von den Allemannen
») Cäsar d. b. g. VI. 22.
2) Tacitus, Germ. XVH.
^) Jemandes cap. H.
*) Tacitus a. a. 0. XVI.
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Digitiz
334
berichten kann, dass sie sehr ordentlich und nach römischer
Art gebaute Häuser haben. ') Besiegt im Kampfe mit den
Römern unter Julian, müssen sie sieh verpflichten, Wägen und
Baumaterialien zur Herstellung der zerstörten Städte zu liefena, ^)
und sie erweisen sich dabei als ebenso lenksame imd fleissige
Arbeiter, wie insbesondere als brauchbare Zimmerer. 3)
Was nun die Art des auf das Flechtwerk aufgetragenen
Lehmbeschlages betrifi^, so mag derselbe verschieden gewesen
Nach den Darstellungen auf der Säule des Mark Aurel
sem.
scheint es, dass die Hütten der Quaden von aussen keinen
derartigen Lehmbeschlag hatten, da an ihnen eine Art Flecht-
werk deutlich wahrnehmbar ist. Es wäre jedoch möglich, dass
dem berichterstattenden Künstler vor Allem das Flechtwerk an
den quadischen Hütten aufgefallen ist und dass er daher dieses,
ohne Rücksicht auf den Lehmanwurf zur Darstellung bringen
wollte. Die zuerst erwähnte Hausurne aus dem Albaner Gebirge,
welche einen Complex von sieben runden in der Weise ge-
stellten Hütten darstellt, dass sie mit dem gemeinschaftlichen
Thoreingange zusammen einen gemeinsamen Hofraum ein-
schliessen, weist auf einen derartigen, auf die Aussenseite
aufgetragenen Lehmanwurf hin , da die reichen Spiralver-
zierungen, welche sie trägt, kaum durch das Flechtwerk, das
am Thordache ganz gut ersichtlich ist, hervorgebracht, wohl
aber in dem noch weichen bildsamen Lehmanwurf leicht
mit dem Finger oder einem Werkzeuge eingestrichen werden
konnten.
Indess haben wir für den Ueberzug der Häuser mit
Lehm in unseren Ländern auch eine historische Beglaubigung
durch Tacitus, *) welcher berichtet, dass die Germanen manche
Theile des Hauses mit einer feinen glänzenden Lehmart über-
ziehen, wodurch gewissermassen Malerei und farbige Zeichnung
vertreten werden.
Im Innern hatten die Häuser diesen Lehmbeschlag ganz
gewiss, was die schon erwähnten Stücke beweisen, welche
die Winkel des inneren Raumes deutlich zeigen.
*) Amminianus Marc. XVU. 1.
2) Amm. Marc. a. a. 0. XVII. 10.
3) Amm. Marc. a. a. 0. XVIH. 2.
4) Tac. Germ. XVI.
Digiti
izedby Google
335
Es scheint indess, dass das Haas schon sehr frühe nicht
lediglich aus dem blossen Flechtwerke mit einem verhältniss-
mäsaJg dünnen, einseitigen oder beiderseitigen Lehmbewurfe
bestand^ sondern dass von dem Lehme in einem weit aus-
giebigeren Maasse Gebrauch gemacht wurde. Man findet
nämlich in den alten Ansiedlungen unter den hartgebrannten
Lehmstticken mit dem Abdrucke des Flechtwerkes sehr häufig
mehr als faustgrosse Stücke, welche keinerlei Abdruck zeigen,
gleichwohl aber genau von derselben Beschaffenheit sind, die-
selbe Mischung mit Spreu u. dgl., denselben Härtegrad, dieselbe
Farbe, gleiche Zerklüftung und Bruchflächen zeigen, wie jene.
Es ist also zweifellos, dass auch diese Stücke Reste von dem
durch Feuer zerstörten Hause sind, und sie zeigen, dass hier
mit grösseren Massen von Lehm gearbeitet worden ist. Da
aber der Lehmanwurf doch unmöglich auf einer Seite des
Flechtwerkes so dick aufgetragen werden konnte, denn er
wäre sofort wieder herabgefallen, so lässt sich nur annehmen,
dass derselbe zwischen zwei geflochtenen Wänden ein-
gegossen oder eingestampft worden ist. Durch einen solchen
Vorgang aber wurden namentlich auf der trockenen Unter-
lage, welche die Häuser der in Niederösterreich fast aus-
schliesslich auf Anhöhen errichteten vorgeschichtlichen An-
siedlangen und die Pfahldörfer hatten, ganz solide dauerhafte
Mauern erzeugt, bei denen die Lehmmauer als Hauptsache,
das Flechtwerk nur mehr als Nebensache und Hilfsmittel
erscheinen. Dabei konnte das Haus allenfalls des Anwurfes
von der Aussenseite entbehren und so das blosse Flechtwerk
zeigen wie die quadischen Hütten der Antonius -Säule. Im
Innern war, wie schon früher bemerkt, das Flechtwerk mit
Lehm verstrichen, ja einzelne Bruchstücke weisen darauf hin,
dass der Lehmanwurf zuweilen mit einer lichteren Farbe
übertüncht war.
Dass wir nicht häutiger Reste dieser Lehmmauern finden
und daher nicht schon früher zu einer richtigeren Anschauung
von der Bauart unserer vorgeschichtlichen Häuser gelangt
sind, ist leicht dadurch erklärt, dass bei einer Feuersbrunst
^ denn nur dieser haben wir die Erhaltung der lehrreichen
Reste zu danken — die Hitze wohl den äusseren schwachen
Anwurf über dem Flechtwerke, die dicke Lehmmauer zwischen
den geflochtenen Wänden aber nm* bei besonders günstigen
uiyiiizöu uy -»»^j v^ \^ ~t i ^i^
336
Umständen zu einer ziegelartigen, der Auflösung wider-
stehenden Masse erhärten konnte. In den meisten Fällen ist
diese • Lehmmauer vom Feuer unberührt und unverändert
geblieben, um aber dann um so rascher zu zerfallen und
spurlos zu verschwinden.
Aus eben diesem Grunde können wir mit einiger Sicher-
heit schliessen, dass diese zwischen zwei geflochtenen Wänden
eingestampften Lehmmauern viel häufiger in Anwendung ge-
kommen sein mögen als die vorfindlichen Reste zu zeigen
scheinen, da sie, wie bemerkt, nur bei sehr gifnstigen Umstän-
den erhalten, im Allgemeinen aber spurlos verschwunden sind.
Zu welcher Zeit diese Art zu bauen in unseren Ansied-
lungen in Aufnahme gekommen sein mag, in welcher Weise
sich überhaupt die verschiedenen Bauarten: das Flechtwerk
mit Lehmbewurf, der Holzbau mit verstrichenen Fugen, und
die compacte Lehmmauer daselbst verhalten, ist schwer zu
sagen, da in Niederösterreich noch keine Ansiedlung bekannt
ist, welche auf eine bestimmte Periode beschränkt wäre.
In fast allen finden wir Stein-, Bronze- und Eisengeräthe,
manche dauerten bis in die Zeit der Römerherrschaft, andere
gingen ein, ehe die Töpferscheibe zu ihnen den Weg fand,
noch andere bestehen heute noch. Wer vermöchte unter
solchen Umständen zu sagen, das Stück gehöre dieser oder
jener Zeit an?
Vielleicht gewinnen wir später einmal Anhaltspunkte für
eine derartige Untersuchung; aber schon jetzt verschafft uns
die Betrachtung an sich so unscheinbarer Dinge, wie es diese
Lehmbrocken sind, eine bessere Anschauung von der Wohn-
lichkeit der Häuser unserer Vorfahren, deren innere Räume
gewiss nicht mehr und nicht weniger behaglich waren, als die
dielenlosen, nur durch kleine Fensterchen erleuchteten Ge-
mächer unserer Bauern noch vor einem Menschenalter, theil-
weise sogar noch jetzt, und z. B. bei unseren slovakischen
Nachbarn jenseits der March noch ganz allgemein sind. Diese
Wohnräume waren aber auch gewiss nicht schlechter als die der
Landbevölkerung Italiens in derselben Zeit und als die Insulae,
jene verrufenen abscheulichen Gebäude, welche das gemeine
Volk Roms noch in der Kaiserzeit zu bewohnen gezwungen war.
Die Analogie zwischen den Wohnungen in unseren prä-
historischen Ansiedlungen und denen der heutigen slavischen
uiyiiizöu uy -»»^j v^ \^ ~t i ^i^
3S7
Bevölkerung an der March in der Gegend ihres Zusammen-
flusses mit der Thaya gestattet jedoch nicht nur einen so
allgemeinen Vergleich, wie er eben gemacht wurde, sondern
geht noch tiefer. Denn noch heute linden wir in den dortigen
Dörfern die beschriebenen Mauern in den kleinen Häusern der
Landbevölkerung; kein Stein, kein Ziegel findet da Verwendung.
Zwischen zwei Wände aus Brettern wird der mit Spreu ver-
mengte Lehm eingestampft; wenn er trocken ist, werden die
Bretter entfernt und die Mauer ist fertig. Darüber kommt
sodann das Dach aus Schilf oder Stroh. Ohne Zweifel werden
wir in den Häusern dieser Gegend noch manche andere Ana-
logien, und wahrscheinlich die treuesten Repräsentanten einer
uralten Bauart finden.
Es erübrigt mir nur noch, meinem Thema gemäss einiges
über die Ornamentirung des Hauses, nicht über die dui'ch
Hausgeräthe bewirkte, sondern über die, wenn ich so sagen
darf, architektonische zu bemerken.
In welcher Weise die Maramuthjäger an der Thaya ihre
in den Löss gegrabenen Höhlen architektonisch gestaltet und
insbesondere ornamentirt haben, vermag ich Ihnen wahrhaftig
nicht zu sagen. Obwohl nach den französischen und schweize-
rischen Funden, die uns, als dieser Zeit angehörig, alljährlich
vor Augen geführt werden, die Mammuth- und Renthierjäger
einem ebenso kunstsinnigen als kunstßlhigen Volke angehört
haben sollen, so ist doch in unseren Ländern noch nichts
derartiges zu Tage gekommen, und wir müssen uns daher
bescheiden, die Maramuthjäger unserer Länder für ganz rohe
Menschen zu halten, für die die Erde kein Beispiel mehr
trägt und deren Kunstsinn noch in anderen, mehr thierischen
Trieben schlummerte.
Freundlicher, wenn auch immerhin noch dürftig gestaltet
sich das Bild in der späteren Zeit.
Bei der Durchgrabung des grossen Grabhügels bei Zegers-
dorf kamen Lehmstücke zum Vorschein, über welche Graf von
Mannsfeld, welcher die Durchgrabung vornehmen Hess, in
folgender Weise berichtet:^)
„Schliesslich wurden an der südlichen Holzwand, zu-
nächst dem natürlichen Erdreiche, Massen von ungebranntem.
») Siehe Mittheil. d. Anthrop. Gesellsch. IV. Band, S. 179.
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398
jedoch bearbeitetem Thon gefunden, deren Totalform zu con-
statiren unmöglich war. Die darauf lastende Erdschichte von
drei Klafter und die Jahrhunderte oder Jahrtausende haben
leider jeden Anhaltspunkt zur Beurtheilung dieses sonderbaren
Gebildes verwischt. Die Entfernung des umgebenden Mate-
riales von der ungebrannten Masse dieser Thonstücke war so
schwierig, dass nur an einzelnen Fragmenten die ursprüngliche
Form erhalten werden konnte und von diesen zerfielen fast
alle nach einiger Zeit an der Luft.
„Eine dürftige, kaum auszuführende Beschreibung muss
die Stelle der Anschauung dieser Spuren roher Kunstthätigkeit
ersetzen. Diese Thongebilde waren durchwegs von einer Stärke
und Mächtigkeit, welche jeden Gedanken an unvollendete
Töpfe ausschliessen musste, und bestanden in mehrzöUigen
Stücken, welche an einer oder zwei Seiten mit Verzierungen
und Farben versehen waren. Einige Stücke zeigten zwei bis
drei Glieder oder Wandungen, welche sich in einem Eck-
punkte vereinigten.
„Das besterhaltene Fragment bildete zwei Wandungen,
jede einen halben bis einen Zoll stark, parallel von einander
auf circa zwei Zoll entfernt; eine Stirnseite verband diese
zwei Wände, welche gegen aussen eine Eckverzierung trägt,
einer Schnecke oder dem rohen Typus eines jonischen Säulen-
capitäls nicht unähnlich, Spuren von einer dunklen Bemalung
sind an mehreren Stellen ersichtlich."
Es ist bedauerlich, dass trotz der angewendeten Sorgfalt
keine grösseren Stücke, welche mehr Aufschluss gegeben
hätten, gerettet werden konnten. Es genügt indessen, dass
jeder Gedanke an unvollendete Töpfe ausgeschlossen werden
musste und dass daher nichts anderes erübrigt, als diese oma-
mentiiten Lehmbrocken für Bestandtheile eines Hauses zu er-
klären, das in der Nähe des Grabhügels gestanden, vielleicht
demjenigen angehört haben mag, zu dessen Ehren der Hügel
errichtet wurde.
Von der Beschreibung, die der Berichterstatter gibt,
greife ich noch ganz insbesondere die Stelle heraus, wo gesagt
wird, dass eine Seite gegen aussen eine Verzierung trägt,
einer Schnecke oder dem rohen Typus eines jonischen Säulen-
capitäls nicht unähnlich. Halten wir nun dagegen die mehr-
uyuz^uby Google
339
erwähnte Hausurne aus dem Albaner Gebirge *) und das
Bruchstüek einer ähnlichen Hausume aus den römischen
öebäuderesten bei einem Pfahlbau im Rhein, 2) vergleichen
wir die spiralförmigen Verzierungen an der Aussenseite dieser
beiden Hausumen mit den einer Schnecke nicht unähnlichen
Ornamenten an den I^ehmstücken des Zegersdorfers Tumulus,
80 fällt mit einem Male Licht auf diese letzteren, und wir
müssen in ihnen ähnliche Oinamentstücke des prähistorischen
Hauses erkennen, wie sie uns jene beiden Hausurnen in kleinem
Maassstabe vor Augen führen.
Derartige omamentirte Wandbewurfsstücke mögen auch
die ziegelsteinartigen Bruchstücke mit eigenthümlichen Ver-
zierungen sein, welche kürzlich bei den, durch F. v. Hoch-
stetter veranlassten Ausgrabungen auf dem Hallberge bei
Hallstatt in unmittelbarer Nähe des berühmten Grabfeldes
gefunden wui'den. ^) Diese ornamentirten ziegelartigen Bruch-
stücke wurden allerdings bei einem Grabe gefunden, da aber
der Abhang des Hallberges überdeckt ist mit einer zahlreiche
Topfscherben, Knochen von Hausthieren enthaltenden Cultur-
schicht, so sind diese Bruchstücke bei dem Grabe offenbar nur
auf secundärer Lagerstätte gewesen, und gehören mit den Topf-
scherben, Knochenresten, abgerundeten Granitstücken (Schleif-
steinen oder Mühlsteinen) zu den Abfallsresten, welche von
oben über den steilen Abhang hinabgeworfen wurden, und sie
rühren wohl von durch Feuer zerstörten Wohnhäusern her.
Ich darf mich, um darauf hinzuweisen, dass bei den
Germanen derartige Ornamente an den Häusern üblich gewesen
sein müssen, noch einmal auf die bereits citiite Stelle bei
Tacitus*) berufen, in der er sagt: „quaedam loca diligentius
illinunt terra ita pura ac splendente, ut picturam ac linea-
menta colorum imitetur". Hiezu stimmt auch die Bemerkung
des Grafen Manns feld, dass er an manchen Stellen Spuren
einer dunklen Bemalung beobachtet hat.
Ich selbst fand bei meinen archäologischen Untersuchungen
trotz steten aufmerksamen Vorganges nur sehr wenige analoge
*) Abgebildet inLindenschmit, Alterthümer unserer heidn.
Vorzeit, I. Bd., X. Heft, Taf. 3, Fig. 3, 3.
2) Abgebildet ebenda Fig. 4.
3) Mittheil, der' Anthrop. Gesellscb. VII. 8. 307.
*) Germania, cap. XVI.
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340
Stücke, und auch diese in einem so reducirten Zustande, dass
sie einen sicheren Schluss nicht gestatten und man wohl an-
nehmen muss, dass die Ornamente des Zegersdorfers Tumulus
dem Hause eines Bevorzugten angehörten, und die übrigen
Häuser im Allgemeinen diesen Schmuck nicht trugen.
Um so mehr war ich überrascht, als ich bei einer meiner
archäologischen Excursionen genau dasselbe Ornament an der
Aussenseite des Hauses noch heute in Uebung fand, und zwar
in eben derselben Gegend, in welcher ich auch auf die oben
geschilderte primitive Bauart der Häuser mittels gestampfter
Lehmmauern gekommen bin. Es sind dies die slavischen
Dörfer Turniz und Teiniz an der March, in der Nähe von
I^undenburg, welche solche Erscheinungen bieten, und man
kann sich überhaupt kaum Orte denken, welche in der Anlage
auf der Anhöhe, im primitiven Bau ihrer Häuser, in ihrem
ganzen Wesen den Charakter der prähistorischen Ansiedlungen
so treu bewahrt haben wie diese slavischen Dörfer.
Was nun die Ornamentik der Häuser betriflft, so tragen
dieselben auf der Vorderseite über einer weissen Kalktünche
einen bunten, aber doch sehr freundlichen Farbenschmuck
von Blumen und Guirlanden über den Fenstern und Thüren,
und zwar in so kindlicher Auffassung und primitivem, nach
buntem Farbenwechsel strebendem Geschmacke, dass beispiels-
weise die einzelnen Blätter der Blumen verschiedene Farben
haben. Diesem primitiven Geschmacke entspricht auch die
keineswegs geschmacklose, doch grellfarbige Kleidertracht der
Männer, und ganz insbesondere der Umstand, dass diese viel
geputzter sind als die Frauen.
Die wirklich prähistorischen Ornamente findet man an der
Rückseite der in der oben beschriebenen prähistorischen Weise
gebauten Häuser. Dieselben tragen hier einen Lehmanwurf
und in diesen sind spiralfiirmige und wellenförmige Linien
mit dem Finger eingestrichen, ganz so, wie uns erstere die
mehrerwähnte Hausurne, letztere beispielsweise die römischen
Graburnen vom Bürglstein bei Salzburg zeigen, und wie sie
beide die nebenstehende Zeichnung zu versinnlichen sucht.
Aehnliche Ornamente an den Häusern sollen mündlichen
Mittheilungen zufolge auch in Ungarn noch vorkommen.
Es wäre nun aber gewiss unstatthaft, wenn man aus
dem Umstände, dass bei den Bewohnern einiger slavischer
uiyuizt-'u uy "%..^jv^\^
ö'"
341
Digiti
izedby Google
342
Dörfer an der Thaya und Mareh noch einige Ornamente
aus prähistorischer Zeit im Gebrauehe sind, schliessen wollte,
dass nun auch alle jene prähistorischen Niederlassungen in
Niederösterreich, in welchen jene Ornamente und ihnen analoge
Erscheinungen vorkommen, slavischen XIrsprunges sein müssen.
Es ist dagegen vorerst zu bemerken, dass die Bewohner
jener Dörfer, zu denen auch noch Landshut, Ober- und Unter-
Themenau, Rabensburg, Hohenau, Bernhardsthal und Ringels-
dorf gehören, nicht endogen sind. Die ganze Gegend, in der
sich die genannten Orte befinden, wurde im vorigen Jahr-
hunderte durch die Einftille der Euruzzen aus Ungarn ent-
völkert und öde gelegt und zu deren Wiederbesiedlung
Croaten herbeigezogen, deren Nachkommen die Bewohner
dieser Dörfer sind.
Was die Ornamente selbst anbelangt, so sehen wir das'
eine, ältere, nämlich das Spiraloi*nament während der Bronze-
zeit durch ganz Europa verbreitet, und es bedarf daher keines
Wortes mehr, dass es nicht einem Volke allein eigenthümlich
ist, und dass aus seinem Vorkommen allein nicht auf ein be-
stimmtes Volk geschlossen werden kann.
Nicht anders ist es mit dem jüngeren, dem sogenannten
Wellenornamente. Die Archäologen der Hauptstadt des jetzigen
deutschen Reiches, darunter ein berühmter Name, verharren
zwar darauf, dass es ein specifisch slavisches Ornament sei
und namentlich die Burgwallfunde Nordostdeutschlands cha-
rakterisire.
Allein so sehr man sich hüten muss, von einzelnen
Vorkommnissen allgemeine Schlüsse zu machen, ebenso un-
statthaft ist es andererseits, allgemeine Erscheinungen allzu-
sehr einzuschränken.
Das Wellenomament ist so recht ein Kind der Töpfer-
scheibe, das gewissermassen spontan aus der Anwendung der-
selben sich erzeugt. Hält man ein mehrzinkiges Geräth mit
fester Hand an das eben fertige Gefilss, so dass es, wenn die
Scheibe wieder lauft, feine Furchen zieht, so erhält man ein
aus mehreren parallelen Linien bestehendes, um das Gefass
laufendes gerades Band-, fährt aber die Hand während der
Drehung mit dem Geräthe auf und ab, während sie sonst an
derselben Stelle verharrt, so entsteht das Wellenornament,
zu dem sich dann noch ein drittes verwandtes Ornament
uiyiiizöu uy -»»^j v^ \^ ~t i ^i^
343
geseUt, indem mit demselben Geräthe in schräger Lage
Punkte in das GefiLss gedrückt werden^ während dasselbe
sehr langsam gedreht wird. Der Bronzezeit ist das Wellen-
ornament fremd, weil ihr die Töpferscheibe fremd ist; zu
uns gelangte es zugleich mit der Töpferscheibe und
den fremden Gefassformen aus dem Oriente, wo es in den
auf alter Stufe stehen gebliebenen Töpfereien Kleinasiens, in
denen zum Theile sogar noch ohne Töpferscheibe gearbeitet
wird, noch heute neben seinen verwandten Ornamenten im
Gebrauche ist.
Sie sehen hier eine kleine unglasirte Vase aus einer
Töpferei in Kleinasien (Dardanellen), welche die erwähnten
Arten der Ornamente an einem Stücke vereint zeigt.
BetreflFs der prähistorischen Ansiedlungen in Stillfried
und auf dem Leisser Berge habe ich die Thatsache fest-
gestellt, dass sich das Wellenornament an den zwischen den
Ziegeltrümmern der römischen Castelle zerstreuten Gefass-
seherben und zugleich mit Scherben aus terra sigillata findet.
Besonders charakteristisch ist das Wellenomament für die
römischen Gräber am Bürglstein in Salzburg, ^ auf deren zahl-
reichen Unien es vorwiegend erscheint und neuestens hat es
F. V. Hochstetter in den Gräbern in der Lahn, bei Hall-
statt im Besitze der unbestreitbar germanischen, unter römischer
Herrschaft stehenden Bevölkerung (zweite ciJturgeschichtliche
Periode Hallstatts) wiedergefunden. *) In gleich zweifelloser
Weise kennzeichnet das Wellenornament nach der einstimmigen
Ansicht der englischen Archäologen die Zeit der RömerheiT-
Bchaft in England, und ich begnüge mich daher diesfalls, auf
die jüngst beschriebenen Funde von Seaford, bei denen Urnen
mit diesem Ornamente und römische Bronzetibeln zugleich
vorkamen, zu verweisen. 2)
Das Wellenomament ist also so gut wie das Spiral-
omament zum Gemeingut geworden und keineswegs etwas
specifisch Slavisches. Gegen voreilige Schlüsse aus der Erhal-
tung dieser merkwürdigen Omamentirung der Häuser in den
ßlavischen Dörfern an der March sprechen indess schon die
>) Mittheil, der Anthrop. Gesellgoh. VII. S. 317.
2) Joum. of the Anthropolog. Inst, of Great Britain and Irel.
1877: Cemetery at Seaford, 8. 300, Taf. XVIU, Fig. 2, 3.
uyuz^uby Google
344
Funde von Wandbewurfstticken mit derartigen Ornamenten,
welche in Ungarn gemacht wurden und insbesondere jene in
den Pfahlbaustationen des Sees von Bourget, von denen uns
Ernst Chantre in seinem Werke über die Bronzecultur in
Frankreich berichtet. Es genügt vor Allem der Hinweis auf
die Hausurne aus dem Albaner Gebirge, welche uns ja zuerst
mit dieser Erscheinung bekannt machte und zeigt, dass sie im
Herzen Italiens ebenso sich findet, wie an der Donau und
March und in den Pfahldörfern Frankreichs.
Zur Scythenfrage.
Von
Dr. Fligier.
Durch die archäologischen Berichte des Herrn Hawelka
in diesen Mittheilungen und die daran sich anschliessenden
Bemerkungen des Herrn Dr. Much sind die alten Scythen
wiederum einmal in den Vordergrund gedrängt worden. Ueber
die Herkunft derselben sind schon die sonderbarsten Hypothesen
aufgestellt* worden.
Niebuhr sah in den Scythen Mongolen und hierin ist
ihm sonderbarer Weise auch Bökh ') gefolgt, obwohl er in
der Sprache der Scythen Anklänge an das Iranische gefunden
hat. Schafarik, ein sonst vortreflflicher Forscher, wenn er
auch nicht mit Kaspar Zeuss verglichen werden kann, er-
klärte die Scythen für Verwandte der Finnen, wozu er durch
die Zusammenstellung des Namens der Scythen mit den Czuden,
wie die Finnen von den Slaveii benannt werden, veranlasst
worden ist. Man kann sich darüber um so mehr wundem,
als Schafarik in den scythischcn Personennamen reine Iranier
erkannt hat, wozu wahrhaftig kein grosser Scharfsinn nöthig
war. Wer mit der persischen Geschichte etwas vertraut ist,
wird in den scythischen Namen Ariapithes, Ariantas (der alt-
persisch ffOirijavaüt'' lauten würde) leicht Iranier erkennen.
Schafarik findet die Erklärung dafür in dem langen
Verkehre der Scythen mit den iranischen Sarmaten, wobei er
*) Bökh. Corpus inscriptionum graecarum III. p. 109.
uyuz^uby Google
345
ttbersehen hat, dass Scythen und Sarmaten nach Herodot IV, 117
sich der Dialekte einer und derselben Sprache bedient haben.
Kurze Zeit darauf hat Kaspar Zeuss, dieser unsterbliche
Forscher und Begründer der alten Völkerkunde, den iranischen
Charakter der scythischen Sprache erwiesen.
Durch die anthropologischen Bemerkungen desHippocrates
veranlasst hat dagegen Prof. Karl Neumann') in Breslau, die
Scythen noch einmal zu Mongolen machen woUen, ohne vom
Mongolischen etwas zu verstehen. Der ethnologische Theil
des sonst guten Buches fand in dem Petersburger Orientalisten
Schiefner den verdienten Richter.
Die vergleichende Sprachforschung, welche in dieser Zeit
durch die Schüler und Nachfolger Franz Bopps einen grossen
Aufschwung nahm, hat auch die scythischen Sprachreste be-
rücksichtigt.
Den Namen des scythischen Weisen Anadiarsis hat Leo
Meyer 2) aus sanskrit anaglia -]- fshi gedeutet. In den Namen
der drei scythischen Brüder Leipoxais, Arpoxais und Kol<vxais
hat Ebel^) ksaya (herrschend) erkennen wollen, so dass Kula-
xai^as, der Herrscher des Geschlechts, L&paxayas, etwa der
gesalbte König, und Arhhaxayas, der kleine Herrscher heissen
würde, was allerdings noch zu bezweifeln ist.
Massgebend für die Scythenfrage wurde die gründliche
Arbeit^) Prof. Müllenhoff's in Berlin.
MüUenhoff hat nachgewiesen, dass von ungeftihr sechzig
scythischen Nameii und Vocabeln, die Herodot überliefert, etwa
ein Viertel vollständig und reichlich, ein anderes Viertel so weit
erläutert werden kann, dass sie die iranische Abkunft des Volkes
hinlänglich beweisen.
Namen, wie ArsakeSy altpersisch Arsaka, Badakes von vad,
„schlagen", Orontes „der schnelle", altbactrisch wohl aurvaüt,
sind rein iranisch.
Die scythische Ileerd- und Feuergöttin Tapiti, eine in
allen iranischen Sprachen geläufige Femininbildung (MüllenhoflF
*) Neumann. Die Hellenen im Scytbenlande. Berlin. 1855.
^) Kuhns Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung V, 162.
3) Ebenda VI, 604.
^) MüUenhoff. Ueber die Herkunft der pontischen Scythen
und Sarmaten. Monatsberichte der Berliner Akademie. 1866. p. 549
bis 576.
Digiti
izedby Google
ist von tap, ^brennen, leuchten" abzuleiten. Der Con-
mus der scytho-sarmatischen Sprache weicht nicht vom
ischen und altpersischen ab. Das ursprüngliche s ist
d das ursprüngliche h in z umgewandelt; ebenso kommt
nische sp für altes kv, gv vor, abgesehen von anderen
n Stimmungen der scytho-sarmatischen Sprache mit den
en Dialekten.
•otz der vortrefflichen Untersuchungen Müllenhoffs
no*) einen unglücklichen Versuch unternommen, aus
iranischen Scythen Slaven zu machen. Gegen diese
spricht gerade das iranische Lautsystem in der Sprache
p^tho-Sarmaten. Das Slavische verflüchtet weder das
gliche 8 in h, noch auch kennt es das iranische gp für
gliches kv; und dies allein reicht hin, um, wie Müll en-
gt, Slaven von jenen Iraniern abzuleiten, zu verbieten.
ano hat sich zu dieser Annahme durch den Umstand
n lassen, dass auf das grosse Volk der Scythen zum
n denselben Gebieten das grosse Volk der Slaven ge-
i. Aus Herodot IV, 81 geht aber hervor, dass die Zahl
iutlichen Scythen gering war. Die unterworfenen Stämme
izonen, Karpiden, Sindier, Taurier und Maeoter sind,
es in diesen Mittheilungen 2) nachgewiesen habe, thra-
Herkunft. Wie gross der Einfluss der unterworfenen
iiachbarten freien thracischen Stämme auf die Scythen
i ist, kann man auch daraus ersehe^, dass eine grosse
T scytho-sarmatischen Eigennamen thracisch ist.
inf Könige des bosporanischen Reiches ^) fahren den als
:h bekannten Namen Spartacus, vier den verbreit^tsten
hen Namen Kotijs, vier heissen RhesJcuporis (vergl. die
hen Eigennamen Bitho-poris, Ahru-polis oder Ahra-pom),
talkes ist gebildet wie thracisch Sitcdkes, Pairisades er-
m den thracischen König Berisades.
Cuno. Die Scythen. Berlin 1871.
VI. Band, p. 218—221.
Bökh. Corpus inscriptionum graecarum III, 109 wundert
er die thracischen Eigennamen, da ja am Pontus keine
iien Colonien waren. Freilich thracische Colonien gab es
jht, sondern eine altangesessene, von den Scythen unter-
thracische Bevölkerung.
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347
Die sarmatischen Namen von seltsamem Aussehen wie
MukunagoSy Kukunagos, Rechunagos, Arguanagos, die Müllen-
hoff p. 557 aus dem iranischen Sprachkreise nicht erklären
kann, waren vielleicht thracisch.
Da auch fast sämmtliche Ortsnamen der pontischen Ge-
biete nach meinen Untersuchungen thracisch sind, so ist das
ein Beweis, dass die Thracier die älteren und civilisirteren
Bewohner dieser Gebiete waren. Nirgends ist aber eine Spur
von Slaven zu entdecken. Wenn nördlich von den thracischen
Maeotern und Valern (vergl. die Stadt Vala in Thracien) von
Plinius Sirbi genannt werden, so beweist das noch nicht, dass
die Anwohner des Pontus Slaven waren.
Es ist ja nur zu wahrscheinlich, dass die Völker im Norden
Slaven zu Nachbarn gehabt haben. Ist dies der Fall, dann
müssen auch im Slavischen iranische Elemente sich vorfinden.
Dieselben finden sich wirklich vor, wenn auch nur in einer
geringen Zahl. Das russische sobaku „Hund" stammt vom
iranischen gpa „Hund", gpaka „hundartig". Wahrscheinlich
ist die Entlehnung aus dem Scythischen, denn aus einer ver-
stümmelten Glosse des Hesych iraY aiir) xuwv jxuÖkjti *) geht hervor,
dass auch die Scythen den Hund so benannten im Gegensatz
zu den Osseten, den Nachkommen der sarmatischen Alanen,
welche khuj (dig. khug, tag. khuds) sagen.
Das polnische Awd „Schwert" (ungarisch kard, altnordisch
ko7'di) ist auf neupersisch kdrdy altbactrisch kareta „Messer,
Sachs", von karet „schneiden", zurückzufuhren.
Das polnische kaleka „Krüppel", russisch kalika „elend"
stammt vom persischen kälak.'^) Die Grabdenkmäler des süd-
lichen Russlands heissen im Kleinrussischen und Polnischen
hirhany (von ku/rhan) cfr. persisch gorkhäneh, „Grabdenk-
mal". Polnisch hohatyr, „Held", stammt vom persischen he-
hadur, kann aber auch durch das Medium der türkischen
Sprache vermittelt worden sein, da auch im Türkischen der
Held behdder heisst und ebenfalls aus dem Persischen entlehnt
ist. Serbisch ozdaha, persisch azdaJiä, altbactrisch azi da-
hdka, eigentlich „die verderbliche Schlange", der Name eines
») cfr. Müllenhoff p. 576.
^) Miklosich. Die Fremdwörter im Slavischen. Denkschriften
der Wiener Akademie, XV. Band.
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348
Tyrannen, der nach der iranischen Sage die Welt 1000 Jahre
bedrückte: auch serbisch div, ,,Riese", von persisch deVj alt-
bactrisch da&va, scheint ebenfalls erst spät, wahrscheinlich
während der türkischen Herrschaft entlehnt zu sein.
Freilich kann die Zahl der iranischen Elemente im Sla-
vischen einst viel zahlreicher gewesen sein, da Sprachen einstens
aufgenommene Bestandtheile wieder verlieren und neue Ent-
lehnungen aufnehmen; jedenfalls beweisen sie soviel, dass die
Slaven einst Iranier zu Nachbarn gehabt haben.
Der Name der Sirbi bei Plinius und Ptolemaeus beweist
nichts, da auch in I^ycien Sirbis sich vorfindet und die Lycier
nach Strabo Stammverwandte der pontischen Kimmerier und
Treren waren. Der alten Literatur ist dieser Name zur Bezeich-
nung der Slaven ganz fremd. Zuerst erscheinen die Slaven in der
lateinischen Literatur unter dem Namen der Veneder. Ebenso
heissen sie bei den Schriftstellern des sechsten und siebenten
Jahrhunderts. Bei Procop heissen sie Sclavini, Äntae und
Spori, bei Jordanis Winidae, Veneti, Sclavini, Antes, bei
Agathias Sclavi. Bei Vibius Sequester, kommt der Name
Servetii zuerst vor. Schafarik hat in den Spori des Herodot
den Namen der Serben entdecken wollen, da er sowohl den
übrigen griechischen Schriftstellern als auch den Slaven selbst
fremd ist. Nach Procop ist es ein alter Name und wird wahr-
scheinlich entweder thracischen oder scythischen Ursprungs sein.
Wir glauben daher, dass die Slaven erst nach ihrer Ein-
wanderung in die Balkanhalbinsel Serben benannt worden sind,
um so mehr, als mehrere Jahrhunderte vor ihrem Erscheinen
in Pannonien ein Ort Serbinum von Ptolemaeus und Serbetium
in den Itinerarien genannt wird.
Ich bedauere hier, mit unserem unermüdeten Archäologen
Herrn Dr. Wankel nicht übereinstimmen zu können — so
gern ich es wünschte — der in den Sirbi des Plinius und in
den Anwohnern des Pontus Slaven sieht.
Von den beiden als slavisch angeführten Ortsnamen Pha-
nagoria (nach Dr. Wankel von pani „Herrin"^ und gora „Berg*^)
und Panticapaeum ist der erste bekanntlich griechisch; der
zweite, wie ich in diesen Mittheilungen IV, p. 220 nachgewiesen
habe, thracisch. Die Zusammenstellung der pontischen Treren mit
den slavischen Drevljanern des russischen Chronisten Nestor ist
mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen, denn abgesehen von
\
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349
der zeitlichen Entfernung zwischen den Treren, die schon im
achten Jahrhundei*t v. Chr. auftreten und den Drevljanern
des Nestor (der etwa von 1056 — 1116 lebte), deren Name sehr
spät auftaucht und von ihren zuiUlligen Sitzen in waldreichen
Gegenden herstammt, sind die Treren nach dem Urtheile
Strabo's gleich allen Thraciern Stammverwandte der Lycier
und der übrigen Eleinasiaten ; so viel wissen wir aber schon
aus den von Savelsberg^) entzififerten lycischen Inschriften
dass das Lycische im Lautsystem nicht zum Slavischen gestellt
werden kann.
Unter den scythischen Völkern ist somit eine grosse Zahl
von thracischer Herkunft gewesen. Beim Andränge der Sar-
maten, der keltischen und germanischen Horden flohen diese
Thraeier zu den stammverwandten Daciern und verschafften
dadurch dem dacischen Reiche die hohe Bedeutung im Kampfe
mit den Diadochen, später mit den keltischen Bojern und
zuletzt mit den Römern. Wir haben directe Zeugnisse, dass
auch die Scythen in den Daciern aufgegangen sind, wie ich
es schon einmal gezeigt habe.
Strabo erzählt, dass noch zu seiner Zeit Scythen sich
mit thracischen Völkern gemischt haben und Aurelius Victor
nennt unter den Daciern des Decebalus Saken, d. h. Scythen,
denn auch die asiatischen Scythen wurden Saken von den
Persem genannt.
Es ist daher nicht richtig, wenn Herr Dr. Much be-
hauptet, dass die Scythen räthselhaft und spurlos verschwin-
den. Seine Vermuthung, dass Scythen und Gothen vielleicht
ein Volk gewesen sind, föllt somit von selbst.
Es wäre wirklich an der Zeit, die von den russischen
Archäologen in den Gräbern Südrusslands gefundenen Schädel
zu vermessen und mit persischen zu vergleichen. Es dürften
sich vielleicht recht interessante Resultate für die Anthropo-
logie ergeben.
Es kann somit als erwiesen gelten, dass die Sarmaten gleich
den Scythen Iranier waren, und man kann sich nur wimdem.
^) Savelsberg. Beiträge aur Entzifferung lycischer In-
schriften. Bonn. 1874.
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350
dass Lagneau, *) der sich viel mit ethnographischen Fragen
beschäftigt hat, in den Sarmaten noch einmal Slaven sieht^
während schon Schaf arik in seinen slavischen Alterthtimern
bedauert hat, früher einmal diesen Fehler gemacht zu haben.
Minder bekannt dürfte es sein, dass auch die Jaxamaten,
Roxalanen, Jazygen und Alanen sarmatischer, d. h. iranischer
Herkunft gewesen sind.
Die Jaxamaten, deren Namen Müllenhoff p. 568 von
altbactrisch yaz „opfern, preisen" und einem Ethnicon matae
deutet, waren nach einem Zeugnisse des Skymnos ein Zweig
der Sarmaten. Dieselben verschwinden früh aus der Ge-
schichte.
Die Roxalanen werden meines Wissens zuletzt unter Kaiser
Hadriau genannt. Aus dieser Zeit stammt auch das Denkmal
des roxalanischen Königs Rasparaganus 2) in Pola, dessen Xame
von Müllenhoff als iranisch gedeutet wird.
Mehr interessiren uns die Jazygen, die in der Mitte des
ersten Jahrhunderts im nördlichen Ungarn sich niedergelassen
haben und eine Plage der benachbarten römischen Provinzen
wurden. Ihre Macht wurde durch die Hunnen, Gepiden und
Gothen vernichtet; es ist jedoch wahrscheinlich, dass Reste
dieses Volkes in den ungarischen Bergen sich erhalten haben.
Schafarik will in den ungarischen Jassonen (magyarisch jdszok)
der Neuzeit Nachkommen der alten Jazygen entdeckt haben.
Das ist entschieden unrichtig; ^2^ jdszok, lateinisch jasso, vom
Sing, jdsz oder ijdsz im Magyarischen die Bogenschützen be-
deutet. 3) Ebenso unrichtig ist die Meinung Schafarik's, dass
die wilden Jadzwinger Lithauens, bekannt durch die grausamen
Kriege mit den Polen, ein anderer Zweig der sarmatischen
Jazygen gewesen sind. Die Jadzwinger waren, wie ich es
demnächst zeigen werde, ein lettischer Stamm.
Nach den Berichten der alten Schriftsteller ^) waren die
Jazygen Sarmaten. Das beweisen auch ihre Personennamen.
Zizais leitet Müllenhoff p. 566 von altbactrisch d „treiben,
^) Lagneau. Lee Alanes etc. Revue d'anthropologie 1877.
2) Mommsen. corp. inscript. lat. vol. III Nr. 14 und Nr. 32.
^) Hunfalvyj. Ethnographie Ungarns. Budapest 1877, p. 244.
*) Plinius. ed. Billig. IV, p. 309. Tacit. Annales XII, 29,
Eist, ni, 5. Ammianus Marcellinus XVII, 13.
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351
wachsen, eifrig sein", und zaja ^WafiFe" ab. Zinafer und Zornnes
gleichfalls von zaena, pehlv. snn „WaflFe". ZantUcos von alt-
bactrisch zan „kennen, erkennen", wovon zentu das Wissen,
Banadaspos wäre Vanatdspa, einer, der siegreiche Rosse be-
sitzt. Zu Bahaj stellt sich Bahas und Bahos in den pontischen
Inschriften. Beuga scheint fremdartig zu sein und wird auch
von Müllenhoff nicht erwähnt.
Die letzten iranischen Einwanderer nach Europa waren
die Alanen, deren ursprüngliche Sitze in Medien gewesen sein
sollen.*) Ihre Schicksale, ihre Wanderungen bis nach Gallien
und Spanien sind zu bekannt, als dass sie hier ausführlich
erzählt werden sollten. — In Spanien wurden in den letzten
Jahren Steinbilder gefunden, welche mit den pontischen darin
übereinstimmen, dass sie concrete Personen darstellen und als
Grabstatuen anzusehen sind.
Herr Dr. Much glaubt, dass nur die Gothen die Verfer-
tiger der bechertragenden Steinbilder am Pontus und in Spanien
gewesen sein können, da die Scythen nie die Grenze ihres Ge-
bietes verlassen haben und somit das Vorkommen dieser Stein-
bilder in Spanien unerklärlich wäre. Durch den Umstand, dass
sowohl die pontischen Scythen als auch die Alanen Spaniens
iranische Stämme gewesen sind, ßillt auf diese archäologische
Streitfrage ein neues Licht.
Kleinere Mittheiluag.
Die Alanen alR Yerfertiger der bechertragenden Steinbilder
in den Fontasländern und in Spanien.
In dem vorstehenden Artikel spricht sich Dr. Fligier gegen
die von mir geäusserte Vermuthung aus, ■^) dass die Gothen und
Skythen ein Volk gewesen seien. Meine Aeusserung beabsichtigte
nur, die Diskussion darüber anzuregen, und indem Dr. Fligier
auf die von mir gestellte Frage antwortete, ist die Absicht auch
schon zum Theile erreicht. Hierbei sagt aber Dr. Fligier, dass
die Alanen ebensogut die Verfertiger der Steinbilder am Pontus
*) Ammianus Marcellinus XXXI, 2.
2) lieber die Steinfiguren auf den Tumulis des südlichen Russlan'^
Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft. VIT, S. 193.
uyuz^uby Google
352
wie in Spanien gewesen sein können, da sie ein skythisches Volk
waren, welches wie die Gfothen bis nach Spanien gelangte. Dem
gegenüber muss ich jedoch bemerken, dass die Steinbilder sich
vorwiegend im Gebiete der Herodotischen Skythen vorfinden, zu
denen die Alanen nicht gehören. Alanen werden erst in viel
späterer Zeit als Skythen bezeichnet, in der man diesem Völker-
namen bereits eine ungemessene Ausdehnung gab. Zudem wird
überall die nomadische Natur der Alanen bemerkt, denen schon
desshalb eine besondere Pflege der Gräber ihrer Verstorbenen nicht
recht zuzutrauen ist^ geschweige denn die Befähigung zur Ver-
fertigung der beschriebenen bechertragenden Steinbilder. Aber
gerade diesem eigentlichen Gegenstande meiner Abhandlung ist
Dr. Fligier ausgewichen, er hat den merkwürdigen Umstand, dass
gerade die Gothen eine bechertragende plastische Figur als Griff
auf einer goldenen Schüssel ihres Nationalschatzes angebracht haben,
dass solche Figuren also für sie eine symbolische Bedeutung haben
mussten, weder zu beseitigen noch für die Alanen zu deuten ver-
mocht. Das bechertragende Bild des Gothenschatzes von Petreosa
ist indess nicht das einzige im Besitze eines Germanenstammes.
Das Eopenhagener Museum verwahrt ein Bronzemesser, welches
bei Eaisersberg unweit Itzehoe gefunden wurde. Auch wieder
der Griff an demselben zeigt uns eine solche plastische Figur,
welche genau wie die pontischen und spanischen Grabstatuen und
die goldene Schüssel des Gothenschatzes mit beiden Händen einen
Becher vor die Brust hält. Ist diese bechertragende Figur aus dem
germanischen Norden etwa auch von den Alanen verfertiget worden?
Dr. Muoh.
Vereinsnaolirioht.
Das Präsidium der anthropologischen Gesellschaft spricht aus
Zweckmässigkeitsgründen den Wunsch aus, dass alle Correspondenzen
und sonstigen Zusendungen direkt an das Sekretariat der Gesell-
schaft geleitet werden möchten. Es ergeht daher an alle Gesell-
schaften und Fachgenossen, welche mit der anthropologischen
Gesellschaft im Verkehre sind, die freundliche Bitte, ihre Sendungen
an die Adresse des gefertigten Sekretärs zu richten.
Dr. M. Much
VIII., Josefsgasse 6.
R«dftctioMi-€oMlt^: Hofratti Franz Bitter r. Haaer, Hoflrath Carl Laager, Dr. M. Mach,
Prof. Friedr. Miller, Dr. WfthnüABM, Prof. Joh. Woldfleh.
Druck Ton Adolf HoUbauMn in Wien
k. k. Unt«*rtliai«Hu«lidru*k«r*i.
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€^ttheilungen der dänthropol. Gtulltchaft in Wien, VII. ^d.
Bo8 taurus brachycephalus
tfus dem Laibacher Moor.
Fig. 5.
Bos taurus brachycephalus
am dem Laibacher Moor.
Bos taurus brachycephalus j
am dem Laibacher Moör^ "^ ^^^8^^
WilckenSf Schädelknochen des ^ndes au$ d*
Jetztzeitige Brachycephalus-Rasse
' (DQxer Stier),
Jetztzeitige Brachyc^phalus-Rasse
(Duxer Stier).
Fig. 6.
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Bos taurus brachycephalus
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««MfvrypuK. xßm^iiMcnajr in ivieii. va, ^ua.
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Fig. 7.
Bos taurus brachycephalus
ans dem Laibacher Moor.
Bos taurus brachycephalus
am dem Laibacher Moor,
Jetzlzeitige Brachycephalus-Rasse
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hL fi.
Wilckens, Schädelknochen des ^ndes aus d. Laibacher {^foar.
Bos taurus frontosus
aus dem Laibacher Moor.
Bison americanus masc.
der JetzUeit Digitized by GoOglc
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SMittheilungen der Q^nthropol. Gesellschaft fti Wien, VIT. ^d.
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Fig. 13.
Bison americanus
Neugeborenes Mariahofer Kalb
der Jetztzeit
Neugeborenes 1
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CÜB^rJtiefer von
der J'
. III.
WtlckenSt Schädelknochen des ^ndes aus d, Laibacher Moor.
asc. der Jetztzeit.
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ariahofer Kalb
^ Unterkiefer von Bison priscus
aus dem Laibacher Pfahlbau.
iison americanus
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Mitlhd.antliropGes inWien 1877
0)iu/7 "^
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Bernsteinperle mit phönikischer Inschrift.
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FvHodtttetter Mistott Ta
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fn.G.
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r.vHochstetter, HaDsiati Taf.
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Schulterband oderWehr^ehän^.
Bronieblech in getriebener Arbeit
Zierplatte, Bronie
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Ideal luuIReii^esieilt .
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Gürtel.
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Thierknochcn .
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Lanzenspitzen und Schwert
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Messer
aus Eisen .
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Eisenringe
Schale
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Messer
aus Eisen .
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Bronzenadel .
Palstab
aus Eisen .
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(3/
MITTHEILÜNGEN
der
Antonologisclien Gesellscliiifl in M
Redigirt
Ton
Franz Ritter von Hauer, Carl Langer, M. Muob,
Friedrich Müller, S. Wahrmann, J. Woldl^ioh.
Band VIII.
Mit i^ Tafeln und 15 einselneii Abbildnngen im Texte.
WIEN.
Karl G-erold's S o h. n
1879.
Digiti
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Digiti
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INHALT.
I. Abhandlungen.
Seit«
^BMedikt, Moriz. Kranlometrische Mittheilungen. (Mit sechs Abbildungen
im Texte.) 95
"^Desohmann, Karl, lieber die Torjährigen Funde im Laibacher Pfahl-
bau. (Mit drei Tafeln.) 65
V« — Eine heidnische Umengrabgttttte bei Zirknitz in Krain. (Mit zwei
^ Tafeln.) 137
Fl8€ll6r, H. Mineralogisch-archüologische Studien 8, 148
^ Fligier. Zur prähistorischen Ethnologie der pyrenäischen Halbinsel . . 277
^ Hochstetter, Ferdinand von. Gräberfunde bei Dux in Böhmen. (Mit einer
Tafel und einer Abbildung im Texte.) 118
^ — Die Alterthümer von Hradischt 142
^ÜMChan, Felix von. Mittheilungen aus dem Museum der Gesellschaft.
(Mit vier Tafeln und drei Abbildungen im Texte.) 82
^^^Mlicll, M. lieber den Ackerbau der Germanen. (Zur Hochäcker-Frage.) 203
\ — lieber die Kosmogenie und Anthropogenie des germanischen Mythus 324
N^ Neudeok, Juilue. Germanische Befestigungen des oberen Waagthaies in
Ungarn. (Mit zwei Abbildungen im Texte.) 273
"^ TepiOUCbofT, A. F. Archäolog^che Beiträge aus dem Osten Europas. (Mit
einer Tafel.) 360
Ticilier, Anton, lieber prähistorische Wohn- und Begräbnissplätze aus
dem mittleren Goldbachgebiete in Böhmen. (Mit einer Karten-
skizze.) 1
^ Wankei, Heinricll. Prähistorische Eisenschmelz- und Schmiedestätten in
Mähren. (Mit einer Tafel.). . • 289
^^^ — lieber die angeblich trepanirten Cranien des Beinhauses zu
Sedlec in Böhmen 352
n. Kleinere Mittheilnngen.
nigier. Runensteine in der Provinz Posen 61
^^^ — lieber die Herkunft der alten Meder 62
^v^ — Die Nachkommen der germanischen Burgunder 64
V^ — Professor Mantegazza über Eintheilung der Racen 285
^ Heger, Franz. lieber eine seltene Urnenform. (Mit einer Abbildung im
Texte.) ^. . . „ . . 366
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IV
\^ S«it6
Hochstetter. Goldringgeld. (Mit einer Abbildung im Texte.) .... 365
'^^UCh, M. Noch ein Wort über Höhlenwohnangen im Lobs 131
^ — Prähistorische Commission der kais. Akademie der Wissenschaften 183
***^Reln8Ch, P. F. Felszeichnungen und Inschriften an der atlantischen Kflste
Nordamerika*s. (Mit einer Abbildung im Texte.) 188
''*^ Trapp. Häuser und Kleider bei den Croaten in Mähren und Nieder-
Oesterreich 184
^Wankel. Anthropologische Ausstellung in Moskau 185
\ Wurmbrand, 6. Graf, lieber behauptete Höhlenwohnungen im Löss bei
Joslowitz 128
ni. Literaturberichte.
\
Fligier. A. B. Meyer: Die Kalangs auf Java 196
— Mattei: Etudes sur les premiers habitants de 1a Corse 196
— John Earl: On the Ethnography of Scotland 197
— Europaeus: Schliessliche Bestimmung über den afrikanisch do-
lichokephalen Schädeltypus der Ostjaken und Wogulen, der
reinsten Nachkommen der über Nord-Europa einst weit verbreiteten
Ugrier 198
— Savelsberg: Beiträge zur Entzifferung lykischer Sprachdenkmäler.
I. Theil 286
— Kopemicki: Nowy przyczynek do antropologii przedhistoryczn^j
ziem polskich 286
— Hunfalvy: Ethnog^phie von Ungarn 287
— Wentworth Webster: The Basque and the Kelt 287
— Fr. Müller: Grundriss der Sprachwissenschaft 367
— Fr. Müller: Allgemeine Ethnographie 372
S. Adolfo Scander Levi: Alcuni cenni di studi preistorico sulla Savoja 134
Much, M. Martin Wilckens: Form und Leben der landwirthschaftlichen
Hausthiere 189
— Mehlis, C: Studien zur ältesten Geschichte der Rheinlande. Dritte
Abtheilung 192
— Richard Andree : Ethnographische Parallelen und Vergleiche . . 369
— Dr. C. Mehlis: Die Haubirg im Peg^itzthale 371
rV, Vereinsnachrichten.
Protokoll der Jahresversammlung der anthropolog^chen Gesellschaft,
am 12. Februar 1878 120
Dr. Cari Freiherr v. Rokitansky f 201
Sonstige Vereinsnachrichten 136, 200, 288, 372
Berichtigungen 199
-T<CV-:-^=^
Digiti
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/
yni. Band. Ansgegebeu den 11. März 1878. Mr. lu.2.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
m WIEN.
lahalt: Ueber prihistoriiche Wohn- und Begrfibniiwpl&tze aus dem mittleren Goldbacbgebiete
in BAhmen. (Mit Kartentkine.) Von Dr. med. Anton Tichler. — Mineralogisch-arcb&olo-
fische Stadien. Von H. Fischer. — Kleinere Mittheilungen: Kuneniiteine in der Provinz
oeen. — üeber die Herkunft der alten Meder. — Die Nachkommen der germanischen
Burgunder, Von Dr. Rigier.
/
Ueber prähistorische Wohn- und Begräbnissplätze
aus dem mittleren Goldbachgebiete in Böhmen.
Von
Dr. med. Anton Tiohler in Liboritz.
(Mit einer Kartenskizze.)
(Mitgetheilt von Hofrath Dr. F. v. Hochstetter.^)
Der bedeutendste dieser Wohnplätze bleibt immer der
Rubin. Derselbe liegt nahe bei Dolanka, links von der Strasse
von Schaab nach Dolanka. Fährt man mit der Bahn von Saaz
nach Podersam, so hat man den Berg kurz nach der Station
Kaschitz ebenfalls knapp links liegen. Auf geologischen Detail-
kai-ten ist er als Basalthügel eingetragen. Er hat von dieser
Seite ganz die Gestalt eines Hutpilzes, fallt somit von drei
Seiten unter einem Winkel von 45 Grad in die Tiefe. Nach
Südwesten zu ist er durch einen tiefen Riss vom kleinen und
niedrigeren Rubinberge und dieser wieder durch einen Riss
vom angrenzenden Gehänge geschieden. Man kann diese beiden
Risse als Gräben annehmen, und dann hätte man das Haupt-
zeichen einer altdeutschen prähistorischen Feste. Die Ober-
fläche des Berges fasst etwa ein Joch Ackergrund, ist geebnet
und etwas gegen Südosten geneigt. Nur gegen Südosten stürzt
der Berg nicht so jäh und nicht so tief abwärts unter einem
') Ueber die von Herrn Dr. Tichler mir für das Hof-
museum eingesandten Fundobjekte werde ich später berichten.
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Winkel von 30 Grad, etwa drei bis vier Klafter tief. Von da
an verflacht und erweitert sich das Terrain und geht allmälig
in den Schaaber Höhenzug über. Bei Abgrabungen fand man,
dass auf dieser vierten Seite sich um den Berg eine aus
unregelmässig zusammengelegten Steinen errichtete mörtellose
Mauer ziehe; die Steine wurden in jüngster Zeit zu Strassen-
kanälen verwendet. Ich wurde auf die historische Bedeutung
des Berges vor etwa zehn Jahren aufmerksam, als hier in der
Gegend mehrere Zuckerfabriken erbaut, und allenthalben
Knochen zu Spodium gesucht wurden. Da hatten arme Tag-
arbeiter nach ihrer eigenen Aussage mir gegenüber binnen
zwei Jahren über zweihundert Zentner Knochen auf und um
diesen Berg gesammelt. Die Landwirthe beklagten sich, dass
bei trockenem Sommer oben am Berge gar nichts wachse,
weil der Boden wie Asche aussehe. Ich selbst machte die
Landwirthe aufmerksam, welchen Schatz sie sich vom Berge
wegfuhren Hessen, und gab ihnen den Rath, mit diesem Aschen-
boden ihre Felder zu düngen. Seit dieser Zeit wird alljährlich,
wenn keine anderen dringenden Arbeiten zu vollziehen sind,
am Rubin gegraben, und das Erdreich auf andere Felder ver-
führt. Daher kommt es, dass ich dem deutschen historischen
Vereine zu Prag schon so bedeutende Funde einsenden konnte.
Die Funde werden jedoch nicht allein auf der Bergebene
gemacht, sondern rings um den Berg gegen die Schaaber Höhe
zu, auf dieser bis südlich und östlich von Schaab. Man schätzt
das Fundfeld auf vierhundert Joch Flächenraum um Schaab
herum. An dieses Fundfeld schliesst sich, kaum durch eine
halbe Wegstunde getrennt, das Fundfeld „in den Gruben" bei
Lischwitz an, das ebenfalls mehrere Joch einnimmt. Diesem
noch näher schliessen sich kleinere Fundorte bei Zarch, Lisch-
witz, bei der St. Wenzelkapelle, bei Liboritz und Michelob
an, welch letztere zwei knapp am Goldbache liegen. Alle haben
das gemein, dass in der Mitte in oder an den Fundfeldern noch
reichliche perennirende Quellen bestehen.
Ein weit grösseres Fundfeld ist bei Klein -Tschernitz,
knapp am Wilkauer-Bach. Dasselbe liegt ebenfalls auf einer
Höhe, die nach einer Seite unter einem Winkel von 45 Grad
abgeböscht ist, und auf der zweiten Seite durch einen tiefen
Graben geschieden erscheint, auf den andern zwei Seiten aber
'lurch neuere Cultur verändert ist. Endlich noch ein grösseres
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Fundfeld bei Welhütten, knapp am Teschnitzer-Bach, ebenfalls
auf einer Höhe gelegen, das aber später durch Anlage eines
Meierhofes wahrscheinlich grösstentheils verbaut ist.
Alle diese Fundfelder habe ich gelegenheitlich wiederholt
besucht und auf jedem mannigfache Funde gemacht. Fundfelder
im nahen Egerthale, wo sie ebenfalls zahlreich sich finden
sollen, habe ich bis jetzt noch nicht Gelegenheit gehabt, zu
besuchen. Die schönsten Funde aus ihnen besitzt meines Wissens
Kreisarzt Dr. Karl Wostry in Saaz und Baron Korb von
Weidenheim in Wernsdorf bei Kaaden. Sie haben alle das
gemeinsam, dass sie einen grösseren Flächenraum einnehmen,
reichliche Funde darbieten, und sich nicht bei oberflächlicher
Besichtigung in Detailwohnungen zerlegen lassen.
Anders verhält es sich mit einer zweiten Reihe von Wohn-
plätzen. Sie befinden sich in den Niedeningen längs des Laufes
der Bäche, namentlich des Teschnitzer-, Seitscher- und Tscher-
nitzer-Baches. Sie bestehen in runden, etwa anderthalb Klafter
im Durchmesser haltenden Plätzen, die reihenförmig bis dreissig
Schritte von einander entfernt oder in Gruppen angelegt sind.
Von weitem fallen solche Plätze schon durch ihre Färbung auf.
Stets trijBft man bei näherer Untersuchung derselben Scherben
und fast stets Knochenreste von Thieren, herbeigeschleppte
Steine oder Bruchstücke von solchen, Kohlenstückchen, Reste
von Feuersteinpfeilspitzen, Schleifsteinen etc. Einmal fand ich
selbst einen Handmühlstein, und eine ungebrannte Urne ohne
alle Verzierung, ähnlich einem gefüllten Tabaksbeutel. Die
oben erwähnten Steine und Steinbnichstücke sind oft zu einem
kleinen, runden, mörtellosen Pflaster zusammengelegt, und man
glaubt dann einen prähistorischen Feuerherd vor sich zu haben,
auf dem Scherben und Knochen bis heute noch liegen.
Hie imd da trifit es sich, dass der Zufall auch in die
erstere Gattung Wohnplätze Einsicht gestattet hat. Man trifft
sie nämlich an manchen Plätzen durch spätere tiefe Wasser-
risse oder Erdabrutschungen im Profile blosgelegt. Man sieht
dann neben einander liegende, durch Zwischenräume getrennte
niedrige Rechtecke oder Trapeze I I \ /, in denen man
obige Funde antrifft, während die Zwischenräume frei von
Funden sind. Bei Abgrabungen in der Fläche traf es sich
dann, dass man im Erdreiche parallele Streifen im Untergrunde,
durch Erhöhung und Verfärbung markirt, antraf, dazwischen
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wieder runde verfärbte Stellen. Man glaubt dann Blockwohnungen
mit ihren Feuerherden vor sich zu haben. Am weitesten wurde
bis jetzt die Abgrabung am Rubinberge betrieben. Man hat
daselbst bis zwei Klafter tiefe Abgrabungen gemacht, wobei
man sich bis jetzt nur an den südöstlichen Abhang halten
konnte, da die obere Fläche der Gemeinde Dolanka gehört
und verpachtet ist.
Man fand daselbst ausser dem oben erwähnten Mauer-
werke im Verlaufe der Abgrabung ähnliche Pflaster von Stein,
und von geglättetem und gebranntem Lehm, so dass man glaubte,
die Ebene eines Backofens vor sich zu haben; dabei klafter-
tiefe trichterförmige Gruben mit daneben ausgeworfenem Erd-
reiche; in diesen Gruben zu Staub vermoderte Holzstücke, die
in der That bei Berührung zu Staub zerfielen. Diese Gruben
gingen bis auf den unten liegenden Basalt, und könnten aller-
dings mit Holz ausgestemmte Vorrathskammern gewesen sein.
Die wichtigsten Funde, bei deren Aufzählung ich mich
zunächst an den Rubin halten will, und die bis jetzt fast
sämmtlich im Besitze des deutschen Geschichtsvereines in Prag
sind, waren bisher:
1. Zahllose Scherben, selten ganze gebrannte und unge-
brannte Geschirre. Bei ihrer Auswahl hielt ich mich an auf-
fallende Grösse oder Feinheit, meist an Verzierungen, die oft in
Nägel- und Fingereindrücken, Buckeln, Leisten, Liniengrübchen,
Arabesken etc. bestanden, oder an grössere Bruchstücke, aus
denen man die Gesammtgestalt womöglich schliessen konnte.
2. Zahlreiche Knochen. Wurden nur eingesendet, wenn
sie zu Pfriemen und Nadeln verarbeitet waren oder sonst Spuren
menschlicher Arbeit zeigten, wie ein ganzer Hirschschädel mit
abgesägtem Geweihe. Die Knochen sind Rinds-, Schweins-,
Pferde-, Hirsch-, Reh-, Hasen-, Hundsknochen etc. Von Rinds-
knochen trifft man häufig den Hornzapfen verarbeitet. Der
Zapfen ist meist kurz und dick und erlaubt den Schluss auf
die Brachycerosrace. Es versteht sich von selbst, dass die
Röhrenknochen meist der Länge nach gespalten sind.
3. Steinhämmer von verschiedenem Material e, in vollende-
tem, halbvollendetem, verdorbenem und zerbrochenem Zustande.
4. Steinkeile (Messer) derselben Art.
5. Zahllose herbeigetragene Steine vom gröbsten bis zum
feinsten Korne, auf einer oder zwei Seiten plan, concav, auch
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biconcav geschliffen (Schleifsteine), so dass bei dem einen sich
die Schlifffläche rauh, bei andern vollkommen glatt anfühlt.
6. Mühlsteine, der obere convex, der untere concav.
7. Broncesachen, die leider von den Findern als Gold
probirt und zerbrochen wurden. Ein Broncemesser (Keil) ist
im Prager Geschichtsverein, Ohrgehänge, Armbänder und Ketten.
Bronce theils röthlich, theils blassgelb.
8. Aus Hirschhorn vollkommene Hämmer und Messer (Prag).
9. Seltener verrostete Eisenbruchstücke.
10. Spinnstöcke (sogenannte Webstuhlgewichte) aus ge-
branntem Thon oder aus Stein in Gestalt viereckiger gestutzter
Pyramiden, mit einem Querloche im obem Drittel.
11. Drehscheiben aus Stein mit centralem Bohrloche.
12. Estrichtstücke (Wandbewurf): gebrannte Thonstücke
mit Abdrücken von Pflanzen, häufig mit ebener Fläche oben
und zwei Kehlflächen unten, auch sonst vielgestaltig.
13. Schlacken, wohl Eisenschlacken, auch in grossen Klum-
pen meist mit Pflanzenabdrücken.
14. Farbsteine.
15. Thonkugeln von Eichelgrösse (ex argilla glandes Caes.
bell, gallic.) gebrannt, oft ge&rbt, zuweilen mit einem Grübchen,
in der hiesigen Gegend Donner- und Wetterkugeln genannt.
Sie sollen sich drehen, wenn man sie bei einem Gewitter neben
eine brennende, geweihte Kerze auf den Tisch legt.
16. Spinnwirtel von Thon, eben so häufig auch aus Stein
gearbeitet.
17. Feuerstein - Pfeilspitzen, -Messer, -Sägen (mit ihren
charakteristischen Flächen, einer unteren und zwei oberen sich
dachförmig berührenden Flächen, während eine vierte Fläche
das hintere Ende des Daches abstutzt,) selten in grösseren
Exemplaren, meistens in Bruchstücken.
Ob mannigfach geartete Sporen und Hufeisen, die oft in
beträchtlichen Tiefen getroffen werden und auf einen kleinen
Huf deuten, dabei breiter als die jetzigen und vorn ohne Griff
sind, derselben Zeitperiode angehören, wird kaum zu entschei-
den sein.
Minder reichlich als Wohnplätze finden sich Begräbniss-
plätze vertreten. Man wählte zu solchen immer ein lockeres,
sandiges oder schottriges Erdreich, während die Unterlage der
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Wohnplätze ein festeres Erdreich ist. Am reichsten finden
sich die sogenannten „Reihengräber" bei Welhütten, die dort
durch einen Fuhrweg und zugleich Wasserlauf bei Regengüssen
im Profile blosgelegt sind. Sie haben stets die Gestalt eines
nach abwärts gerichteten Halbmondes von 1 '/j — 2'/2 Meter Tiefe
und Weite und sind nur einige Schritte von einander entfernt.
Nur sehr selten fand ich sie rechtwinkelig oder von noch ge-
ringerer Dimension. Eben solche Gräber finden sich auch bei
Schaab und Miltschowes durch Abgrabungen im Schotter ge-
öffnet. Aehnliche Gräber zeigen sich auch einzeln zerstreut
gern auf kleinen Anhöhen. Sie sind häufig dadurch angedeutet,
dass man über ihnen mehrere Steine in Gestalt einer niedrigen
Pyramide an einander gelegt findet. Auch liebte man es, die-
selben unter dem Rande grösserer Felsblöcke anzulegen, die
sich hier sehr häufig zerstreut finden und dem unteren Kohlen-
sandstein angehören sollen. Die Funde in demselben sind sehr
mannigfach. Stets kommen Scherben, Asche, Kohlen, Thier-
knochen, sehr häufig Estrichtstücke, Ohrgehänge und Ann-
bänder vor. Bei Miltschowes fand man auch ganze Vasen, die
leider, wie meist, nicht rasch genug aus Geldgier zerschlagen
werden konnten.
Hügelgräber glaube ich nur bei Miltschowes gefunden
zu haben. Man bemerkt daselbst am Wege von Michelob
nach Miltschowes knapp neben den schon erwähnten Reihen-
gräbern, in denen Vasen gefunden wurden, zwei niedrige Er-
höhungen. Ihr Erdreich ist ein sehr lockeres. Oberflächlich
findet man hie und da einzelne Scherben. Vor einigen Jahren
wurden beim Ackern mehrere grössere Basaltsteine ausgewälzt,
unter welchen man eine grössere Menge von Ringen, Bruch-
stücke aus rother Bronce und goldene Ohrgehänge fand. Letztere
wurden einem Goldarbeiter verkauft, erstere hatte ich längere
Zeit in Besitz. Knapp an diesen Hügeln und Gräbern ist eine
ebene Fläche von geringer Ausdehnung, in der man ein aus
unregelmässigem Basalt, herbeigeschleppten Sand- und Kalk-
stücken etc. angelegtes mörtelloses Pflaster fand, das nur zum
Theile ausgehoben wurde. Weitere Nachgrabungen wurden
nicht gemacht. Man dürfte kaum fehlgehen, wenn man
den Platz für einen Leichen Verbrennungsplatz hält; dann
dürften die Hügel doch noch als Grabhügel einiges in sich
bergen.
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Manche dieser Reihen- oder Einzelgräber zeichnen sich
auch dadurch aus, dass ihr Grund mit kleinen Steinen wie
ausgelegt ist und einen weisserdigen Belag zeigt. Nicht immer
scheinen derartige Gräber auch wirklich Gräber gewesen zu
sein. Man scheint sie auch als Vorrathkammern benutzt zu
haben. So fand ich bei Schaab ein derartiges Grab von gegen
drei Meter Breite und Tiefe im gelben schottrigen Diluvialsand,
vollständig ohne eine Spur von Aschen- oder Kohlentheilchen,
ausgefüllt mit bröcklichem, thonigem Lehm, aus dem, wie Sach-
verständige sich äusserten, umliegende Geschirre ohne Anstand
gebrannt sein konnten. Einige Schritte davon sah ich im
selben Diluvialschotter eine mehrere Klafter lange ebenso breite
und weite Grube, die zufallig durch Sandabgrabungen geöffnet
wurde, mit aschehaltiger Erde und unzähligen Estrichtstücken
von mannigfacher Gestalt und Grösse und nur sehr sparsamen
Geschirrresten ausgefüllt. Kaum zwanzig Schritte davon besteht
noch heute eine nie austrocknende, sumpfige, sonst verwahr-
loste Pfütze. Alles dies zusammengehalten, lässt den muthmass-
lichen Schluss erlauben, dass man es hier in der That mit
einer prähistorischen Töpferei zu thun habe. Endlich muss
ich noch eines Fundes aus der südlichen Lehne knapp bei
Schaab Einvähnung thun. Man ackerte dort öfters ganze Platten
anscheinend von Cement aus der Erde. Sie bestehen aus grobem
Sand mit einem Bindemittel; die obere Fläche ist geglättet,
blättert sich stellenweise dünn ab und ist blassblau gefärbt.
Die Platten sind äusserst fest, ruhen auf losem Mauerwerk, dessen
Eindruck die untere Fläche darbietet. Wie viel von diesen
Platten, die alle zusammenzuhängen scheinen, schon verloren
gegangen sind, ist nicht bekannt. Gegenwärtig ist der eine
Rand zum Theil blossgelegt, der Umfang scheint viele Qua-
dratklafter zu betragen, da bei kräftigem Anschlagen das
Erdreich immer wieder gewölbeai*tig erschüttert wird. Eine
Abgrabung knapp am Rande ergab einen Aschen-, Knochen-
und Scherbenbefimd auf eine Klafter Tiefe; ferner eine schon
beschriebene Trichtervertiefung und sieben aneinander liegende
Spinnstöcke.
Ich glaube hiemit die wichtigsten Funde möglichst
objectiv angeführt zu haben.
Liboritz, Anfangs September 1877.
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Mineralogisch-archäologische Studien.
^ Von
HyPisoher
zu Freibarg in Bitden.
(NoTemb«r 1877.)
Es scheint mir nicht unzweckmässig, von Zeit zu Zeit
in zwanglosen Aufsätzen die Erfahrungen mitzutheilen, welche
ich in obigem Studiengebiete, besonders durch neue Zusen-
dungen von auswärtigen Museen sowie aus Privatsammlungen
zu machen Gelegenheit finde.
Diese Erörterungen werden sich natürlich an meine
grösseren Arbeiten im genannten Forschungsbereiche *) an-
schliessen, beziehungsweise die dort niedergelegten Unter-
suchungen erweitern und vervollständigen; es sollen hier also
erstlich neue Beiträge zur Literatur angeführt und kritisch
beleuchtet, ferner unmittelbare Beobachtungen mitgetheilt
werden.
Vom allgemein wissenschaftlichen Standpunkte der Kunst-
geschichte aus sind auch schon die allerrohesten Anfange
der Sculptur bei den wildesten Völkern der Betrachtung
werth. So haben wir also unter Anderem allen Grund, den
Neuseeländern unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, wenn
wir bei ihnen Schnitzwerke antreffen, wie ich zum Muster
eines als Titelbild meines erst genannten Werkes (und Fig. 7,
pag. 19) darstellte. Ich kenne solche aus den Museen von
Leipzig, Wien, Berlin, London, Freiburg u. s. w. als soge-
nannte Tiki^s, das heisst sauber aus Nephrit oder nephrit-
ähnlich aussehenden Mineralien geschnitzte Idole von einem
im Allgemeinen sich gleichbleibenden fratzenhaften Typus,
^) Nephrit und Jadeit nach ihren mineralogisohen Eigen-
schaften sowie nach ihrer urgeschichtlichen und ethnographischen
Bedeutung, mit 131 Holzschnitten und zwei chromolithogra-
phischen Tafeln. Stuttgart, 1875,8®; ferner: Die Mineralogie als
Hilfswissenschaft für Archäologie, Ethnographie u. s. w.,
mit drei Tafeln; im Archiv für Anthropologie von Ecker und
Lindenschmit, Band X, Heft 3 und 4. 1877.
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die aber, wie es scheint, ohne Hilfe von Metallinstrumenten
mit unsäglicher Geduld, zum Theil aus Substanzen von so
enormer Zähigkeit gearbeitet sind, dass Stahlhammer und
Ambos ihnen nicht Stand halten. Solche Arbeiten sind doch
gewiss schon nicht mehr als das Resultat einer rohen Kunst
zu erachten ; dies wird jeder Steinschneider unserer Tage nicht
nur zugeben, ja er wird vielmehr dieselben mit Erstaunen und
Bewunderung betrachten.
Wie viel mehr Grund mögen wir haben, nach den Resten
der Kunst nord-, mittel- und südamerikanischer aus-
gestorbener Culturvölker zu fahnden, wenn wir berücksichtigen,
welche Hilfsmittel für Zeitrechnung (Kalendersteine etc.),
Schrift (Hieroglyphen), welche Tempel- und Städtebauten,
welcher Reichthum an Schmuck- und I^uxusgegenständen aus
den verschiedensten Steinen bei fehlender Kenntniss des Eisens
dort von den europäischen Eroberern noch angetroffen wurden !
Ich verweise für obige Verhältnisse nur auf die zum
Theile mit reichlichen Tafeln ausgestatteten, in meinem Werke
näher bezeichneten Schriften von Oviedo 1526, Sahagun 1530,
[1829] Ordaz 1536, Monardes 1565, Herrera 1728, Cla-
vigero 1780, Kingsborough 1831, Waldeck 1838, 1866,
Stephens 1841, Prescott 1843, Rivero und Tschudi 1851,
Squier 1852 ff., Brasseur de Bourbourg 1857, 1866,
Rodriguez 1869 u. s. w.
Ich darf jedoch nicht unterlassen, hierbei sogleich die
Vorsicht zu empfehlen, dass man geschnittene Steine, welche
z. B. notorisch schon in sehr früher Zeit aus Amerika zu uns
herüber kamen, deshalb nicht kurzweg als Arbeit eines
amerikanischen Urvolkes betrachte. Wir sind nämlich durch
C. F. Ph. V. Martins (vgl. mein Nephrit -Werk pag. 201)
darauf aufmerksam gemacht, dass die Jesuiten viereckige
Täfelchen, worauf sie Zeichen des christlichen Glaubens hatten
eingraviren lassen, von Amerika nach Europa gesandt haben.
Leider beschreibt derselbe diese Zeichen nicht näher;
ich selbst habe seltsamer Weise trotz alles Fahndens noch
nichts Derartiges aus irgend einem Musetim zu Gesicht be-
kommen können ; auf Nephritplättchen sah ich bis jetzt nur
Scoi-pione eingravirt, die doch wohl nicht in obiges Bereich
gehören.
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Nephrittäielchen ohne Gravirung, und zwar viereckige,
fünfeckige, ovale u. s. w., liegen da und dort in alten Samm-
lungen (vgl. Fischer, Nephrit pag. 38 — 40, Fig. 49. 51—59), ich
konnte aber ihre Abkunft noch immer nicht ergründen. Im
Vergleich mit dem Plättchen ebenda Fig. 50, pag. 38, welches
wohl eher einem amerikanischen Volke ursprünglich an-
gehörte, scheinen mir die übrigen, an welchen meist ein ab-
schüssiger Rand angeschliifen ist, wohl anderen Ursprungs zu
sein; das Material für diese letzteren dürfte aus Turkestan
stammen. Sollten die Jesuiten (deren Orden 1539 gestiftet ist)
auch hier im Spiele gewesen sein, so möchten ihnen bei ihrer
grossen Ausbreitung auch die Mittel zur Beschaffung des
Materiales aus grosser Ferne und also z. B. zur Ausstreuung
geschliffener Täfelchen aus asiatischem Nephrit da- und dort-
hin zu Gebote gestanden sein. Ich erinnere hiebei an die
pag. 101 meines Werkes aus Trigautius angeführte Erzählung
von Pater Goes.
Sehen wir uns ferner darnach um, welches die haupt-
sächlichsten, von aussereuropäischen Sculpturen dargestell-
ten Gegenstände seien, so haben wir zu unterscheiden
zwischen solchen Völkern, deren Cultus regeln es erlaubten,
die Natur (Pflanzen, Thiere und Menschen) wahrheitsgetreu
nachzubilden, und anderen, denen dies, wie z. B. den Semiten,
wegen Verhütung der Abgötterei verboten war.
Im ersteren Falle fragt es sich, in wie weit die betreffen-
den Künstler fähig sind, die Verhältnisse der Naturkörper so
sorgfältig aufzufassen, dass ihnen eine mehr oder weniger
getreue Nachbildung derselben, sofern sie dieselbe wirklich
auch zugleich bezwecken, wirklich gelingen kann, und zwar
zunächst in weicherem Material, wie Holz oder Thon, oder
anderen weicheren Mineralien, wie z. B. Alabaster, Marmor,
Speckstein, Agalmatolith (Bildstein), Serpentin, Apatit, oder
weicheren Felsarten, z. B. Thonschiefer; der weitere Schritt
ist sodann die Ausführung in zähen und harten Mineralien,
wie Nephrit, Jadeit, Andesit, Beiyll, Quarz u. s. w.
Es ist aus den früheren Jahrzehnten dieses Jahrhundertes
noch zur Genüge bekannt, wie die Arbeiter, welche mit Stahl-
hämmern die damals für die Flintenschlösser nöthigen vier-
eckigen Feuersteinplättchen herstellten, mit unverhohlenem
Staunen die aus Feuerstein geschlagenen Beile, besonders
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aber die noch feineren Lanzen- und Pfeilspitzen betrachteten,
welche man aus der Steinperiode kennt und als blos mit Stein
gegen Stein gearbeitet betrachten muss.
Nun bietet aber die Darstellung einer Thier- oder
Menschenfigur doch noch ganz andere Schwierigkeiten als
Feuersteinmesser u. s. w., und gleichwohl finden wir solche
Figuren als Idole bei Völkern zu einer Zeit, als sie von Eisen
und Stahl gar keine Kenntniss besassen, wie in Neuseeland,
Mexiko u. s. w. , und zwar sind diese Figuren nicht blos
geformt, sondern fein polirt; meistens lässt sich, worauf ich
schon bei anderen Gelegenheiten anspielte, deutlich nach-
weisen, dass Gerolle benützt wurden, deren natürlich glatte
Oberfläche an einzelnen Stellen noch unverkennbar ist.
Es ist also wohl Grund genug geboten, dass diesen
Objecten, welche bisher in ethnographischen, archäologischen,
mineralogischen, in Kunst- und Antiquitäten-Cabineten,
Schatzkammern u. s. w. meist ganz unbeachtet, höchstens mit
Angabe der Abkunft, dagegen ohne Erläuterung des minera-
logischen Materiales und der artistischen Bedeutung gelegen
waren, einmal die allseitigste und weitestgehende Aufmerksam-
keit zugewendet werde. Es sollen diese Stiefkinder jetzt, da
man der Geschichte der Urvölker mehr und mehr Beachtung
schenkt, endlich auch zur richtigen Geltung kommen und aus
dem Dunkel, das sie unserem geistigen Auge bisher verhüllte,
an das richtige Licht gezogen werden.
Es ist die ernste und zugleich lohnende Aufgabe der
Directionen ethnographischer Museen, solcherlei Objecto, so
wie sie noch aus alten Zeiten her da und dort auch im Anti-
quitätenhandel auftauchen, den betreffenden Instituten und
dem Dienste der Wissenschaft zu erwerben und zu sichern.
Andererseits möchten solche, welche fremde Erdtheile be-
suchen, sich das Verdienst nicht entgehen lassen, derartige
Gegenstände von ausgestorbenen oder dem Aussterben nahe-
stehenden Völkerschaften der europäischen Heimat und der
daselbst gepflegten Wissenschaft zuzuführen; in den von uns
behandelten Idolen u. s. w. haben wir bei der Unverwüstlich-
keit des harten Steinmateriales, besonders bei polirtem Zustande,
zugleich oft mehr oder weniger getreue Gesichtstypen der
hingegangenen Völker vor uns.
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12
Nachträge zur Vorrede und zur Erklärung der Abbildungen.
(Fischer. Nephrit und Jadeit, pag. I— XXIV.)
Ad pag. VII. Guatemala u. s. w. gehört hinter Göttingen.
Ad pag. XVIII, Fig. 24. etc. Die Schlinge an neusee-
ländischen, aus Nephrit gearbeiteten Stäben mit Oehr besteht,
nach Professor v. Ilochstetter, nicht aus den Fasern von Morus
papyrifera, sondern von Phormium tenax (Flachslilie). Uebrigens
werden solche Stäbe dort nicht allein als Ohrgehänge, sondern
auch als Schmuck an Schnüren am Leib getragen, wie mir
kürzlich ein Herr berichtete, welcher in Ceylon vielfach Neu-
seeländer gesehen zu haben behauptete.
Ad pag. XIX, Fig. 41. Das dreiköpfige Idol befindet
sich jetzt im Freiburger Museum; das Nähere vgl. unten sub:
Ad pag. 33 und sub 1877, Otis T. Mason.
Ad pag. XX, Fig. 60. Dieser Gegenstand ist (vgl. hier-
über jetzt das Nähere unten sub: Ad pag. 45) ein ganz kleines
Ornament, nicht, wie v. Martins selbst angab, ein Säbel oder
eine Schlachtkeule.
Ad pag. XXIV, Fig. 117 hat das specifische Gewicht
3-8, nicht 3'00.
Nachträge zur Einleitung.
(pag. 1-62.)
Ad pag. 2. Brückmann Urb. Fr. Ben. (Beiträge zu
dessen Abhandlung von Edelsteinen, zweite Fortsetzung, Braun-
schweig, 1783, pag. 217) sagt, „dass der Pagenhofmeister
Fuchs in Potsdam Geschiebe eines wahren dunkelgrünen,
hornsteinartigen Nierensteines mit einer harten thonartigen,
weissen Rinde entdeckt und in den Beschäftigungen und
Schriften der Berliner Gesellschaft naturforschender Freunde
schon verschiedenes Interessante beschrieben habe".
Wir erfahren hier also die ungefähre Zeit der ersten
Auffindung dieses grünen seltsamen Minerals, dessen voll-
ständige Analyse heute noch ebenso aussteht, wie die Ergrün-
dung der Abkunft desselben; ich möchte diese Gelegenheit
neuerdings benützen, auf obiges Beide hiermit hinzuwirken.
Die von Brückmann gegebene Beschreibung passt voll-
ständig auf die zwei Stücke, deren Ansicht mir durch die
Gefiilligkeit des Herrn Oberbergrathes Prof. Web sky in Berlin
vermittelt war.
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13
Ad pag. 6. (14. [66.J 321.) Pietra d'Egitto. Durch
die Gefälligkeit des gegenwärtigen Directors des mineralogischen
Museums zu Göttingen, Herrn Professor Klein, erhielt ich das
auf den oben citirten Seiten meines Buches erwähnte Original-
Exemplar von Blumenbach^s Pietra d'Egitto zur Ansicht;
ich erkannte die Substanz als unschmelzbar, was schon an
und für sich den Gedanken an Nephrit ausschliesst ; dieselbe
ist zufolge einer auf Veranlassung von Prof. Klein vorge-
nommenen Analyse ein dem Antigorit nahestehender Serpentin
und fUUt also in das bereits recht ansehnliche Gebiet der
Falso-Nephrite.
Ad pag. 10. Zur Anmerkung: Prime d'emeraude habe
ich beizufügen: Brückmann (Urb. Fried.), Abhandlung
von Edelsteinen, Braunschweig 1773, erwähnt schon in diesem
genannten Jahre pag. 265 einen „grünen phosphorescirenden
Jaspis", und als Synonyme unter Anderen: Mare smaragdinum,
Preome oder Prime d'Emerode der Franzosen aus dem Orient
und Sibirien, welcher, wenn zuvor geglüht, im Finstern leuchte.
Er finde sich von verschieden grüner Farbe, bald smaragd-
oder gi'asgrün, bald olivenfarbig. Da nun Brard in seinem
Trait^ d. pierr. pröc. Paris 1808 den grünen Feldspath
gleichfalls: Amazonenstein und Prime d'Emeraude nennt, so
könnte wohl bei den Steinschneidern jener Zeit dieser Name
für die genannte Substanz ziemlich allgemein seine Geltung
gehabt haben und somit für uns einen Wink abgeben, dass
wir bei Nennung des angeführten Namens z. B. auch für Sub-
stanzen aus Amerika, annähernd an das Apfelgrüne des Amazonit-
Orthoklases (oder neuerdings: Mikroklin) zu denken haben.
Ich fuge hier gleich mit an, was ich über die Namen:
Smaragdplasma, Smaragdoprase und Smaragdmutter
(pag. 6 Anmerkung, 10, 41, 44, 85, 128, 136, 137, 229 meines
Werkes erwähnt) seitdem ermittelt habe. — Brückmann,
Abhandlung von Edelsteinen, 1773, 2. Auflage, Braunschweig,
erklärt pag. 188 diese genannten Steine als dasselbe wie der
Goldpraser (Chrysopras) und von demselben schlesischen
Fundort Kosemitz, stammend, nur spiele seine Farbe mehr
in Gras- und Smaragdgrün; pag. 183 erwähnt er, dass die
Italiener Prasma und Plasma (vgl. pag. 132 meines Werkes)
nebeneinander gebrauchen; femer dass Einige den Praser
(also den Chrysopras) für die Smaragdmutter halten, während
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(was ganz richtig ist) doch nie Smaragde in ihm gefunden
werden.
In der hieran sich anschliessenden Schrift: Beiträge zu
obiger Abhandlung, Braunschweig 1778, pag. 61, ist davon
die Rede, dass sich (nach F erb er) in Baiern grosse Geschiebe
aus hochgrasgrünem, in dünnen Scheiben durchsichtigem
Quarz (?) oder vieUeicht Smaragdmutter, mit kleinen ein-
gesprengten Granaten finden. Dieses sei eigentlich die giüne
quarzartige Steinart, welche die Franzosen „Prime d'Emeraude",
andere, wiewohl falsch, Smaragdmutter nennen. Die italieni-
schen Steinschleifer pflegten wohl diese Steinart auch für den
Plasma di Smeraldo zu verkaufen. Doch seien nicht jederzeit
die von F erb er angezeigten Granaten darin.
H. V. S(truve?) in seinen Mineralogischen Beiträgen
u. s. w., Gotha 1807, pag. 152, nennt ebenfalls, da er von den
schlesischen Chrysoprasen spricht, das Wort Smaragdoprase,
indem er nach den dortigen Hauptlagerstätten zwei Varietäten
(vielleicht nach dem Vorgange von Meinecke 's Monographie
hierüber. Erlangen 1805, die ich im Augenblick nicht ver-
gleichen kann) unterscheidet, nämlich jenen von G roch au,
welchem er eben lieber den Namen Smaragdopras zuweisen
möchte, im Vergleich mit den Vorkommnissen von Kosemi tz
und Gläsendorf.
Wir wissen somit nun genau, an welcherlei Farben-
abstufung von Grün wir zu denken haben, wenn wir den
betreffenden Namen bei alten Schriftstellern auf gewisse
amerikanische Mineralien angewendet finden.
Ad pag. 14. Bezüglich der chinesischen Verhältnisse
des Nephrits sind meine Studien wesentlich und in erfreulichster
Weise gefördert worden durch die höchst dankenswerthen und
erfolgreichen Bemühungen unseres deutschen Ministerresidenten
in China, Sr. Excellenz Freiherrn M. v. Brandt in Peking
und des bis vor Kurzem bei der genannten Gesandtschaft
beschäftigt gewesenen Herrn Dr. v. Möllendorf (gegen-
wärtig als Consul in Tientsin bei Peking weilend). Auf mein
durch Herrn Oberst z. D. v. Brandt in Berlin gefälligst
vermitteltes Ansuchen hatte Se. Excellenz die Güte, mir ddto.
20. April 1876 eine Sammlung von 76 grösstentheils nur wenig
angearbeiteten Exemplaren der Substanzen zu übermitteln,
welche in China als ^Yü" in den Handel kommen; davon
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haben sich mir bei genauerer Prüfung 57 als Nephrite der
verschiedensten Sorten, 1 Stück als Jadeit und nur 18 als
andere Mineralien (demnach als Falso-Nephrite) herausgestellt.
Es mag wohl seltsam klingen, aber wenn ich die Wahr-
heit sagen soll, so muss ich rundweg gestehen, dass sich mir
hier, wo es sich doch nur um Dinge handelt, welche im
chinesischen Handel den gleichen Namen „Yü" fuhren, das
Verhältniss viel günstiger gestaltete, was wirkliche mineralogische
Uebereinstimmung (57 unter 76 Stücken) betrifft, als wenn ich
auf die vielen Exemplare aus europäischen mineralogischen
Museen zurückblicke, welche mir als „Nephrite" zur Einsicht
anvertraut wurden, wo nicht nur unter den wirklichen Mine-
ralien auf einen echten Nephrit mitunter nahezu zwei Falso-
Nephrite (daininter auch Mannor^ Serpentin, Thonschiefer,
Diabas), kommen, sondern wobei sogar Glas und Email als
Nephrit figurirten.
Diese Sendung war mir aus den verschiedensten Gründen
von hohem Werth, obwohl sie doch nur erst diejenigen „Yü-"
Sorten umfasst, welche in Peking aus den mehr nördlichen
Theilen Chinas auf den Markt kommen. Es waren eben doch
schon hiebei Nephrite der verschiedensten Farben, milchweiss,
grünlichweiss, bläulich (woran ich früher kaum hatte glauben
wollen), dann dunkelgrün. Weitaus die Mehrzahl der Stücke
stammt aus der Gegend von Khoten, Yarkand und (pag. 260)
Kaschgar, woraus hervorgeht, dass noch gegenwärtig und fortan
die Gegenden, welche seit urältester Zeit (vgl. mein Werk,
pag. 148, 193, 204—206, 230, 291—292: Khoten; pag. 32,
207, 325: Yarkand) Nephrit, „Yü" geliefert hatten und mit
Rücksicht hierauf auch seinerzeit von den Gebrüdem v. Schlag-
intweit^) und zuletzt noch von Stoliczka besucht worden
waren, diese Substanz roh in den chinesischen Handel bringen.
Als weitere Fundorte sind vertreten: Milatai (wo gelegen?),
Chamil, Khorkue (Kalakuei) bei Chamil, dann Turfan (beide ganz
an der nördlichen Grenze von Turkestan gegen die Dsungarei,
ostnordöstlich von Khotan), .Manas in der Dsungarei selbst;
Bassekan (wo gelegen?), endlich die Provinzen: Kansu (süd-
^) Vgl. mein Nephritwerk, pag. 260, Anmerkung. Bei Kaschgar
wurde den 26. August 1857 auf der Reise Adolf v. Schlagintweit
von den Eingebomen geiödtet.
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östlich von Turkestan) und: Yunnan (ganz im Südwesten
China's an der Grenze von Hinterindien).
Meine Absicht, als ich mich um (möglichst ausschliesslich)
rohe Exemplare von Nephrit mit Fundortsangabe nach China
gewandt hatte, war vorherrschend darauf gerichtet, zu erfahren,
ob aus diesem immensen Reiche vielleicht diejenige so aus-
gezeichnet schiefrige, schön dunkelgrüne Sorte stamme, aus
welcher die in Europa in Pfahlbauten u. s. w. verstreuten
Beile gearbeitet sind; ich muss aber diese Frage Angesichts
dieser grossen Sammlung chinesischer Nephrite vorerst immer
noch verneinen. Weitaus die meisten Stücke derselben, die
doch, so wie sie mir zukamen, thatsächlich von dem Markte
von Peking stammen, sind ganz hellfarbig; dunkelgrün (also
nur irgend vergleichbar mit demjenigen aus den Pfahlbauten)
ist nur ein Stück und zwar von Manas in der Dsungarei,
sogenannter Pi-Yü („dunkelgrüner Yü"), von specifischem
Gewichte 2*98, aber dieser ist nicht schiefrig und viel mehr
bläulichgrün.
Bei den Chinesen werden die verschiedenen „Yü"-Sorten
unter sich genauer durch Beinamen unterschieden, welche mir
Herr Dr. v. Möllendorf sorgfaltigst beizufügen die Güte
hatte; es sind deren nicht weniger als 16, wovon einer, Fe-
tsue-Yü, auf den Jadeit, vier, nämlich: Ly-Yü („grüner Yü"),
Hsiö-yang-Yü (nach dem Fundoii; in der Mandschurei so be-
nannt), Shui-Yü („Zucker- Yü"), Shwe-Yü („ Wasser- Yü"), nur
auf Falso-Nephrite treffen. Unter anderen Namen, wie z. B.
Pi-Yü (dunkelgi-üner Yü), Chwang-Yü (gelber Jade), Tsching-
Yü (?) waren theils ächte, theils falsche, unter wieder andern
Namen waren nur ächte Nephrite eingelaufen, z. B. Pai-Yü
(„weisser Yü"), Hwang-Yü (?), Cha-mi-Yü („Yü von Chamil"),
T*ang-Yü („Zucker-Yü"), Mo-Yü („Tinten- Yü"), Lan-tien-Yü
(? nach der Provinz genannt). Unter allen ächten Nephriten
kam der Name Tsching- Yü am häufigsten vor, und zwar bei
schmutzighell lauchgrün oder weisslich geftlrbten Stücken.
(Ueber den Namen Tsching- Yü siehe weiter unten.)
Diesen statistischen Notizen über die eingegangene Samm-
lung lasse ich nun zunächst die sehr wichtigen authentischen
Bemerkungen des Herrn Dr. v. Möllendorf, welche dieselbe
begleiteten, folgen unter, in Parenthesen [ ] beigefugten An-
deutungen von mir selbst.
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^Jadc wird nach Peking hauptsächlich von Yunnan und
Turkestan gebracht, ausserdem auch aus der Provinz Kan-su
(siehe oben); ein Fundort befindet sich auch in der Mandschurei
(Hsiö-yang) [diese Sorte ist, wie zuvor bemerkt, ein Falso-
Nephrit]. ~- Verarbeitet wird er nach Angabe von Pekinger
Steinschneidern an den Fundstellen gar nicht oder nur in ge-
ringem Maasse, wenigstens behaupten sie, dass kein ver-
arbeiteter Jade von dort bezogen werde. Für den Stein von
den westlichen Provinzen ist Peking die Centralstelle , wenig-
stens für den ganzen Norden Chinas; hier sind die ge-
schicktesten Arbeiter und jedenfalls der grösste Absatz."
„Für Yunnan-Jade [der eingegangenen Sammlung zufolge
zum Theil Jadeit, zum Theil achter und auch Falso-Nephrit]
sind femer Canton und H*an k'on [Hongkong F.] wichtige Plätze;
dort gearbeitete Stücke kommen auch in den Pekinger
Handel. Ausserdem gibt es indessen Steinschneidereien an
vielen Orten in China.
„Die geschätzteste Sorte ist heute, wie auch stets in
früheren Zeiten der smaragdgrüne „Jade" von Yun-nan, den
die Chinesen Fe-tsuö-yü nennen [dies ist Jadeit. F.]; Fe-tsue
ist der Name eines Eisvogels, Halcyon smyrnensi^, mit schön
blauem und grünem Gefieder ; ') daher der Ausdruck auf Ob-
jecto von solcher Farbe übertragen wird. Rein grüne Stücke
sind sehr selten und erzielen enorme Preise; ein paar Tässchen
von 5 Cm. Höhe und gleichem Durchmesser oben kosten etwa
dreitausend Mark. Aber auch weiss, mit grünen Flecken und
Adern ist der Yunna-Jade sehr geschätzt, namentlich wenn die
giünen Stellen beim Schneiden gewisse Figuren, die dem
chinesischen Geschmack entsprechen, bilden oder wenn sie
sich zu bestimmten Fonnen (z. B. einem Baum in der Land-
schaft u. s. w.) schneiden lassen." [Diese zuletzt beschriebenen
Soi-ten sind nach meinen Erfahrungen gleichfalls Jadeit. F.]
„Die Yunnan-Jade-Sorten von geringerer Farbe rangiren
weit nach dem F^-tsuß-yü. — Der theuerste nach diesem ist
der weisse von Khoten, chinesisch Cho-tien-pai-yü und zwar
richtet sich der Preis hier nach der Reinheit der Farbe und
*) Auf eine interessante Analogie dieser Namengebung mit
einer anderen in Amerika werden wir unten eub: Ad pag. 264, 1869
zu sprechen kommen.
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der — wie es scheint, variirendeii — Härte. Für die besten
gelten die Stücke, welche nicht vom Fels gebrochen, sondern
als Geschiebe aus dem Khoten-Fluss, chinesisch pai-yü-tz'-rh,
aufgelesen werden."
^Eine fernere gute Sorte ist der Pi-yü oder dunkel-
grüne Jade, von mattem schmutzigem Grün mit dimkleren
Flecken; ^) ich habe diesen nur von Manas am Nordabhang
des Tienshan [nördlich von Kashgar, auf manchen Karten als
Thian shan, Himmelsgebirge, eingetragen. F.] gesehen."
„Geringere weisse Jade-Sorten, meist gelblich oder grau-
lich, kommen ferner von Kashgar, Yarkand, Khoten, Chamil,
Provinz Kansu (näherer Fundort nicht zu ennitteln) und aus
der Mandschurei."
„Omang-yü (gelber Jade) kommt von verschiedenen Fund-
orten Turkestan's und der Dsungarei." [Thian-shan-pe-lu der
Karte. F].
„Mo-yU (Tinten -Jade), grauweiss mit schwarzen Flecken,
oft fast ganz schwarz, stammt von Turkestan."
„Tang-yii (Zucker- Jade), ist eine körnige graue Art mit
gelbbraunen Schattirungen, meist von Turkestan."
„Alle gewöhnUchen Sorten, meist graugrün, graublau,
blaugrün in vielen Nuancen heissen Tsching-yü, der sehr billig
ist und dessen Werth nur in der Güte der Arbeit beruht."
„Die Bearbeitung des Steins geschieht hier in folgender
Weise. Die ungefilhre Form des Stücks wird vermittelst einer
rotirenden Stahlscheibe mit scharfem Rand, welche man mit
Trittbrett in Bewegung setzt, hergestellt; dabei wird der
Stein fortwährend angefeuchtet. Zu den weiteren Operationen
dienen verschiedene andere rotirende Stahlinstrumente, feine
Bohrer etc. Zum Schleifen und Poliren wird Smirgelstaub,
häufiger pulverisirter Jade-Staub der härteren Sorten benützt." ^)
*) Aus einer dunkelgrünen Sorte ist auch der Grabstein Timur^s
(Tamerlan's) in Samarkand gefertigt, von welchem weiter unten
die Rede sein wird.
^) Bezüglich eines Fundortes in Hinterindien, worüber ich be-
sonders angefragt hatte, berichtete mir Herr Dr. v. Möllendorf,
dass hierüber in Peking nichts in Erfahrung zu bringen war; jeden-
falls würden die Stücke Jade von dort nach Canton gebracht, wahr-
scheinlich aber nicht so sehr geschätzt und deshalb nicht nach Peking
verhandelt. Von Herrn Otto Kuntze in Leipzig-Eutritzsch er-
hielt ich kürzlich zwei Stücke Jadeit zur Ansicht, welche er
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Diesen Angaben des Herrn Dr. v. Möllendorf setzte
dann FreiheiT v. Brandt selbst noch die Bemerkung hinzu,
es geschehe in H'an k'on und manchmal auch in Peking der
Verkauf des auf den Markt gebrachten Jade in der Weise,
dass aus den verschiedenen Stücken einzelne Loose gebildet
werden, welche der Käufer ähnlich wie beim Verkauf der
Perlmuscheln an der Küste von Ceylon auf gutes Glück ersteht;
enthält eines der Loose ein schön gefilrbtes oder geädertes
Stück Jade, so verdient er vielleicht mehrere tausend „ Jarls",
andernfalls muss er den Verlust tragen. (Vgl. pag. 192 meines
Werkes, Zeile 8 — 4 von unten, Abel-Remusat: Prüfung kuge-
liger Steine auf Einschluss von Yü.)
Als ich, nachdem unterdessen mein Nephrit- Werk erschienen
war, ein Exemplar desselben behufs noch näherer Verstän-
digung über den Gegenstand meiner Studien, an Freiherrn v.
Brandt nach Peking gesandt hatte, so hatte derselbe die
Güte, unterm 6. Juli 1877 mich mit einem neuen Schreiben
zu erfreuen, worin mir eine weitere Sendung roher Hand-
stücke von in China zur Verarbeitung kommenden Mineralien
in Aussicht gestellt wird, welche auf dessen Ersuchen der
deutsche Consul in Amoy (gegenüber der Insel Formosa), Herr
C. Bismarck, mit Angabe der Fundorte und sonstigen Notizen,
wahrscheinlich noch in diesem Jahre werde zugehen lassen, i)
Dem obenerwähnten zweiten Schreiben des Freiherrn
V. Brandt lag dann aber auch von Herrn Dr. v. Möllendorf
ein mir sehr interessanter Bericht bei, worin derselbe in dankens-
werthester Weise alle seine neueren in China gesammelten
Erfahrungen in Betrefif unseres Gegenstandes mir jeweils unter
Citation der Seitenzahlen meines Werkes mittheilte. Es konnte
auf seiner Beise um die Erde in G an ton, China, erworben hatte;
beide waren Fragmente von KohlcylinderU) das eine, etwas dunkel-
grün, hatte 3*33, das andere mehr licht bläuliohgrÜD 3*34 speci-
fisches Gewicht. Solche Hohlcylinder sind die vorbereitende Arbeit
für die Herstellung von Armbändern und Ohrringen. — Gleich-
zeitig sandte mir Herr Eduard von Fellenberg aus Bern einen
dem Herrn Oberst Schwab in Biel (vgl. mein Werk pag. 18)
gehörigen noch undnrchbohrten Cylinder von ziemlich farblosem
Jadeit mit specifischen Gewicht 3'33 zur Bestimmung zu.
^) Dieselbe kommt soeben an, enthält aber ausschliesslich Agal-
matolith, zum Theil in rohen Brocken, zumTheil in mächtigen, beider-
seits angeschliffenen Platten von verschiedenster Farbenzeichnung.
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mir und kann^ wie ich denke, allen jenen, welche diesen Studien
ihre Aufmerksamkeit zuwenden, nur höchst erwünscht sein,
von einem deutschen, in China befindlichen, mit der dortigen
Sprache und den Verhältnissen vertrauten Gelehrten kritische
Beleuchtungen der Ergebnisse zu erhalten, welche die Literatur
und das Studium der in europäischen Museen und Privat-
sammlungen deponirten Objecte mir geliefert hatte. Ich werde
daher im weiteren Verlaufe dieser Abhandlung die Angaben
des Herrn Dr. v. Möllendorf mit der besonderen Bezeichnung
V. M, zwischen meine eigenen neuen Studienresultate unter Citi-
rung der zugehörigen Seite meines Nephrit -Werkes einschalten.
Ad pag. 14. „Der Name YiIrcM entspricht der französi-
schen Orthographie; die deutsche Aussprache ist Yü-schi mit
ganz. kurzem i" (v. M.).
Ad pag. 15. jjYaschm, Yaachpdi ist wirklicher Jaspis^
(v. M.).
Ad pag. 16, Fig. 4. Nach Herrn Dr. v. Möllendorfs An-
sicht ist die daselbst abgebildete Pfeifenspitze nicht chinesische
Arbeit, sondern etwa persische oder turkestanische ; die chine-
sischen Pfeifenspitzen sind stets aus einem Stück gearbeitet
und haben eine cylindrische, vor dem Mundende' etwas ver-
engte Form. — Unter den Gegenständen, zu welchen Jade
verarbeitet wird, wären noch zu erwähnen : Petschafte, Frauen-
schmuck, Daumenringe zum Bogenspannen. [Diese sind von mir,
pag. 23 erwähnt und pag. 216, Fig. 106 a, b abgebildet. F.]
Ad pag. 16 Anmerkung *). y^Siirtschau-fu (nicht tscheu),
ist als Markt für Luxuswaaren hervorragend und es wird da-
selbst viel Nephrit verkauft, auch wohl verarbeitet. Als Sitz
der Jade-Industrie ist es aber nicht bedeutender als alle übrigen
grossen Handelsplätze, wo überall sowohl Händler mit fertigen
Sachen, als Steinschneider in Masse zu finden sind, vor allem
Peking, Canton, Hankon", (v. M.)
Ad pag. 19. Die auf den oceanischen Inseln verarbeitet
angetroffenen Nephrite stammen nach Herrn Professor v. Höch-
st ett er 's Ansicht alle ursprünglich nur von Neuseeland.
Ad pag. 23. Die Verwendung des Nephrits als Amulet
in China ist Herrn Dr. v. Möllendorf sehr zweifelhaft; *) in
*) Herr Staatsrath Becker in Karlsruhe erzählte mir (23. Mai
J877), seines Wissens hätten gewisse Mongolen die Gewohnheit,
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den allermeisten Fällen gilt er dort als Schmuck ohne Neben-
bedeutung. Die uralten Stücke — namentlich Armringe aus
Gräbern der Han-Dynastie (anno 148 — 186 v. Chr; vgl. Fischer
Nephrit pag. 202 und 304) sind eben wegen ihrer Seltenheit,
nicht wegen besonderer Eigenschaften geschätzt.
Die grünen Daumenringe, von welchen zuweilen Stücke
zu 6000 Mark vorkommen, bestehen aus dem sogenannten
Fetsue-yü (vgl. oben pag. 17), welcher nach Angabe der
Chinesen aus der Provinz Yunnan stammt. Vielleicht ist er
aber in Ober-Birma (Hinterindien) zu Hause und wird nur über
Yunnan versendet (v. M.).
Ad pag. 24. „Die dort erwähnten Gräber in China,
aus welchen Jade-Gegenstände entnommen werden, sind nicht
prähistorisch, sondern stammen aus der Zeit von etwa 300 vor
bis 100 Jahre nach Christus." (v. M.)
Ad pag. 26. Ich habe mich bisher vergeblich bemüht,
aus einem europäischen Museum ein brasilianisches Oripen-
dulum aus Nephrit oder dergleichen zur Ansicht zu erhalten
und wendete mich deshalb jetzt direct nach Brasilien.
Ad pag. 33, Fig. 37. Der Gegenstand (Fisch; Berl.
Mus. IV, C. 3344) hat das specifische Gewicht 2852 (zufolge
gefälliger Meldung des Herrn Dr. Voss in Berlin). Mineral
unbestimmt.
Ad pag. 33, Fig. 38 a— c (vgl. auch pag. 296 und 341).
Der Gegenstand hat nach neuerer genauerer Bestimmung das
specifische Gewicht 309 (statt 2*96). — Ich lernte seitdem noch
aus dem Prager Nationalmuseum ein Seiten stück zu diesem
Froschidol kennen, welches weiter unten beschrieben und
Taf. IV Fig. 21 a, b abgebildet werden soll.
Ad pag. 33 if., Fig. 41 a-d (vgl. auch pag. XIX, 306
Anmerkung und 341). Ich habe seither dieses Object durch
Tausch für das Freiburger Museum erworben und die Sub-
stanz, bei deren äusserem Anblick ich damals auch an Jadeit
dachte, näher untersuchen können, und zwar geschah dies,
ohne dass diese so heikle Figur an ihren Rändern irgendwie
geschädigt worden wäre; ich Hess mir nämlich von einem
einen Stein Jahrzehnte in der Hand gelegentlich zu reiben, von
der Ansicht geleitet, dass, wenn er rund geworden, ihr Seelen-
heil geborgen sei.
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Uhrenfabrikanten mit einem feinen, kreisrunden Hohlbohrer
aus Stahl in der Mitte der grossen Fläche der einen Seite
eine Stelle von 7.2 Cm. im Durchmesser etwa 1 — 2 Mm. tief
anbohren, welche ich dann heraussprengen konnte ; ich gewann
dabei erstens einen frischen Bruch und zweitens hinreichendes
Material zu einer qualitativen Prüfung; diese ergab, dass es
ein mit Pyritpünktchen und mit Dolomitsubstanz (welche sich
durch schwaches Brausen mit Salzsäure verräth) innigst ver-
wachsener Serpentin sei. — Aus welchem Erdtheil das Stück
selbst stamme, war leider seither auch nicht näher zu ermitteln ;
(vgl. übrigens pag. 306 Anmerkung und in dieser Abhandlung
unten sub 1877. Otis T. Mason's Abhandlung).
Bezüglich Uhde's und seiner Sammlung möchte ich hier
auf das verweisen, was ich in meiner oben pag. 8 citirten Ab-
handlung im Archiv (pag. 194 Anmerkung, Sep.-Abdr. pag. 18)
gesagt habe. Diese Sammlung war früher in Handschuhsheim
bei Heidelberg und befindet sich jetzt in Berlin.
Ad pag. 36. Ob die dort auf Beryll gedeutete Sub-
stanz von Fig. 46 a, b wirklich dies Mineral oder aber viel-
leicht Andesit sei, ist erst noch zu ermitteln.
Ad pag. 37, Fig. 47. Hievon Hess ich seitdem am Rand
ein Scherbchen absägen und erkannte darin wirklich Jadeit,
wie ich früher schon vermuthet hatte.
Ad pag. 37, Fig. 48. Subcutane Durchbohrung lernte
ich seither auch an einem chinesischen Gegenstand aus der
oben erwähnten Sendung von Peking kennen. Es ist ein Stück
eines specksteinartigen Minerals vom specifischen Gewichte 2*6
und von der Form einer mitten durchgeschnittenen Kugel, auf
deren Schnittfläche eben jene Durchbohrung ausgeführt ist.
Ad pag. 38. Ich denke mir, dass das Fig. 49 abge-
bildete Amulet, welches aus Amerika stammen sollte, wohl
eher in die Kategorie der pag. 39 und 40 abgebildeten, gleich-
falls mit abschüssigem Rande versehenen Nephrit -Amulete
gehört, als dass es von Indianerstämmen herrührt, wie dies
dagegen von dem in Fig. 60 abgebildeten Täfelchen wohl
anzunehmen ist. (Letzteres befindet sich im Berliner ethnogr.
Mus. als Nr. 1034 und hat ein specifisches Gewicht von 2*968
nach Herrn Dr. Voss gefalliger Mittheilung); vgl. pag. 201,
über Jesuiten-Amulete.
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Ad pag. 39. Anmerkung. Ueber Isis-Selk möge ge-
legentlich nun auch E. Bädecker 's Reisehandbuch von
Egypten, I. Theil Unter -Egypten, Leipzig 1877, 8% mit
ELarten u. s. w., pag. 150 verglichen werden ; über dem Haupte
der Isis Selk schwebt der Scorpion. — Ich lernte unter-
dessen wieder in verschiedenen Museen Nephrit-Amulet-
t afein mit eingravirten, zum Theil recht grossen S cor pionen
kennen, welche ich anbei zur Abbildung bringe, um auch bei
dieser Gelegenheit Anlass zur endlichen Ermittlung zu geben,
woher denn diese bei uns da und dort vorkommenden Nephrit-
tafeln mit Scoi*pionen gekommen seien. Da wir auch mehr-
fach Dolchgpiffe aus Nephrit (vgl. mein Werk pag. 232,
Fig. 108, 109, 110, Säbelgriffe pag. 61, Fig. 65, 66, Säbelgriff-
belege pag. 61, Fig. 63, 64, und weiter unten in dieser unserer
Abhandlung sub: Ad pag. 61) kennen, welche, wenn auch
aus turkestanischem Nephrit gearbeitet, angeblich in Persien
getragen werden, *) da ferner die Täfelchen mit maurischen
Arabesken, welche ich a. a. O. pag. 99 und 100 in Fig. 81
bis 86 abgebildet habe, und wovon ich auch in dieser
Schrift wieder eine Reihe viel schönerer beschreiben und
abbilden werde, zum Theil ebenfalls aus Persien kommen
sollen und nachweislich in Kleinasien noch heute getragen
werden, so bin ich schon auf den Gedanken gekommen, dass
auch die Nephrittäfelchen mit und ohne Scorpion möglicher-
weise aus Kleinasien oder Persien den Weg zu uns gemacht
haben möchten.
Von den neu zugegangenen gravirten Scorpionen ge-
hört Tafel I Fig. 1 dem Prager Universitätsmuseum an
und wurde mir durch die collegiale Gefälligkeit des Herni
Professor Ritter v. Zepharovich zur Ansicht gesandt (Mus.
Nr. 3671; eine lauchgrüne ovale Platte von Nephrit vom spe-
cifischen Gewichte 304; auf der flacheren Seite mit dem
Scorpionbild und gegen die beiden Enden hin mit je einer
conischen Oeffnung).
Tafel I Fig. 2 stammt aus der Münchener Universitäts-
sammlung und wurde mir durch Herrn Professor v. K ob eil
gefälligst geliehen; es ist das Fragment einer aus turkestanischem.
^) Vgl. hierüber unter Anderen: C. L. Steinhauer. Das
k. ethnogr. Museum zu Copenhagen. Copenhagen 187 7, pag. 106.
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ziemlich dunkelgrünem Nephrit hergestellten, massig dicken
Platte, welche unten matt, oben auf der gravirten Fläche und
am Rand polirt ist.
Tafel I Fig. 3 stellt einen aus dem Privatbesitz des Herrn
Professor Steudelin Ravensburg (Württemberg) stammenden,
äusserst zierlich gravirten Scorpion dar ; das betreffende Täfel-
chen aus schmutzig lichtgrünem turkestanischem Nephrit ist
auf der Gravurseite stärker convex als auf der Rückseite und
überall glatt polirt.
Ad pag. 42. Um die von de Lact aus Amerika unter
den a. a. O. aufgezählten Namen beschriebenen Steine näher
kennen zu lernen, wandte ich mich nach Leiden an Herrn
Leemans, Director des königl. niederländischen Reichsmuseums
daselbst, welcher sich seitdem eifrigst bemühte, etwas über
das Schicksal der ehemaligen Sammlungen von Boetius de
Boodt (1609), de Lact (1647), Worm (1655) zu erfahren,
deren Werke sämmtlich gerade in Leiden in den genannten
Jahren erschienen waren und wovon besonders diejenige von
de Lact so wichtig gewesen wäre, vermöge dessen Eigen-
schaft als Director der westindischen Compagnie. Es war aber
bis jetzt nichts darüber in Erfahrung zu bringen, wahrschein-
lich sind alle nach dem Tode ihrer Besitzer zerstreut worden.
Die Sammlung von Conr. Gesner (gestorben 1565 zu Basel)
sollte sich nach einer Privatmittheilung noch in Basel befinden;
es war aber doii; bis jetzt nichts darüber zu erkunden.
Ad pag. 45. Das dort von C. F. Ph. v. Martius be-
schriebene Täfelchen von Amazonenstein trifft in den
Grössenverhältnissen und der Durchbohrung gut zusammen
mit dem pag. 38, Fig. 50, abgebildeten Täfelchen (Nr. 1034
des ethnogr. Museums zu Berlin) vom specifischen Gewichte
2*968; näheres hierüber kann ich nicht angeben.
Dagegen hatte ich dieses Spätjahr die Freude, im ethno-
graphischen Museum zu München den ebenda erwähnten und
Fig. 60 verkleinert abgebildeten höchst wichtigen Gegenstand
aus Obydos (Provinz Parä, Brasilien, nahe der Mündung des
Rio Trombetas in den Amazonenstrom) wiederzufinden ; es ist
derselbe hier in Tafel I Fig. 4 a, b nun in natürlicher Grösse
von der Seite (a) und von vorn (b) abgebildet und es wird
jeder Leser Angesichts des Bildes nur staunen, wie v. Martius
da von einem Säbel oder einer Schlachtkeule (vgl. pag. 200
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meines Nephrit-Werkes) reden konnte, wo wir es mit einem
ganz schlanken Ornament zsu thun haben. — Dasselbe ist
6 Cm. lang, 2 Cm. breit, 33 Mm. dick und hat eine gelbgrüne
oder eigentlich grünlichgelbe Farbe, ganz ähnlich wie das
Genfer Idol (Fischer, Nephrit pag. 33, Fig. 38 ar— d) und wie
die eben daselbst pag. 27, Fig. 18 a, b und 19 abgebildeten
zwei durchbohrten Cylinder; genau verglichen mit anderen
bekannten Mineralien, können wir die Farbe bezeichnen etwa
als solche, wie beim Serpentin von Snarum, Norwegen, oder
bei gewissen Chrysolithkry stallen aus Brasilien. Das Stück
ist in der ganzen Dicke durchscheinend, zeigt auf dem
Schliff weisse Flecken als Ausdruck des splitterigen Bruchs,
welcher sich an der schmalen angebrochenen Stelle a als ziem-
lich grobsplitterig ausweist. Herr Professor K. Haushofer in
München hatte die Gefälligkeit, das specifische Gewicht,
welches sich als = 2*942 herausstellte, die Härte = 6-5
(funkt schwach) und das Verhalten vor dem Löthrohr zu
prüfen, wobei ein Splitterchen unter einigem Blasenwerfen zu
farblosem, fast klarem Glase schmolz.
Ohne dem Ornament zu sehr zu schaden, liess sich nicht
einmal zu einer qualitativen, viel weniger zu einer quantitativen
Analyse das nöthige Material gewinnen und also auch hier
die Identität der Substanz mit Nephrit keineswegs feststellen;
das Schmelzen zu so hellem Glase ist sonst bei letzterem
Mineral allerdings nicht zu beobachten.
Allmälig, besonders nachdem ich auch seitdem noch ein
Seitenstück zu dem Genfer Froschidol (pag. 33, Fig. 38 a — c),
und zwar aus demselben Material (soweit das Aeussere es
lehren kann) kennen gelernt habe, steigt in mir der Gedanke
auf, dass auch in Amerika eine eigene Art Nephrit oder
wenigstens nephritähnlicher Substanz vorkomme oder vorkam;
denn die gelbgrüne Farbe dieser amerikanischen Stücke
kehrte mir weder bei einem asiatischen, noch bei einem neu-
seeländischen Nephrit wieder, was ich jetzt noch um so mehr
bestätigen kann, da mir soeben mein werther Freund und
College Ferdinand v. Hochstetter eine Reihe neuseeländischer
Nephrite und nephritähnlicher Mineralien (fast ausschliesslich
Ergebnisse seiner Reise um die Erde) geßilligst zur Einsicht
sandte, wodurch der ohnehin schon reiche Kreis meiner dies-
fallsigen Erfahrungen noch etwas erweitert wurde (hierüber
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wird unten sub Artikel: Museen näher berichtet werden).
Ich mu88 nur wieder hervorheben, dass es so lange unbestimmt
bleiben wird, ob wir es bei den genannten amerikanischen
Stücken wirklich mit Nephrit zu thun haben, als nicht einmal
das Fragment eines Stückes zur Analyse geopfert werden kann
oder als wir nicht Rohmaterial hiefür aus Amerika selbst
erhalten.
Wenn sich obige Ahnung bewähren sollte, so wäre es mir,
und zwar gerade in meiner Eigenschaft als Mineralogen wirklich
erstaunlich, wie die ersten Bewohner Amerikas — und wenn
sie auch gerade aus einer Gegend Asiens gekommen sein
sollten, wo man den dort heimischen Nephrit schon gut kannte
— alsbald in diesem neuen Erdtheil wieder, obwohl etwa
durch die schön grüne Farbe an ihren heimatlichen Schmuck-
stein erinnert, sich eines Aequivalentes des letzteren zu be-
mächtigen in der Lage befunden haben sollten.
Ich muss jedoch hier in Erinneining bringen, dass nicht
alle mir vorgekommenen nephritähnlichen Substanzen ^) aus
Amerika diese gelbgrüne Farbe hatten, sondern nur einige,
und es wäre wohl denkbar, dass gerade diese zur Zeit der
Entdeckung Amerikas den Namen Amazonenstein erhalten
hätten, nach ihrer Abstammung aus einer östlichen Gegend
Südamerikas; wenn Boetius de Boot (anno 1609) von vitriol-
grünen Steinen spricht, welche er für Pseudosmaragd (?) oder
fiir Chrysopras zu halten geneigt war, so könnte er gleichfalls
solche Exemplare vor Augen gehabt haben; der Name Ama-
zonenstein stammt nämlich erst (vgl. mein Werk pag. 9 und
pag. 125) von La Condamine (1745).
Ad pag. 56 - 57. Die dort besprochene, von Lucas Vi seh er
(gestorben 1840) herrührende, sehr werthvolle Sammlung mexi-
kanischer Alterthümer wurde mir, wie schon in der betrefifenden
Vorrede meines Werkes pag. VI hervorgehoben werden konnte,
später durch die zuständige Commission des Baseler Museums
noch zur Bearbeitung anvertraut und sind die darauf bezüg-
lichen Studien von mir in der oben pag. 8 citirten Ab-
handlung: Die Mineralogie als Hilfswissenschaft u. s. w. bereits
vollständig niedergelegt.
*) Vergl. meine oben pag. 8 citirte Abhandlung im Archiv
für Anthropologie pag. 208 (Sep.-Abdr. pag. 32), Nr. 38, Fig. 44
bis pag. 209 (Sep.-Abdr. pag. 33), Nr. 42 incl.
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Ad pag. 61. Aus dem neugegründeten ethnographischen
Museum zu Karlsruhe lernte ich durch dessen Director, Herrn
Geheimen Hofrath Wagner, kürzlich ein weiteres Exemplar
eines (peraschen ?) Säbelgriff-Beleges (rechte und linke Hälfte)
aus lichtest grünlich-weissem (turkestanischem) Nephrit mit
specifischem Gewicht (linke Hälfte) 2*96, (rechte) 2*97 kennen.
Die Abbildung ist davon in Tafel I, Fig. 5 hier beigefügt.
Man vergleiche über diese Säbelgriffe weiter unten noch
die Notiz ad pag. 306. 1877 Nieddvoiedzky.
. Ad pag. 62. Die Beschneidung mit Steinmessern be-
treffend, bezieht sich Bädecker (Reisehandbuch fUr Unter-
Egypten, Leipzig, 1877, 8*^, pag. 508) bei Beschreibung der
Reise von Sucis zum Sinai auf dieselbe Stelle der Bibel und
sagt: „Der Boden der Wüste ist ganz mit Stücken von
scharfem Feuerstein bedeckt, welche an die biblische Er-
zählung n. Mos. 4. 24 erinnern. 2äppora hatte sich nur zu
bücken, um das Messer zu finden/ mit dem sie ihren Sohn
beschnitt. Die Feuersteine (silex) sind vielleicht Theile der
von der Hitze zersprengten Drusen und gleichen künst-
lich behauenen Steingeräthen , Pfeilspitzen, Schabern und
Messern u. s. w." Mit Rücksicht auf letztere Notiz will ich
auch eine andere Bemerkung Bädecker's (a. a. O. pag. 381)
einschalten, welche sich auf die Umgegend der Pyramiden
von Abu-Ro&sch, und zwar auf ein Dorf, Kerds^, daselbst
bezieht; Bädecker sagt: „dass dessen Bewohner das Zuhauen
von Flintensteinen als Industriezweig betreiben. Da grosse
Massen von Kieselsplittem als Abfall übrig bleiben, so ist es
vielleicht nicht unmöglich, dass die sogenannten Steinwerk-
zeuge, die sich an einzelnen anderen Orten in Egypten vor-
gefunden haben, von ähnlichen Werkstätten aus früheren Zeiten
herrühren. Solche Werkzeuge liegen unter Anderem aus den
Gegenden von Esne, Girge, Btbän al-Mulük und Heluän im
Museum von Büläk, Kairo (ebendas. pag. 323)".
Ad pag. 66. Der dort genannte Stein der Aethiopier
soll der Stein Smyris, Schamir der Hebräer (das wäre Smirgel)
gewesen sein.
Ad pag. 67. Die Stelle von Herodot würde sich auf
die Zeit von 560 v. Chr. beziehen, wo Cyrus Medien dem
persischen Reiche einverleibte; die medischen Kriege gingen
aber dem pei*sischen voraus, welcher von Xerxes geführt wurde.
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28
Zu dem Gebrauch der Araber (a. a. O. pag. 67) beim
Schliessen eines Freundesbundes wurde mir privatim noch
die Mittheilung gemacht, dass mit dem Blute der beiden
Pactirenden sieben Steine bestrichen zu werden pflegten.
Ad pag. 80. 1554. Parte primera de la Chronica del
Peru etc. Hecha per Pedro de Cie9a de Leon, vezino (wohl
alte Schreibart statt vecino, Bürger) de Sevilla etc. En Anvers,
en casa de Juan Steelsio. MDLIV. 12**, in Cap. L, pag. 135 — 138
heisst es: „Como antigvamente tunieron una esmeralda por dios
en que adorauan los Indios de Manta." (cum Fig.) Dies Werk
ist unter Anderem zu vergleichen in der Bibl. Publ. Basileensis,
sub E E IX. 10 und in der Bibliothek des (18 Juli 1877
verstorbenen) Herrn Dr. v. Frantzius in Freiburg; die be-
treffende Stelle aus dem Spanischen übersetzt lautet: „Wie
sie in früherer Zeit einen Smaragd für einen Gott hielten und
den die Indianer von Hanta (an der Küste gelegener Ort)
anbeteten". Dieselben beteten den Stein an und legten ihn
bei Kranken auf.
Nach der Ansicht des eben genannten verdienten For-
schers Dr. V. Frantzius seien dies ungeschliffene wirkliche
Smaragde gewesen. Die Spanier zerschlugen, um sich zu über-
zeugen, dass es nicht grüngefUrbtes Glas sei, die schönen
grossen Smaragde. Die Technik des Steinschleifens scheine
den Peruanern nicht bekannt gewesen zu sein, denn die be-
kannten schwarzen peruanischen Figuren von Thieren waren
in weichem Stein (Thonschiefer u. dgl.) geschnitten, z. B. jene,
welche ich in meimem Nephrit -Werke pag. 219 erwähnt habe.
Die Vorliebe für die grüne Farbe der Steine hat also
hier bis zur göttlichen Verehrung geführt.
Meine nach allen Richtungen hin unverdrossen Weiter-
gef^ihrten Correspondenzen mit Directionen mineralogischer
und ethnographischer Museen haben in diesem Betreffe doch
neulich wieder einen kleinen Erfolg aufzuweisen gehabt. Es
wurden mir von meinem hochgeschätzten Collegen Klein,
Director des mineralogischen Museums zu Göttingen, drei
als „Amazonensteine aus Peru" bezeichnete und aus Blumen-
bach's Sammlung stammende kleine geschliffene Steine zur
Prüfung zugesandt.
Davon war der eine ziemlich kreisrund geschnitten, plan-
convex, die convexe Seite spiegelglatt polirt, die plane Seite
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glatt aber matt, speciüsches Gewicht 2-575; Farbe kupfer-
grün wie bei Amazonit-Orthoklas mit einem in gewisser Rich-
tung wogenden glänzenden Schein, welcher von Interpositionen
oder aber von der Textur herrühren dürfte. Ich halte dieses
Stück, ohne etwas davon abgelöst zu haben, für Amazonit-
Orthoklas (beziehungsweise Mikroklin). Es wird solcher be-
kanntlich als in Brasilien vorkommend angegeben.
Von den beiden anderen, *) welche einen viereckigen
Umriss haben, ist der eine planconvex, die convexe Seite
pyramidal, vierkantig, glatt geschliffen, die Unterseite mit einer
mittleren ovalen und einer am Rande liegenden, halbmond-
förmigen flachen Vertiefung versehen; von Topas kaum geritzt;
Farbe smaragdgrün, etwas fleckig; die Substanz ist auch
Smaragd, ebenso wie beim dritten; dies Stück ist planconvex,
wie das vorige spiegelglatt poliit, dessen Oberseite convex-
pyramidal, mit zwei einander gegenüber liegenden mehr senk-
rechten und zwei mehr abschüssigen Flächen; Textur, wie es
scheint etwas faserig; von Topas nicht geritzt; specitisches
Gewicht 2-783.
Ad pag. 81, 1557. Staden, Hans, Warhaftig Historia
und Beschreibung eyner Landschafft der wilden, nacketen,
grimmigen Menschenfresserleuthen, in der newen Welt Amerika
gelegen ... im Land zu Hessen unbekannt ... da sie Hans
Staden von Homberg auss Hessen durch seyne eygene Er-
fahrung erkannt und yetzo durch den Truck an Tag gibt.
Marburg bei Andres Kolben 1557 in 4 in 8" if. Vorrede und
81 nicht paginirten Seiten, Sign, a— v und Holzschnitten. (Spätere
Ausgaben: 1556 Frankfurt am Main; 1592 in dem Werke der
Gebrüder de Bry, Grande voyages.) Die Original- Ausgabe
dieses Werkes steht mir nicht zu Gebote, ich hatte vielmehr
nur Gelegenheit, einen Einblick in die englische Uebersetzung
zu thun, deren Titel folgender ist:
1874. The Hakhiyt Society. The captivity of Hans Stade
of Hesse in A. D. 1547 — 1555 among the wild Tribes of
Eastern Brazil. Translated by Albert Tootal Esq. of Rio
^) Es war auf der Etiquette dieser drei Stücke geschrieben:
Peru; smaragdgrüner Feldspath. Bei den zwei kleinen stand noch:
Geisler 1808. Diese letztere öuelle war jetzt nicht mehr näher
zu ermitteln.
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30
de Janeiro and annotaded by Richard F. Burton, London
1874, 8«.
Im Capitel XXVIII, pag. 70, erzählt Hans Stade, „dass
QT einmal von den Wilden, die ihn gefangen genommen hatten,
ungefähr in der Gegend des PisinguarafluBses, welcher die
Provinzen von Rio de Janeiro und Sao Paulo trennt, zu
einem Häuptling geführt wurde, welcher einen grossen runden
grünen Stein durch die Lippen seines Mundes gesteckt trug,
wie es ihr Gebrauch ist". In der (von Burton stammenden)
Anmerkung hiezu wird auf den zweiten Theil, Capitel XV,
verwiesen, wo noch vier solche Steine beschrieben seien. Einige
Stämme trugen dieselben von einer ganz übertriebenen Grösse,
weshalb durch die ersten Reisenden die wilden Aumore-Stämme
nach dem portugiesischen Wort botoque, das Spunden bedeutet,
Botocuden genannt wurden; ^) ferner heisst es dort:
„Die grünen Steine sahen aus, als wenn es Jade gewesen
wäre, wovon ich ein Exemplar in Brasilien gesehen habe, oder
möglicherweise ein Krystall von olivenfarbigem Turroalin, dem
Mineral, welches — fUr Smaragd gehalten — seit dem Jahr
1562 solch' einen Effect gemacht und so manchen Gebirgen
Brasiliens den Namen Serra das Esmeraldas (Smaragdberge)
verschafft hat." Die Lippensteine waren von zweierlei Art,
die einen ein runder Spund (botoque), die anderen ein Conus,
wechselnd in der Länge von 2 bis 10 Zoll Länge, mit dem
schmalen Ende nach aussen getragen, das obere dagegen war in
eine Krücke oder Balken ausgezogen, welcher sich innen an die
Lippe anlegte und das Herausfallen verhinderte. (Ewbank
Sketches them. Life in Brazil. Appendix pag. 459.) Ich sandte
ein Exemplar nach Hause, welches aus Jatahy-Gummi ge-
fertigt ist und einem Stück Gerstenzucker gleicht. Vancouver
(IV. XXXVI) fand an der Westküste von Nordamerika ovale
Lippenschmuckstücke von polirtem Tannenholz von 2^^ ^^^
3 und 14 Zoll im Durchmesser, wovon die letzteren wie Teller
*) Ich finde übrigens im portugiesischen Wörterbuch dieses
Wort nicht als botoque, sondern nur batoque geschrieben; im
Spanischen kommt für diesen Begriff gar kein ähnliches Wort vor.
Es ist aber jedenfalls interessant, dass dieses Volk, das wir uns
aus Abbildungen gar nicht anders als mit einem dicken Stück Holz
oder dergleichen in der Unterlippe vorstellen, ursprünglich daselbst
so dicke grüne Steine zu tragen pflegte.
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31
oder kleine Tischchen aussahen. Das Lippensttick ist auch
ein ostafrikanischer Schmuck, welcher bei den Wahiäo's und
anderen Stämmen in der Oberlippe getragen wird. Cook fand
ihn in Californien, Stedtmann in Surinam, und Beleher
unter den Eskimos, welche ein oberes Lippensttick, ein
unteres und zwei Backenstücke trugen. Nichts als deren Un-
reinlichkeit kann ihre Hässlichkeit übertreflFen. Von Allem, was
sie zwischen den Lippen hatten, lief ihnen der Saft heraus,
sagt Knivett mit Ekel."
Der zweite Theil, welcher von den Gebräuchen und Klei-
dungen der Tuppin Imbas, deren Gefangener Hans Stade
war, handelt, erwähnt im oben citirten XV. Capitel den Schmuck
der Männer. Es heisst dort: Auch sie haben in der Unter-
lippe ein grosses Loch, welches sie von der ersten Jugend an
herstellen. Wenn sie noch ganz jung sind, wird mit einem
spitzigen Thierhorn ein kleines Loch durchgestochen ; in dieses
stecken sie einen kleinen Stein oder ein Stückchen Holz und
schmieren es mit ihren Salben ein, *) das Loch bleibt dann
offen. Wenn sie nachher stark genug geworden sind, um
Waffen zu tragen, wird dasselbe grösser gemacht, denn dann
setzen sie einen grossen grünen Stein hinein.^) Dieser ist
so gestaltet, dass das schmale Ende oben auf die Innenseite
der Lippen zu hängen kommt, das dicke aussen; von dem
Gewichte des Steins hängen ihre Lippen stets herunter. Sie
haben auch noch an beiden Seiten des Mundes, in jeder Wange,
eineh andeiii kleinen Stein. (Amerigo Vespucci erzählt, dass er
einen Mann mit sieben solchen Löchern im Gesichte gesehen
habe. (Vgl. mein Nephrit- Werk pag. 26, Fig. 9, Lippenstein.)
Im dritten Capitel des zweiten Theils ist von dem gleichen
Volke erzählt, es habe Klappern (rattles), Maracka genannt,
wie die anderen Wilden; sie betrachten dieselben als Götter.
') Ganz dieselbe Mode beobachtete Burton (Lake regions of
Central- Africa) bei dem Durchbohren der Ohien und Lippen in
Afrika.
2) Nieuhof, Joh., Brasiliaense Zee- an Lant Reize (vgl. unten
sub: Ad 115)» sagt 877: einen Kry st all, Smaragd oder Jaspis von
der Stärke einer Haselnuss; diesen Stein nennen sie „Metara",und
wenn er grün oder blau ist „Metarobi", doch sie sind am meisten
auf die grünen erpicht. (Anmerkung von Burton.) — [Ich
habe diese zwei Namen anch in meinem Nephrit-Werk pag. 112
schon angeführt. F.]
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32
Sie bewerkstelligen das Hauen mittelst SteinwafFen, wie es
die andern Stämme thaten, bevor sie Handel mit den Schiffen
trieben. *)
Ad pag. 88, 1599. Unter dem von Linschotten (1599)
erwähnten smaragdfarbigen Stein aus Hinter Indien könnte
leicht der Jadeit geraeint gewesen sein, von welchem schon
oben pag. 17 und 21 die Rede war.
Ad pag. 89, 1608. Als Beitrag zu egyptischen Gemmen,
worauf Thiere mit Strahlenkranz geschnitten sind (vgl. mein
Nephrit -Werk pag. 65, Fig. 67) sandte mir Herr Zoologe
A.Müller aus Basel folgende Notiz: Laurentius Pignorius,
Patavinus, Characteres Aegyptii, hoc est, sacronim quibus
aegyptii utuntur, simulacrorum accurata dehneatio et expli-
catio etc. etc. Typis Matthiae Beckeri etc. 1608. 12<». pag. 43 (86)
pl. 16. Auf pag. 22 sinist. Scarabaeus; pag. 41 dextr. Scorpio cui
sacer (diese Stelle wurde nicht copirt) ; pag. 31 dextr. : Superius
pandit alienas alas Scarabaeus Solis imago ejusdemque in cursu
aemulus in exuenda senecta Lunae exemplar; ejus encomia cum
alii collegerint, sufficiet apposuisse hie antiquam Gemmae sculp-
turam .... In ea Solis caput concinne Scarabaeo impositum,
quae omnia serpens caudam voraus ambit, ut daretur intelligi
fortasse, orbis hujus lucem a Sole esse, qui sapiente cursu
vitam animantium moderetur. Clem. Alex. lib. 5. Strom.
Horoep. lib. 1. Arist. lib. 8 dehist. anim. cap. 17. Das bei-
gegebene Bild zeigt eine ovale Gemme von 0026 M. Länge,
0021 M. Breite, aufj welcher ein kleiner Scarabäus mit jeder-
seits (statt drei) vier Fusspaaren und einem Strahlenkranz um
den Kopf und eine das Insect umgebende Schlange gravirt
ist, welche sich in den Schwanz beisst.
Ad pag. 92, 1611. Die daselbst angeführte Stelle aus
Hond (circa 1611): „Lapidem aliquem (? Nephrit) eleganter
et artihciose ligno inditum nationi indigenae (am Amazoneu-
strom) arma min istrare" erinnert uns lebhaft an das Beil von
Montezuma, welches sich in der Ambraser-Sammlung zu
Wien befindet. Wir liefern hievon in unserer Tafel I Fig. 6
eine Abbildung und zwar aus einer zufällig sehr fern ^her-
kommenden Zeitschrift, nämlich den : Archivos do Museu nacio-
*) Anmerkung hierzu von Burton. „Diese Ituque oder Stein-
messer werden von Nieuhof erwähnt." n
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33
nal do Rio de Janeiro. Vol. I. 2° e 3** Trimeßtres. Rio de
Janeiro 1876, aus dem Artikel : DeBcrip9ao dos objectos de pedra
de origem indigena, conservados no Musen Naeional, por Carlos
Frederico Hartt.
Die Abbildung ist selbst aber, wie dort angegeben wird,
aus dem Werk von Evans, Ancient Stone Implements pag. 142,
das mir nicht zu Gebot steht, entnommen.
Abgesehen von der Beilform selbst, welche in gleicher
Weise in der betreffenden Schrift bei einer Anzahl brasilia-
nischer Beile wiederkehrt (das. Estampa VIT. Fig. 1 — 12),
erinnert uns eben die elegante Befestigung des Steinbeils
in den Holzgriff hier lebhaft auch an das von Forster aus
Neuseeland mitgebrachte Nephritbeil, welches wir in unserem
Nephrit- Werk pag. 139, Fig. 92, copirt haben, endlich auch
an ein, zum Ausgraben von Wurzeln bestimmtes Steingeräth,
welches mittelst Bast zierlich an einen Holzstiel befestigt ist;
letzteres befindet sich unter den vielen prächtigen Waffen und
Geräthen, welche unser ethnographisches Universitätsmuseum
der Freigebigkeit des Herrn Dr. med. C. Vogt, nunmehr
in Freiburg, von seinem langjährigen Aufenthalt in Australien
her verdankt.
Ad pag. 99 und 100. Meine Kenntniss von Amuleten
aus Nephrit, wie solche Fig. 81 bis 86 abgebildet sind, hat
unterdessen erhebliche Bereicherungen erlangt durch geßlllige
Zusendungen der Directoren mineralogischer Museen zu Er-
langen (Herr Prof. Pfaff), Halle (Herr Prof v. Fritsch),
München (die Herren Prof. Haushofer und v. Kobell),
Prag (Herr Prof v. Zepharovich) imd Tübingen (Herr Prof
Quenstedt). Ich ermangle nicht, diese Amulete sämmtlich auch
in Abbildungen, Tafel H Fig. 7—13; Tafel HI Fig. 14-16,
hier dem Leserkreis zur Kenntniss zu bringen, da wir in ihnen
Boten aus dem Orient erblicken, welche den Typus ihrer
Heimat in ihrer maurischen Arabeskenverzierung deutlich an
sich tragen.
Von besonderem Interesse war es mir, bei dem ohnehin
auch etwas ungewöhnlich geformten Amulet Tafel IH Fig. 16,
vielfach in den Vertiefungen noch die Spuren der Vergoldung
zu entdecken, (vgl. hierüber die Anmerkung pag. 99, meines
Werkes); die Höhlungen für das Einlegen des Goldes sind
ziemlich tief und sauber gebohrt.
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Da diese Plättchen immer von derselben heller oder
dunkler lauchgrünen^ in dünnen Stücken stark darchscheinen-
den Sorte von Nephrit gearbeitet sind, und da andererseits die
mehrfach erwähnten vier- oder fünfseitigen Amulete mit oder
ohne Scorpion, ferner mit oder ohne Oeffnung (zum Durch-
ziehen eines Fadens) stets aus eben derselben Sorte ge-
schnitten sind, so dürften auch letztere, deren Abkunft bis jetzt
noch immer nicht ermittelt werden konnte, wohl derselben
Quelle, also Kleinasien oder Persien, entstammen, was die Ge-
wohnheit des Tragens betriflft ; der Nephrit selbst aber ist wohl
am ehesten turkestanischen Ursprungs.
Was den Scorpion betrifft, will ich jedoch noch be-
merken, dass derselbe z. B. in der Alterthumssammlung des
Herrn Oberst v. Gemming in Nürnberg, auch auf Amuleten
(Talisman-Medaillen aus Eisen etc.) noch aus der Zeit bis in
das sechszehnte Jahrhundert vorkommt.
Die Gravirung der verschiedenen Figuren in Nephrit
geschah hier wohl ohne Zweifel mit Stahl ; da dessen Bereitung
jedoch schon im Alterthume bekannt war, wie man dies aus
den schönen Bearbeitungen der Porphyre und der Herstellung
entsprechender Waffen schliessen muss, so mag auch die Be-
arbeitung dieser Nephrite zu gravirtem Schmuck (erhabene
Arbeit darin ist wohl erst spätem Datums) wenigstens in ihren
ersten Anfängen weit zurückreichen; die Verzierungen der
hier abgebildeten Amulete werden, wie ich schon pag. 98, An-
merkung, in meinem Werke angab, von Herrn Victor Stroh
nach seinen in Kleinasien gesammelten Erfahrungen in die
Periode von 1000 — 1200 n. Chr. zurück verlegt, also in die
Zeit, wo auch in Europa — wir erinnern an die arabische
Universität und Bibliothek zu Cordova — der Ruhm der ge-
nannten Nation sich durch die Blüthe der Wissenschaften
[Algebra nach dem arabischen Artikel AI und dem Namen
des arabischen Mathematikers Geber] und Künste unter den
Arabern überallhin verbreitete.
Die Vernichtung der maurischen Herrschaft zu Granada
durch Ferdinand (V.) den Katholischen, 1492, endlich die
Niederwerfung des Aufstandes der Araber durch Philipp H.,
1568 — 1570, liegen nicht so ferne in der Zeit vor uns, dass
wir nicht auch vielleicht nach der iberischen Halbinsel unsern
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35
Blick zu richten hätten^ um uns die Herkunft einiger solcher
Amulete in unseren Museen zu erklären.
Ad pag. 105, 1627. Wenn nach Clutius der in Europa
damals unter den Namen Calsuee, Calsoe, Calsoy bekannte
Stein bei den persischen Steinhändlern die Bezeichnung
,,roccha vecchia'* trag, so wäre damit der Kallait, Türkis, ge-
meint gewesen, denn in Persien unterscheidet man den ächten
Türkis als „Türkis vom alten Stein" (rocca vecchia), den un-
ächten dagegen als solchen „vom neuen Stein" (rocca nuova).
Letzterer wird bekanntlich bms fossilen Mastodonzähnen durch
Brennen gewonnen, z. B. zu Simorre in der Gascogne (süd-
westliches Frankreich), ist aber längst, weil er natürlich leicht
springt, nicht mehr gesucht.
Mit Kallait konnte aber füglich selbst in ältester Zeit
kaunr ein bläulicher Jadeit, noch viel weniger irgend eine Sorte
von Nephrit verwechselt weixlen.
Ad pag. 105, 1632. Das Werk von Diaz findet sich
angenommen unter den Historiadores primitives de Indias.
Madrid 1853, 2 Vol. gr. 8".
Ad pag. 105, 1636. Die nach Caesius am portugie-
sischen Ufer angeblich häufigen Edelsteine von Pyrop-Farbe
könnten leicht auch rothe Glasstückchen gewesen sein, wie
solche z. B. einer meiner Bekannten reichlich am Meeresufer
bei Nizza fand.
Ad pag. 106, 1647. Bezüglich der Sammlung von de
Lact vgl. oben pag. 24.
Ad pag. 107, 1647. Der kleine Vogel Hoitzitzillin,
dessen Federn neben denen des Quetzal-tototl Verwendung zu
Schmuck fanden, war nach Hernandez (vgl. pag. 93 meines
Werkes) und Clavigero (ebenda pag. 149) der Kolibri.
Ad pag. 109, 1647. Der Stein von honiggelber Farbe
könnte möglicherweise die Varietät von Quarz gewesen sein,
die noch jetzt als sogenannte Kugel steine von gelblicher
Farbe au£ Südamerika zu uns in die Steinschleifereien kommt
und — durch Glühen roth geworden — als eine Sorte von
Carniol zu Schmuckgegenständen geschliflFen wird.
Ad pag. 110, 1647. Nachdem ich Gelegenheit gehabt,
mehrere mexikanische Hals- und Armkränze (vgl. über
letztere im Nephrit- Werk pag. 87, 208, 231, 282, 367) aus
unserem hiesigen und verschiedenen fremden Museen zu unter-
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suchen^ so überzeugte ich mich^ dass Mineralien und Pels-
arten der verschiedensten Art von den Mexikanern hiezu
verwendet wurden^ und dass es jetzt nachträglich kaum mehr
möglich sein wird, die von de Lact mit jenen besonderen
mexikanischen Namen belegten Substanzen ohne Autopsie der
Originalstücke mineralogisch correct zu deuten; zu dieser
Autopsie haben wir aber nach dem, was ich oben pag. 24
über jene Sammlungen zu berichten hatte, leider kaum mehr
irgend welche Aussicht.
Ausser den in meiner Abhandlung : Die Mineralogie u. s. w.
(siehe oben pag. 8) erwähnten Substanzen hat man, wenn
es sich um grüne durchsichtige oder durchscheinende Steine
aus Südamerika handelt, möglicherweise auch an Turma-
line zu denken; vgl. oben pag. 30.
Ad pag. 111, 1648. Marcgraf v war Leibarzt des Prinzen
Moriz von Oranien, Grafen von Nassau (dieser — geb. 1567 —
war Statthalter der Niederlande und starb 1625.)
Ad pag. 112, 1655. Bezüglich dieser Museen vgl. oben
pag. 24.
Die hier gegebene Beschreibung eines im Mittelpunkt
durchbohrten Steines aus Amerika erinnert an die weiter unten
pag. 169 erwähnten Klangplatten, welche Alex. v. Hum-
boldt aus Südamerika beschreibt. Ich habe bisher ver-
geblich in den Museen nach solchen Platten gefahndet. [Eine
grosse Jadeitplatte aus Mexiko entdeckte ich dieses Spätjahr
im ethnographischen Museum zu München, dieselbe ist aber
an den Rändern submarginal durchbohrt]
Ad pag. 115, 1682. Nieuhof, Joh. Brasiliaense Zee-
en Lant-Reize, beneffens een beschryv. van Neerlants Brasil.
M. Karten u. Tafeln. Fol. Amsterdam 1682. — (Desselb.
Zee- en Lant-Reize naar Oostindien. M. Karten u. Tafeln.
Fol. ib. 1682.) Auf diese Schrift wurde oben pag. 31 verwiesen.
Ad pag. 120, 1725. Von den in der Schrift von Sloane
erwähnten viereckigen, a^ den Ecken zum Anbinden als
Amulet durchbohrten Täfelchen aus Nephrit (They are cut
into thin Square Pieces u. s. w.) erhielt ich aus der Privat-
sammlung des Herrn Sack in Halle, durch geföUige Ver-
mittlung meines Collegen, Herrn Professor v. F ritsch daselbst,
erst ganz kürzlich das erste zur Ansicht. Dasselbe wurde
Tafel HI Fig. 17 in natürlicher Grösse abgebildet. Es ist
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dunkellauchgrün mit weisslichen kleinen Wolkenflecken in
Gruppen; bei durchfallendem Lichte erscheinen die weissen
Flecken opak; es fühlt sich fettig an, gleichwohl ist die ge-
schliffene Fläche nur von Korund recht deutlich zu ritzen.
Besonders interessant ist die Bohrung, welche offenbar mit
sehr unvollkommenen Hilfsmitteln ausgeführt wurde. Die
Löcher laufen schief, sind innen nicht sauber cylindrisch und
glatt, sondern zeigen erhabene Rillen und ausserdem erkennt
man an fast allen Löchern Ausbuchtungen des Randes, welcher
somit nicht kreisrund erscheint; an einer Stelle (a) sind sogar
zwei ineinander verlaufende Kreisschnitte von verschiedenem
Durchmesser bemerkbar. Dieser Umstand, Angesichts dessen
ich mich auf das Lebhafteste an die so reichlich durch meine
Hände gegangenen mexikanischen Sculpturen mit Bohrungen
erinnert fühle, ausserdem das Aeussere der Substanz lassen
mich sehr ernstlich vermuthen, dass dieses Amulettäfelchen,
welches nach der Etiquette von Neuseeland stammen sollte,
nicht von dieser Insel, von welcher ich noch keine solche
Amulete sah, sondern eher aus Südamerika stamme und also
der von Sloane a. a. O. gegebenen Beschreibung entsprechen
dürfte. Dass in Betreff der Heimat solcher Gegenstände in
mineralogischen Museen bis jetzt, wo man dieselben gar nicht
beachtete, Verwechslungen vorkamen, liegt sehr nahe imd es
scheint mir aus verschiedenen Erfahrungen und Beobachtungen
hervorzugehen, dass man von der Zeit an, als die Nephrite
Neuseelands bekannt wurden, also vor etwa hundert Jahren,
geneigt war, ohne nähere Begründung solchen Stücken, welche
man für Nephrit hielt, den Fundort Neuseeland geradezu bei-
zuschreiben. Bei diesem unserem Amulet bin ich, obwohl
das specifische Gewicht 2*92 nicht widerspricht, der Diagnose
auf Nephrit keineswegs sicher, da ich chemisch nichts davon
untersuchen konnte.
Ad pag. 121, 1730. Von Charlevoix (le P. Franc.
Xav. de) ist in Oscar PescheTs Völkerkunde, Leipzig 1874,
pag. 252, Anmerkung, auch noch ein Werk citirt: Histoire et
description de la Nouvelle France, avec le Journal histor. d'un
voyage etc. Paris 1744. 3 vol. in 4 ou 6 vol. in 12^.
Ad pag. 121, 1730. Zur Vervollständigung der älteren
Gemmen-Literatur führe ich noch ein in der Baseler Bibliothek
vorliegendes Werk an, auf welches ich durch die Gefälligkeit
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meiiieß verehrten CoUegen, Herrn Ratheherrn Pet. Merian
aufmerksam gemacht wurde. Dessen Titel ist: Gimma, Gia-
cinto, Della storia naturali delle Gemme, delle Pietre e di tutti
minerali della fisica sotterranea. Tom. I. U. Napoli 1730. 4®. —
Darin wird Tom. I. Lib. m. Cap. XII, pag. 423—426, DeUa
pietra nefritica o del Fianco gehandelt und von älteren Autoren
unter Anderen citirt: Carleton, welcher fUr Nephrit auch
den Namen Kalsvvee, weiter die Namen Isaida, Lida, wohl
irgendwie verderbte Namen vorbringe, femer Etmüller,
Becker, Schröder, Sennert, Giostone, deren Angaben
ich jedoch als unverwerthbar übergehen zu können glaube;
ich will nur aus Art. II : Delle virtü della Nefritica, 7 — 14,
die mir früher noch nicht vorgekommene Notiz beiftigen, dass
zur Zeit des Eintritts der Sonne in das Zeichen der Jungfrau
der Stein von Jungfrauen gravirt worden sei.
Ad pag. 126. 1745. Die von La Condamine bezeichnete
Gegend Peru's, wo man zu seiner Zeit, also 1745 noch, bei
den Eingebornen (das wären also Ajmaras; vgl. auch pag. 201
und 404) polirte und beiderseits conisch durchbohrte Smaragde
gefunden habe, nämlich an den Uferh des Flusses St. Jage,
[zunächst der Grenze von Neu-Granada und Ecuador] liegt etwa
vier Breitegrade südlicher, aber weit südwestlicher als das Tunka-
Thal, 75 engl. Meilen nordnordöstlich von St. F^ de Bogota in
Neu-Granada, wo man wirklich Smaragde kennt. Im üebrigen
muss man vielleicht bei dem Steinnamen Esmeralda der alten
Schriftsteller über Südamerika auch hie und da an grüne
Turmaline denken, welche in Brasilien vorkommen; vgl. oben
pag. 30.
Von der grossen Anzahl grüner amerikanischer Steine,
welche nach La Condamine's Aussage ihren Weg nach
Europa gefunden haben sollen, habe ich auch bis heute noch
nichts inne werden können.
Ich fand unterdessen in de la Condamine 's Werk auch
die Stelle, worauf sich Alex. v. Humboldt (vgl. in meinem
Werke pag. 167, Zeile 3 — 4 von oben) bezog und führe sie,
da de la Condamine zuerst von den Amazonensteinen spricht,
und da wir weiter unten sub 1855: Gon9alves Dias wieder
hierauf zurückzukommen haben, hier vollständig an. —
Pag. 103 flF. heisst es: Un Indien de S. Joachin d'Omaguas
(ungefähr unterm 74^ w. L. und südlich vom 4^ s. Br.) nous
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avoit dit que nous trouverions peut-etre encore k Ooari
(zwischen 63—64^ w. L., südlich vom 4® s. Br.) un yieillard^
dont le Pere avoit vu las Amazones. Nous apprimes k Coari,
que rindien qui nous avoit ^t^ indiqu^^ ^toit mort; mais nous
parlämes k son fils^ qui paroissoit kg6 de 70 ans et qui com-
mandoit les autres Indiens du meme village. Celui-ci nous
assura que son grand pere avoit, en effet, vü passer ces femmes
k Tentr^e de la riviere de Cuchiuara (östlich Coari auf
Con dam ine 's Karte), qu'elles venoient de celle de Cayam^,
qui döbouche dans F Amazone du cotö du Sud enti'C Tef^
(westlich von Coari) et Coari; qu'il avoit parlö k quatre
d'entr'elles, dont une avoit un enfant k la mammelle: il nous
dit le nom de chacune d'elles; il ajoüta qu'en partant de
Cuchiuara, elles traverserent le Grand Fleuve et prirent
le chemin de la riviere Noire. J'obmets certains details peu
vraisemblables, mais qui ne sont rien au fonds de la chose.
Plus bas que Coari, les Indiens nous dirent par-tout les memes
choses avec quelques vari^t^s dans les circonstances; mais tous
furent d'accord sur le point principal.
En particulier ceux de Topayos, *) dont il sera fait
mention en son lieu plus expressöment, ainsi que de certaines
pierres vertes connues sous le nom de pierres des Ama-
zones, disent qulls en ont herit^ de leurs peres et que ceux-ci
les ont eueö des Cougnantain secouima, c'est-k-dire en leui*
langue, des femmes sans mari, chez lesquelles, ajoütent-ils, on
en trouve une grande quantit^.
Un Indien, habitant de Mortigura, Mission voisine du
Pari, m'offrit de me faire voir une rivifere, par oü on pouvoit
remonter selon lui jusqu'k peu de distance du pays actuelle-
ment, disoit-il, habit^ par les Amazones. Cette rivi^ se
nomme Irijo (auf der Karte von de la Condamine nord-
östlich von Maca^ä) et j'ai pass^ depuis k son embouchure, entre
Macapä et le cap de Nord. Selon le rapport du meme Indien,
k Tendroit oü cette riviere cesse d'^tre navigable k cause des
sauts, il falloit, pour p^n^trer dans le pays des Amazones,
^) Dieser Fluss mündet in den Amazonenstrom etwa unterm
55® w. L. und südlich von 2® s. Br., wenig östlich von Obydos, wo
V. Mar t in 8 das jetzt im ethnographischen Museum zu München wieder-
gefundene Ornament aus gelblichem Nephrit (?) erworben hat; vgl.
oben pag. 24 und Tafel I Fig. 4.
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40
marcher plusieurs jours dans les bois du cot^ de TOuest et
traverser un pays de montagnes.
Un vieux Soldat de la garnison de Cayenne, aujourd'hm
habitant proche des sauts de la ri viere d'Oyapoc, m'a assur^
que dans un d^tachement dont il ^toit, qui fut envoyd dans
les terres pour reeonnoitre le pays en 1726, ils avoient p^n^trd
chez les Amicouanes (auf meiner englischen Karte als Ami-
couar im Brasilianischen Guiana, südlich vom Französischen
eingetragen), nation k longuesoreilles, qui habite au-de-lh,
des sources de FOyapoc et pr&s de celles d'une autre rivifere
qui se rend dans TAmazone (dieser andere Fluss könnte der
Cuyary sein) et que Ik il avoit vü au col de leurs femmes et
et de leurs filles de ces m^mes pierres vertes dont je viens
de parier; et qu'ayant demand^ k ces Indiens, d'oü ils les
tiroient, ceux-ci lui r^pondirent qu'elles venoient de chez les
femmes qui n'avoient point de mari, dont les terres ^toient
k sept ou huit journ(5e8 plus loin du cot^ de TOccident. Cette
nation des Amicouanes habite loin de la mer dans un pays
^lev^, oü les riviferes ne sont pas encore navigables; ainsi ils
n'avoient vraiserablablement pas regu cette tradition des Indiens
de r Amazone, avec lesquels il n'avoient pas de commerce,
ils ne connoissoient que les nations contigues k leurs terres,
parmi lesquelles les Fran9ois du d^tachement de Cayenne
avoient pris des guides et des interpr^tes. —
Diese Notizen könnten dereinst immerhin noch einen
Wink für die Auffindung nephritischer Mineralien in diesem
Theile Südamerikas abgeben.
Ad pag. 127, 1749—88. Buffon. Es waren die sorg-
faltigsten Nachforschungen, welche meine sämmtlichen mine-
ralogischen Correspondenten in Paris auf das Bereitwilligste
für mich in den dortigen Museen anstellten, um amerikanische
Amazonensteine in dem Sinne der alten Schriftsteller aufzu-
finden, bis jetzt leider erfolglos. Es kann deshalb noch nicht
constatirt werden, welches Mineral Buffon im Auge hatte,
als er davon sprach, dass der grüne Jade sich häufig in dem
Amazonenfluss finde, welcher ihn nebst Quarz- und Granit-
brocken von den Cordilleras heininterfuhre. Die Quelle für
die letztere genaue Angabe (ob aus der Literatur oder Autopsie
entnommen) gibt er leider nicht an.
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41
Ad pag. 130. Dort ist sub 1757 von Brückmann ein
Werk von Davila (cat. 201) citirt. Es ist damit folgende
Schrift gemeint: Rom^ de Tlsle^ Catalogae systömatiqae et
raisonn^ des Curiositös de la nature et de Tart, qui composent
le cabinet de M. Davila. Paris, Briasson. 1767. 3 vol. in 8^,
avec figures en taille douce. — Dessen Bemerkung in den
Beiträgen zu jener Abhandlung, Braunschw. 1778, pag. 220,
wegen des aus Amerika stammenden Nierensteins in dem
Stieglitz 'sehen Cabinet mögen solche, welche hiefiir in der
Lage sind, zu einer entsprechenden Nachforschung nach dem
Schicksal und Bestand jenes Cabinetes veranlassen, von welchem
Seitens Brückmann's ein Catalog (? ob gedruckt und im
Buchhandel) erwähnt wird. Die von demselben Autor in
dessen 2. Auflage seiner Abhandlung von Edelsteinen, Braun-
ßchweig 1773, pag. 285 — 289, gegebene Beschreibung vom
orientalischen Nierenstein ist im Allgemeinen (abgesehen
von gewissen, jener Zeit angehörigen Anschauungen) recht
zutreffend.
Ad pag. 131, 1758. Gumilla (el P. Jos.). El Orenoco
ilustrado y defindido, historia de este de gran rio. Madrid 1745,
2 Vol. in 4^ — Gumilla El. P. Jos. Historia natural, civil
y geografica de las naciones situadas en las riveras del rio
Orenoco etc. Barcelona 1791. 2 Vol. in 4", fig. Vom letzteren
Werke konnte ich eine französische Uebersetzung benützen,
unter dem Titel:
1758. Gumilla, Joseph (de la Comp, de Jösus), Histoire
naturelle civile et göographique de TOrencque et de princi-
pales Riviires qui s'y jettent. Traduit de TEspagnol (El
Orenoco ilustrado etc. Madrid 1741, 1745. Barcelona 1791)
par Eidonx. Avignon et Marseille 1758. 3 Tom. 8^, avec carte.
Tome I, pag. 183 erzählt der Autor, dass die Völker am
Orinoco die Beschneidung gleichfalls haben, ohne jedoch
die dabei gebrauchten Instrumente näher zu bezeichnen;
pag. 192 ist von Verzierung der Nase und Ohren mit ver-
schiedenem Schmuck (Gold, Silber), nicht aber von Steinen
anderer Art die Rede; pag. 226 sind ihre Pfahlbauten, pag. 317 ff.
die Leichenfeierlichkeiten der Cariben beschrieben, aber leider
ist nichts von der Substanz der Pfeile, Schwerter gesagt; Idole
fand ich nicht erwähnt, aber alle Augenblick das Wort Ido-
lätre (Götzendiener) angeführt. Tome II, pag. 292 ff. bei Be-
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42
sprechuDg der WaflFen wird nur hartes Holz als deren Material
bezeichnet. Soweit ich sah, hat dieser (der Gesellschaft Jesu
angehöiTge) Autor die Wissenschaft nicht mit Thatsachen,
welche in unser Studiengebiet einschlügen, zu bereichern
verstanden.
Ad pag. 136, 1776. Dutens. Die Bemerkung dieses
alten Schriftstellers, dass der milchweisse Nephrit häi*ter ab
die anderen Sorten sei, bewährte sich durch die pag, 401 von
mir aufgezählten, von Herrn Professor Maskelyne in London
mir mitgetheilten Vergleichungen an den Exemplaren des
British Museum.
Die Angabe von Dutens, dass der oliven- oder seladon-
grüne Jade vornehmlich als Amulet unter dem Namen „Pierre
divine" oder „P. n^phr^tique" getragen worden sei, könnte
uns immerhin wieder auf den Gedanken bringen, dass die
pag. 38, Fig. 49, pag. 39, Fig. 51 und 52, und pag. 40,
Fig. 53 — 59 von mir abgebildeten Täfelchen damit zusammen-
fallen, da diese mir ausnahmslos obige Farbe zeigten und
verhältnissmässig am meisten in den Sammlungen verbreitet
sind. (Vgl. hierüber oben pag. 33 ff.)
Es cursiren zwischenhinein aber auch lauchgrüne, in
gleicher Weise zugeschliffene Quarz täfeichen, welche wohl
derselben Zeit entstammen und seinerzeit getrost mit gleichem
Vertrauen auf Heilwirkung getragen worden sein mögen! Da«
Museum der Universität Pavia, deren Bestand ich durch die
Gefälligkeit des Herrn Professor Taramelli Torquato da-
selbst kennen zu lernen Gelegenheit hatte, bot mir z. B. solche
von ganz gleicher viereckiger Form wie die ebendaselbst vor-
findlichen Nephrit-Amulete.
Ueber den gleichfalls pag. 137 erwähnten Namen Prime
d^Emeraude vgl. auch noch pag. 85 bei Monardes, wo ein
milchig-grüner Stein Smaragdplasma (ob dasselbe?) genannt
wird, ferner pag. 13 ff.
Ad pag. 147 ff., 1778. Si-yu u. s. w. — „Das chinesische
Wort wird deutsch ausgesprochen: Si-yü-wen-kien-lü. (Dr. v. M.)
— „Das chinesische Wort yü (nicht yu) bedeutet zunächst
nichts als Jade (Nephrit oder andernfalls Jadeit), wird aber
wohl auch auf andere edle Steine angewendet, weil Jade der
verbreitetste und beliebteste Edelstein in China
ist." (Dr. V. M.)
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43
Ad pag. 149, 160, 1780. Clavigero. Nach den a. a. O.
citirten Angaben dieses Autors, wo auch die smaragdähnlich
grünen Steine genannt sind, mit welchen gewisse mexikanische
Provinzen Tribut an ihren König zu zahlen hatten, sollte man
in den dort gleichfaUs hiefur namhaft gemachten Provinzen
die betreffenden Mineralien zu finden hoffen dürfen.
Unter Angelopolis dürfte nach der Angabe des Herrn
Werle hier Puebla gemeint sein, da diese Stadt auch „Ciudad
de los Angelos, Engelsstadt" heisse.
Ad pag. 152, 1783. In diesem Jahre erschien eine mir
nicht durch Autopsie bekannte Schrift von Patrin, Eug.,
Melch., Ij., Relation d'un voyage aux monts d'Altaie, en
Sib^rie. St. P^tersbourg, 1783, in 8^ Diese möchte gemeint
sein, wenn Alex. Brongniart in seinem: Trait^ dl^mentaire
de Mineralogie. Paris, 1807, 11 Vol., in 8*», sich folgender-
massen ausdrückt: „Ce que Ton a dösign^ sous le nom de
Pierre des Amazones, est quelquefois un Feldspath, mais
le plus, souvent c'est une Nephrite. C'est mal k propos,
comme Tobserve fort bien Patrin, qu'on a nomm^ le Feld-
spath vert: Pierre des Amazones. L'erreur vient de De
Born."«)
Von De Born erschien 1772—1775: Lithophylacium
Bornianum. Index fossilium quae collegit etc. Ign. S. R. eques
a Born. Prague, 1772. Pars. II, 1775, c. fig. 8. Im ersten
Bande dieser Schrift finde ich pag. 37, dass der Autor dem
Lapis Serpentinus den Lapis nephriticus subsumirte, welcher
bei Leutschau in Ober -Ungarn vorkomme, also jedenfalls ein
Falso-Nephrit ist. In der blos in 70 Exemplaren abgezogenen
Schrift von de Born: Catalogue m^thodique et raisonn^ de la
OoUection des fossiles de Mademoiselle Eleonore de Raab.
Tom. I, n, Vienne 1790, steht pag. 140 Folgendes: ^Feld-
spath informe, k lamelles fines blanc et vert, demitransparent,
arrondi en caillou par le roulement des eaux, dont la surface
est chatojante, de la rivifere des Amazones en Amörique.
C'est probablement cette pierre, qu'on designait autrefois sous
*) Auf diese Stelle wurde ich durch die Gefälligkeit des
Herrn Adam, ConBeiller a la Conr de Compte in Paris aufmerk-
sam gemacht.
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le nom de Pierre des Ämazones. Das wäre also wohl die
fragliche Stelle; (vergl. oben pag. 29).
Ich gestehe übrigens, dass ich nach der Durchsicht einer
Anzahl von Schriftstellern aus dem vorigen und dem Anfange
dieses Jahrhunderts mich weiter nicht mehr abmühen möchte
mit der Entwirrung der vielen Verwechslungen grüner Mine-
ralien unter dem Namen Amazonen stein ; Irrthümer waren
unausbleiblich zu einer Zeit, wo man noch nicht specifisches
Gewicht, Härte, Verhalten gegen Säuren und vor dem Löthrohr,
sowie Analysenresultate zur Diagnose verwerthete. Es ist
aber heutzutage die Aufgabe grosser Museen, die vom Ama-
zonenstrom stammenden rohen und verarbeiteten Stücke auf-
zusuchen und der mineralogischen Untersuchung zugänglich
zu machen, damit die sich daran knüpfenden höchst wichtigen
ethnographisch-archäologischen Fragen einmal definitiv gelöst
werden können.
Ad pag. 157, 1794. Bezüglich des bei Potsdam unweit
Berlin gefundenen grünen Minerals, dessen erste Analyse (vgl.
pag. 3) verunglückt war, habe ich auf die Vornahme einer
neuen Untersuchung hinzuwirken gesucht, deren Resultat
seinerzeit bekannt gegeben werden soll. Nach jener ersten
Prüfung würde es dem Augit (Malakolith, Salit, Diopsid)
nahestehen.
Ad pag. 157, 1794. Wad Gregor., Fossilia aegyp-
tiaca Musei Borgiani [dem Cardinal Stefano Borgia gehörig]
Velitris descripsit Danus. Velitris, 1794, 4", 32 pagg. — Bei
der Wichtigkeit, welche der Nachweis der Verwendung von
Nephrit, Jadeit oder Chloromelanit schon im egyptischen
Alterthum haben muss ^) scheint es mir auch da, wo ich nicht
selbst durch Autopsie der Stücke in der Lage war, eine
Diagnose zu verificiren, am Platze, auf frühere Angaben hier-
über zu verweisen, damit andere Mineralogen die betreffenden
Lücken ausfüllen können.
So sind in obiger Abhandlung, pag. 23 sub: Talcum
nephrites folgende Gegenstände aufgeführt:
') üeber ägyptische Scarabäen aus Jadeit vgl. man mein
Nephrit -Werk pag. 374 und diese Abhandlung unten sub: Ad
pag. 374.
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45
No. 118. T. neph. obscure olivaceo-viride. Fragmentum
altum unc. 4^/4. — Vultus Serapidis ad Graecae artis indolem
egregie fictus.
No. 237. T. neph. prasino-viride, vulgo giada. — Frag-
mentum cylindri, cujus diameier est unc. 2y lin. 2^ altitudo
unc. 2, lin. 3; characteribus Persepolitanis inscriptum. (Hiezu
vgl. man in meinem Werke pag. 28, Fig. 20, 21, 22.)
No. 390. T. neph. pomaceo-viride ad flavum vergens. —
Accipiter, altus unc. 1, lin. 7.
No. 250. T. neph. lucide olivaceo-viride, mixtum maculis
nigrescenti-viridibus, superficie flavescenti-alba decomposita. —
Scarabaeus, longus unc. IV2J cum figuris inscalptis ad modum
antiquae artis Aegyptiae.
No. 214. T. neph. virescenti-nigrum.
No. 0. T. neph. virescenti-nigrum, inspersum mica
vulgari, quae ludit colore aureo-flavo et pomaceo-viridi nitoris
metallici.
Dieses letztere Stück ist ziemlich sicher kein Nephrit,
sondern möglicherweise ein Serpentin gewesen. Wenn aber
von den vorhergehenden Nummern nur eine einzige sich als
ächter Nephrit ausweisen sollte, so wäre der Fund wichtig
genug.
In derselben Schrift ist pag. 21 ff. auch sub Nr. 440 von
einer als höchst selten bezeichneten „Argilla Feldspathum pra-
sino-viride" die Rede, woraus eine egyptische Statue bestehe,
deren Kopf im Museum Borgianum aufbewahrt werde. —
Wad spricht hier die Vermuthung aus, ob dies etwa eine der
zwölf Arten „Smaragd" des Plinius gewesen sein möchte,
„densus nee e liquide translucidus, qui circa Gopten oppidum
Thebaidis in collibus et cantibus reperitur, unde (setzt Wad
hinzu) Theophrasto teste elaborati erant obeliscus in Jovis de-
lubro et pila in templo Herculis in Tyro.
Unmittelbar darauf sind sub Nr. 149 und 292 folgende
Objecto aufgeführt: No. 149. Argilla Feldsp. vulgare lucide
aerugineo-viride ad coeruleum vergens, vulgo pietra delle
amazoni. — Scarabaeus, longus unc. 1, lin. 8; latus unc. 1,
lin. 2. — No. 292. Feldsp. lucide Smaragdino viride, vulgo
pietra delle amazoni^
Hier haben wir es also wirklich wieder mit Amazonit-
Orthoklas (respective Mikroklin) zu thun, wie ich solchen schon
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in meinem Werk pag. 11 (mit Fig. 1 und 2) als Material von
egyptischen Amuleten beschrieben und seitdem unter ähn-
lichen Umständen auch aus anderen Museen^ z. B. Wiesbaden,
München (Antiquarium in der neuen Pinakothek) kennen ge-
lernt habe. Es wird immerhin eine interessante Aufgabe sein,
zu erfahren^ ob wirklich in Egypten Amazonit-Orthoklas zu
Hause sei oder wenigstens war.
Ad pag. 157, 1795. del Rio. Die Notiz dieses Autors
von Beilen mit Hieroglyphen bezieht sich auf das pag. 31,
Fig. 36, von mir abgebildete und sub 1810, pag. 171, näher
erwähnte Azteken-Beil in Alexander v. Humboldt 's Werk.
Ad pag. 158, 1795. Auch Pumpelly (vgl. pag. 250),
weiss nichts Näheres vom Vorkommen des Nephrit oder Jadeit
in Mexiko oder Amerika überhaupt anzugeben.
Ad pag. 158, 1797. üeber Blumenbach's ,,Pierre
d'Egypte", vgl. pag. 6 meines Werkes Anmerkung und
oben pag. 13 dieser Abhandlung: Pietra d'Egitto.
Ad pag. 159, 1797. Wenn die Bestimmung des specifi-
schen Gewichtes des von Gerhard analysirten Körpers zu
3'396 richtig war, so kann derselbe auch kein Kawakawa-
Mineral gewesen sein, da dieses nur 302 hat. Ein so hohes speci-
fisches Gewicht zeigt von bis jetzt bekannten Mineralien, welche
hier in Betracht kommen könnten, überhaupt nur der Jadeit
Var. Chloromelanit, bei welchem aber — wie die p«g. 381
aufgefühi-ten Analysen ausweisen — der Magnesiagehalt nur
etwa zwischen 1*82 und 3*19 schwankt.
Wenn man vermöge des hohen specifischen Gewichts
andererseits an die Felsart Eklogit denken wollte, so müsste
in der Analyse Kalk vorkommen. Es ist also vorläufig eine
Deutung jener fraglichen Substanz unth unlieb.
Ad pag. 161, 1800. Bezüglich der in der Anmerkung
erwähnten Falso- Nephrite von Corsika vergleiche man, was
unter pag. 319, 320 und 361 darüber bemerkt ist.
Ad pag. 163, 1805. Mohs. Es ist neuerlichst den Be-
mühungen Ferd. v. Hochstetter's gelungen, im k. k. Hof-
mineralien-Cabinete die damals zu Wien vermisste Nr. 1227
aus Van der NuU's Sammlung, ein nind plattenförmiges,
dunkellauchgrünes Stück aus Amerika wiederaufzuiinden.
Die Beschreibung in Van der NulTs Catalog von Mohs I,
S. 538, No. 1227, mit der das Stück vollkommen stimmt, lautet:
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„Beilstein von sehr dunkel lauchgrtiuer Farbe, kaum merkbar
dem Grasgrünen sich nähernd, ein rundes, plattenförmig ge-
schnittenes Stück aus Amerika". Die Dichte ergab sich = 3*014.
Ad pag. 166, 1807. Alex. v. Humboldt. — San Carlos
liegt an den Quellen des Rio negro.
Ad pag. 167, 1807. Die Topayos wurden schon von La
Condamine (vgl. pag. 125) als Besitzer von Amazonensteinen
hervorgehoben; vgl. hierüber auch die Auszüge aus v. Mar-
ti us (pag. 45, 200, 254).
Ad pag. 168, 1807. Wo sind die durch Alex. v. Hum-
boldt aus Händen der Indianer selbst erhaltenen und nach
Europa mitgebrachten Amazonen steine denn hingekommen?
Wurden sie von demselben beliebig verschenkt oder an Museen
abgegeben? Sollte da nicht wenigstens durch die Handschrift
desselben oder durch die directe Erinnerung an den doch
erst 6. Mai 1859 verstorbenen grossen Forscher sich noch
etwas ermitteln lassen? Bringen Männer, welche ferne Erd-
theile bereisen, die Früchte ihi-er Expeditionen deshalb mit
in die Heimat, damit sie dort nach ihrem Tode verschleudert
oder in den Museen — für die Wissenschaft unzugänglich —
vergraben werden?
Womit mögen die Eingebornen am Amazonenstrom die
harten Steinmassen in Platten geschnitten und womit im Mittel-
punkte durchbohrt haben? (Vgl. hierüber auch pag. 130 die
Erzählung von Hawkesworth.) Auch im Museum Wormianum
1655 (vgl. mein Werk pag. 112) sind solche centrisch durch-
bohrte Platten erwähnt.
Ad pag. 170, 1807. Cholula liegt im Departement
Puebla Mexikos. — Raudal ist ein (?) Rapide der englischen
Karte, ein Felsendamm; das hier gemeinte Esmeralda liegt
unter dem 66® w. L. und 3® n. Br.
Maraynon ist synonym mit Amazonenstrom, 2— 4*^ s. Br.
— Der Essequibo mündet etwa 58® w. L., der Rio branco etwa
60® w. L. — Don Antonio San tos ist pag. 223, das Wort
Macagua pag. 203 wieder erwähnt. — Angustura liegt 64® w. L.,
8® n. Br., der Amucu-See nahe 59® w. L., 4® n. Br.
Das grosse seltene Werk von Alexander v. Humboldt:
Vues des Cordillferes besitzt jetzt unsere Univereitätsbibliothek.
Ad pag. 176, 1813. ^Fig. 97 ist zweifellos ein Löwe;
einmal wird der Löwe meist in dieser phantastischen Form
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48
in China dargestellt^ und dann steht zum Ueberfluss der
chinesische Name des Löwen (Schi, persisch schir) oben dar-
über. Mit dem chinesischen Bild des Kilin hat die Figur
keine Aehnlichkeit" (Dr. v. Möllendorf).
Ad pag. 176, 1813. Lucas, H., Tableau m^thodique
des esp^ces minörales erwähnt im Volume II, Paris 1813,
pag. 218, speciell über die Galerie du Mus^e (von Paris)
handelnd, abgerollte grünliche Exemplare von Amazonenstein,
welche von Guyana stammen sollten; meine sehr gefälligen
Correspondenten in Paris konnten diese Stücke jedoch un-
geachtet vieler Mühe nicht wieder aufUnden.
Lucas behandelt in seinem (mir nicht zugänglichen)
Werke, nach gefalliger Mittheilung von Herrn Professor Des
Cloizeaux, den Amazonenstein in zwei Artikeln, beim grünen
Feldspath und bei dem gewöhnlichen Jade.
Nach Des Cloizeaux soll sich auch in einer Sammlang
zu Paris, welche die französischen Colonien repräsentirt, ein
aus gewöhnUcher Jade gearbeiteter King von Guyana befinden.
(Ueber ein von Buffon erwähntes Beil aus Amazonenstein
vgl. unten sub: Ad pag. 227, 1855.)
Ad pag. 177, 1813. Nach Peschel starb ConfuciuB
478 (statt 479) v. Chr.
Die mexikanische Sprache hat, ebenso wie die chinesische,
den Buchstaben r nicht.
Ad pag. 179, 1813. Statt Kong-fu-tse schreiben andere
Con-fu-tse.
Der doli; von Hausmann erwähnte Siegelstein dea
bucharischen Kaufmannes befindet sich im ethnographischen
Museum der Universität Göttingen und wurde mir gefälligst
durch dessen Director, Herrn Professor Ehlers, zur Ansicht
geschickt. Derselbe trägt eingravirt eine persische Inschrift
(vgl. hievon die Abbildung auf Tafel HI, Fig. 18), welche
(nach Herrn Professor La Garde's Bemerkung) mit Charakteren
des sechzehnten Jahrhunderts, die aber noch viel länger in
Gebrauch blieben, ausgeführt ist. — Die Rückseite von Blumen-
bach's Etiquette enthält folgende Uebersetzung besagter In-
schrift : „Es wünscht Staub aus deinem Wege Mohhamed Baba,
Sohn des Tengri wirchi". Diese Deutung scheine übrigens
nicht ganz richtig, ihre CoiTCCtur sei aber anderei-seits, ver-
möge einiger Oithographiefehler des Steinschneiders, gewissen
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49
Schwierigkeiten uiiterworlen. Der Kephrit ist von der molken-
farbigen Sorte.
Ad pag. 186, 1820. Ueber die Bedeutung des Wortes
fei'Uyi (fy-tse), sprich: fö-tsuö wurde oben pag. 17 der Aus-
spruch des Herrn Dr. v. Möllendorf mitgetheilt.
Ad pag. 188, 1818. In meinem Nephrit-Werke habe ich
mich pag. 63 und 198 über die „Pierres de circoncision"
geäussert, welche Hauy (Traite de Mineralogie, Paris 1822, 498)
aus Jade (Nephrit) gefertigt sein lässt. Ich erhielt seitdem von
Herrn Damour in Paris auf eine entsprechende Anfrage die
mir sehr wichtige Erläuterung, dass man auf irgendwelche
vom Menschen dereinst hergestellte Steinwerkzeuge den Namen
„Beschneidungsmesser^ sehr unbestimmt angewandt habe.
So enthält z. B. das Dictionnairc d'histoire naturelle,
Edition PeterviUe, 1818, folgende Stelle: „Pierre de circoncision :
quelques naturalistes ont donne cette dänomination incon-
veniante aux Pierres de hache; voyez haches en pierre et
Jade Nephrite". Beim Artikel „haches en pierre^ heisst es
dann: „Ces haches sont faites en difFörentes matieres teile»
que Jades, Trappes, Corn^enues, Basaltes, Scrpentines dures,
Silex etc.; on les a nomm^es aussi Pierres de Circoncision,
C^raunites et Pierre de foudre."
Damour glaubt, imd wohl mit Recht, dass am ehesten
der Silex, oder wo es Obsidian gibt, dieser bei der Beschnei-
dung wirklich in Anwendung gebracht worden sein mag,
da aus diesen beiden Substanzen am ehesten dünne, schneidende
Lamellen zu gewinnen sind. — Bädecker in seinem Reise-
handbuch liir Egypten, erster Theil, Unter-Egypten, Leipzig,
1877, 8*>, pag. 508, äussert sich in gleichem Sinne gelegentlich
der Route von Suez zum Sinai über Maghkra (vgl. oben
pag. 27).
Ad pag. 190, 1820. „Kasch — der Fluss von Khoten
(chinesisch *Ko-tien, daher die Jade-Geschiebe von dort *Ko-
tien-yü genannt werden) heisst Kara Kasch im Turkestanischen.^
(Dr. V. M.)
Ad pag. 191, 1820. ;,Die Chinesen identiiiciren jedenfalls
turkestanischen und chinesischen Jade, wie der Yü jedenfalls
Nephrit und Jadeit einschliesst''. (Dr. v. M.)
„In chinesischen Reisewerken des Mittelalters über
Westasien wird der wahre Jaspis beschrieben und ausdrück-
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ftin i'tLffn^'n nini^rnU.n t'rwühni im Volume 11, Park 1813.
fthi( UiH, tnK*f'U'll U\t4*r AUt (ItAMe du Mti«ee (von Paris)
iinuAhihiif Hin^t'roiiUi KrUiilicha Exemplare von Amasonensteiny
w^^'Im« vom iiuynun HiMuuwin Nolltcn; meine sehr gefälligem
i^tinhtt\nihi\tii\Uw in Purin konnUiti diese St&cke jedoch o»
(|M(i'lih<( v)«>l«>r Mllliif iii<^lit wieder auffinden.
LiM'HM liMlmiMl(*lt in »oinora (mir nieht zugänglichen]
WiMkis MHi'li ^(«lllilllKnr Mittliniiutig von Herrn Professor De^
riiiUMMtUi (Inii AnmKntianstein in zwei Artikeln^ beim grünet
|iS»hU|iHlli himI linl ilntii K*^wöhnliohon Jade.
Nnoh \U^n (Mi)lNnaux soll sich auch in einer Sammlnc
¥\\ iNnUi woloho dio tVünKosisohon Colonien repräsentirt^ e
MM« HO\>0ln\llohor Jiulo gH^ürhoitotor Ring von Guyana befinde,
^r^^lvov \^{\\ voi\ Huiroii or\v«(hntos Heil aus Amaionensti
\^\ S\\\\y'\\ ^\\\^\ Ad puR. I*if7» ISiW)
Ad >Nt^H \lu \^\X Nmdi Poschei starb Confuci
\Vx^ ^WA^kx^u^Mbo Sjxi^obo bal^ oIhmiso wie die ckmesÄ
^\.. ^\^ \NS^ )i>^^M^Ar« C^^:it>,T,W S ;<>£**** *!■
V-v^^K?^► v.x\ l t.;\vs.^ .xt \-;x;.T.i^■•x x-^Ä mxrSf^ war r« "
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kwierijit'hf: i ti-^-m» ■.•rf*-iL Der Kephrit ißt von dtr ni.'Ikri»- i
Ad pÄff. i?^'', 1*:*'a Ueber die Bedeutung de« Wunes
-*■» ^-^h.^^ ^ f^iri'.i : it-t6Q€ wurde oben pag. 1 7 der Auj^-
■»cL G*» E-errt i»r- t. M jJleadorf mitgetbeilt.
Adjfcr 1**-Irl*. Ir meinem Nephrit -Weite habe ich
ai f^^ *i^ ti*c lif* tiKT die ^Pierre» de circoncision^
■■Bem- w-jvii*r H t L j Tr^iie de Mineralogie^ Paris 1822, 4HS »
I imÄfr X*niT: r*^'^^'^irt bein lä«6t. Ich erhielt seitdem Ti»n
s'n l»ajn tr ^ pÄTfr auf fine entsprechende Anfrage die
r «fcnr iri^/in^rt JLrii.invruiis. dass man auf irgendwelche
ij*?i U'-t-art?: ii*-'r*^-eilte Steinwerkzeuge den Namen 3oto-
tuduiir«m*Ä«i*— " •^-i.'- unbestimmt angewandt habe, Basis
k «fibkr t h aa^ 1- • :-'iiaaire d'histoire naturelle, aucb
•Ä.l'rfi-^'^i-llj*^. I*^,*- i .^— uat Stelie : „Pierre de circoncision: gister
^■■B UÄiunJ.-«!*^ .#ir o »nue cette deuomiuation incon- • dort
'*>JB^ »er rV"-^^ o* lia-Züt: voyez haches en pierre et
I »-^-.-^-n^^^ i>"iii, -=.-"Ji**'j ^haches en pierre*' heisst es fahr<^^>
* . -» iiü:u-^ »••:r. ii.n** e« differentes matieres teile« ^ jj^uf-
• •rft. 7i»-.i»r:t.. ' *»^*-*:i iitft, Baaaltes^ Serpentiues dures, ^elcbe
^ fc* •»! »r:^ L li 'u.nt*":* ftUbsi Picrrcs de Circoncision, erfi^^^
^ v,_^ ._,, i.uc.-^- ;^^^ des
I-- ;:-i*i::r. ll:»! mtiL mit liecht^ das» am ehesten i -. gei.
••'-:rr Vi ^ ».»-jd^L ^Ihty dieser bei der Beschnei- ^ und
. ■• 1 11 -r:^ »f •r.i^LJAr i^<:^bracht worden sein mag^ thnogi'^'
r^ i*-:j -1 *• - "^^i:i,-'i am ehesten dünne, schneidende >\cauf ^^
E r^-T :i.:/*-i t.:.'_ — Bädecker in seinem Reise-
... i^- .-,-x. '---;" Tii-il, IJnter-Kgypten, Leipzig, Viöbevei
c. .• ♦" i*.i±— r^ e. -1 iii gleichem Sinne gelegentlich ^ g^^^gi
- . "^^-:i z^ *-:iiMi über Maghara (vgl. oben ^ ^^otwa i
iiji^ ^^- --Jr -iinj'jL — der Fluss vou Khoten ^ ^-^j^^n
X.--t-M- •— ^--r 'ü*. Jitde^ieschicbe von dort *Ko- ^^n xg^,\)
^ iliLTk Kaj>ch im l'urkestamschen." ^^ ^^Ar
1 ..'_ --J'- _!'#• -1 ü*;»«!! ideiitiHcirf.n jodenfkllB "^®^ \c
\ -^.t •-^^-.^--:-.i Jä»de, wie der Y(k jodeiifaUa °^
~ Dr. V. M.)
L--j««^trkeu de« MittoliüU'ni über
u-.r ^-^^.v»*:- l>n V. M.) **« J
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i»it t/trMrhrieben und Aufdruck'
-gle
50
lieh von dem Jade untersehieden. Die Autoren nennen
ihn Ya-ssö, augenscheinlich == yaschm oder yeschm und nicht
yü. Ein Beweis, dass damals in Turkestan und Persien yaschm
der Name des Jaspis, nicht des Jade war. (Vgl. Bret-
schneider, Chinese mediaeval traveller to the West in: Chinese
Recorder 1875, pag. 16, 17.) — Trotzdem ist es wohl möglich,
dass Nephrit mit Jaspis verwechselt und ebenfalls yaschm ge-
nannt wurde". (Dr. v. M.)
Diese Notiz von Herrn Dr. v. Mollen dorf, als von einem
in China sich befindenden, mit der dortigen Sprache, Literatur
und den Verhältnissen überhaupt wohlvertrauten Sachverstän-
digen, war mir sehr wichtig und interessant. Ich glaube, sie
belehrt uns dahin, dass, je weiter man von dem Lande China,
wo man die Sache als einheimische genau kannte, wegrückt^
desto reichlicher Verwechslungen zu ei-warten sind, also schön
in Persien und der Levante, noch reichlicher in Europa, wo
— wie ich zur Gentige jeden Tag von Neuem mich zu über-
zeugen Gelegenheit habe — ganz gemüthlich unter der Rubrik
Nephrit ächte Stücke neben Quarz in allen trüben und grün-
lichen Varietäten, Serpentin und verschiedenen anderen Sili-
caten, auch Kalkspath, Glas u. s. w. in den sonst wissen-
schaftlich geordneten mineralogischen Museen sich erblicken
lassen.
Ad pag. 192, 1820. „Lan-fien liegt in Kansu [also wäre
der dort in Parenthese von mir beigesetzte Provinzname der
richtige! Fischer.] und kommt Jade heute noch von dort".
(Lan-tien-yü war auch wirklich unter der ersten an mich ge-
langten Yü-Sendung.) — „Yü-t'ien oder Ko-t'ien ist = Khoten".
(Dr. V. M.)
Ad pag. 193, 1820. „Lan-tien heisst Indigo im Chinesi-
schen". (Dr. V. M.)
Ad pag. 197, 1820. Nephrit mit rothen Flecken kommt,
was ich dort bezweifelt hatte, in der That, wenn auch selten vor.
Ich erhielt vor einiger Zeit für unser Museum ein licht miloh-
bläuliches, flach eiförmiges, mit erhaben geschnitzten Pflanzen-
figuren geziertes Gerolle von chinesischem Nephrit zum Kaufe,
welches röthlichbraune Adern zeigt und ziemlieh leicht mit
Chalcedon verwechselt werden könnte.
Ad pag. 197, 1820. „Die kategorische Behauptung Ke-
rn usat 's, dass der Jaspis der Alten nicht unser Quarz- Jaspis
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gewesen sei, lässt sich, wie schon oben pag. 49 sub: Ad pag. 191
ei^wähnt, nicht halten. Die Chinesen beschreiben den yaschm
der Orientalen als in fünf Farben vorkommend, namentlich
auch roth und braun, die beim yü nie vorkommen. Es wird
eben Nephrit und Jaspis schon in ältesten Zeiten (ausserhalb
Chinas) vei'wechselt worden sein. (Dr. v. M.)
Ad pag. 198, 1821. Maximilian von Neuwied, Reise
nach Brasilien in den Jahren 1815 — 1817, zwei Bände, 4"
Frankfurt am Main, 1820 — 1821, sagt im zweiten Band, pag. 7:
„Die Stämme der Tupinambas an den brasilianischen Küsten
tinigen grüne Nephritsteine in der Unterlippe; von den
Stämmen der Urvölker in Paraguay berichtet uns Azara
(vgl. unten sub: Ad pag. 227, 1855) dasselbe.
Band 1, Tafel 13 Fig. 8, ist eine Steinaxt der Boto-
cuden von dunkelbrauner Farbe und in der Nähe der Basis
mit Bast umwickelt abgebildet. Bodogue heisst dort auch
ein Kugelbogen der Küsten-Indianer. Da kein Sachregister
beigegeben ist, so bleibt es dahingestellt, ob da oder dort
weiter von Steininstrumenten noch die Rede sei.
Als ich mich nach Neuwied wandte, um zu erfahren,
ob in dem (noch im Conversations-Lexikon von 1855 auf-
geführten) brasilianischen Museum daselbst etwa irgend welche
in mein Studium einschlagende Gegenstände vorliegen, erfuhr
ich, dass dasselbe vor längerer Zeit, nach dem Tode des
genannten Prinzen, nach New -York verkauft worden sei.
Es ist also auch hier wieder eine mit deutschem Muth und
deutschem Wissenschaftstrieb errungene Sammlung ethnogra-
phischer Gegenstände unserem Vaterlande durch Verkauf in
das Ausland entrissen worden.
Es dürfte wohl endlich einmal von Seite der höheren
Unterrichtsanstalten wie auch der Regierungen dafür Sorge
geti-agen werden, dass wenigstens nicht die noch jetzt etwa in
Deutschland beiindlichen werthvolleren CoUectionen ähnlicher
Art gleichfalls uns entgehen. Anderenfalls werden, wenn einmal
die Reste von Urvölkern immer seltener geworden, die deutschen
Ethnographen mit ihren Studien bei anderen Nationen, welche
vermöge ihrer Schulerziehung und ihres Verkehres auf der
Erde mehr Sinn und rechtzeitiges Interesse für solche Acqui-
sitionen an den Tag legten, betteln gehen müssen.
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Ad pag. 201, 1828. Wenn v. Martius Kunsterzeugnisse,
wie das jetzt von uns in natürlicher Grösse, Tafel I, Fig. 4
(vgl. oben pag. 24) abgebildete Ornament den Indianern von
Hochperu zuschreiben zu dürfen glaubt, so hätten wir in
dem letzteren einen Ueberrest des Volksstammes der Aymaräs
(vgl. pag. 404) oder der Guechuas vor uns, aus deren Bereich
ich sonst mit Wissen noch gar nichts zur mineralogischen
Prüfung erhielt.
Dass mir von den ebendort besprochenen, durch die Jesuiten
aus Amerika angeblich nach Europa versendeten, mit christ-
lichen Abzeichen versehenen Amulettäfelchen noch nichts
bekannt geworden sei, habe ich schon oben pag. 9 bemerkt.
Der pag. 201 erwähnte Fluss Tapayoz wurde schon
oben pag. 39 berührt. — Der ebenda, Zeile 8 von unten, ge-
nannte Gebirgszug Parimö liegt an der Südostgrenze zwischen
Venezuela und Brasilien.
Ad pag. 203, 1829. Das Werk von Sah agun (vgl. auch
sub pag. 80, 1530) steht mir jetzt zum Studium zu Gebot,
indem Herr Albin Werle, Privat hier, welcher lange Jahre
in Mexiko zubrachte, aus ganz besonderem wissenschaftlichem
Interesse das überaus kostbare Werk von Kingsborough (vgl.
pag. 204), worin die Sah agun 'sehe Arbeit gleichfalls aufge-
nommen ist, erworben und mir in liberalster Weise behufs
meiner Studien zur Verfügung gestellt hat. (Ich werde später
einmal hierüber referiren.)
Eine Reihe früherer Autoren sind auf die der ersten
Entdeckungszeit Mexiko's entstammenden Aufzeichnungen Sa-
hagun's zurückgekommen, so v. Martius, Alex. v. Hum-
boldt (vgl. mein Nephrit-Werk pag. 170); letzterer spricht
von den in Cholula gefundenen Reliquien in Form grüner
Steine.
Dass Mehreres von dem, was die Mexikaner Chalchihuiti
genannt zu haben scheinen, nach meinen neuesten Unter-
suchungen sich als ein von Chrom gefärbter Quarz heraus-
gestellt hat, ist in meiner oben pag. 8 citirten Abhandlung:
Die Mineralogie als Hilfswissenschaft u. s. w., pag. 202 (Separat-
abruck pag. 26), näher erläutert.
Uebrigens muss ich bezüglich der Angaben Sahagun's
über die mexikanischen Edelsteine jetzt noch Folgendes be-
merken. Ich habe seit der Herausgabe meines Nephrit -Werkes
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mich noch eingehender als früher mit spanischer und portu-
giesischer Sprache beschäftigt, um die in den alten Chro-
nisten enthaltenen Angaben über Amerika selbstständiger
vom mineralogischen Standpunkte kritisch prüfen zu können;
ich muss aber wirklich gestehen, dass — trotzdem ich seitdem
auch noch so viele mexikanische Sculpturen durch Autopsie
kennen gelernt und untersucht habe, mir die Sahagun 'sehen
Angaben über mexikanische Edel- und Schmucksteine noch
gerade so vage und werthlos (weil nicht naturhistorisch
hinreichend klar gedacht) erscheinen wie früher und ich
geradezu darauf verzichte, die mexikanischen Namen für
die dortigen Edelsteine auch nach den Angaben Sahagun's
jemals auf gewisse Mineralien deuten zu wollen.
Ad pag. 207, 1833. Ritter. Betreffs des Berges Mird-
schai vgl. unten sub: Ad pag. 306. Blondel.
Ad pag. 210, 1841. Zu den überaus wichtigen, der
gebildeten Welt noch so wenig bekannt gewordenen Felsen-
inschriften, von welchen in meinem Werke eben pag. 210
eine von Rob. H. Schomburgk aus Guiana beschriebene
(in Granit), und pag. 220 eine solche nach J. J. v. Tschudi
aus Peru copirt ist, folgt unten sub 1874 noch ein weiterer
Beitrag aus Brasilien und sub 1876 ein solcher aus Smolensk.
Ad pag. 215, 1841. Von John L. Stephens habe ich
ausser dem dort erwähnten Werke noch aufzuführen : In-
cidents of Travel in Yucatan. New -York, 1843, II Vol.
Ad pag. 219, 1844. Antiquites mexicaines. Relation
des trois expMitions du Capitaine Dupaix, ordonn^es en
1805, 1806 et 1807, pour la recherche des Antiquites du
pays, notamment Celles de Milta et Palenque. Aecompagnee
de Dessins de Castaiieda, membre des trois expeditions et
dessinateur du Mus^e de Mexico et d'une Carte du pays ex-
plor^; suivie d'un parallMe de ces monuments avec ceux de
TEgypte, de Flndoustan et du reste de Tancien Monde par
M. Alexandre Lenoir, d'une dissertation sur Torigine de
Tancienne population de deux Amöriques et sur les diverses
antiquites de ce continent par M. Warden. Paris 1844. 2 Vo-
lumes in folio, illustrc^s. (Prix de publieation 300 francs.)
Dies ist der vollständige und correcte Titel des Werkes,
welches ich in meinem Nephrit -Werke pag. 308, damals blos
nach einer dunklen und bezüglich der Jahreszahl (1834) auch
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irrigen Erinnerung eines Fachgenossen hatte citiren können.
Es gehört ohne Zweifel zu den wichtigsten Hilfsmitteln des
Studiums der mexicanischen Geschichte und steht mir für
meine weiteren Untersuchungen nun zu Gebot, indem es kürz-
lich für unsere Universitätsbibliothek erworben wurde und
auch in dem obengenannten Werke von Kingsborough auf-
genommen ist.
Ad pag. 224, 1849. Durch die Gefölligkeit des seit
Kurzem in Freiburg weilenden Herrn Dr. med. H. Nägeli,
welcher lange Jahre in Brasilien lebte, ferner durch den Tausch-
verband, welchen unsere hiesige naturforschende Gesellschaft
nach aussen immer mehr gegen ihre eigenen Publicationen
ausdehnt, lernte ich eine Anzahl in jenem Lande erschienener
portugiesisch geschriebener Abhandlungen kennen, welche zum
Theil auch Gegenstände aus unserem Studienbereiche zur
Sprache bringen und worüber ich demnach hier sub 1849,
1855, 1873 etc. referiren werde.
So enthält z. B. die Revista trimensal de historia e geo-
graphia. IL Serie, Tom. V, Rio de Janeiro. 1849. 8», pag. 278 ff.,
einen Bericht von Domingos Soarces Ferreira Penna
(Oberofficial des Provinziallandtags) aus Villa de Santa Bai'bara,
d. d. 17. August 1848, über die Mineralien, welche er im Ge-
birge nordwestlich und nördlich von Rio de Janeiro (Ouro
Preto, Sabarä, Serro und Gequitin-Nonha) gesammelt hatte;
dann bemerkt er noch: „Endlich besitze ich eine vollständige
Rüstung der Botocuden-Indianer, ihre Beile aus Jade und
Basalt, ihre unerlässlichen Halsbänder und die mit emaillirtem
Gewebe gezierten Säcke, auch eine Lanzenspitze aus feuer-
gebendera Quarzachat, vielleicht Abzeichen eines alten Caziken".
Wir sehen hieraus, dass zu einer Zeit (1848), als in
Europa der Name Jade fast ganz in Vergessenheit gerathen
war, in Brasilien Waffen als aus diesem Mineral gefertigt,
namhaft gemacht werden.
Ad pag. 227, 1855. In der Revista do Institute histo-
rico e geographico do Brazil. Tomo XVHI. Rio de Janeiro,
1855, pag. 1—66, lernte ich einen Artikel kennen von
Dr. A. Gongalves Dias über die Amazonen, welcher auch
für die Angelegenheit des Amazonensteins (vgl. mein Werk
pag. 9 ff.) brauchbare Angaben enthält.
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Angesichts des Umstandes, dass mit dem (noch imagi-
nären) Volk der Amazonen -Weiber die Geschichte eines Steines
sich verbindet, welchem merkwürdige Eigenschaften zuge-
schrieben werden und dessen Name an den des Ami^onen-
flusses anknüpft, hält es der Verfasser für angezeigt, kurz auf
diese Präliminai'frage einzugehen.
Es werden dann von verachiedenen älteren und neueren
mineralogischen Schriftstellern die betreffenden Angaben über
den sogenannten Amazonenstein citirt, so von Buffon, Oma-
lius d'Halloy, Werner, d'Arcet, Seyfried, Humboldt.
Buffon will eine vom Amazonenstrom stammende Axt
aus olivenfarbigem Jade gesehen haben, mit welcher
man schneiden konnte, wie mit einem Messer ; dieser Forscher
meinte, in dieser Beschaffenheit könnte derselbe aus der ur-
sprünglichen Heimat nicht gekommen sein. ')
Ralegh (vgl. mein Werk pag. 88), 1596, lässt nun ge-
rade die Amazonen am Tapajozäusse wohnen und sagt, sie
hätten sich gegen die gi-ünen Steine ihrer Heimat die Qold-
geschirre in Tausch ei*worben. [Ich habe a. a. O. schon her-
vorgehoben, dass nach Sloane (1725) Ralegh zuerst Jade
(also wohl aus Amerika) nach England gebracht habe.]
Gon5alve8 de Dias fügt noch die Bemerkung bei, es
scheine, dass selbst in Nordamerika die grünen Steine
eine religiöse Bedeutung haben. Pag. 53 kommt derselbe dann
auf den portugiesischen Schriftsteller Ribeiro zu sprechen.
(Sampaio, F. X. Ribeiro de, diario da viagem da capitanina
do Rio Negi'o fez no a. de 1774 — 1775, c. noticias geograf.,
hydrograf., histor. e. c. outras concern. costumcs etc. de na-
9oes de indios seus habitadores. 4® Lisboa. 1825.)
Derselbe kam nach der Mündung des Purus oder Azara,
(Nebenfluss des Amazonenstromes, um den 63 — 61 ^ w. L.,
14 ^ s. Br., 4 ^ n. Br., also von einem Lauf durch achtzehn
Breitegrade!), zu der zerstörten Stadt Cuchuiuära, wo er
sich nach dem Indianer erkundigte, welcher La Condamine
(vgl. oben pag. 39), die Mittheilungen über die Existenz der
') Ich verstehe diesen Zweifel nicht, kenne leider auch die
Stolle in Buffon nicht, da bei unserem Bibliotheksexcmplar des
betreffenden Werkes der mineralogische Theil fehlt, weiss endlich
auch nicht, ob vielleicht in irgend einem Pariser Museum dieses
Beil wohl noch zu finden wäre.
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56
Amazonen gemacht hatte ; dei*8elbe war unterdessen gestorben^
allein die Bevölkerung wusste (also drei Jahrzehnte später als
de la Condamine), noch immer von der Existenz der Ama-
zonen im Osten des Rio negro (welcher etwa um den 69®
w. L. in den Amazonenstrom mündet)^ zu erzählen.
Gelegentlich der Erwähnung der mittel- und südameri-
kanischen Mode bei den Indianern, Steine in den Lippen zu
tragen (vgl. mein Werk pag. 26, Fig. 9 Oripendulum), wird
aus Ferdinand Diniz in: Univers pittoresque. Histoire et de-
scription de tous les peuples, de leurs religions, moeurs etc.
Paris, 1835 et suiv.; Brasil, erzählt, dass einige Tupinambas,
wie die ersten Erforscher und Reisenden, welche Brasilien be-
suchten, angeben, bis vierzehn ähnliche Steine an verschie-
denen Stellen des Gesichts (vgl. pag. 26, Fig. 8 meines Werkes,
Unalaschka-Häuptling) trugen.
Azara, D. Felix de, Voyages dans l'Am^rique m^ridio-
nale, contenant la description du Paraguay et de la rivi^re de
la Plata depuis 1781, jusqu'en 1801. Paris 1809. 4 Vol in 8«
et atlas in 4^ de 25 pl., erwähnt dasselbe von den Bewohnern
Paraguays (27—19" s. Br., etwa 55—58« w. L.).
Capitän Pedro Alvares, Noticias para a Historia e Geo-
graphia das Nacaos ultramarines (den vollständigen Titel dieses
Werkes kann ich in Brunet Manuel du libraire. Paris 1860,
nicht finden), Tom. ÜI, erzählt, dass einige Tupinambas in
der Lippe einen bläulichen oder grünen Stein trugen und
Lery (Voyage pag. 98) sagt, dass die Krieger im Jünglings-
alter einen weissen Knochen, als Männer grüne Steine in
den Lippen getragen hätten und dass andere unter ihnen,
nicht damit zufrieden, sie in den Lippen zu tragen, sogar die
Wangen durchbohrt und sie auch dort angebracht haben.
Lery qualiticirt sie als falsche Smaragde (esmeralda, im
Sanskrit marakata).
Nach Alexander v. Humboldt sollen die betreffenden
Steine, welche durch die Cariben an der Küste von Guiana
bekannt geworden seien, dort als Münze gegolten haben,
indem sie zu hohen Pi'eisen selbst von den spanischen Colo-
nisten angekauft worden waren. (Die Stelle in Humboldt ist
nicht näher citirt)
Es ist gewiss beachtenswerth, im Obigen zu den vielen
schon früher von mir beigebrachten Beweisen von der Bedeu-
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57
tung dieser grünen Steine noch so viele neue von einander
ganz unabhängige Beobachtungen als Beleg zu finden.
Ad pag. 227, 1856. Als gelegentliche Beiträge zum
Kapitel der vorgeschichtlichen Beziehungen zwischen
Asien und Amerika^ welche ich in meinem Nephrit -Werke
an verschiedenen Stellen, so z. B. pag. 273, 274, 275 u. s. w.
beiührt habe, schalte ich hier noch einige mir von Herrn
Zoologen Alb. Müller in Basel gefälligst mitgetheilte Lese-
früchte ein. So ist z. B. in dem Werke : Narrative of the Ex-
pedition of an American Squadron to the China seas and
Japan etc. under etc. Commodore M. C. Perry etc. compiled
by Francis L. Hawks. Washington 1856. 4*^, pag. 58, zu lesen:
„They (the Japaneses) have in their division of time a cyclo
of sixty years, calculated out of their zodiac, which like ours
has twelwe signs, differing from ours in their names only.
But this is not the place to consider minutely their astrono-
mical System. We cannot leave it, however, without the
remark that on a comparison of it with that of the Muiscas,
— an ancient semi-civilized and now extinct race, that once
inhabited the plains of Bogota in New-Granada — the resem-
blances were so striking, that they produced on our mind
a conviction, that the astronomical Systems of the two peoples
were substantially the same".
Bezüglich der Verwendung von grünlichen Steinen
in Japan enthält das gleiche Werk pag. 407 folgende Stelle:
„Connected with each monastery (near Simoda) is a grave-
yard, in which there is a great variety of monuments and
tombstones. They are generally made of a greenstone
found in the neighborhood of Simoda (Japan) and have the
various forms of simple slabs, raised tombs and obelisks" ;
ibid. pag. 411: „Several quarries of trachyte or greenstone
are worked in the neighborhod (town of Shirahama, Japan) '^.
Ad pag. 227, 1858. In der unten sub 1877 citirten Ab-
handlung von OtisT. Mason lernte ich pag. 385 eine Schrift
dem Namen nach kennen, welche mir wichtig genug scheint,
um diejenigen darauf zu verweisen, welche von derselben Ein
sieht zu nehmen Gelegenheit haben. Es ist dies Rafn, C
Cabinet d'Antiquit^s Aradricaines k Copenhagen . . . 1858 . .
Ad pag. 228, 1859. Bezüglich der hier erwähnten Ver
Wendung der prachtvoll grünblauen Federn des Quetzal
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58
Vogels der Mexikaner (Calurus resplendens) verweise ich hier
schon auf das, was ad pag. 264 in Betreflf der Federn des
chinesischen Eisvogels zu berichten ist; (vgl. oben pag. 17.)
Ad pag. 234, 1863. Eine Schrift: Mann^-er Hrock,
par Ren^ Galles, 1863, welche ich noch nicht einsehen
konnte, ist in dem sogleich sub 1865 zu erwähnenden Werk
von A. de Bonstetten auf pag. 33 citirt.
Ad pag. 235, 1865. Die Nephritgegenstände irgend-
welcher oceanischer Inseln stammen nach Herrn Professor
V. Höchste tt er 's Ansicht entweder von Neuseeland oder von
Neu - Caledonien. Ich habe im Augenblick aus dem Wiener
Museum ein angebliches Nephritbeil von Neu-Caledonien
(genau von der flach dreieckigen Foim, wie unser Freiburger
Museum ein solches von ebendaher — einst das Eigenthum des
erst 1868 erschlagenen Häuptlings Korikiki — aber aus einem
? thonschieferähnlichen Gestein besitzt) zur Besichtigung hier
liegen; dessen specifisches Gewicht 3*01 harmonirt zwar mit dem
des Nephrit, allein es bietet ganz ungewöhnliche Farben dar,
nämlich heller und dunkler schmutzig Olivengrün mit vielen ge-
schwungenen dunkelgrünen bis schwarzgrünen Striemen; Textur
wie es scheint geschwungen faserig, die Substanz funkt nicht
am Stahl. Die nähere chemische Untersuchung hätte auch hier
erst die Identität der Substanz mit Nephrit festzustellen.
Ad pag. 236, 1865. Bei der soeben berührten Einsichts-
sendung aus dem k. k. Hof-Mineraliencabinet, welche ich der
Güte des Herrn Professor v. Hochstetter verdanke, befindet
sich auch ein — aus der S i eher* sehen *) Sammlung stam-
mendes Tiki von ganz prachtvollem Aussehen, nämlich mit
einem blaugrünen wogenden Schimmer in der ganzen Masse
auf den convexen Flächen des Tiki-Körpers, schöner als ich
es je an einem sogenannten Katzenauge-Quarz sah; es dürfte
diese Substanz auf Damour's Jade oc^anien passen; das
specifische Gewicht bei obigem Tiki beträgt allerdings nur 2*96.
Einzelne, wie Asbestschnüre aussehende Partien beob-
achtete ich übrigens auch an dem von mir pag. 139, Fig. 91,
abgebildeten neuseeländischen Nephritbeil (unseres Freiburger
*) Sieber (wohl ein Colon ist oder Rogieningsbearater) lebte
lange in Neusoeland. De«flon Sammlung kam 1829 in England zur
Versteigerung.
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59
Museums) mit nur 305 specifischem Gewicht, ferner — was
Erwähnung verdient — auch an einem aus Schweizer Pfahl-
bauten stammenden kleinen Nephritbeil in der Sammlung des
Herrn Stadtrath F. Bürki zu Bern.
Ad pag. 238, 1865. Anmerkung**. Der Zug der Mon-
golen bis nach Polen, Schlesien und Mähren im dreizehnten
Jahrhundert fand unter den Söhnen Dschingischan's statt,
welcher 1155 geboren, 1227 gestorben war. Aus jener Zeit
(Schlacht bei Olmütz 1241) oder aber aus dem Ttirkenkrieg
am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts dürfte auch der
Säbelgriffbeleg stammen, den ich unten sub 1874 aus einer gali-
zischen Zeitschrift zu erwähnen haben werde.
Ad pag. 238 (und 249, 1865.) „Das Vorkommen von
Jade in den Provinzen Tsche-kiang und Kiang-si möchte ich
entschieden bezweifeln. Von allen Provinzen sind sicher wohl
nur Kan-su, Sse-tschuan, Kw6-tschou und Yunnan als Jade
producirend bekannt. In der chinesischen Mandschurei steht
bei Hsiö-yang ') Jade oder ein hierher gehöriges grünes zähes
Mineral in grossen Massen an, welches in grossen, oft drei Fuss
langen Blöcken nach Tientsin und Peking gebracht und dort
verarbeitet wird, meist zu Pfeifenspitzen. Den Stein nennen
die Chinesen Siö-yang-schi und halten ihn für die geringste
Sorte Jade. (Dr. v. M.) Ein mit Asbestschnüren durchzogenes
Exemplar dieses Minerals aus der Mandschurei hat Herr
Dr. V. MöUendorf bereits für mich erworben und soll das-
selbe bei der nächsten Sendung aus China zu erwarten sein.
Ad pag. 239, 1865. Der dort mit ? versehene Ort Mann^-
er-Hrock liegt in Frankreich, Departement Morbihan, bei
Loc Mariaquer, einem kleinen Hafendorf des Arrond. Lorient
an der Mündung des Scort und Blavet in die St. Louis-Bucht.
Das dort erwähnte Stück aus der Dordogne stammt von
Excideuil, nordöstlich Bordeaux.
Mit Beziehung hierauf führe ich hier eine Schrift von
A. de Bonstetten an: Essai sur les Dolmens, Geneve 1865,
40, wo es unter Anderem pag. 27 heisst: Mannö-er-Hrock
') Ich kann die Lage dieses Orfea nicht genauer bezeichnen,
da er auf meiner chinesischen Karte nicht angegeben ist. Wir haben
aber also hierin ein wenigstens nephritähnliches Mineral noch weit
im Nordosten Asiens kennen zu lernen; vgl. über die Mandschurei
auch noch pag. 328 meines Buches.
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60
(Morbihan) offre encore des dessins de haches emmanch^es et
une combinaison bizarre de lignes encadr^es dans une espfece
de cartouche (pl. I, fig. 2); — ibid. pag. 33: Dolmen couvert
de Mann^-er-Hrock, prfes de Loc Mariaker (Morbihan). Sou8
les pierres tombales: cent et une haches en tr^molite et en
jade etc.; ces pierres ont 6i& d^terminrfes par le professeur
Studer (Benie); pag. 43. II (nämlich le peuple des Dolmens)
excellait . . . k tailler et k polir les pieiTCs dures, telles que
le jaspe, Tamphibole, la tr^raolite, le jade et le silex etc.
D'aprfes M. Studer, le jade doit se trouver en Allemagne et
dans les nagelfluh suisses. (Diese Ansicht meines hochgeehrten
schweizerischen Collegen dürfte sich schwerlich mehr be-
stätigen.) — Ibidem pag. 28 Anmerkung heisst es: Sotacus,
dit Pline, distingue deux variet^s de C^raunies, originaires
de la Carmanie; il dit, qu'elles ressemblent k des haches, que
parmi ces pierres les noires et rondes sont sacr^es et que par
leur moyen on prend les villes et les flottes et qu'on les
nomme B^tules, mais que les longues se nomment Ceraunies.
On pr^tend qu'il j a encore une autre espfece de Cöraunies
trfes rares et recherchöes par les Mages pour leurs Operations,
attendu qu'elles ne se trouvent que dans un Heu frapp^ de la
foudre (Plin. hist. nat. XXXVII. 51). Es ist in dieser Stelle,
bezüglich deren auch pag. 105 und 285 (Cerauniae) meines
Werkes nachgelesen werden mögen, bemerkenswerth , dass
schon in so früher Zeit die Form der Beile genauer unterschieden
und mit besonderen Namen belegt wurde, dass man die dunkleren
für besonders heilig ansah und wohl für alle zusammen eine
übernatürliche Entstehungsgeschichte annahm, also von ihrer
w^ahren Natur und Abkunft schon damals keine Ahnung
mehr zu haben schien. Schade, dass die von den Magiern so
besonders geschätzte Sorte nicht besonders beschrieben wurde.
Sollten das etwa unsere Nephrit-, Jadeit- und Chloromelanit-
Beile gewesen sein, welche dann bei den Zügen der Römer
in das Ausland von den Magiern auch dorthin mitgenommen
wurden und sich demgemäss bei uns öfter mit anderen römi-
schen Resten zusammenfinden?
In der gleichen Gegend (Loc Mariaker) ist bekanntlich
auch das in Europa bis jetzt im rohen Zustande noch nicht
entdeckte schön blaue Mineral, welches A. Damour analysirte
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61
und mit dem Namen Callais (Callainit) bezeichnete, in Form
von kleinen Halsbandperlen aufgefunden worden.
Ad pag. 239, 1865. — Damour nennt in seiner Ab-
handlung in den Compt. rend. 1865, 21. August, pag. 313-321,
und 28. August, pag. 357 — 368, im australischen Gebiete ausser
Neuseeland auch noch Neu-Caledonien, MarquesasJnseln,
Taiti als Fundorte für Nephrit.
Auch für unser Freiburger Museum erwarb ich vor
längerer Zeit ein prächtiges Tiki aus Nephrit, welches gleich-
falls von den Marquesas -Inseln stammen sollte. Nach der
oben pag. 58 erwähnten Versicheining F. v. Hochstetter's war
es wohl Neu-Seeland, wo dieses Tiki seinerzeit hergestellt wurde.
Ad pag. 243 und 244, 1865. Das Löthrohrverhalten
der „Tangiwai" und „Kawakawa" genannten Varietäten von neu-
seeländischen Punamu, welches bei den Analysen nicht ange-
geben war, habe ich an Originalstücken aus der Hand des
Herrn Professors v. Hochstetter nachuntersucht. Tangiwai
ist ganz unschmelzbar, brennt sich weiss, opak; Kawakawa ist
schwer kantenschmelzbar. Ebenso wird das Verhalten beider
Substanzen gegen Säuren vermisst.
Ad pag. 243, 1865. F. v. Hochstetter berichtet mir
von einem ausgezeichneten neuseeländischen Mere (vgl. z. B.
als Abbildung Fig. 103, pag. 198, Copie aus v. Hochstetter's
Werk) im Privatbesitze des Herrn Grafen Ed. Zichy in Wien;
dasselbe sei noch nicht untersucht, scheine aber dem Aussehen
nach mit der molkeufarbigen Varietät von neuseeländischem Pu-
namustein, welche die Eingebornen Inanga nennen, übereinzu-
stimmen, woraus ein Ohrgehänge von 3 009 specifischem Gewicht
sich in der v. Hochstetter'schen Sammlung befindet und
mir kürzlich zur Einsicht vorlag. Fortsetzung folgt
Kleinere Mittheilungen.
1.
Uaneusteine in der Proriiiz Posen.
Im Jahre 1855 wurde in Mikorzyn bei Krotoschin (an der
schlesischen Grenze) ein mit dem Bildnisfle eines Mannes und Runen-
flchriftzeichon versehener Stein und im Jahre 1856 ein zweiter
mit einem Pferdchen und ähnlichen Schriftzeichen gefunden.
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Die Wichtigkeit derselben wird dadurch erhöbt, dass sie in
der Nähe von Urnen und somit auf einem alten Begräbnissplatze
lagen. lieber ihre Authenticität scheint kein Zweifel mehr zu
herrschen.
Die polnischen Archäologen haben, wie es scheint, vergeblich
ihren Scharfsinn angestrengt, um die Inschriften als slavisch zu
erweisen. Nur Herr Prof. Baudouin de Gourtenay in Kasan,
auf dem Gebiete der slavischen Philologie eine Autorität und unter
den von Albin Eohn^) genannten polnischen Forschern wohl einzig
competent, hält sie nicht für slavisch. Da ausserdem historische
Gründe nicht dafür sprechen, so werden wir wohl Becht haben,
die Runenschrift den Slaven abzusprechen.
Herr Dr. Casimir Szulc, welcher über diese Funde ein aus-
führliches Referat veröffentlicht hat, das ich aber nur in dem
Auszuge Kohn's kenne, ist freilich anderer Meinung. Er argu-
mentirt, da in diesen Gebieten seit uralter Zeit Slaven gewohnt
haben und nur Slaven neben Griechen und Römern ihre Leichen
zu verbrennen pflegten, so müssen diese Inschriften unbedingt den
Slaven zugeschrieben werden. £s ist aber nicht erwiesen, dass
Slaven seit uralter Zeit die Bewohner dieser Gebiete gewesen sind.
— Im Gegentheil behauptet Schafarik, dass die keltisch -ligu-
rischen Ambronen, von denen der Fluss Obra im Posenschen den
Namen haben soll, in diesen Gegenden gewohnt haben. Mannert
glaubt, dass die keltischen Bojer aus Böhmen sich dortbin geflüchtet
haben. Auch Tacitus Germ. 43 erwähnt in diesen Gebieten die
keltischen Gothiner, nach Cassius Dio richtiger Kotyner. Um das
Jahr 174 n. Chr. wohnen diese Kotyner im heutigen Ungarn und
verschwinden hierauf gänzlich aus der Geschichte.
Herr Szulc will das hohe Alterthum des slavischen Volkes
damit erweisen, dass er die alten Phryger und Thraker zu Slaven
macht. Den Lesern dieser Mittheiluugen sind meine Arbeiten über
die Herkunft der Thrako- Phryger bekannt und so habe ich wohl
nicht nöthig, auf das Unsinnige einer solchen Annahme einzugehen.
Ich will nur bemerken, dass der kürzlich verstorbene Historiker
Bielowski in Lemberg eine solche Hypothese zeitlebens verfochten
hat (zuletzt in der Vorrede zu den Monumentis Poloniae histo-
ricis), wofür er allerdings eine zwar strenge, aber durch und durch
wissenschaftliche Kritik, die zu einem Buche angewachsen war,
von Seiten des Krakauer Philologen Brande wski eingeerntet hat,
deren Leetüre auch Herrn Dr. Szulc zu empfehlen ist.
Dr. Fiigier.
2.
lieber die Uerkunft der alten Meder.,
Von den drei Sprachen, in denen die persischen Keilinschriften
abgefasst wurden, sind bereits zwei ziemlich genftu bekannt. Die
1) Ich entnehme diese Nachricht seinem Aufsatze in der Zeitschrift
für Ethnologie. Berlin 1876 p. 420 u. f.
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erste ist die persische und weicht von der Sprache des Zendavesta
so ab, wie etwa das Spanische vom Italienischen. Die «weite oder
der Beihenfolge nach dritte Sprache ist semitisch; es ist das Idiom
der Assyrier und Babylonier. Die dritte Sprache schreibt Oppert
(Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 1876 p. 1
u. folg.) den Medern zu.
Bis jetzt hat man die Meder mit einer solchen Qewissheit
för Iranier gehalten, dass auch nicht der Schatten eines Zweifels
daran auftauchte, aus den Inschriften ergibt sich aber das Gegen-
theil. Das Medische hat nicht die geringste Verwandtschaft mit
den arischen Sprachen, dagegen soll es sich nach Oppert dem
Turanischen mehr nähern als sonstigen Sprachen, in vielen Punkten
dagegen sich bedeutend unterscheiden.
Oppert und viele andere begehen unserer Ansicht nach
einen grossen Fehler, wenn sie von einigen zufalligen Ueberein-
stimmungen der Sprachen Mesopotamiens, Mediens und Susianas
mit den uralo - altaischen auf einen turanischen Charakter dieser
Sprachen schliessen. Auch die Dravida-Sprachen Indiens erinnern
durch die Gesetze der Lautharmonic, die von den Vocalen des
SuMxes auf den Vocal der Stammwurzel zurückwirken, an das
Uralo-altaische, und dennoch muss jede Annahme von einer Ver-
wandtschaft beider Sprachen auf das Entschiedenste zurückgewiesen
werden.
Max Müller, der bekanntlich bei Vielen für einen grossen
Sprachforscher gilt, hat wirklich die Dravida-Sprache den Ural-
altaischen beigezählt.
Es ist unmöglich, anzunehmen, dass die Turanier im Gegen-
satz zu den noch jetzt rohen Nachkommen in der Urzeit eine so
hohe Cultur entwickelt haben und in mancher Beziehung Lehr-
meister der Semiten und Arier geworden sind, wie z. B. die
semitische Schrift und dann auch die unsrige nach einem Aufsatze
Deeckes (Zweitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft
1877) nicht aus der ägyptischen, sondern aus der Keilschrift ab-
zuleiten ist. Die Erfindung der Keilschrift wird aber den Akkadiern
oder richtiger Sumeriern Babyloniens zugeschrieben, die jetzt noch
allgemein fiir Turanier gelten.
Einige Sprachforscher vergessen, dass viele Sprachen bereits im
Alterthum ausgestorben waren und zu denen zählen auch die ge-
nannten Sprachen der Urbevölkerung Vorderasiens, wenn sie nicht,
wie Fr. Müller vermuthet, mit den Sprachen der Bergvölker des
Kaukasus in Verwandtschaft stehen. Jahrhunderte persischer Herr-
schaft haben später dem iranischen Idiom in Medien das Ueber-
gewicht verschafft, und so hat auch Kiepert nicht ganz Unrecht,
wenn er das Medische den iranischen Sprachen beizählt. (In
Kuhn's Zeitschrift für vergl. Sprachforschung.)
Es wäre sehr interessant, zu erfahren, ob die heutige Be-
völkerung des alten Mediens physisch sich von den übrigen Persern
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64
unterscheide. Aus dem Berichte des Herrn Fritsch,^) welcher
bei Gelegenheit der Venus - Expedition nach Ispahan gereist war,
entnehme ich, dass die Bevölkerung Gilans und Mezenderans einen
Habitus zeigt, welcher von dem eigentlich Persischen recht be-
deutend abweicht. Auf die Unterscheidung zwischen den sesshaften
Landbebauern und Städtebewohnern (Tajik) und der nomadisiren-
den Bevölkerung (Hyat) kann man dagegen kein grosses Gewicht
legen, da schon zu Herodot's (I, 125) Zeit unter den Persern
neben Landbauem Nomaden vorkamen. Vielleicht gibt uns Herr
Dr. Polak darüber Aufschluss. Dr. Fligier.
3.
Die Nachkommen der germanischen Burgunder.
Unter den Abhandlungen, welche Lagneau über die Ethno-
logie Frankreichs veröffentlicht hat, finde ich eine, welche auch
die Burgunder berücksichtigt. (Revue d' Anthropologie von Broca
1873 p. 13 u. f.)
Bekanntlich sind die Burgunder im fünften Jahrhundert n. Chr.
in Frankreich eingewandert und haben ursprünglich Savoyen besetzt,
von wo sie sich später bis nach Lyon und in die Jura -Gebiete
verbreitet haben. Nach der Zerstörung des burgundischen Reiches
durch die Franken im sechsten Jahrhundert hören wir von den
germanischen Burgundern nichts mehr, sie sind in der romanisirten
gallischen Bevölkerung aufgegangen.
Nach den neuesten anthropologischen Erhebungen befindet
sich in diesen Gegenden eine zweifache Bevölkerung. Neben einer
kleinen, schwarzhaarigen Bevölkerung, den Nachkommen der Hae-
duer und Sequaner finden sich grosse, blonde Gestalten von mar-
tialischem Aussehen. Aus diesen Gegenden werden die franzö-
sischen Cuirassiere recrutirt. Es sind die Nachkommen der ger-
manischen Burgunder. Nach den statistischen Aufzeichnungen bleiben
sich beide Bevölkerungen an Zahl ziemlich gleich, ein Beweis, dass,
trotzdem so viele Jahrhunderte seit der Einwanderung der Bur-
gunder verflossen sind, die Vermischung der Einwanderer mit der
unterworfenen Bevölkerung keine allgemeine geworden ist.
Dr. Fligier.
<) Verhandluugeu der Berliuer Gesellschaft für Authropologie u. s. w.
1876 p. 160 u. f.
B«4«etiou*Co«ilt^t HAfhkih Franz Ritter ▼. Huer, Hofrstli Carl Laif er, Dr. ■. ■■ck
Prof. Friedr. Illler« Dr. Wfthniaii, Prof. Joh. WoMrleh.
Dnick von Adolf lIolahBUstsn in Wi«n
^ k. Val««i»liai«ll««(i4fu«k*r*4.
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yni. Band. Ausgegeben den 26. Mai 1878. Hr. 3 U. 4.
MITTHEILÜNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
m WIEN.
Iihaltt Ueber die TorJAliriffen Fände im Lsibacher Pffthlban. (Hit 3 Tüfeln.) Von Karl Oetchmtnn.
— Mittheilangen sai dem Ifaiienm der Qetfellscliaft. (Mit 4 Tafeln.) von FeUx von üischan.
— Kraniometrische Mittheilangen. Von ProfeMor Dr. Moriz Benedikt (Wien.) — Grftber-
fnnde bei Dax in BOhmen. (Mit einer Tafel.) Von Dr. Ferdinand v. Hochttetter. — Protokoll
der Jahreaversammlang der anthropologischen GeBellschaft, am 12. Febraar 1878. ~ Kleinere
Mittheilangen: Ueber behauptete Höhlenwohnnngen im LOes bei Joalowits. Von G. Qnf
WHrmbrand. — Noch ein Wort Aber HÖhlenwohnangen im LÖm. Von Dr. Muoh. — Literatnr-
berieht: Adolfo Scander Levt Alcuni cenni di stadi preittorici eolla Savoja. —
Vereinsnachriohten.
Ueber die vorjährigen Funde im Laibacher Pfahlbau,
Von
Karl Deschmsnn.
(Mit 3 Tafeln.)
Die Pfahlbau- Aushebungen auf dem Laibacher Moore
wurden im Vorjahre am 12. Juni an jener Stelle begonnen^
wo im Jahre 1876 die Ausgrabungen wegen der eingetretenen
Herbstregen eingestellt worden waren. Diesmal hatte die trockene
Witterung in dem letzten Drittel des vorher sehr regnerischen
Flühjahrs und die rasch gestiegene Luftwärme eine genügende
Austrocknung des nassen Moorgrundes herbeigeführt, so dass
man nicht zu besorgen hatte, in den zu eröffnenden Torfgräben
an der genauen Durchsuchung der zu unterst befindlichen
Culturschichte beirrt zu werden.
Das schöne Wetter hielt auch weiterhin an und es sind
die Arbeiten unausgesetzt vom 12. Juni bis zum 4. August
1877 betrieben worden, ihre Einstellung erfolgte wegen Mangel
weiterer disponibler Geldmittel.
Die hiefür aufgelaufenen Gesammtkosten, einbezttglich
jener der Grundentschädigung für die in Anspruch genommenen
Parzellen beliefen sich auf etwa 1400 fl. ; zur Bestreitung der-
selben war dem Landesmuseum durch die Munificenz des
k. k. Oberst-Hofmeisteramtes eine Unterstützung von 400 fl.
zugekommen, weiters flössen Beiträge ein : vom Herrn Reichs;
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raths-Abgeordneten Martin Hotschevar 200 fl., von der
krainischen Sparcasse 100 fl., die restliehen 700 fl. wurden
vom Musealfonde übernommen.
Die Zahl der bei den Ausgrabungen verwendeten Arbeiter
war per Tag 20 Mann, die ausgehobene Fläche beträgt etwas
mehr als ein niederösterreichisches Joch, worin jedoch die
mehrfachen resultatlos gebliebenen Probeschürfungen in der
nächsten Umgebung des Pfahlbaues nicht einbegriffen sind.
Der aufgedeckte Pfahlbau erwies sich als östliche Fort-
setzung des schon durch die vorherigen Nachgrabungen con-
statirten Inseldorfes. Erst in den letzten Tagen, nachdem man
zu den äussersten Umgrenzungen des Pfahlbaues gekommen
war und keine Pföhle mehr sich zeigten, wurde in einer bei-
läufigen Entfernung von 300 Schritten von dieser Stelle ein
anderer Pfahlbau entdeckt, welcher weiter vom ehistigen Ufer
entfernt als der frühere in das Seebecken tiefer hinein sich
erstreckte. Man durchforschte denselben in zwei, in einer
Distanz von 60 Meter angelegten Schurfgräben genauer und
wir,d zum Schlüsse dieses Berichtes das Nähere über dessen
abweichende Verhältnisse in der Anordnung der Pfahle und
in der Beschaffenheit der ihn überlagernden, später gebildeten
Schichten mitgetheilt werden.
Im Wesentlichen behielt der Ilauptpfahlbau den näm-
lichen Charakter bei, der schon an der ersten Fundstätte im
Jahre 1875 zu Tage getreten war. Die Torfschichte, unter
der die Pföhle vorkommen, war durchschnittlich zwei Meter
mächtig, die Pföhle — meist Rundhölzer — standen fast durch-
gehends sehr dicht, die Kopfenden der mit der Torfschaufel
leicht zu durchschneidenden eingeschlagenen Laubhölzer waren
ganz abgestumpft, das Vorkommen von Gegenständen aus
Stein oder Metall war ein sehr seltenes, dagegen kamen Waffen
und Werkzeuge aus Hirschhoni und Bein häufig vor, ebenso
Thongeschirr und Topfscherben; von den letzteren deuteten
einige durch ihr reichliches Ornament, das durch eingedrückte,
fein umsponnene Schnüre hervorgebracht wurde, auf eine
höhere Ausbildungsstufe der Keramik.
Eine ausfuhrliche Beschreibung aller diesmal gemachten
Funde wäre wohl grösstentheils eine Wiederholung der bereits
in dem Aufsatze des Herrn Eduard Freiherrn v. Sacken
„Der Pfahlbau im Laibacher Moore", veröffentlicht in den Mit-
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theilungen der k. k. Central-Commission zur Erhaltung der
Baudenkmale^ Jahrg. 1876, gegebenen Details und des von
mir im Decemberhefte der Sitzungsberichte der k. Akademie
der Wissenschaften, Jahrg. 1876, gelieferten Berichtes, sowie
jener Mittheilungen, welche Herr Dr. Much im Vorjahre in
einer Monats -Versammlung der geehrten Gesellschaft unter
Vorweisung einzelner Fundobjecte zu erstatten die Güte ge-
habt hat.
Ich beschränke mich daher in den nachfolgenden Aus-
führungen auf eine genauere Schilderung von solchen Vor-
kommnissen oder Nebenumständen, welche bisher entweder gar
nicht, oder nur mehr flüchtig berührt worden waren, oder
die bei den letzten Nachgrabungen zum ersten Male zu Tage
traten.
Der Umstand, dass man im Jahre 1876 in dem Momente,
als die Nachgrabungen eingestellt werden mussten, auf Guss-
schalen und Gussmodel gestossen war, hatte der Vermuthung
Raum gegeben, dass man auf eine reichlichere Ausbeute von
Bronzen stossen werde, als dies bisher der Fall gewesen war.
Leider hat sich diese Hofl^nung im Jahre 1877 nicht er-
füllt. Die gemachten Funde von Metallwerkzeugen beschränken
sich auf flinf Stücke von kupferähnlichem Aussehen, deren
Anfertigung zweifelsohne im Pfahlbau stattgefunden hatte.
Hieher gehören zwei an dem einen Ende sehr fein zu-
gespitzte vierseitige gerade Pfriemen (Fig. la, 6, c), einer
126 Mm., der zweite 108 Mm. lang; am schmalen Kopfende
sind beide Stücke flach und scharf zugehämmert, mit diesem
flachen Ende scheinen sie in ein Hörn oder Beinstück gesteckt
worden zu sein, dessen Fassung bis zur grössten in die Quere
gehenden Erweiterung des Metallkörpers reichte, was beiläufig
ein Viertel der ganzen Länge beträgt.
Diese Werkzeuge mochten bei Anfertigung der Beschuhung
der Pfahlbauern zu dem nämlichen Zwecke gedient haben wie
heutzutage die Schusterahle; es ist aber auch wahrscheinlich,
dass damit bei Nähtereien oder Stickereien an der nach Aussen
gekehrten Innenseite des Pelzwerkes und der Fellbekleidungen
für das mittelst der Beinnadel weiter auszuführende Stickerei-
muster die Nahtlöcher vorgestochen wurden. Zweifelsohne
spielten damals unter den Bekleidungsstücken ausser den Ge-
weben aus Wolle auch Pelzwerk und Felle eine wichtige
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Rolle, ja — nach der Menge des erlegten Wildes und der
geschlachteten Schafe zu schliessen — muss an solchen Arti-
keln im Pfahlbau eine grosse Opulenz geherrscht haben.
Und soll der Pfahlbauer bei seiner grossen Vorliebe für
die Ausschmückung seiner Geräthe und Geschirre nicht auch
seine Kleidungsstücke, wo es am Platze war, durch Stickerei
zu verschönern getrachtet haben? Sicherlich stand er hierin
dem Landmanne von heutzutage nicht nach, der auf seinem
Pelz aus Lammfellen allerlei decorativen, mit der Nadel ein-
gestickten Schmuck trägt.
Man blicke ja nicht mit Verachtung auf die Hausindustide
unserer Pfahlbauern, sie verstanden es auch, mit Geschick die
Nadel zu führen. Beweis hiefur sind sechs Stück feine, schön
polirte Beinnadeln (Fig. 2) aus Knochensplittern von Hirsch-
rippen angefertigt, mit verhältnissmässig sehr feinem Oehr;
auch wurden im verflossenen Jahre verkohlte Partien von
sehr gleichmässig gedrehtem feinem Zwirn aus Lein gefunden.
Zur Anfertigung des Zwirnes dienten jene ob ihres häufigen
Gebrauches durch eine wunderschöne Politur ausgezeichneten
Röhrenknochen, wozu man meist den Femur vom Reh oder
den Ellbogenknochen vom Schwan verwendete, an deren
beiden Enden noch die Einkerbungen des durch die Knochen-
röhre gelaufenen oder gedrehten Zwirnes deutlich sichtbar
sind. Man hat somit der Anfertigung des Zwirnes und der
Nadel eben soviel Aufmerksamkeit als Geduld geschenkt.
Nach den vorgefundenen Proben lässt sich die Ausarbeitung
einer feinen Beinnadel von der ersten Zuschärfung des aus
der Hirschrippe gewonnenen Knochensplitters durch die weiteren
Stadien des Schliffes bis zur Anbohrung des feinen Oehrs
verfolgen. Ein Räthsel bleibt es immerhin, warum man es
hier nicht vorzog, sich aus Bronze eine Metallnadel zu giessen,
wie derartige Objecte im Pfahlbau von Peschiera häufig vor-
kamen, was mit keiner Schwierigkeit verbunden gewesen wäre
und ein dauerhafteres Werkzeug, als es die Beinnadel ist, ge-
liefert hätte.
Zu den Werkzeugen aus Metall gehört ferner ein platt
gehämmertes, sehr roh gearbeitetes messerartiges Instrument,
an dem unteren breiteren Ende in einen heftartigen Stiel aus-
gezogen, anscheinend aus Kupfer; das gleiche Aussehen hat
-^jine Lanzenspitze, 14 Cm. lang, durch eine Mittelrippe ver-
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69
stärkt (Fig. 3); ferner ein offenes, an dem einen Ende abge-
brochenes flaches Armband, aus einer an der breitesten Stelle
2 Cm. breiten Metalllamelle bestehend, an dem noch unver-
sehrten Ende schmal zulaufend und zu einer Oesc eingebogen,
behufs Anbringung eines Bindfadens zum Zusammenbinden
der beiden Ringenden.
Alle diese Werkzeuge, an denen sich im Moorwasser keine
Patina gebildet hat, dürften durch Umguss von Bronze ange-
fertigt worden sein; ob in denselben auch eine Zinnlegirung
vorkommt, müsste durch die chemische Analyse nachgewiesen
werden.
Jedoch ungeachtet dessen, dass das Vorkommen der
Bronze nach den bisher gemachten Funden sich nur auf eine
kleine Anzahl von Objecten beschränkt, so ist doch aus anderen
Umständen zu ersehen, dass Bronzewerkzeuge im Haushalte
unserer Pfahlbauern oft verwendet wurden, namentlich scheint
die Bronzehacke bei der Bearbeitung des Holzes das frühere
Steinbeil völlig in den Hintergrund gedrängt zu haben, und
dürften Holzschnitzereien durch das Broncemesser bewerk-
stelligt worden sein.
Als Beweis hiefür kann ausser einigen besser erhaltenen
beschnittenen und behauenen Holzresten, deren Schnittflächen
nicht von einem Steinwerkzeuge herrühren können, ein kleiner
Amboss (Fig. 4) aus einem feinkörnigen, thonhältigen Sand-
stein angesehen werden; sein unteres Ende ist zapfenförmig
zum Einstecken in einen Holzpflock, der kurze, fast cylin-
drische Ambosskörper zeigt an seiner oberen Schlagfläche einen
metallischen Anflug vom Hämmern beim Schärfen der Schneide
der Bronzewerkzeuge. Gleichfalls als ein Miniaturamboss prä-
sentirt sich ein anderes aufgefundenes Gesteinstück in der Form
eines niedrigen fünfseitigen Prismas, seine obere Fläche ist
flachmuschelig vom vielen Hämmern und zeigt wegen der an-
haftenden Bronzepartikeln einen metallischen Schimmer.
Ausserdem fand sich die Hälfte des Gussmodels einer
Hacke vor (Fig. 5), die Barte verschmälert sich gegen das
obere einerseits hervortretende Ende der Hacke, in dem sich
das Schaftloch befindet. Bronzehacken von solcher Form
wurden vor einigen Jahren in grosser Anzahl in Slavonien
vorgefunden, das krainische Museum besitzt ein ähnliches
Stück von einer Localität in Krain. Die wirklich stattgehabte
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Verwendung obigen Models zum Guss einer Hacke ist aus
dem Vorhandensein kleiner geschmolzener Bronzedrusen am
Fugenrande zu ersehen.
Auch diesmal gehörten die Steinwerkzeuge, wie bei den
früheren Ausgrabungen zu den selteneren Funden, mit Aus-
nahme der massenhaft vorkommenden Reibsteine, von denen
einzelne bei 100 Kilogramm wogen, und der sogenannten
„Kornquetscher" von Faustgrösse, wozu man kugelrunde Ge-
schiebe von Sandstein oder Porphyr aus dem Savebecken
verwendete, deren spätere polyedrische Gestalt auf ihren starken
Gebrauch im Haushalte schliessen lässt.
Auffallend ist die geringe AuBbeute an Steinhämmern
und Steinäxten aus heimischem Materiale. Die wenigen, im
Landesmuseum aufbewahrten Stücke vertheilen sich ziemlich
zur gleichen Hälfte auf solche, die aus Serpentin angefertigt
sind, daher von anderwärts eingefühii; wurden, und auf Aexte
und Beile aus Gesteinen der nächsten Umgebung.
Einer der interessantesten hieher gehörigen Funde im
Vorjahre war ein Hammer mit Bohrloch aus grünem Porphyr
(Fig. 6). Dieses Gestein kommt als Geschiebe im Savebecken
häufig vor. Der Körper des Hammers weitet sich in der
Mitte, wo das Bohrloch ist, ringsum aus und läuft gegen die
beiden Enden ziemlich cylindrisch zu.
Eine Axt aus rothem Sandstein (Werfner Schiefer) von
der nächsten Umgebung ist an der Schneidseite noch gut zu-
geschärft.
Ein mehr roh gearbeiteter Serpentinhammer mit Bohr-
loch in der Mitte ist an der oberen Hälfte pyramidal mit ab-
gesetzter Kante und abgestutzt.
Von einem durchbohrten zerbrochenen Beile aus dem
nämlichen Materiale fand sich nur die eine Hälfte mit dem
halben Bohrloche vor.
Von zwei keilförmigen Serpentinäxten trägt die eine am
Rückenende Spuren von starker Auswitterung, das Gestein ist
daselbst gelblich-braun, bröckelig; das Stück dürfte wahr-
scheinlich einer starken Feuerhitze ausgesetzt gewesen sein.
Die wenigen aufgefundenen Lanzenspitzen, Sägen und
Messerchen aus Feuerstein sind durch feine Zusplitterung ge-
schärft, das Materiale hiezu dürfte, wie dies schon bei analogen
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71
früheren FuBden bemerkt wurde, von Feuersteinknollen aus
den Numulitenschichten am Karst herrühren.
Ein Prachtstück einer polirten Hammeraxt (Fig. 7) aus
Serpentin, das schönste bisher aufgefundene Steinwerkzeug,
kam dem Museum im Vorjahre von einer anderen Fundstelle
auf dem Laibacher Moore zu, die von dem in Rede stehenden
Pfahlbau etwa 10 Kilometer entfernt ist. Die Vorderfläche
dieser Hammeraxt ist schwach convex, die Hinterfläche jener
entsprechend schwach concav, diese beiden schliessen mit den
beiden convexen Seitenflächen am oberen Ende die schief nach
vorne geneigte viereckige Rückenfläche ein, während an Stelle
der unteren Schneide sich eine abgeschlififene, krumme, von
vorne nach hinten verlaufende Fläche befindet. Eine technische
Verwendung scheint dieses Werkzeug, dessen Schneide so zu
sagen entkantet ist, nicht gefunden zu haben, es mochte blos
als Abzeichen eines Würdenträgers gedient haben. Das Stück
wurde von einem Bauer von Innergoritz zwischen den Morast-
hügeln Medvedka und Hribec bei Moosthal im vorigen Jahre
ausgeackert. Die Fundstätte liegt nicht weit von der Südbahn,
welche knapp an Innergoritz vorüber den Morast übersetzt, in
der nämlichen Umgebung wurden bereits im Jahre 1854 vom
damaligen Leiter des von der Südbahn-Gesellschaft auf dem
Laibacher Moore gegründeten Torfziegel-Etablissements, Stations-
chef V ine enz Gurnig, die ersten Funde von Hammerbeilen
aus Hirschhorn gemacht.
Die im Vorjahre neuerdings vom Museum in jener Gegend
vorgenommenen Probeschürfungen legten wohl Partien von in
dem einstigen Seeboden steckenden Pfählen unter der Torf-
decke blos, ohne auf eine Culturschichte mit Abföllen des
Haushaltes zu stossen. Es ist zu erwarten, dass in der bezeich-
neten Gegend zwischen den aus der Moorfläche inselartig sich
erhebenden Morasthügeln in nicht gar ferner Zeit eine Pfahl-
bautenstätte constatirt werden wird.
Unter den im Vorjahre gesammelten Handschleifsteinen
ist beachtenswerth ein glatt abgeschliffenes, chloritschiefer-
ähnliches Stück; es ist unstreitig von auswärtiger Provenienz.
Nicht selten waren im Pfahlbau die Funde faustgrosser
Anthrazitstücke, aus den Schiefern des das Moorbecken im
Nordost begrenzenden Gebirgszuges Goloutz herstammend, wo
dieses Mineral nesterweisc vorkommt. Die Pfahlbauer dürften
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72
diese Mineralkohle pulverisirt und als Thonbeimengung bei
der Geschirrfabrication verwendet haben, einzelne dickwandige
Schalenreste zeichnen sich gegenüber dem sonstigen schwarzen
Thongeschirr durch eine eigenthümliche, nicht vom Graphyt,
sondern von einer anderen Mineralsubstanz herrührenden
Schwärze aus.
Auch dürften zwei schleifsteinähnliche, weckenartig ge-
formte Stücke, auf der flachen Seite mit einer Längsrille ver-
sehen, beide stark schwarz abfärbend, mittelst einer Com-
position von Thon mit Anthrazitpulver geformt worden sein.
Von räthselhafter Verwendung sind kleine Bollsteinchen
von cylindrischer Form, an beiden Enden abgestumpft, in
einer Birkenrinde steckend und in der Mitte von bereits ver-
westen Fäden umschlungen.
Von Artefacten aus Holz sind ausgehöhlte Näpfe, ferner
eine grosse, leider ganz zerfallene Schüssel zu erwähnen.
Auch ein Kahn, aus einem ganzen Eichenstamme ange-
fertigt, ein sogenannter „Einbäumler", wurde auf dem einstigen
Seeboden aufgedeckt. Seine regelmässige Behauung konnte nur
mittelst der Hacke aus Metall bewerkstelliget worden sein. Die
Länge dieses Kahnes beträgt 4*7 Meter, die Breite in der
Mitte 77 Cm. Die Aushöhlung fand derart statt, dass man in
der Mitte des Schiffskörpers die Holzmasse als aufrecht stehende
Querwand zwischen der vorderen und hinteren Höhlung be-
liess und so einen sehr soliden Sitz schuf. Die beiden Schiffs-
enden sind abgerundet, nach unten sanft gewölbt. Leider
gelang es nicht, den blossgelegten Kahn intact auszuheben, die
Unterschiebung der Bretterunterlage gelang noch ziemlich,
allein beim Heben zerfel der morsche Kahn in tausend Stücke.
Auch diesmal bestehen die meisten der aufgefundenen
Werkzeuge und Waffen aus Hörn und Bein.
Die Zahl der im Vorjahre gesammelten Hammerbeile
aus Hirschhorn in den verschiedenen Stadien der Anfertigung
beträgt 148 Stücke.
Von Hirschhornzinken, an dem abgebrochenen Ende mit
einem ' Bohrloch oder mit einem grossen Oehr versehen, von
denen wohl die meisten als Knebel beim Binden von Ballen
mittelst Seilen aus Bast, wovon auch einige Proben sich vor-
fanden, verwendet wurden, kamen im Ganzen etliche zwanzig
Stück vor.
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73
An Glättewerkzeugen zur Bearbeitung der Felle, bestehend
aus Unterkiefern vom Bison oder zahmen Rind, etliche fünf-
zehn Stück, meist mit gut erhaltener Politur. An einigen Paaren
steckt noch die ganze Backenzahnreihe im Kiefer und sind
die Unebenheiten der Mahlfläche der Zähne durch den starken
Gebrauch ganz abgeplattet worden.
Zu dem nämlichen Zwecke diente das untere dreieckige
Fragment eines Eichhornes mit prachtvoller Politur, es vertrat
die Stelle des jetzigen Bügeleisens.
Wegen ihrer schönen Politur auffallend sind die bereits
vorher erwähnten Zwirndreher aus Röhrenknochen meist vom
Reh und Schwan, im Ganzen zehn Stücke.
Die meisselartigen Werkzeuge, achtzehn an der Zahl,
theils aus zugeschärften Rippenstücken, theils Röhrenknochen
bestehend, wurden wohl meist zum Herausnehmen und Ab-
schaben des Markes aus den aufgeschlagenen Thierknochen
verwendet.
Aus derberen Knochen fertigte man die sogenannten
„Löser" für das Abbalgen des erlegten Wildes an, vier Stück.
Die sechs feinen Nadeln wurden schon oben erwähnt.
An Stechwerkzeugen brachte man etliche 530 Stücke zu
Stande, hieher gehören nicht nur die starken Dolche meist aus
dem Metacarpus, sondern auch kräftige, sorgfältig bearbeitete
Knochenspitzen, die man an Lanzenschäfte angebracht haben
mochte, polirte starke Nadeln, die vielleicht den Frauen zum
Zusammenhalten ihrer HaarfUlle dienten, kleinere Stechwerk-
zeuge, Doppelgriffel zum Eingraviren des Ornamentes in die
Thongeschirre, flache, scharf zugespitzte Beinsplitter, die sich
wohl nur als Pfeilspitzen deuten lassen, u. s. w.
Die Knochen dieser Stechwerkzeuge rühren meist vom
Hirsch her, allein auch Wildschwein, Bär, Dachs, Reh u. a. m.
sind vertreten.
Es wäre gewiss eine interessante osteologische Arbeit,
an der Hand der diesbezüglichen reichen Sammlung, die sich
im Landesmuseum befindet, nachzuweisen, wie der Naturmensch
das Knochenmateriale der verschiedenen Thiere taxirte, und
wie er die einzelnen Knochengebilde mit richtigem Verständ-
nisse und grossem praktischem Sinne sich für seine Zwecke
zuzurichten gewusst hat.
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Geschirre, ganz erhalten, noch mehr aber in Fragmenten,
gehörten auch diesmal nicht zu den Seltenheiten. Die Aus-
beute betrug 36 gut erhaltene Töpfe, 13 schlecht erhaltene,
4 Becher, 27 kleine Schälchen, 7 kleine Töpfchen, 122 Spinn-
wirtel.
Ornamentiite Geschirre und Fragmente waren seltener
als in den Vorjahren. Von den verschiedenen hieher gehörigen
Vorkommnissen verdienen folgende hervorgehoben zu werden.
An Klappertöpfen oder thönernen Schellen zum Um-
hängen für Kinder, wovon im Jahre 1875 ein interessantes
Stück, etwa einem Igel ähnlich, mit angebrachten Verzierungen
(Fig. 8 a, b) aufgefunden wurde, kam diesmal ein weiterer Zu-
wachs von drei Stücken, das eine von kurz cylindrischer
Form, am Ober- und Unterboden durchlöchert zum Durch-
ziehen der Hängschnur (Fig. 9), das zweite ein Torso mit
Schnabel und zwei Augen, etwa eine hockende Nachteule dar-
stellend, die Henkelchen sind abgebrochen (Fig. 10), das dritte
spindelförmig mit zwei Löchern an den beiden Enden (Fig. 11).
Eine eigenthümliche Geschirrornamentik, hervorgebracht
durch eingedrückte, fein umsponnene Saiten, nach Klopf-
fleisch phönizisch-africanischen Ursprungs, war auch diesmal
vertreten.
Die Verzierung mittelst eingedrückter kleiner Kreise,
sonst an den keltischen Alterthümem gewöhnlich, bisher in
dem Laibacher Pfahlbau noch nicht beobachtet, trat an einem
kleinen Töpfchen zum ersten Male auf; es trägt an seinem
Umfange ein Band von kleinen Doppelkreisen, die durch ver-
ticale Linien mit einander verbunden sind.
Eines der merkwürdigsten Ge schirr reste, zwar nur im
Bruchstück vorhanden, jedoch genügend, um sich daraus die
ganze Form zu construiren , ist das in der Fig. 12 a, 6 ab-
gebildete. Es ist ein Hohlgeföss in der Form des menschlichen
Oberleibes bis zu den Füssen, statt des Kopfes ist an dem
Halse des Gefasses eine Nase nebst zwei Augen angebracht.
Der eine vorhandene Arm ragt aus der Büste horizontal horn-
artig hervor, an seinem stumpfen Ende ist mittelst fünf
seichten Einschnitten die Andeutung der Finger angebracht,
unter dem Arme wird das Gefilss enger und sodann erweitert
sich die Taille gegen das untere Ende. Der Boden des Gefasses
ist abgefallen, er bildete ein längliches Ellipsoid.
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75
Diese menschenähnliche Figur trägt ein unter dem Halse
offenes, von der Brust abwärts zusammenschliessendes Kleid,
dessen Saumränder bordürt und absatzweise, sowie auch die
Obernaht am Arme mit quadratischen Verzieiiingen versehen
sind. In den einzelnen Quadraten bilden die von den Eckpunkten
auslaufenden Doppeldiagonalen ein Kreuz und es ist jedes der
dadurch gebildeten dreieckigen Felder mit einem in der Mitte
der Quadratseite aufsitzenden kräftigen Punkte markirt. Das
Ganze scheint eine Imitation einer in einen Oberrock gehüllten
Mannsperson mit ausgestreckten Armen zu sein und erinnert
an Volkstypen mit Schafspelzen bekleidet, die man besonders
in slavischen Ländern häufig antrifft.
Diese Nachbildung gab den Schlüssel zur richtigen
Deutung eines vor zwei Jahren aufgefundenen, sorgfaltiger ge-
arbeiteten und schön verzierten hohlen Geschirrfragmentes
(Fig. 13). Dasselbe trägt an der Vorderseite zwischen linearem
und dreieckigem Strichornamente eine Brustzitze, am Stummel-
ende befinden sich ebenfalls fünf Finger angedeutet. Es stellt
demnach dieses HohlgefUss eine weibliche Figur in reichlicherer
Bekleidung als im früheren Falle dar.
Diese Figuren erinnern einigermassen an die in Schlie-
mann's neuestem Werke, Mykenae, S. 80, Nr. 111 und 112
und auf Tafel XVI, Nr. 90 und 91, abgebildeten Terracottas
von Idolen. Vielleicht haben auch obigen im Laibacher Pfahl-
bau angefertigten Hohlgefassen ähnliche Idole als Vorbild
gedient.
Der Vergleichung halber ist es am Platze, hier die Ab-
bildung (Fig. 14) einer bereits in einem früheren Berichte
erwähnten, im Laibacher Pfahlbau vor zwei Jahren aufge-
fundenen idolähnlichen weiblichen Thonfigur zu geben. Das
Stück ist flach, jedoch mit genügender Basis zum Aufrecht-
stellen, der Kopf ist abgebrochen, die x\rme sind an dieser
Büste gar nicht angedeutet. Sowohl Brust- als Rückenseite
tragen ein reiches Ornament. Dasselbe entspricht Stickmustern
und Bandverzierungen auf Kleidern. Aehnliche Ornamente
wiederholen sich auch auf Schalen und Geschirren. Es ist
daher anzunehmen und als culturhistorisches Moment beachtens-
werth, dass manche Ornamente auf Geschirren nur Copien der
auf Kleidungsstücken durch die nicht ohne Kunstsinn geführte
Nadel angebrachten Verzierungen seien.
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Es erübriget nur noch, über die vorgefundenen Menschen-
und Thierknochen Einiges anzuführen. An letzteren zeigten
sich zuweilen dichte Anhäufungen winziger Vivianitkrystalle.
Die früher ausgegrabenen Menschenschädel, denen die
Gesichtsknochen fehlen^ nebst etlichen Extremitätenknochen
wurden an Herrn Felix von Luschan zur wissenschaftlichen
Bearbeitung geleitet. Desgleichen haben die Herren v. Pölzeln
und Director Dr. Steindachner die Güte gehabt^ die Be-
stimmung des reichen Materiales an Vögel- und Fischknochen
zu übernehmen.
In dem massenhaft ausgegrabenen Knochenmateriale von
Säugethieren wurde eine sorgfältige Sortirung aller Kiefen*este .
vorgenommen, um nach deren Anzahl die Verhältnisszahleu
des häufigeren oder selteneren Vorkommens der einzelnen Thier-
species der damaligen Pfahlbaufauna zu constatiren. Auf Grund
genauer Aufzeichnungen , welche wohl bezüglich einzelner
schwer von einander zu unterscheidender Species, als z. B.
Schaf und Ziege, keinen Anspruch auf absolute Richtigkeit
haben, jedoch immerhin eine Uebersicht des Vorkommens der
entscheidendsten Thierarten gewähren, vertheilen sich die dies-
mal vorgekommenen Säugethiere folgendermassen:
Schaf (eine gehörnte Varietät) 147 Individuen
Edelhirsch 131 „
Biber 52 „
Hausrind (mit 48 Stück Rindshömem) . . 35 ^
Ziege 31 „
Dachs 31 „
Torfschwein 35
Wildschwein 28
Bär 18
Bison 17 „
Hund 16 „
Reh 12
Wolf 2—3
Elch 3—4 „
Die Schädelknochen sind grösstentheils zertrümmert, bis
auf jene des Dachses, wovon etwa 13 ganze vorkamen ziem-
lich nahe bei einander, vielleicht die Behausung eines passio-
nirten Dachsföngers andeutend. Der Hund der Steinzeit lieferte
nur ein paar zum Theil an der Schläfenschuppe lädirte, sonst
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gut erhaltene Schädel. Als eine grosse Seltenheit sind zwei
ganze Biberschädel zu bezeichnen, desgleichen ein ganzer
Bärenschädel, drei ganze Schädel vom Wildschwein, des-
gleichen ein zur Hälfte ziemlich gut erhaltener Wolfschädel.
Die Gebisse des Wisent rühren meist von jungen Thieren mit
noch nicht beendetem Zahnwechsel her.
Der Elch ist durch ein starkes Hinterhauptstück eines
ausgewachsenen Thieres mit den ansitzenden beiden Qeweih-
basen, von denen die Schaufeln abgehackt worden waren, und
durch einige Gebissfragmente von alten und jungen Thieren
vertreten.
Häufiger als vorher kamen fast vollständig erhaltene Ge-
weihe vom Edelhirsch vor.
Als eine räthselhafte Erscheinung verdient hervorgehoben
zu werden die an einigen Metacarpusknochen vom Hirsch und
an einer Ulna vom Bär vorkommende transversale feine Stri-
chelung, gleichsam dicht aneinander stehende Feilenstriche.
Aehnliches zeigte sich, nur in kleineren Partien, an einigen
Hirschgeweihen. Soll dies durch die Menschenhand mit einem
Werkzeuge und zu welchem Zwecke hervorgebracht worden
sein, oder ist es die Arbeit eines kleinen Nagethieres? Der
letzteren Annahme widerspricht die partienweise Anordnung
solcher feiner Striche, sie finden sich rings an den Knochen
vor, gleichsam in prismatisch verlaufenden Flächen an-
geordnet.
Wie aus obiger Zusammenstellung zu ersehen ist, befasste
sich die Pfahlbaubevölkerung besonders mit der Schafzucht,
aber auch die Jagd lieferte ihr reichliche Nahrungsmittel und
Bekleidungsstoffe. Namentlich ist der Hirsch in einer bisher
unerhörten Fülle vertreten. Die in den letzten drei Jahren
aufgedeckte Gesammtfläche der Pfahlbaustätte beträgt beiläufig
zwei niederösterreichische Joche und auf diesem Platze wurden
nach der soi*tirten Kieferanzahl zu schliessen, Knochenreste
von mehr als 500 Hirschindividuen ausgegraben.
Aber auch als eine aussergewöhnlich reiche Biberjagd-
station ist dieser Pfahlbau zu bezeichnen, die Anzahl der bis-
her vorgekommenen Individuen beläuft sich auf mindestens
140, eine colossale Ziffer gegenüber dem Auftreten dieses
Nagers in den Schweizer Pfahlbauten, wo nach Rütimeyer
in der an Biberresten reichsten Station Moosseedorf nur acht
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Individuen constatirt wurden. Ebenso ist das Vorkommen des
Wisent ein verhältnissmässig zahlreiches, insbesonders wenn
man berücksichtigt, dass voraugsweise junge Thiere als Jagd-
ausbeute erscheinen.
Bei einer solchen Fülle von Wild drängt sich wohl die
Frage auf, in welcher Zeit von den oben angeführten Thieren
diejenigen, die gegenwärtig zu den Raritäten der europäischen
Fauna zählen, in Krain auf das Aussterbeetat gekommen sind.
In den historischen Nachrichten über Krain findet sich
unseres Wissens keine Notiz, woiin des einstigen Vorkommens
des Elchs, des Bibers und des Wisents daselbst Erwähnung
geschähe.
Zwar führt Valvasor in seiner „Ehre des Herzogthums
Krain ^ an, dass im Lande auch der Biber vorkomme, allein
er fügt hinzu, das ist die Fischotter (Pibra). Offenbar ver-
wechselt er die Fischotter (slavisch vid/ra) mit dem Biber.
Eine bemerkenswerthe Thatsache ist es, dass schon in der be-
nachbarten Steiermark, namentlich aber in dem von Deutschen
bewohnten Wassergebiete der Donau Ortsnamen häufig sind,
die auf das Vorkommen des Bibers daselbst hindeuten (siehe
JäckeTs Abhandlungen im Correspondenzblatt des minera-
logisch-zoologischen Vereines in Regensburg). Die Slovenen
in Krain und den angrenzenden Gebieten lieben es, Locali-
täten nach Beziehungen zu wilden Thieren und Hausthieren
zu bezeichnen, sie haben nicht selten Flüsse und Bäche nach
dem Vorkommen der Fischotter daselbst benannt, die Namen
viderga oder viderScay der Fluss ladro, der Idrizafluss mit der
berühmten Bergstadt Idria sind auf die Fischotter (vidra)
zurückzuführen. Und doch, obschon — nach dem massenhaften
Vorkommen des Bibers im Laibacher Moore zu schliessen —
derselbe auch anderwärts in Krain nicht selten gewesen sein mag,
findet sich unseres Wissens kein einziger Bach- oder Ortsname
mit der Wurzel Dahr oder Bobr, der slavischen Bezeichnung
für Biber, im Lande vor, es läge daher die Vermuthung nahe,
dass zur Zeit, als die Slaven sich in Krain niederliessen, der
Biber der damaligen Fauna des Landes nicht mehr angehörte.
Vom Wisent (slavisch tur) dürfte sich eine Andeutung
in dem Ortsnamen TurjcJc, „Auersperg", dem Stammsitze des
Geschlechtes der Auersperge, erhalten haben. Der genannte
Marktflecken liegt nicht weit ab vom Laibacher Moore.
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Auch noch in dem sechsten Jahrhundert nach der christ-
lichen Zeitrechnung ist das Vorkommen des Wisents in Krain
constatirt, und es dürfte eine von den Historikern unrichtig
gedeutete Stelle des Paulus Diaconus in dessen Geschichte
der Longobarden wohl nur auf Krain zu beziehen sein.
Sie lautet:
„Wie nun König Albuin mit all seinen Kjriegsmannen
und einem grossen Haufen allerlei Volkes an die Grenzen
Italiens kam (568 n. Chr. G.), so stieg er auf den Berg, der
sich in jener Gegend erhebt, und beschaute sich da, so viel
er von Italien übersehen konnte. Darum, wie man sagt, heisst
seit der Zeit dieser Berg der Königsberg. Auf diesem Berge
soll es wilde Ochsen geben, was kein Wunder ist, da Panno-
nien, das diese Thiere hervorbringt, bis dahin sich erstreckt.
Es hat mir auch ein wahrhaft alter Mann erzählt, er habe die
Haut eines solchen auf jenem Berge erlegten Ochsen gesehen,
auf der, wie er sagte, fünfzehn Menschen neben einander
hätten liegen können."
Dieser Königsberg des Paulus Diaconus wird von den
Historikern als identisch mit dem gleichnamigen Berge am
Raiblersee in Kärnthen angenommen, an dessem Fusse schon
zu Römerzeiten eine Verkehrsader nach Italien führte. Allein
abgesehen davon, dass man von diesem Berge nicht eine
Spanne italienischen Bodens überblickt, indem die gewaltigen
Kalkmassive des Canin und des Vischberges im Süden im
Wege stehen, ist der Königsberg nach seinem alpinen Charakter
eher eine Wohnstätte der Gemsen als ein Terrain für die un-
geschlachten wilden Ochsen, geschweige denn, dass je eine
Jagd auf Auerochsen in jenem Felsgeklippe stattgefunden
hätte. Es ist daher sachgemässer, diese Stelle des Paulus
Diaconus auf den Bimbaumerwald in Krain zu beziehen,
über den die in der Kriegsgeschichte Roms eine wichtige Rolle
spielende Heerstrasse zwischen Aquileja Nauportus und Siscia
führte. Von den höchsten Kuppen dieses Gebirges schweift der
Blick weit nach Italien und Istrien, die Adria, Aquileja,
Grado liegen, so zu sagen, zu den Füssen des Beschauers. Ja,
nach dem Baumgarten'schen Verzeichnisse der vom General-
Quai*tiermeisterstabe in Krain aufgenommenen Höhen heisst die
höchste Kuppe des Bimbaumerwaldes ober der Ortschaft Pod-
kraj, durch die die einstige Römerstrasse führte, KrcdfiSki vrh,
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d. 1. Königshöhe. Der ausgedehnte Höhenzug des Birnbaumer-
waldes, dessen bewaldete Kuppen mit Bergwiesen schon damals
abwechselten, war ein geeigneter Tummelplatz für den Wisent,
welchem auch das nahe gelegene bewässerte Poiker Hochplateau
und die Kesselthäler von Planina und Loitsch eine reichliche
Weide darboten.
Nach dieser in das zoologische Gebiet hinübergi'cifenden
Abschweifung führe ich noch in aller Kürze Einiges über die
Eingangs erwähnte, einer späteren weiteren Nachforschung
vorbehaltenen, von dem ursprünglichen Pfahlbau etwa drei-
hundert Schritte entfernte und tiefer in den Morastboden hin-
eingebaute Seeansiedlung an.
Zur Entdeckung derselben führte die von den Arbeitern
beim Baden im angrenzenden Ischzaflusse gemachte Wahr-
nehmung, dass eine Stelle des Flussbettes dicht mit Pfählen
besetzt sei. Ein paar Aushebungen des zwischen letzteren be-
findlichen Schlammes zeigten in demselben eine gleiche durch
Geschirn*este, Thierknochen, Kohlen u. s. w. charakterisirte
Culturschichte, wie sie im Pfahlbau vorkömmt. Eine ähnliche
Stelle wurde bereits im Vorjahre in der Ischza, jedoch näher
am einstigen Seeufer constatirt. Bei den hierauf am linken
Ischzaufer angelegten zwei Schurfgräben zeigten sich eigen-
thümliche Lagerungsverhältnisse der ober den Pfilhlen befind-
lichen Schichten.
Der obere Wiesgrund ist ein sehr verhärteter Thon, unter
diesem liegt eine 1'3 Meter mächtige reine Lehmschichte ohne
organische Beimengungen, sie lässt sich mit der Torfschaufel
leicht ausheben. Unter dieser kam man auf gut erhaltene un-
regelmässig und schütter vertheilte schwarze Eichenpflöcke,
aus Spaltklötzen bestehend, deren Enden schräge zugeschärft
sind. Diese stecken zunächst in einer 40 Cm, mächtigen
Schichte von aufgeschwemmter Erde und von Sand mit zahl-
reichen Aesten der Erie und mit noch deutlich erkennbaren
Blättern dieser Holzart, verschiedenem Wurzelwerk und Schaft-
resten von Sumpfpflanzen vermengt. Erst unter dieser Schichte
kommt man zum Torf. Derselbe, 40 Cm. mächtig, lagert auf
einer schwarzen, mistähnlichen, stark comprimirten, vegetabi-
lischen Schichte, in der man Blätter der Eiche und anderer
Bäume deutlich unterscheiden kann. Diese Lage ist beiläufig
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20 Cm. mächtig. Unter dieser Schichte kommt man zu den
dicht gestellten Laubhölzern, und der Charakter des Pfahl-
baues ist der nämliche wie bei den bisherigen Aufdeckungen.
Zu dem conchylienreichen Seegrunde gelangt man an dieser
Stelle erst in 3 Meter Tiefe. Dieser Pfahlbau bot in den beiden
Schurfgräben keinerlei nennenswerthe Funde und die ausge-
grabenen rohen Artefacte verlohnten durchaus nicht die an
dieser Stelle beschwerliche Mühe der Aushebung.
Man wäre versucht, hier zwei über einander gestellte
Pfahlbauten anzunehmen, eine ältere aus Rundhölzern der
Pappel und eine jüngere aus Spaltklötzen der Eiche bestehend.
Allein jene an ihrem Ende ganz vermorschten und abge-
stumpften Rundhölzer dürften einst eben jene Länge gehabt
haben, wie die Eichenpflöcke, ihr jetziger Stand deutet die
Höhe des einstigen Seeniveaus an, der Holztheil, der aus
diesem hervorragte, ging zu Grunde, während die Spaltklötze
der Eiche in ihrer ganzen Länge der Vermorschung wider-
standen und später unter dem Torfe und dem durch die Ge-
wässer herbeigefiihiten Schlamme begraben wurden.
Ebenso könnte jene 1*3 Meter mächtige Lehmschichte,
die bei den bisherigen Ausgrabungen nicht vorgekommen war,
manchen mit der Localität Unkundigen zu kühnen Schlüssen
über das Alter des Pfahlbaues verleiten. Allein derartige Ab-
lagerungen im Moraste fanden an mehreren Stellen durch die
in denselben einmündenden Bäche statt, solche Lehmzungen und
Sandbänke erstrecken sich stellenweise tief in das Moor hin-
ein, sie wechsellagem auch hie und da mit dem Torfe, sind
jedoch mit der Torfbildung contemporär. Ueberhaupt haben
die hydrographischen Verhältnisse des Moores, mit denen solche
Ablagerungen im Zusammenhange stehen, schon in dem Zeit-
räume eines Jahrhunderts, von heute zurückgerechnet, sehr
wesentliche Aenderungen erfahren. Wo einst bedeutende
Wasserzuflüsse waren und breite Wasserbeete den Morastgrund
durchfurchten, ist heutzutage kaum eine schwache Wasserader
zu entdecken, und das einstige Flussbett nur an den gedachten,
von der sonstigen Terrainbildung abweichenden Ablagerungen
zu erkennen. Dies Alles mahnet daher den Forscher zu einer
um so grösseren Vorsicht, wenn er aus den Terrainverhält-
nissen Schlussfolgerungen über die seit dem Bestände des
Pfahlbaues vei^flossene Zeit ziehen will.
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Die ausgegrabenen Früchte beschränken sich auch dies-
mal auf Haselnussschalen^ Kornelkirsche und Wassemussreste.
Von Pferderesten, von bearbeitetem Eisen und von Gktreide
wurde keine Spur entdeckt. Letzteres könnte sich vielleicht
nur im verkohlten Zustande im Moorwasser erhalten, allein
eben der Umstand, dass man in den dreijährigen bisherigen
Ausgrabungen, mit Ausnahme von zwei verkohlten Holzäpfeln,
noch kein einziges Stück verkohlter Frucht gefunden, obwohl
Fruchtvorräthe reichlich aufgespeichert gewesen sein müssen,
ist ein Beweis, dass der Pfahlbau nicht durch Feuer zu Grunde
gegangen, wie in einigen Zeitungsberichten zu lesen war, son-
dern von seinen Bewohneni verlassen worden sei.
Mittheilungen aus dem Museum der Gesellschaft/)
Ton
Felix von Luaohan.
(Mit 4 Tafeln.) .
XII. Das Urnenfeld von Liboehowan.
(Tftf. IV.)
Das zuerst von Dr. Födisch untersuchte, dann von
Dr. Oscar Lenz und Freiherm von Andrian -Werburg
ausgebeutete Grabfeld von Liboehowan (Böhmen) hat uns
über dreissig grössere und kleinere Thongefösse geliefert, als
deren Repräsentanten die auf Tafel IV abgebildeten dienen
mögen. Einer mündlichen Mittheilung des Herrn Dr. Lenz
zufolge sind die Gräber von Liboehowan in drei bis vier
Parallelreihen angeordnet, innerhalb deren die einzelnen Stein-
') Seit der letzte Abschnitt dieser ^Mittheilungen ans dem
Museum" im Druck erschienen, hat dieses letztere als solches zu
bestehen aufgehört, indem der Ausschuss der Gesellschaft bekannt-
lich deren Uebergabe an die kaiserlichen Sammlungen beschlossen.
Gleichwohl scheint mir kein Grund vorzuliegen, die Pnblication
dieser Arbeit zu sistiren, da sie einerseits zum grossen Theile
schon lange vorbereitet ist, und sie andererseits von vorneherein
so angelegt war, dass ihre Lecture nicht an ein bestimmtes Local
gebunden erscheint.
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Setzungen^ von auBsen nicht kenntlich^ aber ganz regelmässig
angelegt sind. Auf fest gestampftem Lehmboden stehen in
denselben meist mehrere Gefässe, umgeben und bedeckt von
Basaltplatten, die nie die Form einer regelmässig viereckigen
Steinkiste geben^ sondern immer ungleiche Winkel einschliessen.
Die grösseren von den Urnen enthielten Brandknochen^
die kleineren waren meist leer oder sogar umgekehrt wie
Deckel auf die grösseren gelegt. Sehr bezeichnend ist die im
Vergleiche mit der grossen Anzahl von Gefassen auffallend
geringe Zahl der gefundenen Metallgeräthe. Neben einigen
ganz unbedeutenden Fragmenten eiserner Geräthe enthält
unsere Sammlung an Bronzen nur eine kleine Sichel, sechs
10 — 12 Cm. lange Nadeln mit plattgedrückten oder spiralig
aufgerollten EöpfchcH, zwei Pfeilspitzen und einige Stücke
Bronzedraht, die einst vielleicht Armspangen und Fingerringe
gewesen.
In nicht zu verkennender Weise erinnert der Fund von
Libochowan an einige sächsische Ausgrabungen aus älterer
Zeit. In dem alten, aber auch heute noch werthvollen Atlas
zu S. C. Wag euer 's „Handbuch der in Deutschland ent-
deckten Alterthümer aus heidnischer Zeit", Weimar 1842, sind
auf Tafel 63 und 64 einige Gefässe aus dem Umenfeld von
Klein-Rössen bei Merseburg, auf Tafel 13 Gefässe aus
Bauzen und auf Tafel 110 endlich zahlreiche Urnen von der
berühmten alten Grabstätte von Schlieben bei Merseburg
abgebildet, die alle mit denen von Libochowan so voll-
kommen übereinstimmen, als dies überhaupt zwischen vor-
historischen, ohne Anwendung der Drehscheibe aus freier
Hand geformten GefUssen bisher beobachtet worden ist.
Erklärung der Tafel:
Fig. 1. Kleines Näpfchen aus lichtem Thon, stark gebrannt.
Ein Drittel der natürlichen Grösse.
Fig. 2. Kleine Urne mit Graphit gesohwärzt. Ein Viertel der
natürlichen Grösse.
Fig. 3. Schalenförmiges Gefäss aus braunem Thon. Ein Viertel
der natürlichen Grösse.
Fig. 4, 6, 7, 8. Besonders fein gearbeitete, mit Graphit ge-
schwärzte Urnen. Ein Sechstel der natürlichen Grösse.
Fig. 6. Ganz rohes Gefäss aus gelblioh-rothem Thon, innen
mit Graphit geschwärzt. Ein Sechstel der natürlichen Grösse.
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XIII. Zwei ,,C6lteD-8chädel<<
(mit Tafel V und VI).
I. Cranium. cT, aet. c. 25 Jahre.
U 521 F 369
S 386 = 132 + 136 + 118
Basis 101, 117, 124, 99
L 187 H 137 Bp 132
Ba 94 BS 113 Bh 106
OH 124 OB 124
5Z 706 HL 733 / 1260
n. Cranium. 9, aet. c. 20 Jahre.
U 512 F 350
S 363 = 120 + 123 + 120
BasU 97, 102, 107, 98
L 178 i? 125 Bp 134
B« 102 BS 118 m 110
öi? 102 GB 119
ßi 753 HL 702 / 1240
Diese schönen Schädel, die auf Tafel V und VI abge-
bildet sind, verdanken wir einem Geschenke von G. de Mor-
tillet; sie stammen aus einem keltischen Friedhof an der
Marne, ihr Spender meinte aber in einem, die Sendung be-
gleitenden Schreiben: „que la population gauloise de la Marne
(les Catalauni) ^tait ddjk trfes m^l^e lors de la conqu^te ro-
maine^. Jedenfalls sind die Schädel so prägnant, dass die
oben stehenden Maasse im Vereine mit den ganz besonders
gelungenen und sogar vollkommen porträtähnlichen Abbil-
dungen jede weitere Beschreibung überflüssig machen.
Auch über die Bezeichnung derselben als „Celtenschädel"
glaube ich hier keine Worte verlieren zu sollen, denn nichts
ist gegenwärtig in der Anthropologie verwirrter, keine Be-
zeichnung unklarer, kein Begriff vager und confuser als der
des „Celtenthumes". Bei Besprechung einiger neuer cranio-
logischer Arbeiten werde ich ohnehin über den jetzigen Stand
der Celtenfrage demnächst in dieser Zeitschrift referiren. Zu
den Abbildungen selbst habe ich nur noch anzugeben, dass
sie gleich den übrigen craniologisehen Figuren dieser Arbeit
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mit Lucae's Apparat in ein Drittel der natürlichen Grösse
ausgeführt wurden, sowie dass beide Unterkiefer eigentlich
nicht zu den Schädeln gehören, aber gleichwohl so gut zu
ihnen passen, dass ich es für zweckmässig hielt, sie mitzeichnen
zu lassen, was mir um so eher erlaubt scheint, als sie nach
Mortillet's Brief doch vom selben Fundorte stammen.
XIY. Die mensclilichen Schädel Ton Weikersdorf.
Im dritten Bande der „Mittheilungen der Wiener Anthro-
pologischen Gesellschaft'^ beschreibt Herr Graf Gundaker von
Fig. 7. Schädel von Weikorsdorf.
Wurmbrand auf Seite 118 bis 120 einen sehr reichen Fuud
von Gefässresten , der bei Weikersdorf in Niederösterreich
gemacht wurde. Dieselben fanden sich in grossen Gruben, die,
ähnlich denen von Nussdorf (vgl. pag. 197, Fig. 4, des sechsten
Bandes dieser Zeitschrift), in den Lehm gegraben waren und
die „Form eines umgekehrten Kegels" hatten.
Neben Knochen von Schwein imd Rind fanden sich auch
menschliche Knochenreste, darunter die beiden Schädel, deren
Maasse und Abbildungen Gegenstand dieser Notiz bilden.
Einer von diesen gehörte muthmasslich einem weiblichen In-
dividuum von etwa zwanzig Jahren an, ist aber arg defect,
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indem nur das Stirnbein, das linke Scheitelbein und ein Theil
des rechten, sowie die Hinterhauptsschuppe erhalten ist; die
wenigen Knochen reichen, wie aus Fig. 7 zu ersehen, gleich-
wohl aus, uns ein recht anschauliches Bild des grossen, langen
und ungewöhnlich hohen Schädels zu geben, dem ohne Zweifel
ein sehr langes Gesicht zugehörte. Besser ist der zweite
Schädel erhalten, er gehört einem Kinde an, dessen Alter
Figf. 8. Schfidel von Weikersdorf.
ungefähr achtzehn Monate betragen hat. Im Oberkiefer sind
die Schneidezähne, sowie die ersten Backenzähne bereits ent-
wickelt und die Eckzähne eben im Durchschneiden begriffen,
im Unterkiefer sind auffallender Weise die äusseren Schneide-
zähne noch nicht durchgebrochen, während die ersten Backen-
zähne bereits kleine Kauflächen als glänzende Facetten auf-
zuweisen haben.
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87
Calva. 9 (?), aet. c. 20 Jahre.
S 370 = 126 + 120 + 124
Sehnen 110, 113, 100
L 180 B c. 130
B8 85 BS ? Bh
BL 722 HL I
Cranium. aet. c. V/^ Jahre.
S 345 = 111 + 121 + 113
Sehnen 94, 102, 86
Z, 150 H 115 B c. 125
Bs 73 BS 98 Bh ?
GH 72 OB 76
BL 830 ITZ 764 / ?
XY. Der mensehliche Schädel Ton Oedendorf. N.-Oe.
Calva. c?, aet. c. 40 Jahre.
U drca 510
S = 121 -h 130 + (90 + x)
Sehnen 95, 120
i 184 B c. 122
Bs 91 SS 109 Bh 95
ßZ 663
Auch diesen interessanten und typischen Schädel ver-
danken wir Herrn Gundaker Grafen von Wurmbrand, der
dessen Ei*werb auf pag. 123 des dritten Bandes der „Mit-
theilungen der Wiener Anthropologischen Gesellschaft" angibt.
Das Fragment schliesst sich in Foiin und Erhaltungszustand
vollkommen an die im vorhergehenden Abschnitte beschrie-
benen Schädelreste aus dem benachbarten Weikersdorf an
und ergänzt dieselben in sehr erfreulicher Weise, indem es
dem weiblichen und dem kindlichen Schädel von dort nun
einen männlichen zur Seite stellen lässt, der sichtlich dem-
selben Volksstamme angehört, so dass diese drei Schädel nun
ein würdiges Pendant zu jener, vier Köpfe zählenden Familie
bilden, die Herr Heinrich Graf von Wurmbrand bei Ober-
Hollabrunn ausgegraben hat.
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88
Diese im fünften Bande unserer Zeitschrift abgebildeten
Schädel stimmen mit denen von Weikersdorf und Oedendorf
ganz und gar überein. Dies gilt auch von den bekannten
„Vier Schädeln aus alten Grabstätten in Böhmen", die Weis-
bach im zweiten Bande des Archivs flir Anthropologie be-
schrieben hat, und weiters auch noch von dem Schädel von
Seidowitz und dem Fragmente von Brüx, von denen ich
bereits 1873 im dritten Bande unserer Zeitschrift nachgewiesen,
dass sie nicht diluvial sind, wie anfangs behauptet worden,
sondern der Bronzezeit angehören.
Wir verfügen also bereits über ein Material von neun
Schädeln, die aus alten Gräbern Niederösterreichs und Böhmens
Fig. 9. Schädel von Oedendorf.
stammen und alle Eckerts Reihengräbertypus vollkommen
entsprechen; diese Zahl wird aber mehr als verdoppelt sein,
wenn einmal die Schädel von Kettlach und Stillfried zur
Publication gelangt sein werden. Auch diese schliessen sich
mit ihrer grossen Länge, geringen Breite und bedeutenden
Höhe vollkommen dem Reihengräbertypus an, zeichnen sich
aber vor den obenerwähnten durch ihre ganz ausserordentlich
gute Erhaltung, die letzteren überdies noch dadurch aus, dass
sie nicht nur eine relative, sondern. Dank den exacten Unter-
suchungen Dr. Much's, auch eine absolute Bestimmung ihres
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89
Alters gestatten. Eine Monographie der bisher bei uns auf-
gefundenen Schädel vom Reihengräbertypus wäre also nicht
nur eine sehr verdienstliche; sondern auch eine lohnende Arbeit;
mit einer kritischen Bearbeitung der einschlägigen Literatur
würde sie nicht nur die ganze „Celtenfrage" definitiv lösen,
sondern auch eine neue Brücke zwischen der prähistorischen
Anthropologie und der Geschichte schlagen, eine Brücke, die
noch fester und werth voller sein wird, wenn günstige Um-
stände es ermöglichen werden, auch aus dem Grabfeld von
Hallstatt eine grössere Anzahl von Schädeln der wissen-
schaftlichen Untersuchung zuzuführen.
XYI. Ueber dreikantige Pfeilspitzen ans Bronze.
(ffiezu Tafel VII, Fig. 1—6.)
Unter der prachtvollen Sammlung von Funden aus der
Byciscala-Höhle , welche Herr Dr. Wanke 1 vor mehreren
Jahren imserer Gesellschaft verehrte, befindet sich eine Pfeil-
spitze mit der eigenhändigen Bezeichnung des Spendere:
„Sehr seltenes Stück, mit einem Seitenloche, welches ich für
den Behälter der Giftpille halte".
Diese in Fig. 1 der Tafel VII abgebildete Pfeilspitze
ist 2*5 Cm. lang, und würde, wäre sie unbeschädigt, genau
dreikantig sein. Eine ganz ähnliche Pfeilspitze ist aus Hall-
statt bekannt und in dem Werke des Freiherm v. Sacken
publicirt, Fig. 2 unserer Tafel ist eine Copie ihrer Abbildung
bei Sacken in zwei Drittel der natürlichen Grösse. Zwei
oder drei solcher Pfeilspitzen sah ich im ungarischen National-
Museum zu Budapest und etwa ebenso viele im königlichen
Antiquarium zu München — die letzteren ohne Angabe des
Fundortes, vermuthlich also aus Baiem oder aus der Gegend
von Salzburg, woher seiner Zeit durch Ankauf der Rosen-
egger 'sehen Sammlung eine grosse Anzahl, theilweise sehr
werthvoUer Alterthümer nach München gelangte.
Diesen vier Fundorten bin ich zwei weitere anzureihen
in der Lage, da ich durch die Güte des Herrn Friedrich
Bayern eine hieher gehörige Pfeilspitze aus Tiflis erhalten
habe (Taf. VH, Fig. 3) und durch eigene Nachgrabungen bei
Warmbad Villach in den Besitz von nicht weniger als vier
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90
derartigen Stücken gelangt bin, von denen drei in Fig. 4, 5
und 6 unserer Tafel abgebildet sind, und die vierte sich von
der in Fig. 6 wiedergegebenen nur durch ihre etwas bedeu-
tendere Grösse und schlechtere Erhaltung kennzeichnet. Alle
diese Pfeilspitzen, die mir also bisher aus Mähren und Ober-
österreich, aus Ungarn und Baiern (eventuell Salzburg), aus
Kärnten und aus Transkaukasien bekannt sind, bilden eine
streng charakterisirte, in sich völlig abgeschlossene GJruppe.
Sie sind alle aus dem gleichen, von der gewöhnlichen Bronze
abweichenden Materiale hergestellt und haben sämmtlich eine
gleichmässig graugrüne Patina, während die mitgeftindenen
Bronzen, soweit mir solche überhaupt bekannt geworden sind,
in specie die von Hallstatt und aus der Bjföiscdla, sowie die
gleichzeitig ausgegrabenen Bronzen von Villach und Tiflis
normale Zusammensetzung und rein giüne Patina aufweisen.
Eine vorläufige Untersuchung einer der Villacher Pfeilspitzen,
für die ich meinem Freund Dr. Max 6 ruber, Assistenten
am chemischen Institute der Wiener Universität, zu grossem
Danke verpflichtet bin, hat ausser Zinn und Kupfer noch Eisen
und Blei ergeben.
Eine quantitative Untersuchung derartiger Pfeilspitzen
von verschiedenen Fundorten würde mii' aber sehr wünschens-
werth erscheinen und gewiss interessante Resultate liefern,
wenigstens stimmen diese Pfeilspitzen in ihrer Form unterein-
ander derart überein, dass man trotz ihrer Zerstreutheit auf
einen gemeinsamen Ursprung zu denken genöthigt ist. Sie sind
alle dreikantig, Länge und Gewicht schwanken in engen
Grenzen (zwischen 18 und 25 Mm. und 1*5 bis 2 Gramm),
alle haben zwischen den wie Eck- oder Verstärkungspfeiler
vorspringenden Kanten irgend ein einfaches Ornament, alle
sind in der gleichen Weise durch Guss hergestellt, alle endlich
auch auf einem grobkörnigen Schleifstein zugeschliffen. Und
noch eines haben fast all diese Pfeilspitzen untereinander gemein,
das ist dies, was Dr. Wankel für den „Behälter der Gift-
pille" erklärt; ich muss gestehen, dass ich mich dieser Ansicht
gegenüber in früheren Jahren sehr skeptisch verhalten habe, ich
hielt das seitliche Loch, das meist ganz unregelmässig geformt
und nur in einem einzigen Falle kreisrund ist, für einen zu-
fälligen, aber bei der mangelhaften Technik des Gusses schwer
zu vermeidenden Fehler und verschloss mich a priori der Lehre
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von den vergifteten Pfeilen der europäischen Bronzezeit schon
deshalb^ weil mir ein europäisches Pfeilgift nicht bekannt war.
Seither bin ich durch eine ungemein interessante Arbeit von
Professor Dr. August Vogel: ^Ueber Pfeilgift", eines Besseren
belehrt worden. ,,In der alten Welt", schreibt der gelehrte
Wiener Pharmakologe in der Einleitung seiner Arbeit, ^war die
Anwendung vergifteter Pfeile ebenso alt als allgemein ver-
breitet. Wir finden ihrer erwähnt bei Homer, bei Ovidius und
Virgilius, ^) die Soldaten Alexanders des Grossen lernten bei
ihrem Vordringen in Asien die tödtliche Wirkimg solcher
Pfeile kennen. Die Scythen bedienten sich nach Plinius
zur Vergiftung ihrer Pfeile des Vipemgiftes in Verbindung
mit Menschenblut (irremediabile scelus). Die alten Gallier
gebrauchten nach Plinius und A. Cornelius Celsus zur
Hirschjagd ein Pfeilgift, das vielleicht aus einer Niesswurz-
oder Nachtschattenart bereitet wurde. Nach Strabo diente
hiezu ein Baum, den er als dem Feigenbaum ähnlich beschreibt,
mit Früchten des Komelkirschenbaumes. 2) Die Corsen und
Sarden scheinen eine Sturmhut- oder eine Hahnenfussart ver-
wendet zu haben. Nach Dioscorides (Lib. IV. c. 81) wurde
bei den Alten als Gift für Wurfgeschosse die Wurzel unseres
blauen und gelben Sturmhutes (Aconitum Napellus und Aco-
nitum Lycoctonum) gebraucht.
„In Europa scheinen vergiftete Pfeile als Kriegswaffen
zum letzten Male in den Türkenkriegen, wahrscheinlich von
asiatischen Beitruppen gebraucht, vorgekommen zu sein.
Wenigstens erzählt Kundmann (Bariona naturae et artis,
1737), ein Breslauer Arzt in der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts: „In Hungarn haben die Türken noch unlängst
vergiftete Pfeile, da sie die glühend gemachten Spitzen in
einem giftigen Saft von Kräutern abgelöschet, gefiihret und
wenn die kaiserlichen Soldaten damit blessiret worden, ist der
kürzeste Weg gewesen, diese mit einem grossen Stück Fleisch
herauszuschneiden". Als Jagdwaffe sollen noch zu Ende des
vorigen Jahrhunderts in einzelnen Gegenden der Pyrenäen mit
•) Ungere tela manu, ferrumque armare veneno.
^) Hinc etiam fides est adhibcnda, arborem in Gallia nasci,
fico simillimum, fruotum antem corno similem gignere, unde pha-
rettrae fabricantur: eam, si incidas letalem sucoum effundere, ad
inungendam sagittas utilem.
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92
dem Safte aus der Wurzel einer Hahnenftissart (Ranunculus
Thora Lin. ?) vergiftete Speere benutzt worden sein."
Nachdem so die Möglichkeit des Vorkommens von ver-
gifteten Pfeilen auch für Europa ganz unzweifelhaft nach-
gewiesen ist, bleibt uns noch die Frage zu erörtern, ob gerade
unsere oben beschriebenen Pfeilspitzen vergiftete waren ; diese
Frage aber schon jetzt zu entscheiden, möchte ich ftlr meine
Person kaum wagen. Alle Völker nämlich, die gegenwärtig
ihre Pfeile vergiften, tauchen die Spitzen derselben in das
flüssige Gift und überziehen so die Oberfläche derselben mit
dem mehr oder weniger gefährlichen Saft;e. Um aber bei
unseren dreikantigen Pfeilspitzen das seitliche Loch in dem
WankeTschen Sinne erklären zu können, müsste man an-
nehmen, dass das Gift in beinahe fester Form in das Innere
der Spitze, nämlich an den Grund der kleinen Dülle gebracht
worden sei und beim jedesmaligen Anprall des Pfeiles an einen
festen Körper durch den nachrückenden Schaft hervorgepresst
worden, sei, ein Vorgang, fiir den sich bisher, so viel ich weiss,
keine ethnographischen Analogien gefunden haben.
Deshalb möchte ich die Frage nach dem besonderen
Zwecke dieser durch ihre Form so ganz besonders ausgezeich-
neten Pfeilspitzen vorläufig unerörtert lassen; ich halte sie
auch für unwesentlich, fiir wesentlich aber halte ich die Frage
nach ihrem Herkommen, und diese stelle ich hiemit.
XYII. lieber einige angarische Bronzen ans der Sammlung
der Wiener Anthropologischen Gesellschaft.
(Hiezu Tafel VII, Fig. 7, 8 und 9.)
Ausser einer Anzahl von Bronzeschwertem, die ich an
anderem Orte ausführlich besprechen werde, sind unserer
Sammlung im Jahre 1873 durch ein Geschenk Seiner Excellenz
des Herrn Grafen Hans Wilczek auch zwei Bronzeäxte
zugegangen, die aus Ungarn stammen.
Da Näheres über den Ort und die Umstände des Fundes
nicht mehr zu eruiren war, so beschränke ich mich auf die
Abbildung desselben in einem Drittel der natürlichen Grösse;
beide sind durch Guss aus Doppelformen hergestellt; der
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ornamentirte Kelt *) zeigt noch deutlich die Gussnath^ während
dieselbe bei dem langschneidigen Palstab fast vollkommen
verstrichen ist.
Gleichzeitig kamen wir in den Besitz einer 71 Cm.
langen Bronzenadel, deren Kopf in halber natürlicher Grösse
auf Fig. 7, Taf. VII abgebildet ist. Auch hier fehlen nähere
Fundnotizen, nur dass sie aus Ungarn stammt, wurde ange-
geben. Ich vermuthe, dass sie von dem bekannten Funde von
Nolcsö herrührt, den Kenner im „Archiv fiir Kunde öster-
reichischer Geschichts-Quellen" , Band XXIX, auf pag. 296
seiner Chronik österreichischer Funde beschreibt. Nolcsö
liegt an der Waag im Arva-Thuröczer Comitat. Im Jahre 1860
fand dort ein Hirte angeblich sechsunddreissig solche Riesen-
nadeln. Der Fund wurde vertheilt, vier Stücke kamen in das
National-Museum zu Budapest und zwei durch Herrn von
Beinak an das Wiener Münz- und Antiken-Cabinet. Von
diesen misst die grössere 75*3 Cm., die kleinere, die, wie ein
Vergleich der Abbildungen ergibt, vollkommen, bis in das
letzte Detail ihrer Verzierungen mit der unseren übereinstimmt,
62' 1 Cm. Kenner erwähnt noch einer siebenten Nadel aus
diesem Funde, die gleichfalls mit jener übereinstimmt und
64 Cm. misst. Sie befand sich damals im Besitze des Herrn
V. Graffenried.
Eine ebenso grosse Nadel kenne ich noch aus einem
deutschen Grabe, von einem Grabfelde der schwäbischen Alb.
Sie misst 74 Cm. und befindet sich im Besitze des Herrn
Hofrathes V. Hochstetter, der sie 1876 zugleich mit anderen
*) Herr v. Becker in Karlsruhe hat in der „Augsburger
Allgemeinen Zeitung" (Beilage Nr. 359, 1876) ebenso gründlich
als interessant nachgewiesen, dass die Bezeichnung »Eelf nicht
mit den alten „Kelten '^ zusammenhängen könne, und knüpft daran
die Forderung, man solle deshalb die Eelte nicht mehr Kelte,
sondern „Hohlbeile'' nennen. Ich kann keinen logischen Znsammen-
hang zwischen dieser Forderung und jenem Nachweis finden, aber
wenn auch ein solcher bestände — Eelt und Palstab, diese beiden
Termini der nordischen Archäologen haben sich bei uns so sehr
eingebürgert, dass sich wohl kaum Jemand finden wird, der sie
um einer theoretischen Speculation willen, ohne weiters aufgeben
mag. Es ist überdies in keiner Wissenschaft Sitte, die Namen
zxL ändern, so oft die Erkenntniss des Wesens fortschreitet; wohin
käme man auch damit! F. v. L.
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94
Funden von demselben Grabfelde aequirirte. Ebenso wie die
ungarischen ist auch diese Nadel durch ihre helle fast messing-
gelbe Farbe ausgezeichnet^ während die mitgefundenen Bronzen
die gewöhnliche Farbe dieses Materiales haben und auch in
der Art und Weise ihrer Patinirung ganz mit typischer Bronze,
z. B. der von Hallstat t^ übereinstimmen. Ich halte es daher
für wahrscheinlich^ dass auch die Nadel von der schwäbischen
Alb aus Ungarn oder wenigstens aus derselben Gegend stammt^
von welcher die in Ungarn gefundenen Riesennadeln herrühren.*)
Hingegen kann ich über den Zweck und Gebrauch solcher
Nadeln nicht einmal eine Wahrscheinlichkeitsangabe machen.
Florian Romer, dieser grosse Kenner ungarischer Bronzen, er-
wähnt ähnlicher Nadeln aus Gräbern in Nord-Ungarn, sie seien
neben den Schwertern der Krieger gefunden worden und hätten
,, vielleicht auch als Waffen gedient". Ein anderer ungarischer
Gelehrter hat sie für Zeltnadeln erklärt, wozu sie wohl viel
zu sorgfaltig gearbeitet sind, wie ich denn auch die Meinung
eines anderen Archäologen, der sie einfach als grosse Haarnadehi
ansah, nur als Curiosum anführe, dienten sie ihm doch dazu,
sich über die grossen Chignons und die noch grössere Im-
moralität „celtischer" Damen des Langen und Breiten zu er-
gehen. Ich selbst erklärte mir diese Nadeln einst als Gewand-
nadeln und dachte dabei an die slovakischen Weiber im
Waagthal, die anstatt der Röcke nur Schürzen tragen, indem
sie eine von vorne, eine zweite von hinten an umlegen und
manchmal noch eine dritte von vorne her dazubinden. Solche
Schürzen dachte ich mit unseren Nadeln zu beiden Seiten der
Schenkel zusammengehalten; das wäre in der That sehr schön,
aber die einfache Erwägung, dass diese Nadeln um 20 — 30 Cm.
länger sind als gewöhnliche Oberschenkel, also jede Bewegung
entweder stören oder von vorneherein unmöglich machen
würden, entzieht auch dieser Annahme jedwede Spur von
Berechtigung, so dass wir es den Archäologpn der Zukunft
und vor Allen den Ethnographen überlassen müssen, über
^) Eine ähnliche Nadel von 71 Cm. Länge ist, wie ich so-
eben aus dem Cataloge der Pariser Weltausstellung 1878 ersehe,
in Trerkau, Steiermark, gefunden worden, befindet sich im Be-
sitze von Professor Müllner in Marburg und ist gegenwärtig in
Paris ausgestellt. F. v. L.
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die Anwendung und den Gebrauch dieser Nadeln ins Reine
zu kommen. Sie darauf aufmerksam zu machen^ war der
Zweck dieser Zeilen.
Kraniometrische Mittheilungen.
Von
FrofOBSor Dr. Moriz Benedikt (Wieo).
I.
Zur Bettung des medialen Profils.
Schon Lavater hat erkannt^ dass die Ansicht des Kopfes
im vollen Pi*ofil die lehrreichste sei. Lavater's Silhouetten
hat Virchow belebt, indem er die Physiognomik des Schädels
an medial-senkrecht durchschnittenen Schädeln studirte. Die
Wichtigkeit dieser Lavater- Virchow'schen Anschauung drängte
sich auch mir auf, als ich einerseits Studien zur Naturgeschichte
der moral insanity machte und andererseits die Köpfe bei
gewissen angeborenen und frühzeitig erworbenen Gehimkrank-
heiten untersuchte.
Es besteht aber eine grosse Schwierigkeit, das mediale
Profil an lebenden Köpfen, deren Studium bei manchen Fragen
nicht zu umgehen ist, und an horizontal durchsägten Schädeln
zu studiren; vertical durchsägte Schädeln sind bekanntlich
schwer zu haben.
Aus diesen Gründen ist bekanntlich Virchow in neuester
Zeit von dem Studium des medialen Profils abgegangen und
hat statt der Mitte des vorderen Randes des Hinterhaupt-
loches wieder das Ohr als Ausgangspunkt der wichtigsten
Messungen benützt.
Die Schwierigkeit, das mediale Profil an Schädeln über-
haupt zu messen, lässt sich leicht überwinden, indem man
stark gekrümmte Zirkel (nach Art der Beckenmesser) mit
einem Messbogen verwendet und die Spitze der einen Branche
von einem Gehilfen am vorderen Rande des Hinterhauptloches
fixiren lässt. Dann kann man die medialen Profilmessungen
vornehmen. Ist der Kopf unzersägt, so fehlt dann blos der
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96
Sattelwinkel, der freilich durch den Na8enwui*zelwinkel zum
Theil ei*6etzt wird.
Bei horizontal zersägten Schädeln kann man sogar den
Sattelwinkel mit dem genannten Zirkel messen. Man kann
nämlich vom genannten Punkte des Hinterhauptloches zur
Mitte des Ephippiums, von diesem zur Nasenwurzel messen^
und man hat mit Hinzunahme der Schädelbasis ein Dreieck^
aus dem der Sattelwinkel berechnet werden kann.
Anders ist es bei den Köpfen.
Es handelt sich nun^ eine Methode ausfindig zu machen,
durch welche das mediale Profil in gleicher Weise für Köpfe
und Schädel bestimmt werden kann, und die es zugleich er-
möglicht, diese Maasse wenigstens bei Schädeln auf die ur-
sprünglich Virchow'schen Maaäse zu reduciren.
Dazu ist es nöthig, in die Triangulirung des Schädels
das Princip der Construction und Rechnung aufzunehmen. Ich
wähle bei lebenden Köpfen zunächst den Winkel zwischen dem
hinteren und dem oberen Rande des äusseren Gehörganges
(0) als Ausgangspunkt der Triangulirung.
Bei den Schädeln wird die kleine Grube gewählt, welche
sich zwischen der Spina supra meatum auditorium und der
Wurzel des Jochbogens befindet.
Dieselbe ist bei den österreichischen Rassenschädeln —
und auch sonst gewöhnlich — sehr gut ausgeprägt. Nur bei
den südslavischen Schädeln ist die Grube häufig verstrichen,
aber der Ort doch gut markirt.
Ich messe nun zunächst den Querabstand dieser Punkte
beider Seiten, der mir meine „Ohrenbreite" liefert (00), Da-
mit habe ich eine Basis für eine Summe von Dreiecken, deren
Spitzen im medialen Profil liegen.
Die anderen zwei Seiten der betreffenden Dreiecke finde
ich durch Messung beiderseits von 0:
1. zum Processus nasalis anterior (o?);
2. zur Nasenwurzel (n);
3. zum medialen Punkte der Stimhöhe (at)]
4. zum Bregma (Knotenpunkte der Sagittal- und Coronar-
naht) (ß);
5. zum höchsten medialen Punkte der Scheitelhöhe (t?);
6. zum Knotenpunkte der Sagittal- und Lambdanaht (a) ;
7. zur Prominentia maxima occipitalis (o).
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97
Ich werde sofort darauf zurückkommen^ wie ich die sub
3 — 7 genannten Punkte am lebenden Kopfe präcisire.
Durch die obigen Maasse habe ich sieben Dreiecke mit
der gemeinschaftlichen Basis 00 gewonnen, und zwar durch
directe Messung.
Ich construire mir nun wirklich diese Dreiecke und ziehe
von allen genannten Punkten der medialen Ebene Linien zum
Halbirungspunkte der Basis M = -^ ). Da mir bekannt ist
und ebenso durch directe Messung die I^inien Occ, Ow, Ost etc.,
folglich auch alle Winkel der Dreiecke Orx Ol, Orn Ol,
Orn OP) etc., so kann ich die eigentlichen „Längen" und
„Höhen", nämlich die Linien: Ix, In, Ist, Zß, Iv, Iol, lo, (siehe
Fig. 2) leicht finden.
Auf diese Weise ist das mediale Profil der Ober-
fläche, von einem bestimmten medialen Punkte aus,
bestimmt. Zu gleicher Zeit haben wir uns bei der Be-
stimmung der „Längen" und „Höhen" von den Breiten-
dimensionen emancipirt.
Ich erleichtere mir die Rechnung oder Construction durch
folgenden Kunstgrifi*. Habe ich mir die Punkte st bis o auf-
gesucht, so mache ich die Messungen vom Ohre aus. Sind
die Maasse für beide Seiten verschieden, so rücke ich von dem
genannten Punkte so weit nach rechts oder links, bis die beiden
Maasse bis auf höchstens 2 — 4 Mm. stimmen. Dann nehme ich
das Mittel und ich habe lauter gleichschenkelige Dreiecke.
Die Dreiecke Orx Ol und Orn Ol sind ohnehin meist gleich-
schenkelig.
Ich finde nun rasch alle „Längen" und „Höhen".
Ich habe nämlich (siehe Fig. 1) auf einander senkrechte
Linien, wozu man ein punktirtes Zeichenschulheft benützen
kann, und schneide vom Scheitel dieses Winkels mittelst eines
Kniezirkels auf der horizontalen Linie ein Stück ab, das gleich
der halben Ohrenbreite ist I -^ \.
Der Fusspunkt des rechten Winkels stellt nämlich die
Mitte der Ohrenbreite (Z) dar, und jener Punkt, wo der Knie-
^) Or, Ol bedeuten die Ohrenpunkte rechts oder links.
7
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zirkel den horizontalen Schenkel getroflPen hat, den Ohren-
punkt (0).
Indem ich nun von letzterem Punkte aus mit den Durch-
messern Ox bis Oo Kreisbogen, die den verticalen Schenkel
des rechten Winkels schneiden, beschreibe, habe ich in den
Fig. 1.1)
l
V
ß
st
OL
oc u.n
0
0
Linien Ix bis Zv, die ich nun abmesse, die oben genannten
Längen und Höhen (siehe Fig. 1).
Es war aber nicht ein Bequemlichkeitsgrund, der mich
veranlasste, diese Dreiecke zu gleichschenkeligen zu machen,
sondern ein tief meritori scher.
An Köpfen nämlich ist es fast unmöglich, die Punkte ß,
Vy (X und 0 genau zu bestimmen. Hat man aber den möglichst
genauen Punkt fixirt, so kann man den entsprechenden me-
dialen Punkt durch Messung von den Ohrenpunkten aus gut
bestimmen.
Man sucht sich nämlich in der betreflPenden Region den
medialen Punkt durch einige Probemessungen. An Schädeln
gibt die Ungleichheit der Maasse für Otc, On, Oß und Oa,
für beide Seiten zugleich ein wichtiges Maass für Asymmetrie.
Für normale Schädel und Köpfe sind die Radien Ost,
Oß und Ov und daher auch die Linien Ist, Zß und Iv (siehe
Fig. 2) gleich gross. Bei der Oxykephalie ist Ist <il?i < Iv.
Diese Regel erleidet eine Ausnahme, wenn „occipitale
Verkürzung" vorhanden ist, d. h. wenn die Linie lo <i In (siehe
Fig. 2). Dann werden Ist , , ,1^ , , . Iv wieder gleich. Bei
*) Es versteht sich von selbst, dass diese Figur die Verhält-
nisse im verkleinerten Maassstabe zeigt.
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nicht oxykephalen Köpfen mit occipitaler Verkürzung kann
Iv <Zlß <^l8t werden.
Von gi'ossem Interesse ist es, auch die gegenseitige Winkel-
stellung dieser Linien Ix bis Zo zu kennen. Zu dem Zwecke
wird von jedem der genannten medialen Punkte noch die
Sehne zur Nasenwurzel (n) gemessen.
Man bekommt dann Dreiecke, z. B. Ina, Ino etc., an
denen alle drei Seiten bekannt sind; folglich kann man die
Winkel nl<x, nlo etc. berechnen.
kD-un
Man misst zugleich die Bogen von der Nasenwurzel zu
den medialen Punkten der Oberfläche, um das Verhältniss der
Sehnen zu den Bogen zu kennen.
Bei den Messungen an Köpfen ist die Vorsicht zu ge-
brauchen, dass man, wenn der mediale Punkt fixirt ist, die
betreflFende Zirkelbranche durch den Assistenten festhalten lässt
und sofort die Sehnen zur Nasenwurzel und dann den betreffen-
den Bogen misst. (Die Linien nx und nst werden mit einem
gewöhnlichen kleinen, an den Spitzen etwas abgestumpften Zirkel
gemessen.)
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100
Es handelt sich zunächst darum^ die Lage dieses Mittel-
punktes der Ohrenbreite I -^y = Z I zum Mittelpunkte (6) des
vorderen Randes des Hinterhauptloches, dessen Bedeutung
Virchow mit dem Blicke des Meisters herausgefunden hat,
festzustellen. Ich habe früher erwähnt, dass selbst an dem nicht
zersägten Schädel mittelst eines Gehilfen und eines stark ge-
bogenen Zirkels wenigstens die Linien hx und bn (siehe Fig. 2)
gemessen werden können. Die Linie nx ist ohnehin durch
Messung bereits bekannt. Wir haben dann die zwei Dreiecke
hnx und Inx, Indem wir die Winkel hnx und Inx berechnen,
lernen wir die gegenseitige Lagerung der Linien In und bn
kennen, i. e. den Winkel Inb,
Ziehen wir die Linie blj so haben wir ein Dreieck Zu 6,
von dem wir zwei Linien und den von ihm eingeschlossenen
Winkel kennen. Wir können daraus die Linie Ib und die
anderen Winkel berechnen, und dje Stellung von l gegen b
ist vollständig gegeben. An einem Schädel war z. B. Ix =: In
= 9-4 Cm., nx = 5-2 Cm., bx = 94: Cm., 6n = 106 Cm.
Daher /_lnx = 72", l_bnx = 62«, daher Inb = 10», daher
Ib = 21.
Indem wir also die „Längen" und „Höhen" von einem
medialen Punkte (l oder 6) berechnen, sind wir von den
Breitendimensionen unabhängig. Diese Breitendimensionen sind
begreiflicher Weise eine, so zu sagen, elementare Störung,
wenn diese „Höhen" und „Längen" vom Ohre aus berechnet
werden.
Dass die „Höhen" und „LängCQ", wie wir sie gewonnen
haben und wie sie bis jetzt in der Kraniometrie üblich sind,
noch immer mathematisch incorrect sind, ist leicht einzusehen.
Denn jede dieser Linien, z. B. Z»/, Iol etc., bedeuten zugleich
Höhen und Längen, und diese beiden Componenten mussten
erst auf eine bestimmte Horizontale und Verticale bezogen
werden. Indem wir die Winkelstellung zwischen den Linien
durch unsere Methode kennen lernen, ist diesem Uebelstande
theilweise abgeholfen. Wie man aber direct eine Horizontale
oder Verticale einfuhren und den Punkt Z zu einem Fusspunkte
eines completen Projectionssystems machen könne, will ich im
Folgenden darstellen.
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101
n.
Der Coordinationsapparat.
Wir haben im vorigen Abschnitte hervorgehoben, dass
die sogenannten „Längen" und „Höhen", z. B. Ist, Iv, lo etc.
Fig. 3.
(Fig. 2) im mathematischen Sinne nicht rein sind, sondern
dass die Höhen zugleich Längen und umgekehrt sind.
Damit diese Linien reine Höhen und reine Längen seien,
müssen sie mit einem Projectionssystem in Verbindung gebracht
werden, welches die Projection jener medialen Linien auf eine
Horizontale und Verticale gestattet.
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Digitiz
102
Als Mittelpunkt unseres Projeetionssystems dient uns der
Mittelpunkt der Queraxe (00) zwischen beiden oft genannten
Ohrenpunkten, wovon je eines (0) über der Spina supra mea-
tum auditorium externum liegt. Der Durchmesser 00 wird mit
dem Zirkel genommen und der Abstand des Fusspunktes des
Coordinatensystems (Q liegt also um -^ von jedem der ge-
nannten Ausgangspunkte der Messung entfernt.
Wie schon früher erwähnt wurde, wird bei Köpfen der
Uebergangspunkt zwischen oberem und hinterem Rande der
EingangsöflFnung des äusseren Gehörganges als Ausgangspunkt
der Messung benützt.
Um nun die Horizontale und Verticale in unser Messungs-
system einzuführen, dient folgender Apparat, den ich „kranio-
metrischen Coordinator'^ nennen will.
In Fig. 5 sieht man vor Allem das Gestell {A\ auf dem
der Schädel fixirt wird.
Vor Allem wird das hufeisenförmige Stück (w) durch
das Hinterhauptloch so eingebracht, dass die Mitte der oberen
und unteren Fläche des Clivus zwischen beide Schenkel des
Hufeisens kommt und dann die Schraube 10 vorsichtig ange-
zogen. Man muss genau darauf achten, dass der Schädel nach
keiner Seite geneigt sei.
Dann wird die Hülse q in den Ständer 8 hineingeschoben,
nach der Richtung gedreht, in welcher man den Schädel
braucht, und ebenso auf eine bestimmte Höhe gebracht.
Dann wird durch Einstellung der Schraube 8 der Schädel
in dieser Richtung und Höhe festgehalten.
Durch die Flügelschraube 9 wird der Schädel provisorisch
in eine möglichst horizontale Stellung in Bezug auf den Joch-
bogen gebracht.
Ist der Schädel einmal in dieser Stellimg, dann werden
die vier Träger (a der Fig. 3) gleich hoch gerichtet, indem
man die Balken IX aus der Hülse (a) heraushebt und durch
die Schraube 7 befestigt. Eine Mikrometerschraube (5) dient
weiters zur Regulirimg der Höhe des eigentlich zum Halten
bestimmten Balkens X.
Dann wird der eigentliche Apparat (siehe Fig. 3 und 4)
eingeschaltet.
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103
Derselbe besteht zunächst aus einem Längsbalken (XI,
Fig. 4), an dem sich drei Querbalken (I, II, III, ibid.) be-
finden. Der erste (I) lässt sich nicht auf XI verschieben. Er
ist jedoch senkrecht auf XI verschiebbar und wird durch die
Schraube 2 in beliebiger Stellung fixirt.
Die Stäbe 11 und III sind auf XI verschiebbar und
ausserdem noch in darauf senkrechter Richtung, wie I. Die
Fig. 4.
vm
JFossa
Schrauben 1 fixiren sie nach ihrer Verschiebung in ersterer
Richtung; die Schrauben 2 in der zweiten Richtung.
Da die Platte des Tisches, auf dem der Apparat steht,
als horizontal gilt, so stehen auch, da die Träger gleich hoch
gerichtet sind, der Balken XI und die Balken I, II und HI
horizontal.
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104
Der Balken I ist bestimmt^ mit einem Endknöpfchen in
die Fossa supra spinam meatus auditorii externi (0) einzu-
dringen.
Der Balken 11 soll sein Endknöpfchen auf der Mitte der
Sutura pontis zygomatici (z) ruhen lassen.
Damit dies möglich sei, wird jetzt die Schädelstellung
mittelst der Schrauben 8 und 9 endgiltig corrigirt, so dass die
Linie Oz horizontal steht. ^)
Bei g sieht man einen HandgriflP am Winkel zwischen
dem Balken XI und Xu (siehe Fig. 3 und 4). Letzterer biegt
senkrecht von ersterem ab und befindet sich ebenfaUs in
horizontaler Ebene, ebenso wie die Linie Oz,
Der Balken XIT trägt den darauf senkrechten (verticalen)
Balken VHI. Letzterer ist auf ersterem horizontal verschieb-
bar und hat vier auf ihn senkrechte Balken (IV, V, VT und
Vn), die also horizontal stehen. Die Balken IV, VI und VII
sind auf VLLL in verticaler Richtung verschiebbar und durch
die Schrauben 1 an denselben zu fixiren.
Der Balken VM wird durch die Schraube 11 (Fig. 4)
fixirt; er wird so lange quer verschoben, bis der vorher in
die gehörige Höhe gebrachte Balken VI der Mitte der
Nasenwurzel gegenübersteht. Ist dies der Fall, dann wird
seine Spitze gegen diesen Punkt (n der Fig. 2) hingeschoben,
wobei eben bemerkt werden muss, dass die Balken IV, VI
und Vn auch in sagittaler Richtung verschoben und in der
gegebenen Stellung durch die Schrauben 2 fixirt werden
können. ^)
Hierauf wird der Balken IV so weit in verticaler Rich-
tung verschoben, bis seine Spitze dem Processus nasalis (x
der Fig. 2) gegenübersteht, dann wird er in sagittaler Richtung
vorgeschoben, so dass die Spitze knapp unter dem Stachel steht.
Der Balken VIH trägt am Rücken eine Eintheilung und
man hat daher durch Ablesung der Entfernung der Balken FV
*) Der Balken HI hat folgenden Zweck. Bei sehr kleinen
Kinder- oder Thierschädeln ist der Balken XI zu lang. Dann wird
der Balken II für den Balken I und der Balken III für den Bal-
ken II verwendet.
2) Die Schraube 12 in Fig. 4 dient dazu, den ursprünglich
drehbar construirten Balken VIII in der verticalen Stellung zu
fixiren.
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105
und VI die Projection der Nasenlinie (na?) auf die Ver-
ticale gegeben.
Fig. 6.
Der Balken Xn trägt aber noch den wichtigen, sagittal
gerichteten Balken V.
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106
Dieser steht genau in derselben Ebene wie die Balken I
und n, und seine Spitze liegt also in derselben Ebene wie
der Mittelpunkt der genannten Ohrengrube und die Mitte der
Jochbogensutur. Sie liegt aber nicht blos in der Hori-
zontalebene, sondern auch in der medialen Vertical-
ebene, und sie zeigt uns die Richtung, in welcher die
horizontale Ebene und zugleich die sagittal-mediale
horizontale Linie, die vom Fusspunkte des Projec-
tionssystems (l) ausgeht, durch die Nasenlinie (nx)
durchgeht.
Die Theilung auf dem Balken VIII ist so angebracht,
dass die Verlängerung der Spitze von V nach rückwärts dem
Nullpunkte der Scala entspricht und die Theilung nach oben
und abwärts geht.
Nehmen wir nun an, wir lesen an der Scala ab, dass die
Entfernung des Balkens VI (resp. deren Spitze) vom Nullpunkt
30 Mm. und jene des Balkens IV 20 Mm. betrage, so würde
die Projection der Nasenlinie auf die Vei-ticale 50 Mm. betragen.
Nehmen wir an, die Linie nx betrage 60 Mm., so werden
wir den Punkt leicht berechnen können, an dem die Horizon-
tale die Linie nx schneidet und werden dann die Horizontale
in die Figur 2 leicht einzeichnen können, wie folgende
Figur zeigt. (Fig. 6.)
Fig. 6.
•': '
X
Die Linie a b stellt die Projection von n x dar. Die Linien
a n und b x entsprechen den Balken VI und IV und die Linie
hh dem verlängerten Balken V. Die Linie nm = ab. Nun
sind die Dreiecke nxm und nph ähnliche, weil pA parallel
ist mit ajwi, folglich verhält sich nm oder ab : nx = nh : np.
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107
In unserem Beispiele ist ab = 50, na? = 60, nh = 30,
1800
np = ->,^- =: 36, d. h. 36 Mm. unter der Nasenwurzel
^ oü
schneidet die horizontale und sagittale Projectionsaxe, die zu-
gleich medial ist, die Linie nx.
Besser berechnet man die Grösse 7i p als Percentsatz von nx
durch folgende Proportion:
100 : 60 = a? : 36 x = 3600 : 60 = 60 Percent.
(Ebenso natürlich
100 : 50 = jc : 30, also a? = 30*100 : 50 = 60 Percent.)
Also wenn man 60 Percent der Gesammtlinie von nx von n
aus abschneidet, so hat man den Punkt, wo die horizontale
sagittale Projectionsaxe die Nasenlinie schneidet.
Wenigstens bei orthognathen Köpfen ist, so weit meine
bisherigen Messungen reichen, die Projection in der Regel
gleich oder nur um 1 — 2 Mm. (Fehlerquellengrenze) von der
Nasenlänge (nx) verschieden. Wenn dieses Gesetz sich als all-
gemeines herausstellen sollte, würde es uns aussagen, dass
die Natur die Jochbogenebene immer senkrecht auf
die Nasenlinie stellt und umgekehrt.
Der Apparat hat uns bis jetzt die Möglichkeit geliefert,
neben der horizontalen Queraxe auch die anatomische
Horizontalebene und die sagittale Horizontalaxe in
das sonstige Messungssystem einzureihen.
Er muss aber noch mehr leisten. Er muss uns ge-
statten, auch dort, wo wir die Messungen ohne ihn
vornehmen, oder wo die Stellung der Jochbogen eine
abnorme ist, die Horizontalebene und die horizontale,
sagittale Axe zu bestimmen.
Wenn wir nämlich aus einer grossen Reihe von Messungen
den mittleren Percentsatz ermittelt haben — er beträgt nach
meinen jetzigen, noch nicht genügend zahlreichen Daten y^
oder circa 65 Percent — so sind wir im Stande, in die Fig. 2
von jedem Schädel und Kopfe die sagittale Horizontale einzu-
zeichnen. Wir haben dann statt einer direct bestimm-
ten anatomischen Horizontalen eine anatomisch-ma-
thematische.
Man kann zwar den Apparat auch an Köpfen verwenden,
die indirecte Bestimmung der sagittalen Horizontalen ist aber
jedenfalls bequemer.
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108
Der Balken VI lässt sich nach aufwärts so verschieben,
dass seine Spitze der Stirnhöhe (st) gegenübersteht und gegen
den Stiruhöhenpunkt (st) geschoben wird. Wir können dann
die verticale Projection der Linie nst aus Fig. 2 leicht be-
rechnen und die Differenz der direct gemessenen Linie mit
der Projection gibt das beste und directeste Maass für
eine gerade, rückfliegende und vorgewölbte Stirne.
Der Balken VTI (Fig. 3 und 4) ist ebenfalls vertical ver-
schiebbar und durch die Schraube 1 (am Balken VHI) zu
fixiren, aber er ist es nicht in sagittaler Richtung. Er hat die
Aufgabe, so weit nach abwärts gesenkt zu werden, bis er den
höchsten Punkt des Scheitels (y der Fig. 2) tangirt, und es
lässt sich dadurch dieser Punkt nicht nur fixiren, sondern
direct sein verticaler Abstand vom Fusspunkt des Coordina-
tionssjstems, respective von der Spitze des Balkens V ablesen.
Man hat dann eine absolute „grösste Höhe" von
der Horizontalebene aus.
Ist der Balken VH in dieser Stellung, dann wird die
Schraube 3 nach abwärts gedreht und der Punkt notirt, wo
ihre Spitze den Scheitelbogen trifft.
Diese Spitze ist vom verticalen Balken (VHI) genau so
weit entfernt, wie der Mittelpunkt des Köpfchens des Balkens I.
Da diese Spitze zugleich in der medialen und verticalen
Ebene liegt, so trifft ihre Verlängeining die Queraxe in deren
Mittelpunkt, also dem Fusspunkte des Coordinations-
systems. (In der Zeichnung erscheint die Schraube zu weit
nach vorn.)
Der Punkt, den die Schraube bezeichnet, ist also jener,
in dem die verticale Axe den medialen, peripheren
Bogen des Schädels schneidet, und wir haben somit
die Lage der dritten (verticalen), der drei aufeinander
senkrechten Axen.
Hat man sich in die Fig. 2 eines bestimmten Schädels
oder Kopfes durch directe Messung oder nach dem mittleren
Percentsatze die Horizontale eingezeichnet, so kann man dann
die Verticale darauf fallen und sie ohne directe Messung
für die Projection der medialen Linien benützen. Es ist klar,
dass man aus den vorhandenen Daten die Winkelstellung der
Horizontalen gegen die Linien Ix, Ist, In etc. berechnen kann.
Daher kennt man auch die Winkel dieser Linien mit der Ver-
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109
ticalen. Indem man nun jede dieser Linien, z. B. auf die Ver-
ticale projicirt, bekommt man je ein Dreieck, dessen eine Seite
bekannt ist (z. B. iß). Dann kennt man den Winkel dieser
Linie mit der Verticalen, zweitens einen andern Winkel, näm-
lich von 90", folglich kennt man eine Linie und alle drei
Winkel und kann daraus die zwei anderen Seiten des Drei-
eckes berechnen, wovon die eine die Höhenprojection und
die andere die Horizontalprojection ist.
Mit seltenen Ausnahmen — selbst bei oxykephalen Schä-
deln — kann man die Länge der Verticalen vom Fusspunkte
des Projectionssystems bis zum Durchschneiden an der Schädel-
oberfläche gleich Zß oder Iv nehmen, je nachdem sie der einen
oder anderen näher liegt. Es ist nämlich wichtig, die Grösse
dieser Linie zu kennen, wenn man die Lage eines nicht in
der medialen Ebene liegenden Punktes zum Projectionssystem
bestimmen will. Wo der Scheitel sehr unregelmässig ist, muss
diese Länge mit dem Apparat bestimmt werden.
Zu den bisherigen Aufgaben brauchte der Balken XII
nur etwa bis zur Schraube 4 zu reichen (siehe Fig. 3). Dort
ist dieser Balken durch ein Ergänzungsstück, das durch Ab-
lösung der Schraube 4 weggenommen werden kann, verlängert.
Von diesem Verlängerungsstücke geht der Balken XHI senk-
recht und genau — der Lage und Länge nach — dem
Balken XI der Figur 4 gleichend ab. Von dem Balken XIII
geht wieder senkrecht der Balken XIV ab, der nicht in der
Richtung des Balkens XHI, wohl aber senkrecht darauf ver-
schoben werden kann. Er stellt somit eine Verlängerung des
Balkens I dar. Bei einem streng symmetrischen Schädel filllt
die Spitze des Balkens XIV in die Fossa supra spinam mea-
tus auditorii externi der zweiten Seite.
Bei Schädeln, die in Bezug auf die Queraxe asymmetrisch
sind, zeigt die Spitze des Balkens XIV den Punkt an, wo die
Queraxe die Schädelperipherie durchbohrt, und dieser Punkt
muss "Statt des zweiten Ohrenpunktes der Messung zu
Grunde gelegt werden.
Dies ist die erste wichtige Correctur für die Einhaltung
eines strengen Projectionssystems bei asymmetrischen Schädeln;
sie betriflFt die Queraxe.
Besteht eine Asymmetrie in Bezug auf den Radius vom
Ohrenpunkte zur Nasenwurzel oder zur Spina nasalis (also
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110
Ungleichheit der Linien On oder Ox) beiderseits, so wird man
die Verticale (Balken VIII) auf einen der symmetrischen Punkte
einstellen. Sind z.B. On undOa? beiderseits ungleich, so wird
man den Spegmapunkt (ß der Fig. 2) mittelst des Balkens VU
zu Hilfe nehmen etc.
Dadurch ist die Feststellung der verticalen Co-
ordinate gesichert.
Weicht der Jochbogen zu weit von der Normalrichtung ab,
so kann man die mathematisch-anatomische Horizontale wählen.
Ich werde bei der Beschreibung solcher Schädel die
complicirte Einstellung des Apparates för diesen Fall schildern.
m.
firlänternng der Terbrecherschädel auf der Pariser
Ansstellnng.
Bei der Tendenz, die Psychologie als angewandte Anato-
mie und Physiologie des Gehirnes aufzufassen, hat gewiss auch
das Studium der Schädel, die einen Abguss und zugleich einen
Bildungsfactor des Gehirnes darstellen, seine Berechtigung,
Bei dem geringen Grade der Ausbildung der naturwissen-
schaftlichen Analyse der Seelenbewegungen und bei unseren
geringen Kenntnissen über die Localisation der Functionen des
Gehirnes, besonders der Gehirnoberfläche, kann sich das
Studium des Gehinis und des Schädels nur darauf beschränken,
Parallelreihen zwischen ungewöhnlicher und abnonner Func-
tionirung des Gehirns einerseits und abnormen Formen des
Gehirns und Schädels andererseits aufzustellen und die zu-
sammengehörigen Contactpunkte beider Reihen aufzusuchen. So
sehr auch durch feine Beobachtung viel Wahrheit in den Lehren
von Gall aufgespeichert sein mag, so sehr müssen wir be-
haupten, dass diese Versuche der Specialisirung verfrüht sind.
Wir können heute die Unrichtigkeit vieler Sätze dieser
Lehre richtig beurtheilen ; wir sind aber nicht im Stande, das
Wahre, das in ihnen liegen mag, zu würdigen.
Der Ausstellung meiner Collection liegt die Tendenz
zu Grunde, ähnliche Sammlungen zu veranlassen,
nicht aber um bestimmte Sätze aufzustellen. Es zweifelt
wohl kein wahrer Naturforscher, dass aus solchen Sammlungen
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111
Resultate gewonnen werden können, und dass die Methode:
bedeutende Abweichungen von dem normalen Rassentypus
(Atypie) im Allgemeinen den Abweichungen vom normalen
intellectuellen und ethischen Typus gegenüber zu stellen,
richtig sei.
Besonders die Statistik zeigt uns, dass gewisse Verbrecher-
typen: Räuber, Fälscher, Hochstapler und Diebe in ihrer
Majorität rückföllig werden, und dass die Recidivirenden die
Majorität der Verbrechei'welt bilden und wir also allen Grund
haben, diese „ Verbrecher naturen'' als eine Abart des typi-
schen Chilturmenschen zu betrachten. In derselben Propor-
tion beiläufig hätten wir bei Verbrechern anatomische Atypie
zu erwarten, theils schon am Schädel, theils blos im Gehirne.
Bei der Vergleichung „normaler" Schädel mit Verbrecher-
schädeln wird das Verhältniss dadurch mächtig alterirt, dass
der Keim zum Verbrechen weiter verbreitet ist, als die
Verbrechen selbst. Bei einem Theile wird der Befund negativ
sein müssen, weil das Verbrechen nicht in einem fehlerhaften
anatomischen Zustande, sondern in einem abnormen Tempera-
mente oder in einer vorübergehenden abnormen Erregung be-
gründet ist. Diese letztere Kategorie von Verbrechen wollen
wir als physiologische den anatomischen gegenüber stellen.
Weiters ist wichtig zu bemerken, dass die Verhältnisse
am Schädel nur eine ganz vage Andeutung vieler wich-
tiger Details am Gehirne liefern, und dass de facto dieselben
pathologischen und atypischen Schädelformen mannigfachen
Functionsbeirrungen des Gehirnes entsprechen.
Wir werden aber um so mehr anatomische Daten zu
erwarten haben, als uns die Verbrecherpsychologie lehrt, dass
psychische Armuth , besonders der Empfindungssphäre und
grossen Theils auch der Intelligenzsphäre die Basis vieler Ver-
brechematuren abgeben.
Aber nicht um eine systematische Darstellung kann es
sich heute handeln, sondern um Aufsuchung von wichtigen
Einzelfacten.
Neben den Verbrechen sind es die sogenannte idiopathische
Epilepsie, die hereditären Formen von Psychosen, ferner die
cerebralen, in der Kindheit erworbenen Hemiplegien und Para-
plegien, welche ein grosses Contingent abnormer Köpfe und
Schädel liefern, und besonders von den letzteren Kategorien
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112
kann ich heute schon sagen, dass die Mehrzahl der Fälle
pathologische oder atypische Köpfe liefern.
Leider fehlt die klinische und psychologische Analyse
bei weitaus der Mehrzahl der pathologischen und atypischen
Schädel der anatomischen Sammlungen, was um so bedauer-
licher ist, als das Material dieser Sammlungen ohnedies zum
grossen Theile den verkommensten, also gewiss auch anthro-
pologisch sehr tief stehenden Volksclassen entnommen ist.
Wir gehen nun zur Schilderung der einzelnen Schädel über.
1.
Wohl der interessanteste ist der des fiin fundzwanzig-
jährigen, wegen Mord verurtheilten Südslaven Lukas B u d i m-
csicz.
Dieser Schädel ist unzweifelhaft als ein mikrokephaler
anzusehen.
Sein horizontaler Umfang (46*8) entspricht dem eines
sechsjährigen, sein Längendurchmesser (15*6) dem eines drei-
jährigen Knaben (allgemeines Slavenmittel bei Weissbach
17'6). Sein grösster Querdurchmesser (13'9) dem eines vier-
zehnjährigen Knaben (allgemeines Slavenmittel 14'7), während
der Kubikinhalt seines Schädels (1195) um 289 Cm. von dem
allgemeinen Slavenmittel (1484) abweicht. Nur sein grösstes
Höhenmaass (13*1) entspricht beiläufig normalen Verhältnissen.
Der Längen-Breitenindex ist bei diesen Individuen 89*1, wäh-
rend das Durchschnittsmaass für Slavenschädel 83*1 ist.
Als eine Haupttendenz der Natur beim Aufbau des
Culturschädels müssen wir es betrachten, den Radius von
unserem Ohrenpunkte zur Nasenwurzel (Linie On) dem Radius
von demselben Ohrpunkte zur Prominentia maxima occipitalis
{Oo) in gleicher Lage zu erhalten. Eine Verkürzung der
letzteren Linie („occipitale Verkürzung") gegenüber der
ersteren ist bei europäischen Schädeln als eine, wenn auch
vielfach innerhalb der normalen Breite vorkommende Ver-
kümmerung anzusehen.
Die Bedeutung dieser Verkürzung für die Morphologie
des Schädels fallt hauptsächlich bei der Oxykephalie in Be-
tracht und wir werden darauf an anderem Orte zurückkommen.
Diese „occipitale Verkürzung" beträgt bei diesem
Schädel 1*3 Cm. und ist daher mittleren Grades.
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113
Kein wirklicher Naturforscher in der Welt wird wohl zu
behaupten wagen^ dass das Individuum^ dem dieser Schädel
angehörte, in psychischer Beziehung als ein Durchschnitts-
individuum zu gelten habe, und dennoch wurde er von der
Justiz nach den heute bestehenden Regeln der Jurisprudenz
als solcher behandelt.
Es würde auch ausserordentlich ominös sein, ein Verdict
auf verminderte oder aufgehobene Zurechnungsßlhigkeit in
diesem und ähnhchen Fällen abzugeben. Denn die heutige
Jurisdiction würde sich genöthigt sehen, das Urtheil dadurch
zu mildeni oder den Thäter freizusprechen. Das wäre aber
eine Gefahr für die Gesellschaft.
Ich habe bereits in meiner Grazer Rede (siehe Psycho-
physik der Moral und des Rechts, Wien 1875, bei Urban und
Schwarzenberg, und ferner „Zur Naturgeschichte der Ver-
brechen", Wiener juristische Blätter, 1 — 3, 1876) hervorgehoben,
dass die Lehre von der Strafe als Sühne und die Lehre von der
individuellen Schuld als Hauptbasis für die Verurtheilung aufge-
geben werden müsse, und dass 1. der Schutz der Gesellschaft,
und 2. die Correctionsfähigkeit des Individuums auf den Durch-
schnitt des ethischen Fühlens und des Handelns die wichtig-
sten Gesichtspunkte abgeben müssen. In Bezug auf den zweiten
Gesichtspunkt werden wir sagen müssen, unser Mörder biete
keine Aussicht auf eine ausgiebige Correction, und höchstens,
wenn ein solches Individuum durch Alter viel von seinem
Temperamente eingebüsst hat, lasse sich erwarten, dass er
keine Gewaltacte mehr verüben werde. Damit ergibt sich auch
die Klärung des zweiten Gesichtspunktes und wir werden
die Freiheitsentziehung um so ausgiebiger vornehmen
müssen, je weniger wir das Individuum für zurech-
nungsfähig erklären können.
Der Naturforscher muss aber durch sein wahrheitsgetreues
Votum die Justiz zur Umkehr zwingen.
2.
An diesen reiht sich der zweite Schädel, der einem
jugendlichen Individuum von 22 — 23 Jahren, wahrscheinlich
slavischer Nationalität, angehörte und der mehrere Raubmord-
versuche ausführte.
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114
Auch sein Kubikinhalt (1300 Cm.) steht tief unter dem
Mittel. Sein horizontaler Umfang (49'0) entspricht dem eines
zehnjährigen^ sein Längsdurchmesser (15*8) dem eines vier-
jährigen, sein grösster Höhendurchmesser (12'0) dem eines
achtjährigen Knaben und nur sein Breitendurchmesser (14*6)
dem eines Erwachsenen. *)
Es ist also ein der Länge und Höhe nach hochgradig
mikrokephaler Schädel mit normaler, daher nicht compensiren-
der Breite. Dem entsprechend ist sein Längen-Breitenindex
kolossal, nämlich 92'4! Die „occipitale Verkürzung" ist nahe-
zu Null.
Es versteht sich von selbst, dass es vom naturwissen-
schaftlichen Standpunkte ganz unthunlich ist, dieses Individuum
als Durchschnittsindividuum anzusehen und ihm das Verant-
wortlichkeitsmaass eines solchen zuzuschreiben.
3.
Das folgende Individuum betrifft einen magyarischen
Banknotenfölscher in mittleren Lebensjahren (Szinka).
Er besitzt für die meisten Maasse die Durchschnittsziffer.
Hei*vorgehoben muss werden, dass der Radius vom Ohr zum
Nasenstachel (Ox) rechts um 7 Mm. grösser ist als links, also
eine Asymmetrie wesentlich des Gesichtsskeletes besteht. Der
Radius vom Ohr zur Nasenwurzel (On) ist rechts zwar nur
um 2 Mm. grösser als links; die Asymmetrie des Schädel-
skeletes ist aber sehr gut ausgedrückt in der Differenz der
Sehnen von je einem Tuber parietalis (p) und jedem der beiden
Tubera frontalia (/). Wenn wir noch durch den Index r und
l „rechts" und „links" bezeichnen, so beträgt in Centimetern :
pr fr = 111
pl fl = 10-0
prfl= 14-2
pl fr = 13-2
») Die Maasse des Urafangs, der Höhe, Breite und Länge
sind im Sinne von Weissbach, der sich den Principien von
Welcker und Virchow anschliesst, genommen. Da die österreichi-
schen Hassen wenig in den Hauptmaassen differiren, so habe iofa.
die Rednction der Schädel auf Altersverhältnisse nach der Tabelle
des n wachsenden männlichen Schädels" im bekannten Werke von
Welcker entnommen.
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115
HochintereBsant und charakteristisch an diesem
Schädel ist die grosse Differenz zwischen Frontal- und
Parietalbogen. Diese Differenz schwankt im Mittel bei allen
österreichischen Rassen nur um einzelne Millimeter und ist
bei der magyarischen Rasse Null. Hier ist der Frontalbogen
um 0*9 Cm. grösser als das Mittel, welches 12-5 Cm. -beträgt,
und der Parietalbogen um 2"5 Cm. kleiner als das Mittel,
da er hier nur 10*0 Cm. gross ist.
Die Gesammtdifferenz erreicht also die kolossale Grösse
von 3*4 Cm. Ein ähnliches Verhältniss finden wir nur noch
bei den mit 5 und 9 bezeichneten Schädeln, wenn auch nicht
in so hohem Grade.
Bei einem zweiten, lebend gemessenen Banknotenfalscher,
einem fünfundvierzigjährigen Würtemberger, der makrokephal
war, war diese DiflTerenz ebenfalls sehr gross, nämlich 4*2 Cm.,
während bei einem anderen lebend Gemessenen diese Differenz
relativ kleiner war. *)
Dieses Resultat bei unserem Schädel überraschte mich.
Die Psychologie der wahren Banknotenfölscher lehrt uns, dass
sich diese fast ausnahmlos recidivirende Verbrecherkategorie
durch ungewöhnliche Geschicklichkeit (motorische Genialität)
auszeichnet, während ihre Intelligenz das Mittel nicht über-
schreitet und ihr ethisches Verhalten unter dem Durchschnitt
sich befindet. Da wir gewöhnt sind, die psychomotorischen
Centren in den vorderen Centrallappen und seine Umgebung
zu verlegen, so hätte man vor Allem eine Ausbildung des
Scheitelbeines erwarten sollen.
4.
Der folgende Schädel gehört einem fiinfunddreissigjährigen
Verbrecher (Beczar, Slovak) an, der nicht zu den eigent-
lichen Verbrechematuren zu zählen ist. Er war bis zum Mo-
mente der That ein ehrenhafter Mann und zeigte auch in der
*) Ich will hier eine Antwort des ersten dieser beiden Fälßchor
mittheilen, weil dieselbe mehr Wahrheit enthält, als ganze Biblio-
theken, geschrieben von landläufigen Katheder-Criminalisten. Es
war kurz vor Beendigung seiner Strafzeit. Ich fragte ihn, ob er
glaube, dass er wieder recidiv sein werde. Er antwortete: „Wo
ich auch sterbe, vermache ich Ihnen mein Gehirn und meinen
Schädel'.
8*
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116
Gefangenschaft keine schlimmen Eigenschaften. Er Hess sich
nur in der höchsten Aufregung über einen angelegten Brand
verleiten, der Anstifter eines grausamen Lynchjustizmordes zu
werden.
Sein Schädel zeigt durchwegs die typischen Verhältnisse
eines besonders durch seinen Kubikinhalt etwas makrokephalen
slovakischen Schädels. Wir haben es hier mit einem phy-
siologischen Verbrechen zu thun, und es ist wahrhaft er-
muthigend, dass gerade an diesem Schädel normale Verhältnisse
sich vorfinden.
5.
Der nächste Schädel, einem Mörder und Brandleger an-
gehörig, zeichnet sich durch eine ganz andere Atypie aus. Er
ist in Bezug auf seine Dimensionen, mit Ausnahme der Breite,
etwas unter dem Mittel, während die Breite über demselben
sich befindet. Deshalb ist sein Längen-Breitenindex sehr hoch,
nämlich 88-3. Charakterisirt aber ist er durch die kolossale
occipitale Verkürzung, i. e. durch die Differenz zwischen
dem Radius vom Ohr zur Nasenwurzel (On) einerseits und
dem Radius vom Ohr zur Prominentia maxima occipitalis
(Oo) anderseits. Diese Differenz beträgt über 3 Cm.!
Auf diese occipitale Verkürzung ist, wie ich glaube, beim
anatomischen Studium der Moral insanity das grösste Gewicht
zu legen. Entsprechend der occipitalen Verkürzung ist auch der
Hinterhauptsbogen (9*4 Cm.), i. e. der Bogen vom Knotenpunkt
der Pfeil- und Lambdanaht zur Mitte des hinteren Randes des
Hinterhauptlochee enorm verkleinert (um 1*8 Cm.) und absolut
kleiner als selbst bei den mikrokephalen Schädeln Nr. 1 und
Nr. 2. Es fällt dies um so mehr auf, als bei den folgenden
Schädeln mit grosser occipitaler Verkürzung der Hinterhaupt-
bogen nicht auffallend verändert erscheint.
6, 7, 8.
Auch der folgende Schädel des Lohnmörders Mia zeigt
im Ganzen Durchschnittsverhältnisse. Nur seine occipitale Ver-
kürzung mit 3*8 Cm. reiht ihn nicht nur an den vorhergehen-
den an, er übertrifft ihn noch.
An denselben reiht sich der sechzigjährige Potator und •
Verwandtenmörder Perudinacz (Serbe), der durch seinen
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117
hohen Längen-Breitenindex (87*2) und durch seine bedeutende
oecipitale Verkürzung (2*8) sich auszeichnet.
Der folgende Schädel des Lohnmörders Pantalic (Serbe)
zeigt eine oecipitale Verkürzung massigen Grades (1*2 Cm.)
und hat sonst typische Verhältnisse.
9.
Der Schädel des vierzigjährigen grausamen Räubers und
Gewohnheitsdiebes Proketz (Ungar) gehört jedenfalls mit den
Schädeln 1, 2 und 5 zu den beachtenswerthesten der ganzen
Sammlung. Durch die Synostose der Pfeil- und Lambdanähte
ist der Schädel hochgradig dolichokephal. Sein Längen-
Breitenindex beträgt nur 75'1 (gegen das Mittel von 83*1)!
Wenn auch durch die Längen- und Höhenmaasse der Kubik-
inhalt des Schädels vom Mittel nicht wesentlich abweicht, so
lässt sich doch nicht läugnen, dass bei einer solchen Atypie
a priori eher eine perverse als normale Function des Gehirns
vorausgesetzt werden kann. Zudem zeigt er oecipitale Ver-
kürzung (1*1) und Asymmetrie der Radien der Gesichts-
und Schädelbasis. Auch ist bei ihm, der Synostose der Pfeilnaht
entsprechend, der Parietalbogen hochgradig verkürzt
(1*3 Cm.), während der Frontal- und Hinterhauptbogen com-
pensirend verlängert sind (um 1*1 bis 0*6).
10.
Ihm schliesst sich der folgende Schädel des dreiund-
zwanzigjährigen Kroaten Petricevic an, der den Mann seiner
Geliebten erschlug. Auch er zeigt eine bedeutende Dolicho-
kephalie, da sein Längen-Breiten index 78*4 ist. Die oecipi-
tale Verkürzung ist analog wie bei den letzten zwei Schädeln
(bei 1*2 Cm.).
11.
Der Schädel des dreiundvierzigjährigen ^lovakischen Ge-
wohnheitsdiebes Madarusz charakterisirt sich besonders durch
die Asymmetrie der Tubera parietalia, die vorzugsweise
durch die Messung von diesen zu beiden Tubera frontalia zum
Vorschein kommt.
pr fr = 11*3
pl fl = 10*9
pr fl = 14*9
pl fr = 14*0
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118
Auch ißt er in etwas höherem Grade als die letzt-
genannten drei Schädel verkürzt (1*7 Cm.).
12.
Der folgende Schädel eines Zigeuners und Gewohnheits-
diebes (Faczuna) ist etwas makrokephal in aUen hervor-
ragenden Dimensionen, doch hat er den normalen Längen-
Breitenindex seiner Rasse und ist massig oxykephal.
Der Schädel des folgenden slovakischen Gewohnheitsdiebes
Loksik zeigt bei massiger Verkürzung wenig Abweichungen
vom Durchschnittstypus.
Ich besitze zu eilf dieser Schädel die zugehörigen Ge-
hirne, und diese bilden mit noch einer Reihe anderer das
Material des zunächst bei Braumüller in Wien erscheinenden
Atlasses von Verbrechergehimen.
Gräberfunde bei Dux in Böhmen.
Von
Dr. Ferdinand ▼. Hochstetter.
(Mit einer Tafel.)
Im Juni vorigen Jahres erhielt ich durch die gütige
Vermittlung des Professor Dr. Gustav Laube in Prag von
dem Herrn Bergingenieur Anton Arlt in Dux einige Fund-
stücke aus alten Gräbern bei Dux; neun Stück thönerne
Töpfe, eine eiserne Schweiiklinge und zwei eiserne Lanzen-
spitzen, für die anthropologisch-ethnographische Abtheilung des
naturhistorischen Hofmuseums zugeschickt und gleichzeitig
von Herrn Arlt den folgenden Fundbericht übermittelt:
y,Sämmtliche Töpfe und Waflfen wurden in den Monaten
Juni bis December 1876 beim Abräumen des 5 — 6 Meter
mächtigen Hangendgebirges, welches auf dem 16 — 17 Meter
mächtigen Braunkohlenflötze lagert, und zwar beim Tagbaue
der Peter und Paul -Braunkohlenzeche bei Dux gefunden.
Dieser Tagbau liegt westlich von der Stadt Dux und von
dieser etwa fünf Minuten entfernt, knapp an der von Dux
nach Brüx führenden Aerarialstrasse. Als der eigentliche
Fundpunkt aber muss die westliche Breitseite dieses Tagbaues
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119
bezeichnet werden, welche sich auf der den Franz Plasatki-
schen Erben in Dux gehörigen Grundparzelle Nr. 1027 bewegt.
^Das Hangendgebirge besteht aus einer Lage Dammerde
von 40 — 50 Cm. Stärke, unter welcher eine Partie gelblich-
grauen Sandes, der glimmerreich und stark QeröUe führend
ist, in einer Gesammtstärke von 4 — 5 Meter auftritt; dieser
Sand bildet entweder selbst das eigentliche Hangende des
Braunkohlenflötzes, oder es tritt zuweilen noch eine 50—60 Cm.
Fig. 1.
Tagflfiche
-de
starke Lage von grauem, zähem Letten oder schieferiger,
lettiger Kohle auf. In diesem GeröUe führenden Sande sind
nun diese Töpfe und Waffen in Vertiefungen gelagert gefunden
worden, und es zeigten letztere eine gewisse Regelmässigkeit,
denn jede Vertiefung hatte eine Länge von 1 — 1'5 Meter, eine
Breite von 050— 0-80 Meter, und in diesem Sande eine Tiefe
von 1*5 Meter oder unter der Tagesoberfläche von ca. 2 Meter;
weiter waren diese Vertiefungen oder Gräber in Reihen je 8 bis
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120
10 Meter von einander entfernt und fast correspondirend
gelagert und so angelegt^ dass die schmale Seite gegen Osten
gerichtet war, an dieser Seite stand auch der Topf, während
die Waffen an der anderen, westlichen Schmalseite lagen. Von
einem Decksteine war keine Spur zh finden, was vermuthen
lässt, dass diese Gräber ganz unbedeckt gelassen worden sind,
denn der ganze Raum um die Töpfe herum war mit Damm-
erde ausgefiUlt. In je einem Grabe befand sich je ein Topf,
die Waffen lagen nur bei den grössten Töpfen je vereinzelt.
Nur in einem der Gräber, und zwar in jenem, in welchem der
grösste der Töpfe stand, fand sich eine Spur von menschlichen
Knochenresten, die aber so morsch waren, dass sie an der
Luft vollständig zerfielen; von Leichenbränden oder Münzen
wurde nicht das Geringste gefunden."
Erklärung der Tafel:
Gräberfunde von Dux in Böhmen.
1. Topf aus braunem Thon, aus freier Hand gearbeitet.
2. Topf aus feingeschlämmtem, glimmerigem, braunem Thon,
gedreht.
3. Topf aus braunem Thon, gedreht.
4. Topfscherben aus braunem Thon, aus freier Hand ge-
arbeitet.
5. Kürbisformiger Topf aus braunem, glimmerigem Thon, aus
freier Hand gearbeitet.
6. Topfscherben aus braunem Thon, aus freier Hand ge-
arbeitet.
7. Topf aus rothem Thon, aus freier Hand gearbeitet.
8. Henkeltopf aus braunem Thon, aus freier Hand gearbeitet.
9. und 10. Eiserne Lanzenspitzen.
11. Eiserne Schwertklinge.
Protokoll der Jahresversammlung der anthropolo-
gischen Gesellschaft, am 12. Februar 1878.
Vorsitzender: In Verhinderung des Präsidenten und der
Vice - Präsidenten durch Erkrankung der Alters - Präsident
Dr. Hector Ritter von Arneth.
Schriftführer: Der erste Secretär Dr. M. Much.
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l'il
Nachdem der Vorsitzende die Versammlung mit einigen
einleitenden Worten eröffiiet hatte^ drückte derselbe das Be-
dauern der Versammlung aus, dass die Mitglieder des Präsi-
diums krankheitshalber verhindert sind, das Präsidium selbst
zu übernehmen, wenngleich der Gedanke befriedigt, dass die
Erkrankungs&lle nur leicht vorübergehender Natur sind.
Es gelangt hierauf der Jahresbericht durch den ersten
Secretär zur Verlesung.
Hochgeehrte Versammlung !
Die anthropologische Gesellschaft steht wieder am Schlüsse
eines Vereinsjahres, und zwar des achten Jahres ihres Be-
standes. Wir sind gewohnt, an diesem Tage Rückschau zu
halten über das, was wir im vergangenen Jahre geleistet haben,
um uns gewissermassen selbst Rechenschaft über unsere Ver-
einsthätigkeit zu geben.
Wie bisher hat sich unser Bestreben auch im ver-
gangenen Jahre in den öflfentlichen Vorträgen und in der
Herausgabe unserer Zeitschrift geäussert.
In ersterer Hinsicht gedenke ich des Vortrages des Herrn
Prof. Dr. Wilckens über einen verbesserten Apparat zum
Zeichnen von Schädeln. Ein Vortrag unseres unermüdlichen
Mitgliedes, Dr. H. Wankel, über trepanirte Schädel aus vor-
historischer Zeit belehrte uns, dass die Trepanation schon in
jenen früheren Zeiten geübt wurde im mittleren Mähren wie
in Frankreich, wo sie die französischen Forscher zuerst be-
obachtet hatten. Herrn Regierungsrath Prof. Dr. Meynert
danken wir interessante Mittheilungen über ansteckenden Irr-
wahn im Volksleben, an welche er überraschende Forschungs-
resultate über H^e Entstehung der Sprache knüpfte. Herr Hof-
rath Dr. von Hochstetter gab uns einen Bericht über die
Resultate der neuen Ausgrabungen in den Hallstätter Grab-
feldern, welcher von der Demonstration der Fundobjecte be-
gleitet war. Wir danken dem Herrn Hofrathe den ausser-
ordentlich wichtigen kraniologischen Nachweis, dass die alten
Bewohner von Hallstatt, und zwar jene sowohl, welche in dem
alten Grabfelde auf dem Salzberge, als auch jene, welche in
den Grabfeldern aus der Zeit der Römerherrsch afk begraben
liegen, der germanischen Rasse angehören.
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122
Herr Felix von Luschan sprach zu wiederholten Malen
und zwar über Sehlittknoehen und Knochenschlitten, über in
Triest lebende Akka-Kinder und über einige kraniologische
Forschungsresultate. Herr Dr. FHgier gab uns interessante
Aufschlüsse über die Verbreitung der Blonden in Afrika^
Europa und Ostasien und über die Herkunft der Rum&nen.
Darf ich auch die Vorträge Ihres ersten Secretärs hier er-
wähnen, dann möchte ich Sie nur in Kürze an die Mitthei-
lungen über einige auf den Gebrauch von Steinwaffen weisende
Ausdrücke der deutschen Sprache, über den Culturgrad der
Germanen bei Beginn ihres historischen Zeitalters, über natür-
liche, prähistorischen Steingeräthen ähnliche Steingebilde und
über prähistorische Bauart und Omamentirung der mensch-
lichen Wohnungen in Niederösterreich erinnern.
Steht die Gesammtheit der Vorträge jener der früheren
Jahre wenigstens nicht zurück, so haben die Publicationen
sogar an Umfang gewonnen, indem im vergangenen Jahre statt
der bisherigen zehn Nummern deren zwölf geboten werden
konnten, und ich glaube getrost beifügen zu dürfen, dass da-
bei der innere Werth unserer Mittheilungen kein geringerer
geworden ist.
Ich erinnere hier vor Allem an die Berichte des Herrn
Hawelka über die Resultate der bisherigen Forschungen der
kais. russischen Commission zu St. Petei*sburg, die uns um so
werthvoller sind, als die Mittheilungen über derai*tige wissen-
schaftliche Arbeiten in Russland in einer uns schwerer zugäng-
lichen Sprache publicirt werden.
Dr. Wankel fügte seinem Vortrage über prähistorische
Trepanation noch eine Abhandlung über die Gleichzeitigkeit
des Menschen mit dem Höhlenbären in Mähren und eine
zweite über den Bronzestier der B^öiskäla-Höhle bei, welch'
letztere mit einer geradezu erstaunlichen Fülle von Belegen
ausgestattet ist und von dem immensen Fleisse dieses For-
schers Zeugniss gibt.
Die Herren Prof. Dr. Wilckens und Prof. Dr. Woldf ich
veröffentlichten ihre schon im Vorjahre gehaltenen Vorträge
über neue Hausthierrassen in diesem Bande unserer Mitthei-
lungen, sowie Hofrath von Hochstetter seinen Bericht über
neue Ausgrabungen auf den alten Gräberstätten bei Hallstatt.
Die Herren Dr. Weiser und Dr. Fligier bi*achten kleinere
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123
Abhandlungen ethnographischen Inhalts, und zwar Ei'sterer über
das Völkergemisch auf der Balkan-Halbinsel und über die
Feiertage der Montenegriner, Dieser über die Ethnographie
Noricums und über die Skythenfrage.
Qraf Wurmbrand erfreute uns mit den Berichten über
den achten internationalen Congress für Anthropologie und
vorgeschichtliche Archäologie in Budapest und über die achte
Jahresversammlung der deutschen anthropologischen Gesell-
schaft in Constanz, und gab uns Aufklärung über die Bedeu-
tung einiger archäologischer Fundstücke und über prähistorische
Technik. Ihr erster Secretär fügte diesen höchst schätzens-
werthen Abhandlungen einige Beiträge über Themata, worüber
er zum Theile schon mündliche Mittheilungen gemacht hatte,
und einiges Andere bei.
Wenn Sie ausser der Reihe der im Einzelnen angeführten
Arbeiten noch der Fülle der kleineren Mittheilungen gedenken,
so werden Sie sich das Zeugniss nicht versagen dürfen, dass
das wissenschaftliche Organ der Gesellschaft eine weitere und
gesicherte Entwicklung erfahren habe. Es darf uns die That-
Sache in hohem Maasse erfreuen, dass unsere Publicationen
im Auslande, und ganz besonders im fremdsprachigen Aus-
lande sehr eifrig gelesen werden, viel eifriger als im Inlande.
Diese Freude ist also doch leider nicht ohne bitterem Beige-
schmack, und ich kann die Klage nicht unterdrücken, dass
die Bestrebungen der anthropologischen Gesellschaft noch
immer nicht jene Theilnahme eiTegen, die sie in so hohem
Maasse verdienen und die zur Förderung derselben unum-
gänglich nöthig ist. Es scheint fast, dass man in diesen For-
schungen noch immer eine Gefahr wittert, und es ist fast un-
glaublich, dass nicht jeder Gebildete das wärmste Interesse
der Erforschung der ersten Schicksale seines Geschlechtes ent-
gegenbringen sollte. Und doch sehe ich mit Betrübniss, dass
gerade solche Gelehrtenclassen, von denen wir eine eifrige
Theilnahme mit Recht hoffen und namentlich reiche Beobach-
tungen in anthropologischer Beziehung erwarten durften, sich
unseren Bestrebungen ganz fernhalten. In nicht minderem
Grade beklagenswerth ist die Gleichgiltigkeit ganzer Provinzen
an der prähistorisch-anthropologischen Forschung. Unser Mit-
glieder-Verzeichniss liefert in beiden Beziehungen ganz merk-
würdige Erscheinungen. Wenn beispielsweise das Land Tii-ol
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124
uns doch wenigstens zwei Mitglieder gab, so ist es doch in
hohem Grade auffallend, dass in Kärnthen, Schlesien und
Oberösterreich auch nicht eine Persönlichkeit ist, welche den
Forschungen unserer Gesellschaft einige Aufmerksamkeit
schenkte, ja, es ist nicht einmal das Verlangen nach Schriften-
tausch aus diesen Ländern an uns ergangen. Ich will in dieser
Beziehung von Mähren und Krain nicht reden, denn dort
wiegen unsere Freunde Dr. Wankel und Dr. Deschmann
ihrer hundert auf; aber ist es nicht beklagenswerth, dass Prag,
eine Stadt mit drei Hochschulen, uns nur drei Mitglieder, ganz
Böhmen sammt Prag nur sechs Mitglieder gibt? Darf es uns
bei solcher Gleichgiltigkeit noch wundem, wenn die grossen
archäologischen Keichthümer des Königreiches in alle Wind-
richtungen zerstreut und zahllose und auserlesene Stücke der-
selben ins Ausland spediii; werden?
Wenn in dieser Beziehung in den vorgenannten Ländern,
wo die anthropologisch-urgeschichtliche Forschung brach liegt,
wenigstens jetzt kein directer Schade entsteht und die archäo-
logischen Schätze derselben im Boden ruhen bleiben, bis sie
vielleicht durch befähigte Persönlichkeiten gehoben werden, so
ist das eben in Böhmen, wo thatsächlich alljährlich sehr viele
Funde gemacht werden, anders, denn die Folgen des Ver-
säumnisses, welches sich dieses Land zu Schulden kommen
lässt, sind gar nicht wieder gut zu machen. Hoffentlich hält
auch dort die bessere Einsicht bald Einkehr, damit man dem
Lande nicht sagen könne, es habe theilnamlos zugesehen, wie
das reiche Erbe seiner Väter versplittert wurde.
Wie bedauerlich es übrigens unter solchen Umständen
ist, dass die anthropologische Gesellschaft nicht eine Anzahl
von Organen besitzt, welche gleichmässig über alle Provinzen
vertheilt sind, auf alle Funde ihre Aufmerksamkeit richten,
sie vor Zerstreuung oder Vernichtung bewahren und zur ent-
sprechenden Kenntnissnahme bringen, ist klar. Keine Persön-
lichkeiten und keine Anstalten wären zur Conservirung der
archäologischen Funde geeigneter als die Mittelschulen, da
diese einerseits durch Lehrer und Schüler mit der Bevölkerung,
andererseits mit den wissenschaftlichen Anstalten in stetem
Verkehre und selbst in der Lage wären, den Fundobjecten in
ihren Räumen ohne weitere Kosten eine geeignete Sammel-
stätte zu gewähren.
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125
Wenn die anthropologische Gesellschaft; solche Organe
im Interesse der archäologischen Forschimg schmerzlich ver-
misst^ so werden Mängel und Erfahrungen der geschilderten
Art dieselbe jedoch nicht beirren, sondern nur zu grösseren
Anstrengungen anspornen^ um das Interesse für ihre Forschun-
gen stets weiteren Kreisen mitzutheilen.
Durchdrungen von ihrer Aufgabe, hat die Gesellschaft für
die möglichst zahlreiche Theilnahme Oesterreichs an der Aus-
stellung der anthropologisch-urgeschichtlichen Wissenschaften
zu Paris im Jahre 1878 zu wirken gesucht, die einheitliche
Leitung der Betheiligung in die Hand genommen und zu
diesem Behufe ein Comitö aus den Herren Hofrath Dr. von
Hochstetter, Felix von Luschan, Dr. Much und Prof.
Dr. Woldfich unter dem Vorsitze des Herrn königl. Rathes
F. Kanitz gewählt, und es kann jetzt schon mitgetheilt
werden, dass die Betheiligung eine sehr erfreuliche sein wird.
Auch anderweitige Aufgaben stehen der Gesellschaft
bevor. So werden sich beispielsweise die Erhebungen der Farbe
der Augen, der Haare und der Haut kaum mehr aufschieben
lassen; es wird aber zu erwägen sein, ob diese Erhebungen
nicht versuchsweise in einzelnen Kronländem auch auf andere
ethnographische Erscheinungen auszudehnen seien.
Aus dem Berichte des Herrn Rechnungsführers werden
Sie ersehen, dass der Stand unserer Finanzen ein günstiger
ist und uns endlich in die Lage setzt, im kommenden Jahre
unseren Publicationeij eine erweiterte Gestalt zu geben, an die
Herausgabe besonderer Monographien zu denken und in sonstiger
Weise anregend und fördernd vorzugehen. Es wird Sache
Ihres Ausschusses sein, das den Aufgaben der Gesellschaft
Entsprechendste zu wählen.
Hochverehrte Versammlung! Wenn wir erwägen, dass
wir im vergangenen Jahre trotz der Noth der Zeit einen
Schritt nach vorwärts gethan haben, dann dürfen wir uns der
Hoffnung hingeben, dass wir auch in Zukunft unserer Aufgabe
entsprechen und auch die grösseren und höheren Ziele, die
wir uns steckten, erreichen werden; und auf den Weg dahin
rufe ich der anthropologischen Gesellschaft ein herzliches
„Glück auf" zu!
Es gelangt hierauf der Bericht des Rechnungsführers,
F. Kanitz, in Folgendem zur Verlesung.
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126
Kassastands-Answeis
der anthropologischen Gesellschaft zu Wien
im Vereinsjahre 1877.
Die Werthschätzung , welche den Leistungen unserer
Gesellschaft gezollt wird, äussert sich nicht nur in der fort-
gesetzten pünktlichen Einzahlung der Beiträge ihrer wirklichen
Mitglieder, sondern auch in der ehrenden materiellen Unter-
stützung, welche ihr im abgelaufenen Jahre von unserem die
anthropologisch-ethnografischen Wissenschaften huldvoll fordern-
den Monarchen, ferner vom hohen k. k. Ministerium für Cultus
und Unterricht, sowie vom hohen niederösterreichischen Land-
tage erneuert zu Theil wurde.
Dieser wohlwollenden Förderung unserer angestrebten
Ziele verdanken wir den günstigen Stand unserer materiellen
Lage. Nach den vom Herrn Cassier, Prof. Dr. Weidlich, zur
Revision vorgelegten Rechnungen verzeichnete die anthropolo-
gische Gesellschaft im Vereinsjahre 1877 an Einnahmen:
1. Cassarest vom Jahre 1876 fl. 734.44
2. Beiträge von 182 Mitgliedern „ 910. —
3. Subvention Sr. Majestät des Kaisers . . . . „ 200. —
4. „ des h. Minist, für Cultus u. Unterr. „ 400. —
5. Subvention des h. k. k. n. ö. Landtages . . „ 100. —
6. Für verkaufte Gesellschafts-Publicationen . . „ 273.60
7. Interessen von 200 fl. Staatsschuldrente und
der Sparcasse „ 36.40
Summe . . fl. 2654.44
Die Ausgaben betrugen im gleichen Zeiträume:
1. Druck der „Mittheilungen", Band VII . . . fl. 712.90
2. Illustrationen „ 398.70
3. Separat-Abdrücke für Autoren „ 120.78
4. Buchbinder „ 18. —
5. Versendung der Publicationen „ 106*05
6. Museums- und Bibliothekskosten „ 39.04
7. Regie „ 95.65
8. Reservefond (2 St. Staatsschuldrente k 100 fl.) . „ 131.77
9. Für separate Publicationen „ 600. —
Fürtrag . fl. 2222.89
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127
Uebertrag . fl. 2222.89
10. Für Ausgrabungen „ 200.—
11. Cassarest, übertragen auf das Jahr 1878 . . „ 231.55
Summeder Ausgaben gleich der der Einnahmen . . fl. 2654.44
Wien, am 12. Februar 1878.
F. Kanitz,
BechnangsfUbrer der anthropologuchen (JeBellflohaft.
Die Versammlung nimmt den Rechnungsbericht geneh-
migend zur Kenntniss und schreitet hierauf zur Wahl von
vier Ausschussräthen an die, durch den regelmässigen Austritt
der Herren Hofrath Dr. von Hochstetter, Regierungsrath
Prof. Dr. Meynert, Prof. Dr. Suess und Prof. Dr. Eara-
baöek erledigten Stellen. Nachdem Prof. Dr. Suess wegen
anderweitiger üeberhäufung mit Geschäften zum grossen Be-
dauern der Gesellschaft erklärt hatte, eine auf ihn fallende
Wahl nicht annehmen zu können, genehmigt die Versammlung
mit Acclamation den vom Ausschusse gemachten Vorschlag
der Wiederwahl der Herren Hofrath Dr. von Hochstetter,
Regierungsrath Dr. Meynert und Prof. Dr. Karabadek
und die Neuwahl des Herrn Bergrathes F. Freiherrn von
Andrian.
In gleicher Weise wird der vom Ausschusse gemachte
Vorschlag der Wahl des Herrn Prof. Mantegazza in Florenz
und des Herrn Dr. Köpern icki in Erakau zu coiTCspondiren-
den Mitgliedern und der Herren Dr. Moriz Gauster, Primar-
arzt der Landes-Irrenaustalt, und Franz Heger, Assistent am
k. k. naturhistorischen Hof-Museum, zu wirklichen Mitgliedern
mit Beifall genehmigt.
Es folgt hierauf der Vortrag des Herrn Prof. Dr. Bene-
dict „Zur Rettung des medialen Profils bei Schädelmessungen",
und des Herrn Dr. Deschmann „Ueber Bronzefunde bei
Zirknitz in Krain" und „Ueber die neueren Ausgrabungen in
den Pfahlbauten des Laibacher Moores".
Br. Huoh,
erster SecretÄr.
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128
Kleinere Mittheilungen.
1.
Ueber behauptete Hohlenwohnaiigen im Loss bei Jo8lowitz.
In dem 11. und 12. Heft des YU. Bandes dieser Mitthei-
lungen bespricht Dr. Mnoh die wahrscheinliche Bauart der vor-
geschichtlichen Einwohner und sucht vor Allem nachzuweisen,
dass die Cultur- und Knochenschichten in Joslowitz nicht während
der Bildung der sie überdeckenden Lössschichte entstanden sind,
sondern dass nach der Bildung dieses Diluvialgebildes Mammuth-
Jäger sich ähnliche Wohnstätten in den Löss gegraben hätten, wie
dies die Chinesen oder die Bewohner Nieder-Oesterreichs noch
heute thun.
Die Besultate der Untersuchungen über ähnliche Einschlüsse,
welche mich seit vier Jahren beschäftigen, werden im Verlaufe
dieses Jahres zur Veröffentlichung kommen, da erst die jüngsten
Funde aus Zeiselberg geeignet waren, mir einen klaren Einblick
in diese Lagerungsverhältnisse zu verschaffen.
Dort werde ich des Näheren auf die durch Dr. Much be-
sprochenen Funde im Löss eingehen und werde, wie ich hoffe,
die Frage der Gleichzeitigkeit, die er bezweifelt, begründen können.
Einige Andeutungen über die Zeisel berger Ausgrabung finden
sich aber schon in dem vor Kurzem erschienenen Compte-rendu de
la huiti^me Session du congr^s international k Pesth und in dem
berichte über die ßinfzigste Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte in München. Da diese Schriften aber vielleicht nicht
allen Lesern dieser Blätter zugänglich sind, muss ich auf die sehr
bestimmt ausgesprochene Ansicht Dr. Much's auch hier einige
Worte der Erwiderung sagen, so ungern ich sonst fremden Be-
hauptungen widerspreche.
Ich will dabei nicht so sehr auf die Beweisgründe eingehen,
warum ich im Vorkommen dieser Knochenlager die Gleichzeitigkeit
des Menschen mit der diluvialen Fauna zur Zeit der Lössbildung
für erwiesen halte, weil ich diesbezüglich mich nicht wiederholen
und mir nicht vorgreifen will; mein Zweck ist vielmehr, nur in
Kürze anzudeuten, dass gerade die von Dr. Much gesuchte Er-
klärung mir nicht die richtige zu sein scheint. Es ist immer
schwieriger, eine genügende Erklärung für gewisse Thatsachen zu
finden, als ungenügende Deutungen zu widerlegen.
Die Einlagerung dieser Thierreste mit menschlichen Produeten
ist, wie Dr. Much z. B. mir entgegenhält, wirklich nicht gut er-
klärt, sobald wir den Löss als einen Niederschlag aus gestauten
Wässern ansehen, weil allerdings nicht recht einzusehen wäre, wie
diese Lagerplätze mitten im Wasser stehen sollten.
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129
Ich habe mich nun in dieser Beziehung schon in dem von
Dr. Mach angeführten Aufsatze sehr zurückhaltend ausgedrückt,
da ich die Schwierigkeit der Erklärung eingesehen, obwohl gerade
die Schichte in Joslowitz sich nicht mitten im Löss, sondern
unter demselben befindet und es daher immer noch denkbar ge-
wesen wäre, an eine Besiedelung vor der Ansammlung der Stau-
wässer zu denken. Es ist aber verschieden, ob ich mich auf die
Ansicht bekannter Forscher berufend, eine Yermuthung daraufhin
ausspreche, oder ob ich selbst einen Beweis führen will.
Dr. Much hatte also vielleicht Recht gehabt, wenn er schon
von dieser Schichte sprechen will, die Un Wahrscheinlichkeit her-
vorzuheben, dass sich Lagerplätze des Menschen im Löss befinden
sollen, wenn dieser als ein Niederschlag fiiessender oder stehender
Wässer angenommen wird. Ich selbst habe, das Missliche dieser
Sache einsehend, seither eine andere Ansicht gewonnen, die aller-
dings wieder von der meines geehrten Freundes wesentlich ver-
schieden ist.
Ich kann hier, wie gesagt, nicht näher auf die Erklärung
der Lössbildung eingehen, und komme zur Widerlegung seiner
Höhlentheorie.
Wir werden uns diesbezüglich drei Fragen zu stellen haben:
Ist die Höhlenbewohnung wirklich, wie Dr. Much sagt, durch
seine Darstellung überzeugend erwiesen, und wenn nicht, ist sie
unter den gegebenen Verhältnissen wahrscheinlich?
Erwiesen scheint sie mir schon deshalb nicht zu sein, weil
an der durch den Ziegelschlag glatt abgegrabenen Wand sich in
der mächtigen, ungestörten Lössschichte nicht die Spur einer Höh-
lung fand, wie bei d seiner Zeichnung, noch irgend ein Löss-
abbruch (hhjy in welchem die mit Schwarz bezeichneten Cultur-
schichton gelegen wären.
Ganz im Gegentheil lagen, wie ich den Ziegelschlag zuerst,
also vor Dr. Much, gesehen, die schwärzlichen Culturschichten
fast an dem untersten Bande zwischen dem tertiären Sand (c) und
der vollkommen glatten Lösserde (a).
In der feinen, gleichmässigen Structur des Lösses zeigten
sich ausser diesen länglichen Streifen die mehr und minder mäch-
tigen Knochenschichten und feinen Sandstreifen, von einer ausge-
füllten Eundung der einstigen Höhle d aber war nichts zu sehen.
Die Zeichnung ist also nicht eine Darstellung des factischen
Umstandes, und soll nur ideale Verhältnisse darstellen.
Aber auch die Wahrscheinlichkeit der künstlichen Höhlen
entschwindet, wie mir scheint, sobald wir die Natur des Lösses
richtig beurtheilen. Der Löss ist eben von ganz eigenthümlicher
Structur und verlangt ein eingehendes Studium, um ihn und seine
Eigenschaften kennen zu lernen.
Der von Dr. Much z. B. folgendermassen beschriebene Vor-
gang erscheint mir nicht gauz entr*prechend (p. 326): „AUmälig
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130
aber und lange nachdem die Lagerstätten verlassen waren, wnchsen
die herabgestürzten Brocken doch zn einer beträchtlichen Halde
an und verschütteten nicht nur die Lagerstätten, sondern auch die
künstlichen Aushöhlungen vollends und verbanden sich mit der
Wand wieder so vollständig und innig, dass eine Grenze zwischen
derselben und den herabgebrochenen Massen sich nicht
angeben und daher auch Gestalt und Grösse der Höhlungen nicht
mehr erkennen lassen."
Der Löss ist, so lange er ungestört bleibt, so compact, dass
er ausserordentlich lange der Verwitterung widersteht. Ist seine
Verbindung aber einmal gelöst, so wird er, was er war — zu
Staub, den jeder Windstoss fortträgt. Die Feinheit des Lösskornes
ist ganz unglaublich.
Deshalb finden wir denn auch wirklich solche Schutthalden
(bb) an den von Wasser einmal blossgelegten Wänden (Terrassen) im
Allgemeinen nicht. Noch weit weniger als diese Schutthalden (hh)
können wir uns die Ausfüllung der Höhlen aus fallenden Brocken
vorstellen, ohne dass die Structur oberhalb der Höhlung darunter
leiden würde. Denn weder die Brocken noch der verwitterte Löss
vereinigen sich je wieder so vollständig mit der ungestörten dichten
Wand, dass der Abraum nicht leicht vom ungestörten Löss unter-
schieden werden könnte.
Wsks nun die angeführten Analogien betrifft, so weiss ich
nicht, ob Professor Ecker bereuete, in seinen Andeutungen nicht
weiter gegangen zu sein. Die Höhlen am Bodensee, die ich be-
suchte, passen insofern nicht, als sie meines Wissens nicht erweis-
lich aus dem Diluvium sind und überhaupt keine Neigung zeigen,
einzustürzen und spurlos zu verschwinden.
Nach dem Gesagten glauben wir daran festhalten zu sollen,
dass ausserhalb den früher erwähnten allgemeinen Gründen kein
Anhaltspunkt gegeben ist, hier an künstliche Höhlenbildungen zu
glauben. In Joslowitz wäre die Möglichkeit übrigens nicht voll-
kommen ausgeschlossen gewesen, die Wichtigkeit des erwähnten
späteren Fundes bei Zeiselberg liegt eben darin, auch die Möglich-
keit einer solchen Anschauung auszuschliessen , weil dort die
Knochenschichte von ungestörtem Löss rings umschlossen ist.
Die Gleichzeitigkeit der Zeugen menschlicher Thätigkeit mit
den Thieren des Diluvium ist dort nicht mehr schwierig zu er-
weisen. Von dieser Thatsache aus wäre es, meiner Ansicht nach,
vortheilhafter, auf die Lössbildung rückwärts zu schliessen, als die
noch unerwiesenc und durch Richthofen so glänzend bekämpfte
Ueberschwemmungstheorie als Prämisse unwahrscheinlicher Folge-
rungen zu setzen. G. Graf Wurmbrand.
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131
2.
Noch ein YVort über Höhtenwohnnugen im Loss.
Zur Begründung meiner durch die Einwendungen des Herrn
Grafen Wurm br and bekämpften Annahme von künstlichen Höhlen-
wohnungen im Löss in der Zeit des Mammuth sei mir gestattet,
einige ergänzende Bemerkungen zu machen.
Vor Allem mnss ich daran erinnern, dass ich gleich Eingangs
meiner kleinen Abhandlung über die Bauart prähistorischer Woh-
nungen (Nr. 11, 12 des YII. Bandes der Mittheilungen) voran-
schickte, es sei nicht meines Berufes, mich über die Bildung des
Löss auszusprechen. Indess durfte mir doch erlaubt sein, einige
Beobachtungen, die mir zur Sache gehörig schienen, mitzutheilen.
Der Urgeschichtsforscher kommt nur zu häufig in die Lage, sich
über Vorgänge, die sich nicht auf dem unmittelbaren Gebiete seiner
Forschungen vollzogen haben, eine Anschauung bilden zu müssen,
damit es ihm möglich werde, sich das Verhältniss der Gegenstände
seiner Forschung zu jenen Vorgängen zu erklären, wenn ihn seine
Beobachtung auf Beziehungen zwischen beiden führt. Wenn wir
Artefacte im Löss finden, werden wir natürlich die Frage stellen:
Wie sind dieselben in den Löss gekommen? und an diese wird
sich unter Umständen die andere Frage schliessen: Wie ist der
Löss entstanden?
In diesem Sinne gestattete ich mir, einige Beobachtungen
mitzutheilen; vielleicht hat mich hiezu die Vorliebe für den Löss-
boden^ an den sich die ersten Erinnerungen meiner Kindheit
knüpfen, und den ich trotz allem Schicksals Wechsel noch immer
als meine Heimat betrachte, unberechtigter Weise verführt.
Die Erfahrungen, welche ich auf diesem mir heimischen und seit
mehr als vierzig Jahren beobachteten Boden gemacht habe, weichen
nun allerdings von jenen des Grafen Wurm br and wesentlich ab,
und diese Differenz unserer Beobachtungsresultate begründete offen-
bar auch die Divergenz unserer Anschauungen. So hat Graf Wurm-
brand die Culturschichte in Joslowitz unmittelbar auf dem ter-
tiären Sande aufliegend gefunden, während ich nach ihm die alten
Lagerreste mitten in den Löss eingebettet, vom Sande durch eine
Lössschichte getrennt, und überhaupt nicht in einem Niveau
beobachtete. Auch die Beste der menschlichen Niederlassung bei
Munzingen lagen mitten im Löss.
Eine andere Differenz unserer Beobachtungen ist die, dass
Graf Wurmbrand annimmt, der Löss, einmal aus seiner Verbin-
dung gelöst, zerfalle zu Staub, den jeder Windstoss fortträgt,
während ich dagegen unzählige Male die bedeutende Kraft des
Löss, sich wieder zu verbinden, beobachtete. Ich will hier nicht
der ungebrannten Ziegel aus Löss gedenken, welche eine Jahr-
hunderte lange Dauer haben, und will auch nur beispielsweise
bemerken, dass der bei einem Kellerbau aus der Tiefe herauf-
geschaffte, im Uebrigen sich selbst überlassene und dem Sturm und
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132
Regen ausgeßetzto Löss in kurzer Zeit bo fest wird, dass man ia
demselben wieder recht dauerhafte kleine Höhlungen machen kann.
Eine gewiss interessante Erscheinung bieten in dieser Beziehung
einige der aus Löss aufgeschütteten und von allen Seiten frei
stehenden Tumuli in Nieder-Oesterreich. So sind beispielsweise der
Tumulus bei Gaisruck, dann jener zwischen Hippersdorf und
Wiesendorf ganz aus Löss aufgeschüttet, und trotzdem der Löss
bei dieser Arbeit aus seiner natürlichen Verbindung gelöst wurde,
bewahrten diese Tumuli doch eine so staunenswerth lange Dauer,
ja der Löss, aus dem die grossen Tumuli von Ebenthal, Neu-
dorf und Hetzmannsdorf aufgeschüttet worden sind, ist wieder
so compact geworden, dass in all den drei Tumulis Weinkeller aus-
gegraben werden konnten, wie im Löss von naturlicher Lagemng.
Der Tumulus bei dem letztgenannten Orte wird leider wieder ab-
getragen und sein Material zu Ziegeln verwendet. Vor einigen
Jahren sah ich dort, dass eine fast senkrechte Wand davon abge-
stochen worden war, und eine Höhlung führte damals tief in aeit
Inneres hinein. Der Löss verbindet sich also an secundärer Lager-
stätte wieder vollkommen.
Aber auch da, wo der Löss durch natürliche Einwirkungen
abgetragen wird, zerfallt er nicht in Staub, sondern bricht in
scharfkantigen festen Brocken ab, ganz ähnlich den Trümmern,
die von einer Felswand stürzen, und diese Brocken können in
kurzer Zeit durch nachgefallene kleinere Stücke, welche die Lücken
ausfüllen, und durch den eigenen Druck wieder so verbunden
werden, dass für das Auge schwor erkennbar wird, was alte Bil-
dung und was neue Ablagerung ist. Wenn nun ein Fluss eine Löss-
wand bespült, so nimmt er allerdings die herabgestürzten Brocken
mit sich fort; wenn aber der Fluss in Folge der Aenderung seines
Bettes die Lösswand verlässt, wie es z. B. bei der Thaya nächst
Joslowitz der Fall war, dann sammeln sich die herabgestürzten
Lössstücko mehr und mehr an, verbinden sich, so dass solche ehe-
malige scharfe Uferränder allmälig wieder ein sanfteres Gehänge
bekommen und sich wieder mit Vegetation bedecken. Ein sehr
interessantes Beispiel bietet in dieser Beziehung eine Stelle des
rechten Marchuf ers zwischen Stillfried und Dürnkrut, welche den
Namen „die Gachgstetten* führt. Hier hat die March eine weite
und tiefe Bucht in den Löss eingerissen und dabei zufallig eine
Stelle getroffen, wo eine prähistorische Ansiodlung bestanden hat,
die nun von den Wellen des Flusses bis auf einen kleinen letzten
Rest des ansehnlichen Walles, der sie umschloss, weggespült worden
ist. Die von der einst hier hoch über der March bestandenen An-
siedlung herrührenden Reste von unbearbeiteten und bearbeiteten
Knochen, von Gelassen u. dgl. liegen noch zum Theile auf dem
Grunde des Flusses und jede Hochfluth spült eine Anzahl derselben
an die Ufer. In Folge des Baues der Nordbedin hat sich aber die
Sachlage geändert, der March wurde ein anderes Bett gegeben
und sie bespült nicht mehr die, noch zum Theile erhaltenen,
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133
oinst senkrechten Lösswände. Der Abbruch in Folge von Erwei-
chung durch den Regen, von Frost u. s. w. ging jedoch fort, da
aber der Flnss die abgebrochenen Massen nicht mehr fortspülte,
sammelten sie sich am Fusse der Wand, bis sie an einzelnen
Stellen allmälig deren Höhe erreichten. Ich zweifle nicht, dass
in dem aus dem abgebrochenen LÖss aufgebauten und nun wieder
mit einer Vegetation überzogenen Gehänge manche Topfscherbe
eingeschlossen ist, die einst Zeugniss geben wird von der hier
bestandenen, nun aber sammt ihrem Untergrunde fortgeschwemmten
menschlichen Ansiedlung. Es wäre aber gewiss fehlerhaft, diese
Ansiedlung deshalb, weil die Scherben im scheinbar unberührten
Löss vorkommen, in die Zeit der Bildung des Löss verlegen zu
wollen.
In solchen Fällen, wie sie bei Joslowitz und Stillfried ein-
getreten sind, hat die herabgebrochene Lössmasse nicht nur den
Kaum vor der Wand wieder bedeckt, sondern sie musste auch die
zur Erklärung des Vorhandenseins von Artefacten im Löss sup-
ponirten Höhlen wieder erfüllen und unkenntlich machen. Auch
in dieser Hinsicht sprach ich nicht leichtsinnig, sondern auf Grund
gemachter Beobachtung, die ich darum nicht anführte, um meiner
kleinen Abhandlung keine zu grosse Ausdehnung zu geben. In der
Nähe von Ronthal am Fusse des Manhartsberges befindet sich
eine Stätte, auf welcher nach zweifellosen Spuren im Mittelalter
ein Dorf gestanden ist; die Leute sagen, es habe Brunn gcheissen
und sei im dreissigjährigen Kriege zerstört worden, und darum
heisse die Feldflur jetzt Oedenbrunn, d. i. verödetes Brunn.
Dort sieht man auch noch einige Weinkeller ohne Vorbau, doch
so in der Beihe, wie vielleicht einst die Häuser gestanden sein
mochten. Der Eingang ist fast ganz von den zum Theile von der
Wölbung, zum Theile von den Wänden hcrabgebroohenen Löss-
brocken erfüllt und der innere Raum unzugänglich geworden.
Manche dieser Keller in „Oedenbrunn** mögen auf diese Weise
schon ganz und gar wieder zugefüllt worden sein, jedenfalls aber
werden es die noch sichtbaren und schon zum grössten Theile ver-
schütteten bald sein, und so wäre es nicht gerade unmöglich, dass
man dort einmal im scheinbar unberührten Löss — wir haben ja
gesehen, dass er sich wieder vollständig bindet — Holzreste und
vielleicht auch zurückgebliebene oder in der Kriegsnoth etwa dort
verborgene Hausgeräthe oder dergleichen finden wird. Die Erklä-
rung aber, wie ein solches Geräth in den Löss gelangen konnte,
wird dann nicht anders als durch Annahme künstlicher Höhlen
gegeben werden können.
Die Höhlen bei Constanz habe ich keineswegs als Beweis
für einstige Höhlenwohnungen im Löss angeführt, sondern nur
für den Bestand der Sitte, sich künstliche Höhlen Wohnungen über-
haupt zu schafi'en. Dass aber in prähistorischer Zeit in Europa
solche künstliche Höhlenwohnungen auch wirklich im Löss gegraben
worden sind, dafür liefert Dr. Wanke 1 in seinen Skizzen aus
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134
Kiew (Mittheil, der Anthropol. Ges., V. Bd., S. 5) den Beweis,
wo er mittheilt, dass sich auf einer kurzen Uferstreoke des Dnjeper
ausser sechsunddreissig GorodischtS auch an acht Stellen im
Löss ausgehöhlte Höhlenwohnungen befinden.
Was wir also an den verfallenden Weinkellern von „Oeden-
brunn" sich vor unseren Augen vollziehen sehen, ihre allmälige
Wiederausflillung, das hat sich an den Höhlen der Mammuthjäger
an der Thaya vor vielen Jahrhunderten vollzogen. Wir sehen diese
Höhlen nicht mehr — und darum ist auch der auf Seite 327 ge-
gebene Durchschnitt nur ein idealer — aber im Verlaufe weniger
Jahre werden die Weinkeller von .Oedenbrunn" ganz ebenso spur-
los verschwunden sein. Aus den zurückgebliebenen und nun im
Löss eingebetteten Artefacten schliessen wir in dem einen wie in
dem anderen Falle auf einstige künstliche Höhlungen. Für die
Zeit der Mammuthjäger setzen wir dabei allerdings voraus, dass der
Löss ein Niederschlagsproduct in stehenden Gewässern ist. Ob das
der Fall sei, darüber sind die Meinungen noch nicht einig, und
darum gebührt das letzte Wort in dieser Sache dem Geologen.
Dr. Much.
Literaturbericht.
Adolfo Scander Levi; Alcuni cenni di studi preistorici suUa
Savoja. (Atti della soc. fli sc. nat. ä 'l^isa, l^'il,)
Die vielfachen Untersuchungen ergeben, dass Savoyen sich
zur Rennthiorzeit bevölkert hatte, und dass diese unmittelbar in
die Epoche der polirten Steine überging — zur letzteren Epoche
gehören die Pfahlbauten an dem savoyischen tJfer des Leman-Sees,
aus welchem Fragmente von sehr grob bearbeiteten, mit Quarz-
körnern überstreuten Topfen, polirte Steine, Serpentinäxte, Thier-
knochcn (worunter einige vom ürus, welcher nicht zur Bronzezeit
lebte) gesammelt wurden. Die Steinzeit war in^avoyen beziehungs-
weise von kiirzerer Dauer^ als in den angrenzenJen Landern
^Frankreichs, sie begann zur Senuthicrzeit, um fast balS darauf in
die Bronzeperiode überzugehen.
Aus dem See von Bourget sammelte Levi Eeste von yer-
kohlten Pfählen,' emen "Bronzering, Topfscherben, Gussformen,
Hirschgeweihe u. a. ; — einige Töpfe waren von grober, andere
von feinerer Arbeit, schwarz gefärbt und oft mit einer Art von
rothem und schwarzem Firniss überzogen; andere sehr fein bearbeitete
Töpfe sind aus geschlämmtem Thon, wenig gebrannt und scheinen
mit einer metallischen Substanz oder mit Bleiweiss emaillirt.
Die mit vier Füssen versehenen Lampen sind oval, mit einem
Schnabel in der Mitte und einem Anhängsel an der entgegen-
gesetzten Seite,
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135
Es fanden sich auch kleine, in der Mitte durchlöcherte Stück-
chen aus gebrannter Erde vor, auch andere, Figuren von Thieren
und Menschen, wohl sehr unkenntlich, darstellend.
Zu Gr^sine, Chatillon, Conjoux und anderen Orten fanden
sich einige Waffen, Pfeilspitzen, dann Aexte, Messer, Scheeron u. a. ;
in grösserer Menge fanden sich Schmuckgegenstände Armbänder,
Halsketten, Ohrgehänge, Knöpfe u. a. aus Bronze ; besonders reich-
lich waren die Haarnadeln, die bei Mann und Weib sehr in Ge-
brauch waren.
Nach Fellenberg bestehen die Armringe aus 88 Procent
Kupfer, 8 Procent Zinn, 1 Procent Blei u. s. w. Das Zinn wurde
ausser zur Bronzebereitung auch in sehr feinen Blättchen zur Ver-
zierung von Töpfen verwendet. Das Gold war zur Bronzezeit schon
gekannt und auch verwendet — es scheint aber nicht in reichlicher
Menge vorhanden gewesen zu sein.
Aus den in den Pfahlbauten von Bourget aufgefundenen
Eisengeräthen ist nicht zu schliessen, ob selbe den Pfahlbaubewoh-
nern selbst gehörten oder jenen Völkern, welche besagte Bauten
zerstört hatten.
Die Holzgeräthe wurden wohl gänzlich durch Wasser und
Feuer zerstört, nur einige wenige Handhaben fanden sich vor; so
fand sich auch von Kleiderstoffen nur ein kleines Stück vor, auch
ein zum Thcil verbranntes Stückchen Seil. — Zugespitzte Thier-
knochen (vom Hirsch, Bind, Schaf) . scheinen gedient zu haben zum
Durchlöchern von Lederstoff; ^uch hlau. gefo^bte^. und, .hlaii^wflisfl
gestreifte Glaskügelchen fanden sich.
Aus den aufgefundenen Samenrosten kann man auf ein
ackerbautreibendes Volk schliessen — es zeigten sich Eicheln,
Haselnüsse, Bohnen, Getreide, Gerste, Erbsen, Hanf, Apfelkerne u. a.
en sich m den Pfahlbauten von Bourget auch Reste
von Biber, Eber, JJ^^nd, Hausschwein, Pferd, Rind, Fuchs etc.
Die zu Conjoux, Gresine, Chatillon aufgefundenen Gussformen
aus Sandsteinmelasse geben Aufsohluss, dass hier die Bronzefabri-
cation einheimisch war und sich bis zu dem Gebrauche des Eisens
erhalten hatte.
Das Kupfer wurde aus den nahen Thälern der Arr und der
Isere bezogen ; — das Zinn auf Handelswegen von den Küsten des
Oceans.
Die Pfahlbauten von Bourget wurden zur Bronzezeit errichtet
— das Vorfinden von Steingeräthen beweist nur den fortwähren-
den Gebrauch derselben nicht allein zur Bronzezeit, sondern auch
in der Eiseuperiode.
Pfahlbaue wurden ferner entdeckt am See von Annecy (Bronce-
ringe, Topfscherben) ; — am See von Aigue-Bellette (Kohlenreste,
Kirschkerne, Schweinzähne) ; — am Leman-See wurden am savoyi-
scben Ufer sechzehn Pfahlbauten entdeckt — zwei aus der Stein-
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rzehn aus der Bronzoepoche (am schweizerisohen
?ioh zwölf Pfahlbauten).
18 den bei Drumettaz- Clarafond und Goncelin vorgefu
en und anderen Objecten ergibt sich, dass die savo;
gen Ende der Bronzezeit oder zu Anfang der darauf
ßnperiode bevölkert waren.
e Menschenrasse der Eisenperiode war gross und ]
Bronzezeit klein, schwach und kränklich und liel
an kann mit vieler Wahrscheinlichkeit schliessen, di
iel später bevölkert wurde als die weniger kalten Re
ir von halbwilden Völkern, welche einer üebergangs
i Bronze und Eisen angehörten, — dass die Volk
renzenden Tribus gekommen und Pfahlbauten erric
Zeit der Kömer von einem stärkeren und kriege
\llobrogen und Helvetier) überfallen wurden, welc
zerstörten und sich des Landes bemächtigten.
Vereinsnachrichten.
LS Präsidium der anthropologischen Gesellschaft spri<
issigkeitßgrüuden den Wunsch aus, dass alle Correspon
stigen Zusendungen direct an das Secretariat der
leitet werden möchten. Es ergeht daher an alle Gesells
hgenossen, welche mit der anthropologischen Gcse
ehre sind, die freundliche Bitte, ihre Sendungen
des gefertigten Secretärs zu richten.
Dr. M. Much.
VIII. Josefsgasse C
chgenossen, welche über einen, in die von der anth
Gesellschaft gepflegton Disciplinen einschlägigen Geg
ortrag zu halten oder kürzere Mittheilungen zu
a oder diesbezügliche Abhandlungen in den „Mittheil
)llschaft zu veröffentlichen beabsichtigen, werden g
falls an den ersten Secretär, Dr. M. Much, VIII.
se Nr. 6, zu wenden.
«Comlte: Hofrath Frans Ritter v. HaoAr, Hofrath Carl Lanicer, I>r.
Prof. Fricdr. Miller, Dr. WahmaaB, Prof. Joh. Woldrieli.
liruek V.MI Adolf llolBliHUicn in \Vi«ii
k k. liiil««t*it«u H.iclidfiak.r««.
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Yni. Band. Aosgegeben den 17. Juli 1878. Sr. 5 tt. 6.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
IN WIEN.
iBhAli: Eine heidnische ürnengrabstitte bei Zirknits in Knin. (Mit 2 lithogr. Tafeln.) Von
Dr. Karl Detchmann. — Die AlterthOmer von Hradischt Von Dr. FerdinaiMl v. HocHstotter.
— Mineralogisch-archiologische Studien. Ton H. Fitch«r. — Kleinere Mittheilnnfr^n :
Prähistorische Commission der kais. Akademie der Wissenschaften. Von Dr. Much. — H&user
nnd Kleider bei den Croateu in Mfthren nnd Nieder-Oesterreich. Von TrtM. — Anthropo-
logrische AnsstellQog in Moskau. Von Dr. Wanket. — Felsieichnnngen und Inschriften an
der atlantischen Küste Nordamerika's. Ton Prof. P. F. Rttinsch. — Literatnrberichte:
Martin Wilckens. Form nnd Leben der landwirthschaftlichen Hansthiere. — Dr. C.
Mehlis. Studien xur ältesten . Geschichte der Bheinlande. — A. B.Meyer. Die Kalangs
auf JaTa. — Dr. Matt ei. Ktudes sur les premiers habitants de la Corse. — John
Karl. On the Ethnography of Scotland. — Dr. Europaens. Schliessliohe Bestim-
mung aber den afrikanischen dolichokephaleu Sch&deltypus der Ostgaken und Wogulen. —
Berichtigungen. — Vereinsnachricht.
Eine heidnische ürnengrabstätte bei Zirknitz in Krain.
Von
Dr. Karl Deschmann.
(Mit 2 lithographirten Tafeln.)
Im September 1877 wurde bei Anlage eines Waldweges
auf den Javornikberg, in der Nähe des nördlichen Endes des
Zirknitzer Sees, eine Viertelstunde vom Marktorte Zirknitz ent-
fernt, am Abhänge des Hügels TerÄiSöe, eine heidnische Grab-
stätte mit reichlichen Bronzefunden aufgedeckt.
Der Realitätenbesitzer Herr Adolf Obresa in Zirknitz,
veranlasste sofort die weiteren Nachgrabungen mit dem patrio-
tischen Entschlüsse , die allföUigen Funde dem krainischen
Landesmuseum zu überlassen. Als sodann vom Letzteren
Anfangs November durch ein paar von der Witterung be-
günstigte Tage die Aufdeckungen foi*tgesetzt wurden, hatte man
sich der werkthätigsten Unterstützung des genannten Herrn zu
erfreuen, wofür auch demselben Seitens des Landesausschusses
des Herzogthums Krain die dankbarste Anerkennung ausge-
sprochen wurde.
Die Lage jener Grabstätte und die Verhältnisse des Vor-
kommens der Bronzen sind nach den dem Gefertigten theils
von Herrn Obresa, theils vom Museumsdiener Ferdinand
Schulz zugekommenen Informationen folgende.
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Der erwähnte Hügel TerÄiäöe ^) ist äusserst steinig, auf
seinem Plateau sind Reste einer alten Umwallung sichtbar,
er steht mittelst eines niedrigen Sattels mit dem weiteren Hügel-
zuge gegen den Javornik in Verbindung. Auf dem Plateau
des Hügels wurde eine grosse Menge zerbrochener Thonringe
aufgedeckt, sie stimmen mit den in der Schweiz aufgefundenen
Thonringen überein, deren Bestimmung nach der Deutung der
schweizerischen Prähistoriker die gewesen sein mochte, dass
man Geßlssen mit gewölbtem Boden durch deren Einstellung
in die RingöflFnung einen festen Stand verlieh.
Die Begräbnissstätte befindet sich an dem gegen den
See geneigten Abhänge des Hügels. Bisher wurden auf diesem
Abhänge etwa 60 Urnen mit verbrannten menschlichen Knochen
aufgefunden, und es deutet alles darauf hin, dass die Ver-
brennung der Leichen anderorts stattgefunden habe. Die Aus-
grabung der Urnen ist wegen der vielen herabgestürzten,
*) Es sei hier nebenbei bemerkt, dass in dem zu den biblio-
graphischen Seltenheiten gehörigen, im Jahre 1758 zu Laibach
erschienenen, mit 33 Abbildungen gezierten und 235 Seiten starken,
noch immer sehr schätzbaren Werke des Hofkammerrathes Franz
Anton von Steinberg: Gründliche Nachricht von dem
in Innerkrain gelegenen Czirknitzer See, auf Tafel I, die
eine Planskizze des Sees nebst Umgebung enthält, in der Gegend
der gemachten Bronzefuude ein Hügel Namens Gradische mit Ruinen-
resten eingezeichnet ist. Steinberg erwähnt weiters auf S. 10, dass
der krainische Chronist Valvasor das alte römische Metulum
hieher versetzt (4. Buch, S. 622), womit Steinberg sich nicht ein-
verstanden erklärt, obwohl seiner Zeit silberne Münzen auf jenem
Hügel öfters gefunden wurden und ein Priester in Zirknitz deren
eine solche Menge von den Hirten zusammengekauft hatte, dass
er sich daraus einen Trinkbecher verfertigen und selben inwendig
vergolden Hess. Nach einer brieflichen Mittheilung des Herrn
Obresa werden dermalen von der dortigen Bevölkerung als Gra-
dische, Ruinenresf e römischen Ursprunges bezeichnet, die am Slivenca-
berge, nordöstlich von Zirknitz, gelegen sind ; sie sind vom Hügel
Teri^iSÖe, dessen Ruinenreste einer vorrömischen Periode angehören,
mindestens vier Kilometer entfernt. Jedenfalls wird diese Nicht-
übereinstimmung zwischen der dermalen als Gradische bezeichneten
Localität und dem Gradische in der Steinberg^schen Beschreibung
des Zirknitzer Sees, noch näher aufzuklären sein, zumal den topo-
graphischen Angaben Steiuberg's, der sich durch fünfzehn Jahre
in der Nähe des Zirknitzer Sees aufhielt, eine auch dermalen
zutreffende Genauigkeit nicht abgesprochen werden kann.
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mitunter bedeutenden Kalksteinblöcke und wegen des felsigen,
stark zerklüfteten Terrains eine schwierige ; die meisten waren
mit schweren, nur roh bearbeiteten Felsplatten bedeckt, ein-
zelne befanden sich in den Klüften zwischen vertical auf-
gerichteten Felsriffen. Der Thon, aus dem sie bestehen, ist
stark mit Quarzsand versetzt, schlecht gebrannt. In Folge der
grossen Bodenfeuchtigkeit waren die ohnehin meist in Scherben
zerfallenen Gefässwände stark durchweicht, manche zerflossen
in einen thonigen Brei, und es war nicht möglich, eine einzige
ganze Urne herauszuheben oder aus den Fragmenten zu recon-
struiren. Besser erhalten waren die kleinen thönernen Ge-
schirre, meist in der Form von Schalen und Bechern, von
denen fast immer ein Stück, zuweilen sogar zwei in den mit
Erde und verbrannten Knochen vollgefüllten Urnen vorkamen.
Von solchen gut erhaltenen Schalen sind zwei Stücke unter
Fig. 14 und 15 in ein Drittel der natürlichen Grösse abgebildet.
Bisher wurde noch kein Ornament an einem Geschirre wahrge-
nommen, auch keinerlei Andeutung, dass zu deren Anfertigung
die Töpferscheibe verwendet worden sei. Die Dimensionen
der Urnen sind 30 bis 50 Cm. in der Höhe, 25 bis 35 Cm.
im Durchmesser.
Jede der ausgehobenen Urnen enthielt eine Beigabe von
zwei oder drei Bronzegegenständen, deren Typus mit jenem der
Hallstädter Funde eine sehr grosse Aehnlichkeit hat. Von
Fibeln kamen dem Museum 21 Stücke zu, davon sechs ganz
unversehrte. Sie gehören durchgehends den eti*uskischen
Formen an, es sind nämlich Bügel, Dorn und Nute aus einem
einzigen Stück angefertigt. Das schönste Stück ist Fig. 4 ab-
gebildet, der Bügel ist gleichsam blechartig mit Aushöhlung,
auswärts verziert; ähnlich, nur kleiner sind die Stücke Fig. 1,
9 und 12.
Eine andere Form der Fibeln ist jene, wo Bügel, Dorn
und Nadel aus einem Drahtstück von ziemlich gleichmässiger
Dicke angefertigt sind, so Fig. 3; dieses Stück hat eine
prächtige, emailartige, dunkelgrüne Patina.
Ein dritter Typus ist der mit sehr massiven Bügeln, von
denen mehrere, meist vier, nach auswärts gekrümmte, je mit
einem Knopfe versehene Arme ausgehen, Fig. 2. Derartige
Fibeln mochten wohl nur von Männern getragen worden sein
imd zum Zusammenhalten der als Mäntel benützten Bären-
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feile gedient haben. Auch diese Form findet sich in Hallstadt
vor. Siehe Q-aisberger's „Die Gräber in Hallstatt", Linz 1848,
Taf. Vn, Fig. 12.
Die brillenförmigen Spiralfibeln sind unter den Zirknitzer
Funden in drei Exemplaren vertreten, davon eines ganz gut er-
halten, Fig. 16. Nur weicht dieses Stück von dem Hallstädter
Typus darin ab, dass die beiden Brillenhälften ausser der
einem Achter (8) ähnlichen Verbindung mittelst des Spiral-
drahtes auch noch durch einen am Rücken befindlichen
schmalen Blechstreifen miteinander verbunden sind. Ferner
ist in dem Centrum der einen Brillenhälfte der für sich
bestehende und nicht eine Verlängerung des Spiraldrahtes
bildende Dorn augeheftet, in dem Centrum der anderen Brillen-
hälfte befindet sich ein zu einer Nute umgebogenes Bronze-
plättchen, welches die Dornspitze aufnimmt.
An die Fibeln des obgedachten dritten Typus schliessen
sich zwei Bügelstücke von eigenthümlicher Form an, Fig. 8 und
10, an denen nichts zu fehlen scheint; sie tragen am oberen
Ende einen horizontalen gekrümmten Bogen, während das
untere Ende bei einem Stücke in eine herzblattähnliche Form,
beim anderen in einen männlichen Kopf mit starkem Haar-
wuchs ausläuft.
Sehr gut erhalten sind drei offene Halsringe, deren Peri-
pherie 11*5, 14 und 15*5 Cm. misst; ein Stück davon ist glatt,
das zweite gewu^^den, Fig. 17, das dritte in Absätzen mit ver-
tical stehenden, scheibenförmigen Wülsten versehen, Fig. 13.
Ebenso häufig wie die Fibeln, kommen in den Urnen
Armbänder vor, von wechselnden Dimensionen, sowohl für
Erwachsene als für Kinder. Die für letztere bestimmten sind
aus dünnem Blech, an einem Ende schmal ausgezogen, mit
einem Häkchen versehen zum Einfügen in das am breiteren
Ende durchgeschlagene kreisrunde Loch. Fig. 6. Einige bestehen
aus einem einfachen, an einem Ende flach gehämmerten und
daselbst durchbohrten Bronzedraht zur Aufnahme des anderen
hakenförmig gekrümmten Endes, Fig. 7.
Die geschlossenen Armringe, wovon dem Museum 15 ganze
und 2 gebrochene Stücke zugekommen sind, bestehen aus
einer mehr oder weniger massiven, mit linearen Verzierungen,
Einschnitten oder Wülsten versehenen Spirale, deren beide
federnden Enden etwas übereinander greifen, Fig. 11. Ein
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ganzes Exemplar, Fig. 5, nebst einem Fragment ist hohl, aus
einem auswärts linear verzierten, mit den beiden anschliessen-
den Rändern zu einem Cylinder geformten Bronzestreifen
gearbeitet.
Zu den Bronzeobjecten, deren Gebrauch schwer zu er-
klären ist und die wohl nur als Schmuckanhängsel zu deuten
sein dürften, gehören drei kleine, kreisrunde, schwach ver-
tiefte, wagschalenähnliche Bleche von beiläufig 9 Cm. im Durch-
messer; zwei davon tragen in der Mitte ein vertical stehendes
durchlöchertes Plättchen, mit mehreren weiter oben in ver-
schiedenen Abständen an einander geknüpften Kettchen. Beim
dritten Stücke sind die Anknüpfungspunkte der einzelnen
Kettchen am Aussenrande des Schälchens.
Eine interessante Beigabe waren in einer Urne mehrere
durchlöcherte kleine Perlen jius Bernstein.
Von Gegenständen für den häuslichen Gebrauch wurde
bisher ein einziges Stück, nämlich ein Spinnwirtel, aus sehr
feingeschlemmtem Thon gebrannt, vorgefunden.
Ausser obigen Bronzeobjecten kamen, nach brieflicher
Mittheilung des Herrn Obresa, auch noch einige wenige
Gegenstände aus Eisen vor, nämlich eine von Rost stark an-
gegriffene Lanzenspitze, ein Schwert, etliche Eisenstangen, im
Durchschnitte 3 Mm. im Quadrat, bei 30 Cm. Länge. Alle
diese eisernen Werkzeuge waren in der Erde der Grabstätte
ausserhalb der Urnen gelegen.
Die im heurigen Frühjahre durch das krainische Landes-
museum wieder aufzunehmenden Aufdeckungen versprechen
noch weitere interessante Funde, über welche seiner Zeit
Bericht erstattet werden wird.
Erklärung der Tafeln.
Fig. 1. Vollständig erhaltene Fibula aus Bronze-Blech,
in halber natürlicher Grösse.
Fig. 2. Bronze-Fibula aus einem massiven Bügel bestehend,
mit auswärts gekrümmten in Knöpfe auslaufenden Armen, in
halber natürlicher Grösse.
Fig. 3. Gut erhaltene Fibula aus Bronzedraht, mit email-
artiger dunkelgrüner Patina, in halber natürlicher Grösse.
Fig. 4. Vollständig erhaltene Fibula aus Bronzeblech,
in halber natürlicher Grösse.
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Fig. 5. Hohles Armband aus Bronze, in halber natür-
licher Grösse.
Fig. 6. Annband aus Bronzeblech, in halber natürlicher
Grösse.
Fig. 7. Armband aus Bronzedraht, in halber natürlicher
Grösse.
Fig. 8. Bügel-Fibula aus Bronze, von abweichender Form,
in halber natürlicher Grösse.
Fig. 9. Bügel-Fibula aus Bronze, mit Knöpfen auf dem
Bügel, in halber natürlicher Grösse.
Fig. 10. Bügel-Fibula aus Bronze, von besonderer Form,
wie Fig. 8; in halber natürlicher Grösse.
Fig. 11. Massives Armband aus Bronze mit spiralförmig
herumlaufender Linoarverzierung, in halber natürlicher Grösse.
Fig. 12. Gut erhaltene Fibula aus Bronzeblech, wie Fig.
1 und 4, in halber natürlicher Grösse.
Fig. 13. Halsring aus Bronze mit scheibenförmigen Wül-
sten, in halber natürlicher Grösse.
Fig. 14. Am Rande theilweise beschädigte Schale aus
Thon, in ein Drittel der natürlichen Grösse.
Fig. 15. Vollständig erhaltene Schale aus Thon, in ein
Drittel der natürlichen Grösse.
Fig. 16. Brillenföi-mige Spiral - Fibula aus Bronze, mit
unterlegtem Blechstreifen und angenieteter Nadel, in halber
natürlicher Grösse.
Fig. 17. Gewundener Halsring aus Bronze, in halber
natürlicher Grösse.
Die Alterthümer von Hradischt.
Von
Ferdinand v. Hoohstetter.
(Ans der „Wiener Zeitung" vom 28. Jnni 1878.)
Die Funde zu Hradischt bei Stradonitz unweit Beraun
in Böhmen haben in letzter Zeit die Aufmerksamkeit der Alter-
thumsforscher in hohem Grade auf sich gezogen. Man hat es
nach den Mittheilungen des Herrn Hüttendirectors Grosse zu
Neuhütten bei Beraun hier nicht mit einer grossartigen prä-
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143
historischen Gräberstätte, sondern ähnlich wie in der Scharka
bei Prag mit den Resten uralter Ansiedlungen zu thun. In
einer unter der Ackererde gelegenen mächtigen Culturschichte,
welche sich in der Feldflur Hradischt, am rechten Mies-Ufer
circa 40 bis 50 Meter über dem Wasserspiegel zwischen den
Dörfera Stradonitz und Neuhütten über circa 300 Joch aus-
dehnt und häufig muldenförmige Vertiefungen ausfüllt, werden
nämlich Gegenstände aller Art gefunden: neben den rohesten
Stein- und Knochenwerkzeugen und neben den primitivsten
thönemen Gefössen feiner gearbeitete Gefasse, Schmuckgegen-
stände aus Bronze, Silber, Gold, Glas und Bernstein, Waffen
und Werkzeuge aus Eisen und Bronze, unzählige Thierknochen,
barbarische Gold- und Silbermünzen u. s. w. Alles deutet
darauf hin, das Hradischt durch Jahrhunderte in dauernder
Weise besiedelt war, und die vielen halbfertigen Arbeiten aus
Hirschhorn und Bein, die Gussformen, die vielen aus Eisen
gefertigten Imitationen von Bronzegegenständen, die Eisen-
und Bronzeschlacken, die man findet, scheinen zu dem Schlüsse
zu berechtigen, dass die meisten der Fundgegenstände an Ort
und Stelle gearbeitet wurden und dass die Ansiedler gewandte
Metallarbeiter, wenigstens in Eisen, waren.
Unweit von dieser alten Ansiedlung, gleichfalls am rechten
Mies-Ufer, findet sich jedoch auch eine alte Begräbnissstätte.
Ungefähr 40 bis 50 Gräber wurden zu verschiedenen Zeiten
ohne besonderen Erfolg eröffnet ; man fand zertrümmerte Urnen
mit Leichenbrand nebst einigen Resten von Thierknochen,
Mahlsteinen und kleinen Bronzenägeln. Eben so wurde am
linken Mies-Ufer 1874 und 1875 beim Baue der Rakonitz-
Protiwiner Bahn bei dem Orte Althütten ein alter Urnen-
friedhof entdeckt.
Die ursprünglichen Nachgrabungen zu Hradischt galten
nur den massenhaft vorkommenden Thierknochen. Innerhalb
Jahresfrist sollen nicht weniger als 3000 Kilogramm Thier-
knochen ausgegraben worden sein. Als aber am 2. August
1877 ein sehr bedeutender Fund von höchst interessanten
barbarischen Goldmünzen (sogenannten Regenbogenschüsseln)
gemacht wurde, folgten auf die „Knochengräber" die „Schatz-
gräber" und die „Antiquitätenjäger". Jeder, der Lust hatte,
konnte, wie es scheint, graben, und es begann durch Aufkäufe
eine grenzenlose Verschleppung der Fundobjecte, die namentlich
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144
in Prag viele Liebhaber fanden. Bei der maasslosen Con-
eurrenz, die man sich gegenseitig machte, und da von den
Liebhabern Alles aufgekauft wurde, wenn es nur von Hradischt
kam, bemächtigte sich der Sache auch bald die speculative
Industrie, und seit October vorigen Jahres finden grossartige
Fälschungen statt. Anfangs beschränkten sich diese Fälschun-
gen hauptsächlich auf die interessanten oblongen Beinwürfel
und auf die nicht selten vorkommenden Schreibstifte und Glätt-
instrumente aus Bein, wie sie von den Römern für ihre Wachs-
tafeln gebraucht wurden, jetzt werden aber auch schon falsche
Steinhämmer, Stein- und Thonwirtel und sogar falsche Bronze-
nadeln in Umlauf gesetzt.
Es wäre gewiss an der Zeit, dass solchem Unfuge ge-
steuert würde und dass auch der weiteren Ausbeutung der
interessanten und wichtigen Fundstätte in der unwissenschaft-
lichen Weise wie bisher Einhalt gethan würde.
Zum Glücke ist ein grosser Theil der Fundobjecte in
verständnissvollere Hände gelangt, die wohl dafür sorgen
werden, dass die Denkwürdigkeiten von Hradischt bald auch
durch Bild und Text der Oeffentlichkeit übergeben werden.
Eine grosse Anzahl von Gegenständen ist im Besitze der
kunstsinnigen Frau Lehmann in Prag. Diese wurden kürzlich
in einem „Monumenta varia populorum et antiquorum et recen-
tiorum statum illustrantia quae Nicolaus Lehmannus collegit et
Pragae exposuit. Fasciculus primus: Eflfossa de Stradonic" be-
titelten, jedoch im Buchhandel nicht erschienenen Werke auf
acht Tafeln photographisch, leider in zu kleinem Maassstabe
reproducirt. Die anthropologische Gesellschaft verdankt ein
Exemplar dieses Werkes der Freundlichkeit des Herrn Niko-
laus Lehmann.
Eine zweite Sammlung von gegen tausend Stück von
Hradischt besitzt Herr Hüttendirector Grosse in Neuhütten.
Diese Sammlung vor Allem zeigt, wie ausserordentlich mannig-
faltig die Vorkommnisse von Hradischt sind, da bei diesen
tausend Stück Duplicate nicht mitgerechnet sind.
Eine dritte Sammlung ist im Besitze des eifrigen Archäo-
logen Herrn Dr. Stephan Berger in Prag. Diese Sammlung,
die gegen fünftausend Gegenstände enthalten soll, scheint die
reichste zu sein. Einen Theil derselben hatte Herr Dr. Berger
die Gefälligkeit, mir bei einem kürzlichen Besuche in Prag
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145
zu zeigen, der andere Theil war leider verpackt. Was ich
aber bei Herrn Berger sah, hat mein Erstaunen in höchstem
Grade erregt, weil da von dem einen Fundorte alle Formen
von der frühesten Steinzeit bis in die späteste Bronze- und
Eisenzeit vereinigt schienen.
Ich erwähne nur von Steinwerkzeugen : Klopf- und
Schleudersteine aus Geschieben gearbeitet, durchbohrte Stein-
kugeln, roher und feiner bearbeite Feuersteinmesser und
Lanzenspitzen aus Feuerstein, grosse und kleine, einfacher und
künstlicher geformte Steinhämmer, Steinkeile und Steinmeissel,
Schleif- und Mahlsteine u. s. w. ; von Knochenwerkzeugen
dieselben Formen, wie sie in letzter Zeit in so grosser Zahl
in den Pfahlbauten des Laibacher Moores gefunden wurden,
vor Allem unzählige mehr oder weniger bearbeitete und orna-
mentirte Geweihsprossen vom Edelhirsche, spitze und spatel-
formige, dolch- und pfriemenartige Geräthe, Wiederhaken,
Knochenmesser, Knochenhacken, Knochensägen u. dgl., da-
neben aber auch feine Gewand- und Haarnadeln, Nadeln mit
Oehr, zierlich ausgearbeitete und ornamentirte Stift- und Glätt-
instrumente ganz in der Art der römischen Styli, in grosser
Anzahl oblonge Spielwtirfel aus Bein mit eingravirten Augen,
feine Kämme, schön gearbeitete und verzierte Messergriffe aus
Bein u. dgl.
Ganz ausserordentlich reich und mannigfaltig sind die
Schmuckgegenstände aus Bronze, Eisen, Silber und Gold, wie
Haarnadeln, Fibeln, Armbänder, Ringe, zum Theile mit gra-
virten Steinen und Glas-Cameen, Perlen aus Emailglas und
Bernstein. Ferner die Palstäbe und Gelte aus Bronze, Wagen
und Gewichte aus Bronze, Figuren aus Bronze, Schwerter,
Lanzenspitzen, Messer, Gabeln, Hacken, Meisel, Aexte, Zangen,
Scheeren, Schlüssel und andere Werkzeuge aus Eisen. Endlich
Thongefasse von der verschiedensten Form und Mache, zum
Theile schön verziert und mit Farben bemalt.
Unter den Thierresten bemerkte ich neben dem Edel-
hirsche auch Reste von Elenund Bären, ferner ein kurz-
börmges 'kinJ^''*^e^e7^ferd^ Hund, Schwein. Skelettheile
von Menschen, Schädel u. s. w. wurden nur ganz vereinzelt
gefunden.
Die Silbermünzen von Hradischt sind, so weit ich ge-
sehen habe, meist Tetendrachmen, theils in Nachahmungen
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146
nach Philipp II. (auf der einen Seite ein Jupiterkopf, auf der
anderen ein Reiter), theils nach anderen macedonischen und
altgriechischen Münzen. Sie sind vollständig ähnlich den bar-
barischen oder keltischen Silbermünzen aus dem alten Noricum
und dem westlichen Pannonien.
Weit interessanter sind die Goldmünzen. Die schwereren
Goldstücke von Hradischt (ungefähr "im Gewichte eines eng-
lischen Sovereigns) gehören den Typen der siebenten Gruppe
der sogenannten Regenbogenschüsselchen an, welche Franz
Streber („Ueber die sogenannten Regenbogenschüsselchen",
München, 1860) in den Figuren 108 bis 116 auf Tafel 9
abbildet.
Es sind Goldstücke von derselben Art und Prägung wie
jene, welche im Jahre 1771 bei Podmokl, einem in der Nähe
von unserem Hradischt gelegenen Dorfe, in solcher Menge ge-
funden wurden, dass nach Kali na der Werth des ganzen da-
mals gehobenen Schatzes 76.800 Gulden Conv. M. betrug.
Von den eigentlichen Regenbogenschüsselchen, wie sie in
Baiern, Schwaben und Franken gefunden werden, weichen sie
in Form, Metall und Gewicht ab. Die Münzen sind nicht
eigentlich schüsselförmig ausgeprägt, der convexen Vorderseite
entspricht nicht eine concave Rückseite, indem nur ein Theil
der Rückseite neben dem einer Mondsichel vergleichbaren
stark hervortretenden Wulst wenig vertieft erscheint. Man ver-
gleicht die Form am besten mit der einer Muschelschale; an
der Rückseite entspricht der hervorragende Wulst dann dem
verdickten Schlossrande der Muschelschalen. Auf der Vorder-
seite zeigen manche Stücke noch eine besondere Prägung, die
einem Stern (Kugel) mit fünf nach einer Seite gerichteten
Strahlen verglichen werden kann, und auf der Rückseite neben
dem Wulst Strahlen, wölche gegen den Rand verlaufen, so
dass man an Sonne, Mond und Sterne denken kann, wie das
auch vielfach hervorgehoben wurde. Streber hält sich jedoch
an die Muschelform und erinnert daran, dass die Muschel
„ein Erzeugniss der allgebärenden Feuchte" im Alterthume
der aus dem Schaume geborenen Göttin, der Aphrodite, ge-
weiht sei, und dass in diesem Sinne die Muschelform auch als
Typus dieser Goldstücke gewählt worden sei. Die Form weise
daher nach dem Oriente.
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im Mittel 7247 Gramm.
147
Das Metall ist feiner, es ist nicht Electrum (silberhaltiges
Gold von 12 bis 18 Karat), sondern Ducatengold von 23 Karat
8 Gran. Das Gewicht der vier von mir in Prag acquirirten
Goldstücke dieser Art von Hradischt, die der Form und dem
Gepräge nach vollkommen mit den von Streber in Figur 112
bis 114 abgebildeten, die von dem Funde zu Gagers an der
Glon in Ober-Baiem herstammen, stimmen, beträgt
7*164 Gramm
7-230 „
7-279 „
7-314 „
Die von Streber abgebildeten neun Muschelmünzen von
Gagers in Baiern haben dagegen ein Gewicht, das zwischen
6*873 und 7*174 schwankt, mit einem Durchschnittsgewichte
von 6*971. Von Hradischt habe ich aber noch andere kleinere
Goldmünzen von anderer Prägung gesehen, die nur ungefähr
Va; Vs ^^^ V20 von den hier beschriebenen grösseren Gold-
stücken wiegen, nämlich 2*220, 0*880 und 0*320 Gramm.
Nach der Ansicht Streber's gehören eben sowohl die
eigentlichen Regenbogenschüsselchen wie die Muschelmünzen
keltischen Völkerstämmen an, welche vor den Germanen in
Vindelicien und den nördlich und westlich anstossenden Land-
strichen sesshaft gewesen und zwar nicht solchen Stämmen, die
etwa unter Sigowes von Gallien nach Osten gezogen und sich
diesseits des Rheines niedergelassen, sondern solchen, die in
viel früherer Zeit, einer entgegengesetzten Richtung folgend,
bei ihrer Wanderung von Asien her, statt mit ihren Brüdern
bis zum äussersten Ziele im Westen nach (Jallien imd Britan-
nien vorzudringen, an der oberen Donau und am oberen Rhein
Halt gemacht und eine bleibende Stätte gewählt haben, selbst
noch vor dem 4. Jahrhunderte vor Christus. Die aus Electrum
geprägten schüsselformig gestalteten Goldstücke schreibt Stre-
ber theils den Vindelikem, theils den Ilelvetiern zu und meint,
sie seien aus dem Goldsande, welchen der Rhein, die Donau
und der Inn lieferten, geschlagen, während die hochfeinen
böhmischen Goldstücke von Podmokl, Nischburg u. s. w., zu
denen auch die von Hradischt gehören, dem keltischen Stamme
der Bojer zugeschrieben werden, die schon frühzeitig die
metallreichen Bergwerke Böhmens auszubeuten gewusst haben
und diese Münzen im Lande geprägt haben.
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Ist dem 80, dann haben wir es an der Mies bei Podmokl,
Hradischt, Stradonitz u. s. w. mit ursprünglich bojischen Nieder-
lassungen aus den ersten Jahrhunderten vor der christlichen
Zeitrechnung zu thun. Die zahlreichen Gegenstände unzweifel-
haft römischen Ursprunges, wenn auch römische Münzen fehlen,
beweisen femer, dass diese ihrer natürlichen Lage nach vor-
trefflich gesicherten Wohnplätze' durch mehrere Jahrhunderte
jedenfalls bis in die Zeit der Markomannen, die ja mit den
Römern in vielfachem Verkehre standen, benützt und vielleicht
erst im 4. und 5. Jahrhunderte bei der Einwanderung slavi-
scher Stämme vernichtet und verlassen wurden.
Diese Angaben mögen genügen, um die eminente Wich-
tigkeit der Hradischter Fundstätte darzuthun und den Wunsch
zu rechtfertigen, dass die Sache fortan mit wissenschaftlichem
Ernste behandelt werden möge, da kaum eine andere Fund-
stätte so viel Licht auf die ältesten Bewohner Böhmens, ihren
Culturzustand, ihre Handelsverbindungen und ihren Verkehr
mit anderen Völkern zu werfen geeignet ist.
Mineralogisch-archäologische Studien.
Ton
n. Fischer
zu Freiburjif in Baden.
(November 1877.)
(Schlags.)
Ad pag. 250, 1866. Blauen, fast schwärzliehen Jade,
welchen ich früher aus Mangel an Autopsie bezweifelt hatte,
lernte ich seitdem durch die chinesische Sendung des Frei-
herni v. Brandt kennen; es ist der mo-yü, Tusche-Jade der
Chinesen; ziemlich hart.
Ad pag. 254, 1866. In v. Mortillet's Mat<5riaux pour
Fhistoire etc. de Thomme, Vol. II. 1866, pag. 244, findet sich
eine Notiz von A. Issel (Professor der Mineralogie etc. an der
Universität Genua) folgenden Inhalts: On m'a montr^ comme
une amulette trouvee k Malte dans un tombeau phenicien,
une pierre oblongue, verte, polie, tranchante k une extr^mite,
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149
perc^e d'un trou k Tautre, laquelle me parait ressembler
plutöt k une hachette de Tage du bronze.
Mit Rücksicht auf dieses Fundstück, welches mir um so
interessanter schien, als ich noch nie ein in Europa gefundenes
durchbohrtes Beil aus Nephrit, Jadeit oder Chloromelanit
kennen gelernt hatte, wandte ich mich nun brieflich um nähere
Angaben an meinen verehrten Herren CoUegen Issel, mit
welchem ich schon lange in Correspondenz stehe und erhielt
von ihm sofort folgende weitere Mittheilungen. Derselbe sah
den betreffenden Gegenstand (Tafel III Fig. 19), welcher seiner
Erinnerung nach einem wirklichen zungenförmigen Beil glich,
1865 in La Valletta auf Malta im Hause des Herrn Dr. Leith
Adams (damals Militärarzt in der englischen Armee), welcher
durch seine paläontologischen Arbeiten bekannt ist. Näheres
über die Substanz konnte nicht angegeben werden. Da aber
grüne Farbe und polirte Obei^fläche namhaft gemacht sind, so
wäre es immerhin erwünscht, von irgend welcher Seite her
über den Verbleib und die mineralogische Natur dieses Beils
dereinst Auskunft zu erhalten.
Ad pag. 258, 1867. Betreffs Pedro de Cie9a siehe den
Literatumachtrag oben pag. 28; vergleiche ferner hierüber
J. J. V. Tschudi im Nephrit -Werk pag. 219.
Ad pag. 261, 1869. Herr Finlay ist dem Vernehmen
nach im Frühjahr 1875 gestorben.
Ad pag. 264, 1869. „Höchst interessant ist die Ueber-
einstimmung der mexikanischen Benennung eines blau-grünen
Steines nach einem Vogel mit derselben Erscheinung in China,
wo eine Sorte von Jadeit mit dem Namen Fei-tsui-yü, Eis-
vogel-Jade, belegt wird. Die Federn des Eisvogels wer-
den in China zu kostbarem Schmuck verarbeitet." (Dr. v. M.)
Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass
die im Türkis (Kallait) und im Callainit vertretene, gleichfalls
zwischen blau und grün schwankende Farbe (sogenanntes Nil-
grün) in Aegypten, Arabien, Persien wie in Neumexico schon
in ältester Zeit die Aufmerksamkeit der Reichen auf sich ge-
zogen und trotz der Undurchsichtigkeit des Türkis dessen bis
auf den heutigen Tag fortgesetzte Verwerthung als Edelstein
oder doch als Schmuckstein (der einzig das liebliche Vergiss-
meinnicht-Blümchen zu vertreten bestimmt ist) bedingt hat.
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150
Wer ferner von den Lesern Gelegenheit hat, in einer Bibliothek
das Buch von Ferriel einzusehen, welches den Titel fuhrt:
Wahre Abbildung des türkischen Hofes; aus dem Französischen
mit 77 colorirten Kupfertafeln, 4. Nürnberg, 1722, Schneider
und Weigel, 1789, der wird sich überzeugen können, wie zu
jener Zeit auch noch an dem orientalischen Hofe in Europa
in Kleidungsstoffen, Kopfputzen von Männern und Frauen,
ferner in Uniformen von Militärs (z. B. Tafel XXXIV Spahis,
türkischer Reiter; Tafel XXXH Jannisar, Soldat; Tafel XVH
Soulak, Gardesoldat) dieses Blaugrün eine hervorragende Rolle
spielte. — Nach einer Privatmittheilung von Professor Fraas
in Stuttgart findet sich der Kallait in Figürchen verarbeitet
im ägyptischen Museum zu Bullak bei Cairo.
Ad pag. 266, 1869. Kluge in seiner Edelsteinkunde,
Leipzig, 1860, pag. 364, hat meines Wissens allein unter den
neueren deutschen Schriftstellern den Namen Chalchihuitl
erwähnt, ihn aber (wohl zufolge Blake's Angabe) kurzweg
mit Türkis identificirt, was ich entschieden bestreite ; vgl. hier-
über meine oben pag. 8 citirte Abhandlung Seite 347.
Ad pag. 267, 1869. Das Angewachsensein von Quarz an
den Chalchihuitl wäre bei Nephrit eine frappante Erscheinung
gewesen, hat aber nichts Befremdendes mehr für die Fälle,
wo, wie ich in meiner Eingangs citirten Abhandlung: Die
Mineralogie u. s. w., pag. 202 (Sep.-Abz. 26) nachwies, auch
von Chrom giningeförbte Quarze von den Mexikanern mit
dem Namen Chalchihuitl belegt worden sein mochten.
Ad pag. 269, 1869. Natchez liegt im Staat Louisiana
nahe der Mündung des Mississippi.
Ad pag. 270 Anmerkung*. Hiezu vergleiche oben die
Notiz pag. 28. — Interessant sind auch die in schwarzem Thon-
schiefer ausgeführten , sehr kunstreichen Schnitzereien der
Apalachen und Koloschen oder Tlinkitten, von der Beringsbai
etwa 50^ n. Br. bis herab zur Königin Charlotten-Insel 45^
n. Br. (vgl. Waitz, Anthropol. d. Naturvölker, Leipzig, 1864,
IV. Bd. Karte), welche an der Westküste von Nordamerika
wohnen. Ich verdanke ein hübsches Stück solcher Sculptur
— von 28 Cm. Länge, 7 Cm. Breite mit fünf Figuren — der
Geftllligkeit des Herrn Woldemar Schieiden hier, welcher
lange in Califoniien lebte.
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Südlich von den Koloschen wohnen dann die Nutka-
Stämme, vom Miibank Sund bis zum tief eingeschnittenen
Pudget Sund.
Ad pag. 273, 1869. Einen Bogen, wie er dort sub n. 14
beschrieben ist, besitzt auch Herr Philipp J. Becker, Privat,
in Darmstadt, aus dessen Museum ich in meiner oben pag. 8
citirten Abhandlung eine Reihe Figuren näher besprochen habe.
Ad pag. 276, 1869. Clavigero beschreibt in seinem
sub 1826, pag. 200 citirten Werke den Macuahuitl Tom. 11,
144, und gibt auf der Tafel bei 150 die Abbildung, die wir
hier Tafel IV Fig. 20 theilweise copiren (spada messicana),
da die kleineren Obsidianmesser so vielen unserer Leser aus
Sammlungen bekannt sind ; dieses Opferschwert enthält beider-
seits in einen Holzschaft eingefugte Obsidianmesser.
Ad pag. 281, 1870. Von dem dort in Fig. 115 a, b nur
nach dem Gedächtniss des seitdem leider verstorbenen Dr. A.
V. Frantzius abgebildeten schönen messerähnlichen Jadeit-
Gegenstand konnte ich pag. 406 noch eine nach dem Original
selbst entworfene Beschreibung und in meiner oben pag. 8
citirten Abhandlung im Archiv für Anthropologie pag. 205
(Sep.-Abdr. pag. 29), Tafel VI Fig. 25 auch eine correcte
Zeichnung liefern. In der Farbe stimmt dieses Stück sehr nahe
überein mit dem ebendaselbst Fig. 26 abgebildeten, dem Basler
Museum angehörigen, gleichfalls messer- oder etwa falzbein-
ähnlichen Instrument aus Mexiko.
Ad pag. 282, 1870. Das specifische Gewicht des von
Novelli beschriebenen und in Fig. 114 copirten Gegenstandes
ist leider nicht bekannt; der Gegenstand ist in Silber gefasst
und müsste für obige Prüfung eigens ausgelöst werden.
Ad pag. 282, 1870*. Die Schlacht 1066 wurde ge-
schlagen zwischen Harald, dem Vertreter der angelsächsischen
Partei, und zwischen dem Normannen Herzog Wilhelm.
Ad pag. 284, 1871. Im Correspondenzblatt der Nieder-
rheinischen Gesellschaft zu Bonn 1871, Sitzung vom 14. März
1871, ist die Rede von einem klemen Werkzeug aus einem
nephritähnlichen Gestein aus dem Lehm von Bleialf in
der Eifel.
Ad pag. 287, 1872. Pont Levoy liegt im Departement
Loir et Cher, Arrondissement Blois.
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Ad pag. 288, 1872. Von dem dritten dort er
Gegenstand ans Yacatan verdankt unser ethnogra
Museum dem Herrn Director Leemans in Lejden e
malten Gvpsabguss.
Von ebenda erwähnten Beilen im Musee royal d'a
(? = Musee de la Porte le Hai) erhielt ich zwar die C
nicht zur Einsicht^ wohl aber durch die Güte des He
fessor Charles Blas an der Universität Löwen gena
ihm selbst ermittelte Angaben über das specitische
und andere Eig<»nschaften.
,.Das ßurtin'sche Beil (21. B) stammt von I
Brüssel; Länge 20 Cm., grösste Breite 10-30 Cm., D
ring; Bruttogewicht 406' 79 Gramm, specitisches Gewi<
Der Längenumfang ist etwa 40 Cm., gegen die Spitze
es dicker; Farbe spinatgrün mit grauweisslichen Zeie
und wenigen gelblichen Flecken ; alle Ränder sind
durchscheinend, beinahe farblos; oben, d.h. gegen die Sc
gegend, mehrere dunkle Flecken mit Vertiefungen [a
Partikelchen beim Schleifen ausgefallen oder GeröUobe
F.], beinahe fettglänzend, glatt anzufühlen."
Dieser Beschreibung nach darf man wohl an
melanit denken.
Das zweite Beil (26. B) ist 163 Cm. lang, bei
grösster Breite, befindet sich im gleichen Museum un<
im September 1861 zu Maffles in Belgien (Provinz
zwischen Brüssel und LilleX und zwar am Ende der
nahe dem Etablissement der Gesellschaft Brogue gefun
dem Boden eines stehenden Wassers bei 3 Meter T
Ueberresten von Bäumen (Föhren, Buchend nebst Zäh]
Wildschwein. Das Beil gleicht dem grösseren, oben 1
benen {21, B\ ist aber viel mehr graugrün, etwas meh
seheinend, hat mehr graue Zeichnungen, mehr gelbe ]
es ist im Ganzen dicker, hat gegen die Spitze eine
Linie; das absolute (iewicht beträgt 396*25 Gramm; spe
Gewicht = 3*296. Mag also ein Jadeit oder Saussuril
Ein drittes, bei Gent in Belgien gefundenes ]
dorther erhielt ich durch gefall ige Vermittlung des Hc
fessor Blas von Director Dupont in Brüssel im D
1875 selbst zur Ansicht eingeschickt: es ist glatt polirt,
gewöhnlichen dunkelspluatgrüneu Sorte von Chloren
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etwa 4 Cm. lang, ungefähr eben so breit; absolutes Gewicht
56*37 Gramm, specifisches Gewicht = 3*41.
Ad pag. 289, 1872. Jeitteles H., die vorgeschichtlichen
Alterthümer der Stadt Olmütz und ihrer Umgebung (Mit-
theilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien, Bd. 11.
1872) sagt pag. 22: Das bei Langendorf (in Mähren) ge-
fundene, im Besitze des Herrn Papierfabrikanten Weiss da-
selbst befindliche Beil aus Nephrit gibt also auch von uralten
Verbindungen zwischen Iran, Turan und den Gefilden der
March Zeugniss.
Auf schriftliche Anfrage von mir bei Herrn J. G. Weiss
Sohn, k. k. priv. Maschinen-Papierfabrik in Langendorf, wurde
mir im Mai 1876 dorther die Kunde, dass das betreffende
Steinbeil 8 — 10 Fuss unter der Erde gefunden worden und in
genannter Familie vorhanden gewesen, aber jetzt trotz sorg-
fältigen Nachsuchens nicht mehr zu finden sei; es möge bei
mehrmaligem Räumen der betreffenden Behausungen verloren
gegangen oder aus Unkenntniss der Sache von uneingeweihter
Hand vernichtet worden sein. — Dieser äusserst bedauerliche
Fall lehrt gewiss von Neuem, wie dringlich es für die Sach-
verständigen sei, solche Fundstücke wo immer möglich öffent-
lichen Museen zuzuführen; vollends war dieses Beil gerade
erst eines der wenigen (angeblich exotischen), die wir aus dem
Gebiete des österreichischen Staates aufgeführt finden.
Ad pag. 290, 1873 (Reil). Auch Heinr. Brugsch erwähnt
Feuersteinwaffen bei den Türkisrainen in Arabien. Vgl.
dessen Schrift: Wanderung nach den Türkisminen und der
Sinai-Halbinsel, Leipzig, 1868.
Ad pag. 294 ff., 1873. Der Frosch von Guadeloupe
ist abgebildet in Gervais Journal de Zoologie, 1872, und nun
auch nach einer mir durch den Entdecker selbst, Hen*n Pro-
fessor Hamy in Paris, später geßilligst mitgetheilten Imitation
in meiner Abhandlung: Die Mineralogie u. s. w., Tafel VH
Fig. 46. — Das specifische Gewicht ist nach Herrn Professor
Jaunetaz' (in Paris) Bestimmung = 2*96, würde also gleich-
falls mit Nephrit harmoniren. Pag. 296 muss es bei der Ver-
gleichung des Genfer Idols mit demjenigen von Guadeloupe
statt „kleiner" vielmehr „grösser" heissen, wie sich auch schon
aus den dort beigebrachten Grössenangaben ersehen Hess, und
pag. 297: specifisches Gewicht 309 statt 3*2.
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164
Ich hatte unterdessen das Vergnügen, in Folge meiner
unablässigen Nachforschungen noch ein weiteres solches Frosch-
idol, und zwar aus dem Prager Nationalmuseum durch die
Gefälligkeit des Herrn Professor Boficky von ganz gleichem
Typus und Substanz wie das Genfer Idol, nur grösser, gewiss
auch deshalb aus America stammend, zur Ansicht zu erhalten.
Ich werde deshalb dieses Prager Froschidol, welches dort die
Nummer 8095 trägt und vom Grafen Carl Sternberg mit
der Angabe „aus dem Orient" herrührt, hier sogleich beschreiben
unter Beigabe einer Abbildung (Tafel IV Fig. 21 a, b).
Ein Blick auf Fig. 38 a, b, c, pag. 33 meines Nephrit-
Werkes lehrt, dass wir es hier mit zwei fast identischen Dar-
stellungen zu thun haben, nur ist das Prager Idol grösser, die
Augen sind blos angedeutet (vielleicht wurden die sie dar-
stellenden Erhöhungen aber auch später weggeschliffen!). Die
Grenze zwischen Kopf und Eumpf ist auf der Vorderseite (a)
durch eine flache Rinne bezeichnet, welcher auf der Rückseite
(b) eine tiefere entspricht, von welcher aus rechts und links
die submarginale Durchbohrung sich nach den schmalen Seiten-
flächen erstreckt. Das Stück ist glatt, jedoch nicht spiegelnd
polirt, weit in die Kanten hinein durchscheinend, die von
feinen rostrothen Striemen da und dort unterbrochene Gesammt-
farbe ist grün (zu vergleichen mit einem dichten Vesuvian
von Pfitsch in Tirol [Nr. 822 im Freiburger Museum], nur
schmutziger oder mit Diopsid von Zermatt [Nr. 678 im Frei-
burger Museum], oder mit Olivin von Nelsson in Australien,
oder Olivin von Brasilien [Nr. 62 im Freiburger Museum]) ; das
specifische Gewicht ist = 2*96 ; die S ch liff fläche wird von Quarz
gar nicht, von Topas schwach geritzt. An einzelnen Stellen der
Vorderseite lässt sich noch Gerölloberfläche, auf der Hinterseite
gegen den Rand hin eine von vom nach hinten laufende Rinne
(ob von einem Sägeschnitt herrührend?) wahi*nehmen.
Diejenigen Leser, welche Gelegenheit haben, die Zeich-
nungen des Genfer- und des Präge r Froschidols mit den zwei
Bildern Fig. 73 und Fig. 74 a, b Tafel Vm in meiner Ab-
handlung im Archiv: Die Mineralogie u. s. w., zu vergleichen,*)
*) Die Originalien zu den beiden letzteren, das eine in Ser-
pentin (?), das andere in Thonscbiefer (?) ausgeführt, konnte ich
unterdessen für das ethnographische Museum dahier erwerben.
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werden nicht in Zweifel sein, dass wir hier vier Gestalten von
dem gleichen Haupttjpus, also wohl auch von gleicher Ab-
stammung (? Caribenvolk) vor uns haben, mit nur geringen
Modificationen in der Darstellung der einzelnen Körpertheile.
Ich kann es auch bei dieser Gelegenheit wieder nicht
genug hervorheben, wie seltsam es ist, dass es bei dem leb-
haften Verkehr zwischen Europa und Amerika, seit der Ent-
deckung des letzteren Erdtheils, nicht möglich sein soll,
wenigstens in irgend einem unter den grossereB euro-
päischen mineralogischen Museen das mit genauer
Fundortsangabe versehene Rohmaterial aufzufinden,
woraus das Caribenvolk (oder ein anderes) diese Frösche ge-
schnitzt hat. (Haben wir doch auch längst schon Kenntniss
von dem Vorkommen und den Fundstätten der Mineralien,
woraus die Neuseeländer ihre Tikis und Meres verfer-
tigten!)
Wir müssen wohl um so mehr unsere Blicke auf die
grösseren ausserdeutschen Museen richten oder unsere HofiF-
nungen auf einen glücklichen Zufall setzen, nachdem ich nun
nahezu aus allen deutschen Universitätsmuseen Alles, was da
roh oder verarbeitet, als Nephrit, Jade, Amazonenstein u. s. w.,
vorlag, zur Untersuchung hier gehabt habe, ohne zu dem oben
genannten Ziele zu gelangen, wenn gleich diese Zusendungen
andererseits mir ein reiches Material für archäologisch-minera-
logische Forschungen darboten, das ich nun nach einander in
drei Publicationen niederlegte.
Ad pag. 298, 1873. Mit Rücksicht auf den daselbst —
sowie in verschiedenen anderen Schriften — von mir auf das
Lebhafteste betonten Umstand, dass ich an Idolen und Stein-
instrumenten so überaus häufig nachweisen konnte, sie seien
aus Gerollen hergestellt, interessirte es mich, in dem „Kata-
logus der ethnologische Afdeling van het Museum van het
Bataviaasch Genootschap van Künsten en Wetenschappen,
Batavia, Lange, 1868, 8"" pag. 58 folgende Stelle zu lesen:
Java. — Steenhouwerij (Steinhauerei). Wil een steenhouwer
en voorwerp (Gegenstand) mit steen vervaardigen, zoo gat he
naar de rivier, en kiest (wählt) daar een rolsteen uit, die zoo-
veel mogelijk den vorm van het te maken voorwerp nabij
komt, zoodat hij er slechts (nur) zeer weinig behoeft (braucht)
af te beitelen (meisseln), om er de verlangde gedaante (Gestalt)
Digitizeü uy -%^j v^ v^f-i i%-
156
aan te geven. (Die übrigen Worte ergeben sich fUr den der
deutschen Sprache mächtigen Leser von selbst.)
Ad pag. 299, 1873. Zufolge einer gefälligen Mittheilung
des Herrn Dr. Voss in Berlin sind im Katalog der Wiener
Weltausstellung von 1873 unter den Steinalterthümem Däne-
marks auch sieben sogenannte Nuclei (Werkstücke) aus (an-
geblichem) Nephrit von Grönland ausgestellt gewesen. —
Was ich als „Nephrit von Grönland" bis jetzt sah, war Alles
Falso-Nephrit (vgl. diesen Artikel in meinem Buche pag. 360)
und so muss ich auch diese Stücke bis auf nähere Unter-
suchung als „Nephrite" bezweifeln.
Ad pag. 299, 1873. Die Mittheilung von dem Ereigniss
mit dem Dampfhammer stammt von dem verstorbenen Dr.
Krantz in Bonn, dem das Erlebniss selbst begegnete. Der
zerstörte Amboss repräsentirte einen Werth von fünfhundert
Thalem.
Ad pag. 299, 1873. Schliemann, Heinrich Dr., Troja-
nische Alterthümer, Bericht über die Ausgrabungen in Troja,
Leipzig, 1874, 8. — Daneben ein besonderes Werk; Schlie-
mann, Trojanische Alterthümer, 218 photographische Abbil-
dungen zu dem Berichte u. s. w., 2 Bände mit erläuterndem
Text, Leipzig, Folio.
Schliemann beschreibt, vom natürlichen Felsboden unten
angefangen, vier Fundschichten, in deren zweiter er die Reste
des Troja Homer's annimmt; in der dritten, also darüber, fand
er Beile aus sehr hartem, grünem, durchscheinendem
Stein, a. a. O. Tafel 22 Fig. 593, 594, 596, 597 (vgl. unsere
Copien hievon Tafel IV Fig. 22—25), während über der
vierten Schichte die Reste des griechischen Ilium stehen.
Ich wandte mich nun natürlich auch an Herrn Dr. Schlie-
mann wegen der näheren Untersuchung jener grünen Beile,
welche als Bestandtheile seiner grossartigen Sammlungen jetzt
auf ein Jahr im Kensington-Museum in London aufgestellt
werden. Er stellte mir darauf mit Bereitwilligkeit zu Gebot,
dieselben an Ort und Stelle entweder selbst zu besichtigen
oder durch einen Sachverständigen besichtigen zu lassen. £s
traten jedoch leider dieser Untersuchung so viele Schwie-
rigkeiten in den Weg, dass ich vorerst darauf verzichten
muss.
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157
Ad pag. 301, 1874. Die Zeilen 2—5 von oben (betreffend
das Baseler Museum) sind nach dem in der Vorrede pag. VI
Mitgetheilten als nicht mehr giltig zu betrachten.
Ad pag. 301, 1874. Der dort erwähnte Keil vom Hunger-
berg, 2400 Fuss über dem Meere, nördlich von Innsbruck,
und das Beil von Roveredo wurden mir durch die Herren
Professoren Pich 1er in Innsbruck und Cobelli in Roveredo
gefalligst zur Ansicht anvertraut. Der Keil zeigte mir ein
specifisches Gewicht von 2*75, ist über 13 Cm. lang, an der
Schneide 4 Cm. breit und scheint aus einer alpinen Felsart
gearbeitet; ich dachte an Chloritschiefer mit Granat, woran
jedoch Herr Professor Pichler zweifelt; jedenfalls ist bei dem
genannten specifischen Gewicht an keine der drei exotischen
Beilsubstanzen zu denken.
Das Beil von Roveredo (daselbst im Museo civico de-
ponirt) ist 13 Cm. lang, an der Schneide 5 Cm. breit, hat
3*332 specifisches Gewicht, zeigt zum Theil noch Geröllober-
fläche, zum Theil ist es (z. B. an der Basis) etwas auge-
schliffen, in der breiteren Hälfte matt polirt und weist in jener
Partie zwei nach der Schneide divergirende ganz flache Kanten
auf, wie ich dies auch schon anderwärts bei Chloromelanit-
beilen traf; die rauhen Stellen sind dunkelspinatgrün, hell-
grasgrünscheckig, die polirte Partie ist dunkelspinatgrün ein-
filrbig; die gelben bekannten Fleckchen werden bei Befeuchtung
deutlicher sichtbar.
Ad pag. 301, 1874. Im: Archivio per Tantropologia e
la etnologia, pubblicata dal Dott. Paolo Mantegazza (Pro-
fessore di antropologia nell' istituto superiore in Firenze), 1874,
pag. 196 ist ein Scalpellino delicato di giadeite erwähnt aus
den Abruzzen, und zwar von Terramo, südlich von Ascoli
(430 n. Br.).
Näheres kann ich hierüber nicht berichten; bezüglich
der vielen anderen in Italien bereits beobachteten Jadeitbeile
vgl. unten sub 1875 Issel.
Ad pag. 305 (und 325, 326), 1874. Wegen angeblichen
Nephrits aus Cambodja (vgl. die von Ritter citirte Calcutta
Govem. gaz. und Asiatic. Joum. XXII. 196 — 198) wandte ich
mich an Herrn Dr. Feistmantel, welcher sich gegenwärtig
in Calcutta (bei der Geological Survey) befindet, erhielt aber
bis zum Abschluss dieser Abhandlung noch keine Antwort.
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158
Ad pag. 305, 1874. Zu den Felseninschriften in
Südamerika lernte ich einen weiteren Beitrag in folgender
Schrift kennen: Estrada de ferro da Bahia ad S. Francisco.
— Estudos definitivos de Alagoinhas ao Joazeiro e Casa nova^
feitos por A. M. de Oliveira Bulhoes em 1873. Rio de
Janeiro 1874. Typ. de G. Leuzinger e Filhos. Rua de Ouvi-
dor 33.
Dort heisst es pag. 44 (hier von mir verdeutscht): Auf
der Villa de Boa Esperan9a, etwa 24 Kilometer östlich von
Soledade, existiren auf einem enormen Felsblock, ganz um-
geben von Waldvegetation, seltsame Inschriften. Dieselben
sind eingemeisselt auf einer Fläche des Felsens, dessen Neigung
ungefähr 38^ beträgt, bieten aber nicht das Ansehen, als seien
sie mit schneidendem Eisen eingegraben, eher mit einem sehr
harten Kieselstein, wie sich solcher an einigen Orten dort
findet. Bei der Unmöglichkeit, den betreffenden Felsen, diesen
merkwürdigen Beweis einer Civilisation aus einer sehr fem
liegenden Epoche, herbeizuschaffen, fügt der Verfasser eine
Zeichnung dieser Inschrift bei, welche mit aller Genauigkeit
im Maassstab von 1 : 25 durch Herrn Ingenieur P. Hermann,
Chef einer der Explorationsgruppen, aufgenommen ist. (Wir
geben in Tafel IV Fig. 26 das Bild nochmals um etwa die
Hälfte verkleinert wieder.)
Dann sei, sagt der Verfasser, ihm, etwa 108 Kilometer
von Soledade, noch eine andere Inschrift in dem Gebirge der
Wasserfalle Cachocirinha zunächst den Carahjbinhas bekannt,
von welchen sich noch einige mit Metall bedeckt erhalten
haben und durch Buchstaben von Silber und Gold sich be-
merkbar machen, also auf eine viel vorgerücktere Civilisation
hinweisen. Diese Meldung wurde ihm zu spät vor seiner Ab-
reise an den Hof gemacht, um die Stelle noch persönlich auf-
suchen zu können, er glaubt aber die Existenz auch dieser
Inschrift durch das Zeugniss sehr hervorragender Persönlich-
keiten verbürgen zu können. Er ist femer überzeugt, dass in
der Sierra dos Abreus (Thal des Rio Salitre) verschiedene
Hügel der Eingeborenen existiren, welche der Art vertheilt
sind, dass der Platz zu einer Begräbnissstätte gedient haben
dürfte.
Es hätten somit dort nach Ansicht des Verfassers nicht
blos die Geologen und andere Naturforscher, sondern auch
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159
die Archäologen noch ein reiches Feld der Forschung oflfen
vor sich.
Ad pag. 306 *. Weder die Abstammung jenes drei-
köpfigen Idols; noch die Deutung der zwei Köpfe an beiden
Enden ist seitdem zu entschiedener Klärung gelangt (vgl.
pag. 34); bezüglich des ersteren vergleiche man jedoch, was
ich unten sub 1877 : Otis T. Mason, anzuführen haben werde.
Ad pag. 306, 1875. — Issel, Art., bereicherte die von
Michele Lessona besorgte, unter dem Titel: I tempi preisto-
rici e Y origine dell incivilmento di Sir John Lubbock, Torino,
1875, societk anonima etc., 8^^, erschienene italienische Ueber-
setzung des bekannten Werkes von Lubbock mit einem
wichtigen Zusatz: Capitolo intorno all' uomo preistorico in
Italia considerato principalmente dal punto di vista paleonto-
logico; dieser Zusatz von Issel ist enthalten in: Dispensa
(Heft) 13, 14, 15 pag. 733-841 obigen Werkes unter Beigabe
eines überaus reichen italienischen Literaturverzeichnisses in
gleichem Betreff von Louis Pigorini in Parma, pag. 843 — 859.
In dieser Abhandlung findet sich pag. 772 — 773 eine
geographisch von Nord nach Süd geordnete, ganz erstaunlich
reiche, 26 Nummern enthaltende Liste von Jadeit-Gegen-
ständen, welche alle in Italien gefanden wurden; es sind
darin die Form, die Maasse, die Fundstätte, das Museum oder
die Sammlung, worin der Gegenstand liegt, der Name des
Sammlers, sowie des Berichterstatters und besondere Bemer-
kungen über specifisches Gewicht u. s. w. angeführt.
Wenn man bedenkt, dass notorisch in den meisten mine-
ralogischen Museen Deutschlands der 1863 durch Damour
beschriebene Jadeit noch eine ganz unbekannte Sache ist
(vgl. Fischer, Nephrit pag. 231 und 236), so ist es für Italien
überaus ehrenvoll, dass es schon jetzt eine Reihe von nahezu
dreissig so seltenen Funden aufzuweisen hat, für welche dort
die Namen Riviere, Issel, Perrando, Gastaldi, Regnoli,
Chierici, Taramelli, Cocchi, Bellucci, de Rossi, Ponzi,
Nicolucci, de Luca als Bürgen bezüglich der Diagnose ge-
nannt sind.
Die sämmtlichen dort aufgezählten Fundstätten von Jadeit.
Werkzeugen erstrecken sich von Mentone bei Nizza, nahe dem
44^ n. Br., bis herunter zur Caverna di Pulo bei Molfetta,
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160
41^ 12' nordwestlich von Bari, an der Ostküste der neapo-
litanischen Provinz Apulien.
Von ganz besonderem Interesse erscheint es mir, dass in
Italien auch schon andere Gegenstände aus Jadeit gefertigt
angetroffen wurden, als nur Beile und Meissel. Issel beschreibt
nämlich in dieser Abhandlung pag. 769 auch das von Herrn
A. Gr. Barrili in der Höhle von Finale bei Gknua (vgl.
Fischer, Nephrit pag. 300) entdeckte Fragment eines schei-
benförmigen Steines, dessen voller Querdurchmesser in der mir
von Herrn Issel eingesandten, ideal vervollständigten Zeich-
nung etwa 10 Cm. betragen würde bei einem Diameter von
4*5 Cm. für die centrale Oeffnung; der äussere Rand ist
schneidend scharf, die Dicke etwa 11 Mm. Dies Stück bestehe
aus schönstem Jadeit. Was die Deutung derartiger Ringe be-
trifft, so ist sie noch schwankend.
Ad pag. 306, 1875. In Mortillet, (Gabriel de, Conser-
vateur du Mus^e de St.- Germain) Mat^riaux pour Thistoire
primitive et naturelle de Thomme, XI. ann^e, H. S^rie, Tom. VI.
1875, Janvier, werden in dem Aufsatze von Noulet, Dr. J. B.,
Etüde sur la caverne de THerm, particuli&rement au point de
vue de Tage des restes humains, qui en ont 6ti retir^s (£x-
trait des m^moires de TAcad. etc. de Toulouse) pag. 20 zwei
Steinbeile (ibid. Fig. 20 und 21) erwähnt, welche aus „Jade"
oder „Jadeit" ähnlichen Mineralien von schwärzlichgrüner Farbe
gearbeitet und ausgezeichnet wohl erhalten, in der Schichte
mit menschlichen Knochen gefunden worden seien. Es wäre
sehr zu wünschen, dass bei allen solchen Angaben in der
Folge wenigstens das specifische Gewicht und der Grad
der Durchsichtigkeit an den dünnsten Kanten der betreffenden
Objecto angegeben würde, weil daraus wenigstens annähernd
Schlüsse auf die Richtigkeit der Diagnose gezogen werden
könnten.
Ad pag. 306, 1875. Im genannten Jahre erschien gleich-
zeitig mit des Verfassers Werk über Nephrit und ganz unab-
hängig von demselben eine kleine Schrift unter dem Titel:
Blondel, S., Etüde historique, arch^ologique et litt^raire sur
la pierre appel^e Yü par les Chinois. Paris, Ernest Leroux
^diteur, 28, Rue Bonaparte, 30 pag. 8« (3 Francs).
Dieselbe ist dem Marquis d'Hervey- Saint-Denys,
Professor der chinesischen Sprache am College de France,
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Ißl
gewidmet und gewinnt durch Verwerthung einer Reihe chine-
sischer Schriften, welche natürlich nur einem Sprachforscher
vom Fache oder etwa diplomatischen Beamten zugänglich sein
können, ein gewisses Interesse für unsere Studien.
Von naturhistorischer Seite, welche allerdings auf dem
Titel auch nicht genannt, aber doch berücksichtigt wurde, ist
die Schrift jedoch recht übel bestellt, obgleich bezüglich der-
selben deren Verfasser bei den Herren Damour, Des Cloi-
zeaux, Jannetaz, Meunier, Hamy, Adam etc. den cor-
rectesten Aufschluss hätte erhalten können.
Im Capitel I bemerkt Blondel, der Yü-Stein sei in
Indien und China ganz gemein, auch Hinterindien wird genannt;
den Beweis für das Vorkommen in Indien überhaupt hätte
nach meiner Ueberzeugung der Verfasser erst zu führen gehabt.
Sodann wird als einzige Analyse des Minerals jene von
Kastner 1805 publicirte angefUhrt, welche — wie ich in
meinem Werke pag. 165 nachwies — gar keinen wirklichen
Nephrit zum Substrat hatte, sondern ein Alumia-Magnesia-
Silicat, ähnlich dem durch v. Hochstetter als Kawakawa
eingeführten Mineral oder aber dem Piotin.
Wenn Jemand die von mir a. a. O. pag. 357 — 363 auf-
geführte Liste der Falso-Nephrite durchsieht, welche noch bis
in unsere Zeit hinein in den mineralogischen Museen als Nephrit
liegen, so wird er zwar leicht begreifen, dass am Anfang dieses
Jahrhunderts noch irgend ein beliebiges Mineral als Nephrit
analjsirt werden konnte, allein die von mir a. a. O. pag. 349
bis 351 angeführten, mit dem Jahr 1843 anhebenden 26 Ana-
lysen ächter Nephrite, d. h. deijenigen Substanz, welche man
correcter Weise heute mit diesem Namen belegt, liefern doch
den Beweis, dass Blondel sich gar nicht in der hierüber be-
stehenden Literatur umgesehen hat.
Femer führt derselbe pag. 9 und 10 bei Erörtening des
specifischen Gewichtes den Jade (d. h. Nephrit) und den Jadeit
so hintereinander auf, als wenn Alles dies ein und dasselbe
Mineral wäre, während doch Damour's werth volle Abhand-
lung, worin die Species Jadeit zuerst aufgestellt und von Jade
getrennt wird, in den Comptes rendus erschien, Blondel also
in aller Weise zugänglich gewesen wäre.
Ueber die Zleit und Art der Entstehung der Namen
Nephrit, Jade, Jadeit erf&hrt der Leser in dieser doch als
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162
historisch a. s. w. betitelten Schrift, welche eilf Abschnitte
enthält, gar nichts. (Man vergleiche in dieser Beziehung meine
historischen Auseinandersetzungen a. a. O. pag. 8—21 und
41 fF.) Die Angaben von Blondel fussen im Uebrigen in diesem
Abschnitte auf der auch von mir ausführlich behandelten vor-
züglichen Schrift von Abel-R^musat (a. a. O. pag. 189),
auf den M(5moire8 conceniant les Chinois (ebenda pag. 136),
Timkowski (pag. 199) und einer Reihe anderer Werke.
Capitel II. Als ein bedeutender Fundort von Yü in China
wird Tai-Thong in der Provinz Chfen-Si (Kan-Su) genannt.
Auf meiner englischen Karte von China und Japan ist dieser
Gebirgszug übrigens nicht in der chinesischen Provinz Kan-Su
selbst, sondern südlich davon in der östlichsten Ecke von
Turkestan als Tai-Tong-Ho angegeben. Der grössere Theil des
Jade komme dagegen aus Khotan in der Provinz Yarkand
und werde durch die Bucharen aus der Tartarei gebracht. *)
Ganze Berge, z. B. der Berg Mirdjai (Provinz Khotan;
vgl. Fischer, Nephrit pag. 207) bestehen aus Yü, die schön-
sten und feinstkörnigen Stücke finden sich auf der Spitze und
in den Krümmungen des Gebirges.
Der Name Yü sei etymologisch nicht zu erklären, aber
zweifellos von höchstem Alter. — Wegen des hohen Preises
des ächten Yü werde in Canton an die Fremden ein von
Bridgman in seiner chinesischen Chrestomathie als Chrysopras
bezeichneter Chalcedon als Yü verkauft. Davon gebe es zwei
Arten, eine zartgrüne in der (südlich gelegenen) Provinz
Yunnan, 2) eine andere mehr wolkig dunkelgrüne komme aus
der Provinz Kan-Su. Seit uralter Zeit bis auf die neuesten
Tage stehe der Yü in hohem Ansehen bei den Chinesen, wo-
für Beispiele von Confucius (circa 500 Jahre v. Chr.; vgl.
oben pag. 48) u. s. w. angeftihrt werden; der Stein werde
auch vielfach besungen.
^) Auf meiner Karte sind Yarkand und Khotan als besondere
Provinzen, jede mit der Hauptstadt gleichen Namens eingezeichnet.
2) Diese Farbe und der genannte Fundort passen aber gerade
gar nicht auf eine Aehnlichkeit mit Jade, sondern auf die aller-
kostbarste Sorte von Jadeit, welche also am allerwenigsten geeignet
schiene, dem Jade als etwan Billigeres im Handel substituirt zu
werden !
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163
Capitel ni behandelt die verschiedenfarbigen Sorten des
Yü (weiss, grün^ schwarz), die Yü-Skala am chinesischen Hofe,
die Anwendung des Wortes Yü auf andere Steine als Jade,
die Verwendung desselben als Tribut, einen grossen Block von
0*610 Meter und einen anderen von 120 Kilogramm Gewicht.
Capitel IV spricht von den Sorten des Berg-Yü und des
Fluss-Yii, vom Yü-Fluss im Kuen-lun-Gebirge, von der Handels-
stadt Yarkand, von wo jährlich nach Khdtan behufs Weiter-
beförderung nach Peking 4000 — 6000 Kilogramm Jade geschickt
werden, endlich von den Steinschneidern in Ak-8ou (nord-
östlich von Yarkand), der gegenwärtigen Hauptstadt der chi-
nesischen Tartarei oder kleinen Bucharei.
Capitel V ist eine confuse Darstellung, worin Jade und
Damour's Jadeit als smaragdgrüner „Jade imperial ^ (beson-
ders seit der französischen, nach China gerichteten Expedition
bekannt geworden) durch einander geworfen, worin ferner
Sumatra und Südamerika mit gleicher Bestimmtheit wie Neu-
seeland als Fundorte des Jade genannt werden ; dem Amazonen-
stein-Feldspath wird eine lauchgrüne! Farbe zugeschrieben,
die angeblichen Vorkommnisse von Jade in der Türkei, in
Polen und der Schweiz werden von dem Verfasser, der offen-
bar in Ei-mangelung der nöthigen naturhistorischen Kenntnisse
auch keine Kritik in der Literatur üben konnte, den früheren
Schriftstellern einfach nachgebetet. Auch das Tragen des Jade
in Europa als Amulet gegen Nierenleiden kommt zur Sprache.
Capitel VI handelt über die Bearbeitung des betreffenden
Steines in China und Indien, besonders während er noch die
Bergfeuchtigkeit besitze.
Capitel Vn bespricht Sculpturen in Yü aus unvordenk-
lichen Zeiten Chinas, Geschenke von Yü-Stein an befreundete
Gäste, um den Gürtel damit zu schmücken ; es würden Rang-
unterschiede desjenigen, der den Stein trägt, durch die Farbe
und die Proportionen des Steines angedeutet ; >) ferner erwähnt
der Verfasser: Musikinstrumente, King (vgl. Fischer, Nephrit
pag. 169 Anmerkung *) aus Yü, selbst Guitarren und Flöten,
*) Man vergleiche hiermit, was ich pag. 255 meines Nephrit-
Werkes aus dem 1867 erschienenen v. Martius'schen Werke über
Rangunterschiede amerikanischer Häuptlinge, angedeutet durch
längere oder kürzere, am Hals getragene Steincylinder, berichtete.
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164
Beschwersteine, Pinselhalter, Gefässe (mit Angabe ihrer Grösse),
Magnetwagen, Kunstwerke (vgl. Fischer, Nephrit pag. 18).
Capitel Vin erörtert alte Gebräuche in China bezüglich
des Jade, unter Anderen bei Hofe, dass dem abgestorbenen
Fürsten Jade in den Mund gelegt wird. (Vgl. mein Nephrit-
Werk pag. 179 über den Ki-Lin, der einen Yü-Stein im Munde
gehabt.)
Capitel IX hahdelt von künstlich nachgeahmtem Jade in
Persien und China.
Capitel X zählt Prachtstücke von Jade im Schatz der
französischen Krone und in Privatsammlungen zu Paris auf.
Capitel XI endlich berührt das hohe Alter der Fertigkeit
in China, den Jade auf das Kunstreichste zu schneiden, auszu-
schnitzein, sowie die unsäglich lange Zeit, deren manche solcher
Arbeiten bedürfen. Jetzt gerathe aber diese Kunst allmälig
mehr und mehr in Verfall und mehrere darauf bezügliche Ge-
heimnisse seien verloren gegangen.
Ungeachtet der gegründeten Ausstellungen, welche wir
oben vom naturhistorischen Standpunkte aus an dieser Schrift
zu machen uns genöthigt sahen, finden wir es immerhin er-
wünscht, den Gegenstand auch einmal von derjenigen Seite
behandelt zu sehen, welche derselbe in der genannten Schrift
unter Verwerthung chinesischer Schriften durch europäische
Gelehrte, wie Marquis d'Hervey-Saint-Denys, zu bieten
vermag.
Ad pag. 306, 1875. Von dem pag. 398 meines Nephrit-
Werkes sub 1873 erwähnten angeblichen Nephritbeil von der
Insel Saba, nordwestlich Guadeloupe, habe ich seitdem in
meiner Abhandlung: Die Mineralogie als Hilfswissenschaft (vgl.
oben pag. 8), Tafel VHI Fig. 86 a, b eine Copie der schon
von H. E. Friedel in der Zeitschrift fiir Ethnologie, 1873,
Tafel n gelieferten Abbildung gegeben.
In Folge näherer Erkundigung über die Substanz dieses
Objects, welche mir in bereitwilligster Weise durch Herrn
Lee maus, Director des kön. niederländischen Reichsmuseums
der Alterthümer u. s. w. in Leiden, zu Theil wurde, kann
ich hier melden, dass das Beil nicht aus Nephrit, sondern
höchst wahrscheinlich aus Diorit gearbeitet sei. Dessen unge-
achtet behält diese Sculptur als bis jetzt (ausser den pag. 397
meines Buches erwähnten zwei Beilen von Porto Rico und
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165
St. Thomas im Christy Museum zu London) ^) die einzige mir
bekannt gewordene von den sogenannten Cariben- Inseln ein
grosses Interesse. — Ausserdem verdanke ich dann noch in
Betreff der westindischen Insehi dem leider kürzlich verstor-
benen Dr. A. V. Frantzius folgende Notiz: Professor Rolle-
stone zeigte vor: Some polished greenstone ornamental axe-
heads, probablj Caribbean (St. Vincent). Journal of the an-
thropol. Instit. of Gr. Brit. and Irel. Vol. HI. 1874, pag. 204.
Ad pag. 306, 1876. Herr Damour meldet mir auf meine
diesfallsige Anfrage unterm 16. März 1877 aus Paris, dass das
in seiner Abhandlung von 1865 (vgl. mein Nephrit -Werk
pag. 237) angefUhrte angebliche Jadeitbeil vom Cap der
guten Hoffnung, welches, als aus Afrika kommend, eine
besondere Bedeutung (vgl. a. a. O. pag. 237, 367) hätte ge-
winnen können, sich in der Sammlung des Herrn H. Berthoud,
welche jetzt von diesem einem Provinzialmuseum in Frank-
reich zum Geschenke gemacht worden sei, befunden habe ; die
nähere Untersuchung auf Jadeit, als welcher das Stück auf
der Etiquette bezeichnet war, habe noch nicht stattgehabt.
Derselbe Autor meldet mir unterm 25. Juli 1877 auf
meine Anfrage, was er von dem in Hauy's Trait^ de Min^r.
1822, pag. 498 erwähnten, im Departement Puy de Dome
angeblich gefundenen Jade (vgl. mein Nephrit -Werk pag. 199)
halte, Folgendes: Gerade in dieser Gegend, der ehemaligen
Provinz Auvergne, habe man ein Vorkommniss von Fibrolith
entdeckt, und er glaube, dass auf diese Substanz Hauj's An-
gabe von Jade -Vorkommen zu deuten sei. So seien z. B. im
Departement de Vannes (Morbihan) mehr als achtzig als Jade
bezeichnete Beile von ihm als aus Fibrolith bestehend erkannt
worden.
Demnach würde auch noch der Fibrolith die schon so
grosse, von mir a. a. O. pag. 357—363 aufgeführte Liste der
Falso-Nephrite um eine Zahl vermehren, und ich kann hier
nur wiederholen, was ich dort sagte, dass es wahrlich an der
Zeit wäre, die vielen in den Museen aller Länder noch sich
präsentirenden falschen Diagnosen unkrystallisirter Körper,
^) Es wäre sehr zu wünschen, dass die in dem Christy Mu-
seum befindlichen amerikanischen Sculpturen irgendwo abgebildet
würden. •
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166
welche jenen wahrlich nicht zur Ehre gereichen, doch einmal
auf dem Wege der Bestimmung des specifischen Gewichtes
und der chemischen Eigenschaften auszumerzen.
Ad pag. 306, 1876. In der allgemeinen Sitzung der
niederrheinischeu Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu
Bonn am 7. Februar 1876 machte (vgl. Kölnische Zeitung vom
22. Februar 1876, Nr. 53, I. Blatt) Professor G. v. Rath da-
selbst Mittheilungen aus einem Briefe des Herrn G^org Ulrich
über den berühmten Milford-Sund an der Westküste der Mittel-
insel von Neuseeland. Darin heisst es unter Anderem: Am
Ende des Sundes, wo zwei kleine Flüsse aus engen Thälem
hei-vorbrechen, die ebenfalls Aussicht auf Schnee- und Eis-
massen gewähren, ankert der Dampfer in einer kleinen Bucht
dicht an der steilen Felswand und nahe einem grossartigen
Wasserfall, der in einem Doppelbogen aus einer Höhe von
540 Fuss herabfällt. Auf der rechten Seite, dicht vor der Ein-
fahrt in den Sund, befindet sich die Fundstätte des be-
rühmten Nephrits. Es ist eine schmale Geröllbank am Fusse
eines nur den Maori ersteigbaren, dicht mit hohem Gebüsch
bewachsenen Berges. Das Gestein desselben scheint Syenit zu
sein und der Nephrit kommt wahrscheinlich hoch oben am
Abhänge in kleinen Adern und Nestern vor.
Man vergleiche hierüber auch die Angaben von Hector
1863 in meinem Nephrit -Werk pag. 233 und von F. v. Hoch-
stetter 1865 (ebenda pag. 241), welch' letzterer mehrere Fund-
stätten auf der genannten Insel namhaft macht.
Ad pag. 306, 1876. In den Mittheilungen der anthropo-
logischen Gesellschaft in Wien, 1876, VI. Bd., pag. 131,
Abbildung im Text (mir nur im Auszug aus Leonh. Geinitz
Jahrbuch für Mineralogie, 1877, VI. 670 ff. bekannt) berichtet
Herr Dr. Wankel (Blansko, Mähren) über einen erratischen
Granitblock mit phönizischer Inschrift, welcher bei Smo-
lensk in Russland (ungefähr 49® ö. L., zwischen 54 — 55® n.
Br.) gefunden wurde. Der Stein befindet sich im Besitz des
Fürsten Alex. Michaloviö Dondukov Eorsakov in Smolensk,
ist ein erratischer Block rothgefleckten norwegischen Granits,
unbehauen mit stark abgerundeten Rändern, von niedriger,
breiter, pyramidaler Gestalt, gefunden bei dem Dorf Pneyise
an dem Bache Ljubosviza im Flussgebiet des Dniepr auf dem
Gipfel eines 30 Meter langen, 15 Meter breiten und eben so
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hohen, künstlich aufgeführten Steinhügels liegend. Nach dem
Urtheil von Dr. Alois Müller in Olmütz und Professor Friedr.
Müller in Wien sei die Inschrift phönizischen Ursprungs und
scheine die Anwesenheit der Phönizier an dieser Stelle zu
constatiren. Solche Steinpyramiden ohne Spur von Grabstätten
oder sonstige Kunstproducte seien den Phöniziern eigen ge-
wesen, die es liebten, durch Gedenksteine sich zu verewigen,
imd deren Ansiedlungen und Ausbreitung man vielfach aus
solchen Denkmälern kennen lernte.
Ad pag. 306, 1876. Vonllerm Professor Ljubiß, Gustos
des Nationalmuseums zu Agram, erhielt ich gefälligst einen
in croatischer Sprache geschriebenen Katalog der archäologi-
schen, jedenfalls sehr ansehnlichen Abtheilung dieses Museums,
welche die Stein-, Bronze- und Eisenzeit umfasst. Der Titel
ist : Popis predmeta iz predhistoriöke dobe u nar. zem. muzeju
a Zagrebu po Simi Ljubiöu, ravnatelju istoga zavoda. Sa
4 table. U Zagrebu. Tiskarski i litografiöki zavod 1. Albrechta.
1876. 80.
In diesem Katalog ist pag. 3 sub Nr. 2 ein Steinbeil aus
„Nephrit" und pag. 4 sub Nr. 7 ein Fragment eines Steinbeils
aus „Nephrit" angeführt. Da ich zur Genüge in der Rubrik
„Falso-Nephrite" meines Nephrit -Werkes pag. 356 — 363 den
Nachweis geführt habe, dass auf die früheren Diagnosen von
Nephrit nicht mehr gerechnet werden dürfe, so hatte (auf Er-
suchen des Herrn Dr. Ljubiß) Herr Dr. Pilar, Professorder
Mineralogie an der Universität Agram, die Gef^ligkeit, mir
über den mineralogischen Bestand jener zwei Stücke eingehen-
den Bericht zu erstatten, womach das erste Stück aus Spalato
in Dalmatien, vermöge des specifischen Gewichtes 3*25 und
der fast olivengiünen Farbe mit gelblichgrünen Pünktchen,
wohl wahrscheinlich ein Jadeit, jedenfalls kein Nephrit ist,
während das zweite Stück mit nur 2*64 specifischem Gewicht
gar nicht kantendurchscheinend, lauchgrün mit feinen schwarzen
Sinsprengungen erscheint und sich als ein Mineralgemenge, ein
Gestein, jedenfalls als nicht zum Nephrit gehörig auswies.
Ad pag. 306, 1877. Für die etwaigen Beziehungen ame-
rikanischer vorgeschichtlicher Gulturreste mit asiatischen möchte
ich aus Petermann's Mittheilungen, 23. Band, 1877, pag. 134
bis 141 eine Notiz über Lieutenant Wheeler's Expedition
durch das südliche Californien im Jahre 1875 anfuhren;
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hiernach fand letzterer bei den White Mountains im Lake
Valley auf flachen Stellen von Baealtblöcken hiero-
glyphische Zeichen eingegraben (eine Tafel ist beigegeben);
20 Meilen südlich davon sind deren noch mehr, welche theil-
weise mit gewissen chinesischen Zeichen völlig überein-
stimmen; (die Einzelnheit^n hierüber möge der Leser in der
bezeichneten Zeitschrift selbst nachsehen).
Eine Einwanderung möge vielleicht vor hunderttausend
Jahren stattgehabt haben ; übrigens bestehe eine solche Aehn-
lichkeit nur bei den Indianern festlich, nicht östlich von den
Rocky Mountains.
Ueber solche Beziehungen vergleiche man auch: Th.
Waitz, Anthropologie der Naturvölker, Leipzig, 1859 — 1872,
8«. VI Bände, im IV. Band pag. 180—185.
Ad pag. 306, 1877. Durch Herrn J. Niediwiedzki in
Lemberg (Galizien) erhielt ich kürzlich eine polnisch geschrie-
bene Broschüre: Notatki naukowe, Odbitka z „Kosmosu^
(wissenschaftliche Notizen, Abdruck aus dem ,,Kosmos^), mit
einer kurzen Notiz von demselben über Nephrit. In der Ein-
leitung erläutert er die archäologisch-ethnographische Bedeu-
tung dieses Minerals, dessen Vorkommen, Verwendung, und
meldet sodann, dass das mineralogische Museum der polytech-
nischen Schule zu Lemberg von Herrn Stud. techn. E. Wierz-
bicki einen Säbelgriffbeleg aus Nephrit zum Geschenk
erhalten habe, welcher dem in meinem Werke pag. 61 Fig. 64
abgebildeten ähnlich und beim Ausgraben alter Kriegs-
wälle bei dem Dorfe Niesuchoiz in Polesiu (Russland) gefunden
worden sei. Dann ist noch die Bemerkung beigefügt, dass nach
der Erinnerung des Berichterstatters der mit Rubinen besetzte
Griff des Säbels von Sobieski (Johann IH. Sobieski 1674 bis
1696 König von Polen ; 12. September 1683 Entsetzung Wiens
von der Türkenbelagerung durch Sobieski) in der Schatz-
kammer, „Grünes Gewölbe", in Dresden aus Nephrit bestehe.
Ad pag. 306, 1877. Durch meinen Collegen A. Ecker
erhielt ich Einsicht von einer Schrift, betitelt: Otis T. Mason,
The Latimer CoUection of Antiquities from Porto Rico (An-
tillen) in the national Museum at Washington. From the
Smithsonian Report for 1876. Ethnology pag. 372—392 und
Fig. 1 — 60 auf 14 Holzschnitttafeln. — In dieser Abhandlung
sind zuerst in Fig. 1 — 9 etwelche mit Köpfen u. s. w. ver-
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zierte Thonscherben beschrieben und abgebildet, dann in
Fig. 10 — 16 Steinbeile find Meissel verschiedener Form, zum
Theil im Zapfenloch (d. h. in durchgehender, nicht blos ein-
seitiger Oeffnung) einer Handhabe aus hartem, rothem Holz
befestiget, und einzelne dieser Beile angeblich aus grünem
Jadeit (Beleg für diese Diagnose ist übrigens keiner beige-
bracht, doch ist wenigstens Jadeit und Jade in dieser Schrift
ordentlich unterschieden). Die Schneide wird auch hier als
öfter schief angegeben. Dann werden Polir- und Schleif-
steine (pag. 374), Mahlinstrumente (pag. 375), Schemel
(pag. 376), kugelige und scheibenförmige Steine (pag. 377),
Colliergelenke (Beads), Amulete und Steinbilder (pag.
378) beschrieben, darunter eines Fig. 34 aus grüner, Jade
ähnlicher Substanz.
Nach Mönch Roman, citirt in Irving's Columbus I. 390,
habe jeder Kazike der Cariben (379) einen Tempel oder ein
Haus besonders gehabt, worin ein Bild seiner Zemi oder Schutz-
gottheit, geschnitzt aus Holz oder Stein oder aber aus Thon
oder Baumwolle geformt — gewöhnlich in monströser Form
— aufbewahrt gewesen sei. Pag. 379 folgen „zitzen förmige"
Steine, welche besonders interessant erscheinen. Sie sind pyra-
midal, ^) die beiden unteren Ecken gehen oft in Thierköpfe
aus, während die Spitze der Pyramide einfach mehr weniger
steil zuläuft, wie bei Fig. 35, 36, 40, 41, 44 daselbst, oder
aber es ist die Spitze gravirt, wie bei Fig. 43, dagegen die
beiden unteren Ecken nicht. So weit die Substanz dieser
Sculpturen vom Autor angegeben ist, werden verschiedenfarbige
Marmor und andere Kalksteine, dunkle vulcanische Felsarten
(ohne nähere Bezeichnung) namhaft gemacht, dann dunkel-
grüne Steine, wie z. B. bei den schönsten Beilen, bläulich-
graue Mineralien (Nr. 16989), lichtblaue (Nr. 16981) mit einem
') Nach des Verfassers Angabe vermuthet Professor Baird
in Washington, dass — da vom Meere aus die vulkanischen Berge
von Porto Rico steil und symmetrisch ansteigen — in obigen
zitzenformigen Steinsculpturen vielleicht eine Anspielung auf
jene Bodengestaltung zu erblicken sei. Die betreffenden Figuren
stellen Menschen, dann Papageien, Albatros, Alligatoren und andere
kostbare Thiere aus dieser Gegend, wo grössere Thierformen nicht
in Ueberfluss vorkommen, dar; diese Thierfiguren würden also dann
gleichsam auf ihrem Rücken die Insel tragen.
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Albatroskopf. ^) Bei dieser blauen Substanz ist bedauerlicher
Weise vom Autor gar keine Bestimmung des Minerals ver-
sucht. — Pag. 384 — 385 werden Masken beschrieben und
abgebildet. Von diesen erinnert Fig. 48 vermöge der — blos
durch flache Vei*tiefungen — angedeuteten Stelle für die
Augen an die Fig. 19 in meiner Abhandlung im Archiv
Tafel VI, welche sich auf ein in dem Beck e raschen Museum
zu Darmstadt befindliches und allerdings aus der Stadt Mexiko
stammendes Original bezieht. Allein es könnten ja schon in
frühester Zeit oder auch später durch Tausch, Handel u. s. w.
sehr leicht solche Idole u. s. w. aus einer Gegend in die
andere gewandert sein, um jetzt als vereinzelte und dem im
betreffenden Lande selbst herrschenden Typus fremde Objecte
wieder aufgefunden zu werden.
Ausserdem sind an jener Maske, Fig. 48, auch die —
wie es scheint, flacher hervortretenden — Ränder bemerkens-
werth, mit flachen Vertiefungen jederseits an der Stelle, wo
etwa das Ohr — oder bei mexikanischen Idolen der Ohrring
— läge, es hätte gleichsam hier zur Durchbohrung behufs
des Anhängens, wie sie in Mexiko u. s. w. Mode war, nur
noch eines einzigen Schrittes bedui'ft.
Die Fig. 47 von Otis T. Mason erinnert einigermaassen
an das inir von Herrn Dr. Berendt aus Coban, Guatemala,
eingesandte Bild Fig. 65 Tafel VHI meiner Abhandlung: Die
^) An diese Figuren erinnert mich das aus Heliotropquarz
geschnitzte dickköpfige Steinbild Fig. 42 a, b, welches ich in meinem
Nephrit -Werk pag. 34 darstellte, und welches (in der Sammlung
des kürzlich hier verstorbenen Dr. A. v. Frantzius befindlich)
direct zwar ganz sicher aus Costarica kommt, indirect aber auch
eine Beziehung zu den Antillen haben könnte.
Noch mehr aber fühle ich mich beim Anblick jener pyra-
midalen Sculpturen von Porto Rico auf das dreiköpfige Idol pag. 34
Fig. 41 a, b, c von bis jetzt unbekannt gewesener Abkunft hin-
gewiesen, welches weder in Form noch Substanz eine Verwandt-
schaft mit den vielen mir bereits durch die Hände gegangenen
Steinfiguren aus Mexiko, wie auch mit jenen aus Coatarica zu haben
schien. Bei dieser Figur ist nämlich ebenfalls eine Art Pyramide
vorhanden, nur ist hier wie bei Fig. 42 eine Durchbohrung ange-
bracht, welche bei jenen von Porto Rico weder erwähnt noch ge-
zeichnet erscheint. Es könnte hiermit also vielleicht wenigstens ein
Wink für die Abstammung jenes dreiköpfigen Idols gegeben sein.
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Mineralogie u. s. w., entbehrt aber auch wieder, so weit er-
sichtlich, der Durchbohrung, während Fig. 65 im Original weit
durchbohrt ist.
Otis T. Mason ist im Zweifel, ob diese von ihm be-
schriebenen Gegenstände das Werk der Cariben wären oder
ihrer friedfertigeren Nachbarn; verschiedene Umstände leiten
nach seiner Ansicht aber auf die Cariben oder Arawaken,
nämlich dass die dort aufgezählten Gegenstände durch das
ganze alte Caribenreich hin gefunden werden und dass die
Celts in der Form mit jenen in Polynesien und Nordwest-
amerika übereinstimmen, wo auch gi*osse ausgehöhlte Canots
noch im Gebrauche seien.
Ad pag. 306, 1877. Von A. Damour erhielt ich kürz-
lich zwei Artikel in Separatabzug, den einen aus der Revue
arch^ologique, September 1877, worin er über die chemische
Zusammensetzung einiger, von Artur Martin in Anatolien ge-
sammelter Steinbeile Bericht erstattet. Darunter sind auch
solche, welche er nach äusserem Ansehen, specifischem Gewichte
und Verhalten vor dem Löthrohr theils für Jadeit (ein Beil
aus Gebail, Kleinasien), theils für eine nephritartige Sub-
stanz (ein Beil von Tralles in Lydien) glaubt ansprechen zu
können. Zu genaueren Untersuchungen stand ihm das nöthige
Material nicht zu Gebote.
In dem andern zu Nantes gedruckten Artikel (ohne
Jahreszahl, doch wahrscheinlich 1877, und ohne Citat des
Journals) berichtet Damour über eine Angabe von de Limur,
wornach auf der Hebrideninsel Jona Nephrit in kleinen, ab-
gerundeten Gerollen vorkommen soll. Damour will sich ohne
eigene Anschauung von Exemplaren der fraglichen Substanz
nicht für, noch wider diese Aussage entscheiden und ist hiezu
bei dem Umstände, dass auch gar keine Belege für jene
Diagnose beigebracht sind, und angesichts der vielen Falso-
Nephrite, welche ich nachweisen konnte, zu dieser Vorsicht
gewiss im vollsten Maasse berechtigt.
Ad pag. 307. In dem Absatz in Bezug auf Middel-
dorpf ist (nach späteren Notizen von D. A. v. Frantzius) die
Jahreszahl 1866 mit 1868 und 1862 mit 1867 zu vertauschen
und rücksichtlich des Gegenstandes selbst ist auf pag. 406
des Nachtrags die Beschreibung desselben wie endlich die
correcte Abbildung nach dem Original in meiner pag. 8 citirten
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Abhandlung Tafel VI Fig. 25, pag. 205 (Sep.-Abdr. 29) Nr. 16
zu vergleichen.
Bezüglich des anderen, pag. 307 im Nephrit-Werk be-
rührten Gegenstandes aus Costarica, der durch Schiffbruch
verloren ging, ist die Jahreszahl 1861 durch 1863 zu ersetzen
und haben meine energisch durchgefiihrten Nachforschungen
unter gefälliger Mithilfe der Herren Professoren Mob ins in
Kiel und Behn in Leipzig bis zu der Ermittelung des Schiffers
geführt, welcher die geretteten Schiffsgüter barg, sich aber
keines Steingegenstandes erinnern kann, der sich dabei befunden
haben soll. Es können also jetzt wohl nur noch etwa die Zu-
gangskataloge irgend eines Museums dort in der Nähe (viel-
leicht Kopenhagen, London u. s. w.) vermöge des Zusammen-
treffens mit jenem Jahr irgend eine Auskunft über den zufälligen
Erwerb des Stückes geben, wenn es nicht vielleicht gerade-
wegs verschleudert wurde.
Ad pag. 308. Bezüglich der angeblich im ethnographischen
Museum in Berlin vorhandenen nephritähnlichen Rohmateriale
zu Steinmeissein und dieser selbst aus Java erhielt ich von
Herrn Dr. Voss in Berlin die gefällige Mittheilung, dass ihm
solche nicht bekannt seien, und dass ein von dieser Insel
stammendes Beil in der Sammlung der anthropologischen Ge-
sellschaft fUr Nephrit viel zu weich sei, indem es sich mit
dem Messer ritzen lasse, also wohl eher auf Serpentin zu deuten
sein dürfte.
Ad pag. 308. Bezüglich des dort genannten Werkes von
Dupaix, Lenoir und Warden kann ich jetzt auf das ver-
weisen, was ich oben pag. 53 daiüber vorgebracht habe.
Unsere Universitätsbibliothek ist unterdessen auch in den Be-
sitz desselben gelangt.
Ad pag. 308. In Betreff der mineralogisch-archäologischen
Bearbeitung der in Nordamerika befindlichen mexikanischen,
mittel- und südamerikanischen Steinalterthümer, wohin auch
die 1869 noch in Heidelberg gestandene, 1872 von Professor
Marsh für Amerika angekaufte Zeltner'sche Sammlung ge-
hört, hatte ich mich schon 1875 nach Washington gewandt.
Ich erhielt unterm 10. Jänner 1876 von Herrn Professor
Baird in Washington die Anzeige vom Empfange meines
Nephrit -Werkes, welches ich behufs Anknüpfung näherer Ver-
bindung an die Smithsoniam Institution eingesandt hatte, und
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die Meldung, dass das dortige Nationalmuseum wohl im Ganzen
über fünfzig Sculpturen, einige aus Neuseeland, der Mehrzahl
nach aber aus Mexiko, Central- und Südamerika und aus
Westindien besitze. Man sei dortseits bereit, diese Gegenstände
zur Lösung wissenschaftlicher Probleme verwerthen und mir
deshalb von einer Anzahl derselben Splitter für chemische
und mikroskopische Prüfung zugehen zu lassen, ferner zunächst
Photographien der betreffenden Objecte einzuschicken.
Dieser Zusendungen bin ich noch heute, Juni 1878,
gewärtig.
Andererseits ist eine wirklich an mich abgegangene Sen-
dung von Herrn Professor C. Rau in Washington, enthaltend
einige in Nicaragua gefundene Perlen (beads) aus grünem
Steine, leider, wie es scheint, unterwegs verloren gegangen,
wenigstens nie an mich gelangt.
Das Nationalmuseum zu Washington hat nach einer
Meldung desselben Forschers vor Kurzem auch eine Anzahl
sehr schöner Perlen aus hartem grünem Stein aus Peru
erhalten.
Ad pag. 315. Statt Groenstone lese: New Zealand Green-
stone und sub: Hijada setze man statt Boetius 1609; Mo-
nardes 1565 u. a. Autoren.
Ad pag. 316 ist hinter Ju chi einzuschalten: Ju-she-lu-
tse. Cordier 1820; ferner hinter Klangstein: Kyoup-tsing.
Cordier 1820; endlich hinter Metarobi: Modyoothwa. Cor-
dier 1820. Kainarangi entstand durch Schreibfehler statt Ka-
hurangi; Makatungi nach v. Hochstetter vielleicht = Tangiwai.
Ad pag. 317. Poonamu englisch; Poenamu holländisch;
Punamu deutsch.
Nachträge zum dritten Tbeil.
(pag. 319—395.)
Ad pag. 320. Nach einer neueren gefälligen Mittheilung
des Herrn Professor Beck in Petersburg stammt das dort er-
wähnte Beil nicht aus einem Tschudengi'ab von Tomsk (102^
ö. L.), wie mir früher berichtet worden war, sondern — nebst
drei anderen Beilen — aus der Gegend von Irkutsk (122^ ö. L.)
in Sibirien, und zwar vom Weschelensker Berg beim Dorfe
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Kultuk; sie wurden schon 1825 für das genannte Museum
erworben.
Ad pag. 322, Anmerkung **. Von dem Hohenpriester-
schild gibt Kluge in seiner Edelsteinkunde (Fischer, Neph.
pag. 299), 1860, pag. 73, Fig. 25, ein Bild.
Ad pag. 323, Anmerkung *. Herr Naturalist Beyern
in Tiflis, mit welchem ich durch gefallige Vermittelung des
Herrn Staatsrathes H. v. Abich in Wien in brieflichen Ver-
kehr gekommen bin, weiss zufolge Schreibens vom 14. (26.) Juni
1877 nichts von einem Nephrit-Block am angeblichen Grabe
Daniels in Susa, glaubt vielmehr, es könnte wie an anderen
heiligen Stellen wohl ein Block von Basalt oder Diorit sein.
(Uebrigens liegt jenes Susa den Karten zufolge nicht in
Persien selbst, wie a. a. O. angegeben war, sondern nur knapp
an der persischen Grenze, aber noch in der russischen Pro-
vinz Eriwan, nahe dem 40^ n. Br. und 44^ ö. L., während
mir andererseits Herr Beyern in einer neueren Zuschrift vom
19./31. October 1877 meldet, dass eigentlich Niemand bis jetzt
genau wisse, wo es liegen soll.)
Der ebendaselbst erwähnte Ort Kermanschah liegt in der
persischen Provinz Kurdistan, nordöstlich von Bagdad, süd-
westlich von Hamadan.
Ad pag. 333. „Dass Nephrit oder Jadeit nach dem
Vertrocknen der Bergfeuchtigkeit bearbeitet wird, ist in chine-
sischen Städten täglich zu sehen. Weitaus der kleinste Theil
wurde früher aus Turkestan verarbeitet eingefiihii:; seit
der muhamedanischen Rebellion daselbst (anno....) ist
wohl Jade überhaupt nicht aus Turkestan eingefuhil; worden.
Dagegen kommt roher Jade in grosser Menge aus Yunnan,
gewöhnlich in kopfgrossen Klumpen Mattergestein mit
Adern und Nestern von Jade, die gleichmässig zu 6 bis
10 Taels (36 — 60 Mark) verkauft werden. Es ist nun eine
riskante Speculation, da manche Stücke nur kleine zu ver-
arbeitende Brocken von Jade enthalten, die kaum den Ein-
kaufspreis, geschweige Zeit und Ai'beit decken, während andere
einen grünen Kern enthalten, der bis zum fünfzigfachen Ein-
kaufspreis einbringt. Geübte Arbeiter sollen im Stande sein,
von aussen nach Art und Farbe der Adern zu schliessen, ob
der Inhalt des Klumpens lohnend ist."* (Dr. v. M.) (Vgl. hiezu
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die Notiz von Ab. Rämusat^ pag. 192, Zeile 9 — 4 v. u. in
meinem Nephrit -Werk.)
Ad pag. 335. Bezüglich der Verwendung des Nephrit
in der neueren Industrie sind noch die pag. 23, 90, 109,
183, 195, 266 zu vergleichen. In BetreflF der Säbel- und Dolch-
griflFe (Fig. 65, 66 pag. 61, Fig. 108, 109, 110 pag. 232) wie
der Säbelgriffbelege (Fig. 63, 64 pag. 61) will es mir in
neuerer Zeit scheinen, wie wenn sie, ebenso wie die Nephrit-
Amulete, soweit sie aus Asien stammen, sämmtlich nur dem
westlichen Theil Asiens und der muhamedanischen Bevölke-
rung (also Kleinasien, Persien, Turkestan), nicht aber den
ostasiatischen Völkern angehören.
Aa pag. 336. Zu dem Nephrit-Block, von welchem Herr
Dr. Sack ein Fragment erwarb, erhielt ich kürzlich durch
Herrn CoUegen v. Fritsch in Halle die mir wichtig er-
scheinende Notiz, dass bei H. Sack's Exemplar die Bezeich-
nung:(?) vom Topayas-Fluss in Südamerika beigeschrieben sei.
Dies könnte noch eine Bestätigung darin finden, dass die mir
von Herrn Professor v. Fritsch eingesandten Scherbchen auf
geschliffenen und auf frischen Bruchflächen sehr genau mit
einem Stücke unseres Freiburger Museums übereinstimmen,
welches als Fragment eines etwa cylindrisch geformten dicken
polirten Messergriffs die Bezeichnung als: „aus Mexiko"
kommend trägt. Andererseits stimmt das Sac kusche Fragment
mit einem grossen Block, welcher mir früher aus dem Bonner
Museum zur Einsicht gesandt war und nach den Notizen aus
Halle hatte Herr Dr. Sack den Block aus dem Beuth'schen
Nachlass in der That zusammen im Verband mit dem da-
maligen Assistenten in Bonn, Herrn Dr. Brasser t, efrstanden.
Es wäre demnach möglich, dass wir in dem Bonner und dem
Hallenser Block, wovon der letztere 5^2 Pfund wiegt, wirklich
das längst gesuchte Rohmaterial eines vom Amazonenstrom
stammenden nephritähnlichen Minerals entdeckt hätten, und
zwar reichlich genug, um durch eine quantitative Analyse
vollen Aufschluss über dessen Natur zu erhalten. ^)
^) Soeben, während des Druckes, geht mir von Seite meines
geehrten CoUegen G. v. Rath in Bonn das Resultat der Analyse
noch zu, welche derselbe auf mein Ansuchen von der im dortigen
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Ich bemerke hier nur gleich, dass die Farbe dieser
Blöcke dunkellauchgrün ist, sich also immerhin wieder von
der ganz entschieden gelblichgrünen Farbe anderer mir
bekannt gewordener amerikanischer Nephrite, z. B. Genfer
Idol, Martius'sches Ornament u. s. w. unterscheidet.
Ad pag. 340. Das specifische Gewicht des abgebrochenen
Meisselchens, Fig. 61, pag. 47, ist ^ 300; das des von Pro-
fessor Karsten mitgebrachten Venezuela- Beiles (Berlin
Mus. No. rV. C. 4034) harrt leider noch immer der Bestimmimg!
Ad pag. 341. Das specifische Gewicht des Genfer
Idols ist, wie oben schon bemerkt, nach späterer exacterer
Bestimmung = 309, statt 296 (vgl. pag. 255, 256, 297).
Ad pag. 345. Dr. med. Carl Hermann Berendt starb,
einer so eben einlaufenden Nachricht zufolge, den 12. April
dieses Jahres zu Guatemala; die Wissenschaft hat seinen frühen
Verlust lebhaft zu beklagen.
Ad pag. 348, Anmerkung, füge ich bei, dass das hohe
specifische Gewicht 318, welches dort als obere Grenze fiir
Nephrit angegeben ist, bis jetzt nur von Damour, und zwar
bei dem sogenannten Jade ocöanien beobachtet wurde, sodann
von mir bei einer (allerdings noch nicht analysirten) Varietät
angeblich von EUorah in Ostindien, aus dem k. k. mineralo-
gischen Museum zu Wien (vgl. auch pag. 324 oben); neben
Nephrit figurirten dann noch die Inanga-Substanz mit 3*009
und Kawakawa mit 3*02, wären somit, wenn man sich auf
dieses Merkmal allein verlassen wollte, leicht mit Nephrit zu
Museum befindlichen Hälfte genannten Blocks vorzunehmen die
Gefälligkeit hatte. Sie ergab:
Kieselerde 57*32
Thonerde 1*36
Eisenoxydul 3*66
Kalkerde 13*39
Magnesia 21*85
Glühverlust (Wasser) .... 3*23
"lOÖ*71~
Das specifische Gewicht bestimmte er zu 2*949, was in den
zwei letzten Decimalstellen sich als ungewöhnlich niedrig ergibt
(vergl. Nephrit -Werk pag. 349 — 351). Die Zusammensetzung
stimmt vollkommen mit Nephrit und spreche ich dem genannten
Forscher hier zugleich meinen lebhaften Dank für diese Bereiche-
rung der Wissenschaft durch besagte Analyse aus.
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verwechseln. Der Name Kawakawa repräsentirt übrigens jetzt
kein besonderes Mineral mehr. Auf Grund einer von mir vor-
genommenen qualitativen Untersuchung, welche entschieden
auf Kalkcrde in jener Substanz hinwies, hatte Herr College
V. Hochstetter die Gefälligkeit, durch Herrn Dr. Fritz Ber-
werth, Assistenten am k. k Hofinineralienkabinct das soge-
nannte Kawakawa -Mineral nochmals analysiren zu lassen.
Das im Pyknometer bestimmte specifische Gewicht ergab 3031,
die Zusammensetzung war:
Kieselsäure 57*38
Thonerde 022
Eisenoxydul .... 3*50
Kalk 13-68
Magnesia 2232
Kali 0-69
Wasser 2'78
100-57
Eine Vergleichung dieser Analyse mit der im Nephrit-
Buch pag. 244 angeführten von Melchior und Meyer erweist,
dass Thonerde fast fehlt und dass Kawakawa ein ganz
normaler Nephrit sei, wie er etwa auch der von Scheerer
gelieferten, pag. 351 des Nephrit -Werks sub No. 6 citirten
Analyse zu Grund gelegen haben mochte. — Tangiwai hat
nur 2-61 ; von Kahurangi und Aotea sind noch keine Angaben
seitens des Herrn Professor v. Hochstetter gemacht worden.
Bezüglich des Jadeit sind einige (zum Theil durch
Analyse constatirte) Vorkommnisse mit einem unter 3*3 stehen-
den specifischen Gewichte hervorzuheben, nämlich von pag. 373
der eine Keil mit 3282 vom Bieler See und ein Beil mit
3*213, dann von pag. 375 ein Keil von Lüscherz mit 3*24 ;
ein rohes Stück von Tibet mit 3*25 und ein Keil von Gerla-
fingen mit 32978.
Ad pag. 349. Die in meinem Werke publicirten neuen
Analysen von Nephrit, Jadeit und Chloromelanit etc. stehen
verzeichnet auf pag. 3. Mineral von Potsdam (Resultat unsicher);
pag. 358, Falso-Nephrit, Grönland; pag. 360, Falso-Nephrit,
Klangstab, (?) Neugranada; pag. 361, Falso-Nephrit, Cap der
guten Hoflfnung; pag. 375, Jadeit-Beil von Lüscherz und roher
Jadeit aus Tibet; pag. 377 und 381, Chloromelanit-Keil.
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Ad pag. 355. Bei dem sibirischen Beil lies zufolge
der oben pag. 173 gegebenen Erläuterung zweimal statt Tomsk:
Irkutsk. — Von Herrn Professor Beck, Director des kaiser-
lichen Berginstituts in Petersburg, erhielt ich kürzlich ver-
schiedene Nephrit-Sorten gefälligst eingesandt, erstlich weissen
von Yarkand in Turkestan, sodann schön grasgrünen von dem
in den Sajanischen Bergen entspringenden Fluss Kitoy, linkem
Nebenfluss der Angara, Gouvernement Irkutsk. Vermöge der
Farbe und der ziemlich deutlich schiefrigen Textur des einen
Fragments könnte ein flüchtiger Beobachter sich versichert
halten, jetzt endlich das richtige Rohmaterial für die kanten-
durchscheinenden, grünen Nephritbeile der Pfahlbauten ent-
deckt zu haben. Ich bin meinerseits aber dessen durchaus
noch nicht sicher, da ich an dem mir vorliegenden, allerdings
nur kleinen Bruchstück vom Kitoy-Fluss gewisse Merkmale
noch nicht wiedergefunden habe, welche die vom Schleifen
nicht getroffenen Oberflächestellen der Pfahlbau-Nephrite mir
zeigten, u. A. ein nur mit guter Lupe erkennbares, überaus
fein wellenförmig gefälteltes, so zu sagen gekräuseltes Aussehen.
Ad pag. 355. In Hefte aus Hörn oder dergleichen ge-
fasst findet man z. B. in Pfahlbauten allerdings zuweilen
exotische Beile, öfter jedoch meines Wissens lose. Desor
machte schon früher die Bemerkung, dass dieselben häufig auf
der einen Breitseite mehr convex, auf der anderen ziemlich
flach seien, und diesem kann ich noch das Merkmal beifugen,
dass ich öfter die Schneide schief verlaufend fand. Spiegel-
glatt sind sie bei uns wohl nie polirt, ein an der Basis sub-
cutan durchbohrtes Chloromelanit-Beilchen aus Mexiko von
ganz spiegelnder Oberfläche besitzt das Freiburger Museum.
Ad pag. 356. Bezüglich der eventuell in den Madrider
Museen vorliegenden amerikanischen Nephrite u. s. w. wandte
ich mich in neuester Zeit an Herrn Antonio Garcia
Gutierrez, Director des archäologischen Nationalmuseums zu
Madrid, und erhielt kürzlich von ihm die erfreuliche Zusage,
dass mir die Liste der daselbst aufbewahrten Idole und Amu-
lete aus Mexiko, Mittel- und Südamerika zugehen soll, sobald
sie vollendet ist.
Ad pag. 361. Barroso-Range soll in Neucaledonien
liegen.
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Ad pag. 365. Der Jadeit des Beilchens von Sersheim
(Württemberg) im königlichen Museum zu Stuttgart zeigte mir
unter der Loupe dieselben winzigen honiggelben Kometen
eingesprengt, wie ein Beilchen aus dem Pfahlbau von Lüscherz
und wie Alex. v. Humbold t's Aztekenbeil aus Mexiko
Fig. 36 pag. 31.
Ad pag. 367. Dort ist den aus der Literatur bekannten
Jadeit-Geräthen auch das pag. 300 angeführte und abgebildete
Beil von Finale bei Genua anzureihen.
Ad pag. 369. Dem im Museo civico zu Genua aufbe-
wahrten Jadeit-Beilchen von Finale sind nun noch die übrigen
Jadeit-Instrumente aus Italien anzureihen, welche in der oben
pag. 159 citirten Schrift Prof. Issel's: L'uomo preistorico etc.,
aufgezählt sind.
Ad pag. 374. In neuester Zeit lernte ich durch die Ge-
fälligkeit des Herrn Professor Hosius zu Münster (West-
phalen) aus der Sammlung des dortigen Alterthumsvereins zwei
wahre Riesenbeile kennen, das eine aus Jadeit (specifisches
Gewicht 3*26), gefunden bei Höxter, nördlich von Cassel, ist
25 Cm. lang, an der Schneide fast 8 Cm. breit; das andere von
Cloppenburg in Oldenburg, aus Chloromelanit, (specifisches
Gewicht 3*43), ist sogar über 29 Cm. lang, an der Schneide
über 9 Cm. breit.
Bei der Versammlung der deutschen Anthropologen in
Constanz im September 1877 (vgl. Correspondenzblatt 1877,
Nr. 11, pag. 137) zeigte Herr Professor Schaaffhausen aus
Bonn den Abguss eines gleichfalls enorm grossen Beiles (? aus
Jadeit, specifisches Gewicht 3*327) von 35*5 Cm. Länge vor,
gefunden 9 Fuss tief unter dem jetzigen Bett der Errft zu
Grimmlinghausen bei Neuss (Regierungsbezirk Düsseldorf) un-
fern des Rheins ; fenier besprach er mehrere kleine Jadeitbeile,
wovon eines, bei Erkelenz (Regierungsbezirk Aachen) entdeckt,
76 Mm. lang, 50 Mm. breit, 19 Mm. dick war und ein speci-
fisches Gewicht von 3*357 besitzt.
Durch die Güte meines verehrten Freundes F. v. Höch-
st ett er erhielt ich ganz kürzlich noch Kenntniss von zwei
höchst interessanten, in unser Bereich gehörigen Gegenständen,
worüber wir ausführlicheren Bericht mit Beigabe von Abbil-
dungen von dem genannten Forscher selbst zu erwarten haben.
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Das eine ist ein prächtiger egyptischer Scar
LS dunkellauchgrünem Jadeit von 3*35 speciiischem (
arte 6—7, welchen v. Hochstetter im k. k. Hof-Mii
.binet zu Wien als „Plasma" liegend entdeckt hat.
md ist mir deshalb von höchster Wichtigkeit, weil
;h gleichsam eine Bestätigung der Diagnose liefert,
li pag. 374 meines Nephrit -Werkes an dem schönet
teus aus dem Wiesbadener Museum zu machen
ttte. Zweitens ist es jedem nur irgend tiefer in
chäologisch-mineralogischen Studien einblickenden G
»leuchtend, von wie eminenter Bedeutung die Verv
s Jadeits inEgypten uns erscheinen muss, indem wir (
Q so eher Streiflichter in das Dunkel der Abstammi
i Alterthum verarbeiteten Jadeite fallen sehen und
IS sonst der afrikanische Boden so zu sagen noch i
chts fiir unseren neuen Studienzweig geliefert hat.
Ein in seiner Weise ebenso wichtiges Prachtstüc
s Mexiko, entdeckte v. Hochstetter bei einem
anne in Wien. Dasselbe stellt eine stehende men
gur dar mit kurzen Armen; die Finger und Zeh
irch Kerben angedeutet ; Höhe 25 Cm., Breite 9*5 Ci
cht 1130*3 Gramm; specifisches Gewicht 3*354; Härl
ibstanz blaulichgrün, mit dunkleren, blaugrünen, y^
ecken und den charakteristischen lichteren, gelblicli
inkten; sehr wahrscheinlich Jadeit. Die Figur ze
iirchbohrungen, wie sie in Mexiko so überaus häufi
htet werden, nämlich eine ganz feine an der Nasen
md, eine andere an den Ohren und eine dritte subm
nie hinter den Ohren, im Nacken.
Zu den Nachträgen.
(pag. 396—407.)
Ad pag. 397. In Squire's Schrift: Observatio
)llection u. s. w. 1869, wie sie pag. 263 in meinem Wer]
, wird pag. 258 das jetzt* in l^ondon aufbewahrte
iderem auch durch seine Ueberreste aus dem mexika
terthum interessante C h r i s t y - Museum auch : M
useum olim genannt. Es wäre interessant zu erfahn
mit der erste Gründer desselben, Mayer, gewesen isi
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181
Ad pag. 399. Das Beil von Cormons, dessen Einsicht
ich der Güte des Herrn Dr. Perusini in Udine verdanke,
stellte sich mir als Eklogit mit dem specifischen Gewichte
3*407 heraus; Verwechselungen dieser Felsart mit dem Mineral
Chloromelanit sind bei der ähnlichen Höhe des specifischen
Gewichtes sehr leicht gegeben.
Das dort erwähnte Beil aus der Golubko wischen
Grube am Fluss Baktuhach im Gouvernement Jenisseisk in
Sibirien ist mir seither im Original vorgelegen gelegenheitlich
einer durch H. Schmidt, Mitglied der kaiserlichen Akademie
zu Petersburg, gefälligst vermittelten Sendung einer Reihe
sibirischer Nephrit-Beile, seitens des Herrn Lopatin in Kras-
nojai'sk, Sibirien, also auf etwa 700—800 Meilen!, mir anver-
traut ; es zeigte mir das specifische Gewicht = 2*989, ist hell-
blaulichgrün, mit vielen im Schliflf eckig aussehenden dunkler
grünen und dann mit heller gelbgrünen opaken Punkten; die
Substanz ist weniger durchscheinend als sonst beim Nephrit;
etwas zur Analyse abzulösen getraute ich mir nicht und bin
deshalb hier der Diagnose auf Nephrit keineswegs sicher.
Das Beil von Cividale konnte ich nicht zur Unter-
suchung erhalten, jedoch veranlasste auf mein Ansuchen HeiT
Dr. med. And. Perusini, Director des Civilhospitals in Udine
den dortigen Professor der Physik, Herrn Clodig, mir gefälligst
die nöthigen Notizen über dasselbe zu ermitteln. Das speci-
fische Gewicht fand derselbe = 3*347; Länge 170*00 mm.,
grösste Breite 74*80, mittlere Dicke 2600. Absolutes Gewicht
466-86 Gr. Diese Maasse sind ganz genau abgenommen, stimmen
aber nicht vollständig mit denjenigen, welche Herr Professor
Taramelli Torquato ursprünglich davon in den Annali del Isti-
tuto tecnico di Udine, Udine 1874 in dem Artikel: Di alcuni
oggetti deir epoca neolitica, rinvenuti nel Friuli davon ange-
geben hatte; der beiderseits gemeinte Gegenstand ist aber
zweifellos identisch, die Maassangabe in jener Zeitschrift also
wohl nur durch Druckfehler oder dergleichen entstellt. Tara-
melli Torquato fügt noch bei, es erscheine das Beil mit Aus-
nahme des oberen Drittels, welches wohl behufs besserer
Befestigung in dem Heft rauh gelassen sei, vollkommen polirt,
was die ganz reizend smaragdgrüne Farbe um so lebhafter
hervortreten lasse; Härte = öö. Substanz leicht vor dem Löth-
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\2
ihre zu blasigem giünlichem Glase schmelzbar. — Di
J sei unzweifelhaft den Alpen fremd.
Ad pag. 402. In BetreflF dieses Gebrauchs des ]
itens der Chinesen verweise ich auf das, was oben
id 50 schon erzählt wurde.
Ad pag. 405 und 407. Die Substanz, angesichts
h damals an Beryll dachte, dürfte nach späteren
Lchungen, welche eben immer mit winzigsten Splitt<
mommen werden mussten, vielleicht eher Andesit s
Ad pag. 407. Die dort gegebene Zusammenstelli
ewichten, Maassen und Preisen der grössten be
locke von Nephrit wünsche ich hier zum Schlass i
jrvollständigen durch folgende weitere Angaben ai
^erke selbst.
pag. 23 unten: ein Stück für 100 Pfiind Sterlinj
pag. 109: ein Stück aus Amerika im Wert
500 Thalern; eines von Kopfgrösse aus dem Amazon
r 50 Pfund Sterling, also 600 Gulden. Da de Laet
Jim Hofjuwelier Kaisers Rudolf II. (1576—1612) sah,
ßh der daraus gefertigte Pokal vielleicht noch in der
;hen Schatzkammer zu Wien auffinden lassen.
pag. 183: eine Schale von 2 — 2^/^ Man (?quid) S
r 50 Dinare.
pag. 194: ein Stück von 237 Pfund.
pag. 195: ein Flacon für 200 Silberrubel =
KX) Francs.
pag. 205: ein Block von 76 Pfund, ein ande
' Pfund.
pag. 207: ein Block von 10.000 Pfund!
pag. 209: ein Block von 2 Fuss Länge; ein
Drm einer Eidechse im Werthe von 120 Dollars (30 G
pag. 229: Stücke im Werthe von 1000—3000,
).000, 70.000 Francs.
pag. 253: Stück von Menschenkopfgrösse.
pag. 266 : Stücke Chalchihuitl (nebst ächten ?Sm£
1 Werthe von 100.000 und von 300.000 Ducaten.
pag. 294: ein Stück im Werthe von 36.000 Do]
pag. 325, 401 : ein Stück von 3—4 Centnern.
pag. 336: Stücke von 8 Pfund, von 3060 Gram
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183
Blondel erwähnt in seiner oben pag. 160 citirten Bro-
schüre, Cap. III, pag. 15, einen Block von 0*610 Meter und
einen zweiten von 120 Kilogramm Gewicht, dann pag. 28,
Cap. X, verarbeitete Stücke für 12.000 und für 72.000 Francs
im französischen Kronschatz.
Uebersicht der zu den Tafeln I bis lY gehörigen
Textseiten.
Taf. I fig.
Taf. II.
Taf. III.
Taf. IV.
:• 1
Uniyersitftts-Mnsenm Prag. Jan
narfaei
ftl878
pag. 23
2
Universitfits-Museom München
»•
r
. 23
3
Ravensborg (Privat)
„
n
n 23
4
Mnsenm (ethnogr.) Münclien
rs
»»
n 24
5
Museum Karlsruhe
n
n
„ 24
6
Museum Wien
n
n
„ 82
7
Staatsmuseum München
^
n
„ 33
8
Polytechnicum München
n
n
„ 33
9 bis 13 Universität Erlangen
n
n
„ 33
14
Universität Tübingen
>'
»
„ 33
15
a. b. Universitäts-Museum Prag
r
n
, 33
16
Halle Universität
„
n
„ 33
17
Halle (Herr Sack, Privat)
»1
»
. 36
18
Göttingen, ethnogr. Museum
n
n
„ 48
19
Malta (Dr. Leith Adams)
M
11
„ 149
20
Copie aus Clavigero
n
r
„ 151
21
a. b. Nationalmuseum Prag
^
»t
„ 164
22bis25 Copien aas Schliemann
n
w
„ 166
26 Copie aus Ollveira Buliioes
n
n
„ 168
Kleinere Mittheilungen.
1.
Prähistorische Commission der knis. Akademie der
Wissenschaften.
Bei den wichtigen wissenschaftlichen Besultaten, zu welchen
die Ausgrabungen in Höhlen, auf prähistorischen Begräbnissstätten
und Wohnplätzen und an anderen dergleichen Fundstellen für die
älteste Geschichte des Menschen , sowie für die Urbevölkerung
Europas geführt haben, und bei dem Umstände, dass solche Fund-
stätten, an welchen die österreichischen Länder besonders reich
sind, gerade in letzter Zeit oft nur zur Gewinnung von Knochen in
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auerlichflten Weise verwüstet wurden, sah sich die n
iturwissenschaftliche Classe über Antrag ihres wi
des, des Herrn Hofrathes v. Hochstet t er veranla
B prähistorische Commission einzusetzen, deren Au:
ird, Höhlenuntersuchungen und paläo-ethnographisc
m und Ausgrabungen auf österreichischem Gebiete zi
und zu fordern, sowie womöglich darüber zu wach(
e Fundstätten nicht in unwissenschaftlicher "Weise fu:
ausgebeutet werden." Die Commission besteht aus d(
»f itgliedcrn : v. Hauer, Langer, Suess, Schmarda
steiler, welcher zugleich zum Obmann derselben
Dr. 1
2.
i8er and Kleider bei den Croaten in Mähren
Nieder-Oesterreich. ^)
na Gebiete Lundenburgs, namentlich aber in den Ort
und Obertemenau (erstere noch in Mähren und die
erreich) ist der Hausbau und dessen Decorirung origir
line gleiche Anordnung, vorspringende Thorhallen,
n kleine Gärtchen mit Gemüse, buntblühenden Moh
Jem Weinlaub, und die Strohdachung bezeichnen dies
he Hausarchitektur.
>och das Charakteristische daran sind die Mauerwände
bs in buntem Roth, Gelb oder Grau grundirt, ganze ]
3llfarbigen Ornamenten, namentlich am Sockel und
lirt haben. -
)ie Ornamente zeigen Bänder, Rosetten, Irrwege,
Spiralen, Blätter und Rhomben, die ob den Fensl
tiorsturzo sich zu grossartigen Bouquets eigener Cor
an.
iesondcrs sind es aber die Formen von Spiralen,
und Rhomben, welche in ihrem primitiven Charak
zierungen mahnen, die sich an alterthümlichen Gefi
klicher Zeit erhalten haben und die hier in aller P
ywohnern immer aufgefrLscht werden.
)enn diese Malereien, von den Weibern selbst gepii
ich zur Kaiserkirchweih erneuert, finden sich so
usgeräth, wie z. B. an den Kleider- und Wäschetn
jschirrständern vor. Anklänge daran weisen auch di
ihrer Gewänder nach. Die Kleidung der Bewohne
rsprünglich Kroaten — ist äusserst malerisch.
) Vgl. Dr. Much. lieber prähistorische Bauart und Verzi
ichen Wohnungen. Bd. VII., 8. 318 bzw. 840.
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185
Die Tracht besteht aus eng anschliessenden, blau- oder roth-
farbigen Beinkleidern, welche mittelst eines Gurtes den Leib um-
schliessen, einem weitärmeligen Hemde, seidenem gesticktem Leib-
chen, ungarischen Czischmen und einem niedrigen runden Hute,
mit einer Menge von Blumen und Schnüren geziert. Das dichte
schwarze Haar wird mit reichlicher Quantität Fett gesalbt, ist um
den Kopf rund geschnitten und in der Hauptmitte gescheitelt.
Das Weib trägt einen kurzen gelben weitfaltigen Rock, ein
seidenes buntgesticktes Mieder, faltige Stiefel und am Kopfe eine
Art Bindwerk unter einem Seidentuche, das rückwärts durch ein
vierkantiges Täfelchen steif gemacht, mit Goldborten verbrämt ist.
Die kleinen Knaben sind von den Mädchen gar nicht zu
unterscheiden, da beide solche Bundhüte und Stiefel tragen.
Im Winter trägt Mann und Weib eine weisse Haiina, ein
aus einem filzähnlichen Stoffe bestehendes, einem weiten Oberrooke
gleichendes Gewandstück. Trapp.
3.
Anthropologische Aasstellnng in Mosltan.
Zur Feier der Eröffnung des grossen culturhistorischen Mu-
seums, welches zu Ehren des Grossfürsten-Thronfolgers in Moskau
gegründet wurde, wird im Jahre 1879 daselbst eine archäologische
und anthropologische Ausstellung stattfinden, die zum Zwecke hat,
die prähistorischen Alter thümer des grossen russischen Beiches
und der angrenzenden slavischen Lä^der dem Westen Europas
bekannt und zugänglich zu machen, sie mit jenen des Westens zu
vergleichen und eine Verbindung des Osten mit dem Westen Europas
anzubahnen. Es ist ein Comit^ der hervorragendsten Archäologen
und Anthropologen Busslands zusammengetreten, an dessen Spitze
Professor Bogdanov fungirt; dasselbe besteht aus dem Grafen
Uvarov, Nil Popov, S^urovsky, Kercelli, Davidov, Fili-
monov, Naumov, Archypov u. a. m. Die Kosten dieser gewiss
viel versprechenden Ausstellung werden durch Geschenke und Dota-
tionen bestritten werden, und es unterliegt keinem Zweifel, dass
bei der so grossen Opferwilligkeit der Russen für Kunst und Wissen-
schaft nicht ein reiches Capital zusammengebracht werden wird,
wodurch diese Ausstellung eine umfassende, höchst interessante
und lehrreiche werden dürfte.
Die Anthropologie und Frähistorik hat in Bussland insbeson-
ders in den letzten Jahren eine so allgemeine und rege Theilnahme
gefunden, dass Bussland, wenn es auf dem betretenen Wege so
weiter schreitet, in dieser Bichtung bald den Westen nicht nur
erreichen, sondern auch überflügeln wird.
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186
Der Russe hat für seine Vorfahren eine unbegrenzte Ver-
ehrung und ist daher auch empfanglich für Alles, was auf ihn
oder seine Vorgeschichte Bezug hat.
Mit welcher Pietät werden nicht die alten Hradidte, die
Kurgane und Gräber betrachtet, oft der geringste Mauerrest yon
historischer Bedeutung geniesst den Schutz sowohl des Volkes als
auch der Behörden. Ein Beispiel hiefur sind die zwei Mauerreste
des alten goldenen Thores von Kiew, die, um sie vor gänzlichem
Zerfall zu bewahren, mit Strebepfeilern gestützt wurden, und um
die ein kleiner Park angelegt ist, dessen Zutritt nur unter Auf-
sicht möglich wird. Es wird kaum vorkommen, dass der busse,
wenn er beim Graben Urnen und andere Alterthümer findet, die
Urnen in vandalistischer Wuth zerschlägt, die Bronze dem Juden
verkauft; er erkennt, dass jene Metallsachen grösseren archäolo-
gischen Werth bergen, als den schnöden Metallwerth ; er übergibt
sie Kennern und wird hiefür auch würdig belohnt. Das ist die
vielgeschilderte Rohheit, die Uncultur des russischen Volkes! Gott
gebe, es wäre dies bei manch anderem Volke der Fall, das sich
so hoch über die Russen stellt.
Den Impuls zur archäologischen Durchforschung und regsten
Theilnahme an der Prähistorik hat der Czar selbst gegeben, indem
er eine kaiserliche archäologische Commission zur Durchforschung
Russlands ins Leben rief und gelehrte Männer ernannte, die das
Land in Districte theilen und systematisch durchforschen.
Die grossen prachtvollen und reichen Sammlungen der grösseren
Städte, wie Petersburg, Moskau, Kazan, Kiew, Helsingfors, Dorpat,
Warschau und vieler anderer, sowie die reichen Privatsammlungen
sind die Früchte dieser Commission.
Man hat ein grosses Material aufgespeichert, das gesondert
und gesichtet streng wissenschaftlich bearbeitet wird. Fast in allen
grossen Städten hat man anthropologische und archäologische Ver-
eine gegründet und sie durch einen Congress vereint, der jedes
dritte Jahr in einer anderen Stadt des Landes tagt ; so wurde er
in Petersburg, Moskau, Kiew, Kazan abgehalten und wird im. Jahre
1880 in TifliJs stattfinden. Auch im Jahre 1879 soll während der
Ausstellung ein ausserordentlicher Congress einberufen werden.
Obwohl die Congresssprache bei diesen Congressen die ruBsische
ist, so sind es doch internationale Congresse, da es jedem Mit-
gliede frei steht, in welcher Sprache immer seine Vorträge zu halten.
Die Ausstellung wird aus drei Abtheilungen bestehen,
und zwar :
1. die Abtheilung der Prähistorik;
2. die Abtheilung der Urvölker;
3. die anthropologische Abtheilung.
Die erste Abtheilung zerfällt in:
a) die Ausstellung von Karten, besonders der Orte, wo Nach-
grabungen gepflogen wurden;
b) der Ansichten dieser Orte;
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187
c) der Modelle von Gräbern^ plastischer Darstellungen wichtiger
prähistorischer Orte;
d) der Skelete, Schädel, entweder wirklicher oder naturgetreuer
Abgösse;
e) der Fundobjecte;
f) der Thier- und P£anzenreste ;
g) der Muster, Bekleidung und Verzierungen,
Die zweite Abtheilung zerfällt in die Ausstellung von:
a) Schädeln und Skeleten der XJrvölker;
b) Abbildungen, Büsten oder Figuren nach Geschlecht und Alter;
c) Wohnungen der XJrvölker;
d) Gefässen, Werkzeugen und Waffen derselben;
e) Producten, charakteristischen Thieren, Pflanzen und Mineralien
der Länder der XJrvölker;
f) Gegenständen des Cultus und Objecten zu ceremoniellen Zwecken.
In der dritten Abtheilung werden ausgestellt sein:
a) die Instrumente und Apparate zum Messen und Gebrauche für
Anthropologen ;
b) anthropologische Gegenstände;
c) Thierknochen und Skelete aus prähistorischer Zeit, welche auf
die Anwesenheit des Menschen auf dem Erdball Bezug haben.
Nur mit Freuden kann der Freund der Urgeschichte und
Anthropologie jenes grosse Unternehmen begrüssen, mit welchem
uns die Hand gereicht wird, den fernen Osten kennen zu lernen,
ohne dessen Eenntniss uns Mittel- und Westeuropäern ein Weiter-
schreiten auf betretener Bahn nicht leicht möglich wird. ^
Dr. Wankel.
4.
Felszelchnnngeii und Insehriften an der atlantischen Küste
Nordamerika's. *)
(Schreiben an Dr. A. Müller in Olmütz.)
Aus weiter Ferne erlaube ich mir in Betreff einer in einem
Felsen an der atlantischen Meeresküste eingemeisselten Inschrift,
welche vor einiger Zeit aufgefunden wurde, mich an Sie zu wenden.
An diesem Theile der atlantischen Küste sind schon wiederholt
Spuren entdeckt worden, welche auf eine weit frühere Verbindung
Amerikas mit Europa schliessen lassen, als die seit der Entdeckung
im Jahre 1492. Schon früher wurden in Grabhügeln einzelne
Geräthe von Bronze und Eisen aufgefunden, ferner einzelne XJeber^
1) Die Bedaction bringt diese kurze Notiz, ohne sich dabei weder fOr
eine f^ere Verbindung Amerika*s mit Europa, noch für den Bestand einer
froheren Eoltar in diesem Theile Amerika*s zu erwärmen. LSsst sich einige
Aehnlichkeit mit den Hinterwäldler-Zeichnungen k la Domeneche nicht ver-
kennen, so ergibt sich doch auch eine Aehnlichkeit mit anderen primitiven Zeich-
nungen, wie z. B. mit dem jüngst von Dr. Em st im Globus B. XXXIII, S. 378
publieirten Felsbildern von Las Caritas bei Tormerito in Venezuela. D. Red.
u,y,uz«u uy ifoOglC
188
reste roher aus Säulen construirter Bauten. Diese früher gemachten
Beobachtungen bin ich in diesem Sommer beschäftigt, kritisch zvl unter-
suchen und zu den schon gemachten möglichst viel neue zu fügen, und
die Frage, ob Amerika schon vor der Entdeckung 1492 von europäi-
schen Völkern besucht wurde, ihrer Beantwortung näher zu bringen.
Die Funde von Bronze und Eisen beweisen uns in der That
die Gegenwart von Völkern, welche nicht mit der indianischen
Urbevölkerung im Zusammenhange stehen, der von den Metallen
nur das Kupfer bekannt war. *)
Ich wurde zu einer Copie dieser seltsamen Inschrift ver-
anlasst durch eine Notiz, welche ich in der Gaea 1877, I. p. 31 ff.
fand, über einen bei Smolensk aufgefundenen Hügel mit einem
erratischen Blocke mit eingemeisselter Inschrift. In der hiesigen
Gegend, wenige Meilen von der Küste entfernt, habe ich im vorigen
Herbste in einer ziemlich flachen Gegend einen isolirten Hügel
aufgefunden, auf dessen Spitze ebenfalls ein etwa 5 Fuss langer,
l'/2 Fuss hoher erratischer Granitblock liegt', der entschiedene
Spuren menschlicher Bearbeitung zeigt. An einer Seite zeigt sich
ein etwa 3 Zoll tiefes genau cylindrisches Loch eingebohrt, die
obere Fläche ist eben und fast geschliffen mit einer Anzahl gerader
Linien, welche, wie ich mich erinnere, einige Aehnliohkeit zeigen
mit der in der erwähnten Notiz gegebenen Abbildung des Smolensker
Steines. Dem Steine dienen zur Unterlage mehrere kleinere Steine.
Ich werde demnächst eine genaue Abbildung des Hügels, des Steines
und der Oberfläche entwerfen und Ihnen dieselbe zu übersenden
mir erlauben.
Die Inschrift des Dighlon Kocks an der Massachussets Küste
ist allerdings sehr eigenthümlich und zeigt in einigen Charakteren
eine gewisse Aehnlichkeit mit indianischer Bilderschrift.
Boston, Massachussets. Prof. P. F. Beinsolu
*) Bis jetzt sind solche Funde kaum mit genügender Sieherfaeit
beglaubigt. D. Bed.
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189
Literaturberichte.
Martin Wilekens : Form und Leben der landwirthsobaftlichen
Hansthiere. Mit 1 72 Figuren im Text nnd 42 Tafeln. Wien 1 878.
Seit den epochemachenden Forschungen Eütimeyer's unterliegt
es keinem Zweifel mehr, dass namentlich jener Theil der Thier-
welt, zu welcher der Mensch in nähere Beziehungen getreten ist,
sich der Aufmerksamkeit, ja des eingehenden Studiums des ür-
geschiohtsforschers nicht mehr entziehen darf. Wir werden vom
Menschen der verschiedenen Culturperioden keine yollständige
Eenntniss erlangen, wenn wir nicht auch die ihn hegleitende
Thierwelt vollständig erkannt haben. Hängt ja doch vor Allem die
Bestimmung der Natur eines Landes, dessen ürbewohner wir
kennen lernen wollen, von der Eenntniss seiner Thierwelt ab.
Ja ich möchte fast so weit gehen, zu behaupten, dass seit
der Gebrauohnahme des Feuers weniger die Erfindung irgend eines
Werk- und Hausgeräthes odejr einer Waffe, oder die Verwendung
eines neuen Materiales zur Anfertigung derselben, als vielmehr das
Yerhältniss, in welches sich der Mensch zu der ihn begleitenden
Thierwelt gestellt hat, einer gewissen Zeitperiode den Charakter
aufdrückt. Einige kurze Blicke auf die verschiedenen Entwicklungs-
stadien des Menschen mögen dies deutlicher machen.
Auf primitiver Culturstufe wird der Mensch in einem Land-
striche, in welchem die Natur ohne dessen Anregung die seinem
Bedürfnisse genügende Menge von Nahrungsmitteln nicht zu pro-
duciren vermag, zum Allesesser (omnivorax), zumal wenn er in
einem Gebiete lebt, auf dem die Zahl der erlegten Jagdthiere
nicht durch Zuwachs von Aussen her ersetzt werden kann. Der
Mensch steht auf dieser Stufe in dem feindseligsten Verhältnisse zur
gesammten Thierwelt; ist das letzte Eänguruh verzehrt, so müssen
Baupen und Eäfer den stets quälenden Hunger befriedigen. Es
ist der elendeste Zustand, in dem sich Menschen befinden können ;
das grenzenlos feindliche Verhältniss zur Thierwelt zieht nach un-
haltbarer Ausrottung derselben das gleiche feindselige Verhält-
niss der Menschen untereinander nach sich ; ihr unvermeidliches
Schicksal ist die Menschenfresserei ! Drastische Beispiele gaben uns
einige Völkerschaften der australischen Inseln.
Ein anderes, glücklicheres Leos fiel jenen Menschen zu, dem
das Schicksal weite, unbegrenzte Territorien als Jagdgebiet zur
Heimat gab, in welchen die Thiere noch hinreichenden Baum
finden , sich vor Nachstellungen zu sichern und so durch lange
Zeit die Lücken in ihrer Zahl wieder auszufüllen. Es ist dies das
Stadium des Jägers und Fischers, die wir in ihrer prägnantesten
Erscheinung in Amerika kennen gelernt haben. Der Mensch steht
hier schon in einem besseren Verhältniss zur Thierwelt; seine
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190
Angriffe beschränken sich auf gewisse Arten derselben, ja zu man-
chen tritt er sogar schon in ein freundliches Verhältniss : er zähmt
den Papagei, anderswo gesellt er sich den Hund als Begleiter und
Gehilfen zu. Aber die Existenz ist doch nur eine unsichere, die
Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses schwankt selbst in günstiger
Zeit zwischen üebersättigung und Hungern. Dieser Zustand, in
dem Jäger- und Fischervölker wohl lange verharren, ist doch nicht
von unbegrenzter Dauer. Wirkliche Jägervölker wenden sich aus
eigenem Antriebe vielleicht nie dem Ackerbaue zu ; da jedoch auch auf
grossen Gebieten die Ausrottung der Jagdthiere zwar langsam aber
unaufhaltbar sich vollzieht, so sind auch sie vor Menschenfresserei
nicht bewahrt und sie gehen sicher dem Untergänge entgegen.
Das erste Mittel , sich vor beiden zu sichern, findet sich,
sobald der Mensch zur Thierwelt in ein freundliches Verhältniss
tritt, sobald er Thiere züchtet. Indem der Mensch gewissen Thier-
arten, wenn auch nicht ohne Tribut ihrerseits, gestattet, in seiner
Nähe, unter seinem Dache zu wohnen, gestaltet sich nicht nnr
das Verhältniss des Menschen zu jenen Thieren, die er in seine
Gesellschaft gezogen hat, besser, sondern auch zu den wilden
Thieren, weil die Jagd, nachdem die Thierzucht dem Menschen
den grössten Theil der Nahrung liefert, nur mehr nebenbei oder
zum eigenen Schutze betrieben wird. Diesen Zustand sehen wir
in Theilen Afrikas.
Das Verhältniss des Menschen zum Hausthiere kann nun
bei Völkern, die sich auf die ausschliessliche Fleischnahrung be-
schränken, ein so einseitiges und exclusives werden, dass es, auf
den Menschen rückwirkend, denselben vollständig beherrscht. Das
Vieh ist Alles, es bildet den ganzen Reichthum, erfüllt das ganxe
Herz des Menschen, und befriedigt in dauernder Weise seine Lebens-
bedürfnisse. Es ist darum dieses Stadium, das des Nomaden Asiens,
der stagnirendste Zustand unter den verschiedenen Entwickluugs-
stadien des Menschen; ohne einen Anstoss von aussen wird der
Nomade ewig Nomade bleiben.
Das glücklichste Loos wurde jenem Theile der Menschheit
zu Theil, den die natürlichen Verhältnisse seiner Umgebung früh-
zeitig veranlassten , sein Nahrungsbedürfniss vorwiegend durch
Pflanzenkost zu befriedigen. Das Verhältniss des Menschen zur
Thierwelt wird ein freundliches, oft geradezu freundschaftliche«
(Hund, Pferd, Kameel, Hauskatze, Sing- und Ziervögel), und er
ist auf dem Wege, dieses Verhältniss zur vollen Harmonie seiner
eigenen Existenz mit der ihn umgebenden Welt zu entwickeln.
Auf diesem Wege geht der europäische Mensch.
Aber auch dieses Stadium ist nicht ohne Gefahr. Die aus-
schliessliche Zuwendung zur Pflanzenkost lässt die Fleischnahrang
entbehrlich werden ; die stets dichter anwachsende Menschenmenge
tritt auch mit ihrer Arbeitskraft an die Stelle der thierischen Kraft,
und das Erforderniss an Nahrung für den Menschen wird allmalig so
gross, dass jedes Fleckchen Boden, jede Frucht desselben für ihn in
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191
Anspruch genommen wird. Weder für Jagd- noch Hausthiere bleibt
Raum und Nahrung übrig, der Mensch verdrängt sie alle, nur
Hunde und Schweine, Thiere, die mit den Abfallen sich begnügen,
jEristen noch ihr Dasein. Auf diesem Stadium steht China. Diese
einseitige Entwicklung, der ausschliessliche Betrieb des Ackerbaues
und völlige Verzicht auf die Hilfe aus der Thierwelt, birgt eine
ungeheure Gefahr, denn die Missernte eines einzigen Jahres bedroht
die Existenz ganzer Länder. Nicht ohne Schaudern hören wir
die Nachrichten über die gegenwärtige entsetzliche Hungersnoth.
Nährten sich vorerst die Lebenden von den Leichen der Gestor-
benen, so wurden später die Schwachen von den Starken verzehrt;
jetzt ist das allgemeine Elend zu einer solchen Höhe gestiegen, dass
die Leute ihre eigenen Blutsverwandten verschlingen. Schrecklichere
Zeiten als diese hatte die Geschichte bisher nicht aufzuweisen.
Wie nicht selten berühren sich die Extreme, und so sehen
wir gleiche Zustände auf der tiefsten Stufe der menschlichen
Existenz wie auf der höchsten Sprosse derselben; überall dort,
wo er die Thierwelt um sich vernichtet hat, den Hunger
und die Menschenfresserei!
In allen Stadien aber, ob dort, wo der Mensch die ihn um-
gebenden Thiere schon ausgerottet hat, oder sie auszurotten im
Begriffe ist, wo er die ersten Schritte zur Aneignung einer höheren
Cultur durch Aufnahme der Thierzucht gemacht, oder von ihr
einseitig befangen und zurückgehalten wird, wo er endlich sein
Verhältniss zur Thierwelt zu voller Harmonie seiner eigenen
Existenz mit der ihn umgebenden Natur zu gestalten sucht, oder
wo er mit Vernachlässigung dieses Frincips keinem Thiere neben
sich mehr Kaum gestattet, alle diese Entwicklungsstadien sind
durch das Verhältniss des Menschen zur Thierwelt begründet, sie
fallen aber auch genau mit den bisher angenommenen Culturstufen
der Menschheit zusammen.
Nicht d&a Werkzeug, dessen sich der Mensch bedient, ist es,
das seine Bildung kennzeichnet; es erhebt den Jäger oder Fischer
auf keine höhere Culturstufe, wenn er das Wild statt mit Pfeilen
von Obsidian nun mit Kepetirge wehren erlegt, und Nomade bleibt
Nomade, ob er einen erhandelten Schmuck aus Bronze oder aus
Talmigold trägt; nur das Verhältniss zur Thierwelt bestimmt und
bezeichnet die Culturstufe des Menschen.
Schon diese allgemeinen Erwägungen gestatten zur Genüge,
den Werth der Thierkunde und insbesondere der Kunde der Haus-
thiere zu ermessen.
Aber auch von der Beantwortung zahlreicher Detailfragen
erwartet die Urgeschichte wichtige Aufschlüsse. Von nicht genug
zu schätzendem Werthe ist für sie beispielsweise die Feststellung
der Hausthierrassen und ihrer Verbreitungsbezirke in Vergangen-
heit und Gegenwart. Wie wichtig diese werden kann, ergibt sich
aus der bis an die Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, dass
die verschiedenen Hausthierrassen Zucht ungsproducte verschiedener
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Völker, also eine gewisse Rasse etwas einem gewissen Volke £igen-
thümliches gewesen , dass sonach auch die Verbreiiungsbezirke
gewisser Hausthierrassen einmal der Verbreitung der sie züchten-
den Völkerstämme entsprochen haben müssen. Es ist dies eine
noch nicht beachtete Seite, deren Erforschung uns in Verbindung
mit anderen Erscheinungen manche Behelfe bieten, manches Resul-
tat gewähren kann. Man denke in dieser Beziehung an die Rolle,
welche beispielsweise Büffel und Steppenrind und andere Haus-
thierrassen noch heute spielen.
Es darf daher das Buch des Verfassers, dessen Name auf
dem Gebiete unserer Forschungen und auch speciell den Lesern
der „ Mittheilungen ** bekannt ist, bei den ürgeschichtsforschern
gerechtes Interesse beanspruchen. Zunächst ist dasselbe allerdings
als wissenschaftliche Grundlage einer Ttieorie der Thierzucht und
daher für andere Kreise geschrieben, denen wir die Beurtheilnng
des dahin einschlägigen Materials überlassen müssen; der TJr-
geschichtsforscher wird indess noch genug des Wissenswerthen in
ihm finden. Ich verweise in dieser Beziehung auf den Theil des
Buches, welcher die Anatomie der landwirthschaftlichen Haus-
thiere, und insbesondere das Knochengerüste behandelt, und von
einer grossen Zahl trefflicher Holzschnitte illustrirt wird. Von be-
sonderem Interesse sind hievon die Tafeln, welche den Zahn-
wechsel von Pferd und Rind darstellen. Die Beschreibung des
Knochengerüstes gibt dem Verfasser noch einmal Gelegenheit, die
Charaktere und Differenzen von vier alten Rinderrassen : der
Ürrasse, der grossstirnigen , der kurzhornigen und der von ihm
constatirten Duxer Rasse durch ineinander gezeichnete Schemata
darzustellen.
üeber die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Haus-
thier, das ist in Bezug auf Pflege und Nutzung und auf die
Züchtung, erhalten wir interessante Aufschlüsse. Nur ein Einblick
in das Werdende wird uns das während der Jahrtausende ohne
unsere Beobachtung Gewordene erklären. Dr. Mach.
Dr. C. Mehlis: Studien zur ältesten Geschichte der Bbein-
lande. Dritte Abtheilung. Mit zwei lithographirten Tafeln.
Leipzig 1877.
Nsujhdem der Verfasser bereits in den beiden ersten Abthei-
lungen seiner Studien alle bis dahin bekannten urgesohichtlicben
Funde des von ihm zum Gegenstande seiner speciellen Forschungen
gemachten archäologischen Gebietes, das nahezu in die Grenzen
der baierischen Rheinpfalz fällt, gesammelt und in geistreicher
Weise besprochen hatte, setzt er diese Arbeit auch in der dritten
Abtheilung fort. Nach einer Einleitung über die prähistorischen
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Stadien im allgemeinen auf die prähistorischen Funde der Pfalz
übergehend, betont er namentlich, wie die Culturwege den frucht-
baren Thälem und niederen Gebirgspassagen folgen. Andrerseits
sind es gerade solche zur Ansiedlung verlockende Gebiete, von
denen zuerst in dauernder Weise Besitz ergriffen, und die zur
Erhaltung desselben mit Vertheidigungs werken versehen wurden.
£s darf daher nicht wundern, wenn wir im Mittellaufe der beiden
grössten Ströme Deutschlands, „an dem die Reben grünen und die
Mandel reifen **, in deren fruchtbaren, an Wiesen und Ackerland
reichen Gelände, gleicher Weise eine Beihe ältester Niederlassun-
gen und Vertheidigungswerke finden. Begreiflicher Weise muss
unser Interesse für derartige Erscheinungen um so lebhafter werden,
wenn wir bei näherem Eingehen auf Vergleiche zur üeberzeugung
kommen, dass die Analogie zwischen den prähistorischen Ansied-
lungen am Rhein und an der Donau weit tiefer geht, als es nach
diesen allgemeinen Zügen scheint.
Indem ich mit dem Verfasser der „Studien" in der Werth-
schätzung solcher Vergleiche übereinstimme, kann ich es mir
nicht versagen, um des Interesses halber, den sie für die Erscheinun-
gen in unserer Heimat haben, auf die vom Verfasser beschriebenen
Ausiedlungen und Vertheidigungswerke der Rheinlande aufmerk-
sam zu machen. Namentlich ergibt sich zwischen dem Festungs-
werke von Stillfried an der March und der Ringmauer bei Dürk-
heim an der Hart eine überraschende Aehnlichkeit, die so sehr
ins Einzelne geht, dass sie nur durch eine vollständige Gleith-
zeitigkeit und nationale Zusammengehörigkeit genügend erklärt
werden kann.
Beide Ausiedlungen haben schon die Anlage auf Hochflächen
gemein, die durch ihre natürliche Umgrenzung möglichsten Schutz
bieten, auf vorspringenden Plateaux, die durch den Bau mächtiger
Wälle, namentlich an der mit dem Massiv der Terrainerhebuug
zusammenhängenden und daher hier leichter zugänglichen Seite
völlig iflolirt werden.
Eine Differenz ergibt sich hierbei in dem zum Bau der
Wälle verwendeten Materiale, die nicht durch Zeit- oder nationale
Verschiedenheit, sondern lediglich durch örtliche Verhältnisse be-
dingt ist. In Dürkheim wurden zum Bau des Walles Steine ver-
wendet, welche die Umgebung in reichlicher Menge lieferte, auf
dem steinlosen Stillfrieder Boden dagegen Erde, der man durch
Brennen die Härte der Steine zu geben versuchte.
Wenn die Grössen Verhältnisse fast völlig übereinstimmen, so
ist dies allerdings Zufall, doch immerhin bemerkenswerth ; der
Umfang beider Festungswerke beträgt in runder Zahl 1900 M.,
ihr Längendurchmesser über 700 M., der Breitendurchmesser der
Dürkheimer Ansiedlung 600 M., jener der Stillfrieder 455 M. ; die
Gesammtfläche von Dürkheim 28, jene von Stillfried 27 Hektaren.
Eine gleiche Analogie zeigt sich in der Zeit, der beide Au-
siedlungen angehören; die Gründung Stillfrieds fällt in die Zeit
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vor Ankunft der Eömer, zufolge des Charakters aller Funde g^ea
das Ende der Hallstätter Oulturperiode. üeber die Zeit der Grün-
dung der Ansiedlung inner der Dürkheimer Eingmauer spricht
sich Mehlis nicht mit yoller Sicherheit aus, jedenfaUs scheint sie
weiter zurückzureichen als der Bau der Stillfrieder Wälle. Die
Schlussfolgerungen aus den Funden von Steingeräthen mÜBsen
jedoch sehr vorsichtig gemacht werden. Lange vor dem Bau der
Wälle können kleinere Ansiedlungen, in denen von Steingeräthen
noch ein reichlicherer Gebrauch gemacht wurde, bestanden haben ;
in Stillfried haben die Steingeräthe möglicher Weise nur mehr
als Amulete gedient, denn ein Steinhammer, der keine Spur des
Gebrauches zeigt, zeichnet sich durch riesige Grösse aus, eine
Steinaxt ist durchbohrt, in derselben Weise, wie wir sie in Deutsch-
land, Dänemark und zuletzt durch Emile Cartailhac in seinem
Werke : l'Age de pierre dans les Souvenirs et superstitions popn-
laires kennen gelernt haben.
Aber auch hierin ergibt sich zwischen beiden Orten eine
auffallende Analogie. Es ist nämlich nicht gerade das Innere der
Dürkheimer ümwallung so besonders reich an Steingeräthen, als
vielmehr, wie auch aus Dr. Mehlis' „Bemerkungen zur prä-
historischen Karte der Rheinpfalz** hervorgeht, vornehmlich
dessen Umgebung ausserhalb der Mauern. Ganz ähnlich ist es mit
Stillfried, auch hier werden nicht wenige Steingeräthe in der
Umgebung ausserhalb der Wälle gefunden, so besonders bei der
Bochuskapelle , wo auch die Gefässreste durchaus einen älteren
ChareÜLter zeigen. Man gelangt dadurch auf die Vermuthung, dass
die Bevölkerung des Landes erst in den kleineren Ansicdlungen
sesshaft gewesen, und später, als das Geföhl der Zusammengehörig-
keit lebhafter und inzwischen der Gebrauch metallener Geräthe
allgemeiner geworden war, zur gemeinsamen Vertheidigtfng geeig-
netere Plätze aufsuchte und dieselben mit Wällen umschloss.
Die Ausgrabungen innerhalb des Wallkreises von Dürkheim
ergaben wie in Stillfried ebenfalls zwei Culturschichten. Die
untere in ^4 ^- Tiefe lieferte eine Unmasse von Thonscherben,
alle aus freier Hand gefertigt, schlecht gebrannt, mit Resten von
Bemalung mit rother Erde, und meistens in solcher Weise orna-
mentirt, dass diese Verzierungen denen von Stillfried zum Ver-
wechseln gleichen. In dieser Schichte fanden sich rohe Steinwerk-
zeuge, Wirtel und ein Bronzeschlacken vor. — Die obere Schichte
enthielt — ebenfalls genau wieder wie in Stillfried — römische
Münzen, Scherbenstücke ohne Verzierung mit Drehscheibenrondong,
darunter Reste von Gelassen aus terra sigillata.
Was den ethnologischen Charakter beider Wohnplätze be-
trifft, so gesteht auch Mehlis zu, dass nicht nur nichts gegen
den germanischen Ursprung der unteren Culturschichten spricht,
sondern dass insbesondere die -Funde von Stillfried die Möglichkeit
desselben sogar unterstützen. Unsererseits acceptiren wir dagegen
mit Beifall den Ausdruck: , Bauernburgen der Vorzeif, den
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Mehlis für die alten BefestignngeD wählt. Nichts kann treffender
diese Stätten, nichts aber auch das Volk besser bezeichnen, welches
diese Stätten bewohnte: ein Volk von Bauern hat hinter ihren
Wällen seine Freiheit und Selbstständigkeit in activer Weise ver-
theidigt und für alle Zeiten« erhalten.
Dagegen kann ich mich der Anschauung des Verfassers nicht
anschliessen, in soweit er in Zweifel zieht, dass das Volk von
Stillfried je eine Bronzecultur hatte, indem er meint, dass mög-
licher Weise die Nähe der Bezugsquellen norischen Eisens den
Eintausch von Bronze unnöthig machte und die intensive Berührung
mit diesem Producte verhinderte. Aber abgesehen davon, dass ja
für die Alpenländer, also für das Froductionsgebiet des norischen
Eisens selbst der Gebrauch der Bronze, in dem prähistorischen
Bergwerke von Mitterberg sogar der Gebrauch kupferner Geräthe
nachgewiesen ist, lassen es die zahlreichen Funde prächtiger Bronze-
sachen aller Art auch für Niederösterreich, und ganz insbesondere
die Bronzefunde von Kronberg, Nikolsburg, Eisgrub, Untersiebe n-
brunn, Limberg, Heiderstatt, Stockerau u. s. w. durchaus nicht
zweifelhaft erscheinen, dass man sich in diesem Lande und insbe-
sondere auch in dessen Theile jenseits der Donau der zu Schmuck,
Waffen und Werkzeugen verarbeiteten Bronze in sehr reichlicher
Menge bedient habe.
Was in dieser Beziehung Stillfried speciell betrifft, so ge-
währten die bis zum Schlüsse des Jahres 1874 gewonnenen Unter-
suchungsresultate, die in meiner Abhandlung über germanische
Wohnsitze und Baudenkmäler in Niederösterreich (Mittheil, der
Anthrop. Gesellsch. V. Bd. S. 37) veröffentlicht wurden, allerdings
keine directen Hinweise auf den Gebrauch der Bronze; allein die
in den folgenden Jahren fortgesetzten Forschungen, die noch nicht
im Druck veröffentlicht sind und daher dem Verfasser auch noch
nicht bekannt sein konnten, ergaben nicht nur Beste durch Feuer
zerstörter Bronzeobjecte, sondern auch noch vollständig erhaltene
Bronzesaohen, wie z. B. eine Nadel, deren Kopf durch das in einen
Spiraldiskus auslaufende obere Ende gebildet wird, aus zwei Spiral-
disken bestehende, sogenannte Brillenfibeln, von Werkzeugen eine
sehr schöne Pincette, Pfriemen, ein Messer, und endlich ein Säge-
blatt aus Bronze, nach Art unserer Sägeblätter aus Stahl, mit
abgenützten Zähnen. Ich lege namentlich auf letztere Fundstücke
besonderen Werth, da sie zeigen, dass die Bronze nicht lediglich
zu Schmuck und „Tand'', sondern wie die abgenützten Zähne der
Säge zeigen, zu ganz reellen Werkzeugen verarbeitet worden ist.
Dies gibt mir schliesslich Veranlassung, die Buhe zu betonen,
welche Mehlis den vielleicht doch mehr blendenden als wirklich
begründeten Angriffen einiger Gelehrter gegen die Existenz einer
Bronzezeit und gegen den einheimischen Ursprung aller Bronze-
geräthe bewahrt, und mit Becht bemerkt er, es sei ein Irrthum,
dass Eisen mir nichts dir nichts verschwinde und man könne doch
auch über den Besitz der Bronzen nichts sagen, wenn man nicht
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im EJaren ist, ob die GuBsformen einheimischer Industrie oder
wandernden Metallgiessern ihren Ursprung verdanken.
Vortreffliche Worte, und ich bedaure, dass es hier an Baum
fehlt, ihnen weiter zu folgen. Da wir Beide indess auf dem, von
uns gewissermaassen eroberten, unter sich so analoge Erscheinun-
gen zeigenden Gebieten unverdrossen weiter zu arbeiten gesonnen
sind, so hoffe ich, dass wir uns bald wieder begegnen werden.
Dr. Huoh.
A. B. Meyer: Die ICalangs auf Java. Separat- Abdruck aus der
Leopoldina. Heft XIII, 1877.
Die Kalangs sind nur schwache üeberreste eines Yolksstammes,
welcher früher auf der Insel Java eine grössere Verbreitung gehabt
hat, jetzt aber theil weise durch Vermischung mit den malayischen
Stämmen, theilweise auch durch Aussterben so gut wie verschwun-
den ist. ücberlieferungen und sonstige Umstände deuten darauf
hin, dass sie Java bewohnt haben, ehe es von Malayen bevölkert
wurde. Dieser schwarzhäutige, kraushaarige Menschenschlag schliesst
sich nach den Vermuthungen des Verfassers an die Negritos der
Philippinen, an die Semangs und die Andamanesen an. Von be-
sonderem Interesse sind die beigefügten Abbildungen eines Kalangs,
eines Negritos von Luzon, und eines Semangs von der Halbinsel
Malakka, die wirklich auf eine gleiche Abstammung schliessen
lasReii. Dr. Fligier.
4.
Dr. Mattei: Etudes sur les premiers habitants de la Corse,
Bulletins de la Soci^te d'Anthropologie de Paris, 1876,
p. 597 u. f.
Von Wichtigkeit für die Frage nach der Herkunft der Corsen
ist das Zeugniss des Spaniers Seneca, der während seines Exils
auf Corsica in den Bewohnern dieser Insel Verwandte der Iberer
erkannt haben will. Nach Mattei sind alle Corsen dolichokephal^
und er erinnert sich nicht einen brachykephalen Corsen gesehen
zu haben, was auch schon früher Broca bemerkt hat. Die alten
spanischen Schädel von Gibraltar, St. Milagro in Asturien, aus
Biscaya und Guipuzcoa sind ebenfalls dolichokephal, ebenso ein
Theil der spanischen Basken. Die alten und modernen Ortsnamen
Corsicas scheinen in ihrer Mehrzahl der Urbevölkerung anzugehören.
Der Verfasser hat den Prinzen Lucian Bonaparte, einen bedeuten-
den Kenner der baskischen Sprache, befragt, ob sich die oorsischen
Ortsnamen aus dem baskischen erklären lassen. Prinz Bonaparte
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hat in der That einige Deutungen versucht, und setzt hinzu, dass
Orte wie Artica, Sari u. s. w. auch im Lande der Basken vor-
kommen. Dr. Fligier.
5.
Jobn Karl : On the Ethnography of Sootland. The Journal of
the Anthropological Institute, 1876, p. 9 u. f.
Herr Earle macht auf die grosse Aehnlichkeit in der Phy-
siognomie zwischen Schotten und Norwegern aufmerksam, welche
durch die historisch feststehenden Niederlassungen der l^ormanen
an der schottischen Küste und auf den Orkneys-Inseln leicht zu
erklären ist.
Ari Frodi (1067 — 1148), von norwegischer Herkunft, erzählt
in seinem Landnama-Bok, dass König Olaf der Weisse Irland
erobert habe und dass sein Sohn Thorstein der Eothe in Verbin-
dung mit Sigurd, dem Beherrscher der Orkneys-Inseln, Oaithness,
Sutherland, Iloss, Moray und mehr als die Hälfte Schottlands
erobert und beherrscht habe. Hierauf kamen die Dänen, deren
Eroberungen längs der Ostküste Grossbritanniens bis zum Firth
of Forth sich erstreckt haben.
Auch in der Sprache der Schotten fand Herr Earle mit Zu-
grundelegung des isländischen Lexikons von Vigfusson, nordische
Elemente. Die schottischen Ortsnamen sind theils keltisch theils
norwegisch. Norwegisch sind die Endungen dale^ feil, firth, gate
(in der Bedeutung Strasse), gill, haugh und finden sich im südlichen
Schottland vor. Die Patronymica sou, wie z. B. Nelson, Anderson,
sind dänischen Ursprungs. lieber die keltische Bevölkerung des
Hochlandes erfahren wir von Herrn Earle nichts. Wahrscheinlich
werden dieselben dem kymrischen Zweige der Kelten angehören,
die nach Broca dolichokephal sind, mit heller Haut- und Haar-
farbe, während die wirklichen Kelten, wie sie sich noch jetzt in der
Auvergne und Bretagne vorfinden, exquisit brachykephal sind, mit
dunkler Haut- und Haarfarbe. Irische Schädel von einem alten
Begräbnissplatz, die Herr Virchow gemessen hat, sind dolichokephal.
Bei dieser Gelegenheit will ich bemerken, dass der Engländer
Thomas Nicholas beweisen wollte, die heutigen Engländer wären
im Wesentlichen Nachkommen der keltischen Britannier. Wenn
auch diese Ansicht übertrieben ist, so ist es ebenso sicher, dass
die Angeln und Sachsen meistentheils ohne Frauen hinüberkamen
und sich deshalb mit der einheimischen Bevölkerung vermischen
mussten. Ebenso ist auch anzunehmen, dass nur ein geringer
Theil der Britannier nach Armorioa ausgewandert ist. Nach Cäsar
waren die Britannier belgischer oder, wie Broca sagen würde, kym-
riflcher Abstammung, nun ist aber in der Bretagne der kymrische
Typus sehr selten. Auch darin müssen wir Herrn Nicholas Beoht
geben, dass die Begleiter Wilhelm des Eroberers nicht nur aus Nor-
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manen, sondern auch besonders aus den romanisirten Kelten der
Normandie und Bretagne bestanden. Die Bewohner Grossbritanniens
und Irlands besteh en demnach in ihrer grossen Mehrzahl aus
Kelten und Germanen, wobei im Westen das keltische, im Osten
das teutonische und skandinavische Element vorherrscht. Es zeugt
von Unwissenheit in ethnologicis, wenn in der Presse Stimmen
laut werden, welche in den Jahren 1870 und 1871 den Engländern
ihre germanische Abstammung ins Gedächtniss zurückriefen. Von
anthropologischem Standpunkte hätten ja auch die Franzosen das-
selbe Becht gehabt.
Dr. Fligier.
Dr. Earopaens: Sohliessliohe Bestimmung über den afirika-
nisohen doliohokephalen Schädeltypus der Osljaken und
Wogulen, der reinsten Nachkommen der über Nord-
Europa einst weit verbreiteten Ugrier. Zeitschrift für
Ethnologie. Berlin 1876, p. 81—88.
Der Verfasser und der schon verstorbene Akademiker Baer
haben gezeigt, dass die Schädel der Ostjaken und Wogulen im
Gegensatz zu ihren Verwandten im ethnologischen Sinne, den
Ungarn, entschieden dolichokephal sind. Diese Entdeckung wird
Niemanden überraschen, der mit dem anthropologischen Habitus
der Ungarn etwas vertraut ist. Die Ungarn gehören wohl sprach-
lich (ethnologisch) den Ural-Altaiern an, anthropologisch gehören
sie zur mittelländischen Race. Slavische, germanische, dako-roma-
nische Elemente bilden ausser anderen den grösseren Theil der
Nation.
Baer und Europaeus haben zwar ungarische Schädel mit
wogulischen nicht verglichen, doch wissen wir aus den Messungen
Lenhossek's, dass die Ungarn brachykephal sind. Anthropologie
und Ethnologie decken sich wiederum einmal nicht. Herr Europaeus
will auch als Linguist gelten und hat als ein solcher eine Ver-
wandtschaft des Finnisch -Ugrisohen mit dem Arischen und dem
Semitisch-Baskisoh-Afrikanischen (sie!) entdeckt (!!).
Wir wünschen indess aufrichtig im Interesse des Verfassers,
dass seine Zahlwort ertabelle, die er ankündigt, Linguisten nicht
in die Hand falle.
Dr. Fligier.
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Berichtigungen.
1.
In der Abhandlung „über prähistorische Wohn- und Begräbniss-
plätze aus dem mittleren Goldbachgebiete in Böhmen'' soll es im
Titel und in der Note, Seite 1, heissen Tisch er statt T ichler;
ferner Seite 4, Zeile 14, Linien, Grübchen statt Linien-Grüb-
chen; endlich Seite 4, Zeile 16, erschliessen statt schli essen.
2.
Durch ein Versehen, und wegen meiner Entfernung vom
Druckorte konnte ich die Correctur des letzten Abschnittes meiner
„Mittheilungen aus dem Museum^ nicht selbst besorgen; die Schädel
Fig. 7. SchSdel von Weikersdorf.
von Weikersdorf und Oedendorf in Fig. 7 und 9 sind leider
in Folge dessen in ganz unverständlicher Orientirung wieder ge-
geben worden. Die Liberalität der Redaction ermöglicht mir nun-
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Fig. 9. SchSdel von Oedendorf.
mehr, dies durch die oben.stehenden, richtig orientirten Abbildnngcn
nach Thunlichkeit wieder gut zu machen.
Paris, Juni 1878. Dr. v. Luscban.
Vereinsnachricht.
Anzeige in Betreff des Wiederbeginnes der Versammlungen.
Zufolge de« in der Sitzung am 11. Juni l. J. gefassten
Beschlusses des Ausschusses werden die Monats -Versammlungen
der anthropologischen Gesellschaft am Dienstag, den 12. NoTem-
ber d. J. (wie bisher im Saale der Gesellschaft der i
7 Uhr Abends) wieder beginnen.
E«daetl«ii-ComlUt Hofi^th Frans Ritter t. Ha««r, Hofimth Carl Lucerj
Prof. Friedr. Hlll»r, Dr. WakraiaiB, Prof. Job. W«Mfich.
l>raek tob Adolf Uot>h«iu«n ia \Vi«a
k. k. l*ml«ami«M-».-ctt4(««k*r«t.
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VIII. Band. Ausgegeben den 4. October 1878. Hr. 7 — 9.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
m WIEN.
lakalt: Dr. Carl Freiherr von Rokitansky f. — Uebor den Ackerbau der Germanen.
(Zur Hochäcker-Frage.) Von Dr. M. Much. — Germanische Befestigungen des oberen
Waagtbales in Ungarn. Von Julius Neudeck. (Mit zwei Abbildungen.) — Zur pr&bistorischen
Ethnologie der pyrenäischen Halbinsel. Von Dr. FHgier. — Kleinere Mittbeilnng : Professor
Mantegazza ober Kiiitheilung der Kacen. Von Dr. Fli^ier. — Literaturbericbt : Savelsberg.
Beiträge zur Entzifferung lykischer Sprachdenkmäler. — Kopernicki. Nowy przyczynek
do antropologii przedhistorycznej ziem polskich. — Hunfalvy. Ethnographie Ton Ungarn.
— Wentworth Webster. The Basqne and the Kelt. — Vereins-Mittheiinng.
iVm J)ienstag, den 23. Juli d. J., starb der
von allen Mitgliedern verehrte und geliebte
Präsident der antbroplogisclieii ßesellsctian in Wien,
D'- Carl Freiherr von Rokitansky.
Am 13. Februar 1870 zum Präsidenten ge-
wählt, eröffnete er die constituirende Versamm-
lung der Gesellschaft mit einer vom allgemeinen
Beifalle begleiteten Rede und legte damit den
ersten Grundstein zu dem Gebäude, in dem die
anthropologisch-urgeschichtliche Forschung in
Oesterreich eine einigende Stätte fand.
Bei allen späteren Wahlen immer aufs
neue von der Gesellschaft zum Vorsitze be-
rufen, ist Freiherr von Rokitansky ihr
seitheriger einziger Präsident gewesen.
Trotz der immer heftiger und schmerz-
voller werdenden Krankheit, welche dem ge-
feierten Manne die letzten Lebensjahre ver-
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kümmerte, verfolgte er alle, auch die schein-
bar unbedeutendsten Arbeiten und Fragen im
Schoosse der Gesellschaft mit eingehendem In-
teresse, und dankbar gedenken wir der Auf-
munterung, welche nicht nur seine lebhafte
Theilnahme, sondern auch ganz insbesondere
seine stete freundliche Anerkennung der Lei-
stungen Anderer, und sein persönlicher Zu-
spruch allen auf dem Gebiete unserer Wissen-
schaften Arbeitenden einflösste.
Freiherr von Rokitansky hat hiedurch
nicht weniger erfolgreich gewirkt, als er es
durch direktes Eingreifen in eine, die volle
Manneskraft erfordernde Thätigkeit vermocht
hätte: sein Geist wirkte durch Andere.
Mit Rokitansky erlosch eine helle
Leuckte der Wissenschaft; von ihr strahlt kein
neues Licht mehr aus, aber das Gebiet der
Wissenschaften, das einmal von ihr erhellt
worden ist, sinkt nicht in das Dunkel zurück,
sondern leuchtet nur selbst fort, stets neue
Strahlen empfangend und entsendend.
Was Rokitansky auf diesem engeren For-
schungsgebiete geleistet hat, ist vielfach und
eingehend gewürdigt worden; was ihm aber
die Gesammtheit der Forschung, die anthro-
pologische- insbesondere, zu danken hat, was
ihm sein bleibendes Andenken im Herzen Aller
sichert, ist sein rastloser Eifer für die Wissen-
schaft überhaupt und sein muthvoUer Kampf
fOr die Freiheit der Wissenschaft!
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203
^ Ueber den Ackerbau der Germanen.
(Zur Hochäcker-Frage.)
Von
Dr. M. Much.
Nicht irgend eine andere Frage beschäftiget so die Ge-
müther der Urgeschichtsforscher, als jene über die Berechtigung
der Dreitheilung der vorgeschichtlichen Zeit in ein Stein-,
Bronze- und Eisenalter. In den letzten Jahren sind, wie bekannt,
voran deutsche Forscher angriflfsweise vorgegangen, haben
manchen Gegner heftig angerannt und wuchtige, das Gebäude
der Dreitheilung erschütternde Schläge geführt. Indess ist der
Erfolg der vielleicht doch mehr überraschenden und blenden-
den Angriffe gegen das „alte System*^ noch keineswegs ge-
sichert; einer etwas ruhigeren Anschauung will es scheinen,
dass die Gegner der Existenz einer Bronzezeit weit über das
Ziel hinausgeschossen haben, und dass der Kampf, in den immer
mehr Streiter eintreten, wohl nicht so bald und nicht auf
europäischem Böden ausgefochten werden wird. So gewiss man
nämlich den Urmenschen nicht in Europa findet, ebenso ge-
wiss wird man den Ursprung der Cultur nicht in Europa finden,
und den Streit erst auf Grund von Funden in der westlichen
Hälfte Asiens entscheiden können.
Bei diesem Streite handelt es sich wesentlich um das
Mittelglied der Dreitheilung, nämlich um den Bestand eines
reinen Bronzezeitalters im Allgemeinen, und fiir Europa im Beson-
deren, und es ist darum begreiflich, dass damit die Frage um
die Bedeutung und die Herkunft der zahlreichen Bronzegegen-
stände, die nun einmal da sind und nicht verschwinden gemacht
werden können, in engster Verbindung ist. Die Gegner der
Dreitheilung, beziehungsweise der Existenz eines Bronzealters
erklären alle Bronzegegenstände, ohne Unterschied ob Schwert
oder Nadel, ob Axt oder Armring als „Tand", der höchstens
als Schmuck und nie als brauchbares Werkzeug gedient haben
konnte, und von den Handelsreisenden etruskischer Bronze-
fabriken den blöden Bewohnern des Nordens — wofür? das
weiss man nicht — verschachert worden ist. Die zweifellose
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P^xistenz zahlreicher Guss Werkstätten diesseits der Alpen wird
mit der Bemerkung abgethan, dass diese nur Werkstätten
wandernder Bronzeschmiede aus Etrurien gewesen seien. Der
I^evölkerung aller Länder diesseits der Alpen ward endlich
zur Erleichterung der Beweisführung das Maass der Cultur,
das sich in der Anfertigung der Bronzegeräthe zweifellos und
in hohem Grade äussert, ganz abgesprochen und deren geistige
Befähigung, derlei Bronzesachen selbst zu erzeugen, auf das
Entschiedenste in Abrede gestellt.
Die Germanen, und um diese handelt es sich ja zumeist,
seien ja nach der einstimmigen Schilderung der klassischen
Schriftsteller doch nur Jäger und Hirten gewesen, die kaum
erst die rohesten Anfange des Ackerbaues sich angeeignet
hatten, und es widerspreche dem natürlichen Gange der Cultur-
entwickelung, wollten wir einem solchen Volke, das kaum schon
ein geeignetes Geräth zur Bearbeitung des Bodens besessen
haben konnte, zumuthen, dass es die Kunst der Erzeugung
solcher Bronzeschwerter, solcher Geßlsse, solcher Haftspangen,
kurz air des „Tandes" aus Bronze, der so oft Formen klassi-
scher Schönheit zeigt, so ohne alle Vorbereitung, ohne alle
Vermittlung und ohne den nothwendigcn Uebergang von dem
rohen Anfange durch alle Zwischenstufen hindurch bis zur
völligen Durchbildung sich selbst habe aneignen können.
Aber es muss schon der Umstand unsere Aufmerksamkeit
erregen, dass diese ungebildeten Völker Gefallen an den schönen
Dingen des Südens gefunden haben. Wie jetzt die Funde allent-
halben zeigen, ist zwischen den Bronzeobjecten des Nordens
und Italiens, was die Schönheit der Form betrifft, kein wesent-
licher Unterschied, wenngleich landschaftliche Abweichungen
bestehen. Wenn demnach diese Bronzesachen wirklich nur
erhandelte wären, so würden sie doch ein beredtes Zeugniss
für den guten Geschmack der nördlichen Völker geben, der
ein ebenso durchbildeter gewesen sein muss, wie jener der süd-
lichen Völker selbst, die sich ja mit den nämlichen Dingen
schmückten.
Auffallen muss femer die ungeheure Menge der Bronze-
gegenstände, deren allerkleinster Theil nur in unseren Museen
eine Zufluchtsstätte gefunden hat. Viele mag noch der Boden
bergen, weitaus mehr sind gänzlich zu Grunde gegangen! Wie
viele mögen allein in unseren Kirchenglocken stecken, von
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denen in weit auseinander liegenden Gegenden die Sage geht,
dass sie aus dem Erdboden gewühlt wurden, und welche somit
andeutet, dass ihr Material aus grossen Funden von Bronze-
gegenständen besteht. *) (Jegenüber einem solchen Reichthum
an damals jedenfalls sehr theueren Gegenständen, die wir im
Besitze der nordisclien Völker sehen, muss man fragen, womit
sie denn dieselben bezahlen konnten, wenn sie noch auf so
tiefer Culturstufe gestanden sind, die ja, wie wir anderwärts
beobachten, immer mit einem gewissen Grade von Armuth ver-
bunden ist?
Es ist eine ebenso bekannte, als sichere Thatsache, dass
Jäger- und Ilirten-Viilker, als welche man die Germanen dar-
zustellen liebt, durch die Berührung mit Culturvölkern nicht
etwa selbst zur Cultur emporgehoben werden, sondern imter-
gehen. Sie haben mit dem gegenwärtigen Zustande auch das
Ziel ihres Daseins erreicht, und die Cultur wirkt nicht erhebend,
sondern wie eine Krankheit auf sie, durch die sie trotz philan-
tropischer Gesetze und Schutzmittel allmälig, aber unaufhaltbar
dahinsterben. Der Indianer braucht nur europäische Kleider
anzuziehen, um sofort einem Heere von Krankheiten ausgesetzt
zu sein. Da wir aber umgekehrt sehen, dass die nördlich der
Alpen wohnenden, also germanischen Völker bei der ersten Be-
rührung mit den angeblich so hoch überlegenen Culturvölkern
des Südens sofort den Kampf mit denselben aufnahmen, und
im Stande waren, das römische Weltreich schliesslich in Trüm-
mer zu schlagen, so mussten die Germanen doch etwas mehr
als ein Volk von Jägern und Hirten und halbe Wilde ge-
wesen sein.
Jäger- und Hirten -Völker brauchen ein ungeheueres Ter-
rain zu ihrer Existenz, und da Germanien nach der Beschreibung
der klassischen Schriftsteller damals auch noch zum grössten
Theile von Wäldern und Sümpfen bedeckt gewesen sein soll,
überdies auch geographisch viel eingeengter war, als heute, so
lässt sich gar nicht ermessen, woher denn die Germanen ihre
nachhaltige Kraft geschöpft, wo die „Vagina gentium" gewesen,
') Die grosse Glocke des Wallfahrtsortes Maria Kulm bei
Eger in Böhmen soll von Säuen aus der Erde gewühlt worden
sein, ebenso die Glocke der Kirche zu Stillfried im Marchfelde;
bei Winkel im Felde, nächst Kirchberg am Wagram, hat ein Stier
die Glocke mit den Hörnern ausgegraben.
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welche während mehr als eines halben Jahrtausends jene un-
gezählten Sehaaren germanischer Völker ausschütten konnte,
die fort und fort nach dem Süden drängten, auf zahllosen
Schlachtfeldern an den Gestaden des atlantischen Ozeans wie
an den Küsten Kleinasiens, auf den Schneefeldern des Nordens
wie im Wüstensande Afrikas verbluteten, und die doch, als
die gewaltigen Völkei-wogen sich ebnen und zur Ruhe gelangen,
die Herrschaft über Europa in den Händen haben!
Das sind nicht Jäger und Hirten gewesen ; solche Erfolge
erzielt auch nicht die Zahl der Streiter allein; die Existenz-
bedingungen eines Volkes von solch' nachhaltiger Kraft können
nicht auf der Jagd und Viehzucht mit ihren dürftigen und
äusserst unsicheren Ergebnissen beruht haben; ') sie setzen
mit Nothwendigkeit ganz andere, ergiebigere, dauerndere und
deshalb festere Grundlagen und damit untrennbar einen ge-
wissen Grad allgemeiner höherer Cultur voraus.
Es drängte mich also, zu untersuchen, ob die Prämisse
derjenigen, welche den Germanen die Bronze-Industrie gänzlich
absprechen, auf Wahrheit beruhe, ob der allgemeine Grad der
Cultur der Germanen zur Zeit, als sie mit den Völkern des
Südens in Berührung traten, in der That ein so tiefer gewesen
sei, dass sie eine weite Kluft von der Befilhigung zur Bronze-
Industrie schiede, die nur durch eine Annahme gegen den
natürlichen Gang der Dinge übersprungen werden könnte.
• Sind die Germanen zu jener Zeit vorwiegend Jäger und
Wanderhirten gewesen, dafjn allerdings müsste man zugestehen,
dass 'sie ausser Stande waren, jene schönen und mannigfaltigen
Gegenstände aus Bronze zu verfertigen^ die die Muttererde
einst in ihren Schooss aufgenommen hat und uns nun wiedergibt:
denn Jägern und Wanderhirten fehlt nicht blos die Beföhi-
gung hiezu, sondern zu jeder Cultur überhaupt, sie entbehre»
in sich der Keime und Bedingungen jedes Fortschrittes. Anders
wäre es, wenn sich nachweisen liesse, dass die germanischen
Stämme Ackerbauer gewesen sind, denn der Ackerbau ist die
Grundlage aller Cultur.
Zur Untersuchung dieser Frage wurde ich durch das
Studium der Hochäcker angeregt, welches in den letzten Jahren
0 Jägervölker schwanken immer zwischen Uebersättigung und
Hungern und Nomaden bleiben trotz Viehreichthums arm.
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207
die Aufmerksamkeit der Urgeschichtsforscher in Anspruch
nimmt. Bei einer anderen Gelegenheit hoffe ich an einem
speciellen Falle nachweisen zu können, dass den Völkern dies-
seits der Alpen auch ein anderer Zweig der Urproduktion, der
Bergbau, nicht fremd war. ')
Freilich, wenn wir nur den allgemeinen Berichten der
klassischen Schriftsteller und ihrer bisherigen Interpretirung
glauben müssten, dann möchten wohl jene Recht behalten,
welche den Germanen alle Cultur absprechen, sie als Jäger
undJSfomaden hinstellen, und ihnen kaum die ersten rohen An-
fange des Ackerbaues zugestehen. Denn als der erste histori-
sche Lichtstrahl auf das Germanenland fallt, da lagert ein
dichter schwerer Nebel auf demselben, durch den nur selten
die freundliche Sonne dringt, und obwohl verschieden an Ge-
staltungen, so ist sein allgemeiner Charakter doch nur schreck-
hafter Urwald und abscheulicher Sumpf. 2) In diesen wüsten
Landstrecken, unheimlich einem Jeden, dem sie nicht Vater-
land sind, ^) wohnten unsere Urväter, rauh unter dem rauhen
Himmel, und wie sie sagen, nicht wie gesellige Wesen, sondern
menschenscheu und einsam in Feld und Gehölz.^) Ein Thier-
fell, das ein Dorn, vielleicht auch eine Spange nothdürftig zu-
sammenhält, auf dem Rücken, liegen sie halb nackt tagelang
am Herdfeuer, ^) und vor der Strenge des Winters fliehen sie
in Erdlöcher, über die eie ibi^eo Dangbaufen werfen.^) So, §ehr
lag der Schrecken vor den gerroaniooboB Gestalten allen Römern
in den GHedern, dass selbst TacituA^ ddAsen wie dankbar .ge::,
denken, unser Land in solcher Weise beschreibt!
'■ Was Tiun den Ackerbau dey^ermanen, betrifft, so sagt
Tacitus, der Boden sei zwar ziemlich ergiebig, doch gedeihen
^) Die betreffende Abhandlung wird den Beweis der Existenz
prähistorischer Kupferbergwerke in den norischen Alpen bringen
und im IV. Hefte der Mittheilungen der k. k. Central-Commission
zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denk-
male, Jahrgang 1878, erscheinen.
-) Tacitus, Germania V.
3) Tacitus, a. a. 0. II.
*) Tacitus, a. a. 0. XVI.
*) Tacitus, a. a. 0, XVIL
6) Tacitus, a. a. 0. XVL
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208
Obstbäume nicht; das Vieh sei des Germanen einziger und
liebster Reichthum, doch klein und unansehnlich^') den Boden
zu verbessern, Obstbäume zu pflanzen, sei nicht seine Sache,
ihm genüge sein Bisschen Saatgetreide und den Segen des
Herbstes kenne er nicht. 2) Darum waren seine Speisen ein-
fach, 3) denn sie bestanden , wie ich mich des Näheren aus
einem Lesebuche für österreichische Gymnasien untemchte,
„aus Kräutern und Wurzeln", aus „Waldbeeren, Baumfrüchten
und Vogeleiern", die, wie Fick treflfend sagt, bei den üblichen
Hirngespinnsten von den Urzuständen der Menschheit eine so
grosse Rolle zu spielen pflegen. „Fische und Fleisch ass mau
entweder roh oder gekocht und geröstet". Wahrhaftig der 'Zug
des Verzehrens von rohem Fleisch fehlte noch, um aus unseren
Stammvätern am Rhein und an der Donau den australischen
Wilden fertig zu bringen. Allerdings wird mildernd beigesetzt,
dass der Germanen Lieblingssgeise der HaferbreH) und ihr
liebstes Getränk das Bier gewesen^ welches sie aus Gerste^)
zu bereiten wussten, und dass sie auch Brod, Butter und Käse
zu machen verstanden haben.
Es wird den Germanen also schliesslich doch einiger
Ackerbau zugestanden, wie es aber nach solchen Prämissen
mit ihm in jenen dunklen Zeiten ausgesehen haben müsste, in
einem Lande voll schauriger Wälder und unheimlicher Moor-
gründe, die der rauhe Himmel überdeckt, könnte sich wohl
Jeder selbst vorstellen, wenn uns auch die alten Schriftsteller
nicht eben das Schlimmste darüber berichteten.
Die Germanen erscheinen aber sogleich bei ihrem ersten
Auftreten auf dem historischen Boden als ein in staatlicher
Ordnimg lebendes Volk, voll nachhaltiger Kraft und Ausdauer
in dem jahrhundertlangen Kampfe, als ein Volk, das im Stande
ist, den Eroberungs versuchen des auf dem Gipfel seiner Macht
stehenden Römerreiches nicht nur erfolgreichen Widerstand
entgegen zu setzen, sondern demselben dabei auch noch Heere,
ja Heerführer und Staatsmänner zur Verfügung zu stellen.
Hierin liegt ein Maass materieller Macht und geistiger Grösse,
1) Tacitus, a. a. 0. V.
2) Tacitus, a. a. 0. XXVI.
3) Tacitus, a. a. 0. XX m.
*) Nach Plinius hist. nat. XVUI. 44. 1.
^) Nach Tacitus a. a. 0. XXHI. auch aus Weizen.
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209
das nicht auf einen Schlag erworben wird, und so wenig ein
Nomadenvolk unmittelbar zur Bronze.-Industrie übergehjen kann,
ebenso wenig wächst dessen materielle und geistige Kraft, der
natürlichen Entwickelung der Dinge entgegen, sprungweise in
die Höhe. Die Bildungsstufe der Germanen muss daher schon
vor der Berührung mit den Römern eine weitaus höhere gewesen
sein, als sie uns geschildert wird.
Ein Land, das solch' zahllose Kriegerschaaren zu entsenden
vermag, muss auch ein sehr dicht bevölkertes gewesen; aber nicht
die Jagd oder die ausschliessliche Viehzucht, sondern nur ein
fleissig angebautes Land vermag eine dichte Bevölkerung zu
ernähren; nur der Ackerbau konnte die Mittel zu so lange
dauernden Kriegen liefern, und nur ein Volk von Ackerbauern
konnte die so oft eingerissenen Lücken rasch wieder ausfüllen.
Indess zeigen uns die Römer selbst solch' glänzende Licht-
seiten im germanischen Wesen, dass wir es endlich einmal auf-
geben sollten, unsere Väter zur Zeit.jCäsars und Augusts wie
amerikanische Wilde zu betrachten, mit denen eine grosse Zahl
deutscher Schriftsteller die Germanen mit besonderer Vorliebe
in vergleichen pflegt.
Wenn ich nun auch in der richtigeren Interpretirung und
Sammlung von Nachrichten der alten Schriftsteller den Gegen-
stand meiner Untersuchung keineswegs zu erschöpfen vermag,
so bin ich doch in der Lage, ein ganz anderes, ein viel freund-
licheres Bild, als das gewohnte zu entrollen, und wir werden bald
sehen, was das für Kräuter und Wurzeln, Vogeleier und rohes
Fleisch gewesen, von denen unser Lesebuch zu erzählen weiss.
Es sei mir jedoch gestattet, hierbei etwas weiter aus-
zuholen,
Ackerbau der Indogermanen.
Wir wissen, dass die europäischen Culturvölker zusammen
mit Indern, Persern und einigen kleineren vorderasiatischen
Völkern in der Urzeit ein Volk gebildet haben, das in einem
Gebirgslande mit gemässigtem Klima, u. zw. wie man heute
mit einem grossen Grade von Wahrscheinlichkeit annimmt, im
armenischen Hochlande wohnte, *) und dort eine Sprache redete.
0 Ein vor Kurzem erschieneaes Buch bezeichnet mit seltener
Kühnheit die Sümpfe im Inneren Russlands als die einzig geeignete
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210
Max Müller, Mannhardt, Benfey und besonders August
Fick haben aus dem gemeinsamen Wortschatz der Arier nach-
gewiesen, dass sie in der Zeit des ungetrennten Beisammen-
seins keine Wilden oder blosse Nomaden, sondern ein fried-
liches, in festen Wohnsitzen lebendes Volk gewesen sind, das
in der vollständigen Ausbildung der Familie, sowie in den aus
dieser sich entwickelnden Keimen zu weiteren Verbänden und
in einem Kreise religiöser Vorstellungen die lebendige Grund-
lage zu stetem rüstigem Fortschritte besass. .
Die Indogermanen betrieben jedenfalls schon vor ihrer
Trennung den Ackerbau. Wenngleich Fick demselben gerin-
gere Bedeutung beilegt, ') und als Grundlage für die mate-
rielle Existenz des Urvolkes die Viehzucht betrachtet, so
weisen doch wenigstens einige gemeinsame Ausdrücke auf den
Ackerbau. Die Arier hatten eine Feldfrucht, aus deren zer-
stampftem Mehle sie einen Kuchen bereiteten, der mit Salz
gewürzt und auf Kohlen geröstet, vielleicht eine Beispeise zur
Milch, zum Fleisch der Heerdenthiere und zur Fleischbrühe
bildete. Wahrscheinlich benützten sie auch schon eine Art
Kohl und Kürbisse als Gemüse; sie kannten auch eine Anzahl
anderer Pflanzen, und zwar Baumarten, deren Holz und Aeste
sie zum Bau ihrer Wohnungen vei*wendeten.
Die Indogermanen besassen schon vor ihrer Trennung ein
Werkzeug zum Aufreissen des Bodens für die Aufnahme des
Saatkornes und ein anderes zum Abschneiden der Feldfrucht;
jedenfalls hatten sie eine gemeinsame Bezeichnung fiir die Be-
arbeitung des Bodens.
Stätte, in der die arische Race entstehen konnte und entstanden,
gewissermaesen aus dem Neger herauagebleicht worden ist. Diese
Ungelieuerlichkeit verdient keine Widerlegung; in einem Sumpflande
im Inneren Eusslands mit extremen Klima, mit überaus dürftigen
und monotonen Naturerscheinungen, kann sich weder ein körper-
lich gesundes und kräftiges Volk, noch jene reiche Ideenwelt ent-
wickeln, für deren Vorhandensein bei den Ariern der Wortachat«
ihrer Sprache Zeugniss gibt. Auf die Semiten, die mit den Indo-
germanen körperlich gleichen Ursprunges sind, und so gut zur
weissen Race gehören, wie diese, hat der Verfasser ganz vergessen,
oder sind auch diese in den Rokitno-Sümpfen am oberen Dniester
gebleicht worden?
I) Fick. Die ehemalige Spracheinheit der Indogermanen
'lluropas. S. 280.
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211
So gross endlich die Bedeutung der Viehzucht für das
lieben des Urvolkes war, so gering war jene der Jagd für
dasselbe. 0
Einzelne Forscher, so namentlich Ilehn ^) neigen sich
mehr der Ansicht zu, dass die Indogermanen vor ihrer Tren-
nung noch keine Ackerbauer gewesen seien, indem er die an-
geführten Ergebnisse der Sprachforschung bezweifelt. Allein
diese werden noch in anderer Weise wesentlich unterstützt.
Zahlreiche, gemeinsam indogermanische Ausdrücke lassen es
nämlich als zweifellos erscheinen, dass das Urvolk bereits in
festen Wohnsitzen lebte: sie hatten ein Haus mit einer Thüre,
einen eingefriedigten Hof mit einem Thore, Hürden und Ställe
für das Vieh, bei deren Errichtung man Erdarbeit und Zimmer-
arbeit unterscheidet. Feste Wohnungen haben jedoch dauernde
Wohnsitze und ein bleibendes Heim zur Folge, imd deshalb
körinen die ungetrennten Indogermanen keine Wanderhirten
gewesen sein; aber auch ausschliessliche Viehzucht ist in festen
Wohnsitzen nicht mehr möglich, sie muss in solchen mit der
Bearbeitung des Bodens Hand in Hand gehen. Feste Wohn-
sitze müssten unbedingt zum Ackerbaue führen, wenn nicht,
was das richtige ist, der Ackerbau das Frühere war und
deshalb umgekehrt feste Wohnsitze zur Folge hatte.
Eine andere beachtenswerthe Erscheinung ist die^ dass
die Indogermanen einen gemeinsamen Ausdruck für ^Weg be- ^
sitzen. Jäger und Wanderhirten keimen keine Wege* aber wie
der Ackerbauer der erste Geometer ist, da ihm erst die
geometrische Form bei der Bearbeitung des Bodens, bei der
Abgrenzung gegen den nicht bearbeiteten, oder einen anders
') Es sei mir die Frage gestattet, ob uns denn alle Worte,
welche sich zur Zeit der Spracheinheit auf den Ackerbau bezogen,
erhalten worden sind? Kann es nicht sein, dass einzelne Ausdrücke
gänzlich verloren gegangen sind, oder ihren Sinn so geändert haben,
dass sie in ihrer ursprünglichen Bedeutung nicht, oder noch nicht
erkannt worden sind, und ist es nicht möglich, dass sich derlei
früher geraeinsame Ausdrücke nur bei einzelnen Zweigen der Indo-
germanen erhalten, während sie bei anderen sich verloren haben?
Im bejahenden Falle, würden die bis jetzt als in der Urzeit ge-
meinsam erkannten auf den Ackerbau bezüglichen Ausdrücke uns
nur sein geringstes Maass bezeichnen und derselbe weit umfassen-
der und intensiver gewesen sein, als er sich durch sie uns darstellt.
^) Victor Hehn, Culturpflanzen und Hausthiere.
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bestellten Grund, oder gegen den des Nachbars sich offenbart,
und wie der Ackerbauer der erste Architekt ist, der aus
Holz, Stein und Erde Häuser baut, so ist er auch der erste
Ingenieur und Wegmacher. Jäger und Wanderhirten be-
nöthigen bei ihrem unsteten Aufenthalte der Wege nicht, der
Ackerbauer aber bedarf des Weges, wenigstens von seiner
Hütte bis zu seinem Felde. So weisen feste Wohnsitze und
Wege, für deren Besitz bei den Indogermanen der gemeinsame
Wortschatz Zeugniss gibt, in gleicher Weise .auf ein Ackerbau
treibendes Volk.
Eine weitere Stütze für diesen Hinweis gewinnen wir
durch die vergleichende Mythologie. Der Vater der Welt ist dem
Arier diauspatar, die lichthelle mächtige Gestalt des „Vater
Himmel", von diu Licht und Tag. Neben ihm kennt das Ur-
volk noch parkana, den Regen- und Gewittergott, der im
Dunstkreise wohnt. Das sind Götter von Ackerbauern; Jäger
und Nomaden lassen die Vorgänge am Himmel gleichgültig,
der Ackerbauer aber, dessen Wohl und Wehe von ihnen ab-
hängt, lernt sie fürchten und verehren.
Für die Thatsache, dass das Urvolk der Indogermanen
Ackerbauer gewesen, sprechen endlich noch allgemeine Er-
wägungen. Wenn wir nämlich die Bedingungen unte rauchen,
unter welchen ein Volk zur Cultur, und namentlich auf jene
höchste Stufe gelangen kann, welche die Indogermanen er-
klommen haben, so drängt sich uns von vornherein und erfah-
rungsgemäss die Ueberzeugung auf, dass nur vorzugsweise
von Pflanzennahrung lebende, also Ackerbau treibende Völker
culturfähig sind. Fischer, Jäger und Nomaden dagegen, also
reine Fleischesser, gelangen aus sich selbst heraus niemals zur
Cultur, da sie die Bedingungen derselben nicht in sich tragen;
wo sie bei Berührung mit Culturvölkern nicht gar hinsterben
und untergehen, nehmen sie doch die Cultur anderer Völker nur
sehr schwer und sehr langsam und vielleicht nur bei gleich-
zeitiger Vermischung mit Ackerbauern in sich auf, und wir
wissen, dass selbst nach Jahrhunderten das avitische Wesen
des Nomaden noch oftmals durchschlägt. Schon das Schwan-
kende der materiellen Existenz auf diesen Entwicklungsstufen
muss jeden dauernden Aufschwung hintanhalten.
Der Mensch auf diesen Stufen ist mit Sinnesschärfe, aber
nicht mit Erfindungsgabe bedacht; denn dem Jäger genügt
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sein Jagdgeräth, das er vielleicht auch nur entlehnt hat,
während der Nomade in unbegrenzter Faulheit sein Leben im
Nichtsthun verbringt, Widerwärtigkeiten nicht zu besiegen,
sondern ihnen auszuweichen sucht, sich kaum Messer und Stahl
verfertiget, und seinen geringen Bedarf an Geräthen am lieb-
sten eintauscht. Jäger und Wanderhirten führen ein Leben, das
mehr einem Traume gleicht, ihr Charakter ist mehr passiv, und
darum ihre Gemüthstimmung stets eine traurige, entgegen dem
activen Charakter des Ackerbauers und seinem vorwaltend fröh-
lichen Gemüthe. Das conservativ-apathische Wesen des Jägers
und. Nomaden schliesst jede Möglichkeit des Fortschrittes aus.
Dieses, der Cultur verschlossene Naturell des
Jägers und Nomaden gestattet uns daher den Rtick-
schluss, dass die Indogermanen niemals Jäger oder
Nomaden gewesen sein können. Ich weiss, dass ich mit
dieser Behauptung einer herkömmlichen, aber wenig geprüften
Anschauung entgegentrete, vermöge welcher alle Culturvölker
die Entwicklungsstadien des Jägers, Wanderhirten, sesshaften
Viehzüchters und Ackerbauers durchlaufen müssen, deren eine
die vorhergehende als nothwendig voraussetze, während ich nach
den oben gemachten Öchlussfolgerungen die Stadien des Jägers
und Wanderhirten als abgeschlossen und keiner weiteren Ent-
wicklung ßihig erachte, das Stadium des sesshaften Viehzüchters
überhaupt ausschliesse. Jene behauptete nothwendige Voraus-
setzung der einen Entwicklungsstufe für die andere besteht
eben nicht, denn wir wissen ja, dass thatsächlich in Aegypten
dem Ackerbau keine Weide wirthschaft vorangegangen ist, ^)
und dass in Mexiko und Peru der Ackerbau sogar ganz ohne
Viehzucht möglich geworden war. Die Indogermanen mussten
nothwendig von Anbeginn an Pflanzenesser, und darum auch
Pflanzenbauer gewesen sein, was nicht ausschliesst, dass sie
neben und in gleichem Maasse mit der Pflanzenkost auch durch
Fleischnahrung ihr Leben erhielten; ja sie haben zweifelsohne
darum ihre hohe Stufe erreicht, weil sie von Anbeginn an
Pflanzenbau und Thierzucht ebenmässig nebeneinander ent-
wickelten, und hiedurch dauernde, sich gegenseitig ergänzende
Grundlagen einer glücklichen Existenz und eines gesicherten
Fortschrittes sich schufen.
^) Correspond.-Blatt d. deutsch, anthr. Ges. 1875, S. 68.
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Die Indogermanen sind in hervorragender Weise mit Er-
findungsgabe bedacht; ganz natürheh, weil ihr ganzes Wesen
von jeher durch den Ackerbau bestimmt ist; ihr Charakter
ist, wie schon bemerkt wurde, ein activer. Während Jäger
und Nomaden traumhaft vegetiren, ist das Sinnen des Acker-
bauers ein stets waches, aufmerksames, vom dauernden Streben
erfüllt, die Gunst der Natur zu benützen, oder mit ihrer
Ungunst in den Kampf zu treten. Nur der Ackerbauer kann
Ei-finder der Werkzeuge gewesen sein, und da die Bearbeitung
des Steines zu Werkzeugen der Weg war zur Erfindung des
Feuers, so hat auch nur der Ackerbauer das Feuer erfunden.
Das Fleisch des Wildes und der Heerdenthiere lässt sich
auch roh geniessen, die reife Körnerfrucht aber bedarf der
Zubereitung, und so ist es im hohen Grade wahrscheinlich,
dass sieh der Indogermane selbst das Feuer vom Himmel
holte, d. h. das Feuer nicht als Geschenk aus der Hand einer
anderen Menschenrasse erhielt, sondern unbeeinflusst und un-
abhängig dasselbe dem harten Steine oder dem Holze entlockte
und zum Bereiten der Speisen benützen lernte. Indische sowohl,
als europäische Mythen von der Herabkunft des Feuers deuten
fast mit Sicherheit darauf hin, dass es so ist.
Dem Nomaden und noch mehr dem Jäger wohnt nur ein
geringer Geselligkeitstrieb inne, den wir beim Ackerbauer voll-
kommen ausgebildet finden, da er die Mitbewerbung Anderer
nicht in dem Maasse zu fürchten hat, als ihm die Mitwirkung
vortheilhaft ist. Der Affinitätstrieb ist der Gegensatz zum
Kampfe um 's Dasein, er mildert seine schroffe Form, indem
er ihn nach gewissen Seiten einschränkt, oder gar aufhebt.
Schon die pflanzenfressenden Heerdenthiere bekämpfen einander
nicht in directer Weise um die Nahrung, wie die fleischfressen-
den Raubthiere, sie werden entweder alle genügend Nahrung
finden, oder alle darben und zu Grunde gehen. Der Kampf
um's Dasein äussert sich bei den Heerdenthieren nicht im
directen Kampfe gegen einander, sondern nur passiv, und nicht
jene Stücke, welche die Genossen zu tödten oder zu vertreiben
vermögen, sondern jene, welche eine grössere Widerstandskraft
gegen den Nahrungsmangel besitzen, werden als Sieger hervor-
gehen. Schon Prof. Jäger hat auf die beachtenswerthe Er-
scheinung hingewiesen, dass der Mensch bis jetzt nur pflanzen-
fressende Heerdenthiere zu zähmen und zu domestiziren ver-
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mochte, mit alleiniger Ausnahme des Hundes, der übrigens
ausnahmsweise gleich seinen wilden Stammgenossen einen
bedeutend entwickelten geselligen Trieb hat.
In ähnlicher Weise wird der Kampf um's Dasein zwischen
den einzelnen Individuen eines Ackerbau treibenden Volkes
gemildert, und es wird uns daher nicht überraschen, wenn
wir alle Gestaltungen des Geselligkeitstriebes im Volksleben,
die Ehe, den Familien-, Gemeinde-, Stammes -Verband und die
Staatenbildungy am frühesten und intensivsten bei Ackerbauern
sich entwickeln sehen, während sich bei Jägern und Nomaden
nur sehr lockere Verbindungen einstellen, die selbst jetzt nach
Jahrtausenden noch nicht zu einem festeren Organismus werden
konnten.
Die furchtbarste Verläugnung des Geselligkeitstriebes ist
die Menschenfresserei. Sie findet sich zumeist wohl nur auf den
tiefsten Stufen der Menschheit, indess sind auch höher stehende
Völker in Folge eines einseitig entwickelten Wirthschaftssystems
davor nicht bewahrt, wie eben jetzt die schrecklichen Folgen
des Misswachses in China zeigen, dessen Existenzbedingungen
einzig auf dem Ackerbau beruhen. Einige Urgeschichtsforscher
haben sich der Ungeheuerlichkeit schuldig gemacht, die An-
thropophagie als ein gewissermaassen naturnothwendiges Durch-
gangsstadium zu erklären, das alle Culturvölker, daher auch
die Indogermanen auf ihrem Entwicklungswege zu durch-
schreiten hatten. Da aber die Indogermanen von Anbeginn
an Ackerbauer waren, und frühzeitig neben dem Pflanzenbaue
Thiere züchteten, so sind sie auch niemals Anthropophagen
gewesen. Kein Beweis liegt dafür vor, und etwaige vereinzelte
Fälle gestatten keinen Schluss auf die Gesammtheit.^)
*) Es ist mir wohl bekannt, dass ein Zweig der Indogermanen
nicht frei von dem Vorwurfe der Anthropophagie, und wie ich in
Betreff der noch zu besprechenden Monogamie der Indogermanen
sogleich bemerken will, auch nicht frei von dem Vorwurfe der
Weibergemeinscbaft und Ehelosigkeit ist. Strabo, Dio Cassius,
Hieronymus berichten schauderhafte Dinge von ihm, die nicht
wiederholt zu werden brauchen, so wenig als es nöthig ist, zu be-
merken, dass es der brittisch - irische Zweig ist, um den es sich
handelt, der allgemein als ein keltischer Stamm, ja als das noch
lebende Prototyp der Kelten gilt, der aber doch nicht keltisch und
wahrscheinlich auch kein reiner indogermanischer Stamm ist. War
es lange zweifelhaft, ob die brittisoh-irische Sprache ein Zweig der
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Aber aach die Form dieser einzelnen Gestaltungen des
Geselligkeitstriebes ist bei den Ackerbauern eine schönere und
edlere, und so treffen wir beispielsweise gerade bei diesen die
Monogamie, während die Polygamie, der Ausdruck roher Herr-
schaft Einzelner sowohl dem eigenen als dem weiblichen Ge-
schlechte gegenüber, vorzugsweise bei Nomaden za finden ist.
Da wir nun gerade bei den Indogermanen schon in jener
frühen Zeit, als die ersten historischen Lichtblicke auf ihr
Leben fallen, das Volk als einen innig verbundenen, fest ge-
gliederten lebendigen Organismus sehen, ja finden, dass in der
noch ferneren Periode der Sprach- und Volkseinheit unseres
Stammes Vielweiberei und Knechtung des Weibes den Indo-
germanen fremd, dass die Frau als Herrin gleichberechtigt
neben dem Manne als Hausherrn ist, so muss ihr Naturell hiezu
durch langes Beisammensein in festen Wohnsitzen und durch
den sittigenden Einfluss des Pflanzenbaues längst vorgebildet
worden sein.
Sprachliche und mythologische Zeugnisse för den Ackerbau
der Germanen.
So ausgerüstet brachten aus ihrer Urheimat, wie die
übrigen arischen Völker auch die Germanen die Kenntniss des
Ackerbaues als urväterliehes Erbtheil in ihre Wohnsitze in
indogermanischen sei, und hat es vieler Mühe bedurft, dies bei der
Masse von absichtlichen und unabsichtlichen Fälschungen zu er-
weisen, so haben wir den Beweis der ethnologischen Zusammen-
gehörigkeit des brittisch-irischen Volkes mit den Indogermanen erst
noch zu gewärtigen. Jedenfalls wird sich zeigen, dass abgesehen
von der Deprimirung, welche dasselbe als äiisserstes, und von dem
Verkehre mit den übrigen europäischen Völkern losgelöstes Glied
erlitten hat, eine bedeutende Vermischung mit einer tiefer stehen-
den Urbevölkerung der brittischen Inseln vorliegt. Neuere Ur-
geschichtsforscher glauben an eine Vermischung mit Basken oder
Iberern, auf welche übrigens schon Tacitiis („Silurum colorati vul-
tus et torti plerumque crines Iberos veretes trajecisse fidem faciunt**"^
hinweist, wobei wir übrigens nicht an eine Wanderung, sondern
an einen ehemaligen grösseren Verbreitungsbezirk der Basko-Iberer
denken. Ohne Zweifel werden wir die von den alten Schriftstellern
gerügten Untugenden der Britten als eine Folge dieser Vermischung
erkennen; bemerkenswerth aber ist, dass mit denselben auch ein
Verfall des Ackerbaues Hand in Hand geht.
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Europa mit, in die sie nicht durch directe Wanderung, wie
auf ein im Vorhinein gestecktes Ziel, sondern in Folge natur-
gemässer Ausbreitung gleich jedem wachsenden Organismus
gelangten.
Schon zu der Zeit, als sich die Europäer noch nicht dif-
ferenzirt hatten, muss man sie als Ackerbauer betrachten, „deren
Unterhalt in erster Linie auf dem Ertrage des Feldes, erst in
zweiter auf dem der Heerden beruhte". ')
Als die Germanen untereinander noch in sprachlicher
Einheit lebten, besassen sie schon eine grosse Zahl von Aus-
drücken in Bezug auf die Haus- und Feldwirthschaft, also zu
einer Zeit, die gewiss vor die Tage Homers ßtUt.
Um so reicher ist dieser Wortschatz nach ihrer Tren-
nung. Wulfila ist in seiner Bibelübersetzung nie verlegen, um
Gegenstände der Cultur und insbesondere des Ackerbaues
mit den der gothischen Sprache eigenthümlichen, also nicht
entlehnten Ausdrücken zu bezeichnen. Die gothische Sprache
kennt das Bauen, das Ackern und die Pflanzung; sie hat
für das eigentliche Ackerbauwerkzeug, den Pflug, ein eigenes
abweichendes Wort, woraus zu schliessen, dass er bei den Gothen
anders gestaltet gewesen. Sie kennt den Segen der Ernte und
ihre Gaben an Weizen und Gerste. Diese werden auf der
Tenne gedroschen, und auf der von Eseln getriebenen
Mühle gemahlen; mit Hilfe des Sauerteiges wird das Brod^)
0 Fick, a. a. O. 289.
^) Goth. ddigR von V. deigan, kneten, und hlaifs, hlaibs,
schon geformtes Brod, vom goth. N. hlaiv, ahd. hlßo, leo (Gen.
hl^wes) Hügel, dann Grabbügel; der zweite Ausdruck für Brod ist
also von der Form des Hügels entlehnt. Ahd. brot vom V. briuwen,
brauen, keimendes Malz bereiten, deutet auf ein mittels Sauerteig
bereitetes Brod. Von goth. hlaifs, hlaibs stammt lit. klepas, lett.
klaips, csl. chleba, aber Hehn (a. a. O. S. 480) irrt, wenn er an-
nimmt, dass die Kunst des Brodbackens, die er überhaupt för eine
späte hält, von den Deutschen zu den Slaven gekommen sei. Die
Slaven lernten Brod backen in der Urheimat und zugleich mit den
übrigen Indogermanen ; von den Germanen haben sie nur die be-
sondere rundliche, hügelartige Form übernommen, und damit auch
die sprachliche Bezeichnung für dieselbe. Auch im österr.-baierischen
Dialekte bedeutet Laib nie Brod selbst, sondern immer nur die
Form, die Masse desselben, daher man auch beispielsweise ein Laib
Käse, Fleischlaibchen u. s. w. sagt, so wie andererseits Wecken von
der keilförmigen Gestalt dieser Brodgattung entnommen ist.
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bereitet, das in geregelten Mahlzeiten Früh, Mittags und
Abends auf den Tisch kommt. Die Würze') zu den Speisen
liefert der Gärtner aus dem Gemüse- oder Wurzgarten.
Mit diesen vielfachen Hinweisen auf einen uralten geregel-
ten Ackerbau, die sich aus Sitte und Sprache, aus der Volks-
kraft und politischen Entwickelung, und aus der Culturbefahi-
gung der Germanen überhaupt ergaben, ist die religiöse An-
schauung derselben in vollster Uebereinstimmung.
Das ganze Wesen der germanischen Mythe durchdringt
und gestaltet die Abhängigkeit von den Naturerscheinungen.
Tag und Nacht, Sommer und Winter, Sonnenschein und Regen,
Gewitter, Frost, Nebel, kurz alle Ereignisse in der Natur, die
das Wohl und Wehe eines sesshaften Volkes verursachen, die
noch heute in der Zeit des Ohristenthums die religiöse An-
schauung mächtig beeinflussen, sind die Grundlagen, auf denen
sich der alte Götterglaube der Germanen aufbaut. Jäger und
selbst Hiiien werden von den Naturerscheinungen niemals in
dem Maasse beeinflusst, wie Ackerbauer. Gewitter, Fröste, bei
denen der Ackerbauer für seine Ernte zittert, lassen den Jäger
und Hirten unberührt ; der lange Winter, den der Ackerbauer
als etwas feindseliges betrachtet, ist für den Jäger und Hirten
höchstens Veranlassung zur Aenderung des Wohnsitzes, und
das erste Aufleuchten der Sonne am Morgen, ihr Wiedererheben
zur Zeit der Wintersonnenwende, das erste Erwachen des Früh-
lings erfüllen den Ackerbauer mit Jubel, während der Jäger
und Nomade vollständig gleichgiltig dabei bleibt.
Eine der vorzüglichsten Gottheiten und ich kann sagen^
der volksmässigste Gott der Germanen ist Donar; er ist der
Gott des Ackerbaues, der Gewittergott, der Besieger der Win-
ter-, Frost- und Nebel -Riesen, der Feind des unfruchtbaren
Bodens und der Beförderer der Urbarmachung. Demzufolge
wird er der Beschützer des Eigenthums und der Ehe, der Gott
der Knechte und der Bauern, und wie die Krieger im Tode
*) Das Wort Gewürze stammt von ahd. würz, Kjraut, mhd.
auch Wurzel und liefert den Beweis, dass ursprünglich Kräuter im
engeren Sinne und Wurzeln nur eine Beigabe zu den Speisen, und
keineswegs ein eigentliches Nahrungsmittel bildeten, womit denn
auch die wilden Phantasien, dass die alten Deutschen von Kräutern
und Wurzein lebten, abgethan sein dürften.
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dem Wodan, gehören jene dem Donar an. Die Mythen zeigen
ihn als einen väterlichen Gott und seine derbe, sinnliche Kraft,
die so recht der Natur des Ackerbauers entspricht, lässt ihn
als einen rechten Bauerngotl erscheinen.
Hierbei ist besonders beachtenswerth, dass Donar eine
ältere Gottheit zu sein scheint, als Wodan, und vor diesem die
oberste Gottheit der Germanen; seine Mythen sind zahlreicher,
und das in den verschiedensten Erscheinungen sich aus-
sprechende Andenken an ihn hat sich im Volke lebendiger er-
halten, als das Wodans.
Dieses Forschungsergebniss zeigt deutlich, dass die Ger-
manen ursprünglich und ehe sie mit den Römern in nähere
Berührung gekommen waren, ein sesshaftes, friedfertiges Bauem-
volk gewesen sein müssen. Erst als durch die Kämpfe mit den
Römern sich der Germanen kriegerischer Geist mehr und mehr
entwickelte, trat auch jene Gottheit, die, obwohl auch sie ein
Ackerbaugott gewesen ist, doch vorwiegend kriegerisches Wesen
an sich trug, nämlich Wodan^ mehr in den Vordergrund, und
wuchs mit den Erfolgen auf den Schlachtfeldern zur obersten
Gottheit empor.
Gott des wiedererwachenden Frühlings ist Balder, Gott
des Friedens ist Froh. In gleicher Weise sind die anmuthigen
Gestalten der germanischen Göttinen, wie Holla, Freya, Nerthus,
Göttinen des Friedens, der Ehe, des Kindersegens, des Acker-
baues, der häuslichen Betriebsamkeit; sie lehren die Menschen
spinnen und weben, und die Schwester der Holla und Be-
gleiterin derselben ist Fulla, die Fülle des Erntesegens. Wenn
ich noch der zahllosen Ackerbaugebräuche aus der Zeit des
Heidenthums gedenken soll, so will ich nur die bedeutenderen
derselben, die Umzüge mit dem Schiffe, mit dem Wagen und
dem Pfluge hei*vorheben, mit dem Beifügen, dass die Mythen,
die sich auf Jagd- und Hirtenleben beziehen, neben der Zahl
der Mythen und Gebräuche beim Ackerbau fast verschwinden.
Solche Göttergestalten, wie wir ihnen im germanischen
Mythus begegnen, konnte sich nur ein Bauern volk bilden; in
solch' kindlicher Abhängigkeit von ihnen und doch zutraulicher
Hingebung konnten sich nur Menschen fühlen, die aus ihrer
Hand die Güter des Lebens nahmen.
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220
Historische Zeugnisse för den Ackerbau der Germanen.
So treten die Germanen als ein Bauernvollc in
die Geschiente ein. Sie sind niemals ein Jäger- oder
Fisehervolk gewesen, 0 kein Schriftsteller berichtet solches von
ihnen. Sie sind aber auch niemals Wanderhirten gewesen.
Wenn das einzelne Schriftsteller von ihnen sagen, so verwech-
seln sie immer die eigenthümliche Art ihrer Agrarverfassung,
die ihnen eine grosse Beweglichkeit gestattete, mit dem Nomaden-
thum. Das Drängen der Germanen nach dem Süden
geschah nicht um neuen Weidelandes, sondern um des
Ackerbodens halber. — 7?Die Germanen", sagt Tacitus')
„haben immer dieselbe Ursache gehabt, nach Gallien überzu-
gehen, . . . die Lust ihren Wohnsitz zu wechseln, um nach
Verlassung ihrer Sümpfe und Einöden diesen überaus frucht-
baren Boden in Besitz zu nehmen."
In den Nachrichten der Römer fällt freilich vor allem
die ungeheure Ausdehnung des germanischen Waldes auf, die
man gegen den Bestand eines ausgebreiteten Ackerbaues an-
führen könnte. Aber gerade der grosse germanische Wald
spricht gegen nomadisches Wesen bei den Germanen. Wander-
hirten, ja selbst blosse, wenn auch sesshafte Viehzüchter,
wohnen in Steppen, sie brauchen ausgedehntes Weideland und
hindern nicht nur die Ausbreitung des Waldes, sondern schrän-
ken ihn ein und brennen ihn nieder, um ihre Weiden auszu-
dehnen. 3) Wald und Nomadenthum sind Gegensätze. Wenn
die Germanen Nomaden, oder doch blosse Viehzüchter gewesen
sind, wie konnte sich der den Römern so schaurige Urwald
erhalten haben, der dena Lande den allgemeinen Charakter
verleiht, „in Universum tamen silvis horrida", ^) von dem nur
ein Theil nach Caesar eine Breite von neun Tagreisen hat,
und dessen Länge kein Ende findet, und wenn man sechzig
Tagreisen weit vorgedrungen wäre.*) Caesar weiss noch einen
anderen Wald von unbegrenzter Ausdehnung, der Bacennis
*) Zeusfl, Die Deutschen und ihre Nachbarstämme. S. 54.
*^) Tacitus, bist. IV. 73.
^) Haben nicht die Ziegenheerden der Griechen die Waldlosig-
keit eines grossen Theiles ihres Landes verschuldet?
4) Tacitus, Germ. V.
*) Caesar, de hello gall., VI. 25.
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221
heissen soll, sich tief in das Innere erstreckt, und an dessen
Eingange die Sueben Caesare Heer erwarteten. •) Auch sonst
sind der Wälder bei den Germanen zu viele für Caesar.^)
Genüge der grosse Waldreiehthura Deutschlands zur Zeit der
Römer spricht entschieden dagegen, dass die Germanen je
Noroadengewesen sind.
Wenn die Germanen von Anbeginn Ackerbauer gewesen,
ihre Existenzbedingung auf dem Ertrage des Feldes beruht, ihre
Nahrung vorwiegend aus Pflanzenkost bestanden hat, so ist es
allerdings auffallend wenn Tacitus sagt, dass ihre Tage, wenn
sie nicht in den Krieg ziehen, dem Waidwerk gehören. ^) Aber
die Jagd war nicht blos Schule für den Krieg, sie war auch eine
sehr noth wendige Beschäftigung für den Ackerbauer jener Zeit,
der die damals noch ungeheure Zahl des Wildes von seinen
Feldern abzuhalten, ja sich selbst der Bedrohung durch reissende
Thiere zu erwehren hatte. Dass diese Beschäftigung, die der
Grieche in den Thaten des Herkules besang, die der Italer
längst vergessen hatte, den Germanen eine Lust war, dass
dabei mancher Braten für den Tisch abfiel, macht sie ja doch
noch nicht zu einem Jägervolke, wie es etwa die Indianer
Nordamerikas sind. Unser Adel steht ja auch nicht auf einer
tieferen Culturstufe, weil er mit Vorliebe die Jagd pflegt, und
hat man denn erwogen, ob Tacitus bei dieser Nachricht nicht
auch den germanischen Adel im Sinne hatte, der der Spur des
Bären folgte, während der Bauer hinter dem Pfluge einherging?
Weder Jagd- noch Nomadenwirthschaft bildeten sonach die
Grundlagen der Existenz der Germanen, und es muss somit
als eine den natürlichen Verhältnissen ganz entsprechende
Nachricht erscheinen, wenn bereits Pytheas^ 300 Jahre vor
Christus, G etreide^ ^ H i rse und die Bienenzucht bei den Ger-
manen an der Nordseeküste findet. ^)
befrein3en muss es allerdings, warum die Schriftsteller
nach Pytheas in so geringschätziger Weise von dem Acker-
bau der Germanen reden.
Aber einmal ist es richtig, dass der Ackerbau, wie er
damals in Deutschland betrieben wurde, gewiss nicht mit dem
>) Caesar, a. a. O. VI. 10.
2) Caesar, a. a. 0. IV. 19. VI. 29.
3) Tacitus, Germ. XV.
^) Strabo, 201.
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Ackerbau Italiens und selbst nicht mit jenem in Gallien, wie
ihn Caesar fand, verglichen werden darf. In Italien, wo da-
mals eine vielleicht dichtere Bevölkerung als heute lebte, -wo
fast immerwährender Getreidemangel herrschte, war freilich
die Cultur des Bodens eine weitaus intensivere; die Heri-schafi
über die Welt brachte alle Arten von Getreide, Obst und
anderen Gewächsen aus den verschiedensten Himmelsstrichen
nach Italien, unter dessen mildem Himmel alle leicht gediehen.
Gegen solche Verhältnisse musste dem verwöhnten Römer der
Ackerbau in Deutschland allerdings ärmlich erscheinen; dem
römischen Soldaten gar, dem Heerführer Roms insbesondere
mochte es sogar recht ärgerlich werden, wenn er wirklich
nach tagelangem Marsche auf kein Dorf stiess, das er plün-
dern konnte, aus dessen Getreidespeichern er seinen Mund-
vorrath zu ergänzen beabsichtigte, oder wenn er durch wüst
gehaltene Einöden, die dem Einfalle in das Stammgebiet wehren
sollten, *) durchzudringen hatte.
Den römischen Kaufleuten, denen man es zu Rom ver-
übelte, dass sie sich so leichten Herzens unter den Barbaren
niederlassen, und dort Roms vergessen konnten, werden die
Wälder und Sümpfe Germaniens wohl weniger aufgefallen und
unheimlich geworden sein, als den römischen Heeren, denen
sie nicht selten verderblich wurden. Hatten die Römer, wie
so oft, diesen Boden nicht ungestraft betreten, dann war es
nicht die Kraft des germanischen Armes, welche den Eindring-
ling zurückgewiesen hat, sondern die feindselige Natur des
Landes. Und darum musste sie so düster gemalt werden.
Ja da, als Augustus längere Zeit Frieden genoss, „da
schienen die Menschen anders, das Land neu, der Himmel
selbst milder und sanfter geworden zu sein". ^) Als aber auch
Germanicus und Caecina auf dem schaurigen Felde, auf dem
des Varus Gebeine bleichten, neuerdings die wuchtige Hand
der Germanen fühlten, da war es der Morast und der schlüpf-
rige Boden des Teutoburger Waldes, auf dem die Legionen
strauchelten. 3) Ja wahrhaftig, er war sehr schlüpfrig, dieser
Boden !
0 Caesar, a. a. 0. IV. 4 und VI. 23.
2) Florus, IV. 12.
5) Tacitus, Ann. 1. 63. 64. 65.
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Es darf uns also durchaus nicht Wunder nehmen, wenn
die classischen Schriftsteller, denen wir die erste Kunde über
Germanien verdanken, von der Dürftigkeit des Ackerbaues
daselbst reden. Häufig mag es auch geschehen sein, dass sie
zu wenig unterrichtet waren, oder dass sie, wie bemerkt, die
Wahrheit gar nicht sagen wollten. Dies gilt insbesondere von
Caesar, dem Pollio Asinius geradezu vorwirft, seine
Commentarien seien mit wenig Sorgfalt und mit geringer Liebe
für die Wahrheit abgefasst, da er das Meiste, was von Anderen
ausgeführt worden, leichtfertig geglaubt, und was er selbst
vollführte, absichtlich oder durch das Gedächtniss getäuscht,
entstellte. *) Einer solchen geradezu blöd scheinenden Leicht-
gläubigkeit begegnen wir bei der Beschreibung des Renthieres,
das nur ein Hörn in der Mitte der Stirn habe, des Urochsen,
der weder Menschen noch Thiere verschone, die er erblickt
imd des Elen, von dem er die Fabel erzählt, dass seine Beine
keine Gelenke haben, wesshalb es sich nicht erheben könne,
wenn es zu Boden gefallen. 2) Der absichtlichen Entstellung
begegnen wir bei Caesar in der Bemäntelung der Art und der
Grausamkeit seiner Kriegführung. 3) Wenn er als Feldherr
Erkundigung über ein Volk einzieht, so fragt er immer nur,
„quid in hello possent", um Wege und Strassen und um die
Getreidevorräthe, und da das Maass der letzteren namentUch
bei den Sueven, die keinen Handel betreiben, und daher eben
nicht mehr Getreide anbauen, als sie brauchen, seinen Wün-
schen nicht entspricht, so sagt er, *) den Ackerbau pflegen die
Germanen wenig, ihre Nahrung bestehe hauptsächlich aus Milch,
Käse und Fleisch, ein festes, bestimmt abgegrenztes Grund-
eigenthum besitze Niemand. Letzteres ist ohne Zweifel richtig,
und wir werden darauf noch zurückkommen; was es aber mit
der Dürftigkeit des Ackerbaues bei den Germanen und der
vorwiegenden Nahrung von Milch, Käse und Fleisch für Be-
wandniss habe, wollen wir doch erst prüfen. Man sehe nur,
derselbe schlaue göttliche Caesar, der den Germanen den Acker-
^) Suetonius Tranquillus in Jul. Caes. 56.
2) Wie sich Caesar das Laufen dieser Thiere dachte, erzählt
er uns nicht.
3) Grimm, Deutsche Mythologie, H. Aufl. S. 92 ff.
^) Caesar, de belle galL, IV. 1. VI. 22.
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224
bau abspricht, — agriculturae non Student — wählt zu seinem
ersten Einfalle in das deutsche Land gerade die Erntezeit.^)
Nachdem er glücklich den Rhein überschritten, brach er in
das Gebiet der Suganibrer ein, verweilte dort einige Tage, Hess
während dieser Zeit alle Flecken und Dörfer niederbrennen;
das Getreide abmähen, um sich nach dieser Heldenthat und
nachdem er durch Kundschafter erfahren, dass alle waffen-
fähigen Sueven die Römer zur entscheidenden Schlacht er-
warten — über den Rhein zurückzuziehen. 2)
Noch auffallender ist die Sachlage bei dem zweiten üeber-
gange Caesars über den Strom. Auch dieses Mal wählt er zu
seinem Zuge nach Germanien die Zeit der Ernte, offenbar
damit er sein Heer von den reifen Feldern der Deutschen ver-
proviantiren könnte, denn als er unmittelbar nach dem Aufgeben
des weiteren Vordringens gegen Ambiorix zieht, tritt eben die
Saatenreife ein. ^) Caesar hat offenbar auch nach dem zweiten
Rheinübergange allerlei vernommen, was ihm nicht ganz ge-
heuer erscheinen mochte; er sagt ganz kurz etwas von den
suebischen Wäldern, und da auch für einen grossen Feldherm
die Vorsicht eine Tugend ist, so beschloss er, nicht weiter
vorzudringen. Um die Rechtfertigung des Rückzuges aber ist
er nicht verlegen: er fürchtete Proviantmangel, weil ja alle
Germanen so wenig Ackerbau treiben.
Kann man aber das als Beweis für den dürftigen Acker-
bau der Germanen gelten lassen? Die Sueben bauten eben
Getreide nur für sich, nicht mehr als sie brauchten, am wenig-
sten für das Heer Caesars, und selbst heute würde es kein Heer
wagen, sich lediglich aus den Getreidespeichern im Feindes-
land zu verproviantiren. Zudem erzählt ja Caesar selbst, dass
die Germanen ihre Saatfelder vernichten, und rings um ihr
Gebiet einen Gürtel wüsten Landes Hessen, um dem Feinde
das Eindringen zu erschweren. *) Caesar selbst befiehlt den
Ubiern, die auch Germanen sind, ihr Vieh und Alles von den
Feldern in die Städte zu schaffen, in der Absicht, die Germanen
^) Die Germanen haben also doch eine Erntezeit und kennen
den Segen der Ernte, den ihnen Tacitus, Germ. XXVI, abspricht
2) Caesar, a. a. O. IV. 19.
3) Caesar, a. a. 0. VI. 29.
4) Caesar, a. a. 0. IV. 3. IV. 19. VI. 23. VI. 29.
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225
durch Mangel an Lebensmitteln zu einer Schlacht unter un-
günstigen Umständen zu zwingen. *)
Der Vorwand unzureichenden Ackerbaues der Germanen
ist eben nur ein Vorwand. Caesar selbst gibt uns noch genug
andere Belege für den ansehnlichen Umfang desselben.^duatuca
im Lande der Eburonen ist von Getreidefeldern um-
g ebeiLin denen Caesars Unjterfeldherr Cicero fönf Cohorten
furagieren lässig '^) und die Menapier haben Saatfelder^ Höfe
"und F 1 e c k e n an beiden Ufem^^es Rheins. ^) Als sie die
Sueben unvermuthet überfallen und vertrieben hatten, konnten
letztere den ganzen Winter hindurch von den in den Höfen
erbeuteten Vorräthen leben.
Bedeutender noch ist Caesars Nachricht^, dass^^wei ger-
manische Stämme, die Usipeten' und l^encterer, zur Auswan-
derung gezwungen waren^ weil sie eine Reihe^von^ahren von
cTen Sueben beunruhigt, mit^rieg überzogen und am ruhigen
B e s t e 11 e n ihrer A e c k e r gehindert waren. ^) Die Usipeten
imd Tencterer mussten demzufolge ihre Hauptnahrung aus dem
Ackerbau gezogen, und nicht, wie Caesar an späterer Stelle von
den Sueben sagt, von der Milch und von dem Fleische ihrer
Heerden und des Wildes gelebt haben.
Die meiste Beachtung verdient aber, was Caesar von den
Sueben selbst mittheilt. Jeder der hundert Gaue stellt tausend
Bewaffnete, während die Anderen zu Hause bleiben und für
sich und die Ausgezogenen den nöthigen Unterhalt schaffen.
Die Zurückgebliebenen, — die also auch Krieger waren, und
dennoch die Felder bestellt hatten, — ziehen dafür das nächste
Jahr in den Krieg, die Anderen bleiben dagegen zu Hause.
So verlernen sie weder den Ackerbau, noch Kenntniss
imd Uebung des Krieges. Besonderen Privatgrundbesitz gibt
es nicht, auch darf Niemand denselben Fleck länger als ein
Jahr bebauen. ^) Die Behörden und Fürsten des Landes ver-
theilen den Grund an die Geschlechter und geschlossenen Sipp-
schaften auf je ein Jahr, u. z. so viel und an dem Orte, wo
es ihnen entsprechend dünkt, und überlassen nach einem Jahre
;}
Caesar, a. a. 0. VI. 10.
Caesar, a. a. O. VI. 36.
3) Caesar, a. a. 0. IV. 4.
*) Caesar, a. a. O. IV. 1.
*) Caesar, a. a. O. IV. 1.
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226
den Acker an Andere. *) Caesar entwirft uns hier, wo er durch
gewisse Absichten nicht beirrt ist, in wenigen Zügen ein be-
deutungsvolles Bild altgermanischer Agrarverfassung, welches
unsere Auftnerksamkeit in vollstem Maasse verdient, und dem
wir sie noch an späterer Stelle widmen wollen.
Ueberaus zahlreich sind die Nachrichten, die uns Tacitus
in seiner Germania über den Ackerbau der alten Deutschen
bringt, ebenso viele Zeugnisse, dass sie schon von Anbeginn
Ackerbau getrieben und denselben nicht etwa erst durch den
Verkehr mit den Römern ei lernt haben. Da diese Nachrichten
des Tacitus uns sehr eingehend über die Beschaffenheit des
Ackerbaues und über viele Einzelheiten aufklären, worüber
ich später im Besonderen noch sprechen möchte, so will ich
vorläufig nur bei den allgemeinen historischen Zeugnissen ver-
bleiben, und hier nur einiger seiner Mittheilungen gedenken.
Die Friesen hatten im Jahre 28 v. Chr. einen Tribut an Rinder-
häuten dem römischen Heere zu entrichten. Da die Römer
mit den Häuten des Hausrindes nicht zufrieden sind und Häute
des ürochsen verlangen, so geben die Friesen erst ihre Felder
hin, dann ihre Weiber und Kinder, empörten sich aber schliess-
lich und schlugen die Römer aus dem Lande, so dass der
eerführer derselben weder Rache nehmen, noch selbst die
Leichen der Gefallenen begraben konnte. ^) Die Friesen be-
sassen also Felder: aber nichts kann deutlicher beweisen, dass
sie kein Jägervolk gewesen, als der Umstand, dass sie den
Römern nicht die verlangten Häute 3es Urstieres zu liefern
vermochten, was ihnen, wenn sie Jägef gewesen wären, doch
viel leichter hätte sein müssen, als die wenigen Hausrinder zu
schlachten, um die nöthige Anzahl Häute zusammen zu bringen,
ohne trotzdem dabei die Römer befriedigen zu können.
Im Jahre 58 n. Chr. nahmen die Friesen sodann die un-
besetzten, für die Bedürfnisse der römischen Soldaten vorbe-
haltenen Ländereien in Besitz, bauten Häuser darauf, besäetCD
die Felder und bauten das Land wie ihr Erbtheil an.')
Dieselben Ländereien nahmen darnach die Ampsivarier
in Besitz, indem ihr Führer den Römern vorstellte, „wie viel
») Caesar, a. a. 0. VL 22.
2} Tacitus, Ann. IV. 72. 73.
Sf Tacitus; Inn. IUI. hir
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227
Land brachliege, auf welches einmal das kleine und grosse
Vieh der Soldaten hinüber gebracht werden könne. Man möge
sie doch mit ihren Heerden aufnehmen und unter Menschen
wohnen lassen; sie möchten doch ja nicht Verödung und Ent-
völkerung für besser halten, als befreundete Völkerschaften.
Wie der Himmel den Göttern, so sei die Erde den Menschen
eingeräumt: Was leer stehe, sei Gemeingut". Dann zur
Sonne aufblickend und die Gestirne anrufend, fragte er sie,
als wären sie gegenwärtig, „ob sie auf ein leeres Land herab-
blicken wollten? Lieber möchten sie das Meer hereinströmen
lassen auf die Räuber des Erdbodens". ^) Friesen sowohl als
Ampsivarier wurden indess genöthiget, die occupirten Län-
dereien zu verlassen, welche die unersättliche Habgier der
Kömer an sich riss.
Das glänzendste Zeugniss in jener frühen Zeit erhielt je-
doch der Ackerbau in unserem Heimatlande NiederösteiTcich.
Zwölf Jahrzehende nach diesen vergeblichen Versuchen der
Friesen imd Ampsivarier, sich im Besitze des väterlichen
JHeimatlandes zu erhalten, wüthetc an der Donau der grosse
Markomannenkrieg, mit so manchem Schlag und Gegenschlag.
Die Römer waren in die Gebiete der Markomannen und Quaden
jenseits der Donau eingedrungen, legten dort Castelle an, deren
Besatzungen das Volk in jeder Weise belästigten, so dass sich
endlich Quaden und Markomannen durch Gesandte darüber
beschwerten, dass ihnen die Besatzungen weder Viehzucht,
noch Ackerbau, noch andere Geschalte mit Sicher-
ÜTS i"t "ztPlTr'e itTfe"!! ' geste^eT6fr,*''^wohT sie ^ader *un^ alle Be-
dürfnisse im Ueberflusse hätten, und die Quaden, wie einst die
Usipeten und Tencterer daran waren, auszuwandern. 2) — Trotz
dieser Vorgänge und trotz der ungeheuren Verwüstungen durch
den langen, mit furchtbarer Grausamkeit geführten Krieg konnten
sich die Markomannen bei dem Friedensschlüsse verpflichten,
ungeachtet des augenblicklichen Mangels jährlich
eine bestimmte Menge an Getreide zu liefern, ^) während
die Quaden in einem schon früher abgeschlossenen Separat-
Frieden Heerden von Rindern und Pferden geliefert hatten. '•)
^) Tacitus, Ann. XIII. 55.
^) Cassius Bio. LXXI. 20.
3) Cassius SU'EJfflTl. --
*) Cassius Die, LXXI. 11.
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228
Wir sehen daraus^ dass der Ackerbau in der zweiten
Hälfte des zweiten Jahrhunderts in Niederösterreich bereits
einen solchen Umfang gewonnen hatte, dass er einen Ueber-
schuss an Getreide über das eigene Bedürfniss lieferte, dass
daher die Behauptung des Tacitus, der Germane begnüge
sich, wenn er sein bischen Saatgetreide erhalte, wenigstens für
gewisse Gegenden berichtiget werden muss. Auch der Einwand,
dass die Römer die germanischen Stämme durch die ihnen
ganz neuen und fremden Auflagen von Getreidelieferungen
zum Ackerbau und dadurch zum ruhigen Verhalten zwingen
wollten, ist hinfällig, da sie zu einer solchen Massregel den
wirklich unsteten Jazygen, den sarmatischen Nachbarn der
Quaden, gegenüber noch weit mehr Veranlassung gehabt hätten,
im Gegentheile aber diesen im Friedenschlusse Korn auf ewige
Zeiten zu liefern versprachen. *) Nichts zeigt deutlicher den
Contrast zwischen den ackerbauenden Germanen und ihren
umherschweifenden Nachbarn, den Sarmaten, als dieser Friedens-
schluss.
Im Jahre 235 n. Chr. wählte Kaiser Maximinus, der ehe-
malige thrakische Viehhirt, wie einst Caesar, die Zeit der
Saatenreife zu seinem Uebergange über den Rhein. Da sieb
die Germanen zurückgezogen hatten, und der Kaiser leeres
Land fand, so verwüstete er die Gegend weit und breit, zumal
die Saaten der Reife nahe waren, steckte die Dörfer in
Brand und überliess sie seinem Heere zur Plünderung. ^) Diesen
Heldenzug erzählt wie Herodian auch Julius Capitolinus. ^)
Welchen Umfang der Ackerbau um die Mitte des vierten
Jahrhunderts bereits hatte, zeigt eine Nachricht bei Ammianus
Marcellinus, derzufolge Kaiser Julianus das Castell Tres
Tabernae, Rheinzabern, das er wieder hergestellt hatte, an Ort
und Stelle mit Lebensmitteln versehen konnte. Die Einwohner
waren geflohen, hatten ihre Lebensbedürfnisse, Früchte und
Habe landeinwärts geschafft, und doch war Julian im Stande,
und hierin liegt das Bedeutungsvolle der Nachricht, der Be-
satzung in dem wieder aufgerichteten Castelle den
Lebensbedarf für ein ganzes Jahr lediglich von den
0 Cassius Die, LXXL 19.
2) Herodian, VII. 2.
^) Julius Capitolinus in Maximus, 12.
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fruchtvollen Feldern der Alemannen zu verschaffen,
dabei aber auch sein eigenes Heer für 20 Tage mit
Lebensmitteln zu versorgen, was freilich nicht ohne Ge-
fahr und nur mit den WaflFen in der Hand geschehen konnte. *)
Nicht lange darauf geht Julian über den Rhein, um die
Alemannen neuerdings anzugreifen. Diese, überrascht, flohen
und gaben den römischen Reitern freien Spielraum, ohne
Schonung Vieh und Früchte aus den ländlichen Wohnungen
in Menge wegzuführen. Auch schleppte man die Einwohner
als Gefangene fort, und zündete dann sämmtliche, sehr ordent-
lich und nach römischer Art gebaute Häuser an.^)
In dem hierauf mit den Alemannen abgeschlossenen Frieden
verpflichteten sich diese, wie einst 200 Jahre früher die Mar-
komannen, zu Getreidelieferungen, u. z. die römische Armee,
so oft es nöthig wäre, mit Lebensmitteln zu versorgen,
und so gut wie jeder andere Lieferant Empfangscheine für das
zum Magazin gebrachte Getreide anzunehmen, um sie
zur bestimmten Zeit als Belege vorzeigen zu können, widrigen
Falles sie Zwangsmittel zu gewärtigen hätten. Die Alemannen
konnten diese Verpflichtung wegen der ungeheueren Verwüstung
des Landes allerdings nicht erfüllen. ^)
Schon vorher glaubte Julian die an den Ufern der Maas
wiederhergestellten Castelle auf leichte Weise durch die
Ernte im Chamaver-Lande versorgen zu können, wobei
er sich allerdings täuschte, da die Feldfrüchte nicht zur er-
warteten Zeit reif wurden. Julian gerieth dadurch in einen
argen Zwiespalt mit den Besatzungen, welche einen Theil ihres
Vorrathes au Brod hatten abgeben müssen und nun keinen
sofortigen Ersatz erhalten konnten. *) Die Nachricht ist von
Bedeutung, weil sie zeigt, dass es den Römern, die abermals
die Zeit der Saatenreife zur ihrer Action gegen Deutschland
gewählt hatten, schlimm ergehen konnte, wenn sie sich ver-
rechnet hatten.
In Folge eines ausgesuchten Actes von Treulosigkeit
Seitens des Kaisers Valentinian, die er ja auch gleichzeitig
n Ammianus Marc, 16. 11.
2) Amm. Marc, 17. 1.
3) Amm. Marc, 17. 10.
*) Amm. Marc, 17. 9.
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den Quaden gegenüber bewiesen, und durch die sich Valentinian
überhaupt einen Namen gemacht hat, setzten die römischen
Legionen die Saatfelder und Häuser der Alemannen
neuerdings in Brand und schonten nur die Vorräthe
an Lebensmitteln, die man zu künftigem Lebensbedarf
aufzubewahren rathsam fandJ)
So zieht sich von Caesar an, also seit der Zeit, als die
Römer in dauernde kriegerische Berührung mit den Germanen
gekommen sind, während mehr als vier Jahrhunderten durch
die ganze Geschichte der römischen Kriegführung gegen Ger-
manien wie ein rother Faden die Gepflogenheit^ den Krieg in
die Zeit der Ernte zu verlegen, um das Heer mit Getreide
versorgen zu können, oder um durch Vernichtung der Vorräthe
den Germanen den Lebensunterhalt zu entziehen, oder um selbst
beide Zwecke zugleich zu erreichen. Ueberall, wo die Ger-
manen nicht rechtzeitig die Saaten vernichtet, oder die Vor-
räthe geborgen hatten, findet das römische Heer reiche Frucht-
felder und gefüllte Speicher, zuweilen mehr, als sie für sich
benöthigen.
Alle diese Nachrichten geben den unwiderleglichen Beweis,
dass sich die Jahrhunderte langen Kämpfe Roms gegen die
Germanen auf den Fluren eines Bauemvolkes vollzogen haben,
ja Angesichts einzelner dieser Nachrichten ist es durchaus
keine kühne Behauptung, zu sagen, dass die Römer selbst
kaum so lange Krieg gegen die Germanen hätten fuhren können,
wenn sie nicht im Stande gewesen wären, ihre Heere mit dem
Erträgnisse des Saatkornes zu erhalten, welches germanische
Hände ausgestreut hatten.
Germanische Agrarrerfassung.
Nach diesen untrüglichen historischen Zeugnissen für den
Bestand und die Ursprünglichkeit des germanischen Ackerbaues
sei mir gestattet, zu untersuchen, welcher Art derselbe ge-
wesen sei.
Uebereinstimmend mit Caesar berichtet Tacitus, dass die
Germanen keinen persönlichen Grundbesitz kennen; die Feld-
gemarkung, je nach der Anzahl der Bebauer, grösser oder
>) Amm. Marc, 25. 10.
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kleiner, gehört der ganzen Gemeinde als Gesammtbesitz und
diese vertheilt die Grundstücke unter ihre Mitglieder nach
Massgabe des Ranges. Die Möglichkeit dieses Verfahrens liegt
in der grossen Ausdehnung der Markungen. In der Bebauung
wechselt man alljährlich das Feld, wobei immer noch ein Theil
desselben frei bleibt. *) Die Anschauung von der Gemeinsam-
keit des Bodens ist etwas dem germanischen Wesen Eigen-
thümliches, und hat dasselbe viele Jahrhunderte lang voll-
ständig beherrscht und bestimmt. Die Erinnerung an diese
Gemeinsamkeit hat sich lange erhalten, geht durch das ganze
Mittelalter hindurch und ist heute noch nicht erstorben. Die
Freiheit der Jagd, des Fischfanges, der Holzung und der Weide
war das erstrebte Ziel aller Bauernkriege, oflFenbarte sich unter
dem Deckmantel religiöser Kämpfe, und das Verlangen dar-
nach lebte im Jahre 1848 an vielen Orten wieder mächtig auf.
Der Eigenthümlichkeit der germanischen Agrarverfassung
ist bis jetzt vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt
worden. Nicht auf ererbtem, nomadischem Wesen, sondern auf
dem Mangel des Privatgrundbesitzes, der durch den Gemein-
besitz nur unzureichend vertreten wurde, beruhte die Beweg-
lichkeit der Germanen und die Leichtigkeit, womit sie ihre
Wohnsitze aufgaben. Aus dem Missverständniss dieser Ver-
hältnisse floss der Irrthum, welcher in ihnen nomadisches Wesen
suchte und fand. Freilich hatte der Mangel des Privatbesitzes
am Boden auch Gleichgiltigkeit gegen die Verbesserung des-
selben zur Folge, da er ja das nächste Mal einem Anderen
zur Benützung zugewiesen wurde, und mit ihr die mehr als
tausendjährige Stagnation in der Entwickelung des Ackerbaues.
Dagegen musste der Gemeinbesitz das Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit ungemein lebendig erhalten, und die Ausbildung
der staatlichen Idee fordern. Es kann keinem Zweifel unter-
liegen, dass aus dem Gemeinbesitze die bedeutendste Quelle
der Widerstandskraft der Germanen gegen die Jahrhunderte
langen Eroberungsversuche der Römer floss. Der private Grund-
besitzer hängt mit Zähigkeit am Boden; er opfert lieber alles
Andere, er lässt lieber das Aergste über sich ergehen, ehe er
sich von der Scholle reisst oder reissen lässt, die ihn nährt;
aber der, welcher nur mit und durch die Genossenschaft am
*) Tacitus, Germ. 26.
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2^
Boden Tbeil hat, ist steu bereit, ikn mu£rugehetk^ sei es,
er mit L'ebemuMrht bedroht wird, sei e«, daas ein müderer mit
d^.r Waffe in der Faust erkämpft werden soll: der Einzrine
weis« ja, das« er da wie dort seinen Anthefl zugemessen erliak.
Ans der Gemeinsamkeit des Grundbesitzes floss die I.,nst und
freudige Kraft, mit der jeder Einzelne an dem Kriege theil-
nahm, und die sonst dem schwerfaOigen Bauer fremd ist: sie
hatte die Unterordnung des Einzehrillens unter den Gesammt-
willen zur Folge, und machte sie leicht, und ersetzte so zmn
grossen Theile die damals noch wenig ausgebildete staatliche
Kraft nach innen, wie nach aussen. So viel Heere die Körner
auch gfjgen Germanien ausschickten und opferten, es war ver-
gebens; bei der Beweglichkeit des Volkes entschlüpfte ihnen
«tets der Erfolg des schon errungenen Sieges. Jeder einzelne
germanische Stamm konnte sich mit Leichtigkeit vor der an-
dringenden Uebermacht zurückziehen, indem er das leere Land
preisgab; nach der Wanderung tauchte er an anderer Stelle auC
setzte sich dort fest, wie es die Sueben, die Usipeten, Tenk-
terer, Ampsivarier u. s. w. thaten, und bebaute aufs neue
das Feld.
Mit Recht konnte Tacitus klagen: ^Tam diu Germania
vincitur!'' Trotz aller Siege war Germanien nicht zu fassen
und nieder zu werfen.
Der Gemeinbesitz des Bodens machte aber das germanische
Volk nicht blos unbezwinglich, sondern verlieh ihm auch die
Befähigung zum activen Angriffe, da es einerseits in Bezug auf
seinen eigenen Boden, ungleich einem durch Privatbesitz an
denselben gefesselten Volke, unfassbar und unverletzbar war,
gleichwohl aber als ein wahres Bauemvolk die herrlichen, ihm
wohlbekannten Gefilde des Südens verlockend genug fand, um
sie mit den eigenen winterlichen Ländereien zu vertauschen. ')
Wenn daher auch Strabo einem Theile der Germanen
nomadische Natur zuschreibt, 2) so beruht das auf der völligen
Unkenntniss des Wesens der germanischen Agrarverfassung, die
sich ihm, der nur einen sehr kurzen Zeitraum zu überblicken
*) 80 oft ein germanisches Volk sich in Italien oder Gallien
feflinetzen konnte, verlangte es eine entsprechende Abtretung des
Ackerlandes.
2) Strabo, 291.
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233
und sie deshalb in ihren Folgen nicht zu ermessen vermochte,
allerdings nicht leicht erschliessen konnte. Die Germanen
aber waren sich des Wesens und der Kraft ^ die im Gemein-
besitz des Feldes lag, wohl bewusst; das erhellt deutlich aus
den Gründen, die sie selbst vor Caesar für diese Einrichtung
vorbrachten. *) Sie fürchteten, dass in Folge des Privatbesitzes
die allzu grosse Gewohnheit an den Feldbau die Einzelnen be-
herrschen und dem kriegerischen Geiste Eintrag thun könnte,
dass man bei dem Bau der Häuser mehr Sorgfalt anwenden,
und zu viel Rücksicht auf ein behaglicheres Wohnen im Winter
sowohl, als im Sommer nehmen möchte; man würde nach
grossem Besitz an Ijändereien trachten, den Niedrigen aus dem-
selben vertreiben, und Reich thümer ansammeln; so aber sei
auch der Niedrige zufrieden, weil er wisse, dass er unter allen
Umständen so viel habe, als der Mächtige. Die Germanen
wollten also nicht, dass die Sorge für den Besitz des Ackers
den Einzelnen schwerfilllig mache, sie verhinderten durch die
Unterdrückung des Privatbesitzes absichtlich den Bau von
Häusern, welche von grösserer Dauer und der Annehmlichkeit
des Wohnens besser entsprochen hätten, sie überzeugten den
Einzelnen, dass er durch die Gesammtheit bestehe, um seine
bedingungslose Hingebung an die Gesammtheit zu erreichen,
und sie wussten recht gut die Gefahr zu ermessen, welche
ihnen die Fessel, die sie an die Scholle band, bereiten musste,
namentlich dann, wenn sich der Grundbesitz, was sie ja aus-
drücklich vermeiden wollten, in den Händen der Mächtigen
sammelte, weil diese dann dem Feinde gegenüber umsomehr zur
Unterwerfung geneigt sein mussten, je grösser ihr Besitz war.
Es ist lehrreich, mit diesen Erscheinungen die Schicksale
der westlichen Nachbarn der Germanen zu vergleichen. Alle
Schriftsteller betonen die Gleichheit der Sitten und Einrich-
tungen der Germanen und der stammverwandten Gallier; ohne
Zweifel kannten auch diese ursprünglich kein Privateigenthum
am Boden; von den italischen Galliern wird uns dies durch
bestimmte Nachrichten bestätiget. 2) Bei den in ihrer Gebirgs-
welt abgeschlossenen Helvetiern herrschte noch in Caesars Zeit
die germanische Agrar Verfassung, denn bei zu Recht bestehcn-
») Caesar, de belle gall., VI. 22.
2) Polybius, 2. 17.
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234
dem Giiindeigenthum hätten sie den fintsehluss zur Auswande-
rung gewiss nicht gefasst, *) während dasselbe im eigentlichen
Gallien, das schon sehr frühzeitig in den allgemeinen Welt-
verkehr getreten war, auch sehr früh sich ausgebildet haben
und zur Zeit Caesars wahrscheinlich schon zur allgemeinen
Geltung gelangt sein musste, da Caesar, wenn er bei den
Galliern noch den alten Gemeinbesitz gefunden hätte, hieven
gewiss ebenso Nachricht gegeben haben würde, wie er es bei
den Germanen gethan hat. Im Vergleiche mit diesen müssen
wir aber die Unterwerfung Galliens und den Untergang der
gallischen Nation der Gebundenheit des Grundbesitzes, be-
ziehungsweise der Gebundenheit an den Gioindbesitz zu-
schreiben.
Ich möchte von diesem Thema nicht scheiden, ohne den
Blick noch rasch auf eine Seite des Culturlebens der Völker
geworfen zu haben, durch welche es sich in der dauernd-
sten Weise manifestirt. Unter den Gründen für den Gemein-
besitz des Bodens haben die Sueben dem Caesar auch diesen
einen bezeichnet: es sei nicht wünschenswerth, dass auf den
Bau der Häuser mehr Sorgfalt verwendet werde, um sie Winter
und Sommer in gleich angenehmer Weise wohnlich zu machen.
Um das zu verhindern, wurde also ein Privateigenthum am
Boden nicht zugegeben. Und in der That, wie sollte sich auch
Jemand entschliessen , mehr Mühe und Kosten auf den Bau
seiner Wohnung zu verwenden, wenn er weiss, dass sie unter
Umständen doch nicht sein Eigen bleiben wird. Die Folge des
Gemeinbesitzes des Bodens ist daher die gänzliche Verhinderung
des Auflebens der Baukunst, und umgekehrt kann sich die
Baukunst nur bei gesetzlich gesichertem Grundeigenthum der
Einzelnen, und wenn auch nur die herrschende Classe daran
Theil hätte, entwickeln. Nicht deshalb also, weil den Ger-
manen etwa die Befähigung dazu gefehlt hat, sondern weil das
Institut des Gemeinbesitzes dagegen war, entwickelte sich bei
denselben die Baukunst nicht. ^) Hätte sich in Germanien früh-
1) Caesar, de belle gall., I. 2.
2) Es sind das sich gegenseitig bedingende und daher folge-
gemäss auftretende Erscheinungen, die im scheinbar freien Cultur-
leben mit derselben Gesetzmässigkeit einander bedingen und hervor-
rufen, wie im Leben der Natur. Sollte je der Communismus zur
Herrschaft gelangen, so würden sofort eine Menge menschlicher
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235
zeitig ein persönliches Gnindeigenthum ausgebildet, dann würden
wir bis in den hohen Norden hinauf die Baureste uralter ger-
manischer Städte finden. Die Gelehrten würden alsdann nicht
in Zweifel kommen, ob sie die im Boden des Landes gefun-
denen Bronzegeräthe auch den Germanen zuschreiben dürfen.
Aber ohne den Geraeinbesitz des Bodens würden auch die
Germanen den Römern nicht widerstanden haben; Germanien
hätte vor fünfzehnhundert Jahren zu sein aufgehört, und
wäre heute gleich Gallien ein historischer Begriff, nur wenige
Namen wären die einzigen Reste seines Sprachschatzes. Dem
Gemeinbesitz des Feldes hat Germanien seine Erhaltung zu
danken.
Aus dem Wesen der germanischen Agrarverfassung ergibt
es sich von selbst, dass jeder Einzelne an der Arbeit bei der
Bestellung der Felder Theil hat, da ja jedem Einzelnen ein
bestimmtes Maass vom gemeinsamen Acker alljährlich zuge-
wiesen wird. Es ist ein Irrthum, dem wir häufig begegnen,
dass bei den Germanen nur Greise und Weiber den Acker
bearbeiten, da oben schon nachgewiesen wurde, dass auch die
streitbare Mannschaft, während die eine Hälfte derselben auf
dem Kriegszuge sich befindet, zur anderen Hälfte sich am
Ackerbau betheiligt und für den Unterhalt der Ausgezogenen
sorgt. Neben dem Herrn arbeitet der Hörige im Felde, ent-
weder als Knecht oder in seinem besonderen Heimwesen am
eigenen Herde. Selbstverständlich konnte der Herr in diesem
Falle nicht das Eigen thum des Grundes, sondern nur den
Nutzgenuss an den Hörigen abtreten, demnach zeigen sich
schon hierin die Spuren des germanischen Lehensrechtes, das
aus dem Gemeinbesitz des Bodens und dessen alljährlicher
Vertheilung durch die Fürsten und Behörden an die Ge-
schlechter und Familien sich entwickelte. Der Hörige war
nach Art eines Pächters zu einer bestimmten Leistung an
Getreide, Vieh oder Gewandstücken verpflichtet. Selten kommt
es vor, dass ein Höriger gepeitscht, in Fesseln gelegt oder mit
harter Arbeit bestraft wird.
Die Geschäfte im Hause besorgen Weiber und Kinder. ')
Fähigkeiten und Künste einschlummern und so lange latent bleiben,
bis sich die socialen Zustände wieder geändert haben.
1) Taoitufl, Germ. XXV.
16*
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236
Erzeugnisse der germanischen Bodenbewirthschaftung.
a. Viehzucht.
Des Germanen besondere Sorge nimmt sein Vieh in
Anspruch; das Land ist reich daran^ eine zahlreiche Heerde,
das ist die Freude des Germanen, sein einziger, sein geliebtester
Reichthnm. *) Als Morgengabe bringen sich die Brautleute
gegenseitig nicht Luxusdinge sondern Rinder und ein gezäumtes
Ross nebst Schild, Schwert und Speer dar, als Zeichen des
festesten Bandes, des heiligsten Geheimnisses, als Schirmgötter
der Ehe. 2)
Die Darstellungen der Antonins- Säule in Rom zeigen
die Quaden und JVl arfeönianiieTPim jTesitze von Pferden, Umdem,
Scliafen und Zi'egen;' man^ ^s^ auf ihnen, wie sich Frauen
en verfolgenden römischen Soldaten in Getreidefeldern
verbergen. ^)
Die Strafen bestehen in Bussen an Pferden und Vieh,^)
selbst der Todtschlag kann durch eine bestimmte Anzahl
grossen und kleinen Viehs gesühnt werden,^) und in Vieh
und Getreide besteht die freiwillige Steuer an den Fürsten.*)
Die Pferde der Sueben sind bereits Caesar wegen ihrer
Ausdauer und vortrefflichen Schulung bekannt,') welch' letz-
terem Tacitus allerdings theilweise widerspricht. **) Da beide Be-
richterstatter darin übereinstimmen, dass die Pferde klein und
unansehnlich sind, und da Caesar überdies sagt, dass die
?*>ueben keTne fremden Pferde einführen, so könnte man ver-
muthen, dass die Pferde der Germanen von der wilden Rasse
stammen, welche damals^) und noch viel später im Norden
Europas lebte. Es wäre wohl möglich, dass sich die Germanen
die benöthigte Zahl aus den wilden Ileerden herausgeholt und
0 Tacitus, a. a. 0. V.
2) Tacitus, a. a. 0. XVIII.
^) Bellori, Cohimna Antoniniana.
*) Tacitus, a. a. 0. Xlir
Tacitus, a. a. 0. XXI.
«) Tacitus, a. a. 0. XV.
') Caesar, de hello gall., IV. II.
^) Tacitus, a. a. 0. VI.
») Plinius, bist. nat. VIII. 16.
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237
gezähmt haben, aber es ist wahrscheinlicher dass das germa-
nische Pferd allerdings nicht so wie das Rind unter dem
gemeinsamen Dache, sondern in der Freiheit gezüchtet wurde,
in halbwilden Schwärmen, wie es noch jetzt an vielen Orten
geschieht. *)
*) Es ist neuestens die Frage erhoben worden, ob das Pferd
nicht etwa schon in jener prähistorischen Zeit gezüchtet worden
ist, wclcnc wir als die Teriode des KentLlercs Joezeichucn. I*ast
an allen J^undslatten dieser Feriodfe fi n 3 e n sich Pferd e- und Ren-
thierknochen zuweilen in ungeheurer Menge, der gegenüber die
Knochen anderer Thierc fast verschwinden. Man glaubt, dass Pferd
und Renthier damals im Zustande völliger Wildheit lebten und
einen Gegenstand der Jagd bildeten, namentlich sucht Dupont
diese Meinung damit zu begründen, dass .sich in den Höhlen die
Knochen des Rumpfes selten und meist nur jene der Extremitäten
finden, woraus sich ergebe, dass man die Thiere auf der Jagd er-
legt und nur die verwendbaren Theile derselben in die Höhlen-
wohnungen gebracht habe. Der Grund ist indess für den beabsich-
tigten Erweis ganz unzureichend, denn auch in dem Falle, als
damals schon das Pferd und das Renthier in halbwilden Heerden
gezüchtet worden sind, wird man nicht das ganze Thier in die Höhle
geschleppt, sondern an Ort und Stelle, wo man dasselbe aus der
Heerdo herausgefangen und getödtet hatte, auch zerlegt und dort
die unbrauchbaren Theile gerade so gut zurückgelassen haben, wie
von einem auf der Jagd erlegten Thiere. Zwei Gründe aber sprechen
dafür^ dass vielleicht ^^i^ff]^g^f>th^p Pff^rd nnc^ tiftni.nip.r in nainzahmnm
öder, wenn man will. mh^;^lhwjldem Zustande von d^n ltffii^8ff]|;ien
gezüchlet worden sind. Erstens fällt die massenhafte Ansammlung
von Jtnöchen gemde'^fles Pferdes und Renthieres auf, der gegen-
über die geringe Zahl von Thieren anderer Art kaum bemerkbar
ist. Hätten die Menschen der Renthierzeit von der Jagd gelebt,
so müssten wohl alle jagdbaren Thiere in ziemlich gleichem Maasse
vertreten sein, namentlich dürfte der Hirsch, der in den Pfahl-
bauten eine so bedeutende Rolle spielt und ganz gewiss dasselbe
Klima verträgt wie das Pferd, nicht fehlen. So aber muss man
aus dem mitunter immensen Vorkommen von Knochen des Pferdes
und des Renthieres schliessen, dass diese beiden Thiere unter
allen Umständen zur bequemen Verfügung gestanden sein mussten,
und dass man sich gerade der Jagd weniger hingab. Ich weiss
nicht, eb die lappischen oder finnischen Renthierzüchter so be-
sonders eifrige Jäger sind.
Sodann muss gefragt werden, ob man denn bei der Züchtung
der Thiere sofort zu voUstündiger Domestication geschritten sein
wird, ja sein konnte, und ob wir auch hierin nicht einen allmäligen
Uebergang annehmen und das Gesetz der Entwicklung ebenso walten
lassen müssen, wie anderwärts. Dann müssen wir aber auch bei
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238
Es scheint übrigens, dass die Germanen doch auch schon
im Besitze von Pferden besserer Rasse gewesen sind, denn
acitus weiss, dass sich die benachbarten Stämme gerne Ge-
schenke von edlen Rossen, electi equi, machen. ^) Besonders
berühmt bei sonstiger Kriegstüchtigkeit waren die Tenkterer
wegen ihrer hervorragenden Reitkunst, die sich von den Vätern
auf die Söhne und Knkel vererbte. Noch Greise sitzen fest
im Sattel und die Rosse gehen ihren gesonderten Erbgang, die
nicht der älteste, sondern der kriegstüchtigste Sohn erhält. -)
Ausgezeichnete Reiter sollen ferner die Bataver gewesen sein, ^)
die auf ihren Pferden in voller Rüstung über den Rhein
schwammen; auch die Chauken hatten Rosse und Krieger in
grosser 5^hl in Bereitschaft. *)
Ariovist stellte dem Caesar bei Beginn des gallischen
Krieges sechstausend Reiter entgegen, welchen eine ebenso
grosse Anzahl Fussgänger beigesellt war, welche die Mähnen der
den gezähmten Thieren einen Zustand halber Zahmheit voraussetzen,
und es ist nicht schwierig zu denken, dass die lappischen und
finnischen Reuthierzüchtcr, welche vor Eindringen der Arier im
mittleren Europa wohnten, damals schon in eben der Weise wie
jetzt grosse Rentbierheerden und neben ihnen auch Heerden halb-
zahmer Pferde besessen haben.
Es dürfte hier am Orte sein, der Nachricht Caesars über das
Vorkommen des Benthieres im herayni^cheu Walde au» dem Grunde
zu gedenken, weil man aus derselben schliessen könnte, dass, wenn
dieselbe begründet ist, bei der Natur des Renthieres an einen aus-
gedehnten Ackerbau in damaliger Zeit kaum mehr gedacht werden
könne. Gegenüber den zahlreichen historischen Zeugnissen ist jedoch
an diesem nicht mehr zu zweifeln, es muss vielmehr die Nach-
richt Caesars unter jene gezählt werden, welche er leichtgläubig
und ohne Prüfung aufgenommen hat. Die Existenz des Renthieres
im damaligen Germanien war kaum mehr möglich, wohl aber ist
es denkbar, das estnische und finnische Stämme mit ihren Reu-
thierherdcn zur Wiuterzeit tiefer nach dem Süden uud vielleicht
bis in jene Waldgegenden gezogen sind, wo heute noch der Wisent
lebt, und dass auf diese Weise die Germanen von dem Renthier
Kenntniss nahmen und dieselbe dem Caesar vermittelten. Bei der
von Caesar selbst angegebenen Ausdehnung des hercynischen Waldes
gegen Osten ist das im hohen Grade wahrscheinlich.
>) Tacitus, a. a. 0. XV.
2) Tacitus, a. a. O. XXXII.
3) Cassius Dio, 55. 24. Tlutarch, Oth. 12. 4. Tacitus,
bist. 4. 12.
-») Tacitus, Germ. XXXV.
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239
Pferde fassend mit den Reitern gleichen Schritt hielten, und
in verschiedenster Weise zur Unterstützung derselben dienten. *)
Diese Combination von Reiterei und Fussvolk ist den Germanen
eigenthümlich, auch Tacitus deutet sie an ; ^) wir finden sie bei
dem Heere wieder, welches dem Perseus zu Hilfe kam, und
aus zehntausend Reitern und einer gleichen Anzahl Fusssol-
daten bestand, welch' letztere sich an die Pferde hingen, und
dieselben, wenn die Reiter gefallen waren, bestiegen und neuer-
dings in die Schlacht führten. ^) Livius bezeichnet dieses Heer
als ein gallisches, da er aber den König dieser Gallier Clon-
dicus nennt, den er früher *) als den König der Bastarnen an-
fuhrt, so bestand wohl auch das Heer aus Bastarnen. Auch
vor Delphi begegnen wir dieser Vereinigung von Reiterei und
Fussvolk wieder: dort wurde jeder Reiter von zwei Fussgängern
begleitet. *) Nach Pausanias sollen es allerdings Kelten gewesen
sein, welche vor Delphi lagen; da Pausanias aber auch die
Germanen Kelten nennt,®) so wie es alle Griechen thun, so
ist damit über die Nationalität nicht entschieden, die sich viel-
mehr aus dem germanischen Worte Trimarkisia ergibt, womit
diese Kelten die Vereinigung eines Reiters mit zwei Fuss-
gängern bezeichnen, und die wir als eine echt germanische
Sitte kennen gelernt haben.')
Mit dem germanischen Krieger wird auch sein Ross be-
graben, ^) ein Brauch, dessen Reste noch heute erhalten sind.
"**""Tn den heiligen Hainen und Gehölzen wurden auf öffent-
liche Veranstaltung weisse Rosse gehalten, die nie durch irdischen
Dienst entweiht werden durften. Sie wurden vor den heiligen
Wagen gespannt, und ihr Wiehern und Schnauben galt bei
dem Volke sowohl als bei den Priestern imd Fürsten als ver-
trauenvolles Zeichen der Zukunft.^)
*) Caesar, de belle gall., I. 48.
2) Tacitus, Germ. VI.
3) Livius, 44. 26.
4) Livius, 40. 58.
5) Pausanias, 8. 844.
ß) Pausanius, Attioa 1, 9.
') Tri, drei, und marc, march, (Genit. markes), marah, Streit-
ross, (nicht von marahja, merha, Mutterpferd, Mähre,) daher dann
marahscalh, marschalch, Pferdeknecht, Marschall.
Tacitus^Germ. XXVHI.
Laeitus, a. a.
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240
Rosse bilden das vornehmste Opfer für die Götter; es ist
bekannt, dass sie zu diesem Zwecke zu tausenden geschlachtet
wurden. Die Hermunduren opferten die in der Schlacht be-
, jj,ximi[»MHH •»TM"' 1 1 in
siegten Catten saramt ihren Pferden und der übrigen Beute
*3^en (lottern, h lEbcnso machten es die Germanen mit den
erbeuteten l^ferden der Römer. Entsprechend dem Gebrauche,
die Häupter der geopferten Pferde an Bäumen aufzuhängen
findet man schädellose Pferdeskelete auf Opferstätten und in
Gräbern, z. B. in den Plattengräbern auf dem Altenburgberge
bei Wernburg. 2)
Zahlreiche andere Belege wären für die Bedeutung des
Rosses im alten Heidenglauben beizubringen, doch genügt es
hier lediglieh auf dieselben hinzuweisen. Zur Sache aber gehört
es vielleicht, daran zu erinnern, dass an dem Genüsse des Pferde-
fleisches sehr lange Zeit hindurch heidnische Gebräuche haf-
teten, weshalb den Germanen das Essen des Pferdefleisches
gänzlich verboten und dieses Verbot zur Zeit des heil. Boni-
facius den Thüringern auf's neue eingeschärft wurde. Obwohl
dasselbe nicht sofort allgemeine Wirksamkeit erlangt haben
wird, so wissen wir, dass es schliesslich dennoch durchgriff;
aber der Verziclit auf ein so wichtiges Nahrungsmittel ist gCTviss
nicht ohne Einfluss auf die wirthschaftlichen Zustände des
Volkes geblieben. Jedenfalls erfahren wir daraus, dass das
Pferdefleisch ein wichtiges Nahrungsmittel gebildet haben niuss.
Der (Jenuss von Pferdemilch ist jedoch bei den Germanen in
keiner Weise beglaubigt.
So wie die weissen Rosse im Dienste der Götter gepflegt
werden, so sind auch die Rinder den Göttern heilig; Kühe
ziehen den Wagen der Göttin Nerthus bei ihrem Friedens-
umzttge durch das Land. 3)
Tacitus beschreibt das Rind als klein, und spricht ihm
auch das sonsiige stattliche ^esen und selbst den Schmuck
der Hörner ab. *) I^etztere Mittheilung kann sich jedoch nur
auf einen kleinen Theil im Nordwesten, vielleicht gar nur auf
die Inseln beziehen, denn zahllose Funde bezeugen, dass das
germanische Rind nicht hörnerlos war.
^) Tacitus, Ann. 13. 57.
i ) ' \V e i u'&ortC ^elJil ."^^odtenbestattung H. 200.
3^ Tacitus, Germ. XL.
4) Tacitus, a. a. 0. V.
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241
Die Milch ist nach den übereinstimmenden Berichten der
Römer von den Germanen mit besonderer Vorliebe und in
reichlichem Maasse genossen worden; es musste also damals
im Gegensatze dazu in Italien die i\Iilch in viel geringerem
Grade als Nahrungs- und Genuss-Mittel gedient haben. Dieser
Gegensatz besteht übrigens noch heute; denn in der Consum-
tion von Milch und Butter dürfte kaum ein Volk dem ger-
manischen gleichkommen; namentlich werden beide Nahinings-
mittel in den gebirgigen Gegenden, ganz insbesondere in den
Alpen in weit grösserem Maasse verbraucht, als man es sich
gewöhnlich vorstellt, wogegen der Milchgenuss in Italien auch
jetzt ein verhältnissmässig unbedeutender ist. Ich glaube aber,
dass unsere nationale Bescheidenheit doch nicht so weit gehen
solle, um uns selbst in der Cultur tiefer stehend zu halten,
weil wir Milch in unseren Kaffee giessen, während ihn die
Italiener häufiger unvermischt trinken, und weil wir mit frischer
oder zerlassen conservirter Butter (Rindschmalz) unsere Speisen
schmalzen, während die Italiener Oel hiezu verwenden.
Butter scheinen die Römer überhaupt nicht genossen und
nur alTTn^zneimitteTT'Ti aucTi gleicti deu Barbaren
selbst, zum Salben der Kmder verwendet zu haben: soffar über
die Art der Butterbereitung scheinen sie nicht in genauer
Kenntniss gewesen zu sein. Aber von den Barbaren weiss
Plinius^dass die Bjitter ihre leck^teJSpeisejstj t^
Reichen von dem Volke unterscheidet. ^J Auf jene Germanen,
welche mit den Römern im Frieden lebten, bezieht es sich
wohl, wenn derselbe Schriftsteller berichtet, dass sie Butter in
den Brodteig mischen ; ^) wenigstens glaubt man dabei unsere
gesammten Alpenbewohner vor sich zu haben, welche fast
ausschliesslich von Milch, Butter und Mehlspeisen sich nährend,
letztere immer tüchtig mit Butter schmalzen, und selbst das
Brod, so oft es angeht, mit einer gehörigen Schichte Butter
belegen.
manen
Weniger lässt sich von der Käsebereitung bei den Ger-
n sagen, ja rlinius^ wundert sich, dass die Jsarbaren
•) Plinius, bist. nat. XL 96. XXVIII. 51. XXVITI. 78.
2) Plinius, a. a. 0. XXVIII. 35. 1.
3) Plinius, a. a. O. XVIII. 27.
^) Plinius, a. a. 0. XL 96.
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242
den Werth des Käses nicht kennen oder doch gering schätzen.
Die Germanen aber haben die Käsebereitung gewiss gekannt,
denn Tacitus^) fuhrt unter den Nahrungsmitteln derselben
lac concretum, geronnene Milch, Topfen, an, wovon ausge-
gohrner Topfen, d. i. Käse, wohl nicht allzu fern ist, und
Cäsar 2) räumt dem Käse neben Milch und Fleisch sogar eine
besondere Bedeutung bei. Ohne Zweifel dienten die thönernen
Siebe, von denen wir viele Bruchstücke in unseren prähistori-
schen Ansiedlungen finden, zur Käsebereitung.
Derselbe Gegensatz wie bei dem Genüsse von Milch und
Butter waltet zwischen Italern und Germanen bei der Vieh-
zucht überhaupt. Die Bewohner Italiens sind von je her
schlechte Viehzüchter gewesen und sind es noch heute^ und
nur desshalb ist es ihren Schriftstellern aufgefallen, dass der
Germane mit solcher Liebe sein Vieh pflegte, und dass, da
er ein Eigenthum an Grund und Boden, und an dem, was
daraus floss, nicht kannte, reiche Viehheerden sein einziger
werthvoller Besitz waren. Da die Germanen so eifrige Milch-
und Butteresser waren, so ist es erklärlich, dass sie bei der
Züchtung vorzüglich auf die Milchergiebigkeit ihrer Kühe
hinwirkten, wodurch schon im Alterthume die Alpenkühe be-
rühmt wurden. ^) Aus einem Vortrage des Prof. Wilkens^)
erfahren wir, dass den östlichen Alpen eine besondere, durch
scharfe Merkmale bezeichnete Rinderrasse, bos taurus brachy-
cephalus ^) eigenthümlich ist, welche sich gegenwärtig über das
einstige Noricum ausbreitet, aber auch zuweilen über die
Grenzen desselben weit hinausgreift. Diese Rasse ist wegen
ihrer vorzüglichen Milchergiebigkeit berühmt und wird vor-
wiegend von den deutschen Bewohnern der östlichen Alpen
gezüchtet. Zufolge archäologischer Funde gehört auch das
Rind der Laibacher Pfahlbauten und der germanischen An-
siedlungen Niederösterreichs diesseits und jenseits der Donau
dieser Rasse an, und es unterliegt daher keinem Zweifel, dass
1) Tacitus, a a. 0. XXIIL
2) Cäsar, a. a. O. VL 22.
3) Columella de rc tust. VL 24. Plinius a. a. O. VUL 70.
*) Mittheil, der anthrop. Gesell. VU. Bd. S. 165.
*) Statt der iiir dieselbe gewählten deutschen Bezeichnung
„Duxcr Xtasße" scheint mir die von anderer Seite gebraucht«
Bezeichnung „norische Rasse** entsprechender zu sein.
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243
sie mit der von Columella und Plinius wegen ihrer Milch-
ergiebigkeit so gerühmten Kasse identisch ist. Nun zeigt sich
die auffallende Erscheinung, dass der Verbreitungsbezirk des
norischen Rindes gegenwärtig bis an die Apenninen reicht, also
über einen Theil Italiens sich erstreckt, wo zur Zeit der
Terramare-An Siedlungen die Torfkuh-Rasse die vorherrschende
gewesen ist. *) Das norische Rind ist daher dort nicht als ein-
heimisch, sondern als eingeführt zu betrachten. Da wir an-
nehmen müssen, dass die einzelnen Rinderrassen sich als das
von einem bestimmten Volke erzielte Züchtungsergebniss dar-
stellen, welches dasselbe mit anderen, oder doch mit entfernter
wohnenden Völkern nicht gemein hat, so muss bei dem Um-
stände , als in frühester Zeit die sich ausbreitenden oder
wandernden Völker auch ihr Vieh mit sich führten, in einer
gewissen Periode der Verbreitungsbezirk einer Rinderrasse
auch jenem des sie züchtenden Volkes entsprochen haben.
Allerdings werden hierbei im Verlaufe der Zeit vielfache
Aenderungcn eingetreten sein, welche die Grenzen der Aus-
breitung an manchen Stellen verwischten; an einzelnen artderen
können sie sich aber vollkommen scharf erhalten haben. Wollten
wir nun in Anwendung des Gesagten um die Herkunft des
norischen Rindes in Überitalien fragen, so sind gerade hier
die Verhältnisse verwickelter und kaum zu entwirren. Denn
zuerst Hesse sich an die Kelten denken, namentlich an die
keltischen Bojer, welche bei ihrer Einwanderung jedenfalls
auch ihr Vieh mitgebracht haben werden. Diese Annahme
wäre aber nur zulässig, wenn die Kelten nicht aus dem Westen,
wie man allgemein annimmt, sondern aus dem Norden ge-
kommen sind, was allerdings das wahrscheinlichere ist, da die
italischen Bojer sich wohl von dem grossen Stamme der nord-
wärts der Alpen wohnenden Bojer losgelöst haben werden.
Einen bedeutenden Succurs dürfte die norische Rinderrasse in
Oberitalien zur Zeit des Gothenkönigs Theodorich erhalten
haben; denn als damals alemannische Flüchtlinge in Italien
Schutz suchten und ihr ermüdetes Vieh unterwegs zu ver-
kommen drohte, befahl Theodorich den norischen Provinzialen,
die grossen alemannischen Rinder gegen ihre kleinen einzu-
•) F. Keller (nach Pigorini und Strobel), Pfahlbauten,
V. Ber. Ö. 137.
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244
tauschen, wodurch ja beide Theile gewinnen würden. Auf
diese Weise ist jedenfalls eine Anzahl norischer Rinder nach
Oberitalien gekommen. Man könnte endlich auch noch an die
Longobarden denken, welche sich nach langem Wanderzuge
gerade in diesem Theile Italiens dauernd niedergelassen haben.
Jedenfalls weist die Existenz der norischen Rinderrasse in
Oberitalien, wo zur Zeit auch eine bessere Rinderzucht zu
finden ist und die Käsebereitung eine bedeutendere Entwick-
lung erlangt hat, auf einen Einfluss aus dem Nord.en, und es
ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass diese bessere Rinderzucht
in Italien den Kelten und Germanen zuzuschreiben ist.
Dass die Germanen Ziegen und Schafe züchteten, zeigen
uns die schon erwähnten Darstellungen auf der iVntoninssäule in
Rom; dass beide Thierarten sowie Schwein und Hund scHon
seit sehr langer Zeit in Mitteleuropa heimisch waren, bezeugt
das Vorkommen von deren Knochenresten von der Zeit der
Pfahlbauten der Schweiz und Oesterreichs an, bis in die
römisch-germanische herab.
Den H und hatten die Germanen schon in mehreren Rassen
und in nicht geringer Zahlj er war ihnen nicht nur Freuftd
und Hüter des Tfauscs und der Heerden," sondern auch Jagd-
und Kriegsgenosse; bekannt ist. dass er die Wfigenburt^en
vertheidigeri halfj) Sowie Vi'e. rd n jj W^i^tc^n TTii » de ijaiii g i\tl ii*h .,
als Todtenopfer ; das bekannteste ist jenes, welches nach der
E^xIanffrunTiiIcle ihrtan erniordcten Gatten Sigurddarbrinfft.^)
Zahlreich werden Knochen der Hunde allem oder auch mit
l^ferdekiiochen \n Gräpern gefunden, so z. B. in einem Brand-
hügel bei Lüsse unweit Beizig; ^) ich selbst fand Hundeskelete
neben Menschenskeleten in germanischen Gräbern zu Stillfried
an der March.
Dass bereits Pytheas bei den Germanen die Bienen-
zucht angetroflfen habe, wurde schon erwähnt. Jedenfalls iwrar es
dabei weniger auf das reine Naturproduct, als auf das, was sich
daraus machen Hess, abgesehen; der Meth ist ja nach Hehn
das Urgetränk der Indogermanen gewesen. Die einfachen
0 Strabo, 199.
^) Edda, Sijjiurdbarkvidha Fafn. fliridlija, 64. ' "
^)'^ eTnti^o i 3^,' 'Ke1fi3n.*To(TfcVnl)estattuiig (T) 178; Holtzmann,
Mythol. 234.
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245
Germanen seheinen sich der Pflege des väterlichen Erbgutes
sehr angenommen zu haben, denn Plinius erzählt, dass man
in Germanien eine Honigwabe von acht Fuss Länge gesehen
habe.*) Wachskugeln fand ich in einem Pfahlbau des Mondsees.
Vom zahmen Geflügel der Germanen will ich kurz der
Gänse und Hühner gedenken, indess werden nur erstere
durch directe Nachrichten bezeugt, auf welche ich noch zurück-
kommen werde. In einigen heidnischen Gräbern Deutschlands
haben sich auch Vogelknochen gefunden, welche sich als^ die
des Huhnes herausstellten; ich selbst fand sie in euiem quadi-
sclien Grabe m ötillfneil an der March. Es waren Todten-
opfer, wie solche noch heute .in Baiern '^") und auch sonst,
iwJL III *■■ » wiiprMwr-rTn^T» ■»!■«■■ w HMiTnw wmiwiy»!! I •• iniTm ll|)lT~^^-rT^^lllll1r ' • ii - -»«rt)«.....^. - - ; -n
namentlich bei den Inselschweden dargebracht werden.^) Diese
Funde una heidnischen Gebräuche deuten auf ein hohes Alter
des ±Iunnes bei den Germanen.
b. Pflanzenbau und Hauswirthschaft.
Der w^ichtigste Theil der gesammten Landwirthschaft ist
der Getreidebau.
Tacitus kennt zwei Arten von Getreide in Germanien,
nämlich den WcTizen uVi'cT aic ijfe r s t e* ^^^Tt^lfin* fu g^ TOjg t n o eh
A en' iia fe r li ! nzuT^P y t li c a s w ci^s an der Bernsteinküste den
II 1 r's e^ w^onleines der ältesten Nahrungsmittel aus demPflanzen-
reiclie, und Plinius berichtet von Bohnen, die auf den Inseln
des nördlichen (Xzcans winTwaclisen^ wesslialb diese Bohnen-
inseln genannt wurden; insbesondere Burchana — Fabaria. ^)
Aus Gerste oder Weizen bereiteten sich die Germanen
das Bier, dem gegenüber ihr Durst unbezwinglich war, eine
Schwäche der Deutschen zu allen Zeiten.
Weizen, Gerste und Hirse sind gleich den Hausthieren
in Mitteleuropa lange vor Beginn der historischen Zeit heimisch.
Beide Getreidearten sowie der Hirse wurden in grosser Menge
schon in den ältesten Pfahlbauten der Schweiz gefunden.
Zufolge bedeutender Funde im Pfahlbau von Wangen wurde
^) Plinius, bist. nat. XL 14.
2) W. Müller, Gesch. u. Syst. der altd. Relig. 220.
^) Mannhardt, Mythen 51. 330. 331. 725.
^J Tacilus, UJrm.Wni.
^) Plinius, bist. nat. XVni. 44.
6) Plinius, a. a. 0. IV. 27, XVUI. 30.
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246
dort der Getreidebau schwunghaft betrieben; *) die Menge des
Getreides (Weizen und Gerste) im Pfahlbau von Niederwyl
und die Reste von Thieren daselbst beweisen, dass die Bewohner
dieser Ansiedlung hauptsächlich vom Ackerbau und der Vieh-
zucht lebten und beides in umfassendem Massstabe betrieben, 2)
während hier der Fischfang sehr untergeordnet war. Getreide
bildete in den Ansiedlungen am Pföffiker-, Niederwyler- und
Bodensee, also in Ansiedlungen der späteren Steinzeit in aus-
gedehnter Weise das Hauptnahrungsmittel, und die grosse Zahl
von Töpfen mit Ueberresten verbrannten Getreides deutet im
Verhältnisse zu der geringen Menge von Thierkiiochen auf
den vorwiegenden Genuss vegetabilischer Kost. ^) Nicht anders
war es im eigentlichen Germanien. Korn, Weizen, Hirse und
Erbsen fand Dr. Wagner auf dem berühmten Opferherde
bei Schlieben im verkohlten Zustande, •*) Weizen, Roggen und
Hirse Prof. Jeitteles in Olmütz mit Resten 'von Äftefaetcn
aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert,^) und Dr. Wankel
aui der grossen Opferstättc in der 13yöiscala-Hühle bei Blansko.
TTir selbst ist es gelungen, verkohlten Weizen (Pfahlbauweizen)
in der Quadenfestung Stillfried an der March, Gerste und
Hirse in den grossen Grabhügeln bei Bernhardsthal und Rabens-
burg zugleich mit (iefässen aus der Zeit der Hallstätter Cultur-
periode, sowie zweifellose Spuren von Weizen und Gerste im
Pfahlbau im Mondsee und in fast allen vorgeschichtlichen
Ansiedlungen Niederösterreichs aufzufinden.
Erbsen, Bohnen und Linsen kommen übrigens auch schon
in den Pfahlbauten der Schweiz vor. ö)
Ausser dieser nicht mehr unansehnlichen Zahl von Feld-
früchten lieferte der Acker noch den Lein, da die germani-
schen Frauen vornehmlich leinene Gewänder trugen, welche
stellenweise purpurroth gefärbt waren, und diese allen anderen
vorzogen. ') Bei der Weissagung wurden die Runenstäbe auf
») Dr. F. Koller, Pfahlbauten, H. Ber. S. 127.
2) Keller, Pfahlbauten, V. Bor. S. 154.
3) Keller, Pfahlbauten, V. Ber. S. 182.
^) Wagner, Pyramiden etc. 9., Aegypten in Deutschland 57.
^) Jeitteles, Alterthümcr von Olmütz etc. in den Mitth.
der anthrop. Gescllsch. IL Bd. Seite 19 u. f.
«) Keller, Pfahlbauten, VI. 311.
^) Tacitus, Germ. XVII. Plinius, bist. nat. XIX. 2.
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247
ein weisses, also offenbar ebenfalls leinenes, Tuch geworfen,
und von demselben sodann vom Priester oder Familienvater
aufgelesen. ^)
Bei den Priesterinnen der Kimbern, weiss Strabo sogar
feine Linnenkleider. 2)
Es ist kein Zweifel, dass das älteste gewebte Gewand der
Indogermanen aus Lindenrinde, Bast, bestand;^) allein nach
der Edda ^) haben nur mehr die Thräle (Knechte) Kleider aus
Bast, während die Frauen Linnenkleider mit Schleppen
tragen *) und den Tisch mit schimmernden Linnentüchern
decken. ®)
Hehn bezweifelt allerdings, dass die Germanen selbst
Flachsbau getrieben und meint, dass sie den rohen Flachs
zu ihren Leingeweben mitsammt der rothen Farbe etwa aus
Gallien eingeführt haben.') Aus PI in ins' oben angeführter
Stelle wissen wir aber mit Sicherheit, dass die Germanen Segel
und leinene Gewänder gewebt haben, und ist denn Spinnen,
Weben, Bleichen, Färben und Nähen um so Vieles leichter,
als der Anbau des Flachses, dass die Germanen nicht diesen
auch noch zu Wege gebracht haben sollten? Aber wenn wir
auch schon absichtlich die Ergebnisse der urgeschichtlichen
Forschung unbeachtet lassen, und nicht berücksichtigen wollten,
dass schon in den Pfahlbauten Linnenstoife mit schön geweb-
ten Mustern, und namentlich Leinsamen gefunden worden
sind, so wäre man, wenn die Germanen nun nebst den Metall-
geräthen, die sie nach der Ansicht der Meisten von den
Etruskern und Römern erhandelt haben sollen, auch noch den
rohen Flachs für ihre in Germanien allgemein getragenen
Linnengewänder, wie Hehn meint, von den Galliern gekauft
haben, um so ernstlicher vor die Frage gestellt, womit sie denn
so viele und so theuere Artikel bezahlt haben?
^) Tacitus, a. a. 0. X.
2) Strabo, 294.
3) Baat bedeutet im Ahd. sowohl unser Bast, als auch Haut,
Binde, Saum des Rockes, also Nath; basijan binden, schnüren,
woraus span. embastar, mit weiten Stichen nähen.
*) Rigsmal, 9; auch nach der Sacuntala tragen Bastkleider
nur Niedrige.
^) Rigsmal, 26. 37.
^) Rigsmal, 28.
^) Hehn, Culturpfllanzen und Hausthiere, 2. Aufl. S. 158.
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248
Gegenüber den Pfahlbaufunden ist jedoch jeder Zweifel
ein müssiger. Im Pfahlbau von Wangen hat der Anbau des
Leins nach zweifellosen Funden viele Hände beschäftigt, und
hier wurde der Flachs zu Kleidern, Decken und Matten ver-
arbeitet. ^) Die Pfahlbau - Ansiedlungen von Niederwyl und
Robenhausen wetteiferten miteinander im Flachsbau; ,,eigen-
thümliche Muster von Geflechten und Geweben bezeugen ihre
Geschicklichkeit in der Verarbeitung dieses Stoffes, und nach
der Menge von Ueberresten von dünnen und dicken Tüchern
zu urtheilen, scheint der Schluss nicht gewagt, dass die
Bekleidung dieser Leute nicht in Fellen, sondern in
Flachsgewändern bestanden habe". 2) Schöner kann man
sich wohl die Uebereinstimmung von historischen Nachrichten
und archäologischen Funden nicht denken. Die Pfahlbau-
Colonieen am Pfaffiker-, Niederwyler- und Bodensee bauten
Flachs in grossem Umfange und verarbeiteten ihn mit so viel
Geschick, dass die bei so geringen mechanischen Hilfsmitteln
mannigfaltig componirten Flachsgewebe wahrhaft in Erstaunen
setzen und man mit Sicherheit annehmen kann, „dass die
Bekleidung der Colonisten der Steinzeit hauptsächlich
in dickeren und dünneren Zeugen aus Flachs bestanden
habe".3) Vom Pfahlbau zu Robenhausen Hess sich constatiren,
dass schon dessen Gründer „nicht nur mit dem Anbau des Ge-
treides, sondern auch mit dem des Flachses vollständig bekannt
waren und denselben mittels Spinnens, Flechtens, Webens zu
Fäden, Schnüren, Netzen und Tuch von mannigfaltiger Textur
verarbeiteten".^) Ebenso wurde im Pfahlbau zu Moosseedorf
und an vielen andern Orten die alte Cultur des Leines nach-
gewiesen, ja im Pfahlbau zu Irgenhausen am Pfaffiker See hat
man sogar Reste eigentlicher Stickerei gefunden. „Auf dem be-
kannten Pfahlbautuch ^) sind nämlich vermittelst einer Nähnadel
Fäden so durchgezogen, dass sie verschiedene Dessins bilden.*»)
In ähnlicher Art haben die Pfahlbau -Bewohner im Laibacher
») Keller, Pfahlbauten, IL Ber. 8. 127.
2) Keller^ Pfahlbauten, V. Ber. S. 154. 155.
3) Keller, Pfahlbauten, V. Ber. S. 182.
4) Keller, Pfahlbauten, VL Ber. 8. 251.
5) Keller, Pfahlbauten, IV. Ber.
6) Keller, Pfahlbauten, VI. Ber. 8. 307.
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249
Moore die Gewänder, wie aus den thönernen Idolen ersichtlich
ist, mit verschiedenen Mustern ausgenäht.*)
Allerdings sind derartige archäologische Belege für den
Flachsbau im eigentlichen Germanien noch selten, aber wir
dürfen bei der Gleichartigkeit aller übrigen Funde die Cultur-
zustände in den Ländern nördlich der Alpen als nicht wesent-
lich verschieden voraussetzen. Gegenüber den bereits gebrachten
historischen Nachweisen sind solche Belege auch entbehrlich;
indess ersetzt ein kleiner, zierlicher Fundgegenstand auch im
eigentlichen Germanien die Mannigfaltigkeit anderer einschlägiger
Funde, nämlich der Spinn wirtel, der sich überall und in grosser
Zahl findet, und für jene Zeit statt der nicht mehr erhaltenen
Spindel selbst als das Symbol der häuslichen Betriebsamkeit
der Frauen gelten kann. 2)
Eine interessante Nachricht in Bezug auf die Weberei
bringt uns Plinius, indem er erzählt, dass in Germanien der
Flachs in unterirdischen Höhlen verarbeitet werde. ^)
Wenn wir dazu halten, was Tacitus über die unterirdi-
schen Höhlen sagt, welche die Germanen graben, mit einer
dichten Dungschichte belegen, und nicht allein als Bergungs-
ort für Lebensmittel, sondern auch als eigenen beliebten Auf-
enthaltsort im Winter benützen, ^) so ist es zweifellos, dass es
diese, von Tacitus beschriebenen Höhlen sind, in welchen der
Flachs gesponnen und gewebt wurde. Wenn ich nun beifüge,
dass in Italien und zwar in der allianischen Landschaft zwischen
dem Po und Ticino, also in der heutigen Lomellina, in gleicher
Weise vorgegangen wurde, so will ich damit keineswegs zur
Beschönigung der Germanen darauf hinweisen, dass man in
Italien selbst solche sonderbare Wohnstätten hatte, denn dort
wohnten ja Abkömmlinge der Bojer, gleichen Stammes mit den
deutschen Bojern, bei denen wir die gleiche heimische Sitte
wiederfinden.
1) Dr. C. Deschraann. Mitth. d. anthrop. Ges., Vin. S. 67.
2) Dass diese Spinnwirtel das auch wirklich sind, als was
sie gelten, ist nicht mehr zweifelhaft angesichts der Thatsache,
dass sie noch heute bei den Slovaken jenseits der March im Ge-
brauche sind.
3) Plinius, bist nat. XIX. 2.
^) Tacitus, Germ. XVI.
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250
Das Webegemach der Frauen hiess einst bei den Ger-
manen wirklich tunc, düng, das ist die mit Dung bedeckte
Höhle, und es herrscht noch heute der Glaube, dass der Flachs,
wenn er gut werden soll, in solchen unterirdischen Werk-
stätten verarbeitet werden müsse. Es ist die Thatsache noch
in Erinneining, dass Spinnen und Weben einst das Geschäft
der Frauen gewesen ist, und dass es vornehmlich im Winter
betrieben wurde, und nun wissen wir auf einmal, dass es nicht,
wie Tacitus meint, die erträgliche Wärme eines solchen unter-
irdischen Webegemaches, denn diese konnte man sich doch
immer besser am Herde schaffen, sondern die Anwesenheit der
Spinnerinnen und Weberinnen gewesen ist, welche das Ver-
weilen daselbst so behaglich machte. Tacitus konnte das aller-
dings nicht so genau ergründen, wir aber wissen recht gut,
wie gerne sich die Burschen einstellen, wenn die Mädchen
Winterszeit „zum Rocken" gehen. ^)
Blühte auf den germanischen Fluren der blaue Lein,
gleich einem See zwischen Weizen- und Gersten-Feldern, dann
hatten sich wohl auch die Thalgründe Germaniens mit einem
duftigen, buntdurch webten Wiesenteppich bedeckt, denn dass
nicht überall der unheimliche Sumpf lag, bezeugt am besten
Plinius Ausruf, was es Preiswürdigeres geben könne, als Ger-
maniens Wiesmatten. 2)
Tacitus kennt nur wildes Obst bei den Germanen.^)
Hat er unsere köstlichen Beeren darunter gemeint, dann weiss
man, dass sie damals in nicht geringerer Fülle und Würze zu
Gebote gestanden sind, als heute. Als Beigabe zur Nahrung
dienten wohl auch Haselnüsse und wilde Aepfel, vielleicht
auch die Früchte wilder Kirscharten, des Sauerdorns, Weiss-
dorns, des Mehlbeerbaumes, der Ribes-Arten und anderer, die
noch heute genossen, zum Theile in das Brot gebacken werden.
Haselnüsse und Aepfelspaltcn sind häufig in den Pfahl-
bauten gefunden worden, auch in jenen Oberösterreichs fand
ich sie,^) und eine Art Apfelmus im verkohlten Zustande an
den Topfscherben haftend. Plinius weiss indess schon eine
*) »Hoangarten (Haingarten) gehen", sagt man in Oberbaiern.
2) Plinius, a. a. 0. VH. 3.
3) Tacitus, a. a. 0. XXHI.
•*) Much, Dritt. ♦Ber. ü. d. Pfahlbau-Forschungen im Mond-
see. Mitth. d. anthrop. Ges., Vin. Bd. S. 187.
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251
Kirsche am Rheine heimisch^ die von Aussehen den halb-
reifen italischen glich , und mit den pjhiianjschen j^irschen
Üampamens und Jen Jusitanischen m^ Belg^ien zu den besten
gehörte. *) Da man in den Pfahlbauten der Schweiz auch
"sclion^eine cultivirte Apfelsorte fand, 2) so dürfte sie auch in
Deutschland nicht gefehlt haben; wenigstens kennt Plinius
eine besondere und eigenthümliche Art cultivirter Aepfel in
Belgien, die er Castrat -Aepfel nennt. 3)
Von den Erzeugnissen des Ackerbaues und der Haus-
wu'thschaft der alten Deutschen, habe ich mir einige Besonder-
heiten aufgespart; ich möchte ja noch Aufschluss über die
Wurzeln, und Vogeleier geben, und über das rohe Fleisch,
von denen die Germanen gelebt haben sollen.
Was zunächst das rohe Fleisch betnfft, so kann es wohl
kein anderes gewesen sein, als die geräucherten Schweins-
schinken. Schon Strabo erzählt, dass die Belgier Schweine
von besonderer Vorzüglichkeit gezüchtet, und so zahlreiche
Schweineheerden besessen haben, dass sie nicht nur selbst vor-
wiegend von Schweinefleisch sich nährten, sondern auch eine
grosse Menge von Pöckelfleisch nach Rom und Italien führen
konnten.^) Das Wesentliche aber liegt in dem, dass damals
ein rein deutsches Erzeugniss dieser Art in Rom hochberühmt
war, nämlich dar geräucherte Schinken aus dem I^ande der
Marser, die damals im heutigen Westphalen sassen, wie man
also sieht, ein Erzeugniss, das sich eines langjährigen Rufes
erfreut und keiner Mode unterliegt. Bekanntlich wird der
„westphälinger" Schinken roh gegessen und die Römer halfen
an diesem rohen Fleisch so redlich mitessen, dass sie es gar
nach Kleinasien mitführten, und damit ihnen dieser barbarische
Leckerbissen nicht allzu kostspielig würde, setzte ein Edict
des Kaisers Diocletiau im Jahre 303 den Preis für das römische
Pfund auf 20 Denare fest. ^)
^) Pliniufl, a. a. 0. XY. 30.
2 ) Keller, Pfahlbau ten7 VI. Bor. S. 312.
^) Pliuiiis, a. a. 0. XY. 15.
4) Strabo, lY. 4. 3.
^) Das Edict befindet sich auf einer von William Banks zu
Eskihissar, dem alten Siratonike in Klcinasien entdeckten Stein-
tafel, die jetzt in London aufbewahrt wird. Kruse, Deutsche Alter-
thümer, II. Bd., 6. 53.
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252
Des Huhnes, dessen Knochen wir in den heidnischen
Gräbern der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung finden^
habe ich bereits gedacht. Plinius berichtet uns auch noch von
Gänsen in den germanischen Höfen und nennt uns sogar ihren
Namen. ^) Die Vogeleier welche die Germanen verzehrt haben,
werden also wohl die Eier ihres Hausgeflügels gewesen sein, aber
die Engländer stehen jetzt kaum auf tieferer Culturstufe, weil
sie als Eieresser bekannt sind. Ich will dabei nicht in Abrede
stellen, dass die Germanen sich je nach der Jahreszeit auch
über die Eier wilden Geflügels hergemacht haben, vielleicht
der Kibitze u. dgl., was indess keinen schlechten Geschmack
verrathen soll; jedenfalls wäre diese Sucht weitaus nicht so
barbarisch, als jene der Italiener, die uns, schon von der Zeit
an, als Rom in Ueppigkeit versank, unsere Singvögel weg-
fangen und verzehren.
Dass gleich den „ westphälinger" Schinken auch pommersche
Gänsebrüste nach Rom kamen, will ich nicht behaupten,
denn ich könnte mich doch nur auf die Moriner in Gallien
beziehen, deren Gänse bis nach Rom getrieben wurden, dort
also vielen Gefallen gefunden haben mussten. Aber Plinius
berichtet, dass die Römer nach unserem Gänseflaum starkes
Gelüste trugen, denn auf den germanischen Kissen lag es sich
ganz besonders weich. Der Gänse flaum aus Germanien war
der gepriesenste von allen, und sie hatten zu Rom ihren be-
stimmten Preis. Man spottete dort nicht wenig über die Männer-
welt, dass ihr Nacken der germanischen Kissen nicht mehr
entbehren könnte, insbesondere aber über die Befehlshaber der
Hilfstruppen, dass sie ganze Cohorten vom Wachposten weg
zum Gänsefang in den gennanischen Dörfern commandirt
hätten. Wenn Hehn behauptet, dass die Gans, welche den
gesuchten Flaum lieferte, und auf dessen Fang die Cohorten
auszogen, kein Hausvogel, sondern von einer wilden Art ge-
wesen sei,*^) so ist das nicht richtig, denn da Plinius ausdrück-
lich bemerkt, dass die Gänse an manchen Orten zweimal im
Jahre gerupft werden, so muss er wohl zahme im Sinne ge-
habt haben.
0 Gantae, Plinius, a. a. 0. X. 27.
'^) Hehu, a. a. 0. S. 322.
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253
In dem Pflanzenreiche ist es der Rettig, welcher zur Be-
rühmtheit gelangte; begreiflich, dass ein Volk von Biertrinkeni
etwas auf seine Pflege hält. Er erquickt sich, meint Plinius,
an der kalten Luft Germaniens so sehr, dass er bis zur Grösse
eines Kinderkopfes anwächst. *)
Neben dem scharfen Rettig ist es eine süsse Rübe, wir
wissen nicht genau, ob die Mohrrübe, welche bei Gelduba am
Rhein in solcher Güte gedeiht, dass sie bei den römischen
Leckermäulern Gnade gefunden hat, und namentlich vom
Kaiser Tiberius alljährlich mit Ungeduld erwartet worden ist. 2)
Endlich darf ich auch noch den Spargel anführen, von
dem erzählt wird, dass er roher als der Gartenspargel und
zarter als der wilde Spargel sei, und mit ihm sollen die Felder
des oberen Germaniens übei*füllt sein. Tiberius nennt diesen
Spargel, wie Plinius meint, nicht ohne Witz, ein Kraut,
welches dem Spargel sehr ähnlich sei, scheint ihn aber doch
gekostet zu haben. ^)
Noch sei mir gestattet, einiger Producte des Haushaltes zu
gedenken. Bier und Meth sind so oft genannt worden, dass ich
mich nicht weiter dabei aufhalten darf. Ein Nebenproduct der
Biererzeugung ist die Hefe. Plinius kennt die Verwendung
derselben in Hispanien und Gallien, wo man damit das Brod
leichter macht, als es in andern Ländern ist.^) Dieses Brod
ist daher auch gewiss besser, als das italische gewesen. Da sich
die Hefe bei der Biererzeugung als ein unbeabsichtigtes Neben-
product überall von selbst ergibt, und da die Bierbrauerei bei
den Germanen mehrfach beglaubigt ist, so kann man voraus-
setzen, dass von der Hefe in Germanien der gleiche Gebrauch
gemacht worden ist, wie bei den andern bierbrauenden Völkern.
Dass sich aus dem etymologischen Sinne des Wortes Brod die
Kenntniss und Anwendung des Sauerteiges ergebe, ist schon
bemerkt worden.
•Eine andere gallische Erfindung ist die Seife, offenbar
darum gallisch, weil sie durch die Gallier zuerst den Römern
bekannt worden ist, aber es scheint fast, als ob Plinius, der
0 Plinius, a. a. 0. XIX. 26.
2) „Flagitavit", Plinius, a. a. 0. XIX. 28.
3) Plinius, a. a. 0. XVin. 12.
4) Plinius, a. a. 0. XVUL 12.
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254
uns davon erzählt, in der betreffenden Stelle Gallier und Ger-
manen identificire. ^) Jedenfalls war nach seinem Zeugnisse
die Seife bei den Germanen im Gebrauche, und wenn Liebig
Recht hat, dass man an dem Verbrauche der Seife den Cultur-
grad eines Volkes erkenne, so hat kein Römer ein glänzenderes
Zeugniss für die Cultur der Germanen abgelegt, als Plinius.
Sie wurde sogar am besten in Germanien gemacht, und zwar aus
Buchenasche und Ziegenfett und sowohl in flüssigem als festem
Zustande. Plinius ist über ihre Bereitung nicht ganz genau
unterrichtet, da bekanntlich der Talg nicht mit Asche, sondern
mit Lauge zusammengebracht wird, zu deren Gewinnung man
allerdings am zweckdienlichsten und liebsten Buchenasche ver-
wendet, und den Römern scheint sie noch fremder gewesen zu
sein, als die Butter; wir erfahren nämlich nur, dass sie die
Kröpfe damit heilen wollten. 2) Man sifeht übrigens schon aus
der irrigen Meinung, dass die Seife den Gallo-Germanen zum
Blondfarben der Haare gedient haben soll, dass die Römer von
dem eigentlichen Gebrauche derselben nicht unterrichtet waren.
Wenn das Ackerland in Germanien in der Zeit, als das
erste historische Licht auf dasselbe föUt, selbstverständlich
nicht die Ausdehnung hatte, die es heute einnimmt, so sehen
wir nach den bisherigen Ergebnissen doch, dass der Anblick
desselben kein anderer sein mochte, als er in vielen Gegenden
Deutschlands noch heute ist. Weizen- und Gerstenfelder um-
geben die Dörfer, hie upd da inzwischen ein Leinfeld, oder
einzelne Gärten vor den Häusern mit allerlei Gewürz. Schon
damals lieferte der Ackerbau mehr als die alljährlich be-
nöthigte Menge von Getreide, denn die benachbarten Helvetier
0 Plinius, a. a. 0. XXVHL 51.
^) Plinius, a. a. 0. XXVHL '51. Es ist erheiternd zu sehen,
welche Dinge sie in dieser Beziehung der Seife gleichstellten :
„Strumas discutit vel aprinum vel bubulum tepidura illitum. Nam
coagulum leporis ex vino in linteolo exhulceratis dumtaxat imponi-
tur. Discutit et ungalae asini vel equi cinis ex oleo vel aqua illitus
et urina calefacta et bovis ungulae cinis ex aqua, fimum quoque
servens ex aceto. Item sevum caprinum cum calco aut flmum ex
aceto decoctum testesque vulpini. Prodest et sapo; Galliarum hoc
inventum rutilandis capillis. Fit ex sebo et cinere. Optimus fagino
et caprino, duobus modis, spissus ac liquidus, uterque apud Ger-
manos maiore in usu viris quam feminis**. Letzteres ist gewiss ein
Irrthum,
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255
sparen den Ueberschuss zweier Jahre zum Zwecke der Aus-
wanderung,') aber auch die eigentlichen Germanen vermögen
während der ganzen Zeit der Römerkriege einen Ueberschuss
von ihren Feldfrüchten abzugeben, ja «sie verstanden es, selbst
die römischen Leckermäuler nach einzelnen derselben lüstern
zu machen, und erinnern wir uns auch noch der Seife im
Besitze der Germanen, so denke ich, dass auch wir trotz
unseres verfeinerten Geschmacksinnes keinen Anstand nehmen
würden, uns an den Tisch unserer Urväter zu setzen.
Landwirthschaftliche Geräthe.
Noch erübriget einiger landwirthschaftlicher Geräthe zu
gedenken, vor allem des Pfluges, als des eigentlichen Re-
präsentanten des Ackerbaues. Grimm ist geneigt, unser Wort
Pflug wegen des anlautenden pf für fremd zu halten, wesshalb
es ihm aus dem Slavischen entlehnt zu sein scheint. 2) Allein
abgesehen davon, dass der Weg von den Slaven zu den Ger-
manen, den die übrigen Hilfsmittel und Erfindungen der Cultur
sonst nicht zu machen pflegten, an sich kein wahrscheinlicher
ist, besitzen wir das Wort bereits in der Mitte des siebenten
Jahrhunderts im longobardischen Gesetze, ja da die Angel-
sachsen dasselbe Wort für dieselbe Sache besitzen, so musste
es den Westgermanen schon vor der angelsächsischen Aus-
wanderung, also vor ihrer Berührung mit den Slaven bekannt
sein. 3)
Andrerseits haben die Gothen, die als das östlichste ger-
manische Volk mit den Slaven zunächst und zumeist in Be-
rührung gewesen sein mussten, und daher am ehesten von
denselben entlehnen konnten, dieses Wort nicht, wofür sie den
Ausdruck hoha, huohili gebrauchen, während das Wort Pflug
bei allen westlichen Germarien bis zu den Angelsachsen und
Dänen zu finden ist. Es ist also wahrscheinlich, dass das
Wort eher den umgekehrten Weg machte, als den, welchen
Grimm vermeint.
Wir besitzen auch eine Anzahl verwandter Wörter ganz
ähnlichen Sinnes, an deren Deutschheit nicht gezweifelt
•) Cäsar, a. a. 0. I. 3.
2) Grimm, Gesch. d. deutschen Sprache III. Aufl. 40,
3) Lex Roth. 293.
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IT*":*-- t-k'— ■-, ' " rTt »^iu- ■*-". ♦ ' ,tz-j-^ • »^riTi fs^
.-- c,^ h;"--: -Irr .-- •»^.- ir^-.. ::r:*s* I^ -.r^ i5:-tk*=^ Pftäcke ia
;».;,. :..r.1^ '.->:-, h. <Mi *;• 1 L. •:!. **Tv:k «-ii** Bn i ■■mniTi
,-'fcÄ. ;^ -r- iv'*-*, Iv-*.r.. L: ,k-. •ft-*'^. « ^-^r:!:^'- 4akr d^Bfi
t.'a:,*.*.r a- r, V*: . '•*>:■ jt. V*:rv. !.'**■*- «r^LZ **> w>r Pdock and
{,.'..*;rh. 'i';ut*^,L Pd-^' 21 ^ r*, I -h, ia.kx uod bedeutet im
ur^tj,: MU'^.^^hf-u ^.z.z^^. k.u (j*i:r<%\z.. wouxix ieau Löcher, Groben
Piiniuft frrziif.ii ai.%, da er Tom Ps^ze redet: ^id bqb
[tn*l*:m inveijtirxi i& Ra^tia GaUiae. ut di^aä adderend alü ro-
ti*Ia#, rjiK/^1 gfn*xft v<^;ant plauiiiorati". Wer nicht Ton der
KhhhUi^mH ii^uz ar*d gar beian^"en ist, wird sofort erkennen,
rLiA«» daü Wort plaumorati, iiicLt« andere^s sein kann« als ein
fchlerJiaft gf^-ichri^^b^ne» plaugorati Toder wenn man lieber will
nach Anm longobardi»<:heD. däni^cheD und altengüschem plov
— plouworati;- NichtÄ anderes kann die Nachricht des Plinias
und den Sinn deu von ihm mitgetheilten Wortes besser erklaren,
al» wenn wir oni^r phlougorati /'oder ploaworatij, das im Mittel-
hr>chdeutiw;hen als pfluocrat wirklich vorkommt, zu Grunde
legen. Diei^er Erklärung zufolge würde die angeRihrte Stelle
folgenden Sinn haben: Im rätischen Gallien ist man auf die
Kriindung gekommen , dem Pfluge, der bis dahin nur ein
gekrümmte», mit der Pflugschar versehenes Stück Holz, ein
Pfloek war, noeh zwei Rädchen hinzuzufügen, und diese nennt
man „Pflugräder*^.
Da« Wort plaumorati, richtig plaugorati (oder plouworati)
iwt aJMO ein zweifellos germanisches Wort, und die Germanen,
die man ho g(;rnc als Jäger und Hirten hinstellt, dürfen den
Kuh in heaiiHpruehcn, schon vor Plinius am Pfluge eine wesent-
li<}M;, von der ganzen übrigen Welt angenommene Verbesserung
vorgenommen zu haben.
Ich w(iiHH wohl, dass man in Rätien Kelten wohnen lässt,
und daHH Plinius selbst an der angeführten Stelle Rätien als
eincu» Th(;il (ialliens hinstellt, aber das Wort ist zu deutlich
') PliniuR, a. a. 0. XVIII. 48.
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257
deutsch, als dass noch Zweifel möglich wären, und andrerseits
sagt doch PHnius,' dem ja hier Gallia doch nur ein politisch-
geographischer Begriff ist, oft genug, dass Germanien bis an
die höchsten Berge der Alpen reiche. ') Die in Rätien nördlich
der Alpen wohnenden Kelten waren eben Bojer, Baiern, was
sie noch heute sind, und noch heute nennen die Alpenbewohner
das Radgestelle am Pfluge Pfluogrdderät^) wie zur Zeit des
Plinius.
Ob jemals Reste eines Pfluges, beziehungsweise die eisernen
Theile desselben in Deutschland gefunden worden sind, vermag
ich nicht zu sagen. Eine eiserne Pflugschar wurde nebst
einer langen schmalen Sense, einem Kesselgehänge, einem Stein-
pickel, einem eisernen, mit einer dicken Platte geflickten Löffel
und einigen unbedeutenderen Dingen am südlichen Steilgehänge
des Attersees in Oberösterreich gefunden. Da aber auf dem-
selben Orte auch eine römische Bronzefigur gefunden worden
ist, so wage ich nicht zu behaupten, dass alle diese Dinge
germanischen Ursprungs sind. Bei der durch ihre besondere
Länge auffallenden Sense ist dies aber nicht ganz unwahr-
scheinlich, da die italienische Sense kürzer ist, selbst zwischen
») Pliniu8, a. a. 0. III. 23. IV. 28. IV. 37. Deutschlands
Grenzen sind eben nicht fest, je nachdem man die politische Grenze,
die bis an die Donau reichte, oder die Volksgrenze, die bis in die
Alpen ging, im Auge hatte. In seiner Hist. nat. IV. 28 rechnet
Plinius nach Agricola Bätien und Vindelicieu sogar ganz aus-
drücklich zu Germanien. Man vergleiche damit Strabo, VII, wornach
Germanien bis gegen den Süden sich erhebt (was doch an der poli-
tischen Grenze, an der Donau, nicht der Fall wäre), und beständig
fortlaufende Alpen habe. Man übersehe nicht, dass der Germania
magna gegenüber noch irgend etwas Anderes von Germanien existiren
müsse, das in der Germania magna nicht inbegriffen ist, aber darum
nie genannt wurde, weil es als römisches Provinzland seine beson-
deren Namen hatte.
2) Der Auslaut rat in dem allerdings etwas sonderbar klin-
genden Compositum Pfluogrdderat drückt einen Inbegriff aus, wie
in Hausrath, Geräth, oder im baierisch - österreichischen Dialekte
Krauterät, Gethuarät; der Dialekt - Dichter Stelzhammer drückt
das Seume'sche: „Und er schlug sich seitwärts in die Büsche** durch
den Vers aus: „Aft toahrt er durch's G*schtauderät a**. Die beiden
ersten Theile des Wortes, Pfluog und rad bedürfen keiner weiteren
Erklärung, sie bezeichnen eben die rotulae, Räder, welche die Bätier
dem Pfluge beifügten.
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258
Dorngesträuchen gehandhabt werden kann und vom italischen
Heuschnitter nach Art der Sichel nur mit der rechten Hand
allein gefuhrt wird. ^) Aehnliche Sensen wie jene vom Attersee
wurden bei Maiersdorf, dem bekannten Fundorte schöner Bronze-
gegenstände in der neuen Welt in Niederösterreich gefunden.
So selten die Sensen auf deutschem Boden sich als Zeugen
alten Ackerbaues einstellen, so zahllos sind dagegen die Sicheln
und zwar in allen Formen und jene von Bronze weitaus häufiger
als die eisernen. In der Nähe von Hallstatt wurden einmal an
einem Orte beisammen Bronze-Sicheln in so grosser Anzahl
gefunden, dass sie an 100 Pfund im Gewichte hatten. 2) Die-
jenigen, welche die Bronzezeit eliminiren wollen, werden aller-
dings einwenden, dass auch diese vielen Bronzesicheln gleich
den Armbändern, Schwertei*n und sonstigen Bronzesachen nur
„Tand" gewesen seien, indess zeigen die bei Göllersdorf in
Niederösterreich gefundenen Bronzesicheln, 3) dass sie durch
emsige Arbeit abgenützt worden sind, also keineswegs „Tand"
in den Händen derer waren, die sie mit manchem Schweiss-
tropfen benetzten.
Besonders häufig sind auch die Funde von Mühlsteinen
der Handmühle. Ich meine dabei nicht die sogenannten Korn-
quetscher, jene runden, faustgrossen Steine mit deutlichen
Spuren der Benützung, die wir in den Pfahlbauten und in den
übrigen vorgeschichtlichen Ansiedlungen finden, sondern die
grossen scheibenförmigen Steine der eigentlichen Handmühle, wie
sie bei uns noch bis ins siebenzehnte Jahrhundert im Gebrauche
stand, und bei den Slaven z. B. in Galizien noch heute im Ge-
brauche steht. Alle deutschen Stämme haben dafür den Aus-
druck quirn, womit ursprünglich nur die Steine dieser Hand-
mühle gemeint sein konnten, da er der kreisförmigen Bewegung
derselben entnommen ist. ^) Aus der Gemeinsamkeit des Aus-
druckes bei allen deutschen Stämmen sollte man schliessen
1) Plinius, a. a. 0. XVIII. 67.
2) Freih. v. Sacken, Das Hallstätter Grabfeld, S. 127.
^) Freih. v. Sacken, Ansiedlungen und Funde in Nieder-
österreich. S. 22.
*) Wie in mhd. quirrel, quirl, quirele, woher auch Zwirn,
ein doppelt gedrehter Faden, und zwirnen aus dem mhd. quirnen,
einen Faden drehen, wozu gr. Y^po;; der Kreis, Y^^peuw im Kreise
sich bewegen, "{'jpi^ feines Weizenmehl.
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259
können, dass die Handmühle mit zwei flachen Mühlsteinen,
— strenge genommen mit einem convexen und einem concaven
— den Germanen schon vor ihrer Trennung bekannt war.
Funde solcher Mühlsteine sind in Deutschland wie bemerkt,
nicht selten. Zwei zusammengehörige Mühlsteine wurden in der
vorgeschichtlichen Ansiedlung „Heidenstadt" bei Eggenburg
gefunden; Graf Brenner fand sie in einer Trichtergrube
(Mardelle) bei Gravenegg zugleich mit Scherben ungedrehter
Gefasse;*) Professor Dungl zugleich mit zwanzig römischen
Bronzemünzen, muthmasslich der Besitz einer armen Familie,
in Brunnkirchen bei Mautem in Niederösterreich, 2) ich selbst
fand sie in den nachweisbar germanischen befestigten Wohn-
sitzen zu Stillfried und Deutsch- Altenburg in Niederösterreich. ^)
Auch auf dem schon erwähnten Opferherde bei Schlichen hat
sie Dr. Wagner ausgegraben.'*)
Mühlen und Wasserwehren kennt die Lex Wisigo-
thorum und das Salische Gesetz; schon Ausonius weiss sie
an der Mosel.
Bewirthschaftungsweise.
In Folge der germanischen Agrarverfassung musste noth-
wendig ein alljährlicher Wechsel der Bebauung des Ackers ein-
treten.'^) Ich will daraus nicht auf einen jährlichen Frucht-
wechsel schliessen, dessen Vortheile sich immerhin bald genug
gezeigt haben können. So viel aber ist sicher, dass ein Theil
des Ackerlandes jährlich nicht in die Vertheilung gezogen zu
werden brauchte, sondern unbebaut blieb. Es ist sehr wahr-
scheinlich, dass das Maass des unbebauten Ackerlandes ein be-
deutendes ist, denn das „arva per annos mutant" kann auch
so aufgefasst werden, dass man nicht allein mit der Zuweisung
des Feldes zur Benützung alljährlich wechselte, sondern auch
mit der Bebauung selbst, in der Art, dass alljährlich ein be-
stimmter Theil des ganzen Ackerlandes der Gemeinde f^r die
') Mitth. d. Wien, anthrop. Gesellsch. I. Bd. S. 42.
2) Mitth. der Central - Coramission zur Erforsch, und Erhalt,
d. Kunst- und bist. Denkm. XIX. Bd., S. 163.
3) Mitth. d. Wien, anthrop. Gesellsch. V. Bd. S. 87.
*) Kruse, Deutsche Alterthümer, III. Bd. 3. 18. u. 21.
^) Tacitus, Germ. XXVI. : „Arva per annos mutant. Et
super est ager".
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260
Bebauung ausgeschieden, und auf demselben jedem Einzelnen
sein besonderer Antheil zugewiesen wurde; im nächsten Jahre
gelangte ein anderer grosser Theil der Gemeindegemarkung zur
BesteUung, „arva per annos mutant", und auf diesem erhielt
wieder der Einzelne wie jeder Andere seinen Antheil zuge-
messen. Und noch ist Ackerland übrig, „et superest ager".
Dieses Uebrige kam sodann im dritten Jahre zur Vertheilung,
während endlich im vierten Jahre der Turnus vom neuen be-
gann. Vielfache Anzeichen weisen darauf hin, dass es so ge-
wesen ist, und nur so hat es einen Sinn, wenn Tacitus sagt,
dass die Möglichkeit dieses Verfahrens in der grossen Aus-
dehnung des Gemeinde - Ackerlandes liege, denn bei einem
einfachen Besitzwechsel, beziehungsweise bei wechselseitigem
Austausche der Felder Jahr um Jahr, genügte ja das zur Ge-
winnung der erforderlichen Getreidemenge eben nöthige Aus-
maass des Ackerlandes, es bedurfte dann keiner grossen Aus-
dehnung desselben und es brauchte alljährlich nichts übrig zu
bleiben.
Wenn diese Interpretirung der allzu knappen Mittheilung
Tacitus' richtig ist, dann wurde einfach das gesammte Acker-
land der Gemeinde in drei Theile getheilt, alljährlich ein
anderer Theil bestellt, auf diesem jedem Einzelnen sein An-
theil zugewiesen, während der Rest unbebaut blieb, und wahr-
scheinlich als gemeinsames Weideland für das grosse und
kleine Vieh diente.
Das „superest ager" lässt jedoch noch eine weitere Aus-
dehnung zu, d. h. es ist nicht nöthig anzunehmen, dass der
Turnus gerade ein dreijähriger gewesen ist, es kann so viel
Ackerland übrig geblieben sein, dass vielleicht auch ein fiinf-
und sechsjähriger Turnus Platz gegriflfen hat.
Strenge genommen ist das fast in allen Theilen Deutsch-
lands bis in die neueste Zeit herrschend gewesene System der
Dreifelderwirthschaft kein anderes, als das, welches Tacitus in
wenigen Worten andeutet. Auch bei dieser hat sich ein an-
sehnlicher Rest der Abhängigkeit des Grundbesitzes von der
Gesammtgemeinde erhalten. Der Einzelne kann seinen Acker
allerdings veräussern und vererben, aber er kann ihn nicht
nach Belieben bebauen, oder etwa gar die Dreifelderwirth-
schaft aufgeben, sondern ist genöthigt, die Fruchtfolge zugleich
mit der ganzen Gemeinde zu beobachten, so zwar, dass immer
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261
ein ununterbrochener Gesaramteomplex des gesaraniten Acker-
lands aller Gemeindemitglieder brach liegen bleiben muss, ohne
Rücksicht darauf, ob und in welchem Maasse jedes einzelne
Mitglied dabei betroffen wird. Derartige Verhältnisse haben wir
noch auf Hem Marchfelde in Niederösterreich, wo der Anblick
der Gemeindefluren einen solchen Eindruck macht, als hätten
wir eine altgermanische Gemeindegemarkung aus der Zeit des
Tacitus vor uns, und wo trotz der gesetzlichen vollen Frei-
heit des Bodens Cäsars „anno post alio transire cogunt" und
Tacitus' „arva per annos mutant et superest ager" noch immer
ihre Anwendung finden.
Der Gebrauch der Brache ergibt sich also bei den Ger-
manen aus ihrer Agrarverfassung unbeabsichtigt und von selbst.
Dass die Düngung bei den Germanen bereits Eingang
gefunden hat, wird sich kaum erweisen lassen, aber schon in
den Pfahlbauten der Schweiz *) hat eine Ansammlung von
Dünger stattgefunden, und durch Plinius erfahren wir, dass
die nordischen Völker ihr Ackerland mergeln. 2) Er nennt
das Mergeln eine Ei*findung, die in Britannien und Gallien
gemacht worden ist, aber marga ist ein deutsches Wort,
identisch mit dem angelsächsischen und althochdeutschen marg,
mark (Gen. marges), Mark, fette Masse in den Knochen-
höhlen, und der lockere Kern des Holzes. Das ist um so
sicherer, als Plinius seiner Nachricht eine Uebersetzung des
den Italem unverständlichen Woj-tes beifügt, indem er sagt,
der Mergel sei ein gewisses Erdschmalz und wie Drüsen am
Körper, da sich darin der Kern der Fettigkeit verdichtet. ^)
Die Germanen haben darnach also einen Antheil an der
Priorität der Anwendung des Mergels.
Aus Plinius ersehen wir auch, dass die Germanen
bereits die Winter- und Sommersaat kennen; zunächst sagt
er allerdings nur unbestimmt, dass der Winterweizen Gallien
<) Kelley«. Pfahlbauten, VI. Ber. S. 310.
2) Plinius, a. a. 0. XVIL 4.
3) Plinius, a. a. 0. XVII. 4, bringt noch mehrere Bezeich-
nungen für besondere Arten von Mergel, von denen acaunumarga
und eglecopala allerdings kaum zu deuten und jedenfalls ver-
schrieben sind, während glissomarga von glizan gleiasen, glänzen
von Plinius mit weissem Mergel wieder gegeben, seinen deut-
schen Ursprung verräth.
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262
eigenthüralich , aber auch in Italien häufig sei ; ^) doch an
späterer Stelle erzählt er, dass zu seiner Zeit einmal die
Saaten der Treverer durch einen äusserst kalten Winter ver-
nichtet worden waren, worauf man im März die Felder aufs
Neue besäete und beharkte und so eine sehr reiche* Ernte er-
zielte. 2) Aus allem ergibt sich, dass die Wintersaat in der
Regel, die Sommersaat ausnahmsweise vorgenommen wurde.
Hochäcker.
Von welcher Seite immer wir Licht auf die wirthschaft-
liehen Zustände der Germanen zu bringen bestrebt sind, immer
stossen wir auf ein in festen Wohnsitzen lebendes Volk, welches
die Pflege des Ackerbaues durch Gesetz und Herkommen
geregelt hat und in Bezug auf Menge und Mannigfaltigkeit
seiner Erzeugnisse unseren Landleuten, die von den grossen
Culturmittelpunkten entfernter wohnen, vielleicht nur darin
nachsteht, dass die heutige Methode der Bewirthschaftung, ins-
besondere in Folge der Zuhilfenahme des Düngers eine nach-
haltigere geworden ist, so dass nicht mehr die riesigen Flächen
Ackerlandes nöthig sind, um die gleiche Menge von Menschen
zu ernähren. Die Aufschlüsse, welche uns Sprache und Mythe
gewähren, stehen in vollem Einklänge mit den historischen
Zeugnissen und den Funden in der Erde, und alle diese Quellen
unserer Kunde zusammen lassen uns die Germanen als ein
Bauern volk erkennen. Aber auch dem heimatlichen Boden
selbst hat die Hand unserer Urväter ein unvergängliches Mal
aufgeprägt, damit auch er spreche und Zeugniss gebe, dass sie
keine Wilden gewesen seien, sondern ein Volk von Ackerbauern,
und als solche befähigt und berufen, ein Culturvolk zu werden.
Dieses Mal liegt in den unverwischbaren Spuren uralten Acker-
baues, in den Hochäckern, die wir auf deutschem Boden finden.
Wenn man München auf einem östlichen oder südlichen
Wege verlässt, so wird das Auge, das nicht blos schöne land-
schaftliche Bilder schauen will, bald durch Dinge anderer Art
gefesselt, insbesondere aber durch eine eigen thümliche Gestal-
tung der Bodenoberfläche. Es zeigen sich nämlich auf den
1) Plinius, a. a. 0. XVIII. 19.
2) Plinius, a. a. 0. XVHL 49.
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263
ausgedehnten, fast sterilen Flächen der näheren und ferneren
Umgebung Münchens lange nebeneinander laufende Erhöhungen
des Bodens, riesigen Ackerbeeten vergleichbar, die sich gerad-
linig mitunter fast unabsehbar weit erstrecken.
Bei näherer Untersuchung ergab sich, dass sie eine Länge
von einigen hundert Metern bis selbst zu zwei Kilometern er-
reichen, während ihre Breite sechs bis zweiundzwanzig Meter,
ihre Höhe fünf bis acht Decimeter beträgt. Sie folgen nicht
immer derselben Richtung, denn geht einmal eine Reihe solcher
Beete von Nord nach Süd, so stosst dann an irgend einer Stelle
eine andere Reihe, die etwa von Ost nach West geht; vor-
wiegend aber streichen die Reihen von Nord nach Süd.
Wie bei allen ähnlichen Erscheinungen hatte auch hier
die Speculation die breiteste Basis und die weiteste Perspective.
Man hielt diese Erhöhungen für ein Spiel der Natur, wie man
ja einst auch die gebohrten Steinhämmer und die Graburnen
für lusus naturae erklärte, die vornehmlich im fruchtbaren
„Mayen" wüchsen. Andere wollten in ihnen Alluvialgebilde
erkennen, noch Andere erklärten sie als Aufwürfe, durch den
Wellenschlag des Meeres hervorgerufen, das einst die baierische
Ebene bis an die Alpen überfluthete.
Indess zeigt sich sofort, dass die „Hochbeete" oder
„Hochäcker", wie man diese regelmässigen Erhöhungen ge-
nannt hat, obwohl sie oft Flächen von unübersehbarer Aus-
dehnung überdecken, doch nichts anderes sein können, als ein
Werk von Menschenhand. Die jeweilig gleiche Breite der Beete,
die künstlich, regelmässig und bei den einzelnen Beeten wieder
gleichmässig gewölbte Oberfläche, das Mischungsverhältniss der
Erdschichten, die langen, geraden Linien, in denen die Er-
höhungen verlaufen, die parallele Aneinanderreihung der einen
hart neben der anderen und endlich der Umstand, dass nicht
selten die einen Reihen senkrecht auf die anderen stossen,
sprechen genugsam, ja mit Entschiedenheit dagegen, dass diese
Bodengestaltung ein Erzeugniss des launigen Spieles oder auch
der gesetzmässigen Wirkung der Natur seien.
So hat man sich denn nun vollkommen geeinigt, dass
diese Hochbeete Reste einer uralten Bodencultur sind. Noch
heute werden die Aecker nicht überall gleichmässig und zu
einem vollkommen ebenen Beete gestaltet; wie letzteres z. B.
im Marchfelde und im Badener Felde geschieht, in vielen
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264
Gegenden z. B. Baierns, Niederösterreichs, Böhmens u. s. w.
werden noch gegenwärtig durch Furchen getrennte Acker-
beete, „Bifange", gemacht, und zwar in den verschiedenen Ge-
genden verschieden breit und verschieden gewölbt, so dass
F. S. Hartmann in Fürstenfeldbruck, dem wir umfassende
Mittheilungen über die Hochäcker verdanken, meint, es seien
die heutigen Bifange die Kinder der aufgegebenen Hochbeete.
Man glaubt, dass die Hochbeete ihre Entstehung entweder der
Nässe oder der Magerkeit des Bodens verdanken; im ersten
Falle erhielt man auf dem hohen Rücken des Beetes eine über
das Niveau des Grundwassers erhabene, also trockene Lage,
im anderen Falle sammelte man auf diesem Rücken die wenige
humusreiche Erde. Indess sind das wohl durch den Hochäcker-
bau erreichte Vortheile, wahrscheinlich aber nicht die Vei-an-
lassung zu demselben. Jedes einzelne Hochbeet stellt vielmehr
nach meiner Anschauung den, dem Einzelnen zugewiesenen
Antheil des gemeinsamen Ackerlandes dar, welcher die Grenze,
den Rain, gegen seinen Nachbar durch einen Graben markirte,
indem er die Erde längs derselben aushob und gegen die Mitte
hinwarf. Da dieses jeder that, so musste das Ackerbeet all-
mälig die gewölbte Gestalt annehmen, und darum finden wir
Hochäcker nicht blos auf Haide- und Sumpfflächen, sondern
auch in fruchtbaren Gegenden.
So hatte man nun allerdings die Sache richtig erkannt;
bei der Frage aber, wem wir diese Reste eines uralten Acker-
baues zuzuschreiben haben, rieth man, wie immer, auf Römer
und zumeist auf Kelten, nur nicht auf die Germanen, die seit
unmessbar langer Zeit diesen Boden bewohnen und bearbeiten.
Freilich beruhte die Manie, jedes zum Vorschein kommende
Zeugniss einer alten Cultur den Kelten zuzuschreiben, auf dem
verdunkelten Bewusstsein, dass die Kelten auf germanischem
Boden eben Germanen seien.
In Baiem zeigen sich die Hochäcker unzählige Male in
der Ebene wie auf der Anhöhe, im Sumpflande wie auf der
Haide. Zuweilen sind sie aufs Neue der Cultur unterzogen,
dann geht der Pflug auch quer über sie, ohne ihre Spur völlig
zu verwischen; manchmal sind sie von mächtigen Eichenwäldern
bedeckt, meist aber liegen sie noch heute unberührt, weite lang-
gestreckte Haiden, unveränderte und fast unzeratörbare Zeugen
eines alten und scheinbar räthselhaften Ackerbaues.
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265
Die heutigen Feld- uhd Ortswege, ja selbst Römerstrassen,
welche die Hochäcker durchschneiden, scheinen einer jüngeren
Zeit anzugehören, denn die ursprüngliche Richtung der Hoch-
äcker wird durch diese Strassenzüge nicht beirrt. Nur dort, wo
die Hochäcker senkrecht auf die Strassen stossen, wird man
annehmen können, dass ihre Anlage dem Strassenzüge gefolgt
ist; es sei denn, dass genau dieselbe Anordnung der Hochäcker
sich auf der anderen Seite der Strasse fortsetzt.
Es ist beobachtet worden, dass beinahe regelmässig in der
Nähe der Hochäcker Reste von römischen Niederlassungen ge-
funden werden, oder von Strassen, Schanzen und Warten, die
man für römisch hält.
Herr F. S. Hartmann, der diesen Resten uralter Boden-
cultur seine volle Aufmerksamkeit und das volle Verständniss
zugewendet hat, weist aber mit vollem Recht darauf hin, dass
sich sowohl einzelne alte Grabhügel, als auch kleinere und
grössere Gruppen von Grabhügeln in der Nähe der Hochäcker
zeigen, die. auf eine zahlreiche, sesshafte, einheimische Be-
völkerung deuten, denen die Hochäcker um so mehr zuge-
schrieben werden müssen, als die Formen der Urnen aus diesen
Hügelgräbern nicht den römischen Colonisten, sondern der unter
der römischen Herrschaft gebliebenen Landbevölkerung eigen-
thümlich sind.
Von entscheidender Bedeutung ist aber das Vorkommen
von trichterförmigen Vertiefungen innerhalb der Hochäcker -
gebiete, die wir in so vielen Wohnsitzen der vorhistorischen
einheimischen Bevölkerung wiederfinden. F. S. Hartmann
erkennt in diesen Trichtergruben und zwar mit Recht die Fun-
damente vorhistorischer Wohnungen. ^) Ich glaube nachgewiesen
zu haben, dass diese Bestimmung jedoch keine ausschliessliche
gewesen ist, dass viele dieser Trichtergruben als Reste von
Viehställen, die kleineren als Getreidegruben betrachtet werden
müssen. 2) Ein Theil dieser Trichtergiiiben in der Nähe der
Hochäcker hatte also geradezu den Zweck, die Ernte der Hoch-
äcker aufzunehmen.
^) Derartige Trichtergruben, die zweifellos als Grundlage von
Wohnungen gedient haben, befinden sich bei Maiersdorf in Nieder-
öst erreich (Freih. v. Sacken, Funde und Ansiedlungen etc.) und
Stillfried an der March.
2) Mitth. der Wiener anthrop. Gesellsoh. VI. Bd.
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2m
Ein weiterer Grund, dass es nicht die Römer, sondern
die einheimischen Bewohner vor und während der Römer-
herrschaft gewesen sind, welche den Ackerbau auf den Hoch-
äckern betrieben haben, ist der, dass solche Hochäcker, wie
noch gezeigt werden wird, in Deutschland auch in Gegenden vor-
kommen, welche nie eines Römers Fuss betreten hat. Endlich
ist zu berücksichtigen, dass diese Art, den Feldbau zu be-
treiben, den Römern ganz fremd ist, denn wenn nur irgend
Reste sich bei ihnen erhalten hätten, so würden ihre Schrift-
steller deren gewiss gedacht haben. Andererseits kommt mir
dagegen eine Nachricht des Plinius^) zu Statten, welche den
Hochäckerbau den Germanen direct zuschreibt. Plinius be-
richtete, dass unter allen Völkern, welche wir kennen, die
Ubier, das äusserst fruchtbare Feld, welches sie be-
bauen, dadurch düngen, dass sie Erde, wie sie gerade
ist, in einer Tiefe von drei Fuss ausgraben und einen
Fuss hoch aufschütten; sie nütze aber nicht länger als
zehn Jahre. Es ist nicht möglich, den alten Hochäckerbau in
dieser Nachricht zu verkennen, und was uns hier von den
Ubiern direct berichtet wird, müssen wir wohl auch von den
übrigen Germanen gelten lassen, da wir in fast allen ihren
Wohnsitzen die Reste von Hochäckern wiederfinden.
Es werden sich einmal gewiss Funde und Mittel ergeben,
die Art der Bewirthschaftutig der Hochäcker genauer unter-
suchen zu können. Indess gewinnen wir jetzt schon einen An-
haltspunkt zur Beurtheilung derselben in der grossen Flächen-
ausdehnung, welche die Hochäcker einnehmen. Beispielsweise
sei bemerkt, dass man in der Umgebung von München auf
einen Umkreis von sechs bis acht Stunden Hochäcker findet,
selbst da, wo sich jetzt Wälder und Wiesen ausbreiten, ja sie
reichen bis in das Weichbild der Stadt hinein, denn ein grosser
Theil des Bahnhofes steht auf einer solchen Hochäckerflur.
Es dürfte kaum abzuweisen sein, dass diese grosse Ausdehnung
durch eine noch ziemlich rohe, und auf eine nicht sehr dichte
Bevölkerung deutende, also ursprünglichen Verhältnissen recht
gut entsprechende Wechselwirthschaft erklärt werden kann.
Da anzunehmen ist, dass damals der Werth der Düngung noch
nicht erkannt war, dass dieselbe wenigstens bei der noth wendigen
0 Plinius, a. a. 0. XVH. 4.
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Digitiz
2G7
Voraussetzung, dass das Vieh die meiste Zeit auf der Weide
zubrachte, nicht im erforderlichen Maasse zur Anwendung
kommen konnte, so mussten die bebauten Ländereien auf den
ohnehin meist humusarmen Diluvial- und Moor -Ebenen bald
ausgesaugt sein. Dies machte dann die Urbarmachung anderer
Gründe nothwendig, während die ausgenützten und ertraglos
gewordenen liegen blieben, doch nicht ohne das Zeichen, das
ihnen die menschliche Hand einmal aufgedrückt hatte, bis in
unsere Zeit zu bewahren. Aber auch die neu beurbarten Gründe
mussten ohne Ersatz der entzogenen Nährwerthe im Verlaufe
der Jahre ihre Kraft verlieren, so dass wieder andere und
immer andere Strecken in Cultur genommen werden mussten,
und endlich alles umliegende Land mit Hochäckern tiberdeckt
war. Waren die natürlichen Verhältnisse nicht allzu schlecht
und insbesondere das Klima günstig und reich an Nieder-
schlägen, so bildete sich auf den zuerst angebauten Flächen
in der Zwischenzeit wieder eine Decke von Rasen oder Busch-
werk, deren Einackerung oder Verbrennung den Boden wieder
für einige Zeit ertragfähig machte und den Turnus des An-
baues der allmälig bebauten Gründe wieder ermöglichte. Unter
ungünstigen Verhältnissen aber musste der Boden völlig aus-
genützt werden, bis endlich die Bevölkerung, welche in Folge
dieser Entkräftung und, da mit diesem Wirth Schaftssystem eine
Schmälerung der Wiesen und Ausrottung des Waldes, also eine
Beeinträchtigung des Weidelandes Hand in Hand ging, auf
diesem Boden ihren Lebensunterhalt nicht mehr gewinnen
konnte, zur Preisgebung desselben und zur Auswanderung ge-
nöthiget wurde, nicht ohne eben diesen Boden in den von ihnen
bebauten Hochäckerbeeten die Spuren ihres einstigen Daseins
aufgedrückt zu haben. So mochte mancher deutsche Stamm
zur Auswanderung nach den fruchtbaren Gefilden jenseits des
Rheines und südlich der Alpen nicht in Folge angeborner
Kriegslust und Beutegier, welche von den römischen Befehls-
habern sell^stverständlich stets in den stärksten Farben gemalt
werden mussten, sondern lediglich durch die Erschöpfung des
Bodens in der Heimat gedrängt worden sein. So lassen sich
ganz insbesondere die mit Hochäckern tiberdeckten Haide-,
Moor- und Waldflächen der oberbaierischen Hochebenen, die
in der That, an die Desei-ta Bojorum, das ist an ein aufge-
gebenes Land gemahnen, auf einfache und natürliche Weise
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268
und ohne Zuhilfenahme gewaltsamer Katastrophen erklären,
aber man ist auch versucht, hierbei an die Thatsache zu denken,
dass gerade die Bojer als ein Volk erscheinen, das so oft und
nach allen Richtungen ausgezogen ist, um sich bald allein,
bald im Anschlüsse an andere Völkerschaften eine neue Heimat
zu erkämpfen.
Es bedarf nunmehr auch keiner weiteren Bemerkung, dass
es unzulässig ist, die theilweise noch immer bestehende Ver-
ödung dieser weiten Flächen den Zerstörungen des dreissig-
jährigen oder des Hussitenkrieges zuzuschreiben, da ja derlei
verödete Hochäcker in Gegenden vorkommen, welche nie von
Schweden oder Hussiten betreten worden sind, ja theilweise,
wie in Sachsen-Meiningen bereits im Jahre 1423 urkundlich als
Wüstung bezeichnet werden. Ja schon Saxo Grammaticus
kennt in Dänemark solche vastas glebas, veteris culturae ve-
stigium, die er durch eine im fünften Jahrhundert unter König
Snio erfolgte Auswanderung erklärt, was Olufsen dahin com-
mentirt, dass hiefür der Zug der Sachsen, Angeln und Juten
nach Britannien im fünften Jahrhundert noch besser passe.
Ueber die Ausbreitung der Hochäcker gibt uns eine
überaus fleissige Abhandlung von August Hartmann reich-
liche Auskunft, wo auch alle literarischen Nachrichten über
den Gegenstand zusammengestellt sind. *)
Wir erfahren daraus, dass die Hochäcker bereits dem
Naturforscher Fr. d. P. Schrank bei seiner im Jahre 1788
unternommenen „Reise nach den südlichen Gebirgen"
aufgefaUen waren, doch blieben sie ihm ein „kosmologisches
Räthsel" und erst um das Jahr 1829 fanden sie eine geschicht-
liche Deutung durch Professor Zierl, der in ihnen „unver-
kennbare Anzeichen eines ehemaligen, weitverbreiteten Acker-
baues" erkannte, und sie mit der Wüstung der Bojer {^ Boiia^
epTQjxta, deserta Boiorum) in Verbindung brachte und demgemäss
der ältesten keltischen Bevölkerimg dieser Gegenden zuschrieb.
Der umsichtigen Zusammenstellung Aug. Hartmann's
entnehme ich, dass Hochäcker nicht blos in Baiern, Elsass,
Frankreich, England und Dänemark zu finden sind; er con-
statirt deren Vorkommen auch in Würtemberg, Franken,
Sachsen-Meiningen, Pommern, Hannover, Oldenburg, Schleswig-
*) August Hartmanu. Zur Hocbäckerfrage. München, 1876.
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269
Holstein und Dänemark. Auch macht er auf den Terrassenbau
in der Grafschaft Henneberg (Sachsen-Meiningen) aufmerksam,
auf welchem in uralter Zeit Ackerbau betrieben worden ist
und der jetzt öde liegt, aber schon im Jahre 1423 urkundlich
als Wüstung bezeichnet worden ist.
Ohne Zweifel wird man wohl auch noch in anderen Cultur-
ländern Europas derartige Spuren des ältesten Ackerbaues
finden. Sogar in Nordamerika will man ähnliche Hinweise auf
vorcolumbischen Ackerbau gefunden haben, welche Lubbock
in seinem Werke über die vorgeschichtliche Zeit berührt, und
selbst an Resten eines älteren systematischen Ackerbaues mit
Ackerbeeten, die den unserigen ähnlich sind, soU es dort nicht
fehlen. Dr. Schmidt hat über dergleichen Ackerbeete, die er
am Mississippi selbst gesehen hat, bei der Versammlung der
deutschen anthropologischen Gesellschaft in München be-
richtet.
Es fragt sich, ob in den österreichischen Ländern nicht
etwa auch derlei Spuren uralten primitiven Ackerbaues bekannt
sind, oder doch zu finden sein mögen, und die Provocirung einer
Antwort auf diese Frage ist einer der Zwecke dieser Abhand-
lung. Oesterreich ist unter den Ländern, in welchen bisher
Hochäcker beobachtet oder doch literarisch erwähnt wurden,
nicht genannt worden.
Zufolge einer Mittheilung Karl Ghillany's^) sollen wohl
in Ungarn Hochäcker vorkommen, und sowohl vom Bericht-
erstatter selbst gesehen, als auch von H. v. Lehotzky schon
vor zehn Jahren besprochen worden sein, doch da wir mehr
und mehr dahin gedrängt werden, Ungarn als Ausland be-
trachten zu müssen, so ist damit die Frage nach dem Vor-
kommen von Hochäckem in Oesterreich nicht beantwortet.
Bis jetzt sind Hochäcker in Oesterreich nicht bekannt
geworden und auch meine mündliche Nachfrage blieb erfolglos.
Wenn jedoch schon im Vorhinein fraglich ist, ob wirklich in
ganz Deutschland dieselbe Bewirthschaftungsmethode Platz ge-
griffen hat, und ob man die Ackerbeete auch überall so ge-
staltet hat, so ist weiter noch zu erwägen, ob sich die Hoch-
') In einem Aufsatze: .Die Hochäcker" in der Wochenschrift
des landwirthschaftlicben "Vereines von Oberbaiern, X, Jahrg. Nr. 43,
pag. 169—171.
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270
beete auch überall erhalten konnten. Wenn wir auch mit
Rücksicht darauf^ dass auch in Ungarn Hochäcker vorkommen
sollen ; das einstige Dasein derselben auch in Oestenreich,
namentlich in Ober- und Niederösterreich vermuthen dürfen,
so werden wir sie doch nur in sehr reducirten Ueberbleibseln
auffinden können. Sowohl westlich über unseren Grenzen, in
Baiern, als östlich über denselben, in Ungarn, gibt es einerseits
in Folge der Natur des Landes, andrerseits in Folge der Natur
des Volkes noch unabsehbare Strecken öden, zuweilen nicht
einmal zur Weide benützten Bodens, welcher, wenn ihm einnual
die menschliche Hand das Zeichen aufgedrückt hatte, dass sie
ihn in Besitz genommen, dieses Zeichen eine unbegrenzte Zeit
hindurch bewahren konnte. Anders ist es in unseren Provinzen,
in denen insbesondere die glückliche Gestaltung der Oberfläche
eine bis zur vollsten Benützung jedes Fleckchen Bodens gehende
Cultivirung desselben ennöglichte. Unseren Ländern fehlen jene
weitgestreckten Ebenen mit ihrer seichten Ackerkrume über
dem schotterigen Untergrunde, die dem Pfluge nur ein leichtes
Schürfen gestatteten, bei mangelndem Ersätze der entzogenen
Stoflfe in kurzer Zeit verarmen, veröden und dann für immer
aufgegeben werden mussten. So sind zum grossen Theile die
Verhältnisse bei den Hochäckern in Baiern beschaffen. In
Ungarn dagegen konnten wirklich der oftmalige Wechsel der
Bevölkerung und die wiederholten Einbrüche von Nomaden-
völkern, die dem Ackerbau feindlich waren, wie der Hunnen,
Avaren und Ungarn, die Verwüstimg grosser Strecken zur
Folge haben, die bei dem Ueberflusse an gutem Boden nicht
mehr bebaut wurden.
In den beiden österreichischen Donauprovinzen ermöglichte
die Güte des Bodens, seine glückliche Oberflächengestaltung
und namentlich das günstige Klima eine intensive Wechsel-
wirthschaft, so dass der Acker nach einiger Pause, während
welcher er eine vortreflf liehe Weide bildete, wieder eine ge-
sicherte Ernte geben konnte. Die nachhaltige Bewirthschaf-
tung des Bodens enthob die Bevölkerung der Nothwendigkeit,
die einmal in Anbau genommenen Gründe wieder preisgeben
und verlassen zu müssen, sie gestattete ihr, auf demselben aus-
zuharren, allmälig jede Verbesserung in Anwendung zu bringen
imd schliesslich die continuirliche Benützung des Ackers durch
Einführung der Düngung sicher zu stellen.
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271
Bei dieser nachhaltigen Bewirthschaftung des Ackerlandes
und dem ganz allmäligen Uebergange zu besseren Methoden
musste natürlich auch die äussere Form der Aecker, welche
ihnen die alte Bewirthschaftungsart aufgeprägt hatte, sich
ändern, und jene an ihre Stelle treten, welche der neueren Art
besser entsprach. Und so ist das fast spurlose Verschwinden
der Hochäcker in den beiden genannten Provinzen erklärlich.
Und dennoch werden wir die Reste der Hochäcker da-
selbst nicht vergeblich suchen, nur müssen wir ihnen hier auf
anderen Wegen nachgehen. Vor Allem leben die Hochäcker
in Niederösterreich noch in der Erinnerung des Volkes. Hie
und da (speciell bei Pulkau) weiss man noch von riesigen
Ackerfurchen, welche der Teufel mit dem Pfluge gezogen
haben soll. *) Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Sage
durch Reste von Hochäckern entstanden ist, die dem Volke
räthselhaft waren, gleichwohl ihren Bezug zum Ackerbau nicht
verhehlten.
Einen noch deutlicheren Hinweis auf die einstigen Hoch-
äcker glaube ich in der Art der Ackerparcellirung auf
dein Marchfeldc in Niederösterreich sehen zu dürfen. Es ist
eine bekannte Thatsache, dass die Ackerparcellen auf dem
Marchfelde ganz ausserordentlich schmal sind, und dass sie
das, was ihnen an Breite abgeht, durch eine ungewöhnliche
Länge ersetzen. So gibt es Aecker, welche kaum zwölf Meter
breit sind, dabei aber zuweilen die unglaubliche Länge einer
Wegstunde erreichen. Es geht doit das Sprichwort, der Bauer
brauche, wenn er beim Pflügen seine vier bis fünf Furchen
gezogen habe, nicht weiter auf die Uhr zu sehen; er wisse,
dass es Mittag sei. Dabei ist die Breite der einzelnen Par-
cellen eine sehr gleichmässige, und die Differenz bewegt sich
meistens nur im Vielfachen des Maasses und mag durch Zu-
sammenlegen zweier oder mehrerer Parcellen entstanden sein.
Die Maassen Verhältnisse der Ackerparcellen auf dem March-
felde stimmen also genau mit jenen der Hochäcker überein,
so dass schon hiedurch die Vermuthung begründet wird, dass
wir hier in der That noch die alte Feldereintheilung der Hoch-
äcker vor uns haben. Die hoho Wölbung der alten Beete ist
*) Landsteiner, Reste des Heidenglaubens in Nicderöstor-
reich.
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allerdings in Folge der Aenderung des Bewirthschaftungs-
systems verschwunden, an die Stelle der hochgewölbten sind
flache, oder doch nur sehr sanft gewölbte breite Beete getreten,
aber die alte Abgrenzung ist geblieben, so dass heute auch
jedem alten Hochbeete eine Ackerparcelle entspricht. ')
Für die von mir aus diesen Prämissen vorerst nur ver-
mutheten Hochäcker fand ich auch im letzten Jahre die vollen
Beweise. Das ganze Marchfeld ist, wie natürlich, von einem Netze
von Wegen durchzogen, von denen die alten von den neueren
sofort dadurch unterschieden werden können, dass jene die
Parcelleneintheilung unterbrechen, beziehungsweise die Reihen
der einstigen Hochbeete abschliessen, während die neueren Wege
die Ackerparc eilen nur durchschneiden, ohne ihre Anordnung
zu stören, da sie sich jenseits des Weges in derselben Anord-
nung fortsetzen. Von diesen neueren Feld- (nicht kunstmässig
gebauten) Wegen bieten nur einzelne die eigenthündiehe Er-
scheinung, dass sie fort und fort über kleine Wölbungen führen,
deren Breite jener der einzelnen Parcellen vollkommen ent-
spricht, deren Höhe aber viel bedeutender ist, als die Wölbung
der Ackerbeete. Nun ist nichts conservativer als ein Bauern weg,
und es ist augenscheinlich, dass derselbe einst, vielleicht vorerst
als Fussweg, dann als Fahrweg über die Hochäcker hinführte,
aber während der Bauer allmälig den Hochacker einebnete, liess
er den Weg unberührt, so dass er noch heute seine Wellen-
linie beschreibt wie ehedem. Nun tritt an manchen Orten noch
die eigenthümliche Erscheinung hinzu, dass auch die Acker-
beete immittelbar, bevor sie vom Wege durchschnitten werden,
beiderseits desselben sich höher und höher wölben, und während
sie sonst nahezu flach sind, hier unmittelbar am Wege die alten
Wölbungen vollständig und noch markanter bewahrt haben,
als der Weg selbst und uns so die alte Hochäckerform leib-
haftig vor Augen fuhren.
Es ist die Bemerkung überflüssig, dass auf dem March-
felde nie eines Römers Pflug ging, dass die Geschichte auch
nichts von angeblichen Kelten auf demselben weiss, wohl aber
*) Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit aufmerksam
zu machen, dass das Studium der Feldgemarkung und der alten
Dorfanlagen von grosser Wichtigkeit ist, und noch vielen Aufschluss
über Dinge zu geben verspricht, die unserer Kenntnissnahme völlig
entrückt zu sein scheinen.
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finden wir theils auf seinem Plane, theils auf den Anhöhen,
die es einschliessen, Ansiedlungen mit mächtigen Erdwällen
und zahlreiche grosse Grabhügel und Bauwerke merkwürdiger
Art, Eisen- und Bronzegeräthe und zahllose Thongefösse, so
schön und so vollkommen, als je irgend ein Bronzegeräth ge-
wesen ist.
Germanische Befestigungen des oberen Waagthaies
in Ungarn.
Von
Julius Keudeok,
ehemaliger Ofilcier des dsterreiehischea Pionnier-Corps.
Wall bei Kossuth.
Im Thurozer Comitat zwischen Kossuth und Prekopa
liegt in der Thalebene, nicht ferne vom Einfluss der Thuroz
in die Waag, an der Strasse von Szt. Marton nach Szucsan
ein colossaler Erdhügel, der im Besitz dreier umliegender Ge-
meindon, von denselben als Begräbnissplatz benützt wird. Die
frühere Wichtigkeit dieses Bauwerkes beweist die Gemeinde-
markung, die so eingetheilt ist, dass jede der drei Gemeinden
ihren Antheil an dem Ringwall hatte, und wahrscheinlich den-
selben, als zusammen erbaut, im Bedarfsfalle auch verthei-
diget hatte.
Die Form ist elliptisch, die längere Axe 80 Klafter, die
kürzere 50 Klafter lang, die Höhe 9 Klafter. Der 3000 Qua-
dratklafter betragende obere Lagerraum ist mit einer 3 Fuss
hohen Brustwehr begrenzt, auf der Nord- und Südseite geht
ein bequemer Fahrweg ins Innere des Werkes.
Der kubische Inhalt beträgt 27,000 Kubikklafter, und es
müssten 1200 Menschen und 50 Wagen durch fünf Wochen
fleissig arbeiten, um die Erdanschüttung zu vollenden, natür-
lich unter der Voraussetzung, dass das Material in nächster
Nähe gewonnen wird.
Die Böschungen dieses ganz aus Erde aufgeführten Werkes
betragen 50 Grad, sind daher noch recht steil. Auf der West-
seite ist der Wall durch einen sumpfigen Bach gedeckt.
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Die Besatzung müsste 1000 Mann betragen, wenn man
auf einen Schritt Brustwehr zwei Mann rechnet, wovon ein
Drittel als Reserve bleibt. Der Lagerraum ist für 9000 Mensehen,
wenn man fUr jeden 12 Quadratfuss rechnet.
Ob je Holzbauten, Unterkunftsbauten und Vorrathsräume
vorhanden waren, kann bei der jetzigen Benützungsweise nicht
mehr bestimmt werden.
Das Werk ist von keiner Seite eingesehen, da die näher
liegenden Bodenwellen nur niedrig sind.
Vom militärischen Standpunkte ist die Lage eine vor-
treffliche, da durch dieses Werk nicht nur der Eingang ins
Thurozthal, sondern auch das Waagthal, respective der Aus-
gang des Defilees Ovar Ruttek beherrscht ist, und man an-
nehmen muss, dass damit noch andere Erdwerke und Baum-
verhaue der Vertheidigung Hilfe leisteten und dem Rundwall
als Vorwerke dienten, natürlich sind von diesen Vorwerken,
der Cultur und Kleinheit derselben wegen, keine Spuren zu
entdecken.
Der Wall hat eine ausgedehnte Umsicht und konnte die
Feuer- und Rauchsignale von allen Seiten bequem abnehmen
und weiter befördern.
Beim Besuche dieses Baues fand ich auf frischen Gräbern
alte Gefässtrümmer mit V4 Zoll dicken Wänden, die grau-
schwarze Masse mit Quarzsand gemischt, auf der Drehscheibe
verfertigt, ohne Ornamente.
Seiner massigen Beschaffenheit und einfachen Construc-
tion nach scheint dieses riesige Werk eines der ältesten des
ganzen oberen Waagthaies und wahrscheinlich lange vor dem
Markomanenkrieg erbaut zu sein.
Aufgenommen im Jahre 1871.
Zur Erklärung des beiliegenden Planes diene, dass ± 0
den Bauhorizont, -f- 9^ die Höhe und — '/^^ ^i® Tiefe gegen-
über dem Bauhorizont bedeute.
Der Turnisko nächst Liptö Orär.
Der Name Turnisko bedeutet im Slavischen einen grossen
Thurm.
Dieser Erdbau liegt im Liptauer Comitat auf einer Ein-
sattlung zwischen dem Keleraener Thal und dem Thal Buko-
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g
^
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wina, unterhalb der Ruine Liptö-Ovär; der grossen Fernsicht
und des kleinen Umfanges wegen war derselbe nur. ein be-
festigter Signal- oder Avisoposten der ehemaligen, durch den
Bau der Feste Ovar zerstörten grösseren germanischen Be-
festigung, welche auf dem Felsenhügel Kralowan gelegen war.
Ein Signalfeuer von da konnte deutlich sowohl in Rosenberg,
als auch jenseits der Waag und in Szt. Miklos gesehen
werden.
Der ebene Kern des Werkes ist kreisrund, der Halb-
messer 4 Klafter, ist 3 Fuss über den 5 Klafter breiten Graben
erhoben, den Graben begrenzt eine 1 Schuh hohe Brustwehr,
welche 140 Schritte lang ist und 280 Mann Besatzung erfor-
dert, Lagerraum ist für 260 Mann vorhanden, — jetzt wird
dieses schöne regelmässige Werk geackert und dürfte binnen
ein paar Jahren gänzlich eingeebnet und verschwunden sein.
Der runde Kern hat sicherlich einige solche runde kuppei-
förmige, fenster- und rauchfanglose, mit Lehm verschmierte
Flechtwerkhütten, wie solche auf der Antoniussäule in Rom
abgebildet sind, getragen, zum Schutze der Besatzung gegen
das hiesige ra]ihe Klima; ohne Zweifel aber, wie aus den dort
vorfindlichen Massen Brandlehm und Kohle zu ersehen ist^
waren darauf Signalfeuer im Gebrauch.
Die niedrige Brustwehr um den 5 Klafter breiten Graben
war, um das Ganze vor einem feindlichen Ueberfalle zu
schützen, mit Pallisaden oder Flechtwerk versehen, um von
der Besatzung auf kurze Zeit verth eidigt werden zu können.
Auf dem Kerne fand ich schwarzgraue, V2 Zoll dicke,
mit Quarzsand gemischte Scherben von Freihandgefilssen nebst
Massen von mit Strohhäcksel gemischtem Brandlehm und
Kohle, sowie auch einige Tuffsteine: auf der in der Nähe be-
findlichen Ruine Ovar traf ich auf ähnliche Scherben und
gebrannte prismatische Lehmverputzstücke. Bei Kelemenfalva
wurden vor Kurzem Bronzefunde gemacht.
Eine nachhaltige Vertheidigung konnte dieser befestigte
Posten nicht leisten, theils der kleinen Besatzung und schwachen
Profile wegen, theils weil rund um das Werk eine kleine
Ebene ohne Annäherungshindernisse und dasselbe von allen
Seiten eingesehen ist, — es kann daher nur als Signalposten
betrachtet werden, der im Nothfalle von der stärkeren Be-
satzung des naheliegenden Ovar aufgenommen wurde.
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X
f
i
tr
/ t"^^ i^~j ~6 "7"/ ^ *a //"/xA/Ar
Die beiläufige Bauzeit anzugeben, ist sehr schwierig, da
die Freihandgefasse auf frühere, die schwachen Profile und
die Regelmässigkeit des Baues wieder auf spätere Zeit, viel-
leichf^uf den Markomanenkrieg hinweisen.
Aufgenommen im Jahre 1876.
Zur prähistorischen Ethnologie der pyrenäischen
Halbinsel.
Von
Dr. Fligier.
Wir haben es immer bedauert, dass die pyrenäische
Halbinsel so wenig in den Kreis anthropologischer Forschungen
gezogen werde. Knüpfen sich ja wichtige Probleme, wie z. B.
die Frage nach der Herkunft der so räthselhaften Blonden
Nordafrikas an die prähistorische Ethnologie der genannten
Halbinsel.
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Von englischen Anthropologen, wie Boy d Dawkins, ist
die Behauptung aufgestellt worden, dass iberische Stamme
sich einst bis nach Grossbritannien verbreitet haben, eine
Ansicht, die schon Tacitus theilte, die aber noch sehr der
Begründung bedarf.
Unglückliche politische Verhältnisse mussten dort bis in
die neueste Zeit den Aufschwung jeder Wissenschaft lähmen,
und so kam es auch, dass unsere Wissenschaft erst im Jahre
1874, durch die Gründung der Anthropologischen Gesellschaft
in Madrid, in Spanien ihre Verbreitung fand. Den Begründern
dieser Gesellschaft lag es besonders daran, Sinn und Interesse
für die Anthropologie unter ihren Landsleuten zu verbreiten,
deshalb beschäftigen sich die ersten Abhandlungen nicht mit
Spanien, sondern mit anthropologischen Fragen allgemeiner Natur.
Don Joaquin de Hysern, Präsident der Gesellschaft,
hat über den einheitlichen Ursprung des menschlichen Ge-
schlechtes eine interessante Abhandlung veröffentlicht, auf die
wir später zurückkommen wollen. Ihm folgten Ariza mit
einer Arbeit über die specifischen Unterschiede der mensch-
lichen Racen, Villanova über Ursprung, Alter und Natur-
geschichte des Menschen, Tubin o über die Grenzen der
Anthropologie und ihr Verhältniss zu den übrigen Wissen-
schaften, woran sich von ihm eine Abhandlung über Darwin
und Häckel anschloss, deren Titel allein den Anbruch einer
neuen Zeit sogar für Spanien drastisch genug illustrirt. Zu
unserer grossen Befriedigung hat Herr Tubino,*) ein be-
geisterter Anhänger unserer Wissenschaft, im vorigen Jahre
zu einer prähistorischen Ethnologie Spaniens die Hand ange-
legt, über die wir in Folgendem referiren wollen.
Die prähistorischen Funde der pyrenäischen Halbinsel
sind nicht älter als aus neolithischer Zeit. Weder in den
Höhlen noch in den Tumulis ist irgend ein Steingeräth ge-
funden worden, das der paläolithischen Zeit angehört. In dem
Hügel des heiligen Isidor ist allerdings eine ungeschliffene
Steinaxt gefunden worden, über deren Alter ist aber nichts
Bestimmtes zu sagen.
*) Los Aborigines ibericos 6 loa Berebres en la Peninsula
por Francisco Tubino. Revista de Anthropologia. Madrid, 1876.
65—192.
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Aus der neolithischen Zeit stammen die Funde von
Granada und von Monte Calpe an der Bucht von Gibraltar,
von denen die letzteren schon durch die Engländer Busk und
Falconer bekannt geworden sind.
In Portugal fand der Geologe Delgado in der Höhle
von Cesareda einen vollständig erhaltenen Schädel sammt ge-
schliffenen Steingeräthen, Pfeilspitzen, bearbeiteten Knochen,
Kohle u. 8. w.
Megalithische Denkmäler finden sich hauptsächlich in
Andalusien, Estremadura, in den portugiesischen Provinzen
Alentejo und Beira, ferner auch in Galizien und Asturien.
Herr Tubino schliesst sich wesentlich an die Theorie Fer-
gusson's^) an, dass die megalithischen Denkmäler im Ganzen
als Grabdenkmäler und nicht als Altäre oder gar Tempel an-
zusehen sind.
Fergusson behauptet weiter, dass dieselben von civili-
sirten Völkern herrühren, die mit den Römern in Contact
kamen, und dass sie in den zehn ersten Jahrhunderten nach
Christus errichtet worden seien. Tubino gibt zu, dass in den
meisten Spuren einer höheren Civilisation sich zeigen und
demnach in ihrer Mehrzahl nicht der vorhistorischen Zeit
zugezählt werden können, falsch sei aber die Ansicht, dass
die megalithischen Denkmäler einem Volke und einer Epoche
zugezählt werden müssen, womit ich mich auch einverstanden
erkläre. In die prähistorische Zeit verlegt Tubino die Funde
aus Kupfer, und über die Keramik einiger Dolmen bemerkt
er, dass sie sowohl der nordafrikanischen aus derselben Epoche,
wie derjenigen aus den quaternären Lagern Frankreichs gleiche.
Was die Bronzefunde anbetrifft, so ist keine Bürgschaft
vorhanden, dass sie Erzeugnisse dieses Landes seien in dem
sie gefunden worden. Die Sculpturen von Yecla scheinen
ägyptischen Ursprungs zu sein, wie überhaupt in Baetica eine
Fabrik von Statuen ägyptischen Styls existirt zu haben scheint.
Dass auch die Phönizier und später die Karthager Spuren auf
der pyrenäischen Halbinsel zurückgelassen haben, ist selbst-
verständlich. Dieselben können aber kaum der prähistorischen
Zeit zugezählt werden.
') Fergusson, Rüde Stone Monuments in all countries; their
Age and their Ilses. London 1872.
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280
Viel älter als die archäologischen sind, nach Tubino.
die craniologischen Funde. Ein Schädel von Cantera de
Forbes ^) soll von neanderthaloider Bildung sein (?) und nach
Quatrefages einer niederen Race angehören. Er ist exquisit
dolichokephal. Während der Quatemärzeit folgte auf diese
Race nach den Forschungen französischer Gelehrter die Race
von Cro-Magnon.
Pruner-Bey hat die Vermuthung ausgesprochen, dass
diese Race in der nordafrikanischen dolichocephalen Bevölke-
rung sich erhalten habe. Diese Vermuthung hat bedeutend
an Glaubwürdigkeit gewonnen, seitdem man in den Gräbern
von Roknia in Algier eine grosse Zahl von Schädeln gefunden
hat, welche die wesentlichen Charaktere deijenigen von Cro-
Magnon an sich tragen. Herr Tubino macht sich nun zu seiner
besonderen Aufgabe nachzuweisen, dass sowohl die Berbern als
auch die Iberer der erwähnten Cro-Magnon-Race angehören. In
der That hat Broca^) gezeigt, dass die Schädel aus der Höhle
l'Homme mort im Departement Loz^re, die der jüngeren Stein-
zeit angehören, mit denen von Cro-Magnon verwandt sind, und
somit könnte es nicht unmöglich sein, dass diese uralte Be-
völkerung auch noch heute ihre Repräsentanten hat. Wir
wollen sehen, ob andere Gründe eine solche Annahme unter-
stützen.
Herrn Tubino ist es bekannt, dass eine grosse Zahl
nordafrikanischer Oits- und Völkernamen auf der pyrenäischen
Halbinsel wiederkehrt. Nach Philipps*^) ist die Ueberein-
stimmung libyscher und hispanischer Ortsnamen in dem
Gleichlaut mehrerer auf einander folgenden Silben sehr auf-
fallend. In beiden Ländern finden sich Ortsnamen mit den
Endungen -ilis und -ippo. Eine in beiden Ländern wieder-
kehrende Endung von Stammesnamen ist -uli, z. B. Barduli,
Edulii, Thurduli, Massylii in Spanien, in Afrika dagegen
Gaetulii, Edulii u. s. w. Einzelne Ortsnamen kehren geradezu
in beiden Ländern wieder. Es ist nur zu wahrscheinlich, dass
diese Ortsnamen auf eine und dieselbe Bevölkerung zurück-
^) Tubino, Los Aborigines pag. 165.
2) Broca, Las Cranes de la Caverue de rHomme mort.
Kevue d' Anthropologie. Paris, 1873. 1 — 53.
^) Philipps, Die Einwanderung der Iberer in die pyrenäiscbe
Halbinsel. Sitzungsberichte der Wiener Akademie d. W. 1870.
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zufuliren sind. Waren es Hamiten oder Iberer? Darüber
kann nur die baskische Sprache oder die hamitischen Dialekte
Nordafrikas uns Aufscliluss geben. Wilhelm von Humboldt,
und neuerdings Dr. Charnock, Vicepräsident der anthropologi-
schen Gesellschaft in London, haben wohl einige Etymologien
der erwähnten Ortsnamen zu geben versucht, doch im Ganzen
mit zweifelhaftem Erfolge. Humboldt findet für das in Zu-
sammensetzungen auch vorkommende Hippo keine wahr-
scheinliche Etymologie im Baskischen und glaubt, dass es
vom griechischen w:xo; stamme, da die Münzen spanischer
Städte ein Pferd im Bilde führen. Nun lag aber Hippo im
Centrum Spaniens (im Gebiete der Carpetaner), wo die Mög-
lichkeit einer griechischen Colonie von vorneherein ausge-
schlossen ist. Aus demselben Grunde müsste auch das afri-
kanische Hippo griechischen Ursprunges sein. Charnock^s Ab-
leitung aus dem Phönizischen ist aus demselben Grunde hinfallig.
Nachdem uns die Linguistik bis jetzt keinen Aufschluss
über den Zusammenhang der nordafrikanischen Bevölkerung
mit der iberischen geboten hat, wenden wir uns der Anthro-
pologie zu.
Aus den Arbeiten französischer Anthropologen geht her-
vor, dass die heutige Bevölkerung Nordafrikas zwei Typen
zeigt, einen blonden, wie er im Norden P^uropas vorkommt,
und einen dunklen, der nach einem Berichte des französischen
Consuls in Marokko, Herrn Tissot, ') wesentlich an die Land-
bevölkerung des südlichen Frankreichs erinnern soll. In
Marokko ist der blonde Typus viel zahlreicher vertreten als
in den übrigen I^ändern des nördlichen Afrika. Die Bevöl-
kerung der atlantischen Gebirgszüge ist im Ganzen blond und
hat blaue oder graue Augen, während zwischen dem südlichen
Atlas und der Wüste Sahara Stämme von ganz besonders dunkler
Complexion wohnen. In Algier gibt es weniger Blonde als in
Marokko und dieselben sind auch nicht so hellblond als die
marokkanischen, woraus Broca^) den Schluss zieht, dass von
^) Tissot, Sur les monuments ra^galiihiques et les popula-
tions blondes du Maroc. Revue d' Anthropologie. Paris, 1876,
pag. 385— -392.
2) Broca, Les peuples blonds et les monuments megali-
thiques dans TAfrique septeutrionale. Revue d' Anthropologie 1876,
pag. 393 — 405.
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Marokko aus die europäischen Blonden Nordafrika überfluthet
haben. Auf diese Blonden ist nach meiner Ansicht die über-
raschende Uebereinstimmung spanischer und nordafrikanischer
Orts- und Völkernamen zurückzuführen.
Die Dolichokephalie der nordafrikanischen Blonden könnte
leicht zu der Annahme verleiten, dass sich in denselben Nach-
kommen derVandalen erhalten haben, die wir uns nach Ana-
logie der anderen germanischen Stämme der Völkerwanderungs-
zeit als dolichokephal denken müssen. Das ist aber nicht
der Fall.
Broca hat zuerst darauf hingewiesen, dass Callimachus,
ein Zeitgenosse des Ptolemäus Philadelphus (285—246), in
einem Hymnus auf Appollo, Vers 85, blonde Libyerinnen er-
wähnt, und dass auch dem Periplus des Scylax Blonde in
Nordafrika bekannt sind. Die grosse Inschrift von Karuak,
welche durch den Aegyptologen de Rouge zuerst näher bekannt
wurde, erzählt von blonden Eroberern, die im vierzehnten
Jahrhundert während der Regierung des Meneptah I. einen
furchtbaren Angriflf zu Wasser und zu Lande auf das Land
der Pharaonen gemacht haben. Sie wurden geschlagen und
zogen sich nach Westen zurück. Westlich von Egypten, in
den Oasen der libyschen Wüste fand neuerdings der Botaniker
Dr. A scher son') eine hellblonde Bevölkerung.
Die Einwanderung dieses Volkes nach Nordafrika ist
wenigstens in die Zeit der achtzehnten Dynastie zu setzen,
da Amenhotep IIL aus dieser Dynastie eine Blonde von fremd-
ländischer Herkunft und Religion mit Namen Thai 2) gehei-
rathet hat.
Amenhotep IV., ein Sohn der blonden Thai, der un-
zweifelhaft die religiösen Begriife seiner Mutter eingesogen
hatte, bekundete einen grossen Abscheu vor der Am mon Ver-
ehrung und wandte seine Huldigungen den Sonnengottheiten
zu, woraus man vielleicht den Schluss ziehen könnte, dass die
Blonden Nordafrikas Sonnenanbeter "gewesen sind.
Waren diese Blonden vielleicht Iberer? Silius Italicus
erwähnt im südlichen Spanien blonde Menschen. Die heutigen
^) Zeitschrift für Ethnologie. Berlin, 1876.
^) Maspero, Geschichte der morgenländischen Völker im
Alterthum, deutsch von Pictschmauu. Leipzig, 1877, pag. 210.
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283
Basken sind ein Mischvolk. Neben dolichokephalen blonden
Basken finden sich dunkle und brachykephale Individuen.
Nichts steht daher der Annahme im Wege, dass die blonden
Basken mit den nordafrikanischen Blonden verwandt sind,
wenn auch der Beweis noch nicht zu erbringen ist. Eine
andere Frage ist es, ob die Vorfahren der heutigen Basken
im Alterthume auch in solchen Gebieten gewohnt haben, wo
die erwähnten Ortsnamen sich vorfinden. Wilhelm von Hum-
boldt^) hat bekanntlich behauptet, dass das Baskische eine
Tochter des Iberischen sei und dass das Iberische durch die
ganze Insel einst gesprochen worden sei.
Seine Beweise stiessen in neuester Zeit bei den fran-
zösischen Gelehrten, Prinz Lucian Bonaparte, Van Eys und
Vinson auf Widerspruch. 2) Möglich, ja sogar mehr als
wahrscheinlich ist die Theorie Humboldt's, doch der wissen-
schaftliche Beweis ist noch nicht erbracht worden.
Herr Tubino betrachtet als eine Hauptaufgabe den
ethnologischen Zusammenhang der Iberer und Berber nach-
zuweisen und hierin können wir ihm nicht beistimmen. Er
stellt die Möglichkeit hin, dass die baskische Sprache oder
Euskara ursprünglich einen Zweig der hamitischen Sprach-
familie gebildet habe.
Die hamitischen Sprachen beweisen, nach Fr. Müller,^)
durch die Einheit des Organismus und die Identität des pro-
nominalen Flexionselementes, dass Hamiten und Semiten ur-
sprünglich ein Volk gebildet haben, und dass die beiden Volks-
zweige von einander sich lostrennten als die Sprache über
den Zustand der Wurzelbildung und wurzelhaften Flexion
noch nicht hinausgekommen war. Die Heimat der Hamiten
ist daher Asien und nicht das westliche Europa, wo allein die
Cro-Magnon-Race gegen Ende der Quaternärzeit und in der
neolithischen Epoche bezeugt ist.
Von einer Verwandtschaft der Cro-Magnon- Menschen
Frankreichs mit den Iberern und Hamiten kann daher weder
') Wilhelm von Humboldt, Prüfung der Untersuchungen
über die Urbevölkerung HispanieuR vermittelst der baskischen
Sprache. Berlin pag. 64.
2) Wentworth Webster, The Basque and the Kelt. Journal
of the Antbropological Institute. LondoD, 1875, pag. 5 — 29.
^) Fr. Müller, Allgemeine Ethnographie. Wien, 1873, pag. 445.
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vom anthropologischen noch vom ethnologischen Standpunkte
die Rede sein. Die Frage nach der Herkunft der dolicho-
kephalen Blonden Nordafrikas und Spaniens bleibt somit noch
immer eine offene.
Im Anschlüsse an die erwähnte Abhandlung des Herrn
Tubino, Secretärs der Anthropologischen Gesellschaft in
Madrid, freut es mich auf eine neue Arbeit') desselben Ver-
fassers aufmerksam machen zu können. In dieser interessanten
Abhandlung bemerkt Herr Tubino sehr richtig, dass ohne
Kenntniss der prähistorischen Ethnologie Spaniens, die politische
und die Culturgeschichte dieses Landes unverständlich bleiben
muss. Und in der That zerfallt die spanische Bevölkerung
in eine Anzahl Elemente, die einander seit Jahrhunderten
bekämpfen, trotzdem dass Kirche und Regierung so viel zur
Beseitigung dieser (Gegensätze beigetragen haben.
Besonders auffallend erscheint dieser Gegensatz, wenn
man die osteologische Structur der Basko-Navarresen mit den
leichten Formen der Andalusier vergleicht, dagegen findet
sich bei den Asturiern, Galiziern und Portugiesen in ihren
physischen Eigenschaften eine frappante Aehnlichkeit mit den
Bewohnern Cataloniens und Valencias. In den nördlichen
Provinzen neigt die Bevölkerung zur Mesokephalie, im Süden
zur exquisiten Dolichokephalie. Im Norden herrscht der
Orthognathismus vor, im Süden linden sich nur prognathe Indi-
viduen. Was die Haarfarbe anbetrifft, so findet man blonde
und dunkelhaarige Basken. Zahlreicher sind die Blonden in
Asturien und Galizien, höchst selten in den übrigen Provinzen.
Auffallend ist das Voikommen blonder Individuen mit heller
Hautfarbe und blauen Augen in der Nähe Gibraltars. Sind
es Nachkommen der Vandalen oder der Blonden Nordafrikas?
Der Baske, Galizier, und besonders der Portugiese sind von
melancholischem Temperament, während der Andalusier ein
leicht erregbares Gemüth besitzt. Von anthropologischem
Standpunkte gibt der Verfasser einen geistreichen und elegant
geschriebenen Ueberblick der Geschichte des spanischen Volkes,
nicht der Regenten, die bei ihm ziemlich übel wegkommen.
Nach dem Vorbilde französischer Anthropologen, die überhaupt
^) Tubino, Recherches d* Anthropologie sociale. Revue
d*Anthropologie de Broca. Paris, 1877, pag. 100 — 113.
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für die anthropologische Gesellschaft in Madrid, maassgebend
sind, wendet er der spanischen Dialektologie seine Aufmerk-
samkeit zu, durchforscht Bibliotheken und ist dabei vom Glück
begünstigt, indem er z. B. eine wichtige Uebersetzung des
Roman de Troye im galizischen Dialekte vorfand.
Die Schrift zeugt überhaupt vom Talente des Verfassers
und von grosser Begeisterung für den Gegenstand, die unge-
mein wohlthuend wirkt.
Kleinere Mittheilung.
Professor Mantegazza über Eintheiliing der Bacen. ^)
Wesentlich versohieden von den Systemen der meisten An-
thropologen ist das ethnologische Glaubensbekenntniss des Herrn
Mantegazza, welcher Professor der Anthropologie und Director
des von ihm gegründeten anthropologischen Museums in Florenz
ist. Nach seiner, wie wir glauben, etwas pessimistischen Ansicht,
ist die Völkerkunde als Wissenschaft noch zu wenig vorgeschritten,
um eine genaue Classificirung der Racen vorzunehmen. Alle die
Kriterien, welche man bis jetzt anzuführen gewohnt war, sind
zwar an sich werthvoll, doch noch immer unzureichend. Besonders
verfehlt erscheint ihm die Classificirung der Eacen nach den von
ihnen bewohnten Erdtheilen zu sein, wie sie einst Linnö aufge-
stellt hat, und worauf ja auch Gerland's Raceneintheilung hinaus-
lauft. Unzureichend ist die Craniologie, da die Neger, die doch im
Ganzen eine unvermischte compacte Masse bilden, dolichokephal,
mesokephal und brachykephal sind. Von geringem Werthe für die
Classificirung der Racen erscheint ihm, wie früher dem Belgier
d*0maliu8 d'Halloy, die Sprache. Prof. Mantegazza kommt zu
dem Resultate, dass die Anzahl der Racen unbestimmt ist, und
dass viele Racen untergegangen, während andere im Entstehen be-
griiFen sind. Dr. Fligier.
^) L'uomo e gli uomini. Lettera etnologica del prof. Paolo Mante-
gazza al prof. Enrico Giglioli. Milano 1876. Separat- Abdruck aus dem
Archivio per Tantropolog^a.
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286
Literatur-Berichte.
1.
Sarelsberg, Beiträge zur Entzifferung lykisoher Spraobdenk*
mäler. I. Theil. Bonn, 1874. 62 S. II. Theil. 1878. 232 S.
Gedruckt mit Unterstützung der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften in Wien.
Die Bekanntmachung und Entzifferung dieser lykischen Sprach-
denkmäler reiht sich würdig an die grossen sprachlichen Entdeckun-
gen dieses Jahrhunderts an, durch welche die altpersischen Keil-
inschriften und zum Theil auch die von Ninive und Babylon
entziffert worden sind.
In dem ersten Theile seiner mühevollen und scharfsinnigen
Arbeit behandelt der gelehrte Verfasser nur bilingue Inschriften,
deren Entzifferung somit leichter gewesen ist, und auf einer
sichereren Basis ruht. In dem zweiten, soeben erschienenen Theile,
behandelt er fünfundfünfzig in lykischer Sprache verfasste In-
schriften. Professor Savelsberg stellt die lykische Sprache am
nächsten zum Armenischen und zu den übrigen eranischen Sprachen.
Die alten Lykier, von deren Cultur die kunstvoll ausge-
statteten Grabmäler, und ausgezeichnete Reliefs ein schönes Zeug-
niss ablegen, waren ein Zweig der Leleger und Karer, die zur
Urbevölkerung Griechenlands gehörten. Eine arische Sprache wurde
somit vor dem Erscheinen der Griechen auf dem Boden von Hellas
gesprochen. Von den obigen kleinasiatischen Sprachen hat sich,
einige Glossen ausgenommen, wenig erhalten. Nur phrygische In-
schriften sind bekannt, die noch immer auf ihren Grotefend oder
Savelsberg harren.
Dieses Werk ist unserem ersten Vice -Präsidenten gewidmet.
Dr. Pligier.
2.
Kopernicki. Kowy przyczynek do antropologii przedhisto-
rycznej ziem polskicb. (Neuer Beitrag zur vorhistorischen
Anthropologie polnischer Länder. Aus den Sitzungsberichten
der Krakauer Akademie der Wissenschaften von 1877.")
In der Nähe von Radzimin in Volhynien sind Funde aus der
Steinzeit gemacht worden. Zwei dort gefundene Skelete gehören
älteren männlichen Individuen an, und zeichnet sich die platycne-
mische Form der Tibia aus. Die Schädel sind dolichokephal,
(Index 70, 9) und total verschieden von der jetzigen brachy-
kephalen slavischen Bevölkerung dieser Gebiete, gleichen aber voll-
ständig der süddeutschen langköpfigen Schädelform aus dem sechsten
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und siebenten Jahrhundert, die durch die Forschungen Eckerts,
Holderes und Kollmann's näher bekannt geworden ist. In der
Steinzeit hat in Frankeich nach Broca auch diese Bevölkerung
gewohnt. Im galizischen Podolien (zu Kociubince bei Husiatyu und
zu Semenowo, Kreis Trembowla), sind Funde derselben Art ge-
macht worden. Dr. Pligier.
Hanfalry. Ethnographie von Ungarn. Deutsch von Schwicker.
Budapest, 1877. 446 S.
Hunfalvy's Ethnographie ist ein hervorragendes Werk der
magyarischen Wissenschaft. Nach einer Einleitung (1 bis 38), in
welcher für den Laien in der Anthropologie das Wesentliche über
Hchädelformation, Classificirung der Racen, und Eintheilung der
Sprachen gesagt wird, unternimmt der berühmte Verfasser eine
historische Schilderung sämmtlicher Volksstämme der Stephanskrone.
Dass die Magyaren ganz besonders berücksichtigt werden, ist er-
klärlich. Von grossem Interesse ist die linguistische Abtheilung
des Buches, wie z. B. der Abschnitt über die Urgeschichte der
Magyaren nach dem Zeugnisse ihrer Sprache, ferner über die
Periode des türkischen und slavischen Einflusses, wie ihn die
Sprache documentirt (p. 145 bis 178). Auch über die Genesis
und das erste Auftreten der Rumänen in der Geschichte, wird im An-
schluss an Rösler, ausführlicher gehandelt. Als Nachtrag möchte
ich bemerken, dass Kumanischc Schädel aus Ungarn dolichokephal
sind, und dass sie nach Broca (Bulletins de la Sociale d- Anthro-
pologie de Paris, 1875, p. 437 u. f.) von den ungarischen und tür-
kischen gänzlich verschieden sind. Dr. Pligier.
4.
Wentworth Webster: The Basque and tbe Kelt. Journal of
the Anthropologiciil Institute, 1875.
Diese Abhandlung ist gegen einen Aufsatz des bekannten
Geologen und Anthropologen Boyd Darkins gerichtet, welcher in
der Fortnightly Review, September 1874, aus craniolögischen Grün-
den Kabylen, Basken, schwarzhaarige Kelten, Waliser und sogar
Ligurer für ein Volk erklärt hat.
Webster bemerkt mit Recht, dass man bei Beschränkung auf
das anthropologische Gebiet unmöglich ein solches Problem, wie
die Frage nach der einstigen Verbreitung der Iberer vor dem Er-
scheinen der Aryer lösen könne. Wir sind sogar heutzutage über
den Zusammenhang der Basken mit den alten Iberern nicht ganz
im Klaren, und wir werden es auch nicht früher sein, bevor nicht
die iberischen Inschriften entziffert sind, die noch immer auf ihren
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Grotefend warten. Boyd Dawkins' Zusammenstellung der Basken
mit den Kelten ist, abgesehen von der Sprache, schon deshalb eine
missliche, als es unter den Basken blonde und schwarzhaarige,
dolichokephale und brachykephale Elemente gibt. Südlich von der
Garonne, wo die Bevölkerung nach Strabo den Iberern glich, finden
sich jetzt hauptsächlich Individuen mit grauen Augen und hellerer
Complexion als zwischen Garonne und Loire, also in rein kelti-
schen Gebieten. ')
Herr Webster macht noch auf einige interessante völker-
psychologische Momente aufmerksam. Die Basken haben sich, wie
aus den Legenden hervorgeht, am heftigsten gegen die Annahme
des Christenthums gewehrt, einmal katholische Christen geworden,
sind sie bis auf den heutigen Tag die glühendsten Yertheidiger
der Kirche geblieben. Vergebens waren die Bemühungen der pro-
testantischen Bourbonen von Navarra, die Basken der Kirche ab-
wendig zu machen. Ein Baske war auch Loyola wie so viele
seiner Ordensbrüder.
Sehr früh und leicht -fand das Christenthum Eingang bei den
Kelten in Galatien, Gallien, Britannien und Irland, aber ebenso
leicht wechselt der Kelte seine religiöse Ueberzeugung.
Zu tadeln hätten wir, dass der Verfasser die baskische
Sprache (Euskara) den turanischen Sprachen beizählt, woran aller-
dings sein Gewährsmann Max Müller in Oxford die Schuld trägt,
dessen turanische Entdeckungen sowohl am Adour als auch auf
dem Plateau von Dekkan eine grosse Confusion in der ethnologischen
Literatur angerichtet haben. Dr. Fligier.
Vereins - Mittheilung.
Das Präsidium der anthropologischen Gesellschaft spricht aus
Zweckmässigkeitsgründen den Wunsch aus, dass alle Correspondenzen
und sonstigen Zusendungen direct an das Secretariat der Gesell-
schaft geleitet werden möchten. Es ergeht daher an alle Gesellschaften
und Facbgenossen, welche mit der anthropologischen Gesellschaft
im Verkehre sind, die freundliche Bitte, ihre Sendungen an die
Adresse des gefertigten Secretärs zu richten.
Dr. M. Much.
VIII. Josefsgasse 6.
^) Broca: La race celtique ancienne et moderne. Revue d'Anthro-
pologie. 1873, p. 577.
BedaetioBi-Comit^: Hofrath Franz Ritter v. Uaier, Hofrath Carl Laigvr, ür. M. Mmeh,
Prof. Friedr. Hiller, Dr. WalirinaBii, Prof. Joh. Woldriok.
Druck von Adolf HoUbauacn in Wien
k k. tultvrttlAU Hu«lidruckaial.
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YIII. Band. Ansgegeben den 7. Jftnner 1879. Mr. 10— 12.
MITTHEILUNGEN
der
anthropologischen Gesellschaft
IN WIEN.
lahaltt Prähistorische Eiscnschmelz- and Schmiodestätten in Mähren. Von Dr. Heinrich Wanliel.
(Mit 1 Tafel.) — üeber die Kosmogenie nnd Anthropogenie des germanisrhen Mythus.
Vortrag, gehalten am 10. December 1878. Von Dr. M. Much. — Ueber die angeblich trepa-
nirten Cranien des Beinbauses zu Scdlec in Böhmen. Von Dr. Heinrich Wankel. — Archäo-
logische Beiträge aus dem Osten Europas. Von A. F. Teploucheff in Iliinsk. (Mit 1 Tafel.)
— Kleinere Mittheilungen: Goldringgeld. Von Hochttetter. — Ueber eine seltene Umen-
form. Von Franz Hejier. — Literatnrbericbte : Fr. Müller. Orundriss der Sprachwissen-
schaft. Von Dr. Fligier. — Richard Andre e. Ethnographische Parallelen und Vergleiche.
Von Dr. Much. — Dr. C. Mehlis. Die Haubirg im Pegnitzthale. Von Dr. INuch. —
Fr. Maller. Allgemeine Ethnographie. Von Dr. Fligier. — Vereins-Mittheilung.
Prähistorische Eisenschmelz- und Schniiedestätten
in Mähren.
Von
Dr. Heinrich Wankel.
(Mit 1 Tafel.)
Bunte Raketengarben rauschten zum Himmel empor und
beleuchteten die dunklen Schatten des schönen Parkes zu
Forsteck, des prunkvollen und lieblichen Sommersitzes des
Herrn Dr. Mejer, als jeder der anwesenden Anthropologen
eine Karte mit einem Motto erhielt, das ihm Tisch und Sitz
zu dem zu begin
Herr Dr. M <
in Kiel tagenden
Gesellschaft in se
detj Äbendfeste ,
reifende Park, (
balfc^hen Meere
gelier, die Anwes
ge:^*ungene Unte
jed^i der Anw^t^e
Das^otto^^ t e
Mestorf, Gehein
Tischler und Meyer, Frau Ladenburg und mich zu Einem
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Tische gerufen, und liier flog die Zeit in minutenlangen Stunden
vorüber, gewürzt durch Bchäuraendcn Wein und aniiuirte
Unterhaltung.
Stein, Bronze und Eisen! immer schwebten diese Worte
vor meiner Seele, wie ein geheimnissvolles Trimurti, das dort
am fernen Cimbernstrande aufgetaucht als ein die Urgeschichte
beherrschendes Phantom.
Stein, Bronze und Eisen! so ertönte es von hohem Norden
herüber und fand in allen Ländern der alten Welt einen mäch-
tigen Wiederhall. Es wuchs zu einem System empor, dem
alle Prähistoriker huldigten.
Es ist noch nicht so lange her — ich fasse hier nur
Ergebnisse früherer Forschungen als Einleitung meines eigenen
Berichtes zusammen — als man glaubte, das erste Metall, das
in Europa bekannt wurde, sei ausser dem Golde die Bronze
gewesen, welche durch die Kelten aus fernem Osten herüber-
gebracht und in Europa verbreitet wurde. Man identiticirte
die Bronze mit den Kelten, und überall, wo Bronze gefunden
wurde, glaubte man Kelten zu sehen. Aber die nähere
Forschung zeigte, wie unhaltbar derartige Ansichten gewesen
sind. Der Keltenschwindel schwand und machte der Erfahrung
und Beobachtung Platz.
Man füllte die Museen mit grossen Mengen von prä-
historischen Schätzen, man häufte Stein auf Stein, Bronze auf
Bronze und gerade den nordischen Museen gebührt das Ver-
dienst, das meiste Material für die Urgeschichte geschafft zu
haben. Stein und Bronze füllte die Museen, aber das Kisen
fehlte oder war wenig vertreten. In den Gräbern wurde es
oft gar nicht gefunden oder so unkenntlich, verändert und
mürbe, dass es bei der geringsten Berührung zerfiel. Und wer
jene durch ihren Reichthum wahrhaft imponirenden nordischen
Museen durchschritt, in dem musste die Idee erwachen, es habe
eine Zeit gegeben, w^o nichts als Steinwaffen und Werkzeug-e
aus Stein existirten und der Mensch die Metalle noch nicht
kannte, und eine Zeit, wo es nichts als Bronze gegeben und
alle Waffen und Werkzeuge nur aus Bronze verfertiget wurden,
denn Eisen und andere Metalle fehlten oft den alten Gräbern
und die Uebergänge der Formen deuteten darauf hin, dass
die eine Zeit — die Steinzeit — in die andere — die Bronze-
zeit — überging. Es musste daher — so schloss man — eine
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Steinzeit und dann eine Bronzezeit gegeben haben, denen erst
später eine Eisenzeit folgte. So entstand jenes Dreiperioden-
system von ganz voneinander getrennter Stein-, Bronze und
Eisenzeit, trotzdem, dass man in vielen als ausschliesslich der
Stein- und 'Bronzezeit zugeschriebenen Gräbern auch Eisen
fand oder es doch später nachgewiesen hat.
Lassen wir aber dieses Dreitheilungssystem für den
Norden immerhin gelten; denn die Verhältnisse desselben
waren so verschieden von denen des übrigen Europa, dass
man mit Recht sagen kann, was in Archaeologicis für den
viel jüngeren Norden gilt, hat fast keine Geltung für den
älteren Süden. Doch für das übrige Europa diese drei Perioden
anzunehmen, entspricht nicht mehr dem Stande der Wissen-
schaft und wenn noch heute die Forscher an dem System der
Dreitheiligkeit festhalten, so ist es nur der Zähigkeit zuzu-
schreiben, mit der auch in anderen Wissenschaften an lang-
gehegten Vorurtheilen festgehalten wird. In Süd- und Mittel-
europa kann man keineswegs behaupten, dass die Kenntniss
und Verwendung der Bronze der des Eisens vorangeschritten
ist; man könnte höchstens sagen, dass das Eisen nicht in
solchem TTebermaasse zur Verwendung kam, wie die Bronze.
Die Gründe hiezu konnten die mannigfaltigsten gewesen sein.
Wir wissen, dass in der alten Zeit das Eisen nie zum
Gusse verwendet worden ist, dass es immer nur gehämmert
und geschmiedet wurde, welche letztere Behandlungsart eine
grosse Fertigkeit erfordert, um brauchbare Waare zu erzeugen.
Wir wissen ferner, dass die Kenntniss des Stählens keine
allgemeine gewesen ist und nur einigen Völkern eigen war,
die sie gewiss, um sich das Monopol zu erhalten, als Geheim-
niss bewahrten. Wir wissen ferner, dass die Eisenwaare in
ihrer näheren Erscheinung weit hinter der, Jeden durch
ihren Glanz und ihre Farbe bestechenden Bronze zurück-
stand; und wenn wir noch berücksichtigen, dass im Alter-
thum das Eisen, obwohl bekannt, doch verkannt und raiss-
achtet wurde, wie es uns die Geschichte beweist, indem sie
uns erzählt, dass Eisen nur zu Aekergeräthen und unter-
geordneten Werkzeugen benützt wurde; so können wir uns
leicht erklären, warum Eisen hinter der goldblinkenden Bronze,
die vielleicht noch dazu durch einen regen Verkehr billiger
und leichter zu erringen war, als die durch mühsames Hämmern
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erzeugte Eisenwaare, weit zurückgesetzt wurde, insbesonders
dann, als man, wie Graf Wurm b ran d mit der Stahlbronze es
zeigte, gelernt hatte, die Bronze auch zu härten.
Es wird uns daher nicht Wunder nehmen, unsere Museen
zwar mit einer grossen Fülle von Bronze geziert zu sehen,
die Eisenwaare jedoch zu vermissen, die überhaupt unförmig,
missachtet, keinen anziehenden Anblick in einem Museum
gewährt und in manchen Museen gar nicht aufgestellt, sondern
in die Rumpelkammer verbannt wui*de.
Aber selbst von dem Standpunkte der Metallui^e ist
es absurd, die Kenntniss der Bronze vor der des Gisens zu
setzen. Die Grundlage der Metallurgie ist der Schmelzprocess
des Eisens und Kupfers, sagt Rougemont und mit Recht;
denn beide diese Metalle sind es gewesen, die ausser dem
Golde den Menschen am frühesten bekannt waren, da sie
beide in gediegenem Zustande auf der Erde vorkommen.
Wenn die Gediegenheit des Kupfers den Menschen zu dem
Gebrauche und der Verwerthung desselben verleitete, so musste
dies das Eisen viel früher und allgemeiner bewerkstelligt haben,
da es als Meteoreisen weit massenhafter über unseren Erdball
zerstreut gefunden wurde. Andeutungen hiefür gibt uns Homer
in seiner Iliade, wenn die Deutung der Worte : <76tov dturoxbwvc^
(roh selbstgeschmolzen) richtig ist.
Freilich sollte eine sogenannte Kupferzeit den gewaltigen
Sprung von Stein zur Bronze mildern, aber in Europa kennen
wir keine Kupferzeit, trotz der diesbezüglichen Bemühungen
der Magyaren. Diesen Sprung, der jeder naturgemässen all-
mäligen Culturentwickelung widerspricht, suchen andere da-
durch zu erklären, dass sie die Entwickelung der metallur-
gischen Kenntnisse nach Asien versetzen und die Kenntniss
der Bronze als durch arische Völker nach Europa eingeführt
annehmen, wogegen aber viele geschichtliche Momente sprechen.
Johann Perci und Hassenfratz, zwei berühmte Me-
tallurgen, weisen überzeugend nach, dass die Eisengewinnung
den einfachsten Process erfordert^ der überall, wo Eisenerz
sich findet, ohne grosse Culturentwickelung mit Leichtigkeit
durchgefiihrt werden kann.
Hassen fr atz glaubt, dass hiezu nicht gerade leicht
flüssiger Raseneisenstein nöthig ist, sondern dass auch schwer-
schmelzbare Eisenerze, wie Roth- und Brauneisensteine^ ver-
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wendet werden können. Er glaubt ferner, dass durch ein
derartiges primitives Verfahren stets Stahl erzeugt wurde, der
sich im heissen Zustande gut hämmern Hess. Und wenn auch
dieser Process ein complicirter wäre, so könne er doch noch
viel leichter ausgeführt werden, als ohne metallurgische Kennt-
nisse eine Legirung des Kupfers zu erfinden und zu erzeugen.
Die Erzeugung der Bronze hingegen erfordert in jedem
Falle ein sehr complicirtes Verfahren, sie setzt metallurgisches,
mineralogisches, geognostisches und technisches Wissen vor-
aus, ohne von den chemischen und physikalischen zu sprechen,
Kenntnisse, die nur durch reiche Erfahrung erworben werden
und mitunter viele Versuche nöthig machen.
Vorerst ist die HerbeischafFung des gediegenen Kupfers
mit weit mehr Schwierigkeiten verbunden, da das gediegene
Kupfer, und zwar als solches kenntlich, nicht häufig und nicht
in grossem Quantum in der Natur vorkömmt, wenigstens nicht
in solcher Menge, um den Bedarf für die viele Bronze zu
decken. Es mussten daher Kupfererze erkannt, ausgeforscht
und aufgesucht werden, die gewöhnlich keine grosse Aehn-
lichkeit mit Kupfer haben. Dieselben mussten bergmännisch
gewonnen werden, dann erfolgte die Schmelzung, bei den
Erzen die Isolirung des Kupfers und hatte man endlich durch
einen weiteren Process, der aus dem Rohkupfer ein brauch-
bares Kupfer macht, Kupfer erzeugt, so musste das Zinn auf-
gesucht werden, das aber in der Natur in gediegenem Zustande
nicht vorkömmt und im Erze nicht so leicht zu erkennen war;
und mit diesen Zinnerzen musste erst dieselbe Procedur vor-
genommen werden, wie mit den Kupfererzen. Durch eine
Reihe metallurgischer Processe konnte man auch erst zur Er-
kenntnisß der Legirung gelangen und durch eine weitere Reihe
zu der des quantitativen Verhältnisses der Mischung, die nöthig
war, um eine dem Zwecke entsprechende Bronze zu erzeugen.
Hatte man nun endlich Bronze erzeugt, so waren erst wieder
technische Kenntnisse und Handgriffe nöthig, um ihr die ge-
wünschte Gestalt zu geben, es musste das Formen, das Giessen,
das Ciseliren und Poliren entdeckt und gelernt werden.
Wenn man dagegen die Eisenbereitung in Betracht zieht,
so gelangt man zur Ueberzeugung, dass es viel einfacher und
in der Natur der Sache begründeter ist, das Eisenerz, das sich
durch seine Schwere und oft durch den Metallglanz, wie der
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Magnetit, Eisenglanz, Glaskopf u. s. w. verräth, za schmelzen
und das Sclimelzgut zu hämmern, um ihm mit einiger Ge
Bchicklichkeit die beliebige Form zu geben. Die Krkenntnisd
des Eisens liegt schon in der Beschaffenheit des Meteoreisens,
aus welchem noch gegenwärtig einige Völker Afrikas und die
der arktischen Regionen ihre Pfeilspitzen und Werkzeuge
schmieden.
Nach dem Gesagten ist es daher billig, anzunehmen, dase
die Kenntniss des Eisens der der Bronze vorausging.
Eine mächtige Stütze dieser Annahme finden wir in der
Geschichte selbst.
Nach einer Tradition hatten die Chinesen schon vor
mehr als 2000 Jahren v. Chr. alle Metalle gekannt; diese
Tradition schreibt dem mythischen Kaiser Ho-ang-ti die Ent-
deckung der Magnetnadel zu *). Die ältesten Bewohner Chinas,
die von den hundert Familien vertriebenen Miao-tse hatten
Beile von Eisen und der Tribut, den die Völker der tibe
tanischen Grenze vor mehr als zweitausend Jahren dem mythi-
schen Kaiser Ju brachten, soll aus Eisen und Stahl bestanden
haben.
Dass in Indien die Eisenluppe, wie Grimm angibt, eine
Rolle im Cultus spielte, setzt die Kenntniss des Eisens in eine
sehr frühe Zeit, nicht minder ein episches Gedicht, das von
den Meistern des Ribhus spricht, die die eiserne Keule des
Indra schmiedeten, wie Sendri, der schwarze Elfenkönig den
Eisenhammer des Thor und Hephaestos den eisernen Donner-
keil des Zeus. Zur Zeit Ktesias war der Stahl (woots) be-
kannt, ja selbst das Damasciren der Klingen soll aus Indien
stammen und durch Diocletian nach Damascus und von da
später durch Tamerlan nach Samarkand und Khorassan ge-
bracht worden sein. An vielen der ältesten Steinbauten Indiens
soll man die deutlichen Spuren eiserner Werkzeuge nachge-
wiesen haben, und sollte sich die Ansicht Dr. Marchcsetti's
als richtig erweisen, nach welcher er die scharfen und glatten
Schnittflächen an den verkiesten Stämmen eines unter Trapp
und Laterit liegenden Waldes in der Provinz Sattary eisernen
Werkzeugen zuschreibt, so miisste die Kenntniss des Eisens
in Indien in das allerhöchste Alterthum versetzt werden. Hiefiir
•) Gützlaff, Geschichte von China p. 21.
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nicht ungünstig spricht das äusserst einfache und primitive
Verfahren bei der Schmelzung der Eisenerze in Indien^ von
dem anzunehmen ist, dass es in die urälteste Zeit reicht.
Nach Hooker, den Host mann anführt, wird im Non-
kreenthale des Khasiagebirges weder ein Ofen, noch Herd,
noch Flussmittel benützt. Neben einer schiefgestellten Stein-
platte, die an der unteren Seite ein l^och besitzt, wird ein
Kohlenfeuer angezündet und darauf das Bohnenerz geschüttet,
in das Loch wird eine Düse eingesetzt und mit einem Blase-
balg aus Häuten hineiugeblasen. Ist das Eisen geschmolzen,
so wird es aus dem Feuer herausgezogen und geschmiedet.
Ebenso einfach ist nach Cravost das Verfahren der Birmanen,
das darin besteht, dass sie am Rande eines senkrechten Ab-
hanges einen zehn Fuss tiefen runden Schacht graben, die
äussei-e freie Wand desselben mit hölzernen Pfeilern stützen,
um das Einstürzen zu verhindern, und am Grunde dieser
Grube eine Oefihung nach Aussen machen, welche sie mit
Lehm verschmieren und in derselben zwanzig kleine Röhrchen
einlegen, um einen Luftzug zu erzeugen. Hierauf wird der
Schacht zuerst mit brennendem Holze, dann mit abwechsebi-
den Lagen von Erz und Kohle gefüllt und nach acht Stunden
die Schlacke und zuletzt das halbgeschmolzene sehr unreine
Eisen herausgenommen^ das, geschmiedet, von grosser Vor-
züglichkeit sein soll.
Als die ältesten Eisenschmiede wurden die Chalyber be-
trachtet, die schon im eilften Jahrhundert v. Chr. im Besitze
der Kenntniss des Eisens gewesen sein sollen. Im Jahre 606
V. Chr., zur Zeit, als Ninive zerstört wurde, blühte bei ihnen
die Eisenindustrie sehr. Sie verfertigten wohl Waffen aus
Bronze, aber die Geräthe, die sie in Handel brachten, waren
aus Eisen, wie die Pflugscharen, Ketten, Ringe, Hacken, Keil-
hacken, Hämmer und Lanzenspitzen, sie lieferten den Völkern
am Kaukasus und Pontus, den Amazonen und Sarmaten u. A.
die stählernen Schuppenpanzer und die Bipennis (Doppelaxt),
welche letztere Waffengattung, von da sich zu den Assyrern,
Persern, Parthern, Massageten und Saken ausbreitete und
endlich nach Rom gelangte, um dort als Lictorenbeil eine
Rolle zu spielen.
Noch deuten die vielen Spuren uralter Schmelz- und
Schmiedestätten in dem Lande jener ältesten Eisenschmiede
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296
auf eine lange und ausgebreitete Industrie und Place fand in
Khorembad, im Lande Kurdistan, eine Mauer von drei- biß
viertausend Kilogramm Gewicht, die aus übereinander ge-
schlichteten eisernen Werkzeugen bestand.
Von den Chalybern ging die Eisenschmiedekuust auf
die Assyrier, Chaldäer, Juden und Phönicier über.
Tubalkain wurde der Bibel nach als Entdecker des Eisens
bezeichnet, und schon vor Josuas und Moses Zeit verfertigten
die Hebräer Gefösse und Werkzeuge aus Eisen. Moses spricht
von dem Lande Palästina, wo die Steine Eisen sind. Das Eisen
war bei den Juden ein wenig geachtetes Metall und durfte
beim Tempelbau nur zu Nägeln und Riegeln verwendet werden.
Jeremias spricht von dem Eisen des Nordens, dem Stahle der
Chalyber, der Pahldah hiess und dessen im achten Jahrhundert
V. Chr. auch vom Propheten Nahum Erwähnung geschieht. Die
Keniter,* die im Süden von Palästina wohnten, waren Schmiede
und ihre Berge reich an Eisenerz; sie lieferten den Juden
nach ihrer vierzigjährigen Wanderung die eisernen Geräthe,
sowie die Kencziter, Luditcr und Hethiter. Lud, die Stadt der
Schmiede, lag an der Grenze der Philister, die darüber wachten,
dass den Hebräeni ausser eisernen Geräthen, wie Ackerwerk-
zeuge, Hauen, Sichel, Beile, Nägel, Treibstachel u. s. w. keine
Waffen geliefert wurden. Von Eisen war auch das Beil, das
dem Elias entwendet wurde.
Die Kosmogenie der Phönizier bezeichnet sowohl Baal,
als auch die zwei Himmelssöhne, Venator und Piskator, als
die Entdecker des Eisens. Im siebenten Jahrhundert v. Chr.
war Tyrus in seiner Blüthe und der Markt überfüllt von Eisen-
waare; besonders zeichnete sich Sardes vor allen Städten in
der metallurgischen Kunst aus. Glaucus, ein Schüler von
Sardes, soll für den König Alyattes, der ums Jahr 600 v. Chr.
regierte, eine Vase von geschmiedetem Eisen gearbeitet haben,
die als Opfergabe nach Delphi geschickt wurde.
Und nicht nur nach Süden, sondern auch nach Norden,
Osten und Westen breitete sich die Kenntniss des Eisens aus.
Die Finnen und Tataren kannten nur Gold und Eisen,
welch letzteres sie geschickt zu bearbeiten wussten. Es wurde
in Fülle in Ferghana am oberen Jaxartcs in den Morästen des
Urals Uwalli gefunden und das Paradies der dortigen Türken
und Mongolen versetzten diese Völker in ein Thal, umgeben
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von eisernen Felsen. Ein jährlich wiederkehrendes Fest feiert
das Andenken an die Entdeckung des Eisens und bezeichnet
den Stammvater des Helden Gengis Khan als Schmied. Noch
knüpft sich bei den Finnen des Ostens, den Lievländern, Esthen
und Lappen eine Sage an die Entdeckung des Eisens.
In der Bucharei waren es die Serer, die ihres guten
Eisens wegen berühmt waren, das sie bis an die Küsten des
indischen Oceans brachten, von wo eg nach Rom gelangte;
sie waren die Lehrer der tatarischen Schmiede und von ihnen
ging diese Industrie auf die Kilaks, die gut damasciren, die
Jakuten, die gut stählen, die Burieten und Kalmüken, die mit
Silber einlegen konnten, und auf die Arinser und Omoker über.
Spuren uralter Eisenschmelz'ereien findet man noch in
den abgelegensten Gegenden Sibiriens und des Himalajas, wo
auch noch gegenwärtig Eisenindustrie betrieben wird.
Nach Wedewer soll die Kenntniss des Eisens dtirch die
Arier nach dem Westen gebracht worden sein, denn die Arier
sollen eiserne Beile gehabt haben.
In KJeinasien wollen die Dactylen und Korybanten,
Priester der Kybele, das Eisen der Sage nach in Folge eines
Waldbrandes auf dem eisenreichen Berge Ida entdeckt haben,
von wo die Kenntniss desselben auf die Inseln des ägeischen
und Mittelmeeres und von da nach Griechenland gelangt
sein soll.
Noch weiter zurück können wir die Kenntniss des Eisens
in Afrika verfolgen. Das Eisen spielt schon in der Mythologie
der Aegyptier eine Rolle und lässt sich dadurch in den Ur-
anfang der ägyptischen Cultur versetzen; so wurde das Eisen-
erz, das nach Vappaeus in den Nilthälern vorkommen soll,
als Knochen des Horus, das Eisen selbst als Knochen des
Typhon bezeichnet. Die Aegyptier vergötterten den Hephaestos,
der sie den Gebrauch des Eisens zu Werkzeugen und WaflFen
lehrte. Weit könnten wir aber auch sonst, ohne Bedenken,
die Kenntniss des Eisens und Stahles in Aegypten in die
urälteste Zeit zurückführen, denn kaum ist es anzunehmen,
dass die in den harten Granit, Syenit und Porphyr gemeisselten
Steinbauten, die aus diesen Steinen gearbeiteten Sculpturen,
die zahlreichen scharfen Basreliefs mit Steinwerkzeugen, und
mögen sie aus Quarz, Feuerstein und Wüstenachat bestanden
haben, ausgeführt worden sind, denn hiezu eignet sich dieser
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spröde Stein am allerwenigsten, die Bronze aber, selbst wenn
man sie auch härten konnte, hatte nie eine derartige Härte
eiTcicht, um wie Stahl so harte Felsen zu bearbeiten, wenigstens
ist eine solche Bronze noch nie gefunden worden.
Man hat ferner angenommen, dass durch Reiben mit
quarzigen Steinen die Felsen konnten bearbeitet werden und
führt als Beispiel die skandinavischen Helleristninger an. Wenn
auch die Möglichkeit- nicht abgesprochen werden kann, dass
Gravirungcn auf diese Art entstanden sein konnten, so kann
dies doch nicht von den scharfen Basreliefs und Sculpturen
gelten. Diejenigen Helleristninger, die ich in Norwegen ge-
sehen, waren zwar nicht in Granit, sondern in Thonschiefer
ausgemeisselt und nicht ausgewetzt.
Auf den ägyptischen Basreliefs sieht man oft Speerspitzen,
Kriegsbeile, Schneidewerkzeuge mit blauer Faibe gemalt, was
auf den blauen Stahl (kyanos) schliessen lässt, und wenn Einige
einwenden, dass diese Gegenstände auch in anderer Farbe dar-
gestellt gefunden wurden, daher die blaue Farbe nicht gerade
auf den Stahl deutet, so ist doch ein Wandgemälde aus der
Zeit der Hyksos, auf welchem ein Fleischer sein blaues Messer
auf einem blauen Gegenstande schleift, so charakteristisch, dass
man gar nicht das alte hebräische Sprichwoi*t: „Eisen schärft
wieder Eisen", anzuführen braucht. Die ältesten Basreliefs
mit blauen Waffen sollen aus dem vierzehnten Jahrhundert
V. Chr. stammen^ zu welcher Zeit auch schon die Lybier
eiserne Waffen hatten. Im eilften Jahrhundert v. Chr., zur
Zeit des Königs Merinptah, hatten auch die Maslhawasc eiserne
Schwerter und die Schwerter der fremden Hilfstruppen der
Schardana sollen von Eisen gewesen sein, wie es aus den
Basreliefs zu erkennen ist. Als Josua Jericho eroberte, fajid
er eiserne Vasen, die in der Form mit jenen auf den Mauern
der ägyptischen Paläste übereinstimmten, und Herodot spricht
von den eisernen Waffen, die in Acgypten unter Psammetich
im siebenten Jahrhundert v. Chr. bekannt gewesen sind.
Wenn wir unsere älteste Culturcntwickelung mit jener
der jetzigen Wilden in Einklang bringen und Analogien daraus
zu ziehen uns berechtigt fühlen, auf welche wir uns stützen
zu können glauben, so linden wir den schlagendsten Beweis
der Priorität des Eisens bei den Völkern Afrikas. Doii: hat es
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nie eine Bronzezeit gegeben und dem Steine folgte das Eisen,
ein in der Cultureutwickelung eines Volkes naturgemässer Gang.
Hostmann nimmt an, dass die Völker Afrikas das Eisen
selbst entdeckt haben , und glaubt einen Beweis in dem
höchst einfachen Verfahren der Eisenschmelzerei zu finden,
welches diese Völker noch heutzutage beobachten. Dieses Ver-
fahren beschreibt Lubbock, indem er Kolben anführt, von den
Hottentoten folgendermaassen : „Sie graben an einer erhöhten
Stelle ein Loch in die Erde, das gross genug ist, um eine ge-
hörige Menge Eisenstein zu fassen, der sich überall im llotten-
totengebiet in grosser Menge findet. In diesem Loche soll
das Eisen aus dem Erze geschmolzen werden. Ungefähr andert-
halb Fuss von dieser Grube entfernt, machen sie eine zweite
etwas kleinere, tiefer gelegene Höhlung. Diese ist dazu be-
stimmt, das geschmolzene Eisen aufzunehmen. Dasselbe fliesst
durch einen engen, die beiden Gruben verbindenden Kanal
hinein. Ehe sie den Eisenstein in das Loch thun, in welchem
das Eisen durch Schmelzung aus dem Erze gewoimen werden
soll, unterhalten sie in demselben ein Feuer und erhitzen
dadurch die Erdwand der Grube bis an den Rand. Scheint
die Erde heiss genug, so füllen sie fast die ganze Grube mit
Eisenstein aus. Dann zünden sie über demselben ein grosses
Feuer an, das sie von Zeit zu Zeit mit neuem Brennmateriale
versorgen, bis alles Eisen geschmolzen und in das kleinere,
für diesen Zweck gegrabene Loch gelaufen ist. Sobald das
Eisen in dieser kleinen (jirube erkaltet ist, nehmen sie es heraus
und schlagen es mit Steinen entzwei. Die so erhaltenen Stücke
erhitzen sie gewöhnlich in anderen Feuerstätten, klopfen sie
mit Steinen zurecht und formen Wafl*en daraus".
Eine derartige Eisenbereitung finden wir bei den Negern
am Zambesi, von Guinea, bei den Aschantis, Bambaras, Ma-
rutzi, Baris, Laktukas, am Albert-Nyanza, bei den Mandaranen,
Manganja, in Goela, Wäddi, Sokötan, Sudan u. s. w.
Um so unwahrscheinlicher ist die Annahme, die Kenntniss
solcher Eisenschmelzung stamme aus Indien und die Eisen-
bereitung der Madagassen von den indischen Inseln her, als
Pott's linguistische Forschungen das Gegentheil bewiesen. ')
In der Gleichartigkeit der Gebläse Vorrichtung glaubte man die
*) Hostmann, Arch. f. Anthrop.. 8. Bd., 299.
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Beweise für jene Annahme gefunden zu haben , indem die
Afrikaner mit Schläuchen, wie die Indier, die Madagasden
mit Bambuscylindern in die Schraclzgruben blasen , wie die
Völker auf Sumatra, Java, Borneo u. s. w. Für die einhei-
mische Entwickelung des Schmelzens des Eisens in Afrika
spricht auch noch der Umstand, dass der Stahl Ostafrikas
im zehnten Jahrhundei*t nach den sundischen Inseln gebracht
wurde und noch jetzt das Material zu den persischen Khorasan-
klingen liefert.
Die Schmiedekunst ist noch heutzutage in Afrika, wie
in älteren Zeiten bei uns in Europa, das Monopol gewisser
Familien oder Stämme. Die Schmiede selbst werden mit
abergläubischer Furcht betrachtet, sie gelten als Fremdlinge,
als Wahrsager, Zauberer und Heilkünstler.
Gehen wir nun auf Europa über, so ist es, wenn wir
auch eine selbstständige Erkenntniss des Eisens nicht ganz
ausschliessen, wahrscheinlich anzunehmen, dass die Kenntniss
des Eisens und die Kunst, dasselbe zu bereiten, die in Asien
und Afrika in eine so hohe Zeit hinaufreicht, durch die ein-
gewanderten Völker gewiss in ältester Zeit hier verbreitet
wurde. Ob man nun annimmt,, dass sie von Kleinasien, den
Inseln des ägeischen Meeres und dem Pontus zu den Griechen
gewandert sei oder aus I-«ybien, wie Einige annehmen, schon
im vierzehnten Jahrhundert v. Chr. in Europa bekannt ge-
worden ist, bleibt sich gleich ; gewiss ist es, dass die Griechen
das Eisen schon bei ihrer Einwanderung kannten, sonst hätten
sie es nicht in ihre Mythologie aufgenommen. Kronos Hess
eine blauschimmernde Sichel von Stahl anfertigen und schenkte
diese nebst einem Helme, Panzer und Schwerte aus Eisen
dem Herkules, der auch nebstbei Bronzewaflfen trug. Die
älteste Waffe, die Keule des Arathous und der Pfeil des Pan-
dorus, welche beide ein Geschenk der Götter waren, bestanden
aus Eisen und der Panzer, den Cinyras dem Agamemnon
schenkte, war nach Homer aus blauem Kyanos. Die Griechen
zählten das Eisen unter die drei Metalle, die vom Himmel
fielen, das Elektron (das Gold), das Aurichalkon (die Bronze)
und den Kyanos (der Stahl), der wegen seiner Härte auch
der Unbezwingliche (Adamas) genannt wurde. Auch schrieben
sie dem Eisen eine geheime Kraft und zauberische Wirkung
zu ; aus Eisen waren die samothracischen Zauberriiige und die
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magischen Zauberkreise wurden durch dasselbe gezogen; es
galt für ein kräftiges Heilmittel.
Dass die Griechen eiserne Schwerter neben den bron-
zenen hatten und die letzteren erst, als sie das Giessen gelernt,
im siebenten Jahrhundert v. Chr. in Anwendung brachten, hat
Hostmann gründlich bewiesen. Sie kannten vor dieser Zeit
die Bronzeschwerter nicht und mussten daher geschmiedete
WaflFen von Eisen oder Kupfer gehabt haben und es kann
kaum angenommen werden, dass ihnen die Eisenwaare unbe-
kannt gewesen ist, da sie doch höchst wahrscheinlich durch
die asiatischen Völker, welche in der Erzeugung derselben eine
Berühmtheit in ältester Zeit erlangten, davon Kenntniss er-
halten mussten.
Die Schutz- und Trutzwaffen der Lacedämonier bestan-
den aus in Stahl verwandeltes Eisen vom Taygetus, und für
Aeschylus und Pindar ist Eisen gleichbedeutend mit Schwert;
Eisen tragen ist nach Thukydides soviel wie Waffen tragen
und Xenophon einvähnt der Eisenindustrie, die bald eine selbst-
ständige Stellung erlangte.
Auch durch die Archäologie wird das hohe Alterthum
des Eisens in Griechenland bestätiget.
In Pästum fand man unter den Mauern des Neptun-
tempels ein Schwert, eine Lanzenspitze, eine Partisane und
eine Trense von Eisen. Wie alt diese Waffen und Geräthe
sein mussten, leuchtet aus dem Umstände, dass Pästum schon
im dritten Jahrhundert v. Chr. in Verfall war. Ein Grabmal
eines Skythenkönigs in Panthicapäum aus dem fünften Jahr-
hundert V. Chr. enthielt ein eisernes Schwert und in einem
Grabe auf Kerameikos fand nwin mit attischen Vasen aus dem
achten Jahrhundert v. Chr. ebenfalls ein schilfblattförmiges
Eisenschwert. Die Schliemann'schen Eisenfunde vom Berge
Hysarlik und Mykenae, welche er einer jüngeren Zeit aus dem
Grunde zuschreibt, weil sie eben aus Eisen bestehen, sind
hinreichend bekannt.
Es ist durchaus kein Zweifel , dass noch vor der Er-
bauung Roms den Liguren, Etruskern, Umbem und Latinern
das Eisen bekannt war, dies beweisen die Funde von Bologna.
Das Eisen der Insel Elba (Ilva) brachten die Etrusker in
Klumpen von der Form grosser Schwämme nach Populonia und
Arretium, welche Städte im zweiten punischen Kriege durch
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ihre eisernen Schilde* und Beile berühmt waren. Noch unter
Ilonorius war der Eisensteinbergbau auf II va im Gange und
nach Livius war die AngriffswafFe der Römer im sechsten
Jahrhundert v. Chr. unter Servius Tullius aus Eisen. In
Italien waren es vorzugsweise die Gruben an den Küsten noch
zu Aristoteles' Zeit, wo Eisenbergbau und Eisenschmelzerei
betrieben wurden. Zur Zeit des Polybius hatten die Römer
schon das iberische Stahlschwert und eiserne Helme und Panzer.
Auch bei den Latinern war das Eisen ein missachtetes
Metall, es durfte nie zu Cultuszwecken verwendet werden und
war bei den Römern stets der Bronze nachgesetzt. Im Jahre
696 wurde erst gestattet, dasselbe bei dem Ausbessern der
sublicischen Bauten zu benützen und Porsenna, allerdings aus
Furcht von der Rache der Römer, hat im Jahre 508 v. Chr.
die ausdrückliche Bestimmung erlassen , das Eisen nur zu
Ackergeräthen zu gebrauchen *). Es wurde selbst, wie die
ältesten Schriftsteller der Römer angeben, zu Schreibgriffeln m
verwenden verboten. Pompejus hat jedes eiserne Geschoss in
Rom untersagt und der Künstler Aristonidas mischte die Bronze
für die Statue des Athanius mit dem unedlen Eisen , damit
dieses durch den rothen Rost die Schamröthe des Athanius
über die Schandthat, seinen Sohn Learchus an einem Felsen
zerschmettert zu haben, andeuten möge 2). Plinius schildert das
Eisen, als -ein heimtückisches Metall, das hauptsächlich nur zu
Schuhnägeln und Ackerbaugeräthen zu verwenden sei. Er
kannte den Process des Eisenschmelzens, die Härtemethode,
das Renn- und Zerren nverfahren und unterschied weiches,
brüchiges und erziges Eisen. Anderseits aber hebt er seine
Härte hervor und rühmt es als ein kräftiges Heilmittel. Die
von Alcon aus Eisen gefertigte Statue des Herkules sollte
durch das Metall die Geduld und Ausdauer bezeichnen ; es
wurden in den Tempeln des Mars eiserne Becher geweiht,
denn das Eisen schrieb man dem Mars zu, und ein eiserner
Ring an dem Finger eines Kriegers bedeutete die Ausdauer
und Tapferkeit, und darum erhielt auch die römische Braut
einen eisernen Ring, der die feste Treue und Geduld be-
zeichnete.
1) Plinius 34, 39.
2) Plinius 34, 40.
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Jedenfalls kannten die Römer nicht das Stählen und bezogen
daher ihre 8chwerter von den Norikern, Galliern und Iberern,
sonst hätte Manlius sein römisches Schwert im Einzelnkampfe
nicht mit einen stählernen gallischen (iberischen) vertauscht.
Berühmt wegen ihrer Aus celtiberischera Stahle gefertigten
Schwerter waren die Iberer und südlichen Gallier. Auf den
Balearen hatten die Ersteren in älterster Zeit Pfeilspitzen,
die Lusitanier Wurfspeere aus Eisen und nicht nur zur Waffe
wurde bei ihnen dasselbe benützt, sondern auch zu Schmuck-
gegenständen. Ihre Frauen trugen eiserne Halsketten, Arm-
ringe u. s. w. Auf den ältesten Gebrauch deutet die Sage,
nach welcher die Lusitanier als Entdecker des Eisens genannt
werden, die ihren Schwertern dadurch die Härte geben, dass
sie sie auf mehrere Jahre in die Erde vergraben ^), wie es
nach Bekmann auch die Japanesen thun. Der beste iberische
Stahl war von Bilbelis, an einem Nebenflusse des Ebro, be-
kannt, wo noch heute, besonders von den Biskajern sehr guter
Stahl bereitet wird.
Nach geschichtlichen Quellen haben auch die gallischen
Völker, die Bituriger, Petrocorier und Caleten viel Eisen-
industrie getrieben, welche ihre Spuren zurückgelassen hat in
Form von grossen, weit verbreiteten Schlackenhalden, die in
der Gegend, wo diese Völker sassen, noch sehr zahlreich zu
finden sind. Das vorrömische Eisenwerk Ferneres lag in dem
Lande der Bituriger, und Perigord wird als Sitz der gallischen
Eisenindustrie genannt. Die an der Seine sitzenden Caleten,
die durch ihre eigenthümlichen, den Regenbogenschüsselchen
Böhmens ähnliche Münzen das Interesse erregten, hatten nicht
nur ausgedehnte Schraelzereien, sondern trieben auch ausge-
breiteten Eisenhandel, der bis an die sudetischen Berge reichte.
Wenn auch die Schwerter der cisalpinischen Gallier aus
weichem Eisen bestanden, die sich beim ersten Hiebe um-
bogen, wie es in der Schlacht mit den Römern unter Brennus
geschah, so weist dies darauf hin, dass sie das Stählen des
Eisens wie ihre Nachbaren die Iberer einerseits nicht kannten,
ihnen anderseits die viel härteren Bronzeschwerter entweder
unbekannt oder für sie schwer zu erlangen waren, sonst hätten
sie diese den weichen Eisenschwertern vorgezogen.
1) Diod. 5, 33.
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Roügemont ist der Ansicht, dass bei den G^Älliem die
Kenntniss der eisernen Schwerter nicht über 600 Jahre v. Chr.
hinausgehe, schliesst aber dabei nicht aus, dass eiserne Waffen,
wie Lanzenspitzen und Werkzeuge auch viel früher im Ge-
brauche gewesen sein konnten.
So wie in Gallien haben auch die Völker der nahen
Schweiz, wie es die sehr vielen Spuren zeigen, ausgedehnte
Industrie betrieben, und wenn Roügemont die Entdeckung der
Eisenminen den Phöniziern darum zuschreibt, weil dort
phönizische Handelsstrassen führten, so ist, glaube ich, dies
noch kein ausreichender Beweis.
Quiquerez hat im Berner Jura über vierhundert Eisen-
giessereien entdeckt und drei Arten von Schmelzöfen nachge-
wiesen^ die eine fortschreitende Verbesserung zeigten, also auf
eine sehr lange Dauer dieser Industrie schliessen lassen. Nach
seiner Berechnung des Verhältnisses der jährlichen Zunahme
des Torfes würde sich ein Alter von fast viertausend Jahren
ergeben.
Aehnliche Schlackenhalden hat Nauille auf dem eisen-
reichen Berge Salfeve bei Genf gefunden, die drei Zoll hoch
mit Humuserde bedeckt sind und wo noch die Gräben zum
Ablaufen des Metalles zu sehen sind.
In dem aufgeschütteten Boden der Töpfereien der Vend^e
unterscheidet man mehrere Lagen Scherben; in der untersten
fand man Scherben mit geschliffenen Steinwerkzeugen, in der
mittleren grobe Scherben mit eisernen Lanzenspitzen und Drei-
zacken, und in der obersten Lage Scherben von Gefassen aus
Terra sigillata und Bronzespuren. Daraus ist zu ersehen, dass
hier das Eisen der Bronze vorausging.
In den Dolmen Galliens, welche man in eine sehr frühe
Zeit versetzt und meistens der Stein- und Bronzezeit zu-
schreibt, fand man nicht selten Eisen und selbst eiserne
Waffen, wie z. B. in den Dolmen Roskoffs (Morlaix, Finistfere),
worin ein Schwert von Eisen neben einem Beile aus Bronze
lag. Sehr interessant ist ein riesiger kreisrunder Dolmen im
Arondissement von Chatcaudun (Eure und Loire), bei la Planche
de Beaumont, in dessen Deeksteine zwei kleine Löcher ein-
gebohrt sind, in welchen noch abgebrochene Stücke des zum
Bohren verwendeten Eisens stecken.
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Ueber diese vielsprechenden Thatsachen aber half man
sieh leicht hinweg, indem man behauptete, dass jene Dol-
men, die £isen enthielten, die jüngeren seien, und in die Eisen-
zeit fallen.
Berühmt waren die Noriker seit uralten Zeiten ihres
vortrefflichen Eisens wegen, und die Untersuchungen lehrten,
dass schon in vorrömischen Zeiten dort Eisenindustrie betrieben
wurde. Sie hatten mit ihren Brüdern in den Karpathen, sagt
Rougemont die Kenntniss der Eisenbereitung entweder durch
die Agathirsen von den Chalybern erhalten oder bei dem Eisen-
stein reichthum in ihren Bergen selbst erfunden und waren als
geschickte Eisenschmiede bekannt, denn ihre Eisenschwei-ter
gelangten im dritten Jahrhimdeii; v. Chr. in Kom zu grosser
Berühmtheit.
Fast in den meisten Gräbern, die in der Zeit mitunter
weiter zurückreichen, als manche der älteren Bronzezeit, hat
man beinahe stets neben den in Form und Stil der echten
Bronzezeit angehörigen Bronzeobjecten mehr weniger Eisen ge-
funden.
Aber auch da hatten die Systematiker einen Ausweg
gefunden ; des gleichen Stiles, der an den Eisen- und Bronze-
objecten zu finden war, und des Zusammenvorkommens beider
wegen, konnten die Eisengeräthe nicht in eine spätere Zeit
gerückt werden, sie mussten in die Bronzezeit eingereiht wer-
den, aber da dieselben viel seltener und in Minderzahl ge-
funden wurden, hat man daraus den Schluss gezogen, dass
Eisen noch selten war und daher weniger in Verwendung
kam, daher müssen die Eisensachen in eine Uebergangsperiode
aus der Bronze in die Eisenzeit gesetzt werden, und diese
Zeit nannte man die ältere Eisenzeit. Ob man nun zu diesem
Schlüsse berechtigt war, lasse ich dahingestellt sein ; ich meiner-
seits glaube nicht daran, da die ausserordentlich entwickelte
Technik der Eisenwaare, eine sehr genaue und lange Bekannt-
schaft mit der Erzeugung und Behandlung des Eisens vor-
aussetzt, und dieses als untergeordnetes Metall nur zu Ge-
räthen, Werkzeugen und seltenen Waffen verwendet wurde,
während Luxusgegenstände stets aus Bronze oder Gold ge-
fertigt wurden.
Die Erfahrungen, die Baron Sacken bei seinen Unter-
suchungen in Steiermark, Hallstatt, Böhmen u. s. w. machte,
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scheinen ihn zu dem Ausspruch bewogen zu haben, dass nach
seinem Ermessen bei dem Dreiperiodensystem nicht so sehr
das Material berücksichtigt werden sollte, als der Stil, nach
welchem die Gegenstände mit Bronzestil in die Bronzezeit,
jene mit nach ihm genanntem germanischem Stile in die Eisen-
zeit, und die Eisensachen mit Bronzestil aber in eine Ueber-
gangszeit, die ältere Eisenzeit, versetzt werden sollten '). Ich
glaube in diesen Worten das Grabgeläute dieses Dreiperioden-
systems zu hören, da man kaum den Stil in Zusammenhang
mit dem Material bringen kann.
Wenn Rougemont behauptet, dass die Noriker ihre
Bronzezeit gehabt haben aus dem Grunde, weil dieselben
Alterthümer, das Schwert, der Dolch, das Messer und der
Celt aus Bronze in Verbindung mit denselben Sachen aus
Eisen sich finden, und die Formgleichheit dieser Sachen, von
denen die einen aus Eisen, die anderen aus Bronze bestehen,
es bestätiget, dass dasselbe Volk, welches lange (?) Zeit das
Kupfer mit Zinn legii*te, das Eisen nach demselben Muster zu
bearbeiten wusste '^), so glaube ich darin einen Trugschluss zu
sehen, den man auch mit gleichem Rechte umkehren könnte.
Graf Wurmbrand fand in Steiermark Gussstätten aus
römischer und andere aus torrömischer Zeit, wie es sich aus
der BeschaflFcnheit der Urnenscherben ergibt. Er fand auf
dem sogenannten Hüttenberge an vielen Stellen uralte gras^
bewachsene Schlackenhalden, welche so eisenreich sind, dass
sie wieder zum Eisenschmelzen hie und da benützt werden
können. In diesen Schlackenhaufen wurden in vier Schuh
Tiefe mit römischen Scherben und Münzen die Reste alter
kleiner Schachtöfen gefunden, von vier bis sechs Schuh Höhe
und drei bis vier Schuh Breite, die aus zusammengelegten
Steinen, welche innen mit Lehm ausgekleidet waren, bestehen.
Am Boden befindet sich der Sumpf zur Aufnahme des Eisens,
und an der Seite eine mit Lehm verschmierte Oeffnung zum
Ausräumen des Eisenklumpens; für den Luftzug diente ein
Kanal, der später vielleicht durch eine Blasevorrichtung er-
setzt, deren Spitze in eine Thonröhre eingesetzt wurde. Solche
1) Dr. Freih. v. Sacken, das Grabfeld yon Hallatatt p. 130.
2) Rougemont, Die Bronzezeit p. 401.
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Thonröhren mit angeschmolzenem Ende sind mehrfach ge-
funden worden.
Die zweiten vorrömischen Schmelzstätten in Ilüttenberg
enthielten keine Oefen, sondern bilden blos Gruben, von
welchen zwei in Münnichsdorfer's Abhandlung folgender-
massen beschrieben werden: .
„Beide (Gruben) befinden sich in Schotterboden mit Roll-
steinen von ein bis ein einhalb Cubikfuss Grösse. Die obere
Grube ist an der Sohle ein einhalb Zoll stark mit Kohlen-
lösche, darüber mit einer zehnzölligen Lehmschichte blauen
Thons, wie er in nächster Nähe ansteht, ausgestampft. Die
Lehmschicht zeigt sich auf drei Zoll nach innen rothgebrannt.
Der Raum der Ginibe über der Lehmschicht mit zwei Fuss
Höhe , fünf Fuss Durchmesser, ist von rothgebrannter, mit
Quarzkörnern gemischter Lehmmasse ausgefüllt."
„Die zweite, sechszehn Fuss von der oberen entfernte
Grube zeigt die sechs Zoll dicke, vom Feuer rothgebrannte
Lehmschicht, darüber die mit Quarzkörnern gemischte, ge-
brannte, feuerfesten Ziegeln ähnliche, zwölf Zoll dicke, rothe
Lehmmasse, welche vom Rande der Grube auf drei Zoll nach
innen vollkommen verkrustet und verschlackt ist. Der Raum
ist wie bei der ersten mit gebrannter Lehmmasse, überdies
noch mit verschlackter Masse ausgefüllt, hat drei Fuss Höhe
und vier Fuss Weite. Diese innere Ausfüllung der beiden
Gruben kommt von den über den Schotterboden hinausragend
gewesenen, künstlich hergestellten, nun eingestürzten Gruben-
wänden, so dass man die Grube circa um einen Fuss höher
annehmen darf. Unter der Lehmschichte ist der Schlacken-
boden auf einem neun Zoll breiten concentrischen Ring roth-
gebrannt" *).
Mehrfaches Verdienst hat Graf Wurmbrand durch seine
reellen Versuche und die daraus resultirenden Ergebnisse als
Stützen bei der Beurtheilung prähistorischer Verrichtungen um
die Urgeschichte sich erworben; sie sind es, die in mancher
Beziehung der Speculation eine Grenze setzen, positive That-
sachen liefern, die auf dem kürzesten Wege zur Erkenntniss
der Wahrheit führen.
^) Münnichsdorfer, Geschichtliche Entwickelung der Roh-
eisen prodnct Ion p. 5.
21*
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Auch in der Eisenbereitung verdanken wir ihm einen
derartigen praktischen Versuch, der uns klar dai"thut, wie
leicht und in der Natur der Sache begründet die Eisenbereitung
ohne vorausgegangene metallurgische Kenntnisse und ohne
Voraussetzung einer höheren Culturentwicklung möglich ge
wesen ist. Graf Wurmbrand Hess nach demselben Maasse,
wie jene primitivsten Eisenschmelzgruben, zwei in Form und
Gestalt ähnliche Gruben anfertigen und den Schmelzproce^
auf die einfachste Art durchführen. Er schildeii; uns das Ver-
fahren mit nachstehenden Worten:
„Die kleinere dieser Gruben wurde zuerst nach voll-
ständiger Austrocknung zum Rösten der Erze verwendet,
welche von einem Tagbau entnommen und sehr eisenreich
waren. Nach diesem sehr einfachen Röstprocesse geschah die
Zusetzung der tieferen und schmäleren Grube mit Holzkohlen
und gerösteten Erzen, ohne irgend welchen Zusatz, in mehreren
Schichten. Da die Anlage der Gruben leider auf einem vom
Winde vollkommen geschützten Platze geschehen musste, er-
folgte die Reducirung langsam und wurde deshalb ein gewöhn-
licher Tretbalg zur Luftzuführung angewendet, worauf die
Schmelzung vor sich ging. Bei Windströmungen wäre auch
dieses Hilfsmittel, welches übrigens auch den Naturvölkern
Afrikas bekannt ist und nicht zu den complicirten Maschinen
gehört, nicht nöthig gewesen. Es genügt zu sagen, dass wir
nach sechsundzwanzig Stunden löschten und nach Abzug der
Schlacken bei zwölf Pfund Eisen gewonnen hatten, welches,
und dies muss hervorgehoben werden, nicht die Eigenschaft
des Roheisens, sondern die des guten Schmiedeeisens verrieth.
Ich Hess sofort ohne irgend einen weiteren Process eine Reihe
Proben ausschmieden, worunter Waffen, Stangen, Meisel u. s. w.
Die Grube hatte gut ausgehalten, dass sie sofort hätte wieder
zugestellt werden können, und es hat diese einfachste Schmelz-
methode nur den einen Nachtheil, dass sie wegen des grossen
Kohlenverbrauches sehr theuer ist. Die sehr eisenreichen uns
gebliebenen Schlacken sind denen, die wir in den alten Halden
gefunden, vollkommen gleich gewesen. Diese durch die ge-
ringe Temperatur mangelhafte Reduction hatte jedoch den
Vortheil, dass sich Eisen nicht mit Kohlenstoff in zu hohem
Maasse verunreinigte, wie es bei Roheisen der Fall ist, und
erklärt dadurch die directe Verwendbarkeit desselben. So
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hätten wir denn in einfachster Weise Eisen bereitet, welches
zähe und elastisch, alle Eigenschaften des gerühmten norischen
Eisens in sich vereinigt. Soll daraus Stahl erzeugt werden,
oder besser, will man es stählen, so genügen für kleine Ob-
jecte die jedem Schmiede erfahrungsgemäss bekannten Methoden.
Wir sehen aus diesen Versuchen nicht nur, dass die Gewin-
nung von Schmiedeeisen, besonders dort, wo eisenreiche Erze
zu Tage liegen, eine ausserordentlich einfache ist, sondern wir
haben auch darin den Nachweis gefunden, dass in dieser ein-
fachen Weise in vorrömischer Zeit unsere Völker das norische
Eisen wirklich zubereiteten ; denn abgesehen von den einzelnen
Topfscherben, die wir dabei fanden, zeigen Steinhämmer und
Bronzefcelte, welche am Berge gefunden wurden, die Anwesen-
heit nicht römischer Völker."
Graf Wurmbrand ist zur Ansicht gelangt, dass jene
Völker in Noricum vorerst die Metalle verwendeten, die sie
fanden, und dass sie erst später bei Anbahnung des Verkehres
auch Bronzearbeiten verfertigten.
Aehnliche Spuren von prähistorischen Eisengussstätten
fand Mehlis auch in Deutschland bei Ramsen am Mittelrhein.
In der Nähe der Landstrassc nach Enkenbach-Kaiserslautern,
bei Bergzabern, Schlittenbach und Nothweiler trifft man meist
an den Abhängen grosse Haufen von aus dem Vogesen-Thon-
eisenstein ausgehütteten Schlacken, die dieselbe Beschaflfenheit
haben sollen, wie jene von Hüttenberg in Steiermark imd ihres
grossen noch enthaltenden Eisengehaltes wegen noch mit Nutzen
könnten verwendet werden. Da aus historischen Zeiten keine
Eisenschmelzen hier bekannt sind und die römischen, durch
ihre Topfscherben kenntlich, nur an den Ufern der Eis vor-
kommen, so schliesst Mehlis ganz mit Recht, dass jene auf
den Bergen und Abhängen gelegenen Schlackenhaufen einer
prähistorischen Zeit angehören mögen, und wir es hier mit
einem ebenso primitiven Schmelzverfahren zu thun haben, wie
am Hüttenberge in Steiermark. *)
Was in dem Obenangeführten gesagt wurde, sind einfache
Thatsachen, die schon mehrfach von vielen Seiten gewürdigt
') Corresp. Blatt 1878, p. 73.
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und erwogen wurden, sie mussten eine Opposition gegen das
octroirte Dreiperiodensystem ins Leben rufen, die immer mehr
und mehr Anhänger gewinnt. Sie ist sehon lange vorbereitet,
aber die Ersten, welche ihre Stimmen erhoben, wie Klemm,
Estorf, Kirchner, Bertrand, Desor u. A., wurden todt-
geschwiegen, bis Kavestein, Giesebrecht, Lindenschmit,
und Ecker den Fehdehandschuh hinwarfen, und Hostmanu,
als muthiger Kämpe gegen das Dreiperiodensystem zu Felde
zog und mit geistvoller und scharfsinniger Tactik die Offensive
ergriff.
Virchow, der zwar zugibt, dass von einer Bronze- und
Eisenzeit in dem bisher angenommenen Sinne nicht mehr
gesprochen werden kann, scheint die Vermittlerrolle* über-
nommen zu haben. Er hat vorgeschlagen, das Dreiperioden-
system aufrecht zu halten, aber das Materiale nur so weit
in Rechnung zu bringen, als es durch die Phasen der fort-
schreitenden Technik und formellen Entwickelung ein neu ein-
tretendes Stadium der Culturentwickelung bekundet und in
diesem Sinne also die Bezeichnung einer Bronzezeit beizube-
halten. Ob es aber nicht gerechtfertigter wäre, den Vorschlag
Eckerts, nämlich statt der Dreitheiliing eine Zweitheilung der
Zeit, eine vormetallische und metallische anzunehmen
und das Dreiperiodensystem ganz über Bord zu werfen, das
wird die fortschreitende Urgeschichte lehren. Wenigstens wür-
den dadurch zwei Zeitbegriffe festgesetzt, die unumstiisslich
wahr sind, keine andere Deutung zidassen und jede Begriffs-
verwirrung vermeiden.
Nachdem ich Vorstehendes vorausgeschickt, ersuche ich
den Leser, mir nach Mähren zu folgen, und zwar in den öst-
lichen Theil der Luna Silva. So wurde nämlich von den
Römern das böhmisch - mährische Scheidegebirge mit allen
seinen Abdachungen genannt.
Die lAina Silva umfasste also die ganze Bergplatte zwi-
schen der Moldau im Westen und der March im Osten. Südlich
reichte sie bis zur Thaja, während sie im Norden an die
Asciburgii montes, die Sudeten, sich anschloss. Die Luna
Silva war von zwei Strassen durch lichtet, von einer in ihren
östlichen Abdachungen, und von einer zweiten in ihren nörd-
lichen Ausläufern.
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311
Die erstere Strasse, unter dem Namen ,,Bernsteinstrasse''
bekannt, ging — von Carnuntum, bei dem jetzigen Hainburg,
auslautend — zuerst am rechten Marchufer, dann weiter am
linken (also gerade durch die östlichen Abdachungen der Luna
Silva) und hinüber über den Beövafluss fort nach Norden zur
bernsteinreichen Küste des baltischen Meeres. Von dieser
Hauptstrasse zweigte sich der zweite genannte Handelsweg ab,
und zwar an der BeÖva, in der Gegend von Weisskirchen
(Hranice). Von da aus lief diese Strasse südlich von den
Sudeten ans rechte Ufer der oberen March imd da fort nach
Westen (also gerade durch den nördlichen Theil der Luna
Silva), zu den Ufern der Elbe, welche sie bei Elbe-Teinitz
erreichte.
Diese Strasse ist gekennzeichnet durch viele Hradiäte,
durch uralte Ortschaften, reich an prähistorischen Funden und
zahlreichen römischen Münzen. Nach diesen Anhaltspunkten
können wir ungefiihr den Lauf und die Richtung, die die
Strasse einschlug, annähernd verfolgen. So zog sie von Weiss-
kirchen über Drahotusch bei I^eipnik vorüber nach Trsic (mit
einem Hradiäte, prähistorischen Skelcten- und Urnengräbern),
nach Gross -Teinitz (Velky Tynec, mit Hradiste und Skelet-
gräbern) und Gross -Wisternic (Bystfic mit Ustrinen), über
Olmütz (mit Hradiäte und vielen prähistorischen Alterthümern),
nach Prikazy (mit Urnengräbern), nach Nakl (Naklo mit einem
Tumulus, Skelet- und Urnengräbern), an NameSt (mit einem
Hradiste, prähistorischer Ansiedelung und nahem Tumulus)
vorbei nach Moravißan (mit einem grossen Hradiäte in Form
von Kingwällen), von da nach LoStic (mit Brandplätzen, prä-
historischen Skelet- und Urnengräbern) und Müglic (Mohelnice
mit einem Urnenfriedhofe), dann durch das Sazavathal über
Hohenstadt (Zäbfeh) nach Hochstein (mit einem alten Hradilte
und Tumulus), Böhmisch - Trübau (Ceskd Tfebovä), Wilden-
schwert (Ousti) und durch das schöne Adlerthal nach Brandeis
(mit einem Hradi&te) und Chotzen, um über Pardubiz (mit
einem grossen Hradiste und Urnengräbern) nach Elbe-Teinic
(mit einem Hradiäte und Urnengräbern), Kolin (mit einem
Hradiste und Urnengräbern) sich weiter nach Prag fort-
zusetzen.
Fast in allen im Bereiche dieses Zuges liegenden Ort-
schaften mit altslavischen Namen hat man prähistorische Alter-
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312
thiimer gefunden und bei vielen kann man schon aus dem
Namen auf ihr prähißtorisches Alter und auf die Anwesenheit
von Alterthümern schliessen.
Es ist also demnach der Verkehr in diesen Theilen der
Luna Silva ein sehr reger gewesen und hier mochten auch die
Wege gewesen sein, auf welchen der Handel der Caleten mit
den Bewohnern der Sudeten stattfand. Unter dem Volke
herrscht noch heutzutage die Sage, dass in dieser Gegend
einst, in uralten Zeiten, eine Handelsstrasse gegangen ist.
Die Gebirge der Luna Silva und ebenso der Sudeten
sind reich an Eisensteinlagern, welche meistens noch gegen-
wärtig ausgebeutet werden, und das Material zu den grossen
Etablissements geben, die in Schlesien und im nordwestlichen
Mähren der Segen der Bevölkerung sind.
An vielen Orten dieser Gegenden lassen alte Schlacken-
haufen auf eine sehr alte Eisenindustrie schliessen, ebenso
sind die Eisensteingruben von sehr alten Strecken durchzogen,
die der „alte Mann'^ von den Bergleuten genannt werden und
mitunter ihrer, in Folge der Zersetzung des Zimmerholzes
entstandenen schlagenden Wetter wegen geföhrlich werden
können.
In einem solchen „alten Manne'' der Gruben bei Kiritein
fand man eiserne Werkzeuge, Spitzhauen von absonderlicher
Gestalt, in einem anderen einen zerbrochenen Steinhammer.
Es wird nicht gewagt erscheinen, diese alten Eisen-
schmelzen in jene Zeit zu versetzen, von der C. Ptolomaeus
sagt, dass die alten Quaden Eisen in den eisenreichen Gegen-
den des Luna Waldes schmolzen.
VAne solche uralte Eisenschmelzstätte fand ich bei den
drei Stunden nördlich von Brunn entfernt im Gebirge liegenden,
mit Wald umgebenen Ortschaften Rudic und Habruvka.
Das Eisenerz ist in dieser Gegend in Form von mehr
weniger grossen Putzen und Lagern, die mitunter bis zu Tage
reichen und zwar in den oberen Jura, der in den Ausbuch tongen
zwischen den Klippen des devonischen Kalkes abgelagert ist,
eingebettet. Es ist ein thoniger Brauneisenstein, der leicht
schmelzbar ist, 29 — 34 Procent Eisen enthält und verhüttet
ein graues körniges und weiches Eisen gibt. Mit diesen Eisen-
lagern kommen auch in derselben Formation grosse Bänke
weisser feuerfester Thone mit Kaolin gemischt vor, die eben-
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313
falls mitunter bis zu Tag ausbeissen und daher leicht gefunden
werden konnten.
Der Name Rudie von Ruda (Erz) ist slaviseh imd lässt
venmuthen, dass schon vor der Gründung dieses Dorfes das
Eisenerz hier bekannt war und auch abgebaut wurde. Noch
gegenwärtig wird der Ort von vielen Bergleuten bewohnt, die
in den nahen Gruben ihren Lebensunterhalt finden. Nach
sehr alten Schriften, die sich in dem dortigen Qemeindearchiv
befinden, haben die Rudicer Erzgräber das Privilegium gehabt,
das Erz hier graben und ausschmelzen zu dürfen, was sie
auch thaten, bis zu der Zeit, als das Eisenerz Bergregale
wurde. Sie verkauften das Product an die am Zwittawaflusse
errichteten Hämmer, die ihres vorzüglichen Stabeisens wegen
eine grosse Berühmtheit erlangten. Ein noch älteres Document,
das sich im Archiv Seiner Durchlaucht des Fürsten Salm in
Raitz befindet, erwähnt einer Tradition, der zufolge schon vor
dem zehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in Rudic Erz
gegraben und verschmolzen wurde, um als Luppe in die Welt
geschickt zu werden. Dieses Dorf ist durch den Jahrhunderte
langen Grubenbetrieb fast ganz unterminirt und theil weise
auch schon in Folge der zahlreichen Grundablösungen auf das
Territorium des Kalkes hinübergewandert.
Die Spuren der prähistorischen Eisenschmelzerei lassen
sich über ein mehr als einen Quadratkilometer weites Wald-
gebiet von Rudic bis nach Habruvka verfolgen. Vorzugsweise
sind es aber drei grosse, über mehr als hundert Quadratmeter
sich ausbreitende Schmelzplätze, die sich durch die vielen
isolirt stehenden Schlackenhaufen kennzeichnen. Sie liegen
grösstentheils an solchen Stellen, wo die Erzlager nahe an die
Oberfläche traten und daher leicht gefunden werden konnten.
Meine Untersuchung dieser Schmelzplätze ergab als Re-
sultat, dass ehemals ein zweifaches Verfahren angewendet
wurde, um hier Eisen zu gewinnen.
Das eine Verfahren, wahrscheinlich das ältere, bestand
darin, dass die Eisen Schmelzer mehrere Tiegeln zu einer
Gruppe vereint auf die Erde stellten, sie mit dem Schmelz-
gut füllten, über und um dieselben ein starkes Feuer an-
machten, in welches sie wahrscheinlich durch eine einfache
Gebläsevorrichtung so lange bliesen, bis sich das geschmolzene
Eisen am Grunde des Tiegels angesammelt hatte, das dann
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314
herausgenommen und als Eisenluppe zusammengehänimert in
den Handel gebracht wurde.
Ich fand in dem kaum eine halbe Viertelstunde von dem
Dorfe Rudic entfernten Walde in einer Tiefe von einem Drittel
Meter, ganze Gruppen topfartiger Tiegel von 20 bis 25 cm.
Höhe, 18 bis 20 cm. Breite, die mitunter an ihrer äusseren
Oberfläche verschlackt waren. Sie standen in einer schwarzen
mit Kohle und Asche geschwängerten Erde. Einige dieser
Tiegeln waren mit Erde gefüllt, in anderen aber befand sich
noch das Schmelzgut, das den Topf oft nur bis zur Hälfte
ausfüllte. Dieses Schmelzgut bestand aus einer porösen, eisen-
haltigen, schwarzen Schlacke, die gegen den Boden des Ge-
wisses zu metallischer, krystallinischer und brüchiger wurde,
zugleich aber an Dichtigkeit zunahm; ein Tiegel enthielt noch
die vollständige Luppe, wie sie sich aus dem Schmelzsatz
ausgeschmolzen hatte; sie hat die Gestalt des Tiegelraumes
angenommen und besteht aus einem schwarzen, metallisch
glänzenden schlackigen Eisen. Die Tiegel waren grösstentheils
so mürbe, dass es nicht gelang, auch nur den kleinsten
Scherben heraus zu bekommen, was erklärlich ist, da sie so
nahe der Oberfläche gelegen den Einflüssen der Atmosphä-
rilien zu sehr ausgesetzt waren. Sie sind aus einer grau-
schwarzen, sehr zerreiblichen sandigen Masse gearbeitet worden,
deren Hauptbestandtheil wohl der feuerfeste Rudicer Thon ist.
Es stimmt dieses eben angeführte Schmelzverfahren im
Ganzen bis auf Weniges mit dem überein, was R in man über
die Luppenfeuer sagt^ und dessen Worte ich hier citire:
„Die älteste einfachste Art geschmeidig Eisen zu er-
langen war gewiss die, welche es ohne Umwege oder geradezu
aus den Erzen im ersten Schmelzen gibt. Diese Erze waren
vermuthlich Sumpf-, Wiesen-, oder Seeerze (minera palust.),
die man ohne Bergbau, der wohl nicht Sache der ersten
Schmelzer war, gewinnen konnte. — Der allerälteste Schmelz-
process war also wohl der, dass man in einen erhöhten festen
Boden einen vertieften Herd machte, ihn mit einigen Steinen
umsetzte, ihn dadurch tiefer machte und dann dieses Erz mit
Kohlenfeuer, welches durch Blasebälge heftiger gemacht wurde,
niederschmolz. Dieser Schmelzprocess war schon im zweiten
Jahrhundert christlicher Zeitrechnung und noch eher in Deutsch-
land bekannt, wo er noch in verschiedenen Orten, besonders
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auf adeligen Gütern^ mit vieler Waldung unter dem Namen
Luppenfeuer, bei darin geübten Bauern im Gebrauche ist.
Die dann herausgezogene Luppe ist zwar so geschmeidig, dass
man sie wie unser Osmundeisen zusammenschlagen und zer-
hauen kann, ist aber doch mit Roheisen so vermischt, dass
man sie in Kleinschmiede oder Stangenherde umschmelzen
muss." *)
Ich habe diese Methode Eisen zu schmelzen als wahr-
scheinlich die ältere bezeichnet, da sie mir viel einfacher
scheint, als die zweite — die ich weiter unten berühre —
wofür auch noch überdies die in einem nahen Abfallshaufen
gefundenen Scherben von Töpfen sprechen, die von Gefassen
herrühren, welche nicht auf der Drehscheibe gemacht wurden;
schliesse aber doch nicht die Möglichkeit aus, dass beide
Schmelzweisen gleichzeitig betrieben worden sein konnten und
es vielleicht in dem Willen der Schmelzer gelegen war, durch
die eben angeführte Art Schmelzung eine zu gewissen Zwecken
brauchbarere Luppe zu erzeugen, da sie ein ausgezeichnetes
Schmiedeisen gab, das an Härte dem Stahle ähnlich wurde
und zugleich grosse Zähigkeit besass.
Das zweite Verfahren (Fig. 1), das ich als wahi'scheinlich
jünger annehme, da es complicirter gewesen ist, war nach-
stehendes: Es wurde eine zwei Meter lange, ein Meter breite
und eben so tiefe Grube (Fig. la) gegraben, in dieselbe auf
einen in der Tiefe der Grube etwas erhöhtem Boden ein 35
bis 36 cm. hoher, nach unten etwas wenig ausgebauchter
Tiegel (Fig. Ib) gestellt, der 30 bis 32 cm. Durchmesser
und eine 4 bis A^j^ cm. dicke Wandung hatte. Nahe am
Boden dieses Tiegels waren ringsherum vier bis sechs Stück
12 bis 13 cm. lange, 5 cm. dicke thönerne Röhren (Fig. Ic)
angebracht, die sich etwas nach abwärts neigten und mit ihrem
2 cm. weitem Canale in den Tiegelraum, mit dem freien ab-
gerundeten Ende aber in eine kleine, in den Boden der Grube
gemachte schalenförmige Vertiefung (Fig. Id) mündeten. Nach-
dem das Schmelzgut sammt Kohle in den Tiegel gethan
ward, wurde rings um den Tiegel die Grube mit Brennstoff
angefüllt, derselbe angezündet und von beiden Seiten mit
einer Blasevorrichtung in das Feuer geblasen und so die Gluth
*) Rinmann, Versuch einer Gesch. des Eisens 1785, I. 317.
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angefacht, bis das geschmolzene Eisen durch die Röhren in
die schalenartigc Vertiefung abfioss, dem dann die flüssige
Schlacke folgte und so war der Process vollendet. Ob irgend
ein Flussmittel dem Erze beigemengt wurde, wird die Schlacken-
analyse ergeben; die vielen halbgebrannten in den Abfallshaafen
liegenden Kalkbrocken machen dies wahrscheinlich. Um für
die Blasevorrichtung Raum zu bekommen wurden die Gruben
länger als breiter gemacht.
Das Eisen^ welches durch eine solche Schmelz weise er-
zeugt wurde, war ein kömiges, weisses und sprödes £isen,
mehr weniger von kalkbrüchiger Beschaflfenheit.
Ich fand mehrere solcher Gruben. Eine davon lag in
dem dem Dorfe Rudic nahen Walde; ihre Wände waren fest-
gebrannt, jedoch sie selbst, ausser wenigen Tiegelresten und
zerbrochenen Röhren, bereits ausgeräumt. Glücklicher war ich
beim Auffinden jener^ die auf einem massigen Abhänge in der
Nähe des Dorfes Habruvka im Walde lagen, der mit dem
Namen u Kalu (beim Sumpfe) bezeichnet wird, worin Hunderte
von Schlackenhaufen liegen, die meist so situirt sind, dass
grösstentheils die Schmelzgrube oberhalb derselben sich be-
findet. In einer dieser Gruben stand noch der Tiegel halb
mit Schlacke, halb mit Erde gefüllt. Er war so mürbe,
dass es nur mit grösster Vorsicht möglich war, grössere Bruch-
stücke herauszunehmen, die sechs Röhren waren alle von dem-
selben abgebrochen, jedoch in ihrer ursprünglichen Lage mit
dem freien Ende gegen die Grübchen gerichtet, einige waren
noch mit der im Flusse erstarrten Schlacke entweder ganz
oder zur Hälfte ausgefüllt, andere waren an ihrem freien Ende
mit Schlacken umhüllt. In den schaalenartigen Vertiefungen
befanden sich noch mitunter Reste von Eisen oder sie waren
mit Schlacke erfUllt, die die Form der Schale angenommen
und mit einem kurzen Halse sich in den Kanal der Röhre
fortsetzte. Die Tiegel selbst bestehen aus feuerfestem mit
vielen Quarzkömern durchmengtem Thone, der nicht weit von
den Schmelzplätzen ansteht. Sie wurden an Ort und Stelle
geformt, wofür die hergerichteten und ungebrannten Thon-
klumpen, die hie und da in den Schlackenhaufen vor-
kommen, sprechen. Das Erz war der an Ort und Stelle vor-
kommende Brauneisenstein, der, um ihn mürbe zu machen
und vom Schwefel zu befreien, früher, bevor er zur Verwen-
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düng kam, geröstet wurde, wie es die geringen Vorräthe des-
selben in den Schlackenhaufen beweisen. Mitunter befanden
sich neben den Schmelzgruben kleine Haufen, die meist zer-
brochene Röhren, Tiegelreste und einzelne Stücke Roheisen
enthielten und *durch das Ausräumen einer solchen Schmelz-
grube nach vollendeter Schmelzreise entstanden sind.
Die Schlackenhaufen, von welchen ich einige unter-
suchte, hatten 6 bis 12 Meter im Umfange und ^/^ bis Y4 Meter
Höhe, sie waren aus einer schwarzen mit Holzkohle und nicht
glasigen schwarzen Schlacken gemengter Erde zusammen-
gesetzt, in welcher sich übermässig viel durch Verspritzen der
flüssigen Masse entstandener Schlacken und Eisenschrott befand.
Ausserdem lagen noch darinnen geröstetes Eisenerz, Stückchen
gebrannten Kalks, feuerfester Thon, angebrannte und nicht
angebrannte Knochen von Schwein, Schaf und Rind und eine
grosse Menge zeratreut liegender Topfscherben nebst zerbro-
chenen Röhren- und Tiegelresten.
Die Scherben rühren durchaus von Gefössen her, die
zum Hausgebrauche dienten, und so weit es die Formen der
Fragmente beurth eilen lassen, eine topfartige Gestalt hatten.
Es lassen sich dreierlei Arten dieser Scherben unterscheiden:
grauschwarze, bis oft zu 1 bis V/^ cm. dicke Scherben
aus einer schwarzen graphitreichen, mit wickengrossen Quarz-
körnern gemengten Masse, sehr roh und primitiv gearbeitet,
mit rauher Oberfläche. Sie gehörten Gefassen an, die nicht
auf der Drehscheibe gemacht wurden und nicht ornamentirt
waren; dann
braune, oft 2 cm. dicke, rohe Scherben, die aus einem
glimraerreichen , braunen, mit Kalkspath und Quarzkörnern
gemengten Lehme bestehen; sie gehörten Geßlssen an, die
ebenfalls nicht auf der Drehscheibe gemacht und am oflFenen
Feuer gebrannt wurden.
Die Scherben dritter Art sind braun oder rothbraun und
ihre Bruchflächen zeigen eine mit Quarzkörnem gemengte
Masse, die am Rande des Bruches roth, in der Mitte durch
Ausscheidung des Kohlenstoffes schwarz gebrannt ist. Sie
gehörten topfartigen Ge&ssen an, die auf der Drehscheibe ge
dreht und auch sehr stark gebrannt wurden und grösstentheils
ornamentirt waren. Die Form dieser Gefasse sowohl als auch
die Ornamente entsprechen jenen der sogenannten Ringwälle,
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die Virchow als specifisch slavisch und das Oraainent mit
dem Namen Burgwali- oder Wellenoniament bezeichnet (Fig. 3
und 5). Andere Gefasse jedoch hatten wohl die Form, jedoch
nicht das Wellenornament, sondern statt dessen rings um den
Hals oder dort, wo der Hals in den Körper des Geßisses
übergeht, kleine, in Abständen herum laufende elliptische
Grübchen, die mit dem länglich runden Ende eines Instramentes
gemacht wurden (Fig. 4).
Unter diesen Scherben fand ich mehrere, die nahe dem
Bruchrande 2 bis 3 mm. grosse, nett ausgebohrte, konische
Löcher besasscn; ich suchte dieselben zusammen und konnte
daraus ein halbes Gefass von 23 cm. Höhe und 20 cm. Durch-
messer restauriren. Es stellte sich nun heraus, dass jedem
Loche des einen Topffragmentes ein anderes am benachbarten
Scherben entspricht und dass das Gefass, welches zerbrochen
gewesen war, wieder durch einen durch die Löcher gezogenen
Bindfaden oder Draht zusammengebunden wurde (Fig. 2).
Diese Art des Drahte ns zerbrochener Gefasse kommt
bei den Slaven häufig vor. Die Slovaken kennen dieselbe noch
und bezeichnen sie als eine uralte, jetzt nicht mehr gebräuchliche
Art. Sie ist auch an einigen restaurirten Schüsseln aus dem
Urnenfelde von Maria Rast in Steiermark vorgekommen und
an einem in der Form ähnlichen Gefasse im Stockholmer
Museum zu sehen, das zerbrochen gewesen, mittelst Bleidrähten
in prähistorischer Zeit wieder restaurirt wurde. In den schönen
Thaulov-Museum zu Kiel befindet sich eine grosse zerbrochen
gewesene Schüssel von Majolika, die auf diese Art in neuester
Zeit von dem dortigen Conservator wieder hergestellt wurde.
Ein zweiter interessanter Gegenstand ist der Boden eines
rothbraun gebrannten Gefasses, das auf der Drehscheibe ge-
dreht, und eine eigenthümliche Zeichnung zeigt, die in der
Fig. 6 abgebildet ist. Ich halte diese Zeichnung für die Dar-
stellung des Hakenkreuzes, das durch Zugaben von accessori-
schen Linien, vielleicht symbolisch verändert wurde. Bei Hin-
weglÄssen dieser Linien tritt das Hakenkreuz deutlich hervor,
wie es aus der Fig. 7 ersichtlich ist.
Verlassen wir nun die waldbewachsenen Höhen und steigen
wir herab in die zu unseren Füssen liegende Schlucht, welche
unter dem Namen Josefsthal bekannt ist und wo die Eingänge
zu der berühmten Byöiskdla-Höhle liegen.
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Treten wir in die Höhle ein, so überrascht uns ein grosser
imposanter Dom, der durch von oben spärlich einfallendes
Tageslicht dämmerig erleuchtet wird. Es ist dies die imposante
Vorhalle zu der langen, durch die Funde aus der Rennthier-
und Mammuthzeit interessanten Grotte, in welcher Vorhalle
ich vor einigen Jahren das grosse Grab eines Häuptlings auf-
geschlossen habe, der auf einem hölzernen, mit Eisen beschla-
genen und durch ornamentirte Bronzcblechc gezierten Wagen
auf einem hier errichteten Scheiterhaufen verbrannt wurde
und dem seine Weiber, Knechte und Pferde mit ins Grab
folgen mussten. Rings um diesen grossen Brandplatz, die Reste
dieses Scheiterhaufens, lagen über dreissig Skelete jugendlicher
Frauen und einiger kräftiger Männer in allen möglichen Lagen,
theils ganz, theils zerstückt mit abgehauenen Händen und ge-
spaltenem Kopfe, vermischt mit zerstückten Pferden, einzeln
liegenden oder zu Haufen zusammengetragenen Gold- und
Bronzeschmucksachen , Armbändern , Glasperlen , Bernstein-
perlen und Bronzegehängen, mit Haufen von Gefössscherben,
ganzen Gefassen, Bronzekessel und gerippte Cysten, mit Bein-
und Eisengeräthen u. s. w. Alles dies lag bunt durch- und
übereinander geworfen, theilweise umhüllt mit grossen Mengen
verkohlten Getreides, unmittelbar auf dem geschwärzten, fest-
gestampften, lehmigen Boden der Höhle, 2 bis 3 Meter hoch,
bedeckt mit riesigen Kalkblöcken und auf diesen geschüttetem
Sand und' Schotter. ^)
Als ich die Blöcke hinwegräumen Hess, fand ich unter
denselben nicht nur den Brandplatz, die Skelete und pracht-
volle Objecto, sondern auch im fernsten Hintergründe der Vor-
halle einen über zwanzig Quadratmeter grossen Platz, der mit
Gegenständen anderer Gattung bedeckt war. Unter grossen
Mengen Asche und Kohle lagen solche Gegenstände, die nur
in dieser Menge in einer Werkstätte für Metallwaaren angetroffen
werden können. Hier lag aufeinander gehäuftes, vielfach zer-
schnittenes, zerknittertes und zerbrochenes Bronzeblech, zusam-
mengenietete grosse Bronzeplatten, bronzene Kesselhandhabcn,
*) Eine eigene Monographie, die ich demnächst zu veröffent-
lichen gedenke, wird über den ganzen grossartigen Fund in dieser
Höhle das Nähere bringen. Vorläufig sei des engen Raumes wegen
der Sache nur flüchtig Erwähnung gethan.
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Haufen von unförmigen Stücken halbgeschmiedeten Eisens.
riesige Hämmer, Eisenbarren, Werkzeuge, schwere eiserne
Stemmeisen und Keile, Feuerzange, Ambos, eiserne Sicheh,
Schlüssel, Haken, Nägel und Messer, ferner geschmiedete
Bronzestäbe und Oussformen. Alles dies war überschüttet
wie der ganze Opferplatz mit verkohltem Getreide, bestehend
aus Weizen, Gerste, Korn und Hirse.
Aus dem Charakter dieser Fundobjecte, den Lagerungs-
verhältnissen derselben und aus dem zur weiteren Bearbeitung
angehäuften vorräthigen Rohmateriale lässt sich mit Gewiss-
heit auf eine Schmiedestätte schliessen, wo durch längere Zeit
nicht nur Eisen, sondern auch Bronze geschmiedet und ver
arbeitet wurde.
Die Schmiede mussten schon lange bevor das Begräbnise
in der Höhle stattfand, von ihr Besitz genommen haben, denn
aus dem Umstände, dass auch die Schmiedestätte wie der
übrige Platz der Vorhalle mit einer zusammenhängenden Lage
grosser Kalkblöcke bedeckt war, kann mit Sicherheit ent-
nommen werden, dass sie schon vor dem Begräbnisse da war.
Dass die Bedeckung des Opferplatzes und der Schmiedewerk-
stätte mit Blöcken gleichzeitig vor sich gegangen ist, erhellt
aus der zusammenhängenden Lagerung der Blöcke; dass femer
diese Kalktrümmer gleich nach der Begräbnissfeierlichkeit,
als noch die Gluth des grossen Feuers nicht erloschen war,
dorthin gebracht und niedergelegt wurden, ergibt sich aas
dem Umstände, dass dort, wo die Gluth gewesen ist, die untere
Lage der Kalkblöcke, welche unmittelbar auf der zwei Drittel-
meter mächtigen zusammengepressten Kohle lagerten, zu Aetz-
kalk gebrannt war, der eine grosse Menge Bronzegegenstände
und Eisenbestandtheile des Wagens in sich schloss.
Die Werkzeuge, insbesondere die sechs bis sieben Kilo-
gramm schweren wuchtigen Eisenhämmer — von den Berg-
leuten Schlägel, Feistel, palice genannt — von welchen ich
acht Stück gefunden, zeigen alle Spuren eines langen Ge-
brauches und mehr weniger starker Abnützung. So ist ein
Hammer in Folge des Gebrauches mitten entzwei gebrochen;
die kleinen Handhämmer haben breit geschlagene Enden mit
eingebogenem zackigem ausgefranstem Rande und die Feuer-
zange einen durch Gebrauch abgebrochenen Arm.
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Und nicht nur an den Spuren eines langen Gebrauches
der Handwerkzeuge, sondern auch an den unfertigen Gegen-
ständen, deren Bearbeitung mitten in der Arbeit unterbrochen
wurde, lässt sich erkennen, dass hier durch eine längere Zeit
gearbeitet wurde. So verräth ein acht Kilogramm wiegender
grosser eiserner Keil seine Unfertigkeit dadurch, dass das
eine Ende zwar schon in eine Spitze ausgehämmert, das andere
aber erst in Beginne der Bearbeitung sich befindet; bei einen
anderen sechs Kilogramm schweren Hammer fehlt noch das
Stielloch, das nur erst angedeutet ist, ein dritter hat wohl das
Stielloch, aber so klein, dass man annehmen muss, die Arbeit
des Durchbohrens sei noch nicht vollendet. Die roh gearbeiteten
Nägel sind oft nicht vollendet, gebogen und zerbrochen; die
Bronzebleche in Streifen und unregelmässige Stücke geschnitten,
zusammengebogen, zerknittert und waren vermischt mit Ab-
fallen, zerbrochenen Hingen u. s. w. auf einen Haufen ge-
worfen und offenbar zum Zusammenschmieden oder Ver-
schmelzen vorbereitet, für letzteres sprechen zwei Gussformen;
die eine, aus Bronze, besteht aus drei Theilen und diente zum
Gusse für flache Scheiben mit zwei üehren und einen Tu-
tulus in der Mitte, die andere bestand aus einem grauen Thon-
schiefer und diente für ein Zierstück und zwar eines kleinen
vierspeichigen Rades mit am Rande besetzten Knöpfchen. Ein
35 cm. langer Bronzestab lässt auf seinen Flächen die Spuren
der Schläge des Hammers erkennen, ohne vollendet worden zu
sein. Ein über '/j Quadratmeter grosses Kesselblech, der Seiten-
theil eines 2/3 Meter hohen konischen Bronzekessels, ist in der
Mitte vernietet und gerade gebogen; eine grosse bronzene
Kesselhandhabe, bestehend aus einem grossen schweren massi-
ven Ringe an einer bandartigen Schleife, ist stark verbogen und
zeigt dadurch, dass er mit grosser Gewalt vom Kessel gerissen
wurde. Noch mehr als Alles dies sprechen für eine Benützung
dieser Stelle als Schmiedestätte viele kleine Stückchen Schlacke,
ferner kleine Eiseiistäbe, an deren Ende Eisenklumpen ange-
frischt waren, wie es noch heute die Hammerschmiede thun,
und zuletzt das zur Bearbeitung angehäufte und vorbereitete
Rohmaterial in Form von 6 bis 8 Kilogramm schweren unregel-
mässigcn Bruchstüken sehr harten und zähen an den Bruch-
flächen schwarz metallisch glänzenden l^uppeneisens^ das sich
als solches durch ungleiches Geliige und einzelne Schlacken-
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partikelchen herausstellt, und die erste Hämmeruiig durch-
gemacht hat. Diese Stücke besitzen eine so grosse Härte
und Zähigkeit, dass sie nur mit dem grössten Kraftaufw^ande,
schweren Hämmern und grosser Ausdauer zerschlagen werden
konnten. Ich wollte einen solchen Eisenklumpen zerschlagen
lassen, aber zwei Arbeiter, welche mit schweren Eisenschlägeln
und Stahlmeisseln beinahe eine halbe Stunde arbeiteten, koonten
kaum den sechsten Theil davon abtrennen. Es musste dem-
nach dieses harte und zähe Rohmaterial ein vorzügliches
Schmiedeeisen geben, das, wie die gefundenen Eisenbarren (*?)
in die Welt geschickt wurde. Solche schwere, vierkantige,
zu beiden Seiten in lange dünne Spitzen hinausgeschmiedete
Eisenstücke, die man für P^isenbarren hält, sah ich in den
Museen zu Mainz, Hamburg, Kiel und Christiania.
Wenn wir nun nach der Ursache forschen, warum die
Schmiede diese schauerliche, in einer damals gewiss schwer zu-
gänglichen Wildniss, ausser allen Verkehr gelegene Höhle zu
ihrer Werkstätte erwählten, insbesonders, da dem Trans j>orte so
grosser, schwerer Gegenstände, wie das Rohmaterial, die Barren,
die schweren Eisenhämmer, die Werkzeuge aus weiter Ferne,
grosse Hindernisse entgegenstanden, so kommen wir zur Ueber-
zeugung dass der (irimd hievon die Nähe der oberhalb der
Byciskäla-Höhle gelegenen Luppenschmelzereien bei Rudic und
Habruvka gewesen ist, um das da erzeugte Product an Ort
und Stelle zu verarbeiten.
Dass es wahrscheinlich jene einfachen Tiegelschmelzereien
gewesen sind, welche den Schmieden der Byöiskjila-Höhle das
l-*uppeneisen lieferten, dafür sprechen die Scherben von Ge-
fässen, die nicht auf der Drehseheibe gedreht w^urden und die
gefundenen Luppen selbst, die gehämmert ein ähnliches Eisen
gegeben haben wnlrden, wie das in der genannten Höhle ge-
fundene.
Die massenhaften Bronze- und Eisenfunde aus der Byßl-
skala-Höhle tragen alle durchgehends den Hallstätter Charakter,
wenn sie sich auch durch ihre einfachere und rohere Orna-
mentik und viele andere Merkmale als älter erweisen. Man
kann sie mit Zuversicht in das dritte, vielleicht vierte Jahr-
hundert V. Chr. versetzen, und da die Schmiedestätte frühei*
da w^ar als das Begräbniss und ohne Zweifel in Verbindung
mit den Eisenschmelzen in Rudic gewesen ist, so folgt daraus,
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323
dass in Rudic schon im dritten Jahrhundert und vielleicht
noch früher Eisenschmelzerei betrieben und das Eisen mit
grosser Sachkenntniss verarbeitet wurde, was eine schon lange
Bekanntschaft mit dem Eisen und seiner Behandlungsweise
voraussetzt.
Wie uns die Geschichte sagt, haben um diese Zeit die
Bojer Mähren bewohnt und demnach werden es die Bojer
gewesen sein, die das Eisenerz in Rudic schmolzen und in der
genannten Höhle schmiedeten und ebenso Bronzeindustrie ge-
trieben haben.
Dass ferner diese Bojer weder Kelten noch Germanen
gewesen sind, darüber geben uns viele zusammenhängende
Funde und Fundverhältnisse im nördlichen Mähren Anhalts-
punkte, die ich in einer anderen Schrift zu erörtern mir er-
lauben werde.
Die Eisenschmelzer waren auch die Erzgräber und gewiss
auch bewanderte Schmiede; sie schmiedeten die Luppe zu
Luppeneisen aus und brachten es als solches in Handel, wie
wir es aus den Vorräthen in der Byciskäla-Höhle ersehen.
Diese Schmiede bildeten eine zusammengehörige Zunft,
eine eigene Kaste, ebenso wie die Eisenschmiede in Asien und
Afrika, deren Mitglieder im Lande herumzogen und von An-
siedelungen und Ortschaften aufgenommen wurden, die ihnen
eine etwas entfernte Stelle vom Orte zuwiesen, auf der sie
die Metallwaare bearbeiteten und das Eisen ausschmiedeten,
um den Bedarf der Gemeinde zu decken. • Von Zeit zu Zeit
erhielten sie von herumziehenden Genossen das Material, das
Luppeneisen und vielleicht auch alte Bronze, aus der sie neue
Erzeugnisse fabricirten.
Der Schmied galt im Orte, als der meist erfahrene Mann,
der in der Welt viel herumgekommen, mit vielen Fremden
in Verkehr stehe, als der Rathgeber, der Heilkünstler für Vieh
und Mensch, der Kenner geheimer Künste und der Zauberer,
zu welchen Aberglauben die Scenerie ihres bei Nacht be-
triebenen Handwerkes nicht wenig beitrug; denn wie dämo-
nisch mussten der ländlichen Einfalt nicht die geschwärzten
Gestalten, beleuchtet von dem funkensprühenden Feuerherde,
erschienen sein. Viele Volkssagen knüpfen sich an die Schmiede
und ihre einsame Stätte. Das Schmiedehandwerk wurde zur
Kunst erhoben, und die Waffenschmiede genossen die grösste
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324
Auszeichnung, sie wurden im Mittelalter selbst zu den Tafeln
der Herrscher gezogen.
Noch jetzt linden wir fast bei jedem Dorfe, insbesonders
des nördlichen Mährens, das durch seine Ortsnamen ein hohes
Alter verräth, eine Schmiede, die entfernt und abgesondert
vom Orte liegt, deren Grund und Boden meistens der Gemeinde
gehört, was beweist, dass zugewanderten Schmieden die Stelle
angewiesen wurde, wo sie ihr Handwerk ausüben konnten.
Wo die Schmiede mit der Zeit durch grössere Verbreitung
ihres Handwerkes schon ins Dorf gewandert sind, da hatte
man diese exponirten Schmiedestätten aufgelassen und sie in
Brechel- und Hiitenhäuser (pazderny) verwandelt.
Der conservative Charakter ist allen Völkern eigen; die
alten Volkssitten und Gebräuche haben sich meistens bis in
die neueste Zeit erhalten, und wo sie auch durch die 2^it-
verhältnisse und Culturentwicklung ihre Form geändert haben,
kann man doch gewöhnlich ihren Kern herausfinden. Aus
vielen der jetzigen Sitten und Gebräuche hat man auf jene
der prähistorischen Völker geschlossen, und aus Tradition und
Sagen das geschöpft, wovon die Geschichte nichts weiss und was
oft durch prähistorische Funde bestätiget, zur lauteren Wahr-
heit wurde; so hat sich das Herumwandern der Schmiede, die
sowohl Eisen als Bronze geschmiedet, wie es die Werkstätte
in der Byöiskäla nachweist, noch immer bei den Zigeunern er-
halten, die von Ort zu Ort ziehen. Eisen schmieden und kupferne
Kessel flicken.
lieber die Kosmogeiiie und Antliropogenie des
germanischen Mythus.
Vortrag, gehalten am 10. Decerabcr 1878.
Von
Dr. M. Muoh.
Das sind merkwürdige Dinge, die \d\ da hiire : ein sebr
grosses Gebäude ist das und sehr künsÜioh gebildet.
Jünytre Eädo.
Es liegt in unserer Natur, dass uns das Entfernte mehr
reizt als das Nahe, das Vergangene mehr als das Uegenwärtige
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325
und unserer Wissbegierde entspricht mehr das Verborgene
und Gehciranissvolle ; was leicht erkannt werden kann, was
bereits Vielen bekannt ist, verliert an Interesse. Es ist zum
Theile recht gut, dass es so ist. Darum hat es fiir uns auch
mehr Reiz, das der unmittelbaren Beobachtung sich meist
entziehende, geheimnissvolle Werden, als das oft zu Tage
liegende Sein zu ergründen ; ja selbst dann, wenn wir unsere
unermüdliche Arbeit der Untersuchung des Bestehenden widmen,
geschieht es doch häuHg aus keinem anderen, oft vielleicht
unbewusstem Grunde, als um für die Erkenntniss des Werdens
eine sichere Basis zu gewinnen.
Die neuere Geschichte ist deshalb keine Regenten- und
Schlaehtcngeschichte mehr, sondern eine motivirte Darstellung
des Entwicklungsganges der menschlichen Gesellschaft und
ihrer Cultur geworden, und die Wissenschaften, die wir in
unserem engeren Kreise zu fördern bestrebt sind, stellen
ganz offen und ausdrücklich als ihr Ziel auf, das Werden
und die Entwicklung des Menschengeschlechtes zu erforschen.
Was die Anthropologie im engeren Sinne betrifft, so ist
der Weg, den sie geht, allerdings ein sehr breiter, das heisst,
das Gebiet der Objecto, die sie in Betrachtung zieht, und der
Wissenschaften, deren Mitwirkung sie in Anspruch nimmt, ist
ein sehr ausgedehntes, allein das Ziel des Weges ist doch
kein anderes als das eben bezeichnete. Wenn unser Meister,
dessen Hingang wir in diesem Jahre beklagen, in der Rede,
womit er die Anthropologische Gesellschaft in Wien eröffnete,
sagte, die Aufgabe der Anthropologie sei die Naturgeschichte
des Menschen, so hat dieser geistvolle Forscher gewiss nicht
eine Naturbeschreibung im Auge gehabt, sondern wirklich
das, was das Wort im strengsten Sinne sagt, die Natur-
geschichte, oder mit demselben Worte anders gegeben, das
natürliche Geschehen.
Es ist müssig, Zweifel über dieses Ziel mit Worten zu
bekämpfen, der Hinweis auf den zunächst liegenden Bericht
über die Verhandlungen irgend eines anthropologischen Con-
gresses beseitiget sie. Aber dieses Ziel ist kein abgeschlossenes,
durch Beginn und Ende begrenztes Factum, sondern eine
endlose Kette von Erscheinungen, in der wir das ordnende
Gesetz suchen.
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326
In derselben Absicht hat sich die Urgeschichte die Er-
forschung der frühesten C^ulturzustände des Menschengeschlechtes
zur Aufgabe gemacht; schon ihr Name sagt uns, dass sie das
in der Urzeit Geschehene erforschen will. Aus den in der
Erde conservirten Culturresten früherer Jahrtausende schöpft
sie nach der Anleitung ihrer älteren Schwester, der Geologie,
die Erkenntniss der Erscheinungen. Indem Beide ihren Blick
in die Tiefe des Raumes richten, senken sie ihn in die Tiefe
der Zeiten zurück; aus dem scheinbar todten Materiale, das
sie sammeln, bilden sie sich eine lebendige Quelle der Er-
kenntniss des Vergangenen, und wie die Geologie hieraus das
Werden und die Entwicklung der Erde mit ihrem Lebewesen
erschliesst, so lehrt uns die Urgeschichte das Werden imd die
Entwicklung des Menschengeschlechtes. Haben Anthropologie
im engeren Sinne und Urgeschichte dasselbe Ziel gemeinsam,
so sind sie doch nicht eine und dieselbe Wissenschaft, weil
die Objecte, aus denen sie ihre Erkenntniss schöpfen, ver-
schiedener Art sind.
Was endlich die dritte der von uns gepflegten Disci-
plinen, die Ethnologie, anbelangt, so hat ihr Studium erst
grössere Theilnahme gefunden, seit die vergleichende Sprach-
wissenschaft zu grossen Resultaten gelangt igt, also seit der
Zeit, als sie von jener Wissenschaft, deren Aufgabe in der
Ergründung des Werdens und der Entwicklung der mensch-
lichen Sprache liegt, geistig durchdrungen wurde, und einen
besonderen Aufschwung nahm die Ethnologie erst, seit die
Anthropologie und Urgeschichte das allgemeinere Interesse der
Forscher in Anspruch nahmen. Einzelne derselben haben die
Zustände der heutigen wilden Völker mit Glück zum Studium
der primitiven Zustände der heutigen Culturvölker angewendet.
Bei aller Ungleichartigkeit der Objecte, mit denen sich
Anthropologie, Urgeschichte und Ethnologie beschäftigen, ver-
folgen diese Wissenschaften doch ein gemeinsames Ziel, ich
möchte sie deshalb die Trilogie der Anthropogenie nennen.
Weil wir nun selbst die Erforschung des Werdens und
Entwickeins des menschlichen Geschlechtes uns zur Aufgabe
gemacht haben, und insgesammt an deren Ausführung thätig
arbeiten, so darf ich wohl bei Ihnen mit Sicherheit auch
einiges Interesse dafür voraussetzen, wie hierüber Andere,
seien es einzelne Personen oder ganze Völker, gedacht haben.
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327
Dieses Interesse haben Sie selbst schon bethätigt bei Gelegen-
heit, als in diesem Räume ein Vortrag über die Anthropologie
Kant's gehalten wurde, ') ja es war schon da nicht blos in
unserer Gesellschaft, sondern in sehr weiten, allgemeinen
Kreisen und lange bevor, ehe Anthropologie und Urgeschichte
als Wissenschaft betrieben wurden. Aber ich sagte ja gleich
Eingangs, es liegt in unserer Natur, dass uns das Entfernte
mehr reizt als das Nahe, das Vergangene mehr als das Gegen-
wärtige, und so kam es, dass wir die kosmogonischen und
anthropogonischen Anschauun/^en aller möglichen Völker zu
vernehmen Gelegenheit hatten, nur nicht jene unserer eigenen
Altvorderen.
Sie erinnern sich, dass wir in der Volksschule schon die
Geschichte der Schöpfung der Welt und des Menschen, wie
sie sich die Juden vorstellten, sehr genau zu lernen veranlasst
wurden. Als das im Gedächtnisse allmälig wieder zu ver-
dämmern begann, ging's im Gymnasium an die Theogonie der
Griechen — von den Römern lag glücklicher Weise wenig
derartiges vor, sie hatten keine Zeit, über den Ursprung der
Welt und des Menschen nachzudenken, weil sie vom Anbe-
ginn ihres Namens an sich mit Staaten- und Völkerraub und
derlei praktischeren Dingen zu beschäftigen hatten. Nach
dem Gymnasium warf man vielleicht noch einen Blick auf die
Vorstellungen, die sich Perser, Inder, Araber und selbst noch
entferntere Völker hierüber machten ; aber nachzusehen, was
unsere eigenen Urväter, die Germanen, über unsere Herkunft
dachten, fiel nicht leicht Jemanden ein. Die officielle Wissen-
schaft kannte schon gar nicht eine Vergangenheit des eigenen
Volkes.
Das Alles ist indess ganz gut erklärlich. Die Anschauung
von dem Ursprünge der Welt und des Menschen hat bei allen
Völkern einen guten Theil ihrer religiösen Ueberzeugungen
gebildet, denn sie fliesst aus dem Verhältnisse, das wir uns
zwischen Gott, der Welt und dem Menschen vorstellen. Die
kosmogonische und antliropogonische Anschauung der Juden
wurde uns im Wesentlichen als Glaubenswahrheit vermittelt.
Neben einer (Jlaubenswahrheit aber hat die bisherige eigene
') C. S. Barach, „Kant als Authropolog", Mitthcil. d. An-
throp. Gesellsch. Bd. II, S. 65.
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328
Anschauung keinen Platz mehr; sie mußste beseitigt werden,
während die Kenntniss der Anseliauungcn fremder Völker
ohne Gefahr war und ganz leicht geduldet werden konnte.
Die Quellen, aus denen wir die Kenntniss von den Vor-
stellungen der (Jermanen über die Entstehung der Welt und
des Älenschengeschlechtcs schcipfen können, fliessen trotzdem
nicht gar so spärlich, am reichsten selbstverständlich in den
mythischen IJeberlicferungen ; bilden ja doch die Beziehungen
zwischen der Gottheit, der Welt und dem Menschen, wie schon
bemerkt wurde, das Wesen allef Religionen. Es ist überflüssig
beizufügen, dass diese allerdings lange vernachlässigten ITeber-
lieferungen des Heidenglaubens der Germanen in unserer Zeit
ebenso unermüdliche Sammler ala geistvolle Bearbeiter ge-
funden haben, allein sie wurden bisher unserem Kreise noch
in keiner zusammenhängenden und eingehenden Darstellung
nahe gebracht.
Auf dem engeren deutschen Boden ergiessen sich die
Quellen unserer Kenntniss der heidnisch-germanischen Welt-
anschauung freilich nicht in solcher neberfülle, dass wir im
Stande wären, aus ihnen ein vollständiges Bild derselben zu-
sammenzustellen ; zum mindesten würde es uns schwer werden,
dort, wo uns reichhaltigere Nachrichten aus jüngeren Quellen
fliessen, nachzuweisen, dass diese Quellen nur scheinbar jünger,
dass sie lange unter Schutt geflossen sind und ihren Ursprung
in dem gemeinsamen alten Ifeidenglauben haben.
Um so reicher strömen die Nachrichten auf skandinavi-
schem Boden, und hier ist es ganz vornehmlich die Edda,
d. i. die Aeltermutter, eine Sammlung uralter germaniseher
Dichtungen, welche uns die Ideen der Germanen über Gott,
Welt und ^Menschenschicksal, in einem Umfange und zuweilen
in einem solchen Detail vorlegt, dass wir sie in dieser Be-
ziehung den mythischen Ueberlieferungen anderer Völker mit
Recht an die Seite stellen und gewissermassen die Bibel der
Germanen nennen könnten.
Diese Dichtungen haben ihre letzte Form und Sammlung
auf Island erhalten, wo das germanische Heiden thum sein
letztes Refugium hatte, aber vielfache Hinweise gestatten mit
Sicherheit die Annahme, dass sie zum grossen Theile in
Deutschland selbst entstanden und hier nicht minder zum
Preise der Götter und Heroen an den heiligen Stätten vorge-
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329
tragen wurden, wie auf Island, wo sie erst vor wenig Jahr-
hunderten ganz verklungen sind.
Bcklagcnswerth ist die Un Vollständigkeit, in der diese
Dichtungen auf uns gekommen sind, aber auch manche innere
Kürze, manches dunkle Wort der altnordischen Sprache, das
unserem Verständisse bisher noch entrückt ist. Ich will in
der Deutung solcher Worte möglichst zurückhaltend sein, so
verlockend es auch ist, in den vielen überlieferten Namen die
Bedeutung, die einstmals in ihnen enthalten sein mochte, zu
ergründen. Meine Mittheihmgen, an sich schon nur allgemein
gehalten, werden daher jedenfalls lückenhaft und deshalb wahr-
scheinlich weniger interessant sein, aber dafür vielleicht der
Wahrheit näher kommen.
Die Vorstellungen der Germanen über den Ursprung der
Welt und des Menschen, so weit wir sie aus den bezeichneten
Quellen kennen lernen, zeugen von einer solchen Kraft und
Tiefe des Denkens, dass sie schon aus diesem Grunde unserer
Beachtung werth sein müssen. Sic sind zum Theile auf einer
richtigen Kenntniss des natürlichen Vorganges der Dinge ge-
gründet, und in manchen Vorstellungen könnte man fast eine
Vorahnung moderner Theorien erblicken; ja, was die Edda
über die Fortentwicklung des Menschengeschlechtes sagt, ist
so einzig dastehend und entspricht so sehr unseren heutigen,
durch langes Forschen begründeten Ideen, und — wenn wir
die dichterische Hülle abstreifen — so sehr dem wirklichen
Vorgange, dass wir wohl kaum etwas Gleiches aus den anderen
alten Literaturen der Völker an die Seite stellen können.
Dabei sind fast alle Darstellungen der Edda von hohem
dichterischem Werthe; oft stramm und starr, zuweilen mystisch,
fast immer gewaltig im Ausdrucke, zeugen sie von der ur-
wüchsigen Kraft eines zu einer grossen Mission berufenen
Volkes; sie können aber auch, und nicht nur dort, wo sie die
zarteren Saiten des I^^ebens berühren, bei der der damaligen
Entwicklungsstufe entsprechenden kindlichen Unschidd vom
poetischen Zauber überströmen. Ich muss mir nach dieser
Richtung hin Schranken ziehen und will mir nur noch die
Bemerkung gestatten, dass wir auf dem Wege dieser Forschung
die geistige (^ultur der Urväter unseres Volkes und daher
auch ihrer Befähigung zum materiellen Fortschritte gewiss
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ebenso erschliessen können, als aus den Resten ihres hinter-
lassenen Geräths.
Erwarte aber Niemand von mir, dass ich im Stande sein
werde, Ihnen ein consequentes naturphilosophisches System
der Germanen vorzulegen. Die Unmöglichkeit, solches zu
unternehmen, liegt zum Theile darin, dass die mythologische
Forschung noch keine abgeschlossene ist, dass noch nicht alle
Gebiete derselben so durchleuchtet sind, wie es zu dem ver-
langten Zwecke nothwendig wäre. Sodann darf man nicht ver-
gessen, dass viele Völker und viele Zeiten an dem Aufbau
jener religiösen Vorstellungen gearbeitet haben, aus denen wir
unsere Schlussfolgerungen ziehen sollen. Welche Aenderungen,
welche Verschiebungen der Begriffe mussten da stattfinden,
welcher Reihe von Widersprüchen zwischen nationalen und
entlehnten, zwischen älteren und jüngeren Anschauungen war
da die Thür geöffnet! Solche Widersprüche konnten um so
leichter entstehen, als so viele Begriffe durch Personiticationen,
so viele Personificationen durch Symbole dargestellt wurden.
Ein und dasselbe göttlich gedachte Wesen tritt je nach
seinen verschiedenen Manifestationen und Beziehungen zur
Welt unter verschiedenen Namen auf, die sich zuweilen wieder
ablösen und als selbstständige göttliche Wesen aufs Neue den
Himmel bevölkern.
Wenn ich die Edda die Bibel der Germanen nennen zu
dürfen glaubte, so ist das doch nur ein ganz allgemeiner Ver-
gleich, ohne dass damit auf eine nähere Uebereinstimmung
gewiesen wäre.
Ich muss vielmehr sofort bemerken, dass die Edda, im
Gegensatze zu den Lehren der Bibel, keine Schöpfung
kennt; kein Willensact eines allmächtigen Wesens lief die
Welt aus dem Nichts ins Dasein, denn selbst das älteste mit
göttlichen Attributen erscheinende Wesen der Germanen ist
nicht schon vor der Entstehung der Welt da, sondern entsteht
mit und in ihr. Die Welt entwickelt sich aus dem Ungeord-
neten zur Ordnung, aus dem Unvollkommenen zum Voll-
kommenen.
Gleichzeitig mit der Welt entsteht das Geschlecht der
Riesen, der gewaltsamen, rohen, ungebändigten Naturkräfte,
und das Geschlecht der Götter, welche dem (liaos ein Endo
bereiten und die Ordner der Welt werden. Aber selbst die
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831
Götter erscheinen nicht sofort mit ihrem vollkommensten Re-
präsentanten, sondern auch in ihrer Genealogie zeigt sich ein
EmpoiTvachsen zu grösserer Macht und Vollkommenheit.
Ebenso entwickelt sich das Menschengeschlecht aus rohen
Anßlngen zur vollen Blüthe und Herrschaft.
Die Edda kennt also auch keinen aufanglichen voll-
kommenen Zustand der Erde, auf welcher der Mensch und alle
Lebewesen in voller Harmonie untereinander existiren, und das
Paradies der Bibel ist ihr fremd.
Auch der gegenwärtig erreichte, im Verhältniss zu den
vom Anfange her durchlaufenen Stadien vollkommene Zustand,
ist kein unveränderlicher und ewiger, und selbst die Götter
sind wandelbar und sterblich.
In der Urzeit, so erzählt die vorschauende Wala in der
Dichtung Völuspa, war das Alter; da war nicht Sand nicht
See, nicht salzige Wellen, weder Erde fand sieh mit ihrer
Pflanzendecke, noch der Himmel darüber; das Wessobrunner
Gebet sagt, es war weder Erde noch Himmel, nicht Baum
nicht Berg, die Sonne schien nicht, der Mond leuchtete nicht,
noch der Meeressee, und mit den Worten: „Nichts war da,
nicht innen nicht aussen", bezeichnet es in sinnvoller Weise
den formlosen, unbegrenzten Raum. Die Edda nennt diesen
Raum den gähnenden Abgrund, ginnünga gap; die Griechen
nennen ihn das Chaos, und es ist merkwürdig, dass die Be-
zeichnung der Griechen denselben Wortsinn hat, wie das
nordisch-germanische ginnünga gap, denn auch Chaos heisst
der gähnende Raum (/ac^ von /«(vs'.v, gähnen).
Manches Zeitalter vor der Erde Schöpfung, wie sich die
Edda ausdrückt, also eine ungemessene Zeit zuvor, war auf
der Seite von Ginnüngagap, welche nach Norden gerichtet
war, Niflheim entstanden, das von Dunst erfüllte Reich der
Kälte, im Süden aber Muspelheim, eine Welt, die hell und
heiss ist, so dass sie flammt und brennt und Allen unzugäng-
lich ist, die da nicht heimisch sind und keine Wohnung da
haben. Ginnüngagap, oder um ein gewohntes Wort zu ge-
brauchen, das Chaos erfüllte sich mit einer nebligen, flutenden
und wieder oi-starrenden, ungeordneten Masse, auf welche
Kälte und Wärme einwirkten.
Ich darf schon hier bemerken, dass der Gegensatz zwi-
schen der Wärme und der Kälte, der in dieser Anschauung
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332
als von Anbeginn bestehend gedacht wird, sich dem leicht
empfanglichen Gemüthe eines im kindliehen Zustande lebenden
Volkes, das im nördlichen Theile der gemässigten Zone wohnt,
von selbst aufdrängen musste. Das ganze Leben war ja von
dem Wechsel des Sommers und Winters abhängig und alles
Wohl und Wehe von den Erscheinungen bedingt, die beide
mit sich brachten. Aber diesen Gegensatz an die Spitze aller
Erscheinungen zu stellen, aus ihm nicht nur die Existenz der
materiellen , Welt im Allgemeinen, sondern auch das Leben
abzuleiten, erfordert einen tieferen Einblick in das Walten der
Natur, ja geradezu philosophisches Denken. So undeutlich uns
jetzt hier einige Stellen der Edda vorkommen, vielleicht weil
sie nicht in der ursprünglichen Fassung erhalten worden sind,
so ist doch so viel klar, dass die Welt nach der Anschauung
der Germanen nicht aus dem absoluten Nichts entstanden ist,
dass sie vor ihrer Ordnung und Gestaltung nicht als hohler,
leerer Raum erschien, sondern „manches Zeitalter" lang erfüllt
war von der ineinander flutenden, ungeordneten Materie, die
zum Theile als flammende Lohe, zum Theile als flutende
Ströme, zum Theile als Dunst und Eis gedacht wurde. Die
Germanen kennen also keine Erschaflfung des Stoffes, denn
derselbe war in ihrer Vorstellung von der Bildung der Welt
seit Uranbeginn der Welt vorhanden, nur war er eine un-
geordnete, formlose, durcheinander wogende Masse, welche
sie in bezeichnender Weise Ymir, das Brausende oder das
Urgebraus nannten. Mit der Namengebung war aber auch
schon die Personilication vollendet, wie ja überhaupt alle
Naturerscheinungen von den Völkern auf kindlicher Stufe als
denkende und handelnde Wesen angesehen werden. Das Ur-
gebraus oder das Chaos, so dachte man sich zur Erklärung
der Personification, erhielt durch die Einwirkung der Wärme
auf die eiserstarrten Massen lieben und Gestalt, die man sich
durch die Gestalt eines Menschen versinnlichte. In den In-
begriff der rohen Kräfte, die später die Welt mit ihren tausend-
fältigen Erscheinungen gestalten halfen, legte man Bewusstsein
und um dem Vorstellungsvermögen Aller zu Hilfe zu kommen,
umhüllte man sie mit einer Gestalt, die, da andere Vorbilder
für ein übermächtiges Wesen fehlten, doch wenigstens von
der vollkommensten Erscheinung in der Welt, dem Menschen
entnommen werden musste.
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Dieses so belebte Wesen ist der Urriese und der Vater
aller Riesen. Die Kiesen aber sind nach der gesaramten
germanischen Mythe die Personification der ungebändigten,
schrankenlosen, blindwirkenden Naturkräfte. ^) Dir alles über-
steigendes Maass wurde durch die riesige, alle anderen Er-
scheinungen überragende Grösse dargestellt, ihr vielseitiges
Wesen durch Verleihung von mehreren Häuptern oder Händen,
zur Anschauung gebracht. Beachtenswerth ist es, dass der
Riese Ymir aus der Vereinigung seiner beiden Schenkel einen
Sohn erzeugt, was wohl nicht anders zu deuten ist, als dass die
Naturkräfte aus sich selbst hervorgehen, nicht erschaffen
werden. Da die Aeusserungen der mit schrankenloser Gewalt
auftretenden Naturkräfte ohne Rücksicht auf das Wohl und
Wehe des Menschen erfolgen, so erscheint die Arbeit der
Riesen in vielen Sagen als etwas Verfehltes, Zweckloses. Alle
Werke der Riesen, mit so grosser Kraftanstrengung sie auch
unternommen werden, misslingen, weil sie ja doch das Wohl
der Menschen nicht herbeiführten, und es ist charakteristisch,
dass sie unvollendet bleiben, das heisst, allen noch so gross-
artigen, ausserordentlichen Naturereignissen ist eine zeitliche
Grenze gesetzt, welche sie nicht zur Vollendung kommen
lässt und an der Zerstörung alles Bestehenden hindert. Da
solche ausserordentliche, gewaltige Naturereignisse gar oft das
Wohl der Menschen vernichten^ so wird ihren Personificationen,
den Riesen, böser Sinn oder doch täppisches Dreingehen und
Dummheit zuerkannt, die sich jedoch zuweilen leicht über-
tölpeln lässt. Die geprellten Teufel der Sage sind nichts
anderes als die überlisteten Riesen. Gereizt sind sie tückisch
und wild, in der Ruhe schwerfällig und träge; zuweilen er-
scheinen sie sogar als klug und gutmüthig, und erweisen den
Menschen Dienste. Obwohl wegen ihres täppischen, unbe-
dachten Auftretens und ihrer übermässigen Grösse im Allge-
meinen plump und von ungeschlachter Gestalt, können einzelne
doch auch schön sein; ja die Tochter des Riesen Gymir,
Gerda, d. i. die wijiterliche , schneebedeckte und bereifte
^) Es kommen Liebei allerdings auch Schwankungen vor,
indem die Riesen auch als die durch die Naturkräfte bewirkton
Naturereignisse oder factiscben Zustände aufgefasst werden. Das
ist dann wohl nur eine Fortentwicklung oder dichterische Um-
bildung der ursprünglichen Vorstellung.
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Erde, ist die schönste aller Frauen. Wenn sie Morgens die
Hände erhob, um die Thüre ihres Hauses zu öffnen, da
leuchteten ihre Arme, und Luft und Meer schimmerten von
dem Scheine. So schön ist sie, die winterliche Erde, dass
Freyr, der Frühlingsgott, von unendlicher Sehnsucht nach ihr
befangen wird und sie als Gattin sich vermählt.
Schon aus dieser Mythe ergibt sich, dass die riesische
Natur, so verderbenbringend sie für den Menschen werden kann
und daher zum Theile vernunftwidrig und zwecklos erscheint,
doch an der Weltordnung theilnimmt. Seljbst die Götter, welche
sie im Sinne der Erhaltung der Weltordnung und des Wohles
der Menschen bekämpfen und beherrschen, verbinden und
vermählen sich vielfach mit ihnen und sind sogar genöthigt,
sich ihrer zur Ausfuhrung ihrer Zwecke zu bedienen.
Nach dem Bisherigen möchte es scheinen, dass der ger-
manische Mythus nur die Materie von Urbeginn vorhanden
sein lässt, während die Naturkräfte, deren Personification der
Riese Ymir ist, sich erst später in ihr entwickeln. Doch ist
dem nicht so, denn auch die riesischen Wesen, d. i. die Natur-
kräfte, sind von Urbeginn an da und daher mit der Materie
gleichzeitig.
Von den Dichtungen der Edda ist Völuspa, d. i. der
Seherin Spruch, die bedeutendste und wahrscheinlich älteste.
Sie umfasst das ganze Wesen des nordisch-germanischen Heiden-
glaubens und war wohl eine der heiligsten Götterdichtungen,
denn keine andere lässt voraus die Mahnung zur Andacht an
Alle ergehen, wie sie hier die weissagende Jungfrau mit den
Worten ausspricht:
„Allen Edlen gebiet' ich Andacht,
Hohen und Niedern von Heimdalls Geschlecht;
Sie wollen, dass ich Walvaters Wirken künde.
Die ältesten Sagen, der ich mich entsinne.** ')
Ihre Erzählung beginnt sie sodann mit dem Ausspruche:
„Die Riesen orachV ich für urgeboren '^. Indem die gewisser-
massen in vorschauender Verzückung schwebende Seherin die
Riesen für urgeboicn erklärt, wird das uranfangliche Dasein
der Naturkräfte in geradezu feierlicher Weise verkündet,
*) Nach der Uebersotzuug von Simrock.
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Man darf sicli hiebei nicht an dem Ausdrucke „urge-
boren" oder „in der Urzeit geboren" stossen, in der Meinung
etwa, dass doch von einem geboren werden, also von einer
Entstehung in der Zeit die Rede sei. Es ist zu berüeksicli-
tigen, dass in Dichtungen immer in Bildern gesprochen wird,
namentlich bei Personificationen, auf den kindlichen Entwick-
lungsstufen der Völker und in Momenten^ wo die Weihe des
religiösen Aufschwunges auch die Sprache schwungvoller und
bilderreicher macht. Bei dem Ausdrucke „urgeboren" ist dem
ganzen Wesen der Dichtung und der hervorragenden Stelle
in derselben entsprechend der Nachdruck nicht auf dem „ge-
boren", sondern auf dem Anlaute des Wortes gelegen. Wie
wir selbst, auch wenn wir uns nicht der Bilder bedienen,
„uranfänglich" gleichbedeutend mit „ohne Anfang" setzen, so
ist hier „urgeboren" gleichbedeutend mit „nie geboren".
Jedenfalls sagt der x\usdruck „urgeboreu" so viel, als
dass die Riesen, also die Naturkräfte, vor allen anderen Wesen
der Welt da waren, und dieser Ausspruch ist um so bedeu-
tungsvoller, als die Seherin in dem feierlichen Augenblicke,
als sie die Geschicke der Götter und Menschen verkündet, mit
dem Urdasein der Riesen beginnt. Hätte das Wort „urge-
boren" noch den verborgenen Begriff des zeitlichen Beginnes
in sich, so würde die Seherin in diesem Momente es gewiss
ausgesprochen haben, aus welchem Wesen die Riesen geboren
worden sind.
So wie nun die Edda nichts weiss, dass die Materie je
erschaffen worden ist, sondern einfach annimmt, dass sie einst
den Weltraum ungeordnet, durcheinander wogend erfüllt hat,
so sind auch die Naturkräfte seit der Urzeit da und ohne
Anfang. Ja man könnte noch weiter gehen und sagen, dass
die Edda im Grunde gar keine Sonderung vornimmt zwischen
dem Stoffe, aus dem die Welt besteht und den Naturkräften,
beide sind ihr identisch und eines; denn die den Weltraum
erfüllende Materie ist ja eben der Urriese Ymir, also Materie
und Naturkraft zugleich.
Es könnte nun allerdings eingewendet werden, dass ein
Widerspruch darin liege, dass es in der Edda zuerst heisst,
die Riesen seien urgeboren, und doch weiterhin erzählt wird,
wie der erste Riese Leben und Menschengestalt gewann, also
doch in der Zeit entstanden ist. Dagegen ist zu bemerken,
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dass das Zeugniss von dem Uranfange der Riesen die Völuspä
gibt, wie ich schon bemerkte, eines der ältesten Götterlieder,
während uns die geschilderte Belebung des Urriesen Ymir die
jüngere Edda erzählt. Es können also diese beiden, in ihi-er
Entstehung durch einen bedeutenden Zeitraum getrennten
Dichtungen wohl leicht auseinander gehen; für uns aber ist
das ältere Zeugniss maassgebend. Sodann entstehea bei derlei
Personificationen immer Widersprüche; wenn zum Ausdrucke
der Begriflfe statt der scharf umgrenzten Wortbezeichnung
Bilder und Vergleiche gewählt werden, sind sie unvermeidlich,
und stellen sich mit aller Macht namentlich dann ein, sobald
sich im Verlaufe der Zeit der Begriff, welcher mit der Per-
sonification umkleidet wurde, zu verdunkeln beginnt. Dann
wird aus der Personification das Wesen und erfahrt alle
Schicksale solcher. Solche Widersprüche finden sich daher
in allen Mythologien zahlreich.
Auch sachlich lässt sich vielleicht dieser Widerspruch
beheben. Hatte man einmal angenommen, dass der Weltraum
ursprünglich mit einer chaotischen Masse erfüllt war, so musdte
nothwendig die Ordnung dieser Masse in. der Zeit erfolgen
und daher auch einen Anfang nehmen; da nun eben diese
chaotische Masse als der Urriese Ymir gedacht wurde, so musete
auch seine Belebung und Gestaltung in der Zeit erfolgen; sie
bedeutet ja eben nichts anderes als den Beginn der Ordnung
des Chaos und der Formgebung der bis dahin formlosen Welt.
Wie aus der Schilderung des Wesens der Riesen hervor-
geht, wurden die Naturkräfte als der gesetzmässigen Leitung
entbehrend betrachtet; sie galten als ungebändigt, blind han-
delnd, ihre Arbeit als eine oft zwecklose und unvollendete ;
die Ordnung der Welt wäre nimmermehr zu Stande gekommen
ohne Einschreiten anderer Wesen, welche die Naturkräfte
durch die Macht ihres Geistes zu bändigen und beheiTschön
verstanden und dieselben zum Aufbau der Welt als eines
geeigneten Sitzes für Götter und Menschen benützten. Diese
gegenüber den plumpen, ungeschlachten Riesen vergeistigten
Wesen waren die Götter.
Wenn wir das in unserer Weise ausdrücken wollen, • so
müssen wir sagen, dass sich die Germanen den Stoff und die
Naturkräfte als aus der Urzeit stammend dachten, aber die
Naturkfäfte wii-kten noch in roher Weise, ohne Ziisammenhaug,
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ohne Ziel, und es war nothwendig, dass noch ein drittes hinzu-
trat, welches die Naturkräfte in bestimmte Bahnen und zu
einem gemeinsamen festen Ziele leitete. Dieses Dritte ver-
binden wir mit dem Begriflfe der Naturgesetze, welche die
Naturkräfte beherrschen und leiten. In der Sprache der Ger-
manen sind es die Götter, welche die Riesen bekämpften
und bändigten. So wie wir die Naturkräfte und die Gesetze,
nach denen sie wirken müssen, in der Idee von einander
scheiden können, so schieden sie auch die Germanen, und
wie wir die Naturgesetze durch eine mathematische Formel
zur Anschauung bringen können, so brachten sie die Germanen
durch die Personification zur Vorstellung.
Das, ich möchte sagen geschichtliche. Entstehen der
Götter dachte man sich in folgender Weise. Als von der
Glut, welche aus Muspelheim ausströmte, das Eis aufthaute
und schmolz, entstand die Kuh, welche Audhumla hiess. Von
den vier Milch strömen aus ihrem Euter nährte sich der Riese
Ymir; die Kuh aber beleckte die Eisblöcke, die salzig waren,
und den ersten Tag, da sie die Steine beleckte kam am Abend
Menschenhaar hervor, den andern Tag eines Menschen Haupt,
den dritten Tag ward es ein ganzer Mann, der hiess Buri. Er
war schön von Angesicht, gross und stark und gewann einen
Sohn, der Bör hiess. Der vermählte sich mit Bestla, der
Tochter des Riesen Bölthorn; da gewannen sie drei Söhne:
Odhin, Will und We, oder mit anderen Namen : Odhin, Hönir
und Lodur, welche Himmel und Erde beherrschen und so die
Trilogie des germanischen Mythus darstellen.
Nach dieser Schilderung sind also die Götter jüngeren
Ursprunges als die Riesen, und diese Anschauung tritt im
germanischen Mythus auch sonst vielfach hervor. Das liesse
sich damit erklären, dass man die Welt und die Naturkräfte
als schon vorhanden dachte, und dass erst später die Natur-
gesetze lebendig wurden und durch ihr Hinzutreten die Ord-
nung der Welt bewirkten. Es zeigen sich jedoch auch Spuren
eines dunklen Glaubens an die anfanglose Existenz der Götter,
also an die Ewigkeit der Naturgesetze, in welcher Beziehung
ich auf eine SteUe der jüngeren Edda aufmerksam mache, in
der es heisst, dass das Chaos belebt wurde und Gestalt gewann
„durch die Kraft dessen, der die Hitze sandte". Es ist aber
doch fraglich, ob das Reste eines verdunkelten oder Dämmer-
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licht des neu aufleuchtenden Glaubens oder überhaupt eine
christliche Formel ist, welche in späterer Zeit in die Dichtung
eingeschoben wurde.
Sind die Riesen aus dem Urbrei der Welt entstanden,
so mussten natürlich die Götter aus edlerem Stoflfe sich bilden,
denn auch dadurch sollte das höhere, geistigere Wesen der-
selben angedeutet werden und darum gingen sie aus Salzsteinen
hervor. Metalle, in der allgemeinen Anschauung vielleicht
als edler geltend, sind zu staiT und abgeschlossen, während
das Salz, mit dem wir gerne die Vorstellung des Geisti^n
verbinden, alles wie ein Ferment zu durchdringen vermag.
Ich erinnere an den Spnich der Bibel: „Ihr seid das Salz der
Erde", womit die Mahnung ausgedrückt ist, so wie das Salz,
als das Geistige in der Erde, auch unter den Menschen zu
wirken ; Salz und Witz, durchdringenden Verstand bezeichnen
Römer und Griechen mit demselben Worte; wir huren mit-
unter von gesalzenen Reden.
Buri, der ersterstandene Gott, dessen Name wie der
seines Sohnes Bör wahrscheinlich die zeugende Kraft bedeutet,
tritt als schön von Angesicht, gross und stark ins Dasein,
gewissermaassen die Schönheit der Welt andeutend. Die Mutter
der Götter Odhin, Hönir und Lodur ist aber eine. Riesin,
womit auf die Verbindung des Göttergeschlechtes mit dem
Riesengeschlechte und die Abhängigkeit ihres zeitlichen
Wesens von den Naturkräften, aber auch auf die innige Ver-
bindung der Naturkräfte und Naturgesetze hingewiesen ist.
Die eben genannten Götter traten sofort in den Kampf mit
den Riesen und tödteten Ymir, den Urriesen, d. h. sie machten
dem Chaos ein Ende. Da floss so viel Blut aus dessen Wunden^
dass darin alle Riesen ertranken bis auf Bergelmir, der sich
mit seinem Weibe in einem Boote rettete und das Geschlecht
der Riesen fortpflanzte. Ich sehe hier von der Mahnung aa
die Sündflut ab, um lediglich zu bemerken, dass der Tod der
Riesen mit Ausnahme des einen wohl nur den Sinn haben
kaan, dass viele Naturkräfte, welche die Welt bilden halfen,
nun nachdem sie vollendet ist, nicht mehr wirksam, gewisSi^rT
maassen todt erscheinen mochten.
Aus dem Körper Ymirs, bei dem wir immer die Idee
des Chaos festhalten wollen, bildeten sodann die Götter die
Welt, und zwar aus dem Blute das Meer und das WasseTj^
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aus seinem Fleische die Erde, aus seinen Knochen die Berge
und die Steine aus seinen Zähnen, Kinnbacken und zer-
brochenem Gebein. In dem Blute des Riesen, im Weltmeere,
festigten sie die Erde und aus seiner Hirnschale bildeten sie
das Himmelsgewölbe, erhoben es über die Erde und stützten
es mit vier Säulen und unter jede Säule setzten sie einen
Zwerg, die hiessen Ost, West, Nord und Süd. Dann nahmen
sie die Feuerfunken, welche von Muspelheim ausgeworfen
umherflogen und setzten sie an den Himmel, oben sowohl als
unten, um Himmel und Erde zu erhellen. Sie gaben auch
allen Lichtern ihre Stelle, einigen am Himmel, anderen lose
unter dem Himmel, und setzten einem jeden seinen bestimmten
Gang fest, womach Jahre und Tage berechnet wurden. Die
Erde war kreisrund und längs der Seeküsten bekamen die
Riesengeschlechter Wohnung; nach innen aber machten die
Gtötter rund um die Erde eine Burg wider die Anfälle der
Riesen, und zu dieser Burg verwendeten sie die Augenbrauen
des Riesen und nannten sie Mittingart. Die Götter nahmen
auch das Gehirn Ymir's imd warfen es in die Luft und
machten die Wolken daraus.
Das Detail der hier wiedergegebenen Bildungsgeschichte
der Welt, wie sie die Edda erzählt, ist ein Spiel der Phan-
tasie ; der Mikrokosmos Mensch wird dem Makrokosmos Welt
angepasst. Auch auf deutschem Boden hat sich diese Mythe
aus jüngeren Quellen und in verschiedener Gestalt wieder-
gefunden. In Folge christlichen Einflusses wird aber nun
umgekehrt der Makrokosmos auf den Mikrokosmos ange-
wendet. In diesen jüngeren Quellen konnte die Lehre der
Bibel von der Erschafiung des Menschen nicht umgangen
werden, nur wurde der Stoflf zu seinem Leibe verschiedenen
Theilen der Welt entnommen und so aus dem Lehm das
Fleisch des Menschen, aus den Steinen das Gebein, aus dem
Meere das Blut u. s. w. gemacht.
Von dem Einzelnen hebe ich noch hervor, dass aus der
Hirnschale ein Sitz der Gedanken, der Himmel, ein Sitz der
Götter, d. i. der Naturgesetze, gebildet wurde; aus dem Ge-
hirn wurden die Wolken geschaffen; denken wir dabei nicht
an die oft gebrauchte Verbindung von Gehirn, Gedanken und
fliegenden Wolken? Wunderlich mag es scheinen, dass aus
den Augenbrauen Ymir's, die Burg gemacht wurde, welche
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die Erde schützend umgibt ; vielleicht dachte man dabei an
den Schutz, welchen die Augenbrauen dem Auge gewähren;
bemerkenswerth aber ist, dass die Kette von Befestigungen,
welche die Römer in Pannonien gegen die Einfälle der Bar-
baren errichteten, supercilia Istri genannt wurden.
Im Wesentlichen sagt aber die ganze Erzählung, daaa
die Gtötter dem Chaos ein Ende machten und aus seinen Theilen
die Welt bereiteten.
Ausser den Riesen und Göttern kennt der germanische
Mythus noch eine dritte Art der Personification von Kräften,
nämlich die Zwerge, welche wie Maden in Ymir's Fleisch ejot-
standen sind. Erinnern wir uns, dass Ymir's Fleisch die Elrde
ist, und wir werden es consequent finden, wenn erzählt wird,
dass die Zwerge in der Erde wohnen. Ihnen haben die Götter
Menschenwitz und Menschengestalt verliehen und sie repHU
sentiren, im Gegensatze zu den vor Aller Augen und gewak«
thätig auftretenden Riesen, die im Innern der Erde fiabe-
lauscht und geheimnissvoll wirkenden Natnrkräfte. Da «chaffea
sie im Kleinen, ihrer Gestalt entsprechend, stehen mit dem
Keimen und Wachsthum der Pflanzen in Beziehung und siad
vorzugsweise damit beschäftigt, Erze und Metalle ftir Götter
und Menschen zu schmieden. Beiden sind sie im Allgemeinen
gut gesinnt, können ihnen aber auch, wenn sie gereizt werden,
manchen Schabemak anthun, wovon die Bergleute nooh heute
zu erzählen wissen.
Ich muss es mir versagen, auf weitere Einzelheiten ioi
germanischen Mythus einzugehen, welche au den VorsteUung^n
über die Kosmogenie in Beziehung stehen, wie etwa über die
Bildung der Gestirne, über den Wechsel von Tag und Nuchi,
Sommer und Winter, über die Befruehtung und Zeugung und
die einzelnen Naturerscheinungen, sowie über daa endliche
Schicksal der Welt, der Götter und Menschen; das AJUles
würdef ein ganzes Buch erfordern. Ich wollte Ihnen nur. in
grossen Umris^n das Bild von den Vorstellungen p^jchnej^
die sich uhsei'e Vorväter: in der Zeit ihres HeidenUiumeii iil>er
die Entstehung der Welt gemacht hatlen> 'und. das MitgethßUte
Aürftfe genlige^. Aus ■ diesem Wenigen werden ^Sie enaelM^D^
<fasd dibse VdretelluTigehr keineswegs so roh sind i4s «i^ bisr
"teilen g^Bchildert Werden, • nicht so; unbeholfen- und >ajyber%
d^sd wi^lhnett nicht' auch entippecfaende Leitungen, ^nf.maj^
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341
riellem Gebiete zutrauen dürften. Ganz im Gegentheile, so
kindlich diese Vorstellungen in ihrer Form sind, ein so be-
deutendes Zeugniss bilden sie für die gewaltige Denkkraft^
welche diese Vorstellungen concipii*te und bewahrte; ja wer
selbst tiefer in dieselben eingedrungen ist, kann sein Erstaunen
darüber nicht unterdrücken, dass viele derselben den Resul-
taten angestrengter Geistesarbeit unserer Zeit entsprechen, und
so werden wir schon in den Germanen der ältesten Heidenzeit
das Volk von Denkern wiedei'erkennen.
Eine andere Frage drängt sich uns allerdings auf, ob die
Naturanschauung, die im germanischen Heidenglauben nieder-
gelegt ist, auch das reine nationale Geistesproduct der Ger-
manen ist. Ich muss sie verneinen. So wie die Sprachen
aller indo-germanischen Stämme ein Gemeingut und aus einer
Quelle geflossen sind, so ist auch der Mythus, der religiöse
Glaube ein gemeinsamer und bei aUen diesen Stämmen in
seinem Wesen derselbe, und so wie gar manche Worte der
uns verwandten Völker traulich wie ein Laut der Mutter-
sprache uns ins Ohr klingen, so vernehmen wir manche Mythe
dieser uns nun fremden Völker wie ein schon gehörtes hei-
misches Kindermärchen. Sprache und Mythus sind das Er-
gebnisö gemeinsamer Geistesarbeit aller Indo-Germanen zur
Zeit als sie in ihrer Heimat noch ein Volk bildeten, und aus
der Heimat nahmen die einzelnen Stämme bei ihrer Scheidung
den während vieler Jahrhunderte aufgespeicherten Schatz
mit sich.
Wir finden daher die Grundzüge der eben mitgetheilten
kösmogonischen Anschauungen bei den einzelnen indo-germa-
nisobfen Stämmen wieder. Ick erinnere hier beispielsweise an
das was ich schon über das sinngemässe Zusammen treflfe^ des
griechischen Chaos mit dem germanischen Ginnüngagap ge-
sagt habe. Den germanischen Riesen in ihrer besseren Gestalt aU
kluge mächtige vielwissernde Wesen, bei denen selbst die Götter
Bescheid holen, entsprechen die Asüren der Inder, i die Tita-
nen der Griechen, den ungeschlachten^ ziertftörenden, bösge-
sinnten Riesen der Germanen entspreohofü die Baksbaenfii der
Inder, die Giganten der Grief^hen-, und überall en^t^pinntt sicib
der Kampf zwischen den riesischen Wesen und den (^ötterB,
der mit dem Siege der letzteren endet« Es iat kein Zweifßl^
d^s alllen < diese» mythischen Erscheinungen die Ansphauupg
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von der Herrschaft der Naturgesetze über die allgewaltigen,
ungebändigten, mehr zerstörendeu als aufbauenden Naturkräße
zu Grunde liegt.
Mit den Germanen hatten also auch die anderen indo-
germanischen Völker Antheil an der Bildung der vorgetragenen
kosmogonischen Vorstellungen. Das besondere Verdienst der
Germanen besteht darin, dass sie das volle Verständniss der-
selben während der ganzen Zeit ihres Heidenthums bewahrt
haben, und dieses Verdienst ist kein geringes, denn man ver-
gesse nicht, unter welchen Schwierigkeiten das geschehen ist,
Sie kamen mit den religiösen Anschauungen der Heimat in
ein ihnen bisher fremdes Land mit zum Theile abweichenden
natürlichen Existenzbedingungen, die andere Anschauungen zu
den bisherigen hinzubringen, und einen Theil der letzteren
verändern und verdrängen mussten. Eine noch grössere Gefahr
lag darin, dass alle Vorstellungen von der Welt und den
Naturkräften mit Personilicationen umkleidet wui'den, und wir
wissen aus der Geschichte der Religionen, wie oft schliesslich
die Vorstellung, die der Personification zu Grunde lag, mehr
und mehr verdunkelt, endlich ganz verloren geht, während
die leere Personification als wirklich bestehendes Wesen haflen
bleibt. Recht deutlich sehen wir das gerade bei dem eben
erwähnten Mythus von den Kämpfen der Riesen und Götter,
welcher von einem anderen, nicht arischen Volke aufgenommen,
aber seines wahren Kernes beraubt und unverstanden weiter
übertragen wurde.
Dass aber die Germanen die ererbte kosmogenische An-
schauung mit stetem Verständnisse treu bewahrt haben, zeigt
sich daraus, dass sich dieselbe aus ihren mythologischen Uebeor-
lieferungen auch uns so leicht oflFenbart, bezeugen die Namen,
die sie in ihrer Sprache den Personiticationen mit einem dem
Wesen entsprechenden Sinne beilegten, ergibt sich endlieh
daraus, dass sie es vermochten, die überlieferten Vorstellungen
den abweichend gestalteten, natürlichen Verhältnissen ihrer
neuen Heimat anzupassen und somit fortzubilden.
Welcher Antheil den Germanen an der in der Edda ent-
haltenen Anschauung über die Entstehung und das Wesen der
Welt allein zukommt, wird die vergleichende Mythenforschung
einmal feststellen ; wie sehr ihnen aber die Fortbildung ge-
lungen ist, das zeigt sich, vielleicht weniger in ihrer Ent-
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stehungsgeschichte des Menschen, als vielmehr in der weiteren
Entwicklungsgeschichte desselben, die den wirklichen Verhält-
nissen so sehr entspricht, dass ich ihr nichts Gleiches an die
Seite zu stellen wtisste.
Die Edda erwähnt zwar schon der Entstehung eines
Mannes und eines Weibes aus dem Chaos selbst, indem sie
erzählt, dass dem Ymir, da er schlief, unter dem linken Arme
Mann und Weib hervorgewachsen seien. Beispiele einer solchen
generatio spontanea haben wir mehrere in der griechischen
und indischen Götterlehre, ja unsere eigene biblische Aelter-
mutter Eva ist aus der Seite Adams, da auch er eingeschläfert
war, hervorgegangen. Doch sind Ymir's Sprösslinge nicht als
Menschen, sondern als Riesen aufzufassen, durch die er sein
Geschlecht fortpflanzte.
Den Menschen riefen erst die Götter ins Dasein. Als sie
am Seestrande gingen, fanden sie nach der jüngeren Edda
zwei Bäume, die lagen da unmächtig und bestimmungslos. Sie
nahmen die Bäume, schufen Menschen daraus, gaben ihnen
KJeider und nannten den Mann Askr, die Frau Embla, d. i.
Esche und Ulme, und verliehen ihnen Mittingart als Wohnung.
Ohne Zweifel beruht auch dieser Theil der germanischen An-
thropogenie, sowie der grösste Theil ihrer Kosmogenie auf
uralten, gemeinsam-arischen Sagen. Der Bezug des Menschen
zu Bäumen ist von den Mythenforschern noch nicht genügend
aufgeklärt und ich finde keine befriedigende Deutung.
Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass bei
allen indo-germanischen und auch bei den semitischen Völkern
die Götter selbst ursprünglich in derbsinnlicher Weise durch
aufgerichtete Holzpfilhle symbolisirt wurden, welche die Gestalt
eines Phallus hatten oder doch vorstellen sollten, und die
zeugende Kraft versinnlichten. Solche Holzpfähle sind auch
bei den Germanen aufgestellt worden; ich erinnere an die
Irmensäulen, an die Pfeiler am Hochsitz des Hausherrn und
daran, dass der Name der nordischen Götter selbst, nämlich
Äsen oder Ansen, von den Holzpfählen entlehnt ist. Waren
Holzpfahle Symbole der Götter, so lag es nahe, auch die
Menschen, als deren Kinder, durch ein gleiches Symbol dar-
zustellen. Wie sich bei den Griechen die Götterbilder voll
idealer Schönheit thatsächlich aus den alten Holzpfahlen ent-
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wickelten^ «o gingen bei den Germanen die Menscheii idcd
ans IlolzpfäUen henror.
£0 ist zu beachten, da» es die Götter waren, welche
die Menschen aus ihrer Unmacht und Bestimmnngslosigkeh
ins Leben riefen, und da wir die germanischen Gotter als die
Personification der Xatui^esetze im Auge behalten müssen, so
geht aus Allem hervor, dass die Menschen nach der Anschauung
der Germanen nicht einem Willensacte, sondern der von den
Naturgesetzen geleiteten zeugenden Kraft ihr Dasein ver-
danken. Die ältere Quelle, aus der wir schöpfen können, die
Völuspä, gebraucht selbst den Ausdruck „schaffen^ nicht,
nach ihr lagen Askr und Embla schon da, aber die Götter
fanden sie noch unmächtig und bestimmungslos, sie besassen
nicht Seele, hatten nicht Sinn, nicht Blut noch Gebärde, noch
blühende Farbe. Da verlieh Odin die Seele, Hönir sinnige
Rede, Lodur gab Blut und blühende Farbe.
Wir begegnen hier wieder der Göttertrilogie, deren Namen
nach den Forschungen der Mythologen als verschiedene Be-
ziehungen zur Natur aufgefasst werden müssen,, wie ja die
Vielheit der Götter überhaupt nur als besondere Eigenschaiten
und Manifestationen des einen Gottes betrachtet werden müssen.
Odin entspricht der Luft (Athem) , er verlieh die Seele :
Hönir entspricht dem Wasser, er verlieh die sinnige Rede;
Lodur entspricht der Flamme, er verlieh Blut und blühende
Farbe. Nehmen wir die Erde noch hiezu, aus welcher der
Leib besteht, so erbalten wir die vier Elemente des Alter-
thums: Luft, Wasser, Feuer und Erde, welche den Menschen
zusammensetzen. Dieses überraschende Zutreflfen liefert uns
zugleich den Beweis, dass wir es bei den verschiedenen
Götternamen wirklich nur mit der Personification verschiedener
Aeusserungen einer einzigen Gottheit zu thun haben, dass der
germanischen Götterlehre der Monotheismus zu Grunde liegt
und dass dieselbe eine in Bilder und Personificationen gefasste
Naturlehre ist.
In der ersten^ von uns schon bezogenen Strophe der
Völuspä werden die Menschen Heimdalls Geschlecht genannt;
damit wird also Heimdall als Vater der Menschen bezeichnet.
Das Wesen dieser germanischen Gottheit ist nicht vollkommen
klar, obwohl sein Name öfter genannt wird. Einmal gilt er
als Odhin selbst, dann aber wieder als Sohn Odhins, und man
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sagt von ihm, dass er neun Mütter habe. Ein geistvoller
Alterthumsforscher findet das wunderlich. Diese Mythe aber
zeigt uns nur aufs neue, wie sehr wir bei allen Deutungen
des germanischen Götterglaubens darauf angewiesen sind, die
Hülle der Personitication abzustreifen, und von dem Gedanken
auszugehen, dass die Germanen selbst, wenigstens die Wissen-
den, solchen Personificationen keinen realen Inhalt unterlegen
konnten, da sie sonst nicht auf so haarsträubende und ver-
nunftwidrige Vorstellungen hätten kommen können. Die neun
Mütter Heimdalls werden sich also, wenn wir die Personi-
fication abstreifen, als neun verschiedene Manifestationen
Heimdalls und Beziehungen zur Natur darstellen, aus denen
das Wesen Heimdalls hervorgeht.
Ein anderes Götterlied, der Edda, Kigsmal, identificirt
Heimdali mit Rigr und führt ihn geradezu als Vater der
Menschen ein. Als Rigr fällt er wieder mit Iring und Irmin
zusammen. Als Irmin (Hermen, Hermann) berührt er sich
schon dem Namen nach mit dem griechischen Hermes. Wie
nun diesem Gotte in Griechenland die Hermen aufgestellt
wurden, so wurden dem Irmin in ganz Deutschland Holzpftlhle,
auch Säulen von rohen oder behauenen Steinen, die hie und
da als sogenannte Menhir noch erhalten sind, gesetzt, d. h. Irmin
wurde durch Holzpfähle symbolisirt und er erscheint daher
nach der übereinstimmenden Bedeutung dieser Holzpfahle als
Personification der zeugenden Kraft, und da Heimdall-Irmin
der Vater des Menschengeschlechtes ist, so ist damit eine
noch nähere Erklärung gewonnen, warum die ersten Menschen
aus Holzpfählen hervorgehen.
Mit der Belebung des Menschengeschlechtes ist Heimdalls
Aufgabe nicht erfüllt, auch dessen weitere Entwicklung ist ihm
zuzumessen. Sie wird von dem schon genannten Götterliede,
Bigsmal, in umständlicher Weise erzählt, und da mir gerade
dieser Theil der germanischen Anthropogenie sehr merkwürdig
erscheint, so kann ich mich nicht enthalten, Ihnen das Wesent-
liche daraus nach Simrock's Uebersetzung mitzutheilen.
Einst, sagen sie, ging auf grünen Wegen
Der kraftvolle, edle vldkundigc As,
Der rüstige, rasche Eigr einher.
Weiter wandelnd des Weges inmitten
Traf er ein Haus mit offener Thür.
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Er ging hinein, am Estrich glüth* es;
Da sass ein Ehpaar, ein altes, am Feuer.
Ai und Edda in übelm Gewand.
Zu rathen wusste BJgr den alten;
Er sass zu beiden der Bank inmitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Da nahm Edda einen Laib aus der Asohe^
Schwer und klebricht, der Kleien voll,
Mehr noch trug sie auf den Tisch alsbald:
Schlemm in der Schüssel ward aufgesetzt,
Und das beste Gericht war ein Kalb in der Brühe.
Auf stand darnach des Schlafs begierig
Rigr, der ihnen wohl rathen konnte,
Legte zu beiden ins Bett sich mitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Da blieb er darauf drei Nächte lang,
Da ging er und wanderte des Wegs inmitten,
Darnach vergingen der Monden neun.
Edda genass, genetzt ward das Kind,
Weil schwarz von Hant, geheissen Thräl.
Es begann zu wachsen und wohl zu gedeihen,
Eauh an den Händen war dem Rangen das Fell,
Die Gelenke knotig (von Knorpelgeschwulst),
Die Finger steif, fratzig das Antlitz,
Der Rücken krumm, vorragend die Hacken.
In Kurzem lernt* er die Kräfte brauchen.
Mit Bast binden und Bürden schnüren.
Heim schleppt er Reiser den heilen Tag.
Da kam in den Bau die Gängelbeinige,
Schwären am Hohlfuss, die Arme sonnverbrannt^
Gedrückt die Nase, Thyr die Dirne.
Breit auf der Bank alsbald nahm sie Platz,
Ihr zur Seite des Hauses Sohn.
Redeten, raunten, ein Lager bereiteten.
Da der Abend einbrach, der Enk und die Dirne.
Ich unterbreche hier den Gang der Erzählung, um so-
gleich die Bemerkung einzuschalten, dass wir da eine so vor-
treflfliche Schilderung der Steinzeitleute vor uns habei), wie
wir nur eine wünschen können. Ein altes Ehepaar, Urgrosa*
vater und Urgrossmutter, das ist die Bedeutung von Ai und
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Edda, hocken in schlechtem, vielleicht aus Bast *) gewebtem
Gewände am Feuer, da Rigr eintritt. Das Brod wird in der
Asche gebacken, es ist schwer und klebricht, und man ver-
stand noch nicht, die Kleie vom Mehle zu sondern, dazu Sud
im Napf und das beste, was geboten werden konnte, ein Kalb
in der Brühe. Ihre Kinder sind schwarz von Farbe, rauh und
fratzig im Angesicht und von ungeschlachtem Körperbau.
Trotz voller Arbeit den ganzen Tag leben sie knapp und müh-
selig. Wir könnten uns die Pfahlbauleute nicht besser geschil-
dert denken.
Von diesen entsprang der Knechte Geschlecht.
Weiter ging Rigr gerades Weges,
Kam an ein Haus, halboffen die Thür,
Er ging hinein, am Estrich glüth' es ;
Da sass ein Ehpaar geschäftig am Werk.
Der 3(£ann schälte die Weberstange,
Gestrält war der Bart, die Stirne frei,
Knapp lag das Kleid an, die Kiste stand am Boden.
Das Weib daneben bewand den Rocken
Und führte den Faden zu feinem Gespinnt.
Auf dem Haupt die Haube, am Hals ein Schmuck,
Ein Tuch um den Nacken, Nesteln an der Achsel :
Afi und Amma im eigenen Haus. i
Rigr wusste den Worthen zu rathen,
Auf stand er vom Tische des Schlafs begierig.
Da legt* er zu beiden ins Bett sich mitten.
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Da blieb er drauf drei Nächte lang;
(Da ging er und wanderte 'des Wegs inmitten.)
Damach vergingen der Monden neun.
Amma genas, genetzt ward das Kind
Und Karl geheissen; das, hüllte das Weib.
Roth wars und frisch mit funkelnden Augen.
Er begann zu wachsen und wohl zu gedeihen :
Da zähmt er Stiere, zimmerte Pflüge,
Schlug Häuser auf, erhöhte Scheunen,
Führte den Pflug und fertigte Wagen. ,
') Das Bastgewand ergibt sich aus Strophe 2, wo es ein
übles Gewand genannt wird, aus Strophe 9, wo der ThrUl aus
Bast flicht und aus dem Gegensatze zu den Linuengewändern der
späteren Zeit.
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Da fuhr in den Hof mit Schlüsseln behängt
Im Ziegenkleid die Verlobte Karls;
Snör (Schnur) geheissen sass sie in Linnen.
Sie wohnten beisammen und wechselten Ringe,
Bereiteten Betten und bauten ein Haus.
In diesem Theile der Dichtung führt uns deren weiterer
Verlauf ein entwickelteres, uns näheres Zeitalter, das des
Grossvaters und der Grossmutter vor Augen; das bedeutet
Afi und Amma. Da Rigr nach neuer Wanderung eintritt,
findet er beide emsig beschäftigt; er glättet den Webebaum,
sie besteckt den Rocken und zieht zu feinem Gespiunste die
Fäden ; sie haben nebstbei allerlei Geräth an Pflug und Wagen,
die Kiste am Boden deutet auf angesammelten Vorrath und
errungenen Wohlstand, den auch sonst Haus und Scheunen
bergen. Dabei sind- sie von schöner Gestalt, welche Gross-
mutter noch durch Kopfputz und Schmuck zu heben versteht
In gleichem Maasse bezeichnen die Namen der Kinder, unter
denen auch der Krieger und der Schmid erscheint, das auf-
strebende Geschlecht. Es ist das Zeitalter des Ackerbauers,
und aus ihm geht der Stand der Bauern hervor.
Weiter ging Rigr gerades Weges;
Kam er zum Saal mit südlichem Thor.
Angelehnt wars, mit leuchtendem Ring.
Er trat hinein, bestreut war der Estrich.
Die Eheleute sassen und sahen sich an,
Vater und Mutter an den Fingern spielend.
Der Hausherr sass die Sehne zu winden,
Den Bogen zu spannen, Pfeile zu Schäften,
Dieweil die Hausfrau die Hände besah.
Die Falten ebnete, am Aermel zupfte.
'/
Im Schleier sass sie ein Geschmeid an der Brus^,
Die Schleppe wallend am blauen Gewand;
Die Braue glänzender, die Brust weisser,
Lichter der Nacken als leuchtender Schnee. ' '
Rigr wußste dem Paare zu rathen,
Zu beiden sass er der Bank inmitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Da bvacht die l£utter geblümtes Gebild
Von schimmernden Lein, den Tisch zu spreiten* j
I
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Linde Semmel legt sie dann
Von weissen Waizen gewandt auf das Linnen.
Setzte nun silberne Schüsseln auf
Mit Speck und Wildbrät und gesottnen Vögeln;
In kostbaren Kelchen und Kannen war Wein:
Sie tranken und sprachen bis der Abend sank.
Eigr stand auf, das Bett war bereit.
Da blieb er drauf drei Nächte lang:
Da ging er und wanderte des Wegs inmitten.
Darnach vergingen der Monden neun.
Die Mutter gebar und barg in Seide
Ein Kind, das genetzt und genannt ward Jarl.
Licht war die Locke und leuchtend die Wange,
Die Augen scharf wie Schlangen blicken.
Daheim erwuchs in der Halle der Jarl,
Den Schild lernt' er schütteln, Sehnen winden,
Bogen spannen und Pfeile Schäften,
Spiese werfen, Lanzen sohiessen,
Hengste reiten, Hunde hetzen,
Schwerter schwingen, den Sund durchschwimmen.
Aus dem Walde kam der rasche Rigr gegangen,
Bigr gegangen ihn Runen zu lehren.
Nannte mit dem eigenen Namen den Sohn,
Hiess ihm zu Erb und Eigen besitzen
Erb und Eigen und Ahnenschlösser.
Da ritt er von dannen auf dunklem Pfade
Durch feuchtes Gebirg bis vor eine Halle.
Da schwang er die Lanze, den Lindenschild,
Spornte das Ross und zog das Schwert.
Kampf ward erweckt, die Wiese geröthet,
Der Feind gefällt, erfochten das Land.
Nun sass er und herrschte in achtzehn Hallen,
Vertheilte die Güter, Alle begabend
Mit Schmuck und Geschmeide und schlanken Pferden.
Er spendete Ringe, hieb Spangen entzwei.
Da fuhren Edle auf feuchten Wegen,
Kamen zur Halle vom Hersir bewohnt.
Entgegen ging ihm die Gürtelschlanke,
Adliche, artliche, Erna geheissen.
Sie freiten und führten dem Fürsten sie heim.
Des Jarls Verlobte ging sie in Linnen.
Sie wohnten b^fisammen und wafen sich hald, •
Füha^ten . fort den Stamm ttok bis ins Alter.
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Es ist überflüssig, zu diesen Strophen noch eine Bemer-
kung zu machen ; sie schildern die Zeit von Vater und Mutter
die blühende Gegenwart. Aus den Ackerbauern ist ein kriege-
risches, unternehmendes Geschlecht hervorgegangen, wie die«
schon die Strophe 21 des Gedichtes im Voraus andeutet, d^
sie unter den Söhnen des Bauers den Krieger und Helden nennt.
Wie sich aus der ganzen Dichtung ergibt, kennt der
germanische Mythus, was ich gleich Eingangs bemerkte, das
Paradies nicht. Aus rohen, armseligen Anfängen arbeitet sieh
das Menschengeschlecht in einer naturgemässen Stufenfolge zu
Wohlstand und Kraft empor, bei der nicht blos Behaglichkeit^
Vielseitigkeit und Frische des Lebens gewinnen: es ist hoch
bedeutsam, dass auch Schönheit des Körpers, Feinheit der
Sitte und Bildung des Geistes in gleichem Grade sich ent*
wickeln. Kann man eine treffendere Uebereinstimmung mit
den Lehren der Neuzeit finden, als sie uns hier vorliegt?
Einen nicht geringen Eintrag erleidet die naturgemässe
Entwicklung in der vorgetragenen Dichtung allerdings, und
zwar dadurch, dass die Geschlechter der verschiedenopi Zeit-
alter nicht unmittelbar auseinander hervorgehen, dass Heimdall-
Rigr die drei Paare der verschiedenen Zeitalter bereits vor-
gebildet vorfindet und sich darauf beschränkt, ihnen zur
Nachkommenschaft zu verhelfen. Man war deshalb auch der
Meinung, die Dichtung schildere der Zeit nach neben einander
Bestehendes und nicht auf einander Folgendes und hat die-
selbe lediglich als eine Erzählung der Entstehung der Stände
betrachtet. Indess wird die zeitliche Aufeinanderfolge schon
durch den Gang der Erzählung, und deren steigendem Cha-
rakter dargethan, die Auf- und Auseinanderfolge der drei
Geschlechter durch die Bezeichnung der Stammpaare dar-
gethan. Die Dichtung beginnt mit dem Paare auf der tiefsten
Stufe, sie heissen Urgross vater und Urgrossmutter oder Urahn
und. Urahne; ihnen folgen auf höherer Stufe Grossvater und
Grossmutter, endlich Vater und Mutter.
Man könnte noch daran Anstoss nehmen, dasd die v^r-'
schiedemen mensehlichen Geschlechter nach der Darstellftng'
unseres G^tterliedes aus einem Ehebrüche hervorgehen, wafe»
bei einem Volke, von dem Tacitus sagt: „Quanquam s^verä
illic matrimonia, nee uUam morum partem magis laudav^eris^,*
um so auffallender sein wird. Ich muss dem entgegen darauf
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zurück kommen, was ich schon wiederholt sagte, dass die
Götter ursprünglich auch in der Vorstellung der Germanen
nicht wirklich existente Personen gewesen sind und es nicht sein
konnten, sondern lediglich mit der Personification umkleidete
Ideen. Der auf grünen Wegen wandelnde Heimdall-Rigr ist,
wie schon oben nachgewiesen wurde, die mit Persönlichkeit
ausgestattete Idee der zeugenden Kraft, und nicht der persön-
liche Gott Rigr, sondern die zeugende Kraft der Natur ist es,
welche den Ehepaaren Nachkommenschaft verleiht.
Vater und Mutter ist nicht das letzte Geschlecht, denn
ihre Zeit ist ja doch eigentlich auch schon vorüber, sie ist
nicht mehr die unserige, und so erwarten wir folgerichtig zwar
nicht die volle Entwicklung, aber doch den Beginn eines vierten
Zeitalters. Auch dieser Erwartung entspricht unser Götterlied,
jedoch 80, dass es sogleich in sinniger Weise zu den Enkeln
von Vater und Mutter überspringt, also, da die Enkel von
Vater und Mutter erst nach uns kommen werden, das neue
Zeitalter in die Zukunft verlegt.
Konur ist der jüngste der Enkel von Vater und Mutter
und von ihm erzählt das Lied Folgendes:
Konur der junge kannte Runen,
Zeitrunen und Znkunftrunen ;
Zumal erlernt er Menschen zu bergen,
Schwerter zu stumpfen, die See zu stillen.
Vögel verstand er, wusste Feuer zu löschen.
Den Sinn zu beschwichtigen, Sorgen zu heilen.
Auch hatt' er zumal acht Männer Stärke.
Er stritt mit Bigr, dem Jarl, in Bunen,
In allerlei Wissen erwarb er den Sieg.
Da ward ihm gewährt, da war ihm gegönnt,
Selbst Rigr zu heissen und runenkundig.
Nach einigen weiteren Versen bricht das Gedicht, wahr-
scheinlich kurz vor dem Schluss ab; es ist uns nur als Fragm^ent
erhalten geblieben, aber es sagte uns noch genug zur Charakte-
risirung des beginnenden neuen Zeitalters. Der Repräsentant
desselben ist der junge Konur; sein Name bedeutet der
Kenntnissreiche und das ist er in der That. Indem ihm das
Gedicht die Kenntniss der Bunen zuschreibt, misst es ihm,
vom Standpunkte seiner 2ieit aus betrachtet, das volle MaaSB
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alles Wissens zu. In diesem aber liegt eine mächtige, wunder-
bare Macht; denn es eröffnet ihm alle Geheimnisse der Natur
und verleiht ihm mit der Kenntniss dei*selben auch die Macht
sie zu beherrschen. Nicht blos die Sprache der Vögel lernt
er verstehen, sondern er kann auch Schwerter stumpfen, Stürme
bannen, Menschen heilen, Sorgen stillen, ja auch über die
andern Mensehen vermag er zu herrechen, da er die Stärke
von acht Männern erhält. Das Alles fiiesst aus der Kenntniss
der Runen, worauf die Dichtung nochmals zurückkommt, indem
sie berichtet, dass Konur mit seinem Vater in Runen stritt
und in allerlei Wissen den Sieg erwarb. Kurz ehe sie abbricht,
deutet sie die kommende Herrschaft Konur's an. In Konur
aber personificirt sich die Wissenschaft und ihrer Herrschaft
gehört somit die Zukunft und das beginnende neue Zeitalter.
lieber die angeblieh trepanirten Cranien des
Beinhauses zu Sedlec in Böhmen.
Von
Dr. Heinrich Wankel.
In dem dritten Hefte des zehnten Jahrganges der Berliner
Zeitschrift für Ethnologie hat der Landeshistoriograph von
Mähren, Herr Dr. Beda Dudik, eine Arbeit veröflFentlieht, in
welcher er von vielen vorhistorisch trepanirten Schädeln des
Sedlecer Beinhauses spricht.
Wenn ich auch weit entfernt bin, das Verdienstvolle
dieser in historischer Beziehung durchaus gediegenen Arbeit
zu schmälern, so erlaube ich mir doch meinen Zweifel an der
Richtigkeit der Ansicht des Herrn Dudik in Bezug der Trepa-
nation und Prähistorik der Sedlecer Schädel auszuspreehen,
welcher Zweifel durch die Resultate meiner Untersuchungen
der betreffenden Schädel, die ich an Ort und Stelle selbst
vornahm, seine vollkommene Begründung findet.
Herr Dudik glaubt die Ursache der vielen Löcher und
penetrirenden Wunden in den Cranien zu Sedlec entweder der
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nach Broca benanuten Trepanation posthume oder der Tre-
panation chirurgicale zuschreiben zu können.
Ich will durchaus nicht in Abrede stellen, dass manche
dieser Löcher bei flüchtiger, oberflächlicher Betrachtung ins-
besonders Laien sehr leicht zu jener Ansicht verfuhren können,
und entschuldige daher Herrn Dudik vollkommen, da es selbst
Fachgenossen und pathologischen Anatomen mitunter schwer
fallen dürfte, unter gewissen Verhältnissen ein sicheres Urtheil
abzugeben.
Um mich nun zu überzeugen, begab ich mich nach jenem
Beinhause, woselbst ich jeden der durchlöcherten Schädel einer
kritischen Prüfung unterzog und die Resultate dieser lege ich
im Allgemeinen in nachstehenden Zeilen nieder und zwar mit
dem Bemerken, dass die aus der Untersuchung resultirenden
Urtheile nur subjectiv sind und ich auf Unfehlbarkeit keinen
Anspruch mache.
Wer von Kolin auf der österreichischen Nordwestbahn
nach Kuttenberg fahrt, dem fallt schon vom Weiten die hohe
thurmreiche, schöne Kirche „zu Allerheiligen", das Beinhaus
von Sedlec, auf. Sie steht mitten in Gärten dort, wo einst,
als noch die Cistercienser- Abtei blühte, ein grosser Kirchhof,
„die Thore des Klosters", porta monasterii, genannt, sich über
viele Morgen Landes ausbreitete und wegen des Rufes der
Heiligkeit im ganzen Lande weit imd breit bekannt war. Hier
wurden nicht nur die Dahingeschiedenen des Ortes beerdigt,
sondern auch viele aus weitentfemten Ortschaften des Landes
hiehergebracht, um in heiliger Erde zu ruhen; denn heilig
war die Erde, da der Sage nach der Abt Haidenirik HL ums
Jahr 1280 ein Quantum Erde vom Calvarienberge in Jerusalem
brachte und hier ausstreute. Zur Zeit der Husitenkriege wurden
hier auch die Schlachtopfer der Umgebung begraben. Als dann
das Beinhaus in Form einer stattlichen Kirche gebaut war,
wurde der Friedhof theilweise cassirt, zu Feldern und Obst-
gärten hergerichtet, die ausgegrabenen Menschenknochen in
der Kirche niedergelegt und deren Schiff in der abenteuer-
lichsten Weise damit ausgeschmückt. Vier grosse, bis an die
Decke reichende Pyramiden sind aus Knochen zusaounen-
goschlichtet und bergen Tausende von Schädeln; von der
Decke hängt ein riesiger Luster herab und hohe Candelaber
stehen herum^ alles von Menschenknochen sinnreich zusammen-
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gestellt; so auch das grosse Fürst Schwarzenbergische Wappen
und die zwei riesigen Vasen in der Eingangshalle. Alle Ge-
simse und Altäre sind mit Schädeln belegt und überall^ wohin
der Blick fallt, grinsen Todtenköpfe in so grosser Anzahl, dass
man die angebliche Zahl derselben von mehr als 10.000 nicht
übertrieben findet.
Die Schädel sind meistens blendend weiss, ohne eine
Spur von Dendriten, an der Oberfläche rauh und ziemlich
leicht, sie haben alle ein recentes Aussehen und mit dem der
prähistorischen Schädel nichts gemein. Offenbar sind sie durch
längere Zeit der bleichenden Sonne und den Witterungsein-
flüssen ausgesetzt gewesen, die den Knochenleim und das Fett
zerstörten und die Knochen weisser und leichter machten.
Anderseits ist es immerhin möglich, dass die Knochen, welche
in einer Erde gebettet waren, die von den vielen mit Arsenik-
kiess imprägnirten Halden aus den Kuttenberger Silbergruben
genommen war, schneller bleichten und eine weissere Farbe
angenommen haben, wodurch jene vom Herrn Dudik angeführte
Sage entstanden sein mag.
Zwei Schädel jedoch weichen in Betreff der Farbe von
allen Ilebrigen wesentlich ab; der Eine, ein pathologisch ent-
arteter sklerotischer Schädel, ist braun, mit grossen schwarzen
dendritenartigen Flecken bedeckt und hat einigermassen etwas
Aehnlichkeit mit solchen Schädeln, welche einige Zeit im Moore
gelegen sind; der Andere ist auf seiner rechten Hälfte blass-
grün gefärbt, welche Färbung sich gleichmässig über das rechte
Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptbein erstreckt und nicht
von Kupferoxyd herzustammen scheint, sondern vielmehr von
einem grünfärbenden Stoffe, auf dem der Schädel lag, her-
rühren mag.
Der Charakter der Schädel ist im Allgemeinen entweder
brachycephal oder mesocephal; die letzteren sind oft sehr stark
chamaecephal. Dolichocephale Formen sind im Verhältniss
äusserst wenig vertreten. Nach oberflächlicher Schätzung
würde sich meiner Ansicht nach auf einen durchschnittlichen
Längenbreitenindex von 78 — 79 schliessen lassen.
Die pathologischen und defecten Schädel sind. Dank dem
guten Einfalle eines gewissen Rint, der im Jahre 1870 die
Knochen umlegte, putzte und in verschiedene ornamentale
Gruppen brachte, aus der Menge herausgesucht, auf den
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Altären zusammengestellt und vertheilt worden; sie können
von Jedermann hinweggenommen und näher besichtigt werden.
In dem Bereiche der Untersuchung befanden sich 129 Cra-
nien, von denen 10 defecte keine Spur eines Heilungsprocesses,
die übrigen aber mehr oder- weniger Reactionssymptome nach-
weisen lassen. Von letzteren haben 53 penetrirende Knochen-
wunden, 16 penetrirende Verletzungen und nebstbei noch eine
oder mehrere Knochennarben, und 50 meist langgestreckte
Knochennarben ohne penetrirende Knochenwunden.
Alle diese Schädel gehörten erwachsenen Personen, und
zwar Männern an, soweit dies aus der Schädelwölbung, dem
kräftigen Baue, den starken Höckern und Muskelansätzen zu
erkennen ist.
Von den zehn Cranien, welche grosse Substanzverluste
ohne Spuren eines Heilungsprocesses wahrnehmen lassen, sind
nur zwei vorhanden, bei deren Betrachtung der Gedanke an
eine Trepanatio post mortem, oder wie Broca sagt, Trepanation
posthume, erwachen könnte. Das eine Craniura zeigt ein 30 mm.
grosses, fast zirkelrundes Loch in dem rechten Scheitelbeine,
nahe der Mitte der Pfoilnaht, dessen äusserer Rand durch die
rings um den inneren Rand ausgebrochene innere Glasplatte,
welche einen Theil der Diploe mitnahm, scharf und dünn ge-
worden ist, wie es bei einem morschen brüchigen Schädel durch
Einschlagen mit einem stumpfen Werkzeuge vorzukommen
pflegt. Es ist daher eine Trepanatio post mortem in diesem
Falle umsoweniger anzunehmen, als die Art und Weise, wie jene
Oeffnung entstanden sein mag, dagegen spricht. Das zweite
Cranium ist jenes, von dem Herr Dudik spricht, der in der
viereckigen Form der Verletzung die Beweise einer Trepa-
nation posthume sehen will, und in der That lässt sich nicht
leugnen, dass es so aussieht, als wenn am linken Scheitel-
beine in der Nähe des Stimhöckers eine 4^2 cm. lange, und
2Y2 cm. breite Knochenplatte geflissentlich herausgeschnitten
worden wäre. Die vordere Randfläche ist vertical und sieht
aus, wie eine Bruchfläche, die andern Ränder sind platt, mit
ihrer Fläche nach Aussen sehend, sie sind 3—372 ^di- breit
und haben das Aussehen einer Schnittfläche; der Substanz-
verluRt in der Mitte dieser Verletzung stellt ein langgezogenes,
vollständig viereckiges Loch dar. Von Sägespuren und isolirten
Schnittflächen ist jedoch nichts wahrzunehmen, und eben
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dieser Mangel ist es, der darthut, dass die Knochenplatte nicht
langsam herausgeschnitten, sondern durch einen, mit einer
scharfen WaflFe von hinten ausgefühiiien Hieb, der die linke
Seite des Schädels an dieser Stelle tangirend traf, an drei
Seiten vom Schädel losgelöst und an der vierten abgebrochen
wurde. Die anderen Cranien weisen Defecte von der Grösse
eines Thalers bis zu der eines Handtellers und noch darüber
auf, an keinem ist irgend die Spur eines Heilungsprocesses
wahrzunehmen. Die Verletzungen sind von äusserst unregel-
mässiger Gestalt, die Lücken oft mannigfach ausgezackt, fast
durchgehends mit 3 — 4 mm. breiten, nach Aussen gekehrten
Randflächen, die in einer Ebene liegen, umgeben. Bei einigen
dieser Cranien kann man noch die Spuren des Hiebes auf der
Oberfläche des Knochens, in Form von geraden eingeschnittenen,
mehr weniger tiefen Furchen zu beiden Seiten des Substanz-
Verlustes verfolgen. Es sind dies in der That Schädelver-
letzungen, die unverkennbar durch einen kräftigen Hieb mit
einem scharfen Werkzeuge oder einer Waffe entstanden sind,
wofür auch die Gleichartigkeit aller dieser Defecte spricht.
Dass eine derartige Verletzung und namentlich eine Verletzung
von solcher Ausdehnung augenblicklich den Tod herbeiführen
musste, wird Niemand bezweifeln können, und darum sind auch
keine Merkmale einer Heilungstendenz vorhanden.
An diese Schädel lassen sich jene anreihen, die an ver-
schiedenen Stellen ein 2 — 3 mm. grosses, entweder penetriren-
des oder nicht penetrirendes, mitunter deutlich konisches Loch
vorweisen und von denen einige die Spuren des Heilungs-
processes zeigen; wie z. B. ein 8 mm. grosses zirkelrundes
Loch oberhalb des rechten Augenbrauenbogens, das bis in die
Stirnhöhlen, jedoch nicht in den Schädelraum gedrungen und
in seinem Grunde mit Callusmasse ausgekleidet ist. Ich glaube
mich nicht zu irren, wenn ich jene kleinen runden und tiefen
Löcher der Einwirkung der Spitzen der einst gebräuchlichen
Morgensterne zuschreibe.
Sämmtliche Verletzungen der 53 Schädel mit grossen
Löchern und mehr weniger fortgeschrittenen Heilungsprocessen
haben einen und denselben Charakter. Durch ihre nach
Aussen sehenden breiten Knochenränderflächen, durch die
un regelmässige Gestalt, die mitunter langgezogene Form, mit
über den Substanzverlust hinauslaufenden Schrammen, charak-
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terisiren sie sich als Folge von Schwert- oder Axthieben, die
den Schädel tangirend trafen; sie sitzen an verschiedenen
Stellen, und bei den meisten kann man klar nachweisen, wo
und von welcher Seite die scharfe Waffe die Oberfläche traf.
Als unwiderlegbarer Beweis dessen diene an einem exquisit
braqhycephalen Schädel die Beschaffenheit einer Verletzung,
welche darin besteht, dass dui-ch einen kräftigen Hieb ein
halbmondförmiges, ungefähr 30 mm. langes scharfkantiges
Knochenstück am hinteren Ende der Pfeilnaht vom rechten
Scheitelbeine herausgehauen, sich von den Zinken der Naht
des linken Scheitelbeines, wo eine Perforation entstand, loslöste
und abbrach. Die Bruchflächen und Zinken der Naht sind
mit Callus abgerundet. Die Spur des halbmondförmigen Hiebes
lässt sich auch noch auf der Oberfläche des linken Scheitel-
beines einige Millimeter weit verfolgen.
An einigen wenigen Schädeln werden auch Verletzungen
gefunden, die durch einen Schlag mit einem mehr weniger
stumpfen Werkzeuge entstanden sein mögen; bei diesen ist
der Knochenrand nicht nach aussen, sondern meistens nach
innen gekehrt; auch sie haben die imregelmässigste Form und
deutliche Spur des Heilungsprocesses. An einem dieser Schädel
ist in der fast zirkelrunden, über 2 cm. grossen Knochenlücke
noch die eingeschlagene Platte zu sehen, die, die Form bei-
behaltend, an einer Seite angewachsen, mit der andern in die
Schädelhöhle hineinragt und durch Callus abgerundet erscheint.
Auf diese Art mögen auch viele kleine, stark ausgezackte, an
verschiedenen Stellen der Schädel befindlichen Lücken ent-
standen sein. Die eingeschlagenen Knochensplitter sind, wenn
dieselben fehlen, entweder künstlich entfernt, oder nekrotisch
geworden und haben sich dann abgestossen; in diesem Falle
hat die zurückgebliebene narbige Oeffnung das Aussehen eines
Knochengeschwüres. Schon der Ort, wo dieselben oft sitzen,
spricht gegen jede Trepanation.
Ein Umstand, der auch meine Ansicht vollkommen be-
stätigt, ist der, dass 16 Cranien noch nebst einer penetrirenden
Schädelwunde, an der Stirne oder den Scheitelbeinen verschieden
lange, mehr weniger tiefe Schrammen aufweisen, die unverkenn-
bar durch einen senkrecht auf den Schädel gefühi-ten Schwert-
oder Axthieb entstanden sind.
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Die übrigen 50 Schädel haben keine Substanz Verluste,
hingegen aber Narben von oft 10— 15 cm. Länge. An einigen
ist oft ein grösseres Stück Knochen durch den Hieb losgelöst,
und durch Callus mit bedeutender Dislocation wieder an-
gewachsen.
Ich will noch der wenigen Schädel gedenken, deren in
Heilung begriffene Verletzungen bei flüchtiger Betrachtung
einigermassen Aehnlichkeit mit der Trepanation chirurgic^le.
haben könnten. So ist es das zirkelrunde, kaum 10 mm. grosse
Loch am vordem Winkel des rechten Scheitelbeines eines
brachycephalen Hochschädels von sehr recentem Aussehen,
dessen Ränder gleichmässig abgerundet sind und viel Aehn-
lichkeit mit einer durch eine Trepankrone entstandenen Oefftiung
hätten, wenn nicht die geringe Grösse dagegen spräche. Ich
glaube, dass hier kaum eine traumatische Einwirkung statt-
gefunden hat, auch wäre es unmöglich, ausser mit einer sehr
kleinen Trepankrone, ein solches zirkelrundes Knochenstück
herauszuschneiden, eine so kleine Trepankrone aber würde
den chirurgischen Zwecken nicht entsprechen. Ich glaube viel-
mehr in dieser Knochenlücke einen Detritus zu sehen, der
durch irgend eine Neubildung, vielleicht von der Dura mater
aus, entstanden sein konnte. Ein 2 cm. grosses längliches,
stark ausgezacktes Loch auf dem rechten Stirnhöcker könnte
für eine Trepan wunde, entstanden durch Schaben, gehalten
werden; dem aber widerspricht, ausser den deutlichen Brueh-
rändern, noch der gänzliche Mangel jeder Spur von Schaben
in der unmittelbaren Umgebung dieses Loches.
An einem anderen Schädel befindet sich mitten in der
Kranznaht ein 4 cm. grosses rundliches Loch mit wenig nach
aufwärts sehenden Bruchflächen, die durch Callus geglättet sind
und welches Loch viel Aehnlichkeit mit einer Trepanwunde
hat; aber dagegen spricht nebst dem Orte noch die Anwesen-
heit der etwas weiter nach hinten liegenden, 6 cm. langen
Schramme. Ks sind offenbar beide Schädelwunden gleich-
zeitig und durch Hiebe erzeugt worden.
Und so kann man bei fast allen Schädelverletzungen mit
Sicherheit die Entstehungsursache nachweisen, und die vielen
Verletzungen als auf dem Schlachtfelde entstanden gelten
lassen. Dass die Cechen in der Zeit des Husitenkrieges hier
viele Schlachten geschlagen, sagt uns die Geschichte; dem
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widerapricht auch die Volkstradition nicht, die angibt, dass
die Schädel im Sedlecer und Maliner Beinhause theilweise von
den nahen Schlachtfeldern und Friedhöfen von Kolin, Kutten-
berg und Caslau u. s. w. genommen worden sind.
Aber Herr Dudik hat dennoch Recht, wenn er behauptet,
dass in Böhmen prähistorische Trepanation getrieben wurde,
darauf hin deuten zwei ausgezeichnete Cranien im Prager
Museum. Sie sind einem prähistorischen Grabe bei Bilin in
Böhmen entnommen; an beiden fehlt der Gesichtstheil und wie
ich glaube, auch die Basis.
Das eine ist stark dolichocephal und hat ^in 60 mm.
langes, 40 mm. breites, elliptisches, in der Mitte des rechten
Scheitelbeines sitzendes Loch, das durch seinen gleichmässigen
verdünnten, durch Callus geglätteten Rand sich auszeichnet;
der zweite Schädel scheint mesocephal und hat ein 40 mm.
grosses, vollkommen zirkelrundes Loch in der Gegend des
linken Höckers des Stirnbeines; dieses Loch hat ebenfalls einen
äusserst gleichmässigen, etwas gewulßteten Rand. Beide Löcher
rühren unverkennbar von Trepanwunden, und zwar von einer
nach Broca benannten Trepanation chirurgicale, her, welche
selbst ein Laie erkennen kann, und mit welchen keine Ver-
letzung der Sedlecer Schädel eine Aehnlichkeit hat.
Leider sind mir die beiden Calvarien nicht zugänglich
gewesen, um sie in der unmittelbaren Nähe betrachten und
die Schädel daselbst messen zu können ; auch konnte ich keine
Aufklärung über die näheren Fund Verhältnisse erlangen.
Zum Schlüsse will ich noch dreier Schädelabnormitäten
gedenken, die sich im Sedlecer Beinhause befinden.
Zwei davon sind ausgezeichnete makrocephale Schädel.
Der eine ist rund und hoch, gehörte einem ausgewach-
senen Manne an, ist regelmässig gebaut, breit, sehr gross;
das Hinterhaupt ragt nicht hervor, die Stirne steigt ziemlich
gerade nach aufwärts, der Schädelbogeii geht von der Stirne
gleichmässig zum Occiput herab.
Die horizontale Circumferenz misst 553, der Längen-
durchmesser 163, der Breitendurchmesser 192 mm. Sein Index
beträgt 84.
Der zweite Schädel ist ein exquisiter Skapho- und Doli-
chocephalus; er ist ungemein schmal und lang. Die Stirne
steigt unter einem stark nach vorn gewölbten Bogen hoch nach
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aufwärts, dann nach hinten bis zu den Scheitelbeinen, von da
steigt die Schädelwölbung sehr rasch abfallend nach hinten
und unten herab zum Occiput, das sich wie eine langgezogene,
etwas konische Blase nach hinten und unten hinauszieht.
Dadurch, dass der Schädel in seinem vorderen Drittel breit,
in seinem hinteren Drittel um fast zwei Fünftel schmäler ist,
bekommt er eine nach hinten konische Form. Die Stimhöcker
sind stark ausgeprägt, während die Scheitelhöcker fast mangeln.
Die Kranznaht ist offen, die Pfeilnaht und der obere Theil der
Lambdanaht jedoch vollkommen verwachsen und kaum an-
gedeutet.
Der Schädel gehörte einem vollkommen ausgewachsenen
Manne von ungefähr 30 — 40 Jahren an, der höchst wahrschein-
lich durch einen Schuss getödtet wurde, worauf ein 4 mm.
grosses rundes Loch ober dem linken Schläfenbeine, dem ein
eben so grosses hinter dem rechten Schläfenbeine entspricht,
schliessen lässt.
Die Circumferenz beträgt 540, die Länge 200, die Breite
145 und die Höhe vom vorderen Rand des Hinterhauptloches
bis zum vorderen Ende der Pfeilnaht 143 mm. Der Index
ist 70.
Der dritte Schädel ist der schon erwähnte sklerotisch
entartete; er ist mesocephal und einige Pfunde schwer; seine
Knochenmasse ist in der Schädelkapsel sehr verdickt, und
misst an der dicksten Stelle bis nahezu 30 mm.
Archäologische Beiträge aus dem Osten Europas.
Von
A. F. TeplouohofT
in Iliinsk.
(Mit einer Tafel.)
Im Vin. Band, Nr. 3 und 4 der „Mittheilungen der
anthropologischen Gesellschaft in Wien" (im Aufsatz: Mi^
theilungen aus dem Museum der Gesellschaft) stellt Herr Felix
V. Luschan eine Frage an die Archäologen: über die Be-
deutung der dreikantigen Pfeilspitzen mit Seitenloch.
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In meiner archäologischen Sammlung sind drei drei-
kantige Pfeilspitzen aus Bronze, welche den auf der Tafel VII
unter Nr. 1 — 6 abgebildeten sehr ähnlich sind, und ich halte
es deshalb für zulässig, einen kleinen Beitrag zur Beant-
wortung der Frage zu liefern, in dem ich gleichzeitig eine
Zeichnung der Pfeilspitzen in natürlicher Grösse beifüge.
Zur Erklärung der Abbildungen finde ich zweckmässig
Folgendes zu bemerken.
Zur Fig 1. Die Pfeilspitze ist von messinggelber Bronze,
mit dunkelgrauer, etwas ins Grüne schimmernder Patina
bedeckt; die Fli^el sind durch die ganze Länge und auch
an den Widerhaken, sehr scharf zugeschliffen; die Tülle,
welche die Hälfte von der ganzen Länge der Spitze einnimmt,
läuft nach oben hin nur bis zu der Stelle, wo die Wider-
haken angesetzt sind. Das Seitenloch ist in der Mitte der
Tülle, schief gestellt, und obgleich dasselbe nicht nind, hat
es doch glatte Ränder und ist nicht durchstochen, sondern
beim Guss des Artefacts entstanden. Die Tülle ist an der
Oeffnung etwas zusammengedrückt, äo dass sie ein Viereck
mit abgerundeten Ecken darstellt, was wahrscheinlich bei der
Befestigung an den Schaft geschehen ist. Das Gewicht des
Stücks ist 5'2 Gramm. Diese Pfeilspitze ist die einzige,
welche ich nebst anderen Gegenständen in der Nähe von
Iliinsk auf einer Opferstätte zwischen Thierknochen gefunden
habe, wobei kleine Pfeilspitzen aus Eisen von verschiedenen
Formen in Menge vorkamen.
Zu Fig. 2. Die zweite Pfeilspitze hat eine kurze Tülle,
welche im Innern zwischen den Flügeln auf 8 Mm. weit hinauf-
reicht und zugleich mit dem Seitenloch, endigt. Wenn man
bei dem ersten Stück vermuthen konnte, dass das Seitenloch
für einen Stift zur Befestigung an den Schaft diente, so könnte
diese Voraussetzung hier nicht passen: der Stift hätte kaum
das Ende des Schaftes ergreifen können. Die Bronze ist etwas
gelber, wie bei der vorigen, aber viel besser polirt und mit
glänzender graugrüner Patina, gleichmässig bedeckt. Diese
Pfeilspitze wiegt 1'6 Gramm. Sie dtammt, wie auch die
folgende, aus den Gräbern von Ananino, bei der Stadt Jäla-
buga, 5 Werft vom Fluss Kama, im Gouvernement Wjätka.
Fig. 3. Eine aus röthlicher Bronze gegossene Pfeilspitze,
mit kurzer Tülle, 3*7 Gramm schwer; die länglichrunde (7 Mm.)
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Seitenöffnung ist so glatt und regelmässig, dass sie keine
zufällige sein kann und wahrscheinlich zum Einlegen der
Giftpille oder zu einem anderen, besonderen Zweck bestimmt
gewesen ist. Zur Befestigung an den Schaft konnte die Oeff-
nung ebenso wenig dienen, wie bei Nr. 2, da das Loch zugleich
mit der Tülle endigt und auch zu gross dazu ist. Die Farbe
dieses Exemplars ist schmutziggrün; bei der Spitze, zwischen
den Flügeln, ist ein kleines Ornament angebracht
Da es sich um die Constatirung des Gebrauches ver-
gifteter Pfeile in Europa handelt, so lege ich zur Beurtheilung
der Archäologen, die Abbildung eines Ailefactes vor (Fig. 4),
welches schon lange in meiner CoUection der tschudischen
Alterthümer aufbewahrt wird, dessen Bedeutung aber Niemand
errathen konnte, und von dem sich jetzt meine frühere Ver-
muthung zu bestätigen scheint. Es sind mir nämlich aus
verschiedenen Orten des Kermschen Gouvernements kleine
bronzene Kapseln gebracht worden, als freie, auf den Goro-
dischtschi und Aeckern gesammelte Funde, welche den Typus
der Strickhütchen habeil, die früher bei den strump&trickenden
Damen als eine nothwendige und zierliche Zugehörigkeit nicht
fehlen durften. Aber die hiesigen Autochthonen haben wohl
keine Strümpfe gestrickt, wenngleich ihre Frauen sich mit den
schönsten Mosaikperlen schmückten, welche ihre Männer als
Tauschwaare aus andern Ländern erhandelten. Die Kapsel
besteht meist aus zwei besonderen Hülsen (Röhrchen), die der
Länge nach mit einander verbunden, oben breiter als unten
sind, und am Rande immer zwei gegenüber stehende Oesen
besitzen, die offenbar zum Durchführen einer Schnur bestimmt
sind. Von den acht Exemplaren, die ich habe, besteht nur eins
aus einer Hülse, die übrigen sind doppelt. In letzter 2ieit
glückte es mir, auch ein solches Geräth mit einem Deckel-
chen a zu erlangen, auf dem auch noch zwei Oesen eich
befinden, welche mit den untern correspondiren und an den- -
selben Schnüren zum Bedecken auf- und abgeschoben werden
könnten. Alle Exemplare ähneln untereinander am inneren
Umfang der Röhrchen, wie der äusseren Form; nur ist ein
unwesentlicher Unterschied in den Verzierungen, welche atn
unteren Ende angebracht sind. Das Metall ist von gewöhnlicher
Bronzefalbe und bei allen Stücken gleich; die Patina ist
braun. Wozu könnten solche Gelasse gebraucht worden sein?
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363
War nicht Gift im flüssigen Zustande darin gehalten worden?
Und die Tschuden könnten es von den Skythen erlangt haben,
um ihre Jagd auf Pelzthiere zu erleichtern.
Ich kann hier noch zwei problematische Artefacte er-
wähnen, welche in der Sammlung bei mir mit diesen ver-
meintlichen Gifthtilsen zusammen gelegen sind. Ein flaches
Löffelchen aus Bronze (Fig. 5), nur 14 Mm. im Diameter breit,
dessen 3 Cm. langer und IV2 Cm. breiter Handgriff mit drei
Oesen geschmückt ist. In diesem Löffel können ein paar
Tropfen Flüssigkeit oder eine Prise Pulver Raum haben. Das
zweite Stück (Fig. 6) ist ein 5 Cm. langes, 1 Cm. breites,
2*5 Mm. dünnes zierlich omamentirtes Stäbchen mit einer
grossen Oese zum Aufhängen; dieses Stäbchen dient als Hand-
griff zu einem 3*5 Cm. langen Draht, welcher am Ende abge-
rundet und mit einer kleinen Vertiefung versehen ist. Diese
beiden Stücke scheinen aus gleicher Bronze zu sein wie die
Gifthülsen.
Hätte ich alle drei beschriebenen Artefacte selber und
zugleich aus einem Grab hervorgeholt und Aef Phantasie
etwas Raum gegeben, so hätte ich behauptet, alle drei Gegen-
stände wurden am Gürtel angehängt getragen; in den Hülsen
sei Giftflüssigkeit gehalten worden, welche mit dem Löffel
dahin eingetropft und mit dem in Fig. 6 dargestellten Geräthe,
dessen dünnes Ende auch in die Röhrchen hineinpasst, tropf-
weise heraus geholt worden, um damit die scharfe Spitze der
Pfeile zu vergiften. Der Skeptiker wird aber das letze Arte-
fact für ein Ohrlöffelchen oder gar die Gifthülsen für Strick-
hütchen ansehen.
Ein jeder Archäolog weiss genugsam, wie es bisweilen
schwer wird, den Gebrauchzweck mancher Anticaglien zu
errathen. Zum Beispiel wollen wir an die sogenannten Bart-
zwicker oder Pincetten erinnern, welche in sehr vielen Samm-
lungen ') aufbewahrt, von Tausenden Menschen betrachtet und
meistens für Barthaarausreisser gehalten werden, was bei der
bisweilen sehr grossen Breite der Zange und Schwächlich-
keit des Stücks mir oft zweifelhaft vorkam. Eine in der
Archäologie sehr kundige Dame hat das Wort Bartzwicker
*) Hier in der Gegend ist neulich auch eine Pincette aus
Bronze, in Fragment gefunden worden.
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364
sehr angefeindet^ da dieses Instrument einmal in einem weib-
lichen Grabe, an einen Ring, zusammen mit Schlüssel und
anderem Frauenzubehör, gefunden worden wapv Nach ihrer
Meinung könnte es als Hilfsgeräth beim Nähen der Felle
gebraucht worden sein, um die eingesteckte Nadel damit heraus-
zuziehen. Ich könnte dazu noch eine andere Erklärung fügen,
nämlich dass die Pincetten, sonst und auch wie heutzutage, zu
verschiedenen Zwecken dienten, und im Alterthum speciell,
um den Docht der Lampen damit abzuputzen. Hierbei
drängen sich unwillkürlich Fragen auf: Wenn die Pincetten
Bartzwicker wären, wozit dienten dann die Instrumente, welche
in Sammlungen als alte Rasirmesser angegeben werden? und
gingen denn die Vorfahren der europäischen Völker überhaupt
ohne Bart? Auf die letzte Frage kann man übrigens eine
Antwort in dem, von Friedr. v. Hellwald im Jahre 1874 aus-
gegebenen Buche „Der vorhistorische Mensch** aus den Ton-
bildem ersehen. Alle prähistorischen Mannen sind da mit
tüchtigen Barten abgebildet. * )
Zuletzt erwähne ich der grossen Nadeln aus Bronze
(Seite 93), welche in Ungarn gefunden, auch in anderen
Sammlungen aufbewahrt werden, und bis zu 75*3 Cm. lang
sind. Eine solche Nadel besitze ich aus Eisen, und, da sie
120 Cm. in der Länge und gegen 1 Cm. mittlerer Stärke
hat, so werde ich sie richtiger einen Eisenstab nennen. Dieser
Stab ist roh geschmiedet und unten viereckig zugeschärft;
oben ist daran ein grosser, abgerundeter Knopf angebracht
und 2 Cm. darunter findet sich noch eine starke ringförmige
Verdickimg, so dass das Stück mit der Hand bequem gehalten
werden kann. Der Fundort ist im öubemialdistrict Solikamsk,
nicht weit von dem alten, verlassenen Wege zwischen den
Städten Wjätka und Solikamsk. 2)
Als Stock, als Wafi*e, als Bratspiess, als Sonde konnten
diese Oerft^ wohl nicht gedient haben, zu welchem Zwecke
wurden sie also verwendet?
^) Diese Bilder sind indem yon allen Archäologen beanständet
worden. D- Ä.
2) Aehnliche Eisengeräthe wurden im Hallstätter Ghrabfelde
gefanden. D. K-
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366
Kleinere Mittheilungen.
1.
Ooldringgeld.,
Durch die Vermittlung des Herrn Dr. Tiacher in Liboritz
in Böhmen habe ich dieser Tage einen interessanten Fund von
Goldringgeld erhalten, der in der Saazer Gegend beim Ackern
gemacht wurde.
Der Fundort liegt nördlich von Gross-Otschehau bei Podersam
(Saazer Kreis, Böhmen), vom Orte etwa einen halben Kilometer
entfernt, auf der Feldparzelle Nr. 1771 a und b des Herrn Carl
Müksch, Wirthschaftsbesitzers in Gross- Otschehau. Dieses Feld,
das 1878 mit Rüben bebaut war, liegt knapp an einer sumpfigen
Wiese, die früher ein Teich gewesen sein soll. Der Fundplatz ist
durch keine Erhöhung markirt, sondern zeigt nur eine dunklere
Färbung, die in dem sonst stark roth gefärbten Boden (den Unter-
grund bilden Eothliegend-Schichten) deutlich bemerkbar ist. Diese
dunkleren Fartieen gehören einer alten Culturschichte an, in der
sich zahlreiche Scherben von thönernen Gefässen und Schlacken
fanden. Auf derselben Stelle, wo die Goldringe gefunden wurden,
hat der Besitzer früher auch Bronzehalsringe gefunden, die als
Kupfer Terkauft wurden.
Die Binge wiegen zusammen 90*4 Gramm. Das silberhaltige
Gold hat einen Feingehalt von 900 Tausendtheilen, so dass der
Goldwerth des Fundes 21 österreichische Dukaten beträgt. Es
sind im Ganzen 14 Ringe, die alle in- und aneinander gehängt
gefunden wurden. Die meisten bestehen aus rundem Golddraht
von verschiedener Stärke, von Yj bis 27^ Mm. im Durchmesser.
Einer der Ringe besteht aus Stabgold mit viereckigem Querschnitt
(3 Mm. breit, 2 Mm. dick). Nur zwei der Ringe zeigen eine
weitere Bearbeitung des Goldes, indem der ursprünglich runde
Draht stellenweise in die Form eines schmalen lanzettförmigen
Blattes mit gekerbter Mittelrippe ausgesohlagen ist. Sehr eigen-
thümlich ist auch die Windung der Golddrähte. Nur der aus dem
starken Stabgold gewundene Ring ist in ge-
wöhnlicher Weise spiralförmig gewunden mit
2^2 Umgängen, so dass die beiden Enden gegen
einander stehen. Bei allen andern Ringen ist
ein Theil, nicht immer gerade die Hälfte, nach
einer Seite, also z. B. nach rechts, der andere
Theil naeh der andern Seite, nach links gedreht^
so dass in der Mitte eine Art Schleife entsteht
und die beiden Drahtenden nach einer Seite gerichtet erscheinen,
wie es die beistehende Figur anschaulich zu machen sucht. Ohne
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366
Zweifel gehört dieses Goldringgeld derselben vorhistorischen Periode
an, der auch die Urnengräber mit Leichen brand und einzelnen
Bronze- nnd £isen beigaben im nördlichen Böhmen zuzuzählen sind.
Der interessante Fund wurde für die prähistorische Sammlung des
naturhistorischen Hofmuseums acquirirt. Hochstetter.
Deber eine seltene Umenferm.
(AuB den Sammlungen der anthropolog^sch-ethnog^phischen Abtheilung des
k. k. naturhistorischen Hofinuseums.) ^
Unter dem obigen Titel findet sich in dem Sitzungsberichte
der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Ur-
geschichte vom 18. März 1876 ein Vortrag des Herrn Voss ab-
gedruckt.
Diese Art von Urnen besteht eigentlich aus zwei überein-
ander liegenden, durch eine mehr oder weniger scharfe Einschnürung
Vs nat. Grösse.
Höhe 33 cm.
Breite der Basis 8-5 «
Grdsater Durchmesser. . . . 33*5 «
Dnrchm. der EinschnümDg 15*5 cm.
Dnrchm. des oberen Theiles 18 8 „
Mündangsweit« 17 5 ,
von einander getrennten Formen , welche entweder henkellos sind
oder über der Einschnürung zwei kleine Henkel oder endlich am
oberen Bande einen grösseren Henkel besitzen, ^err Voss erwähnt
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367
darin eines Gefässes von Baizlaff in Pommern, eines anderen von
Eiekrz in Posen, von Weinböhla bei Dresden und zweier ähnlicher
Urnen aus Böhmen, nämlich von Wockowitz bei Prag und DobfiJje
bei Duschnik. Da mir vor Kurzem bei der Inveniirung der Samm-
lungen für die prähistorische Abtheilung des k. k. naturhistorisohen
Hofmuseums in Wien eine ähnliche Urnenform unter die Hände
kam, so will ich in Folgendem kurz darüber berichten.
Die Urne stammt aus der Sammlung des verstorbenen Kreis-
physikus Dr. Wostry in Saaz in Böhmen und soll in der Umgebung
dieser Stadt gefunden worden sein. Nach der Art der Arbeit,
sowie nach den Verzierungen, schliesst sie sich vollkommen dem
Lausitzer Typus an, so dass man bei einiger Vertrautheit mit
diesem allsogleich deren Zugehörigkeit zu demselben erkennt. Die
Basis ist schmal, der untere Theil des Gefässes scharf gezeichnet;
die Linien sind schön geschwungen, elegant; über der scharfen
Einschnürung erhebt sich gleichsam wie ein daraufgesetztes zweites
Gefäss der obere Theil, fast eben so hoch, aber bedeutend schmäler
als der untere. Die Verzierung ist ganz charakteristisch; sie be-
steht aus parallel nebeneinander laufenden 'flachen Furchen, die,
sechs bis sieben an der Zahl, gleichsam ein breites, längsgefurchtes
Band bilden. Ein solches Band läuft quer um den Umfang unter-
halb der Einschnürung; von diesem laufen einige solche Längs-
bänder bis zum grössten Bauchumfange des Gefässes herab.
Die Urne ist sorgfältig gearbeitet, selbstverständlich ohne
Zuhülfenahme der Drohscheibe; das Material ist ein feiner Thon,
aussen geglättet und mit Graphitüberzug versehen. Das Gefäss ist
schwach gebrannt.
In der Urne selbst fanden sich drei ganze Bronzeringe, sowie
zahlreiche Bruchstücke von solchen vor. Trotzdem steht diese
Urnenform nicht in so ausschliesslicher Beziehung zur Bronzezeit,
weil die Funde vom Lausitzer Typus, wenigstens in Böhmen, auch
Eisen führen. Jedenfalls ist aber die Uebereinstimmung der Ge-
lasse von dieser Form sehr auffallend und weist wohl auf einen
gewissen Zusammenhang der Bevölkerung im nördlichen Böhmen,
Sachsen, Polen und Pommern hin. Franz Heger.
Literaturberichte.
1.
Fr. Müller: Grundriss der Spraohwissenschaft. L Band. I. Ab-
theilung: Einleitung in die Sprachwissenschaft. 1876. IL Ab-
theilung : Die Sprachen der wollhaarigen Rassen. 1877. IL Band.
I. Abtheilung : Die Sprachen der schlichthaarigen Rassen. Wien,
1879. Alfred Holder.
So wie in der allgemeinen Ethnographie, schliesst sich Herr
Prof. Fr. Müller auch in diesem Werke an die Theorie Darwins
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368
an. Nach Fr. Müller fällt die Entstehung der Sprache nicht
mit dem Ursprünge des Menschen zusammen. Jahrtausende mögen
vergangen sein, ehe der Mensch angefangen hat, eine artioulirte
Sprache zu sprechen. Ja sogar Rassen haben sich bereits gebildet,
in einzelne Zweige gespalten, weite Wanderungen unternommen,
ehe die Sprachen als Produote der geselligen Verbindungen der
Individuen sich entwickelt haben. Herr Prof. Fr. Müller tritt
damit in einen entschiedenen Gegensatz zu manchen Sprach-
forschem, deren Blicke gewöhnlich durch den £in£uss bereits anti-
quirter philosophischer Schulen getrübt wurden. Sehr scharf tritt
dieser Gegensatz zu den Schriften Max Mülle r^s hervor. Der-
selbe ist bekanntlich ein Gegner Darwins, ein Umstand, der ihm
in den Augen conservativer Engländer eine gewisse Popularität
verschafft hat. Nur bei einer vollständigen Ausserachtlassung der
Resultate der gegenwärtigen anthropologischen und ethnologischen
Forschungen ist es erklärlich, dass Max Müller sowohl die
dravidischen Sprachen als auch das Baskische den uralo-altaischen
beizählen konnte.
Dem unwissenschaftlichen Gerede philosophirender Sprach*
forscher und Philologen sucht unser berühmter Vice-Präsident ein
Ende zu machen. Bezeichnend für seinen Standpunkt ist schon
das Motto, das einer Rede unseres unsterblichen Rokitansky
entlehnt ist: „Nachdem das Nachbeten, Wiederkauen und Commen-
tiren der Alten, nachdem die hohle Speculation und Dialektik sich
als zeitraubend und geisttödtend erwiesen haben, treibt man heut-
zutage exacte Wissenschaften*. — Die zweite Abtheilung behandelt
die Sprachen der wollhaarigen Rassen. Da ist gleich der Abschnitt
über das Hottentotische (Nama-Dialekt) auch für die Völkerkunde
von besonderer Wichtigkeit. Bekanntlich hat der Missionär Moffat
eine Verwandtschaft des Hottentotischen mit dem Altägyptischen
entdecken wollen. Eine Ansicht, der später auch Bleek, Lepsius
und Max Müller beigetreten sind. Wenn nun schon vom anthro-
pologischen Standpunkte eine solche Annahme für unmöglich erklärt,
werden musste, so ist sie jetzt auch von Fr. Müller durch
linguistische Gründe widerlegt worden. Unter den Negersprachen,
von denen sechzehn behandelt werden, ist die Kanuri-Spraohe in
Bornu von besonderem Interesse. Der allgemeinen Form nach iflt
die Sprache agglutinirend. Auch das Verbum hat gleich dem
Finnischen und Türkischen eine reiche Entwickelung. Ebenso
interessant ist die Sprache der Dinka. Die meisten Formen sind
einsilbig, schliessen consonantisch und erinnern somit lebhaft an
die einsilbigen Sprachen Kinterindiens. Selbstverständlich wird von
Fr. Müller die Verwandtschaft dieser Sprachen für unmöglich
erklärt. Verwandt mit dem Dinka ist die Sprache der Bari. Sie
ist formlos, erstrebt aber beim Nomen eine agglutinative Formung.
In dem sprachlichen Forlschritt vom Dinka ^um Bari sieht man
einen interessanten Fall von aufsteigender Sprachentwickelung. Die
Hausa-Sprache berührt sich mit den hamitischen und semitischen
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369
»Sprachen. Die Hausa haben daher nach einer Vermuthung Fr.
Müller'fl einst den Hamiten benachbart gewohnt. — Der erste
Theil des zweiten Bandes enthält die australischen Sprachen und
die Sprachen der Hyperboreer- Rasse. Die zehn bekannten Sprachen
Australiens (darunter die Sprache der Tasmanier) hängen, trotz-
dem sie im Wortschatz bedeutend von einander abweichen, innig
mit einander zusammen. Die Grundsprache, auf welche sie alle
zurückgehen, ist nach Fr. Müller formlos gewesen. In der ethno-
logischen Literatur findet sich vielfach der Irrthum von einem
Zusammenhange der Australier mit den Dravidas vor, der auf
einige sprachliche Eigenthümlichkeiten, die sich bei beiden Hassen
vorfinden, zurückgeführt wurde. Fr. Müller erklärt einen solchen
Zusammenhang für unmöglich, worin ihm auch jeder Anthropologe
Recht geben wird.
Von den Sprachen der Hypoboreer-Rasse werden das Jenissei-
Ostjakische, das Kottische, die Sprache der Jukagiren, Tschuktschen,
Aleuten und Eskimo einer Prüfung unterzogen. Wenn sie auch
im Lautsystem eine grosse Aehnlichkeit mit den uralo-altaischen
Sprachen zeigen und durch die grosse Einfachheit des Verbums an
den mongolisch-tungusischen Zweig erinnern, so weichen sie den-
noch von allen diesen Sprachen mannigfach ab und stehen mit
ihnen in keinem Zusammenhange. Mit den Sprachen der schlicht-
haarigen Rassen und denen der CulturvÖlker wird dieses wahrhaft
monumentale Werk zum Abschluss gebracht werden.
Wer Fr. Müller's „Sprachwissenschaft" studiert, thut wohl,
zugleich die „Allgemeine Ethnographie* in die Hand zu nehmen,
da beide Werke einander ergänzen. Dr. Fligier.
Richard Andree: Ethnographisobe Parallelen und Vergleiche.
Stuttgart, 1878. Mit 6 Tafeln und 21 Holzschnitten.
Es liegt in der Natur der Dinge, dass der Anthropolog und
der Urgeschichtsforscher immer zu der Frage gedrängt werden,
welchem Volke irgend ein Fundstück, eine Wohnstätte oder die
menschlichen Reste, die wir dem Boden wieder entnahmen, an-
gehören. Es ist geradezu unmöglich, volles Licht in die vor-
geschichtliche Zeit ohne Beantwortung dieser Frage zu bringen,
und gerade deshalb sucht die Craniometrie und die Urgeschichte
an ihren Fundobjecten mit solchem Eifer nach den Merkmalen,
die ihnen einen bestimmten, nationalen Charakter aufragen. Man
glaubte solche Merkmale in der Form der Schädel, der Ge-
fässe, der Waffen und des sonstigen Oeräths, in der Ornamentik
sowie in der Beschaffenheit der Wohnstätten, Gräber und Bau-
25
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370
"viferk^ gefan4eKi zu haben; indeta zeigte sich bald, dsLß$ viele
^gcbeinnngen auf urgeflchichtlichem Gebiete eine so weite Ver-
breitung hs^ben, dass allgemeine Schlüsse aus denselben anf die
Herku^ft der vorgeschichtlichen Funde nur mit grosser Vorsicht
gemacht w^den dürfeu.
Sicherer schien dagegen der Weg, aus den hinterlasseucn
Besten nA^schlicher Artefacte die Sitten, Gebräuche und den
Ittythus zu erschliessen, um dadurch der Beantwortung der Frage .
über ihre Herkunft näher zu kommen. Bass ab^r auch dieser Weg
mit gleicher Vorsicht betraten werden muss, zeigt der Verfasser
in dem obeu angeführten Buche. Bue TJebereinstimmung und Aebvt-
lichkeit in den Anschauungen und Gebräuehen selbst räumlich
weit yon einander getrennter und ethnisch verschiedener Völker
ist eine grosse, oft geradezu überraschende. Solche Ueberei&stijDa-
mungeu od^r Aehnlichkeiten legi der Verfasser in seinem Buohe in
einer grossen Anzahl dar, die er nach verschiedenen Biehtungen
unter die Schlagworte: Tagewählerei, Angang und Schicksalsvögel,
!E!inmauern, Hausbau, Sündenbock, Böser Blick, Steinhaufen, I#appeo-
bäume, Werwolf, Vampyr, Fussapuren, In Stein verwandelte Men-
schen, Erdbeben, Gestirne, Speise verböte, Schädeloultua, Trauer-
verstümmlung, Der Schmied, Schwiegermutter, Personeunamen,
M^kzeiche^ uud Knotenschrift, Anfänge der Kartographie, Werth*
messer, Der Schirm als Würdezeichen, und !Petroglyphen ordnet.
Es ist selbstverständlich, dass solche Vergleiche weder ^x-
te^siv i^och intensiv erschöpfend sein können; doch bietet das
Bi^^h deren ^ine solche lehrreiche fülle, dass wir nic)rt b}os,^p8
Verdienst d^s eifrigen Sammlers, spAd^r^ auch des geistreichen
Ordners dankbar anerkennen müssen. Das Materiale konnte selbst-
verständlich nur in prägnanter Kürze gebracht werden, sollte das
Buch nicht zum XJebermasse anschwellen; die dadurch herbei-
geführte Sprödigkeit des Inhaltes hat der Verfasser nicht hht in
glücklichster Weise beseitigt, sondern seine Aufgabe in so frtseher
und anregender Weise durchgeführt, dass das Buch nicht blos in
den epgeren Gelehrtenkreisen Eingang finden wird.
Unsere Leser kennen bereits das erste Capitel, Tagewählerei,
Angang und Schicksalsvögel, welches der Verfasser im sechsten
Bande unserer Mittkeilungen ver offen tliehte, und mögen darnach
die Biehtigkeit des Gesagten selbst beurtheilen.
Ein ganz besonderes Verdienst hat sich der Verfasser durch
die sorgfaltige Zusammenstellung von Felszeichnungen etworben,
die sechs grosse Tafeln füllen und sonst nirgends in solcher &kl
und Uebersichtliehkeit wieder beisammen zu finden siiid.
Bei dem üeberblicke derselben wird man überrascht) sein
über die Aehnlichkeit zwischen der von Prof. P. F. Beitisok in
der Nummer 5 und 6 dieses Bandes publicirten Fels2eiohnun§f auf
dem Dighton Bocks in Massachussets und jener, welche Dr. Riohaid
Andree in seinem Buche auf der Tafel V, unter Nr. 60 brn^^t.
Indess ist auf den ersten Blick ersichtlich, dass beiden Zeichniuigeii
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371
dasselbe Objeot zu Grunde liegt, dass aber die Reproduction des
Prof. Reinsch wahrscheinlich auf einer nicht ganz genauen Copie
beruht.
Das Bueh böte noch manche Gelegenheit auf Einzelnes ein-
zugehen, wenn nicht der zur Verfügung stehende Baum Einschrän-
kung gebieten würde; ich kann es mir aber doch nicht versagen,
einen interessanten. Fund zu berühren, der yor einiger Zeit in
Niederösterreioh gemacht wurde und ohne Zweifel zum Vampyr-
glauben, dessen geographische und nationale Verbreitung der Ver-
fasser ebenfalls behandelt, in Beziehung steht. Bei dem Baue eines
Hauses in Babensburg wurden nämlich mehrere Skelete ausgegraben,
in deren Schädel und zwar mitten in der Stirne starke eiserne Nägel
eingeschlagen waren. Es ist beklagenswerth, dass kein Sachver-
ständiger in sofortige Kenntniss des Fundes gelangte, um aus et-
waigen Beigaben das Alter der Skelete zu bestimmen. Ohne Zweifel
aber waren die Bestatteten Vampyre, welche durch das Einschlagen
der Nägel in die Stirne im Grabe zurückgehalten werden mussten,
und wahrscheinlich gehörten dieselben der slavischen (slovakischen)
Bevölkerung an; jedenfalls aber erhalten Andree's Mittheilungen
über den Vampyrglauben nun auch einen archäologischen Beleg.
Dr. Much.
Dr. C. Hehlis: Die Haubirg im Fegnitzthale. Ein Beitrag
zur Vorgeschichte Süddeutschlands. (Aus dem Archiv für
Anthropologie.)
Mit den vorliegenden Untersuchungen hat der Verfasser,
einer der eifrigsten Vertreter urgeschichtlicber Forschung, dem
territorialen Umfange seines Forschungsgebietes eine grössere Aus-
dehnung gegeben. Für das Studium der Urgeschichte der öster-
reichischen Länder sind selbstverständlich alle einschlägigen Er-
sokeiBungen auf den Naohbargebieten von weitaus höherem Interesse
als irgend andere; ganz insbesonders werden wir in dieser Be-
ziehung unsere Blicke auf den angrenzenden Westen und Osten
richten müssen, wohin uns naturgemäss der Lauf der Donau
verweist.
Mit Becht hat man in letzter Zeit, nachdem man sieh früher
zumeist mit den einzelnen Fundstücken selbst beschäftigte, den
vorgeschichtlichen Wohnsitzen grössere Aufmerksamkeit geschenkt.
Einer solchen ist die Ansiedlung auf der Haubirg im Pegnitzthale,
die durch ihre grossartigen äusseren Erscheinungen, namentlich
durch die kolossalen Dimensionen ihrer Steinwälle imponirt, im
hohen Grade werth. Weniger zahlreich sind leider die Einzeln-
funde, die indess mit Zuhilfenahme der Untersuchung der Orts-
namen der Umgebung und historischer Momente immerhin genügend
26*
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372
sind, um dem Verfasaer zu ermöglichen, der „Haubii^" ihre
archäologische Stellung anzuweisen. Dr. Mehlis schreibt den
Funden germanischen Charakter zu und erklärt die gewaltigen
Wälle dieser prähistorischen Wohnstätte für ein Werk der Narister
oder Burgunder. Wir lassen die Frage, welchem einzelnen germa-
nischen Stamme die „ Haubirg * angehöre, unberührt: an dem grossen
KesuTtate,- dass sie eine der grossartigsten Bauernburgen
der Germanen gewesen sei, werden wir nicht mehr zu rütteln
vermögen. Dr. ICuoh.
4.
Fr. Müller: Allgemeine Ethnographie. Zweite umgearbeitete
und bedeutend vermehrte Auflage. Wien, 1878. Alfred Holder.
Die erste Auflage dieses hinlänglich bekannten Werkes ist
schon längst vergriffen. Eine zweite Auflage muss um so dank-
barer begrüsst werden, als in den letzteren Jahren das Material
auf diesem Gebiete ungeheuer zugenommen hat. Aiif Fr. Müller^s
Rasseneintheilung beruht ja im Wesentlichen auch diejenige Pe-
scheTs.
Oskar Peschel („Völkerkunde." Leipzig, 1874) hat be-
kanntlich im Gegensatze zu Fr. Müller die malayische und ame-
rikanische Rasse mit der mongolischen vereinigt. Neuerdings ist
Fr. Müller's Ansicht durch einen gründlichen Aufsatz Hove-
lacque*8 (wLe type mongolique." Revue internationale des sciences.
1878.) neu bekräftigt worden. Dr. Fligier.
Vereins -Mittueilung.
Das Präsidium der anthropologischen Gesellschaft spricht aus
Zweckmässigkeitsgründen den Wunsch aus, dass alle Correspondenzen
und sonstigen Zusendungen direct an das Secretariat der Gesell-
schaft geleitet werden möchten. Es ergeht daher an alle Gesellschaften
und Fachgenossen, welche mit der anthropologischen Gesellschaft
im Verkehre sind, die freundliche Bitte, ihre Sendungen an die
Adresse des gefertigten Secretärs zu richten.
Dr. M. Muoh.
VIII. Josefsgass^ 6.
KedftrtiOBi-Comit^: Hnfrath Franz Ritter t. Haner, HofratU Curl Laa^^r, Dr. Ji. Mmthf
Prof. Friedr. 111 1er, Dr. WilirniftBB, Prof. Job. WoMrirh.
Dmck von Adolf Holshauaen to Wisa
h. k. LnUcrsIlAt» ll<iob4ni«k«r»l.
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Mittheüungen d Anthropolog. ßeseUsdi.mKftealBIIJd.
A. F. TeplouchofJr^bäolog. Beitrage ans den Osfeä InropäP^S
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I.
1. Du zweite SchmelzverCahren bei Habraska. a Die Erdf^nabe, h der Schmolztiegel,
r die Rühren, d die ansgehöhlten Grübchen znr Aafaahmo des Schmelzgntes.
11 Thongefass, das zerschlagen gewesen und in prähistorischer Zeit wieder restannrt
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ff.FJscher: Müierr-arch.. Studiert .
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3fiafua der JnÜtrop. 6e^eUsehan'^mmi>t^f^-^^
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H.Fi'scher : ?/in^j:- cLreh. Jtudie/i, .
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MiiauUlder A/Uhrop. ßeseU^eha/t m *&«^7^/>/ ^^ ^OOglC
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ItJi'scher: Hüujr-areA . Sü/diefc.
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Mittheilungen der Aiithropolog. Gesellschaft. VlIl.Bd
Kig.XV.
Flfj.XIV.
Fig.XYI.
Fig.XVll
C. J)eschjn.Min .
Funde von Z i rknlt^^i,^^,,yGoOgle
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Mittheilunqen der Anthropoloq. Gesellschaft. VIII. Bd.
C. Deschiaann.
Funde von Zirknitz. Digitizedby Google
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Ifiltheilungeii der Mlrropologischeii Gesellschaft inWieii.fllLBand.
^loiuiL CUM;' dU^ic Lc*u i^'^ctc^'i P/--\
Fig.l.(n.t) rig.2(li.(L)
c
ir.i.Pfripmen aus IGipfer
r Ihirchschnitt von a.
Fi§.3.fy»ii.e)
Fi^.5i3iii.G)
LaoienspHze aus Kupfer. SteinambotsAn-Grofse. ■"-*—• "■Tfen^fiifBflfsmodpl
I
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Uittheilungen der Anthropologischen Qesellsdiafl mWienVlBand.
S>£M
Fit.I.WnGj
Fij.9.U.G.)
Rj.6.(Ha.fi.)
Cylindriache Schelle.
Fig-tt/yin-d)
Porphyrtunnmer.
Hammenud aus SerpmtiT
SpindfllfdTmile Schelle misllion.
Versierte thönerne Schelle
a. Seitataimib(b.^&ntdiaaaicU
mit den heidenloAem tum
Ihirdixiehjm dirJteknur
Pif.lO.
Giüliie)
RguralisKscJie Sehe
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Mttheilimaen derinthropologisclien Gesellschaft liiWEeii.YlII.6and.
Fij.l2.a.(«nJ&)
Seittmmtidd J'*^SCV des Oherthßäes.
(Hn.G.)
^^^^<^^^.ä^
r^or^olp^
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MiUheüungen der Änthropol, OetelUchaß in Wien, VIII. Bd,
Tafel IV.
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MiUheüungm der Änthropol. OeselUchafl in Wien. VIII. Bd.
Tafel V.
Schädel aus einem keltischen Friedhof an der Marne.
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Mittheüungen der ÄrUhropol. OeselUchaß in Wien, VIII. Bd.
Tafel VI.
Schädel aus einem keltischen Friedhof an der Marne.
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MiUheilungen der Antkropol. OeselUchaß in Wien. VIIL Bd.
Tafel VII.
A ▲ A 4
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Mttheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien .M. Band.
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C\c\c\cs\c>
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